SCHMITTIANA: Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts. Band V (1996) [1 ed.] 9783428486120, 9783428086122

169 23 37MB

German Pages 333 Year 1996

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

SCHMITTIANA: Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts. Band V (1996) [1 ed.]
 9783428486120, 9783428086122

Citation preview

SCHMITTIANA Band V

SCHMITTIANA Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts Herausgegeben von

Professor Dr. Piet Tommissen Band V

SCHMITTIANA Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts Band V 1996

Herausgegeben von

Prof. Dr. Piet Tommissen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schmittiana: Beiträge zur Leben und Werk Carl Schmitts I hrsg. von Piet Tommissen. - Berlin : Duncker und Humblot. Bd. 2 und 3 verl. von VCH, Weinheim NE: Tommissen, Piet [Hrsg.]; Schmitt, Carl Bd. 5 (1996) ISBN 3-428-08612-0

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-9960 ISBN 3-428-08612-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Zum Geleit Auch Schmittiana V enthält nur Inedita, Zeugnisse, Dokumente und Forschungsergebnisse. Demgegenüber mußte diesmal auf den Abdruck wichtiger Briefe verzichtet werden. Die Idee eines Personenregisters der vorliegenden Bände habe ich absichtlich fallengelassen: Ihre Realisierung stellte zwar technisch kein Problem dar, würde aber den Preis des Buches über Gebühr belastet haben. Abermals habe ich mich bei vielen Einzelpersonen, Bibliotheken, Archiven und Auskunftsstellen für die anstandslos gewährte Unterstützung meines Vorhabens zu bedanken. Im Rahmen des Möglichen hebe ich diese Hilfe in den entsprechenden Fußnoten hei"Vor. Dennoch möchte ich an dieser Stelle besonders dem Kollegen Helmut Quaritsch und seinen Mitarbeiterinnen, nämlich Frau Dennhardt und Frau Roßhirt, meinen aufrichtigen Dank aussprechen: Sie wurden nicht müde, mir in bio- und bibliographischer Hinsicht behilflich zu sein. Herr Professor Norbert Simon verdient indes ein Wort des Lobes, denn ohne seine Großzügigkeit hätten weder Schmittiana IV noch dieser Band erscheinen können. Indem ich diesen Band Herrn Dr. iur. Wilhelm Schmitz widme, möchte ich meine Erkenntlichkeit zum Ausdruck bringen für die Sorgfalt, mit der er Korrektur gelesen hat, für seine stets beachtenswerten Änderungsvorschläge und erst recht für die vielen Zeichen der Freundschaft, die seine Frau und er nicht nur mir, sondern auch meiner verstorbenen Frau erwiesen haben. Zu guter Letzt sei daran erinnert, daß die einzelnen Beiträge lediglich die Meinung(en) des jeweiligen Verfassers zum Ausdruck bringen. B-1850 I Grimbergen Reinaertlaan 5

P.T.

P. S.: Fünf Publikationen werden in diesem Band öfter herangezogen, so daß ich sie mit den Kürzeln Schmittiana I, Schmittiana II, Schmittiana III, Schmittiana IV, Glossarium kennzeichne: Diese Kürzel entsprechen diesen Publikationen: a) Schmittiana I, Berlin: Akademie Verlag, die 3 Auflagen (1988, 1988, 1990) sind vergriffen b) Schmittiana II, Berlin: Akademie Verlag, 1990, 162 S.; ISBN: . 3-527-17715-9 c) Schmittiana III, Berlin: Akademie Verlag, 1991, 179. S.; ISBN: 3-527-17728-0

6

ZumGeleit d) Schmittiana IV, Berlin: Duncker & Humblot, 1994, 304 S.; ISBN: 3-428-08044-0 e) C. S., Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951 (hrsg. von Eberhard Freiherr von Medern), Berlin: Duncker & Humblot, 1991, XVII, 364 S.; ISBN: 3-428-07126-3.

Inhaltsverzeichnis A. Inedita Carl Schmitt

Eine Tischrede (1938)

9

Carl Schmitt

Was habe ich getan? (1957)

13

Carl Schmitt

Prolog zu "Düilogos" (Madrid 1962)...................... . .......................

21

lgnacio Maria Sanuy

Europa, Spanien und Carl Sehnritt (1962) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Siegfried Lokatis (Hrsg.)

Wilhelm Stapel und Carl Schnritt. Ein Briefwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

B. Zeugnisse Jürgen Seifert

Unterwegs zur Ebene über dem Gegensatz. Anmerkungen zu Dirk van Laak: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 1993, S. 288-293 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

C. Forschungsergebnisse Piet Tommissen

Neue Bausteine zu einer wissenschaftlichen Biographie Carl Sehnritts . . . . . . . . . . 151 Gregor Brand

Non ignobili stirpe procreatum: Carl Sehnritt und seine Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Inhaltsverzeichnis

8

D. Dokumente Eugenio d 'Ors

La Lettre, l'Esprit et !'Esprit de la Lettre. -I. (1930) ... . .................. . ...... 299 Vamireh Chacon

Die Rezeption Carl Schrnitts in Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Günther Krauss

Carl Schmitt und die Weimarer Reichsverfassung. Eine Betrachtung zum 1l.Juli 1953 ... . . . ................ .... ................ .. .. .. ........ . ........ . ... .. 315

E.Anlage Piet Tommissen

Schrnittiana I, II, III und IV. Berichtigungen und Ergänzungen ......... . . .. ... .. 321

A. Inedita CARL SCHMITI

Eine Tischrede (1938) Dank der Großzügigkeit des verehrten Kollegen Josef H. Kaiser bin ich in der Lage, eine Tischrede C. S.s, aus der Helmut Quaritsch in einem vorzüglichen Buch zitiert hat 1, vollständig abzudrucken 2 • C. S. hielt sie am Vorabend seines 50. Geburtstagsam 10. Juli 1938, in seiner Wohnung in Berlin. Es waren nur einige Freunde anwesend, und zwar diejenigen, die in der Rede mit einem Wort des Dankes bedacht werden: Frau Lilly von SchnitzZer (18841962), Heinrich Oberheid (1894-1977), Johannes Popitz (1884-1945) und Georg Alexander Ludwig Krause (1885-1955). Lilly von Schnitzler, Heinrich Oberheid und Johannes Popitz werden den C. S.-Forschern hinreichend bekannt sein3 . Aber Auskunft über Krause liegt m. W. bislang kaum vor (vgl. Schmittiana III, S. 123, FN 12), und es war überraschenderweise nicht einfach, über ihn Näheres zu erfahren. Ich sage absichtlich ,überraschenderweise', denn Krause war Inhaber vieler Patente und zu seinen Lebzeiten- er handelte mit pulverisierten Produkten- als ,Trokkenkrause' bekannt, so daß ich davon ausgegangen bin, es sei ein Leichtes, über ihn Informationen zu erhalten. In Wirklichkeit habe ich mich zunächst erfolglos an Auskunftstellen, Patentämter und Firmen gewandt. Als ich mit dem zeitraubenden und kostspieligen Recherchieren aufhören wollte, erhielt ich endlich die ersten Informationen. Der in Berlin geborene Krause, Sohn des Hofschauspieler-Ehepaars Heinrich Friedrich Ernst Krause und Emilie, geb. Bissinger; war Ingenieur, Dr. phil. h. c., und wohnte 1922-31 in München, Bavariaring 9. Er galt als Pionier auf dem Gebiet der elektrischen Gasreinigung, der Katadyn-Sterilisation und des sog. sprayed rubber. Er meldete viele Patente an und publizierte in Fachzeitschriften. Wie und wann hat C. S. Krause kennengelernt? Ob und inwiefern hat Krause C. S. geholfen? Das sind alles Fragen, die bis auf weiteres offenbleiben. Fest steht nur, daß C. S. oft und gerne in der Wohnung des (kinderlosen) Ehepaars Georg und Elise (geb. Ramspeck) Krause weilte.

P.T.

I (PT) H. Quaritsch, Positionen und Begriffe Carl Schmitts, Berlin: Duncker & Humblot, (1989), 1995, 130 S.; dort S. 27, FN 34 (vgl. auch S. 60, FN 110). 2 (PT) Das Original- eine stenographische Notiz- befindet sich im C. S.-Nachlaß (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf; Signatur: RW 265- K 206/Materialien 9). 3 (PT) Über L. von Schnitzler; vgl. Schmittiana III, S. 56. - Über H. Oberheid, vgl. Schmittiana I, S. 54; Schmittiana III, S. 73, 85, FN 41 und 163; Schmittiana IV, S. 121, FN 7, Punkt a). - Über J. Popitz, vgl. Schmittiana Il, S. 160, FN 103; und infra S. 97, FN 241.

10

Carl Schmitt

Meine lieben Freunde! 1. Meine Freude über Thren heutigen Besuch ist sehr groß, so daß daneben alle weiteren Gratulationen und Veranstaltungen, die anläßtich des morgigen Geburtstags noch zu erwarten sind, zurücktreten, ja wesenlos werden. Ich hatte zunächst nur mit dem Gedanken an dieses Zusammensein gespielt, ich habe ihn auch nicht planmäßig betrieben. Daß er sich inzwischen doch verwirklicht, entspricht dem ganz freien und natürlichen Wachstum, in dem die Bekanntschaft und Freundschaft mit jedem Einzelnen von Ihnen zustande gekommen ist und sich unter hunderten von anderen Bekanntschaften zu dieser Dauer und Fülle entwickelt und verfestigt hat. Das läßt sich nicht organisieren. Es gibt mehrere Dinge zwischen Himmel und Erde als Organisationsleiter und Pressegenies sich träumen lassen. Es gibt vor allem eins, das Geheimnis der Geheimnisse, nämlich die Freiheit, die Freiheit des Einzelnen, der sich nicht um sein Ich betrügen läßt. Nur was in dieser Freiheit zustandegekommen und gewachsen ist, ist wahr und hält stand - trägt die Wahrheit und Echtheit in sich. 2. Zu dieser Freiheit gehört auch, daß ich jedem Einzelnen von Ihnen besonders danken muß. Ich habe niemals eine Gemeinschaft bilden wollen, am wenigsten eine verschworene Gemeinschaft. Daher ist es nicht möglich, für Sie, die Sie hier sitzen, einen Generalnenner zu finden. Keine dieser Beziehungen ist mit der anderen vergleichbar, aber sie sind doch in gleicher Weise Freundschaft und durch viele inhaltsreiche Jahre erprobt und bewährt, in glücklichen und unglücklichen, im alltäglichen Verlauf wie in überraschenden Wendungen der großen Geschicke, in die wir hineinverflochten sind. Zuerst, im Jahre 1915, während der ersten Kriegsjahre, habe ich meine liebe und verehrte Freundin Frau von Schnitzler in München kennengelernt In diesem Jahr entstand unsere Bekanntschaft, jedes weitere Jahr hat sie wachsen lassen, so phantastisch die politischen und sozialen Wandlungen dieser Zeit gewesen sein mögen; ich weiß keinen Abschnitt, der nicht unserer Freundschaft eine neue Seite und eine neue Bestätigung gegeben hätte, die beste Weggenossin dieser 20 Jahre, die innigste aller meiner guten Freundschaften. Gegen Ende des Krieges 1918 kam ich zu meinem Freund Georg Alexander Krause in sein gastliches Haus. Die Monate des Zusammenbruchs waren auch für mich die Zeit schlimmster Verzweiflung und aussichtsloser Depression. Ich habe bei ihm ein wahres Asyl gefunden in einer Phase schwärzester Verzweiflung, eine wahre Rettung, für die kein Wort des Dankes ausreicht4 • Nach diesen Jahren kamen schöne und glückliche Besuche bei Ihnen; besonders die Erinnerung an die Feier meiner Verlobung mit Frau Schmitt 19255 überstrahlte alle schlimmen Jahre meiner schlimmsten Verzweiflung. 4 (PT) Diese Aussage bezieht sich wohl auf C. S.s gescheiterte erste Ehe. V gl. Glossarium, S. 168 (Eintragung vom 22. Juni 1948) sowie in diesem BandS. 176-181.

Eine Tischrede (1938)

11

3. Dann trat im Sommer 1926 HeinrichOberheidin mein Leben ein als Student der evangelischen Theologie. Er wurde für mich, der ich aus dem katholischen Teil Westfalens stamme, zu einem wahren Initiator in die Welt, ohne deren innerste Eroberung man nicht Deutscher sein kann - in die Welt des lutherischen Christentums, lutherischer Gottes- und Gnadengläubigkeit, Luthersprache-Muttersprache! Drei Jahre später 1929 erfuhr ich in Berlin durch Johannes Popitz eine weitere nicht nur für meinen Stand und meinen Beruf als Lehrer des öffentlichen Rechts, sondern für meine menschliche Bildung ebenso wesentliche Einführung in den preußischen Staat, preußische Verwaltung und preußischen Stil mit seiner typisch deutschen Spezifizierung, ohne deren Kenntnis meine Bildung und mein Wesen fragmentarisch geblieben wären. Aber das Alles sind nur Andeutungen, nicht Definitionen oder Umgrenzungen dessen, was ich Ihnen verdanke. Es kann die Fülle des Lebens und auch die Fülle des persönlichen Geschicks, die für mich darin liegt, nicht entfernt wiedergeben und aussprechen. Dazu gehört ja auch, daß ich mit dem Gatten oder der Gattin eines jeden von Ihnen verbunden bin. Ich denke an Erinnerungen mit Georg von Schnitzler, Frau Krause, Frau Oberheid und Frau Popitz, deren ich mit tiefster Rührung gedenke. 4. Es gibt nur einen Generalnenner: Die Eigenwilligkeit jeder dieser freundschaftlichen Beziehungen. Jeder von Ihnen kennt meine große Schwäche, meine Neugierde, Begeisterungsfähigkeit, die Fähigkeit, sich betrügen zu lassen. Frau Schmitt6 und Herr Popitz haben darüber die besten und witzigsten Bemerkungen gemacht. Daß es in den kommenden Jahren so bleiben möge, daß wir später von dieser Erde oder einem anderen Punkt aus dasselbe Bild sinnfalliger Fügung darin zu erblicken vermögen, das ist mein Wunsch.

Anlage Daß ich vorhatte, die Tischrede abzudrucken, hat schon Paul Noack (geb. 1925) in seiner C. S.-Biographie mitgeteilt7 . Noack deutet außerdem an, daß der Geburtstag eine Woche lang gefeiert worden ist8 . Die Richtigkeit dieses Hinweises ergibt sich aus einer handschriftlichen Tischordnung von C. S. persönlich, die ich hier inforrnationshalber reproduziere: 5 (PT) Gemeint ist selbstverständlich die zweite Gattin von C. S., Duschka Todorovic (1903- 1950). 6 (PT) Bekanntlich sprach C. S. stets von ,Frau Schmitt' und redete das Ehepaar sich mit ,Sie' an; vgl. dazu Schrnittiana III, S. 50, FN 2. 7 (PT) P. Noack, Carl Schmitt. Eine Biographie, Berlin: Propyläen, 1993, 360 S.; dort S. 322, FN 92. s (PT) P. Noack, op. cit. [FN 7], S. 223, sowie im Bildteil die Seite aus dem Menübuch von Frau Schmitt.

12

Carl Schmitt

CARL SCHMIIT

Was habe ich getan? (1957) 1956 gründeten Kare! Dillen (geh. 1925) und Herman Senaeve (geb. 1925) in Antwerpen die (noch immer existierende) flämisch-nationalistische Monatsschrift "Dietsland-Europa". Obschon ich mit beiden freundschaftlichen Umgang pflegte, war ich nicht an der Planung des Periodikums beteiligt und bin nie bei der Zusammenstellung der Hefte zu Rate gezogen worden 1• Wohl habe ich bis zu meinem Umzug nach Brüssel (1959) Texte zur Verfügung gestellt, eigene, aber auch solche von Dritten. So schrieb ich u. a., angeregt durch das Standardwerk von Armin Mohler 2 , eine Einführung in die deutsche Konservative Revolution, immerhin die erste systematische Darstellung des immensen Themas im niederländischen Sprachraum. Vorher hatte ich der Leserschaft der Zeitschrift, die sich überwiegend aus jungen Leuten zusammensetzte, mit der Person und dem Denken C. S.s vertraut zu machen versucht3 . Im Anschluß an diese Initiative bat ich C. S., einen unveröffentlichten Text abdrucken zu dürfen. I (PT) Vgl. die abschätzig gemeinte Äußerung über den Standort der Zeitschrift von Helmut Ridder (geb. 1919), Schmittiana I. Festschrift für Carl Schmitt, in: Neue Politische Literatur, 12. Jahrg. Nr. 1, 1967, S. 1-12; dort S. 1, FN 3. Ihr geht ein Hinweis auf den von mir (mit einer Notiz über das Schicksal des Aufsatzes) erstmals unter seinem vollen Namen hrsg. Aufsatz von C. S., "Amnestie oder die Kraft des Vergessens", in: Dietsland-Europa, 4. Jahrg. Nr. 9, Oktober 1959, S. 16-17, voraus. 2 (PT) P. Tommissen, Rechtse stromingen in de Republiek van Weimar, in: Dietsland-Europa, 3. Jahrg. Nr. 3, 4, 5, 6 und 7, März, April, Mai- Juni, Juli- August und September 1958, S. 11-13, 10-15, 11-14, 11-15 und 13-15. Dieser Aufsatz (um eine kleine bibliographische Anlage ergänzt) ist auch als Broschüre erschienen in Antwerpen: Erasmusmus-Genootschap, 1958, I - 25 S.; vgl. die Widmung S. I.: ,,Für Prof. Dr. Carl Schmitt zum 70. Geburtstag!P. T.". Er ist später (mit geändertem Titel und aktualisiertem Literaturverzeichnis) nochmals abgedruckt in: Teksten, kommentaren en studies, 2. Jahrg., Nr. 15, Februar 1981, S. 23-48.Das Thema habe ich dann in französischer Sprache zu einer wissenschaftlichen Abhandlung ausgearbeitet: "Aspects du neo-nationalisme allemand dans la Republique de Weimar ( 19181933)", in: Cahiers Vilfredo Pareto, Nr. 5 (gleichzeitig liber amicorum Georges-Henri Bousquet [1900-1978]), 1965, S. 343- 379; eine deutsche Fassung ist in Vorbereitung. -Wie ich dazu gekommen war, mich diesem Thema zuzuwenden, vgl. meine "Reminiszenzen aus vier Jahrzehnten" in Ulrich Fröschle (geb. 1963), Markus Josef Klein (geb. 1962) und Michael Faulwitz (geh. 1965) (Hrsg.), Der andere Mohler. Lesebuch für Selbstdenker. Armin Mohler zum 75. Geburtstag, Limburg a. d. Lahn: San Casciano Verlag, 1995, 331 S.; dort S. 139149. 3 (PT) P. Tommissen, "Carl Schmitt: leven, werk en betekenis", in Dietsland-Europa, 1. Jahrg., Nr. 1, 2,3 und 4- 5, Mai, Juni, Juli und August - September 1956, S. 9- 12, 11- 13, 11- 13 und 25-27.

14

Carl Schmitt

Nachdem er mir am 12. September 1956 geschrieben hatte: " ... Auch über einen kurzen Original-Beitrag für Dietsland-Europa denke ich nach", hieß es in seinem Schreiben vom 9. Dezember 1956: ,Jch habe Ihnen einen Original-Beitrag für Ihre Zeitschrift4 versprochen. Vielleicht eignet sich das gleichzeitig als Drucksache folgende Expos6 dazu. Es ist nicht auf Deutsch gedruckt und soll es vorläufig auch nicht werden5 • Aber ich könnte mir denken, daß es für Ihre Leser zu kompliziert ist. Das müssen Sie in aller Sachlichkeit selber entscheiden. Ich wollte Ihnen nur meine Bereitschaft zeigen." Natürlich war ich mir darüber im klaren, daß der Text "Was habe ich getan?" bei den Lesern solides Spezialwissen voraussetzt, aber trotzdem ist er erschienen, und zwar im 2. Jahrg. Nr. 1, Januar 1957, S. 7-9. Vorsorglich hatte ich einen kurze einführende Notiz beigesteuert, die ich hier frei ins Deutsche übertrage6 : "Über Carl Schmitt schrieben wir in den vier ersten Heften dieser Zeitschrift. Wir erwähnten u. a. seine jüngsten Publikationen über das Hamlet-Problem. Inzwischen erschienen in großen deutschen Blättern wichtige Rezensionen des Buches ,Harnlet oder Hekuba?' 7 • Anläßlich dieser Besprechungen hat Schmitt zur Feder gegriffen und eine Art Entgegnung geschrieben, die bislang nicht veröffentlicht wurde und die wir das Vergnügen haben, unseren Lesern zu unterbreiten. Sie kann uns lehren, daß freies Denken in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts endgültig eine staatsgefährliche Sache geworden ist. - p. t." M. W. ist dieser Aufsatz C. S.s in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen worden8 . Deshalb wird es der deutschsprachigen Forschung nützen, wenn ich eine Anregung von Herrn Günter Maschke (Brief vom 13. September 1995) aufgreife und im Einvernehmen mit Professor Josef H. Kaiser den Aufsatz hier nachdrucke. C. S.s numerierte Einteilung wird beibehalten, die Seitenzahlen des Manuskripts teile ich am Rande mit. Die Fußnoten stammen von mir.

P.T.

(PT) Hier liegt ein Irrtum vor, denn, wie gesagt, war ich bloß Mitarbeiter der Zeitschrift. s (PT) Ich bezweifle, daß C. S. versucht hat(te), den Aufsatz in einer deutschen Zeitschrift unterzubringen. Die Erwähnung von nur zwei Rezensenten aus seinem Bekanntenkreis legt vielmehr die Schlußfolgerung nahe, daß er den Aufsatz an Freunde und Bekannte geschickt hat, wohl in der Absicht, aus dieser Ecke Reaktionen einzuholen. Jedenfalls hatte sein Harnlet-Büchlein eine weit größere Resonanz, als aus dem ersten Abschnitt des Aufsatzes hervorgeht. 6 (PT) Der Schlußsatz erscheint mir heute als ein Beispiel jugendlicher Naivität, aber als ich ihn schrieb, muß ich von seiner Richtigkeit überzeugt gewesen sein. 7 (PT) C. S., Harnlet oder Hekuba? Der Einbruch der Zeit in das Spiel, Stuttgart: KlettCotta, (1956), 1985, 73 S. Für die Titelwahl, vgl. Armin Mohler (geb. 1920), (Hrsg.), Carl Schmitt- Briefwechsel mit einem seiner Schüler, Berlin: Akademie Verlag, 1995, 475 S., dort S. 214 (Brief Nr. 175 vom 13. Februar 1956). s (PT) Vgl. jetzt A. Mohler, op. cit. [FN 7], S. 221-224 (Anlage zu Brief Nr. 182 vom 15. Juli 1956). Sofern ich den vorangehenden Satz richtig verstehe, handelt es sich beim Text ,Was habe ich getan?' um die Eröffnungsansprache eines Diskussionsabends im Hause des Verlegers Eugen Diederichs in Düsseldorf arn 12. Juni 1956. 4

Was habe ich getan? (1957)

15

[7] Was habe ich getan? Ich habe ein kleines Buch veröffentlicht: Harnlet oder Hekuba, der Einbruch der Zeit in das Spiel (Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf). Was ich damit getan habe, wird mir jetzt allmählich klar, nachdem ich die Besprechung von Walter Warnach in der Frankfurter Allgerneinen Zeitung vorn 2. Juni und den Aufsatz von Rüdiger Altmann in der Studentenzeitschrift Civis vorn Juni 19569 gelesen habe. Ich erfahre jetzt den Sinn des Goetheschen Orakels: Und was Du tust, sagt erst der andre Tag.

[1]

Was habe ich also getan? Auf den ersten Blick etwas Gutes oder doch Einwandfreies. Ich habe ein Buch über Harnlet geschrieben. Harnlet ist ein sehr beliebtes Thema. Zehntausende einwandfreier Menschen haben über Harnlet geschrieben. Ich befinde mich also in einer einwandfreien Gesellschaft. Vor kurzem noch ist ein Roman von Alfred Döblin erschienen mit dem Titel ,,Harnlet". 10 Noch vor wenigen Tagen, arn 9. Juni 1956, ist im Studio Oberhausen ein Stück von Stefan Andres aufgeführt worden, "Tanz durchs Labyrinth", in dem ein Harnlet Europa vorkommen soll.U Ich habe das Stück nicht gesehen, aber ich erinnere mich, dass Paul Valby nach dem ersten Weltkrieg, 1919, gesagt hat: Europa ist Harnlet. 12 hn Jahrhundert vorher, vor 1848, hiess es bei den deutschen liberalen Revolutionären: Deutschland ist Harnlet 13 Eine merkwürdige Entwicklung von Deutschland nach Europa, die einen als Deutschen tiefsinnig machen kann und als Europäer bedenklich. 9 (PT) a) Wa1ter Warnach (geb. 1910; vgl. Schmittiana IV, S. 133, FN 36, Punkt h), "Harnlet-Mythos und Geschichte", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juni 1956. - b) Rüdiger Altmann (geb. 1920; vgl. Schrnittiana IV, S. 55, FN 10, Punkt a), "Wahrheit durch Zweifel. Carl Schrnitt stellt die Frage ,Hamlet oder Hebuka'/Einbruch der politischen Zeit ins Spiel", in: Christ und Welt, 10. Jahrg., Nr. 13, 28. März 1957, S. 12. 10 (PT) Alfred Döblin (1878-1957), Harnlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende, Berlin: Rütten und Loening, 1956,494 S. Vgl. dazu Paul Fechter (1880-1958), Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 2: Die Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, Gütersloh: Sigbert Mohn, 445 S., Nr. 23 in der Reihe ,SM-Bücher'; dort S. 381-382: "Alfred Döblins ,Hamlet" '. 11 (PT) Das Bühnenstück von Stefan Andres (1906- 1970) habe ich nicht gefunden. 12 (PT) Paul Vatery (1871- 1945), Variete, Paris: Gallimard, (1924), 1948, 279 S.; dort S. 11-22: ,,Premiere lettre", nämlich S. 20: ,,Maintenant, sur uneimmense terrasse d'Elsinore, qui va de Bäle ACologne, qui touche aux sables de Nieuport, aux marais de Ia Somme, aux craies de Charnpagne, aux granits d' Alsace -I' Harnlet europeen regarde des rnillions de spectres. -Mais il est un Harnlet intellectuel. II medite sur Ia vie et Ia mort des verites . .." Es handelt sich um einen Brief, der zuerst ( 1919) in englischer Übersetzung erschienen ist. 13 (PT) C. S. meint einen Ausspruch von Ferdinand Freyligrath (1810-1876). Vgl. die Skizze in A. Mohler, op. cit. [FN 7], S. 220 (Anlage zu Brief Nr. 182 vom 15. Juli 1956).

16

Carl Schmitt

Was auf den ersten Blick gut und einwandfrei schien, wird auf einmal bedenklich. Offensichtlich habe ich etwas Unvorsichtiges getan. Ich habe mich auf das uferlose Meer der Harnlet-Deutung begeben. Ich bin in das undurchdringliche Dikkicht der Shakespearologie geraten. Ich habe die Don-Quichotterie begangen, mich einer ganzen Armee von Steckenpferd-Reitern zu stellen, deren neueste Crew bereits amerikanisiert, das heisst: motorisiert ist. Ich habe mit gefährlichen Rechthabern angebunden. Allmählich wird mit klar: meine Sache steht nicht gut. Ich habe leichtsinnig gehandelt. Ich habe etwas Unvorsichtiges getan.

[2] Irgendwie muß ich das beim Schreiben des Buches von Anfang an geahnt haben. Deshalb habe ich mich um einen Halt im Objektiven bemüht. Ich wollte dem Uebermass subjektiver Ein- und Auslegungen entgehen. Ich suchte alle Psychologie, Psycho[8] pathologie und Psychoanalyse beiseite zu lassen. An das Theaterstück selbst, an den Text, wie er uns vorliegt, an das objektive Geschehen selbst suchte ich mich zu halten. Ich ahnte die Richtigkeit des Ausspruches von Erich Pranzen: Von allen Kennern des Harnlet ist Shakespeare der Wahrheit am nächsten gekommen. 14 So habe ich denn die Handlung des Stückes genau betrachtet, die Fabel, die Story, oder was Aristoteles die Synthesis des Tatsächlichen nennt, den Mythos. Das griechische Wort Mythos bezeichnet nämlich nicht nur den Mythos als Quelle des Dramas, sondern auch die Handlung des Dramas selbst, das objektive Geschehen. Das Drama ist Nachahmung einer Wirklichkeit, Mimesis wie man das nennt, und es gibt hier keine zwei Wirklichkeiten, sondern nur eine. Nun ist auch das objektive Geschehen, das dem Zuschauer und Zuhörer des Harnlet vorgeführt wird, voller Rätsel und Brüche. Der erste Teil ist ein Rachestück. Das Geschehen kommt in Gang und wird weitergetrieben durch den Befehl des Geistes: Räch seinen schnöden, unerhörten Mord! Im zweiten Teil verschwindet der Geist spurlos. Es ist, als wäre er nie gewesen. Das Stück wird ein Nahkampf auf Leben und Tod, mit einer unwahrscheinlichen Fülle von Ereignissen und Moritaten. Dem rätselhaften Helden des Stückes stehen zwei ziemlich eindeutige Aktivisten gegenüber: Claudius und Laertes. Das Rätselhafteste aber ist die Mutter des Helden, die Königin. Ihre Schuld oder Mitschuld an der Ermordung ihres Gatten bleibt im Dunkeln. Sie ist weder eine Klytemnästra, noch eine Agrippina, noch eine nordische Walküre, noch einfach das animalische, alle ihre Liebhaber überlebende Weib, das Georg Britting aus ihr macht. 15 (PT) Wer Erich Franzen ist, weiß ich nicht. Vielleicht ein Shakespearologe? (PT) Georg Britting (1892-1964), Lebenslauf eines dicken Mannes, der Harnlet hieß, München: Langen-Müller, 1932, 260 S. - P. Fechner kennzeichnet das Buch als "den herrlichen Roman mit dem barock verschnörkelten Titel": op. cit. [FN 11], S. 388. Vgl. außerdem 14

15

Was habe ich getan? (1957)

17

Das Ergebnis meiner Betrachtung des objektiven Geschehens ist folgendes: Das Stück ist nur aus der Situation seiner Entstehungszeit, 1600, zu verstehen. An zwei entscheidenden Punkten bricht eine damalige Gegenwart durch, in der Rücksicht auf Maria Stuart, die Mutter Jakobs von Schottland, die den Mörder ihres Mannes geheiratet hat, und in der Rücksicht auf Jakob selbst, dessen problematischer Charakter die eigentliche Hamletisierung des Helden ergibt. Das eine nenne ich das Tabu der Königin, das andere die Abbiegung der Figur des Rächers. In beidem Tabu der Königin und Abbiegung der Figur des Rächers - geht das Spiel nicht auf. Durch die Masken hindurch wird eine zeitgeschichtliche Gegenwart sichtbar. Das nenne ich den Einbruch der Zeit in das Spiel. Was habe ich getan, als ich mit dieser Methode objektiver Betrachtung des Geschehens zu diesem Ergebnis kam? Etwas sehr Unangenehmes. Harnlet geht die Literaturhistoriker an, Jakob und Maria Stuart ist Sache der politischen Historiker. An diese Arbeitsteilung des wissenschaftlichen Betriebes haben wir uns gewöhnt. Wer das nicht beachtet, stört eine gut eingespielte Arbeitsteilung und das reibungslose Funktionieren des Forschungsbetriebes. Mit meinen Thesen vom Tabu der Königin und der Abbiegung des Rächertypus bin ich zum Störenfried geworden. Der Störenfried ist bekanntlich immer der Agressor. [3]

Aber die Sache wird noch viel schlimmer. Es gibt ein starkes Tabu des autonomen Kunstwerkes, das von seiner geschichtlichen und soziologischen Entstehung losgelöst wird, ein Tabu der absoluten Form, das echte Tabu einer idealistischen Philosophie, ein Reinheits-Tabu, tief eingewurzelt in der Tradition deutscher Bildung. Dieses Tabu erlaubt es nicht, von Einbrüchen der Zeit in das Spiel zu sprechen. In einem Brief, den Gustav Hillard 16 mir schrieb, heisst es: "Die Urbilder erfahren durch den Dichter eine solche Umformung, dass sie für den Leser und Hörer unwichtig werden; ja, ihre Kenntnis ist bedenklich und verwirrend". Stefan George (den Gustav Hillard nicht zitiert, den ich infolgedessen auf Seite 35 meines Büchdie ausführliche Besprechung von Kar! Benno von Mechow (1897-1960), "Über Georg Britting und sein Gedicht vom dicken Harnlet", in: Der Ring, 5. Jahrg., Nr. 29 (Literaturbeilage), 15. Juli 1932, S. 491--492. 16 (PT) Über Gustav Billard (Ps. von Gustav Steinbömer; 1881-1972), vgl. Schmittiana IV, S. 152, FN 64, Punkt o). Dem ist hinzuzufügen, daß er, lange bevor C. S. in seinem Leviathan-Buch (1938) dem Politiker Julius Friedrich Stahl (1802-1861) seinen jüdischen Namen Jolson anhängte, diese Tatsache schon in einer Art Diatribe gegen Willy Haas (1891-1973), dem Herausgeber der ,,Literarischen Welt", hervorgehoben hat, allerdings ohne negative Konnotation; vgl. Der Ring, I. Jahrg., Nr. 26, 24. Juni 1928, S. 479. Nebenbei gesagt, C. S.s ,Entdeckungen' in Sachen Stahl-Jolson sind nach Kriegsende bestätigt worden von Paul Arnsberg: ,,Notizen über einen Konservativen", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Januar 1970. 2 Schmittiana V

18

Carl Schmitt

Ieins zitiert habe), sagt: "Das Erlebnis erfährt durch die Kunst eine solche Umformung, dass es für den Künstler selbst bedeutungslos wird, und für jeden anderen ist ein Wissen um dieses Erlebnis eher verwirrend als erlösend". 17 [9] Hier haben wir die beiden Stichworte: einerseits Umformung, andererseits verwirrend. Harnlet ist ein Kunstwerk; ein Kunstwerk gilt in einer Welt des schönen Scheins und des reinen Spiels. Wer in einer Erörterung des Harnlet von Jakob und Maria Stuart spricht, stiftet Verwirrung und tastet die Reinheit eines Kunstwerkes an. Indem ich von dem Tabu der Königin Maria Stuart sprach, habe ich selber ein Tabu verletzt.

[4] Schliesslich wird die Sache sogar gefährlich. Walter Warnach und Rüdiger Altmann nennen beide den Namen Georg Lukacz. 18 In das Vacuum, das die Kunstphilosophie des deutschen Idealismus mit Bezug auf die geschich~liche Wirklichkeit des Kunstwerkes herbeiführt, ist triumphierend die Kunstbetrachtung des dialektischen Materialismus eingezogen. Ihr Erfolg müsste - angesichts der Hilflosigkeit ihres Gegners - ganz ausserordentlich sein. Der dialektische Materialismus identifiziert seine Analysen der Klassen-Situation des Künstlers und der Entstehungszeit des Kunstwerkes mit der geschichtlichen Betrachtung überhaupt. Auf diese Weise hat er sich ein Monopol der geschichtlichen Kunstbetrachtung verschafft. Wer das Monopol gefährdet, ist Reaktionär und Klassenfeind. Zwischen Diamant und schönem Scheine bleibt dem Deutschen nur die bange Wahl. Meine Art, den Harnlet geschichtlich zu sehen, gefährdet dieses Monopol der dialektisch-materialistischen Kunstgeschichte. Ich habe am eigenen Leibe erfahren, was das praktisch bedeutet. [5]

Unversehens gerate ich in die Rolle des Arbeitsstörers, Tabuverletzers und Monopolgefährders. Und das nicht etwa redensartlieh und im Spass, sondern in einer Zeit flagranter Kriminalisierungen. Nichts kennzeichnet unsere heutige Lage mehr, 17 (PT) Das Zitat von Stefan George (1868-1933) habe ich leider nicht gefunden. Inhaltlich entspricht es jedoch der in seinem Kreis üblichen Auffassung. V gl. beispielsweise Friedrich Gundolf(eig. Gundelfinger; 1880-1931; vgl. Schmittiana IV, S. 281, FN 47), Goethe, Berlin: Georg Bondi, (1916) 1922, VIII - 795 S.; dort S. 2: "Kunst ist weder die Nachahmung eines Lebens noch die Einführung in ein Leben, sondern sie ist eine primäre Form des Lebens, die daher ihre Gesetze weder von Religion, noch Moral, noch Wissenschaft, noch Staat, anderen primären oder sekundären Lebensformen empfangt: keinen anderen Sinn hat der Satz I' art pour I' art." IB (PT) Nur nebenbei, in Anlehnung an C. S.s Erwähnung des Buches von Georg Lu/Wes (1885-1971) "Die Seele und ihre Formen" (1911): op. cit. [FN 7], S. 70, FN 13.

Was habe ich getan? (1957)

19

als die Konstruktion immer neuer Delikte: neue Verkehrsdelikte wie Alkoholgenuss, neue Wirtschaftsdelikte wie Abwerbung, von den hochpolitischen neuen Delikten lieber ganz zu schweigen. Erfahrung und Verstand sagen mir, dass Arbeitsstörung, Tabuverletzung und Monopolgefahrdung sich für eine Kriminalisierung ganz besonders eignen. Auch ist mir bekannt, dass die Inhaber des dialektisch-materialistischen Kunstbetrachtungsmonopols entschlossene Kriminalisierer sind. Was bleibt einem alten Mann in dieser Lage übrig? Das beste ist unbeirrte Erkenntnis und offenes Geständnis. Dieses lege ich hiermit unumwunden ab. Davon abgesehen muss ich mich dem inneren Sinn meines Denkens überlassen. Mein Büchlein über Harnlet ist nicht gezielt und kaum geplant. Es ist sogar, im Gedanken wie in seiner Schrift, ungewollt und nur getreu. Darum darf ich diese Bemerkungen, die ich mit einem Goethischen Orakel begonnen habe, mit einem anderen Orakel schliessen, indem ich zwei Verse von Konrad Weiss zitiere: 19 Und tue was ich will und halte was mich trifft, Bis was ich nicht will tut mit mir ein Sinn wie Schrift.20

19 (PT) Konrad Weiß (1880- 1940; vgl. Schmittiana III, S. 80, FN 4 und 6), Gedichte 1914- 1939 (hrsg. von Friedhelm Kemp [geb. 1914; vgl. Schmittiana III, S. 87, FN 58]), München: Kösel-Verlag, 1961, 816 S.; dort S. 595 in der langen, unvollendeten Dichtung ,,Largiris" (S. 589-603). 2o (PT) Vollständigkeilshalber sei darauf hingewiesen, daß eine italienische Übersetzung (mit genauer Quellenangabe) vorliegt: "Amleto", in: 11 Borghese, Nr. 51, 19. Dezember 1957, S. 996-997, ohne Titel (als Postskriptum) übernommen S. 119-124 in der von Simona Forti angefertigten Übertragung eines C. S.-Buches: Amleto o Ecuba. L'irrompere del tempo nel gioco del dramma, Bologna: 11 Mulino, 1983, 127 S., Nr. I in der Reihe ,Intersezioni'.

2*

CARL SCHMfiT

Prolog zu "Dialogos" (Madrid 1962) Aus dem Spanischen übersetzt von Günter Maschke C. S. verbrachte den Sommer 1961 unweit von Santiago de Compostela in Galizien, dem Wohnort seiner Tochter Anima Schmitt de Otero (1931-1988). Während dieser Zeit schrieb er den kurzen Prolog zu dem kleinen Band ,,Dililogos", der 1962 in der vom ,lnstituto de Estudios Politicos' herausgegebenen Reihe ,Civitas' in Madrid erschien (99 S.). Der Band wurde, wie auch einige andere Texte von C. S., damals von seiner Tochter übersetzt. Er enthielt das "Gespräch über den Neuen Raum" (erstmals S. 263-282 in: Estudios de Derecho Internacional. Homenaje al Profesor Barcia Trelles, Compostela: Universidad, 1958, 521 S.) und das "Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber" (Pfullingen: Neske, 1954, 29 S.). Beide Gespräche sind vor kurzem, mit einer editorischen Nachbemerkung von Gert Giesler (geb. 1940), in einem Band nachgedruckt worden (Berlin: Akademie Verlag, 1994,70 S.). Das "Gespräch über den Neuen Raum" ist, mit zahlreichen Anmerkungen und mit Hinweisen zum Werk des mit C. S. eng befreundeten spanischen Volkerrechtlers Camilo Barcia Trelles (1888-1977), neu präsentiert in dem von mir edierten Band von Schriften C. S.s aus den Jahren 1916-1969: Staat- Großraum- Nomos, Berlin: Duncker & Humblot, 1995, XXX668 S. (dort S. 552-572).- Über das "Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber" unterrichtet Piet Tommissen in diesem Band, S. 169-176. Ob C. S. den vorliegenden Text zuerst deutsch niederschrieb und ihn danach von seiner Tochter übersetzen ließ, ob er ihn gemeinsam mit ihr übersetzte oder, was durchaus möglich ist, direkt in spanischer Sprache formulierte, konnte bisher nicht geklärt werden. Günter Maschke

Arehirnedes von Syrakus, der berühmte Meister der Technik der Antike, verpflichtete sich, das Universum zu bewegen, gäbe man ihm einen Punkt, wo er hintreten könnte, einen Ansatzpunkt. Der moderne Arehirnedes agiert auf andere Weise. Die Physiker und Techniker von heute dringen in den Kosmos ein und suchen dabei weder nach einem archimedischen Punkt, noch benötigen sie ihn. Sie öffnen neue, unerrneßliche Räume und sprengen dabei sämtliche Maße und Dimensionen der Erde und des Menschen. Trotzdem verfügen auch sie über einen archimedischen Punkt: Sie stehen im Dienste bestimmter politischer Mächte, besonders der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjet-Union. Die Karriere der heutigen Physiker, Techniker

22

Carl Schmitt

und Kosmonauten wird von der Frage bestimmt, wer die neuen, unermeßlichen Räume beherrschen wird. Dies ist, mit einem Wort, ein reines Problem der Macht. Bis heute dienen die erstaunlichen Entdeckungen und Erfindungen des modernen Arehirnedes hauptsächlich dazu, Probleme der politischen Macht zu lösen. - Raum und Macht sind auch das Thema unserer Dialoge, die unsere Aufmerksamkeit von phantastischen Visionen ablenken und zu unserem Planeten hinlenken wollen. Im ersten Dialog ["Gespräch über den Neuen Raum" - G. M.] spricht ein etwas altmodischer, doch seriöser Historiker von ca. 60 Jahren mit einem Fünfzigjährigen, der sich, auf klassische Weise, mit den Naturwissenschaften beschäftigt. Der Dialog setzt friedlich-weitschweifig ein und erörtert auch theologische Fragen. Die beiden Gesprächsteilnehmer werden bald von einem jungen Nordamerikaner mit dem Namen Mac Future geradezu überrollt. Mac Future meint, daß die Erde seit längerer Zeit zu klein sei und er will, in kosmischen Dimensionen, die Entdeckung Amerikas und die Industrialisierung seines Landes weiterführen. Im zweiten Gespräch ["Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber"- G. M.] spricht ein alter, erfahrener Mann mit einem unerfahrenen Studenten über das schwierige Problem der Macht - ein Problem, das noch schwieriger und geheimnisvoller geworden ist durch die ungeheure Steigerung der modernen MachtmitteL Der Student fragt mehr oder minder intelligent und der Alte antwortet klug und bedachtsam. Es handelt sich dabei nicht um einen Dialog in der Art des Platon: Der Student ist kein moderner Albikiades, der Alte kein moderner Sokrates. Er hütet sich vor metaphysischen Spekulationen und beschränkt sich darauf, die immanente Dialektik jedweder Macht rein beschreibend darzustellen. In unserem Gespräch fehlt auch das Wort "dämonisch", das heute in so vielen Abhandlungen über die Macht in Schwange ist. - Es liegt am Leser, sich zu entscheiden und zu urteilen. Ich schrieb diesen Prolog für die spanische Edition im Sommer 1961, an einer stillen Flußmündung an der Westküste Galiziens. Die Zeitung, das Radio und das Fernsehen, all das, was die moderne Soziologie ,,Massenmedien" nennt, sind voller Informationen über die neuesten, wundersamen Großtaten der russischen und amerikanischen Kosmonauten. Doch der Ruhm, den jene ,,Massenmedien" gewähren, bleibt ephimer. Die Größe und die Würde des Menschen bemißt sich nicht nach seinen Möglichkeiten, den Nobelpreis zu erringen. Der Mensch ist und bleibt ein Sohn dieser Erde. Gegenüber allen utopischen Erwartungen angesichts der Automation und des Überflusses wollen diese Dialoge eine besonnene und nüchterne Haltung bewahren und angesichts einer trügerischen potemkin'schen Welt auf die Wirklichkeit des Menschen und der Erde hinweisen. C. S.

Barrafia, Boiro (La Corufia). August 1961.

IGNACIO MARIA SANUY

Europa, Spanien und Carl Schmitt (1962) Aus dem Spanischen übersetzt von Günter Maschke

Das Original des hier übersetzten journalistischen Berichtes fand sich im Nachlaß C. S.s im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf. Der Artikel erschien am 22. März 1962 in der Madrider Zeitung "Arriba" und wurde am nächsten Tag von "ABC", einer anderen Madrider Zeitung, übernommen, allerdings mit geändertem Titel. Das Gespräch fand unmittelbar vor C. S.s Vortrag im Madrider ,lnstituto de Estudios Polfticos' statt. C. S. hielt diesen Vortrag (in dem er die hier nur flüchtig skizzierten Motive weiter ausgeführt hat) anläßlich seiner Ernennung zum Ehrenmitglied des Instituto 1• Er wurde unter dem Titel "EI orden del mundo despues Ia segunda guerra mundial" in der "Revista de Estudios Polfticos" (Nr. 122, März/ April 1962, S. 19-36; eine Zusammenfassung in französischer und englischer Sprache S. 36-38) und außerdem als Broschüre (Madrid: Verlag des Instituto, 1962, 30 S.) veröffentlicht. Die von mir erstellte deutsche Übersetzung des Vortrags erschien in Schmittiana II, S. 11-30 (mit Anmerkungen meinerseits); davon gibt es jetzt einen erweiterten und überarbeiteten Nachdruck, S. 592- 618, in dem von mir hrsg. Sammelband von Texten C. S.s: Staat- Großraum - Nomos, Berlin: Duncker & Humblot, 1995, XXX- 668 S. Günter Maschke

Professor Carl Schmitt ist eine verehrungswürdige Gestalt der juridischen Wissenschaft Europas. Das Gespräch mit ihm begann mit einer gewissen Zurückhaltung seinerseits. Dabei wurden drei Themen angeschnitten: Europa, Spanien und Spanien in Europa. ' a) Vgl. Gabriel Elorriaga, ,Jnvestidura del Profesor Carl Schmitt como miembro de honor del Institutode Estudios Polfticos", in: Arbor, 51. Jahrg., Nr. 196, April 1962, S. 109114. Auch Jesus Alvarez Fueyo "Carl Schmitt y Ia dignidad del pensamiento polftico", in: Arriba, 23. März 1962. - b) Vgl. diese ,Glosse' in der "Deutschen Zeitung" vom 26. April 1962: "Schmid. Der sozialdemokratische Politiker Professor Carlo Schmid wird erstaunt sein, sein Bild in der in Madrid erscheinenden falangistischen Wochenschrift SP zu finden. Die Wochenschrift gibt auf sechs Seiten einen Vortrag wieder, den am 21. März dieses Jahres Professor Carl Schmitt über ,Die Weltordnung nach dem zweiten Weltkrieg' hielt. Offensichtlich hat die Redaktion den Staatstheoretiker Carl Schmitt mit dem Bundestagsvizepräsidenten Carlo Schmid verwechselt und ein großes Foto des SPD-Politikers zur Illustrierung der Rede benutzt."

24

Ignacio Maria Sanuy

- Der Professor antwortete langsam, so, als wolle er die Worte streicheln, als wolle er ihr verborgenes Inneres behutsam ans Tageslicht bringen: - "Europa ist ein Großraum. Eine neue Konzeption eines Großraums. Europa ist zwar nicht klein, doch ist es keineswegs groß genug, daß man es mit der Welt identifizieren kann. Doch auch die Vereinigten Staaten von Nordamerika und die Sowjetunion sind dazu nicht groß genug.2 Zwar schafft die Industrialisierung neue Großräume, aber es ist notwendig, zu verhindern, daß die Idee der Technisierung betrachtet wird, als sei sie alleine fähig, die politische Einheit der Welt automatisch herbeizuführen." Danach erörterten wir einen anderen, gerade in Mode gekommenen Begriff, den der Supranationalität Der Professor zeigte keinerlei Enthusiasmus gegenüber diesem Wort. Er bemerkte: ,,Die Supranationalität zielt aggressiv auf Einheit. Dabei stehen wir wieder einmal vor dem alten Streit um Freund und Feind. Über die Supranationalität denke ich wie der Dr. Francis Rosenstiel, ein junger französischer Jurist. Er hat gerade in Paris ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht. 3 Darin konfrontiert er vom theoretischen Gesichtspunkt aus die Wissenschaft der Jurisprudenz mit dem lebenden Recht und optiert für die Tradition des Rechts gegen den wissenschaftlichen Konservativismus. 4 Vom praktischen Gesichtspunkt aus fragt er nach der Zukunft der internationalen Organismen und zeigt, daß eine juristische Konstruktion, wie vollendet sie auch sein mag, ein Simulacrum bleibt, solange die Politik ihr kein Leben einhaucht." 2 C. S. spielt hier an auf seinen Aufsatz ,,Die letzte globale Linie", in: Marine-Rundschau, 48. Jahrg., Nr. 8, August 1943, S. 521-527 (auch als Sonderdruck verbreitet), übernommen S. 342-349 im Sammelband, hrsg. von Egmont Zechlin [1896-1992]: Völker und Meere. Aufsätze und Vorträge, Leipzig: Harrassowitz, 1944, Vill- 349 S. Dort zitiert er aus einer Rede Henry Lewis Stimsons (1867-1950) vom 9. Juni 1941, in der der amerikanische Staatssekretär u. a. erklärte, daß die Erde ,,heute zu klein sei für zwei entgegengesetzte Systeme". C. S.s Kommentar dazu lautete: "Wir aber erwidern ihm, daß die Erde immer größer bleiben wird als die Vereinigten Staaten von Amerika und daß sie auch heute noch groß genug ist für mehrere Großräume, in denen freiheitsliebende Menschen ihre geschichtliche, wirtschaftliche und geistige Substanz und Eigenart zu wahren und zu verteidigen wissen." - Die betreffende Textstelle jetzt in C. S., op. cit. [vgl. einführende Notiz], S. 448. J Der Hinweis bezieht sich auf die Straßburger Dissertation von Francis Rosenstiel (geb. 1937) (Doktorvater: Prof. Julien Freund [1921-1993]), Le principe de supranationalite. Essai sur !es rapports de Ia politique et du droit, Paris: Pedone, 1962, 134 S.; deutsche Übersetzung: Kiepenheuer & Witsch, 1964, 186 S.; spanische Übersetzung: Il principio de Ia supranacionalidad, Madrid: Institutode Estudios Politicos, 1967. Weitere Auskunft in Schrnittiana II, S. 67-70, FN 60, 68 und 86, sowie C. S.s Brief an Freund vom 10. November 1964, vor allem die Reflexion S. 59-60. -Zur Kritik an Rosenstiels Thesen zur Europäischen Gemeinschaft, vgl. u. a. Hans Peter Jpsen (geb. 1907; vgl. Schrnittiana IV, S. 125, FN 18 Punkt b), "Über Supranationalität", S. 211-225 in der Festschrift für Ulrich Scheuner (1903-1981; vgl. Schrnittiana IV, S. 222, FN 39 Punkte), Berlin: Duncker & Humblot, 1973, 602 S. 4 Hier heißt es im spanischen Original "conservadurismo". Vermutlich liegt aber ein sinnverkehrender Druckfehler vor und es müßte "progresismo" heißen.

Europa, Spanien und Carl Schmitt

25

- Zu Spanien meinte Carl Schmitt: - ,,Für Spanien empfinde ich eine große Zuneigung, ja, Zärtlichkeit. Doch möchte ich nicht nur von diesem Affekt aus sprechen, sondern sachlich bleiben. Mich irritiert sehr der bekannte Inferioritätskomplex der Spanier.5 Dabei ist doch, ideologisch betrachtet, Spanien heute Europa überlegen: Thr habt als einzige den Kommunismus besiegt. Dieser Komplex wurde wohl vor dreihundert Jahren ins Leben gerufen, durch die strenge und raube Stimme Quevedos.6 Doch heute sehe ich keinen Grund mehr für einen derartigen Komplex. Ich frage mich sogar, weshalb die heutigen Engländer und Franzosen keinen Quevedo besitzen. Spanien darf sich heute überlegen fühlen. Thr Land hat eine große historische Erfahrung durchgemacht und selbst die Geschichtsschreibung der Kommunistischen Partei spricht von einem ,,Befreiungskrieg". Es ist durchaus möglich, daß sich die Länder Europas gegenüber Spanien ausweisen und rechtfertigen müssen, denn noch gibt es keine gemeinsame Haltung der Europäer gegenüber dem Kommunismus." - Nunmehr gelangten wir zum dritten Punkt unseres Dialoges, zu Spanien und Europa. - ,,Zwischen Spanien und England besteht eine Gemeinsamkeit: auch die Engländer sprechen davon, daß. sie von Europa sind und nicht in Europa. Mindestens diese exzentrische Lage ist gemeinsam. Die Engländer haben ihren angelsächsischen Raum, ihr Spanier habt lberoamerika. Doch England befindet sich heute im Schlepptau der Vereinigten Staaten, Spanien jedoch im Schlepptau von niemandem. Heute sind es die Engländer, die an einem Inferioritätskomplex leiden, an dem ihr seit Jahrhunderten laboriert. Aber die Engländer täuschen sich über diesen Komplex mittels ihrer nationalen Disziplin hinweg." - Die Konversation mit dem Professor hätte sich noch endlos fortsetzen lassen und sie wurde, wenn man so will, auch fortgesetzt, sollte er doch unmittelbar nach unserem Gespräch seinen Vortrag im Instituto de Estudios Polfticos halten. Wir selber aber mußten zu einem Ende kommen und bedauerten dies.

s Vgl. dazu das wiederholt aufgelegte Buch des spanischen Psychiaters Juan Jose L6pez lbor (1906-1991; vgl. Schmittiana III, S. 41, FN 9), EI espaiiol y su complejo de inferioridad, Madrid: Rialp, 1951, Nr. 9 in der ,Biblioteca del pensamiento actua1'. Die siebte, erweiterte Auflage dieses Buches ist 1961 erschienen und zählt 263 S.- Im C. S.-Nachlaß (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf) finden sich drei Briefe dieses Gelehrten an C. S. aus den Jahren 1951-62. 6 Francesco G6mez de Quevedo y Villegas (1580-1645), einer der bedeutendsten Schriftsteller Spaniens, kritisierte scharf die Dekadenz des spanischen Volkes und die höfische Korruption. Sein politiktheoretisches Hauptwerk ist: Polftica de Dios, gobierno de Cristo y tiranfa de Satanas, Madrid: Editorial Swan, (1626) 1986, XII - 255 S. Zum politischen Denken Quevedos, vgl. u. a. Antonio Rufz de la Cuesta, Ellegado doctrinal de Quevedo. Su dimensi6n polftica y filosofico-jurfdica, Madrid: Editorial Tecnos, 1984, 266 S.

SIEGFRIED LOKATIS

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt- Ein Briefwechsel Herr Siegfried Lokatis (geb. 1956) hat, meiner Bitte entsprechend, die nachstehende Briefedition mit großer Sorgfalt vorbereitet, was ihm die CS-Forschung sicherlich als Verdienst anrechnen wird. Er war die geeignetste Person, um diese Aufgabe zu einem guten Ende zu führen. Denn er ist der Autor einer mustergültigen, wenn auch noch immer ungenügend beachteten Untersuchung, die mittelbar den Hintergrund des Briefwechsels C. S. - Wilhelm Stapel beleuchtet 1 • Herr Lokatis war zunächst als Referendar (Fächer: Geschichte und Philosophie) im Schuldienst tätig, gehört z. Zt. jedoch dem Zentrum flir zeithistorische Forschungen e. V. in Potsdam an. Obzwar Herr Lokatis sich sowohl bei Frau Pastorin Gudrun Stapel wie beim verehrten Kollegen Josef H. Kaiser expressis verbis für die Abdruckgenehmigung der jeweiligen Briefe bedankt, möchte auch ich ihnen meinen aufrichtigen Dank abstatten für die Unterstützung des rein wissenschaftlichen Vorhabens, das den Schmittiana-Bänden zu Grunde liegt. Ein Mindestmaß an Auskunft über Personen und Vorgänge erfolgt, wenn die Person bzw. der Vorgang zum ersten Mal erwähnt wird. Die von Herrn Lokatis erstellten Fußnoten sind mittels der Sigle (SL), die von mir hinzugefügten (und von Herrn Lokatis genehmigten) mittels der Sigle (PT) gekennzeichnet.

P.T.

I. Einleitung 1. Erst seit kurzer Zeit steht der Nachlaß von Wilhelm Stapel (1882-1954) (künftig: WS) im Literaturarchiv Marbach dem Benutzer zur Verfügung. Bekanntlich ist die Inventarisierung des C. S.-Archivs durch Iogeborg Villinger (geb. 1946) und Dirk van Laak (geb. 1961) abgeschlossen2 • Dank einer kleinen Sammlung von Stapel-Briefen, worüber Piet Tommissen (geb. 1925) verfügt, war es also möglich, 1 (PT) S. Lokatis, "Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im ,Dritten Reich'", Frankfurt a. M.: Buchhändler-Vereinigung, 1992, 189 S., Nr. 38, in der Reihe: Archiv für Geschichte des Buchwesens. Es handelt sich um die Buchfassung einer Bochumer Inauguraldissertation vom Jahre 1991 (Doktorvater: Prof. Dr. Hans Mommsen [geb. 1930]). 2 (SL) Dirk van LIUJk und Iogeborg Villinger (Hrsg.), Nachlaß Carl Schmitt. Verzeichnis des Bestandes im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv, Siegburg: Respublica-Verlag, 1993, 698 S., Nr. 32, in der Reihe ,Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen. Reihe C: Quellen und Forschungen' .

28

Siegfried Lokatis

die genannten Archivbestände zu ergänzen3 . Leider ist der Briefwechsel immer noch keineswegs komplett. Bereits der erste erhaltene Brief C. S.s (Nr. 2 vom 9. April 1932) antwortet auf ein verloren gegangenes Anschreiben W. S.s. Der Leser wird wiederholt feststellen, daß auf anscheinend nicht erhaltene Briefe geantwortet wird, oder gar nur die Anlage zu verlorenen Schreiben existiert (z. B. Brief Nr. 22 vom 2. August 1935). Für 1934 läßt sich im Gegensatz zu der Zeit zwischen der Kapitulation und 1947, als W. S. bewußt den Briefwechsel abbrach, nicht sicher klären, ob W. S. und C. S. überhaupt miteinander korrespondiert haben. Zu den Briefen W. S.s zwischen 1947 und 1953 fehlen hingegen die Antwortbriefe C. S.s. Über den Verbleib läßt sichangesichtseiner Vielzahl von Unwägbarkeiten nur spekulieren. Die Zerstörung der Wohnungen C. S.s in Dahlem und Schlachtensee, seine Neigung, einzelne Briefe an private Sammler abzugeben sowie der Verlust eines Teiles des W. S.-Nachlasses in der sowjetisch besetzten heimatlichen Altmark lassen es jedenfalls nicht zu, ohne weiteres von einer bewußten oder gar systematischen Vernichtung des fehlenden Materials auszugehen. Dagegen spricht nicht zuletzt der kompromittierende Inhalt einiger erhaltener Briefe. Jedenfalls weist gerade die nachweisbare Lückenhaftigkeit der Unterlagen darauf hin, daß die Beziehung zwischen W. S. und C. S. wesentlich enger war, als aufgeund der bisher veröffentlichten Überlieferung zur Geschichte der ,Konservativen Revolution' und der Inventarlisten der Archive angenommen werden konnte. In der von C. S. hinterlassenen Bibliothek4 findet sich mit Ausnahme eines Aufsatzes über Martin Luther (1483-1546i kein einziges Buch von W. S. Wie intensiv der Austausch der beiden konservativ-revolutionären Meisterdenker in Wirklichkeit war, geht nun aus ihrer Korrespondenz hervor. C. S. kannte die meisten Bücher W. S.s und rezipierte sie mit wohlwollendem Interesse. Es ist auch von verschiedenen Treffen die Rede, und seit 1940 verkehrte man familiär miteinander. Daß die Freundschaft zwischen dem dezidiert preußischen W. S. und dem katholischen C. S. ausgerechnet am Abend des 30. Januar 1933 begossen wurde, war keineswegs ein Zufall. Vielmehr repräsentierte W. S. als geistiger Protagonist der Hanseatischen Verlagsanstalt ein für C. S. neuartiges, im Kern protestantisch-na-

3 (SL) Diese Publikation, die auf eine Initiative von Herrn Professor Piet Tommissen erfolgt, wurde von Frau Gudrun Stapel, der Schwiegertochter W. S.s, und von Herrn Professor Josef H. Kaiser; dem Nachlaßverwalter von C. S., ermöglicht. Dr. Jochen Meyer und Herr Leopold, beide vom Literaturarchiv Marbach, Herr Dr. Dieter Weber vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, sowie Herr Dr. Walter Hawelka vom Kolbenheyer-Archiv in Geretsried erleichterten die Arbeit durch ihr bereitwilliges Entgegenkommen. 4 (PT) Über das Schicksal der Bibliothek C. S.s, vgl. Schmittiana I, S. 51, FN 13 und eine teils korrigierende, teils ergänzende Notiz in: Schmittiana m, S. 173. 5 (SL) D. Van Laak/1. Villinger: op. cit. [FN 2], S. 667. Es handelt sich um den Aufsatz von W. S., "Geist und Leib der Kirche bei Luther", in: Harnburgische Kirchenzeitung, Jahrg. 1935, Nr. 6, S. 77-80.

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

29

tionalistisches Milieu und einen mächtigen Bündnispartner, dem er sich in den ersten Jahren des Dritten Reiches entschieden und mit nachhaltigen Folgen zuwandte. Die Rolle C. S.s im Nationalsozialismus mußte, sowohl was deren moralische Implikationen als auch seine öffentliche Wirkung angeht, zwangsläufig rätselhaft bleiben, solange man diese Konstellation ignorierte6 • C. S. war damals kein Einzelkämpfer, sondern agierte zwischen 1932 und 1936 im Rahmen einer seltsamen jungkonservativen Gefahrengemeinschaft, die ihr institutionelles Zentrum in der Hanseatischen Verlagsanstalt (künftig: HAVA) hatte7 • 2. Die HAVA befand sich zwischen 1933 und 1935 in einer ausgesprochenen Krisenlage. Thr Eigentümer, der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband (künftig: DHV)8, wurde im Verlaufe des Jahres 1933 sukzessive ausgeschaltet, wobei die ,Deutsche Angestelltenschaft' des NS-Gauleiters Albert Forster (19021954) und die ,Deutsche Arbeitsfront' (Kürzel: DAF) von Minister Robert Ley (1890-1945)9 um die Rechtsnachfolge konkurrierten. Das aus dieser unklaren Lage resultierende Machtvakuum nutzte der ehemalige DRY-Funktionär und Leiter des Verlages, Benno Ziegler (1894-1949) 10, um das Betätigungsfeld der HAVA in jede Richtung auszubauen. Aus dem jungkonservativen Richtungsverlag, in dem beispielsweise Ernst Jüngers (geb. 1895) ,,Arbeiter" und Artbur Moeller van den Brucks (1876-1925) ,,Das dritte Reich" 11 erschienen waren, wurde ein großer Verlagskonzern, der mit außerordentlichem Einfallsreichtum von der geistigen Unbedarftheil des Nationalsozialismus zu profitieren versuchte. Die HAVA beteiligte sich maßgeblich am Ausbau des NS-Buchhandels, stellte dem KDF-Betrieb 12 sein aus der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit gewonnenes Knowhow zur Verfügung und wurde in Zusammenarbeit mit den großen Wirtschaftsinstituten und der Wehrmacht zu einem Braintrust für militärische Aufrüstung. Jüngers Konzept einer "to6 (PT) Vgl. auch Andreas Koenen (geb. 1963), Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum ,Kronjuristen des Dritten Reiches', Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995, X - 979 S. Es handelt sich um eine Münsteraner Dissertation (Doktorvater: Prof. Dr. Gerhard W. Wittkämper [geb. 1933]). 7 (SL) Vgl. zum folgenden: op. cit. [FN 1]. s (SL) Iris Hamel, Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft. Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband 1893-1933, Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsanstalt, 1967, 289 S., Nr. 6, in der Reihe ,Veröffentlichungen der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg'. (Es handelt sich um die Buchausgabe einer Hamburger Dissertation vom Jahre 1965; Doktorvater: Prof. Dr. Fritz Fischer [geb. 1908]). 9 (PT) Über A. Forster, vgl. Robert Wistrich, Wer war wer im Dritten Reich, München: Harnack, 1983, 319 S.; dort S. 73.- Über R. Ley, vgl. Schmittiana II, S. 109, FN 73. to (SL) Ziegler und seine Rolle kommen ausführlich zum Zuge in S. Lokatis, op. cit. [FN 1]. II (PT) a) E. Jünger, Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt, Stuttgart: Klett-Cotta (1932) 1982, 322 S., Nr. 1, in der Reihe ,Cotta's Bibliothek der Modeme'.- b) Über A. Moeller van den Bruck und sein einflußreiches Buch, vgl. Schmittiana IV, S. 62-63, FN 42 und 43. 12 (PT) Gemeint ist die ,NS Gemeinschaft Kraft durch Freude', eine von R. Ley [FN 9] persönlich geleitete Sonderdienststelle der DAF.

30

Siegfried Lokatis

talen Mobilmachung" 13 wurde von seinem Verlag beim Wort genommen. Die Konzernschwester Langen-Müller 14 lieferte dem Dritten Reich mit Paul Alverdes (1897-1979), Hans Friedrich Blunck (1888-1961), Hans Grimm (1875-1959), Hans lohst (1890-1978), Erwin Guido Kolbenheyer (1878-1962) u. a. Autoren das Gros seiner repräsentativen Dichter, während die HAVA mit Wemer Bergengruens (1892-1964) "Der Großtyrann und das Gericht" und Jüngers "Marmorklippen"15 den Markt der ,inneren Emigration' 16 bediente. Für unseren Zusammenhang ist entscheidend, daß die seit 1932 programmatisch an C. S. orientierte HAVA, die als Erbeverwalteein der bündischen Jugendbewegung 17 und des jungkonservativen ,Rings" 8 über blendende Beziehungen zu Universitäten und Ministerien verfügte, das Programm einer systematischen ,Politisierung der Wissenschaft' betrieb, was sich einerseits in der Etablierung des ,Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands' unter Hausautor Walter Frank (1905-1945) 19, andererseits aber in 13 (PT) E. Jünger: Die totale Mobilmachung, Berlin: Verlag für Zeitgeschichte, 1931, 22 S., aufgenommen in seinem Aufsatzband, op. cit. [FN 117], S. 122-153. 14 (SL) Andreas Meyer, Die Verlagsfusion Langen-Müller. Zur Buchmarkt- und Kulturpolitik des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes (DHV) in der Endphase der Weimarer Republik, Frankfurt a. M.: Buchhändler-Vereinigung, 1989, 271 S., Nr. 32, in der Reihe ,Archiv für Geschichte des Buchwesens'.- (PT) Es handelt sich um die Buchausgabe einer Münchner Dissertation vom Jahre 1989; dazu die ausführliche Besprechung von Fritz J. Raddatz (geb. 1931), ,,Eine vorbereitende Machtübernahme. Wie eine als Kampfpodium verstandene, antirepublikanische Plattform zusammengezimmert wurde", in: Die Zeit, Nr. 11, 9. März 1990, S. 50. - Vgl. auch FN 245. 15 (PT) a) W. Bergengruen, Der Großtyrann und das Gericht, Hamburg: HAVA, 1935, 300 S.- b) E. Jünger, Auf den Marmorklippen, Hamburg: HAVA, 1939, 156 S. - c) Vgl. Kar! Baur (1898-1984), Wenn ich so zurückdenke ... Ein Leben als Verleger in bewegter Zeit, München: dtv, 1985, 365 S., Nr. 10514, in der Reihe ,Zeugen und Zeugnisse'; dort S. 201: ,,Nur auf dem Weg über das ,Promi' (Kürzel für: Propagandaministerium] konnten erst Ernst Jüngers ,Marmorklippen' oder Bergengruens ,Großtyrann' erscheinen, an deren hintergründigem Sinn niemand zweifeln konnte." 16 (PT) Zur Diskussion über diesen Begriff, vgl. die Anthologie von J. F. G. Grosser (geb. 1915) (Hrsg.), Die große Kontroverse. Ein Briefwechsel um Deutschland, Hamburg: Nagel, 1963, 159 s. 17 (PT) Eine Übersicht der vielen Jugendverbände verdanken wir Rudolf Kneip (geb. 1899), Jugend der Weimarer Zeit. Handbuch der Jugendverbände 1919-1938, Frankfurt a. M.: dipa-Verlag, 1974, 383 S. IS (PT) Vgl. Yuji /shida (geb. 1957), Jungkonservative in der Weimarer Republik. Der Ring-Kreis 1928-1933, Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1988, 298 S., Nr. 346, in der Reihe ,Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und Hilfswissenschaften'. Es handelt sich um die Buchausgabe einer Marbacher Dissertation vom Jahre 1987; Doktorvater: Prof. Dr. Hans-Kar! Rupp (geb. 1940). 19 (SL) W. Frank war neben C. S. das Paradepferd der HAVA bei ihrem im Herbst 1933 eingeleiteten Programm einer ,Politisierung der Wissenschaft' ; vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN I], S. 44-48. -(PT) Vgl. Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1966, 1275 S., Nr. 13, in der Reihe ,Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte'. - Für den Umkreis außerdem das weniger ambitiöse Büchlein von Kar! Ferdinand Wemer (geb. 1924), Das NS-Geschichtsbild

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

31

der großangelegten Propagierung einer nur vorgeblich nationalsozialistischen Rechtsreform unter Federführung C. S.s niederschlug, an der außer dessen Schülern Ernst Rudolf Huber (1903-1990), Ernst Forsthoff (1902-1974) und Werner Weber (1904-1977)20 Autoren wie Reinhard Höhn (geb. 1904), Karl Larenz (1903-1993), Theodor Maunz (1901-1993), Friedrich Schaffstein (geb. 1904) und Franz Wieacker (1909-1994)21 mitarbeiteten. Von C. S. erschienen bei der HAVA die neue Fassung des "Begriffs des Politischen" und fünf neue Bücher22; ferner war er der Herausgeber der Reihe ,Der deutsche Staat der Gegenwartm. Berücksichtigt man seine enge Bindung an die HAVA, so läßt sich seine Rolle im Dritten Reich in vier entscheidenden Punkten präziser fassen: 1. Sie erklärt gutenteils die für einen Juristen außergewöhnliche Popularität der Werke C. S.s. Im Mai 1933 warf die HAVA eine den Umständen angepaßte Version des "Begriffs des Politischen" zu Dumpingpreisen auf den Markt, um sich als ein auch unter den neuen Bedingungen staatstragendes Unternehmen zu profilieren. Die ungewöhnlich hohen Auflagen auch seiner anderen Werke (bis zu 20 000 Stück) wurden mit einem entsprechenden Propagandawirbel verbreitet, der seinen Ruf in wissenschaftlichen Kreisen untergraben mußte. Dieses Verfahren, sich an und die deutsche Geschichtswissenschaft, Stuttgart: Kohlhammer, 1967, 123 S., in der Reihe ,Lebendiges Wissen'. zo (PT) Über die C. S.-Schüler E. R. Huber, E. Forsthoff und W. Weber, vgl. Schmittiana IV, S. 124-125, FN 15 Punkt d); S. 124, FN 13 Punkt c) und S. 143, FN 55; S. 135, FN 42 und S. 184, FN 127. 21 (PT) Es handelt sich um bedeutende Rechtslehrer, mit denen C. S. in Verbindung gestanden hat: - a) R. Höhn entpuppte sich als ein ausgesprochener C. S.-Gegner. Über ihn vgl. u. a. R. Wistrich, op. cit. [FN 9], S. 139-140.- b) Über K. Larenz, vgl. u. a. Massimo La Torre, La ,Iotto contro il diritto soggettivo'. Kar! Larenz e Ia dottrina giuridica nazionalsocialista, Mailand : Giuffre, 1988, II- 453 S., Nr. 127, in den ,Pubblicazioni del seminario giuridico della Universita di Bologna'. - c) Über Th. Maunz, vgl. Schmittiana IV, S. 266-268. d) G. Schaffstein hat sich als Strafrechtler bewährt und nach 1945 in Göttingen gelehrt.- e) Über Fr. Wieacker, vgl. u. a. den Nachruf von Manfred Fuhrmann, "Kein Bedarf an Rezepten. Gerechtigkeit von Fall zu Fall: Zum Tode des Rechtshistorikers Pranz Wieacker", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 43, 21. Februar 1994, S. 37. Anerkannt ist seine: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (1952), 2. neubearbeitete Auf!. = 1967, 659 s. 22 (PT) C. S., (a) Der Begriff des Politischen, 1933, 61 S. (es handelt sich um eine angepaßte Fassung der Edition 1932); (b) Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, 1933, 46 S., Nr. 1, in der Reihe ,Der deutsche Staat der Gegenwart'; (c) Über die drei Arten des rechtswissenschaftliehen Denkens, 1934, 67 S., in der Reihe ,Schriften der Akademie für deutsches Recht'; (d) Staatsgefüge und Zusammenbruch des .zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, 1934, 49 S., Nr. 6, in der Reihe ,Der deutsche Staat der Gegenwart'; (e) Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, 1938, 132 S.; (f) Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles, 1923-1939, 1940, 322 S. 23 (SL) Über diese·Reihe, vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 52-54. Sie erschien 1933-36 und umfaßte 10 Broschüren (zwei geplante sind nicht mehr erschienen).

32

Siegfried Lokatis

eine breite Öffentlichkeit zu wenden, rächte sich für ihn, weil es außer dem Neid der Kollegen außerdem jene Aufmerksamkeit auf ihn zog, die ihm später eine weitreichende Ächtung als Symbol intellektueller Anpassung an den Nationalsozialismus eintrug24. 2. Erst die Analyse seiner umfangreichen Korrespondenz mit der HAVA erlaubt es, C. S.s damaligen Werke und die seiner Kollegen einer textkritischen Analyse zu unterziehen, die deren konkrete Entstehungsbedingungen und damit ihren ursprünglich intendierten politischen Zweck mit einbezieht. Die langen Herstellungszeiten führten häufig dazu, daß dieser Zweck zum tatsächlichen Erscheinungstermin längst obsolet war. So ergibt sich beispielsweise, daß einige Schriften, die als Manifeste einer NS-Rechtsreform galten und gelten, ursprünglich zur Unterstützung des Kanzlers Heinrich Brüning (1885-1970) gedacht waren; der Verlag sorgte dafür, daß die Verpackung, also der Titel oder ganze Kapitel, entsprechend den neuen Verhältnissen umgeändert wurden25 . 3. Auch der Antisemitismus C. S.s läßt sich genauer verorten, wenn man berücksichtigt, daß er in der HAVA einem Milieu begegnete, in dem die Abneigung gegen sogenannte ,jüdische Literaten" zum guten Ton gehörte. Antisemitismus war geradezu ein Geschäftsprinzip der HAVA, das es erlaubte, jede beliebige Konkurrenz- Autoren, Verlage und Literaturkritiker wie vor allem Alfred Kerr (18671948) und Kurt Tucholsky (1890-1935)26 - als "verjudet" zu denunzieren. Gerade W. S., der Herausgeber der Zeitschrift ,,Deutsches Volkstum" (künftig: DV), galt in der Weimarer Zeit als Virtuose einer vornehmen und deshalb auch für Intellektuelle verführerischen Version von "Salonantisemitismus'm. Wirkte die Bekannt-

(SL) Vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 59-64. (PT) A. Koenen, op. cit. [FN 6], S. 228-229 und dort FN 17. 26 (SL) Jochen Meyer (geb. 1941; vgl. FN 3), Berlin Provinz. Literarische Kontroversen um 1930, Marbach: Deutsche Schillergesellschaft, 1985, 126 S., Nr. 35, in der Reihe ,Marbacher Magazin'. - (PI') A1fred Kerr, als berühmter Berliner Theaterkritiker (.,Sturmwind auf der Bühne .. ."!), von den einen verehrt und von den anderen gehaßt, emigrierte über Paris (1933) nach London, wo er 1935 Mitarbeiter des BBC (= British Broadcasting Corporation) wurde. Vgl. Brief Nr. 50 vom 12. November 1948. Vgl. W. S.s. Aufsatz: ,.Kerr spricht den Deutschen das Deutschtum ab", in: DV. 15. Jahrg., Nr. 18, 2. Septemberheft 1933, S. 792794.- Über Kurt Tucholsky, für den W. S. irgendwie ein Faible hatte (vgl. seinen Beitrag .,Kurt Tucholsky", S. 182-215, in: Forschungen zur Judenfrage. Bd. 2, Hamburg: HAVA, 1937.) Vgl. Schminiana IV, S. 94-95, FN 9 Punkt b), sowie infra FN 225. 27 (SL) Ich benutze diesen Ausdruck I. Harneis (op. cit. [FN 8], S. 269), weil für eine differenzierte Analyse des Stapelsehen Antisemitismus hier nicht der Ort ist. - (PT) Ähnlicher Auffassung ist der französische Kenner des Umfelds der Konservativen Revolution Louis Dupeux (geb. 1931): ,,L'antisemitisme culturel de Wilhelm Stapel", S. 253-260, in L. Dupeux (Hrsg.), La ,revolution conservatrice' dans I'Allemagne de Weimar, Paris: Kirne, 1992, 437 S. Nicht weniger interessant ist eine Stelle, die ich einem Beitrag von Kurt Leewenstein (geb. 1902) entnehme: .,Die innerjüdische Reaktion auf die Krise der deutschen Demokratie", S. 349-403, in George L. Mosse (geb. 1918) (Hrsg.), Entscheidungsjahr 1932. Zur Judenfrage in der Endphase der Weimarer Republik, Tübingen: Mohr (1965) 1966, XX- 615 S.; dort 24

25

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

33

schaft mit diesem Milieu für C. S. und dessen latenten, religiös motivierten Antisemitismus enthemmend, so muß außerdem eine Dynamik kumulativer Radikalisierung in Rechnung gestellt werden, die von der HAVA angeheizt wurde. Die Kontrahenten der damaligen Intrigenkämpfe pflegten sich wechselseitig mit antisemitischen Argumenten und Denunziationen zu überbieten28, und der Verlag, dem inmitten zahlreicher Wirrnisse vor allem an stabilen Produktionsbedingungen gelegen war, ermunterte seine Autoren dazu, diesen Trend nach Möglichkeit noch zu antizipieren. Der inzwischen längst von Skrupeln geplagte W. S. schrieb beispielsweise seine "Literarische Vorherrschaft der Juden" 1937 mit äußerstem Widerwillen, um seinen Verlagschef Benno Ziegler von nationalsozialistischen Angriffen zu entlasten29 • 4. Aufstieg und Fall C. S.s stellen nur den prominentesten Sonderfall eines für viele HAVA-Autoren typischen Karriereverlaufs dar. Die HAVA bildete das institutionelle Rückgrat einer Gefahrengemeinschaft ehemaliger ,konservativer Revolutionäre' und Brüning-Freunde. Unter dem Schutz der Fittiche Benno Zieglers mauserten sich den Nazis verdächtige politische Schriftsteller wie Ernst Jünger und August Winnig (1878-1956) 30 zu angesehenen Belletristen. Politische ReserviertS. 361, FN 13: "Stapel gehörte zu jenem Kreise national gerichteter deutscher Intellektueller, die gewiß eine scharf kritische Haltung den Juden gegenüber einnahmen, aber dennoch in ihrer allgemeinen Gedankenführung die Chance einer sachlichen Erörterung des zwischen Juden und Nichtjuden bestehenden Problems zu bieten schienen."- Vgl. W. S.s zweistündiger Vortrag auf der vom Weltstudentenwerk veranstalteten 2. Konferenz zum Studium der jüdischen Frage in Nyon bei Genf, aus dem Gedächtnis rekonstruiert: "Die Rolle der Juden im politischen Leben der Gegenwart", in: Der Ring, 4. Jahrg. Nr. 22, 30. Mai 1931, S. 402407. 28 (SL) Dafür bieten einige der hier vorgestellten Briefe (Nr. 11, 13, 14) frühe Beispiele. Man hat den Eindruck, daß W. S. für C. S. die öffentliche Exekution des verhaßten Feindes Hermann Heller [FN 67 Punkt b)] besorgte, während W. S. sich von C. S. als Gegenleistung personalpolitische Unterstützungsmaßnahmen im ,Kirchenkampf' versprach. 29 (PT) a) W. S., Die literarische Vorherrschaft der Juden in Deutschland 1918 bis 1933, Hamburg: HAVA, 1937, 43 S., in den ,Schriften des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands'.- Vgl. auch FN 127.- b) W. S. zufolge hat er den Vortrag auf Wunsch von W. Frank [FN 19] gehalten und Bedenken gegen die Drucklegung geäußert; vgl. seinen 1947 verfaßten und von H. Keßler veröffentlichten Antrag auf Wiederherstellung seiner literarischen Ehre: op. cit. [FN 34], S. 266-291 (dort S. 288). 30 a) (SL) A. Winnig, bis zu seiner Verwicklung in den Kapp-Putsch (März 1920) sozialdemokratischer Oberpräsident von Ostpreußen, war einer der Hausautoren der HAVA, die im Mai 1933 gleichzeitig mit C. S.s angepaßter Fassung der Schrift "Der Begriff des Politischen" [FN 22] eine umgearbeitete Fassung von Winnigs Buch "Vom Proletariat zum Arbeitertum" (1. Ausg. = 1930, 171 S.) veröffentlichte. Mit diesen Publikationen ging der DHV noch einmal in die politische Offensive, bevor er im Juli 1933 endgültig gleichgeschaltet wurde. Daher W. S.s in Brief 11 vom 28. Juli 1933 zum Ausdruck kommende Animosität gegen R. Ley [FN 9].- b) (PT) Vgl. den Nachruf von Friedrich Hielscher (1902-1991; über ihn handelt Karlheinz Weißmann [geh. 1959], ,,Friedrich Hielscher. Eine Art Nachruf', in: Critic6n, Nr. 123, Januar-Februar 1991, S. 25-28), ,Jm Unheil die Stimme erhoben. August Winnig zum 79. Geburtstag: als Politiker begonnen, als Dichter gestorben", in: Die Zeit, Nr. 14, 4. Aprill957, S. 5. Außerdem das Buch von S. L., op. cit. [FN 1], S. 92. 3 Schmittiana V

34

Siegfried Lokatis

heit und eine aus dem Bewußtsein kulturpolitischer Überlegenheit zu erklärende Abneigung gegenüber dem Nationalsozialismus hinderten die Hanseaten um Ziegler allerdings nicht an der hemmungslosen Ausnutzung sich nach 1933 ergebender wirtschaftlicher Sonderprivilegien. Für viele ehemals konservative Intellektuelle besaß die HAVA die Funktion weniger einer Nische als eines Sprungsbretts, um unter den neuen Verhältnissen Karriere zu machen. Sie konnte sie dank zahlreichen Verbindungen zu Instituten, staatlichen und NS-Funktionären mit dem für eine erfolgreiche Anpassungsleistung benötigten Orientierungswissen versehen, gangbare Dienstwege durch den Dschungel der NS-Bürokratie erkunden oder bahnen und über die ambestengeeigneten Sprachregeluhgen informieren. Das von der HAVA vermittelte kulturpolitische Agreement zwischen Jungkonservativen und Nationalsozialisten erwies sich jedoch als außerordentlich unsicheres Geschäft. Nachdem Alfred Rosenberg (1893-1945), in seiner Eigenschaft als Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP, bereits Anfang 1934 die eigentliche ,konservativ-revolutionäre' Produktion der HAVA unterbunden hatte31 , vollzog sich nicht nur die Niederlage C. S.s. Von W. S., der 1938 seine ·Zeitschrift einstellte, bis hin zu den dezidiertesten Neonationalsozialisten wie Karl August Eckhardt (1901-1979)32, einem mächtigen Feind C. S.s, und Walter Frank wurden die meisten Vorkämpfer der HAVA irgendwann von den Schatten ihrer konservativen Vergangenheit eingeholt und von der Partei ausgeschaltet. Daß W. S. mit C. S. 1940 über die Legitimität des Tyrannenmordes korrespondierte (vgl. Brief Nr. 30 vom 17. September 1940) ist vor diesem gemeinsamen biographischen Hintergrund zu verstehen. W. S. sah sich bereits Ende 1933 aus der engeren Verlagsleitung ausgeschaltet. Das Verhältnis zwischen der HAVA und C. S. entwickelte sich ohnehin von vomherein an W. S. vorbei. Dieser selbst pflegte die undankbare Funktion, mit seiner Zeitschrift DV Autoren anlocken zu sollen, ohne für sie etwas bewirken zu können, als die einer ,,Leimrute" zu bezeichnen. Eine solche Funktion nahm übrigens vorübergehend auch C. S. als Reihenherausgeber für die HAVA wahr (Brief Nr. 10 vom 19. Juni 1933). Seine hauptsächlichen Ansprechpartner im Verlag waren außer Benno Ziegler die DV-Redakteure AlbrechtErich Günther (1893-1942) und Friedrich Vorwerk (1893-1969) 33 , ferner als Lektoren Georg Ficket und Paul 31 a) (SL) Vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 43. - b) (PT) In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß W. S. sich mit Rosenbergs Mythos-Buch befaßt hat: ,,Mythos oder Ethos? Eine Auseinandersetzung mit Alfred Rosenberg", in: DV, 17. Jahrg., Nr. 5, Mai 1935, S. 352-361. 32 (PT) Über den erstaunlichen Werdegang dieses Rechtshistorikers, vgl. Hermann Nehlsen, (geb. 1932) "Karl August Eckhardt +", in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, 104. Jahrg., 1987, S. 497-536, sowie Schmittiana IV, S. 186, FN 132, und H. Heiber, op. cit. [FN 19], passim. Außerdem Jöm Eckert, "Was war die Kieler Schule?", S. 37-70 in Frans Jürgen Säcker (Hrsg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus. Ringvorlesung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 1982, 260 S., Nr. 1 in der Reihe ,Kieler Rechtswissenschaftliche Abhandlungen (NF)' ; dort S. 50-54, 57-58, 59.

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

35

Weinreich. Erst nach 1940 versah W. S., kriegsbedingt, wieder die Funktion eines Lektors. Wir hören sein Bedauern, daß C. S. inzwischen zu anderen Verlagen (Reclam) ausgewichen war (Brief Nr. 37 vom 16. Dezember 1942). Aus diesem Grunde bleiben die eigentlichen Verlagsgeschäfte - von gelegentlichen Katastrophenmeldungen über Bombenschaden oder Todesfälle (zum Tode A. E. Günthers: Brief Nr. 38 vom 30. Dezember 1942; zum Tode B. Zieglers: BriefNr. 52 vom 9. Januar 1949) abgesehen - normalerweise im Hintergrund des Briefwechsels verborgen.

3. Während es deshalb unumgänglich ist, die verlagsgeschichtlichen Zusammenhänge als den verborgenen Rahmen des Briefwechsels vorzustellen, scheint es fast überflüssig, auf die große W. S.-Biographie von Heinrich Keßler hinzuweisen34. Der Leser wird aus dem Briefwechsel unschwer Zeit und Ort von W. S.s Geburt man erfährt sogar, warum W. S. regelmäßig C. S.s Geburtstag vergißt -, seinen Werdegang, philosophische (lmmanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte, Edmund Busserl) und literarische (Wilhelm Raabe, E. Kolbenheyer, Detlev von Liliencron, Adalbert Stifter) Vorlieben erschließen können. W. S. erläutert C. S. seine Liebe zu Preußen und seinen lutherischen Glauben. Er begründet seine Affinität zu Wilhelm Shakespeare, lateinischen Versen und griechischen Zitaten. Er stellt sich C. S. als Volkstumtheoretiker und Übersetzer von Wolfram von Eschenbach vor. Aber auch der Frankreichhasser, der bitterböse Polemiker und Antisemit kommen zum Vorschein. Der Briefwechsel verdeutlicht, daß W. S. alles andere als eine Randfigur war, sondern auch in wissenschaftlichen Kreisen höchstes Ansehen genoß. Schließlich lernen wir einen verbitterten und lebensmüden W. S. kennen, dessen Lebenswerk gescheitert ist. Mit der HAVA ist ihm die Möglichkeit zur Veröffentlichung genommen. Er versendet Abzüge seiner Arbeiten an den Freundeskreis, benutzt Pseudonyme und findet damit gelegentlich noch Unterschlupf bei kirchlichen Organen. Mit der Bundesrepublik vermag er sich nicht anzufreunden; daß er wie viele seiner Freunde verfemt ist, schiebt er auf seine alten Feinde aus der Emigra33 (SL) a) Über A. E. Günther, vgl. Schmittiana I, S. 64, FN 28. Dem ist hinzuzufügen, daß er ehemaliger Freikorpskämpfer, W. S.s Redaktionskollege und mit E. Jünger befreundet war. Er hat u. a. geschrieben: Totem. Tier und Mensch im Lebenszusammenhang, Hamburg: HAVA, 1927, 249 S., sowie die Broschüre: Geist der Jungmannschaft, Hamburg: HAVA, 1934, 59 S. Vgl. Hans G. K. Sieh, Der Hamburger Nationalistenklub. Ein Beitrag zur Geschichte der christlichkonservativen Strömungen in der Weimarer Republik, 1963, IV 240 S.; es handelt sich um eine ungedruckte Mainzer phil. Dissertation (Doktorvater: Prof. Dr. Leo Just [1901-1964)).- Vgl. auch BriefNr. 30 vom 17. September 1940, sowie FN 180. - b) Über Fr. Vorwerk, vgl. Schmittiana Ill, S. 159- 160. 34 (SL) H. Keßler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist. Ein Beitrag zur Geschichte des konservativen Nationalismus zwischen den beiden Weltkriegen, Nürnberg: Spindler, 1967, VI- 326 S. - (PT) a) Es handelt sich um die Buchausgabe einer Erlanger Dissertation; Doktorvater: Prof. Dr. Hans Uules (1908-1987).- b) Bedauerlicherweise erfuhr ich erst nach Abschluß dieses Beitrags von der Monographie von Willi Kleinhorst, Wilhelm Stapel. Ein evangelischer Journalist im Nationalsozialismus: Gratwanderer zwischen Politik und Theologie, Frankfurt a. M./Berlin: Lang, 1993, IX-294 S., Nr. 242 in der Reihe ,Europäische Hochschulschriften. Reihe 31: Politikwissenschaft'. Es handelt sich um die Buchausgabe einer Düsseldorfer Dissertation (1992: "Kyffhäuser und Golgatha").

3*

36

Siegfried Lokatis

tion, Alfred Kerr oder Kurt Hille? 5 • Sein Antisemitismus lebt noch einmal auf. Dabei plagten ihn - verglichen mit C. S. - sehr frühzeitig Skrupel. Diese teilte er eben deshalb nicht dem Staatsrechtler, sondern nur seinem Intimus, dem SchriftstellerE. G. Kolbenheyer mit36; W. S.s Brief vom 12. Dezember 1933 entnehme ich diese Stellen: "Und nun noch eine sehr schwere Sache: Ich beginne ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich fühle mich, obwohl nicht PG [=Parteigenosse], für die nationalsozialistische Revolution mit verantwortlich. Nun höre ich zuverlässig ... , daß gefangene Kommunisten in Untersuchungshaft grausam gemartert worden seien. Auch aus den Konzentrationslagern hört man von solchen Vorkommnissen. Leute sind schauerlich in den Tod gedrängt worden . . . Wie soll ich für den neuen Staat kämpfen, wenn ich solche Dinge zudecken muß? Darüber komme ich nicht weg ... - In zehn Jahren wird allen die falsche Glorie von heute eine Scheißbude sein. Die falsche Glorie ist nichts als das Zeichen des Todes." C. S. gegenüber begnügt sich W. S. fünfzehn Jahre später mit einem dezenteren Hinweis in griechischer Sprache, in dem er auf die Sühneopfer der Griechen im ersten Buch der Ilias anspielt (Brief Nr. 50 vom 12. November 1948). 4. Die Briefe C. S.s und W. S.s wurden durch C. S. betreffende Auszüge aus W. S.s Korrespondenz mit E. G. Kolbenheyer aus dem Kolbenheyer-Archiv in Geretsried ergänzt. Sie berichten über Treffen zwischen den Briefpartnern und verdeutlichen zugleich, daß zwischen dem Katholiken und dem Lutheraner, zwischen dem vom Expressionismus und romanischer Weltläufigkeit geprägten Staatsrechtler und dem bodenstämmigen W. S?7 , der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Traditionslinien des deutschen ,Volkstums' neu zu zeichnen, eine unüberbrückbare Distanz bestehen blieb. Gerade diese Distanz faszinierte W. S. wie C. S. und verleiht der Korrespondenz den Charakter eines Austausches verschiedener geistiger und literarischer Welten. Das Verhältnis zwischen beiden war anfangs, zwischen 1931 und 1933, von starken Spannungen und Auseinandersetzungen um prinzipielle Fragen bestimmt. 35 (PT) K. Hiller propagierte vor dem ersten Weltkrieg den Aktivismus, entwickelte dann ein System zur Errichtung der Herrschaft des Geistes (die Logokratie) und war schließlich im Rahmen der Friedensbewegung sehr aktiv. Nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager Oranienburg (April 1934) floh er über Prag nach England. 1955 kehrte er nach Harnburg zurück. Daß er W. S. feindlich gesinnt war, geht beispielsweise aus seinem von Hans Jaeger (1901-1976) angeregten Leserbrief hervor (in: Deutsche Rundschau, 78. Jahrg., Nr. 11, November 1952, S. 1146) sowie aus einem Abschnitt einer Nachkriegsrede [FN 225 Punkt b)]. -Über Jaeger, vgl. Ludwig von Ficker (1880-1967), Briefwechsel 1926-1939, Innsbruck: Haymon-Verlag, 1991, 462 S., Nr. 11, in der Reihe ,Brenner-Studien'; dort u. a. s. 348. 36 (SL) Zum Briefwechsel zwischen W. S. und E. G. Kolbenheyer, vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 11-12. - Vgl. u. a. W. S.s kurzer Aufsatz: ,,E. G. Kolbenheyer", in: Der Ring, 2. Jahrg. Nr. 50, !5. Dezember 1929, S. 980-981. 37 (SL) Das ist auch wörtlich zu verstehen: Während C. S. im Korrespondenzzeitraum mehrfach den Wohnort wechselte (Berlin-Tiergarten, Köln, Berlin-Steglitz, Berlin-Dahlem, Berlin-Schlachtensee, Plettenberg), hielt es W. S. am seihen Fleck. Was sich änderte, waren mit der Eingemeindung Altonas in Harnburg der Name der Stadt und die Straßenbenennung.

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

37

W. S.s 1931 erschienenes Buch ,,Der christliche Staatsmann" sollte der römischen Kirche den Weg in die Politik verbauen38 . W. S. vertrat eine Vision der Reichsidee, die trotz der Anknüpfung an die imperiale Tradition des Mittelalters dem protestantischen Preußen die Führungsstellung zusprach. Diese Position sah er in der politischen Praxis durch die Kanzlerschaft Brünings39 und in der Theorie durch die Konzeptionen C. S.s bedroht, indem er einen besonders gefährlichen Exponenten des katholischen Lagers witterte. Der politische Kampf des DHV, Max Habermann (1885-1944) 40, ein enger Freund Heinrich Brünings (1885-1970), veranstaltete im Herbst 1931 auf der verbandseigenen Burg Lobeda in Jena ein Treffen mit dem Ziel, den von W. S. beeinflußten protestantisch-nationalistischen Flügel des DHV enger an Brüning heranzuführen41. Während W. S. C. S. auch nach diesem Treffen skeptisch gegenüber stand, näherte sich die HAVA unter ihrem neuen Leiter B. Ziegler diesem unter den Vorzeichen einer publizistischen Unterstützung Brünings und der vom DHV finanzierten DNVP-Sezession ,Volkskonservative Vereinigung' 42 weiter an. Seit 1928 war Alfred Bugenberg (1865-1951)43 wegen seiner sozialpolitischen Intransingenz der Hauptgegner des DHV, welcher gegen dessen Medienmonopol eine eigene Pressefront zur Unterstützung des Reichskanzlers aufbaute. Die HAVA begann mit der Produktion politischer Broschüren, die zur Legitimierung des Präsi38 (PT) W. S., Der christliche Staatsmann. Eine Theologie des Nationalismus, Harnburg: HAVA, 1932, 275 S. Zu diesem Buch, vgl. Klaus Breuning (geb. 1927}, Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929- 1934), München: Max Hueber, 1969, 404 S. (es handelt sich um die Buchausgabe einer Münchner Dissertation); dort S. 138- 145. 39 (PT) Der vom katholischen Sozialpolitiker Carl Sonnenschein (1876-1929) geprägte H. Brüning war seit 1924 Reichstagsabgeordneter für das Zentrum und amtierte 1930-32 als Reichskanzler. 1934 emigrierte er in die U.S.A., kehrte aber nach Kriegsende nach Deutschland zurück. 40 (SL) Der mit dem hessischen sozialdemokratischen Innenminister 1929-33 Wilhelm Leuschner (1888-1944) und dem katholischen Gewerkschaftler und nach Kriegsende erster CDU-Vorsitzender Jakob Kaiser (1888- 1961) befreundeteM. Habermann gehörte zum Widerstandskreis des 20. Juli 1944 und nahm sich nach dem mißlungenen Attentat das Leben. Als Bildungspolitiker des DHV hatte er dessen Verlagskonzern aufgebaut. Der HAVA-Chef B. Ziegler war sein engster Vertrauter und deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls in die Planungen des Widerstandskreises mit einbezogen. 41 (PT) Vgl. A. Koenen, op. cit. [FN 6], S. 161-163. 42 (PT) Die DNVP (= Deutschnationale Volkspartei) entstand 1918 aus der Fusion der ,Deutschen Konservativen Partei' und der ,Deutschen Reichspartei', sowie der antisemitisch infizierten ,Christlich-sozialen Partei' . Sie wurde zunächst von Oskar Hergt (1869-1967}, kurz nachher von Clemens von Delbrück (1836-1921), einem Neffen des Historikers Hans (von) Delbrück (1848-1929), dann vom Grafen Cuno von Westarp (1864-1945) geführt. Als im Herbst 1928 Alfred Bugenberg Vorsitzender wurde, spaltete sich eine parlamentarische Fraktion ab und bildete eine Agrarier und Industrielle umfassende ,Deutschnationale Arbeitsgemeinschaft', die von Martin Schiele ( 1870-1939) geleitet wurde. 43 (PT) A. Hugenberg war 1919- 45 Reichstagsabgeordneter für die DNVP [FN 42]; er kontrollierte den nach ihm genannten Medien-Konzern.

38

Siegfried Lokatis

dialsystems beitragen sollten. In diesem Zusammenhang kam C. S. eine Schlüsselstellung zu. Dessen Freund Friedrich Vorwerk verstärkte die Redaktion des DV, das fortan nicht mehr als Monatsschrift, sondern zweiwöchentlich herauskam. Es erschienen, z. T. unter Pseudonym, Aufsätze der C. S.-Schüler E. Forsthoff und E. R. Huber. Die HAVA organisierte den Diskurs über den ,totalen Staat'. Eine neue außerordentlich komplizierte Lage ergab sich mit dem Sturz Brünings, mit dem das ursprüngliche Publikationsprogramm gegenstandslos wurde. C. S. beriet, vor allem im Zusammenhang mit dem sogenannten Preußenschlag44, auch die neue Regierung Franz von Papens (1879-1969) 45 , was ihm die Feindschaft des Zentrums eintrug. In dieser Situation zeigte sich zum ersten Mal, daß das Bündnis zwischen HAVA und der Gruppe um C. S. trotzderen Nähe zur Regierung auch einen Kanzlerwechsel überstehe!! konnte, wobei außer dem verlegerischen Ehrgeiz B. Zieglers und C. S.s Wunsch nach publizistischer Rückendekkung vor allem die gemeinsame Verbindung zum politischen Drahtzieher Kurt von Schleicher (1882-1934)46 stabilisierend gewirkt haben dürfte47 • Galt C. S.s Loyalität weiter dem Reichswehrminister oder von Papen? Leider ist die Antwort auf diese Frage W. S.s (Brief Nr. 3 vom 31. August 1932) nicht erhalten. Entscheidend für die Annäherung zwischen W. S. und C. S. wurde jedenfalls dessen Bekenntnis zu einer Version der Reichsidee, die W. S.s ,revanchistischen' Ambitionen entgegenkam (Briefe Nr. 4 und 5 vom 19. bzw. 21. Januar 1933). Die Haltung C. S.s und W. S.s zum Nationalsozialismus war von geradezu aufreizender Arroganz gegenüber den "devastierenden" Kräften der nationalsozialistischen Plebs bestimmt. Als "Durchbruchskraft" schien sie ihnen brauchbar, als Gegengewicht gegen ,Liberalismus' und ,Sozialismus' sogar unentbehrlich. Solche Einschätzungen hingen allerdings in starkem Maße von der konkreten politischen Situation ab. Die Machtergreifung wurde von W. S. und C. S. nicht zuletzt deshalb als Katastrophe empfunden, weil sie im Bündnis mit dem sozialpolitischen Hauptfeind des DHV, Hugenberg, mit Zustimmung des Zentrums und gegen Schleicher erfolgt war. Auch das Wegbrechen des vertrauten politischen Gefüges hinderte keineswegs daran, politische Schattenkämpfe gegen ehemalige Gegner zu veranstalten. Die Positionskämpfe wurden mangels wirklicher Macht mit desto größerer Härte geführt. Im Zuge der als Überwindung des ,Pluralismus' deutbaren allgemei44 (PT) Über den Preußenschlag, vgl. Schmittiana I, S. 59, FN 11, aber vor allem A. Koenen, op. cit. [FN 6], S. 195- 197. 45 (PT) Der Zentrumspolitiker Fr. von Papen amtierte während des zweiten Semesters 1932 als Reichskanzler, 1933-34 als Vizekanzler des Hitler-Kabinetts. Dann war er als Diplomat tätig und wurde im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß 1946 freigesprochen. 46 (PT) General K. von Schleicher war der letzte Reichskanzler der Republik von Weimar. Vgl. Schmittiana II, S. 109, FN 77. 47 (SL) Zum politischen Hintergrund vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 33-36, sowie H. Mommsen, Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang, 1918 bis 1933, Berlin: Propyläen, 1989, 580 S., Nr. 8, der ,Propyläen-Geschichte Deutschlands'.

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

39

nen Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung, ging es nunmehr um den Versuch, dem Nationalsozialismus die eigene Interpretation aufzudrücken. Im Herbst 1933 trafW. S. dann eine neue Lageeinschätzung, die die aus der Delegation des ,Führerprinzips' resultierende polykratische Struktur nationalsozialistischer Herrschaft als Gefahr in den Mittelpunkt stellte (Brief Nr. 15 vom 12. September 1933). Diese Interpretation bestimmte die paradoxe Option gegen das nationalsozialistische System für Adolf HitZer (1889-1945). A. Koenen stellt den Brief in die unmittelbare Vorgeschichte von C. S.s Aufsatz "Der Führer schützt das Recht"48 . 1940 hat sich auch diese Option als hinfällig erwiesen, und W. S. und C. S. diskutierten nunmehr über die Ermordung Hitlers. 5. Die Rechtschreibung war kaum korrekturbedürftig. Stilistische Eigenheiten wurden belassen. Der Gebrauch der Anführungszeichen wurde vereinheitlicht. An eine Stelle (BriefNr. 52 vom 9. Januar 1949) wird aus Rücksichten aufprivate Belange eine unbedeutende Kürzung vorgenommen. Auf Übersetzungen fremdsprachiger Zitate wird weitgehend verzichtet. Zu guter Letzt füge ich dieser Einleitung, im Interesse des Benutzers, ein Register der Briefe an. Die Fundorte werden an Hand einfacher Siglen kenntlich gemacht: - Geretsried = E. G. Kolbenheyer-Archiv in Geretsried - Hsta Düsseldorf = Hautpstaatsarchiv Düsseldorf, Nachlaß C. S. (Nr. RW 265 mit Erwähnung des diesbezüglichen Kartons) - Marbach = Deutsches Literaturarchiv in Marbach - Piet Tommissen = Privatsammlung von Piet Tommissen - Noack =die C. S.-Biographie von Paul Noack [FN 66].

II. Der Briefwechsel I. Wilhelm Stapel an E. G. Kolbenheyer, 27.9.1931 (Geretsried)

2. Carl Schmitt an Wilhelm Stapel, 9.4.1932, Berlin NW 87, Flotowstr. 5 (Marbach) 3. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 31.8.1932, Altona (Hsta Düsseldorf- RW 265-197 /K 3) 4. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 19.1.1933, Briefkopf "Deutsches Volkstum" (Hsta Düsseldorf- RW 265- 59/K 101) 5. Carl Schmitt an Wilhelm Stapel, 23.1.1933, Berlin NW 87, Flotowstr. 5 (Marbach) 48 a) (SL) A. Koenen, op. cit. [FN 6], S. 609-610. Vgl. auch infra FN 101.- b) (PT) C. S., "Der Führer schützt das Recht. Zur Reichstagsrede Adolf Hitlers vom 13. Juli 1934", in: op. cit. [FN 22: Positionen und Begriffe], S. 199-203. Dazu A. Koenen, op. cit. [FN 6], S. 598629 ("XIV. ,Der Führer schützt das Recht'"). Aber auch die Analyse des Textes in Schmittiana Il, S. 93-99.

40

Siegfried Lokatis

6. Tagebuch Cacl Schmitts, 30.1.1933 (zitiert nach Noack, Cacl Schmitt, a. a. 0 ., S. 160 f.) 7. Wilhelm Stapel an E. G. Kolbenheyer, 4.2.1933 (Geretsried) 8. Wilhelm Stapel an E. G. Kolbenheyer, 11.6.1933 (Geretsried) 9. Wilhelm Stapel an E. G. Kolbenheyer, 18.6.1933 (Geretsried) 10. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 19.6.1933, Köln-Lindenthal, Pfarriusstr. 6 (Macbach) 11. Wilhelm Stapel an Cacl Schmitt, 28.7.1933, Altona-Großflottbek, Sandkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-2061K 290) 12. Wilhelm Stapel an E. G. Kolbenheyer, 8.8.1933 (Geretsried) 13. Wilhelm Stapel an Cacl Schmitt, 28.8.1933, Briefkopf "Deutsches Volkstum" (Hsta Düsseldorf - RW 265- 196 I K 67) 14. Cac1 Schmitt an Wilhe1m Stapel, 1.9.1933, o. 0. (Macbach) 15. Wilhelm Stapel an Cacl Schmitt, 12.9.1933, Briefkopf "Deutsches Volkstum" (Hsta Düsseldorf- RW 265-2061K 217) 16. Stapel an Kolbenheyer, 12.11.1933 (Geretsried) 17. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 12.1.1935, Berlin-Steglitz, Schillerstr. 3 (Macbach) 18. Wilhelm Stapel an Cacl Schmitt, 14.1.1935, Altona (Piet Tommissen) 19. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 21.1.1935, Berlin-Steglitz, Schillerstr. 3 (Macbach) 20. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 19.6.1935, Postkarte, Berlin (Macbach) 21. Wilhe1m Stapel an Cacl Schmitt, 7.7.1935, Briefkopf ,,Deutsches Volkstum", Groß-Fiottbek (Piet Tommissen) 22. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 2.8.1935 (Anlage zum fehlenden Brief, Berlin-Steglitz, Schillerstr. 3 (Macbach) 23. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 21.1.1937, Berlin-Dah1em, Kaiserswertherstr. 17 (Macbach) 24. Wilhelm Stapel an Cacl Schmitt, 11.8.1938, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-171 I K 11) 25. Wilhelm Stapel an Cacl Schmitt, 12.3.1939, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-171 I K 11) 26. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 3.12.1939, Postkarte, Berlin (Macbach) 27. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 28.5.1940, Berlin-Dahlem, Kaiserswertherstr. 17 (Macbach) 28. Cac1 Schmitt an Wi1he1m Stapel, 7.8.1940, Postkarte, Berlin (Macbach) 29. Wilhelm Stapel an Cacl Schmitt, 16.9.1940, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-59 I K 128) 30. Wilhelm Stapel an Cacl Schmitt, 17.9.1940, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-59 I K 129) 31. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 23.9.1940, Postkarte, Berlin (Macbach) 32. Cacl Schmitt an Wilhelm Stapel, 5.1.1941, Berlin-Dahlem, Kaiserswertherstr. 17 (Macbach)

Wilhelm Stapel und Carl Sehnlitt - Ein Briefwechsel

41

33. Carl Schmitt an Wilhelm Stapel, Osterdienstag 1941, o. 0. (Marbach) 34. Carl Schmitt an Wilhelm Stapel, 18.8.1941, o. 0. (Marbach) 35. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 29.8.1941, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265- Kt. 455/ K 4) 36. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, November 1942, Harnburg (Piet Tommissen) 37. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 16.12.1942, Hamburg-Groß-Flottbek 5 (Piet Tommissen) 38. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 31.12.1942, Hamburg-Groß-Flottbek 5 (Piet Tomnlissen) 39. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 5.1.1943, Postkarte, Hamburg-Altona (Hsta Düsseldorf - RW 265-8/K 144) 40. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 10.9.1943, Briefkopf "Hanseatische Verlagsanstalt" (Hsta Düsseldorf- RW 265-8/K 144) 41. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 2.11.1943, Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-8/ K 178) 42. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 11.4.1944, o. 0 . (Piet Tomnlissen) 43. Carl Sehnlitt an Wilhelm Stapel, 15.4.1944, Postkarte, Berlin-Schlachtensee (Marbach) 44. Tagebuch Wilhelm Stapels, 13.1.1945 (Marbach) 45. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 17.3.1945, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Piet Tommissen) 46. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 29.3.1945, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Piet Tommissen) 47. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 30.3.1945, Postkarte, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Piet Tomnlissen) 48. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 29.11.1947, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Piet Tommissen) 49. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 30.7.1948, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-398/ K 99) 50. Wilhelm Stapel an Carl Schnlitt, 12.11.1948, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Piet Tommissen) 51. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 30.12.1948, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Piet Tomnlissen) 52. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 9.1.1949, Hamburg-Groß-Flottbek, Sandkamp 5 (Piet Tommissen) 53. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 28.1.1951, Hamburg-Groß-Flottbek, Bökenkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-59/K 169) 54. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 3.2.1951, Hamburg-Groß-Flottbek, Bökenkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265- Kt. 475/K 12 und 456/K 273) 55. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 28.3.1951, Hamburg-Groß-Flottbek, Bökenkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-33/ K 42)

42

Siegfried Lokatis

56. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 20.7.1951, Postkarte, Hamburg-Groß-Flottbek, Hökenkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-2201K 219) 57. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 13.11.1951, Postkarte, Hamburg-Groß-Flottbek, Hökenkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-433 I K 90) 58. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 20.11.1951, Postkarte, Hamburg-Groß-Flottbek, Hökenkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-220 I K 247) 59. Carl Schmitt an Wilhelm Stapel, 27.10.1952, Telegramm, Duisburg (Hsta Düsse1dorfRW 265-3231 IK 264) 60. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 4.11.1952, Postkarte, Hamburg-Groß-Flottbek, Hökenkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265 - Kt. 323 I K 101) 61. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, Postkarte, 10.7.1953, Hamburg-Groß-Flottbek, Hökenkamp 5 (Hsta Düsseldorf- RW 265-3981K 136)

1 W. S. an E. G. Kolbenheyer: Auszug

den 27. 9. 1931 ... Schmitt ist eine glänzende Intelligenz, aber ein gefährlicher Bursche. Zutiefst Nihilist, der an nichts glaubt. Habermann ist völlig von ihm eingefangen worden! Der gute Habermann saß mit ausdruckslosem Gewicht schweigend dabei, äußerte nur gelegentlich seinen freudigen Stolz, bei einer Diskussion dabei sein zu können, in der die lateinischen und griechischen Zitate nur so hageln, strahlte als Gastgeber, ließ für uns 8 Leute die Zentralheizung der ganzen Burg anstellen!! Schmitt wollte uns Protestanten den Gebrauch der Worte konservativ und Reich wegeskamotieren. Aber seine Argumente waren unecht. Der wahre Grund war, daß ihm diese Begriffe auf Seiten der Protestanten, der Ketzer, anstößig waren. Jetzt ist Schmitt dabei, den Begriff der Legitimität zu zersetzen. Aber vielleicht war es nur eine Probe, ob wir auf die Zersetzung des Legitimitätsbegriffes eingingen. Ich habe mich gehütet, zuzustimmen. Luther wurde von Simon49 und Schmitt bezeichnet als "ein dicker Mann, der gerne Bier trank und Zoten riß." Ich bin nicht hochgegangen. Mögen sie zunächst glauben, mein Protestantismus säße nicht tief. Nur in Sachen Preußen habe ich ihnen einen konzilianten Widerstand entgegengesetzt. Sie machten Friedrich d. Gr. als Vorläufer des Bolschewismus auf. Lage und Ziele Brünings sind mir jetzt um ein weniges klarer, aber ich verstehe sie noch nicht in ihrem eigentlichen Zusammenhang. Literarisch war Schmitt völlig am französischen Roman orientiert (obwohl er politisch antifranzösisch ist). Raabe ist ihm verblaßtes 19. Jahrhundert ohne politischen Instinkt ...

49 (PT) Über den katholischen Philosophieprofessor Paul Sirnon (1882-1948), vgl. Schmittiana Ill, S. 80, FN 3.

Wilhelm Stapel und Carl Sehnlitt-Ein Briefwechsel

43

2

C.S.anW.S. Berlin, 9. 4. 1932 Sehr verehrter Herr Dr. Stapel, ich bitte Sie sehr um Entschuldigung, daß ich die Beantwortung llirer Anfrage wegen Lobeda50 versäumt habe. Leider könnte ich auch in den Pfingstferien nicht dorthin kommen, wohl aber 1. Hälfte August. Ich war einige Wochen in Italien. In Rom habe ich mir das Grab des letzten deutschen Papstes, Hadrian V/. 51 , besehen; es ist in der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell' Anima und trägt die Inschrift, die ich Ihnen doch mitteilen möchte: Prob dolor, quantum refert in quae tempora vel optimi cuiusque virtus incidat. Herzliche Grüße llires Carl Schmitt [Darunter Übersetzung von W. S.: Ob Schmerz, wieviel macht es aus, in welche Zeiten selbst eines besten Mannes Tugend hineingerät]. 3

W.S.anC.S. Altona, 31. 8. 1932 Hochverehrter Herr Professor, Über llir neues Buch52 und über die Widmung habe ich mich sehr gefreut. (Woher ist der lateinische Vers mit dem Vulgata-Klang? Er könnte aus dem ersten Teil der Carmina Burana sein, sed non reminiscor illius carminis). so (SL) Diese vom DHV veranstaltete Tagung fand im Juni 1932, unmittelbar nach dem Sturz Brünings [FN 39] statt, dessen Unterstützung eigentlich ihr Zweck hatte werden sollen. Teilnehmer waren u. a. C. S. und seine Schüler E. Forsthoff, E. R. Huber [FN 20], von der HAVA A. E. Günther [FN 33 Punkt a)] und B. Ziegler. W. S. fehlte. Zu diesem Treffen vgl. A. Koenen, op. cit. [FN 6], S. 164-170; dort ist S. 167 die Rede von zwei streng vertraulichen ,Drucksachen für die Lobeda-Tagung' (Verfassungsreformpläne!), erarbeitet vom Anglisten Horst Michael und dem C. S.-Schüler Kar! Lohmann (geb. 1901), bzw. Alfred Mirgeier (1901-1979; vgl. Schmittiana m, S. 81, FN 12). 51 (SL) Der Niederländer Hadrianus VI. (eig. ·Adrianus Florenszoon; 1459-1523), Erzieher Karls V. (1500-1558), war 1522-1523 Papst. 52 (SL) C. S., Legalität und Legitimität, München: Duncker & Humblot, 1932, 98 S. - Die mit C. S. befreundeten Redaktionskollegen W. S.s A. E. Günther und Fr. Vorwerk [FN 33 Punkt b)] hatten W. S. mit einem ohne dessen Wissen (vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 4950) vorgenommenen ,Reklamevorabdruck' aus diesem Buch verärgert: ,,Legalität und gleiche Chance politischer Machtgewinnung", in: DV, 15. Jahrg., Nr. 14, 2. Juli-Heft 1932, S. 557-564.- Die von W. S. im Brief angesprochene Widmung kann in diesem Zusammenhang als ein erfolgreiches Versöhnungsangebot gesehen werden.

44

Siegfried Lokatis

Als Schriftsteller bewundere ich, wie elegant und spannend Sie einen solchen Stoff darzubieten vermögen, wie Sie wissenschaftliche Abstraktionen und aktuelle Bezogenheil in einer Weise verbinden, daß man oft einen Satz wiederholt liest, weil er so gut schmeckt. Darf ich llmen hinwiederum eine kleine Gelegenheitsarbeit53 senden, die mir seinerzeit in Lobeda54 (wo sie schon geplant war und wo ich mich endgültig dazu entschloß) die Antwort auf persönlich unwillkommene disputationes ersparte. Ich kann mir denken, daß Sie an dieser oratio pro Borussorum imperio manches auszusetzen haben, auch manches vermissen - falls Sie sie überhaupt lesen (was ich Ihnen nicht zumute). Aber es möchte gegenüber so vielen Darlegungen so vieler Unberufener auch einmal ein Preuße kraft seines Blutes (meine Familie ist so alt wie Preußen, im 15. Jahrh. waren die Stapels noch ritterbürtig)55 gesagt haben, wie die Dinge in Wahrheit sind- basta. Nun mag's andern lieb oder leid sein. Als mir aus dem Lautsprecher das "Wirtschaftsprogramm"56 entgegenklang, ward mir bedenklich zu mute. Ein Staat, der auf hausse spekuliert! .Es kommt mir das so leichtsinnig vor. Wenn es nun die Privatwirtschaft doch nicht schafft - und sagen wir gleich: sie schafft es nicht-, dann triumphiert der Sozialismus, und was für einer! Ich werde die Empfindung nicht los, als ob der Aufstieg erst dann beginnen wird, wenn die eine Hälfte des deutschen Volkes die andere Hälfte totgeschlagen hat und wenn ein verödetes Land der Tatkraft der Überlebenden neuen Raum gewährt. 53 (SL) W. S., Preußen muß sein! Eine Rede für Preußen, Hamburg: HAVA, 1932, 46 S. Dort verglich W. S. S. 10 C. S. mit dem römischen Verräter Segestes (dem Haupt der römischen Partei unter den Cheruskern): ..... ,Preußen muß zerschlagen werden' . .. In solchen Worten spricht nicht mehr nur der Staatsrechtier und der Vetwaltungsrechtler, sondern der Hassende, der ein historisches Staatsgebilde deshalb verfolgt, weil ihm die Zertrümmerung des verhaßten Staates einen historischen Rachetrieb befriedigt. Dieser Zustand wird leider nicht dadurch besiegt, daß die Hassenden (subjektiv oft ehrlich) versichern, sie hätten wirklich durchaus keinen Preußenhaß ... Auch Segest hat sicherlich das Beste für sein Volk gewollt, als er Arminius, den sozusagen ersten Preußen, den ersten machthungrigen Militaristen der deutschen Geschichte, verfolgte." - Vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 49. 54 (SL) Bezieht sich nicht auf die im vorigenBriefetwähnte Lobeda-Tagung im Juni 1932 [FN 50], sondern auf jene im September 1931, auf der W. S. und C. S. erstmals zusammentrafen [FN 41]. 55 (SL) Zu W. S.s. Herkunft, vgl. H. Keßler, op. cit. [FN 34], S. 14-15. 56 a) (SL) Es handelt sich um das von Papen [FN 45] auf dem Treffen des westfälischen Bauernvereinsam 28. August 1932 verkündete Programm. Vgl. W. S., "Wenn aber die Wirtschaft nicht anspringt?", in: DV, 14. Jh., Nr. 15, 2. Septemberheft 1932, S. 768-770. - b) (PT) Es handelt sich um eines der vielen Programme, die damals in Deutschland propagiert wurden; vgl. dazu Gottfried Bornbach (geb. 1919), Hans Jürgen Ramser, Manfred Timmermann (geb. 1936) und Walter Wittmann (geb. 1935) (Hrsg.), Der Keynesianismus. Die beschäftigungspolitische Diskussion vor Keynes in Deutschland. li: Dokumente und Kommentare, Berlin/Heidelberg: Springer, 1976, VI- 331 S., in der Reihe ,Weltpolitische Studien', dort S. 152-159: ,,Das Arbeitsbeschaffungsprogramm des Reichskanzlers von Papen. a) Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung der Wirtschaft vom 4. September 1932 (Quelle: Reichsgesetzblatt, Teil!, 1932, Nr. 57, S. 425-432).

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

45

Vices sunt suspiciosae, Saepe sunt pemiciosae. Sed nequaquam spem exspires: Vicem vincunt viri vires. Sollte Papen der Mann sein? Er sieht doch gar nicht so aus. Mit herzlichen Grüßen Thr sehr ergebener Wilhelm Stapel

4 W.S.anC.S. Harnburg, 19. 1. 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Eben lese ich in der D.A.Z. gegenübergestellt die Berichte über Thren und

Smends Vortrag57 • Daß Sie die Vordringlichkeit des Reiches betont haben, hat mich

sehr gefreut. Auf meiner Vortragsreise nach dem Westen, in voriger Woche, habe ich bei Gesprächen mit Katholiken immer wieder die Erfahrung gemacht, daß man den Reichsgedanken eigentlich immer nur im Sinne der Schwächung des Staates zu verwenden beliebt. Nicht nur Pater Friedrich Muckernumn 58 , den ich besucht habe, auch Schriftleiter, die dem Zentrum angehören, haben die Tendenz, von der außenpolitischen Bedeutung des Reiches (zu der ja der Gegensatz gegen Frankreich unaufhebbar gehört) abzulenken und zunächst eine ,,innere Ordnung des Reiches" nach dem Reichsprinzip, d. h. unter Schwächung der staatlichen Elemente zugunsten der privaten Elemente- [sie] durchzuführen. Man erstrebt offenbar politisch eine Regenerierung des Parteiwesens und des Parlamentes, man erstrebt sozi57 a) .(SL) Es handelt sich um die Vorträge auf der Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1933 in der Handelshochschule Berlin. C. S.s. Vortrag (,,Bund und Reich als Probleme des öffentlichen Rechts") liegt nicht gedruckt vor, seine Kernfrage lag jedoch seiner Kölner Antrittsvorlesung vom 20. Juli 1933 zugrunde: ,,Bund und Reich als Probleme des öffentlichen Rechts", in op. cit. [FN 22: Positionen und Begriffe], S. 190-198. A. Koenen zufolge soll C. S. in besagter Rede sein ,Arcanum' preisgegeben haben, nämlich seine Vision vom Reich: op. cit. [FN 6], S. 212. - b) (PT) Über den Staatsrechtier Rudolf Smend (1882-1975), vgl. u. a. Hermann Raschhofer, ,,Rudolf Smends Staatstheorie", in: DV, 13. Jahrg., Nr. 6, Juni 1931, S. 420-427, sowie Schmittiana III, S. 140. Sein Vortrag handelte über: Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht, Berlin: Preußische Druckerei- und Verlags-Aktiengesellschaft, 1933, 24 S. 58 (SL) Vgl. W. S.s. Rezension: ,,Friedrich Muckermann S. J., Der Mönch tritt über die Schwelle", in: DV, 15. Jahrg., Nr. 2, 2. Januarheft 1933, S. 90-91. Über diesen Jesuiten vgl. Hubert Gruber, Friedrich Muckermann S. J. 1883-1946. Ein katholischer Publizist in der Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist, Mainz: Mattbias Grünewald, 1993, LII - 395 S., Nr. 13, in den, Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. -Reihe B.: Forschungen' (es handelt sich um die Buchausgabe einer Eichstätter Dissertation vom Jahre 1991).

46

Siegfried Lokatis

al eine Beseitigung des "Klassengegensatzes" durch einen neuen sozialen Aufbau, wobei die Gewerkschaften59, da sie Kampfgruppen sind und die vorhandenen Interessengegensätze zum Ausdruck bringen, störend wirken und zutiickgedrängt werden müssen. Das Grundprinzip ist überall "Befriedung" und infolgedessen Aufhebung, bezw. Verkleisterung der Gegensätze. Ein befriedigtes Deutschland ist dann freilich auch außenpolitisch ein ungefährliches Deutschland. Da ,,Friede und Gerechtigkeit" die Grundprinzipien des Reiches sind, so ist die Anknüpfung an den Reichsgedanken natürlich leicht. Mir scheint der Rückzug aus der Außenpolitik in diesem Zusammenhang gefährlich. Wenn das Volk sich jetzt aus der Außenpolitik zutiickzieht, so scheint mir das deshalb so gefährlich, weil in der Regierung dieselbe Rückzugstendenz ist. Freilich aus andem Motiven. Man wird den weltgeschichtlichen Gegensatz gegen unseren Bruder - Deutschland und Frankreich sind von Anfang an zu viel in der Welt, aber eben auf dem Prinzip beruht das Leben, das immer "zuviel" da ist - aufgeben zugunsten des zugedtiickten Auges angesichtsunserer kommenden Geltung60• Noch eine hübsche Kleinigkeit: Mein neuer Prozeß gegen Dr. Loewenfeld hat eine Sache zutage gefördert, die auch Sie interessieren wird. Der Dr. Feuchtwanger,61 den Loewenfeld als seinen Freund bezeichnete und der ihm den vorigen Prozeß (gegen Günther und mich) im C.V.-Verein62 literarisch vorbereiten half, istder Geschäfsführer von Duncker & Humblot in München. Daher also kannte Herr Dr. Loewenfeld in dem Gespräch mit Günther Sie so gut. 63 Die Welt ist klein und es finden sonderbare Begegnungen in ihr statt. Mit herzlichen Gtiißen Thr sehr ergebener Wilhelm Stapel

59 (SL) Damit waren nicht nur die Interessen des DHV berührt. Schleichers [FN 46] vom DHV unterstützter Versuch, gegen Hitler und Hugenberg [FN 43] ein Bündnis zwischen Reichswehr, dem Strasser-Flügel und der NSDAP und den Gewerkschaften zu schmieden (die sog. ,Querfront'), war immer noch aktuell. 60 (SL) Zu W. S.s. außenpolitischen Vorstellungen vgl. H. Keßler, op. cit. [FN 34], S. 6571 und 128-133. 61 (PT) Der mit C. S. befreundete Ludwig Feuchtwanger (1885-1947), Bruder des bekannteren Romanciers Lion Feuchtwanger (1884-1958), war vor 1933 Chef-Lektor des Verlags Duncker & Humblot; vgl. Schrnittiana II, S. 152, FN 17a. 62 (SL) Gemeint ist der 1893 gegründete Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e. V., der seit 1921 die "CV-Zeitung" herausgab. 63 (SL) Vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 50.

47

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

5 C.S.anW.S. 23. 1. 1933 Sehr verehrter Herr Dr. Stapel ! Vielen herzlichen Dank für Thren Brief vom 19. Januar; auch für Thren Neujahrsbrief habe ich noch nicht gedankt. Ich habe mich herzlich gefreut über beide Briefe und jetzt in der Eile nur die Befürchtung, daß die wenigen Wochen meines Berliner Aufenthaltes vorübergehen, ohne daß wir uns noch einmal getroffen hätten. Was kann man tun, um Sie zu bewegen, mich bald in Berlin zu besuchen? Dann könnte ich llinen auch erzählen, was ich an Leon Bloy64 bedeutungsvoll finde und die anderen Mitteilungen Threr Briefe mit llinen besprechen. Nur noch schnell eine Anregung: Wäre es nicht schön, wenn Sie aus der großartigen, vielbändigen Hymnologie von Dreves und Blume65 , in der sich zahlreiche herrliche lateinische Hymnen finden, einmal eine schöne Auswahl mit schöner synoptischer Übersetzung machten? Der Sinn meiner Reichsgründungsrede vom 18. Januar war der, den gefährlichen staatsschwächenden Gebrauch des Wortes ,,Reich" zu zerstören und ebenso des Wortes "Bund". Bei dem jungen Heget ist deutlich zu sehen, wie er aus dem Reich in den Staat flüchtet. Die Frage auch der Beziehung dieser beiden Begriffe, wozu noch als Drittes die nach dem Bunde kommt, war der Gegenstand meiner Rede, über deren Inhalt ich llinen hoffentlich bald mündlich Näheres berichten kann. Daß das Berliner Tageblatt und ein sozialdemokratische Professor Nölting 66 im Preußischen Landtag versucht hat, aus meiner Berufung nach Köln ein Pendant zu den Fällen Cohn und Heller67 zu konstruieren, hat mir nicht weh getan. Daß aber nationalsozialistische Zeitungen dabei mitgemacht haben, kann einen allerdings traurig stimmen. 64 (PT) Über den französischen Konvertiten Uon Bloy (1846-1917), vgl. Schmittiana m, S. 83, FN 28 Punkt a).- Vgl. FN 128. 65 (SL) Die Mediävisten Guido Dreves S. J. (1869-1905) und Clemens Blume S. J. (1862-1932) gaben 1886-1922 in Leipzig 55 Bände ,Analecta Hymnica Medii Aevi' heraus. 66 (PT) Der in Plettenberg geborene Wilhelm Erik Nölting (1892-1953) war 1923 an der Akademie der Arbeit in Frankfurt a. M. tätig, wurde 1928 im preußischen Landtag gewählt und amtierte 1946-50 als Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen. Vgl. Paul Noack (geb. 1925), Carl Schmitt. Eine Biographie, Berlin: Propyläen, 1993, 360 S.; dort S. 155, sowie den Nachruf in: Munzinger-Archiv, Nr. 33 vom 22. August 1953, S. 12621262a, und das Manuskript der Sendung des Westdeutschen Rundfunks vom 15. Juli 1988 (8 hektographierte S.). 67 a) (SL) Vgl. W. S., ,,Zum Fall Cohn-Breslau", in: DV, 15. Jahrg., Nr. 2, 2. Januarheft 1933, S. 87-89. - b) (PT) Welcher Cohn anvisiert ist, ist der Glosse W. S.s nicht zu entnehmen. -Über den Staatsrechtier Hermann Heller (1891-1933), vgl. den Sammelband von Christoph Müller (geb. 1927) und Ilse Staff(geb. 1928) (Hrsg.), Staatslehre in der Weimarer Republik. Hermann Heller zu ehren, Frankfurt a. M.: Suhrkamp (1984), Taschenbuchausg. = 1985, 223 S., Nr. 547 in der Reihe ,Suhrkamp Taschenbuch', sowie Schmittiana IV, S. 166, FN 42. Vgl. auch FN 28, sowie Schmittiana IV, S. 166, FN 48.

48

Siegfried Lokatis

Den beiliegenden Vortrag68 schicke ich wegen der Bemerkung aufS. 141. Herzliche Grüße Thres stets ergebenen Carl Sehnlitt

6 Aus dem Tagebuch C. S.s ,,Montag 30. 1. 33 . .. Abends kam Wilhelm Stapel, setzte sich an mein Bett und trank mit mir eine Flasche Rotwein. Wir sprachen über Preußen. Er meinte, Hindenburg69 ist kein wahrer Preuße. Stapel ist ein sympathischer, lieber Kerl. Er ging gegen elf Uhr."

7

W. S. an E. G. Kolbenheyer: Auszug 4.2.1933 ... Um 3/4 8 Abendbrot am Potsdamer Platz. Dann Teile des Fackelzuges gesehn. Um 3/4 9 fuhr ich zu Professor Carl Schmitt, dem bekannten Staatsrechtler. Er lag mit Grippe zu Bett, bestand aber telephonisch auf mein Kommen. Bis 12 1/ 4 ein sehr anregendes Gespräch an seinem Bett, accompagniert von zwei Flaschen Rheinwein. Dann fuhr ich in die innere Stadt zurück und betrachtete mir die nachwirkende ungeheure Erregung .. .

8 W. S. an E. G. Kolbenheyer: Auszug 11. 6. 1933 ... Prof. Carl Schmitt, der Staatsrechtler, hat mich eingeladen, bei ihm in Köln zu übernachten, damit ich den Vormittag mit ihm zusammen sei. Carl Schmitt hat ja wesentlich das Statthalter-Gesetz mit geschaffen70, er ist so eine Art Kronjurist der Regierung Hitler. Jetzt sind er und seine Schüler am Aufbau einer ständischen Ordnung mit beteiligt. Er ist ein sehr geistvoller, jüngerer Gelehrter, der auch bei seinen Gegnern Ansehn genießt. Er ist Katholik, aber ohne Glauben, wie mir 68 (SL) Der Aufsatz ist nicht identifizierbar. Vielleicht handelt es sich um die Urfassung des Vortrags vom 18. Januar 1933? 69 (PT) Feldmarschall Paul von Hindenburg und Beneckendmff(l847-l934) trat 1925 die Nachfolge des Sozialdemokraten Friedeich Ebert ( 1871-1925) als Reichspräsident an und wurde 1932 wiedergewählt 70 (PT) Zur Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes vgl. P. Noack, op. cit. [FN 66], S. 171177 (Auszüge aus C. S.s Tagebüchern).

Wilhelm Stapel und Carl Sehnritt - Ein Briefwechsel

49

scheint. Die Zentrumsleute (KaasF 1 und die Jesuiten hassen ihn wegen seines Nationalismus. Es ist freilich so, daß diese ungläubigen Katholiken, die doch ihren Katholizismus nicht aufgeben, einen mephistophelischen Zug bekommen. Ich habe den Eindruck, daß Schmitt sich gerade wegen meines radikalen Luthertums für mich interessiert. Er kannte nichts von Luther und ist durch mein Luther-Kapitel im "Christi. Staatsmann"72 beeindruckt. Seine Hauptschüler sind Protestanten. Jedenfalls ist Schmitt eine höchst interessante und bedeutende Erscheinung. Er liebt besonders die nächtlichen Debatten mit Günther73 •••

9

W. S. an E. G. Kolbenheyer: Auszug

18.6.1933 Prof. Carl Schmitt in Köln, der nationalsozialistische Kronjurist (sozusagen) ließ mich, da es mit den Zügen nicht paßte, nachts um 11 114 mit dem Auto von Bonn nach Köln holen. Er war gerade erst aus Berlin gekommen und hatte am folgenden Nachmittag seine erste Kölner Vorlesung zu halten. (Früher war er in Bonn, dann an der Handelshochschule in Berlin.) Es war ein sehr interessanter Vormittag bei Schmitt. Wir gingen bei dem prachtvollen Wetter im Stadtpark spazieren. Es ist bei den Staatsrechtlern dasselbe wie bei den Germanisten- von denen mir Dr. Teske 14 aus Heidelberg erzählte-: bis auf vereinzelte sind sie alle "Miesmacher" geworden. Alte deutschnationale Professoren setzen sich jetzt für beurlaubte Juden ein, aus purem Ressentiment gegen den Nationalsozialismus. Diese alte Generation sabotiert geradezu den neuen Staat . . . Diese alten Volksparteiler, Deutschnationalen usw. wachsen sich zu einer Gefahr aus, auch dann, wenn sie sich das Hakenkreuzzeichen erwerben. Ich glaube, noch im Laufe eines Jahres wird der Hitler-Staat eine schwere Fronde zu bestehn haben. Sie kommt nicht nur von den Juden, sondern auch von den Hugenbergianern, die sich den nationalen Staat anders gedacht hatten. Die Nazi sollten die schmutzige Vorarbeit tun, und dann wollten sie machen, was Hitler usw. nicht könnten: regieren. Und nun stehn sie nebenbei und Hitler regiert, regiert famos. Das empört die Leute: Dann schon lieber Cohn und LevP5 als Hitler. Diese alte Garde ist bösartig. Schmitt wird jetzt von zwei Seiten be71 (PT) Über den Führer des Zentrums, den Prälaten Ludwig Kaas (1887-1952) vgl. P. Noack, op. cit. [FN 66], S. 159-162, sowie Schmittiana IV, S. 65, FN 54, und infra S. 260. n (SL) W. S., op. cit. [FN 38]. 73 (SL) Über A. E. Günther vgl. FN 33. 74 (PT) DV-Autor Hans Teske (geb. 1902; seit 1945 als vermißt gemeldet) lehrte 1928 in Heidelberg, ab 1934 in Hamburg. Er galt als Flamenfreund; vgl. seine Broschüre (die C. S. besaß), Die Überwindung des Provinzialismus in der flämischen Literatur, Briissel: Verlag De Lage Landen, 1943, 53 S., Nr. 1 in der Reihe ,Veröffentlichungen des Deutschen Instituts Briissel - Kleine Schriften'. 75 (PT) Gemeint ist sicherlich Paul Levi (1883-1930), zeitweilig Vorsitzender der KPD (= Kommunistische Partei Deutschlands), dann Reichstagsabgeordneter für die SPD. Im sog.

4 Schmittiana V

50

Siegfried Lokatis

kämpft: von den Juden und von seinen nationalen Kollegen, denen er den Schmerz angetan hat, Hitler staatsrechtlich zu beraten ...

10 C.S.anW.S. Köln, 19. 6. 1933 Sehr verehrter, lieber Herr Dr. Stapel, auch wir haben Thren Besuch in schönster Erinnerung und freuen uns auf den nächsten. Das letzte Heft des "Volkstum" ist wieder sehr voll und substanziell. Es wäre doch schade, wenn Sie zur Ein-Monats-Zeitschrift zurückkehrten76 . Das Bild von Ho/stein, das W. Frank77 gibt, ist erschütternd; alles verwesende Menschen, diese Holstein, Bülow, auch Eulenburg18 , der aber doch eine auszeichnende Besonderheit dadurch erhält, daß er das Opfer eines Harden79-Prozesses wurde. Alle diese Prozesse müssen neu dargestellt werden. Ich will mich gern nach den richtigen Leuten umsehn. Die Adresse von Pfarrer Dr. Heinrich Oberheit/0 ist: Asbach (Westerwald). Viele Grüße an A. E. Günther. Sagen Sie ihm bitte, Ludendarfis Kampf gegen die evangelische Kirche81 sei der Vernichtungsdrang des Führers, der zum "Töter" Joms-Prozeß (1922) trug er dazu bei, daß der Hintergrund der Morde an Rosa Luxemburg (1870 [oder 1871 ?] - 1919) und Karl Liebknecht (1871 - 1919) weitgehend gelüftet wurde. Über ihn, vgl. Sibylle Quack (geb. 1951), ,,Paul Levi (1883-1930). Politischer Anwalt und sozialistischer Politiker", S. 131-140, in Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition (gleichzeitig Festschrift für Jürgen Seifert: vgl. in diesem Band, S. 110-111), Baden-Baden: Nomos, 1988, 500 S. 76 (SL) W. S. suchte anscheinend die Hilfe C. S.s, um die Kürzung des DV durch den Verlagschef B. Ziegler zu verhindern. Zur Beschleunigung des Erscheinungsrhythmus des DV 1932, an der C. S. indirekt beteiligt war, vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 34- 35. 77 (SL) W. Frank [FN 19], ,,Fritz von Holstein", in: DV 15. Jahrg., Nr. 12, 2. Juniheft 1933, S. 498-507. -Geheimrat Friedrich August von Holstein (1837-1909) galt von 1876 bis 1906 als die graue Eminenz des Auswärtigen Amtes; er soll am Sturz des Fürsten Otto von Bismarck (1815-1898) die Hand im Spiel gehabt haben und hat auf die damalige deutsche Marokkopolitik lange Zeit bestimmend eingewirkt. 78 a) (PT) Bernhard Fürst von Bülow (1849- 1929) amtierte als Nachfolger von Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819-1901) 1900-1909 als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident.- b) (SL) Philipp zu Eulenburg und Hertefeld (1847-1921) gehörte dem Umkreis um Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) [FN 79] an; vgl. Ludwig Sehemann (1852-1938), ,,Philipp zu Eulenburg", in: DV, 15. Jahrg., Nr. 12, 2. Juniheft 1933, S. 508514. 79 (SL) Zu Maximi1ian Harden (eig. Witkowski; 1861-1927), vgl. Schmittiana IV, S. 105, FN 58. Vgl. auch BriefNr. 27 vom 28. Mai 1940. 80 (SL) Über Heinrich Oberheid (1895-1977), vgl. Schmittiana IV, S. 121, FN 7 Punkt b) und in diesem Band, S. 9.

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

51

wird, wie das Gespensterpferd, von dem er mir erzählte. Im Oktober 1918 hat das deutsche Volk, aus religiösem Versagen, Wilson und Rathenau82 geglaubt und Ludendorff die Gefolgschaft verweigert. Mit herzlichen Grüßen bleibe ich stets Thr Carl Schmitt

11

w. s.anc. s. 28. 7. 1933 Sehr verehrter, lieber Herr Professor, Just war der Brief an Sie fort, da bringt mir die Post ein gedrucktes Rundschreiben "72 Leitsätze zur judenchristliehen Frage" von Professor Pfarrer Dr. Hans Ph. Ehrenberg, Bochum i. W. Neustr. 15.83 Das ist eine unerhörte judenchristliche Prä81 (PT) Damit sind die sektiererischen Bestrebungen im Sinne Mathilde Ludendarfis (geb. Spiess; 1877-1966) gemeint. Vgl. die Glosse von W. S., ,,Mathilde dichtet auch", in: DV, 16. Jahrg., Nr. I, I. Januarheft 1934, S. 38-39.- Vor allem Winfried Martini (1905-1991), Die Legende vom Hause Ludendorff, Rosenheim: Inngau-Verlag, o. J. 1949,98 S.- Es sei darauf hingewiesen, daß C. S. a) informationshalber Hefte der Ludendorff-Zeitschrift ,,Am heiligen Quell deutscher Kraft" gelesen hat; b) mit W. Martini in Verbindung stand (in seinem Nachlaß befinden sich aus der Periode 1952-78 75 Briefe, 3 Postkarten und 1 Telegramm von Martini, sowie aus der Periode 1952-60 Kopien von 7 seiner an Martini gerichteten Briefe: op. cit. [FN 2], S. 106). Martinis Buch: Das Ende aller Sicherheit. Eine Kritik des Westens, Stuttgart: OVA, 1954, 376 S., veranlaßte den Politologen Dolf Sternherger (1907-1989) zu einer ausführlichen Erwiderung: "Das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Lehren und Irrtümer eines aufrechten Defaitisten der Demokratie", in: Die Gegenwart, 9. Jahrg., Nr. 22, 23. Oktober 1954, S. 687-690. Martini antwortete mit einem ,Brief' in: Die Gegenwart, 9. Jahrg., Nr. 23, 6. November 1954, S. 722-724. In dieser Diskussion wurden Ansichten C. S.s herangezogen. 82 (PT) a) Thomas Woodrow Wilson (1856-1924) war der 28. Präsident der U.S.A. Dieser Sohn eines presbyterianischen Geistlichen proklamierte 1918 seine berühmten 14 Punkte, weswegen er 1920 den Nobelpreis für den Frieden erhielt. b) Der Präsident des Aufsichtsrates der AEG (=Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft) Watther Rathenau (1867-1922) hat sich als Autor zeitkritischer Bücher und erst recht als Organisator der Kriegswirtschaft (mit der Hilfe des AEG-Ingenieurs Richard Georg von Moellendorff, 1881-1937) und Politiker (Befürworter der sog. Erfüllungspolitik) einen Namen gemacht. Zu seiner Darstellung durch C. S., vgl. I. Villinger [FN 2], Carl Schmitts Kulturkritik der Moderne. Text, Kommentar und Analyse der ,Schattenrisse' des Johannes Negelinus, Berlin: Akademie Verlag, 1995, 361 S. (es handelt sich um die Buchausgabe einer Freiburger Dissertation; Doktorvater: Prof. Dr. Wolfgang Jäger [geb. 1940]); dort S. 191-200. 83 a) (SL) Der Hinweis findet sich in W. S., "Kampf um die evangelische Kirche" in: DV, 16. Jahrg., Nr. 1, I. Januarheft 1934, S. 33-36; dort S. 35.- b) (PT) Pfarrer Hans Ehrenberg (1883-1958), Sohn eines Altonaer jüdischen Bankkaufmanns, wurde mit 26 Jahren evangelisch getauft und stand 1924 zum ersten Mal auf der Kanzel. Im Juli 1933 veröffentlichte er in der 6. Pfarrstelle der Altstattgemeinde Bochum "72 Leitsätze zur judenchristliehen Frage", die er mit fünf westfälischen Kollegen formuliert hatte. Er gilt als einer der wichtigsten Män-

4*

52

Siegfried Lokatis

potenz. Dieser jüdische evangelische Pfarrer beginnt: "Im Namen des Vaters Jesu Christi, des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs." Ecco! Und da soll man nicht die Eselsköpfe der evangelischen Generalsuperintendenten und Professoren packen und gegeneinanderstoßen! Ich habe diesen Ehrenberg schon seit zwölf Jahren unter Argwohn. Unsere Theologen haben dieses Unkraut begossen und gepflegt, jetzt erstrahlt es in gelber Frechheit. Ich werde mir diesen Burschen im D.V. vorkriegen. Vielleicht besorgen Sie sich das Manifest durch einen Bekannten, ich brauche mein Exemplar zunächst noch selbst. Zugleich damit werde ich Johannes Müller84 schlachten. Ist Ihnen dieser Sachse ein Begriff? Schloß Elmau, früher Schloß Mainberg. Seelenmassage verkorxter Bildungsbürger und besonders = bürgerinnen. Der hat unter dem üblichen Geschmeichel für Hitler einen philosemitischen Schrieb in seinen "Grünen Blättern" losgelassen. Das ist ein Schleim! Ich lege Ihnen streng vertraulich die Abschrift eines (handschriftlichen) Briefes von August Winnil 5 bei. Bitte um Rückgabe nach der Lektüre. (Nebenbei: Warum nützt der Staat den herzenstreuen Winnig nicht? Der hätte, einen energischen S.A.Mann als Treiber zur Seite, die Gewerkschaftsfrage ganz anders und viel besser gelöst als Dr. Ley, der für das auf diesem Gebiet Notwendige offenbar gar kein Organ hat. Die große Veranstaltung Ley's vor acht Tagen hier in Harnburg war eine einzige riesige Ungeschicklichkeit. 86) Ich höre, daß der Jenenser Privatdozent Dr. Hans Michael Müller87, der kommissarische Leiter des Ev. Preßverbandes, ein Sohn Johannes Müllers sei! Auch das ner der ,Bekennenden Kirche' und landete im KZ Sachsenhausen. Nach seiner Entlassung im Jahre 1939 emigrierte er über Holland nach England, kehrte jedoch 1947 nach Deutschland zurück. Diese Auskunft verdanke ich dem Stadtarchiv Bochurn (Sendung vorn 29. August 1995). 84 (SL) Über Johannes Müller (1864-1949) und seine (noch immer existierende) Gründung, vgl. Schrnittiana ill, S. 158, FN 9 und die Ergänzungen dazu in Schrnittiana IV, S. 302, sowie das Büchlein von Bernhard Müller, Vorn Wesen der Elrnau, Schloß Elrnau: Verlag der grünen Blätter, o. J., 76 S. Der Leser erfährt u. a., daß Müller ab 1897 die vierteljährlichen "Blätter zur Pflege persönlichen Lebens" herausgab, die später in "Grüne Blätter" geändert wurden; es sind insgesamt 43 Jahrgänge erschienen (vgl. dort S. 15 und 43). 85 (PT) Über A. Winnig, vgl. FN 30. 86 (SL) Dazu diesen Auszug aus W. S.s Brief an E. G. Kolbenheyer vom 28. Juli 1933: "Ein gewerkschaftserfahrener Führer hätte die Veranstaltung an einem der Tage von Montag bis Freitag gemacht, und zwar nachrn. um 6 ... Das hätte das sozialistische Herz erfreut. Man wäre schon während der Arbeitszeit marschiert . .. Der unselige Ley [FN 9 Punkt b)], ein Akademiker und Redakteur, sucht sich statt dessen den Sonnabend-Abend aus. Und in der heißesten Jahreszeit .. Alle haben eine Wut im Leibe auf den Dr. Ley. Aber alles schweigt, denn eins versteht der Ley: Angst einzuflößen ... Warum hat man nicht den erfahrenen Winnig an die Spitze des Gewerkschaftsaufbaues gestellt. Er ist, fürchtet man, etwas weich. Dann hätte man ihm einen handfesten, energischen Mann zur Seite stellen müssen." 87 (SL) Über Hans-Michael Müller (1901- 1989), vgl. Schrnittiana Il, S. 158, FN 5, und die Ergänzung dazu in Schrnittiana IV, S. 302. Dem ist hinzuzufügen, daß er eine "Elrnauer Chronik 1933-1949" verfaßt hat (1950).

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

53

noch ! Da er Anhänger der Grisebachschen Philosophie ist, kommt er vielleicht via Forsthoff herein ?88 Aber auf keinen Fall dürlte Dr. Hinderer89 Leiter des Preßverbandes sein. Ich habe ihn im Verdacht einer allzu unkritischen Finanzgebahrung, er scheint mir etwas Gründematur zu sein. Doch läßt sich so etwas von außen nicht nachweisen. Seit dem Dewaheim-Skandal90 scheint man solider geworden zu sein. Eine ganz schlimme Nummer ist der Kieler Konsistorialrat Christiansen91 • Jetzt Pg. und Deutscher Christ! Ich bin im Besitz eines größeren Briefwechsels (abschriftlich), der seine frühere unterirdische Verbindung mit der Sozialdemokratie und zu Severing92 hin beweist. Er sollleider das Vertrauen des nat. soz. Oberpräsidenten Lohse93 haben. Problem: Wie mache ich meine Kenntnisse dieser Art nützlich? Die Leute, die sich vor meinen in 14 Jahren gesammelten Kenntnissen fürchten, diffamieren mich vorsorglich in der Partei. Nun, ich kann warten. Mich anzufassen wagen diese Gegner ja auch nicht. Ich warte drauf. Entschuldigen Sie diesen langen Postskriptbrief. Aber es schien mir nach einiger Überlegung gut, Sie auf solche Dinge aufmerksam zu machen, da Sie Verbindung mit Wehrkreispfarrer Müller94 haben. Ich sage das ganz offen. Mit herzlichen Grüßen Ihr Wilhelm Stapel 88 a) (SL) Der Philosoph Eberhard Grisebach (1880-1945), Schüler von Rudolf Christoph Eucken (1846-1926), war damals Professor in Jena.- b) (PT) Der im Brief gemeinte Forsthoff ist nicht der C. S.-Schü1er E. Forsthoff [FN 20], sondern dessen Vater, der evangelische Theologe (und Pfarrer) Heinrich Forsthoff(1871-1942; vgl. Schmittiana IV, S. 261, FN 3). 89 (SL) Der evangelische Theologe August Hinderer (1877- 1945) organisierte seit 1919 den Reichsverband der evangelischen Presse. Er war obendrein Honorarprofessor für Zeitungswesen an der Berliner Universität. 90 (SL) Gemeint ist ein Anfang der dreißiger Jahre bei der Inneren Mission vorgekommener Bauskandal (mündliche Mitteilung durch Prof. Hans Bolewski, Hannover). 91 (SL) Konsistorialrat Nikolaus Christiansen (1891-1973), 1921-1930 Kieler Jugendpfarrer, hatte eine führende Stellung unter dem Reichsbischof Ludwig Müller (FN 94) inne (mündliche Mitteilung durch Prof. Bolewski, Hannover). 92 (PT) Der sozialdemokratische Politiker Car1 Severing (1875-1952) war 1907- 11 Mitglied des Reichstags, 1920-26 und 1930-32 preußischer Innenminister. Nach 1945 bekleidete er mehrere Funktionen in der SPD. 93 (SL) Hinrieb Lohse (1896-1945) wurde 1925 Gauleiter der NSDAP Schleswig-Holstein, im September 1933 Oberpräsident derselben Provinz, im November 1941 Reichskommissar für das Ostland (Riga). 94 (SL) Wehrkreispfarrer L. Müller (1883-1945; vgl. FN 91) wurde erst im September 1933 zum ,Reichsbischof' gewählt. Er war preußischer Staatsrat, wie C. S., eine Funktion, die W. S. jedenfalls überschätzte.

54

Siegfried Lokatis

Noch ein Postskript: A. E. Günthers Angebot, für Studenten an der Universität eine Vortragsreihe über Carl Schmitts Staatslehre zu halten, ist an dem Nicht-wollen Professor Reins95 gescheitert, der, als einer der neuen Pgs, das entscheidende Kommissariat für die Hamburger Universität hat. Natürlich versteckt man sich dahinter, daß Günther halt nicht Privatdozent ist. 12 W. S. an E. G. Kolbenheyer: Auszug

8.8.1933 ... Auf meine Kirchenbroschüre96 bekam ich einen sehr freundlichen Brief von dem Staatsrechtier Prof. Dr. Carl Schmitt, dem preußischen Staatsrat ... 13 W. S.anC.S.

Sehr verehrter, lieber Herr Professor!

28. 8. 1933

Von Ihrem Freunde, Professor Hermann Heller, erhalte ich, ohne Anrede und Schlußformel, folgenden Erguß, den ich Ihnen mitteilen möchte, da Sie vielleicht einen ähnlichen Genuß daran haben werden wie ich: ,,Sie haben - bezeichnenderweise nach dem 30. Januar - mich nicht nur in ungerechtfertigter Weise angegriffen97 , sondern in einer Berichtigung vom 2. 4. 33 überdies ein solches Maß von bewußter Verlogenheit und Niederträchtigkeit an den Tag gelegt98, daß ich mich angesichts einer solchen Kampfmethode als Jude für geschlagen und als Deutscher - der ich trotz allem bin und bleibe - für tief beschämt erkläre." Ich werde diesem Halunken noch einen Schmerz antun: Ich werde diese Exhibition seiner Wut mit einer Glosse99 veröffentlichen. Ich denke, wenn man solche Burschen zu solchen Äußerungen bringt, so verdient man sich damit einen Platz im Himmel. Herzliehst Ihr sehr ergebener Wilhelm Stapel 95 (PT) Gemeint ist Adolf (später: Gustav Adolf) Rein (1885-1979), Professor für Mittlere und NeuereGeschichte und von 1934 bis 1938 Rektor der Universität von Hamburg. 96 (SL) W. S., Die Kirche Christi und der Staat Hitlers, Hamburg: HAVA, 1933, 89 S. 97 (SL) W. S., art. cit. [FN 67]. 98 (SL) W. S., "Herr Professor Heller", in: DV, 15. Jahrg., Nr. 8, 2. Aprilheft 1933, S. 351352. 99 (SL) W. S., "Hermann Heller in heller Wut", in: DV, 15. Jahrg., Nr. 18, 2. Septemberheft 1933, S. 79;3-794.

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

55

14 C.S.anW.S. 1. 9. 1933

Sehr verehrter, lieber Herr Dr. Stapel,

Ich freue mich sehr auf Ihre Glosse zu dem Wutschrei des abgeschüttelten Parasiten. Ich selber habe auch eine Karte von ihm bekommen, folgenden Wortlautes: Santander, am 17. 7. 1933 Zu der so überaus wohlverdienten Ehrung durch Herrn Ministerpräsidenten Göring100 beglückwünscht Sie Hennann Heller. Die juristische Fakultät Frankfurt setzt sich lebhaft zugunsten Hellers ein; erbezieht sein Gehalt weiter! Die Vereinigung deutscher (!) Staatsrechtslehrer, aus der ich ausgetreten bin, behandelt ihn als Mitglied und Standesgenossen. Es ist sehr traurig und eine große Schande. Ein Straßenredner widerwärtigster Art steht den liberalen und freikonservativen Professoren näher, als irgend ein Deutscher- nur aus Respekt vor dem jüdischen "Geist", dessen Hysterie diese Trottel sich als "Temperament" und dessen Schlamperei und Schludrigkeit sie sich als überlegene "Großzügigkeit" aufschwatzen lassen. Schreiben Sie eine schöne Glosse, zum Trost für einige anständige Deutsche. Ich war einige Tage mit A. E. Günther im Sauerland. Hoffentlich erzählt er Ihnen davon, damit Sie es endlich auch kennen lernen. Es ist der Kriegsschauplatz der Sachsen und Karls des Großen - heute noch. Heil Hitler! Immer Ihr Carl Schmitt Herzliche Grüße A. E. Günther

15 W. S.anC.S. Sehr verehrter Herr Staatsrat!

12. 9. 1933 101

Darf ich Sie auf eine interessante Tatsache aufmerksam machen, die mir aufging, als ich in Grüters demnächst erscheinenden Aufsatz 102 gegen das evangelische Konkordat las: der Staat Hitlers habe alle Pluralismen überwunden, den Pluralismus der Länder, der Gewerkschaften, der Konfessionen usw. Ich möchte Sie 100 (PT) C. S. war am 11. Juli 1933- also an seinem 45. Geburtstag- vom preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring (1893-1946) zum Preußischen Staatsrat ernannt worden. 101 (SL) Wie bereits gesagt [FN 48], mißt A. Koenen diesem Brief, der die PolykratieThese vorwegnimmt, zentrale Bedeutung bei. 102 (SL) Friedrich Grüter (Ps. von E. Forsthoff [FN 20], "Gegen ein evangelisches Konkordat", in: DV, 15. Jahrg., Nr. 18, 2. Septemberheft 1933, S. 788- 790.

Siegfried Lokatis

56

auf das Entstehen eines neuen Pluralismus aufmerksam machen: den Pluralismus der Führer und der persönlichen Gefolgschaften. Ich beobachte die Erscheinung und in Italien 103 habe ich genau dasselbe gefunden, vielleicht bin ich dadurch erst auf diese Dinge aufmerksam geworden - , daß jeder Führer ein Personalgebiet mit bestimmter Reichweite hat. Wenn ein Führer in seiner Reichweite einen Menschen verfolgt oder erhebt, so ist keine Macht imstande, die Verfolgung oder Erhebung noch so ungerecht, ihm den Willen zu wehren. Ich habe etwas ähnliches beobachtet in dem früheren Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband 104, der ja sehr autoritär regiert wurde. Da im Führerkreis einer auf den anderen Rücksicht nehmen muß, schon aus Prestigegründen, so ergibt sich eine weitgehende Unabhängigkeit jedes Führers, in gewissem Umfang auch vom übergeordneten Führer. Dieser Pluralismus würde die für den Staat erträglichen Grenzen erst überschreiten (die für den Einzelnen erträglichen Grenzen mag er zuweilen auch sonst überschreiten), sobald Hitler nicht mehr wäre. Dann würde der Pluralismus der Diadochen total werden. Ich muß angesichts dieser Dinge immer an die Entwicklung im römischen Kaiserreich denken. Den Gedanken öffentlich zu behandeln, ist nicht angängig 105 . Aber ich möchte Sie auf diese Gefahr hinweisen und gern Ihre Meinung darüber hören. Mit herzlichen Grüßen Ihr sehr ergebener Wilhelm Stape1 106 Eben telephonierte Herr Günther aus Meschede, es geht mit seiner Broschüre 107 gut voran. 103

37.

(SL) Zu W. S.s Italien-Reise im Frühjahr 1933, vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 36-

104 (SL) Zum Verhältnis zwischen W. S. und dem DHV, vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 16-19. 105 (SL) Vgl. aber W. S., "Grillparzers Staatslehre. Anmerkungen zur ,Libussa'" in: DV, 15. Jahrg., Nr. 24, 2. Dezemberheft 1933, S. 1030- 1036. Er zitiert dort Sätze wie: "Die Roheit kann des Höhern nicht entbehren", "Doch sollt ich zweinein zweifach Recht erdenken, wollt eher ich an euch euch selbst als Sklaven schenken", "Der Willkür fügt kein Freier sich, kein Mann", und ~nnt den ewigen Spartakismus "die Devastation, an der j eder Staat zugrunde geht". Als erschütternd bezeichnet er die Stelle: "Kann ich nicht wirken in der Zeit, die neu, so will ich segnen euch, das Volk und mich."- (PT) Zu dieser Thematik, vgl. Emil Mika, "Die geschichtsphilosophische Ideenwelt in Grillparzers Altersdramen", in: Der Ring, 5. Jahrg. Nr. 29 (Literaturbeilage), 15. Juli 1932, S. 488-490. 106 (SL) Vgl. dazu den Brief W. S.s an E. G. Kolbenheyer vom I. Dezember 1933: "Du meinst, Hitler werde im April aufräumen? Man sagte, er würde es nach dem 12. Nov. tun. Ich glaube, dieser Stall geht nicht mehr zu ordnen. Wer wagt es, das Erbe zu übernehmen? Es ist von Anfang an durch allgemeine Anwendung des Führerprinzips verpfuscht. Wenn das Prinzip und die Qualität der zu Führern ernannten sich nicht entsprechen, so ist Führerturn eine Fiktion. Wie die Fiktionen der Weimarer Verfassung zur Korruption, so führt die Fiktion des Führerprinzips notwendig zu einer (wenn auch anderen Art der) Korruption. Menetekel! Es wird fürchterlich werden. - Doch es bleibt in der Tat Hitler die einzige Hoffnung, und man muß seine Autorität stärken." 107 (SL) A. E. Günther, op. cit. [FN 33 Punkt a): Geist ... ].

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

57

16 W. S. an Kolbenheyer: Auszug 22. 11. 1933 ... Dann waren wir108 im Hotel Bristol bei Staatsrat Prof. Carl Schmitt, in Verlagssachen. Frau Schmitt und Frau Staatsminister Popitz kamen hinzu, und ich geriet mit der Ministerin, einer klugen älteren Dame, in ein sehr interessantes Gespräch ... 109

17 C.S.anW.S. Berlin-Steglitz, 12. 1. 1935 Sehr verehrter, lieber Herr Dr. Stapel! Thre aphoristische Bemerkung im letzten Heft des Deutschen Volkstums über den Leipziger Prozeß 1932110 veranlaßt mich, Timen das beil. Heft 111 zu übersenden. Vielleicht macht es Timen Spaß; sowas gab es also doch vor 1914, besonders S. 10 eignet sich womöglich für ein Karnevalsheft des "Deutschen Volkstums". In alter Freundschaft Thr Carl Schmitt

(SL) W. S., A. E. Günther und B. Ziegler. a) (PT) Es handelt sich um Frau Comelia Popitz (geb. Slot; 1890-1936). Vgl. über diese aus Holland stammende Frau, P. Noack, op. cit. [FN 66], S. 175-176 (Notiz aus einem Tagebuch C. S.s). Außerdem FN 234. - b) (SL) Bei diesem Treffen wurde der Vertrag über "Staat, Bewegung, Volk" [FN 22] unterzeichnet. Der Brief macht anschaulich, wie W. S. zunehmend an den Rand der Verlagsgeschäfte gedrängt wurde. Es ist auch auffällig, daß sein Briefwechsel mit C. S. für ein Jahr abbricht, er stattdessen vor allem mit B. Ziegler korrespondierte, vorzugsweise über seine Reihe [FN 23]. Vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 1], S. 5253. no (SL) W. S., "Tagebuch", in: DV, 17. Jahrg., Nr. 1, Januar 1935, S. 82-83; dort S. 83: " ... Künftige Zeiten werden vielleicht unsere Kampfmotive nur schwer begreifen. Man sollte ein Museum der Kulturfäulnis der Jahre 1914 bis 1933 einrichten ... ". Außer der Erinnerung an den Reichsgerichtsprozeß sollten dort laut W. S. Zeugnisse von Dadaismus, Jazz, Parisam Kurfürstendamm, Werken A. Kerrs und Tucholskys [FN 26], Nacktkultur usw. aufbewahrt werden. ll1 (SL) F. Pfohl, Höllenbreughel als Erzieher. Auch von einem Deutschen, Leipzig: Reißner, 1981, o. S. - Es handelte sich um eine der vielen gegen Langbehns Buch ([FN 112] gerichteten Streitschriften. 10s

109

58

Siegfried Lokatis

18 W.S.anC.S. 14. I. 1935 Sehr verehrter Herr Staatsrat, lieber Herr Professor. Das ist ja ein curioses Buch. Es war mir völlig unbekannt, denn ich wurde erst 1898 Buchhändlerlehrling. Damals war Rembrandtals Erzieher 112 schon passe, ich habe aber noch ein Exemplar von damals. Höllenbreughel als Erzieher hat sich zweifellos an Heine geschult. Der Verlag Carl Reißner stand zu meiner Zeit in üblem Ansehn, er soll jüdisch gewesen sein. Er dürfte seither an einer seiner Pleiten doch verendet sein. Mit einem Fastnachtheft kommen wir diesmal nicht heraus. Keine Stimmung. Die außenpolitischen Spannungen sind mir zu stark. Wer kann wissen, wie's ausläuft?113 Ich werde mit meinem Leitaufsatz "Gespräch über die Grausamkeit der Schöpfung" 114 einfach nicht fertig. Darum lege ich's bei Seite und schreibe einen anderen Aufsatz "Streit um die Geschichte" 115 • Man könnte das ja auch fastnächtlich behandeln, denn es ist ein fast nächtliches Thema. Aber - ich mache es mir leichter, indem ich ernst bleibe, indem ich mir einen Bart umhänge, vor dem Onckens116 Onkelbärtchen gar nichts ist. Ans Wrk! Ans Wrrrk! Ich habe gar keine Lust Aufsätze zu schreiben. Aber morgen ist Druckerei-Termin. Also ans Wrrkk! kk! Die Konsonanten sind das männliche Element der Sprache. Ach neeh - das wäre das völlige Gegenteil von ns wrk. 117 112 (PT) Julius Langbehn (1851-1907), Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen, Leipzig: Hirschfeld (1890) 1922, VI - 380 S. Das zunächst anonym erschienene Buch hat Furore gemacht: zwischen 1890 und 1902 soll es 22 Streitschriften hervorgerufen haben (ein Beispiel: vgl. FN 111). Vgl. u. a. Clara Menck, "Die falsch gestellte Weltenuhr: Der ,Rembranddeutsche' Julius Langbehn", S. 88-104 in Kar! Schwedhelm (geb. 1915) (Hrsg.), Propheten des Nationalismus, München: List Verlag, 1969, 320 S. 113 (SL) Bezieht sich auf die Saar-Abstimmung vom 15. Januar 1935. Vgl. W. S., "Nach der Saar-Abstimmung", in: DV, 17. Jahrg., Nr. 2, Februar 1935, S. 151-153. 114 a) (SL) W. S., "Die Sandbank", in: DV, 17. Jahrg., Nr. 7, Juli 1935, S. 497-505. W. S.s Gespräch mit einer Robbe über das Leiden der Heringe findet sich auch in seinem, vom bekannten Zeichner A.(ndreas) Paul Weber (1893-1980) illustrierten Buch: Stapeleien, Harnburg: HAVA, 1939, 313 S. [vgl. FN 269]; dort S. 98-114.- b) (PT) Vgl. die lange anonyme Besprechung: "Witz, Satire, Karikatur im Dienste der konservativen Bewegung", in: Der Ring, 3. Jahrg. Nr. 4, 26. Januar 1930, S. 77-78. 115 (SL) W. S., "Streit um die Geschichte", in: DV, 17. Jahrg., Nr. 2, Februar 1935, S. 8997. 116 a) (SL) W. FranksAngriff auf Hermann Onclcen (1869-1945) stand unmittelbar bevor (,,L'Incorruptible. Eine Studie über Hermann Oncken", in: Völkischer Beobachter, Nr. 3435, 3. - 4. Februar 1935, S. 5). Vgl. H. Reiber, op. cit. [FN 19], S. 187-243, besonders S. 201-203. - b) (PT) Der Historiker H. Oncken lehrte in Gießen (1906), Heidelberg (ab 1907), München (ab 1923) und Berlin (ab 1928, bis zu seiner von W. Frank, auf Grund seines 1933 erschienenen zweibändigen Werkes "Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Weltkriegs", 1935 durchgesetzte Zwangsemeritierung).

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

59

Donnerstag komme ich colla mia moglie auf einige Tage a Berlin. Wir wollen, nach so viel Jahren, endlich einmal ruhig die Berliner Museen besehn. Ich hab so großen Hunger nach dem Volkerkunde-Museum. Außerdem besucht Mutti ihren studierenden Sohn. Sonntag Abend wollen wir alle in Kolbenheyers Giordano-Bruno-Aufführungu8, es soll eine gute Besetzung sein. Kolbenheyer selbst wird auch da sein, vermutlich colla sua moglie. Aber ich werde den Besuch der Museen allem andem voransetzen. Gleichwohl ist es Vielleicht möglich, daß ich Sie in der Zeit von Donnerstag bis Sonntag (incl.) sehe? Wir wohnen bei Professor Heinrich Schäferll 9 (dem Direktor des ägyptischen Museums), in Steglitz, Im Gartenheim 3

(äveu -ctJA.etciwij~).

Mit herzlichen Grüßen Thr Wilhelm Stapel Justim Moment schreibt Hirsch-Göttingen (garantiert arisch!), er sei am Sonnabend in Berlin und wolle dann mit mir zu Mittag essen. Da will ich doch sehn, was es gibt 120.

117 (SL) E. Jüngers ,,Lob der Vokale" war erschienen in seinem Sammelband: Blätter und Steine, Hamburg: HAVA, 1934, 226 S; dort S. 44-85. 118 a) (SL) E. G. Kolbenheyer, Heroische Leidenschaften. Die Tragödie des Giordano Bruno. Drei Teile (sechs Szenen), München: Georg Müller, 1929, 111 S.- b) (PT) Giordano Bruno (1548-1600), ein Opfer der Inquisition, .,hat, wie kaum ein anderer Philosoph, die Rechte des einzelnen Menschen verteidigt": Diese These vertritt Ernesto Grassi (1902-1991) in seiner kommentierten Bruno-Anthologie: Heroische Leidenschaften und individuelles Leben, Bern: Francke, 1947, 198 S., Nr. 4 in der Sammlung ,Überlieferung und Auftrag. Reihe: Probleme und Hinweise'; dort S. 10.- Grassi hat obendrein zwei Vorträge veröffentlicht, die im Hinblick auf Positionen und Begriffe C. S.s lesenswert sind: Gedanken zum Dichterischen und Politischen, Berlin: Küpper, 1939, 48 S., Nr. I in der Reihe ,Schriften für die geistige Überlieferung'. 119 (SL) Heinrich Schäfer (1868-1957) war 1914-35 Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin. Er verfaßte 1925 eine zweibändige .,Kunst Ägyptens", die als Band 2 in der Propyläen-Kunstgeschichte veröffentlicht wurde. 12o a) (SL) Es ging anscheinend um einen Angriff des emigrierten Theologen Paul Tillich (1886-1965) auf seinen Jugendfreund und Kollegen Emanuel Hirsch (1888-1972). Vgl. W. S., .,An Herrn Professor Hirsch in Göttingen", in: DV, 17. Jahrg., Nr. 2, Februar 1935, S. 153- 155. - b) (PT) Übef P. Tillich, vgl. die gut informierende Notiz von Rolf Kühn, S. 2513-2515, in Denis Huisman (geb. 1929) (Hrsg.), Dictionnaire des philosophes, Paris: P.U.F., 1984, Bd. 2 =IX S. + S. 1387-2725.- Über E. Hirsch, vgl. Wolfgang Tilgner, Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube. Ein Beitrag zur Geschichte des Kirchenkampfes, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1966, 268 S., Nr. 16, in der Reihe ,Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes'; dort S. 136-157: .,Die national-idealistische Theologie Emanuel Hirschs". Außerdem Brief Nr. 53 vom 28. Januar 1951.

Siegfried Lokatis

60

19 C. S. an W. S., p. Adr. Heinrich Schäfer, Berlin-Steglitz 21. 1. 1935 Sehr verehrter Herr Dr. Stapel, Ich war über das Wochenende verreist. Hoffentlich erreicht Sie diese Mitteilung rechtzeitig. Am Dienstag, den 22. ds. Monats, bin ich mittags und abends in Anspruch genommen, aber wir könnten uns vielleicht nachmittags zwischen 6 und 8 Uhr treffen - am besten bei mir, da ich ja auch in Steglitz wohne. Vielleicht geben Sie mir telefonisch (Albrecht 2824) Nachricht. Mit herzlichen Grüßen Thr sehr ergebener Carl Schmitt

20 C.S.anW.S. 19.6.1935 Sehr verehrter Herr Dr. Stapel, eben les ich den Aufsatz von Günther Krauß über die Ethik der Bourgeoisie 121 , vieles ist streichbar, einige Stellen Josef-Piperisch122; die vielen Lateinworte ärgerlich und müßten übersetzt werden. Aberohne mich einmischen zu wollen - das Ganze doch sehr schön und bedeutend. Schreiben Sie mir doch bitte ein Wort Thres Urteils. Si vales bene est, ego valeo. Carl Schmitt

21 W.S.anC.S. 7. 7. 1935 Sehr geehrter Herr Professor, Vom Urlaub heimgekehrt, den ich diesmal im Harz verbrachte, fand ich Thre Karte. Auf der Redaktion gab mir Herr Günther den Aufsatz von Clemens Lo.ng. Ich habe Herrn Krauß nun geschrieben. 121 a) (SL) Der C. S. Schüler G. Krauß (1911-1989; vgl. Schmittiana IV, S. 119- 120) schrieb unter dem Pseudonym Clemens Lang den Aufsatz "Die törichte Jungfrau' oder: Kleine Ethik der Bourgeoisie", in: DV, I. Jahrg., Nr. 2, Februar 1935, S. 153-155. 122 (PT) Gemeint ist der Münsteraner Philosoph Josef Pieper (geb. 1904; vgl. Schmittiana ill, S. 83, FN 21 und 23), der als Mitarbeiter des Soziologen Johannes Plenge (1874-1963) angefangen und in dieser Eigenschaft ein wichtiges soziologisches Buch geschrieben hat: Grundformen sozialer Spielregeln, Frankfurt a. M.: Knecht (1933) 1948, 116 S.

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

61

Ich bin gern einverstanden, den Aufsatz zu bringen. Freilich sollten die Lateinstellen übersetzt werden, damit nicht, wie ein Herr Koppen über Professor Jordan123, ein Herr Fußen über Clemens Lang im Völkischen Beobachter herfällt. Die Puristen, die sich nicht an Hitler herangetrauen, üben ihren Unmut an weniger gefährlichen Autoren aus. Josef Piper 124 ist mir eine terra incognita. Ein sachlicher Einwand gegen Krauß wäre: der Geiz ist ein Bauernlaster, nicht das Laster des bourgeois. Das Laster des bourgeois ist der Luxus. Das ist ein erheblicher Unterschied. In meinen immer noch nicht geschriebenen "Drei Ständen" 125 möchte ich auch eine kleine Analyse des Luxus geben. In dem Aufsatz ist übrigens wieder viel Geistvolles. -

Dietrich Schäfer126 wollte Sie, nachdem er sein Examen gut bestanden hatte, aufsuchen, erfuhr aber in Berlin, daß Sie nicht läsen. So unterließ er weiteres wenigstens entnahm ich das dem Brief seines Herrn Papas. Heute aber bekam ich eine Verlobungsanzeige des neugebackenen Herrn Referendars. Siehe da!Bis auf etwas Rheuma habe ich an meinem Leibe nichts auszusetzen. Ich gedenke Ihn Ende August noch zwei Wochen in rauschendem Meere zu baden, damit er den Winter über einigermaßen zusammenhält. Albrecht Erich fährt übermorgen auf Urlaub. Er strebt natürlich ins Allgäu. Mit herzlichen Grüßen Ihr sehr ergebener Wilhelm Stapel.

123 a) (SL) Pascual Jordan (1902-1980), "Wandlungen physikalischen Denkens", in: DV, 17. Jahrg., Nr. 5, Mai 1935, S. 362- 368. Welcher Koppen gemeint ist und wo seine Erwiderung erschienen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. - Vgl. auch FN 201.- b) (PT) C. S. stand über den Krieg hinaus mit dem Physiker (Quantenforscher) P. Jordan in Verbindung. Für eine Kritik der von Jordan vertretenen sog. akausalen Verstärkertheorie des Lebens, vgl. Max Hartmann (1876-1957), "Quantenphysik und Biologie", in: Universitas, 3. Jahrg., Nr. 3, März 1948, S. 319-325; dort S. 323-325. 124 (PT) Nicht Piper, sondern Pieper; vgl. FN 122. 12s (SL) Unter dem 8. August 1933 schrieb W. S. E. G. Kolbenheyer folgendes: "Denn in Sylt möchte ich wenigstens den Grundriß für meine seit 1921 geplante Schrift ,Die drei Stände' fertig machen. Sie müßte noch in diesem Jahre erscheinen. Die Frage der ständischen Gliederung ist jetzt im Schwang. Ich sehe, daß darüber lauter abstraktes Zeug von Professoren und Professorenschülern geschrieben wird. ,Stände' kann man sich nicht ausdenken, man muß sie in der vorhandenen Wirklichkeit sehn. Ich sehe sie. Und diese Intuition will ich niederschreiben." Vgl. die Briefe Nr. 34 und 57 vom 18. August 1941 bzw. 13. November 1951. 126 (SL) Zu Dietrich Schäfer; vgl. die Briefe Nr. 46 und 56 vom 29. März 1945 bzw. 20. Juli 1951, sowie FN 209.

62

Siegfried Lokatis

22 C.S.anW.S. 2. 8. 1935 August127 :

Anlage zum (fehlenden) Brief vom 2. Bei Uon Bloy fand ich folgende Geschichte, die Timen vielleicht Vergnügen macht: Uon Bloy traf einen jüdischen Bekannten, der die französische Staatsangehörigkeit mit der englischen vertauscht hatte. Bloy begrüßte den neuen Engländer und fragte, was sich nun durch diesen Staatsangehörigkeitswechsel eigentlich geändert habe. Der Jude antwortete: ,,Es hat sich sehr viel geändert; früher hatte ich die Schlacht bei Waterloo verloren, jetzt habe ich sie gewonnen." 128 (Das soziale Ideal ist der siegreiche Krieg!)

23 C.S.anW.S. 21. I. 1937 Sehr verehrter Herr Dr. Stapel! Vielen Dank für Ihr Schreiben vom 20. Januar 1937. Ich habe mich ganz besonders gefreut, etwas von Ihnen zu hören und auch Ihre Einladung als eine große Freundlichkeit empfunden. Ich würde ihr sehr gern folgen, doch bin ich momentan in einem gewissen Incubationszustand, der andere, insbesondere völkerrechtliche Fragen betrifft, und möchte mich daher nicht für ein Thema binden. Auf Ihren Münchner Vortrag über die Vorherrschaft der jüdischen Literaten 129 bin ich sehr gespannt. Ich sende Ihnen ein Heft von unserer Judentagung 130 und mache Sie besonders auf meine Ausführungen Seite 17 aufmerksam. Die dort am 127 (SL) Der nicht erhaltene Brief könnte C. S.s Kommentar oder Anregungen zu W. S.s Aufsatz "Politischer Katholizismus" (in: DV, 17. Jahrg., Nr. 9, September 1935, S. 645-659) enthalten. 128 a) (SL) So als anonyme Adnote veröffentlicht in: DV, 17. Jahrg., Nr. 9, September 1935, S. 724. Eigentlich stammt sie also von C. S. 129 (SL) W. S., op. cit. [FN 29]. 130 a) (SL) Diese Tagung fand am 3. - 4. Oktober 1936 in Berlin statt. Vgl. dazu A. Koenen, op. cit. [FN 6], S. 599-629, sowie Hasso Hofmann (geb. 1934), ,"Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist"', in Karlheinz Müller und Klaus Wirtstadt (Hrsg.), Geschichte und Kultur des Judentums. Eine Vorlesungsreihe an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Würzburg: Schöningh, 1988, 250 S., Nr. 38 in der Reihe ,Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg'; dort S. 223-240. - b) (PT) Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist, Berlin: Deutscher Rechts-Verlag, 1936, 35 S., Nr. 1, in der Tagungsreihe ,Das Judentum in der Rechtswissenschaft'.

Wilhelrn Stapel und Carl Schmitt - Ein Briefwechsel

63

3. Oktober ausgesprochene Prophezeihung 131 ist prompt in Erfüllung gegangen. Ferner bitte ich Sie, sich doch Heft 3 dieser Veröffentlichungen zu verschaffen mit dem Vortrag von Dr. Micorey 132 über das Judentum in der Kri~nalpsychologie, eine ganz fabelhafte Sache, die Thnen sicher große Freude bereiten wird. In alter Verehrung bleibe ich mit herzlichen Grüßen und mit Heil Hitler! stets Ihr Carl Schmitt

24

W.S.anC.S. 11.8.1938 Sehr verehrter Herr Staatsrat. Soeben von einer längeren Reise - die zum Teil zugleich auch Ferienreise war zurückkehrend, höre ich von Herrn Günther, daß Sie just heute fünfzig werden. Daß ich das nicht rechtzeitig gewußt habe! 133 Jetzt ist es zu einem rechten Glückwunsch zu spät, es fehlt der JCai.Q6~, es ist gehinkt, wenn ich jetzt gratuliere. Aber ich möchte Ihnen doch sagen, daß ich dankbar und mit großer Verehrung Threr gedenke. Herr Günther wird Thnen seinen Glückwunsch durch eine Besprechung des Leviathan darbringen. 134 Mit allen guten Wünschen Ihr sehr ergebener Wilhelm Stapel

131 (PT) C. S., ,,Eröffnung der wissenschaftlichen Vorträge", in: op. cit. [FN 130], S. 1417; dort S. 17: im Schlußabschnitt ist die Rede von den Beleidigungen und Verleumdungen, denen man seitens jüdischer Emigranten und ihrer Verbündeten als Gegner des jüdischen Geistes ausgesetzt ist. m (SL) Nicht Micorey, sondern Mikorey. Max Mikorey (1899-1977) war damals Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik München und praktizierte nach 1945 in München. (PT) M. Mikorey, "Das Judenturn in der Kriminalpsychologie", S. 61- 82, in Heft 3: Judenturn und Verbrechen, Berlin: Deutscher Rechts-Verlag, 1936, 82 S., Nr. 3, in der Tagungsreihe ,Das Judenturn in der Rechtswissenschaft'. Vgl. dazu Julius Evola (1898- 1974}, "L'interpretazione giudaica del delitto", S. 283-292 in Gian Franeo Lami (geb. 1946) (Hrsg.}, Julius Evola: Lo Stato (1934-1943}, Rom: Fondazione Julius Evola, 1995, 447 S., Nr. 3, in der ,Biblioteca Evoliana'. 133 (SL) Vgl. BriefNr. 49 vom 30. Juli 1948. 134 (SL) A. E. Günther, "Der Leviathan", in: DV, 20. Jahrg., Nr. 8, August 1938, S. 562563.

Siegfried Lokatis

64

25 W.S.anC.S.

12.3.1939 Sehr verehrter Herr Staatsrat. Die "Schattenrisse"135 habe ich teils an der Eibe, einsam Kaffee trinkend, teils beim Rotwein abends in der Stube gelesen. Also unter zwei verschiedenen Bedingungen.136 Ich habe den sprachlichen Hohn genossen: ,,rührt an den Grund von Abgründen." Ich habe mich ergötzt an dem ,,Lächeln des Menschen, dessen Wahrheitsdrang Genüge geschah, wenn er einen Blick hinter selbstgebaute Kulissen tun durfte." Und besonders an dem, der "meint, es wüchsen ihm Hörner, wenn er so brüllt." Die "gekämmte Trivialität" ist herrlich, ebenso die "Überlegenheit über jeden Wert." Das ,,zeitalter der Abspülbarkeit" ist eine Prägung, die in der Tat Gemeingut aller Gebildeten werden sollte. Die Bemerkung über den "Bürger" S. 26 werde ich in meine zu schreibende Morphologie des deutschen Volkes aufnehmen.137 Der Eulenberg 138 war ja seinerzeit, 1913, eine beliebte Angelegenheit. Alles amüsierte sich mit Eulenberg. Jetzt ist von ihm nur Ihr Schüttelreim übrig geblieben: Eulenzwerg. Daß Sie damals schon den Wilhelm Schäfer139 vorgenommen haben, freut mich besonders, seit er in diesem Winter einen Theodorich-Roman, das Schauerlichste an post-Dahn 'sehen 140 Kitsch, publiziert hat.

135 a) (SL) Vgl. I. Villinger, op. cit. [FN 82], S. 11-67: Nachdruck der "Schattenrisse". b) (PT) Vollständigkeitshalber sei darauf hingewiesen, daß Frau Villinger in ihrer Dissertation den dieser Fußnote zugrunde liegenden Brief Nr. 25 fast vollständig abgedruckt hat: FN 82, s. 72-73. 136 (SL) Zum Sinn dieser Anspielung, vgl. W. S. "Kaffee und Bier", in: DV, 16. Jahrg., Nr. 3, 1. Februarheft 1934, S. 94- 99. C. S. kannte den Aufsatz aus W. S., op. cit. [FN 114], s. 250- 260. 137 (SL) Vgl. BriefNr. 34 vom 18. August 1941. 138 (SL) Der Schriftsteller Herbert Eulenberg (1876-1949) stand ,Negelinus' mit seinen Dichterporträts "Schattenbilder. Eine Fibel für Literaturbeflissene" ( 1909) Pate. Vgl. I. Villinger, op. cit. [FN 82], S. 70. 139 (PT) Der Dichter Wilhelm Schäfer (1868-1952; vgl. Ernst Volkmann, "Dr. h. c. Wilhelm Schäfer. Erinnerungen und Dank", in: Imprimatur, Band XI, 1952- 53, S. 208-210), Herausgeber der Zeitschrift "Die Rheinlande" (an der C. S. mitgearbeitet hat, vgl. Otto Doderer; "Die Rheinlande. Die Geschichte einer Zeitschrift", in: Dichtung und Volkstum. NF des Euphorion, 39. Jahrg., Nr. 1, 1938, S. 69-85), gehörte wie die bereits in der Einleitung erwähnten Schriftsteller H.-Fr. Blunck, H. Grimm, H. Johst, E. G. Kolbenheyer, sowie Friedrich Griese (1890-1975) usw. zum Autorenteam des von W. S. inspirierten Dichterverlages Langen-Müller. Die Autoren, die infolge einiger Verlagsintrigen 1933 das Gros der neubesetzten preußischen Dichterakademie ausmachten, kultivierten untereinander einen Zustand der Dauerfehde. Vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN 11], S. 102, und A. Meyer, op. cit. [FN 14].

Wilhelm Stapel und Carl Sehnlitt - Ein Briefwechsel

65

Es ist in Deutschland so selten, daß ein Gelehrter auch ein guter Schriftsteller ist. Hoffentlich aber kommt das Propaganda-Ministerium nicht dahinter, daß die französische Literatur als Literatur eine Weltmacht ist; sonst würden unsere Gelehrten auf Hervorbringung 141 bester Qualitätsliteratur geschult werden. Mit dem einen Auge müssen sie auf ihr Werk sehn, mit dem andem auf die Studenten, woher sollen sie ein drittes Auge, mit dem die Literatur zu betrachten wäre, nehmen?Kein Buch von mir ist so wenig und so dürftig besprochen worden wie die "Stapeleien"142. Die Deutschen mögen so etwas nun einmal nicht. Keiner der Buchbetrachter hat bemerkt, daß das Gespräch mit dem Tinnumer Mond eine Kritik aller Lebensphilosophie ist. Als ich bei llmen am Kamin saß - ein schöner Abend - sprachen wir vom alten Testament. Ich hatte gerade die Erzvätergeschichten gelesen und sagte, wie sehr mir das penetrante Beduinenturn darin aufgefallen wäre. Seither habe ich aber auch die Königsgeschichten gelesen. Der Widerstand zwischen König und Prophet hat mich sehr aufgeregt. Ich wünschte wohl, daß Hitler das läse 143 , ehe er an die Lösung der Kirchenfrage in irgendeinem Sinn ginge. Da ist ja geradezu ein geschichtlicher Prototyp zu finden! Mit den besten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin und den schönsten Grüßen und Heil Hitler! bin ich Ihr sehr ergebener Wilhelm Stapel

26 C.S.anW.S. 3. 12. 1939 Sehr verehrter Herr Dr. Stapel, vielen Dank für Ihr neues Buch "Das Gesetz unseres Lebens" 144. Man sollte die Lektüre für Juristen obligatorisch machen! Und noch für einige andere Spezies! Ich habe es heute Sonntag nachmittag mit großem 140 a) (SL) W. Schäfer [FN 139], Theodorich, König des Abendlandes, München: LangenMüller, 1939, 199 S. - b) (PT) Felix Dahn (1834- 1912) war Professor der Rechte, wurde aber als Autor vieler Romane (Hauptthema: die altgermanische Zeit) bekannt. 141 (SL) W. S. verhöhnte mit Vorliebe den inflationären Gebrauch der Einsilbe ,ing' im Deutsch der NS-Bürokratie. 142 (SL) W. S., Stapeleien, Hamburg: HAVA, 1939, 313 S.; vgl. die Selbstanzeige in: DV, 14. Jahrg., Nr. 12, Dezember 1932, S. 639-640. 143 (SL) Deshalb wohl der von W. S. sonst kaum gebrauchte Hitlergruß am Schluß des Briefes. 144 (SL) W. S., Das Gesetz unseres Lebens, Harnburg: HAVA, 1939,93 S., in der ,Hanseaten-Bücherei'.

5 Schmittiana V

66

Siegfried Lokatis

Gewinn gelesen. Da ich gerade in der Großraum-Erörterung stehe, mache ich darauf aufmerksam, daß ich nie Lebensraum, sondern nur Großraum sage. Noch eine Frage: wer ist der neue Autor des Volkstums 145 Gerhard Nebe/ 146 ? Gefällt mir sehr. In alter Verehrung Ihr Carl Schmitt

27 C.S.anW.S. 28.5. 1940

Ihr Brief vom 23. Mai hat mich aufrichtig gefreut. Eine bessere Anerkennung konnte ich mir nicht erhoffen. Die Hetze gegen mein Buch 147 hat in der Schweiz schon eingesetzt und liebe deutsche Kollegen haben der Bürokratie unseres Auswärtigen Amtes schon erzählt, daß der ,,Eindruck im Ausland sehr schlecht sei". Immer dasselbe. Umso echter die Freude an einem Brief, wie dem, den Sie mir geschrieben haben. Ich liege an einem Ischiasanfall krank zu Bett und benutze, wie man das tun soll, diese Art Immobilisierung zum Nachdenken. An Lektüre habe ich, von fachlichen Abhandlungen abgesehen, aus einer von Ihnen herausgegebenen Sammlung den "Ludus de Antichristo", dargeboten von Benningho.ff, 1922148, in die Hand bekommen. Wenn man die geheimnisvollen Hände, die einem solche Bücher in die Hand spielen, nicht stört (durch Neugierde, Sensationslust und andere törichte Eigenschaften) kann man sich auf derartige ,,Zufälle" im Allgemeinen jedenfalls gut verlassen. In der ganz besonderen Ruhe und Sammlung, zu der einen gerade ein Ischiasanfall zwingt, sind die herrlichen Linien und das numinose Latein eine so wunderbare Erfahrung, daß man den tieferen Sinn solcher Ischiasanfälle mühelos erkennt. Eine ganze andere Art Lektüre war ein 1929 erschienener Sammelband Franz Mehrings: Literatur und Theaterkritiken. 149 Es ist doch bewundernswert, 145 (SL) En schwerer Affront! W. S. hatte mit Mühe beim Verlagschef B. Ziegler durchgesetzt, daß seine Zeitschrift DV nach seinem politisch erzwungenen Ausscheiden Ende 1938 nicht unter diesem Namen, sondern als ,,Monatsschrift für das deutsche Geistesleben" (Hrsg. Walter Abendroth [1896-1973], ein Musikologe, 1948-55 Feuilletonredakteur der ,,Zeit") erscheinen sollte. W. S. nannte sie die ,Modegeile'. 146 (SL) Der Altphilologe und Schriftsteller Gerhard Nebel (1903-1974) stand nach 1946 mit C. S. in Verbindung. Einzelheiten teilt P. Tommissen mit: "Ernst Jünger und Carl Schmitt. Zwischenbilanz", in: Zehnte Etappe, Februar 1994, S. 16-28. 147 (SL) Gemeint ist C. S., op. cit. [FN 22; Positionen ...]. 148 a) (SL) Ludus de Antichristo oder das Spiel vom Kaiserreich und vom Antichrist (der lateinische Urtext und die deutsche Übersetzung, dargeboten von Ludwig Benninghojf), Hamburg: HAVA, 1922, 113 S., in der Reihe ,Aus alten Bücherschränken'. Benninghoff war bis 1925 als Vorgänger A. E. Günthers [FN 33 Punkt a)] Schriftleiter beim DV; vgl. S. Lokatis, op. cit. [FN I] S. 77.- b) (PT) Vgl. auch Schmittiana IV, S. 257-258, FN 4. 149 (PT) Gemeint ist Franz Mehring (1846-1919), a) Zur Literaturgeschichte von Calderon bis Heine, b) Zur Literaturgeschichte von Hebbel bis Gorki, Berlin: Soziologische Verlagsan-

Wilhelm Stapel und Carl Schmitt- Ein Briefwechsel

67

wie viel gute deutsche Substanz sich bei diesen Marxisten gesammelt hat. Auf Maximilian Harden 150 z. B. ist er niemals hereingefallen, bemerkt vielmehr noch: es ist nicht schwierig zu sehen, welcher Humbug dieser Harden ist; aber die eigentliche Frage ist doch, wie es möglich war, daß das deutsche Bürgertum diesen Humbug nun schon seit zwei Jahrzehnten erträgt und ermöglicht. So ungefähr wörtlich im Jahre 1913! Im übrigen erzählte mir gesternabendein Bekannter, daß er in einem Journalisten-Examen neulich auf die Frage, wer war Maximilian Harden, die Antwort erhielt: "Einer der Gefallenen des 9. November". Bei dieser Kenntnis des Judenproblems kann man sich ja noch auf manches gefaßt machen. Nochmals vielen herzlichen Dank für Thren Brief und hoffentlich auf baldiges Wiedersehen. Thr Carl Schmitt 28 C. S. an W. S., p. Adr. Potsdam, Weißenburgerstr. 18 7 . 8. 1940

Sehr verehrter, lieber Herr Dr. Stapel!

Vielen Dank für Thre Karte! Ich schlage vor: kommen Sie Sonntag, den 8. Sept. nachmittags gegen 5 zu uns, mit Ihrer Frau, zum Thee! Sie fahren von Potsdam mit der Stadtbahn bis Lichterfelde-West (über Wannsee kaum 112 Stunde; von da über "Unter den Eichen", Goßlerstr. zu uns, Kaiserswertherstr. 17 (kaum 8 Minuten zu Fuß). Herzliehst Carl Schmitt

29 W.S.anC.S. Sehr verehrter Herr Professor.

16. 9.1940

Freitag sind wir nach Harnburg zurückgekehrt, wie es sich gebührt, in strömendem Regen. Ich schreibe diesen Brief in strömendem Regen, es wird also ein echt hamburgischer Brief werden. Ach wie schön war es in Potsdam! Vom ersten Tage an ging mein ewiger Bronchialkatarrh zurück und die damit zusammenhängenden Kopfschmerzen verschwanden. Wir wohnten mit einer Aussicht auf See und Park und Marmorpalais, stalt, 1929, 416 und 398 S.; die interessante Harden-Stelle befindet sich im 2. BandS. 376.Mehrings Ruf beruht(e) hauptsächlich auf seiner gegen die sog. Friedrich-Mythologie der Berliner Literaturhistoriker Wilhelm Scherer (1841-1886) und Erich Schmidt (1853~1913) gerichtete Streitschrift: Die Lessing-Legende, Frankfurt a. M.: Ullstein (1893) 1972 (mit Texten zur Wirkungsgeschichte, S. 451-587), 621 S., Nr. 2854, in der Reihe ,Ullstein Buch'. 150 (PT) ÜberM. Harden, vgl. FN 79 und 149. 5*

68

Siegfried Lokatis

so wie ich wohnen möchte. Wir machten die schönsten Spaziergänge durch die Parks, zuweilen mit August Winnig 151 oder Felix Krueger 152• Die Stadt Potsdam hat mir sehr gefallen. Meine Frau sagte: Dies ist Calbe 153 in fein, hier gehörst Du eigentlich her. So ist es. Wir denken mit Vergnügen an diese Urlaubswoche zurück. Und meine Frau sagt: am schönsten war der Abend bei Carl Schmitt. Der Abend ohne Beleuchtung. Der Abend ohne Absicht und Programm. Ich darf verraten, daß meine Frau eine tiefe Sympathie zu der Thrigen gefaßt hat. 154 Aber mir ist Thre Frau gram, weil ich eine andere Religion habe. Das kann ich nicht ändern. Ich mag keine Priester. Das ist nicht nur ein Affekt, sondern auch eine Theologie. Der Priester ist für mich etwas Heidnisches. Jesus Christus war kein Priester, seine Apostel waren keine Priester, sie standen gegen die jüdische Priesterreligion und wurden von den "Hohen Priestern und Schriftgelehrten" verfolgt. Im alten Christentum gab es keinen LeQEU~, und keinen sacerdos, wohl aber a:rtO

bot !pu[Ooll~ril udj ..P..