Schriften zum Rheinischen Recht 1998-2008 9783412216511, 9783412222291

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Schriften zum Rheinischen Recht 1998-2008
 9783412216511, 9783412222291

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Dieter Strauch Schriften zum Rheinischen Recht 1998–2008

Rechtsgeschichtliche Schriften Im Auftrage des Rheinischen Vereins für Rechtsgeschichte e. V. zu Köln Band 30

Herausgegeben von Manfred Baldus, Hans-Peter Haferkamp und Hanns Peter Neuheuser

Schriften zum Rheinischen Recht 1998–2008 von Dieter Strauch

Aus Anlass seines 80. Geburtstages herausgegeben von Manfred Baldus, Hans-Peter Haferkamp und Hanns Peter Neuheuser

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Kölner Juristischen Gesellschaft e. V., des Vereins zur Förderung der Rechtswissenschaft in Köln e. V. und des Landschaftsverbandes Rheinland

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Frank Schneider Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22229-1

I N HA LT VORWORT.................................................................................................................. 9 ZUM GELEIT ........................................................................................................... 13 ZUR GESCHICHTE DES RHEINISCHEN NOTARIATS BIS 1797 A. DIE VERHÄLTNISSE BIS 1512.......................................................................... 16 I. Allgemeines ........................................................................................... 16 II. Die Ausbildung der frühen Notare.................................................... 21 III. Die Anfänge des öffentlichen Notariats im Rheinland .................. 22 IV. Notare im Dienst der Landesherren und des Königs..................... 30 V. Notare im Dienste der Stadt Köln..................................................... 32 B. DIE REICHSNOTARIATSORDNUNG VON 1512 ............................................. 36 VI. Missstände im Notariat ........................................................................ 36 VII. Maßnahmen des Reiches zur Verbesserung des Notariats ............ 37 C. DIE RHEINISCHE ENTWICKLUNG NACH 1512 ............................................ 39 VIII. Die Entwicklung im Herzogtum Jülich-Berg................................... 39 IX. Die Entwicklung im Kurfürstentum Trier ....................................... 41 X. Die Entwicklung im Kurfürstentum Köln ....................................... 42 XI. Die Entwicklung in der Stadt Köln ................................................... 44 D. SCHLUSS.............................................................................................................. 52 Anhang: .............................................................................................................. 53 Articuli super quibus notarii immatriculandi examinantur .................. 53 [et responsiones notarii Ludovici Thunessen] .......................................... 53 RECHTSFRAGEN DES HANDELS ZWISCHEN KÖLN UND DEN NIEDERRHEINLANDEN IM SPÄTMITTELALTER I. Die Stadt Köln und die Niederrheinlande .................................................. 61 II. Die rechtlichen Rahmenbedingungen des Handels ................................... 62 III. Schuldenhaftung .............................................................................................. 81 IV. Gewährleistung ................................................................................................ 89

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Inhalt

750 JAHRE KLEINER SCHIED I. Historische Einführung: 750 Jahre Kleiner Schied.................................... 97 II. Das historische Umfeld .................................................................................. 97 III. Die beteiligten Personen ................................................................................ 98 IV. Der Streitgegenstand ....................................................................................106 V. Der Inhalt des Schiedsspruches ..................................................................116 VI. Die päpstliche Bestätigung ..........................................................................126 VII.Ergebnis..........................................................................................................128 Quellen und Literatur ..........................................................................................130 Anhang I: Quellentexte .......................................................................................139 Anhang II: Übersetzungen .................................................................................142 Anhang III: Päpstliche Urkunden .....................................................................146 DAS FRANZÖSISCHE RECHT UND DIE RECHTSENTWICKLUNG IM RHEINLAND I. Französisches Recht im Rheinland ............................................................148 II. Die Entwicklung in preußischer Zeit .........................................................151 III. Weiterer Einfluss des Rheinischen Rechts auf die Rechtsentwicklung 164 IV. Der Einfluss des Code Civil auf das BGB ................................................168 V. Schluss.............................................................................................................179 AUGUST REICHENSPERGER ALS RECHTSPOLITIKER I. Bildungsgang ..................................................................................................181 II. Stellungnahme zum geplanten Rheinischen Provinzialgesetzbuch......183 III. Tätigkeit als Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung ................184 IV. Tätigkeit als Mitglied der zweiten preußischen Kammer bis 1863........187 V. Die parlamentarischen Jahre 1870 – 1885.................................................200 VI. Schluss.............................................................................................................211 Quellen ...................................................................................................................212 Literatur .................................................................................................................213

Inhalt

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BIRKENFELD, LICHTENBERG, MEISENHEIM ETC. TERRITORIALE ZUWEISUNGEN DES WIENER KONGRESSES UND IHRE FOLGEN Einführung ............................................................................................................215 I. Das Fürstentum Birkenfeld .........................................................................217 II. Das Fürstentum Lichtenberg ......................................................................223 III. Das Oberamt Meisenheim ...........................................................................228 IV. Ein Mecklenburgisches Territorium in der Eifel?...................................233 V. Die Entschädigung des Grafen von Pappenheim ...................................234 Schluss ....................................................................................................................235 DIE ENTWICKLUNG DES RHEINSCHIFFFAHRTSRECHTS ZWISCHEN 1815 UND 1868 I. Kurzer Blick in die Vorgeschichte..............................................................237 II. Die Verhandlungen seit 1814 ......................................................................244 III. Die Mainzer Konvention von 1831 ...........................................................252 IV. Die Entwicklung bis zur Mannheimer Akte von 1868 ...........................257 V. Ausblick ..........................................................................................................264 Quellen ...................................................................................................................267 Literatur .................................................................................................................268 BIBLIOGRAPHIE DIETER STRAUCH 1998–2013 I. Monographien ...............................................................................................272 II. Aufsätze zum geltenden Recht ...................................................................272 III. Aufsätze zur Rechtsgeschichte ....................................................................273 IV. Besprechungen ..............................................................................................276 IV. Herausgeber, Bearbeiter ...............................................................................279 Abkürzungen ......................................................................................................281 Register.................................................................................................................283

V O RW O R T Am 29. Oktober 2013 kann Professor Dr. Dieter Strauch (Köln) auf die Vollendung seines achten Lebensjahrzehnts zurückblicken. Der Rheinische Verein für Rechtsgeschichte möchte den Glück- und Segenswünschen für seinen Vorsitzenden diesen Faszikel von Aufsätzen beifügen, die Dieter Strauch nach seiner Emeritierung (1998) vorgelegt hat. So wird mit diesem Band die Sammlung „Kleine Rechtsgeschichtliche Schriften – Aufsätze 1965 – 1997“ fortgeführt, die im Jahre 1998 als Band 11 in der Reihe „Rechtsgeschichtliche Schriften“ bei Böhlau in Köln erschienen ist. Eine gegenständliche Beschränkung auf eines der beiden Forschungsgebiete des Jubilars, nämlich das Rheinische Recht, erschien geboten. Die neun Beiträge sind an sehr unterschiedlichen Stellen erstveröffentlicht und daher für wissenschaftliche Zwecke nicht ohne weiteres greifbar. Hingegen dürften die aus dem beigefügten Gesamtschriftenverzeichnis ersichtlichen Publikationen zur skandinavischen Rechtsgeschichte großenteils über den Fundstellennachweis in der von Dieter Strauch verfassten umfangreichen Quellenkunde „Mittelalterliches Nordisches Recht bis 1500“ (Berlin: de Gruyter 2011) zugänglich sein. Das Engagement von Dieter Strauch für die Rechtsgeschichte des rheinischen Raumes wäre mit einem Hinweis auf die beiden Aufsatzsammlungen gewiss unvollständig beschrieben. Seit mehr als zwei Jahrzehnten versteht er es, Wissenschaftler und Praktiker dreimal im Jahr zu Vortragsveranstaltungen des Vereins zusammenzuführen, die weitaus überwiegend rheinischen Themen gewidmet sind, ohne dabei den Zusammenhang mit der allgemeinen Rechtsgeschichte und den Nachbardisziplinen außer Acht zu lassen. Spätestens die normative Erschließung von Großräumen, wie dies etwa bei der Europäischen Union und im Geltungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention der Fall ist, hat in Erinnerung gerufen, dass Rechtsgeschichte mehr ist als ein akademisches Bildungserlebnis. Nur ein Rechtshistoriker kann erklären, wo und aus welchen Gründen in nationalen Rechten normative Kontinuität oder Diskontinuität vorliegt, welche gemeinsamen Wurzeln erkennbar und – vor allem – wie tragfähig sie noch sind, um hierauf eine gemeinsame Rechtsüberzeugung aufzubauen. So darf beispielsweise als gesichert gelten, dass es bei der Konzipierung mancher Rechtsinstitute des Unionsprivatrechts geboten ist, auf das Römische Recht und seine Fortentwicklung im Gemeinen Recht und auf das klassische Kanonische Recht zurückzugreifen. Für solche Grenzüberschreitungen bietet der rheinische Raum offenbar reiches Anschauungsmaterial. Beispielhaft kann hier auf die in jüngerer Zeit gehaltenen Vorträge verwiesen werden, so von Nils Jansen (Funktion, Methode und Ausgangspunkt historischer Fragestellungen in der Privatrechtsdogmatik), Peter Landau (Die Kölner Kanonistik des

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Vorwort

12. Jahrhunderts – ein Höhepunkt der Europäischen Rechtswissenschaft), Alfred Minke (Grenzerfahrungen – Ostbelgien im Spannungsfeld zwischen Staat und Nation), Martin Schermaier (Römisches Recht und europäische Rechtskultur), Raimund Haas (Rheinische Kirchenrechtsgeschichte in Köln und Breslau – Prof. Dr. Franz Gescher 1884 – 1945), Sabine v. Heusinger (Kartell und Monopol contra Dynamik und Flexibilität. Die Zunft im Mittelalter aus historischer Sicht), Mathias Schmoeckel (Recht der Reformation. Die Wirkung der Reformation auf die europäische Rechtsordnung bis zum 18. Jahrhundert) und Klaus Militzer (Der Kölner Weinhandel im Mittelalter). Dem Einfluss des französischen Rechts auf die rheinische und deutsche Rechtsentwicklung im 19. Jahrhundert hat Dieter Strauch einen im vorliegenden Band abgedruckten Aufsatz gewidmet. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Jubilar den vom Kuratorium „Kölner Justiz in der NS-Zeit“ angestoßenen und vom Rheinischen Verein für Rechtsgeschichte mitgetragenen Forschungsprojekten, nämlich „Justiz im Krieg – Der Oberlandesgerichtsbezirk Köln 1939 – 1945“ und „Justiz im Systemwechsel – Geschichte des Kölner Oberlandesgerichtsbezirks zwischen Zweitem Weltkrieg und Wiederaufbau“. Über den Fortgang wird von den Vorstandsmitgliedern Dr. Arntz und Prof. Dr. Haferkamp regelmäßig bei der Mitgliederversammlung des Vereins berichtet. Das erste Vorhaben, „Justiz im Krieg“, aus dem eine größere Zahl von Dissertationen hervorgegangen ist und das sich mit einer Reihe von Symposien auch der Öffentlichkeit vorgestellt hat, steht nunmehr kurz vor dem Abschluss. Da historische Denkmäler meist nur fragmentarisch oder verändert erhalten geblieben sind, ist zu ihrem Verständnis in der Regel zweierlei erforderlich: Augenschein und der solide Vortrag eines Fachmanns. Dies gilt auch für rechtshistorische Denkmäler, die der Verein bei seiner alljährlichen Exkursion aufsucht. Die territoriale Vielfalt der rheinischen Geschichtslandschaft ermöglicht es dann, selbst auf kürzeren Strecken mehrere weltliche und geistliche Ober- und Unterherrschaften zu passieren. Für Blankenheim oder Zülpich, Sayn oder Stavelot-Malmedy den richtigen Referenten zu finden, gelingt dem Vereinsvorsitzenden souverän, da er sich den Vorbereitungen – übrigens auch der Auswahl für ein mittägliches Beisammensein – immer mit großer Umsicht und Erfahrung zuwendet. Da rechtshistorische Arbeiten vielfach auf archivalische Quellen angewiesen sind, wird bei Exkursionen auch gern die Gelegenheit zu einem Archivbesuch genutzt. Gerade für die junge Generation rechtshistorisch interessierter Juristen bieten sich hier Anregungen für eigene Studien. Wie die vorausgegangene Sammlung „Kleine Rechtsgeschichtliche Schriften – Aufsätze 1965 – 1997“ verdankt auch dieser Band sein Erscheinen einem tatkräftigen Zusammenwirken. Namentlich sei gedankt dem Böhlau-Verlag, hier

Vorwort

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insbesondere Frau Dorothee Rheker-Wunsch, für die umsichtige und termingerechte Planung. Dem Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft e.V. Köln, der Kölner Juristischen Gesellschaft und dem Landschaftsverband Rheinland, danken wir für ihre Finanzhilfe, welche die Publikation erst ermöglicht hat. Das Manuskript wurde im Sekretariat des Instituts für Neuere Privatrechtsgeschichte, Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte der Universität zu Köln für den Druck vorbereitet. Schließlich hat uns der Jubilar selbst beigestanden und dafür gesorgt, dass vereinheitlichte Vorlagen der einzelnen Beiträge und das Register erstellt wurden. Der Rheinische Verein für Rechtsgeschichte weiß sich seinem hochgeschätzten Vorsitzenden in herzlicher Dankbarkeit verbunden. Köln, im Herbst 2013 Für den Vorstand Dr. Joachim Arntz Präsident des Verwaltungsgerichts Köln a. D.

Prof. Dr. Manfred Baldus Vorsitzender Richter am Landgericht Köln a. D.

ZUM GELEIT Dieter Strauch vollendet am 29. Oktober 2013 sein achtzigstes Lebensjahr. Dies war ein willkommener Anlass für die Herausgeber, dem 1998 erschienen ersten Band mit rechtshistorischen Schriften einen zweiten Band folgen zu lassen, der die Schriften zur Rheinischen Rechtsgeschichte zwischen 1998 und 2008 vereinigt. Obwohl der vom ersten Band abgedeckte Zeitraum 1965 – 1997 keine thematische Engführung erforderte, schien es uns nun ratsam, trotz des viel kürzeren Zeitraumes von zehn Jahren nur Schriften zur Rheinischen Rechtsgeschichte zu veröffentlichen. Dies liegt daran, dass Dieter Strauch seit seiner Pensionierung eine überaus eindrucksvolle und ungebrochene Arbeitskraft mit steter Forscherlust verbunden und seit 1998 die enorme Zahl von fünf Monographien und 75 Aufsätzen veröffentlicht hat. Darunter ragen sein 553-seitiger Überblick über die territoriale Entwicklung der Gerichtsbarkeit in der Rheinprovinz und ihren Nachfolgestaaten (Rheinische Gerichte in zwei Jahrhunderten, 2007) und vor allem sein 2011 erschienenes großes Werk zum Mittelalterlichen Nordischen Recht bis 1500 hervor, das am 6. November 2011 mit dem renommierten Preis der Kungl. Gustav Adolfs Akademien för svensk folkkultur in Uppsala ausgezeichnet wurde. Im vorliegenden Band werden die Interessen Dieter Strauchs in der Skandinavischen Rechtsgeschichte, der allgemeinen Mediävistik und der Deutschen Rechtswissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts daher nicht abgebildet. Thematisch beschränken sich die Beiträge auf die Rheinische Rechtsgeschichte, also allgemein die Rechtsgeschichte im Rheinland, nicht im engeren Sinne nur die Geschichte des Französischen/Rheinischen Rechts in den linksrheinischen Gebieten. In historischer Gliederung steht ein Überblicksartikel zur Geschichte des Rheinischen Notariats vor der französischen Besetzung am Anfang. Während die Zeit ab 1791 gerade in den letzten Jahren nochmals intensiv rechtshistorisch erforscht wurde, stellt Strauchs Studie in Teilen eine Pioniertat in einem schon wegen seiner territorialen Zersplitterung besonders schwierigen Gebiet dar. Sein Blick reicht dabei bis in die frühen Einflüsse des römischen Notariats im staufischen Mittelalter. Unter beständiger Auswertung der Originalquellen werden Ausbildungsfragen, die Urkundenpraxis und politische Bedeutung des Notariats, insbesondere ihr Verhältnis zur Kirche untersucht. Besonders interessant ist eine im Anhang abgedruckte Notariatsprüfung des Kölner Notars Ludwig Thünessen aus dem Jahr 1735 mit 55 vom Reichskammergericht formulierten Fragen.

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Zum Geleit

Eine gleichermaßen quellengesättigte und wunderbar kontextualisierte Dogmengeschichte bietet nachfolgend Strauchs Untersuchung der rechtlichen Behandlung der Schuldenhaftung und der Gewährleistung im Handel zwischen Köln und den Niederlanden. Er zeigt hier, dass durchaus Kaufleuten eine gewisse rechtliche Autonomie eingeräumt wurde. Die heute viel diskutierten Thesen einer Lex Mercatoria lassen sich durch Strauchs Studie dagegen gerade nicht stützen. Es ist vielmehr besonders interessant zu sehen, wie konkret und fallbezogen sowie stets unter politischer Einflussnahme die Regeln ausgehandelt werden. In Köln vielbeachtet wurde Strauchs nachfolgender Festbeitrag zur 750-Jahr-Feier des Kleinen Schieds, in dem Albertus Magnus zwischen dem Erzbischof und der Stadt Köln vermittelte. Strauch inszeniert diesen Schiedsspruch wie ein Theaterstück und nimmt den heutigen Leser mit in die verwickelten Streitigkeiten, die sich vorderhand nur um Münzfragen drehten, in ihrer Wirkung aber zu einem wichtigen Schritt auf dem Weg zur Emanzipation Kölns vom Erzbischof wurden. Neben diesen mittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Studien, werden vorliegend vier Beiträge zur Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts abgedruckt, welche das breite Interessenspektrum Dieter Strauchs eindrucksvoll dokumentieren. Die Studie zum „rheinischen Beitrag zur Entstehung des BGB“ untersucht den Einfluss des Rheinisch-französischen Rechts auf das BGB von 1900. Strauch nimmt dabei zunächst den personellen Einfluss in den Kommissionsdebatten in den Blick und analysiert detailliert den Einfluss auf dogmatische Lösung in allen fünf Büchern. Er kann zeigen, dass es den rheinischen Juristen in einer ganzen Reihe von zivilrechtsdogmatischen Einzelfragen gelang, die französische Tradition in die deutsche Kodifikation einfließen zu lassen. In seiner biografischen Studie zu „August Reichensperger als Rechtspolitiker“ skizziert Strauch Grundzüge des Rechtsdenkens des großen Zentrumspolitikers, zwischen Rheinischem Katholizismus, Romantik, Naturrecht, staatsbürgerlichem Liberalismus und sozialer Frage. Im Zentrum steht Reichenspergers politische Tätigkeit in der Frankfurter Nationalversammlung, der Zweiten Preußischen Kammer und ab 1870 im Reichstag. Souverän schreitet Strauch dabei nahezu das gesamte sozialpolitische und verfassungsrechtliche Spektrum zwischen 1848 und 1885 ab. In seine territorialgeschichtlichen Interessen weist Strauchs Untersuchung der Auswirkungen des Wiener Kongresses auf die Fürstentümer Birkenfeld und Lichtenberg sowie das Oberamt Meisenheim. Akribisch werden dabei die verschiedenen und häufig wechselnden rechtlichen Positionen rekonstruiert. Sehr deutlich wird, wie rigoros die Großmächte dabei ihre Interessen gegen die kleineren Territorien durchsetzten und, etwa im Beispiel des Grafen Pappenheim auch vor offenem Rechtsbruch nicht zurückschreckten.

Zum Geleit

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Erneut ganz andere Felder der Rechtsgeschichte betritt Strauch mit seiner Untersuchung der Entwicklung des Rheinschifffahrtsrechts zwischen 1815 und 1868, die man dank ausgreifender Vorgeschichte und einem bis in die Gegenwart reichenden Ausblick auch als allgemeine Geschichte des Rheinschifffahrtsrechts lesen kann. Erneut zeigt sich die Stärke von Dieter Strauch, sich durch eine Vielzahl konkurrierender und sich ablösender Normschichten hindurchzuarbeiten und klare rechtliche Linien zu ziehen. Im Zentrum stehen die schwierigen völkerrechtlichen Verhandlungen über die Durchsetzung der freien Schifffahrt gegen die alten Stapel- bzw. Umschlagsrechte sowie die verpflichtende Rangfahrt. Neben der hier erneut verwickelten politischen Geschichte findet der wirtschaftspolitische Kontext mit Eisenbahnbau und Zollverein besondere Beachtung, der maßgeblich für die Handelserleichterungen auf dem Rhein mitursächlich war. Beeindruckend ist nicht nur das Themenspektrum der hier vorgelegten Beiträge. Die Arbeiten von Dieter Strauch zeichnen sich dadurch aus, dass er stets einen eigenen Zugang zu den Quellen sucht, diese sorgfältig und transparent interpretiert, Lücken offen legt und Zweifel ausspricht. Die Fragestellungen sind klar, die daran anschließenden Blickrichtungen folgerichtig. Selten sucht er dabei die Nähe zu einer Theorie. Die Aufhäufung durch Prämissen durch Zugrundelegung großer Modelle oder Deutungsmuster findet sich nicht. Dadurch entgehen seine Beiträge der Gefahr, mit den Konjunkturen bestimmter Theorien unterzugehen. Strauchs Beiträge sind Tunnel in den harten Fels gehauen, die auch derjenige lesen muss, der eigentlich nur seine eigene Theorie bestätigen will. Es handelt sich im besten Sinne um zeitlose Rechtsgeschichte. Den Wunsch, dass die Zeit auch an Dieter Strauch weiterhin so spurlos vorübergehen möge und ihm und uns seine Schaffenskraft noch lange erhalten bleibe, verbinde ich mit den allerherzlichsten Glückwünschen zu seinem achtzigsten Geburtstag. Köln, den 19. 7. 2013

Hans-Peter Haferkamp

ZUR GESCHICHTE DES RHEINISCHEN NOTARIATS BIS 1797 „Notariatus est ars scribendi et dictandi, per quam humanae fragilitatis negotia roborantur“1 A. DIE VERHÄLTNISSE BIS 1512

I. Allgemeines Das germanische Recht kannte ursprünglich weder Urkunden noch Notare. Durch die Berührung der germanischen Stämme mit dem römischen Reich, den Eintritt in das römische Heer und die Übernahme der römischen Kultur haben die Germanen auch das römische Urkundenwesen übernommen. So lassen sich bereits im 7. Jahrhundert bei den Franken Gerichtsschreiber nachweisen, die auch Beurkundungen vornahmen. Und Karl der Große ordnete in einem Kapitular von 8032 an, dass die königlichen Missi in den Grafschaften Notare ernennen und sie in Listen erfassen sollten. Er wollte demnach ein geordnetes Urkundenwesen errichten3. Doch dürfte es sich dabei lediglich um Schreiber gehandelt haben, die mit den öffentlichen Notaren nicht vergleichbar sind4. In der römischen Kaiserzeit5 hießen die einen privaten Beruf ausübenden, zunftmäßig organisierten, aber nicht öffentlich beamteten Schreiber tabelliones5. 1

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„Das Notariat ist die Kunst des Schreibens und Formulierens, die alle Geschäfte menschlicher Unzulänglichkeit kräftigt“, vgl. Rainerius Perusinus nach Ludwig Wahrmund, Die ars notariae des Rainerius Perusinus, Innsbruck 1917, Neudruck Aalen 1962, S. XXIX. Vgl. Alfred Boretius, Monumenta Germaniae historica, [MGh] Legum sectio II, Tomus 1: Capitularia Regum Francorum I, , Hannover 1883, Nr. 40, Ziff. 3, S. 115. Vgl. Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Band I, 4 1912, Nachdruck Berlin 1969, S. 592f; Dietmar Dumke, Vom Gerichtsschreiber zum Rechtspfleger (Prozessrechtliche Abhandlungen Heft 90), Köln etc. 1992 (zugl. Diss. iur. Köln), S. 42f. Es handelt sich um sog. Schreibernotare, vgl. Karl Siegfried Bader, Klerikernotare des Spätmittelalters in Gebieten nördlich der Alpen, in: Speculum iuris et ecclesiarum, Festschrift Willibald M. Plöchl zum 60. Geburtstag, 1967, S. 1 – 15, wieder in: Schriften zur Rechtsgeschichte, hrsg. v Clausdieter Schott, Band I, Sigmaringen 1984, S. 366 – 380, hier S. 370. Vgl. Jürgen Arndt, Das Notarernennungsrecht der kaiserlichen Hofpfalzgrafen, in: Hofpfalzgrafenregister, hrsg. vom HEROLD, Verein f. Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin, bearb. v. Jürgen Arndt, Band III, Neustadt/Aisch 1974, S. VII – XX, hier: S. VII, Fn. 3. Vgl. C.4.21.17 De fide instrumentorum; Nov. 44 De tabellionibus ut protocolla; Nov. 73 De instrumentorum cautela et fide; Ferdinand Oesterley, Das deutsche Notariat, Band

Zur Geschichte des Rheinischen Notariats bis 1797

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Sie überdauerten zwar den Zerfall des römischen Reiches6, doch beruht die weitere Entwicklung nicht auf dem Wirken dieser privaten Schreiber, sondern auf dem der scribae publici, denn deren Urkunden hatten im Hinblick auf die Institution, für die sie tätig wurden, erhöhte Glaubwürdigkeit. Das gilt sowohl für die Notare der Kirche als auch für Notare, die für einen Grafen, eine Stadtverwaltung oder ein Gericht arbeiteten7. Ursprünglich bezeichnete der Titel Notar allgemein einen Sekretär8 oder einen Gerichtsschreiber. Im 10./11. Jahrhundert begannen die oberitalienischen Richter ihre Urkunden durch die am Gericht tätigen Schreiber ausfertigen zu lassen. Da sie im Auftrag des Richters angefertigt waren, genossen sie öffentlichen Glauben, der sich später auch auf solche Urkunden übertrug, die ein Notar ohne richterlichen Auftrag ausgestellt hatte. Damit war der Notar zugleich zu einer gerichtsunabhängigen Urkundsperson geworden9. Im 13. Jahrhundert ernannte die Stadt Bologna Notare, wohl auf einem Privileg Friedrichs I. von 1162 fußend10 (ebenso Genua, dem Friedrich II. 1220 ein Ernennungsrecht verliehen hatte). Seit 1177 richtete Kaiser Friedrich I. das Amt eines ständigen öffentlichen Hofnotars11 ein. Papst Alexander III. erkannte einer Notariatsurkunde auch nach dem Tode von Zeugen ausreichende Beweiskraft zu12, und das vierte Laterankonzil von 1215 schrieb vor, dass zu allen Prozesshandlungen eine persona publica oder zwei Zeugen zuzuziehen waren13. Da die Kirche es war, die im Mittelalter ein lückenloses Verwaltungssystem aufbaute und im Offizialat eine geistliche Gerichtsbarkeit errichtete, hat sie das öffentliche Notariat besonders gefördert. So gab es vom Papst ernannte Notare, die publici apostolica auctoritate notarii14 hießen.

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I, Geschichte des Notariats , Hannover 1842, Neudruck Aalen 1965, S. 22 ff; vgl. die Übersicht über die jüngsten italienischen Forschungen von Amelotti u.a. bei Winfried Trusen, Zur Geschichte des mittelalterlichen Notariats, in: ZRG, RA 98, 1981, S. 369 – 381, hier: S. 370f. Vgl. Fritz Zimmermann, Der Archivische Niederschlag des amtlichen Beurkundungswesens einschließlich des Notariats in Deutschland, in: Archivum, Revue Internationale des Archives, Band XII, Paris 1965, S. 55 – 86, hier: S. 55; Armin Wolf, Das öffentliche Notariat, in: Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Band I: Mittelalter (1100 – 1500), hrsg. v. Helmut Coing, München 1973, S. 505. Vgl. Trusen (wie Fn. 5), S. 371. In dieser Bedeutung findet er sich bereits im Decret. Grat. C.1. q. 2 c.4. Vgl. Gero Dolezalek / K.O. Konow, Art. Notar, Notariat in: HRG III, Sp. 1043. Vgl. Trusen (wie Fn. 5), S. 373, der auf die Veröffentlichungen des Consiglio Nazionale del Notario von 1976 und 1977 über das Bologneser Notariat verweist. Vgl. Armin Wolf (wie Fn. 6), S. 506. Vgl. Dekretale X 2.22.2; Winfried Trusen, Die Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland, Wiesbaden 1962, [zit.: Anfänge] S. 70. Vgl. X. 2, 19.11. Vgl. Zimmermann (wie Fn. 6) S. 56.

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Daneben gab es auch kaiserliche Notare (publici notarii imperiali auctoritate), wobei erste Ernennungen von 1186 und 1191 bekannt sind15. Die kaiserlichen Notare erlangten die Befugnis zur Amtsführung nur teilweise durch den Kaiser selbst16. Weit häufiger aber verlieh er das Ernennungsrecht an seine Pfalzgrafen weiter17. Bekannt ist, dass die Grafen von Panico und die von Lomello bis 1238 viele Notare ernannt haben18. Auch Otto IV. hatte den Mailänder Pfalzgrafen19 von Alliate das Recht verliehen, Notare zu ernennen. Friedrich II. hat ihnen zwar 1219 dieses Recht wieder entzogen, doch haben sie es hundert Jahre später von Avignon aus wieder ausgeübt und weitere Notare ernannt. Seit dem 14. Jahrhundert haben die Kaiser dann von der Ernennung von Hofpfalzgrafen einen ausschweifenden Gebrauch gemacht20 und nach 1360 nicht nur Angehörige vornehmer Geschlechter, sondern auch Bischöfe (wie 1355 den Bischof von Speyer21), Universitäten, Ritter, Bürger und Rechtsgelehrte dazu ernannt,

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Vgl. Oswald Redlich, Die Privaturkunden des Mittelalters, (Handbuch d. mittelalterl. u. neueren Geschichte IV) Urkunden-Lehre 3, München 1911, S. 222. Beispiele sind die Kölner Notare Heinrich von Isenburg und Hermann Durinch, die Adolf von Nassau ernannt hat und die sich 1293 „imperiali auctoritate serenissimi domini Adolfi Romanorum regis publicus notarius“ nannten, vgl. Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter [hinfort: REK], Bände 1 – 11 (Publikationen d. Gesellschaft f. Rheinische Geschichtskunde XXI), hier: Band 3, Bonn 1909, Nr. 3391. Vgl. die Beispiele bei Bresslau (wie Fn. 3), Band 1, S. 630. Vgl. Trusen, Notariat (wie Fn. 5), S. 374. Später heißen sie comites palatini (Hofpfalzgrafen) und waren befugt, einzelne kaiserliche Reservatrechte zu verwalten. Insofern stehen sie im Gegensatz zu den comites palatii , den Pfalzgrafen, die kaiserliche Verwaltungsbeamte waren, vgl. Franz Schönberger, Der Hofpfalzgraf Martin Heinrich von Strevesdorff, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein (AHVN), Band 135, 1939, S. 93 – 104, hier: S. 94f; Eberhard Dobler, Das kaiserliche Hofpfalzgrafenamt und der Briefadel im alten Deutschen Reich vor 1806 in rechtshistorischer und soziologischer Sicht, masch. Diss. iur. Freiburg/Br. 1950, S. 73f. Den ersten Hofpfalzgrafen (comes sacri palatii Lateranensis) für Deutschland ernannte Kaiser Karl IV. im Jahre 1355, vgl. Jürgen Arndt, (Bearb.) Hofpfalzgrafenregister, hrsg. in laufender Folge vom HEROLD, Verein f. Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften zu Berlin, bisher erschienen: Bd. I, 1964, Bd. II 1971, Bd. III, 1988 Neustadt/Aisch; in Bd. I. Jürgen Arndt, Zur Entwicklung des kaiserlichen Hofpfalzgrafenamtes von 1355 – 1806, S. V – XXIV; Wilhelm Schmidt-Thomé, Das Notariat, in: Heinrich Kaspers (Hrsg.), Vom Sachsenspiegel zum Code Napoléon. Kleine Rechtsgeschichte im Spiegel alter Rechtsbücher, 4. Auflage, Köln 1978, S. 171 – 199, hier: S. 181; Schönberger (wie Fn. 19), S. 93 ff; Hubert Querling, Die Entwicklung des Notariats in Jülich-Berg von den Anfängen bis zur Auflösung d. Herzogtümer durch die Franzosen 1794 und 1806, Diss. iur. Köln 1961, in: Zeitschr. d. Bergischen Geschichtsvereins 79, 1962, S. 1 – 125, hier: S. 43 ff. Beispiele finden sich bei Oesterley (wie Fn. 5) I, S. 436. Vgl. Bresslau (wie Fn. 3), Band 1, S. 634.

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die alle die Befugnis hatten, Notare zu bestellen22. Eheliche Geburt scheint für das Notarsamt nicht vorausgesetzt worden zu sein23. Notare sollten die Hofpfalzgrafen zwar erst nach einer fachlichen Prüfung ernennen, da sie aber selbst vielfach ohne Rechtskenntnisse waren, wurde die Prüfung häufig zur reinen Formalie. Ernannt wurden die Notare in den Formen der lehnrechtlichen Investitur. Die Ernannten wurden Vasallen des Kaisers, indem sie ihm durch Ablegung des Diensteides huldigten; das Notarsamt war ihr Dienstlehen24. Nach der Eidesleistung wurden sie unter Überreichung der Investitursymbole Feder und Tintenfass25 in ihr Amt investiert. Außerdem erhielten sie eine Ernennungsurkunde26. Später trat die Übergabe eines Bogens Schreibpapier hinzu27. Sie nannten sich fortan „öffentliche Notare“ und durften an jedem Ort des Reiches urkunden28. Gleichzeitig mit der Investitur wurde ihnen ihr signum oder Signet29 und ihr Wahlspruch bestätigt. Die mit Unterschrift und Signet 22 23

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Vgl. Julius Ficker, Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens, Band 2, Innsbruck 1869, S. 114; Bresslau (wie Fn. 3), Band 1, S. 630f. Vgl. § 2 RNO 1512, Neue Sammlung II, S. 153; z. B. war der 1596 in Köln gestorbene Notar Matthis Ropertz der Sohn eines Priesters, vgl. Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, bearb. v. Karl Höhlbaum, Friedrich Lau, und Josef Stein, 5 Bände, Leipzig u. Bonn 1886 – 1926, hier: Band V, S. 426; vgl. SchmidtThomé, Notariat (wie Fn. 20), S. 182. Vgl. Bresslau (wie Fn. 3) I, S. 627. „Inspectis tue virtutis et probatis meritis et immote fidei devota constantia, quibus apud nostram Celsitudinem multorum fide dignorum testimonio comendaris, tibi intuitu eorundem officium tabellionatus seu publici Notarii presentibus commitimus et te Imperiali auctoritate et de certa nostra scientia de eodem per pennam et calamarium investimus, recepto prius a te vice et nomine sacri Romani Imperii et pro ipso imperio fidelitatis debite corporali solito et propre iuramento“; Text bei Oesterley (wie Fn. 5) I, S. 420 und bei Querling (wie Fn. 20), S. 43, Fn. 162; vgl. Schmidt-Thomé (wie Fn. 20) S. 182 mit den Nachweisen in Fn. 23; derselbe, Die Bestellung zum Notar im altdeutschem Recht, in: DNotZ 1973, S. 261 – 275; derselbe, Mit Feder, Tinte und Papier oder Der wohlinstallierte Notarius. Rechtsgeschichtliche Betrachtungen zur Dienstordnung für Notare u. z. Beurkundungsgesetz, in: DNotZ 1974, S. 390 – 413; für die päpstlichen Notare vgl. Paul Maria Baumgarten, Von der apostolischen Kanzlei. Untersuchungen über die päpstlichen Tabellionen und die Vizekanzler der Heil. Römischen Kirche im XIII., XIV. und XV. Jahrhundert, (Görres-Gesellschaft z. Pflege d. Wissenschaft i. kath. Deutschland - Sektion f. Rechts- und Sozialwissenschaft, H. 4), Köln 1908, S. 39. Vgl. Baumgarten (wie Fn. 25), S. 40 ff.; Schmidt-Thomé, Notariat, (wie Fn. 20), S. 182 m. Nachweisen. Vgl. ein Ernennungspatent von 1765 bei Querling (wie Fn. 20) S. 47, Fn. 182. So amtierte der päpstliche und kaiserliche Notar Heinrich Bussen, Kanonikus in Neuss, nicht nur dort, sondern 1399 auch in Köln und Uerdingen, vgl. Walther Föhl, Studien zum kirchlichen Leben in der kurkölnischen Stadt Uerdingen, in: AHVN (wie Fn. 19), Heft 163, (1961), S. 41 – 95, hier: S. 49 m. Fn. 3 u. S. 55; vgl. Schmidt-Thomé (wie Fn. 20), S. 182. Vgl. Schmidt/Thomé (wie Fn. 20), S. 183; Hans Gerig, Frühe Notariats- Signete in Köln, [zit.: Signete], Köln 1971, und derselbe, Das Notariatssignet, in: Heinrich Kaspers (wie

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versehene Reinschrift einer Urkunde war das für den Rechtsverkehr vorgesehene Notariatsinstrument. Da ursprünglich nur Geistliche lesen und schreiben konnten, waren die Notare zunächst meist Kleriker. Häufig hatten sie nur die niederen Weihen empfangen und durften deshalb verheiratet sein. Doch finden sich im Westen auch schon zu Beginn des Notariats Laien als Notare30. Trotz des Ansehens, das die Notariatstätigkeit mindestens zeitweilig genoss, bot das Amt seinen Inhabern kaum hinreichende Einnahmen. Bereits ziemlich früh übten sie deshalb einen weiteren Beruf aus, betätigten sich als Schreiber an geistlichen Gerichten oder im Dienst von Städten, als Prokuratoren31 und waren häufig (da auch ihr Kirchenamt als Diakon oder Subdiakon sie nicht hinreichend ernährte) Küster, Organisten oder Schulmeister32. Das sogenannte große Palatinat umfasste auch die Befugnis, es weiterzuverleihen, deshalb drohte bald die Gefahr des Missbrauchs. Im Spätmittelalter galt die Notarsernenung bereits nicht mehr als Reservatrecht des Kaisers33 bzw. des

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Fn. 20), S. 201 – 242 mit Abbildungen; vgl. im übrigen Oesterley (wie Fn. 5) I, S. 321 ff. und Friedrich Leist, die Notariats-Signete. Ein Beitrag zur Geschichte des Notariats sowie zur Lehre von den Privaturkunden, Leipzig 1896, S.9 ff.; Beispiele Mainzer Signete finden sich bei Erich Mayer, Das Mainzer Notariat von seinen Anfängen (1292) bis zur Auflösung des Kurstaates, Diss. iur. Mainz 1953, Anhang IV, S. 95 ff. Vgl. Hans Gerig, Signete (wie Fn. 29), S. 1, 7, 9, 15, 17, 20, 33, 35, 50, 54; für Trier finden sich Beispiele bei Fritz Michel, Zur Geschichte der geistlichen Gerichtsbarkeit und Verwaltung der Trierer Erzbischöfe im Mittelalter, Trier, 1953, dort S. 164 – 190 Verzeichnis der Schreiber u. Notare des deutschen Erzstifts Trier bis 1500; vgl. SchmidtThomé, Notariat (wie Fn. 20), S. 182. Als Prokuratoren sind in Köln nachweisbar die Notare Walter von Eyke 1322, Hermann Ratze 1328 und Bertram von Kobern 1330, vgl. Ludwig Koechling, Untersuchungen über die Anfänge des öffentlichen Notariats in Deutschland, (Marburger Studien zur älteren Deutschen Geschichte, hrsg. v. Edmund E. Stengel, II, 1), Marburg 1925, S. 44. Das damit häufig verbundene Zusammentreffen von Notariat und Prokuratur suchte bereits § 33 der Kölner Offizialatsstatuten von 1356 zu vermeiden, indem er die Notariatstätigkeit verbot, wenn der Betreffende bereits als Advokat oder Prokurator in einer Sache tätig geworden waren vgl.: Walther Stein (Bearb.), Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt im 14. u. 15. Jahrhundert (Publikationen d. Gesellschaft f. Rheinische Geschichtskunde X), Band I, Bonn 1893, Band II 1895, Nachdruck Düsseldorf 1993, [zit.: Stein, Akten], hier: Band II, Nr. 503, S. 677. Vgl. Koechling (wie Fn. 31) S. 44; vgl. auch die Nachweise bei Weinsberg (wie Fn. 23) Band IV, S. 99, 153f, Band V, S. 19, 62; vgl. Schmidt-Thomé, Notariat, (wie Fn. 20) S. 189; Querling (wie Fn. 20) S. 78 ff mit Nachw. So ernannte der Hofpfalzgraf Martin Heinrich v. Strevesdorff zwischen 1660 und 1679 insgesamt 188 Notare, vgl. die Liste bei Schönberger (wie Fn. 19) S. 99 – 103; vgl. Oesterley (wie Fn. 5), Band 1, S. 439 (Privileg für Nürnberg) und die S. 528 ff genannten partikularrechtlichen Verordnungen, die Maßnahmen gegen Missbräuche betreffen; über den Missbrauch der Notarernennungen vgl. Schmidt-Thomé, Notariat, (wie Fn. 20), S. 187 ff.

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Papstes, vielmehr wurden Notare zunehmend auch von anderen öffentlichen Autoritäten bestellt, wenn auch mit begrenztem örtlichen Wirkungskreis. Infolgedessen bestand – wie neuere Forschungen gezeigt haben34 – zwischen dem notarius iuratus (dem Schreibernotar im Dienst einer Behörde) und dem notarius publicus (dem öffentlichen Notar) kein grundsätzlicher, sondern nur ein gradueller Unterschied: Da die Notare nur die Glaubwürdigkeit der hinter ihnen stehenden Behörde hatten, genossen die Urkunden kaiserlicher Notare Anerkennung im ganzen Reich, die Urkunden der Notare, die von lokalen Autoritäten ernannt waren (und notarii iurati nach ihrem der Behörde geschworenen Amtseid hießen), nur für deren Jurisdiktionsbereich35.

II. Die Ausbildung der frühen Notare Unter anderem oblagen auch deutsche Studenten in Bologna und anderen italienischen Universitäten dem Rechtsstudium. Es liegt deshalb nahe, dass sie dabei auch die Notariatskunst erlernten. Um ihr Amt ausüben zu können, reichte es nicht, ein Ernennungsprivileg zu erwerben. Bereits im 13. Jahrhundert musste man in Bologna außerdem eine Kenntnisprüfung ablegen und zudem in die Notarsmatrikel eingetragen sein. In den italienischen Städten entstanden zudem – anders als in Deutschland, wo sie ganz unbekannt blieben – Notarskollegien, die großen Einfluss auf die Verwaltung der Städte hatten36. Koechlings Liste der Bologneser Studenten37, die später als deutsche Notare bekannt wurden, zeigt auch einige Kölner Namen. Ihrer verhältnismäßig geringen Zahl wegen ist zu vermuten, dass die Notare nicht unbedingt ein Universitätsstudium benötigten, um als Notar zugelassen zu werden. Doch blühte gerade in Bologna die ars notaria, wie die dazu verfassten Lehrbücher beweisen38.

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Die unmittelbare kaiserliche Notarernennung war seit dem 16. Jahrhundert stark rückläufig : im 17. Jh. ernannte der Kaiser noch 9, im 18. Jh. (bis 1740) vier Notare persönlich, vgl. Arndt, (wie Fn. 4), S. VII – XX, hier: S. IX, Fn. 11. Vgl. Hermann Rennefahrt, Zum Urkundenwesen im heutigen bernischen Gebiet und dessen Nachbarschaft während des Mittelalters, in: Archiv d. Hist. Vereins d. Kantons Bern, 44, Heft 2, Bern 1958, S. 5 – 124, hier: S. 44 ff; Karl Mommsen, Das Basler Kanzleiwesen des Spätmittelalters, in: Basler Zeitschrift f. Geschichte und Altertumskunde, Band 74, Basel 1974, S. 159 – 188, hier: S. 167 ff; Trusen, Notariat, (wie Fn. 5), S. 378. Vgl. Trusen, Notariat, (wie Fn. 5), S. 378. Vgl. Trusen (wie Fn. 5), S. 376. Vgl. Koechling (wie Fn. 31) S. 16. Vgl. Wahrmund (wie Fn. 1), der S. XXVII, LII darauf hinweist, dass sie etwa 1214 entstanden ist und die vielgebrauchte Summa artis notariae des Rolandinus Passagerii auf Rainerius beruht; vgl. weiter Gianfranco Orlandelli (Hrsg.), Salatiele. Ars notarie, I – II, Mailand 1961; Rolandinus de Passageriis, Apparatus Rolandini notarii Bononiensis clarissimi super summa notarie qui Aurora nuncupatur. Cum additionibus insertis P. de Unzola, Vicenza 1485, Nachdruck 1950; Summa artis notariae von D. Rolandinus Rodolphini

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Sicher ist, dass die Bewerber sich jeweils einer Eignungsprüfung39 zu unterwerfen hatten, deren Bestehen jedoch mehr von der praktischen Ausbildung abhing, die sie gewöhnlich bei amtierenden Notaren gewannen40.

III. Die Anfänge des öffentlichen Notariats im Rheinland 1. Übersicht Die ersten öffentlichen Notare finden sich nicht im süddeutschen Raum, sondern im Westen des Reiches in den Erzbistümern und Kirchenprovinzen von Köln, Trier und Mainz, vornehmlich in den Bischofsstädten. Hier hatte man nicht nur das Offizialat nach französischem Vorbild übernommen, sondern auch das Notariat41. So sind in der Kölner Kirchenprovinz zwei frühe Notariatsinstrumente erhalten, nämlich in Lüttich vom 28. Mai 127442 und in Köln vom 3. Nov. 1279, in dem der kaiserliche Notar Dietrich de Porta (von der Portzen) einen Verhandlungstermin beglaubigte43. Bis 1300 finden sich in Köln außerdem noch fünf weitere Notare: Heinrich von Isenburg, Hermann Durinch, Gisilbert de Gradibus, Jakob von St. Columba und Johannes Rufus.

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Bononiensis, Speier 1590; vgl. die Nachweise bei Helmut Coing/Norbert Horn, Handbuch (wie Fn. 6), I, S. 355. Rainerius Perusinus ist ca 1245, Salathiel 1275, Rolandinus Passagerii 1300 gestorben. Die Prüfung der Tabellionatsbewerber an der päpstlichen Kurie beschreibt Baumgarten (wie Fn. 25), der S. 11 auf des Johannes Bononiensis, Summa notarie, verweist; vgl. Ludwig Rockinger, (Bearb.), Briefsteller und Formelbücher des eilften bis vierzehnten Jahrhunderts, Abt. II, München,. 1864, Abschnitt XII, SS. 603 – 712: Johannes Bononiensis, Summa notarie de hiis que in foro ecclesiastico coram quibuscumque iudicibus occurrunt notariis conscribenda (ca 1289), S. 593 – 712; vgl. weiter Baumgarten, S. 30 ff. Vgl. Koechling (wie Fn. 31), S. 17f. Vgl. Franz Gescher, Das Offizialat der Erzbischöfe von Köln im 13. Jahrhundert, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein (wie Fn. 19), 115, 1929, S. 136 – 166, hier: S. 155f, 161 ff; Vgl.. Schmidt-Thomé, Notariat, (wie Fn. 20), S. 176f; vgl. im Übrigen die allgemeine Übersicht bei Köchling (wie Fn. 31), S. 49 ff; für Trier: Michel, (wie Fn. 30), S. 139f und das Verzeichnis S. 164 ff; für Mainz: Mayer, (wie Fn. 29), Anhang II; vgl. Trusen, Anfänge (wie Fn. 12), S. 74; Louis Carlen, Notariatsrecht der Schweiz, Zürich 1976, S. 6 ff. Vgl. S. Bormans / E. Schoolmeesters, (Hrsg.), Cartulaire de L’Eglise St. Lambert de Liège, Band II, Brüssel 1895, Nr. 655 (Notar Roger v. Lüttich). Vgl. Historisches Archiv der Stadt Köln (zit.:[HAStK], HUA 1/452 und den Abdruck bei Koechling (wie Fn. 31), S. 47f; Klaus Militzer, Schreinseintragungen und Notariatsinstrumente in Köln, in: Notariado público y documento privado: de los orígines al siglo XIV. Actas del VII Congresso Internacional de Diplomática Valencia, 1986, S. 1.195 – 1.224, hier: S. 1.210.

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Da sich inzwischen die Landesherrschaft in den westlichen Kurstaaten und den weltlichen Territorien gefestigt hatte, waren diese daran interessiert, die Aufsicht über die Notare in die Hand zu nehmen. Sie regelten die Prüfung und Zulassung der Notare, erlegten ihnen die Führung und Ablieferung von Registern auf und konnten auf diese Weise die von ihnen beurkundeten Rechtsgeschäfte kontrollieren und garantieren44. So schrieb die Kölner Provinzialsynode des Jahres 1310 den Notaren (tabelliones seu notarii publici)45 vor, von ihren Appellationsschriften eine Abschrift zu fertigen46. Auch die Erzdiözese Trier regelte um dieselbe Zeit das Notariatswesen47. Die dortige Provinzialsynode (Concilium Treverense Provinciale) des Jahres 1310 befahl den Notaren, Protokolle zu fertigen und darüber Buch zu führen48. Auch sollten die Protokolle in aller Öffentlichkeit vor mindestens zwei glaubwürdigen Zeugen verfasst werden, wenn die Parteien keine Geheimhaltung vereinbart hatten. Dass die Zahl der öffentlichen Notare im 13. und mehr noch im 14. Jahrhundert recht beträchtlich war, zeigt die Zusammenstellung, die Koechling49 gefertigt hat: Zwischen 1279 und 1330 nennt er für Köln 39 und für Mainz zwischen 1292 und 1365 insgesamt 18 Notare. Fritz Michel verzeichnet für die Stadt Trier zahlreiche Schreiber und Notare seit 125450. Von ihnen waren einige vom Papst selbst ernannt worden51, zum Teil erteilten aber auch die Päpste den Erzbischöfen die Erlaubnis, selbst öffentliche Notare zu ernennen: So war bereits 1289 der Bedarf an Notaren so groß, dass der Papst dem Trierer Erzbischof Boemund I von Warnesberg (1286 – 1299) die Erlaubnis erteilte, zwei Notare zu ernennen52. 1306 erhielt der Kölner Erzbi-

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Vgl. Zimmermann (wie Fn. 6), S. 57. Vgl. REK (wie Fn. 16), Band IV Nr. 498, Ziff. 24, S. 101 (Appellation und Abschriften für die Parteien und Kosten nach Taxe der erzbischöflichen Kurie). Vgl. Johann Friedrich Schannat/Joseph Hartzheim, (Bearb.), Concilia Germaniae, Tomus 4: Concilia 1290 – 1400, Köln 1761, Neudruck Aalen 1970, hier: cap. XXIV, S. 125. Vgl. Michel (wie Fn. 30), S. 140, und das Verzeichnis dort S. 164 ff. Vgl. Schannat/Joseph Hartzheim (wie Fn. 46), cap. CLII u. CLIII, S. 164; Michel (wie Fn. 30), S. 144f, der auf die Ausgabe von Johannes Jacobus Blattau (Bearb.), Statuta Synodalia, Ordinationes et Mandata Archidiocesis Trevirensis, Tomus I, Augustae Trevirorum 1844, verweist. Vgl. Koechling (wie Fn. 31), S. 9 – 11. Vgl. Michel (wie Fn. 30), S. 164ff. Vgl. die Nachweise bei Koechling (wie Fn. 31), S. 15. Vgl. Charles Victor Langlois, Les registres de Nicolas IV. fasc. 1 ff, 1886, Nr. 955, vgl. Adam Goerz, Mittelrheinische Regesten oder chronologische Zusammenstellung des Quellen-Materials f.d. Geschichte d. beiden Regierungssitze Coblenz und Trier in kurzen Auszügen, IV. Theil v. Jahre 1273-1300, Coblenz 1886, S. 7.

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schof Heinrich II. von Virneburg (1304 – 1332) diese Erlaubnis53 und 1310 Erzbischof Balduin von Trier (1307 – 1354)54. Gewährt wurde kein generelles Ernennungsrecht, sondern es beschränkte sich auf eine oder einige Personen55, so dass die Folgen dieser Befugnis sich selten in den Akten finden. Allgemein ist festzustellen, dass die päpstlich autorisierten Notare in Deutschland gegenüber den vom Kaiser ernannten in der Minderzahl waren, was sich vor allem in den politischen Verwicklungen zwischen Kaiser und Papst zur Zeit Ludwigs des Bayern zeigte. Als Johannes XXII. 1323 seinen ersten Prozess gegen diesen König veröffentlichte, befahl er zugleich den Erzbischöfen und Bischöfen, den Prozess in ihren Diözesen zu verbreiten und ihm über den Vollzug dieser Anordnung Notariatsinstrumente zu übersenden56. Da z. B. in Köln keine päpstlichen Notare zur Verfügung standen und die kaiserlich approbierten sich verweigerten, bat der Propst Heidenreich von St. Severin den Papst, den Kölner Erzbischof zur Ernennung päpstlicher Notare zu ermächtigen57.

2. Die Verhältnisse im Erzbistum Köln Früher als im Dienst der Städte standen die öffentlichen Notare im Dienst geistlicher Gerichte. In Köln sind z. B. zwischen 1287 und 1337 insgesamt vierzehn Notare als Schreiber an geistlichen Gerichten nachweisbar58. Notariatsinstrumente ließ der Offizial entweder von Notaren ausfertigen, die zugleich seine Schreiber waren, oder durch öffentliche Notare, die nicht in seinen Diensten standen59. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts begannen die Offizialatsgerichte, sich der Notare zu bedienen. 1304 beurkundete der Notar Gerlach von Wipperfürth die 53

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Vgl. Heinrich Volbert Sauerland, (Bearb.), Urkunden und Regesten zur Geschichte der Rheinlande aus den Vatikanischen Archiven, Band 1 1294-1326, (Publikationen d. Gesellschaft f. Rheinische Geschichtskunde 23,1) Bonn 1902, Nr. 197 (1306, Dez. 25). Vgl. Sauerland (wie Fn. 53), Band I, Nr. 396. Vgl. Bresslau, (wie Fn.3), Band I, S. 631, Fn. 2. Vgl. MGh (wie Fn. 2), Constitutiones Band V, Nr. 794, 795; vgl. Koechling (wie Fn. 31), S. 14. Vgl. Jakob Schwalm, Reise nach Italien im Herbst 1898, in: Neues Archiv d. Gesellschaft f. ältere deutsche Geschichtskunde, Band 25, Hannover 1900, S. 716 – 766, hier: S. 742; vgl. Koechling (wie Fn. 31), S. 14f. Vgl. den Nachweis bei Koechling (wie Fn. 31), S. 38, für Köln finden sich darunter die schon erwähnten Johannes Kosian 1306, und Hermann Ratze 1309, aber auch für Mainz sind für 1328 vier, für Worms zwischen 1313 und 1353 zwei und für Speyer ist 1321 ein Notar erwähnt. Vgl. die Kölner Kurialstatuten vom 12. August 1356 bei Stein, Akten, (wie Fn. 31), Band II, Nr. 503, § 31, S. 677, wo es über ihr Honorar heißt: Item statuimus, quod notarii publici quicumque, eciamsi non fuerint notarii curie nostre...ultra unum flornum non recipiant“.

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Untersuchung wegen des Patronatsrechtes in Kendenich, die anschließende Zeugenvernehmung und weitere Verhandlungen60. 1310 begegnen der Kölner Notar Johann Kosian und 1311 Hermann Ratze im Dienst der Kurie61. Häufig beauftragte das Gericht sie damit, Angeklagte oder Zeugen vorzuladen62 und zu verhören63. Um 1300 amtierten in Köln drei bis vier öffentliche Notare gleichzeitig64. Weit mehr noch war die Kunst der Notare bei der vorbeugenden Rechtspflege gefragt: So beurkundeten sie die Besetzung von Kanonikaten und hohen Pfründen. 1293 bestätigte der Kölner Notar Hermann Durinch die Besetzung eines Kanonikats an St. Kunibert65 und 1311 Notar Hermann v. Rheinberg die Wahl eines Scholasters an derselben Kirche66. Dagegen sind die Beschlüsse von Provinzialsynoden nur selten von Notaren beglaubigt worden67. Häufig waren Notare dagegen für Stifter und Klöster tätig, etwa um Statuten68 oder weltliche Rechtsgeschäfte zu beurkunden. Dazu gehört die Beglaubigung von Weistümern69, vor allem aber die Errichtung von Testamenten70, aber auch sonst alle 60 61 62 63 64

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Vgl. REK (wie Fn. 16), IV, Nr. 20 und Nr. 25. Vgl. REK IV (wie Fn. 16), Nr. 628 (Hermann Ratze) und REK IV, Nr. 495 (Johann Kosian). Ludwig Troß, Westphalia. Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde Westfalens und Rheinlands, Jahrgang 2, 1826, S. 240; Koechling, (wie Fn. 31), S. 25. Vgl. Heinrich Reimer, Urkundenbuch zur Geschichte der Herren von Hanau und der ehemaligen Provinz Hanau, Band 2, Leipzig 1892, Nr. 491. Vgl. Koechling (wie Fn. 31) S. 10, 49f; Peter Johannes Schuler, Geschichte des südwestdeutschen Notariats (Veröffentlichungen d. Alemannischen Instituts Freiburg i.Br. 39), Bühl (Baden), 1976, S. 39 ff und die Liste S. 51 ff (Köln: S. 54f); Militzer (wie Fn. 43), S. 1.210. Vgl. REK (wie Fn. 16), III, Nr. 3391. (Hermann de Berka), vgl. REK (wie Fn. 16), IV Nr. 599; der in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. für das Kölner Domstift tätige („venerabilis capituli Coloniensis scriba iuratus“) Bernhard v. Rheinberg (v. Hobule) hat viele Urkunden hinterlassen, vgl. z.B. HAStK (wie Fn. 43), Maximin U2/27; Militzer (wie Fn. 43), S. 1.214. Eine Ausnahme bildet das Kölner Provinzialkonzil von 1322, die der schon erwähnte Notar Hermann Ratze beurkundet hat, vgl. REK (wie Fn. 16), IV, Nr. 1337. Z. B. hat der Kölner Notar Gisilbert de Gradibus 1298 eine Abschrift der Statuten des Klosters Brauweiler gefertigt, vgl. REK III, Nr. 3580; Koechling (wie Fn. 31), S. 50, Nr. 26. So beglaubigte der Notar Heinrich von Mertert am 14. Sept. 1325 ein Weistum über die Rechte des Trierer Klosters St. Martin in Ockfen, vgl. Trierisches Archiv (hrsg. v. Max Keuffer), Heft IV, Trier 1900, Beilage S. 20* – 24*, und der Notar Johannes Petri von Xanten 1332 ein Weisthum über die Gerechtsame und Regalien des Xantischen Kapitels zu Dülken 1332, vgl. Anton Josef Binterim und Joseph Hubert Mooren, neu bearbeitet von Albert Mooren, Die Erzdiözese Köln bis zur französischen Staatsumwälzung, Band I, Düsseldorf 1892, Band 2 ebda 1893, Band 3 – 4 (Rheinisch-westfälischer diplomatischer Codex), Düsseldorf 1831, hier: Band IV, Nr. 335.

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Arten von Rechtsgeschäften wie Rentenkäufe71, Kaufverträge72, Schenkungen73, Leihen, oft in der Form der Erbpacht74, aber auch Verzichtsleistungen75. Nicht 70

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Bereits Ende des 12. Jhs. vereinfachte Papst Alexander III. die Errichtung von Testamenten, nach c.10. X. de testamentis et ultimis voluntatibus 3.26 konnte vor einem Geistlichen und 2 oder drei Zeugen wirksam testiert werden. Solche Testamente mußten entweder von einem Notar geschrieben oder aber als Siegelurkunde abgefaßt sein, vgl. c.2 X. de fide instrumentorum 2, 22. Um vor dem geistlichen Gericht bestehen zu können, mußten nicht nur Klerikertestamente, sondern auch die Testamente von Laien diese Form haben, wobei das Siegel des Offizialates nur in beschränktem Maße herangezogen wurde, vgl. Günter Aders, Das Testamentsrecht der Stadt Köln im Mittelalter (Veröffentlichungen d. Kölnischen Geschichtsvereins 8), Köln 1932, S. 30. Testierfreiheit räumte das Kölner Konzil des Jahres 1300 allen ihren Geistlichen ein (vgl. REK III, 2 S. 262 Nr. 3719, vgl. Schannat/Harzheim, (wie Fn. 46), IV, S. 38. cap. V), bestätigt am 13. 8. 1306 durch Ebf. Heinrich II, REK IV, S. 33 Nr. 178, Druck bei Theodor Joseph Lacomblet, Urkundenbuch f.d. Geschichte d. Niederrheins, 4 Bände, Düsseldorf 1840 – 1858, hier: Band III Nr. 46, S. 33f) und seine Nachfolger Engelbert III., Friedrich III. und Dietrich v. Moers, vgl. die Nachweise bei Aders S. 27, Fnn. 2 – 5. Vgl. auch die Testamente des Mainzer Domherren Emelrich von Rüdesheim von 1328 (vgl. Valentin Ferdinand de Gudenus, Sylloge i variorum diplomatariorum monumentorumque veterum ineditorum adhuc, et res Germanicas, in primis vero Moguntinas illustrantium, Frankfurt 1728, S. 625). Die Schlussformel des Testamentes (S. 627f) lautet: „In quorum omnium testimonium hoc praesens instrumentum publicum per infrascriptum Notarium scribi et publicari super hoc feci ac Honorabilium virorum, Dominorum sancte Moguntine sedis Iudicum, sigilli munime roborari“. Der Notar schließt das Testament: „Et ego Beringerus de Nocheleiben, Clericus Moguntinus, publicus Imperiali auctoritate Notarius ... fideliter conscripsi, in hanc publicam formam redegi, signoque meo consueto signavi, a predicto D. Emilrico super hoc specialiter requisitus“. Das Testament des Vikars Johannes Sack ist beurkundet in Rüdesheim 1332 (ebenda S. 628); es schließt S. 635f: „Et ego Henricus de Sundirshusin, dictus Strubing, Clericus Mogunt. Dyoc. Imperiali auctoritate et S. Moguntinae sedis Notarius publicus... prout supra per me de verbo ad verbum conscripta sunt, interfui, eaque sic fieri, vidi et audivi, ideoque ea manu mea propria conscripsi, et in hanc publicam formam redegi, signoque meo consueto signavi, diligenter requisitus.“. Zum Mainzer Notariat vgl. im übrigen Mayer (wie Fn. 29), S. 23 ff. Die Rentenkäufe ersetzten wegen des kirchlichen Zinsverbotes die zinslosen Darlehen und brachten auf diese Weise einen Kapitalnutzen; z.B. beurkundete 1307 Notar Gumpert von Xanten dort einen Rentenkauf (vgl. Binterim und Mooren (wie Fn. 69), IV, Nr. 333 und Notar Johann von Erbenheim 1317 einen Rentenkauf in Worms, vgl. Ludwig Baur (Bearb.), Hessische Urkunden, Band II, 1: Die Provinz Rheinhessen v. 963 – 1299, Darmstadt 1861, Nr. 799. Notar Hartrad von Medebach beurkundet 1319 einen Kaufvertrag in Mainz, vgl. W. Sauer (Bearb.), Codex diplomaticus Nassoicus. Nassauisches Urkundenbuch, Band I, 3: Die Urkunden des ehemals kurmainzishen Gebiets, einschl. d. Herrschaften Eppenstein, Königstein und Falkenstein, der Niedergrafschaft Katzenelnbogen u. d. kurpfälzischen Amts Caub, Wiesbaden 1887, Nr. 1672, S. 110. 1288 beurkundet Notar Hermann de Lilio eine Schenkung an die Dominikaner in Koblenz, (vgl. Goerz (wie Fn. 52), IV. Theil, Nr. 1589), Notar Otto von Wischeline beurkundet 1304 in Köln eine Schenkung an die Abtei Deutz (vgl. REK (wie Fn. 16), IV,

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selten war auch die Zusammenarbeit von Notar und Offizial: Außer dem Notarssignet tragen solche Urkunden auch das Offizialatssiegel; dabei können beide unabhängig voneinander beglaubigt haben oder auch miteinander tätig geworden sein76, um die Glaubwürdigkeit einer Ausfertigung oder Abschrift zu verstärken77. Die geistlichen Gerichte waren nicht nur die ersten, die Notare als Schreiber in ihren Dienst nahmen, sie haben dafür auch gesetzliche Regelungen geschaffen. Erzbischof Heinrich II. v. Virneburg (1304 – 1332) forderte in den Statuten der Kölner Kurie von den Klerikern einen Eid, aber noch keine Prüfung78. Eine solche führte erst sein Nachfolger Walram v. Jülich (1332 – 1349) mit dem Konzilsbeschluss vom 30. September 1338 ein79. Die päpstlich oder kaiserlich approbierten Notare brauchten sich zwar nicht prüfen zu lassen, doch mussten sie beim Offizial vorstellig werden, der über sie eine Liste führen sollte. Wer ohne Genehmigung des Offizials amtierte, dessen Instrumente wurden als ungültig betrachtet80, auch drohte ihm die Exkommunikation. Da in etlichen Notariatsinstrumenten jedoch die Bezugnahme auf den Schwur fehlt, scheinen sich nicht alle Notare daran gehalten zu haben81. Die von Erzbischof Wilhelm v. Gennep (1349 – 1362) am 12. August 1356 genehmigten „Statuta curie Coloniensis“82 berichten zwar nichts über die Ausbildung und die Berufung der Notare und erwähnen auch keine Notarsliste, doch enthalten sie ausführliche Angaben über unterschiedliche Arten von Notaren und deren Aufgaben: § 11 sagt, dass

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Nr. 30) und Notar Heinrich von Sterrenberg beurkundet 1318 eine Schenkung in Köln, vgl. Heinrich Schäfer (Bearb.), Inventare und Regesten aus den Kölner Pfarrarchiven, Band 3, in: AHVN (wie Fn. 19), 83, Köln 1907, S. 21. Notar Hermann Ratze beurkundete 1312 die Verpachtung eines Hauses mit Hofstätte (vgl. Johannes Hess (Bearb.), Urkunden des Pfarrarchivs St. Severin in Köln, Köln 1901, Nr. 44 (v. 8. Mai 1312) und Notar Johann Schellhard 1329 eine Verpachtung in Mainz, vgl. Sauer (wie Fn. 72), I,3, Nr. 1893. Notar Heinrich von Augsburg beurkundet 1334 in Mainz einen Verzicht, vgl. Baur (wie Fn. 71), III, Nr. 1040. Vgl. die canonischen Bestimmungen wegen der Wirksamkeit von Testamenten oben Fn. 70 und Koechling (wie Fn. 31), S. 39 ff. Vgl. REK (wie Fn. 16), Band IV, Nr. 664; ferner die vom Kölner Notar Hermann Durinch unterzeichnete Offizialatsurkunde vom 15. Aug. 1299, wo der Offizial auf Bitten der Äbtissin des Klosters Dietkirchen den Notar hinzugezogen hatte, vgl. den Text bei Koechling (wie Fn. 31), S. 40f und die Hinweise bei Dumke (wie Fn. 3), S. 67f. Vgl. Franz Gescher, Das älteste kölnische Offizialatsstatut (1306 – 1331), [zit.: Statut], in: ZRG, KA 14, 1925, S.475 – 485, hier: cap. X, S. 484; Militzer (wie Fn. 43), S. 1.212. Vgl. REK (wie Fn. 16), V, Nr. 590; Text bei Schannat/Harzheim (wie Fn. 46) IV, Köln 1761, S. 450f. Vgl. REK (wie Fn. 16), V, Nr. 590 (Ebf. Walram v. Jülich 1338). Vgl. Militzer (wie Fn. 43), S. 1.212. Gedruckt bei Stein, Akten, (wie Fn. 31), Band II, Nr. 503, S. 672 – 681; die Einleitung erwähnt bereits Vorgängerstatuten des Ebfs Heinrich II. v. Virneburg (1304 – 1332).

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unter den Notaren eine gewisse Anzahl Prokuratoren sein solle mit den drei Aufgaben: „scilicet notarie, procurationis et audicionis posicionum testium et probacionum“, unbeschadet der ihnen obliegenden Pflichten eines tabellio. Mit den „Aufgaben“ ist an dieser Stelle also nicht die freie Beurkundung durch einen notarius communis gemeint, denn laut § 17 durfte sie nur mit Erlaubnis des Offizials ausgeübt werden. Die Statuten fahren fort: Außer zwei namentlich genannten Personen83, die nur die Aufgaben eines Notars oder Prokurators wahrzunehmen hatten, solle es „notarii simplici“ geben (§ 13), die als Schreiber dienen, weiter notarii minores (§ 14), die für Ladungen, Mahnungen, Beschwerden und Ähnliches zuständig waren. § 15 legte darüber hinaus fest, dass die genannten Personen sich mit ihren Aufgaben zufrieden geben sollten und die Zahl der Notare und Prokuratoren nicht vermehrt werden solle. Auch verbietet § 31 den freien Notaren (notarii publici), überhöhte Honorare zu nehmen. Schließlich verbietet § 3 den öffentlichen Notaren, die in einer Sache als Advokaten oder Prokuratoren tätig werden, darin zugleich Notariatsinstrumente zu fertigen84. Bemerkenswert ist, dass sich in dieser frühen Zeit die Notare nicht nur vom Papst oder Kaiser approbieren ließen, sondern die Approbation unmittelbar vom Erzbischof85 erbaten. Dagegen war Wilhelm v. Wye päpstlich und kaiserlich approbierter Notar, der in den Dienst der Kölner Universität trat: Er nannte sich „universitatis studii Coloniensis notarius iuratus“86. Dass Notare auch in erzbischöfliche Dienste traten und als geschworene Notare im Dienst der Kurie aufstiegen, kam häufig vor87.

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Nämlich Johannes de Gemenich (Gymnich), der am 6. April 1351 als Notar begegnet, vgl. Hermann Keussen u. Rudolf Knipping (Bearb.), Erwerbungen aus dem Nachlass Kessel (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Heft 21, hrsg. v. Joseph Hansen), Köln 1892, S. 65 – 81, hier: S. 73, Nr. 1994a) und Theodericus de Walle, der nicht näher identifiziert ist. Diese Bestimmung findet sich bereits im Offizialstatut von 1306 – 31, vgl. Gescher, Statut (wie Fn. 78), S. 483, cap. VII: „Ne notarii publici in causis, quibus sunt procuratores vel advocati, exerceant officium tabellionum ... seu consilium publica vel occulte“. Vgl. Gobelin v. Rheinberg, vgl. REK VI, Nr. 1573, 1574, 78, 188, 429; Leopold Ennen / Gottfried Eckertz (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, 6 Bände, Köln 1860 – 1879, hier: Band IV Nr. 329, 351, und Sibert v. Dülken, vgl. REK VI, Nr. 52, 57, 58, 84, 429; Ennen/Eckert, Band 4, Nr. 351; vgl. Militzer (wie Fn. 43), S. 1.213. Vgl. HAStK (wie Fn. 43), HUA 2/6038; 3/6498; 1/6498; S/4786a; Uni Dep. U 3/2; S/3; S/4; vgl. Militzer (wie Fn. 43), S. 1.213, Fn. 84. Vgl. dazu Wilhelm Janssen, Die Kanzlei der Erzbischöfe von Köln im Spätmittelalter, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissanceforschung, hrsg. v. Gabriel Silagi, 35,1), München 1984, S. 152 – 169, hier S. 153 ff, der beispielsweise auf REK (wie Fn. 16) VIII, Nr. 78 und 487 verweist.

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3. Die Verhältnisse im Erzbistum Trier Im Erzstift Trier treten öffentliche Notare seit der Mitte des 13. Jahrhunderts auf. Die beiden ersten waren Gottfried von Trittenheim (1254 – 56) und Johann (1262 – 73), die beide Pfarrer waren88. 1264 wird Conrad von Ulmen als Notar genannt, der 1268 – 80 zunächst Schreiber, dann Notar der bischöflichen Kurie war, dem in den 1270er Jahren Walter Gilet zur Seite trat89. Auch die Trierer Bürger Petrus und Eckard werden 1270 und 1272 als Notare erwähnt90. Der erste Koblenzer Notar war Magister Konrad, der 1264 in den Diensten des Archidiakons und Propstes von St. Florin, Heinrich von Bolanden, stand91. 1285 amtierte in Koblenz der kaiserliche Notar Heinrich, der 1300 als Heinrich de Lilio, genannt Aco clericus Confluentis zeichnete92. Gleichzeitig mit ihm wurden zwei Kleriker, Gottfried Westfelinc und Konrad von Münster, in Koblenz tätig, die in Köln ausgebildet worden waren93. Die die in Trier tätigen Notare sind nur zum geringeren Teil von den Erzbischöfen (nach Bevollmächtigung durch den Papst94) zu notarii apostolicae sedis bestellt worden, die größere Zahl haben die kaiserlichen Hofpfalzgrafen, vornehmlich die von Alliate, zu notarii imperiali auctoritate ernannt95. Die Neigung der Hofpfalzgrafen, einen Überfluss an Notaren zu schaffen, machte sich auch im Erzstift Trier bemerkbar, so dass Erzbischof Jakob I. von Sierck (1439 – 1456) in seinen Statuten von 1449 (wenn auch vergeblich) die Zahl der Notare an der Trierer Kurie auf sechs und an der Koblenzer auf vier zu beschränken suchte96. 88 89 90 91 92 93 94

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Vgl. Goerz (wie Fn. 52), Band 3, Nr. 1613 u. 1773, Band 4, Nr. 2610 Michel (wie Fn. 30) S. 140. Vgl. Goerz, (wie Fn. 52), Band 4, Nr. 321, 684, 687, 816. Vgl. Goerz, (wie Fn. 52), Band 3, Nr. 2509, und 3, Nr. 2677. Vgl. Goerz, (wie Fn. 52), Band 3, Nr. 1974. Vgl. Goerz, (wie Fn. 52), Band 4, Nr. 1275, 3068. Vgl. Goerz, (wie Fn. 52), Band 4, Nr. 1596 und die Urkunde von 1288, XI, 1, (K 111), vgl. Michel, (wie Fn. 30) S. 141, Fn. 819; zu Westfelinc vgl. Koechling (wie Fn. 31) S. 73. Papst Nikolaus IV. bevollmächtigte 1289 Erzbischof Boemund I (1286 – 1299), zwei Notare zu ernennen, vgl. Koechling (wie Fn. 31) S. 7 und Papst Clemens V. Im Jahre 1310 vier, vgl. Sauerland (wie Fn. 53) I, Nr. 296; vgl. Michel (wie Fn. 30) S. 142. Vgl. Edmund E. Stengel (Bearb.), Nova Alamanniae. Urkunden, Briefe u. andere Quellen besonders zur deutschen Geschichte des 14. Jahrhunderts, vornehmlich aus Sammlungen des Trierer Notars u. Offizials, Domdekans von Mainz Rudolf Losse aus Eisenach in der ständischen Landesbibliothek zu Kassel u. im Staatsarchiv zu Darmstadt, I, II, 1 [mehr nicht erschienen], hier: I, Nr. 483; auch ernannte Kaiser Sigismund 1434 Dietrich Erbracht, Protonotar und Sekretär der kaiserlichen Kanzlei, Kanonikus zu St. Peter u. St. Alexander zu Aschaffenburg und St. Maria ad Gradus zu Mainz zum Hofpfalzgrafen, der am 27. Aug. 1454 den Pfarrer Johannes Pistor aus Sobernheim zum kaiserlichen Notar ernannte; vgl. den Text der Ernennungsurkunde bei Michel (wie Fn. 30) S. 148f. Johannes Jacobus Blattau (Bearb.), Statuta Synodalia, Ordinationes et Mandata Archidiocesis Trevirensis, Tomus I, Augustae Trevirorum 1844, S. 303; Michel (wie Fn. 30) S. 143.

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Diese Statuten waren nicht die erste gesetzgeberische Maßnahme, die Befugnisse und Tätigkeit der Notare regeln sollten. Erwähnt worden sind schon die Kapitel 100 und 134 des Trierer Provinzialkonzils von 1310; hinzuweisen ist weiter auf die Offizialatsgerichtsordnung97 des Trierer Offizials Rudolf Losse von 1344, der ältesten, die man für Deutschland kennt. Die Statuten von 1449 enthalten nicht nur die Eidesformel für Kuriennotare98, sondern auch für die procuratores99, als die die Notare ebenfalls tätig sein konnten 100. Besonders umfangreich sind die Anweisungen für ihre Berufsausübung101: Da es viele Notare gebe, die ignoti et illiterati seien, wird angeordnet, dass eine besondere Kommission alle Notare prüfen solle. Notare aus anderen Diözesen müssen eine littera probationis vorweisen. Jeder Kuriennotar muss sein Manuale oder Protokollbuch mit sich führen, in das er alle seine gerichtlichen und außergerichtlichen Amtshandlungen einzutragen hat. Anschließend finden sich Vorschriften für alle Notare (auch die außerhalb der Kurie tätigen), wobei – zur Bemessung der Vergütung – vorgeschrieben wird, dass jedes Blatt einer notariellen Urkunde (charta) 26 Zeilen (lineas) zu je sieben Silben (integras dictiones iuxta stylum et modum in Romana curia hactenus usitatum)102 haben solle. Anschließend finden sich Vorschriften für die Tätigkeit der Prokuratoren103.

IV. Notare im Dienst der Landesherren und des Königs Die Landesherren stellten die öffentlichen Notare teilweise in den Dienst ihrer Territorialpolitik. So beurkundet der Kölner Notar Hermann Durinch 1293 den Vergleich zwischen Erzbischof Siegfried v. Westerburg (1275 – 1297) und dem Grafen von Sponheim über den Besitz von Kaiserswerth104, im Juli 1300 ein Privileg König Albrechts von 1298105 und im September desselben Jahres sieben 97

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Vgl. Stengel, Nova Alamanniae (wie Fn. 95) II, 1, Nr. 772; vgl. Michel (wie Fn. 30) S. 145; die Kölner Statuten stammen erst von 1356, vgl. oben Fn. 78; Folgestatuten erließ Erzbischof Boemund (1286 – 1299) am 28. Nov. 1289 und am 6. Juni 1290, vgl. Blattau (wie Fn. 96) I, S. 57. Vgl. Blattau (wie Fn. 96) I, S. 283. Vgl. Blattau (wie Fn. 96) I, S. 284. Vgl. Blattau, (wie Fn. 96), I, S. 290 – 294; Michel (wie Fn. 30) S. 145f. Vgl. Blattau (wie Fn. 96) I, S. 283 – 307; Bestimmungen über Notare finden sich z. B. in den §§ 4, 10f, 13f, 20, 24. Dagegen waren es in Köln 60 Zeilen zu je 13 Silben, vgl. Hans Foerster, Die Organisation des erzbischöflichen Offizialatsgerichts zu Köln bis auf Hermann von Wied, in: ZRG, KA, 42, 1921, S. 254 – 350, hier: S. 314. Vgl. Michel, (wie Fn. 30) S. 147. Vgl. REK (wie Fn. 16), III, Nr. 3389. Vgl. Ernst Vogt, Die Regesten der Erzbischöfe von Mainz 1289 – 1396, Abt. I, Band 1, Leipzig 1913, Nr. 544.

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Rotuli des Kölner Erzbischofs Wikbold von Holte (1297 – 1305) mit Rechtsansprüchen des Kölner Erzstifts in Westfalen106. Die notarielle Abschrift eines Privilegs König Albrechts, in der dem Kölner Erzstift die Zölle in Andernach, Bonn, Neuss und Rheinberg gewährleistet wurden, trägt gar die Unterschrift von vier Notaren107. Im Herzogtum Jülich-Berg findet sich der erste notarius publicus erst in einer Urkunde des Jahres 1332108, die - wie die übrigen Notariatsinstrumente des 14. und 15. Jahrhunderts im Herzogtum für Geistliche oder kirchliche Institutionen ausgefertigt ist. Die Zahl der dort tätigen Notare war gering und nahm nur langsam zu. So hat Querling109 zwischen 1332 und 1420 nur 23 Notare, bis 1530 nur 76 Notare gezählt. Es werden in der Mehrzahl kaiserliche Notare gewesen sein. Jedenfalls finden sich bis zum Jahre 1528 weder landesherrliche Gesetze noch Verordnungen (wie in den Erzbistümern Köln und Trier) zur Regelung des Notariats110. Vereinzelt im 11., dann aber im 12. und 13. Jahrhundert hatten öffentliche Notare für die deutschen Könige geurkundet111. Ludwig der Bayer (1314 – 1347) setzte sie in seinem langjährigen Kampf gegen das Papsttum ein. So ließ er nicht nur seine Appellationen der Jahre 1323 und 1324 durch Notare beglaubigen112, bekannt ist vor allem der Kurverein von Rhens, nach dessen Weistum über die Königswahl ein gewählter deutscher König päpstlicher Approbation nicht bedurfte. Am 16. Juli 1338 haben es drei Notare beurkundet113. Wenig später, am 5. September 1338, ließ Ludwig in Koblenz zwei Erklärungen notari-

106 Vgl. Leonard Korth, Das Urkunden-Archiv der Stadt Köln bis 1396, Regesten, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, hrsg. v. Konstantin Höhlbaum, Band 2, Heft 4, Köln 1883, S. 1 – 49, hier: Vorbemerkung S. 1f. 107 Das Transsumpt ist unterzeichnet von den Notaren Hermann Durinch (Düring), Heinrich von Isenburg, Hermann von Argendorf und Gerlach von Wipperfürth, Vgl. Vogt (wie Fn. 105), I, Nr. 542. 108 Es handelt sich um den Notar Wilhelm von Endhofen, der 1332 in Gerresheim eine Vollmacht für die Kanonissen des dortigen Stiftes ausfertigte, vgl. Urk. 1332, Okt. 5, Vol. Stift Gerresheim, vgl. Querling (wie Fn.20), S. 13. 109 Vgl. Querling (wie Fn. 20), S. 16. 110 Vgl. Querling (wie Fn. 20), S. 16f. 111 Vgl. Bresslau, (wie Fn. 3), Band I, S. 662f. 112 Vgl. Monumenta Germaniae historica, Legum Sectio IV, Constitutiones et Acta Publica Imperatorum et RegumTomus V bearb. v. Jakob Schwalm, Nr. 824 (1323, Dez. 6), Nr. 836 (1324, Jan. 5), Nr. 909, 910 (1324, Mai 22). 113 Vgl. Karl Zeumer, Ludwigs des Bayern Königswahlgesetz „Licet iuris“ v. 6. August 1338. Mit einer Beilage: Das Renser [!] Weisthum v. 16. Juli 1338, in: Neues Archiv Band 30, Hannover 1905, S. 85 – 112, Text S. 110 – 112; der Name der drei Notare ist allerdings nicht überliefert.

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ell beurkunden. Durch die eine wurden fünf Reichsgesetze veröffentlicht114, darunter eines über die Königswahl, in der anderen erklärte Ludwig IV., die Aussöhnung mit der römischen Kurie der geistlichen Vermittlung der Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier sowie dem König von England überlassen zu wollen115.

V. NOTARE IM DIENSTE DER STADT KÖLN Der Kampf zwischen dem Erzbischof von Köln und der Stadt, die sich seit dem 13. Jahrhundert zunehmend seinem Stadtregiment entzog und 1475 in der formellen königlichen Anerkennung als freie Reichsstadt zu einem Zwischenergebnis führte, hat sich durch die Jahrhunderte gezogen. Vor allem in diesem Kampf hat die Stadt sich der Notare bedient, deren Notariatsinstrumente den städtischen Rechtsstandpunkt deutlich machten116. Soweit allerdings die Stadt in eigenen Angelegenheiten tätig wurde, bediente sie sich ihrer Ratsschreiber. Sie waren großenteils zuvor öffentliche Notare gewesen. Nach ihrer Anstellung sind sie aber nur zum Teil auch als öffentliche Notare für private Auftraggeber tätig geworden, haben in den meisten Fällen jedoch ausschließlich im Dienste der Stadt gestanden117.

114 Kaiser Ludwig verkündete Gestze betreffs Wirkung der Königswahl, Heerfolge, Straßenraub, Fehdeansage und Schutz der Boten des Reiches; beurkundet durch die Notare Gerlach von Butzbach, Johann von Ostern und Dietrich Hake, die sich S. 374f selbst nennen, vgl. Stengel, Nova Alemanniae (wie Fn. 95), 1. Hälfte, Nr. 556, S. 370-375. 115 Geurkundet haben dieselben Notare (wie Fn.114), vgl. Stengel (wie Fn. 95), Nr. 557; S. 375 – 378; vgl. Koechling (wie Fn. 31), S. 34 ff. 116 Vgl. z. B. die feierliche Verlesung der städtischen Privilegien am 9. Mai 1300 durch den Notar Heinrich von Isenburg, (vgl. REK III (wie Fn. 16), Nr. 3728), die notariell beglaubigte Abschrift vom 14. Dez. 1318 zweier Urkunden durch den Notar Hermann v. Rheinberg, (vgl. REK IV, Nr. 1079), die Beurkundung der Verhandlungen wegen Milderung des Interdikts vom 28. 11. 1323 durch die Notare Arnold Nikolaj und Wichard von Jülich (Vgl. REK IV, Nr. 1427) und die Verkündigung der Sühne zwischen Stadt und Erzbischof Heinrich II. von Virneburg am 24. 9. 1328 durch Notar Gerhard von Cirlo (vgl. REK IV, Nr. 1770). 117 Walther Stein, Deutsche Stadtschreiber im Mittelalter (Beiträge zur Geschichte vornehmlich Kölns und der Rheinlande zum 80. Geburtstag Gustav v. Mevissens dargebracht), Köln 1895, [zitiert: Stein, Stadtschreiber] S. 27 – 70, hier: S. 37f; derselbe, Akten (wie Fn. 31), I, S. CXVIIIff; über Aufgaben und Lebensumstände eines Kölner Protonotars (d. h. des Leiters der kölnischen Stadtkanzlei), der nicht als öffentlicher Notar tätig war, vgl. Hermann Diemar, Johann Vrunt von Köln als Protonotar (1442 –1448), ebenda S. 71 – 106; vgl. auch den Eid Johan Frunts vom 1. 4. 1442 bei Stein, Akten I, Nr. 137, S. 309f; vgl. im Übrigen die Nachweise bei Koechling (wie Fn. 31), S. 41; Ferdinand Elsener, Notare und Stadtschreiber. Zur Geschichte des schweizerischen Notariats (Arbeitsge-

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Die Tätigkeit der Notare in damals Deutschlands größter Stadt ist nicht nur durch die bereits zitierten Urkunden belegt, ein Echo dieser Tätigkeit findet sich auch in den Satzungen und Ratsbeschlüssen der Stadt. Dabei werden die Gerichtsschreiber zwar zuweilen notarij genannt118, so dass der Begriff „Notar“ sowohl den angestellten Schreiber wie den freien Notar bedeuten kann, die Bezeichnung tabellio119 meint jedoch stets die öffentlichen freien Notare. Nachdem Kaiser Sigismund der Stadt am 6. April 1415 ein Exemtionsprivileg120 verliehen hatte, mussten die Bürger dafür sorgen, dass es weder verletzt wurde noch in Vergessenheit geriet, hinderte es doch den Kaiser und andere Gerichtsherren, Kölner Prozesse vor seine Gerichte zu ziehen121. Dieses Privileg war zwar durch die Errichtung des Reichskammergerichts 1495 insofern überholt122, als § 29 der RKGO123 von 1495 bestimmte, dass jeder Untertan in erster Instanz nur noch den ordentlichen Gerichten seines Landesherrn unterworfen sein solle, doch bei der dauernd streitigen Rechtslage zwischen der Stadt und dem Erzbischof und der Neigung des Offizialats, auch weltliche Sachen an sich zu ziehen, war es für Köln von bleibendem Wert. Mustert man die Ratsbeschlüsse und Verordnungen, in denen Notare erwähnt werden, so wird einmal (bei der Bestrafung der Genossen des Hilger von

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meinschaft f. Forschung d. Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften, H.100), Köln etc. 1962, S. 16f.; Militzer (wie Fn. 43), S. 1.215. Vgl. Stein, Akten (wie Fn. 31) Bd. I, Nr. 70, S. 224. Vgl. z.B. Stein, Akten I, (wie Fn. 31) Nr. 314 v. 1387; S. 561f; Nr. 315 v. ca 1390, S. 565; Nr. 318 (14. – 15. Jh.), S. 589; Nr. 327 (ca 1430), S. 625; Nr. 328 (ca 1430), S. 627; Nr. 331 v. 15. Juni 1437, S. 638, 641f; dem gleicht übrigens auch der Sprachgebrauch der Kölner Kurie, vgl. Stein, Akten II (wie Fn. 31), Nr. 503 v. 12. 8. 1356, S. 674, 677. Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verfassung und Verwaltung [hinfort: Verf. u. Verw.] G 332, Bl. 3v und 4r; es handelt sich nicht um ein reines privilegium de non evocando, weil es nicht nur von Ladungen an die Reichsgerichte befreite, sondern auch von Ladungen „sive ad aliud quodcunque Judicium Provinciale seu Diocesianorum seu ad Liberas Sedes in Westphaliam et alias ubilibet Constitutas Urnia stoule Seve Stylgerichte vulgariter nuncupatas ...“; Kaiser Friedrich III. hat die Privilegien der Stadt am 29. Juni 1442, vgl. Heinrich Gottfried Gengler, Codex iuris municipalialis Germaniae medii aevi, Bd. I, Erlangen 1863, S. 586, Nr. 266 und in: Das Urkundenarchiv der Stadt Köln seit d. Jahre 1397. Inventar V (1431 – 1450), (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Heft 19, hrsg. v. Konstantin Höhlbaum), Köln 1890 S. 50, Nr. 11567 a, b) sowie am 5. Juni 1452 bestätigt, vgl. Gengler, S. 587; vgl. Stein, Akten (wie Fn. 31) I, S. 400, Fn. 1 und ebenda Nr. 331 v. 15. Juni 1437, Art. 92, 93, S. 689f. Darauf weist der Ratsbeschluss vom 26. Februar 1464 bei Stein, Akten (wie Fn. 31), I, Nr. 203, S. 399f ausdrücklich hin. Vgl. Ulrich Eisenhardt, Die kaiserlichen Privilegia de non appellando, Köln etc. 1980, S. 28. Vgl. den Wortlaut bei Karl Zeumer, Quellensammlung z. Geschichte d. Deutschen Reichsverfassung i. Mittelalter u. Neuzeit, 2. Auflage, Tübingen 1913 [zit.: Quellen], Nr. 174, S. 290.

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der Stesse124) die Anfertigung von Abschriften (vidimus) erwähnt. Im Übrigen ist häufig von der Beteiligung der Notare bei Urteilsschelten die Rede. Vielfach ist festgelegt, dass die Urteilsschelte durch einen Notar in Gegenwart von zwei oder drei Zeugen zu beurkunden ist125. Sehr früh findet sich (wie bei den geistlichen Gerichten) die Vorschrift, dass Notare nicht gleichzeitig als Mombar (= Vormund126) oder Prokurator bei den städtischen Gerichten auftreten durften127. Seit etwa dem Jahre 1300 begannen die Kölner Bürger, in der Form der Schreinseintragung zu testieren. Ihre Testamente wurden in den „liber generalis“ oder „sententiarum“, ein besonderes Schreinsbuch, eintragen, das zunächst im Schöffenschrein, später in jedem Schreinsbezirk auflag. Seit dem 13. Jahrhundert stellten sie aber auch Siegelurkunden aus, die sie in den Schreinen (meist im Schöffenschrein) hinterlegten128. Ein eigenes Schreinsbuch, der „liber parationum“ oder „ordinationum“, dokumentierte die Hinterlegung. Die Siegelurkunden drohten jedoch, die einträgliche Beteiligung der Schöffen bei der Testamentserrichtung zu verdrängen. Deshalb setzten sie – wie die Testamente aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigen129 – durch, dass Testamente in Köln nur gültig waren, wenn sie von wenigstens zwei Schöffen besiegelt waren. Den Notaren gelang es in dieser Zeit, ihre engen Bindungen an das Offizialat zu lockern und sich durch die Beurkundung von Testamenten neue Einnahmen zu erschließen. Denn zunächst die Geistlichen, dann aber auch die Bürger bedienten sich jetzt der Notare bei der Testamentserrichtung. Aber auch die notariellen Testamente erkannten die Schöffen nur dann als gültig an, wenn zwei von ihnen sie gesiegelt hatten. Ein erster Beleg findet sich in einem Testament vom 2. März 1376130. Das Recht des Schöffenschreins von 1387 schrieb vor, dass 124 Vgl. Stein, Akten (wie Fn. 31), I, Nr. 15, S. 172. 125 Vgl. Stein, Akten (wie Fn. 31), I, Nr. 318 (14.-15 Jh.), S. 589; Nr. 327 (ca 1430), S. 625; Nr. 330 (2. Viertel 15. Jh.), S. 630; Nr. 331 (15. Juni 1437), S. 638f, aber auch die Appellationsordnung des Ebfs. Dietrich v. Moers v. 4. Febr. 1454, Druck bei Dieter Strauch, Das Hohe Weltliche Gericht zu Köln, in: Rheinische Justiz. Geschichte u. Gegenwart. 175 Jahre Oberlandesgericht Köln, hrsg. v. Dieter Laum, Adolf Klein, Dieter Strauch, S. 743-831, hier: § 5, S. 828.; vgl. dazu die kirchlichen Anforderungen an die Glaubwürdigkeit von Urkunden oben Fn. 70. 126 Vgl. Werner Ogris, Art. Munt, Muntwalt in HRG III, Berlin 1984, Sp. 750 – 761, hier: Sp. 751. 127 Vgl. Stein, Akten (wie Fn. 31), I, Nr. 204, vom 2. 3. 1464, S. 402. 128 Vgl. Aders (wie Fn. 70), S. 16 ff. 129 Vgl. Aders (wie Fn. 70), S. 34 ff. 130 Beurkundet durch den päpstlichen Notar Johann von Hofsteden für Heinrich von der Wyden; der kaiserliche und päpstliche Notar Gerhard Weydhase von Zülpich setzte sein Signet dazu, zwei Schöffen siegelten, vgl. HAStK (wie Fn. 43), Testamente 3/W 135. Fast gleichzeitig (am 10. 3. 1376) findet sich ein weiteres Testament dieser Art für Peter

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Testamente wahlweise entweder ohne Notar mit Besiegelung durch die Schöffen des Hochgerichts oder als Notariatsinstrument (overmitz eynen tabellien) mit Besiegelung durch die Schöffen schriftlich niedergelegt werden mussten131. Um wirksam zu sein, waren die Testamente beider Formen außerdem binnen Jahr und Tag (enbynnen jair ind dage darna) im Schöffenschrein zu hinterlegen. Die Ordnung des Schöffengerichts von ca. 1390132 bekräftigte diese Regelung. Um an den Gebühren der Testamentserrichtung beteiligt zu sein, gingen die Statuten vom 15. 6. 1437 noch einen Schritt weiter: Deren § 4 schrieb vor133, dass der Testator, der über „sijn erve off erfrente bynnen der alder muyren in unser stat ind ouch in Airsburger ind Nederiger gerichte geleigen“134 testieren wollte, eine Geschäftsfähigkeitsprobe ablegen musste (seven voisse lengden gain) und dann ein Tabellio, zwei ehrbare Zeugen und zwei Hochgerichtschöffen zusammenwirken mußten, um das Testament zu beurkunden, wobei die Schöffen es siegeln sollten. Anschließend war es im Schöffenschrein zu verwahren, um gültig zu sein. Nur bei Fahrhabe (varende have) sollte das Testament wahlweise vor zwei Schöffen, einem Tabellio, einem Priester mit zwei Zeugen errichtet werden, oder aber der Testator sollte handschriftlich mit eigenem Siegel ein Testament machen. Solche Testamente waren auch gültig, ohne dass sie im Schrein verwahrt wurden, doch waren sie auf Verlangen des Testators dort entgegenzunehmen135. Die Notare haben zunächst ihre Instrumente selbst geschrieben. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde es aber üblich, dazu einen anderen Notar oder einen Schreiber anzustellen: Beispiel ist der Notar Lubert von Boken, der 1350 erstmals als geschworener Notar der Kölner Kurie bezeugt ist136. Wenige Jahre später hat er mit den kaiserlichen Notaren Gerhard Buysch aus Heinsberg und Hermann Hermanni von Bowilre zusammengearbeitet137, der seinerseits auch mit dem kaiserlichen und geschworenen Notar Heinrich v. Lintorf (de Prato)138

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Scoeneweder (Schoneweder), genannt bei Aders (wie Fn. 70) S. 42 (HAStK (wie Fn. 43), Testamente 3/S 512, vgl. Wilhelm Baumeister, Verzeichnis der Kölner Testamente des 13. – 18. Jahrhunderts, (Mitteilungen a.d. Stadtarchiv v. Köln, hrsg. v. Erich Kuphal, H. 44), Köln 1953, Nr. 512; Militzer (wie Fn. 43), S. 1.208f. Erstmals geregelt im Recht des Schöffenschreins von 1387, bei Stein, Akten (wie Fn. 31), I, Nr. 314, § 4, S. 561f. Vgl. Stein, Akten (wie Fn. 31), I, Nr. 315, § 4, S. 565. Stein, Akten (wie Fn. 31), I, Nr. 331, § 4, S. 641; vgl. Aders, (wie Fn. 70) S. 35, 43f. Gemeint ist damit die alte Römerstadt, die Rheinvorstadt, das Kirchspiel St. Aposteln (mit seinem 1106 in das Stadtgebiet einbezogenen Teil) und die Vorstädte Niederich im Norden und Airsbach im Süden, vgl. Militzer (wie Fn. 43), S. 1.209. Stein, Akten (wie Fn. 31), I, Nr. 331, § 7, S. 642f. Ingrid Joester (Bearb.), Urkundenbuch der Abtei Steinfeld (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 60), Köln etc. 1976, Nr. 287 (v. 23. April 1350). Vgl. die Nachweise bei Militzer (wie Fn. 43), S. 1.215f. Er war 1367 einer der Rentkammerschreiber, die seit 1356 das Bürgeraufnahmebuch führten, vgl. Militzer (wie Fn. 43), S. 1.217, Fn. 104; über die Bürgeraufnahmen seit

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verbunden war. Der kaiserliche Notar Heinrich Loyff von Medebach dagegen setzte ungenannte Angestellte ein, um seine Instrumente schreiben zu lassen, die er dann nur noch mit Unterschrift und Signet vollzog139. Als öffentlicher Notar, Prokurator der Kölner Kurie und Schreinsschreiber ist er ein wohlhabender Mann geworden, der seiner Tochter sieben Häuser hinterließ140.

B. D I E R E I C H S N O T A R I A T S O RD N U N G

VON

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VI. MISSSTÄNDE IM NOTARIAT Die Ernennung der Notare durch die Hofpfalzgrafen führte im Laufe der Zeit zu erheblichen Missständen: Da die Comitive wegen der ständigen Geldknappheit des Kaisers nur gegen erhebliche Gebühren verliehen wurde, suchten manche Pfalzgrafen ihre Auslagen durch (gebührenpflichtige) Ernennung vieler Notare schnell wieder hereinzuholen. Auf die Kenntnisse der Bewerber wurde kaum geschaut, so dass viele Unfähige sich darum bewarben und die Notare häufig eine Zielscheibe des allgemeinen Spottes waren141. So beschloss der Reichstag zu Freiburg im Jahre 1497, auf dem nächsten Reichstag dem abzuhelfen, „damit Betrug und Schade, so ihrethalben (sc. der Notare) zu Zeiten entstehen, verhindert werden142. Auch das 1495 errichtete Reichskammergericht führte beredte Klage über die Missstände im Notariat, so dass der Reichstag von Freiburg 1498 eine neue „Ordnung des Cammergerichts beschloss, deren § 26 anordnete, nur solche Notare tätig werden zu lassen, die bei diesem Gericht approbiert seien143. Für die Approbation schrieb § 27 vor, dass hinfüro kein Notarius in Executionibus der Hendel des Camer-Gerichts zugelassen werden soll, Er bring dann zu vor glaublich Ur-

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1356 vgl. Hugo Stehkämper (Bearb.), Kölner Neubürger 1356 – 1798, Band I, (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 61), Köln 1975, S. XVIII. Vgl. Militzer (wie Fn. 43), S. 1.218f. Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Schreinsbuch 136, fol. 156v; 158 fol. 142v; 164, fol.. 57v. 169, fol. 134v; 341, fol. 27r; Militzer (wie Fn. 43), S. 1.219. Vgl. etwa den Spruch des berühmten Kommentators Baldus „imperitia notariorum destruit mundum“ und das Wort des Rechtsgelehrten und Stadtgerichtschreibers von Freiburg/Br., Ulrich Zasius (1461 – 1535), der die deutschen Notare „indoctum pecus“ nannte, vgl. Hermann Conrad, Die geschichtlichen Grundlagen des modernen Notariats in Deutschland, in: Deutsche Notar-Zeitschrift 1960, S.3 – 33, hier: S. 4f. Vgl. Neue und vollständige Sammlung der Reichsabschiede welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden, sammt den wichtigsten Reichs-Schlüssen, so auf dem noch fürwährenden Reichs-Tage zur Richtigkeit gekommen sind. In vier Theilen, 1747, Neudruck Osnabrück 1967, Theil II, [zitiert: NSdRA], S. 32, Reichsabschied § 25; über den Missbrauch der Notarernennung vgl. Schmidt-Thomé, Notariat, (wie Fn. 20), S. 187 ff. Vgl. NSdRA (wie Fn. 142), II, S. 44.

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kund von seinen Fürsten, Herren, Commun oder Oberkeyt, dass er fidelis et legalis, und dafür gehalten sei144. Wer diesen Nachweis nicht erbringen konnte, musste sich durch das Kammergericht prüfen lassen. Aus § 35 folgt zudem, dass die Territorialgewalten in Notarsachen eigene Gesetze geben durften145. Einen Einblick in die Zustände des rheinischen Notariats bietet das Manuale des aus Kleve stammenden Notars Wilhelm Ysbrand, das vor einiger Zeit auszugsweise herausgegeben worden ist146. Der Zustand der Imbreviaturen auf beliebigen losen Zetteln unterschiedlichen Formats deutet auf wenig Ordnungsliebe und lässt den damaligen Ruf nach obrigkeitlicher Aufsicht verständlich erscheinen.

VII. MAßNAHMEN DES REICHES ZUR VERBESSERUNG DES NOTARIATS Auf dem Reichstag zu Köln erließ dann endlich Kaiser Maximilian I. (1493 – 1519) nach Beratung mit den Ständen am 8. Oktober 1512 die „Ordnung zur Unterrichtung der offenen Notarien, wie die ihre Ämter üben sollen“147. Die Stände hatten diesem Reichsgesetz zwar zugestimmt, es aber nicht förmlich unterschrieben. Daraus ist zu schließen, dass man den Kaiser nicht mehr als allein befugt zur Gesetzgebung ansah148. War das Notariat in den geistlichen Territorien schon länger, in den weltlichen Territorien dagegen nur teilweise anerkannt, so wird es durch das Gesetz von 1512 nun reichsrechtlich geordnet. Doch brachte das Gesetz inhaltlich wenig Neues, sondern schrieb lediglich das bisher geltende 144 Vgl. NSdRA II (wie Fn. 142), S. 44f. 145 § 35 sagt: Wollen Wir ein gemein Edikt ym Reich ausgehen lassen, dann darynnen allen Churfürsten, Fürsten, auch allen andern Oberkeyten gebieten, etlich zu verordnen, die auf ihre Pflicht one alle Schenck, Miet, Vorteyl, Gab noch Gunst, alle Notarien in ihrer Oberkeyt mit Fleiß examiniren, und die, so sy für taugendlich, geschickt, und genugsam erkennen, zulassen, und den Ihenen, so untaugenlich, und nicht geschickt erfunden werden, sich hinfüro des Aamts zu gebrauchen verbieten, auch sollen alle Notari, so dermassen, wie vor underschiden ist, nit examinirt und gerechtfertigt würden, sich irer Aempter zu gebrauchen verbotten und suspendirt werden, (NSdRA II, S. 46). 146 Vgl. Friedrich Wilhelm Oediger (Bearb.), Der Liber Quondam Notarii (Wilhelm Ysbrandi de Clivis) (1372) – 1431 in Inhaltsangaben und Auszügen (Schriftenreihe des Kreises Kleve 1), Köln 1978. 147 Reichsabschied 1512, der Text ursprünglich deutsch, dann auch ins Lateinische übertragen in: NSdRA II, S. 151 – 166, [zit.: RNO]; Abdruck mit Übertragung ins Neuhochdeutsche von August Meyer, Die Notariatsordnungen von 1512 und 1871 als Beiträge zur Rechtssicherheit, (Festschrift d. Delegiertentages d. österr. Notariatskamxsmern anläßlich d. 100. Jahrestages d. Kundmachung d. Notariatsordnung 1871), Salzburg 1971 und Herbert Grziwotz (Hrsg.) Kaiserliche Notariatsordnung von 1512. Spiegel der Entwicklung des Europäischen Notariats, München 1995 mit Übersetzungen ins Französische, Spanische, Italienische und Englische. 148 Vgl. Winfried Trusen, Notar und Notariatsinstrument an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Zu den gemeinrechtlichen Grundlagen der Reichsnotarordnung von 1512, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, hrsg. v Gerhard Kleinheyer und Paul Mikat, Paderborn 1979, [zit.: Beiträge], S. 545 – 566, hier: S. 547f.

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gemeine Notariatsrecht fest149, ohne allerdings die italienischen Notarkorporationen150 zu übernehmen151. Immerhin hatte die Reichsnotarordnung zur Folge, dass fortan nicht nur das Reichskammergericht zum Hort der Rezeption des römisch-italienischen Rechts wurde152, sondern auch die Urkundstätigkeit der Notare. Wie verhielt sich nun dieses neue Reichsrecht zu dem schon vorhandenen oder beabsichtigten Territorialrecht? Zwar war das Recht, Notare zu ernennen, ursprünglich ein kaiserliches Reservatrecht gewesen, doch konnte im 16. Jahrhundert und später davon keine Rede mehr sein, da die Fürstenmacht sich inzwischen gefestigt hatte. So wollte denn die Reichsnotariatsordnung das Notarsrecht nicht erschöpfend regeln. Wie sich aus § 1 RNO153 ergibt, sollten die Notare trachten, „... nach Inhalt gemeiner Rechten oder löblicher Gewonheit und Gebrauch eines jeden Orts eingeführt und versehen ist, ihre Aembter rechtlich getreulich und auffrichtiglich zu üben ...“ und der 4. Teil § 3154 ergänzt: Die Notare sollten ...“nicht also gesättiget seyn, dann dass sie von Tag zu Tag lernen und aufmercken sollen, anders mehr, so durch die Rechte über diß Notariat-Ampt sagende, auch durch Gewohnheit der Oerter, darin die Händel sich begeben, eingeführet worden seyn“. In schwierigen Fällen sollten sie den Rat der Gelehrten und Geübten einholen. Dass das Reich die Notarsernennungen in den Territorien anerkannte und dass bereits 46 Jahre nach Erlass der RNO sich wieder Missstände gebildet hatten, zeigte sich an einem Edikt Kaiser Karls V. vom 3. August 1548155: Die keiserlicher proceß vnd brieue würden nicht nur durch die Kammergerichtsboten, sondern auch durch offne Notarien verkundt vnnd Exequirt, die jedoch untauglich oder unbekannt seien. Der Kaiser verordnete deshalb, dass jeder Notar, der in dieser Weise tätig werden wolle, zu vor eyn gläublich Urkundt von seynem Fürsten, Herren, Commun oder Oberkeit, dass er fidelis vnd 149 150 151 152

Vgl. Trusen, Beiträge, (wie Fn. 142), S. 548 ff. Vgl. darüber: Oesterley (wie Fn. 5) I, S. 193 ff. Vgl. Conrad (wie Fn. 141), S. 7. Vgl. § 3 der Kammergerichtsordnung von 1495 bei Zeumer, Quellen, (wie Fn. 123), Nr. 174, § 3 (Richtereid). 153 Vgl. NSdRA (wie Fn. 142), II, S. 153. 154 Vgl. NSdRA (wie Fn. 142), II, S. 165; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Trusen, Beiträge (wie Fn. 148), S. 547. 155 Vgl. NSdRA III, S. 153 – 163 und den Abdruck bei Johann Jacob Schmauß (Bearb.), Corpus Juris Publici, S. R. Imperii Academicum, enthaltend des Heil. Röm. Reichs deutscher Nation Grund-Gesetze nebst einem Auszuge der Reichs-Abschiede, anderer Reichs-Schlüsse u. Vergleiche, hrsg. v. Gottlieb Schumann u. Heinrich Gottlieb Franken, Leipzig 1794 Nr. XLVII: Concept d. Kayserl. Cammergerichtsordnung v. 1613, in Titel LII, S. 463 – 466; unvollständig auch in: HAStK (wie Fn. 43), Edikte Band 12, Bl. 224; das Examen de rigore ist auch erwähnt in den Visitationsabschieden von 1560 und 1561, vgl. Wolfgang Vogel, Gemeinrechtliches Notariat in Deutschland, Düsseldorf 1971, zugleich Diss. iur. Bonn 1969, S. 134.

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legalis sei. Er müsse dem Kammergericht seine Handschrift und Signet übersenden oder sich vom Kammergericht „de rigore“ examinieren lassen. Außerdem wurde die bereits in anderem Zusammenhang erwähnte Inkompatibilität zwischen notarieller und gerichtlicher Tätigkeit bestätigt156. Aus diesen Gründen war die RNO nur ein Rahmengesetz, das durch die Partikulargesetzgebung nicht nur ergänzt, sondern (wie sich bald zeigte) auch ausgehöhlt werden konnte. In welcher Weise das Verhältnis zwischen Reichsrecht und Territorialgesetzgebung zu denken war, konnte gleichwohl noch gegen Ende des alten Reiches streitig werden, wie das Gutachten Rundes von 1796 für den Bischof von Hildesheim zeigt157. Anlass für das Gutachten war der Antrag von elf Hildesheimer Notaren an das Reichskammergericht auf Erlass eines Mandats, mit dem die 1793 erlassene Landesordnung des Hochstifts Hildesheim aufgehoben werden sollte. Das RKG hatte das Gutachten Rundes am 11. Februar 1795 angefordert. Runde kam – wie nicht anders zu erwarten – zu dem Ergebnis, dass die Territorialherren befugt seien, eigenes Recht in Notarsachen zu setzen, und verwies ebenfalls auf den § 1 des allgemeinen Teils und den § 3 des 4. Abschnitts (des besonderen Teils) über die Appellations-Instrumente der RNO158.

C. D I E R H E I N I S C HE E N T W I C KL U N G

N A CH

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VIII. DIE ENTWICKLUNG IM HERZOGTUM JÜLICH-BERG Wie bereits berichtet, bildete die Reichsnotarordnung von 1512 keine Kodifikation des Notariatsrechtes, sondern lediglich ein Abbild des damals erreichten Zustandes. Da dieses Reichsgesetz zugleich Rücksicht auf Besonderheiten in den Territorien nahm, war dadurch den Sonderentwicklungen Tür und Tor geöffnet. Im Herzogtum Jülich-Berg setzten sie bereits 26 Jahre nach Erlass der RNO ein, denn bereits 1528 gaben die Missstände im Notariat Herzog Johann III. von Jülich-Kleve-Berg (1511/21 – 1539) Veranlassung, ein auf § 4 der RNO beruhendes Edikt zu erlassen. Danach hatten die Notare nicht nur ihre Protokolle und Instrumente einer Kommission vorzulegen, sondern sich selbst einem Examen zu stellen und um Approbation nachzusuchen159. Eine Ausnah-

156 „Daz auch furohin alle vnd jede offne Notarien sich jhres Ampts halten, vnd in denen Sachen darinnen sie als Notarien gebraucht, sich sollicitierens, procurierens vnd dergleichen, gentzlich vnd allerding entshlagen.“ 157 Vgl. Justus Friedrich Runde, Beyträge zur Erläuterung rechtlicher Gegenstände, Band I, Göttingen 1799, S. 245 – 338. 158 Vgl. Runde (wie Fn. 157), § 22., S. 293f und § 31, S. 329. 159 Der Text der Verordnung ist nur aus seiner Wiederholung im Jahre 1582 bekannt, vgl. Johann Josef Scotti, (Bearb.), Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in den ehemaligen Herzogtümern Jülich, Kleve, Berg über die Gegenstände der Landeshoheit,

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me galt nur für solche Notare, die beim Reichskammergericht immatrikuliert waren160. Nach der Prüfung erhielt der Notar ein Zulassungspatent, das ihn berechtigte, sein Amt im Herzogtum auszuüben. Da alle Urkunden als nichtig galten, die von nicht herzoglich approbierten Notaren ausgestellt wurden, behielt sich damit die herzogliche Regierung die Ernennung von Notaren für ihr Territorium vor. Das ist ein Verfahren, das sich vermutlich zuerst in Jülich-Berg fand161, später aber in anderen Territorien ebenfalls praktiziert wurde. Wie anderswo auch, waren die frühen Notare in Jülich-Berg Kleriker, die meist nur die niederen Weihen hatten. Das änderte sich erst mit Beginn des 16. Jahrhunderts. Der letzte bekannte Klerikernotar in Jülich-Berg war Symon Duysnick aus Neuss, der sich in einer Urkunde von 1555 als solcher zu erkennen gab162. Auch hier hatten die Notare entweder päpstliche, oder kaiserliche, oder beide Ernennungen vorzuweisen, wobei die kaiserlichen Notare nur selten vom Kaiser selbst, sondern durch die Hofpfalzgrafen ernannt wurden, etwa durch den schon erwähnten Martin Heinrich von Strevesdorff163 oder Cornelius Hermann von Heinsberg164. Später folgten noch einige andere. Die Jülicher Landrechtsordnung von 1537 entzog zwar den Notaren die Beurkundung von Schenkungen165, doch regelte die Jülich-Bergische Rechtsordnung in Cap. 34 die Beteiligung der Notare bei Appellationen und in Cap. 69 bei der Abfassung von Testamenten166. Zugleich mit der Landrechtsordnung von 1555 erging eine Anweisung für Gerichtsschreiber und Notare, die das Beurkundungsverfahren regelte167. Diese Vorschriften wiederholten im Wesentlichen die Regelungen der RNO, doch wurde später, vor allem im 18. Jh., die Tendenz deutlich, sich vom Reiche unabhängig zu machen. So verbot das Ge-

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Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind, 3 Theile [zit.: Scotti, Berg], Düsseldorf 1821/22, hier: Theil I, (1475 – 1766) Nr. 115. Vgl. Querling (wie Fn. 20) S. 50. So: Querling (wie Fn. 20) S. 47. Vgl. Querling (wie Fn. 20) S. 39 und S. 92. Vgl. dazu oben Fn. 19 und Querling (wie Fn. 20) S. 44f. Vgl. Querling (wie Fn. 20), S.45 und Notariatsmatrikel Nr. 5 und 6, S. 113. Im Kapitel 40,1 heißt es dort: „Item gifften, die oevermytz Notarien gescheen und neyt richtlich, synt imme Lantrecht von unwerde“ bei Theodor Josef Lacomblet, Jülicher Landrecht von 1537, in: Archiv f.d. Geschichte des Niederrheins, Band 1, Köln 1832, S. 139. Gemeint ist Herzog Wilhelms Rechtsordnung vom 12. Juni 1555, verbesserte Auflage vom 30. Sept. 1565, vgl. den Druck bei Romeo Maurenbrecher, Die Rheinpreußischen Landrechte, Band I, Bonn 1830, S. 145 – 306., Cap. 34, S. 180f; Cap. 69, S. 218f. Gedruckt im Anhang zu Herzog Wilhelms Rechtsordnung, verbesserte Auflage von 1565,, vgl. Querling (wie Fn. 20) S. 18. Im Jahre 1705 ergeht eine Stempelordnung, vgl. Scotti, Berg, (wie Fn. 159) Nr. 995, und im Jahre 1770 eine Gebührenordnung, vgl. Scotti, Berg (wie Fn. 159), Nr. 2046.

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setz von 1748 den Notaren, Mandate und Verordnungen des Reichskammergerichts ohne Einwilligung der Jülich-Bergischen Regierung auszuführen168, weil derartige Maßnahmen geeignet seien, in die Landeshoheit und die landesherrliche Jurisdiktion einzugreifen. Etwa gleichzeitig169 wurde auch das oben genannte Privileg der beim Reichskammergericht immatrikulierten Notare aufgehoben: Auch sie müssten jetzt die Prüfung vor der herzoglichen Regierung ablegen: Das Notariat war endgültig zu einer Angelegenheit des Territoriums geworden.

IX. DIE ENTWICKLUNG IM KURFÜRSTENTUM TRIER Im Kurfürstentum Trier nahm die Entwicklung einen ähnlichen Gang: Am 7. Januar 1598 erließ der Erzbischof und Kurfürst Johann VII. von Schönberg (1581 – 1599) eine Verordnung170, wonach nur noch solche Notare zur „Verfertigung von Contrakten und Instrumenten gebraucht“ werden durften, die sich einer Kenntnisprüfung vor den vom erzstiftischen Offizial bestellten Examinatoren erfolgreich unterzogen hatten. Diese Verordnung wurde ergänzt durch die allgemeine Landesordnung (d. h. das sog. Kurtrierische Landrecht) vom 27. Februar 1668171, das in § 10 des ersten Titels über die ungeprüften und deshalb nicht immatrikulierten Notare ein Tätigkeitsverbot verhängte. Es wurde zwar am 20. Dezember 1727 erneuert, aber bereits am 8. Januar 1728 wieder suspendiert172. Stattdessen erging am 20. März 1751 eine Verordnung, die von den Notaren ein erfolgreiches Examen vor der kurfürstlichen Regierung und ein „Attestat“ darüber verlangte, wenn sie praktizieren wollten. Die Verordnung vom 28. Januar 1783 fügte hinzu173, dass Notare, die gegen diese Verordnung verstießen, nicht nur den entstandenen Schaden zu ersetzen hätten, sondern ihr Notariatsamt für immer verlören und zu einer einjährigen Schanzstrafe verurteilt würden.

168 Vgl. Scotti, Berg, (wie Fn. 159), Nr. 1647, S. 484; vgl. Querling (wie Fn. 20), S. 18f, 52; durch diese Verordnung scheint der Landesherr die Ernennung von Notaren an sich gezogen zu haben. 169 Vgl. den Nachweis bei Querling (wie Fn. 20), S. 50, mit Fn. 189. 170 Vgl. Johann Josef Scotti, Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem vormaligen Churfürsthum Trier ... ergangen sind, vom Jahre 1310 bis zur ReichsDeputations-Schluss-mäßigen Auflösung des Churstaates Trier am Ande des Jahres 1802, Theile 1 – 3, Düsseldorf 1832, Theil 4 1836, [zit.: Scotti, Trier], Nr. 163, S. 576. 171 Druck bei Romeo Maurenbrecher (wie Fn. 166), Band II, S. 42-206; verbessert und erweitert am 22. April 1713 (verkündet am 13. Juli 1714), vgl. Scotti, Trier (wie Fn. 170), Nr. 330 S. 757f, Text bei Maurenbrecher II, S. 47. 172 Vgl. Scotti, Trier (wie Fn. 170), Nr. 413, S. 913. 173 Vgl. Scotti, Trier (wie Fn. 170), Nr. 771, S. 1321.

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X. DIE ENTWICKLUNG IM KURFÜRSTENTUM KÖLN 1. Notare im Dienst des Offizialats Nachdem die Erblandesvereinigung von 1463 die ausgedehnte Rechtspflege des Offizialates auch in Zivilsachen ausdrücklich gebilligt hatte174, erließ Erzbischof Hermann V. von Wied (1515 – 1547) im Jahre 1529 eine wahrscheinlich lateinische „Reformation der geistlichen Gerichte“, von der nur ein deutscher Auszug von 1538 erhalten ist175. Der vielen Missbräuche wegen erließ Erzbischof Ernst v. Bayern (1583 – 1612) im Jahre 1593 eine Reformation der geistlichen Gerichtsbarkeit in zwei Teilen176, von denen der erste im Rahmen der Gerichtsverfassung auch von den Notaren handelt, während der zweite das Gerichtsverfahren beschreibt. Der Offizial Tilman Joseph Godesberg des Erzbischofs Clemens August (1723 – 1761) hat dann in den Jahren 1744 – 1746 verbessernde Zusätze in lateinischer Sprache geliefert177. Für die Stellung der Notare geben diese Neufassungen und Zusätze nur zu erkennen, dass die Gebühren auch der Notare in Taxordnungen genau geregelt werden mussten, um Gebührenüberhebungen vorzubeugen178. Am 23. November 1787 erließ Erzbischof Max Franz (1784 – 1801) eine Verordnung179, mit der er alle Notariatsstellen am Offizialat aufhob und stattdessen eine ordentliche Gerichtskanzlei einrichtete180.

174 Erblandesvereinigung von 1463, § 2, bei Ferdinand Walter, Das alte Erzstift und die Reichsstadt Cöln. Entwicklung ihrer Verfassung vom fünfzehnten Jahrhundert bis zu ihrem Untergang, Bonn 1866, S. 389 und von 1550, § 2, bei Walter S. 399. 175 Gedruckt bei Johann Joseph Scotti, Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem vormaligen Churfürstenthum Cöln (im rheinischen Erzstifte Cöln, im Herzogthum Westphalen und im Veste Recklinghausen) ... ergangen sind, vom Jahre 1463 b. z. Eintritt d. Königl. Preußischen Regierung im Jahre 1816, 3 Theile, Düsseldorf 1830 [zit.: Scotti, Köln], hier: Theil. I, 1 (von 1463 – 1730),Nr. 7, S. 26 – 33. 176 Gedruckt in: Vollständige Sammlung deren die Verfassung des Hohen Erzstifts Cöln betreffender Stucken ... Verordnungen und Edicten, Band I, Köln 1772, S. 560 – 600, vgl. Hinweis bei Scotti, Köln, (wie Fn. 175) I, 1 Nr. 43, S. 211f. 177 Vgl. Vollständige Sammlung (wie Fn. 176), I, S. 615 – 626; vgl. Hinweis bei Scotti, Köln, (wie Fn. 175), I, 2 Nr. 479, S. 745. 178 Vgl. die Reformation von 1593, Vollständige Sammlung, (wie Fn. 176), I, Nr. 191, S. 560 – 589; Verordnung vom 30. Nov. 1750, veröffentlicht am 8. Jan. 1751, Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, S. 584 – 586 und S. 629 – 636, erwähnt bei Scotti, Köln, (wie Fn. 175) I, Nr. 479, Anmerkung. 179 Vgl. Scotti, Köln, (wie Fn. 176) I, Nr. 863. 180 Vgl. Walter (wie Fn. 1174) S. 149f.

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2. Die öffentlichen Notare Die Mängel der bisherigen Gerichtsorganisation bewogen Erzbischof Hermann V. von Wied (1515 – 1547) im Jahre 1537 zu einer Reform der Untergerichte181. Hier ist von Notaren allerdings nicht die Rede. Statt ihrer sollte bei jedem Gericht ein Gerichtsschreiber angestellt werden182. Gleichwohl machten die Notare dem Kurfürsten ähnliche Sorgen wie dem Herzog im benachbarten Herzogtum Jülich-Berg: Mangels hinlänglicher Kenntnisse richteten die Notare durch missverständliche oder unrichtige Beurkundungen großen Schaden an. Bereits am 8. Nov. 1609 erließ deshalb Erzbischof Ernst (1583 – 1612) eine Verordnung183, wonach alle Gerichte und Behörden nur noch solche Urteile, Mandate, Briefe und Exekutorialmandate zur Ausführung annehmen durften, die sie selbst oder die Offizialate in Köln und Bonn erlassen hatten. Gleichzeitig ordnete er an, dass die Notare sich binnen drei Monaten bei der Bonner Hofkanzlei zwecks Prüfung und Approbation einzufinden hätten und dass die Gerichte nur die Urkunden immatrikulierter Notare als gültig anerkennen dürften. Bereits am 13. Juli 1673 wiederholte Erzbischof Maximilian Heinrich (1650 – 1688) diese Verordnung wörtlich und drohte nicht nur widerspenstigen Notaren eine Strafe an, sondern auch denen, die zwar behaupteten, beim kaiserlichen Hof- oder Kammergericht immatrikuliert zu sein, darüber aber keinen Nachweis erbringen konnten184. Wie vergeblich die Bemühungen waren, den Notariatsstand zu heben, mag man daraus ersehen, dass Verordnungen nahezu gleichen Inhalts in schneller Folge ergingen: am 26. Juni 1717185, am 19. Juni 1736186, am 12. Mai 1767187 und am 5. März 1770188. Zur Verordnung von 1767 ist zu bemerken, dass sie zugleich eine authentische Interpretation der „Ertz-Stiffts Cöllnischen Rechts-Ordnung“ darstellt, die Erzbischof Maximilian Heinrich (1650 – 88) im 181 Vgl. Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, S. 413, auch bei Scotti, Köln (wie Fn. 175) I, 1 Nr. 13, S. 48. 182 Vgl. Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, S. 414. 183 Vgl. Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, S. 636, vgl. den Inhalt bei Scotti, Köln, (wie Fn. 175) I,1 Nr. 47, S. 215. 184 Vgl. Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, S. 637. 185 Durch Ebf. Joseph Clemens (1688 – 1723), Vgl. Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, S. 554. 186 Durch Ebf. Clemens August (1723 – 1761), Vgl. Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, S. 637. 187 Vgl. „Erläuterung einiger zweiffelhafter Stellen der Rechts-Ordnung“ vom 12. 5. 1767, in: Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, Nr. 145, S. 483. 188 Verordnung des Erzbischofs Maximilian Friedrich (1761 – 1784), Vgl. Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, Nr. 187, S. 555f. Für den westfälischen Teil des Kurfürstentums finden sich weitere Verordnungen ähnlichen Inhalts vom 8. Mai 1789 (Scotti, Köln, (wie Fn. 175) I, 2 Nr. 896, S. 1162f und vom 28. 5. 1794, ebenda I, 2 Nr. 991, S. 1217f. Auch die Protokollführung ließ dort zu wünschen übrig, wie sich aus der Verordnung vom 24. Januar 1798 (ebenda Nr. 1027, S. 1256f) ergibt.

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Jahre 1663 erließ189. Sein dritter Nachfolger, Erzbischof Maximilian Friedrich von Königsegg (1761 – 84), gab ihr im Jahre 1767 eine Erläuterung bei. Darin wird § 2 des ersten Titels „Vom Testament“ dahin erklärt, dass notarielle Testamente190 nur vor einem solchen Notar errichtet werden dürfen, der „bey der Churfürstl. Hof-Canzley vorhero examinirt und immatriculirt seyn müßte“.

XI. D I E E N T W I C K LU N G

IN DER

STADT KÖLN

1. Maßnahmen des Rates Die kölnischen Unterlagen zeigen, dass die reichstreue Stadt sich mindestens grundsätzlich an die Reichsnotarordnung gebunden fühlte. Das ergibt sich aus den Verlautbarungen des Rates nach 1512191, aber auch aus den Aufzeichnungen Hermann Weinsbergs, der berichtet, dass der jurium licentiatus et patricius Coloniensis Johan Helman Weinsbergs Neffen Tilmannus Ordenbach am 2. Jan. 1572 „im Namen des obersten Fürsten“ zum Notar ernannte192. Vor allem seit 1581/82 ist der Rat in Notariatssachen mehrfach tätig geworden. Am 8. 9. 1581 erließ er ein Mandat193, worin er sich zunächst in § 1 allgemein gegen Verletzungen der privilegia de non evocando durch Übergriffe des Offizials wandte, in § 2 aber die Notare und Prokuratoren der Kurie vorlud, um ihnen die Beachtung dieser Privilegien einzuschärfen. Damit nicht genug: Die §§ 6, 7 189 „Ertz-Stiffts Cöllnische Rechts-Ordnung des hochwürdigst- und Durchleuchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Maximilian Henrichen Ertzbischoffen zu Cöllen etc.“ von 1663, in: Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, Nr. 145, S. 467 ff. 190 Titel I, § 2 der „Rechtsordnung“ lautet: „Ein solcher letzter Will oder Testament mag vor Notario, dem geschwornen Gericht- oder Stattschreiber, oder Pastorn des Orts, wo der Actus vorgeht, und zween Scheffen in den Stätten, auff dem Land aber zween anderen darzu erforderten Zeugen gultig auffgerichtet werden...“, vgl. Vollständige Sammlung (wie Fn. 176) I, Nr. 145, S. 468; zu den Verhältnissen im Fürstbistum Münster vgl. Franz-Ludwig Knemeyer, Das Notariat im Fürstbistum Münster, in: Westfälische Zeitschrift, Band 114, Münster 1964, S. 1 – 142, hier: S. 60 ff, (zugleich Diss. iur. Münster 1964). 191 Vgl. das Mandat des Rates vom 23. 4. 1582, 1. Absatz, vgl. HAStK (wie Fn. 43), Edikte, Bd. 12, Bl. 226; das HAStK enthält unter Verf. u. Verw. G332 Abschriften von Verordnungen zum Notariat, einheitlich erstellt von einem städtischen Registrator, vermutlich Rüdesheim [freundl. Mitteilung von Herrn Dr. Deeters], vgl. Jurament vom 25. Mai 1582, § 1, Verf. u. Verw. G 332, Bl. 2r, wo es heißt: „Erstlich, dass sie die Verordtnung belangenden die Notarien, durch Kayßer Maximilian primum Anno 1512 hier zu Cöllen aufgericht, allerweng Vor augen haben und darnach sich reguliren wollen“. 192 Vgl. Hermann Weinsberg (wie Fn. 23), Band II, S. 226, so schrieb es § 16 der Einleitung zur RNO (NSdRA II, S. 157) vor. 193 „Mandatum Senatus Quod Privilegia de non evocando non debeant ledig“ vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw., G 332, Bl. 4v, 5r, v, 6r.

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drohten allen Notaren, Prokuratoren und Zeugen, die Kölner Bürger vor auswärtige Gerichte luden oder einer solchen Ladung folgten, an, dass sie den Gewaltmeistern übergeben und für die Privilegienverletzung bestraft werden sollten. § 11 verbot schließlich den Notaren, auswärtige Urteile in der Stadt zu vollstrecken. Wenige Tage später (am 13. 9. 1581) ergänzte er das Mandat durch einen Befehl an die Gaffelmeister, den Rechtskundigen (einschließlich der Notare) ihren Eid vor dem Rat vorzuhalten, und sie daran zu erinnern, dass sie „weder mit ihren personen noch mit dem rath oder thatt bey sachen, die Eins Erb. Raths oder gemeiner Stadt Cöllen Ehre, hocheit, privilegia oder freyheit einiger gestalt betreffen, zu nachtheil Etwas Erb. Raths oder gemeiner Stadt sich nit finden, oder darzu gebräuchen lassen ...“194 Bereits am 23. April 1582 hatte der Rat Anlass, gegen die „eidtzvergessenen Hegknotarien“ vorzugehen195: Er befahl allen Notaren in Köln, binnen zweier Monate Unterlagen über ihr Leben und ihren Stand beizubringen, ihre Protokolle und Auszüge daraus vorzulegen und sich durch die Deputierten der Stadt prüfen und approbieren zu lassen. Vorher durften sie ihr officium Notariatus in Köln nicht ausüben. Eine Ausnahme galt nur für die beim Reichskammergericht approbierten und eingeschriebenen Notare sowie für die Schreiber bei weltlichen oder geistlichen Gerichten, doch mussten sie binnen zwei Monaten nachweisen, dass sie unter die Ausnahme fielen. Der Rat befahl zudem den Bürgern in der Morgensprache von 1582, nur noch solche Notare zu beschäftigen, die von den städtischen Deputierten geprüft und zugelassen seien196. Sollten es nicht immatrikulierte Notare wagen, entgegen dem Verbot tätig zu werden, so würden ihre Instrumente „sönsten als nichtig und kraftlos weder in- noch außerhalb Gerichts wegen einigen Glauben haben“197. Außerdem trug er den städtischen Stimm- und Gewaltmeistern auf, nicht approbierte Notare, soweit sie Bürger wären, „zu Thorn gepieten“, andere aber „gefenglich einziehen“ zu lassen. Zusätzlich wurde allen Notaren verboten, geistliche Mandate aus Rom oder sonst außerhalb der Stadt ohne Prüfung durch den Rat vollstrecken zu lassen.

194 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw., G 332, Bl.. 3r, v, gedruckt mit wenig abweichendem Wortlaut in Edikte Bd. 12, S. 225. 195 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Edikte, Band 12, S. 226. 196 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw., G 332, Bl. 6v bis 8r; sie ist allerdings nur mit der Jahreszahl datiert, gehört aber unzweifelhaft zu dem genannten Mandat vom 23. April 1582. Auf diese Morgensprache hat sich der Rat bis 1797 immer wieder bezogen, vgl. die Entscheidung vom 27. November 1645 (vgl. ebenda Bl. 9r) und das Mandat vom 22. April 1778 (ebenda Bl. 118). 197 Vgl. „Extractus Reformationis sub titulo: Vom Beweis“, HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw., G 332, Bl. 8r, undatiert, aber unzweifelhaft in diesen Zusammenhang gehörend, wie sich aus dem Buch Weinsberg, Band 5, (wie Fn. 23), S. 290 ergibt.

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Schließlich trachtete der Rat, diese Einzelmaßnahmen eidlich abzusichern, indem er den wesentlichen Inhalt seiner Maßnahmen in den § 5 des Notareides vom 25. Mai 1582198 aufnahm. In diesem acht Paragraphen umfassenden Eid sind auch erwähnenswert § 1, der festlegt, dass die Notare die RNO von 1512 allerwege vor Augen haben sollten199, und § 2, wonach die Notare ein besonderes Buch führen sollen, in das alle „protocolla ad mundum“ einzutragen waren, um dem Rat jederzeit eine Kontrolle ihrer Tätigkeit zu ermöglichen. Im Übrigen war es immer noch ein kaiserlicher Hofpfalzgraf, der nach erfolgreicher Prüfung die Ernennung vollzog. So berichtet Hermann Weinsberg, dass sein Neffe „Agrippinas clericus Coloniensis diocesis“, sich habe am 13. Oktober 1586 „von dem ehrwerdigen herrn Joanne Rotario canonico ad Gradus Mariae et comite palatino autoritate imperatoria et pontificali Romanorum principum ... in notarium publicum laissen creeren“200. Der Rat nahm auch fiskalisches Interesse an der notariellen Tätigkeit. Am 7. Juli 1674 hatten die Vierundvierziger beschlossen, was später § 6 des Eides wiederholt: „Von allen Erbschaften und Erbungen ex hereditatibus gaudentibus extra lineam ascendentem vel descendentem, a tertio gradu cognationis exclusive an Zuwachs, acquirirt wird, und davon Einem erb. Rath der Zehnte Pfennig gebührt, dass denen Herren Examinatoribus oder dem Secretario zu dessen Examine beygeordnet an zu melden, und darvon ördentlich Buch und Verzeichnis zu halten.“ 198 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw., G 332, Bl. 2r, v, dort als Abschrift von Verordnungen zum Notarswesen, einheitlich erstellt von einem stadtkölnischen Registrator (vermutlich Rüdesheim), nach 1674 (freundliche Mitteilung von Herrn Dr. Deeters). 199 Das entspricht der allgemeinen Praxis der Stadt Köln, sich an das Reichsrecht zu halten und im Übrigen dem jüngsten Reichsabschied von 1654, der in § 137 den Kurfürsten und Ständen des Reiches empfahl, „bey ihren UnterGerichten die Verordnungen [zu] thun, damit, so viel möglich, bey denenselben die Norma des Cammer-gerichtlichen Proceß observirt werde...“, vgl. NSdRA Theil III, S. 640 – 692, hier: S. 665f; vgl. Hanns Hubert Hofmann (Bearb.), Quellen z. Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1495 – 1815, (Freiherr-v.Stein-Gedächtnisausgabe XIII), Darmstadt 1976, Nr. 35, S. 211). Man kann deshalb davon ausgehen, dass die RKGO auch in der Stadt Köln beachtet worden ist. 200 Vgl. Hermann Weinsberg (wie Fn. 23), Band V, S. 276 berichtet weiter: „Adolphus Fix ab Eller war notarius creationis und Johannes Barcklis samt Wilhelm Monhem ludimagister et custos respective s. Jacobi, war testes“. Trotz der erwähnten Prüfung (ludi magister) war Hermann Weinsberg jun. zwar nun (13. Okt. 1586) kaiserlicher Notar, doch wollte das nicht viel besagen. Um am Reichskammergericht tätig werden zu können, hätte er dort eine Prüfung ablegen und in dessen Matrikel eingetragen werden müssen. Auch der Offizial und die Stadt Köln forderten einen besonderen Kenntnisnachweis. Ihn hat der Neffe der Stadt 1586 nicht erbracht (die Notarsmatrikel der Stadt Köln weist für 1586 überhaupt keine Eintragung aus). Erst am 15. Dez. 1587 hat er diese Prüfung bestanden: Unter diesem Datum ist er in der stadtkölnischen Matrikel als Nr. 68 eingetragen worden, vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verfassung u. Verwaltung G 331, Bl. 17r.

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Die Gedanken der Gegenreformation, die im Kurfürstentum Köln vornehmlich von den Erzbischöfen Ernst v. Bayern (1583 – 1612) und seinem Neffen und Nachfolger Ferdinand v. Bayern (Koadjutor seit 1595, Erzbischof 1612 – 1650) durchgesetzt wurden, sind auch an der Stadt Köln nicht vorbeigegangen. Während § 2 der Reichsnotarordnung von 1512 als nicht geeignet zur Bestellung als Notar an erster Stelle die Ungläubigen nennt201, war nach der Reformation fraglich, ob außer Katholiken auch Protestanten in Köln zum Notariat zugelassen werden sollten. Während § 2 RNO die Taufe als Voraussetzung der Notarstätigkeit betrachtete202, erörterte der Rat der Stadt Köln im August 1611 die Frage, ob dem Notarseid ein articulus fidei Catholicae hinzugefügt werden solle203. Da die Syndici nichts einzuwenden hatten, hat er einen entsprechenden Beschluss am 7. September 1611 gefasst204. Bereits im Februar des folgenden Jahres bestand Anlass, ihn anzuwenden: Der Rat lehnte die Immatrikulation zweier „uncatholischer“ Notare ab205. Dass die in Köln nicht immatrikulierten, aber gleichwohl amtierenden Notare verfolgt und bestraft wurden, ist häufiger geschehen: Noch der Beschluss des Rates vom 22. April 1778206 weist auf die Morgensprache von 1582, die fiskalische und die erneuerte Gerichtsordnung hin, erklärt die Instrumente der nicht immatrikulierten Notare für nichtig und droht ihnen eine Strafe von 25 Goldgulden an. Selten war dagegen, dass immatrikulierte Notare ihrer Vergehen wegen wieder aus der Matrikel gestrichen wurden. Zwischen 1592 und 1666 201 § 2 RNO lautet: „Erstlich ordnen wir, dass unter den Personen, so approbirt, oder von neuen instruirt werden, ihres Standts und Wesen halben Unterschied gehalten und Aufmerckung gehabt werde, damit nicht die, so darzu von Rechten verboten, als ungläubig, eygenleut, ehrloß, Infames genandt, oder dieser unser Ordnung und anders, so zu Ubung dieses Ambts zu wissen noth ist, nicht berichtet, oder im Geistlichen Bann, oder in unser und des Reichs Acht weren, und in Summa, alle die in Rechten zu zeugen verworffen werden, dieweil sie an statt der Zeugen gebraucht werden.“ (NSdRA (wie Fn. 142), II, S. 153). 202 Die Taufe war damals die Voraussetzung der Rechtsfähigkeit, vgl. Hans-Jürgen Becker, Art. Taufe, in: HRG Bd. 5, 33. Lfg., Sp. 128 ff. 203 Der Ratsbeschluss vom 24. August 1611 lautet: „Her Bürgermeister Haustein ist auffgeben mit den Herren Syndicis zu underreden, ob nicht in juramento Notariorum articulus fidei Catholicae beyzusetzen, und Verordtnung zu machen seyn mögte, dass kein Notarius allhier immatriculirt werden, er qualificire sich dan zuvorderst und schwere den aydt mit obgemeldtem Zusatz.“ Vgl. HAStK, (wie Fn. 43),Verf. u. Verw. G 332, Bl. 8v. 204 HAStK, (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G 332, Bl. 8v. 205 Beschluss vom „Veneris. 17ma Februarij 1612“: Aalß Herr Licentiat Westhoven angemeldt, dass sich zwey Notarij ad immatriculandum angeben, die doch der katholischer Religion nicht zugethan, ist beschlossen, dass dieselb nicht admittirt und auch hinführo Keine, so uncatholisch seyen, zugelaßen, sondern abgewiesen werden sollen. Vgl. HAStK, (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G 332, Bl. 8v. 206 Die gedruckte Ausfertigung zeigt den 24. April, (HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G332, Bl. 118) doch ist das Datum auf Bl. 131 ebenda handschriftlich korrigiert in 22. April).

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verzeichnen die Akten nur fünf solcher Fälle207. Nur bei zweien von ihnen ist der Grund dieser Maßnahme ersichtlich: Am 1. Juni 1592 wurde der Notar Johannes Schmitz „propter comMissum crimen falsi“ (Falschbeurkundung) und am 27. Januar 1616 der Notar Johannes Bergem aus der Matrikel gestrichen, „ratione aliter Scripti quam gesti testamenti juxta registraturam“.

2. Die Prüfung der Notare In den Erlassen und Verordnungen aller hier berührten Territorien des alten Reiches ist die Rede von der Kenntnisprüfung der Notare208, die nicht beim Reichskammergericht immatrikuliert waren. Aber auch dieses begnügte sich keineswegs mit der Ernennung (und Prüfung) durch einen Hofpfalzgrafen209, sondern führte eigene Prüfungen durch210, die eine Kommission des Gerichts, bestehend aus dem Kammerrichter, zwei Beisitzern und dem Verwalter am Sitz des Gerichts abnahm. Bereits das Edikt Karls V. vom 3. August 1548 erlaubte jedoch, die Prüfung durch Beauftragte durchführen zu lassen. Auswärtige Kandidaten ließ man deshalb in ihren Heimatstädten prüfen, indem der Verwalter oder der Protonotar der Kammergerichtskanzlei der jeweiligen Stadt einen förmlichen Prüfungsauftrag erteilte211. Übersandt wurden zugleich 55 Prüfungs207 Vgl. HAStK, (wie Fn. 43), Verf. u. Verw., G 332, S. 10r. 208 Für Jülich-Berg vgl. oben VIII, S. 25; für die Kurfürstentümer Trier vgl. oben IX (S. 27), für Köln vgl. oben X, 2, S. 29), auch Hermann Weinsberg (wie Fn. 23), Band V, S. 290f) berichtet von dieser stadtkölnischen Kenntnisprüfung, die sein Neffe gleichen Namens am 15. Dezember 1587 bestanden hat, der in der Kölner Notariatsmatrikel (HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G 331, Bl. 17) verzeichnet ist. 209 Der bereits oben erwähnte Hofpfalzgraf Martin Heinrich v. Strevesdorff begann seine Prüfungen mit zwölf Fragen zur Person und zur Ausbildung des Bewerbers und gestaltete die anschließende Fachprüfung nach einem „Artis Notariatus Tractatus“, der seinem Nachlass lose beiliegt und acht Kapitel aufweist, vgl. Schönberger (wie Fn. 19), S. 94, Fn. 3 u. S. 97. Die Universität Helmstedt, die ebenfalls die Rechte eines Hofpfalzgrafen innehatte, legte im Jahre 1800 zwei Notarskanditaten insgesamt 52 Fragen vor, abgedruckt bei Jürgen Arndt, Das Notarernennungsrecht d. kaiserlichen Hofpfalzgrafen, in: Hofpfalzgrafenregister (wie Fn. 20), Bd. III, Neustadt/Aisch 1988, S. VII – XX, hier: S. XVI ff. 210 Zuerst im Edikt Kaiser Karls V. vom 3. Aug. 1548 geregelt, aufgenommen in die Kammergerichtsordnung von 1555, vgl. NSdRA III, S. 72f, jetzt in Adolf Laufs (Bearb.), Die Reichskammergerichtsordnung von 1555, Köln etc. 1976, Titel XXXIX, § 1, S. 137; der Speyerer Reichsdeputationsabschied von 1557 übertrug die Prüfung dem genannten Ausschuss, vgl. Wolfgang Vogel (wie Fn. 155), S. 134); die Rechtslage am Ende des 18. Jhs. findet sich bei Schmauß (wie Fn. 155), Konzept der Reichskammergerichtsordnung von 1613, S. 463 ff. 211 Vgl. die „Commissio ad examinandum notarium Ludovico Thünessen pro obtinenda Imperialis Camerae Matricula“, vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verfassung u. Verwaltung G 332, Bl. 108 vom 1. April 1735.

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fragen, die mündlich zu stellen waren. Die Antworten wurden protokolliert und dem RKG nebst einigen Arbeitsproben des Kandidaten zur weiteren Veranlassung übersandt. In den Akten des Kölner Stadtarchivs finden sich drei solche Commissiones zwischen 1735 und 1770212. Die Fragen gliedern sich in fünf Gruppen, die untereinander nicht gleichgewichtig sind. Die Prüfung begann mit 7 Fragen zur Person des Kandidaten, wobei die Approbationsvoraussetzungen des § 2 der RNO wiederholt wurden, aber die Reichsacht und der geistliche Bann (wohl weil damals schon selten) nicht erwähnt sind, und die Ehrlosigkeit auf die uneheliche Geburt beschränkt wurden213. Die Fragen 8 – 13 betrafen den beruflichen Werdegang, nämlich Nr. 8 und 9 das Studium und 10 – 13 die Ernennung zum Notar und die bisherige Praxis. Die Fragen 14 und 15 wandten sich allgemein dem Notariat zu, während Frage 16 auf die fachliche Belesenheit des Kandidaten abzielte. Gleichzeitig wurden hier die drei großen Gebiete notarieller Tätigkeit genannt: Judicia, Contractus, Testamenta. Gleich die nächste Frage (17) führte in die Praxis: wie Verträge und Testamente gemacht werden sollten. Hierbei scheint man nur die Grundsätze im Auge gehabt zu haben, denn die Einzelheiten zu den Testamenten folgten in den Fragen 39 – 47, während auf Kontrakte nur die Frage 47 zielte. Sodann vergewisserte sich die Prüfungskommission, ob der Kandidat mit dem Inhalt der RNO von 1512 vertraut war, ohne allerdings ins Einzelne zu gehen. Die nächsten 20 Fragen (19 – 38) deckten die gerichtliche Tätigkeit eines Notars ab, wobei unklar bleibt, auf welches Gericht Frage 19 (Quot Personis Consistat Judicium?) abzielte, denn die Antworten gingen nicht auf die Besetzung des RKG ein. Die Fragen 48 – 52 schließlich handelten von Einzelheiten der Notarspraxis, vor allem von der Protokollführung und der Herausgabe von Ausfertigungen. Die Fragen scheinen nur in größeren Abständen abgewandelt worden zu sein, so dass der Auslesewert der Prüfung fraglich ist. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren sie ins Deutsche übertragen und hatten eine andere Ordnung. Man beschränkte sich zwar nunmehr auf 35 Fragen214, hatte sie aber gleichsam modernisiert: Einige frühere sind ausgeschieden, andere hinzugefügt215. 212 Vom 1. April 1735, deren Antworten im Anhang abgedruckt sind, ferner vom 1. Sept. 1750 betr. den Notarius publicus Antonius Franciscus Happertz (HAStK (wie Fn. 43), Verfassung u. Verwaltung G 332, Bl. 93 – 99, der am 26. Januar 1751 geprüft wurde, und betr. den Notar Franciscus Bernardus Hecken vom 25. Juli 1770 (HAStK, ebenda, Bl. 144 – 153), der am 12. September 1770 geprüft wurde. 213 Vgl. August Meyer, (wie Fn. 147), S. 18f. Der kurkölnische Hofpfalzgraf Martin Heinrich v. Strevesdorff setzte für die Notarstätigkeit voraus „Notarius debet esse homo liber, non colonaria conditionis, nimini necenssitate astrictus; masculus, sana mente, videns, audicus, intelligens, integrae et illaesae famae; habens notitiam artis Notariatus“, vgl. Schönberger (wie Fn. 19), S. 97. 214 Vgl. den Text bei Abraham M. Saur, Dives notariorum penus, Frankfurt/M. 1592, S. 108f; vgl. über ihn Christian Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten - Lexikon, Theil IV, Leipzig 1750, Neudruck Hildesheim 1960, Sp. 173. Sein Sohn Conrad Gerhard Saur gab das Werk 1607 in vermehrter Auflage heraus; die Fragen sind wieder abgedruckt bei

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Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gingen die Syndici der Stadt Köln, die im Auftrage des Rates die Prüfungen zur Aufnahme in die Kölner Notarsmatrikel durchführten, dazu über, sich der 55 Fragen des Reichskammergerichts zu bedienen. Zu diesem Zweck sind sie ins Deutsche übersetzt und ihre Zahl ist auf 48 verringert worden216. Sie sind erstmals bei der Prüfung des kaiserlichen Notars Adam Dominicus Baum am 15. 10. 1783217 benutzt worden. Spezielle Fragen zu den in der Stadt Köln amtierenden Gerichten218 fehlten jedoch. Geprüft worden sind weiter die kaiserlichen Notare Johan Joseph Saurland219 am 13. Oktober 1785, Johannes Henricus Orban am 17./18. 9. 1787220, Johann Wilhelm Broichhausen am 5. 8. 1788221 und am selben Tage Wilhelm Heinrich Mechelen222. Damit enden die überlieferten Akten.

Wolfgang Vogel, (wie Fn. 155), S. 135 – 138, Fn. 54 215 In der deutschen Neufassung der RKG-Fragen fehlen z.B. die Nrn. 11 – 13, 15f, 18 – 20, 28 ff; dagegen ist neu die z. B. Frage, ob eine Frau Testamentszeugin sein könne (Nr. 16) oder, wer den Nachlass eines Notars aufbewahren solle (Nr. 20). Die im Auftrag des Reichskammergerichts durchgeführten Prüfungen haben stets drei Prüfer abgenommen, bei Happertz z.B. die städtischen Syndici Hamm und Schmitz sowie der Appellationskommissar Hansmann (vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G 332, Bl. 64r, bei den städtischen Notarprüfungen handelte jedoch häufig der Senior-Syndicus de Eschenbrender allein, vgl. ebenda Bl. 92r (Prüfung Saurland) und Bl. 94r (Prüfung Baum). 216 Vgl. „Die Matricul nachsuchender Fragstück, darauf der Notarius soll verhoert und examinirt werden“ in: HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G 332, Bl. 88, 89. Es fehlt die Frage 14; die Fragen 15 u. 16 sind zu Nr. 15 zusammengefaßt, ferner fehlen 17, 25, 30, 34, 40 und 54, also zumeist solche allgemeinen Inhalts, auf die man ausführlich oder gar nicht antworten konnte. 217 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G 332, Bl. 94 – 97, dessen Prüfung mit Frage 37, betr. Testamentserrichtung, endete. 218 Vgl. dazu Dieter Strauch, Die kölnischen Gerichte bis 1794, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, Band II. Spätes Mittelalter u. Frühe Neuzeit (1396 – 1794), hrsg. von Joachim Deeters und Johannes Helmrath, Köln 1996, S. 29 – 46. 219 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G332, Bl. 92, 93, dem allerdings wegen seiner durch Urkunde ausgewiesenen Kenntnisse die Fragen 21 – 48 erlassen wurden. 220 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G 332, Bl. 36, 37, immatrikuliert am 28. Sept. 1787, vgl. Verf. u. Verw. G331, Bl. 98v, Nr. 601. Er war der Sohn des Notars Henricus Ferdinandus Orban, immatrikuliert am 29. Mai 1764, ebenda Bl. 89v, Nr. 565. 221 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G332, Bl. 100, 101, mit 23 Fragen, immatrikuliert am 6. Aug. 1788, vgl. ebenda G331, Bl. 99r, Nr. 603. 222 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G332, Bl. 102 - 104, immatrikuliert am selben Tage vgl. ebenda G 331, Bl. 99r, Nr. 604.

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3. Die Ausbildungsliteratur Bliebe schließlich noch zu fragen, wo die Bewerber um das Notarsamt beim RKG und in der Stadt Köln die hier verlangten Kenntnisse erwerben konnten. Auf die klassischen Werke zur Notarskunst ist bereits oben223 hingewiesen worden. Sie sind in der Folgezeit immer wieder neu aufgelegt und verbessert worden. Hermann Weinsberg berichtet für das Jahr 1586, dass sein Neffe, als er sich entschlossen hatte, Notar zu werden, das Buch „ars notariatus“ erworben und studiert habe224. Ob es sich dabei um das Werk des Rolandinus gehandelt hat, ist nicht auszumachen, weil ähnliche Titel mit diesem Werk konkurrierten225. Außerdem hat der Weinsberg-Neffe, das Protokollbuch eines verstorbenen Notars, „darin allerlei formen der instrumenten oder actus protocollirt stunden“, als Musterbuch erworben. Das widerstreitet dem Sinn des § 5 RNO, denn damit war es zwar nicht vernichtet, aber für Parteien, die noch Ausfertigungen benötigten, praktisch unerreichbar226. Die Zeit der alten Lehrbücher war jedoch im 18. Jahrhundert abgelaufen: Der Notar Thünessen nannte zur Frage 16 als Lektüre Samuel Stryk und Johann Brunnemann, Anton Franz Happertz gab am 1. September 1750 an: „principaliter Authorem Hornick227 sub titulo Stella Notariorum 223 Vgl. oben II., S.6; das Werk des Rolandinus ist in Deutschland erstmals 1504 in Straßburg und Köln gedruckt worden: „Formulare Instrumentorum necnon Ars Notariatus cum Tabulis subiunctis, Straßburg: Knobloch 1504, Köln: Quentel 1504; eine deutsche Übersetzung von Andreas Perneder 1561, vgl. Schmidt-Thomé, Notariat (wie Fn. 20), S. 185 ff; weitere Werke der Notarskunst sind verzeichnet im Nachlass Schmidt-Thomé im HAStK, (wie Fn. 43), Bestand 1217, Nr. 173. 224 Vgl. Hermann Weinsberg (wie Fn. 23) Bd. V, S. 276. 225 Es könnte sich auch um den „Artis notariatus liber“ des Henricus Cnaustinus, Frankfurt 1572 handeln, vgl. Nachlass Schmidt-Thomé HAStK (wie Fn. 43), Bestand 1217, Nr. 173. 226 Vgl. Hermann Weinsberg (wie Fn. 23), Band V, S. 276: Dieser Umstand weist darauf hin, dass in Köln offenbar der Rat den Nachlass der Notare nicht in Verwahrung nahm, wie § 5 RNO 1512 (NSdRA II, S. 154) und die Fragen 53, 54 unten im Anhang mit Fn. 276 nahelegten. 227 Vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u Verw. G 332, für Thünessen: Bl. 117v und unten responsio ad 16 mit Fn. 237; für Happertz Bl. 96r; gemeint ist Ludovicus von Hornigk, Stellae Notariorum Novae, Pars I, [364 SS. u. Index], Pars II [846 SS. u. Index], Editio Quinta, [posthum erschienen] Coloniae Agrippinae sumptibus Joannis Schlebusch MDCC. v. Hornigk war ein bekannter Mann, trug drei Doktortitel (der Rechte, der Medizin und der Philosphie), war seit 1628 kaiserlicher Hofpfalzgraf, Berater des Kaisers und des Kurfürsten von Mainz sowie poeta Caesareus laureatus, gestorben 1667. Vgl. über ihn Jöcher, (wie Fn. 214), Theil I, Sp. 1646 [als Hoernigk, Ludov.], der übrigens in Teil 1, S. 2 seines Werkes Nikolaus von Honthemius, De Arte Notariatus zitiert. Gemeint ist „De Syntaxi et fide Instrumentorum sive de arte Notariatus ad Rom. Curiae, Imperialis, Spirensis celeberrimorumque iudiciorum mores etc, Moguntiae 1607. Nikolaus v. Hontheim war der Ur-Urgroßvater des Trierer Weihbischofs Johann Nikolaus v. Hontheim (1701 – 1799), vgl. Wessely in ADB 13, S. 83.

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et Aktuarium Boltz228“. Hornigks Buch war ein umfangreiches Kompendium in zwei Teilen, von denen der erste in sieben Abschnitten das Wissen eines Notars in Frage und Antwort (und zwar lateinisch und deutsch) aufbereitete, während der zweite Teil Formulare für die Notariatspraxis bot, Bolz’ Werk ist eine Einführung in die Notariatspraxis.

D. S CH LU S S Warum es nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern bis zum Ausgang des alten Reiches einen ununterbrochenen Zustrom zum alten Notariat gegeben hat, mögen die Worte sagen, mit denen Hermann Weinsberg den Entschluss seines Neffen Hermannn begründet, Notar zu werden: „Er hat villicht uberlagt, wie das er kein hantwirk geleirt, sunst auch kein gradus in aliqua facultate studii hat, so were diss ungeferlich, eim hantwirk glich, das er im stillen und drugen mogt uben, den leuten damit dienen und ungeferlich das broit verdienen“229. Hier mischen sich – wie so oft – persönliche Motive mit gemeinnützigen – wer wollte ihm dies verdenken? Die im Anhang abgedruckten 55 Fragen des RKG und die sonst bekannten Inhalte der Notarsprüfung zeigen, dass die Bewerber gemeinrechtlich gebildet sein mussten und an die Praxis des RKG gebunden waren. Sie haben durch ihre Tätigkeit dazu beigetragen, das gemeine Recht in Deutschland zu verbreiten, wenn sie auch auf örtliche Statuten Rücksicht zu nehmen hatten230.

228 Mit „Actuarium Boltz“ ist vermutlich das Buch „Der wohl-instruirte und expedirte Notarius“, Frankfurt/M 1731, [vgl. Schmidt Thomé (wie Fn. 225)] des (damals noch als Aktuar tätigen) Johann Gottfried Boltz gemeint. Boltz’ Werk „Amts- und Gerichts- Actuarius oder vollkommener Unterricht vor einem Schreiberey-Verwandten“ (ein Formularbuch) erschien in fünf Teilen 1751 und 1752 (also erst nach der Prüfung Happertz vom 1. 9. 1750). Boltz (auch: Bolz) war zunächst Gerichtsaktuarius in Cadolzburg, später Amtsrichter in Hohentrüdingen und Heidenheim, vgl. über ihn Jöcher, (wie Fn. 214), Fortsetzung von Johann Christoph Adelung, Band I, Neudruck Hildesheim 1960), Sp. 2009. – Der Kandidat für das Notariat am RKG, Franz Bernard Hecken, brachte dagegen am 12. September 1770 (Verf. u Verw. G 332, Bl. 150v) nur Ausflüchte: „Se legisse in tantum, quantum media ad istos libros comparandos necessaria et tempus aliis negotiis impendendum id permiserunt“. 229 Vgl. Hermann Weinsberg (wie Fn. 23), Band V, S. 276. 230 Vgl. unten die Antwort 41.

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Anhang: Articuli super quibus notarii immatriculandi examinantur231 [et responsiones notarii Ludovici Thunessen] 1. Quod nomen? 2. Parentes? 3. patria et domicilium?

4.

An legitime natus?

5. 6. 7. 8.

An liber, ingenuus, an servus? Quot habeat annos? Cujus sit religionis? An studiis operam dederit, ubi locorum et quamdiu?

9.

An peritus Studii iuris, et num persona graduata? 10. A quo et quo Anno in notarium creatus?234 11. Ubi officii notariatus notitiam acceperit? 12. Ubi et quamdiu huic officio praefuerit?

Ad 1. Ludovicus Thunessen. Ad 2. Godefridus Thunessen et Catharina Frings, conjuges. Ad 3. Resp.[ondet] in patria coloniensi in oppido Friestorff232 et maternum in civitate coloniensi. Ad 4. Resp. affirmative juxta attestatum pastorale ostensum. Ad 5. Cessat. Ad 6. Resp. quinquaginta et unum. Ad 7. Resp. romana catholica. Ad 8. Resp. affirmative et quidem post absolutam philosophiam per tres annos Coloniam jura audiverit233. Ad 9. Resp. se referre ad praecedentem alias nongraduatus. Ad 10. Resp. Anno 1703 a defuncto comite palatino Joanne Baptista Hinsberg juxta originale documentum hasce exhibitum. Ad 11. Resp. hic Coloniae. Ad 12. Resp. ab anno 1703 usque huc.

231 Die Fragen finden sich HAStK, (wie Fn. 43), Verf. u. Verw., G 332, Bl. 47 r, v, 48r; die Antworten Ludwig Thünessens ebenda Bl. 52 – 55. Herrn Ltd. Stadtarchivdirektor Dr. Everhard Kleinertz danke ich für die freundliche Genehmigung zum Abdruck; Herrn Stadtarchivdirektor Dr. Joachim Deeters für freundlich gewährten Rat. Der Text ist wörtlich wiedergegeben; Rechtschreibung und Zeichensetzung habe ich normalisiert und Abkürzungen aufgelöst. 232 Gemeint ist Friesdorf, heute zu Bonn gehörend. 233 Ausweislich der Matrikel der Universität Köln Bd. V (1675 – 1797), vorbereitet von Hermann Keussen, bearb. von Ulrike Nyassi u. Mechtild Wilkes, (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde VIII), Düsseldorf 1981, ist er im Jahre 1700 immatrikuliert worden vgl. S. 204 (Jahr: 1700, 778, Nr. 373: „Ludov. Tunnes ex Friestorff“). 234 Neben unmittelbarer Ernennung durch den Kaiser kam Ernennung durch einen Hofpfalzgrafen in Betracht. Die Stadt Köln hat aus eigener Machtvollkommenheit keine Notare ernannt, sie vielmehr nur hinsichtlich ihrer Kenntnisse geprüft und eine eigene Notarmatrikel geführt (vgl. HAStK, Verf. u. Verw. G 331).

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13. Praepositus an fuerit cujusdam iudicii officio et qam diu? 14. Quid notarii officium in genere?235 15. A quo habeat notariatus authoritatem suam?236 16. An legerit diligenter authores, qui de iudiciis, contractibus et testamentis scripserunt?237 17. Quomodo fieri debeant contractus et testamenta?239 18. Num legerit constitutionem Imperatoris Maximiliani Coloniae Agrippinensium Anno 1512 editam?240

Ad 13. Resp. ab anno 1705 usque huc fuit procurator in diversis iudiciis. Ad 14. Resp. est ars qua contractus et placita hominum in formam instrumenti rediguntur et publicis firmantur instrumentis. Ad 15. Resp. a sacra maiestate. Ad 16. Resp. affirmative in specie Strickium, De cautelis contractium [!]; Brunne[mann], Horanti[?]238 et alias authores. Ad 17. Resp. iuxta consensum partium et statuta loci vel iisdem cessantibus, jus commune. Ad 18. Resp. affirmative.

235 Da rechtshistorische Bezüge wohl kaum gefragt waren, zielt die Frage auf die drei Zweige des Notariats (Gericht, Verträge, Testamente, vgl. unten Frage 16). 236 Die Frage 15 korrespondiert gewissermaßen mit Frage 10. Die Antwort ist richtig, denn Thünessen wollte Notar am RKG werden und die RNO 1512, Einleitung, § 16, verweist allein auf die kaiserliche Authorisation (NSdRA II, S. 157). Da nach 1512 die Landesherren neben den Kaiser getreten waren und Notare mit begrenzter Authorität ernannt hatten, hätten auch sie hier erwähnt werden können. 237 Die Frage zielt nicht nur auf die literarischen Kenntnisse des Bewerbers, sondern benennt zugleich die drei Hauptarbeitsgebiete jedes Notars, vgl. Wahrmund (wie Fn. 1), S. XXXVIII für Rainerius Perusinis. 238 Gemeint ist Samuel Stryk (1640 – 1710), De cautelis contractuum, 1684; seltsamerweise ist dessen Werk „Tractatus de cautelis testamentorum“, 1703, nicht genannt; weiter ist wohl gemeint Johann Brunnemann (1608 – 1672), „Tractatus iuridicus de processu fori legitime instituendo et abbreviando, Lipsiae 1659, 11. Auflage 1747, vgl. Roderich Stintzing, Geschichte d. deutschen Rechtswissenschaft, 2. Abt., München etc. 1884, S. 106. „Horanti“ ist möglicherweise Hörfehler des Protokollanten, vielleicht ist gemeint: Guilelmus Duranti, Speculum iudiciale, ca 1271 – 1291, in zwei Redaktionen, letzte Ausgabe Basel 1574. Der Kandidat Anton Franz Happertz nennt 1750 als Autoren „Hornick, sub titulo Stella Notariorum et Actuarium Boltz“, Vgl. HAStK, (wie Fn. 43),Verf. u. Verw. G 332, Bl. 65r. Vgl. über beide Werke oben Fn. 227f. 239 Die Frage ist ganz allgemein gehalten, sie wird erst durch die Nrn. 39 – 52 konkretisiert, die auf die RNO 1512 Bezug nehmen, vgl. die Einleitung § 11, NSdRA II, S. 156, der schriftliche Abfassung von Kontrakten vorschreibt (NSdRA II, S. 156). 240 Soweit die folgenden Fragen die Notariatspraxis betreffen, (vgl. die Fragen 39 – 55) finden sich die Antworten in der RNO; auch die Reichsstadt Köln baute ihre Handhabung des Notariats grundsätzlich auf der Reichsnotarordnung des Jahres 1512 auf.

Zur Geschichte des Rheinischen Notariats bis 1797 19. Quot personis consistat iudicium?241 20. Scribae officium in iudicio, quod?242 21. Liceatne parti alicui consulere, eamquis avisare vel in causis sollicitare?243 22. Num liceat ad partis cuiusdam petitionem aliquid in actis corrigere, si partes in productis vel recessibus errassent?244 23. Quot sint substantialia processus et termini accidentales?245

24. Quid citatio et eius requisitum?

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Ad 19. Resp. in tribus principaliter: iudice actore et reo, quibus additur notarius. Ad 20. Resp. ut tam scripta quam oralia fideliter notet et protocollo inserat. Ad 21. Resp. negative et quidem esse hoc prohibitum. Ad 22. Resp. negative, nisi cum consensiudicis.

Ad 23. Resp. tredecim nimirum citationes, supplicatio, libellus, cautio litis, contestatio, conclusio, item calumniae et caetera pp. Pro accidentalibus autem habentur declinationes fori, recusationes et aliae exceptiones. Ad 24. Resp. quod tam nomen D.[omini] iudicis quam partis impetrantis et citandei exprimatur ad certum diem et horam.

241 Die Fragen 19 – 38 betreffen die forensische Praxis der Notare. Das Mandat Karls V. vom 3. Aug. 1548 hält die Urkundstätigkeit der Notare für unvereinbar mit einer Prokuratorstätigkeit bei Gericht, vgl. § 2 des Titels XXXIX im 1. Teil der RKGO 1555, (vgl. Laufs (wie Fn. 210), S. 137f und oben Fn. 155. In Köln hatte der Rat bereits durch Beschluss vom 2. März 1464 (vgl. Stein, Akten I, (wie Fn. 31), Nr. 204, S.402) den Notaren allgemein verboten, als Vormund oder Prokurator bei den städtischen Gerichten tätig zu werden.. 242 Es handelt sich gleichsam um eine Kontrolle zu Frage Nr. 13: War der Bewerber nämlich als Gerichtsschreiber tätig gewesen, so konnte auf diese Weise seine praktische Erfahrung geprüft werden. War er es nicht, so zielt die Frage auf seine theoretische Kenntnis der Gerichtspraxis. Hinzuweisen ist auf die RKGO 1555, Teil I, Titel XXVIIIf, die auf den Dienst der Protonotare und Notare bei Gericht verweisen; bei den in Titel XXIX genannten Notaren handelt es sich nicht um freie, sondern um Kanzleinotare, vgl. Laufs (wie Fn. 210), S. 36f. 243 Diese und die folgende Frage 22 zielt nicht auf eine Beratung durch den Notar, sondern durch den Gerichtsschreiber, wie aus den Fragen 18 und 19 der deutschen Version hervorgeht, vgl. (HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G332, Bl. 88v). Die Antwort kann nur lauten: nein. 244 Antwort: nein, vgl. Fn. 242. 245 Georg Wilhelm Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3. Auflage, Leipzig 1878 bespricht in § 60, S. 804f im Hinblick auf die Nichtigkeitsbeschwerde (querela nullitatis) die substantialia processus und nennt: „actus substantiales, prout est libellus, litis contestatio, juramentum calumniae, probatio et alii similes“und verweist auf § 121 IRA, der jedoch nur die Fristen der querela nullitatis regelt, (vgl. Schmauß (wie Fn. 155), S. 996).

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25. Num diligenter perlegerit ordinationem Camerae Imperialis et titulum de exequendis processibus?246 26. Quomodo citationes et processus principibus et aliis denunciari et insinuari debeant?247 27. Praelatis, abbati, abbatissae quomodo?248 28. Comitibus, baronibus quomodo processus insinuandi sint?249 29. Consulibus et senatoribus quomodo?251 30. Universitati?252 31. Judicio universo quomodo?253 32. Privatae personae an domi sit nec ne, quomodo?254 33. Quae sit citationum per edictum executio?255 34. Quae sint substantialia procuratorii seu syndicatus?256

Ad 25. Resp. affirmative.

Ad 26. Resp. quod insinuatio, si non in loco residentiae ad serenissimas manus principis saltem aulae praefecto vel consilio aulico fieri debeat. Ad 27. Resp. in loco abbatiae in personam abbatis seu priori aliisque illorum vel illarum vices gerentibus. Ad 28. Resp. in domicilio consueto250.

Ad 29. Resp. congregato gremio senatus seu eiusdem secretario. Ad 30. Resp. si congregatio non esset tunc fieri deberet pro tempore rectori magnifico. Ad 31. Resp. congregato iudicio seu praesidi vel capiti eiusdem. Ad 32. Resp. ad locum domicilii et absentes aedes habitationis ad manus citandi vel noti domestici Ad 33. Resp. hasce in locis publicis consuetis cum authoritate et venia superiorum affigi. Ad 34. Resp. nomen constituentis eiusque constituendi cum appromissione rati et clausula indemnisandi in simili constitutione debere exprimi.

246 Gemeint ist die RKGO von 1555, Teil I, Titel XXXVIII (Laufs (wie Fn. 210), S. 130 – 137). 247 Vgl. RNO Teil II, §§ 1-3 (NSdRA II, S. 162f) und (ausführlicher) RKGO 1555, Teil I, Titel XXXVIII, §§ 1-5 (Laufs (wie Fn. 210), S. 130-132). 248 Vgl. RKGO 1555, Teil I, Titel XXXVIII, §§ 6 – 8 (Laufs (wie Fn. 210), S. 132f). 249 Vgl. RKGO 1555, Teil I, Titel XXXVIII, §§ 9 (Laufs (wie Fn. 210), S. 133). 250 Gestrichen sind die Worte „in loco habitationis consueto“ und durch die obigen ersetzt. 251 Vgl. RKGO 1555, Teil I, Titel XXXVIII, §§ 10 – 12 (Laufs (wie Fn. 210), S. 133; seltsamerweise ist die Klage gegen eine ganze Gemeinde (ebenda § 15) nicht gefragt. 252 In RKGO 1555 nicht genannt; die Antwort Thünessens dürfte richtig sein. 253 Vgl. RKGO 1555, Teil I, Titel XXXVIII, §§ 13 (Laufs (wie Fn. 210), S. 134). 254 Geregelt RKGO 1555, Teil I, Titel XXXVIII, §§ 1 – 5 (Laufs (wie Fn. 210), S. 130132). 255 Geregelt RKGO 1555, Teil I, Titel XXXVIII, §§ 20 (Laufs (wie Fn. 210), S. 136). 256 Geregelt RKGO 1555, Teil I, Titel XXXII, XXXIII, XXXIV, (Laufs (wie Fn. 210), S. 107 – 112).

Zur Geschichte des Rheinischen Notariats bis 1797 35. Quid sit libellus?257 36. Quid appellatio?258 37. Quomodo appellandum a definitiva et interlocutoria?259

38. Quomodo insinuatio appellationis per notarium fieri debeat?261 39. Quid sit testamentum?262

40. Quot species testamenti?263

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Ad 35. Resp. est scriptura continens factum et genus actionis. Ad 36. Resp. est provocatio ab inferiore iudice ad superiorem competentem. Ad 37. Resp. a definitiva vel incontinenti viva voce aut intra decendium260 esse appellandum; ab interlocutoria vero cum expressione gravaminum in scriptis esse appellandum. Ad 38. Resp. tam parti appellandae quam iudici a quo. Ad 39. Resp. est dispositio liberae voluntatis cum denominatione heredis post mortem exequendae. Ad 40. Resp. duae, in scriptis quod clausum vocatus et nuncupativum quod oretemus profertur.

257 Über den Libell (Klaglibell) vgl. RKGO 1555, Teil 3, Titel XL, § 2, Laufs (wie Fn. 210). S. 256f. Kennzeichen für die Praxis des RKG war das Artikulieren, also die Zerlegung des Vorbringens in scharf abgegrenzte Behauptungen (positiones, articuli), vgl. Laufs (wie Fn. 210), S. 47. 258 Ein ordentliches Rechtsmittel gegen End- und betimmte Beiurteile mit Suspensiv- und Devolutiveffekt, das entweder beim Unterrichter nach Erlass seines Urteils eingelegt wird, der dann die Apostel erteilt (= Begleitschreiben des Unterrichters, das den ordnungsmäßen Abschluss des untergerichtlichen Verfahrens bestätigt). Geregelt in der RKGO 1555, Teil 3, Titel XXXI, (vgl. Laufs (wie Fn. 210), S. 247f, oder aber Erklärung der Berufung vor einem Notar, der dann ein Instrument darüber aufnimmt, das beim Obergericht eingereicht wird, vgl. RGKO 1555 Teil 3, Titel XXXI, § 4 (Laufs (wie Fn. 210), S. 247; vgl. auch die Frage 38. 259 Geregelt zunächst in RNO, Teil IV, § 1 (NSdRA II, S. 165), später auch in RKGO 1555, Teil 3, Titel XXXI, §§ 10, 11, vgl. Laufs (wie Fn. 210), S. 249. 260 „Intra decendium“ = innerhalb von zehn Tagen, vgl. J. F. Niermeyer, Mediae Latinitatis Lexicon Minus, Leiden 1984, S. 306. 261 Vgl. Fn. 258. 262 Nunmehr gehen die Fragen auf die Urkundstätigkeit der Notare über. Die Anfertigung von Testamenten regelt die RNO 1512 im 1. Abschnitt nach der Einleitung in zwölf Paragraphen (NSdRA II, S. 156 – 162). 263 Die RNO kennt in Teil I, § 1 (NSdRA II, S. 159) zwei Arten von Testamenten: das schriftliche und das mündliche vor sieben Zeugen, vgl. RNO Teil I, § 8 (NSdRA II, S. 161).

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41. Quomodo testamentum nuncupativi264

42. Quae sint requisita testamenti nuncupativi?265

43. Quomodo caecus testamentum facere potest?266 44. Codicilli cui et quomodo conficiendi?267 45. Quomodo fieri debeat fideicommissum?268

Ad 41. Resp. quod testator de iure communi coram septem testibus et notario, iuxta statuta loci autem coram duobus testibus et binis scabinis, quatenus immobilia adsint, quandam scripturam per se aut alium in scriptam producat declarando, in eadem contineri suam ultimam voluntatem quam denique iis praesentibus manu propria subscribit ac sigillo obsignat eoque praevio per notarium clauditur nec non sigillis scabinorum aeque ac notarii cum inscriptione consuetorum formalitatum consignatur. Ad 42. Resp. ut testator oretenus heredem vel heredes coram notario et testibus declaret nec non legata designet, quo in passu cuiuslibet loci ordinatio seu statutum iure communi derogans stricte observandum. Ad 43. Resp. nuncupatative enim observatione ne circa personam instituendi heredes occurrat error. Ad 44. Resp. quod minor solemnitas adhibeatur et heredis institutio in eodem non subintret Ad 45. Resp. si testator iubeat quatenus heredescertum praedium tertio si absque liberis e vivis decederet reliquere debeat inhibendo alienationem propietatis269.

264 Die Beurkundung von Testamenten regelt die RNO in Teil I, §§ 1 – 9 [NSDRA II, S. 159 – 162, hinzu kommen aber noch die allgemeinen Vorschriften über notarielle Instrumente in RNO, Einleitung, §§ 3 – 6, 10, 11 [NsdRA II, S. 154f.) 265 Die Errichtung eines mündlichen Testamentes (testamentum nuncupativum) ist in RNO Teil I, § 8 (NSdRA II, S. 161) beschrieben. 266 Die Errichtung eines Blindentestamentes beschreibt RNO, Teil I, § 9 (NSdRA II, S. 161f). 267 Codicillus ist eine letztwillige Verfügung, die Vermächtnisse und Fideikommisse, aber keine Erbeinsetzung enthält, vgl. RNO, Teil I, § 2 (NSdRA II, S. 160), aber auch RNO, TeilI, § 11 (NSdRA II, S. 162) über Codicille von Blinden. 268 Fideicommissa werden im deutschen Urtext der RNO, Teil I, § 2 RNO (NSdRA II, S. 160) beschrieben als „etwas nach eines Todt von desselben Erben ...zu treuen Händen befohlen wird...“. Nach der Rezeption nahm man sich das römische fideicommissum quod familiae relinquitur (Nov. 159) zum Vorbild; Errichtung von Todes wegen war möglich, vgl. Adalbert Erler, Art. FamilienfideikomMiss, in: HRG, Bd. I, Sp. 1071 – 1073; Max Kaser/Rolf Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Auflage, München 1997, § 77, II. 269 Hecken antwortet 1770: „Taliter ut instruetur haeres fiduciarius, qui vel verbis precariis rogatur, aut cui imperativis praecipitur alteri cuidam, scilicet Fidei Commissario ad totam Haereditatem, vel ejus partem, vel rem singularem restituendam, § pho 2 de Inst. „de fideicommissariis hereditatibus“. (vgl. HAStK (wie Fn. 43), Verf. u. Verw. G 332, Bl. 84v).

Zur Geschichte des Rheinischen Notariats bis 1797 46. Quae sint substantialia testamenti?270

47. Quaenam notarius in conficiendis contractibus et testamentis observare debeat?271

48. Protocollum ut dignum quale?272

sit

fide

49. An possit notarius propria authoritate actui aliquid addere vel demere, quod partes suo iudicio non recitassent vel errassent?273 50. Num liceat notario per substitutum audire partes contrahentes, ut et substitutus conficiat instrumentum? 51. An permissum sit notario, ut per substitutum negotium actum in protocollum suum extendi referri curet? 274 52. Quid faciendum, si partes praetendant, aliter actum inter illas, ac in protocollum scriptum, quomodo hic error sit corrigendus?275

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Ad 46. Resp. quod praeter notarium de jure communi septem testes adhibeantur quod ipsum tamen in plurimis locis ad duos testes et scabinos limitatum. Ad 47. Resp. quatenus notarius gesta partium de quibus rogatus visu auditoque proprio praesentibus testibus fideliter et sincere percipiet ac consignet desuperque instrumenta concipiet cui quoque inseritur invocatio, nominis divini, indictio, annus salutis, nomen imperatoris, mensis, dies, hora, et locus. Ad 48. Resp. ut notarius ipsemet, non alius, actus notet ac desuper conforme in instrumentum expediat. Ad 49. Resp. negative nisi accedat novus consensus partium.

Ad 50. Resp. negative verum ipsemet notarius ex parte contrahentium actus concipere debet.

Ad 51. Resp. affirmative, ita tamen ut notarius subscribat et de concordantia attestetur.

Ad 52. Resp. desuper iudici cognitionem competere ac parti alleganti onus probandi incumbere et necessarium fore ut partes denuo conveniant ac sese ratione erroris declarent.

270 Zu finden in der RNO, Teil I, §§ 2 – 5 (NSdRA II, S. 160). 271 Die Frage zielt auf die allgemeinen Vorschriften über die Beurkundung, vgl. RNO, Einleitung, §§ 3, 4, 10-11, 14, 15 (NSdRA II, S. 153 ff). 272 Vorschriften über die Protokollführung finden sich in der RNO, Einleitung, § 5 und 9 (NSdRA II, S. 154f). 273 Hierauf gibt die Einleitung der RNO, § 22 (NSdRA II, S. 158) Antwort: Der Notar soll dies dem Richter überlassen und die Beseitigung von Fehlern und Irrtümern vermeiden; Ausnahme: § 12 der Einleitung zur RNO (NSdRA II, S. 156) über die Änderung und Ergänzung notarieller Verträge. 274 Die Fragen 50 und 51 zielen darauf, ob der Notar sich vertreten lassen kann. Dazu: RNO, Einleitung, § 8 (NSdRA II, S. 155), dort zwei Fälle: 1. dass der Notar die Urkunden von einem anderen schreiben lässt, 2. dass der Notar verhindert ist, sein Protokoll zu schreiben: Stets muss er Verhinderung und Vertretung ausdrücklich bezeugen. 275 Wie sich aus der Einleitung zur RNO, § 10 (NSdRA II, S. 155) ergibt, ist der Wille der Parteien allein maßgebend; die Parteien müssen also bei Änderungswünschen nach

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Zur Geschichte des Rheinischen Notariats bis 1797

53. Quid si notarius moriatur, quomodo protocollum suum reservari debeat?276 54. Quomodo instrumenta ex eo conficienda?

55. Licitumne sit notario, alteri, cuius non interest, instrumenti copiam facere?277

Ad 53. Resp. tunc manet protocollum apud eius heredes. Ad 54. Resp. Quod instrumenta de verbo ad verbum ex protocollo defuncti desumenda absque ulla substantiali extensione sive etiam diminutione. Ad 55. Resp. quod notarius tertio cuius non interest instrumenti copiam dare non debeat nisi iudex competens ex causis moventibus id ipsum iustum declaret ac demandet.

RNO, Einleitung, § 12 (NSdRA II, S. 156), den Notar zur erneuten Beurkundung auffordern, doch sollen die früheren Handlungen in den Protokollen bleiben. 276 Diese Frage regelte die RNO nicht. Immerhin deutete RNO, Einleitung, § 5 (NSdRA II, S. 154) an, dass die Protokolle beim Tode eines Notars nicht vernichtet werden durften, so dass auch später daraus für Dritte oder den Fiskus Ausfertigungen von Urkunden getätigt werden konnten, vgl. die folgende Frage Nr. 54. 277 Vgl. RNO, Einleitung, § 23 (NSdRA II, S. 159): Der Notar ist zwar grundsätzlich zur Herausgabe von Ausfertigungen verpflichtet, herrschte aber Streit oder drohten anderen Personen Nachteile aus der Herausgabe von Urkunden, so sollten die Notare erst eine richterliche Weisung abwarten.

RECHTSFRAGEN DES HANDELS ZWISCHEN KÖLN UND DEN NIEDERRHEINLANDEN IM SPÄTMITTELALTER I. DIE STADT KÖLN UND DIE NIEDERRHEINLANDE Von der vielfältigen Handelstätigkeit der Kölner Fernkaufleute1 sollen uns hier nur ihre Verbindungen zu den Niederrheinlanden interessieren. Dieser Begriff umfasst aber – politisch gesehen – kein einheitliches Territorium, sondern eine Fülle unterschiedlicher Herrschaften, nämlich neben dem Kurfürstentum Köln und den Herzogtümern Jülich/Berg und Kleve die Herzogtümer Brabant, Geldern, Limburg und Luxemburg, ferner die Grafschaften Hennegau, Namur, Seeland, Holland, Veluwe und Zuitphen und schließlich die Bistümer Lüttich und Utrecht mit ihren Städten. Sie gehörten im 15. Jahrhundert – unserer Hauptbetrachtungszeit – zwar alle noch zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, doch spielten sie politisch eine eigene Rolle, was den Kaufleuten häufig sehr nachdrücklich klar gemacht wurde. Mustert man den Schriftwechsel, den die Stadt Köln – seit 1475 auch offiziell Freie Reichsstadt2 – mit diesen Territorialherren geführt hat, entweder um den Handel zu fördern oder um Vor- und Zwischenfälle zu bereinigen, so wird deutlich, dass die bloße Zugehörigkeit dieser Territorien zum Reiche noch keineswegs einen ungestörten friedlichen Handel verbürgte, sondern dass mehr geschehen musste, um ihn zu ermöglichen. Dem dienten nicht nur Vereinbarungen mit den Territorialherren, sondern auch mit den Städten in deren Territorien, weil auch sie mehr oder weniger ihre Angelegenheiten selbst regeln und dementsprechend auch die Bedingungen bestimmen konnten, unter denen sie mit ihren Handelspartnern zusammenarbeiten wollten.

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Vgl. dazu die Übersicht im Geschichtlichen Atlas der Rheinlande, Teil VII, 7: Kölner Fernhandel im Spätmittelalter, 5. Lieferung Köln 1996 und Beiheft S. 18 – 23, bearbeitet von Gunther Hirschfelder und sein Buch ‚Die Kölner Handelsbeziehungen im Spätmittelalter‘, (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums 10), Köln 1994, S. 267 – 394. Vgl. das Privileg Kaiser Friedrichs III. vom 19. Sept. 1475, hrsg. u. übersetzt von Anna Dorothee von den Brincken, in: Köln 1475 des Heiligen Reiches Freie Stadt (Ausstellungskatalog), Köln 1975, Nr. 84, S. 56 – 62; über die Zusammenhänge dort S. 62 – 65, vgl. Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440 – 1493). Hof, Regierung und Politik, (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Beiheft zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 17), Band II, Köln etc. 1997, S. 1249 ff, 1266f.

62 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden II. D I E

RE CH T LI CH E N DES

R A HM E N B E D I N G U N G E N

H A N D E LS

1. Die Landfrieden Das mittelalterliche Fehdewesen hatte sich im Laufe der Zeit immer weiter ausgebreitet, so dass Maßnahmen ergriffen werden mussten, um es einzudämmen. Dem dienten die Landfrieden, welche die seit dem 11. Jh. auf Betreiben der Kirche geschlossenen Gottesfrieden (beschworene Friedenseinungen) abgelöst hatten. Im 13. Jahrhundert waren sie teils ein Werk des Königs gewesen, teils beruhten sie auf Städteverträgen, wurden im 14. Jahrhundert zu beschworenen Einungen, im 15. Jahrhundert aber zu Geboten, die den Frieden wahren sollten. Bis 1495 galten sie immer nur auf Zeit und nur für bestimmte Gebiete. Als Beispiel nenne ich den Landfrieden, zu dem Erzbischof Konrad von Hochstaden als Reichsvikar für den Niederrhein aufrief, und der 1259 von den Grafen von Geldern, Kleve, Jülich, den Abgesandten von Utrecht, Berg, Sayn, der Stadt Köln, vielen Adeligen, Ministerialen und Bürgern beschworen wurde3. Zwanzig Jahre später schlossen Erzbischof Siegfried von Westerburg (1275 – 1297) und Herzog Johann I. von Lothringen und Brabant am 28. August 1279 in Wanheim mit dem Grafen Rainald I. von Geldern und Dietrich VII. von Kleve sowie den Städten Köln und Aachen ein fedus pacis ad reformationem et conservationem pacis auf drei Jahre. Die Parteien garantierten nicht nur die Rechtsverfolgung bei Raubüberfällen und Falschmünzerei binnen drei Wochen, sondern gewährten den Kaufleuten von Aachen und Köln freie Benutzung von Maas und Rhein für ihre Warentransporte, reduzierten ihre bisherigen Zollforderungen und vereinbarten, dass auf dem Rhein kein Geleitspfennig mehr erhoben werden sollte. Gleichzeitig öffneten sie den Vertrag für andere Teilnehmer4. 3

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Vgl. die Friedenseinung der westfälischen Städte 1246 in Ladbergen, und 1253 in Werne, sowie den Rheinischen Städtebund 1254 – 1256. Der Landfrieden von 1259 ist gedruckt: Monumenta Germaniae Historica, Leges, Sectio IV: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, [fortan: MGH Const.] II, Nr. 441, S. 608. Vgl. endlich den sog. „Ewigen Landfrieden“ vom 7. Aug. 1495, Druck bei Karl Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Neudruck der 2. Auflage Tübingen 1913, Aalen 1987, Nr. 173, S. 281 – 284. Sog. Pax Rheni inferioris, vgl. Regest in: Hansisches Urkundenbuch, hrsg. v. Verein für Hansische Geschichte, Bände 1 – 7,1; 8 – 11, Halle 1876 – 1916 [fortan: Hans UB], hier: I, 1876, Nr. 841, S. 289f, vgl. Bruno Kuske, Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter, Band 1: 12. Jahrhundert bis 1449, Bonn 1923; Band 2: 1450 – 1500, Bonn 1917; Band 3: Besondere Quellengruppen des späteren Mittelalters, Bonn 1923, mit Tafelanhang; Band 4: Besondere Quellengruppen des späteren Mittelalters u. Register (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde XXXIII) Bonn 1934, alle Bände: Nachdruck Düsseldorf 1978, [hinfort: Kuske]; hier:

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 63 Das hinderte die Kölner aber nicht, am 23. Februar 1281 von Graf Rainald I. von Geldern und Herzog von Limburg Schutz von Personen und Sachen zu Wasser und zu Lande zu erbitten, den er ihnen auch gewährte5. Solche von den Territorialmächten des Niederrheins geschlossenen Landfrieden6 banden die im 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts zu Herzögen erhobenen Grafen in das Lehnssystem des Reiches ein, entwickelten aber dort auch das Bewusstsein, von Reiches wegen für Recht und Frieden verantwortlich zu sein. Zugleich festigten sie die Stellung der Reichsstädte gegenüber den Landesfürsten. Im 15. Jahrhundert setzten sich die Kaiser Sigismund (1410 – 1437) und Friedrich III. (1440 – 1493) in dieser Frage mit den Ständen auseinander. Sie zogen zwar die Initiative der Landfriedensgesetzgebung an sich, überließen aber die Durchführung der Friedensgesetze den Territorialherren7. Zu nennen sind das Gebot von 14318, die Landfriedensordnung (die sog. Reformation Friedrichs III.) von 1442, die 25 Jahre in Kraft blieb9, die Reichslandfrieden von

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Regest bei Kuske, I, Nr. 45, S. 14, Druck: MGH Const. III, Nr. 627, S. 604 ff und bei Theodor Josef Lacomblet, Urkundenbuch zur Geschichte des Niederrheins, Band I, Düsseldorf 1840 bis Band IV, ebenda 1858 [hinfort: Lacomblet], hier: II, Nr. 728, S. 427f. Vgl. Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 46, S. 14, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), II, Nr. 747, S. 442f; in Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, hrsg. von Leonhard Ennen/Gottfried Eckertz, Bände 1 – 9, Köln 1860 – 1879 [Bde 1, 2 mit Eckertz], [hinfort: ‚Quellen‘] III, Nr. 213, S. 182 sichert die Stadt Köln im Gegenzug zum vorigen am 23. Februar 1282 den Untertanen von Geldern in Köln zwischen den Türmen von Riehl und Bayen allen Schutz zu. Vgl. auch die Bestätigung dieses Schutzes durch den Sohn, Grafen Rainald v. Geldern vom 15. Mai 1323, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), III, Nr. 197, S. 169 = Quellen IV, Nr. 118, S. 104f. Weitere Beispiele für niederrheinische Landfrieden im 14. Jahrhundert sind der siebenjährige Frieden von 1317, dem später auch der Erzbischof von Köln formell beitrat, vgl. MGH Const. V, Nr. 421 – 423 (Pax Rheni generalis), 1317, Juni 22 – August 9, S. 354 – 358; Beitritt des Kölner Erzbischofs vom 9. Juli 1317, ebenda Nr. 435, S. 362, und unten Fn. 68; Vgl. dazu Heinz Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966, S. 126 ff; ferner die Frieden von 1351 – 1361; 1364/65 – 1369/70; 1369 – 1374; 1375 – 1379; 1378 – 1383; 1383 – 1386) bei Martina Stercken, Königtum und Territorialgewalten in den rhein-maasländischen Landfrieden des 14. Jahrhunderts (Rheinische Archiv 124), Köln etc. 1989, S. 39 – 54; vgl. Claudia Rotthofff-Kraus, Die politische Rolle der Landfriedenseinungen zwischen Maas und Rhein in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts (Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 3), Aachen 1990, S. 21 ff, 104 ff, 281 ff. Vgl. dazu Angermeier (wie Fn. 6), S. 391 ff, 494f; 521 ff, 547 ff. Gesetz vom 14. März 1431, Deutsche Reichstagsakten [hinfort: RTA] unter Kaiser Sigismund, 3. Abteilung 1427 – 1431, bearbeitet von Dietrich Kerler, 2. Auflage Göttingen 1957, Nr. 411, S. 540 – 543, das allen Reichsangehörigen Frieden bis zum 11. November 1432 gebot. Frankfurter Landfriedensordnung Friedrichs III. vom 14. August 1442 [= Reformatio Friderici], RTA XVI, Nr. 209, S. 396 – 407 auch bei Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 166, S. 260 –

64 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 146710, von 147111, von 148612 und am Ende dieser Gesetzgebung der sog. „Ewige Landfrieden“ von 149513, der die Fehde abschaffte. Rein praktisch verbesserten die Landfrieden zwar die Verkehrssicherheit im Lande, führten aber auch zu neuen Abgaben, die zunächst zur Deckung der Folgekosten des Friedens durchaus notwendig waren, aber schnell zur Gewohnheit wurden, die man als sprudelnde Einnahmequelle sehr gern beibehielt. Beispiel ist das in Königsdorf (westlich von Köln) vom Kölner Erzbischof erhobene Pferdegeld, das auch 1430 nach Ende des Landfriedens tuschen Mase ind Rijne nicht nur weitererhoben, sondern sogar verdoppelt wurde, wogegen die Stadt Köln beim Erzbischof protestierte14. Fürstenbündnisse wie etwa das von 1418 zwischen Erzbischof Dietrich v. Moers und Herzog Adolf von Kleve15 oder der Landfriedens-

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265, die 25 Jahre lang in Geltung blieb und zwischen 1442 und 1465 nicht nur die Fehde, sondern auch die private Pfandnahme des Gläubigers erlaubte. Ihr war vorangegangen der Landfriedensbund der deutschen Kurfürsten, Frankfurt, 21. März 1438, Druck: RTA Band XIII, Nr. 102, S. 156 ff und Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 164, S. 251f. Die Städte waren in den Bund nicht einbezogen. Ihnen ging durch Brief RTA Band XIII, Nr. 103, S. 158 lediglich die Bitte zu, niemandem Geleit und Sicherheit zu geben, welcher der Einung zuwiderhandelt. vgl. Angermeier (wie Fn. 6), S. 412. Landfriede von 1467, Druck: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede ... samt den wichtigsten Reichsschlüssen ... in vier Theilen, Neudruck der Ausgabe 1747, Osnabrück 1967 [hinfort Neue Sammlung], I, Nr. LV, S. 225f), der das cap. 17 der Goldene Bulle von 1356 und den Art. 1 der Frankfurter Reformation von 1442, in denen die Fehde unter gewissen Formalien erlaubt war, aufhob und erstmals den Landfriedensbruch nicht als Eidbruch, sondern als crimen laesae maiestatis verfolgte und bestrafte, vgl. dazu eingehend: Ingeborg Most, Der Reichslandfrieden vom 20. August 1467. Zur Geschichte des crimen laesae maiestatis und der Reichsreform unter Kaiser Friedrich III. , in: Syntagma Friburgense. Historische Studien Hermann Aubin dargebracht zum 70. Geburtstag, Lindau/Konstanz 1956, S. 191 – 235, bes. S. 192 ff; Angermeier (wie Fn. 6), S. 498 ff. Landfriedensgesetz von 1471, Druck: Neue Sammlung (wie Fn. 10), I, Nr. LVI, 5, S. 244 – 247; es wurde 1474 um sechs Jahre verlängert, vgl. ebenda S. 261. Frankfurter Reichslandfrieden vom 17. März 1486, auf zehn Jahre geschlossen, Druck: Neue Sammlung (wie Fn. 10), I, Nr. 61d, S. 275 – 278 und Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 171, S. 273 – 276; auch in: Lorenz Weinrich (Hrsg.), Quellen zur Verfassungeschichte des römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter (1250 – 1500) (Freiherr-v. SteinGedächtnisausgabe 33), Darmstadt 1983, Nr. 135, S. 534 – 538. Druck bei Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 173, S. 281 – 284, vgl. dazu Angermeier (wie Fn. 6), S.547 ff. Text bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 802, S. 276f von Nov. 1430. Die Landfriedenseinung von 1351 war 1361 ausgelaufen, die von 1364/65 endete 1371 und die von 1375 lief 1386/87 aus, vgl. Rotthoff-Kraus (wie Fn. 6), S. 21 ff, 104 ff, 281 ff; vgl. Theo Sommerlad, Die Rheinzölle im Mittelalter, Halle 1894, S. 156 – 163. Fürstenbündnis vom 3. Juni 1418, auf fünf Jahre geschlossen, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), IV. Nr. 108, S. 118 ff.

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 65 bund der deutschen Kurfürsten vom 21. März 143816 beteiligten die Städte weder aktiv noch berücksichtigten sie deren Kaufleute auf den Straßen. Wer den Landfrieden brach, konnte auf Antrag eines Betroffenen in die Acht getan werden. Geschah das einem Territorium oder einer Stadt, dann war jeder Verkehr damit verboten, und die Einwohner durften weder beherbergt noch verköstigt und es durfte auch kein Handel mit ihnen getrieben werden. Aber wie häufig im Mittelalter gab es von jedem Verbot Ausnahmen: Dazu gehörten auch die Ächterprivilegien, also die vom Kaiser gewährten Rechte, Personen aus Territorien, die in der Reichsacht standen, beherbergen und mit ihnen Handel treiben zu dürfen. Nachdem 1423 die Reichsacht über das Fürstentum Lüttich17 und 1427 über Holland und Seeland verhängt war, gewährte es Kaiser Sigismund im Jahre 1431 der Stadt Köln18, zwei Mal im Jahr zu den beiden großen (von Kaiser Karl IV. am 17. Dez. 1360 verliehenen19) Jahrmärkten sechs Wochen lang geächtete Personen in ihren Mauern aufzunehmen, um den Handel durch die Ächtung nicht zu beeinträchtigen20. Und die Stadt Köln bemühte sich – ungeachtet der Ächtung einzelner Städte des Bistums Lüttich –, ihren Handelsverkehr dorthin zu erhalten21. Dass der Handel auch dem Kaiser 16

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Druck: RTA XIII, Nr. 102, S. 156 ff und Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 164, S. 251f, vgl. Angermeier (wie Fn. 6), S. 412, 439 ff; vgl. das Bündnis Ebf. Dietrichs von Moers mit Arnold von Geldern vom 26. Februar 1425, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), IV, Nr. 161, S. 185f und Ebf. Hermanns v. Hessen mit Herzog Reinhard v. Lothringen vom 25. Mai 1489, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), IV, Nr. 445, S. 551f; vgl. auch Gerhard Pfeiffer, Die Bündnis- und Landfriedenspolitik der Territorien zwischen Weser und Rhein im späten Mittelalter, in: Der Raum Westfalen Band II, 1, hrsg. von Herman Aubin und Franz Petri, Münster 1955, S. 79 – 137, besonders S. 116 – 135. Vgl. das Verzeichnis der Achtprozesse bei Friedrich Battenberg, Reichsacht und Anleite im Spätmittelalter (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 18), Köln etc. 1986, Urkundenliste Nr. 1161, 1162, 1168, S. 603f betr. die Städte Lüttich, Huy, Sint Truiden, Hasselt, Tongern, Maastricht. Vgl. dazu: Alfred Haferlach, Das Geleitswesen der deutschen Städte im Mittelalter, in. Hansische Geschichtsblätter [hinfort: Hans. GeschBll.] 20 (1914), S. 1 – 172, hier: S. 123 – 133; Text: Historisches Archiv der Stadt Köln [hinfort: HASTK], Briefbuch 13, 47, vgl. Leonhard Ennen, Geschichte der Stadt Köln, Band 3, Köln etc. 1869, S. 272; ein weiteres Ächterprivileg erwarb die Stadt Köln am 1. September 1447 von Kaiser Friedrich III., vgl. LACOMBLET (wie Fn. 4), IV, Nr. 282, S. 339f. Text. bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 111, S. 37. Text. bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 812, S. 279 – 281 vom 17. Febr. 1431, vgl. Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 799, unten Fn. 21. vgl. Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 799 (Verhandlungen Kölns mit Kaiser Sigismund v. 15. Okt. 1430 wegen Handelsverkehr mit den geächteten Städten des Bistums Lüttich). Dass dies nicht selbstverständlich war, zeigt die Anzeige der Reichsacht gegen Arnold v. Egmont und die Länder Geldern und Zuitphen mit Ausnahme von Nimwegen, die Herzog Adolf v. Jülich, Geldern und Berg von König Sigismund am 27. Juli 1431 erbeten und erhalten hatte (Anzeige an die Stadt Köln), Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 818, S. 283. Diese

66 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden wichtig war und mit seiner Zustimmung der Acht vorgehen konnte, zeigt die Urkunde Kaiser Friedrichs III. vom 15. Januar 147422, in der er der Stadt Köln den unbeschränkten Verkehr mit den geächteten Einwohnern von Geldern und Zuitphen erlaubte. Umgekehrt ist darauf hinzuweisen, dass die Stadt Köln von Friedrich III. mit der Konfliktlösung betraut wurde, als 1444 Grafschaften, Städte und Stände in Holland und Seeland von Kaiser Sigismund geächtet wurden (sog. causa Hollandorum)23. Die Stadt belegte daraufhin die Kaufleute aus Geldern, Kleve und Utrecht mit einer Mark Ungeld auf jede Last Heringe, die in Köln angelandet wurde. Auf die Beschwerde dieser Kaufleute entschuldigte sich Köln mit den Kosten der ihm aufgetragenen Konfliktlösung24.

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1431 verhängte und jahrzehntelang währende Reichsacht brachte viele Schwierigkeiten im Verkehr zwischen Köln und Geldern, vgl. Franz Petri, Die Stellung der SüderseeIjsselstädte im flandrisch-hansischen Raum, in: Hansische Geschichtsblätter, hrsg. v. Hansischen Geschichtsverein, Band 1, 1871 ff, [fortan: Hans GeschBll. (wie Fn. 21), (wie Fn. 21),] 79, 1961, S. 34 – 57, hier: S. 51; derselbe, Niederlande, Rheinland und Reich vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, in: Franz Petri/Wybe Jappe Alberts, Gemeinsame Probleme Deutsch-Niederländischer Landes- und Volksforschung (Bijdragen van het Instituut voor middeleeuwse Geschiedenis der Rijksuniversiteit te Utrecht 32), Groningen 1962, S. 172 – 202. HASTK (wie Fn. 18), Urk. Nr. 13 220, Inhalt bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 634, S. 314, obwohl er am 3. September 1471 in Nürnberg eine Satzung erlassen hatte, wonach die Inhaber von Ächterprivilegien sie nicht ausüben sollten sofern die Ächter bereits Jahr und Tag in der Acht waren, vgl. Joseph Chmel, Regesta chronologico-diplomatica Friderici III., Romanorum Imperatoris (Regis IV.) Band III, Wien 1859, Nr. 6447, S. 627. Vgl. das Verzeichnis der Achtprozesse bei Battenberg (wie Fn. 17), Nr. 1536 – 1538, S. 626 (1444); bereits 1437 waren der Herr von Egmont, das Herzogtum und die Stände in Geldern (Battenberg Nr. 1451, 1452, S. 621) und 1441 die Städte Utrecht, Amersfoort, Schoonhoven, Oudewater, Gouda, Haarlem, Amsterdam, Leiden, Delft, ‘s-Gravenhage, Zierikzee, Middelburg, Schiedam, Rotterdam, Kootwijk u. Brouwershaven in die Acht getan worden (Battenberg Nr. 1456, S. 621), es folgte 1448 die Acht gegen das Herzogtum und die Städte in Geldern, die Grafschaften und Städte in Holland und Seeland, das Hochstift und die Städte in Utrecht (Battenberg Nr. 1577 1578, S. 628), schließlich 1551 gegen die Grafschaft und die Städte in Holland (Battenberg Nr. 1584, 1585, S. 629); vgl. dazu Bernhard Diestelkamp, Königsferne Regionen und Königsgerichtsbarkeit im 15. Jahrhundert, in: FS Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Gerhard Köbler und Hermann Nehlsen, München 1997, S. 151 – 162, hier: S. 154f. Köln am 23. Februar 1448 an die zu Nimwegen versammelten Deputierten der Hansestädte von Geldern, Kleve und Utrecht, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 19, 4, Regest in: Goswin Frhr. v.d. Ropp (Hrsg.), Hanserecesse von 1431 – 1476, Band III, Leipzig 1881, Nr. 389, S. 323f; der Vorgang wiederholt sich im Brief der Stadt Köln vom 17. August 1463 an die in Nimwegen versammelt gewesenen geldrischen overijsselschen und klevischen Städte, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 27, 58v, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) IX, Nr. 13, S. 6f, wo auf Walther Stein (Hrsg.), Akten zur Geschichte und

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2. Handelsfreiheiten und Handelsverträge Wenn auch das Gewohnheitsrecht im Mittelalter einen Großteil der subjektiven Rechte abdeckte, die jemand für sich geltend machen konnte, so war doch derjenige am besten daran, der auf vertragliche Abmachungen oder ein Privileg verweisen konnte, das ihm besondere Rechte einräumte. Die Bürger der Städte waren deshalb nicht nur bemüht, ihren Handel innerhalb der Stadt durch Privilegien abzusichern, die sie dem jeweiligen Landesherrn abzugewinnen wussten. Auch die auswärtigen Kaufleute konnten freier auftreten und sich gegen Beeinträchtigungen wehren, wenn sie sich auf Privilegien berufen konnten. Die Territorialherren andererseits waren an der Privilegierung bestimmter Kaufleute interessiert, weil sie Handel und Wandel belebten und zugleich als Steuerobjekte dienen konnten. Die Beispiele dafür sind zahlreich. Ich nenne hier nur das Privileg Herzog Albrechts v. Bayern als Regent von Hennegau, Holland, Seeland und Friesland, der 1358 den deutschen Hansekaufleuten Freiheiten für ihren Handelsverkehr mit Dordrecht einräumte25. Eine vergleichbare Urkunde gibt es von Ludwig III. v. Flandern, dem Herzog v. Brabant, von 1360. Sein Privileg gehört zu dem Privilegiensystem, das die deutschen Kaufleute (unter ihnen vor allem auch Kölner Kaufleute, die Wein und andere Waren an den Niederrhein brachten)26 nicht nur von diesem Grafen, sondern auch von den beteiligten Städten Gent, Brügge und Ypern erwarben. Köln hat aber nicht nur Handelsprivilegien erworben, sondern im 12. Jahrhundert mit Trier, Dinant und Verdun, seit dem 13. Jahrhundert auch mit Fürsten und anderen Städten Verträge geschlossen27. Sie waren die Vorstufe zu den

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Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert, Band I, Bonn 1893, Band II, ebda 1895, Neudruck Düsseldorf 1993 (Publikationen der Gesellschaft f. Rheinische Geschichtskunde, X) [hinfort: Stein I, II], hier: Stein, II, Nr. 216, S. 362f verwiesen ist. Vgl. Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 108 vom 9. Mai 1358, S. 35f, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) III, S. 173 ff; vgl. die ähnliche Urkunde des Grafen Ludwig III. v. Flandern, Herzog v. Brabant vom 14. Juni 1360, Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 110, S. 36, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) III, S. 243 ff Vgl. Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 110, S. 36, Fn. 1 (Beschwerden und Forderungen der Kölner vom 3. Aug. 1358 gegen Flandern). Ein Beispiel ist der 1270 zwischen Köln und Brüssel geschlossene Freundschaftsbund (amicitie foedus), Druck: F. Favrese, Actes intéressantes de la ville de Bruxelles 1154 – 2. décembre 1302, in: Bulletin de la Commission Historique, vol. 103, 1938, Nr. 28, S. 438 ff; vgl. Bruno Kuske, Die Entstehung der Kreditwirtschaft und des Kapitalverkehrs, in: desselben, Köln, der Rhein und das Reich. Beiträge aus fünf Jahrzehnten wirtschaftsgeschichtlicher Forschung, Köln etc. 1956, S. 48 – 137, S. 59f; Evamaria Engel, Städtebünde im Reich von 1226 bis 1314 – eine vergleichende Betrachtung, in: Hansische Studien Band 3, hrsg. von Konrad Fritze, Eckhard Müller-Mertens und Johannes Schildhauer (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 15), Weimar 1975, S. 177 – 209, S. 189 f, 195; Hans-jürgen Becker, Kölns Städteverträge in vorhansischer Zeit, in:

68 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden späteren Städtebünden und knüpften ein Netz von Sicherungsverträgen zwischen Köln und niederrheinischen Städten und Fürsten, die ihre Bündnisverträge mit Köln wiederholt verlängerten oder neue schlossen28. Beispiele für Handelsverträge aus dem 14. Jahrhundert sind die zwischen der Stadt Köln und dem Herzog von Jülich-Berg und zwischen Köln und dem Herzog von Geldern geschlossenen29. Auch wenn darin wechselseitige Rechte beim Handel verbrieft, das Personalitätsprinzip durchbrochen und der Repressalienarrest verboten wird, hinderten sie nicht, dass bei veränderter Sachlage durch neue Zölle diese Freiheiten wieder beeinträchtigt wurden30. So gab es – trotz dieses Handelsvertrages – auch im 15. Jahrhundert erhebliche Auseinandersetzungen zwischen Köln und Geldern: Sie führten zu gegenseitigen Gefangennahmen von Bürgern und zur Arrestierung ihrer Güter. Im September 1427 schien es unter der Vermittlung des Grafen Friedrich von Moers zu einer Einigung zu kommen, die aber dann doch nicht vollzogen wurde31, so dass die Auseinandersetzungen

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Hans GeschBll. (wie Fn. 21), Bd. 107, 1989, S. 1 – 13. Berg erneuerte den Vertrag am 7. September 1299, vgl. Quellen (wie Fn. 5), III, Nr. 480, S. 463f; Jülich am 29. Januar 1296, vgl. Quellen III, Nr. 424, A. 406f; Kleve schloss am 29. Dezember 1262 einen Schutzvertrag mit Köln, vgl. Quellen II, Nr. 439, S. 459f; Geldern am 23. Februar 1282 und am 6. Oktober 1299, vgl. Quellen III, Nr. 213, S. 182 und Nr. 486, S. 468. Bereits am 3. Jan. 1373 hatten Herzog Wilhelm von Jülich und Berg und die Stadt Köln einen Freundschafts- und Bündnisvertrag geschlossen, in dem das Personalitätsprinzip durchbrochen und der Repressalienarrest auf Gegenseitigkeit verboten wird, vgl. Druck bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 152, S. 50f, vgl. auch den Freundschaftsvertrag zwischen Herzog Wilhelm v. Geldern vom 22. April 1392, verzeichnet bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 240, S. 86, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), III, Nr. 966, S. 849f, Quellen (wie Fn. 5), VI, Nr. 50, S. 92 – 95; Einen weiteren Freundschaftsvertrag schloss die Stadt Köln mit dem Grafen Adolf von Kleve und Mark am 30. April 1392 für sechs Jahre, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), III, Nr. 967, S. 850; auf das Verzeichnis der Bündnisse der Stadt Köln bis 1700 weisen hin: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Heft 20, 1891, Nr. 97, S. 77. Vgl. Brief der Stadt Köln an ihren Erzbischof Friedrich III. von Saarwerden (1370 – 1414) vom 7. April 1399, wo sie sich über neue Zölle in Düsseldorf, Kaiserswerth und an anderen Orten des Herzogs von Berg beschwert; der Erzbischof ist tatsächlich zur Hilfe bereit. Die Stadt Köln verhängte derweil ein Handelsverbot gegen die Untertanen des Herzogs von Jülich-Berg, Regest bei Kuske wie Fn. 4), I Nr. 362, S. 120, der auf Briefbuch 4, 37v ff hinweist. Einige Jahre später einigte sich die Stadt mit dem Herzog von Berg wieder auf wechselseitige Handelsfreiheit und Einschränkung des Repressalienarrestes, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 604, S. 204 Vertrag vom 4. Dezember 1417 aus Urkunden-Kopiar 2, 120 – 123. Regesten bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 732, S. 251; 739, 740, S. S. 253. Im Jahre 1423 wählten die geldrischen Stände anstelle Adolfs von Jülich-Berg Arnold von Egmont zum Landesherren. Er wurde in langjährige Auseinandersetzungen mit Adolf von Jülich-Berg, König Sigismund, Burgund und der Stadt Köln verwickelt, vgl. Vgl. Franz Petri, Geldern

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 69 weitergingen. Die Maßnahmen Kölns gegen geldrische Untertanen waren einschneidend. Wir haben aus der Zeit vom 5. Oktober 1465 bis 4. Februar 146632 ein Verzeichnis von 222 Nummern mit Maßnahmen der Kölner gegen geldrische Untertanen (Vereignungen und Bekümmerungen) und ein weiteres für die Zeit vom 20. Juli 1470 bis 27. Januar 147133 mit 247 Nummern. Herzog Arnold von Geldern und sein Sohn Adolf hatten den Kölnern durch Wegnahme ihrer Güter großen Schaden zugefügt und weigerten sich, sie zurückzugeben oder den Schaden zu ersetzen34. Im weiteren Verlauf erwirkten die Kölner gegen Geldern Achtbriefe und bekümmerten geldrisches Gut35. Umgekehrt untersagte der Herzog von Geldern seinen Untertanen den Verkehr mit den Kölnern36. Noch im Mai 1471 bekümmerten die Kölner irrtümlich das Gut eines Lütticher Kaufmannes als geldrisch37, gaben es dann aber wieder frei. Bereits 1468 hatte die Stadt Köln ein Mandat bei Kaiser Friedrich III. erwirkt, um innerhalb der Bannmeile und auf dem Strom im Stadtgebiet gegen die Geldernschen vorgehen zu können38. Erst am 13. Juli 1471 bemüht sich dann Herzog Arnold von Geldern bei Köln um die Wiederaufnahme freundschaftlichen Handelsverkehrs39, und 1499 ist der Handel mit geldrischen Kaufleuten den Kölnern so wichtig, dass sie Junker Adolf von Nassau bitten, seine Angriffe auf diese Kaufleute einzustellen, weil die Kölner davon allzu großen Schaden haben40. Besonders ausführlich ist der ‚Freundschaftsvertrag‘, den die Stadt Köln mit Herzog Johann II. von Kleve am 3. Juni 1497 geschlossen hat41. Dieser Vertrag, der auch einen Nachfolger des Herzogs binden sollte, wurde für eine Laufzeit

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und der nördliche Niederrhein im Wandel der niederländischen u. deutschen Geschichte, 1966, wieder in: desselben, Zur Geschichte und Landeskunde der Rheinlande, Westfalens und ihrer westeuropäischen Nachbarländer. Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten, Bonn 1973, S. 821 – 839, hier: S. 832; Arnold von Geldern regierte von 1423 – 1465, er starb 1473; ihm folgte sein Sohn Adolf von Egmont (Geldern) nach, der von 1465 bis 1471 regierte und 1477 starb. Regest und Teildruck bei Kuske (wie Fn. 4), II Nr. 390, S. 162 – 178. Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 527, S. 232 – 246. Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 385, S. 159 v. 13. August 1465. Vgl. HASTK (wie Fn. 18), Urk. Nr. 12 880, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 341, S. 144, vgl weiter dort die Nummern 341, 377, 384f, 389f, 392, 404, 408, 452, 517, 520, 526, 528, 550. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 212, 2, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 377, S. 157, v. 7. Juni 1465. HASTK (wie Fn. 18), Urk. Nr. 13 144, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 546, S. 266 vom 6. Mai 1471. Regest Nr. 452 vom 18. August 1468 bei Kuske (wie Fn. 4), II, S. 197. Brief vom 13. Juli 1471, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 549, S. 267. Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1549, S. 795f vom 21. Oktober 1499. (Urk.-Kopiar H. 234 – 236v, Inhaltsangabe bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1441, S. 722f.

70 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden von zehn Jahren vereinbart und umfasste insgesamt zwölf Punkte. Gliedert man sie sachlich auf, so enthält er a) die Gewährleistung gleicher Handelsfreiheit für die Kölner in Kleve und für die Klever in Köln, b) Sicherheit auf den Straßen von Kleve nach Köln und umgekehrt, wobei der Herzog Angriffe von Adeligen oder anderen Untertanen verbietet und bei Zuwiderhandlungen die Angreifer zu Schadensersatz nötigen wird. Reichsacht und Aberacht sind allerdings von diesem Versprechen ausgenommen. c) Eine Bekümmerung wegen persönlicher Schuld, Bürgschaft, oder rückständigen Rentenschulden kann zwar nicht verboten werden, doch sollen die Kölner sich nach (klevischem) Landrecht wehren dürfen. d) Die Zugeständnisse des Herzogs erkauft die Stadt mit einer Sicherheitsleistung von 1500 Rheinischen Gulden, die bei Kündigung des Vertrages nach zehn Jahren zurückzuzahlen waren. Die Briefbücher der Stadt Köln sind voll von Eintragungen, wonach ein Kaufmannszug unterwegs überfallen, die Waren weggenommen und beschlagnahmt wurden. Solche – meistens rechtswidrigen – Zugriffe gehen auf das Konto der Fürsten und Adeligen, die an den großen Handelsstraßen nach Aachen, an den Niederrhein, aber auch nach Oberdeutschland saßen. Was konnte man gegen diese selbstherrliche Art, sich Vorteile zu verschaffen, unternehmen? Sie zu bekriegen, war teuer und oft aussichtslos. Die Kölner meisterten dieses Problem aber sehr geschickt durch ihre Handelspolitik: Sie erkauften für ihre Kaufmannszüge das Wohlwollen und den Schutz dieser Anrainer vor rechtswidrigen Zugriffen anderer Adeliger und die Sicherheit der Handelsstraßen, indem sie die auswärtigen Fürsten und Ritter zu Kölner Bürgern, sogenannten Außenbürgern42, machten, wie z. B. Graf Wilhelm IV. v. Jülich im Jahre 126343, und sie dadurch auf ihre Seite zogen. 42

Das sind keine Pfahlbürger, die bereits das statutum in favorem principum von 1231/32 in § 10 (Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 47 und Nr. 53, S. 55) und der Mainzer Reichslandfrieden von 1235 in § 14 (Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 58, S. 70) verboten hatte, (vgl. dazu Wilfried Ehbrecht in HRG III, Sp. 1652 – 1656), sondern Außenbürger. Es handelt sich um Bündnisverträge, welche die Stadt Köln seit den Kämpfen gegen Ebf. Engelbert II. (1261 – 1274) mit dem ringsherum ansässigen Landadel schloss. Er verpflichtete sich jeweils zu militärischer Hilfe, ferner, die Freiheit Kölns zu achten, keinen übermäßigen Zoll zu erheben, Kölner Bürgern vor ihren Gerichten Recht zu schaffen und auf Repressalienarrest zu verzichten. Dafür zahlte Köln diesen Adeligen eine jährliche Rente. Es versteht sich, dass auch der Handel aus diesen Verträgen Vorteile zog. Vgl. eingehend: Hans Domsta, Die Kölner Außenbürger. Untersuchungen zur Politik und Verfassung

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3. Freies Geleit Dem allgemeinen Wortsinn nach bedeutet „Geleit“ eine Begleitung, sein rechtlicher Sinn war jedoch enger: Er meinte eine Begleitung, die auf Schutz gegen Beraubung oder Behinderung abzielte, sog. Schutzgeleit (salvus conductus). Es wurde meist durch Begleitpersonen ausgeübt, konnte aber auch durch Briefe (sog. Briefgeleit) oder durch besondere Abzeichen (Abzeichengeleit) von jemand gewährt werden, der das Geleitsrecht innehatte (das ius conductus oder ius conducendi)44. Seiner Entstehung nach ist das Geleit ein Sonderfrieden, der sich mit dem Königsfrieden, also den Straßenfrieden für den Weg zum König und zum Markt berührt. Im Mittelalter nahmen die Kaufleute allenthalben Geleit gegen Überfälle und Beraubung in Anspruch. Nach den Beobachtungen von Alfred Haferlach45 wirkte das Straßengeleit im Spätmittelalter wie eine Versicherung: Es wurde den Kaufleuten keine Bedeckung gestellt, sondern im Beraubungsfalle Schadensersatz gezahlt, weil der Geleitsfrieden gebrochen war46. Brauchte ein Kaufmann wegen der Kostbarkeit seiner Ware aber wirkliche Mannschaftsdeckung, so musste er sie besonders anfordern und wohl auch besonders bezahlen47, da sie erheblichen Aufwand an Menschen und Pferden erforderte und deshalb nicht unentgeltlich sein konnte.

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der Stadt Köln von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Rheinisches Archiv 84), Bonn 1973, besonders S. 87 ff. Quellen (wie Fn. 5), II Nr. 450, S. 468 ff, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 32, S. 10, der in Fn. 1 auf die vielen Ritter und Herren verweist, die bis zum Ende des 14. Jahrhunderts zu Kölner Edelbürgern ernannt wurden, darunter mehrere Grafen von Jülich, einige Herren von Bedburg, ein Herr zu Wickrath, ein Herr zu Bergheim, von Loen, von Heinsberg, von Moers, ein Herzog von Geldern. Ausführlich wurde auch das Verhältnis zu dem neuen Edelbürger Herzog Rainald von Jülich-Geldern am 7. März 1421 geregelt, wo u.a. der Repressalienarrest verboten, die Zölle auf ihre alte Höhe zurückgeführt und Fragen der Retorsion angesprochen wurden; auch dieser Vertrag war nicht unentgeltlich: Köln zahlte jährlich zu Lätare 100 gute rheinische Gulden und gewährte ein Darlehn von 4000 Gulden, das zurückzahlen war, wenn der Herzog als Edelbürger ausscheiden wollte, vgl. HASTK (wie Fn. 18),, Urk. Nr. 9645, Druck: Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 654, S. 225f. Vgl. Ludolf Fiesel, Zum früh- und hochmittelalterlichen Geleit, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung [hinfort: ZRG, GA] 41, 1920, S. 1 – 40; derselbe, woher stammt das Zollgeleit?, in: VSWG 19 (1926), S. 385 – 412; derselbe, zur Entstehungsgeschichte des Zollgeleits, in: VSWG 15, 1921, S. 466 – 506; Haferlach, (wie Fn. 18), Hans GeschBll. (wie Fn. 21), 20 (1914), S. 1 – 172; Hans Planitz, Studien zur Geschichte des deutschen Arrestprozesses. Teil III. Der Fremdenarrest, in: ZRG, GA 40 (1919), S. 87 – 198, hier: S. 96f; B. Koehler in HRG I, Sp. 1481 – 1489; M. Schaab, Art. Geleit, in: LexMA IV, 1989, Sp. 1204f. Alfred Haferlach (wie Fn. 18), S. 151 ff. Vgl. M. Schaab, Art. Geleit in LexMa IV, 1989, Sp. 1204f. Alfred Haferlach (wie Fn. 18), S. 154 ff.

72 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden Vor allem das Zollgeleit, das besonders den Handelsverkehr sicherte, wurde nur gegen Geleitsgeld (guidagium) gewährt. Man kann es als Einnahmequelle politischer Gewalten ansehen, die darauf abzielte, vom Fernhandel auf Grund von Schutzgewährung Abgaben zu erheben48. So einigte sich 1248 Herzog Walram von Limburg mit dem Grafen Wilhelm von Jülich und Dietrich von Falkenburg, denen der Zoll zwischen Köln und Maastricht zustand, darüber, dass die Kaufleute aus Hennegau/Flandern Abgaben pro theloneo sive conductu an bestimmten Zollstätten zahlen sollten49. Um Zölle und Geleitsgelder mit möglichst geringem Aufwand erheben zu können, lagen die Zollstätten an den großen Handelswegen, andere Straßen wurden dagegen gesperrt50. Außerdem gab es seit dem 12. Jh. bereits einen Geleitszwang51, andererseits aber immer wieder Geleitsbriefe der vier Rheinischen Kurfürsten52 und anderer Territorialherren, die gleichwohl häufig missachtet wurden53. Das mittelalterliche. Geleitsrecht war ursprünglich ein Regal, also ein königliches Recht. Das statutum in favorem principum von 1231/3254 gewährte den Fürsten das Geleitsrecht in ihren Territorien; es konkurrierte mit dem königlichen Recht, Geleit zu gewähren. Seit dem Mainzer Reichslandfrieden von 123555 war es nicht nur ein persönliches, sondern ein frei übertragbares Recht. Seit der Mitte des 14. Jhs. führte allerdings die Landfriedensbewegung zu Vereinbarungen zwischen den größeren Territorien, wonach nur noch selbständige Landes48 49

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Es kam bereits um 1150 auf, vgl. Fiesel, Zollgeleit (wie Fn. 44), S. 385. Es heißt dort: „Insuper dictos mercatores sive homines per nostram stratam transeuntes et eorum bona sive res sub nostro conductu recepimus infra Are et Nusen extra civitatem Coloniensem et infra Are et Mase et infra Mase et Renum“; ita ut quidquid dampni eisdem mercatoribus sive hominibus, in personis et bonis sive rebus, intra dictos fines sive terminos, acciderit, illud eisdem integraliter restituemus...“, Text bei Leopold August Warnkönig, Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte bis zum Jahre 1305, 3 Bde, Tübingen 1835 – 1842, Nachdruck Wiesbaden 1967, hier: Band I, 1835, Urkundenanhang Nr. XXV, S. 52f; Fiesel, Zollgeleit, (wie Fn. 44), S. 391f. Das ist der sog. Straßenzwang. Noch der Rheinuferzollverein der vier rheinischen Kurfürsten, der vom 14. Jahrhundert bis zur Neuzeit immer wieder erneuert wurde, folgte diesem Grundsatz, vgl. Fiesel, Zollgeleit (wie Fn. 44), S. 394, Fn. 1, vgl. im Übrigen Andreas Eichstaedt, Der Zöllner und seine Arbeitsweise im MA, Frankfurt/M. etc. 1981 (m. weit. Lit.), [zit.: Eichstaedt, Zöllner], S. 91f. Fiesel, Zollgeleit (wie Fn. 44), S. 403. Vgl. die Aussagen Kölner Bürger über Geleit und Stapelübertretungen vom 22. März 1490, Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1178, S. 590f. Beispiel: Kummer gegen einen Kölner Bürger in der Oberbetuwe, obwohl er und sein Gut mit Geleit des Erzherzogs Maximilian und in der Antwerpener Marktfreiheit reisten, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 34/35, 38v f vom 26. Mai 1486, Regest in Hans. UB (wie Fn. 4)], X, Nr. 1142, S. 703 u. bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 942, S. 485. Vgl. Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 47, S. 51f und Nr. 53, S. 55f, § 14. Vgl. Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 58, S. 68 ff, cap. 16 (12), 19 (7), 20 (9).

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 73 herrschaften das Geleit ausüben durften. Auf diese Weise sollte es gesichert und vereinheitlicht werden56. Die Stadt Köln hat ein eigenes Geleitsrecht neben dem Erzbischof seit dem 13. Jh. ausgeübt57. Auch hier steht noch das fiskalische Einnahmestreben neben dem Gedanken allgemeiner Sicherheit. Dass die Landesherren sich hierbei zusammentaten, zeigt der Vertrag der vier rheinischen Kurfürsten vom 24. September 1416, die unter anderem freies Geleit auf dem Rhein vereinbarten58. Der Reichsabschied von 154859 schließlich übertrug den Landesherren die Aufgabe, für die Sicherheit der Straßen zu sorgen, zog sich also in deren Gebieten aus dem Geleitswesen zurück und erhob dort auch keine Geleitsgelder mehr. Das Geleitsrecht wurde ein Teil der Landesherrschaft60. Geleitsbruch kam auch in größerem Maßstabe vor, so im Jahre 1455, als Gerhard von Kleve, Graf von der Mark, in Zons (das ihm der Kölner Erzbischof verpfändet hatte) 300 Ochsen, die für den Markt in Köln bestimmt waren, wegnahm und selbst nach Köln schaffte. Der Kölner Erzbischof, Dietrich von Moers, wollte gegen ihn in der Stadt Köln vorgehen, fragte aber vorher an, ob das dem Rat genehm sei. Ausführlich legt der Erzbischof dar, warum Gerhard v. Kleve kein Recht hatte, im Kölner Geleit gegen die Gelderner Kaufleute vorzugehen61. 56

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Vgl. Karl Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter, Band II: Statistisches Material. Quellenkunde, Leipzig 1885 – 86, Neudruck Aalen 1969, S. 289/295; Fiesel, Zollgeleit (wie Fn. 44), S. 403. Vgl. den Vertrag Kölns mit dem Stift Utrecht vom 22. März 1259 in Quellen II, Nr. 391, S. 405 und vom 23. März 1259, ebenda Nr. 392, S. 406f sowie unten Fn. 109 ff; Stein (wie Fn. 24), I, Nr. 5, S. 27 und Nr. Nr. 6, Art. 16, S. 27; vgl. auch das Privileg Kaiser Karls IV. von 1344, Druck: Quellen (wie Fn. 5), IV, Nr. 371, S. 406; und von König Wenzel 1380, Druck: Quellen V, Nr. 247, S. 329; Ulf Heppekausen, Die Kölner Statuten von 1437 (Rechtsgeschichtliche Schriften 12), Köln 1999, S. 118 ff. Druck bei Wilhelm Günther, Codex Diplomaticus Rheno-Mosellanus. UrkundenSammlung zur Geschichte der Rhein- und Mosellande etc. IV. Theil: Urkunden des 15. Jahrhunderts, Coblenz 1825, Nr. 71, S. 179 – 186. Vgl. Neue Sammlung (wie Fn. 10), Teil II, § 20, S. 531f: „Ferner zu noch mehrer beständiger Erhaltung bemelds unsers Kayserl. Land-Friedes setzen, ordnen und wollen wir, dass ein jede Obrigkeit im Heil. Reich Teutscher Nation in ihren Fürstenthumen, Landen und Gebieten, bey der Ihren Fürsehung thun soll, dass die Strassen frey und rein gehalten/darauf auch niemands gefangen/geschlagen/beraubet/hinweggeschleifft/seine Güter auffgehaben/hinweg geführet oder anderer Gestalt beschwert werde, sondern dass einem jeden, an Orten des herkommen, ohne Weigerung, auf sein Ansuchen ein frey/sicher/gnugsam Geleit gegeben/ und also männiglich zu Beförderung der gemeinen Nutzens allenthalben, frey sicher ziehen/handeln und wandeln möge ...“. Vgl. etwa den Rheinischen Kurverein, der 1464 in Boppard geschlossen wurde und die Sicherheit der Rheinschiffahrt für 20 Jahre gewährleisten sollte, Druck bei Günther IV (wie Fn. 58), Nr. 302, S. 582 – 586 und der Vertrag zwischen den vier Rheinischen Kurfürsten vom 2. Januar 1492 über dieselbe Frage, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), IV, Nr. 454, S. 564 – 566. Vgl. HASTK (wie Fn. 18),, Reg.- u. Präs. Verm. H 336, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II,

74 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden Der Rat der Stadt Köln versuchte, das Geleit und sein Entgelt möglichst langfristig zu regeln. So geschehen in einem Vertrag vom 21. Juni 148162 mit Erzherzog Maximilian und Erzherzogin Marie von Österreich und Burgund, der zwei Jahre gelten sollte. Offenbar bewährte sich das Abkommen, denn am 16. Juni 1483 wurde das Geleit bis zum 26. Juni 1486 verlängert. Im Übrigen finden sich zwischen 1465 und 1500 zahlreiche Geleitserteilungen der Stadt Köln an auswärtige Kaufleute63. Ob es sich dabei um ein eigenes Institut, das sog. Zollgeleit, gehandelt hat, ist inzwischen zweifelhaft geworden64, weil beide im Mittelalter nicht eindeutig geschieden wurden und Zoll als Entgelt für die aus dem Geleit entstandenen Kosten galt65. Nicht nur mit Geleitsfragen hatten die Niederrheinfahrer unter den Kölner Kaufleuten zu tun: Noch häufiger waren sie mit Zollfragen beschäftigt.

4. Zollfragen Das Recht, Zoll zu erheben (sog. Zollregal) ist ein Recht, das seit dem frühen Mittelalter zunächst dem deutschen König, später den Landesfürsten und Reichsstädten zustand. Erste Einbrüche in das königliche Zollregal schuf c. 2 der confoederatio cum principiis ecclesiasticis von 122066 zugunsten der geistlichen Fürsten des Reiches. Einzelne Zollprivilegien wurden auch weltlichen Herrschern verliehen. Im Interregnum wurden häufig unrechtmäßige Zölle erhoben67. Heinrich VII. hob 1310 im Speyerer Reichsspruch die Zollprivilegien auf,

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Nr. 158, S. 82 vom 2. November 1455. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich 1460, als derselbe Gerhard von Kleve, Graf v. d. Mark in Uerdingen elf Ochsen anhielt, weil sie geldrisches Eigentum seien. Die Stadt Köln machte geltend, dass zwei Kölner Bürger sie gekauft hätten, vgl. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 25, 130, 3, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 233, S. 109. Vgl. Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 845, S. 445, Auszug in Hans UB (wie Fn. 4) X, S. 569f und S. 654; zum Zollgeleit allgemein vgl. Mathias Schmoeckel, in HRG V, Sp. 1757 – 1759. Vgl. z. B. Geleitsregister der Stadt Köln 1465 – 1500, daraus Beispiele bei Kuske (wie Fn. 4), IV, Nr. 28, S. 113 – 123. Für ein eigentliches Zollgeleit vgl. Hans Conrad Kalisch, Über das Verhältnis des Geleitsregals zum Zollregal, Diss. Berlin 1901; vgl. auch denselben, Das Geleitsregal im kölnischen Herzogtum Westfalen, in: Historische Aufsätze, Festgabe für Karl Zeumer, Weimar 1910, S. 591 – 609, kritisch bereits Adolf Hofmann, Das Landgeleite in Sachsen, 1931, S. 10 und jetzt Mathias Schmoeckel, in HRG V, Sp. 1757 – 1759, der zu Recht darauf hinweist, dass es ein eigentliches Zollgeleit wohl nicht gegeben hat, sondern dass lediglich an Zollstätten Geleitsgeld entrichtet wurde. Vgl. Hofmann (wie Fn. 64), S. 9f. Vgl. Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 39, S. 42f. Vgl. zur Geschichte des Zolls: Johannes Falke, Geschichte des deutschen Zollwesens. Von seiner Entstehung bis zum Abschluss des deutschen Zollvereins, Leipzig 1869,

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 75 die der Graf von Geldern erteilt hatte, weil er nur Lehnsnehmer war und die Reichsrechte nicht schmälern durfte. Die nicht seltenen Zollstreitigkeiten wurden manchmal durch Landfrieden beendet, wie der Rheinische Zollkrieg durch den Bacharacher Landfrieden von 131768. Immerhin ragt das 14. Jh. dadurch hervor, dass es den Handel mehr und mehr durch Rheinzölle belastete. Auf dem Rhein erhob der Kölner Erzbischof bis 1279 in Worringen, Uerdingen und Rheinberg jeweils einen denarius conductus; es folgt der Zoll des Grafen von Kleve bei Orsoy und nördlich davon der des Grafen von Geldern69. Bei Duisburg erhob der Herzog von Limburg einen gleich hohen, aber unberechtigten Zoll.

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zum Zoll der Erzbischöfe von Köln S. 77f; Karl Biedermann, Das deutsche Zollwesen im MA, in: Vjs. f. Volkswirtschaft, Politik und Kulturgeschichte 78 [20. Jahrg., Bd. II], 1883, S. 28 – 52; Albrecht Hoffmann, Deutsches Zollrecht, Band 1: Rechtsgeschichte, 1. Abt.: Geschichte des deutschen Zollrechts bis zum bayerisch-württembergischen Zollvereine von 1828, Leipzig 1900; Adelheid Scheid, Der Anholter Rhein- und Ysselzoll bei Arnheim, Münster 1925; Martin Clausnitzer, Deutsche Zollgeschichte vom Ursprung der Zölle bis zur Gründung der Reichsfinanzverwaltung, Leipzig 1933; Andreas Eichstaedt, Der Zöllner und seine Arbeitsweise im MA, Frankfurt/M etc. 1981 (m. weit. Lit.); W. E. Grams, Der deutsche Zoll von der germ.-röm. Begegnung bis zur Gegenwart, Karlsruhe 1954; Herbert Krüger, Brücke, Fähre und Zoll im Rheinstromgebiet um 1500 (nach Sebastian Brants ‚Chronik über Teutsch land‘, [nach 1501], in: ElsaßLothringisches Jb. 21, 1943, S. 125 – 156; Otto Stolz, Die Entwicklungsgeschichte des Zollwesens innerhalb des alten Deutschen Reiches, in: VSWG 41, 1954, S. 1 – 41 (m. reich. Lit.); Hildegard Adam, Das Zollwesen im fränkischen Reich und das spätkarolingische Wirtschaftsleben. Ein Überblick über Zoll, Handel und Verkehr im 9. Jahrhundert (VSWG, Beihefte 126), Stuttgart 1996; Andreas Eichstaedt, Art. Zoll, in: HRG Bd. V, Sp. 1753 – 1757; Ernst Pitz, Art. Zoll I, in: LexMa IX, 1998, Sp. 666 – 669. König Ludwig der Bayer mit seinen Wählern, den Erzbischöfen von Mainz und Trier, dem König von Böhmen und neun rheinischen Städten verbanden sich zu einem Landfrieden, der sich gegen den Erzbischof von Köln, Heinrich von Virneburg, richtete, und zwangen ihn zum Beitritt; vgl. oben Fn. 6 und MGH, Const. V, Nr. 421, S. 488 – 494; Lacomblet (wie Fn. 4), III, Nr. 159, S. 118. Im Gegenzug dazu beauftragte der aus der Doppelwahl des Jahres 1314 hervorgegangene König Friedrich von Österreich (1314 – 1330) durch Brief vom 10. Febr. 1318 seinen Parteigänger, den Erzbischof Heinrich v. Virneburg, damit, die neuen Zölle aufzuheben und Widersetzliche als Majestätsverbrecher zu behandeln, vgl. Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Band IV bearbeitet von Wilhelm Kisky, Bonn 1915, Nr. 1022, S. 228, Druck: Lacomblet (wie Fn. 4), III. NR. 168, S. 137; vgl. Angermeier (wie Fn. 6), S. 126 ff; Stercken (wie Fn. 6), S. 42. Vgl. MGH Const. III, Nr. 627, S. 604 ff (Pax Rheni inferioris vom 28. August 1279)= Lacomblet (wie Fn. 4), Band II, Nr. 728, S. 427; vgl. Fiesel, Zollgeleit (wie Fn. 44), S. 404; Geldern erhob Flusszölle in Lobith (Emmerich) bis 1473), Nimwegen, Heerewarden, Tiel, Zaltbommel, Ravestein, Mook, Ijsseloord und Zuitphen, vgl. Wybe Jappe Alberts, Geschiedenis van Gelderland von de vroegste tijden tot het einde der middeleuwen, ’sGravenhage 1966, S. 165; Petri, Geldern (wie Fn. 31), S. 16; derselbe, Overijssel und die benachbarten Territorien in ihren wirtschaftlichen Verflechtungen, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 24, 1959, S. 50.

76 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden Auf der Landstrecke von Köln nach Maastricht hatten die Kaufleute 1248 bei Jülich dem dortigen Grafen, bei Herzogenrath, Falkenburg und Maastricht dem Herzog von Limburg Geleitszölle zu zahlen70. Die Goldene Bulle von 1356 äußerte sich zwiespältig: Während ihr c. 17 ungebührliche und unübliche Zölle und Geleite bei Strafe verbot71, durften nach c. 9 die Kurfürsten die bisherigen Zölle erheben72. 1372 verlieh Kaiser Karl IV. dem Erzbischof von Köln das Recht, für vier Jahre den Zoll in Bonn um drei Turnosen zu erhöhen73. König Wenzel hob 1379 alle auf Widerruf verliehenen Zölle auf dem Rhein zwischen Andernach und Rees, insbesondere den Zoll in Düsseldorf und den neuen Zoll des Grafen von der Mark in Ruhrort, auf und verpflichtete sich, ohne Zustimmung der Kurfürsten keinen neuen Zoll zuzulassen. Dies bestätigte er 1380, als er den Kurfürsten von Köln, Trier und der Pfalz ein Mitwirkungsrecht bei der Errichtung neuer Zölle74 gewährte, ein Recht, das Ludwig der Bayer bereits 1314 dem Kurfürsten von Trier eingeräumt hatte75. Immerhin hielt sich Herzog Johann v. Kleve an das Reichsrecht, als er 1472 für die beabsichtigte Verlegung des Zolls von Büderich nach Griet die kaiserliche Erlaubnis einholte und die Verlegung dann den Kölnern mitteilte76. Im Übrigen gestalteten die Fürsten mehr und mehr den Zoll nach ihrem Willen77. Die bisherige erhebliche Zollbelastung der Kaufleute hinderte Kaiser Friedrich III. nicht daran, als Dank für Hilfe im burgundischen Kriege der Stadt Köln im Jahre 1475 einen neuen Rheinzoll zu verleihen, der ihr allerdings mehr schadete als nutzte, weil die rheinischen Kurfürsten seinethalben einen regel70

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Die Aufzählung der Zollstätten bei Sebastian Brant (nach 1501, vgl. Krüger (wie Fn. 67), S. 152f nennt für Kurköln: Zons, für Berg: Düsseldorf und Rheinberg; für Kleve: Orsoy, Büderich, Emmerich, Wesel, Xanten und Rees; an der Yssel gab es Zollstätten in Zuitphen, Deventer, Zwolle und Kampen; am Waal in Nimwegen, am Rhein in Lobith (= Emmerich) und Arnheim, an der Maas in Roermond und Grave. Vgl. Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 148, cap. 17, S. 206: „Prohibemus eciam ... indebita et inconsueta thelonea et conductus et exactiones pro ipsis conductibus extorqueri consuetas sub penis, quibus sacre leges premissa et eorum quodlibet sancciunt punienda“. Vgl. Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 148, cap. 9, S. 202: „supradicti principes thelonea in preterito statuta et indicta percipere, quodque progenitores nostri reges Boemiae felicis memorie ipsique principes electores ac progenitores et predecessores eorum legitime potuerint usque in presens, sicut hoc antiqua laudabili et approbata consuetudine diuturnique ac longissimi temporis cursu prescripta noscitur observatum“. Urkunde vom 23. Juli 1372, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), III, Nr. 729, S. 624. Urkunde vom 28. Februar 1379, Druck bei Lacomblet III (wie Fn. 4), Nr. 833, S. 730 und vom 29. April 1380, Druck bei lacomblet, III, Nr. 845, S. 740f. Vgl. zur Geschichte des Zollregals Mathias Schmoeckel in HRG V, Sp. 1759 – 1769 mit weiteren Verweisungen. Brief vom 1. Febr. 1472, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 566, S. 275. Vgl. Biedermann (wie Fn. 67), S. 52.

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 77 rechten Wirtschaftskrieg gegen Köln eröffneten und der Kaiser ihn im September 1475 schon wieder einschränkte78. Handelspolitische Rücksichten ließen es der Stadt Köln geraten erscheinen, ihr Zollprivileg von 1475 nicht immer auszuspielen: Bereits 1476 schloss die Stadt mit Herzog Wilhelm IV. von JülichBerg einen Vertrag über die Befreiung seiner Untertanen von diesem Zoll in Köln; gleichzeitig wurde der alte Freundschaftsvertrag mit ihm erneuert79. Da die Ungelegenheiten aus diesem Zoll nicht weichen wollten, verglich sich die Stadt mit den Kurfürsten im Jahre 1491 und hat ihn seit 1494 nicht mehr erhoben80. Für die Zollpflicht war es übrigens gleichgültig, ob der Wasser- oder der Landweg gewählt wurde81: Die Höhe des Zolls blieb gleich, weil der Zolltarif auf Transportmitteleinheiten (Schiffen oder Wagen) beruhte. Allerdings gab es eine Reihe von Zollbefreiungen, z.B. für geistliche Institutionen oder befreundete Territorien82. Da die Zölle wichtige Einnahmequellen der Territorien wa78

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Verleihung: Urkunde vom 24. Mai 1475, HASTK (wie Fn. 18), Urk. Nr. 13 267, Auszug bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 660, voller Text bei John, (s. u. Fn. 79), Text der Urkunde dort S. 59f; Franz Irsigler, Kölner Wirtschaft im späten Mittelalter, in: Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, hrsg. von Hermann Kellenbenz, Band I, Köln 1975, S. 217 – 319, hier: S. 223 ff. Ob die Stadt Köln darüber hinaus eigenmächtig einen weiteren Zoll erhoben hat, den die drei rheinischen Kurfürsten Berthold v. Mainz, Johann II. von Trier und Pfalzgraf Philipp v. d. Pfalz mit einem Handelsverbot für Kölner Kaufleute beantworteten, das sie Herzog Wilhelm IV. am 30. Oktober 1489 mitteilten, vgl. den Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1160, S. 581f, ist aus der Urkunde nicht ersichtlich. Zur Zollbelastung vgl. Grams (wie Fn. 67), S. 99f, allerdings ohne Nachweise. Einschränkung: Urkunde vom 26. September 1475, HAStK, HUA 13 292, Regest bei von den Brincken (wie Fn. 2), Nr. 79, S. 54f, vgl im übrigen zu diesem Zoll: von den Brincken, Nr. 77 – 80 u. 82, S. 53 ff.. Zollbefreiung vom 12. Dez. 1476, HASTK (wie Fn. 18), U. Nr. 13 381, Druck bei KUSKE (wie Fn. 4), II, Nr. 713, S. 367 ff, die auf dem erneuerten Freundschaftsvertrag unter demselben Datum, HASTK (wie Fn. 18), U. Nr. 13 380 beruht; vgl. den Text auch bei Wilhelm John, Der Kölner Rheinzoll von 1475 – 1494, in: AHVN 48, (1889), S. 9 – 123, hier: S. 66f. Durch Vermittlung König Maximilians und Bischofs Wilhelm v. Eichstädt wurde am 31. Mai 1491 in Nürnberg, ein Vergleich beurkundet, wonach die Kölner den Zoll noch drei Jahre (bis Johanni 1494) erheben durften, dafür zahlen die Kölner 15.000 Gulden als Entschädigung. Vgl. HAStK (wie Fn. 18), HUA 14 444, Regest bei von den Brincken (wie Fn. 2), Nr. 83, S. 56. Vgl. Karl Lamprecht, Wirtschaftsleben II (wie Fn. 56), S. 284f; 295 ff; Fiesel, Zollgeleit (wie Fn. 44), S. 403. Über Zollbefreiungen hinsichtlich des Köln Rheinzolls berichtet eingehend John (wie Fn. 79), S. 28 – 37. Vgl. auch den Vertrag vom 12. Dezember 1476 mit Herzog Wilhelm IV. von Jülich über Zollbefreiung bei John (wie Fn. 79), S. 66f. Im Übrigen hat er (S. 31) Befreiungen für 1483 von 16 %, für 1486 von 12 % und für 1487 von 12,5 % festgestellt, die Unterlagen ergeben aber auch Zollausfälle zwischen 1478 und 1487.

78 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden ren, versuchten die rheinischen Kurfürsten gemeinsam gegen Zollbefreiungen vorzugehen83. Mit neuen Zollforderungen wurden die Kölner Kaufleute mehrfach konfrontiert, so im Jahre 1356, als Kaiser Karl IV. dem Kurfürsten von Köln als Gegenleistung für die aus der Gewährung freien Geleits entstandenen Kosten gestattete, an einem Orte seines Landes einen neuen Zoll von einem Turnosen84 zu erheben85. 1462 trafen sie in den erzbischöflichen Städten Zons und Neuss auf neue Zollforderungen, denen die Stadt sich durch briefliche Intervention zu entziehen suchte86. Auch durch Abreden versuchte man, die neuen Zollforderungen abzuwenden. Beispiel dafür ist ein durch Briefwechsel zustande gekommener Vertrag mit der erzbischöflichen Stadt Zons (Friedestrom) vom 8. /20. Mai 146587: Hier zwangen die Zonser die Kölner Kaufleute, die zur Kirmes nach Neuss zogen, zur Zollzahlung88, weil die Stadt Köln die Einwoh83

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So bereits im Jahre 1399, als die vier rheinischen Kurfürsten sich am 11. April in Boppard verpflichteten, bestehende Zollbefreiungen aufzuheben , vgl. Adam Goerz, Regesten der Erzbischöfe zu Trier von Hetti bis Johann II, (814 – 1503), Band I, Trier 1859, Band II, 1861, hier: Band I, S. 126. Weitere Versuche gab es am 17. Januar 1424 beim sog. Binger Kurverein (Goerz II, S. 153; Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 158, S. 234 – 237), am 20. März 1438 in Frankfurt (Goerz II, S. 168) und am 27. Juli 1478 in Bacharach, jedoch ohne den Erzbischof von Köln (Goerz Band II, S. 247); am 2. Januar 1492 schlossen dagegen die vier rheinischen Kurfürsten einen Vertrag, in dem sie sich verpflichten, den Rhein kräftig zu schützen, keinen neuen Zoll und keine Zollerhöhung zuzulassen, die bisherigen Zollgefällle zu senken und den Landtransport zu untersagen, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), IV, Nr. 454, S. 564 – 566, vgl. Kalisch, Westfalen (wie Fn. 64), S. 599. Deutscher Name des französischen Gros tournois (Groschen mit dem Stadtbild von Tours), etwa 3 Gramm Silber, vgl. Helmut Kahnt/Bernd Knorr, Alte Maße, Münzen und Gewichte, Mannheim etc. 1986, S. 328f. Vgl. Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii, Band 8: Die Regesten des Kaiserreiches unter Kaiser Karl IV. 1346 – 1378, hrsg. u. erg. v. Alfons Huber, Innsbruck 1877, Neudruck Hildesheim 1967, Nr. 2372 vom 4. Januar 1356, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), III, Nr. 550, S. 459; Hofmann (wie Fn. 64), S. 9. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 26, 137, 2, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 294, S. 129 vom 5. Mai 1462 und die dort genannte Korrespondenz mit dem Erzbischof, ferner HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 26, 178 v 1, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 304, S. 132 (Brief vom 3. September 1462 an die erzbischöfliche Stadt Neuss). Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 370, S. 152. Trotz des Widerstandes gab der Erzbischof seine neue Zollforderung nicht so schnell auf, wie die Bestellung eines Verhandlungsausschusses am 18. Sept. 1471 zeigt, vgl. Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 553, S. 268. Neuss und Zons waren kurkölnische Städte; die Zollerhebung geschah also im Namen des Erzbischofs. Erstaunlich nur, dass Schultheiß und Schöffen von Zons über den erzbischöflichen Zoll verfügen durften, während noch die Verhandlungen mit dem Erzbischof schwebten. Im Übrigen ist die Bezeichnung dieser neuen Abgabe in den

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 79 ner von Zons auf dem Kölner Eigelstein mit Wegegeld und Zoll belegt hatte. Man vereinbarte, zukünftig beiderseits von einer Zollerhebung abzusehen. Im Jahre 1489 erhob Herzog Wilhelm von Jülich/Berg in Dormagen plötzlich einen neuen Zoll. Die Folge war, dass die Kaufleute aus den Niederrheinlanden ihre Waren nur bis Neuss auf dem Rhein transportierten, dann aber alles auf Wagen luden, um den neuen Zoll zu vermeiden. Gleichzeitig umgingen sie den Kölner Stapel und die Akziseforderungen der Stadt. Mit Schreiben vom 21. Mai 1489 beschwerten sich die Kölner beim Jülich-Bergischen Gesandten und baten um Abhilfe89. Die meisten Nachrichten drehen sich allerdings um widerrechtlich erhobenen Zoll und ungerechtfertigte Geleitsgelder90. Ein beredtes Beispiel sind der Zoll und das Geleitgeld, das bis 1414 in Bergheim erhoben wurde, obwohl der zugrundeliegende Landfriede bereits 1387 ausgelaufen war91: Köln ermahnt den

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Quellen uneinheitlich: Bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 366, S. 151 ist nicht von Zoll, sondern von Akzise die Rede (als prozentuale Abgabe vom Umsatz der Kaufleute auf den Märkten in Neuss). Hier ging die Stadt Köln zweispurig vor: Sie verlangte von Neuss, die Erhebung der Akzise einzustellen, und kündigte zugleich an, sich mit dem Erzbischof wegen dieser Abgabe in Verbindung zu setzen, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 27, 202, 2, 3, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 366, S. 151 vom 19. April 1465. HASTK (wie Fn. 18),: H. 9, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1141, S. 572f. Die Zollstreitigkeiten zwischen dem Erzbischof und der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert beruhten stets auf der Erhöhung eines alten oder der Aufrichtung eines neuen Zolles, vgl. den Vergleich zwischen Erzbischof Friedrich III. und Stadt vom 5. Juni 1393, Druck: Lacomblet (wie Fn. 4), III, Nr. 986, S. 874 ff, wo alle entgegen dem zwischen Maas und Rhein bestehenden Landfrieden errichteten Zölle und Geleite aufgehoben sein sollen (S. 875) vgl. Falke (wie Fn. 67), S. 77 ff; Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 127, S. 43 v. 17. Jan. 1368 (Ebf. v. Mainz); Nr. 329, S. 111, v. 1398 (?) (Mecheln); Nr. 351, S. 116f v. 10. Okt. 1398 (Düsseldorf); Nr. 358 v. 1. Febr. 1399 und in der Fn. v. 5. Nov. 1402 an den Herzog Albrecht von Bayern, Graf von Hennegau und von Holland, der allerdings eine Vermittlung ablehnt wegen seiner Fehde mit Johann v. Arkel (bei Gorinchem), Druck: Hans UB (wie Fn. 4) V, Nr. 551, S. 277f; Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 525, S. 181 v. 16. Mai 1414 (Bergheim); Nr. 1097, S. 379f vom 14. Dezember 1445, betr. Zoll und Geleitsgelder zu Huessen, Büderich und Orsoy; Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 84, S. 38 vom 14. Oktober 1452: Bekümmerung trotz Zoll- und Geleitsgeldzahlung; HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 32, 218 2 , Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 805, S. 426 von 1480 (Geleit in Zuitphen). Am 30. März 1375 erneuerten auf Geheiß Kaiser Karls IV. der Erzbischof von Köln, der Herzog von Brabant und die Städte Köln und Aachen ihren Landfriedensbund und richteten zugleich einen Landzoll ein, um die aus dem Landfrieden entstehenden Kosten zu decken. Er wurde in Weiden, Königsdorf, Bergheim, Birkesdorf, Herzogenrath und anderen Straßen zwischen Rhein und Maas erhoben, Druck: Lacomblet (wie Fn. 4), III, Nr. 766, S. 658 – 666. Der Bund ging im April 1387 zu Ende, vgl. Richard Knipping, Die Kölner Stadtrechnungen des Mittelalters mit einer Darstellung der Finanzverwaltung (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde XV), 2 Bände, Bonn 1897, 1898, hier: Band I, S. LXXII, vgl. Eichstaedt, Zöllner (wie Fn. 50), S. 26; Ster-

80 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden Drost zu Bergheim, die Bekümmerungen wegen dieses Geleitsgeldes einzustellen, weil auf Grund eines Vertrages mit dem Herzog von Jülich in Bergheim kein Geleitsgeld gefordert werden dürfe. Hier handelte offenbar ein nachgeordneter Amtsinhaber eigenmächtig. Um Weiterungen zu verhüten, wurde dieses in Bergheim rechtswidrig erhobene Geleitsgeld in das Abkommen aufgenommen, das bei Aufnahme des Jülicher Herzogs Reinald von Jülich-Geldern als Kölner Bürger am 7. März 1421 abgeschlossen wurde92. Gewöhnlich waren nur Waren zu verzollen, deshalb beschwerte sich die Stadt Köln bei der Stadt Roermond am 5. Juni 1487, weil dort gemünztes Geld verzollt werden sollte. Von einem solchen Zoll habe man noch nie gehört und bat, ihn abzustellen93. Da die Zollbelastung im 15. Jh. immer mehr zunahm, ist es nicht verwunderlich, dass die Kaufleute sich ihr möglichst zu entziehen suchten. Nach Möglichkeit vermied man die zollbewehrten Straßen und wich auf andere Wege aus. Als Gegenmaßnahme erfanden die Zollherren den Straßenzwang und den Wehrzoll94: Die Kaufleute sollten die rechte oder Zollstraße nehmen95. So erließ der Herzog Philipp von Burgund96 1454 ein Edikt, das den Kölner Kaufleuten, die seinen Zoll in Maastricht umgingen, eine Strafe in Höhe des vierfachen Zolles androhte97. Und die Stadt Köln verlangte von Aachen, dass sie ihren 92 93 94

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cken (wie Fn. 6), S. 49f. Text bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 654, S. 225, Zeile 14 ff. HASTK (wie Fn. 18),, Briefbuch 36, 54, 2, Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1057, S. 537. Grams (wie Fn. 67), S. 105, der darauf hinweist, dass die Kurfürsten von Mainz, Trier und der Pfalz 1408 einen Wehrzoll im Hunsrück erhoben, der so hoch war wie der Zoll in Ehrenfels, Bacharach, Kaub, Boppard, Lahnstein und Kappel zusammen. Vgl. Falke, (wie Fn. 67), S. 118f; Hoffmann (wie Fn. 67), S. 3f; Eichstaedt, Zöllner (wie Fn. 50), S. 91f. Gemeint ist Philipp III. (der Gute) von Burgund, Herzog 1419 – 1467; er betrieb eine erfolgreiche Territorialpolitik und erwarb Namur, Hennegau, Holland, Brabant, Limburg und Luxemburg. Die Kölner versuchten dem dadurch zu entgehen, dass sie die Schuld auf ihre Brabanter und Limburger Fuhrleute schoben und sich auf die Fehden gegen Maastricht beriefen, die sie zum Umwegen zwängen, vgl. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 22, 20v f, Regest des Kölner Briefes vom 1. März 1454 bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 128, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) VIII, Nr. 326, S. 221. Diese Umgehung von vorgeschriebenen Handelsstraßen war auch sonst nicht ohne Rechtsfolgen, sie konnte zur Entziehung des gewährten Geleits führen, vgl. den Brief der Stadt Köln vom 23. August 1497 an den Pfalzgrafen bei Rhein, der sein Geleit auf den Rhein und den dortigen Leinpfad beschränkt hatte: „doch das sy sich uf ind abe allein des Rynstromps ind leynpfadz gebrochen und geinre andere nebenstraissen uf dem Lande, wilch aber das dethen, sullen in diesem unserem geleide neit begriffen syn“. Die Stadt begehrte, das Geleit – wie bisher – in allen kurfürstlichen Landen zu genießen, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 39, 166v, 2, vgl. den Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1451, S. 728.

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 81 Kaufleuten verbiete, die Weine von Bonn aus über Land zu transportieren, um den vom Kaiser verliehenen Kölner Zoll und den Kölner Stapel98 zu umgehen99. Zur schlichten Flucht vor dem bergischen Zolleinnehmer in Merheim griff ein Fuhrmann, der einen ihn ungerecht dünkenden Zoll zahlen sollte: Er zerbrach die Zollschranke und versuchte zu flüchten. Die Zöllner erwiesen sich jedoch als schneller und stärker: Sie beschlagnahmten die Ware auf seinem Fuhrwerk100.

III. S CH U L D E N HA FT U N G 1. Das Arrestverfahren im Allgemeinen Die reisenden Kaufleute hatten nicht nur mit Zoll- und Geleitsfragen zu tun. Häufig wurden sie auch „bekümmert“, d. h. mit Kummer oder Arrest überzogen. Dieser Arrest konnte ihre mitgeführten Waren, aber auch sie selbst treffen. Zu Grunde liegt Folgendes. Sprachlich ist mit den verschiedenen Worten für Arrest gemeint, dass etwas (oder jemand), der sich in Bewegung befindet, an einem Orte bleiben muss101. Lateinische Bezeichnungen waren „pignorare“, „occupare“, deutsche „pfänden“, „besetzen“, „aufhalten“. Seit dem 13. Jh. treten „kummern“, „bekümmern“ und als Hauptworte „Kummer“, „Komber“ hinzu. Abzuleiten ist der Arrest ursprünglich aus der Gefangennahme des auf frischer Tat betroffenen Diebes, der seines Rechtsbruchs wegen gebunden vor Gericht gebracht wurde. Das MA stellte ihm den Schuldner gleich, der sich endgültig weigerte, seine Schuld zu begleichen. Wer als Schuldner flüchtete, hatte damit seine endgültige Erfüllungsweigerung bewiesen. Daraus entwickelte sich der sog. Fugitivenarrest, also eine Bekümmerung des flüchtigen Schuldners, die aber auch bereits zulässig war, wenn nur Fluchtverdacht bestand102. Ihn schloss man aus der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder seinem sonstigen unsicheren Verhalten.

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HASTK (wie Fn. 18), Urkundenarchiv [o. Nr.], Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1205, S. 598 – 600. 99 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 37, 122v, vom 2. November 1490, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1200, S. 597. 100 Köln versuchte in einem Brief an den Herzog Gerhard von Jülich-Berg, die Freigabe der kölnischen Güter zu erreichen, Brief vom 19. Okt. 1472, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 29, 328, 3, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 583, S. 291. 101 Vgl. H. K. Briegleb, Arrest und Kummer (zur Arrest-Synonymik), in seinen Vermischten Abhandlungen I, Erlangen 1868, S. 1 ff; Gerhard Buchda, in HRG II, Sp. 1257 – 1263. 102 Beispiel: Flucht des Antwerpener Kaufmanns Everhard van Mer aus Köln, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 33, 185v, 1, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 886, S. 465 vom 14. Oktober 1482.

82 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 2. Der Fremden- oder Repressalienarrest Eine zweite Arrestart war der Fremdenarrest. Weigerte sich ein Kaufmann, der in einer Stadt fremd war (also kein Bürgerrecht hatte und auch nicht eingesessen war), auf Mahnung des Gläubigers, die fällige Leistung zu erbringen, so konnte ihn der Gläubiger bekümmern, also entweder seine Güter oder ihn selbst festsetzen. Der Grund für dieses Vorgehen lag darin, dass sich seit dem Hochmittelalter zwar Handel und Kreditverkehr erheblich ausgeweitet hatten, doch die Rechtspflege so mangelhaft war, dass ein Gläubiger seine Ansprüche in einem fremden Gerichtsbezirk oft nicht durchzusetzen vermochte. Stattdessen hielt er sich an den „greifbaren“ Mitbürger, um ihn vor seinem heimatlichen Gericht zur Zahlung zu zwingen. Verklagte der Gläubiger den Fremden zu Hause und wurde ihm dort kein Rechtsschutz zuteil, so durfte er sich mit dem sog. Repressalienarrest an jeden Gerichtsgenossen des Schuldners halten. Diese hafteten nicht etwa als Gesamtschuldner oder als Gesamtbürgen, sondern weil sie als Gerichtsgenossen die Rechtsverweigerung ihrer Heimatstadt zu vertreten hatten103. Bekümmert wurde zuerst der ungehorsame Schuldner selbst. Seine Festnahme war erlaubte Eigenmacht. War es dem Gläubiger aber möglich, so sollte er den Richter und den Gerichtsboten beiziehen. Aus der richterlichen Mitwirkung wurde allmählich die richterliche Überprüfung des Arrestgrundes, mit der Folge, dass der Gläubiger nur noch im äußersten Notfall eigenmächtig (und das zu jeder Tag- und Nachtzeit) bekümmern durfte. Allerdings durfte der Gläubiger im Hause eines Wirtes, bei dem der Fremde nächtigte, keinen Hausfriedensbruch begehen, sondern musste den Wirt für den Arrest um Erlaubnis bitten. 103 Otto v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, II: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, 1873, S. 383f, 386 ff, 770 ff hielt diesen Arrest für einen Ausfluss einer allgemeinen Solidarhaftung, ebenso: Werner Ogris, Der mittelalterliche Leibrentenvertrag, (Wiener rechtsgeschichtliche Arbeiten 6), Wien 1961, S. 265 ff; dagegen meint Hans Planitz, Studien zur Geschichte des Arrestprocesses. Teil III. Der Fremdenarrest, in: ZRG, GA (wie Fn. 44), 40, Weimar 1919, S. 87 – 198, bes. S. 167 ff; der Repressalienarrest sei allgemein rechtswidrig und nur bei Rechtsverweigerung zulässig. Dann allerdings hafte neben dem verweigernden Gericht auch jeder Gerichtsgenosse auswärts für die Schuld.; ebenso: Gerhard Buchda HRG II, Art. Kummer, Sp. 1260. Auch die Städteverträge des 13. Jahrhunderts, die den Repressalienarrest grundsätzlich verboten, ließen ihn bei Rechtsverweigerung zu: So heißt es im Vertrag mit Deventer vom 15. Mai 1271 (Lacomblet (wie Fn. 4), II, Nr. 610, S. 361: „nisi forte contingeret, quod iudices et scabini Colonienses cooppidano nostro de ipsorum concive, principali reo, secundum consuetudinem civitatis Coloniensis iustitiam facere denegarent“. Die mittelalterliche Bürgschaft war – im Gegensatz zum heutigen Recht ( §§ 765 ff BGB) – vielgestaltiger und hatte weiterreichende Aufgaben, vgl. Werner Ogris Die persönlichen Sicherheiten im Spätmittelalter, in: ZRG, GA (wie Fn. 44), 82 (1965), S. 140 – 189.

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 83 Im Laufe der Zeit trat der Personalarrest hinter dem Sacharrest zurück. Beim Fremden- und Repressalienarrest konnte der Gläubiger nur das Gut beschlagnahmen, das der Fremde mit sich führte. Hier geht der Arrest, der eigentlich ein Generalzugriff auf das gesamte Vermögen des Schuldners war, in eine Art von Pfändung (also einen Einzelzugriff) über. Nötig war aber auch hier, dass der Gläubiger die Sache vor Gericht brachte. Allerdings wurde die Sache erst beim nächsten Gerichtstag verhandelt und der Gläubiger musste sowohl den Arrest als auch den Schuldgrund rechtfertigen. Das gelang ihm um so leichter, wenn der Schuldner nicht anwesend war, also ein Fugitivenarrest oder ein Arrest vorlag in Sachen, die z. B. ein Fuhrmann in Gewahrsam hatte. So konnte etwa ein Kölner Kaufmann in Utrecht gefangengesetzt und seine Waren beschlagnahmt werden, wenn ein anderer Kölner Bürger oder die Stadt dem in Utrecht wohnenden Gläubiger Geld schuldeten104, dieser aber in Köln keinen Gerichtsschutz hatte erlangen können. Ein Geleitsbruch lag dagegen vor bei der Bekümmerung von Böhmen nahe Köln105. Sie hatte nicht nur einen Protestbrief König Ladislaus‘ von Böhmen, sondern auch den Repressalienarrest gegen einen Kölner Bürger in Prag zur Folge. Die Einwände Kölns, die Böhmen seien nicht in der Stadt, sondern im Erzstift bekümmert worden und der in Prag bekümmerte Jakob Liblar sei kein Kölner Bürger, konnten Rat und Bürgermeister von Prag durch Zeugenaussagen widerlegen106. Schon im 12. und 13. Jahrhundert hatten allerdings die Verträge, die Köln mit anderen – meist niederrheinischen – Städten schloss, den Repressalienarrest verboten107. 104 Vgl. Werner Ogris in HRG IV, Art. ‚Repressalienarrest‘, Sp. 913 – 916. Weitere Beispiele: HASTK (wie Fn. 18), U. Nr. 12 500 – 12 502; 12 555, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 112, S. 54f v. 19. Juli 1453, wo in Westerschelde und Goes Kölner Bürger bekümmert wurden, weil der Gläubiger in Köln gegen seinen Onkel kein Recht hatte erlangen können; vgl. ferner HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 36, 95v f, vom 25. Sept. 1487, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1067, S. 542, wo der Kellner von Hammerstein den Wein eines Kölner Bürgers bekümmert hatte, weil andere Kölner bei Andernach angeblich ein Reh im Rhein geschossen, es aber nicht dem Amtmann zu Andernach abgeliefert hatten;. 105 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 36, 85f vom 6. August 1487, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1060, S. 539. 106 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 36, 143f, vom 23. Februar 1488, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1082, S. 550 und den Brief der Stadt Prag vom 24. März 1488, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1088. 107 Vgl. etwa den Vertrag mit Gent vom Mai 1284 in: quellen (wie Fn. 5), III , Nr. 240, S. 209, wo es heißt: „Quod nullus civis Coloniensis vel bona ipsius possunt arrestari ab aliquo de Gandavo pro debito alieno, nisi fuerit fideiussor vel factus debitor principalis vel possessor bonorum debitoris principalis vel fideiussoris et e converso ut nullus oppidanus Gandenus...“, weitere Nachweise bei Becker (wie Fn. 27), S. 10f. Gleichwohl wurde er auch im 15. Jh. noch immer vereinzelt angewandt, vgl. Brief Kölns an die zu Nimwegen versammelten Deputierten der Hansestädte vom 23. Februar 1448, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 19, 4, Regest in:

84 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden Dieser hatte in der Praxis des mittelalterlichen Rechts- und Wirtschaftslebens so sehr um sich gegriffen, dass der Handel ernsthaft beeinträchtigt wurde. Die Folge war nicht nur, dass einzelne Kaufleute ihr Bürgerrecht aufgaben108, um ihm zu entgehen, sondern auch, dass ein solcher Arrest entsprechende Retorsionsmaßnahmen hervorrief und schließlich, dass man versuchte, ihn durch entsprechende Verträge auszuschließen. Ein frühes Beispiel sind die Verträge zwischen der Stadt Köln und dem Stift Utrecht vom 22. und 23. März 1259109: Für die Formulierung und den Inhalt des Vertrages bedienten die Städte sich der Vermittlung des Erzbischofs Konrad von Hochstaden (1238 – 1261), des Kölner Domdekans Goswin, und der bewährten Hilfe des Albertus Magnus: Soweit sich die geistlichen Fürsten stritten, sollten die Kölner in Utrecht zwischen den Zollstätten Het Gein und Maarssen110 im Schutze Utrechts und die Utrechter Bürger in Köln zwischen dem Nord- und dem Südturm am Rheinufer (= Bayenturm) im Schutze Kölns stehen. Darüber hinaus sollte der Repressalienarrest zwischen den jeweiligen Bürgern nicht angewendet werden und die Gläubiger verpflichtet sein, sich nur an den Schuldner und dessen Erben zu halten. Im Übrigen wird der den beiden Städten seit sieben Jahren zugefügte Schaden am folgenden Tage in einem anderen Vertrag verglichen111. Am selben Tage (23. März 1259)112 erweiterten die beiden Städte den Vertrag dahin, dass zwischen ihnen nicht mehr das gängige Personalitätsprinzip 113

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Goswin Frhr. v. d. Ropp (Hrsg.), Hanserecesse von 1431 – 1476, Band III, Leipzig 1881, Nr. 389 S. 323f. Zum Beispiel Gerhard van Harve, der mit Schreiben vom 26. Mai 1489 sein Bürgerrecht aufgab, um seinen Handel in anderen Ländern besser verfolgen und seine Forderungen eintreiben zu können., Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II Nr. 1142, S. 573. Antwort der Stadt Köln hierauf: Die Kaufleute sollten sich um sicheres Geleit bemühen; das Bürgerrecht dürfe nicht aufgesagt werden. Wer sein Bürgerrecht aufgebe, werde nicht wieder aufgenommen, vgl. HASTK (wie Fn. 18), V. 126a, 83f; 126b, 130f; Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1149, S. 576 vom 12. August 1492. Regest bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 26, S. 8f und Hans UB (wie Fn. 4) I, S. 181, Nr. 518, 519 vom 22. März 1259; Druck: Quellen (wie Fn. 5), II, Nr. 391, S. 405 und Nr. 392 v. 23. März 1259, ebenda S. 406f. Vgl. Otto Oppermann, Untersuchungen zur Geschichte von Stadt und Stift Utrecht, II, in: Westdeutsche Zeitschrift 28 (1909), S. 155 – 243, hier: S. 208 ff. Inhalt bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 27, S. 9, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) I, Nr. 608/609, S. 181, vgl. III, S. 400f; es handelt sich um den erweiterten Handelsvertrag zwischen der Stadt Köln und Utrecht vom 23. März 1259. Vgl. zu diesem Vergleich und Vertrag: Hugo Stehkämper, Pro bono pacis. Albertus Magnus als Friedensmittler und Schiedsrichter, in: Archiv f. Diplomatik, Schriftgeschichte u. Wappenkunde, hrsg. v. W. Heinemeyer und K. Jordan, Band 23, Köln etc. 1977, S. 297 – 382, hier: S. 306 ff. Regest: Hans UB (wie Fn. 4) I, Nr. 519, S. 181; Druck: Quellen (wie Fn. 5), II, Nr. 392, S. 406, vgl. Hans UB, I Nr. 520, S. 181, Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 26, S. 9. Danach bindet das Recht nur die Mitglieder eines Personenverbandes und jedes Mit-

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 85 gelten sollte, wonach jeder nach dem Recht zu beurteilen war, das seiner Geburt entsprach, sondern dass der klagende Gläubiger sich dem Rechte des Ortes unterwerfen musste, an dem er klagte. Dass Kaiser Konrad II. (1024 – 1039) dieses Prinzip bereits im Jahre 1038 im Verhältnis zwischen Römern und Langobarden beseitigt114 hatte, wirkte sich nördlich der Alpen zunächst nicht aus. Infolge der wachsenden Handelsverflechtungen war aber auch nördlich der Alpen das Personalprinzip immer schwerer zu handhaben. Man versuchte es deshalb seit dem 13. Jh. vertraglich auszuschließen. Bemerkenswert ist, dass Oldenzaal dieser Regelung im folgenden Jahre beitrat115 und dass sie sich offenbar bewährte, denn der Vertrag wurde am 31. Oktober 1262 erneuert und erweitert116. Nicht immer gehen die Regelungen allerdings so weit wie zwischen Köln und Utrecht. Das zeigt ein Vertrag zwischen Köln und Nimwegen vom 9. Dezember 1278117. Er gewährte den Bürgern beider Städte zwar wechselseitig Verkehrssicherheit und schnelle Rechtshilfe, sah aber einen in Köln zu verhängenden Repressalienarrest nur vor, wenn ein Nimwegener Gericht das Recht verweigerte118. Aber noch im Jahre 1482 droht Köln Nimwegener Kaufleuten Arrest an, wenn das Gut eines dort bekümmerten Kölner Eingesessenen nicht freigegeben werde119.

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glied kann verlangen, nach dem Recht seines Verbandes beurteilt zu werden, wo immer er lebt. In diesen Personenverband tritt der Einzelne durch Abstammung, Eheschließung oder Aufnahme ein. Vgl. Richard Schröder/Eberhard Frh. v. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Auflage, Berlin etc. 1932, S. 249f; Gerhard Köbler, Land und Landrecht im Frühmittelalter, in: ZRG, GA (wie Fn. 44), 86 (1969), S. 1 – 40, bes. S. 2 ff, 30 ff; Fritz Sturm, Art. ‚Personalitätsprinzip‘ in: HRG III, Sp. 1587 – 1597. „... sancimus ut quecunque amodo negocia mota fuerint, tum inter Romane urbis menia quam etiam de foris in Romanis pertinenciis, actore Longobardo vel reo Longobardo, a vobis duntaxat Romanis legibus terminentur nulloque tempore revicereant“, MGH Const. I, 1893, Nr. 37, S. 82, (Mandatum de lege Romana). Vgl. Quellen (wie Fn. 5), II, Nr. 249, S. 430 vom 1. Juli 1260, Hans UB (wie Fn. 4) I., S. 194 und Quellen II, Nr. 253, S. 439, Hans UB (wie Fn. 4) I, S. 196. Druck: Quellen (wie Fn. 5), II, Nr. 263, S. 456f, Regest: Hans UB (wie Fn. 4) I, Nr. 553, S. 206; Kuske (wie Fn. 4), I, Fn. zu Nr. 29, S. 10. Druck: Lacomblet (wie Fn. 4), II, Nr. 440, S. 420f; Hans UB (wie Fn. 4) I, Nr. 583, S. 285, der auf Nr. 520 verweist; eine Ausfertigung des Vertrages aus der 2. Hälfte des 13. Jhs. in Hans UB (wie Fn. 4) I, Nr. 441 (hierauf hat sich die irrtümliche Verweisung in Hans UB (wie Fn. 4) I Nr. 824 zu beziehen), vgl. ebenda Nr. 825 und Hans UB (wie Fn. 4) III S. 411 (Nachtrag zu Hans UB (wie Fn. 4) I Nr. 824, 825), Regest bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 44, S. 14. Insofern bestätigt sich die Ansicht von Planitz, Arrestprozess (wie Fn. 44), hier: S. 167 ff, 190 ff. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 33, 174, 1, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 883, S. 464, vom 30. August 1482.

86 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden Auch der Vertrag zwischen Köln und Gent vom Mai 1284 schränkte den Repressalienarrest ein120: Er ist danach nur zulässig gegen solche Bürger beider Städte, die Hauptschuldner eines Dritten waren, oder für den Dritten gebürgt hatten oder im Besitz von Gütern waren, die dem Dritten gehörten. Solche Verträge wurden auch später immer wieder geschlossen, um den Handel sicherer zu machen121. Verbote eigenmächtiger Pfändung und damit auch der Bekümmerung finden sich seit dem Mainzer Reichslandfrieden von 1235122 in den nachfolgenden Frieden bis zum „Ewigen Landfrieden“ von 1495123. Pfändung und Arrest wurden erst im 22. Titel des 2. Teils der Kammergerichtsordnung von 1548, der später sogenannten Constitutio Imperii super pignorationibus geregelt, die an derselben Stelle in der RKGO von 1555124 und im Konzept der RKGO von 1613 in Teil II, Titel 23 wiederkehrt125. Erst durch die Einführung eines beschleunigten Verfahrens in Arrestsachen wurde dem Bekümmerten die Möglichkeit gegeben, ein richterliches mandatum sine clausula zu erwirken, wonach der frühere Rechtszustand (vor dem Arrest) einstweilen wiederhergestellt wird126. Was konnte ein so bekümmerter Kaufmann vorher gegen seine Arrestierung tun? Er wandte sich um Hilfe an den Rat der Stadt Köln. Dieser schrieb an den Gerichtsherrn oder den Rat der Stadt, der/die den Kummer verhängt hatte. Um die Widerrechtlichkeit der Zwangsmaßnahme nachzuweisen, musste man dort eine besiegelte Urkunde mit einer appropriatio oder „Vereignung“, d. h. einer Eigentumsbestätigung vorlegen. Da die Eigentumsverhältnisse an solchem reisenden Gut nur schwer zu ermitteln waren, ließ man den Bekümmerten schwören, dass er an dem durch besondere Zeichen gekennzeichneten Gut127 alleiniger Eigentümer sei oder ob und welche Beteiligungen vorlagen. Eine solche Ur120 Vgl. Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 47, S. 14f, Druck bei Lacomblet (wie Fn. 4), II, Nr. 789, S. 465; Quellen (wie Fn. 5), III, Nr. 240, S. 209. 121 Ein solcher Vertrag ist erwähnt im Schreiben Kölns an Herzog Wilhelm IV. von JülichBerg vom 17. März 1483, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 33, 248v f, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 904, S. 475. 122 Druck bei Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 58, S. 68 ff, dort § 14. 123 Druck bei Zeumer (wie Fn. 2), Nr. 173, S. 281 ff , dort § 1, wo es heißt „Also das von Zeit dieser Verkündigung niemand, von was Wirden, Stats oder Wesens der sey, den andern bevechden, bekriegen, berauben, vahen, überziehen, belegern ... sol“, womit auch die Arrestanlegung gemeint ist, vgl. aber die Ausnahme unter Kaiser Friedrich III. zwischen 1442 und 1465, oben Fn. 9; vgl. Guido Kisch, Der deutsche Arrestprozess in seiner geschichtlichen Entwicklung, Wien etc. 1914, S. 184. 124 Vgl. Adolf Laufs (Hrsg.), Die Reichskammergerichtsordnung von 1555, Köln etc. 1976, S. 199f. 125 Druck bei v. Selchow, Concepte der Reichskammergerichtsordnung, Göttingen 1782. 126 Vgl. dazu näher: Kisch (wie Fn. 123), S. 185 ff. 127 Vgl. die Zusammenstellung dieser Kaufmannszeichen bei Kuske (wie Fn. 4), III, Tafelanhang.

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 87 kunde128 bestätigte einem Kölner Bürger oder Eingesessenen, dass das bekümmerte Gut ihm selbst oder einem durch ihn vertretenen Kaufmann gehöre „ind dat gheyn burger, noch ingesessen unser stat an den vurg. guden deil, noch gemein winnonge, noch wasdom129 en have, noch wardende en sij130 sonder argelist“131. Derartige „Vereignungen“ sind in den Urkunden häufig zu finden132.

3. Staatspolitische Beschlagnahme Mehrfach trifft man in den Urkunden Sonderformen des Fremden- bzw. Repressalienarrestes an, den man staatspolitischen Arrest nennen kann: Als Beispiel sei ein Brief der Stadt Köln an die Stadt Hasselt133 erwähnt, die das Gut eines Kölners und eines Augsburgers bekümmert hatte134. Köln versichert, dass es weder Antwerpener noch brabantisches Gut und dass auch niemand von dort am Gewinn beteiligt sei. Wenig später wird einem Kölner Bürger in Stockhem an der Maas ein Fass Harnische bekümmert. Um ihrem Bürger zu helfen, schreibt Köln sowohl an Herzog Philipp von Burgund135 als auch an den Elec128 Ausführliches Beispiel: Brief der Stadt Köln an Nimwegen, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 29, 174‘ f, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 535, S. 249f vom 4. Dezember 1470. ferner den Text in Nr. 386 v. 25. August 1465;. Nr. 621 vom 9. Oktober 1473 (Sierck in Lothringen a. d. Mosel); 129 „gemein winnonge noch wasdom“ formelhaft in solchen Urkunden für Unternehmergewinn gebraucht, vgl. Kuske (wie Fn. 4), IV, S. 537, Art. wasdom. 130 „noch wardende en sij“ noch eine Anwartschaft darauf habe, vgl. Ulrike Rühl, Glossar, Art. warden, in: Bernhard Diestelkamp/Klaus Flink, Der Oberhof Kleve und seine Schöffensprüche (Klever Archiv 15), Kleve 1994, S. 310; vgl. dieselbe Formel im Brief der Stadt Köln an Brügge vom 3. Dezember 1473 Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 629, S. 311 und Brief Kölns vom 12. Juni 1492, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 37, 363v,1, Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1278, S. 650 sowie Brief vom 12. Juni 1492, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 37, 363v, 2, Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1278, S. 650f. 131 Eine lateinische Version dieses Textes findet sich im Briefe der Stadt Köln vom 17. August 1468 an König Edward IV. von England (1442 – 1483): „ita quod nullus alius nostre civitatis extraneus aut forensis in illis partem aut concionem, lucrum nec dampnum habeat, nec speret habere, sine dolo et fraude“, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 451, S. 195f. 132 Vgl. z. B. die Regesten bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 43 v. Dez. 1450; Nr. 240 v. 10. Juni 1460 mit Verw.; Nr. 264 v. 14. April 1461; Nr. 265 v. selben Tage; den Text in Nr. 348 v. 12. März 1464; Nr. 560 vom 6. Januar 1472 und 568 vom 15. Februar 1472 (selbe Sache); Nr. 586 vom 12. November 1472; Nr. 602 vom 30. April 1473; Nr. 635, S. 314f vom 16. Februar 1474 (Kummer durch den Abt von Brauweiler); Nr. 805, (Text), S. 426 von 1480; 133 Stadt in Belgisch- Limburg, westlich Maastricht, vgl. Kuske (wie Fn. 4), IV, S. 277. 134 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 27, 232f, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 386, S. 159f, vom 25. August 1465, dazu das Regest vom 25. Sept. 1465 an den Herzog von Burgund, (HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 27, 240v, 2, Kuske (wie Fn. 4), Nr. 388, S. 161) das die politischen Hintergründe des Kummers aufdeckt. 135 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 27, 240v, 2, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 388,

88 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden tus von Lüttich und an die Städte Lüttich und Maastricht mit der Bitte, das Gut freizugeben. Mit allen genannten hat die Stadt Köln zwar gute Handelsbeziehungen oder gar Geleitsverträge, doch drängte sich wohl immer der Verdacht auf, dass die Kaufleute die Feinde begünstigten, so dass man zum Kummer griff, um sich vor Nachteilen zu schützen136. Dass eine solche staatspolitische Beschlagnahme oft das einzige Mittel war, um sich gegen Übergriffe von Territorialherren oder Städten zu wehren, zeigt das Mandat Kaiser Friedrichs III. vom 18. August 1468137, in dem er einer Vielzahl von rheinischen Territorialherren und niederrheinischen Städten befahl, die Kölner, deren Kaufleute in Geldern und Zuitphen angegriffen wurden, zu unterstützen, wenn sie auf dem Rhein und innerhalb der Bannmeile die Gelderner und Zuitphener an Leib und Gut angreifen138. Andererseits waren die Kölner klug genug, auf Gewalt zu verzichten, wenn sie einen staatspolitisch motivierten Arrest dadurch vermeiden konnten, dass sie einen Umweg machten139.

S. 161, vom 25. Sept. 1465. 136 Ein anderes Beispiel: HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 30, 36, 2; Brief der Stadt Köln vom 14. Mai 1473; Briefbuch 39, 2 v. 28. Mai 1473 (Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 606, S. 303) wo ein in Köln ansässiger Steinmetz bussenkloete, also Geschützkugeln, nach Nimwegen verfrachtet hatte. Die Stadt schrieb, der Kölner habe nicht gewusst, dass er sie nicht nach Geldern habe führen dürfen. Sie wurden am Zoll in Orsoy bekümmert weil der Klever Herzog im Krieg mit Geldern lag. Drei Wochen später antwortete der Herzog mit Brief vom 7. Juni 1473 (bei Kuske (wie Fn. 4), II Nr. 612, S. 304f) in derselben Sache: Die geldrischen Kaufleute hätten von ihm zwar trotz des Krieges Geleit erhalten, aber nicht für Konterbande (gereitschap, then orloch dienende, as mit namen bussen, donrekloet, donrekruyt ind der gelijcken“, um die es sich hier handele; auch bei Nr. 621, S. 307, vom 9. Oktober 1473 (Bekümmerung in Sierck in Lothringen a. d. Mosel, weil es sich um Metzer Gut handele) scheint es sich um politischen Arrest zu handeln. 137 Vgl. HASTK (wie Fn. 18), Urk. Nr. 13 108a, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 452, S. 197; vgl. ebenda Regest Nr. 525, S. 231, vom 13. Juli 1470. 138 Freilich gingen die Kölner in diesen Retorsionsmaßnahmen zu weit: Denn Friedrich III. verbot ihnen durch Mandat vom 24. Juli 1471, die Geldernschen Kaufleute auf dem freien Rheinstrome zum Schaden von Zöllen und anderen Gerechtigkeiten anzugreifen (KUSKE (wie Fn. 4), II Nr. 452, S. 197). Allerdings kam dieses Mandat gegen die Kölner in gewisser Weise zu spät, denn bereits am 13. Juli 1471 hatte Herzog Arnold von Geldern die Kölner gebeten, den freundschaftlichen Handelsverkehr wieder aufzunehmen. 139 Vgl. die Bitte der Stadt Köln an den Bischof Heinrich III. von Münster vom 4. Dezember 1479, den Kölnern die Fahrt durch das Gebiet von Münster und die Grafschaft Zuitphen – gegen Zahlung von Zoll- und Wegegeld – zu gestatten, weil in Geldern Strom und Straßen gesperrt seien, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 32, 192v, 3, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 796, S. 423 mit weit. Verw.

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 89

4. Nachlassarrest und Erbenhaftung Nicht nur die Leistungsverweigerung, sondern auch der Tod eines Schuldners galt als endgültige Weigerung der Nichterfüllung. Starb der Schuldner, so lag nach damaliger Auffassung darin ein Entweichen, weil er verpflichtet war, bei Lebzeiten zu zahlen140. Ursprünglich gab es deshalb einen Personalarrest gegen den Leichnam des Schuldners141. Da es für die Schuldtilgung wenig Sinn hatte, dem Toten das Begräbnis zu verweigern, griff nach den deutschen mittelalterlichen Rechtsquellen der Gläubiger auf den Nachlass des Schuldners zu. In Köln wurde im 15. Jh. die Erbenhaftung nicht mehr durch besondere Schuldurkunde begründet142, denn nach Art. 14 und 16 der Statuten von 1437 war hier die Erbenhaftung nach römisch-rechtlichem Vorbild geordnet143. Folglich konnte der Arrest gegen den Erben und dessen Gut ergehen. Auch in Antwerpen wurden 1452 Weine eines Kölner Kaufmanns mit der Behauptung bekümmert, er sei der Erbe des Schuldners144. Gleichzeitig wurde die Sache in Antwerpen bei Gericht anhängig gemacht.

IV.

G E W Ä H RL E I S T U N G

1. Allgemeines Eine eigentliche Sachmängelhaftung kannte das ältere deutsche Recht nicht, doch konnte der Käufer offensichtlich mangelhafte Ware zurückweisen. Hatte 140 Vgl. Hans Planitz, Grundlagen des deutschen Arrestprozesses. Ein Beitrag zur deutschen Prozessrechtsgeschichte, Leipzig 1922, S. 17. 141 Eine solche Bestimmung findet sich in Köln im Recht des Schöffenschreins von 1387, Druck bei Stein (wie Fn. 24), I, Nr. 314, § 16, S. 563, doch ist diese Art des Kummers in der Vorarbeit [nach 1491] für das Konkordat mit dem Erzbischof von Köln von 1506 bereits abgeschafft, Druck bei Heppekausen (wie Fn. 57), Anlage I, Art. 4, S. 281f, vgl. das Konkordat von 1506 bei Petrus Alexander Bossart, Securis ad radicem posita ..., Bonn 1729, Art. 7, S. 357. 142 Vgl. dazu Wilhelm Ebel, Über die Formel „für mich und meine Erben“ in mittelalterlichen Schuldurkunden, in: ZRG, GA (wie Fn. 44), 84 (1967), S. 236 – 274, hier: S. 259. 143 Kölner Statuten vom 15. Juni 1437 bei Stein (wie Fn. 24), I, Nr. 331, Art. 14, S. 648, Zeilen 8 – 12, wo sich hinsichtlich der beschränkten Erbenhaftung nach Inventarerrichtung bereits der Einfluss des römischen Rechtes zeigt, vgl. Art. 16, S. 649 und Otto Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, 2. Abt. Braunschweig 1864, S. 291, Fn. 9 und im Übrigen Heppekausen (wie Fn. 57), S. 49 ff. 144 Vgl. Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 90, S. 41 vom 25. Nov. 1452, aus: HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 21, 94v, wo noch auf eine Bekümmerung eines Kölner Bevollmächtigten durch zwei Mechelner hingewiesen wird, vgl. Briefbuch 21, 131v f. Der Erbenhaftung versuchte man sich zuweilen durch die Behauptung zu entziehen, man habe das Erbe nicht angetreten, vgl. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 37, 366f, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1280, S. 651 von Juni 1492.

90 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden er die Sache vorbehaltlos angenommen, so galt das als Billigung, rügte er einen Mangel nicht, so hatte er sich mit seinem Recht verschwiegen. Deshalb galt der Grundsatz „Augen auf, Kauf ist Kauf“145. War ein heimlicher Hauptmangel verschwiegen worden, so konnte der Käufer wandeln146. Im Übrigen ist nicht belegt, dass der Käufer einer mangelhaften Sache sie dem Verkäufer zurückgeben und den Kaufpreis zurückfordern147 oder mindern konnte148. Immerhin war der Käufer geschützt, wenn der Verkäufer ihn arglistig getäuscht und betrogen hatte. Das Wort ‚wandeln‘ oder ‚wandelbar‘ heißt im alten deutschen Recht nicht – wie heute – Rückgängigmachung und Rückabwicklung des Kaufes, sondern entweder ‚strafbar‘ oder ‚mit Geldbuße ablösbar‘149. Denn ‚wandel‘ ist herzuleiten von ahd. wantal = Tadel, Makel. Die Bedeutung ‚zurücknehmen‘ ist dagegen erst in neuerer Zeit belegt150. Ein Fall, in dem die Kläger wahlweise Wandelung oder Schadensersatz fordern durften, trug sich 1461 in Köln zu: Der Knecht des Kaufmanns Peter Hoghevel aus Brügge hatte Rosinen als gutes Kaufmannsgut verkauft, sie waren aber minderwertig. Die Richter des Kölner Hallengerichtes151 verurteilten ihn 145 Vgl. Eduard Graf/Mathias Dietherr, Deutsche Rechtssprichwörter, 2. Ausgabe, Nördlingen 1869, Neudruck Aalen 1975, VI, Nr. 201, S. 259; Manfred Klischies, Die geschichtliche Entwicklung der Sachmängelhaftung beim Kauf beweglicher Sachen im deutschen Recht bis zum 19. Jahrhundert, Diss. iur. Kiel 1965, S. 19. 146 Die heutige Sachmängelgewährleistung der §§ 459 ff BGB stammt dagegen weitestgehend aus dem römischen Recht, vgl. Heinrich Mitteis/Heinz Lieberich, Deutsches Privatrecht, 9. Auflage, München 1981, Kap. 50, IV, S. 153f. 147 Vgl. Klischies (wie Fn. 145), S. 22. 148 Vgl. Klischies (wie Fn. 145), S. 23 ff, vgl. F. Conze, Kauf nach hanseatischen Quellen, Bonn 1889, S. 109f. 149 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 13, Leipzig 1922, Art. ‚wandelbar‘ unter D 1, Sp. 1571f; Nachweise bei Klieschies (wie Fn. 145), S. 21f. 150 Vgl. Karl Schiller /August Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch, Bd. V, Bremen 1880, Art. ‚wandelbar‘, ‚wandel‘, S. 587, heißt Fehler, Gebrechen habend, fehlerhaft (und deshalb straffällig). 151 Vgl. zum Gericht in der Halle: Dieter Strauch, Kleine rechtsgeschichtliche Schriften. Aufsätze 1965 – 1997, Köln 1998, S. 237, zum Vorgang vgl. den Brief der Hallenrichter vom 31. Juli 1431 an Brügge, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 25, 107f, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 275, S. 123f mit den Weiterungen in der Fußnote, wonach zur Verurteilung des Lombarden, von dem der Brügger Kaufmann Peter Hoghevel die Rosinen gekauft hatte, das Siegel der Kölner Hallenrichter nicht ausreichte, so dass die Stadt Köln am 11. Dezember 1461 den Vorgang erneut beurkunden mußte. Der Ausdruck „wandelbar ind geyn kouffmans guet“ findet sich auch im Zeugnis der Stadt Köln über eine minderwertige Talglieferung vom 6. Mai 1469, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 29, 26, Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 474, S. 205.

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 91 auf Klage der Käufer zur Rücknahme des Gutes oder zum Schadensersatz, den der Knecht auch zahlte. Eine echte Wandelung im modernen Sinne findet sich erst 1495 beim Tuchverkauf152. Die Bezeichnung „gutes Kaufmannsgut“ ist der Schlüsselbegriff bei allen Sachmängeln153. Er bildete sich an den Qualitätsnormen des Zunft- und Marktrechts aus und kam dem Käufer zugute154.

2. Lieferung mangelhafter Lebensmittel Dass in den Handelsbeziehungen zwischen Köln und den Niederrheinlanden minderwertige oder fehlerhafte Ware geliefert wurde, ist nicht ganz selten. Auch damals wurde schon Wein verfälscht: „dat man in etlichen wynen bevonden hedde gekrude ind diverse substancie, der naturen unbequem“, mit anderen Worten, dass man geringen oder sauren Wein süßte oder ihn in anderer Weise schönte. Die Stadt Köln versprach der Stadt Antwerpen am 8. August 1451, diese Missbräuche abzustellen155. Aber nicht nur Wein wurde gepanscht, sondern auch Öl156. Bei der Butter gab man den Tonnen zu starke Wände, vermehrte auf diese Weise das Taragewicht und verkaufte „holt voer botter“157; auch verfälschte man die frische mit alter und weißer Butter158. Auf die Kölnische Beschwerde159 erließ 152 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 38, 287, 2, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1396, S. 702f, vgl. unten Fn. 144f, S. 26. 153 Im Eid der Kölner Fischunterkäufer vom 24. Mai 1465 heißt es zum ‚guten Kaufmannsgut‘: „und en ist id niet kouffmansgut, so dat id wandelbair is, dat en sullen sy niet vur goit verkouffen, und dat sullen sy den burgeren und den kouffluden kont doin sonder argelist“, vgl. den Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 372, S. 153 – 156. 154 Vgl. Karl Otto Scherner, Art. Kauf, -recht, in: LexMa V, 1991, Sp. 1080 – 1082. 155 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 20, 149f, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 58, S. 26 ff und Hans UB (wie Fn. 4) VIII, Nr. 78, S. 50f ein gleichlautender Brief ging auch an die Städte Dordrecht, Utrecht, Kampen, Deventer, Arnheim, Nimwegen, Zuitphen, Wesel und Duisburg. 156 Köln schreibt an die Städte Rees, Emmerich, Kalkar, Nimwegen, Kleve und Hertogenbosch mit der Bitte, ihre Kaufleute zu veranlassen, nur reines Öl zu verkaufen, und nicht „mit lynoeley, meynoeley, hederigem oley in mit manicher hande aderen sachen vermengtes Öl“ zu liefern (also kein Leinöl, kein Mohnöl (oder gefälschtes Öl), kein untaugliches oder gepanschtes Öl zu liefern, vgl. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 23b, 56, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) VIII, Nr. 588, S. 385; Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 191, S. 96. 157 Brief Kölns an Deventer, Zuitphen, Hoorn, Zwolle und Kampen vom 14. August 1456, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) VIII, Nr. 490, S. 318f, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 168, S. 86. 158 Brief Kölns an Dordrecht und Deventer vom 23. Juni 1464, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 27, 46,1, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) VIII, Nr. 1256, S. 774f; Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 333, S. 141f mit weit. Nachweisen. 159 Köln hatte schon in den Jahren 1444 und 1456 Deventer gegenüber Klage wegen das überhöhte Taragewicht der Butterfässer geführt, vgl. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 23a, 84, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) VIII, Nr. 489 vom 14. August 1456, vgl. Zeger Willem Sneller, Deventer, die Stadt der Jahrmärkte, Pfingstblätter des Hansischen Ge-

92 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden Deventer, wo die holländische und friesische Butter von Kölner Kaufleuten gekauft wurde, eine Verordnung über das zulässige Gewicht der Butterfässer160. Damit waren zwar die Kölner zufrieden, doch forderte Deventer damit den sog. Butterstreik heraus: Auf Initiative von Herzog Philipp von Burgund boykottierten die holländischen Städte den Markt von Deventer, das zum Stift Utrecht gehörte, auch Friesland schloss sich an. Holländer und Friesen brachten ihre Butter nach Harderwijk. Zum Entsetzen von Deventer – das doch nur dem Willen Kölns gefolgt war – kauften nun auch die Kölner Kaufleute die Butter in Harderwijk. Zudem suchten die Nachbarstädte Zwolle, Kampen und Zuitphen den Handel von Deventer an sich zu ziehen. Erst 1472 war der Streit beigelegt161. Viel Aufmerksamkeit und Beschwerden verursachte der Handel mit den leicht verderblichen Heringen, die als begehrtes Nahrungsmittel nach Köln und von dort nach oberdeutschen Städten162 gehandelt wurden. So sollten nach Köln keine Korbheringe gebracht werden, die vor dem 1. Mai gefangen wurden163, Tonnheringe galten als ungeeignet, wenn sie vor dem 25. Juli gefangen waren. Deshalb sollte eine Fangzeitbescheinigung ausgestellt werden164. Ein

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schichtsvereins XXV, 1936, darin IV: Der Streit zwischen Deventer und den holländischen Städten, S. 65 – 93, hier: S. 75 ff. Verordnung „van der gewychte der bottervatn“ vom Frühjahr 1463, Druck: Deventer G. A. Edicta magistratus 1459 – 1538, S. 29 neu, zitiert nach Sneller (wie Fn. 159), S. 76; vgl. das Schreiben Deventers an Köln vom 6. Juli 1463, Regest: Hans UB (wie Fn. 4) IX, Nr. 4, S. 2, wo auf HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 27, 45 v, Regest: Hans UB (wie Fn. 4) VIII, Nr. 1257, S. 775 vom 23. Juni 1463 verwiesen ist. Vgl. zu diesen Fragen: Sneller (wie Fn. 159), S. 75 ff; Klaus Spading, Holland und die Hanse im 15. Jahrhundert. Zur Problematik des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, hrsg. v. d. Hansischen Arbeitsgemeinschaft der Historiker-Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik, Weimar 1973, S. 81 ff. Der Brief vom 22. Januar 1470 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 29, 93, 2, Brief Kölns an Ebf. Adolf v. Mainz vom 22. Januar 1470, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 504, S. 223f, nennt Worms, Speyer, Straßburg, Basel, Trier, Metz, Nürnberg und Frankfurt. Brief Kölns an Antwerpen vom 20. Juni 1457 wegen Korbhering, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 23b, 56, 2, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 192, S. 96; vgl. ebenda für Korbhering Nr. 187, S. 93, vom 8. Juni 1457, über getrocknete Bücklinge, Stichtag für die Fangzeit ist hier der 15. Mai. Der Tonnhering galt – wenn vor dem 25. Juli gefangen – als ungesund und wertlos, vgl. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 29, 93, 2, Brief Kölns an Ebf. Adolf v. Mainz vom 22. Januar 1470, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 504, S. 224; diese Daten werden bestätigt im Brief Kölns an Veere vom 24. August 1484, der sich auf die von Maximilian erlassene Ordnung beruft, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1064, S. 540f. vgl. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 29, 101f, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 511, S. 226; vgl. Brief Kölns an Wesel vom 3. Oktober 1470, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 93 dauernder Streitpunkt war die Packung der Heringe: Um haltbar zu sein, mussten die Fische gut gesalzen, dicht gepackt und durften nicht einfach in die Tonne gestürzt worden sein165. Um diese für die Brauchbarkeit der Ware entscheidenden Fragen dauerhaft zu regeln, wurden im Rahmen der Hanse intensive Verhandlungen zwischen Kölner Kaufleuten und Vertretern der Städte Antwerpen, Dordrecht und Zierikzee gepflogen. Am 1. Oktober 1480 lag der Entwurf einer solchen Ordnung über das Packen und Salzen der Heringe vor166. Erzherzog Maximilian wurde gebeten, ein entsprechendes Mandat zu erlassen167, das am 31. Juli 1480 auch tatsächlich erging168. Gleichgültigkeit oder die Versuchung, sich das Leben zu erleichtern, ließen allerdings diese Ordnung bald in Vergessenheit geraten. Schon 1493 musste wieder nachdrücklich darauf hingewiesen169 und im Folgejahre eine neue (und ausführlichere) Ordnung des Heringshandels erlassen170 werden, nachdem sich die Städte Speyer, Frankfurt und der kurfürstlich Mainzer Statthalter in Köln171 über verdorbene Heringslieferungen beschwert hatten. 29, 156, 1, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 531, S. 247. 165 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 27, 135v 2, Brief Kölns an Brielle, Schiedam, Vlaardingen, Goedereede, Rotterdam, Brouwershaven und Brummen vom 23. Juni 1464, Druck: Hans UB (wie Fn. 4) IX, Nr. 111, S. 56f; Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 354, S. 148. Diese Klage wiederholt sich in einem Brief Kölns an Dordrecht, Rotterdam, Schiedam, Delft, Brielle, Goedereede, Brouwershaven, Zierikzee, Veere und Vlissingen vom 2. August 1479, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 32, 155v, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 781, S. 408f; auch über die Packung des Kabeljaus klagt Köln, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 32, 156, Brief Kölns an den Haag vom 2. August 1479, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 782, S. 409. 166 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 32, 280v f, Entwurf einer Ordnung über Salzung und Packung der Heringe vom 1. Oktober 1480, Druck: Hans UB (wie Fn. 4), X, Nr. 844, S. 527f und bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 816, S. 432f; ob sie angenommen wurde, ist dort nicht gesagt. 167 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 32, 248f, Brief Kölns an den Deutschen Kaufmann zu Brügge vom 7. Juli 1480, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 814, S. 431f. Dieses Mandat scheint Maximilian (damals noch Erzherzog von Österreich und Herzog von Burgund, seit 1486 König, seit 1508 Kaiser) tatsächlich am 31. Juli 1480 erlassen zu haben, denn der Brief Kölns an Veere vom 24. August 1484 beruft sich auf die von Maximilian erlassene Ordnung, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1064, S. 540f. 168 Vgl. Fn. 167. 169 Brief der Stadt Köln an die in Fn. 166 genannten Städte vom 24. Juli 1493, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 38, 72v f, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1320, S. 665f. 170 Vgl. das Transsumpt König Maximilians I. und Erzherzog Philipps von Österreich vom 23. Juni 1495, in dem die Vereinbarung zwischen Köln und den holländischen Städten vom 12. August 1494 bestätigt wird, Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1395, S. 697 – 702; vgl. die holländische Heringshandelsordnung vom 8. Juni 1496, Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1416, S. 711f. 171 Vgl. Brief der Stadt Speyer an die Stadt Köln vom 7. Juli 1494, Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1357, S. 80f; Brief der Stadt Frankfurt/M. an Köln vom 11. Juli 1494,

94 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden Auch der aus Indien eingeführte Ingwer wurde gefärbt und vermischt172, worauf Köln noch im selben Jahre den Verkauf von gefärbtem Ingwer verbot173. Von Fälschung betroffen war auch das Universalheilmittel Theriak174.

3. Lieferung wandelbaren Kaufmannsgutes Die Sachmängel betrafen aber nicht nur Lebens- und Heilmittel, sondern auch andere Handelsgüter: So war ein Kaufmann aus Löwen in Haft genommen worden, weil er „steyne ind beyn vur guden corall ind messancksrynge vur goult” verkauft hatte175. Nach der Entlassung aus der Kölner Haft musste er Urfehde schwören, um die Sache zu beenden. Auch die mehrfachen Bekümmerungen des Kölner Kaufmanns Westfelinck wegen Handels mit falschem Silber und falscher Seide176 gehören hierher. Von echter Wandelung im römisch-rechtlichen (und modernen) Verständnis ist erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Rede: Am 10. August 1495 teilt Köln den Straßburgern seine Ordnung des Wolltuchverkaufs mit. Tuchabschnitte durften erst verkauft werden, nachdem „dieselve tuchere en syn dan vurhin ime wasser genatzt, gekrumpen und geschoren, so das inne forter nichtz abghen mach"177; sie mussten also vor dem Verkauf dekatiert werden, damit sie hinterher nicht schrumpften. War das nicht geschehen, so musste der Verkäufer das Tuch zurücknehmen und den Kaufpreis zurückzahlen178.

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Text bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1359, S. 681f; Schreiben des kurfürstlich Mainzer Statthalters in Köln an die Stadt vom 12. Juli 1494, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1360, S. 682. Brief der Stadt Brügge an Köln vom 15. Juli 1412, Druck: Hans UB (wie Fn. 4), V, Nr. 1062, S. 553f, Auszug bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 488, S. 171, wonach die Ware bereits „in terris Indie et aliis Sarracenorum et paganorum distantissimis“ gefärbt werde. Der Brief fährt fort: „intentionis nostre est, ad tuitionm omnium mercatorum istis fraudulentibus sophisticationibus obviare...“. Verbot des Verkaufs „van geverwedem gengever“ vom 23. November 1412, bei Stein (wie Fn. 24), II, Nr. 125, S. 214, wo der Rat droht, die verfälschte Ware zu beschlagnahmen und zu verbrennen. Es bestand aus Honig und Südwein, die mit allerlei Gewürzen und Heilmitteln vermischt waren; zur Zusammensetzung vgl. Kuske (wie Fn. 4), IV, S. 528, Art. Theriak. Das Gelieferte haben Sachverständige in Köln „as falsch guet“ erkannt., vgl. die Bekundung der Stadt Köln vom 9. März 1470, HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 29, 98v, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 508, S. 225; nach § 2 der Kölnischen Apothekenordnung vom 23. Juni 1478 sollten die Apotheker „geyn ander theriakell [zo] ministreren dan tiriaka magna Galeni“; Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 761, S. 399 – 402. HASTK (wie Fn. 18), Urk. Nr. 10 774; Regest bei Kuske (wie Fn. 4), I, Nr. 815, S. 282. Vgl. unten die Fnn. 183 ff. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 38, 287, 2, Druck bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1396, S. 702f. Es heißt bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1396, S. 702: „so moeste der verkeufer allezijt zu gesinnen des keufers das tuch weder sich nemen und deme keufer syn gelt, er dafur bezalt hette, auch weder

Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden 95

4. Die Ahndung von Verstößen gegen „goede koumanschaff“ Da die Wandelung (Rückgängigmachung des Kaufes) im heutigen Sinne im 15. Jahrhundert kaum ausgebildet war, wusste man sich anders zu helfen, wie am Beispiel des Kölner Kaufmanns Johann Westfelinck zu ersehen ist. Er taucht zuerst 1473 als Diener des Kölner Kaufmanns Peter van dem Kyrchowe auf179, reiste regelmäßig in den französischen und lothringischen Raum und wurde 1480 aus politischen Gründen in Diedenhofen gefangengesetzt, das Gut, das er bei sich führte, bekümmert180. 1485 geriet er in Bergen op Zoom in den Verdacht, mit falschem Silber, Safran „ind anderen quaden feyten“ [und anderem Betrug] gehandelt zu haben. Obwohl man ihm keine Unregelmäßigkeiten nachweisen konnte, ließ ihn der Schultheiß acht Tage lang einkerkern, doch die Stadt Köln stellte sich hinter ihn181. 1487 versuchte er, in Antwerpen 160 Pfund minderwertiger Seide zu verkaufen, konnte aber nur 100 Pfund absetzen und reiste mit dem Rest nach Bergen op Zoom. Dort ertappten drei Mitglieder des Kölner Seidenamtes Westfelinck bei seinem Tun, brachten ihn in Köln in Haft und klagten ihn an182, um den guten Ruf des Kölner Seidenamtes zu wahren183. Sein Verteidigungsbrief ist erhalten184: Er habe die Seide billiger gelassen, weil er dafür Ware (und kein Geld) eingetauscht habe. Er kam wieder frei, wurde aber zwei Jahre später in Antwerpen wegen des Verdachts, mit falschen Münzen, falscher Seide und falschem Safran gehandelt zu haben, bekümmert, doch

geben, oder syn gunst darvur werben“. 179 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 30, 16, Regest: Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 597, S. 298f. 180 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 32, 231, 1 Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 811, S. 429f, dort weit. Hinweise ü. den Vorgang, es handelt sich um einen staatspolitisch motivierten Arrest. 181 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 34/35, 169 ff, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 974, S. 497 mit weiteren Hinweisen über die Entwicklung des Falles; vgl. Hirschfelder, Handelsbeziehungen (wie Fn. 1), S. 295f. 182 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 36, 41v f, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1050, S. 533. 183 Der dritte Amtsbrief der Seidmacherinnen vom 20. Juni 1469 (der den ersten von 1437 und den zweiten von 1461 ersetzte) verbot in § 14 die Verfälschung der Seide mit Garn, in § 15 die Knotenseide und ordnete in § 21 an, dass Meister, die Gut fanden, „dat niet uprecht noch koufmansguet en were“ dieses auf das Amt bringen sollten, wo es der bisherige Besitzer selbst zerschneiden und außerdem eine Buße zahlen sollte. § 22 ergänzt: Verkauft jemand, der dem Seidenamt nicht angehört, Seide in Köln, der solle ebenfalls darauf achten, dass es rechtes Kaufmannsgut sei. Wo nicht, sollte er von jedem Pfund Seide vier Mark Buße zahlen, vgl. Heinrich von Loesch, Die Kölner Zunfturkunden nebst anderen Kölner Gewerbeurkunden bis zum Jahre 1500 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde XXII), 2 Bände, Bonn 1907, Nachdruck Düsseldorf 1984, hier: Band I, NR. 62, S. 163 – 171. 184 Brief Westfelincks vom 4. März 1487 bei von Loesch,(wie Fn. 176), Band II, S. 576f.

96 Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden schützte ihn die Stadt Köln abermals185. 1490 bat die Stadt in einem offiziellen Brief sogar Bergen op Zoom, Westfelinck bei seinem Handel zu unterstützen186. Die Vorgänge zeigen, dass man zwar schwarze Schafe zu bestrafen suchte, um den guten Ruf der Kölner Zünfte und Kaufleute zu erhalten, dass man aber auch bereit war, die Kölner Kaufleute als Bürger zu stützen und gegen unberechtigte Angriffe draußen zu verteidigen.

185 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 36, 307f vom 15. Mai 1489, Regest bei Kuske (wie Fn. 4), II, Nr. 1139, S. 571, vgl. HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 37, 54, 1, vom 7. Juni 1490. 186 HASTK (wie Fn. 18), Briefbuch 37, 39, Regest in: Hans UB (wie Fn. 4) XI, Nr. 397, S. 287, vgl. das weitere Schicksal dieses Kaufmanns bei Hirschfelder, Handelsbeziehungen (wie Fn. 1), S. 296.

750 J A HR E K LE IN E R S C H IE D (17. April 1252 – 17. April 2002)

I. H I S T O RI S C HE E I N F Ü H RU N G : *) 750 J A H RE K LE I N E R S CH I E D Uns Heutigen mutet dieser Name seltsam an: Was heißt eigentlich Schied? – Es ist eine Kurzform für einen Schiedsspruch, der heute vor 750 Jahren in Köln verhandelt worden ist. Warum geht er uns heute noch etwas an? Aus zwei Gründen: Einmal, weil es um Geld ging. Und das ist nicht lediglich ein geschichtliches Thema, sondern betrifft uns heute noch genau so. Zum anderen, weil der Streit zwischen der Stadt Köln und dem Erzbischof nicht durch Krieg, sondern im Wege eines Schiedsspruches erledigt worden ist. Und wenn Sie heute die juristische Literatur verfolgen, so werden Sie bemerken, dass – vor allem in Anwaltskreisen – viel von Mediation, also von außergerichtlicher, schiedlicher Streitbeilegung, aber auch von schiedsgerichtlicher Streitbeilegung gesprochen wird. Diese Methode, einen Streit beizulegen, ist also nach wie vor aktuell.

II. D A S

HI S T O RI S C HE

UMFELD

Wir werden die Urkunde von 1252 nicht verstehen können, wenn wir uns nicht zuvor ein wenig umschauen, wie die Verhältnisse damals in Köln waren, welche Interessen die Kontrahenten verfolgten und welcher Mittel sie sich dabei bedienten. In Köln hatten sich die Kaufleute in der sog. Rheinvorstadt (um Groß St. Martin herum) angesiedelt, und diese Ansiedlung war schon um 940 in die städtische Befestigung einbezogen worden, welche die Stadt – auf den römischen Mauern aufbauend, aber die Fläche vergrößernd – umschloss. Stadtherr war der Erzbischof, der einerseits geistlicher Hirte war, also ein Seelsorger sein sollte, der aber zugleich auch ein Territorium beherrschte, das im 13. Jh., von dem wir sprechen, bereits als Kurfürstentum anerkannt war und die beiden Landesteile Rheinland und seit 1180 auch Westfalen umfasste. Es *)

Festvortrag der Akademischen Feier der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln am 17. April 2002; der Vortragsstil ist beibehalten.

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750 Jahre kleiner Schied

ging also um die Ausübung der Staatsgewalt in einem Territorium. Der Erzbischof versuchte, aus Köln ein territoriales Herrschafts- und Verwaltungszentrum zu machen und gleichzeitig alle Einwohner Kölns auf den Rechtsstatus von Hintersassen herabzudrücken1. Dem setzte die Stadt jedoch erheblichen Widerstand entgegen, da sie bestrebt war, mit Hilfe der genossenschaftlich organisierten Fernhändler, der sog. Richerzeche, und auf Grund der ihnen verliehenen königlichen, päpstlichen und bischöflichen Privilegien und der von ihnen geübten Rechtsgewohnheiten möglichst viel kommunale Selbständigkeit aufrecht zu halten. Gleichzeitig drängten die Kölner Bürger aus der territorialen Enge des Kurfürstentums hinaus, denn ihre Fernhandelsbeziehungen, die bis nach den Niederlanden, England, Skandinavien, aber auch nach Venedig und den anderen italienischen Städten reichten, ließen sie weiträumig denken und handeln, wofür der Rheinische Städtebund von 1254 ein politisches Beispiel ist2.

III. D I E

B E T E I LI G T E N

P E RS O N E N

1. Erzbischof Konrad von Hochstaden (1238 – 1261) Dieser Erzbischof war ein Real- und Machtpolitiker, dazu ein geschickter Diplomat3: Er stammte aus einer stauferfreundlichen Familie4, wurde 1226 Propst von St. Mariengraden und um 1233 Dompropst5. Papst Gregor IX. (1227 – 1241) bannte ihn im August 1237 wegen seiner gewalttätigen Übergriffe gegen Mitkanoniker und wegen Domschändung6. Der Verfasser des 3. Kölner Bi-

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Vgl. Steinbach, Stadtgemeinde, in: RhVJbll, 13, 1948, S. 13 ff; derselbe, Städtewesen, S. 8 ff; Alfred Wendehorst, Albertus Magnus, S. 30. Vgl. Bielfeldt, Rheinischer Bund, S. 51 ff; die Stadt Köln ist ihm am 14. Januar 1255 beigetreten, nahm allerdings den Erzbischof und König Wilhelm v. Holland als Gegner aus. Dieser bestätigte der Stadt am 24. Februar 1255 alle Freiheiten, Rechte, Privilegien und guten Gewohnheiten, vgl. Knipping REK III, Nr. 1747; Groten, Köln S. 122. Vgl. über Konrad von Hochstaden zuletzt: Leying, Vestische Zeitschrift Bd. 73/74, 1971/73, S. 184 – 248; Stehkämper ,Konrad, S. 97, derselbe, Reichsbischof, S. 100 ff; derselbe, in: NDB Bd. 12, S. 06f; Matthias Werner, Prälatenschulden, S. 510 ff. Vgl. Thorau, S. 525f. Vgl. Potthast, Regesta pontificum Nr. 9.800 und 10.439; Cardauns, Konrad, S. 6f. Vgl. Konrad hatte den von der Kurie eingesetzten Prokurator für den früheren Dompropst mit seinen Helfern an den Haaren aus dem Dom gezerrt, vgl. Knipping, REK III, Nr. 907; Cardauns, Konrad, S. 7; Stehkämper, NDB 12, S. 506; Thorau, S. 526; Matscha, S. 173 ff; 182.

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schofskataloges nennt ihn einen „vir furiosus et bellicosus“7. Dennoch (oder gerade deswegen) wurde er am 30. April 1238 offenbar ohne Widerstand zum Erzbischof gewählt8. Da just zu dieser Zeit der Kampf zwischen den Staufern und dem Papst seinem Höhepunkt zustrebte, musste er eine oder – noch besser – beide Seiten für sich gewinnen. So hielt er zunächst zu Friedrich II. Dieser verlieh ihm im August 1238 nicht nur die Regalien9, sondern unterstützte ihn auch finanziell, indem er ihm die Erhebung – der nur für besondere Notfälle bestimmten – Kölner Bierpfennige (cerevisiales) erlaubte10. Nachdem Friedrich II. im Oktober 1238 die Belagerung Brescias abgebrochen und damit faktisch eine Niederlage erlitten hatte, wechselte Konrad die Seiten reiste heimlich nach Rom und bemühte sich bei Gregor IX. um Bestätigung seiner Wahl, die er im April 1239 erlangte11. Zum Bischof wurde er am 28. Oktober 1239 geweiht12. Der Papst reichte Konrad auch finanziell die Hand13, indem er ihm im Mai 1239 für sechs Jahre die Erhebung kirchlicher Sondersteuern von allen kirchlichen Einkünften der Stadt und Diözese Köln

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Vgl. Catalogus Archiepiscoporum Coloniensium MGH SS. Bd. 24, S. 353; vgl.. Cardauns, S. 151f; Wendehorst, S. 54. Matthäus Parisiensis beurteilt ihn ähnlich, vgl. ed. Liebermann MGH, SS 28, S. 309. Vgl. Knipping REK III, 1, Nr. 907; Konrad hieß bis zur Bischofsweihe am 28. Oktober 1239 (vgl. Knipping, REK III, 1, Nr. 963) „electus“, nach der Weihe „minister“. Knipping, REK III, Nr. 916, Chronica regia Coloniensis, S. 273. Konrad bemerkt, Friedrich II. habe ihm die Erhebung der Kölner Bierpfennige „ob nostram et ecclesie Coloniensis necessitatem“ erlaubt, vgl. Quellen II, Nr. 202, S. 202; Knipping, REK III, Nr. 917; 974. Das war eine erhebliche Summe: Um 1260 wurden die Einnahmen daraus auf jährlich 1872 Mark taxiert. Aber Konrad hatte sie kurz nach seiner Wahl 1238 für drei Jahre der Stadt überlassen, zum weiteren Schicksal dieser Verbrauchssteuer vgl. Stehkämper, Absicherung, S. 354 f; Werner, Prälatenschulden, S. 542. Knipping, REK III, Nr. 942. Bereits Gregor IX. pflegte die Wahl von Erzbischöfen zu bestätigen, vgl. Ganzer, S. 39 ff, hinsichtlich Konrad S. 97; Thorau, S. 534. Vgl. Knipping, REK III, 1, Nr. 963; erst nach dem Empfang des Palliums am 22. Mai 1244 (vgl. Knipping, REK III, 1, Nr. 1142) nannte er sich Erzbischof, vgl. die Übersicht über die Titelführung Konrads bei Knipping, REK, III, 1, Nr. 907, S. 136. Obwohl Friedrich II. 1238 Konrad die Kölner Bierpfennige (cerevisiales) verliehen hatte, die eine erkleckliche Einnahmequelle bildeten (vgl. Knipping, REK III, Nr. 2179 von Anfang September 1261, wo Konrad seinen Anteil an den Bierpfennigen testamentarisch vermacht; Prößler, S. 71 – 77), reichten diese Einnahmen nicht zur Schuldentilgung; unter anderem auch deshalb nicht, weil Konrad am 7. Januar 1239 (vor seiner Reise nach Rom) die Hälfte der Bierpfennige an die Stadt Köln abgetreten hatte (vgl. Knipping, REK III, Nr. 931; Prößler, S. 73). Da Gregor IX. ihm in der Schuldenfrage entgegenkam, trug dies zu seinem Parteiwechsel auf die päpstliche Seite erheblich bei, vgl. Knipping, REK III, Nr. 937, dort falsch datiert, vgl. Werner, Prälatenschulden S. 514 und Prößler, S. 358f.

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erlaubte14. Zugleich machte er ihm aber zur Auflage, im Lütticher Bischofsstreit mit seinem Gegenkandidaten, nämlich Wilhelm von Savoyen15, nach Lüttich zu gehen und ihn dort – gegen den Widerstand des niederrheinischen Adels – zu installieren16. Konrad ging zwar nicht dorthin, war aber fortan ein Helfer des Papstes. Hatte Konrad zuvor im Lütticher Bischofsstreit aus territorialpolitischen Rücksichten den Kandidaten Friedrichs II., Otto von Everstein17, unterstützt, so förderte er nun Wilhelm von Savoyen und wurde deshalb sogleich in Fehden mit dem Herzog von Brabant, dem Grafen von Jülich, dem Herzog von Limburg und Grafen von Berg verwickelt. 1241 probte er zusammen mit dem Mainzer Erzbischof Siegfried von Eppstein (1230 – 1249) den Aufstand gegen Friedrich II., stellte 1246 den Gegenkönig Heinrich Raspe auf und erhob nach dessen Tod am 3. Oktober 1247 in Worringen den zwanzigjährigen Grafen Wilhelm von Holland (1248 – 1256), den er am 8. November 1248 in Aachen krönte und der damals von ihm politisch und militärisch völlig abhängig war18. Gleichwohl wollte er in erster Linie sein Doppelherzogtum, das – wie jede Karte Kurkölns ausweist – eine Anhäufung von Landfetzen war, abrunden, und auch seine „Reichspolitik“ stellte er in den Dienst seines Territoriums19. Er erwarb die Hochstadensche Erbschaft und setzte alles daran, eine Landbrücke zwischen den Rheinischen Besitzungen des Erzbistums und Westfalen herzustellen. Dem diente nicht nur der Erwerb des Saynschen Lehns- und Allodialbe-

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Konrad durfte eine Sondersteuer einziehen, die „summam octo milium marcarum ... per sex annorum spatium ... pro debitorum solutione dictorum“ betrug, siehe MGH Epp. saec. XIII, 1, Nr. 748, S. 644 vom 28. Mai 1239, vgl. Knipping, REK III, Nr. 944; vgl. Werner. Prälatenschulden, S. 550. Zur Postulation Wilhelms von Savoyen und zur Haltung des Papstes zu diesem Kandidaten vgl. MGH, SS, Chronica regia Coloniensis, S. 272; vgl. Thorau, S. 530f. Dieser Befehl des Papstes steht in einem Brief vom 3. Juni 1239 (Auvray, Reg. Grégoire IX. Nr. 4869); Kirsch, Dokument 8, S. 196; Thorau, S. 534. Konrad ist ihm nicht nachgekommen, ein Aufenthalt in Lüttich ist nicht belegt. Vgl. auch Meuthen, Pröpste, S. 75f, der S. 76, Fn. 82 nachweist, dass Konrad den Lütticher Elekten Otto von Everstein vor dem 8. Dez. 1238 nicht „geweiht“ hat; die Urkunde sagt nur „confirmatio“, also Bestätigung. Kaiser Friedrich II. bestätigte im August 1238 die Wahl Ottos von Everstein, dem er die Regalien verlieh (Knipping, REK III, Nr. 920), vgl. ausführlich: Thorau, S. 526 ff, 531f. Vgl. zum Verhältnis Konrads zu Wilhelm von Holland vgl. Sassen, S. 46 ff; Kettering, S. 19 – 24; Leying, S. 219 ff; über die Wahl in Worringen vgl. MGH Const. II, Nr. 352 – 355, S. 459 – 462; Leying, S. 220, Fn. 314; über die Krönung in Aachen Leying, S.232. So erwarb er z. B. 1246 die Grafschaft Hochstaden (vgl. Knipping, REK III, Nr. 1239 = Lacomblet II, Nr. 297, S. 155, für die er 5060 Mark aufbringen mußte; außerdem entstanden erhebliche Kosten für Burgen, von denen aus die Burgmannen das Territorium verteidigen und die Güter verwalten mussten, vgl. Prößler, S. 364 ff, 368 ff und Kettering, S. 14 ff; 25 ff; zur Burgenpolitik Konrads ebenda S. 52 ff.

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sitzes20, sondern auch der Ausbau des kurkölnischen Besitzes an der Ruhr21. Als ihr Ergebnis konnte Konrad zwar verzeichnen, dass er 1246/47 zum „in imperio ... nobilius esse ... membrum“ 22, zum mächtigsten deutschen Reichsfürsten aufstieg, doch war seine Verschuldung abermals erheblich gewachsen. Die geistliche Seite von Konrads Tätigkeit wird greifbar am 15. August 1248, als er den Grundstein zum gotischen Dom legte23. Am 30. April 1249 ernannte ihn der Papst zum Legaten für Deutschland24 und am 3. März 1255 legte er in Altenberg den Grundstein der Zistersienser-Abteikirche. Darin kommt seine Sorge für die Zisterzienser zum Ausdruck25, doch förderte er –

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Am 20. Januar 1248 kaufte Konrad Meinerzhagen, Drolshagen und die Waldenburg, vgl. WUB VII, 1, Nr. 657, S. 290f,) für 2000 Mark. Dem folgte am 1. Mai 1250 der Erwerb des Allodial- und Lehnsbesitzes der Gräfin von Sayn – Wied für 600 Mark und einer Jahresrente von 170 Mark (vgl. MRUB III, Nr. 1051, S. 778 – 782, vgl. Kettering, S. 32 – 36, Leying, S. 226 mit Fn. 359), der die Landbrücke vom Rhein durch das Siegerland nach Westfalen verbesserte. Konrad eroberte 1244 die Isenburg und erwarb auch spätestens 1247 die Essener Vogtei (Lacomblet II, Nr. 316, S. 164 vom 27. August 1247), 1248 nahm er den Abt von Werden unter seinen Schutz und erhielt von ihm die Isenburg übergeben (vgl. WUB VII, 1, Nr. 678, S. 299f). 1249 erwarb Konrad das Schutzrecht (ipsum cum rebus et castro [Werdensem] in nostram recepimus et ecclesie coloniensis defensionem) über das im Dezember 1248 durch Wilhelm v. Holland eroberte Kaiserswerth (vgl. Lacomblet II, Nr. 348, S. 184, v. 18. April 1249); auch verpfändete ihm Wilhelm die Reichsstadt Dortmund für 1200 Mark, (vgl. WUB Bd. VII, 1 Nr. 675, S. 298 vom 23. Dezember 1248) nachdem sich die Dortmunder bereits am 15. Dezember unter Konrads Schutz gestellt hatten (WUB Bd. VII, 1, Nr. 674, S. 297f, vgl. Knipping, REK III, Nr. 1436) und sicherte damit den Hellweg, die direkte Verbindung vom Rhein zur Weser, vgl. die Darstellung bei Kettering, S. 36 – 42; Leying, S. 233; Stehkämper, Reichsbischof, S. 127. Lacomblet II, Nr. 338, S. 176f v. 23. Dezember 1248; vgl. auch Stehkämper, Reichsbischof, S. 127, mit Fn. 291. Der Neubau des Domes wird allerdings nicht ihm verdankt, sondern seinem Vorgänger Engelbert I (1215 – 25), dem Domkapitel und Priorenkolleg, vgl. Quellen II, Nr. 275, S. 276f vom April 1248 und Cardauns, Konrad, S. 147f. Konrad von Hochstaden hat lediglich den Grundstein gelegt; über dem er in einem Hochgrab in der Johannes-Kapelle des Domes beigesetzt ist, vgl. Quellen Band II, Nr. 278, Ziff. 5, S. 282. Siehe Knipping, REK III, Nr. 1459; vgl. Groten, Köln, S. 118. Wohltaten hat Konrad u. a. den Zisterzienserklöstern Altenberg, Heisterbach, Marienstatt, Blankenberg und Mariengarten in Köln sowie vielen anderen verliehen, vgl. Steffen, S. 16, 22 ff. Vgl. auch WUB VII, 1 Nr. 670, S. 295 v. 16. Sept. 1248, wo er dem Nonnenkloster in Lippstadt einen 40-tägigen Ablass aus Anlass einer Altarweihe verleiht und WUB VII, 1, Nr. 673 v. 23. Okt. 1248, wo er allen, die zum Bau des Zisterzienserklosters Frankenberg beitragen, 40 Tage Ablass gewährt. Ob die Kölner Synodalstatuten unter seiner Ägide verfasst worden sind, ist unklar, vgl. Haaß, Uerdinger FS S. 15.

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zeitgemäß – auch die Bettelorden, allerdings vornehmlich durch geistliche Fürsorge; denn für Freigebigkeit wird er auch sonst nicht gerühmt26.

2. Die Vertreter der Stadt Köln Um festzustellen, wer in diesem Streit für die Stadt Köln gehandelt hat, sind wir in einer gewissen Verlegenheit, weil die Quellen für diese Zeit dürftig sind oder ganz schweigen. Wir wollen ausgehen vom Text des Kleinen Schiedes: Als Partei werden neben dem Erzbischof genannt „scabini et universi cives Colonienses“27. Die Urkunde ist u. a. mit dem Siegel „Communitatis civium Coloniensium“28, also dem Kölner Stadtsiegel29 gesiegelt. Von der Genossenschaft der Richerzeche, die seit dem Ende des 12. Jahrhunderts nicht nur die Zunftaufsicht, sondern auch die Aufsicht über die Sondergemeinden an sich brachten und teilweise mit dem Stadtsiegel siegelte30, ist also nicht die Rede, ebensowenig vom Rat der Stadt31. Da es in Köln stets zwei Bürgermeister mit einjähriger Amtszeit gegeben hat32, von denen bis 1391 einer ein Schöffe sein musste, läge es nahe, die beiden Bürgermeister des Jahres 1252 als Vertreter des Schöffenkollegiums und der Stadt anzusehen. Leider weist die Bürgermeisterliste für 1252 eine Lücke auf33, so dass wir ihre Namen nicht kennen. Im Jahre 1252 gab es wahrscheinlich mehr als 15 Schöffen34; wenn alle mitgewirkt haben, werden sie einen Sprecher gehabt haben. Das wird der Schöffenbürgermeister gewesen sein, dessen Namen wir jedoch nicht kennen35. Wahrscheinlich ist, dass für die Vertretung der Stadt in solchen wichtigen „außenpolitischen“ Fragen die Angehörigen der herrschenden Familien, ihren Einfluss geltend machten. Als Konrad v. Hochstaden 1259 alle Schöffen bis auf einen absetzte, waren im Schöffenkollegium 17 Schöffenstellen besetzt36. Davon verfügte die Familie v. d. Mühlengasse über 26 27 28 29 30 31

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Vgl. Cardauns, Konrad, S. 85; Steffen, S. 5; Stehkämper, NDB 12, S. 507. Anhang I, S. 123. Der von Albertus allein gesiegelte Vorausschied spricht nur von „cives Colonienses“, siehe Anhang I (A= linke; B = rechte Spalte), hier: B, S. 127. Anhang I, B, S. 130. Gemeint ist das romanische Siegel von ca. 1114/19; vgl. dazu Diederich, S. 14 – 26. Vgl. dazu Lau, Entwicklung, S. 83 ff. Als Glied der Stadtverwaltung tritt der Städtische Rat erstmals in der Beitrittsurkunde zum Rheinischen Bund von 1255 auf, vgl. Quellen II, Nr. 365, S. 365f vom 14. Januar 1255, obwohl er schon seit 1216 bestand, vgl. Groten, Köln, S. 54 ff; 164; 192. Vgl. Herborn, Bürgermeisterliste, S. 89. Vgl. Herborn, Bürgermeisterliste, S. 121. Die Zahl der Schöffen betrug 17 im Jahre 1259, im Jahre 1391 waren es 20, vgl. Lau, Entwicklung, S. 29; Groten, Köln, S. 123 ff. Dass es der Burggraf nicht gewesen ist, lässt sich aus der Entwicklung seines Amtes ablesen, vgl. Lau, Entwicklung, S. 11 ff. Vgl. Quellen II, Nr. 394, S. 409 – 411 v. 17. April 1259.

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sechs, also über fast ein Drittel. Die Familien v. d. Lintgasse, Grin, Gir und Overstolz37 besaßen je zwei Schöffenämter. Die restlichen drei verteilten sich auf Bruno Kranz (Scherfwin, der als einziger nicht abgesetzt wurde), Hermann den Greven und Gerhard Scherfgin. Danach teilten nur acht Kölner Geschlechter die Schöffenstellen unter sich auf. Der Schöffenbürgermeister wird also aus der Familie v. d. Mühlengasse oder den vier weiteren Familien mit je zwei Schöffen gekommen sein38. Es ist aber durchaus möglich, dass alle Schöffen den Eid auf den Schied leisteten und auch Vertreter der Richerzeche beteiligt waren.

3. Albertus Magnus (1193(?) – 1280) An der Geschichte dieser Schlichtung war von Anfang an der Dominikanerpater Albert beteiligt. Wer war er und warum wurde er hier bemüht? Genau bekannt ist nur sein Todesdatum: Er starb am 15. November 1280 in Köln und wurde in dem von ihm gestifteten Chor der Dominikanerkirche bestattet. Da sie im 19. Jh. abgebrochen wurde, ruhen seine Gebeine heute in der Kirche St. Andreas in der Kommödienstraße. Von seinen Zeitgenossen wurde er Albert von Köln genannt, obwohl er in Lauingen/Donau39 geboren wurde und sich in seinem Siegel „von Lauingen“ nannte. Auf welches Datum sein Geburtstag fällt, ist nicht genau bekannt. Genannt werden 1193 oder um 120040. Das Beiwort „Magnus“ („der Große“) kam erst im 15. Jh. auf41.

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Die Overstolz sind mit zwei Schöffen erst durch die Wahl von 1231/32 in das Kollegium gelangt, allerdings mit weitreichenden Folgen, vgl. Groten, Köln S. 130; zur Genealogie der Overstolz vgl. Herborn, Führungsschicht, S. 136 – 160. Vgl. Lau, Schöffenkollegium, S. 129f, seine Datierung auf 1235/37 muss allerdings in 1231/32 korrigiert werden, vgl. Groten, Köln, S. 123f; Herborn, Bürgermeisterliste, S. 155. Aus den bekannten Urkunden lässt sich ein Verzeichnis der Greven am Kölner Hochgericht ermitteln (abgedruckt bei Lau, Entwicklung, Anhang XXII, S. 392f), aus dem sich ergibt, dass seit Mai 1251 Gottschalk Vetschulder Greve war (Quellen II, Nr. 298, S. 301f von Mai 1251, vgl. Groten, Köln S. 150f); zu Greve, Schöffen und Hochgericht vgl. Strauch, Gericht, S. 163 ff. Ca 30 km nordöstlich von Ulm an der Donau gelegen. Scheeben, Chronologie S. 4 nennt 1193 als Geburtstag, ihm folgt A. Wendehorst, Albertus Magnus, S. 33, Fn. 20; doch ist das ungewiss, weil eine bei seinem Tode (15. November 1280, vgl. Scheeben aaO. S. 130) verfasste Nachricht sagt, er sei „circiter octuaginta septem“ Jahre alt gewesen (Tabula n. 8); andere nehmen ca 1200 als Zeit der Geburt an; vgl. Martin Grabmann in NDB Bd. I, 1953, S. 144 – 148; Weisheipl, S. 13; Lohrum, S. 16. Hugo Stehkämper hat anhand der von Jacob Burckhardt, S. 153 ff entworfenen Kriterien geschichtlicher Größe den Beinamen ‚Magnus‘ untersucht und die Berechtigung der Verleihung des Ehrentitels festgestellt, vgl. Stehkämper, Größe, S. 72 ff, derselbe, Albertus, S. 359.

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Er entstammte wohl einer Ministerialenfamilie, trat 122942 (oder 1223?) in den erst 1216 gegründeten Dominikanerorden ein, und lehrte von 1242 – 1248 in Paris. Nachdem das Generalkapitel des Ordens 1246 beschlossen hatte, vier neue Generalstudien (= Ordenshochschulen) zu errichten (in Bologna, Montpellier, Oxford und Köln), wurde Albert 1248 nach Köln gesandt, um die hier für die Provinz Theotonia des Ordens errichtete Ordenshochschule als Lektor, d. h. deren Leiter, aufzubauen43. Wenn das Geburtsdatum 1193 richtig ist44, war er damals also bereits 55 Jahre alt. Er kam nicht allein nach Köln, sondern brachte seinen Schüler Thomas von Aquino, den später so berühmten Kirchenlehrer, und weitere Italiener, Spanier und Südfranzosen mit; das heißt, das Kölner Generalstudium war von Anfang an international ausgerichtet. Er machte Köln – neben Paris und Oxford – zu einem Zentrum philosophischer und theologischer Studien. Bis 1254 ist Albertus in Köln geblieben und sein wissenschaftlicher Ruhm, seine Gelehrsamkeit, seine gemäßigten und vernünftigen Ansichten, seine unparteiische Rechtlichkeit haben ihn nicht nur den Kölner Bürgern, sondern auch Konrad von Hochstaden als Schlichter des Streites von 1252 empfohlen. Die weiteren Schicksale Alberts sind schnell erzählt: 1254 wählte ihn das Provinzialkapitel seines Ordens in Worms zum Provinzialprior für die Theotonia, was er bis 1256 blieb. 1257 kehrte er nach Köln zurück. 1260 wurde er Bischof von Regensburg, resignierte aber bereits 1262, blieb am päpstlichen Hof und wurde 1263 päpstlicher Legat und Kreuzzugsprediger in Deutschland und Böhmen, übersiedelte 1267 nach Straßburg, wurde aber von der Stadt Köln 1270 zurückgerufen und schlichtete im folgenden Jahre den Streit zwischen der Stadt und Erzbischof Engelbert II. von Falkenburg (1261 – 1274). Seine letzten Jahre verbrachte Albert in Köln in seinem alten Kloster, wo er am 15. November 1280 starb. Neben seinen Streitschlichtungen45 – ich nenne noch den sog. „Großen Schied“ von 1258 – liegt seine Bedeutung vor allem auf wissenschaftlichem Gebiet: Er trat besonders für die Verbreitung und Auslegung der (damals noch verbotenen) aristotelischen, arabischen und jüdischen Schriften ein und hat große Bedeutung für die Entwicklung der Naturwissenschaften, vor allem der Biologie und der Chemie. Die Kirche hat ihren großen Kirchenlehrer und Schlichter nicht vergessen: Sie hat ihn 1931 heiliggesprochen und den 15. November (den Todestag) zu seinem Tag bestimmt.

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So mit beachtlichen Gründen: Scheeben, Chronologie S. 11 ff. Vgl. Strauch, Generalstudien, S. 43 ff; derselbe, Albert, S. 15 ff. So: Scheeben, Leben, S. 231 ff. Die bisher bekannt gewordenen Schiedssprüche (insgesamt 26) hat Stehkämper, Katalog, S. 113 ff und auf der Schautafel im Anhang zusammengestellt.

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4. Kardinal Hugo von St. Cher (Ende 12. Jh. – 1263) In das Schiedsgericht wurde in Abwesenheit auch der Dominikaner-Kardinal und päpstliche Legat Hugo von St. Cher berufen. Hugo wurde Ende des 12. Jhs. in St. Cher geboren46, das zur Diözese Vienne (Königreich Arelat) gehörte. Er wurde Theologieprofessor in Paris und trat um 1225 dem Dominikanerorden bei. Am 28. Mai 1244 erhob ihn Papst Innozenz IV. in Rom zum Kardinalpriester von S. Sabina. Da der Papst die unklare Lage nach dem Tode Kaiser Friedrichs II. 1250 nutzen und die Kandidatur Wilhelms von Holland fördern wollte, sandte er Hugo 1251 als Legaten a latere nach Deutschland, um dort in seinem Sinne47 zu wirken. Ein Ernennungsschreiben für Hugo oder eine Instruktion für seine Tätigkeit in Deutschland ist allerdings nicht erhalten48. Hugo reiste nicht nur in diplomatischer Mission, als legatus a latere49 war er zugleich auch Stellvertreter des Papstes in dessen Stellung als universeller Schiedsrichter50, hatte also auch dessen Friedensamt wahrzunehmen51. Von dieser Stellung her erklärt sich die Berufung Hugos in das Kölner Schiedsrichteramt. Am 6. September 1251 urkundete Hugo in Köln52, wo er sich vom 16. September bis 5. Oktober 125153 und wieder vom 10. November bis 13. Januar

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Hugo v. St. Cher (von Ruess, S. 93, 97 de S. Caro, bei Böhmer/Ficker v. S. Sabina genannt) starb am 19. März 1263 in Orvieto; wunschgemäß wurde der Leichnam Ende 1264 nach Lyon überführt, wo er in der Kirche seines Klosters die letzte Ruhe fand, vgl. Sassen, S. 5 ff; 159f. Es ging vor allem um das Friedensamt der Kirche, das die Kardinallegaten besorgen sollten. Ihre Befugnisse fasste Clemens IV. (1265 – 68) in c. 2. in VIto I. 15 so zusammen: „ut ibidem evellant et dissipent, aedificent et plantent“; vgl. Hinschius, Band I, S. 514; Ruess, S. 91 ff. Vgl. Böhmer/Ficker, Band V, 2, vor Nr. 10 252, S. 1562; Aldinger, S. 149, der auf MGH SS XXV, S. 377 (Chronici Rhytmici coloniensis fragmenta) verweist, vgl. den Text unten Fn. 127. Die Legaten a latere (sc. pontificis) werden als Brüder des Papstes angesehen; sie haben entsprechende Befugnisse, vgl. Hinschius, Band I, § 69, S. 511 – 516; Sägmüller, I, § 91, S. 428; über Legaten als Schiedsrichter in Italien zur selben Zeit vgl. Frey, S. 50 ff, 58 ff. Das päpstliche Amt eines Obersten Richters in weltlichen Streitigkeiten kommt deutlich zum Ausdruck dem Dekretale „Novit“ Innozenz III. von 1204 bei Mirbt, Nr. 598, S. 310f; es schließt die schiedsrichterliche Stellung ein. Vgl. Hinschius, I, S. 173f; Ruess, S. 93, 97; Sägmüller, § 91, S. 428; Bader, Schiedsidee, S. 116, der vor allem die Verhältnisse in Süd- und Südwestdeutschland im Auge hat. Zur Schiedsgerichtsbarkeit in den Rheinlanden vgl. ausführlich: Janssen, S. 77 ff. Böhmer, Regesta V, 2, Nr. 10 271. Böhmer, Regesta V, 2, Nr. 10 272 – 10 280.

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125254 aufhielt. Da er sich bereits im Herbst 1251 um einem Ausgleich zwischen Graf Wilhelm IV. von Jülich (1219 – 1278) und Konrad von Hochstaden bemühte, dürfte er häufiger mit diesem zusammengetroffen sein, zumal er Konrad anhalten musste, Wilhelm von Holland weiter zu unterstützen55. Mitte Dezember 1251 traf Hugo mit Wilhelm v. Holland in Köln zusammen56, förderte dessen Hochzeit57 und brach mit ihm zusammen Mitte Januar 1252 nach Norddeutschland auf, um seine Sache zu vertreten. Wegen seines vielfältigen kirchlichen Wirkens und da sie Ordensbrüder waren, sind sich Hugo und Albertus Magnus in Köln sicherlich begegnet, vielleicht waren sie Freunde58.

IV. D E R S T RE I T G E G E N S T A N D 1. Seine historische Entwicklung Wir erinnern uns: Die kaiser- und reichsfeindliche Territorialpolitik Konrads von Hochstaden war nur möglich geworden, weil Konrad die Gunst des Papstes gewann. Sie hatte für den Kölner Erzbischof nicht nur politische, sondern zugleich auch finanzielle Vorteile: Ca. 13.666 Mark Schulden hatte sein Vorgänger Heinrich von Molenark ihm hinterlassen und das Erzbistum fast in den finanziellen Ruin getrieben59. Gregor IX. vermittelte Konrad einen günstigen 54 55

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Böhmer, Regesta V, 2, Nr. 10 283; die letzte in Köln ausgestellte Urkunde (Böhmer, Regesta V, 2, Nr. 10 293) datiert vom 13. Januar 1252. Dass Konrad v. Hochstaden inzwischen nicht mehr hinter Wilhelm von Holland stand, war damals zwar schon sichtbar, aber der Papst hatte – anders als 1254 – noch nicht eingegriffen, vgl. Cardauns, Konrad S. 34; Stehkämper, pro bono pacis, S. 327, Fn. 121. Vgl. Sassen, S. 48. Wilhelm von Holland heiratete am 25. Januar 1252 die Herzogstochter Elisabeth in Braunschweig, womit er sich die Anerkennung der norddeutschen Fürsten verschaffte, vgl. Sassen, S. 46 ff; Engels, in: Rheinische Geschichte I, 3, S. 265; Leying, S. 235 ff. Ebenso: Sassen, S. 62; Stehkämper, pro bono pacis, S. 327 vermutet ein Freundschaftsverhältnis zwischen beiden; vermutlich hat Hugo im Dominikanerkloster in Köln gewohnt. Diese Summe ist nach heutigem Gelde mit 1000 oder 10.000 zu multiplizieren. Die Schuldenlast war so groß, dass selbst die reichen Einnahmen des Erzbistums nicht verhinderten, dass Liquiditätsschwierigkeiten auftraten, vgl. Matscha, S. 552 ff; Werner, Prälatenschulden S. 514, 548 ff. Immerhin erreichte Konrad durch geschickte Verhandlungen mit der Kurie und den italienischen Gläubigern, dass er bis 1250 keine Altschulden zu begleichen brauchte, vgl. Prößler S. 361. Die Kölner Bürger wollten für diese Schulden nicht geradestehen: Bereits 1231 hatten sie von König Heinrich VII. eine Urkunde erwirkt, wonach sie für erzbischöfliche Schulden nicht zu haften brauchten (Knipping REK III, Nr. 712 vom 19. Jan. 1231, Text bei Lacomblet II, Nr. 169, S. 87); Friedrich II. bestätigte diese Zusage im Mai 1236 (Lacomblet II, Nr. 205, S. 107).

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Vergleich mit den italienischen Gläubigern der Kölner Kirche. Außerdem erhielt Konrad die päpstliche Vollmacht, kirchliche Sondersteuern zu erheben, mit denen er die aufgelaufenen Schulden tilgen sollte60. Er handelte jedoch genau entgegengesetzt: Bis 1250 (also zwölf Jahre lang) flossen alle diese Gelder und viele sonstige Einnahmen in seine Expansionspolitik, während sich die Schuldenlast des Erzbistums weiter vermehrte61. Bereits am 4. Oktober 1250, also noch vor dem Tode Friedrichs II62, verkehrte sich die finanzielle Unterstützung der Päpste in ihr Gegenteil: Innozenz IV. befahl dem Kölner Erzbischof, endlich seine florentinischen Schulden zu bezahlen63, und drohte ihm bei weiterem Ungehorsam Kirchenstrafen an64. Aber es kam noch ärger: Am 13. Dezember 1250 starb plötzlich Kaiser Friedrich II., und der Papst fand sich am Ziel seiner Wünsche, nämlich von den Staufern und ihrem Weltherrschaftsstreben befreit zu werden. Ein päpstlicher Erlass vom Februar 1251 unterwarf den gesamten Klerus einer Steuer, auf deren Höhe auch Konrad von Hochstaden keinen Einfluss hatte. Fortan hatte Konrad weder kaiserliche noch päpstliche Unterstützung, sondern war – vor allen Dingen auch finanziell – auf sich selbst gestellt. Im Klartext: Er war so hoch verschuldet, dass er unbedingt neue Geldquellen erschließen musste. Da der König den Kölner Erzbischöfen das sog. Münzregal 65 verliehen hatte, also das Recht, selbst Münzen zu prägen, war Konrad Münzherr in Köln66. Die älteste Mark bestand aus unlegiertem Silber. Sie zählte 140 Pfennig oder 7 Un60 61

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MGH Epistolae saec. XIII, 1, Nr. 748, S. 644 vom 28. Mai 1239 und Knipping, REK III, Nr. 944; vgl. Werner, Prälatenschulden, S. 550f mit Fn. 166. So hat Konrad 1247/48 neue Kredite in unbekannter Höhe aufgenommen, er ließ überhaupt erhebliche Beträge in die expansive Territorialpolitik und den Verwaltungsumbau des Erzbistums flossen, vgl. Werner, Prälatenschulden S. 540 ff; Prößler, S. 360 ff, 366. Kaiser Friedrich II. starb am 13. Dezember 1250 in Fiorentino bei Foggia (Apulien). Berger II, Nr. 5361, S. 249, vgl. Werner, S. 560f; Prößler, S. 360f. Vgl. Werner, S. 516 f; 540 ff; derselbe, Prälatenschulden S. 568; Prößler, S. 360. Zur Münzhoheit des deutschen Königs und ihren Übergang auf die Fürsten, zuerst die geistlichen Fürsten, vgl. Wadle, S. 191 ff, 195 ff, 202 ff; Nau, Stauferzeit, S. 87 ff; zur münzpolitischen Offensive der Staufer gegen den Kölner Pfennig vgl. Kamp, Münzprägung, S. 526; Wadle, S. 220f. Um die Mitte des 13. Jhs. geriet der Pfennig in eine Krise und wurde durch den vordringenden Heller bedrängt, vgl. Nicklis, S. 64 ff, 72 ff; Fischer, S. 400 ff, der allerdings den kleinen und den großen Schied verwechselt. Frey, S. 22 ff führt mehrere italienische Beispiele dafür an, dass die Kaiser (z. B. Heinrich VI. und Friedrich II.) Gegner der Schiedsgerichtsbarkeit waren, weil ihre Gewalt durch sie geschädigt wurde, waren doch gegen Schiedssprüche keine Rechtsmittel möglich. Doch war die Autorität Wilhelms v. Holland 1252 nicht sehr stark. Zudem hatte der Erzbischof von Köln das Münzregal erworben, so dass er frei war, über Münzstreitigkeiten ein Schiedsgericht anzurufen.

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zen zu 20 Pfennig, was zu einem Markgewicht von 204,120 g führte. Sie leitet sich aus dem karolingischen Pfund Silber zu 120 Denaren67 und war zugleich ein halbes karolingisches Pfund (408,240 g). Im 12./13. Jahrhundert passte man wegen des ausgedehnten Englandhandels den Kölner Pfennig an den penny sterling68 an: beide wogen 1,485 g69, so dass 144 Pfennige eine Mark von 209,952 Gramm ergaben. Ihr Feingehalt betrug zunächst 975/1000, der Kupferzusatz 4 Pfennige oder 2,5 %. (Schillinge wurden in Köln nicht ausgemünzt). Aber dieses Markgewicht änderte sich im 13. Jahrhundert abermals: Nunmehr münzte man aus einer Mark 160 Pfennige aus, d. h. 13 Schilling und 4 Denare. Die erhaltenen Probedenare nach 1225 haben ein Durchschnittsgewicht70 von 1,46 g, was ein Markgewicht von 233,600 g ergibt71. Es lässt sich erstmals im kleinen Schied von 1252 nachweisen: Um seine Schuldenlast zu erleichtern, versuchte der Erzbischof, aus diesem Münzrecht Kapital zu schlagen, indem er zur Inflation griff: Um die Jahreswende 1251/52 erließ er einen Münzverruf, ließ also die umlaufenden, an Silber hochwertigen Pfennige einziehen und dafür neue, an Feingehalt geringerwertige ausgeben, die er zu allein gültigem Geld erklärte72. Ihr Feingehalt betrug nur noch 900/1000, der Kupferzusatz war auf 67 68 69 70

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Vgl. Witthöft, Kölner Mark, S. 56f; derselbe, Markgewichte, S. 79 ff. Über das Verhältnis von Kölner Pfennig zum penny sterling vgl. Huffman, S. 36 ff. Vgl. Hävernick, Pfennig, S. 46; Nau, Epochen, S. 44 ff, mit Bild S. 156; Witthöft, Kölner Mark, S. 56f. Hier muss die Tatsache berücksichtigt werden, dass man mit den damaligen Herstellungsmethoden das Gewicht jeder einzelnen Münze nur in einem gewissen Rahmen konstant halten konnte, man bezog sich deshalb nicht auf die einzelne Münze, sondern auf die Schlagzahl, d. h. die Zahl der aus einer rauhen Gewichtsmark zu schlagenden Münzen, vgl. v. Cauwenberghe, S. 98f; eine Zusammenstellung der Denar-Durchschnittsgewichte bei Hävermick, Münzen, S. 8f. Genau erreicht man das neue Markgewicht von 223,280 g nur, wenn man das Denargewicht mit 1,458 g ansetzt. Witthöft, Kölner Mark, S. 56f, 62 ff weist nach, dass diese jüngste Mark Silber der ursprünglichen Kaufmannsmark zu 8 Unzen (16 Lot) entspricht, die der Bopparder Münzvertrag lediglich nach Denargewicht bestimmte. Der dort genannte Abzug von 4 Denaren ist die Differenz zwischen 140 und 144 Denaren und bildet den Übergang zwischen der Rechnung nach Unzen und Schillingen. Zum Münzverruf allgemein vgl. Schrötter, diesen Art. S. 440 – 443; Kruse, S 26 ff; Wadle, S. 202 ff; Hävernick, Münzen von Köln, S. 148 ff; derselbe, Münzverrufungen, in: VSWG 24, 1931, sagt zwar S. 136, dass der Verlust beim Umwechseln zwischen 16,6 % und 20 % gelegen habe, behauptet dann aber S. 139 u. 141, Münzverrufungen seien für Handel und Verkehr kein Schreckgespenst gewesen, weil die Kölner Fernkaufleute auf andere Münzen (z. B den Tournosen) hätten ausweichen können, zustimmend zitiert bei Stehkämper, pro bono pacis S. 300. Man muss aber bedenken, dass dieser Verlust zumindest für den innerstädtischen Handel, der nicht auf auswärtige Münzen ausweichen konnte, erheblich war. Denn die beim Umtausch abgezogenen Prägekosten, der Schlagschatz und ein Gewinnanteil der Münzerhausgenossen machten insgesamt bereits

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10 % gestiegen73. Erst der Bopparder Münzvertrag von 1282 legalisierte die Praxis, 160 Münzen aus einer rauhen Mark von 233,280 g zu schlagen74. Von den aus einer Mark Silber hergestellten 160 Pfennigen kamen nur 144 in den Verkehr. Von den restlichen 16 Pfennigen gelangten 12 Pfennige (= 1 Schilling) als Schlagschatz an den Erzbischof und 4 Pfennige an die Münzerhausgenossen. Sie verwalteten das Reichslehen der Münze und bezahlten mit den erwähnten 4 Pfennigen die Münzhandwerker. Der Münzverruf half zwar seiner Kasse auf, schadete aber den Kölner Bürgern, die zu einem großen Teil Kaufleute waren, und zwar nicht etwa kleine Krämer, die mit Mausefallen und Stiefelknechten handelten, sondern Fernhandelskaufleute mit weitreichenden internationalen Verbindungen und entsprechendem Einfluss. Der Kölner Pfennig war nämlich nicht nur die Währung der Stadt und des Erzbistums Köln, sondern die Leitwährung in ganz Nordwestund Nordeuropa bis hin nach Norwegen und Schweden. Dieser Handel wäre zusammengebrochen, wenn die zugrundeliegende Währung manipuliert worden wäre. Die Kölner Kaufleute sahen deshalb durch diese Maßnahme auch ihre Selbständigkeit bedroht: „leissen wir uns van deser vriheit driven: zo reichte solden wir eigen blieven“75 Es standen sich also lebenswichtige Interessen auf beiden Seiten gegenüber. Wie wurde der Konflikt gelöst? Zunächst nicht auf dem Wege, den das Thema unserer Veranstaltung vorgibt, sondern die Parteien versuchten, ihre Interessen mit Waffengewalt durchzusetzen. Bereits im Jahre 1249 hatte die Stadt den Erzbischof daran erinnern müssen, dass er als Landesherr eine Schutzpflicht

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10 % aus. Dazu kam die Entwertung durch Änderungen im Gewicht und Feingehalt. Auch die Fernhändler verloren beim Ausweichen auf andere Währungen den Vorteil, den ihnen der überall im Nordwesten und Norden geltende Kölner Pfennig bot. Es liegt nahe, in diesen 10 % die Gesamtunkosten, bestehend aus Herstellungskosten und Reingewinn des Münzherren zu sehen, vgl. Kruse, S. 18 ff; Hävernick, Pfennig, S. 39 ff; derselbe, Münzen von Köln, S. 148 ff; Weiler S. 30 ff. Der Bopparder Münzvertrag König Rudolfs von Habsburg mit Erzbischof Siegfried von Westerburg für das Kurfürstentum Köln vom 27. September 1282 in MGH Const., Bd. III, Nr. 335, § 2, S. 322, verpflichtete Siegfried (1275 – 1297), den Feingehalt von 975/1000 zu erneuern. Er schreibt deshalb vor, aus jeder Mark Feinsilbers 160 Pfennig zu schlagen. Da der Pfennig aber 1,458 g wog, ergeben 160 Pfennige die Kölner Prägungsmark von 233,280 g. Da in diesen 160 Pfennigen nach dem obigen Vertrag Zusätze von vier Pfennigen enthalten sein sollten, entspricht das einem Feingehalt von 975/1000. Feingehaltsproben Kölner Pfennige sind zusammengestellt bei Hävernick, Münzen, S. 10; für die Zeit Konrads schwanken sie zwischen 823/1000 und 936/1000. Vgl. dazu ausführlich: Witthöft, Kölner Mark, S. 55 ff. Gotfrid Hagen, Chronik, S. 42, Vers 729f.

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gegenüber den Kölner Kaufleuten habe76. Sie schätzten seine Landesherrschaft eben nur so weit, als sie den Frieden und die Sicherheit im Erzbistum wahrte, nicht dagegen als unmittelbare Leitungs- und Verordnungsgewalt. Im Übrigen aber betrieb die Stadt gegenüber dem Erzbischof eine eigenständige Außenpolitik, indem sie sich in zweiseitigen Verträgen mit benachbarten Territorialherren Schutz, Geleit und Zollvorrechte gewähren ließ und vereinbarte, dass Streitigkeiten vor Schiedsgerichte gebracht werden sollten77. Ergänzt wurde diese – vom Landesherrn unabhängige – Außenpolitik der Stadt dadurch, dass der Erzbischof ihr nach den ihm mehrfach erwiesenen Hilfeleistungen bestätigen musste, dass sie dies aus freien Stücken tat und dazu nicht verpflichtet war78. Diese selbständige außenpolitische Stellung der Stadt zeigte sich auch im Währungskonflikt von 1252. Sie schloss ein Angriffsbündnis mit dem Grafen Wilhelm IV. von Jülich79, und man zog zu Felde. Gottfried Hagen berichtet80, der Erzbischof habe die Stadt mit vierzehn Kriegsschiffen angegriffen und versucht, von Deutz aus mit Wurfmaschinen Teile der Stadt zu zerstören und zugleich vom Rhein her mit griechischem Feuer (Brandern) die am Kölner Ufer liegenden Schiffe zu versenken und so die Stadt zu erobern. Doch reichte die Wurfmaschine (Blide) nicht weit genug: Von ihren Geschossen fielen die meisten ins Wasser, andere zerstörten nur ein paar Dächer. Im Ergebnis erwies sich die Stadt für Konrad als uneinnehmbar. Offenbar konnte keine Seite in dieser Fehde obsiegen, so dass man sich darauf einigte, ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen. Daran ist Folgendes bemerkenswert:

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1.

Der Erzbischof rügte nicht, dass die Stadt gegen ihn die Waffen erhoben hatte,

2.

er rügte auch nicht, dass sie sich gegen ihn einen Verbündeten gesucht hatte und

Vgl. Quellen II, Nr. 279, S. 283 von Juni 1248, vgl. Stehkämper, Absicherung, S. 356. Vgl. die Aufzählung derartiger Verträge bei Stehkämper, Absicherung S. 359, Fn. 66. Vgl. Quellen II, Nr. 197, S. 194f vom 15. Juli 1239 und Nr. 204, S. 203f vom 27. Juli 1240, vgl. die Zitate bei Stehkämper, Absicherung, S. 355, Fnn. 49, 50. Quellen II, Nr. 303, S. 308f vom 1. März 1252 = Knipping REK III, Nr. 1661. Wilhelm IV. versprach, mit dem Erzbischof weder Waffenstillstand noch Frieden ohne Zustimmung der Stadt Köln zu schließen; eine etwa gemeinsam gewonnene Beute sollte geteilt werden. Vorangegangen war ein Vertrag vom 23. August 1251 (Quellen II, Nr. 299, S. 302 ff), der am 20. September 1251 neu ausgefertigt wurde, weil der Erzbischof Konrad seinerseits am 9. September 1251 einen Vergleich mit Wilhelm IV. geschlossen hatte, vgl. Groten, Köln, S. 120. Gottfried Hagen, Chroniken Bd. 12, S. 42f; Übersetzung dieser Stelle bei Heribert Christian Scheeben, Albertus Magnus, Bonn 1932, S. 77 ff (2. Auflage 1955).

750 Jahre kleiner Schied 3.

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er ließ sich und seine Handlungsweise in der Münzfrage – gleichrangig mit seinen Bürgern – in einem Schiedsverfahren beurteilen, behandelte also die Kölner Bürger wie eine gleichberechtigte Macht. Es war dies das erste Schiedsverfahren zwischen Stadtherrn und Bürgerschaft in Deutschland81.

2. Das Schiedsgericht Doch wer sollte das Schiedsgericht bilden? Damals wie heute kamen dafür nur solche Personen in Frage, die das Vertrauen beider Parteien genossen und die eine so unabhängige Stellung hatten, dass sie keiner Partei nach dem Munde reden mussten. Die Quellen sagen uns nicht, wie Albertus Magnus an diesen Schiedsauftrag gekommen ist. Zu bedenken ist aber, dass Albert nicht nur einem Seelsorgeorden angehörte, also besonders nach außen gewirkt hat, sondern dass er auch einer der ersten deutschen magister Parisiensis in theologia gewesen ist und – gleichsam als Rektor des Generalstudiums – Kölns Ruf als Pflegestätte der Wissenschaft begründet hat. So war er nicht nur den städtischen Gremien als klar denkender und auf Ausgleich bedachter Mann bekannt82, sondern dürfte zudem häufiger mit dem Erzbischof zusammengetroffen sein. In den Gesprächen der beiden werden nicht nur theologische Fragen, sondern in dieser Kampfsituation auch politische Fragen besprochen worden sein, zu denen auch eine schiedliche Bereinigung des Konfliktes gehört haben mag. Man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, dass es Albertus Magnus war, der nicht nur die Kölner Bürger, sondern gleichermaßen den Erzbischof durch seinen Zuspruch vergleichsbereit gemacht hat. Weiter ist zu bedenken, dass – wie vorhin dargestellt – Albert mit Hugo v. St. Cher bei dessen Aufenthalten in Köln zusammengetroffen ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Albert ihn über den damals schon eskalierenden Streit Köln contra Köln unterrichtet und dass sich beide über Lösungsmöglichkeiten ausgetauscht haben. Schließlich haben sich beide Parteien feria III post Ramos palmarum, also am 26. März 125283, auf ein Schiedsgericht geeinigt und zu Schiedsrichtern den 81

82 83

In Italien gab es solche Schiedsgerichte schon früher, etwa 1214 zwischen dem Bischof und der Stadt Volterra, vgl. Davidsohn, Florenz, Band II, 1, 1908, S. 26; vgl. Groten, Köln, S. 121; vgl. vor allem die vielen Beispiele bei Frey, Schiedsgericht, S. 16 ff Über Beziehungen Alberts zum Kölner Patriziat vgl. Gabriel Löhr, Beiträge, Bd. 15, S. 38. Die Urkunde ist nicht nach dem Annunciationsstil (Marienjahr) datiert, dessen Anfang auf dem 25. März lag, sondern nach dem Osterstil, dessen Jahr zu Ostern begann. Diese Datierungsform herrschte in der Erzdiözese Köln von 1222 bis 1310 vor (vgl. Grotefend, S. 12). Danach war Ostern (und Jahresbeginn) nach unserer Zeitrechnung der

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Dominikanerkardinal und päpstlichen Legaten Hugo von St. Cher84 (bei dessen Verhinderung den Abt der Zisterzienserabtei Heisterbach im Siebengebirge) und Albert bestimmt85. Der Schiedsspruch sollte binnen drei Wochen gefällt werden und beide Parteien verpflichteten sich eidlich, ihn anzunehmen. Da Hugo v. St. Cher zu dieser Zeit noch in Braunschweig oder auf dem Wege nach Bremen war86, versuchte Albert noch vor dessen Ankunft in Köln, zwischen dem 26. und dem 29. März 1252 eine Art Waffenstillstand87 zwischen den Streitparteien zu schaffen, indem er in einem Vorausschied88 erklärte, wie der endgültige Spruch lauten werde89: „Ich, Bruder Albert aus dem Predigerorden, genannt Lesemeister in Cöln, nehme es auf mein Gewissen und verspreche, dass der Schiedsspruch ... in folgender Weise von dem Herrn Legaten oder von mir gefällt werden wird:“90. Zugrunde lag der politische Zwang, den Streitfall schnell und endgültig beizulegen. Auf Grund vorangegangener Verhandlungen mit beiden Seiten91 und auf Grund der erwähnten Gespräche mit Hugo von St. Cher war sich Albert seiner Sache sehr sicher, denn er machte noch nicht einmal den Vorbehalt, dass der Legat Hugo dem Spruch zustimme. Hugo von St. Cher war in der Frage des Schiedsgerichts nicht nur Respektsperson, um dem Schied größere Autorität zu verleihen92. Als legatus a latere übte er als Schiedsrichter vielmehr an Stelle des Papstes das Friedensamt der Kirche aus, seine Tätigkeit kam der päpstlichen

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31. März 1252. Die feria tercia post ramos palmarum fiel dann auf den 26. März 1252, nach dem Osterstil aber noch in das Jahr 1251. Da die Schiedsrichter für ihren Spruch 21 plus einen Tag Zeit hatten, ist die endgültige Urkunde des kleinen Schiedes auf den 17. April 1252 zu datieren. Der von Ennen (Anm. in Quellen II, Nr. 304, S. 309), Knipping (REK III, Nr. 1665) und Lacomblet II, Nr. 380, S. 203, Fn. 1 angenommene Irrtum Alberts bei der Datierung tritt also nicht auf. Über Hugo von St. Cher und seine Schiedsrichterrolle vgl. Sassen, Hugo, S. 60 ff. Anhang I, A S. 127; Knipping, REK III, Nr. 1666. Aus Böhmer, Regesta Imperii V, Nr. 10321, 10335; 10336 und 10337 lässt sich Hugos Reiseweg erschließen. Danach kann er erst nach dem 10. April in Köln eingetroffen sein, da er an diesem Datum noch in Münster urkundete, Böhmer aaO. Nr. 10336, vgl.: Sassen, S. 61 ff. So: Knipping, REK III, Nr. 1666, ihm folgt Scheeben, Albertus, S. 82. Anhang I, A S. 127 ff; die Urkunde ist nur „1252“ datiert; vgl. dazu Stehkämper, pro bono pacis, S. 349; Abbildung bei Torunsky, Worringen, S. 63. Im Anhang I, A, S. 127 heißt es: Ego frater Albertus ordinis fratrum predicatorum dictus lector in Colonia in animam meam suscipio et promitto, me arbitrium ... sic a domino legato vel a me fore pronuntiandum.... Übersetzung bei Scheeben, Albertus, S. 82f. Ebenso: Stehkämper, Albertus, S. 361. So aber Cardauns, Konrad, S. 103 und Scheeben, Chronologie, S. 34.

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gleich93. Auch konnte die Stadt erwarten, dass er eine päpstliche Bestätigung des Spruchs leichter werde erwirken können, die ihr schon früher bei Privilegien nützlich gewesen war, und Konrad von Hochstaden mochte die Mitwirkung des Legaten helfen, sein Gesicht zu wahren, wenn der Spruch gegen ihn ausfallen sollte94. So erging denn nach der Ankunft des Legaten am 17. April 1252 der endgültige Spruch95.

3. Rechtsgrundlagen des Schiedsgerichts Das Schiedsverfahren hat die Kirche nach Deutschland gebracht96. Ihr Friedensauftrag wird aus 1. Korinther 6: 5 hergeleitet97, wo es um die Beilegung des Streites unter Brüdern geht, so dass die Schiedsrichter zu Vergleichsstiftern werden und mediatores heißen98. Die Zustimmung der Parteien zu einem Schiedsverfahren wird häufig durch consensus ausgedrückt99, doch zeigt sich in der Benutzung des Substantivs compromissum, oder des Verbums compromittere, dass hierdurch die Kompetenz der Schiedsrichter begründet wird. Zugleich ist aus der Benutzung dieser Begriffe zu folgern, dass es sich bei dem folgenden 93

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Vgl. Hinschius, I, S. 173f, 511 ff; Ruess, Legaten, S. 91 ff; Sägmüller, § 91, S. 428; Bader, Schiedsidee, S. 116. Über Legaten als Schiedsrichter in Italien im 12. und. 13. Jahrhundert vgl. Frey, S. 58 ff. Ebenso: Stehkämper, pro bono pacis, S. 327. Das Datum ist zu erschließen aus der Urkunde in Anhang I, B, S. 127 ff: Das Gericht wurde am 26. März eingesetzt und sollte binnen 3 Wochen seinen Spruch fällen. Mit Rücksicht auf den Legaten wurde die Frist um einen Tag verlängert, vgl. Sassen, S. 65, Fn. 1; vgl. Cardauns, Regesten, in: AHVN, Bd. 35, Nr. 318, derselbe, Urkunden, in: AHVN, Bd. 21/22, S. 273 und derselbe, Konrad, S. 96, Fn.1. Bornhak, S. 16 ff; Bader, Schwaben, S. 14f (166f), wobei sich das kanonische Recht (X. 1. 43: de Arbitris) weitgehend an das römische anschließt. Dessen Quellen finden sich in D. 4. 8: de receptis, qui arbitrium receperint, ut sententiam dicant und in C. 2. 55: De receptis arbitriis, vgl. Bornhak, S. 2. Über das italienische Schiedswesen im 13. Jh. vgl. Frey, Schiedsgericht. Die dort nachgewiesenen Elemente von Schiedsgericht und Schiedsverfahren finden sich nahezu unverändert auch im Kleinen Schied wieder. Zur Kontroverse über die Herleitung aus dem deutschen Recht vgl. Janssen, S. 79f. Der Friedensgedanke wird auch in anderen Schiedsurkunden der Stadt Köln betont, vgl. derselbe, S. 81, Fn. 11, S. 87f; der Schiedskompromiss kann auch eine besondere Form des Friedensschlusses sein, vgl. derselbe, S. 90f. 1. Kor. 6: 5 (iudicare inter fratrem suum); vgl. Bader, Schiedsidee, S. 100 ff (226 ff); Janssen, S. 81. c. 13 X. I. 43 sagt: „quod per praedictos mediatores super hoc actum est, auctoritate apostolica confirmamus. So Frey, S. 74 für Italien, im Kleinen Schied (Anhang I, B, S. 127) ist das Wort consensus parcium nur für die Fristverlängerung benutzt. Die Ernennungsurkunde der Richter für den großen Schied (Quellen II, Nr. 381 v. 20. 3. 1258), sagt S. 37: “sin wir gesůnit inde vuerdragen alsus“.

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Verfahren nicht um eine Sonderform des Prozesses handelt, sondern um eine amicabilis compositio, denn das Schiedsverfahren ist ein Güteverfahren100. Durantis unterscheidet zwar zwischen arbiter (Schiedsrichter), der über das streitige Rechtsverhältnis zu richten hat, und dem arbitrator (Vergleichsstifter), der einen Interessenausgleich suchen und dabei die Billigkeit walten lassen soll101, doch hat er sein berühmtes speculum iudiciale erst 1271 fertiggestellt, also fast zwanzig Jahre nach dem kleinen Schied. Darin treten denn auch beide Begriffe nicht auf, er spricht nur von „arbitrium“. Dass im kleinen Schied der Friedensgedanke (und nicht die Machtdemonstration102) im Vordergrund stand, also ein compromissum, eine amicabilis compositio, gemeint war, folgt aus dem Text des endgültigen Schiedes103. Die Parteien bestimmten die Zahl der Schiedsrichter – hier zwei104 – und den sachlichen Umfang der schiedsrichterlichen Kompetenz105, also den Streitgegenstand. Da die Parteien sich bereits bekriegt hatten, war es auch erforderlich, den Schiedsspruch bald zu erlangen. Deshalb die Festlegung auf drei Wochen106. Hinsichtlich des anzuwendenden Rechtes legten die Parteien des klei100 Dass es sich bei unserem Schied nicht um eine bloße Vermittlung, um mediatio handelt, folgt aus der Verwendung des Wortes compromissum, die das eigentliche Kennzeichen eines Schiedsgerichtes ist, vgl. Anhang I, A, S. 38: „compromiserunt“ und Anhang I, B, S. 127: „in nos fuit a dictis partibus compromissum“; für Italien vgl. Frey, S. 11f, 78 ff, 93. 101 Bei Durantis (lib. I, part. I (de arbitro et arbitratore), § 1 steht: Nam arbiter est, quem partes eligunt, ad cognoscendum de quantione. Arbitrator vero est amicabilis compositor, nec sumitur super re litigiosa velut cognoscat, sed ut pacificet“, vgl. Oertmann, S. 108; Bader, Schwaben, S. 14 (166); Bader, arbiter S. 286 (273). 102 Hierbei handelt es sich offensichtlich um eine bestimmte Art von Schiedsfällen, in denen der Friedensgedanke zurücktritt, vgl. aber Janssen, S. 82 ff. 103 Dort heißt es (Anhang I, B, S. 38): „tandem pro bono pacis in nos fuit a dictis partibus compromissum“, die Friedensstiftung durch Vergleich ist also deutlich betont. Im Vorausschied heißt es an der fraglichen Stelle (Anhang I, A, S. 127) „compromiserunt“; zur amicabilis compositio vgl. Janssen, S. 92f. 104 Diese Zahl ist auch in Italien sehr häufig, vgl. Frey, S. 134f; beim großen Schied waren es dagegen fünf, vgl. Quellen II, Nr. 381 v. 20. März 1258, S. 377: „gegangen an vůnf man bit namen“. 105 Die Urkunde sagt (Anhang I, B, S. 127): „super moneta ac aliis quibuscunque questionibus“. Eine sehr lockere Formulierung, der Schied umfasst ja auch Zollfragen sowie Rechte und Freiheiten der Kölner Bürger gegenüber dem Erzbischof. Dagegen sind für den großen Schied von 1258 in der Urkunde vom 20. März 1258 (Quellen II, Nr. 381, S. 376 ff) nicht nur die Schiedsrichter bestellt und vereidigt, es ist auch der Gegenstand des Kompromisses umschrieben worden. 106 Anhang I, B, S. 127: „quod infra tres septimanas decideremus et terminaremus huiusmodi questiones, cui tamen tempori postea de consensu parcium coram nobis adiecta fuit una dies“; in Italien waren 15 Tage oder ein Monat gewöhnlich, um Verschleppungen vorzubeugen, vgl. Frey, S. 163 ff.

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nen Schiedes die Schiedsrichter nicht fest107, ließen ihnen also insoweit freie Hand. Ein Eid der Schiedsrichter fehlt im Kleinen Schied, vermutlich, weil nicht nur Albertus als angesehener Ordensmann, sondern ein päpstlicher legatus a latere beteiligt war108. Aus der Tatsache, dass die Gepflogenheiten der Bestellung italienischer Schiedsgerichte im Vorausschied fehlen (den Begriff compromittere ausgenommen), aber im endgültigen Schied fast ausnahmslos wiederkehren109, darf man entnehmen, dass sie jedenfalls Hugo von St. Cher, dem Kardinal von St. Sabina, geläufig waren, sie also möglicherweise auf seine Veranlassung in die endgültige Urkunde eingefügt wurden, zumal es sich um Alberts ersten Schied handelte110. Immerhin wird man annehmen dürfen, dass Albertus Magnus die kirchlichen Rechtsquellen seiner Zeit gekannt hat. Das Schiedsrecht der Kirche hatte sein Confrater Raymundus de Peñafort in den Liber Extra eingefügt, den er auf päpstliche Bitte zwischen 1230 und 1234 ausgearbeitet hatte und den Papst Gregor IX. 1234 den Universitäten Bologna und Paris übersandt und damit veröffentlicht und verbindlich gemacht hatte111. Albert war seit 1245 Professor für Philosophie und Theologie in Paris, so dass ihm dieses Werk kaum unbekannt geblieben sein dürfte112. Denn derartige Schiedssprüche waren nicht nur in Italien gängig, sondern hatten sich inzwischen über die Schweiz und Südwestdeutschland bis an den Rhein verbreitet113 und waren hier üblich geworden. Das deutsche Rechtsbewusstsein hatte sie als Möglichkeit der Streitentscheidung inzwischen anerkannt114. Hinzu kam, dass zwischen 1245 und 1250 (nach 107 In Italien waren die Schiedsrichter hierin meist frei gestellt, oft sollen sie nach Billigkeit richten, vgl. Frey, S. 152 ff; zur Billigkeitsjustiz in rheinischen Schiedssachen vgl. Janssen, S. 95 ff. 108 In Italien leisteten die Schiedsrichter gewöhnlich einen Eid vgl. Frey, S. 116 ff; ebenso auch beim großen Schied, vgl. Quellen II, Nr. 381, vom 20. März 1258, S. 377). 109 Vgl. Anhang A, S. 38 gegen Anhang I, B, S. 127. 110 Vgl. Stehkämper, pro bono pacis, S. 299, 326f. 111 Über Raymundus de Peñafort vgl. v. Schulte, Bd. II, S. 408 – 413; Kuttner, Studies,Teil XII, S. 65 ff. 112 Dass Albert mit päpstlichen Dekretalen vertraut war, ergibt sich aus Dist. III, E., Art. 2, qu. 2 ad 8m seines Werkes ‚In IV libros Sententiarum‘ bei Borgnet, Bd. 29, S. 66, wo er den vollen Wortlaut der Dekretale c. 16 X. I. 11 Gregors IX. diskutiert, den Raymundus de Peñafort nur verkürzt in den Liber Extra eingefügt hat; vgl. Kuttner, Studies XII, S. 73f, mit Fn. 37. 113 Bader, arbiter S. 294 ff (257 ff) hat urkundliche Belege nicht nur für die Schweiz und Südwestdeutschland, sondern auch für Franken, Schwaben und den Mittelrhein sowie einige (meist spätere) Urkunden für den Niederrhein (S. 266 (279)) beigebracht. 114 Vgl. allgemein: Bader, Schwaben, S. 16f (168f); Bader, arbiter, S. 255f (242f). Dies zeigt sich nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den Gebieten, in denen Albertus gewirkt hat, so z. B. am Oberrhein, in Kolmar und Straßburg, wo Albertus in den 1240er Jahren

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dem 1. Konzil von Lyon) Papst Innozenz IV., der Nachfolger Gregors IX., seinen Kommentar zu den Dekretalen Gregors IX., dem Liber Extra115, bearbeitete, dessen Kenntnis an Albertus nicht vorbeigegangen sein wird.

V. DER INHALT DES SCHIEDSSPRUCHES Wie bei vielen Schiedsgerichten war auch hier der Spruch eine delikate Sache, weil beide Parteien ihr Gesicht wahren mussten. Doch ist Albertus Magnus der Ausgleich hervorragend gelungen. Es handelte sich im Wesentlichen um drei Streitpunkte:

1. Münzfragen Dies war das heikelste Thema des Schiedsspruchs und der Anlass der Auseinandersetzungen gewesen. Hier lautet der Spruch116: „Herr Konrad, Erzbischof von Köln, verzichtet auf neue Münzen, und zu keiner Zeit darf das Kölner Geld durch Neuprägung erneuert werden, außer wenn ein neuer Erzbischof gewählt und bestätigt wird oder wenn ein Erzbischof der Kölner Kirche im Dienst des Reiches waffenumgürtet aus Gebieten jenseits der Alpen zurückkehrt.“ Diese Fälle einer Münzerneuerung waren seit alters anerkannt, denn nach beiden Anlässen waren die Erzbischöfe mit ihren Finanzen gewöhnlich am Ende: beim ersten, weil – trotz des Simonieverbotes seit 1122 – damals die Lenkung der Wahl und die Bestätigung durch Rom große Summen verschlangen, beim zweiten, weil Kriege stets teuer sind und ein Romzug erhebliche Mittel erforderte. Insofern gibt Albert also den Kölner Bürgern Recht und entscheidet gegen den Erzbischof, der sich eidlich verpflichtet, künftige Münzverrufe zu unterlassen. Dann fährt der Schied fort117: Lektor war (Bader, arbiter, S. 272f (259f), aber auch am Mittelrhein, so in Speyer, Worms, Trier und Mainz, vgl. Bader, arbiter, S. 274 ff (261 ff). Für das Schiedswesen am Niederrhein vgl. Janssen, S. 77 – 100. 115 Innozenz IV. (Papst 1243 – 1254): „Apparatus (Commentaria) in quinque libros decretalium“, vgl. dazu v. Schulte, Bd. II, S. 91 – 94. 116 In Anhang I, B, S. 127f heißt es: „Ut prefatus Conradus Colonienis archiepiscopus careat de moneta nova nec umquam in omne tempus moneta Coloniensis nummismatis renovetur, nisi quando novus archiepiscopus electus fuerit et confirmatus vel quando eiusdem Coloniensis ecclesie archiepiscopus in obsequio imperii armis accinctus de transalpinis partibus revertetur, eo quod secundum dicta et testimonia omnium antiquorum nummisma Coloniense consuevit ab antiquo in hiis duobus casibus innovari nec in alio casu aliquo permissa fuit fieri novi nummismatis percussura.“

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Weil die jetzt gängige Prägung mit dem Bild des erwähnten Erzbischofs durch viele Veränderungen entstellt und gefälscht ist, bestimmen wir schiedsrichterlich, dass sie auf eine Umschrift und ein Bild zurückgeführt werde und dass ihre Form so deutlich und klar sei, dass danach leicht von jedermann jede Fälschung erkannt werden kann. Damit dies recht umsichtig beachtet wird, ordnen wir an, dass ein Urbild des ersten Schlages, das volkssprachlich „Stal“ heißt, in der Sakristei der hohen Domkirche niedergelegt werde, insgesamt 13 Schillinge und 4 Kölner Pfennige und ebensoviel derselben Prägung zur Wahrnehmung des guten Glaubens den genannten Bürgern überantwortet werde, damit die Reinheit und das Gewicht des gesamten Münzschlages stets geprüft und verglichen werden kann.“ Dieser Satz118 entscheidet offensichtlich für den Erzbischof, der also – dem alten Herkommen zuwider – jetzt doch neue Münzen schlagen lassen darf (so dass im aus seiner Finanzklemme geholfen wird), aber nur einmal und nicht wieder. Zugunsten des Erzbischofs wirkt sich auch aus, dass vom Feingehalt und Gewicht der jetzt erlaubten Neuprägung keine Rede ist; das Geldgeschäft des Erzbischofs wird also nicht behindert. Dass Albertus den Münzverruf Konrads und die Neuprägung nicht als Rechtsbruch bezeichnet, ist die von ihm gefundene diplomatische Formulierung, die sich in der zukünftigen Fälschungssicherheit ausdrückt. Auch die Wiedereinführung der abgekommenen Münzproben geht auf Alberts Konto119. Übrigens: Die Beutel für die Probemünzen, von denen der Schied spricht, werden noch heute im Kölner Stadtmuseum aufbewahrt120.

117 In Anhang I, B, S. 128 heißt es: „Et quia nummisma, quod in presenti publicum est, in quo est ymago archiepiscopi memorati, per multas varietates viciatum est et falsatum, ordinamus et dicimus arbitrando, ut ad unicam descriptionem et ymaginem revertatur et forma illius adeo fiat evidens et aperta, quod iuxta ipsum de facili dinosci possit a quolibet omnis falsitas aliena. Quod ut cautius observetur, ordinamus arbitrando, ut in hoc antiquorum sollercia observetur, ita videlicet, quod prime percussure ydea, quod stal vulgariter appellatur, in sacrarium beati Petri maioris ecclesie in Colonia reponatur, in summa tredecim solidorum et quatuor denariorum Coloniensium et tantundem eiusdem nummismatis custodiendum bone fiedei dictorum civium committatur, ut ad illorum denariorum puritatem et pondus tocius percussure nummisma semper examinari valeat et probari.“ 118 Da Schillinge (1 Schilling = 12 Pfennige (=Denare) in Köln nicht geprägt wurden, sind das genau 160 Pfennige oder eine Mark Münzsilber (= 233 – 234 Gramm). 119 Obwohl das Recht der städtischen Münzkontrolle hier als alt bezeichnet wird, dürfte es sich dabei doch um eine Neuerung handeln, denn noch am 4. März 1226 verfügte Ebf. Heinrich von Molenark, dass die Kölner Denare nur vom erzbischöflichen Examinator geprüft werden durften (Quellen II, Nr. 96, S. 105f vom 4. März 1226). Das hat Konrad v. Hochstaden am 26. Mai 1238 (Quellen II, Nr. 180, S. 180f v. 26. Mai 1238) und am 19. Juli 1244 (Quellen II, Nr. 238, S. 239f) bestätigt, vgl. Wendehorst, S. 34; Kern, S. 18. 120 Vgl. Hävernick, Münzen, S. 13f mit Abb. A, B; Albrecht, S. 216 ff; die Beutel sind leer, die Münzen inzwischen ununterscheidbar in die Münzsammlung eingefügt, Albrecht, S. 218.

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Durch Vereinbarung der Parteien wurde dem Vorausschied Alberts in der endgültigen Ausfertigung noch der Satz angefügt: „Die Parteien kamen vor uns überein, dass, wenn ein Fälscher ergriffen wird, über ihn Gerechtigkeit geschehen soll.“121.

2. Zollfragen Das Recht, Zoll zu erheben (sog. Zollregal), ist ein Recht, das seit dem frühen Mittelalter zunächst dem deutschen König, später den Landesfürsten und Reichsstädten zustand122. Erste Einbrüche in das königliche Zollregal schuf c. 2 der confoederatio cum principibus ecclesiasticis von 1220123 zugunsten der geistlichen Fürsten des Reiches. Auf dem Rhein erhob der Kölner Erzbischof Zoll in Andernach124, Bonn125, Neuss126 und in Rheinberg127. Die Kölner Bürger waren 121 „Convenerunt etiam partes coram nobis, quod, si quis deprehendatur falsarius, iusticia fiat de ipso.“ Die Anfügung dieses Satzes ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der Schiedsspruch eine amicabilis compositio war und kein Schiedsurteil. Das folgt im Übrigen auch aus Quellen II, Nr. 320 vom 16. Juni 1253, S. 334, wo Papst Innozenz IV. den kleinen Schied als amicabilis compositio bezeichnet. 122 Vgl. allgemein zum Zoll: Falke, Zollwesen; Stolz, Zollwesen VSWG 41, 1954, S. 1 – 41; Wadle, S. 198 ff; Andreas Eichstaedt, Art. Zoll, in: HRG Bd. V, Sp. 1753 – 1757; Mathias Schmoeckel, Art. Zollregal, in: HRG, Bd. V, Sp. 1759 – 1769; Ernst Pitz, Art. Zoll I, in: LexMa IX, 1998, Sp. 666 – 669; speziell zum kurkölnischen Zoll: Falke, Zollwesen, S. 64, 77f; Droege, Rheinzölle, S. 21 ff; Pfeiffer, Zölle, S. 199 ff; derselbe, Beiheft, S. 17 ff. 123 Text: Zeumer, Nr. 39, S. 42f, vgl. dazu Wadle, S. 187 ff, 205 ff. 124 Den Andernacher Zoll hatte Friedrich I. 1167 dem Ebf. Rainald von Dassel verliehen, vgl. die Urkunde Friedrichs I. vom 1. August 1167 bei Lacomblet I, Nr. 426, S. 296f; Knipping, REK II, Nr. 900; Stumpf-Brentano, Nr. 4086; vgl. Sommerlad, S. 47f, 92 ff; Troe, S. 239; Spahn, S. 7 vermutet, dass Heinrich VII. den Zoll wieder einzog, während Otto IV. ihn 1198 erneuerte; vgl. Knipping, REK II, Nr. 1550; Text: Lacomblet I, Nr. 562 S. 392f v. 12. Juli 1198: Restituimus etiam dicte ecclesie et archiepiscopo suisque successoribus curtem in Andernaco ... cum omni attinentium integritate secundum sui privilegii tenorem, quod fridericus imperator Raynaldo...quondam super eisdem contradidit“; am 12. Januar 1204 bestätigte König Philipp von Schwaben (1198 – 1208) Erzbischof Adolf I. von Altena (1193 – 1205) den Andernacher Zoll, Lacomblet II, Nr. 11, S. 7f; am 26. Juli 1282 verzichtet Erzbischof Siegfried von Westerburg auf den Zoll in Andernach und Bonn, soweit er ungerechtfertigt erhoben wurde (Quellen III, Nr. 221, S. 190 ff u. Nr. 223, S. 193f; MGH, Const. III, Nr. 333, S. 319 ff vgl. Spahn, S. 7; Droege, Rheinzölle, S. 25, 30); vgl. Pfeiffer, Beiheft S. 39f. 125 Die Nutzung des Bonner Zolls (der damals noch marktbezogen war) ist vermutlich in ottonischer Zeit in die Hände des Kölner Erzbischofs gelangt, während der König Eigentümer blieb. Aus den Urkunden vom 18. März 1244 (Knipping, REK II, Nr. 1131) und von April 1246 (REK II, Nr. 1242, Zollfreiheit an Bonner Zoll für das Kloster Heisterbach) folgt, dass Konrad in den 1240er Jahren Zoll in Bonn erhob; vgl. Sommerlad, S. 22; Troe, S. 239, Fn. 1, während erst Siegfried v. Westerburg dort einen Rheinzoll einführte, vgl. Droege, Rheinzölle, S. 31 m. Fn. 46; Pfeiffer, Zölle, S. 218 ff; derselbe, Beiheft, S. 43.

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126 Der Zoll zu Neuss wird bereits am 22. Mai 877 als königlicher Zoll genannt (MGH, DD, Urk. d. dt. Karolinger I, Ludwig d. jüngere Nr. 6, S. 340, Zollfreiheit f. Kloster Werden). Es handelte sich ursprünglich um einen Marktzoll (vgl. UB Krefeld, Bd. I, Nr. 6, S. 2 vom 11. Mai 898), dessen Eigentümer der König blieb, dessen Nutzung wahrscheinlich Erzbischof Anno II. (1056 – 1075) erwarb. Annos Urkunde von 1074 ist allerdings gefälscht, vgl. Lacomblet in: Archiv f. d. Geschichte des Niederrheins II, S. 319; Abdruck der Urkunde ebenda, Beilage I, S. 326 – 330 und J. Mooren in AHVN Heft 10, S. 287f. Seit 1169 (Befreiung des Klosters Meer Lacomblet IV, Nr. 632, S. 781, vgl. Knipping REK II, Nr. 934, vgl. Lau, Neuss, S. 3*, Fn. 6) lässt er sich als theloneum navale quam forense im Besitz der Kölner Kirche nachweisen. Neuss lag damals noch am Rhein und war nicht nur der Beginn des Handelsweges in die Niederlande, sondern auch die Übergangsstelle der Straße zum Hellweg, die über Angermund und Werden weiter nach Westfalen führte und 1065 „strata Coloniensis“ genannt wurde (MGH DD, Band VI, 1, Nr. 172, S. 225); vgl. Lacomblet IV, Nr. 632, S. 781f (Urkunde Philipps I. v. Heinsbergs (1167 – 91) von 1169) und Sommerlad, S. 48f, 94; Troe, Münze, S. 139 mit Fn. 1; Bömmels, S. 41, 45; Klinkenberg, S. 121; Droege, Rheinzölle S. 27, 32f. Über weitere Zollbefreiungen der Klöster Corvey (1181), Liesborn (1186/1192), der Stadt Kaiserswerth (1194), der Klöster Kappenberg und Averndorp/Wesel (1193 – 1205), Kamp (1225) in Neuss vgl. Bömmels, S. 46 ff. Wegen der Verlagerung des Rheines verlegte Friedrich III. von Saarwerden (1370 – 1414) den Neusser Rheinzoll nach Zons, was König Sigismund (1410 – 37) am 8. November 1414 dem Ebf. Dietrich von Moers (1414 – 63) bestätigte, vgl. Lacomblet IV, Nr. 88, S. 94f; vgl. Droege, Dietrich, S. 129f; Pfeiffer, Zölle, S. 248 ff; 431f; derselbe, Beiheft, S. 70. 127 Rheinberg ist wohl schon im 11. Jahrhundert königliche Zollstätte gewesen (vgl. Wittrup, S. 13). Als es 1100 kurkölnisch wurde, ist der Marktzoll den Erzbischöfen überlassen worden . Erzbischof Heinrich von Molenark (1225 – 1238) hat dazu auch Landund Rheinzoll (vermutlich Geleitzoll) verlangt (vgl. Knipping, REK III, Nr. 823, v. 22. Jan. 1235; Droege, Rheinzölle, S. 31f, Fn. 47; Andernach, Rheinberg, S. 7; Pfeiffer, Zölle, S. 289 ff; derselbe, Beiheft, S. 75f). Siegfried von Westerburg (1275 – 1295) hat ihn durch Vertrag vom 28. Aug. 1279, MGH , Const. Bd. III, Nr. 627, S. 604 ff, hier: § 5, S. 605 (mit Lücken auch bei Lacomblet II, Nr. 728, S. 427f aufgehoben, vgl. Troe, Münze, S. 239, Fn. 1. Aber König Albrecht I. verlieh am 28. August 1298 dem Erzbischof Wigbold von Holte (1297 – 1304) den Rheinberger Zoll auf Lebenszeit (Lacomblet II Nr. 995, S. 586f, vgl. Nr. 994, S. 586); ihm folgte 1314 König Friedrich III., der die Zölle zu Rees, Xanten und Rheinberg im Rheinberger Zoll zusammenfasste und ihn am 27. November Erzbischof Heinrich II. von Virneburg (1304 – 1332) als theloneum perpetuum übertrug (Lacomblet III, Nr. 139, S. 104). Allerdings sind die erzbischöflichen Zölle in Bonn und Rheinberg von den Königen wiederholt (z. B. Adolf von Nassau 1293, Lacomblet II, Nr. 937, S. 554f v. 28. Mai 1293, nach 15-jähriger Nutzung) aufgehoben worden, vgl. auch Lacomblet III, Nr. 8, S. 5f vom 7. Mai 1301 und 21, S. 14 ff vom 24. Oktober 1302; Wittrup, S. 14; Droege, Rheinzölle, S. 32. Den Kampf gegen ungerechte Zölle hat auch Hugo v. St. Cher geführt: Die Chronici Rhythmici coloniensis fragmenta (zwischen 1204 und 1260 entstanden) berichten darüber (MGH SS Bd. XXV, S. 377): Monstrat precisos a papa talia nisos. Concordes nisos absolvit obinde recisos. Pontifices dictos facit abiurare rapinas, et sic astrictos monet inde timere ruinas. Qui dum discessit, morbus radice recrescit. Pax patrie cessit, iterata rapina virescit“. Deshalb war ihm Alberts Zollklausel im Schiedsspruch recht, und er

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jedoch auf Grund alten Herkommens an den kurkölnischen Zollstätten befreit. Erzbischof Konrad hatte sie jedoch – gegen ihre alten Privilegien128 – seinem Zoll in Neuss unterworfen. Auch mit dieser Aktion beabsichtigte er, seine Finanzen aufzubessern, da der Neusser Zoll für ihn eine reiche Finanzquelle war. Als aber die Stadt Köln Wilhelm von Holland, dem Schützling Konrads, 1248 den Einzug in die Stadt verweigerte, sicherte er ihr aus politischen Gründen Freiheit vom Land- und Rheinzoll in Neuss und vom Zoll oberhalb und unterhalb von Köln zu129. Zugleich bestätigte er den Kölnern alle ihre Rechte, Freiheiten und guten Gewohnheiten, und zwar ohne jeden Vorbehalt. Da der Erzbischof dieses Privileg durch Nichtbeachtung inzwischen faktisch aufgehoben hatte, so ist fraglich, ob diese Aufhebung rechtswirksam war. Für kirchliche Privilegien, von denen es heißt „privilegia sunt leges privatorum, quasi privatae leges“ 130 hatten sich im damaligen kanonischen Recht feste Regeln herausgebildet: Ein Widerruf war nur erlaubt, wenn eine iusta causa vorlag131, wozu vor allem Missbrauch132, zu große Beschwerung eines Dritten133 oder Verstoß gegen das Ge-

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hat auch im Herbst 1252 den Erzbischof Gerhard von Mainz wegen Erpressung ungerechter neuer Zölle gebannt, vgl. Böhmer/Ficker, Band V, 2, Nr. 10 364, S. 1562; dieser Bann ist bekannt durch seine Aufhebung am 15. April 1253, ebenda Nr. 10 399, S. 1564; vgl. Sassen, S. 66f, 86 ff; Aldinger, S. 153. Eine solche allgemeine Zollfreiheit der Kölner Bürger an den Zollstätten des Erzbischofs ist schriftlich nicht überliefert. Erst § 16 des um ca 1237 gefälschten, auf 1169 rückdatierten Burggrafenweistums enthält ein solches Privileg. Beyerle, S. 196, Fn. 1 schließt daraus, es sei so alt gewesen, dass es der Verbriefung nicht bedurfte. Text des Weistums in Quellen I, Nr. 76, S. 554 und bei Beyerle S. 398 ff; zur Datierung vgl. Groten, Fälschungen S. 54 ff und die Nachweise bei Strauch, Gericht, S. 141, Fn. 21 und S. 152 ff. Immerhin folgt aus dem kleinen Schied, (vgl. unten Ziff. 3), dass Konrad den Bürgern auch die ungeschriebenen Privilegien , also auch die der Zollfreiheit, bestätigte. So die Urkunde von Pfingsten (7. Juni) 1248 (Quellen II, Nr. 279, S. 283 = Lacomblet II, Nr. 333, S. 174, vgl. Knipping REK III, Nr. 1398, Hansisches UB I, Nr. 363 (nur Regest) vgl. Cardauns, Konrad S. 95, Kettering S. 66; Groten, Köln S. 118), die den Kölnern Freiheit vom Rheinzoll bei der Berg- und Talfahrt und vom Straßenzoll in Neuss sowie unterhalb und oberhalb Kölns gewährte (Bömmels, S. 48 lässt diesen Zusatz weg). Diese im Gewande einer Privilegienverleihung daherkommende Urkunde war tatsächlich nur die Bestätigung längst bestehender Kölner Rechte, von der sie in ihrem zweiten Teil auch spricht. Bereits am 9. Oktober 1247 hatte Wilhelm v. Holland der Stadt Köln zugesichert, sie militärisch unbehelligt zu lassen, vgl. Quellen II, Nr. 266, S. 266f. So im Decretum Gratiani c. 3, D. III und in c. 25 X. de verborum significatione V, 40; vgl.. H. Krause, Art. Privileg, mittelalterlich in: HRG III, Sp. 1999 – 2005, der auf Isidor v. Sevilla, Etym. V, 18 im Anschluss an Cicero, de legibus 3, 19, 44 verweist. Die Widerrufsgründe hat zunächst Gratian gesammelt, vgl. C. 25, q. 1; 2, vgl. Lindner, S. 95ff. Vgl. c. 11 und 24 X. V, 33, sowie c. 45 X. de sententia excommunicationis V, 39; vgl. Sägmüller, Band I, S. 138; Krause, Dauer, S. 244; Potz, S. 56 f.

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meinwohl gehörten134, auch andere werden genannt135. Allerdings wurde dem Papst – in Anlehnung an das unumschränkte Gesetzgebungsrecht des römischen Kaisers136 – ebenfalls ein umfassendes Gesetzgebungsrecht zugebilligt, was ihn zugleich zum Herrn über die Privilegien machte, die er ohne weiteres widerrufen konnte, auch wenn der Widerruf nur der Nützlichkeit folgte137. Nun ist die Zollbefreiung von 1248 weder ein geistliches noch ein päpstliches Privileg, da Konrad es als Landesherr erlassen hat. Aber auch in diesem Falle wird man für den Widerruf eine iusta causa fordern müssen, weil damals die kanonistische Lehre bereits ins weltliche Recht aufgenommen war138. Konrads infolge der päpstlichen Maßnahmen von 1250 noch verschärfte Geldnot kann jedoch kaum als Gemeinwohlverstoß dieses Zollprivilegs durchgehen, so dass ein gerechter Widerrufsgrund fehlte. Und selbst wenn man das hier erteilte Privileg nach den Grundsätzen der germanischen Schenkung beurteilt139, so hatte die Stadt den „Lohn“ für die Schenkung geleistet, indem sie Wilhelm v. Holland einließ. Mit der vermutlich 1250140 wieder einsetzenden Zollerhebung von Kölner Kaufleuten maßte sich Konrad die Rechte von Papst und Kaiser an, die Privilegien nach Nützlichkeitsgesichtspunkten aufheben konnten, oder – einfacher gesagt – folgte er offenbar nur finanzpolitischen Rücksichten und 133 Siehe c. 9 X. 3. 30, vgl. Lindner, S. 124 ff für Johannes Andreae. 134 Siehe c. 16 X. 3. 4. 135 Vgl. die Nachweise bei Lindner, S. 98 ff der S. 100 der auch Nützlichkeit und Undank nennt und dafür die Summa Coloniensis, cod. Ms. Can. 39 der Kgl. Bibliothek in Bamberg, S. 36 zitiert. 136 So in Cod. I. 14. 12; vgl. Thaner, S. 849 ff; Krause, Dauer, S. 234. 137 Üblich wurde die den päpstlichen Privilegien eingefügte Formel „salva sedis apostolicae auctoritate“; das Widerrufsrecht des Papstes geht ursprünglich auf Gratian (c. 22 – 25, C. XXV. qu. II.) zurück, wird aber erst in der Summa Rolandi mit dem obersten Gesetzgebungsrecht des Papstes begründet und von Hostiensis ausgebaut, vgl. Lindner, S. 46f, 96f; 121f; Thaner, S. 817 ff, 845 ff; Vienken, S. 63 ff; Feine, S. 333; Krause, Dauer, S. 234f; Lefebvre, S. 507f. 138 Kaiser Friedrich II. lässt die Klausel „salvo mandato“ ausdrücklich weg: „Preterea licet in quibuslibet privilegiis nostris illam clausulam iubeamus apponi, que dicitur: salvo mandato et ordinatione nostra, ab huiusmodi tamen privilegio de solita benignitatis nostre gratia, quam pluribus iam monasteriis fecimus super clausula illa, eam omnino precipimus amovendam“ (Boehmer/Ficker, V, 1, Nr. 1350 v. 1221 und mehrfach, vgl. Vienken, S. 77, Fn. 118; die Assise „De resignandis privilegiis“ von 1220 – wo bereits kanonischer Einfluss sichtbar wird – ist erwähnt in Boehmer/Ficker, V, 1, Nr. 1260b und in MGH Const. II, 417, S. 547f, v. 3. März 1221, vgl. Vienken, S. 78 ff; die Entwicklung stellt Krause, Dauer, S. 228, 238, 244 dar; derselbe, Widerruf, S. 117 ff; derselbe, Art. Privileg, mittelalterlich, in: HRG III, Sp. 2003f; Baaken, S. 11 ff; zum mittelalterlichen Privilegienwesen vgl. allgemein: Buschmann, S. 17 ff. 139 So offenbar Wendehorst, S. 50. 140 Am 4. Oktober 1250 hatte Papst Innozenz IV. Konrad an die Bezahlung seiner Schulden gemahnt, Berger II, Nr. 5361, S. 249, vgl. Werner, S. 560f; Prößler, S. 360f.

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handelte deshalb widerrechtlich. Dagegen richtete sich der Protest der Kölner Bürger und Alberts Spruch bestätigte ihre Rechtsauffassung, indem er jede ungerechte Zollerhebung verbot141: „Wir verordnen ebenfalls, dass alle Zölle – ob in Neuss ob anderswo, wo immer der Erzbischof ungerecht und gegen die Privilegien der Kölner Bürger Zoll erhebt oder erhob oder in Zukunft ungerecht erheben könnte – überhaupt wegfallen sollen, gemäß dem Inhalt der Vorrechte der Kölner Bürger“. Ein Zugeständnis an den Erzbischof ist aber die Bestimmung, dass die Kölner nur ihre eigenen Waren zollfrei führen und aus der Zollbefreiung kein Geschäft machen durften, indem sie fremde Waren als eigene deklarierten. Auch sollten sie helfen, solche Betrüger zu entlarven und dem Erzbischof die Verfolgung zu ermöglichen.

3. Wechselseitige Unterstützung Der kleine Schied enthält noch eine weitere zukunftsträchtige Formulierung: „Wir verordnen schiedsrichterlich gleichfalls, dass der Kölner Erzbischof die Kölner Bürger in ihren Freiheiten und Rechten, die entweder schriftlich oder durch alte und gute Gewohnheit bis auf diese Zeit erworben worden sind, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mauern bewahrt, begünstigt und verteidigt.“142 Da Albert die Freiheiten und Rechte als „erworben“, nicht aber als „verliehen“ bezeichnet, erkennt er an, dass die Stadt Inhaber originärer Rechte ist, die nicht ohne weiteres entzogen werden können143. Die Bestimmung bestätigte der Stadt Köln noch einmal ihre Privilegien und erworbenen Rechte gegenüber dem Erzbischof, so dass sie sich ihm gegenüber darauf berufen konnten.

141 Die Auffassung einer freien Widerrufbarkeit von Privilegien teilten die Schiedsrichter nicht: Im Anhang I, B, S. 128f heißt es: „Ordinamus etiam, ut omnia thelonea sive in Nussia sive alibi ubicumque dictus archiepiscopus iniuste et contra privilegia civium Coloniensium theloneum accipit vel accepit vel iniuste posset accipere in futurum, omnino cessent, secundum quod in privilegiis dictorum civium continetur. Ordinamus etiam, ut dicti cives confirment proprio iuramento, quod aliena bona, que de dicta civitate non sunt, sub nomine bonorum suorum non ducent nec duci permittent “. Damit handelte er ganz im Sinne Hugos v. St. Cher der auch später ungerechte Zölle der Fürsten, (so des Erzbischofs Gerhard von Mainz 1252), bekämpft hat, vgl. Sassen, S. 66f, 86 ff. 142 Im Anhang I, B, S. 129 heißt es: „Ordinamus etiam arbitrando, ut dictus archiepiscopus Coloniensis cives Colonienses in libertatibus et iuribus suis, que vel scripto vel antiqua et bona consuetudine usque ad ista tempora sunt obtenta, tam infra muros quam extra manuteneat, foveat et defendat, .... 143 Vgl. Schmidt, S. 353.

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Gerade an dieser Stelle ist aber auch eine Abweichung zwischen dem Vorausspruch Alberts und dem endgültigen Schied zu verzeichnen, denn der fügt an das soeben Zitierte an: „und dass ebenso umgekehrt die Kölner Bürger den Erzbischof treulich fördern in Anbetracht dessen, dass sie ihm durch eigene Eide verpflichtet sind sowohl in Gerichtsangelegenheiten als in seinen anderen Rechten.“144 Hier zeigt sich die typische Form der mittelalterlichen Stadtherrschaft als Treueverhältnis: Die Bürgergemeinde ist dem Stadtherrn durch Treueid verpflichtet, ihm Rat und Hilfe, auch in Steuerfragen, zu leisten, während er ihr Schutz und Schirm schuldet145. Auf die Bestimmung über die Unterstützung in Gerichtssachen konnten sich wenig später die Erzbischöfe hinsichtlich des Hochgerichts berufen146. Den königlichen Blutbann übte der Burggraf als Vorsitzer des hohen Weltlichen Gerichts für den Erzbischof aus, bis Erzbischof Siegfried von Westerburg (1275 – 1297) im Jahre 1279 dem Burggrafen Johann v. Arberg dieses Lehen abkaufte. Es blieb fortan dauernd in erzbischöflicher Hand, und wurde in Stellvertretung des Erzbischofs durch den Greven verwaltet. Mit anderen Worten: Das höchste Gericht in Köln unterstand bis zum Ende des Kurstaates dem Erzbischof, wenn auch die Schöffen aus den Kölner Bürgern genommen wurden.

4. Kein Schadensausgleich Wohltätig war schließlich noch die Bestimmung des Schiedsspruchs, dass es keinen Schadensausgleich geben solle: „Weil schließlich anlässlich der Auseinandersetzungen beide Parteien schwere Schäden erlitten haben wollen und auch Totschläge verübt wurden, ordnen wir an und bestimmen schiedsrichterlich, dass überhaupt die Schäden beider Parteien und Feindschaften für den Tod der Gefallenen gänzlich nachgelassen werden und dass keine Partei von der anderen für Dinge, die in dem genannten Krieg vorgefallen sind, etwas fordert oder sich fordernd hören lässt“147. 144 Im Anhang I, B, S. 129 heißt es weiter: „...et ut similiter econverso cives Colonienses archiepiscopum promoveant fideliter, secundum quod ei sunt iuramentis propriis obligati, tam in iudicibus quam in aliis iuribus suis“. 145 Vgl. Otto Brunner, S. 351. 146 Vgl. Strauch, Gericht S. 140 ff, 155f. 147 Anhang I, B, S. 129 sagt: „denique quia occasione dictarum discordiarum utraque pars dampna gravia dicitur incurrisse et aliqua sunt homicidia perpetrata, ordinamus et dicimus arbitrando, ut omnino dampna parcium utrarumque et inimicicie pro occisorum mortibus penitus remittantur et quod una pars ab altera pro hiis, que in dicta guerra orta sunt, aliquid non requirat nec audiatur requi-

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Da die kriegerische Auseinandersetzung vor dem Schiedsvertrag Menschenund Sachverluste verursacht hatte, war es vernünftig, jeden Ersatz auszuschließen, um nicht Tür und Tor zu neuen Streitigkeiten über den Schadensersatz heraufzubeschwören. Hinzuweisen ist noch auf folgende Besonderheit: Während der Vorausschied auch die Verbündeten der Stadt Köln (also auch den Grafen Wilhelm IV. von Jülich) einschloss148, fehlen im endgültigen Schied die Worte „adiutores etiam utriusque partis“. Die endgültige Urkunde des kleinen Schiedes trägt zwar die Siegel der Schiedsrichter, des Erzbischofs, der Stadt, des Domkapitels und der kölnischen Stifte, aber nicht das Siegel des Jülichers.

5. Rechtsgrundlagen des Schiedsspruchs Schließlich ist zu fragen, auf welcher Rechtsgrundlage Albert den Schied gefällt hat. Der Schiedsauftrag hatte den Schiedsrichtern Albert und Hugo die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung nicht vorgeschrieben. Auch ist einsichtig, dass Albert die historischen Verhältnisse in Köln nicht genügend kannte, um aus eigener Rechtskenntnis zu entscheiden149. Hinsichtlich des angewendeten Rechts ist der Spruch recht wortkarg. Immerhin finden sich einige Hinweise: Albert hat „bonorum virorum consilio“ entschieden, und zwar „secundum dicta et testimonia omnium antiquorum“. In der Münzfrage will er, dass „in hoc antiquorum sollercia observetur“. Außerdem will er, dass der Erzbischof den Kölner Bürgern „in libertatibus et iuribus suis, que vel scripto vel antiqua et bona consuetudine usque ad ista tempora sunt obtenta ... manuteneat, foveat et defendat“. Diese Wortwahl weist nicht so sehr auf die Beachtung des „guten alten Rechts“ hin150 als auf die Rezeption der römisch-patristischen Lehre von der „antiqua et rationabilis consuetudo“, die seit dem 12. Jahrhundert das Rechtsdenken in Deutschland beeinflusste151. So heißt es im Decretum Gratiani, dass es neben dem Naturrecht eigentlich nur Gewohnheitsrecht gebe152 und dass die Gewohnheiten des Volkes und die Einrichrens.“ 148 Anhang I, A, S. 130 heißt es: „Adiutores etiam utriusque partis in composicione includentur, sive layci sint, sive clerici sive iudei, qui muros et civitatem Coloniensem tempore discordie custodiverunt.“ 149 Die Beiziehung von sapientes als Mitberater war auch sonst üblich, vgl. für Italien: Frey, S. 159f. 150 So aber noch Otto Brunner, S. 351. 151 Vgl. Buisson, S. 45 – 84; Gagnèr, S. 216f, 295 ff; Klinkenberg, Veränderbarkeit S. 163 ff; Kroeschell, S. 308f. Zur Entwicklung des Schiedsgerichtswesens in Deutschland vgl. Bader, Schiedsverfahren, Krause, Schiedsgerichtswesen; Bader, Schiedsidee, S. 115 ff; 152 D I. 1 sagt: „Omnes leges aut divinae sunt, aut humanae. Divinae natura, humanae moribus constant.“ Und D. I. 5 ergänzt: „Conusetudo autem est ius quoddam moribus institutum, quod pro lege suscipitur, cum deficit lex“.

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tungen der Vorfahren befolgt werden sollen153. Und noch Gregor IX., der Zeitgenosse der hier handelnden Personen, hatte dekretiert, dass sich eine Gewohnheit sogar gegen positives Recht durchsetzen könne, wenn sie „rationabilis et legitime praescripta“ sei154. Albert und Hugo befanden sich also auf der Höhe der Zeit, wenn sie ihrem Spruch diese kirchliche Rechtsauffassung zugrundelegten155. Dass ein Schadensausgleich zwischen den Parteien nicht vorgesehen wurde, weist auch darauf hin, dass Albertus und Hugo v. St. Cher hier Billigkeitsjustiz156 übten, um den politischen Verhältnissen zwischen Stadt und Erzbischof zu genügen.

6. Sicherung der Durchführung des Schiedes Indem Albert und Hugo im Kleinen Schied die Friedensaufgabe der Kirche in die Tat umsetzen, mussten sie auch bestrebt sein, den gefundenen Kompromiss für die Zukunft zu sichern. Deshalb lässt der kleine Schied die Parteien einen promissorischen Eid schwören, dass sie den Schied zukünftig halten würden157. Der Eid hatte im Mittelalter eine herausragende Bedeutung, indem er den Schwörenden verpflichtete158, den Rechtsfrieden zu wahren. Deshalb gibt es keinen Kompromiss ohne promissorischen Eid159, der die religiöse Garantie für die Ausführung des Schiedsspruchs bildete. Denn ein Eidbruch (perjurium) hatte zur Folge, dass der Eidbrüchige infam und für immer zu gerichtlichem Zeugnis und Eid unfähig wurde160.

153 D XI. 7 sagt: „In his rebus, de quibus nihil certi statuit divina scriptura, mos populi Dei et instituta maiorum pro lege tenenda sunt“. Und die gratianische Rubrik geht noch weiter: „Ubi auctoritas deficit, mos populi et maiorum instituta pro lege serventur“. 154 Gregor IX. schreibt 1227 – 1234 in der Rubrik von c. 11 X. I. 4.: „Consuetudo non derogat iuri naturali seu divino, cuius transgressio peccatum inducit; nec positivo, nisi sit rationabilis et praescripta“; für die Voraussetzungen kirchlichen Gewohnheitsrechts vgl. Sägmüller, Band I, S. 112 f; die Entwicklung jetzt bei Wolter, S. 94 ff. 155 Ebenso: Wendehorst, S. 50f. 156 Zur Schiedsgerichtsbarkeit als Billigkeitsjustiz vgl. Janssen, S. 95 ff. 157 Anhang I, B, S. 130: „sub religione prestiti iuramenti firmiter promittentes, quod omnia et singula bona fide in perpetuum observabunt“ (fehlt im Vorausschied); vgl. aber den großen Schied von 1258 (Quellen II, Nr. 381, S. 377 und Nr. 384, S. 399). 158 Vgl. Sägmüller, Band II, S. 285. 159 Vgl. für Italien: Frey, S. 34f, 174. 160 Vgl. Sägmüller, Band II, § 165, S. 286, der u. a. auf c. 54 X. II. 20 verweist. Auch wenn die Bedeutung des promissorischen Eides im 13. Jahrhundert abgenommen hat, war er dennoch wegen der geistigen Struktur des Mittelalters noch immer ein wichtiges Sicherungsmittel; vgl. für Italien: Frey, S. 174.

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Darüber hinaus droht der kleine Schied dem Eidbrecher die Exkommunikation an161. Diese Kirchenstrafe konnte nur eine dazu befugte Person verhängen. Sie musste Inhaber einer iurisdictio ecclesiastica pro foro externo sein. Eine iurisdictio ordinaria hat der Papst für die ganze Kirche, haben die Bischöfe für ihre Diözesen kraft göttlichen Rechts und kraft menschlichen Rechts die Kardinäle162. Eine iurisdictio ordinaria oder vicaria haben diejenigen, denen eine iurisdictio delegiert worden ist (iurisdictio delegata163). Daraus folgt, dass Albertus als Angehöriger eines Ordens Kirchenstrafen nicht verhängen durfte, denn dass ihm eine iurisdictio delegata besonders verliehen war, ist nicht bekannt. Dagegen war Hugo – als Kardinal und legatus a latere – befugt, auf Grund der apostolischen Delegation seinen Schiedsspruch mit dem Kirchenbann zu sichern, wie es auch hier geschehen ist164. Legaten, die zur Friedensstiftung ausgesandt wurden, hat der Papst die Exkommunikationsgewalt häufig ausdrücklich erteilt, obwohl sie den legati a latere ohnehin zukam165. Er war also befugt, anstelle des Papstes den kirchlichen Bann auszusprechen166 und zu vollziehen. Der Eidbruch war also ihm zu melden. Damit wird deutlich, dass es Hugo war, der die endgültige Fassung des Schiedes religiös verankert hat. Die Bannandrohung fehlt demgemäß – mangels iurisdictio delegata – in Alberts Vorausschied167

VI. D I E

PÄ P S T L I C HE

BESTÄTIGUNG

Der Spruch des Schiedsgerichts war am 17. April 1252 ergangen. Kurz darauf muss die Stadt Köln um seine päpstliche Bestätigung nachgesucht haben168. 161 162 163 164

Anhang I, B, S. 127. Vgl. Sägmüller, Band I, S. 280f. Vgl. c. 1. VI. I. 30; Hinschius, Band I, S. 514. Anhang I, B, S. 127: „sub periculo cause et sub pena excommunicationis in partem illam a nobis Legato ferende, que nostrum arbitrium non servaret“; über die Iurisdiktionsgewalt der päpstlichen Legaten vgl. auch Hinschius, Band V, S. 285. 165 So dem Bischof Nicolaus von Reggio, der zwischen Bologna und Modena Frieden schaffen sollte, vgl. Böhmer/Ficker, Band V, Nr. 6791 von 1229, Okt. 13, vgl. Frey, S. 36. 166 Daher die Formulierung in Fn. 161, vgl. auch c. 2 (Clemens IV.) in VIto I. 15, wo die legati „consules“ heißen; Hinschius, Band I, S. 514. Diese Banngewalt beruht darauf, dass die Kardinallegaten als pars corporis papae angesehen wurden, vgl. c. 22. C. VI. qu. 1: senatores, nam et ipsi pars corporis nostri sunt. Die Stelle ist wörtlich aus § 5. Cod. IX. 8 genommen, und stellt die Legaten den römischen Senatoren gleich, vgl. Hinschius aaO. S. 512f, der auf Hostiensis (Henricus de Segusio, Heinrich v. Susa) und dessen Summa aurea (zwischen 1250 und 1261) I. 30 de officio legati n. 2, Lugduni 1548, fol. 52 verweist. Vgl. für Italien: Frey, S. 35 ff. 167 Auch diese religiöse Verankerung fehlt im Vorausschied, vgl. Anhang I, A, S. 127 und S. 129 gegen Anhang I, B, S. 127 und S. 129, zweitletzter Absatz des Schiedes. 168 Eine solche Bitte erging immer dann, wenn ein Legat den Schiedsspruch erlassen hatte

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Auch hier ist wieder der politische Hintergrund zu beachten: Wilhelm von Holland, der am 3. Oktober 1247 in Worringen zum deutschen König gewählt worden war169, hatte bereits sechs Tage später, am 9. Oktober, den Kölner Bürgern versprochen, „von Papst Innozenz (IV.) ohne irgendwelche Zweideutigkeit zu erwirken, dass er ihnen erlaubt, dass die genannten Bürger durch seine Briefe oder solche von ihm bestimmten Richter nicht vor ein Gericht außerhalb Kölns gezogen werden, da sie bereit sind, in der Stadt Köln vor von ihm entsandten Richtern sich jedem zu verantworten“170. In seiner Antwort vom 19. November 1247 rühmt Innozenz zwar die Stadt Köln über alles171, erteilt aber das erbetene Nichtevokationsprivileg nicht. Erst als die Kölner ihn 1252 um Bestätigung des Schiedsspruchs angehen, benutzt der Papst die Gelegenheit, die Stellung der Kölner zu festigen, sie dadurch für sich zu gewinnen und Konrad von Hochstaden in seinem Expansionsdrang zu dämpfen. Er erteilte deshalb am 9. Dezember 1252 das fünf Jahre vorher erbetene Nichtevokationsprivileg172 und bestellte den Abt von Groß St. Martin zum ständigen Konservator dieses Sonderrechts. Wenige Tage später (am 12. Dezember 1252) bestätigte er auch den kleinen Schied173. In einer weiteren Urkunde desselben Tages wiederholte er die bereits 1205 von Innozenz III. und 1226 von Honorius III. erteilte Bestätigung der Freiheiten, Freiungen, Rechte und löblichen alten Gewohnheiten der Kölner Bürger174. Ergänzt wurden diese großzügig gewährten Vorrechte durch das Privileg vom 18. Januar 1253175, das einem päpstlichen Richter verbot, über Köln das Interdikt oder die Exkommunikation zu verhängen, wenn er nicht die besondere Erlaubnis des päpstlichen Stuhles vorwies, in der auf dieses Privileg Bezug genommen wurde. Noch im selben Jahr 1253 wurde dieses Privileg angewendet: Konrad von Hochstaden hatte sich beim Papst beschwert, die Kölner hielten den kleinen Schied nicht ein. Daraufhin erteilte Innozenz am 16. Juni 1253176 und eine Partei besorgt war, er werde nicht befolgt werden, vgl. für Italien: Frey, S. 40. 169 Wilhelm von Holland war deutscher König vom 3 Oktober 1247 bis 28. Jan. 1256 (von den Friesen erschlagen), vgl. Grote, Stammtafeln, S. 36. 170 Quellen II, Nr. 265, S. 265 v. 9. Oktober 1247: „...protestamur civibus Coloniensibus promisisse et ad hoc forcius obligasse nos, quod debeamus a sanctissimo domino Innocentio papa sine ambiguitate qualibet obtinere, quod indulgeat eis, ut occasione litterarum suarum vel judicum delegatorum ab ipso dicti cives ad iudicium extra Coloniam non trahantur, cum parati sint in civitate Coloniensi coram judicibus delegatis ab ipso cuilibet respondere.“ 171 Quellen II, Nr. 268, S. 268 vom 19. November 1247. 172 Druck: Quellen II, Nr. 312, S. 326 und Nr. 313, S. 327 vom 9. Dezember 1252. 173 Quellen II. Nr. 314, S. 328f vom 12. Dezember 1252. 174 Quellen II, Nr. 315, S. 329f vom 12. Dezember 1252. 175 Quellen II, Nr. 317, S. 331 vom 18. Januar 1253, vgl. Böhmer/Ficker, Bd. V, 2, Nr. 8561. 176 Quellen II, Nr. 320, S. 334 vom 16. Juni 1253, vgl. Böhmer/Ficker, Bd. V, 2, Nr. 8622.

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dem Osnabrücker Domdechanten den Auftrag, die Kölner Bürger mit kirchlichen Strafen177 zur Einhaltung des Schiedsspruchs zu zwingen – allerdings unter Beachtung des Privilegs vom 18. Januar 1253.

VII. E RG E B N I S Was war das Ergebnis dieser Auseinandersetzung Köln gegen Köln? 1.

Der Münzstreit war – wenn auch nur hinsichtlich des Münzverrufs – zugunsten der Stadt Köln entschieden178; der Kölner Pfennig konnte als Leitwährung dem Kölner Handel weiterhin zugutekommen. Die wiedererrichtete Zollschranke in Neuss war aufgehoben; der Kölner Handel verteuerte sich insofern nicht mehr.

2.

Das päpstliche Nichtevokationsprivileg vom 9. Dezember 1252 verbesserte die Beziehungen zwischen Stadt und Papst – zum Nachteil des Kölner Oberhirten – und brachte den Kölnern den Vorteil, dass weltliche und geistliche Justiz über Kölner nur in Köln (und nicht außerhalb) stattfinden durfte. Zwar blieb das hohe weltliche Gericht weiterhin dem Erzbischof vorbehalten, doch urteilte es nur in Köln, unter den Augen der Bürger. Schließlich hatte die Stadt wieder einen Schritt in die rechtliche Selbständigkeit getan: Der Erzbischof hatte sie in diesem Streit als gleichberechtigte Partei anerkannt und nicht den Landesherren herausgekehrt.

3.

Diese Ergebnisse sind jedoch gleichsam nur eine Momentaufnahme: Die Auseinandersetzungen Köln contra Köln waren damit keineswegs beendet. Alberts Spruch zum Münzrecht umging Konrad dadurch, dass er so tat, als gelte der kleine Schied nur für die Kölner Münzerhausgenossen. Und da er nichts über den Feingehalt und das Gewicht der Münzen sagte, ließ er in seinen auswärtigen Münzstätten (der große Schied von 1258 nennt Attendorn, Wildenburg179, Siegen und anderswo)180 untergewichtige „Kölner Pfennige“ von 1,2 g, in Xanten sogar von nur 0,51 g prägen. 177 In Quellen II, Nr. 320, S. 334 heißt es: „per censuram ecclesiasticam appellatione remota“. 178 Noch 50 Jahre später ließen die Kölner Bürger am 9. Mai 1300 den kleinen Schied vor dem Kölner Klerus verlesen, der sich für die Stadt bei Erzbischof Wikbold von Holte (1297 – 1304) verwenden sollte, vgl. Knipping, REK III, Nr. 3728; Groten, Köln, S. 121. 179 Großer Schied II, 6; gemeint ist Wildenburg/Kreis Olpe; vgl. Jahn, in: Rosen/Wirtler, Band I, S. 182 und S. 213, Fn. 10; Strauch, Großer Schied, S. 143 ff 167f. 180 Vgl. Jahn, in: Rosen/Wirtler, Band I, Quelle Nr. 33; II, Nr. 5,6, S.182; Übersetzung S. 199. Weiler, S. 31f nennt außerdem Schmallenberg, Marsberg, Korbach, Soest, Medebach, Recklinghausen und Xanten; vgl. Klinkenberg, S. 124f; die rheinischen Prägestätten des Kölner Erzstifts finden sich bei Wilhelmine Hagen S. 33 – 42 und bei Heß, Karte 4, nach S. 324; Hävernick, Münzen, S. 7 listet die kaiserlichen Verbote von Nachprägungen auf.

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Deshalb begann die nächste Runde der Auseinandersetzungen bereits sechs Jahre später, als Konrad von Hochstaden 1258 glaubte, die Zeit der Abrechnung mit der Stadt sei gekommen181. Doch auch hier wurde der Streit zwischen ihm und der Stadt durch ein Schiedsgericht geschlichtet, das 1258 den „Großen Schied“182 verfasste: In der Münzsache brandmarkten die Schiedsrichter von 1258 (darunter vor allem wieder Albertus Magnus) die außerkölnischen untergewichtigen Prägungen Kölner Pfennige als Münzfälschung183. Hinsichtlich der Zollfreiheit der Kölner Kaufleute in Neuss wurde der Nachweis, nur eigene Waren zu führen, zum Streitpunkt184, weil die Kölner Kaufleute eine Bescheinigung ihres Bürgermeisters für hinreichend erachteten185, Konrad dagegen – wie in alten Zeiten – die persönliche Eidesleistung des Kaufmanns in Neuss verlangte. Die Schiedsrichter gaben ihm Recht und erlaubten nur geringe Ausnahmen186. Erst 1288, dreißig Jahre später, gelang der Stadt der große Befreiungsschlag in der Schlacht bei Worringen187, der ihr faktisch die Unabhängigkeit einer freien Reichsstadt brachte. Es ist nur natürlich, dass die Erzbischöfe diese Scharte auszuwetzen bestrebt waren. Von neuen unberechtigten Zollerhebungen ist noch häufig die Rede188, und auch andere Rechte waren umkämpft. Davon zeugen die Akten „Köln contra Köln“ im Stadtarchiv, die bis zum Ende des Kurstaates 1794 reichen.

181 Konrad von Hochstaden konnte eine Privatfehde ausnutzen, die Stadt isolieren und die Kränkung der Stadtherrschaft wettmachen, vgl. Knipping, REK III, Nr. 1979 = Lacomblet II, Nr. 443, S. 241, vgl. Stehkämper, Absicherung, S. 360 ff. 182 Vgl. den Text in Quellen II, Nr. 384, S. 380 – 400 und jetzt hrsg. und übersetzt von Jahn, in: Rosen/Wirtler, Band I, S. 177 – 213; Abbildung der Urkunde bei Torunsky, Worringen, S.67. 183 Vgl. Jahn, in: Rosen/Wirtler, Band I, Quelle Nr. 33, IV, Nr. 5, 6, S. 190; Übersetzung S. 210. 184 Vgl. Klinkenberg, S. 121f. 185 Jahn, in: Rosen/Wirtler, Band I, Quelle Nr. 33, II, Nr. 7, S. 182, Übersetzung S. 200. 186 Quellen II, Nr. 384, S. 397, ad 7, auch bei Jahn, in: Rosen/Wirtler, Band I, Quelle Nr. 33, IV, Nr. 7, S. 190, Übersetzung S. 210. Albertus ist sich insoweit selbst treu geblieben, denn bereits 1252 hatte er im kleinen Schied angeordnet „ut dicti cives confirment proprio iuramento, quod aliena bona ... non ducent nec duci permittent“. 187 Vgl. dazu: Der Name der Freiheit, 1988; Torunsky, Worringen 1288. 188 Vgl. Strauch, Handel, S. 82 ff.

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750 Jahre kleiner Schied QUELLEN UND LITERATUR

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Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, Berlin 1934, Neudruck 1955; M o n u m e n t a G e r m a n i a e H i s t o r i c a ¸ Diplomata regum et imperatorum Germaniae, Tomus VI, 1, hrsg. v. Dietrich v. Gladiss, Berlin 1941; M o n u m e n t a G e r m a n i a e H i s t o r i c a , Epistolae, Abteilung 3: Epistolae saeculi XIII e regestis pontificum Romanorum selectae per G. H. Pertz, ed. C. Rodenberg, 3 Bände, Berlin 1883 – 94 [MGH Epp.]; M o n u m e n t a G e r m a n i a e H i s t o r i c a , Legum sectio IV: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Tomus II (1198 – 1272), hrsg. von Ludwig Weiland, Hannover 1896; Tomus III (1273 – 1298), hrsg. von Jacob Schwalm, Hannover 1904/06 [MGH, Const.]; M o n u m e n t a G e r m a n i a e H i s t o r i c a , Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum: Chronica regia Coloniensis (Annales Maximi Colonienses), bearbeitet von Georg Waitz, Hannover 1880, Neudruck Hannover 1978; M o n u m e n t a G e r m a n i a e H i s t o r i c a , Scriptores (in folio), Tomus 24, 1: [Annales aevi Suevici (Supplementa tomorum XVI et XVII) u. Gesta saec. XII. XIII. (Supplementa tomorum XX – XXIII)] hrsg. von Georg Waitz u. a., Hannover 1879; Nachdruck Stuttgart 1975; darin: Catalogi Archiepiscoporum Coloniensium, S. 336 – 367, ed. Hermann Cardauns; M o n u m e n t a G e r m a n i a e H i s t o r i c a , Scriptores (in folio), Tomus 25: [Gesta saeculi XIII], hrsg. von Georg Waitz u. a. Hannover 1888, Nachdruck Stuttgart 1974. 4° (darin: Chronici Rhythmici coloniensis fragmenta, S. 369 – 380); M o n u m e n t a G e r m a n i a e H i s t o r i c a , Scriptores (in folio), Tomus 28: Ex rerum Anglicarum scriptoribus saec. XIII, hrsg. von Felix Liebermann und Reinhold Pauli, Hannover 1888, Nachdruck Stuttgart 1975; N a u , E l i s a b e t h , Epochen der Geldgeschichte, Stuttgart 1972 [Epochen]; N a u , E l i s a b e t h , Münzen und Geld in der Stauferzeit, in: Die Zeit der Staufer, Bd. III, Stuttgart 1977, S. 87 – 102 [Stauferzeit]; N i c k l i s , H a n s - W e r n e r , Geldgeschichtliche Probleme des 12. und 13. Jahrhunderts im Spiegel zeitgenössischer Geschichtsschreibung (Numismatische Studien 8,1,2, Hamburg 1983; O e r t m a n n , P a u l , Schiedsrichter und staatliches Recht, in: Zeitschrift für Deutschen Civilprozess, Band 47, Berlin 1918, S. 105 – 149; P e l s t e r , F r a n z , Kritische Studien zum Leben und zu den Schriften Alberts des Großen, Freiburg 1920; P e t r y , K l a u s , Monetäre Entwicklung, Handelsintensität und wirtschaftliche Beziehungen des oberlothringischen Raumes vom Anfang des 6. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, 2 Bände, Trier 1992, zugleich Diss. Phil. Trier 1989; P f e i f f e r , F r i e d r i c h , Rheinische Transitzölle im Mittelalter, Berlin 1997 [Zölle]; P f e i f f e r , F r i e d r i c h , Transitzölle 1000 – 1500, in: Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft VII/10, Köln 2000 [Beiheft]; P o t t h a s t , A u g u s t , (Hrsg.), Regesta pontificum Romanorum inde ab anno post Christum natum 1198 ad annum 1304, 2 Bände, Berlin 1874 – 75; Neudruck Graz 1957; P o t z , R i c h a r d , Zur kanonistischen Privilegientheorie, in: Das Privileg im europäischen Vergleich, Band 1, hrsg. von Barbara Dölemeyer/Heinz Mohnhaupt, (Jus Commune Sonderheft 93), Frankfurt/M. 1997, S. 13 – 68;

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P r ö ß l e r , R o b e r t , Das Erzstift Köln in der Zeit des Erzbischofs Konrad von Hochstaden. Organisatorische und wirtschaftliche Grundlagen in den Jahren 1238 – 1261, (Kölner Schriften z. Geschichte und Kultur, hrsg. von Georg Mölich, 23) Köln 1997; Q u e l l e n z u r G e s c h i c h t e d e r S t a d t K ö l n , bearb. von Ennen, Leonhard/Eckertz, Gottfried, Bände 1 – 6, Köln 1860 – 1879, Neudruck Aalen 1970 [Quellen]; R E K , Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Band 2: 1100 – 1205, Bonn 1901; Band 3: 1205 – 1304, beide bearbeitet von Rudolf Knipping (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21, 2, 3) Bonn 1901; 1909/13; R e y , M a n f r e d v a n ; Einführung in die Rheinische Münzgeschichte des Mittelalters, Mönchengladbach 1983; R e y , M a n f r e d v a n , Kurkölnische Münz- und Geldgeschichte im Überblick, in: Kurköln, Land unter dem Krummstab, Kevelaer 1985, S. 281 – 306; R o s e n , W o l f g a n g / W i r t l e r , L a r s (Hrsg.), Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, Band I: Antike und Mittelalter von den Anfängen bis 1396/97, Köln 1999; R u e s s , K a r l , Die rechtliche Stellung der päpstlichen Legaten bis Bonifaz VIII, (GörresGesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Sektion für Rechts-. u. Sozialwissenschaft, H. 13), Paderborn 1912; S ä g m ü l l e r , J o h a n n B a p t i s t , Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, Band I, 3. Auflage, Freiburg/Br. 1914; S a s s e n , J . H . H . , O. P., Hugo von St. Cher. Seine Tätigkeit als Kardinal 1244 – 1263, Bonn 1908; S c h ä f k e , W e r n e r , (Hrsg.), Der Name der Freiheit 1288 – 1988. Aspekte Kölner Geschichte von Worringen bis heute, 2. Auflage, Köln 1988; S c h e e b e n , H e r i b e r t C h r i s t i a n , Albert der Große. Zur Chronologie seines Lebens (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland, 27), Leipzig 1931 [Chronologie]; S c h e e b e n , H e r i b e r t C h r i s t i a n , Zur Chronologie des Lebens Alberts des Großen, (Divus Thomas, 10), Freiburg 1932, S. 231 – 245 [Leben]; S c h e e b e n , H e r i b e r t C h r i s t i a n , Albertus Magnus, Bonn 1932, S. 77 ff (2. Auflage 1955) [Albertus]; S c h m i d t , H a n s - J o a c h i m , Politische Theorie und politische Praxis: Albertus Magnus und die städtische Gemeinde, in: Walter Senner, Albertus Magnus, S. 343 – 357; S c h r ö t t e r , F r i e d r i c h F r h r . v o n (Hrsg.), Wörterbuch der Münzkunde, Berlin/Leipzig 1930, 2. unveränderte Auflage Berlin 1970; S c h u l t e , J . F . v . , Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts, Band II, Stuttgart 1877, Neudruck Graz 1956; S e n n e r , W a l t e r OP (Hrsg.), Albertus Magnus. Zum Gedenken nach 800 Jahren: Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven, Berlin 2001; S o m m e r l a d , T h e o d o r , Die Rheinzölle im Mittelalter, Halle 1894; S p a h n , K a r l , Studien zur Geschichte des Andernacher Rheinzolls, Diss. phil. Bonn 1909; S t e f f e n , S t e p h a n , Der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden und sein Verhältnis zu den Zisterziensern, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, Neue Folge 1, 1911, S. 592 – 644, auch als Separatdruck: Salzburg 1911 [hier zitiert]; S t e h k ä m p e r , H u g o , Konrad von Hochstaden, Erzbischof von Köln (1238 – 1261), in: Jahrbuch d. Kölnischen Geschichtsvereins, Band 36/37, 1961/62, S. 95 – 116 [Konrad];

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S t e h k ä m p e r , H u g o , Über die rechtliche Absicherung der Stadt Köln gegen eine erzbischöfliche Landesherrschaft vor 1288, in: Die Stadt in der europäischen Geschichte. FS Edith Ennen, hrsg. von Werner Besch etc., Bonn 1972, S. 343 – 377 [Absicherung]; S t e h k ä m p e r , H u g o , pro bono pacis. Albertus Magnus als Friedensmittler und Schiedsrichter, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte und Wappenkunde, hrsg. v. W. Heinemeyer u. K. Jordan, Band 23, Köln etc. 1977, S. 297 – 382 [pro bono pacis] S t e h k ä m p e r , H u g o (Bearb.), Albertus Magnus. Ausstellung zum 700. Todestag. Katalog, Köln 1980, S. 89 – 112 [Katalog]; S t e h k ä m p e r , H u g o , Art. Konrad von Hochstaden in: NDB, Band 12, 1980, S. 506f [NDB]; S t e h k ä m p e r , H u g o , Über die geschichtliche Größe Alberts des Großen. Ein Versuch. in: Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, 102. Jahrgang, München 1982, S. 72 – 93 [Größe]; S t e h k ä m p e r , H u g o , Der Reichsbischof und Territorialfürst (12. und 13. Jahrhdundert), in: Der Bischof in seiner Zeit. Bischofstypus und Bischofsideal im Spiegel der Kölner Kirche. Festgabe für Joseph Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln, hrsg. v. Peter Berglar/Odilo Engels, Köln 1986, S. 95 – 184 [Reichsbischof] S t e h k ä m p e r , H u g o , Albertus Magnus und politisch ausweglose Situationen in Köln, in: Walter Senner, Albertus Magnus, S. 359 – 373 [Albertus]; S t e i n b a c h , F r a n z , Stadtgemeinde und Landgemeinde. Studien zur Geschichte des Bürgertums, in: RhVJbll, 13, 1948, S. 11 – 50 [Stadtgemeinde]; S t e i n b a c h , F r a n z , Rheinische Anfänge des deutschen Städtewesens, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 25, Köln 1950, S. 1 – 12 [Städtewesen]; S t o l z , O t t o , Die Entwicklungsgeschichte des Zollwesens innerhalb des alten Deutschen Reiches, in: VSWG 41, Wiesbaden 1954, S. 1 – 41 (m. reich. Lit.); S t r a u c h , D i e t e r , Das Hohe weltliche Gericht zu Köln, in: desselben, Kleine rechtsgeschichtliche Schriften. Aufsätze 1965 – 1997, hrsg. v. Manfred Baldus und Hanns Peter Neuheuser, Köln 1998, S. 136 – 229 [Gericht]; S t r a u c h , D i e t e r , Kölnisches Gerichtswesen bis 1797, in: Quellen z. Geschichte der Stadt Köln, Band II: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit (1396 – 1794), hrsg. v. Joachim Deeters/Johannes Helmrath, Köln 1996, S. 230 – 250 [Gerichtswesen]; S t r a u c h , D i e t e r , Die Generalstudien der Bettelorden und das Rechtsstudium. Zur Gründungsgeschichte der alten Universität Köln, in: Symposion 1995 der Düsseldorfer Gesellschaft f. Rechtsgeschichte, hrsg. v. Lothar Lindenau, Düsseldorf 1997, S. 43 – 58 [Generalstudien]; S t r a u c h , D i e t e r , Das Kölner Generalstudium und die Universität, in: Albert der Große in Köln (Kölner Universitätsreden 80), Köln 1999, S. 14 – 22 [Albert]; S t r a u c h , D i e t e r , Rechtsfragen des Handels zwischen Köln und den Niederrheinlanden im Spätmittelalter, in: Köln und die Niederrheinlande in ihren historischen Raumbeziehungen (15. – 20. Jahrhundert), Pulheim 2000, S. 67 – 98 [Handel]; S t u m p f - B r e n t a n o , K a r l F r i e d r i c h , Die Reichskanzler, vornehmlich des X., XI. und XII. Jahrhunderts, Band 2: Die Kaiserurkunden des 10., 11. und 12. Jahrhunderts, Innsbruck 1865 – 1881, Neudruck Aalen 1964; S u h l e , A r t h u r , Deutsche Münz- und Geldgeschichte von den Anfängen bis zum 15. Jh., Berlin (Ost) 1964, 3. Aufl. 1968; Lizenzausgabe München 1970;

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S u h l e , A r t h u r , Der Einfluß des Domkapitels auf das Münzrecht, in: Numismatische Zeitschrift Bd. 87, 1972, S. 82 – 87; T a b u l a A l b e r t i M a g n i des Ludwig von Valladolid, in: Catalogus codicum hagiographicorum Bibliothecae Regiae Bruxellensis, Pars I: Codices Latini mebranei, Tomus 2, Bruxellis 1889, Nr. 8, S. 95 ff; T h a n e r , F . , Die Entstehung und Bedeutung der Formel ‚Salva sedis apostolicae auctoritate‘ in den päpstlichen Privilegien, in: Sitzungsberichte der Akademie d. Wissenschaften Wien, phil.-hist. Klasse LXXI, 1872, S. 807 – 851; T h o r a u , P e t e r , Territorialpolitik und fürstlicher Ehrgeiz am Niederrhein zur Zeit Friedrichs II. und König Konrads IV.: Das Lütticher Schisma von 1238, in: Ex ipsis rerum documentis. FS Harald Zimmermann, hrsg. von Klaus Herbers/Hans Henning Kortüm/Carlo Servatius, Sigmaringen 1991, S. 524 – 536; T o r u n s k y , V e r a , Worringen 1288. Ursachen und Folgen einer Schlacht (Archivhefte 20), Köln 1988; T r o e , H e i n r i c h , Münze, Zoll und Markt und ihre finanzielle Bedeutung für das Reich vom Ausgang der Staufer bis zum Regierungsantritt Karls IV. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichsfinanzwesens in der Zeit von 1250 bis 1350, VSWG, Beiheft 32, Stuttgart etc. 1937; U r k u n d e n b u c h der Stadt Krefeld und der alten Grafschaft Moers, Band I: 799 – 1430, bearb. von Hermann Keussen, Krefeld 1938; V i e n k e n , T h e a , Die Geltungsdauer rechtlicher Dokumente im früh- und hochmittelalterlichen Reich (Marburger Studien zur älteren deutschen Geschichte, II. Reihe, 6. Heft), Marburg 1941; W a d l e , E l m a r , Mittelalterliches Zoll- und Münzrecht im Spiegel der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis, in: Jb. f. Numismatik und Geldgeschichte Bd. 21, 1971, S. 187 – 224; W e i l e r , H a n n o , Die Kölner Münzprägungen. Praktischer Leitfaden zur Münzgeschichte, Köln 1982; W e i s h e i p l , J a m e s A . OP, Albert der Große, Leben und Werke, in: Manfred Entrich OP (Hrsg.), Albertus Magnus. Sein Leben u. seine Bedeutung, Graz etc. 1982, S. 9 – 60; W e n d e h o r s t , A l f r e d , Albertus Magnus und Konrad von Hochstaden, in: RhVjbll 18, 1953, S. 30 – 54; W e r n e r , M a t t h i a s , Prälatenschulden und hohe Politik im 13. Jahrhundert. Die Verschuldung der Kölner Erzbischöfe bei den italienischen Bankiers und ihre politischen Implikationen, in: Hanna Vollrath/Stefan Weinfurter (Hrsg.), Köln – Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. FS für Odilo Engels, Köln 1993, S. 511 – 570; W e s t f ä l i s c h e s U r k u n d e n b u c h hrsg. vom Verein f. d. Geschichte des Altertums Westfalens, Münster 1908 ff, Band VII: Die Urkunden des kölnischen Westfalens vom Jahre 1200 – 1300, bearb. v. Staatsarchiv Münster, Münster 1908 [WUB]; W i s p l i n g h o f f , E r i c h . , Konrad von Hochstaden, Erzbischof von Köln (1205 – 1261) in: Rheinische Lebensbilder Band 2, Düsseldorf 1966, S. 7 – 24; W i t t h ö f t , H a r a l d , Die Kölner Mark zur Hansezeit, in: Geldumlauf, Währungssysteme und Zahlungsverkehr in Nordwesteuropa 1300 – 1800. Beiträge zur Geldgeschichte der späten Hansezeit, hrsg. v. Michael North (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte 35), Köln etc. 1989, S. 51 – 74 [Kölner Mark];

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W i t t h ö f t , H a r a l d , Das Fundament des Gewichts in Köln nach schriftlichen Überlieferungen des 14. – 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins, Band 61, 1990, S. 35 – 57 [Fundament]; W i t t h ö f t , H a r a l d , Die Markgewichte in Köln und Troyes im Spiegel der Regional- und Reichsgeschichte vom 11. bis ins 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift Bd. 253, 1991, S. 51 – 100 [Markgewichte]; W i t t r u p , A l o y s , Rechts- und Verfassungsgeschichte der kurkölnischen Stadt Rheinberg nach archivalischen Quellen, Rheinberg 1914; W o l t e r , U d o , Die consuetudo im kanonischen Recht bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, in: Gerhard Dilcher u. a. (Hrsg.), Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im Mittelalter (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 6), Berlin 1992, S. 87 – 116; Z e u m e r , K a r l , Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Auflage, Tübingen 1913, Neudruck Aalen 1987.

ANHANG I: QUELLENTEXTE Der Vorausschied des Albertus Magnus von März 1252 In nomine patris et filii et spiritus sancti amen. Ego frater Albertus ordinis fratrum predicatorum dictus lector in Colonia in animam meam suscipio et promitto, me arbitrium, quo venerabilis pater dominus Conradus sancte Coloniensis ecclesie archiepiscopus ex parte una et cives Colonienses ex parte altera compromiserunt in venerabilem patrem dominum Hugonem tytuli sancte Sabine presbiterum cardinalem apostolice sedis legatum et in me vel loco predicti domini legati in abbatem Heysterbacensem, si forte dictus dominus legatus interesse non posset, sic a domino legato vel a me fore pronuntiandum,

Der Kleine Schied vom 17. April 1252 Universis presentes litteras inspecturis fratres Hugo tytuli sancte Sabine presbiter cardinalis apostolice sedis legatus et Albertus lector fratrum predicatorum in Colonia in salutis auctore salutem. Noverit universitas vestra, quod, cum inter venerabilem patrem Conradum Coloniensem archiepiscopum ex parte una et scabinos et universos cives Colonienses ex altera super moneta ac aliis quibuscumque questionibus inter eos hincinde existentibus gravis discordia orta esset, tandem pro bono pacis in nos fuit a dictis partibus compromissum anno domini MCC quinquagesimo primo, feria tercia post ramos palmarum189, hoc videlicet modo, quod infra tres septimanas decideremus et terminaremus

189 Die Urkunde ist nach dem Osterstil datiert, dessen Jahr zu Ostern begann. Ihn benutzte man in der Erzdiözese Köln von 1222 bis 1310 (vgl. Grotefend, S. 12). Im Jahre 1252 fiel nach unserer Zeitrechnung Ostern (und der damalige Jahresbeginn) auf den 31. März. Die feria tercia post ramos palmarum war dann nach unserer Zeitrechnung der 26. März 1252, nach dem Osterstil aber der 26. März 1251; der Vorausschied Alberts ist denn auch richtig auf 1251 datiert. Da die Schiedsrichter für ihren Spruch 22 Tage Zeit hatten, hat die Urkunde des kleinen Schiedes das Datum April 1252; unsere Berechnung ergibt den 17. April.. Albert hat sich also bei der Datierung nicht geirrt (so aber Ennen (Anm. in Quellen II, Nr. 304, S. 309), Knipping (REK III, Nr. 1665) und Lacomblet (II, Nr. 380, S. 203, Fn. 1).

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quod videlicet dominus Conradus Coloniensis archiepiscopus careat de moneta nec umquam in omne tempus moneta Coloniensis nummismatis renovetur, nisi quando novus est archiepiscopus electus et confirmatus vel quando eiusdem Coloniensis ecclesie archiepiscopus in obsequio imperii armis accinctus de transalpinis partibus fuerit reversus, eo quod in hiis duobus casibus secundum dicta omnium antiquorum ab antiquo nummisma Coloniense innovabatur nec in alio casu aliquo novi nummismatis percussura fieri permittebatur.

Nummismatis autem, quod in presenti publicum est, in quo ymago est prenominati domini archiepiscopi, eo quod per multas varietates viciatum est, ad unicam ymaginem et descriptionem est convertendum et forma illius adeo fiat evidens, quod de facili possit cognosci iuxta ipsum omnis falsitas aliena. Quod ut cautius conservetur, debet observari antiquorum sollercia, quod videlicet prime percussure ydea, quod stail vulgariter appellatur, in sacrarium beati Petri ecclesie maioris in Colonia reponatur, in summa tredecim solidorum et quatuor denariorum Coloniensium et tantum de eiusdem nummismatis committatur civibus custodiendum, ut ad illorum denariorum puritatem et pondus tocius percussure nummisma semper valeat examinari.

huiusmodi questiones, cui tamen tempori postea de consensu parcium coram nobis adiecta fuit una dies sub periculo cause et sub pena excommunicationis in partem illam a nobis legato ferende, que nostrum arbitrium non servaret. Que etiam partes firmiter promiserunt sub suarum testimonio litterarum, quod ratum et firmum servabunt, quicquid nos duo super dictis discordiis duximus ordinandum. Nos igitur habito bonorum virorum consilio nostrum arbitrium unanimiter proferentes super dictis discordiis sic duximus ordinandum, videlicet ut prefatus Conradus Coloniensis archiepiscopus careat de moneta nova nec umquam in omne tempus moneta Coloniensis nummismatis renovetur, nisi quando novus archiepiscopus electus fuerit et confirmatus vel quando eiusdem Coloniensis ecclesie archiepiscopus in obsequio imperii armis accinctus de transalpinis partibus revertetur, eo quod secundum dicta et testimonia omnium antiquorum nummisma Coloniense consuevit ab antiquo in hiis duobus casibus innovari nec in alio casu aliquo permissa fuit fieri novi nummismatis percussura. Et quia nummisma, quod in presenti publicum est, in quo est ymago archiepiscopi memorati, per multas varietates viciatum est et falsatum, ordinamus et dicimus arbitrando, ut ad unicam descriptionem et ymaginem revertatur et forma illius adeo fiat evidens et aperta, quod iuxta ipsum de facili dinosci possit a quolibet omnis falsitas aliena. Quod ut cautius observetur, ordinamus arbitrando, ut in hoc antiquorum sollercia observetur, ita videlicet, quod prime percussure ydea, quod stal vulgariter appellatur, in sacrarium beati Petri maioris ecclesie in Colonia reponatur, in summa tredecim solidorum et quatuor denariorum Coloniensium et tantundem eiusdem nummismatis custodiendum bone fidei dictorum civium committatur, ut ad illorum denariorum puritatem et pondus tocius percussure nummisma semper examinari valeat et probari.

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Faciam etiam arbitrari, quod omnia thelonea sive in Nussia sive alibi, ubi dictus archiepiscopus iniuste et contra privilegia civium Coloniensium theloneum accepit vel accipit vel in futurum forte posset iniuste accipere, cessent omnino, secundum quod in privilegiis dictorum civium continetur. Dicti autem cives iuramento confirmabunt non aliena bona, que de dicta civitate Coloniensi non sint, se ducere sub nomine bonorum suorum. Cives autem fideliter iuvabunt archiepiscopum, ut si qui aliena bona nomine suo transire fecerint per thelonea archiepiscopi, ipsos cum rebus et persona archiepiscopo assignabunt, qui bonis ablatis etiam contra personas talium fraudulentorum procedere poterit pro libitu et voluntate. Dictus etiam dominus archiepiscopus cives Colonienses in libertatibus et iuribus suis, que vel scripto vel antiqua consuetudine usque in presens sunt optenta, manutenebit et fovebit et defendet infra muros et extra.

Quia vero quedam suadente dyabolo discordia inter prenominatum dominum archiepiscopum et cives Colonienses fuerat aborta, in qua ex utraque parte usque ad dampna rerum et occisiones aliquarum personarum est processum, pronuntiabitur in dicto arbitrio, quod dampna parcium utrimque et inimicitie pro mortibus omnino remittantur nec una pars ab altera aliquam pro hiis, que in dicta werra oborta sunt, exiget recompensationem.

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Convenerunt etiam partes coram nobis, quod, si quis deprehendatur falsarius, iusticia fiat de ipso. Ordinamus etiam, ut omnia thelonea sive in Nussia sive alibi ubicumque dictus archiepiscopus iniuste et contra privilegia civium Coloniensium theloneum accipit vel accepit vel iniuste posset accipere in futurum, omnino cessent, secundum quod in privilegiis dictorum civium continetur. Ordinamus etiam, ut dicti cives confirment proprio iuramento, quod aliena bona, que de dicta civitate non sunt, sub nomine bonorum suorum non ducent nec duci permittent. Ordinamus etiam, ut cives iuvent fideliter archiepiscopum memoratum, ut, si aliqui cives Colonienses sub nomine suo per thelonea ipsius archiepiscopi aliena bona fecerint pertransire, ipsos archiepiscopo eidem assignent cum rebus pariter et personis, qui bonis eorum ablatis etiam contra personas talium fraudulentorum procedere licite valeat, prout voluerit et viderit expedire. Ordinamus etiam arbitrando, ut dictus archiepiscopus Coloniensis cives Colonienses in libertatibus et iuribus suis, que vel scripto vel antiqua et bona consuetudine usque ad ista tempora sunt obtenta, tam infra muros quam extra manuteneat, foveat et defendat et ut similiter econverso cives Colonienses archiepiscopum promoveant fideliter, secundum quod ei sunt iuramentis propriis obligati, tam in iudiciis quam in aliis iuribus suis. Denique quia occasione dictarum discordiarum utraque pars dampna gravia dicitur incurrisse et aliqua sunt homicidia perpetrata, ordinamus et dicimus arbitrando, ut omnino dampna parcium utrarumque et inimicicie pro occisorum mortibus penitus remittantur et quod una pars ab altera pro hiis, que in dicta guerra orta sunt, aliquid non requirat nec audiatur requirens.

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Adiutores etiam utriusque partis in composicione includentur, sive layci sint, sive clerici sive judei, qui muros et civitatem Coloniensem tempore discordie custodiverunt.

In testimonium pronuntiationis arbitrii memorati in me a partibus compromissi sigillum meum duxi presentibus apponendum.

Actum et datum anno domini MCC quinquagesimo primo.

Ordinamus etiam arbitrando, ut omnes tam clerici quam laici sive etiam judei, qui muros et civitatem Coloniensem tempore discordiarum custodierunt, in hac compositione fideliter includantur. Hac igitur ordinatione nostra et arbitrio huiusmodi pronunciato quesivimus a partibus antedictis in nostra presentia constitutis, si predicta omnia et singula intellexerant, et responderunt, quod sic. Item quesivimus, si illa volebant rata habere et grata et in perpetuum fideliter observare, et responderunt, quod sic sub religione prestiti iuramenti firmiter promittentes, quod omnia et singula bona fide in perpetuum observabunt. In cuius rei memoriam et testimonium presentes litteras sigillis nostris et sigillis predicti archiepiscopi et communitatis civium Coloniensium necnon capituli maioris ecclesie et aliorum capitulorum tam secularium canonicorum quam moahorum infra muros civitatis Coloniensis constitutorum fecimus roborari et utrique parcium predictarum scriptum consimile assignari. Actum Colonie, anno domini millesimo ducentesimo quinquagesimo secundo, mense aprili.

ANHANG II: ÜBERSETZUNGEN Der Vorausschied des Albertus Magnus von März 1252 Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes amen. Ich, Bruder Albertus vom Orden der Predigerbrüder, genannt Lesemeister in Köln, nehme es auf mein Gewissen und verspreche, dass der Schiedspruch, den der ehrwürdige Vater, Herr Konrad, Erzbischof der heiligen Kölner Kirche einerseits und die Kölner Bür-

Der Kleine Schied vom 17. April 1252190 Allen, die gegenwärtige Schrift lesen, entbieten die Brüder Hugo, päpstlicher Legat, Kardinalpriester von St. Sabina und Albertus191, Lesemeister der Predigerbrüder in Köln, das Heil des Urhebers allen Heils. Ihr alle sollt wissen: Da zwischen dem verehrungswürdigen Vater, dem Kölner Erzbischof Konrad einerseits und den Schöf-

190 Die Übersetzung des kleinen Schiedes gedruckt nach der Übertragung und mit freundlicher Genehmigung von Herrn Leitendem Stadtarchivdirektor Prof. Dr. Hugo Stehkämper, Berg. Gladbach-Bensberg.

750 Jahre kleiner Schied ger andererseits anzunehmen sich geeinigt haben, und den sie dem ehrwürdigen Vater, Herrn Hugo, Kardinalpriester von St. Sabina und Legaten des apostolischen Stuhles und mir, oder anstelle des genannten Herrn Legaten dem Abt von Heisterbach, wenn der genannte Herr Legat verhindert ist, übertragen haben, von dem Herrn Legaten und von mir folgendermaßen gefällt werden wird:

Dass der genannte Herr Konrad, Erzbischof von Köln, auf neue Münzen verzichtet und dass zu keiner Zeit das Kölner Geld durch Neuprägung erneuert werde, außer wenn ein neuer Erzbischof gewählt und bestätigt worden ist oder wenn ein Erzbischof im Dienst des Reiches waffenumgürtet aus Gebieten jenseits der Alpen zurückkehrt. Gemäß den Worten aller alten Männer pflegt die Kölner Prägung von alters her in diesen beiden Fällen erneuert zu werden, und in keinem anderen Fall ist der Schlag für die Prägung neuer Münzen erlaubt gewesen. Weil aber die augenblicklich gängige Prä-

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fen und allen Kölner Bürgern andererseits über das Geld und vielerlei andere Fragen von beiden Seiten schwere Meinungsverschiedenheiten entstanden sind, haben die genannten Parteien endlich vor uns um des guten Friedens willen (pro bono pacis) im Jahre des Herrn 1251, am Dienstag nach Palmarum einen Vergleich geschlossen mit dem Zusatz, dass wir binnen drei Wochen die streitigen Fragen entscheiden und beenden werden. Dem ist aber in der Zeit nach der Zustimmung der Parteien vor uns ein Tag hinzugefügt worden. Wer aber unseren Schiedsspruch nicht beachtet, soll unter Gefahr der Sache und bei Strafe der Exkommunikation in jenem Teil von uns dem Legaten gemeldet werden. Die Parteien haben auch mit ihrem schriftlichen Zeugnis fest versprochen, das als gültig und unveränderlich zu halten, was wir beide in den genannten Streitfragen glauben anordnen zu sollen. Nach Beratung mit guten Männern bringen wir einmütig unseren Schiedsspruch vor und glaubten wegen der Auseinandersetzungen antworten zu sollen, dass der genannte Konrad, Erzbischof von Köln, auf neue Münzen verzichtet und dass zu keiner Zeit das Kölner Geld durch Neuprägung erneuert werde, außer wenn ein neuer Erzbischof gewählt und bestätigt worden ist oder wenn ein Erzbischof der Kölner Kirche im Dienst des Reiches waffenumgürtet (armis accinctus) aus Gebieten jenseits der Alpen zurückkehrt. Gemäß den Worten und Zeugnissen aller alten Männer pflegt die Kölner Prägung von alters her in diesen beiden Fällen erneuert zu werden, und in keinem anderen Fall ist der Schlag192 für die Prägung neuer Münzen erlaubt gewesen. Weil die augenblicklich gängige Prägung

192 „Percussura nummismatis“ ist der Münzschlag, ein Fachwort der Münzherstellung, es bezeichnet den Münzstempel (Ober- und Unterstempel), mit dem die Münzen geschlagen wurden.

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750 Jahre kleiner Schied

gung mit dem Bild des erwähnten Herrn Erzbischofs durch viele Veränderungen entstellt ist, soll sie auf ein Bild und eine Umschrift zurückgeführt werden, und ihre Form sei so deutlich, dass danach leicht jede Fälschung erkannt werden kann.

mit dem Bild des erwähnten Erzbischofs durch viele Veränderungen entstellt und gefälscht ist, ordnen wir an und bestimmen schiedsrichterlich, dass sie auf eine Umschrift und ein Bild zurückgeführt werde und dass ihre Form so deutlich und klar sei, dass danach leicht von jedermann jede Fälschung erkannt werden kann.

Damit dies recht umsichtig beachtet werde, soll dabei die Sorgfalt der Alten beobachtet werden, dass nämlich ein Urbild des ersten Schlages, das volkssprachlich „Stal“ heißt, im Sacrarium der großen Kirche des heiligen Petrus in Köln hinterlegt werde, insgesamt 13 Schillinge und 4 Kölner Pfennige, und ebensoviel derselben Prägung den Bürgern überantwortet werde, damit die Reinheit und das Gewicht des gesamten Münzschlages stets geprüft werden kann.

Damit dies recht umsichtig beachtet werde, ordnen wir schiedsrichterlich an, dass dabei die Sorgfalt der Alten beobachtet werde, dass nämlich ein Urbild des ersten Schlages, das volkssprachlich „Stal“ heißt, im Sacrarium der großen Kirche des hl. Petrus in Köln [des Domes] hinterlegt werde, insgesamt 13 Schillinge und 4 Kölner Pfennige, und ebensoviel derselben Prägung zur Wahrung des guten Glaubens den genannten Bürgern überantwortet werde, damit die Reinheit und das Gewicht des gesamten Münzschlages stets geprüft und verglichen werden kann.

Ich werde auch entscheiden, dass alle Zölle – ob in Neuss oder anderswo, wo immer der genannte Erzbischof ungerecht und gegen die Privilegien der Kölner Bürger Zoll erhoben hat, erhebt oder zukünftig ungerecht erheben könnte – überhaupt wegfallen sollen, gemäß dem Inhalt der Vorrechte der genannten Bürger. Die genannten Bürger sollen durch Eid bekräftigen, dass sie keine fremden Güter, die nicht aus der genannten Stadt Köln stammen, unter der Bezeichnung ihrer Güter führen werden. Die Bürger sollen auch den Erzbischof treu unterstützen, so dass, wenn sie in ihrem Namen fremde Güter durch die Zölle des Erzbischofs führen, sie diese mit Gü-

Die Parteien kamen vor uns überein, dass, wenn ein Fälscher ergriffen wird, über ihn Gerechtigkeit geschehen soll. Wir verordnen ebenfalls, dass alle Zölle – ob in Neuss oder anderswo, wo immer der genannte Erzbischof ungerecht und gegen die Privilegien der Kölner Bürger Zoll erhebt oder erhob oder zukünftig ungerecht erheben könnte – überhaupt wegfallen sollen, gemäß dem Inhalt der Vorrechte der genannten Bürger. Wir ordnen ebenfalls an, dass die genannten Bürger durch einen eigenen Eid bekräftigen, dass sie fremde Güter, die nicht aus der genannten Stadt stammen, nicht unter der Bezeichnung ihrer Güter führen noch führen lassen werden. Wir verordnen auch, dass die Bürger den Erzbischof treu unterstützen, so dass, wenn Kölner Bürger fremde Güter unter ihrem Namen durch die Zölle des Erzbi-

750 Jahre kleiner Schied tern und Personen dem Erzbischof zuweisen, der nach Beschlagnahme der Güter gegen die Personen solcher Betrüger vorgehen kann nach seinem Belieben und Willen. Der genannte Herr Erzbischof soll die Kölner Bürger in ihren Freiheiten und Rechten, die entweder schriftlich oder durch alte Gewohnheit bis auf diese Zeit erworben worden sind, bewahren, begünstigen und verteidigen, innerhalb der Stadtmauern und außerhalb.

Da aber auf Anstiften des Teufels Zwietracht zwischen dem vorgenannten Herrn Erzbischof und den Kölner Bürgern gesät worden ist, in der jede Partei Sachschäden verursacht und auch Totschläge etlicher Personen verübt hat, wird in dem genannten Schiedsspruch bestimmt werden, dass die Schäden beider Parteien und die Ansprüche wegen der Toten gänzlich nachgelassen werden und keine Partei von der anderen für Dinge, die in dem genannten Krieg geschehen sind, Ersatz verlangen darf. Die Verbündeten beider Parteien werden in den Vergleich eingeschlossen – seien es Laien, Kleriker oder Juden, welche die Mauern und die Stadt Köln während der Auseinandersetzungen bewacht haben.

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schofs führen lassen, sie diese mit Gütern und Personen dem Erzbischof zuweisen, der nach Beschlagnahme ihrer Güter gegen die Personen solcher Betrüger erlaubterweise vorgehen kann wie er will und wie es ihm auskommt. Wir verordnen schiedsrichterlich gleichfalls, dass der Kölner Erzbischof die Kölner Bürger in ihren Freiheiten und Rechten, die entweder schriftlich oder durch alte und gute Gewohnheit bis auf diese Zeit erworben worden sind, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mauern bewahrt, begünstigt und verteidigt und dass ebenso umgekehrt die Kölner Bürger den Erzbischof treulich fördern in Anbetracht dessen, dass sie ihm durch eigene Eide verpflichtet sind sowohl in Gerichtsangelegenheiten193 als in seinen anderen Rechten. Weil schließlich anlässlich der Auseinandersetzungen beide Parteien schwere Schäden erlitten haben wollen und auch Totschläge verübt wurden, ordnen wir an und bestimmen schiedsrichterlich, dass überhaupt die Schäden beider Parteien und Feindschaften für den Tod der Gefallenen gänzlich nachgelassen werden und dass keine Partei von der anderen für Dinge, die in dem genannten Krieg vorgefallen sind, etwas fordert oder sich fordernd hören lässt. Wir verordnen gleichfalls schiedsrichterlich, dass alle, sowohl Kleriker, Laien wie auch Juden, welche die Mauern und die Stadt während der Auseinandersetzungen bewachten, in diesen Vergleich treulich eingeschlossen sein sollen. Nach Verkündung unserer Anordnung und

193 Auf diese Bestimmung konnten sich wenig später die Erzbischöfe hinsichtlich des Hochgerichts berufen. Den königlichen Blutbann übte der Burggraf als Vorsitzer des hohen Weltlichen Gerichts für den Erzbischof aus, bis Erzbischof Siegfried von Westerburg (1275 – 1297) im Jahre 1279 dem Burggrafen Johann v. Arberg dieses Lehen abkaufte. Es blieb fortan dauernd in erzbischöflicher Hand, und wurde in Stellvertretung des Erzbischofs durch den Greven verwaltet, vgl. Strauch, Gericht, S. 748 ff, 762f.

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750 Jahre kleiner Schied

Zum Zeugnis der Verkündigung des genannten Schiedsspruchs, den mir die Parteien aufgetragen haben, habe ich mein Siegel der vorliegenden Urkunde angeheftet.

unseres Schiedsspruchs haben wir von den genannten und in unserer Gegenwart eingesetzten Parteien erfragt, ob sie das Vorgenannte insgesamt und im Einzelnen verstanden haben, und sie antworteten ‚ja‘. Ebenso haben wir gefragt, ob sie das alles als richtig und annehmbar ansehen und dauernd treulich halten wollen, und sie antworteten ‚ja‘, indem sie mit heiligem Eide feierlich versprachen, dass sie alles insgesamt und im Einzelnen guten Glaubens dauernd halten werden. Zur Erinnerung und zum Zeugnis dessen haben wir diese Verfügung durch unsere Siegel und die des genannten Erzbischofs und der Gemeinde der Kölner Bürger sowie des Kapitels der großen Kirche [des Domes] und der anderen Kapitel der Säkularkanoniker und der Mönche, die in den Mauern der Stadt Köln bestehen, bekräftigen und beiden vorgenannten Parteien eine gleichlautende Ausfertigung übergeben lassen.

ANHANG III: PÄPSTLICHE URKUNDEN 1252, Dezember 12: Papst Innozenz IV. bestätigt auf Bitte der Kölner Bürger den Schiedsspruch194. 1252, Dezember 12: Innozenz IV. bestätigt der Stadt alle Vorrechte und Freiheiten195: Innozenz, Bischof, Knecht der Knechte Gottes, seinen geliebten Söhnen, den Amtleuten, Schöffen und den übrigen Kölner Bürgern Heil und apostolischen Segen. So fest war immer Eure und Eurer Vorfahren Zuverlässigkeit im Glauben des heiligen Petrus und Eure und ihre Aufrichtigkeit und Treue zur Römischen Kirche, Eurer Mutter, so erprobt, daß niemals an Eurer und ihrer Standhaftigkeit ihr gegenüber in irgend etwas zu zweifeln war, weil ihr, das Gehör den Stimmen anderer verschließend, nie eines anderen als nur des Hirten und Vaters der allgemeinen Kirche Spuren kanntet. Daher stimmten wir Euren Wünschen gern zu und erhören, so weit wir es mit Gott können, Eure Bitten. 194 195

Quellen, Band II, Nr. 314, S. 328f. Druck: Quellen, Band II, Nr. 315, S. 329.

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Deswegen bestätigen wir, Euren demütigen Bitten gemäß, die Freiheiten, Freiungen und Rechte, die Euch von den Römischen Kaisern und Königen, auch von den Kölner Erzbischöfen und anderen gläubigen Fürsten gültig verliehen worden sind, sowie Eure löblichen und alten Gewohnheiten, wie Ihr sie gerecht und friedlich erworben habt, Euch und durch Euch Eurer Stadt oder ihren Bürgern mit päpstlicher Vollmacht und bestärken dies mit dieser Urkunde. Aber keinem Menschen sei es erlaubt, diese von uns bestätigte Urkunde zu beschädigen oder zu wagen, ihr unüberlegt zuwiderzuhandeln. Wer aber solches zu tun sich vermißt, der wisse, daß ihn der Zorn des allmächtigen Gottes und der Heiligen Petrus und Paulus treffen wird. Beurkundet am 12. Dezember [1252], im zehnten Jahr unseres Pontifikats. 1253, Juni 16: Innozenz IV. trägt auf Bitte Erzbischofs Konrads dem Osnabrücker Domdechanten auf, die Stadt Köln, weil einige ihrer Bürger der Einhaltung des kleinen Schieds widersprechen, mit kirchlichen Strafen, freilich mit Rücksicht auf die päpstlichen Gerichtsprivilegien, zur Beobachtung der Abmachung zu zwingen196.

196

Druck: Quellen, Band II, Nr. 320, S. 334.

D IE

D A S F RA N Z Ö S I SC H E R E C H T UN D R E C H TS E N TW IC K LUN G I M R HE IN LA N D

I. F RA N Z Ö S I S CH E S R E CHT

IM

R H E I N LA N D

1. Die cinq codes Unter der Regierung des Direktoriums (1795 – 1799) machte sich das nachrevolutionäre Frankreich daran, seine Rechtsordnung umzugestalten und durch Kodifikation der verschiedenen Rechtsgebiete grundsätzlich und systematisch neu zu ordnen. Napoleon setzte diese Arbeit als erster Konsul (seit 1799) und auch seit 1804 als Kaiser energisch fort. So wurde 1804 der Code civil verabschiedet1 (der seit 1807 Code Napoléon und später wieder Code civil hieß). Es folgte 1807 der Code de procédure civile (also die Zivilprozessordnung), 1808 der Code de commerce (das Handelsgesetzbuch), 1809 der Code d’instruction criminelle (die Strafprozessordnung) und schließlich 1811 der Code pénal. Seit 1802 galten die französischen Gesetze auch für das gesamte Rheinland.

2. Die cinq codes und die Grundsätze der Revolution Bei seiner Gesetzgebung verwirklichte Napoleon von den drei revolutionären Postulaten Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit allerdings mehr die Gleichheit als die beiden anderen. Auch der Code civil selbst war janusköpfig2: Einerseits galten seine drei Teile3 als gesetzliche Anerkennung der drei großen Freiheiten der 1

2

3

Vgl. Elisabeth Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht. Die Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten, Göttingen 1974, S. 14 ff; Werner Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Köln etc. 1977 (zitiert: Schubert, Deutschland), S. 521 ff; Herman Lohausen, Die obersten Zivilgerichte im Großherzogtum und im Generalgouvernement Berg von 1812 – 1819, Köln 1995, S. 21 ff, wo der Code civil erst 1810 eingeführt wurde. Im Großherzogtum Baden wurde 1809 eine amtliche Übersetzung des Code civil angefertigt, die am 1. Jan. 1810 als „Badisches Landrecht“ in Kraft gesetzt wurde, vgl. Werner Schubert, Das französische Recht in Deutschland zu Beginn der Restaurationszeit, 1810 – 1820, in: ZRG, GA 94, 1977 [zitiert: Schubert, Restaurationszeit], S. 129 – 185, hier: S. 154 – 169; Barbara Dölemeyer, Kodifikationen und Projekte, in: Helmut Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Band II, 2, Frankfurt/M 1976, Band III, 2, ebda 1982, S. 1440 ff. Vgl. Gustav Boehmer, Der Einfluß des Code civil auf die Rechtsentwicklung in Deutschland, in: Archiv für die civilistische Praxis, Band 151, 1950/51, S. 289 – 310 [S. 293 ff]; Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft (wie Anm. 1), S. 23. Livre I: Des Personnes; Livre II: Des Biens, et des différentes modifications de la propriété; Livre III:

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Person, des Eigentums4 und des Rechtsverkehrs (liberté, propriété, autonomie contractuelle)5, andererseits war er bürgerlich-patriarchalisch ausgerichtet, indem er im Ehe- und Familienrecht das Prinzip der Autorität des Mannes beibehielt: Die Frau stand dauernd unter seiner Vormundschaft, in der gesetzlichen Gütergemeinschaft hatte er die Verfügungsgewalt auch über ihr Vermögen und er konnte sogar seine Kinder ohne staatliche Kontrolle sechs Monate lang einsperren lassen6. Frankreich hatte im Rheinland auch die Gewerbefreiheit eingeführt7, was Preußen durch das Gewerbesteuer-Edikt8 und das Edikt vom 7. September 1811 über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe im Rahmen der SteinHardenbergschen Reformen nachahmte9. Gleichzeitig wurden die Zünfte als Zwangskorporationen aufgehoben; als zivilrechtliche Vereinigungen konnten sie fortbestehen10.

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5 6 7

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9 10

Des différentes manières dont on acquiert la propriété (Buch I : Die Personen ; Buch II : Die Güter und die verschiedenen Eigentumsarten; Buch III: Die verschiedenen Arten des Eigentumserwerbs. Vgl. dazu Günther Birtsch, Freiheit und Eigentum. Zur Erörterung von Verfassungsfragen in der deutschen Publizistik im Zeichen der französischen Revolution, in: Rudolf Vierhaus (Hg.), Eigentum und Verfassung. Zur Eigentumsdiskussion im ausgehenden 18. Jahrhundert, Göttingen 1972, S. 179 – 192. Vgl. Boehmer, Einfluß (wie Anm. 2), S. 292. Vgl. im einzelnen Livre I, Titre IX, Art. 374 ff, „De la puissance paternelle“ (über die väterliche Gewalt), hinsichtlich der Kinder, Livre I, Titre V, Art. 212 ff. Günther Bernert, Die französischen Gewerbegerichte (Conseils de Prud’hommes) und ihre Einführung in den linksrheinischen Gebieten zwischen 1808 und 1813, in: Karl Otto Scherner/Dietmar Willoweit (Hg.), Vom Gewerbe zum Unternehmen. Studien zum Recht der gewerblichen Wirtschaft im 18. und 19. Jahrhundert, Darmstadt 1982, S. 112 – 151, hier: S. 128 ff; Wilhelm Rütten, Gewerbe und Arbeit im Rheinischen Recht, in: Festschrift Hans Friedhelm Gaul, hg. v. Eberhard Schilken, Bielefeld 1997, S. 595 – 606, hier: S. 597f. Nämlich durch das Gewerbesteuer Edikt vom 2. November 1810 (GS 1810, S. 79), und zwar dessen §§ 16 ff, vor allem §§ 16 und 17, vgl. Dieter Strauch, Unternehmensrecht im 19. Jahrhundert, in: Vom Gewerbe zum Unternehmen, hg. v. Karl Otto Scherner und Dietmar Willoweit, Darmstadt 1982 [zitiert: Strauch, Unternehmensrecht], S. 208 – 250, hier: S. 212f. Edikt vom 7. September 1811 (GS 1811, S. 253), vgl. Strauch, Unternehmensrecht (wie Anm. 8) S. 212f. Hugo Roehl, Beiträge zur Preußischen Handwerkerpolitik vom Allgemeinen Landrecht bis zur Allgemeinen Gewerbeordnung von 1845, Leipzig 1900, S. 173 ff; Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit: die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810 – 1820), Göttingen 1983, S. 135 ff; Wilhelm Rütten, Gewerbe (wie Anm. 7), S. 597f.

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Das Französische Recht und die Rechtsentwicklung im Rheinland

Das Arbeitsrecht war als contrat de louage11 nach dem Vorbild der römischen Dienstmiete geregelt. Es verbot zwar in Art. 1780 lebenslange Arbeitsverträge, war aber im Beweisrecht unsozial12 und verhinderte mit der Einführung eines Arbeitsbuches zuverlässig jeden Vertragsbruch13.

2. Reform der Gerichtsverfassung Auch die Gerichtsverfassung14 wurde damals neu geregelt: In jedem Kanton (dem untersten Verwaltungsbezirk) wurde ein Friedensrichter (juge de paix) angestellt, der geringfügige Streitigkeiten in Zivil- und Strafsachen entschied. Seine Urteile überprüfte als Berufungsgericht das Tribunal erster Instanz (Tribunal de première instance), errichtet im jeweiligen Hauptort (cheflieux) der Arrondissements und besetzt mit mindestens drei, meist aber fünf Richtern. Dieses Tribunal war im Übrigen für alle Zivil- und Strafsachen zuständig, die nicht vor den Friedensrichter gehörten. Revisionsinstanz war der Appellationsgerichtshof („cour d’appel“) in Trier15. In Handelssachen richteten besondere Handelsgerichte (Tribunaux de commerce), die mit Laienrichtern aus der Kaufmannschaft besetzt waren und in Aachen, Köln, Krefeld und Trier ansässig waren. Als Vorläufer unserer Arbeitsgerichte sind die 11 12 13

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15

Vgl. Code civil Buch III, Titel 8: „Du contrat de louage" (der Arbeitsvertrag), Artt. 1708 ff. Vgl. Code civil Art. 1781. Über das Arbeitsbuch vgl. Günther Bernert, Gewerbegerichte (wie Anm. 7), S. 124 ff; Wilhelm Rütten, Gewerbe (wie Anm. 8), S. 601 ff; erst das „Gesetz für den Bezirk des Appellationsgerichtshofes zu Cöln, betreffend die Aufhebung der auf die Arbeitsbücher und auf die Quittungsbücher bezüglichen Bestimmungen“ vom 8. Juni 1860, (GS 1860, S. 277) hob diese Verpflichtung für einen Teil des Rheinlandes auf, und erst § 113, Abs. 2 der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom 21. Juni 1869 (BGBl. Norddeutscher Bund 1869, S. 245) hob die Bestimmungen allgemein auf. Johann Paul Brewer, Geschichte der französischen Gerichtsverfassung vom Ursprung der fränkischen Monarchie bis zu unseren Zeiten, Band I, Düsseldorf 1835, S. 642 ff; Max Bär, Die Behördenverfassung der Rheinprovinz seit 1815, Bonn 1919, S. 52 – 57; Adolf Klein, Die Rheinische Justiz und der rechtsstaatliche Gedanke in Deutschland, in: Josef Wolffram/Adolf Klein (Hg.), Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden. Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Köln, Köln 1969, [zitiert: Klein, Rheinische Justiz], S. 11 – 264, hier: S. 116 ff; Werner Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozeßrecht, Köln etc. 1977, S. 521 ff. Seit 1805 war das Roer-Département dem Appellationsgerichtshof in Lüttich zugewiesen, vgl. Becker, Hans-Jürgen, Das Rheinische Recht und seine Bedeutung für die Rechtsentwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Juristische Schulung (JuS) 1985, S. 338 – 345 [zitiert: Rheinisches Recht], hier: S. 339.

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Gewerbegerichte (conseils de Prud’hommes) anzusehen. Auch sie waren mit Laien besetzt und amtierten in Aachen, Köln und Krefeld16 Bei den Appellationsgerichtshöfen (tribunaux d’appel) gab es außerdem Geschworenengerichte (assises), bestehend aus fünf Berufsrichtern und zwölf Geschworenen, die über Kapitalverbrechen richteten. Gegen die Urteile der Appellationsgerichtshöfe konnte um Kassation bei der Cour de cassation (dem Kassationshof) in Paris nachgesucht werden. Bei allen Gerichten – außer den Friedensgerichten – amtierte das Öffentliche Ministerium (ministère public), ein Vorläufer unserer Staatsanwaltschaft, welches das Interesse des Staates und der Öffentlichkeit wahrte, indem es Straftaten verfolgte, aber auch in Zivilsachen tätig wurde. Wegen der in Frankreich üblichen Zentralisation von Verwaltung und Gerichtsbarkeit galt nunmehr vom Bodensee bis zum Niederrhein die gleiche Gerichtsverfassung. II. DIE ENTWICKLUNG IN PREUßISCHER ZEIT

1. Preußens erste Schritte im Rechtsbereich Nach dem Wiener Kongress (1815) hatten die Hessen-Darmstädtische und die Bayerische Regierung bei der Besitznahme der ihnen zugefallenen Territorien versichert, den Bestand der französischen Institutionen nicht anzutasten17. In Rheinhessen und in der Pfalz galt demgemäß das rheinische Recht weiter. Nur in der preußischen Rheinprovinz gestaltete sich die Lage schwieriger.

2. Der Kampf um die „Rheinischen Institutionen“ a) Der Minister strebt nach Rechtseinheit mit Altpreußen In den ehemals rechtsrheinischen Kreisen Duisburg, Essen und Rees hatte das Patent vom 9. September 181418 das Allgemeine Landrecht von 1794 und die 16

17 18

Vgl. Bernert, Gewerbegerichte (wie Anm. 7), S. 112 ff; Werner Schubert, Die deutsche Gerichtsverfassung (1869 – 1877) – Entstehung und Quellen –, Frankfurt/M. 1981, S. 181 – 200 [zitiert: Gerichtsverfassung]. Faber, Karl Georg, Die Rheinischen Institutionen, in: Hambacher Gespräche 1962, Wiesbaden 1964, S. 20 – 40 [Institutionen], hier: S. 31. Patent wegen Wiedereinführung des Allgemeinen Landrechts und der Allgemeinen Gerichtsordnung in die von den Preußischen Staaten getrennt gewesenen mit denselben wieder vereinigten Provinzen vom 9. Sept. 1814 (Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten (1806 – 1944) [G S] 1814, S. 89 – 96), das nach § 30 zum 1. Jan. 1815 auch die Kriminal-Verordnung vom 2. Dezember 1805 umfasste, vgl. Ernst

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Das Französische Recht und die Rechtsentwicklung im Rheinland

Gerichtsverfassung Altpreußens zum 1. Januar 1815 wiedereingeführt19; sie galten dort bis zum 1. Januar 1900. Betroffen waren im Rheinland die Landund Stadtgerichte in Emmerich, Rees, Wesel, Dinslaken, Duisburg, Mülheim/Ruhr, Essen und Werden. Der preußische Justizminister, Leopold v. Kircheisen, strebte danach, in Preußen Rechtseinheit herzustellen, wollte aber in den neuerworbenen linksrheinischen Gebieten nicht das fortschrittliche französische Recht, sondern sowohl im Zivil- und Strafrecht als auch im Verfahrensrecht die altpreußische Gerichtsverfassung einführen. Sein Grundgedanke schien einleuchtend: Der bisher unbefriedigende Rechtszustand, wonach in jeder Provinz unterschiedliches Recht galt, sollte beendet und im gesamten preußischen Staat zukünftig eine einheitliche Gerichtsverfassung gelten. Gedacht war aber wiederum an die altpreußische und nicht an die französische Gerichtsverfassung. Das hätte jedoch bedeutet, im Rheinland das zweispurige Gerichtssystem zu übernehmen, das den Adeligen und mit einigen Ausnahmen auch den Beamten das Vorrecht der Exemtion gewährte. Dagegen waren die Stadt- und Landgerichte als Gerichte erster Instanz nur für die „gemeinen Leute“ zuständig, doch gehörten dazu neben den Arbeitern, Bauern, Tagelöhnern, Handwerkern und den von der Exemtion ausgenommenen Schulmeistern auch die Kaufleute20. Das widersprach der damals wachsenden Bedeutung von Handel und Verkehr für den Staat. Hinzu kam, dass die Verfahren in Zivil- und Strafgerichtsbarkeit nichtöffentlich waren, dass der Aktenprozess sich dahinschleppte und dass die Breite und Ausführlichkeit des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 darauf zielte, das richterliche Ermessen zu beschneiden. Es war klar, dass die Rheinländer dieses verkrustete absolutistische Gerichtssystem – zu dem auch noch die Patrimonialgerichte gehörten – nicht übernehmen wollten. Ihnen zur Seite – und den Vorstellungen des Justizminis-

19 20

Landsberg, Die Gutachten der Rheinischen Immediat-Justiz-Kommission und der Kampf um die Rheinische Rechts- und Gerichtsverfassung, 1814 – 1819, Bonn 1914, S. XXI. Diese Teile der Rheinprovinz kamen unter das Oberlandesgericht Emmerich. Die KabO. v. 6. Aug. 1815 (G S 1815, S. 192) hat das OLG zum 30. Nov. 1815 nach Kleve verlegt, vgl. Scotti, Johann Josef (Hrsg.), Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem Herzogthum Cleve und in der Grafschaft Mark über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind, vom Jahre 1418 bis zum Eintritt der königlich preußischen Regierungen im Jahre 1816, 5 Theile, Düsseldorf 1826, Nr. 3215, S. 2919). Durch kgl. Rescript v. 20. April 1820 ist das OLG Kleve zum 1. Juli 1820 nach Hamm verlegt worden (Druck in: Karl Albert v. Kamptz, (Hg.), Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft u. Rechtsverwaltung, Band 15, Berlin 1820, S. 310f; vgl. Bär, Rheinprovinz (wie Anm. 14), S. 415 ff). Einführung d. preußischen Rechts z. 1. Jan. 1815, vgl. G S (wie Anm. 18), 1814, S. 89. Vgl. Adolf Klein, Rheinische Justiz (wie Anm. 14), S. 126 ff.

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ters entgegen – stellten sich jedoch der Generalgouverneur Sack und der Staatskanzler Karl August v. Hardenberg21. Da sich der Streit nicht einfach erledigen ließ, setzte der König unter der Leitung von Christoph Wilhelm Heinrich Sethe durch Kabinettsordre vom 20. Juni 1816 die sog. Rheinische Immediat-JustizKommission ein22. Sie sollte u. a. das französische und das preußische Recht vergleichen und eine neue Gesetzgebung für die Rheinlande vorbereiten. In der genannten Kabinettsordre heißt es unverbindlich: „Ich will, dass das Gute überall, wo es sich findet, benutzt und das Rechte anerkannt werde.“ Dieser Satz ist viel zitiert und dahin ausgelegt worden, der König wolle sich für den Erhalt der rheinischen Institutionen einsetzen. Aber weder im Besitznahmepatent vom 5. April 181523 noch in der Instruktion für die ImmediatJustizkommission vom 8. Juli 181624 garantierte der preußische König das rheinische Recht. Im Besitznahmepatent findet sich lediglich der unverbindliche Satz „Ihr werdet gerechten und milden Gesetzen gehorchen“.

b) Stimmen für die Beibehaltung des Rheinischen Rechts Da die Instruktion der Immediat-Justiz-Kommission an alle beteiligten Behörden gesandt wurde, war sie allenthalben im Rheinland bekannt. Der Rat der Stadt Köln – für seine Wendigkeit und Zielstrebigkeit in eigenen Angelegenheiten auch sonst nicht unbekannt – nahm sie zum Anlass, der neutralen Untersuchungsanweisung das für Köln gewünschte Ziel zu nennen. Gelegenheit dazu 21

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Vgl. Klein, Rheinische Justiz (wie Anm. 14), S. 129 und ders., Hardenbergs letzte Reform. Die Gründungsgeschichte des Rheinischen Appellationsgerichtshofes, in: Rheinische Justiz. Geschichte und Gegenwart. 175 Jahre Oberlandesgericht Köln, hg. v. Dieter Laum/Adolf Klein/Dieter Strauch, Köln 1994, [zitiert: Klein, Hardenberg], S. 9 – 55, hier: S. 37 ff. Kabinettsordre vom 20. Juni 1816 bei Friedrich August Lottner, Sammlung der für die königlich Preußische Rheinprovinz seit dem Jahre 1813 hinsichtlich der Rechts- und Gerichtsverfassung ergangenen Gesetze, Verordnungen, Ministerial-Rescripte etc., Berlin, Bände I – III: 1834, Band V: 1838; Band IX: 1850, hier: Band 1, 1838, S. 414. Vgl. dazu ausführlich: Landsberg, Gutachten (wie Anm. 18), Instruktion und PersonalBesetzung der Immediat-Justiz-Kommission, S. L – LVIII, ferner Karl Georg Faber, Die Rheinlande zwischen Restauration und Revolution, Wiesbaden 1966, S. 131f; Adolf Klein, Hardenberg (wie Anm. 21), S. 41 ff. Der König erließ – (neben den Besitzergreifungspatenten vom 5. April 1815, in G S (wie Anm. 18), 1815, S. 21 und 23) am gleichen Tage einen Zuruf „An die Einwohner der mit der preußischen Monarchie vereinigten Rheinländer“, in: G S (wie Anm. 18), 1815, S. 25 und in: Journal des Nieder- und Mittelrheins 1815, S. 315, auch bei Bär, Rheinprovinz (wie Anm. 14) S. 88f. Instruktion für die Immediat-Justizkommission vom 8. Juli 1816 bei Ernst Landsberg, Die Instruktion der Preußischen Immediat-Justiz-Kommission für die Rheinlande von 1816 [8. Juli], in: Zeitschrift für Politik, Band 6 (1913), S. 171 – 185 [Instruktion].

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bot eine Dankadresse aus dem Jahre 1817, in der er die gewünschten Institutionen bündig beschrieb:25 „Dank Eurer Majestät für die Ernennung der Immediat-Justiz-Kommission und die dieser Stelle gegebene Weisung: zu rasche Abänderungen zu vermeiden und dasjenige zu achten, was sich in unserer bisher igen Ve rfassung Gutes fi nden möge . Gewiß wird diese Stelle dieses Gute überall erkennen, und Euer Majestät unparteiisch bezeichnen. a) Ohne derselben vorzugreifen, wagen wir in Uebereinstimmung mit den von unsern Brüdern an der Mosel geäusserten Wünschen die Entfernung des Feudal-Systems, b) die Gleichheit in der Vertheilung aller Abgaben, c) die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze und dem Richter, d) die Oeffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens, e) die Unabhängigkeit des Richteramtes, f) die Trennung der Gewalten, g) das Urtheil durch das Geschworenen-Gericht in Kriminalsachen, h) und unter einigen zur Beförderung der Gewerbe nöthigen Modifikationen die Freiheit des Handels und der Gewerbe, i) als solche Grundsätze zu bezeichnen, die auf das Landeswohl vortheilhaft gewirkt haben, und deren zukünftige Handhabung in jeder Hinsicht zu wünschen ist. Fest steht die öffentliche Meinung für diese Institute, und wir achten uns einstweilen berufen, sie auszusprechen, da es ihr noch an einem konstitutionellen Organe gebricht.“ Aus dieser Aufstellung wird nicht nur das Gewünschte, es werden auch grundlegende Prinzipien deutlich:  die Abschaffung des Feudalsystems bedeutete zugleich die Aufhebung der Adelsprivilegien verbunden mit der Gleichheit der Besteuerung, sie bedeutete ferner 25

Gedruckt im Niederrheinischen Archiv für Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtspflege, Hg. von Gottfried Alexander v. Sandt und Carl Adolf zum Bach, Band I, 1817, S. 375 ff. Es handelte sich um ein Kampfblatt für rheinisch-französisches Recht, das nur zwischen 1817 und 1819 in vier Bänden erschien, vgl. Adolf Klein, Rheinische Justiz (wie Anm. 14), S. 135.

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 die Gleichheit aller Bürger vor Gesetz und Richter, und damit verbunden  die Gewaltentrennung, also die Trennung der Verwaltung von der Rechtsprechung, die sich auch in der Errichtung des ministère public 26 äußert. Die Unabhängigkeit des Richteramtes ist nur ein Teil der Gewaltentrennung;  die Freiheit von Handel und Gewerbe, gerichtet gegen Zunftzwang und Fabrikprivilegien. Ergänzt wurden diese Prinzipien durch Verfahrensgrundsätze, welche die aus der Revolution stammenden bürgerlichen Freiheitsrechte gesetzlich garantierten:  der Unantastbarkeit der Person, (Freiheitsentziehung durfte nur der Richter anordnen)  des Verbotes der Rückwirkung von Strafgesetzen (nullum crimen, nulla poena sine lege)27,  im Anklageprinzip, repräsentiert durch das des öffentlichen Ministeriums (später: die Staatsanwaltschaft),  der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens,  des gesetzlichen Richters28.  der Laienmitwirkung bei der Rechtsprechung, repräsentiert durch die Geschworenengerichte und die Gewerbegerichte29,

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Zur Geschichte der Staatsanwaltschaft vgl. Elling, Karl, Die Einführung der Staatsanwaltschaft in Deutschland, ein Beitrag zur Geschichte des Strafprozesses, Breslau 1911; Carsten, Ernst, Die Geschichte der Staatsanwaltschaft in Deutschland bis zur Gegenwart, Breslau 1932; Schweichel, Heinrich, Vom ministère public zur Staatsanwaltschaft, in: Joseph Wolffram/Adolf Klein (Hg.), Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden, Köln 1969, S. 265 – 284, hier: S. 267 ff; Schubert, Gerichtsverfassung (wie Anm. 16), S. 122 ff. Der heute selbstverständliche und im Grundgesetz (Art. 103, II) niedergelegte Satz „nullum crimen, nulla poena sine lege“ galt im Linksrheinischen bereits auf Grund des Art. 4 des Code pénal seit dem 1. Jan. 1811. Dort heißt es: „Keine Übertretung, kein Verbrechen kann mit einer Strafe belegt werden, die nicht durch das Gesetz vor Begehung der Tat angedroht war“. Wobei nach Art. 127 des Code d’instruction criminelle der Untersuchungsrichter wöchentlich der Ratskammer des Tribunals über die anhängigen Untersuchungssachen berichten musste. Die Mitwirkung von Laien bei der Handels- und Arbeitsgerichtsbarkeit (den conseils de Prud’hommes) machte deren Rechtsprechung volksnah, vgl. Bernert, Gewerbegerichte (wie Anm. 7), S. 142 – 151; zu den Geschworenengerichten vgl. Schwinge, Erich, Der Kampf um die Schwurgerichte bis zur Frankfurter Nationalversammlung, Breslau 1926, Nachdruck Aalen 1970; Cramer, Doris, Das französische Schwurgericht. Geschichte und Problematik, Marburg 1968; Böttges, Walter, Die Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege. Ihre Geschichte und heutige Bedeutung, Diss. iur. Bonn 1979; zum Strafprozess im Vormärz: Haber, Günter, Probleme der Strafprozessgeschichte im Vormärz, in: Zeit-

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 des rechtlichen Gehörs30,  der freien Verteidigung vor Gericht, (wer wegen einer Missetat angeklagt war, erhielt einen Pflichtverteidiger, wenn er sich nicht selbst einen Verteidiger wählte31).

c) Die Reform der Gerichtsorganisation im Rheinland Das Ergebnis des Kampfes um das Fortbestehen des Rheinischen Rechts ist bekannt: Die königliche Kabinettsordre vom 19. November 1818 mit der beigefügten Instruktion32 führte nicht die altpreußische Gerichtsverfassung ein, sondern ordnete das Gerichtswesen im Rheinland auf der Grundlage der bestehenden französischen Gerichtsverfassung neu: Die Revisions- und Kassationshöfe in Koblenz und Düsseldorf (1814 an Stelle des Kassationshofes in Paris errichtet33) wurden aufgehoben. Stattdessen bestimmte der König durch Kabinettsordre vom 5. April 181934 Köln zum Sitz des zukünftigen Appellationsgerichts. Die königliche Kabinettsordre vom 21. Juni 1819 errichtete den Rheinischen Appellationsgerichtshof in Köln. Seine Arbeit hat er am 1. September 1819 aufgenommen.

d) Die Einheitlichkeit der linksrheinischen Rechtsprechung Da es für das linksrheinische Geltungsgebiet des Code civil insgesamt keinen obersten Gerichtshof gab, beobachteten die Gerichte die französische Judika-

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schrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft [ZStW] Band 91, 1979, S. 590 – 636, hier: S. 592 ff; Hans-Jürgen Becker, Rheinisches Recht (wie Anm. 15), S. 341f. Vgl. Adolf Klein, Rheinische Justiz (wie Anm. 14), S. 118; heute in Art. 103, I GG grundgesetzlich garantiert. Vgl. Art. 294 des Code d’instruction criminelle. Druck bei Lottner (wie Anm. 22), Band I, Nr. 305, S. 523 – 531, verbessert bei Landsberg, Gutachten (wie Anm. 22), S. 367 – 373. Alexander Prinz zu Solms hatte mit Erlass für das Generalgouvernement Mittelrhein vom 7. Mai 1814 die Geschworenengerichte abgeschafft: Lottner (wie Anm. 22), Band I, Nr. 14, S. 18, § 2: „Das Institut der Geschwornen wird abgeschafft; die Aburtheilung der Criminal-Sachen geschieht von einem aus acht Mitglieder, mit Einschluß des Präsidenten bestehenden Criminal-Gerichtshofe, welcher die Function der Geschwornen und der Assisenhöfe, so wie auch der Special-Gerichtshöfe in sich vereinigt“. Am 11. Februar 1814 errichtete Prinz zu Solms den Düsseldorfer Kassationshof (Lottner Band I, Nr. 13, S. 16 f) und der Generalgouverneur und spätere Oberpräsident der Rheinprovinz Johann August Sack am 6. Mai 1814 „zur Ersetzung des Kassationshofes zu Paris“ einen Revisionshof für das Generalgouvernement Mittelrhein in Koblenz (Lottner (wie Anm. 22), Band I, Nr. 70, S. 100 f), vgl. Landsberg, Gutachten (wie Anm. 32), S. XII ff. Druck bei Lottner, Band I (wie Anm. 22) , Nr. 311, S. 554 ; vgl. Klein, Hardenberg (wie Anm. 21), S. 50f.

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tur, vor allem die Rechtsprechung der Cour de Cassation in Paris. Auch wenn sie ihr nicht immer folgten, hatte sie doch Vorbildfunktion, so dass die Urteile der linksrheinischen Appellationsgerichte kaum divergierten35. Besondere Beachtung fand daneben die Rechtsprechung des „Rheinischen Appellationsgerichtshofes zu Cöln“36, die auch in Rheinhessen, in der Rheinpfalz und in Baden beachtet wurde. Für Rheinpreußen war natürlich seit 1819 die Rechtsprechung des Rheinischen Revisions- und Kassationshofes in Berlin wichtig. Nachdem das Reichsgericht am 1. Oktober 1879 seine Arbeit aufgenommen hatte, sorgte dessen zweiter Zivilsenat (der sog. Rheinische Senat) für die Rechtseinheit auf dem Gebiet des Rheinischen Rechts37. An ihn gelangten fortan die Urteile des durch das Gerichtsverfassungsgesetz38 und das zugeordnete preußische Organisationsgesetz am 1. Oktober 1879 errichtete Oberlandesgericht zu Köln39. Im Zivilrecht blieb das Rheinisch-französische Recht das ganze 19. Jahrhundert hindurch in Kraft, wurde durch die Rechtsprechung und die Wissenschaft weiterentwickelt und ist erst durch das Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 im Wesentlichen40 erloschen.

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Vgl. Detlef Schumacher, Das rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Auslegung rezipierter Rechtsnormen, Stuttgart etc. 1969, S. 130 ff. Gegründet am 21. Juni 1819, vgl. Dieter Laum, Der hundertfünfundsiebzigjährige Gerichtshof, in: Rheinische Justiz (wie Anm. 21, S. 1 – 7; das neue Haus am Appellhofplatz wurde erst am 6. November 1826 eröffnet. In der amtlichen Sammlung sind die Urteile bis Band 60 der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ) unter „IV. Rheinisches Recht“ abgedruckt, vgl. Oskar Francken, Die grundlegenden Entscheidungen des deutschen Reichsgerichts auf dem Gebiete des rheinischen Zivilrechts, Berlin 1893; Martin Scherer, Die Entscheidungen des Reichsgerichts und des Obersten Bayerischen Landesgerichts zum Code civil, Leipzig 1892; Elmar Wadle, Das Reichsgericht im Widerschein denkwürdiger Tage, in: Juristische Schulung (JuS) 1979, S. 841 – 847, hier: S. 843; Becker (wie Anm. 15), S. 344, Anm. 44. Gerichtsverfassungsgesetz für das Deutsche Reich vom 7. Februar 1877, RGBl S. 41 – 76, in Kraft seit dem 1. Oktober 1879. Vgl. Gesetz betreffend die Errichtung der Oberlandesgerichte und der Landgerichte vom 4. März 1878, G S (wie Anm. 18), 1878, S. 109 – 124, dort das Oberlandesgericht Köln S. 123 f. Vgl. dazu Martin Scherer, Rheinisches Recht, 2. Auflage, Mannheim 1889 – 1890; Cornelius Cretschmar, Rheinisches Civilrecht 4. Auflage, Düsseldorf 1896; Carl Wilhelm Kockerols, Rheinisches Recht, Hannover 1902, Nachdruck Frankfurt/M 1968; Kurt Dronke, Rheinisches Privatrecht, Leipzig 1900 – 1901.

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3. Die rheinischen Institutionen nach 1818 Aus der weiteren Entwicklung der rheinischen Institutionen will ich drei herausgreifen: das Schwurgericht, die Öffentlichkeit des Strafverfahrens und die Staatsanwaltschaft. a) Die Schwurgerichte Da die Kabinettsordre vom 19. November 1818 die französische Gerichtsverfassung im Rheinland aufrechterhielt, war seit Oktober 181941 auch das Geschworenengericht (die Assisen) wiederhergestellt: Für jeden Landgerichtsbezirk sah § 31 der Instruktion von 1818 ein Assisengericht (Schwurgericht) vor, dessen Vorsitz ein Appellationsrichter führen sollte. Die Beisitzer wurden aus den Mitgliedern der Landgerichtskammern (damals: Senate) genommen: Da sie gewöhnlich mit vier Richtern besetzt waren, blieben die Senate auch dann arbeitsfähig, wenn die Assisen tagten (§ 22). Die Führung der Geschworenenlisten vertraute die Instruktion den Regierungspräsidenten als Nachfolger der französischen Präfekten an (§ 33). Da der bergische Generalgouverneur durch Verordnung vom 28. Febr. 1814 die Geschworenengerichte aufgehoben hatte42, bestimmte § 32 der Instruktion43, dass diese Verordnung aufzuheben sei. Der Schwurgerichtsprozess war der Kern des liberalen französischen Strafprozessrechts: Es wurde nicht nur öffentlich und mündlich verhandelt, wichtig war vor allem die Beteiligung von Laien an den Strafurteilen, die Paul Johann Anselm Feuerbach als „Palladium der bürgerlichen Freiheit“ und Karl Theodor Welcker als Garantie „für eine Beurtheilung vom Standpunkte des freien Bürgerthums aus“ sah44. In den vielen politischen Prozessen der Restaurationszeit sollte das Geschworenengericht den Bürger vor dem Zugriff „einer mächtigen Parthei“ (des Staates) schützen und „der durch Criminalklagen leicht bedrohten bürgerlichen Freiheit als eine Schutzwehr“ dienen45. Schon der Code d’instruction criminelle von 1808 hatte in seinen Artt. 382 ff die Auswahl der Geschworenen in Frankreich im Wesent41 42 43 44

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Vgl. Bär, Rheinprovinz (wie Anm. 14), S. 408. Verordnung des Generalgouverneurs des Generalgouvernements Berg, Alexander Prinz zu Solms vom 28. Februar 1814, § 2 bei Lottner(wie Anm. 22), I, Nr. 14, S. 17f. § 32 der Instruktion vom 19. Nov. 1818 (Lottner (wie Anm. 22), I, Nr. 305 a, S. 528). Welcker, Art. Jury, Schwur- oder Geschwornengericht als Rechtsanstalt und als politisches Institut, in: Rotteck, Karl Rodecker v./Welcker, Karl Theodor (Hg.), Das Staatslexikon. Encyclopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, Leipzig2. 1846 ff. S. 687 – 793, hier: S. 748, vgl. Blasius, Dirk, Bürgerliche Gesellschaft und Kriminalität. Zur Sozialgeschichte Preußens im Vormärz, Göttingen, 1976; S. 117f. Mittermaier, Carl Joseph Anton, Das deutsche Strafverfahren in seiner Fortbildung durch Gerichtsgebrauch und Partikulargesetzbücher und in genauer Vergleichung mit dem englischen und französischem Strafverfahren, Heidelberg 1827, 2. Auflage 1833 [Strafverfahren], S. 219; vgl. Blasius, Gesellschaft (wie Anm. 44), S.117.

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lichen auf die Vermögenden und Gebildeten beschränkt46. Diese Maßnahme fand auch im Rheinland weitgehende Billigung und nur vereinzelte liberale Stimmen wandten sich dagegen47. Da die Geschworenen aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum genommen wurden, verhalf ihre Teilnahme an den Sitzungen diesem gleichsam zur Selbstfindung und stellte einen wichtigen Schritt zur Emanzipation dar48. Deshalb lehnten die rheinischen Juristen Änderungsvorschläge des Justizministers v. Kamptz für die Auswahl der Geschworenen ab49. Der Streit um die Schwurgerichte im Rheinland verschärfte sich 1843, als König Friedrich Wilhelm IV. (1840 – 1861) dem 7. Rheinischen Provinziallandtag ein neues Strafgesetzbuch ankündigte, das den Code pénal ersetzen sollte50 und praktisch die Errungenschaften des französischen Straf- und Strafprozessrechts beseitigte. Eine Fülle von Petitionen rheinischer Städte an den rheinischen Provinziallandtag und das Votum von dessen Strafrechtsausschuss lehnten den königlichen Entwurf ab. Der Landtag präsentierte am 1. Juli 1843 dem König einen Gegenentwurf51, der an den freiheitlichen französischen Institutionen festhielt. Und die Zeit arbeitete für sie, denn das Jahr 1848 führte auch in der preußischen Regierung zu einem Umschwung: Die oktroyierte Verfassung von 1848 und die Verfassung von 1850 erkannten sie in ihren Abschnitten über die Gerichtsbarkeit an52. In Ausführung der dortigen Versprechen einer Libera46

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Zur Wahl als Geschworene zugelassen waren nach Art. 382 CIC in Ziff. 1 die Mitglieder der Wahlkollegien, nach Ziff. 2 die 300 Höchstbesteuerten, nach Ziff. 6 die Bankiers und Kaufleute in den höchsten Klassen der Gewerbesteuer und nach Ziff. 4 die Gelehrten und die Verwaltungsangestellten und nach Ziff. 5 die Notare. Für die Zulassung jedes Bürgers zum Amt des Geschworenen: Ruppenthal, Karl Ferdinand Friedrich Julius, Rechtfertigung des öffentlichen mündlichen Verfahrens im Civilprozeße und in peinlichen Sachen gegen seine Verfolger, (anonym), Düsseldorf 1817, 2. Auflage ebenda 1817, S. 131 (vgl. über ihn Faber, Rheinlande (wie Anm. 22 S. 147f; Landsberg, Ernst, Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: Joseph Hansen (Hg.), Die Rheinprovinz 1815 – 1915. Hundert Jahre preußischer Herrschaft am Rhein, Band I, Bonn 1917, S. 149 – 195 [Rheinisches Recht], S. 162f); vgl. Schwinge, Schwurgerichte (wie Anm. 29), S. 123 ff; Haber, ZStW 91 (wie Anm. 29), 1979, S. 612f. Vgl. Blasius, Gesellschaft (wie Anm. 44), S. 117 ff. Vgl. Blasius, Gesellschaft (wie Anm. 44), S. 118. Vgl. die bei Blasius, Gesellschaft (wie Anm. 44), S. 118, Anm. 131 nachgewiesenen Archivalien. Verhandlungen des 7. Rheinischen Provinzial-Landtags 1843, S. 31 ff, vgl. Blasius, Gesellschaft (wie Anm. 44) S. 122 ff. Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 5. Dezember 1848, Artt. 85 – 95, Schwurgericht: Art. 93, in: G S (wie Anm. 18), 1848, S. 375 ff, Druck in: Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band I: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 – 1850, 3. Auflage, Stuttgart etc. 1978, Nr. 188, S. 483 – 493; Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850, Artt. 86 – 97,

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lisierung des Strafverfahrens führte dann das Preußische Strafgesetzbuch von 185153 in ganz Preußen das Schwurgericht ein.

b) Die Öffentlichkeit des Strafverfahrens Im Strafprozessrecht prallten die Meinungen für und wider die französischen Institutionen auch bei der uns heute so geläufigen Öffentlichkeit der Verfahren hart aufeinander: So fürchtete der österreichische Staatskanzler Clemens Fürst von Metternich 1819, im Jahr der Karlsbader Beschlüsse54 und auf dem Höhepunkt der Restauration, „eine Neuerung wie diese ... zöge eine gänzliche Umwälzung des durch Jahrhunderte befestigten Regierungs-Systems nach sich und könne nicht in der Absicht eines Monarchen liegen, dessen ganzes Wirken Erhaltung des Bestehenden zum Zwecke hat“.55 Zu den Befürwortern der Öffentlichkeit von Gerichtssitzungen gehörte Paul Johann Anselm Feuerbach, der berühmte bayerische Strafrechtler. Aber auch er wollte nur durch „Eigentum, Amt oder Gewerb angesessene Bürger“ zulassen, um „Strassen-Justiz“56 zu vermeiden und die „Gerechtigkeitspflege“ nicht mit „gemeinen Volks- und Pöbelbelustigungen“57 gleichzusetzen. Andere wollten Öffentlichkeit nur den Schwurgerichtsverhandlungen zubilligen, ohne zu bemerken, dass etwa im Jahre 1840 in der ganzen preußischen Rheinprovinz nur 373 Schwurgerichtsurteile gefällt wurden gegenüber 120.000 Urteilen der nur mit Berufsrichtern be-

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Schwurgericht: Art. 94, in G S (wie Anm. 18), 1850, S. 17 ff, Druck bei Huber, Dokumente, Band I, S. 501 –514; Art. 94 aufgehoben und ersetzt durch Gesetz vom 21. Mai 1852 (G S (wie Anm. 18), 1852, S. 249), Art. 2. Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten vom 14. April 1851 in G S (wie Anm. 18), 1851, S. 101 – 179. Vorausgegangen war die „Verordnung über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen“ vom 3. Januar 1849 (G S (wie Anm. 18), 1849, S. 14). Bundes-Universitätsgesetz; Bundes-Preßgesetz u. Bundes-Untersuchungsgesetz v. 20. Sept. 1819, Druck bei Huber, Dokumente I (wie Anm. 52), Nr. 32 – 34, S. 100 – 105. Instruktion vom 28. 6. 1819 an den österreichischen Geschäftsträger in München, K. Frh. v. Hruby, Druck in: A. Chroust (Hg.), Gesandtschaftsberichte aus München, 1814 – 1848, Abt. II, Band I, 1939, S. 240, N. 2. Metternich wandte sich aber nicht nur gegen das Öffentlichkeitsprinzip, sondern hat auch die Staatsanwaltschaft bekämpft, vgl. Haber, ZStW 91 (wie Anm. 29), 1979, S. 592f. Feuerbach, Paul Johann Anselm von, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, 2 Bände, Gießen, 1821 und 1825, Neudruck 1969, hier: Band I, S. 158. Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit, Band I (wie Anm. 56), S. 179; vgl. Haber, ZStW 91 (wie Anm. 29), 1979, S. 618.

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setzten Gerichte (einschließlich der Friedens- und Polizeigerichte)58. Allerdings wuchs jene Gruppe langsam an, die allen Bürgern uneingeschränkten Zutritt zum Gerichtssaal zubilligen wollte59, um das Vertrauen des Volkes in die Rechtspflege zu stärken.

c) Die preußischen Friedensgerichte Nach dem Ende der Kommissionsarbeit folgte der König dem Kommissionsvorschlag vom 28. April 181760. Danach sollten in der Rheinprovinz Oberlandesgerichte, Landgerichte und Friedensgerichte tätig werden. Die Friedensgerichte sollten als „Einzelgerichte für minder wichtige Sachen“61 weiterarbeiten. Hier galten also die bisherigen innerfranzösischen Gesetze über die Friedensgerichtsbarkeit weiter. Zwar keine sachliche, aber eine räumliche Neugestaltung erfuhren die Bezirke der Friedensgerichte im Jahre 1821: Die inzwischen in Berlin eingerichtete Immediat-Justiz-Organisationskommission arbeitete einen Plan aus, der 121 Friedensgerichte vorsah. Auf der Grundlage dieses Planes wurden schließlich die bisherigen Friedensgerichte aufgehoben und durch neue ersetzt, die ihre Arbeit am 1. September 1821 aufnahmen62. Die neuen Amtsbezirke der Friedensgerichte waren allerdings ungleichmäßig geschnitten; insbesondere schwankte die Zahl der Gerichtseingesessenen sehr stark, nämlich zwischen 7.344 beim Friedensge-

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Generalbericht des Justizministers Mühler Über die Justiz-Verwaltung in den sämtlichen Provinzen der Monarchie ... für die Jahre 1840 und 1841, Berlin 1843, zitiert nach Haber, ZStW 91 (wie Anm. 29), 1979, S. 620. Vgl. Ruppenthal, öffentliches Verfahren (wie Anm. 47), 2. Aufl. 1817, S. 83; Mittermaier, Carl Joseph Anton, Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Oeffentlichkeit und das Geschwornengericht in ihrer Durchführung in den verschiedenen Gesetzgebungen dargestellt und nach den Forderungen des Rechts und der Zweckmäßigkeit mit Rücksicht auf die Erfahrungen der verschiedenen Länder geprüft, Stuttgart u. Tübingen 1845, Neudruck Leipzig 1970 [Mündlichkeit], S. 336; vgl. auch Haber, ZStW 91 (wie Anm. 29), 1979, S. 621 ff. Vgl. Landsberg, Gutachten (wie Anm. 22), S. LXXIII f. Vgl. Landsberg, Gutachten, S. LXXIV (wie Anm. 22), Nr. 7; Perrot, F. J., Verfassung, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte der preuß. Rheinprovinzen in bürgerlichen Rechtssachen. 1. Teil (Verfassung und Zuständigkeit). Trier 1842, S. 34. Verfügung vom 25. Juli 1821, §§ 1 f., Anhang I, bei Lottner II (wie Anm. 22), 136 ff., 140 – 151. Im Anhang I dort (S. 140 – 152) sind die einzelnen Friedensgerichte mit ihren Gerichtsbezirken aufgeführt. Im HStAD finden sich unter den Akten des OLG Köln 11/913 Unterlagen über die Organisation und unter 11/1290 des Jurisdiktionsumfangs der Friedensgerichte in der Rheinprovinz.

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richt Dudweiler und 32.245 beim Friedensgericht Aachen-Stadt63. (Daneben gab es noch das Friedensgericht Aachen II für die elf Bürgermeistereien des Kreises Aachen.) Die rheinpreußische Friedensgerichtsbarkeit glich also auch nach dem Jahre 1818 der bisherigen französischen, sofern nicht im Einzelfall neue Regelungen erlassen wurden64. d) Polizeistaatliche Maßnahmen Trotz Beibehaltung des freiheitlichen französischen Strafprozessrechtes im Rheinland fand der Staat Mittel und Wege, es zu umgehen, wo er glaubte, gegen „Demagogen“ durchgreifen zu müssen. Nach dem Wartburgfest von 1817 und nachdem der Burschenschafter Karl Ludwig Sand am 23. März 1819 in Mannheim den Schriftsteller August v. Kotzebue ermordet hatte, reagierten die deutschen Regierungen mit den Karlsbader Beschlüssen, die kurz darauf zu Bundesgesetzen wurden65. Preußen erließ dazu Ausführungsverordnungen66. Flankierend setzten zwei Kabinettsordres von 1819 und 182167 als „Ausflüsse der StaatsPolizei“ (also aus politischen Gründen) die französischen Grundsätze im Rheinland außer Kraft. Diese Verordnungen sind in der preußischen Gesetzsammlung nicht veröffentlicht, wurden aber von den Behörden fleißig gehandhabt. Sie ersetzten die gerichtliche Strafverfolgung durch polizeiliche Untersuchung (Verhaftung und Beschlagnahme). Die Gerichtsverfahren verlegte man aus dem 63

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Vgl. Archiv für das Civil- und Criminalrecht der Königlich Preußischen Rheinprovinzen. Band 3, Köln 1822, Bd. 3, Abt. 2, S. 90, 101. Dort ist für jedes der rheinpreußischen Friedensgerichte die Zahl der Gerichtseingesessenen genannt. Der von 1830 bis 1838 amtierende rheinpreußische Justizminister v. Kamptz, der als Demagogenverfolger im Rheinland ziemlich unbeliebt war (vgl. Klein, Rheinische Justiz (wie Anm. 14), S. 148), hat immerhin während seiner Amtszeit 1834 die Landgerichte in Elberfeld und 1835 in Saarbrücken gegründet, vgl. Landsberg, Rheinisches Recht (wie Anm. 47) S. 167; Erkens, Marcel, 200 Jahre Landgericht Köln, in: Der Richter Alarich..., Köln 2002, (Privatdruck), S. 63 – 111 [LG], S. 70 ff. Die Einzelheiten der rheinpreußischen Friedensgerichtsbarkeit behandelt Erkens, Marcel, Die Rheinpreußische Friedensgerichtsbarkeit, in: Lünterbusch, Armin/Strauch, Dieter (Hg.), 125 Jahre Rheinische Amtsgerichte. Eine Darstellung der Gerichte im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln mit Fotografien von Ibo Minssen, Weilerswist 2003, S. 29 – 36 [RhFrG]. Vgl. den Text dieser Bundesgesetze (Universitätsgesetz, Preßgesetz und Untersuchungsgesetz) vom 20. September 1819 bei Huber, Dokumente, Band I(wie Anm. 52), Nr. 32 – 34, S. 101 – 105. Preußische Zensurverordnung vom 18. Oktober 1819, G S (wie Anm. 18), 1819, S. 227, auch bei Huber, Dokumente, Band I (wie Anm. 52), Nr. 35, S. 106 – 109 und Preußische Universitätsverordnung vom 18. November 1819, G S (wie Anm. 18), 1819, S. 233, auch bei Huber, Dokumente, Band I (wie Anm. 52), Nr. 36, S. 109 – 113. Vgl. Kabinettsordre vom 21. August 1819, bei Lottner, Band I (wie Anm. 22), Nr. 333 und 333a, S. 591f und Kabinettsordre vom 6. März 1821 bei Lottner, Band II, Nr. 404, S. 95f

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Rheinland nach Altpreußen und führte sie heimlich und schriftlich durch, nämlich nach den Vorschriften der Allgemeinen Criminal-Ordnung vom 11. Dezember 1805 und den Normen des preußischen Allgemeinen Landrechts68. Beispiele sind die Verfolgung Ernst Moritz Arndts und die Beschlagnahme seiner Papiere sowie die Verfolgung der Brüder Friedrich Gottlieb und Karl Theodor Welcker in Bonn69, die man – da nach rheinischem Strafprozessrecht unzulässig – zur staatspolizeilichen Maßnahme erklärte. Die Rheinischen Gerichte schlossen sich allerdings diesen staatspolitischen Maßnahmen nicht an. Sie waren bestrebt, die beiden Verordnungen von 1819 und 182170 möglichst eng auszulegen, und stützten sich dabei auf eine Entscheidung des Rheinischen Revisions- und Kassationshofes in Berlin71.

e) Das öffentliche Ministerium Hinsichtlich des „ministère public“ (Öffentlichen Ministeriums, später: Staatsanwaltschaft) waren die Meinungsträger – vor allem im liberalen Bürgertum – uneins: Während die einen darin einen Ausdruck der Gewaltenteilung und damit eine Sicherung der persönlichen Freiheit sahen72, argwöhnten andere73, sie könne dazu dienen, als Werkzeug der Politik vor allem Pressevergehen zu verfolgen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Staatsanwaltschaft keine reine Anklagebehörde, sondern ein „Organ des Gesetzes“ war. Das kam im Rheinland z. B. in einem Reskript des Justizministers v. Kamptz vom 27. Juni 183374 zum 68

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Die Kabinettsordre vom 6. März 1821 macht (S. 96) ausdrücklich ALR § 91 II, 20 und §§ 323 – 508 II, 20 anwendbar. Vgl. zu diesem Vorgang Landsberg, rheinisches Recht (wie Anm. 47), S. 156f; Klein, Rheinische Justiz (wie Anm. 14), S. 175 ff. Vgl. dazu Strauch, Dieter (Bearb.), Deutsche Juristen im Vormärz. Briefe von Savigny, Hugo, Thibaut und anderen an Egid von Löhr, Köln 1999 [Vormärz], S. XLVIII ff. Vgl. oben Anm. 68. Entscheidung des Rheinischen Revisions- und Kassationshofes zu Berlin vom 13. Juli 1821, vgl. Landsberg, Rheinisches Recht (wie Anm. 47), S. 156f; Klein, Rheinische Justiz (wie Anm. 14), S. 175. Vgl. Müller, Alexander, Das Institut der Staatsanwaltschaft nach seinen Hauptmomenten, Leipzig 1825, S. 145 ff. So der Abgeordnete Joseph Merk 1831 in: Verhandlungen der badischen zweiten Kammer 1831, Protokolle Heft 36, S. 184; vgl. Haber, ZStW 91 (wie Anm. 29), 1979, S. 606. Rescript des preußischen Justizministers v. Kamptz an den rheinischen Generalprokurator Ruppenthal, von diesem allen Oberprokuratoren bekannt gemacht am 27. Juni 1833 bei Lottner (wie Anm. 22), Band III, 1834 Nr. 1110, S 654f, in dem es S. 655 heißt, „...dass die Ermittelung und der Schutz der Unschuld für die Regierung eben so sehr Pflicht und eben so wichtig sei, als die Ermittelung und Bestrafung des Verbrechers, dass das erstere in völlig gleichem selbst in noch höherem Grade zu den Bestimmungen des öffentlichen Ministeriums gehöre, als die letztere, indem sonst das öffentliche Mi-

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Ausdruck, wonach sie auch die zu Gunsten des Beschuldigten sprechenden Tatsachen zu ermitteln hatte. Dass dieses Rescript nicht bloß Papier geblieben, sondern in den Gerichtsverfahren praktiziert worden ist, lässt sich an vielen Rechtsfällen nachweisen75. 1848 reformierten zwei königliche Verordnungen den Strafprozess auch in Altpreußen: Die „Verordnung über die Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit und des eximirten Gerichtsstandes, sowie über die anderweitige Organisation der Gerichte“ vom 2. Januar 184976 hob die Patrimonialgerichtsbarkeit und den eximierten Gerichtsstand auf, und die „Verordnung über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen“ vom 3. Januar 184977 führte auch in Altpreußen das Schwurgericht und die Staatsanwaltschaft ein. Im Appellationsgerichtsbezirk Köln blieb das bereits bewährte französische Verfahren bestehen. Die Staatsanwaltschaft erhielt das Anklagemonopol, war gegenüber der Polizei weisungsbefugt und von den Gerichten unabhängig, aber weisungsabhängig vom Justizminister. Das entsprach weitgehend dem französischen Vorbild.

III. D ER WEITERE E INFLUSS DES R HEIN ISCHEN R ECHTS AUF DIE R ECHTSENTWICKLUNG 1. Die wissenschaftliche Bearbeitung des Rheinischen Rechts Wissenschaftlich ist das Rheinische Recht in Deutschland nur zögernd bearbeitet worden, weil es zunächst keine Lehrstühle dafür gab. Nach Auflösung der Universitäten Köln, Bonn, Mainz und Trier durch den Regierungskommissar Rudler im Jahre 179878 gab es zunächst nur an der Rechtsschule in Koblenz Lehrstühle für französisches Recht79. Die Lage besserte sich erst nach der

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nisterium von seiner hohen Bestimmung zu einem bloßen öffentlichen Ankläger herabgewürdigt werde“. Vgl. die von Schletter, Hermann Theodor, Die rheinische Gerichtsverfassung und das rheinische Strafverfahren. Studien und Reisebeobachtungen, mit besonderer Berücksichtigung der Criminalstatistik und der Jurisprudence, Altenburg 1847, S. 30 – 34 berichteten Rechtsfälle. Druck: G S (wie Anm. 18), 1849, S. 1 – 13. Druck: G S (wie Anm. 18), 1849, S. 14 – 47. Vgl. zu den Umständen der Schließung an den verschiedenen Standorten: Luitwin Mallmann, Französische Juristenausbildung im Rheinland 1794 – 1814. Die Rechtsschule von Koblenz, Köln 1987, S. 8 – 20; der Beschluß Rudlers vom 18. April 1798, der das Unterrichtswesen im Rheinland nach französischem Vorbild neu regelte, hob dann die alten Universitäten endgültig auf, vgl. Mallmann S. 21 ff. Vgl. dazu Mallmann (wie Anm. 78), S. 69 ff.

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Gründung des Rheinbundes im Jahre 180680. Nunmehr drängte Napoleon die Rheinbundstaaten, die politisch nur seine Satelliten waren, den Code civil zu übernehmen. Die Folge war, dass an fast allen ihren Universitäten Vorlesungen über französisches Recht gehalten81 und Bücher über den Code civil geschrieben wurden82, den sie allerdings vornehmlich mit Hilfe des gemeinen Rechts auslegten. Eine Ausnahme machte nur Karl Ludwig Wilhelm v. Grolmans Handbuch über den Code Napoleon, das Systematik und Kommentar vereinte. Von diesem Werk sind jedoch nur drei Bände erschienen83. Erst nach dem Ende der Franzosenzeit wurden an den Universitäten Bonn84, Freiburg/Br.85, Heidel80

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Vgl. den Text der Rheinbunds-Akte vom 12. Juli 1806 bei Zeumer, Karl, Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl. Tübingen 1913, Nr. 214, S. 532 – 536. Vgl. Werner Schubert, Deutschland (wie Anm. 1), S. 68f; Gerhard Lingelbach, Der Code civil und seine Wirkungen auf Rechtsgelehrte an der Jenaer Juristenfakultät, in: Reiner Schulze (Hg.), Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 107 – 122; Hans Schulte-Nölke/Birgit Strack, Rheinisches Recht – Forschungsgegenstand und Forschungsstand, in: Schulze, Reiner (Hg.), Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte, Berlin 1998, S. 33f. Vgl. B. W. Pfeiffer/Fr. Grg. Pfeiffer, Napoleons Gesetzbuch nach seinen Abweichungen von Teutschlands gemeinem Rechte, 2 Bände, Göttingen 1809 – 1810; Anton Bauer, Lehrbuch des Napoleonischen Civilrechts, 1. Auflage 1809, 2. Auflage, Marburg 1812; derselbe, Abriß der Gerichtsverfassung des Königreichs Westphalen, Marburg 1811; Karl Friedrich Ferdinand Bucher, Systematische Darstellung des im Königreich Westphalen geltenden Napoleonischen Privatrechts, 2 Bände, Halle 1809; Friedrich Chr. Bergmann, Lehrbuch des Privatrechts des Code Napoleon, Göttingen 1810; Christoph Christian Dabelow, Ausführlicher theoretisch-practischer Commentar über den Code Napoleon, 2 Theile, Leipzig 1810; Ernst Peter Johann Spangenberg, Institutiones juris civilis Napoleonei, Göttingen 1808; derselbe, Commentar über den Code Napoleon, mit besonderer Rücksicht auf das Königreich Westfalen, 3 Bände, Göttingen 1810; der Präsident der badischen Gesetzgebungskommission, J. N. Fr. Brauer, legte gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des badischen Landrechts vor: Erläuterungen über den Code Napoléon und die großherzoglich Badische Bürgerliche Gesetzgebung, 6 Bände, Karlsruhe 1809 – 1812, ein rein praktisches Werk, vgl. Schubert, Deutschland (wie Anm. 1), S. 61 – 69; vgl. Karl H. Neumayer, Die wissenschaftliche Behandlung des kodifizierten Privatrechtsstoffes im Großherzogtum Baden und auf dem linken Rheinufer bis zum Beginn der Vorarbeiten zu BGB (1874), in: Helmut Coing/Walter Wilhelm (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert I, Frankfurt/M 1974, S. 197 – 216, hier: S. 209. Karl Ludwig Wilhelm v. Grolman, Ausführliches Handbuch über den Code Napoleon, 3 Bände, Gießen/Darmstadt 1810 – 1812 (enthält nur das Personenrecht), vgl. dazu Neumayer (wie Anm. 82), S. 208, 210. Vgl. dazu ausführlich: Cordula Müller-Hogrebe, Die Errichtung des Lehrstuhls für rheinisches Recht an der Universität Bonn – 1844, in: Reiner Schulze (wie Anm. 81), S. 61 – 78. Der Lehrstuhl wurde durch Kabinettsordre v. 3. April 1844 errichtet und mit dem Kölner Advokatanwalt Johann Joseph Bauerband besetzt, vgl. Müller-Hogrebe S. 77, Anm. 77. Neumayer (wie Anm. 82) nennt S. 205 für Freiburg: außer Mertens und Franz Ignaz Mußler

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berg86 und Würzburg87 Lehrstühle errichtet, deren Inhaber sich literarisch zum französischen Recht äußerten88. Besonders erfolgreich war das Werk Karl Salomo Zachariaes in Heidelberg89, der auf der Grundlage des gemeinen Rechts eine neue Systematik des französischen Zivilrechts entwickelte. Es wurde auch in Frankreich sehr beachtet. Sein Buch übersetzten die Straßburger Professoren Aubry und Rau ins Französische90 und stießen damit in Frankreich die systematisch-dogmatische Bearbeitung des Code civil an91.

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(über ihn vgl. Dieter Strauch, Deutsche Juristen im Vormärz. Briefe von Savigny, Hugo, Thibaut und anderen an Egid von Löhr, Köln etc. 1999, S. 199f), vor allem K. F. Baurittl, Commentar zum Code Napoleon, zugleich als Landrecht für das Großherzogtum Baden nebst den einschlägigen Gesetzen und Verordnungen, 2 Bände, Karlsruhe 1839 ff; Wilhelm Jacob Behaghel, Das badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon dargestellt mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Praxis, 3. Aufl. Tauberbischofsheim 1891 – 92; und Anton v. Stabel, Institutionen des französischen Civilrechts (Code Napoléon), 3. Auflage, Mannheim 1893. Vgl. Neumayer (wie Anm. 82), der S. 205 neben Hermann Fitting, Franz Wilhelm Anton Gambsjäger, Karl Julius Guyet, Achilles Renaud, Konrad Eugen Franz Roßhirt, Anton Friedrich Justus Thibaut und Karl Salomo Zachariä, auch Ludwig Frey, Lehrbuch des französischen Civilrechts, 3 Bände, Mannheim 1840; nennt. Für die Studenten aus Rheinbayern und das benachbarte Baden. Für Würzburg nennt Neumayer (wie Anm. 82), S. 205, Anm. 30: als Inhaber von Lehrstühlen für französisches Recht für die 1820er Jahre: Lauk und Ringelmann, für 1840er Jahre Müller und Pökl, für 1850er Jahre Weiss und für die 1860er Jahre Karl Risch. Johann Joseph Bauerband in Bonn schrieb „Institutionen des französischen, in den deutschen Landen des linken Rheinufers, insbesondere des im Bezirk des königl. rheinischen Appellations-Gerichtshofes zu Cöln geltenden Civilrechtes“, Bonn: Adolph Marcus, 1873 und Anton Friedrich Thibaut, der bereits auf Grund seiner Aufsätze als gründlicher Kenner des französischen Zivilrechts in der Rheinbundszeit galt (so: Schubert, Deutschland (wie Anm. 1), S. 62. Aus seinem juristischen Nachlass wurde veröffentlicht: Lehrbuch des französischen Zivilrechts, Berlin 1841 in Heidelberg; Konrad Eugen Franz Roßhirt veröffentlichte Das französische und badische Zivilrecht, Heidelberg 1842 und Grundriß zum französischen und badischen Civilrechte mit einzelnen Exkursen, Heidelberg 1850, vgl. Neumayer, (wie Anm. 82), S. 200; Becker (wie Anm. 15), S. 344, Anm. 46. Karl Salomo Zachariae, Handbuch des französischen Zivilrechts, 1. Auflage, 2 Bde, Heidelberg 1808; 2. Aufl. in 4 Bänden, Heidelberg 1811 – 1812; 8. Aufl. von Carl Crome, Freiburg i. Br. 1894 – 1895. Charles Aubry/Charles Rau, Cours de Droit Civil Français d’après la Méthode de Zachariae, 2 Bände, Straßburg 1838, zahlreiche weitere Auflagen, z. B. 4. Auflage, Paris 1869 – 1883. Vgl. Andreas Bertalan Schwarz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande, in: Symbolae Friburgenses in honorem Ottonis Lenel, Leipzig 1935, S. 425 ff, 442, wieder in: Rechtsgeschichte und Gegenwart. Gesammelte Schriften zur Neueren Privatrechtsgeschichte und Rechtsvergleichung, Hg. v. Hans Thieme und Franz Wieacker, Karlsruhe 1960, S.40; Schumacher (wie Anm. 35), S. 40 ff; Neumayer, (wie Anm. 82), S. 186 ff, 211 ff; vgl. dazu

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Schon hier zeigt sich: Der Einfluss benachbarter Rechtsordnungen aufeinander war keine Einbahnstraße in Richtung Deutschland, sondern eine Fahrbahn mit Gegenverkehr, ein gegenseitiges Geben und Nehmen, das sich bis in die Gegenwart fortsetzt92.

2. Der Einfluss des rheinischen Rechts auf die Gesetzgebung der Deutschen Bundesstaaten Für das seit den Freiheitskriegen aufgekommene Bestreben, ein einheitliches Bürgerliches Recht für ganz Deutschland zu schaffen, war das Rheinische Recht von besonderer Bedeutung: Es galt im ganzen Westen Deutschlands und damit nicht nur in einem großen Bereich für etwa 8,4 Millionen Einwohner93, sondern war vor allem von den Idealen des bürgerlichen Rechtsstaates geprägt, die seine Anhänger in die Auseinandersetzungen des Vormärz und in die Diskussionen der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 als für ganz Deutschland erstrebenswerte Ziele einbrachten. Sie konnten darauf verweisen, dass die Einwohner von Baden, der bayerischen Rheinpfalz, von Rheinhessen und Rheinpreußen bereits Freiheitsrechte genossen, welche die übrigen Deutschen erst allmählich erlangten, wenn ihre Bundesstaaten neue Verfassungen erließen94. Für die Rheinländer war deshalb „die französische Rechts- und Gerichtsordnung ein Verfassungsersatz“95. Da die „Rheinischen Institutionen“ als vorbildlich und rich-

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neuerdings: Jean-Louis Halpérin, Der Einfluß der deutschen Rechtsliteratur zum Code civil in Frankreich von Lassaulx bis Zachariä, in: Schulze, Rheinisches Recht (wie Anm. 81), S. 215 – 237. Birte Gast, Der Allgemeine Teil und das Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches im Urteil von Raymond Saleilles (1855 – 1912), Frankfurt/M etc. 2000, zugleich Diss. iur. Kiel 1999. Vgl. dazu den Bericht von Perglas v. 2. 7. 1874 über die Sitzung des Bundesrates vom selben Tage bei: Werner Schubert (Hg.), Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB – Einführung, Biographien, Materialien – (Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, hg. v. Horst Heinrich Jakobs und Werner Schubert), Berlin 1978 (zitiert: Schubert, Materialien), wo S. 204 von 7 Millionen die Rede ist; Neumayer (wie Anm. 82), S. 198 spricht von 8,4 Millionen oder 17 % der Bevölkerung Deutschlands und beruft sich auf Benno Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bände I – V, Berlin 1899, hier: Bd. I, S. 848; Schumacher (wie Anm. 35), S. 13 kommt auf 8,2 Millionen, der sich auf Caesar Barazetti, Einführung in das französische Zivilrecht (Code Napoléon) und das badische Landrecht (sowie das rheinische Recht überhaupt), 2. Aufl. Heidelberg 1894, S. 29 beruft. Vgl. Becker (wie Anm. 15), S. 344; vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, in: Juristische Schulung (JuS) 1971, S. 560 – 566. Vgl. Faber, Restauration (wie Anm. 22), S. 13.

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tungweisend galten, brachten die Vertreter des Rheinlands sie in die Gesetzgebungsarbeiten der Kammern von Hessen und Bayern und in den preußischen Provinziallandtag ein96. Zu den Institutionen zählten sie den Code civil mit seinen Grundsätzen der Gleichheit vor dem Gesetz, der bürgerlichen Freiheit, der Zivilehe, der Zivilstandsregister, der Freiheit des Eigentums und Vertragsfreiheit, im Gerichtsverfahren der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, der Geschworenengerichte und der Trennung der Justiz von der Verwaltung. Dabei unterschied man genau zwischen den Errungenschaften der Revolution und späteren Korrekturen Napoleons. Die rheinischen Juristen verteidigten Grundsätze, keine Gesetze97. Das kam vor allem in den Gesetzgebungsarbeiten in Hessen und Bayern zum Ausdruck98. Als man dann über ein nationales Gesetzbuch nachzusinnen begann, galt als Vorbild neben dem österreichischen ABGB immer wieder der Code civil99. Aber wie groß war nun der Einfluss des Code civil auf das BGB wirklich? IV. DER EINFLUSS DES CODE CIVIL AUF DAS BGB

1. Allgemeine Überlegungen Nach seiner Gründung 1871 fehlte dem Deutsche Reich zunächst100 die Gesetzgebungskompetenz für das Bürgerliche Recht. Es waren mehrere Anläufe nötig, bis 1873 die sog. Lex Miquel-Lasker diese Zuständigkeit schuf101. Die Mitglieder der ersten Kommission, welche zunächst die Hauptlast der Gesetzgebungsarbeiten trug, hat man nicht allein nach sachlichen Gesichts96

Vgl. Barbara Dölemeyer, Einflüsse von ALR, Code civil und ABGB auf Kodifikationsdiskussionen und –projekte in Deutschland, in: Ius Commune, Bd. VII, Frankfurt/M 1978, S. 187 – 225 (S. 192). 97 Dölemeyer (wie Anm. 96), S. 193f. 98 Dölemeyer (wie Anm. 96), S. 195 – 207. 99 Dölemeyer (wie Anm. 96), S. 205 ff. 100 Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871, Reichsgesetzblatt 1871, S. 63 ff, Druck in: Huber, Dokumente (wie Anm. 52), Band II:, Nr. 261, S. 384 – 402; auch in: Günter Dürig/Walter Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, 3. Auflage, München 1996, Nr. 8, S. 153 – 175. 101 Auf Veranlassung der nationalliberalen Abgeordneten Johannes Miquel und Eduard Lasker am 20. Dezember 1873 beschlossenes Gesetz (RGBl 1873, 379), das den Art. 4 Nr. 13 der Reichsverfassung änderte und das Reich für „die gemeinsame Gesetzgebung über das gesammte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren“ zuständig machte, vgl. Laufs, Adolf, Die Begründung der Reichskompetenz für das gesamte bürgerliche Recht. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Rechtseinheit, in: Juristische Schulung (JuS) 1973, S. 740 – 744.

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punkten ausgewählt, man musste auch politische Rücksichten nehmen. Aus dem Gebiet des Rheinischen Rechts gehörten ihr zwei Juristen an: Gustav Derscheid, Präsident des Landgerichts in Kolmar102, und Albert Gebhard, Ministerialrat im badischen Justizministerium in Karlsruhe103. Gebhard war vor allem romanistisch ausgebildet, und hatte sich auch vornehmlich auf diesem Rechtsgebiet betätigt104. Da in der Kommission außer Gebhard auch Planck und vor allem Bernhard Windscheid105 starke Romanisten waren, erhielt das gemeine Recht dort ein Übergewicht, das sich noch dadurch verstärkte, dass 1884 – nach dem Tode Franz v. Kübels106 – Gustav v. Mandry107 in die erste Kommission 102 Gustav Theodor Friedrich Derscheid (geb. 18. 8. 1827 in Trier, gest. nach 1890 war seit 1871 Rat am Appellationsgericht in Kolmar, seit dem 1. Nov. 1874 Präsident des Landgerichts Kolmar; am 1. Okt. 1897 wurde er zum Reichsgerichtsrat ernannt, vgl. über ihn Schubert, Materialien (wie Anm. 93), S. 72f, 200 ff. 103 Vgl. dazu den Bericht von Perglas v. 2. 7. 1874 über die Sitzung des Bundesrates vom selben Tage bei: Schubert, Materialien (wie Anm. 93), S. 204; Albert Gebhard wurde am 3. Jan. 1832 in Lahr/Schwarzwald geboren, er starb am 23. Okt. 1907 in Heidelberg. Seit dem 12. Dez. 1868 war er Ministerialrat im badischen Justizministerium in Karlsruhe, er wurde am 4. Juni 1890 o. Professor in Freiburg/Br., vgl. über ihn Gottlieb Planck, Geheimer Rat Prof. Dr. Albert Gebhard (Nachruf) in: Deutsche Juristen-Zeitung (DJZ) 14. Jg. 1908, S. 119f; Werner Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB, Berlin 1966, zugleich Diss. iur. Münster 1965, [zitiert: Schubert, Entstehung], S. 18f; und der Lebensabriß bei Schubert, Materialien (wie Anm. 93), S. 73f. 104 Vgl. zur Kritik an Gebhard auch die Äußerung des preußischen Justizministers Leonhardt bei Perglas (wie Anm. 103), S. 204. 105 Bernhard Windscheid wurde am 26. Juni 1817 in Düsseldorf geboren, er starb am 26. Oktober 1892 in Leipzig. Er wurde 1847 Professor in Bonn, ging noch im selben Jahre nach Basel, 1852 nach Greifswald, 1857 nach München und 1871 als Nachfolger Vangerows nach Heidelberg. 1874 wurde er nach Leipzig berufen und im selben Jahr Mitglied der ersten Kommission, der er bis zum 30. Sept. 1889 angehörte. Vgl. den Nachruf Plancks in der Deutschen Juristen-Zeitung (DJZ) 1909, Sp. 951 – 954; Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Auflage, Tübingen 1963, S. 591 – 621; Schubert, Materialien (wie Anm. 93), S. 86f. 106 Franz Philipp Friedrich von Kübel wurde am 19. Aug. 1819 in Tübingen geboren, er starb am 4. Jan. 1884 in Berlin. Er machte zunächst Karriere in der Justiz, war von 1862 – 1866 Mitglied der „Dresdener Kommission zur Ausarbeitung eines Obligationenrechts“, wurde 1871 Obertribunalsdirektor, 1877 Vizepräsident des Obertribunals und trat auf Vorschlag Württembergs 1874 in die erste Kommission ein; vgl. über ihn und seine zahlreichen juristischen Werke Schubert, Materialien (wie Anm. 93), S. 75f. 107 Johann Gustav Karl von Mandry wurde am 31. Jan. 1832 in Waldsee/Württ. geboren, er starb am 30. Mai 1902 in Tübingen. Am 20. Juli 1861 wurde er auf Grund seiner guten Examina (ohne promoviert zu haben) zum o. Professor in Tübingen ernannt. 1884 wurde er Nachfolger Kübels in der ersten Kommission; in der zweiten Kommission war er Referent des Familienrechts. Vgl. Gottlieb Planck, Gustav von Mandry (Nachruf) in: Deutsche Juristen-Zeitung (DJZ) 7. Jg. 1902, S. 287; Schubert, Materialien (wie Anm.

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eintrat, der ebenfalls Romanist war. Demgegenüber war Derscheid ein reiner Praktiker, der keinerlei Veröffentlichungen aufzuweisen hatte. Hinzu kam, dass Derscheid bereits 1879 (also vor Beginn der Beratungen über die Referentenentwürfe der ersten Kommission im Jahre 1881) die Kommission verließ und Reichsgerichtsrat wurde. Da der Kommissionsvorsitzende Heinrich Eduard Pape108 die Redaktion des Sachenrechts bereits dem preußischen Juristen Reinhold Johow109 anvertraut hatte und er keinen zweiten preußischen Juristen (also auch Derscheid nicht) zum Redaktor ernennen konnte, musste Gebhard als Vertreter des französischen Rechts den Allgemeinen Teil übernehmen, obwohl der Code civil keinen Allgemeinen Teil kennt.

2. Das Rheinische Recht und die Arbeit der ersten Kommission Den Beratungen über die Teilentwürfe des BGB, die im Jahre 1881 begannen, ging eine umfangreiche Stoffsammlung voraus110. Sie umfasste auch das französische Recht, wie es das Rheinland in zwanzig Jahren (1794 – 1814) kennen gelernt hatte. Den Kommissionsmitgliedern war zwar bewusst, dass es dem deutschen Recht Rechtsgedanken, Rechtseinrichtungen und Rechtsmethoden vermittelt hatte, die hierzulande sonst unbekannt waren und zu neuer Gestaltung des einheimischen Rechts anregten111. Gleichwohl hatte das französische 93), S. 78f. 108 Heinrich Eduard Pape wurde am 13. Sept. 1819 in Brilon/Westf. geboren, er starb am 11. Sept. 1888 in Berlin. Seit dem 20. Sept. 1856 war er Appellationsgerichtsrat in Königsberg, danach an der Ausarbeitung des ADHGB beteiligt, wurde er 1859 zum Geheimen Justizrat ernannt. Seit dem 2. Jan. 1870 war er Präsident des 1869 errichteten Bundesoberhandelsgerichts. Vgl. über ihn Wilhelm Konrad Neubauer in ADB Bd. 52, 1906 (Neudruck Berlin 1971) S. 750 – 754; Planck, Nachruf in Deutsche JuristenZeitung (DJZ) 1909, Sp. 954; Schubert, Materialien (wie Anm. 93), S. 79f. 109 Reinhold Heinrich Sigismund Johow wurde am 30. Mai 1823 in Berlin geboren, er starb am 12. Jan. 1904 in Berlin. Seit dem 9. Juli 1860 wirkte er als Appellationsgerichtsrat in Posen, seit 1868 am Kammergericht in Berlin, 1869 wurde er zum Obertribunalsrat ernannt. Nach dem Tode Papes im September 1888 führte er den Vorsitz der ersten Kommission. Vgl. über ihn Schubert, Materialien (wie Anm. 93), S. 74. 110 Dazu waren sie auf Grund der Instruktion der Gesamtkommission verpflichtet, vgl. Schubert, Materialien (wie Anm. 93), Teil D I, S. 206 ff. 111 Vgl. Josef Kohler, Einführung, in: Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht, Bd. I, 1908, S. 1 – 5 (3); ähnlich Carl Crome, Intensive und extensive Bedeutung des französischen Privatrechts, in: ebenda, S. 6 – 12 (6f); vgl. Elmar Wadle, Französisches Recht und deutsche Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, in: Reiner Schulze (Hg.), Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Ber-

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Recht – trotz seiner unbestreitbaren Fortschrittlichkeit – in der Kommission keine starke Stellung, weil es als ausländisch und wissenschaftlich wenig durchgearbeitet und deshalb als Grundlage für die neue Kodifikation als nicht geeignet galt112. So war die Ausgangslage schon zu Beginn der Kommissionsarbeiten der Übernahme von Instituten des Rheinischen Rechts wenig günstig.

3. Die Führung der Personenstandsbücher Die Säkularisierung im Gefolge der großen französischen Revolution hatte in Frankreich zur strikten Trennung von Kirche und Staat geführt. Der säkulare Staat übernahm deshalb die Führung der Personenstandsbücher selbst. Der Code civil regelt dieses Registerwesen in den Artt. 34 ff ausführlich113. Im Zuge des Kulturkampfes hat das Deutsche Reich dieses System durch das Personenstandsgesetz von 1875 übernommen114, das mit dem BGB eng zusammenhängt.

4. Übernahmen im Allgemeinen Teil a) Persönlichkeitsrechte und Namensrecht Während der Code civil das allgemeine Persönlichkeitsrecht anerkannte, indem er die deliktsrechtliche Generalklausel115 in Art. 1382 Code civil auch auf eine dommage moral anwandte116 und bei ihrer Verletzung Schadensersatz in Geld gewährte, ging das Reichsgericht den umgekehrten Weg: Es hat den Ersatz

lin 1991, S. 201 – 220 (S. 220). 112 So in den Grundsätzen für die Arbeit der 1. Kommission, Drucksache des Bundesrates 1874, Nr. 53 vom 9. Juni 1874, Druck bei Henning Rassow, Die Verhandlungen der Kommission zur Ausarbeitung eines bürgerlichen Gesetzbuchs für Deutschland, in: Gruchot 21. Jg., Berlin 1877, S. 167 – 245, hier: S. 177; Schubert, Entstehung (wie Anm. 103), S. 23. 113 Vgl. Aubry/Rau (wie Anm. 90), hier: Bd. I, §§ 55 – 65; Marcel Planiol/Georges Ripert, Traité élémentaire de droit civil, 11. Auflage, Bände I – III, Paris 1928, hier: Band I, Nr. 454 – 476; Helmut Coing, Europäisches Privatrecht 1800 bis 1914, Band II: 19. Jahrhundert, München 1989 [zitiert: Coing, Privatrecht], § 47, V, S. 292f. 114 Vgl. Werner Schubert, Zur Vorgeschichte und Entstehung der Personenstandsgesetze Preußens und des Deutschen Reichs (1869 – 1875), in: ZRG, GA Bd. 97, 1980, S. 43 – 93. 115 Art. 1382 Cc lautet: „Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer“ (Alle Schäden, die durch die Handlung eines Menschen herbeigeführt werden, muß derjenige, der den Schaden verursacht hat, ersetzen). 116 Cour de cassation, Urteil vom 15. Juni 1833, in: Sirey 1833.1. 468.

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einer dommage moral aus Art. 1382 verweigert117. Die gegenteilige Auffassung hat der BGH erst nach dem Zweiten Weltkrieg langsam erarbeitet118. Auch den Namensschutz hat die französische Rechtsprechung aus dem Art. 1382 Cc abgeleitet119. In Deutschland hat u. a. Joseph Kohler eine Theorie des Namensrechtes als Individualrecht (Persönlichkeitsrecht) entwickelt120. Seine Auffassung ist in den E II als § 22 eingefügt121 und als § 12 BGB Gesetz geworden. b) Vereinsbildung Bei der Vereinigungsfreiheit verlief die Entwicklung umgekehrt: Art. 537 Cc war so unbestimmt formuliert, dass die französische Theorie und Praxis daraus ein Konzessionssystem ableitete122. Die Diskussion über diese Freiheit war zu 117 RGZ 7, 295; diese Entscheidung hat Joseph Kohler, Das Individualrecht als Namensrecht, in: Archiv für bürgerliches Recht 5, 1891, S. 77 – 100 kritisiert; vgl. Diethelm Klippel, Der zivilrechtliche Schutz des Namens. Eine historische und dogmatische Untersuchung, Paderborn 1985, S. 85 ff, 145 ff, 268 ff; derselbe, Die Bedeutung des rheinischen Rechts für die Entwicklung des Namens- und Firmenschutzes in Deutschland, in: Heinz Mohnhaupt (Hg.), Revolution, Reform, Restauration. Formen der Veränderung von Recht und Gesellschaft, Frankfurt/M 1988, S. 123 – 156, hier: S. 139 ff, 148 ff. 118 Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zunächst auf eine Analogie zu § 847, später auf Art. 1 u. 2 GG und die „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ (Europäsche Menschenrechtskonvention, MRK) vom 4. Nov. 1950, BGBl II 1952, 686 gegründet; vgl. z. B.: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (BGHZ) 13, 334 (Leserbrief), 26, 349 (Herrenreiter), 35, 363 (Gingsengwurzel); vgl. Wolfgang Fikentscher, Schuldrecht, Aufl. Berlin 1997, Rn. 1225 ff; Dieter Medicus, Schuldrecht II, Besonderer Teil, 13. Aufl. München 2006, Rn. 815 ff; Hartwig Sprau, in: Otto Palandt , Bürgerliches Gesetzbuch [Beck’sche Kurz-Kommentare 7], 66. Auflage 2007, § 823, Rn. 83 – 125. 119 Art. 537 Cc, der nur über Güter von (unbenannten) juristischen Personen handelt, lautet: „Les particuliers ont la libre disposition des biens qui leur appartiennent, sous les modifications établies par les lois. Les biens, qui n’appartiennent pas à des particuliers, sont administré et ne peuvent être aliénés que dans les formes et suivant les règles qui leur sont particulières“ (Einzelpersonen haben die freie Verfügung über die ihnen gehörenden Güter nach den gesetzlich festgelegten Vorschriften. Güter, die keiner Einzelperson gehören, werden verwaltet und können nur in den Formen und nach den Regeln veräußert werden, die ihnen eigentümlich sind), vgl. Planiol/Ripert (wie Anm. 113), I, Nr. 397; Kohler (wie Anm. 117), stützt sich in seiner Argumentation auf die französische Rechtsprechung. 120 Joseph Kohler, Das Individualrecht als Namensrecht (wie Anm. 117); vgl. Coing, Privatrecht (wie Anm. 113), II, § 48, IV, S. 300 ff. 121 Entwurf für eine Bürgerliches Gesetzbuch I und II: E I, E II; vgl. über seine Anwendung in der Praxis: Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Band I, Leipzig etc. 1895, § 83, S. 721f. 122 Vgl. Justus Wilhelm Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX. Jahrhundert. Ein Überblick über die Entfaltung des Privatrechts in Deutschland, Österreich, Frankreich

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Zeiten der ersten Kommission in Deutschland noch in vollem Gange, so dass die Verfasser des E I „sich ängstlich an einer reichsrechtlichen Regelung vorbeigedrückt“ haben123. Während Gierke und Schulze-Delitzsch eine freie Körperschaftsbildung forderten, lief die parlamentarische Diskussion124 über die Regelung des BGB auf unser heutiges System der Normativbestimmungen hinaus. In den 1860er Jahren schwenkte die französische Rechtsprechung um und durch das „Loi relative au contrat d’association“125 wurde unser System dort praktisch übernommen.

5. Übernahmen im Schuldrecht a) Lebenslange Dienstverträge Als Ausfluss des revolutionären Freiheitsgrundsatzes126 findet sich bereits in der Erklärung der Menschenrechte von 1789 der Satz, dass sich niemand für seine gesamte Lebenszeit an ein Arbeitsverhältnis binden dürfe, weil das der menschlichen Freiheit zuwiderlaufe127. Die in Art. 1780 Code civil gefundene Formulie-

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und der Schweiz, 3 Teile, Berlin 1910 – 1935, Neudruck Frankfurt/M 1968, hier: Teil I: Die Neuordnung des Verkehrslebens, Berlin 1910, hier: S. 41 ff, mit weit. Nachweisen. Formulierung Hedemanns (wie Anm. 122), I, S. 44 mit Anm. 4; die Meinung der ersten Kommission findet sich in §§ 42 und 62 E I und in den „Motiven zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“, Band I: Allgemeiner Theil, (Amtliche Ausgabe), 2. unveränderte Auflage Berlin 1896, S. 89 ff. Nachweis über die verschiedenen Redner bei Hedemann (wie Anm. 122), I, S. 44f, mit Anm. 4. Loi relative au contrat d’association vom 1. Juli 1901, in: Lois Nouvelles, Année 1901, 3. partie, S. 155, vgl. Hedemann (wie Anm. 122) I, S. 42f mit Anm. 3, der die Entwicklung in Frankreich darstellt. Vgl. Déclaration des droits de l’homme et du citoyen von 1789 (Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789), Art. 14: Tous les citoyens ont le droit de constater, par eux-mêmes ou par leurs représentants, la nécessité de la contribution publique, de la consentir librement, d’en suivre l’emploi, et d’en déterminer la quotité, l’assiette, le recouvrement et la durée“ (Alle Bürger haben das Recht, entweder persönlich oder durch ihre Repräsentanten, die Notwendigkeit öffentlicher Abgaben festzustellen, sie frei zu billigen, ihre nachfolgende Verwendung, ihren Betrag, ihre Veranlagung, ihre Einziehung und ihre Dauer zu bestimmen); vgl. Jürgen Sandweg, Rationales Naturrecht als revolutionäre Praxis: Untersuchungen zur „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ v. 1789, Berlin 1972, S. 157 ff; Abdruck der Erklärung S. 302 ff [dort allerdings falsch auf 1798, (richtig: 1789!) datiert]. „Il serait étrange qu’un domestique, un ouvrier, pussent engager leurs services pour toute la vie. La condition d’homme libre abhorre toute espèce d’esclavage“ (Für einen Hausangestellten oder einen Arbeitnehmer wäre es befremdlich, sich zur Arbeit lebenslänglich zu verpflichten. Der Rang eines freien Menschen verabscheut jede Art von Sklaverei) sagen die Motive bei Jean Guillaume Locré, La législation civile, commerciale et criminelle de la France,

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rung ist deshalb als Ausschluss lebenslänglich geltender Dienstverträge interpretiert worden. Aus diesem Gedanken ist § 624 BGB erwachsen, der es ermöglicht, lebenslange oder langfristige Dienstverträge nach fünf Jahren zu kündigen128.

b) Kauf bricht nicht Miete Ob der Mieter von Wohnraum bei Verkauf der Mietsache geschützt werden oder das Interesse des Eigentümers vorgehen solle, war im 19. Jh. durchaus streitig. Nach römischem und gemeinem Recht galt der Grundsatz „emptio tollit locatum“ (Kauf, d. h. die Übereignung der Mietsache bricht Miete)129. Der Mieter müsste also dem dritten Erwerber weichen und hatte nur einen Ersatzanspruch gegen seinen Vermieter130. Der BGB-Gesetzgeber entschloss sich jedoch, dem sozialen Schutz des Mieters den Vorrang zu geben, indem er in § 571 BGB (heute: § 566 BGB) den Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“ einführte. Den Grundsatz entnahm er dem Cc Artt. 1743 ff131. c) Die sittenwidrige Schädigung Der Gesetzgeber des BGB hat nicht nur vom Code civil, sondern auch von der französischen Rechtsprechung gelernt: Vielen Juristen kam es darauf an, hinsichtlich der sittenwidrigen Schädigung einen allgemeinen Grundsatz zu haben, etwa des Inhalts: „Wer einen anderen absichtlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise schädigt, muss diesen Schaden ersetzen“. Diesem Gedanken hat die französische Rechtsprechung zum Durchbruch verholfen. Die Verfasser der Motive zum BGB waren sich bewusst, mit dem späteren § 826 BGB „ein Hauptprinzip“ zu schaffen, das „die Anforderungen des Lebens befriedigt“132. Es handelt sich um Bände I – XXXI, Paris 1827 – 1832, Nachdruck 1990, hier: Band XIV, S. 416. 128 Vgl. die Entwicklung des Gedankens bei Hedemann (wie Anm. 122), I, S. 29 ff; die Begründung des § 624 bei Mugdan (wie Anm. 93), Band II, S. 911; vgl. Coing , Privatrecht (wie Anm. 113) II, § 96, III, S. 483f; vgl. Mugdan, Motive (wie Anm. 93), Bd. II, S. 259f; vgl. Hans Dölle, Der Beitrag der Rechtsvergleichung zum deutschen Recht, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860 – 1960, hg. v. Ernst v. Caemmerer et al., Bd. II, Karlsruhe 1960, S. 19 – 47, hier S. 27. 129 Zum Grundsatz „Kauf bricht Miete“: Gaius, Dig. 19. 2. 25. 1; Ulpian,. Dig. 30. 120. 2. 130 Vgl. Kaser, Max / Knütel, Rolf, Römisches Privatrecht, 17. Auflage 2003, § 42, Rn. 13, 14. 131 Vgl. Mugdan, Motive (wie Anm. 93), Bd. II, , S. 212f; Bd. II, Protokolle, S. 815f; vgl. auch v. Maibom / Fischer, Otto, Gutachten über den Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“, in: Verhandlungen des 19. Deutschen Juristentags, Bd. II, Berlin (1888), S. 3 – 34; 312 – 449; Dölle (wie Anm. 128), S. 27. 132 Vgl. die Äußerung der Kölner Handelskammer, in: „Die Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zu dem Entwurf eines (deutschen) BGB, gefertigt im Reichsjustizamt“, 6 Bände, Berlin 1890f, hier: Band II, S. 401 und die Stellungnahme von Rießer

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einen Auffangtatbestand, der den Kreis der unerlaubten Handlungen erweitert und abrundet. Das ist sicher gelungen, allerdings begrenzte die zweite Kommission die Haftung auf vorsätzlich zugefügten Schaden133. § 826 BGB wurde besonders wichtig im Kampf gegen den unlauteren Wettbewerb, der „concurrence déloyale“ des französischen Rechts. Der Anspruch wird dort einer einzigen Vorschrift entnommen, nämlich der Generalklausel des Schadensersatzes Art. 1382 Cc. Sie bot der französischen Jurisprudenz die Möglichkeit, alle Fälle des unlauteren Wettbewerbs in Griff zu bekommen134. In Deutschland finden sich im Geltungsgebiet des französischen Rechts zwar einige Urteile, die der französischen Auffassung folgten135, doch hat das Reichsgericht lange Zeit eine solche Entwicklung blockiert. Es war nämlich der Meinung, dass alles erlaubt sei, was das Markenschutzgesetz (heute: Warenzeichengesetz)136 nicht verbiete. Es hat damit dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet ebenda, Band VI, S. 514; vgl. Hedemann (wie Anm. 122) S. 137. 133 Vgl. Boehmer, Einfluß (wie Anm. 2), S. 293 ff; Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Im Auftrage des Reichsjustizamtes bearbeitet von Achilles/Gebhard/Spahn, 6 Bände, 1 Registerband, Berlin 1897 – 1899 (Amtliche Ausgabe), hier: Bd. II, S. 570, 575 ff; die Denkschrift zum Entwurf eines BGB, Berlin 1896, meinte S. 149, es solle kein unbestimmter Haftungsgrundsatz nach dem Vorbild des Cc aufgestellt werden; Gottlieb Planck, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, 2. Band, 1. und 2. Auflage, Berlin 1900, zu § 826, S. 617; vgl. Horst Heinrich Jakobs/Werner Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse III, §§ 652 – 853; §§ 823, 826, S. 872 – 906, hier: S. 896f; Hans-Peter Benöhr, Die Redaktion der Paragraphen 823 und 826 BGB, in: Reinhard Zimmermann (Hg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, Heidelberg 2000, S. 499 – 547, hier: S. 515 ff, 523, 529f; 547. 134 Vgl. Hans Allart, Traité théoretique et pratique de la concurrence déloyale, 1892.; In Deutschland waren es die Schriften Joseph Kohlers, z. B. Der unlautere Wettbewerb. Darstellung des Wettbewerbsrechts, Berlin 1914, die den Kampf gegen den unlauteren Wettbewerb in Deutschland vorangebracht haben; vgl. Hedemann, (wie Anm. 122), S. 138. Der Rheinische Senat des Reichsgerichts hat sich allerdings seit RGZ 1, 26 geweigert, den Art. 1382 Cc auf Markenschutzfragen anzuwenden, da das Markenschutzgesetz eine abschließende Regelung enthalte; vgl. ausführlich zu dieser Rechtsprechung: Schumacher (wie Anm. 35), bes. S. 92 ff; Rudolf Krasser, Die Entwicklung der Ordnung des Wettbewerbsrechts in der französischen und deutschen Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts, in: Helmut Coing (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Band IV, Frankfurt/M 1979, S. 145 – 162; Elmar Wadle, Das rheinischfranzösische Deliktsrecht und die Judikatur des Reichsgerichts zum unlauteren Wettbewerb [zitiert: Wadle, Deliktsrecht], in: Schulze, Rhein. Recht (wie Anm. 81), S. 79 – 98, hier S. 82, der auf Kohler, S. 57 hinweist. 135 Vgl. die Beispiele bei Kohler, unlauterer Wettbewerb (wie Anm. 134), Berlin u. Leipzig 1914, S. 37f, 45f anders: Oberhofgericht Mannheim bei Kohler (ebda), S. 37f; Krasser (wie Anm. 134), S. 160 f. 136 Gemeint ist das deutsche Warenzeichengesetz vom 30. November 1874, novelliert am

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und dem Markenschutz und dem Schutz gegen unlauteren Wettbewerb einen Bärendienst erwiesen137. Erst 1901 änderte das Reichsgericht seine Meinung und ergänzte die Generalklausel des § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb durch Anwendung des § 826 BGB, um alle Fälle dieses Vergehens zu erfassen138.

d) Die Haftung für Hilfspersonen Infolge der wachsenden arbeitsteiligen Wirtschaft war die Frage zu entscheiden, ob der Schuldner für das Verschulden eines Gehilfen haften sollte, den er zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen beigezogen hatte. Obwohl die gemeinrechtlichen Juristen Deutschlands damals eine solche Haftung mehrheitlich ablehnten139, haben die Väter des BGB sich entschlossen, die bisher herrschende Meinung aufzugeben und das französische Modell zu übernehmen140, das sich auch in Art. 101 (Art. 115) des schweizerischen Obligationenrechts fand.

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12. Mai 1894; vgl. ausführlich: Joseph Kohler, Das Recht des Markenschutzes mit Berücksichtigung ausländischer Gesetzgebungen und mit bes. Rücksicht auf die englische, anglo-amerikanische, französische, belgische und italienische Jurisprudenz, Würzbug 1884, hier: S. 88 ff; Elmar Wadle, Der Weg zum Schutz des geistigen und gewerblichen Schaffens. Die deutsche Entwicklung im 19. Jahrhundert, in: Friedrich-Karl Beier/Alfons Kraft/Gerhard Schricker/Elmar Wadle, (Hg.), Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in Deutschland, Festschrift, 2 Bände, Weinheim 1991, hier: Bd. I, S. 93 – 183. Vgl. Krasser, (wie Anm. 134), S. 161f; Wadle, Deliktsrecht (wie Anm. 134), S. 93 ff; auch Helmut Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl. München 2006, Einl. UWG 1. 38 verurteilt diese Rechtsprechung. Wichtig für diese Praxis war vor allem das Urteil des Reichsgerichts vom 11. April 1901, in RGZ 48, 119, das den § 826 als geeignet erklärte, dort einzugreifen, wo die Einzelnormen des UWG Lücken ließen, vgl. Hedemann (wie Anm. 122), S. 139, mit Anm. 21. Im römischen Recht (Ulpian, Dig. 39. 1. 5. 5) gab es keine allgemeine Haftung für das Verschulden Dritter, doch entzündete sich Streit an Gaius, Dig. 19. 2. 25. 7: „... ita id periculum praestat, si qua ipsius eorumque, quorum opera uteretur, culpa acciderit...“. Die h. M. übersetzte „eorumque“ als „und“, verlangte also Verschulden des Schuldners und seines Gehilfen, doch setzte sich im 19. Jh. die Ansicht durch, dass dort „oder“ gemeint sei, vgl. Kaser/Knütel, (wie Anm. 130), § 36. 25. Die gemeinrechtliche Ansicht findet sich bei Levin Goldschmidt, Ueber die Verantwortlichkeit des Schuldners für seine Gehülfen, in: Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, Bd. 16, Erlangen 1871, S. 287 – 382 und bei Bernhard Windscheid/Theodor Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl., Bd. II, Frankfurt/M 1906, Neudruck Aalen 1963, § 401, Anm. 5, S. 746 ff; § 406, Anm. 6, S. 781 und § 410, Anm. 6, S. 801. Vgl. Cc Art. 1384; Mugdan, Bd. II, Motive (wie Anm. 93), S. 15f, die diese Frage zu „einer der meistbestrittenen“ des 19. Jhs. rechnen; Dölle (wie Anm. 128), S. 26.

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Auch hinsichtlich der Deliktshaftung für Verrichtungsgehilfen hat die erste Kommission in den §§ 710 – 712 des E I (d. h. den späteren §§ 831, 832 BGB) die Grundsätze des römischen Rechts verlassen und eine Verschuldensvermutung mit Entlastungsmöglichkeit eingeführt. Damit hatte sie sich – ohne darauf hinzuweisen – der Lösung des Art. 1384 Cc genähert141. Saleilles sah in dieser Annäherung ein Beispiel gegenseitiger Befruchtung beider Rechtskreise142.

6. Übernahmen im Sachenrecht Der Code civil hat zwar die revolutionäre Idee der Freiheit und Sicherheit des Eigentums als Hauptidee verfolgt, doch hat Napoleon sie weniger liberalbürgerlich als staatsinterventionistisch gehandhabt, denn die in Art. 544 Cc genannten règlements und die in Art. 545 Cc genannte utilité publique waren so unbestimmt formuliert, dass sie dem Staat mancherlei Eingriffsmöglichkeiten boten143. So hat denn auch die erste Kommission im Sachenrecht den Code civil seltener berücksichtigt als in den anderen Büchern des BGB, weil sich dessen Institute nur schwer mit dem in Deutschland geltenden Recht verbinden ließen144. Der Teilentwurf zum Sachenrecht enthielt zwar in den §§ 199 und 200 Eigentumsvermutungen, doch kannte er keine Besitzschutzklagen145. Diese dem

141 Darauf hatte bereits Raymond Saleilles in seinem Essai sur la théorie générale de l’obligation d’après le premier projet de code civil pour l’empire d’Allemagne, 2. Auflage, Paris 1901, S. 416 hingewiesen, wenn ihm auch die deutsche Lösung nicht weit genug ging, vgl. Birte Gast (wie Anm. 92), S. 246f, im Übrigen Coing, Privatrecht (wie Anm. 113) II, § 107, II, S. 521. Dölle (wie Anm. 140, S. 26 meint zu Recht, das deutsche Recht habe sich bewusst von der strengen französischen Lösung abgesetzt und die des Art. 55 (62) des schweizerischen Obligationenrechts übernommen, das den Entlastungsbeweis zulässt vgl. Mugdan, Motive, Bd. II, (wie Anm. 93), S. 411; Bd. II, Protokolle, S. 1090 ff. 142 Vgl. Birte Gast (wie Anm. 92), S. 247, mit weiteren Nachweisen; Werner Schubert, Das Bürgerliche Gesetzbuch im Urteil französischer Juristen bis zum ersten Weltkrieg [zitiert: Schubert, franz. Juristen], in: ZRG, GA Bd. 114, 1997, S. 128 – 181, hier: S. 154f. 143 Vgl. Fehrenbach (wie Anm. 1), S. 24 f und die dort Genannten; vgl. Werner Schubert, Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896, in: Herbert Hofmeister (Hg.), Kodifikation als Mittel der Politik. Vorträge und Diskussionsbeiträge über die deutsche, schweizerische und österreichische Kodifikationsbewegung um 1900, Wien etc. 1986 [zitiert: BGB], S. 11 – 28, hier: S. 11. 144 Vgl. Werner Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung. Ein Betrag zur Entstehungsgeschichte des BGB [zitiert: Schubert, Besitz], Berlin 1966, S. 29 145 Vgl. Schubert, Besitz (wie Anm. 144), S. 69 mit Anm. 373 verweist insoweit auf das französische Recht, nämlich Zachariae, Französisches Civilrecht [wie Anm. 89), Band I, S. 467f.

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französischen Recht entsprechende Regelung verwarf jedoch die erste Kommission146, die auf den bewährten Besitzschutz nicht verzichten wollte. Auch die Eigentumsübertragung allein durch einen obligatorischen Veräußerungsvertrag ohne Übergabe der Sache, wie sie sich in den Artt. 711, 938, 1138 und 1583 Cc findet, hat die erste Kommission nicht übernommen, weil ihr das Traditionsprinzip des gemeinen Rechts näher lag147.

7. Übernahmen im Familienrecht Wir hatten früher148 gesehen, dass das Familienrecht des Code civil patriarchalisch ausgerichtet war. Davon haben die liberalen Verfasser des BGB nichts übernommen. Allerdings hatte sich der deutsche Gesetzgeber entschlossen, in den § 1858 – 1881 BGB den Familienrat einzuführen149. Vorbild war neben dem preußischen Vormundschaftsrecht der Conseil de famille des Cc, Artt. 405 – 419150. Praktische Bedeutung hat das Rechtsinstitut jedoch in Deutschland niemals erlangt, so dass die Vorschriften 1979 aufgehoben worden sind.

8. Übernahmen im Erbrecht Die Regelung des eigenhändigen Testaments in Art. 970 Code civil war in Deutschland umstritten. Die Entwürfe sahen es nicht vor und auch Otto v. Gierke wünschte es nicht151. Schließlich siegten im Reichstag die rheinischen Juristen, die es in den deutschen Gebieten französischen Rechts nicht nur als sinnvoll kennengelernt hatten, sondern die auch wussten, dass die dortige Bevölkerung es schätzte. Dahinter stand der Gedanke, dass man die Freiheit des Individuums auch hierbei anerkennen und es von der Mitwirkung des Staates bei 146 Vgl. Protokolle der ersten Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines BGB für das Deutsche Reich, I, S. 3513f; zitiert nach Schubert, Besitz (wie Anm. 144), S. 70 mit Anm. 375. 147 Vgl. Protokoll der 1. Kommission (wie Anm. 146), v. 18. 10. 1875, S. 2, zitiert nach Schubert, Besitz (wie Anm. 144), S.144. 148 Vgl. die Darstellung oben unter I. 2. 149 Diese Vorschriften sind inzwischen durch das Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1979 aufgehoben worden. 150 Vgl. Gutachten von Aull, Über das Vormundschaftswesen, insbes. über den Familienrat, in: Verhandlungen des 5. Deutschen Juristentages, Bd. I Berlin (1864), S. 14 – 28 (Familienrat S. 23 ff) und von Heyssler, ebenda S. 43 – 53 (Familienrat S. 50 ff); Mugdan, Motive (wie Anm. 93), Bd. IV, S. 638 ff; Boehmer, AcP Band 151, 1950/51 (wie Anm. 2), S. 307 f; Dölle (wie Anm. 128), S. 28. 151 Im Gegensatz zu Anton Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 4. Auflage 1908, S. 234f, der es lebhaft begrüßte. Auch die Regierungen der linksrheinischen Reichsteile wollten es beibehalten.

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letztwilligen Verfügungen befreien solle152. So sind die §§ 2231, 2247 BGB mit Art. 970 Code civil verwandt153. Auch das Reichsgericht hat gelegentlich bei der Auslegung eigenhändiger Testamente auf die französische Lehre und Rechtsprechung zurückgegriffen154. V. SCHLUSS Blicken wir zurück, so hat sich der Einfluss der cinq codes im Rheinland zunächst im Verfahrensrecht ausgewirkt. Preußen konnte sich auf Dauer den französischen Errungenschaften wie der Gewaltenteilung, der unabhängigen Justiz, dem öffentlichen Strafverfahren, dem Schwurgerichtsprozess bei Verbrechen, politischen Straftaten und Pressvergehen und der Errichtung der Staatsanwaltschaft als Vertreter des Gesetzes nicht verschließen. Im Gefolge der Revolution von 1848 hat es seinen Strafprozess reformiert und Schwurgericht, Staatsanwaltschaft und Öffentlichkeit des Strafverfahrens in Altpreußen155 eingeführt156. 152 Erst das Plenum des Reichstages übernahm es mit großer Mehrheit, vgl. Motive, amtl. Ausgabe, Bd. V, S. 257; gutachtlichen Äußerungen (wie Anm. 132), Band V, S. 49 und Band VI, S. 669; Mugdan (wie Anm. 93), Bd. V, Motive, S. 136; Bd. V, Protokolle, S. 696f; Bericht der Reichstagskommission über den Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs und Einführungsgesetzes, Berlin 1896, S. 318 ff; Erste, zweite und dritte Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs im Reichstage. Stenographische Berichte, Berlin 1896, S. 726 – 741; Hedemann, Fortschritte I (wie Anm. 122), S. 24f mit Anm. 27; Becker (wie Anm. 15), S. 345; Dölle (wie Anm. 128), S. 28. 153 Vgl. Raymond Saleilles, Des formes du testament olographe. L’article 970 du Code civil français et le § 2231 du code civil allemand, in: Revue trimestrielle de droit civil, Bd. II, 1903, S. 587 – 614 und Band III, 1904, S. 89 – 152. 154 Vgl. RGZ 51, 166 (168f); vgl. Dölle (wie Anm. 128), S. 35. 155 Ein erster Schritt dahin war die „Verordnung über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen“ vom 3. Januar 1849 (G S (wie Anm. 18), 1849, S. 14), deren § 14 bestimmte: „Der Fällung des Urtheils soll bei Strafe der Nichtigkeit ein mündliches öffentliches Verfahren vor dem erkennenden Gericht vorhergehen, bei welchem der Staatsanwalt und der Angeklagte zu hören, die Beweisaufnahme vorzunehmen und die Vertheidigung des Angeklagten mündlich zu führen ist“. Vgl. Hermann Conrad, Preußen und das französische Recht in den Rheinlanden, in: Joseph Wolffram/Adolf Klein (Hg.), Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden, Köln 1969, S.78 – 112, hier: S. 95; Haber, ZStW 91 (wie Anm. 29), 1979, S. 593; anders: Marie Theres Fögen, Der Kampf um Gerichtsöffentlichkeit, Berlin 1974, zugleich Diss. iur. Frankfurt/M 1973, S. 73 ff, die jedoch den Quellen gegenüber zu gutgläubig ist. 156 Vgl. die Gutachten der Ministers für Gesetzgebung Friedrich Carl v. Savigny vom 17. Dezember 1845 und des Justizministers Karl Albrecht Alexander Uhden vom 23. März 1846 bei Gustav Otto, Die preußische Staatsanwaltschaft. Aus Anlass ihres 50-jährigen Bestehens als historisch-kritische Studie nach amtlichen Quellen bearbeitet, Berlin 1899, S. 41 und 43; vgl. Schweichel, ministère public (wie Anm. 26), S. 278f.

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Auch in Hessen und Bayern wirkten die französischen Errungenschaften weiter. Nach der Revolution von 1848 näherte sich die Gesetzgebung der deutschen Bundesstaaten den französischen Rechtsgedanken vor allem im Verfahrensrecht. Und als der Ruf nach einem allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch für ganz Deutschland erscholl, haben französische Institutionen – wenn auch in eher begrenztem Maße – in das BGB Eingang gefunden. Den Gerichten, Bürgern und Politikern im Rheinland gebührt deshalb das Verdienst, die Rheinischen Institutionen nicht nur in ihrer Heimat bewahrt, sondern ihnen den Weg nach ganz Preußen und zuletzt nach ganz Deutschland gebahnt zu haben.

A U G U S T R E IC HE N SP E RG E R

ALS

R E C H T SP O LI T IK E R

I. B I LD U N G S G A N G August Reichensperger wurde am 22. März 1808 in Koblenz geboren. Bereits seine Vorväter waren Juristen: Der Großvater Anton gehörte dem Schöffengericht in Simmern als Schöffe an und der Vater Franz Joseph studierte die Rechte in Heidelberg und war später Direktor des Geschworenengerichts in Simmern, sodann in französischen Diensten Generalsekretär an der Präfektur des Rhein-Moseldepartements in Koblenz. August begann das Rechtsstudium im Sommer 1827 in Bonn, siedelte 1828 nach Heidelberg über, wo er bei Mittermaier, Thibaut und Zachariae hörte. Zum Winter 1829/30 wechselte er nach Berlin, wo er am 30. April 1830 das Auskultatorexamen (das damalige erste Staatsexamen) bestand, alsbald zur weiteren Ausbildung eingestellt, aber nach Münster gesandt wurde, weil damals die jungen Juristen nicht in ihrer Heimat ausgebildet werden durften. Da diese Vorschrift alsbald fiel, wechselte er nach Koblenz, wo er im August 1831 seinen Dienst am Landgericht begann. Hier machte er sich mit rheinischem Recht (dem Code civil und dem Code de procedure civile) bekannt, bestand das Referendarexamen und wurde am 7. Dezember 1832 zum Referendar ernannt1. Im August 1835 bestand er das Assessorexamen und wurde am 4. August zum Assessor am Landgericht Koblenz bestellt2. Nachdem er 1833 auf seiner Parisreise dort noch einmal intensiv das französische Recht studiert und seine Anwendung in der Praxis beobachtet hatte3, verfasste er noch als Referendar 1834 anonym seine erste Schrift: „Beleuchtung der Schrift: Andeutungen über den Entwurf eines Rheinischen Provinzialgesetzbuches von einem Rheinländer“. Anlass waren die Bestrebungen des damaligen preußischen Justizministers Karl Albert von Kamptz (1769 – 1849), das vorrevolutionäre Partikular- und Gewohnheitsrecht der Rheinlande zu sammeln und die Gesetzesrevision in Preußen voranzubringen. Im Rheinland sollte ein rheinisches Provinzialgesetzbuch in Kraft gesetzt werden, das zwar das ältere Lokalrecht, nicht aber französisches Recht enthalten sollte. Die von Reichensperger kritisierte Schrift 1 2 3

Pastor, I, S. 44. Pastor, I, S.71, Fn. 1. Pastor, I, S. 52.

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hatte der Bonner Staatsrechtsprofessor Romeo Maurenbrecher (1803 – 1843) verfasst, der das neue Gesetzbuch befürwortete. Bei seiner Ausbildung in Koblenz hatte Reichensperger das französische Recht schätzen und lieben gelernt und wollte es nicht dem antiquierten ständestaatlichen preußischen Recht geopfert wissen. Seine Verteidigung der Errungenschaften des französischen Rechts (Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Prozesses und Errichtung volksnaher Schwurgerichte) veranlasste seine erste rechtspolitische Äußerung, der während seiner Abgeordnetentätigkeit noch viele andere folgten. Seine Argumente gegen die ministeriellen Pläne eines zukünftigen Rheinischen Rechts hat er 1838 noch einmal wiederholt4, ohne dass ihm dies zum Nachteil gereicht hätte. Im Gegenteil: Nachdem der König Kamptz durch Kabinettsordre vom 17. Dezember 1838 die rheinpreußische Justizverwaltung entzogen hatte5, wurde Carl Ruppenthal (1777 – 1851) Ministerialdirektor und Leiter der rheinischen Abteilung im Justizministerium. Er versetzte Reichensperger am 30. September 1841 an den Appellationsgerichtshof nach Köln und ernannte ihn dort zum Landgerichtsrat. Vom 1. Mai 1844 ab wurde er nach Trier versetzt6, aber bereits am 8. Juni 1848 ernannte ihn der König zum Kammerpräsidenten beim Landgericht zu Köln7. Nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung legte Reichensperger mit Schreiben vom 13. Mai 1849 sein Abgeordnetenmandat nieder8, kehrte nach Köln zurück und trat dort am 30. Mai 1849 sein neues Amt als Kammerpräsident an. Trotz der großdeutschen Haltung, die er in Frankfurt gezeigt hatte, und die den Interessen Preußens zuwiderlief, ernannte ihn der König bereits am 1. November zum Appellationsgerichtsrat in Köln, das nun zu seinem dauernden Wohnsitz wurde9. In dieser Stellung ist er dauernd tätig geblieben, ohne auf Angebote zur Beförderung zum Rat am Rheinischen Revisions- und Kassationshof in Berlin (eine Stellung, die sein Bruder Peter Franz lange Jahre innehatte) oder zum Landgerichtspräsidenten in Kleve anzunehmen. Außer seiner 4 5 6 7

8 9

Ueber rheinpreussische Gesetzgebung, Sonderbeilage der Allgemeinen Zeitung 1838 Nr. 330, vgl. Pastor II, S. 449. Kabinettsordre vom 17. Dez. 1838 (G S, 1839, S. 12; vgl. Bornhak, Staatsgeschichte S. 436. Pastor, I, S. 182. Wohl weil seine königstreue Gesinnung honoriert werden sollte, vgl. Pastor, I, S. 239. Dies entspricht der heutigen Stellung eines Vorsitzenden Richters am Landgericht. Zugleich mit der Ernennung gewährte der Justizminister Bornemann Reichensperger Urlaub für die Dauer der Frankfurter Nationalversammlung (ebenda Fn. 3). Pastor, I, S. 312, wo sich auch der Wortlaut des Austrittsschreibens findet, vgl. auch Reden, S. 84. Er hatte sich am Klapperhof 14 bei St. Gereon ein Haus erbaut, das er zum Mittelpunkt des rheinischen Geisteslebens machte, vgl. Hans-Jürgen Becker, S. 145.

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Erstlingsschrift hat August Reichensperger keine rechtswissenschaftlichen Studien veröffentlicht. Seine politischen Tätigkeiten, sein Wirken für die Vollendung des Kölner Domes und seine kunsthistorischen Arbeiten nahmen ihn voll gefangen. Die theoretische Rechtswissenschaft und Rechtsdogmatik interessierten ihn nicht. Gleichwohl ernannte ihn die Universität Löwen 1873 zum Doctor iuris honoris causa10. Mit 67 Jahren, am 17. Juli 1875, pensionierte man ihn, ohne seine Verdienste im Amte irgendwie zu würdigen11. Nun war er frei, er seine sonstigen Tätigkeiten ohne die Einengung durch sein Amt fortzusetzen. Erst 1885 schied er krankheitshalber aus dem politischen Leben aus. Er starb am 16. Juli 1895 mit 87 Jahren in seinem Kölner Hause12. Auf dem Kölner Friedhof Melaten ist er begraben. II. STELLUNGNAHME ZUM GEPLANTEN RHEINISCHEN PROVINZIALGESETZBUCH Nachdem Preußen auf dem Wiener Kongress die Rheinprovinz erworben hatte, erhob sich die Frage, welches Recht dort fortan gelten sollte: das seit zwanzig Jahren dort eingeführte französische oder das preußische. Es gab in Preußen eine Gruppe von Politikern – unter ihnen der Fürst Hardenberg – die das fortschrittliche französische Recht erhalten wissen wollten, es gab aber auch andere – wie die Justizminister Kircheisen und später v. Kamptz – die für Preußen die Rechtseinheit anstrebten und das französische Recht (das in Altpreußen keinen Eingang gefunden hatte) wieder beseitigen und an seine Stelle das Preußische Allgemeine Landrecht [ALR] von 1794 einführen wollten. Vor allem der Minister v. Kamptz suchte durch den Entwurf eines Rheinischen Provinzialgesetzbuches die Zeit zurückzudrehen und die Einheit des französischen Rechts durch Einführung preußischer Vorschriften zu brechen. Noch als Referendar (der Reichensperger seit 1832 war) verfasste er deshalb eine kurze (sie umfasst nur 15 Druckseiten) Schrift13, welche Fehler und Unzuträglichkeiten des Entwurfs bloßstellte. Sie erschien 1834 anonym in Koblenz bei J. Hölscher, weil es für einen Referendar, der auf Anstellung im preußischen Dienst hoffte, untunlich schien, dem Minister zu widersprechen. 10 11

12 13

Pastor II, S. 144f; Hans-Jürgen Becker, S. 145. „Man entließ mich, als ob ich silberne Löffel gestohlen hätte“; vgl.. die Tagebuchnotiz Reichenspergers bei Pastor II, S. 144 u. den Text S. 145. Erst am 13. Februar 1892 verlieh ihm Wilhelm II. den Roten Adlerorden III. Klasse mit Schleife. In seinem Todesjahr 1895 verlieht ihm die Stadt Köln die Ehrenbürgerwürde, nachdem Koblenz und Oppenheim ihr darin vorangegangen waren. Schwering, S. 242. Siehe unten, Quellen Nr. 1.

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Er stellte den Grundsatz auf, „dass im Zweifel für die Erhaltung des Bestehenden zu entscheiden sei“ 14. Das zeigt zwar seine konservative Geisteshaltung, die aber hier zugleich sehr modern ist, weil sie für das fortschrittliche französische Recht (und gegen das veraltete preußische) kämpft. Während der Verfasser des Entwurfs nur das anerkannte, was dem eigenen Boden entstammte, machte Reichensperger zu Recht geltend, das Menschengeschlecht sei darauf „hingewiesen, für einander zu arbeiten und sich gegenseitig zu fördern“. Das sei bereits bei der Übernahme des römischen Rechts geschehen, sei aber auch gegenüber der französischen Rechtswissenschaft angebracht15. Würde der Entwurf Gesetz, so verlöre das Rheinland den wissenschaftlichen Stützpunkt im Ausland, die Arbeit der rheinischen Gerichtshöfe wäre weitgehend vergebens und es werde kein neuer Mittelpunkt für das Rheinland gewonnen, weil der Code civil nur noch verstümmelt gelte. Selbst das gemeine Recht könne nicht lückenfüllend eingreifen, weil der Verfasser des Entwurfs seine Anwendung dadurch beschränkt habe, dass er das ALR zum „gemeinen Recht“ erhoben habe16. Als besonders unglücklich empfindet Reichensperger den Vorschlag des Entwurfs, den Code civil in zwei Teile zu zerlegen, deren einer (der exlusive) das preußische Landrecht derogieren, deren anderer (der correctorische) das Landrecht modifizieren und ergänzen soll17. Denn das ALR solle als gemeines Recht überall da gelten, wo die Provinzialgesetze Lücken lassen. Im Weiteren geht Reichensperger auf Einzelregelungen ein, die ich hier nicht weiterverfolgen will18. Insgesamt fällt das Urteil Reichenspergers über den Entwurf vernichtend aus.

III. T Ä T I G KE I T A L S M I T G L I E D D E R F RA N K F U RT E R N A T I O N A LV E RS A M M L U N G 1. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat Da August Reichensperger nur eine rechtswissenschaftliche Veröffentlichung vorzuweisen hat, ist seine Bedeutung für die deutsche Rechtsentwicklung auf anderem Gebiet, nämlich in Rechtspolitik zu suchen, die er als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung, des Preußischen Landtages und des Reichstages viele Jahre hindurch betrieben hat.

14 15 16 17 18

Provinzialgesetzbuch, S. 4. Provinzialgesetzbuch, S. 5f. Provinzialgesetzbuch, S. 7f. Provinzialgesetzbuch, S. 9f. Provinzialgesetzbuch, S. 10 – 15.

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Am 1. Mai 1848 hatte der Landkreis Bernkastel ihn in die preußische Nationalversammlung, am 10. Mai der Kreis Euskirchen-Bergheim-Köln ihn in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt. Während er in Berlin nur kurz auftrat19 und bald die dortige Arbeit seinem Stellvertreter und seinem Bruder Peter Franz überließ, widmete er sich in Frankfurt/M. der Arbeit in der Nationalversammlung. Dort schloss er sich der Casinopartei an, die monarchisch dachte und das rechte Zentrum bildete. Er selbst sah sie als gemäßigt-liberale Mittelpartei, „welche darauf bedacht war, bei der Herstellung der Einheit Deutschlands die Sonderheiten der verschiedenen deutschen Länder und Stämme möglichst zu schonen und die politische Freiheit zu begründen und zu sichern, jegliche Anarchie zu bekämpfen, während die Linke auf eine föderative Republik hinarbeitete, die Rechte möglichst die Wiederherstellung des Zustandes vor 1848 oder doch eine Stärkung des absolutistischen Princips anstrebte“20. Darüber hinaus schlossen sich die kirchlich gesinnten Abgeordneten zum „Katholischen Klub“ zusammen, sie wählten Reichensperger zum Vizepräsidenten. Er nahm Einfluss auf den späteren Art. 147, I der Reichsverfassung vom 28. März 1849, der das Verhältnis der Kirchen zum Staat regelte. Es heißt dort: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Keine Religionsgesellschaft genießt vor anderen Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche“21. Dabei ist bemerkenswert, dass der Artikel der Frankfurter Verfassung alle Konfessionen gleichstellt. Auch das war ein Anliegen, das Reichensperger in seinem religiösen Glaubensbekenntnis vertreten hat22.

2. Das Eigentum Als Vertreter einer besonnenen Mitte zeigte sich August Reichensperger bei der Frage der Eigentumsfreiheit. In seiner Rede am 28. Sept. 1848 vertrat er die 19 20 21

22

Er gehörte mit seinem Bruder Peter der konservativen Partei an, die zuvörderst die Vereinbarung einer Verfassung anstrebte, vgl. Reden, S. 133f; Pastor, I, S. 240. Autobiographisches Fragment, zitiert bei Pastor, I, S. 245f. Vgl. den Wortlaut bei Huber, Dokumente, Bd. I, Nr. 108, S. 375 ff (391); vgl. auch den entsprechenden Art. 15 der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 (bei Huber, I, Nr. 194, S. 501 ff (S. 502); sowie Art. 137, II der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, bei Dürig/Rudolf, Nr 9, S. 176 ff (S. 204) sowie Art. 140 des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949, bei Dürig/Rudolf, Nr. 12, S. 223 ff (283). Politisches Glaubensbekenntnis, in: „Programm zu der Frankfurter constituirenden Versammlung“, deren Konzept sich im Nachlass fand, zitiert bei Pastor, I, S. 238.

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Überzeugung, „dass die Freiheit des Grundeigentums nicht bloß eine sogenannte Forderung der Zeit, sondern auch, dass sie eine Forderung des Rechts, der gesunden Politik, überhaupt des Lebens ist“23. Gleichwohl wollte er die absolute Eigentumsfreiheit nicht sofort einführen, weil er Nachteile für das bäuerliche Erbrecht und die soziale Lage mancher Bevölkerungskreise fürchtete. Gerechtigkeit bestehe nicht darin, jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine zu geben. Deshalb solle die Teilbarkeit des Grundeigentums der Partikulargesetzgebung überlassen werden24. Dieser Grundsatz ist schließlich in § 165 der Verfassung25 eingegangen. Auch bei der geplanten Einführung der Gewerbefreiheit26 und der Aufhebung der Reallasten27 befürwortete er abgestufte Spezialgesetze. Seine Rede vor der Paulskirchenversammlung gipfelte in die Worte: „Vergessen wir nie, dass der Grundstein aller Freiheit, ja aller Civilisation das Eigenthumsrecht ist, die Gerechtigkeit aber ihr Schlussstein!“28

3. Die zukünftige Verfassung Deutschlands In der Frage der künftigen Verfassung Deutschlands war die Frankfurter Nationalversammlung gespalten. Die kleindeutsche Partei verfocht einen neuen deutschen Staat ohne Österreich, während die großdeutsche Partei Österreich einbeziehen wollte. Reichensperger gehörte dieser Partei an. Er sprach sich bei den Verhandlungen im Oktober 1848 gegen den Ausschluss Österreichs aus, weil dadurch „ein Riß durch das Herz unseres Vaterlandes entstehen könnte ... an dem möglicherweise beide verbluten“29. Auch hier wird wieder deutlich, dass Reichensperger das Überkommene nur behutsam ändern und an die Erfordernisse der Zeit anpassen, aber keine radikalen Neuerungen wollte. Er konnte jedoch die Mehrheit des Hauses nicht gewinnen und wollte deshalb die großdeutsche Lösung retten, indem er im Sinne des Clubs vom „Pariser Hof“ als Oberhaupt ein Fürstendirektorium vorschlug, dem Preußen und Österreich abwechselnd vorsitzen sollten30. Dieses Amendement, das Reichensperger mitunterstützt hatte, wurde jedoch verworfen. Es hätte sich wahrscheinlich ähnlich unpraktisch erwiesen wie das Reichsregiment zur Zeit Kaiser Maximilians nach 1495. Die §§ 68 und 69 sahen schließlich vor, die Würde des Reichsoberhauptes einem regierenden 23 24 25 26 27 28 29 30

Reden, S. 31 ff; vgl. Pastor, I, S. 265 ff; Becker, S. 147f. Reden, S. 33. Dürig/Rudolf, S. 117. Reden, S. 21 ff. Reden, S. 34 ff. Reden, S. 37. In der Rede August Reichenspergers am 24. Oktober 1848 zu den §§ 2 und 3 der zukünftigen Verfassung, in: Reden, S. 44. Vgl. das von Reichensperger mitunterzeichnete Amendement Rothenhans und die Rede Reichenspergers vom 16. Januar 1848, in: Reden, S. 46 – 53.

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deutschen Fürsten erblich zu übertragen31. Da Reichenspergers großdeutsche Vorstellungen gescheitert waren, enthielt er sich bei der Wahl des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. zum deutschen Kaiser der Stimme32 und legte am 13. Mai 1849 sein Abgeordnetenmandat in der Nationalversammlung nieder33.

4. Das Erfurter Unionsparlament Vom 20. März bis 29. April 1850 tagte in Erfurt das Unionsparlament. Es war das Ergebnis der auf Grund des Dreikönigsbündnisses gebildeten Union Deutscher Staaten unter preußischer Führung mit dem Herrenhaus und dem nach Dreiklassenwahlrecht gewählten Volkshaus. Die Erbkaiserlichen (die hier die Linke bildeten) hatten die Mehrheit, während die Brüder Reichensperger mit etwa 40 Abgeordneten die Rechte darstellten. Da sich der Verfassungsentwurf der Union wesentlich auf die Verfassung der Frankfurter Nationalversammlung stützte, lehnten ihn Reichensperger und seine politischen Freunde ab. Da die Versammlung anschließend vertagt wurde, verliefen diese Unionsbemühungen im Sande.

IV. T Ä T I G KE I T

A LS

MITGLIED DER ZWEITEN K A M M E R B I S 1863

P RE U ß I S C HE N

1. Pressegesetz und Pressefreiheit Am 22. März 1851 hatte die erste preußische Kammer der zweiten den Entwurf eines Pressegesetzes zugeleitet, der im Sinne der Regierung die Pressefreiheit einschränkte, indem Zeitschriften und andere Druckerzeugnisse vor oder bei ihrem Erscheinen der Polizei einzureichen waren. Die Diskussion in der zweiten Kammer drehte sich unter anderem um die Frage, ob Schriften rein wissenschaftlichen, technischen oder gewerblichen Inhalts von dieser staatlichen Einflussnahme befreit werden könnten. Hierfür sprach sich vor allem Peter Franz Reichensperger aus34. In der Folge erging das Pressegesetz vom 12. Mai 185135 mit der von v. Bodelschwingh vorgeschlagenen und von Peter Franz Reichensperger begründeten Ausnahmeregelung. Art. 27, II der preußischen Verfassung verbot zwar die Zensur, andere Einschränkungen der Pressefreiheit bedurften eines Gesetzes und der Verfassung 31 32 33 34 35

Dürig/Rudolf, S. 104. Er hat diese Enthaltung ausführlich begründet, vgl. den Text in: Reden, S. 68f. Vgl. oben Fn. 8. Vgl. Reden, S. 300 – 306. Vgl. Preußische Gesetzsammlung (G S), 1851, S. 273 – 287.

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widersprechende Gesetze galten als aufgehoben (§ 108). Gleichwohl hatte die Regierung doch Buchhändlern und Druckern die Gewerbekonzession und das Postdebit36 entzogen, obwohl die VO vom 5. Juni 1850, die das gestattete, inzwischen aufgehoben war. In der Landtagsperiode 1851/52 debattierte man am 12. Januar 1852 darüber, ob dieses Verfahren der Regierung mit dem Gesetz vereinbar sei. August Reichensperger plädierte dafür, darüber nicht zu entscheiden, da der Verwaltungsinstanzenzug nicht ausgeschöpft sei. Der Antrag wurde angenommen und die Maßnahmen der Regierung wurden nicht weiter behandelt37. Sie waren allerdings damit noch nicht aus der Welt. In der Sitzungsperiode 1856/57 kam es erneut zu Auseinandersetzungen über obrigkeitliche Maßnahmen gegen die Presse. In seiner Rede vom 17. April 1857 bedauerte Reichensperger, sich früher nicht energischer gegen diese Maßnahmen ausgesprochen zu haben. Inzwischen sei die Gängelung der Presse weit schlimmer geworden als vordem38. So hatte die Regierung u. a. dem Kaufmann Karl Joseph Schmitz aus Köln die Konzession zum Verlag der „Deutschen Volkshalle“ entzogen; die zweite Kammer sollte ihre Wiedererteilung befürworten. Reichensperger sah darin nicht nur eine Enteignung, sondern machte auch geltend, dass damit in Preußen keine politisch-katholische Zeitung mehr bestehe39. Auch dieses Mal war jedoch den Anträgen, die der Abgeordnete Mathis am 16. Dezember 1856 eingebracht hatte, den Petitionen und den Reden Reichenspergers kein Erfolg beschieden40. Das Abgeordnetenhaus ging jeweils zur Tagesordnung über.

2. Die Generalrevision der preußischen Verfassung von 1850 Auch eine Petition auf Generalrevision der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 fand nicht die Zustimmung Reichenspergers. Er bemängelte, dass die Petenten ihre Beschwerden nicht namhaft gemacht hätten und deshalb aus Achtung gegenüber der Verfassung kein Grund bestehe, sie einer grundlegenden Revision zu unterziehen41.

36 37 38 39 40 41

Zeitungsvertrieb durch die Post. Vgl. Reden, S. 311 – 318. Reden, S. 1035. Reden, S. 1055. Reden, S. 1045f, 1048 ff, 1058. Vgl. Reden, S. 318 ff.

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3. Das Fortbestehen des deutschen Bundestages nach 1848 Im Dezember 1851 kam eine Diskussion darüber auf, ob der 1850 zusammengetretene deutsche Bundestag noch mit dem von 1815 identisch sei. Der Abgeordnete Beseler und Genossen hatten beantragt festzustellen, dass die Beschlüsse des neuen Bundestages Preußen nicht bänden, seine Verfassung nicht änderten und seinen Einwohnern keine Lasten und Verpflichtungen auferlegen könnten. In seiner Rede vom Januar 1852 erklärte August Reichensperger – insofern an seiner großdeutschen Einstellung festhaltend – dass die Bundesakte von 1815 nicht aufgehoben und dass „Oesterreich durch die Geschichte, durch die Verhältnisse und endlich durch das positive Recht der Verträge mit Preußen verwachsen“ sei, so dass es untunlich sei, sich gegen die Beschlüsse des Bundestages zu wenden, weil er „der einzige Einigungspunkt [ist], der uns geblieben ist“. Die zweite Kammer verwarf deshalb den Antrag von Beseler und Genossen42.

4. Schwurgerichte, Öffentlichkeit und Mündlichkeit im Strafverfahren Die Märzrevolution von 1848 hatte in Preußen nicht nur die Staatsverfassung, sondern auch den Gerichtsaufbau verändert. Gewaltenteilung war jetzt selbstverständlich geworden. Eine Verordnung vom 2. Januar 1849 hob nicht nur die Patrimonialgerichtsbarkeit, sondern auch den eximierten Gerichtsstand auf43. Vor allem aber führte die einen Tag später erlassene Verordnung44 in Altpreußen das Schwurgericht und die Staatsanwaltschaft ein, wie es Artt. 92, 93 und 96 der oktroyierten Verfassung vom 5. Dezember 1848 bereits vorgesehen hatte,45 sowie das öffentliche und mündliche Verfahren in Untersuchungssachen. Am 21. November 1851 leitete die Regierung der zweiten Kammer einen Gesetzentwurf zu, der die Verordnung vom 3. Januar 1849 gesetzlich regeln sollte. Dieses Gesetz fiel in August Reichenspergers besondere Zuständigkeit, da er als rheinischer Jurist bereits Erfahrungen mit Schwurgericht und Staatsanwaltschaft erworben hatte. So hielt er denn am 2., 3. und am 6. März 1852 drei Reden, in denen er zum Regierungsentwurf Stellung bezog46. Die erste Rede berührte die grundsätzliche Frage, ob der Landtag nämlich der VO vom 3. Jan. 1849 durch Gesetz eine festere Grundlage geben und ihren Inhalt im Sinne des rheinischen Systems ausweiten oder aber das gesamte Mate42 43 44 45 46

Vgl. Reden, S. 320 – 329. G S 1849, S. 1 – 13; vgl. Strauch, Amtsgerichte S. 37. Verordnung über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen vom 3. Januar 1849, G S 1849, S. 14 – 47. Vgl. Huber, Dokumente, I, Nr. 188, S. 491; dem entsprechen die Artt. 93 – 95; 98 der Verfassung von 1850 bei Dürig/Rudolf, S. 148f; vgl. Strauch, Amtsgerichte, S. 37. Reden, S. 347 – 357.

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rial dem Justizminister überweisen und auf den Entwurf einer allgemeinen strafprozessrechtlichen Kodifikation warten solle. Reichensperger versprach sich von der sofortigen gesetzlichen Bestätigung der VO für die Zukunft die bessere Durchsetzung der genannten Prinzipien. Da die preußische Kriminalordnung von 1805 auf anderen Prinzipien beruhe als die VO von 1849, werde es zu Kollisionen kommen, die viel heftiger ausfallen würden, wenn jetzt kein Gesetz erlassen werde. Da im Übrigen die Reaktion in Europa wieder im Vormarsch sei, werde für die Zukunft der genannten Prinzipien des Strafprozesses, einschließlich der Einführung der Schwurgerichte besser vorgesorgt und sie würden bessere Wurzeln schlagen, wenn sie jetzt in ein Gesetz gegossen würden. Bleibe es bei der Verordnung, werde es leichter sein, sie zu umgehen, sie gar aufzuheben und ihre Prinzipien bei späterer Kodifikation unbeachtet zu lassen. Als Rheinländer brauchte er für die Durchsetzung dieser Prinzipien nicht mehr zu kämpfen, weil sie dort bereits seit der französischen Zeit Teil des Strafverfahrens waren. Doch fürchtete er auch für das Rheinland den Verlust der strafrechtlichen Errungenschaften, wenn ein Gesetz sie nicht für ganz Preußen festschreibe. Aus diesem Grunde plädierte Reichensperger gegen den Antrag Georg Beselers47, den Bericht der Justizkommission über die VO von 1849 und die Abänderungsvorschläge „dem kgl. Justizministerium zur Benutzung bei künftigen Gesetzesvorlagen zu überweisen“. Die Kammer nahm den Kommissionsvorschlag für ein Gesetz an und lehnte Beselers Zusatzantrag ab. Die zweite Rede vom 3. März 1852 befasste sich mit der Voruntersuchung in Kriminalsachen. Nach dem Vorschlag der Justizkommission sollten die Gerichte sie nur anordnen dürfen, wenn die Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben habe. Der Abgeordnete Wentzel wollte das Appellationsgericht ermächtigen, durch Plenarbeschluss eine Voruntersuchung anzuordnen. Reichensperger billigte diesen Antrag, stellte aber den Zusatzantrag, vor diesem Beschluss den Oberstaatsanwalt anzuhören, um den Verdacht zu entkräften, das Gericht sei berufen, die Staatsanwaltschaft zu kontrollieren. Da der Antrag Wentzels verworfen wurde, entfiel auch Reichenspergers Zusatzantrag.

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Georg Beseler (1809 – 1888) Jurist, Rechtshistoriker und Politiker, der als Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung gefordert hatte, die rheinischen Prinzipien des Strafprozesses (Anklageprinzip, Mündlichkeit, Öffentlichkeit des Verfahrens und Schwurgerichte) in den Grundrechtskatalog (dort Artt. 178 – 180) aufzunehmen. 1849 war er Professor in Greifswald und Abgeordneter der zweiten Kammer für Merseburg [Reden, S. 348, Fn. **)] Später hat er an der Ausarbeitung des preußischen Strafgesetzbuches von 1851 als Kommissionsvorsitzender mitgewirkt. Über ihn vgl. Jan Schröder in: Gerd Kleinheyer/Jan Schröder (Hg.) Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Auflage Heidelberg 1996, S. 52 – 56.

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Seine Ausführungen am 6. März 1852 betrafen die Frage, ob Jugendliche unter 16 Jahren vor das Schwurgericht gestellt werden dürften. Aus seiner langen Erfahrung am Kölner Appellationsgericht verneinte er dies, weil es entweder den Jugendlichen unfähig mache, sich zu verteidigen oder ihn die letzte Scham verlieren lasse, auch fürchtete er einen „ungünstigen Eindruck auf das Publikum“48.. Die Zuständigkeit der allgemeinen Strafgerichte für Verbrechen Jugendlicher sei angemessen. Vor allem aber wollte er die Einrichtung der Schwurgerichte, die sich vor allem im Rheinland bewährt hatte, beibehalten und nicht durch eine überzogene Zuständigkeit für Jugendliche diskreditiert wissen.

5. Der Militäretat Der Abgeordnete Freiherr v. Vincke hatte beantragt, den Betrag für die sog. „Geldverpflegung der Truppen“ in Friedensstärke zu streichen, die 409.373 Taler betrug. Reichensperger hob jedoch in seiner Rede vom 20. März 1852 hervor, dass es wichtig sei, die „Wehrhaftigkeit der Nation“49 zu erhalten und eine schlagkräftige Armee zu haben. Der Sonderbundskrieg in der Schweiz habe die Wiener Verträge von 1815 ins Wanken gebracht, „vermöge deren wir wieder Deutsche geworden sind“, deshalb müssten sie notfalls mit Waffengewalt verteidigt werden. Er schlug deshalb vor, nicht an der Stärke der Armee, sondern an den Gehältern und Pensionen höherer Offiziere zu sparen, hielt das aber zur Zeit nicht für durchführbar. Das Haus nahm schließlich den Etat der Militärverwaltung ungekürzt an.

6. Lehen und Fideikommisse Im Rheinland waren die Lehen und Familienfideikommisse bereits in der Zeit der französischen Besatzung aufgelöst worden50. Nach den Artt. 8 – 10 dieser Verordnung galt das französische Gesetz vom 14. Nov. 1792 über die Abschaffung der Substitutionen auch im Rheinland. Damit waren die Famileinfideikommisse sofort aufgelöst und in freies Eigentum verwandelt. Im übrigen Preußen hatte erst Art. 40 der preußischen Verfassung von 1850 die Neuerrichtung von Lehen und Familienfideikommissen untersagt und in Art. 41 davon nur die Thronlehen, den kgl. Haus- und Familienfideikommiss und ähnliche Institute ausgenommen. Die erste preußische Kammer hatte allerdings am 27. Jan. 1852 beschlossen, diese Artikel aufzuheben, die Neuerrichtung von Lehen zu untersagen, nahm die Thronlehen allerdings davon aus. Der Abge48 49 50

Reden, S. 355. Mit „Nation“ ist hier der Preußische Staat gemeint. Verordnung über die Erbschaften vom 17. Floreal an VI (= 6. Mai 1798) bei Bormann/Daniels Handbuch Bd. VI, 1841, S. 677ff; vgl. Eckert, S. 239.

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ordnete Geppert51 hatte jedoch einen Zusatzantrag gestellt, dessen Artikel 2 vorsah, dass der noch bestehende Lehnsverband durch gesetzliche Anordnung aufgelöst werden solle. Dem fügte Reichensperger noch eine Bestimmung über Familienfideikommisse hinzu52. Seiner Meinung nach seien die Familienfideikommisse zwar eine politische Institution, sie diene aber nicht dem großen Ganzen, sondern dem Glanze einzelner Familien. Das sei dem Bewusstsein der Zeit zuwider. Er wollte jedoch die Famileinfideikommisse nicht völlig abschaffen, sondern sah – in Anlehnung an die königliche Botschaft vom 7. Januar 1850 – das darin enthaltene Gute bewahren. Deshalb vertrete er nicht den Grundsatz der völligen Teilbarkeit des Bodens, sondern befürworte die Erhaltung geschlossener Bauernhöfe53. Außerdem machte er geltend, dass niemand bisher daran gedacht habe, die Korporationen, d. h. das Gemeindeleben zu stärken, denn darin sei die „Unterlage, auf welcher ein gesundes, dauerndes politisches Gebäude aufgeführt werden“ könne54. Sein Zusatzantrag wurde jedoch abgelehnt, der Antrag Gepperts angenommen, die Artt. 40, 41 der Verfassung aufgehoben55. Was aber aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht unmittelbar zu entnehmen ist: Da mit dem Art. 40 der Verfassung auch der Auftrag erloschen war, die Familienfideikommisse in freies Eigentum umzuwandeln, kam es in der Folge vermehrt zur Neuerrichtung solcher gebundenen Familienvermögen, allerdings nicht im Sinne Reichenspergers, der ja nicht an die großen Familien, sondern an die mittelständischen Bauernhöfe gedacht hatte. Die Teilbarkeit des Grundeigentums erhielt sich in Preußen, obwohl 1856 Art. 42 der Verfassung aufgehoben wurde56. Und erst die Anerbengesetze vom Ende des 19. Jhs. setzten bei Intestaterbfolge ein obligatorisches Anerbenrecht durch. Da aber Verfügungen unter Lebenden und von Todes wegen erlaubt waren, hing das Anerbenrecht von der Freiwilligkeit der Hofeigentümer ab57. Vergeblich versuchte Reichensperger, die zweite Kammer zu bewegen, die Gehälter des Vizepräsidenten des Appellationsgerichtshofes zu Köln und der

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53 54 55 56 57

Justizrat Geppert aus Berlin (Reden, S. 366, Fn. *). „Ein Gesetz über die Familienfideikommisse wird deren Verwandlung in freies Eigenthum erleichtern und die Bedingungen der Errichtung neuer Familienfideikommisse bestimmen. Bis dieses Gesetz erlassen sein wird, dürfen neue Familienfideikommisse nicht errichtet werden“, Text in: Reden, S. 362. Reden, S. 367. Reden, S. 365f. Gesetz v. 5. Juni 1852, in: G S 1852, S. 319. Gesetz v. 14. April 1856, in: G S 1856, S. 353. Vgl. Zycha, S. 303 ff.

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rheinischen Landgerichtspräsidenten denen der altländischen Beamten anzugleichen58.

7. Innungen und Zünfte Den Korporationsgedanken zu fördern, trat Reichensperger am 28. April 1853 an, als es um eine Städteordnung für Westfalen ging59. Wieder wollte er die Repräsentation des kleinen Mannes fördern. Da dieser wegen des preußischen Dreiklassenwahlrechts politisch im Grunde kaum vertreten war, sollte er wenigstens die Möglichkeit haben, sich in Korporationen (Innungen, Zünften, Gilden) zusammenzuschließen, um seine Interessen in der Stadt wahrnehmen zu können. Ihre Gründung solle „auf dem Boden der Religion und der traditionellen Sitte“ erfolgen. Dass solche Korporationen nötig sind, leitete er aus der französischen Revolution ab, wo sie auf Betreiben der Advokaten zwar zunächst alle aufgelöst wurden, doch hätten sich nach den ersten Stürmen die Advokaten als erste wieder zusammengeschlossen. Dabei wollte er über die Innungen der Gewerbetreibenden hinausgehen und wünschte, dass nicht nur „die Advokaten und Notare, auch die Kaufleute sich korporieren könnten, ja vielleicht sogar die Grundeigenthümer“. Darüber hinaus erblickte er in den Bruderschaften „ein schätzbares Element des Gemeindelebens“, womit er offenbar auf die katholischen Kirchengemeinden zielte60.

8. Die katholischen Stiftungsfonds Bereits in der Sitzungsperiode 1852/53 hatte man beanstandet, dass sich katholische Stiftungsfonds in Besitz und Verwaltung des preußischen Staates befanden, ihre Erträge jedoch nicht der katholischen Kirche zuflössen, auch stütze Preußen das katholische Schulwesen nicht hinreichend aus der Staatskasse. In der folgenden Sitzungsperiode 1853/54 setzte die Kammer eine Kommission unter dem Vorsitz August Reichenspergers ein, welche die Verhältnisse klären sollte. Am 21. April 1853 erstattete der Abgeordnete Mallinckrodt61 den Kommissionsbericht und Reichensperger ergriff dazu am 27. April das Wort. Er wies zunächst auf die Artt. 12 und 15 der preußischen Verfassung hin, die nicht nur die Freiheit des religiösen Bekenntnisses (Art. 12) garantieren, sondern den Kirchen die Selbstverwaltung und den Besitz und Genuss der für sie bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds (Art. 15) einräumten. 58 59 60 61

Reden, S. 469 – 473. Reden, S. 486 ff. Reden, S. 488. Regierungsassessor Hermann v. Mallinckrodt aus Erfurt, Abgeordneter für Beckum und Lüdinghausen, war ein Freund Reichenspergers, vgl. Reden, S. 353; 524, Fn. ***).

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In umfangreichen Ausführungen hob er einzelne Fälle heraus, in denen die Katholiken sich benachteiligt fühlten. Es waren die Verwendung des Jesuitenvermögens nach der Auflösung des Ordens durch Papst Clemens XIV. im Jahre 1773, das Schicksal der Kirchengüter nach dem Reichsdeputationshauptschluss vom Jahre 1803, die dadurch keineswegs zu bona vacantia geworden seien62. Der Staat habe sie jedoch statt für katholische zu protestantischen Zwecken verwandt. Ein weiterer Antrag forderte Parität bei der staatlichen Unterstützung von Universitäten, Gymnasien und anderen schulischen Einrichtungen. Diese Parität fand Reichensperger bei der Besetzung der Lehrstühle an den Universitäten verletzt63. Sein Plädoyer und das am 28. April 1853 gehaltene seines Bruders Peter Franz64 hatten immerhin den Erfolg, dass die zweite Kammer zwar nicht die Anträge der von August Reichensperger geleiteten Kommission, aber die durch den Abgeordneten Otto65 für die katholische Fraktion, von Nöldechen66 und Kühne67 gestellten Anträge annahm und die Regierung um Auskunft über die Rechtslage der Fonds, um Widmung ihrer Erträge dem bestimmungsmäßigen Zweck und um Durchführung der Parität bei der Unterstützung von Universitäten und Schulen bat. Diese Bitte wurde insgesamt vier Mal vorgetragen und debattiert, zuletzt am 8. Februar 1856, wo sich Peter Franz Reichensperger für den Antrag verwandte68. In der folgenden Sitzungsperiode 1854/55 kritisierte Reichensperger wieder die Benachteiligung der Katholiken bei der Besetzung staatlicher Verwaltungsstellen69 und verteidigte dabei gegen den Grafen v. d. Schulenburg70 die Bildung einer katholischen Fraktion, denn diese diene allein dazu „die Rechte unserer Kirche zu wahren“ 71. Eine weitere Verletzung der Parität und Benachteiligung der Ka62 63 64 65

66 67 68 69 70 71

Reden, S. 640 ff. Reden, S. 644 f. Reden, S. 647 – 655. Der Regierungsrat a. D. Otto aus Düsseldorf, Abgeordneter für Krefeld und Mönchengladbach war ein Freund Reichenspergers; er starb unter dramatischen Umständen auf der Rednertribüne der zweiten Kammer am 17. März 1857, vgl. (Reden, S. 504, Fn. *; 353; u. S. 378f). Der Konsistorialdirektor Nöldechen aus Magdeburg war Abgeordneter für Neuhaldensleben und Wanzleben (Reden, S. 636, Fn. **). Oberregierungsrat Kühne aus Erfurt, Abgeordneter für Erfurt, Weißensee, Langensalza, Schleusingen und Ziegenrück (Reden, S. 785, Fn. ††). Reden, S. 935 – 944. Reden, S. 703 ff. Landrat Graf v. d. Schulenburg aus Altenhausen, Abgeordneter für Neuhaldensleben und Wanzleben (Reden, S. 706, Fn. *). Reden, S. 706.

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tholiken ergab sich, als die Regierung im August 1856 bei der Neufeststellung der Notabelnliste am Handelsgericht in Koblenz 49 Katholiken gestrichen hatte. In seiner Rede vom 3. April 1857 wandte sich Reichensperger gegen diese Maßnahme und machte geltend, dass die Mitwirkung der Handelsrichter „ein respektabler Rest von Selbstregierung“ sei, den man durch solche Maßnahmen aufs Spiel setze, weil die Kaufleute in Zukunft nicht bereit sein würden, derartige Ehrenämter auszuüben. Erfolg war ihm jedoch nicht beschieden, weil die Mehrheit der Abgeordneten beschloss, zur Tagesordnung überzugehen72. Im Jahre 1856 hatte Reichensperger den Antrag gestellt, die katholische Akademie in Münster zur Volluniversität zu erheben73. Er berief sich abermals auf die Notwendigkeit der Parität74, auf das Elternrecht, das nicht nur erfordere, ihre Kinder auf katholische Universitäten schicken zu können, sondern die auch ein Recht darauf hätten, dass ihren Kindern nicht nur Fachkenntnisse vermittelt würden, sondern dass sie zu Charakteren gebildet würden75. Auch sei es wichtig, dass zur Vermittlung von Philosophie, Kirchenrecht und Geschichte76 katholische Professoren angestellt würden. Die zweite Kammer verwarf jedoch den Antrag.

9. Die Freiheit der Wahlen Um Probleme der Behinderung der Freiheit bei politischen Wahlen ging es am 3. Dezember 1855. Bei der Wahl des Mindener Landrates hatte der Regierungspräsident den Beamten mit Disziplinarmaßnahmen gedroht, wenn sie nicht den Regierungskandidaten wählten77. Die Einschüchterung der Beamten durch Drohungen hielt Reichensperger für verfassungswidrig, zumal man sonst bestrebt sei, den Beamtenstand zu kräftigen. Er forderte die Regierung auf, sich „auf den Boden des Rechts und der Wahrheit“ zu stellen und nicht auf den der Willkür78 In der Sitzung vom 6. Dezember 1855 wurden die Wahlen zur zweiten Kammer im Rheinland behandelt. Hier hatte die Regierung ebenfalls in mehreren Fällen versucht, Einfluss zu nehmen, indem sie die Wahlkreise so ungünstig zuschnitt, dass die Bürger 13 – 15 Stunden brauchten, um das Wahllokal zu erreichen79. So geschehen in Wittlich und Bernkastel, wo der Wahlort Morbach 72 73 74 75 76 77 78 79

Reden, S. 1026 – 1031. Reden, S. 944 – 952; Rede Reichenspergers vom 23. April 1856. Reden, S. 948. Reden, S. 949 ff. Reden, S. 951f. Reden, S. 779 ff. Reden, S. 782. Reden, S. 783.

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war (und in einer Scheune gewählt werden musste, weil es kein anderes Wahllokal gab), in Trier, wo Hetzerath zum Wahlort bestimmt wurde, und schließlich in Kleve, wo Wahlort zunächst Rees, dann bei der Wiederholungswahl das noch weiter entfernte Wesel war, jeweils auf der anderen Rheinseite gelegen und von Kleve aus entsprechend mühsam zu erreichen. In diesem Zuschnitt der Wahlbezirke sah Reichensperger zu Recht eine Beeinträchtigung des „Grundgedankens allen Wählens“ 80, nämlich der Freiheit der Wahlen und des Rechtes der Wähler, sich daran zu beteiligen. Den Minister bat er um Abhilfe.

10. Die Unabhängigkeit der Richter Am 27. Februar 1856 beriet die zweite Kammer über den Beschluss des Herrenhauses, den Art. 88 der preußischen Verfassung aufzuheben81. Er verbot, den Richtern besoldete Staatsämter zu übertragen. Reichensperger sprach sich gegen die Vorlage aus. Er befürchtete, dass die Unabhängigkeit der Richter berührt werde und die Unabhängigkeit der Gerichte nach Art. 86 beeinträchtigt werde. Durch die Ungleichbehandlung der Richter (nicht alle könnten ein Nebenamt erhalten) werde Zwietracht und Neid in die Richterkollegien getragen, Auch das Publikum werde kein Vertrauen in die Unabhängigkeit der Richter mehr haben. Da die Besoldung der Richter bescheiden sei, werde man sich nach solchen Nebenämtern drängen. Hinzu komme, dass Richter mit Nebenämtern „ad nutum in Bezug auf das Nebenamt amovibel sind“82, es ihnen also durch die Regierung jederzeit genommen werden kann. Da er seinen Lebensstil unter Berücksichtigung des Nebenamtes eingerichtet habe, werde er alles daran setzen, es zu behalten und damit sein Richteramt beeinträchtigen. Deshalb stimmte Reichensperger für die Beibehaltung des Art. 88, unterlag jedoch in der folgenden Abstimmung; der Artikel wurde durch Gesetz vom 30. April 1856 aufgehoben83. Bei dieser Gelegenheit warf er dem rechten Flügel der Kammer Zentralisierungstendenzen vor, und sagte „Diesen Tendenzen habe ich mich immer entgegengesetzt und werde es auch ferner thun, morgen wie heute“ 84.

11. Soziale Fragen Dass sich in der zweiten Kammer zuweilen restaurative Tendenzen bemerkbar machten, wird aus dem Antrag v. Rosenberg-Lipinsky85 deutlich, der im Jahre 80 81 82 83 84 85

Reden, S. 782f. Reden, S. 838 – 847. Reden, S. 844; ad nutum amovibel, d. h. durch einen Wink der Oberen versetzbar. Gesetz vom 30. April 1856, G S 1856, S. 297. Reden, S. 846. Reden, S. 952 ff. v. Rosenberg-Lipinsky aus Oels war dort Kreisrichter und Abgeordneter für Oels, Wartenberg und Namslau (östlich von Breslau in Schlesien).

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1856 beantragte, die Prügelstrafe wieder ins preußische Strafgesetzbuch aufzunehmen. In der Sitzung vom 28. April 1856 sprach sich Reichensperger dagegen aus. Man müsse die Sache „provinziell behandeln“86 und aus den Rheinprovinzen sei ein solcher Wunsch bisher nicht laut geworden. Zugleich bezog er sich auf eine Kabinettsordre Friedrich Wilhelms I. vom 4. April 1738, in der er die Prügelstrafe verbot und sie nur ausnahmsweise in einzelnen Landesteilen gelten lassen wollte, zu denen die westlichen Provinzen nicht gehörten. Der Antrag wurde denn auch verworfen. Ein weiterer Antrag wollte das frühe Heiraten beschränken 87. Reichensperger lehnte ihn in seiner Rede vom 29. April 1856 ab, indem er geltend machte, dass nach katholischer Auffassung die Ehe ein Recht sei, das man nicht beschränken dürfe. Auch nach Luthers Ansicht dürfe es keine Ehebeschränkungen geben88. Reichensperger argumentierte jedoch nicht nur historisch, sondern machte geltend, dass infolge der Allgemeinen Gewerbeordnung vom 17. Januar 184589, das die Niederlassung der Meister beschränkte, die Zahl der nichtehelichen Kinder zugenommen habe90. Im Übrigen meinte er, dass man durch Gesetze in dieser Frage nichts bessern, sondern dass „die Heilung von innen heraus und nicht von außen herein bewirkt“91 werden könne. Er hatte jedoch mit seinen Ausführungen keinen Erfolg. Die Kommissionsvorlage wurde der Regierung zur Erwägung überwiesen. Am 12. Januar 1856 verhandelte man über das Verbot von Tanzmusik an Sonntagen. Die Regierung in Koblenz hatte Tanzmusik nur noch an drei Sonntagen im Jahr – einer davon Königs Geburtstag – erlaubt92. Dagegen protestierten 80 Musiker aus Koblenz, die dadurch ihre Existenz gefährdet sahen. Reichensperger nahm für die Musikanten Stellung und machte geltend, die rheinische Bevölkerung sei „ein frischer, munterer, vergnügungsliebender, vielleicht hier und da auch sogar vergnügungssüchtiger Menschenschlag“. Deshalb passe diese Verordnung nicht ins Rheinland, wo der Grundsatz „leben und leben lassen“ gelte. Man müsse Verschiedenes verschieden behandeln, denn die Sittlichkeit stehe im Rheinland nicht am Tiefsten. Die Musiker wollten nur ihren bisherigen Besitzstand erhalten und daran solle man so wenig wie möglich rütteln. Seinen Vorschlag nahm die zweite Kammer an. 86 87 88 89 90 91 92

Reden, S. 954. Antrag v. d. Horst, der in der Sitzung vom 29. April 1856 behandelt wurde, vgl. Reden, S. 955 – 959. Reichensperger zitiert dazu eine Schrift Luthers aus dem Jahre 1529, vgl. Reden, S. 957f. Allgemeine Gewerbeordnung vom 17. Jan. 1845, in G S 1845, S. 41 – 78. Reden, S. 958. Reden, S. 958. Reden, S. 960 – 966; die Verordnung der Koblenzer Regierung auf S. 961f.

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12. Der Kampf um die Rheinische Gemeindeordnung Die bis 1845 im Rheinland geltende französische Gemeindeverfassung, die Peter Franz Reichensperger als „den hässlichsten Ausbund aller bureaukratischen Willkür“ bezeichnete, „das echte Kind jenes revolutiönären freiheitsmörderischen Geistes“ der französischen Revolution, durch den „das System der bureukratischen Staatsomnipotenz und Bevormundung zur Geltung gelangte“93, ersetzte Preußen durch Gesetz vom 23. Juli 184594. Bereits am 11. März 1850 wurde eine einheitliche Gemeindeordnung für die ganze Monarchie erlassen95. Mit beiden Lösungen war man im Rheinland recht zufrieden. Aber bereits 1857 wollte man diesen Zustand ändern und für Städte und Landgemeinden unterschiedliche Ordnungen beschließen, obwohl dort die Trennung von Stadt und Land nie gegolten hatte. Der Schnitt sollte bei 10.000 Einwohnern gemacht werden. Ortschaften mit geringerer Bevölkerungszahl sollten nach der Landgemeindeordnung leben. In der Debatte engagierte sich vor allem Peter Franz Reichensperger, aber auch sein Bruder August ergriff das Wort gegen die geplanten Neuerungen. Er machte geltend, dass die Zahl der Bewohner wechseln könne, vor allem, dass „althistorische, altehrwürdige Städte“ ihren Status als Stadt verlören, wenn sie zufällig eine geringere Zahl von Einwohnern aufwiesen96. Die neue Ordnung gehe schablonenartig vor und wolle alles nur nach der bloßen Einwohnerzahl entscheiden, statt historisch Gewachsenes und Organisches zu berücksichtigen. Es handele sich um nichts anderes als üble bürokratische Bevormundung97. Der ganze Widerstand nützte letztlich nichts, denn die Kammer und das Herrenhaus beschlossen mit der Mehrheit der Kreuzzeitungspartei die Städteordnung98 und die Landgemeindeordnung99, obwohl auch im Herrenhaus eine Verweisung an den Rheinischen Provinziallandtag beantragt worden war. Die rheinischen Parlamentarier gaben jedoch noch nicht auf: Ihre Mitglieder in der 2. Kammer und im Herrenhaus ließen dem König durch den Grafen Fürstenberg-Stammheim eine Adresse mit ausführlicher Denkschrift überreichen, in der nochmals um Verweisung an den Provinziallandtag gebeten wurde. Daraufhin erhielt die Publikation immerhin den Zusatz, dass alle dort vertretenen Gemeinden beantragen könnten, aus dem Bürgermeistereiverband auszutreten. Dann sollten 93 94 95 96 97 98 99

Reden, S. 877. Gemeindeordnung für die Rheinprovinz vom 23. Juli 1845, G S 1845, S. 523 – 554. Gemeindeordnung für den Preußischen Staat vom 11. März 1850, G S 1850, S. 213 – 251. Rede August Reichenspergers vom 2. April 1856, Reden, S. 885f. In seiner Rede vom 11. April 1856 formulierte er: „wir sollen unter die absolute Herrschaft der Büreaukratie kommen“, Reden, S. 918. Städte-Ordnung für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856 (G S, S. 406 – 431). Gesetz betreffend die Landgemeinde-Verfassungen in den sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 14. April 1856 (G S 1856, S. 359 – 364).

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auch sie die Städteordnung erhalten100. So hatte die rheinische Opposition unter der Führung der Brüder Reichensperger noch einen kleinen Erfolg errungen.

13. Das Ehescheidungsgesetz von 1857 Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 hatte die Ehescheidungsgründe in Teil II, Titel 1, §§ 669 – 718 ausführlich geregelt. Nachdem die zweite Kammer den vom Herrenhaus 1855 beschlossenen Entwurf nicht mehr beraten konnte, wurde er 1856 in einer Form dort eingebracht, den die evangelische Kirche überarbeitet hatte. Beabsichtigt war, den Konflikt zwischen Staat und Kirche zu entschärfen, die Regierung sah gleichwohl das beabsichtigte Gesetz als ein bürgerliches an. In seiner Rede vom 23. Februar 1857101 nahm August Reichensperger dazu Stellung. Er erkannte den bürgerlichen Charakter der Vorlage nicht an und forderte zunächst, sie den kirchlichen Behörden beider Konfessionen zur Stellungnahme zuzuleiten102. Darüber hinaus sei die Ehescheidung überhaupt der Kirche zuzuweisen103. Die Belange der Katholiken waren – wie schon im Allgemeinen Landrecht – nicht berücksichtigt. Ihrer Ansicht nach enthielt die Vorlage materiell protestantisches und bürgerliches Recht. Gleichwohl hätten sie für den Entwurf gestimmt, wenn die Regierung ihnen ein katholisches Eherecht zugestanden hätte. Bei der Schlussabstimmung am 4. März 1857 wurde die Vorlage mit 173 / 134 Stimmen abgelehnt104.

14. Vorläufiger Abschied von der Politik Seit seiner Teilnahme an der Frankfurter Nationalversammlung war August Reichensperger ununterbrochen politisch tätig gewesen. Im Preußischen Landtag kämpfte er – wie sich aus der bisherigen Darstellung ergibt – für die Preußische Verfassung und für die Parität der preußischen Katholiken. Zwischen 1851 und 1863 war er der Führer der katholischen Fraktion, die auch ‚Fraktion Reichensperger’ hieß. Sie änderte 1858 ihren Namen in ‚Fraction des Centrums’, weil sie zwischen der liberalen Linken und der konservativen Rechten stand. Auch in dieser Zeit kämpfte Reichensperger für die Bekenntnisschule, die er in Art. 24,

100 In welchen Fällen Landgemeinden die Annahme der Städte-Ordnung gestattet werden kann, ergibt sich aus § 17 des in Fn. 99 genannten Gesetzes vom 14. April 1856 (G S 1856, S. 359 – 364 [S. 364]). 101 Reden, S. 981 – 993. 102 Reden, S. 982 ff. 103 Reden, S. 983; 987 ff. Dies kommt auch in den weiteren Reden Reichenspergers vom 28. Februar 1856 vgl. Reden, S. 993f) und besonders der vom 3. März 1857 (Reden, S. 995 – 1002) zum Ausdruck. 104 Reden, S. 1003.

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Abs. I der Verfassung105 von 1850 gesichert fand. Dagegen stellte er sich gegen die Simultanschulen, in denen seiner Meinung nach den Kindern ein über den Confessionen schwebendes Christenthum beigebracht werde106. Mit Rücksicht auf seine angegriffene Gesundheit, aber auch aus politischen Gründen legte Reichensperger am 21. Nov. 1863 sein Mandat als Landtagsabgeordneter nieder107 und widmete sich wieder seinem Beruf, daneben aber auch seiner Leidenschaft, der christlichen Kunst- und Baugeschichte, und unternahm viele Reisen in das europäische Ausland. 1864 erschien als Summe seiner politischen Erfahrungen sein ‚Politisches Testament‘108.

V. D I E

PA R LA M E N T A R I S C HE N

J A H RE 1870 – 1885

1. Die Stellungnahme zum Entwurf der lex Miquel/Lasker Die Reichsverfassung von 1871 hatte dem Reich in Art. 4, Nr. 2 und 13 aus dem Privatrecht lediglich die Zuständigkeit für das Obligationen-, das Handelsund Wechselrecht zugebilligt, das übrige bürgerliche Recht dagegen ausgenommen. Hiergegen richtete sich der Gesetzentwurf der nationalliberalen Abgeordneten Johanns Miquel und Eduard Lasker, die dem Reich die Gesetzgebungsmacht für das gesamte bürgerliche Recht geben wollten109. Der Abgeordnete Carl Herz, Mitglied der Fortschrittspartei, eröffnete damit zugleich auch die Aussicht auf die obligatorische Zivilehe. Reichensperger wandte sich am 9. November 1871110 gegen den Entwurf. Er vermutete dahinter einen Zug zur Zentralisation, den er – bei aller sonstigen Vorliebe für französisches Recht – als dem germanischen Wesen fremden „Weg zum Abgrunde“ bezeichnete. Er strebe „nach Einklang des Verschiedenen, nach Einigkeit und vor allem nach Freiheit“. Um sie zu bewahren, solle man „die einzelnen Volkstämme in ihren Gewohnheiten ... nicht ohne äußerste Noth aufrüttel[n]“. Die Gewohnheiten der Volksstämme zielten für ihn auf die überwiegend katholischen Rheinländer, die das französische 105 106 107 108

Stenogr. Ber., Lt. 1861, Rede Reichenspergers v. 19. April, S. 804. Rede Reichenspergers am 19. April 1861, in Stenogr. Lt., S. 812f, vgl. Pastor I, S. 419. Pastor I, S. 426 ff. „Ein Rückblick auf die letzten Sessionen des preußischen Abgeordnetenhauses“, und: „Ein Wort über die deutsche Verfassungsfrage“, Paderborn 1864, besprochen von Joseph Edmund Jörg, in: Historisch-politische Blätter Bd. 54 (1864), S. 137 – 155, vgl. Pastor, I, S. 471f. 109 Zur Lex Miquel/Lasker vgl. Adolf Laufs, Die Begründung der Reichskompetenz für das gesamte bürgerliche Recht, in: Jus 1973, S. 740 – 744; Werner Schubert, Preußens Pläne zur Vereinheitlichung des Zivilrechts nach der Reichsgründung, in: ZRG, GA 96 (1979), S. 243 – 256. 110 Zit. bei Pastor II, S. 47.

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Recht und die kirchliche Ehe beibehalten wollten. Dass die deutsche Wirtschaft durch unterschiedliches bürgerliches Recht gehemmt werden könne, hat er nicht erwogen. Der Reichstag folgte allerdings dem liberalen Vorschlag. Nur der Bundesrat111 sperrte sich noch. Nach einem neuen Anlauf wurde jedoch am 20. Dezember 1873 die lex Miquel/Lasker im Reichsgesetzblatt verkündet112 und dem Reich die Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche Recht zugewiesen.

2. Die Beratung der Kreisordnung Im Jahre 1872 wurde im Landtag eine neue Kreisordnung für die östlichen preußischen Provinzen113 beraten. Reichensperger meldete sich in der zweiten Lesung am 22. November zu Wort. Er kritisierte vornehmlich die rheinische Personalpolitik der Regierung, welche die einheimischen Grundbesitzer von den Landratsstellen fernhalte und diese zur „Rennbahn für jugendliche Streber“ mache, die zudem aus Karrieregründen die Steuerschraube stärker als in anderen Provinzen anzögen, „weil sie nicht im rheinischen Volke wurzelten“.

3. August Reichensperger im Kulturkampf Durch die Veröffentlichung des Syllabus errorum am 8. Dez. 1864114 und das auf dem ersten Vatikanischen Konzil 1870 verkündete Unfehlbarkeitsdogma115 sowie die gleichzeitig veröffentlichte Ablehnung der Grundsätze des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Liberalismus fühlte sich Preußen durch die Katholische Kirche herausgefordert. Bismarck wollte nun den kirchlichen Einfluss auf die Politik beseitigen und strebte deshalb eine stärkere Trennung zwischen Staat und Kirche an. Nachdem er am 8. Juli 1871 die katholische Abteilung des Kultusministeriums aufgelöst hatte116, beschloss der Reichstag am 10. Dez. 1871 den „Kanzelparagraphen“117, der den Geistlichen verbot, in Aus111 Der Bundesrat mußte nach Art. 7, Ziff. 1 der Reichsverfassung bei der Gesetzgebung mitwirken. 112 RGBl. 1873, Nr. 34, S. 379. 113 Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen vom 13. Dez. 1872 (G S 1872, S. 661 – 716); vgl. Pastor, II, S. 88. 114 Der Syllabus complectens praecipuos nostrae aetatis errores que notantur in allocutionibus consistorialibus, in encyclicis aliisque apostolicis litteris sanctissimi domini nostri Pii papae IX: wurde mit der Enzyklika Quanta cura vom 8. Dezember 1864 an alle Bischöfe versandt; Text bei Mirbt, Nr. 601, S. 450 ff; Vgl. Schmidt-Volkmar, S. 60 ff; Franz, S. 65f. 115 Text bei Mirbt, Nr. 606 (Sessio IV, 18. Juli 1870: Constitutio dogmatica de ecclesia Christi, Cap. 4, S. 465). 116 Vgl. dazu Huber/Huber, II, Nr. 241 – 244 (S. 522 – 527). 117 Das ist der § 130 a des Strafgesetzbuches (Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870 [Bundesgesetzblatt des Nordd. Bundes 1870, S. 197 – 271]; es

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übung ihres Amtes „in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise“ staatliche Angelegenheiten zu behandeln. Es folgte am 11. März 1872 das Schulaufsichtsgesetz118, das die geistliche Aufsicht über die Schulen beseitigte und sie dem Staate zuwies. Hiergegen gingen bei der Zentrumsfraktion119 große Mengen von Petitionen ein. Beraten wurde die Vorlage vom 8. bis zum 13. Februar 1872120. Reichensperger machte geltend121, das Gesetz beschneide die Freiheit des Volkes, fördere die Staatsomnipotenz und die ministerielle Willkür. Gleichwohl wurde das Gesetz beschlossen. Im Mai und Juni 1872 beriet der Reichstag den Entwurf eines Jesuitengesetzes122, der die Niederlassung des Ordens in Preußen verbot. Reichensperger kam erst in der dritten Lesung, am 19. Juni 1872 zu Wort123, und hielt eine umfangreiche Rede, die nicht nur das Verbot des Ordens geißelte, sondern das Gesetz als allgemeinen Angriff auf die Katholische Kirche begriff, für den er keinen rechtfertigenden Grund sah, weil weder der Syllabus von 1864 noch das Konzil von 1870 am Verhältnis zwischen Staat und Kirche etwas geändert hätten124.

118 119 120 121 122

123 124

wurde durch das Gesetz vom 15. Mai 1871, betr. die Redaktion des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich [RGBl. 1871, S. 127] übernommen). Der Paragraph verbot den Geistlichen, Kanzelmissbrauch zu üben. Das Gesetz betr. Die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuches vom 15 .Mai 1876 und die Ergänzung desselben, in: RGBl. 1876, S. 25 – 38, fügte dem § 130a StGB 1876 den Absatz II an (S. 28f), der das Verbot des „Kanzelmissbrauchs auch auf die Verbreitung von Schriftstücken ausdehnte. Das Gesetz betr. die Beaufsichtigung des Unterrichts- und Erziehungswesens [sog. Schulaufsichtsgesetz] vom 11. März 1872 (GS S. 183). Über das Zentrum im Kulturkampf vgl. Bornkamm, HZ Bd. 170, S. 54 – 58. Stenogr. Ber. der 2. Kammer des Preußischen Landtags 1872, S. 752 – 754. Rede August Reichenspergers vom 13. Februar 1872 gegen das Schulaufsichtsgesetz, Stenogr. Ber. Lt. 1872, S. 752 ff; vgl. Pastor, II, S. 59 ff. Gesetz betr. die Aufhebung der Gesellschaft und des Ordens der Gesellschaft Jesu vom 4. Juli 1872 [sog. Jesuitengesetz], RGBl., S. 253. Auch bei E. R. Huber, Dokumente, Bd. II, Nr. 285, S. 461. Das „Gesetz betr. die Aufhebung des § 2 des Gesetzes über die Aufhebung der Gesellschaft und des Ordens der Gesellschaft Jesu“ [der § 2 ermöglichte die Ausweisung ausländischer Mitglieder des Ordens und den Erlaß eines Aufenthaltsverbots inländischer Mitglieder für bestimmte Bereiche und Orte] vom 8. März 1904, RGBl. S. 253 hob diese Beschränkung auf. Erst das Gesetz vom 19. April 1917 (RGBl. S. 362) beseitigte das Jesuitengesetz von 1872 vollständig. Vgl. Pastor, II, S. 70 – 85, der die Rede fast vollständig wörtlich abdruckt. Vgl. Pastor, II, S. 75f. Joseph Edmund Jörg zitiert (Hist. Pol. Blätter Bd. 71 (1873), S. 478 aus Reichenspergers Rede: „Ich will Ihnen einfach nur sagen, dass dieses vom vatikanischen Konzil festgestellte Dogma weiter gar nichts ist, als die Umwandlung des bis dahin geltend gewesenen Gewohnheitsrechts in geschriebenes Recht. Dass es Gewohnheitsrecht war, hat selbst Dr. Luther anerkannt“.

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Im Januar 1873 begann die Beratung der geplanten Kulturkampfgesetze im Landtag. Es handelte sich um das Kirchenaustrittsgesetz125, die Änderung der Art. 15 und 18 der preußischen Verfassung126, die Ausbildung und Anstellung der Geistlichen127, die Beschränkung der kirchlichen Disziplinargewalt128 und die Errichtung eines königlichen Gerichtshofes für kirchliche Disziplinarsachen129. Reichensperger wurde zwar mit Brüel und v. Mallinckrodt in die kirchenpolitische Kommission berufen, welche die Beratungen des Abgeordnetenhauses vorbereiten sollte, fand sich jedoch in der 21-köpfigen Kommission in der Minderheit, auch wenn einige protestantische Abgeordnete weitgehend seine Ansichten teilten. Am 21. Januar 1873 sprach Reichensperger zum Kirchenaustrittsgesetz. Ironisch begrüßte er die Vorschrift, dass jeder „gegen fünf Silbergroschen“ aus der Kirche austreten könne, denn er wäre froh, wenn er laue Christen auf diese Weise los werde130. Allerdings vermisste er eine Vorsorge für die Ausgetretenen, die nun zu „kirchlich ins Freie gefallenen Humanisten“ würden, wobei ihm durchaus unklar sei, was eigentlich ‚Humanismus‘ sei. Auch habe das Gesetz nicht vorgesorgt für diejenigen, die nicht an Gott glaubten131. In seiner Rede vom 31. Januar 1873 sprach er gegen die Änderung der Art. 15 und 18 der Preußischen Verfassung und kritisierte den Gesetzespositivismus der nationalliberalen Mehrheit im Landtag, indem er ihr vor allem die Bemerkungen Rottecks in seinem Staatslexikon über die Freiheit der Kirche

125 Gesetz über den Austritt aus der Kirche vom 14. Mai 1873, G S 1873, S. 207 – 208. 126 Das Gesetz vom 5. April 1873 (G S, S. 143) führte in Art. 15 die Staatsaufsicht über die Kirche ein; in Art. 18 wurde bestimmt, dass das Gesetz über die Befugnisse des Staates hinsichtlich der Vorbildung, Anstellung und Entlassung der Geistlichen vom 11. Mai 1873 (G S, S. 191 – 197) sowie das Gesetz über die Grenzen der kirchlichen Disziplinargewalt vom 13. Mai 1873 (G S, S. 205 – 206)gelten sollte. Beide Artikel hob das Gesetz vom 18. Juni 1875 (G S, S. 259) wieder auf; vgl. Dürig/Rudolf, Texte S. 137; Huber/Huber, II, Nr. 278, S. 593. 127 Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom 11. Mai 1873, G S, 1873, S. 191 – 197. 128 Gesetz über die Beschränkung der kirchlichen Disziplinargewalt vom 13. Mai 1873 (G S, S. 205 – 206). 129 Gesetz über die kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten v. 12. Mai 1873, G S, S. 198 – 204. Joseph Edmund Jörg berichtete über diese Debatten in den Hist. polit. Blättern Bd. 71 (1873) S. 400 – 416 [über Reichensperger S. 412f] und S. 476 – 493, vgl. Stenogr. Ber. Lt. 1873 S. 891 – 895. 130 Stenogr. Ber. Lt. 1873, S. 696f, vgl. Pastor II, S. 90 ff, 104. 131 Auch am 19. März 1873 nahm er gegen das Austrittsgesetz Stellung, vgl. Stenogr. Ber. Lt. 1873, S. 1745f

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und Cavours Ausspruch „die freie Kirche im freien Staate“ vor Augen hielt132. Während der „nationalliberale Regierungscanonist“ Dr. Heinrich Friedberg den Satz aufstelle „Die Freiheit der Kirche ist die Sklaverei des Staates“133, folge daraus heute umgekehrt „Die Freiheit des Staates erfordert die Sklaverei der Kirche“. Reichensperger sah in dieser Gesetzgebung „die unverhüllte Staatsomnipotenz, [den] Cäsaropapismus“134 am Werk. In seiner Rede vom 27. Februar fügte er hinzu, die Verfassungsänderung werde den Frieden des Friedhofes herbeiführen, aber die Kirche werde diesen Kampf – wie so viele andere – siegreich bestehen135. Zwischen dem 10. und dem 20. März 1873 beriet das Abgeordnetenhaus die „Kirchenknebelungsgesetze“. Reichensperger nahm gegen alle drei Entwürfe Stellung: Seiner Ansicht nach lieferten die staatlichen Befugnisse bei der Anstellung der Geistlichen sie der Willkür des Kultusministers aus136. Da der Gesetzentwurf vorsah, dass alle Geistlichen vor ihrer Anstellung ein philosophisches Examen abzulegen hätten, geißelte Reichensperger dies als übermäßige Stoffbelastung und zugleich als sachfremd, weil damit der Staat, „der von der Kirche nichts versteht“137, einen Geistlichen prüfe. Auch könne man von den Theologen nicht verlangen, Professoren zu hören, die die Fundamente der Religion angriffen138. Am 14. März wehrte er sich dagegen, ausländische Geistliche von der Anstellung in Deutschland auszuschließen. Schließlich sei das Christentum international; eine solche Anstellung komme so selten vor, dass eine Vorschrift unnötig sei, auch könne sie „leicht Ihren Schützlingen [der Liberalen]... zum Nachtheil gereichen. Ich erinnere nur an die Rundreise, die z. B. der Erzbischof von Utrecht, Herr Loos, gemacht hat. Derselbe hat wirklich geistliche Funktionen in Deutschland ausgeübt, und die ganze liberale Presse hat ihn jubelnd empfangen, als er in München und anderwärts solche Funktionen ausübte. Das war freilich ein Jansenist, da traten andere Rücksichten ein.“139. Die harten Strafandrohungen gegen die kirchlichen Oberen bei Übertretung dieser Gesetze kritisierte er am 13. März und meinte, solche Vorschriften brächten dem Staat keine Ehre140, zumal er sonst mit Disziplinarstrafen „bis zu 30 Thalern“ ausgekommen sei. Hinsichtlich der Errichtung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten geißelte er, dass seine Zuständigkeit 132 Rede Reichenspergers vom 31. Januar 1873, in: Stenogr. Ber. Lt. 1873, S. 892; vgl. Staatslexikon, Bd. 8 (1847), S. 150 ff (163f). 133 Stenogr. Ber. Lt. 1873, S. 891 – 895, vgl. Pastor II, S. 96. 134 Tagebuch Reichenspergers vom 8. Februar 1873, zit. bei Pastor II, S. 97. 135 Stenogr. Ber. Lt. 1873 S. 1268, Pastor II, S. 100. 136 Rede vom 11. März 1873 zum Entwurf eines Gesetzes über die Vorbildung und Anstellung von Geistlichen, 2. Beratung, in: Stenogr. Ber. Lt. 1873 S. 1599f; Pastor II, S. 102f. 137 Rede vom 10. März; Stenogr. Ber. Lt. 1873 S. 1561 – 1565; vgl. Pastor II, S. 102. 138 Rede vom 20. März, Stenogr. Ber. Lt. 1873 S. 1778f; 1789 ff; 1799 ff, Pastor II, S. 104f. 139 Stenogr. Ber. Lt. 1873 S. 1632 f; 1634, Pastor II, S. 104. 140 Rede vom 13. März 1873, Stenogr. Ber. Lt. 1873 S. 1622 f, Pastor II, S. 103.

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unsicher und ungreifbar sei. Außerdem seien die katholischen Geistlichen nicht davor geschützt, dass über sie altkatholische oder aus der Kirche ausgetretene Männer richteten141. Als am 18. März 1873 über die Grenzen kirchlicher Strafmittel debattiert wurde, entlarvte er den Entwurf als sachfremd und führte als Beispiel an, dass der Professor Friederich Michelis nicht aus der katholischen Kirche ausgeschlossen werden durfte, obgleich der Papst ihn zum Häretiker erklärt hatte. Ironisch verlangte Reichensperger deshalb, die Abgeordneten müssten zuvor ein theologisches Examen ablegen, ehe sie Vorschriften beschlössen, von deren Tatbestand sie nur oberflächliche Kenntnis hätten142. Nachdem die Maigesetze (beschlossen vom 11. bis 14. Mai 1873)143 veröffentlicht waren, kündigten die katholischen Bischöfe Preußens passiven Widerstand an. So widersetzte sich der Kölner Erzbischof Paul Melchers ihnen energisch. Reichensperger hat ihn beraten und auch während seiner Gefangenschaft unterstützt144. Melchers wurde deshalb 1874 mehrfach zu Geldstrafen verurteilt und – weil er sie nicht zahlte – am 31. März 1874 für über sechs Monate inhaftiert. Nach seiner Freilassung ging er 1875 nach Maastricht und leitete seine Diözese von dort aus145. Reichensperger hatte sich entschlossen, kein Landtagsmandat mehr anzustreben, hätte sich auf Anraten Windthorsts aber vielleicht anders besonnen – allein, er unterlag in Krefeld dem Gegenkandidaten und schied Ende Oktober 1873 aus dem Abgeordnetenhaus aus146, blieb jedoch Reichstagsmitglied. Am

141 Rede Reichenspergers vom 15. März 1873, vgl. Stenogr. Ber. Lt. 1873 S. 1668; 1671; 1674 ff; 1692f, Pastor II, S. 104. 142 Rede Reichenspergers vom 18. März 1873, vgl. Stenogr. Ber. Lt. 1873 S. 1724 ff; vgl. Pastor II, S. 104. 143 Über die Maigesetze (11. bis 14. Mai 1873) vgl. oben die Fußnoten 125 bis 129. 144 Vgl. Pastor, II, S. 116; 121 ff; 132. 145 Paul Melchers geb. 6. Jan. 1813 in Münster, gest. 14. Dez. 1895 in Köln, war von 1866 – 1885 Erzbischof von Köln. Ein Gerichtsbeschluss setzte ihn am 28. Juni 1876 als Erzbischof ab; 1885 dankte er ab, um den Ausgleich zwischen Kirche und Staat zu fördern, wurde danach zum Kardinal ernannt und nach Rom berufen. 146 Gesetz betr. die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern vom 4. Mai 1872 (RGBl. S. 43 – 44)‚ sog. Expatriierungsgesetz, das in seinem § 1, Abs. I der Regierung ermöglichte, Priester den Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten zu verbieten oder ihnen solche zuzuweisen. Bei Amtsanmaßung konnte nach § 1, Abs. II dem Priester die Staatsangehörigkeit aberkannt und er ausgewiesen werden; vgl. Pastor II, S. 125f, der S. 126, Fn. 1 einen Brief Reichenspergers vom 23. März zitiert; vgl. Huber/Huber, II, Nr. 298, S. 632..

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10. Januar 1874 wurde er in Krefeld für den Reichstag wiedergewählt147, so dass er weiterhin politisch und rechtspolitisch tätig blieb.

4. Das Priesterausweisungsgesetz Auch nach dem Erlass der Maigesetze hielt der Kulturkampf unvermindert an: Der Reichstag hatte über das sog. Priester-Ausweisungsgesetz148 zu beraten. Da nämlich bei Verstößen gegen die Maigesetze die Pfändung und die Verhaftung der Geistlichen wirkungslos blieb, sollten strengere Strafen angedroht werden. Entließ der Staat einen Priester oder sprach ihm ein gerichtliches Urteil sein Priesteramt ab, so sollte über ihn ein Aufenthaltsverbot für bestimmte Orte oder Bezirke verhängt oder er aus dem Gebiet des Deutschen Reiches ausgewiesen werden. Reichensperger wandte sich gegen das Gesetz, doch wurde es mit großer Mehrheit angenommen, nachdem sich die Kirchenrechtler Johann Friedrich v. Schulte, Paul Hinschius und der Historiker Wilhelm Oncken (die beiden letzten auch Reichstagsabgeordnete) für den Entwurf ausgesprochen hatten.

5. Die Einführung der Zivilehe Vorangegangen war Frankreich, das die Zivilehe durch ein Gesetz von 1792 eingeführt hatte, so dass sie auch im Rheinland – wo französisches Zivilrecht auch nach 1814 weitergalt – Gesetz war. Bereits die Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 hatte in § 150 die Einführung der Zivilehe vorgesehen149. Nach der Stadt Frankfurt (1850) und dem Land Baden (1869) hatte Preußen sie durch Gesetz im Jahre 1874 eingeführt150, denn bereits Art. 19 der Preußischen Verfassung von 1850 hatte sie in Aussicht gestellt. Im Reichstag wurde 1874 der Entwurf eines Personenstandsgesetzes debattiert, der für das ganze Deutsche Reich die Zivilehe als gesetzliche Eheform zwingend vorschrieb. Reichensperger kannte sie aus dem Rheinland. Die Regierung hatte aber den Eindruck erweckt, ihre Einführung sei eine Maßnahme im Rahmen des Kulturkampfes. Deshalb nahm Reichensperger in seiner Rede vom 21. November und vom 4. Dezember 1874151 gegen das Gesetzesvorhaben Stellung. Er stellte Gesetz und Recht gegeneinander und führte aus, dass Gesetze, „welche gegen die Sitten des Volkes vorgehen, oder gar Gesetze, welche gegen die tiefsten 147 148 149 150

Vgl. Pastor II, S. 117. Vgl. Pastor II, S. 125f. Huber I, S. 392, vgl. Dürig/Rudolf, S. 115. (Preußisches) Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung vom 9. März 1874 (G S, S. 95 – 109). 151 Pastor II, S. 133 ff.

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religiösen Überzeugungen des Volkes vorgehen, dass solche Gesetze schlechte Gesetze sind“ 152. Sie verfolgten den Grundsatz absoluter Staatsomnipotenz und erlaubten einen „gerechten Ungehorsam“. Obwohl die katholischen Rheinländer mit der Zivilehe bereits vertraut seien, könnte ihre Einführung im Reich zum damaligen Zeitpunkt nur als Akt des Kulturkampfes angesehen werden. Seine Spitze richte sich gegen die Kirche, führe dagegen nicht den Gedanken der Trennung von Kirche und Staat aus153. In Preußen habe die kürzliche Einführung der Zivilehe zu einem dramatischen Rückgang der kirchlichen Trauungen und Kindtaufen geführt; das Gesetz werde die christliche Basis des Staates tief erschüttern154. Schließlich rügte er, dass eine Verwaltungsbehörde (und nicht die Gerichte) die Zivilstandsregister führen sollten155. Diese Argumentation ist nur aus dem gerade wild wogenden Kulturkampf und dem katholischen Geist zu verstehen, der Ehesachen grundsätzlich als geistliche betrachtete; dem Zeitgeist entsprach sie nicht. Deshalb wurde das Personenstandsgesetz am 6. Februar 1875 mit großer Mehrheit beschlossen156. In Fortsetzung des Kulturkampfes ergingen 1875 noch zwei weitere Gesetze, nämlich das sog. „Brotkorbgesetz“157, das die finanzielle Unterstützung der katholischen Kirche durch den Staat einschränkte, und das sog. „Klostergesetz“158, das die Niederlassung katholischer Orden in Preußen untersagte, soweit sie nicht in der Krankenpflege tätig waren.

6. Das Sozialistengesetz Bereits in einer Rede vom 30. April 1873159 hatte Reichensperger auf die Sozialdemokraten als „das rothe Gespenst“ hingewiesen. Am 27. Januar 1876 äußerte er sich abermals dazu. Da die Sozialdemokraten inzwischen weit stärker geworden waren, wollte die Reichsregierung Strafen für diejenigen festsetzen, die durch 152 Pastor II, S. 133 ff. 153 Rede Reichenspergers vom 23. Jan. 1875, vgl. Stenogr. Ber. Rt. 1874/75, Bd. II, S. 1220 – 1223 (1222); Pastor II, S. 137 ff. 154 Rede Reichenspergers vom 23. Jan. 1875, vgl. Stenogr. Ber. Rt. 1874/75, Bd. II, S. 1222; Pastor II, S. 140f. 155 Rede Reichenspergers vom 23. Jan. 1875, vgl. Stenogr. Ber. Rt. 1874/75, Bd. II, S. 1223. 156 (Reichs)gesetz über die Beurkundung des Personenstandes vom 6. Februar 1875, RGBl. 1875, S. 23 – 39; Vorschriften über die Form der Eheschließung finden sich darin in den §§ 41 – 55 (S. 31 – 34). 157 Gesetz betr. die Einstellung von Leistungen aus Staatsmitteln für die römischkatholischen Bistümer und Geistlichen vom 22. April 1875 (G S, S. 194 – 196) ; vgl. Huber/Huber, II, Nr. 309, S. 655. 158 Gesetz betr. die geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche vom 31. Mai 1875 (G S, S. 217 – 218); ; vgl. Huber/Huber, II, Nr. 310, S. 656 ff. 159 Rede Reichenspergers vom 30. Apr. 1873, vgl. Stenogr. Ber. Rt. 1873, Bd. I, S. 404, Pastor II, S. 149.

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Wort oder Schrift die Ehe, die Familie oder das Eigentum angriffen. Reichensperger hielt es für die größere Gefahr, dass der Atheismus verbreitet werde, und forderte, dass die sozialistischen Lehren vom praktisch-christlichen Standpunkt aus zu bekämpfen seien. Als jedoch im neuen Reichstag am 16. September 1878 die Debatten um das Sozialistengesetz begannen, sprach für das Zentrum Reichensperger am 15. Oktober 1878160 gegen das Gesetzesvorhaben. Es handele sich um ein Ausnahme-, Tendenz- oder Parteigesetz, ähnlich den Kulturkampfgesetzen. Er rief noch einmal die „Culturkampfs-Brutalitäten“ in Erinnerung und sagte voraus, dass sie sich als Folge des geplanten Gesetzes abermals einstellen, eine „Diktatur der Polizei“ begründen und sowohl Schuldige als Unschuldige treffen würden. Außerdem treibe das Gesetz die Sozialisten in den Untergrund und der von ihnen angerichtete Schaden vergrößere sich dadurch. Das Sozialistengesetz wurde am 19. Oktober 1878 zwar angenommen, Reichensperger und das Zentrum stimmten jedoch dagegen. Es war zunächst auf drei Jahre befristet. Auch 1880 hat sich Reichensperger mit dem Zentrum gegen eine Verlängerung des Gesetzes ausgesprochen161, doch änderte er seine Meinung bei der abermaligen Debatte um die Verlängerung 1884, weil sich die Sozialisten seither „immer mehr als eine revolutionäre, religionsfeindliche, vor keinem Mittel zurückschreckende“ Sekte gezeigt haben, vor deren Verführungskünsten er die Christenseelen bewahren wollte162. Aber das Zentrum zerstritt sich über dieser Frage, und die von Windthorst geführte Mehrheit stimmte der Verlängerung zu. Es lief nach abermaliger Verlängerung erst am 30. Sept. 1890 aus.

7. Das Gerichtsverfassungsgesetz Die Reichsverfassung von 1871 hatte dem Reich in Art. 4, Ziff. 13 nur die Gesetzgebungszuständigkeit für das gerichtliche Verfahren verliehen. Dazu gehörte aber auch eine einheitliche Gerichtsorganisation. Die revidierten Entwürfe zum GVG und zur StPO legte der Bundesrat dem Reichstag am 29. Oktober 1874 vor. Sowohl die Reichs-Justizkommission als auch der Reichstag wollten in das GVG Vorschriften über die Ausbildung der Richter und ihre Unabhängigkeit aufnehmen. In der zweiten Lesung nahm – neben seinem Bruder Peter Franz, der bereits der Kommission angehört hatte – auch August Reichensperger zum Entwurf des GVG Stellung und schloss sich dessen Forderungen an163. 160 Rede Reichenspergers im Reichstag vom 15. Okt. 1878, zit. bei Pastor II, S. 169 ff. 161 Rede Reichenspergers im Reichstag vom 4. Mai 1880, zitiert bei Pastor II, S. 186. 162 Rede Reichenspergers im Reichstag nach Ostern 1884, und sein Schreiben an Dr. Urfey in Krefeld, zit. bei Pastor II, S. 213. 163 Die Reden Peter Franz Reichenspergers bei Hahn, Bd. I, 2, S. 1079 – 1085, und August Reichenspergers, ebenda S. 1106 – 1110.

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Streitig war auch die Frage, ob es besondere Handels- und Gemeindegerichte geben solle. Die Kommission lehnte beide ab. Peter Franz Reichensperger wollte überhaupt keine Handelsgerichtsbarkeit, weil er darin ein Standesvorrecht der Großkaufleute sah164, verkannte aber, dass das Wirtschaftsleben im Industriezeitalter viel Spezialwissen erforderte, das die aus der Kaufmannschaft stammenden Handelsrichter in die Kammern für Handelssachen einbringen konnten. Auch Schöffengerichte wollten die Brüder Reichensperger nicht, da sie nur die französischen Schwurgerichte als angemessen betrachteten, obwohl die – neben dem Vorsitzenden – mit zwei Laien besetzten Schöffengerichte die Rechtsanschauungen des Volkes zur Geltung bringen konnten und für kleinere Sachen angemessen besetzt waren, während die Schwerverbrechen den Schwurgerichten vorbehalten blieben. Beide Brüder lehnten in der namentlichen Generalabstimmung über das GVG in der dritten Lesung im Reichstag am 21. Dezember 1876 das Gesetz ab165. Als Anfang 1880 im Landtag der Etat 1880/81 des Kultusministeriums beraten wurde, wehrte sich August Reichensperger gegen die Stellenvermehrung beim königlichen Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten, den er als Spitze gegen die katholische Kirche sah166.

8. Das Abflauen des Kulturkampfes In seiner Rede vom 6. Februar 1880 bezeichnete Reichensperger den königlichen Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten als „den Schlussstein des ganzen Maisystems“, von dem er hoffe, dass „das Gewölbe mit seinem Schlusssteine nicht allzulange mehr aufrecht stehen bleibe“167. Am 7. Februar verwahrte er sich gegen den ständig wiederholten Satz, dass die Maigesetze – solange sie beständen – auch durchgeführt werden müssten168. Es seien keine militärischen Befehle. Als alter Jurist sei er der Ansicht, dass es nicht nur ein Recht, sondern die Pflicht der Regierung sei, diese Gesetze auf sich beruhen zu lassen, wenn sie „ein Unrecht sanctioniren“, womit er sich auf den Gegensatz zwischen Recht und Gesetz be-

164 Peter Franz Reichensperger bei Hahn, Bd. I, 2, S. 1082; vgl. Schubert, Gerichtsverfassung, S. 181 – 200. 165 Hahn, Bd. I, 2, S. 1645 ff (1648). 166 Rede August Reichenspergers im Landtag vom 6. Febr. 1880, Stenogr. Ber. Lt., 1880, Bd. II, S.1484; vgl. Pastor II, S. 184. 167 Rede Reichenspergers vom 6. Februar 1880, Stenogr. Ber. Lt. 1880, Bd. II, S. 1484; vgl. Pastor II, S. 184. 168 Rede Reichenspergers vom 7. Februar 1880, Stenogr. Ber. Lt. 1880 S. 1516; vgl. Pastor II, S. 184.

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rief169. Wenig später kündigte Bismarck im Reichstag eine kirchenpolitische Vorlage für den Landtag an, aus der zu entnehmen war, dass sich die starren Fronten aufgelockert hatten: Das neue Gesetz enthielt zwar Vorschriften, deren Anwendung der „discretionären Regierungsgewalt“ übertragen wurde, aber auch einige Erleichterungen170. Gleichwohl lehnte das Zentrum das Gesetz ab, doch hatten die Gegner nur vier Stimmen Vorsprung. Am 21. November 1881 sagte Bismarck im Reichstag, er betrachte die katholische Kirche „samt ihrer päpstlichen Spitze als eine einheimische Institution“171. Er brachte alsbald in den Preußischen Landtag eine Gesetzesvorlage ein, welche das System der Maigesetze durchlöcherte172. Allerdings hielt sich Bismarck bei diesen Gesetzen die Möglichkeit offen, die Erleichterungen wieder zurückzunehmen und die früheren Maßnahmen fortzuführen173. Der am 12. Januar in den Landtag eingebrachte Entwurf eines „Gesetzes betr. Abänderungen der kirchenpolitischen Gesetze“ wurde zunächst einer Kommission zugewiesen, der auch Reichensperger angehörte. Am 31. Mai 1882 genehmigte der König das zweite ‚Friedensgesetz‘, das die Maigesetze weiter durchlöcherte. Am 11. Juli 1883 wurde ein weiteres Gesetz 174 angenommen, dass die Maigesetze weiter abschwächte, indem dessen Art. 2 die Zuständigkeit des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Disziplinarsachen begrenzte. Auf Grund der versöhnlichen Haltung des neuen Papstes Leo XIII. (1878 – 1903), der 1886 das Septennatsgesetz (gegen das Zentrum) unterstützte175, sagte Bismarck den Abbau der Kulturkampfgesetze zu176. Die beiden Friedensgesetze

169 Jörg sagte in den Historisch-politischen Blättern Bd. 85 (1880), S. 906 zum Unterschied von Recht und Gesetz, auf den Reichensperger abgehoben hatte: „hier liegt der Hund begraben“. 170 Reichensperger sprach zu dem Gesetz am 24. Juni 1880 im Landtag, zit. nach Pastor II, S. 189f. 171 Zitiert bei Pastor, II, S. 203, Fn. 1. 172 Das Herrenhaus ließ das „Gesetz betr. die Abänderung der kirchenpolitischen Gesetze“ vom 31. Mai 1882 (G S, S. 307 – 308) ohne Änderungen passieren. Sein Art. 1 setzte die Art. 2, 3, und 4 des Gesetzes vom 14. Juli 1880 (G S, S. 285) wieder in Kraft. Der Art. 2 ermöglichte die Wiedereinsetzung entlassener Bischöfe und Art. 3 hob die Staatsprüfung in Philosophie (das sog. Kulturexamen) für Geistliche auf. 173 Vgl. Morsey, Kulturkampf, S. 97 ff. 174 Gesetz betr. Abänderungen der kirchenpolitischen Gesetze vom 11. Juli 1883, G S 1883, S. 109 – 110; vgl. Pastor, II, S. 209. 175 Septennat: Festlegung des Militäretats für sieben Jahre im Voraus; vgl. die Nr. 296 – 299 bei Huber, Dokumente, II, S. 480 ff. 176 Vgl. die amtliche preußische Zusage für den Abbau der Kulturkampfgesetze bei Huber, Dokumente, II, Nr. 300, S. 482.

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von 1886/87177 schließlich, die das Zentrum auf Anraten des Papstes akzeptierte, hoben die meisten Maßnahmen der Maigesetze wieder auf und stellten den konfessionellen Frieden in Preußen wieder her. Bestehen blieben der Kanzelparagraph bis 1953178, das Jesuitengesetz bis 1904/17179, die Zwangszivilehe180 und die staatliche Schulaufsicht181.

VI. S C HL U S S Die hier dargestellten Grundzüge des Rechtsdenkens August Reichenspergers und seiner Rechtspolitik finden sich zusammengefasst auch im Programm des Zentrums182, das unter dem Wahlspruch „Iustitia fundamentum regnorum“ stand. Er hat es wesentlich mitgestaltet und mitformuliert. Er vertrat einen föderativen Aufbau des Reiches (gegen die wachsende Macht Preußens, die auf einen Einheitsstaat zielte), die verfassungsmäßige Garantie der bürgerlichen und religiösen Freiheit aller Bürger (er hatte – vergeblich – auf einen evangelischen Flügel des Zentrums gehofft), den Schutz der Religionsgesellschaften gegen staatliche Eingriffe und die Förderung des moralischen und materiellen Wohles aller Bevölkerungsschichten183. Seine Rechtspolitik hatte einen konservativen, aber auch romantischen Grundzug184, doch vertrat er durchaus auch liberale Gedanken. Vor allem setzte er sich für die religiöse und staatsbürgerliche Freiheit ein und förderte die Rechte aller Minderheiten, denn sein umfassender Begriff von Freiheit und Toleranz anerkannte jede andere Überzeugung. Fest im katholischen Glauben verwurzelt, wandte er sich gegen den herrschenden Atheismus. Er sprach sich für religiöse und naturrechtliche Bindung und gegen den Machiavellismus und Gesetzespositivismus der Nationalliberalen, später der Sozialisten aus und betonte die soziale Verantwortlichkeit des Staates, indem er sich gegen das Manchestertum der Zeit wandte und Wirtschaftsfragen maßvoll und mit dem gesunden Menschenverstand christlicher Ethik beurteilte. Auch trat er 177 Gesetz betr. Abänderungen der kirchenpolitischen Gesetze vom 21. Mai 1886 ( G S, S. 147, sog. erstes Friedensgesetz) und Gesetz betr. Abänderungen der kirchenpolitischen Gesetze vom 29. April 1887 ( G S, S. 127, sog. zweites Friedensgesetz); vgl. Huber/Huber, II, Nr. 414, S. 867 – 870. 178 Den Kanzelparagraphen hob erst das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. I, S. 735 – 750 (S. 741) auf. 179 RGBL. 1904, S. 253 und RGBl. 1917, S. 362; vgl. oben Fn. 122. 180 Auf Grund des Personenstandsgesetzes von 1875 (vgl. oben Fn. 156). 181 Vgl. C. Weber, Beilegung S. 122 ff. 182 Vgl. dazu Pastor II, S. 7 ff. 183 Vgl. Pastor, II, Text S. 15f; vgl. Schmidt-Volkmar, S. 25. 184 Oncken, S. 251f hält ihn für einen Ausläufer der katholischen Romantik mit dem westdeutschen Liberalismus.

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August Reichensperger als Rechtspolitiker

für die behutsame Fortentwicklung des Überkommenen im christlichen Geiste ein, dabei auch romantischem Denken folgend.

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B IRK E N F E LD , L IC H T E N B E RG , M E I SE N H E I M

E TC .

T E R RI T O RI A LE Z U W E I S U N G E N D E S W I E N E R K O N G RE S S E S U N D I H RE F O LG E N E I N FÜ HR U N G Nachdem Frankreich im Frieden von Lunéville1 durch die Annektion der linksrheinischen Teile des Deutschen Reiches deutsche Fürsten enteignet hatte, entschädigte der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 18032 sie, indem er ihnen mediatisierte oder säkularisierte Besitzungen im rechtsrheinischen Teil des Deutschen Reiches zuwies. Nach dem Sieg über Napoleon feilschten die Mächte auf dem Wiener Kongress erneut (18. September 1814 bis 9. Juni 1815) um die Verteilung der Territorien des alten Deutschen Reiches – vor allem der linksrheinischen Gebiete. Die kleinen Mächte suchten ihre Forderungen auf dem Kongress mit allen Mitteln der Diplomatie und unter Ausspielung verwandtschaftlicher Bande durchzufechten, während die Großmächte England, Russland, Preußen und Österreich ihre Interessen unter Machtgesichtspunkten und strategischen Rücksichten verfolgten. Unbefriedigte Entschädigungsansprüche hatten die Herzöge von Oldenburg, Mecklenburg-Strelitz und Sachsen-Coburg-Saalfeld, der Landgraf von Hessen-Homburg und der Graf von Pappenheim. Die entsprechenden Beschlüsse des Kongresses finden sich in den Artikeln 48 und 49 der Wiener Kongress Akte3 vom 9. Juni 1815: Der Artikel 48 der Kongress Akte stellte die durch Hessen-Darmstadt zwischen 1806 und 1815 mediatisierte Landgrafschaft Hessen-Homburg als Staat wieder her und Artikel 49 wies dem Landgrafen zusätzlich ein Gebiet von 10.000 Seelen zu. Der Herzog von Oldenburg und der Herzog von Sachsen-Coburg-

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Frieden von Lunéville vom 9. Februar 1801, in: Meyer, Ph. Ant. Guido v. / Zoepfl, Heinrich (Hg.), Corpus Iuris Confoederationis, 3. Aufl. Frankfurt/M 1858, S. 1 – 4. Reichsdeputationshauptschluss v. 25. Februar 1803, Druck bei Zeumer, Karl, Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung, 2. Auflage, Tübingen 1913, Neudruck Aalen 1987, Nr. 212a, S. 509 – 528, nebst dem Reichsgutachten v. 26. März 1803 (ebenda Nr. 212b, S. 529) und dem kaiserlichen Ratifications-Commissions-Dekret zu vorstehendem Reichsgutachten v. 28. April 1803 (ebenda Nr. 212c, S. 529 ff). Bei Klüber, Johann Ludwig (Hrsg.), Quellen-Sammlung zu dem Oeffentlichen Recht des Teutschen Bundes, 3. Auflage, Erlangen 1830, Nachdruck Leipzig 1970 [Quellen], hier: S. 54.

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Saalfeld sollten je 20.000 Seelen4, der Herzog von Mecklenburg-Strelitz 10.000 Seelen und der Graf von Pappenheim 9.000 Seelen erhalten. Insgesamt wurden also 69.000 Seelen vergeben. Artikel 49 der Wiener Kongress Akte machte es Preußen zur Auflage, diese Gebietsansprüche aus dem ihm in Artikel 25 zugewiesenen früheren Saar-Département zu befriedigen5 . Es sollte das Gebiet in Besitz nehmen und einstweilen zugunsten der Bedachten verwalten. Näheres dazu bestimmte der Kongress nicht, doch boten Österreich, Preußen, Russland und England in Artikel 50 der Wiener Schlussakte6 ihre Hilfe bei einem etwa nötigen Gebietstausch an. Der Vertrag zwischen Österreich, Bayern und Preußen7 vom 28. Mai 1815 übertrug bereits auf dem Wiener Kongress die nach Artikel 25 der Wiener Kongress Akte Preußen zustehenden Lande rechts der Mosel bis zu einer Linie von Konz bis Medard und weiter auf dem linken Ufer der Glan und der Nahe bis zum Rhein sowie die knapp südlich dieser Linie liegenden Städte Kreuznach und Meisenheim an Preußen, während die Bezirke südlich davon bis zum 1. Mai 1816 unter gemeinsamer österreichisch-bayerischer Verwaltung blieben. Preußen erwarb das Eigentum dieses Gebietes durch den Wormser Traktat8 vom 1. Juli 1816, zugleich auch die Landeshoheit und nahm es am 11. Juli 1816 in Besitz, hatte aber durch die Konvention vom 9. November 1815 versprochen, Oldenburg zu entschädigen9. Zur Ausführung der Schlussakte des Wiener Kongresses und des am 3./20. November 1815 geschlossenen zweiten Pariser Friedensvertrages10 trat im Jahre 1818 die Commission territoriale (die Territorialkom4 5 6 7

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9 10

So die Sprache der damaligen Staaten, im Artikel 49 der Wiener Kongressakte steht allerdings "habitans", Einwohner. Artikel 49 der Wiener Schlussakte, bei Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 54. vgl. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 55f. Vgl. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), hier: S. 35 ff; Simon, Mathias, Uebersicht der in den Rhein-Provinzen bei ihrer Vereinigung mit der Krone Preußens geltenden Gesetze, nebst der Geschichte ihrer Einführung und einiger Nachweise der bisher in denselben erfolgten Abänderungen, Köln 1824, Anhang, Nr. XXXVII, b, 2. S. 58 – 60. Convention pour la cession à la Prusse d’une partie de l’ancien département de la Sarre, signée à Worms, in: Martens, Nouveau Recueil Bd. IV, S. 241; vgl. Kockerols, Karl Wilhelm, Das Rheinische Recht, seine zeitliche und räumliche Begrenzung, Hannover 1902, Neudruck Frankfurt/M 1968, S. 54f; Schubert, Werner, Das französische Recht in Deutschland zu Beginn der Restaurationszeit (1814 – 1820), in: ZRG, GA 94, 1977, S. 129 – 184 [Restauration], S. 175). Vgl. Bärsch I, S. 141. Conférences de Paris; Protocole des quatre Puissances, concernant les cessions à faire par la France, les arrangements territoriaux en Allemagne et le système défensif de la Confédération Germanique, paraphé à Paris le 3. Novembre 1815 et signé le 20. Novembre, in: Martens, Supplément au Recueil, Tome VI (1814 – 1815 inclusive), Nr. 63, S. 668 – 673 und Übersicht (trois tableaux) über die abgetretenen Territorien, S. 673 – 675.

Birkenfeld, Lichtenberg, Meisenheim etc.

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mission) in Frankfurt am Main zusammen, der Bevollmächtigte Österreichs, Großbritanniens, Preußens und Rußlands angehörten. Ihr Recès Général vom 20. Juli 181911 regelte die Gebietsfragen endgültig.

I. D A S F Ü RS T E N T U M B I R KE N F E L D 1. Die Entschädigung des Hauses Oldenburg Herzog Peter Friedrich Ludwig von Holstein-Oldenburg hatte – unter anderem wegen der Kontinentalsperre – erhebliche Schwierigkeiten mit Napoleon. Er war zwar 1806 unter Druck dem Rheinbund beigetreten, hatte aber 1809 sein Truppenkontingent verspätet aufgeboten, was Napoleon 1810 veranlasste, Oldenburg zu annektieren. Daraufhin emigrierte der Herzog zu seinem Neffen Alexander I. nach Russland und betrieb von dort aus die Befreiung seines Herzogtums. Statt nach den Befreiungskriegen mehrere Millionen Taler von Frankreich zu fordern, sollte er auf eine Landentschädigung warten, die er mit Hilfe des Zaren und des Kaisers Franz I. von Österreich – seinem Schwager – auf dem Wiener Kongress durchzusetzen hoffte12. Als Entschädigung erwartete er ein Gebiet in Ostfriesland oder Westfalen mit 160.000 Seelen. Die Interessen Englands und Russlands lagen jedoch anders und da die verteilbaren Landstriche bereits vergeben waren, beschloss der Kongress, dem Hause HolsteinOldenburg lediglich ein Gebiet von 20.000 Seelen zu übertragen, dessen Lage noch festgelegt werden sollte. Die Besitzübergabe erfolgte jedoch nicht sofort, sondern Artikel 25 der Wiener Kongress Akte13 bestimmte lediglich, dass Preußen alle diese Gebiete zu Eigentum und Landeshoheit erhalten sollte. Immerhin hatte Preußen durch die Konvention vom 9. November 1815 versprochen, Oldenburg zu entschädigen14. Für den Herzog von Oldenburg (seit 1815 Großherzog, obwohl er von diesem Titel keinen Gebrauch machte) sah man zunächst ein Gebiet um St. Wendel/Baumholder/Grumbach vor, doch war der Herzog von Sachsen-Coburg geschickter: Er verstand es, seine Entschädigung von 20.000 Seelen auf 25.000 aufstocken zu lassen, so dass das für Oldenburg vorgesehene Territorium – 11 12 13 14

Druck bei Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 100 – 133. Vgl. Baldes, Heinrich, Die hundertjährige Geschichte des Fürstentums Birkenfeld (Birkenfelder Jahrbuch 1921), Birkenfeld 1921, S. 6 ff. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 55. Vgl. Bärsch, [Baersch] Georg, Beschreibung d. Regierungsbezirks Trier. Nach amtlichen Quellen bearbeitet und im Auftrag der Königlich Preußischen Regierung herausgegeben, 1. Theil: Enthaltend die Verhältnisse des Regierungsbezirks in allen seinen Beziehungen, Trier 1849, S. 141.

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etwas vergrößert – 1816 an Sachsen-Coburg fiel15 und zum Fürstentum Lichtenberg wurde. Der preußische Bevollmächtigte, Freiherr von SchmitzGrollenburg arbeitete daraufhin einen neuen Vorschlag aus, der allseits angenommen wurde: Oldenburg erhielt einen 45 Km langen und 15 Km breiten waldreichen Landstrich mit kleinbäuerlichen Höfen, die hauptsächlich Viehwirtschaft betrieben, um die Orte Herrstein, Oberstein, Birkenfeld und Nohfelden herum. Durch das Protokoll vom 9. April 181716 trat Preußen den ganzen Kanton Birkenfeld und Teile der Kantone Herrstein, Hermeskeil, Wadern, St. Wendel, Baumholder und Rhaunen an Oldenburg ab. Der Generalrat der Frankfurter Territorialkommission vom 20. Juli 1819 bestätigte in seinem Artikel 27 diese Territorialverhältnisse17. Allerdings behielt sich Preußen das Durchmarschrecht von Mainz nach Saarlouis über Kreuznach und Birkenfeld vor. Der Herzog von Oldenburg nahm das Gebiet durch Patent vom 16. April 1817 in Besitz18. Weder war er über seine Neuerwerbung glücklich noch jubelten die Einwohner dem neuen Landesherren zu und Heinrich von Treitschke sah in dem „Doppelreich Oldenburg-Birkenfeld“ eine Kuriosität, „wie sie die Phantasie eines Tollhäusers nicht wundersamer ersinnen konnte19. In der Folgezeit versuchte nicht nur der Herzog häufig20, das neue Territorium gegen ein anderes – günstiger gelegenes – einzutauschen, auch die Einwohner strebten im 20. Jahrhundert nach einer Trennung von Oldenburg. Diese Versuche blieben jedoch insgesamt vergeblich. Birkenfeld blieb 120 Jahre lang oldenburgisch; erst im Jahre 1937 wurde es preußisch21. 15

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Vgl. Brandt, H. Peter, Die Entstehung von Rhein-Oldenburg, in: Albrecht Eckhardt/Heinrich Schmidt (Hg.), Geschichte des Landes Oldenburg, Oldenburg 1987, S. 591 – 636, hier: S. 591. Bei Martens, George Frédéric de, Nouveau recueil des traités des principaux traités d‘alliance et d’autres actes remarquables etc., fondé par G. F. de M., 13 Bde, Göttingen 1817 – 1842, hier: Nouveau Recueil IV (1808 – 1819), Göttingen 1820, Nr. 41, S. 405 – 415, hier: S. 406. Artikel 27 des Generalrezesses der Frankfurter Territorialkommision vom 20. Juli 1819 bei Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 120f. Vgl. Brandt (wie Fn. 15), S. 596; der Wortlaut des Patentes auch bei Hundemer, Josef, Aus der Geschichte des Birkenfelder Gerichts, in: Birkenfeld. Festschrift zum 650-jährigen Stadtjubiläum, hg. v. H. Peter Brandt, Birkenfeld 1982, S. 119 – 132, hier: S. 123. Treitschke, Heinrich von, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Band 2, neue Auflage, Leipzig 1927, S. 472. Vgl. die Aufstellung bei Brandt, H. Peter, Von der oldenburgischen Provinz zum preußischen Landkreis Birkenfeld. Beiträge zum 50-jährigen Kreisjubiläum, Idar-Oberstein 1987, S. 12f. Der § 8, Abs. I des „Gesetzes über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen“ v. 26. Jan. 1937, RGBl I, S. 91 – 94 [92] gliederte Birkenfeld zum 1. April 1937 in das Land Preußen ein; es bildete fortan einen Landkreis in der Rheinprovinz; die 1. DurchführungsVO v. 15. Febr. 1937 (ebda S. 242) teilte den Landkreis Birkenfeld dem Regierungsbe-

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2. Die neue Verwaltung im Fürstentum Birkenfeld Am 2. September 1817 erließ der Herzog eine Organisationsverordnung22, die vom 1. Oktober 1817 an galt. Oberste Landesbehörde war die kollegial organisierte Zentralregierung in Birkenfeld, die dem Herzog unmittelbar unterstand. Birkenfeld wurde dem Staate Oldenburg nicht wirklich einverleibt, zwischen beiden lag lediglich eine Personalunion vor – unter anderem vermutlich deswegen, weil der Herzog ständig bestrebt war, es gegen ein anderes Territorium einzutauschen. Nach § 3 der Verordnung hatte der zweite Senat der Regierung die üblichen Aufgaben der damaligen Zeit (Polizei, Militär, Finanzen, Gemeindeaufsicht, staatliches Bauwesen, Wegebau, Post, Kirchen- und Schulsachen23), während der erste Senat zuständig war für die Rechtspflege zweiter Instanz und die Strafrechtspflege24. Mittelbehörden waren die drei Ämter in Birkenfeld, Oberstein und Nohfelden (§ 10), die als Amtsgerichte (§ 8) auch die Rechtspflege erster Instanz ausübten. Jeder Amtsbezirk bestand nach § 13 aus drei Bürgermeistereien: Birkenfeld, Leisel und Niederbrombach; Oberstein, Herrstein und Fischbach sowie Nohfelden, Achtelsbach und Neunkirchen25. Die Bürgermeistereien umfassten mehrere Orte, mit einem ehrenamtlichen Ortsbürgermeister an der Spitze, der Schöffe hieß und den zwei bis sechs Beisitzer unterstützten. Ihre Aufgaben umschreibt § 15 der Verordnung26. Die Bevölkerung wählte den Schöffen und die Beisitzer in freier Wahl, das Bezirksamt bestätigte sie27. Weitere demokratische Rechte hatte die Bevölkerung nicht.

3. Gerichte im Fürstentum Birkenfeld Mit den französischen Errungenschaften im Rechts- und Gerichtswesen hatten die neuen Herren nicht viel im Sinn. § 7 der oldenburgischen Organisationsverordnung v. 2. September 1817 hatte bereits den Code pénal aufgehoben (die Polizeistrafsachen des vierten Buches blieben in Kraft) und an seine Stelle das Strafgesetzbuch für die Holstein-Oldenburgischen Lande vom 10. September

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zirk Koblenz zu und gliederte den Landkreis St. Wendel/Baumholder in den Landkreis Birkenfeld ein. Landesherrliche Verordnung über die Einrichtung der Regierung im Fürstenthum Birkenfeld v. 2. Sept. 1817 bei Barnstedt, August Erich Julius, Sammlung der Gesetze und Verordnungen für Birkenfeld, Bd. II (1817 – 1830), 2. Auflage, Birkenfeld 1842, Nr. 3, S. 5 – 16. Vgl. dazu näher: Becker, Birgit / Schaaf, Erwin, Geschichte des Fürstentums Birkenfeld von 1817 bis 1848/49 (Landesgeschichte in der Schule 1), Koblenz 1980. Vgl. Hundemer, (wie Fn. 18), S. 124. § 13 der VO v. 2. Sept. 1817, bei Barnstedt (wie Fn. 22), S. 12; vgl. Brandt, H. Peter (wie Fn. 15), S. 596f (mit Karte der Bürgermeisterei- und Gemeindegrenzen S. 630). § 15 der VO v. 2. Sept. 1817, bei Barnstedt (wie Fn. 22), S. 14. § 13 der VO v. 2. Sept. 1817, bei Barnstedt (wie Fn. 22), S. 12

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1814 gesetzt28. Der Code civil sollte einstweilen weitergelten29, doch wurde der Code de Commerce durch die VO v. 7. März 1822 zum 2. Sept. 1822 außer Kraft gesetzt. § 6 der Verordnung vom 2. September 1817 führte auch das Zivilprozessrecht Oldenburgs ein30. im Übrigen galt das gemeine Recht als subsidiäres Recht31. In den drei Ämtern errichtete der Herzog als erste Instanz Amtsgerichte, die er mit jeweils zwei Beamten und einem Aktuar besetzte32. Kollegialgerichte erster Instanz gab es hinfort nicht mehr. § 5, Ziff. 6 der Verordnung vom 2. Sept. 1817 hob auch das Notariat auf und wies die Freiwillige Gerichtsbarkeit den Amtsgerichten zu33. Sowohl die französischen Schwurgerichte als auch die Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren und das öffentliche Ministerium aus der französischen Zeit fielen weg. Lediglich die Gewerbefreiheit blieb erhalten34. Da man im Übrigen die Amtsgerichte auch zu Verwaltungsbehörden gemacht hatte, war damit zugleich die Trennung zwischen Rechtspflege und Verwaltung nach französischem Vorbild aufgegeben. Der oldenburgische Staat zeigte sich also deutlich restaurativ. Die zweite Instanz für die amtsgerichtlichen Urteile war die Regierung in Birkenfeld, die dafür den ersten Senat (das Justizamt) errichtete35. Die dritte Instanz bildete das Oberappellationsgericht in Oldenburg 36. Am 11. Oktober 1831 erließ der Großherzog (der neue Herrscher nannte sich 28

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30 31 32 33 34 35 36

Code pénal aufgehoben durch § 7 der VO v. 2. Sept. 1817, bei Barnstedt (wie Fn. 22), S. 9; die Bekanntmachung wegen der Publication des Oldenburgischen Straf-Gesetzbuches v. 17. Sept. 1819 bei Barnstedt Bd. II, 2. Auflage, Birkenfeld 1842, Nr. 34, S. 95; vgl. Scherer, Martin, Das Rheinische Recht und die Reichs- und Landesgesetzgebung, 2 Bände, 2. Auflage, Mannheim 1889 – 1890, hier: Bd. I, S. 58f; II, S. 1; 117; 167f; Conrad, Hermann, Preußen und das französische Recht in den Rheinlanden, in: Joseph Wolffram/Adolf Klein (Hrsg.), Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden, Köln 1969, S.78 – 112, hier: S. 108; Schubert, Restauration (wie Fn. 8) S. 175, Fn. 227. Ergänzend zum oldenburgischen Zivilrecht galt das gemeine Recht „wie solches vor der Auflösung des Reiches in Deutschland gegolten hatte“, vgl. Schubert, aaO., S. 176; vgl. Hundemer, (wie Fn. 18), S. 125. § 5 der VO v. 2. Sept. 1817, bei Barnstedt (wie Fn. 22), S. 6; vgl. desselben Zusammenstellung der für das Großherzoglich Oldenburgische Fürstenthum Birkenfeld noch gesetzliche Kraft oder vorzüglichen historischen Werth habenden französischen Legislation, Birkenfeld 1836. Bei Barnstedt (wie Fn. 22), S. 8f. Es handelte sich um das 1802 erneuerte Reglement für das Herzogtum Oldenburg, vgl. Schubert, Restauration (wie Fn. 8), S. 176. § 10 der VO v. 2. Sept. 1817, bei Barnstedt (wie Fn. 22), S. 10. Artikel 5, Ziff. 2 des erneuerten Reglements von 1802. Bei Barnstedt (wie Fn. 22), S. 8. Vgl. Brandt, H. Peter (wie Fn. 15), S. 596 ff, 600. § 8 der VO v. 2. Sept. 1817, bei Barnstedt (wie Fn. 22), S. 9f. Wie Fn. 35, S. 10; vgl. Schubert, Restauration (wie Fn. 8) S. 176.

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seit 1829 Großherzog) ein neues Prozessreglement, welches den Zivilprozess verbessern sollte. Die Umwälzung von 1848/49 machte sich auch in Birkenfeld bemerkbar: Der Großherzog Paul Friedrich August verkündete am 18. Februar 1849 ein neues Staatsgrundgesetz für das Großherzogtum37, das in Artikel 33 den Adel aufhob und in Artikel 36 die Freiheit der Person sowie den gesetzlichen Richter garantierte38. Die Artt. 58 und 100 hoben die Patrimonialgerichte auf und Artikel 101 trennte die Gerichtsbarkeit von der Verwaltung39. Nach Artikel 108 waren die Gerichtsverfahren nun öffentlich und mündlich40, nach Artikel 107 sollten Friedensgerichte und nach Artikel 109 Schwurgerichte errichtet werden41. Diese Verfassung machte in der Folge neue Gesetze notwendig: Die Verordnung vom 20. August 1856 hob den Verwaltungssenat in Birkenfeld auf, der bisherige Justizsenat wurde in das Obergericht Birkenfeld umgewandelt42, das anstelle eines Schwurgerichts mit fünf Richtern über Schwerverbrechen richtete.

4. Das Ende des Fürstentums Birkenfeld Obwohl die oldenburgische Regierung und ihre Justiz in Birkenfeld positiv bewertet wird43, schloss Oldenburg am 20. August 1879 einen Vertrag mit 37

38 39 40 41 42

43

Staatsgrundgesetz für das Großherzogthum Oldenburg v. 18. Febr. 1849, Druck in: Gesetzblatt für das Herzogthum Oldenburg, Bd. 12 (1849 – 1851), Oldenburg 1851, S. 57 ff. Das Staatsgrundgesetz wurde in revidierter Fassung am 18. Nov. 1852 abermals verkündet (vgl. Barnstedt, Band 9, Nr. 54, S. 126 – 193). Wie Fn. 37, S. 64f. Wie Fn. 37, S. 84. Wie Fn. 37, S. 85; vgl. Hundemer (wie Fn. 18), S. 126f. Wie Fn. 37, S. 85. Verordnung v. 8. Aug. 1856 betr. das Gesetz vom 23. 4. 1855 wegen Aufhebung der Verwaltungsämter im Fürstenthum Birkenfeld, in: [dem ab 1. Jan. 1855 eingeführten] Gesetzblatt für das Fürstentum Birkenfeld 1856, Nr. 92, S. 503f, deren § 1 den Verwaltungssenat aufhob und deren § 2 (S. 504) den bisherigen Justizsenat in „Obergericht“ umbenannte, ergänzt durch die Ministeiral-Bekanntmachung vom 9. Aug. 1856 (in: Ges.Bl. Birkenfeld Bd. 1, Nr. 93, S. 508), welche die Umbenennung zum 1. Oktober 1856 vornahm; vgl. das Gesetz v. 15. August 1861 betr. die Gerichtsverfassung im Fürstenthum Birkenfeld, in: Gesetzblatt Birkenfeld (Bd. 2, 2, S. 757 – 762), vgl. Hundemer, S. 127. Vgl. Brandt, H. Peter (Hrsg.), Birkenfeld – Festschrift zum 650jährigen Stadtjubiläum, Birkenfeld 1982, S. 38 ff; Baldus, Manfred, Der Verzicht des Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz, in: Jahrbuch des Kreises Euskirchen 1985, S. 117 – 120, hier: S. 118; Düwell, Kurt, Sachsen-Coburg-Gotha linksrheinisch. Das Fürstentum Lichtenberg (1816/19 bis 1834), in: Landesgeschichte und Rechtsgeschichte. Festschrift f. Alois Gerlich z. 70. Geburtstag, Stuttgart 1995, S. 335 – 345, hier: S. 340 für die Oldenburgi-

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Preußen über die Gerichtsgemeinschaft für Birkenfeld44, wonach das Fürstentum Birkenfeld dem Landgericht Saarbrücken und dem Oberlandesgericht Köln zugeordnet wurde45. In Vollzug dieses Vertrages hat das oldenburgische Gesetz vom 10. Mai 1879 das Obergericht in Birkenfeld aufgehoben und das Oberappellationsgericht auf den Landesteil Oldenburg beschränkt46. Nach dem ersten Weltkrieg hatten die Oldenburger Großherzöge abgedankt; der neue Staat Oldenburg machte aus dem Fürstentum nun den Landesteil Birkenfeld, verwaltet durch einen Regierungspräsidenten. Da das Saargebiet unter französischer Verwaltung stand, wurde zunächst am 1. Oktober 1919 das Amtsgericht Birkenfeld dem Landgericht Koblenz zugelegt47. Der Vertrag zwischen Preußen und Oldenburg48 vom 18./25. Febr. 1920 wies die Berufungssachen der oldenburgisch/birkenfeldischen Amtsgerichte während der Abtretung des Saargebietes dem Landgericht Koblenz zu, das die Landesjustizverwaltung für die Amtsgerichte Idar-Oberstein, Birkenfeld und Nohfelden erhielt. Kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme endete auch die oldenburgische Zeit in Birkenfeld: Der oldenburgische Landtag hatte sich bereits im August 1919 grundsätzlich mit der Übernahme der Provinz Birkenfeld durch Preußen einverstanden erklärt49. Zum 24. Jan. 1935 übernahm das Reichsjustizministerium die Aufgaben der obersten Landesjustizbehörde und übertrug diese Befugnisse auf das OLG Köln, das sie an den Landgerichtspräsidenten in Koblenz delegierte50. Der § 8, Abs. I des „Gesetzes über Groß-Hamburg

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45 46 47 48

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50

sche Finanzpolitik in Birkenfeld. Vertrag zwischen Preußen und Oldenburg betr. den Anschluss des Fürstenthums Birkenfeld an den Bezirk des Landgerichts Saarbrücken und des OLG Köln (Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten (1806 – 1944) [G S], 1878, S. 165 – 169 = Gesetzbl. f. d. Fürstentum Birkenfeld 9, 1879, S. 171 – 182 = Jahrb. d. Dt. Gerichtsverf. Jg. 1, 1880, S. 265 – 270); vgl. Eckhardt, Albrecht, Birkenfelds Weg vom oldenburgischen Landesteil zum preußischen Landkreis, in. Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde im Landkreis Birkenfeld, Bd. 57 (1983), S. 3 – 28. Vgl. Herrmann, Hans-Walter, Das Saarland in der frühen Nachkriegszeit, in: Doris Seck, Nachkriegsjahre an der Saar, Saarbrücken 1982, S. 6 – 18, hier: S. 13f. Vgl. Hundemer (wie Fn. 18), S. 128. G S (wie Fn. 44) 1919, S. 360; vgl. Romeyk, Horst, Die Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz 1914 – 1945. Düsseldorf 1985 [Rhprov.], hier: S. 18 ff. Vertrag zwischen Preußen und Oldenburg v. 18./25. Febr. 1920; in: Gesetzblatt f. d. Freistaat Oldenburg, Landesteil Birkenfeld, Bd. 22, 100. Stück, Nr. 152 v. 2. Sept. 1920; vgl. Dirks, Chronik S. 30; Romeyk, Rhprov. (wie Fn. 47), S. 493. Vgl. Baldes, Geschichte (wie Fn. 12), S. 270, wobei der Landtag zur Bedingung machte, dass Oldenburg seinen Anteil am Staatsgut als Kommunalvermögen behalte und Birkenfeld ein selbständiger Kreis bleibe. Verordnung v. 18. Dez. 1934, in: DJ 1934, S. 1608; vgl. Romeyk, Rhprov. (wie Fn. 47), S. 495, Fn. 22f.

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und andere Gebietsbereinigungen“ v. 26. Jan. 1937, RGBl I, S. 91 – 94 [92]51 gliederte Birkenfeld zum 1. April 1937 in das Land Preußen ein; es bildete fortan einen Landkreis der Rheinprovinz.

II. D A S F Ü R S T E N T U M L I CHT E N B E RG 1. Die Entschädigung des Herzogs von Sachsen-Coburg Artikel 49 der Schlussakte des Wiener Kongresses vom 9. Juni 181552 wies dem Herzog von Sachsen-Coburg-Saalfeld53 als Entschädigung für die "bei dem Kriege gegen Frankreich geleisteten ersprieslichen Dienste54 ein Gebiet von 20.000 Seelen zu, das einstweilen von Preußen zugunsten Sachsen-Coburgs verwaltet werden sollte. Nach dem Vertrag vom 3./20. November 181555 hatte Preußen es56 übernommen, Sachsen-Coburg aus seinem linksrheinischen Zuwachs zu entschädigen57. Preußen erwarb das Gebiet durch den Wormser Traktat vom 1. Juli 181658 zu Eigentum und die Landeshoheit, hatte es aber bereits am 1. Mai 1816 in Besitz genommen, da sich die österreichisch/bayerische Regierung in Worms an diesem Tage auflöste59. In den Verhandlungen erreichte der Herzog eine Erhöhung der Entschädigung von 20.000 auf 25.000 Einwohner60. Er hatte sich 51 52 53

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Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen v. 26. Jan. 1937, in: RGBl I, S. 91 – 94. Vgl. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 54. Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Saalfeld schloß im November 1826 einen Hauptteilungsvertrag der thüringischen Herzogtümer, mit dem er – unter beträchtlichem Landgewinn – Saalfeld gegen Gotha eintauschte; fortan nannte er sich Herzog zu Sachsen-Coburg und Gotha und behielt den Titel eines Fürsten von Lichtenberg bei, vgl. den Vertragstext bei Hirschfeld, Gustav, Die Errichtung des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha im Jahre 1826, in: Coburger Heimatkunde und Heimatgeschichte, Heft 4, 1927, S. 22 – 32. Plänckner, J. v., Die deutschen Rheinlande. Eine speciell-totpographisch=statistische Beschreibung des Herzoglich Sachsen-Coburg-Gothaischen Fürstenthums Lichtenberg ..., Gotha etc. 1833, S. 77. Zum Vertrag von Paris vgl. oben Fn. 10. In Artikel VI, des Vertrages, S. 670f (wie Fn. 55). Vgl. Bärsch I (wie Fn. 14), S. 141. Wormser Traktat vom 1. Juli 1816: Convention pour la cession à la Prusse d’une partie de l’ancien département de la Sarre, signée à Worms, in: Martens, Nouveau Recueil Bd. IV, S. 241; vgl. Kockerols (wie Fn. 8), S. 54f; Schubert, Restauration (wie Fn. 8) S. 175. Vgl. den Vertrag mit Neustrelitz vom 18. Sept. 1816 (G S [wie Fn. 44], S. 74), der den Besitzantritt zum 1. Mai 1816 erwähnt; vgl. Bärsch I (wie Fn. 14), S. 138; Kockerols (wie Fn. 8), S. 52. v. Plänckner, (wie Fn. 54), S. 77 geht ohne weiteres von 25. 000 Einwohnern aus.

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zwar Gebiete in Oberfranken oder gar im preußischen Ansbach und Bayreuth gewünscht61, doch Preußen wusste das zu verhindern und wandte ihm den zuvor für den Herzog von Oldenburg vorgesehenen Bereich St. WendelBaumholder-Grumbach mit einer Bevölkerung von etwa 26.000 Einwohnern zu. Es entließ die Bewohner des Gebietes durch Bekanntmachung vom 9. Sept. 181662. Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Saalfeld nahm den Kanton Grumbach „(mit Ausnahme der königlich Baierschen Orte St. Julian und Eschenau und der Landgräflich Hessen-Homburgischen Ortschaften Bärenbach, Becherbach, Otzweiler und Hoppstädten)“, den Kanton Baumholder „(mit Ausnahme der Preußisch bleibenden Orte Nohen, Nohefelden, Gimbweiler und Wolfersweiler)“, den Kanton St. Wendel „(mit Ausnahme der Königlich Baierschen Orte Bubach, Saal, Niederkirchen, Marth, Hoff und Osterbrücken, sodann der Preußen vorbehaltenen Orte Haßborn, Tautweiler, Thelig (Theley [=Tholey]) und der Gemeinden Otzweiler, Eizweiler, Hirstein, Richweiler und Moosberg, Steinberg und Deckenhard, Wallhausen und Schwarzhof und Imsbach)“, von dem Kanton Kusel „die an Preußen gefallenen Orte Burglichtenberg, Thallichtenberg, Ruthweiler, Pfeffelbach, Reichweiler und Schwarzerden), von dem Kanton Theley [=Tholey] die Gemeinden Namborn, Guidesweiler, Gronich, Osebach und Oberthal, Imweiler, Elmern, Bliesen, Niederhofen, Winterbach, Alzweiler und Marpingen“; endlich von dem Kanton Ottweiler die Gemeinden „Werschweiler, Dürrenbach, Wethshausen, Steinbach, Niederlinxweiler (oder Niederlinnweiler), Remmesweiler, Mainzweiler und Urexweiler“63 am 11. Sept. 1816 förmlich in Besitz. Die Frankfurter Territorialkommission bestätigte diese Vorgänge und entnahm diese Einwohnerzahl in Artikel 28 ihres Rezesses vom 20. Juli 181964 dem Gebiet um Baumholder, Grumbach und St. Wendel aus dem früheren SaarDepartement, legte jedoch in Artikel II, II, b)65 die Orte Saale, Niederkirchen, Bubach, Marth, Hoff und Osterbrücken aus dem Kanton Sankt Wendel der bayerischen Rheinpfalz zu66. 61 62 63

64 65 66

Vgl. Düwell (wie Fn. 43), S. 335. Vgl. Bärsch, I (wie Fn. 14), S. 141. Vgl. Lottner, Friedrich August, Sammlung der für das Fürstentum Lichtenberg vom Jahre 1816 bis 1834 ergangenen Herzoglich Sachsen-Coburg-Gothaischen Verordnungen, Berlin 1836 [Lottner, Lichtenberg], hier: Nr. 1, S. 1f. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 121f. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 108. Die preußische Immediat-Justiz-Kommission übertrug am 28. Januar 1817 die Jurisdiktion des Kreisgerichts St. Wendel über die nicht an Sachsen-Coburg-Saalfeld gefallenen Friedensgerichte Saarbrücken, Ottweiler, Saarlouis und Merzig auf das Kreisgericht Saarbrücken, mit Ausnahme der Gemeinden, die zum Kreisgericht Trier gehörten, vgl. Lottner, Friedrich August, Sammlung der für die königlich Preußische Rheinprovinz seit dem Jahre 1813 hinsichtlich der Rechts- und Gerichtsverfassung ergangenen Gesetze, Verordnungen, Ministerial-Rescripte etc., Bände I – XII, Berlin 1834 – 1865 [Lottner], hier: Bd. I, Nr. 253, S. 451 ff.

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2. Die Verwaltung des Fürstentums Lichtenberg Die Verordnung vom 11. September 181667 errichtete die „Herzoglich SachsenCoburg-Saalfeldische Regierung“ in dem neuerworbenen Land. In seiner Verordnung vom 24. Februar 1819 stellte der Herzog klar, dass die Herzogliche Landes-Commission die oberste Landesbehörde bilde, der nicht nur die Gesetzgebung im Fürstentum zustehe, sondern die auch die Disziplinaraufsicht über alle Beamten ausübe68. Erst durch die Verfügung der Herzoglichen Landeskommission vom 6. März 1819 erhielt das Land den Namen „Fürstentum Lichtenberg“69. Sachsen-Coburg teilte die Neuerwerbung am 11. Januar 181770 in die Kantone St. Wendel (mit den Bürgermeistereien St. Wendel, Oberkirchen, Namborn, Bliesen, Urexweiler und Werschweiler), Grumbach (mit den Bürgermeistereien Grumbach, Offenbach, Schmidthachenbach, Sein, und Mittelbollenbach) und Baumholder (mit den Bürgermeistereien Baumholder, Berschweiler, Reichenbach und Burglichtenberg) ein. Seine Gesetze verkündete der Herzog v. Sachsen-Coburg von 1817 – 1834 im Amts- und Intelligenzblatt71. Die Landes-Commission in St. Wendel bestand zunächst nur aus einer Abteilung mit allgemeiner Zuständigkeit. Verwaltung und Gerichtswesen waren also auch hier nicht getrennt. Erst die Verordnung vom 12. Mai 1821 hob die Landeskommission auf und errichtete als obere Landesbehörde die „Herzoglich Sächsische Regierung des Fürstenthums Lichtenberg“. Unter einem gemeinschaftlichen Präsidenten bearbeitete deren erste Abteilung (bestehend aus zwei Räten und einem Assessor) die allgemeine Verwaltung, deren zweite Abteilung (bestehend aus zwei Räten und einem Generalprokurator) bildete ein Appellationsgericht in St. Wendel, das „Regierung als Appellationsgericht“ hieß. Immerhin verdient erwähnt zu werden, dass der Herzog Lichtenberg zwar zunehmend zentralistisch verwalten ließ, finanziell aber erfolgreich wirtschaftete: Der Abtretungsvertrag an Preußen vermerkt72, das Land „geht völlig schuldenfrei ... auf Preußen über“.

3. Gerichte im Fürstentum Lichtenberg Der Herzog von Sachsen-Coburg errichtete ein Tribunal oder Landesgericht in St. Wendel und wies ihm die Kantone St. Wendel, Grumbach und Baumholder 67 68 69 70 71 72

Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 2, S. 3. Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 88, S. 139 – 142. Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 90, S. 143f. Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 17, S. 28 – 30. Sie sind außerdem gedruckt bei Lottner, Lichtenberg (wie Fn. 63). Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 276, Vertrag v. 31. Mai 1834, Absatz 6, S. 598; vgl. Flach, Dietmar, Die Sachsen-Coburger Exklave Lichtenberg (1816 – 1834), in: Thüringische Forschungen, Festschrift für Hans Eberhardt z. 85. Geburtstag am 25. Sept. 1993, Köln etc. 1993, S. 355 – 385, hier: S. 384.

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zu, die jeweils ein Friedensgericht erhielten73. Das Landesgericht urteilte in Zivil- und Strafsachen nach französischem Recht und war Berufungs- und Kassationsinstanz für die Friedensgerichte in Zivil-, Polizei- und Forstsachen, soweit Berufung zulässig war74. Auf Grund eines Vertrages mit Bayern ging zwischen 1816 und 1821 die Berufung gegen die Urteile des Landesgerichts St. Wendel an das bayerische Appellationsgericht in Zweibrücken75. Mit den Nachbarstaaten Bayern (für dessen Rheinkreis)76, Hessen-Homburg (für das Oberamt Meisenheim)77 und HolsteinOldenburg (für Birkenfeld)78 hat das Fürstentum Verträge über „Gerichtsbarkeitsverhältnisse“, also die Strafverfolgung Auswärtiger, den Ausschluss der Auslieferung von Missetätern etc. geschlossen. Mit dem Fürstentum Birkenfeld gab es den Vertrag vom 30. Oktober 181879 über freien Marktverkehr zwischen den Staaten und Vereinfachung der gerichtlichen Insinuation80, welche den Artikel 69, Nr. 9 des Code de procédure civile außer Kraft setzte, der den Weg über die jeweiligen Ministerien vorschrieb. Die Verordnung vom 12. Mai 1821 errichtete – wie ausgeführt – als zweite Abteilung der herzoglichen Regierung ein Appellationsgericht in St. Wendel und nannte es „Regierung als Appellationsgericht“. Ihm oblag die Entscheidung zweiter Instanz in Zivil- und Strafsachen des Landesgerichts und es war zugleich Kassationsinstanz81. Darüber hinaus ordnete es die Geschworenengerichte an und leitete sie. Ihm oblag auch die Aufsicht über die Friedensgerichte und das Landesgericht sowie die Revision der Gesetze. Es bestand aus dem (mit der ersten Abteilung der Regierung gemeinsamen) Präsidenten, zwei Räten und 73

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Vgl. Plänckner (wie Fn. 54), S. 80 ff für die Regierung I, S. 108 – 113 für die Regierung II; Scheid, Richard, Die Gerichtsorganisation im Gebiet des Saarlandes seit der Französischen Revolution, in: Justizblatt des Saarlandes, Saarländische Rechts- und Steuerzeitschrift, Bd. 11, 1967, S. 203 – 216 (207); Fischer, Walther, Das vormals SachsenCoburgische Fürstentum Lichtenberg, in: Heimatkalender des Kreises Birkenfeld 1955 (1956), S. 141 – 149, hier: S. 142. Vgl. Bär, Max, Die Behördenverfassung der Rheinprovinz, seit 1815, Bonn 1919, 2. Nachdruck Düsseldorf 1998, hier: S. 105; Die VO vom 28. Mai 1830 (bei Lottner, Lichtenberg (wie Fn. 63), S. 475 – 483) hat in Artikel 2 die Verhältnisse neu gestaltet; vgl. Schubert, Restauration (wie Fn. 8), S. 178. Vgl. Bärsch I (wie Fn. 14), S. 142. Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 83, S. 131 – 134, Vertrag v. 11. Jan. 1819 Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 92, S. 145 – 148, Vertrag v. 24. Apr. 1819. Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 120, S. 202 – 205, Vertrag v. 29. Dez. 1821. Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 79, S. 128f, Vertrag v. 30. Okt. 1818. Lottner Lichtenberg (wie Fn.63), Nr. 80, S. 129, Vertrag v. 30. Okt. 1818. Insinuation = Eingabe eines Schreibens bei Gericht. Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 113, S. 192 – 195; vgl. Bär (wie Fn. 74), S. 105.

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einem Generalprokurator. Die Verordnung vom 22. Mai 1821 errichtete zudem eine „oberste Justizstelle für das Fürstenthum Lichtenberg“, die von der Landesregierung des Fürstentums wahrgenommen wurde. Sie bildete zugleich die höchste Behörde, an die man nach Artikel 504 des Code de procédure civile rekurrieren konnte, wenn widerstreitende Urteile verschiedener Gerichte vorlagen82. Da auf diese Weise Justiz und Verwaltung eine Einheit bildeten (die französische Trennung zwischen Verwaltung und Justiz also ganz aufgegeben war)83, führte das zu Unzuträglichkeiten. Infolgedessen errichtete Coburg durch die Verordnung vom 7. April 182584 in Coburg ein Kassationsgericht für die Urteile des Appellationsgerichts, das über „alle Nullitätsbeschwerden“ entschied, und zwar auf Grund von § 3 der Verordnung vom 28. Mai 1830 „über das schriftliche Verfahren bei dem Cassationsgericht“85. Im materiellen Recht schloss sich Coburg eng an die preußische Gesetzgebung an.

4. Das Ende des Fürstentums Lichtenberg Wie die Oldenburger waren auch die Coburger seit dem Aachener Kongress 1818 dauernd bestrebt, das weitabliegende Territorium Lichtenberg gegen einen günstiger gelegenen Landstrich einzutauschen. Doch Preußen wollte keinen seiner Untertanen an eine andere Regierung abtreten86. In der Julirevolution von 1830 und im Mai 1832 (zur Zeit des Hambacher Festes) kam es in St. Wendel zu Unruhen, die den Herzog veranlassten, sich von Lichtenberg möglichst schnell zu trennen87. Er war deshalb bereit, das Territorium gegen preußische Domänen (mit Coburgischen Hoheitsrechten) einzutauschen. Preußen wollte dagegen weder seine Souveränität noch seine Gesetzgebung über diese Landgüter aufgeben. Schließlich war der Herzog bereit, sich in Geld abfinden zu lassen, forderte jedoch eine Million preußische Taler für je 10.000 Seelen, so dass er bei der Einwohnerzahl Lichtenbergs von 34.000 Seelen 3,4 Millionen Taler beanspruchte, musste sich aber schließlich mit 80.000 Talern Jahresrente begnügen. Durch Staatsvertrag vom 31. Mai 1834 und das Patent vom 15. August 1834 trat Coburg das Fürstentum wieder an Preußen ab88. Es gab aber noch einen 82 83 84

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Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 114, S. 195f. Flach (wie Fn. 72), S. 376f hält diese Entscheidungen zutreffend für sehr ungeschickt. VO v. 7. April 1825 bei Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 177, S. 351 – 353; vgl. Schubert, Restauration (wie Fn. 8), S. 177. Damit war die höchste Rechtspflege weit entfernt, und das schriftliche Verfahren erschwerte die Rechtspflege, vgl. Flach (wie Fn. 72), S. 376. VO vom 28. Mai 1830, bei Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 240, S. 475 – 483. Vgl. Düwell (wie Fn. 43), S. 339f. Vgl. Düwell (wie Fn. 43), S. 338f. Druck in G S 1834 (wie Fn. 44), S. 159 – 161 und bei Lottner Lichtenberg (wie Fn. 63), Nr. 276, S. 596 – 599; vgl. Bär (wie Fn. 74), S. 105f; Kockerols (wie Fn. 8), S. 55.

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geheimen Zusatzvertrag, wonach Coburg statt dieser Summe mit preußischen Domänen in der sächsischen Goldenen Aue entschädigt werden sollte. Dies stieß jedoch bei den preußischen Ministern des Inneren und der Finanzen auf Widerstand, die nicht einsahen, dass man die schönsten preußischen Güter „für die Lappländer am Hunsrück“ hergeben solle89. Schließlich bot König FriedrichWilhelm IV. dem Herzog von Coburg an, die jährliche Rente in preußische Staatsschuldscheine von 2,1 Millionen Talern umzuwandeln. Diese Summe benutzte Coburg zum Ankauf von Gütern, die es alsbald in den Lichtenberger Fideikommiss einbrachte, der bis 1918 eine wesentliche finanzielle Grundlage der Coburger Dynastie bildete. Die preußische Kabinettsordre vom 25. März 183590 schuf aus dem Fürstentum Lichtenberg den Kreis St. Wendel, der vom 1. April 1835 ab dem Regierungsbezirk Trier der Rheinprovinz zugelegt wurde. Die Entschädigungslösung des Wiener Kongresses zeigte sich hier als nicht lebensfähig; sie war ebenso lebensfremd wie in den anderen Fällen.

III. D A S O B E RA M T M E I S E N HE I M 1. Die Entschädigung des Landgrafen von Hessen-Homburg Auf Grund der Artikel 24 und 26 der Rheinbundakte vom 12. Juli 180691 hatte das Großherzogtum Hessen-Darmstadt die Landgrafschaft Hessen-Homburg mediatisiert und seinem Territorium einverleibt. In den Freiheitskriegen hatte sich der Landgraf jedoch sehr verdient gemacht, auch gehörte es zu den altfürstlichen Häusern92, so dass es nicht nur seine Souveränität zurückerlangte, sondern die Großmächte auch eine weitere Entschädigung für angemessen erachteten93. Artikel 48 der Wiener Kongress Akte94 bestimmte: "Le Landgrave de Hesse89

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Vgl. Bassewitz, Hans-Barthold von, Coburg und Gotha links des Rheins, in: Aus den coburgisch-gothaischen Landen..., hrsg. v. R. Ewald, 3. Heft, Gotha 1905, S. 19 – 26, hier: S. 26; Düwell (wie Fn. 43), S. 345. Allerhöchste Kabinettsorder v. 25. März 1835, betr. die Organisation der administrativen Verhältnisse im ehemaligen Fürstentum Lichtenberg (G S (wie Fn. 44), S. 43f); vgl. vgl. Baier, Hans Dieter, Rechtsbereinigung im Saarland, in: Hundertfünfzig Jahre Landgericht Saarbrücken. Festschrift, hrsg. v. Landgerichtspräsident Helmut Leonardy. Redaktion: Rose Holschuh, Köln 1985, S. S. 225 – 254 (235). Text bei Hofmann, Hans Hubert, Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1495 – 1815, Darmstadt 1976, S. 374 – 392, hier: S. 384; 386. Vgl. Dölemeyer, Barbara, Fragmentarische Staatlichkeit. Die Landgrafschaft HessenHomburg im Alten Reich und im Deutschen Bund, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde zu Bad Homburg v. d. Höhe, ebenda 1995, S. 5 – 64, hier: S. 18f. Vgl. Demandt, Karl E., Geschichte des Landes Hessen, 2. Auflage, Kassel 1972, S. 564.

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Hombourg est réintégré dans les possessions, revenus, droits et rapports politiques dont il a été privé par suite de la conféderation Rhenane". In einem geheimen Separat-Artikel zum Vertrag zwischen Österreich, Preußen und dem Großherzog von Hessen95 vom 10. Juni 1815 hatte sich der hessische Großherzog für die Rückgabe der entzogenen Landgrafschaft an das Haus Hessen-Homburg stark gemacht. Der Landgraf hatte sich eine Entschädigung in der Nähe von Homburg gewünscht, musste sich dann aber mit dem Amt Meisenheim im ehemaligen Saardepartement zufrieden geben, das er spöttisch „Distrikt in China“ nannte96. Der Artikel 49 der Schlussakte des Wiener Kongresses97 vom 9. Juni 1815 hatte dem Landgrafen von Hessen-Homburg 10.000 Seelen aus dem ehemaligen SaarDépartement versprochen98. Preußen erwarb das Saar-Département durch den Wormser Traktat vom 1. Juli 181699, hatte es aber bereits am 1. Mai 1816 in Besitz genommen, da sich die österreichisch/bayerische Regierung an diesem Tage auflöste100. Auf Grund der Konvention vom 3. November 1815101 übergab Preußen das Gebiet am 9. September 1816 an Hessen-Homburg102. Es handelte sich um den früheren Kanton Meisenheim (wie er in Artikel 25 der Wiener Kongress Akte103 für Preußen vorgesehen war) und die Gemeinden Bärenbach, Becherbach, Otzweiler und Hoppstädten im Kanton Grumbach. Die Artikel 26 und 29 des Recès général der Frankfurter Territorial-Commission104 vom 20. Juli 1819 bestätigte diese Zuweisungen. 94 95 96 97

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100

101 102 103 104

Text bei Klüber, Quellen (wie Fn. 3). S. 54. Bei Klüber, Akten VI (wie unten Fn.97), S. 578. Vgl. Hassinger, Philipp, Der Kreis Meisenheim, sein Werden und Vergehen, in: Kreuznacher Nationalblatt 1935/36 (mehrere undatierte Fortsetzungen). Vgl. den Separat-Artikel zum Vertrage zwischen Österreich, Preußen und dem Großherzog von Hessen vom 10. Juni 1815, Druck bei Klüber, Johann Ludwig, Acten des Wiener Kongresses in den Jahren 1814 und 1815, Band VI = Hefte 21 – 24), Erlangen 1816 [Akten], hier: S. 578, und der Territorial-Receß v. 20. Juli 1819 bei Klüber, Quellen (wie Fn. 3), Artikel 26, S. 120; 122. Da Hessen-Homburg nur etwa 8000 Seelen umfaßte, wurde die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt. Convention pour la cession à la Prusse d’une partie de l’ancien département de la Sarre, signée à Worms, in: Martens, Nouveau Recueil Bd. IV, S. 241; vgl. Kockerols (wie Fn. 8), S. 54f; Schubert, Restauration (wie Fn. 8), S. 175. Vgl. den Vertrag mit Neustrelitz v.18. Sept. 1816 (G S [wie Fn. 44], S. 74), wo ein Vertrag mit Österreich vorausgesetzt ist und der Besitzantritt zum 1. Mai 1816 erwähnt wird; vgl. Bärsch I (wie Fn. 14), S. 138; Kockerols (wie Fn. 8), S. 52. Vgl. Bärsch I (wie Fn. 14), S. 141. Vgl. Bär (wie Fn. 74), S. 107; vgl. Hassinger (wie Fn. 96). Text bei Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 35 – 39. Artikel 29 des Recès-Général vom 20. Juli 1819, bei Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 120; 122.

230

Birkenfeld, Lichtenberg, Meisenheim etc.

2. Die Verwaltung im Oberamt Meisenheim Die Verordnung vom 29. Dezember 1817 errichtete das Oberamt Meisenheim105 und ordnete die Staatsverwaltung darin. Unter der Leitung der Landeskollegien setzte der Landgraf Friedrich dort einen Oberbeamten ein, dem nach § 4 der Verordnung nicht nur die ganze Verwaltung in allen ihren Zweigen oblag, sondern der nach § 4, Ziffer 14 auch „die bürgerliche Rechtspflege in der ersten Instanz einschließlich der Ehesachen“ und nach Ziffer 15 auch „die Untersuchung in peinlichen Fällen“ durchzuführen hatte. Verwaltung und Justiz waren also auch hier zunächst nicht getrennt. § 9 der Verordnung verwarf die bisherige französische Gemeindeverfassung, wonach die Macht in den Bürgermeistereien (mairies) in der Hand des Bürgermeisters lag. Stattdessen sagt § 9: „künftig [soll] jeder Ort seinen eigenen Ortsvorstand erhalten. Dieser besteht aus dem Schultheisen und der nach der Größe des Orts nöthigen Zahl von Gerichtsdienern; er wird von der Gemeinde gewählt und ... von dem Oberamte bestätigt ....“ Die Gemeinden sollten sich also selbst verwalten; Vorbild war die Gemeindeverfassung des Freiherrn vom Stein in den rechtsrheinischen Gebieten. Die Verordnung vom 18. Febr. 1818 fasste alle alten Behörden der Landgrafschaft (einschließlich Hofgericht) in der Landesregierung zusammen. Der Geheime Rat wurde ihr oberstes Organ, doch war er nur beratend tätig, der Landgraf behielt das letzte Wort106. Erst ein Gesetz vom 9. Oktober 1849107 entsprach der Meisenheimer Forderung nach einer neuen Kommunalverwaltung und erweiterte die Selbstverwaltung der Gemeinden, auch sah sie die Wahl von Gemeinderäten vor108. Nach der Märzrevolution von 1848 blieb der Landgraf weiterhin konservativ: Er verhinderte nicht nur die Publikation des Verfassungsentwurfs der Frankfurter Nationalversammlung, auch die von seinem konstituierenden Landtag beschlossene und am 3. Jan. 1850 im Regierungsblatt veröffentlichte Verfassung hob er am 20. April 1852 wieder auf109. 105 Verordnung vom 29. Dez. 1817, in: Amtsblatt Nr. 7 v. 16. März 1818 = Archiv (wie unten Fn. 106), S. 7f. 106 Vgl. die Verordnung v. 12. Mai 1817, in: Amtsblatt des Landgrafenthums Hessen v. 2. März 1818 = Archiv der Landgräflich Hessischen Gesetze und Verordnungen 1816 – 1866, Homburg v. d. H. 1867, [Archiv] S. 1 ff. 107 Gesetz die Einrichtung des Gemeindewesens betreffend v. 9. Okt. 1849, in: Regierungs-Blatt vom 21. Oct. 1849 und in Archiv (wie Fn. 106), S. 477 – 485. 108 Artikel 10 des Gesetzes v. 9. Okt. 1849 (wie Fn. 106), S. 479. Zur Revolution im Oberamt Meisenheim vgl. Schlick, Gabriela, Die Landgrafschaft Hessen-Homburg 1816 – 1866, Bad Homburg v. d. H. 1996, S. 45 – 55. Die Meisenheimer forderten in Punkt 5 ihrer Adresse eine „neue Communal-Verwaltungs-Ordnung“. 109 Gesetz vom 20. April 1852, in: Landgräflich Hessisches Regierungs-Blatt für 1852, Nr. 5; auch in: Archiv (wie Fn. 106), S. 665 ff; vgl. Dölemeyer (wie Fn. 92), S. 27; über den konstituierenden Landtag und seine Arbeit vgl. Schlick (wie Fn. 108), S. 64 – 69.

Birkenfeld, Lichtenberg, Meisenheim etc.

231

3. Die Justiz im Oberamt Meisenheim Am 14. März 1818 ernannte der Landgraf einen Justizrat und hielt damit Verwaltung und Justiz wenigstens personell auseinander110. Seitdem gab es ein Verwaltungs- und ein Justizoberamt 111. Dieses wurde zugleich als Friedensgericht tätig112. § 6 der Verordnung vom 29. Dezember 1817 wies „die bürgerliche Rechtspflege in zweiter und dritter Instanz den für Unser übriges Gebiet angeordneten Justizkollegien“ zu. Dementsprechend bildete die erste Deputation der Landesregierung die zweite Instanz für „amtssässige“ Bürger. Für privilegierte („kanzlei- oder schriftsässige“) Personen war sie dagegen die erste Instanz, denn es gab in Hessen-Homburg noch einen privilegierten Gerichtsstand, also keine allgemeine und gleiche Justiz für alle Bürger113. Da der Landgraf ein eigenes Oberappellationsgericht nicht errichtete, wurden die Revisionen gegen die Urteile der ersten Instanz durch Aktenversendung an Juristenfakultäten erledigt114. Dementsprechend finden sich Sprüche der Fakultäten in Heidelberg, Gießen und Jena115. Der Landgraf verhieß zwar eine baldige Prozessordnung, bestimmte aber in § 7, dass bis dahin die bestehenden Gesetze (also die französische Rechtsordnung) weitergelten sollten. Die Strafgerichtsbarkeit in Kapitalverbrechen übte der Landesherr bzw. der Geheime Rat aus, in den übrigen Kriminalsachen die 1. Deputation der Landesregierung. Das Oberamt Meisenheim durfte Kriminalfälle nur untersuchen, nicht entscheiden116. In Strafsachen waren Justiz und Verwaltung also nicht getrennt. Auch die Märzrevolution von 1848 änderte daran nicht viel. Allerdings wurden die privilegierten Gerichtsstände aufgehoben: Nach dem 6. März 1848 waren in allen Zivil- und Strafsachen die Ämter als ordentliche Gerichte erster Instanz zuständig117.

4. Das Ende des Oberamtes Meisenheim Am 24. März 1866 starb Landgraf Ferdinand. Damit erlosch die HessenHomburgische Linie118 und ihre Besitzungen fielen nach der Erbfolgeordnung 110 Vgl. Hassinger (wie Fn. 96). 111 Druck in: Landgräflich Hessisches Amts- und Intelligenzblatt Nr. 5 vom 16. März 1818 und in: Archiv (wie Fn. 106), S. 2 ff; vgl. Bär (wie Fn. 74), S. 108. 112 Vgl. Schubert, Restauration (wie Fn. 8), S. 177; Dölemeyer (wie Fn. 92), S. 29. 113 Archiv (wie Fn. 106), S. 3f; vgl. Dölemeyer (wie Fn. 92), S. 29. 114 VO v. 18. Febr. 1818, in: Archiv (wie Fn. 106), S. 3 – 6 und VO v. 2. Juni 1854 (Archiv, S. 744 – 746), vgl. Schubert, Restauration (wie Fn. 8), S. 177. 115 Vgl. Dölemeyer (wie Fn. 92), S. 29. 116 Vgl. Dölemeyer (wie Fn. 92), S. 30. 117 Regierungs-Blatt v. 7. März 1848, in: Archiv (wie Fn. 106), S. 459. 118 Vgl. Bär (wie Fn. 74), S. 109.

232

Birkenfeld, Lichtenberg, Meisenheim etc.

von 1864119 an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Großherzog Ludwig III. (1848 – 1877) verleibte das Oberamt Meisenheim dem Großherzogtum nicht ein, sondern ließ es als Staat bestehen und errichtete nur eine Personalunion. Nach der Verabschiedung des gemäßigt liberalen Ministerpräsidenten Heinrich Karl Jaup120 am 28. Juni 1850 berief der Großherzog in diese Stellung Reinhard von Dalwigk, der zunächst preußenfreundlich war, aber in der Darmstädter Konferenz des Jahres 1852 bald die Preußengegner um sich scharte. Dementsprechend schlug er sich im Kriege von 1866 auf die österreichische Seite121. Im Frieden mit Preußen vom 3. September 1866 musste das Großherzogtum Hessen-Darmstadt nicht nur drei Millionen Gulden zahlen, sondern auch das gerade heimgefallene Hessen-Homburg an Preußen abtreten, das Preußen durch Gesetz vom 20. September 1866122 annektierte. Der Großherzog entließ seine Untertanen durch die Bekanntmachung vom 26. September 1866123. Das preußische Gesetz124 vom 24. Dezember 1866 vereinigte Teile des Großherzogtums Hessen – darunter das Oberamt Meisenheim – zum 1. Oktober 1867 mit Preußen. Das Besitznahmepatent125 datiert vom 12. Jan. 1867, und der Erlass vom 2. Februar 1867 wies es dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz und dem Regierungspräsidenten in Koblenz zu. Der Übergang wurde am 1. Juni 1867 vollzogen126. Die Verordnung vom 13. Mai 1867 fügte Meisenheim auch der preußischen Gerichtsorganisation ein127. Die wiedererrichtete und vergrößerte Landgrafschaft Hessen-Homburg hatte also nur fünfzig Jahre Bestand. 119 Am 7. Juli 1864 schlossen der Landgraf und der Großherzog von Hessen-Darmstadt einen Successionsvertrag, dessen Artikel I vorsah, daß beim Erlöschen des Mannesstammes des Landgräflichen Hauses dessen Regierungsrechte, Besitzungen etc. als Universal-Familien-Fideicommiß an das Großherzoglich Hessische Haus fallen sollte, vgl. den Text bei Dölemeyer (wie Fn. 92), Anhang I, Nr. 3, S. 37f. 120 Über Heinrich Karl Jaup vgl. Strauch, Dieter, Deutsche Juristen im Vormärz, Köln 1999, S. XLVf. 121 Vgl. Demandt (wie Fn. 93), S. 575f; Köbler, Gerhard, Historisches Lexikon der deutschen Länder. Die deutschen Territorien und reichsunmittelbaren Geschlechter vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 6. Aufl. Darmstadt 1999, hier: S. 257f. 122 G S (wie Fn. 44) 1866, S. 55f. 123 Bekanntmachung vom 26. September 1866, veröffentlicht am 14. Oktober vom preußischen Zivilkommissar, vgl. Hassinger (wie Fn. 96). 124 Gesetz betr. die Vereinigung bisher Bayrischer und Großherzoglich Hessischer Gebietstheile mit der Preußischen Monarchie vom 24. Dezember 1866 in: G S (wie Fn. 44) 1866, S. 876. 125 Veröffentlicht im Regierungsblatt für den Bezirk des Preußischen Civil-Commissariats zu Homburg v. d. H. Nr. 3 vom 22. Jan. 1867. 126 Vgl. Hassinger (wie Fn. 96). 127 G S 1867 (wie Fn. 44), S. 700; über die Änderungen in Meisenheim 1867 – 1879 vgl. HStAD, OLG Köln, 11/939.

233

Birkenfeld, Lichtenberg, Meisenheim etc.

IV. E I N M E CK LE N B U RG I S C HE S T E RR I T O RI U M D E R E I FE L ?

IN

Die Schlussakte des Wiener Kongresses wies dem Herzog von MecklenburgStrelitz ein Gebiet von 10.000 Seelen zu, dessen Lage noch bestimmt werden sollte128. Darauf schloss Preußen mit dem Großherzog129 am 18. Sept. 1816 einen Vertrag130, der ihm das Gebiet der ehemaligen Kantone Cronenburg [Kronenburg] (ohne die Gemeinden Steffler [Steffeln] und Schuler [Schüller]131), Reifferscheid und Schleyden [Schleiden] (ohne die Gemeinde Wolfsseiffen [Wollseifen] mit insgesamt 10. 332 Einwohnern abtrat. Nach Artikel III des Vertrages strebten beide Staaten – wegen der abgelegenen Lage des Landstrichs und weil ganz von preußischem Gebiet umschlossen – eine andere Lösung an. Deshalb wurde die Besitzübertragung für längstens ein Jahr ausgesetzt. Auch nach Ablauf dieser Frist machte der Großherzog jedoch von seinem Anspruch auf Besitzübertragung keinen Gebrauch, sondern verhandelte weiter, um eine ihm günstige Lösung (Gebietserweiterungen Mecklenburgs im Norden)132 zu erlangen. Da Preußen nicht bereit war, ein Territorium in Küstennähe aufzugeben und unnachgiebig blieb, erklärte sich der Großherzog schließlich mit einer Abfindung von einer Million Talern preußisch Courant einverstanden, die im Abkommen vom 21. Mai 1819 vereinbart wurde133. Diese Abmachung fand ihren Niederschlag auch in Artikel 33 des Récès Général der Frankfurter Territorialkommission vom 20. Juli 1819134. Eine Besitznahme des Gebiets durch den

128 Vgl. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 54. 129 Der Herzog von Mecklenburg-Strelitz war auf Grund des Artikel 35 der Wiener Kongreßakte seit 1815 Großherzog, vgl. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 45; Köbler (wie Fn. 121), S. 388. 130 Vertrag zwischen Mecklenburg-Strelitz und Preußen v. 18. Sept. 1816 bei Martens, Recueil, Supplément, Tom. VIII = Nouveau Recueil Tom IV, 1819, S. 259 – 263 (= G S [wie Fn. 44] 1818, Anhang, S. 111 – 113) der die Vorgaben der Art. 49 und 50 der Wiener Kongressakte erfüllte (S. 261), vgl. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 54, Fn. 2. 131 Vgl. Baldus, (wie Fn. 43), Der Verzicht des Großherzogs von Mecklenburg-Strelitz. Staatsrechtliches Kuriosum durch Vertrag von Berlin 1819 beendet, in: Jahrbuch des Kreises Euskirchen 1985, S. 117 – 120, hier: S. 119 mit Fn. 21. 132 Vgl. Endler, Carl August, Die Geschichte des Landes Mecklenburg-Strelitz (1701 – 1933), Hamburg 1935, hier: S. 62 ff; Baldus (wie Fn. 43), S. 119. 133 Vertrag zwischen Mecklenburg-Strelitz und Preußen vom 21. Mai 1819 bei v. Martens, Recueil, Supplément, T. VIII = Nouveau Recueil T. IV, 1819, S. 600 – 603 (= G S [wie Fn. 44] 1819, S. 154 – 156), vgl. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 54, Fn. 2. 134 Artikel 33 des Récès Général der Frankfurter Territorialkommission vom 20. Juli 1819 bei Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 123 und bei Martens, Recueil, Supplément, T. VIII = Nouveau Recueil T. IV, 1819, S. 604 – 625 mit den Annexen Nr. 1 – 10 (S. 626 – 636).

234

Birkenfeld, Lichtenberg, Meisenheim etc.

Großherzog hat nicht stattgefunden; die bisherige Verwaltung und die Friedensgerichte hat er nicht verändert und keine neuen errichtet.

V. D I E E N T S CH Ä D I G U N G

DES

G RA FE N

VON

PAPPENHEIM

Die Grafen von Pappenheim hatten jahrhundertelang das Erbmarschallamt, das heißt die Gerichtsbarkeit auf den Reichs-, Wahl- und Krönungstagen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation inne135, sie verloren es jedoch mit der Auflösung des Reiches 1806. Der Preßburger Friede vom 26. Dez. 1805136 hatte in Artikel 7 dem bayerischen Kurfürsten nicht nur den Königstitel verliehen, sein Artikel 14 verlieh ihm auch „la plenitude de la souveraineté“. Dies legte Bayern so aus, dass es nunmehr berechtigt sei, die Territorien kleiner Reichsstände zu mediatisieren137, die in bayerisches Gebiet eingesprengt lagen. Dazu gehörte auch die Reichsgrafschaft Pappenheim (im Altmühltal bei Weißenburg). Durch diplomatische Haarspaltereien schob die bayerische Regierung zunächst den Grenzvertrag vom 25. November 1802 beiseite, der die Souveränität der Reichsgrafschaft noch ausdrücklich anerkannt hatte138. Mit Hilfe militärischen Drucks gelang es dann, die Reichsgrafschaft zum 1. Juni 1806 zu mediatisieren139. Wegen des Verlustes seines Erbmarschallamtes fühlte sich der Reichsgraf von Pappenheim benachteiligt und intervenierte auf dem Wiener Kongress140. Daraufhin versprach Artikel 49 der Wiener Kongress Akte ihm für die weggefallenen Einnahmen aus diesem Amt als Entschädigung ein Gebiet mit 9.000 Seelen, fügte aber hinzu, dass es unter der Souveränität des Königs von Preußen bleiben solle. Das ihm im Saar-Département zugedachte Territorium wurde ihm jedoch nicht übertragen, sondern Artikel 33 des Recès-Général vom 20. Juli 1819 stellte fest141, dass der Graf von Pappenheim statt des Territoriums eine 135 Vgl. dazu Scheffer, Markus, Die Gerichtsbarkeit auf Reichs-, Wahl- und Krönungstagen (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 27), Köln etc. 1995. 136 Text bei Hofmann (wie Fn. 91), Nr. 68, S. 368 – 374. 137 Text bei Hofmann (wie Fn. 91), Nr. 68, S. 372; vgl. Oer, Rudolfine Freiin von, Der Friede von Preßburg. Ein Beitrag zur Diplomatiegeschichte des Napoleonischen Zeitalters, Münster i. W. 1965, S. 204f; dort im Anhang S. 245 – 280 auch die verschiedenen Vertragstexte. 138 Vgl. Haupt Graf zu Pappenheim, Geschichte des gräflichen Hauses zu Pappenheim 1739 – 1939, München 1940, S. 29 ff. 139 Vgl. Haupt Graf zu Pappenheim (wie Fn. 138), S. 30f; Schwackenhöfer, Hans, Die Reichserbmarschälle, Grafen und Herren von und zu Pappenheim. Zur Geschichte eines Reichsministerialengeschlechtes, Reutlingen etc. 2002, S. 307. 140 Vgl. Wedekind, Georg Joseph, Die Entschädigungs-Berechtigung des Reichserbmarschalls Grafen zu Pappenheim, 1814. 141 Vgl. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), Artikel 33 des Recès-Général vom 20. Juli 1819,

Birkenfeld, Lichtenberg, Meisenheim etc.

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Abfindung in Form von Domänen erhalten solle. Ein königlich preußisches Handschreiben aus Karlsbad vom 8. August 1816 versprach ihm daraufhin Domänen im Regierungsbezirk Köln mit einem Jahresertrag von 30.000 Talern preußisch Courant142. Auch zu deren Übertragung kam es nicht, denn Fürst Hardenberg überzeugte den Grafen davon, stattdessen Wein- und Jagdgüter am Rhein zu nehmen, deren Erhalt der Pappenheimer gutgläubig vorab quittierte, die er jedoch nie erhielt. Später wurde ihre Übertragung auf Grund der vorliegenden Quittungen verweigert. Diesen Verlust haben weder Bismarck noch König Friedrich III. von Preußen ausgeglichen143, so dass die Grafen Pappenheim am Ende völlig leer ausgingen. SCHLUSS Blicken wir zurück, so erscheinen die Gebietszuweisungen aus der Sicht der Großmächte nach außen generös, politisch nützlich und mit geringen Opfern verbunden. Aus der Sicht der Erwerber Oldenburg, Sachsen-Coburg und Hessen-Homburg wirkten sie knauserig, die Gebiete abgelegen, in einer waldreichen und ackerbaulich armen Region angesiedelt, also wirtschaftlich unergiebig und deshalb als dauernde Last, die auch politisch untragbar war. Die Kosten von Justiz und Verwaltung drohten die Einnahmen stets zu übersteigen144. Vor allem fällt die Unbekümmertheit ins Auge, mit der die Großmächte ihre Interessen bedienten und die Ansprüche der kleinen Staaten mit der linken Hand erfüllten. Die Beschlüsse zeugen deshalb zuvörderst vom staatlichen Egoismus der Großmächte, der bereits in Rechnung stellte, dass die Tage der Kleinstaaten gezählt waren. Gewinner dieser Gebietszuweisungen war letztlich Preußen, das sein Territorialopfer im ehemaligen Saar-Département in überschaubarer Zeit wiedergewann. Von den Entschädigten hatte im Ergebnis der Herzog von MecklenburgStrelitz den besseren Teil erwählt, als er sich in Geld abfinden ließ. Da das Industriezeitalter noch fern war, investierte er diese Gelder in landwirtschaftliche Güter. Ihr Erwerb scheint die zeitgemäße Entscheidung gewesen zu sein, weil S. 123, zugleich wird dort festgestellt, dass Preußen mit der Bekanntgabe seiner Verfügungen nach Artt. 26 – 32 an die Territorialkommission seine Pflichten aus Artikel 49 der Wiener Kongressakte erfüllt habe. 142 Vgl. Klüber, Quellen (wie Fn. 3), S. 54f, Fn. 2. 143 Vgl. Schwackenhöfer (wie Fn. 139), S. 315. 144 Auch die Fürsten von Wied-Neuwied, denen Preußen nach 1815 gewisse Regierungsrechte eingeräumt hatte, fanden in den 1830er Jahren die Ausgaben dafür zu hoch und suchten sich dieser Rechte wieder zu entledigen, vgl. Lissek, Vincens M., Die Mediatisierung des Fürstentums Wied-Neuwied (1806 – 1848), Diss. iur. Köln 1967, Druck in: Nassauische Annalen, Bd. 80/81 (1969/70) S. 157 – 239, hier: S. 225.

236

Birkenfeld, Lichtenberg, Meisenheim etc.

er ertragreichere Güter erwerben konnte, als ihm eine Landentschädigung in der Eifel geboten hätte. Auch der Herzog von Sachsen-Coburg fuhr mit seiner Entschädigung und den dafür erworbenen Gütern besser als mit dem Fürstentum Lichtenberg. Freilich waren diese Erwerbungen nicht mit Regierungsrechten verbunden, doch dämmerte die deutsche Kleinstaaterei im 19. Jahrhundert ohnehin ihrem Ende entgegen.

D I E E N TW IC K L U N G

DES

R H E IN SC H IF F F A HR T SR E C H T S

ZWISCHEN

I. K U RZ E R B LI C K

1815

IN DIE

UND

1868

V O R G E S CH I C HT E

1. Allgemeines Im Frieden von Campoformio (17. Oktober 1797) hatte Österreich nicht nur Belgien und Venetien an Frankreich übertragen, sondern auch der Abtretung der deutschen Länder auf dem linken Rheinufer an Frankreich zugestimmt. Über die Entschädigung der deutschen Fürsten, die dadurch ihre Gebiete verloren, verhandelte der Rastatter Kongress zwischen 1797 und 1799 ergebnislos. Die Reichsdeputation regte zwar mehrfach an, die Rheinschifffahrt allgemein freizugeben, die französischen Unterhändler wollten jedoch freie Schifffahrt nur Frankreich und Deutschland zugestehen, alle anderen Länder sollten nur dann daran teilhaben, wenn diese beiden Staaten zustimmten und die Bedingungen für die Teilnahme stellen durften1. Die bisherigen Beschränkungen der Schifffahrt bis ans Meer, also alle Zölle, Stapel- und Umschlagrechte, wollten die französischen Unterhändler aufgehoben wissen, doch drangen sie bei der Reichsfriedensdeputation damit nicht durch, die geltend machte, der Uferbau werde dadurch unbezahlbar2. Immerhin wurde dort die grundsätzliche Freiheit der Rheinschifffahrt angeregt3. Der Art. VI des Friedens von Lunéville vom 9. Februar 18014 schlug – völkerrechtlich verbindlich – das linksrheinische Deutschland zu Frankreich und machte den Talweg des Rheines5 zur Grenze beider Staaten6. Frankreich war auf diese Weise Rheinanlieger geworden. 1

2 3 4

5

Gothein, Entwicklung S. 30, der auf die Protokolle der Session 29 v. 6. März 1798 und die französische Note vom 3. Mai 1798, in den Beilagen zu den Protokollen V, S. 5 verweist. Oppenheim, S. 79 mit weiteren Nachweisen. Gothein, S. 33. Friedensvertrag v. Lunéville v. 9. Febr. 1801, anerkannt vom Deutschen Kaiser, Wien, am 27. Febr., vom deutschen Reichstag durch Reichsgutachten vom 12. März (vgl. Reichsgutachten v. 7. März 1801), Ratifikation durch Kaiserliches Commissions-Dekret v. 9. März 1801 und den Reichsschluss vom 10. Mai 1801. Der erste französischen Konsul anerkannte ihn am 11. März 1801 (v. Meyer/Zoepfl, 1. Theil, S. 4); vgl. Ghillany, I, S. 287 ff; Zeumer, Nr. 211, S. 508; Hofmann, Nr. 65 b, 2, c, S. 326 ff. Über den Talweg vgl. Oppenheim, S. 81 m. Fn. 5, der auf Jollivet, Du Thalweg du Rhin, considéré comme limite entre la France e l’Allemagne, an X, übersetzt in: „Betrachtungen über den Thalweg des Rheins in Hinsicht als Grenzscheide zwischen Frankreich

238

Die Entwicklung des Rheinschiffahrtsrechts

2. Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 Es waren noch die Verhandlungen zweier weiterer Jahre nötig, um die Rheinschifffahrt neu zu regeln. Das Ergebnis zeigt § 39 des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. Februar 18037; es war im Wesentlichen das Folgende: Alle bisherigen Zölle waren aufgehoben und durften nicht wieder errichtet werden. 1.

Stattdessen wurden Eingangsgebühren (droits de douane) und ein SchifffahrtsOctroi (Schiffssteuer) von Frankreich und dem deutschen Reich gemeinsam erhoben.

2.

Der Kurfürst-Erzkanzler [v. Dalberg] wurde ermächtigt, für das Reich den Inhalt dieses Octroi auszuhandeln.

3.

Die Taxe des Octroi durfte die bisherigen Zölle nicht übersteigen.

4.

Zur Erhebung wurde eine besondere Behörde errichtet, deren Generaldirektor Frankreich und der Kurfürst-Erzkanzler gemeinsam ernannten; die Abgabeneinnehmer des rechten Rheinufers ernannte der KurfürstErzkanzler im Einvernehmen mit den Landesfürsten.

5.

Es wurden mindestens fünf und nicht mehr als fünfzehn Erhebungsbureaux errichtet.

Aus dem Ertrag des Octroi wurden zunächst die Kosten der Erhebung, der Verwaltung und der Polizei bestritten; der Überschuss in zwei gleiche Teile geteilt, von denen der eine dem Unterhalt der Leinpfade (chemins de halage)8 und der Ufer dienen sollte, der andere dazu bestimmt war, die Dotation des Kurfürst-Erzkanzlers und der in §§ 9, 14, 17, 19, u. 20 gegebenen Anweisungen – unter anderem der in §§ 7 und 27 subsidiarisch und bedingnißweise angewiesenen Renten – zu erwirtschaften. Ein etwaiger Überschuss sollte die Lasten des Schifffahrtsoctroi ablösen. Eine französische Grenzregulierungskommission legte den Talweg des Rheines fest. Als maßgeblichen Zeitpunkt für diese Grenzziehung bestimmte Frankreich am 18. März 1805 den Zeitpunkt, an dem die Ratifikationsurkunden des Lunéviller Friedens ausgewechselt wurden9. „Talweg“ war nicht etwa der

6 7 8 9

und Deutschland; über die auf beiden Rheinufern angelegten Zölle, Mauthen und die den zwei Städten Mainz und Kölln zustehende Stapelgerechtigkeit“, Mayence (A. Crass), Vendémiaire an X (1802) bei Eckert, S. 379f; vgl. Gothein, S. 33. Lederle, S. 74. Bei Zeumer Nr. 212, S. 509 – 528, hier: S. 521. Über Leinpfade vgl. Werkmüller, Art. Leinpfad, in: HRG, Bd. II, Sp. 1831 – 1837. Frieden von Lunéville v. 9. Februar 1801 vgl. oben 4).

Die Entwicklung des Rheinschifffahrtsrechts

239

Treidelpfad (der zwischen beiden Ufern wechselte), sondern der auslegungsbedürftige Name für den Flusslauf selbst. Die Festlegung des Talweges war und blieb wegen der häufigen Verlagerung des Rheinbettes höchst unklar, auch erlaubte dieser Begriff die Zugehörigkeit von Rheininseln zu Frankreich oder Deutschland willkürlich zu handhaben. Die Kommission beließ es bei ihrer Arbeit nicht beim Talweg, sondern legte eine Talwegachse10 fest, die künftig die Grenze bildete. Infolgedessen schlug sie Rheininseln (z. B. die Petersau bei Mainz, die Ingelheimer und Eltviller Aue) zu Frankreich. Dahinter stand Frankreichs Streben, den Rhein gleichsam als „Festungsgraben“11 zu betrachten. Nach Abschluss des Rheinbundes (12. Juli 1806)12 gliederte Napoleon – im Widerspruch zu seiner Note vom 1. Aug. 180613 – die Brückenköpfe Kehl, Kassel bei Mainz, Kostheim und die rechtsrheinisch gelegene Petersinsel bei Mainz Frankreich an, nachdem vorher schon die rechtsrheinische Festung Wesel Frankreich zugeschlagen worden war. Er wollte sich damit gegen das Reich militärisch absichern. Auf Widerstand stieß er nicht: Das Reich und seine Fürsten erkannten diese Grenzziehung stillschweigend an14.

3. Der Octroivertrag von 1805 Zuvor war aber am 15. August 1804 der Octroivertrag zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich geschlossen worden15. Allein Frankreich und der Kurerzkanzler v. Dalberg hatten ihn ausgearbeitet und Preußen dabei umgangen16. Er war ein völkerrechtlicher Vertrag mit 132 Artikeln und regelte nicht nur die internationalen Verhältnisse, sondern enthielt auch staatsrechtliche und polizeiliche Vorschriften. Der Rhein sollte fortan ein gemeinschaftlicher Fluss Frankreichs und Deutschlands sein, der einheitlich verwaltet werden sollte. Die Zentralverwaltung mit Sitz in Mainz war neutral und von den Anliegerstaaten unabhängig. Sie bestand aus einem Generaldirektor und vier Inspektoren (Artt. 45, 49, 54, 56 des Octroivertrages), die dort Sitz und Stimme hatten. Sie hatten die Erhaltung des Flussbettes und der Leinpfade zu beaufsichtigen, die Einnahmen der Erhebungsbüros zu überwachen, die Register abzuschließen und die Kassen 10 11 12 13 14 15

16

Vgl. Klüber, Staatsrecht, § 60. So: Gothein, S. 29. Bei Zeumer, Nr. 214, S. 532 – 536 = Hofmann Nr. 69 (Auszug), S. 374 – 392. Text bei Oppenheim, S. 90. Oppenheim S. 85 ff. Der Octroi beruht auf dem vom Kaiser am 27. April 1803 ratifizierten Reichsdeputationshauptschluss und der von beiden Vertragspartnern am 11. Mai 1805 (am 27. Thermidor an XII) in Paris ratifizierten Fassung, mit Zusatzartikel vom 1. Oktober 1804. Er trat am 1. Nov. 1805 in Kraft; Druck in: Rheinurkunden I, Nr. 4, S. 6 – 25, auch bei MEYER, Staatsakten I, S. 45 – 65, vgl. ECKERT, S. 19 ff. Gothein, S. 36.

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zu prüfen. Ihnen zugeordnet waren Unterbeamte17, welche die Abgaben erhoben. Ihrer Bestechlichkeit sollte Art. 83 vorbeugen. Die Zentralverwaltung war zum einen Verwaltungsbehörde, welche die Gebühren zu erheben und gemäß der Konvention zu verteilen hatte, sie hatte zum anderen auch richterliche Aufgaben und war schließlich auch gesetzgeberisch tätig, weil sie Ergänzungs- und Ausführungsbestimmungen zur Konvention erlassen konnte (Art. 130). 4. Die Rheinschifffahrtsgerichtsbarkeit Schiffer, welche den Octroi übertraten (z. B. Art. 117, Octroibetrug), wurden bestraft. Sie sollten aber möglichst ohne lange Unterbrechung ihrer Fahrt abgeurteilt werden. Im Bericht des ersten Generaldirektors, Eichhoff18, für die Wiener Flusskommission von 1815, der auf dem Octroi beruht19, ist der Instanzenzug dargestellt. Danach waren die Octroieinnehmer (les receveurs) die Richter erster Instanz (veritables juges, Art. 122). Sie konnten Beweise vor Ort erheben und die Schiffsbesatzung sofort vernehmen. Die Kontrolleure (contrôlleurs) übten das Amt eines Staatsanwaltes aus und die Beseher (visiteurs de douane) vertraten die Interessen des Fiskus (les agents de fisce). Da die Octroibüros nach Art. 46 über den ganzen Strom verteilt waren20, stellte man damit eine schnelle Bearbeitung der Übertretungen sicher. Die auf Geldstrafe lautenden Urteile durften provisorisch vollzogen werden (Art. 122). Das Verfahren war kostenfrei (Art. 126), auch durften Schiff und Ladung nicht mit Arrest belegt werden21. Die Zentralverwaltung bildete die zweite richterliche Instanz, dort konnte man gegen Urteile der ersten Instanz Rekurs einlegen. Dieses Rechtsmittel hatte keine aufschiebende Wirkung, die Octroieinnehmer konnten ihre Entscheidungen stets provisorisch vollziehen. Als Gericht bestand die Zentralverwaltung 17 18

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Von ihnen handeln die Artt. 47; 50 – 52; 55f; 64; 67 – 71; 84; 87; 89. Johann Joseph Eichhoff war der Koch des letzten kurkölnischen Kurfürsten Maximilian Franz v. Österreich (1784 – 1801) gewesen. Da er lange zur Ausbildung in Paris gelebt hatte und gut Französisch sprach, war er zum Generaldirektor des Rheinschifffahrtsoctrois ernannt worden, vgl. Gothein, S. 119. Eichhoff, in: Rheinurkunden, I, Nr. 42, S. 106. Nach Art. 46, des Octroi waren linksrheinische Octroibüros errichtet in Neuburg, Mainz, Andernach, Köln, Homberg, Griethausen (später: Lobith), rechtsrheinische in Mannheim, Wellmich (später: Kaub), Thal – Ehrenbreitstein (später: Koblenz), Linz, Düsseldorf und Wesel, vgl. Rheinurkunden I, Nr. 4, S. 12. Die Zusatzartikel vom 1. Oktober 1804 verlegten das Octroibüro von Griethausen nach Lobith, von ThalEhrenbreitstein nach Koblenz und von Wellmich nach Kaub, vgl Rheinurkunden I, Nr. 4, S. 25f. Kischel, Geschichte, S. 14.

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aus dem Generaldirektor und zweien seiner Inspektoren; sie entschied mit Stimmenmehrheit ihrer Mitglieder und tagte in Mainz (Art. 122). Ob es sich dabei um ein ordentliches Gericht handelte, ist streitig, weil es eigentlich ein Verwaltungsstrafverfahren war. Um aber seine Einheitlichkeit und eine schnelle Entscheidung zu gewährleisten, hatte der Octroivertrag dieses Verwaltungsverfahren einer Gerichtsbarkeit stark angeglichen (rechtliches Gehör, Zeugenvernehmung, Urteilsbegründung) so dass ein gerichtliches Verfahren letztlich zu bejahen ist22. Gegen Entscheidungen der zweiten Instanz konnte man nach Art. 123 Rekurs bei einer dritten Instanz einlegen. Auch sie bestand aus drei Personen, die sich im Brumaire (Okt./Nov.) jeden Jahres in Mainz zur Rechtsprechung versammelten, nämlich dem Präfekten des Départements Donnersberg als Vertreter Frankreichs, einem vom Kurerzkanzler zu ernennenden Kommissar als Vertreter Deutschlands und einem deutschen oder französischen Rechtsgelehrten (jurisconsulte), auf den sich die Kommissare einigen mussten. Auch diese Kommission entschied mit Stimmenmehrheit23. Eine Rechtsmittelfrist bestand nicht, und das Verfahren war schriftlich auf Grund der Aktenlage und der Schriftsätze der Parteien, Art. 124. Da diese Kommission nur Recht sprach, handelt es sich zweifelsfrei um ein ordentliches Gericht.

5. Fortschritte Der Octroivertrag von 1805 brachte gegenüber dem früheren Zustand einige Fortschritte: Der Einfluss der kleinen Uferstaaten auf die zu leistenden Abgaben war aufgehoben, denn die neue Zentralverwaltung mit ihrer hierarchischen Ordnung überwachte die gesamte Schifffahrt von der Schweiz bis zur Grenze der Batavischen Republik, es bestand also eine einheitliche Verwaltung24. An die Stelle der vielen Rheinzölle der Anrainer (die zuletzt 32 Erhebungsstellen verzeichnete) war e i n e Octroiabgabe getreten, die nur noch an zwölf Stellen des Rheines erhoben wurde. Ein voller Betrag lag nur noch auf Handelsware (marchandises), während nach den Artt. 102 – 10525 solche Güter, die Ackerbau und Industrie förderten26 oder den Hausbedarf der Anwohner deckten, nur mit einem geringeren Tarif belastet waren, der häufig nur ¼ oder 1/20 des normalen Tarifs ausmachte27. Auch die Personenbeförderung28 war mit einem ermä-

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Vgl. Gaum, Bemerkungen, S. 106f; dagegen Kischel, Geschichte, S. 15f; 19 ff. Eichhoff, in: Rheinurkunden, I, Nr. 42, S. 106, vgl. Kischel, Geschichte, S. 17f. Oppenheim, S. 93. Rheinurkunden I, Nr. 4, S. 21. Art. 1102 spricht von l’aventage de l’agriculture et de l’industrie des pays riverains. Oppenheim, S. 94; Eckert, S. 22.

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ßigten Tarif belegt. Bezahlt wurde der Octroi auf dem linken Rheinufer in Francs, auf dem rechten in deutscher Konventionsmünze, deren Kurs auf Dauer festgelegt war (Art. 107). Diese Octroigelder waren eine Steuer, die den Verkehr auf dem Strome nach wie vor belasteten; sie hatten mit dem Eingangszoll für Waren (droits de douanes) nichts zu tun. Aber sie hatten einen festen Tarif, der niedriger war als vorher, sie wurden schnell und bequem erhoben, und es gab keine Mehrforderungen, weil Art. 8329 der Bestechlichkeit und Willkür der Einnehmer wirksam vorbeugte. Unter dem Strich sanken die Einnahmen aus dem Octroi gegenüber den früheren Zöllen auf die Hälfte, und die Schiffer wurden entsprechend geringer belastet30. Außerdem floss der Großteil der Gebühren in den Unterhalt des Stromes und der Leinpfade (chemins de halage)31, so dass sich die Verhältnisse auf dem Rhein erheblich besserten. Da man sich auf dem Rastatter Kongress (1797 – 1799)32 über die Abschaffung des Stapels in Mainz und Köln, der meist als Umschlagszwang und Staffelrecht oder Stationsfahrt (relâche et échelle) ausgeübt wurde, nicht hatte einigen können33, so war er sowohl im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 als auch im Rheinoctroi von 1805 bestehen geblieben. Umschlagszwang war die Pflicht, Handelswaren, die an einer Stadt (z. B. Mainz oder Köln) vorbeigeführt werden sollten, dort auszuladen und von Fuhrleuten oder Schiffern dieser Stadt 28

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Sogenannte Yachten und Wasserdiligencen, Art. 101: Les yachts, diligences d’eau ... destiné au transport de voyageurs...payeront ... du quart de marchandises qu’ils pourroient embarquer en raison de leurs tonnage“. Rheinurkunden I, Nr. 4, S. 16. Damit entsprach der Tarif auch dem Art. 39 des Reichsdeputationshauptschlusses (Rheinurkunden I, Nr. 1, S. 4), wonach die Rheinschifffahrtsgebühren die alten Zölle nicht übersteigen durften, vgl. ECKERT, S. 24, m. Fn. 2. Art. 33 – 36 des Octroi und Art. 44 (Aufgaben der Kontrolleure), Rheinurkunden I, Nr. 4, S. 11f. Nachdem Österreich im Frieden von Campoformio (17. Okt. 1797) der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich zugestimmt hatte, sollten die betroffenen Fürsten in Deutschland entschädigt werden. Der Rastatter Kongress 1797 – 1799 konnte sich jedoch darüber nicht einigen; erst der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Febr. 1803 (bei Zeumer, Nr. 212, S. 509 – 528, brachte eine Lösung. 1804 hatte der berühmte rheinische Jurist Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels, der sich auf dem Titel seines Gutachtens als „Rechtsgelehrter und Professor bei der Centralschule in Kölln“ nannte, in einem Gutachten für die Kölner Handelskammer den Erhalt des Stapelrechts in Köln und Mainz befürwortet. Diese Auftragsarbeit gipfelt in dem Satz: „Das Stapelrecht ist das einzige Mittel für das linke Rheinufer, die unschätzbaren Vortheile zu erhalten, welche der Kommissions- und Transithandel darbietet. Er ist von höchster Wichtigkeit für die Republik [Française], obschon es der Staatskasse derselben keinen direkten Geldzufluss verschaft“, vgl. Daniels, S. 42.

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weiterbefördern zu lassen. Es handelt sich also um ein Transportmonopol städtischer Schiffer, das häufig mit einem Speditionsmonopol städtischer Kaufleute verbunden war34. Damit wollte man nicht nur Mainz und Köln begünstigen, vielmehr sprachen fiskalische Gründe für die Beibehaltung des Stapels, weil so der Eingang von Mauten und Gebühren leichter überwacht und sog. ‚Heckenfahrten‘ und ‚Winkelspeditionen‘ verhindert werden konnten35, die den Eingangszoll zu umgehen suchten. Köln blieb auch nach 1804 Umladeplatz (Stationshafen) der Güter, die aus den Niederlanden kamen, Mainz war Umladeplatz für Güter, die zwischen Köln und Straßburg befördert wurden. Immerhin gab es einige Verbesserungen: So brauchten die Handelswaren in Mainz und Köln nicht mehr angeboten zu werden, auch durften auf Grund des Umschlagsrechts keine Gebühren mehr erhoben werden; ausgenommen waren nur Kran-, Kai- und Wägegebühren, für die jedoch Maximalbeträge festgesetzt wurden, Artt. 8, 936. Auch galt das Mainzer Umschlagsrecht nicht für Waren, die (etwa von Köln) mit Mainzer Schiffen und Schiffern für Frankfurt/M bestimmt waren: Sie durften unmittelbar dorthin gebracht werden, ebenso wie Waren aus dem Oberrhein, wenn im Mainzer Hafen die Schifffahrtsgebühren bezahlt wurden. Das alte Frankfurter Recht, ohne Umschlag den Rhein zu Tal zu fahren, war stillschweigend aufgehoben37. Im Übrigen behielt Frankfurt seine Messefreiheiten (franchises des foires, Art. 10 – 12). Im Rheinland hatte Frankreich die alten Schifferzünfte zwar bereits 1798 aufgelöst38, um die Freiheit der Schifffahrt zu gewährleisten, die Octroikonvention sah aber in den Artt. 14 – 1639 vor, dass in den Stationshäfen Schiffervereine zu gründen seien. Neu war, dass bei diesen Vereinen die lokale Begrenzung fehlte: Jeder Schiffer konnte ihnen nach Art. 15 beitreten, wenn er die fachliche Eignung nachwies, also ein gedienter Steuermann mit einem Patent war. Die Schiffer erhielten ihre Frachtaufträge nach gesetzlicher Ordnung (Art. 18)40, der

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Vgl. Gönnenwein, Stapel, S. 96 ff; 143 ff; Scherner, Rheinakten S. 585. Vgl. Eichhoff, S. 130f; NAU, Beiträge II, S. 78; zitiert bei Eckert, S. 25f; vgl. Schwann, S. 206 – 221; 236 – 241. Rheinurkunden I, Nr. 4, S. 7. Vgl. dazu Oppenheim, S. 97. Vgl. Steins, S. 42; Scherner, Rheinakten S. 586. Bereits am 21. Germinal an XIII (11. April 1805) ordnete Frankreich die Errichtung solcher Gilden an, die jetzt keine städtischen Zünfte mehr waren, sondern der Generaldirektion unterstanden. Die Mainzer und die Kölner Handelskammer hatten Schifferordnungen durchgesetzt; allerdings haben die Generaldirektion und das französische Ministerium sie stark umgearbeitet. Erst am 12. August 1807 ist die neue Schifferordnung veröffentlicht worden, vgl. Gothein, S. 45 – 49. Oppenheim, S. 97; Eckert, 27f.

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sogenannten Rangfahrt41, und bildeten in der Folge Gilden, die lediglich der Aufsicht der Zentralbehörde unterstanden42. Auch die Frachthöhe war nicht frei vereinbar. Die Octroiverwaltung musste nach Art. 13 der Konvention von einer Frankfurter Messe zur nächsten (alle halbe Jahr) Gutachten der Handelskammern von Köln, Mainz und Straßburg und der Magistrate von Düsseldorf, Frankfurt und Mannheim einholen und danach die Frachtpreise festlegen, die Höchstpreise waren43. Dies galt nicht für die Markt- und Personenschifffahrt, welche die Yachteigner mit sog. Wasserdiligencen44 und Postschiffen betrieben, und nicht für die Fähren, die häufig nur Nachen waren. Denn die Artt. 19 – 23 des Octroi hatten sie weder an Stationen noch an Schiffervereine gebunden45.

II. D I E V E R HA N D L U N G E N

SEIT

1814

1. Allgemeines Der Rheinbund, bestehend aus Frankreich und den deutschen Satelliten Napoleons, hatte sich im Jahre 1814 stillschweigend aufgelöst46, und der erste Pariser Friede vom 30. Mai 1814 versprach in Art. 6: „Les états de l’Allemagne seront indépendans et liés par un lien fédératif“. Der Freiherr vom Stein als Vorsitzender der Zentralverwaltung der Verbündeten zog im Herbst 1813 den bisherigen Generaldirektor des Octroi, Eichhoff, nach Wien und übergab die Rheinschifffahrtssachen dem Grafen Solms-Laubach, der „im Namen der hohen alliirten Mächte“ eine vorläufige Verwaltung nach der Octroikonvention (l’administration provisoire de l’octroi du Rhin) von 1805 einrichtete, und 1815 aus sachlichen Gründen einige

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Rangfahrt (tour de rôle) hieß, dass der reisende Kaufmann keinen beliebigen Schiffer mit der Fracht beauftragen konnte, sondern dass er den nehmen musste, der als nächster an der Reihe war (wie heute noch bei Taxifahrten), vgl. Scherner, Rheinakten, S. 585. Die Gildeordnung für Schiffer trat in Mainz am 12. August 1807 in Kraft (Herman, S. 96 – 101; vgl. Oppenheim, S. 98 (der fälschlich 1806 angibt), kurz darauf in Köln (Herman S. 110 – 128); ausführlich: dazu: Eckert, 31 ff; zur Aufsicht: S. 38; Gothein S. 45 ff; Schwann S. 271. Vgl. Eckert, S. 45 – 57. Von diligence, Emsigkeit, Eile, also: Eilschifffahrt. Vgl. Art. 19 – 23 der Octroikonvention (RHEINURKUNDEN I, Nr. 4, S. 9f). Dagegen sollte der Verkehr zwischen Frankfurt und Mainz nach Art. 24 durch eine Wasserdiligence mit Namen „Marktschiff“ von Frankfurter und Mainzer Schiffern gemeinsam durchgeführt werden, vgl. Eckert, S. 58 ff. Vgl. Klüber, Öffentliches Recht d. deutschen Bundes, § 47; Oppenheim, S. 101.

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Erhebungsbüros verlegte, so z. B. das Büro von Homberg nach Ruhrort47 – wegen der Kohleschifffahrt von der Ruhr in den Rhein, die von Homberg aus nicht zu kontrollieren war. Während Frankreich in den Friedensverhandlungen verlangte, der Rhein solle die Grenze zu Frankreich bleiben, lehnten die Verbündeten das für den mittleren Teil des Stromes ab. Für den Oberrhein blieb zwar die alte Talwegsgrenze bestehen48, doch ordnete der erste Pariser Frieden die 1801 Frankreich einverleibten linksrheinischen Gebiete wieder Deutschland zu; sie wurden auf dem Wiener Kongress Preußen, bzw. Bayern und Österreich zugeschlagen. Hier wurde der Rhein wieder zum deutschen Strom. Art. 5 des ersten Pariser Friedens bestimmte, dass die Schifffahrt auf dem Strome frei sein sollte49. Einzelheiten waren auf dem in Aussicht genommenen Kongress der Verbündeten festzulegen. Bereits am 14. Dezember 1814 ernannte das Komitee der Hauptmächte einen Ausschuss mit dem Auftrag, auf Grund des Art. 5 und der §§ 2 und 3 des geheimen Artikels III des ersten Pariser Friedens, die Einzelheiten zu auszuhandeln. Der Kommission sollten ursprünglich nur vier Mitglieder (Österreich, Preußen, England und Frankreich) angehören, doch erweiterte man sie um die Niederlande, Bayern, Baden, Hessen-Darmstadt und Nassau50, zu denen später noch Württemberg und Kurhessen als Rheinuferstaaten traten. Die Verhandlungen sollten den Vorschlägen folgen, die Wilhelm v. Humboldt in seinem Gutachten „Mémoire préparatoire sur le travail de la Commission de navigation“ vom 3. Februar 1815 zusammengestellt hatte51. Er forderte zunächst, die Grundsätze festzulegen, die den Interessen des Handels dienten, diese dann auf die Verhältnisse des Rheins und der Schelde (l’Escaut) anzuwenden und deren Besonderheiten beizufügen, schließlich die gleichen Grundsätze auf die anderen Flüsse Europas zu übertragen. Für den Rhein soll47 48 49

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Dieses Vorgehen hat Humboldt gegenüber der Klage Straßburgs gerechtfertigt, vgl. Klüber, Akten, Bd. III, S. 56 ff; 155 – 160; vgl. Oppenheim, S. 126, Fn. 1; Gothein, S. 64f. Erster Pariser Friede, Art. 3, Punkt 5 (bei MEYER, Staatsakten, I, S. 241); vgl. Oppenheim, S. 108. Art. 5 lautet: „La navigation sur le Rhin, du point où il devient navigable jusqu’à la mer et reciproquément, sera libre de telle sorte qu’elle ne puisse être interdite à personne, et l’on s’occupera au futur congrès de principes d’après lesquels on pourra régler les droits à lever par les états riverains, de la manière la plus égale et la plus favorable au commerce de toutes les nations ...“.(Herman, Gesetze, S. 537); vgl. Eckert, S. 80. Damit war der Rechtszustand wiederhergestellt, der im römischen Recht (Inst. 2. 1. 1, 4; Dig. 39. 2. 24) und im Mittelalter (trotz des Königseigentums und der Regalrechte) bis ins 15./16. Jahrhundert gegolten hatte, vgl. Gönnenwein, Freiheit, S. 12 f. Beschluss der Kongresskommission vom 2. Februar 1815, bei Klüber, Akten, Heft 9, S. 11 ff. Druck des Gutachtens bei Klüber, Akten, Bd. III, S. 24 – 30.

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ten nicht nur die seit 1814 gegenüber dem Octroi von 1805 veränderten territorialen Verhältnisse, sondern auch die Rentenzahlungen entsprechend dem geplanten Deutschen Bund überprüft werden. Den Beratungen wurde jedoch der vom französischen Vertreter v. Dalberg vorgelegte Entwurf zugrunde gelegt, der sich vornehmlich am Octroi orientierte52, aber die Ergebnisse des Pariser Friedens berücksichtigen musste. In Art. 12 seines Entwurfs schlug er nicht nur eine gemeinsame Erhebung des Octroi, sondern auch seine Verteilung proportional den Uferstrecken des schiffbaren Rheins vor. Das wäre für Frankreich außerordentlich günstig gewesen, da es am Oberrhein nur geringe Gebühren einnahm, weil von Basel nur wenige Schiffe rheinab, aber gar keine rheinauf fahren konnten53. Deshalb folgte die Kommission diesem Vorschlag nicht.

2. Das Umschlagsrecht Einer der ersten großen Streitpunkte war das Stapel- und Umschlagsrecht (droit de relâche) von Köln und Mainz. Es war schon auf dem Rastatter Kongress (1797/99) heftig umstritten gewesen, doch hatte der Octroi 1805 das Umschlagsrecht aufrechterhalten und nur die Anbietungspflicht der Waren beseitigt54. Allerdings hatte der französische Generaldirektor der Brücken und Landstraßen in Köln durch Verordnung betr. die Herabmilderung des Umschlagszwanges vom 7. November 180955 ihn für eine Reihe von Massengütern – darunter Kohle – abgeschafft. Das machten sich Franz Haniel und Mathias Stinnes zu nutze, indem sie Kohlen von der Ruhr nicht nur nach Holland, sondern den Rhein hinauf als Kleinschiffer transportierten und verkauften. Da sie nicht Mitglied einer Rangfahrt auf einer Stromstrecke waren56, brauchten sie sich um die Vorschriften der Rangfahrten nicht zu kümmern.

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Projet d’articles pour le règlement de ce qui concerne la navigation, des grands fleuves traversant plusieurs territoires, présenté par M. le duc de Dalberg, plénipotentiaire de France bei Klüber, Akten, Bd. III, S. 13 – 19. vgl. Oppenheim, S. 113. Siehe oben I. 5. Verordnung des französischen Generaldirektors der Brücken und Landstraßen vom 7. Nov. 1809, in: Rhein.-Westfäl. Wirtschaftsarchiv (RWWA)1, 23b, 19 F 63/64, zitiert bei Schawacht, S. 84, Fn. 469. 1815 wurden weitere Massengüter befreit: „Töpfer- und Pfeifenerde, Gips, Stahl, Plattsteine, Schieferstein, Erdenware, Erdentöpfe, Laubholz, Bretter, Tuffstein und Traß, leere Fässer, Schleifstein und loses Steingut aller Art“ (RWWA 1, 23b, 19 F 61/62 (29. 3. 15), zitiert bei Schawacht, S. 84, Fn. 468. Vgl. Gothein, S. 119. Stinnes versuchte 1818 auch – zusammen mit der niederländischen Firma Snoeck, Bresser & Balk aus Arnheim – eine neue Beurtfahrt zwischen Arnheim und Köln bzw. Mülheim/Rhein zu organisieren, stieß dabei aber auf den Widerstand

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Auf dem Wiener Kongress taten sich Köln und Mainz zusammen, um ihre Rechte zu verteidigen57. Eine Fülle von Druckschriften der Verteidiger und der Gegner des Stapels erschien58, ohne dass neue Sachargumente aufgetaucht wären. Die Kommission lud Vertreter der Verteidiger und der Gegner vor und hörte ihre Argumente an59, beschloss dann jedoch einmütig, den Stapel abzuschaffen60. Das entsprach dem wachsenden wirtschaftlichen Liberalismus der Zeit, der die vielen Schutzvorschriften der Vergangenheit zunehmend als Zwang empfand und folgte damit den Gedanken Adam Smiths61 über den Wohlstand der Nationen, die der englische Vertreter in der Kommission, Lord Clancarty, vehement zu vertreten wusste. Die Regierungen haben diesen Beschluss der Kommission alsbald gutgeheißen. Da Art. 108 der Wiener Kongressakte die Vertragschließenden nur verpflichtete, untereinander Verträge über die Gestalt der Schifffahrtsfreiheit auf dem Rhein zu schließen62, verschwand das Umschlagsrecht in Köln und Mainz keineswegs sofort nach dem 9. Juni 1815, vielmehr schleppte es sich noch 15 Jahre fort. Die Kölner konnten nämlich die Differenzen zwischen den Niederlanden und Preußen wegen der niederländischen Zollerhebung nutzen, um es zu erhalten: Es diente gewissermaßen als Druckmittel, um die niederländische Zollerhebung zu beseitigen63. Immerhin hatte ein Erlass des Kölner Oberbürgermeisters von 1818 den Umschlagszwang weiter erleichtert64. Erst die

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der Rotterdamer Beurtschiffer, so dass sie 1820 verboten wurde; vgl. SCHAWACHT, S. 87, der auf RWWA 1, 40, 5 F 260/261 und auf Bouman, Untergang, S. 247 verweist. Vgl. oben Fn. 55. Die Verordnung vom 24. August 1818, betr. Abänderungen für den Umschlag und die Erhebungen im Hafen von Köln (bei Herman, S. 284 ff), hob den Umschlagszwang für deutsches Getreide, Salinensalz, Eisenwaren, Mineralwasser etc. (S. 285), weil die Umladungskosten – gemessen am Wert der Waren – dem Handel untragbar schienen. Dagegen hielt Mainz am Umschlagsrecht fest, vgl. Eckert, S. 117 ff; Gothein, S. 119. Vgl. die Darstellung bei Eckert, S. 82 – 89; Schwann, S. 206 – 221; 236 – 241. Vgl. Klüber, Akten, Bd. III, S. 33 – 71; vgl. Eckert, S. 86 ff; Schwann S. 366 – 389. Beschluss in der Sitzung vom 23. Februar 1815 bei Klüber, Akten, III, S. 59, vgl. Gothein, S. 77; Eckert, S. 88f. Vgl. Adam Smith‘ († 17. Juli 1790) Werk „An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations“, das 1776 erschienen war. Art. 108 der Wiener Kongressakte vom 9. Juni 1815 bei Klüber, Quellen, S. 92; vgl. Gönnenwein, Freiheit, S. 8. Vgl. Wassermeyer, S. 294 ff; Looz-Corswarem, S. 336f. Die Verordnung vom 24. August 1818 betr. Abänderungen für den Umschlag und die Erhebungen im Hafen von Köln befreite deutsches Getreide und Salinensalz, Schleifsteine, Rübkuchen, Wacholderbeeren, rohes Gußeisen, altes Eisen, gegossenes Eisen, Töpfe, Öfen, Mineralwasser, Nüsse, leere Fässer und Reifen vom Umschlag (bei Herman, I, S. 284 – 286); vgl. Eckert, S. 117; Gothein, S. 119; Schawacht, S. 89, Fn. 502.

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Rheinschifffahrtsakte vom 31. März 1831 hat in ihren Artikeln 43 und 4465 das Umschlagsrecht und die Schiffergilden endgültig aufgehoben66. Das trug Köln und Mainz herben finanziellen Verlust ein. Während aber der Preußische Staat die Stadt Köln entschädigte, erhielt Mainz keinerlei Verlustausgleich67.

3. Die Zentralkommission Ein weiterer Streitpunkt waren die zukünftigen Befugnisse der Zentralkommission68. Man hielt sie zwar allgemein für notwendig, folgte aber Preußen nicht, das eine starke Zentralbehörde wünschte und vorschlug, dass sich die Zahl ihrer Mitglieder nach dem Verhältnis der Besitzungen der einzelnen Staaten am Rheinufer richten sollte. Die kleinen Anliegerstaaten wollten aber für ihren Stromanteil die Landeshoheit nur im kleinstmöglichen Rahmen eingeschränkt wissen69 und die Abgaben im eigenen Interesse und durch eigene Beamte erheben. Die Vorschläge v. Humboldts vom 24. Februar 181570 für eine starke Kommission fanden infolgedessen nicht den Beifall der kleinen Staaten. Deshalb ließ der französische Vorschlag vom 24. Februar 1815 den Gedanken einer starken übernationalen Behörde mit ausschließlicher Zuständigkeit für den gesamten Rheinlauf fallen71. Sie sollte nur einmal im Jahr (erforderlichenfalls ein zweites Mal)72 tagen, und man maß ihr nur beratende Funktion (un caractère consultatif) zu73. Nach einer Intervention Humboldts wurde jedoch in der 8. Sitzung am 14. März 1815 ein revidierter Text beschlossen, welcher die ständigen Aufseher (Inspektoren) wieder einführte und ihnen die Überwachung des künftigen Vertrages zuwies74. In der 12. Sitzung vom 24. März 1815 wurde die Flussschifffahrt endgültig geordnet und die Bevollmächtigten der acht größeren Mächte unterzeichneten die Beschlüsse75. In dieser Form wurden sie Bestandteil der

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Druck: Rheinurkunden I, Nr. 80, S. 242 Vgl. die Darstellung bei Oppenheim, S. 128 und ausführlich bei Eckert, S. 117 – 124. Preußen gewährte Köln im Laufe der Jahre insgesamt 232.000,-- Taler Entschädigung, vgl. Eckert, S. 231. Verhandelt in der 5. Sitzung, vgl. Klüber, Akten III, S. 82 ff; vgl. Oppenheim, S. 116. Vgl. Bärmann, S. 17 ff; ausführlich: Vitányi, S. 56 ff. Gedruckt in: Rheinurkunden I, Nr. 42, S. 92 – 95. Oppenheim, S. 116f; vgl. den Text des Vorschlages in: Rheinurkunden, I, Nr. 42, S. 86 ff. So der letzte Vorschlag Humboldts vom 14. März 1815 (Rheinurkunden I, Nr. 42, S. 145, Art. 11). Protokoll v. 24. Februar 1815, Rheinurkunden I, Nr. 42, S. 86, Beschluss Nr. 534. Zu diesen Verhandlungen vgl. van Eysinga, Zentralkommission, S. 13 ff. Druck in Meyers Staatsakten, S. 202 ff; 208 – 219; und in Rheinurkunden I, Nr. 42, S. 158 ff, wo für den Rhein auf den Annex Nr. 16 B der Wiener Schlussakte (S. 43 ff) verwiesen ist; vgl. Oppenheim, S. 119, mit Fn. 3; Eckert, S. 89 ff.

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Artt. 108 – 117 betr. die Rheinschifffahrt der Wiener Kongressakte vom 9. Juni 181576. Danach war die Schifffahrt auf dem Rhein frei, der Bodensee gehörte zwar nicht dazu, aber die Strecke zwischen Basel77 und Straßburg sowie der niederländische Rhein bis zu seinen Mündungen war eingeschlossen. Die Abgaben, Zölle und die Schiffergebühr blieben etwa denen des Octroi gleich, auch die zwölf Erhebungsbüros blieben bestehen und jeder Staat erhob die Steuern auf eigene Rechnung. Die Zentralkommission kontrollierte die Durchführung des Reglements. Alle Umschlagsrechte, Schifferprivilegien und alle Abgaben außer den genannten blieben aufgehoben, aber es waren noch viele Einzelheiten zu regeln, namentlich die Fracht- und Octroitaxen, die Schiffergesellschaften, die Organisation der Gerichte, die Unterhaltung des Flussbettes und der Treidelpfade. Die nach Art. 30 des Reichsdeputationshauptschlusses v. 25. Febr. 1803 zu zahlenden Octroi-Renten übernahmen die Uferstaaten gegenüber Frankreich, das sich 1810 die Rentenansprüche des Fürstprimas Dalberg hatte abtreten lassen78.

4. Das Werden der Schifffahrtsordnung Die 1813 eingesetzte provisorische Rheinschifffahrtsdirektion sollte eigentlich am 1. Juni 1815 ihre Tätigkeit beenden, die Zentralkommission und eine endgültige Ordnung der Rheinschifffahrt eingeführt werden79, doch verlängerte man die Frist bis zum Jahre 181780. Im Jahre 1816 setzten – entsprechend den Beschlüssen in der Wiener Kongressakte – die Uferstaaten Frankreich, Baden, Bayern, Hessen, Nassau, Preußen und die Niederlande die neue Zentralkommission ein. Sie löste die provisorische Octroiverwaltung ab, die seit Herbst 76

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Druck in: Rheinurkunden I, Nr. 41, S. 42 – 50, zugleich Artt. 108 – 117 der Wiener Kongressakte (bei Klüber, Quellensammlung, S. 92 – 95) mit dem Annex Nr. 16 B aus Klüber, Acten Bd. III, S. 257 – 275 (= Akten der Wiener Flusskommission); auch (in deutscher Übersetzung) bei VAN EYSINGA, Zentralkommission, Anhang II, S. 139 – 146. Zur fehlenden Teilhabe der Schweiz an der Rheinschifffahrtsakte vgl. Chiesa, S. 89 ff; Scherner, Begründung, S. 68; vgl. unten III. 2. Der Anteil des Fürstprimas v. DALBERG an den nach Art. 39 des Reichsdeputationshauptschlusses zu erhebenden und zu verteilenden Octroi-Renten war die Entschädigung nach Art. 25 ebenda für seine 1801 an Frankreich gefallenen linksrheinischen Gebiete. Die Verpflichtung der Rheinuferstaaten zur Zahlung der Rente beruht auf Art. 28, N. 1 des Annexes Nr. 16 B zu Art. 117 der Wiener Kongressakte vom 9. Juni 1815 (Druck: Rheinurkunden I, Nr. 41, S. 48) und auf § 30 des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 (bei Zeumer, Nr. 212, S. 516f; 518; 521f); vgl. Oppenheim, S. 123f. Vgl. die Note Humboldts vom 7. April 1815, in: Klübers Akten Bd. III, S. 275 ff (276); Oppenheim, S. 127, Fn. 3. Vgl. den Entwurf dieses Beschlusses bei Klüber, Akten III, S. 277 ff.

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1813 bestanden hatte81. Diese Kommission sollte vor allem eine Schifffahrtsordnung für den Rhein erarbeiten. Das erwies sich als eine langwierige und mühselige Kleinarbeit, die nur schleppend vorankam: Die Verhandlungen über die Schifffahrtsordnung auf dem Rhein dauerten 15 Jahre und durchliefen vier Abschnitte: 1. Der erste Abschnitt dauerte fünf Jahre, nämlich von der Konstituierung der Kommission am 5. August 1816 bis zum September 1821: Man bemühte sich, eine interimistische Instruktion zu verabschieden, brachte viele Entwürfe ein, konnte sich aber nicht einigen. Da ein Ende der Verhandlungen nicht abzusehen war, legte Preußen am 7. September 1821 den Entwurf einer endgültigen Rheinschifffahrtsordnung vor82. 2. Die Verhandlungen über diesen Entwurf bildeten den zweiten Abschnitt, sie dauerten bis zum 13./15. Juli 182483, also fast drei Jahre. 3. Von 1824 an datiert der dritte Abschnitt, denn es ergaben sich Schwierigkeiten zwischen Preußen und den Niederlanden. Die Kommission unterbrach deshalb die Beratungen über die endgültige Ordnung und empfahl zweiseitige Verhandlungen zwischen diesen beiden Staaten. Sie drehten sich vornehmlich um die Auslegung von Art. 584 des ersten Pariser Friedens. Dort heißt es: „La navigation sur le Rhin, du point où il devient navigable jusqu’à la mer et réciproquement, sera libre ...“, und um die ganz ähnliche lautende Formulierung in Art. I des Annexes 16 B zu Art. 117 der Wiener Kongressakte85: Es ging um das Verständnis der Worte „libre j u s q u ’ a l a m e r “ . Hieß das frei bis ans Meer oder bis ins Meer (jusque dans la pleine mer)? Während Preußen meinte, es sei gemeint „jusq’a la pleine mer86 (bis zum offenen Meer), also freie Schifffahrt durch Lek und Waal bis ins Meer, bezogen die Niederlande diese Worte nur auf den sog. konventionellen Rhein zwischen Straßburg und Lobith. Ihrer Meinung nach war der kaum befahrene Lek die eigentliche Verlängerung des Rheines, der vielbefahrene Waal aber ein „besonderer Fluss“ und nicht zum Rhein gehörig, auf ihn sei die Wiener Akte deshalb nicht anzuwenden. Da die Stromstrecke von Lobith bis zum Meer bereits Ebbe und Flut unterlag, war sie holländischer Ansicht nach zudem nicht fluvial (flussgebunden) und zählte für sie bereits zum 81 82 83 84 85 86

Vgl. Klüber, Öff. Recht, § 570, Fn. b), S. 848. Vorgelegt in der 225. Sitzung vom 7. September 1821, vgl. Bärmann, S. 17f. Es handelte sich um die 327. Sitzung vom 13./15. Juli 1824, vgl. Bärmann, S. 18; Scherner, Rheinakten S. 587. Erster Pariser Friede, Art. 5 (bei Meyer, Staatsakten, I, S. 241), der vollständige Text des Artikels findet sich oben in Fn. 49, vgl. Herman, Gesetze, S. 537; Eckert, S. 80. Rheinurkunden I, Nr. 41, S. 43. Verhandlungen vom 27. August 1825, vgl. Bärmann, S. 18f.

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4.

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Meer, sei also von diesen Artikeln nicht betroffen87. Infolgedessen hatten die Niederlande nach Abschluss des Wiener Kongresses ihre alten Abgaben und Zölle dort wiedereingeführt88. Sie füllten damit ihre Kassen, lähmten aber den freien Schiffsverkehr auf dem Rhein89. Die Folge war ein 16-jähriger Wirtschaftskrieg zwischen Preußen und den Niederlanden, der erst 1830 beigelegt wurde90. In den zweiseitigen Verhandlungen zwischen beiden Staaten lenkten nämlich die Niederlande erst ein, nachdem am 24. August 1830 in Belgien ein Aufstand ausgebrochen war, der am 4. Oktober 1830 in der belgischen Unabhängigkeitserklärung mündete91. Die Niederlande fürchteten, Belgien werde in der Zollfrage nachgeben und den Verkehr von den niederländischen Rheinmündungsarmen fort auf die südlichen Flussläufe lenken92. Deshalb schlossen sie mit Preußen einen Kompromiss und beide Staaten legten der Zentralkommission einen geänderten Entwurf für eine Rheinschifffahrtsordnung vor. Damit begann der vierte Abschnitt der Verhandlungen, der zur Grundlage der Mainzer Rheinschifffahrtsakte von 1831 wurde. Da man sich über die richtige Auslegung des Passus jusqu’a la mer nicht einigen konnte, beschloss man, sich auf die technisch-administrative Seite des Schiffsverkehrs zu beschränken und die Freiheit des Handels und des Schifffahrts-Gewerbes nicht zu regeln93. Vgl. Eckert, S. 101; v. Eysinga S. 25 ff. Außerdem erklärte Holland den kaum befahrenen Lek zur eigentlichen Verlängerung des Rheines (Hennig S. 85). Es handelte sich um Ein- und Ausfuhrzoll, um einen Beitrag zu den Kriegskosten, Plombier- und Passgebühren, Hafen- und Wiegegelder. Auch verbot Holland den Transit von Gewürzen (Zimt, Muskat, Nelken), Tee, und Papier mit holländischem Wasserzeichen, vgl. ausführlich: Klüber, Öff. Recht § 571, Fn. d), S. 850 – 853; Oppenheim, S. 134. Vgl. ausführlich: Klüber, Öff. Recht, § 571, Fn. d), S. 850 – 853; Naus Beiträge, Bd. II, S. 7; Oppenheim, S. 127. Vgl. Griewank, S. 232. Die Unabhängigkeit Belgiens als selbständigen Staat garantierte der „Traité pour la séparation de la Belgique, d’avec la Hollande, signé à Londres“ zwischen Österreich, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Russland und Preußen vom 15. Nov. 1831, Druck bei Martens, Nouveau Recueil Général Bd. 11, S. 390; vgl. Schawacht, S. 21 ff; v. Looz-Corswarem S. 337. Vgl. Hennig, S. 85. So zuerst im 467. Protokoll der Zentralkommission vom 19. August 1829. Der Vertrag sollte beschränkt werden auf: „les mesures, et les dispositions réglementaires, dont la navigation du Rhin ne peut se passer pour longtemps, sur la base d’un ensemble de propositions faites et acceptées réciproquement , sous la réserve expresse toute fois, que cet accord ne portera aucun préjudice aux droits et aux principes soutenus de part et d’autre“ (zitiert bei Bärmann, S. 19f, bestätigt im 495. Protokoll vom 28. Sept. 1830.

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Während der 15-jährigen Verhandlungen hatten sich – teils wegen der Teilaufhebung des Kölner Umschlagszwangs teils wegen der zwischenzeitlichen technischen Entwicklung – die Verhältnisse auf dem Rhein stark verändert. Zwar betrieben die Schiffergilden noch immer den Transport der eigentlichen Handelswaren und hielten auch an den Rangfahrten fest, doch hatten sich die Kleinschiffer der Verfrachtung der umschlagfreien Landesprodukte, vor allem der Ruhrkohle, bemächtigt94 und versorgten damit den Mittel- und Niederrhein. Außerdem entstanden seit den 1820er Jahren Dampfschifffahrtsgesellschaften am Rhein. Diese Gesellschaften schlossen sich bald zusammen und nahmen den traditionellen Schiffern mehr und mehr die Frachten und die Existenzmöglichkeit ab, ohne dass dem abgeholfen werden konnte95.

III. D I E M A I N Z E R K O N V E N T I O N

VON

1831

1. Der Inhalt der Mainzer Akte Die Mainzer Akte datiert vom 31. März 183196. Sie war ein völkerrechtlicher Vertrag, der durch Austausch der Ratifikationsurkunden am 16. Juni 1831 für die Unterzeichner verbindlich wurde. Ihr Text wurde in den Regierungsblättern der beteiligten Staaten verkündet97. Dies genügte damals, um völkerrechtliche Normen zu Staatsgesetzen zu machen98. Der Vertrag enthielt zehn Titel: Der 1. Titel (Artt. 1 – 13) enthielt die Zugeständnisse, welche die Niederlande und Preußen sich gegenseitig und gegenüber allen Vertragsstaaten hinsichtlich der Fahrt von Lobith bis zum Meer durch Lek und Waal, die zur Verlängerung des Rheins erklärt wurden (Art. 2), sowie die allgemeine Zollfreiheit der Rheinschifffahrt machten. Alle Schiffe sollten künftig nur einer festbestimmten Abgabe (droit fixe) unterworfen sein (Art. 4); der 2. Titel (Artt. 14 – 35) behandelte die Rheinschifffahrtsabgaben;

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Vgl. Eckert, S. 143 ff; Scherner, Rheinakten S. 587. Vgl. Scherner, Begründung, S. 70. Text bei Martens, Nouveau Recueil Bd. IX, S. 252; in der G S 1831, S. 71 ff u. in Rheinurkunden I, Nr. 80, S. 212 – 280; vgl. Scholl, S. 22 ff. So im Preußischen Regierungsblatt 1831, S. 71 ff; im Regierungsblatt f. d. Königreich Bayern 1831, S. 384 ff. Denn die dualistische Theorie, wonach Völkerrecht durch ein Transformationsgesetz in staatliches Recht umgewandelt werden musste, entstand erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, vgl. Verdross, Völkerrecht, S. 117 f; Scherner, Rheinakten S. 591.

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der 3. Titel (Artt. 36 – 41) regelte die Anwendung der einzelstaatlichen Steuergesetze auf die Rheinschifffahrt; der 4. Titel (Artt. 42 – 47) behandelte die Frachten und Rangfahrten, wobei wichtig ist, dass Art. 43 nun endgültig das Umschlagsrecht abschaffte; Art. 44 löste die Schiffergilden und Zünfte auf99, und Art. 45 ließ die Zahl der Rheinschiffer unbestimmt und regelte in Art. 42 nur die nötigen Fachkenntnisse für die Ausübung der Rheinschifffahrt, wofür man das Schifferpatent verlangte. Für die Fährschifffahrt und für Fahrten innerhalb eines Staates galt die Mainzer Akte überhaupt nicht (Art. 46); der 5. Titel (Artt. 48 – 52) ließ zwar noch Rangfahrten zu, macht aber die Beteiligung an derartigen Verträgen freiwillig; der 6. Titel (Artt. 53 – 70) enthielt die Polizeivorschriften zur Sicherheit der Rheinschifffahrt (Lotsen, Tauglichkeit der Schiffe, Haftung des Spediteurs und des Schiffers, Instandhaltung der Leinpfade); der 7. Titel (Artt. 71 – 80) behandelte die Nichtzahlung von Schifffahrtsabgaben; der 8. Titel (Artt. 81 – 88) sah Rheinschifffahrtsgerichte, (damals: Rheinzollgerichte, vgl. Art. 81100) vor und machte sie nicht nur für Abgabenstreit und Strafsachen, sondern auch für deliktische Zivilsachen zuständig (Ersatz des durch die Schifffahrt fahrlässig angerichteten Schadens, Art. 81, d); der 9. Titel (Artt. 89 – 108) regelte die Amtsbefugnisse der Zentralkommission und der vier Aufseher und der 10. Titel (Art. 109) den Vollzug des Vertrages.

2. Das Verhalten der Schweiz Die Schweiz war übrigens weder an den Verhandlungen in Wien noch an der Rheinschifffahrtsakte beteiligt, obwohl diese von Basel ab gelten sollte. Sie war damals zu stark mit ihren inneren Angelegenheiten beschäftigt101, als dass sie sich um die Wiener Verhandlungen hätte kümmern wollen, doch suchte die Schweizer Republik gleichwohl die Vorteile zu nutzen, welche ihr die Mainzer Akte bot. So erkannten die Rheinanlieger 1841 die Baseler Schiffseichungsvorschriften als verbindlich an. Seit 1852 näherte sich die Schweiz den übrigen Rheinanliegerstaaten und schloss Verträge über die Schifffahrt auf dem Bodensee und dem Hochrhein bis Basel, ohne jedoch Mitglied der Zentralkommission

99 Rheinurkunden, I, Nr. 80, S. 242. 100 Rheinurkunden, I, Nr. 80, S. 257. 101 Über die Schweiz als Rheinuferstaat aus schweizerischer Sicht vgl. Baumgartner, S. 46f.

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zu werden102. 1855 fragte die Zentralkommission in Basel an, ob die Schweiz die neuen Regeln über die Schifferpatente für ihre Schiffer gelten lassen wolle103. So hat sich die Schweiz allmählich dem internationalen Rhein-Regime genähert, ohne doch die Mitgliedschaft zu erwerben104, die sie erst 1919 erhielt.

3. Die Durchführung der Mainzer Akte Im Gegensatz zur Wiener Kongressakte verschwand nach der Ratifizierung der Mainzer Akte das Umschlagsrecht sofort. Bereits am 17. Juli 1831 wurden die letzten Reste des Stapelrechts in Köln und Mainz beseitigt105, mit der Folge, dass der Rhein nun eine gemeinschaftliche Handelsstraße war, auf der kein Schiff mehr zu unfreiwilligem Aufenthalte oder zur Umladung gezwungen werden durfte. Art. 10 der Akte sah die Einrichtung von acht F r e i h ä f e n vor (in Preußen: Köln und Düsseldorf; in Hessen: Mainz, später wurde ihre Zahl auf 19 vermehrt)106; es waren Niederlagsplätze für fremde Waren, ohne dass diese für die Niederlage, das Ein- und Ausladen mit Zoll belegt werden durften. Die Schiffergilden kämpften um ihren Fortbestand. So versuchten die Mainzer, sich die Ladungen nach Köln zu erhalten, doch konnte ihnen der Mainzer Magistrat nicht helfen, da fortan alle Verbindungen zu den Kaufleuten und Spediteuren auf freier Vereinbarung beruhten. So lösten sich die Gilden nach dem in Art. 44 der Mainzer Akte vorgesehen Verfahren selbst auf, die Mainzer im Jahre 1833107. An ihre Stelle trat zeitweilig die Vereinbarung freiwilliger Rangfahrten, sog. Beurten108, welche die Artt. 49 – 51 der Akte nach niederländischem Vorbild zwischen Handelsstädten und einzelnen Schiffern zugelassen hatten109. Sie bewährten sich zunächst, weil sie regelmäßige und schnelle 102 Vgl. Chiesa, S. 92 ff. 103 Vgl. Valotton, S. 287f; Chiesa, S. 90. Am 9. Dez. 1848 erhielt die Rheinschifffahrtsakte v. 1831 den Supplementar-Artikel XIX über die Schifferpatente (Rheinurkunden I, Nr. 240, S. 495 ff); es folgte am 24. August 1852 eine abändernde Vereinbarung der Zentralkommission (erwähnt in Rheinurkunden I, Nr. 264, S. 534). 104 Erst der Versailler Frieden von 1919 gewährte der Schweiz die volle Mitgliedschaft in der Zentralkommission als Rheinuferstaat im nouveau régime international du Rhin, vgl. Chiesa, S. 105 ff. 105 Vgl. Eckert, S. 231. 106 Vgl. Eckert, S. 231. 107 Vgl. Eckert, S. 232 ff. 108 „Beurt“ (niederl., heißt Reihe, Ordnung, „an de Beurt liggen“ an der Reihe sein zu fahren; „Beurtfahrt“ meint also nichts anderes als Rangfahrt). Vgl. Eckert, S. 225; 244 ff, der auf eine Verordnung für die Rheinschifffahrtskommission zu Amsterdam vom 15. April 1825 bei Herman, Adreßbuch 1827, S. 47 – 64 hinweist. 109 Dazu ausführlich: Schawacht, S. 82 ff.

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Transportverbindungen boten. Bereits vor Verabschiedung der Mainzer Akte hatten sich die Handelskammern einiger Städte um solche Verträge bemüht. Köln wollte sich zur Zentrale des Rheinverkehrs machen. Dort und in Mainz versuchte man, so den Verlust des Umschlagsrechtes auszugleichen110. Mainz wurde dabei aber bald von Mannheim überholt, das einen direkten Verkehr zwischen Ober- und Niederrhein einrichtete, so zwischen Mannheim und Köln, Amsterdam und Rotterdam. Köln blieb der Knotenpunkt der Fahrten nach Mainz, Mannheim und Frankfurt sowie nach den Niederlanden. Hinzuweisen ist noch darauf, dass Preußen in Ergänzung der Mainzer Akte im Haager Vertrag vom 5. November 1842111 und im Antwerpener Vertrag vom 20. Mai 1843112 die freie Schifffahrt auch auf den Flüssen und Kanälen zwischen Rhein und Schelde vereinbarte.

4. Schifffahrtsfreiheit und Privatrecht Neben der Beseitigung von Umschlagsrecht und verpflichtender Rangfahrt enthält die Mainzer Akte vor allem öffentlich-rechtliche Regelungen, um die Sicherheit des Schiffsverkehrs zu gewährleisten. Dazu gehören Normen über den Zugang zum Schifferberuf113, die Sicherheit der Schiffe, ungehinderte Durchfahrt und die Sicherung des Leinpfades. Zivilrechtlich waren die Rheinzollgerichte allerdings nicht für Vertragsverletzungen zuständig, sondern nur für Ansprüche Dritter aus unerlaubter fahrlässiger Verletzung ihrer Rechte durch den Schiffsverkehr. Die Gerichte sahen solche unerlaubten Handlungen allein in der Verletzung schifffahrtspolizeilicher Verhaltenspflichten114. Dagegen schützte die Mainzer Akte nicht die Freiheit des Handels, sie betraf deshalb auch nicht Export- und Importbeschränkungen einzelner Staaten. Der 1833 gegründete Deutsche Zollverein, dem unter preußischer Führung die meisten deutschen Staaten unter Ausschluss Österreichs beitraten115, förderte die Handelsfreiheit in Deutschland ungemein. Privatrecht fand sich nur in Art. 48 der Mainzer Akte, der die Freiheit garantierte, Frachtverträge zu frei vereinbarten Frachtraten abzuschließen, also die verpflichtende Rangfahrt ab110 111 112 113

Vgl. Eckert, S. 246 ff; Gothein, S. 202 ff; Scherner, Rheinakten, S. 592. Vgl. Hennig, S. 86. Vgl. Hennig, S. 86. Normen über das Prüfungswesen für Rheinschiffer erließ z. B. Preußen mit dem „Regulativ wegen Ausübung der Rheinschifffahrt von diesseitigen Untertanen und wegen des Lootsendienstes auf dem Rheine“ vom 5. August 1834, G S 1834, S. 149 = Rheinurkunden I, Nr. 107, S. 314 – 321. 114 Vgl. Traut, S. 77 ff; Scherner, Rheinakten, S. 592. 115 Über die vielschichtige Entstehung dieses Zollvereins und seiner Vorgänger vgl. Gerhard Lingelbach, Art. Zollverein, in: HRG, Bd. V (1996), Sp. 1769 ff.

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schaffte. Sonstige privatrechtliche Regelungen sollten lediglich der Sicherheit der Schifffahrt dienen, sie verwiesen im Übrigen nur auf das geltende Recht einzelner Staaten. Nach Art. 53, Absätze III, IV sollte der Spediteur für Schäden haften, die infolge der Untauglichkeit des Schiffes an der Fracht eingetreten waren. Diese Regelung sollte ihn darauf hinweisen, sich vor Abschluss des Frachtvertrages das Untersuchungszeugnis des Schiffes vorlegen zu lassen, und so zur Sicherheit des Verkehrs beizutragen.

5. Die Errichtung der Rheinzollgerichte Um die Gerichte unabhängig zu machen, hatte die Mainzer Akte in ihrem 8. Titel eine Prozessordnung für die Rheinzollgerichte erster Instanz geschaffen. Damit ihr Verfahren zügig lief, war es summarisch (Art. 84) und fand in erster Instanz vor dem Einzelrichter statt, der unbeschränkt für Fiskal- und Strafsachen zuständig war. In Zivilsachen durfte er jedoch nur über unerlaubte Handlungen richten. In der zweiten Instanz gab es nur ein Gericht für jeden Staat (Art. 87). Die Akte verpflichtete die Rheinanliegerstaaten – unabhängig von ihrer Gerichtsverfassung – auf eine einheitliche Gerichtsbarkeit für den ganzen Rhein, wie sie schon der Wiener Kongress geplant hatte116. Allerdings fehlte in der Akte ein Schutz des Beklagten (rechtliches Gehör, freie Verteidigung, öffentliche und mündliche Verhandlung in Strafsachen). In Ausführung der Mainzer Akte errichteten die Anrainerstaaten pünktlich und gleichförmig die Gerichte117, indem sie zwischen 1831 und 1834 Ausführungsbestimmungen erließen und die Richter auf die Akte von 1831 vereidigten. In Preußen geschah das durch die Verordnung vom 30. Juni 1834118. Sie bestimmte in den §§ 1 und 2 für die preußische Rheinstrecke 21 Rheinzollgerichte erster Instanz, errichtete jedoch keine neuen Gerichte, sondern machte – entgegen dem Sinn des Art. 81 – eine Anzahl rheinpreußischer Untergerichte (zumeist die Friedensgerichte) für Rheinschifffahrtssachen zuständig119. Als Beru116 Vgl. Kischel, Geschichte, S. 49 – 63. 117 Vgl. den Abdruck der Errichtungsverordnungen für die Rheinzoll- (=Rheinschifffahrtsgerichte in Rheinurkunden I, Nr. 83 (Niederlande: Gesetz v. 9. Juli 1831); Nr. 84; 92 (Baden: VO v. 15. Juli 1831); Nr. 86; 88 (Hessen: VO v. 5. Oktober 1831); Nr. 91 (Frankreich: Gesetz v. 21. April 1832); Bayern: durch Reskript v. 9. März 1833 (nicht in Rheinurkunden); Nr. 105 (Preußen: VO 30. Juni 1834 [G S 1834, S. 136], vgl. die Ergänzung in Nr. 106 [G S 1834, S. 145]). 118 „Verordnung wegen Einrichtung der Rheinzollgerichte und des gerichtlichen Verfahrens in Rheinschifffahrtsangelegenheiten“ (RZGVO) vom 30. Juni 1834 in G S 1834, S. 136 ff u. in Rheinurkunden I, Nr. 105, S. 306 – 313; vgl. Eckert, S. 230; Kischel, Geschichte, S. 66 ff. 119 Das waren entweder der Friedensrichter in den Gebieten Rheinischen Rechts oder der Justizamtmann in den Gerichten zwischen Worms und Honnef oder aber bei den

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fungsgericht benannte die VO in § 4 den dritten Zivilsenat des Rheinischen Appellationsgerichtshofes in Köln, zuständig für Zivil-, Fiskal- und Strafsachen120.

IV. D I E E N T W I C K LU N G

BIS ZUR

M A N N HE I M E R A KT E

VON

1868 1. Die Ablösung der freiwilligen Rangfahrten Die Beurtfahrten bedienten sich rheinab meist der Segel, rheinauf des Leinzuges. Um jeweils frische Pferde zu haben121 und damit ihre Schnelligkeit zu erhöhen, gründete man Relaistationen. Gleichwohl waren die Dampfschlepper mit angehängten eisernen Kähnen, die seit den 1820er Jahren auf dem Rhein auftauchten und bald die gesamte Stromstrecke von Holland bis Straßburg befuhren, für die alten Rangfahrer eine gefährliche Konkurrenz, weil sie viel geringere Frachtpreise anbieten konnten122 und dazu noch schneller fuhren. Das zeigen die Fahrtzeiten: So brauchte ein Rangfahrer, der von Amsterdam bis Köln segelte und getreidelt wurde, zu einer Bergreise 14 bis 30 Tage, von Rotterdam 10 bis 20 Tage. Dagegen benötigten die Dampfer und Dampfschlepper mit ihren Kähnen von Amsterdam bis Köln 5 bis 8 Tage, von Rotterdam 3 bis 5 Tage123. Traten zunächst holländische Dampfschifffahrtsgesellschaften124 hervor, so wurde bereits 1825 eine preußisch-rheinische Dampfschifffahrtsgesellschaft125 gegründet, 1826 folgte in Mainz eine Dampfschifffahrtsgesellschaft vom Rhein und Main126 und 1827 eine Preußisch-Rheinische Dampfschifffahrtsgesell-

120

121 122 123 124 125 126

Land- und Stadtgerichten Duisburg, Wesel und Emmerich ein Land- bzw. Stadtgerichtsrat. Kritisiert als Vermischung der nationalen Gerichtsbarkeit mit der als international geplanten Rheinzollgerichtsbarkeit u. a. von Godefroi, S. 494 ff (511); vgl Kischel, Geschichte, S. 70. Nach § 15 II 17 ALR gehörten in Preußen die Fiskalprozesse nicht zur Polizeigerichtsbarkeit, sondern waren als besondere Verfahrensart im 35. Titel §§ 34 ff der Preußischen Prozessordnung = Teil I der Allgemeinen Gerichtsordnung (AGO) v. 1793, i. d. Fass. von 1818 geregelt; vgl. Kischel, Geschichte, S. 69. Durch Gesetz vom 24. April 1854 (G S 1854, S. 203 ff = Rheinurkunden I, Nr. 271, S. 538f) wurde das Verfahren der Appellation geändert. Vgl. Eckert, S. 252f. Vgl. Eckert, S. 253 ff; Gothein, S. 246 ff. Vgl. Eckert, S. 262. Vgl. Schawacht, S. 142 ff. Vgl. Schawacht, S. 154 ff. Vgl. den Bericht v. 15. Februar 1826 bei Eckert, S. 410 ff und die Vereinbarung v. 24. April 1826 ebenda S. 419f.

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schaft127, die sich 1832 mit der Rhein-Main-Gesellschaft vereinigte128. Am 6. Mai 1841 spaltete sich in Köln die dort bestehende Preußische Rheindampfschifffahrtsgesellschaft, und die abtrünnigen Aktionäre taten sich in der „SchleppDampfschifffahrts-Aktiengesellschaft“ zusammen, die den Niederrhein bedienen sollte129. Um mit der niederländischen Dampfschifffahrtsgesellschaft in Ludwigshafen konkurrieren zu können, wandelte sich die Mannheimer Rangschifffahrtsgenossenschaft 1843 in eine Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft um, die aus Schiffern und Kaufleuten bestand. Obwohl die Segelschiffer sich allmählich (seit etwa 1848) darauf einließen, statt von Pferden von Dampfern geschleppt zu werden, verdrängten die Dampfschleppzüge die alten Beurtfahrer und damit auch die Halfterer mit ihren Leinpferden130 auf Dauer vollständig131. In den Niederlanden wrackte man die großen Rheinsegelschiffe ab oder verkaufte sie132. Übrigens wurden durch Vertrag vom 2. September 1845 die Dampfschiffe in die Mainzer Akte einbezogen133, indem § 1 dieses Vertrages fortan nur ein Schiffsführerpatent und eine Konzession des Rheinuferstaates für den Betrieb der Aktiengesellschaft voraussetzte, um die Befugnis zur Dampfschifffahrt zu erfüllen134. Dass das Comité der rheinischen Segelschiffer 1848 die politische Karte zu spielen versuchte und die Frankfurter Nationalversammlung aufforderte, für den Mittelstand „gegen die Geldaristokratie des 19. Jahrhunderts“ Partei zu ergreifen „für die Arbeit gegen das Kapital“ und „gegen die schiffahrttreibenden Handelsleute im Dienste des Mammons“135, den Gütertransport mit Hilfe von Dampfern zu verbieten, die Dampfschlepper zum Staatseigentum zu erklären und ihre Eigentümer von der Schifffahrt auszuschließen, war freilich vergeblich. Auch die nun folgenden Sabotageakte an Schleppdampfern, auf die gelegentlich sogar geschossen wurde136, waren folgenlose Verzweiflungsakte: Die rheinischen Dampfschleppschifffahrtsunternehmen machten geltend, dass sie nur in Reaktion auf die holländischen Unternehmen gehandelt hätten und dass die Mainzer, Mannheimer 127 128 129 130 131 132 133

Vgl. den Fahrplan dieser Gesellschaft bei Eckert, S. 437 ff; vgl. Schawacht, S. 154 ff. Vgl. den Vertrag bei Eckert, S. 442 – 446. Über weitere Dampfschifffahrtsgesellschaften vgl. Schawacht, S. 156 ff. Statistik bei Eckert, S. 266. Vgl. Eckert, S. 256 ff; 263 ff. Vgl. Eckert, S. 259 ff; Scherner, Rheinakten S. 594. Vertrag zwischen den Rheinanliegerstaaten zur Einfügung des Supplementar-Artikels 18 und Aufhebung des bisherigen Artikels 52 der Mainzer Akte vom 2. Sept. 1845, ratifiziert 30. Mai 1846, bei Martens, Nouveau Recueil Général Bd. IX, S. 172 und in Rheinurkunden I, Nr. 219, S. 474 – 476. 134 Wie Fn. 133, S. 474f. 135 Zitiert bei Eckert, S. 260. 136 Jahresbericht der Kommission 1848, S. 4, zitiert bei Eckert, S. 261.

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und Ludwigshafener Aktionäre dadurch gezwungen waren, sich anzuschließen. Mit einem Wort: Die Dampfschiffe setzten ihren Siegeszug fort.

2. Die Konkurrenz der Eisenbahn Die Zugeständnisse, die Holland in der Mainzer Akte hinsichtlich der Schiffsabgaben gewährt hatte, erleichterten zwar die Rheinschifffahrt in den Niederlanden in gewissem Maße, doch war sie weiterhin beeinträchtigt. Deshalb vereinbarten die Niederlande und Preußen weitere Entlastungen im Vertrag vom 3. Juni 1837137, der am 21. Januar 1839 noch erweitert wurde138. Gleichwohl sannen Ludolf Camphausen und David Hansemann auf eine Umgehung der niederländischen Häfen und betrieben deshalb den Bau einer Bahn zum belgischen Hafen Antwerpen. Diese Strecke (der „Eiserne Rhein“) wurde 1841 eröffnet139. Vorher hatte schon Friedrich Wilhelm Harkort die Köln-Mindener Eisenbahn geplant, die 1847/48 als Bergisch-Märkische Eisenbahn ihren Betrieb aufnahm. Sie eröffnete den Waren aus Köln und den Erzeugnissen der Schwerindustrie des Ruhrgebietes, an deren Entwicklung Kölner Bankiers sich maßgeblich beteiligt hatten, den Weg zur Weser und nach Bremen. Mit den Rangfahrten auf dem Rhein konkurrierten nicht nur die Dampfschlepper, sondern auch – neben der Bahn nach Antwerpen – weitere Eisenbahngesellschaften: Am 15. Februar 1844 wurde die linke Rheinstrecke zunächst bis Bonn eröffnet, am 21. Januar 1856 bis Rolandseck fortgeführt und im Jahre 1858 bis Koblenz verlängert140. Das veranlasste die Kölner und die Mainz-Düsseldorfer Dampfschifffahrtsgesellschaft, sich zu verständigen, was dann 1853 in einem Einigungsvertrag zwischen beiden Gesellschaften mündete141. Zu Beginn der 1860er Jahre lösten sich die letzten Rangfahrten auf, weil z. B. Eisenwaren, die bisher die Beurtfahrer von der Mosel und der Saar auf

137 Ratifiziert am 31. Juli 1837, Druck bei MARTENS, Nouveau Recueil Bd. XIV, S. 250 und in Rheinurkunden I, Nr. 131, S. 343 – 352. 138 Ratifiziert am 2. April 1839, Druck bei Martens, Nouveau Recueil Bd. XVI, S. 410 und in Rheinurkunden I, Nr. 152, S. 377. 139 Vgl. Engelbrecht, S. 252. 140 Die Strecke Rolandseck – Remagen wurde am 21. Jan. 1858, von Remagen bis Weißenthurm am 15. Aug. 1858 und Weißenthurm bis Koblenz Hbf am 15. Nov. 1858 eröffnet, vgl. Die Bundesbahn, Heft 3/1981, Beilage, S. 23f; Koch/Röhr, S. 30f. Dagegen wurde die rechte Rheinstrecke erst zwischen 1869 und 1874 ganz geschlossen (Die Bundesbahn, Heft 3/1981, Beilage, S. 62 ff). 141 Vgl. Eckert, S. 276 ff.

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dem Rhein verfrachtet hatten, nun billiger mit der Eisenbahn von Koblenz aus weiterbefördert werden konnten142.

3. Änderungen der Mainzer Akte Die Mainzer Akte wurde in vielfacher Hinsicht durch die Entwicklung überholt: Im Laufe der Zeit wurden 20 Supplementar-Artikel zwischen den Vertragsstaaten vereinbart143. Man änderte die Vorschriften über die Schifffahrtsabgaben, die Oberlast, die Rheinschifffahrtsgerichte, die Schifferpatente und den Lotsenzwang. Die holländischen Zölle auf dem Strom fielen auf Grund des Vertrages vom 31. Dezember 1831 fort144. Da der deutsche Zollverein die Erleichterung von Handel und Wirtschaft in Deutschland betrieb, lag es nahe, den Rhein und die Schelde als wichtige Schifffahrtsstraßen einzubeziehen145. Dem diente der Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen dem Zollverein und den Rheinanliegern vom 31. Dezember 1851146, der den Mitgliedern des Zollvereins Handelsfreiheit auf dem niederländischen Rhein brachte. Der Vertrag vom 12. Dezember 1860 setzte die letzten auf Privileg beruhenden Rheinzölle herab147. Der Handelsvertrag zwischen dem

142 Vgl. den Jahresbericht der Centralkommission für 1860, S. VI; Eckert, S. 267. Für 1862 sagt der Bericht (1862, S. IX), dass die sog. Beurt- oder Rangfahrt nur dem Namen nach noch bestehe. 143 Vgl. Rheinurkunden Bd. I, Nr. 111, S. 324, Vertrag v. 20. Nov. 1834 (Supplementar-Art. I – IV, Oberlast, Schifffahrtsabgaben, Flöße); Nr. 132, S. 353, Vertrag v. 1. Aug. 1837 (Suppl.-Art. V – IX, Schifffahrtsabgaben, Oberlast, Rheinschifffahrtsgerichte, Ladeund Löschverbot); Nr. 148, S. 368, Vertrag v. 17. Juli 1838 (Suppl.-Art. X, Schiffseichung); Nr. 160, S. 379, Vertrag v. 27. Juli 1839, Suppl.-Art. XI – XIII, Oberlast, entzündliche o. ätzende Stoffe, zulässige Einsenkung); Nr. 170, S. 405, Vertrag v. 21. Sept. 1840 (Suppl.-Art. XIV, XV, Zentralkommission, Oberlast); Nr. 210, S. 462, Vertrag v. 27. u. 30. Aug. 1844 (Suppl.-Art. XVI u. XVII, Schifffahrtsabgaben); Nr. 219, S. 474, Vertrag v. 2. Sept. 1845 (Suppl.-Art. XVIII, Befugnis z. Fahrt mit Dampfschiffen); Nr. 240, S. 495, Vertrag v. 9. Dez. 1848 (Suppl.-Art. XIX, Schifferpatente); Nr. 257, S. 521, Vertrag v. 8. Sept. 1851 (Suppl.-Art. XX, Lotsenzwang). 144 Vgl.. Hennig, S. 86. 145 Und nicht nur das: „Der Handels- und Schifffahrts-Vertrag zwischen dem deutschen Zoll- und Handelsvereine einerseits und Belgien andererseits“ vom 1. Sept. 1844 (G S 1844, S. 577 – 595) öffnete auch die Schelde dem internationalen Verkehr. 146 Verträge vom 31. Dez. 1851, ratifiziert am 7. Mai 1852, Druck: Martens, Nouveau Recueil Général, Bd. XVI, 2, S. 216 – 237 = G S 1852, S. 145 – 175 = Rheinurkunden I, Nr. 258, S. 521 – 533. 147 Vgl. Hennig, S. 86.

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Zollverein und Frankreich vom 2. August 1862148 befreite die Schiffer der Parteien vom Zoll, und der Schifffahrtsvertrag vom gleichen Tage149 öffnete ihnen wechselseitig die Ströme Frankreichs und Deutschlands. Vor allem die Friedensverträge von 1866 haben schließlich die 1814 zugesicherte Freiheit des Rheins endgültig durchgeführt und die letzten Rheinzölle beseitigt150. Übrigens hatte schon die Additional-Konvention vom 3. April 1860151 den Sitz der Zentralkommission von Mainz nach Mannheim verlegt.

4. Die Revidierte Rheinschifffahrtsakte von 1868 Die Fortschritte der Rheinfreiheit durch die Friedensverträge von 1866 mussten noch durch Verträge mit den Niederlanden und Frankreich ergänzt werden. Die verbliebenen Rheinuferstaaten Baden, Bayern, Frankreich, Hessen, Holland und Preußen ernannten deshalb eine Kommission, welche die Mainzer Akte überarbeiten und an die herrschenden Verhältnisse anpassen sollte. Man war sich inzwischen darüber einig geworden, dass der Staat sich in die freie Rheinschifffahrt so wenig wie möglich einmischen sollte. Deshalb kam die Revidierte Rheinschifffahrtsakte152 vom 17. Oktober 1868 (sog. Mannheimer Akte) mit 48 Artikeln (gegenüber 109 Artikeln der Mainzer Akte) aus. Die Änderungen gegenüber der Mainzer Akte von 1831 sind folgende: Artikel 1 erklärte die völlige Freiheit der Schifffahrt auf dem Rhein zwischen Basel „jusq’à la pleine mer“ (bis in das offene Meer) für Schiffe aller Nationen (nicht nur für die Anrainer), wenn sie die Schifffahrtsakte und die Sicherheitspolizeivorschriften einhielten. 148 Handelsvertrag vom 2. Aug. 1862, ratifiziert 9. Mai 1865, Druck:: Martens, Nouveau Recueil Général, Bd. XIX, S. 286 – 294; Tarif S. 352 – 449 = Rheinurkunden II, Nr. 313, S. 19f [nur Art. 9]. 149 Schifffahrtsvertrag vom 2. Aug. 1862, ratifiziert 9. Mai 1865, Druck: Martens, Nouveau Recueil Général, Bd. XIX, S. 286 – 294 = G S 1865, S. 450 – 463. 150 Die Friedensverträge zwischen Preußen und Baden v. 17. Aug. 1866, Druck: Martens, Nouveau Recueil Général, Bd. XVIII, S. 333 = Rheinurkunden II, Nr. 337, S. 71 [nur Art. 9]; mit Bayern v. 22. Aug. 1866, Druck: Martens, Nouveau Recueil Général, Bd. VIII, S. 336 = Rheinurkunden II, Nr. 338, S. 71 [nur Art. 10] und Hessen v. 3. Dez. 1866, Druck: Martens, Nouveau Recueil Général, Bd. XVIII, S. 352 = Rheinurkunden II, Nr. 339, S. 71 [nur Art. 12]. 151 Vertrag über l’article additionel, betr. den Sitz der Zentral-Kommission zwischen den Rheinuferstaaten vom 3. April 1860, ratifiziert 1. Mai/24. August 1860, Druck: G S 1860, S. 445 – 446 = Rheinurkunden, I, Nr. 298, S. 585. 152 Revidierte Rheinschifffahrts-Akte zwischen Baden, Bayern, Frankreich, Hessen, Niederland und Preussen vom 17. Oktober 1868, ratifiziert am 17. April 1869, Druck: G S 1869, S. 798 – 837 = Martens, Nouveau Recueil Général, Bd. XX, S. 355 – 374 = Rheinurkunden II, Nr. 350, S. 80 – 106.

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Artikel 3: Abgaben, die sich lediglich auf die „Beschiffung“ gründeten, sollten wegfallen. Artikel 5: Alle Stapel- und Umschlagsrechte sollten nach wie vor aufgehoben bleiben. Artikel 15 ff: Die Erlangung der Rheinschifferpatente wurde neu geregelt und auf die Führung von Dampfschiffen erstreckt. Artikel 22 ff: Die Schiffsuntersuchung und das Untersuchungszeugnis wurden beibehalten. Artikel 27 ff: Sie enthalten Vorschriften über die Unterhaltung der Fahrrinne, der Einrichtungen für das Ein- und Ausladen, die Niederlage von Waren etc. Artikel 33 ff: Die Gerichte hießen jetzt Rheinschifffahrtsgerichte. Art. 33 erlaubte nun das, was Preußen schon nach 1831 praktiziert hatte: die bestehenden Gerichte (meist Friedensgerichte) mit der Rechtsprechung in Rheinschifffahrtssachen zu beauftragen153. Die Rheinschifffahrtsgerichte waren jetzt zuständig in Strafsachen für alle Zuwiderhandlungen gegen schifffahrts- und strompolizeilichen Vorschriften, in Zivilsachen für Gebührenfragen und – wie bisher bei Beschädigung von Dritteigentum, jedoch jetzt ohne Beschränkung auf fahrlässige unerlaubte Handlungen (Art. 34). Das beschleunigte Verfahren wurde in Art. 36 neu geregelt. Betrug der Streitwert mehr als 50 Franken, konnte wahlweise bei der CentralKommission (Art. 43) oder beim Obergericht des Landes (Art. 38) Berufung eingelegt werden. Preußen erließ ein Ausführungsgesetz und beließ die Zuständigkeit für Berufungssachen beim dritten Senat des Appellationsgerichtshofes in Köln154. Zusammen mit der revidierten Akte155 und dem Schlussprotokoll156 erließ die Zentralkommission am 3. Juni 1869 eine neue „Schifffahrts-Polizei-und Floss-

153 Vgl. Kischel, Geschichte, S. 99. 154 Die Rheinschifffahrtsgerichte wurden für Preußen neu geregelt durch das „Gesetz betr. die Rheinschifffahrtsgerichte“ v. 9. März 1870, Druck: G S 1870, S. 177 – 187 = Rheinurkunden II; Nr. 366, S. 171 – 178. § 5 bestimmt den dritten Senat des Rheinischen Appellationsgerichtshofes zu Köln – wie bisher – für alle preußischen Rheinschifffahrtsgerichte; vgl. Kischel, Obergericht, S. 346 ff; für das Verfahren der Rheinschifffahrtsgerichte vgl. Kischel, Geschichte, S. 98 ff. 155 Auswechselung der Ratifikationsurkunden am 17. April 1869, bei Martens, Nouveau Recueil Général XX, S. 355 und in Rheinurkunden II, Nr. 350, S. 80 – 100. 156 Druck in Rheinurkunden II, Nr. 350, S. 100 – 106.

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ordnung für den Rhein“157 und die „Verordnung über den Transport entzündlicher, ätzender und giftiger Stoffe auf dem Rheine“158. Die privatrechtlichen Artikel der Mainzer Akte waren überflüssig geworden, Artikel 48, weil es keine Rangfahrten mehr gab und die Vertragsfreiheit allgemein galt; die Artt. 53, Abs. III, IV und 56 der Mainzer Akte mit zivilrechtlichem Inhalt waren überholt, weil ihre Rechtssätze jetzt in der Schifffahrtspolizeiordnung geregelt waren. Da sich die Staaten möglichst in die Freiheit der Rheinschifffahrt nicht einmischen wollten, sagte die preußische Denkschrift wohl mit Recht, privatrechtliche Vorschriften seien überflüssig, soweit sie mit denen der Rheinuferstaaten übereinstimmten, oder unzulässig, soweit sie ihnen widersprachen159. Privatrecht war nunmehr das kodifizierte Recht der Einzelstaaten. Auf dem ganzen linken Rheinufer galt französisches Recht, nämlich der Code civil von 1804 und der Code de commerce von 1808: Sie galten im französischen Elsass, in der bayerischen Pfalz, in Baden als Badisches Landrecht und Handelsgesetz (das nur eine Übersetzung des Code civil bzw. Code de commerce war), in Rheinhessen und im linksrheinischen Preußen als Rheinisches Recht. Auch am bergischen Rheinufer (rechtsrheinisch von Honnef bis südlich Duisburg) galt ebenfalls französisches Recht. In den Niederlanden war das Wetboek van Koophandel (1831, 1838) stark französisch beeinflusst. Lediglich im ehemaligen Herzogtum Kleve (von Duisburg bis unterhalb Emmerichs) galt das preußische Allgemeine Landrecht (ALR) und von oberhalb Worms bis Honnef gemeines Recht160. Den ganzen Rhein entlang herrschte also fast nur französisches Recht, und – was schwerer wog – es bildete die Rechtsgrundlage der Wirtschaft in den Handelszentren Straßburg, Mannheim, Mainz und Köln und in den niederländischen Häfen. Das änderte sich erst, als 1861 das ADHGB in Kraft trat. In gewisser Weise war das ein Rückschritt, weil nun nicht mehr das fortschrittliche französische 157 Schifffahrts-Polizei-und Flossordnung v. 3. Juni 1869, Druck für Preußen im Amtsblatt Coblenz, Nr. 28 v. 6. August 1869 = Rheinurkunden II, Nr. 352, S. 118 – 150. Zur Rechtsprechung des Rheinschifffahrtssenats des Kölner Oberlandesgerichts vgl. Bemm, S. 79 ff. 158 Verordnung der Zentral-Kommission für die Rheinschifffahrt betr. den Transport entzündlicher, ätzender und giftiger Stoffe auf dem Rheine v. 3. Juni 1869, Druck wie Fn. 157, Rheinurkunden II, Nr. 353, S. 150 – 155. 159 Preußische Denkschrift v. 17. Oktober 1868, in: Rheinurkunden II, Nr. 351, S. 107, Vorspruch. 160 Vgl. Blume, Rechtsquellen: zum rheinischen Recht, S. 131 ff; zum preußischen Recht, S. 37; v. Traut, S. 126; Kischel, Geschichte, S. 58; Hintze, S. 2 ff; Scherner, Rheinakten, S. 96 f.

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Recht, sondern das Landfrachtrecht galt, das nach dem ADHGB auch auf Binnenschiffe anzuwenden war und auf dem preußischen Entwurf vom 17. Jan. 1857 für ein Handelsgesetzbuch beruhte161. Was im ADHGB nicht geregelt war, richtete sich allerdings weiterhin nach französischem Recht162.

V. A U S B LI C K Da der Rhein weiterhin die große Nord-Süd-Achse für den Warenverkehr blieb, war die Entwicklung 1868 nicht abgeschlossen. Preußen erließ am 9. März 1870 das Gesetz betreffend die Rheinschifffahrtsgerichte163, welches das bisherige preußische Recht der Mannheimer Akte anpasste und fortschrieb. Weitaus einschneidender war die Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871. Nach Art. 4, Ziff. 9 der neuen Reichsverfassung unterlag die Schifffahrt auf Wasserstraßen, die mehreren Staaten gemeinsam waren, der Aufsicht und der Gesetzgebung des Reiches. Allerdings machte das Reich von dieser Kompetenz keinen Gebrauch, so dass die Rheinuferstaaten nach wie vor die Verhältnisse der Rheinschifffahrt regelten164. Nach 1871 wurde die Rechtsvereinheitlichung in Deutschland vorangetrieben. Am 11. April 1877 erging das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG165, in Kraft seit dem 1. Okt. 1879), das auch die Rheinschifffahrtsgerichtsbarkeit änderte. Die Rheinschifffahrtsgerichte standen nämlich wegen der internationalen Rheinschifffahrtsakte außerhalb der nationalen Rechtsordnung, auch mussten die entsprechenden Gerichte der Bundesstaaten integriert werden. Das geschah, indem § 14, (damals § 14, Nr. 1) GVG den Rheinschifffahrtsgerichten eine besondere Stellung gewährte, sie nämlich als besondere Landesgerichte im Sinne von § 4 EGGVG bestehen ließ166. Damit hatten die Rheinuferstaaten freie Hand in der Gestaltung ihrer Rheinschifffahrtsgerichte. Da § 12 des Ausführungsgesetzes zum GVG die bisherigen Rheinschifffahrtsgerichte aufgehoben hatte und um diese Gerichte an die internationalen Verträge anzupassen, mussten die Rheinuferstaaten in der Folge neue Ausführungsgesetze zur Rheinschifffahrtsakte erlassen167. Dabei vertrauten 161 Über diese Einzelheiten der Beratungen zum ADHGB vgl. Lutz, Protokolle, S. 515; Hintze, S. 8 ff. 162 Vgl. Scherner, Rheinakten, S. 598. 163 Druck: G S 1870, S. 177 ff und in Rheinurkunden II, Nr. 366, S. 171 – 178; vgl. Kischel, Geschichte, S. 114 ff. 164 Vgl. Mallinckrodt, S. 317f; Fuchs, S. 16f; Kischel, Geschichte, S. 125. 165 Gerichtsverfassungsgesetz für das Deutsche Reich v. 7. Februar 1877, RGBl S. 41 – 76. 166 Vgl. Hahn, Materialien zum GVG, I, 1 S. 49; vgl. Kischel, Geschichte, S. 126. 167 So z. B. Preußen durch das Gesetz betr. die Rheinschifffahrtsgerichte vom 8. März 1879 mit der Verordnung vom 1. Sept. 1879, betr. die Sitze und Bezirke dieser Gerichte, G S 1879 S. 129 ff und S. 609f; auch in Rheinurkunden II, Nr. 435, S. 245f und Nr. 443,

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sie die Rheinschifffahrtsgerichtsbarkeit ausgewählten Amtsgerichten an, die nach dem GVG seit 1879 die Friedensgerichte abgelöst hatten168. Mit dem Gesetz über die Rheinschifffahrtsgerichte (GRSchG) vom 5. Sept. 1935169 machte das Reich von der ihm in Art. 7, Ziff. 19 der Weimarer Reichsverfassung verliehenen Kompetenz Gebrauch, die Rheinschifffahrtsgerichtsbarkeit reichseinheitlich zu regeln. Es verringerte die Zahl der Rheinschifffahrtsgerichte drastisch: Gab es vorher für den deutschen Teil des Rheins 48 Gerichte (davon 27 allein in Preußen), so blieben davon im neuen Gesetz nur noch sechs übrig: Kehl, Ludwigshafen, Mannheim, Mainz, St. Goar und Duisburg-Ruhrort. Von den beiden rheinischen Gerichten war DuisburgRuhrort wegen des großen Binnenhafens das führende Rheinschifffahrtsgericht und St. Goar bearbeitete die Unfälle, die sich in der gefährlichen Gebirgsstrecke des Mittelrheins häuften. Obergericht für die Schifffahrtsgerichte Konstanz, Kehl, Mannheim und Mainz wurde das Oberlandesgericht Karlsruhe, für die Schifffahrtsgerichte St. Goar und Duisburg-Ruhrort blieb es der dritte Zivilsenat des nunmehrigen Oberlandesgerichts Köln170. Durch Note vom 14. November 1936 kündigte die nationalsozialistische Reichsregierung die internationalen Stromakten und fühlte sich seitdem an die Mannheimer Akte von 1868 und ihre späteren Änderungen nicht mehr gebunden171. Sie zog daraus die Folgerung, dass es keiner besonderen Gerichte in Rheinschifffahrtssachen mehr bedürfe, und regelte deshalb das Verfahren in Binnenschifffahrtssachen reichseinheitlich: Das Gesetz vom 30. Jan. 1937 172 schaffte in § 5 deshalb den § 14, Nr. 1 GVG ab und ermächtigte in seinem § 4 den Reichsminister der Justiz, einem Amtsgericht die Verhandlung und Entscheidung in Binnenschifffahrtssachen für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte zuzuweisen. Davon machte dieser in der Verordnung vom 30. Januar 1937173 Gebrauch. In der Besatzungszeit nach 1945 hatte jede Zone ihre eigenen Vorschriften174.

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S. 49f; dort auch die Ausführungsgesetze der übrigen Bundesstaaten Nr. 432, 434 – 439, S. 234f, 245 – 250. Vgl. Strauch, Rheinische Gerichte in zwei Jahrhunderten, 3. Kapitel. Gesetz über die Rheinschifffahrtsgerichte (GRSchG) v. 5. Sept. 1935 (RGBl. I, S. 1142). Zu dessen Rechtsprechung vgl. Bemm, S. 79 – 96. Vgl. Begründung des Gesetzes über das Verfahren in Binnenschifffahrtssachen (= Amtliche Erlasse und Verordnungen), in: DJ 1937, S. 175f; vgl. bereits Koffka, in DJ 1936, S. 1801; Kischel, S. 175. Gesetz über das Verfahren in Binnenschifffahrtssachen (GBSchS) v. 30. Jan.. 1937 (RGBl. I, S. 1417). Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über das Verfahren in Binnenschifffahrtssachen v. 30. Jan. 1937 (RGBl. I, S. 101f; vgl. Kischel, S. 177. Dazu vgl. Kischel, Geschichte, S. 183 ff.

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Für die weitere Entwicklung gebe ich nur Stichworte:  Das Binnenschifffahrtsverfahrensgesetz vom 27. September 1952175 führte wieder ein einheitliches Verfahren vor den Rheinschifffahrtsgerichten ein und löste die zuvor in den Besatzungszonen geltenden unterschiedlichen Verfahren ab;  das Abkommen über die Gliederung der Rheinschifffahrtsgerichte im Rheinstromgebiet der Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vom 21. Juli 1954176 stellte nahezu denselben Zustand her, wie er seit 1937 bestanden hatte;  Kleine Revision der Mannheimer Akte vom 20. November 1963177;  Verfahrensordnung der Berufungskammer der Zentraldirektion vom 23. Oktober 1969178;  Zusatzprotokoll zu revidierten Mannheimer Akte vom 25. Oktober 1972179, welches die Übertretungen nach dem neuen Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968180 bestrafte;  Zusatzprotokoll Nr. 3 zur revidierten Mannheimer Akte vom 17. Oktober 1979, das die einheitliche Regelung von Geldbußen enthält181. Wie nicht anders zu erwarten, ist auch das Rheinschifffahrtsrecht weiterhin in dauernder Bewegung, doch sind die Änderungen nach dem Zweiten Welt175 „Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrts- und Rheinschifffahrtssachen“ vom 27. Sept. 1952, BGBl I, S. 641, in Kraft seit 1. Oktober 1952; vgl. Kischel, Geschichte, S. 87 ff; Kischel, Obergericht, S. 348f. 176 „Abkommen über die Gliederung der Rheinschifffahrtsgerichte im Rheinstromgebiet“ vom 21. Juli 1954, in Kraft seit dem 1. Juli 1954, Druck: GV NW 1954, S. 263; vgl. Kischel, Geschichte, S. 197f; Kischel, Obergericht, S. 349. 177 „Übereinkommen zur Revision der am 17. Okt. 1868 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschifffahrtsakte“, vom 20. Nov. 1963, Druck: BGBl II, 1966, S. 561 – 568 und Gesetz dazu v. 6. Juli 1966, ebenda S. 560., vgl. Kischel, Geschichte, S. 202 ff; 251f; Kischel, Obergericht, S. 349. 178 Verfahrensordnung der Berufungskammer der Zentraldirektion vom 23. Oktober 1969, in Kraft seit 1. April 1970, Druck in BGBl II, 1970, S. 37; vgl. Kischel, Geschichte, S. 211 ff. 179 Zusatzprotokoll zu revidierten Mannheimer Akte vom 25. Oktober 1972, Druck in BGBl II, 1974, S. 1385; BGBl I, 1975, S. 743; vgl. Kischel, Geschichte, S. 218 ff. 180 Ordnungswidrigkeitengesetz vom 24. Mai 1968 (BGBl I, S. 481), jetzt in der Fassung vom 1. April 1987 (BGBl I, S. 602), Druck (mit allen späteren Änderungen) auch in der Sammlung Schönfelder, Deutsche Gesetze, Nr. 94. 181 Zusatzprotokoll Nr. 3 zur revidierten Mannheimer Akte vom 17. Oktober 1979, in Kraft seit dem 1. September 1982, BGBl II 1980, S. 876; BGBl II 1982, S. 858; Änderung des Art. 32 der revidierten Mannheimer Akte; vgl. Kischel, Geschichte, S. 219, Fn. 623.

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krieg bisher auf Randgebiete beschränkt. Die Entwicklung muss jedoch weiter beobachtet werden182.

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II. A U FS Ä T Z E

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