Schön und Gut: Was werteorientierte Gestaltung verändern kann 9783035618303, 9783035618297

Ein wichtiges Buch für den Diskurs der jungen Generation von Designer und Design-Studenten Engagierte und gut lesbare Ei

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German Pages 160 Year 2019

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Schön und Gut: Was werteorientierte Gestaltung verändern kann
 9783035618303, 9783035618297

Table of contents :
Inhalt
Ruedi Baur: Der Wert der Veränderung
Schöner und besser – Einführung
I. Warum wir eine werteorientierte Gestaltung brauchen
Immer mehr oder mehr in Maßen?
Die Gestaltbarkeit der Welt
Was werteorientiertes Design bedeutet
Design – die Verbindung zwischen den Stühlen
II. Wie werteorientierte Gestaltung entstehen kann
Einleitung
1. Interdisziplinarität
2. Prozesse gestalten
3. Den Designbegriff erweitern
4. Der Anfang ist vorne
5. Inhalte erarbeiten
6. Designforschung nutzen
7. Inklusion fördern
Kein Manifest, keine Anleitung – Kriterien, was werteorientiertes Design sein kann
Abbildungsnachweis
Bibliografie
Dank
Über den Autor
Impressum

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Schön und gut

Für Luca und Mika (Mehr kann ich auch nicht tun!-)

Andreas Koop Schön und gut Was werteorientierte Gestaltung verändern kann ↩

Birkhäuser Basel

Inhalt

Ruedi Baur: Der Wert der Veränderung

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Schöner und besser – Einführung

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I Warum wir eine werteorientierte Gestaltung brauchen

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Immer mehr oder mehr in Maßen? Die Gestaltbarkeit der Welt Was werteorientiertes Design bedeutet Design – die Verbindung zwischen den Stühlen

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II Wie werteorientierte Gestaltung entstehen kann

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1 Interdisziplinarität 2 Prozesse gestalten 3 Den Designbegriff erweitern 4 Der Anfang ist vorne 5 Inhalte erarbeiten 6 Designforschung nutzen  7 Inklusion fördern

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Kein Manifest, keine Anleitung – Kriterien, was werteorientiertes Design sein kann

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Abbildungsnachweis Bibliografie Dank Über den Autor

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Ruedi Baur: Der Wert der Veränderung

Ohne Transformation kein Design! Und die Qualität einer Gestaltung sollte, wenn man dem Bauhausprofessor László Moholy-Nagy nachfolgt, gemessen werden an der »Verbesserung des Lebens« – weder des Auftraggebers, noch des Designers, sondern – der Nutzer oder Benutzer des Projekts. Diese vor bald hundert Jahren definierte Haltung stellte sich als die wichtigste Richtlinie für eine humanistische Form des Designs dar. Jahrzehntelang und bis Ende der Sechzigerjahre behielt diese soziale Verbesserung einen direkten Bezug zu der gesteigerten Qualität der Objekte, Räume, Zeichen, Prozesse, Veranstaltungen und vielleicht auch zu den Freiheiten, die dem Bürger (Citoyen) allmählich zugänglich wurden. Mit der Verbesserung des »Nicht-Menschlichen«, das mit dem Menschen und Bürger interagiert, beteiligte sich Design an dieser Evolution der individuellen und manchmal kollektiven Lebensbedingungen. Schon damals stellte sich für den Gestalter die Frage nach den Produktionsbedingungen und nach anderen indirekten Folgen der Transformationen, die sein Entwurf generiert. Was soll eine Veränderung, die dem einen dient und dem anderen schadet, meinten die humanistischen Designer. Der Gestalter soll nicht nur die Verantwortung für die Verbesserung des Lebens des Nutzers tragen, er muss auch Sorge tragen, dass die Arbeits- und Lebensqualität der Bearbeiter seines Entwurfs sich dadurch verbessern und dass die Ausführung seines Projektes keine negativen ökologischen Folgen für die Bewohner der Umgebung hat. Der Wert einer Transformation und indirekt ihres Designs kann insofern nicht nur durch die Analyse des spezifischen Elements ermessen werden, sondern durch die sozialen, ökologischen und letztlich kulturellen Folgen auf ihre Umwelt.

Verbesserung der Lebensverhältnisse

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Ein Rückblick auf die jüngere Geschichte zeigt, dass diese Designhaltung einen gewissen positiven Einfluss auf die europäische Gesellschaft der Nachkriegszeit haben konnte. Die HfG Ulm steht als Ikone für diesen Ansatz. Ihre Schließung 1968 ist aber auch ein Symbol des Endes dieser sicherlich nicht unbefleckten Zeit, in der das Design im Kontext der Industrialisierung zur Verbesserung der Lebensqualität aller führte. Auch wenn diese positive Entwicklung nicht plötzlich stagnierte, musste sich das Design mehr und mehr mit wertlosen Transformationen beschäftigten. Die Gesellschaft des Spektakels und des Massenkonsums, des Überflüssigen entstand. Design stellte sich immer mehr unter die wachsende Macht des Marketings: Die Gestaltung wird Teil der Strategie, um zum Kauf des Unnötigen zu überreden oder prinzipiell Neuheit zu propagieren, nur um das Alte zu diskreditieren und darum so schnell wie möglich zu ersetzen. Der Kampf um die Konkurrenz führt zu gesellschaftlich wertlosen Transformationen, die eigentlich nur noch der Wirtschaft dienen. Der Bürger wird auf seine Rolle als Konsument beschränkt. Natürlich ist er es letztlich selbst, der entscheidet, aber immer mehr Reklame und andere Manipulationen werden aufgewandt, um ihn zu überreden, dass sein Leben nur durch diese meist unnötigen Anschaffungen besser werden kann. Man versucht, ihm verständlich zu machen, dass die wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Verfassung auf diese ganze Nervosität grundlegend angewiesen ist: Jedes Jahr soll um des schieren Wachstums willen mehr produziert werden, denn sonst stürzt das kapitalistische System in sich zusammen. Der Designer mit seiner Ethik wurde so zum Störfaktor. Zugleich brauchte man jedoch die Verfüh-

Der Bürger als Konsument

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rungen durch Form und Farbe, die er beherrschen konnte, um »das Neue ohne Transformation« zu verkaufen. Die erste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit von 1974 an war der Beginn einer neuen Phase, die schließlich in den Neunzigerjahren zum Abkommen der Uruguay-Runde führte: Durch die internationalen Handelsabkommen und die Senkung der Grenzgebühren konnte die Produktion in Länder verlagert werden, in denen die Arbeiter und ihre Kinder noch besser ausgenutzt werden konnten. Dort, wo die neu ins westliche Bewusstsein gebrachte Umweltverschmutzung hin exportiert und anonymisiert werden konnte: Die an sich gerechten Wirtschaftsabkommen sicherten weder soziale noch ökologische Standards in der Produktion. Anstatt jedem Land die gleichen Chancen einzuräumen und die Lebensqualität aller Bürger der Welt zu verbessern, entstand eine neue Form der alten kolonialisierenden Unterdrückung. Dort akzeptierte und ignorierte man die importierten, schlimmsten sozialen und ökologischen Folgen. Diese Trennung zwischen den nationalen Marken und der Produktionsverlagerung in die Billiglohnländer führte zur Kultur des Branding. Alle Unternehmen, auch die aufrichtigsten, mussten sich dieser Logik der Repräsentation beugen, in deren Folge das Kapital ohne Ortsbeziehung eine losgelöste, alles andere übersteigende Macht innerhalb des Produktionsprozesses erhielt. Direkt verbunden mit den Kommunikations- und Marketingabteilungen blieben die Design-Departements ihrerseits in den »weißen« Großstädten. Sie wurden Teil der artifiziellen Konstruktionen von

Produktionsverlagerung

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Werten, die ihren Entstehungsgrund überdecken. Werte, die auf das Verbergen von Wahrheiten gebaut sind. Wir wissen seit der Zeit des Nationalsozialismus leider, dass »nichts überzeugender ist als die Lüge«. Zum Glück währt der Schein zumindest nicht dauerhaft. In der Zeit, der durch Spekulationen ausgelösten Wirtschafts- und Bankenkrise von 2008, wurde ein paar Wochen der Nonsens der Situation lesbar, dann aber legten sich allzu schnell wieder die bewährten Nebelwolken darüber. Die Regierungen ermöglichten, dass alles unverändert weitergeht. Die Reichsten wurden noch reicher: Sie verdoppelten ihren Besitz in den letzten zehn Jahren – die 42 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die gesamte Weltbevölkerung. Oft zahlen sie keine oder sehr wenig Steuern. Und 80 Prozent des ökologischen Desasters entsteht aus den Bedürfnissen der reichsten 20 Prozent der Bürger unserer Welt. Auf der ganzen Erde sinken die öffentlichen Investitionen und Ausgaben für die soziale Sicherheit der Bürger. Auch in Europa herrscht Armut. 30 Millionen Menschen können sich nicht aus eigenen Mitteln ernähren. Viele solcher Zahlen zeigen eine gigantische Maßlosigkeit. Die Staaten wie auch die lokal entwurzelten Unternehmen werden immer autoritärer. Der Bürger ist desorientiert, er fühlt sich verlassen, sein Vertrauen in die Demokratie sinkt in einem gefährlichen Ausmaß. Aber dieses Porträt wäre unvollständig und falsch, wenn nicht parallel dazu die vielen lokalen sozialen und ökologischen Initiativen erwähnt würden. Design steht oft in solchen Prozessen, die andere, ja ganz andere Wege aufzeigen. Hier und nur hier entsteht eine reale Aufwertung der Bürger und ihrer effektiven, echten Interessen. Maßlosigkeit

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Nach der Krise von 2008 wurde das Wort »Innovation« zum Leitmotiv. Die Innovation soll sozial und umweltfreundlich werden, lässt man uns mitteilen. Mit bald zehn Milliarden Menschen, die sich nach den nächsten drei Jahrzehnten die knappen Ressourcen unseres Planeten werden teilen müssen, stellen sich wesentlich neue Herausforderungen. Transformationen werden notwendig und unausweichlich. Aufschlussreich sind die verschiedenen Verhaltensweisen im Angesicht dieser Realität. Die einen leugnen die Notwendigkeit von Veränderungen. Bruno Latour nennt sie die »Negationisten«. Diese und andere bemühen nationalistische Propaganda oder andere regionale Identitätsgefühle, um die Wahrnehmung der Probleme zu verschieben und sich ihrer Unausweichlichkeit nicht zu stellen. Als ob es heute möglich wäre, die weltweiten Interdependenzen und ihre Folgen durch Mauern an den Grenzen zu stoppen. Es gibt aber eine weitere Kategorie von Opportunisten: solche, die Innovation zelebrieren, um in unveränderter Logik weiter zu agieren und zum Vorteil dieser Logik die neuen wirklichen Problematiken zu verdecken. Wieder andere instrumentalisieren das Moment der Unsicherheit, um Autoritarismus und Bürgerentmündigung mehr und mehr zu implementieren oder um einfach ihre Interessen weiter wahren zu können. Deshalb ist es dringend erforderlich, eine neue Definition der Werte und Bedeutung von Innovationen aufzubringen. Die »Verbesserung des Lebens der Bürger der Welt« und das Überleben des Menschen und der Biodiversität des Planeten können nicht angestrebt werden, ohne dass der fundamentale Wert des Gemeinsamen im Zeichen des Gemeinsinns kultiviert wird. Die Ambivalenz zwischen individuellen und Der Wert des Gemeinsamen

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gemeinsamen Interessen, zwischen lokaler und weltweiter Souveränität, zwischen Sicherheit und Freiheit erfordern es, diesen Wert neu zu modellieren und wirksam zu machen. Eine langjährige Transformation, bei der man gewiss auch dem liberalen Kapitalismus nicht zuversichtlich freie Hand lassen kann. Weil die Politik also nicht handeln kann oder will, die meisten Konzerne hartnäckig den kurzfristigen Shareholder Value bedienen und jeder Einzelne als Konsument und als Mensch überlastet und erschlagen ist von der Aufgabe, »die Welt zu retten«, versucht dieses Buch, Gestaltern so konkret wie möglich Ideen, Optionen und Kriterien für die eigene Arbeit an die Hand zu geben – dabei aber auch offen genug zu bleiben, um sich nicht auf eine einzige Methode oder Herangehensweise festlegen zu lassen. Man sollte seinen Einfluss als Gestalter der notwendigen Transformationen auf keinen Fall unterschätzen! Paris, Februar 2019

Einfluss des Gestalters

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Schöner und besser – Einführung

Dieses Buch will keine weitere politische Designtheorie sein, sondern eine praxisorientierte Auseinandersetzung mit der politischen Dimension von Design. Da wir im Wesentlichen auf der Welt kein wirkliches Erkenntnisproblem mehr haben, sondern ein über kurz oder lang dramatisch werdendes Umsetzungsproblem, geht es hier darum, was man als Gestalter tun kann. Jede Einzelne, jeder Einzelne, ganz konkret. Das Buch will also weniger theoretisch-ethisch sein als praktischmoralisch postulierend und motivierend. Werte spielen dabei eine entscheidende Rolle – und die Erkenntnis, dass sie nichts »Separates« sind, nichts, das in einer abgehobenen Sphäre lebt und wirkt, ist vielleicht das Wesentliche bei der hier hergestellten Verbindung zum Design. Zwar lässt sich lange diskutieren, was diese Werte ausmacht, wie und warum sie entstanden sind, wie man mit ihrer Veränderlichkeit umgeht – doch haben wir für solche Glasperlenspiele eigentlich nicht mehr die Zeit. Es geht darum, zu tun, was man weiß, und zu wissen, was man tut. Die Erfahrung, dass »man sich im sechzehnten Jahrhundert mit dem gleichen philosophischen Scharfsinn über die gleichen religiösen Argumente gestritten habe, wie man das heute tut« und dass, »obwohl man weiteres Wissen gesammelt habe und die Wissenschaft fortgeschritten sei […] kein Philosoph der Vergangenheit oder Gegenwart mehr Licht in diese Angelegenheit gebracht«,1 habe, gilt heute für viele

Chaplin, Charles: Die Geschichte meines Lebens. Frankfurt/Main 2017 (7. Aufl.) S. 294

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Tun, was man weiß, und wissen, was man tut

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andere Bereiche auf ähnliche Weise. Und dass auch eine NPD oder die AfD, ein Donald Trump oder ein Kim Jong-un auf der Basis ihrer Werte Politik machen, darf uns zwar zu denken geben, aber nicht zum (Ver-)Zweifeln bringen. Denn trotz allem sind gerade die großen Vorteile von Werten: ihre Wandelbarkeit, ihre Interpretierbarkeit, ihre Heterogenität. Natürlich, das darf man hier vorwegnehmen, gibt es einen Wert, der zentral ist – oder es sein sollte – und der die befremdliche Wertauslegung anderer durchaus sichtbar macht: die Menschlichkeit. Doch was heißt es, um den Bogen zum Design zu schlagen, wenn ein Design menschlich ist? Es dürfte klar sein, dies hat weniger mit Ergonomie zu tun als mit eben diesen Werten, auf denen es basiert. Menschliches Design ist nicht nur seinem Auftraggeber verpflichtet. Man kommt damit zu einem Punkt, der das momentan, zumindest in der Theorie-Diskussion immer beliebter werdende Social Design verständlich macht: Es geht darum, das Primat des Ökonomischen zu brechen und zu überwinden. Was dies bedeutet und damit zusammenhängt, dazu später. Design ist politisch, das sollte man sich immer vor Augen halten: Wie es keine Nicht-Kommunikation und im Kontext der Gestaltung keine Nicht-Form gibt, so gibt es auch kein unpolitisches Design. Selbst wenn man dies völlig ignorieren möchte: Diese Haltung wäre dann ebenso wieder im Kern politisch. Und was, wenn nicht Politik, müsste auf Werten basieren? Werte jenseits des Nationalen, des Kapitals, der Gewalt – also solche der Menschlichkeit. Manche Merkwürdigkeiten, die kaum Ausdruck dessen sein können, dass die Macht vom Volke ausgeht, würden sich dann endlich korrigieren. Wenn zum Beispiel in der Werbung und auf Verpackungen legal gelogen werden darf. Oder Konzerne an Gesetzestexten mitschreiben. Wenn, im Bereich der Architektur, auf dem

Politische Merkwürdigkeiten

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Land staatlich gefördert und gewollt, der Leerstand von morgen gebaut wird. Wenn das Einkommen aus Arbeit beinahe doppelt so hoch besteuert wird, wie das aus Vermögen. Wenn Kinder von armen Eltern wenig haben, aber die von reichen – Erbschaftssteuer – nichts abzugeben brauchen. Also eine konsequente Umverteilung von unten nach oben stattfindet. Oder wenn eine Landwirtschaft subventioniert wird, die unser Wasser vergiftet und die Artenvielfalt zerstört. Wenn es keinen interessiert, dass Insekten sterben, Vögel verschwinden. Dabei werden eben diese Insekten ja nur die Ersten sein, die gehen. Design schafft und befriedigt Bedürfnisse, es ist damit Spiegel für die Gesellschaft und, ja durchaus auch, ihrer Werte – die es eben gleichermaßen mit verändern kann. Dass dieses Design alle Bereiche des Lebens berührt, von der Zahnbürste bis zur Zeitung, macht es zwangsläufig für alle relevant, sei es für die Menschen als »Verbraucher« und Nutzer oder für die verschiedenen (Wissenschafts-)Disziplinen wie etwa die Soziologie. Design hat einen Auftraggeber und über diesen viele »Kunden-Kunden«. Auch wenn man unter Design in der Öffentlichkeit meist Produktdesign versteht, geht es natürlich weit darüber hinaus: Grafik-, Medien- und Kommunikationsdesign, Mode Design, Game Design, Service Design, Interface Design, Webdesign, Editorial Design … Ein Informationsdesign könnte immer wichtiger werden, wenn es darum geht, wie bestimmte »Dinge«, Daten und Sachverhalte abbildbar werden und abgebildet werden. In Zeiten von Big Data ein spannendes Thema, wobei auch hier eine politische Dimension schon allein darin stecken könnte, gerade den Weg zu diesen Ergebnissen und Visualisierungen hin öffentlich darzustellen. Die Digitalisierung fördert durch ihre Formeln auch die Undurchschaubarkeit ihrer Formatierungen – darin stecken mancherlei Nutzen und Risiken: Formatierungen sind immer auch Filter.

Relevanz

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Es geht deshalb in Zukunft eben auch darum, »Datenströme, Algorithmen und Datenauswertungen« selbst »wahrnehmbar, lesbar zu machen und damit Orientierungsleistung herzustellen«.2 Das sind Aspekte, die unmittelbar zu einem DatenDesign gehören. Eine ganz andere, neue, zusätzliche, wichtige und verantwortungsvolle Rolle. Und die kann nur von Wert sein, wenn sie auf Werten wie Menschlichkeit basiert. Im Gegensatz zu anderen Disziplinen, in denen das Prospektive eher in der Extrapolation errechnet wird, »denkt« Design in Möglichkeiten, Optionen, Chancen, Alternativen – multilateral und ergebnisoffen. Das trägt zutiefst und wesensmäßig den Möglichkeitssinn in sich. Diese Möglichkeiten auszuschöpfen mag mitunter zu Situationen führen, wie wir sie aus Dürrenmatts Die Physiker kennen. Nicht alles, was möglich ist, muss auch richtig sein – das abzuwägen braucht ein Maß, einen Maßstab, den Werte bieten können. Technische Machbarkeit alleine kann kein Argument sein. Dieses Buch mag ein Anstoß sein, über diese Dinge nachzudenken. Es ist kein Lehrbuch und auch kein Fachbuch im klassischen Sinn – es ist eine Darstellung von Aspekten und Zusammenhängen, die bestimmte Anforderungen, Chancen, Optionen und Aufforderungen anschaulich macht. Selbstredend ist es dabei alles andere als vollständig, noch nicht einmal umfassend und vermutlich von und an vielen Stellen angreifbar. Aber das macht nichts, wenn es im besten Popper’schen Sinn dazu führt, dass jemand anders daraufhin ein besseres Buch schreibt, hat es sich bereits gelohnt. Es geht also darum, diese Fragen in den Kontext Design zu bringen und so die Basis für eine Diskussion, einen Diskurs zu schaffen, der vielleicht einmal in einen »Imperativ« münden kann. Es möchte konkret Mittel, Möglichkeiten und Methoden vorstellen, die zur tagtäglichen Arbeit des Designers etwas

Hubert Matt »FFF Entwurf einer Begriffskonstellation als Anregung für eine aktuelle Designdiskussion«. FH Vorarlberg, 2018. S. 85 f.

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Möglichkeitssinn

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beitragen. Damit soll es helfen, neben guter Gestaltung auch das zu schaffen, was eigentlich jeder und jedem das Wichtigste sein sollte: Sinn. Wenn von Gestaltern und Designern gesprochen wird, also dem Gattungsbegriff, sei es erlaubt, nicht von Gestalterinnen und Gestaltern oder von Designerinnen und Designern zu sprechen, die ansonsten natürlich immer unabhängig vom Geschlecht gemeint und gedacht sind. Und um ein Stück weit die Voraussetzungen, Perspektiven und Annahmen im wahrsten Sinne besser verorten zu können, sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass die Betrachtungen auf dem deutschsprachigen Raum liegen und von dort ausgehend das »wohlhabendere Mitteleuropa« einschließen. Design und Gestaltung werden hier nicht gleichgesetzt, obgleich es sonst die fast einzige Möglichkeit ist, sprachlich etwas zu variieren und Wortwiederholungen zu vermeiden. In diesem Buch ist jede Designerin und jeder Designer auch Gestalter – aber nicht jeder Gestalter eine Designerin oder ein Designer. Was eine mitunter schöne, manchmal aber auch frustrierende Einsicht ist, weil nämlich Unternehmer und Bürgermeister mehr gestalten, als mancher Designer! Zu denen übrigens aus der Perspektive hier ganz grundsätzlich alle Designer gehören, bis hin zum Architekten als »Gebäude- und Platzdesigner« – wahrlich einem der einflussreichsten Gestalter. Eine andere Frage ist, warum sich gerade die Designer und Architekten seit einiger Zeit verstärkt um das Werte-Thema kümmern? Warum machen das die Elektriker nicht? Ober Straßenbaufirmen? Die Paketdienstfahrer? Zum einen dürfte das am jeweiligen Einfluss liegen, den man hat oder zu haben glaubt, zum anderen hat dieser Aspekt in anderen Kontexten oder Berufen oft nur einen anderen Namen. Manchmal einen verständlicheren. Denn ist jemand, der eine Bio-Bäckerei und

Design und Gestaltung

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ein Bio-Café betreibt, oder ein biologisch arbeitender Landwirt nicht auch und erst recht werteorientiert? Nimmt sie oder er gegebenenfalls nicht eine ganze Reihe von Nachteilen dafür in Kauf? Da kann der Verdacht aufkommen, die einen handeln ganz konkret und praktisch – und die anderen reden vor allem. Immerhin kommt man damit wieder an den Punkt des Imperativs. Dieses Buch ist von der Einsicht getragen, dass manches – nicht erst in Zukunft – so nicht mehr funktionieren und nicht mehr tragbar sein kann. Weil eben niemand in einem unglücklichen Umfeld wirklich glücklich sein kann, stellt sich eben die Frage, welche Rolle Design bei der Gestaltung unserer Umwelt spielen will. Geht es um ein marketing-getriebenes Design, das als eine Art Exekutive der neoliberalen Ökonomie nur an Umsatz und Verkaufszahlen interessiert ist? Oder um ein Design, das sich an Werten orientiert und einen – wenn auch noch so kleinen – Beitrag leisten will, hin zu wirklicher Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit, zu einer Menschlichkeit? Das einen Wandel ermöglichen will, vom Maßlosen zum Sinnhaften, vom Lebensstandard zur Lebensqualität. Design ist politisch! Es ist deshalb besser, Schönes zu gestalten, aber auch noch schöner, besser zu gestalten. Andreas Koop Rückholz, Januar 2019

Vom Lebensstandard zur Lebensqualität

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I

Warum wir eine werteorientierte Gestaltung brauchen

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Immer mehr oder mehr in Maßen?

Design kommt, wie im Grunde die ganze Ökonomie, mit der sie oft unmittelbar zusammenhängt, aus einer relativen Unschuld daher. Es ging einmal um die Befriedigung von Bedürfnissen. Nur wurden diese trotz oder mit ihrer Erfüllung immer größer – eine gewisse Maßlosigkeit scheint unübersehbar. Musste man früher einmal hungrige Menschen satt machen, ist es heute in Mitteleuropa umgekehrt. Ein Phänomen, das Industrie und Politik nicht ungern sehen: Wirtschaftswachstum ist – auch wenn jedem klar ist, dass nichts ewig wachsen kann – ein zentrales und erklärtes Staatsziel in Deutschland. Hat die »Über-Technologisierung« unserer Welt, insbesondere der kapitalistischen, neoliberal gewordenen, diese Unschuld vertrieben? Oder hat das Verschwinden der Unschuld diese extreme Technikorientierung hervorgebracht? Ein Autohersteller wollte einmal Autos verkaufen, das kann man ihm nicht übel nehmen, und auch die gesellschaftlichen Folgen und der Einfluss auf die Umwelt beziehungsweise Lebenswelt der Menschen in der Stadt waren in bemerkenswerter Weise erst einmal positiv – man sah es als großen Fortschritt, dass die Straßen der Städte jetzt endlich nicht mehr von Pferdekot übersät waren.3 Der geringe und natürlich auch höchst ungleich verteilte Wohlstand schützte die Menschen gewissermaßen vor sich selbst – die Kaufkraft regulierte letztlich die Nachfrage und das Produktionsvolumen und damit einhergehend auch das Volumen des Ressourcenverbrauchs, der Emissionen, des Mülls für diesen Fortschritt.4 Und es gab auch noch richtige, wenn auch in der Realisierung alles andere als unproblematische Visionen, wie eben die der individuellen Mobilität und einer selbstbestimmten Fortbewegung. →▪

Bedürfnisbefriedigung

→▪ verweist auf die dazu passenden Abbildungen/Grafiken

3 Welzer, Harald: Selbst Denken – Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt/ Main, 2015. S. 106 f. 4 Siehe auch den Artikel »Gutes von gestern – Nachhaltigkeit war früher ganz selbstverständlich. Heute geht es vor allem um Ego und Lifestyle – und nebenbei um die Rettung der Welt« (Süddeutsche Zeitung Nr. 236 vom 13./14. Oktober 2018. S. 45)

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Utopien sind in mehrerlei Hinsicht etwas Faszinierendes, da sie »rationale Fiktionen menschlicher Gemeinwesen […] in kritischer Absicht den herrschenden Missständen gegenüber« stellen.5 Doch es scheint, dass uns für den prospektiven Teil langsam die Ideen ausgehen und dies oft nur noch zu einem reinen Skalieren oder Variieren führt: Das Auto wird immer größer, ist in immer mehr Farben erhältlich und hat ein paar meist marginale Funktionen mehr. Infrage gestellt wird es aber nicht. Je mehr die Menschheit an technischen Entwicklungen, Wohlstand, Wissen etc. erreicht hat, desto schwerer wird es, überhaupt noch utopisch-visionär zu denken. Es ist bemerkenswert, dass selbst »Q«, der geniale Entwickler seiner königlichen Majestät, in 007 eigentlich auch nichts wirklich Neues mehr einfiel. Ihm kam der Ruhestand vermutlich ebenso recht wie dem Drehbuchschreiber. Dabei war das immer ein spannender Moment: Was hatte sich der Alte, heute durch einen Digital-Nerd ersetzt, wieder an (fast) Unmöglichem einfallen lassen? Faszinierend ist, oder vielmehr war, wie solche Ideen aus den 1960er-Jahren heute Normalität wurden: zum Beispiel der grün-monochrome Monitor mit einer Landkarte im Cockpit – heute gibt es Navigationsgeräte in Farbe für keine hundert Euro überall zu kaufen. Bei Spectre ist es eine Uhr als Bombe mit Zeitzünder und ein implantierter Chip zur Überwachung des Gesundheitszustands des Agenten mit Ortungsfunktion. Den Chip hat inzwischen ein reinrassiger Schäferhund auch schon, oder mancher Club als Einlass- und Zahlungsfunktion. Stattdessen Auftritte von Bond in 1920er-Jahre Klamotten im Louis TrenkerStil. Und zum recht bald versenkten Aston Martin DB10 musste am Ende unbedingt noch ein DB5 aus den 1960erJahren erscheinen. Was bedeutet das? Zeigt es einen Verlust an Zukunft? Haben wir keine Vorstellung mehr davon, was kommen könnte? Was möglich werden könnte? Was erstrebenswert wäre? Ist, weil alles möglich, nichts mehr möglich? Wie aberwitzig, durchaus im besten Sinn, manche Visionen waren, zeigt sich gerade deutlich rückblickend: Bill Gates verkündete den Personal Computer, den einst jeder haben sollte, der in jeder Wohnung, jedem Büro stehen werde – Ideenlosigkeit

Als Werbung noch Information war – Opel baut Autos, bei Kandl kann man sie kaufen oder dort in die Werkstatt bringen (Wien um 1960). Heute bietet alleine der Opel »Adam« eine individuelle Auswahlmöglichkeit von 65.000 Gestaltungsvarianten außen und 85.000 für das Interieur.

Schölderle, Thomas: Geschichte der Utopie. Köln, 2017. S. 17

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noch bevor es überhaupt wirkliche Anwendungen und Programme dafür gab. Wie banal, beinahe langweilig, allerdings größenwahnsinnig und nur mehr auf Geld und Macht ausgerichtet dagegen sind Unternehmensvisionen wie die von Amazon oder Facebook. Eine Zäsur waren in mehrfacher Hinsicht die 1970er-Jahre.6 Als die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, der, sarkastischrealistisch betrachtet, natürlich immer auch Nachfrage schafft – vorher, während und nachher – und deshalb bei manchen gar nicht so unbeliebt ist, überstanden und dessen Folgen langsam und mit vielen Anstrengungen überwunden waren, folgten schließlich die großen Schritte »nach vorne«. Gerade dann, als bereits, endlich und mittlerweile ein gewisser, heute natürlich als sehr bescheiden betrachteter Wohlstand erreicht war. Es war die Zeit, in der ein bemerkenswertes politisches Modell in Deutschland geschaffen und praktiziert wurde: die soziale Marktwirtschaft (wie auch im »New Deal« der 1930er-Jahre in den USA). Sie erscheint, obgleich die teilweise ja dramatischen »Schwächen« des kommunistischen und kapitalistischen Systems – aus damaliger Perspektive – noch gar nicht wirklich sichtbar und absehbar waren, heute wie ein Versuch des Ausbalancierens dieser Extreme. Eine erst recht heute wieder reizvolle Alternative. Nach und nach kam zwar immer stärker die Effizienz, das Mehr ins Spiel. Von dem aber immerhin ein Großteil der Bevölkerung noch etwas hatte – ganz im Gegensatz zu heute. →▪ In den 1970er-Jahren allerdings kippte es langsam, das Kapitalistische gewann an Einfluss, zuerst schleichend, dann offensiv – der Beginn des Shareholder-Value-Denkens. Es war zudem die Zeit, in der, mit enormen Konsequenzen, Verbraucherkredite langsam hoffähig wurden. Man musste also nicht mehr zuerst das Geld haben und konnte sich dann etwas kaufen – das sorgte für Nachfrage gerade bei den größeren Anschaffungen wie Auto oder Haus.7 Die wirklichen Lücken auf dem Markt dessen, was man noch alles haben sollte oder auch konnte, wurden langsam kleiner. Es brauchte also mehr Marketing. Womit eine Entwicklung eingeläutet wurde, die auch Soziale Marktwirtschaft

↪ Zentralbanken In Großbritannien kann man das Datum, an dem der Finanzsektor aus dem Ruder zu laufen begann und Krisen »systemisch« wurden, genau benennen: der September 1971. Hier wurde (ohne das Parlament zu fragen) beschlossen, auf eine Kontrolle bei der Kreditschöpfung zu verzichten. Die Theorie und das Ziel waren: Der Wettbewerb, der Markt werde alles Weitere selbst regeln. Wie viel Kredit geschaffen wird, wer ihn bekommen darf und zu welchen Konditionen etc. In den USA geschah dies parallel zur gleichen Zeit. (Quelle: der Freitag Nr. 39 vom 27.09.2018. S. 20)

6 Vgl. auch Žižek, Slavoj: Ärger im Paradies – Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus. Frankfurt/Main, 2016. S. 240–241. Er sieht die Zäsur vor allem ab 1975 – und nochmals nach dem Ende des Kommunismus. 7 Über 80 Prozent aller Neuwagen wurden in 2017 in Deutschland über Darlehen oder Leasing finanziert. Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/39424/umfrage/ finanzierung-von-privaten-neu--undgebrauchtwagen/ (Stand 14.02.2019)

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innerhalb des Designs einschneidend war: das Aufkommen der großen, oft aus den Vereinigten Staaten heraus expandierenden Werbeagenturen. Davon erzählen alle porträtierten Gebrauchsgrafiker in der Reihe design|er|leben8 – ihnen machte das arg zu schaffen. Denn diese Agenturen gingen massiv in Vorleistung, präsentierten wirkmächtig Kampagnen und boten einen »Full-Service« bis hin zur Schaltung und Organisation aller Maßnahmen. Da konnten die meist alleine arbeitenden Grafiker und ihre oft beinahe naiv und direkt »abbildende« Werbung nicht mehr mithalten. Mit dieser neuen Rolle des Marketings drehte sich die grundlegende Logik schließlich um: Nicht mehr die mehr oder weniger »echten« Bedürfnisse definierten und bestimmten das Angebot, sondern das ständig sich vergrößernde Angebot schuf erst diese Bedürfnisse.

Bemerkenswert sind die Zäsuren um 1900, in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und um 1970 – einige Kurven sind heute eingebrochen wie zum Beispiel beim Fischfang. Der Grund ist hier aber weniger Einsicht oder Verzicht, sondern überfischte Meere, in denen sich die Bestände nicht mehr erholen können. Die Kurven zeigen beispielsweise die CO2/ N2O/CH4-Konzentration in der Atmosphäre, den Papier-/Wasserverbrauch, Dammbauten in Flüssen, den Verlust von Regenwäldern und das Bruttosozialprodukt …

Buchreihe, herausgegeben von designaustria; mittlerweile liegen 19 Bände über verschiedene GestalterInnen aus Österreich vor. Mehr unter: http://www.designaustria.at/94-design-er-leben (Stand: 27.07.2016)

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Im Bereich des Digitalen ergibt sich eine andere, nochmals eigentümlichere Situation: Es gibt so viele technische Möglichkeiten, aber so wenige sinnvolle Anwendungen dafür! Sensoren, Mess- und Steuergeräte – alles Bereiche, in die Google und Nachfrageerzeugung

2000

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Co. schon vor Jahren massiv investiert haben – kosten heute nichts mehr, ihre digitale Anbindung ist ohne viel Aufwand machbar, das Internet vernetzt, das Smartphone steuert … alles Dinge, an denen man vor wenigen Jahrzehnten noch scheiterte und die heute weitgehend gelöst sind. Aber keiner weiß im privaten Bereich so recht wozu. Sicher, die Smart Homes kommen, aber so viel Aufwand für eine aus der Ferne schaltbare Heizung und Verschattung? Ab und zu gelingt etwas, und ein Saug- oder Mähroboter erblickt surrend das Licht der Welt. Große Freude für alle, Entwickler und Kunden scheinen gleichermaßen glücklich über etwas, das sich zu Ver-/Kaufen lohnt. Dumm nur für den Igel: Nach dem Auto wurde der Mähroboter jetzt zu seinem größten Feind. Aber für den Fortschritt mussten eben schon immer Opfer gebracht werden! Beeindruckend und erschreckend zugleich, sind mittlerweile diese zuvor erwähnten »Lücken« eigentlich alle restlos verschwunden, und es bedarf tatsächlich großer Anstrengungen, noch welche zu sehen oder zu schaffen. →▪ So war das Fahrrad anfangs ein Gebrauchsgegenstand und noch kein »Statement« wie heute das Mountainbike, mit dem völlig neue Märkte entstanden und das sich zu einem Hightech-Produkt entwickelte, für das kaum jemand früher auch nur annähernd so viel Geld ausgegeben hätte. Mit dem E-Bike haben sich nochmals neue Möglichkeiten eröffnet, die ein eigenes Kapitel füllen würden. Ihr Anteil wächst so unglaublich, dass die Frage, ob jemand zwei-, drei-, viertausend Euro dafür ausgibt, sich wie von selbst beantwortet. Ein ähnlich großes Potenzial schuf der Kaffee-Vollautomat für Privathaushalte, mittlerweile fast schon Standard – weshalb inzwischen das Aufbrühen gerade wieder cool wird. Das Grillen schien noch Luft nach oben zu haben, woraus ein Angebot entstand, das in keinem Verhältnis zu den wenigen schönen Tagen des Sommers steht, an denen man auch noch Zeit hat. Die Frage ist also nach wie vor: Was könnte das Nächste sein?

Digitale Möglichkeiten

↪ »Müssen nur wollen«: Muss ich immer alles müssen, was ich kann / Eine Hand trägt die Welt, die andere bietet Getränke an / Ich kann mit allen zehn Füßen in zwanzig Türen / Und mit dem 11. in der Nase Ballette aufführen / Aber wenn ich könnte, wie ich wollte, würd ich gar nichts wollen / Ich weiß aber, dass alle etwas wollen sollen / Wir können alles schaffen genau wie die toll / Dressierten Affen, wir müssen nur wollen / Wir müssen nur wollen […] Müssen nur / Muss ich immer alles müssen, was ich kann / Eine Hand in den Sternen, die andre am Hintern vom Vordermann / Das ist das Land der begrenzten Unmöglichkeiten / Wir können Pferde ohne Beine rückwärts reiten / Wir können alles, was zu eng ist, mit dem Schlagbohrer weiten / Können glücklich sein und trotzdem Konzerne leiten / Wir können alles schaffen genau wie die toll / Dressierten Affen, wir müssen nur wollen / Wir müssen nur wollen […] Aber wenn ich könnte, wie ich wollte / Würd’ ich gar nichts wollen / Ich weiß aber, dass alle etwas wollen soll’n Wir sind Helden

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Fahrzeug-Programm VW 2018 up! take up! 1.0 move up! 1.0 move up! 1.0 TSI OPF high up! 1.0 high up! 1.0 TSI OPF cross up! 1.0 cross up! 1.0 TSI OPF GTI 1.0 TSI OPF join up! 1.0 join up! 1.0 TSI OPF eco join up! 1.0 up! beats 1.0 up! beats 1.0 TSI OPF spice up! black 1.0 spice up! black 1.0 TSI OPF spice up! white 1.0 spice up! white 1.0 TSI OPF eco spice up! black 1.0 eco spice up! white 1.0 eco take up! 1.0 eco move up! 1.0 Polo Trendline 1.0 Trendline 1.6 TDI SCR Comfortline 1.0 Comfortline 1.0 TSI OPF Comfortline 1.6 TDI SCR Highline 1.0 TSI OPF Highline 1.6 TDI SCR GTI 2.0 TSI OPF Polo "beats" 1.0 Polo "beats" 1.0 TSI OPF Polo "beats" 1.6 TDI SCR Polo "JOIN" 1.0 Polo "JOIN" 1.0 TSI OPF Polo "JOIN" 1.6 TDI SCR Golf Trendline 1.0 TSI OPF Trendline 1.6 TDI SCR Comfortline 1.0 TSI OPF Comfortline 1.5 TSI ACT OPF BlueMotion Comfortline 1.5 TSI ACT OPF Comfortline 1.6 TDI SCR Comfortline 2.0 TDI SCR Comfortline 2.0 TDI SCR 4MOTION Highline 1.5 TSI ACT OPF BlueMotion Highline 1.5 TSI ACT OPF Highline 2.0 TDI SCR Highline 2.0 TDI SCR 4MOTION GTI "Performance" 2.0 TSI OPF e-Golf Golf "JOIN" 1.0 TSI OPF Golf "JOIN" 1.5 TSI ACT OPF BlueMotion Golf "JOIN" 1.5 TSI ACT OPF Golf "JOIN" 1.6 TDI SCR Golf "JOIN" 2.0 TDI SCR Golf "JOIN" 2.0 TDI SCR 4MOTION T-Roc T-Rock 1.0 TSI OPF T-Rock 1.5 TSI ACT OPF T-Rock 1.6 TDI SCR T-Rock Style 1.0 TSI OPF T-Rock Style 1.5 TSI ACT OPF T-Rock Style 1.5 TSI ACT OPF 4MOTION T-Rock Style 1.6 TDI SCR T-Rock Style 2.0 TDI SCR T-Rock Style 2.0 TDI SCR 4MOTION T-Rock Sport 1.5 TSI ACT OPF T-Rock Sport 1.5 TSI ACT OPF 4MOTION T-Rock Sport 2.0 TSI OPF 4MOTION T-Rock Sport 2.0 TDI SCR T-Rock Sport 2.0 TDI SCR 4MOTION

Angebotsvielfalt

Golf Sportsvan Trendline 1.0 TSI OPF Trendline 1.6 TDI SCR Comfortline 1.0 TSI OPF Comfortline 1.5 TSI ACT OPF Comfortline 1.6 TDI SCR Comfortline 2.0 TDI SCR Highline 1.5 TSI ACT OPF Highline 1.5 2.0 TDI SCR Der Golf Sportsvan "JOIN" 1.0 TSI OPF Der Golf Sportsvan "JOIN" 1.5 TSI ACT OPF Der Golf Sportsvan "JOIN" 1.6 TDI SCR Der Golf Sportsvan "JOIN" 2.0 TDI SCR Golf Variant Golf Variant Trendline 1.0 TSI OPF Golf Variant Trendline 1.6 TDI SCR Golf Variant Comfortline 1.0 TSI OPF Golf Variant Comfortline 1.5 TSI ACT OPF BlueMotion Golf Variant Comfortline 1.5 TSI ACT OPF Golf Variant Comfortline 1.6 TDI SCR Golf Variant Comfortline 2.0 TDI SCR Golf V. Comfortl. 2.0 TDI SCR 4MOTION Golf V. Highl. 1.5 TSI ACT OPF BlueMotion Golf Variant Highline 1.5 TSI ACT OPF Golf Variant Highline 2.0 TDI SCR Golf V. Highline 2.0 TDI SCR 4MOTION Golf V. Alltrack 2.0 TDI SCR 4MOTION Golf Variant R 2.0 TSI OPF 4MOTION Golf Variant "JOIN" 1.0 TSI OPF Golf V. "JOIN" 1.5 TSI ACT OPF BlueMot. Golf Variant "JOIN" 1.5 TSI ACT OPF Golf Variant "JOIN" 1.6 TDI SCR Golf Variant "JOIN" 2.0 TDI SCR Golf V. "JOIN" 2.0 TDI SCR 4MOTION Touran Touran Trendline 1.6 TDI SCR Touran Comfortline 1.5 TSI ACT OPF Touran Comfortline 1.5 1.6 TDI SCR Touran Comfortline 1.5 2.0 TDI SCR Touran Highline 1.5 TSI ACT OPF Touran Highline 2.0 TDI SCR Touran "JOIN" 1.5 TSI ACT OPF Touran "JOIN" 1.6 TDI SCR Touran "JOIN" 2.0 TDI SCR Tiguan Tiguan Trendline 1.5 TSI ACT OPF Tiguan Trendline 2.0 TDI SCR Tiguan Trendline 2.0 TDI SCR 4MOTION Tiguan Comfortline 1.5 TSI ACT OPF Tiguan Comfortline 2.0 TDI SCR Tiguan Comfortl. 2.0 TDI SCR 4MOTION Tiguan Highline 2.0 TSI OPF 4MOTION Tiguan Highline 2.0 TDI SCR Tiguan Highline 2.0 TDI SCR 4MOTION Tiguan "JOIN" 1.5 TSI ACT OPF Tiguan "JOIN" 2.0 TDI SCR Tiguan "JOIN" 2.0 TDI SCR 4MOTION Tiguan "OFFROAD" 2.0 TDI SCR 4MOT. Tiguan Allspace Tiguan Allspace Trendline 1.5 TSI ACT OPF Tiguan Allspace Trendline 2.0 TDI SCR Tiguan All. Trendl. 2.0 TDI SCR 4MOTION Tiguan All. Comfortline 1.5 TSI ACT OPF Tiguan Allspace Comfortline 2.0 TDI SCR Tiguan All. Comf. 2.0 TDI SCR 4MOTION Tiguan All. Highl. 2.0 TDI SCR 4MOTION

Passat Passat Trendline 2.0 TDI SCR Passat Comfortline 1.5 TSI OPF Passat Comfortline 2.0 TDI SCR Passat Comfortl. 2.0 TDI SCR 4MOTION Passat Highline 1.5 TSI OPF Passat Highline 2.0 TSI OPF 4MOTION Passat Highline 2.0 TDI SCR Passat Highline 2.0 TDI SCR 4MOTION Passat Variant Passat Variant Trendline 2.0 TDI SCR Passat Variant Comfortline 1.5 TSI OPF Passat Variant Comfortline 2.0 TDI SCR Passat V. Comfort. 2.0 TDI SCR 4MOTION Passat Variant Highline 1.5 TSI OPF Passat V. Highline 2.0 TSI OPF 4MOTION Passat Variant Highline 2.0 TDI SCR Passat V. Highline 2.0 TDI SCR 4MOTION Passat V. Alltrack 2.0 TSI OPF 4MOTION Passat V. Alltrack 2.0 TDI SCR 4MOTION

Übersicht aller VW-Modelle aus dem Jahr 1978 und 2018 – eine Entwicklung, die so auch bei den anderen Herstellern zu beobachten ist und auf viele andere Branchen übertragen werden kann. Die Nachfrage kann kaum eine solche Angebotsvielfalt schaffen – mittlerweile erzeugt deshalb weit mehr das Angebot die entsprechende Nachfrage.

Arteon Arteon 1.5 TSI ACT OPF Arteon 2.0 TDI SCR Arteon Elegance 1.5 TSI ACT OPF Arteon Elegance 2.0 TSI OPF 4MOTION Arteon Elegance 2.0 TDI SCR Arteon Elegance 2.0 TDI SCR 4MOTION Arteon R-Line 2.0 TSI OPF 4MOTION Arteon R-Line 2.0 TDI SCR Arteon R-Line 2.0 TDI SCR 4MOTION Sharan Sharan Trendline 1.4 TSI OPF Sharan Trendline 2.0 TDI SCR Sharan Comfortline 1.4 TSI OPF Sharan Comfortline 2.0 TDI SCR Sharan Highline 1.4 TSI OPF Sharan Highline 2.0 TDI SCR Sharan "JOIN" 1.4 TSI OPF Sharan "JOIN" 2.0 TDI SCR Touareg Touareg V6 TDI Touareg V6 TDI 3.0 Touareg V6 TDI SCR 4MOTION

Fahrzeug-Programm VW 1978 VW Typ 181 VW Scirocco I Typ 53 VW Passat B1 (Typ 32/32A) VW LT Generation I VW Polo I Typ 86 VW Derby I Käfer Käfer 1303 LS Cabriolet Käfer 1303 LS Cabriolet (US) Käfer Speedster Käfer 1200 Käfer 1200 (Mexico) Iltis VW Iltis Typ 183 Golf VW Golf I Typ 17 VW Golf GTI I VW Golf GTD I Typ 17

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Haben also bis vor wenigen Jahrzehnten verschiedene Restriktionen für eine gewisse Nachhaltigkeit gesorgt, werden heute zwar in der Regel pro hergestellter Einheit weniger Energie und Rohstoffe verbraucht, was aber durch die um ein Vielfaches gestiegenen Einheiten längst schon wieder »kompensiert« wird. Blickt man auf unsere Zeit, muss man zudem tragischerweise feststellen, dass besonders die beiden Hauptakteure des expansiven Weges, des »immer mehr«, also die Konzerne mit freundlicher Unterstützung der Politik, selbst das Thema und den Begriff der Nachhaltigkeit gründlich diskreditiert haben: Wenn Firmen wie Lufthansa oder RWE separat vom Geschäftsbericht noch einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen, ist das fast so etwas wie praktizierte Ironie. Im Geschäftsbericht möchte man die größten Steigerungsraten und Gewinne ausweisen – im Umweltbericht die Anstrengungen auf dem Bereich der Nachhaltigkeit. Hier das Mehr, dort das Weniger, oder wenigstens eine »Steigerung des Weniger«! Doch wird ein Luftfahrtunternehmen vor allem durch ein Mehr an Leistungen, ergo der transportierten Menschen und Güter gemessen. Dass damit ein elementarer Beitrag geleistet wird, unser Klima auf der Erde zu ruinieren, ändert sich durch einige modernere und verbrauchsärmere Flugzeuge, die ja auch erst einmal produziert werden müssen, nicht entscheidend. Der Begriff »Nachhaltigkeit« kommt im Geschäftsbericht der Bayer AG insgesamt 94 Mal vor – das entspricht der Sorglosigkeit, man könnte auch sagen Rücksichtslosigkeit, mit der diese Konzerne ihre Produkte in die Welt entlassen. An ihren Absichten könnte man also nicht nur zweifeln, sondern verzweifeln.9 Interessant auch, dass man bei der Bayer AG, dem zweitgrößten Chemiekonzern in Deutschland, dazu überging, den eigens produzierten Nachhaltigkeitsbericht in den (normalen) Jahresbericht einzugliedern – er heißt jetzt »integrierter Geschäftsbericht«. Das wirkt fast schon einsichtig!10 Die Frage, die sich aufdrängt, ist aber einfach zu stellen: Was soll das? Natürlich kann man sagen: Immerhin müssen sich die Konzerne mit diesen Fragen jetzt auseinandersetzen und sich den Realitäten stellen, sich gegebenenfalls nach gewissen Standards11 messen lassen, nicht nur mit dem Vorjahr, sondern mit den Wettbewerbern und womöglich Nachhaltigkeitsberichte

↪ »Flughafen-Gigantonomie« Der neue Flughafen von Istanbul soll 140 Millionen Passagiere pro Jahr abfertigen. Damit wäre er nach den nächsten anstehenden Ausbauten nach Peking Daxing (2019) mit geschätzt 150 Mio. und Dubai (2020 bis 2025) mit 200 bis 220 Mio. geplanten Abfertigungen der drittgrößte auf der Welt. Der Flugverkehr – und größtmöglich legal machbare Schaden am Klima – stieg von 1,6 Mrd. abgefertigten Passagieren im Jahr 2000 und 2,2 Mrd. 2008 auf 3,9 Mrd. im Jahr 2017. Tendenz weiter steigend. (Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr. 227 vom 2./3. Oktober 2018. S. 6). In Swissqoute, Ausgabe Dezember 2018, wird für 2037 ein Volumen von 5,7 bis 10,3 Mrd. Passagieren prognostiziert!

9 Vgl. das Kapitel »Das Verschwinden der Bienen« (S. 231 f.) in dem Buch Wenn der Nagekäfer zweimal klopft von Dave Goulson (München, Hanser Verlag, 2016) – es gibt einen guten Einblick in das Geschäft mit Pestiziden, deren Zulassung und die wissenschaftlichen Untersuchungen darüber. 10 BAYER schreibt: »Seit dem Geschäftsbericht 2013 führen wir erstmals unsere jährliche Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung in einem Integrierten Geschäftsbericht zusammen. Damit möchten wir die Wechselwirkungen zwischen finanziellen, ökologischen und gesellschaftlichen Faktoren verdeutlichen und deren Einfluss auf unseren langfristigen Unternehmenserfolg hervorheben.« siehe http://www. investor.bayer.de/de/berichte/nachhaltig keitsberichte (Stand: 25.07.2016) 11 Die Leitlinien (GRI Guidelines) der Global Reporting Initiative (GRI) haben sich international als Standard einer Berichterstattung über Nachhaltigkeit etabliert.

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durch Fondsmanager und institutionelle Investoren. Bei ihnen beginnt sich ganz langsam etwas zu ändern, vermutlich eben aus der Einsicht heraus, dass diese Wirtschaftsweise langfristig nicht erfolgreich sein kann. Doch wie auch immer: Eine solche Nachhaltigkeitsberichterstattung, in der ja der die größten Reduktionen und Senkungen vorweisen kann, der paradoxerweise vorher umso sorgloser und rücksichtsloser gewirtschaftet hat, bleibt letztlich eine Farce, wenn die »externalisierten Kosten« überhaupt nicht berücksichtigt werden. Sie sind weiterhin von der Gemeinschaft zu tragen und nicht vom Verursacher! Und ein weiterer Widerspruch in sich ist es, dass sich der Vorstand einer Aktiengesellschaft tatsächlich strafbar machen würde, sollte er gegen die Interessen des Unternehmens beziehungsweise seiner Eigentümer handeln, also der Aktionäre. Unternimmt die Geschäftsführung mehr als gesetzlich notwendig und vorgeschrieben und investiert beispielsweise zusätzliches Geld in den Umweltschutz, wäre sie angreifbar und gegebenenfalls sogar regresspflichtig! Bei den Autokonzernen wurde die Gier allerdings so groß, dass die Staatsanwaltschaft handeln musste und unter anderem ein Audi-Manager wegen des Abgasskandals in Untersuchungshaft kam. Sicherlich wird die Branche, deren Bedeutung nicht annähernd so groß ist wie ihre Lobby, von einer Politik weiterhin geschützt – die durchaus gerade jetzt nach einem »Bauernopfer« verlangen könnte. Schließlich hat man zuvor alle wichtigen Entwicklungen verschlafen und versucht jetzt, durch kriminelles Verhalten zu retten, was zu retten ist. Man hat dem Land ökonomisch und in seiner Vertrauenswürdigkeit geschadet. Das alles sind Themen, bei denen sich auch die Nachhaltigkeitsfonds schwertun werden. Zudem dürfte man ja eigentlich nicht nur die Emissionen für sich betrachten, sondern auch überlegen, ob die Produkte überhaupt notwendig und sinnvoll sind – ein auf die Energie und Ressourcen schonendste Weise hergestelltes Produkt, das doch eigentlich keiner braucht, ist, im Ganzen gesehen, auch dann noch alles andere als umweltfreundlich. Doch wer soll sich anmaßen festzulegen, was man braucht?12

↪ Externe Kosten/Effekte Pavan Sukhdev, ehemaliger Mitarbeiter der Deutschen Bank und jetziger WWF-Vorsitzender, antwortete auf eine Frage, was ihn denn an der »Welt des Geldes gestört« habe: Ich habe mich immer gewundert, warum manche Dinge einen Wert haben und andere nicht. Mir erscheint es bizarr, dass die Natur so viel für uns bereitstellt, das wertvoll ist. Pflanzen, Tiere, frisches Wasser, Lebensraum und vieles mehr. Das ist ein fundamentales Problem der Ökonomie. Die Natur schickt keine Rechnung, und alles, an dem kein Preisschild dranhängt, scheint für uns wertlos. Das ist verrückt und dumm. Die Wirtschaft betreibt Raubbau an der Natur, ohne dafür zu bezahlen. In der Ökonomie bezeichnet man diese Lücke in der Buchhaltung als externe Effekte.« (Süddeutsche Zeitung Nr. 221 vom 25.09.2018. S. 23)

Externalisierte Kosten

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In ein ähnliches Dilemma kommen auch zahlreiche Utopien, bei denen ein wichtiger Aspekt der Verzicht auf die Herstellung unnötiger oder unnützer Dinge ist. Nur, wer definiert diese? Und ist nicht manchmal auch das Unnütze besonders schön und reizvoll? Vgl. auch Schölderle, Thomas: Geschichte der Utopie. S. 157

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Bei dieser Thematik gibt es noch einen spannenden Punkt: Sieht man die Erfolgs- oder gar Existenzchancen eines Unternehmens langfristig, hat Nachhaltigkeit tatsächlich und faktisch wohl sogar einen monetären Vorteil – weil irgendwann bei endlichen Ressourcen und einer schon heute übernutzten Erde andere Kriterien eine Rolle spielen werden als der kurzfristige Gewinn. Genau deshalb sind wohl die erwähnten, ersten zaghaften Veränderungen bei den institutionellen Investoren zu beobachten. Doch wer fängt an, sein Verhalten, seine Strategie, seine Haltung grundlegend und langfristig auszurichten? Genauso, wie jeder Staat argumentiert, er könne kurzfristig keine substanziellen steuerlichen Korrekturen vornehmen, weil er seine Wettbewerbsfähigkeit damit schwächen würde und auf den ersten Blick damit also sogar der eigenen Gemeinschaft schadet, kann offenbar auch kein Unternehmen den Anfang machen. Doch sobald sich endlich die staatlich-steuerlichen Rahmenbedingungen änderten, wäre der Vorteil auf Seiten derer, die sich zeitig auf den Weg machen und gemacht haben. Eine »Gemeinwohl-Ökonomie« könnte deshalb ein Ziel sein, doch hat diese eine schlechte Ausgangslage, solange das Steuersystem nicht entsprechend verändert wird. Und dummerweise, das ist wirklich einer der aberwitzigen und frustrierenden Aspekte, hängt ja fast immer fast alles miteinander zusammen: Der Shareholder-Value wird eben nicht nur von Renditejägern und Heuschrecken gefordert, sondern letztlich von uns allen – die fondsgebundene Lebensversicherung etwa übt diesen Druck genauso aus. Ethische Anlagen dagegen sind rar und ein gutes Stück weit auch fragwürdig in ihren Kriterien, weil es offenbar kaum Alternativen gibt. Es sind diese Kreisläufe und Mechanismen, einmal offensichtlich, ein anderes Mal verdeckt und kaum zu erkennen, die ein »richtiges« Handeln so schwermachen. Was aber ist die Alternative dazu, als es trotzdem und erst recht zu versuchen, im vollen Bewusstsein aller Schwierigkeiten und Nachteile? Man wird bei seinen Kindern ja auch versuchen, Werte wie Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu vermitteln, und hoffen, dass sie diese verinnerlichen, gleich, ob die Welt sich nun genauso verhält oder nicht.

Gemeinwohl-Ökonmie

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Maß zu halten klingt natürlich immer spartanisch und spaßfrei, also wenig reizvoll. Das wird auch nicht besser, wenn man einen Experten des Maßhaltens bemüht: den heiligen Benedikt von Nursia. Seine im Jahr 540 verfasste regula benedicti hatte genau das zum Ziel und kann heute noch als Inspiration und Maßstab für ein intelligentes Wirtschaften dienen. Wenn nicht alles, nur weil es machbar ist, umgesetzt wird – oder gekauft wird, weil es käuflich ist. Vielleicht das Schönste an der Regel des Benedikt ist die Überzeugung, dass keine Regel über der Liebe stehen darf und dass jede Vorschrift angepasst werden kann, wenn sie sich nicht mehr bewährt. Könnte man sich auch für die Gesetzgebung wünschen!

↪ Wo das »immer schneller« parallel zum »immer mehr« eine Art Selbstzweck wurde: Konzerne wie Amazon arbeiten an der »Same-DayDelivery« – in den Metropolen ist geplant, sogar innerhalb von Stunden zu liefern. Doch was bitte, kann außer Medikamenten so wichtig sein, dass ich es schon morgen haben muss? Umso faszinierender das Gegenstück von John Cage: ein Musikstück so langsam aufzuführen wie möglich. Das Orgelstück heißt »ORGAN 2/ASLSP« – as slow as possible. Angelegt ist es auf 639 Jahre, aufgeführt wird es in Halberstadt.13

Was in diesem Zusammenhang behandelt werden muss, ist das Thema »grünes Wachstum«. Kann das vielleicht die Alternative sein? Denn es wäre ja eigentlich die Wunschvorstellung: im Grunde alles wie bisher, nur eben ein bisschen ökologischer. Weiterhin immer mehr, immer schneller – und immer grüner. Der Umbau der Ökonomie würde auf diese Weise sogar das Wirtschaftswachstum ankurbeln – aber natürlich ebenso den Energie- und Ressourcenverbrauch.14 Es hätte so schön sein können! Doch verbraucht alleine der Neubau von besseren Anlagen so viel zusätzliche Energie, die selbst auf lange Sicht kaum zu kompensieren ist. Von der Bundesstiftung Baukultur gibt es eine Studie, die zeigt, dass die energetische Renovierung eines 1960er-Jahre-Hauses im Ganzen gesehen ökologischer ist als dessen Abriss und der Bau eines Passivhauses – wohlgemerkt eines Gebäudes, das dann keine Energiezufuhr von außen mehr benötigt. Die große, nicht zu überschätzende Stärke des Kapitalismus ist seine Fähigkeit, quasi alles zu absorbieren – auch das scheinbar Gegensätzliche. Und daraus noch seinen Nutzen zu ziehen. Klar ist eine grüne(re) Ökonomie wünschenswert und immerhin ein Schritt, ein erster. Und sie hilft zumindest methodisch als gedankliches Modell, um dieses anders, das zwangsläufig ein Weniger sein wird, zu thematisieren. Wichtig, womöglich sogar zentral, wäre beim Aspekt des Weniger jedoch eine neue Vorstellung davon, was dies überhaupt beGrünes Wachstum?

Vgl. https://www.aslsp.org/de/ (Stand 05.10.2018) 14 Vgl. Paech, Niko, Befreiung vom Überfluss. München, 2015. S. 71 f.

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deuten könnte: gerade nicht gleich den Sprung zurück in die Steinzeit. Sondern beispielsweise ein mehr an Zeit, Gemeinschaft und Miteinander. Damit konkret über Alternativen nachgedacht werden kann – über die Folgen der herrschenden kapitalistischen Ökonomie muss man nicht mehr diskutieren, sie sind unübersehbar. Glücklicher werden die Menschen bei höherer Wirtschaftsleistung und Einkommen ohnehin nicht zwingend – und schon gar nicht ab einem gewissen Niveau. Denn es sind doch meist die nicht-monetären Dinge und Situationen, die wirkliches Glück bedeuten. Bei diesen Gedanken stellt sich eine Reihe weiterer Fragen: Braucht eine grüne Ökonomie dann auch ein grünes Design – und was hieße das? Was wäre dabei ökologisch? In welcher Hinsicht? Den Rechner mit Ökostrom zu betreiben wird wohl nicht reichen. Was heißt Nachhaltigkeit? Recyclebarkeit und Upcycling? Aus nachwachsenden Rohstoffen, mit regenerativen Energien hergestellt? Und energieeffizient? Doch fallen nicht alle mit »grün« beginnenden Wortkombinationen letztlich wieder zurück auf einen Begriff wie Sinn? Und da treffen sich die beiden Bereiche recht schnell. Wenn ein »grün« nur ein etwas ökologischer in einer ganz bestimmten Hinsicht bedeutet, nicht aber auch ein »Weniger«, wird man denselben Effekt haben: mehr Verbrauch von Energie und Ressourcen, mehr Müll und damit immer verbunden einen höheren Bedarf an Zeit für Auswahl und Aneignung.15 Also nur ein etwas weniger mehr. Jedes »grün« gestaltete und produzierte Objekt verbraucht dies alles bei Planung, Herstellung, Gebrauch, Entsorgung ebenso – es kann letztlich nur darum gehen, immer öfter nicht das nächste nachhaltigere und »richtige« Produkt zu kaufen, sondern gar nichts! Unterscheidet man also grüne Designer von konventionellen dadurch, dass die einen nur für sinnvolle Sachen arbeiten und die anderen für wen auch immer, wenn sie nur bezahlen? Oder arbeitet der grüne dann selbst zu ermäßigten Honoraren oder ehrenamtlich, wenn es gar nicht anders geht? Die Frage, wovon er dann lebt, darf an dieser Stelle kurz ignoriert werden. Oder arbeiten sie beide an den gleichen Aufgaben, der eine sucht dabei aber so etwas wie Sinn und versucht, durch seine Anstrengung und ÜberGrünes Design?

15 Im Forschungsprojekt der designgruppe koop zum Thema »Vielfalt« ist eine zentrale These: Gibt es eine solche künstliche Vielfalt auch deshalb, damit die Menschen mit der Auswahl beschäftigt sind – und sich nicht um wirklich Wichtiges kümmern? Von der Politik wird diese Entwicklung wenn nicht initiiert, so doch mindestens geduldet und begünstigt.

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zeugungsarbeit etwas mehr davon zu erreichen als der andere? Konstruiert der eine den kalkulierten Verschleiß ein, der andere eine leichte Erreichbarkeit und Austauschbarkeit von Teilen? Versucht er das gegen den Willen des Auftragsgebers, oder sucht er einen, der die gleichen Ziele und Werte hat? Effizienz ist einer der zentralen Begriffe in unserer Ökonomie, und in der Tat haben wir der Reduzierung von (Herstellungs-)Zeiten und Kosten einen großen Teil unseres Komforts und Lebensstandards zu verdanken. Merkwürdig aber, dass trotz immer effizienterer Produktionsanlagen und Maschinen der Verbrauch in Summe weiter steigt. Was in einem fossilen Zeitalter und einer gänzlich davon abhängigen Wirtschaft unmittelbar auch den entsprechenden CO2-Ausstoß bedeutete. Effizienz führt also nicht nur dazu, das quantitativ und qualitativ Gleiche mit weniger Aufwand und Mitteleinsatz zu fertigen, sondern, die damit gestiegenen Kapazitäten zu nutzen, um mehr zu produzieren. Mit dieser Produktivität wiederum steigt in Summe der Energieverbrauch kontinuierlich weiter an.16 Es gab in den letzten Jahrzehnten in Deutschland nur einmal einen nennenswerten Rückgang der CO2Emissionen: Das war 2009 als Folge der Weltwirtschaftskrise.17 Mit anderen Worten, einem Jahr des Nicht-Wachstums. Versucht man aber, überall faire Löhne zu bezahlen, Rohstoffe verantwortungsvoll zu gewinnen etc., führt dies am Ende zu höheren Preise und geringeren Gewinnen – weil die Margen nicht zu lasten anderer erst zum Schluss der Wertschöpfungskette hoch, sondern gerecht verteilt sind. Man sieht das recht gut am Fairphone.18 Und selbst dort gelingt das alles nicht perfekt – kein neues Smartphone zu kaufen, bleibt letztlich die einzig wirklich umweltschonende Variante. Immerhin, und auch dafür ist dieses Gerät ein gutes Beispiel, hat es intelligente Ansätze wie seine modulare Bauweise, die eine leichte Reparierbarkeit ermöglicht. Wobei man ja sagen muss: Ist das eigentlich wirklich so innovativ? Oder ist es nicht das, was eigentlich normal wäre? Doch meist ist, was wir als normal kennen, Ausdruck einer perfiden Denkweise.19 Wichtig sind hier die wirklichen, also tatsächlichen Kosten. Es sagt sich ja so leicht: »Auch eine gute Sache muss sich rechnen!« Das stimmt Effizienzsteigerung – und die Folgen

Paech, Befreiung vom Überfluss. S. 34 Umweltbundesamt 2015, Nationale Treibhausgas-Inventare 1990 bis 2014 (Stand: 01/2016) 18 http://www.fairphone.com. Das Smartphone »mit sozialen Werten« wird, soweit irgend möglich, fair und ökologisch vertretbar produziert. Vertrieben werden auch alle möglichen Ersatzteile, die einfach auszutauschen und einzubauen sind. 19 Koop, Andreas: »Faule Äpfel«. In: Novum, o. Jg. (2012), H. 6/2012, S. 19 16

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zwar im Grunde, doch wie soll es gehen, wenn die externen Kosten systematisch nicht berücksichtigt werden? Müssten all die konventionell wirtschaftenden Unternehmen und Landwirte für ihre Folgekosten aufkommen, wären die ökologischen Alternativen preislich längst konkurrenzfähig. Der Ausspruch »Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren« trifft das schon sehr genau. Und hier kommt wieder die Politik ins Spiel: Sie setzt die Rahmenbedingungen – und wäre dabei alles andere als machtlos, sogar innerhalb des bestehenden Systems. Sie und nur sie hat das Gewalt- und Steuermonopol – und viel wäre allein schon getan, würde man geltendes Recht auch auf alle konsequent anwenden.20 Damit könnte man durchaus einen Wandel und eine Neuausrichtung durchsetzen, selbst wenn dem in einer globalisierten Welt Grenzen gesetzt sein mögen. Wäre eine europäische Gemeinwohlökonomie nicht eine schöne und gute Vision für die EU?21 Die darauf basiert, dass jede Firma nicht nur eine betriebswirtschaftliche Bilanz erstellt, sondern auch eine des Gemeinwohls, also der sozialen und ökologischen Wirkung. Ziel des Ganzen könnte schließlich eine Mehrwertsteuer sein, deren Höhe sich danach richtet. Leider fehlt dazu jeder politische Wille und, fast noch schlimmer, an vielen Stellen auch der gesellschaftliche, was man an den Lebensmitteln sieht. Da eben der Markt bislang so gut wie alles regelt – was man als alternativlos betrachtet –, wird nicht nur oft das Falsche getan, sondern auch das Gute unterlassen. Man muss für die wohlbegründete Vermutung, dass viele Firmen bessere, aber ökonomisch nicht vorteilhafte Konzepte ungenutzt in der Schublade haben, kein Verschwörungstheoretiker sein. Es ist eine geradezu konsequent systemimmanente Folge: Warum sollte ein Autohersteller den Abgasvorschriften vorauseilen und sie übererfüllen, wenn klar ist, dass sie dadurch nur schneller wieder verschärft werden? Um schließlich nochmals auf das grüne Wachstum und ein grünes Design zurückzukommen: Vielleicht ist der Ansatz »Re-Design« ein wichtiger. Nicht nur bei Signets, sondern als Haltung. Im Sinne des geringstmöglichen Eingriffs und vielleicht sogar gleichermaßen in einer semantischen Dimension. Eine schöne neue Form jedenfalls wird einem unsinnigen Produkt Re-Design als Haltung

20 Wie viel Steuern international agierende, hochprofitable Konzerne wie Apple, Google oder auch Starbucks bezahlen oder nicht, ist hinlänglich bekannt. Sie profitieren wiederum aber vermutlich am meisten von den steuerfinanzierten Grundlagenforschungen der Universitäten, also staatlicher Infrastruktur. 21 Mehr bei https://www.ecogood.org

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nichts von seiner Dummheit nehmen. In der Architektur ist mittlerweile absehbar und offensichtlich, dass man diese immer weniger studieren wird, um möglichst viele Häuser zu bauen, sondern um Raumlösungen zu erfinden. Und die werden, auch wenn weiterhin eine möglichst spektakuläre Stadtmarketing-Landmarken-Architektur die Erde überzieht, vermutlich darin bestehen, existierende Flächen und Nutzer zusammenzubringen, vielleicht auch nur temporär. Es gibt zur gleichen Zeit so viel Leerstand, so viele Neubauten und so viele Wohnungssuchende – unglaublich.22 Klar jedenfalls ist: Eine grüne Wirtschaft ist noch lange keine nachhaltige Postwachstumsökonomie.

Wichtige Einblicke in diese Themen bietet das Buch Der kleinstmögliche Eingriff (Berlin, 2013) von Lucius Burckhardt.

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Postwachstumsökonomie

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Die Gestaltbarkeit der Welt

Woher kommen die Überlegungen nach einem anderen Design? Man könnte ja durchaus berechtigt fragen, warum es sich schwerer machen, als es ohnehin ist. Was hat es auf sich mit Haltung, Verantwortung und Werten? Denn die klingen, in quasi aufsteigender Reihenfolge, nach Ethik, Moral, Schuld und Hölle ­– kein Entkommen! Doch nein, eben gar nicht. Denn warum berührt uns das Schicksal von Menschen in Armut, Kindern auf der Flucht oder das von Tieren, die leiden und wider ihre Natur gehalten werden? Selbst wenn es nicht zwingend das Verhalten beeinflusst.23 Warum belastet es uns, wenn wir Schicksalsschläge bei anderen sehen? Und haben bei unserem eigenen Verhalten und dem der Gesellschaft oft ein mehr oder weniger schlechtes Gewissen. Wohl weil wir ahnen oder wissen, dass manches nicht so sein darf, sein sollte – und oft genug auch nicht sein müsste. Letztlich also, weil etwas in uns meist sehr genau weiß, was stimmt, was vertretbar ist, was richtig ist und was nicht. Und weil wir daraus auch folgern können, was man ändern müsste, weil es uns sogar noch »aus der Ferne« belastet. Dazu kommt nicht ganz unwesentlich, dass es heute keine wirkliche Unwissenheit mehr gibt – erst recht keine, die einen zumindest »mental« schützt oder als leises Alibi dienen könnte. Wir wissen, wo wir als Mensch, als Gesellschaft stehen und wohin die Reise geht. Freilich sind wir nicht für die ganze Welt verantwortlich, aber für uns selbst, unser Handeln, unser Unterlassen und die jeweiligen Konsequenzen. Die Rolle des »Sanctus Simplicissimus« ist abgeschafft – doch es scheint seit einiger Zeit, als würde statt ihrer der unpolitische, verwöhnt-resignierte Typus wieder in Serie gehen.

Unwissenheit?

23 Die »Fähigkeit«, ein falsches Handeln mit einem richtigen Bewusstsein in Einklang zu bringen, nennt die Sozialpsychologie »Dissonanzreduktion« – ich weiß also, dass ich etwas Falsches mache, habe aber genug Argumente, es (vor mir selbst und anderen) zu rechtfertigen. Aus diesem Grund sieht man auch öfters einen Porsche Cayenne vor einem Bioladen stehen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Strukturmodell der Psyche von Sigmund Freud – und dort insbesondere die Rolle des »Über-Ich«, das eben alles »Triebhafte« durch die moralischen Forderungen, die Wertund Normvorstellungen entsprechend »bremst«.

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Eines ist in diesem Zusammenhang zentral, nicht nur für Designerinnen und Designer, denn es macht die Ausgangsposition und Grundannahme nochmals deutlich: Wir leben in einer von Menschen für Menschen gemachten Welt. Unsere »natürliche« Umgebung ist heute eine künstliche, eine gestaltete, geschaffene. Das betrifft sogar zu rund 99 Prozent die Natur, das scheinbare Pendant, das aber inzwischen fast ausschließlich aus Kulturlandschaft besteht, geformt und genutzt wird.24 Dieses Gestaltet-sein impliziert, sie könnte auch anders gestaltet sein: besser, fairer, gerechter, schöner, barriere-ärmer, ökologischer, freundlicher, (wirklich) nachhaltiger … Man kann »von der Philosophie sehr viel lernen, insbesondere kann man lernen, niemals zu vergessen, dass die Welt ganz anders sein könnte, als sie uns erscheint«25 – richtig, sie könnte aber auch ganz anders sein. Das hätte vermutlich ein Gestalter gesagt. Und wie würde man denn diese Frage für sich selbst beantworten: Hätten wir alle Möglichkeiten, würden wir die Welt noch einmal genauso gestalten, wie sie heute ist? Wer hier nicht sagt, doch, klar, der hat seine Aufgabe spätestens jetzt gefunden: die Welt besser zu gestalten. Im Großen und im Kleinen. Nichts von Menschen Geschaffenes muss von Menschen als gegeben und unveränderlich gesehen und hingenommen werden. Dabei kommt den Designern, zwangsläufig eine besondere Rolle zu, nicht nur, weil sie direkten Einfluss auf die Art der Gestaltung haben: Sie sehen erst einmal auch die Möglichkeiten, die Chancen, nicht (nur) die Restriktionen und Probleme. Sie kennen (ergebnis-)offene Prozesse und brauchen keinen »Masterplan«, um etwas zu beginnen. Für sie ist es selbstverständlich, nach neuen Lösungen suchen, zu entwerfen und wieder zu verwerfen, daraus die Ansätze dann wieder zu verbessern – und neu zu gestalten. So selbstverständlich das erscheint, im weiteren Umfeld sind es seltene Kompetenzen. Deshalb stürzen sich die Unternehmensberater seit einigen Jahren ja mit solcher Inbrunst auf ein design thinking, das sie im Grunde selbst vermutlich nie wirklich verstanden oder verinnerlicht haben und das für Gestalter ebenso »normal« ist, dass sie es gar nicht groß erwähnen. Hinzu kommt noch die immanente Rolle als Multiplikatoren: Designerinnen und Designer können nicht nur das eigene Verhalten verändern, sondern Immer besser gestalten

24 Es ist der Wunsch der Bundesregierung, in Deutschland auf zwei Prozent der Landesfläche und fünf Prozent der Waldfläche (wieder) Wildnis zu haben. Trotz der bereits bestehenden Schutzflächen ist dieses Ziel schwer zu erreichen. Quelle: https://www.bfn.de/0304_ biodivstrategie-nationale.html (Stand 27.07.2016) 25 Gabriel, Markus: Warum es die Welt nicht gibt. Berlin, 2013. S. 29

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auch versuchen, Unternehmen, Institutionen und alle anderen Auftraggeber zu motivieren, eine nachhaltige Entwicklung zu (ver)suchen – was wiederum auf deren Kunden wirkt. Gestalter kommunizieren deren Inhalte, visualisieren ihre Vorhaben, schaffen die Form für die Aussagen und Ziele ihrer Klienten. Was läge eigentlich näher, als mit ihnen auch unmittelbar über die Inhalte und Ziele selbst zu reden? Von weiterer, ganz zentraler Bedeutung ist: Designer können Bilder schaffen, Geschichten darstellen (was das Marketing für sich entdeckt hat: Eine Marke muss Geschichten erzählen!), die es noch nicht gibt. Es ist dies jene unglaublich wertvolle »hypothetische Dimension« von Design. Und die gilt nicht nur bei Geräten und Medien, sondern auch bei Prozessen oder »Zuständen«. Es ist die Visualisierung, das Schaffen von Zeichen und Bildern, deren Wirkmacht groß ist und die vieles bewegen kann – weil Menschen dann eine Vorstellung von etwas bekommen. Und bestenfalls einen Reiz verspüren, eine Sehnsucht entwickeln und vorher sehen können: Es lohnt sich! Wir kennen das eindrucksvoll zumindest im umgekehrten Sinn, wenn Bilder (je nach Perspektive) für schlechte Absichten verwendet und instrumentalisiert werden. Die Wirkung von Fotos beziehungsweise Grafiken in der weithin bekannt gewordenen Präsentation des damaligen USVerteidigungsministers David Rumsfeld war immens – man sah förmlich die Bedrohung, die zahllosen Toten durch Massenvernichtungsmittel, mit denen der Einmarsch in den Irak nicht nur begründet, sondern förmlich geboten war. Dumm nur, dass sie in keiner Weise der Realität entsprachen. →▪ Ein Gegenstück dazu ist das gute Bild zu einer schlechten Sache, worin beispielsweise Greenpeace ein großer Meister ist, wenn ein kleines Schlauchboot einen riesigen Walfänger blockiert – doch kommen diese über ein gewisses Entsetzen, bestenfalls noch einen kurzen öffentlichen Protest kaum hinaus, da sie keine Alternative bieten. →▪ Ähnlich ist es mit der »OccupyBewegung«. Immerhin verortete sie das Problem unmittelbar und bildstark, indem sie selbst den Ort, die Börse, in der Wall Street besetzte und damit eine beachtliche mediale Wirkung erzielte. Aber auch sie vermitteln keine Antwort, Hypothetische Dimension

Diese Darstellung war stärker als alle Argumente: Sie führten vor Augen, wie konkret die Bedrohung ist – und dass man handeln muss. Die Renderings und Illustrationen basierten allerdings nicht auf der Realität!

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keine andere Position zu diesem neoliberalen Kapitalismus. Der Slogan von David Graeber ist genial, aber endlich: »Wir sind die 99 Prozent!« – wir kämpfen gegen etwas, aber wofür kämpfen wir? →▪ Das ist in der Tat die Frage, denn »solange sich die Empörung ohne utopische Energie entlädt, wird die Entscheidung für die […] Kräfte des Marktes nicht mehr revidiert«.26 Pointiert wird nicht der erstrebenswerte bessere Zustand gezeigt, sondern der aktuelle schlechte. Das mag vielleicht einige dazu bringen, nachzudenken und Alternativen zu suchen, doch viele werden sich nur abwenden, weil »man es nicht mehr sehen will« und kann. Und was man nicht sieht, existiert auch nicht. Kinder praktizieren das gerne – ich sehe nichts, also werde ich auch nicht gesehen. Dass in den Medien noch immer die schlechte Nachricht die gute ist, darf in seiner Wirkung leider nicht unterschätzt werden. Zumal in dieser Dichte, Dauerhaftigkeit und Durchgängigkeit. Man muss kein Zyniker sein, um zu sehen, »dass Sorgen überhaupt das bestverkäufliche Gut sind, das man sich vorstellen kann. Es wäre töricht und geschäftsschädigend, wollten Massenmedien etwas anderes verkaufen als Sorgen (beispielsweise Einsicht oder Erkenntnis).«27 Doch beflügeln werden diese kaum, im Gegensatz zu Alternativen und gelungenen Beispielen, zu Bildern, die Lust machen und zum Handeln motivieren. Diese äußeren Bilder prägen unsere Wunschvorstellungen, Wertvorstellungen und damit unser eigenes, inneres Bild von der Welt. Dumm nur, dass »solche inneren Bilder, […] entweder auch dort Angst erzeugen, wo keine Gefahr droht, oder die Sicherheit bietende Lösungen selbst dann noch vorgaukeln, wenn es tatsächlich gefährlich zu werden beginnt«.28 In Anbetracht dessen, dass Designer zu den großen »Bilderproduzenten« gehören, gibt das alles nochmals eine Ahnung davon, welche Wirkungen und Implikationen ihre Arbeit haben kann. Wahre Könner im Schaffen von verfälschten oder verfälschenden, jedenfalls verführerischen Bildern sind die Werbespezialisten. In diesem Genre wird oft und gerne die wundersame Kraft von Autos, Deos oder Getränken bildhaft oder filmisch dargestellt: »Das Bild verkauft weniger seine Information als seinen Affekt.«29 Mit solchen – offensichtlich für nicht Bilderproduzenten

Wenn auch die Aktion selbst keinen nennenswerten Einfluss auf das Geschehen haben wird – die Bilder davon erzielen eine bemerkenswerte Wirkung. Auch wenn sie keine Alternative zeigen, keine erstrebenswerte Option. Die Occupy-Bewegung verortete temporär eine Kritik exakt am »Ort des Geschehens« und sorgte für großes Aufsehen. Im Gegensatz zu den »Gelbwesten« in Frankreich konnten sie allerdings tatsächlich nichts bewegen (blieben aber friedlich).

26 »Warum am Ende immer alles auf den Kapitalismus hinausläuft«. (Süddeutsche Zeitung/sueddeutsche. de, 26. Juni 2016) 27 Sommer, Andreas Urs: Werte: Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt. Stuttgart, 2016. S. 126 28 Hüther, Gerald: Die Macht der inneren Bilder. Göttingen, 2015. S. 134 29 Seeßlen, Georg: »Schreck lässt nach«. In: Der Freitag, Nr. 30 vom 26. Juli 2018

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Ja, AXE macht aus Männern Helden und holt die Engel vom Himmel – direkt ins Bett. Aber natürlich nur, wenn man das richtige Deo benutzt. Es scheint eine große Sehnsucht zu treffen.

wenige – reizvollen Bildern schafft man etwa die Verbindung zwischen einem Bier und echter (Männer-)Freundschaft. Diese visuellen Narrative – man darf sie nicht unterschätzen oder einfach abtun – haben eine solche Stärke, dass sie offensichtlich sogar funktionieren, obwohl (oder weil?) jeder weiß, dass sie »nicht echt«, unrealistisch und überzogen sind. Vielleicht aber auch, weil sie zugleich unrealistische innere Bilder überlagern und diese Wünsche ver-bild-lichen. Es muss sich lohnen, sonst gäbe es diese Phänomene nicht. Auch das ist eine ernüchternde Erkenntnis. →▪ Blickt man, durchaus etwas holzschnittartig, auf das, was wir gemeinhin Realität nennen, kommen einem drei Dinge und deren konsequente Weiterentwicklungen in den Sinn, die katastrophale Auswirkungen für die Welt und ihre Menschen haben: die Motorsäge, das Maschinengewehr und das Marketing. Als Viertes könnte man womöglich noch die Drohne nennen, die das Töten ohne persönliches Risiko möglich macht, indem sie die Grenzen zwischen Realität und Virtualität auflöst. Die drei zuvor Genannten sind sicherlich eine auf den ersten Blick recht wilde Mischung von Bereichen, die in der Konsequenz aber gar nicht so weit auseinanderliegen, wie es scheint. Mit der Motorsäge wurde die Relation zwischen Visuelle Narrative

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der Zeit, die etwas zum Entstehen und zum Wachsen braucht, und der Zeit, die man für dessen Zerstörung benötigt – die freilich nicht zwingend für einen schlechten Zweck sein muss und deshalb auch ernten heißen kann – vollkommen auf den Kopf gestellt. Interessanterweise hatten Bäume in den vergangenen Jahrhunderten eine weit höhere Wertschätzung als heute, und man war vielerorts sogar zur (Nach-)Pflanzung verpflichtet.30 Die Menschen waren sich offenbar noch viel bewusster, wie lange es dauert, bis ein Baum groß gewachsen ist und welchen Wert er hat. Mit dem Maschinengewehr verhält es sich ähnlich: Es ist unfassbar, wie viele Menschen ein Einzelner damit zu töten in der Lage ist. Auf eine Entfernung, die es sicherer und »sauberer« macht, also zugleich unpersönlicher – alles in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Man könnte es auch »effizient« nennen. Zugegeben, der notwendige Sprung zum Marketing ist an dieser Stelle etwas größer, hat aber ebenso weitreichende, verwandte Konsequenzen. Nur wirkt es auf einer semantischen Dimension, indem es unser Denken und Handeln, unsere Wünsche, unseren Antrieb prägt. Schließlich gibt es immer noch etwas, das schöner und reizvoller ist, etwas, das mehr kann, schneller oder größer ist, als man hat … damit holt und hält es uns in dem oft zitierten Hamsterrad, aus dem herauszukommen so schwer ist. Und wofür eben, leider nicht nur symbolisch gesprochen, viele Bäume fallen und um viele Rohstoffe gekämpft wird. Denn endlich sind nicht das Wünschen und Wollen, wohl aber die Mittel dazu: die Ressourcen, von klassischen Rohstoffen über Wasser und Erde bis zur Energie – und das gerade oft dort, wo ein großer Teil der Menschen lebt, die von all dem Marketing, das diese Entwicklungen antreibt, gar nichts sehen und wissen, sondern »nur« ihre Folgen ungebremst spüren. Man darf nicht vergessen: Designerinnen und Designer, wieder im weitesten Sinn die Architekten miteinschließend, sind eben nicht nur als Privatperson Teil dieses Systems, sondern agieren über ihre Tätigkeit in ihm, entwerfen die Produkte, die Kommunikation, den öffentlichen Raum und halten so dieses Modell mit in Schwung. Damit verhindern sie häufig ganz elementar, dass ein notwendiger Wandel erreicht wird: »von der Addition zur Kombinatorik, vom Wachstum zur KultivieEffiziente Werkzeuge – mit katastrophalen Folgen

30 Schön ist die Idee der »Obstallmende«. Im Buch Äpfel fürs Volk wird das vom Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg im 17. Jahrhundert erlassene »Pflanzedikt« erwähnt: Heiratswillige Paare sollten vom ortsansässigen Pfarrer erst dann getraut werden, wenn sie sechs Obstbäume auf öffentlichem Dorfgrund und sechs Eichen im Dorfwald gepflanzt hatten. Siehe: Gildhorn, Kai; Zahn, Madaleine; Frosch, Katharina (Hg.): Mundräuber Handbuch – freies Obst für freie Bürger. Berlin, mundraub.org, 2013. S. 7–8

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rung, vom Aufbau zum Ausbau. Von Passivität zur Aktivität. Vom Dulden zum Widerstehen. Vom Dienen zum Genießen.«31 Gute Gestaltung sollte also in Zukunft mehr sein, als etwas Schönes zu machen und Dinge schöner zu machen. Als die endlosen und oft selbstverliebten Materialschlachten für die Firmen und Auftraggeber (manchmal auch für sich selbst!), von denen viele letztlich den wirklichen Fortschritt im Sinne einer für alle lebenswerten Zukunft behindern – wozu man ganz substanziell den Erhalt der Biosphäre, also unseres eigenen, endlichen und alternativlosen Lebensraums zählen muss. Dies natürlich, wie schon erwähnt, im Rahmen einer Politik, die ihre Bedingungen geschaffen hat und unbeirrt daran festhält, selbst wenn größere Teile der Bevölkerung vielleicht weiter wären. Bei den Ökonomen ist man es ja fast schon gewohnt, dass eine ihrer Haupttätigkeiten, etwas boshaft formuliert, darin besteht, nachher ihre eigenen falschen Annahmen und Prognosen zu korrigieren und zu erklären. Bemerkenswert ist ja die unglaubliche etymologische Nähe der Begriffe Ökonomie und Ökologie. Beide beziehen sich auf den »oikos«, den Haushalt, der bis hin zum Welthaushalt geht: Kern ist die Gesetzmäßigkeit des Haushaltens. Doch »zwischen der -nomie und der -logie, dem nomos und dem logos besteht […] ein wesentlicher Unterschied: der nomos bezeichnet menschengemachte Regeln und Vereinbarungen, der logos das göttliche Gesetz, oder moderner: das Naturrecht, die Weltvernunft, die Weltweisheit, den Sinn des Ganzen.«32 Nicht nur deshalb müsste begrifflich also die Ökologie das Primat unseres Handelns sein. Doch gerade die Ökonomie ist heute eine Art »Leitwissenschaft geworden, aus der viele Menschen ihre Anschauung darüber beziehen, was normal und richtig ist, wer sie als Menschen sind und wie sie sich verhalten sollen«.33 Dass »BWL« eine Art Metadisziplin ist, zeigt sich auch darin, dass ihre Vertreter in jeder erdenklichen Branche bis in die Politik hinein arbeiten können, sich also beinahe »kontext-unabhängig« gemacht haben. Spätestens nach der Implosion fast aller kommunistischen und sozialistischen Staaten34 und Ideen scheint der Kapitalismus in seiner sich steigernden neoliberalen Ausprägung quasi konkurrenzlos Ökonomie als Leitwissenschaft?

Wenn alle Gletscher und Polkappen schmelzen, erhöht sich der Meeresspiegel um 66 m. Diese Darstellung zeigt, was dann alles unter Wasser läge. Diese Darstellung verdeutlicht, es ist wesentlich einfacher, Schreckensszenarien zu visualisieren. Ihre Wirkung allerdings bleibt trotzdem endlich.

Welzer, Harald: Selbst denken! Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt/ Main. 2015. S. 133 32 Praetorius, Ina: Wirtschaft ist Care. Oder: die Wiederentdeckung des Selbstverständlichen. Berlin, 2015 (HeinrichBöll-Stiftung). S. 30 33 Ebd. S. 9 34 Kuba ist vielleicht eine Ausnahme – die sich damit auch entsprechend schwertut, eine wirklich demokratisch-soziale Gesellschaft auf- und umzubauen. In der Le Monde diplomatique vom 12.10.2017 stand ein bemerkenswerter Satz: »Die meisten Länder kämpfen gegen die Armut, aber Kuba kämpft gegen den Reichtum!«. Siehe: https://www.mondediplomatique.de/artikel/!5451034 (Stand 15.02.2018) 31

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in der Welt zu stehen. Und man muss ihm auch Respekt vor seiner absoluten Schlüsselkompetenz zollen, immer wieder auf die (wenn auch alten!) Beine zu fallen, Kritik und Krisen zu absorbieren – und sich so fast unangreifbar zu machen. Umso wichtiger also, dass Alternativen entstehen, die vermutlich gar nicht aus der Politik selbst stammen können. Alleine der immer weiter um sich greifende Lobbyismus steht dem schon im Weg. Es braucht deshalb Gestalter, wirkliche Gestalter, mutige und verantwortungsvolle, die Optionen, Alternativen und gesellschaftliche, wie ökonomische (Gegen-)Entwürfe auf der Basis echter Werte entwickeln. Vielleicht gerade solche, die in einem sozial-ökonomischen »Re-Design« liegen, das, wie Oscar Niemeyer sagt, die Welt verändert.35 Und die solche Visionen und Bilder davon schaffen können, die Energie freisetzen, Ziele sichtbar machen und sie damit als erreichbar zeigen.

Natürlich ist es furchtbar leicht, sich darüber lustig zu machen – doch es ist eine faszinierende Thematik. Die Darstellung der Zeugen Jehovas zeigt immerhin die offensichtliche Unmöglichkeit, ein Bild des Paradieses (oder eines eben auch irdischen, erstrebenswerten Zustands und seiner Lebensumgebung) zu schaffen. Das sollte zu denken geben! Plakat aus dem Jahr 1952 – hier wurde für den Wiederaufbau in der DDR (und das »Nationale Aufbauprogramm Berlin«) geworben.

Siehe hierzu das Buch von Oscar Niemeyer: Wir müssen die Welt verändern. München, 2013

Wie schon erwähnt, ist die Kraft der Bilder nicht zu unterschätzen – persönlich, für jeden selbst, genauso wie für eine

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Gegenentwürfe

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Gemeinschaft oder Nation. Manche solcher Motive schaffen es bis ins kollektive Gedächtnis36 und können konstitutiv wirken. Bilder, die erstrebenswerte Ziele zeigen, neue Möglichkeiten, Visionen, noch nicht Gedachtes, können die Anstrengung dafür als lohnend erscheinen lassen. Es gibt solche Bilder dort, wo das nicht sichtbare, nicht greifbare Jenseits wichtiger ist, als das widrige Diesseits: in der Religion. Wo daraufgesetzt wird, für dieses große, weit entfernte Ziel, heute schon Konkretes zu leisten, zu verzichten und erleiden. Dazu muss es sich lohnen! Deshalb sind die (wenn auch nicht mehr aktuellen) Paradiesbilder der Zeugen Jehovas →▪ so bemerkenswert.37 Gerade diese restriktive Gemeinschaft lockt mit so vielen Freuden! Eben als Ersatz und spätere Belohnung – immerhin politisch korrekt mit Mann und Frau, schwarzen und weißen Personen. Auch wenn es tatsächlich mutig ist, dies konkret darzustellen, helfen die friedvollen Abbilder von glücklichen Menschen in der Natur, wo man Löwen streicheln und mit Weintrauben füttern kann, aber nicht so recht weiter. Ein notwendiger Realismus sollte selbst in einer guten Vision stecken. Ähnliches findet man im frühen Sozialismus – interessanterweise ja eine ähnliche Situation: Es werden große Anstrengungen gefordert, die aber nicht recht und gleich vergütet werden können. Was dummerweise das »egoistische System nebenan« sehr wohl konnte. →▪ Man verwies also auch hier auf höhere Ziele, auf spätere Belohnung, machte den Einzelnen zum Teil einer großen Sache und verwies auf zwar strikt getrennte, aber durchaus ähnliche Paradiese mit einem unterschiedlichen Signet am Eingang. Das immerhin hatte sie der Ökologiebewegung im Westen – nach der man sich in diesen unpolitischen und nach rechts orientierten Zeiten nur sehnen kann – in den 1980er-Jahren voraus. Damals wurde zwar demonstriert, durchaus mit vollem Körpereinsatz, wenn Bäume und Häuser besetzt wurden, man also nicht nur eine OnlinePetition mit dem Tablet vom Sofa aus verschickte; doch über die reine Negation der politischen Agenda kam sie nie hinaus. Es entstand keine Vorstellung oder ein Bild von einer Zukunft, die Anreiz für Veränderung gewesen wäre. Eben etwas, das »eine neue Positivität hervorbringt«.38 Nie eine alternative Vision, um der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen – oder Negation der Ökologiebewegung

Titelseite der Amazing Stories vom August 1928 – eine Zeit, in der es noch Utopien gab. Mit dem weißen Taschentuch winkt die Dame dem elegant davonfliegenden Herrn im hautengen Dress. Sein »Jetpack« wird mit einem Joystick gesteuert und lässt uns erahnen, wie faszinierend und reizvoll die Zukunft in der Vergangenheit einmal war.

36 Hier werden absichtlich keine Beispiele gezeigt, weil vermutlich jede und jeder sofort einige in seiner Vorstellung hat – wer hat nicht bei Stichworten wie 9/11, RAF, Kniefall Brandt, Abu Ghraib, Mauerfall … spontan etwas vor Augen? 37 Koop, Andreas: »Gnadenloser Friede«. In: Novum, o. Jg. (2015), H. 8/2015, S. 24 38 Žižek, Ärger im Paradies S. 175

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eben dafür.39 Egal, was die technischen Neuerungen der letzten Jahre gebracht haben und was noch auf uns alle wartet: Sie sind weit mehr die Manifestationen von Unternehmensvisionen als gesellschaftliche oder politische. Und versehen mit erheblichen »Nebenwirkungen«. Auf einer Visualisierung der Zukunft durch die Daimler AG für Stuttgart sieht man das ganze Bild voller Autos. Zwar selbstfahrende, »smarte«, aber nicht mit viel Grün im Sinne von Rasenflächen, Wiesen oder Bäumen, die allesamt erwiesenermaßen Einfluss auf die Lebensqualität haben.40 Im Sommer 2018 wusste man jeden Baum in der Stadt zu schätzen! Der Glaube an den großen Fortschritt durch Technik scheint verbraucht – auch wenn sie in der Gegenwart jeweils unverzichtbar erscheint. Neue, alternative Themen stehen aber offenbar nicht zur Verfügung. →▪ Deshalb gibt es keine Bilder, Wunschbilder, davon, wie ein »gutes« Leben aussieht, aussehen könnte und wie wir einmal leben möchten. Das aber wäre die Voraussetzung, um die Welt dann so zu gestalten – für die Gestaltung einer besseren Welt fehlt bislang das »Briefing«. Um Ideen zu suchen, auszuprobieren, zu reflektieren, korrigieren, modifizieren, simulieren, Prototypen zu bauen … zwar mit einem Ziel vor Augen, aber trotzdem ergebnisoffen. →▪ Keine vorgegebene Excel-Tabelle und keine Schritt-fürSchritt-Anleitung als Teil eines Masterplans. Vielleicht fällt das vielen so schwer, weil für den Menschen dasselbe gilt wie für Pflanzen und Tiere: »Er kommt so leicht nicht wieder aus dieser Spezialwelt heraus, in die er sich hineinmanövriert hat.«41 Bilder vom guten Leben

Die Vision von Mercedes Benz für das Olgaeck in Stuttgart – autonome Fahrzeuge (in denen auch nur eine Person sitzt), Seilbahnen, Drohnen, Tunnel … und ein öffentlicher Raum, der weiterhin dem Verkehr die meisten Flächen und höchste Priorität zugesteht. Daneben eine Aktion des Vereins fairkehr, der temporäre Begrünungen von Straßen durchführt, wie hier bei dem »fairkehrten Fest« auf der Schallmooser Hauptstraße in Salzburg – über 20.000 Menschen kamen dabei zusammen! Mehr unter www.fairkehr.net

39 Vgl. Welzer, Selbst denken. S. 101, 102 40 Siehe in me Ausgabe 2/2018 (in der es sehr viel um »Zukunft« geht) oder über: https://www.mercedesbenz.com/de/mercedes-benz/lifestyle/ me-magazin/besuch-in-der-zukunftswerkstatt/ (Stand 16.10.2018) 41 Hüther, Die Macht der inneren Bilder, S. 124

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KUNDE

PROZESS

DESIGNER

Auftrag

Briefing

Angebot

Bereitstellung Daten

Konzeptentwicklung

Freigabe Konzept

Konzeptionsphase

Analyse/ Recherche/ Ideenfindung

Konzept

Freigabe Entwurf

Entwurfsphase

Entwurf

Freigabe Produktion

Umsetzungsphase

Nachbetreuung

Umsetzung/ Reinzeichnung/ Koordination Produktion

Das offenbarte etwa die Krise 2008 in Island recht eindrucksvoll, denn erst mit ihr entstanden neue Möglichkeiten und Chancen der Veränderung. Die von Experten und Spezialisten verursachte finanzielle Katastrophe brachte das Land an den Rand des Ruins. Es war unklar, ob die Insel jemals wieder auf die Beine kommen würde und wie viele Generationen noch die entstandenen Schulden abbezahlen würden. Das Vertrauen in die Politik war restlos verloren gegangen wie auch in die anderen Institutionen, allen voran in die Banken. Mit dem Ergebnis, dass »Die Beste Partei«, so hieß sie nämlich, bestehend aus Rockstars und Punks, mit einem Komiker an der Spitze, den Kampf um Reykjaviks Rathaus gewann: Jón Gnarr wurde Bürgermeister der isländischen Hauptstadt.42 Während man sonst in Krisensituationen immer nach Experten ruft, war genau dies hier der diskreditierte Weg. Man wollte lieber gleich einen Nicht-Experten, der aber immerhin ehrlich ist – einen, der schon vorher über seine Wahlversprechen sagt, dass diese sowieso nicht zu halten sind. Der Witz dabei war, dass die Anarchosurrealisten eine wirklich gute Arbeit geleistet haben, ehrlich und redlich, und damit viel für die Stadt und das Land erreicht haben.

Abnahme

Rückmeldung

Evaluation

Abgabe/ Archivierung

Analyse & Auswertung

Eine Version des klassischen Designprozesses – gegliedert in die jeweiligen Aufgaben für Designer und Kunde.

↪ Die Wahlversprechen von »Die beste Partei«: Gratishandtücher in den Schwimmbädern | Einen Eisbären im Zoo | Den Import von Juden, damit endlich jemand, der etwas von Wirtschaft versteht, nach Island kommt | Ein drogenfreies Parlament bis 2020 | Tatenlosigkeit: Wir haben ein Leben hart gearbeitet und wollen uns nun vier Jahre gut bezahlt erholen. | Ein Disneyland mit wöchentlichem Gratiseintritt für Arbeitslose, wo sie sich mit Goofy fotografieren dürfen | Mehr Nähe zur Landbevölkerung: Jeder isländische Bauer soll gratis ein Schaf ins Hotel mitnehmen dürfen | Gratis-Bustickets. Dies alles mit dem Zusatz: »Wir können mehr versprechen als alle anderen Parteien, weil wir jedes Wahlversprechen brechen werden.«43

42 Siehe den Artikel »Mehr Punk, weniger Hölle!«; http://www. tagesanzeiger.ch/ausland/europa/ Mehr-Punk-weniger-Hoelle-/story/ 25977893 (Stand 13.07.2016). 43 Ebd.

Verwantwortung von Nicht-Experten

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Was werteorientiertes Design bedeutet

Zuerst einmal könnte man ganz einfach sagen, es geht um eine an Werten orientierte Gestaltung. Was aber noch nicht viel hilft, denn zum einen lassen sich »die Werte« nicht so ohne Weiteres allgemeingültig definieren wie Papierformate, zum anderen sind sie auch schwer messbar oder gar auf einer Skala zu verorten. Nicht so viel einfacher ist es, den Begriff des Designs zu erklären, zumindest nicht, wenn man ihn in seiner ganzen Dimension sieht. Doch ähnlich wie beim CO2 oder der Radioaktivität kann man nicht behaupten, nur weil man Werte nicht sieht und sich unter Design jeder etwas anderes vorstellt, würden diese nicht existieren. Oder sie hätten keinen Einfluss, keine Wirkung – forderten keinen Imperativ! Daher ist es nicht verkehrt, vorab auf diese drei Begriffe im Einzelnen einzugehen – allesamt keine ganz einfachen, unmissverständlichen. Und sie haben durchaus das Potenzial zu »Plastikwörtern«,44 wie es beispielsweise die Worte Innovation, Effizienz und Nachhaltigkeit geworden sind. Besonders unglücklich ist dies beim letzten Begriff, da er unverzichtbar ist und nicht einfach durch einen anderen ersetzt werden kann. Es ist nicht leicht mit den Werten. Denn es gibt schon einmal persönliche, die sich zudem wandeln und verändern können, und gesellschaftliche, also übergreifende, die aber nicht zwingend damit konformgehen müssen. Diese können so etwas sein wie »westliche Werte« oder »europäische Werte«, auf denen beispielsweise eine Europäische Union beruhen müsste und auf die sie sich berufen sollte. Es existiert unvermeidlich in jeder Gesellschaft eine spezifische »Werteordnung« dessen, was als erstrebenswert gilt, was moralisch gute Eigenschaften und Qualitäten sind und was nicht. Sie gelten für Objekte genauso wie für Ideen. Sittliche Ideale, HandlungsmusWerte und Werteordnungen

44 Das Buch Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur von Uwe Pörksen (Stuttgart, 2000) ist in vielerlei Hinsicht sehr bemerkenswert und relevant.

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ter und Charaktereigenschaften prägen nicht zuletzt ganz substanziell das, was man Kultur nennt. Wenn wir also vom »Guten« sprechen, von guter Gestaltung und dem guten Leben, dann werden diese Güter zwingend auf entsprechenden Werten beruhen. Hat die Werteordnung einen alleinigen, absoluten Anspruch auf die Wahrheit, kann man von Ideologie sprechen; erst recht, wenn sie kompromisslos durchgesetzt werden soll. Dann können auch Werte handlungsleitend und Beurteilungen prägend werden, die nicht per se für die Allgemeinheit sinnvoll sein müssen. Problematisch ist dabei die recht beliebte und beliebige Verwendung des Begriffs, insbesondere bei den nach rechts tendierenden konservativen Parteien. Eine FPÖ in Österreich, die SVP in der Schweiz, eine französische Front National, die italienische Lega, die AfD in Deutschland: Sie alle berufen sich auf Werte, fordern sie vehement ein und verwenden sie vor allem »indirekt« zur Ausgrenzung all derer, die nicht in ihr Weltbild passen, wie Flüchtlinge und Ausländer. Selbst ein IS führt seinen Kampf gegen alles, was anders ist und an anderes glaubt, im Namen von Werten, schlimmer noch, im Namen Gottes. Und auch für Trump ist »America first« ein Wert an sich. Wobei man in solchen Fällen, wo die Unausgewogenheit und Ungleichheit gewissermaßen konstitutiv und programmatisch ist, besser nicht mehr von Werten, sondern von Überzeugungen sprechen sollte. Denn problematisch wird es spätestens dann, wenn bei diesen Interpretationen und Auslegungen von Werten der Begriff (und Wert) »Toleranz« nicht mehr vorkommt – so wird alles ad absurdum geführt und führt nicht selten zu Blutvergießen. Hier hilft nicht einmal mehr der kategorische Imperativ, denn das Postulat, so zu handeln, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte, ist ja gerade das erwünschte Ziel!45 Werte sind allgemeine, kollektiv geteilte Vorstellungen darüber, was die Menschen in einer Gesellschaft für wünschenswert, für gut und erstrebenswert erachten.46 Damit sind sie ein wichtiger Teil der jeweiligen Kultur und definieren so auch den Sinn und die Bedeutung innerhalb eines Sozialsystems – in dem sie wiederum das Verhalten an Regeln Toleranz / Verhaltensregeln

Noch immer hilfreich ist der vom englischen Moralphilosophen Anthony Ashlex-Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury (1671– 1713), propagierte »Test of Ridicule«, der alles für unantastbar und heilig Ausgegebene ins Säurebad des zudringlichen Witzes taucht, um seine Tauglichkeit festzustellen. Viele Werte, nicht nur solche von Rassisten und mordlüsternen Fundamentalisten, würden diesen Test nicht bestehen. Siehe Andreas Urs Sommer: Werte. Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt. S. 148 46 Vgl. Werner, Petra; Rinsdorf, Lars; Pleil, Thomas; Altmeppen, KlausDieter (Hg.): Verantwortung – Gerechtigkeit – Öffentlichkeit Normative Perspektiven auf Kommunikation. Köln, 2017. S. 377 45

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binden, »regulieren«. Dieser allgemeine Orientierungsrahmen für unser Denken und Handeln ist nichtsdestotrotz in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess. Der Terminus »Wert« kann im Sinne eines »von den Menschen gefühlsmäßig als übergeordnet Anerkannten«, gebraucht werden, »zu dem man sich anschauend, anerkennend, verehrend, strebend, verhalten kann«.47 Dass gesellschaftliche Werte sich nicht selten mit religiösen überschneiden – man nicht stehlen oder töten solle, sagen die Bibel und das Bürgerliche Gesetzbuch, nur die Konsequenzen sind jeweils unterschiedliche – ist deshalb nur naheliegend. Werte sind zentraler Bestandteil vieler Verhaltensvorschriften, aber keine selbst. Werte sind eher attraktiv, während Normen restriktiven Charakter haben.48 Oder anders ausgedrückt: »Werte begründen moralisches Handeln – Normen begrenzen und sanktionieren es«.49 Bei den Normen kennt man deshalb verschiedene Abstufungen hinsichtlich ihres Verbindlichkeitsgrades: Es gibt Kann-, Soll- und Muss-Normen. Blickt man alleine auf den letzten Begriff, ist es nicht verwunderlich, dass Normen oft an Institutionen gebunden sind. Sowohl Werte als auch Normen sind eine anthropologische Basis für das Leben – und zugleich Teil des Lebens. Sie erleichtern dieses durchaus, da man sich in einem »gesicherten Rahmen« bewegen kann, der entlastet, weil nicht ständig neue Abwägungen und Entscheidungen notwendig sind: Man hat ein Fundament. Das gilt freilich immer nur für spezifische Konstellationen – in einem anderen Kulturkreis (oder auch zu anderen Zeiten) kann die gleiche Handlung vollkommen unterschiedliche Bewertungen nach sich ziehen. Veränderte Situationen, persönliche oder gesellschaftliche, können diese selbstverständlich immer wieder beeinflussen und wandeln. Nach Siegbert A. Warwitz versteht man unter ideellen Werten solche, die nicht primär der materiellen Gewinnvermehrung dienen, sondern sich nach sozialen Maßstäben ausrichten bzw. eine Steigerung der (explizit auch) geistigen Lebensqualität, eine innere Bereicherung und eine Reifung der Persönlichkeit anstreben. Damit kommt man auch dem Anspruch und Charakter von Nachhaltigkeit durchaus nahe, also im Sinne des Austarierens von mitunter konträren Normen

47 Ein Definitionsversuch des KantForschers Paul Menzer, siehe Georgi Schischkoff: Artikel Wert. In: Ders.: Philosophisches Wörterbuch. Kröner, Stuttgart 1982, S. 746. 48 Vgl. Joas, Hans: »Die kulturellen Werte Europas. Eine Einleitung«. In: Ders./Klaus Wiegandt (Hg.): Die kulturellen Werte Europas. Frankfurt am Main 2005, S. 14 49 Vgl. Werner, Petra; Rinsdorf, Lars; Pleil, Thomas; Altmeppen, KlausDieter (Hg.): Verantwortung – Gerechtigkeit – Öffentlichkeit Normative Perspektiven auf Kommunikation. Köln, 2017. S. 377

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Anforderungen und Konsequenzen wider den Primat des Ökonomischen. Dies alles setzt – ohne sich hier in philosophische Höhen oder Tiefen versteigen zu wollen – natürlich ein Verständnis für solche immateriellen Werte voraus und auch die Unterscheidungsfähigkeit von reinem Nutzendenken und einem Sinnstreben.50 Der Dalai Lama etwa bietet hierzu einen schönen und lebensnahen Vorschlag: dass wir beim Verfolgen unseres Eigeninteresses »›auf kluge Weise egoistisch‹ sind und nicht ›auf törichte Weise egoistisch‹. Wer auf törichte Weise egoistisch ist, verfolgt sein eigenes Interesse engstirnig und kurzsichtig. Wer auf kluge Weise egoistisch ist, nimmt einen breiteren Blickwinkel ein und erkennt, dass auf lange Sicht unser Eigeninteresse im Wohlergehen aller Menschen liegt. Auf kluge Weise egoistisch sein heißt mitfühlend sein.«51 In der Ökonomie hieße das Stakeholder-Value statt Shareholder-Value. Und auch aus der Biologie lässt sich ableiten, dass die Menschen lernen müssen, »eine Welt, eine Menschheit zu sein, und als solche in fairem Ausgleich von Interessen und wirtschaftlichen Leistungen zusammenzustehen«.52 In vielen Gemeinschaften sind die kollektiven, gesellschaftlichen und quasi allgemeingültigen Werte in den Verfassungen und Grundgesetzen festgeschrieben – sogar als Rechte. Werte und Rechte bedingen sich in einem gewissen Sinn: Aus den Werten heraus entwickeln sich, wie zuvor erwähnt, die »Normen«, also konkrete Vorschriften und Grundlagen für das soziale Verhalten des Einzelnen. Sie stabilisieren das Zusammenleben der Menschen. Eine solche Norm kann beispielsweise sagen, was in einer Situation notwendig und allgemeingültig geschehen soll – doch genau diese »Regeln« müssen an bestimmten Stellen manchmal bewusst und sichtbar gebrochen werden: Wenn sie eben nicht mehr den notwendigen Werten entsprechen, wenn sie unmenschlich wurden, ist es nötig, sie auf diese Weise zu hinterfragen und Alternativen zu fordern (oder zu bieten). In manchen Momenten hat man durchaus das Gefühl, die Menschen sind weiter als die Politik; bei der Flüchtlingskrise konnte man das durchaus auch in Deutschland und Österreich deutlich sehen – mögliche Signale für einen Wertewandel, dessen Ursachen ebenso Kluger Egoismus

↪ »Vom Fortbestehen« Aus der »Kamenzer Dreinrede« von Volker Braun mit Blick auf Flüchtlingskrisen, Globalisierung und rechts-nationale Tendenzen: »Einwanderung – oder Sozialstaat: scheint die Alternative. Aber nicht Flüchtlinge machen das Problem, sie machen es bewusst. Es sind die Steuerflüchtlinge und Renditeschlepper, wegelagernden Lobbys, das vagabundierende Kapital. Nicht der Zuzug zertrampelt das Land, sondern der Geschäftsgang. Deutschland, wo nur jeder Zweite noch tariflichen Schutz genießt, und ganze Firmen fürchten verkauft zu werden, setzt sich selbst herab. […] Diese schöne Erde … Wer zerstört sie? Die Verwüstungen richten wir selber an, die Zersiedelung, Vernutzung, Devastierung der Fluren. Und die Unsicherheit und Armut sind von hier, sie wandern nicht ein. Sie haben die Staatsbürgerschaft. (Süddeutsche Zeitung, Nr. 223, 27.09.2018. S. 13)

Warwitz, Siegbert A.: »Wenn Wagnis den Weg weist des Werdens«. In: Ders.: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Erklärungsmodelle für grenzüberschreitendes Verhalten. Baltmannsweiler 2001, S. 257–292. 51 S.H. der Dalai Lama: Rückkehr zur Menschlichkeit. Köln, 2013. S. 66 52 Brandstetter, Johann; Reichholf, Josef H: Symbiosen: Das erstaunliche Miteinander in der Natur. Berlin, 2017. S. 39 50

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in veränderten Umweltbedingungen liegen können wie in Generationenkonflikten. Die aktuelle Konjunktur der Werte mag anzeigen, dass gerade die ökonomische Logik von Schuld und Vergeltung nicht mehr greift.53 Mit Werten können Dinge, die in einem Sinn des Wortes unmittelbar stofflich wertvoll sind, ebenso belegt werden wie immaterielle Ideen, die dann ideelle Werte sind. Deshalb existiert der Wert-Begriff in der Betriebswirtschaftslehre genauso wie in der Soziologie oder Theologie. Ignorieren wir aber bei dieser Betrachtung die monetären Wertaspekte von Gold oder Immobilien und blicken weiter auf die Wertvorstellungen. Denn in der Ökonomie wird der Gewinn ja gerade dadurch größer, dass man seine Einnahmen steigert und die Ausgaben verringert – mit den hinlänglich bekannten Extremen von Zwangsarbeits-ähnlichen Zuständen in asiatischen Fabriken – und es steigten dadurch noch der Ertrag und Wert eines Unternehmens.54 Sind hingegen in einer Firma die ethischen Werte wichtig, wird man dabei entweder zu relativ hohen (Verkaufs-)Preisen kommen oder zu einem deutlich niedrigeren Gewinn. In einer werteorientierten Perspektive stellen sich überhaupt manche Dinge ganz anders dar. Beispielsweise haben wirklich natürliche Rohstoffe, selbst wenn diese nachwachsend sind, die unangenehme Eigenschaft, endlich zu sein. Deshalb kann eine Firma für Naturfarben – ökologisch hergestellte, mineralölfreie Lacke und Farben – keine in der Industrie üblichen, sich steigernden Mengenrabatte geben und noch nicht einmal über Großaufträge allzu sehr erfreut sein, da sie oft froh sein muss, überhaupt genügend Rohstoffe in der geforderten Qualität zu bekommen. Es gibt zum Beispiel nicht beliebig viele unbehandelte Orangenschalen. Doch bemerkenswerterweise hat die rechnerische Endlichkeit von Rohstoffen oft nicht zwingend die naheliegenden, ökonomisch schlüssigen Konsequenzen. So wissen wir zwar um die Begrenztheit vieler Ressourcen, es ist aber Stand heute kein Problem, etwa Erdöl in beliebiger Menge zu erhalten, und dies trotz der hohen Nachfrage, aber aufgrund noch höherer Fördermengen zu Monetäre und ethische Werte

Sommer, Werte. S. 133 Koop, Andreas: »Faule Äpfel«. In: Novum, o. Jg. (2012), H. 6/2012, S. 19

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eigentlich noch viel zu niedrigen Preisen. Der Markt regelt manches auf merkwürdige Weise. Ähnliches gilt für alle Industrieprodukte, die selbst durchaus der Natur entstammen können wie raffinierter Zucker, Milchpulver, Alkohol, Maismehl. Insofern ist es wenig überraschend, dass die Rohstoffe für bestimme Produkte unabhängig von der Menge mehr oder weniger das Gleiche kosten, bei anderen aber steigende Preisvorteile entstehen und mitunter sogar die eigentlichen Rohstoffe, finanziell gesehen, fast das zu Vernachlässigende werden. Man sieht dies gerade bei den wirklich, richtig erfolgreichen Unternehmen wie etwa Red Bull – der Wert steckt in der Marke, der Story, nicht im Produkt und seinen Inhaltsstoffen. So lässt sich – fast beliebig skalierbar – Geld verdienen! Es entsteht die eigentümliche Situation, dass die relevanten Kosten weniger durch den Einkauf der Zutaten und Rohstoffe oder durch die Herstellung des Produkts entstehen als vielmehr durch ihre Vermarktung und Bewerbung, dass gerade aufgrund der geringen Produktionskosten die Mittel dazu überhaupt frei werden.55 Genau das gleiche Phänomen wird man im gesamten Segment der Premium- und Luxusmarken im Modebereich vorfinden: Die bei Weitem höheren Erlöse werden nicht bei den Näherinnen landen, sondern ins Marketing, in die Marke investiert. So entsteht dann, vielleicht gar nicht so weit weg von den schäbigen Produktionshallen, der nächste neue »Flagship-Store« – zumindest in Asien kein unmögliches Szenario. Zurück zu den Werten, die, wie gerade eben auch, eigentlich immer im Plural vorkommen. Das ist gut so, weil es einen »Wert-Monotheismus«56 erschwert. Dies bedeutet natürlich auch, dass es viele gibt und sie konkurrieren oder sich sogar widersprechen können. Wenn Werte »das Rechtfertigungsproblem nichtreligiöser Moral […] lösen«,57 dann freilich zu dem Preis, dass sich auf diesem kleinsten gemeinsamen Nenner alle Menschen ihre Werte selbst zusammenstellen, wie es ihnen beliebt: »Jede individuelle Einheit ist perspektivengebunden – jeder lebt partiell in einer eigenen Welt. In seiner Wertewelt.«58 Was diese einzelnen Individuen in ihrem jeweiligen Kulturkreis über lange Zeit geeint und moralische Markenwert

55 Vgl. Welzer, Selbst denken. S. 38. Darin schreibt er, dass den 4,25 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2011 rund 600 Millionen Euro Produktionskosten entgegenstehen – und eine Milliarde Euro für Marketing. 56 Sommer, Werte. S. 31 57 Ebd. S. 41 58 Ebd. S. 151

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Standards geschaffen hat, ist die Religion. Doch sie löst sich immer weiter auf – oder radikalisiert sich. »Dass Werte in der Moderne Religion substituieren können, sogar müssen«,59 liest man nicht nur in der Fachliteratur, sondern auch dort, wo man es kaum vermuten würde: beim Dalai Lama. Sein vermutlich letztes große »Projekt« ist die Schaffung einer säkularen Ethik. Sie ist insofern alles andere als naheliegend, da er das geistliche Oberhaupt der Buddhisten ist. Also nichts weniger als einer der großen Religionsführer dieser Welt. Wenn er auf eine Ethik außerhalb der Religionen setzt, sollte man genauer hinhören. Doch diese Forderung hat ihren Grund: Zum einen führen die »Gläubigen« seit Tausenden von Jahren nur allzu gerne Krieg im Namen ihrer Götter, sind also nur bedingt taugliche Vorbilder, zum anderen sind mittlerweile über eine Milliarde Menschen ohne Glauben.60 Mindestens diese werden mit keiner Religion mehr erreicht. Deshalb betont der Dalai Lama immer wieder die Gleichheit der Menschen – die »Anerkennung unseres gemeinsamen Menschseins und unseres gemeinsamen Strebens nach Glück und der Vermeidung von Leid«61 ist für ihn der erste und wichtigste Schritt. Einfacher und treffender kann man es kaum ausdrücken. »Das zweite Prinzip besteht darin, dass wir unsere gegenseitige Abhängigkeit als Grundzug der menschlichen Wirklichkeit, einschließlich unserer biologischen Wirklichkeit als soziale Tiere, begreifen.«62 Wie auch immer die Unterschiede in Hautfarbe, Sprache, Geschlecht, Status, Herkunft sein mögen, sie sind höchstens sekundär, denn zuallererst sind wir Menschen. Deshalb gilt es, »die unlösbare Verbindung zwischen unserem eigenen Wohlergehen und dem Wohlergehen anderer zu verstehen und ein echtes Interesse am Wohl anderer zu entwickeln«.63 Und weil wir alle das gleiche Ziel haben: Ein glückliches, erfülltes Leben ohne Leid. Das müsste uns, so Seine Heiligkeit, viel mehr einen und vereinen, als uns Unterschiede der Hautfarbe oder des Schulabschlusses trennen. Der Dalai Lama hat ja die wunderbare Gabe, sich scheinbar ewig seine Kindlichkeit zu erhalten – in einer entwaffnenden, berührenden, unverstellten Weise, die sich auch darin zeigt, die Dinge weder unnötig schwierig noch kompliziert zu machen. Aus seiner Sicht geht es um eine Menschlichkeit, die sich in Werten Säkulare Ethik der gegenseitigen Abhängigkeit

Ebd. S. 167 Siehe Popper, Karl R.: Auf der Suche nach einer besseren Welt. S. 238: »Unser Stolz sollte es sein, daß wir nicht eine Idee haben, sondern viele Ideen, gute und schlechte; daß wir nicht einen Glauben haben, nicht eine Religion, sondern viele, gute und schlechte.« 61 Dalai Lama, Rückkehr zur Menschlichkeit. S. 37 62 Ebd. 63 Ebd. 59

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und Qualitäten wie Zuneigung, Freundlichkeit, Sanftheit, Demut, Geistesgröße, Toleranz, Mitgefühl, Herzlichkeit, Zufriedenheit64 und Warmherzigkeit zeigt. Doch was bedeuten diese Werte nun auf Design bezogen? Was ist werteorientiertes Design? Dazu gibt es nicht viele Antworten, aber viel Potenzial. Es sind spannende Fragen und Aufgaben! Wie schon erwähnt, sind Werte keine fest definierte oder definierbare Angelegenheit – sie sind einem ständigen Wandel unterworfen. Genau diese Eigenschaft ist es aber auch, die sie so wichtig und wertvoll macht: Denn damit werden sie immer wieder neu verhandelt. Sie entwickeln sich mit den Menschen, der Gesellschaft und ihren Lebensbedingungen. Eine Frage ist dabei noch offen: Gibt es einen »Überwert«? Als diesen könnte man vielleicht die »Menschlichkeit« sehen. Doch tatsächlich verhält es sich mit ihm dann genauso wie mit den Werten des »Wahren, Schönen und Guten«: Sie sind zu groß und zu starr, zu absolut und unnahbar – man kann sie nicht anwenden. Die Menschlichkeit kann durchaus als »Überschrift« verwendet werden, sollte aber schnell konkretisiert werden wie mit den vorher aufgezählten Qualitäten: die es dann zu leben (und zu erlernen) gilt. Der Dalai Lama plädiert deshalb übrigens dazu, in den Schulen nicht nur den Verstand zu bilden, sondern auch das Herz. Dies könnte für Hochschulen sicherlich genauso gelten. Werteorientiertes Design – Orientierung ist das Wort dazwischen, das Bindeglied von Werten und Design. Das in einem doppelten Sinn, denn es steht nicht nur in der Mitte, es versucht auch, einen bestenfalls goldenen Mittelweg anzubieten: zwischen einem unerbittlichen kategorischen Imperativ und einem reinen »Alibi« oder der gänzlichen Beliebigkeit. Es geht ja darum, kein »Öko-Design« oder ökologisches Design zu entwickeln, dessen Wirkung in einer ökologischen Bilanz zwar einfach zu ermitteln, dessen Endlichkeit aber auch offensichtlich wäre, wie bereits beim grünen Design thematisiert. Hier hilft die etablierte Definition von (wirklicher) Nachhaltigkeit durchaus weiter: Sie besteht aus ebenso gesellschaftlichen, sozialen Aspekten wie aus ökologischen und Werteorientierung

↪ Aus der Schlussansprache in Der Große Diktator von Charles Chaplin: Wir wollen vom Glück des Menschen leben – nicht von seinem Elend. Unser Wissen hat uns zynisch, die Schärfe unseres Verstandes hat uns kalt und lieblos gemacht. Wir denken zu viel und fühlen zu wenig. Dringender als der Technik bedürfen wir der Menschlichkeit. […] Ihr, das Volk, habt die Macht – die Macht, Maschinen zu erschaffen. Die Macht, Glück hervorzurufen.65

64 Es ist aufschlussreich, dass der Dalai Lama die Zufriedenheit nicht als Zustand (gemeinhin bei uns allen mit einem »Wenn-Dann« verbunden, also mit der Erfüllung bestimmter Wünsche oder Voraussetzungen), sondern als Eigenschaft sieht. Eine, die man hat oder nicht, die man sich aneignet oder nicht. Wozu man sich letztlich auch entscheidet: Es ist die eigene Wahl, zufrieden zu sein oder nicht. 65 Chaplin, Geschichte meines Lebens. S. 406

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ökonomischen. Alle diese drei basieren auf Werten – sie sind die eigentliche Basis, Ausgangsposition und Referenz. Dieses Orientieren ist im Sinne des schon erwähnten und immer wieder neu erforderlichen Ausbalancierens von Bedürfnissen, Möglichkeiten und Anforderungen zu sehen. Wobei eben das Soziale Ziele wie Gerechtigkeit, (Grund-)Versorgung und Sicherheit impliziert und das Ökologische die Wichtigkeit und Erhaltung der Natur, also unserer Lebensgrundlagen. Das Orientieren drückt aus, dass es »die Nachhaltigkeit« oder »die Ökologie« schlechthin nicht gibt, vermutlich ja noch nicht einmal für uns alle die Welt, sondern meint eine bewusste, reflektierte Positionierung in diesem Spannungsfeld. Es hat auch nichts Fundamentalistisches, sondern etwas im positiven Sinn »Weiches«, Offenes, noch Formbares und zu Entwickelndes. Abgesehen davon wird man bei einer BioMolkerei andere Maßstäbe anlegen und Kriterien finden müssen als bei einem Automobil-Zulieferer – bei Ersterer müssen vorgegebene Bedingungen erfüllt sein, sonst wäre sie keine und dürfte sich nicht so nennen, beim Zweitgenannten fehlen vermutlich die Kriterien selbst noch. Da gibt es zwar die wertfreie DIN-ISO-Zertifizierung (ihr Wert mag die Transparenz und Nachvollziehbarkeit sein, immerhin), aber sonst nichts. Selbst wenn beide das gleiche große, übergeordnete Ziel im Blick haben, werden hier jeweils andere Schritte notwendig und möglich sein. Das Wort »Orientierung« hat zudem das Grundlegende in seiner Hinwendung, in der Ausrichtung der Aufmerksamkeit und Energie auf ein Ziel. Es drückt aus, dass andere Maßstäbe gelten (sollen), die sich vielleicht nicht in einem einzigen Satz formulieren lassen, aber doch helfen, einen Weg in diese Richtung zu finden. Denn auch das Gute, und vielleicht erst recht dieses, braucht seine Zeit, um zu wachsen, andere zu überzeugen – aber auch Kriterien und Ansprüche, an denen es sich orientieren kann. Eines scheint wenigstens klar: Es braucht eine Neuorientierung der Werte selbst.

Offenheit und Aufmerksamkeit

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Der dritte Begriff: Design, für den es, außer verkürzt im Lexikon, keine rechte Definition gibt. Wie ja auch die Bezeichnungen Designer oder Grafiker keine Berufstitel sind, die definierte Voraussetzungen haben, im Gegensatz zu Architekten, Steuerberatern und Rechtsanwälten. Allesamt »freie Berufe« – einer davon ist sehr frei. Otl Aicher schrieb einmal, ein Grafiker sei das, was er kann.66 Da ist etwas dran, und er schätzte genau diese Freiheit seines Berufes sehr. Dass diese heute, wo praktisch jede und jeder an seinem Computer irgendetwas gestalten kann, fast ein wenig zu frei geworden ist, verändert die Ausgangsposition nicht unerheblich. Doch auch wenn man nur auf professionelle Designerinnen und Designer blickt, stellt sich schon in der Begriffsvielfalt eine gewisse Verwirrung ein. Es gibt Kommunikationsdesign, Grafikdesign, Informationsdesign, Webdesign, Produktdesign, Industriedesign, Service Design, Interactiondesign, Game Design, Modedesign, Fotodesign und dergleichen mehr. Kernkompetenz von allen und kleinster gemeinsamer Nenner ist die Gestaltung, also das Planen, Konzipieren, Entwerfen von Dingen, ob Produkt, Kommunikat oder Dienstleistung, mit einer meist sehr klaren, konkret gestellten Aufgabe, die es zu lösen gilt und die reproduzierbar ist. Damit ist Design in der Regel bis zu einem gewissen Grad in Qualität und Erfüllung der Aufgabe auch messbar, womit die großen, entscheidenden Unterschiede zur (bildenden) Kunst gleich mit genannt wären (siehe Abb. 49). Dass es im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einer starken Spezialisierung kam, parallel zur fortschreitenden Arbeitsteilung und Professionalisierung in der gesamten Ökonomie, und es diese Entwicklung auch im Bereich des Designs gibt, verwundert nicht. Die Designausbildung selbst hat sich entsprechend verändert und an vielen Stellen zukunftsfähig weiterentwickelt. Dabei sollte man nur nie vergessen, dass ein universalistischer, ganzheitlicher Blick auf die gestellten Themen mitunter mehr wert sein kann als eine über-spezialisierte und damit zwangsläufig sehr ausschnitthafte Betrachtung von Aufgaben und ihren Zusammenhängen. Dieses Universalistische basiert bestenfalls auf einer humanistischen Weltsicht – für die es eine verlässliche Grundlage, eine Basis braucht, die in entsprechenden Werten fassbar und vermittelArbeitsteiliges Design und ganzheitlicher Blick

Vgl. Aicher, Otl: die welt als entwurf. Berlin, 1991. S. 173 (»der grafiker ist ein grafiker. er ist das, was er kann. […] grafiker haben keinen titel, sowenig wie der schriftsteller oder rocksänger.«)

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bar wird. Freilich bieten diese kein Rezept an, keine fertige und auf alles übertragbare Anleitung, aber doch eine entsprechende Haltung. Wie sich daraus ein werteorientiertes Design entwickeln und etablieren kann, ist – trotz mancher gelungener Beispiele – noch weitgehend offen und eine höchst interessante und wichtige Aufgabe. Design ist politisch – jedes Design hat eine politische Dimension. Deshalb geht es für Designer darum, wenn möglich und sinnvoll nicht nur auszuführen, sondern sich auch inhaltlich einzumischen und einzubringen. Alle Beteiligten können dabei nur gewinnen, sei es im ökonomischen Bereich, weil bessere, intelligentere Lösungen herauskommen, sei es im wissenschaftlichen, wo sich alleine über die Fähigkeiten zur Visualisierung schon neue Möglichkeiten eröffnen können, wie gleichermaßen in der Interpretation von Visuellem neue Erkenntnisse entstehen. Alle werden von den Betrachtungsund Herangehensweisen, Perspektiven und Methoden des jeweils anderen lernen. Schnittstellen und Anknüpfungspunkte für Design gibt es in der Soziologie, Anthropologie, Wahrnehmungspsychologie und Pädagogik, in den Geschichtswissenschaften, der Informatik und Robotik, der Ökonomie … Und aus der Biologie weiß man: »Für das Überwinden möglichst vieler Fährnisse des Lebens, helfen Kämpfe meistens weniger als passende Partnerschaften, Kooperationen.«67 Basiert ein Design auf Werten, möchte es also Sinn und Nutzen stiften, der über ökonomische Ziele hinausgeht, wird man den Begriff »Erfolg« anders definieren müssen. Was zur Einsicht führen wird, dass wirtschaftlicher Erfolg in keiner Relation zu einem wirklichen Nutzen stehen muss. Und ökonomischer wie medialer Erfolg einem eben nicht immer Recht geben muss! Ein »Leben auf Kosten anderer ist langfristig auch keine besonders tragfähige Strategie«.68 Dies lässt sich nicht nur von Parasiten im Tierreich behaupten. Auch in Bezug auf das ökonomische Wachstum gilt: »Diese Strategie kann […] langfristig nicht funktionieren, weil sie ihre eigenen Voraussetzungen konsumiert.«69 Oder in einfachen Worten gesagt: Man sägt besser nicht den Ast ab, auf dem man sitzt.70 Erfolg als Sinn

Symbiosen, S. 12 Hüther, Die Macht der inneren Bilder, S. 123 69 Welzer, Selbst denken. S. 93 70 In dem Zusammenhang ist der »Earth Overshoot Day« interessant; er gibt im laufenden Jahr an, wann der Verbrauch der natürlichen, nachwachsenden Ressourcen, die sich in einem Jahr wieder regenerieren, erreicht ist. Derzeit ist das am 2. August. Es fehlt nicht mehr viel und wir verbrauchen dann pro Jahr »zwei Erden«: https://www. overshootday.org/ (Stand 15.02.2018) 67

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Denn die veränderten Rahmenbedingungen für ein gutes, intelligentes, verantwortungsvolles, nachhaltiges und zukunftsfähiges Design sind gleichermaßen offensichtlich wie die veränderten Rahmenbedingungen unser Welt – es mögen sich Experten aus den verschiedensten Lagern weiter die Köpfe heiß diskutieren, an einigen grundlegenden Annahmen kommt man einfach nicht vorbei: So wird es beispielsweise kein unendliches und ewiges Wachstum geben – vielmehr sollte man Alternativen dazu (er)finden. Zudem wird es in einer immer weiter automatisierten Welt71 nicht für alle Menschen eine – bezahlte – Arbeit geben. Dies betrifft mehr und mehr auch die »besseren« Jobs.72 Vielleicht wird der »Sachbearbeiter« – sein Name verrät es eigentlich schon fast, denn Sachen bearbeiten, erst recht immer die gleichen, können Rechner bald besser – ein »Büttner« des 21. Jahrhunderts. Auf globaler Ebene wird es, alleine schon durch den Klimawandel bedingt, wirklich große Migrationsbewegungen geben, die zwangsläufig in Richtung der wohlhabenderen Staaten mit moderaterem Klima gehen werden. Und es gibt keine unendlichen – schon gar nicht fossile – Ressourcen, auf denen die Wirtschaft (und ihr Wachstum) bis heute beruht. Und selbst die fruchtbaren Böden werden immer weniger. Was es aber immer geben wird, sind Menschen mit individuellen Bedürfnissen – und davon auf absehbare Zeit immer mehr. Diese gehen weit über Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf hinaus. Dabei ist weniger an das Streben nach Wohlstand oder Luxus gedacht, als an allzu Menschliches wie die Suche nach Sinn und eine Möglichkeit, sich in die Gesellschaft einzubringen. Dafür wird es noch viel zu denken und entwerfen geben.

In Österreich wurde 2016/2017 deshalb intensiv über eine Maschinensteuer diskutiert. Da man sich aber um die Wettbewerbsfähigkeit sorgte, wurde sie nicht realisiert. 72 Auch wenn David Graeber in seinem neuen Buch zumindest den »Bullshit-Jobs« noch eine gewisse Zukunft voraussagt! (Bullshit Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit; Stuttgart, 2018) 71

Bezahlte Arbeit für alle?

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Design – die Verbindung zwischen den Stühlen

Dass Design unabhängig von seiner Relevanz (oder seines Potenzials) so »verloren« in den politischen und gesellschaftlichen Prozessen und Wahrnehmungen steht, hat wohl mit seinen ausgeprägten Eigenheiten zu tun. Daran ändert nicht einmal die Tatsache etwas, dass ja gerade die Ökonomie wahrlich gut mit ihm und mitunter von ihm lebt – ganz abgesehen davon, dass jeder Mensch tagtäglich mit Design zu tun hat, von Design quasi umgeben ist. Wenn man also davon ausgeht, dass wir in einer von Menschen für Menschen gemachten, also gestalteten Welt leben, wären die weiterführenden Fragen: Wo eigentlich sitzt eine Designerin oder ein Designer in einem Unternehmensvorstand? Oder Parlament. Welcher Politiker lässt sich von Designern beraten? Und: Sehen die Menschen Design als Wissenschaft? Oder als so etwas wie Kunst? Alternativ als reine Dienstleistung? Oder doch nur als eine Art Selbstverwirklichung mit scheinbar beliebigen Ergebnissen und Entscheidungen? Dabei wäre es ja gerade etwas Besonderes und eine echte Chance, nicht »vereinnahmt«, nicht vor-festgelegt zu sein: nicht als Wissenschaftler auf »das Theoretische« oder als Künstler auf »das Expressive« und auch nicht als Handwerker nur auf »das Praktische« fixiert zu werden, oder als Ökonom nur auf Zahlen. →▪ In der Medizin würde jede pharmazeutische Forschung und Grundlagenforschung ohne die Erkenntnisse und Diagnosen der praktizierenden Ärzte nicht viel bringen, umgekehrt wäre auch die Arbeit vieler Mediziner ohne konstante, professionelle Forschung limitiert. Beides bedingt sich, braucht sich – dient einander. Der Vergleich zum Design liegt nahe: Es braucht Reflexion, theoretische Erkenntnisse, die zu neuen Methoden führen und die Praxis bereichern, und es braucht auch die Kunst, Wissenschaft, Dienstleistung …

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KUNST

DESIGN

WISSENSCHAFT

BEOBACHTUNG Fakten Visionen Überzeugungen Meinungen Reflexionen Interpretationen Ausdruck

Fakten Visionen Überzeugungen Meinungen Reflexionen Interpretationen Ausdruck

Fakten

HYPOTHESE

individuell

mehrschichtig

ein

↪ EXPRESSIVES MODELL

↪ FORSCHENDES MODELL

↪ ERKLÄRENDES MODELL

individuell synergetisch fragend konfrontierend visionär kommunikativ subjektiv

erstrebenswert verifizierend und anwendend subjektiv einzigartig – nicht wiederholbar kontextuell gleichzeitig visionär

wahr oder falsch verifizierend objektiv wiederholbar universell Ursache-Wirkung

↪ DIE WELT BEFRAGEND

↪ DIE WELT VERÄNDERND

↪ DIE WELT ERKLÄREND

TEST

Sehnsüchte und Bedürfnisse – Herausforderungen und Probleme

ARBEITSMETHODEN gemeinschaftlich kreativ integrativ ergebnisoffen BEREICHE experimentiell räumlich temporär CHARAKTERISTIK strategisch synergetisch systematisch anwendungsbezogen

Bedürfnisorientiertes Design

Diese Grafik zeigt die traditionelle, bekannte und heute übliche Verortung der Bereiche Kunst, Design und Wissenschaft. Die anstehenden Herausforderungen auf der ganzen Welt sprechen sehr für einen »realitätsverändernden« Ansatz.

Die Kompetenzen und damit Optionen von Design gehen weit über die klassische Gestaltung hinaus. Im Zentrum stehen dabei die Qualitäten des Empathischen, Ethischen und eine (wirkliche) Mensch-/Bedürfnis-Orientierung.

Forschung und Ressourcen

DESIGN EXPERTISE

Mitarbeiter/Beteiligte und Stakeholders (die Interessensgruppen)

WISSEN fallbasiert evidenzbasiert leistungsbasiert

PROZESSE intuitiv interpretativ iterativ

HALTUNG empathisch ethisch (Werte!) Nutzer-zentriert

WERKZEUGE Animation Simulation Visualisierung Modell DENKWEISEN kritisch dialektisch lateral

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praktischen Erfahrungen, das Empirische, um eine Theoriebildung zu ermöglichen und zu verbessern – eben als praxisorientierte Theorie und theoriegeleitete Praxis. Beides schließt sich gerade nicht aus, sondern stützt und unterstützt sich gegenseitig. Dabei ist Design sowohl als »angewandte« Tätigkeit wie auch als Wissenschaft, in der Designforschung und -theorie, immer eine Kontextdisziplin. Ähnlich der Rhetorik, die sich ebenso auf grundsätzlich alle Inhalte anwenden lässt, hat Design immer einen Gegenstand, ein Thema, einen Inhalt. Design als Design wäre Kunst. Diese Kontext-Bindung zeigt gleichermaßen, dass Design immer auch Methode ist, Weg, Mittel und Werkzeug, nicht »nur« Ergebnis. In dieser recht speziellen Konstellation, überspitzt gesagt, nicht Wissenschaftler und auch nicht Künstler zu sein, liegen die ganz spezifischen Qualitäten und Chancen des Designers: in diesem zwischen Theorie und Praxis zu arbeiten, objektiv und subjektiv, an einem Prozess und einem Produkt. Man darf wohl behaupten, dass Design vielen grundsätzlich suspekt ist, und das ist durchaus verständlich. Denn es gründet weder auf ewigen Wahrheiten, noch kann man seine (vor allem indirekten) Wirkungen so recht messen; eine physikalische Einheit für Schönheit gibt es (Gott sei Dank!) nicht. Design hat irgendwie mit Ästhetik und Kreativität zu tun, ist etwas ohnehin nicht wirklich Einschätzbares und Verlässliches, ganz im Gegensatz zu einer DIN-ISO-Zertifizierung, die alle Prozesse innerhalb einer Produktion nachvollziehbar und prüfbar regelt, festlegt und dokumentiert. Dann agiert Design als Disziplin immer aus einem »Ist« heraus auf ein eben noch nicht klares, sichtbares und vorstellbares »Soll« hin. Oder anders, als eine Definition der Aufgabe von Design: Es geht um die Überführung eines bestehenden Istzustands in einen per se besseren Sollzustand – egal, ob Produkt, Kommunikat, Medium oder Prozess. Das machen Ingenieure nicht anders, witzigerweise auch nicht viel transparenter und vorhersehbarer. Als Designerin, als Designer ist man jedenfalls ein »ambulantes« Wesen. Auf nichts kann man sich verlassen – man weiß vorher nicht, was nachher herauskommt, und ein Auftraggeber soll dafür auch noch Zeit und Geld investieren. »Tatsachensätze allein Vom Ist- zum Sollzustand

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sind das Terrain der Wissenschaft und Sollsätze nicht«, zitiert Hubert Matt in einem Vortrag Bruno Latour.73 Das stimmt, und gerade dort sind Designer unterwegs: »Design siedelt in diesem unscharfen Gelände als Solldisziplin«.74 Doch genau das ist der Reiz und die Chance. In diesem »Zwischen-allen-Stühlen-Sitzen« kann man negativ die Distanz, die Lücke zum jeweils nächsten benachbarten Platz sehen – aber auch das konstruktive Potenzial: Man ist gar nicht zwischen den Stühlen, sondern verbindet sie. Und genau dort sind noch Rollen zu besetzen, gibt es einen Bedarf, vorausgesetzt, es gelingt, nachvollziehbar zu arbeiten, multilateral und ergebnisoffen, als Spezialist mit den eigenen Kompetenzen und aufgeschlossen für die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen. Von diesen sind zwar viele einfach »nur« erklärend und, was Prognosen oder Entwürfe angeht, extrapolierend, vorzugsweise in Excel-Tabellen. Mit ihnen wird die Welt regiert, werden Universitäten geleitet, Konzerne geführt. Die Kunst hingegen kann vor allem Fragen stellen, Zustände anschaulich spiegeln und Interpretationsräume anbieten. Design könnte beide Ansätze aufgreifen, verbinden, überwinden – und damit verändern. Man kennt das beinahe Paradoxe in den Naturwissenschaften: Mit Geräten können im Grunde nur Dinge gemessen werden, von denen wir wissen, dass sie existieren.75 Bei Kunstwerken hingegen bleibt die Empfindung und Auslegung individuell und vollkommen offen. Was bleibt dazwischen? Nicht nur, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, sondern auch, um eine Veränderung in Gang zu bringen und zu beschleunigen. Denn an dieser fehlt es ja gerade, nicht an »letzten« Erklärungsmodellen, warum die Probleme entstanden sind. Es geht darum, zu handeln – vom (Nach-)Denken zum (vorausschauenden) Tun zu kommen. Aus welcher Intention heraus man »das Gute« macht, ist eines. Dass man es überhaupt macht, das andere. Nur die gute Absicht zu haben, mag redlich sein, ist aber doch vergleichsweise wirkungslos. Wie sagte Eike König auf einem Vortrag zum Thema »Muss Gestaltung Mut haben?«: »Vieles ist eigentlich gar nicht mutig, sondern notwendig!«76 Fast jeder kennt den wunderbaren, aber inflationär zitierten Spruch von Erich Kästner über das Die Verbindung zwischen den Disziplinen

73 Hubert Matt, Manuskript zum Vortrag »Design der Zukunft – eine Sondierung der Lektüre Latours« gehalten im Rahmen des Symposiums »Design der Zukunft« an der DHBW Ravensburg am 2. Juni 2012 74 Ebd. 75 Flusser schreibt in seinem Buch Dinge und Undinge (München, 2011) davon, dass man Neues nur Entdecken kann, weil man schon irgendwie davon wusste. S. 60 76 Am 31. Mai 2016 im Rahmen der Vortragsreihe »open idea« an der FH Vorarlberg in Dornbirn

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»Gute tun« – aber es gibt noch eine andere, ganz wunderbare Passage aus dem Buch Das fliegende Klassenzimmer. In der Einleitung heißt es dort: »Die Geschichte ist voll von Menschen, die klug oder mutig waren – aber erst wenn die Mutigen klug und die Klugen mutig werden, wird das zu spüren sein, was irrtümlicherweise schon oft festgestellt wurde: ein Fortschritt der Menschheit.«77 Werteorientiert zu handeln und zu arbeiten, im Falle des Designs also zu gestalten, zu entwerfen und zu konzipieren, heißt nicht nur, dass es vorteilhaft für alle wäre, klug und mutig zu sein, sondern auch ehrlich und redlich. Altmodische Worte, aber durchaus aktuell. Ehrlich zu Partnern, Mitarbeitern, Kunden – und nicht zu vergessen – zu sich selbst. Von dieser Ehrlichkeit als einem der zentralen, elementaren Werte ist es nur ein ganz kurzer Schritt zu einem anderen, vielleicht weniger (be)lastenden Begriff: Sinn. Dieser freilich kann durchaus ganz banal sein: etwa Geld zu verdienen. Was ja nichts Schlimmes ist, denn zum einen muss man leben, zum anderen ist Geld wahrlich nichts an sich Schlechtes, sondern etwas Praktisches und ja auch Schönes – aber eben auch nicht alles. Mit dem Sinn ist es gleichermaßen nicht so einfach, denn er ist ebenso nicht a priori festgelegt und messbar. Es wird bei ihm immer schnell »individuell«, zugleich lässt sich manchmal bei aller Auslegung schwer widerlegen, wenn etwas »Unsinn« ist. Es braucht also insbesondere ein gutes Unterscheidungsvermögen, das dabei hilft, Prioritäten zu setzen – weil man alles haben kann, es aber nicht zwingend Sinn ergibt, auch alles zu haben oder haben zu wollen. Analog dazu ist eben etwas nicht zwingend sinnvoll, nur weil es bezahlt wird. Das gilt nicht nur für das Büro und seine Kunden, sondern auch für die Mitarbeiter (oder Bewerber) eines Büros. Ab und zu einen Schritt zurückzumachen und wie ein Außenstehender hinzuschauen, ist dabei oft nicht das Schlechteste. Dies ist ja bereits eine fast unmittelbar gegebene »Methode« in der Arbeit des Designers und müsste mitunter noch weit intensiver, bewusster angewandt werden, strukturiert und dokumentiert. Nur sollte auch klar sein, dass diese Arbeit im Rahmen eines Auftrags bereits eine substanzielle und zu vergütende Leistung sein Ehrlichkeit und Sinnhaftigkeit

Kästner, Erich: Das fliegende Klassenzimmer. Hamburg, 1999 (155. Auflage; erstm. 1933 erschienen). S. 13

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kann. Oft ist die Suche nach der besseren, der intelligenteren und oft gar nicht so naheliegenden Lösung ja mit viel Aufwand verbunden. Es ist nicht ganz einfach, für sich selbst zu überlegen und zu definieren, was Werteorientierung sein kann – so schwer ist es allerdings auch wieder nicht. Schaut man nochmals auf die Aspekte von Sinn und Nutzen, hat man durchaus Kriterien an der Hand und zudem vielleicht den übergreifenden Wert der Menschlichkeit vor Augen. Von Clemens Theobert Schedler, dem österreichischen Gestalter, stammt der schöne Spruch, dass eine Lösung dann gut ist, wenn sie für alle gut ist. Für alle, nicht für einen! Doch dieses Kriterium ist vielleicht erst im zweiten Schritt ein hilfreiches und anspruchsvolles, wenn man sich bereits an die Arbeit gemacht hat. Bleibt die Frage, an welche Arbeit man sich macht. Hier bietet sich ein einfaches (wirklich einfaches!) und sehr unmittelbares Prinzip an, die schlichte Frage: Würde man die jeweiligen Produkte der potenziellen Kunden selbst essen, fahren, nutzen, kaufen, verschenken beziehungsweise analog dazu diese Dienste, Dienstleistungen selbst in Anspruch nehmen oder jemandem empfehlen? Denn würde ich das Brot des Bäckers nicht essen wollen, kann ich schlecht ein Signet für ihn gestalten. Man arbeitet also für jene, mit deren Haltung, Zielen und, ja, Werten, man sich selbst identifizieren kann. Diese Frage ehrlich zu beantworten und sich halbwegs konsequent daran zu halten, deckt bereits die eine Hälfte der Thematik ab – die andere steckt dann im »Wie«. Und dieser zweite Teil ist nicht weniger gut oder schlecht lösbar als der erste, aber kann ihn natürlich nicht ersetzen. Was einen selbst und die Sache im Ganzen nicht wirklich weiterbringt, ist Dogmatismus, also ein radikales, überzogenes Schwarz-Weiß-Denken – die Welt, das Leben, die Menschen, wir bewegen uns alle irgendwo in einem großen, weiten »Graubereich«. Trotzdem oder erst recht kommt man mit diesen wenigen Fragen doch recht schnell zu gewissen Kriterien und Parametern, zu Maßstäben für das eigene Verhalten. Doch was immer man weiß und zu wissen glaubt oder meint, noch wissen zu müssen, es führt oft wieder auf eine Der Gestalter als sein potenzieller Kunde

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ganz bestimmte grundlegende Problematik und Diskrepanz zurück: auf die kaum ernsthaft zu bestreitende Tatsache – man kann es nicht oft genug betonen –, dass wir kein Erkenntnisproblem haben, sondern ein Umsetzungsproblem.78 Oder um mit Flusser zu sprechen: »Weil es ja, wie bekannt, nicht darum geht, die Welt zu verstehen, sondern sie zu verändern«.79 Im Großen und im Kleinen, als Konsument und Käufer – als Gestalter, der im besten Fall Alternativen schafft. Das ist seine große Chance. Man kann natürlich über das, »wie genau« diskutieren, doch die grundsätzlichen Ziele und Konsequenzen müssten eigentlich fast jedem klar sein. Und es ist einfach nicht so, dass man nichts unmittelbar tun könnte; es existieren immer Handlungsspielräume. Es gibt einen sehr schönen, mittlerweile öfters in Publikationen erscheinenden Begriff von Robert Musil: der »Möglichkeitssinn«.80 Den könnte man der scheinbaren Alternativlosigkeit gut an die Seite stellen – oder besser davor. Ihm gegenüber steht der gemeinhin anerkannte und akzeptierte wie auch per se propagierte »Wirklichkeitssinn«. Nicht ohne Grund gibt es bei den Grünen »Realos« und »Fundis«. Den Ausspruch: »Jetzt sei doch endlich realistisch!« kennen wir alle, wie auch die tausend guten Gründe, warum etwas nicht funktionieren kann. Aber wer mag der Hummel erklären, dass sie eigentlich gar nicht fliegen kann? Sie würde vermutlich, so sie denn könnte, erzählen, wie man ihr das Leben wirklich schwermacht. Und das hat ganz andere Ursachen wie etwa eine schwindende Artenvielfalt, fehlende frühblühende Blumen und zu wenige Nistmöglichkeiten als unmittelbare Folgen unserer Landwirtschaft. Und dass sie ganz andere Probleme hat als unsere begrenzte Physik: nämlich eher mit der schier unbegrenzten Chemie. Offensichtlich ist ja, dass alle wirklichen Veränderungen im Sinne eines besseren Lebens mit großer Sicherheit gerade nicht über technologische Fortschritte allein möglich sein werden. Auch »das Digitale« wird dies nicht verändern, zumal jede Soft- auch wieder Hardware braucht und die Folgen von Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und Überwachung etc. noch gar nicht absehbar sind. Wir kämpfen seit jeher mit den Folgen der jeweils alten Technik, die wir mithilfe einer neuen, besseren dann überwinden wollen. Design könnte einen Beitrag leisten, solche Positionen Umsetzungsprobleme und Handlungsspielräume

Leider sind Information und Wissen nur in einem ersten Schritt relevant, um ein Verhalten zu verändern. Es braucht aber weit mehr dazu. Insofern ist auch der humanistische Ansatz der Aufklärer um Diderot nur bedingt erfolgreich. Sie waren davon überzeugt, dass jeder Mensch durch Bildung und Wissen zu einem besseren Menschen gemacht wird. An (zumindest potenziellem) Wissen, auch über die absehbaren Folgen unseres Handelns, würde es heute nicht mehr fehlen! (vgl. auch Schuchter, Bernd: Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie. Wien, 2018) 79 Flusser, Vilém: Dinge und Undinge. München, 1993. S. 10 80 Vgl. Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. Reinbek, 1994 78

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zu vereinen und auszumitteln – die Dualismen zu transzendieren, also das Innen und Außen, Subjekt und Objekt, Wissenschaft und Kunst, Natur und Kultur, Theorie und Praxis.81 Offensichtlich dürfte sein, dass ein werteorientiertes und nicht dem Marketing untergeordnetes Design eine Transformation bewirken kann, eine Überwindung des Alten, einen Aufbruch zu Neuem – anstatt sich mit Reformen auf Veränderungen innerhalb des Systems zu beschränken. Es geht um Alternativen zum ewigen Mehr – oder zumindest und parallel zu einem intelligenteren, verantwortungsvolleren Mehr oder anders, sofern sich dieses nicht bereits ausschließt. Um diese Entwicklung, diesen Wandel näher zu fassen, kommt man um einen Begriff nicht herum, man muss sagen: leider. Es ist das höchst überstrapazierte Wort »Nachhaltigkeit«, also im Sinne des Spannungsfelds von sozialen, ökonomischen und ökologischen Kriterien. Doch es hilft nichts, man kommt nicht daran vorbei – es gibt keinen Begriff, der die relevanten Parameter besser berücksichtigt, beschreibt und zueinander ins Verhältnis setzt. Ein anderer Aspekt ist die inhärente Dimension der Langfristigkeit – oft ja mit »nachhaltig« gleichgesetzt oder so bezeichnet –, also das Überwinden eines nicht nur kurzfristig ökonomischen, sondern auch sehr persönlichen Interesses daran, was sich wann lohnt. Einen Baum zu pflanzen, ist im Grunde ein solcher Akt – ein letztlich nicht nachvollziehbarer, denn man wird den großen mächtigen Baum selbst nie erleben. Es steckt darin ein Über-sich-hinaus-Schauen oder -Denken und zeigt, vereinfacht gesagt, einen Perspektivwechsel vom »Ich« zum »Wir« an, wie ihn auch die modifizierte Bedürfnispyramide von Maslow darstellt. →▪ Gleichermaßen wäre die Nachhaltigkeit anders zu visualisieren – durchaus hierarchisierend und priorisierend sowie um einen wichtigen Punkt erweitert: den der Werte. Damit erklärt und verortet sich dieses Konstrukt »werteorientiertes Design« nochmals klarer und vermeidet gleichzeitig den zur Worthülse verkommenen Begriff der Nachhaltigkeit selbst, wie es ihn zugleich auch erweitert. →▪

Erweiterte Nachhaltigkeit

↪ »Künstliche Intelligenz« – Die Digitalisierung wird sich insbesondere mit dem Thema künstliche Intelligenz eine weitere Dimension erschließen, deren Folgen gänzlich offen sind. Jenseits von grenzenloser Technik-Euphorie und apokalyptischen Befürchtungen braucht es Kriterien und Regeln, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht: Ein »digitaler Humanismus« muss entstehen.82 Und es braucht ein hohes Maß an Transparenz: Wenn es nämlich so weit ist, dass Computer über Schuld- und Kreditfähigkeit entscheiden, sollte man nachvollziehen können, wie Algorithmen ihre Entscheidungen fällen – und woraus sie was »gelernt« haben. »Software ist letztlich die Übersetzung von sozialen Interessen, Wünschen und Konventionen in eine formale Sprache«83 – welche unsere Interessen sind, sollte uns aber nicht diktiert werden!

81 CARE S. 73 (dort im Sinne einer »Queer Ecology«; ein interessanter Link dazu: http://www.queerecology. org) 82 Vgl. dazu Nida-Rümelin, Julian und Weidenfeld, Nathalie: Digitaler Humanismus – Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. München, 2018 83 Interview mit Katharina Zweig, Süddeutsche Zeitung Nr. 189 vom 18./19. August 2018. S. 52

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SOZIALE BEDÜRFNISSE ANDERER → Für einander da sein → Integration, Inklusion, SICHERHEITSBEDÜRFNISSE ANDERER Bildung ÖKOLOGISCHES HANDELN → Ökologische Produkte, Naturschutz

→ Entwicklung der SELBSTVERWIRKLICHUNG eigenen Persönlichkeit → Anerkennung, Status, GELTUNGSBEDÜRFNISSE Ansehen, Einfluss und Macht



→ Bedürfnis nach Gesellschaft, SOZIALE BEDÜRFNISSE Kontakt, Freundschaft, Liebe → Befriedigung der GrundbeSICHERHEITSBEDÜRFNISSE dürfnisse auch für die Zukunft

PHYSIOLOGISCHE BEDÜRFNISSE → Hunger, Durst, Sex, Ruhe und Bewegung, Wohnung, Schutz, körperliche Unversehrtheit

Eine Gesellschaft verhandelt laufend ihre Werte, auf deren Grundlage überhaupt festgelegt und quasi »justiert« werden kann, wie die einzelnen Kriterien im Zeichen der Nachhaltigkeit ein- und zugeordnet werden können. So, wie sie auch ihre »Ideale« und Vorbilder auf diese Weise bestimmt – als diese müssten ja nicht zwingend besonders solche angesehen sein, die möglichst viel besitzen. Parallel dazu entwickelt sich ein Verständnis davon, welchen Stellenwert eine Gesellschaft (und jede/r Einzelne) den Bereichen des Sozialen, Ökonomischen und Ökologischen einräumt, welche Rolle soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit spielen.84 Wie wichtig ihr die Natur ist, Letzteres durchaus im weiteren Sinn, denn die Umwelt wird als ein Aspekt der Globalisierung sehr oft an ganz entfernten und damit für uns »unsichtbaren« Stellen zerstört, also gerade nicht dort, wo der Konsum stattfindet. Dabei sind wir ja bemerkenswerterweise nicht nur dabei, die Erde zu zerstören, sondern auch die Ozeane – sie sind die neuen Müllberge oder -inseln geworden –, und selbst das Weltall ist voller Müll. Dort wird irgendwann eine »Entsorgung« unumgänglich, die sehr viel Geld kostet. Dieses sehen zumindest die USA gerade aber anders besser investiert: in einer neuen »Space Force«.

Erweiterte Bedürfnisse

Hier wurde die bekannte Bedürfnispyramide nach Maslow erweitert. Sind wirklich alle (persönlichen) Bedürfnisse weitestgehend befriedigt, müsste man sich eigentlich wieder für das Wohl der anderen engagieren. Nicht ein »noch-mehr« für mich, sondern ein »auch-mehr« für andere sollte dann die selbstverständliche Konsequenz sein.

Interessant dazu ist das kanadische »Leaps-Manifest«. Siehe https://www.leapmanifesto.org/en/ the-leap-manifesto/deutsch-the-leap-manifesto/ (Stand 30.12.2018)

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Wenn Design werteorientiert sein will, kann es sich deshalb nur bedingt an den derzeit gültigen »offiziellen« Maßstäben ausrichten. Es muss wohl eine Art Vorgriff leisten und darüber nachdenken, was heute und morgen die gebotenen Mittel und Wege sind und sein werden, um zu erreichen, wohin wirkliche Werte führen müssten: zu mehr Gerechtigkeit, zu mehr Frieden, zu einem Weniger des Habens, einem Mehr an Sein, an einer Lebensqualität, die nur bedingt mit dem Lebensstandard gleichzusetzen ist. Kurzum: die Menschlichkeit in all ihren Facetten in den Mittelpunkt zu stellen und mit ihr eine Form von Wohlstand, die für möglichst viele erreichbar ist und den nachfolgenden Generationen noch Spielräume lässt. Deshalb braucht es die Vision einer anderen, einer besseren Zukunft. Einer, die auch Postwachstumsökonomie heißen könnte. Und auch nicht-universalistische, kleine »Teil-Visionen« sind schon hilfreich. Mögen diese Bilder anfangs auch noch so heterogen, unklar und diffus sein, so können sich vielleicht mit diesen »Zeichnungen« oder im Zeichnen die nötigen Ideen entwickeln – es wäre ein design thinking im besten Sinn. Und es könnte Vorstellungen davon geben, was ein gutes Leben ausmacht, wie es ausschauen und sich anfühlen könnte – nicht als öko-diktatorische Vorgabe, auch nicht als das Ideal, sondern als Maßstab und Motivation wider die Alternativlosigkeit unseres Lebens und unseres Systems! Damit wir alle wissen: »Zum Baden brauche ich Wasser – keine Badehose!85«. Wenn man heute in den Medien den Verlust der Zukunft beklagt, muss man sie sich eben wiedererobern. Auf die Politik zu warten nützt nichts. Dabei wäre es ja eigentlich weder verwunderlich noch schlimm, dass von Zeit zu Zeit in größerem Maßstab etwas korrigiert werden muss. Dies einzusehen, ist keine Schwäche, sondern würde eher Größe beweisen. Wenn aber selbst kleinere Anpassungen aufgeschoben werden, kommt zustande, was gerne »Reformstau« genannt wird – und es wird immer schwerer, wirklich etwas zu verändern. Und weil eben immer alles mit allem zusammenhängt und politische Reformen diesen Namen eigentlich ohnehin nie verdienen, geschieht letztlich selten das, was wirklich geboten ist: etwa ein Abbau von Subventionen an den falschen Stellen, Lebensqualität statt Lebensstandard

ÖKONOMIE GESELLSCHAFT ÖKOLOGIE WERTE

Die klassische Gliederung der Nachhaltigkeit mit einer Verortung der Elemente – Grundlage ist die Ökologie, darauf regeln wir das gesellschaftliche Miteinander und schaffen (bestenfalls) eine Ökonomie, die allen dient. Die Grundlage all dessen müssen die Werte sein: Sie geben zum Beispiel vor, welchen Wert und welche Wichtigkeit wir der Natur einräumen.

85 Das sagte der »Jesus von Klagenfurt« in der Reihe Gernstl in den Alpen (2003/04), Folge 9 »In Kärnten« (Bayerischer Rundfunk/DVD; Regie: Franz Xaver Gernstl).

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entweder, um diese Mittel wirklich zu sparen oder um sie anders und sinnvoller zu verteilen und damit zum Beispiel eine höhere soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Gemeint sind mit diesen Subventionen allgemein alle Arten einer Begünstigung. Um wieder eine Verteilung von oben nach unten zu erreichen, müsste die erste Maßnahme eine gerechte Besteuerung von Einkommen sein. Es sagt schon viel aus, wenn Einkommen aus Kapitalerträgen in Deutschland anders und deutlich besser behandelt werden als die aus Arbeit. Oder wenn die Übertragung großer Vermögen bei Erbschaften kaum mehr wirklich besteuert wird.86 Es gibt noch viele substanzielle politische (und damit auch gesellschaftliche und wirtschaftliche) Veränderungen, die notwendig sind und die immer noch von einer wahrlich undemokratischen Lobby verhindert werden. Wie etwa die überfällige Besteuerung von Flugbenzin. War nicht der Klimaschutz ein politisches Ziel? Oder die Einführung einer Spekulationssteuer, die es ja lange Jahre und nicht ohne Grund gab, und zwar in der modernen Fassung einer Finanztransaktionssteuer. Kein »normaler« Mensch kann nachvollziehen, warum das nicht so ist. Doch offenbar traut kein Land sich als erstes zu re(a)gieren. Stattdessen werden Banken mit Steuergeldern gerettet und ihre Kunden mit einem »Papierkrieg« überzogen, der kaschieren soll, dass man nur wenig aus der letzten Krise gelernt hat. Wenn es also eine lebensnotwendige Gestaltungsaufgabe gibt, dann der Entwurf einer neuen Demokratie. Wie kann man echte Mitbestimmung gestalten? Wie können Bürgerinnen und Bürger einerseits mehr Verantwortung bekommen und andererseits auch übernehmen? Welche Art der Kommunikation müsste es geben? Dies nicht zuletzt deshalb, weil mittlerweile überall in Europa Populisten mit ihren simplifizierten, plakativen Aussagen so viel Erfolg haben. Wie kann man ein Bildungssystem gestalten, das nicht lediglich der Logik von Ruhe, Ordnung, Leistung folgt? So viele Fragen substanzieller Art, die nicht von Politikern, Juristen und Berufsbeamten gelöst werden. Oder Antworten, die zwar vorliegen, aber nicht umgesetzt werden – im Grundgesetz (Art. 14 Abs. 2) gibt es beispielsweise das Postulat »Eigentum verpflichtet«. Leider ist es das Papier Begünstigung – Mitbestimmung

86 Žižek (Ärger im Paradies, S. 241) sagt nicht ohne Grund: »Eine offensichtliche Frage stellt sich hier jedoch: Wenn die immanente Logik des Kapitalismus zu wachsender Ungleichheit und einer Schwächung der Demokratie führt, warum sollten wir dann nicht versuchen, den Kapitalismus selbst zu überwinden?« – anstatt ihn eben nur, wenn auch in theoretisch-drastischem Maß (oder der Freiwilligkeit wie bei Sloterdijk), zu »korrigieren«? Spannend wäre dabei dann der Gedanke, welche Rolle Design spielen kann und was sich dadurch verändert.

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kaum wert, auf dem es gedruckt ist: Es hat keine juristische Relevanz, ist nicht einklagbar. Ganz im Gegensatz zum Mietvertrag – und der Mietsituation in vielen Städten. All dies sind Aufgaben, die nur – und unter der Prämisse einer Überwindung von Einzelinteressen im Geiste der Menschlichkeit – gemeinsam von den unterschiedlichen Disziplinen und Positionen miteinander gelöst werden können. Der Charakter des Designprozesses und die Haltung eines Gestalters können hierfür beispielhaft sein: also Optionen schaffen, anstatt Restriktionen zu beklagen. Und deshalb wird jede und jeder tun müssen, was in ihrer oder seiner Macht steht, im vollen Bewusstsein, dass es marginal sein mag, vielleicht nur ein symbolischer Akt. Denn richtig ändern wird sich erst etwas, wenn sich die politischen und damit einhergehend ökonomischen Rahmenbedingungen ändern. Dies betont auch der Philosoph Slovoj Žižek in seinen Vorträgen immer wieder, um im nächsten Atemzug aber zu unterstreichen, wie wichtig es gerade deshalb ist, selbst zu tun, was irgendwie möglich erscheint.87 Klar ist, »keine Lebensform, also keine Zelle, keine Pflanze, kein Tier, kein Mensch und auch keine Gemeinschaft kann auf Dauer so bleiben, wie sie ist«.88 Wandel ist das einzig konstante. »Deshalb ist Leben immer auch Veränderung, und diese Veränderung vollzieht sich in einem ständig fortschreitenden Entwicklungsprozess«.89 Das Dumme dabei scheint aber zu sein: Wenn in »Wohlstandregionen« wie Deutschland von Veränderung gesprochen wird, erwartet man nichts Gutes. Was natürlich seinen guten Grund hat: Nach oben ist einfach so viel weniger Luft als nach unten. Wir glauben, so viel mehr verlieren als gewinnen zu können,90 was uns allerdings nicht abhält, dies mit einem immensen Aufwand trotzdem zu versuchen. Wie gesagt, eine Krise, die sich keiner wünscht, macht deutlich veränderungsfreundlicher. Wo sie herrscht, hat man ein anderes Bild und Bedürfnis nach Veränderung und Fortschritt. Statt eines aufgezwungenen Reagierens könnte man aber auch an ein freiwilliges Agieren denken, eines, das neue Wege zu finden und sie zu begehen versucht. Wofür es Bilder und Visionen braucht – da capo ad infinitum!

Optionen für den Wandel

Vgl. das Interview in »Sternstunden Philosophie« vom 19.06.2016; https://www.youtube.com/watch ?v=Lsc1e3pYtRw (Stand 20.12.2018) 88 Hüther, Die Macht der inneren Bilder, S. 121 89 Ebd. S. 99 90 Das ist auch ein Thema der Europäischen Union – sie hat explizit die Angleichung der Lebensverhältnisse zum Ziel. Dabei ist es mehr als blauäugig oder gar naiv, zu glauben, auch in Rumänien oder Griechenland werde der Lebensstandard mittelfristig auf deutsches Niveau steigen. Meint man es ernst mit diesem solidarischen Prinzip, müssten manche Länder vielmehr etwas von ihrem Wohlstand abgeben. 87

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Damit kommen wir wieder zurück auf die Rolle, vor allem aber auf das Potenzial von Design, wieder im weitesten Sinn gedacht, also auch Architektur mit berücksichtigend. Gestalter sind die »Experten für die Erzielung von Wirkung«91 – ihr Schaffen dient dazu, eine Wirkung zu erzielen. Und ihre Disziplinen verfügen über die Methoden und Techniken dazu, verfügen über die Kompetenzen, Bilder zu schaffen und Neues zu entwickeln. Die Frage ist eben »nur«, auf welche Weise man für welche Zwecke diese Fähigkeiten und die notwendige Energie und Kraft aufwendet. Letztlich gibt es nur die zwei bereits angedeuteten, grundsätzlich unterschiedlichen Wege: ein marketinggetriebenes oder ein transformationsgetriebenes Design. Ersteres sucht grundsätzlich ein Mehr, bei dem »der Zweck die Mittel heiligt« und alles diesem einen Ziel dient – weshalb jedes »Mehr« per se gut ist. Es ist ein Design, wie das Marketing selbst, das im Grunde nur täuschen oder enttäuschen kann: Das Produkt sieht, vereinfacht gesagt, besser aus als es ist, es gibt vor, mehr zu können, als es wirklich leistet (nicht nur, was die reine Funktionalität betrifft), wodurch Täuschung und Enttäuschung die zwangsläufige Abfolge sind. Das Umtauschrecht, so renditemindernd es für die Firmen sein mag (und so wenig ökologisch es ist), scheint eine der wenigen Waffen zu sein, die es dagegen noch gibt. Es ist aber gar nicht so, dass nur »die Werber« wider besseres Wissen, also bewusst, Falsches kommunizieren, sondern eben auch Designer dies gestalten. Wobei falsch noch lange nicht gesetzeswidrig sein muss. Peter Sloterdijk schreibt zu diesen Entwicklungen, dass »Designer als Maskenbildner der Waren mitwirken an der Erwirtschaftung eines Aufmachungsmehrwerts; auch dass Scheinbesserungen, Vortäuschung von Qualitätsdifferenzen, Erzeugung der Illusion von Auswahl beim Kunden seit langem problematische Domänen von Design als angewandter Kunst auf Abwegen darstellen.«92 Aber es muss doch mehr möglich sein als nur Besseres vorzutäuschen – sei es nun Einfachheit oder Komplexität, sei es Stabilität oder Flexibilität, sei es Wert oder Nutzen. Dieser Haltung gegenüber steht ein Design, mit dem etwas verändert werden will und das sich deshalb auch nicht zwingend als »Produkt« sieht, sondern das vor allem als Mittel, Marketing- oder transformationsgestriebenes Design?

Röntgenaufnahme einer LEGOPackung (# 75208 Star Wars »Yoda‘s Hut«) – der Inhalt wurde aus den Tüten genommen und wieder im Karton verpackt. Zwei Drittel in der Schachtel sind Luft.

Prof. Dr. Friedrich auf dem Symposium »Wohin Designer?«; HTWG Konstanz, 9. April 2016 92 Sloterdijk, Peter: Der ästhetische Imperativ. Berlin, 2014. S. 157 (an anderer Stelle werden Designer noch als »Scharlatanenausstatter« bezeichnet) 91

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Medium und Werkzeug dienen kann. Ein Design, das dienen kann und will, und dies nicht nur dem Auftraggeber. Das kann die strategische (Neu-)Ausrichtung eines Unternehmens bedeuten – eine auf Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit basierende, mit Werten der Menschlichkeit im Mittelpunkt. Oder auch »nur« die Berücksichtigung der Barrierefreiheit im Ausstellungsraum, durch die auf einmal im Büro jemand im Rollstuhl arbeiten kann. Gleiches gilt für Regionen, die sich einem anderen Tourismus verschreiben: einem, der anstelle von Inszenierungen auf die Ursprünglichkeit der Natur setzt und diese schützt. Aus dieser Haltung heraus entstehen dann auch andere Botschaften und eine andere Kommunikation – auf einmal wird das Plakative leise und das Leise plakativ. Das wiederum zieht Touristen mit ähnlichen Werten und Wünschen an, deren Präsenz etwa den öffentlichen Nahverkehr stärkt und weiter ausbauen lässt … und den dann auch die Einheimischen nutzen. Auf diese Weise wird eine positive Dynamik in Gang gesetzt, die allen nützt, eine, die vielleicht auch dafür sorgt, dass für die Jüngeren wieder eine Lebensperspektive in diesem Tal entsteht.93 Ein solche Gestaltung könnte dann vielleicht ein Design des Weniger werden und damit einen gesellschaftlichen Beitrag leisten: Alternativen zu entwickeln, sie vorstellbar zu machen, konkret und erstrebenswert. Einen Anfang machen, wo dieses Weniger als Bereicherung gesehen wird, als Gewinn – und nicht als Verlust. Es gibt dafür nicht unendlich viele, aber doch eine ganze Menge gelungener, bemerkenswerter und faszinierender Beispiele. Für Gestalterinnen und Gestalter sollte dieses Design des Weniger auch deshalb relevant sein, weil es mehr Spaß macht, etwas Sinnvolles zu tun als etwas Unsinniges, vielleicht sogar besser bezahltes Unsinniges. Sinn kann man nicht kaufen – aber schaffen. Man könnte auch sagen: Gestalten!

Weniger als Bereicherung

In dem Zusammenhang sei Werner Bätzing erwähnt, der als Kulturgeograf viele wichtige Beobachtungen und Forschungen in den Alpen durchführte, insbesondere zu den problematischen Entwicklungen wie zum Beispiel die Abwanderungen aus entlegenen Gebieten. Vgl. u. a.: Bätzing, Werner: Orte guten Lebens. Zürich, 2009, oder Die Alpen – Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft. München, 2015.

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II

Wie werteorientierte Gestaltung entstehen kann

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Werteorientiertes Design ist weniger ein festes Konstrukt oder verbindliches Rezept als vielmehr eine Haltung und ein Anspruch. Damit nichts, was einen unmittelbar schon zu einem Ziel bringen würde – doch der erste und vielleicht wichtigste Schritt dorthin. Und es ist vor allem ein Anfang, Ansatz und Versuch, für den immerhin verschiedene Methoden und Herangehensweisen, Mittel und Werkzeuge zur Verfügung stehen, die je nach Aufgabenstellung und Umfeld unterschiedlich sein oder vielleicht erst in verschiedenen Kombinationen wirksam werden können. Da Design eine konkrete Aufgabe und einen Auftraggeber hat, steckt mitunter in dem Bemühen, wertorientiert zu arbeiten, immer auch eine (An-)Forderung an den Kunden – bestenfalls natürlich eine durch ihn! Dieser Wunsch oder auch die Empfehlung des Gestalters, in eine solche Richtung zu arbeiten und zu denken, ist die unabdingbare Voraussetzung, wirklich etwas bewegen zu können. Wie im ersten Teil beschrieben, sind Werte dabei weder einheitlich noch ohne Widerspruch. Es geht also darum, beim Kunden und gegebenenfalls auch bei allen anderen an einem Projekt beteiligten Personen eine »Werte-Kompatibilität« zu ermitteln oder herzustellen. Ansonsten ist es wenig aussichtsreich und die Wahrscheinlichkeit gering, dass man wirklich vom Gleichen redet; die Frage ist dann eher, ob die Belastbarkeit und »Biegsamkeit« der Beteiligten ausreichen. Entdeckt man aber im Gespräch gemeinsame Werte und eine ähnliche Einschätzung von Prioritäten und Zielen, kann die Zusammenarbeit spannend und konstruktiv werden. Wenn man einander zuhört, bereit ist, vom anderen zu lernen, Offenheit und Vertrauen das Klima prägen, kann eine Dynamik entstehen, die alle Beteiligten überrascht. Und wenn sich dann der Erfolg – man ist beinahe geneigt zu sagen: trotzdem, aber natürlich deswegen Wertekompatibilität

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– einstellt, man sich also bestätigt sieht, dass es anders geht und das Spannungsfeld der Nachhaltigkeit mit seinen drei eigenständigen Bestandteilen zu einem Entspannungsfeld wird, schafft das ein besonderes Gefühl der Befriedigung. Zugleich erzielt man damit nicht nur diesen einen Erfolg, sondern liefert zugleich ein bestenfalls weithin sichtbares Beispiel, das andere ermuntert und ermutigt, ebenfalls diesen Weg zu gehen. Parallelen dazu gibt es in der Forschung bei den Ansätzen einer »Integrierten Design Strategie«, bei der auch ein zentraler Punkt die möglichst frühe Einbeziehung aller relevanten Personen in den Entstehungsprozess ist. Dazu kommt der Disziplinen übergreifende Ansatz, idealerweise während des gesamten Projekts. Bestenfalls lebt dieses dann den klassischen »Stakeholder-Ansatz«: damit Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, die Region etc. und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Die Raiffeisenbanken und Sparkassen etwa wenden dieses Prinzip schon seit langer Zeit (oder ist das Bemerkenswerte eher, sogar in heutiger Zeit?) meist vorbildlich an. Der spezifische Ansatz steckt beim integrierten Design darin, dass eine Aufgabe, ein Projekt eben nicht bereits gelöst ist, wenn sie dem Auftraggeber oder einem sich selbst verwirklichenden Designer den größtmöglichen Nutzen und Ertrag liefert, sondern allen Beteiligten dient. Damit ist klar, dass man nicht zum Schluss nur noch »schnell« einen Designer dazu holen kann, der eine schöne Broschüre oder ein hübsches Etikett gestaltet. Insofern gibt es hier einen grundlegenden Unterschied zum klassischen Design, das sich – möglicherweise durchaus mit kreativen, überraschenden und intelligenten Umsetzungen – oft damit zufriedengibt, wenn eben dieser eine Zweck erreicht ist. Nicht selten heiligt dieser und noch mehr der Erfolg dann die Mittel und gibt – scheinbar – jenen recht, die nicht weiter schauen als gefordert und unbedingt notwendig. Unter dem Motto »Der Anfang ist vorne« lässt sich dies später am Beispiel eines Schulneubaus in Oberbayern zeigen – ohne Designer, aber nicht weniger bemerkenswert. Laura Lees Überlegungen zur »integrated design strategy«94 kommen aus der Integrierte Designstrategie

Beides waren Vorträge auf dem Symposium »Stadt.Land.Schluss.« im Oktober 2015

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Architektur, sind aber auf das Design übertragbar, wenn nicht gar identisch. Ein wichtiger Aspekt ist dabei Partizipation, die aber nicht selten gründlich missverstanden wird: wenn man die Entscheidungsfindung scheinbar demokratisch von möglichst vielen Personen treffen lässt. Das ist oft schon im kleinen Maßstab bei Gemeinde- und Stadträten aberwitzig, erst recht aber, wenn eine Online-Abstimmung über den besten Entwurf stattfindet. Das Einbeziehen von möglichst vielen Menschen wäre gerade frühzeitig wichtig und sinnvoll – damit überhaupt einmal ihre Bedürfnisse ermittelt, wahrgenommen und berücksichtigt werden können. Diesen Einfluss haben sie jedoch bestenfalls zu einem Zeitpunkt, an dem es noch lange nicht um die konkrete Gestaltung geht, sondern um deren Voraussetzungen, Grundlagen und Anforderungen. Das muss nicht immer erfolgreich sein, wenn – wie bei einer geplanten Platzgestaltung in München – die Einzelinteressen so vehement eingebracht werden, dass man sich nicht einmal mehr auf einen noch so kleinen gemeinsamen Nenner einigen kann. Kommt man aber zu gemeinsam formulierten Bedürfnissen und Wünschen, zu miteinander erarbeiteten Zielen, die dann professionell entworfen und umgesetzt werden, wird das Ergebnis in aller Regel auch von den meisten getragen und als gut empfunden. →▪ Naheliegend ist hier ein weiterer Begriff, der seit Kurzem Karriere macht: Es ist das Social Design« – von dem innerhalb und vor allem außerhalb der Branche vermutlich noch jeder seine eigene Vorstellung hat.95 Sieht man sich die Definition bei Wikipedia an, ist man zuerst einmal irritiert: »Als Social Design wird eine Form der Architektur genannt, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und zugleich in den Entstehensprozess des Gebäudes mit einbezogen wird. Gleichzeitig ist Social Design eine Richtung der Umweltpsychologie/Architekturpsychologie. Social Design sollte nicht verwechselt werden mit Social Media Design, welches sich der Gestaltung von sozialen Medien und sozialen Netzwerken zuordnet. Grundlegend ist hierbei, dass Architekten, Designer, Psychologen und zukünftige Bewohner zusammenarbeiten, um zu einem optimalen Ergebnis für die zukünftigen Bewohner zu Partizipation

Eines von mehreren partizipativen Projekten des Studio Moniker, bei dem Museumsbesuchern einen Stickerbogen erhalten (der auch die Spielregeln enthält), mit dem sie selbst ein »Gemeinschaftswerk« weiterführen und sich einbringen können.

Die Universität Bozen bietet einen Masterstudiengang »eco social design« an – der sich mit diesen Fragen beschäftigt. https://www.unibz.it/de/ faculties/design-art/master-eco-socialdesign/ (Stand 16.10.2018)

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kommen.«96 Etwas eigentümlich, dass dort Social Design als eine architektonische Methode beschrieben wird. Sieht man sich die nicht allzu zahlreichen publizierten und auffindbaren Social Design-Projekte aus dem Bereich Design an, fallen einige Besonderheiten und Überschneidungen auf. Wie der Name sagt, bewegt sich Social Design in der Regel in einem gesellschaftlichen, also öffentlichen Rahmen. Bei kulturellen Projekten und Aufgabenstellungen ist der Ansatz allerdings ebenfalls zu beobachten und könnte dann auch als anspruchsvolles, mitunter partizipatives, kritisches, intelligentes Design bezeichnet werden. Was ja ein schöner Anspruch an Design insgesamt wäre! Die Plakate von Malte Martin beispielsweise illustrieren dies anschaulich. Was der Begriff des Social Design als Konnotation auch in sich trägt, ist das Soziale in dem Sinne, dass es sich um jene bemüht, deren Mittel und Teilhabe endlich sind: beispielsweise bei Flüchtlingen. Ihnen nicht nur ein Container-Dorf (im Außenbereich) hinzustellen, sondern es mit ihnen gemeinsam halbwegs lebenswert zu gestalten, ist eines von vielen denkbaren Szenarien. →▪ Sicherlich auch als Social Design im weiteren Sinn könnte man das »bilding«-Projekt sehen, das in Innsbruck unter Federführung des architekturforum tirol »aut« Kindern und Jugendlichen Kurse in den Bereichen Kunst, Film, Design und Social Design

Eine Flüchtlingsunterkunft, wie man sie kennt: weit außerhalb der Ortszentren mit schlechter Verkehrsanbindung – eine »Ghettobildung«, da ohne jeden Kontakt mit den Bewohnern und auf eine inhumane Art funktional gestaltet. Das Team um Malte Martin hat hier mit einfachsten Mitteln eine Art Gemeinschaftsgebäude errichtet und die Anlage ein wenig menschlicher gestaltet. Am Place des Fêtes (19. Arrond., Paris) machte das multidisziplinäre Kollektiv FAITES eine Aktionsforschung, um neue Nutzungsmöglichkeiten zu finden. Dazu luden sie lokale Akteure ein, ihre Bedürfnisse zu formulieren, und gestalteten mit ihnen in Workshops die entsprechenden Prototypen. Man experimentierte mit neuen Formen um herauszufinden, wie der Platz zukünftig bewohnt und aktiviert werden könnte.

Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/ Social_Design (Stand 16.10.2018)

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Das Projekt »Schoenberg op. A13Transitlärm-Metamorphosen« nimmt die bizarre Verkehrslage eines Tiroler Dorfes als Ausgangspunkt, um vor Ort mit der Musikkapelle den Verkehrslärm in Musik zu verwandeln. Dazu wurde das Videobild der Autobahn auf eine Leinwand übertragen – die projizierte gelbe Linie war das »Signal« für die Musiker. So entstand eine vom Verkehr entworfene Zufallskomposition, durch die Instrumente einer traditionellen Kapelle interpretiert.

Architektur bietet – und ihre vorhandene Kreativität und Neugierde mit fachlicher Anleitung, Raum und Material zum Ausdruck bringen lässt. →▪ Als weiteres Beispiel oder eine Interpretation von Social Design und seiner Bandbreite kann man hier das transdisziplinäre Symposium »Stadt.Land.Schluss.« erwähnen – das ephemere »Medium« Veranstaltung, Kongress ist hier temporär. Ebenfalls spannend ist das gemeinhin eher künstlerisch konnotierte Happening oder die Performance, deren Wirkung sich über die Dokumentation oder – wie beim nachfolgenden Beispiel – auch als Ausstellung noch einmal verbreitern lässt. So wurde von Leonhard Müller bei »Stadt. Land.Schluss.« das Projekt »Schoenberg op. A13« präsentiert, das auf die Lärmbelastung der Transitautobahn in einem Tiroler Dorf aufmerksam macht. →▪ Gleichermaßen kann eine Installation oder eine Ausstellung selbst das Medium sein wie beispielsweise beim Projekt »Reciprociti Bank«. In einem Residence program im Design Museum London entwickelte PSK eine interaktive Installation um das Thema Finanzdienstleistungen – mit dem Ziel, neue Ideen in diesem Bereich zu entwickeln. Das erschien in einer Bank am schlüssigsten, weshalb eine solche nachgebaut und neu gedacht wurde, mit einem funktionierenden Geldautomaten, der die früheren Einkäufe jeweils für alle sichtbar machte – und mit der Frage: Würden Sie Ihren Konsum ändern, wenn er öffentlich bekannt Happening, Performance, Installation, Ausstellung

Das »bilding« bietet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, ihre Kreativität und Experimentierfreude auszuleben – unter Anleitung in einem inspirierenden Umfeld. Es schafft Raum zur Erforschung und Auseinandersetzung mit Malerei, Skulptur, Architektur, Design, Film und Neuen Medien.

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würde? PSK hatte dazu auch eine neue Währung entworfen, deren Wert je nach Ort und Zeit schwankt. →▪ Bemerkenswert ist es natürlich, wenn sich diese Art von Design, diese Haltung über »das Soziale« hinaus auch in ökonomische Bereiche hinein entwickelt. Das am Ende des Buches behandelte Thema der »Inklusion« könnte als weiterer Aspekt eines Social Designs gelten. Auch hier warten noch viele Fragen und Aufgaben, Themen und Herausforderungen auf intelligente und neue Lösungen. Es überschneidet sich mit dem Universal Design, das wie der Begriff Inklusion deutlich darauf hinweist, dass es eigentlich nicht um spezielle »Sonderlösungen« für Menschen mit speziellen Anforderungen (Restriktionen, Handicaps) geht, sondern um Konzepte, die für möglichst alle Menschen gleichermaßen nutzbar sind, durchaus im Bewusstsein dessen, dass es sich dabei um konträre Bedürfnisse handeln kann. Im folgenden Teil werden sieben Aspekte, Denkweisen, Ansätze, Methoden, Empfehlungen und Forderungen entfaltet, die das Design an sich (als Disziplin) und jeweils anstehende konkrete Projekte bereichern und verbessern können. Die zentralen Fragen sind: Wie kann werteorientiertes Design entstehen? Wie können wir ein werteorientiertes Design voranbringen und das Design uns? Wie kann es möglichst vielen dienen und Sinn stiften? Vielleicht können diese Gedanken ja auch den Anstoß geben, selbst einmal etwas zu versuchen, ohne auf einen Auftraggeber zu warten, und vielleicht mit anderen zusammen initiativ zu werden. An dieser Stelle nur noch eine »Warnung«: Wer weiterdenkt, wer zu forschen beginnt, wer bewusst und kritisch entwirft, der wird die Geister, die er rief, nicht mehr so einfach los!

Universal Design

Als die großen Flüchtlingswellen nach Europa kamen, gab es nicht nur Probleme mit den Unterkünften und der gesamten Organisation – schwierig war auch die Verständigung. Das buero bauer hatte deshalb 2015 ein Piktogramm-basiertes »Communication Kit for Refugees« entwickelt und allen Einrichtungen und Hilfsorganisationen kostenlos zur Verfügung gestellt. Blick auf die Installation »Reciprociti Bank« mit den verschiedenen Objekten, vom Kartenleser über die eigene Währung bis hin zum – recht speziellen – Geldautomaten.

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1 Interdisziplinarität – weil keiner eine komplexe Welt alleine verstehen und verändern kann

Miteinander ist meist der angenehmere, bessere und einfachere Weg. Die einfachste Form dürfte dabei die Vernetzung sein. Ein Begriff (und eine Tätigkeit), der in den letzten Jahren eine durchaus steile Karriere gemacht hat. Vermutlich ist das Wort deshalb so erfolgreich, weil es auf die verschiedensten Bereiche angewendet werden kann, also viele Dimensionen hat. Da wäre diese eine, strategische, der Karriere oder dem Auftragseingang gewidmete Tätigkeit des Vernetzens. Ein Unwort eigentlich, denn im Grunde bedeutet es nicht selten, die sprichwörtlich gute Miene zum bösen Spiel zu machen, Kontakte zu suchen, die Nähe zu den »Entscheidern«, um sie dann für den eigenen Vorteil zu nutzen.97 Alle würden heute die Höflinge, jene um den Monarchen scharwenzelnden Günstlinge und die Unterstützung suchenden Damen und Herren belächeln – die Prinzipien sind aber durchaus gleich geblieben und nur mit anderen Etiketten (und anderer Etikette) besetzt. Doch können Netzwerke tatsächlich sehr wertvoll sein, gerade dort umso wertvoller, wo die Mittel limitiert sind. Sie können auch Zeit sparen, vor Fehlern schützen und die eigenen Möglichkeiten erweitern – es sind schon viele Räder neu erfunden worden, weil man nicht wusste, wo es bereits welche gab. Und es können über das gemeinsame Interesse an der Sache Freundschaften entstehen, die sich von einem Nutzendenken längst und weit entfernt haben. Vernetzt sind auch die Medien, wiederum auf mehrfache Weise: Fernsehen und Internet überlagern sich, Telefon, Fotoapparat und im Grunde Miniatur-Computer sind eins geworden. Dem Apparativen folgt auch das Inhaltliche: Nachrichten erreichen uns auf verschiedenste Weise auf unterschiedlichsten Geräten – oft inhaltlich gleich von unterschiedlichen Absendern. Die Dimension reicht noch weiter, denn viele nutzen – als Empfänger, aber Vernetzung

Wer einmal bei Veranstaltungen eines Marketing-Clubs dabei war, weiß, was gemeint ist!

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immer mehr zugleich auch als Sender – neben Internet und E-Mail auch Facebook, Twitter, YouTube, Instagram, WhatsApp zur Information und Kommunikation. Die Vernetzung wird so immer stärker, da all diese Nachrichten nicht nur über ihre Zugänge und Quellen zusammenfließen, sondern auch in der Nutzung vernetzte Geräte benötigen. Ging früher etwas »ans Netz«, meinte man, es wurde der elektrische Strom angeschlossen – heute ist damit das weltweite Netz, das Internet gemeint. Damit wir vernetzt und am/im Leben bleiben, strahlt heute das WLAN wie ein sinn- und kraftspendender Quell in fast jeden Bereich unseres Lebens hinein. Und wer nicht vernetzt ist, ist nicht nur nicht vernetzt, sondern raus. Das Vernetzt-Sein kann, wie bei Staatsfinanzen, Politik und Wirtschaft, so weit gehen, dass es den Charakter beinahe unauflösbarer, gegenseitiger Abhängigkeiten annimmt und zu einer Handlungsunfähigkeit führt – das ist dann die ungute bis mitunter fatale Ausprägung von Vernetzung.98 Vernetzt wäre übrigens auch die uns umgebende Welt zu nennen, insbesondere die Natur, bei der man dann aber eher von Zusammenhängen innerhalb eines systemisch Verbundenen sprechen sollte, da dieses doch einen anderen Charakter und Wert hat. Hier wird auf besonders dramatische Weise deutlich, wie die Tiere und Pflanzen alle miteinander verbunden sind, wie sie zusammenhängen, sich bedingen99 – bis hin zu beeindruckenden Symbiosen. Im Grunde kann man ohnehin sagen: »Es gibt keine individuelle Leistung im quasiphysikalischen Sinne, hinter allem, was Menschen erreichen, stehen letztlich die Anstrengungen vieler.«100 Umso bedauerlicher, wenn dann etwa Konzerne wie Apple, deren fundamentale Funktionen eines iPhones wie das GPS mit Steuergeld an Universitäten und Forschungseinrichtungen entwickelt werden,101 von ihren exorbitanten Gewinnen fast nichts in Form von Steuern an die Gemeinschaft zurückgeben. Doch wechseln wir vom persönlichen oder technischen Verbinden und Verbunden-Sein zum interdisziplinären Überwinden von (scheinbaren) Grenzen. Dinge für sich zu betrachten mag interessant und kann auch ertragreich sein, aber zusätzlichen Abhängigkeiten

Wenn beispielsweise die Stadt Essen als Großaktionär beim Energiekonzern RWE eine Haushaltssperre erlassen muss, weil dort die Dividende gestrichen oder stark gekürzt wird, wie das 2015 der Fall war. Die städtischen Finanzen sind zu einem nicht unerheblichen Teil auf diese Einnahmen angewiesen – dumm nur, wenn ein DAX-Unternehmen jede Entwicklung verschläft oder eine Kommune darunter leiden müsste, dass der Staat nicht alle Kosten und Risiken einer Energiewende trägt (die Finanzierung von AKW-Rückbauten etc.). 99 »Eine Insel, entzweigehauen, verliert nicht die Hälfte, sondern 90 Prozent ihrer Pflanzen- und Tierarten«, so Roland Schulz in einer Studie zu getrennten Lebensräumen beispielsweise durch Autobahnen – trotz Verbindung mit einer Grünbrücke, bei deren Baukosten scharf kritisiert wurden. (Artikel »Endlich wiedervereint« in Süddeutsche Zeitung Magazin, Heft 36/2018. S. 94 f.) 100 »Die Anstrengungen der vielen«. In: Der Freitag, Nr. 36 vom 6. September 2018; zitiert wird darin aus dem Buch Die Erfindung der Leistung von Nina Verheyen. 101 Im Artikel »Kapitalismus ist kein Schicksal« (Süddeutsche Zeitung Nr. 232 vom 9. Oktober 2018. S. 13) ist folgender Absatz zu lesen: »Privatisierbares, patentierbares Wissen leistet […] nur den kleinsten Beitrag. Den Löwenanteil stellt der allgemeine Wissensbestand der Gesellschaft, besonders der Fundus der Wissenschaften. Gesellschaftswissenschaftler sprechen schon lange vom ›Kapitalismus des Wissens‹. Der Kapitalismus befände sich heute noch in den Kinderschuhen, gäbe es nicht diese unermessliche kognitive Allmende.« 98

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Erkenntnisgewinn verspricht es, von mehreren Perspektiven mit unterschiedlichen Wahrnehmungen, Methoden und Kompetenzen auf etwas zu blicken. Wenn man beispielsweise das Smartphone als ein rein technisches Gerät beschreibt und bewertet, wird man am eigentlichen Phänomen meilenweit vorbeigehen. Spannend ist ja gerade seine Nutzung, sein Kontext, seine (disruptiven) Folgen und das Nach-sich-Ziehen von wieder neuen Anwendungen und Nutzungen. Quasi eine Art von »Folgen-Folgen«. Diese prägen wiederum nicht nur dessen Weiterentwicklung, sondern auch das Nutzerverhalten, aber auch die Erwartungshaltungen gegenüber anderen Medien und Geräten und wirken sich so weiter aus, verändern das Notebook oder ein Interface im Auto. Man findet sich unmittelbar in einem höchst komplexen und spannenden Geflecht aus Screen- und Produktdesign, Wahrnehmungspsychologie, Informatik, Ergonomie, Materialforschung … und immer mehr von künstlicher Intelligenz. Dass dies, egal wo man hinschaut, überall der Fall ist, zeigt sich auch daran, dass im wissenschaftlichen Kontext immer mehr »Doppelbegriffe« zu sehen sind: Man liest von sozioökonomischen Folgen, technisch-historische Aspekte werden relevant, ökonomisch-soziale Dimensionen oder psycho-soziale Schäden sichtbar. Es drückt sehr unmittelbar aus, dass sich etwas in und zwischen den Disziplinen tut und es eben oft nicht mehr ausreicht, etwas fokussiert nur für sich zu untersuchen. Was ja auch bestens in eine rundum vernetzte Zeit passt, in der kaum mehr irgendetwas für sich alleine, eigens und ausschließlich gemacht wird. Der »Second Screen« ist ein gutes Beispiel – es reicht nicht mehr aus, einfach »nur« fernzusehen und aus 50 Programmen wählen zu können. Was hier aber ein Zeichen der Ruhelosigkeit, der diffusen Gleichzeitigkeit ist, darf wiederum in der Analyse und Bewertung dieses Phänomens nicht unterschätzt werden. Im Grunde haben deshalb mittlerweile so gut wie alle, auch die etablierten, »alten«, klassischen wissenschaftlichen Disziplinen eingesehen, dass ohne eine fächerübergreifende Zusammenarbeit kaum mehr wirklich neue Erkenntnisse zu gewinnen sind. Oder zumindest immer weniger.102 Wie es ja Zusammenarbeit

Theater und andere ähnliche Institutionen haben gewisse Schwellen vor dem Besuch. Deshalb sollte das Théâtre Athénée »hinaus« zu den Menschen gehen – und dabei mit ausgewählten Zitaten der historischen Stücke einen Bezug zum Heute liefern. Wie mit einem Seitenhieb auf die Liebe zum »BlingBling« des damaligen Präsidenten Sarkozy.

Wenn beispielsweise durch einen gewaltigen Aufwand bei Verbrennungsmotoren nur mehr vergleichsweise geringe Einsparungen zu erreichen sind, merkt man, dass vieles (und nicht nur im technischen Bereich) nahezu »zu Ende entwickelt« ist und alles Extrapolierende nicht mehr weiterführt – eben ein anderer, neuer Ansatz notwendig wäre.

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immer weniger eine Gesellschaft gibt, ist es auch bei jedem Einzelnen: Man verhält sich am Arbeitsplatz anders als auf dem Sportplatz, die Intentionen sind heterogen, das Verhalten wird oft widersprüchlich. Gleichermaßen gibt es keine »reine« Ökonomie mehr, wenn es sie je gab. Der Markt regelt nicht alles, die Nachfrage bestimmt nicht ausschließlich das Angebot, Investitionen sind nach wie vor und trotz aller Berechnungen keine rein rationale Angelegenheit. Dass sich Ökonomen, um ein Beispiel zu nennen, mit Psychologie genauso wie mit stochastischen Methoden beschäftigen müssen, scheint evident: Die Börse ist eben keine rein verstandesmäßige Angelegenheit, so berechnend, einfach und klar die Intentionen der Teilnehmer auch sein mögen. Wo haben in diesem Modell Gier, Angst oder Intuition Platz? Dies wurde mittlerweile auch in der Betriebswirtschaftslehre eingesehen. Insofern ist der Vorwurf, eine Designforschung könne aufgrund einer immanenten Subjektivität keine Wissenschaft sein, absurd – sie ist nicht »subjektiver« als die Soziologie oder Philosophie.103 Und selbst wenn, würde es noch nicht einmal viel ausmachen. Denn zum einen können auch subjektive Phänomene objektiv beschrieben werden, zum anderen lassen sich subjektive Einschätzungen und Voreinstellungen glücklicherweise gar nie vermeiden, denn ohne diese würde vermutlich gar niemand den Drang zu forschen spüren.104 Und selbst die genauesten Geräte in der Physik können nur messen, was erwartet und vermutet wird, worauf das Instrument angelegt ist – weil da jemand ganz subjektiv etwas sucht. Design ist per se bereits eine auf Interdisziplinarität ausgerichtete Tätigkeit – es gibt kein Design an sich, kein Design ohne Aufgabe. Selbst ein Design über Design, also die Gestaltung einer Ausstellung über Ausstellungsgestaltung, hätte als Kontext den des Designs und seines Auftraggebers, in dem die Gestaltung entwickelt wird. Die Minimal-Dimension eines interdisziplinären Arbeitens ist letztlich eben immer schon über den Auftraggeber gegeben: Er hat ein Thema, eine Aufgabe, ein Problem, einen Wunsch. Einen, der zwar inhaltlich sein Gebiet betrifft, für dessen Visualisierung und Kommunikation er aber jemand anderen braucht. So treffen sich dabei immer Auftrag und Interdisziplinarität

Vgl. dazu auch Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt. S. 82 (sechste These) und S. 88 (elfte These). Siehe dort auch S. 90: »Wir können dem Wissenschaftler nicht seine Parteilichkeit rauben, ohne ihm auch seine Menschlichkeit zu rauben.« 104 »Seltsamerweise hat das mit dem vorhergehenden Argument in Bezug auf die gegenwärtige epistemologische Krise zu tun, wo es um die Tatsache geht, daß der Erkennende im Erkannten mit einbegriffen ist. Denn daraus ergibt sich, daß die objektive Erkenntnis mitsamt ihrem Korrelat, dem unbeteiligten, erkennenden Subjekt, ein unmögliches und vielleicht unerwünschtes Ideal ist. Es wird, im Gegenteil, die Entfernung wünschenswert, weil sie nicht mehr mit einer unverantwortlichen Transzendenz verwechselbar ist. Eine solche Entfernung, die ihr eigenes tiefes Engagement für das Erkennbare zugibt, aber zugleich einen unvoreingenommenen Standpunkt sucht, wird ein echter postobjektiver wissenschaftlicher Standpunkt sein.« (Vilém Flusser: Vogelflüge S. 129) 103

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mindestens zwei, meist aber mehrere Kompetenzen. Dies ist im Übrigen auch der Grund, warum eine Designerin oder ein Designer selbst die Maschine nicht bauen können muss oder das Hotel betreiben – ihr oder sein spezifisches Fachwissen ergänzt das beim Kunden darüber vorhandene, macht es sichtbar, spürbar, kommunikabel. Aus der gleichen Anlage heraus wird auch die Designforschung, dieser Vorgriff sei erlaubt, immer eine Kontext- und Bezugswissenschaft sein, was weder gut noch schlecht, letztlich aber vorgegeben ist und manchem »außerhalb« Nutzen bringen kann. Bestenfalls wird dies in der Ausbildung bereits berücksichtigt.105 Ein interdisziplinärer Ansatz ist deshalb sowohl in der Designpraxis als auch der Designwissenschaft nicht nur möglich, sondern eigentlich schon angelegt. Im konkreten Projekt sind es eher die zur Verfügung stehenden Mittel oder die fehlende Zeit, die leider häufig verhindern, noch weitere Kompetenzen dazu zu holen. Dabei würde oft schon eine nur punktuelle Einbeziehung von Vertretern anderer Fachbereiche eine große Bereicherung darstellen. Alleine deren Begriffe, Herangehensweisen und Methoden, ob direkt anwendbar oder nicht, bereichern die eigene Sichtweise, erschließen neue Zugänge und vergrößern so die denkbaren Optionen. Gewöhnt man sich an den Gedanken der Vergrößerung und Erweiterung eines Teams um andere Disziplinen, versteht man überhaupt nicht mehr, wenn beispielsweise Erscheinungsbilder, also visuelle Identitäten für Regionen, nur von Personen aus dem Marketing, der Politik (als mindestens Mit-Entscheider) und dem Tourismus kommen. Warum zieht man nicht Anthropologie, Kultur- oder Geschichtswissenschaft, Geografie, Anthropologie, Soziologie, Theologie oder Germanistik hinzu? Vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil es anscheinend ohne diese einfacher ist und man in Marken- und Destinationsentwicklungsprozessen bei der Definition und Zielsetzung häufig unbequeme Diskussionen auslösen würde. Dass man aber noch nicht einmal denkt, so etwas könnte fehlen, ist bemerkenswert. Doch wären solche Erweiterungen, die wichtige Themen, Fragen und Konflikte vorwegnähmen, nicht nur substanziell wichtig, sondern könnten später auch dafür sorgen, dass diese Bereicherung an Perspektiven

105 Siehe beispielsweise das 2016 entwickelte Curriculum der FHV in Dornbirn; https://www.fhv.at/ studium/gestaltung/intermedia-ba/ auf-einen-blick/ (Stand 16.10.2018)

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Maßnahmen auf einer breit(er)en Basis getragen würden – wahrscheinlich ohne oder mit weit geringeren Budgets für deren Kommunikation zur Etablierung. Dann müsste keine aufwendige Überzeugungsarbeit mit Imagebroschüren und Marken-Events ständig nachgeholt werden. Warum arbeiten in aller Regel nur bei Museums- und Ausstellungsprojekten Gestalter, Pädagogen, Vermittler und (Kunst-)Historiker zusammen, kaum aber bei öffentlichen Projekten oder Aufträgen aus der Wirtschaft? Dabei gäbe es dort ebenfalls ganz andere Professionen, die spannend und interessant sein könnten, wie Künstler und Musiker oder ganz pragmatisch auch Landschaftspfleger und Förster. Warum also nicht, für eine Präsentation oder auch nur als Inspiration, einer Floristin die Aufgabe stellen, einen Blumenstrauß zu gestalten, der aus ihrer Sicht einem bestimmten Unternehmen oder einer Institution entspricht, sie floral visualisiert? Einen Musiker oder Komponisten den Klang einer Firma darstellen lassen – eben nicht als Ergebnis im Sinne eines Audio-Brandings, sondern zur Ausweitung der Dimensionen, Perspektiven und Erscheinungsformen. Das sind freilich andere Ausprägungen einer disziplinübergreifenden Zusammenarbeit als die gemeinsame Entwicklung eines Produkts mit klarer Aufgabenstellung und Terminvorgabe, doch selbst dort können sich, geht man wirklich ergebnisoffen heran, immer wieder neue und unerwartete Optionen entwickeln. Und zumindest könnte man ganz gezielt spezifische Kompetenzen punktuell hinzuholen, etwa bei der Entwicklung eines Signaletik-Konzepts einen Wahrnehmungspsychologen. Sei es als Berater oder um miteinander empirisch und konkret Verbesserungsmöglichkeiten und neue Ansätze zu suchen. Jede Disziplin, jeder Fachbereich hat ihre beziehungsweise seine eigenen spezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen – das ist bei Unternehmen nicht anders als in der Wissenschaft. Spannend wird es eben dort, wo sich diese überlagern, ergänzen und dadurch wechselseitig erweitern können. Designforschung hat hier durchaus etwas beizutragen; sie wird später noch ausführlich behandelt. Doch angedeutet Sich überlagernde Kompetenzen

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werden soll bereits hier, was möglich ist: Historiker beispielsweise misstrauen, das darf man vermutlich so verallgemeinern, dem Bild – für sie gilt das Wort. Dass aber auch Worte gesetzt, gestaltet und damit im Extremfall selbst zum Inhalt werden können, scheint ihnen kaum bekannt.106 Vom Wort über die Schrift und das Schriftbild ist es nur mehr ein kleiner Schritt hin zum Bild, das eben auch interpretierbar ist. Es gibt keine neutrale Darstellung, denn Neutralität, eine vielleicht noch so sehr betonte und bemühte, kann erst recht schon wieder eine Aussage sein. Wie es keine Nicht-Kommunikation gibt,107 gibt es keine Nicht-Form – und damit auch keinen reinen Inhalt. Und selbst wenn man dem sehr nahekommt, beispielsweise durch die Transkription eines historischen Textes in einen Roman, verlöre man eine explizit auch inhaltliche Ebene. Man weiß dann nicht mehr: War dies eine feierliche Urkunde oder ein amtliches, schmuckloses Stück Papier? Wie wichtig war seine repräsentative Funktion? Hat man durch die opulente Ausarbeitung den banalen Inhalt kompensiert, kaschiert? Zeigt das Medium gegebenenfalls wider seinen Inhalt eine Geste der Macht? Mit den üblichen Methoden erreicht man letztlich kein Ideal im Sinne des reinen Textes ohne jede Manipulation, sondern nur einen Verlust in der Interpretierbarkeit eines Dokuments – ob und wie wichtig es war, ob es mehr verspricht als sein Inhalt hält und so weiter. Den Text und seine Darstellung, die inhaltliche Ebene und die formale Dimension zusammen zu betrachten, also beides wahrzunehmen, bringt in vielen Fällen eine zusätzliche Information. Wenn man bedenkt, welche bis heute wichtigen Erkenntnisse beispielsweise Norbert Elias mit seinen soziohistorischen Betrachtungen und Forschungen erreicht hat,108 kann man sich vorstellen, dass Historiker und Designer zusammen manches zutage fördern würden, was bislang »übersehen« blieb. →▪ Im Grunde beruhen fast alle vorher und in den späteren Kapiteln dargestellten Beispiele auf diesem Prinzip und auf dieser Haltung. Denn es geht ja schließlich nie nur um eine höchstmögliche Designqualität – dieses wie auch immer zu Das spezische »Mehr«

Form kann Inhalt sein – das Plakat mit dem Wochenspruch (Februar 1941) der NSDAP sagt mit einer »in Stein gemeißelten« Capitalis Monumentalis: »Der Führer hat immer recht.«

Vgl. Koop, Andreas: Schrift und Macht. Sulgen, 2012 107 Siehe Paul Watzlawick und seine »Axiome der Kommunikation« (München, 2016) 108 Beispielsweise in seinen Büchern Die höfische Gesellschaft (Berlin, 2007) und Der Prozess der Zivilisation. (Bd. 1 Berlin, 2010; 30. Auflage, und Bd. 2 Berlin, 2010; 33. Auflage) 106

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definierende und auch bei jedem Projekt anders gelagerte »Mehr« im Sinne einer umfassenden Nutzerqualität ist jedenfalls alleine mit den eigenen Kompetenzen, Perspektiven und Möglichkeiten des Designs kaum zu erreichen.

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2 Prozesse gestalten – das Produkt-Denken überwinden, den Weg zum Produkt neu entwerfen und die Dinge neu zusammenbringen.

Im angelsächsischen Raum findet man bekanntermaßen eine etwas andere Auffassung von Design vor und auch einen anderen Umgang mit dem Wort selbst, weshalb praktisch jedem Begriff das Wort designing vorangestellt werden kann: wie beispielsweise designing politics. Das ist natürlich nicht zu verwechseln mit dem »Präfix« Design, wie es bei Hotels, Jeans und Hunden zu einer epidemischen Unart wurde.109 Der hier angesprochene Aspekt einer Prozessgestaltung ist ein noch nicht allzu üblicher und gelebter, für den sich unendlich viele Beispiele aufführen ließen. Er ist sehr eng mit dem des Einstiegszeitpunkts von Design verbunden, aber auch mit der Interdisziplinarität und einem »erweiterten Designbegriff«. Weil sich diese Bereiche in der Praxis überschneiden, werden sie auch in diesen Kapiteln hier nicht scharf getrennt betrachtet können. Es geht also darum, sich von der reinen Herstellung – der Konzeption und dem Entwurf von Produkten und Medien, welcher Art auch immer – mit einem vorher definierten Fokus und entsprechender Zielsetzung zu lösen und den Blick auch auf Nicht-Stoffliches zu lenken: auf Methoden und Möglichkeiten von Partizipation oder strategischen Überlegungen bis hin zur grundlegenden Umorientierung und Neuinterpretation von Tätigkeitsbereichen. Dabei ist es denkbar, tatsächlich neue Prozesse zu entwerfen oder auch in anderen Bereichen vorhandene in neue Kontexte zu setzen, zu adaptieren und zu kombinieren. Es ergibt an dieser Stelle Sinn, ein konkretes Beispiel dafür zu geben, denn dieses deckt eine ganze Reihe dieser Gedanken sehr gut nachvollziehbar ab. Wie schon an einer früheren Stelle erwähnt, wird sich die Architektur in Zeiten eines demografischen Wandels und sinkender Bevölkerungszahlen verNeue Prozesse und neue Kontexte

109 Vgl. Koop, Andreas: »Die Bauernund Designer-Welt«. In: Novum, o. Jg. (2016), H. 7/2016, S. 22

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ändern müssen. Hinzu kommen die Veränderungen auf dem Land, das oft entweder (vor allem durch den Tourismus oder die Landwirtschaft) übernutzt oder verlassen wird – in den Städten wiederum, besonders in den attraktiven, mangelt es an Wohnraum. Zusätzlich gibt es spezielle Herausforderungen durch die Flüchtlingsströme. Betrachtet man dann noch die Thematik des enormen Flächenverbrauchs, wird es nicht einfacher – dieser steigt parallel zum Leerstand. Viele Orte bilden diesen Widerspruch gleichzeitig und unmittelbar ab: leere Läden und Häuser im Zentrum und um den Ort herum Neubaugebiete und Supermärkte mit zusätzlicher Infrastruktur. Der Architektur wird also immer mehr die Aufgabe zukommen, nicht nur zu bauen, sondern Bestand und Anforderungen, Menschen und Räume so gut wie möglich zueinander zu bringen. Das Wiener Büro nonconform hat sich deshalb etwas einfallen lassen: die »ideenwerkstatt vor ort«. →▪ Es geht dort eben nicht mehr primär um das Bauen, sondern um das Wie und gegebenenfalls um das Wo oder auch darum, ob überhaupt etwas gebaut werden muss: durchaus im Sinne des kleinstmöglichen Eingriffs, aber vor allem mit dem Blick auf das Ganze, und zwar über das konkrete, einzelne Vorhaben hinaus. Dabei setzt nonconform auf die Mitwirkung aller vor Ort. Man kennt partizipative Ansätze leider oft gerade dort, wo sie keinen Sinn ergeben und ein beliebtes Missverständnis illustrieren: wenn etwa die Kinder einer Schule oder die Bevölkerung des Ortes aufgerufen werden, »ihr« Signet selbst zu gestalten. Da hat es die Architektur etwas leichter, denn die planerische Tätigkeit traut man Kindern dann doch nicht zu, wohl aber Kreativität auf dem Gebiet des Grafikdesigns. Bei der Ideenwerkstatt handelt es sich um ein dreitägiges Engagement im jeweiligen Dorf oder der jeweiligen Stadt, wo dann ein »positiver Ausnahmezustand herrscht«: weil alle Gruppen, alle Menschen die Möglichkeit haben, sich einzubringen – ein Team aus Fachleuten, darunter Architekten und Pädagogen, moderiert Workshops, führt Diskussionen, organisiert ThemenTische, Stimmungsrunden, veranstaltet Hausbesichtigungen, Begehungen, Führungen, Zuhörrunden, Kaffeetische … Ideenwerkstatt vor Ort

Blick in eine typische Situation der drei Tage dauernden »ideenwerkstatt vor ort« – mit den verschiedensten Methoden an unterschiedlichen Räumen und Stationen bietet man möglichst vielen Menschen die Gelegenheit, sich einzubringen.

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das Ganze mündet in eine Abschlussveranstaltung, zu der alle eingeladen sind und bei der die Ergebnisse ausgestellt sind, als großes Fest. Zu sehen sind dann die daraus entstandenen Erkenntnisse, mögliche Chancen und oft auch vollkommen neue Ansätze, Anforderungen und Optionen. Auf dieser Grundlage können in den Gremien später die notwendigen Entscheidungen getroffen werden – vielleicht bilden sich auch Arbeitsgruppen und Bürgerwerkstätten, auf deren Basis weitere Schritte erfolgen – im Grunde bestenfalls wieder eine Art integrierter Designprozess. In den 1970er- und 1980er-Jahren kritisierte Lucius Burckhardt mit großer Vehemenz und guten Gründen die Planungsprozesse dieser Zeit. Über sie schreibt er: »Der Architekt und der Designer durften ja nicht in die Institution eingreifen, sondern sie verbesserten Gestaltungen und Geräte innerhalb der zugeteilten Bedingungen.«110 Genau das versucht die »ideenwerkstatt vor ort« zu verändern – und genau dafür wird sie engagiert und bezahlt. Burckhardt wäre mit Sicherheit beeindruckt, was auf diese Weise schon alles entstanden ist oder anders entstanden ist, vielleicht sogar überhaupt nicht entstanden ist! Könnte man nicht das Erscheinungsbild für einen Ort auf eine ähnliche Weise denken? Identität nicht nur visualisieren, sondern gleichermaßen wiedererwecken, bilden – etwas lostreten? Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Initiative »social design«111 von Martin Malte, einem Designer aus Paris. Er hat sich vor allem bei Signaletik-Projekten immer wieder gewundert und geärgert, wie spät Designer einbezogen werden und wie sehr die Möglichkeiten und damit die Lösungen bereits festgelegt waren. Und: Ist die wirkliche Nutzung denn überhaupt wie »geplant«? Sind die Bedürfnisse tatsächlich so, wie die Planung, die Planer sie gedacht haben? Aus diesem Grund entwickelte er mit Kolleginnen und Kollegen zusammen eine méthodologie, also eine Herangehensweise zu komplexen Aufgabenstellungen im öffentlichen Raum. Es ist auch eine Initiative und ein Vorstoß, aus diesem forschenden Ansatz heraus ein neues und bezahltes Tätigkeitsfeld zu schaffen: Prozesse zu gestalten, mit einem entsprechenden Mandat durchzuführen und eine wirkliche Grundlage für die eigentliche Methodologie für komplexe Aufgaben

Das Molière Pole in Les Mureaux vereint in einem renovierten Viertel Kindergarten, Grundschule, Restaurant, Café ... Das Signaletik-Konzept sah ein Vokabular einfacher Formen vor – rund, quadratisch, dreieckig. An allen Gebäuden als Echo und Zeichen der Interaktion mit der Architektur, gedacht als plastische Komposition im Raum.

110 Burckhardt, Lucias: Der kleinstmögliche Eingriff. Berlin, 2013. S. 106 111 http://www.plateforme-socialdesign. net/fr/decouvrir/les-demarches (Stand 14.04.2017)

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Gestaltung zu legen. Inwieweit dieses Vorgehen dann standardisiert werden kann oder nicht, ist in einem zweiten Schritt interessant. →▪ Es geht auch hier um die Vorverlagerung des Designs und um eine Forschungs- und Analysephase – doch muss diese selbst oft erst gestaltet werden. Solche Aspekte sind zwar im klassischen Designprozess enthalten, aber in einer anderen Dimension und Wichtigkeit, da bereits viel Grundlegendes schon festgelegt wurde. Dabei wird eine (Design-)Forschung, die empirisch ist und bestenfalls auch visuell und experimentell, entsprechend helfen können. Das kann im Übrigen ein Weg sein, Design eine wirklich gesellschaftlich relevante Rolle zu ermöglichen. Und weil der Ansatz dieser Initiative, aber auch das Social Design im Allgemeinen, Bedürfnisse und Anforderungen möglichst vieler Menschen berücksichtigen will, und nicht nur die lautesten oder einflussreichsten, könnte es so etwas sein wie ein »Anwalt von Zielgruppen ohne Lobby«.112

↪ Die verschiedenen Schritte in der »Méthodologie« der Plattform social design – mit dem Versuch, mittelfristig einen anwend- und adaptierbaren Standard zu schaffen. → DEMANDE Anfrage → DIAGNOSTIC Beurteilung/Einschätzung → CHOIX DE Auswahl → MISE EN CONTACT Kontaktaufnahme (mit den lokalen Akteuren) → NOTE D’INTENTION Absichtserklärung → ÉVALUATION Einschätzung der Absichtserklärung → PROJET Projekt (Vor-Ort-Forschungsprojekt) → ACCOMPAGNEMENT Begleitung → ÉTAPES Forschungsabschnitte → ACCOMPAGNEMENT Begleitung → LES FORMATS Formate

Diese beiden Beispiele zeigen zwei von sicherlich vielen denkbaren Wegen, um eine Änderung in der Erwartungshaltung, Ausgangsposition und Zielsetzung bei Gestaltungsaufgaben zu erreichen. Solche, die es ermöglichen, sich mehr und mehr von den reinen (End-)Ergebnissen zu den Prozessen selbst hinzuwenden. Ruedi Baur ist sogar davon überzeugt, dass Gestalter eigentlich ihre Werkzeuge, also nicht zuletzt die Software, mit der sie arbeiten, selbst entwickeln müssten – damit eben nicht die Möglichkeiten (und Restriktionen) der letztlich ja nur als Hilfe zu sehenden »Produktionsmittel« das Ergebnis zu sehr einschränken, beeinflussen oder gar bestimmen.113 Insofern wäre es konsequent, nicht nur die Designprozesse an sich so zu verändern, dass sie für die jeweilige Aufgabe besser passen, sondern im Vorfeld schon an den Prozessen und ihrer Entstehungsweise selbst mitzuarbeiten, um die bestmögliche Grundlage für die Gestaltung zu schaffen. So kann das Design für viele und vieles einen ungleich wertvolleren Beitrag leisten – nicht zuletzt natürlich auch für sich selbst.114 Auf eine solch explizit prozessuale, vorangehende Phase im Designprozess oder auch auf die Gestaltung von (DesignWerkzeuge selbst entwickeln

→ RESTITUTION Rückübertragung (eventuell Bündelung auf nationaler Ebene)

112 Beucker, Nicolas: Social Design als Gestaltgebung von Verantwortung. S. 46 113 Man kennt die epidemisch gewordenen Schlagschatten, seit sie in Indesign erstmals und einfach über zwei Mausklicks machbar wurden. 114 So hat beispielsweise der Verband der Ausstellungsgestalter in Deutschland e. V. (VerA) in Eigeninitiative eine Erweiterung und Modifikation der HOAI für seinen Bereich entwickelt: Honorarordnung für Ausstellungsmacher und Szenografen (HOAS). Vgl.: http://www.vera-d.org

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fernen) Prozessen an sich wartet natürlich eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die überwunden werden wollen. Denn hier herrscht analog zum klassischen Design ebenfalls die Grundproblematik, dass man vorher nicht weiß, was nachher entsteht. Also hat man mindestens gleich drei Unsicherheiten: ob der gestaltete Prozess funktioniert, was dabei herauskommt und wie er sich auf die eigentliche Gestaltungsaufgabe auswirkt. Diese vielen Unbekannten zeigen aber auch das Potenzial – sie können auf diesem Weg zu wirklich neuen Lösungsansätzen und Ergebnissen führen. Wenn man an dieser Stelle auf die vorangehenden Kapitel des Buches zurückblickt, in dem die Herausforderung einer »Gestaltung des Wenigers« eine wichtige Rolle einnimmt, kann man erahnen, dass es genau solche Alternativen brauchen wird. Eine andere, nicht unmittelbar dem Design nahestehende Institution, die noch kurz erwähnt werden sollte, ist das »european democracy lab«. →▪ Es ist insofern und nicht nur für dieses Buch höchst relevant, weil gerade die Demokratie etwas ist, das dringend re-designed werden müsste – oder wie Žižek sagt: weil »die Demokratie neu erfunden werden muss«.115 Und es ist weder pessimistisch noch gewagt zu behaupten, dass die Politikerinnen und Politiker allein dies nicht schaffen werden. In und um dieses Labor herum gibt es sehr interessante Ansätze zu einer richtigen, einer wirklich demokratischen »Europäischen Republik«116 – in Zeiten unübersehbarer RückfallTendenzen zum Nationalstaat wahrlich vonnöten. Die Forderung von gleichen Wahlen, gleichen Steuern und einem gleichen Zugang zu den sozialen Rechten auf Basis neu geschaffener, historisch gewachsener Regionen soll die Grundlage für ein gemeinsames Europa der politischen Gleichheit schaffen. Ulrike Guérot ist Gründerin und Direktorin dieser Initiative und leistet eine bemerkenswerte Arbeit – eine, zu der Gestalterinnen und Gestalter auch beitragen können, und sei es nur in der Visualisierung von Zielen und Wegen dorthin, insbesondere aber durch die Visualisierung einer nicht nur textlichen, sondern auch bildhaften Vision eines besseren politischen Systems. Bei diesem Thema merkt man leider immer wieder, um wie viel einfacher es ist, etwas zu negieren, als eine bessere Visualisierung von Zielen und Wegen

Europa als Frau – und Königin! Die Europa regina in Heinrich Büntings Itinerarium Sacrae Scripturae von 1582.

Žižek, Ärger im Paradies. S. 172 »A vision for a brighter and more democratic European future«; vgl. http://www.european-republic.eu (Stand 16.07.2017) 115

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Alternative zu kommunizieren oder gar zu entwickeln.117 Dies gilt ganz besonders auch für die visuelle Kommunikation – die SVP (Schweizerische Volkspartei) beispielsweise beweist immer wieder, wie »gut« man dieses Problem ausnutzen und aberwitzige Bedrohungen dramatisch bildhaft darstellen kann.118 →▪ Um wie viel schwerer ist es, Gerechtigkeit und Toleranz ins Bild zu setzen, vor allem ohne die Verwendung von Klischees, die ja letztlich eher das Gegenteil erreichen. Unsere Demokratien neu zu gestalten, die nationalen und die europäische, wäre in der Tat eine große und wichtige Aufgabe – und sicherlich keine ausschließlich politische im Sinne klassischer Politik. Interessant ist mit Blick auf Europa auch die visuelle Schwäche dieser Union – es gibt kein wirkliches Symbol, kein zentrales Gebäude, nichts. Die mehr oder weniger auch als Signet dienende Flagge drückt eher die A-Synchronität der Gemeinschaft aus. Die Anzahl der Sterne ist beliebig, hat einmal die Zahl der Mitgliedstaaten repräsentiert, konnte aber nicht mitwachsen und visualisiert nun eher das »Europa der zwei Geschwindigkeiten«. Man könnte viel hineininterpretieren! Aber vielleicht sollte es einen auch nicht wundern, wenn man sich klarmacht, was Ursprung und Kern dieser EU war: ein reines Wirtschafts- und später Währungsbündnis, und eben kein soziales. Die kulturelle Dimension, die humanistische wird mehr und mehr »zerrieben«: Das scheint das wahre Problem zu sein, müsste aber nicht so sein.

Plakat der Schweizer »SVP« (Schweizerische Volkspartei) zur – erfolgreichen! – Volksabstimmung »Gegen den Bau von Minaretten«. Die Süddeutsche Zeitung schrieb darüber mit der Headline: »Wenn der Staat das Volk nicht mehr versteht«.

117 Dass beispielsweise Frieden nicht (nur) die Abwesenheit von Krieg ist und demnach auch ein durchgestrichener Panzer kein »Icon« für Frieden sein kann. Die Taube wiederum wird je nach Kulturkreis anders interpretiert und verstanden; oder eben gar nicht. Dies war eine Beobachtung von Ruedi Baur und seinem Team im Institut Design2context bei der Erarbeitung einer visuellen Enzyklopädie der Zeichen des Friedens: Signs for peace – an impossible visual encyclopedia (Zürich, 2013). 118 Koop, Andreas: »Simple und stupid – in der Tat«. In: Novum, o. Jg. (2010), H. 2/2010, S. 11

Bedarf an positiven Bildern und Symbolen

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3 Den Designbegriff erweitern – Warum wir mehr und andere Medien brauchen und so das Design anreichern können, analog wie digital

Ein »erweiterter Designbegriff«119 hat mindestens zwei Dimensionen und Ausrichtungen, die einen grundlegend unterschiedlichen Charakter haben: einerseits in dem Sinn, welche Rolle Design spielen kann, wann es beginnt und was es leisten kann – bis hin zur Forschung, und andererseits im Sinne der medialen Manifestation, also der Art und Weise, wie und mit welchen Mitteln visualisiert und kommuniziert wird. Die verschiedenen Aspekte im ersten Sinn werden jeweils in den anderen Kapiteln behandelt – hier soll es primär um die Mediennutzung und eben -erweiterung gehen: um das Produkt, das Kommunikat und welche Formen es annehmen kann. Dies bedeutet damit vor allem eine Loslösung von den klassischen Medien wie einer Broschüre oder Website hin zu anderen Formaten oder Erscheinungsformen. Aber was kann diese Erweiterung konkret bedeuten? Auf den nachfolgenden Seiten findet sich aus gutem Grund keine theoretische Abhandlung, sondern eine Reihe konkreter Beispiele: faszinierende, drastische, unkonventionelle … Alle geben auf verschiedenste Weisen Einblicke und Eindrücke davon, was alles möglich sein könnte, was noch versucht und gemacht werden will. →▪ Als Erstes lohnt sich der Blick auf die benachbarte Disziplin der Kunst, die durchaus einiges im medialen Repertoire hat, das für Gestalter relevant ist. Dies betrifft nicht nur freie Arbeiten und Projekte, sondern gleichermaßen solche im kommerziellen Kontext, also Auftragsarbeiten – vom Charakter her vermutlich eher für öffentliche Auftraggeber oder Institutionen, aber wer weiß! Wenn für Performances die Zahl der Anwendungen vielleicht recht begrenzt sein mag, die Intervention könnte im Design die Ausdrucksmöglichkeiten unbedingt bereichern. Ihr Ziel kann es sein, eine möglichst hohe AufmerkRepertoire der Kunst

Es geht hier nicht um einen erweiterten Designbegriff im Sinne einer Designsoziologie, wie Yana Milev ihn in ihrem Buch Designsoziologie: Der erweiterte Designbegriff im Entwurfsfeld der Politischen Theorie und Soziologie (Frankfurt, 2014) entwickelt, wo auf der Grundlage eines komplementär erweiterten Designbegriffs zentrale Konzepte der Soziologie und Politischen Theorie wie Prekariat und Armut, Kreativität und Kriminalität, Anarchie und Angst etc. untersucht werden. Es geht mehr im Sinne von Beuys darum, das Denken, das Erkennen und die Diskussion darüber, was Design sei (oder sein könnte), zu erweitern.

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samkeit für ein bestimmtes Thema zu erreichen oder auch die existierende Wahrnehmung wirklich und vorsätzlich zu stören. Denn genau das wäre oft ja eigentlich eine ganz wichtige Aufgabe von Design: das Stören nicht im destruktiven Sinn, sondern um Selbstverständliches, Bekanntes, Vertrautes wieder bewusst zu machen und – nach einer kurzen Irritation, mit einem gewissen Abstand – auf es neu schauen zu können. Kritisch, konstruktiv. Das kann bei Ai Weiwei durch die Zerstörung von historischen Urnen geschehen oder mit dem Eintauchen von Vasen in Autolack.120 Wenn ein über 2000 Jahre altes Gefäß in Scherben fällt, schmerzt es, und man möchte »Halt!« rufen. Doch zur gleichen Zeit verschwinden in China gerade ganze historische Altstädte unter Baggern und Neubauten für immer. →▪ Bei der Kunstaktion Restposten121 pferchte Claudia Rogge Obdachlose in einen Schuttcontainer und platzierte ihn in der Düsseldorfer Altstadt. Also dort, wo man sie gerade mit viel Mühe fernhält, um das schöne Shoppingerlebnis nicht zu stören. Aber ein großes Aufsehen erregte sie mit dieser Aktion nicht. Als sie am nächsten Tag dann Schweineköpfe aus dem gleichen Container ragen ließ, kam es einen Eklat – aber erst dann. Ihre Kunstaktion wollte bewusst machen, dass immer mehr Menschen, die in Not sind, ausgegrenzt werden. Die Reaktionen von Stadt und Passanten bestätigten genau dies – leider. Nebenbei wurden so auch noch das Thema der Massentierhaltung und der Umgang bzw. die Wertschätzung von Tieren mit aufgegriffen.122 →▪

Interventionen

Mit Laser in den Nachthimmel projizierte leuchtend-grüne Wolke über dem Kamin eines Kohle-Kraftwerks in Helsinki. Die Arbeit »Dropping a Han Dynasty Urn« (im Wert von einer Million Dollar!) von Ai Weiwei aus dem Jahr 1995 hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Mindestens genauso dramatisch sind allerdings auch die Folgen der digitalen Möglichkeiten – wie das geplante (verpflichtende) Social Scoring. »Dropping a Han Dynasty Urn«, 1995; Foto-Triptichon und »Han Dynasty Vases with Auto Paint«, 2014; Vasen aus der Han-Dynastie (202 v. Chr.–220 n. Chr.) und Autolack. 121 Siehe http://www.claudia-rogge.de/ kunstprojekte (Stand 30.06.2016). Dort ist u.a. zu lesen: »Oft erscheint es, als ob Kunst heutzutage nicht mehr leisten kann, als ästhetisches Wohlbehagen zu verbreiten. Noch das so sehr aufrüttelnde Bild gerät zur beliebigen Wanddekoration einer Bank oder Werbeagentur. Noch die provokanteste Aktion läuft in einer tendenziell liberalen Öffentlichkeit Gefahr, in die Leere zu laufen, zum Konsumprodukt zu verkommen.« 122 Dazu noch der Hinweis: Geiger, Annette und Glasmeier, Michael (Hg.): Kunst und Design. Eine Affäre. Hamburg, 2012. 120

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Dies sind sicherlich recht drastische Beispiele, aber ihre Mechanismen sind nicht nur ähnlich zu manchen Kommunikationsaufgaben, sondern durchaus auch übertragbar. So veranstaltete das Institut von Ruedi Baur und Vera Baur-Kockot beispielsweise Workshops in den besonders vernachlässigten und heruntergekommenen Stadtteilen von Marseille – in einer Gegend also, wo jeder mit sich selbst und seinem eigenen (Über-)Leben beschäftigt und das soziale Leben praktisch zum Erliegen gekommen war. Eine der Maßnahmen, um überhaupt erst einmal eine gewisse Aufmerksamkeit zu erzeugen, waren fast sinnfreie Installationen als eine Art von Intervention – und damit eben Störung. Das Ergebnis: Viele der Bewohnerinnen und Bewohner wunderten sich, was diese Installationen hier sollten, fragten andere, ob sie vielleicht etwas mitbekommen hätten. Und so redete man immerhin kurz miteinander, langsam entstand bei einigen ein gewisses Interesse an Fragen über die Entwicklung dieses Viertels, an der Notwendigkeit für Veränderungen. Eine ähnliche Funktion könnte in einem positiven Sinn auch die Gestaltung einer interventionalistischen Landmarke bei einem Unternehmen sein – anstelle vieler Broschüren und Messestände. Eine, die vielleicht nur temporär, aber architektonisch beeindruckend ist und so den Möglichkeitssinn bei Kunden schärft – und die auch »außerhalb der Geschäftszeiten« für alle zugänglich ist, ohne Kosten und Verpflichtung. Sie könnte womöglich sogar eine touristische Dimension erhalten, die dem Ort wieder nutzt und im Miteinander und Füreinander jeder etwas davon hat. →▪ Ein weiteres Projekt von Integral Ruedi Baur ist die »Rückeroberung des öffentlichen Raumes« durch das Entfernen aller (oder möglichst vieler) nicht vor Ort gefertigter Schilder im Straßenraum und von den Häusern in einer kleinen Stadt mit ca. 5.500 Einwohnern. Stattdessen beschrifteten die Bewohnerinnen und Bewohner von Nègrepelisse ihr Rathaus, das Schwimmbad, den Kiosk und weitere Gebäude selbst. Es war dadurch gar nicht zu vermeiden, dass sich viele wieder mit dem eigenen Ort beschäftigten, miteinander in Kontakt kamen, an den verschiedenen Beschriftungen zusammenarbeiteten. Auch die Kinder waren einbezogen, in Workshops wurde ihnen Aufmerksamkeit erzeugen

Bilder der »Container-Aktion« von Claudia Rogge in der Düsseldorfer Innenstadt – einmal mit Obdachlosen, einmal mit den Köpfen geschlachteter Schweine.

Unter dem Titel »Der Prototyp als Werkzeug von Transformation und Dialog« realisierte Civic City dieses Projekt in Marseille-Provence. Ziel war eine »Utopie der Nähe«, ein »In-situ-Design«, eine »Kontextualisierung« und insbesondere ein »Design-Making« in einem prekären Stadtviertel.

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Ebenfalls von Ruedi Baur und Civic City ist das 2012 bis 2013 realisierte Projekt »Imaginer Nègrepelisse«, bei dem es um das Schreiben, die Schrift und die Beschriftung im (und des) öffentlichen Raum(es) geht.

gezeigt, wie man mit Kreide großformatig schreibt und gestaltet . So entstand ein Agieren anstelle des Reagierens, ein Wieder-selbst-aktiv-Werden und damit auch ein Wiedergewinnen von Einfluss, eine Rückeroberung der Repräsentation. Mehr als eine schön gestaltete Ortschronik hätte erreichen können – die man ja auch trotzdem hätte machen können. Doch leider wurde der Bürgermeister des Städtchens nicht wiedergewählt, und so endete das überaus spannende Projekt vorzeitig. →▪ Wichtig ist hier das physische Zusammenbringen von Menschen. Das kann über die Gründung von Arbeitskreisen erfolgen oder über Vereine und Kooperationen wie beim »WEI SRAUM« als Forum für visuelle Gestaltung in Innsbruck/ Tirol oder der Social Designplattform von Malte Martin. →▪ Interessant ist ebenso die Initiative »Utopia Toolbox«. Dort glaubt man nicht mehr recht an Konferenzen und »Reden«, sondern versucht, unmittelbar und konkret tätig zu sein, sieht sich als »eine Werkzeugkiste für die bewusste Gestaltung der Zukunft« im Sinne der »Gestaltung des Raumes zwischen uns Menschen: Politisch, sozial, künstlerisch, wissenschaftlich, wirtschaftlich, philosophisch, spirituell, ganz praktisch«.123 Grundlage ist auch hier eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und damit die Kreativität als das alles verbindende Element. Bei ihren Veranstaltungen versuchen die Organisatoren, sich Kreatives Eingreifen

Der »WEI SRAUM Designforum Tirol« sieht sich als Plattform rund um die Themen zeitgemäßer visueller Kommunikation und Design. Um dies zu fördern, gibt es dort Vorträge, Ausstellungen, Ausbildungsangebote, Diskussionen und Publikationen, um das Bewusstsein für die Bedeutung dieses Bereichs in unserer Gesellschaft zu erhöhen.

Siehe: http://www.utopiatoolbox. org (Stand 30.06.2016); gilt auch für die nachfolgenden Zitate in diesem Absatz.

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und den Teilnehmern jeweils ganz konkrete Aufgaben zu stellen, die dort miteinander bearbeitet werden. Ein anderes unkonventionelles Projekt ist ihr »Creative Intervention Team« – dort greift ähnlich wie bei nonconform ein Team die vorgefundene Situation vor Ort auf, durchaus wieder mit den Mitteln der Kunst. Realisiert werden so Aktionen, Interventionen oder Installationen. Ihr Ziel ist es, über die Kunst »eine direkte Infiltration« zu erreichen, und dies besonders dort, wo ein »dramatisches Defizit an Kreativität« die möglichen Veränderungen von vorneherein verhindert und für Stagnation sorgt. Ihr Claim ist: »Die Öffnung der Kunst in das Alltagsleben, die Öffnung des Alltagslebens in die Kunst.« Dass sich hier Design und Kunst sehr nahestehen, wird nicht überraschen. Eine ähnliche Form des unmittelbaren Eingreifens gibt es auch bei »Fairkehr« – hier werden bestimmte Bereiche in einer Stadt temporär begrünt, damit der Unterschied an Lebensqualität nicht vorgetragen, sondern erlebbar wird. Dass man zum Intervenieren nicht unbedingt räumlich arbeiten muss, beweisen die Postkarten und Plakate, etwa die von Klaus Staeck – bei denen es dann durchaus zum »Happening« kommen kann: wenn beispielsweise CDU-Abgeordnete in einer Ausstellung seiner Werke die Plakate von der Wand reißen. Die waren offenbar so provokativ, dass sie 41 gerichtliche Klagen nach sich zogen – und so intelligent, dass keine davon erfolgreich war.124 Seine Arbeiten wurden in mehr als 3.000 Einzelausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Seit Jahrzehnten gelingt es ihm, mit sprachlichen und vor allem visuellen Mitteln, den Finger in politische Wunden zu legen – mit dem Ziel, Menschen dazu zu bringen, mehr für die Demokratie zu tun. Auch mit Plakaten arbeitet Leander Eisenmann aus Zürich – allerdings ist sein Weg dorthin oft besonders spannend. Bei »stop bombarding syria« legte er ein Assad-Bild aus Eisenspänen, die dann von unten mit einem Magnet »verzogen« wurden. Beim Plakat »Gaddafi-kippen« wurde das Portrait aus Sand gestaltet und die Fläche danach in mehreren Schritten gekippt. →▪

Das Plakat »Die apokalyptischen Reiter« – Amazon, Apple, Google und Facebook – (nach Albrecht Dürer) von Klaus Staeck.

Provokationen durch Postkarten und Plakate

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Vgl. Süddeutsche Zeitung Magazin: »Bis heute kann ich die Welt nur ironisch ertragen«. 20.09.2018, Heft 38/2018. S. 68 f.

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Kippvorrichtung für das mit Sand gestreute Bild Muammar al-Gaddafis, dem »Revolutionsführer« Libyens bis 2011; in bestimmten Winkeln wurde jeweils ein Foto gemacht – im Bild die Variante bei 32° Neigung.

Ein Kongress oder Symposium ist in dem Zusammenhang vielleicht wieder eine eher »bürgerlichere« Form, um Austausch und Kontakt zu schaffen. Was man meist von Verbänden und Hochschulen kennt, kann selbstredend auch in Eigeninitiative auf die Beine gestellt werden. So entstand beispielsweise die Veranstaltung »Stadt.Land.Schluss.« – als ein »Nebenprodukt« zur Erarbeitung dieses Buchs. Das Team der designgruppe koop hatte sich ohne jede Erfahrung mit ähnlichen Aufgaben die Frage gestellt: »Kann man ein besseres Leben gestalten?«125 Dies mit dem speziellen Blick »auf das Land«, auf die Provinz, wo im Gegensatz zum urbanen Raum Entwicklung meist einfach »geschieht« und erst im Blick zurück erkennbar wird – und weil sich um die Stadt viele kümmern, um das Land aber nicht. Das Spannende war dabei die Zusammensetzung der Sprecherinnen und Sprecher, aber auch des Auditoriums. Weil es eben nur einen endlichen Effekt hat, wenn immer nur Designer vor Designern, Architekten vor Architekten und Imker vor Imkern sprechen, sollten hier verschiedenste Disziplinen beteiligt sein. Den ersten Vortrag hielt Michael Pelzer, ehemaliger Bürgermeister von Weyarn, ein Ort, über den im nächsten Kapitel noch ausführlicher berichtet wird. Es sprach ein Imker, der detailliert den Schwarmprozess bei den Bienen erklärte, der als Begriff zuvor von Architekten und Städteplanern oft metaphorisch (Schwarmintelligenz) Ein Symposium für verschiedenste Disziplinen

125 Vgl.: http://www.stadt-land-schluss.eu (Stand 30.06.2016); das Symposium fand vom 7. bis 9. Oktober 2015 und vom 8. bis 10. November 2017 statt und soll zukünftig alle zwei Jahre veranstaltet werden, das dritte Mal am 17. und 18. Oktober 2019.

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verwendet worden war, sowie ein Theologe und Germanist, der den Aussagen in Designmanuals von Tiroler Tourismusorten Fotos der Wirklichkeit gegenüberstellte. Mit dem »PechaKucha«-Format126 hatten insbesondere auch Studierende die Möglichkeit, ihre Arbeiten vorzustellen: positive, motivierende und Mut machende Projekte. Veranstaltet wurde der Kongress in der Bayerischen Musikakademie in Marktoberdorf – beides kannte vorher kaum einer, aber die Auswahl dieses Ortes hatte durchaus Methode: Er ist mit Bahn und Auto gut zu erreichen und bot ansonsten nicht viel. Da man dort günstig übernachten konnte, alle miteinander gegessen haben und an den Abenden Konzerte stattfanden, entstand eine besondere Atmosphäre und Nähe, ein »Klausur-Charakter«, den kaum jemand so erwartete hatte. 2017 wurde das Symposium mit dem Focus »Was ist das gute Leben – auf dem Land?« nochmals veranstaltet; im Oktober 2019 soll es unter dem Thema »was wäre wenn …?« zum dritten Mal stattfinden. →▪ Ähnlich spannend sind auch die Tage der Utopie, konzipiert und kuratiert von Hans-Joachim Gögl und Josef Kittinger, oder die Veranstaltungsreihe »FAQ Bregenzerwald« im österreichischen Vorarlberg.127 Ach ja, einen Vortrag zu halten kann natürlich ebenfalls ein probates Medium sein! Ebenfalls in einen Fachkongress mündete das Fehlen jeglichen Angebots zum Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des »Audio Branding« (und später Audio-Interaction). Rainer Hirt, einer der Gründer von audity, war schon zu Beginn seines noch in Planung befindlichen Büros überrascht, dass es zu diesem Suchbegriff praktisch keine Treffer im Internet gab –  für ihn zwar auch eine Bestätigung, dass auf diesem Bereich noch etwas möglich ist, aber trotzdem schon irritierend. Einige Jahre später initiierte er mit Kollegen eine »Audio Branding Academy« als weltweit erste Institution für diese Themen. Daraus entstanden ein an wechselnden Orten stattfindender »Audio Branding Congress«, ein »Audio Branding Award« und eine »Audio Branding Society«. Und da es zwar viele Suchmaschinen gibt, auch für visuelle Inhalte, nicht aber für auditive, ist man dabei, eine solche zu entwickeln. Sie ist bereits online, heißt audiobello.com und hat den Focus auf »royalty free« Academy

Blick ins Auditorium der Bayerischen Musikakademie in Marktoberdorf, dem Veranstaltungsort des transdisziplinären Symposiums »Stadt.Land.Schluss.« 2015. Motto war die Gestaltbarkeit der Welt. Eine der Mitmach-Werkstätten beim Symposium »Stadt.Land.Schluss.« 2017. Hier wurden Entwicklungsmöglichkeiten und utopische Visionen für eine Ostallgäuer Kleinstadt entwickelt.

126 »Pecha Kucha« ist ein Vortragsformat aus Japan, bei dem man jeweils 20 Bilder 20 Sekunden lang präsentiert. Damit ist die Dauer auf 6 Minuten und 40 Sekunden begrenzt; nach dieser Zeit wird man noch im Satz unterbrochen. In vielen Orten gibt es »Pecha-Kucha-Nights«, in denen eine ganze Reihe solcher Vorträge hintereinander gehalten werden. 127 Vgl. http://www.tagederutopie.org und https://www.faq-bregenzerwald. com (Stand 01.10.2018)

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Der Van Gogh Radweg bei Nacht – fluoreszierende Steine speichern das Tageslicht und geben es bei Dunkelheit in schimmernden Grünund Blautönen wieder ab. Das Projekt wurde von 2012 bis 2014 in Eindhoven realisiert und war vom Gemälde »Sternennacht« von van Gogh inspiriert.

Sounds. Wie so oft kann die Tatsache, dass es etwas noch nicht gibt, eben gerade dazu führen, das Gesuchte selbst zu realisieren.128 Wieder mit etwas mehr Nähe zur Kunst noch zwei letzte Beispiele: Da wäre als Erstes ein überaus bemerkenswerter Radweg – oder vielleicht eher eine befahrbare Skulptur. Der Holländer Daan Roosegaarde hat diesen in der niederländischen Stadt Nuenen in der Nähe von Eindhoven gestaltet – eine Arbeit, die wohl zwischen Kunst, Design und Technik zu verorten ist. Seine Idee für den »Van Gogh Radweg«, auf dem sich eine speziell entwickelte, fluoreszierende Farbe über die Sonneneinstrahlung auflädt und dann bis zu acht Stunden grünlich schimmernd leuchtet, war offenbar so überzeugend, dass die notwendigen 700.000 Euro über staatliche und private Fördergelder aufgebracht werden konnten. Dieses Projekt ist zugleich Teil einer weitergehenden Forschung von Roosegaarde zum Thema »Smart Roads«, die als unsere Lebenswelt prägendes Element aus seiner Sicht nicht nur schöner sein könnten und sollten, sondern auch intelligenter.129 →▪ Ebenso den Boden und die Niederlande betrifft ein Projekt zur Erinnerungskultur, das das »Studio Moniker« umgesetzt hat – auch mit einer interessanten Form der Partizipation. →▪

Befahrbare Skulptur

128 Mehr unter: http://www.audityagentur.com/de/; http://www.audiobranding-academy.org/aba/ und http://www.audio-branding-society. org; http://www.audiobello.com (Stand jeweils 05.07.2016) 129 Siehe auch: https://www.studio roosegaarde.net; einen Artikel über den Van-Gogh-Radweg findet man u. a. unter https://www.wired.de/ collection/tech/die-leuchtenden-radwege-der-zukunft (Stand 30.06.2016)

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Als letztes Projekt sei noch das neunstündige Video »Color Correction« des Studios Lernert & Sander130 erwähnt – Künstler, die aber auch auf dem Gebiet der Werbung tätig sind. Dort sieht man, wie zwei Personen, direkt von oben gefilmt, verschiedenfarbige »Disco Dips« sortieren: kleine Zuckerkügelchen zur Verzierung von Kuchen. Viele davon, weshalb das Ganze eine Weile dauert und so unspannend wird, dass es sich nicht mehr steigern lässt – eine Arbeit, wie sie etwa früher an Fließbändern durchgeführt wurde und heute womöglich von Robotern und die zugleich so zeitintensiv und mühsam ist, wie die politische Arbeit in einer Demokratie, weshalb der Film im Parlament der Niederlande gezeigt wird. →▪ Wie man sehen kann, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten und Optionen. Viele, die selten genutzt werden und vielleicht auch nicht direkt auf der Hand liegen, und all diese Beispiele hätten noch um weitere ergänzt werden können. Wichtig ist: Das richtige »Medium« muss nicht immer das naheliegende sein. Und offensichtlich wird auch einmal mehr, wie sehr die in diesem Teil behandelten Elemente ineinanderfließen und sich mitunter tatsächlich bedingen.

Um den »Welt-Wassertag« sichtbar zu machen, überschwemmt Roosegaarde symbolträchtige öffentliche Flächen (hier der Museumplein Amsterdam) mit »Waterlicht« – eine virtuelle Flut in blauem Licht, das die Kraft und Poesie des Wassers ausdrückt. Die »Gates of Light« sind ein futuristischer neuer Eingang zu einem Deich: Das Licht der Autoscheinwerfer reflektiert auf kleinen Prismen (Retroflexion) die Installation und macht die Umrisse der Schleusentore sichtbar – sie benötigt dafür keine eigene Energie. Dieses Denkmal wurde von Tausenden Besuchern online mitgestaltet. Alle wurden dabei aufgefordert, ihren Stein zu platzieren, um die Namen von 32 Opfern zu schreiben. So fügte jeder einen kleinen Stein hinzu – die Schrift wechselte und wuchs ständig.

Siehe auch: http://www.lernertand sander.com/color-correction/ (Stand 04.07.2016)

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Das richtige Medium

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Das Gebäude, ein ehemaliges Lazarett aus dem Jahr 1870, stand viele Jahre leer, bis 2012 Studierende zeigten, mit welchen Ideen es (und der Ortsteil Dessau-Roßlau) wiederbelebt werden könnte – daraus gründete sich 2014 der VorOrt e. V. Geplant sind zukünftig u.a. Arbeitsräume für Studierende, Büros für Start-ups und Ateliers für Künstler. Ein Ort, an dem sich Neuankömmlinge, Dessauer und Touristen zum kulturellen und kreativen Austausch begegnen können.

Kreativer Austausch – Umnutzung

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Exkurs: Mediale Chancen der Digitalisierung Die Potenziale von digitalen Medien bieten noch ganz andere Möglichkeiten und Optionen, die sich lohnen, sie näher zu betrachten. Dabei gibt es einige Prämissen und Grundlagen beziehungsweise fast schon Logiken, auf denen vieles beruht. Elementar ist die Erreichbarkeit einer Website (die hier die Bereiche Apps und Software allgemein subsumiert) – man kann etwas veröffentlichen, dessen Rezeption keine physische Präsenz erfordert. Es braucht nur ein digitales Endgerät, Strom und Internetzugang, sonst nichts. Die Welt kommt zu uns. Deren Inhalte können wir als Links weiterverschicken, können »liken« und teilen. Wie bei Bakterien vermehren sich die Inhalte durchs Teilen dann bestenfalls auf virulente Weise. Damit wäre ein wesentlicher Kern des Phänomens umschrieben. Dies ermöglicht, nein bedingt beinahe die mit vielen Themen einhergehende und nicht selten problematische Monopolbildung: von Amazon über Google, Apple, Facebook, Twitter, Instagram, Airbnb und Uber bis hin zu Wikipedia. Gerade bei den Social Media-Portalen ist sie gewissermaßen system-immanent – denn nur, wenn es nicht unzählige Anbieter parallel gibt, sondern im Wesentlichen den einen führenden, trifft man dort eben auch alle. Und wenn dort alle sind, gehen alle anderen auch dort hin. Was wäre Facebook, wenn es nochmals 20 davon gäbe? Ähnlich wie bei Strom und Steckern ergibt es durchaus Sinn, wenn man sich auf ein System einigt – die Frage ist dann nur, was dessen Inhaber mit dieser besonderen Monopolsituation macht und wie er damit umgeht. Ob man sich in Wahlkämpfe einmischt (und vielleicht sogar mitentscheidet), welche Daten man wem weitergibt, wie man zu staatlichen Stellen steht und so weiter und so fort. Oder in Kombination all dessen als »Social Scoring«, wie es in China umgesetzt wird.131 Aber es entstanden und entstehen natürlich auch die verschiedensten Blogs, entwickelten sich zahlreiche »Communitys« für alles, was man sich nur denken kann. Das sind durchaus Konstellationen und Bereiche, wo umgekehrt nicht die Zahl der Teilnehmer, Fans und Followers im Focus stehen muss, Bilddung von Monpolen – und Communities

Vgl. dazu auch: Zuboff, Shoshana: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Frankfurt/Main, 2018

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sondern vielleicht gerade der intensive Austausch mit wenigen, die aber an einem sehr speziellen Thema sehr interessiert sind. Websites können, das ist hinlänglich bekannt, ohne große Kosten erstellt und online gestellt werden, was durchaus ein positiver, demokratischer Aspekt ist. Sie können in monologischer Haltung kommunizieren oder zu einem Dialog einladen. Aus der »Einweg-Kommunikation« heraus kommen wollten witzigerweise gerade die großen Firmen – was ihnen allerdings nur sehr bedingt gelungen ist. Stattdessen zahlen sie das Geld heute digitalen Meinungsmachern, »Influencern«, und kaufen sich positive Bewertungen. Dass dies einmal anders gedacht war, sieht man zum Beispiel im Cluetrain-Manifest132 von 1999. So viel zum Thema Werte. →▪ Gut ist natürlich, dass über das Internet auch kleinere Initiativen, Shops und Projekte eine weltweite, für praktisch jeden erreichbare Präsenz bekommen können – auf einmal ist es möglich, selbst direkt zu verkaufen und eine Plattform zur Kommunikation zu nutzen. Besonders wertvoll ist das auch für NGOs, die mit endlichen Mitteln eine möglichst große Wirkung erzielen wollen. Über »Campaigning«-Tools und die verbundene Weiterverlinkung und -empfehlung erreichen sie bestenfalls nicht nur viele, sondern vor allem gerade die »richtigen« Personen, denen diese Ziele am Herzen liegen – eine Art digitaler Schneeballeffekt. Ob gegen Glyphosat, Gentechnik oder TTIP: Organisationen wie »campact!« nutzen über ihre Newsletter und Websites die Möglichkeiten für OnlinePetitionen, Aufrufe zu Demonstrationen, Appelle mit vorformulierten Nachrichten, die an Ministerien und Unternehmen gehen und nicht zuletzt zum Generieren von Spenden. Dies alles vernetzt mit Twitter, Facebook & Co. – ironischerweise können hier auch noch die sozialen Netzwerke mitgenutzt und eingebunden werden. Es ist dann ein wenig wie bei Mephistopheles, »der stets das Böse will und stets das Gute schafft«, für viele freilich ein Protest light, wenn das Unterstützen einer Petition nicht zwingend mit dem eigenen Verhalten konformgehen und man dafür noch nicht einmal vom Stuhl aufstehen muss. Genauso können auch Videos etwas bewirken – sind sie gut gemacht, verbreiten sie sich mitunter enorm. Der WWF hatte Globale Präsenz für kleine Initiativen

Vgl. http://www.cluetrain.com/aufdeutsch.html (Stand 01.10.2018)

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einmal Ameisen mit lasergeschnittenen Blättern laufen lassen, wie eine Demonstration en miniature der Betroffenen selbst: Die »Ant Ralley, die kleinste Demonstration der Welt«133 mit großer Resonanz wiederum – selbst in der klassischen Presse. Dass man auf eine ganze andere Weise mit dem Medium und der Darstellung von »Masse« umgehen kann, zeigt ein gemeinsames Projekt von Studio Moniker und Mozilla: Paperstorm.134 Hier konnten Flugblätter digital abgeworfen werden. Der Witz dabei ist die Sichtbarkeit der Menge bereits verteilter »Zettel«, zudem wurde die Kampagne – eine zur Netz-Neutralität – sozusagen virtuell direkt am FCC-Gebäude in Washington D.C. verortet: dem Sitz der dafür relevanten Behörde. Als zusätzliche Funktion konnte man seine Flugblätter gezielt mit einem Mausklick platzieren – womit sich eine zusätzliche Botschaft gestalten ließ. Das war offenbar so reizvoll, dass am Ende der Kampagne über 22.000.000 digitale Flugblätter verteilt wurden. →▪ Über Websites wie vimeo oder YouTube ist es möglich, ohne Kosten (außer der Preisgabe von Daten freilich und mit einer vorgeschalteten Werbung, wenn ein bestimmtes Maß an Zugriffen erreicht wird), bestenfalls aber mit der Aussicht auf Gewinn, jede Form von Bewegt-Bildern wie Animation, Erklär-Film, Visualisierungen … zu publizieren, die wiederum geteilt werden und sich bestenfalls von selbst verbreiten. So hat jemand mit »kurzgesagt« sicherlich ein ebenso einträgliches wie sinnvolles Geschäftsfeld gefunden, wie auch die Macher von »Extra History«, das historische Themen, intelligent-kompakt und humorvoll dargestellt. Ebenso können auf diesem Weg auch eigene »Kampagnen«, Aktionen und Arbeiten publik gemacht werden. Ein schönes Beispiel ist die Fake-Kampagne von Johannes Kuhn und Lukas Jakel, die bei ihrem BAC-Abschlussprojekt »Resc_Eu« eine umgekehrte Perspektive bieten: In Afrika wird dafür demonstriert, dass möglichst viele nach Europa gehen, um die Menschen dort aus ihrem emotionalen Elend zu führen. Dafür wurde in Ghana eine Demonstration inszeniert und gefilmt, auf der Schwarze Transparente mit Aufschriften wie »Got to Europe – Help to love« hochhalten. Digitale Flugblätter und Bewegt-Bilder

Afrika, rette die Europäer! Zwei Studenten inszenieren ein fiktives Hilfsprojekt für Europa. Bei »Resc EU« werden die Flüchtenden zu Helfern – und Europa ist der Sozialfall. Die Botschaft auf der inszenierten Demonstration: »Helft ihnen, zu lieben!«

133 Vgl. https://www.youtube.com/ watch?v=LfUP6ejMnzs oder auch die Bewerbung der WWF-App unter https://www.youtube.com/watch?v=pCkjfC5se7c (beide Stand 01.10.2018) 134 Vgl. https://www.paperstorm.it (die Aktion ist abgeschlossen; die Website aber noch aktiv); mehr über das Projekt findet man unter https://www.studiomoniker.com/ projects/paperstorm (beide Stand 01.10.2018)

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Per Mausklick kann man bei »Paperstorm« (ein Gemeinschaftsprojekt des Studios Moniker und Mozilla) digitale Flugblätter abwerfen und platzieren. Bei einer gewissen Menge lässt sich auf diese Weise eine zusätzliche Botschaft kommunizieren.

Reizvoll ist auch die Verbindung von realen, bestenfalls interaktiven Elementen mit ihrer medialen Verbreitung – oft wird die Dokumentation der Kampagne oder Aktion weit öfter und länger angeschaut als das Eigentliche selbst. Dies zeigte eine Kampagne von VW eindrucksvoll, auch wenn deren Bezug zum Automobilhersteller eigentlich kaum gegeben war (es hätte für fast jede andere Firma der Welt auch sein können). Übergreifendes Ziel war es, Menschen zu motivieren, ihr Verhalten zu ändern – es gibt durchaus einfachere Aufgaben! Also den Müll in den Abfallbehälter zu werfen, Treppen zu laufen, statt die Rolltreppe zu benutzen … das weniger Reizvolle sollte zum Reizvolleren werden. Angelegt als Guerilla-Kampagne, die es natürlich letztlich nicht war, schuf »The Fun Theory« indirekt über die Dokumentationsvideos135 den werblichen Effekt und machte nochmals eines deutlich: Wenn Werbung wirklich intelligent und witzig ist, schauen sie die Menschen auch gerne und freiwillig an. Sollte das nicht jeder Werbeagentur vor Selbstzweifel die Tränen in die Augen treiben? Das große und wachsende Feld des Crowdfundings bietet nicht nur die Möglichkeit, eigene Projekte zu initiieren (oder andere zu unterstützen), sondern auch, über einen Webshop selbst Dinge anzubieten und zu verkaufen (auch für gemeinIntelligente Kampagnen

Digitale Oberflächen und Interfaces nutzen oft Metaphern realer Gegenstände und Objekte. Hier wurde das Digitale am Beispiel eines Apple-Desks wieder analog rückübertragen – und das Prinzip ad absurdum geführt. Naz Naddaf hat solche Fragen in ihrer Masterarbeit Awareness of our Interactions with Digital Objects in Basel bearbeitet.

135 Vgl. https://www.youtube.com/ watch?v=SByymar3bds und https:// www.youtube.com/watch?v=qRgWttqFKu8 (beide Stand 01.10.2018)

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nützige Zwecke). Das kann bekanntermaßen vom Buch über den Film, ein Webportal bis hin zur Veranstaltung gehen – im Grunde jede Idee, die zur Umsetzung finanzielle Mittel braucht. Denkbar eben auch für nicht-kommerzielle und gemeinnützige Themen wie bei Nachschlagewerken oder Informationsportalen für bestimmte Themen – mit wissenschaftlichen Inhalten bis hin zu Inspirationsquellen. Ein interessanter Aspekt ist sicherlich auch das Thema »Gamification«. Und zwar nicht nur dort, wo man über spielerische Elemente Motivation und Ziele verändern kann: Wenn beim Autofahren beispielsweise nicht die möglichst hohe Geschwindigkeit im Focus steht, sondern der geringstmögliche Verbrauch. BMW hat dies ein Stück weit berücksichtigt, ebenso VW mit dem Think Blue Trainer. Dabei kommt es allerdings umso mehr auf eine wirklich intelligente Konzeption und Gestaltung an. Aber auch auf anderen Bereichen sind sicherlich noch unglaubliche Potenziale – bis hin zur Forschung. Sei es zur Sammlung großer empirischer Grundlagen, der Einbeziehung möglichst vieler Menschen bei Befragungen oder zeitraubenden Tätigkeiten wie beim Online-Computerspiel Plankton ID. Die Verbraucherschutz-Organisation »diagnose funk« bietet mit der Website »diagnose media« plus einem gedruckten Medienratgeber und dem Portal »EMF-Data« für Mobilfunkstudien einen wertvollen Beitrag zur Sensibilisierung bei den Themen Mediennutzung (insbesondere bei Kindern und Jugendlichen) und Mobilfunkstrahlung – denn das ist sicherlich eine wenig smarte Schattenseite all dieser Themen: eine ständig steigende Strahlenbelastung, die durch Technologien wie autonom fahrende Autos, das Internet der Dinge und Smart Homes nochmals dramatisch steigen wird. All diese neuen Medien und Mediennutzungen basieren auf dem Internet (von Sicherheit und »Resilienz« einmal ganz abgesehen) – und das mehr und mehr auf kabellosen Mobilfunk- und WLAN-Verbindungen. Sollte es sich einmal wirklich unleugbar herausstellen, dass diese gar nicht so gesund sind, könnten wir dann die halbe Zivilisation zurückbauen! Bei all den verschiedenen Smart-Themen (Haus, Klinik, Stadt …) stehen gestalterische Aspekte sicherlich nicht im Fokus – da geht es Gamification und Mobilfunkstrahlung

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um technische Fragen in den verschiedensten Dimensionen wie auch beim »IoT«, dem Internet der Dinge. Oder um Aspekte in psychologischer, sozialer, ökonomischer, ethischer und juristischer Hinsicht, nicht zuletzt auch (etwa beim autonomen Fahren) um Fragen der Haftung. Designrelevant ist bei den sozialen Netzwerken und großen Internet-Plattformen am ehesten die Aufgabenstellung, was man tun muss, damit die Menschen möglichst lange auf der Seite bleiben und bestenfalls »süchtig« danach werden. Welche psychischen und psychosozialen Folgen beispielsweise der »Daumen nach oben« (auch hier wird das Belohnungssystem im Menschen angesprochen und missbraucht) und das nicht endende Scrollen (es gibt immer noch etwas) haben, wird erst langsam bekannt und bewusst. Algorithmen zu verteufeln, ist natürlich keine Lösung – sie sind von Menschen geschaffene (Un-)Dinge, die erst einmal wertfrei »abarbeiten«, was ihnen ein Programmierer vorgab. Und dieses Wort ist bezeichnend: Es geht um die Vorgaben. Um die Rahmenbedingungen, um die Regeln – auf Basis ethischer Leitlinien und eben humanistischer Werte. Und hier hecheln die Regierungen wie der Hase dem Igel hinterher, verbunden mit der Angst, damit den eigenen »Technologie-Standort« und die Wirtschaft zu schwächen. Doch aus dem verspäteten Reagieren kommen auch die neuen Digitalministerien nicht wirklich hinaus. Inwieweit diese neu entstandenen und noch entstehenden Bereiche des Digitalen auch das Gemeinwohl wirklich befördern können, wird man noch sehen. Eigentlich müsste uns alle die Frage umtreiben, wie man diese unglaublichen Möglichkeiten und Dimensionen konstruktiv und positiv, also nicht zu primär ökonomischen, sondern zu menschlich-gesellschaftlichen Zwecken nutzen kann. Klar ist, es existiert keine Trennbarkeit mehr zwischen analog und digital – Otl Aicher konnte 1991 bei seinem gleichnamigen Buchtitel noch die Begriffe sozusagen sorglos nebeneinanderstellen, als entweder/oder, doch das ist vorbei. Übrigens ist dort in der Einführung von Wilhelm Vossenkuhl ein wunderbarer Satz von Edward Young aus dem 18. Jahrhundert zitiert: »Wie kommt es, daß wir als Originale geboren werden und als Kopien sterben?«136 Ohne Trennlinie

Aicher, Otl: analog und digital. Berlin, 1991. S. 8

136

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4 Der Anfang ist vorne – weil dort das Wichtige entschieden wird

Es ist ein offensichtlicher, eigentlich auch ganz einfacher, aber zentraler Aspekt, der die Bedeutung von Design ermöglicht und ausdrückt: wann es dazu geholt wird. Ab welchem Zeitpunkt sitzt die Designerin, der Designer mit am Tisch? Ist bis zu diesem Moment bereits alles Wesentliche entschieden? Oder wird erst über die Idee an sich diskutiert, den Weg, die mögliche Umsetzung, wie auch den Sinn und Nutzen eines Vorhabens? Im ersten Fall macht man also bestenfalls noch eine schöne Broschüre oder Website zur Kommunikation beziehungsweise Vermarktung oder analog dazu das schöne Gehäuse für den neuen Staubsauger – alle Inhalte und Anforderungen werden sozusagen geliefert (was manchmal ja auch ganz schön ist). Eine solche Art des Herangehens und »der Problemlösung hat ihre Ursache in der Stellung des Designers innerhalb der Entscheidungsgruppen: als ein im Grunde von der Verantwortung befreiter Ideenlieferant«.137 Daran wird man arbeiten müssen! Im zweiten Fall ist das Produkt, das Angebot oder Kommunikat, eben selbst noch form- und bestenfalls hinterfragbar – dann wird nicht nur umgesetzt, sondern inhaltlich und auch strategisch mitgearbeitet. →▪ »We have to start from the beginning«, sagte Neville Brody vor vielen Jahren – und er hatte damit vollkommen Recht. Eigentlich müsste man sogar sagen: Wir müssen vor dem Start beginnen – nämlich im Sinne der (Mit-)Arbeit bereits vor dem eigentlich gemeinten Designprozess. Diese grundsätzlichen Überlegungen sind ein Schwerpunkt in der Arbeit von Laura Lee. Die gebürtige Australierin ist Architektin und hat unter anderem die Regierung ihres Heimatlandes dabei beraten, wie man Planungsprozesse entwickeln müsste, damit an deren Ende mehr Qualität und Nachhaltigkeit herauskommt – bei Ideenlieferant oder Partner?

137 Burckhardt, Lucius: kleinstmöglicher Eingriff. S. 113

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Idee Initium

Konzept Strategie

Ökonomische Fragen

Technische Fragen

Design Kommunikation

Umsetzung Präsentation

ABLAUF →

Klassisch-beispielhafter zeitlicher Ablauf bei einem Projekt (z.B. einer Produktentwicklung) – und die Frage, wann das Design ins Spiel kommt.

Unterhalten

Nutzung

Inbetriebnahme

Konstruktion

Gestaltung

Beschaffung

Finanzierung

Briefing

Definition

← VERANTWORTUNG

EINFLUSS DER STAKEHOLDER

KOSTEN BEI VERÄNDERUNG Geld

Bei der unteren Darstellung sieht man beim Pull-Modell den Aspekt der Qualität im Sinne eines leistungsbasierten Ergebnisses – und bei Push-Modell die quantitativ ausgerichteten kommerziell orientierten Ergebnisse. Unterhaltung

Nutzung

Inbetriebnahme

Konstruktion

Gestaltung

Beschaffung

Finanzierung

Briefing

Zeit

Definition

Hier ist zu sehen, wann welche Kosten bei Änderungen entstehen – und damit der Einfluss abnimmt, noch etwas zu korrigieren oder anzupassen. Das Diagramm lässt sich aber auch noch auf eine zweite Weise lesen: Wie die Ausgaben auch ohne Eingriffe mit der Dauer stetig zunehmen. In der Regel wird gerade am Anfang massiv gespart – was oft kontraproduktiv ist, da hier gerade der Einfluss auf die folgenden Kosten groß ist.

»PULL«-MODELL ↪QUALITÄT

Unterhalten

Bauen

Beschaffen

Wissen

Gestalten

»PUSH«-MODELL ↪QUANTITÄT

Zeit

Je höher die Kosten, desto geringer der Einfluss

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Bauvorhaben, aber auch im Design. Sie hat diese im Rahmen einer umfassenden Designforschung erarbeiteten Ansätze, Analysen, Maßnahmen und Erkenntnisse unter dem Begriff »Integrated Design« zusammengefasst. In dieser Logik ist viel, sehr viel, das auch Transformations- oder werteorientiertes Design heißen könnte. Und es ist nicht weniger ausgeweitet als integrierend – eine grundsätzlich unverzichtbare Basis. Lee sieht dabei das Design (und mit ihm die Architektur) im Schnittpunkt von Kunst und Wissenschaft. Als ein ganz zentrales Problem erkannte sie die unterschiedliche Bereitschaft, zu verschiedenen Zeitpunkten und Projektphasen Geld auszugeben (was oft ein wirkliches investieren wäre). Kurz gesagt: Zu Beginn eines Vorhabens wird sehr oft strikt gespart – man kennt dies von der Aufforderung zu kostenlosen Präsentationen, die einem selbst und der ganzen Branche schadeten, würde man sich daran beteiligen. Mit dem Fortschritt und der Realisierung fließen dann aber natürlich immer mehr Mittel und nicht selten weit höhere als geplant. Dies hängt auch damit zusammen, dass relativ schnell eine Art von Point of no Return erreicht ist und eine irreversible Dynamik entsteht. Wer denkt nicht sofort an die Elbphilharmonie in Hamburg oder den Großflughafen Berlin-Brandenburg (und wundert sich, dass manche Büros immer wieder beauftragt werden). →▪ Eine weitere Grafik verdeutlicht dies schematisch und doch aussagekräftig – die Kosten, das investierte Geld, nehmen im Laufe der Zeit und des Projektverlaufs immer weiter zu. Dass dabei der Bau selbst, um am Beispiel der Architektur zu bleiben, wo die Dinge klar und nachvollziehbar sind, noch gar nicht einmal das Teuerste sein muss, merken viele Kommunen dann erst beim Unterhalt und Erhalt von Infrastrukturen im weitesten Sinn: Straßen, Kurhäuser, Schwimmbäder, Krankenhäuser belasten öffentliche Haushalte mitunter dramatisch. Oft wünschen sich Kommunen nicht nur, was sie gerne hätten, sondern auch das, was sie gerne nicht mehr hätten. Man sieht es in einem nochmals größeren Maßstab bei der aufkommenden Diskussion über die Kosten des Rückbaus von Atomkraftwerken – ganz abgesehen davon, dass eigentlich keiner wirklich weiß, wie so etwas überhaupt geht! Nach und nach Geringe Investititonsbereitschaft am Beginn

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DESIGN

Umwelt

Gesellschaft & Kultur

PLANUNG

Ökonomie

ENTWICKLUNG

Die heute übliche Logik bei Investitionen (oben): Ökonomische Aspekte stehen im Vordergrund und sind maßgeblich für das gesamte Projekt. Ökologische Fragen müssen aus gesetzlichen Gründen behandelt werden – zuletzt kommen gesellschaftliche und kulturelle Themen. Design ist dann nur noch Formgebung für bereits Festgelegtes. Bei einem integrierten Design (unten) sind die Positionen gedreht und stehen in einer Wechselwirkung und Dauer-Rückkopplung zueinander.

Ökonomie Umwelt Gesellschaft & Kultur

DESIGN

PLANUNG

Finale Formgebung, integriertes Design

ENTWICKLUNG

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wird klar, dass dieser nicht weniger kosten wird als die Erstellung, und genauso wenig klar ist, wer dies zu bezahlen hat, auch wenn es eigentlich naheläge. Es wird letztlich, so weit kann man sich vermutlich in die Hellseherei wagen, die Gemeinschaft sein – sei es als Steuerzahler, wenn sich die Energiekonzerne wehren und der Staat diese Lasten dann mit übernimmt, oder über die Strompreise, sollten wider Erwarten tatsächlich die eigentlichen und ehemaligen Nutznießer, also die Betreiber, dafür aufkommen müssen. →▪ Dass es auch anders sein könnte, ist weniger eine Frage der Theorie als der offenen Augen: Es gibt genug Beispiele, die das Gegenteil zeigen und beweisen; leider wird darüber viel zu wenig berichtet. Auch wenn ein investigativer, kritischer Journalismus viel, wirklich viel wert ist, wäre manchmal das gute Beispiel noch (oder mindestens auch) wichtig: um Mut zu machen, um Ideen zu geben, um zu motivieren. Selbst als »Fake-News« kann dies etwas bringen, wie »The Yes-Man« immer wieder beweisen. Das Kritische ist trotz seiner Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit, aber auch aufgrund seiner Ausschließlichkeit in Summe und auf Dauer eine frustrierende Angelegenheit – und nicht ohne Folgen. Deshalb geht es jetzt um ein Dorf und seine Schule mit der bemerkenswerten Verbindung einer Mikro- und Makrobetrachtung: um die Vorträge von Michael Pelzer mit diesem konkreten Beispiel und um die grundsätzlichen Überlegungen von Laura Lee.138 Die Gemeinde Weyarn ist ein kleiner Ort in Oberbayern mit rund 3.400 Einwohnern, gut 30 Kilometer westlich von München und direkt an der A8 (München–Salzburg) gelegen. Es ist deshalb auch ein von den verschiedensten Investoren oft aufgesuchter Platz – im unmittelbaren Einzugsgebiet der prosperierenden bayerischen Metropole und dazu noch in einer schönen voralpinen Landschaft an der Mangfall gelegen. Doch vor vielen Jahren haben sich Bürgermeister, Gemeinderat und Einwohner auf etwas Ungewöhnliches geeinigt: »Wir wollen eine kleine ländliche Gemeinde bleiben!« – Punkt. Kein Baumarkt und keine Reihenhaus-Siedlung am Ortsrand. Stattdessen werden seit bald drei Jahrzehnten wirklich intelligente, Das gute Beispiel: Weyarn

↪ The Yes Man: Eine ihrer bekanntesten Aktionen war die Verteilung einer falschen Ausgabe der »New York Times« im November 2009 – nach eigenen Angaben in einer Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren! Darin wollten sie das Bild einer besseren Welt vermitteln. Die Schlagzeile war »Irak war ends«, weiter wurde »berichtet«, dass George W. Bush wegen Hochverrats angeklagt wird und Condoleezza Rice sich öffentlich für ihre Lügen zum IrakKrieg entschuldigt hatte. Die gesamte Ausgabe ist zum Download noch im Internet verfügbar: http:// www.spiegel.de/media/media-19346. pdf (Stand 02.10.2018) →▪

Stoffliche »Fake news« der ganz besonderen Art: die Titelseite der »gefälschten« New York Times durch The Yes Man.

138 Laura Lee arbeitet derzeit u.a. für den The Ecological Sequestration Trust; http://www.ecosequestrust.org (Stand 24.07.2016); die Vorträge wurden bei »Stadt.Land.Schluss.« (2015) gehalten.

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nachhaltige und weitsichtige Konzepte umsetzt, die auch Wohnraum entstehen ließen, die auch Arbeitsplätze schufen, aber immer mit Blick auf den Ort als Ganzes. In dessen Mitte liegt das seit einigen Jahren wieder »aktive« Kloster, heute mit einem schönen Café, so etwas wie das Zentrum dieses lebendigen Dorfes. In dieser Gemeinde sollte eine neue Schule gebaut werden – und auch das wieder so gut wie möglich, was hier bedeutet: mit Einbeziehung möglichst vieler Menschen. Damit diese Kultur der Bürgerbeteiligung nicht beliebig ist, gibt es eine spezielle »Mitmach-Satzung« als gewissermaßen verbrieftes Recht.139 Für Michael Pelzer, dem damaligen Bürgermeister, war aber ohnehin klar: Wie diese Schule aussehen soll, müssten doch eigentlich die entscheiden, für die sie ist. So wurden in einem ersten Schritt über Workshops mit den Kindern die Wünsche und Anforderungen formuliert – das waren drei: Die Schülerinnen und Schüler wollten erstens eine Schule auf der grünen Wiese (also nicht im Ort), zweitens sollte Wasser durch das Gelände fließen und drittens sollte das Gebäude eine gewisse Transparenz aufweisen, damit man mehr von den anderen mitbekommt und sich öfters sieht. Dann wurden Gespräche mit den Lehrern geführt und schließlich auch mit den Eltern. Mit den daraus entwickelten Vorgaben wurden fünf Architekturbüros eingeladen, ein Konzept zu entwickeln. Erwähnt werden sollte dabei noch, dass die Gemeinde auf eigene Kosten größere Räume realisieren wollte, als es den Vorgaben entsprach (auf denen dann wiederum die Förderung beruht). Hier sieht man durchaus, dass jenseits der »großen Politik« einiges möglich wäre, wie eben mehr Platz in den Klassenzimmern oder so wertvolle kleinere Klassen. Bei der Umsetzung, vor allem beim Bau der Außenanlagen, halfen Eltern, Lehrer und Kinder gemeinsam mit: jeden Freitagnachmittag über einen längeren Zeitraum unter Anleitung von Fachleuten. Das Ergebnis all dieser Maßnahmen war eine deutliche Unterschreitung des Baubudgets, eine hohe Zufriedenheit aller in und mit der Schule, wie auch eine hohe Identifikation mit ihr – es wurde für die Kinder wirklich »ihre« Schule. Nur naheliegend und konsequent ist die Tatsache, dass es dort praktisch keinen Frühzeitige Partizipation

Vgl. dazu: http://www.weyarn.de Gemeinde/Satzungen/Buergerbeteili gungssatzung.pdf (Stand 01.07.2016)

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Vandalismus gibt – wer macht schon etwas kaputt, das er selbst gebaut hat? So ergibt Bürgerbeteiligung Sinn: Die »Betroffenen« sollen, im Kontext von Design, nicht selbst gestalten, sondern sagen, welche Bedürfnisse, Wünsche, Vorstellungen, Zweifel und Gedanken sie haben – damit sichert man in der Regel die Akzeptanz des Ergebnisses und schafft bestenfalls eine Eigendynamik, die sich dann wieder in weiteren Projekten ausdrücken kann, bei denen es nicht zwingend um »Perfektion« gehen muss, sondern um das Authentische, Gemeinschaftliche … Damit dies möglich wird, muss Design, müssen die Designerinnen und Design wesentlich früher in die Findungs-, Entscheidungs- und Entstehungsprozesse einbezogen werden. Das ist natürlich auch eine »Bringschuld« der Gestalter, die selbstbewusst und entschlossen versuchen sollten, früher berücksichtigt und involviert zu werden. Nicht zu warten, bis bei entsprechenden Anfragen dann der Zeitpunkt erreicht ist, wo sie gemeinhin dazu geholt werden, aber vieles bereits geschehen ist. Doch selbst wenn man als Gestalter (zu) spät ins Spiel kommt, finden sich mitunter immer noch Lücken. Und man sollte nie vergessen: Jedes gute, gelungene Beispiel wirkt motivierend, strahlt aus und verändert auf lange Sicht die Rahmenbedingungen. Gerade bei der Entwicklung visueller Identitäten und darauf aufbauender Kommunikationsmedien für Orte und Regionen haben diese Aspekte einen großen Einfluss. Im Grunde müsste vor dem Corporate Design eine Art Leitbild entwickelt worden sein, eine Vision für die Kommune, vielleicht auch verbunden mit einer Weiterentwicklung der Beteiligungskultur – man kann aber auch das Erscheinungsbild als Anlass für eine solche Überlegung nutzen. Analog dazu sollten touristische Projekte immer auch den Aspekt der Regionalentwicklung in sich tragen. Tourismuswerbung ist in vielen Fällen eine komplette Entfernung von der Realität. Man kann eine Destination (eigentlich) nicht von ihren Bewohnern lösen, macht dies aber ständig und wundert sich dann, dass Gäste nicht als solche gesehen und behandelt werden. Auch hier gibt es viele beeindruckende Beispiele – und man darf als Gestalter durchaus auch auf solche verweisen, die man Leitbild vor Corporate Design/Identity

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nicht selbst realisiert hat, um an anderer Stelle zu zeigen, dass es immer Alternativen gibt. In zwangsläufig anderer Ausprägung, aber letztlich doch aus ähnlichen Intentionen, gilt dies alles auch für Unternehmen. Wo steht ein Unternehmen in 20 Jahren? Welche Werte hat es heute und welchen will es sich neu verpflichten? Was muss es jetzt tun, damit es langfristig erfolgreich ist – selbst unter anderen Bedingungen, sollte Nachhaltigkeit in der Politik einmal anders verstanden und ausgelegt werden oder sollten immer weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen, diese dann vielleicht aus dem Ausland kommen … ? Für solche Fragestellungen, bei denen die strategischen Aspekte den konzeptionellen und gestalterischen vorangehen, gibt es durchaus geeignete Methoden und Werkzeuge aus anderen Disziplinen. So kann eine »SWOT-Analyse« helfen, einen Rahmen und eine Struktur zu schaffen, um über die Situation eines Unternehmens (oder Produkts) Aufschluss zu geben. Ausgerichtet auf die Zukunft, werden in einer Art Matrix vier Felder angelegt, in denen dann jeweils die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken eingetragen werden. Dazu muss man nicht nur mit

Beobachtung Fragestellung Analyse Forschung Eingrenzung Positionierung

Koordination Terminplanung Spezifikation

Erprobung Kontrolle Überprüfung

»Discover, Design, Deliver Process« Die Linien zeigen, wie die drei verschiedenen Aspekte ineinandergreifen – die Phasen werden dabei länger, es bleiben aber immer die Schnittmengen und -punkte zu den anderen Abläufen, die zu integrieren sind.

Inbetriebnahme Bedienung Wartung

Vorstudie Definition Briefing

Fabrikation Herstellung Montage Vermessung Modellierung Optimierung Progammierung Durchführung Planung

Nachhaltige Unternehmensentwicklung

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der Geschäftsführung und dem Vorstand reden, sondern erst recht mit den Angestellten und Arbeitern. Bestenfalls entwickeln sich alleine schon dadurch Diskussionen in der Gruppe – die möglichst repräsentativ angelegt ist und verschiedene Positionen (auch hierarchische) und Perspektiven abbildet oder diese gerade in solchen Momenten sogar auflöst. Eine Erweiterung könnte dabei in thematisch-inhaltlicher wie auch methodischer Form das design thinking sein. Als »Innovationsmethode« und »Management-Philosophie« bezeichnet, scheint es irgendwie in die falschen Hände gekommen. Für Gestalter ist die dort von Betriebswirtschaftlern als spektakulär gefeierte Ergebnisoffenheit, die (wirkliche) Nutzerorientierung und die Haltung des Erst-einmal-alles-denken-Dürfens so selbstverständlich, dass keiner ein großes Aufheben darum macht.140 Genau damit aber verdienen andere gerade gutes Geld. Also hat man es mit einem gewissen Paradoxon zu tun: diejenigen, von denen das Prinzip und diese Haltung stammen, übersehen das Naheliegende – und die weit davon entfernt sind, kleben sich den Begriff wie einen Orden an die Brust. Ein wirklicher, richtiger, vollständiger Designprozess ist im Grunde immer fast deckungsgleich mit dem (Ursprungs-)Konzept eines design thinking von Terry Winogard: verstehen (von Problem und Kontext), beobachten, neue Perspektiven einnehmen, Lösungsideen entwickeln, Prototypen bauen, dann Feedback geben beziehungsweise, wenn realisiert, erste Tests machen. Was man sich allerdings auch mit Blick auf die großen Konzerne fragen darf, ist: Was eigentlich stand für sie bisher im Mittelpunkt ihrer Arbeit, wenn nun die Nutzerzentrierung als etwas so Undenkbares, Neues und Aufregendes dargestellt wird? Doch auch wenn das design thinking große Chancen hat, nur ein weiteres »Marketing-Tool« zu werden, oder noch schlimmer, ein neues Label für den gleichen alten Unsinn zu werden, kann es bei bestimmten Situationen den Designern helfen – vielleicht nur des Begriffes wegen, der die Bereitschaft für solche Prozesse schafft. Immerhin! Denn das Prinzip sollte ohnehin präsent und immanent sein, selbst, wenn es immer wieder gut ist, daran »erinnert« zu werden. Wenn beispielsweise von einem Unternehmen ein neues Produkt auf den »SWOT-Analyse«, »design thinking«

design thinking in Reinform – mit Prototyping quasi in »Echtzeit«; wer wirkliche Kreativität erleben will, betrete ein Kinderzimmer (Vorsicht, auf LEGO-Steine zu treten kann sehr wehtun).

Vgl. http://www.manager-magazin. de/magazin/artikel/design-thinking-eine-kreativitaetstechnik-erobert-konzernzentralen-a-1086472-druck.html (Stand 01.07.2016)

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Markt gebracht werden soll, eines, das als wirkliche Innovation in dem Bereich gelten kann, und niemand so recht weiß, wie man es kommuniziert, ist es für Design-ferne Beteiligte schon irgendwie beruhigend, dass dieses Unbestimmte und Unkonventionelle in einem methodischen Rahmen mit einer entsprechenden Überschrift steht und damit etwas Sicherheit bietet – das Kommunikationsdesign muss eben auch seine eigenen Designansätze zu kommunizieren lernen! Und in der Tat ist ja eine der wichtigen Aufgaben, die für Design und Designforschung gleichermaßen gilt, zwar nicht berechenbar, aber doch nachvollziehbar zu arbeiten. Dass hier der erweiterte Designbegriff wie die Interdisziplinarität stark mit herein spielen, ist wenig überraschend. Und selbst das Design von besseren Designprozessen (siehe Punkt 2) von Designern ist alles andere als unmöglich – hier muss letztlich kein Hauch eines tautologischen Windes wehen. →▪

PROBLEMSUCHE

PROBLEMLÖSUNG

DESIGN THINKING INTEGRIERTES DESIGN

Nachvollziehbarkeit

INTEGRIERTE PRAXIS

Schematische Darstellung eines intelligenten design thinking – dort stehen sich die Problemsuche und die Problemlösung gegenüber. Durch die Erforschung neuer Wege und der Verbindung unterschiedlicher Themen kann in Verbindung mit praktischer Erprobung und zielgerichteter Forschung etwas tatsächlich neues entstehen. Ein integriertes Design entwirft und visualisiert aus verschiedenen Perspektiven, testet und grenzt Paramenter ein. Daraus definiert es die Erfolgsfaktoren. Eine integrierte Praxis sorgt parallel für einen Fluss an Informationen und Wissen, von Zeit und Geld, Beziehungen und Verantwortlichkeiten.

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5 Inhalte erarbeiten – Einfluss hat, wer nicht nur gestaltet, sondern auch inhaltlich mitarbeitet und dafür Verantwortung übernimmt

Es scheint klar zu sein: Wer nicht nur das Essen will, das man ihm hinstellt, der muss selbst kochen lernen. Das macht Arbeit, birgt gewisse Risiken, eröffnet einem aber gänzlich andere Möglichkeiten und Optionen. Auf das (Editorial-)Design übertragen heißt das nicht zwingend, dass man den Text eines Buches, das man gestaltet, auch unbedingt umschreiben oder gleich selbst schreiben muss, aber vielleicht schon vorher lesen sollte, ehe man sich an Schriftwahl und typografische Aspekte heran bewegt. Bestenfalls fängt bereits im Studium eine bestimmte Entwicklung an: sich auch für die Inhalte zu interessieren. Diese Einstellung hält weitere Implikationen bereit, denn: Was, wenn man mit dem Inhalt nicht einverstanden ist? Damit stellt sich unmittelbar die Frage des Sich-Einmischens, des Einflussnehmens – und des Übernehmens der Verantwortung dafür, sollte man Einfluss dann auch zugestanden bekommen. Ansonsten ist man der zuvor zitierte, davon befreite »Ideenlieferant«. An seinen Aufgaben aber kann und darf man wachsen, und man macht dann vielleicht die Erfahrung: »Wem mehr anvertraut ist, von dem wird mehr verlangt.«141 Wer also nicht einfach nur Vorgegebenes umsetzen will, der muss inhaltlich mitarbeiten und sollte das auch anbieten. Vorausgesetzt natürlich, man kommt »rechtzeitig« dazu. Dass der Inhalt zwangsläufig einen maßgeblichen Einfluss auf die Form hat, ist klar – und die sollte ihn ja gerade bestmöglich (re)präsentieren, kommunizieren und visualisieren. Dazu nochmals Clemens Theobert Schedler: »Aussehen ist wesentlich, es macht das Wesen sichtbar.« Wer also auf verschiedenen inhaltlichen Ebenen mitarbeiten kann, strukturiert sie bereits auf eine spezifische Weise und nimmt so einen bestimmten Teil jener konzeptionell-gestalterischen Arbeit vorweg, die Sich Einmischen

141 P. Ulrich Faust OSB (Hg.): Die Benediktsregel. Stuttgart, 2009. S. 29

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sonst andere machen und damit mindestens vor-festlegen. Im idealen Fall sollte dies gerade dazu führen, dass man einiges anders machen wird und auch anderes machen kann. Das mag den Inhalt an sich betreffen, ohnehin seinen »Ton« und seine Darstellung, und vielleicht sogar die Auswahl des Mediums. Der Einfluss eines Gestalters ist selbstredend dort am größten, wo er bei Aufträgen explizit dazu ermächtigt und beauftragt ist, inhaltlich, strategisch und konzeptionell mitzuarbeiten. Unübersehbar und auf positive Weise überlagern sich die Aspekte der vorangegangenen Kapitel. Gibt es keinen Auftraggeber, weil es sich um ein eigeninitiiertes Projekt handelt, ist es einfacher und schwieriger zugleich. Denn so viel leichter wird es bei aller Freiheit vermutlich nicht, wenn die eigenen Mittel, die mögliche Reichweite, wie zu vermuten ist, entsprechend geringer sein werden. Wobei es ja durchaus die Möglichkeit gibt, dass Restriktionen die Auseinandersetzung wieder (ver)schärfen und zu einer unerwarteten Lösung führen, etwa mit einer Umdrehung des Mottos Wenn alles geht, geht auch wieder nichts. Gibt es bestimmte Parameter, spezielle Punkte oder übergreifende Spielregeln, kann sich innerhalb von diesen wieder etwas entwickeln. Man berührt damit eine Reihe von weiterführenden Aspekten, wie der gestalterischen Freiheit, der Zweckgebundenheit der Arbeit bis hin zum sicherlich bekannten »wer zahlt, schafft an« – die alle vielleicht auch parallel existieren können. Und es gibt immer wieder unscharfe Grenzen. So spricht schließlich nicht viel dagegen, für einen Kunden einfach die Dinge so zu gestalten, wie er meint, dass er sie braucht. Man erwartet selbst ja auch, dass man sein Essen bestellen darf, wie man es möchte, ohne belehrt zu werden, was jetzt vielleicht besser passen würde. Es sind dann eben Dienstleistungen, die durchaus oder trotzdem für alle Sinn ergeben können – zumindest unter der Prämisse, dass man keinen Unsinn produziert und man bestimmte, tatsächlich ja objektiv darlegbare Qualitätsstandards in der Gestaltung einhalten kann. Dabei ist das Risiko für alle Beteiligten natürlich gering, aber eben auch die Chance, etwas wirklich Unerwartetes und Überraschendes zu schaffen.

Unscharfe Grenzen

↪ Karl R. Popper: Ich glaube, daß der Welt insofern ein Sinn zugeschrieben werden kann, als sie den Rahmen bildet, in dem wir unser Leben selbst gestalten können und, bis zu einem gewissen Grad, auch gestalten. Natürlich immer innerhalb gewisser Grenzen. Aber es ist ein Rahmen, in dem wir unser Leben merkwürdig frei und persönlich gestalten können und in dem wir auch auf die weitere Entwicklung der Welt, wenn auch in einem ganz kleinen Bereich der Welt, einen gewissen Einfluß nehmen können. Wir haben damit also eine ganz große Verantwortung in diesem Leben. Nicht nur für uns, sondern für unsere Mitmenschen. Eine Verantwortung für einen kleinen Bereich dieser großen Welt.

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Eine kolportierte Geschichte von Otl Aicher und dem Eigentümer von FSB, ganz gleich, ob sie sich jetzt wirklich genauso zugetragen hat oder nicht, ist einfach bemerkenswert. FSB steht als Akronym für »Franz Schneider Brakel«, ein 1881 gegründetes Unternehmen, das international erfolgreich Türklinken herstellt. Jedenfalls soll 1984 der Chef der Firma, Jürgen W. Braun, nach Rotis ins Allgäu gefahren sein und Aicher gefragt haben, ob er für ihn eine neue Firmenbroschüre gestalten könne. Der aber sagte ihm: »Junger Mann, ich bin doch kein Firmenanstreicher! Jetzt fahren Sie erst einmal nach Hause und denken über ihr Tun nach. Wenn Ihnen etwas dazu eingefallen ist, dürfen sie sich wieder bei mir melden.«142 So kann sich auch ein Auftraggeber irren – und den Weg zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen und Sein finden. Was daraus folgte, ist hinlänglich bekannt: Das Unternehmen ist heute eines der führenden in seinem Fach. Sicherlich war die Methode Aichers, das Stören, Ärgern, Anstoßen, Unterstützen, Aufgreifen, endlich Visualisieren, für ihn letztlich auf einen Kunden pro Branche beschränkt, für die jeweiligen Firmen aber substanziell. Man denke an ERCO oder Bulthaup, deren eigentliche Angreifbarkeit paradoxerweise heute wieder einen ähnlichen Grund haben kann wie zum Beginn von Aichers Engagements: die Überheblichkeit. An uns kommt ja keiner vorbei. Jedenfalls ist es inzwischen vermutlich wenigen Gestaltern möglich, auf diese Weise zu reagieren, besser: zu agieren, aber versuchen kann man es wenigstens! Oder ist es mittlerweile so, wie das Münchner Designbüro KMS im Programmheft der »mcbw« mit dem sinnstiftenden Titel »create business« schreibt: »Marken sind heute unternehmensweite Identitäten und nicht einfach Produkte und Services wie vor hundert Jahren. Der Komplexität der digitalen Revolution stehen sie mit ihren identitätsstiftenden Qualitäten gegenüber. In Zukunft werden Marken als themenbasierte Interaktionsmuster gebildet, die über neue Interfaces mit uns interagieren. Die Herausforderung: Sie müssen Signale anders setzen, denn das Ziel ist eine Konvergenz von virtueller und realer Interaktion. Wir loten Aufgaben des Markenmanagements im Zeitalter der digitalen Transformation aus. #digitalfirst #nichtverpassen«.143 Der gute alte Otl wird sich im Grab umdrehen. →▪ Agieren statt reagieren

Siehe http://www.designlines.de/ stories/Greifen-und-Begreifen_ 10283161.html (Stand 08.07.2016) 143 Programmheft zur »mcbw« vom 3. bis 11. März 2018 142

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Es ist – wie schon bei der Interdisziplinarität – gerade diese distanzierte Nähe, die für einen Auftraggeber sehr wertvoll sein kann – jeder kennt es, dass man bei seinen eigenen Angelegenheiten oft den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Die metaphorische Türe zu einer strategischen und konzeptionellen Mitarbeit ist deshalb tatsächlich meist diesen kleinen Spalt geöffnet – sollte sie ganz geschlossen sein, muss man sich ohnehin die Frage stellen, inwieweit die Arbeit jenseits der Bezahlung Sinn ergibt. Es ist eine immer wieder neu und bewusst zu absolvierende Gratwanderung zwischen einem »verbogen werden« und »andere verbiegen«: eine, die sich selbst im Verlauf eines Projektes oder einer Geschäftsbeziehung – in beide Richtungen – verändern kann. Vilém Flusser schreibt in einem etwas anderen Zusammenhang: »Der Blick des anderen hat dieses Ding da für mich sichtbar gemacht.«144 Und weiter: Manches »ist allerdings durch dicke Schichten der Gewöhnlichkeit dieser Dinge und der Gewöhnung an sie verdeckt«.145 Hier kann ein Gestalter helfen, sie wiederzuentdecken, sie anders zu sehen, sich anders zu sehen. Für eine solche Mitarbeit gibt es, wie im vorherigen Kapitel bereits erwähnt, durchaus probate Methoden und Techniken, die man anwenden und nutzen kann – wie etwa die »SWOTAnalyse«. Sicherlich darf man sich nicht zu viel von ihnen erwarten, aber mehr weiß man nachher eigentlich immer; und aufschlussreich ist gerade auf längere Sicht das Gegenüberstellen von früheren Analysen mit der aktuellen. Auf diese Weise werden Veränderungen sichtbar, die aufgrund der gleichen Struktur und Anlage auch gut vergleichbar sind. Leider haben viele dieser Analyse- und Entscheidungsmethoden im Management oft einen rein dokumentarischen oder extrapolierenden Charakter, sind nichts anderes als Hochrechnung und Fortschreibung. Es würde sich also anbieten, an diesen selbst weiterzudenken und zu arbeiten. Vielleicht sogar im Sinne des »Hofnarren« oder eines »politisch-unternehmerischen Aschermittwochs« für die Geschäftsführung, an dem man auf witzigüberzogene und charmante Weise die Wahrheit sagen darf und alle lachen können – einige wohl nur mit halbem Herzen, weil ihnen dabei doch manches bewusst wird. Wie auch immer: Distanzierte Nähe

»Greifen und Griffe« hieß die erste Publikation von Otl Aicher für FSB. Darin geht es um die intensive Auseinandersetzung mit dem Produkt, aber in Dimensionen von Ergonomie, Anthropologie, Geschichte … In dem Buch werden unter anderem »Die vier Gebote des Greifens« herausgearbeitet.

Flusser, Vilém: Dinge und Undinge. München, 1993. S. 62 145 Ebd. S. 7 144

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Je mehr man aufschüttelt, aufrührt, vielleicht ja sogar stört oder irritiert, desto mehr kann gesehen, erkannt, verstanden und verändert werden, die entsprechende Bereitschaft aller, vor allem der Führung, natürlich vorausgesetzt. Denn nur dann wird die Grundlage geschaffen, dass wirkliche Gestaltung erfolgen kann, die weit über das Design, also das schließlich und endlich Sichtbare und rein Formgebende, hinausgeht; wenn sich ein Unternehmen oder eine Institution weiterentwickeln kann und Veränderung möglich wird – die dann auch in der Gestaltung ihren Ausdruck erhält. Das ist ein essenzieller Punkt. Die Frage ist natürlich, in welchem Sinn eine Firma, eine Organisation dieses »weiter« sieht und interpretiert. Wenn es lediglich in ein »mehr« (vom selben) mündet, war die Arbeit vermutlich nur in einer Hinsicht wertvoll. Wer aber wirklich selbstkritisch an grundsätzliche Fragen herangeht, wer eine positive Veränderung in einem größeren Maßstab sieht, kommt früher oder später um die Frage der Werte nicht herum. Dies beinhaltet dann zwingend die drei Aspekte der Nachhaltigkeit, also die ökologische, soziale und ökonomische Dimension. Sicher kostet ein inhaltliches Mitarbeiten, die Beratung und Unterstützung bei solchen Prozessen, Zeit. Zeit, die sich alle nehmen sollten – ein Aufwand, der bezahlt sein muss und auch bezahlt wird, zumal die Honorare von Gestaltern im Vergleich zu Unternehmensberatern doch recht harmlos sind. Selbstverständlich wird die inhaltliche (Mit-)Arbeit nicht immer in unendliche Tiefen gehen – man findet sie aber auch im Kleinen. Wenn ein Kunde beispielsweise eine Broschüre möchte, um bei einem einfachen, analogen Beispiel zu bleiben, und schon ganz genau weiß, was dort alles stehen soll, in welcher Reihenfolge und mit genau diesen und jenen Abbildungen, schränkt er das Ergebnis mindestens genauso ein, wie einer, der keine Ahnung davon hat, was eigentlich gezeigt und ausgesagt werden soll. Schafft man es, die Rahmenbedingungen und die zentralen Aspekte zu klären, aber offen zu lassen, auf welche Weise diese gezeigt, erklärt und dargestellt werden, kann noch wirkliche Gestaltung geschehen. Man kann nachfragen, ob es zu diesem oder jenem nicht noch mehr Informationen gibt, warum ein bestimmter Punkt nicht erWeiterentwicklung

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wähnt ist, ob man noch zusätzlich Bilder machen oder – vielleicht besser – mit Illustrationen arbeiten kann. Deshalb braucht im Grunde jedes Briefing ein Re-Briefing: damit in einem konstruktiven Miteinander, über die Nähe und hohe Kompetenz zum Thema sowie über den Abstand und die eigene Professionalität, die besten Ergebnisse für die gestalterischen Aspekte entstehen. Und es zeigt sich vermutlich auch recht schnell, welche Rolle dem Designer hier zugedacht wurde. Mindestens dieses Re-Briefing sollte man als verantwortungsvoller Gestalter eigentlich bei jedem Auftrag, egal in welcher Dimension oder bei welchem Medium, versuchen – ohne damit nur die eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Denn es heißt immer auch: Vorsicht vor sich selbst! Will man etwas nur für sich, weil sich eine gestalterische Chance bietet? Oder weil man wirklich davon überzeugt ist, dass es die bessere Lösung ist? Mehr als evident ist nach diesen Beispielen: Wer sich über die reine Gestaltung hinaus inhaltlich, strategisch und konzeptionell einbringt, exponiert sich, macht sich angreifbar, lehnt sich also bewusst aus dem Fenster. Damit wächst zwangsläufig auch die eigene Verantwortung und – wo diese zunimmt – auch das Risiko, Fehler zu machen, auch solche, die größere Dimensionen annehmen können. Einen anderen Aspekt aber kennt man aus Jurysitzungen oder der Bewertung von Abschlussarbeiten: Wer nur nichts falsch macht, hat noch lange nichts richtig gemacht. Insofern braucht es immer einen gewissen Mut und vielleicht auch Chuzpe – es müssen eben die Klugen mutig und die Mutigen klug werden. Eine gewisse Lebenserfahrung dürfte dabei nicht schaden und durchaus auch eine Vita, die nicht allzu zielorientiert und eindimensional ist. Zugespitzt könnte man mit Blick auf das Design und sein »potenzielles Potenzial« also durchaus sagen: Schöner ist besser, aber besser ist schöner. Unter die weiteren, eher praktisch-pragmatischen Aspekte fallen noch Themen wie die geplante Ausführung und die Umsetzung der Medien. Das mag hier kurz beim Thema Druck näher betrachtet werden – der selbst auch schon manche Fallstricke aufbietet, wie die Umweltschädlichkeit mancher Briefing und Re-Briefing

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Digitaldruckmaschinen oder die Problematik beim Deinking von UV-Drucken,146 auf das man aus Qualitätsgründen gerade bei so natürlich und ökologisch daherkommenden »offenen« Papieren gerne zurückgreift. Oft wird ein »ökologisches Design« im Bereich Kommunikation ja darauf reduziert, ein Recyclingpapier zu verwenden oder wenigstens ein FSC-zertifiziertes. Letzteres ist so eine Sache, denn für jeden frischen Zellstoff gilt trotzdem: Es war vorher ein Baum, auch wenn der Wald noch so »vorbildlich bewirtschaftet wird«.147 Selbst bei Recyclingpapieren muss man noch aufpassen, denn gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. Eine solche Zertifizierung bedeutet oft nur, dass lediglich Produktionsabfälle wiederverwertet werden, meint aber gar nicht das, was in der Papiertonne und im Altpapier gelandet ist – dieses heißt »PCW«, Post Consumer Waste, und ist das, was alle landläufig unter Recyclingpapier verstehen. Es zu verwenden, spart nicht nur Zellstoff, ergo Bäume, sondern auch den pro Einheit notwendigen Bedarf an Wasser und Energie.148 Insofern ist zumindest hier der gute alte »blaue Engel« wirklich eine Orientierungshilfe. Manch eine andere Kennzeichnung bietet hingegen eine gute Gelegenheit zum partiellen und potenziellen »Greenwashing« – wozu es freilich immer auch jemanden braucht, der sich (gerne) täuschen lässt, etwa wenn Unternehmen wie Fast-Food-Ketten ihre Tablette plakativ mit Recyclingpapier-Auflagen bestücken, ansonsten eine unendliche Einweg-Müll-Produktion betreiben. Aber man müsste diese Anbieter ja nur meiden – und seinen Kaffee ohne Coffee-to-go-Becher stationär trinken. Fast schon konsequenterweise zieht sich durch das Verhalten vieler großer Konzerne (wie zum Beispiel Starbucks) eine beeindruckende Linie der Verantwortungslosigkeit, die so weit geht, dass sie auch kaum Steuern zahlen (müssen). Die ökologischen Schäden, die wir alle in Summe anrichten, sind meist noch weit weg, auch zeitlich. Doch ein »aus den Augen, aus dem Sinn« heißt nicht ein »aus der Welt« – auf und von der wir alle leben: alternativlos miteinander! →▪ Die klimaneutrale Produktion kann in einem Atemzug mit den verschiedenen, meist weithin sichtbar gemachen Zertifikaten der Papiere genannt werden – eine gute Idee, und eine Mediale Ausführung, »Labels«, Greenwashing

146 Vgl. dazu: http://pub.ingede.com speziell zum Thema Deinking und Papierrecycling (Stand 02.10.2018) 147 Vgl.: http://www.fsc-deutschland. de/de-de/trademark/labelarten; es gibt natürlich auch noch andere »Labels« und Zertifizierungen, wie PEFC … (Stand 09.07.2016) 148 Die wichtigsten Informationen dazu und einen entsprechenden Vergleich findet man etwa beim Umweltinstitut München: http:// www.umweltinstitut.org/archiv/archivenergie-und-klima/fachinformationen/ recyclingpapier.html (Stand 09.07.2016)

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bessere als der Handel mit CO2, der vor Jahren im großen Maßstab eingeführt wurde und sich komplett ad absurdum entwickelt hat. Doch zeigt sich hier exemplarisch das Dilemma eines grünen Wachstums: Nichts zu drucken, wäre die ökologisch und damit klimatechnisch bestmögliche Lösung. Energie und Rohstoffe werden verbraucht, ob nun kompensiert oder nicht. Immerhin ist anzuerkennen, dass so versucht wird, einen Ausgleich zu schaffen – aber wäre das nicht sowieso schon längst ohne vorherige zusätzliche Belastung notwendig, also weniger drucken und trotzdem in Afrika und anderswo Bäume zu pflanzen?149 Ob gut gemeint, einfach nur der Form halber oder im Sinne des Marketings als symbolische Maßnahme gedacht, die das Eigentliche kaschiert: Es tut weh, wenn unersetzbare Regenwälder für Soja-Plantagen gerodet werden und der Druck von Etiketten und Flyern dafür klimaneutral erfolgt. Und wo gibt es eigentlich einen Ausgleich bei den 5-Euro-T-Shirts? Der müsste ja insbesondere zu einer fairen Bezahlung der Arbeitskräfte führen – dann würde das Kleidungsstück aber mehr kosten. Man merkt, es geht sehr schnell um sehr Grundsätzliches. Doch nochmals zurück zum Thema Print: Auch die aberwitzig günstigen Preise von OnlineDruckereien werden nicht gerade dazu beitragen, dass weniger gedruckt oder die Auflage etwas niedriger angesetzt wird – sie alle bieten natürlich auch eine klimaneutrale Produktion an. Also dort, wo man ohnehin nicht weiß, wie das alles gehen kann, zu solchen Preisen. Denn das Papier müssen sie ja auch irgendwo kaufen, den Strom bezahlen oder den Paketdienst und die Mitarbeiter. Trotzdem sind diese Alternativen natürlich manchmal »segensreich«, wenn damit auch ein gemeinnütziger Verein oder eine finanziell schwächer gestellte Institution etwas Ordentliches produzieren lassen kann. Es ist eben selten etwas nur gut oder nur schlecht. Bei den Online-Medien stellt sich die Frage nach der Verantwortung ein wenig anders. Gut, es gibt auch hier klimaneutral betriebene Webserver – es wird ja allgemein völlig unterschätzt oder gar nicht bewusst wahrgenommen, was jeder einzelne Klick bei Google an Energie verbraucht.150 Doch hier sollte sich das Augenmerk eher auf die Thematik der Daten Klimaneutrale Produktion

Der WWF hat schon 2008 eine interessante Studie mit dem Titel »Zwischen Ablasshandel und Klimaschutz« herausgegeben. Die Zusammenfassung findet man unter: http://www.wwf.de/zwischen-ablass handel-und-klimaschutz/ (Stand 09.07.2016) 150 Einige interessante Informationen liefert ein Artikel auf SpiegelOnline – dessen Suche über Google hat dann wohl auch gleich die 0,3 Wattstunden Energie verbraucht: http://www.spiegel.de/wirtschaft/ unternehmen/suchmaschinenriesegoogle-verbraucht-so-viel-strom-wieeine-grossstadt-a-785217.html (Stand 09.07.2016) 149

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richten. Dass diese das Gold des 21. Jahrhunderts sind oder werden können, ist kein Geheimnis. Und was es für die Allgemeinheit, also für alle, für uns alle bedeuten kann, wird auch immer offensichtlicher,151 von gesundheitlichen Konsequenzen durch Mobilfunkstrahlung oder übermäßige Mediennutzung einmal ganz abgesehen. Denn längst geht es nicht mehr nur darum, dass Unternehmen das Wissen um ihre (potenziellen) Kunden monetär verwerten wollen, sondern auch um den Zugang des Staates, der Geheimdienste zu solchen Daten. Wer auf einer Internetseite ist, die Google Analytics verwendet, der kann sicher sein, dass er sicher nicht weiß, wie sich andere dieses Wissen sichern und was sie damit anstellen werden. Und auch nicht, wer diese »anderen« sind und noch sein können. Das gilt für die verschiedenen Analyse-, Tracking- und Auswertungsmethoden, zu denen es aber durchaus jeweils auch Alternativen gäbe – Optionen, die vielleicht ein wenig Geld kosten und die einem dann zugleich bewusst machen könnten, dass selten jemand einem etwas ohne Vergütung gibt, die Bezahlung also nur auf anderem Weg erfolgt: indirekt, unsichtbar, unberechenbar. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr: Kostenlose Dienste bezahlt man mit seinen Daten – die offenbar so viel mehr wert sind, dass man Dienste kostenlos anbieten kann. Als Gestalter von Websites und anderen digitalen Medien sollte man sich bewusst sein, dass sich hinter dem schön gestalteten Screen oder Interface das Eigentliche abspielen kann – und dies entweder bewusst zulassen oder eben Alternativen anbieten, beispielsweise zwar den gewünschten Link zu Facebook einbauen, aber nicht automatisch deren Codes einbinden und sich (wie auch sein Gegenüber) ganz grundsätzlich fragen, wie weit man deren Geschäftsmodelle unterstützen und seinen Teil dazu beitragen möchte. Das Argument, wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer, ist so bekannt wie beliebt und bedeutungslos. Denn was, wenn es vielleicht irgendwann einmal keiner macht? Insofern sind eben nicht nur die eigentlichen Inhalte relevant, sondern auch, wie mit diesen Inhalten umgegangen wird und welche weiteren Implikationen und Konsequenzen diese Inhalte wiederum bedingen. Alles leider nicht bequem und leicht zu ignorieren – doch schwer von der Hand zu weisen. Daten als Währung

Vgl. Welzer, Harald: Die smarte Diktatur: Der Angriff auf unsere Freiheit. Frankfurt, 2016

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6 Designforschung nutzen – um nachvollziehbar zu arbeiten, um Theorie und Praxis wechselseitig zu reflektieren

Dieser Teil ist, wie auch der nächste, nicht in einem direkten Zusammenhang oder einer bestimmten Chronologie mit den vorhergehenden Kapiteln zu sehen – er ist eher exkursiv. Designforschung führt über das Design hinaus, wobei vermutlich bereits jedes gute Design Elemente von Designforschung in sich trägt. Damit ist keine Antwort auf die Frage gemeint, ob Recherchen und Analysen bereits als Forschung gesehen werden können. Man hört bei Vorträgen gerne den Nebensatz: »aber zuvor haben wir einen Research gemacht«. Das also ist nicht gemeint. Designforschung sollte wie jede Forschung ihren Anspruch, Ziel und Sinn darin haben beziehungsweise sehen, neue Erkenntnisse zu gewinnen – und diese zugänglich zu machen, somit etwas zum Verstehen der Welt und ihrer besseren Gestaltung beizutragen. Damit betritt man einen entgegensetzten Weg zu dem Bild, das viele Außenstehende von der Disziplin haben: Wenn etwas gut aussieht und nicht richtig funktioniert, dann ist es Design. Es ist deshalb geboten, zwei Schritte zurückzumachen. Das bietet Gelegenheit, Designforschung in zwei grundlegende Bereiche zu differenzieren: Entweder ist sie Teil eines Designprojekts, das sie weiter »nach vorne« ziehen und den gestalterischen Einfluss vom Anfang an vergrößern kann, oder sie ist explizit ein eigenes, bestenfalls auch bezahltes Projekt, das über eine öffentliche Förderung ebenso möglich ist. Gleichermaßen weiter geht damit eine grobe Einteilung in eine angewandte oder eher grundlegende Forschung einher. Dabei darf man es nicht versäumen, selbstkritisch zu erwähnen, dass bis heute, so oder so, die Designforschung zum größten Teil nur im Konjunktiv stattfindet: Man könnte, man sollte, man müsste – und auch die Literatur in diesem Bereich schreibt Chancen und Optionen

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viel über die Bedeutung, die Design haben könnte, die Möglichkeiten, die Optionen, die Chancen; sie kann aber nur sehr wenige konkrete Ergebnisse zeigen, zumal solche, die nicht primär technologisch ausgerichtet sind. Genau deshalb ist eben das, was eine Designforschung wirklich leisten könnte, noch kaum abzusehen – die Skepsis, die man der Disziplin im Ganzen ohnehin schon entgegenbringt, macht dies eher größer als kleiner. Viele gute Beispiele zu haben und Erfolge vorweisen zu können, sind das wertvollste und stärkste Mittel, um als Forschungspartner ernst genommen und gesucht zu werden. Dabei könnte (Konjunktiv!) die Designforschung durchaus einen essenziellen Betrag dazu leisten, um eine fundierte(re) Wissenschaftlichkeit der ganzen Disziplin zu etablieren. Beispielsweise indem sie nach und nach ein zumindest bis zu einem gewissen Grad gesichertes Wissen schafft. Nicht, um dieses komplizierter zu machen, sondern, um vielmehr Theorie und Praxis in ein konstruktives und fruchtbares Miteinander zu bringen, wie man das beispielsweise in der Medizin kennt und es an anderer Stelle bereits beschrieben wurde. Ein weiterer Aspekt ist die Schaffung wissenschaftlicher Standards bis hin zu einer Forschungs- und Publikationskultur und irgendwann auch -tradition. Die Designforschung steckt ihrem Kern und Wesen nach letztlich bereits im Design selbst: im Fragenstellen, und das in unterschiedlichsten Konstellationen, Kontexten und Dimensionen. Nur mit dem essenziellen Unterschied, dass Design eine Antwort auf Fragen finden muss, die Designforschung aber neue Fragen als Antwort haben kann. Es ist die Steigerung der Ergebnisoffenheit – und damit der Möglichkeiten, Potenziale, Chancen und damit immer auch der Verantwortung. Und wie auch das Design selbst über seine Herangehensweisen, seine Möglichkeiten der Visualisierung, des Non-Linearen, Lateralen … bereits viel mit und für andere Disziplinen erreichen kann (und durchaus auch erreicht), hat eine Designforschung nochmals ganz andere Methoden und Möglichkeiten. Doch zunächst sollte man noch etwas weiter ausholen. Ganz grundsätzlich unterscheiden kann man Designforschung als eine Forschung für, über oder durch Design. Diese sich lang Steigerung der Ergebnisoffenheit

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sam etablierende Strukturierung durch Wolfgang Jonas ergibt Sinn, auch wenn man sie vielleicht nochmals reduzieren könnte auf ein Forschen über beziehungsweise mit Design. Doch um die dreiteilige Gliederung zu verwenden: Eine Forschung für Design ist tatsächlich eher immer eine im Sinne der – ausgeweiteten und tiefer gehenden – Recherche und Analyse, die vermutlich im Zusammenhang mit einem konkreten Auftrag steht. Nichtsdestotrotz kann sie mit einer Forschung durch Design verbunden sein, indem sie die durch die Realisierung und Visualisierung erarbeitete Zusammenhänge, Analysen und (Rück-)Schlüsse überhaupt erst sichtbar macht, wie etwa beim Projekt der beiden Designerinnen Barbara Hahn und Christine Zimmermann für das Mapping eines Areals in Basel.152 Es zeigt im Grunde, dass bei vielen Projekten an der Schnittstelle von Architektur, Soziologie und (kommunaler) Politik das Design und die Designforschung eine andere Rolle spielen könnten: nicht nur aufgrund der Kompetenz zur Visualisierung, sondern auch, um in der Visualisierung unerwartete Ergebnisse zu erzielen und neue Zusammenhänge aufzuzeigen und so bestenfalls die Disziplinen miteinander zu verbinden. Denn gerade darin kann die Fähigkeit zur Darstellung liegen. Manches wird erst durch die Visualisierung verständlich und nachvollziehbar – wie die Doppelhelix als Bild für die DNA,153 ob nun von Gestaltern entworfen oder nicht. Eine Forschung über Design hingegen ist in der Regel eine im Sinne der Designgeschichte und -theorie, wie man sie von der Architektur bereits kennt – als Reflexion des eigenen Tuns beziehungsweise zur Vermittlung ihrer Herkunft, Entwicklung und Grundlagen. Sie dürfte die anerkannteste Ausprägung einer Designwissenschaft sein, auch wenn ihre Erkenntnisse und Ergebnisse allerdings kaum über die eigene Branche hinauskommen (wenn sie dort überhaupt ankommen). Ausnahmen mögen die Regel bestätigen, wenn eine Designtheorie beispielsweise die politische Dimension von Gestaltung behandelt. Ihre Relevanz wäre vermutlich in Verbindung mit oder als Parallele zu einer Designkritik nochmals eine andere, doch auch dazu muss sich offenbar erst eine gewisse Kultur entwickeln.154 Sowohl bei der Forschung über Design als auch bei Forschung für, über und durch Design

152 Vgl. https://www.ahb.bfh.ch/ fileadmin/content/F-E/Institut_SI/ Dokumente/Visuelle_Analyse_Mapping. pdf (Stand 09.07.2016) 153 Vgl. Pörksen, Uwe: Weltmarkt der Bilder – Eine Philosophie der Visiotype. Stuttgart, 1997. Darin ist auch ein Kapitel über die Bilder des Golfkriegs. 154 Siehe dazu: Was bedeutet für mich Designkritik? von Ephraim Ebertshäuser (Hg.), erschienen im QuasiEigenverlag »Prima.Publikationen« in Basel/Stuttgart.

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der Designkritik liegt ein Potenzial dort, wo diese von Designerinnen und Designern selbst erfolgt – wenn also nicht nur Philosophen und Kunsthistoriker über Design reden, sondern auch jene, die es schaffen. Die Forschung durch Design ist nicht nur für dieses Buch vermutlich die wichtigste und diejenige mit der Chance auf den größten Erkenntnisgewinn. Denn hier wird Design selbst zur Methode, zu »einem Instrumentarium der Erforschung von Realität und der Entwicklung neuer Zukunftsvisionen, welche aufgrund der […] visuellen Sprache von Design von allen Beteiligten […] verstanden […] wird.«155 Auf die Vermittlung unterschiedlicher Perspektiven zielt auch Alain Findelis Bestimmung der Designwissenschaft als dritten Weg156: zwischen reiner Wissenschaft und Kunst, zwischen Geistes- und Naturwissenschaft, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Erkennen und Handeln.157 Oder wie schon zuvor formuliert: Design zwischen allen Stühlen. Übrigens kämpfte auch Flusser sein Leben lang für eine Überwindung der Grenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaft! Wenn sich also Designforscherinnen und Designforscher für die wirklich wichtigen Themen interessieren und engagieren, besteht nicht zu Unrecht die Hoffnung, dass intelligente neue Lösungsansätze und -beiträge für die vielen und immer größer werdenden Herausforderungen entstehen – Antworten auf die Frage nach einer Gestaltung des »Weniger« und damit verbunden die Entwicklung von Visionen einer Gesellschaft und Ökonomie auf Basis von Fairness, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Es sind die Themen wie der demografische Wandel, die Erderwärmung, Flüchtlingsfragen, das dramatische Abnehmen der Artenvielfalt, die Ernährung der Weltbevölkerung, eine humanistische Bildung, die Erhaltung und Weiterentwicklung der Demokratie … die diese Liste – das kann jeder nachvollziehen – immer länger werden lassen: Sie wird das Wissen jeder Disziplin und den Einsatz eines jeden brauchen, wenn all diese Aufgaben je bewältigt werden sollen. Das Design und die Designforschung alleine werden dabei natürlich nicht viel ausrichten – aber sie können gemeinsam mit anderen Disziplinen sicherlich einen zusätzlichen Beitrag leisten. Alleine das wäre es schon wert, die Designforschung ernst zu Design als Methode

155 Bertola, Paola: »Design als Forschungsinstrumentarium: Neue Möglichkeiten für Designkompetenzen«, in: MacDonald, Stuart (Hg.): Design, treibende Kraft für Europa. Barcelona, 2006, S. 51 156 Vgl. Findeli, Alain. »Die projektgeleitete Forschung: Eine Methode der Designforschung«, in: Swiss Design Network (Hg.): Erstes Design Forschungssymposium, Zürich, 2004, S. 44 157 Vgl. auch die Aussagen von: Erlhoff, Michael: »Design als zuversichtlicher Widerspruch …«, RomeroTejedor, Felicidad u. Jonas, Wolfgang (Hg.): Positionen zur Designwissenschaft, Kassel, 2010, S. 40

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Eine Karte vom Zentrum Londons, in die der Arzt Dr. John Snow die Anhäufung von Cholera-Todesfällen eingetragen hat – mit der Erkenntnis, dass sie um bestimmte Wasserpumpen besonders zahlreich waren. Heute steht dort eine historische Pumpe als Denkmal für ihn. Die 1869 vom Ingenieur Charles Joseph Minard entwickelte Karte zu Napoleons Russland-Feldzug ist bis heute ein Meisterwerk: Die Informationsgrafik visualisiert zahlreiche Informationsebenen – in ihrer Interdependenz.

nehmen und viel stärker einzubeziehen. Freilich müssten die Gestalter dann auch selbst alles dafür tun, ernst genommen zu werden. Als Exekutiv-Organ eines nicht selten sinnfreien Marketings, das seine Berechtigung darin sieht, möglichst viele Einheiten eines Produkts möglichst teuer zu verkaufen, wird das dem Design kaum gelingen. Dabei könnte Design in jeder seiner Ausprägungen an sich ein wertvoller Partner für Forschungsprojekte sein, alleine schon wegen der schon öfters erwähnten Fähigkeit des Visualisierens. So könnte die Kompetenz der Visualisierung

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Darstellung von Auswertungen bereits deutlichere oder mitunter neue Erkenntnisse zum Vorschein bringen; eine intelligente Visualisierung kann Zusammenhänge erschließen, die eine Tabelle nicht zu zeigen in der Lage ist. Ein scheinbar ganz banales Beispiel dafür ist die Verortung der Todesfälle einer Cholera-Epidemie in London im Jahr 1854. Die Tatsache, dass ausgerechnet ein Arzt auf diesen Gedanken kam und erst durch die Visualisierung den Zusammenhang zwischen den Plätzen bestimmter Wasserpumpen und der Häufung von Todesfällen erkennbar machte, zeigt die Relevanz und die fast unendliche Bandbreite von Möglichkeiten. Bemerkenswerterweise arbeitet ja gerade die Medizin viel mit bildgebenden Verfahren. →▪ Ein anderes bemerkenswertes Beispiel ist die 1869 von Charles Joseph Minard entwickelte Infografik über Napoleons Russland-Feldzug. Es ist nicht nur das wohl erste Beispiel für eine solche Darstellung, sondern bis heute ein Meisterstück. Kann ein klassisches Balkendiagramm gemeinhin über die zwei Achsen nur eine Wert-Relation aufnehmen und höchstens noch innerhalb der Balken bestimmte Anteiligkeiten visualisieren, so schafft es der Ingenieur Minard auf seiner Kartendarstellung folgende Parameter quasi interagierend zu zeigen: die Position und Marschrichtung der Armee, eventuelle Abspaltungen und (Wieder-)Vereinigungen von Truppenteilen, ganz markant die – abnehmende – Truppenstärke, besonders deutlich an der Überquerung der Flüsse (vor allem der Beresina auf dem Rückzug) zu sehen, wie auch die ungewöhnlich niedrigen Temperaturen, die wiederum in einem Verhältnis zur Dezimierung der Soldaten stehen. Was könnte es heute für neue Möglichkeiten geben? Einige davon sieht man regelmäßig auf der »Grafik-Seite« in »DIE ZEIT«, die nicht selten aber zu l’art pour l’art werden und den Eindruck hervorrufen, jemand hatte die Idee für eine bisher nicht gekannte Darstellung, brauchte dazu aber noch ein Thema, einen Inhalt. Hier erschlägt die Visualisierung mitunter das Visualisierte. Vielleicht sind deshalb die beiden historischen Beispiele so bemerkenswert: weil sie sich auf das Wesentliche konzentrieren, die Erkenntnis im Blick haben, nicht den Effekt. Viele Chancen eröffnen auch Interagierende Parameter

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den Weg in viele Sackgassen – aber das muss natürlich nicht sein. Dimensionen deutlich machen kann man wiederum bei digitalem und höchst komplexem Material auch auf analogem Weg, wie bei den farbigen Stapeln von Hahn+Zimmermann: Sie haben die Anzahl von Beschwerden im Berner Nahverkehr über die Höhe der Kartenstapel sichtbar und intuitiv erfassbar gemacht – als Teilaspekt einer umfangreichen Forschung zur Visualisierung von Informationen auf Big Data-Niveau.158 →▪ Da sich Design und Designforschung so sehr durchdringen und beinahe schon bedingen, können auch die verschiedenen Techniken und Werkzeuge in den beiden Bereichen oft gleichermaßen verwendet werden – vom Prozess her gesehen, wird es wohl eher einen Transfer aus der Forschung hin zum angewandten Design geben. Hier sollen nun, da sie auch für ein werteorientiertes Design relevant sind, die wichtigsten Methoden kurz vorgestellt werden. Sie helfen, das eigene Instrumentarium bei Beratungs- und Gestaltungsaufgaben zu erweitern, sie bieten und schärfen Begriffe, lassen Zusammenhänge erkennen, weiten den Blick, strukturierten das Vorgehen, schaffen Offenheit für andere Disziplinen und erweitern den Möglichkeitssinn erheblich. Das erste und klassische Feld sind die empirischen Methoden: Mit ihnen entsteht Wissen aus der Erfahrung, aus Beobachtung, dem Experiment. Es ist aus Erfahrung gewonnene Erkenntnis – und damit sicherlich etwas, das auch in der Designpraxis oft schon angewendet wird, ohne es vielleicht explizit als Methode zu bezeichnen. Dazu gehört das Experiment als ebenfalls weithin bekannte Methode. Sie verbindet sich im Design bestenfalls mit einem (zeitnahen) Prototyping und damit auch mit der Möglichkeit, einzugreifen, also bestimmte Parameter bei an sich vorgegebenen Gegenständen zu verändern – das wäre dann Forschung durch Design: →▪ eben gestalterisch in Gestaltung einzugreifen, Alternativen zu versuchen und über die experimentelle Änderung einzelner Parameter jeweils die (Aus-)Wirkung im Ergebnis unmittelbar zu zeigen und sie in Bezug auf Les- und Nutzbarkeit, Assoziation, Konnotation befragen und interpretieren zu können. Das Empirische Methoden

Die Anzahl der Schadensmeldungen am Bahnhof in Bern, nach verschiedenen Kategorien geordnet, wird über die Höhe des daraus entstehenden Stapels visualisiert – Big Data wird analoges Balkendiagramm.

Mehr dazu: www.urbandata patterns.ch (Stand 02.10.2018)

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Besondere und »Problematische« des Experiments – also die explizite Wiederholbarkeit und Überprüfbarkeit – ist in diesem Zusammenhang natürlich immer die Tatsache, dass man nur einmal etwas zum ersten Mal sehen kann. Nicht einfach gerade bei Fragen der Lesbarkeit und Erkennbarkeit, andererseits aber auch nichts, was man beispielsweise in der Feldforschung der Soziologie nicht auf eine ähnliche Weise kennt und mit dem man umzugehen gelernt hat. Im Sinn des geisteswissenschaftlichen Verstehens und im Unterschied zum naturwissenschaftlichen Erklären kann ein Erkenntnisgewinn auch auf hermeneutische Weise erlangt werden. Ganz klassisch also durch die Kunst und Theorie der Auslegung von Texten und ihrer Interpretation – eine der ältesten wissenschaftlichen Methoden. Die Diskussion im Rahmen eines Briefings kann also schon eine bereits stark ausgeprägte hermeneutische Dimension haben. Im Ernst: Warum sich nicht einmal ganz bewusst einer Aufgabe mit diesem Ansatz nähern? Der Gegenstand muss nicht zwingend ein Text, sondern kann auch ein Bild im weitesten Sinn sein, dessen Interpretation dann sicher über ein kunsthistorisches Interesse hinausgeht. Spannend wird es, wenn man einmal überlegt, wie eine »visuelle Hermeneutik« aussehen könnte: wenn also mit visuellen Mitteln auf Texte (Bilder oder allgemein Inhalte) reagiert und geantwortet würde und dadurch über sie diskutiert wird, dass man sie etwa zeichnerisch interpretiert. Hier kommt man wieder an einen Punkt, der in diesem Buch bei fast jedem Absatz ergänzt werden könnte: Auch wenn sich eine noch junge, erst konstituierende Designforschung zunächst einmal fast zwangsläufig und sinnvollerweise an die Methoden etablierter Wissenschaftsdisziplinen halten wird, gibt es sicherlich viele Möglichkeiten und Potenziale, diese für ihre Zwecke zu modifizieren, zu adaptieren und schließlich auch eigene zu entwickeln.

Historisches Plakat zu einer Rede von Adolf Hitler 1923 im Zirkus Krone, München – und eine nachgesetzte Variante mit einer anderen Schriftart (Bodoni). Die rhetorisch-ästhetische Wirkung könnte unterschiedlicher nicht sein.

Naheliegend im Kontext der Hermeneutik sind narrativen Methoden – und zwar nicht im illustrierend-abbildenden, sondern in einem heuristischen Sinn, der bestimmte Ebenen erst freilegt. Sie werden gerade dort eingesetzt, wo klassische Hermeneutik

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Der »Interactive String Survey« beim Kunstfestival Nothern Spark 2017. Die 15 m lange Installation ist eine interaktive Datenvisualisierung der Gedanken und Meinungen der Teilnehmer zum Klimawandel.

Bilder fehlen, weil es keine gibt oder vielleicht nur Zahlen vorliegen, wo sich in einem Ablauf Zeit und Ort nicht parallel und konsistent entwickeln, wo man Unsichtbares zeigen, Verbindungen visualisieren, neue Bezüge schaffen will. Hier können ein »Visual Storytelling«, eine »Design Narration« oder ein »Visual Essay« einiges leisten, und zwar durchaus im Sinne der Aufklärung von »Verbrauchern«, die man auch etwas respektvoller als Käufer oder Menschen bezeichnen könnte und nicht im Sinne der Verklärung von Konsequenzen und Zusammenhängen. In Online-Medien ist das vielleicht nochmals vielschichtiger möglich, synchronoptisch, generativ mit variablen Faktoren, die der Nutzer selbst verändern kann … sicherlich ein geeignetes Medium und Mittel besonders für die Darstellung sehr komplexer, interdependenter Inhalte. Klar ist aber genauso: Die naheliegende einfache Narration im Sinne des erzählenden Schreibens sollte man trotzdem nie vergessen. Leider ist sie eine nur gering ausgeprägte Seite und Leidenschaft im Design – wohl auch deshalb fehlt es nicht nur an Begriffen, sondern auch an ihrer konsequenten, konsistenten Anwendung innerhalb der Disziplin. Zu schreiben bedingt und zwingt immer zur Präzisierung, macht Inkonsistenzen sichtbar, sei es als Hilfsmittel im Gestaltungsprozess oder als eigenständiger, substanzieller Beitrag. →▪ Narrative und komparative Methoden

Ein T-Shirt, dessen gestalterisches Element die Geschichte des Entstehens (life cycles) dieses T-Shirts zeigt. Die narrative Illustration hat Arlene Birt für droog 2005/06 entwickelt.

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Alle Forschung begann vermutlich zunächst mit dem Sortieren. Davor waren höchstens das Staunen, das bewusste Sehen, Wahrnehmen und die Frage nach dem »Warum«. Eine gute Definition ist deshalb: Forschung beginnt, wenn etwas seine Selbstverständlichkeit einbüßt. Das Unterscheiden des einen vom anderen dürfte dann die Grundlage aller weiterführenden Betrachtungen gewesen sein: Erst auf ihr konnte man Gruppen bilden und Unterschiede und Ähnlichkeiten identifizieren, was im Grunde bis heute gilt. Komparative, analytische Methoden bilden daher eine klassische und grundlegende Kategorie wissenschaftlicher Forschung: Differenzieren, Klassifizieren, Gruppieren, Strukturieren – das eint die Entomologen mit den Kunsthistorikern. Ihre lange Tradition macht dabei vielleicht nicht alles einfacher, bietet durch bestimmte Vor-Festlegungen aber auch einen gewissen Halt und Rahmen, indem man sich relativ gefahrlos bewegen kann. Wie sieht es im Design, in der Designwissenschaft aus? Hier fehlt es praktisch an jeder Grundlage – und die Übernahme von komparativen Methoden etwa aus der Kunstgeschichte erscheint nicht immer hilfreich und sinnvoll. Wie ja überhaupt manches Missverständnis über Design wohl auch daher kommt, dass meist Kunsthistoriker und Philosophen (wenn nicht gar Marketing-Experten) darüber schreiben. Dazu sei noch ein Gedankenspiel erlaubt: Es gibt ja die »vergleichenden Literaturwissenschaften« (Komparatistik) – wäre eine »vergleichende Designwissenschaft« nicht auch denkbar? Sie wäre dann eine Wissenschaft von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Gestaltung in verschiedenen Kulturen aus einer grenzüberschreitenden Perspektive. Klassisch, allerdings eher etwas langweilig sind im Kontext der Designforschung die demoskopischen Methoden, also eine klassische Meinungs-, Markt- und Sozialforschung – in der Regel eher quantitativ ausgerichtet. Dazu gehören schriftliche oder mündliche Umfragen, einzeln oder in Gruppen, sowie Interviews, die bei Befragungen eben auch »wertende« Aspekte einbeziehen können. Die Einteilung in verschiedene Alters-, Bildungs- und Einkommensgruppen ergibt in einer Welt allerdings immer weniger Sinn, wo der Porsche vor dem Demoskopie

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Discounter oder dem Bioladen steht und sich 70-Jährige die gleichen Nike-Schuhe anziehen wie 17-Jährige. Aus diesem Grund eignen sich die »Sinus-Milieus«159 besser zur Verortung von Personen, Personas und Persönlichkeiten – als Hilfsmittel und Grundlage zur Diskussion.160 Sie zeigen auch, dass sich Zielgruppen immer mehr in sehr spezifische und veränderungsfreudige Zugehörigkeitsgruppen wandeln, deren Merkmale und Vorlieben sich daraus aber nur bedingt oder gar konsistent ableiten lassen – ein Thema, an dem sich die Großrechner von Konzernen noch ein paar digitale Zähne ausbeißen werden. Zugleich beobachtet man die merkwürdige Tendenz, dass sich Prognosen im politischen Bereich wiederum selbst auf Wahlen auswirken können. Es ist nicht einfach mit den Menschen und ihren Meinungen – und wird es vermutlich immer weniger. Demoskopische Daten sind immer mehr nur als einzubeziehender Input zu sehen und zu verwenden. Mit hoher Professionalität und viel Aufwand erhoben, sind sie im Bereich des Marketings recht gebräuchlich. Die Einbeziehung von Nutzern, sei es in der Analyse, also zu Beginn, oder der Evaluation, nach Abschluss eines Projekts, sind im Design und vor allem in der Designforschung ebenfalls nicht unüblich, haben aber ihrer Natur gemäß eher nur einen empirischen Wert. Damit verwandt sind die statistischen Methoden, ergo der analytische Umgang mit quantitativen Informationen, also mit Daten. Bestenfalls können sie eine systematische Verbindung zwischen empirischen Erkenntnissen und der Theorie herstellen: eine Aufgabe, die mehr und mehr von Rechnern in immer größerem Stil bewältigt wird – es fallen ja tagtäglich aberwitzige Mengen von Daten an. Bei der Frage der Nutzbarkeit dieses Rohstoffs kommt die künstliche Intelligenz immer stärker zum Einsatz. Google ist dabei einer der führenden Akteure, gefolgt von Twitter, Yahoo!, IMB und Apple.161 Derzeit sind die Erwartungen an Big Data vermutlich noch um einiges größer als ihr Erkenntnisgewinn – aber das mag sich schnell ändern. Was Designer dazu beitragen werden, bleibt spannend. Die Beobachtung, eine der grundlegenden Tätigkeiten des Forschens, hat nicht nur eine empirische Dimension, sondern Statistik

159 Mehr unter http://www.sinusinstitut.de/sinus-loesungen/sinusmilieus-deutschland/ (Stand 30.12.2018) 160 Damit wurde etwa beim Weitwanderweg »Lechweg« versucht, die verschiedenen Einschätzungen der beteiligten Personen herauszufinden und abzubilden – mehr aber auch nicht. 161 Vgl. https://de.statista.com/ infografik/5215/unternehmenszukaeufeim-bereich-kuenstliche-intelligenz/ (Stand 11.07.2016)

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auch eine explizit phänomenologisch-beschreibende. Das sollte man sich gerade deshalb vor Augen führen, weil Designforschung ja insbesondere eine »visuelle Forschung« ist. Die Phänomenologie ist ein überaus spannendes Feld, nicht nur, weil man Design selbst ja auch als ein Phänomen betrachten kann. Schließlich besteht es eben nicht aus einzelnen Punkten – oder ist nur konkret-materiell –, sondern auch aus »dem Feld«, das diese Punkte produzieren beziehungsweise projizieren wie Regentropfen und Sonne beim Regenbogen. Untersucht man diesen streng empirisch, wozu die Naturwissenschaft tendiert und verleitet, und sieht nur die Einzelteile (Wasser und Licht), geht das Phänomen selbst verloren – ganz in dem Sinn, dass man, wie ein indischer Mystiker sagte, die Rose sezieren und in kleinste Teile zerlegen kann – man wird nirgendwo Schönheit finden. Vielleicht braucht also gerade so etwas Unklares wie Design auch eine eher unscharfe Methode, zu der sich die Phänomenologie sehr gut anbietet. Eine, die zwar sachlich-nüchtern bleibt, nachvollziehbar, die aber die Komplexität nicht reduziert und simplifiziert, mit dem Ziel einer »radikal vorurteilslose[n] Erkenntnis«,162 wie sie Edmund Husserl wollte und in der »Hinwendung zur Sache«, aber in einer eher zeitgenössischen Ausprägung im Geiste von Vilém Flusser und Gerd Selle.163 Besonders wichtig ist hier eine Fähigkeit, über die die meisten Kinder noch verfügen, die aber im Laufe der Zeit verloren geht: das Sehen vor dem Denken. Nicht ohne Grund sagte Otl Aicher: »der mensch ist ein sehendes wesen, das mit dem denken sieht und im sehen denkt.«164 Diese Bestimmung ist wahrlich nachvollziehbar und wird von Aicher auch anatomisch-physiologisch untermauert. Problematisch ist aber der Punkt, dass wir schon mit oder sogar bereits vor dem Wahrnehmen zu wissen glauben, was wir sehen – und dann doch nur sehen, was wir eben schon wissen: »Dinge so anzusehen, als sähe man sie zum erstenmal [sic!], ist eine Methode, um an ihnen bisher unbeachtete Aspekte zu entdecken. Es ist eine gewaltige und fruchtbare Methode, aber sie erfordert strenge Disziplin und kann darum leicht mißlingen [sic!]. Die Disziplin besteht […] in einem Vergessen, einem Ausklammern der Gewöhnung an das gesehene Ding, also aller Erfahrung und Kenntnis von dem Ding.«165 Bemerkenswert Phänomenologie

162 Husserl, Edmund: Die phänomenologische Methode – Ausgewählte Texte I. Stuttgart, 2014. S. 13 163 Selle differenziert dabei Dinge, Halbdinge und Undinge. Geräte mit Touchscreens beispielsweise bezeichnet er als Halbdinge, weil man zwar noch taktil (zumindest an der Oberfläche) interagiert, berührt, aber dessen Konsequenzen nicht mehr stofflich stattfinden. Vgl. Selle, Gerd: Das Haus der Dinge. Frankfurt/Main, 2015 164 Aicher, Otl: analog und digital. Berlin, 1992. S. 44 165 Umschlagtext zum Buch Dinge und Undinge von Vilém Flusser (München, 1993) – ein zu diesem Thema unverzichtbares Werk

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ist auch die Umschreibung: »Phänomenologie ist die Erforschung von Korrelationen und so auch der Korrelation, daß man etwas, was man sieht, nur sieht, weil man dieses etwas als etwas sieht.«166 Dies ist nur eine kurze Zusammenstellung von möglichen Techniken, Mitteln und Möglichkeiten, die einer Designforschung schon jetzt zur Verfügung stehen. Dabei sind die im Produktdesign üblichen Methoden gar nicht mehr eigens aufgeführt – also die Usability-Tests, das Prototyping, ergonomische Versuche oder das Eye-Tracking und ähnliche technische Methoden. Sie sind ja weitestgehend bekannt. Die Designforschung weist an vielen Stellen leider eine technische, technologische Tendenz auf, die nicht selten auch an den Geldgebern liegen dürfte – wenn etwa ein Lehrstuhl von der Telekom AG finanziert wird, um ein Beispiel zu nennen. Flusser schreibt in dem wunderbaren Buch Vogelflüge: »Auch ich wurde aus dem Paradies verstoßen, nicht nur die Ingenieure. […] Ich befasse mich nicht mit ›Naturwissenschaften‹. Weh mir, ich bin ein Humanist.«167 Die Chancen und Spielräume der Designforschung liegen aber mindestens genauso in einer geisteswissenschaftlichen Orientierung –, oder, um die integrierende Kraft von Design und Designforschung zu betonen, vielleicht gerade im Überwinden und Verbinden dieser (getrennten) Bereiche. Um hier nochmals Flusser zu bemühen: »Kurz: Kultur ist Technologie plus Freiheit«.168 Doch gerade in Richtung der Geisteswissenschaften sind die Erfahrungen der Designforschung noch weitaus geringer, ist vieles gar nicht versucht; vielleicht, weil die Hemmschwellen höher liegen und eine Akzeptanz schwerer zu erreichen ist. Bei den technologischen Forschungen bewegt man sich auf einem weniger risikoreichen Terrain, hier verfügt man über mehr Erfahrung, und die technischen Standards geben auch wieder die Richtung der Forschung vor. Auf Disziplinen wie Soziologie, Ökonomie, Ökologie, Bildung, Geschichte und Politik(wissenschaften) aber wartet noch eine terra incognita der interdisziplinären Zusammenarbeit. Am Schluss dieses Kapitels sei noch eines gesagt und betont: So wichtig Methoden auch sein mögen, man darf nie vergessen, dass sie letztlich nur Hilfsmittel sind. Sinngemäß Technologie und Freiheit

166 Wiesing, Lambert: Phänomene im Bild. München, 2000. S. 61 167 Flusser, Vilém: Vogelflüge. S. 17 168 Ebd. S. 35

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schreibt Wittgenstein in diesem Sinne auch über den Designer: »Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist«.169 Nur müssen die Designforscher und Designer sich wohl erst einmal im Umgang mit ihr üben und die ersten Sprossen darauf erklimmen – eine großartige Aufgabe!

Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus. Frankfurt/Main, 1995, S. 85 (Fragment 6.54)

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Methoden als Hilfsmittel

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7 Inklusion fördern – die Teilhabe möglichst aller an möglichst vielem anstreben: eine politische und eine gestalterische Aufgabe

Das große Thema Inklusion ist sicherlich primär und zuerst einmal ein politisches – dort müssen die Rahmenbedingungen und auch verpflichtende Gesetze geschaffen und ein nicht unerheblicher Teil der Mittel für die Umsetzung bereitgestellt werden, zumindest, was den öffentlichen Raum und die Infrastruktur angeht. Es ist aber genauso eine (gesamt-)gesellschaftliche Aufgabe:170 denn nur mit Geld alleine, selbst mit viel Geld, kann man nicht alles ausrichten und erreichen. Es geht oft gerade ja darum, die erforderliche Aufmerksamkeit zu zeigen: einfach daran zu denken, wenn etwas geplant oder entworfen wird – ob Veranstaltung, Um- oder Neubau, Verkehrsmittel, Ausstellungen und so weiter: fast unendlich weiter! Nicht umsonst wird oft gesagt, die Barrieren müssen zuerst einmal im Kopf abgebaut werden. Wenn in diesem Buch viel von Verantwortung die Rede ist, von einem erweiterten Designbegriff und von der Gestaltung von Prozessen, wird schnell klar, dass Inklusion auch unter den Gestaltern im weitesten Sinn eine ganz andere Rolle spielen muss. Weil es dazu eine gedankliche Präsenz für dieses Thema braucht, ist sie hier noch als letzter und eigener Teil enthalten: im Sinne eines werteorientierten Designs, das ja gerade von den Bedürfnissen ausgeht und die Menschlichkeit in den Mittelpunkt stellen will, als ein wichtiger, unverzichtbarer Aspekt. Oder wie Lucius Burckhardt es einmal prägnant formulierte: »Wir sind nicht nur von sichtbaren Gegenständen umgeben, sondern müssen den unsichtbaren Bereich, die soziale Dimension mitgestalten.«171 Im »Aktionsplan Inklusion« des Landkreises Ostallgäu wird die Inklusion als »Querschnittsaufgabe« bezeichnet – die bei allen Maßnahmen mit bedacht werden muss. 171 Burckhardt, Lucius: Wer plant die Planung. Berlin, 2014. S. 7 170

Inklusion wurde über einen langen Zeitraum bestenfalls nur als eine Reduzierung von meist physischen Hindernissen gesehen: mit dem Ziel einer weitestgehenden Barrierefreiheit. Diese erschöpfte sich nicht selten in einer Rampe für Menschen Gedankliche Präsenz

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im Rollstuhl auf der Hinterseite des Gebäudes mit einer eigenen Klingel oder in bestimmten Hilfen – ein nicht unproblematisches Wort übrigens. Denn es geht im Kern um die Teilhabe aller Menschen in jeder Hinsicht, und zwar eben nicht vordringlich über das Helfen, sondern als selbstbestimmte! Es ist deshalb nicht wirklich barrierefrei oder gar inklusiv, wenn eine sehbehinderte oder blinde Person am Eingang »abge-

EXKLUSION

SEGREGATION

INTEGRATION

INKLUSION

Trennung von Bildungsfähigen und Bildungsunfähigen

Separierung und Konzentration nach Fähigkeiten und Eigenschaften

Fügt vorher Getrenntes wieder zusammen. Gemeinsam, aber nebeneinander.

Alle gemeinsam. Die Struktur passt sich den individuellen Bedürfnissen an.

holt«, dann durch das Gebäude geführt und zum jeweiligen Ort gebracht wird. Inklusion bedingt ein Umfeld, in dem jeder dieses Ziel selbstständig erreichen kann – schließlich geht es um nicht weniger als die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens für alle. Diese ist mittlerweile auch keine freiwillige Angelegenheit mehr und vom »Wohlwollen« anderer abhängig, sondern ein verbrieftes Recht.172 Seit 2009 gilt die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Deutschland, seit 2010 in Österreich und seit 2014 in der Schweiz. Von der rechtlichen zur tatsächlichen Gleichstellung aber ist es, wie man sich denken kann, ein weiter Weg. Und man kann auch wirklich nicht behaupten, dieser Anspruch beträfe nur eine marginale Nische: Barrierefreiheit ist nicht nur für etwa 10 Prozent der Bevölkerung zwingend erforderlich, sondern auch für rund 30–40 Prozent der Menschen notwendig, angesichts der demografischen Entwicklung mit steigender Tendenz, und sie ist vor allem für 100 Prozent komfortabel!173 Man denke alleine nur an den Kinderwagen. →▪

Schematische Darstellung von Exklusion (Ausschließen), Segregation/Separation (Aussondern), Integration (Eingliedern) und Inklusion (Einschließen).

Selbstbestimmte Teilhabe

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Vgl. die UN-Behindertenrechtskonvention von 2009. Download erhältlich über die Website der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, http://www.behindertenbeauftragte. de/DE/Koordinierungsstelle/UNKonvention/UNKonvention_node.html (Stand 10.07.2016) 173 Vgl. http://www.bundesbaublatt.de/ artikel/bbb_Von_der_Ausnahme_zum_ Standard_2473032.html (03.05.2016) 172

Wenn auch Designerinnen und Designer auf einigen Feldern der Inklusion nicht allzu viel beitragen können, beispielsweise in Schulen oder bei der Errichtung von Gebäuden und öffentlichen Anlagen, so gibt es nicht wenige große wie kleine Herausforderungen, bei denen es an jedem Einzelnen und jeder Einzelnen liegt, ob etwas inklusiver wird oder nicht. Die Bearbeitung solcher Aufgaben wird allerdings auch dadurch nicht einfacher, dass man im Designstudium relativ wenig über diese Fragestellungen lernt und erst recht nicht weiß, was es für die Betroffenen heißt, eine eingeschränkte Wahrnehmung, Mobilität oder geistige Restriktionen zu haben. Denn das wäre eine Grundlage, um diese besonderen Bedürfnisse entsprechend in die Gestaltungsarbeit einfließen zu lassen. Auf dem Gebiet der Signaletik und der Szenografie sind vermutlich die meisten Gestalterinnen und Gestalter schon einmal mit diesem Thema in Berührung gekommen, ebenso vielleicht bei Fragen zur Barrierefreiheit von Internetseiten. Doch so unterschiedlich Medium, Technik oder Aufgabenstellung auch sein mögen, die Situation bei ersten Besprechungen mit den Verantwortlichen ist meist dieselbe: Es stellt sich irgendwann immer die Frage, wie ernst man es denn damit nun wirklich meint?174 Die Antworten darauf fallen höchst unterschiedlich aus, daran wird auch die rechtliche Situation nur bedingt etwas ändern. Weitere Hürden sind der Denkmalschutz oder konservatorische Aspekte, Zeit- und Kostengründe sowie eine allzu oft flexible Interpretation der Möglichkeiten und Notwendigkeiten.175 Dabei wären es oft keine gewaltigen Anstrengungen, um zumindest etwas inklusiver zu werden. Es fehlt aber meist das daran Denken, das davon Wissen und das wirklich Wollen. →▪ Einfacher ist es bei den Online-Medien. Dort gibt es Richtlinien, wie man Dokumente barrierefrei erstellt.176 So kann beispielsweise bei der Erstellung von PDF-Dateien in jedem Fall schon darauf geachtet werden, dass die textlichen Inhalte nicht in Zeichenwege umgewandelt und die Optionen bei den »Berechtigungen« entsprechend gesetzt sind.177 Abgesehen davon sind vielen Blinden und Sehbehinderten Word-Dokumente lieber, da die Vorlesefunktion dort gut funktioniert; Barrierefrei Dokumente und Websites

Barrierefreies Leitsystem des bueros bauer an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Die taktilen Leitlinien beispielsweise sind hier nicht orthogonal, sondern fließend-organisch angebraucht.

174 Das heißt natürlich nicht, dass die Designerinnen und Designer nicht verantwortlich für das wären, was sie tun – oder auch nicht tun. 175 Vgl. Koop, Andreas: Inklusion – die Zukunft gehört den Mutigen. Rückholz/Wien, 2016. 176 Es gibt die Standards »BITV 2.0«, PDF Techniques for WCAG 2.0 und die ISO 14289-1:2014; Auskunft vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV). Auch die »Aktion Mensch« bietet entsprechendes Informationsmaterial und unterstützt solche Maßnahmen mitunter finanziell. 177 Eine wichtige Einstellung ist: »Textzugriff für Bildschirmlesehilfen für Sehbehinderte aktivieren« (findet sich bei den Export-Optionen)

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vorausgesetzt, man verzichtet auf harte Umbrüche und beschreibt die dargestellten Abbildungen (gilt auch für das Internet). Interessant ist auch, dass man in Adobe Illustrator über die Farbprofile eine Darstellung so einstellen kann, dass sie die Wahrnehmung von farbenblinden Personen simuliert. Es sind oft nur Kleinigkeiten, an die man denken kann und für die es auch keinen Auftraggeber braucht, der dies fordert. Mit mehr Restriktionen verbunden sind ernsthaft barrierefrei gestaltete Websites – allein schon dadurch, dass man keine Webfonts einbinden sollte. Damit entfällt genau jene schöne Option, die auf dem Bereich des Screendesigns endlich neue Möglichkeiten geschaffen hat, wie etwa die Durchgängigkeit von Erscheinungsbildern und typografischen Feinheiten, die zwischen einer Arial und Verdana nicht allzu reizvoll waren. Was zumindest Klarheit schafft, sind die verschiedenen Standards wie die BITV- oder WACG-Selbstbewertung. Im Raum werden die Anforderungen und möglichen Lösungsansätze zwangsläufig komplexer, zumal man immer wieder die Situation hat, dass die Bedürfnisse verschiedener Gruppen konkurrieren. So – gewissermaßen klassisch – die der Blinden und Sehbehinderten mit denen der Mobilitätseingeschränkten: Für die einen sind Leitlinien oder Aufkantungen angenehm, für die anderen ein weiteres (wenn auch oft nicht sehr großes) Hindernis. Diesen Konflikt kann auch eine DIN 18040 nicht regeln. Dies sind aber alles noch relativ bekannte und offensichtliche Schwierigkeiten, doch welche Anpassungen sind für gehörlose oder stumme Menschen notwendig? Hier fehlt das Vorstellungsvermögen für die Limitierungen und für mögliche Hilfen noch mehr. Und auf welcher Veranstaltung wird schon ein Gebärdendolmetscher angeboten? Ebenfalls alles andere als einfach und ein weiteres Potenzial für »Kollisionen« ist der Umgang mit Menschen mit geistigen Behinderungen. Es gibt Regeln für eine »leichte Sprache«,178 die oft mit entsprechenden, mitunter recht fragwürdigen Illustrationen versehen sind – wie agiert hier ein Museum? Reduziert man die Inhalte in ihrer Menge und Darstellung für alle auf eine leichte Vermittlung und die entsprechend einfache Sprache? Ist es eine Einschränkung oder eine Chance, wenn man kurz, Sich überlagernde Freundlichkeiten

Inklusives Leitsystem der designgruppe koop für das Landratsamt Ostallgäu in Marktoberdorf. Die Signaletik-Objekte/Möblierungen vereinen visuelle, taktile (die wiederum gut sichtbar sind und Zusatzinformationen bieten) und auch akustische Elemente.

178 Mehr dazu unter: http://www. leichtesprache.org (Stand 11.07.2016) – Warum die Website als Schrift die Futura hat, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Überhaupt versteht man oft nicht, warum man gerade bei solch speziellen und anspruchsvollen Aufgaben keine Gestalter und Typografen dazu holt.

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prägnant und verständlich die Quintessenz vermittelt bekommt. Gerade auch Kinder hätten damit sicher einen leichteren Einstieg in die gezeigten Themen. Es ist offensichtlich, dass es hier recht kompliziert werden kann. Doch alleine die Beschäftigung mit diesen Konflikten, Potenzialen, Differenzen und Gemeinsamkeiten bringen die Diskussion und das Thema voran. Jedes gelungene (vom Prinzip her auch jedes gescheiterte!) Beispiel schafft neue Erfahrungen wie auch Inspirationen. Und wie man sieht, können mit der Berücksichtigung von bestimmten Handicaps auch wieder ganz andere Chancen entstehen. Ein gutes Beispiel dazu sind museale Angebote, die sich an Blinde und Sehbehinderte richten: Diese bieten ja zwangsläufig vieles zu hören und zu tasten an. Und wo darf man in einem Museum schon etwas anfassen? Kinder sind deshalb sehr angetan von diesen Möglichkeiten und beschäftigen sich dann viel intensiver mit den dargestellten Themen. So überlagern sich Behinderten-, Kinder- und Familienfreundlichkeit auf eine schöne, wirklich inklusive Weise. Im Grunde können in allen Museen mit relativ wenig Aufwand schon kleine Schritte verwirklicht werden: über Handouts der wichtigsten Texte in verschiedenen Darstellungsweisen und in Braille, gleichermaßen in Fremdsprachen; oder eben mit einigen exemplarischen Objekten zum Tasten, die auch Repliken sein können, wenn konservatorische Gründe dagegensprechen; wie in anderer Hinsicht durch eine Unterfahrbarkeit von Möblierungen (wenigstens der wichtigsten). Relevant ist hier auch das Thema Lesbarkeit – ein schwieriges, weil sich hier oft viel Halbwissen trifft. Die relativ neue DIN 1450 (und was weitere Aspekte angeht auch die DIN 32975 und 32986) kann dabei ein Anhaltspunkt sein – aber geht man nach den Empfehlungen verschiedener Verbände, dürfte es eigentlich nur noch die DIN, Arial und Frutiger in der Welt geben. Eine wirkliche Hilfe kann bei der Ermittlung von Schriftgrößen die sehr professionell umgesetzte Website www.leserlich.info sein.179 Ihr großer Pluspunkt ist nicht nur eine auf verschiedene Situationen und Anforderungen eingehende Differenzierung, sondern auch die Einbeziehung von Designern und Schriftgestaltern bei ihrer eigenen Entwicklung Lesbarkeit

»Von Schafen und Schäfern« heißt die inklusive Dauerausstellung im Fränkischen Freilandmuseum und bietet unterfahrbare, taktile und sinnliche Elemente für die Besucher. Animierte Illustrationen vereinen »Leichte Sprache« mit »Leichter Grafik«, was auch für Kinder sehr ansprechend ist.

179 Siehe dazu »leserlich & lesbar«: http://www.leserlich.info/kapitel/leser lich-und-lesbar.php (Stand 15.02.2018). Dieses Angebot des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes sollten Gestalter wenigstens »begleitend« immer mit nutzen.

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(die man dem Ergebnis ansieht). Was so naheliegend erscheinen mag, ist oft noch die Ausnahme. Es wäre überhaupt ein Gewinn, wenn es zu diesen Themen und Fragestellungen mehr Austausch zwischen den Gestaltern selbst, aber auch mit verschiedenen Initiativen gäbe – nicht jede und jeder muss immer alle Erfahrungen selbst und alleine machen!180 Zwei Punkte erscheinen hier elementar. Zum einen: Etwas zu versuchen ist immer ein Anfang – auch im vollen Bewusstsein, dabei Fehler zu machen, die einfach unvermeidlich sind. Aber dieser Anfang und seine Fehler sind besser, als überhaupt nichts zu tun. Auch hier kann man die Falsifizierungslogik des Philosophen Karl R. Popper wunderbar anwenden: Ein Dazulernen ist im Grunde nur möglich, wenn man Fehler riskiert, unvermeidliche macht und aus ihnen Schlüsse zieht – auch im Scheitern liegt Erkenntnis!181 Zum anderen: Man kann das Scheitern reduzieren und viel Falsches vermeiden, wenn man die Betroffenen von Anfang an mit einbezieht – wie für die Designer gilt das hier auch für sie! Möchte man Menschen etwa mit bestimmten Handicaps besonders berücksichtigen, liegt es nahe, mit ihnen zu reden, sie einzuladen, mit ihnen die Ideen und Konzepte zu diskutieren, vielleicht auch erste improvisierte »Tests« zu machen. Und am Ende, um so vom ersten zum letzten Schritt zu kommen, gemeinsam mit ihnen das Projekt zu evaluieren, etwa mit Fragebogen, durch Interviews mit eigens eingeladenen Personen oder die Diskussion in Gruppen, am besten in Kombination. So können alle Beteiligten nochmals dazulernen und dieses Wissen auch anderen Interessierten zu Verfügung stellen. Das Miteinander kennt nur Gewinner.

180 Das war auch der Grund, warum das kleine Buch Inklusion – die Zukunft gehört den Mutigen entstanden ist. 181 Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt. S. 228

Anfangen! Am besten miteinander

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Kein Manifest, keine Anleitung – Kriterien, was werteorientiertes Design sein kann

Es gibt zwar eine gewisse gesellschaftlich getragene Basis von Werten, eben eine Werteordnung, aber keine verbindliche Definition davon, was ein werteorientiertes, ehrliches Design sein könnte. Es ist zudem nicht einfach, Abgrenzungen zu anderen Richtungen wie Grünem Design, Öko-Design, Inclusive Design, Social Design oder Integriertem Design vorzunehmen. Gerade die beiden letzten haben vermutlich die größte Nähe – weil sie eine Perspektive einnehmen, die weit über die konkrete unmittelbare Arbeit hinauszugeht. Es ist ganz einfach gesagt ein Design, in dem das Primat des Ökonomischen überwunden wird und das für alle gut ist. Im Einzelnen lassen sich folgende Kriterien für werteorientiertes Design nennen: Es 1__soll den Menschen dienen – und diese auch als Menschen sehen, nicht als Verbraucher und »Zielgruppen«. Wörter zeigen viel von der wirklichen Haltung: Menschen sind mehr als Kunden. 2__sollte einen »Stakeholder«-Ansatz verfolgen – und bei Umsetzungen möglichst viele Menschen und (Nutzer-)Gruppen einschließen und berücksichtigen. Das schließt eine bewusste Irreparabilität oder gar eine geplante Obsoleszenz, auch eine psychologische, von Produkten grundsätzlich aus. 3__dient einem Ziel, das aus mehr besteht als der Akkumulation von Kapital und monetärer Wertschöpfung. Wachstum ist kein Wert an sich! 4__will möglichst wenige ausschließen, vielmehr inklusiv sein, im Sinne einer selbstbestimmten Teilhabe aller Menschen am öffentlichen Leben, an Kultur und Natur.

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5__ist per se nachhaltig und versucht, das Spannungsfeld von Gesellschaft, Ökologie und Ökonomie bestmöglich auszubalancieren. Es sucht einen Weg mit dem geringsten Verbrauch an Energie und Ressourcen. 6__sucht den kleinstmöglichen Eingriff, denn die Lösung von Problemen muss nicht zwingend eine stoffliche sein oder in neuen Konstrukten liegen. Das Inwertsetzen ist immer als Alternative zu bedenken. 7__sollte reversibel sein. Es denkt bereits im Entwurfsprozess die Auflösung, Entsorgung, Weiterverwertung und Umnutzung von Produkten mit. 8__vermeidet nicht nur die physische und stoffliche Umweltverschmutzung, sondern auch eine semantische Vergiftung in öffentlichen Diskursen. 9__schafft offene Prozesse, Einbindung, Mitbestimmung und Klarheit – insbesondere in der Phase, die der Gestaltung vorhergeht. 10__bezieht Erkenntnisse der Designforschung ein und verfolgt einen offenen Ansatz der »Anschlussfähigkeit« und der publizistischen Transparenz. Es profitiert von der Falsifizierungstheorie Poppers, auch um entspannter zu arbeiten. 11__sucht die Verbindung zu anderen Disziplinen, deren Methoden und Erkenntnissen. Es schätzt aber auch das Wissen der Menschen vor Ort und bietet diesen das eigene an.

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12__überwindet mediale Grenzen und sieht im medienübergreifenden Arbeiten mehr als die Verlinkung von Print- und Online-Medien. Es gibt viele Ausdrucksformen zu entwickeln. 13__weiß, dass Design immer eine politische Dimension hat. Darin steckt eine Chance – und eine Verantwortung. 14__versucht, positive Bilder einer anderen, besseren, erstrebenswerten Welt zu schaffen, im Großen wie im Kleinen. Es hilft, diese umzusetzen, eine wirklich nachhaltige Lebensweise zu etablieren und nicht den Lebensstandard, sondern die Lebensqualität zu steigern. 15__weiß, dass alles, was neu und zusätzlich in die Welt kommt, diese auch belastet – und dass auch eine effizientere Lösung oft nur bedingt dieser Welt wirklich etwas erspart. 16__trägt die Verantwortung für das eigene Tun und macht sich dessen direkte und indirekte Folgen bewusst. Jede und jeder Einzelne hat immer einen gewissen Handlungsspielraum und muss nichts tun, nur weil es bezahlt wird. 17__handelt nicht wider besseres Wissen – und arbeitet deshalb nicht für Firmen und Institutionen, deren Produkte und Dienstleistungen man selbst nicht nutzen würde. 18__verliert nie den Humor und die Fähigkeit zur Ironie – macht nichts zu einem Dogma. Denn alles, was zur Ideologie erstarrt, verkehrt sich meist ins Gegenteil der guten Absicht. 19__traut keiner Anleitung!

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Abbildungsnachweis

Alexander Lech/Verein »VorOrt« S. 103 AMS Arthofer Müllner Solutions (Dirk Art Arthofer, Leonhard Müllner) S. 78 oben Arlene Birt, Minneapolis S. 138 (2 Abb.) Atelier Malte Martin, Paris S. 77 (alle); S. 82; S. 90 (beide.) buero bauer – Gesellschaft für Orientierung und Identität mbH, Wien S. 79 oben; S. 146 Christian Forcher für nonconform S. 89 Claudia Rogge/Galerie Voss, Düsseldorf S. 96 oben (2 Abb.) designgruppe koop/Rudolf Thron S. 21 Frank R. Paul (used with the acknowledgement of the Frank R. Paul Estate) S. 42 Günter R. Wett für bilding, Innsbruck S. 78 unten Integral Ruedi Baur/Civic City, Paris S. 96 unten; S. 97 oben (2 Abb.) Johannes Kuhn und Lukas Yves Jakel, Hamburg S. 106 Klaus Staeck, Heidelberg S. 98 Leander Eisenmann, Zürich S. 99 (beide) Münchner Stadtmuseum S. 86 Nazaneen Naddaf, Basel S. 107 rechts Nouge Vert; Heiko Hansen/HeHe, Le Havre S. 95 Studio Moniker, Amsterdam S. 76; S. 102 rechts unten; S. 107 links Studio PSK, London S. 79 unten Studio Roosegaarde, Rotterdam S. 101; S. 102 oben links und rechts (2 Abb.) Thomas Schrott/Weissraum, Innsbruck S. 97 unten Urban Data Patterns, Barbara Hahn, Christian Schneider, Christine Zimmermann, Bern S. 136 Grafische Darstellungen, Illustrationen, designgruppe koop, Rückholz (Nadine und Andreas Koop) S. 23 https://www.researchgate.net/figure/a-and-b-Earth-systemand-socio-economic-trends_fig2_283966640 (Stand: 30.12.2018); S. 25 https://www.volkswagen.de/de.html und https://de. wikipedia.org/wiki/Volkswagen (Stand: 30.12.2018); S. 59 (beide), S. 111 Mitte u. unten, S. 113 (beide), S. 117, S. 119 auf Basis von Laura Lee; S. 66 auf Basis von https://de.wikipedia.org/wiki/ Maslowsche_Bedürfnishierarchie (Stand: 30.12.2018); S. 67; S. 111; S. 145 auf Basis von https://www.bildungsserver.de/Inklusion10987-de.html (Stand: 30.12.2018)

Andreas Koop/designgruppe koop S. 70 (Aufnahme durch Dr. Breitruck); S. 100 (beide); S. 118; S. 123 (beide); S. 137 (beide); S. 147; S. 148 Internet S. 21 http://www.wiennord.at/neues-selbstbewusstsein-fuer-opel (Stand 30.12.2018); S. 36 https://www.infosperber.ch/Medien/Syrien-Aleppo-IrakMosul-Fragen-uber-Fragen (Stand 30.12.2018); S. 37 oben https://www.greenpeace.de/themen/artenvielfalt/ meeressaeuger/illegaler-walfang-geht-weiter (Stand 30.12.2018); S. 37 unten https://www.occupy.com/article/occupy-wall-streetblack-lives-matter-where-does-radical-protest-go-here#sthash. 3TxO21M4.dpbs (Stand 30.12.2018); S. 38 http://rehmeier.de/2011/11/14/axe-bringt-die-engel-aufdie-erde/ (Stand 30.12.2018); S. 40 https://likemag.com/de/so-wuerde-die-erde-aussehenwenn-alles-eis-auf-dem-land-schmelzen-wuerde-pack-denrettungsring-aus/54663 (Stand 30.12.2018); S. 41 links http://de.althistory.wikia.com/wiki/Datei:ReFile 0010-16.jpg (Stand 30.12.2018); S. 41 rechts http://www.17juni-brandenburg.de/joomla/ index.php/deranfang (Stand 30.12.2018); S. 43 links https://www.mercedes-benz.com/de/mercedes-benz/ lifestyle/me-magazin/besuch-in-der-zukunftswerkstatt/ bzw. in der Printausgabe des Kundenmagazins »me« Ausgabe 3/2018, S. 15 f. (Stand 30.12.2018); S. 43 rechts http://www.fairkehr.net/medien/bilder/bilder-2011/ bilder-2011-fairkehrtes-fest-stjulien/ (Stand 30.12.2018); S. 92 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4e/ Europa_Prima_Pars_Terrae_in_Forma_Virginis.jpg (Stand 31.12.2018); S. 93 https://www.designtagebuch.de/eine-erfolgreiche-kampagne/ (Stand 30.12.2018); S. 95 unten https://publicdelivery.org/ai-weiwei-dropping-ahan-dynasty-urn/ (Stand 30.12.2018); S. 112 http://www.spiegel.de/media/media-19346.pdf (Stand 30.12.2018); S. 134 oben https://commons.wikimedia.org/wiki/File: Snow-cholera-map-1.jpg (Stand 30.12.2018); S. 134 unten https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/29/Minard.png (Stand 30.12.2018);

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Friedrich von Borries: Weltentwerfen – Eine politische Designtheorie. Berlin, 2016 ( Suhrkamp Verlag)

Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation – Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Wandlungen der Gesellschaft, Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Zweiter Band. Berlin, 1983 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft; 1. Auflage 1939)

Johann Brandstetter, Josef H. Reichholf: Symbiosen – Das erstaunliche Miteinander in der Natut. Berlin, 2016 (Matthes & Seitz, Reihe Naturkunden)

Ephraim Ebertshäuser (Hg.): Was bedeutet für mich Designkritik? Eine Frage. Zwanzig Anworten. Basel/Stuttgar, 2018 (Prima.Publikationen)

Lucius Burckhardt: Wer plant die Planung? Berlin, 2014 (Martin Schmitz Verlag)

P. Ulrich Faust OSB (Hg.): Die Benediktsregel. Stuttgart, 2009 (Philipp Reclam jun.; Original um 550 entstanden)

Lucius Burckhardt: Design ist unsichtbar. Berlin, 2012 (Martin Schmitz Verlag)

Vilém Flusser: Dinge und Undinge – phänomenologische Skizzen. München, 1993 (Edition Akzente Hanser)

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Vilém Flusser: Kommunikologie weiter denken – Die Bochumer Vorlesungen. Berlin, 2002 (European Photography) Vilém Flusser: Vogelflüge – Essays zu Natur und Kultur. München, 2000 (Edition Akzente Hanser) Erich Fromm: Haben oder Sein – Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. München, 2001 (Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, Originalausgabe 1979)

Wolfgang Jonas; Wolf D. Reuter; Horst W. J. Rittel: Thinking Design: Transdisziplinäre Konzepte für Planer und Entwerfer. Basel., 2013 (Birkhäuser) Wolfgang Jonas; Felicidas Romero-Tejedor: Positionen zur Designwissenschaft. Kassel, 2010 (University Press) Gesche Joost; Arne Scheuermann: Design als Rhetorik: Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Basel, 2008 (Birkhäuser)

Markus Gabriel: Warum es die Welt nicht gibt. Berlin, 2015 (Ullstein)

Andreas Koop: Die Macht der Schrift – eine angewandte Designforschung. Sulgen, 2012 (Niggli)

Annette Geiger und Michael Glasmeier (Hg.): Kunst und Design. Eine Affäre. Hamburg, 2012 (Textem Verlag)

Andreas Koop: Inklusion – die Zukunft gehört den Mutigen. Rückholz/Wien, 2016 (designaustria)

Kai Gildhorn: Mundräuber Handbuch – freies Obst für freie Bürger. Berlin, 2013 (mundraub.org)

Andreas Koop: NSCI – Das visuelle Erscheinungsbild der Nationalsozialisten 1920–1945. Mainz, 2017 (Verlag Hermann Schmidt, 3. Auflage)

Michael Glasmeier, Wolfgang Till (Hg.): Gestern oder im 2. Stock – Karl Valentin, Komik und Kunst seit 1948. München, 2009 (Verlag Silke Schreiber) Jürgen Goldstein: Die Entdeckung der Natur – Etappen einer Erfahrungsgeschichte. Berlin, 2013 (Matthes & Seitz) Marianne Grohnemeyer: Immer wieder neu oder ewig das Gleiche – Innovationsfieber und Wiederholungswahn. Darmstadt, 2009 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft/ Primusverlag) Ulrike Guérot: Warum Europa eine Republik werden muss – Eine politische Utopie. Bonn, 2016 (Dietz Verlag) Markus Hanzer: Krieg der Zeichen – Spurenlesen im urbanen Raum. Mainz, 2009 (Hermann Schmidt Mainz Verlag) Gerald Hüther: Die Macht der inneren Bilder – Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. Göttingen, 2015 (Vandenhoeck & Ruprecht) Jörg Ibach: Ästhetische Impulse der Netzkommunikation. Eine designwissenschaftliche Betrachtung multimedialer Diskurse. Bielefeld, 2014 (Transcript)

Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen. Frankfurt/ Main, 2017 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft; Originalausgabe 1991) Metahaven: Can jokes bring down gouverments? Moskau, 2013 (Strelka Press) Ralf Michel (Hg.): Design Research Now. Essays and Selected Projects. Basel, 2007 (Birkhäuser) Thomas Morus: Utopia. Köln, 2009 (Anaconda Verlag GmbH) Julian Nida-Rümeling, Nathalie Weidenfeld: Digitaler Humanismus – Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. München, 2018 (Piper Verlag) Oscar Niemeyer: Wir müssen die Welt verändern. München, 2013 (Verlag Antje Kunstmann) Niko Paech: Befreiung vom Überfluss – auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München, 2015 (oekom) Thomas Parth: Gott sieht alles im Heiligen Land Tirol. Innsbruck, 2011 (editiones)

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Uwe Pörksen: Die politische Zunge. Stuttgart, 2002 (Klett Cotta)

Richard Sennett: Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin, 2006 (Bloomsburry Verlag, Originalausgabe 2006)

Uwe Pörksen: Weltmarkt der Bilder: Eine Philosophie der Visiotype. Stuttgart, 1997 (Klett Cotta)

Richard Sennett: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin, 1998 (Berlin Verlag)

Uwe Pörksen: Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur. Stuttgart, 2000 (Klett Cotta)

Richard Sennett: Zusammenarbeit – Was unsere Gesellschaft zusammenhält. München, 2015 (dtv)

Karl Popper, Franz Kreuzer: Offene Gesellschaft – offenes Universum. München, 1986 (Piper, 3. Auflage 1993)

Peter Sloterdijk: Der ästhetische Imperativ – Schriften zur Kunst. Berlin, 2014 (Suhrkamp)

Karl R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen – über Erkenntnis, Geschichte und Politik. München, 2014 (Piper, 1. Auflage 1996)

Andreas Urs Sommer: Werte. Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt. Stuttgart, 2016 (J. B. Metzler Verlag)

Karl R. Popper: Auf der Suche nach einer besseren Welt. München, 2014 (Piper, 1. Auflage 1987) Peter Prange: Werte – Von Plato bis Pop. Alles, was uns verbindet. Frankfurt/Main, 2016 (S. Fischer Verlag) Daan Roosegaarde: Interactive Landscapes. Rotterdam, 2010 (NAi Publishers) Liana Ruckstuhl: Albert Nufer – Original? Paradiesvogel? Pensionär. St. Gallen, 2009 (Typotron) Frank Schirrmacher: Minimum – Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft. München, 2006 (Karl Blessing Verlag) Beat Schneider: Design? Eine Einführung: Entwurf im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontext. Basel, 2005 (Birkhäuser) Thomas Schölderle: Geschichte der Utopie. Köln, 2017 (utb-Reihe, Böhlau Verlag) Bernd Schuchter: Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie. Wien, 2018 (Braumüller Verlag)

Barbara Vinken: Angezogen (Das Geheimnis der Mode). Stuttgart, 2015 (Klett-Cotta) Paul Virilio: Rasender Stillstand. München/Wien, 1992 (Hanser Verlag) Paul Watzlawick: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen. München, 2009 (Piper, 1. Auflage 1976) Harald Welzer: Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt/Main, 2014 (Fischer Taschenbuch) Harald Welzer: Die smarte Diktatur: Der Angriff auf unsere Freiheit. Frankfurt/Main, 2014 (S. Fischer Verlag) Ulrich Wilmes (Hg.): Matt Mullican – im Gespräch. Köln, 2011 (DuMont Buchverlag) Slavoj ŽiŽek: Ärger im Paradies – Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus. Frankfurt/Main, 2015/16 (S. Fischer Verlag) Slavoj ŽiŽek: Lacan – Eine Einführung. Frankfurt/Main, 2008 (S. Fischer Verlag) Slavoj ŽiŽek: Was ist ein Ereignis. Frankfurt/Main, 2014 (S. Fischer Wissenschaft)

Gert Selle: Im Haus der Dinge. Frankfurt/Main, 2015 (Verlag Surface)

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Dank

Mein großer Dank gilt quasi traditionell meiner wunderbaren Frau Nadine, die meine sich über viele Jahre hinziehende Arbeit an diesem Buch immer unterstützt und/oder ertragen hat. Dank auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Büros, die mir organisatorisch und gestalterisch eine große Hilfe waren, Anregungen einbrachten und Texte gelesen haben … Mein herzlicher Dank geht zudem an den Birkhäuser Verlag, an Ulrich Schmidt und Katharina Kulke, für die kritisch-konstruktive Durchsicht des Manuskripts und die professionelle wie angenehme Zusammenarbeit. Und ebenfalls in die Schweiz gerichtet, noch ein Merci an meinen Freund und Kollegen Roland Stieger für seine wunderbare neue Schrift »Alena«, die hier im Buch verwendet ist und eine hervorragende Lesbarkeit über alle modischen Effekte stellt. And of course many thanks to all contributors of pictures, information and »stuff«: Alexander Lech & Brigitte Hartwig, Naz Naddaf, Leonhard Müllner (Bananenpulli!), Christian Forcher & Roland Gruber, Claudia Rogge & Galerie Voss, Leander Eisenmann, Erwin K. Bauer, Ruedi Baur, Malte Martin, Daan Roosegaarde, the Studio Moniker, Johannes Kuhn & Lukas Jakel, Arlene Birt, Barbara Hahn & Christine Zimmermann, people from fairkehr, Dr. Hans Breitruck (for X-Ray), Frank R. Paul & Thilo von Debschitz, Günter R. Wett & Arno Ritter & Monika Abendstein, Klaus Staeck, Heiko Hansen, Patrick StevensonKeating, Thomas Schrott & Nicola Weber, Laura Lee …

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Über den Autor

Andreas Koop, Diplom-Designer (sfg) und MAS, führt seit 1995 ein renommiertes und international vielfach ausgezeichnetes Designbüro im Allgäu. Parallel dazu unterrichtet er seit vielen Jahren an verschiedenen Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In seiner Arbeit stehen vor allem nachhaltige und intelligent-ökologische Herangehensweisen im Fokus. Das Thema Designforschung ist ein weiterer Aspekt, für den er sich mit großem Interesse engagiert – mit seinen Forschungsarbeiten möchte er einen Beitrag zur Entwicklung dieser jungen Disziplin leisten. Fester Bestandteil seines Schaffens ist ohnehin die publizistische Arbeit. Dort bewegt er sich im Spannungsfeld von Design, Zeitgeschichte, Gesellschaft und Politik. So entstanden verschiedene Buchprojekte, Vorträge und Beiträge, unter anderem im Magazin »novum« in seiner Kolumne »designaspekte«. Darüber hinaus ist er Initiator und Veranstalter des transdisziplinären Symposiums »Stadt.Land.Schluss.«.

Bei den Bienen – der Demeter-Imker Christian Sedlmaier (u.a. einer der Sprecher bei »Stadt.Land.Schluss.« 2015) brachte uns ein Bienenvolk.

Nach vielen intensiven Auseinandersetzungen mit historischen Themen (NSCI, Die Macht der Schrift) möchte er mit diesem Buch einen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft leisten – im Rahmen dessen, was Design leisten kann. Dass dabei vor allem soziale und ökologische Themen, die Fragen nach Gerechtigkeit und Teilhabe stehen, ist offensichtlich.

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Impressum Konzept: Andreas Koop Projektkoordination: Katharina Kulke Herstellung: Heike Strempel Layout, Covergestaltung und Satz: designgruppe koop/Andreas Koop, Rückholz/Allgäu Papier: Circle Offset (FSC®, Blauer Umweltengel, EU Ecolabel) Druck: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell

Library of Congress Control Number: 2019933746 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-0356-1829-7 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-1830-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-0356-1834-1

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