Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar: Eine Gedächtnisgeschichte und politische Affäre Preußens [1 ed.] 9783428583850, 9783428183852

Kann ein mittelalterlicher Held die Bedeutung der Französischen Revolution für die Geschichte moderner Gesellschaften ko

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Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar: Eine Gedächtnisgeschichte und politische Affäre Preußens [1 ed.]
 9783428583850, 9783428183852

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Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar Eine Gedächtnisgeschichte und politische Affäre Preußens Von Heinz-Dieter Heimann

Duncker & Humblot · Berlin

HEINZ-DIETER HEIMANN

Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar

Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Begründet von Johannes Kunisch, fortgeführt von Wolfgang Neugebauer Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Hans-Christof Kraus und Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll

Band 56

Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar Eine Gedächtnisgeschichte und politische Affäre Preußens

Von

Heinz-Dieter Heimann

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Cover vorn: Gedenkteller „250 Jahre V&B“, Sonderedition, Vorderseite: Villeroy&Boch AG/Keramikmuseum, Mettlach. Cover hinten: Caspar Scheuren: Landschaft, Sage, Geschichte und Monumentales der Rheinprovinz, Düsseldorf 1865, Blatt „Nahe u. Saar“ (Ausschnitt) Landesbibliothekszentrum Rheinlandpfalz, Online-Ausgabe 2009. Vor- und Nachsatz: Peter Becker: Saar-Album, Lithographie 1856: „Saartal bei Serrig mit der Bergkuppe der Klause nahe Kastel“ (Ausschnitt) Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 978-3-428-18385-2 (Print) ISBN 978-3-428-58385-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Mathilda und Antonia

Es gibt also nur eine Wissenschaft von den Menschen und ihrer Zeit und die hat die Erforschung der Toten und die der Lebenden unablässig miteinander zu verbinden. Marc Bloch, Apologie der Geschichte oder der Beruf des Historikers, (urspr. Paris 1949), Stuttgart 1974, S. 60

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Gedeutete Geschichte: Annäherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I.

Mittelaltergegenwarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Ein Brunnen zum Geschenk: Mettlach, 11. November 1833 . . . . . . . . . . . . 15 2. Wieso? Gedächtnis und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

II.

Der Tod eines Königs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Am Anfang war Crécy: 26. August 1346 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Herz und Gebein: Geteilte Memoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

B. König Johann von Böhmen – Der Streit um seine Gebeine und Grablege im ­Europa der Dynastien: Eine Gedächtnisgeschichte und politische Affäre Preußens . . . . 45 I.

„Sattelzeit“ – Ein neues Zeitalter des Rittertums und die Aktualität des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

II.

Der patriotische Ritter und die Nähe Preußens im Westen . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Jean François Boch-Buschmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Verlusterfahrung und Emanzipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Von Luxemburg nach Mettlach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) „Es lebe der König.“ – Ein patriotisches Bekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . 65

III. Der Ritter der Ritterlichkeit: Ein mittelaltergeschichtliches Ideal im Eisernen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Karl Friedrich Schinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Präferenzen Berliner Ingenieursfreunde in Mettlach . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) „Die Geschichte hat nie frühere Geschichte copiert“ . . . . . . . . . . . . . . . 81 c) Mit geschlossenem Visier: Ritterlichkeit und Anmut . . . . . . . . . . . . . . . 86 IV. Der dynastische Ahnherr und sein Zeugniswert für die Monarchie der Hohen­ zollern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Mittelaltergegenwarten: Ritter ohne Ahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Unheldisch: Kapelle, Königsgrab und Gedächtnisstiftung in Kastel . . . 100 c) Der kämpfende Ritter: Idolisierung adeliger Tapferkeit in Stolzenfels . . 119

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Inhalt V.

Das Königsgrab als politisches Zeichen: Hohenzollernnahe Saar-Romantik und nationale Geltungsanstrengungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Mit königlicher Widmung: Bilder machen Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Vielfach gebrauchtes Heldentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

VI. „In Kastel wartet seit einem Jahrhundert einer auf uns.“ – Das politische Ende der Gedächtnisgeschichte als erinnerungsgeschichtlicher Neubeginn: 25. August 1946 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 VII. Dynamik und Dissens historischen Wissens: Johann von Böhmen unter dem Mikro­skop und der erneuerte Denkmalbrunnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 VIII. Mittelaltergegenwart – eine Geschichte mit Zukunft: Was bleibt? . . . . . . . . . . 162

Ausgewähltes Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Dank und Widmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Vorwort Erinnern, vergessen? Alle Vergangenheit ist Geschichte und Gegenwart. Schinkels Brunnen will erinnern – an die Aktualität des Mittelalters in der politischen Kultur und Geschichte der Nationen- und Staatenbildungen im 19. und 20. Jahr­ hundert. Als Antwort auf die Französische Revolution erhielt gerade diese Aktualität im Königreich Preußen für die Dynastie der Hohenzollern und im Großherzogtum Luxemburg grenzübergreifend ein gegenseitig provozierendes Motiv: den Streit um den Besitz der Gebeine des mittelalterlichen Königs Johann von Böhmen und um eine neue Königsgrablege. Die Aktualität dieses Geschehens gründete in wiederholt artikulierten politischen Interessen, der Geschichte des Mittelalters und dem Andenken an den Tod eines Königs einen gegenwartsbezogenen Sinn und eine öffentliche Bedeutung zu geben. Es ging dabei um Johann, Graf von Luxemburg, König von Böhmen (1296– 1346), weithin bekannt als Johann der Blinde oder Janne de Blanne, der 1346 in einer Reiterschlacht den Tod gefunden hatte. Man stritt um den Besitz seiner Gebeine und erneuerte gezielt den Mythos dieses adeligen Ritters und königlichen Helden. Den Streit um die Gebeine Johanns von Böhmen und um das fern von der Residenz Berlin-Potsdam in Kastel (Saar) neu errichtete Königsgrab heute aufzurufen, heißt nicht, sich um des Kaisers Bart zu streiten. Es gilt auch nicht, damit romantisierter Gedenkkultur zu dienen. Der Streit, eingangs eingebettet in die ansonsten eher poetisch-literarisch wahrgenommene Romantik des frühen 19. Jahrhunderts, verdeutlicht deren fortdauernde geschichtspolitische und religiös-kulturelle Seiten in der Geschichtskultur. Er bietet daher wie kaum eine andere politische Affäre probate Gelegenheit, für die handelnden Personen und politischen Gruppen Reichweiten neu zugewiesener Denkformen mittelalterlicher Ordnungsvorstellungen sowie deren vermittelter Sinndeutung bis ins 21. Jahrhunderte offenzulegen. Folglich beleuchtet diese Gedächtnisgeschichte und politische Affäre über gut ein Jahrhundert hinweg übernational Konstellationen, die für Individuen wie für Gemeinschaften die historisch-politische Bedeutung von mittelaltergeschichtlichen Sinnkonstruktionen ausweisen. Sie lassen in der Rezeption eines bestimmten Ereignisses und einer damit als erinnerungswürdig erachteten Person des Mittelalters kulturhistorische und geschichtspolitische Intentionen der mannigfachen Vergegenwärtigung von mittelalterlicher Geschichte verfolgen. Diese Mittelaltergegenwarten blieben bezeichnenderweise keine Fiktion. Sie funktionierten als konkurrierende Argumente einer dynastisch wie ebenso national ausgerichteten Geschichtspolitik, in der die reklamierte historische Erinnerung aber im Anspruch des kollektiven Gedächtnisses einer Nation nicht aufging.

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Vorwort

Zudem führen ihre materiellen Kulturzeugnisse in die Denkmalgeschichte, in die Historienmalerei sowie zu den Künstlern der Saar-Romantik und zum Mäzenatentum der Hohenzollern. Wieso an dieser Deutungsgeschichte der Bedeutung ­Johanns von Böhmen auch weiter in unsere Gegenwart zu erinnern bleibt, zeigt sich am Ende dieser Gedächtnisgeschichte, die aber doch kein Ende gefunden hat. Die Geschichte der Odyssee der Gebeine Johanns von Böhmen endete 1946 nur vordergründig. Auch hält die Gegenwart historischer Erinnerung an mittelalterliche Helden und Könige in einer gegenwärtigen Gesellschaft an, selbst wenn sie sich als postheroisch sieht. Das Mittelalter endet gestern. Erinnern, vergessen? Das 19. Jahrhundert gilt als das „Jahrhundert der Nationen“. Dies aber wurde es für einzelne Völker in Europa erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung und auf unterschiedlichen Wegen. Und dieses „Jahrhundert der Nationen“ erweist sich in der Selbstfindung vieler Gemeinschaften zugleich als ein „Jahrhundert der Dynastien“. Schinkels Brunnen verdeutlicht, wie und mit welcher Konsequenz gerade die Hohenzollern als Könige von Preußen im Rückgriff auf die mittelalterliche Kaiser­ dynastie der Luxemburger historische verwandtschaftliche Traditionen neu gewannen und für sich nutzbar öffentlich machten. In diesem Bestreben aber waren sie nicht ganz allein, gab es Konkurrenzen und Gegenkräfte. Jener Streit um die Gebeine Johanns von Böhmen legt die bisweilen über den Erfolg des Parlamentarismus und der demokratischen Verfassungsbewegungen im 19. Jahrhundert vergessene historische Kontinuität dynastischer Königsfamilien offen, damit wird die dynastische Tradition als positive und negative Projektionsfläche für konkurrierende Formen staatlich-nationaler Gemeinschaften deutlich. Ihnen geriet die dynastische Geschichte des Mittelalters zum politischen Argument zur Herstellung ungleicher Ordnungsvorstellungen und konkurrierender historischer Erinnerung. In den Handbüchern zur Geschichte des 19. Jahrhunderts finden sich zwar die Namen der Protagonisten dieser Gedächtnisgeschichte und der politischen Affäre. Die Gedächtnisgeschichte und politische Affäre zeigt deren Geschichtsdenken und dessen Echo in der Geschichtskultur und Erinnerung an Johann von Böhmen. Karl Friedrich Schinkel schuf als herausragender Baumeister Preußens viele bis heute imponierende Bau- und Kunstwerke. Schinkel prägte mit seinen Bauten aber nicht nur Berlin. Er schuf in Mettlach (Saar) auch jenen Brunnen mit einer aufrechtstehenden Ritterfigur, und das Königsgrab in Kastel (Saar) zeigt bis ins Detail auch seine Handschrift. Wie dachte Schinkel über die Geschichtsepoche des Mittelalters und das Ritterideal? Ehe Schinkel auch nur an jenen Brunnen gedacht haben mochte, gewann der gebürtige Luxemburger Steingutfabrikant Jean François Boch-Buschmann, Gründer des Keramikunternehmens Villeroy & Boch, vehementes Interesse an der Behauptung der Gebeine Johanns von Böhmen. Wieso gerade er? Schließlich Friedrich Wilhelm IV., preußischer Kronprinz und später preußischer König. Dieser Monarch zählt wegen seiner irritierenden politischen Rolle

Vorwort

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in den Revolutionen von 1848/49 und seinen künstlerischen Begabungen zu den bekannteren Monarchen des 19. Jahrhunderts, dessen repräsentativem Geschichtssinn Touristen bis heute im Park von Sanssouci in den Römischen Bädern, im Schloss Charlottenhof und dem Mausoleum begegnen. Wieso setzte der kunstsinnige Hohenzollernherrscher so viel daran, in den Besitz der Gebeine dieses böhmischen Königs zu kommen und mit welcher Absicht ließ er sie in Kastel neu beisetzen? Der Künstler, der Unternehmer und der König fanden in dieser Affäre zusammen, weil jeder auf seine Weise über die Gebeine Johanns von Böhmen die Geschichte des Mittelalters wieder- und neu entdeckte. Sie verband, die historische Erinnerung an König Johann von Böhmen zu behaupten. Trieb sie Totenkult oder Totengedächtnis an? Oder ein neuer Mythos? Die politische Seite der Gedächtnisgeschichte betraf die Dynastie und Monarchie der Hohenzollern, die Nationalbewegung im Großherzogtum Luxemburg, ebenso die luxemburgisch-deutsche Nachbarschaft, die Böhmen in diesem Fall einschließt, und eine politische Affäre, die sich der Haus-, Kultur-, Innen- und Außenpolitik Preußens ebenso einschrieb wie der Konfrontation zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich. Damit nicht genug. Das Interesse an den Gebeinen Johanns von Böhmen war grenzübergreifend vital. In Luxemburg reklamierten politische Gruppen ihren Grafen Johann, Johann den Blinden, für sich, um daran ihre nationalen Geltungsanstrengungen historisch zu begründen. Erst 1946 kehrten diese Gebeine nun mit Willen der Alliierten aus Kastel nach Luxemburg zurück. Der zu diesem Anlass entstandene Dokumentationsfilm „Le retour de Jean l’ Aveugle“ zeigt dabei allein die Rückkehr des „nationalen Helden“. Tatsächlich berührte das Ereignis auch die Frühgeschichte des gerade gebildeten Bundeslandes Rheinland-Pfalz und die des besetzten Saargebietes. Demzufolge stellen diese Gedächtnisgeschichte und Affäre grenzübergreifend zugleich Trennendes und Verbindendes deutsch-französischer und luxemburgischeuropäischer Geschichte sowie die aufklärende Rolle der jüngeren geschichtswissenschaftlichen Forschungen vor Augen. Schließlich: Erinnerung manifestiert eigentypische Räume. Der Streit um die Gebeine Johanns von Böhmen verlief von seinen Anfängen an öffentlich grenzübergreifend. Welchen eigenen Raum markierte also diese historische Erinnerung, wenn das historische Erinnern über das individuelle und nationale Gedächtnis hinaus historisch-politische Räume gegen zeitlich jüngere Setzungen der Raumordnung wachhielt, wie sie die europäischen Großmächte 1815 auf dem Wiener Kongress am Kartentisch festgelegt hatten? Wie also figurierte diese Erinnerungslandschaft und wie aktuell erweist sie sich heute? Schulbücher zitieren gern Kaiser Maximilian I. als den „letzten Ritter“ des Mittelalters. Auch diesen Kaiser feierte man um 1830 so auf Wiener Theaterbühnen,

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Vorwort

und popularisierte ihn geschichtsbewusst die Habsburgerdynastie. An König Johann von Böhmen ließ sich ein anderes Rittertum und Mittelalter zeigen. Zeitalter haben Konjunktur: Im 19. Jahrhundert war es das Mittelalter. Man muss nicht lange suchen, um nach 1800 auf gewichtige politische und ästhetische Argumente für ein „neues Zeitalter des Rittertums“ zu stoßen. Was haben diese Ritter und Helden mit König Johann von Böhmen gemeinsam und was verband sie jeweils mit einem neu-entdeckten Mittelalter, dessen Möglichkeit fortschrittsbewusst das historischpolitische Denken gerade von Nicht-Romantikern bewegte? Die Geschichtswissenschaft hält darauf probate Antworten parat. Hartmut Boockmann zitiere ich dazu gern. Seine Perspektive führt auch direkt zu Schinkels Brunnen: „Der Weg in die ältere Vergangenheit führt durch das 19. Jahrhundert. Was uns die frühere Zeit überliefert hat, das ist fast immer im 19. Jahrhundert mitgeformt worden: durch Entdeckung, Interpretation und Rekonstruktion, durch Bewahrung, aber auch durch Zerstörung“. Das Mittelalterverständnis jener Zeit trifft also auf dasjenige unserer Gegenwart. Darin erkannte Otto Gerhard Oexle ein „entzweites Mittelalter“ und beschrieb darüber auch das „Ende der Memoria“ als wissensgeschichtliche Epochenmarke um 1800. Der Streit um die Gebeine Johanns von Böhmen verschiebt offenbar diese Marke weit ins 20. Jahrhundert. Mittelaltergegenwarten  – eine Geschichte mit Zukunft? Sicherlich, wie sich hier zeigt. Eine der grenzübergreifenden Antworten liegt in der Reichweite der Geschichte der (Be-)Deutung des Denkmalbrunnens in Mettlach und des Königsgrabs an der Saar für Johann von Böhmen.

A. Gedeutete Geschichte: Annäherungen I. Mittelaltergegenwarten 1. Ein Brunnen zum Geschenk: Mettlach, 11. November 1833 I maginem pro corpore regis B oemorum Joannis Fredericus G uilelmus regis B orussorum filius R egni H eres , donavit Jean: Fr anc: B och =B uschmann , D. XI. Novemb . MDCCCXXXIII Die Grablege in der Kapelle über dem Steilufer der Saar in Kastel ist leer. Seit dem letzten Augustwochenende des Jahres 1946 ist sie so verwaist. Die Zeichen im Inneren der Kapelle für den hier am 26. August 1838 beigesetzten König Johann von Böhmen, bisher bescheiden restauriert, verblassen. Anders im nah gelegenen Mettlach. Dort im Alten Park der ehemaligen Abtei, Teil des Keramikunternehmens Villeroy & Boch, steht wohl seit 1838 ein imposanter und jüngst komplett restaurierter Brunnen, gekrönt von einer aufrechtstehenden Ritterfigur, deren Körperhaltung Andacht und Anmut ausmacht. Dieser Brunnen konnte von dem Unternehmen Villeroy & Boch, der Familie Villeroy und BochGalhau sowie der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in gemeinsam geleisteter „Gesamtinstandsetzung […] inclusive der Ergänzung der fehlenden Löwenköpfe und der Vollrekonstruktion des steinernen unteren Brunnenbeckens“ restauriert werden. Das eindrucksvolle Ergebnis stellte man im Juli 2003 der Öffentlichkeit als „saarländisches Kulturdenkmal“ neu vor Augen.1 Doch was genau verbindet das Königsgrab in Kastel (Saar) und den Brunnen in Mettlach? Eingelassen in den Rand einer der Wasserschalen jenes Brunnens ist diese Inschrift zu lesen: Imaginem pro corpore regis Boemorum Joannis Fredericus Guillelmus regis Borussorum filius Regis Heres Jean Franc. Boch-Buschmann, D XI. Novemb. MDCCCXXXIII. (Dieses Bildnis des Königs Johann von Böhmen schenkte Friedrich Wilhelm, Kronprinz von Preußen, dem Jean François BochBuschmann, 11. November 1833.) Der Text vermittelt eine Widmung. Er nennt Personennamen, verschleiert jedoch zugleich. Er benennt zwar eine Geschenkszene und datiert dazu ein Ereignis tagesgenau, – mehr aber verschweigen die Zeilen dem Leser. Was wurde hier verschwiegen, was sollte hingegen signifikant öffentlich gemacht werden? Es ist an der Zeit, diesen Brunnen in all seinen Zeichen genauer zu lesen. 1 Auszug aus dem Projektbericht. Frdl. Mitteilung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz vom 14. Febr. 2019; Villeroy & Boch, Unternehmensarchiv, Merzig, Archiv-Nr. 407.

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A. Gedeutete Geschichte: Annäherungen 

Abb. 1: Gedenkteller „250 Jahre V & B“, 1998, Sonderedition, Villeroy & Boch AG / Keramikmuseum, Mettlach.

Geschenke bedeuten Zeichen des Besonderen. Folgt man der Theorie vom Gabentausch des Soziologen Marcel Mauss (1872–1950), so wird man auf die Gegenseitigkeit des Schenkens verwiesen, auf die Freiwilligkeit der Eigentumsübertragung einer Sache ohne Gegenleistung. Diese Ökonomie des Schenkens will in Mettlach nicht ganz überzeugen. Der Widmung nach beschenkte der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. den in Mettlach ansässigen Jean François Boch-Buschmann. Das ist allein schon wegen der ständisch-gesellschaftlichen Hierarchie merkwürdig. So weckt das Geschenk mit dieser Widmung Nachfragen nach der dem Geschenk vorausgegangenen Beziehung zwischen den dort genannten Personen, nach den zeitlichen Umständen und Kontexten, wieso es gerade zu einem solchen Brunnen als Geschenk kam. Zu klären bleibt, worin die Gegenseitigkeit des Schenkens gründete und was hier tatsächlich als Geschenk und Gegengeschenk zu erachten ist. Sollte der Brunnen womöglich das Gegengeschenk gewesen sein, so stellt sich umso mehr die Frage nach der Eigenheit und Bedeutung des eigentlichen Geschenks. Wenn nach der Inschrift begründet zu vermuten ist, dass die Handelnden ihren Konsens über Gabe und Gegenhabe gleichsam „in“ jenem Brunnen fanden, so liegt der Schlüssel zum Verständnis des gesamten Geschehenszusammenhangs in jener den Brunnen krönenden eisernen Ritterfigur. Welche Sinndeutung, welche Botschaft aber gaben dann die Schenkenden dieser Figur mit? Welcher Künstler verstand sich darauf, diesen Konsens auch verbunden mit seinen eigenen ästhetischen Aussagen

I. Mittelaltergegenwarten

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in dem gewählten Material so herzustellen, dass im übertragenen Sinn eine Art Gemeinschaftswerk verwandter Sinndeutung des Brunnens zum Ausdruck kam? Die Widmung und das Geschenk verschleiern also was genau? In der Inschrift genannt werden zwei Beteiligte, das Tagesdatum und der Ort. Ein also denkwürdiges Ereignis am 11. November 1833 verband offenkundig die Beteiligten in Mettlach. Mit „Jean Franc. Boch-Buschmann“2 ist der aus Luxemburg stammende Unternehmer Jean François Boch-Buschmann benannt, der in Mettlach eine Fabrik zur Herstellung von Steingut betrieb. Er hatte dort 1809 das zuvor säkularisierte Areal und Gebäude der Jesuiten-Abtei zum Betrieb einer neuen Fabrik gekauft.3 Der lateinische Namenszug „Fredericus Guillemus“ und der weitere lateinische Text folgen einem historisierenden Sprachgestus, den Stifter von Denkmälern zu jener Zeit bildungsbewusst und zur Bedeutungssteigerung des Zeichens einsetzten. Namentlich gemeint ist hier Friedrich Wilhelm IV. aus der Dynastie der Hohenzollern, geboren am 15. Oktober 1795, und zum Zeitpunkt des Geschenks Kronprinz in der Hierarchie der preußischen Monarchie. 1840 folgte er seinem Vater auf den preußischen Königsthron. Von Friedrich Wilhelm IV. sprach man in der Vergangenheit in Anspielung auf das dominierende Kunstempfinden des frühen 19. Jahrhunderts als dem „Romantiker“ auf dem Thron. Tatsächlich aber folgte der hochgebildete und ästhetischkulturhistorisch agierende Monarch einem selbstbewusst öffentlich gemachten Sinn für den Vorrang monarchisch-ständischer Ordnung und verfassungsrechtlich verankertem Gottesgnadentum.4 Das Königreich Preußen war 1815 mit den Entscheidungen zur territorialen Neuordnung Binneneuropas durch den Wiener Kongresses zu einer politischen Großmacht mit neuen Gebieten im Westen geworden. Dieses neue Gebiet, staatlich-­ administrativ bald als preußische Rheinprovinz organisiert, erstreckte sich vom Niederrhein bis an die Saar. Zumal den jüngeren Hohenzollern geriet die repräsentative Baupolitik mit der Wiederherstellung antiker Stätten, so in Trier, und bedeutsamer mittelalterlicher Bauwerke, so in Köln und Altenberg, oder in mit 2

Georges Häusemer (Hrsg.): Luxemburger Lexikon, Luxembourg 2006, S. 53; Erhard Gruner: Geschichte der Familie Boch, Saarbrücken 1968; Therese Thomas: Die Rolle der beiden Familien Boch und Villeroy im 18. und 19.Jahrhundert. Die Entstehung des Unternehmens Villeroy & Boch (Diss. 1971), Saarbrücken 1974. 3 Petrus Becker OSB: Mettlach, in: Friedhelm J.  Jürgensmeier in Verbindung mit Regina Elisabeth Schwertfeger (Hrsg.), Die Männer- und Frauenklöster der Benediktiner in Rheinland-­Pfalz und Saarland, St. Ottilien 1995, S. 531–543; Mettlach Gemeindeverwaltung (Hrsg.): 1300 Jahre Mettlach, Merzig 1976. 4 David E. Barclay: Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995; Frank-Lothar Kroll: Herrschaftslegitimierung durch Traditionspflege. Der Beitrag der Hohenzollern zur Mittelalter-Rezeption im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 274 (2002), S. 61–85; Johannes Paulmann: „Popularität“ und „Propaganda“. Vom Überleben symbolischer Kommunikation in der europäischen Politik des frühen 19. Jahrhunderts, in: Gerd Althoff (Hrsg.), Zeichen – Rituale – Werte, Münster 2004, S. 557–588.

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A. Gedeutete Geschichte: Annäherungen 

telrheinischen Burgen, zu einem Instrument, die neuen Gebiete über ihre Landeskulturgeschichte in den Gesamtstaat Preußen und dessen Macht zu integrieren. Solche Interessen führten den preußischen Kronprinzen 1833 auch nach Kastel und Mettlach, wie seine gut dokumentierte Inspektionsreise belegt. Wer aber kommt als Schöpfer jenes erinnernden Geschenks in Frage, dessen Ausführung hohen technischen Sinn und ästhetischen Konsens verlangten? Die ältere Forschung zum Wirken Karl Friedrich Schinkels kannte nicht einmal diesen Brunnen mit der Ritterfigur in Mettlach.5 Inzwischen sieht die Schinkelforschung die Sachverhalte präziser. Dem Kronprinzen eng zur Seite stand Karl Friedrich Schinkel, preußischer Staatsbeamter, Leiter der Oberbaudeputation und schließlich mit dem Titel eines Geheimen Oberbaudirektors verantwortlich nahezu für das gesamte staatliche Baugeschehen im Königreich Preußen. Schinkel zählte im Kreis der preußischen Staatsbeamten zur innersten Führungsgruppe am Berliner Hof. Sein Kunstverständnis sollte über seine dienstlichen Aufgaben und die Aufträge der Monarchie schulbildend für die Formensprache des Klassizismus und der Neogotik werden, seine Architekturtheorie erscheint zeitlos wertvoll. Er schuf als Maler, Graphiker und Bühnenbildner ein vielseitiges Werk und wirkte zugleich als Ingenieur und Designer. So zählte Karl Friedrich Schinkel auch zu den entscheidenden Förderern der staatlichen Gewerbe- und Industriepolitik im Eisernen Zeitalter der Industriellen Revolution in Preußen. Über das künstlerische Verhältnis zwischen dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. und Karl Friedrich Schinkel hieß es schon zeitgenössisch, dass oft gar nicht genau auszumachen sei, was Schinkel selbst und wieviel der Prinz dazu beigetragen habe.6 War der Westen – von Berlin aus gesehen – in der älteren Schinkelund auch Preußenforschung als peripher angesehen, so hat sich diese Perspektive in den letzten Jahren verändert. Nicht allein die „Facetten preußischer Romantik“, wie eine Koblenzer Ausstellung 2001 eine „erste Bilanz dieses hochinteressanten Kapitels rheinisch-preußischer Kulturgeschichte“ titelte, erfahren inzwischen eine weit vertiefte Wahrnehmung durch die Kulturwissenschaften.7 5 Eva Brües: Karl Friedrich Schinkel, Lebenswerk – Die Rheinlande, Berlin 1968 erwähnt in ihrer einschlägigen Arbeit die Bedeutung dieses Brunnens nicht weiter. 6 Karl Gustav Waagen schreibt darüber in seiner Biographie Schinkels, „Das Verhältniß, in welchem Schinkel zu Sr. Majestät stand, war von einer Art, wie es wohl sonst nicht leicht zwischen einem Fürsten und einem Künstler vorgekommen ist. (…) Es lag in diesem Verhältnis, (…) das tiefe und innige Gefühl von der gegenseitigen Verwandtschaft des künstlerischen Naturells von beiden zu Grunde“. Und über die Realisierung von Schloß Charlottenhof heißt es weiter, dass es „von beiden gebaut worden sei, uns möchte es in manchen Fällen schwer halten, zu bestimmen, was Sr. Majestät und was Schinkel angehört“. Zitiert nach Christoph von W ­ olzogen: Karl Friedrich Schinkel – Unter dem bestirnten Himmel, Frankfurt a. M. 2016, S. 388. 7 Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Preußische Facetten. Rheinromantik und Antike, Regensburg 2001, Klappentext; Jan Werquet: Historismus und Repräsentation. Die Baupolitik Friedrich Wilhelms IV. in der preußischen Rheinprovinz, München 2010; Irene Haberland / Oliver Kornhoff / Matthias Winzen (Hrsg.): Das ganze Deutschland soll es sein. Die Preußen im Westen, Oberhausen 2015; Gabriele B. Clemens / Eva Kell (Hrsg.): Preußen an der Saar (1815–1914), Saarbrücken 2018.

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Karl Friedrich Schinkel folgte denn auch nicht allein der stilprägend gewordenen Italiensehnsucht der Zeit, – er schätzte auch die Kulturlandschaft an der Saar und an der Mosel. In einem Brief an Christian Rauch (1777–1857), einem bedeutenden Berliner Künstler und Freund, schrieb er 1816, „Trier ist das deutsche Italien, […] von der bekannten Rheinfahrt spreche ich nicht, aber Cöln ist ehrwürdig und mannigfaltig wie Rom“. Doch wie viele preußische Verwaltungsbeamte und Reisende lernte Karl Friedrich Schinkel auf seinen Dienstreisen nach Frankreich und England früh auch die Kultur an der Saar als bedeutsam kennen. In seinen Reisen und in seinen Korrespondenzen begründete Schinkel ein vielseitiges Netzwerk mit den neuen Eliten im Westen. So kam Schinkel auch nach Mettlach, privat in das Haus der Familie Boch-Buschmann. Kaum ein anderer Künstler als Karl Friedrich Schinkel verfügte sowohl über soziale und künstlerisch-ästhetische Voraussetzungen als auch über das technische Verständnis, einem in Eisen gegossenen Geschenk des Kronprinzen kalkuliert jene konsensuale Botschaft, „imaginem“, mitzugeben, die die Figur auf dem Brunnen auszeichnet. Jener Denkmalbrunnen ist ein gewolltes Denkmal. Aus welchem Verständnis für die Geschichte des Mittelalters wandte sich Karl Friedrich Schinkel selbst der historischen Erinnerung an Johann von Böhmen und deren Aktualisierung in der Figuration eben dieser Figur eines Ritters zu? Die Figur sollte nach der Inschrift eine spezielle Erinnerung generieren. Wie machte hier also der Künstler darauf aufmerksam, dass an die Stelle der Gegenwart des Toten („corpus“) die Erinnerung trat? Und wie stand es um die Memoria, das Totengedenken selbst? Die Mettlacher Ritterfigur veranschaulicht sicher kein bloßes Andenken. Erinnerung und Dank verbinden sich für die in der Inschrift Genannten in der auffällig eigentümlichen Geste dieser aufrechtstehenden Ritterfigur. Dieser Ritter schwingt kein Schwert. Im Gegenteil: sein Schwert ist zu Boden gesenkt, er stützt seine Hände darauf ab und verbirgt zudem sein Gesicht hinter einem heruntergeklappten Visier. Welche Idee von Rittertum aber verband dann die hier gemeinsam Handelnden mit ihrem reklamierten Ritterbild „imaginem pro corpore regis Boemorum Joannnis“? Nicht zufällig errichtete man diesen Denkmalbrunnen im Sommer 1838 in Mettlach. Zur selben Zeit erwartete man saarabwärts in Kastel die Gebeine König Johanns von Böhmen. Wann aber starb dieser böhmische König und wo wurde sein Leichnam eigentlich bestattet, ehe man 1838 in Kastel ein neues Totengedächtnis stiftete und dazu den Sarg mit den Gebeinen Johanns in einem neuen Königsgrab an der Saar beisetzte? 2. Wieso? Gedächtnis und Geschichte Zur Remicher Brücke, zum luxemburgisch-deutschen Grenzübergang, eilten an diesem Tag besonders viele Menschen. Der Appell, den der luxemburgische Großherzog Jean an die hier angetretenen luxemburgischen und französischen Truppen richtete, bewegte auch sie: „In Kastel wartet seit einem Jahrhundert jemand

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auf uns.“ Und tatsächlich: Am letzten Wochenende im August 1946 überführten Zivilisten und Militärs in einem spektakulären politischen Manöver, festgehalten auch in einem Dokumentationsfilm, die Gebeine König Johanns von Böhmen an dessen 600. Todestag aus der Grabkapelle in Kastel (Saar), einer Ortschaft in der angrenzenden Französischen Besatzungszone, zurück nach Luxemburg und in die Kathedrale Notre-Dame. Was 1838 in Kastel begann, endete 1946, vorerst. Dieser vielschichtig situierte Streit um die Gebeine greift über das reklamierte Totengedächtnis der Lebenden hinaus. Er führt letztlich in die Welt des um 1800 neu- und wiederentdeckten Mittelalters und dessen Fortwirken nach den Ansprüchen unterschiedlicher Interessenten daran. So markiert der Verlauf dieses Streitgeschehens in seinen unterschiedlichen Kontexten eine jeweils behauptete Aktualität von Mittelalter-Vorstellungen als historisches Argument. Diese Vergegenwärtigungen des Vergangenen wurden dabei gezielt der politischen Kultur der Gesellschaften und Staaten des 19. und 20. Jahrhunderts eingeschrieben. Die jeweiligen Akteure verbanden dabei die Behauptung der Verfügung über die Gebeine, des Totengedächtnisses und der Königsgrablege für einen als erinnerungswürdig erachteten mittelalterlichen König mit konkurrierenden geschichtspolitischen Zielen. Es ging ihnen um die Legitimation dynastischer Herrschaft, nicht weniger zugleich um konkurrierende und nicht nur nationale Identitätsansprüche und eine eigenwillige historisch ausgerichtete kollektive Gedächtnisgeschichte in der Erinnerung an einen toten König. Bezeichnenderweise bezog sich ihr Erinnern auf die Geltung historisch-politischer Räume, die mit der zeitlich jüngeren politischen Raumordnung des frühen 19. Jahrhunderts offen konkurrierten. Ihre Ansprüche standen denn auch im Widerspruch zu jener territorialpolitischen Ordnung, die die europäischen Mächte auf dem Wiener Kongress (1815) am Kartentisch festgelegt hatten. Schließlich verbanden die Akteure ihre geschichtspolitischen Anstrengungen wie die Mobilisierungen mit Mittelalter-Denkmodellen der Geschichtswissenschaft, die gerade Fortschritt und Beharrung im Wandel der Kultur als wesentlich erkannte. Diese Anstrengungen der Vergegenwärtigung des Mittelalters in der Erinnerung an Johann von Böhmen bewirkten persönliche wie programmatische Texte und fanden ebenso zu ausdrucksstarken künstlerischen Darstellungen im Medium des Denkmals, der Architektur sowie Geschichtsmalerei, sie prägten schließlich die Intentionen nicht allein (nationaler) Geschichtsschreibung. Um die Intentionen der vielfältigen Träger und teils gegenläufigen Inhalte der Erinnerung über die Zeit zu entfalten, machen komplementär Analyse und Interpretation des Streitverlaufs den Aufbau dieser Gedächtnisgeschichte und der politischen Affäre aus, die ein steter (geschichts-)politischer Zielkonflikt trug. Die gemeinsamen historischen Voraussetzungen des Erinnerns führten gerade nicht zu gemeinsamen Identitäten. Historische Erinnerungen an einen als erinnerungswürdig erachteten König, Ritter, Helden und dynastischen Ahnherren dienten der Verstetigung reklamierter politischer Konkurrenzen. Diese Spannung und Reichweite der Geltung historischen Erinnerns wurde genährt und gesteuert von jenem Mythos, den man dem Ritterideal und Heldentum Johanns von Böhmen neu wirk-

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mächtig zuschrieb. Hinzu kamen die Geltung des dynastischen Traditionsverständnisses8 und des liturgisch gefassten Totengedächtnisses für Johann von Böhmen. In diesem Dreiklang historischen Erinnerns schrieb sich der Streit um die Gebeine Johanns von Böhmen über Generationen und verschiedene politische Systeme hinweg der Gedächtniskultur und Geschichtspolitik verschiedener Nationen ein. Was geschah im August 1946 in Kastel? War es Helden(ver-) Ehrung oder organisierter Leichendiebstahl? Die Antwort darauf liegt in der geschichtspolitischen Bedeutung des Grabmals. Mit dem Grabmal wurden – zumal seit dem Mittelalter und über den Sinn des christlichen Totenkults hinaus – öffentlich wirksam gemachte Vorstellungen an als erinnerungswürdig erachteter Personen verbunden. Otto Gerhard Oexle und Olaf B. Rader haben jeweils diese Zusammenhänge verdeutlicht. Erinnerungsstrategien, wie sie in Grablegen sichtbar wurden, trugen zur Bildung oder Festigung sozialen und politischen Zusammenhalts bei. So gesehen ist das luxemburgisch-französische Kommando vom Sommer 1946 auch eines der Glieder in einer etappenreichen Geschichte von Nationenbildung in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Nationale Selbstsicht der Vergangenheit aber überzeugte nun nicht mehr wie zuvor. Welches Heldentum galt im jungen Nachkriegseuropa gesellschaftspolitisch als angemessen? Wieso faszinierte nun die Authentizität der Gebeine Johanns von Böhmen in dem ideologisch geteilten Europa? Die Geschichte der Geschichte des Gedächtnisses und historischen Erinnerns blieb mit Johann von Böhmen auf neue Weise aktuell. Folglich steht am Anfang dieser Geschichte der Tod Johanns von Luxemburg, König von Böhmen, 1346 im Reiterkampf in der Schlacht bei Crécy. Auf sein repräsentatives Begräbnis und das christliche Andenken an den Toten in den folgenden Jahrhunderten folgte als Reaktion auf den mit der Französischen Revolution verbundenen Traditionsbruch die Neuaneignung der Geschichte des Mittelalters in Erinnerung an den Tod Johanns von Böhmen und dessen erneuertem Helden­mythos. Dieser Mythos wurde bildmächtig formuliert, womit er zugleich ein „neues Zeitalter des Rittertums“ im frühen 19. Jahrhundert ausweist. Anders als andere hatten die Akteure der Gedächtnisgeschichte und Affäre, der Unternehmer, der Künstler, der Kronprinz, dazu keine Traditionen (neu) zu erfinden. Sie (re-)aktualisierten geschichtsphilosophisch die adelig-dynastische Tradition gegen den Traditionsbruch der Französischen Revolution. Sie reklamierten Kontinuitätsansprüche im Rückgriff auf die Geschichte des Mittelalters, fortschrittsbewusst. Die Erinnerung an Johann von Böhmen wurde zu einem publikumsträchtigen Politikum.

8 Siegfried Wiedenhofer: s. v. Tradition, Traditionalismus in: Otto Brunner (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 607–650; Clemens Wischermann (Hrsg.): Vom, kollektiven Gedächtnis zur Individualisierung der Erinnerung, Stuttgart 2002; Harald Schmid (Hrsg.): Geschichtspolitik und kulturelles Gedächtnis, Göttingen 2009; Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen: eine Einführung, 3. akt. u. erw. Auflage Stuttgart 2017, die die Bedeutung der Memoria-Forschungen Otto Gerhard Oexles unterstreicht.

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Unter den gesellschaftlichen und politischen Bedingungen der Zeit nach 1800 fanden der Unternehmer Jean François Boch-Buschmann, der nachmalige preußische König Friedrich Wilhelm IV. und dessen Baumeister Karl Friedrich Schinkel in der Behauptung des Totengedächtnisses für Johann von Böhmen und der Bedeutung seines Rittertums auf eigentümliche Weise zusammen. Was verband sie mittelaltergeschichtlich? Lag ihnen daran, den Gang der Geschichte mit Rückgriff auf Johann von Böhmen zu korrigieren? Die Odyssee der Gebeine Johanns von Böhmen begann 1346 auf dem Schlachtfeld bei Crécy und sie ist mit einer langen Reihe von Grablegeorten verbunden. Zuletzt, 1980, überbrückten die zwischen Luxemburg und Prag transportierten Gebeine dieses Ahnherrn der alten Dynastie der Luxemburger selbst das ideologisch geteilte Europa, schrieben sie so stellvertretend für die beteiligten Staaten Zeitgeschichte mit. Die Gebeine, die um 1980 nur vordergründig zum Objekt moderner medizinhistorischer Forschung wurden, erweisen sich jenseits dessen als Ausweise fortgeschriebener Ideen- und Gedächtnisgeschichte sowie der Gedächtnispolitik. Die Zeichen dieser Gedächtnisgeschichte, der Sarg mit den Gebeinen Johanns von Böhmen in der Kathedrale in Luxemburg, die bedeutungsvoll aufgeladene Grabkapelle in Kastel und der in Eisen gegossene Denkmalbrunnen vor dem Stammhaus des Unternehmens Villeroy & Boch in Mettlach erreichen unsere Gegenwart. Sie bilden das innere Gerüst dieser Gedächtnisgeschichte und der politischen Affäre. Bilder machen Geschichte. Doch wieso und auf welche Weise ließ sich an diesen Zeichen und in konkurrierenden Richtungen historische Kontinuität dauerhaft reklamieren und welche Bedeutung gewann in diesem Prozess die Geschichtsschreibung mit ihren eigenen Ansprüchen? Johann von Böhmen ist in der luxemburgischen, böhmischen, deutschen wie in der weiteren europäischen Geschichtswissenschaft kein Unbekannter. Seine Unermüdlichkeit, in der er sich in die Handlungsfelder der Königsdynastien des frühen 14. Jahrhunderts zwischen Litauen, Polen, Böhmen, Italien und Luxemburg, Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich sowie in die Politik der Päpste agil einbrachte, hat sich seitdem vielseitig in die Geschichtsdarstellungen der Nationen und Völker in Europa eingeschrieben. Bezeichnenderweise fand dieser Held aber kein Echo in den seit dem späten 18. Jahrhundert populären Geschichtsromanen oder Geschichtsdramen. Dafür aber wurde die Geschichte Johanns von Böhmen Teil der aufkeimenden Landesgeschichtsschreibung und nachfolgenden nationalen Geschichtsschreibung. Im Großherzogtum Luxemburg kannte seit dem 19. Jahrhundert beinahe jedes Kind König Johann von Böhmen unter dem Namen Johann, Graf von Luxemburg, Johann den Blinden, „Jean l’ Aveugle“, „Jang de Blannen“: Landesherr, vielfacher Städtegründer und in der Stadt Luxemburg als Begründer der seit 1340 jährlich begangenen Schobermesse, den tapferen Ritter, popularisiert in Liedern und Gedichten, der als Lehnsmann des französischen Königs im Reiterkampf gegen ein englisches Ritterherr in Crécy 1346 den Heldentod starb. Im Großherzogtum Lu-

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xemburg forderte man die Gebeine Johanns von Böhmen von dem preußischen Monarchen als Ausweis geschichtlichen und nationalen Selbstwertes ein. Diese Seite des Streits legte in ihren politischen Kontexten die jüngere luxemburgische Geschichtswissenschaft offen. In älteren Nationalgeschichtsschreibungen sprach man diesen böhmischen König teils abschätzig als „königlichen Fremdling“ an oder setzte Erzählungen des Heldenmythos akzentuiert neu fort. Jüngere Darstellungen sprechen begründet in den Konstellationen des 14. Jahrhunderts überzeugender von Johann von Böhmen als dem „königlichen Diplomaten“ der Dynastie der Luxemburger im Format eines von ihm bestimmten „itinéraire européen“.9 Damit nicht genug. Zeitlich früh bereits setzte auch eine Mythologisierung Johanns von Luxemburg als „zweiten Askanius“ ein, verbunden mit auch heilsgeschichtlichen Bezügen, wie sie Dante Aligheri (1265–1321) im 13. Gesang seiner Divina Commedia formulierte.10 Die Eigenheiten der Geschichte der Wahrnehmung Johanns von Luxemburg bewegte bereits Zeitgenossen. Ein ganz eigenes Format, und dem gilt das Interesse hier, kommt der Rezeption von Johanns Schlachtentod und den an dem Besitz seiner Gebeine festgemachten Geschichtsvorstellungen in der Geschichtskultur und im politischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts zu. Deren Reichweite lenkt den Blick auf die Ansprüche

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Lenka Bobková: Jan Lucemburský, V Praze 2018; František Šmahel / L enka Bobová: ­ ucemburkové: Česká korona uprostred Evropy, Praha 2012; zur älteren Historiographie Jean L Bertholet, Histoire ecclésiastique et civle du duché de Luxembourg et comté des Chiny, Luxembourg 1741–1743; Johann Schötter: Johann, Graf von Luxemburg und König von Böhmen, 2 Bde., Luxembourg 1865; zur Rezeptionsgeschichte der in der frühen Historiographie entwickelten Vorstellungen über Johann von Böhmen Jana Fantysová-­Matejková: Der Pater Patriae und der Vater der luxemburgischen Geschichtsschreibung?, in: Lenka Bobková / Jan Zdichynec (Hrsg.), Geschichte – Erinnerung – Selbstidentifikation. Die schriftliche Kultur in den Ländern der Böhmischen Krone im 14.–18. Jahrhundert, Praha 2012, S. 51–71; zu den jüngeren dynastie- und jeweils auch landesgeschichtlich bestimmten Forschungen Ivan Hlaváček: Johann der Blinde, König von Böhmen und Graf von Luxemburg, in: Franz-Josef Heyen (Hrsg.), Balduin von Luxemburg. Erzbischof von Trier – Kurfürst des Reiches 1285–1354, Mainz 1985, S. 151–175; Michel Margue (Hrsg.): Un itinéraire européen. Jean l’Aveugle, comte de Luxembourg et roi de Bohême (1296–1346), Brüssel 1996; ders.: Jean l’ Aveugle, chevalier parfait et prince idéal: images et realité, in: Hémecht 48 (1996), S. 367–378; Michel Pauly (Hrsg.): Johann der Blinde. Graf von Luxemburg, König von Böhmen 1296–1346, Luxembourg 1997; Ferdinand Seibt: Johann der Blinde in der Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts, in: ebenda: S. 9–21; Peter Hilsch: Johann der Blinde in der deutschen und böhmischen Chronistik seiner Zeit, in: ebenda, S. 21–37; Paul Spang: Die Grabstätten Johann des Blinden, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 19 (1993), S. 217–234; Michael Victor Schwarz (Hrsg.): Grabmäler der Luxemburger, Luxembourg 1997. 10 Lenka Bobková: I membri dell dinastica die Lussemburgo a Parma alla luce della coronaca della città (1331–1333), in: Bolletino dell’ Istituto Storico Ceco di Roma 10 (2016), S. 11–31; Martin Bauch: Überhöhung, Zerrbild und Klischee. Ein Blick auf Johann von Böhmen und Karl IV., mit den Augen italienischer Beobachter des 14. und frühen 15. Jahrhunderts, in: Studia mediaevalia Bohemica 10/2 (2018), S. 163–197.

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damit nachweisbarer Geschichtlichkeit dynastischer Tradition insbesondere für Friedrich Wilhelm IV. und dessen Geschichtsdenken. Deshalb geht es in der Gedächtnisgeschichte und der politischen Affäre im Kern um Funktionen des dynastischen Denkens in politisch zu entscheidenden Prozessen, die aber nicht Preußen und die Hohenzollernmonarchie allein betrafen. Preußen als Staat musste erst als aufgelöst gelten, damit die Luxemburger die Gebeine „ihres“ Grafen zurückerhalten konnten. Wozu das 1946? War es eine Folge eines neubedachten Mythos‘? Die Erforschung von Mythen besitzt in der Geschichtswissenschaft eine lange Tradition. Die jüngere erinnerungskulturelle Forschung erweiterte dieses Interesse bisweilen populär. Demgegenüber fragt die geschichtswissenschaftliche Forschung unbeirrt weiter mit ihrem methodisch-kritischen Erkenntnisinteresse nach den Interessenträgern und „Opfern“ von Mythen. Die ältere Mittelalterforschung bereits erschloss die Überlieferungen der Herkunfts- und Abstammungserzählungen. Vorrangig schaute sie auf die schriftlichen Quellen und auf die Fortschreibung der Heiligen- und Gründermythen. Nach und nach erkannte sie daneben die Bedeutung dieser verschriftlichten Erzählungen für die Ausformung sozialer Gruppen und Großverbände. Seit der Epoche der Romantik, der Zeit des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, erweist sich „Mythos“ als ein disziplinär immer wieder neu erschlossener Sachverhalt, so dass sich bis heute für den Begriff selbst keine alle disziplinären Ansprüche abdeckende Definition findet. Aleida und Jan Assmann überdecken disziplinär-methodische Unstimmigkeiten, wenn sie allein mehrere Hauptverwendungen des Mythos-Begriffs anführen. Sie heben dessen „historisch-kritische“ und „funktionalistische“ Bedeutung hervor und unterstreichen, wie der Mythos als „zeitlose Wahrheit“ und als „kultureller Leistungswert“ mannigfach Bedeutsamkeit erlangt.11 Der „Arbeit am Mythos“, wie sie auch Hans Blumenberg konzipierte12, steht das Erkenntnisinteresse der geschichtswissenschaftlichen Forschung mit dem Anspruch konsequenter historisch-kritischer Quellenarbeit gegenüber. Gleichwohl: Mythen und Heldentum sind auch heute en vogue. Die Zeitschrift „Stern“ illustrierte verschiedene Heldenfiguren, kulturhistorische Ausstellungen wie im Historischen Museum der Pfalz in Speyer zeichneten erfolgreich die Geschichte von „Idolen“ nach und Initiativen aus den Geisteswissenschaften analysieren Bilder und Bedeutungen von Mythen, Helden und Heldinnen bis heute. Zu allen Zeiten haben Menschen ihre Vorstellung von der Zukunft, ihre Hoffnungen ebenso wie ihre Ängste auch auf Figuren, auf Vorbilder, Gründer, Heilige und Helden – und weit weniger auf Heldinnen – projiziert und als Teil ihrer lebendigen Vergangenheit tradiert. Als „Schlüsselfiguren der Imagination“ besitzen sie 11

Aleida Assmann / Jan Assmann: Mythos, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechts­ geschichte, Bd. 4, München 1998, Sp. 179–200; Udo Friedrich / Bruno Quast (Hrsg.): Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2004. 12 Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos, Frankfurt a. M. 1979.

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in den Kulturen der Völker mannigfache und gegensätzliche Bedeutung. Mythen erreichen die Integrationsanforderungen an Verfassungen, wie sie damit auch ausgrenzen. In der gegenwärtigen Gesellschaft haben zugleich „Antihelden“ und „postheroische Helden“ je nach Perspektive Konjunktur.13 Eine auf mehrere Bände angelegte Publikationsreihe stellt unter dem Titel Mythen Europas von der Antike bis ins 19. Jahrhundert „Schlüsselfiguren der Imagination“ vor, während zugleich in entgegengesetzter Perspektive über Umstände eines „Europa ohne Mythen“ diskutiert wird. Mythen werden offenbar immer mehr als Argument nachgefragt und unvermindert von der geschichtswissenschaftlichen Forschung auf ihre Begründungen hinterfragt.14 Zu jenen seit dem frühen 19. Jahrhundert populär gemachten Schlüsselfiguren zählten Helden wie der legendäre „König Artus“ und aus den Reihen alteuropäischer Dynastien Kaiser Karl der Große, Kaiser Friedrich Barbarossa, Richard I. Löwenherz oder auch König Rudolf von Habsburg. Mit dem Ende des Heiligen Reichs deutscher Nation (1806) wurde in den deutschen Fürstenstaaten der mittelalterliche Mythos gerade dieser Könige kultur- und geschichtspolitisch bedeutungsvoll genutzt. Als Themen- und Motivvorlagen und zur Würdigung individueller historischer Persönlichkeiten fanden sie in Literatur- und Theaterstoffen, in der Geschichtsmalerei und Plastik sowie in monumentalen Bauprogrammen und der Denkmalkunst weite Beachtung und Verbreitung. Und weil in der Geschichtstheorie um 1800 längst ein Verständnis von der Geschichte als Prozess entwickelt war, fällt umso mehr in jenen Zeitsemantiken der Wille zur Wieder- und Neuaneignung der Geschichte des Mittelalters ins Auge. Als Form des geschichtlichen Denkens, mit dem Historismus, erreicht dieser bedeutungsvolle Diskurs geschichtstheoretisch heute die Problematik des Nachlebens von Geschichte. Folglich nimmt die gegenwärtige Geschichtswissenschaft entlang ihres gewandelten Selbstverständnisses die Rezeptionsgeschichte der Geschichte des Mittelalters ebenso auf wie die Erforschung des jeweiligen Geschichtsbewusstseins.15 13

Ulrich Bröckling: Antihelden, Freiburg i. Br. 2019; ders.: Postheroische Helden, Berlin 2020. Michel Pauly: Le Mythe, in: Margue, Un itinéraire, S. 190–202; Kordula Wolf: Troja und Europa. Mediävistische Mythenforschung im Visier, in: Wolfgang Huschner / Frank Rexroth (Hrsg.), Gestiftete Zukunft im mittelalterlichen Europa. Festschrift für Michael Borgolte zum 60. Geburtstag, Berlin 2008, S. 165–192; Michael Neumann (Hrsg.): Mythen Europas. Schlüsselfiguren der Imagination, Regensburg 2009; Benoit Majerus / Sonja Kmec / Michel Margue / Pit Péporté (Hrsg.): Dépasser le cadre national des „Lieux de mémoire“/Nationale Erinnerungsorte hinterfragt, Frankfurt a. M. 2009; Robert Evans / Guy Marchal (Hrsg.): The uses of the Middle Ages in modern European states: history, nationhood and the search of the orginis, Basingstoke 2011; Pit Péporté: Constructing the Middle Ages: Historiography, collective memory and the nation-building in Luxembourg, Leiden 2011. 15 In seiner „Historik“ bereits formulierte Johann Gustav Droysen die Umstände für ein „historisches Bewusstsein“ und dessen Funktion für Erinnerungen und Geschichtlichkeit. Johann Gustav Droysen: Historik, Textausgabe von Peter Leyh., Stuttgart 1977, S. 68 f. Für diesen Hinweis danke ich Johannes Süßmann. Zur Seite der modernen Geschichtsdidaktik Bodo von Borries: Geschichtsbewusstsein, in: Stefan Jordan (Hrsg.), Lexikon Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2002, S. 104–108; Hartmut Bookmann: Gegenwart des Mittelalters, Berlin 1988; Gerd Althoff (Hrsg.): Die Deutschen und ihr Mittelalter, Darmstadt 1992; Otto Gerhard Oexle: Mittelalterforschung in der sich ständig wandelnden Moderne, in: Hans-Wer 14

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Über die jüngere sozial- und verfassungsgeschichtliche Forschung wuchs auch das Interesse an der Neuaneignung der politischen Geschichte der Dynastien des Alten Europa in den gesellschaftlichen Umbrüchen des 19. und 20. Jahrhunderts neu. Entsprechende Forschungen zeigen, wie es Dynastien in doch zahlreichen deutschen Fürstenstaaten politisch gelang, den von ihnen behaupteten Verfassungsvorrang im Kampf mit liberal-parlamentarischen Ordnungsvorstellungen erfolgreich zu tradieren. Gegen Parlamentarismus und nationale Bewegungen obsiegte in vielen Beispielen für eine Weile das hergebrachte monarchische Prinzip. Die Tradierung authentischer historischer dynastischer Traditionen floss in die Legitimation der Dynastien und die öffentliche wie auch nationale Geschichtskultur ein. Die Frage, wie das politische Denken und Handeln Friedrich Wilhelms IV. angemessener als „Invention of Tradition“ zu erfassen sei, beantwortete David Barclay mit der Bestimmung des „Monarchischen Projekts“.16 Die Forschung hat inzwischen viele Facetten dieses „Monarchischen Projekts“ entfaltet. Mit der Gedächtnisgeschichte und der politischen Affäre kommt das mittelalterliche Geschichtsbewusstsein Friedrich Wilhelms IV. neu gewichtet hinzu. Wie verfügte er über die Gebeine Johanns von Böhmen im Gegenwartsinteresse an der Geschichte des Mittelalters, wie begründete er das neubestimmte Totendgedächtnis für diesen Ahnherrn? Im 19. Jahrhundert erfuhren einzelne Helden und Mythen aus der Geschichte mannigfache Aktualisierungen. In den Reihen jener zumal in den deutschen Fürstenstaaten populär gemachten historischen Helden findet sich Johann von Böhmen nicht. Das genau macht sein Beispiel so besonders. Mit der Ablehnung der politischen Umbrüche der Französischen Revolution formulierte man vielstimmig ein „neues Zeitalter des Rittertums“, in dem die Renaissance der christlich-europäischen Ritter- und Adelskultur des Mittelalters für die Zukunft der Gegenwart bedacht wurde. Hierbei geriet die Vergewisserung des Heldentums, der Ritterner Goetz / Jörg Jarnut (Hrsg.), Mediävistik im 21. Jahrhundert, München 2003, S. 227–252; ders.: Die Gegenwart des Mittelalters, Berlin 2013; Mathias Herweg / Stefan Keppler-Tasaki (Hrsg.): Das Mittelalter des Historismus, Würzburg 2015. 16 Barclay, Anarchie; ders.: Politik als Gesamtkunstwerk. Das Monarchische Projekt, in: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.), Friedrich Wilhelm IV., Künstler und König, Potsdam 1995, Frankfurt a. M. 1995, S. 22–27; Dirk Blasius: Friedrich Wilhelm IV., Persönlichkeit und Charakter, in: ebenda, S. 16–22; Frank-Lothar Kroll: Herrschaftslegitimierung durch Traditionspflege. Der Beitrag der Hohenzollern zur MittelalterRezeption im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 274 (2002), S. 61–85; Catharina Hasenclever: Gotisches Mittelalter und Gottesgnadentum in den Zeichnungen Friedrich Wilhelms IV., Berlin 2005; Rolf Thomas Senn: In Arkadien. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Berlin 2013; Werquet: Historismus; ders.: Konstruktion historischer Kontinuität. Der Ausbau der Klause bei Kastel unter Friedrich Wilhelm IV., in: Annette Dorgerloh / Michael Niedermeier / Horst Bredekamp (Hrsg.), Klassizismus – Gotik, Berlin 2007, S. 185–199; ders.: Eine „historische Basis“ für den preußischen Staat, in: Jörg Meier / Jan Werquet (Hrsg.), Friedrich Wilhelm IV. Politik – Kunst – Ideal, Berlin 2014, S. 81–99; Frank-Lothar Kroll / Dieter J. Weiß (Hrsg.): Inszenierung oder Legitimation? Monarchy and the Art of Representation, Berlin 2015; Volker Gallé (Hrsg.): Vom finsteren zum bunten Mittelalter, Worms 2019.

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lichkeit, der Tapferkeit König Johanns von Böhmen zu einem öffentlich gemachten politischen Argument: auf bezeichnende Weise geschichtsphilosophisch und kulturpolitisch ausgewiesen von Jean François Boch-Buschmann, Karl Friedrich Schinkel und Friedrich Wilhelm IV. Der mit König Johann von Böhmen verbundene Mythos nährte sich nicht aus den Legenden von König Artus und dessen Tafelrunde, nicht aus dem Ruhm Karls des Großen und auch nicht aus dem staufisch-kaiserlichen Sinn Barbarossas. Mit Johann von Böhmen verbanden sich tradierte Bilder und Erzählungen seiner Ritterlichkeit und der Mythos seiner Tapferkeit und Treue. Diese Zuschreibungen erwiesen sich unter den kulturellen und politischen Bedingungen des 19. Jahrhunderts als mannigfach anschlussfähig und kompatibel. Wieso? Der Mythos Johanns von Böhmen hatte historische Ursprünge im Leben und Tod dieses Königs. Dabei fehlen diesem König zwar vergleichbare typische Legenden mittelalterlicher Kaiser und Könige, nicht aber das starke Alleinstellungsmerkmal als treuer, adelige Ritter, als königlicher Held – bis in seinen Tod. Als Antwort und Reaktion auf die Umbrüche des frühen 19. Jahrhunderts wuchs das Interesse in bestimmten Schichten, die Geschichte des Mittelalters und damit die Idee personifizierter Ritterlichkeit zu erneuern, eben auch in einer Idolisierung des Ritters und Königs Johann von Böhmen. Hinzu trat das gerade von dem preußischen Monarchen gesuchte und erneuerte Totengedächtnis christlicher Memoria für Johann von Böhmen. Die Vergegenwärtigung dieser so geschichteten historischen Erinnerung transportierte schließlich den Markenkern dieses Helden in jeweilige Öffentlichkeiten. Wie die Helden haben auch Zeitalter Konjunkturen. „Zukunft braucht Herkunft“, argumentiert der Philosoph Odo Marquardt. Dabei sind es Zeichen und Bilder, die unsere Erinnerung ausmachen. Vergangenes zu deuten und sichtbar zu machen, bewegt Menschen wohl zu allen Zeiten. Die Beispiele sind ungezählt, ­Mathildas Puppe „Lilli“ aus Kindertagen, Antonias frühes „Schreibheft“, – oft bleiben solche Zeichen lebenslang als gehütete Träger von Erinnerungen bedeutsam. Das gilt auch im Großen, wie der mittelalterliche Dom zu Speyer als Bischofs- und Königsgrablege römisch-deutscher Könige oder die im 19. Jahrhundert entstandenen deutschen Freiheits-, National- und Mahndenkmäler zeigen. Wie vielfach in der Denkmal-, Sepulkral- und Gedächtniskultur spiegeln sie im öffentlichen Raum vermittelte sinnstiftende Mittelaltergegenwarten. Auch in Zukunft? Gräber und Mausoleen, Totenkult und Grabmalkultur erfuhren mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts teils traditionsstärkende, teils traditionsbrechende Funktionen. Eine Gruft, ein Grabmal, ein Mausoleum fungiert allgemein als topographisch-optisch und künstlerisch-architektonisch hervorgehobener Erinnerungsund Gedächtnisort an einen dort beigesetzten Verstorbenen, dessen An- und Gedenken nachfolgenden Gruppen wertvoll ist. Gruften, Grablegen und Grabmäler fixieren so auch eine bestimmte Sichtweise der Geschichte, eines Ereignisses oder einer als erinnerungswürdig erachteten Handlung oder Haltung einer

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herausgestellten Person. Die am authentischen Grab verstetigte Erinnerung wies prestigeträchtig und herrschaftsbezogen die Kontinuität eines Regimes aus. Folglich konnte eine Grablege und die Memoria als historisches Argument ein auch öffentlichkeitswirksames, emotionalisierendes politisches Gewicht erhalten. Im Rückgriff auf die Mittelalterliche Geschichte europäischer Reiche ließen sich mit Kaisern und Königen, bisweilen auch mit Kaiserinnen und Königinnen, verbundene dynastische Ordnungsvorstellungen und adelige Werthaltungen aktualisieren. Zumal Herrschergräber funktionieren deshalb bis in die Gegenwart oftmals wie ein „Legitimationsgenerator“ (Olaf B. Rader) zur Begründung traditionsgeleiteter Ordnungen.17 Für Johann von Böhmen bestand ein solches Grabmal eine Zeit lang im historischen Herzogtum Luxemburg, dann neu errichtet ab 1836 in Kastel (Saar). Ein Totengedächtnis in einer Gemeinschaft dauerhaft zu begründen, bedingt über die Kennzeichnung des Grabes mit Namen und Todestag des Verstorbenen hinaus Formen rituellen Gedenkens an diesem Ort. Als wesentlich für die Erinnerungswürdigkeit in der Gemeinschaft erweist sich die Gegenwart und die Verfügung über die Gebeine des Verstorbenen als authentischem Zeugnis. In seinem Testament bewies Johann von Böhmen, wie andere Könige und Dynastien zuvor ähnlich, seine „Willensgeschichte“ als Stifter der Memoria (Michael Borgolte). Bei der Bestimmung seines Grablegeorts folgte Johann von Luxemburg der Tradition seiner Vorfahren. In diesem Geschehen kam aus heilsgeschichtlicher Erwartung des christlichen Erlösungsglaubens die „Gegenwart der Toten“ (Otto Gerhard Oexle) verpflichtend zum Ausdruck, um Vergessen und Tod durch Erinnerung und Gedächtnis zu bannen. Memoria, so Otto Gerhard Oexle, betrifft „fundamentale Bereiche des Denkens und Handelns von Individuen und Gruppen und verweist auf eine Fülle von Gegebenheiten in Religion und Liturgie, Weltdeutung und Wissen“.18 Mit diesem Verständnis befruchtete Otto Gerhard Oexle diese Forschungen für die Geschichtswissenschaft selbst neu, indem er nach dem lateinischen Begriffssinn zwischen „Gedächtnis“ und „Erinnerung“ unterschied: „Gedächtnis kann bestimmt werden als die Fähigkeit, in der Vergangenheit Erlebtes, Erfahrenes, Erlerntes festzuhalten oder wieder hervorzurufen, als die Fähigkeit also, sich zu erinnern. Erinnerung ist nun aber nicht bloß eine Funktion des Gedächtnisses, 17

Wilhem Meier / Wolfgang Schmid / Michael Viktor Schwarz (Hrsg.): Grabmäler. Tendenzen der Forschung an Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit, Berlin 2000; Mark Hengerer (Hrsg.): Macht und Memoria. Begräbniskultur europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit, Köln 2005; Olaf B. Rader: Aufgeräumte Herrschaft. Zur Konstruktion dynastischer Ursprünge an königlichen Begräbnisstätten, in: Ulrike Hohensee / Mathias Lawo / Michael ­Lindner / Michael Menzel / Olaf B. Rader (Hrsg.), Die Goldene Bulle, Berlin 2009, S. 403–431; ders.: Zeremoniell und Memoria: Gräber als Legitimationsargument, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 115/116 (2013/2014), S. 57–73. 18 Otto Gerhard Oexle: Memoria, Memorialüberlieferung, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München 1993, Sp. 510–513.

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sondern darüber hinaus die Fähigkeit, sich der Hervorhebung von Vergangenem bewußt zu sein.“19 Memoria – ein Akt und Anspruch, der sich tief in die Ideen-, Kultur- und Sozialgeschichte einschrieb. Der in dieser Darstellung genutzte Begriff „Gedächtnis“ folgt den Überlegungen Oexles, bezieht ihn aber ausdrücklicher auf zeitspezifische Umstände, die er mit dem „Ende der Memoria“20 in der Zeit um 1800 wissensgeschichtlich ausmachte.21 Das „Ende der Memoria“ charakterisiert im Geschichtsverständnis des Historismus und im Museumswesen zusammengefasst neue Formen des Totenkults und der Grabkultur. Doch dieses „Ende“ fand auch Widerspruch. Diese Gedächtnisgeschichte ist bestimmt von solchem Widerspruch, von sozialen und politischen Gegenreaktionen zur Behauptung und dynastischer Tradierung der Memoria, bis hin zu dem erneuerten Stifterwillen. Dem in der Forschung eher bedachten Abbruch von Traditionen standen offenbar gerade in der sogenannten „Sattelzeit“ der Moderne öffentlich gemachte Kontinuitätsansprüche der Memoria in dazu vermittelten Vorstellungen von Mittelaltergegenwarten gegenüber. Nicht vergessen wurde 1846 in Kastel der 500. Todestag Johanns von Böhmen, womit nun der preußische König Friedrich Wilhelm IV. das Königsgrab und das Andenken an diesen mittelalterlichen Ahnherren programmatisch aufwerten ließ. Und zum 600. Todestag, 1946, führte man die Gebeine Johanns von Böhmen aus Kastel (Saar) nach Luxemburg zurück. Stets wurden dabei gegenwartspolitische Identitätsansprüche und Mittelalterimaginationen über diesen König öffentlich adressiert. Die Reichweiten dieser Anstrengungen aber änderten sich mit der Zeit und dem Anspruch geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis. Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar erzählt diese Geschichte aus zwei Richtungen: zum einen beginnend mit dem Tod Johanns von Böhmen in Crécy 1346 und dem Totengedächtnis an wechselnden Grablegeorten bis zu dessen gewaltsamen Abbruch im Ausgriff der Französischen Revolution nach Luxemburg. Zum anderen setzt im Zeichen der „Sattelzeit“ die Geschichte neu ein und findet im Europa des späten 20. Jahrhunderts mit dessen Ansprüchen an Orte lokaler und transnationaler Erinnerungen seinen Ausklang. Dafür stehen zeichenhaft der Denkmalbrunnen und das Königsgrab. 19 Otto Gerhard Oexle: Memoria und Memorialüberlieferung im früheren Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 10 (1976), S. 70–95; Michael Borgolte: Stiftung und Memoria, in: Thomas Schilp / Caroline Hroch (Hrsg.), Memoria – Erinnerungskultur – Historismus. Zum Gedenken an Otto Gerhard Oexle, Turnhout 2019, S. 75–93. 20 Otto Gerhard Oexle: Das Ende der Memoria, in: Truus van Bueren / Caroline Horch /  Thomas Schilp (Hrsg.), Reformations and their Impact on the Culture of Memoria, Tornhout 2016, S. 315–330. 21 Otto Gerhard Oexle: Die Gegenwart der Toten, in: Hermann Braet / Werner Verbeke (Hrsg.), Death in the Middle Ages, Löwen 1983, S. 19–77; ders. (Hrsg.): Memoria als Kultur, Göttingen 1995; ders.: Grab und Memoria in der Geschichte der Bilder vom Menschen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 115/116 (2013/2014), S. 13–57; Andreas Sohn (Hrsg.): Memoria: Kultur – Stadt – Museum / Culture – Ville – Musée, Bochum 2006.

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II. Der Tod eines Königs 1. Am Anfang war Crécy: 26. August 1346 Die Kurznachricht, ein dem eigentlichen Brief beigefügter Zettel, vermeldete es knapp: „Im Jahre des Herrn 1346, am 26. August, ereignete sich eine außergewöhnliche Schlacht zwischen den Königen von England und Frankreich, in der der englische König mit Gottes Hilfe triumphal siegte. Das geschah nahe dem volkstümlich Crécy genannten Ort. Dort im Heer des französischen Königs fiel unter den Fürsten der König von Böhmen“. Ähnlich modernen Kurznachrichten legte der Ritter Johann von Schönfeld diese Nachricht seinem am 12. September 1346 in Brügge an Bischof Gottfried von Passau adressierten Brief bei, den er durch einen Boten übermitteln ließ. Gottfried von Passau, der selbst an dem Kampf teilgenommen hatte und am Kopf verletzt worden war, berichtete über den Gegner, Ort, Zeit sowie die Dauer der Schlacht und führte dann auf der Totenliste gefallener Fürsten an erster Stelle „rex Bohemie senior“ an.22 Gemeint war damit Johann, Graf von Luxemburg (1296–1346), seit 1310 König von Böhmen, Sohn von Heinrich VII. (1278/79–1313) römisch-deutscher König seit 1308, Kaiser seit 1311, und Margaretes von Brabant. Johann agierte politisch und dynastisch zwischen Polen und Frankreich, in der Reichs- wie in der Kirchenpolitik vielseitig. In einer dynastie- und reichspolitisch bemerkenswerten Verbindung heiratete Johann im Rahmen mehrteiliger Feierlichkeiten am 1. September 1310 im Dom zu Speyer die böhmische Erbprinzessin Elisabeth (1292–1330), Tochter Wenzels II. von Böhmen (1271–1305, König seit 1297).23 Die feierliche Brautmesse zelebrierte der Mainzer Erzbischof Peter von Aspelt (1240/45–1320). In zweiter Ehe, 25 Jahre später, heiratete Johann von Luxemburg Beatrix, Tochter Herzog Ludwigs von Bourbon. Die Dynastie der Luxemburger war eng mit der französischen Königsfamilie und der Kultur ihres Hofes verbunden. ­Johanns Schwester Maria (um 1304–1324) war mit Karl IV. (1294–1328) verheiratet, König von Frankreich seit 1322. Johanns Sohn Karl (1316–1378) sollte einer der bedeutendsten Kaiser des späten Mittelalters werden. 1346 wählte ihn eine Mehrheit der Kurfürsten in Rhense zum römisch-deutschen König, seit 1347 war er zugleich böhmischer König. Wie sein Vater Johann war auch Karl IV. Lehnsmann des französischen Königs und beide nahmen sie 1346 an der Schlacht bei Crécy teil.

22 Johann Friedrich Böhmer: Acta Imperii selecta, Innsbruck 1870, Nr. 1055, S. 750; Vreni Dangl: Johann von Schönfeld: ein Passauer Ritter bei der Schlacht von Crécy, in: Passauer Jahrbuch 59 (2017), S. 77–88. 23 Lenka Bobková: Das Königspaar Johann und Elisabeth. Die Träume von der Herrlichkeit in den Wirren der Realität, in: Michel Pauly (Hrsg.), Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land, Luxembourg 2013, S. 47–75; dies.: Die Reise von Prinzessin Elisabeth von Böhmen zur Hochzeit mit Johann von Luxemburg, in: Hémecht 66 (2014), S. 135–154.

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Abb. 2: Darstellung der Eheschließung zwischen Elisabeth von Böhmen und Johann von Luxemburg. Der Mainzer Erzbischof Peter von Aspelt traute das Paar am 1. September 1310 im Dom zu Speyer. Codex Balduineus, illustrierte Chronik, um 1340. Codex Balduineus, Landesarchiv Rheinland-Pfalz, Koblenz, Bestand 1 C, Nr. 1, fol. 5.

Die übermittelte Briefnachricht galt einem militärischen Ereignis, nördlich von Abbeville an der Somme, nahe Crécy, wo nach einem Feldzug durch die Normandie und Piccardie ein deutlich kleineres Heer englischer Langbogenschützen und Berittener unter Führung von Eduard III. (1312–1377, König seit 1327) über das zahlmäßig stärkere Heer aus Armbrustschützen und Berittenen des französischen Königs Philipp VI. von Valois (1328–1350) und Verbündeter siegte.24 Dieser Sieg 24 Anne Curry / Véronique Gazeau (Hrsg.), La Guerre en Normandié, IXe–XVe siècle, Caen 2018; Uwe Tresp: Die Schlacht bei Crécy, in: Helena Dánová / Jiři Fajt (Hrsg.), Kaiser Karl IV. 1316–2016. Erste Bayerisch-Tschechische Landesausstellung. Ausstellungskatalog, Augsburg 2016, S. 65–68; Alain Atten: Die Luxemburger in der Schlacht von Crécy, in: Pauly, Johann der Blinde, S. 567–597.

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fand in beiden Königreichen und weit darüber hinaus an den Höfen große Aufmerksamkeit. Das, was Militärhistoriker an dieser Schlacht, ihre topographischen, waffentechnischen und taktischen Zusammenhänge und damit ihren Platz im Auftakt für die als „Hundertjähriger Krieg“ bezeichnete Periode folgenreicher Auseinandersetzungen zwischen den englischen und den französischen Königen besonders beachten, sahen Zeitgenossen weniger. Folgt man den höfischen Augenzeugen und den Geschichtsschreibern der Zeit, die in England, Frankreich, Italien, Deutschland und in Böhmen vielstimmig, aber unterschiedlich und in Details wiederum auch abhängig von einander über die Schlacht bei Crécy berichten, so heben sie immer wieder die Umstände hervor, die zum Tod Johanns im Reiterkampf führten. Johann von Böhmen galt den Zeitgenossen als Ausweis adeligen Ritterideals, der, fast erblindet, treu und aufopferungsbereit in jener Schlacht den Tod fand. In dieser Perspektive vor allem schrieben sie den Tod Johanns in ihre auch als nationalgeschichtliche Darstellungen angelegten und so gelesenen Chroniken ein.25 Stimmführend und bildprägend verband die auf die Königshöfe auf dem Festland hin ausgerichtete Propaganda des englischen Siegers den Tod Johanns mit dem Ruhm eines tapferen Ritters. Tatsächlich trug dieses Rittertum aber bereits deutlich Züge des Epigonentums. Standes-, sozial- und militärgeschichtlich hatte das Rittertum seinen Bedeutungshöhepunkt in den vergangenen Jahrhunderten der Kreuzzüge zur Eroberung des Heiligen Landes, danach deutlich abgeschwächt im Kampf gegen die Pruzzen und die Türken. Der Leitgedanke des miles christianus war darüber auch mit einer einzigartigen Laienkultur verbunden. Die Ideale des Rittertums faszinierten vor allem feudale Eliten. Die aus dem Rittergedanken entwickelten kulturellen Ausformungen bestimmten in Zeichen, Kostümen, Verhaltensregeln, Gesten und Ritualen weitgehend die soziale Ordnung, ebenso wie Ansehen, Ehre und Rang. Zugleich bildeten sie als Integrations- und Identifikationsfaktoren soziale Verbände und boten Raum, in einem ausgelegten ritualisierten Wettstreit Ritter- und Hofkultur gern prachtvoll zu demonstrieren. Die mittelalterliche Ritter- und Adelskultur, stets von Auf- und Abstieg einzelner sozialen Gruppen begleitet, behielt über das 14. und 15. Jahrhundert hinaus, teils als Bezugsraum moralischer, teils höfischer Vorbilder spezifische Anziehungskraft als eines „der merkwürdigsten und bedeutsamsten Phänomene der mittelalterlichen Welt“.26 Diese Anziehungskraft der Adelskultur hielt auch in den folgenden Jahrhunderten an, auch spektakulär neu bespielt am preußischen Hof in Potsdam 1829. Zu beachten bleibt, dass Historiker bis heute in den Archiven keinen als offiziell anzusprechenden Bericht über den Verlauf der Schlacht bei Crécy fanden. Man 25 Michel Mague: Images d’un prince idéal, in: Margue, Michel (Hrsg.), Un itinéraire européen. Jean l’ Aveugle, comte de Luxembourg et roi de Bohême (1296–1346), Bruxelles, S. 145–190. 26 So Josef Fleckenstein, zitiert nach Werner Paravicini: Die ritterliche-höfische Kultur des Mittelalters, München 1994, Vorwort.

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darf auch bezweifeln, dass es einen solchen Bericht je gab. Doch eine Vielzahl von Erzählungen ist überliefert. Sie lassen das Geschehen der Schlacht aber in einzelnen Umständen und Abläufen unklar, da die verschiedenen Autoren, die zum Teil nur Zeitgenossen des Ereignisses waren, ihren Schilderungen unterschiedliche Botschaften, Intentionen und politische Absichten gemäß den Erwartungen ihres jeweiligen Publikums einschrieben. Kurz: Sie projizierten Vorstellungen des Ritterideals auf Johann von Böhmen, und naheliegende Legenden und Sagenhaftes fügte man dem später auch noch hinzu. Mit ihren Deutungen und ihrem Bild von Johann dem Blinden als dem edlen Ritter prägten und tradierten diese Zeugnisse so dominante Vorstellung der Persönlichkeit Johanns und beeinflussten sie zunächst das weitere Andenken. Johann von Böhmen selbst ritt nicht unvorbereitet in die Schlacht bei Crécy. Bereits am 9. September 1340 traf er in einem Testament Vorkehrungen über seinen Tod hinaus, bedachte er sein Begräbnis und seine Grablege, ordnete er sein Seelengedächtnis und seine Herrschaftsnachfolge.27 Diese Vorgaben bestimmten in Luxemburg für Generationen das liturgische Gedächtnis an diesen außergewöhnlichen König. Somit sind es diese beiden Stränge der Erinnerungs- und Gedächtniskultur, das Totengedenken, sowie das historiographisch und bildlich öffentlich gemachte Andenken, die auf Dauer in auch veränderten Kontexten öffentlich rezipiert wurden, also geschichtsbildprägend und öffentlichkeitswirksam blieben. Beide Spuren führen 500 Jahre später zu jenem Denkmalbrunnen in Mettlach. Der den luxemburgisch-böhmischen Regenten politisch nahestehende Kaplan und spätere Konstanzer Chronist Heinrich (Truchseß) von Diessenhofen, um 1300 geboren, steuerte in seiner Erzählung dieses bezeichnende Detail des Schlachtgeschehens bei: Der seit geraumer Zeit erblindete König Johann habe drängend an der Schlacht bei Crécy teilnehmen wollen, weil er sich schon eine Weile einen solchen Tod im Kampf wünschte. Um mit dieser Gesinnung aber keine schwere Sünde zu begehen, habe er erklärt, für das Gemeinwesen zu handeln, wenn er hier treu und ehrenvoll in diesem offenen Krieg sterbe („se pro re publica affectare, ut in bello publico cum fide et honore debito moreretur“). So geschah es dann auch am 26. August und Johann fiel demnach in Treue zur Kirche und mit deren Segen („cum fide et favore ecclesie catholice certamen ingressus est“).28 Diese Einlassung des Chronisten lässt sich auch so verstehen, als wolle er den Verdacht ausräumen, der böhmische König habe hier mit Vorsatz den Tod gesucht. In der Forschung wird sie aber eher als Nachruf gedeutet, in den der Chronist bereits vermittelte Toten- und Ehrenreden auf den gefallenen König aufnahm, hier also 27

Bertholet: Histoire, S. 39–42; Heinz Thomas: Das Testament König Johanns von ­Böhmen und die Erbfolgeordnungen Kaiser Karls IV., in: Brigitte Kasten (Hrsg.), Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter, Köln 2008, S. 373–382; Michel Margue: Fecit Carolus ducere patrem suum in patriam suam. Die Überlieferung zu Bestattung und Grab Johanns des Blinden, in: Schwarz (Hrsg.), Grabmäler, S. 79–96. 28 Heinrich von Diessenhoven: Historia ecclesica seu chronicon, in: Johann Friedrich ­Böhmer (Hrsg.), Fontes rerum germanicarum, Bd. 4, Stuttgart 1868, S. 53.

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auch Legendenhaftes verfing. Als Kern der Aussage gilt eher unbestritten, dass dem erblindeten König offensichtlich der Gedanke vertraut war, zeitnah, also in dieser Schlacht zu fallen. Der böhmische Chronist Beneŝ Krabice von Weitmühl († 1375), Kanoniker des Prager Domkapitels, der im Auftrag Kaiser Karls IV. auch eine detailreiche Chronik verfasste, akzentuierte ein leicht anderes Bild des vorbildlich handelnden Königs. Er legte Johann den in späterer Zeit gern zitierten Ausspruch in den Mund: „Ein König von Böhmen flieht nicht. Führt mich in die vordere Kampflinie, wir fürchten nichts, schützt meinen Sohn (Karl).“ Das hier von dem Chronisten erzeugte Bild eines einvernehmlichen Verhältnisses zwischen Johann und seinem Sohn Karl entsprach freilich nicht der Wirklichkeit. Karl hatte soeben im Kampf um die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reichs alle seine politischen Möglichkeiten genutzt und war vor seinem Heerzug nach Crécy am 11. Juli 1346 im rheinischen Rhense von vier der sieben Kurfürsten zum römisch-deutschen König gewählt worden. Diese Wahl machte Karl IV. zum Gegenkönig Ludwigs IV. (1281–1347), römisch-deutscher König seit 1314 und Kaiser seit 1328. Damit stand nun zwischen den Dynastien der Wittelsbacher und Luxemburger ein außerordentlicher Konflikt um die Spitze des Heiligen Römischen Reichs an. Und anders als es die Erbfolgepläne seines Vaters Johann vorsahen, suchte Karl auch die Erbfolge in der Grafschaft Luxemburg. Noch wirkungsmächtiger als die Stimme des böhmischen Chronisten erwiesen sich für den Nachruhm Johanns französische Chronisten, vor allem der an den Adelshöfen in England, Frankreich und in Luxemburg geschätzte Poet Jean Froissart, ein erfahrener Kenner der höfischen Milieus.29 In Texten und Bildern prägten seine Werke, die zudem vielfach bearbeitet wurden und so große Verbreitung fanden, die damit als typisch angesehenen Vorstellungen der höfischen Adelskultur und des ritterlichen Kampfes.30 Demnach schickte der englische König am Tag nach der Schlacht seine Herolde aus, um auf dem Schlachtfeld bei Crécy die Gefallenen identifizieren zu lassen. So entdeckte man auch den Leichnam Johanns von Böhmen. Daraufhin ordnete König Eduard, der den böhmischen König auch wegen dessen ritterlichem Ansehen schätzte, die Totenehrung an einem besonderen Platz an. Eduard habe erklärt: „Hier fiel die Krone der Ritterschaft. Niemals war irgendwer diesem König gleich“. Froissart schreibt weiter, dass König Johann sich,

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Dirk Hoeges: Froissart, Jean, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München 1989, Sp. 984 f.; Godfried Cronen: La guerre en Normandié au XIVe siècle et le problème de l’evolution textuelle des Chroniques de Jean Froissart, in: Anne Curry / Véronique Gazeau (Hrsg.), La Guerre en Normandié, IXe–XVe siècle, Caen 2018, S. 111–148. 30 Mit Auszügen aus den betreffenden historischen Quellen Margue: Images; ders.: prince idéal; ders.: De la fondatione privilégiée à la nécropole familieale: l’abbaye de Clairfontaine, in: Annales de l’Institut Archéologique du Luxembourg 126/127 (1995/1996), S. 57–91; Heinz Thomas: Vater und Sohn. König Johann und Karl IV., in: Pauly, Johann der Blinde, S. 445–483, bes. S. 478 ff.

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angeführt von seinen Gefährten, darunter Heinrich Münch aus Basel, auf seinem Pferd in den Kampf führen ließ und so den Tod fand. Auch Froissart führt auf seiner Totenliste an erster Stelle König Johann von Böhmen an. Wer war dieser so gerühmte Johann von Böhmen? Aus Anlass der am 1. September 1310 im Dom zu Speyer gefeierten Hochzeit Johanns von Luxemburg mit der böhmischen Erbprinzessin Elisabeth beschrieb der böhmische Zisterziensermönch und Chronist Peter von Zittau den Prinzen als „neuaufleuchtenden Stern“, der „mit heiterem Gesicht und fröhlichem Herzen“ die zahlreich anwesenden Fürsten überragte.31 Doch sein Glanz schwand in späteren Jahren, nun versetzt mit epigonenhaftem Mythos. Und spätestens seit 1340 registrierten die Zeitgenossen einen mehr und mehr auf dem rechten Auge erblindeten König, der nach einer missglückten Augenoperation, die er in Montpellier vornehmen ließ, auch das linke Augenlicht nach und nach verlor.32 Ungeachtet dessen zeigte sich Johann von Böhmen in seiner ritterlichen Lebensart und politisch-dynastisch weiträumig von Litauen bis Oberitalien und bis Frankreich und Brabant engagiert, wie ebenso bei der päpstlichen Kurie in Avignon. Stets verfocht er die Intensivierung der böhmischen und luxemburgischen Territorialherrschaft und organisierte er in Heiratsprojekten sowohl eine Internationalisierung seiner Dynastie wie auch die Steigerung der böhmischluxemburgischen Hausmacht im Blick auf die Herrschaft der Dynastie im Heiligen Römischen Reich. Johann schätzte sein Stammland, er förderte mit Privilegien den inneren Ausbau der Grafschaft Luxemburg und stabilisierte dynastisch die Nähe zum französischen Königshof. In dieser Bindung wuchsen sein adeliges Prestige und sein Ansehen an den Höfen. Froissart, der sich in seinen Dichtungen und Chroniken als ein Ruhmredner des höfischen Rittertums auswies, prägte wie kein anderer im Erfolg seiner Chroniques das Bild von Johann als dem treuen und edlen Ritter. Die höfische Poesie und die mit ihr verbreiteten illustrierenden Szenen des Schlachten- und Ritterkampfes, die nur wenig von der – ausklingenden – geschichtlichen Wirklichkeit des Rittertums aufnahmen, wurden – neben den legendären Rittergestalten – zu bevorzugten Vorlagen, um danach das mittelalterliche Rittertum entsprechend nachzuleben. Im höfischen Kulturleben jener Zeit schätzte das Publikum freilich vor allem antike Helden wie Herkules, Alexander, Caesar, Ahnen Karls des Großen zugleich, neben den durch „minne“, „maze“ und „truive“ ausgezeichneten Rittern der Artus-Runde, Lancelot und Iwein, die Helden der Ritterepen. Froissart bot dazu keine Konkurrenz. In seinem Epos „Meliodor“ freilich eiferte er auch diesen Helden nach. Vor allem aber personalisierte er adeliges Heldentum und ritterliches

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Michel Pauly (Hrsg.): Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land: die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths von Böhmen in vergleichender europäischer Perspektive, Luxembourg 2013. 32 Liliane Bellwald: Das Augenleiden Johanns des Blinden aus medizinischer und medizinhistorischer Sicht, in: Pauly, Johann der Blinde, S. 545–567.

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Ethos – als ein wirkungsmächtiges Ideal. Froissart bot damit auch die Vorlagen, in ferner Zukunft Johann von Böhmen ausnehmend als tapferen Ritter und adeligen Heldenkönig zu sehen. Ritterlichkeit und die Ideale der mittelalterlichen Adelskultur blieben signifikante Ausweise kultureller und höfischer Vorstellung auch in den nachmittelalterlichen Jahrhunderten. Der Schutzgedanke der Kirche und der Christenheit, mehr noch der Kampf gegen die Ungläubigen im Kreuzzug sowie die Vorstellungen von den genannten antiken Heroen bis zu den legendären Rittern um König Artus und Tristan blieben an den Fürsten- und Königshöfen wieder und wieder rezipierte Vorbilder der Adelskultur und repräsentativer Selbstinszenierung. Als besonders wirkmächtige Repräsentanten dieser Adelskultur verstanden sich der burgundische Herzog Karl der Kühne (1433–1477) oder der österreichische Erzherzog ­Maximilian (1459–1519), römisch-deutscher König und Kaiser, die darin selbst wiederum nachfolgenden Fürsten und Regenten als Vorbilder dienten.33 Damit behielten die ethisch-moralischen Normen des Rittertums ihren Reiz als aktualisierbare kulturell-ästhetische und politische Ordnungsvorstellungen. Wie aus kaum einem anderen Bereich konnten derartige Vorstellungen von Zeit und Geschichtlichkeit auch als Handlungsräume verstanden werden. Um 1800 erfuhr die Erinnerung an das mittelalterliche Rittertum aus politischen Erwägungen eine außergewöhnliche Renaissance. Bis dahin war Johann von Böhmen zu keiner Zeit der „Ruhmvollste von allen“, als den ihn Barbara Tuchman in ihrem viel gelesenen Bestseller „Der ferne Spiegel“ (1978) anführt. Johann, der 1346 gerade fünfzigjährig starb, scheint von vielen Charaktereigenschaften geprägt gewesen zu sein, die wirkungsmächtig wurden. Auf einem anderen Blatt steht, welche – sinnstiftende – Bedeutung dieser historischen Person und dem Mythos nach deren Tod zugemessen wurde. Wo und wie aber wurde der Leichnam Johanns von Böhmen im Sommer 1346 beigesetzt?

2. Herz und Gebein: Geteilte Memoria Johann, Graf von Luxemburg, König von Böhmen, wollte in der Schlacht bei Crécy unzweifelhaft kämpfen. Und er dürfte dort auch mit seinem Tod gerechnet haben, als er in die Schlacht ritt – denn wie hätte er sich blind verteidigen sollen? 1340 bereits, nach seiner misslungen Augenoperation, beteiligte sich Johann an den Kämpfen des französischen Königs gegen die englischen Truppen, wo man einen Anschlag auf sein Leben verhinderte. Unter diesem Eindruck bestimmte Johann

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Die Bedeutung heroischer Haltung und deren Wandel im inszenierten Selbstverständnis frühneuzeitlicher Monarchen betont Martin Wrede: Die Inszenierung der mehr oder weniger heroischen Monarchie, in: ders. (Hrsg.), Die Inszenierung der heroischen Monarchie, München 2014, S. 8–40; Karl-Heinz Spieß: Idealisiertes Rittertum, in: ebenda, S. 57–76.

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von Böhmen am 9. September 1340 im Feldlager von Bouvines bei Tournai förmlich seinen letzten Willen in einem Testament.34 Das Sterben wollte rechtzeitig bedacht sein. Die Sorge um einen guten Tod bewegte nicht nur Adelige. Eine verantwortete Heilsfürsorge in Gestalt frommer Stiftungen zum Gebet für das Heil der Seele eines Verstorbenen und zugleich um Gottes Barmherzigkeit für sie im Endgericht führte das Mittelalter hindurch zu einer vielförmigen christlichen Erinnerungskultur. Nach der Lehre des Christentums blieb die in Riten und Gebeten perpetuierte Erinnerung an die Toten in der Verantwortung der (Über-) Lebenden. Für die Lebenden galten die Toten weiterhin als Rechtspersonen. Das im christlichen Erlösungsglauben gründende Andenken an die Toten zählt zu den grundbildenden und alle Lebensbereiche durchdringenden sozialen und religiös-kulturellen Phänomenen der Vergemeinschaftung verschiedener Gruppen. Damit verbunden gehörten fromme Stiftungen zu den augenfälligsten und wirkungsmächtigsten Formen christlicher Sozialgeschichte über das Mittelalter hinaus.35 Doch vor dem Sterben waren nicht alle gleich, wie mittelalterliche Fürsten- und Königstestamente zeigen. Mit dem rechtlichen Gewicht der Testamente ließen sich neben dem rituellen Gedenken auch die Erbnachfolge in der Herrschaft regeln. Verbunden mit religiösen Leit- und Heilsvorstellungen sowie mit den Ansprüchen gesteigerter adeliger Herrschaftsbildung zeigen Testamente oft auch detaillierte Strategien zur Vergegenwärtigung des Andenkens und adeliger Repräsentation.36 Mit dem im heilsgeschichtlichen Erlösungsglauben begründeten Totengedächtnis beauftragten seit dem frühen Mittelalter Adels- und Königsfamilien von ihnen ausgewählte Kleriker oder Ordensgemeinschaften, da diese sich durch ihre 34

Bertholet, Histoire, S. 39–42; Margue, Carolus, S. 80 ff.; Anders als Johann von Böhmen erfuhr später der Sohn König Eduards III. von England, der so genannte „Schwarze Prinz“, der auch in Crécy kämpfte, als Ritter und in der Grablege der Dynastie kontinuierliche Erinnerung. Lynn T. Courtenay: Der Black Prince: Visuelle Metaphorik unter der Regierung R ­ ichards II., in: Ulrich Müller / Werner Wunderlich (Hrsg.), Herrscher, Helden, Heilige, Bd. 1, St. Gallen 1996, S. 245–265. Der Prinz von Wales, ältester Sohn des Königs oder der Königin von England, führt bis heute die Devise „Ich dien“, belegt erstmals für den „Schwarzen Prinzen“, den ältesten Sohn König Eduards III. Es wird vermutet, dass Prinz Eduard die Devise von seinem Gegner, Johann von Böhmen, übernommen hat; bewiesen ist diese Annahme bisher nicht. Franz Palacký: Geschichte von Böhmen, größtenteils nach Urkunden und Handschriften, Bd. 2,2, 3. Aufl. Prag 1879, S. 264 f.; Martin Bauch: Der Schwarze Reiter. Funeralzeremonie Karls IV. im europäischen Vergleich, in: ders. / Julia Burckhardt (Hrsg.), Heilige, Helden, Wüteriche. Eine konzeptionelle Skizze zu ‚Herrscherstilen‘ im langen Jahrhundert der Luxemburger, Köln 2017, S. 29–42. 35 Michael Borgolte (Hrsg.): Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Berlin 2000; Oexle, Memoria. 36 Heinz-Dieter Heimann: „Testament“, „Ordenung“, „Giffte under den Lebendigen“. Bemerkungen zu Form und Funktion deutscher Königs- und Fürstentestamente, in: Dieter Berg / Hans-Werner Goetz (Hrsg.), Ecclesia et Regnum. Festschrift für Franz Josef Schmale zum 65. Geburtstag, Bochum 1989, S. 273–284.

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Gelübde in besonderer Weise Gott verpflichtet hatten. Die Wahl des Begräbnisortes ergab sich aus familiären Traditionen, an deren Beginn oft ein Ahnherr des Geschlechts stand, um mit Bindung an diesen Ort zugleich auch herrscherliche Kontinuität auszuweisen. Gerade Fürsten- und Königsfamilien stifteten dazu oft ein Stift oder ein Kloster, d. h. sie stellten die entsprechenden materiellen Ressourcen für den Unterhalt der Gemeinschaft zur Verfügung, an deren Ort sie ihre Grablege anlegten. Freilich gab es auch bewusste Abweichungen von solcher Familientradition, etwa wegen der Erbfolge oder mit dem Wechsel in die Tradition anderer Herrscherdynastien. Die Grafen von Luxemburg, seit 1310 und bis 1437 auch Könige von Böhmen, bestimmten im 14./15. Jahrhundert ihre Grablegen verteilt in West- und Mittelosteuropa. Kaiser Heinrich VII., Johanns Vater, fand seine Grablege in der Kathe­ drale zu Pisa. Johanns ältester Sohn, Kaiser Karl IV., baute Prag als Residenzstadt aus und bestimmte den Prager Veitsdom zu seinem Grablegeort, dem wirkungsmächtigsten und glanzvollsten Sakralort des böhmischen Zweigs der Dynastie der Luxemburger.37 Im Wortlaut von Johanns Testament erkennt man nicht den Kämpfer und Ritterhelden. Eher tritt dem Leser hier ein Mann entgegen, der erkennbar geleitet von religiöser Orientierung mit Sorgfalt seinen Tod, seine Grablege und sein Seelenheil bedenkt. Der religiösen Mentalität der Zeit in der Sorge um einen guten Tod verbunden, bemerkt der König dort, „weil nichts sicherer ist als der Tod und nichts unsicherer als die Stunde des Todes zur Rettung seiner Seele nicht ohne Testament sterben zu wollen“. Aus dieser Vorsorge heraus bestimmt Johann, wo immer er sterben würde („ubicumque mori“), seine leiblichen Überreste zur Grablege in das luxemburgische Zisterzienserinnenkloster Clairefontaine zu bringen. Dazu wies er Mittel für dort jährlich an seinem Todestag zu feiernde heilige Messen an und traf Anweisungen, alle von ihm unrechtmäßig erworbenen Güter zurückzuerstatten sowie alle seine finanziellen Schulden zu begleichen. Zur Durchführung bestellte Johann von Böhmen Vertraute zu Testamentsvollstreckern. Johann wählte das Zisterzienserinnenkloster in Clairfontaine nicht zufällig für sich aus. Dieses Kloster, das zwischen den beiden Teilen der luxemburgischen Lan 37 Johannes Tripps: Restauratio Imperii. Tino da Camaino und das Monument Heinrichs VII. in Pisa, in: Schwarz, Grabmäler, S. 51–79; Eva Schlotheuber: Der Ausbau Prags zur Residenzstadt Karls IV., in: Markéta Jarosová / Jiři Kuthan / Stefan Schwarz (Hrsg.): Prag und die grossen Kulturzentren Europas in der Zeit der Luxemburger, Prag 2008, S. 601–621; Olaf B. Rader: Erinnerte Macht. Zu Symbol, Form und Idee spätmittelalterlicher Herrschergräber, in: Jiři Fajt / Andrea Langer (Hrsg.), Kunst als Herrschaftsinstrument, Berlin 2009, S. 173–183; Richard Němec: Architektur – Herrschaft – Land. Die Residenzen Karls in Prag und in den Ländern der Böhmischen Krone, Petersberg 2011; Martin Bauch: Divina favente clementia, Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV., Köln / Weimar 2015, S.  325 ff.; Romeo Schmitz-Esser: „Longue durée“ im Umgang mit dem Leichnam in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Thomas Kühtreiber / Gabriele Schichta (Hrsg.), Kontinuitäten, Umbrüche, Zäsuren, Heidelberg 2016, S. 331–355, bes. S. 337 ff.

II. Der Tod eines Königs

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desherrschaft Arlon und Luxemburg lag, war seit der Mitte des 13. Jahrhunderts infolge der Initiativen von Gräfin Ermesinde (1186–1242) das bevorzugte Hauskloster der Grafen von Luxemburg aus dem Haus Limburg-Namur. Diesem war Johann mit Beginn seiner Herrschaft verbunden, wenn er auch daneben später neue Stiftungen in Böhmen tätigte. 1340 entschied sich Johann mit dem Bestattungsort Clairfontaine gegen eine Grablege im Königreich Böhmen, die auch nahe gelegen hätte, und umso deutlicher für die Tradition der Grafen von Luxemburg. Dieser Absicht folgte er auch in der strikten Trennung seiner vielgliedrigen Hausherrschaft. Johann wies in seiner Erbregelung Karl IV. das Königreich Böhmen und Wenzel I. (1337–1383), seinem Sohn aus zweiter Ehe, die luxemburgischen Stammlande zu. Der Tod Johanns auf dem Schlachtfeld bei Crécy machte sein Testament nicht bedeutungslos. Aber der Protagonist des weiteren Geschehens war infolge des Sieges zunächst König Eduard. Er veranlasste aus Respekt vor diesem Toten auch die erste Totenfeier und dann die Bestattung Johanns. Den Chroniken zufolge wurde wegen der bei Sommerhitze absehbaren Verwesung der Leichnam Johanns zerteilt und sollen seine Eingeweide in der Zisterzienserabtei Valloires, nahe Authie, beigesetzt worden sein. Das Herz und die Gebeine Johanns übergab man seinem Sohn Karl.38 Das Herz setzte man sogleich in der Kirche des Dominikanerinnenkonvents von Montargis bei, wo Johann bereits 1324 seine Schwester hatte beisetzen lassen. Auf Grund der Nähe der Luxemburger zur französischen Königsfamilie kann man begründet vermuten, dass Karl bei der Beisetzung einzelner Körperteile an verschiedenen Orten dem Vorbild der jüngeren französischen Hof- und Grabkultur folgte. Die französischen Könige nutzten seit einiger Zeit ein entsprechendes päpstliches Privileg dazu, um auf diese Weise ihr politisch-dynastisches Ansehen zu steigern. Während man Johanns Herz in Montargis beisetzte und hier auch ein Totengedenken durch den dortigen Dominikanerinnenkonvent einsetzte, kamen seine Gebeine nicht nach Arlon, wie es Johann eigentlich in seinem Testament angeordnet hatte. Auf Wunsch seines Sohnes Karl wurden Johanns Gebeine nach der Einbalsamierung nach Luxemburg gebracht, wo sie am 7. September 1346 ankamen. Den genauen Termin der Beisetzung kennt man bisher nicht. Sicher anzunehmen ist, dass man die Gebeine Johanns dort in der Kirche der Benediktinerabtei beisetzte und womöglich Karl selbst diese Bestattung und die Feier des Toten­ gedächtnisses verantwortete. Karl erklärte nämlich am 26. September 1346, also genau einen Monat nach Johanns Tod, gegenüber Arnold von Arlon, einem Ratgeber Johanns und Financier luxemburgischer Politik, einen Restbetrag über 677 Gulden für die Beschaffung von Brot, Wein, Fleisch, Hafer, für Spezereien, Gewürze sowie für 2 Pferde in Metz und anderen Orten anlässlich der Bestattungsfeiern schuldig zu bleiben. Während eine Reihe der Chroniken über die eigentliche Bestattungsfeierlichkeit kaum Worte machen, halten sie doch ausdrücklich 38

Margue, Carolus, S. 87.

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A. Gedeutete Geschichte: Annäherungen 

fest, dass eine größere Zahl luxemburgischer Ritter den Leichnam Johanns nach Luxemburg begleitete. In der dortigen Münsterabtei setzte aller Wahrscheinlichkeit das von Karl dotierte Totengedenken für seinen Vater ein. Dass dieses dort tatsächlich eingerichtet galt, folgt aus einer Stiftung, die der Sohn Kaiser Karls IV., Wenzel (1361–1419), böhmischer und seit 1376 bis zu seiner Absetzung 1400 römisch-deutscher König, 1384 anlässlich eines Besuchs bei seinem Onkel gleichen Namens in Luxemburg tätigte. In der Urkunde heißt es, dass die Ordensleute für das Seelenheil seines Großvaters und dessen Vorfahren täglich die heilige Messe zu feiern haben, vor dem Altar und vor dem Grab unseres Ahn Johann, König von Böhmen („in choro ante sepulchrum dicti avi nostri Johannis Regis Boemie“).39 Wenngleich spätere Chronisten Johanns Grab nun aber neben den Gräbern der luxemburgischen Grafen in der Krypta gesehen haben wollen, sprechen die Königswürde und Vergleichsbeispiele für einen Grabplatz Johanns im Chorraum der Kirche. Hier enden einstweilen auch die Nachweise des kirchlich verantworteten liturgischen Gedächtnisses. Die Dynastie der Luxemburger starb in ihrer böhmischen Linie 1437 mit dem Tod Sigismunds (1368–1437) aus. Sigismund war König von Ungarn und von Böhmen, römisch-deutscher König und seit 1433 Kaiser. Genealogisch starb diese männliche Linie der Dynastie aber eigentlich mit dem Tod des Enkels Kaiser Sigis­ munds 1457 aus, mit Ladislaus V. „Postumus“ (1440–1457), König von Ungarn und Böhmen. Die zweite Linie der Dynastie im Herzogtum Luxemburg endete ebenfalls in dieser Zeit. Ihre Herrschaft erwarb und eroberte bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts Philipp III., der Gute, Herzog von Burgund (1396–1467) als Teilgebiet seines Herzogtums. In der nächsten Generation fiel das Herzogtum Luxemburg an den habsburgischen Erzherzog Maximilian (1459–1519), römisch-deutscher König seit 1486 und Kaiser seit 1508, und auf Dauer an das Haus Habsburg. Als Erben der Luxemburger auch im (Wahl-)Königreich Böhmen griffen im 16. Jahrhundert die habsburgischen Herrscher die Prager Metropole mit der Grablege der böhmischen Könige im Dom als Kontinuitätsfaktor und als Ausweis ihrer legitimen Herrschaft in Böhmen auf. Die Strategie Kaiser Karls IV., seine Grablege im Prager Dom und damit auch diese Begräbniskirche repräsentativ auszubauen und populär zu machen, mündete auf lange Sicht in eine Erfolgsgeschichte der Erinnerung an diese Dynastie. Und in Luxemburg? Das gestiftete liturgische Totengedächtnis ist religiös auf die Ewigkeit ausgerichtet. Tatsächlich jedoch unterliegt die beabsichtigte Kontinuität mancherlei Brüchen. Ein entscheidender Faktor dafür liegt im Aussterben der Dynastie der Luxemburger. Ihre Erben, die Dynastie der Habsburger, setzten neben ihrem eigenen Herrschergedenken seit dem späten Mittelalter die prestigeträchtige burgun 39

Ebenda, S. 91 f.

II. Der Tod eines Königs

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dische Tradition fort, – den Titel der Herrschaft Luxemburg addierten sie zu ihrer vielteiligen Großherrschaft hinzu. Mit der Geschichte der einzelnen Linien des habsburgischen Gesamthauses trat auch das Andenken an die Luxemburger Könige außerhalb Prags zurück. Die frühneuzeitlichen Herrscher aus dem Hause Habsburg, so sie denn das Herzogtum Luxemburg behaupteten, hielten das liturgische Andenken an Johann von Böhmen wohl aufrecht. Gleichwohl brach mit den politischen Konflikten und Kriegen, in die das Herzogtum Luxemburg als Teil habsburgischer Großherrschaft in die habsburgisch-französische Rivalität bis in die Zeit der Französischen Revolution eingebunden blieb, das lokale Totengedenken zeitweilig ab. Darin gründete dann die beispiellose Odyssee der Gebeine Johanns von Böhmen. Die erste Etappe dieser Odyssee stand im Zeichen der Kriege zwischen Kaiser Karl V. (1500–1556), römisch-deutscher König seit 1519, und Franz I. von Frankreich (1494–1547), König seit 1515, in deren Verlauf das Herzogtum Luxemburg mehrfach besetzt wurde. Als französische Truppen 1543/44 das Herzogtum Luxemburg eroberten, wurde die Münsterabtei teilweise zerstört. 1546 fiel das Herzogtum wieder an das Haus Habsburg zurück. Der Humanist Jacobus Meyer sah nach seinen 1537 in Frankfurt am Main erschienenen „Annalen sive historiae Belgaricum“ in der Kirche des Münsters ein prächtiges, mit 50 Darstellungen von Rittern geschmücktes Grabmonument für Johann von Böhmen.40 Folgt man dieser Beschreibung, dann könnte auf dem Grabmal der historische Trauerzug für Johann abgebildet gewesen sein, eventuell aber auch (nur) die heraldischen Zeichen und Wappen der beteiligten Ritter. Wenn dem so gewesen ist, dann hätte in dieser Kirche ein repräsentatives Grabmal für Johann von Böhmen in der so aufgewerteten Stadt Luxemburg bestanden. Trotz großer Schäden an der Kirche in den Kriegen Mitte des 16. Jahrhunderts blieben die Gebeine Johanns von Böhmen in dem Sarg unversehrt. Es waren wohl Franzosen, die in jener Kriegszeit die Gebeine Johanns zeitweilig in die Obhut der Franziskaner in Luxemburg brachten. Nach der späteren Rückeroberung des Herzogtums Luxemburg erlangten die Benediktiner die Gebeine Johanns von den Franziskanern wieder zurück. Es folgte freilich ein Streit zwischen diesen beiden Gemeinschaften um das Totengedächtnis für Johann, in dem sie nicht zuletzt um religiös ausgewiesene Repräsentationsansprüche und um Einnahmequellen konkurrierten. Man war auch dazu gekommen, interessierten Besuchern in dem geöffneten Sarg die Gebeine Johanns von Böhmen zu zeigen. Diese Praxis lässt auf ein barockzeitliches Interesse an Todesikonographien und Schaureliquiaren schließen. Es wuchs dabei ein profanes Interesse, in den Gebeinen authentische historische und menschliche Zeugnisse zu sehen und solche „Antiquitäten“ auch privat zu sammeln. So offenbar auch Graf Hermann von Manderscheid-Blankenheim (1548–1604), der 40

Schötter, Johann von Luxemburg, S. 284–300.

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A. Gedeutete Geschichte: Annäherungen 

sich bei einem Besuch des Konvents den Schädel und einen Teil des rechten Unterarms Johanns aneignete. Erst 1630 erlangten die Benediktiner mit viel Mühe und politischem Einsatz der Landesherrin, Isabella von Spanien, diese Teile der Gebeine Johanns von Böhmen wieder zurück.41 Die Benediktiner hatten sich zuvor im Stadtgrund bei einer Stiftung, die auf Kaiser Heinrichs VII. zurückging, eine neue Abtei errichten lassen, die sie Neumünster nannten. Hier weihte man am 6. September 1618 ein marmornes Denkmalgrab ein. Die überlieferte Inschrift datierte „1613“, benannte „Joannes Rex Bohemiae, Comes Luxemburgensis“ und verwies auf seinen Tod sowie den seiner ihn begleitenden Reiter bei Crécy.42 An dieser Erneuerung und der Bekräftigung der Erinnerungswürdigkeit Johanns wirkten Erzherzog Albrecht VII. (1559–1621) und dessen Gemahlin Isabella Eugene von Spanien interessiert mit. Erzherzog Albrecht hatte zunächst als Erzbischof und Kardinal eine geistliche Karriere gemacht, wurde nach Dispens dann aber mit Isabella von Spanien verheiratet. König Philipp II. von Spanien (1527–1598) übertrug diesem Paar das Herzogtum Luxemburg zur Herrschaft. In Philipps Politik flossen hier dynastische, (landes-)politische und konfessionelle Absichten zusammen, die in diesem Moment auch das Totengedächtnis für Johann von Böhmen erreichten. Da das luxemburgische Herrscherpaar aber kinderlos blieb, brach die eben neu eröffnete dynastisch mitgetragene Memoria wieder ab. Das Herzogtum Luxemburg fiel an die spanische Krone zurück und alsbald geriet das Land neuerlich zwischen die Fronten der Großkriege der Zeit. Das neue Grabmal blieb ein Zwischenspiel von vielen. 1684, im Zuge französischer Eroberungen der Festung Luxemburgs, brachte man die Gebeine Johanns aus der brennenden Abtei in die Oberstadt. Später kehrten sie in die wiederaufgebaute Neumünster-Kirche zurück, doch nicht in das marmorne Grabmal. Deshalb deponierte man den Sarg mit den Gebeinen Johanns von Böhmen wenig später, 1688, dort in einer Altarmensa, allgemein als „Heiliges Grab“ angesprochen. Das Grab gewann so einen neuen Charakter in der entstehenden Öffentlichkeit, umfangen von der Bauhülle des sakralen Kirchenraums. Der Altar selbst war kein Sakraldenkmal, aber ein Memorialaltar. Das „Heilige Grab“ zeigt oben aufgebettet

41 Joseph Maertz: Entstehung und Entwicklung der Wallfahrt zur Trösterin der Betrübten in Luxemburg 1624–1666, in: Hémecht 18/1 (1966), S. 9–79. Abt Petrus Roberti, der 1613 die Erstellung des Grabmals für Johann von Böhmen mitverantwortete, bat am 21. Juli 1614 den Grafen von Manderscheid um Rückgabe des Schädels. Er fand sich dazu erst auf Vermittlung von Erzherzogin Isabella bereit. Der Abt argumentierte in seinem Schreiben, den Schädel mit dem „zugehörenden Leibe verbinden zu wollen“, weil auf Kosten Erzherzog Albrechts ein „hervorragendes schönes Grabmal errichtet werden solle“; Niclas Lackas: Hundert Jahre Königsgrab an der Saar, Trier o. J., S. 38 f. (Abdruck des Briefs); Fantysová-Matejková: Pater Patriae; Johannes Süßmann: Albrecht und Isabella in Brüssel, in: Hermann Kamp / Sabine Schmidt (Hrsg.), Erinnerungsorte in Belgien, Bielefeld 2020, S. 113–136 zur Bedeutung dieses Herrscherpaares in den 1830er Jahren zur Begründung einer belgischen Nationalität. 42 Schötter, Johann von Luxemburg, S. 297, Anm.

II. Der Tod eines Königs

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Abb. 3: Heiliges Grab, Altarmensa. Krypta der Kathedrale Notre-Dame, Luxembourg. Inschrift: „Hier ruht Johann, König von Böhmen, Graf von Luxemburg // Sohn Kaiser Heinrichs VII., Vater Kaiser Karls IV., Großvater der Kaiser Wenzel und Sigismund“. Wikipedia commons.

den Gekreuzigten, um den Nicodemus von Arimathea, der Heilige Johannes und fünf Frauen trauern, und es trägt frontseitig die Inschrift „D. O.M. Hoc sub altari servatur Johannes rex Behemiae, comes Luxemburgensis, Henrici VII Imperatoris filius, Caroli IV Imperatoris pater, Venceslai et Sigimondi Imperatorum avus, Princpes animo maximus, obiit MCCCXL, 30. Aug.“43 Die Inschrift erinnert an die Dynastie der Luxemburger und ihre Herrschaft im Heiligen Römischen Reich, sie transportiert herrschaftsbezogenes historisches Wissen, nicht aber näher den Schlachtentod König Johanns in Crécy, wie es an dessen vorhergehendem Grabmal der Fall gewesen war. Die neue Inschrift verdeutlicht die genealogische Verwandtschaft mit den regierenden Habsburgern. Religiös-konfessionell bestimmte Anstrengungen des neuen habsburgischen Herrscherpaares führten auch zur Begründung einer Wallfahrt, womit sich die Mittelpunktfunktion ihrer Residenzstadt stärken ließ. Eine Sakralisierung Johanns als einer Art Gründer des Landesherrschaft unterblieb, – auch sind im Figurenprogramm nicht Herrschergrab und Heiligengedenken verbunden worden. Der Altar und die in den beigestellten Figuren der Leidensgeschichte Christi entnommene Szene deuten 43

Ebenda: S. 299; Pauly: Le Mythe, S. 192.

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A. Gedeutete Geschichte: Annäherungen 

vielleicht die Einheit von Reich und christlicher Herrschaft an, wobei szenisch der Todesgedanke mit Verweis auf den christlichen Auferstehungsglauben dominiert. Nach 1688 aber fand so dort die Memoria für Johann von Böhmen zwar einen kirchlichen Mittelpunkt, doch die Totenruhe konkurrierte mit profanen Besucherinteressen. Gänzlich abbrechen sollte das kirchlich verantwortete Herrschergedenken am Grabmal mit den antiadeligen und antikirchlichen Forderungen der Französischen Revolution, die in der Eroberung Luxemburgs durch die Truppen der Republik Frankreich 1795 aktuell wurden. Um die Gebeine und weitere Ausstattungsstücke der Kirche vor der erwartbaren Soldateska zu schützen, gab der Abt sie in die Obhut vertrauter Luxemburger Bürger, letztlich an die Familie Boch. Bei der Einnahme der Stadt Luxemburg im Sommer 1795 wurde jener Memorialaltar tatsächlich nicht zerstört. Der Altar gelangte zusammen mit anderem Mobiliar der Neumünsterkirche in die Oberstadt in die Kathedrale Unserer Lieben Frau. Dort befindet sich dieses „Heilige Grab“ bis heute. Darin ruhen seit dem Sommer 1946 auch wieder die Gebeine Johanns von Böhmen. Die Odyssee der Gebeine Johanns von Böhmen ist bis hierher bereits beispiellos, und sie ist bezeichnender Weise hier noch nicht beendet: Die geteilte Beisetzung mit dem Herz Johanns im Kloster der Dominikanerinnen von Montargis und seiner Gebeine in Luxemburg wurde zu keiner populären Erfolgsgeschichte wie es für die Dynastie in Prag der Fall wurde. In Luxemburg tradierte man im Raum und in der Verantwortung der Abtei der Benediktiner die Gegenwart des Toten unter den Lebenden am ehesten, zeitweilig mitgetragen von den Interessen der Habsburgerdynastie. Das in Stein gehauene historische Wissen um den Schlachtentod Johanns von Böhmen fand im Bildprogramm des „Heiligen Grabes“ keine Erwähnung. Die von der Geschichtsschreibung des Jesuiten Jean Bertholet (1688–1755) von nun an dominante luxemburgische Kirchen- und Landesgeschichtsschreibung entwickelte in Kenntnis auch der böhmischen Chronistik des späten Mittelalters ein ausdrücklicheres Interesse an der Geschichte und der Person Johanns von Luxemburg. Der Ort der Grablege aber verlor mit der Säkularisierung des Kirchengebäudes und der Auflösung des Benediktinerkonvents im Rahmen der Integration des eroberten Luxemburgs in die Republik Frankreich seine hergebrachte Bedeutung. Nach und nach schwand damit wohl auch das allgemeine Wissen um die Existenz und die Bedeutung der Gebeine Johanns von Böhmen. Freilich nicht überall. In einer politisch krisenhaften Zeit, in der Kontinuitäten gesucht wurden, sollten die Gebeine und das Andenken an Johann von Böhmen neu faszinieren und provozieren.

B. König Johann von Böhmen – Der Streit um seine Gebeine und Grablege im Europa der Dynastien: Eine Gedächtnisgeschichte und politische Affäre Preußens I. „Sattelzeit“ – Ein neues Zeitalter des Rittertums und die Aktualität des Mittelalters Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden Wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort? Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden, Und das neue öffnet sich mit Mord. Und das Band der Länder ist gehoben, Und die alten Formen stürzen ein; Nicht das Weltmeer hemmt des Krieges Toben Nicht der Nilgott und der Rhein. (…) In des Herzens heilig stille Räume Mußt du fliehen aus des Lebens Drang, Freiheit ist nur in dem Reich der Träume Und das Schöne blüht nur im Gesang.

Eher pessimistisch begrüßte so Friedrich Schiller (1759–1805) zum Jahreswechsel 1800 die neue Zeit in seinem Gedicht Der Antritt des neuen Jahrhunderts.1 Dabei standen dem Dichter die jüngsten Kriege zwischen Frankreich und England vor Augen wie ebenso die politische Situation des Heiligen Römischen Reichs, für das sich eine mit viel Blutvergießen bezahlte Auflösung bereits abzeichnete. Deshalb hielt Friedrich Schiller für die Zukunft nur noch eine Flucht in das „Reich der Träume“ für geboten. So skeptisch Friedrich Schiller das Zeitgefühl um 1800 auch erfasste, andere Zeitgenossen registrierten zwar ebenso die mit Gewalt und ungezählten Toten verbundenen Kriege, nahmen die Ereignisse aber zum Anlass, um über Chancen eines Neuanfangs nachzudenken. Ihnen stand der Sinn nach Aufbruch. Diese Mentalität bewegte in veränderten Kontexten eine gute Dekade später nochmals die Menschen in der Mitte Europas. In den Befreiungskriegen von 1813/14 gegen die napoleonische Hegemonie wuchs in breiten Bevölkerungskreisen deutscher Fürstenstaaten die patriotisch bis religiös vorgetragene Forderung nach föderaler und nationaler Einheit. 1

Friedrich Schiller: Der Antritt des neuen Jahrhunderts. Sämtliche Werke, Bd. 1, 8. durchges. Aufl., Darmstadt 1987, S. 458 f.

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B. König Johann von Böhmen 

Sie waren seit den Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts von teils visionär formulierten kulturellen Identitätsansprüchen, teils von antizipierten patriotischen Inhalten der Nation getragen, die zugleich mit unterschiedlichen parlamentarischen Verfassungsvorstellungen einhergingen. Die ungezählten Toten der Befreiungskriege markierten in diesem Geschehen eine eigene Zäsur. Im politischen und gesellschaftlichen Wandel bildete das Jahr 1800 keine Epochenzäsur.2 Der von harten Konkurrenzen um neue politisch-soziale Ordnungen gekennzeichnete Wandel um 1800 wurzelte in Impulsen der vorausgegangenen Zeit, der sogenannten Aufklärung. Der Begriff „Aufklärung“ meint in diesen Kontexten im Kern einen mit den Traditionen brechenden Denkstil, der nach und nach die Weltsicht fundamental veränderte. Er ließ ein neues Zeit- und Geschichtsverständnis reifen, mit dem man geschichtliche Entwicklungen nun in grundlegend neuen Perspektiven des Fortschritts verstand. Die Reichweite des Wandels zwischen 1750 und grob der Mitte des 19. Jahrhunderts aus mannigfach registrierten verändernden Zeiterfahrungen, von gewaltintensiven Revolutionen und sozialem Wandel, von aufkommender Industrialisierung und neuen Formen der Kommunikation und öffentlicher Kultur mit eingeforderter politischer Partizipation fasst der Begriff „Sattelzeit“. „Sattelzeit“ gilt als einer der Schlüsselbegriffe zum Verständnis der jüngeren Moderne.3 Dieser spannungsvolle Begriff umgreift auch das Streiten um die politische Geltung der reklamierten Ideale des mittelalterlichen Rittertums und des tradierten Totengedenkens, wie die weitere Odyssee der Gebeine Johanns von Böhmen zeigt. Die Geschichtswissenschaft erfasst ihrerseits das in jener Zeitphase veränderte Selbstverständnis der Geschichte im weitläufigen Begriff „Historismus“. Er schließt, wie der Ideenhistoriker Reinhart Koselleck früh festhielt, mit der Etablierung des modern-fortschrittlichen Geschichtsdenkens auch eine „Erfindung des Mittelalters“ in einer Neuaneignung historischen Wissens ein. Daher bezeichnet „Historismus“ nach der Argumentation Otto Gerhard Oexles auch ein spezifisches Konstruktionsphänomen der Moderne selbst und ihres Verständnisses von Mittelalter. Mittelalter-Gegenwärtigkeiten, Anstrengungen der Rezeption mittelalterlicher Geschichte und Modernisierungen behinderten sich folglich nicht. Der gezielte Rückgriff in die Geschichte begleitet die Modernisierung in einer fortwährenden auch mittelaltergeschichtlichen Rezeptionskultur und ist dabei Ausdruck von vermitteltem Geschichtsbewusstsein zwischen Traditionsgeltung und Wandel.4

2 Lothar Gall: Aufbruch in die Moderne: Revolution oder Reform, in: ders. (Hrsg.), Das Jahrtausend im Spiegel der Jahrhundertwenden, Berlin 1999, S. 313–343. 3 Élisabeth Décultot / Daniel Fulda (Hrsg.): Sattelzeit, Berlin 2016. 4 Otto Gerhard Oexle: Historismus. Überlegungen zur Geschichte des Phänomens und des Begriffs, in: ders., Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus, Göttingen 1996, S. 41–72; Mathias Herweg / Stefan Keppler-Tasaki: Das Mittelalter des Historismus. Umrisse einer Rezeptionskultur, in: dies., Historismus, S. 9–38.

I. „Sattelzeit“ – Ein neues Zeitalter des Rittertums 

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Ein verändertes Geschichtsdenken und Mittelalterbild gehören zu den nachwirkenden intellektuellen Anstrengungen der Aufklärung ebenso wie der Wandel der sozialen und ökonomischen Grundlagen der vormaligen Gesellschaft. Den wirtschaftlichen Wandel trieb insbesondere die in England beginnende Industrielle Revolution folgenreich voran. Mit der Französischen Revolution prägte diese Revolution nach 1800 für die patriotisch-nationalpolitischen Bewegungen die Ansprüche auf sozialen Wandel und nationale Eigenständigkeit der Völker. Mit den Beschlüssen des Wiener Kongresses (1815) konkurrierten Absichten zu nationaler Einheit in Deutschland stets mit den Anstrengungen der Monarchen der Fürstenstaaten, ihren dynastischen Vorrang zu behaupten. Die Revolution von 1848 in Deutschland wurde darüber zu einer Epochenmarke in der deutschen Verfassungsgeschichte und des Parlamentarismus. Voraus gingen ihr ab 1830 nationale Bewegungen, neue Verfassungsbildungen in Polen und in Frankreich, sowie die neue Staatsbildung Belgiens mit Einschluss des Gebietes des historischen Großherzogtums Luxemburg. Hier brachte man dann auch die Gebeine Johanns von Böhmen in das Spiel der Mächtigen ein. Die Geschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert charakterisiert revolutionäre und restaurative Umbrüche und Prozesse. Verbreitete Vorstellungen von „Romantik“ und „Restauration“ treffen die Dynamik und Widersprüche dieser Zeit nicht. So wirkten Anstrengungen der Demokratisierung und der Parlamentarisierung von Nationen neben einem Verfassungsverständnis, in dem die Monarchien ihren hergebrachten Verfassungsvorrang in der Idee des Gottesgnadentums ihrer Herrschaft erfolgreich behaupteten. Jenseits eines gestärkten Parlamentarismus erreichten Monarchien in der Mehrzahl der deutschen Fürstenstaaten, historisch alte wie jüngere Königshäuser, im 19. Jahrhundert eine neue Blüte. In ihren Reichen boten sie dem neuen Staatsbürgertum zumeist ökonomische Erfolge und in politischen Expansionen weitergehende Möglichkeiten zu nationaler Identifikation an. In dieser Signatur erweist sich das 19. Jahrhundert ungeachtet der Folgen der Revolutionen als ein Jahrhundert der Monarchien.5 Um und nach 1800 fassten politische Denker, Literaten und Künstler das zukunftsgerichtete Fortschrittsdenken in sowohl kulturell-religiös als auch in ideologisch-ästhetisch vorgetragene Konzepte, Programme und Bilder. Dabei erhielt die Religion, überhaupt der Glaube an die Zukunft und die Geschichte, weitreichende politische Funktionen. Als ihr wirkungsmächtigstes Ziel erwies sich die Idee der Nation mit fest umrissenem Territorium. Dieses Ziel wurde nicht zufällig mit dem Anspruch verbunden, aus der eigenen Geschichte, aus dem Ruhm und den Zeugnissen der Vorfahren (patriotische und nationale) Identität und Geltung gewinnen zu können. Solches Denken der Zukunft besaß ein janusköpfiges Gesicht. Eines sah die Zukunft von sozialem Wandel und gesellschaftlichem Fortschritt in evolutionä 5

Dieter Langewiesche: Die Monarchie im Jahrhundert Europas, Heidelberg 2013.

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B. König Johann von Böhmen 

rer Erneuerung. Das andere schaute selbstbewusst zurück in die Geschichte und entdeckte dabei „das“ Mittelalter als neue Zukunft. Dabei war dieses konservative Denken in seinen Mittelaltervorstellungen auch utopisch. Um schlichte Wiederherstellung des Alten Reichs, der historischen Ordnung von Kaisertum und Papsttum ging es nicht allen. Es kam vielmehr eine vielförmige Neuaneignung „des“ Mittelalters in Gang, die, verbunden mit einem teils patriotischen, teils germanisch-nationalen Interesse an der Geschichte, geleitet war von der Geltung einer erneuerten religiös-christlich und feudalen Ordnung und damit friedvollen Zukunft der Völker Europas. Es waren nicht wenige Augen, die so in diese Zukunft blickten. Sie formulierten eindrucksvolle, visionäre Papiere über die neue Mittelaltergegenwart in Europa. Zu den Weitsichtigen zählte neben Friedrich Schiller früh der preußische Adelige Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis (1772–1801). 1799 titelte er seine Vision eines neuen Mittelalters „Die Christenheit oder Europa“. Novalis brach in dieser Schrift mit dem aufklärungszeitlichen Zerrbild des „finsteren“ Mittelalters. Er sah stattdessen ein neues Mittelalter als künftiges gesellschaftliches Ordnungsmodell und „eine heilige Zeit des ewigen Friedens“. Deshalb argumentierte er gegen die Folgen der Französischen Revolution, gegen Vorstellungen einer erneuerten Antike, also des Klassizismus, und vehement für das Vorbild der mittelalterlichen kirchlichen Gemeinschaft: „Es waren schöne, glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo eine CHRISTENHEIT diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte. EIN großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegendsten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. […] Nur Geduld, sie wird, sie muß kommen die heilige Zeit des ewigen Friedens, wo das neue Jerusalem die Hauptstadt der Welt seyn wird“. Auch wenn diese Vision trügen sollte, erhielt die neue Zeit aus solcher Mittelaltergegenwart faszinierende Nähe. Auf andere Weise plädierte für eine solche Nähe in jener Zeit auch Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), der sich zeitlebens und dabei gegen Ansichten späterer Romantiker mit dem Mittelalter – mit der Kunst, Literatur und Geschichte dieser Epoche – auseinandersetzte. Seine Betrachtung „Von deutscher Baukunst“ über den Baumeister des Straßburger Doms, 1772 entstanden, reiht sich mit diesem Apell in die damals euphorische Neuaneignung mittelalterlicher Bauwerke ein: „Hier steht ein Werk, tretet hin, und erkennt das tiefe Gefühl von Wahrheit und Schönheit der Verhältnisse, wirkend aus starker, rauher, deutscher Seele, auf dem eingeschränkten düsteren Pfaffenschauplatz des medii aevi“. Goethes Interesse an der Kultur des Mittelalters erweist sich als Teil der Herausbildung eines neuen Stilempfindens, das im Rückgriff auf mittelalterliche Bauformen als (Neo-)Gotik bezeichnet wird, sowohl „patriotische“ wie auch „nationale“ Interessen vielförmig und sinnbildhaft aufnahm. In England galt „Gothic“ bereits seit dem frühen 18. Jahrhundert als politisch-freiheitlicher Kampfbegriff mit Rückgriff auf die mittelalterliche Verfassung. Als „Gothic Revival“ gestaltete man dort Landschaftsparks, die bald auf dem Festland nachgeahmt wurden. Hinzu kam ein

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Interesse an den mittelalterlichen Templerorden und den Ideen der Rosenkreuzer. Andere faszinierte dabei mehr das Spiel und Dekor sowie der repräsentative Glanz des mittelalterlichen Rittertums. In den deutschen Fürstenstaaten resultierte das Interesse an der Neo-Gotik anfänglich aus ihrer politischen Lage in dem sich auflösenden Verband des Alten Reichs. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts dominierte dieses neumittelalterliche Stilempfinden als patriotische Baukunst allgemein. Die sozialen und kulturellen Umbrüche des frühen 19. Jahrhunderts führten, so die Baugeschichtsforschung, zu einem Stilempfinden, für das man in humanistischer Manier „germanisch“ mit „deutsch“ gleichsetzte und versuchte, das Mittelalter als eigene (deutsche) Antike zu deuten. In verwandter Ansicht entlehnte man dem Lateinischen „Patria“ das Verständnis von „Vaterland“ und „patriotisch“. Inhaltlich-räumlich bezog man das Verständnis dieser Begriffe auf seine Herkunft aus dem jeweiligen Land. Es herrschten so lange Zeit föderal vielfältige Formen reklamierter Vaterlandsliebe vor. In dem Aufsatz Von der Erziehung zum Patriotismus, der 1798 in den Jahr­ büchern der preußischen Monarchie erschien, heißt es, „[…] die Nation muß sich als eine einzige Familie erkennen, jeder einzelne sich durch das Gesetz dem anderen verwandt glauben. […] Eben so leuchtet ein, daß diejenige Verfassung, welche das Bild der Familie am treuesten darstellt, die Monarchie, am sichersten und leichtesten Patrioten erziehen wird“.6 Solche Gedanken machten sich auf lange Sicht die preußischen Könige und ihre Architekten in der Baupolitik und Architektursprache konzeptionell zu eigen, um damit öffentlich neue Impulse der Identitätsstiftung zu setzen. Sichtbar kam eine Neuaneignung „des“ Mittelalters mit Friedrich Wilhelm II. (1744–1797), preußischer König seit 1786, in Gang. Er ließ in der Berlin-Potsdamer Kulturlandschaft erste Gärten, Schlösser und Landhäuser „gotisch“ errichten: den Neuen Garten mit dem Gotischen Turm bzw. der Gotischen Bibliothek (1792/94), auf der Pfaueninsel eine Meierei im Stil romantischer Ruinengotik, in Paretz das Gotische Rohrhaus, schließlich in Plänen für ein neugotisches Schloss auf dem Pfingstberg, das ab 1831 dann in Babelsberg gegenüber der Residenzstadt Potsdam entstand.7 Die dazu an den ersten Aufträgen arbeitenden Architekten und Baureformer ­ avid Gilly (1748–1808) und Friedrich Gilly (1772–1800) gehörten zu jenen BerD liner Künstlern, die um 1800 durch programmatische Initiativen erfolgreich auch 6

Zitiert nach Annette Dorgerloh / Michael Niedermeier / Horst Bredekamp (Hrsg.): Klassismus – Gotik, Berlin 2007, Einleitung S. 10; Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Preußische Facetten, Regensburg 2011. 7 Clemens Alexander Wimmer: Die Geheimnisse des Neuen Garten, in: Stiftung Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci (Hrsg.), Potsdamer Schlösser und Gärten. Bau- und Gartenkunst vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Ausstellungskatalog 1993, Potsdam 1993, S. 164–171; Stefan Gehlen: Neugotik in Babelsberg, in: ebenda, S. 182–189; Richard Hütter: Ritter im Landschaftsgarten, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Bauhaus-Universität Weimar 42 (1996), S. 145–152.

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die gotisch-mittelalterliche Erneuerung der Marienburg leisteten, der bedeutendsten mittelalterlichen Ordensburg des Deutschen Ordens, die seit der Teilung Polens (1792) zum Königreich Preußen gehörte.8 Ihnen stand bei diesem Erneuerungswerk einer der imposantesten mittelalterlichen Burgen der junge Karl Friedrich Schinkel zur Seite. Bald sah er sich an der Seite Friedrich Wilhelms IV. Der mittelalterinteressierte Goethe antwortete auf den kulturellen Wandel der Zeit um 1800 nicht nur mit der Wertschätzung mittelalterlicher Themenstoffe für seine Dramen, des Straßburgs Dombaumeisters „Erwin Steinbach“ oder der mittelalterlich-reichspolitischen Symbole, Relikte, die er in seiner Stadt Frankfurt am Main vorfand und beschrieb. Goethe registrierte nicht weniger den in Gang gekommenen Wandel der hergebrachten Trauer- und Friedhofskultur und der religiösen Mentalität. In seinem 1809 entstandenen Roman Wahlverwandtschaften findet sich dazu diese Schlüsselszene beschrieben: „Wir erinnern uns jener Veränderungen, welche Charlotte mit dem Kirchhof vorgenommen hatte. Die sämtlichen Monumente waren von ihrer Stelle gerückt und hatten an der Mauer, an dem Sockel der Kirche Platz gefunden. Der übrige Raum war geebnet. Außer einem breiten Weg, der zur Kirche und an derselben vorbei zu dem jenseitigen Pförtchen führte, war das übrige alles mit verschiedenen Arten Klee besät, der auf das schönste grünte und blühte. Nach einer gewissen Ordnung sollten vom Ende heran die neuen Gräber bestellt, doch der Platz jederzeit wieder verglichen und ebenfalls besät werden“. Über Äußerungen gegen diese Neuerungen heißt es dort weiter: „Allein demungeachtet hatten schon manche Gemeindeglieder früher mißbilligt, daß man die Bezeichnungen der Stelle wo ihre Vorfahren ruhten, aufgehoben und das Andenken dadurch gleichsam ausgelöscht: denn die wohlerhaltenen Monumente zeigten zwar an, wer begraben sei, aber nicht wo er begraben sei, und auf das Wo komme es eigentlich an, wie Viele behaupten“. Damit erreichte dieser Disput die veränderte Bedeutung der Denkmäler selbst, „seitdem wir nicht mehr so glücklich sind, die Reste eines geliebten Gegenstandes eingeurnt an unsere Brust zu drücken; da wir weder reich noch heiter sind, sie unversehrt in großen wohl ausgezierten Sarkophagen zu verwalten. […] Nicht vom Andenken, nur von dem Platz soll man sich lossagen. Der Baukünstler, der Bildhauer sind höchst interessiert, daß der Mensch von ihnen, von ihrer Hand, eine Dauer des Daseins erwarte; und deswegen wünsch ich gut gedachte, gut ausgeführte Monumente, nicht einzeln […], sondern, […] wo sie sich Dauer versprechen können. Da selbst die Frommen […] Verzicht tun, in den Kirchen persönlich zu ruhen, so stelle man wenigstens dort, oder in schönen Hallen um die Begräbnisplätze, Denkzeichen, Denkschriften auf. […] Was Entwürfe zu Monumenten aller Art betrifft, deren habe ich viele gesammelt und zeigte sie gelegentlich; doch bleibt immer das schönste Denkmal des Menschen eigenes Bildnis“.9 8

Hartmut Boockmann: Die Marienburg, Frankfurt a. M. 1982, S. 125 ff. Jens Haustein (Hrsg.): Goethe über das Mittelalter, Frankfurt a. M. 1990; Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften. Goethe, Werke, Jubiläumsausgabe Bd. 3, hrsg. v. Albrecht Schöne / Waltraut Wiethölter, Darmstadt 1998, S. 405–623, hier S. 510–513.

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Goethe registrierte hier, wie die bisher rechtlich und sozial abgesicherte Verbindung zwischen Lebenden und Toten in der aufkommenden modernen Gesellschaft buchstäblich eingeebnet wurde. Die Toten verloren ihren Platz im mehrfachen Sinn. Die topographische Umgestaltung des hergebrachten Friedhofs führte mit dem Willen, die kulturelle Überlieferung festzuhalten, zu einer neuartigen, auch öffentlichen Sepulkralkultur als Zeitzeichen der Memoria und der „Sattelzeit“. Die Toten selbst markierten hier den Beginn einer neuen Epoche der Trauer. Napoleon I. Bonaparte (1769–1821), Kaiser der Franzosen, verbot 1804 Beerdigungen in der Stadt Köln, was freilich in Frankreich längstens galt. In Preußen bestimmte das Allgemeine Landrecht von 1794: „In den Kirchen und bewohnten Gegenden der Städte sollen keine Leichen beerdigt werden“. Das neue Jahrhundert begann mit bis dahin unbekannten Erfahrungen des Todes und des Umgangs mit Toten, wie es auch Friedrich Schiller bemerkte. Eine gute Dekade später bedeuteten der Untergang der Armeen Napoleons in Russland, die Schlachten der Freiheitskriege bis zur „Völkerschlacht“ bei Leipzig (1813) den Tod wohl von vielleicht 100.000 Soldaten, – ein bis dahin unvorstellbares Grauen. Solche Erfahrungen erwirkten auch neue Formen des Totengedächtnisses. Die Siege in den Kriegen gegen Napoleon erklärte man rasch als Etappen einer nationalen Heilsgeschichte,  – und die Toten? Eine neue öffentliche Grabkultur setzte ein, in der die errichteten Siegeszeichen und Denkmäler möglichst nationale Selbstfindung vermittelten. Karl Friedrich Schinkel, der seit 1814 auf Befehl des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. an einem angemessenen nationalen Denkmal zur Erinnerung an die Freiheitskriege und deren Opfer arbeitete, schuf das dann 1818/21 errichtete, sogenannte Kreuzberger Denkmal. Dieses Denkmal nennt Namen und Daten der Schlachten, die Heerführer. Bekrönt wird es von einem Eisernen Kreuz, einer Tapferkeitsauszeichnung, aber weder ein Bild noch der Name eines Toten findet sich dort.10 Der Mittelalterhistoriker Otto Gerhard Oexle sah – mit Goethes Wahlverwandtschaften – in jenen ungezählten Toten und Opfern und grauenvollen Kriegen eine Zäsur in der Geschichte des Totengedenkens, ein „Ende der Memoria“, der hergebrachten Gewohnheit der Gegenwart der Toten unter den Lebenden sowie des Verständnisses des Zusammenhangs von „Grab und Memoria in der Geschichte der Bilder vom Menschen“. Oexle, der der Wirkungsgeschichte der „Memoria als Kultur“ im Mittelalter vielseitig anregend nachspürte, konnte zeigen, wie Memoria das Leben vieler Menschen prägte, „in Deutungen der ‚Welt‘ und ‚Gesellschaft‘, in den aus solchen Deutungen resultierenden Formen des Handelns von Individuen 10 Michael Jeismann / Rolf Westheider: Wofür stirbt der Bürger? Nationaler Totenkult und Staatsbürgertum in Deutschland und Frankreich seit der Französischen Revolution, in: ­Reinhard Koselleck / Michael Jeismann (Hrsg.), Der politische Totenkult, München 1994, S. 23–50; Manfred Hettling / Jörg Echternkamp: Heroisierung und Opferstilisierung. Grundelemente des Gefallenengedenkens von 1813 bis heute, in: Manfred Hettling (Hrsg.), Gefallenengedenken im globalen Vergleich, München 2013, S. 93–123.

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und Gruppen, und: in der Hervorbringung von ‚objektiven, überzeitlichen Kulturgütern“.11 Das „Ende der Memoria“ verstand Oexle auch als Zäsur, als erinnerungsund wissensgeschichtlich folgenreichen Beginn der Moderne. Die mit den Sinndeutungen der von Geschichte und Erinnerung in der „Sattelzeit“ neu aufkommenden Ansprüche an die Bedeutung der Gebeine Johanns von Böhmen lassen aber dann ein solches Ende gerade nicht erkennen. Im Gegenteil. Jener Mettlacher Brunnen mit dem Verweis „imaginem pro copore“ manifestiert ja gerade Anstrengungen, die Ansprüche hergebrachter, repräsentativer Memoria an den Gräbern der Toten zu sichern, den erkennbaren Wandel abzuwehren. Mit dieser Neufindung der Erinnerung wuchs zugleich die Aufgabe, die Materialität der Überlieferung, das kulturelle Gedächtnis, zu sichern. 1816 plädierte Goethe in seinem Aufsatz „Über Kunst und Alterthum in den Rhein und Mayn Gegenden“ für die Erhaltung der Kunstdenkmäler der Vergangenheit. Mit der Neubildung Preußens ab 1815 erklärte dieser Staat auch die Denkmalpflege zu einer besonderen Aufgabe, später dann zu einem staatlichen Anliegen.12 Dafür plädierte weitsichtig bereits 1815 Karl Friedrich Schinkel in einem bis heute bemerkenswerten „Memorandum“. Er organisierte ab 1816 eine erste Denkmal-Inventarisation, bereiste dazu das Rheinland und Westfalen, um den „Erhalt der vaterländischen Altertümer“ administrativ zu sichern. Damit kam auch ein kulturpolitisches Investitionsprogramm in Gang, das zugleich eine staatliche Gewerbeförderung mitbewirkte. Die damit auch angestoßenen Restaurierungen öffentlicher Gebäude galten nicht allein der Sicherung des römisch-antiken Erbes. Gerade in der Bauund Denkmalpolitik Friedrich Wilhelms IV. in der preußischen Rheinprovinz gewann in der Fläche die Neuaneignung ruinöser mittelaltergeschichtlicher Bauten als Zeugnisse seines dynastischen Geschichtsdenkens und monarchischen Selbstverständnisses weitreichende Bedeutung. Dazu zählte nicht allein die Vollendung des Kölner Dombaus. Hinzu kommen mindestens noch der Erhalt des „Altenberger Doms“, die Wiedererrichtung des „mittelalterlichen“ Königsstuhls bei Rhens am Rhein, der Neubau der Burg Stolzenfels bei Koblenz und der Bau einer neuen Grablege und Kapelle für die Gebeine Johanns von Böhmen in Kastel. Das um 1800 und weiterhin idealisierte Rittertum ist dabei keine Erfindung erst der „Sattelzeit.“ Das Rittertum, verstanden als Kennzeichen der europäischen Geschichte, des Feudalismus, gewann in jenem Kontext so intensiv wie kontrovers reklamiert als historisches Argument politisches Gewicht, um darin Ordnungsvorstellungen zu begründen. Die Attraktivität des neu angeeigneten Mittelalters 11 Oexle, Ende, S. 315; ders.: Mittelalterforschung in der sich ständig wandelnden Moderne, in: Hans-Werner Goetz / Jörg Jarnut (Hrsg.), Mediävistik im 21. Jahrhundert, Paderborn 2003, S. 227–253; Heinz-Dieter Heimann: Mittelalter als „neue Zeit“ um 1800, in: Raphaela Averkorn /  Winfried Eberhard (Hrsg.), Europa und die Welt in der Geschichte, Festschrift für Dieter Berg zum 60. Geburtstag, Bochum 2004, S. 15–28; Lena Rebekka Rehberger: Die Grabmalkunst unter Karl Friedrich Schinkel, Berlin 2017, S. 19 ff. 12 Andreas Meinecke: Geschichte der preußischen Denkmalpflege 1815 bis 1860, Berlin 2013.

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und seiner Ritterhelden erfasste der bekannte niederländische Kulturhistoriker Jan Huizinga (1872–1945) in seinem zuerst 1919 erschienenen Geschichtsbild Herbst des Mittelalters so: „Als man am Ende des achtzehnten Jahrhunderts begann, mittelalterliche Kulturformen als eigene neue Lebenswerte aufzunehmen, mit anderen Worten beim Beginn der Romantik, gewahrte man im Mittelalter zunächst das Rittertum. Die frühe Romantik geneigt, Mittelalter und Ritterzeit kurzweg gleichzusetzen. Sie sah vor allem wippende Federbüsche. […] Und so paradox es heutzutage klingt, sie hatte in gewisser Beziehung recht“.13 Huizinga lässt in seinem bis heute viel gelesenen Werk die spätmittelalterlichen Schriftsteller höfischer Epen und Chroniken ausführlich zu Wort kommen, nicht aber die des 19. Jahrhunderts. Huizingas bemerkenswerte Einschätzung der Romantik, die in der Geschichtswissenschaft oft überlesen wurde, findet sich vereinzelt von der Literaturgeschichtsforschung zitiert. Diese Spur führt konkreter in die Zeit des neuen Rittertums. Geschichtsinteressierte Schriftsteller der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gingen in historischen Romanen dem Rittertum des Mittelalters oft sehr erfolgreich nach, um ihrer Zeit so einen Spiegel vorzuhalten. In Frankreich wurde dafür Jean-Baptiste de La Curne de Sainte-Palaye (1697–1781) wegweisend. Als geschichtsinteressierter, standesbewusster Adeliger, Jurist und gewähltes Mitglied der Académie des Inscriptions eröffnete er um 1750 mit seinen Mémoires sur l’ ancienne chevallerie considérée comme établissement politique et militaire die Ehrenrettung des mittelalterlichen Rittertums in einem positiven Blick auf das europäische Mittelalter. Er nutzte dabei die Geschichte des mittelalterlichen Rittertums als standes- und militärgeschichtliches Argument. Interessiert an der Geschichte Europas und Frankreichs des 14. Jahrhunderts analysierte er den Ehrenkodex des Rittertums als das ständische Verhaltensvorbild seiner Zeit. Dabei ging er durchaus wie ein Historiker seiner Zeit vor, weshalb er sich auch nur am Rande mit dem Vorbild ritterlicher Heldengestalten beschäftigte. Darin unterscheidet sich Sainte-Palaye von Sir Walter Scott (1771–1832), dem bekannteren englischen Erfolgsautor historischer Romane. Scott nahm in seinem 1819 veröffentlichten Roman Ivanhoe, der zu den erfolgreichsten Romanen des 19. Jahrhunderts zählt, zwar jenes französische Bild des mittelalterlichen Rittertums auf, machte aber das Ideal des Rittertums personifiziert in der fiktiven Heldenfigur „Ivanhoe“ im Mythos von Richard Löwenherz populär. So legte er seinem Helden in den Mund: „Rittertum! […] Es ist die Amme von reiner und hoher Empfindung, die Stütze der Unterdrückten, Es beseitigt Mißstände, zügelt die Macht der Tyrannen. Adel wäre ohne dasselbe nur ein leerer Name, und die Freiheit findet den besten Schutz in seiner Lanze und seinem Schwert“. Scott schuf in Ivanhoe einen idealen Ritterhelden, mit dem sich die Leser leicht identifizieren konnten.14 Deshalb initiierte er mit seinem Roman Ivanhoe geradewegs 13

Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters, 11. Aufl., Stuttgart 1952, S. 73. Sabine Pritzuleit: Die Wiederentdeckung des Ritters durch den Bürger, Trier 1991, S. 24 ff., 160 ff.; Erik S. Kooper: Ivanhoe, in: Ulrich Müller / Werner Wunderlich (Hrsg.), Herrscher, Helden, Heilige. Mittelalter Mythen, Bd. 1, St. Gallen 1996, S. 154 ff.

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eine Kultbewegung neu belebten und nachgelebten Rittertums: 1823 veranstaltete das Prinzenpaar von Oranien in Brüssel einen „Ivanhoe-Ball“, ähnliche Feste und Ivanhoe-Turnierspiele folgten vielerorts. In den deutschen Fürstenstaaten und Städten des frühen 19. Jahrhunderts erschöpfte sich die Neuaneignung des Mittelalters und der damit vermittelter Denkfiguren nicht in den Ivanhoe-Ritterhelden. Mit Erfolg der Gothic-Bewegung und dem Anspruch aufklärungszeitlichen Denkens wuchs das Interesse an originalen historischen Überlieferungen, an mittelalterzeitlichen deutschen Quellentexten. Dabei bevorzugte man die Geschichte einzelner Kaiser und entdeckte zugleich „germanische“ Helden vor allem im Nibelungenlied für sich. „Siegfried“ oder „Volker von Alzey“ gerieten darüber zu Vorbildern (sprach-)nationaler Identitätsansprüche. Mit den Freiheitskriegen gegen Napoleon I., den Zeitgenossen zugleich als Held und Antiheld sahen, entdeckte man den legendären „Arminius“ als Symbol heldischer Gesinnung, altdeutscher Tugend und nationaler Größe. Ihm errichtete man nicht nur literarisierte Denkmäler. Im Teutoburger Wald nahe bei Paderborn und Detmold entstand, getragen von einer Welle der Begeisterung, monumental das „Hermannsdenkmal“, an der Spitze ein aufrechtstehender Ritter, der sein Schwert machtvoll in den Himmel erhebt. Ein grundlegenderes politisches Gewicht erfuhr der Rückgriff auf das mittelalterliche Rittertum in den Diskursen der Geschichtsphilosophie. Der englische Philosoph Edmund Burke (1729–1797) entwickelte von dorther seine Ablehnung der Französischen Revolution. In seinen 1790 veröffentlichten Reflections on the Revolution in France, heißt es empört, „das Zeitalter des Rittertums ist dahin: das der Sophisten, Krämer und Pfennigfuchser hat obsiegt, jetzt ist die Herrlichkeit Europas für immer erloschen“.15 Burke setzte mit dem Ende der alten Adelswelt in der Französischen Revolution das Ende des Rittertums gleich. Es war zugleich für ihn das Ende eines ruhmreichen Europas, dessen Eliten sich bis dahin vom christlichen Sinne des ritterlichen Tugendsystems geleitet gezeigt hatten. Diesem Grundgedanken zu behauptender politischer Ordnung folgte auch Friedrich, eigentlich Jean Pierre Frédéric Ancillon (1767–1837), Philosoph und Erzieher des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelms IV., zeitweilig preußischer Außenpolitiker und lebenslanger Freund des Monarchen. Ancillon argumentierte gegen die in der Französischen Revolution verursachte Aufhebung stabiler politischer Herrschaftsverhältnisse der Monarchien mit den kulturellen Verdiensten des Mittelalters, ohne dabei dessen Begrenztheiten zu ignorieren. Auch er wies dem Rittertum für die Zukunft eine besondere moralische Kraft zu: „Es ist nicht zu leugnen, daß durch diese sonderbare, dem Mittelalter eigenthümliche Institution, der individuelle Werth einer Classe von Menschen sehr zunahm; die Persönlichkeit vieler Einzelnen sich herrlich entfaltete; Tapferkeit und Milde, Energie und

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Pritzkuleit, Ritter, S. 126 f.

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Maaß, Muth und Uneigennützigkeit einen schönen Bund schlossen. […] Die Freiheit einen größeren Spielraum gewann“. Sein Geschichtsverständnis zielte nicht auf die Rückkehr jenes fernen Mittelalters. Solche, zu seiner Zeit in Deutschland auch verbreitete Gedanken, wies er mit der damit verbundenen Gefahr eines Despotismus zurück. Der Philosoph, Erzieher und Politiker argumentierte politisch mit der Geschichte des Mittelalters und verband dabei den Fortschritt in der Geschichte ausdrücklich mit der Geltung monarchischer Souveränität.16 Ganz ähnlich äußerten sich auch weitere Denker und Künstler im Kontext der „Sattelzeit“ und verwiesen dabei mit ihren mittelalterlichen Helden am wenigsten auf Ritter-Epigonen. Sie alle verstanden das vermittelte mittelalterliche Rittertum als ein historisches Argument zum Wiedergewinn einer ständisch geprägten politischen Ordnung und einer Werteordnung mit Vorrang des Adels. Diesem Rückgriff in die Geschichte lag mithin ein utopisches wie traditionsgebundenes, ordnungspolitisch ein konservatives bis restauratives Denken zugrunde. So gaben sie in einer Zeit offenkundigen Umbruchs und tiefgreifender Krise mit dem mittelalterlichen Rittertum der Sehnsucht nach Kontinuität weiten Raum. Das so gedeutete mittelalterliche Rittertum und die mit ihm bedachten sozialen und ethischen Normen boten sich aber nicht als einzige Träger bedachter Kontinuität neu angeeigneten Mittelalters an. Das Ritual des christlichen Totengedächtnisses gewann auch hier neue Bedeutung, zumal es Gelegenheit mit sich brachte, damit bewusster als zuvor die Anciennität einer Dynastie und dynastische Tradition in einer Zeit des Umbruchs öffentlich als bedeutungsvoll auszuweisen. Dies erkannte Friederich Wilhelm IV., der wie auch Karl Friedrich Schinkel der Trauerkultur der Zeit eine auch spezifische mittelaltergeschichtliche Aussage einschrieb. Wollte man auf diesem Weg erfahrene kulturelle Verluste abwehren und letztlich Folgen der Französischen Revolution reparieren?

II. Der patriotische Ritter und die Nähe Preußens im Westen 1. Jean François Boch-Buschmann a) Verlusterfahrung und Emanzipation Jener Denkmalbrunnen im Park von Mettlach aktualisiert ein Ereignis zwischen dem preußischen Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. und Jean François Boch-Buschmann vom 11. November 1833. Der Hohenzollernprinz wurde am 15. Oktober 1795 in Berlin und Jean François Boch am 9. März 1782 in Audun-le-Tiche geboren. 16

Friedrich Ancillon: Zur Vermittlung der Extreme in den Meinungen, Teil 1, Berlin 1828, S. 35–59; Franz Burkei: Friedrich Ancillon – Ein Weg in die Reaktion?, in: ders. / Dirk Meints Polter (Hrsg.), Rechtsfragen im Spektrum des Öffentlichen. Festschrift für Hubert ­A rmbruster, Berlin 1976, S. 97–116.

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Dass sich ihre Lebenswege 1833 so folgenreich an der Saar kreuzen würden, war zweifellos ein Zufall, aber bedingt in den politischen und kulturellen Umständen der Zeit. Zwar mag es im Leben dieser beiden Männer bedeutungsträchtigere Ereignisse gegeben haben als sie jenes Geschenk ausweist, aber unstrittig macht es für sie ein Ereignis von herausgehobener Bedeutung auf Dauer sichtbar. Welche Hoffnungen Jean François Boch in den ersten Lebensjahrzehnten in Luxemburg bewegten, lässt sich nur annähernd aus einzelnen Umständen und Hinweisen ableiten. Geprägt wurde er offensichtlich von dem wirtschaftlichen Engagement der Mitglieder der Familie, die im Übergang vom Handwerker zum Unternehmertum dann letztlich in der Fabrikation von Steingut wirtschaftlichen Erfolg und soziale Anerkennung fanden. Zwischen staatlicher Gewerbepolitik und dem Wechsel von Fabrikstandorten zur Beschaffung geeigneter Rohstoffe für die Produktion des Steinguts hatte die vielgliedrige Familie zuvor bereits die Chancen des Manufakturwesens in Lothringen für sich genutzt. Das setzte sie schließlich in Luxemburg fort. Hier führte die Familie ihr liberales Wirtschaftsdenken sowie ihr familiäres Netzwerk zu weitläufigen sozialen Kontakten und bei allem wirtschaftlichen Risiko zu unternehmerischer Eigentumsbildung mit Grundbesitz beiderseits der Grenzen von Luxemburg und Prußen. Die – soweit genealogisch bekannt – erste Generation der Bochs bereits nahm in ihr Wirtschaften die sozialen Bedingungen der frühindustriellen Arbeitswelt auf und erkannte die Bedeutung jeder einzelnen Arbeitskraft und deren Begabung für die Produktion ihrer anspruchsvollen Erzeugnisse. Sozial erfuhr die Unternehmerfamilie Boch die normative Statik der ständischen Gesellschaftsordnung, in der, jedenfalls im Normalfall, die Geburt über den gesellschaftlichen Platz eines Menschen entschied, zugleich mit der Dynamik der beruflich-gewerblichen Schichtung. Bei aller Bedeutung politischer Privilegien, sozialer Ränge und Hierarchien, die die teils aus mittelalterlichen Ordnungsvorstellungen hergeleitete ständische Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts ausmachte, war diese offen für Aufsteiger innerhalb jeweiliger Stände. „Stand“ bedeutete hier nicht „Klasse“ wie im späteren 19. Jahrhundert. „Stand“ meint eine soziale Schicht identischer Herkunft und Abkunft mit spezifischen Verhaltensnormen und einer ausgefächerten Standeskultur. Dabei kam dem Berufsstand, dem aus Bildung, Befähigung und Wissen erworbenen Rang und Vermögen gesamtgesellschaftlich eine immer größere Bedeutung zu. Das erkannten Mitglieder der vielgliedrigen Familie Boch. Deshalb auch verließ ein Teil dieser Familie in den 1760er Jahren Lothringen und siedelte sich mit einem neuen Wirtschaftsbetrieb in Luxemburg an. Mit den Folgen der Französischen Revolution wurde die hergebrachte ständischgesellschaftliche Ordnung und ihre monarchische Verfassungsordnung gewaltsam beiseitegeschoben, sollten schließlich auf Dauer die soziale Ordnung, das Wissen und der Glauben entgrenzt werden. Die expansive Gewalt der Revolution beendete auch die seit dem Mittelalter geltende Existenz des bis dahin politisch zur Großherrschaft der Habsburger gehörenden Großherzogtums Luxemburg. Das Ende

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der hergebrachten Ordnung erlebten die Luxemburger, und damit auch die Bochs, in Belagerungen und der Zerstörung prägender Bauten ihrer Stadt, bald in der Umbildung der bisherigen Eigentums- und Rechtsordnung nach den Normen der Republik. 1795 traf dieser Umbruch die Familie Boch direkt. Die Revolutionäre köpften in Paris nach ihren Ansprüchen Könige. „Royalismus“ wurde ihnen bald ein leicht gefundener Verdacht, jedweden Menschen hinzurichteten. So erging es auch einem Mitglied der Familie Boch. In Metz hatten französische Truppen einen Onkel des jungen Boch enthauptet, weil jener im Verdacht stand, während der sogenannten Koalitionskriege Anfang der 1790er Jahre der preußischen Armee bei deren Vormarsch auf Paris mit Informationen geholfen zu haben. Die Töchter dieses Hingerichteten kamen in der Familie der Bochs in Luxemburg unter, wo sie alle dann 1795 die Eroberung der Stadt Luxemburg und auch die Zerstörung des familiären Betriebs im Rollingergrund erlebten. „Royalismus“ war und blieb einstweilen eine lebensgefährliche politische Gesinnung, von deren Folgen auch der junge Jean François Boch erfuhr. Zeitlebens scheint ihm diese Konstellation bewusst geblieben zu sein. So schrieb er es dann auch selbst nieder, 1838 mit Blick auf die Gebeine Johanns von Böhmen. Die Revolutionäre hatten nicht nur in Paris erkennbar gemacht, wie sie auch die herkömmliche Macht der katholischen Kirche abwickelten und Religion ablehnten. Plünderungen ungezählter Kirchen und Klosterkonvente markierten 1795 auch den Weg der Revolution in Luxemburg. Der junge Boch erlebte nun, wie die Familie und viele Luxemburger ihren katholischen Glauben verteidigten und wie tatkräftig sie die Kirchen und deren Einrichtungen vor Plünderungen und Zerstörungen sicherten. So machte der heranwachsende Boch in diesen Jahren in mehrfacher Weise Verlusterfahrungen: Ermordung eines Familienmitglieds wegen dessen offenbarer monarchisch-politischer Haltung, Gefährdung und Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlage der Familie sowie Gewalt gegen die hergebrachte soziale und kulturelle Bedeutung der christlichen Religion. Alle diese Erfahrungen resultierten aus gewaltsam durchgesetzten Ansprüchen der Französischen Revolution. Offenbar aber ließen diese Verlusterfahrungen die Familie Boch nicht dauerhaft resignieren. Der Vater baute mit neuem Geld seinen Betrieb im Rollingergrund wieder auf. Sein heranwachsender Sohn erkannte alsdann auch Vorteile, die die neue Ordnung der Republik für seine Lebensplanung bot. Das gilt namentlich für die französische Schul- und Bildungsoffensive, die Jean François Boch in Paris schätzen lernte, sowie die weitere Rechts- und Bürgerpolitik. Der junge Boch fand einen Weg, seine Tüchtigkeit weiter auszubilden, die ihn mit dem Ansehen und dem Unternehmerwillen der Familie verband. Zugleich förderten jene Verlusterfahrungen sein politisches, sein patriotisches Denken. Aus der bedachten Bewahrung traditionsbewährter Ordnung entfaltete er auf lange Sicht sein (groß-) bürgerliches Selbstverständnis als selbständiger und sozial engagierter Unternehmer in Mettlach.

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Die soziale Emanzipation des fachlich gut ausgebildeten Jean François Boch aus der väterlichen Familie vollzog sich zwangläufig nach 1800 unter den Bedingungen und Chancen, die die Republik und die Expansion Frankreichs unter der Herrschaft Napoleons boten. Nach dem Ende der napoleonischen Großherrschaft wirkten daneben die Folgen der territorialpolitischen Neuordnung Europas des Wiener Kongresses auf sein unternehmerisches und politisches Leben ein. Jean François Boch gefiel sich nicht, soweit man weiß, als überzeugter Anhänger Kaiser Napoleons I. Er gefiel sich auch nach 1815 ebenso wenig im Hass auf die Franzosen. Aber er hielt über die innenpolitisch spannende Zeit bis in die späten 1840er Jahre Distanz zu jenen Personenkreisen, die das 1815 neugebildete Großherzogtum Luxemburg repräsentierten. Bis dahin basierte Bochs Ordnungsvorstellung auf der Ablehnung der antiroyalen Grundintention der Verfassung der Republik und der reklamierten sozialen Gleichheit aller sowie aus Vorbehalten gegen das neuformierte Vereinigte Königreich der Niederlande. Traditionsbestimmt achtete er unternehmerisch und familiär auf die Vorteile des technisch-gewerblichen Fortschritts, die Geltung hergebrachter sozialer Standesordnung und einer von ihm mitverantworteten übergeordneten konfessionellen Gemeinschaft. b) Von Luxemburg nach Mettlach Am Anfang der Handwerksgeschichte der Bochs, ehe die Familie in Luxemburg heimisch wurde, steht der Eisengießer François Boch, der im lothringischen ­Hayange als Spezialist im Auftrag des französischen Königs auch Bomben fertigte, also als Eisengießer arbeitete. Das Interesse an dem technisch gezüchtigten ­Prometheus, dem Feuer, an funktionalen Formen von Eisen und dann an gebrannten hochwertigeren Gebrauchsgütern schrieb sich früh und auf Dauer in den Gewerbesinn der verschiedenen Familien Boch ein. Neben der Eisengießerei betrieb jener Boch mit seiner Familie ab 1748 in Audun-le Tiche (Metz) auch eine Töpferei. Offenbar veranlasst dadurch, dass die österreichischen Habsburger das Herzogtum Lothringen 1765 zur Sicherung ihrer Erbregelung und damit ihrer Reichsherrschaft an den König von Frankreich abtraten, verlegte die Familie ihren Betriebsstandort nach Luxemburg. Hier förderte die habsburgisch-österreichische Regierung auch die Ansiedlung neuer Manufakturen. Dieser Werbung folgten die Bochs, die ihre neue Manufaktur prestigeträchtig und selbstbewusst „Fabrique Impériale et Royale“ nannten und am Gebäude den kaiserlichen Doppeladler anbrachten. In Luxemburg, wo es bis dahin offenbar keine nennenswerte Töpferei gab, weitete die Familie ihre Handelstätigkeiten regional aus, nachdem Pierre-Joseph Boch (1737–1818) die Steingutfabrik im Rollingergrund aufgebaut hatte.17 Im Sommer 1795 wurde das Herzogtum Luxemburg dann von den französischen Truppen eingenommen. In den folgenden Jahren expandierte Frankreich 17

Thomas, Boch und Villeroy, S. 63 ff., 76 ff.

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militärisch weiter erfolgreich bis an den Rhein. Die Integration der Stadt und des Landes Luxemburg in die Verwaltung der Republik Frankreich führte zu einigem Unmut und zu Unruhen im Land. Eine der Ursachen dafür war die Kirchenpolitik der Republik, die die katholische Bevölkerung Luxemburgs in ihrem Selbstverständnis herausforderte. Der sogenannte Klöppelkrieg, ein Bauernaufstand gegen die französische Besatzung, der im September 1798 in Limburg, Luxemburg und in Teilen der Eifel ausbrach, zog staatlicherseits Priesterverfolgungen nach sich, wodurch in der Bevölkerung die Ablehnung der Republik nur wuchs. Diese Ablehnung milderte sich erst mit dem Staatsstreich Napoleons im November 1799, der als „Erster Konsul“ der Republik Frankreich dann mit Papst Pius VII. (1800–1823) ein Konkordat schloss, erweitert um die sogenannten Organischen Artikel. Damit änderte sich die französische Kirchenpolitik.18 Beide Seiten sahen in der Errichtung einer national bestimmten Kirchenorganisation ihre Chance. Der Papst verzichtete dazu auf die Rückerstattung der während der Revolution erlittenen Vermögensverluste der Kirche, sodass nun auch in Luxemburg und in den Gebieten bis zum Rhein die schon durch die Republik verfügte Säkularisierung des Kirchenguts rechtskräftig wurde. Davon waren auch die Pfarreien betroffen. Erst 1809 und 1813 regelten Gesetze dann endgültig die Sicherung der Pfarrvermögen. Das betraf auch die Pfarreibildung in Mettlach, für die sich die Familie Boch später patriarchal verantwortlich zeigte. Noch ein zweiter politischer Akt dürfte sich auf die Entfaltung und das Engagement der Familie Boch in Mettlach ausgewirkt haben. Am 9. Februar 1802 hatten die Fürsten des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation im Friedenschluss von Lunéville die Eingliederung der besetzten linksrheinischen Gebiete in das französische Staatsgebiet anerkannt. Damit galten in den Départements, in die auch das ehemalige Herzogtum Luxemburg inzwischen verwaltungspraktisch aufgegliedert war, vollends staatsrechtlich die französischen Gesetze, schließlich alle 1804 im Code civil oder Code Napoleon erlassenen Reformen. Ein rechtspolitisch großes Werk. Dessen Leitgedanke war die Gleichheit aller vor dem Gesetz und die Freiheit des Individuums, wobei die Freiheit und Sicherheit des Eigentums den Interessen vieler Menschen entgegenkam. Als sich am 2. November 1804 Napoleon selbst zum Kaiser krönte, demonstrierte er statt revolutionärer Unkalkulierbarkeit die Rückkehr zur Garantie soweit alter Ordnung im Neuen.19 Gleiches galt für den 1807 erlassenen Code de commerce, das Handelsgesetzbuch, mit dem man in der Republik ein liberales Wirtschaften fördern wollte. Der Unternehmerfamilie Boch eröffneten diese neuen Normen kalkulierbarere Chancen in ihrem Wirtschaften, und die Rationalität der neuen Gesetze dürfte Wün 18 Thomas R. Kraus: Die französische Kirchenpolitik und das katholische Rheinland, in: Veit Veltzke (Hrsg.), Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser, Köln 2007, S. 269–291. 19 Horst Möller: Fürstenstaat oder Bürgernation. Deutschland 1763–1815, Berlin 1998, S. 560–640.

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sche nach beruflicher Selbständigkeit und ökonomischer Entfaltung auch gefördert haben. Der junge Boch erkannte die Chancen der Umstände, so auch die der seit 1803 eingeleiteten Säkularisierung von kirchlichem Besitz. Der französische Staat behandelte dazu allen kirchlichen Besitz als Nationalgut und betrieb nach und nach dessen Verkauf. Dabei achtete die staatliche Administration einerseits auf eine soziale Umschichtung der Besitzungen, andererseits wollte man durch einen damit erhofften Wirtschaftsaufschwung die Expansionspläne Napoleons stützen. Entsprechend richtete man die französische Schul- und Bildungspolitik darauf aus, einen wissenschaftlich-technisch gestützten Modernisierungsschub zu erzeugen. Anwendungsbezogen zielte die fachliche Ausbildung auf die Vermittlung eines Infrastrukturdenkens, um etwa Produktion, Verkehr und Kommunikation miteinander zu verbinden. Hinzukam in der Wirtschaft die Förderung an Wasserkraft und an Kohle gebundener Produktionsweisen und damit der Gründung neuer Fabriken. Erkennbar profitierte der junge Boch auf lange Sicht von den Chancen der neuen französischen Schul-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik. Mit Beginn seiner politischen Karriere hatte Napoleon das Schulwesen zu einem zentralen Mittel für die Bildung und Ausbildung der Bürger gemacht. Im Fächerkanon der Gymnasien zielte es auf die Förderung wissenschaftlicher Rationalität, vor allem auf Mathematik, Technik sowie Chemie, und förderte man in hohen Abschlüssen der neuen Fachschulen das Effektivitätsdenken. So wuchs der Einfluss von Wissenschaft und Technik auf neue Lebensbereiche. Diese Effekte dürften den jungen Boch fasziniert und ihn vor 1800 zum Weg an die Pariser Hochschule ermutigt haben, wo er seine Interessen an den Naturwissenschaften weiter ausbilden konnte, insbe­ sondere in Chemie und Biologie. Die Anziehungskraft der Metropole Paris muss dabei einzigartig gewesen sein, wobei das neue Denken über Gott und die Welt auch den jungen Boch bewegte. Ihm gelang es auch, seine Interessen an wissenschaftlich untersetztem technischem Können und Produzieren sowie seine Kenntnisse über Rohstoffe und deren Verarbeitung in der komplexen Steingutfabrikation auszuweiten. Daneben eignete er sich Reformideen und neue Anbaumethoden der Landwirtschaft an. Dieses breite fachliche Wissen dürften ihm dann bei der Auswahl und dem Ankauf von Agrarflächen mit Gewässern in Mettlach nützlich gewesen sein. Hier baute er privat dann auch eine Sammlung antiker und naturhistorischer Objekte weiter aus. Der herangewachsene Boch erkannte über seinen Pariser Erfahrungen offenbar auch, dass Rang und Stellung eines Menschen immer mehr durch Bildung und Leistung statt allein durch soziale Herkunft bestimmt wurden. Zugleich erfuhr er aus dem Lebensstil und dem unternehmerischen Selbstwertgefühl seiner Eltern von der Bedeutung vertrauensvoller familiärer Beziehungen und von deren katholisch ausgeformter Gruppenkultur, so dass Jean François Boch familiär gut vernetzt und fachlich ausgebildet nach 1800 einer oberen sozialen Schicht angehörte, die in Führungspositionen nicht nur der Politik oder des Militärs, vielmehr der Wirtschaft drängte.

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Abb. 4: Jean François Boch-Buschmann (1782–1858), Portrait, zeitgenössisch. Villeroy & Boch AG / Keramikmuseum / Unternehmensarchiv Mettlach.

Dazu ergab sich für den jungen Boch in Luxemburg zunächst keine passende Gelegenheit. Deshalb suchte er für sich nach möglichen neuen Standorten zum Betrieb einer eigenen Fabrik im Metier des Vaters. Die politischen und familiären Umstände führten ihn in einem Doppelschritt nach 1800 aus der Stadt Luxemburg heraus und auf die andere Seite der Saar nach Mettlach. Die Entscheidung dazu fiel mit der Absicht zusammen, eine eigene Familie zu gründen und dazu möglichst auch ein repräsentatives Haus zu erwerben. 1803 betrieb die Republik neuerlich staatliche Verkäufe von Kirchenvermögen auch in der Region an der Saar. Dabei zeigte sich bald, wie unterschiedlichste Personen, Handwerker und Gewerbetreibende, auch Bauern, aufgerufene landwirtschaftliche Parzellen und Immobilien teils erwarben, teils rasch umnutzten oder teils auch mit deren Weiterverkauf spekulierten. Hier griff der junge Boch gezielt zu. Zunächst, am 23. Juli 1806, heiratete Johann François Boch Anne Marie Rosalie Buschmann (1785–1870), Tochter einer Unternehmerfamilie, die in der Region verschiedene Betriebe zur Lederproduktion führte. Das Paar trug den Familiennamen Boch-Buschmann. In dieser Phase beobachtete der junge Boch die Chancen zur unternehmerischen Eigenständigkeit umso genauer, wenn in der Region, wie in den Gebäuden der Abtei Echternach, eine neue Steingutfabrik entstand. Im Mai 1804 hatte der Trierer Papierhersteller, Druckereibesitzer und spätere Bürgermeister der Stadt, Johann Leistenschneider, die Benediktinerabtei Mettlach für 18.425 Francs ersteigert, – alle Gebäude, ausgenommen die Abteikirche, und dazugehörende 27 Hektar Land. Im Schatten

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einer regionalen Wirtschaftskrise und obwohl Leistenschneider betrieblich wohl Erfolg hatte, verkaufte er am 25. April 1809 für 35.000 Francs seinen Besitz in Mettlach mit dem Hauptgebäude der ehemaligen Abtei und 14 Hektar Land weiter an Jean François Boch. Boch zahlte dem Verkäufer gegenüber dessen Ersteigerung zwar den doppelten Preis, doch griff Boch in einer Phase der Niedrigpreise für Immobilien zu.20 Als Käufer kalkulierte er bei seinem Kapitaleinsatz, den er augenscheinlich aus dem Familienverbund realisierte, nicht den reinen Geldwert der Immobilie, vielmehr die Liegenschaft und deren Lage am Wasser sowie – trotz allerlei Baubeschädigungen – den repräsentativen Eindruck des ehemaligen Abteigebäudes am Ufer der Saar. Am 5. November 1812 machte schließlich der zuständige Präfekt bekannt, Jean François Boch-Buschmann gründe „une manufacture de fayence en cailloutage, dans l’ancienne abbaya Mettloch“. Erkennbar zusammen mit seiner Frau Anne Marie Rosalie betrieb der junge Boch die Unternehmungsgründung in Mettlach aus der Gesamtfamilie heraus. Das junge Paar setzte beim Aufbau seines Betriebs auf weitere Geschäftspartnerschaften. Ferner betrieb Jean François Boch-Buschmann in diesen Jahren auch eine Weinhandlung, womit er den Absatz der in Mettlach produzierten Produkte verband. Seine Produkte bewarb er von Anfang an selbstbewusst als eigene Marke. So adressierte Jean François Boch-Buschmann zum 1. Januar 1818 in einem Schreiben an seine Kundschaft: „Wir werden die Geschäfte unserer Steingut-Fabrikate unter der alten Firma von Boch-Buschmann, worunter unsere Fabrikate bekannt und bezeichnet sind, wie bisher, mit der größten Aufmerksamkeit und Thätigkeit fortsetzen. Durch die vorteilhafte Lage unserer Manufactur, bey den erfolgreichen Kenntnissen und dem Bestreben nach dem Geschmackvollsten und modernsten Formen, und Hauptsächlich bey der Solidität unseres Steinguts, hoffen wir auf Ihr ferneres Zutrauen. […] Ausser diesem Werden wir auch, wie vor, ein vollständiges Lager von Saar- und Untermosel Weinen (von guten Jahrgängen) unterhalten, und uns anderen unserem Platze angemessenen Geschäften widtmen“.21 Boch-Buschmann lernte so auch den Weinhändler Nicolas Villeroy (1759–1843) kennen, der in Wallerfangen ebenfalls eine Steingutfabrik betrieb. Aus den benachbarten Konkurrenten wurden auf lange Sicht engste Partner, schließlich verbundene Familienzweige eines erfolgreich expandierenden Keramikunternehmens. Als 1829 ein anderer Mitinhaber des familiär geführten Betriebs in Luxemburg starb, übernahm Boch-Buchmann auch diesen Betrieb. 1836 fusionierten die Unternehmer Boch-Buschmann und Villeroy ihre Betriebe in Luxemburg, Mettlach und Wallerfangen, was sie 1842 auch in einem Ehebund zwischen Octavie Villeroy (1823–1899) und Eugen Boch (1809–1898) verstetigten. Dass sich die 1812 aufgenommene Mettlacher Steingutfabrikation nach einer guten Dekade dann auch wirtschaftlich besser zu tragen begann, resultierte nicht 20 Michael Müller: Säkularisation und Grundbesitz. Zur Sozialgeschichte des Saar-MoselRaumes 1794–1813, Boppard 1980, S. 102. 21 Zitiert nach Thomas, Boch und Villeroy, S. 288, Anm. 477.

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Abb. 5: Hochzeitsbecher, Porzellan, 1842. Laut Aussage von Frau Helen von Boch (1938–2007) wurde dieser Hochzeitsbecher von der Belegschaft der Wallerfanger Produktionsstätte (1790– 1930) dem Brautpaar Eugen Boch und Octavie Villeroy, das am 4. Mai 1842 heiratete, zum Geschenk gemacht. Es mag Zufall sein, wenn im September desselben Jahres der preußische Monarch auf seiner Reise neuerlich in Mettlach die Familie Boch-Buschmann und damit auch das junge Paar besuchte. Villeroy & Boch AG / Keramikmuseum / Unternehmensarchiv Mettlach.

nur aus den veränderten politischen Verhältnissen. Zwei Gründe kamen hinzu. Jean François Boch-Buschmann war ein feinsinniger und weit vernetzt tätiger Kaufmann. Zugleich agierte er als ein versierter Unternehmer, der sich fortwährend für technische Innovationen in der Produktion, insbesondere für den optimalen Betrieb der Brennöfen seiner qualitätsvollen Produkte interessierte. Er band für seine Produkte fachkundige Arbeiter an den Ort, weshalb er für sie recht bald betriebsnah einige Siedlungshäuser errichten ließ.22 Das mag seinem sozialen und patriarchalen Selbstverständnis entsprochen haben. Darin und den in sozialen Kontakten zu alten Eliten und den Mitgliedern der preußischen Verwaltung vermittelten unternehmerischen wie kulturellen Interessen folgte ihm später auch sein Sohn Eugen. Eine dieser fruchtbaren Verbindungen pflegten die Familien Boch-Buschmann bzw. Eugen Boch zu der Familie von Cohausen, zu Salentin von Cohausen, dem späteren Landrat in Saarburg, und zu August von Cohausen. Auch die Familie von

22

Ebenda, S. 37 ff., 121 ff., 165 ff.

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Cohausen fand enge Kontakte zum dann preußischen König Friedrich Wilhelm IV., wobei auch die Sorge um die Gebeine Johanns von Böhmen half.23 Der Erfolg hat sprichwörtlich viele Mütter und Väter. Bei Boch-Buschmann sind es drei und mehr: die topographische Lage des Standorts Mettlach mit dem repräsentativen ehemaligen jesuitischen Abteigebäude als Familiensitz und das unternehmerisch erfolgreich angewandte technische Wissen zur massenhaften Herstellung von höherwertigen Steingutprodukten. Der dritte Faktor greift weiter: Es ist dies Bochs Streben nach Rechtssicherheit für sein Unternehmen sowie seine Fähigkeit, soziale und kulturelle Werte als „Kapital“ zu erkennen, sich an ihnen auszurichten und darüber weitere Verbindungen einzugehen. Boch-Buschmann verband Unternehmersinn mit kultureller Repräsentation und demonstriertem Geschichtssinn. So bewies er sich immer wieder als zielsicher agierender Stifter von sozialen und unternehmerischen Verbindungen. Dabei kamen ihm die seit 1815 gänzlich veränderten politischen Umstände und die neue politische Bedeutung der preußischen Könige bis an die Saar und auch nach Luxemburg entgegen. Preußen gewann 1815 nach den Verhandlungen des Wiener Kongresses umfänglich neue Staatsgebiete im Westen hinzu. Dies brachte auch eine Reihe neuer interner Reibungsflächen mit sich. Staatsreformen erwiesen sich da als politisch unausweichlich, um angesichts der vielen teilstaatlichen Ungleichartigkeiten gesamtstaatlich ausgerichtete Integrationsimpulse zu vermitteln und so auch konkurrierenden staatlichen Identitätsbehauptungen zu begegnen.24 Dabei brachten die Bewohner im Westen mehrheitlich ihren katholischen Glauben 23 GSTA PK Berlin I. HA, Rep 89 Nr. 23344, 23345; August von Cohausen beteiligte sich an den Überlegungen zur Ausstattung der Kapelle. Er dachte dabei an ein „Sakramentshäuschen, […] was jedoch zum Gottesdienst nicht erforderlich ist“. Er legte seinem Entwurf auch farbige Muster ­Mettlacher Produkte bei. In dem zu dieser Zeit in Kastel gebauten Kirchhofhaus, das mit Förderung des preußischen Königs entstand, stellte man eine Pietà aus Terracotta auf, die in der Fabrik von Villeroy & Boch in Mettlach moduliert und hergestellt wurde. Als Vorlage diente eine Nürnberger Holzfigur (15. Jh.) aus dem Besitz von Cohausens. GSTA PK Berlin I.HA, Rep. 89, fol. 17 ff., 148 ff. Cohausen verantwortete ferner die Abwicklung aller Finanzen des Ausbaus der Anlage, stets auch im Zusammenwirken mit der Pfarrgemeinde. Er besaß auch die Schlüssel zur Eingangstür der Kapelle. Auf Wunsch Friedrich Wilhelms IV. erhielt Salentin von Cohausen für seine Verdienste in Kastel zusätzlich zu seiner Pension eine besondere Rente. Cohausen initiierte – mit Textvorschlag – auch jene Gedächtnistafel zur Erinnerung an Friedrich Wilhelm IV. und dessen Bindung an Kastel und Johann von Böhmen. Die Tafel „aus hiesigem Granit und mit goldenen Lettern“ sollte in Mettlach erstellt werden. GSTA I. HA Rep 23345, fol. 17 ff. Zur dann errichteten Gedenktafel aus Marmor, ebenda fol. 70 f. Für die Hilfe bei der Archivrecherche danke ich Holger Schmidt, Berlin; Clemens Alexander Wimmer: Salentin von Cohausen und die Klause bei Kastel, in: Jahrbuch Kreis TrierSaarburg 2011, Trier 2011, S. 293–303; Romeyk, Verwaltungsbeamte, S. 398; Die Familie von Cohausen war verwandt mit der Familie Beauharnais und so auch mit Kaiser Napoleon sowie mit der Dynastie der Wittelsbacher. Sie nahm mit diesem Herkommen eine bedeutende Mittlerrolle nach Frankreich ein und kam damit Vorstellungen der Hohenzollern in Kastel sehr entgegen. 24 Georg Mölich / Meinhard Pohl (Hrsg.): Preußens schwieriger Westen. Rheinisch-preußische Beziehungen. Konflikte und Wechselbeziehungen, Duisburg 2003; Clemens, Preußen.

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und die Geschichte ihrer jeweiligen alten Länder in den neuen Staat ein. Dass sie es schließlich auch erreichten, dass der preußische König ihnen den Erhalt der ihnen von der französischen Verfassung zugesprochenen Freiheitsrechte und Gesetze zusagte, sollte weitreichende Folgen haben. Ferner gehörten die Gebiete an Saar und Mosel mit Bergbau, Eisenverhüttung, Textilwirtschaft und mit dem Rhein als weiterer Hauptverkehrsachse zu den industriell interessanteren Regionen Preußens. Den Ort Mettlach entfaltete die Familie Boch-Buschmann nicht nur als neuen Standort seiner Steingutfabrikation. Die junge Familie machte  – jenseits auch wirtschaftlich schwieriger Anfangsjahre des Unternehmens – ihr Haus erfolgreich zum Ausweis gehobener bürgerlicher Kultur und sozialer Kontakte. Dabei achtete sie freilich auf Distanz zu Mitgliedern der in Luxemburg neu etablierten Elite der Stadt und des Landes. Die Gründe dafür lagen nicht allein in Bochs Bürgerrechten oder seinem Eigentumstitel in Preußen. Sie resultierten nicht zuletzt aus dem Streit um den rechtmäßigen Besitz der Gebeine Johanns von Böhmen. Den familiär tradierten Besitz dieser Gebeine wusste Jean François Boch-Buschmann politisch zu begründen. Mit dem Besitz dieser Gebeine seit 1795 in der Familie Boch war zweifellos für eine gehörige Zeit auch die Gefahr verbunden gewesen, wegen Royalismus angeklagt werden zu können. Warum aber behauptete Jean François Boch-Buschmann dann doch den Besitz dieser Gebeine nach 1815 und vehement in den 1830er Jahren gegen Rückgabeforderungen aus Luxemburg? Agierte er als Roaylist? Was verband Jean François Boch-Buschmann mit den Gebeinen des 1346 gefallenen Ritters? c) „Es lebe der König.“ – Ein patriotisches Bekenntnis Mit dem Datum „Castel, le 26. Aout 1838“ ist der mehrseitige Text mit dem Titel Jean l’Aveugle, roi de Bohême, de 1795 à 1838 versehen, in dem ein „Ich“Erzähler, der sich dort als „Töpfer“ vorstellt, seine Beweggründe für die Bewahrung der Gebeine Johanns von Böhmen und für deren Neubeisetzung durch den preußischen Kronprinzen öffentlich darlegt.25 Der Erzähler und Autor dieser Broschüre ist ohne Zweifel Jean François Boch-Buschmann.26 Er sah sich zu dieser ungewöhnlichen Stellungnahme nach rechtlichen Anstrengungen der Stadt 25

Unternehmensarchiv Villeroy & Boch, Mettlach, Nr. 18a, 18b. Im Anschluss an das – mehrfach – publizierte Protokoll der Neubeisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen heißt es im Bericht der Rheinischen Provinzial-Blätter für die Stände vom 23./25. September 1838, S. 253 über weitere Stimmen „mit welcher Schrift zu vergleichen ist die nach benannte des Hrn. Boch-Buschmann, als Manuscript gedruckt ‚Jean l’Aveugle, roi de Bohême, de 1795 à 1738 (sic.), S. 15‘; dazu Pierre-Albert Lenz: Jean l’ Aveugle, roi de Bohême, Comte de Luxembourg, marquis d’ Arlon, Gand 1839, S. 2–72; Jean l’ Aveugle, depuis le 26 Aout 1346 jusqu’ au 26 Aout 1838; betreffende Korrespondenzen mit dem luxemburgischen Procurator M. Wurt-Parquet, S. 82–98; dort wird die Errichtung des Brunnens in Mettlach und dessen Inschrift bereits thematisiert; zur historiographischen Position von Pierre Albert Lenz auch Fantysová-Matejková: Pater Patriae, S. 53 f. 26

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Luxemburg gegen ihn herausgefordert. 1844 kehrte Jean François Boch-Buschmann in den Rollingergrund nach Luxemburg zurück, wo er am 9. Februar 1858 verstarb. Eugen von Boch, sein Sohn, führte da bereits seit mehr als einer Dekade das gewachsene Unternehmen. 1839 veröffentlichte der Luxemburger Pierre-Albert Lenz (1804–1875), Professor für Geschichte an der belgischen Universität Gand, eine „esquisse Biographique“ über Johann von Böhmen unter dem Titel Jean l’ Aveugle: roi de Bohême, comte de Luxembourg, marquis d’ Arlon, in der er diesem mit Rückgriff auf die Verbindung zwischen den mittelalterlichen Herzogtümern Brabant und Luxemburg eine für das eben neu gebildete Königreich Belgien national- und identitätsbestimmende Bedeutung zuschrieb. Seiner Veröffentlichung fügte er Stellungnahmen und Korrespondenzen bei, die 1836/38 in Zusammenhang mit den Nachforschungen in Luxemburg gegen Boch-Buschmann entstanden waren. Lenz behauptete hier seine Sicht der historischen Bedeutung Johanns von Böhmen und verfolgte darin eine Bekräftigung der gegenwärtigen staatlich-territorialen Ordnung, in der das Großherzogtum Luxemburg und Belgien in Personalunion mit dem Königreich der Niederlande eine Einheit bildeten, Luxemburg aber zugleich dem Deutschen Bund angehörte. Der 1830 beginnenden „Belgischen Revolution“ schlossen sich führende Gruppen in westlichen Gebieten Luxemburgs an, womit hier gesellschaftspolitisch eine mehrschichtige von konfessionellen, ethnischen und protonationalen Gegensätzen gekennzeichnete Gemengelage entstand, während für den östlichen Landesteil fortgesetzt übergeordnet Rechtstitel und Sicherheitsansprüche des Deutschen Bundes galten. Diese Konstellation provozierte unterschiedliche Aversionen, die letztlich in unterschiedlichen Vorstellungen nationaler Eigenständigkeit gründeten. Der Streit um den Besitz und zudem um die Deutung der Gebeine Johanns zwischen Lenz und Boch-Buschmann speiste nach 1833 als Bestandteil dieser Auseinandersetzungen die politische Affäre für Preußen und dessen Monarchen. Jean François Boch-Buschmann verfasste darüber eine biographie- und bildungsgeschichtlich angelegte, dabei geschichtspolitisch zugleich patriotisch ausgerichtete Rechtfertigungsschrift. An deren Ende setzte er selbstbewusst den Hochruf „Vive le roi!“. Bezeichnender Weise nutzte er diese umfängliche Schrift nicht zu eigener Legendenbildung. Wieso wurde Jean François Boch-Buschmann zum Hüter der Gebeine Johanns von Böhmen? Es begann 1795. Um die Kirchenausstattung vor dem drohenden Vandalismus bei der Eroberung durch die Armee der Republik Frankreich zu schützen, verbargen Geistliche der Abtei die Holzkiste mit den Gebeinen König Johanns bei einem ihrer Nachbarn, einem Bäcker. Von dort kamen die Gebeine in die Familie seines Vaters, Pierre Joseph Boch (1737–1818): „Ein Mönch, der überzeugt davon war, dass König Johann sicherer außerhalb der Stadt wäre, kam zu meinem Vater, um ihm den König zu schenken.“ Ja, ein Geschenk also! Auf einer Transporttrage schaffte man die Kiste mit den Gebeinen in den Rollingergrund.

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„Unter dem Dach, in der Mansarde, befand sich eine kleine Tür, die zu einer Kammer führte. Diese wurde nun die Ruhestätte König Johanns. Man könnte meinen, dass er dort Besucher empfing. Denn jedes Mal, wenn Fremde in die Wohnung kamen, setzten sich die Töchter meines Onkels, diese armen Waisen – er war in Metz enthauptet worden, weil er im Verdacht stand, der preußischen Armee als Kundschafter gedient zu haben –, auf den Sarg König Johanns. Denn sonst hätten unsere liebenswürdigen Nachbarn uns die Kehle durchgeschnitten für unser Verbrechen der Gastfreundschaft gegenüber diesem fernen Vorfahren und wegen Royalismus“. Demnach bedachte man in der Familie Boch, dass ihr diese Verantwortung für die Gebeine König Johanns als politisch motivierte Widersetzlichkeit angelastet werden konnte. Diese Gefahr bestand tatsächlich. Sie mochte mit den Jahren geringer werden, doch jener Sarg blieb in der Familie Boch. Jean François Boch schreibt dazu weiter: „1809 verließ ich das Elternhaus; König Johann nahm ich mit mir, verpackt, das gebe ich zu, zusammen mit naturhistorischen Gegenständen. Ich hatte in der Geschichte Luxemburgs gelesen, dass das Schicksal König Johann nach dessen Tod zu einem Wanderleben verurteilt zu haben schien, um ihn so dafür zu bestrafen, dass er sein ganzes Leben mit einem Schwert in der Hand durch ganz Europa geeilt sei. Daher gefiel mir die Idee, auch selbst an diesem Schicksal mitzuwirken. So kam König Johann mit mir nach Mettlach.“ Diese Episode erhielt in Mettlach 1833 eine Wende. Vorausschauend stellt sich die Frage, wie dort dann eine Neubeisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen ins Spiel kam. In seinem Selbstzeugnis gibt dazu Jean François Boch-Buschmann eine Schlüsselszene wieder. Man mag das dazu geschilderte Gespräch zwischen dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. und Jean François Boch-Buschmann für eine schlüssige Anekdote der tatsächlichen Geschehenszusammenhänge halten. Es fällt freilich auf, dass Jean François Boch-Buschmann keine weiteren Teilnehmer jenes Gesprächs bzw. der Tischgesellschaft als Zeugen seiner Schilderung anführt. Schaut man weitere Berichte daraufhin durch, so gehörte zu den Gästen dieser besonderen Tafelrunde am 11. November 1833 auch der in Begleitung des Kronprinzen angereiste Landrat Salentin von Cohausen. Auf seine Initiative hin hatte zuvor die Gemeinde Kastel dem Kronprinzen die ruinöse Eremitage am Steilufer der Saar zum Ehrengeschenk gemacht. Friedrich Wilhelm IV. hatte dieses Geschenk auch angenommen. Gut möglich, dass also von Cohausen dann in Mettlach die Situation erkannte und Jean François BochBuschmann in Kenntnis der Rolle von Cohausens in Kastel den Kronprinzen mit den Gebeinen Johanns bekannt machte. Dieser Hergang ist auch deswegen wahrscheinlich, weil in Zukunft die Familien Boch-Buschmann und von Cohausen gemeinsam die Gestaltung des Areals, der Kapelle und des Königsgrabs in Kastel verfolgten. Zugleich wirkten Mitglieder der Familie von Cohausen in der Führung der Mettlacher Unternehmen mit.

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Am 11. November 1833 besuchte der preußische Kronprinz in Mettlach die Familie Boch-Buschmann. Dieser Besuch wurde zu einem der Schlüsselereignisse der sich weiter ausbildenden luxemburgischen und preußisch-rheinischen Geschichtskultur. „Ein Freund schrieb mir, dass seine Hoheit ihn gebeten hatte, mir zu sagen, dass sie zu Ehren des Königs ein Denkmal errichten wolle; dass er beauftragt wurde, mich zu fragen, ob dies für mich genehm sei und was mir als Gegengabe gefalle. […] Da der Wunsch bekundet sei, mir ein Geschenk zu machen, weil ich einen ihrer Verwandten (etwas entfernt, um ehrlich zu sein) vierzig Jahre Gastfreundschaft gewährt hatte, hielt ich es für angemessen, ihrer Freigiebigkeit ein gusseisernes Brunnenmonument aus Berlin, eine Granitvase aus Preußen oder eine Mineraliensammlung aus Schlesien vorzuschlagen“. Nachdem Jean François Boch-Buschmann zuvor durch preußische Beamte von der Absicht des Kronprinzen unterrichtet worden war, „König Johann in Kastel beizusetzen“, […] „beeilte ich mich mit der Antwort, wie sehr ich mit dieser Entscheidung für die letzte Ruhestätte unseres Königs zufrieden war“. Dabei bewertete er die neue Situation im Rückblick auf die Odyssee der Gebeine Johanns, denn „[…] gegen seinen Willen war er in dieser Kaserne namens Luxemburg festgehalten worden, eine dieser Festungen, einem Blutflecken, dessen jahrhundertlange Barbarei Europa stigmatisiert hat. Er hatte das Recht, die Einsamkeit vorzuziehen; dreimal war er von den Franzosen, für die er auf dem Feld der Ehre sein Leben gegeben hatte, aus seinem Grab entführt worden. In Kastel ist König Johann zu dem zu Hause“. Jean François Boch-Buschmann war sich der politischen Bedeutung seiner Rechtfertigungsschrift offensichtlich bewusst, eben weil die gegenwärtigen Repräsentanten der Stadt Luxemburg seine Entscheidung von 1833, die Gebeine Johanns in die Obhut der Hohenzollern zu geben, für unrechtmäßig erachteten. Er dagegen argumentierte für die Beisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen in Kastel aus landeskultur- und dynastiegeschichtlichen Gründen: „Ich hörte von Improvisation, von Schuld. Das veranlaßte mich, alle Umstände der Überführung des Königs bekannt zu machen. Der Platz des Grafen von Luxemburg liege in seiner Heimat, sagen meine ehemaligen Landsleute. In diesem Fall hatten sie ihn zu Unrecht 30 Jahre in fremder Erde gelassen, ohne ihn jemals zu bean­spruchen.“ Weitergehende Gründe, die Gebeine jetzt nicht nach Luxemburg zurückzugeben, sah er in den dortigen politisch-gesellschaftlichen und territorialen Verhältnissen: „Hätte ich ihn vielleicht übergeben sollen? Wem? Einem französischen Präfekten? Den Königen Wilhelm und Leopold, die noch nie einen Fuß ins Land Luxemburg setzten und das auch in Zukunft nicht tun werden? Hätte ich ihn Mitgliedern des Magistrats der Stadt geben sollen? Was hätten sie mit mir gemacht? Vielleicht hätten die ihn jenen gegeben, die 1819 die Statuen des Grafen von Mansfeld zerstört haben, um sie zu Glocken zu machen! In diesem Fall wären die Gebeine König Johanns womöglich zu Messergriffen umgearbeitet worden!“ Harte Worte! Sie geben deutlich zu erkennen, wie Jean François Boch-Buschmann sein Handeln mit der Ablehnung der gegenwärtigen Verhältnisse in Luxem-

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burg verband. Die Repräsentanten des gegenwärtigen Luxemburgs waren ihm seine „ehemaligen Landsleute“. Doch deswegen schrieb hier noch lange kein Neu-Preuße. Hier schrieb ein Mann mit patriotischem Geschichtssinn. Offenbar weil Jean François Boch-Buschmann so politisch dachte, sah er sich auch veranlasst, seinen Standpunkt und seine Perspektive in diesem Streit geschichtsphilosophisch auszuführen. Dabei verband er be­zeichnenderweise dieses Denken mit der gesellschaftlichen Bedeutung des Unter­nehmers und des kulturellen Fortschritts, denn „die Welt gleicht einer Fabrik“. Gebildet und belesen wie dieser Mann war, erklärt er sich als Anhänger der aufklärungszeitlichen Lehre vom Genie und der modernen Kultur- und Zivilisationsgeschichte: „Die Welt gleicht einer Fabrik. Die Arbeiter arbeiten zielbewusst für sich selbst. Der Leiter koordiniert die Arbeiten, die für sich allein ohne Wert sind. Das Ergebnis, das Ziel ist ein Produkt. Wir, der König und Richter, Verteidiger der Heimat, Bauern und Industrielle, haben unsere Ziele. Der oberste Befugte hat seins: die Zivilisation menschlicher Gesellschaft. Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild. Wie dieser wird jener ein Schöpfer einer vollkommenen Gesellschaft sein, soweit sie das sein kann. Sechstausend Jahre Arbeit bedeuten nur den Anfang der Zivilisation, – was sind schon diese sechstausend Jahre!“ Entsprechend erklärt er weiter, wie sich die Menschen über Generationen die Erde aneigneten: „Der Mensch wird mit dem Genie, das Gott ihm gab, die zivilisierte Gesellschaft bilden. […] Dreimal glücklich sind Nationen, die ihre Nachbarn die Revolutionen machen lassen und die Früchte davon ernten. […] Die antike Zivilisation, die Barbarei des Mittelalters, die Römer, Hunnen und Franzosen, die Ritter des Feudalismus ebenso wie die Mönche des Mittelalters waren Werkzeuge der heutigen Zivilisation. Unsere Mission ist es, das große Werk für künftige Generationen fortzusetzen.“ Welch ein Selbstbild! Der Geniegedanke als Motor der allgemeinen Entwicklung, des Gemeinwesens wie auch des Handwerks, faszinierte Jean François BochBuschmann: „Die großen Genies […] treiben ganze Generationen voran, aber ebenso der Handwerker, der die Form eines seiner Werkzeuge verbessert, macht sich für die Menschheit verdient.“ Dazu verweist er auf die technische Erfindung des Teleskops und führt für sein Unternehmersein als Konsequenz an: „Wenn die Arme des Arbeiters ein Teil des Reichtums der Nation bilden, ist dessen Denken oftmals Teil der öffentlichen Meinung, die dem König zur Orientierung dient. […] Das muss den Töpfer ermutigen […] ebenso wie den, der die Krone trägt.“ Als „Töpfer“ spricht hier Jean François Boch-Buschmann von sich selbst. Selbstbezogen führt ihn dieses auch familiengeschichtlich abgeleitete Selbstverständnis dazu, weiter sein patriotisches und monarchisches Verfassungsverständnis darzulegen: „Auch ich bin Gottes treuer Arbeiter in dieser Welt und ich stehe ihm in einer kommenden zur Verfügung. […] In der Vergangenheit wurde die Macht der Könige, die zu Tyrannei neigte, durch Große und die Macht der Priester begrenzt.

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In unseren modernen Monarchien geschieht das durch die Nation, […] Große sind dabei nurmehr Zierde, Priester auf den Altardienst begrenzt, um Frieden und Eintracht zu predigen. […] Könige sind nur so sehr legitim, wie sie Macht haben, die von Gott kommt.“ Damit bekannte er sich für die Idee des hergebrachten Gottesgnadentums und zum monarchischen Verfassungsvorrang, aus übergreifender individueller Verantwortung vor Gott. Aus diesem Verfassungsverständnis und der Monarchie lehnte er das Königtum und die – noch gegebene – Konstruktion des niederländisch-belgisch-luxemburgischen Staatsgebiets Wilhelms II. (1792–1849) ab.27 Erweitert um eine moralische Einschätzung schreibt er: „Als eifriger und aufgeklärter Katholik fühle ich mich verpflichtet, das möglichst laut zu sagen“. Jean François Boch-Buschmann reklamierte mit der Zukunft der Gebeine Johanns von Böhmen die neue Geltung der mittelalterlichen luxemburgischen Geschichte. Er sah damit für die Zukunft aber kein romantisches Mittelalter: „Es wird eine Trauerrede auf das Mittelalter sein, auf dem Grab eines Königs aus dem vierzehnten Jahrhundert“. So nutzte Jean François Boch-Buschmann hier sein historisches Wissen, bezog dies auf die politische Gegenwart, die zu korrigieren blieb, und sah  – zugleich aus seiner Konfession  – so eine neue Verfassungsordnung: „Ich begnüge mich mit den Folgen, daß nie wieder die Diener Gottes die Könige dominieren werden, die endlich verstanden haben, daß man, um Throne zu festigen, keine Mitren und Herzogshüte braucht, wenn man die Meinung der einsichtigen Masse auf seiner Seite hat, und […] einige hunderttausend Bajonette.“ Darauf folgt sein Appell als Patriot und Katholik: „Ich habe getan, was jeder Freund des Landes unter solchen Umständen tun muss“, um daraus selbst seine Verantwortung etwa für die Sonntagsruhe der bei ihm arbeitenden Menschen abzuleiten. Für die Zukunft möchte Jean François Boch-Buschmann nicht zurück in jenes alte Mittelalter: „Wir werden den segnen, der mit den Königen des Mittelalters nichts gemeinsam hat. Lang lebe der König!“. Das Selbstzeugnis Jean François Boch-Buschmanns mündet so auch in eine Bildungsgeschichte. Er teilt offenkundig mit, wie er zu seinem historischen Wissen und zu seiner Weltsicht gelangte. Um von einer herkömmlichen „Geschichte der Staaten“ zur „Geschichte der Kultur der Menschen“ zu kommen, richtete auch er sich an Ideen und an der Geschichtsschreibung François-Marie Voltaires (1694– 1778) aus. Voltaire plädierte in seinen Hauptwerken in historischen Vergleichen für 27 1830 erhob sich die überwiegend katholische Bevölkerung der südlichen Niederlande gegen die Vorherrschaft der überwiegend protestantischen Nordprovinzen des Vereinigten Königreichs der Niederlande. Das 1839 gebildete neue Belgien umfasste Wallonien und Flandern. König Wilhelm II. der Niederlande akzeptierte unter dem Druck der Revolutionen 1848 die Einführung der parlamentarischen Monarchie. Da er ohne männliche Erben verstarb, endete 1890 schließlich die Personalunion zwischen dem Königreich der Niederlande und dem Großherzogtum Luxemburg, wo nach dem salischen Erbfolgerecht die Linie Nassau-Weilburg folgte.

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eine europäische Zivilisationsgeschichte, für eine Erziehung zur Vernunft, die Förderung der Wissenschaften sowie für eine gemäßigte Monarchie.28 Jean François Boch-Buschmann orientierte sich offenbar an Voltaire, denn in verschiedenen Gedanken erörtert er, wie er die Welt als Handlungsraum der Natur- und Menschenbeherrschung verstand und wie Geschichte für ihn eine neue Bedeutung gewann, gebunden an Mitverantwortung, Fortschritt und plan­bare Gesamtentwicklung der Menschheit. Jean François Bloch-Buschmann nahm demnach einen universalistischen Standpunkt ein. Er verstand den Verlauf der Geschichte als Aufstieg der Zivilisation und der Kultur. Aus diesem Denken leitete er selbstverpflichtend seinen Willen der Selbststeigerung ab, das Leistungsprinzip in seinem unternehmerischen Handeln und seine Verantwortung für die Bildung einer Nation. Diese Schrift war seine politische Antwort auch auf die Verlust­erfahrungen der beispiellosen Umbrüche der Französischen Revolution, die Effekte der Industriellen Revolution und die politischen Konflikte der 1830er Jahre. Jean François Boch-Buschmann teilte seine historisch-politischen Ansichten mit anderen Zeitgenossen. Nach seinem Selbstzeugnis und seinen Korrespondenzen tauschte er sich mit ihm denkverwandten Teilen der luxemburgischen Eliten aus, auch über die historische Person Johanns von Böhmen. So studierte er einschlägige Arbeiten zur Geschichte des Mittelalters, darunter die umfängliche und quellenbasiert entstandene Arbeit von Jean Bertholet (1688–1755) zur Kirchengeschichte Luxemburgs. Sie bot ein bedachtes Urteil über die historische Bedeutung Johanns von Böhmen für Luxemburg. Boch kannte ebenso Arbeiten des in Bern lehrenden Mittelalterhistorikers Johann Friedrich Christoph Kortüm (1788–1858), einschlägige Universalgeschichten sowie Veröffentlichungen zur Geschichte Burgunds, Italiens und zu Kaiser Heinrich VII., Johanns Vater. Wer auch immer die Adressaten seines gedruckten Selbstzeugnisses waren, sie erfuhren hier eine nahezu gelehrte und zeitgeschichtlich ausgerichtete Argumentation gegen geschichtspolitische Positionen, wie sie der Historiker Pierre Albert Lenz an der Geschichte Johanns von Böhmen dann 1839 zur Begründung belgischer Nationalgeschichte veröffentlichte.29 Bochs Veröffentlichung wird bestimmt einerseits von der Schilderjung der Odyssee der Gebeine Johanns von Böhmen in der Verantwortung seiner Familie und anderseits von seiner politischen Haltung im Kontext der Konflikte um nationale Geltungs- und Identitätsansprüche Belgiens und Luxemburgs. In diesem Konflikt verband er seine soziale und nationale Ordnungsvorstellung mit der politischen Zukunft und Macht des preußi-

28

Erich Pelzer: Voltaire, in: Volker Reinhard (Hrsg.), Hauptwerke der Geschichtsschreibung, Darmstadt 1997, S. 701–707. 29 Bartholet, Histoire; Johann Friedrich Christoph Kortüm: Geschichte des Mittelalters, 2 Bde., Bern 1836/1837; Schötter, Johann von Luxemburg, Bd. 2, S. 302, Anm. 2, S. 304 ff. zur Auseinandersetzung zwischen Boch und Lenz; Pit Péporté: Inventing Luxembourg. Representations of the Past, Space and Language from Neenthenth to the Twenty-First Century, Leiden 2010.

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schen Monarchen.30 Deshalb übergab er die Gebeine Johanns von Böhmen an den preußischen Kronprinzen. Seine Entscheidung wurde zugleich mit seiner Rechtfertigungsschrift in Luxemburg zum Zündfunken, die nationale Selbstgeltung für Luxemburg vehementer einzufordern. In seiner politischen Denkweise hielt Jean François Boch-Buschmann ausgewählte Kontakte in die Elite Luxemburgs, so zum Marquis de Villers.31 Mit ihm teilte er Vorstellungen von der Bedeutung Johanns von Böhmen, seines Rittertums und eines höfischen mittelalterlichen Europas der Dynastie der Luxemburger. Ein Blick in die Korrespondenz mit dem Marquis des Villers aus dem Frühjahr 1836 zeigt, wie sie angesichts der politischen Affäre gegenseitig historisches Wissen um den französischen Chronisten Froissart als „Heldenerzähler“, der Schilderung der Schlacht bei Crécy, der Regentschaft luxemburgischer Herrscher und ihre Grablege­orte austauschten. „Einzelheiten, die mir früher unbekannt waren“, schreibt Jean François Buch-Buschmann mit Dank an den Grafen zurück, dem er wiederum als Quelle seines Wissens „ein Buch von Las-Cases“ anzeigte.32 Auch schreibt er, warum er die Beisetzung der Gebeine Johanns in Kastel für historisch begründet erachtete. Das Gebiet um Kastel gehörte im späten Mittelalter zur Herrschaft der Grafen von Luxemburg, namentlich von Erzbischof Balduin von Trier (1285–1354). Kastel war historisch Teil der Herrschaft der Luxemburger Dynasten, hier sollten die Gebeine beigesetzt werden, „nicht weit von seinem geliebten luxemburgischen Land, das wie Er in Fetzen verwandelt ist! Er wird dort besser bewacht sein als im fürchterlichen Luxemburg. Er wird unter unserem Schutz sein, weil er unserem königlichen Prinzen gehört“. In diesem Satz tritt jenes Geschichtsbewusstsein zutage, das Jean François Boch-Buschmann mit dem preußischen Kronprinzen und dessen Denkwelt eng verbindet. Gleiches gilt offenbar für die Familie von Cohausen und den Marquis de Villars. Eine persönliche Bemerkung erlaubt Einblick in das kulturelle Milieu 30 Jean François Boch-Buschmann nahm als einer von drei luxemburgischen Deputierten und fraktionslos im Frühjahr 1849 am Frankfurter Paulsparlament teil. Er plädierte hier für den Anschluss Luxemburgs an das Deutsche Reich unter Führung Preußens und wählte König Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser der Deutschen. 31 Jean François Boch-Buschmann lud den Grafen zur Teilnahme an der Überführung der Gebeine Johanns von Böhmen am 26. August 1838 von Mettlach nach Kastel brieflich ein. Der Graf verfasste anschließend darüber einen Bericht. Firmenarchiv Villeroy&Boch Mettlach, Nr. 407. Der Sohn des hier angesprochenen Marquis, Ludwig Viktor (1810–1881), trat 1832 als Verwaltungsjurist in den preußischen Staatsdienst ein. Er arbeitete 1836 bei der Regierung in Trier, später als Regierungspräsident u. a. in Koblenz. Horst Romeyk, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz (1816–2014), Düsseldorf 1994, S. 791 f. 32 Emmanuel de Las Cases (1766–1842), Offizier, adeliger Gegner der Französischen Revolution, lebte zeitweilig in Koblenz, ehe er dann im Staatsrat Kaiser Napoleons I., dem er lebenslang eng verbunden war, als Militär und Diplomat Karriere machte. 1803/1804 veröffentlichte er den „Atlas historique, chronologique, geographique et généalogique“, der 1826/1827 durch Alexander von Dusch und Josua Eiselein (Heidelberg) in deutscher Übersetzung erschien.

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jener Elite: „Verzeihung, Herr Präsident, wenn ich mich hinreißen ließ, – in einem Thema voller Philosophie und Poesie! Sie haben es mir übrigens erlaubt in einem Gespräch, das ich die Ehre hatte, mit Ihnen zu führen“. Diese Gesprächskultur, wie sie Jean François Boch-Buschmann offenbar pflegte, und die ausgewählte preußische Beamte einschloss, bezeugt zwischen diesen befreundeten Partnern Geschichtsbegeisterung als gegenwartsbezogene Philosophie und Poesie. Halten wir rückblickend fest: Am Anfang und im Lichte der Gesetze der Republik Frankreich kam das Verstecken der Gebeine Johanns von Böhmen für die Familie Boch durchaus einem subversiven Akt gleich. Zum Ende verantwortete Jean François Boch-Buschmann die Weitergabe der Gebeine an den preußischen Monarchen vor allem aus kulturellen Verlusterfahrungen, die er ursächlich mit der Französischen Revolution und der daraus erfolgten politischen Lage Luxemburgs verband. Aus seiner Selbstrechtfertigung spricht ein geschichtsphilosophisch und politisch patriotisch agierender wacher katholischer Bürger und Unternehmer mit verdeutlichten Interessen an der (Neu-)Existenz möglichst des historischen Herzogtums Luxemburg. „Es lebe der König!“, so schließt Jean François Boch-Buschmann seinen Text. Er meinte damit Johann von Böhmen und zugleich das alte Herzogtum Luxemburg. Er stellte in seinem Selbstzeugnis die Geschichtlichkeit, nicht den Schlachtentod Johanns von Böhmen bei Crécy heraus. Folglich ging es ihm politisch auch nicht um eine Rückkehr zur Verfassungsordnung des feudalen Mittelalters, des Ancien Regimes, auch nicht jener der katholischen Kirche. Kultur- und zivilisationsgeschichtlich fortschrittlich denkend, lehnte er das als rückschrittlich ab. Er hoffte freilich auf ein neu vergegenwärtigtes Mittelalter, auf eine Zeit, in der das Gottesgnadentum in einer möglichst konstitutionell verfassten Monarchie wieder galt. Was so konservativ erscheinen mochte, verstand er als Aufstiegsprozess in der Geschichte, als Ausweis gesellschaftlichen Wandels und fortschrittlicher Produktivität. Gemessen daran bewertete Jean François Boch-Buschmann die gestörte, ja auch zerstörte Totenehre für Johann von Böhmen als eines der umfassenderen Krisensymptome seiner Zeit. Die Verfügung über die Gebeine zu behalten, sie bei der Dynastie der Hohenzollern zu wissen, kam ihm daher womöglich einer Reparatur der gegenwärtigen politischen Ordnung nahe. Bis zur Neubeisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen in Kastel aber war es noch ein weiter Weg, Diesen Weg ging er nicht allein.

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III. Der Ritter der Ritterlichkeit: Ein mittelaltergeschichtliches Ideal im Eisernen Zeitalter 1. Karl Friedrich Schinkel a) Präferenzen Berliner Ingenieursfreunde in Mettlach Es ist eine Sache, die Entwicklung der Unternehmen der Familie Boch-Buschmann in Mettlach aus handwerks- und generationengeschichtlicher Perspektive zu beschreiben. Verständlicher wird deren Verlauf freilich in erweiterten Kontexten, wozu mit der neuen Rolle Preußens im Westen gehörte, als Unternehmer von Mettlach aus Beziehungen und geschäftliche Kontakte auch zur neuen preußischen Elite aufzubauen. Gleiches galt aber auch umgekehrt. Mit seiner Frau Anne Marie Rosalie verstand es Jean François Boch-Buschmann in seinem Haus, der Alten Abtei, einen gehobenen Lebensstil in Wertschätzung der Kultur als Vehikel sozialer Reputation kommunikativ zu pflegen und darauf weitläufige soziale Verbindungen zu gründen. Das Haus der Familie Boch-Buschmann in Mettlach wurde auf diesem Weg zu einer viel gesuchten Adresse. Zwei äußere Umstände begünstigten diese Verhältnisse. Den Verkehrsweg zwischen Paris und Koblenz hatte man auch zum Vorteil der Saarregion schon in der Zeit napoleonischer Herrschaft mit Nachdruck ausgebaut. Die preußische Staatsregierung knüpfte zur Integration der Rheinprovinz in den neuen Gesamtstaat an jene Verkehrspolitik in eigener Weise neu an. Bekanntlich reisten preußische Offiziere, Diplomaten, Wissenschaftler und Verwaltungs­beamte mit Staatsaufträgen, bald auch Mitglieder des preußischen Königshauses, in den berlinfernen Westen, und oftmals von hier weiter in die Metropole Paris und nach London sowie weiter in die englischen Revierstädte. Künstler reisten ebenso, die zunächst vereinzelt den Reiz der eindrucksvollen Landschaften an Rhein und Mosel suchten. Dann entdeckten sie auch das abgeschiedene und zerklüftete Tal der Saar zwischen Merzig und Saarburg. Die „wilde Sawarus“ machten sie in ihren Bildern nach und nach publik und wirkten so auf lange Sicht als Pioniere des Saartourismus. Daneben aber wurde die Region an Saar und Mosel für das kontinentale Verkehrs- und preußische Wirtschaftsleben bedeutsamer. So reisten Mitte der 1820er Jahren auch der preußische Baumeister Karl Friedrich Schinkel und der Geschäftsmann und Staatsbeamte Christan Beuth (1781– 1853) im Auftrag der preußischen Regierung von Berlin in den Westen. Dabei suchten sie gezielt Jean François Boch-Buschmann in Mettlach auf. Schinkels „romantische“ Skizze der Klause am Steilufer der Saar bei Kastel wird gern als Zeitzeichen der Romantik zitiert. Allein Schinkel wie auch sein Freund Beuth suchten zunächst als Ingenieure das Haus und das Unternehmen der Familie BochBuschmann auf, wie umgekehrt Jean François Boch-Buschmann über sie auch früh unternehmerische Kontakte nach Berlin aufbauen konnte. Mit den Berliner

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Ingenieurfreunden kam in Mettlach ein besonderer Wissensaustausch in Gang, in dem sie Technik und Kulturgeschichte verband. „Die epochale Leistung des Jahrhunderts und das epochale Schicksal ist auch in Deutschland die industrielle Revolution, die technologische Revolutionierung der Produktionsverhältnisse, die kapitalistische Revolutionierung der Wirtschaftsweisen und -beziehungen, die Maschine, die Fabrik, der Markt, das Wachstum – und die daran sich knüpfenden sozialen, politischen und mentalen Folgen“, charakterisiert der Historiker Thomas Nipperdey die gegenüber England in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ungleichen Verhältnisse in Deutschland. Eingebettet in die nach 1815 behaupteten Initiativen politischer, sozialer und kultureller Reformen des preußischen Staates und seiner Verwaltungen, suchten dieselben Reformkräfte der neuen Elite in Preußen nach Mitteln, den wirtschaftlich-gewerblichen Wandel im Land nach dem Vorbild in England voranzutreiben. Angesichts weitreichender Neubauinitiativen, die nach den Zerstörungen in Folge der Napoleonischen Kriege im Land zu leisten waren, gründete man in Berlin zu deren Oberaufsicht die Bauakademie und die staatliche Schule zur Förderung der Gewerbe. Beide Einrichtungen sollten sich rasch als Schlüsselinstitutionen dieses Wandels erweisen.33 Ein anderes Mittel, um den technologischen Vorsprung der Konkurrenz aufzuholen, boten Reisen in die englischen Wirtschaftsregionen und gezielte Besuche von Betrieben, die Formen verdeckter Wirtschaftsspionage annahmen. Der Wille zur Verbesserung des kulturellen und technischen Wissens als Motor der Gewerbeförderung in Preußen leitete den staatlichen Baumeister und technikbegeisterten Karl Friedrich Schinkels sowie den Reformer Christian Beuth. Beide wurden in den 1820er Jahren zu den „Vätern“ der Berliner Bauakademie und sie legten zugleich Grundlagen für die dann erfolgreiche staatliche Gewerbeförderung in Preußen. Sie ließen sich dabei von dem Gedanken der Qualitätsverbesserung der gewerblichen Produktionsweisen und der produzierten Waren durch die Ausbildung von Fachkräften leiten. Mit diesem Ziel gründeten Karl Friedrich Schinkel und Christian Beuth gemeinsam 1821 den „Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes in Preußen“, der, verbunden mit dem Berliner Hof, der Verwaltung, dem Militär und Berliner Unternehmerfamilien, die Interessen seiner Mitglieder in öffentlichen Gewerbeschauen und mit Produktprämierungen förderte. Die beiden Initiatoren waren familiär und beruflich eng befreundet und arbeiteten fachlich anerkannt in höchsten Staatsämtern. Sie verband eine bekannte „Urfreundschaft“. Ihre Freundschaft erlebte der diesen beiden Männern beruflich verbundene Gustav Friedrich Waagen (1794– 1868) so, dass ihm „Schinkel als Idealist und der schöpferische Genius, Beuth als der Realist und der Geschäftsmann“ vorkam.34 33

Doris Fouquet-Plümacher (Hrsg.): Mythos Bauakademie, Ausstellungskatalog, Berlin 1997; Conrad Matschoß: Preußens Gewerbeförderung und ihre Großen Männer, Berlin 1921. 34 von Wolzogen, Himmel, S. 334; Gustav Friedrich Waagen: Über das Verhältnis Beuths zu Schinkel. Schinkel Festrede, Berlin 1854, in: Zeitschrift für Bauwesen 4 (1854), Sp. 297–306,

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Offenbar fanden bereits in den frühen 1820er Jahren Schinkel, Beuth und BochBuschmann zusammen. Ihre Verbindung ging offensichtlich auf ein kalkuliertes gegenseitiges Interesse zurück. Auf Dienstreisen waren jene beiden preußischen Spitzenbeamte zu Gast im Haus Boch-Buschmann in Mettlach. Als Jean François Boch-Buschmann im Mai 1823 nach England reiste, um sich dort nach Steingutfabriken und technischen Neuerungen umzusehen, fand er auch Kontakte zum preußischen Gesandten.35 Sodann nennt Karl Friedrich Schinkel in seinem Brief vom 23. April 1826 „Herrn Buschmann, Beuths Freund“. Neben Beuths Interessen an neuen Geschäftsfeldern, an Gewerbebetrieben und neuen Produktionsprozessen war dessen Geschichtssinn für die Kultur des Mittelalters bekannt. So schrieb etwa Caroline von Humboldt dazu über Beuth: „Er hat ein fatales Äußere (sic.), keinen Bart und feine Stimme, aber in seinen Gesinnungen ist er desto männlicher. […] Er besitzt ungemein schöne Kunstkenntnisse, besonders wohl der Kunst und der Literatur des Mittelalters und ist durchaus ein edler, fester, rechtdenkender und -handelnder Mensch“.36 Um Beuths Charakterzüge und dessen Erfolge wie auch nur Vision gebliebenen Vorstellungen der Industrialisierung Preußens sichtbar zu machen, schenkte Karl Friedrich Schinkel seinem Freund 1837 ein Aquarell mit einem wirtschaftlich-­ administrativen Motiv. Es zeigt sehr wahrscheinlich Beuth, nicht in persona, sondern in androgyn anmutender Gestalt einer Seifenbläserin, die auch als Jüngling gedeutet werden kann, auf einem Pegasus über eine weite Tallandschaft hinwegfliegend. Die Landschaftsszene ist überwiegend von Fabrikgebäuden und rauchenden Schloten angefüllt, während man im Vordergrund des Bildes in einen von Akten gefüllten Büroraum sieht. Die fliegende Gestalt raucht dabei eine Pfeife, deren Rauchwolken, Träume wohl, zerplatzen.37 Dieses Motiv weist verschlüsselt auf Beuths Charakter, seine Inspirationskraft und seinen unbändigen Eifer hin. Auch mag jene Fabriklandschaft des Bildes, so die Forschung bisher, illusionär sein. Doch angesichts der Freundschaft und der bekannten Gemeinsamkeiten möchte man nicht ausschließen, dass in die Szene der Fabrikstandorte auch die Erinnerung an gemeinsame Inspektionsreisen – wie an ihre Besuche in Mettlach – einfloss. Und an ihrer „Urfreundschaft“, wie der Schinkelforscher Christoph von Wolzogen die Beziehung zwischen Beuth und Schinkel aus den Quellen beschrieb, gewann womöglich ab 1823, sicher aber nach 1826, auch Boch-Buschmann Anteil. So mag nicht zuletzt in der Verbindung dieser hier Sp. 299; Hein-Thomas Schulze Altcappenberg: Das Leben Schinkels. Person, Familie, Freunde und Beruf, in: ders. / Rolf H. Johannsen / Christiane Lange (Hrsg.), Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie, Katalog, München 2012, S. 27–30. 35 Archiv Villeroy & Boch Mettlach, Bestand I 17. Bericht über die Reise J. F. Bochs nach England, 1823. 36 von Wolzogen, Himmel, S. 335. 37 Nadine Rottau: Schinkel der Moderne  – Gewerbeförderung und Design, in: Schulze ­Altcappenberg, Geschichte und Poesie, S. 246 f. (Abb.).

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Männer und ihrer gemeinsamen Begeisterung für Technisches sowie zugleich für die historische Kultur auch ein Grund liegen, die Landschaft um Mettlach herum und deren Geschichte wertzuschätzen. Karl Friedrich Schinkel hielt denn auch nicht erst 1835 in einer kommentierten Skizze die Grabkapelle bei Kastel am Steilufer über der Saar fest. Schinkel hatte die augenfällige Landschaft an der unteren Saar bereits Jahre zuvor kennengelernt. So ist es nicht auszuschließen, dass jener Pegasus – Beuth – auch über eben diese nun imaginierte Landschaft hinwegflog, Beuth persönlich ironisierend. Und 1837 dürfte Beuth auch Kenntnisse über den eröffneten Bau der Kapelle in Kastel besessen haben, die dort seit 1835 entstand und 1838 vollendet wurde. Berliner Ingenieure in Mettlach, und umgekehrt finden sich bereits 1821 Belege dafür, dass Jean François Boch-Buschmann in Berlin an der Seite von Christian Beuth und Karl Friedrich Schinkel bekannt war. Aus diesem Umstand sprechen die Umtriebigkeit und Kommunikationsfähigkeit des Unternehmers, der seine Chancen offenbar auch direkt in Berlin suchte. Dort, in der Liste des „Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes“ findet sich als ordentliches Mitglied ab 1822/23 Jean François Boch-Buschmann, „Steingutfabrikant in Mettlach“. Welch ein Ausweis! Christian Beuth firmierte als Gründer des Vereins und Karl Friedrich Schinkel als Vorsteher der Abteilung „Baukunst und die schönen Künste“. Mitglied des Vereins konnte laut Satzung werden, wer durch zwei Mitglieder des Vereins eingeführt ist und – hier für Auswärtige – jährlich eine Vereinsgebühr von 6 Reichstalern zahlte. Boch-Buschmann besaß also offenkundig diese Fürsprecher in Berlin, – es dürften dies Beuth und Schinkel persönlich gewesen sein. Beuth hatte bei einer seiner Reisen nach England den Weg über die Saargegend genommen. Am 8. Mai 1823 berichtete er in einem Brief an den preußischen Finanzminister Friedrich Ludwig von Bülow über seine Besuche in Fabriken der Saargegend.38 Beuth bereiste auch die Steingutfabrik von Boch-Buschmann in Mettlach und hielt wohl seitdem Kontakt zu Boch-Buschmann. Denn 1826, nun auf Beuths zweiter Englandreise, und jetzt in Begleitung Schinkels, begegneten sich dann Beuth und Boch-Buschmann in Mettlach wiederholt und als angesprochene „Freunde“. Was bedeuteten diese Kontakte für Boch-Buschmann? Ab 1821 und bis Ende der 1830er Jahre finden sich in den Berichten jenes Fördervereins Vermerke über Beteiligungen Jean François Boch-Buschmanns an Berliner Gewerbeausstellungen und einen industrietechnischen Wissensaustauch. 1821 protokollierte man zur Gewerbeausstellung, „dass feineres Porzellan und Steingut (…) aus mehreren bekannten Fabriken im Trierischen“ fehlten, während es 1823 in den Protokollen heißt, „es zeichneten sich aus die Fayancenwaaren aus der Fabrik des Herrn BochBuschmann zu Mettlach an der Saar. Diese sich vergrößernde Fabrik liefert ihre Waaren zu höchst niedrigen Preisen, und von weißer, vorzüglicher als Fritte auf 38

Helmut Reihlen: Christian Peter Wilhelm Beuth, Berlin 1988, S. 33.

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getragener, Glasur; sie wendet mehrere außergewöhnliche mechanische Hilfsmittel an, und beschäftigt eine große Menschenanzahl“. Im Jahresbericht des Vereins von 1827 heißt es zu Boch-Buschmann, „der bei der vorigen Gewerbeausstellung den höchsten Preis erworben“ habe und der 1828 in Berlin seine „Proben von porzellanartigen, mit Patina verzierten Steingutgeschirr“ präsentierte, der 1835 dort technische Zeichnungen über Verfahren mitteilte, „den Ton in gleich dicke Platten […] zu schneiden“.39 Die Reihe der Belege zeigt, welche Aufmerksamkeit die technischen Details der Steingutherstellung und die erzielten Produkte Jean François Boch-Buschmanns fanden. Dieser machte sich neben der persönlichen Verbindung zu Beuth und Schinkel als Ingenieur und Unternehmer über diese Berliner Gewerbeschauen einen Namen in führenden Berliner Kreisen. Und Beuth war nicht nur als Förderer des Gewerbes in Preußen unterwegs: Als Schinkel im Frühjahr 1826 auf seiner Reise über Paris nach England die Route – wohl nicht zufällig – durch das Mosel- und Saartal nahm, besuchte er auch das Haus und die Fabrik Boch-Buschmanns in Mettlach. Karl Friedrich Schinkel zeigte sich regelrecht begeistert von der erlebten Kulturlandschaft und der Gastfreundschaft der Familien Boch-Buschmann in Mettlach und der Familie Villeroy in Wallerfangen. Schinkels Reiseberichte belegen das genauer: Der fünfundvierzigjährige Geheime Oberbaurat und Professor für Baukunst brach am 16. April 1826, begleitet von Beuth, zu seiner Reise nach England auf, über die er ausführlich Tagebuch führte. Über Weimar, Frankfurt am Main, Koblenz und Trier und nach einem Besuch antiker Überreste in Saarburg und in Kastel erreichte die Reisegruppe am 23./25. April 1826 Mettlach. In sein Tagebuch schrieb Schinkel: „Wir kamen gegen Dunkelwerden in Mettlach an, welcher Ort aus einem großen Klostergebäude in Jesuitenstil besteht und um welches in einiger Entfernung die Wohnhäuser der Fabrikarbeiter ein kleines Örtchen bilden. Herr Buschmann, Beuths Freund, hat dies enorme Gebäude gekauft und darinnen eine Steingutfabrik sehr schön eingerichtet. […] Bei Herrn Buschmann, der eine sehr artige Frau, zwei ziemlich erwachsene Töchter und einen kleinen Sohn zu Haus hat, wurden wir sehr schön empfangen. Alles ist in diesem Haus schon französisch, jedoch zwang Beuth die Gesellschaft zu deutscher Konversation. Wir aßen schön zur Nacht, schliefen dann in Prachtzimmern und Prachtbetten vortrefflich. Am anderen Morgen […] wurde ein Teil der Fabrik gesehen, indes weil es Sonntag war, so wurden nicht gearbeitet, und man wollte uns durchaus vor dem anderen Morgen um 9 Uhr nicht fortlassen, damit wir die Fabrik im Gange sehen sollten. Der Tag ward mit Spaziergehen auf die Berge und im Garten sowie mit einer kleinen Wasserfahrt auf der Saar zugebracht. […] Am anderen Morgen […] waren wir mit der Besichtigung der Fabrik beschäftigt. 39

Verhandlungen des Vereins zur Förderung des Gewerbefleißes, Jg. 1823, S. 7, S. 46; Jg. 1825, S. 7; Jg. 1827, S. 7, S. 280; Jg. 1835, S. 115 ff.; Thomas, Boch und Villeroy, S. 44 ff.

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Merkwürdig und gut ausgedacht sind hier die Brennöfen, oberhalb unter dem Dach an den Zuglöchern bequem zu dirigieren, die Ofentüren von Tafeln aus Ton in Eisen eingefaßt, welche nicht wie ganz eiserne verbrennen. – Eine Maschine wo ein Draht sehr regelmäßig die Scheiben des weichen Ton in beliebige Stücke durchschneidet, welche auf die Teller- und Schüssel-Formen aufgelegt und verarbeitet werden.“40 Hier sprach der technikbegeisterte Ingenieur Schinkel. Ihn interessierten die in Mettlach betriebenen Brennöfen, die Boch-Buschmann mit produktionstechnischer Rafffinesse selbst mitentwickelt hatte. Boch-Buschmann gehörte demnach für Schinkel auch zu den Pionieren des gerade auch von Berlin aus administrativ und ästhetisch befeuerten „Eisernen Zeitalters“. Nicht allein das Interesse am technisch machbaren Fortschritt verband die Freunde. Von den kulturellen Präferenzen, die der technikbegeisterte Christian Beuth und Karl Friedrich Schinkel mitbrachten, ließ sich auch Jean François BochBuschmann weiter anregen. Dieser mochte beim Kauf seiner Mettlacher Immobilie zunächst das Areal der ehemaligen Abtei mit den Augen des an Rohstoff, Wasser und Holz sowie an Verkehrswegen interessierten Investors gesehen haben. Die Begegnungen mit Beuth und Schinkel erweiterten sein kulturlandschaftliches und historisches Wissen und Interesse. Von den Berliner Ingenieuren nämlich ließ er sich dazu anregen, bauhistorische Objekte auf seinem Areal als mittelalterliche Geschichtszeugnisse zu bewahren. Schinkel notierte dazu unter dem 26. April 1826: „Eine alte Ruine, achteckig, aus der Zeit Karls des Großen, aber im 14. Jahrhundert durch eingebaute Spitzbögen verändert, steht im Garten, direkt am Fabrikgelände, man wollte sie abreißen, durch unser Zureden ist sie gerettet worden.“41 Über Schinkel lernte Boch-Buschmann, ein im Sinne der Zeit als „karolingisch“ angesprochenes Monument als Kontinuitätsausweis mittelalterlicher Kaiser­ geschichte zu erhalten. Über den Abriss der „alten Ruine“ zugunsten betrieblichen Fortschrittdenkens obsiegte die Sinnhaftigkeit der Bewahrung materiell tradierter Geschichte. Die mit der Bindung an Kaiser Karl den Großen vergegenwärtigte Geschichte betraf zudem die Geschichte der Christianisierung und das Bistum Trier. Jene Ruine – und die ehemalige Abtei selbst – erfuhren in den kulturellen Präferenzen der Berliner Ingenieurfreunde erweiterte erinnerungsgeschichtliche und denkmalhistorische Bedeutungszuweisungen.

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Gottfried Riemann (Hrsg.): Karl Friedrich Schinkel. Reise nach England, Schottland und Paris im Jahr 1826, München 1986, S. 55–58; Joachim Rees: Künstler auf Reisen, Darmstadt 2010, S. 145–159. 41 Ruth Bauer: Der Alte Turm in Mettlach im Spiegel der Denkmalpflege. Zur Restaurierung des 19. Jahrhunderts durch Eugen Boch und August von Cohausen, in: Zeitschrift für Geschichte der Saargegend 48 (2000), S. 165–202. Friedrich Wilhelm IV. veranlasste 1835 auch die Restaurierung der Burg Monclair. Als deren späterer Besitzer verantwortete die Familie von Boch dort weitere Instandsetzungen. Jürgen Hannig: Der gelenkte Blick. Ikonographie einer Flusslandschaft, in: Richard van Dülmen (Hrsg.), Die Saar, 2. Aufl., St. Ingbert 1992, S. 244 f.

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Abb. 6: Eugen von Boch (1809–1898), Alte Abtei und Alter Turm, Mettlach. Zeichnung um 1830. Villeroy  &  Boch AG / Keramikmuseum / Unternehmensarchiv Mettlach.

Zudem mag Karl Friedrich Schinkel auch Jean François Boch-Buschmann, der sich stets für Botanik und Geologie interessierte, der auch eine Sammlung für Naturalien aufgebaut hatte und Interesse an der Landwirtschaft zeigte, von der Sinnhaftigkeit der Kulturlandschaft überzeugt haben: „Landschaftliche Ansichten gewähren ein besonderes Interesse, wenn man Spuren menschlichen Daseins darinnen wahrnimmt […], weil der Mensch das am liebsten erfahren will, wie sich seinesgleichen der Natur bemächtigt […]. Der Reiz der Landschaft wird erhöht, indem man die Spuren des Menschlichen recht entschieden hervortreten läßt, entweder so, daß man ein Volk in seinem frühesten goldenen Zeitalter ganz naiv, ursprünglich und im schönsten Frieden die Natur genießen sieht […] oder die Landschaft läßt die ganze Fülle der Kultur eines höchst ausgebildeten Volkes sehen, welches jeden Gegenstand der Natur geschickt zu benutzen wußte, um daraus einen schönen Lebensgenuß für das Volk im allegemeinen zu ziehen“.42 Die Berliner Ingenieure, Beuth und Schinkel, waren in Mettlach keine Durchreisenden und ihre Tischgesellschaft im Hause Boch-Buschmann kein Zufall. Sie waren an der Saar gern gesehene, wissenskundige und einflussmächtige Gäste, denn Reisen bedeutete hier wechselseitig Informationsbeschaffung, Wissenstransfer, Geschäftskontakt und kulturellen Austausch. Über das gemeinsame Streben 42

Zitiert nach Werquet, Historismus, S. 343.

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nach technischem Fortschritt hinaus vermittelte Schinkel nach seinen Berichten in ­Mettlach handlungsorientiert einen Sinn für den Fortschritt in der Geschichte, in­dem man ihre Zeugnisse bewahrte. Wie aber fand Karl Friedrich Schinkel als Künstler zu dem Verständnis einer neuen Gegenwart der Geschichte des Mittelalters? b) „Die Geschichte hat nie frühere Geschichte copiert“ Die Werke und Schriften Karl Friedrich Schinkels sind, wie könnte es anders sein, auch als Spiegelbild einer Epoche zu lesen, „die vom Widerschein der Revolution über den Aufstand des Nationalgefühls bis zur Restauration des alten Regimes reichte und ihm zugleich die Vorboten des industriellen Massenzeitalters mit seinen unabsehbaren und unerhörten Wandlungen entgegenschickte“.43 Wie reagierte Schinkel, der im Dienst der preußischen Monarchen stilprägend bauen konnte, in seinem Geschichtsdenken und Schaffen auf die mit Freiheitsstreben, Verfassungsreformen und neuen Stilempfindungen verbundenen Umbrüche und Erwartungen im Zeichen von Revolution und Restauration? Wie verstand er als Künstler die Epoche des Mittelalters kulturgeschichtlich? Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. hatte im November 1833 bei seinem Besuch in Mettlach die Gebeine Johanns von Böhmen als Geschenk in der Vorstellung angenommen, diese absehbar in der Nähe neu beisetzen zu lassen. Daraus folgten für Karl Friedrich Schinkel zwei Arbeitsaufträge: der Entwurf zur Herstellung eines Denkmalbrunnens zur Erinnerung an den Besuch des preußischen Kronprinzen in Mettlach und die Planung einer Kapelle mit Grablege für die Gebeine Johanns von Böhmen in Kastel. Der Ausweis erinnernder Geschichte, der nach dem Willen des Auftraggebers für beide Werke wesentlich wurde, führt zur Frage, wie Schinkel dem in seinem Mittelalter- und Geschichtsverständnis nachkam. 1834 schrieb darüber Karl Friedrich Schinkel, „daß das Ideal in der Baukunst nur dann völlig erreicht ist, wenn ein Gebäude seinen Zweck in allen Theilen und im Ganzen in geistiger und physischer Rücksicht vollkommen entspricht. Es folgt hieraus schon von selbst, daß das Streben nach dem Ideal in jeder Zeit sich nach den neu eintretenden Anforderungen modificieren wird […] und daß, um ein wahrhaft historisches Werk hervor zu bringen, nicht angeschlossenes Historisches zu wiederholen ist, wodurch keine Geschichte erzeugt wird, sondern ein solches Neues geschaffen werden muß, welches im Stande ist, eine wirkliche Fortsetzung der Geschichte zuzulassen“.44

43

Wolfgang Pehnt: Die Erfindung der Geschichte. Aufsätze und Gespräche, München 1989, S. 50. 44 Alfred von Wolzogen (Hrsg.): Aus Schinkels Nachlass, Bd. 3, Berlin 1863, S. 333; Hans Mackowsky (Hrsg.): Karl Friedrich Schinkel, Briefe, Tagebücher, Gedanken, Berlin 1922, S. 180; Werquet, Historismus, S. 337 ff.

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Abb. 7: Franz Krüger: Bildnis Karl Friedrich Schinkels, 1836. Pastell, mit Pinsel weiß gehöht, auf Vélinpapier, unten rechts gewidmet: „Zum geneigten Andenken von FKrüger, 36.“ bpk / ​ Kupferstichkabinett, SMB / Volker H. Schneider. Medien-ID: 00102574.

Es ist dies nicht Schinkels erste Äußerung über seine kunsttheoretisch bedachte Abkehr von der alleinigen Geltung der vorherrschenden Antikenrezeption. ­Schinkels Gesamtwerk und Wirken, das zeigt die fortwährende Schinkelforschung, ist folglich auch nicht monolithisch zu verstehen. Bereits um 1810 – und in einer politischen gänzlich anderen Zeit als 1830 – verdeutlichte er sein Mittelalter- und Geschichtsverständnis, das sich von dem Bild eines „finsteren“ Mittelalters der Romantiker programmatisch unterschied. Karl Friedrich Schinkel erachtete das dynamische Prinzip im Prozess der Geschichte als wesentlich. Das Fortschrittsdenken verband er – über innerstaatliche Konkurrenzen in der Entwicklung Preußens hinweg  – mit Intentionen staatlich verantworteter Bildung, mit möglichst öffentlich sichtbar gemachten Aussagen historischer und überzeitlich ausgelegter ästhetischer und ethischer Belehrung. Sollten sich solche Grundgedanken nicht auch in seinem Verständnis des Mettlacher Denkmalbrunnens und der Gestalt seiner Ritterfigur spiegeln? Im zeichnerischen Gesamtwerk Karl Friedrich Schinkels finden sich eine Vielzahl von Wasserbrunnen und Quellen. Eine erste und gleichwohl konzise Deutung des Brunnen- und Wassermotivs leistete Jörg Trempler.45 Ihm fiel dabei auf, dass zwischen 1800 und 1835 im Verhältnis zu Schinkels zahlreich erarbeiteten Brunnen­entwürfen tatsächlich nur sehr wenige realisiert wurden. Es entstand – spektakulär bis heute – die großartige Fontäne im Berliner Lustgarten. In dieser 45

Jörg Trempler: Schinkels Motive, Berlin 2007, S. 69–123.

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Fontäne wollte Schinkel das benachbarte Museum als Ort ästhetischer Erziehung mit dem Gedanken der Inspiration der Quelle verbunden wissen,46 und so auch jenen Denkmalbrunnen in Mettlach, wie nachzutragen ist. Warum Wasser? Im Zeitraum von 1829 bis 1838 arbeitete Karl Friedrich Schinkel an der Umsetzung verschiedener und weitreichender Ideen des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, darunter an Entwürfen für den Bau von Schloss Charlottenhof.47 Im Frühjahr 1835 lagen von Karl Friedrich Schinkel immer wieder bearbeitete Überlegungen und Entwürfe auch für ein außerordentliches Ensemble vor: „Die Residenz eines Fürsten“. Nach den Beobachtungen Jörg Tremplers hat Schinkel „das gesamte Gebäude als Brunnenfassung der Quelle dargestellt“. Wasser spielte mithin eine entscheidende Rolle für die Sinndeutung der Anlage. Nicht zum ersten Mal. Seit 1800 finden sich in Entwürfen Schinkels zu prominenten Objekten immer wieder Brunnen, Quellen, Wasserszenen. Erkennbar lag ihm am symbolischen Sinn der Quelle, des stets fließenden Wassers – und Wasser symbolisiert Reinheit und Wiedergeburt. Dieser Sinn diente Schinkel offenbar dazu, im Wasser jeweils Motivation, eher wohl Inspiration auszuweisen. Intention spricht nach Jörg Trempler auch aus dem Blatt „Brunnen der Begeisterung“, einem Brunnen mit einer Ritterfigur, wobei Schinkel „an eine Quelle für politisch-religiöse Begeisterung“ dachte. Mit dieser Quelle meinte Schinkel Hippokrene, griechisch „Rossquelle“, die am Berg Helikon entspringt. Nach antiker Mythologie begeisterte diese heilige Quelle den Gott Apoll und die Musen und motivierte sie die Dichter.48 Schinkel griff offenkundig diese Deutungstradition auf. Die symbolische Bedeutung des fließenden Wassers, zu inspirieren, lässt sich mit gutem Grund auf den Mettlacher Denkmalbrunnen übertragen, denn auch die mit ihm erinnerten Ereignisse galten religiösen Aussagen und waren Anlass, in der gezeigten Person möglichst zu kultureller Identifikation zu bewegen. Die Ästhetik des Brunnens und das dort fließende Wasser verbindet, eine ununterbrochene Vergegenwärtigung von Vergangenheit zu postulierten und aus der Vergangenheit aktualisierte Geschichtsdeutung zu evozieren. Lässt sich demnach Schinkel mit dem M ­ ettlacher Denkmalbrunnen als ein Mittelaltermacher und soweit auch als ein Bildungs­ reformer ansprechen? Eine Antwort auf diese Frage aus der Geschichtswissenschaft findet sich in der Materialsammlung für sein Architektonisches Lehrbuch, an dem Karl Friedrich Schinkel von etwa 1810 bis in die späten 1830er Jahre arbeitete.49 Als junger und kaum anerkannter Architekt entwickelte er in Auseinandersetzung mit dem Werk 46

Schulze Altcappenberg, Geschichte und Poesie, S. 174. Antje Adler: Gelebte Antike. Friedrich Wilhelm IV. und Charlottenhof, Berlin 2012. 48 Peter Freund: s.v. Hippokrene, in: Der Neue Pauly, Bd. 6, Stuttgart 1998, Sp. 600. 49 Goerd Peschken: Karl Friedrich Schinkel. Das Architektonische Lehrbuch, München 1979. 47

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seines dem Klassizismus huldigenden Lehrers seine ersten Gedanken über einen dynamischen Geschichtsprozess. Den Anlass dazu bot ihm die Debatte um die angemessene Formsprache des geplanten Neuen Museums in Berlin und fortgesetzt das Verständnis seines Entwurfs für das ästhetisch bemerkenswerte Grabmausoleum für Königin Luise. Schinkel achtete in seinen Gedanken und Plänen die je eigenen kulturellen Leistungen vergangener Epochen, wertete aber zugleich dem Fortschrittsgedanken folgend die Bedeutung der Gegenwart auf. Das galt auch für die Kultur des Mittelalters. So notierte er etwa 1825, „historisch ist nicht das alte festzuhalten oder zu wiederholen, dadurch würde die Historie zu Grunde gehen, historisch ist das, welches das Neue herbeiführt und wodurch die Geschichte fortgeschrieben wird“. Und eine Dekade später schrieb er ähnlich: „Die Geschichte hat nie frühere Geschichte copiert, und wenn sie es gethan hat, so zählt ein solcher Act nicht in der Geschichte, die Geschichte hört gewissermaßen in ihm ganz auf. Nur das ist ein geschichtlicher Act, der auf irgendeine Weise ein Mehr, ein neues Element in die Welt einführt, aus dem sich eine neue Geschichte erzeugt und fortspinnt“.50 Und so heißt es dort zum Baustil des Mausoleums, dessen Formensprache Schinkel gerade nicht als „gotisch“ anführte, über die Kultur und Geschichte des Mittelalters: „Wir können Griechisches und Römisches nicht unmittelbar anwenden, sondern müssen uns an das für diesen Zweck Bedeutsame selbst erschaffen. Zu dieser neuzuschaffenden Richtung der Architektur dieser Art giebt uns das Mittelalter einen Fingerzeig. Damals, als die christliche Religion in der Allgemeinheit noch kräftiger lebte, sprach sich dies auch in der Kunst aus, und dies müssen wir aus jeder Zeit aufnehmen und unter den Einflüssen der Schönheitsprincipien, welche das heidnische Altertum liefert, weiter fortbilden und zu vollenden streben.“ Demnach verstand Schinkel die Epoche des Mittelalters als „Fingerzeig“ und damit als Teil eines konstruktiven Gesamtverhältnisses der Zivilisationsgeschichte. Alle in jenem Lehrbuch versammelten Aussagen Schinkels zur Kunst des Mittelalters, so zusammenfassend Andreas Haus, münden in der Feststellung: „Die Baukunst des Mittelalters ist für Schinkel nicht einfach die ästhetisch-stilistische Alternative und Ablösung des Klassischen, sondern sie liefert ihm ein besonderes inhaltliches Prinzip.“ Dieses Prinzip erschöpfte sich inhaltlich nicht im Geschmack, „sondern im engeren geschichtlichen Bezug zum tätigen, handelnden und empfindenden Leben des Menschen“, womit sich Schinkel, so Andreas Haus weiter, grundsätzlich von der Begeisterung für die Gotik der Romantiker unterschied. Sie verstanden ja jene historische Epoche als die vornehmlich deutscher Ritter- und Kaiservergangenheit. „Gotisch“ war für Karl Friedrich Schinkel auch kein patriotischer Begriff. Und „Mittelalter“, so notierte er es sich aus den Gedanken des Berliner Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) zur Vernunftentwicklung, bedeutete Anfang und Fortgang der Geschichte: „Wenn unter den Menschen in der menschlichen 50

Ebenda S. 71, S. 147 ff., S. 177 ff.

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Gesellschaft die eingetretene durchaus neue Idee mittels Vernunft und Verstand in allen ihren Verhältnissen Theilen durchdrungen […] worden ist, entsteht ein abgeschlossenes Zeitalter. […] Man könnte sagen, so entsteht ein Mittelalter“. Demnach meint eben dieses Mittelalter auch Gegenwart, genauer Gegenwärtigkeit.51 Schinkel schloss aus dem so reflektierten Geschichtssinn auf einen praktischen Fortschritt, der auch sein Verständnis von Bildung mitbestimmte. Dazu verhalfen auch die Geschichte und die Kunst: „Aber dadurch eben, daß die Geschichte fortgesetzt werden (soll) ist es sehr zu überlegen, welches Neue u(nd) wie dies in den vorhandenen Kreis eintreten soll. Es gehört höchste Bildung dazu, die schöne Kunst, welche alles Maaß und Ruhe setzt, ist vielleicht ein Probirstein. […] Es wäre vielleicht die höchste Blüthe einer neuen Handlungsweise der Welt, wenn die schöne Kunst voran ginge, etwa so wie das Experiment in der Wissenschaft der Entdeckung vorher geht, und als ein eigenthümliches Element der neuen Zeit angesehen werden kann“.52 Jener „Probirstein“ ist folglich als ein fortwährender Teil gesellschaftlicher Orientierung zu verstehen. Wie die Forschungen zur Entstehung des Architektonischen Lehrbuchs zeigen konnten, hielt Karl Friedrich Schinkel unter den veränderten politischen Verhältnissen und Ansprüchen der preußischen Monarchen an seinen kunsttheoretischen und geschichtsphilosophischen Grundgedanken weitgehend fest. Demnach sprechen neben zeitlichen Zusammenhängen Schinkels kunsttheoretische Äußerungen dafür, sie genauer in der Ästhetik und Formensprache des Mettlacher Denkmalbrunnens zu suchen. Denn unübersehbar vermittelt der Brunnen mit der Ritter­figur ein zeitgemäß gewolltes Zeichen von Geschichtlichkeit, das aus seiner Vorgeschichte und Erinnerungsabsicht zu verbinden ist mit Appellen an die „Inspiration“ wie an den „Fortgang der Geschichte“ in einem sichtbar gemachten Mittelalter der Gegenwärtigkeit. Der Brunnen vergegenständlichte für den Künstler einen „Anfang neuer Geschichte“ und profilierte gegenwärtig erreichte „Schönheit und Poesie“. „Die Menschlichen Verhältnisse gestalten sich nie ganz rein nach vollkommen Vernunftgesetzen […], daher können Architektonische Aufgaben auch nicht rein gelöst werden und deshalb müssen dieselben ein bedeutendes historisches Element aufnehmen. Dies […] kann selbst einen Theil ihrer Schönheit und Poesie bilden. Man wird am besten thun, wo das Historische eintreten muß, durch Formen an die größeren Zeiten zu erinnern, in welchen dies historische Element seine Ausbildung erreicht.“53 Dieses zu vergegenwärtigende historische Element – eingeschrieben in die Widmung des Brunnens – nimmt auch die Vorstellung Schinkels von König Johann von Böhmen auf. 51 von Wolzogen, Himmel, S. 251: „Historisches, daß nicht Copie aus der Geschichte sey vielmehr immer etwas ganz neues aus dem eine Folge erwächst; ein Fortgang der Geschichte, jedes Kunstwerk der Anfang neuer Geschichte“; Peschken, Lehrbuch, S. 148. 52 Ebenda, S. 71. 53 Peschken, Lehrbuch, S. 117.

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Schinkels kunstgeschichtliches Denken, das die Formensprache der Gotik integrierte, ließ selbst einen Sprung ins Mittelalter, so der Schinkelforscher Christoph von Wolzogen, der Zeit voraus, ja unzeitgemäß sein. Solche Gegenwärtigkeit des Mittelalters, die Geschichte als lebendigen Wirkungszusammenhang begreift,54 hatte der Philosoph Fichte Anfangs der 1810er Jahre in seinen Vorlesungen auch an einer Textsammlung des 14. Jahrhunderts dargelegt, an den Gesta Romano­ rum.55 Neben zahlreichen antiken und christlichen Legenden und Fabeln enthält diese Textsammlung auch didaktische Erzählungen und Beschreibungen mittelalter­licher Ritterturniere und Tugenden. Karl Friedrich Schinkel hielt Fichtes Bemerkungen in eigenen Notizen fest. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich Schinkel an jenes dort erzählte Mittelalter erinnerte, als er nach 1830 an seinem Architektonischen Lehrbuch, an den Plänen für eine Fürstlichen Idealresidenz arbeitete und aktuell eine ästhetisch-zeitgemäße und zugleich geschichtlich-­ zukunftsfähige Form der Würdigung Johanns von Böhmen zu formulieren blieb. Die kunstsinnige Antwort Schinkels hieß: ein Brunnen, deutungsgeschichtlich markiert mit genau dieser Figur eines Ritters, – seines Ritters. c) Mit geschlossenem Visier: Ritterlichkeit und Anmut Die ältere Forschung beachtete den Mettlacher Denkmalbrunnen gar nicht weiter als ein Werk Karl Friedrich Schinkels. Heute dagegen ist dieser Brunnen zwar als ein schutzwürdiges Kulturdenkmal bekannt, doch die Sinnhaftigkeit, die Karl Friedrich Schinkel dem Brunnen und der Ritterfigur eingoss, bleibt noch genauer zu entschlüsseln. Als Geschichtsquelle bezeugt jener Brunnen historische Tatsachen und dessen Inschrift will erinnernd dokumentieren. Erinnerung zu tradieren bedeutete für Karl Friedrich Schinkel, sich angesichts der Umstände dieses aus der Begegnung des Kronprinzen Friedrich Wilhelms IV. mit Jean François Boch-Buschmann veranlassten Auftrags mit der aktuell gedeuteten Geschichte Johanns von Böhmen auseinanderzusetzen. Als plastisches Kunstdenkmal dokumentiert der Brunnen dazu eine ästhetisch gefasste mittelaltergeschichtliche Aussage des Künstlers. Unter Schinkels umfänglichen Entwurfszeichnungen hat sich die Skizze der Mettlacher Rittergestalt erhalten. Schinkels Zeichnungen sind Primärquellen, die in seine Denkwelt führen.56 Inwieweit entspricht die Ritterfigur Schinkels dieser Denkwelt und wie passen ihre Gestaltung als Ausweis der Erinnerung sowie das zur Herstellung gewählte Material zusammen? Schinkel entwarf einen Brunnen, 54

Ebenda, S. 258 f.; Andreas Haus: Gedanken über K. F. Schinkels Einstellung zur Gotik, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 22 (1989), S. 215–231, hier S. 227. 55 Fritz Wagner: Gesta Romanorum, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München 1989, Sp. 1408 f. 56 Trempler, Motive.

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der aus Eisenguss herzustellen war. Wie es sich Jean François Boch-Buschmann wünschte, erhielt er einen Brunnen aus Eisenguss als (Gegen-)Geschenk. Was macht dieses Zeitzeugnis des „Eisernen Zeitalters“ aber zu einem des „neuen Zeitalters des Rittertums“? Einer ersten Antwort auf diese Frage gibt Hein-Th. Schulze Altcappenberg diese Richtung: „Auch für Schinkel ist die Zeichnung ein wesentliches wissenschaftliches Merkmal der Erinnerungskultur. Aber er erweitert ihre Aufgabe der Erfassung des Ist-Zustandes um das suggestive Bild einer heilen Vergangenheit, die im gleichen Zug als Ideal einer zukünftigen Gestalt erscheint“. Und weiter: Die dabei von ihm eingenommene „aktive Konstruktion der Geschichte“ […] will nicht als billiger Vorschein, sondern als bloße Idee eines zukünftigen Zustands verstanden werden“.57 Karl Friedrich Schinkel projizierte – so legen es seine weiteren kunstgeschichtlichen Ausführungen nahe – auf den gesamten Brunnen und die Ritterfigur einen „zukünftigen Zustand“ als zeitgemäße Aussage der Erinnerungswürdigkeit Johanns von Böhmen. Den Nachweis, dass Karl Friedrich Schinkel den Brunnen komplett, die Schalen und auch die Standfigur entwarf und deren Ausführung bestimmte, entdeckte erst vor geraumer Zeit der Schinkelforscher Christoph von Wolzogen. Er fand unter den überlieferten Skizzenblättern diesen mit Schinkels handschriftlichen Notizen versehenen detaillierten Auftrag: „Brunnen in Met(t)lach, Bock (sic!) Buschman“, neben der skizzierten Ritterfigur „Modell der figur (Figur) 2 ½ Fuß hoch 60 rt Guß u (nd) Ciseliren // Eisen die beiden Schalen u (nd) Fuß // zusammen – 24 Löwenköpfe 160 rt. Bronziren // 450 rt Blätterose 96 – Anstrich u (nd) 16 – kl Modell // 570 rt. Zusammstel(len) 78 Löwenhaupt 40rt“.58 Schinkel entwarf, kalkulierte und betreute folglich den Guss des Brunnens, bestehend aus zwei verzierten Schalen und einer Ritterfigur in einem Arbeitsvorgang. Der Auftrag gelangte angesichts von Schinkels gewerbetechnischen und persönlichen Verbindungen wohl in den Berliner Werkstätten zur Ausführung. Mit der Figur des aufrechtstehenden Ritters erinnerte der Brunnen an das Ereignis vom 11. November 1833, womit die Ritterfigur eindeutig Johann von B ­ öhmen vergegenwärtigt. Erinnerungswürdig ist dem Künstler  – und damit wohl auch dem preußischen Kronprinzen – der Ritter in eben der ausgewiesenen Gestalt. Sie zeigt keinen Kämpfer, auch nicht den Moment eines stolzen Sieges, was mit Blick auf die historische Person Johanns von Böhmen nahelag. Dieser Ritter ist ganz 57

Schulze Altcappenberg, Geschichte und Poesie, S. 57 f. Alfred von Wolzogen, Aus Schinkels Nachlass, 4. Katalog des künstlerischen Nachlasses von Carl Friedrich Schinkel im Beuth-Schinkel-Museum in Berlin, Berlin 1864, S. 318; SMB, Kupferstichkabinett SM 36b.99 „Entwurf eines Brunnens mit einem Ritter in voller Rüstung“, http://ww2.smb.museum/schinkel/index.php?viewtype=2&object_id=1505010&leftmenu_id=2 sowie die Kostenaufstellung http://ww2,smb.museum/schinkel(index.php?viewtype=2&object id=15110444&leftmenuid=2; Korrespondenz Christoph von Wolzogen, Unternehmensarchiv Villeroy & Boch, Mettlach, Archiv-Nr. 407. 58

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Abb. 8: Karl Friedrich Schinkel: König Johann von Böhmen in voller Rüstung als Brunnenfigur. Entwurf zum Denkmalbrunnen in Mettlach. bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Wolfram Büttner. Medien-ID: 70388645.

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eigen. Schinkel zeigt auch nicht einen Ritter im Kampf und kein gezücktes Kampfschwert dominiert die Bildsetzung seines mittelalterlichen Ritter-Helden. Solche Rittergestalten sahen die Zeitgenossen in Denkmälern und auf Bildern anderer zeitgenössischer Künstler. Schinkels Figur imaginiert auch keinen berittenen König, keinen Reiter, der mit gestrecktem Schwert entschlossenen den Gegner sucht und so kämpferischen Heldenmut erinnerungswürdig machte. Ganz im Gegenteil. Der Mettlacher Ritterfigur fehlt jegliche kämpferische Dynamik. Schinkel entwarf einen mittelalterlich gerüsteten Ritter, der steht, der frei für sich steht, also nicht energisch nach vorn drängt, der dabei anmutig, ausdruckstark in sich ruhend steht und so gänzlich Standhaftigkeit vermittelt. Auffällig ist die Haltung des Schwerts. Das Schwert, signifikantes wie standesspezifisches Zeichen für Herrschaft, ebenso des tödlichen Kampfs, für Macht, Ruhm und Ehre, verschwindet hier nahezu in der Stilisierung der Rüstung. Das Schwert steckt auch nicht in der Scheide. Frontal steckt diese Waffe mit der Spitze im Boden, und so nutzt sie der Ritter dazu, um darauf friedvoll seine Hände abzustützen. So vermittelt dieser stehende Ritter gefasste Ruhe, bedachtes Verharren, stilles, ja andächtiges Innehalten. Die Haltung des behelmten und geradeaus gerichteten Kopfs verstärkt diese Wirkung. Genau dort aber, wo ein ausdrucksstarkes Gesicht zu erwarten ist, verbirgt Schinkel den Gemeinten hinter dem heruntergeklappten Helmvisier. Heruntergeklappt? Diese Inszenierung vermittelt zwei Bedeutungen. Als identifizierbares Kennzeichen verweist sie zum einen auf die historische Person und die belegte Erblindung Johanns von Böhmen. Zum anderen unterstützt das heruntergeklappte Visier die Aussage der inneren Haltung des stehenden Ritters, evoziert sie ein Innehalten als Ausweis vorbildhafter Ritterlichkeit. Das gesenkte Schwert, die Haltung der Hände, das heruntergeklappte Visier, das Aufrechtstehen und die Blindheit zusammen deuten über die zitierte historische Person hinaus und machen diese Ritterfigur Johanns von Böhmen zur Quelle einer darin neu vermittelten mittelaltergeschichtlichen Idee von Ritterlichkeit. Dieser Ritter vermittelt eine Mittelaltergegenwart als Inspiration von Ritterlichkeit, zu der diese Figur Anmut, Eleganz sowie Würde in zitierter Erinnerung ausstrahlt. Schinkel entwarf in dieser nur mittelgroßen Ritterfigur kein Nationaldenkmal. Er entwarf nicht einmal ein eindeutig dynastisches Herrscherdenkmal, wie es 1836/40 Christian Rauchs (1777–1857) in einem Auftrag König Friedrich Wilhelms III. zudem bildhaft in einer Reiterstatue Friedrichs des Großen in historischer Tracht mit Krönungsmantel schuf.59 Die Mettlacher Ritterfigur ist zwischen Denkmal- und Grabfigur angesiedelt. Schinkels Ritterfigur repräsentiert nicht den Ritter des historischen Mittelalters, 59

Zum Ausdruck des Stehens eigens Thomas Fischbacher: Friedrich zu Fuß, Weimar 2013, S. 210 ff.

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nicht den gekrönten Helden patriotisch-nationaler Sehnsucht oder romantisch literarisierter Mittelalterbegeisterung. Diese Ritterfigur erscheint vielmehr wie eine metaphorische Quelle. Gemessen an seinen theoretischen Aussagen und seinem Verständnis der Fortsetzung der Geschichte im zeitgenössischen Werk eines Künstlers scheint für Schinkel in dieser Figur die Ritterlichkeit als erinnerungswürdig und sie projizierte er auf Johann von Böhmen: Er zitiert Mittelalterliches, um daran gegenwartsbezogen eine adelige Werthaltung sichtbar zu machen und ferner einen Bildungsappell zu vermitteln. Die Mettlacher Ritterfigur – eine „aktive Konstruktion“ gedeuteter Geschichte. Ein Fingerzeig darauf, wie der Künstler diese Ritterlichkeit bedachte, findet sich auch im seinem Architektonischen Lehrbuch festgehalten: „Die hohe Schönheit erregt nie eine der Menschen=Würde wiederstrebende Sinnlichkeit sondern sie zeigt / eine Sinnlichkeit höherer Art vom Geiste durchdrungen / daß das Göttliche der irdischen Form beiwohnen kann / u muß /. Dies ist der Grund der höheren / aus diesem Gefühl ging hervor / edlen Ritterlichkeit selbst des Mittelalters für die Schönheit am Weib dem man sich näherte wurde Leben gewagt u alle Aufopferung gebracht die ihrer nur würdig sein sollte; gemeine Sinnlichkeit konnte solche Kraftäußerungen nicht hervorbringen“. Und im verwandten Kontext notiert er weiter, „jedes Kunstwerk welcher Art es sei muß eigentlich immer ein neues Element, ein lebendiges Mehr in der Kunstwelt enthalten. […] und dem Publikum ein Vortheil, der Welt überhaupt ein Geschenk mit dem Kunstwerk erwächst. – Es ist dies der moralische Werth eines Kunstwerks“.60 Der Mettlacher Denkmalbrunnen mit der Ritterfigur scheint diesem Gedanken weitestgehend zu entsprechen. Der „moralische Werth“ des Objekts zeigt sich demnach hier gerade nicht in pathetischen Gesten und martialischen Posen, vielmehr im Innehalten dieses Ritters und seiner vermittelten historisch-erzieherischen Intention. „Imagninem pro corpore“ heißt es korrespondierend zur Ritterfigur auf dem Rand der Brunnenschale. „Imago“, also „Bild“, „Abbild“, „Vorstellung“. Brunnen und Ritterfigur vermitteln ein neu begründetes Gedächtnis, sie vermitteln im Sinne Schinkels eine geschichtlich bedachte Sinnlichkeit, ein Mittelalter der Gegenwärtigkeit, das geschichtsphilosophisch Vergangenheit neu fortsetzt und vorausweist. Damit erwies sich diese Ritterfigur für die soziale Umgebung in Berlin und Mettlach gleichermaßen als konsensfähig: ein ganz und gar „moderner“ Ritter der Ritterlichkeit. Vermittelt hatte sich Jean François Boch-Buschmann ein „gusseisernes Brunnenmonument aus Berlin“ gewünscht.61 Den Brunnen samt Ritterfigur konzipierte nachweislich Karl Friedrich Schinkel. Wer aber brachte die Ritterfigur dazu ins Spiel? Nach den Umständen und Interessen verweist der Ritter auf Friedrich Wilhelm IV. 60 61

Peschken, Lehrbuch, S. 35, S. 115. Boch, Jean l’Aveugle, S. 6.

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Warum aber war gerade Eisen als Material des Brunnens und der Figur erwünscht? Dass sich Jean François Boch-Buschmann für einen Brunnen aus gegossenem Eisen entschied, verweist einerseits auf dessen innovativen technischen Sinn, der ihn ja auch mit Schinkel und Beuth verband. Andererseits liegt in dem gewünschten Material ein ästhetischer Sinn für das Besondere. Denn Produkte, die man zur damaligen Zeit gerade in Berliner Fabriken in Eisenkunstguss fertigte, galten als modern und besaßen einen prestigeträchtigen Markenwert. Der Name „Berliner Eisen“, später erst verengt als Symbol des Preußentums verstanden, rührte um 1830 aus der staatlich geförderten Industriepolitik Preußens. „Berliner Eisen“ meinte moderne und spektakuläre Erfolge im Guss großer Figuren für den Hof und Denkmäler, vor allem Grabmäler für berühmte Personen sowie Schmuckstücke und alltägliche Gebrauchsgegenstände. Eisen in künstlerisch wie formpraktisch ausdrucksvolle Form zu gießen, trieb Karl Friedrich Schinkel und Christian Beuth gleichermaßen an. Beide leiteten das „Königliche GewerbeInstitut“ und verantworteten die Ausbildung dortiger Kunsthandwerker, darunter die der Gießer und Ziselierer an vorderer Stelle. Seit 1829/30 verfügte dieses Institut auch über eine Bronzegießwerkstatt. Im engen Kontakt mit dem Künstler entstanden in der Königlichen Eisengießerei – und bald auch in anderen privaten Betrieben, darunter die bedeutend gewordene Fabrik Werner & Neffen  –, hochwertige Eisenprodukte. In dieser Konstellation entwarf und schuf Schinkel im Rahmen von Um- und Neubauten zahlreiche Interieurs für den Bedarf des Berliner Hofs und besonders für den Kronprinzen und dessen Gemahlin. Mit dem Eisenguss entstanden im modernsten Material der Zeit beispielhafte Kunstgegenstände als auch Gebrauchsgegenstände.62 Zu den herausragenden Eisenguss-Objekten, die bekanntermaßen Karl Friedrich Schinkel entwarf, zählt ein 1831 in den Berliner Werkstätten unter der Leitung des Bildhauers Christian David Rauch (1777–1857) sowie der Künstler Friedrich Tieck (1776–1851) und Ludwig Wichmann (1788–1859) modellierter und gegossener Wasserbrunnen. Ferner realisierte man dort in Eisenguss einen mehrschaligen, mit Löwenköpfen verzierten Wasserbrunnen, dessen Spitze eine antike Dichterfigur bildete. Aufgestellt wurde dieser eindrucksvolle Brunnen im westlichen (Dichter-)Hain von Schloss Charlottenhof, das nach den Plänen des Kronprinzen und Schinkels Mitte der 1830er Jahre fertiggestellt war.63 Der Brunnen befindet sich auch heute noch dort. Dieser Wasserbrunnen, Teil eines Verbunds der durch 62

Paul O. Rave: Bauten für Wissenschaft, Verwaltung, Heer, Wohnbau und Denkmäler, Berlin 1967, S. 257–365; dazu von Wolzogen, Himmel, S. 352 mit dem Zitat aus Schinkels Fragment „Unter den Menschen“ (Anfang 1811); Eva Schmidt: Der preußische Eisenguß, Berlin 1981; Nadine Rottau: Schinkel der Moderne, in: Schulze Altcappenberg, Geschichte und Poesie, S. 227–255; Rehberger, Grabmalkunst, S. 14 ff. 63 Antje Adler: Gelebte Antike – Friedrich Wilhelm IV. und Charlottenhof, Berlin 2012, bes. S. 97 f., S. 158, S. 170 ff.; Frau Dr. A. Adler danke ich für hilfreiche Hinweise.

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Pumpen und Leitungen zu Fontänen und Brunnen geschaffenen Potsdamer Parklandschaft, vermittelt in dem Hain den für Schinkel leitenden Gedanken der Inspiration der Quelle. Hinzu kamen die für sich sinnträchtigen Wasserschalen mit einer Reihe von Löwenköpfen als äußere Wasserspeier. Bedenkt man zu diesen Formen den zeitlichen Kontext der Erstellung dieses Wasserbrunnens für Jean François Boch-Buschmann, so hat man sehr wahrscheinlich in jenem Brunnen des Dicherhains in Charlottenhof ein Parallelstück des zur selben Zeit entstandenen Mettlacher Denkmalbrunnens vor sich, oder umgekehrt. Die Sinnhaftigkeit der Quelle, der Aufbau der Säule, die Löwenköpfe auf dem Rand der Wasserschalen, und die – jeweils thematisch abgestimmte – Standfigur verbinden beide Brunnen-Kunstwerke. Mehr noch: sie erscheinen so oder so als sinnverwandte Korrespondenzprojekte. Allein die sinnträchtige Standfigur an der Spitze des Brunnens vermittelt die gewünschte standortspezifische Botschaft. Das gilt für den Dichterhain im Park von Schloss Charlottenhof wie ebenso für Mettlach und die dortige Öffentlichkeit. Karl Friedrich Schinkel schuf für den Standort in Mettlach ein gewünschtes technisches wie preußisches Markenzeichen als ein inspirierendes Zeichen modern-mittelalterlicher Ritterlichkeit, projiziert auf Johann von Böhmen. Was für eine einzigartige Ritterfigur! Ein Ausweis künstlerisch zeitgemäß fortgeschriebener Mittelaltergegenwarten für die Zukunft.

IV. Der dynastische Ahnherr und sein Zeugniswert für die Monarchie der Hohenzollern 1. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen a) Mittelaltergegenwarten: Ritter ohne Ahnen Der „Zauber der weissen Rose“ faszinierte am 13. Juli 1829 die große Hofgesellschaft und die weitere Öffentlichkeit in Potsdam als „lebendige Geschichte“ des Mittelalters. Um die Erinnerung an dieses Fest zu verstetigen, beauftragte 1854, zum 25. Jahrestag des Festes, König Friedrich Wilhelm IV. den Maler Adolph von Menzel (1815–1905) damit, 10 Gouachen von dem Festgeschehen anzufertigen.64 So fand jenes Potsdamer Mittelalter- und Ritterspiel eine öffentliche Fortsetzung. Wie kaum eine andere Veranstaltung begeisterte das 1829 aus Anlass des Geburts- und Hochzeitstages von Prinzessin Charlotte (1798–1855), älteste Tochter 64

Christina Grummt: Ein Geschenk für „Blanche Flour“. Adolph Menzels Festblätter zum Fest der Weißen Rose, in: Museums Journal Nr. 1, 1988, S. 14–16 (Abb.); Gerd-H. Zuchold: Der Zauber der weißen Rose, Berlin 2002; Hasenclever, Gottesgnadentum, S. 133 ff. mit Abb. Nr. 88, S. 300. Die Andersartigkeit solcher Turnierfeste für Friedrich II. von Preußen analysiert Thomas Biskup: Turnier und Kulturtransfer. Das Carrousel Friedrichs II. von Preußen und die Neudefinition königlicher „Größe“ im Zeitalter der Aufklärung, in: Martin Wrede (Hrsg.), Die Inszenierung der heroischen Monarchie, München 2014, S. 287–316.

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von König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise, am Neuen Palais, im dortigen Ehrenhof und auf dem Freiplatz vor den Communes, der „Mopke“, inszenierte Turnierspiel den damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm und dessen Geschwister. Nach dem „Caroussel“ und dem „Turnier“ des mit über hundert mit Wappenröcken und Rüstungen fantasievoll geschmückten Reitern und Damen gefeierten Festes, folgten als dessen weiterer Höhepunkt „Lebende Bilder“ ausgewählter Lebensstationen der Prinzessin. Karl Friedrich Schinkel schuf die Entwürfe zu den Szenarien. Mochten historische Kostümfeste, wie sie 1828 der Berliner Hof im Schauspiel „Das Hoflager Kaiser Ottos des Großen bei der Vermählung seines Sohnes Otto mit der byzantinischen Prinzessin Theophano in Quedlinburg“ erlebte, bereits Teil repräsentativer Mode und Herrscherbegegnungen der Zeit gewesen sein, so gehörten solche spielerischen Rückgriffe auf die Geschichte des Mittelalters doch tatsächlich zum gesuchten Lebensstil gerade der Hohenzollernprinzen. Kronprinz Friedrich Wilhelm wie auch seine Brüder Karl (1801–1877) und ­ lbrecht (1809–1883) hatte seit ihren ersten Begegnungen mit dem Rhein die rheiA nische Kulturlandschaft so sehr fasziniert, dass sie dort bald Burgen auch privat kauften und sie in ihrer Begeisterung für die Geschichte des Mittelalters teils neu errichten und einrichten ließen. In Potsdam sah man 1829 ein zweifellos außergewöhnliches Mittelalter-Turnier – Fest zumeist fürstlicher Akteure, das sich aber doch einreihte in weitläufigere Aneignungen adaptierter Mittelaltergeschichte. Dazu gehörten der Bau der Potsdamer Friedenskirche im Byzantinischen Stil mit der Neuverlegung aus dem 12. Jahrhundert stammender italienischer Mosaiken und die Errichtung von Schloss Babelsberg als neumittelalterlicher Zeitmarke in der Potsdamer Schlösser- und Kulturlandschaft. Jenes Spiel mit Mittelaltergegenwarten war kein Zufallsereignis. Wieweit aber folgte oder entsprach dieses Spiel dem historisch-politischen Denken und auf Dauer dem dynastischen Selbst- und Herrschaftsverständnis des Kronprinzen? Und wie findet sich darin sein Interesse am Besitz der Gebeine Johanns von Böhmen mit der Folge des Baus einer Kapelle als Königsgrab in Kastel wieder? Künstler und König titelte 1995 eine Potsdamer Ausstellung aus Anlass des 200. Geburtstags König Friedrich Wilhelms IV. Der Titel erinnert zwar noch ein wenig an die ältere Zuschreibung „Der Romantiker auf dem Throne“, die ihm wohlwollende Zeitgenossen gegeben hatten. Die jüngere Forschung arbeitet mit anderen Begrifflichkeiten, um der politischen Persönlichkeit und Denkwelt dieses Monarchen gerecht zu werden. Sie räumt mehrheitlich den geschichtlich-künstlerischen Aussagen Friedrich Wilhelms als einem persönlichen Mittel neu vermittelter Traditionsbildung zur Legitimation monarchischer Staatsprinzipien größte Bedeutung ein, spricht deshalb von einem „Monarchischen Projekt“.65 David Barclay schälte damit eine Herrschaftspraxis heraus, nach der der Kronprinz und spätere König 65

Barclay, Politik, S. 22 ff.

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Abb. 9: Franz Krüger: „Bildniß Seiner Majestät des Königs (Friedrich Wilhelm IV.) im Arbeitszimmer des Schlosses zu Berlin“, um 1846. Öl auf Leinwand. bpk / Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Daniel Lindner. Medien-ID: 70179042.

die Instrumentalisierung der Mittelaltergeschichte als „Integrationsideologie“ betrieb. Demnach zeigte sich Friedrich Wilhelm IV. davon überzeugt, göttlich für das Herrscheramt ausgewählt zu sein, der sein Handeln an der mittelalterlichen Idee des Gottesgnadentums ausrichtete, um dem neuen Staat Preußen so auch ein traditionsbestimmtes Fundament zu geben. Die Reichweite des „Monastischen Projekts“ leuchtete zuletzt die bau- und kunstgeschichtliche Forschung genauer aus. Der geschichtswissenschaftlichen Forschung bietet dieses als Projekt angesprochene Agieren Friedrich Wilhelms IV. weiterhin Forschungsbedarf. „Projekt“ meint hier eine Weltsicht und Gestaltungsmöglichkeit von ausdrücklich dynastischer, traditionsbegründeter Herrschaft. Demnach bleibt auch der Kern, das leitende Motiv, des auf Sinnstiftung ausgerichteten Geschichtsbewusstseins Friedrich Wilhelms IV. genauer zu ermitteln. Für die Zeit zwischen Revolution und Restauration hat die Forschung ausmachen können, dass Krisenzeiten das Verlangen nach Kontinuitäten, nach Traditionen, fördern, um auf diese Weise Diskontinuitäten und Unsicherheiten zu überwinden. In der Logik des Bedürfnisses nach Tradition liegen frühzeitig belegte mittelaltergeschichtliche Bildschöpfungen, Imaginationen dieser Vergangenheit des Kronprinzen. Indes eine einzigartige Chance zu einer Sinnstiftung aus dieser Vergangenheit fand Friedrich Wilhelm IV. erst in dem Moment, in dem er auf solche authentischen Quellen Zugriff erhielt. Burgen konnte man kaufen. Aber Gebeine eines königlichen Ahnherrn? 1833 in Mettlach ergab sich für ihn die einzigartige Gelegenheit,

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in den Besitz der Gebeine Johanns von Böhmen zu kommen. Dieses Geschenk war kein „Projekt“. Dieses Geschenk verschaffte dem Kronprinzen vielmehr erst den Zugriff auf belegte dynastische Tradition, die Vergangenheit und Gegenwart verbinden ließ. Die Gebeine boten Gelegenheit, authentisch dynastische Tradition repräsentativ zu vergegenwärtigen. Offenbar mangelte es der Hohenzollerndynastie bisher an solchen dynastischen Traditionen. Sucht man für das historisch-politische Selbstverständnis Friedrich ­Wilhelms IV. originäre Ausweise, so finden sie sich früh schon unter den mittelaltergeschichtlichen Imaginationen seiner umfangreichen Skizzen. Dieser Nachlass ist eine einzigartige Quelle. Eine analytische Sichtung des Bestands erbrachte über 400 von der Kultur des Mittelalters thematisch inspirierte Skizzen, in denen Friedrich Wilhelm (sich) Vorstellungen des mittelalterlichen Rittertums und der Idee des Heiligen Römischen Reichs in gesellschaftlichen und religiösen Kontexten vergegenwärtigte.66 Zahlreiche Skizzen entstanden in den 1810er Jahren, doch hielt der Kronprinz auch künftig und jenseits seiner Interessen an der Aneignung antiker Kultur an neu vergegenwärtigter mittelalterlicher Geschichte fest. Das Stilempfinden der Gotik-Bewegung am preußischen Hof hatte bereits vor 1800 die Potsdamer Residenzlandschaft erreicht. Doch das historische Wissen um die Bedeutung der Geschichte des Mittelalters und die Geschichte der eigenen Hohenzollerndynastie erreichten Kronprinz Friedrich Wilhelm allmählich und ab 1810 nun intensiver vermittelt im Unterricht durch seinen Erzieher Johann Peter Friedrich Ancillon (1767–1837).67 Ancillon, dessen Familie aus dem vorrevolutionären Frankreich geflohen war und der inzwischen zur hofnahen Berliner Elite gehörte, empfahl sich für diese Aufgabe auch als Historiker der europäischen Mächtegeschichte. 1806/07 veröffentlichte er sein Tableau des révolution du système politique de l’ Europe, depuis la fin du quinziéme siécle. Darin brandmarkte Ancillon die Französische Revolution grundsätzlich als Bedrohung des Prinzips monarchischer Herrschaft und der hergebrachten politischen Ordnung in Europa. Friedrich Wilhelm IV. machte sich 1813/15 dieses Buch intensiv zu eigen, er übersetzte es sich nachweislich. Er lehnte wie sein Lehrer Ancillon die Französische Revolution in ihren Folgen ab. Zeitgleich eignete sich der Kronprinz in jenen Jahren literarisierte Mittelaltervorstellungen aus den romantischen Ritterromanen des brandenburgischen Adeligen Friedrich de la Motte Fouqué (1777–1843) an. Der Kronprinz schrieb darüber, „demjenigen, dessen ritterliche Schriften mein Sinn von lange her […] auf diesen Sinn der schönsten Zeit, wo der Mann die Schönheit und Liebe verteidigt, 66 Hasenclever, Gottesgnadentum; dies.: Die zeichnerischen Literaturadaptionen Friedrich Wilhelms IV., in: Jahrbuch der Fouqué-Gesellschaft 10 (2004), S. 29–51. 67 Stiftung Stadtmuseum Berlin (Hrsg.): Im Dienste Preußens. Wer erzog Prinzen zu Königen? Berlin 2001, S. 151, Nr. VI.35, 37; Heinz Gollwitzer: Europabild und Europagedanke, München 1964, S. 128 ff.; Friedrich Wilhelm IV. blieb Ancillon lebenslang verbunden. Er stiftete dessen Grabmal, das nach Entwürfen Schinkels in Berlin entstand.

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und mehr galt durch Wert und Treue als jetzt, hineinleiteten […], mich ganz in die Zeit versetzt in denen ich so gerne mich träumte.“68 Den Skizzen zufolge wirkte auf ihn besonders Fouqués 1812 erschienener Roman Zauberring ein. Der Roman vermittelt in romantischen Kontexten die Heldentaten des jungen deutschen Ritters Otto von Trautwangen in den Kreuzzügen des 12. Jahrhunderts. Eine spezielle Ausgabe dieses Romans nahm der Kronprinz im März 1813 mit in den Feldzug gegen Napoleon. Er notierte dazu in sein Tagebuch: „Mir war zu Muthe, als zöge ich in einen Kreuzzug […] und meine romantische Stimmung ward durch die Lesung des Zauberrings von la Motte Fouqué vermehrt.“69 Man darf daraus schließen, dass der Kronprinz sich mit diesem edlen Ritter und den dort ritterlich kämpfenden Christen identifizierte. Damit ließ er sich in jenen Jahren wohl auch von der verbreiteten patriotischen Begeisterung für alles „Deutsche“ ansprechen und eignete sich ein Verantwortungsgefühl für das Christentum, verbunden mit dem Gedanken der Wiederherstellung der feudalen mittelalterlichen Herrschaftsordnung an. Ein Fingerzeig auf die Interessen an derartigen Mittelaltervorstellungen finden sich in den um 1816 entstandenen Skizzen Friedrich Wilhelms IV. zur Errichtung des Ritterordens „St. Georgen im See“. Der Kronprinz wollte dazu ein klosterähnliches Gebäude auf der kleinen Havelinsel Kälberwerder nahe der Pfaueninsel bei Potsdam realisiert wissen. Das Ordensprojekt und die Skizzen der gotischen Burgen- und Klosteranlage nahmen nachweislich Ideen zur Neugründung der im späten 18. Jahrhundert abgerissenen gotischen Kathedrale des St. Marienstifts auf dem Harlungerberg bei Brandenburg auf. Es ist dies kein zufälliger Rückgriff in die brandenburgische Landesgeschichte: Im 15. Jahrhundert hatten die Hohenzollern, die erst kaum eine Generation die an der Markgrafschaft Brandenburg hängende Kurwürde zusammen mit der brandenburgischen Landesherrschaft innehatten, dieses Marienstift als Gedächtnisort des von ihnen gegründeten Schwanen-(Ritter-)Ordens gestiftet. Nach seiner Königskrönung betrieb Friedrich Wilhelm IV. zusammen mit seiner Gemahlin eine Neugründung dieses Ordens.70 Bei der Namenswahl seines Ritterordens nun bezog sich der Kronprinz auf die wieder populär gewordene mittelalterliche Legende des Heiligen Georgs, einen Ritter, verbunden mit Erzählungen des christlichen Drachentöters, des Kämpfers für das Gute.71

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Zitiert nach Hasenclever, Fouqué, S. 50. Zitiert nach Herrmann Granier (Hrsg.): Das Feldzugstagebuch des Kronprinzen Friedrich Wilhelms IV. von Preußen aus dem Jahre 1813, in: Hohenzollern-Jahrbuch 17 (1913), S. 100. 70 Heinz-Dieter Heimann: Mariengesellschaft und Schwanenorden der Hohenzollern als religiöse Figurationen von Adelslandschaften: Religiöse Stiftungen der Hohenzollern des 15. und 19. Jahrhunderts und ihre Öffentlichkeit, in: Wolfgang Wüst (Hrsg.), Adelslandschaften, Berlin 2018, S. 163–191. 71 John L. Food: Sankt Georg, in: Ulrich Müller / Werner Wunderlich (Hrsg.), Herrscher, Helden, Heilige, St. Gallen 1966, S. 589–605. Der mittelalterliche Georgs-Ritterorden erfuhr seit dem 18. Jahrhundert eine Renaissance. 69

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Schließlich zeichnete der junge Kronprinz fortwährend Entwürfe mittelalterlicher Burgen und Kirchen, später entstanden figurative Imaginationen der mittelalterlichen Reichsverfassung, darunter ein sogenanntes Kaiserbild. Aber, eine nähere dynastische Zuordnung des dort gezeichneten Herrschers ist bisher nicht gelungen. Das Fehlen eben dieses Ausweises markiert auch ein dynastiespezifisches Defizit. Es mag aber auch sein, dass Friedrich Wilhelm nach mittelalterlichem Vorbild hier an ein erneuertes römisches Kaisertum der Habsburger dachte. Die Szene vermittelt eher auch Vorstellungen einer idealen Regierung und fürstlich-ständischen Ordnung des mittelalterlichen deutschen Reichs. Erkennbar ist dieser Kaiser gekrönt mit der als Krone Kaiser Karls verstandenen Bügelkrone, daneben die Kaiserin, eingerahmt von den drei geistlichen und vier weltlichen Kurfürsten. Ein weiteres Blatt weist diesen Kürfürsten Buchstaben wie „Pr“, „S“, „Pf“ zu, also als Preußen, Sachsen, Pfalz, sowie die geistlichen Fürsten mit „T“, „M“, „K“, Trier, Mainz, Köln. Der Kronprinz vergegenwärtigte sich soweit erkennbar Vorstellungen der sozialen und politischen Führungselite als Einheit des so wiederherzustellenden mittelalterlichen deutschen Reichs. Unverkennbar tauchen hier Anklänge an Fouqués Zauberring auf. David Barclay, der das politische Agieren Friedrich Wilhelms IV. als Beispiel einer „Invention of Tradition“ analysierte, sah in dem Ritterspiel „Der Zauber der weissen Rose“ ein „sorgfältig inszeniertes Beispiel königlicher Selbstbestätigung und öffentlicher Darstellung monarchischer Werte“. Catharina Hasenclever wertete jenes Fest und die Skizzen des Kronprinzen deutlicher noch als Beispiel eines „gelebten Mittelalters“, als imaginierende Zeugnisse ritterlicher Ehre, der Treue und des christlichen Glaubens. Demnach aktualisierte jenes Potsdamer Fest 1829 mehr als nur spielerisch-publikumsträchtig das bunte mittelalterliche Rittertum. Das Festgeschehen und die dort öffentlich gemachten Ritterbilder sind als Ausdruck eines spielerisch auf die Gegenwart und Zukunft ausgerichteten mittelaltergeschichtlichen Geschichtsbewusstseins zu verstehen. Zugleich haftet dem Spiel und seinem Ernst ein kostümierter Antimodernismus an, der auch ein nichthöfisches Publikum faszinierte. Der Kronprinz orientierte sich an der Möglichkeit eines verfassungspolitischen Gegenentwurfs aus der Geschichte des Mittelalters im Anspruch des Gottesgnadentums ungeteilter monarchischer Herrschaft.72 Zum Fest 1829 führte der Kronprinz die 1. Quadrille „Preußen“ zu Pferd gerüstet und mit dem Panier von Preußen an: Eine auch geschichtspolitische Manifestation, ein Idealbild der Monarchie und des Wertekanons des mittelalterlichen Rittertums. In Potsdam applaudierten viele Besucher des Festes dieser Vorstellung noch, – 1848 scheiterte die politische Idee des Königs dann an der sozialen Wirklichkeit. An dem Spiel aber hielt er fest. In der langen Kronprinzenzeit hielt Friedrich Wilhelm IV. an seiner im Abwehrkampf gegen die Französische Revolution und Napoleon I. gefundenen politischen 72

Hasenclever, Gottesgnadentum, S. 133 ff., S. 140 f., S. 196 ff., S. 230 f.

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Abb. 10: Einzug der Quadrillen bei den Commons am Neuen Palais in Potsdam zum Fest „Der Zauber der weissen Rose“, 13. Juli 1829. Beschreibung des Festes „Der Zauber der weissen Rose“. Die Ansichten nach der Natur gezeichnet und lithographiert von Gaertner. Verlag Ge­ brüder Gropius, Berlin o. J. Privat.

Überzeugung und Mittelaltervorstellung fest. Schaut man auf die Sammlung, so scheint er aber keinen konkreten mittelalterlichen Ritter als sein persönliches Vorbild verstanden zu haben. Das überrascht. Zu erwarten wären dafür Kreuzritter wie der Staufer Friedrich I. Barbarossa (um 1122–1190, Kaiser seit 1155) oder legendäre Ritter der alteuropäischen Adelswelt wie König Artus und Ritterhelden der deutschen Sagenwelt. Sie alle fehlen hier. Ebenso wenig griff der Kronprinz nicht auf mittelalterliche Ahnen aus der eigenen Dynastie als Vorbilder zurück. Erst um 1800 setzte die Historisierung eigener monarchischer Tradition mit der Erinnerung an König Friedrich den Großen ein, wie die spektakulären Entwürfe Karl Friedrich Schinkels zur Errichtung einer ehrenvollen Grablege für diesen preußischen König zeigen. Der Kronprinz interessierte sich nach seinen Skizzen und den Skulpturen, die er dann auch in Auftrag gab, situationsangepasst für ritterlich firmierte Heilige als Vorbilder, für den Hl. Georg oder den Erzengel Michael. Schinkel nahm in seine Entwürfe für entsprechende Denkmalfiguren und apokalyptische Kontexte diese Ritterheiligen auf. Dem Kronprinzen lag offenbar an dem christlich-religiösen Appell, der diesen Ritterfiguren legendär anhaftete. Diese Ritterheiligen erzählen von einem bestimmten Mittelalter und Handeln, das adeligen moralisch-ethischen Normen und Tugenden folgte. Sie kamen nicht allein der Mentalität des Kronprin-

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zen entgegen, sie boten sich als Leitbilder der Formung seines Geschichtsbewusstseins an. Auch darunter fanden sich keine dynastischen Ahnen. Dieses Defizit der Anciennität der Dynastie der Hohenzollern traf nach 1815 auf die Herausforderungen, angesichts der Neubildung des Staates auch die Legitimation ihrer monarchischen Herrschaft zu vertiefen und auszuweisen. Seit dem Wiener Kongress galt für Preußen und die Hohenzollern eine neue Landkarte. Historisch stammte die Dynastie aus dem Fränkischen, und von der Markgrafschaft Brandenburg ausgehend richtete sie ihre Herrschaftsexpansion möglichst Richtung Norden und Osten, später gegen das Königreich Sachsen. 1701 hatte sich der Kurfürst von Brandenburg als König in Preußen selbst erhöhen können.73 Der Gebietsgewinn im Westen 1815 resultierte aus der Lösung der sogenannten „polnischen“ und der „sächsischen Frage“ sowie aus der territorialen Organisation eines Gleichgewichts unter den politischen Mächten zur Abwehr Frankreichs. Mit dem Zweiten Pariser Frieden (30. November 1815) kamen ferner die Saarkantone Saarlouis, Saarbrücken, St. Johann und Rehlingen zu Preußen. Die neue Westgrenze Preußens verlief demnach vom Niederrhein ausgehend südlich auf das Großherzogtum Luxemburg zu und umschloss das preußisch gewordene Saargebiet.74 Das neue Großherzogtum Luxemburg hatte man in Wien aus einem Agglomerat verschiedener historischer Landschaften neu geschaffen. In Personalunion mit dem Königreich der Niederlande residierte der Regent des sprachnational aus unterschiedlichen Bevölkerungsteilen bestehenden Großherzogtums in Den Haag.75 Aus strategischen Gründen hatten die Großmächte 1815 Luxemburg-Stadt zur Bundesfestung erklärt, die vornehmlich mit preußischem Militär besetzt wurde.76 Mitte der 1830er Jahre stand die Monarchie der Hohenzollern in Preußen auch nicht mehr wie um 1810 am Abgrund der Herrschaft. Umso mehr wog in Zeichen der Restauration das dynastische Andenken, dessen vornehmster Ausweis in repräsentativer Vermittlung der Gegenwartsbezogenheit mittelaltergeschichtlicher Tradition bestand. Dazu bedurfte es freilich auch authentischer Ahnen aus dem Mittelalter. Doch auch andere politische Akteure reklamierten ausgewählte mittelalterliche Geschichte zur Begründung ihrer nationalen Eigenständigkeit, so in Belgien, so 73 Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (Hrsg.): Preußen 1701, Berlin 2001; Frank Göse: Friedrich I. – Ein König in Preußen, Regensburg 2012. 74 Ilja Mieck: Deutschlands Westgrenze, in: Alexander Demandt (Hrsg.), Deutschlands Grenzen in der Geschichte, 3. erw. Aufl., München 1991, S. 197–240; Stefan Gerber / Walter Rommel: Das Napoleonische Jahrzehnt: Mitteldeutschland / Linksrheinisches Deutschland, in: Werner Freitag / Michael Kißner / Christiane Reinle / Sabine Ullmann (Hrsg.), Handbuch Landesgeschichte, Berlin 2018, bes. S. 166–182. 75 Pauly, Luxemburg, S. 66 f.; Peter Neu: Die belgische Revolution von 1830 und ihre Ausstrahlung auf den luxemburgisch-deutschen Grenzraum in: Hémecht 55 (2003), S. 525–544; Clemens, Preußen 2018. 76 Musée d’Histoire de la Ville de Luxembourg (Hrsg.): Das Leben in der Bundesfestung Luxemburg (1815–1867), Luxemburg 1992.

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in Luxemburg in den 1830er Jahren. Deshalb markierte für Friedrich Wilhelm IV. der 11. November 1833 in Mettlach eine so einzigartige wie folgenreiche Gelegenheit, sein dynastisches Denken werbend und öffentlich gestaltend zur Geltung zu bringen. Der Besitz der Gebeine Johanns von Böhmen verband die Hohenzollernherrscher genealogisch mit einer der vornehmsten Dynastien des mittelalterlichen Kaiserreichs. Das machte die Gebeine und die geplante Grablege in Kastel so einzigartig. Beide beförderten ein Geschichtsdenken, die Genealogie der Hohenzollern und deren Grablegen im Kloster Heilsbronn und in Ansbach neu zu ergründen und nun repräsentativ zu erschließen.77 In welche Mittelaltergegenwart hinein aber ließ Friedrich Wilhelm IV. in Kastel den Sarg mit den Gebeinen Johanns von Böhmen stellen und für ihn das Totengedächtnis feiern? Welchem Johann von Böhmen sah er sich hier und schließlich auf den Fresken in Schloss Stolzenfels gegenüber? b) Unheldisch: Kapelle, Königsgrab und Gedächtnisstiftung in Kastel Friedrich Wilhelm IV. erreichte in Begleitung hoher Verwaltungsbeamte auf dem Weg von Trier ins Saargebiet am 11. November 1833 Mettlach und das Haus der Familie Boch-Buschmann. Er blieb dort über Nacht. Der politisch interessierte Unternehmer erkannte die Gunst des Besuchs aus Berlin und er offerierte selbstbewusst dem Kronprinzen sein Haus, sein Unternehmen und dessen Produkte. Zurecht hatte er auf Lieferaufträge seiner Waren an den Berliner Hof gehofft. Es blieb dann nicht nur bei der Lieferung einiger Teeservices zum nahen Weihnachtsfest 1833 nach Berlin. In weiterer Zukunft fanden auch die angesehenen Bodenplatten und Mosaiken aus Mettlacher Produktion ihren Weg in die Ausstattung Berliner und Potsdamer Schlösser. Darin liegt der Anfang einer kaum erst erschlossenen ästhetischen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungsgeschichte zwischen dem Berliner Hof und dem Mettlacher Unternehmen der Familie Villeroy & Boch. Der Gastgeber verstand es, eine Gesprächssituation zu organisieren, in der er sich vertrauensvoll mit dem Besucher über seine Erfahrungen seit der Französischen Revolution und die politische Situation beiderseits der Landesgrenze und zumal in Luxemburg austauschen konnte. Geschenke können in einer solchen Situation besondere Verbindungen begründen. Hierbei halfen die Gebeine Johanns von Böhmen. Wie Jean François Boch-Buschmann in seinem Selbstzeugnis schreibt, zeigte er dem Kronprinzen seine Naturaliensammlungen, die ähnlich höfischen Wunder­ kammern im Großbürgertum als Accessoire des Wohlstands und der Bildung galten: „Ich bringe ihn in mein Büro, wo ich ihm einen Sarg zeige mit der Mumie 77

Günther Schuhmann: Die Hohenzollern-Grablegen in Heilsbronn und Ansbach, München 1989.

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König Johanns des Blinden, eines Königs, der seit 500 Jahren von einem Grab zum anderen reist. […] Der Prinz sieht ihn in einem kärglichen Sarg und sagt seufzend: Der arme König!“ Die Reaktion des Kronprinzen mag an dieser Stelle verkürzt wiedergegeben sein. Nachvollziehbar aber hält die Notiz die emotionale und sachliche Wertschätzung der gezeigten Gebeine beim Kronprinzen fest. Jean François Boch-Buschmann wiederum sah sich durch die Reaktion des Kronprinzen veranlasst, diesem seine Motive mitzuteilen, warum gerade er seit 1809 die Gebeine Johanns von Böhmen in Obhut hielt. Der Kronprinz nahm diese Gebeine freilich nicht sogleich als Geschenk an sich. Aber er übermittelte den Anwesenden wohl sogleich eindeutig sein Interesse, die Gebeine Johanns von Böhmen als die eines verwandten Ahnherrn öffentlich zu repräsentieren. Dieses Interesse bewirkte konkrete Politik. Wie sich Jean François Boch-Buschmann erinnert, übermittelte ihm ein Freund, womit Karl Friedrich Schinkel, Christian Beuth oder der Saarburger Landrat Salentin von Cohausen gemeint sein können, die Absicht des Kronprinzen. Der zeitliche Ablauf der weiteren Geschehnisse legt es nahe, dass man zunächst am Berliner Hof und in der Regierung die politischen Umstände des Besitzes dieser Gebeine und womöglich auch die Gegenseitigkeit der Gabenökonomie bedachte. Das Interesse Friedrich Wilhelms an den Gebeinen war nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite derselben Medaille stand die Rolle, die diese Gebeine in den Forderungen nach staatlicher Eigenständigkeit Belgiens und damit auch Luxemburgs geschichtspolitisch zukam. Der Sarg mit den Gebeinen Johanns von Böhmen barg für Preußen nicht nur Sympathiegewinne, sondern auch politische Sprengkraft. Und sie begründeten dann auch eine politische Affäre für Preußen. Der Kronprinz ließ keinen Zweifel bestehen, die Gebeine in „Castel, welches einstmals im Besitz Johanns war, […] beisetzen zu lassen“. Angesichts des Umgangs, den Boch-Buschmann und der Saarburger Landrat Salentin von Cohausen miteinander pflegten, sahen sie eine Entwicklung hin zu einer Grablege und Neubeisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen im nahen Kastel sicherlich gern. Womöglich hatte diese Situation der Landrat sogar herbeigeführt und gefördert. Dabei bemühten alle für die Neubeisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen in Kastel die Tatsache mittelalterlicher luxemburgischer Landesgeschichte als historisches Argument. Kastel hatte zur Herrschaft der Erzbischöfe von Trier und damit auch der Grafen von Luxemburg gehört. Die Neubeisetzung der Gebeine Johanns konnte mithin auf historischem Grund erfolgen, der aktuell zum privaten Eigentum des Kronprinzen gehörte. Der in Mettlach eingeleitete Übergang der Verantwortung für die Gebeine Johanns von Böhmen an den preußischen Kronprinzen in Kastel provozierte vorsehbar vehementen politischen Widerspruch in den Reihen der Elite Luxemburgs gegen dieses Geschehen. Dort forderte man mit Blick auf die Rolle der Familie

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Boch-Buschmann die Rückgabe und Rückkehr der Gebeine Johanns nach Luxemburg. Dazu aber kam es gerade nicht, eben weil der Kronprinzen in Kastel die Gelegenheit nutzen wollte, sein traditionsbestimmtes dynastisches Geschichtsdenken mit dem Totengedächtnis für Johann von Böhmen repräsentativ öffentlich zu machen. Unmittelbar vor seinem Besuch in Mettlach hatte der Kronprinz die Klause bei Kastel besucht. Dieses Areal nahm der Kronprinz auf Wunsch der Gemeinde und auf Betreiben des Landrats als Ehrengeschenk an. Noch vor Ort in Kastel ließ Friedrich Wilhelm IV. den Trierer Kommunalbaumeister Simonis beauftragen, Kastel ausdrücklich als eine „antike“ Stätte einzurichten. Dazu kam es aber infolge der Mettlacher Ereignisse der nächsten Tage bezeichnender Weise nicht. Wenn nicht während, so mit Abschluss seines Besuchs im Hause Boch-Buschmann und im erwarteten Besitz der Gebeinen Johanns von Böhmen änderte der Kronprinz seine zuvor initiierten Pläne für die „Klause“ in Kastel grundlegend. Statt Antikenbegeisterung jetzt Mittelaltergegenwart. Mit dieser Entscheidung übernahm Karl Friedrich Schinkel, ortskundig und fasziniert von der Kulturlandschaft an der Saar, auf Befehl des Kronprinzen die Planungen zum Bau einer Kapelle mit einer Grablege. Unter der Jahreszahl „1835“ fertigte Karl Friedrich Schinkel eine aquarellierte Federzeichnung von der Eremitage am Steilufer über der Saar, versehen auch mit bautechnischen Hinweisen. Diese Jahreszahl verweist soweit auf dort begonnene Bauarbeiten. In der Stadt Luxemburg war nach 1809 und bis Ende 1833 wohl nur wenigen Personen der tatsächliche Verbleib der Gebeine Johanns von Böhmen in Obhut der Familie Boch bekannt. Sowie die Vorgänge von Mettlach und in Kastel zur Jahreswende 1833/34 öffentlich wurden, bestellte die Stadt Luxemburg eine Kommission sachinteressierter und kundiger Beamter, die die rechtlichen Umstände der Odyssee der Gebeine Johanns von Böhmen seit 1795 zu prüfen hatte, um dann die Gebeine von Boch-Buschmann zurückzufordern. Dieser ignorierte jedoch selbstbewusst diese Forderung aus Luxemburg nach Rückgabe der Gebeine. Da der Luxemburger Magistrat gegen Jean François Boch-Buschmann im preußischen Mettlach direkt keine Sanktionsmittel anwenden konnte, man aber an der Rückforderung der Gebeine festhielt, wandte sich die Stadt mit ihrem Anliegen an das Staatsoberhaupt in Den Haag. Auf Hinweis des niederländischen Königs trug die Stadt Luxemburg in ihrem Schreiben vom 20. Mai 1837 an den preußischen Kronprinzen diesem ihre Forderung zur Rückgabe der Gebeine Johanns von Böhmen vor. Die Antwort des Kronprinzen darauf erging am 27. Dezember 1837 an die Stadt.78 78

Wiedergabe der Schreiben vom 20. Mai und 27. Dezember 1837 bei Schötter, Johann von Luxemburg, S. 307 f.; Georg Bärsch (1778–1866), preußischer Regierungsrat, veröffentlichte zur Geschichte der Klöster und Kultur in der Eifel und daneben amtliche Orts- und Kreisbeschreibungen. Er verfasste neben seinen aufschlussreichen Lebenserinnerungen, die seine

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Beide Schreiben lassen erkennen, welche Bedeutung man jeweils dem Besitz dieser Gebeine zumaß. Beide Seiten verstanden den Besitz als politisches Argument und Zeichen, damit jeweils ihre Identitäts- und Integrationsinteressen historisch auszuweisen, zu dokumentieren und so zu kommunizieren. Die politisch stärkeren Argumente besaß in diesem Moment in der dynastischen Räson der Kronprinz und damit die Hohenzollernmonarchie. In seinem Schreiben vom Dezember versagte Friedrich Wilhelm IV. die Her­ ausgabe der Gebeine an die Luxemburger. Aber er tat dies nicht grundsätzlich. Er behauptete seine dynastischen Interessen am Besitz der Gebeinen Johanns von Böhmen, indem er dazu kulturpolitische und rechtliche Voraussetzungen formulierte, die in der Stadt Luxemburg erst erfüllt zu sein hätten, ehe man dem Wunsch der Luxemburger nach Rückgabe der Gebeine nachkommen könne. Der Kronprinz argumentierte eher politisch taktisch als sachlich zwingend. Womöglich bewertete man in Berlin den Vorstoß der Luxemburger als Ausdruck auch nur temporärer Interessen. Das Antwortschreiben des Kronprinzen lässt unzweifelhaft erkennen, Fakten schaffen zu wollen, den Besitz der Gebeine zu behaupten und mit deren Neubesetzung in Kastel ein weitreichendes politisches Zeichen zu setzen. Bezeichnenderweise erwähnte der Kronprinz in seinem Schreiben an die Stadt Luxemburg die ja schon verabredete Übergabe der Gebeine Johanns von Böhmen aus der Verantwortung Jean François Boch-Buschmanns in die der Hohenzollern nicht. Stattdessen wies er an erster Stelle die Luxemburger daraufhin, welch ein großes Opfer man von ihm zu diesem Zeitpunkt verlange, da Johann von Böhmen doch zu seinen Vorfahren und denen seiner Gemahlin gehöre. Das dynastisch-­ historische Argument, das die Verwandtschaft zwischen den Dynastien der Hohenzollern, Luxemburger und Wittelsbacher authentisch auswies, war also für den Kronprinzen von höchster Bedeutung. Für den Fall einer Rückgabe der Gebeine formulierte er zwei Bedingungen. Zunächst müsse das Großherzogtum staatsrechtlich als selbständig anerkannt sein. Ferner müsse jenes Grabmal, in dem die Gebeine Johanns von Böhmen dann aufbewahrt werden sollten, in dem Zustand wiederhergestellt sein, wie es vor dem Ausbruch der Revolution, d. h. vor der Eroberung Luxemburgs 1795, gewesen war. Mit der ersten Bedingung verband der Kronprinz – und damit auch die preußische Regierung – eine Rückgabe der Gebeine mit dem Ausgang der Verhandlungen zwischen den europäischen Großmächten, darunter auch Preußen, über die Lösung der „Belgischen Frage“, die eigens durch das konfessions- und staatsrechtlich spannungsvolle Verhältnis zwischen Luxemburg und Belgien konfliktreich aufgeladen Hinwendungen zur preußischen Monarchie erkennen lassen, auch einen Bericht über die Beisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen in Kastel; Georg Bärsch: Castell im Kreis Saarburg über einige frühere Besitzer desselben, insbesondere über König Johann v. Böhmen, Graf von Luxemburg, 2. durch Berichtigung und Zusätze verm. Aufl., Trier 1839, S. 9–104; C. Simons: Reise Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen von Preußen durch Rheinland=Westfalen im Herbst 1833, Iserlohn 1834.

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wurde. Eine einvernehmliche politische Lösung dieser Verhältnisse war inhaltlich und zeitlich kaum absehbar. Für Luxemburg dauerte sie bis 1860. Die zweite Bedingung lässt noch deutlicher die Absicht Friedrich Wilhelms IV. erkennen, in einem neu geschaffenen Königsgrab eigene Ansprüche dynastischer Tradition und Raison zur Geltung zu bringen. Folgerichtig leitete dann die Sicherung neubegründeten Totengedächtnisses für Johann von Böhmen sein weiteres Handeln. Die Kapelle und geplante Grablege setzten derweil faktisch neues Recht. Das freilich verschwieg der Kronprinz in seinem Schreiben den Luxemburgern, ebenso den Stand der Bauarbeiten in Kastel. Aus beiden Bedingungen des Kronprinzen folgte in alle Richtungen eine bedingte Unabweisbarkeit der alleinigen Verantwortung des Kronprinzen und seiner Familie für diesen neu gegenwärtigen mittelalterlichen Ahnherrn aus der Königsdynastie der Luxemburger. 1839 bekräftigte der Kronprinz bei einem Besuch in der Stadt Luxemburg sein Versprechen von 1837. Die Stadt bestellte daraufhin im Juni 1839 eine neue Kommission, um die geforderten Voraussetzungen für eine Rückkehr der Gebeine zu erfüllen. Nach verschiedenen öffentlichen Bekundungen entschied man sich für die Errichtung eines neuen und möglichst prachtvollen Grabmals auf einem öffent­ lichen Platz der Stadt, adressiert an alle Bürger Luxemburgs. Doch diese Initiative versandete. Im März 1844 erneuerte man die Absicht zum Bau eines neuen Grabmals, aber wieder blieb es bei dem Plan. Und weder 1846, zum 500., noch bis zu seinem 600. Todestag 1946 entstand in Luxemburg je ein neues Denkmal oder eine neue Grablege für Johann von Luxemburg, König von Böhmen. Anders dagegen in Kastel (Saar). Hier schritten mit den Planungen die Baumaßnahmen rasch voran und Verwaltungsbehörden vor Ort schlossen sich dieser dynastischen Initiative an. Offenbar angeregt durch die Pläne für Kastel aktualisierten auch Trierer Regierungsbeamte die Erinnerung an Balduin von Trier, den dynastie- und landesgeschichtlich wirkungsmächtigen Erzbischof und Kurfürst sowie Onkel König Johanns von Böhmen. Im Trierer Dom errichtete man nun über der Grabtumba Balduins aus älteren Werkstücken neu einen Baldachin.79 Wie in Kastel ging es auch in Trier darum, die landes- und mittelaltergeschichtliche Bedeutung der Dynastie der Luxemburger im Sinne Friedrich Wilhelms IV. herauszustellen. Ab 1835 und bis in die Mitte der 1840er Jahre entstand in enger Abstimmung zwischen dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. und Karl Friedrich Schinkel an der „Klause“ ein bis dahin für die Hohenzollerndynastie und Monarchie einzigartiges Königsgrab in einer weithin sichtbaren Kapelle. Karl Friedrich Schinkel hatte bereits 1826 auf dem Weg nach Mettlach den landschaftlichen Reiz Kastels aufgenommen. In sein Reisetagebuch notierte er: „Vom Römischen ist nichts mehr übrig als eine Menge Münzen, die täglich im Acker ge 79

Anton Neugebauer: Balduin-Erinnerung im 19. und 20. Jahrhundert, in: Heyen, FranzJosef (Hrsg.), Balduin von Luxemburg. Erzbischof von Trier – Kurfürst des Reiches, Mainz 1985, S. 569–595.

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funden werden. Aber im Mittelalter hat sich eine Eremitage an diesen Felswänden etabliert, die mit allerlei wunderlichen Höhlen, Treppen, Kapellen p.p. am schönen Abhang einen reizenden Ort bildet, der häufig von Fremden besucht wird“. Schinkels Bauaufnahmen der Ruine der alten Kreuzkapelle von 1833/34, die in der „Herstellung der sogenannten Klause unweit Saarburg“ mit der Grablege in der ersten Etage eine neue Bestimmung aufnahm, hatte sich (noch) an den alten Materialien zu orientieren. Der Kronprinz und Schinkel, so zeigen es eine Reihe der Skizzen und Entwürfe, gaben zusammen in den nächsten Jahren diesem exponierten Ort eine neue sinnhafte Signatur. Es entstand in Kastel freilich mehr als ein „romantisches Naturkunstwerk“.80 Schinkel argumentierte deutlich weiträumiger: „Auch können in Felsen gehauene Treppchen malerisch von dem oberen Raum herab in die Region des Klausurgebäudes geführt, von schöner Wirkung werden. Für die Palisadenumfassung und die beiden ionischen Säulen, welche preußische und römische Adler tragen sollen, wie der Herr Landrat vorschlägt, kann ich mich durchaus nicht erklären. Es liegt darinnen ein unangenehmer Kontrast und etwas höchst Gesuchtes, welches dem Malerischen des schönen Punktes widerspricht“. Diese Zeichen fanden später an den Sockeln des Altartisches doch ihren Platz. Einstweilen aber hatte Schinkel die konkurrierende Gestaltungsidee des Landrats von Cohausen abgewehrt. Der Kronprinz wünschte sich in Kastel einen Kapellenbau im gotischen, im „sarazenischen“ Stil. Zu dem von Schinkel letztlich genehmigten Entwurf der Kapelle heißt es, das Gebäude sei „an seinem Platze so malerisch ausgebildet worden […], als es der Gegend irgendwie erlaubte“. So sah man auch von einem Turm ab, „weil die ganze Architektur unter der Höhe des Felsens bleibt“ und so „den Charakter des Klausartigen, Malerisch-Angeklebten an sich trägt, der hier so sehr an der Stelle ist“.81 Schinkel ließ sich von der Wirkung der architektonischen Gestalt der Kapelle am Steilufer leiten. Ihre Form und Wirkung war freilich nur die bedachte Hülle für das Königsgrab. Der Sohn des Saarburger Landrats, August von Cohausen, erhielt vom Kronprinzen in diesen Jahren die Aufsicht über den Fortgang der Bauarbeiten an der Kapelle und an dem dort entstehendem Park übertragen. Damit blieben indirekt auch Interessen Boch-Buschmanns beachtet.82 Eugen Boch, später Nachfolger Jean François Boch-Buschmanns in der Leitung des Unternehmens Villeroy & Boch, korrespondierte intensiver aus familiären und geschäftlichen Gründen mit Mitgliedern der 80 Schmitz, Epilog. Zur Geschichte der Klause und deren kunstgeschichtlichen Bedeutung Ernst Wackenroder (Bearb.): Die Kunstdenkmäler des Kreises Saarburg, Düsseldorf 1939; Günter Metken: Das Grab des blinden Königs. Karl Friedrich Schinkels Kapelle für Johann von Böhmen, in: Christian Beutler / K laus Schuster / Martin Warnke (Hrsg.), Kunst um 1800 und die Folgen, Werner Hofmann zu Ehren, München 1988, S. 159–169. 81 Zitiert nach Brues, Rheinlande, S. 183. 82 Wimmer, Cohausen.

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Familie von Cohausen, deren Urteil er bis in vertiefte geschäftliche Verbindungen schätzte. Er besichtigte auch die von Cohausen verantworteten Arbeiten auf dem Gelände in Kastel, um sie freilich nicht vorbehaltlos anzuerkennen.83 Der Ausbau der alten Klause mit Naturstein, die durch farbig verglaste Fenster­ ornamente gezielt erzeugte Lichtbildung im Innern der Kapelle, die vielfache technische Absprachen erforderte, und die Signatur des Sarkophags für den Sarg mit den Gebeinen Johanns von Böhmen entsprachen weitestgehend dem Willen Friedrich Wilhelms IV. Eigenhändige Skizzen zeigen sein beständiges Interesse an diesem Geschehen. Im Kapellenraum sollte demnach ein aus schwarzem Marmor gearbeiteter Sarkophag errichtet werden.84 Der Kronprinz befasste sich ebenso mit gestalterischen und künstlerischen Details. Wohl schon im Mai 1835 übermittelte Karl Friedrich Schinkel auf Befehl des Kronprinzen an die Regierung in Trier einen „Kostenvoranschlag zum Ausbau der Klause bei Castel nach den mir zugeteilten Zeichnungen“. Offen waren zu diesem Zeitpunkt noch die Kosten der „Marmorplatten zur Bedeckung des Grabmals“, die der örtliche Bauinspektor von Lassaulx zu ermitteln hatte. Diesen unterrichtete Karl Friedrich Schinkel am 26. Januar 1836: „Ich erhielt den Befehl, einen Sarkophag zu entwerfen, dieser Entwurf erfolgt hierbei und soll nach dem Willen Seiner Königlichen Hoheit in schwarzem Marmor (der sich bei Ihnen schön und nicht zu teuer findet) ausgeführt sein.“ Schinkel forderte dazu einen Kostenanschlag ein und bemerkt zur Gestaltung des Decksteins, „dieser ist flach abgedeckt und am senkrechten Rande umher läuft die eingehauene Inschrift, welche später von Seiner Königlichen Hoheit noch bestimmt angegeben werden soll. Die Buchstaben werden lateinische Corzial-Buchstaben im Stil des 13. Jahrhunderts“.85 Der Kronprinz bestimmte freilich recht bald eine andere Gestalt der Inschrift in Guss, die über der Deckplatte gelegt wurde. Bis zum Sommer 1838 waren im Wesentlichen der Bau der Kapelle in Kastel – wie auch der Brunnen für Mettlach – fertiggestellt. Die Überführung der Gebeine Johanns aus dem Haus der Familie Boch-Buschmann von Mettlach auf der Saar abwärts erfolgte nicht zufällig am 26. August 1838. Dies war der historische Todestag Johanns von Böhmen. Zweifelsfrei auf Anweisung des Kronprinzen kam es in der Kapelle in Kastel unter der Aufsicht des Trierer Regierungspräsidenten von Ladenburg und beigezogener Geistlicher des Bistums Trier zu einer öffentlichkeitswirksam vorgetragenen Totengedächtnisfeier und Neubeisetzung der Gebeine. 83

Eugen Boch tauschte sich dazu wiederholt mit dem Landrat von Cohausen aus. So gratulierte er ihm auch, als jener vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. den „Kammerherrenschlüssel“ verliehen bekam. Unternehmensarchiv Villeroy & Boch, Mettlach, Archiv-Nr. 32 (20. November 1856). 84 Den Sarkophag stellte die Fabrik Schüll und Schlüter aus Langerwehe / Düren her; ­Schiewer, Castell, S. 42. 85 Schreiben des Oberpräsidenten der Rheinprovinz Ernst Freiherr von Bodelschwingh bzw. Karl Friedrich Schinkels, in: Andreas Meinecke: Geschichte der preußischen Denkmalpflege 1815 bis 1860, Berlin 2013, Nr. 59a u. b, S. 265 f.

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Nach dem über diese Feierlichkeit veröffentlichten Protokoll geleitete gegen 7 Uhr morgens Jean François Boch-Buschmann, begleitet von ausgewählten Freunden, den Transport des Sargs per Schiff von Mettlach bis Staadt. Von dort trug man den Sarg den steilen Hang hoch. Oben nah bei der Kapelle hatten sich bereits der Trierer Domkapitular Dr. Johann Georg Müller (1798–1870)86, der momentan als Verweser das Bistum zu leiteten hatte, die Domvikare Dr. Blattau und Schneider, ferner Pfarrer der umliegenden Gemeinden sowie der preußische Regierungspräsident von Ladenburg, Regierungsbaurat Nobling, Landrat von Cohausen, der Freudenburger Bürgermeister Scheuer sowie eine Menge Einheimischer eingefunden. „Auf dem freien Platze vor der neben der Klause belegenen Kirche“ eröffnete Domkapitular Dr. Müller „auf den Jahrestag der ersten Beisetzung“ mit dem Gesang des 129. Psalms die Totenfeier für Johann von Böhmen. Anschließend erfolgten in der Kapelle die Einsegnung und Beisetzung der Gebeine nach katholischem Ritus. In der Kapelle wechselte nun förmlich die Verantwortung für die Gebeine Johanns von Böhmen von Jean François Boch-Buschmann auf die Seite der Hohenzollern: „Hier übergab der Fabrikbesitzer Boch-Buschmann dem RegierungsPraesidenten von Landenburg den Schlüssel zu dem Sarg. Der wurde geöffnet und sowohl der Fabrikbesitzer Boch-Buschmann als auch der Graf von Villers von Burg-Esch, welcher diesselben früher in Luxemburg gesehen hatte, erkannten die, im Sarg befindlichen Koeniglichen Ueberreste des Koenigs von Boehmen als diejenigen an, welche sie bisher aufbewahrt resp. schon früher als solche gekannt hatten“. Zweifel an der Authentizität der Gebeine gab es nicht. Mit der Autopsie und der Schlüsselübergabe endete in Kastel nach fast 30 Jahren die Verantwortung Jean François Boch-Buschmanns für die Gebeine Johanns. In den eingesegneten Sarkophag legte man den Sarg mit den Gebeinen Johanns von Böhmen und verschloss dann im Anschluss an die Zeremonie die Kapelle.87 Dem amtlichen Anspruch dieses Ereignisses in Kastel entsprach, dass man darüber ein förmliches Protokoll mit namentlicher Unterschrift aller hier Verantwortlichen erstellte.88 Dieses in nächsten Tagen in regionalen Tageszeitungen, Fachblättern und Berichten veröffentlichte Protokoll war darauf angelegt, die Neubeisetzung der Gebeine in Kastel als dynastiegeschichtlich-staatspolitische Demonstration und als persönliche Geste des Kronprinzen allseits zu vermitteln. Die Grablege bildete dazu den Mittelpunkt. Nach seiner Krönung zum preußischen König beschäftigte sich der Monarch erneut mit der Kapelle und dem Königsgrab. Bis dahin liefen dort Arbeiten an 86 Martin Petsch / Bernhard Schneider (Hrsg.): Geschichte des Bistums Trier, Bd. 4, Trier 2000, S. 47 ff., S. 64 ff., S. 516 ff.; für vielfache Auskünfte des Bistumsarchivs Trier danke ich Frau J. Boswell. 87 Bärsch, Castell, S. 98 ff. 88 Rheinische Provinzial-Blätter für alle Stände Nr. 76/77 vom 23./25. September 1838, S. 239 f., S. 251 ff.

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dem schwierigen Gelände weiter, womit an der Kapelle nach und nach ein Park geschaffen wurde, an dessen Gestaltung früh bereits Karl Friedrich Schinkel gedacht hatte. Über die erweiterte Anlage führte ein Wärter im Dienst des Landrats Aufsicht. Das Königsgrab wurde nach und nach zu einem öffentlichen Ort. Diese Entwicklung bestimmte der Monarch aber selbst mit. Äußere Anlässe boten Gelegenheiten von Herrscher- und Verwandtentreffen sowie dynastische Reisen. Das Königsgrab wurde schrittweise ein Ort repräsentativer Kulturpolitik und der Öffentlichkeit. 1841 betrieb der Monarch die Sakralisierung der zugleich ausgebauten Kapelle, die er im September 1842 erneut besuchte. Wie zuvor in Saarburg begrüßten den Monarchen in Kastel zahlreiche Besucher mit Fahnen, Bollerschüssen sowie einer Ehrenpforte und auf der Saar sah man beflaggte Schiffe. In der Kapelle trug eine Liedertafel zweier Chöre vor. Die Begeisterung über den Besuch muss groß gewesen sein. In der Zeitung las man später: „Die sonst von der übrigen Welt abgeschiedene Umgebung der Klause hatte an diesem so lange erhofften Tag ein anderes, lebendiges Ansehen angenommen.“89 Das Spiel um die Schaffung neuer Öffentlichkeiten in Kastel und für das Königsgrab begann vielversprechend mit großer Zustimmung. Für Friedrich Wilhelm IV. erschöpfte sich die Bedeutung der Kapelle nicht in deren eindrucksvollen Lage und Architektur. Er ließ sich vielmehr von der Gegenwartsbezogenheit der Bedeutung der Gebeine Johanns von Böhmen leiten. Dazu bedurfte es einer entsprechenden dynastischen Erzählung, die diese Gegenwart der Vergangenheit für die Zukunft erfahrbar machte. Dazu bot sich die Gestaltung der Grabplatte und ihre Inschrift an. Für die Ausführung der Grabplatte griffen der Kronprinz und der daran mitwirkende Karl Friedrich Schinkel auf einen nicht realisierten Entwurf eines Grabmals für den brandenburgischen Markgrafen Ludwig den Römer zurück, das für dessen Grablege in der Berliner (Franziskaner-) Klosterkirche vorgesehen war.90 In Kastel 89

Bericht des Präsidenten der Regierung zu Trier, Rudolf von Auerswald vom 26. September 1842, in: Gaby Huch: Zwischen Ehrenpforte und Inkognito: Preußische Könige auf Reisen. Quellen zur Repräsentation der Monarchie zwischen 1797 und 1871, Berlin 2016, S. 857–865, hier S. 861 f.; in Fortsetzung dieser Reise besuchte das Königspaar in Mettlach die Familie Boch-Buschmann. Vermutlich begegnete der Monarch dort auch dem jungen Ehepaar Eugen Boch (1809–1898) und Octavie Villeroy (1823–1899), die am 4. Mai 1842 geheiratet hatten. Die Verbindung der Hohenzollern gerade zu diesem Ehepaar blieb von Dauer. Zu dessen Goldener Hochzeit und in Anerkennung seiner vielen Verdienste wurde aus diesem Anlass Eugen von Boch mit Diplom vom 10. 8. 1892 in Potsdam in den preußischen Adelsstand erhoben. 90 Seit 1813 war Schinkel immer mal wieder im Auftrag der Hohenzollern mit der Instandsetzung der umgenutzten Klosterkirche der Berliner Franziskaner beschäftigt, so auch auf Wunsch des Kronprinzen in den Jahren 1834/1836. Schinkel hatte für das dortige Grabmal des brandenburgischen Markgrafen eine ähnliche Bronzeplatte vorgesehen. Paul O. Rave (Hrsg.): Schinkel – Lebenswerk, Berlin. Bauten für Wissenschaft, Verwaltung, Heer und Denkmäler, Berlin 1967, S. 325 f.; Heinz-Dieter Heimann: „per totum orbem longe lateque diffudit“ angesichts „des closters barfusser ordens in unser stadt Berlin“, in: Historische Kommission zu Berlin (Hrsg.), Das Graue Kloster in Berlin, Berlin 2021, S. 21–41.

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Abb. 11: Karl Friedrich Schinkel: Deckplatte mit Inschrift und Krone zum Sarkophag der Gebeine König Johanns von Böhmen in der Grabkapelle Kastel, Entwurf. bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Wolfram Büttner. Medien-ID: 70386600.

halten die Platte mit der Inschrift über dem Sarkophag an den Ecken vier Bronzelöwen, die nun luxemburgische Wappen tragen. Im oberen Teil der Platte sind Herrschaftsinsignien aufgebracht, eine mit einem Reichsapfel verbundene Krone. Diese Krone ähnelt nicht der mittelalterlichen Reichskrone. Karl Friedrich Schinkel brachte in dieser Krone offenbar das Königtum der Wittelsbacher ins Spiel, denn er nahm bei der Gestalt der Krone Anleihe an der sogenannte Böhmischen Krone, die die Wittelsbacher während ihrer kurzen Zeit als Inhaber des böhmischen König­throns genutzt hatten.91 In Kastel verwies diese Krone auf Böhmen und auf die Gemahlin Friedrich Wilhelms, auf die wittelsbachische Prinzessin Elisabeth und das Königtum der Wittelsbacher. Allein der Reichsapfel verweist hier symbolisch auf die römisch-deutschen Könige und Kaiser aus der Dynastie der Luxemburger, auf Johanns Vater Henrich VII., seinen Sohn Karl IV. und dessen Söhne. 91

Die sogenannte Böhmische Krone König Friedrichs V. von der Pfalz gelangte Ende des 18. Jahrhunderts in die Münchener Schatzkammer, wo sie K. F. Schinkel vermutlich im August 1836 abzeichnete.

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Abb. 12: Karl Friedrich Schinkel: Wappentragender Löwe als Halterung der Deckplatte über dem Sarkophag der Gebeine König Johanns von Böhmen in der Grabkapelle Kastel, Entwurf. bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Wolfram Büttner. Medien-ID: 70387224.

Die über die Gesamtfläche der Platte reichende Inschrift enthält keine leitenden religiösen Begriffe. Ihr Text will in erster Linie dokumentieren und historisches Wissen vermitteln. Sie schildert die Lebensgeschichte König Johanns von Böhmen in seinen europäischen Stationen zwischen Böhmen und Belgien, die territoriale Bezeichnung Luxemburg vermied man wohl absichtlich, sowie zwischen Litauen, Frankreich und Italien und dessen Schlachtentod bei Crécy im Bild des ritterlichen Königs und führt dann die Odyssee seiner Gebeine bis zur Zerstörung des Grabmals in Luxemburg 1795 an. Mit Erreichen der eigenen Zeit wechselt die Erzählersprache: Nun führt man die Bedeutung der mittelalterlichen Dynastie der Luxemburger für alle gegenwärtigen europäischen Herrscherhäuser an, womit sich dann Friedrich Wilhelm IV. und seine Gemahlin Elisabeth als das im 17. bzw. 15. Grad mit Johann von Böhmen verbundene Stifterehepaar der Königsgrablege ausweisen. Wie kam es zu dieser Inschrift? Die Antwort führt zu Graf Rudolf Stillfried-­ Rattonitz (1804–1882), dem nachmaligen Hohenzollernforscher. Im Winter 1833/34, also unmittelbar nach Rückkehr von seiner Inspektionsreise, kam es zu einem Gespräch zwischen dem Kronprinzen und Rudolf Stillfried-Rattonitz, woraufhin ihn der Kronprinz am 31. März 1834 damit beauftragte, die Abstammung des preußischen Königshauses quellenkritisch zu erforschen und zu dokumentieren. Dieser umtriebige junge Mann war seit Oktober 1833 als Hofbeamter Friedrich Wilhelms IV. tätig, ausgebildet als Jurist, zunächst als Kammerherr, dann als Archivar, Denkmalpfleger und ab 1853 als Ober-Ceremonienmeister und Inhaber des Preußischen-Herolds-Amts. Stillfried-Rattonitz initiierte erfolgreich in diesen Jahren die quellengestützte Erforschung der Hausgeschichte der Hohenzollern in bis heute grundlegenden Quelleneditionen und verantwortete zudem den Wieder-

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auf- und Umbau der Burg Hohenzollern in Hechingen sowie die Erneuerung der Grablege der Hohenzollern im Kloster Heilsbronn. Der Auftrag, die Genealogie und Kontinuität der Dynastie quellenbasiert auszuweisen, und das Hofamt, brachten es mit sich, dass Rudolf Stillfried-Rattonitz über Berlin hinaus intensive Kontakte zu den Mitgliedern des preußischen Königshauses wie auch zur Königsfamilie der Wittelsbacher pflegte. Aus den zeitlichen Abläufen der Errichtung der Kapelle und den persönlichen Umständen spricht, dass der Kronprinz neben Karl Friedrich Schinkel auch Rudolf Stillfried-Rattonitz zu den inhaltlichen genealogischen Aussagen am Grabmal Johanns von Böhmen heranzog.92 Genauer nachzuweisen sind diese Arbeiten 1842. Bei aller erkennbaren dynastiegeschichtlichen Vereinnahmung des Sarkophags vermittelten die Kapelle und das Königsgrab keine Selbstkultivierung des Kronprinzen. Friedrich Wilhelm IV. adaptierte also gerade nicht das Königtum, sah nicht den Herrschaftsstil Johanns von Böhmen als sein politisches Vorbild an. Sein Interesse galt der dokumentierten genealogischen Nähe zu diesem Ahnherrn, der sichtbar gemachten Konsanguinität zwischen den Dynastien der Luxemburger und Hohenzollern und Wittelsbacher. Es blieb nicht bei dem Willensakt von 1838. Offenbar veranlasst durch den Antritt seiner eigenen Königsherrschaft mit der Krönung zum preußischen König am 2. September 1840 steigerte Friedrich Wilhelm IV. seine Aussageabsicht in Kastel. Dazu ließ er nun die Kapelle ausbauen und stiftete er die Feier eines jährlich am Todestag Johanns von Böhmen in der Kapelle zu feiernden Totengedächtnisses. Die dortige Architektur wurde nun mehr als Kunst der Erinnerung. Zur dynastischen Traditionspflege als Teil des Herrschaftslegitimation trat nach dem Willen des preußischen Königs hier nicht die Betonung des Gottesgnadentums der Monarchie im Allgemeinen, jenseits aller politischen Umstände, vielmehr als unantastbar die christliche Religion, genauer das katholische Christentum, zur Überhöhung der historischen Erinnerung und der diesem Ort angemessenen kultischen Emotionalität. Darin setzte der streng gläubige König, nicht der an den Planungen 92 GSTA PK Berlin, VI. HA, Nachlass Stillfried-Alcántara (Teilüberlieferung). Rudolf Maria Bernhard Stillfried-Rattonitz (1804–1882), in Hirschberg (Schlesien) geboren, entwickelte nach dem Jurastudium in Breslau seine historischen Interessen insbesondere an genealogischen Forschungen und der Denkmalpflege. Rudolf Stillfried wurde 1858 in Portugal zum Grafen von Alcántara ernannt, 1861 in den preußischen Grafenstand erhoben. Ab 1838 erschienen von ihm die „Althertümer und Kunstdenkmale des Erlauchten Hauses Hohenzollern“ gefolgt von dem mehrbändigen Urkundenbuch „Monumenta Zollerana“ sowie ordensund hofgeschichtliche Arbeiten. Rudolf Stillfried (Hrsg.): Geschichtliche Nachrichten vom Geschlechte Stillfried von Rattonitz, 2 Bde., Berlin 1870, Bd. 1, S. 391 ff. mit autobiographischen Aussagen. Seine historischen Arbeiten fanden Kritik und Anerkennung; Hans Branig: Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. und Rudolf von Stillfried in den Jahren 1836–1838, in: Gerd Heinrich / Werner Vogel (Hrsg.), Brandenburgische Jahrhunderte. Festgabe für Johannes Schultze zum 90. Geburtstag, Berlin 1971, S. 189–199; Ulrich Feldhahn: Rudolf von Stillfried Alcántara, Kloster Heilsbronn und die Burg Hohenzollern, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte Bd. 41 = Bd. 126 (2005), S. 27–46.

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Abb. 13: Ewiglicht-Ampel. Immerwährend brennende Leuchte, die auf eine alttestamentliche Prophezeiung verweist (Jes. 60,19–20). Die sechsseitige Ampel aus rubinrotem Glas, ornamentiert mit Darstellungen von Drachen und Distelblattwerk, hing von der Gewölbedecke der Grab­ kapelle zentral über dem Sarkophag, Messingguss, um 1840. General­direktion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesdenkmalpflege, Mainz. Zitiert nach: Preußische Facetten, Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2001, S. 60, Abb. 45.

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der Kapelle beteiligte Karl Friedrich Schinkel, fern von Berlin, am Grab Johanns von Böhmen Zeichen dynastischer Herrschaft und Macht, zugleich Zeichen seines Geschichtsverständnisses. Die Gegenwart des Verstorbenen bei den Lebenden auf Dauer und verlässlich in einem Ritual und einer Liturgie zu feiern, lag konfessionell-kirchenrechtlich freilich außerhalb der Macht des Monarchen. Um also seinen Stifterwillen zu begründen und jenes Totengedächtnis zu gewährleisten, bedurfte es eines entsprechenden Vertrags, den der protestantische preußische König dazu mit Institutionen der katholischen Kirche zu schließen hatte. Ein solches Totengedächtnis und eine solche Stiftung gründeten und begründeten eigenes Recht. Mit dem Stiftervertag und der Verpflichtung des Pfarrers begründete Friedrich Wilhelm IV. die Gegenwart der Gebeine Johanns von Böhmen rechtlich auf unbefristete Zeit mit diesem Ort, der Kapelle in Kastel. Mit dem Stifterwillen und dem Vertrag schob also der preußische König dem Begehren der Luxemburger nach einer Rückgabe der Gebeine Johanns von Böhmen (kirchen-)rechtlich und symbolisch neue Riegel vor. Der Stiftervertrag war ein offenkundiges Instrument, die Gegenwart dieses Toten, seines mittelalterlichen Ahnherrns, in Kastel auf seinem Besitz unter Einbindung der Pfarrgemeinde auf Dauer zu sichern. Dieser Stiftungsvertrag datiert vom 14. August 1841. Nach Einbindung des Verwe­ sers des Bistums, Domkapitular Günther, verschiedener preußischer Ministerien und Verwaltungsstellen sowie des örtlichen Geistlichen, Pfarrer Herber, wurde zwischen dem König und dem Bistum dieser Stiftungsvertrag geschlossen. Um das jährlich am 26. August zu feiernden Gedächtnisamt zu gewährleisten, zahlte der König einen verzinslichen Kapitalstock von 100 Reichstaler, verbunden mit weiteren Zuwendungen an die Pfarrkirche von Kastel. Auf dieser Grundlage traf man Absprachen zur Ausgestaltung der jährlich zu feiernden Liturgie sowie der Kapelle. Der Pfarrer von Kastel erhielt neben zwei Talern für die Aufwendung der Totenfeier ein dazu passendes Messornat und die Pfarrei eine Pietà-Figur, die im Portal zum Eingang des nahen Friedhofs aufgestellt wurde.93 Die Gemeinde erhielt infolge dieses Vertrags zudem später ein eigenes Schulhaus auf Kosten des Königs. Der Kapitalstock der Stiftung insgesamt erbrachte jährliche Überschüsse, die auf Wunsch des preußischen Königs armen Erstkommunionkindern in Kastel zugutekommen sollten. Nach vorausgegangenen Planungen bestimmte der preußische König schließlich selbst auch die Gestalt des Altartisches für die Kapelle. Ferner schaffte man auch in Abstimmung mit der zuständigen Bistumsverwaltung und dem örtlichen Kirchenrat für die Kapelle ein gusseisernes Kreuz und zwei gusseiserne Altar 93 Neben der Überlieferung im GSTA Berlin, I. HA Rep. 89 die Gegenüberlieferung im Bistumsarchiv Trier BAT Abt. 70, Nr. 2559–2560, bes. 2559 fol. 93 ff., 135 ff. Gemeint ist hier die Pfarrkirche St. Johannes des Täufers, jetzt Gedenkstätte für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges. Im Eingangsportal des ummauerten Friedhofs steht diese Pietà. Landesamt für Denkmalpflege Reinland-Pfalz (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, bearb. v. Ewald Wegner, Worms 1994, S. 332.

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Abb. 14: Standkreuz und Kerzenständer der Altarausstattung zur Feier des jährlichen Toten­ gedächtnisses für König Johann von Böhmen in der Grabkapelle Kastel; bis 1946. Zinkguss, vergoldet, um 1840. Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz Zitiert in Kenntnis des Verlags nach: Preußische Facetten: Rheinromantik und Antike, hrsg. v. Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz, Verlag Schnell und Steiner GmbH, Regensburg 2001, S. 60, Abb. 44.

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leuchter zur „Feier des Gedächtnislagers König Johanns durch ein Hochamt […] am neuen kleinen Altar der Klause“ an. Die Zweckbindung der Altargeräte war eindeutig. Angeschafft wurde ferner eine „ewige Lampe von der Art, wie sie in den katholischen Kirchen gebräuchlich ist“, die nach dem Willen des Königs mittig über dem Sarkophag aufzuhängen war.94 Der neue Bodenbelag der Kapelle bestand nun aus schwarz-rotem Ziegel­mosaik, das man aus den inzwischen vereinigten Keramikfabriken Villeroy & Boch anlieferte. Zusammen mit der Sakralisierung des Kapellenraums veranlasste der König dort auch den Eintrag eines dynastischen Programms. Bis 1843 entstand auf der dem Altar gegenüberliegenden Eingangswand der Kapelle ein figürlich-bildlichgraphisch gestalteter Verwandtschafts-Stammbaum der Luxemburger, Hohenzollern und Wittelsbacher. Das Konzept für diesen komplexen Stammbaum erarbeitete Rudolf StillfriedRattonitz zeitgleich mit der umfassenderen Aufgabe des preußischen Königs, für die Halle der wieder zu errichtenden Burg Hohenzollern in Hechingen ebenfalls Stammtafeln der Linien des Hauses Hohenzollern zu erstellen.95 Für die Gestaltung des Stammbaums in Kastel erhielt Stillfried-Rattonitz die Anweisung, sich dabei am Wappenbuch des Conrad Grünberg aus dem 15. Jahrhundert zu orientieren. Entsprechend bestimmte der König gemeinsam mit der Königin bis zum Jahresende 1842 an ihnen vorgelegten Kartons direkt über Details des genealogischen Konzepts, über dessen Farbgestaltung, die Art der lateinischen Schrift, Namenszüge und Platzierungen einzelner Wappen. Dieser Kreis diskutierte und entschied auch über den Stil des Wandgemäldes, ob man auf „den Geschmack des Luxemburgischen Zeitalters oder auf den modernen Geschmack“ oder mehr auf die Situation vor Ort, sprich die Feuchtigkeit der Wand, achten solle.96 Man orientierte sich an der historischen Vorlage. 94 Die Gestalt, Beschaffung und Aufhängung dieser Ampel in der Kapelle erfolgte über von Cohausen nach dem Willen des Königs. Kreuz und Leuchter wurden in der Zinkgießerei Geiß erstellt, das Model dazu fertigte der Bildhauer Fläschner. Die Ampel, am 8. April 1845 aufgehängt, war die „Arbeit desselben Meisters, welcher ein ähnliches nur größer in der Annen Kirchen in München und eine fast gleiche nach Hohenschwangau geliefert hat.“ GSTA I. HA Rep. 89, Nr. 23344, fol. 84, 96. „Kosten-Anschlag über die Errichtung eines Altars in der Klause zu Castel.“ Angeschafft wurden zusätzlich zu dem „Kruzifix von Eisen 2,5 Fuß hoch, aus dem Saier(?) Hüttenwerk anzukaufen und nach Castel zu senden“, 2 Altar Leuchter, ein Stab zum Anzünden der Kerzen und als sonstige erforderliche Gerätschaften als Schellen, Kessel zum Einsegnen“. Bei der Ewig-Licht Lampe kalkulierte man den jährlich erforderlichen Ölbedarf und die ständige Aufsicht über das offene Licht. Ebenda fol. 14 ff.; ferner Anm. 59; Bistums Archiv Trier, Abt. 70, Nr. 2559–2560; LHA Koblenz Best. 655, 180, Nr. 33. Für diesen Hinweis danke ich Herrn Dr. R. Hanke, Koblenz. Schinkel sah in seinem Programm und Entwurf „Die Residenz eines Fürsten“ für die Begräbnisstätte eine solche Ewig-Licht-Ampel vor. Peschken, Lehrbuch, S. 32, S. 152. 95 Stillfried, Nachrichten, S. 399 f. 96 Die hohe Feuchtigkeit in der Kapelle führt alsbald zu neuen Baumaßnahmen auch an der Innenwand, auf der der Stammbaum aufgebracht war. Zu dessen Schutz verfolgte man auch den Gedanken, „die Wand auf 2 ½–03 Fuß Höhe mit hohl gesetzten ornamentierten und glasier-

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Abb. 15: Verwandtschafts-Stammbaum der Dynastien der Luxemburger, Hohenzollern und Wittelsbacher zur Darstellung der Abkunft Friedrich Wilhelms IV. und seiner Gemahlin Elisabeth von König Johann von Böhmen. Grabkapelle Kastel. Erster Entwurf durch Rudolf von Stillfried-Rattonitz, 1843, nach Übermalungen 1883 durch Stettgen. Reproduktion durch den Verlag Römmler & Jonas, Dresden, nach 1883. Generaldirektion Kulturelles Erbe RheinlandPfalz, Direktion Landesdenkmalpflege, Mainz, Foto Ulrich Pfeuffer.

Aus der Situation der Eingangstür zur Kapelle folgte die Platzierung des Motivs auf der Wand. Deshalb legte Friedrich Wilhelm IV. die zentrale Position des Wappens für König Johann von Böhmen und dessen Gemahlin in der Mitte über dieser Tür fest. Eine Engelsfigur in der Mitte hält in Johann von Böhmen die Glieder bzw. Äste der Ahnenstämme zusammen, die mittig bis zu Kurfürst Johann Georg von Brandenburg (1525–1598)97 und dessen Gemahlinnen aufsteigen, sich dann teilen und seitlich der Tür jeweils abwärts geführt links schließlich in dem Wappen Friedrich Wilhelm IV. und rechts im Wappen seiner Gemahlin Elisabeth enden. Das dynastische Programm-Motiv führte auf Vermittlung auch von StillfriedRattonitz nach dessen Vorlagen bis 1843 der Maler D. Hagemeister aus. Die austen Kacheln aus der nahen Fabrik Mettlach panneelartig“ zu verkleiden; Andreas Meinecke: Geschichte der preußischen Denkmalpflege, 1815 bis 1860, Berlin 2013, Nr. 122, S. 378 f. 97 Elisabeth Ruffert: Kurfürst Johann Georg, in: Thomas Fischbacher (Hrsg.), Die Hohenzollern in Brandenburg, Regensburg 2015, S. 80–90.

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führenden Arbeiten hatte der Landrat von Cohausen zu beaufsichtigten, womit neuerlich die Interessen und die hohe Verantwortung dieser Familie für den Ausbau der Kapelle und das Areal ringsum deutlich werden.98 Nach dem Willen des preußischen Königs hatte der Maler die Lichtverhältnisse in der Kapelle zu beachten, die von den von Karl Friedrich Schinkel entworfenen Fenstern ausgingen. Ihm lag ausdrücklich daran, die Sichtbarkeit der Wappen zu gewährleisten, „dass sie sich dem Zuschauer bequem presentiren“.99 Das Königspaar ließ sich also letztlich davon leiten, graphisch-stilistisch, bildlich-historisch und farbig-symbolisch aufeinander abgestimmt das aus Altar, Sarkophag und Stammbaum, Fußboden, Fenstern und Tür (offenes Gitter) aus Farben und Licht gebildete Erlebnis dieses Raumes zu vermitteln. Friedrich Wilhelm IV. und seine Gemahlin verstanden demnach die Kapelle mit dem Königsgrab nicht als Mausoleum, nicht als einen verschlossenen, vielmehr als einen auch öffentlichen Ort. Welch ein Raumbild! Ausgerichtet auf die Erfahrbarkeit des Totengedächtnisses für Johann von Böhmen stellte es zugleich darin die seit dem 14. Jahrhundert gemeinsame genealogische Geschichte der Hohenzollern und Wittelsbacher vor Augen. Die Gegenwart des Ahnherrn war umfassend sichtbar gemacht.100 Dieses Ansinnen demonstrierte der König auch selbst. Im September 1842, auf einer neuerlichen Inspektionsreise von Trier über Saarburg ins Saarland, besuchte der Monarch in Begleitung der Königin und zusammen mit seinem Bruder, Prinz Carl, die Stadt Saarburg, die Grabkapelle in Kastel. Nach dem Bericht des Regierungspräsidenten in Trier, Rudolf von Auenwald, huldigte die Bevölkerung aus den umliegenden Orten in Kastel dem König. Die Kapelle und das Königsgrab waren damit auch als Orte für Herrschertreffen ausgewiesen.101 Das Anliegen, die Erinnerung an Johann von Böhmen in Kastel zu verstetigen, endete nicht an der Tür zur Kapelle. Friedrich Wilhelm IV. bezog schließlich darin auch den Standort der Kapelle ein, die Landschaft ringsum. Den Anlass dazu bot erneut der Tod Johanns von Böhmen in Crécy. Am 26. August 1846, zum „fünfhundertjährige(n) Gedächtnis der Schlacht bei Crecy, in der König Johann fiel“, 98

Unternehmensarchiv Villeroy & Boch, Mettlach, Archiv-Nr. 32; Clemens August W ­ immer: Salentin von Cohausen und die Klause bei Kastel, in: Kreis Trier-Saarburg Jahrbuch, Trier 2011, S. 298 ff. 99 GSTA PK Berlin, VI. HA, Nachlass Stillfried-Alcántara, Bl. 6 ff. mit den Entwürfen und einzelnen Korrespondenzen. Das Wappenbuch des Conrad Grünberg hatten die Hohenzollern gerade ankaufen lassen. Christof Rolker: Das Wappenbuch des Konrad Grünenberg, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 162 (2014), S. 191–207; die Originalfassung des Gemäldes nahm über die Jahre wegen der hohen Feuchtigkeit des Raumes Schaden. Die heute sichtbare Fassung des Wandgemäldes folgt einer 1883 angefertigten Kopie des Originals mit Übermalungen aus dem 20. Jahrhundert. Der Dresdner Verlag Römmler & Jonas publizierte vermutlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Reproduktion der Abbildung des Stammbaums. 100 Kilian Heck: Der Ahn als Denkform, in: Volker Depkat / Matthias Müller / A ndreas U. Sommer (Hrsg.), Wozu Geschichte(n), Stuttgart 2004, S. 151–169. 101 Huch, Ehrenpforte, S. 862. Anschließend besuchte Friedrich Wilhelm IV. die Familie Boch-Buschmann in Mettlach.

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errichtete man an der Außenseite der Kapelle freistehend ein hohes Steinkreuz.102 An dieser Feier nahm ein Personenkreis um die Familie von Cohausen und BochBuschmann, auch einige Luxemburger sowie neben den Pfarrern umliegender Pfarreien ausführende Handwerker teil. Damit war nach den Gebeinen Johanns von Böhmen auch der ferne Schlachtort symbolisch in Kastel vergegenwärtig. Kastel war damit als Gedächtnis­ort soweit historisch komplettiert. Der unabweisbare Mittel- und Bezugspunkt dieses Gedächtnis an eben diesem Ort resultierte aus dem Besitz der Gebeine in der Verantwortung Friedrich Wilhelms IV. Sie legitimierten die Stiftung des Toten­gedächtnisses wie umgekehrt die Liturgie die Rechte ihres jetzigen Besitzers an den Gebeinen verstetigte. Der preußische Monarch achtete in der Grablege und der Gedächtnisstiftung den Totenkult, er förderte keinen Todeskult. Das steinerne Kreuz auf der Stele neben der Kapelle erhöhte diese Botschaft mit dem Patrozinium der Kapelle im Verweis auf das Erlösungsversprechen Jesu Christi. Die Exklusivität der Kapelle bestand darin, dass man mit ihr und dem Königsgrab gerade kein Denkmal, schon gar keines mit nationalem Anstrich errichtet hatte. Die Abwesenheit von zeit­ typischen Figurationen mittelalterlichen Heldentums und von Feindbildern macht diese Grabkapelle einzigartig. Die Grabkapelle: ein teils herrschaftspolitisch einzigartiges Zeichen, errichtet auf privatem Grund und öffentlich zugänglich. In Kastel war ein dynastischer Gedächtnisort mit Anspruch auf Dauer entstanden, der aus dem Besitz der Gebeine J­ ohanns von Böhmen Mittelaltergegenwart aktualisierte, sachlich, historiographisch, bildlich, symbolisch und liturgisch vertieft, zukunftsfest. Geschichte wird hier zum Argument, und der Besitz der Gebeine erweist sich als so wertvoll wie symbolisches Kapital. Dabei sah und vermittelte Friedrich Wilhelm IV. – und der Kreis um ihn herum – diesen Ahnherrn der Hohenzollern in Kastel als ganz und gar unheldisch. Das in Kastel sichtbar gemachte Interesse an der Genealogie der Hohenzollern wirkte sich an anderer Stelle weiter aus.103 Einzigartig blieb freilich die neu gestiftete Gedächtnisfeier, die Verbindung zwischen der Pfarrgemeinde Kastel und den 102

GSTA Berlin, I. HA, Rep 89, Nr. 23344, Bl. 106–109; das „Kreuz ist aus einem Stück Stein zu arbeiten, der Stamm aus möglichst großen Stücken zusammenzusetzen. Die mit Bronze Dübeln aufeinander zu befestigen“ seien, notierte der preußische Hofbaurat Friedrich August Stüler (1800–1865) auf der betr. Skizze GSTA I HA. Rep 89, Nr. 23445, fol. 111 f. 103 Die denkmalhistorische Gestaltung der Grablege der Hohenzollern im Zisterzienserkloster Heilsbronn begann im Auftrage Friedrich Wilhelms IV. Mitte der 1830er Jahre. 1842 beauftrage er den preußischen Baumeister Ludwig Persius damit, die Rekonstruktion des Zisterzienserkloster Lehnin, bei Potsdam gelegen, zu begutachten. Hier waren vor der Reformation brandenburgische Markgrafen aus der Dynastie der Askanier und erste Kurfürsten aus der Dynastie der Hohenzollern beigesetzt worden. Im späteren 19. Jahrhundert suchte man dort neuerlich nach den mittelalterlichen Grablegen der Markgrafen. Feldhahn, Heilsbronn; Martin Engel: Die Hohenzollerngruft in der Stiftskirche und im friderizianischen Dom, in: Oberpfarr- und Domkirche Berlin (Hrsg.), Die Gruft der Hohenzollern im Berliner Dom, Berlin 2005, S. 124–144.

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Hohenzollern, die die Familie von Cohausen in Kastel mittrug.104 Die persönlichen Rechte Friedrich Wilhelms IV. an dem Areal und an der Kapelle gelangten 1879 auf Betreiben des Hofmarschallamts in die Verantwortung des Kron-Fideikomissfonds des Königlich Brandenburgischen Hauses. Die Behauptung der Gebeine ­Johanns von Böhmen in Kastel blieb ein hohenzollerisch-preußisches Anliegen und zugleich eine politische Affäre. c) Der kämpfende Ritter: Idolisierung adeliger Tapferkeit in Stolzenfels Friedrich Wilhelm IV. ließ mit der Inschrift der Grabplatte ein literarisiertes historisches Erinnerungsbild an Johann von Böhmen in Eisen gießen. Dort heißt es über den Reiterkampf und Schlachtentod Johanns: „Seine Leibesstärke konnte geschwächt, seine Seelengröße aber nicht gebeugt werden. Denn heldenmutig, obgleich blind, kam er dem Versprechen Philipps VI. von Valois, König von Frankreich, gegen die Engländer zu Hilfe. In der so berühmten Schlacht, die am 26. August 1346 geschlagen wurde, warf er sich mit seinem Pferd, zwischen zwei berittenen Knechten, ins Gefecht und focht sehr tapfer mit dem Schwert, bis er von Anstürmen bedrängt dem Tod erlag, der seinem Leben ähnlich und seiner Tapferkeit würdig war“. Davon zu sehen war allerdings in Kastel gar nichts. Anders in den Räumen von Schloss Stolzenfels bei Koblenz. Die Vorstellung von einem außerordent­lichen Reiterkampf bildete die Vorlage zu einem Historienbild in den königlichen Wohnräumen des nahezu zeitgleich zu der Grabkapelle bei Koblenz über dem Rhein neu errichteten Schlosses Stolzenfels. Dieses Schloss hatten 1823 Koblenzer Bürger dem preußischen Kronprinzen zum Ehrengeschenk gemacht, der die ehemalige Burgruine über dem Rhein in Teilen erhielt und daraus nach Plänen Karl Friedrich Schinkels sich seine Residenz neu errichten ließ. Das Schloss samt der ausgewählten Ausstattung seiner Innenräume geriet nicht zu einem Idyll, vielmehr zu einem inszenierten Sehnsuchtsort auf mannigfache Weise realisierter Mittelaltergegenwart.105 1842 feierte der preußische König die Einweihung seiner Residenz am Rhein. Zeitgleich mit dem Ausbau der Kapelle in Kastel erwog Friedrich Wilhelm IV. für Schloss Stolzenfels eine weitere Form kultureller Rezeption der Geschichte 104

Zu seinem 80. Geburtstag erhielt von Cohausen vom preußischen König den Roten Adler­ orden III. Klasse verliehen; Wimmer, von Cohausen, S. 301 f. 105 Werquet, Historismus, S. 135 ff.; Holger Leonhardt: Wiederaufbau von Burgen und Denkmalbewusstsein, in: Der Geist der Romantik in der Architektur, Landesmuseum Koblenz, Regensburg 2007, S. 155 ff.; Jan Meißner: Wenn der Prinz da sind, gehen wir alle im Mittelalter“, in: ebenda, S. 165 ff.; Irene Haberland: „Auf allerhöchsten Befehl von Berlin nach Stolzenfels gebracht“. Das Stolzenfelser Inventar als Spiegel preußischer Sammlungen und Interessen, in: Irene Haberland / Oliver Kornhoff / Matthias Winzen (Hrsg.), Das Ganze Deutschland soll es sein. Die Preußen im Westen, Oberhausen 2015, S. 121–157.

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König Johanns, hier nun in Historienbildern. Allein diese Absicht zeigt, wie sehr dem preußischen König daran lag, in der Einvernahme des luxemburgischen Ahnherrn sein Geschichtsdenken und Herrschaftsverständnis sichtbar zu vermitteln. Dazu bot die Ausmalung des „Kleinen Rittersaals“ im Schloss Gelegenheit. Die Themen und Gegenstände kreisten um mittelalterliche Herrscher und Dynasten der deutschen und der brandenburgischen Geschichte der Hohenzollernzeit. Ab März 1842 arbeitete der Berlin-Düsseldorfer Maler Hermann Anton Stilke (1803–1860), ein Schüler von Peter Cornelius und Wilhelm Schadow, im Auftrag Friedrich Wilhelms IV. daran, eines der Zimmer mit „Fresco-Malereien zu verzieren“, wozu er „Scenen aus der Geschichte Johanns von Böhmen ausgewählt“ hatte.106 Alsbald aber rückte der Monarch von der Verbildlichung allein der Lebens­ geschichte Johanns von Böhmen ab. Die Gründe dafür sind im Einzelnen noch zu klären. Möglicherweise reagierte er damit auf eine kunstpolitische Dekade zwischen den Kunstakademien in München, Berlin und Düsseldorf über das zeitgemäß angemessene Verständnis von Historienbildern. Man ging nämlich nun dazu über, sich die mit einem bestimmten Ort verbundene historische Erinnerung öffentlich zu vergegenwärtigen. Trotz dieses öffentlich geführten Diskurses hielt der preußische König aber im Kern an seiner ursprünglichen Absicht fest. Bis 1848 entstanden durch Hermann Stilke im „Kleinen Rittersaal“ die gewünschten Fresken. Für das bildliche Ausstattungsprogramm des „Kleinen Rittersaals“ bestimmte Friedrich Wilhelm IV. sechs Motive, die die mittelalterlichen Rittertugenden illustrierten: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Treue, Beharrlichkeit im Glauben sowie Minne und Musik. Für heroisches Heldentum war auch hier kein Platz. Stattdessen aber vergegenwärtige man ethische Normen und vorbildhaftes ritterliches Handeln, wozu man sich am überlieferten höfischen Ritterideal nicht allein orientierte, sondern dessen Vorbildcharakter demonstrierte. In diesem Programmkontext wollte der preußische König seinen luxemburgischen Ahnherrn als ein Vorbild der Ritterlichkeit und als Idol adeliger Tapferkeit sehen. Die ritterlich-königliche Gerechtigkeit vergegenwärtige man in einer populär überlieferten Szene aus dem Leben Rudolfs von Habsburg I. (1218–1291, dt. König seit 1273), die ihn als Friedensstifter mit gottesfürchtiger Urteilskraft zeigt. Damit wurden exemplarisch Herrschertugenden vor Augen gestellt und so betonen jene Fresken den mittelalterlichen Herrschergedanken, die Ehre eines Herrschers, dessen Tugendhaftigkeit, seinen Sinn für Gerechtigkeit und Friedenswahrung. Man kann annehmen, dass diese mittelaltergeschichtlich abgeleiteten Vorstellungen des Herrschaftscharismas das politische Selbstverständnis Friedrich Wilhelms IV. historisieren. Für dessen dynastisches Denken kommt freilich anderes hinzu. Wie in Stolzenfels boten zur gleichen Zeit von der Münchener Residenz bis zum Aachener Rathaussaal und dem Frankfurter „Römer“ Legenden und Motive aus dem Leben Karls des Großen (747–814, Kaiser seit 800) und König Rudolfs I. von Habsburg 106

Zitiert nach Werquet, Konstruktion, S. 198, Anm. 44; ders., Historismus, S. 381 ff.

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begehrte Vorbilder für öffentliche Bildwerke mit dynastiegeschichtlichen Themen. Im Gegensatz zu diesen Motiven und Königen, die zu politisch aufgeladenen Bildsetzungen wurden, erreichte Johann von Böhmen diesen Erfolg mittelalterlicher Sujets nicht.107 Umso bemerkenswerter bleibt in Stolzenfels das Beispiel Johanns von Böhmen, auch deshalb, weil in Luxemburg in den Bildwerken der Maler ­Michel Sinner (1826–1882) und Nicolas Liez (1809–1892) eigene Bildsetzungen der Erinnerung an den Tod Johanns von Böhmen in Crécy entstanden.108 Vor diesem Hintergrund gewinnt die von Friedrich Wilhelm IV. in Stolzenfels so gewollte Bildsetzung des Ritterkampfs und der Tapferkeit ihre eigentliche Bedeutung. Der preußische Monarch sah in seinem dynastischen Ahnherrn ein Ideal von zeitloser Bedeutung. Die Örtlichkeit des vergegenwärtigten historischen Geschehens interessierte dabei eher nicht. Die an Johann von Böhmen visualisierte Ritterlichkeit, seine Tapferkeit, korrespondierte in Stolzenfels mit dem in den Wohnräumen des Schlosses inszenierten historischen Milieus. Wie sein Bruder Prinz Karl auf seiner Burg Reichenstein transferierte der König gezielt Ausweise der eigenen Dynastiegeschichte nach Schloss Stolzenfels. 1842 kamen zwei Statuen des Markgrafen und Kurfürsten Albrecht Achilles (1414–1486) von Berlin nach Stolzenfels, die man dort im Garten und im Appartement des Königs aufstellen ließ. Eine weitere Statue dieses Markgrafen befand sich im Berliner Arbeitszimmer des Königs.109 Hinzu kamen auch neuerworbene mittelalterliche Glasfenster aus dem 1803 aufgehobenen Kloster Stetten, die über Rudolf v. Stillfried-Rattonitz 1842 Stolzenfels erreichten.110 In dem Bildprogramm von Stolzenfels erscheint der kämpfend inszenierte Johann von Böhmen als der Mittelalter und Gegenwart verbindende Kontinuitätsträger adeliger Ritterlichkeit. Sein tödliches Handeln im Kampf wird als Idolisierung ethisch 107

Frank Büttner: Geschichte für die Gegenwart? Der Streit um die Karlsfresken Alfred Rethels, in: Gerd Althoff (Hrsg.), Die Deutschen und ihr Mittelalter, Darmstadt 1992, S. 101–127, hier S. 103 f.; Zur Entwicklung der Geschichtsmalerei und Bedeutung der Ausmalung der Kaisersäle in der Münchener Residenz ab 1835 Sabine Fastert: Die Entdeckung des Mittelalters, Berlin 2000, S. 231 ff.; um 1840 entbrannte angesichts öffentlich gezeigter belgischer Geschichts­ gemälde eine Debatte um die Ablösung der dynastisch-historischen Malerei durch eine bürgerliche Geschichtsmalerei, an der sich auch die Rheinische Zeitung beteiligte, ebenda, S. 309 ff. 108 In Luxemburg entstanden u. a. durch Michel Sinner (1826–1882) und Nicolas Liez (1809– 1892) Historienbilder, die die Trauer um den getöteten König situieren; Pauly, Le Mythe, S. 196 f. (Abb.). Niclas Liez, der auch als Porzellanzeichner im Unternehmen Villeroy & Boch in Mettlach arbeitete, schuf, neben einer Ansicht der Alten Abtei, dann undatiert, wohl vor 1850 auch die Lithographie „Castell an der Saar von der Südwestseite“. Ernst Wackenroder: Kunstdenkmäler des Kreises Saarburg, Düsseldorf 1939, S. 14 (Abb.); Klaus Hammächer: Ein Ort der Romantik: Die Klause von Kastel an der Saar, in: Kreis Trier-Saarburg Jahrbuch 1989, Trier-Saarburg 1989, S. 161–167. 109 Haberland, Stolzenfels, S. 147 f., S. 153. 110 Matten, Schloß Stolzenfels, Frankfurt a. M. 1844, S. 91 f. Die Königsbildmotive in der Rittersaal-Vorhalle wurden als „bewegende Kräfte des Ritterthums“ angesprochen. An der Fensterwand zum Rhein hin waren als „Schutzpatrone des Rittertums“ die Heiligen Georg, Gereon, Mauritz und Reinold gemalt.

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Abb. 16: „Tapferkeit“. Dargestellt im Motiv des Reiterkampfs und Tods König Johanns von Böhmen in der Schlacht bei Crécy (26. August 1346). Fresco von Hermann August Stilke, Schloss Stolzenfels, Kleiner Rittersaal, erstellt 1842–1846. Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesdenkmalpflege Mainz.

moralischer Normen und vorbildlicher adeliger Tapferkeit publikums­adressiert vor Augen gestellt. Nicht der erzwungene Opfertod, auch nicht die Trauer, die Johanns Tod bekanntlich auslöste, bekamen die Gäste des preußischen Königs in Stolzenfels zu sehen. Ihnen trat in dem tödlich-kämpfenden Johann von Böhmen der dynastische Ahnherr des Hausherrn und seiner Familie als ethisch-moralisches Vorbild gegenüber. Das Fresko mit diesem kämpfenden Johann von Böhmen, Idealisierung der Tapferkeit, war integrierter Teil der mittelaltergeschichtlich ausgerichteten repräsentativen Selbstinszenierung des preußischen Monarchen in Stolzenfels und dies entsprach seinem Interesse an der Stärkung dynastischer Tradition am Rhein. Der Umgang mit der Vergangenheit Johanns von Böhmen in Stolzenfels zeigt, wie in einer weiteren Form der Aneignung dynastischer Geschichte darauf geachtet wurde, die Geschichtlichkeit der Hohenzollern publik zu machen. Die reklamierte Erinnerung an Johann von Böhmen in Stolzenfels zielte darauf ab, ausgewählt dynastische Vergangenheit und adelige Tapferkeit zu aktualisieren und adelig-­ höfische Erinnerung an Johann von Böhmen wachzuhalten. Das Königsgrab in Kastel, das verstetigte Totengedächtnis dort und das Fresko in Stolzenfels zeigen, wie der preußische König im Besitz der Gebeine Johanns

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von Böhmen angeeignete dynastische Tradition zur Geltung brachte und dabei das Eigeninteresse an den Gebeinen über die rechtlichen, liturgischen und symbolischen Ausweise verfestigte. Es ging ihm offenkundig um Ausweise geschichtlichen Machtaufbaus seiner Familie am Rhein und an der Saar. König Friedrich Wilhelm IV. verstand den Besitz der Gebeine Johanns von ­ öhmen als zeitlich wohl unbegrenzt. Er verfügte über sie, ohne den HerrschaftsB stil des mittelalterlichen böhmischen Königs zu adaptieren. Er ließ einen verwandten Ahnherrn unheldisch zeigen, in dessen Anciennität der Dynastie der Hohenzollern – ebenso den Wittelsbachern – adelige Ehre und Prestige zuwuchsen. Die Kapelle und Grablege in Kastel wie auch Burg Stolzenfels wurden populär und damit zu politischen Zeichen. In Kastel begründete Friedrich Wilhelm IV. dabei keinen Totenkult, wie er auch nahegelegen hätte. In dem gestifteten Totengedächtnis wies er sich konfessionell übergreifend als der christliche Herrscher aus. Seine Gedächtnis- und Erinnerungspolitik provozierte auch und in Luxemburg weckte sie die politische Gegenbewegung. Sie verband ihre Rückforderung der Gebeine Johanns von Böhmen mit dem Willen zu nationaler Selbständigkeit und reklamierte dazu in eigener Weise ebenfalls neue Mittelaltergegenwarten.

V. Das Königsgrab als politisches Zeichen: Hohenzollernnahe Saar-Romantik und nationale Geltungsanstrengungen 1. Mit königlicher Widmung: Bilder machen Geschichte Nicht zufällig gewannen die eindrucksvoll über dem Rhein gelegenen Burgen Rheinstein und Sooneck und Schloss Stolzenfels bei Koblenz ab den 1840er Jahren als Residenzorte weitreichende Bedeutung für das Prestige der Hohenzollerndynastie im Westen. Zugleich wuchs das Interesse des aufkommenden Kulturtourismus am Mittelrhein. Bald kamen die Täler der Mosel hinzu und in deren Folge entdeckte man dann auch die Flusslandschaft der Saar. Zunächst schilderten einzelne Reisende ihre Wahrnehmung der Saar, erst nach und nach entdeckten bilderfinderische Landschaftsmaler die „wilde Sarawus“. Zu deren Vorreitern gehörte auch Karl Friedrich Schinkel, der seit Mitte der 1820er Jahre zu den geschätzten Gästen der Familie Boch-Buschmann in Mettlach gehörte. Ab den 1840er Jahren popularisierten einheimische Künstler und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der in Frankfurt am Main arbeitende Maler und Lithograph Peter Becker (1828–1904) den Gestus einer hohenzollernnah adressierten Saarromantik. Bürgerliche Kreise griffen dabei die Bedeutungssetzung des Ereignisortes Kastel mit dem Königsgrab auf. Das Motiv des Königsgrabs gehörte bald zur weit verbreiteten bildlichen Geschmackskultur und regte – neben den Besuchen von Mitgliedern der Hohenzollerndynastie und anderen Repräsentanten zu weiteren Reisen an die Saar an. Kastel wurde Sehenswürdigkeit.

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B. König Johann von Böhmen 

Abb. 17: Nicolas Liez (1809–1892): Alte Benediktinerabtei St. Peter, Mettlach. Aquarell um 1849. Villeroy & Boch AG / Keramikmuseum, Mettlach.

Mit der zur „Erbfeindschaft“ verfestigenden Rivalität zwischen Preußen und schließlich dem Deutschen Kaiserreich und Frankreich erfuhren die pittoresken Motive der Saarromantik freilich das Ansehen auch nationalen Bekenntnisses. Diese erhielten in den Jahren nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, bestimmt von der politischen Geschichte des Saargebiets, dabei erhöhte innen- und außenpolitische Bedeutung. Jenseits der Konfrontation aber behaupteten sich grenzübergreifend zwischen Luxemburg und Kastel auch Stimmen, die das Königsgrab als Ausweis gemeinsamer Geschichte wertzuschätzen suchten. In den Bildern der Saarromantik zu Mettlach, wie denen von Niclas Liez (1809– 1892), gewannen Kirchen und Kapellen in beeindruckender Natur- und Flusslandschaft einen bevorzugten Platz. Besonders erfolgreich erweisen sich Szenen aus dem Unterlauf der Saar und hier die auf einem Felsvorsprung gelegene „Clause Kastel“, bald mit dem prominenten Königsgrab, aus „pittoreskem Blick“ auch auf die Stadt Saarburg.111 Die 111

Benedikt Bock: Baedeker & Cook. Tourismus am Mittelrhein 1756–1824, Frankfurt a. M. 2010; Eva Labouvie: Flußbeschreibungen, in: Richard van Dülmen (Hrsg.), Die Saar, 2. Aufl., St. Ingbert 1993, S. 209 ff.; Jürgen Hannig: Der gelenkte Blick, in: ebenda, S. 245 ff. Ein regional erweiterter Blick führt zum Werk des luxemburgischen Malers Nicolas Liez (1809–1892), der zeitweilig als Maler bei Villeroy & Boch beschäftigt, um 1849 eine Ansicht der Alten Abtei in Mettlach festhielt. Liez, wie auch andere luxemburgische Maler, hielt den Schlachtentod Johanns von Böhmen in Crécy in einer Klageszene fest, um 1850.

V. Das Königsgrab als politisches Zeichen

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Abb. 18: Karl Friedrich Schinkel: „Entwurf zur Herstellung der sogenannten Klause bei C ­ astel unweit Saarburg“, 1835. Aquarell und Feder in Grau mit Braun, über Vorzeichnung mit Graphit­stift und Zirkel, auf Vélinpapier. bpk / Kupferstichstichkabinett, SMB / Wolfram Büttner. ­Medien-ID: 70388576.

Kapelle mit der Königsgrablege fand als inszenierte Sehenswürdigkeit so immer mehr Aufmerksamkeit. Karl Friedrich Schinkel datierte sein Aquarell „Klause bei Kastel“ mit „1835“. Das Blatt zeigt – neben handschriftlichen Notizen Schinkels zur Bauplanung sowie einem Schnitt durch das Untergeschoss der Anlage – aus freiem Standpunkt perspektivisch die auf dem Felsvorsprung auch nach seinen Plänen bis 1838 errichtete zweigeschossige Kapelle mit dem seitlichen Glockenturm. Schinkel folgte in seiner Bildfindung typologisch der um 1829 von Robert Tavernier in der Lithographie „Eremitage de Castel pres de Sarrebourg“ festgehaltenen Situation, die freilich zum Ausweis romantischer Naturnähe die Ruine

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B. König Johann von Böhmen 

der Klause aufnahm. Dem voraus gingen bereits Bleistiftzeichnungen des Trierer Malers Johann Anton Ramboux (1790–1866) zu „Kastel an der Saar“. Ebenfalls noch vor der Errichtung der neuen Kapelle mit dem Königsgrab hielt der Trierer Heinrich Rosbach (1814–1879) die „Klause zu Castel“ mit einer Innenansicht der alten Eremitage fest und 1832 entstand der Stahlstich „Der Casteller Berg an der Saar“ des Berliner Zeichners Rosmäster. Karl Friedrich Schinkel indes begründete einen neuen Blick auf diese imposante Stätte. Durch ihn selbst wohl gelangte im Wege seiner Studienaufhalte das Blatt von „1835“ bereits an den Münchner Hof. Das Interesse an dem Königsgrab dort dürfte nicht neu gewesen sein. Noch vor der Einweihung der neu errichteten Kapelle im August 1838 erschien 1837 in Trier eine durch August Wünsch nach einer Zeichnung Johann Steyreiffs erstellte Lithographie mit Ansichten der Klause. Es ist dies das erste mit einer Widmung an den Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. veröffentlichte Bildmotiv von Kastel. Diese Veröffentlichung zeigt an, wie mit den Bauarbeiten der Kapelle und Grablege Künstler in ihren Werken das vorherrschende Interesse an der Person des preußischen Monarchen aufnahmen und eigens förderten. Medial modern, in vervielfältigten Bildmotiven mit Wiedererkennungswert warben sie für das politische Ansehen der preußischen Monarchie. Im November 1838, also unmittelbar nach der Einweihung der Grablege in Kastel, publizierte 1839 der gebürtige Saarburger und in Trier tätige Mediziner Johann Jacob Hewer (1797–1866) die Broschüre „Castell (an der Saar) eine historische Topographie“, versehen mit der „Widmung an den Kronprinzen zum huldvollen Andenken an die Saargegend und an ihre treuergebenen Bewohner“. Hewer, der sich später auch der Geschichte der Stadt Saarburg zuwandte, fügte seiner Broschüre, die mehrheitlich lateinische Quellen zur antiken Geschichte Kastels bot, zwei Lithographien bei, die in der lithographischen Anstalt der Gebrüder Becker in Koblenz entstanden waren. Das erste Motiv zeigt die Bearbeitung einer älteren Vorlage der Ansicht der Klause von 1832. Die zweite Abbildung trägt den Untertitel „Innere Ansicht der Clause“. Es ist dies freilich die Kapelle und damit wohl ihre früheste vervielfältigte Innenansicht, die zugleich den Sarkophag mit den Gebeinen König Johanns von Böhmen herausstellt. Hewers Broschüre gehört neben die Veröffentlichung von Georg Bärsch, Landrat des Kreises Trier112, der auch die Neubeisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen im August 1838 in einer eigenen Broschüre dokumentiert hatte. Mit Hewer beginnt eine neue Phase, in der Künstler für die Gegenwart der Hohenzollernmonarchie touristisch anregend und politisch loyal warben. Dazu entstanden in diesen Jahren in teils drucktechnisch hochwertig hergestellten Verfahren Alben mit Farblithographien, deren Bildgestus sich verfestigte. Kastel,

112 Neben der Publikation über die Neubeisetzung der Gebeine König Johanns von Böhmen in Kastel verantwortete Georg Bärsch eine amtliche statistische Beschreibung; Georg Bärsch (Hrsg.): Beschreibung des Regierungs-Bezirks Trier, 2 Bde., Trier 1846/1849.

V. Das Königsgrab als politisches Zeichen

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ehedem ein Ort mit antiker Geschichte, wurde nun gleichgesetzt mit der Kapelle und dem Königsgrab. Das Königsgrab wurde zum öffentlich gemachten Ausweis erinnernder Geschichte. Einzigartig erfolgreich und beliebt wurden die großformatigen Lithographien Peter Beckers. Der vielseitige Künstler zeichnete zunächst die Motive, die er dann verbunden zu einem prächtig gestalteten „Saar Album“ 1861 veröffentlichte. Der in Frankfurt am Main geborene Becker erwarb sich als Landschafts- und vor allem als (Frankfurter-) Stadtmaler einen bleibenden Namen. In seinem „Saar Album“ schuf Becker qualitätvolle Ansichten von den am Südende der preußischen Rheinprovinz historisch bedeutsamen Orten und Landschaften der unteren Saar. Das mit spätromantischen Szenen eingefasste Umschlagblatt seines Albums zeigt einen Blick auf Saarburg unter Verwendung einer im 17. Jahrhundert von Georg Braun und Frans Hogenberg veröffentlichten Stadtansicht; eine bewusste Historisierung. In dem „Saar Album“ begegneten den Lesern symbolisch aufgeladene stimmungsreiche spätromantische Bilderfindungen vom Cloef, vom Gebäude der ehemaligen Abtei Mettlach, dem Unternehmenssitz der Familie Villeroy & Boch, sowie von Kastel und Serrig am Ufer der Saar.113 Ein 1858 veröffentlichter Reiseführer „Die Pfalz und die Pfälzer“ zeigte Beckers bereits 1856 entstandene Lithographien von Mettlach, Freudenburg und der Kasteler Klause. Beckers „Saar Album“ wurde ein weitwirkender Erfolg. Bis heute werden seine Motive werbewirksam nachgedruckt. Ihm war es gelungen, in seinem vervielfältigten „pittoresken Blick“ den Geschmack eines landschaftsinteressierten Publikums zu treffen, ihn zu formen. Verbunden damit war es der Künstler Becker, der an die Hohenzollernmonarchie herantrat und die Erlaubnis erhielt, auf dem Umschlagblatt des „Saar Albums“ mit der Widmung „Ihrer Majestät der Königin Elisabeth von Preußen“ zu werben.114 Hier hatte sich nach der Revolution von 1848/49 und in einer Phase, in der die Hohenzollern die konstitutionelle Verfassung nicht wirklich gelten lassen wollten und König Friedrich Wilhelm IV. schwer erkrankte, die Königin als Sympathieträgerin gewinnen lassen. Solche Chancen verfolgten in der Nachfolge Friedrich Wilhelms IV. auch König Wilhelm I. (1797–1888) und dessen Gemahlin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach (1811–1890). Dieses Paar residierte bis 1858 im kurfürstlichen Schloss in Koblenz, ehe Wilhelm 1861 seinem zuvor schon regierungsunfähigen Bruder nah dessen Tod auf dem preußischen Königsthron nachfolgte. 1865 bis 1867 publizierte Caspar Scheuren (1810–1887), führendes Mitglied der Düsseldorfer Malerschule, den großformatigen Prachtband „Landschaft,

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Hannig, Blick, S. 245 f.; Zur luxemburgischen Bildtradition Pauly, Le Mythe, S. 196 f. Wie sehr diese Bildbotschaft auf die Hohenzollern ausgerichtete sein konnte, zeigt ein Vergleich mit den allein topographischen Landschaftsbeschreibungen der unteren Saar des verbreiteten Reiseführers von August Becker (Hrsg.): Die Pfalz und die Pfälzer, Leipzig 1858, S. 704, S. 706. 114

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B. König Johann von Böhmen 

Abb. 19: Blick in das Innere der Grabkapelle Königs Johann von Böhmen in Kastel, eingerahmt von einer Ansicht der „Klause“ und einer historisch stilisierten Ansicht auf die Stadt Saarburg. Lithographie. Landschaft, Sage, Geschichte und Monumentales der Rheinprovinz, in XXVII Blättern illustrirt von Caspar Scheuren, Verlag Eduard Reymann, Düsseldorf 1865, Blatt „Nahe u. Saar“, Universitätsbibliothek Düsseldorf.

Sage, Geschichte und Monumentales der Rhein Provinz In XVII Blättern illustrirt“ im Düsseldorfer Verlag Eduard Reymann. Der Künstler, der in zahlreichen Aufträgen die Herrschaft der Hohenzollern im Westen loyal vermittelte und darüber mit der Gemahlin Wilhelms I. in engem Kontakt stand, widmete diese im­ posante Sammlung graphisch eindrucksvoll komponierter Farblithographien „Ihro Majestät der Königin Augusta von Preußen, Herzogin zu Sachsen in treuer Dankbarkeit“. Scheurens Geschichte und Kultur verbindendenden Bildprogramme nehmen die Ornamentik der Rheinromantik und historisch abgeleitete Aussagen und Symbole dynastischer und nationaler Geltung auf. Sie vermitteln auch den entferntesten Betrachtern visualisierte Möglichkeiten gedeuteter Landschaft und Geschichte der Rheinprovinz. Im ersten Teil des Albums stellt der Künstler von Kleve über Köln und Aachen bis ins Ahrtal und im zweiten Teil von Koblenz nach Bingen von den Hohenzollern veranlasste Bauprojekte vor Augen. Dazu gehört auch, was

V. Das Königsgrab als politisches Zeichen

129

ein wenig überrascht, aber programmatisch sinnfällig ist, das imposante Blatt „Nahe und Saar“. In dessen Bildmitte schaut der Betrachter über einem Portrait der Stadt Saarburg in das Innere der Grabkapelle von Kastel und erkennt dort im Gegenlicht den Sarkophag mit der darauf liegenden Krone und der Ewig-Licht-Ampel darüber. Das zentral gesetzte Bildmotiv trägt den Titel „Grabmal König Johanns von Böhmen“. Der Künstler visualisiert hier aber nicht das Resultat der Baupolitik der Hohenzollern. Sein Blick vermittelte die lichtbestimmte Aura des Innenraums der Kapelle mit dem Sarkophag als Stätte verantworteten Totengedächtnisses. Die Bildsetzung zeigt die Kapelle damit als politisches Zeichen. Zugleich bewarb der Künstler in seitlich beigefügten Bildmotiven für diesen Ereignisort selbst, gekennzeichnet durch die Kapelle mit dem Glockenturm und das Standkreuz. In seiner Bildkomposition hatte Scheuren alle topographischen und memorialgeschichtlichen Kennzeichen als (Wieder-) Erkennungsmerkmale zusammengefügt. Eine weitere Bedeutung erhält das Blatt „Nahe und Saar“ aus seiner Nachbarschaft zu dem Blatt „Stolzenfels“. Der Künstler gab diesem Blatt, das die Forschung bislang kaum näher beachtete, eine aktuelle dynastiepolitische Botschaft mit. Hier zitiert Scheuren, zentral gesetzt, das Motto der Hohenzollern „Vom Fels zum Meer“. Damit verweist er auf den aktuellen Zusammenschluss der Linie der brandenburgischen Hohenzollern mit der Linie Hohenzollern-Sigmaringen zu einem Gesamthaus. Zugleich warb Scheuren so für eine Zustimmung zu den aktuell verhandelten Plänen nationaler Einheit Deutschlands unter der Führung der Hohenzollerndynastie und Preußens. Das Blatt „Nahe und Saar“ ist damit auch ein Beispiel der Bildpolitik für das preußische Königshaus und nationale Einheit. Um Besucherinteressen zu leiten und mit dieser Art Propaganda das Ansehen der Hohenzollerndynastie weiter zu bekräftigen, kam den betreffenden historischen Stätten selbst Gelegenheit zu, die Erinnerung an einen Besuch zu dokumentieren. Kastel, die Kapelle und das Königsgrab hatten Friedrich Wilhelm IV. und Mitglieder der Familie wiederholt besucht. In der Nachfolge kamen nach und nach Staatsbeamte, bald auch Vereine und Berufsgruppen nach Kastel. Die Grabkapelle wurde darüber Teil politischer Besuchsprogramme und touristischer Ziele. Auf lange Sicht aber wurde sie nur in einzelnen Fällen zu einer nationalen oder gar nationalistisch gedeuteten Begegnungs- oder Gedenkstätte. Dem stand die Geschichte Johanns von Böhmen offensichtlich ebenso im Weg wie die unvermindert erhobenen Ansprüche der Luxemburger an den Gebeinen dieses Königs. Das Königsgrab wurde im 19. Jahrhundert tatsächlich in bürgerlichen Kreisen populär. Auch deswegen legte man in der Kapelle „Gäste-“, „Besucher-“ oder „Fremdenbücher“ aus. Was für Schloss Stolzenfels seit dessen Einweihung 1845 belegt ist, gilt auch für die Grabkapelle in Kastel. Vermutlich geschah das hier, seitdem an der Kapelle ein Wärter bestellt war, der auch die Auslage eines Besu-

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B. König Johann von Böhmen 

cherbuchs in der Vorhalle der Grabkapelle mitbeaufsichtigte. Für Kastel darf darin eine Initiative der Familie von Cohausen vermutet werden. Offenbar auf ein wachsendes Besucherpublikum hin veröffentlichte 1894 der Kasteler Lehrer Niclas Lackas den ersten Reiseführer für „Die Clause zu Castell oder: Ein Königsgrab an der Saar“ in einem Verlag in Merzig.115 Nach diesem Zeitzeugen fanden sich in jenem Kasteler „Fremdenbuch“ eigenhändig „Namen von Menschen aus den verschiedenen Nationen“. Demgemäß trug darin am 2. Oktober 1881 Friedrich III. v. Preußen (1831–1888, Kaiser seit 1888) seinen Besuch am Grab Johanns von Böhmen ein oder hielten Besucher, Bürger oder Offiziere wie am 8. August 1893 in poetischen Weisen ihre Eindrücke des Besuchs fest. Die Kapelle, vor allem das Wandbild mit dem programmatischen Stammbaum musste in den 1880er Jahren restauriert werden. Das Bild wurde in Teilen übermalt und zugleich farbig vervielfältigt zu einem transportablem Anschauungsobjekt. Werbung mit Geschichte, die offenbar wirkte, denn die Kapelle wurde zu einem Ort mit geregelten Öffnungszeiten. So warb Nicolas Lackas zwar auch mit den topographischen Sehenswürdigkeiten und antiken Zeugnissen Kastels, doch hauptsächlich verwies er sein Lesepublikum auf die Grablege König Johanns von Böhmen. Er nutzte nicht den tradierten Blick über den Steilhang, sondern er ließ die Kapelle mit dem Königsgrab auf den Umschlag seiner Veröffentlichung drucken. So warb er für die Geschichte Kastels und für das Grab des „dort ruhenden Heldenkönigs“. Demnach war König Johann von Böhmen um 1900 nicht nur Teil der bildvermittelten Saar-Romantik, der Geschmackskultur geworden. Lackas deutete Johann von Böhmen als „Heldenkönig“ wie selbstverständlich im Erbe der Hohenzollern und deren Herrschaftsverständnis. Das Königgrab sah er als Ort von nationaler Bedeutung, nicht aber offener nationalistischer Gegnerschaft gegenüber den Luxemburgern. Getragen von einem Besucherpublikum behielt im frühen 20. Jahrhundert das Königsgrab neben seiner prononcierten dynastisch-historischen und religiösen Sinndeutung sein spezifisches nachbarschaftsgeschichtlich konkurrierendes Gewicht. 1833 war nicht vergessen. Dazu bot insbesondere der Mythos des „Heldenkönigs“ in alle Richtungen Anschlussmöglichkeiten, wofür im Großherzogtum Luxemburg und im Mosel- und Rheinland nicht zuletzt Feiern histori-

115 Paulmann, Propaganda, S. 568 ff. beobachtet insbesondere außenpolitische Umstände. Die Besuche am Königsgrab aber zeigen, wie sich in den Herrschertreffen hier medial innenpolitische, landes- und konfessionskulturgeschichtliche Aussagen transportieren ließen; Niclas Lackas: Die Clause zu Castell oder: Ein Königsgrab an der Saar, Merzig 1894. Die 3. Auflage erschien 1900 mit Empfehlung an die „Verehrer unseres geliebten Herrscherhauses“. Lackas bezieht sich in seiner Veröffentlichung auf Arbeiten der Luxemburger Historiker Friederich v. Weech und Johann Schötter sowie auf Veröffentlichungen von Georg Bärsch und von ­Cohausens. Zum Jubiläum der Grablegung erschien 1938 die 7. Auflage seiner Broschüre mit dem Titel „Hundert Jahre Königsgrab an der Saar“, nun mit Fotographien aus dem Innern der Kapelle.

V. Das Königsgrab als politisches Zeichen

131

scher Jubiläen in den 1930er Jahren sowie 1946 des 600. Todestags Johanns von Böhmen neu Anlass gaben. Kastel war eine gern besuchte Sehenswürdigkeit. Mit welchen Intentionen die Besucher der in Kastel präsentierten mittelaltergeschichtlichen Erlebniswelt der Kapelle begegneten, dokumentiert auf ihre Art die seit 1913 geführte Kasteler Schul- und Ortschronik.116 Dort registrierte man anreisende „Fremde“ und dokumentierte stolz „Hohe Besuche“ an der Grabkapelle. Sie legten dort immer wieder am Sarkophag Kränze zum Gedächtnis nieder und erinnerten in Ansprachen zumeist nun an den „ritterlichen“ König Friedrich Wilhelm IV. und dessen Verbindung mit dem historischen „Heldenkönig“, so wenn Oberpräsidenten der Rhein­provinz, preußische Minister oder, 1914, Kronprinz Wilhelm von Preußen (1888–1951) und sein Generalstab in Kastel am Königsgrab Station machten. Ebenso notierte der Chronist, wie gewöhnlich am Pfingstfest zahlreich fröhliche (Musik-)Gruppen und Vereine auf das Plateau zogen, weshalb der Verkauf von Ansichtskarten beachtlich bis in die ersten Jahre des Ersten Weltkrieges anstieg. Ab 1916 blieben die „Fremden“ allerdings aus und verlor sich jedwede Heiterkeit der Besucher, wie der Chronist bemerkte. Eines blieb indes unverändert: Jahr für Jahr heißt es in der Chronik am 26. August, dem Todestag König Johanns von Böhmen, kam der Kasteler Pfarrer dem Stiftungsauftrag des preußischen Königs nach und zelebrierte zusammen mit der Pfarrgemeinde in der Grabkapelle das Gedächtnisamt. Kastel aber blieb damit eine Herausforderung für interessierte Gruppen im Großherzogtum Luxemburg. Hier reklamierten seit dem 1833 eskalierenden Streit mit Jean François Boch-Buschmann um den Besitz der Gebeine Johanns von Böhmen Teile der national gesonnenen Elite den „Heldenkönig“ für sich. Beiderseits der luxemburgisch-deutschen Grenze nahm man diesen mittelalterlichen Helden und König in ähnlicher Weise und doch geschichtspolitisch konkurrierend in Anspruch. Die politische Affäre um den Besitz der Gebeine, der Friedrich Wilhelm IV. einen dauerhaften Grund gab, fand ihr politisches Echo im Streben nach nationaler Selbständigkeit und Eigenstaatlichkeit der Luxemburger, in Vorstellungen angemessener nationaler Geschichtsschreibung und auch der Ikonographie und Deutung einer Grablege für Johann von Böhmen. Traditionen integrierten hier offensichtlich auf konkurrierende Weise, gründeten aber auf verwandten Vorstellungen, Geschichte des Mittelalters wachzuhalten.117

116

Kreisarchiv Trier-Saarburg, Bestand F, Nr. 31,1–4. Schul- und Ortschronik Castel / Kastel. Für diese Quelle danke ich Frau Barbara Weiter-Matysiak, Kreismuseum Trier-Saarburg. 117 Ulrich Schlie: Die Nation erinnert sich, München 2002; Gabi Dolff-Bonekämper: Wahr oder falsch. Denkmalpflege als Medium nationaler Identitätskonstruktionen, in: Otto Gerhard Oexle / A ron Petneki / Leszek Zygner (Hrsg.), Bilder gedeuteter Geschichte, 2. Teilband, Göttingen 2004, S. 231–287; Winfried Müller (Hrsg.): Das historische Jubiläum, Münster 2004; Peter Moraw / Rudolf Schieffer (Hrsg.): Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, Ostfildern 2005; Oexle, Gegenwart 2013; Herweg, Mittelalter 2015.

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B. König Johann von Böhmen 

2. Vielfach gebrauchtes Heldentum Das Totengedächtnis für Johann von Böhmen in Kastel überdauerte das Ende des „Alten Europa“, den Sturz der Monarchie 1918 in Deutschland und es endete 1946, am 600. Todestag Johanns von Böhmen. Dieses gut hundertjährige Kontinuum des Stifterwillens macht die Neubeisetzung der Gebeine Johanns schon einzigartig. Zugleich wurde währenddem der Mythos des Helden, wie man Johann von Böhmen sah, vielfach genutzt. Seit 1833 lagerten sich an den Streit um den Besitz der Gebeine Johanns von Böhmen nach Innen und Außen wirkende politische Abgrenzungen und Rivalitäten vor allem zwischen Preußen und der politischen Elite des Großherzogtums Luxemburgs an. In Luxemburg verband man damit offensiv Forderungen nach eigener Nationalstaatlichkeit, die in der Geschichtsschreibung und Denkmalkultur von Ausweisen historisch abgeleiteter Bedeutung des Landes begleitet wurde. Wie verlief in dem (außen-)politischen Gefüge der binneneuropäischen Mächte bis 1946 der Streit um die Gebeine Johanns von Böhmen und welche Rolle wies man dabei dem Mythos und dem Helden bis zu dessen 600. Todestagestag zu? Im Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867 gelang den Luxemburgern ihre Nationalbildung, die ein „starkes kollektives Heimatgefühl“ aufnahm.118 Jetzt wurde das Großherzogtum Luxemburg zu einem unabhängigen und neutralen Staat unter der Kollektivgarantie der europäischen Großmächte. Damit endete auch die seit 1815 geltende Besetzung der Festung Luxemburg, die die dafür im Land wenig geschätzten preußischen Truppen rechtlich für den Deutschen Bund leisteten. In der politisch neuen Situation hing das Gelingen der luxemburgischen Selbstbehauptung in der Sprachenvielfalt seiner Teile auch an der Akzeptanz eines möglichst weit integrierend wirkenden Geschichtsbilds, wofür die grundsätzlich bekannte Geschichte Johanns von Böhmen und seine Popularität als luxemburgischer Landesherr eine wirkungsvolle Bedeutung zukam. Deshalb mündete die Auseinandersetzung des Magistrats der Stadt Luxemburg mit Jean François Boch-Buschmann, der Mitte der 1830er Jahre die Gebeine Johanns von Böhmen in die Verantwortung des preußischen Kronprinzen übergeben hatte, nun in eine anhaltende politische Affäre Preußens. In Kastel waren unterdessen mit dem Bau der Kapelle und mit der Neubeisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen Fakten geschaffen worden, die in Luxem 118

Peter Heye (Hrsg.): Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs, Wien 2009; Norbert Franz / JeanPaul Lehners (Hrsg.): Nationenbildung und Demokratie. Europäische Entwicklungen gesellschaftlicher Partizipation, Frankfurt a. M. 2013; Pit Péporté: Inventing Luxembourg. Representations of the Past, Space and Language from Nineteenth to the Twenty-First Century, Leiden 2010; Michel Pauly: Mir welle bleiwe wat mir waren. Zur Konstruktion einer Luxemburger Nationalgeschichte, in: Holger Th. Gräf / Alexander Jendorff / Pierre Monnet (Hrsg.), Land  – Geschichte  – Identität. Geschichtswahrnehmung und Geschichtskonstruktion im 19. und 20. Jahrhundert, Darmstadt / Marburg 2016, S. 55–77, hier S. 57 f.

V. Das Königsgrab als politisches Zeichen

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burg eher nur Anstrengungen zu geschichtspolitischen Gegeninitiativen förderten. Dafür gewann neben den auch in Luxemburg aufkommenden Geschichtsvereinen die von wissenschaftlichen Kriterien geleitete Geschichtsschreibung größte Bedeutung. Letztere ließ Geschichtsvorstellungen formulieren, die nationalen Bewegungen und selbstbewussteren Sprachnationen Argumente bot, im Rückgriff auf die Gründer mittelalterlicher Reiche und Königsdynastien den Eigensinn der Nation zu stärken. Der Helden-Mythos Johanns von Böhmen kam aktuell hinzu. So reklamierte man mit dem Anspruch an den Gebeinen Johanns auch in Luxemburg national- und geschichtspolitisch den Gegenwartsbezug der (Landes-) Geschichte des Mittelalters. Im Kontext der 1867 erreichten nationalen Eigenstaatlichkeit der Luxemburger und der seit 1866 gewonnenen Führungsmacht Preußens gegenüber den deutschen Staaten sowie der nun auch wachsenden Rivalität mit Frankreich verstetigten beide Seiten die konkurrierenden Ansprüche an den Gebeinen Johanns von Böhmen. Der Streit zeigt sich auf Dauer als Echoraum der großen Konflikte in der europäischen Geschichte. In Luxemburg entdeckte man darüber ausdrücklicher als zuvor den mit Johann von Böhmen verbundenen Mythos.119 Als nach 1840 die von der deutschen Nationalbewegung betriebene Werbung für die Vollendung des Kölner Dombaus120 auch Luxemburg erreichte, grenzten sich dort davon Teile der Öffentlichkeit in einer Gegeninitiative mit der Forderung ab, ein neues Denkmal am Ort der Schlacht von 1346 in Crécy bzw. in der Stadt Luxemburg ein neues Mausoleum für Johann den Blinden zu errichten. Im Journal der la Ville du Grand-Duché de Luxembourg veröffentlichte ein Komitee namhafter Luxemburger im Januar und März 1844 Aufrufe für die Errichtung eines neuen Grab-Denkmals. Es ging den Initiatoren erkennbar darum, in einem Denkmal den öffentlichen Raum symbolträchtig zu besetzen und damit ihrerseits Deutungshoheit über die Geschichte und Gebeine Johanns von Böhmen zu erreichen. Zur Begründung der Initiative und Forderung verwies das Komitee auf die identitätsstiftende Bedeutung der historischen Erinnerung und auf das bis in die Gegenwart bedeutsame Wirken dieses luxemburgischen Herrschers. Johann von Böhmen sprach man dabei als den zu Lebzeiten „größten Ritter“ an und unterstrich dessen Treue, Kampfkraft sowie seinen fürsorglichen Herrschaftsstil. Da Johann von Böhmen nach seinem Testament in Luxemburg bestattet sein wollte, erklärte das Komitee es weiter als eine nun auch nationale Pflicht, dessen Gebeine aus Kastel ins Land zurückzuholen.121 Daneben förderten Mitglieder jenes Komitees eine von fachwissenschaftlichem Erkenntnisinteresse geleitete Erforschung der luxemburgischen Landesgeschichte.

119

Maas, Heldengestalt, S. 600 f.; Pauly, Le Mythe, S. 192 ff. Thomas Nipperdey: Der Kölner Dom als Nationaldenkmal, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), S. 595–613. 121 Journal de la Ville de Luxembourg, Nr. 3, 4 (10. Jan. 1844, 13. Jan. 1844); Nr. 34 (27. April 1844) p. 3 f.; Maas, Heldengestalt, S. 602 ff.; Pauly, Konstruktion, S. 60 ff. 120

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B. König Johann von Böhmen 

Es kennzeichnet die Fragilität des luxemburgischen Nationalbewusstseins in diesen Jahren, dass jene Initiative für die Errichtung eines Grab- und Denkmals wieder verebbte, während das nicht ganz neue geschichtswissenschaftliche Interesse an der Erforschung der Geschichte des Landes und Johanns von Böhmen wuchs. Letzteres mündete in die von Johann Schötter quellenbasiert erarbeitete und 1865 veröffentlichte Biographie „Johann, Graf von Luxemburg und König von Böhmen“.122 In seiner zweibändigen Darstellung, die Johann Schötter dem Großherzog und König Wilhelm III. der Niederlande (1817–1890, König seit 1849) widmete, zeichnete er Johann von Luxemburg als einen in seiner Zeit hoch geschätzten König und Helden, dessen wechselhafte politische Handlungsweise der Autor selbst jedoch nicht vollends teilte. Wie sich zur selben Zeit Johanns Heldentum ferner in das historische Selbstverständnis und in die sprachnationalen Wünsche böhmischer Historiker einpassen ließ, ist in der „Geschichte von Böhmen“ nachzulesen, die Franz Palacký mit großem Erfolg vorlegte. Palacký beschreibt nach zitierten zeitgenössischen Quellen den ritterlichen Ruf Johanns und seinen heldenhaften Tod in der Schlacht bei Crécy als Ausweis nun böhmischen Ruhms, wobei auch er Johanns „abenteuerliche Unstetigkeit“ kritisch bewertete.123 Auf der Bühne der Außenpolitik steigerte da die Drohung Otto von Bismarcks (1815–1898, seit 1862 Ministerpräsident in Preußen, Reichskanzler von 1871 bis 1890), im Zusammenhang eines erwogenen Krieges gegen Frankreich das Großherzogtum Luxemburg zu besetzen, das nationale Selbstbewusstsein der Luxemburger und die ablehnende Haltung auch der deutschen Sprachgruppen gegenüber Preußen. Dazu passt ein Schlaglicht des Streits aus der Zeit um 1900. Da man in Luxemburg zwar über die Gebeine Johanns von Böhmen nicht verfügte, gleichzeitig aber Ansprüche an historischen Imaginationen bedeutsam blieben, entstanden neue Produkte, Medien zur Darstellung der Geschichte, die Öffentlichkeiten erzeugten. So traten an die Stelle nicht verfügbarer authentischer Gebeine nun andere personenbezogene historisch-mittelalterliche Ausweise, die die Erinnerung an die historische Person wachhalten ließen und Empathie für die intendierte Deutung der Geschichte des Mittelalters und des Landes erzeugen konnten. An der Pariser Weltausstellung beteiligte sich auch das Großherzogtum Luxemburg. Hier stellte man als Zeichen nationalen Selbstbewusstseins und historischer Bedeutung in einem Pavillon auch ein als übergroßes Rundmosaik gefertigtes Reitersiegel Johanns von Böhmen aus. Diese eindrucksvolle Arbeit entstand in Siebenbrunnen im Unternehmen der Familie Villeroy & Boch. Dieses Mosaik zeigte man künftig bei weiteren Gelegenheiten immer mal wieder.

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Pit Péporté: Les débuts de la médiévistique au Luxembourg?, in: Isabelle Guyot-Bachy / Jean-Marie Moeglin (Hrsg.), La naissance de la médiévistique, Genf 2015, S. 453–472. 123 Franz Palacký: Geschichte von Böhmen, größtenteils nach Urkunden und Handschriften, Bd. II/2, 3. Aufl., Prag 1879, S. 255 f.; Seibt, Johann der Blinde, S. 9–21.

V. Das Königsgrab als politisches Zeichen

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Ebenfalls in einer außen- und innenpolitischen Botschaft verstärkte eine Gruppe Luxemburger ihre Anstrengungen, nun tatsächlich in der Stadt ein repräsentatives Grabmal für die zurückgeforderten Gebeine Johanns von Böhmen zu errichten.124 Daneben beteiligte man sich an der Errichtung eines Erinnerungsdenkmals an die Schlacht bei Crécy, dem „Croix du roi Bohème“.125 Die Feierlichkeiten zu dessen Einweihung gerieten 1905 zu einer Demonstration französisch-luxemburgischer und auch luxemburgisch-böhmischer Freundschaft, wie aus der Liste der dorthin gereisten Vertreter der Hauptstädte dieser Länder zeigt. Diese Erinnerung erforderte grenzübergreifend eigene Räume. Dass hierbei die jeweiligen Städtevertreter agierten, darf man als Reflex aktueller nationalpolitischer Spannungen deuten. Dafür spricht, wie man in Preußen auf diese mittelaltergeschichtliche Erinnerung politisch reagierte. Auf Grund der latenten deutsch-französischen Rivalität beobachte Karl Graf von Pückler, Gesandter des Deutschen Reichs in Luxemburg, dort die aktuelle politische Stimmung sehr sorgfältig. Angesichts der Öffentlichkeiten der Erinnerungsfeiern in Crécy sah er dort Chancen und Interessen an einem luxemburgisch-deutschen Einvernehmen. So wies der Diplomat in seinem Bericht die deutsche Regierung und den deutschen Kaiser auf die günstige Gelegenheit hin, jetzt durch die Rückgabe der Gebeine Johanns von Böhmen den Wünschen vieler Luxemburger vermittelnd entgegenzukommen. Dieser Geste versagten sich der deutsche Kaiser und das Deutsche Reich.126 Der private Besitz der Gebeine Johanns von Böhmen und der Erinnerungswert des dynastischen Gedenkorts Kastel, dessen Verwaltung dem Berliner Hof oblag, entsprachen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ungebrochen der dynastischen Räson der Hohenzollern und dem Verständnis der Staatsregierung. Das Königsgrab in Kastel war für den preußischen Monarchen nicht verhandelbar, auch nicht für die deutsche Regierung. Oder anders: der Mythos König Johanns von Böhmen und die Kapelle selbst erwiesen sich auch für die Nachfolger König Friedrich Wilhelms IV. als ein geschätztes öffentliches historisch-politisches Argument, angesichts der dort verfügbaren mittelaltergeschichtlichen Erlebniswelt ihr dynastisches Selbstverständnis, Ansehen und Ruhm öffentlich sichtbar zu zeigen.

124 Pauly, Konstruktion, S. 66 ff. betont die geschichtspolitische Rolle des Denkmalentwurfs von Karl Arendt (1825–1900); Simone Weny: L’ architecte de l’ Ètat Charles Arendt (1825–1910), in: Hémecht 55 (2003), S. 483–524. Wie andere Tageszeitungen berichtete auch das Luxemburger Wort vom 3. Oktober 1905 über diese seit 1902 laufenden Initiativen und die Namen derer, die für das Vorhaben Spenden zeichneten. 1929 forderte – wie zunächst das Großherzogtum Luxemburg  – auch die tschechoslowakische Regierung von der deutschen Reichsregierung die Herausgabe der Gebeine Johanns von Böhmen, berichtet die Zeitschrift Jong Hémecht zum 1. Oktober 1929. 125 Maas, Heldengestalt, S. 615; Pauly, Konstruktion, S. 67; ders., Le Mythe, S. 200 mit Abb. 126 Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland, Politisches Archiv, Berlin, Best. Luxem­burg R 8153, Bde. 13, 14; Lackas, Königsgrab, S. 87; der Autor übergab wohl aus der ersten Auflage dem preußischen König ein Exemplar, wofür dieser ihm am 30. Mai 1908 danken ließ. GSTA Berlin I HA, Rep. 89, fol. 134.

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B. König Johann von Böhmen 

Warum aber erwies sich das Königsgrab mit den Gebeinen in der weiteren rechtlichen und staatlichen Entwicklung Preußens und des Deutschen Reichs als nicht verhandelbar?127 Die Antwort auf diese Frage liegt nicht allein in der Wucht dynastischer Tradition. Offenbar stützten weitere staatspolitische Umstände den Gang der Affäre. Dazu gehörte in Deutschland vor allem jene normative Uneindeutigkeit, die der deutschen Verfassungs- und Nationalgeschichte eingeschrieben war. Diese Uneindeutigkeit rührte daher, dass Friedrich Wilhelm IV. 1848 die ihm durch die Frankfurter Nationalversammlung angetragene deutsche Kaiserkrone abgelehnt hatte und mit der deutschen Reichsbildung 1871 zwischen Preußen und dem Reich auf Dauer latent unterschiedliche Staatsinteressen wirkten. Dieses verfassungspolitisch untersetzte Spannungsverhältnis teilte sich auf Dauer dem politischen und nationalen Selbstverständnis der einzelnen Mitglieder der Hohenzollernfamilie mit. Und über das Ende der Monarchie in Preußen wirkte es bekanntlich fort. Öffentlich sichtbar wurde diese Uneindeutigkeit auch in Fällen der Inszenierung dynastischer und soweit nationaler Szenarien an den von den Mitgliedern der Hohenzollernfamilie für sich gewählten Begräbnisstätten.128 Eine Zeit lang nur hatte es in den politischen Konstellationen des späten 19. Jahrhunderts danach ausgesehen, als wollte oder sollte Preußen auch eine Nation werden. Doch der Nationenbegriff blieb exklusiv an Deutschland hängen. Dazu hatten bereits König Friedrich Wilhelm IV. und sein wittelsbachischer Schwager, König Ludwig I. von Bayern (König von 1825 bis 1848), die Richtung bestimmt. Eingedenk der territorialpolitischen und dynastischen Eigenständigkeit ihrer Königreiche stellten sie nebeneinander in dem Dombau zu Köln und in dem erneuerten Dom zu Speyer, der bei dieser Gelegenheit eine Vorhalle mit einer Galerie mittelalterlicher Könige erhielt, auf das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen ab.129 Der Erste Weltkrieg fegte am Ende des Jahres 1918 alle drei bis dahin in Europa noch regierenden Kaiser hinweg. Am 9. November 1918 erzwangen die Truppenbefehlshaber mit der Abdankung Kaiser Wilhelms II. (1859–1941, preußischer König und deutscher Kaiser seit 1888) auch das Ende der Monarchie in Preußen. Am 10. November reiste Wilhelm II. nach Holland ins Exil. Es waren da gerade drei Jahre vergangen, dass der Historiker Otto Hintze (1861–1940) seiner populären preußischen Geschichte, die das 500-jährige Jubiläum der brandenburgischen Dynastie der Hohenzollern feierte, den programmatischen wie lapidaren Titel gab „Die Hohenzollern und ihr Werk“. Nun verschwand der Kaiser still ins Exil 127

Gerd Heinrich: Geschichte Preußens, Frankfurt a. M. 1981, S. 466 ff. Jürgen Luh: Szene und Kulisse – Dom und Nationalfeiern 1871 bis 1945, in: Oberpfarrund Domkirche zu Berlin (Hrsg.), Die Gruft der Hohenzollern im Berliner Dom, Berlin 2005, S. 194–212. 129 Jochen Zink: Ludwig I. und der Dom zu Speyer, München 1986; Heinz-Dieter Heimann: Plus Ultra? Kaiser Karl V. und König Rudolf I von Habsburg, in: Bernd Schneidmüller (Hrsg.), König Rudolf I. und der Aufstieg des Hauses Habsburg im Mittelalter, Darmstadt 2019, S. ­459–485. 128

V. Das Königsgrab als politisches Zeichen

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und der Fall der Monarchie war den Tageszeitungen kaum noch eine Schlagzeile wert. „Dieses sang- und klanglose Verschwinden Wilhelms II. […] gehört zu den seltsamsten Geschehnissen der deutschen Geschichte. […] Das Unglaubliche, das sich ereignete, war die Auflösung der preußischen Monarchie. Sie ging einfach unter, ohne Gegenwehr, ohne Kampf, ohne Blutvergießen und große Gesten“.130 Nach der Abdankung des Kaisers entstand ein republikanisches Preußen. Mit seiner Flucht aber missachtete der Senior der Hohenzollernfamilie und abgedankte Kaiser jene adeligen Tugenden, mit denen man sich in Kastel mit der dynastischen Erinnerung an Johann von Böhmen verbunden hatte. Ritterliche Tugend und Ethos, zweifellos auch nach 1918 eine öffentlich angesehene Werthaltung, ignorierte er. Im Kampf um die Wiedererlangung des dynastischen und monarchischen Vorrangs suchten die Hohenzollern auf lange Sicht öffentlich Gelegenheit, dynastische und fallweise nationalistische Weltsicht zu verbinden, worin ihnen loyale Bevölkerungsteile durchaus zujubelten, wie sich etwa im April 1921 bei der Beisetzung der ehemaligen Kaiserin Auguste Viktoria in Potsdam zeigte. Rechtlich stritten die Hohenzollern derweil mit dem Parlament und der jeweiligen Reichsregierung der Weimarer Republik um die Behauptung ihrer umfänglichen Besitzund Vermögensansprüche. Die demokratische Regierung hatte zunächst das vielgliedrige Gesamtvermögen der Hohenzollern beschlagnahmt. Daran schloss sich auch eine zwischen den politischen Parteien heftig geführte Auseinandersetzung über berechtigte Ansprüche der Hohenzollern an jenem Besitztum an. Die Regierung konnte ihre vermittelnde Linie nur mühevoll behaupten. Letztlich erst nach einem Volkentscheid über die sogenannte „Fürstenenteignung“ und kontroversen parlamentarischen Debatten darum kam die Regierung 1926 zu einem Vertrag mit den Hohenzollern. In diesem Vertrag erhielt die Hauptlinie der Hohenzollern bestimmte mobile und immobile Besitztümer sowie Finanzmittel als Privatbesitz zugesprochen. Zu den Besitzungen, die fortan als staatliches Eigentum galten, gehörten am Rhein die Schlösser Sooneck und Stolzenfels, der sogenannte Königsstuhl bei Rhense und die „Klause“ bei Kastel.131 Die politische Affäre um das Königsgrab endete auch nun nicht. Die damit verbundenen Ansprüche blieben weiterhin ein Thema der Öffentlichkeit europäischer Staaten und ihrer geschichtlichen Selbstsicht. Über den Wechsel politischer Verfassungen und gesellschaftlicher Systeme wies man mit den Ansprüchen an den Gebeinen Johanns von Böhmen der so reklamierten Gegenwart der Geschichte des Mittelalters weiter Aktualität zu. Mittelalterliche Zeugen ihrer nationalen Größe suchte auch die 1918 gegründete demokratische Tschechoslowakei. Bis dahin war das Königreich Böhmen Teil der 130

Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917–1933, Berlin 1982, S. 154. Ulrich Schüren: Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, Düsseldorf 1978, S. 255 ff.; Gerd Heinrich: Geschichte Preußen, Frankfurt a. M. 1981, S. 487. Der Großteil dieses nun staatlichen Vermögens ging in Folge der 1947 verfügten Auflösung Preußens in die länderübergreifende Stiftung „Preußischer Kulturbesitz“ über. 131

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österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gewesen und hatten interessierte Gruppen mit den Luxemburgern die Erinnerung an König Johann von Böhmen und seinen Tod in Crécy geteilt. 1929 besuchte Karel Engliš (1880–1961), Jurist, Nationalökonom und zwischen 1921 und 1931 mehrfach tschechoslowakischer Finanzminister das Königsgrab in Kastel und äußerte dabei den Wunsch, dass die Gebeine Johanns doch nach Prag kommen sollten. Diesen Wunsch hörten nicht alle gern. Gegen eine solche Möglichkeit bereits wandte sich die großherzoglich-luxemburgische Regierung an die deutsche Regierung. Wo zwei sich so konkurrierend um dieselbe Sache bemühten, beließ es die deutsche Regierung bei der bekannten Situation und behauptete dieses dynastische Erbe der Hohenzollern weiterhin allein für sich. Hartnäckiger handelten da schon Teile der Eliten Luxemburgs. Für jene Gruppe, die in der Vergangenheit in kulturpolitischen Aussagen die Forderung nach der Rückführung der Gebeine Johanns politisch öffentlich machte, gewann Lucien ­Koenig, alias Siggy vu Lezebuerg (1888–1961)132, über seine literarischen Werke die Stimmführerschaft. Er griff in seinem 1913 veröffentlichten Gedicht „Jang dem Blannen séng Klo“ die historisch-politische Stimmung im Land und die Sehnsucht nach diesem populären Zeugen großer luxemburgischer Geschichte auf. Doch nicht alle Luxemburger teilten Koenigs tiefe nationale Gesinnung und die von ihm propagierte Heimführung der Gebeine Johanns von Böhmen als eine nun notwendige Tat. 1918, gegen Ende des Krieges und angesichts einer unklaren Zukunft der Hohenzollernmonarchie, verfolgte Lucien Koenig gar den Plan, kurzerhand mit Hilfe amerikanischer Soldaten die Gebeine König Johanns aus Kastel nach Luxemburg zurückzubringen. Die französischen Expansionsinteressen kamen ihm dabei entgegen. Doch angesichts der politischen Verhältnisse an der Westgrenze Deutschlands, womit das Saargebiet dann im Versailler Vertrag Mandat des Völkerbunds wurde, verklang jener Wunsch der Luxemburger.133 Die Absicht selbst, die Gebeine dieses „nationalen Helden“ zurückzuholen, behielt freilich in einem bestimmten Teil der politischen Öffentlichkeit des Großherzogtums Luxemburg ihre Bedeutung. Dies zeigte sich regelmäßig aus Anlass landesgeschichtlicher historischer Jubiläen, so auch zu den Jubiläumsfeiern 1939. Die auf den offiziellen Plakaten erneut mit dem Reitersiegel Johanns von Böhmen vermittelte Erinnerung an dessen geschichtliche Größe antwortete nur auf dessen verbreitete Popularität. Dieser Johann, Jean de l’ Aveugle, Jange de Blanne, war mit dem ihm zugeschriebenem Mythos längst ein politisch belegter Träger identitätsvermittelnder sowie mobilisierender Landes-, Feier- und Esskultur wie auch Selbstgeltung geworden. Das zeigte sich politisch vor allem in der Verwendung seines Namens in den Reihen der Luxemburger Widerstandskämpfer und in deren Aktionen gegen das Regime der deutschen Truppen und Verwaltung im seit 1942 vom Deutschen Reich annektierten Großherzogtum. 132 133

Georges Häusemer (Hrsg.): Luxemburger Lexikon, Luxembourg 2006, S. 53 f. Maas, Heldengestalt, S. 618.

V. Das Königsgrab als politisches Zeichen

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Zum Streit um das Königsgrab und somit zur politischen Affäre Preußens gehörten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur Provokationen und Feindschaften. Neben politischen Rivalitäten kennzeichnen den Streitverlauf Zeichen und Zeugnisse grenzübergreifender Gemeinsamkeit versöhnlicher luxemburgisch-deutscher Nachbarschaft. Gerade dies zeigt sich am Königsgrab in Kastel selbst. Lokale Quellen wie auch die Tageszeitungen berichten immer wieder über die Kapelle und das Königsgrab als viel besuchte öffentliche Orte. In der erzählfreudigen Orts- und Schulchronik von Kastel dokumentierte man nicht nur lokale Klima- und Erntedaten oder die Anzahl der Einwohner. Die Chronik verzeichnet Eintrittspreise zur „Klause“ und ebenso, wie man jährlich in der Kapelle für ­Johann von Böhmen das Totenamt feierte und auch den Besuch des Reichskanzlers Heinrich Brüning (1885–1970) am 26. August 1930 in Kastel. Zum Jahrestag 1932, den besonders viele Besucher an der „Klause“ feierten, schmückte auch eine Blumenspende aus Luxemburg den Sarkophag König Johanns. Offenbar achtete man in Kastel Gemeinsames. Die Tagespresse vergaß nicht, bei der Anwesenheit staatlicher Repräsentanten am Königsgrab dessen jüngere Geschichte anzuführen. Danach wussten diese Besucher zwar um die historische Bedeutung Johanns von Böhmen, doch vornehmlich erinnerten sie an die bedeutsame Rolle, die der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. für die Errichtung der Kapelle hatte. So perpetuierte man mit dem Ansehen dieses Königs und mit dessen Gedächtnisstiftung zugleich die dynastische Reputation und Bedeutung der Hohenzollernmonarchie, die es aber nicht mehr gab. Das Königsgrab ein Sehnsuchtsort monarchischer Zukunft? „Es gibt keine schönere Ruhestätte für ihn als die Klause zu Castel“, las man in jenen Jahren immer wieder in den Tageszeitungen und lokalen Publikationen. Man behauptete hier, was ererbt worden war. Der Tonfall der Botschaft wurde gegenüber Luxemburg fallweise angepasst, verbunden mit wiederholten Gesten des Faktischen. Sie galten auch in einer Zeit, in der eine von der NSDAP organisierte „Grenzlandkundgebung“ (5. Juni 1933) zur Behauptung des Saargebiets viele Besucher anzog.134 Kastel und das Königsgrab ein der Zeit angepasster politischer Wallfahrtsort? Das Grab mit den Gebeinen des mittelalterlichen Königs ließ da kaum neuen Deutungsraum. So erklangen von dort zu politischen Anlässen in den 1930er Jahren eher deutschnationale Botschaften als großdeutsche Forderungen über die Grenze. Die Botschaften 1938 anlässlich der landesgeschichtlichen Jahrhundertfeiern des Rheinlands und auch Luxemburgs verkündeten andere Ziele. In Trierer Tageszeitungen äußerte man mit Blick auf „Hundert Jahre Königsgrab“ 1938 Verständnis für den dort zitierten Wunsch des luxemburgischen Historikers und Staatsministers Nicolas Margue (1888–1976) nach Rückgabe der Gebeine Johanns von Böhmen. Freilich warb die Tageszeitung zugleich dafür, deren Ruhestätte in Kastel doch zu 134

Kreisarchiv Trier-Saarburg, Best. F Nr. 31,3, S. 54, S. 56 (Pressebericht).

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belassen. Auf beiden Seiten der Grenze argumentierte man wie seit Generationen mit den ähnlichen landesgeschichtlichen Argumenten und verwies sich so gegenseitig auf historische Gemeinsamkeiten, die die Aktualität der mittelalterlichen Geschichte der Dynastie der Luxemburger auswies. Diese Gegenwartsbezogenheit der Geschichte formulierte in seinen wiederholt aufgelegten Publikationen auch Nicklas Lackas. Im ungetrübten Blick sah er eine hoffentlich gemeinsame Feier von Deutschen und Luxemburgern zum 600. Todesstag Johanns von Böhmen voraus. Er verwies dazu auf die Bedeutung der staatlichen Stellen, die seit Generationen die Stiftung des Gedächtnisses für Johann von Böhmen in Kastel mitgetragen hätten. Für 1946, zum 600. Todestag Johanns von Böhmen, wünschte er sich in Kastel ein völkerverbindendes Fest: „Möchte es sein, daß die Völker, die ihn gemeinsam, ehren und lieben, sich in Einigkeit und gegenseitigem Verständnis an seinem Ehrentag am Königsgrab an der Saar zusammenfinden“. Dazu kam es aber nicht. Die Wirklichkeit im Westen hieß bald Krieg und Feindschaft. Damit besetzte die deutsche Wehrmacht auch Luxemburg. Als dann Teilgebiet des Deutschen Reichs verlor Luxemburg nicht nur seine Souveränität. Die deutsche Besatzungsmacht unterwarf die Bevölkerung einer opferreichen „Germanisierungspolitik“. In den Reihen des Luxemburger Widerstands kämpfte dagegen auch „Johann von ­Böhmen“. Über die Rückführung der Gebeine Johanns von Böhmen nach Luxemburg entschieden nach Kriegsende dann neue Mächte.

VI. „In Kastel wartet seit einem Jahrhundert einer auf uns.“ – Das politische Ende der Gedächtnisgeschichte als erinnerungsgeschichtlicher Neubeginn: 25. August 1946 Eine „Stunde Null“, wie sie für die wirtschaftliche Entwicklung im aufgeteilten Deutschland der Nachkriegszeit oft beschrieben wurde, gab es tatsächlich nur in wenigen Bereichen. Eher dominierte grenzübergreifend alltägliche Not am Lebensnotwendigen. Die luxemburgische Bevölkerung hatte zuletzt unter der deutschen Besatzung, Kriegswirtschaft und Verfolgung massiv zu leiden gehabt. Die Mehrheit der Luxemburger bewegte aus ihrem Befreiungskampf gegen die deutsche Besatzung nach Kriegsende 1945 der Wille, die politische Eigenständigkeit ihres Landes wiederzuerlangen. Dieser politisch verständliche Wunsch berührte freilich die Interessen Frankreichs und damit die Frage des künftigen Verlaufs auch der luxemburgisch-deutschen Landesgrenze. In dieser Phase plädierte die „Letzeburger Nationalunion“ für ein „Groß-Luxemburg“ und forderte damit Gebietsteile zurück, die 1815 zu Preußen gekommen waren. In einem Memorandum der luxemburgischen Regierung vom November 1946 formulierte man Gebietsansprüche in Richtung der Kreise Bitburg und Saarburg. Die Befürworter dieser „Desannexion“ argumentierten erkennbar historisch. Die westlichen Alli-

VI. „In Kastel wartet seit einem Jahrhundert einer auf uns.“ 

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ierten aber lehnten solche territorialen Ansprüche der Luxemburger ab. Das aber hinderte die luxemburgische Regierung nicht daran, an ihren Gebietswünschen festzuhalten. Immerhin stand man ihr 1949 mit dem „Kammerwald“ einen kleinen Teil des französischen Besatzungsgebiets zu.135 Der Vorgang zeigt beispielhaft, wie der Verlauf der luxemburgisch-deutschen Grenze letztlich Interessen der westlichen Alliierten betraf, der zugleich aber als spezielle Angelegenheit die Besatzungs- und Annexionsinteressen Frankreichs ausmachte. Mithin bleiben in den innen- wie außenpolitischen Konstellationen des eben neu begründeten Großherzogtums Luxemburg auch jene Personenkreise und Bindungen näher auszumachen, die dann im Sommer 1946 die Rückführung der Gebeine Johanns von Böhmen von Kastel (Saar) nach Luxemburg politisch ermöglichten. Viele deutsche Zeitgenossen haben die Auswirkungen der französischen Besatzungs- und Deutschlandpolitik zwischen 1946 und 1949 in schlechter Erinnerung behalten. Die jüngere Forschung beschreibt diese Zwangslage ebenso wie die Anfänge der französischen Besatzungspolitik, die von Divergenzen und Zielkonflikten zwischen der Pariser Zentrale und einzelnen Dienststellen vor Ort über die Annexion deutscher Gebiete und die Art deutscher Reparationsleistungen geprägt war. Dass sich hier bald nach Kriegsende die Entwicklung entspannte, resultierte nicht zuletzt nun aus dem Regime von General Marie-Pierre Koenig, Gouverneur und General der französischen Besatzungstruppen.136 Seiner Bestellung ging im Juli 1945 die Abberufung von General Jean de La Latte de Tassigny voraus, dessen extravaganter Kommandostil gerade gegenüber Deutschen auf offene Ablehnung gestoßen war. Mit General Koenig rückte ein politisch konservativer, militär- und zivilorganisatorisch pragmatisch agierender Mann an die Spitze der französischen Besatzungstruppen und Verwaltung in Deutschland, der freilich die Interessen der Pariser Regierung strickt im Blick hatte. In Luxemburg war Johann von Böhmen und dessen in Kastel ruhende Gebeine zu keiner Zeit vergessen worden. Mit der Befreiung des Landes traten nun interessierte Personen am 11. November 1945 an General Koenig mit einem Ersuchen um Rückführung der Gebeine Johanns nach Luxemburg heran. Der General zögerte die Erlaubnis offenbar hin, die dann auch erst am 1. Juli 1946 erfolgte. Die 135 Emile Krier: Luxemburg am Ende der Besatzungszeit und der Neuanfang, in: Kurt Düwll / Michael Mathaeus (Hrsg.), Kriegsende und Neubeginn. Westdeutschland und Luxemburg zwischen 1944 und 1947, Stuttgart 1997, S. 69–95. Mit der Verfassungsänderung von 1948 gab das Großherzogtum Luxemburg seine seit 1867 durch europäische Großmächte garantierte Neutralität auf, womit das Land außenpolitische Handlungsfreiheit und die Integration in das westliche Bündnissystem betrieb. 136 Alain Lattard: Zielkonflikte französischer Besatzungspolitik. Der Streit Laffon-Koenig 1945–1947, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 39 (1991), S. 1–37; Marina Kessel: „L’em­ pêcheur de la danse en ronde“: Französische Deutschlandpolitik 1945–1947, in: Stefan Martens (Hrsg.), Vom „Erbfeind“ zum „Erneuerer“: Aspekte und Motive der französischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, Sigmaringen 1993, S. 65–87.

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Gründe, warum man die Überführung der Gebeine erst nach Monaten erlaubte, lagen nicht zuletzt in den Umständen der französischen Besatzungs- und der alliierten Deutschlandpolitik. In der Härte gegen die deutsche Bevölkerung und in den Zielen einer Separation deutscher Gebiete, und damit in der Frage nach der Westgrenze Deutschlands, unterschied sich die französische Besatzungspolitik bis 1947 deutlich vom Agieren der anderen Westalliierten in Deutschland.137 Frankreich näherte sich nur langsam den Vorstellungen der anglo-amerikanischen Deutschlandpolitik an. So konkretisierten die Westalliierten erst im Lauf des Jahres 1946 aktuell abgestimmte Ziele über die Demokratisierung eines erneuerten Deutschlands, die eine Rückkehr zu historischen Strukturen und damit zu deutschen Ländern vorsah. Die zu bildenden Länder sollten wirtschaftlich und sozial leistungsstark organisierte Einheiten sein. Diese langfristig auf die Schaffung eines demokratisch-europäisch eingebundenen Deutschlands ausgerichtete Politik, die nicht zuletzt auch auf die Expansionspolitik Stalins in Europa reagierte, enthielt für Paris die spätere „Position als Vorreiter der westdeutschen Integration“ und die „Stellung als Initiator deutsch-französischer Zusammenarbeit“. Die Schaffung neuer deutscher Länder als Grundform der Demokratisierung und integrierender Europäisierung bestimmten daher abhängig von der Pariser Zentrale und deren Interessen am Gewinn des Saargebiets auch das tägliche Handeln des französischen Militärgouverneurs in der Besatzungszone.138 Um dem teils offenen Unmut in der deutschen Bevölkerung über die schlechte alltägliche Versorgung und die Wirtschaftslage entgegenzuwirken und zugleich das Saargebiet zu vergrößern, gliederte man im Juli 1946 Teile der Landkreise Trier und Saarburg dorthin an. Zeitversetzt zum Aufbau der Länder in den westlichen Besatzungszonen entstand mit Verordnung Nr. 57 der französischen Militärregierung als letztes der neu gebildeten deutschen Länder am 30. August 1946 das Land Rheinland-Pfalz. Die Gebiete um Trier und Koblenz gehörten dazu, während das Saargebiet daran ausdrücklich nicht angebunden werden sollte. Im befreiten Luxemburg förderten die Westalliierten die Festigung einer mit ihrer Demokratisierungs- und künftigen Europäisierungspolitik anschlussfähigen nationalen Identität. Dabei ließen sie sich von der geographischen Nähe und gemeinsamen Grenzen Luxemburgs mit Bindung an Frankreich leiten, nicht weniger aber vom gemeinsamen Diskurs ihrer Deutschlandpolitik. In einem Konsens über dessen Voraussetzungen erst wurde politisch letztlich der Weg der Luxemburger nach Kastel 1946 möglich. Mit zu beachten waren dabei Unklarheiten über das Nachwirken der deutschen Besatzung Luxemburgs und die Stimmungslage zwischen der luxemburgischen und der deutschen Bevölkerung. Aus übergeordneter Sicht der Westalliierten und mit sich abzeichnender Festlegung der Binnen­grenzen 137

Hans-Peter Schwarz: Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzherrschaft 1945–1947, Neuwied 1966, S. 179 ff. 138 Kessel, Deutschlandpolitik, S. 66 ff., S. 82 ff.

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der neuen Länder lagen Kastel und das Königsgrab für die Luxemburger nah und fern zugleich. Nationale Symbole, denen in einer spannungsvollen politischen Zeit der Neubildung nationaler Einheiten eine mannigfache geschichts- und mentalitätspolitische Bedeutung zukam, berührten die Interessen vieler. Da bot die Wiederkehr des 600. Todestages Johanns von Böhmen am 26. August 1946 einen besonderen Anlass, Bekundungen nationaler Geltung Luxemburgs gerade im Verbund mit den Westalliierten öffentlich zu machen. In Vielzahl der wechselseitig abhängigen Entscheidungen um die politische Gestalt des Westens Deutschlands und nationaler Eigenständigkeit Luxemburgs ergab sich im Sommer 1946 dann der Korridor, in dem der französische General über die Rückführung der Gebeine Johanns von Böhmen nach Luxemburg politisch entschied. Nun drängte dazu auch die Zeit. Seit dem 1. August 1946 gehörte der Kreis Saarburg zum Saargebiet. Deshalb reiste auch Gilbert Grandval (1904–1981), General und seit dem Sommer 1945 Militärgouverneur der französischen Besatzungsmacht im Saargebiet139, Mitte des Monats zu einer Kundgebung nach Saarburg. Sicher nicht zufällig besuchte der General bei dieser Gelegenheit auch das Königsgrab in Kastel. Eine demonstrative Geste. Der Erlass zur Gründung des Landes Rheinland- Pfalz vom 30. August 1946 zeigt, wie rasch sich hier die politische Zuordnung verschob. Die luxemburgische Initiative zur Rückführung der Gebeine Johanns von ­ öhmen machte es erforderlich, dass sich darüber die französische MilitärreB gierung mit der Regierung in Paris und sie auch mit den anderen Westalliierten, zumindest den Amerikanern, abstimmte. Ferner war über das angedachte Kommando selbst sowie über die diplomatische Ausgestaltung der dann auch offiziellen Zeremonie der Präsentation der Gebeine in der Stadt Luxemburg zu befinden. Erst nachdem darüber zwischen den verschiedenen politischen und militärischen Stellen ein Konsens erreicht war, erfolgte die Bewilligung zu dieser militärischen und diplomatisch-bündnispolitischen Demonstration, an deren Ende ein Staatsakt am 25. August 1946 stand. Bei dieser Bewilligung dürfte die Frage nach dem rechtlichen Besitzer der Gebeine Johanns schwerlich unbeachtet geblieben sein. In der luxemburgischen Bevölkerung war das historische Wissen über die Aufbewahrung dieser Gebeine in Kastel weithin präsent. Regelmäßig erinnerten auch in den frühen 1940er Jahren noch Tageszeitungen an ihre Geschichte und historische Bedeutung für das Land. Der Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland hatte rechtlich eine neue Situation geschaffen. Mit dem Sieg war auch Preußen allerorten unerwünscht und seine Güter waren schon gegen Kriegsende vielerorts zu Beutegut geworden. Plünderungen waren Teil der Herrschaft der Sieger. In dieser Situation scheinen die Hohenzollern oder andere Stellen keine Rechte an den Gebeinen Johanns in Kastel erkennbar 139 Dieter M. Schnieder: Gilbert Grandval. Frankreichs Prokonsul an der Saar (1945–1955), in: Stefan Martens (Hrsg.), Vom „Erbfeind“ zum „Erneuerer“, Sigmaringen 1993, S. 201–244.

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geltend gemacht zu haben. Schließlich erfolgte im Februar 1947 auch der Beschluss des Alliierten Kontrollrates zur Auflösung des preußischen Staates. Dies und eine verbreitet antipreußische Stimmung dürfte in Luxemburg Meinungen begünstigt haben, die Gebeine Johanns in Kastel seien quasi herrenlos. Die Zeit war also gerade günstig, jetzt „alte“ luxemburgische Rechtstitel an den Gebeinen durchzusetzen. Am 1. Juli 1946 gab General Marie-Pierre Koenig dem Ersuchen führender Kreise Luxemburgs statt, die Gebeine Johanns aus Kastel ins Land zurückbringen zu dürfen. Bereits am 9. November 1945 las man auf der Titelseite der weit verbreiteten Zeitung Luxemburger Wort die Überschrift „Ein großer Luxemburger sehnt sich heim“. Schon im März 1941 war in derselben Zeitung zum „Heldengedenktag“ diese Aussicht als Wunsch angezeigt worden.140 Mitte November 1945 veranstaltete man im luxemburgischen Grenzort Remich einen entsprechenden Ehrenakt, an dem mit Kontingenten luxemburgischer und französischen Truppen, Offizieren und Repräsentanten, für das luxemburgische Herrscherhaus S. K. H. Prinz Felix von Bourbon-Palma (1893–1970) und Erbprinz Jean von Luxemburg, Staatsminister Pierre Dupont (1885–1953) und Außenminister Joseph Bech (1887–1975), beide zuvor Mitglied der luxemburgischen Exilregierung, und der Vertreter Frankreichs in Luxemburg teilnahmen. Den Zweck dieser Veranstaltung benannte in seiner Ansprache Prinz Felix programmatisch: „In Kastel wartet seit einem Jahrhundert einer auf uns. Que Dieu protège la France et la Grand duché“, wie es die Obermosel-Zeitung in ihrer Ausgabe vom 15. November 1945 berichtet. So wie daraufhin eine jubelnde Menge die alte Grenze nach Deutschland bei Nennig überschritt, fuhren Repräsentanten unter Beifall auch der deutschen Bevölkerung nach Kastel, wo ihnen ein „Vive d’ Letzeburger“ entgegenscholl. Offenkundig verabredet kam dorthin in Begleitung weiterer Offiziere auch der Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen, General Marie-Pierre ­Koenig. Am 19. November 1945, so auch die Kasteler Ortschronik, „zogen luxemburgische Besatzungstruppen in den Ort ein und kam es zur feierlichen Übergabe der Klause mit dem Grab des blinden Königs durch französische Besatzungstruppen an den Großherzog“. Man beachtete also hier die Rolle des Generals. Allerdings fand die Übereignung der Gebeine nicht schon 1945 statt, sondern offiziell erst zum 25. August 1946. An diesem Tag nahmen auf dem Plateau bei der Kapelle Angehörige verschiedener Truppen Aufstellung, erklangen die luxemburgische und die französische Nationalhymne und zeichnete man hier luxemburgische Widerstandskämpfer aus, die gegen die deutsche Besetzung Luxemburgs gekämpft hatten. Mit Blick auf das historische Zeugnis Johanns von Böhmen, an dessen Sarkophag nun Luxemburger und Franzosen defilierten, verwies man in den Ansprachen auf die alte und neu be-

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Luxemburger Wort, 15./16. März 1941.

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siegelte Freundschaft zwischen Frankreich und Luxemburg, „die auch in Zukunft durch gemeinsames Wirken für einen dauernden Frieden Früchte tragen wird“. So erfuhr der Besitz der Gebeine sogleich eine gegenwartspolitische Deutung. Mit der Willensbekundung am Sarkophag verknüpfte man auch die Ehrung jener Soldaten, die in den letzten Kriegstagen im Kampf für die Befreiung Luxemburgs getötet worden waren.141 So erwiesen jene Repräsentanten und Soldaten, die am Sarkophag Johanns von Böhmen defiliert hatten, dann auch den auf dem benachbarten Friedhof beigesetzten 17 gefallenen Amerikanern dieselbe Ehre. Was als Ehrentag französisch-luxemburgischer Freundschaft begann und so auch nach Luxemburg und Deutschland demonstriert wurde, vermittelte im Gesamtgeschehen des Tages die bündnispolitische Verantwortung der (West-)Alliierten an der Befreiung Luxemburgs und dessen Zukunft. Diese Botschaft findet sich fort­ geschrieben im Festakt in Luxemburg. Bereits am 10. August 1946, dem 650. Geburtstag Johanns von Böhmen, reisten eine luxemburgische-französische Delegation, einige französische Offiziere, darunter Ollé Lapune als Vertreter von General Marie-Pierre Koenig, und Beamte wie Pierre Welter, der luxemburgische Staatsminister Pierre Dupont und weitere Regierungsvertreter, der Militärarzt Dr. Pierre Felten, Bürgermeister Lambert Schaus und die luxemburgischen Professoren Lucien Koenig, alias Siggy vu Letze­ buerg, Josy Meyers und Hubert Schumacher nach Kastel. Sie inspizierten dort den Sarg. Über ihre Öffnung des Sargs und den besichtigten Befund fertigten diese Delegierten ein gemeinsames Protokoll an. Sie kamen angesichts einiger erkennbarer Merkmale an den Gebeinen zu der Meinung, dass es sich hier – in den Worten des luxemburgischen Lucien Koenigs, „Tu as en,“  – tatsächlich um die Gebeine Johanns von Böhmen handele.142 Die Inspektion des Sargs dokumentierte man auch in einer Fotographie, die die Delegierten am geöffneten Sarg zeigt.143 Luxemburgische Tageszeitungen berichteten darüber in den nächsten Tagen ausführlich. Die eindrucksvollen Szenen der Rückführung der Gebeine aus Kastel und die Zeremonie auf dem Luxemburger Wilhelmsplatz hielt ein von offizieller Seite veranlasster dokumentarischer Film fest. Die Bilder dieses Zeitdokuments mit dem Sarg der Gebeine Johanns im Geleit auch gepanzerter Fahrzeuge, stellen bis heute die Eindringlichkeit dieses Geschehens vor Augen. Mit den vorgeführten Gebeinen Johanns faszinierte wohl zugleich auch dessen Geschichte viele Menschen neu.

141 Günter Metken: Das Grab des blinden Königs. Karl Friedrich Schinkels Kapelle für Johann von Böhmen, in: Beuter, Christian / Schuster, Klaus / Martin Warnke (Hrsg.), Kunst um 1800 und die Folgen. Werner Hofmann zu Ehren, München 1988, S. 169. 142 Gérard Thill: König Johanns Reise nach Prag, in: Hémecht 31 (1981), S. 5–20 (Abb.); Paul Spang: Die Grabstätten Johanns des Blinden, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 19 (1993), S. 217–234. 143 Thill, Reise, Abb.

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Abb. 20: Ehrbezeugung durch General Marie-Lucien Koenig (1898–1970), Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen und Militärgouverneur der französischen Besatzungszone in Deutschland, gemeinsam mit luxemburgischen Repräsentanten und Soldaten am Sarg Johanns von Böhmen, Graf von Luxemburg, vor dessen Überführung nach Luxemburg. Kastel, 25. August 1946. Onse Blanne Jam ass erum dohem, Revue. Letzeburger Illustre’ert Familien­ blat, Nr. 17 (nicht 18). Jg. 2, 1.–15. September 1946, S. 357. Copyright: Editions Revue s. a. L 4620 Differdange.

Nachdem am 20. August der entsprechende Befehl an die luxemburgischen Truppen ergangen und am 22. August die Zeremonie und die Fahrstrecke von Kastel über Remich nach Luxemburg bestimmt worden war, fuhr am 25. August 1946 ein Teil jener luxemburgischen Repräsentanten, begleitet wieder von französischen und luxemburgischen Soldaten, in einem Konvoi nach Kastel. Die Szenerie, die dann an der Kapelle um die Aneignung der Gebeine stattfand, bewegte sicherlich die anwesenden Luxemburger. In der Anwesenheit von General Marie-Lucien Koenig, dem französischen Oberbefehlshaber in Deutschland, erhielt sie aber ihre eigentliche hohe bündnispolitische Aussage. In der Kapelle öffneten jene Delegierten zunächst den Sarkophag, dann verbrachten Soldaten den kleinen Sarg nach draußen auf den Vorplatz, wo sie ihn zum Transport in eine mitgebrachte Truhe legten. Sie trug in lateinischer und luxemburgischer Sprache die Aufschrift: Johannes // Rex Bohemiae // Comes Luxemburgensis // 1296–1346 // Jang de Blannen // Kinnek vu Bémen // Grof vu Letzenburg. Bedeckt mit der luxemburgischen Nationalflagge fuhr man diese Truhe auf einer Lafette nach Luxemburg. Entschieden war zu diesem Zeitpunkt ein zuvor öffentlich ausgetragener Streit zwischen den Städten Vianden und Luxemburg als gebotene Grablegeorte. So endete am 25. August 1946, was am 26. August 1838 in Kastel begonnen worden war.

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Der militärische Konvoi mit den Gebeinen Johanns von Böhmen fuhr unterwegs nach Luxemburg durch Ortschaften, in denen zu diesem Anlass die Glocken läuteten und Schulkinder mit Blumen in den Händen Spalier bildeten. Solchen Jubel kommentierte das Escher Tageblatt mit Skepsis und auch Zuversicht: „Im übrigen scheint es uns gewagt Bestimmtes auszusagen über die wahren Gefühle der Bewohner jener deutschen Dörfer, die wir durchfuhren. Wir glauben jedoch recht gerne, daß es möglich ist, die Saarbevölkerung, befreit von Nazis und pangermanistischen Elementen aller Art, ins Kielwasser westlicher Politik und Zivilisation zu nehmen.“ An der Moselbrücke in Remich, wo der Konvoi luxemburgisches Gebiet erreichte, begrüßte eine Reihe luxemburgischer Bürgermeister in einer ersten ehrenvollen Zeremonie „die Überreste der romantischten Persönlichkeit unserer Geschichte“. Danach steuerte der Konvoi den Wilhelmsplatz in Luxemburg zu einem großen politischen Willkommen an. Dort stellte man die Truhe mit dem Sarg gegenüber der Ehrentribüne zu einem Staatsakt auf einen mit Ehrenzeichen geschmückten Katafalk ab, eskortiert von Soldaten. Die luxemburgische Staatsregierung und der Magistrat leiteten diese Zeremonie. Als politische Repräsentanten nahmen daran neben der großherzoglichen Familie der Oberkommandierende General der französischen Besatzungstruppen in Deutschland, General Marie-Pierre Koenig, General Roger Noiret (1895–1976), zuvor stationiert in Koblenz und in der Nachfolge des im Juni 1946 abgelösten Generals Louis Koeltz dann bis 1948 Leiter der französischen Delegation im Alliierten Kontrollrat in Berlin, der englische Gesandte Wadson, der französische Gesandte Saffroy, der amerikanische Gesandte Platt Waller, ein italienischer Gesandter sowie der tschechoslowakische General Vladimir Přikryl (1895–1968) teil. Letzterer hatte nach seiner Emigration nach Frankreich im Jahre 1940 später dann in der tschechoslowakischen Exilarmee in der Sowjetunion gekämpft und nahm nach seiner Teilnahme am slowakischen Aufstand 1945 eine hohe Funktion in der tschechoslowakischen Armee ein. Seine Teilnahme und die mitanwesenden Westalliierten, die sich an anderer Stelle über die Ziele ihrer Besatzungs- und Deutschlandpolitik noch stritten, demonstrierten hier geschichtspolitischen Konsens über Wege nationaler Integration und Europäisierung. Zum Abschluss der Zeremonie auf dem Wilhelmsplatz trug man in einem Ehrengeleit den Sarg in die Krypta der nahen Notre-Dame-Kathedrale. Eine liturgische Neubeisetzung oder gar ein gedächtnisstiftendes Ereignis ist nicht belegt. Joseph Laurent, Bischof von Luxemburg (1877–1956, Bischof seit 1935), ein gebürtiger Luxemburger, sprach in der Kapelle in Gegenwart der großherzoglichen Familie und einiger Offiziere Einsegnungsgebete. In seiner Ansprache verwies der Bischof darauf, dass Johann „unser Nationalheld ein Vorfahre unseres Erbprinzen sei“. Mit der Rückkehr der Gebeine Johanns verband er den Wunsch, „dass diese Tatsache unserem Lande Symbol und Garantie eines wahren und dauerhaften Friedens im Innern und nach außen hin werde unter dem Zepter der Patronin von Stadt und Land, ‚Unsere Liebe Frau von Luxemburg‘“. Auch der Bischof von Luxemburg griff damit zwar die Aktualität der Geschichte des Mittelalters für

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die Gegenwart auf, doch gab er ihr in der Bedeutung der Marienfrömmigkeit eine eigene Richtung. Er stellte mit der in Luxemburg traditionsreichen Marienfrömmigkeit die identitätsvermittelnde Bedeutung seiner Kathedrale in dem Bedürfnis der Menschen nach Frieden heraus. In der Obermosel-Zeitung hieß es über die bejubelte Rückführung der Gebeine Johanns von Böhmen nach Luxemburg und den Festakt: „Der Held von Crécy ist nun endgültig heimgekehrt“. Dieses Verständnis der Bedeutung Johanns von Böhmen fand aber keine unbegrenzte Öffentlichkeit. Kaum dass die Rückkehr gefeiert und die Gebeine im „Heiligen Grab“ in der Krypta der Kathedrale untergebracht waren, distanzierten sich öffentlich Teile der Bevölkerung von diesem Helden. Warum sollte jetzt noch ein neues Grabmal für ihn geschaffen werden? Diese und Fragen nach den Kosten der Rückführung der Gebeine erreichten die luxemburgischen Tageszeitungen. Die luxemburgische Regierung hatte zuvor Sonderbriefmarken und Münzen ausgegeben, um „die Kosten der Überführung zu decken, zuzüglich der Kosten des Mausoleums, dessen Errichtung auf dem Bockfelsen zu Luxemburg geplant ist“, was die Tageszeitungen teils mit zustimmenden, teils mit skeptischen Kommentaren versahen. Die Zeit des späten Mittelalters, das „goldene Zeitalter“, das ritterliche Wesen Johanns hoben während des Festaktes luxemburgische Repräsentanten und auch der französische General Koenig hervor. Solchen Heldenruhm aber erachtete nicht jedermann im Land als geboten aktuell. In der Nachkriegsgegenwart und demokratiepolitischen Zukunft wirkten auch gegenläufige Identifizierungsangebote und Forderungen. In den tagesaktuellen Medien finden sich eine Reihe von Beiträgen, die das öffentliche Interesse eindrucksvoll wiedergeben, das die Rückführung der Gebeine in der Bevölkerung erzeugte. Neugierde über das Geschehen selbst zeigte sich in vielen Gesichtern, wie die zahlreichen historischen Fotographien belegen. Das im Land weit verbreitete Familienblatt Revue – D’ Letzeburger Illustreiert veröffentlichte in seiner Septemberausgabe eine Reihe von Fotographien mit eindrucksvollen Motiven der Rückführung und des Staatsaktes. Daneben entstand über die öffentliche Rückführung der Gebeine nach Luxemburg und den Staatsakt der Dokumentationsfilm „Le retour de Jean l’ Aveugle“. Der Kameramann zeigt neben zerstörten Städten und mit Symbolen aufgeladener Bildmotiven auch eine wohl einzigartige Szene, in der Gebeine eines mittelalterlichen Königs machtvoll im Geleit gepanzerter Fahrzeuge nach Luxemburg einfuhren.144 Dass aber nicht alle Teile der Bevölkerung diese Demonstration aktueller Größe Johanns von Böhmen teilten, vermittelt ein zeitgleich in der Presse veröffentlichter politischer Comic mit der Überschrift „De Retour vum Jang de Blannen“. Für dessen Zeichner, der dazu einen historisierten Ritter Johann von Luxemburg in 144 Dieser Dokumentationsfilm wurde nachträglich coloriert. Abzurufen ist dieses zeitgeschichtliche Dokument heute auch auf dem Youtube-Kanal.

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Abb. 21: „De Retour vum Jang de Blannen“. „Die Rückkehr Johanns des Blinden“, in Szenen ironisch kommentiert und gezeichnet im Comik von Pe’l (Schlechter), September 1946. Revue. Letzeburger Illustre’ert Familieblat, Nr. 17 (nicht 18), 2. Jg., 1.–15. September 1946, S. 364 f. Copyright: Editions Revue s. a. L 4620 Differdange.

Schlüsselszenen und Stationen der Rückkehr zeigt, ruhte dieser nationale Held am Ende denn auch gar nicht ehrenvoll im „Heiligen Grab“. Er zeigte dieses Grab leer und schelmisch einen Johann, der sich auf der Schobermesse im Klang populärer Kirmes- und Schlagermusik amüsiert. Die Tageszeitungen Luxemburger Wort, Obermosel-Zeitung oder Escher Tages­ blatt berichteten nach dem 25. August deshalb nicht nur vom nationalen Ton der öffentlichen Ansprachen. Sie registrierten zwar auch die Begeisterung in der Bevölkerung über das Ereignis selbst, sie nahmen aber zugleich Stimmen gegen phantastische historisierende Ausschmückungen und Idealisierungen auf. Mit Verweis auf den Mut der Widerstandskämpfer, diese Helden, verwahrte sich mancher Luxemburger gegen die vorgetragene Inanspruchnahme Johanns von Böhmen als „erstem Resistenzler“. Dazu hieß es in der Tageszeitung: „Doch können wir nicht verhehlen, daß die Festredner allesamt die Gestalt des „Blanne Jang“ zu stark idea-

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lisierend schematisierten. Sollte die Tendenz auch außerhalb von Festreden um sich greifen, wären wir […] auf dem gefürchteten Weg zu nationaler Großmannssucht und verstiegen-mystischem Nationalheldenkult“. Dieselben Beobachter mahnten, so im Escher Tageblatt am 27. August 1946, vor einem mit dem Besitz der Gebeine Johanns von Böhmen aufkommenden falschen heroischen Nationalismus. „Und nun kein Spintisieren, keine flügellahmen Irrflüge in irgendein nationalromantisch-heroisches Wolkenkuckucksheim“. Ein paar Zeilen zuvor heißt es, „Romantik ist schön, belebt das Gemüt und beflügelt die Phantasie. Romantische Verstiegenheit und Zerfahrenheit aber sind bedenkliche Dinge, die besonders stilwidrig wirken müssen bei uns. […] Den Blanne Jang, dem seine romantische Zerfahrenheit genug üble Streiche spielte, wollen wir jetzt endgültig ruhen lassen und in angestammter Nüchternheit das leisten, was wir zu leisten fähig sind. Es warten dringend praktische Probleme auf Lösung.“ Offenkundig nährte die in einigen Festreden mit historischem Anspruch formulierte Heroisierung Johanns von Böhmen Zweifel an so bemühter nationaler Selbstgeltung und Geschichtspolitik. Die Erinnerungswürdigkeit der historischen Person stand dabei außer Zweifel. Der reklamierte Nationalstolz aber schreckte auch ab, weshalb denn auch in Luxemburg kein neues Grab-Denkmal für Johann von Böhmen entstand und man dem eben gefeierten Helden und dessen Mythos mit mehr sachlicher Nüchternheit, wenn nicht mit Interessenlosigkeit begegnete. Die geäußerten Warnungen, hier werde Heldentum, letztlich Geschichte missbraucht, besagten zugleich, dass 1946 auch ganz andere historische Erzählungen, verfassungspolitische Traditionen und Normen gegeben waren, gemeinschaftsbildende Erinnerungen wachzuhalten und nationale luxemburgische Identität zu vermitteln.145 Erinnern, vergessen? Was wurde aus der Stiftung des jährlichen Totengedächtnisses für Johann von Böhmen in Kastel? Soweit aus den Protokollen und Berichten über das luxemburgische Kommando vom Sommer 1946 hervorgeht, wirkte an der Öffnung des Sargs und der anschließenden Überführung der Gebeine kein Geistlicher mit. Man darf aber annehmen, dass durch General Koenig irgendwie doch die Leitung des Bistums Trier über den Eingriff in die ureigensten kirchlichliturgischen Belange informiert war. Angesichts der vorausgegangenen Ereignisse wusste die Bevölkerung in Kastel und in den Ortschaften ringsum wohl um die Bedeutung des Kommandos am 25. August 1946. Einzelne Häuser in den Ortschaften zeigten an diesem Tag denn auch Fahnenschmuck, wie deutsche und luxemburgische Tageszeitungen übereinstimmend berichteten. Doch es räumten deutsche Tageszeitungen dem Bericht über das Kommando der Luxemburger recht wenig Platz ein. Sie setzten eigene Akzente und richteten den Blick neugierig auf die Wege und Vorhaben des französischen Generals Koenig. Unter der Überschrift „General Koenigs Besuch“ in 145

Pauly, Konstruktion, S. 68 ff.

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Trier las man, dass der General nach einem Treffen mit Repräsentanten der Stadt und mit dem Trierer Bischof nach Luxemburg weiterreiste, wo er an der Feier zur Überführung der Gebeine Johanns von Böhmen, des Nationalhelden des Landes, teilnehme.146 Man verlor aber kaum ein Wort über die Ereignisse in der Grabkapelle selbst und auf dem Friedhof in Kastel. Die Rhein-Zeitung vermeldete das Kommando der Luxemburger fast distanziert und die Rückgabe der Gebeine als Akt der Besatzungsmacht Frankreich: Der General reise weiter, stattete der Großherzogin von Luxemburg einen offiziellen Besuch ab. „Bei dieser Gelegenheit überreichte er der Großherzogin die Urne mit den sterblichen Überresten Johanns von Böhmen. […] Die Urne befand sich zuvor im Gebiet von Saarburg“. In der Ortschronik von Kastel liest man von diesem Ereignis präziser: „Am gestrigen Sonntag fand die Überführung der Gebeine des blinden Königs Johann von Böhmen und Grafen von Luxemburg aus Kastel nach Luxemburg statt. Militärische und civile Persönlichkeiten aus Luxemburg, Frankreich und Belgien hatten sich zu dem offiziellen Akt an der Grabkapelle eingefunden. Viel gaffendes Volk umlagerte den Bereich der Klause, um diese Tat kleinlicher Ungewöhnlichkeit mitanzusehen. Heute morgen um 9 Uhr wurde noch einmal das konventionelle Stiftsamt in der Klausenkapelle für die Seelenruhe gehalten. Ein Häuflein „Luxemburger Jungs“ unter dem Kommando eines Leutnants präsentierten das Grab, als das Wandlungsglöckchen erklang. In Zukunft wird das Amt in der Pfarrkirche gehalten werden“.147 Einige „Luxemburger Jungs“ zusammen mit dem Pfarrer und seiner Gemeinde gedachten stiftungsgemäß dem am 26. August 1346 getöteten böhmischen König. Es war dies der 600. Todestag Johanns von Böhmen. Das offenbar selbstverpflichtend gemeinte Versprechen des Geistlichen hielt der Wirklichkeit nicht stand. Soweit bekannt, feierte er in der Kapelle am 26. August 1946 das Seelenamt für Johann von Böhmen tatsächlich zum letzten Mal. Das funktionslos gewordene Grab und die Kapelle als bekanntes kulturelles Zeichen markierten somit zwar eine liturgische und auch religionskulturelle Leerstelle, doch setzte dies keine Vergessenheitspolitik in Gang. Im Gegenteil. In Zukunft boten die Symbolik des 1846 neben der Kapelle errichteten und weithin sichtbaren Standkreuzes sowie das dort im Felsen seit dem Mittelalter bekannte „Heilige Grab“ Anlass zu katholischen Gebets- und Friedensinitiativen. In Kastel knüpften offenbar Ortsansässige an die lokale Tradition des „Heiligen Grabes“ an und suchten Frömmigkeitsformen zu aktualisieren, die dort ihren Ursprung hatten. Für einen Moment fruchteten Aufrufe zu einer christlichen Wallfahrt nach Kastel, in die man die Bedeutung der Kasteler Johanniskirche sowie die Ehrung der auf dem nahen Friedhof beigesetzten Kriegsgefallenen einbezog.148 Mit diesen Initia 146

Trierische Volkszeitung, 27.8. und 30. 8. 1946; Rhein-Zeitung, 26. 8. 1946; Krier, Luxemburg, S. 78 ff. 147 Pfarrchronik Kastel. Für die Auskunft danke ich Herrn Pfarrer Struve, Freudenburg; Kreisarchiv Trier-Saarburg, Best. F. Nr. 31.3 „1946“. 148 Es blieb bei diesen lokalen Initiativen. In den betr. kirchlichen Archiven fanden sich dazu kaum eigene Quellen. Für vielfache Auskunft danke ich Herrn J. Schuster, Kastel.

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tiven bemühte sich die Pfarrgemeinde in Kastel offenkundig darum, dem Ort eine „neue Sinndeutung“ zu geben, wie die Trierer Tageszeitung am 5. Oktober 1952 einen entsprechenden Bericht titelte. Eine bemerkenswerte Beobachtung. Demnach sah man Kastel nun als „einen einzigartigen Ort, wo sich Christen unserer Zeit auch über die nahen Grenzen hinweg sammeln und um die große Gabe des Friedens beten können“.149 In dieser Suche nach einer „neuen Sinndeutung“ scheinen Befindlichkeiten der Nachkriegsgesellschaft durch, deren Formen kollektiven Verhaltens historisch begründet unter dem Titel „Die Unfähigkeit zu trauen“ (A. u. M. Mitscherlich) bewegten. Daneben bleiben doch die Ereignisse des letzten Kapitels der Geschichte der Gebeine Johanns von Böhmen für einen Neuanfang grenzübergreifender Gemeinsamkeiten beachtenswert. Es ist gut möglich, dass das Vorbild des luxemburgischen Bischofs nach einer beiderseits der Landesgrenze kirchlich-katholisch geleiteten Aussöhnung eigens auch in Kastel einen beziehungsreichen Ankerpunkt fand. Die Pfarrgemeinde Kastel blieb mit ihrer „neuen Sinndeutung“ auf lokaler Ebene offenbar nicht ganz allein. Beiderseits der Grenze reklamierten und nutzten die Gläubigen verwandte frömmigkeitsgeschichtliche Traditionen, in diesen Kontinuitäten ihr Gemeinschaftsempfinden zu bekunden. Ganz ohne Rückgriff in die Geschichte des Mittelalters ging auch dies in Kastel nicht. Oder so: Die bisherige Sehenswürdigkeit Kastels, einst antik, dann mit Friedrich Wilhelm IV. mittelaltergeschichtlich-dynastisch markiert, erhielt (wieder) eine konfessions- und kulturgeschichtliche Sinnhaftigkeit und Sinndeutung. Darüber blieb die Kapelle als tradiertes politisches Zeichen wahrnehmbar. Die politische Affäre, wie sie der preußische Monarch in der Neubeisetzung der Gebeine Johanns 1838 begründet hatte, endete in der vom Alliierten Kontrollrat verfügten Auflösung Preußens. Gedächtnisgeschichtlich hatte man sie in Kastel am 600. Todestag Johanns von Böhmen beendet. Pfarrer Herber erwies sich in Kastel als ein verlässlicher Testamentsvollstrecker im Sinne Friedrich Wilhelms IV. Seit dem 26. August 1946 ist das Grab leer. Die Erinnerung an das dort gestiftete Gedächtnis erreicht indes die Gegenwart. Soweit bekannt, bildete sich am Sarg Johanns von Böhmen und am „Heiligen Grab“ in der Kathedrale in Luxemburg keine dem Ritual am Königsgrab in Kastel vergleichbare Totenliturgie aus. Als historische Person blieb Johann von Böhmen einer der bis heute populärsten mittelalterlichen Landesherrscher in der Geschichte Luxemburgs, ebenso in Böhmen. In Luxemburg halten volkskulturelle Traditionsbestände der Fest- und Esskultur – ein Beispiel für Geschichte auf der Zunge – und eine anlassbestimmte Erinnerungskultur mit dem gern vervielfältigten Bild von Johann dem Blinden als Ritter, König, Held auch ein entsprechendes nationales Geschichtsverständnis fortgesetzt fest. 149

Kreisarchiv Trier-Saarburg, Best. F. Nr. 31.4 (5. 10. 1952); Trierer Landeszeitung, 8. Juli 1954.

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Die politisch-parlamentarische Öffentlichkeit Luxemburgs bezog auf Sicht ihre nationale Selbstgeltung im Nachkriegseuropa freilich auf historische parlamentarische Verfassungstraditionen. Darin steckt ein anhaltender, spannungsvoller Wandel des nationalen Geschichtsbewusstseins. Mit ihren Erkenntnisinteressen stellte die Geschichtswissenschaft im Großherzogtum Luxemburg früh jene Vorstellung nationaler Selbstgeltung und Geschichte in Frage, die dem Geschichts- und Traditionsverständnis der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts entsprachen.150 1946 endete, was – in den Widersprüchen der Zeit um 1800 begründet – 1833/38 begonnen worden war. Die von den Reaktionen auf die Umbrüche der Französischen Revolution mit der Odyssee der Gebeine Johanns von Böhmen verbundenen sozial ungleichen, politisch gleichgesinnten Akteure, verfolgten in der Geltung neu bedachter mittelalterlicher Normen des Rittertums und eines neuen Mythos’ eine Korrektur der Geschichte ihrer Zeit. Die Ansprüche der Verfügung über die Gebeine, von Friedrich Willhelm IV. zur Stärkung dynastischer Selbstgeltung der Hohenzollern provozierend öffentlich begründet, teilten sich allen Bereichen des öffentlichen politischen und kulturellen Lebens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts mit. Dieser Held, mit dessen Andenken und Gegenwart seine Wegführer bedacht meinten, den Fortschritt in der Geschichte in einer Vergegenwärtigung mittelalterlicher Geschichte zu markieren, überlebte. Dieser Held und der auf ihn projizierte Mythos diente mehrheitlich nicht als Beschleuniger nationaler Gegnerschaft und Feindbilder, aber doch nationaler Selbstgeltung dort, wo er namentlich gegen Untaten der Deutschen aufstand. Seine Geschichte umgreift die eigene Art der Geschichtlichkeit des politischen Lebens Johanns von Böhmen in den Anforderungen der Moderne. Johann von Böhmen, ein harmloser Held? So wie er inszeniert wurde, war er populär und jedenfalls nicht wirkungslos als ein positiver Held adeliger Ritterlichkeit außerhalb des Mittelalters. Möglich wurde dieser Weg nicht zuletzt deshalb, weil die Gebeine des Helden nirgends einbalsamiert ausgestellt wurden. In Kastel entstand kein romantischer Weiheort, auch kein Mausoleum. Unter den demokratiepolitischen Ansprüchen der Nachkriegsgesellschaft verlor jener Held und dessen Mythos seine Strahlkraft, heldische Erinnerung zweifelsfrei wachzuhalten. Zugleich zeigt sich im Rückblick, wie über politische Systeme und Gesellschaften hinweg jeweils an den Gebeinen Johanns von Böhmen fest­ gemachte Mittelaltergegenwarten kompatibel mit Zielvorstellungen waren, die zeitpolitisch Anforderungen an Nationalismus, Dynastizismus und Heroismus folgten. Die politische Affäre zeigt einen mittelaltergeschichtlich aufgeladenen Interessen- und Wertekonflikt. In der Öffentlichkeit und im Erkenntnisfortschritt der Geschichtswissenschaft blieb freilich weiterhin die Identität jener Gebeine bezeichnenderweise umstritten.

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Margue, Myths; Préporté, Début; ders., Inventing.

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VII. Dynamik und Dissens historischen Wissens: Johann von Böhmen unter dem Mikroskop und der erneuerte Denkmalbrunnen Man mag es als einen Zufall, eher aber doch als einen Beleg für den Erkenntnisfortschritt geschichtswissenschaftlicher Forschung erachten, wenn in den 1980er Jahren die Gebeine Johanns von Böhmen sozusagen zu einer Brücke wurden, die politischen Gräben des im Ost-West-Systemkonflikt geteilten Europas mittelaltergeschichtlich zu überwinden. Eine „etwas andere“ Aktualität der Geschichte des Mittelalters forderte dazu heraus. Verbunden mit der archäologischen Forschung entwickelten zumal Medizinhistoriker in der Sozialistischen Tschechoslowakischen Republik fachwissenschaftliche Verfahren, anthropologische Befunde von Mitgliedern der böhmischen Königs­dynastie der Přemysliden näher zu identifizieren.151 Ihre Erfolge bestärkten sie darin, derartige Untersuchungen auch an Skeletteilen von Mitgliedern der Dynastie der Luxemburger vorzunehmen, wozu sie schließlich auch die Zusammenarbeit mit luxemburgischen Historikern und staatlichen Stellen suchten. Das Interesse galt bald den Gebeinen Johanns von Böhmen. Beiderseits lautete die Frage: Waren jene Gebeine im „Heiligen Grab“ der Notre-Dame-Kathedrale anthropologisch authentische Zeugnisse, war es Johann von Böhmen? Im Rahmen des öffentlichen Festakts vom 25. August 1946 in der Stadt hatte das luxemburgische Organisationskomitee, darunter die Professoren und Historiker Josy Meyers (1900–1964) und Alphonse Sprunck (1896–1983), im Nationalmuseum auch eine Historische Ausstellung zu Johann von Böhmen, bekannt als „Johann von Luxemburg“ aufgebaut. Dort zeigte man entsprechende Leihgaben aus dem örtlichen Staatsarchiv und der Nationalbibliothek Luxemburgs, aus Brüssel sowie aus dem Mainzer Dom, dazu spätmittelalterliche Chroniken, Urkunden, Münzen und kulturelle Sachgegenstände. Daneben bekamen die Ausstellungs­besucher eine Bilddokumentation der jüngst erfolgten Rückführung der Gebeine Johanns aus Kastel nach Luxemburg zu sehen. Die Neugierde der Besucher, bisher nie gesehenes Authentisches in Augenschein nehmen zu können, und die im Kontext einer zerstörten Stadt geleistete Sacharbeit machten den großen Erfolg dieser Ausstellung aus, die konzeptionell Deutungsansprüche des landesgeschichtlichen Wirkens und des Heldentums Johanns von Luxemburgs akzentuierte.

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Jirí Ramba: Rytírské a válecné úrazy a jejich stopy na lebkách ceských králu, in: Jan Libor /  Jiri Kacetl (Hrsg.): Pocta králi: k 730. výrocí smrti ceského krále, rakouského vévody a moravského markrabete Premysla Otakara II. [Tribut an den König. Zum 730. Jahrestag des Todes des böhmischen Königs, österreichischen Herzogs und mährischen Markgrafen Przemysl Ottokar II.], Znojmo 2011, S. 203–224.

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Bei aller Zustimmung, die die Ausstellung fand, stieß doch diese Sichtweise auf eine latente Skepsis in der Öffentlichkeit, die angesichts der Alltagserfahrungen der Menschen auch anhielt. Die so vernehmliche Indifferenz in der Öffentlichkeit gegenüber dem fernen wie nahen Königshelden, dem Nationalhelden, resultierte dabei aus nie ganz ausgeräumten Zweifeln an der Identität dessen, dessen Gebeine man am 25. August 1946 in der Krypta der Luxemburger Notre-Dame-Kathedrale so schnell deponiert hatte. Die in der Nachkriegszeit erhoffte Demokratisierung und Europäisierung erreichte nicht alle Völker in Europa. Im „Kalten Krieg“ verfestigte sich in Militärblöcken die Spaltung und Systemkonkurrenz zwischen West und Ost in Europa. Diese spannungsvolle Zeit erfuhr viele politische Zuspitzungen. Umso erstaun­ licher ist es da, wie und dass auf eigentümlichen Wegen der Wissenschaften eine Neuaneignung der Gebeine Johanns von Böhmen im Großherzogtum Luxemburg und in der Tschechoslowakei in Gang kam. Über ideologische Gräben hinweg griffen Initiativen, die die Erinnerungswürdigkeit der mittelalterlichen Großen der Dynastie der Luxemburger aktualisierten. Im Rückspiegel gesehen setzte in großen Historischen Ausstellungen, so auch in Deutschland, eine bis in die Gegenwart anhaltende Neuaneignung der Geschichte des europäischen späten Mittelalters gerade in ihren reichs- und landesgeschichtlichen Wirkungszusammenhängen ein. Vormals nationalgeschichtliche Diskurse fanden im wissenschaftlichen Raum aus guten Gründen keine Fortsetzung. Eine neue Renaissance des Rittertums und des Heldentums mittelalterlicher Könige unterblieb auch. Übernational fand im Nachkriegseuropa die Sehnsucht nach Kontinuitäten zwischen Vergangenheit und Zukunft zuerst in der Geschichte und Kultur der Völker, Stämme und Ethnien des Frühmittelalters nachgesuchte Echoräume. Von der Landes- und Sozialgeschichte getragene Forschungen ließen auf Dauer gerade über die Krise im europäischen Spätmittelalter insgesamt ein etwas anderes Mittelalter der Entwicklungen der europäischen Geschichte formulieren, eingeschlossen die Bewertungen der Traditionslinien nationaler Selbstdeutung in der Geschichtsschreibung. Für das „lange Zeitalter“ der Dynastie der Luxemburger und ihrer Königreiche, das 14./15. Jahrhundert, zeigt sie anhaltend die Andersartigkeit des Mittelalters in wenig homogenen Entwicklungen, die Kontinuitäten einschließen. Mittelalter und Gegenwart  – ein doppeltes Stimmungsbild: 1968 sah in der Tschechisch-Sozialistischen Republik eine Umfrage über das aktuelle Geschichtsbild in der Bevölkerung Kaiser Karl IV. (1316–1378), Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und böhmischer König, auf einem der vorderen Plätze. Nach der Zeit der 1918 gegründeten Republik verstand man nach derselben Umfrage die Epoche der Luxemburger Dynastie, das 14. Jahrhundert, als eine der ruhmreichsten Zeiten in der Geschichte des Landes. Eine 1989 im Großherzogtum Luxemburg durchgeführte öffentliche Umfrage nach den bedeutendsten Persönlichkeiten der luxemburgischen Geschichte ergab nach Charlotte von Nassau-Weilburg (1919–1964),

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Großherzogin von Luxemburg von 1919 bis 1964, den zweiten Platz für König Johann von Böhmen, bekannt als Johann der Blinde, Graf von Luxemburg, den Vater Kaiser Karls IV.152 Luxemburg und Prag waren zwar geographisch weit voneinander entfernt, auch trennten ihre Gesellschaften Ideologien, doch Teile beider Gesellschaften und ihrer Geschichtswissenschaften verband ein jeweils eigenes Interesse an der Geschichte der Herrschaft König Johanns von Böhmen und der Kaiser Karls IV. Vor diesem Hintergrund wuchs im zeitlichen Vorlauf des 1978 anstehenden 600. Todestages Kaiser Karls IV. das Interesse, dessen anthropologische Überreste, die zweifelsfrei im Prager Veitsdom ruhten, zu untersuchen. Ihre Untersuchung vorzugsweise unter dem Mikroskop im Labor erbrachte medizinhistorische Daten, die die Konstitution und spezifische Merkmale des betreffenden Körpers exakt wie nie beurteilen ließen. Mit diesem Erfolg wies das Prager Kulturministerium das entsprechende luxemburgische Ministerium auf die Möglichkeit hin, die medizinhistorischen Forschungen auf die Gebeine Johanns von Luxemburg, „des 10. tschechischen Königs“, auszudehnen, „deren Ergebnisse die historische Forschung beider Länder benutzen“ könnten. Wenig später schlossen beide Länder genau dazu eine Forschungskooperation ab. Daraufhin öffnete man am 22. Juni 1979 jenen Sarg, der 1946 in die Luxemburger Kathedrale gebracht und im „Heiligen Grab“ deponiert war. Laut Protokoll nahmen daran Vertreter des luxemburgischen Kulturministeriums teil, Emanuel Vlček, der fachliche Leiter der künftigen Untersuchung und zugleich Vertreter des Prager Kulturministeriums, der Theologe Georges Vuillermoz, später Vikar und Domkapitular der Notre-Dame-Kathedrale in Luxemburg als Vertreter des luxemburgischen Bischofs, Emile Schlesser, Präsident der Pfarrei Liebfrauen, Domherr Nicolas Wirtz und der Historiker Paul Spang, Direktor des Staatsarchivs Luxemburg. Die Gruppe stellte unter den vorgefundenen anthropologischen Resten verschiedener Individuen die Identität Johanns von Böhmen in der protokollierten Erwartung fest, dass sie „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, dass es sich tatsächlich um die sterblichen Überreste Johanns des Blinden handelt“ und sie die Untersuchung der Überreste sowie deren Konservierung empfehlen.153 Am 27. August 1980 überführte man die Gebeine per Flugzeug von Luxemburg nach Prag. Es war auch dies eine Rückkehr König Johanns von Böhmen, populär jeweils als Johann von Luxemburg. Nach Abschluss der Untersuchung an den Gebeinen richtete man dazu im Prager Nationalmuseum die Ausstellung „Jan Lucemburský“ ein, deren Aussagen wohl 152

Hans Lemberg: Der Kaiser und König im tschechischen Geschichtsbild seit 1945, in: Ferdinand Seibt (Hrsg.), Kaiser Karl IV. – Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 414–418; zu den Daten der Umfragen im Großherzogtum Luxemburg Pauly, Le Mythe, S. 199. 153 Spang, Grabstäten, S. 233 f. (Protokoll vom 22. Juni 1979).

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Abb. 22: Johann von Böhmen, ausgestrecktes Körperskelett. Befund nach der Untersuchung und Konservierung, 1980. Gèrard Thill, König Johanns Reise nach Prag, in: Hémecht 31 (1981), S. 5–20, Abb. 20.

50.000 Besucher interessierten. Sie setzten mit ihrem Ausstellungsbesuch auch ein politisches Zeichen. Denn sie stimmten auf diese Weise gegen gewünschte zeitpolitische Geschichtsvorstellungen und für die anhaltende Bedeutung der Geschichte der Dynastie der Luxemburger in der Gegenwart.

Abb. 23: Jan Lucemburský. Plakat zur Ausstellung, Prag 1980. Nach Abschluss der Untersuchung der aus Luxemburg nach Prag gebrachten Gebeine Johanns von Böhmen, Graf von Luxemburg, gest. 1346, richtete das Nationalmuseum in Prag 1980 die viel beachtete historische Ausstellung „Jan Lucemburský“ aus. Die Gebeine König Johanns wurden anschließend nach Luxemburg zurückgebracht, wo sie in der Kathedrale Notre-Dame ruhen. Nationalmuseum Prag, Archiv, Inventarnummer RNM, SOP, 1980, plakát výstavy Jan Lucemburský.

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Unter anderen geschichts- und demokratiepolitischen Vorzeichen wiederholte sich eine ähnliche Situation später in Luxemburg. Am 17. Februar 1981 kehrten die Gebeine Johanns von Böhmen aus Prag nach Luxemburg zurück, was Anlass zu einem Festakt gab. Es hieß, da „kehrte unser Nationalheld mit neu gewonnenem Glanz endlich wieder heim“. Im Stadtmuseum Luxemburg sah die Öffentlichkeit auf Fotographien Details der in Prag vorgenommenen Untersuchungen, auch „ihren nurmehr mit Sicherheit echten, heimgekehrten Grafen“.154 Die in Prag vorgenommenen Analysen an den anthropologischen Überresten erlaubten den verlässlichen Vergleich mit den Daten der Untersuchungen an den Gebeinen Karls IV. Es zeigten sich bemerkenswerte Übereinstimmungen zwischen Vater und Sohn. Der leitende Prager Wissenschaftler, Emanuel Vlček, ermittelte zumeist unter dem Mikroskop in den Befunden einen Mann im Alter von etwa 50 Jahren, der mit ausgeheilten Verletzungen am Schädel, die wohl von Reiterturnieren und Kriegskämpfen herrührten, über einen soweit als befriedigend zu bezeichnenden Gesundheitszustand verfügte. Als tödliche Verletzung erkannte der Wissenschaftler Spuren von Hiebwunden am Ellenbogen- und am Handgelenk, wo die Hand vom Arm abgetrennt worden war, ferner Stichwunden im linken Auge sowie am linken Schulterblatt, die, so der Bericht, den „sofortigen Tod“ bedeutet hatten. König Johann hatte eine Körpergröße von 170 cm, er besaß eine athletische, muskulöse, dabei doch schlanke Gestalt. Er hatte einen kurzen, rundlichen Kopf mit ausdrucksvollem Gesicht, eine längliche Nase, eine niedrige Oberlippe und ein ausdrucksvolles Kinn. Weiter ergaben die Untersuchungen der Lendenwirbel, Becken- und Oberschenkelknochen eine Person von gestärkter Gestalt, eines trainierten Reiters. Nach weiteren Befunden war der Tote mit kochendem Harz einbalsamiert worden, wie es zeitgenössische Schriftquellen für die Bestattung Johanns von Böhmen auch belegen. Doch was bedeutete ein solcher Befund noch 1980? Die Resultate der Prager Untersuchungen an den Gebeinen Johanns von Böhmen markieren im Rückblick eine markante Akzentverschiebung im Umgang mit der Geltung des Heldenmythos und soweit der Vorstellungen von der Gegenwart des Mittelalters. Die Resultate der Prager Untersuchung besagten für interessierte Luxemburger, dass an die Stelle nur der Behauptung der Echtheit jener Gebeine die anthropologisch belegte Tatsache getreten war. Die Gebeine waren genetisch authentisch. Die wissenschaftlich nachgewiesene Authentizität der Gebeine bedeutete durchaus eine kleine Sensation. Doch sie bewirkte in Luxemburg keine weitergehende öffent­ liche Initiative etwa zum Bau eines neuen Mausoleums für diesen als Nationalheld angesprochenen König. Diese Situation resultierte nur bedingt aus dem zwischenzeitlichen Wandel der öffentlichen Denkmalkultur. Hierin dürften sich auch jene Skepsis des Jahres 154

Thill, Reise, Abb.; Emanuel Vlček: Johann von Luxemburg. Körperliche Eigenschaften des 10. tschechischen Königs im Lichte der anthropologisch-medizinischen Untersuchung, in: Hémecht 31 (1981), S. 21–35.

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1946 mitgeteilt haben, „man habe damals symbolisch einige Knochenreste nach Luxemburg zurückgebracht, um das Nationalgefühl der Luxemburger zu befriedigen“.155 Meinte ein Kommentator 1981 zu den aus Prag bestätigt als „Johann von Luxemburg“ identifizierten Gebeinen, dieser fände „da unten in der Kathedrale einen wohlverdienten Frieden wieder, aus dem ihn hoffentlich niemand mehr stören wird“,156 so erfüllte sich dieser Wunsch nicht. Der Erkenntnisfortschritt der Geschichtswissenschaft endete eben nicht in den Brennweiten des Mikroskops. Die Analyse der Diskurse nationaler Geschichtsschreibung brachte eher noch weit spektakuläreres historisches Wissen zu Tage. Subtile Kritik zumal der historiographischen Quellen führte gerade Luxemburger Historiker dazu, die Voraussetzungen der Aneignung der Geschichte Johanns von Böhmen, „Johanns von Luxemburg“, „Johanns des Blinden“, in der Konstruktion nationaler Selbstgeltung und Selbstwahrnehmung Luxemburgs seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu prüfen und damit verbreitete Vorstellungen über den „Heldenkönig“ und die Bedeutsamkeit des mittelalterlichen Herzogtums für die Nation zu entmystifizieren. Bis dahin als leitend angenommene Vorstellungen der Geschichtlichkeit, also die Vergegenwärtigung des Mittelalters dieses Landesherrn und böhmischen Königs, ersetzten und übersetzten sie eindrucksvoll in dessen Spurensuche als „Itinéräire européen.157 Solche Dekonstruktionsarbeit und Entmythologisierung fand und findet nicht leicht allerorten die gebotene Anerkennung. Tradierte Geschichtsvorstellungen treffen auf zeitgemäß ermittelte historische Aussagen, oft der belegbaren Andersartigkeit Mittelalterlicher Geschichte. Jene Mittelaltergegenwart, die denn jener Weg Johanns von Böhmen 1979/80 zwischen Luxemburg und Prag und zurück wissenschaftsgeschichtlich erschloss, hält an. Offenbar befördert historisches Wissen und Erkenntnisinteresse auch grenzübergreifend einen dynamischen Dissens über nationale Identitäten. Und was geschah in jenen Jahren mit Schinkels Brunnen in Mettlach? Denkmäler sortieren nicht nur Erinnerungen, in dem sie scheinbar zeitlos dastehen. Sie können unbarmherzig sein, teils werden sie auch wieder beseitigt, vergessen und wiederentdeckt. Das gilt zeitweise auch für den Denkmalbrunnen in Mettlach. Dabei gingen mit dessen Wiedereinrichtung zum Ende des 20. Jahrhunderts im Rahmen eines historischen Jubiläums des Unternehmens Villeroy & Boch auch Ansprüche neu bewerteter historischer Sinnhaftigkeit einher. Wofür steht demnach dieser Brunnen dort heute? Zur Erinnerung: Jenes „gusseiserne Brunnenmonument aus Berlin“, wie es Jean François Boch-Buschmann selbst bezeichnete, erreichte wohl im Sommer 1838 Mettlach. Spätere Fotographien zeigen den mehrschaligen großen Brunnen am historischen Standort nahe dem ehemaligen Abteigebäude. 155

Spang, Grabstäten, S. 231. Thill, Reise, S. 8; Spang, Grabstätten, S. 233 f. 157 Margue, Jean l’ Aveugle; ders., Images; Pauly, Konstruktion; Préporté, Inventing; Majerus, Erinnerungsorte. 156

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Dieser denkwürdige Brunnen bereitete der Familie Villeroy & Boch nicht nur Freude. Nachdem im Frühjahr 1872 eines der Kinder der Familie beim Spielen in dem Steinbecken des Brunnens tödlich verunglückt war, ließ man den unteren gemauerten Beckenkranz zerstören und den Brunnen versetzen. Mit diesem tragischschmerzlichen Ereignis hatte der Brunnen für die Familie den bisher positiven Erinnerungswert verloren. Zunehmend im weitläufigen Park vergessen, rostete der Brunnen, entwendeten Besucher nach und nach auch einige der Löwenköpfe von den Brunnenschalen. Ob sie die Inschrift dort noch lasen, sie verstanden? Ende der 1970er Jahre erwog die Unternehmerfamilie Villeroy & Boch eine Restaurierung des Brunnens. Sie gelang ihr in Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz dann in den 1990er Jahren. Mit der Restaurierung beauftragte man die darin ausgewiesenen brandenburgischen Eisenwerke Lauchhammer. Komplett instandgesetzt erhielt der Brunnen am 29. November 2001 in einer öffentlichen Einweihung gemeinsam von den Familien des Unternehmens Villeroy & Boch und in Anwesenheit des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller sowie der luxemburgischen Kultusministerin Erna Hennicot-Schoepges seinen alten Platz im Alten Park in Mettlach zurück. Äußerer Anlass zur Restaurierung des Brunnens bot die Unternehmensgeschichte. 1998 konnten die Familien von Boch und Villeroy auf „250 Jahre V & B“ zurückblicken. Sie und die Stiftung Deutsche Denkmalschutz trugen die Finanzierung der Kosten der detailreichen Restaurierungsarbeiten. Zugleich bezog man die Öffentlichkeit darin ein und warb für dieses besondere Vorhaben damit, dass die Unternehmerfamilien einen entsprechend gestalteten Porzellan-Gedenkteller auflegten. Neben der Abbildung des historischen Brunnens auf der Vorderseite des Tellers trägt er rückseitig diesen Text: „Der Schinkel Brunnen Der berühmte Baumeister Schinkel entwarf 1839 im Auftrag des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelms IV. den Schinkelbrunnen als Dank für die Familie Boch-Buschmann. Der Brunnenaufsatz stellt den König Johann von Böhmen, weiland Graf von Luxemburg, dar, der später als der „Blinde König“ in die Geschichte einging. In den Kriegswirren der Französischen Revolution wurden seine Gebeine in der Alten Abtei in Mettlach sicher aufbewahrt. Villeroy & Boch – Germany 1998 Fonds zur Wiederherstellung des Schinkel – Brunnens“

Der historische Kontext des hier gemeinten Geschehens bleibt unklar. Vor allem erfahren die Leser nicht, wieso dieser Brunnen „als Dank“ nach Mettlach kam. Man verkürzte offenbar das darüber sicherlich vorhandene historische Wissen um die Gedächtnisgeschichte, vielleicht um nicht an naheliegende Konflikte zwischen Nachbarn erinnern zu müssen. Stattdessen stellt der Text die Berühmtheit des preu-

VII. Dynamik und Dissens historischen Wissens

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ßischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel heraus. Sachlich ist das an sich zwar nicht zu kritisieren. Aber warum diese Bedeutungsverschiebung hin zu Karl Friedrich Schinkel? Die Antwort folgt zum einen der Abkehr von einer ehedem stark auf die Architektur- und Kunstgeschichte der Residenzenlandschaft Berlin-Potsdam ausgerichteten Schinkelforschung. Die eigentlich neue Botschaft, zugleich gegenwartspolitisch zu verstehen, hieß nun: Schinkel an der Saar. In der Presseinformation anlässlich der Wiedereinrichtung des Denkmalbrunnens im Juli 2003 heißt es, mit dem „Schinkelbrunnen“ sei ein „saarländisches Kulturdenkmal“ gewürdigt. Diese positive Aneignung des Denkmalbrunnens wird erst dann verständlich, wenn sie auf das Gefüge der Länderkulturen zur Jahrtausendwende bezogen wird. Die hier mit Schinkel erinnerte Geschichte des Brunnens geriet zu einem historischen Argument für das Selbstverständnis des jungen Saarlandes im jüngst wiedervereinigten Deutschland. „Saarländisches Kulturdenkmal“ meint hier offenbar weniger hergebrachte Traditionspflege als die Geschichtlichkeit eines Kulturzeugnisses im neuen Kontext. Nichts gegen Karl Friedrich Schinkel an dieser Stelle, doch das ist kein Grund, den an der Spitze des Brunnens anmutig aufrechtstehenden Ritter zu vergessen! Erst mit der Sinnhaftigkeit eben dieser Figur eines Ritters ist auch die Deutungsgeschichte des Brunnens in der Gegenwart komplett. Sie ernst zu nehmen, heißt dann hier, „saarländisch“ nicht territorialpolitisch zu verstehen. Gerade die Ritterfigur mit der erinnernden Inschrift des Denkmalbrunnens repräsentiert die Verräumlichung eines Bündels historisch wirksamer Beziehungen, die die Geschichte dieses Brunnens einzigartig macht. Auch erschöpft sich die Einzigartigkeit von Schinkels Brunnen nicht in der Erinnerungssetzung von Mittelaltergegenwarten, wie man sie im frühen 19. Jahrhundert zuerst reklamierte. Karl Friedrich Schinkel verstand Geschichte als dynamischen Prozess, als Fortschritt auch in seinen künstlerischen Aussagen. Schinkels Brunnen mit diesem Ritter meint eine grenzübergreifende Geschichte, über das Saarland hinaus. Brunnen und Figur erinnern an die Veränderbarkeit aus der Geschichte abgeleiteter Kontinuitätsansprüche identitätsbildender Räume.158 Das schließt jeweils die Geltung von Mittelaltergegenwarten, Alteritäten, ein, die unsere Gegenwart erreichen. Dafür stehen in der Reichweite der Gedächtnisgeschichte Johanns von Böhmen in Luxemburg das „Heilige Grab“, in Kastel an der Saar das Königsgrab und an der alten Abtei in Mettlach Schinkels Brunnen.

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Harald Schmid: Regionale Gedächtnisräume, in: Janina Fugge / Rainer Hering / Harald Schmid (Hrsg.): Gedächtnisräume, Göttingen 2014, S. 33–70; Werner Freitag / Michael Kißener /  Christiane Reinle / Sabine Ullmann (Hrsg.): Handbuch Landesgeschichte, Berlin 2018; Holger Gräf / Alexander Jendorff / Pierre Monnet (Hrsg.): Land – Geschichte – Identität, Darmstadt 2016; Kathrin Bauer / Andrea Graf (Hrsg.): Erfinden, Empfinden, Auffinden. Die Rheinlande oder die (Re-)Konstruktion des Regionalen im globalisierten Alltag, Münster 2018.

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VIII. Mittelaltergegenwart – eine Geschichte mit Zukunft: Was bleibt? Am Anfang dieser Geschichte stand ein Brief mit einer eilig niedergeschriebenen Nachricht über den Tod Johanns von Böhmen in der Schlacht bei Crécy am 26. August 1346. Dann folgte, zentriert in den 1830er Jahren und eingebettet in der „Sattelzeit“ neu bedachten Rittertums, jener Brunnen in Mettlach mit der denkwürdigen Widmung und Ritterfigur, faktisch verbunden mit einer neu errichteten Grablege in Kastel (Saar) für jenen König, dessen dort 1838/1841 erneuertes Totengedächtnis bis 1946 galt, ohne dass die betreffende Geschichte da wirklich endete. Mittelalter in der Moderne – letztlich eine unendliche Geschichte? Was bleibt im Rückspiegel dieser epochenübergreifenden Gedächtnisgeschichte und einer gut ein Jahrhundert währenden politischen Affäre Preußens in einer Zeit bedenkenswert, in der bewusst falsche Todesnachrichten über bekannte Persönlichkeiten in den Medien kursieren und damit Fiktionales und Faktisches zu neuen literarischen Wirklichkeiten verschmelzen? Oder, welche künftige Gegenwart können vergleichbare Mythisierungen erfahren und wie jene Denkmäler in einer Zeit erfahren werden, in der mit teils geschichtsnegierendem Anspruch dazu aufgerufen wird, solche Erinnerungszeichen zu stürzen und familiäre Grabstätten zu nivellieren? Angesichts neuer Fragen erweist sich vor allem historisches Wissen als eine stets herausfordernde Hypothek. Dies beispielhaft offenzulegen, macht die hier verfolgte Geschichte Johanns von Luxemburg, König Johanns von Böhmen, im 19. und 20. Jahrhundert aus und führte dazu, den entwickelten Motiven der Bedeutungssetzung seiner Gebeine sowie der Reichweite des auf diesen Helden projizierten Mythos und somit reklamierter historischer Erinnerung nachzugehen. Die Richtung dazu wiesen die Umstände und Beweggründe von Vergangenheitsbewältigung angesichts fortgeschriebener Geltung mittelaltergeschichtlicher Aktualität. Die im Vorspann zitierte Einschätzung des französischen Historikers Marc Bloch, dessen Mittelalterverständnis selbst Geschichte ist und nachwirkt, bleibt als Herausforderung aktuell. Wie er sich für „nur eine“ Wissenschaft ausspricht, die „die Erforschung der Toten und die der Lebenden unablässig miteinander“ zu verbinden habe, findet sich bei ihm in dem Kapitel „Die Vergangenheit durch die Gegenwart verstehen“. Dort bewertet er die Begrenztheit der Forschungsmethoden danach, „ob man sich der Gegenwart nähert oder sich von ihr entfernt“, um nicht einer „Autarkie“ zu verfallen. Von der Gegenwart sei also auszugehen, wenn die Geschichtswissenschaft doch Veränderungen erfassen wolle. Mittelaltergegenwarten gehören als Wegweiser dazu. Durchaus denkverwandt stellt der Lyriker Erich Fried (1921–1988) seiner Gegenwart den Umgang mit (historischer) Wahrheit und historischem Wissen vor Augen. Aufrüttelnd und provozierend heißt es darüber in seinem Gedicht „Die Engel der Geschichte“:

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Es ist wahr daß Geschichte gefälscht wird Sie hat sich großenteils wirklich falsch zugetragen. Ich kann das bezeugen: Ich war dabei.159

Was also könnte bleiben? Zunächst: Am Grab verstummt aller Streit. Auf der anderen Seite derselben Medaille steht, dass das 1841 durch König Friedrich ­Wilhelm IV. neubegründete Totengedächtnis für Johann von Böhmen konkurrierende politische Forderungen provozierte, dass das Königsgrab als politisches Zeichen ein weites Kapitel in der politischen Affäre neben der Gedächtnis­geschichte eröffnete und es bis heute als imaginäres wie materielles Kulturzeugnis die seinerzeitige Aktualität eines bestimmten Verständnisses der Geschichte des Mittelalters wachhält. Eine Recherche nach dem Verbleib der liturgischen Ausstattungsgegenstände der Kapelle in Kastel brachte im Detail Bezeichnendes zutage. Vor Ort haben sich in der Kapelle der Altartisch, der Sarkophag und das Wandgemälde, Fenster und Eingangsgitter erhalten. Die Geschichte der drei Glocken in dem bezeichnend seitlich an der Kapelle situierten kleinen Glockenturm ist trotz vieler Nachfragen weiterhin ungeklärt. Ihr Läuten aber erinnert weiterhin an den einst hier ruhenden Johann von Böhmen. Die der Kapelle und Pfarrgemeinde vom Stifter zugeeigneten liturgischen Ausstattungsgegenstände, das Altarkreuz, die zwei Kerzenleuchter und die Ewig-Licht-Ampel erfuhren eine eigene Odyssee. Weil mit der Rückführung der Gebeine Johanns nach Luxemburg im August 1946 das Totengedächtnis am Grab in Kastel endete und bald das Areal in staatlichen Besitz überging, gelangten das Kreuz und die Kerzenständer musealisiert in Bestände von Schloss Stolzenfels. Die Ewig-Licht-Ampel, von ihrem Stifter als repräsentatives wie als liturgisches Zeichen christlichen Heilsglaubens bedacht, verblieb bislang in der Obhut staatlicher Depots. 2015 hat man sie restauriert. Es gibt Anzeichen, diese schutzbedürftigen Objekte unter denkmalpflegerischen Voraussetzungen nach Kastel in die Kapelle zurückbringen zu können. Der Stellenwert dieser und anderer Dinge in und im Umfeld der Kapelle als epistemische Objekte bleibt weiter auszuleuchten. Nicht also allein das Gelände rings um die Kapelle stellt die bauhistorische Denkmal- und die Kulturlandschaftspflege dort vor widrige Herausforderungen. Die Gedächtnisgeschichte rückt die vergessenen Zeichen neu in den Vordergrund. Die der Kapelle durch den Stifter zugewiesenen materiellen Kulturzeugnisse sind an diesem Ort tatsächlich so etwas wie die „Überlebenden“ des dort einst gedachten luxemburgischen Ahnherrn und Zeugen der Gegenwartsbezogenheit angeeigneter mittelalter 159

Erich Fried, Gesammelte Werke, hrsg. v. Volker Kaukoreit / K laus Wagenbach, Bd. 2, Berlin 1991, S. 491.

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licher Geschichte. Der ihnen anhaftende sinnstiftende Charakter macht sie zu soweit einzigartigen Zeugnissen der Geschichtskultur und des Geschichtsbewusstseins. War das, was am 25. August 1946 durch ein spezielles militärisches Kommando in Kastel geschah, Heldenrettung oder schlicht Leichendiebstahl? Darüber war hier kein juristisches Urteil zu fällen. Zu ersehen ist, wie man auf Seiten der Luxemburger „altes Recht“ an den Gebeinen in gänzlich veränderten politischen Kontexten erfolgreich behaupten konnte. Auch dazu hatte das politische Ende Preußens den Weg frei gemacht. Die hergebrachte historisch-politische Gewichtung der Gebeine als Ausweis nationaler Größe trug aber nicht in allen Teilen der politischen Öffentlichkeit der Nachkriegszeit. Am Ende der politischen Affäre stand demokratiepolitisch Versöhnliches zwischen historischen Nachbarn. Das ist mehr als bemerkenswert. Mit der Gedächtnisgeschichte stellte sich die Frage nach der Reichweite gedeuteter mittelalterlicher Geschichte, reklamierter Erinnerung an dynastische Tradition, adelig-ritterliche Normen mit Bezug auf diesen spezifischen Heldenmythos. Der dabei von den unterschiedlich einflussreichen Personen öffentlich gemachten Sinnhaftigkeit dieser Geschichte gingen individuell soziale, kulturelle, geschichtsphilosophische und politische Vorentscheidungen voraus. Mythos und Gedächtnis waren gewollte Botschaften. Im „neuen Zeitalter des Rittertums“ im Duktus der „Sattelzeit“ gewann dafür der Wunsch, wenn nicht Utopie, einer positiven Aneignung der Geschichte des späten Mittelalters in der Geltung gerade des adligen Wertesystems und Traditionsverständnisses öffentliche politische Bedeutung. Von dort her erhielt der Streit um die Gebeine Johanns von Böhmen letztlich seine geschichts-, gedächtnis- und denkmalpolitisch mobilisierende Kraft und erklärt sich dessen Dauer. Es ging hier sozial- und kulturgeschichtlich letztlich um einen Interessen- und Wertekonflikt, wissenschaftsgeschichtlich anhaltend um eine Entmythologisierung. Ohne Jean François Boch-Buschmann keine Affäre Preußens und keine Gedächtnisgeschichte. Dass er an deren Anfängen stand, resultierte aus Folgen der Französischen Revolution und damit aus Erfahrungen, dass die Familie als Royalisten hätte verurteilt werden könne, weil sich die Gebeine Johanns von Böhmen in ihrer Obhut befanden. Er bildete darüber einen intellektuell bedachten pränationalen Patriotismus aus, wozu er sich am historischen Herzogtum Luxemburg und deren Dynastie orientierte, gerade nicht an den Herrschaftsbildungen, wie sie der Wiener Kongress für Luxemburg geschaffen hatte. Historische Räume prägten mithin die politische Dimension der Erinnerung argumentativ vor. Die Bedeutung dynastischer Tradition verband ihn mit dem Denken Friedrich Wilhelms IV. Seine katholische Konfession stand der Sympathie für den preußischen König nicht im Weg. Im Frankfurter Parlament stimmte er denn auch dafür, diesem preußischen König die deutsche Kaiserkrone anzutragen. Aus dem Lebensstil der Familie Boch-Buschmann und der Umtriebigkeit des Unternehmers wurde das Haus in Mettlach in den 1820er Jahren ein soziales und kulturelles Zentrum. Die Ingenieure Karl Friedrich Schinkel und Christian Beuth zählten zu den Freunden Jean François Boch-Buschmanns. Auch die einflussrei-

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che Familie von Cohausen zählte dazu. Der „Alte Turm“ im Park dort erinnert an den gemeinsamen geschichtlichen Sinn der Berliner Ingenieure und der Familie Boch-Buschmann, Zeugnisse der Geschichte des Mittelalters doch zu tradieren. Dass die Gebeine Johanns schließlich in Kastel neu beigesetzt werden konnten, folgte wohl auch aus Initiativen der Familie von Cohausen. Schinkels Verständnis des Fortschritts in der Geschichte stand dabei am Ende auch Pate. Der Denkmalbrunnen in Mettlach kam hinzu. Dem Geschichtsdenken Friedrich Wilhelms IV. bot der erwirkte Besitz der Gebeine Johanns von Böhmen die seltene Gelegenheit, sein Ansehen als populärer Monarch zu steigern und damit sein Herrschaftsverständnis auszuweisen. Der Gewinn dynastischer Anciennität und historisch begründeter royaler Ehre erachtete er als öffentlich sichtbar zu machende Alleinstellungsmerkmale, die sein dem mittelalterlichen Verfassungsverständnis entlehntes Ordnungs- und Vergangenheitsbewusstsein verstetigen ließen. Damit wurde die Gedächtnisgeschichte Teil der Geschichtskultur. Die Gedächtnisgeschichte konnte zur politischen Affäre werden, weil sie sich in die Geschichts- und der Gedächtnispolitik der Dynastie integrieren ließ. Sie endete im Kern mit den Hohenzollern, als 1918 der Kaiser fluchtartig das Land verließ und den Erben jene adeligen Tugenden, die mit der Erinnerung an Johann von Böhmen zum bestimmenden Teil der historischen Legitimation der Monarchie gehörten, wenig bedeuteten. Der Streit um die Gebeine verlief zwischen 1833 und 1946 zweispurig. Als Motor der politischen Affäre erwies sich die von den Konfliktparteien jeweils beanspruchte Erinnerungswürdigkeit der historischen Person als bedachter König, Held, Ritter. Sie endete spätestens mit der Auflösung Preußens 1946. Einzigartig wurde sie durch ihre Verknüpfung mit der Gedächtnisgeschichte, der Geltung des gestifteten Totengedächtnisses als rechtlich gefestigter Form der Aneignung der Gebeine und deren geschichtspolitischer dynastischer Gegenwartsbezogenheit. Beide Spuren zusammen veranschaulichen erneuerte mittelaltergeschichtliche Geschehenszusammenhänge jenseits der bekannten Epoche des Mittelalters. Sie machen im Sinne Otto Gerhard Oexles eine Sinnformation und Denkstruktur gedeuteter Geschichte dynastischer Tradition in der Geschichtskultur der Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts aus. Sie kennzeichnet, dass der Streit um den Besitz der Gebeine Johanns gerade die Veränderbarkeit verräumlichter Kontinuitäts­ ansprüche nationaler und staatlicher Selbstgeltung in historischer Erinnerungsarbeit beschreibt. Grenzen sind nicht nur gegebenenfalls an Kartentischen markierte Linien in realen Räumen, sie dienen vielmehr dem Ausweis etwa von dynastischer oder nationaler Souveränität. So auch hier. Das Besondere aber bleiben die jeweiligen Grenzerfahrungen jenseits der Behauptung von Zugehörigkeiten und in deren Konsequenzen von Ausgeschlossenen. Im vorliegenden Fall ging es aber gar nicht um bekannte Grenzregime. Die reklamierten Ansprüche des Gedenkens legten hier eine kultur- und gedächtnisgeschichtliche Dimension historischer Räume gegenüber jüngeren politischen Räumen offen. Ihre Diskrepanz wurde zu einem Politikum und als politisches Argument jeweils genutzt:

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Das historisch an dynastiegeschichtlich definierte Räume gebundene Gedenken an Johann von ­Böhmen wurde in jüngere nationalstaatlich reklamierte Räume eingebunden und als Traditionsbehauptung in der Moderne vermittelt. Der Geltung nationaler Grenzen, ein zentrales politisches Anliegen der Staatenbildungen des 19./20. Jahrhunderts, stehen andere Trennlinien und Zugehörigkeiten gegenüber, die in die Geltung des kollektiven Gedächtnisses und der Erinnerung an Johann von Böhmen einflossen. Das dürfte im Rückblick kein Einzelfall gewesen sein. Es bleibt demnach, dieser Affäre und Gedächtnisgeschichte als ein Beispiel der Wirkungsgeschichte historischer Räume in modernen Staatsgebieten nachzugehen und in Zukunft solchen Ausweisen in der Konturierung lokaler, regionaler und zugleich transnationaler Beziehungsgeschichte als einem prominenten Gedächtnisraum geschichteter Erinnerungskultur weiter mehr Raum und Gesicht zu geben. Der „Mythos im Zeitalter der Revolution“ (Thomas Nipperdey) erzeugte entgegengesetzte Empathie, die in ganz eigener Weise in einem mannigfach neu angeeigneten Mittelalter auf Geschichtsdenken und das politische Handeln Einfluss gewann. Die Sehnsucht nach als verlässlich erachteter Kontinuität nährte dieses Interesse an der Vergangenheit und deren Vergegenwärtigung. Damit erhielt der Streit um die Gebeine Johanns von Böhmen, dessen innere Richtung die Dynamik der „Sattelzeit“ und ein fortschrittsbezogenes Geschichtsverständnis mitbestimmte, Merkmale der politischen Kultur und einer nahezu gesamteuropäischen Intellektualität jenseits der gemeinen Romantik. Ihn kennzeichnet geschichtspolitisch, wie ausgewählte Herrschaftstraditionen und dynastiegeschichtliche Denkstrukturen zeichenhaft über die damit ausgedeutete Aneignung der Gebeine öffentlich gemacht und behauptet wurden. Dabei verhandelte man gerade nicht das Mittelalter, um das sich die Romantik gern kostümiert bemühte. Zu keiner Zeit entstand für König Johann von Böhmen im Königreich Preußen oder im Großherzogtum Luxemburg ein Staats- und Persönlichkeitsdenkmal. Das Fehlen eines solchen Zeichens aber unterstreicht die Intensität des auf Johann von Böhmen projizierten Mythos’. Demnach spiegelt sich darin auch ein Ausspruch des österreichischen Schriftstellers Robert Musil: Nichts ist so unsichtbar wie ein Denkmal. Entscheidend wurde zumal für den preußischen Monarchen der verstetigte Zugriff auf die Gebeine und die Grablege. Darin zeigen sich nicht nur für den Regenten, in anderer Weise aber ähnlich für den Unternehmer und den Künstler, ritterliche Helden. In diesem Fall wurden „alte“ Könige gezielt zu Trägern eines mittelaltergeschichtlich rückgebundenen Mythos. Oder: ein solcher König war nicht schlicht tot. Heroisierung und die Vergegenwärtigung ausgewählter Geschichte Johanns von Böhmen motivierte gezielt zu Mythenbildungen dieses adeligen Ritters, Ahnherrn und Helden, die in zeitlich anderen Kontexten und Ansprüchen der Geschichtswissenschaft des späteren 20. Jahrhunderts mannigfach eine Entmythologisierung hervorrief. Damit steht auf der anderen Seite der bedachten Gedächtnisgeschichte auch Instrumentalisierung und disziplinäre Objektivierung jener Geschichte im Spektrum der Erkenntnisinteressen übernational verbundener Mittelalter-Geschichtsforschungen.

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Die Sinnhaftigkeit dieses Umgangs mit dem Mythos Johanns von Böhmen rückblickend zu verstehen, fordert dazu auf, das quellenbasierte historische Wissen um die Geschichte der als erinnerungswürdig erachteten historischen Person zu unterscheiden von den Ansprüchen, die jeweils die Reichweite des Mythos als interessengeleitetes Argument angeeigneter Geschichte ausmachten. Von Jean François Boch-Buschmann über Karl Friederich Schinkel zu Friedrich Wilhelm IV. und jenem Kreis, der ihnen in dieser Affäre verbunden war, so die Familie von Cohausen oder insbesondere Rudolf von Stillfried-Rattonitz, traten hier mit Bedacht gleichsam Mittelaltermacher auf. Sie waren damit nicht allein. Das „Ende der Memoria“, wie es Otto Gerhard Oexle in den Umbrüchen nach 1800 wissensgeschichtlich ausmachte, wurde mit dieser Gedächtnisgeschichte auf unterschiedlichen Ebenen perpetuiert. Für die politische Denkwelt Friederich Wilhelms IV. kam das wiederhergestellte Totengedächtnis einer Reparatur der Geschichte gleich, oder – aus anderer Sicht – geriet es zur Utopie. Bezeichnend auch dies: Der nachmalige preußische König nahm sich nicht den „Herrschaftsstil“ seines luxemburgischen Ahnherrn zum Vorbild. Ihn bewegte im Stil mittelalterlicher Testamentsvollstrecker zuvorderst die Gewähr der Gegenwart des Toten bei den Lebenden. Friedrich Wilhelm IV. demonstrierte mit der Neubeisetzung der Gebeine Johanns von Böhmen in Kastel die Verpflichtung zum Totenkult, nicht aber zu einem heroischen Todeskult. In Kastel realisierte der Monarch auch keine romantische Episode, keinen Epilog. Er wollte hier Zukunft geschichtlich ausweisen. Als politisches Zeichen blieben die Kapelle und das dort gestiftete Toten­ gedächtnis singulär. Dem Anspruch eines nationalen Denkmals standen die Gebeine Johanns von Böhmen und die Rechte der Luxemburger daran im Wege. Diese Gebeine ließen auch kein durch die Mosel geteiltes Gedenken und aufgeteiltes Kulturerbe zu. Das Gemeinsame überwog jeweils. Für die Geschichte der historischen Dynastie der Luxemburger und die Grablegen ihrer Mitglieder, wie dies auch für Erzbischof Balduin in Trier gilt, kommt Weiteres hinzu. Auch wer die heilsgeschichtlichen Vorgaben christlichen Glaubens der Gegenwart der Toten nicht in gleicher Weise wie jene Akteure teilt, wird aus dieser Geschichte das religiös gefasste Gedächtnis für Johann von Böhmen als einen wesentlichen Schlüssel zum Verständnis der politischen Geschichtskultur des 19./20. Jahrhunderts festhalten. Deshalb und mit Blick auf die Bedeutung des Königsgrabs in Kastels erweist sich die herkömmlich genutzte Bezeichnung „Klause“ als nicht angemessen. Die Feier des Totengedächtnisses und die Ästhetisierung des Sakralraums verlangt viel eher den Begriff „Kapelle“. Sprache ist ein Faktor vorgefundener Realität und Faktor dieser Realitätsfindung. Auch Zeitalter haben Konjunktur. Im 19. Jahrhundert war es das Mittelalter in vielfacher Weise. Auch hat zwar jede Zeit ihre Helden, aber sie macht sich ihre auch. Der Markenkern des adligen Ritters und königlichen Heldens Johann von Böhmen bemisst sich, neben der dynastischen Ehre, im Anspruch der Geltung ethisch-moralischer adeliger Normen. Die Ritterfigur auf dem Denkmalbrunnen,

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das literarisierte Geschichtsbild der Inschrift in Kastel und das Fresko des Reiterkampfes in Stolzenfels visualisieren diesen Anspruch in zeitspezifischen Mittelalter-Imaginationen und öffentlichen Erinnerungssetzungen. Diese Schlüsselbilder des Erinnerns und Gedenkens reihen Johann von Böhmen freilich auch ein in die Sammlung des integrativen Bilds vom edlen Ritter, wie es auch weiterhin medial aktualisiert und technisch transformiert wird. Somit hält auch die Arbeit an der Deutung der Vergangenheit und des Mittelalters als einem „goldenen Zeitalter“ an. Die Popularisierung der Figur „Johann der Blinde“ besitzt auch Zukunft. Daneben wirken – teils gegenläufig – jüngere übernationale Initiativen fort, der Herrschaftsweise Johanns von Böhmen, Johanns von Luxemburg, und dem seiner Dynastie in bislang nicht beachteten mittelalterlichen Überlieferungen von Luxemburg über Frankreich, Italien, Deutschland bis Österreich, Polen und Böhmen Frankreich weiter näher zu kommen. Diese Gedächtnisgeschichte und politische Affäre reicht über die gemeine Mittelalter-Rezeptionsgeschichte hinaus. Denn sie zeigten an einer mittelalterlichen erinnerungswürdigen Person einerseits erinnerungspolitische Identitäts- und Transformationsprozesse. Untrennbar damit verbunden ist die Arbeit an der Dekonstruktion hier zugewiesener historischer Sinndeutung, des Mythos, sowie an der Reichweite der Veränderbarkeit tradierter Narrative. Sie bieten Einsichten einer Zeitdiagnose, die Traditionen und Neuanfänge, soweit Transformationsprozesse in Umbrüchen und Kontinuitäten zeigten. Damit bleibt auch dies: Die Wirkungsgeschichte identitätsbehauptender Idolisierungen von Helden vergangener Gesellschaften kommt nicht an ein Ende, solange der kulturelle Fortschritt der Geschichtswissenschaft fortgesetzt neue Fragen stellen lässt (Max Weber). Damit ist zu hoffen, dass jenseits heute hier und da neu aus nur lokalem Anspruch aufgestellter Denkmäler deutscher Monarchen und jenseits der in Ruhmeshallen wie auch in Kirchenportalen denkmalgeschützt bewahrter gekrönter Häupter, wie sie der Geschichtssinn der Eliten des 19. Jahrhunderts errichten ließ, auch solche „alten“ Ritter ebenso wie jene „postheroischen“ Helden und Heldinnen sowie Heroismen unserer liberalen Gesellschaft zur auch künftig bedachten Geschichtskultur gehören. Heldentum, heroische Eigenschaften und der Gemeinschaft gegenüber verantwortete Werthaltungen sind nichts Überwundenes. Man kann sich dieser Vergangenheiten nicht entledigen. Die Geschichte hält auch weiter Überraschungen vor. Das Mittelalter endet gestern? Der Verlauf der Gedächtnisgeschichte und der politischen Affäre legen eine vergleichende Antwort nahe. „Das“ Mittelalter ist sicherlich eine besondere Epoche. Man wird sie auch in Zukunft konzeptionell zur jeweiligen Gegenwart in Beziehung setzen und dabei den Mittelalterbegriff um Neues fortschreiben. Das Mittelalter endet gestern? Mit Blick auf den Mettlacher Brunnen und auf das Königsgrab in Kastel möchte man nicht widersprechen, jedoch präzisieren. Mittelalter ist überall, aber es ist nicht überall dasselbe. Erinnern, vergessen? Alle Vergangenheit ist Geschichte und Gegenwart. Daran erinnern Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar.

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Dank und Widmung Den Leserinnen und Lesern zuerst danke ich für ihr Interesse an der Odyssee der Gebeine König Johanns von Böhmen und damit an einer Gedächtnisgeschichte und speziellen politischen Affäre, die Verbindendem und Trennendem in einem gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungsraum zwischen Luxemburg, Deutschland, Böhmen galt. Sie teilen damit womöglich auch mein Anliegen, dazu die von dem französischen Historiker Marc Bloch (1886–1944) formulierte Perspektive einer Wissenschaft „von den Menschen und ihrer Zeit“ aufzunehmen. Herrn Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll und Herrn Prof. Dr. Hans-Christof Kraus danke ich dafür, die Abhandlung in der von ihnen herausgegebenen Reihe „Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“ veröffentlichen zu können. Damit verbunden danke ich allen Verantwortlichen im Verlag Duncker & Humblot für die gute Zusammenarbeit auf dem Weg zur vorliegenden Veröffentlichung. Für die Gewährung einer finanziellen Hilfe zum Druckkostenzuschuss danke ich Herrn Willi Heimann, Paderborn, und Herrn Luitwin Gisbert von Boch-Galhau, Merzig. Am Anfang dieser Geschichte stand für mich tatsächlich der Brunnen in Mettlach. Nach einer eher zufälligen Begegnung mit diesem eisernen Erinnerungszeichen führte mich der Weg von dort weiter zur Kapelle und zum Königsgrab in Kastel (Saar). Damit wuchs meine Neugierde, der öffentlichen Bedeutung Johanns von Böhmen, der Geschichte seiner Gebeine und seines Mythos’ in nachmittelalterlicher Zeit genauer nachzugehen. Ich danke all jenen Vorgängerinnen und Vorgängern, die zuvor die Geschichte Johanns von Böhmen, Johanns von Luxemburg, erarbeiteten und damit mir zu neuen Fragen verhalfen. Dabei gab es unterwegs Situationen für mich, in denen ich auf meine Fragen zu diesem Thema auch nicht sogleich befriedigende Antworten erhielt. Das spornte mich weiter an. Noch mehr aber konnte ich erfahren, wie mein Fragen nach der Geschichte dieses Totengedächtnisses und nach den Konturen der damit verbundenen politischen Affäre weitere Menschen gleichsam ansteckte. So wuchs allenthalben mein Interesse an „Schinkels Brunnen und dem Königsgrab an der Saar“. Die Namen all derer, die sich von meinen Fragen zum Verhältnis zwischen Mittelalter und Moderne anstecken ließen und ermunternd meine Absicht teilten, die Sinnhaftigkeit der Zeichen und Aussagen der Gedächtnisgeschichte und politischen Affäre zu erschließen, kann ich hier nicht aufzählen. Eigens aber danke

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Dank und Widmung

ich jenem Saarburger Parkwärter in Kastel, der mir vor Jahren zu spätherbstlicher Zeit unter dabei eigenartigen Umständen diesen bemerkenswerten Ort über dem Steilufer der Saar näherbrachte. Vielen weiteren Wegbegleitern danke ich für ihr Nachfragen, noch mehr ihren aufmunternden Widerspruch und damit für Rat und Hilfe: Dem Unternehmen ­Villeroy & Boch, der Leiterin des Unternehmensarchivs Villeroy & Boch, Mettlach, Frau A. Müller, sowie Frau Dr. C. Grund, Keramikmuseum Mettlach danke ich für vielfache Hilfe. Die Nutzung der Bestände des Geheimen Staatsarchivs Berlin, des Kupferstichkabinetts – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland, des Bistumsarchivs Trier, des Landeshauptarchivs des Landes Rheinland-Pfalz, Koblenz, der Generaldirektion Kulturelles Erbe des Landes Rheinland-Pfalz, Direktion Denkmalpflege, Mainz, des Archivs des Kreises Saarburg-Trier, des Pfarrarchivs der Gemeinde Freudenburg und Kastel führten mich weiter in dieser Gedächtnisgeschichte. Die dort jeweils erfahrenen Auskünfte erwiesen sich für mich umso bedeutsamer, als sich unter den allgemeinen Vorkehrungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie Archivbesuche nicht vollends realisieren ließen. Für die Hilfe bei der Erschließung der verschiedenen Archivalien und Bildquellen danke ich Frau Dr. J. Boswell, Trier, Frau J. Waschke und Frau A. Arndt, Mainz, Frau B. Weiter-Matysiak, Trier, Frau J. Kätzel, Speyer, Herrn Dr. R. Hanke, Koblenz, Herrn J. Schuster, Kastel. Für wertvolle Hilfen bei der Korrektur der Druckfahnen danke ich Frau A. Stollmeier und Frau Dr. J. Philipper. Mein besonderer Dank gilt Herrn H. Schmidt, MA, Berlin, für seine vielseitigen archivalischen Recherchen und für die Erarbeitung des Sachregisters. „Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar“ fand mit Fortgang der Arbeit am Manuskript wachsendes Interesse und anregende Kritik. Geschätzten Kolleginnen und Kollegen, besonders Johannes Süßmann, Paderborn, danke ich für ihre vielen Nachfragen und Anregungen. Als meine hartnäckigsten Kritikerinnen erwiesen sich neuerlich meine beiden Töchter Simone und Vanessa. Das leidenschaftliche Gespräch mit ihnen stellt andere in den Schatten, weshalb ich ihre Nähe und Kritik umso mehr zu schätzen gelernt habe. Gern widme ich „Schinkels Brunnen und das Königsgrab an der Saar“ nun den Enkeltöchtern Mathilda und Antonia.

Sachregister Affäre, politisch  11–13, 20–22, 24, 26, 45, 66, 72, 101, 119, 131, 132, 136, 137, 139, 152, 153, 162–168, 183, 184 Architektonisches Lehrbuch  83–86, 90 Architektur  18, 20, 49, 84, 105, 108, 111, 161 Architekturtheorie 18 Artus-Runde / König Artus  25, 27, 35, 36 Bauakademie 75 Befreiungskriege / Freiheitskriege  45, 46, 51, 54 Belgische Revolution  66 Böhmen  11–15, 19–23, 26–45, 47, 57, 64, 65, 67, 68, 70–74, 81, 85–90, 92, 93, 95, 100, 124, 126, 128–135, 137–141, 143–168, 183 Brunnen / Denkmalbrunnen / Fontäne / Quelle ​ 11, 12, 14–19, 22, 29, 33, 52, 55, 68, 81– 83, 85–88, 90–92, 106, 154, 159–162, 167, 168, 183, 184 Chronistik / Chronisten / Chronik / Ortschronik /  Schulchronik  31–35, 39, 40, 44, 53, 72, 131, 139, 144, 151, 154 Code Napoleon / Code civile / Code de Commerce ​59 Denkmalpflege  52, 112, 116, 122 Deutscher Orden  50 Deutschlandpolitik, Westalliierte 141, 142, 147 Dynastie / dynastische Geschichte / dynastisches Denken  11–14, 17, 20–26, 34, 35, 38, 39, 40, 43–45, 47, 52, 55, 72, 73, 89, 92, 94, 97, 98–100, 102–104, 107, 108, 110, 111, 113, 115, 116, 118, 120–123, 129, 130, 133, 135–140, 152–155, 157, 164–168 Dynastizismus 153 England 19, 30, 32, 34, 45, 47, 48, 75–78, 119 Erfindung des Mittelalters  46

Erinnerungskultur, Erinnerungspolitik  21, 22, 24, 37, 87, 123, 150, 152, 165, 166 Erinnerungslandschaft 13 Erinnerungsort, Gedächtnisort  27, 96, 118 Europa / Europäisierung 12, 13, 17, 20–22, 25, 26, 28, 29, 38, 45, 48, 52–54, 58, 67, 68, 71, 72, 95, 98, 103, 110, 132, 133, 136, 137, 142, 147, 153–155, 166 Erzengel Michael  98 Fest der weißen Rose (1829)  92, 97, 98 Fortschritt  14, 20, 21, 45, 46, 55, 58, 69, 71, 73, 79, 81, 85, 153, 161, 165, 166, 168 Fortschrittsdenken  47, 82, 84 Frankfurter Nationalversammlung  136 Frankreich 13, 19, 22, 30, 32, 34, 35, 41, 44, 45, 47, 51, 53, 58, 59, 66, 73, 95, 99, 110, 119, 124, 133, 134, 140–142, 145, 147, 151, 168 Französische Revolution  11, 21, 26, 29, 41, 44, 47, 48, 54–57, 59, 71, 73, 95, 97, 100, 103, 153, 160, 164 Friedhofskultur, Friedhof 50, 51, 113, 145, 151 Gabentausch 16 Gastfreundschaft  67, 68, 78 Gebeine  11–14, 19–24, 26, 28, 29, 39, 41, 42, 44–47, 52, 57, 64–68, 70–73, 81, 93–95, 100–104, 106–110, 113, 118, 119, 122, 123, 126, 129, 131–148, 150–160, 162–167, 183 Gedächtnisgeschichte / -kultur / -amt  11–13, 19–22, 24, 26–29, 33, 40, 45, 52, 96, 100, 106, 113, 114, 118, 122, 123, 129, 131, 132, 139, 140, 152, 160–168, 183, 184 Genealogie / Stammbaum  100, 111, 115, 116, 117, 130 Geniegedanke 69 Geschichte des Mittelalters 11–13, 19, 21, 25–27, 55, 71, 81, 84, 92, 93, 95, 97, 131, 133, 134, 137, 147, 152, 154, 163, 165

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Sachregister

Geschichtsbewusstsein 72 Geschichtsdenken  12, 24, 46, 47, 52, 81, 100, 102, 120, 165, 166 Geschichtskultur  11,12, 23, 26, 68, 164, 165, 167, 168 Geschichtsmalerei  20, 25 Geschichtsschreibung 20, 22, 23, 44, 70, 131–133, 155, 159 Geschichtsverein 133 Geschmackskultur  123, 130 Gewerbeausstellung  77, 78 Gotik / Neogotik / Gotikbewegung  18, 48, 49, 54, 84, 86, 95 Gottesgnadentum 17, 47, 70, 73, 94, 97, 111 Grabmal, Grabmalkultur  21, 27, 28, 41–44, 91, 103, 104, 106, 108, 110, 111, 129, 135, 148 – Grablege, Gruft  11, 15, 20–22, 27–29, 33, 38, 39, 40, 45, 52, 72, 81, 98, 100–105, 107, 108, 110, 111, 118, 123, 125, 126, 130, 131, 146, 162, 166, 167 Habsburger / Habsburgerdynastie  14, 40, 43, 44, 56, 48, 97 Handwerk / Handwerksgeschichte / Kunsthand­ werk  56, 58, 61, 69, 74, 91, 118 Heiliges Grab  42, 43 Heiliges Römisches Reich  22, 34, 35, 43, 45, 59, 95, 97, 135, 136, 138, 140, 155 – Römisch-deutscher König (und Kaiser)  27, 30, 34, 36, 40, 41, 97, 109, 155 Helden / Heldentum / Heroismus  11–14, 20–22, 24–27, 35, 53–55, 90, 96, 118, 120, 123, 131, 132, 134, 138, 144, 148–150, 152– 155, 162, 164–168 – Heldenkönig  36, 130, 131, 159 – Ritterhelden  38, 53, 54, 89, 98 Hermannsdenkmal 54 Historienbilder / -Malerei  119, 120 Historismus  25, 29, 46 Hl. Georg, Drachentöter  96, 98 Hohenzollern / Hohenzollerndynastie / Hohen­ zollernmonarchie / Hohenzollernforscher /  Hohenzollern-Sigmaringen  11–13, 17, 24, 55, 68, 73, 92, 93, 95, 96, 99, 100, 103, 104, 107, 110, 111, 115–120, 122, 123, 127– 130, 135–139, 143, 153, 165

Industrielle Revolution  18, 47, 71, 75, 81, 94 Ingenieur  18, 74, 75, 77–80, 164, 165 Jahrhundertfeier 139 Kapelle / Grabkapelle  15, 20, 22, 52, 67, 77, 81, 93, 100, 102, 104–119, 123–132, 135, 139, 144, 146, 147, 151, 152, 163, 167 (Kath.) Kirche: 33, 36, 39–42, 44, 50, 51, 57, 59, 73, 107, 113, 115, 124, 151, 168 Klassizismus  18, 48, 84 Klöppelkrieg 59 Königsgrab 11, 12, 14, 15, 19, 20, 29, 67, 93, 100, 104, 105, 107, 108, 110, 111, 117, 118, 123–127, 129, 130, 131, 135–140, 143, 152, 161, 163, 167, 168, 183, 184 Krise  44, 55, 73, 94, 155 Kulturlandschaft  19, 49, 78–80, 93, 102, 163 – Potsdamer Kulturlandschaft  49, 93 /  Legendenbildung 27, 33, 34, 66, Legende  86, 96, 120 Luxemburg Festung / Bundesfestung  42, 68, 99, 132 Luxemburg / Großherzugtum  11, 13, 19, 22, 23, 47, 56, 58, 66, 99, 103, 130–132, 134, 138, 141, 147, 151, 153, 155, 156, 166 Luxemburger (Dynastie) / Kaiserdynastie ​12, 22–24, 30, 34, 38, 39, 40, 41, 43, 72, 104, 109, 110, 111, 115, 116, 140, 154, 155, 157, 167 Luxemburger Widerstand  138, 140, 144, 149 Marienfrömmigkeit 148 Memoria  14, 19, 27–29, 36, 42, 44, 51, 52, 129, 167 Miles christianus  32 Mittelalter / – Neuentdeckung / – Neuaneignung 14, 20, 48 Mittelaltervorstellungen  20, 95, 96, 98 Modernisierung, Moderne  22, 29, 30, 46, 51, 52, 60, 62, 69, 70, 90–92, 97, 115, 126, 153, 162, 165, 166 Monarchisches Projekt (Barclay)  26, 93, 94 Mythos / Mythologisierung / Heldenmythos ​11, 13, 20, 21, 23, 24, 27, 35, 36, 53, 130, 132, 133, 135, 138, 150, 153, 158, 162, 164, 166–168, 183

Sachregister Nation / Nationenbildung 11, 12, 20–23, 25, 45– 49, 51, 54, 59, 60, 66, 69–72, 81, 90, 99, 118, 123, 124, 128–131, 133, 135–138, 140, 143, 149, 150, 153, 155, 159, 164, 165, 166, 168 – Nationalbewegung  13, 26, 27, 29, 47, 133 Nationaldenkmal  51, 89, 167 Nationale Selbstgestaltung  136, 152 – Nationale Helden / Nationalheld  138, 147, 149–151, 155, 158 – Nationale Selbstgeltung  72, 150, 153, 159, 165 Nibelungenlied 54 Öffentlichkeit  27, 28, 33, 42, 92, 106, 108, 133– 135, 137, 138, 148, 153, 155, 158, 160, 164 Österreich  36, 58, 138, 166, 168 Parlamentarismus  12, 26, 47 Patriotismus  49, 164 Polen  22, 30, 47, 50, 168 Prag  22, 34, 38, 40, 41, 44, 138, 156–159 Preußen  11–13, 15, 17, 18, 24, 45, 50–52, 55, 64–66, 68, 74–76, 78, 82, 91, 92, 94, 97, 99, 101, 103, 124, 127–130, 132–137, 139, 140, 143, 152, 162, 164, 165, 166 Reichskrone 109 Reisen / Reiseberichte / I nspektionsreisen  19, 74, 76, 77, 80, 108, 123, 131 Renaissance  26, 36, 155 Revolution 1848/49  13, 127 Rezeption (nicht Antike)  7, 46, 119, 168 Ritterfigur / -gestalt  12, 15, 16, 18, 19, 35, 82, 83, 85–87, 89, 90, 92, 98, 161, 162, 167 Ritterideal  12, 20, 32, 33, 120 Roman, historisch / Geschichtsroman  22, 50, 53, 96 Romantik / Romantiker  11, 12, 14, 17, 18, 24, 47–49, 53, 70, 74, 82, 84, 90, 93, 95, 96, 105, 114, 123–125, 127, 128, 130, 147, 150, 153, 166, 167 Royalismus  57, 65, 67 Saargebiet  /  Saarland 13, 15, 99, 100, 117, 124, 138, 139, 142, 143, 160, 161 Säkularisierung  44, 59, 60 Sarkophag  50, 106, 107, 109–112, 115, 117, 126, 129, 131, 139, 144–146, 163

187

Selbstzeugnis  67, 70, 71, 73, 100 Sepulkralkultur  27, 51 Sinndeutung / -formation 11, 16, 17, 52, 83, 130, 152, 165, 168 Steingutfabrikation / Steingutfabrikant  12, 56, 58, 60–62, 64, 65, 76–78 Stiftungen  15, 37, 39, 40, 42, 94, 113, 118, 131, 151, 160, 184 Tapferkeit  27, 51, 54, 119–122 Testament  28, 33, 37, 38, 39, 133 – Testamentsvollstrecker  38, 152, 167 Totengedächtnis / -gedenken  13, 19–22, 26– 29, 33, 37, 39–42, 46, 51, 55, 100, 102, 104, 106, 111, 113, 114, 117, 118, 122, 123, 129, 132, 140, 150, 162, 163, 165, 167, 183 Totenkult  13, 21, 27, 29, 118, 123, 167 Tourismus / Besucherpublikum  74, 123, 130 Tradition  12, 21, 24, 26–29, 38, 39, 41, 46, 55, 57, 83, 93, 94, 97–99, 102, 111, 131, 148, 150–153, 155, 161, 164, 166, 168 – Dynastische Tradition / dynastisches Traditionsverständnis  12, 24, 26, 29, 52, 55, 94, 95, 104, 108, 111, 118, 120, 122, 123, 135–138, 164, 165 Tschechoslowakei / tschecheslowakisch / tsche­ chisch / Tschechisch-Sozialistische Republik  137, 138, 147, 154–156 Tyrannei / Tyrann  53, 69 Verfassungs(-vorstellung) / -ordnung / -geschich­ te ​25, 26, 46–49, 56, 58, 65, 70, 73, 127, 136, 137 – Verfassungsverständnis  47, 69, 70, 165 Versailler Vertrag  138 Villeroy & Boch, Unternehmen  12, 15, 16, 22, 61, 63, 80, 100, 105, 115, 124, 127, 159, 184 Wappen  41, 109, 110, 115–117 – Wappenbuch 115 Wein / -handel  39, 62 Westgrenze Preußens / Dt. Bund / Deutschland ​ 99, 138, 142 Wiener Kongress  13, 17, 20, 47, 58, 64, 99, 164 Wittelsbacher 34, 103, 109, 111, 115–117, 123, 136 Zivilisationsgeschichte  69, 71, 73, 84