Scenae suppositiciae oder Der falsche Plautus 9783666251603, 3525251602, 9783525251607

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Scenae suppositiciae oder Der falsche Plautus
 9783666251603, 3525251602, 9783525251607

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HYPOMNEMATA 64

HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR UND ZU IHREM

ANTIKE

NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse / Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones / Günther Patzig / Bruno Snell

H E F T 64

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

SCENAE SUPPOSITICIAE oder Der falsche Plautus Eingeleitet, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Ludwig Braun

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Plautus, Titus Maccius: [Sammlung] Scenae suppositiciae oder der falsche Plautus / eingel., hrsg., übers, u. kommentiert von Ludwig Braun. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1980. (Hypomnemata; H. 64) ISBN 3-525-25160-2 NE: Braun, Ludwig [Hrsg.]

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Klassische Philologie und Kunstwissenschaften der Universität Frankfurt am Main gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1980 - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Hue ergo foetus istos sive abortivos sive subditivos alienae misericordiae exposui. qui vis, tollito: qui tolli nefas putas, tantillum loci quaeso te , ne invideto. simulque cogita, esse in iis, qui annos aliquot centenos in ipsis Plauti praesepibus aut potius sacrariis sine turba sedem habuerunt. Taubmann

Vorwort Am Anfang hätte ich nicht gedacht, daß aus einer Beschäftigung mit den Plautus-Supplementen mehr als ein maßvoll langer Aufsatz entstehen könnte. Aber dann geriet ich in immer weitere Fragen hinein, sobald ich erst einmal angefangen hatte, diese Texte philologisch ernst zu nehmen. Manch einer wird freilich belächeln, wieviel Arbeit hier an Texte von oft recht bescheidenem literarischen Anspruch gewendet worden ist. Man macht es eben immer nur Wenigen recht: Zu Ohren gekommen ist mir auch schon der entgegengesetzte Unwille: warum ich denn nicht gleich noch mehr Plautus-Supplemente bearbeitet hätte? Dieses Buch ist in der Hauptsache geschrieben worden in den Jahren 1975— 1977. Mühe und Arbeit dieser Zeit lassen sich leicht vergessen, unvergessen aber bleiben die Hilfsbereitschaft aller und der prachtvolle Rahmen fast aller Bibliotheken, die ich in dieser Zeit aufgesucht habe. Es waren dies vor allem, auf einer ausgedehnten Italienreise im Herbst 1975, die Laurenziana, Marciana und die Vaticana, besonders aber auch die Angelica in Rom, ferner die Nationalbibliothek in Wien, die Bayerische Staatsbibliothek in München, die British Library in London und die Universitätsbibliotheken von Göttingen und Freiburg. Nicht immer waren weite Reisen nötig: auch die Universitätsbibliothek Frankfurt am Main hat mit ihren besonders für den Humanismus reichen Beständen oft geholfen. Die Biblioteca Apostolica Vaticana hat außerdem großzügig die Publikation eines bisher unbekannten Textes aus einer ihrer Handschriften gestattet. Von Anfang an hat Herr Prof. Waither Ludwig das Entstehen dieses Buches mit Wohlwollen und vielfachen Ratschlägen und Einzelanregungen begleitet. In späterem Stadium hat auch Herr Prof. Paul Gerhard Schmidt mit schlagenden Bemerkungen eingegriffen. Vom Standpunkt des Klassischen Philologen aus mag es sich bei diesem Thema eher um Eskapaden handeln: trotzdem war Herr Prof. Christoff Neumeister auf meine Bitte hin sofort und ohne alle Umstände 5

bereit, diese Schrift dem Fachbereich für Klassische Philologie und Kunstwissenschaften der Universität Frankfurt am Main als Habilitationsleistung vorzuschlagen. Sie wurde dort im Herbst 1978 angenommen. Die Herausgeber der Hypomnemata, allen voran Herr Prof. Hartmut Erbse, bereiteten mir die Freude, auf meine Anfrage hin sogleich Interesse zu zeigen und wenig später die Aufnahme zu bestätigen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat dann durch einen bedeutenden Druckkostenzuschuß die Veröffentlichung unterstützt. Und da somit schon vom leidigen Geld die Rede ist: Zweimal habe ich bei der Kommentierung der Supplemente mit dem „heutigen Goldpreis" gearbeitet. Das möge den Kenner des Marktes nicht zu falschen Schlüssen verleiten: das Manuskript wurde ein letztes Mal im Sommer 1979 durchgearbeitet, wobei es sich eben als leichter erwies, mit der Forschung Schritt zu halten als mit der Notierung des Edelmetalls. Der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht hat schließlich, in bewährter Weise, mit Sorgfalt und ohne jede Verzögerung den Druck besorgt. Ein solcher Abriß der Entstehungsgeschichte dieses Buches möge verdeutlichen, wie sehr ich mich allen Genannten zu Dank verpflichtet fühle. Es bleibt aber noch ein besonderer Dank auch hier auszusprechen: an meine Frau, die manche Manuskriptseite ins Reine geschrieben, vor mancher voreiligen Formulierung gewarnt und vor allem durch ihren Scharfblick beim Korrekturlesen manche Peinlichkeit noch rechtzeitig verhindert hat. Hamburg, April 1980

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Inhalt Einleitung Die Supplemente u n d ihre Komödien Amphitruo Aulularia Bacchides Mercator Pseudolus

9 16 16 38 50 59 72

Metrik

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Verfasserfragen

83

Überlieferungsgeschichte

92

Amphitruo Aulularia Bacchides Mercator Pseudolus Text, Übersetzung, kritischer Apparat, K o m m e n t a r Amphitruo Aulularia I Aulularia II Aulularia III Bacchides Mercator Pseudolus

92 107 114 115 118 121 122 144 150 162 172 186 198

Übersicht über das V o r k o m m e n von Supplementen in den wichtigsten frühen Plautusausgaben

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Literaturverzeichnis

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Zitate mit einem Sternchen * beziehen sich auf die Supplemente, also z.B. Am. *25 = Amphitruo-Supplement V. 25, zum Unterschied von Am. 25 = (Plautus) Amphitruo V. 25, wenn aus der Umgebung nicht ohnehin deutlich wird, was gemeint ist

Einleitung Beim Blättern in alten Plautus-Ausgaben erkennt man den vertrauten Text nicht wieder: der Wortlaut ist anders, die Zeilen hören nicht an der bekannten Stelle auf, und ganze Partien stehen da, die bei Leo und Lindsay nicht zu lesen sind. Die Arbeit von Generationen von Philologen hat das Bild verändert und den Abstand geschaffen; Dank an alle diese, gemischt vielleicht mit Herablassung gegen die armen Früheren, die es noch nicht besser wußten, wird den Heutigen erfüllen. Aber welcher Fortschritt wird nicht mit einem Verlust erkauft? Was wir auf dem mühseligen Weg zum möglichst originalen Text verloren haben, ist eine merkwürdige und fesselnde Frucht humanistischer Arbeit am Plautus-Text aus dem späteren 15. Jahrhundert: die sceme suppositiciae, die Supplemente, die Ergänzungen, mit denen man die großen Lücken der Plautus-Komödien zu schließen suchte. Die derartigen Lücken, die als solche erkannt wurden, und ihre Ergänzungen sind folgende: 1. Die große Lücke im Amphitruo, die nach V. 1034 beginnt, mitten in der Szene 4,2, somit auf dem Höhepunkt der dramatischen Entwicklung. Ergänzungen dafür liegen vor in der italienischen Übersetzung des Amphitruo durch Pandolfo Collenuccio1; ferner eine lateinische, die hier herausgegeben und behandelt wird. 2. Der Schluß der Aulularia. Hier konkurrieren sechs verschiedene Ergänzungsvorschläge, ein anonymer (Aul. *I), einer von Antonius Urceus, genannt Codrus (Aul. *II), einer aller Wahrscheinlichkeit nach von Almorò Barbaro (Aul. *III). Diese drei werden in dieser Ausgabe behandelt. Nicht aufgenommen sind die weiteren: einer von dem Niederländer Martinus Dorpius, verfaßt 15082, ein weiterer von Ioachimus Camerarius, gedruckt 1542 3 , schließlich einer von einem

1 (Sekundärliteratur und Ausgaben werden in den Anmerkungen abgekürzt zitiert; für die weiteren bibliographischen Angaben ist das Literaturverzeichnis zu vergleichen). Pandolfo Collenuccio, Amfitrione, Vinegia 1530; das Supplement bzw. die nicht durch Plautus vorgegebenen Partien in diesem Druck f. 4 4 v - 5 7 r . 1 M. Dorpii thomus Aululariae Plautinae adjectus cum prologis aliquot in Comoediarum actiones et pauculis carminibus . . . In edibus T. Martini: Lovanii s.a. Dort f. D ii r ff. Nach Dorpius' eigenen Worten (f. D iii r) wurde die Aulularia mit seinem Supplement aufgeführt „tercio Nonas septèbres. Anno Millesimo Quingentésimo Octavo." Dieser Anlaß liegt nach der Vorrede (f. D ii r) fünf Jahre zurück, wonach der Druck datierbar wird, auf 1513. 3 In: M. Accii Plauti Comoediae V, Magdeburgi 1542, f. H 2 r - H 3r. - Über Camerarius allgemein vgl. etwa den Artikel von Friedrich Stählin, Neue Deutsche Biographie III 1957, S. 104f.

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gewissen Georg Reimann aus Leobschütz 4 , der aus der Zeit um 1600 stammen dürfte, von dem man aber ohnehin nur aus der Erwähnung in der Plautus-Ausgabe von Taubmann 1 6 0 5 5 weiß, der Text der Ergänzung ist nicht mehr aufgetaucht. 3. Der Anfang der Bacchides, hier behandelt. 4. Der Pseudolus-Prolog, von dem nur zwei echte Verse überliefert sind; unten behandelt. 5. Kurios sind zwei in den Mercator eingeschobene Partien (unten behandelt), denn dort fehlt gar nichts im Plautinischen Text. Besonders merkwürdig ist diese Ergänzung oder richtiger Erweiterung, wenn man bedenkt, daß umgekehrt die große Lücke in der Cistellaria (nach V. 229) nie mit einer Ergänzung geschlossen, ja überhaupt erst durch Vergleich mit dem ambrosianischen Palimpsest entdeckt wurde. 6 6. Nicht eigentlich eine Ergänzung, sondern eine Einleitung für eine besondere Aufführung ist der Menaechmi-Prolog des Polizian 7 , hier nicht aufgenommen. Neue Prologe dieser Art gibt es überhaupt in großer Zahl, zum Beispiel von Camerarius fur Aulularia und Mostellaria. 8 Bei einer szenischen Aufführung vorweg noch Eigenes zu sagen, war natürlich immer eine große Versuchung. 9 4 Das einzige, was sich über ihn fand, war eine Notiz in: Die Matrikel und die Promotionsverzeichnisse der Albertus-Universität Königsberg i.Pr., München 1908-17, I S. 196, zum Wintersemester 1610: „rectore . . . M. Georgio Reimanno, Leobschucense Silesio, eloquentiae professore publico, illustrissimi electoris Brandenburgensis etc., ducis Prussiae etc., bibliothecario, poeta laureato, . . . " . 5 Vgl. die Übersicht der Plautus-Ausgaben S. 203ff. Die erste Erwähnung dieses Supplements bei Taubmann (S. 1280) wird dann offenbar von einer Plautus-Ausgabe in die andere übernommen, ohne daß jemals einer die Ergänzung gesehen hätte. 6 Schon B. G. Niebuhr (1816) S. 176 bemerkt diese Gegensätzlichkeit. 7 Prose Volgari inedite e Poesie Latine e Greche edite e inedite di Angelo Ambrogini Poliziano, raccolte e illustrate da Isidoro del Lungo, Firenze 1867 (Nachdrucke Turin 1970, Hildesheim/New York 1976) S. 282-84. Die bewußte Aufführung fand, was del Lungo noch nicht wissen konnte, am 12.5.1488 statt, s. A. D'Ancona II S. 64. 8 In der oben Anm. 3 genannten Plautus-Ausgabe auf f. A 7r—ν, Q 5v—7v. ® Am Rande erwähnt seien noch einige deutsche Plautus-Ergänzungen aus neuerer Zeit: 1. Karl Moriz Rapp, Die Plautinischen Lustspiele im Trimeter übersetzt, Stuttgart 1843-52 bietet einen eigenwilligen Schluß der Aulularia, in dem er den Euclio nicht „liberal werden läßt" (S. 826f), vielmehr verharrt dieser in seinem Geiz. 2. An dem lateinischen Supplement der Bacchides übt Rapp herbe Kritik, nimmt aber für seine eigene Ergänzung des Prologs sowie der ersten Szene immerhin einige Anregungen von dort. So spricht auch bei ihm Silen, auf einem Esel reitend, den Prolog (S. 1590ff). 3. Ernst Raimund Leander (Plautus, Komödien. Amphitryon. Das Hausgespenst. Der Maulheld. Ins Deutsche übertragen und eingeleitet, München 1959) hat den Amphitruo ergänzt unter Verwendung von hierhergehörigen Plautus-Fragmenten. 4. Eine lateinische Ergänzung des Amphitruo mit deutscher Ubersetzung, ebenfalls unter Verwendung der originalen Fragmente, hat soeben Jürgen Blänsdorf vorgelegt: T. Maccius Plautus, Amphitruo, Lateinisch/ Deutsch, übersetzt und herausgegeben, Stuttgart 1979. - Den gleichen Wunsch, die Komödien des Plautus wieder vollständig zu besitzen, erbot sich übrigens kein anderer als Dr.

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D a s erste S u p p l e m e n t , das für den A m p h i t r u o , wird in der Plautus-Ausgabe Venedig 1 4 9 5 1 0 in den T e x t a u f g e n o m m e n , das letzte, der Anfang der Bacchides, in der A u s g a b e F l o r e n z 1 5 1 4 . K a u m s t e h e n die E r g ä n z u n g e n i m T e x t , g r e i f t Unklarheit u m sich: ist das nun v o n Plautus oder v o n e i n e m Humanisten? Saracenus ( 1 4 9 9 ) w e i ß v o n Ergänzungen für A m p h i t r u o , Pseudolus, Aulularia, lehnt sie aber allesamt als falsch ab. 1 1 P i o ( 1 5 0 0 ) d a g e g e n n i m m t in f e s t e r Ü b e r z e u gung, es m i t Plautus z u t u n z u h a b e n , die S u p p l e m e n t e für A m p h i t r u o , A u l u laria ( I ) , M e r c a t o r u n d P s e u d o l u s a u f , n i c h t aber d e n A n f a n g der B a c c h i d e s , weil er hier den zeitgenössischen Verfasser k e n n t . 1 2 Beroaldus ( 1 5 0 0 oder 1 5 0 3 ) k e n n t nur die S u p p l e m e n t e für A m p h i t r u o u n d A u l u l a r i a ( I I ) , h ä l t sie aber beide für falsch u n d d r u c k t sie daher nur i m A n h a n g seiner A u s g a b e a b . 1 3 Py-

Faustus zu erfüllen, auf besondere Art: bei einer Diskussion an der Universität E r f u r t soll er den Vorschlag gemacht haben, „wo es ihm ohn gefahr, und den Herrn Theologen nicht zuwieder seyn solte, die verlorne Comoedien alle wieder an dz liecht zu bringen und vorzulegen auf etliche stunden lang" (aus einer Erfurter Chronik von M. Zacharias Hogel, zitiert nach S. Szamatólski, Faust in Erfurt, Euphorion 2, 1895, S. 55). Der Vorschlag soll aber abgelehnt worden sein, mit einer nachlesenswerten Begründung. Jedenfalls „ d o r f t e also der Teufelsbanner hierinnen kein meisterstück sehen laßen." 10 Eine Übersicht der für die Geschichte der Supplemente wichtigen Plautus-Ausgaben steht S. 203ff. ein Überblick über das Vorkommen der Supplemente in den Plautusausgaben S. 202. " Im Kommentar zu Am. 1035: „Vos Iter: Nò Tficior q(ui)n ïter hâc & scena sup(er)ioré alia fuerit quoq(ue) scena Τ q iovis & amphitryôis còtètio p(ro)palet(ur): sed q(ui)a ídignü arbitror advenas & peregrinos p(ro) civibus reputari Iccirco versus complures quos ante aeditionè nostra p(ro) Plautinis Isertos hoc loco vidimus täq(uam) adulterinos & subditicios censuimus nò eè admittèdos in plautina familia: sicuti nònullos alios additos in fine aululariae & Γ principio pseudoli còoediarù." 12 Soweit die Supplemente bei ihm erscheinen, unterscheiden sie sich äußerlich in nichts vom Plautus-Text, werden auch ebenso kommentiert. Dabei verraten gelegentliche Äußerungen eben des Kommentars, daß Pio die aufgenommenen Ergänzungen für echt hält. Zu Am. *173: „Deionei: non memini me super hoc deioneo legisse: caeterum satis innotescit ex verbis plautinis: quinam hic fuerit deioneus" (vgl. Ritsehl, Opuscula II S. 57). Ähnlich zu Mer. *4: „hic Ordo plautinus est: omnia dueuntur nutu aretes" (arete ist Pios unsinnige Konjektur für Astarte), zu 9 (alios enecat)·. „loquitur ergo plautus implicite." Zu Ps. *22 alta, Pios v.l. für ultra·, „videtur enim mare significare p l a u t u s . " Nur in der Einleitung zum Ps. gibt er sich einmal weniger entschieden: „In nonnullis exemplaribus & alter hic prologus legitur: sicuti mos plautinus est duo proloquia saltim in fronte comoediae ascribere. Iudicium legentium erit nunquid plautinos sales & pitho sapiat." Hingegen in der Einleitung zu den Ba.: „Circumferuntur integrae bacchides carminibus additis a panormitha: quae n o n adstituere visum cum absque controversia Plautina dignitate careant. Quid cum leonibus vulpes iungam? Sincerum cuperem vas incrustare?" 13

Dort (f. R iii r) eingeleitet mit den Worten: „In Amphytrione & Aulularia desunt quaedam genuina Plautina, pro quibus haec substituía sunt, quae etsi notha sunt minimeque Plautinos sales redolentia, tarnen non repudianda Lector id quoque transiege." Zum Zeichen, wo die Ergänzungen hingehören, steht bei der entsprechenden Am.-Stelle „Mutila hic fabula est", und am Ende der Aul. „Imperfecta fabula". Dies letzte steht übrigens seit Menila (1472) schon in den Drucken, ebenso oder jedenfalls im Sinn entsprechend in mehreren Handschriften der Zeit, erst Pio läßt es natürlich weg.

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lades ( 1 5 0 6 ) erklärt, gezielt gegen Saracenus polemisierend, das AmphitruoSupplement ausdrücklich für echt. 1 4 Angelius setzt als erster den BacchidesAnfang ein, ist sich aber bewußt, daß es sich um „subditiva" handelt. 15 Daraufhin druckt die Veneta von 1518 diese Ergänzung in kleineren Typen und in Zweispaltensatz, und die Aldina (1522) läßt sie ganz weg. Die Ausgaben der nächsten Jahre, Cratander (1523), Longolius (1530), Gryphius ( 1 5 3 5 , 1537, 1540 und öfter) sind weniger auf Kritik gerichtet als auf eine möglichst komplette Wiedergabe des Textes mit allem Beiwerk. So stehen in all diesen Ausgaben sämtliche Supplemente, die bisher jemals in Plautus-Drucke aufgenommen worden waren (Am., Aul. I und II, Ba., Mer., Ps.). Nur dem Cratander ist noch klar, daß der Bacchides-Anfang nicht von Plautus stammt, weshalb er ihn nur im Kommentar abdruckt. Machtvoll setzt die Gegenströmung durch Camerarius (1552) ein: als erster Plautus-Editor auf die zwei guten alten Handschriften Β und C gestützt, wirft er alle Supplemente aus dem Text 1 6 , jedoch mit der Ausnahme des Pseudolus-Prologs, zu dem er bemerkt: „prologus hic in vetere libro (ne quid dissimulem) nostro, praeter últimos versus duos, desiderabatur, quem tarnen antiquum esse apparet." Aber die Supplemente sind zäh: was am frühesten in den Text kam, dringt am schnellsten wieder ein, das übrige sichert sich wenigstens ein Plätzchen im Anhang. Der Pseudolus-Prolog bleibt überhaupt lange unangefochten, Lambinus ( 1 5 7 6 und öfter) führt ihn ohne weitere Bemerkung und nimmt auch schon wieder die Amphitruo-Ergänzung auf, wenn auch mit Zweifeln. 17 Meursius (1599) 1 8 bricht eine Lanze für die Echt-

14 Sein Argument (f. XXX r): „Et versus hi plautinam olent lepiditatem, et Nonius eorum aliquot pro plautinis citat." Damit meint er die echten Am.-Fragmente, die in der Tat in seinem Supplement-Text standen, die aber, was er nicht wußte - oder nicht wissen wollte? - , erst Pio in den Text gesetzt hatte. Vgl. auch Ritsehl Opuscula II S. 71f. 15 Dies verraten seine Überschriften „Prologus subditivos" usw., s. dazu unten S. 114. 16 Zu Am. S. 121: „post h u n c versum (sc. 1034) multa sane desunt in nostro libro et in veteribus impressis. De quibus quidam eruditi contendunt, Plautinane sint ea, quae nunc in libris impressis leguntur, an non sint. Quam nos quidem controversiam indecisam relinquimus." Worauf er immerhin das Supplement separat im Kommentar S. 1 2 2 - 3 1 abdruckt. Zu Ba. S. 418: „Quae vero addita leguntur in editis libris, ut licet per me de iis sentiat quisque quod voluerit: ita vel medioeriter litteris Latinis erudito dubium esse non potest, Plautina illa non esse."

" Im Kommentar zum Anfang des Am.-Supplements: „Totus hic locus ab hoc versu, usque ad prineipium scenae, Vos inter vos partite &c. abest etiam a nostris Codicibus. Nos tarnen ea omnia, quae exstant in vulgatis, suo ordine, & suo loco excudenda curavimus, idque aliis litterarum elementis (er druckt das Supplement, aber nur die 1. Szene, kursiv, die 2. und 3. Szene ebenso wie den Plautus-Text steil), ut, sive sint Plauti, sive non sint, ne quis iure queri possit, quasi Plautum integrum non ediderim. Nam nostrum esse non putamus hanc controversiam diiudicaie." Zu V. *74: „Videntur superiora usque ad hunc locum, vendi posse pro Plautinis: quae sequuntur vero, non item. Sunt enim multa ex eis, aliunde mutuo sumta, imitata, & poene dicam, mendicata: nonnulla, inconcinna, & Plauto indigna." So in der Ausgabe Lutetiae, Apud Bartholomaeum Macaeum . . . MDLXXXVIII. 18 I (curarum Plautinarum commentarium) S. 50.

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heit des ersten Aulularia-Schlusses. Seit Taubmann (1605 und öfter) und Pareus (1610 und 1619) ist dann allerdings die Neigung groß, die Supplemente in die appendices zu verbannen. Noch Bothe (1809—11) setzt aber alles wieder an seinen Platz, freilich wohl wissend, daß nichts davon echt ist. Doch jede größere Ausgabe widmet der Echtheitsfrage einige Worte, und noch Niebuhr (1828) 1 9 hält den ersten Aulularia-Schluß für Plautinisch, die falschen Mercator-Szenen immerhin für eine nachplautinische, aber antike Doppelfassung. Ja, selbst im Jahre 1933 hat noch ein Italiener geglaubt, die falschen Mercator-Verse als ein Produkt des 2. nachchristlichen Jahrhunderts ansehen zu sollen. 20 Im übrigen nehmen diese Texte, gleichgültig, ob als echt oder falsch angesehen, am wissenschaftlichen Leben teil. Sie werden emendiert, kommentiert, übersetzt, auch zitiert, und dies meistens als Plautinisch. Forcellini und PapeBenseler excerpieren sie für ihre Wörterbücher, Forcellini weiß, daß dies scenae suppositae sind, Pape-Benseler weiß es nicht. 21 Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts machen einige Dinge dem Leben der Supplemente ein schnelles Ende: die Entdeckung des ambrosianischen Plautus-Palimpsests (1815), der, wenn auch von den fraglichen Partien nur die des Pseudolus enthaltend, doch hier wenigstens schlagartig klar machte, daß in der Spätantike der Pseudolus-Prolog noch nicht ergänzt war. Ferner die Ausgestaltung der textkritischen Methode, nach der Ritsehl 1848-52 die Plautus-Stücke Trinummus, Miles, Bacchides, Stichus, Pseudolus, Menaechmi, Mostellaria, Persa herausgab. Schließlich ganz besonders die gefestigte und eigentlich erstmals seit der Antike wieder sichere Kenntnis über die Plautinische Metrik, die sofort Spreu von Weizen zu scheiden erlaubte, also das einzige wirklich antike Supplement, den zweiten Schluß des Poenulus, von allen anderen Ergänzungen. Die Sache ist damit für jeden Einsichtigen so klar, daß Ritsehl 2 2 sich ausdrücklich gar nicht mehr die Mühe macht, die Unechtheit der Supplemente eigens zu erweisen. Die Einsicht hat sich denn auch schlagartig durchgesetzt, allein Vallauri 23 liefert noch ein hoffnungsloses Rückzugsgefecht, aber dann tut offenbar das allgemeine Bewußtsein, daß nun das Zeitalter der kritischen Ausgaben angebrochen ist, sein übriges. Kaum jemand spricht noch gelegentlich von den Supplementen, aus den Plautus-Ausgaben sind sie verschwunden, und überhaupt ausgeschieden aus dem Schatz der Texte, die den Philologen beschäftigen. " S. 1 5 9 - 7 8 . Carlo Albizzati, A t h e n a e u m 11, 1 9 3 3 , 2 2 7 - 3 9 . 21 Vgl. Forcellini s. v. noviter, außerdem die Bemerkungen meines Kommentars zu Aul. *II 96, Ba. *pr. 3 7 , 5 8 ; auch Lewis and Short ist so irregeleitet w o r d e n , s. zu Ps. 20

*12. " Opuscula II S. 4 3 f . " M. Accii (!) Plauti Comoedia . . . , Augustae Taurinorum 1 8 5 3 - 5 9 , enthaltend Aul., Men., Mi., Tri. Vallauri nimmt die Aul.-Supplemente I und II auf, vermerkt zu I nur, daß Meursius „censuit a Plautino ingenio profectum", zu II weiß er natürlich den Autor Codrus.

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So kommt es exakt dazu, daß die Supplemente von der Erfindung der kritischen Textausgabe nur den Schaden gehabt haben. Im Augenblick, als es die ersten kritischen Plautus-Ausgaben gibt, ist die erste Konsequenz, daß die Ergänzungen als unecht erkannt und ausgeworfen werden. Sie selbst sind bisher kritisch nicht herausgegeben worden, auch nicht ausfuhrlich und nach neueren Methoden kommentiert, und vor allem noch nie in ihrer gestalterischen und besonders dramatischen Eigenart gewürdigt. Und dies, obwohl nach den Worten Creizenachs diese Ergänzer „in gewissem Sinn als die ersten Renaissance-Lustspieldichter zu betrachten sind." 2 4 Denn diese Ergänzer schaffen in erster Linie für die Bühne, fur die Wiederbelebung des Plautus durch die Aufführung im Theater. Das sagt in einem Fall der Humanist Almorò Barbaro ausdrücklich 25 , in den meisten anderen ist das gleiche aus der inneren Einrichtung sicher zu schließen. 26 Hier fand eine Zeit noch einen besonderen Anreiz, die auch sonst die Trümmerhaftigkeit antiker Überlieferung zu heilen suchte, nicht nur, wenn Texte lückenhaft waren 2 7 ; ebenso an den Werken der bildenden Kunst. Barbaro sieht selbst diese Parallele: er als PlautusErgänzer mache es im Grunde nicht anders „quam qui statuas antiqui operis sine capite aut pedibus inventas reficiunt ferruminantque". 2 8 Und ähnlich beteiligen sich an diesem Geschäft auch die Großen der Zeit: Michelangelo ergänzt den Arm des Laocoon — um Plautus-Ergänzungen bemühen sich immerhin Polizian, Barbaro, Codrus. Freilich: nicht alle Supplemente besitzen einen Rang, der literarisch bemerkenswert wäre, manches ist ausgesprochen stümperhaft oder prahlt nur mit obskurer Belesenheit, ohne wirklich die Lücke zu schließen. Aber eines von ihnen, das für den Amphitruo, hat auch in der Weltliteratur Karriere gemacht: es prägt bestimmte Abschnitte des Amphitryon-Stoffes bis hin zu Molière und Kleist. Die Auswahl der hier behandelten Supplemente möchte nur die offenbar in Italien entstandenen der ersten Generation umfassen, die allein auch das erstaunlich zähe Leben in den Plautus-Ausgaben bis ins 19. Jahrhundert gefuhrt haben. Einzige Ausnahme ist das Aulularia-Supplement III, das bisher unbekannt war, und sowohl aus diesem Grund hier erstmalig veröffentlicht wird als auch, weil es sich dabei offenbar um die Ergänzung aus der Hand des Barbaro handelt, von der man durch eine Erwähnung in Barbaros Briefen schon länger wußte, doch hat man irrtümlich diese Nachricht bisher auf das Amphitruo-Supplement bezogen. 24

I S. 574. Barbaros Äußerung ist unten S. 84 im Zusammenhang wiedergegeben. Auch Dorpius bezeugt für seinen Aulularia-Schluß eine Aufführung, s. oben Anm. 2. 25

26

S. besonders die Bemerkungen unten zur Dramatik von Am.* und Aul. *II S. 25 u.

42ff. 27 S. dazu allgemein Paul Gerhard Schmidt, Supplemente lateinischer Prosa in der Neuzeit, bes. S. 46ff. 28 S. oben Anm. 25 und S. 84.

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Da alle diese Texte bisher so gut wie nicht bearbeitet waren, war viel zu tun. Zunächst mußte die Überlieferung geklärt werden, die sich in den meisten Fällen, besonders aber fur den Amphitruo, als nicht ganz einfach erwies. Sämtliche Supplemente haben, wie zu erschließen war, schon eine ausgedehnte Verbreitung in Handschriften hinter sich, als sie in die ersten Plautus-Drucke eindringen; die Handschriften sind verloren oder noch nicht wieder gefunden. In der Textausgabe wurde die Orthographie des Autors beibehalten, soweit sie sich aus den Quellen erschließen ließ und soweit sie sich an gewisse Regeln zu halten schien. Abweichungen notiert nur in wichtigen Fällen der Apparat. Interpungiert hingegen habe ich die Supplemente nach heutigen Regeln. Unterschiede zu den Quellen verzeichnet der Apparat nur, wenn sich der Sinn durch die neue Zeichensetzung erheblich ändert. Zu dem Text mußte eine Übersetzung gestellt werden, wie es bei neulateinischen Texten wegen der fehlenden Verständnistradition üblich geworden ist. Der Kommentar, der hinzu kam, erhebt nicht den Anspruch auf besondere Tiefe. Er gibt zunächst Sacherklärungen, zum Teil auch im Sinn fast elementarer Lesehilfen, da erfahrungsgemäß nur ein Teil der heutigen Benutzer neulateinischer Textausgaben auch Klassische Philologen sind. In der Hauptsache sammelt der Kommentar aber die sprachlichen Parallelen, vor allem aus der antiken Komödie, dazu auch das weitere Material für die Frage, welche anderen antiken Schriftsteller den verschiedenen Ergänzern vertraut waren und von ihnen verwertet wurden, und wie ,korrekt', am antiken Latein gemessen, die Ausdrucksweise in den Supplementen ist. Weiter waren die Versbegriffe in den Supplementen zu klären, und Verfasserund Datierungsfragen zu verfolgen, wobei allerdings vieles dunkel geblieben ist. Schließlich aber war die hauptsächliche Leistung der Ergänzer zu würdigen, mit Antwort auf die Fragen: wie paßt die Ergänzung in die Lücke? Was weiß man heute über den ursprünglichen Inhalt der Lücke? Welches sind die dramatischen und sprachlichen Qualitäten der Ergänzungen? Die Anordnung der folgenden Kapitel rückt diese Fragen an die erste Stelle, läßt die Einzelprobleme wie Metrik und Datierung sich erst daran anschließen.

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Die Supplemente und ihre Komödien Amphitruo Der Mythos erzählt von Jupiter, wie er die Liebe der Alcmene in der Gestalt ihres Mannes Amphitryon genießt. Die komische Gestaltung dieses Stoffes bei Plautus geht im Kern der Frage nach, was geschieht, wenn der falsche und der echte Amphitryon zusammentreffen. Wir heute spüren, spätestens durch den Kleistschen Amphitryon empfindlich gemacht, in diesem Vorfall sofort moralische Abgründigkeit und sogar tragische Züge. Für Plautus aber war nur wichtig, daß hier der Stoff für eine Doppelgängerposse mit reichen Möglichkeiten lag. Es galt, die Handlung durch ein Höchstmaß von Verwechslung und Verwirrung hindurch bis zu ihrem naturgegebenen Höhepunkt zu führen, dem direkten Zusammenstoß der beiden Amphitryone. In den Menaechmi, dem anderen Doppelgängerstück des Plautus, ist in gleicher Weise die erstmalige Begegnung der Zwillinge die unüberbietbare Krönung des komischen Spieles. Im Amphitruo erweitern sich die Möglichkeiten der Verwicklung noch beträchtlich dadurch, daß auch der Sklave Sosia in Mercur einen Doppelgänger erhält. Zudem geschieht in den Menaechmi alles nur aus Zufall, im Amphitruo dagegen haben die Götter das Geschehen stets sicher in der Hand, alles verläuft nach ihrem intriganten Plan. Die einzelnen Handlungsziele werden im Verlauf des Stücks erst nach und nach von göttlicher Seite ausgesprochen. Zuerst, am Ende des Prologs (150), hat Mercur lediglich vor, Sosia, der von seinem Herrn zu Alcmene vorausgeschickt ist, nicht ins Haus zu lassen und zurückzujagen. Das spricht er V. 263ff nochmals aus, und setzt die weitere Maßnahme hinzu, die er zu seinem Zweck plant: da er das gleiche Aussehen hat wie Sosia, will er ihn damit zum besten haben. Das genaue Ziel, das dann in Szene 1,1 erreicht werden soll, ist es, Sosia glauben zu machen, nicht er, sondern Mercur sei der wirkliche Sosia. Erstmalig behauptet Mercur, er sei Sosia, in V. 374, auf dem Hintergrund seiner von Anfang an drohenden Haltung, und versucht in einer ersten Runde diese Behauptung durch Fausthiebe einsichtig zu machen (370ff). Eine weitere Runde beginnt V. 403, mit argumenta bestritten (423), und da Mercur zeigt, daß er alles weiß, was eigentlich nur Sosia wissen kann, und da Sosia zuletzt auch das völlig gleiche Aussehen seines Gegenübers wahrnimmt (441-46), geht er schließlich ab: zwar glaubt er nicht, er selbst sei nicht mehr Sosia, aber daß es plötzlich zwei von seiner Sorte gibt, daran zweifelt er nicht mehr. Erst danach,V. 465, nennt Mercur ausdrücklich den Grund, warum er Sosia abgewehrt hat: Jupiter soll die Liebe Alcmenes ungestört genießen können. 16

Gegenüber Sosia hat dieser Umstand, der sehr viel weitere Verwicklungen in sich birgt, noch keine Rolle gespielt. Dazu erfahrt man jetzt den weiteren Handlungsplan: das ganze Haus Amphitryons soll mit Irrtum und Verwirrung erfüllt werden (470-73), und besonders wird es zwischen Amphitryon und Alcmene zum Streit kommen über dem Verdacht des Ehebruchs (476f). Dann erst wird Jupiter wieder Klarheit und Frieden schaffen (473—75 u. 477f). In der Szene 1,3 tritt Jupiter mit Alcmene aus dem Haus, um sich von ihr zu verabschieden. Jupiter und Mercur gehen ab, und auf den ersten Blick könnte es scheinen, als seien durch ihr Ausscheiden aus der Handlung die Möglichkeiten der Verwicklung gar nicht so groß. Jedoch kann zweierlei nicht ohne Folgen bleiben: Sosia ist überzeugt, daß er von einem zweiten Sosia am Betreten des Hauses gehindert wurde, und Alcmene hatte Erlebnisse mit dem falschen Amphitryon, die nicht mit denen des echten übereinstimmen können. Die Szene 2,1 führt in die erste Verwicklung hinein: Sosia ist zu Amphitryon zurückgekehrt, beide kommen jetzt zum Haus Amphitryons. Sosia hat von seiner unbegreiflichen Begegnung mit seinem Ebenbild berichtet und tut es jetzt noch einmal, erregt aber in seinem Herrn nichts als Unglauben und Verärgerung. Natürlich ist Amphitryon von der Existenz eines zweiten Sosia nicht zu überzeugen. In der nächsten Szene (2,2) stößt Amphitryon auf die zweite Unbegreiflichkeit: im Gegensatz zu Alcmene, die erst allein im frischen Trennungsschmerz vorgeführt wird, naht Amphitryon mit Sosia, sich warmen Empfang nach langer Trennung versprechend. Die unvereinbaren Geschichten prallen aufeinander, Amphitryon und Alcmene erhärten jeder fur sich die Behauptungen mit Beweisen, Alcmene besonders durch ihr Wissen um den Verlauf des Teleboer-Feldzuges, das sie doch nur von Amphitryon haben könne (744—46), und durch den Besitz der Trinkschale des Pterelas, die ihr Amphitryon mitgebracht habe (760— 81), Amphitryon durch Behauptung jeweils des Gegenteils, das er sich durch Sosia als Zeugen bestätigen läßt ( 7 4 8 - 5 5 u. 771-75). Allerdings kann Alcmene tatsächlich die Schale vorweisen, aus dem versiegelten Behälter Amphitryons hingegen ist sie unerklärlich verschwunden. Dem geht Amphitryon aber nicht weiter nach, um so entschiedener aber der Behauptung Alcmenes, sie habe mit ihm in der letzten Nacht das eheliche Lager geteilt. So kann Amphitryon sie nur des Ehebruchs beschuldigen, Alcmene ihrerseits ist empört über die grundlose Anschuldigung. Die zweimalige Anregung des Sosia, der ja seine Erfahrungen gemacht hat, es gebe vielleicht auch einen zweiten Amphitryon (785, 825ff), wird nicht fruchtbar. Amphitryon geht ab, um als weiteren Zeugen für die Richtigkeit seiner Behauptungen Naucrates zu holen. Alcmene und Sosia gehen ins Haus. Auch wenn Amphitryon jetzt mit Naucrates' Hilfe seine Version erhärten würde, könnte das Stück sich doch nicht sinnvoll weiterentwickeln: wie schon Szene 2,2, stünde unvereinbar eine Behauptung gegen die andere; auch die Behauptung des Sosia über sein Erlebnis könnte weder bewiesen noch widerlegt werden. Andererseits würde sich so aber auch error und dementia nicht ver2

Braun ( H y p . 6 4 )

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mehren, womit das ganze Haus doch erfüllt werden soll (s.o., V. 470—73). In diesem toten Punkt, wohl wissend, daß dies ein solcher ist (ne hanc inchoatam transigam comoediam 868), greift daher Jupiter von neuem ein, mit der erklärten Absicht, die Verwirrung noch zu vergrößern: in horum familiam hodie frustrationem iniciam maxumam (874f); erst danach will er Klärung bringen (876). Er beginnt diesen Plan dadurch, daß er in Szene 3,2 als falscher Amphitryon alle Anschuldigungen des echten vor Alcmene zurücknimmt und sich mit ihr versöhnt. Jetzt soll das Opfer für die glückliche Heimkehr stattfinden, Sosia wird aus dem Haus gerufen, um den Steuermann Blepharo als Gast dazu zu holen (3,3). Jupiter bleibt noch kurz allein auf der Bühne und kann feststellen, daß jetzt schon zwei, Alcmene und Sosia, ihn für Amphitryon halten (974f): die frustrado greift plangemäß um sich. Zur weiteren Steigerung ruft Jupiter den Mercur als falschen Sosia herbei: der soll den echten Amphitryon vom Haus fernhalten, während er selbst drinnen mit Alcmene feiert. Mercur kommt und entwickelt seinen Plan, vom Dach des Hauses aus Amphitryon am Eindringen zu hindern (3,4). Die Situation ist damit gleich wie in Szene 1,1: Jupiter ist bei Alcmene im Haus, Sosia und Amphitryon sind draußen, nur Mercur steht diesmal nicht vor dem Haus, sondern auf sichererem Posten: mit dem Angsthasen Sosia konnte er es ohne Deckung aufnehmen, nicht so mit dem Soldaten Amphitryon. Dieser erscheint, verärgert, weil Naucrates nicht zu finden war, sieht das Haus verschlossen und klopft. Mercur zeigt sich von oben, aber mitten in dem brisanten Dialog reißt der Plautinische Text ab. Im wesentlichen ist jedoch nicht zweifelhaft, was in der Lücke geschehen sein muß. 1 Einzelheiten liefern das argumentum II, einige Vorverweise innerhalb des Erhaltenen, sowie die Fragmente. Danach wurde im weiteren Verlauf der Szene 4,2 Amphitryon von Mercur natürlich nicht eingelassen, sondern übel beschimpft und mit Drohungen überschüttet (fr. 3-6), besonders aber auch darauf gestoßen, daß er gar nicht Amphitryon sein könne, da der sich drinnen befände (fr. 2). Wahrscheinlich durch den Tumult vor der Tür gestört, trat dann Alcmene aus dem Haus, um unerwartet einen nicht versöhnten Amphitryon vorzufinden, so daß es erneut zu heftigem Streit zwischen Alcmene und Amphitryon kam (fr. 7—10, Szene 4,2a). Alcmene wird empört ins Haus zurückgerauscht sein, dem Amphitryon die Tür zuschlagend. Dann kam Sosia mit Blepharo, gemäß dem Auftrag des falschen Amphitryon. Entsprechend der Ankündigung Mercurs, der echte Sosia werde es auszubaden haben, wenn der falsche Sosia den Herrn nicht einläßt (1002), fiel Amphitryon über Sosia her; wie die Sache genau ausging, wird allerdings nicht mehr klar (fr. 11-12, Szene 4,2b). Jedenfalls schied Sosia aber aus der Handlung aus, denn in der folgenden Szene, mit deren Ende das Erhaltene wieder beginnt, und überhaupt im 1 Die Rekonstruktion des Verlorenen ist zuletzt vorzüglich behandelt, mit Besprechung älterer Vorschläge, von Elaine Fantham. Die ältere Arbeit von G. Rambelli kann dagegen in wichtigen Einzelheiten nicht überzeugen.

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restlichen Stück ist er nicht mehr auf der Bühne. In dieser Szene (4,3) trat Jupiter aus dem Haus, so daß sich nun echter und falscher Amphitryon direkt gegenüberstanden, vor den verwirrten Augen des Blepharo. Dies hatte Jupiter 952f vorausgesagt, ebenso, daß er den Amphitryon am Halse packen werde (s. auch arg. II 6f). Eben dies sowie einen heftigen Wortwechsel zeigen die Fragmente 15—19. Blepharo, und damit sind wir wieder im Erhaltenen, weiß nicht zu entscheiden, welcher Amphitryon der echte ist, und geht seiner Wege. Jupiter, der sicher zuvor stets der Überlegene war, geht im Triumph in das Haus des Amphitryon, zurück zu Alcmene. Amphitryon, allein, will in rasender Wut sein Haus stürmen. Da aber, unter Blitz und Donner, begibt sich die Geburt des Herakles und Iphikles, und Amphitryon wird erst von seiner Magd Bromia (Szene 5,1), dann von Jupiter selbst (Szene 5,2) über den wunderbaren Hintergrund aller Verwirrung aufgeklärt, genau zu dem Zeitpunkt, als die frustrano maxuma, das erklärte Handlungsziel des Stückes, ihren Höhepunkt erreicht hat. Das Stück ist in einem klaren Plan zugleich auf Symmetrie und Steigerung angelegt. Es zerfällt in der Hauptsache in die zwei großen Teile 1,1—2,2 und 3,1-4,3. Eine wesentliche Steigerung im zweiten Teil liegt darin, daß Amphitryon erst hier den zweiten Sosia und den zweiten Amphitryon sieht und erlebt, im ersten Teil hatte er stets nur über sie berichtet bekommen. Den Amphitryon auf das Vorhandensein seines Doppelgängers immer kräftiger zu stoßen, ist das genauere, so zwar nie formulierte, aber der gesamten Handlung ohne Zweifel innewohnende Ziel. Doch findet sich Amphitryon nie einfach damit ab, daß es jetzt eben zwei Amphitryone gebe, sondern noch 4,3, nachdem er sein Ebenbild mit eigenen Augen gesehen hat, sucht und findet er eine Erklärung: Zauberei (1043f), und ist entschlossen, dagegen anzukämpfen: Sturm aufs Haus (1048—52). Er ist darin der Gegensatz zu Sosia, der, wenn auch nicht ohne anfängliches Widerstreben, sich doch sehr bald darauf einläßt, daß noch ein zweiter Sosia da ist. Begreiflicherweise leistet ein Sklave, und ein nicht sehr mutiger dazu, nicht den Widerstand wie ein Freier, der einen militärischen Oberbefehl innehat. Dieser Widerstandswillen des Amphitryon ist somit die dramatische Gegenkraft, die Hemmung, die sich der Verwirklichung des Handlungsziels entgegensetzt. Sosia als schwächstes Glied wird gleich zu Anfang des Stükkes fur das Handlungsziel vereinnahmt, Amphitryon dagegen kommt erst am Ende, nach schrittweiser Steigerung der Maßnahmen, unter den schwersten Beschuß. Zwischen diesen beiden äußersten Szenen, in denen jeweils ein Mensch seinem göttlichen Gegenspieler das einzige Mal direkt gegenübersteht, befinden sich in symmetrischer Verteilung in jedem Teil zwei Szenen mit Alcmene, in denen sie je einmal mit dem falschen und mit dem echten Amphitryon zusammengerät (1,3; 2,2; 3,2; 4,2a). Dabei ist Jupiter, der falsche Amphitryon, jeweils friedfertig und auf Alcmenes Zuneigung bedacht, der echte Amphitryon gerät jeweils in Zorn über die unbegreiflichen Aussagen der Alcmene. Während 19

aber ein friedvoll gestimmtes Beisammensein von Jupiter und Alcmene in Szene 1,3 durch dramatische Gegenkräfte noch nicht in Frage gestellt ist, kann ein vergleichbarer Zustand in Szene 3,2 von Jupiter erst durch erhebliche Anstrengungen wieder erreicht werden. Und der einfache Widerspruch zwischen Alcmenes und Amphitryons Meinungen in Szene 2,2 muß 4,2a zu einem beträchtlich komplizierteren und spannungsreicheren geworden sein, nachdem Alcmene doch nur glauben konnte, sie hätte sich mit Amphitryon wieder versöhnt. Um die genannten, in beiden Teilen sich symmetrisch entsprechenden Szenen gruppieren sich in freierer Anordnung die Auftritte, in denen die falschen und echten Herren und Diener zusammentreffen. Eine schematische Übersicht des ganzen Stückes sieht so aus 2 : (Prolog, τ 1,1 (1,2 Π ,3 -2,1 2,2 (3,1 3.2 3.3 (3,4 (4,1 .4,2 [ 4,2a > 4,2b 4,3 (5,1—3

Mercur) Mercur, Sosia Mercur) Iuppiter, Alcmene, (Mercur) Amphitruo, Sosia Amphitruo, Alcmene, (Sosia) Iuppiter) Iuppiter, Alcmene Iuppiter, Sosia, (Alcmene) Mercur) Amphitruo) Amphitruo, Mercur Amphitruo, Alcmene Amphitruo, Sosia, (Blepharo) Amphitruo, Iuppiter, Blepharo Amphitruo, Bromia, Iuppiter)

ZS — AS HDS AS

AS HDS

HDS AS HDS ZS —

Das Prinzip der steigernden Wiederholung, das bisher im Verhältnis des ersten zum zweiten Teil zu beobachten war, betrifft überdies das Paar von Herren-Diener-Szenen 2,1 und 4,2b. Beide Male ist Amphitryon auf Sosia erzürnt, doch zu Unrecht, da jeweils Mercur der wirklich Schuldige ist. Mercur selbst unterstreicht die Parallele durch seine zweimalige Voraussage, wie es Sosia jeweils ergehen werde (466—69 und 1002f). Schließlich ähneln sich die zwei Szenen, in denen Mercur einmal den Sosia, dann den Amphitryon vom Haus 2

Die wesentlichen Züge dieser tabellarischen Übersicht sind übernommen aus der mustergültigen Untersuchung zum Aufbau des Amphitruo von Udo Reinhardt S. 9 5 - 1 3 0 , bes. 120, ebendaher die meisten der eben ausgeführten Beobachtungen zum Aufbau. Eingeklammert sind in der Tabelle nicht problemträchtige Szenen und die nicht problemträchtigen Rollen der jeweiligen Szene. ZS bedeutet Zwillingsszene, AS Szene mit Alcmene, HDS Herren-Diener-Szene.

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vertreibt (1,1 und 4,2), doch hat wieder die zweite durch den Rang und die leidenschaftlichere Gegenwehr des Vertriebenen das größere Gewicht. Beide Szenen gleichen sich auch darin, daß Mercur in ihnen jeweils das tut, was Sosia in den beiden Parallelszenen 2,1 und 4,2b ausbaden muß. Eine Fülle von Steigerungslinien konvergiert demnach gerade in dem Raum der Szenen 4,2 bis 4,3, hier liegt unzweifelhaft der dramatische Höhepunkt des ganzen Stückes — aber gerade diese Partie ist die uns nicht erhaltene. Wer hier ergänzen wollte, mußte Besonderes leisten. Wie hat der Autor des Supplements seine Aufgabe bewältigt? Bevor das Erhaltene der Szene 4,2 abbricht, ist noch nichts Wesentliches geschehen. Mercur als Sosia poltert gleich los, und Amphitryon gibt ihm erzürnt heraus, auch ist die Schlüsselfrage an Amphitryon quis tu es homo? V. 1028 schon gestellt, die Spannung somit gehörig angeheizt, aber das eigentliche Unwetter ist bis V. 1034 noch nicht losgebrochen. Amphitryon begreift natürlich zunächst nicht die Tragweite dieser Frage nach seiner Identität und droht einfach mit Schlägen, was Mercur zu entsprechenden Gegendrohungen reizt (1029f und 103 lf). Ein weiteres Paar von Drohungen bringt danach in der Sache keine Steigerung (1033 und 1034), wenn wir den heute bekannten ursprünglichen Text zugrunde legen: te macto infortunio. Der Autor des Supplements freilich las als letzte Worte vor der Lücke nur te macto, was er als Drohung mit dem Tod verstehen mußte, also als erhebliche Verschärfung. Hier zeigt sich sogleich die geschickte Hand dieses Ergänzers, indem er diese Steigerungslinie genau fortführt: Amphitryon droht, an der Anschlußstelle des Supplements (1—2), seinerseits mit Schlägen bis zum Tod, wie er durch Saturni hostia andeutet (s. den Kommentar). Bemerkenswert ist nun, daß Mercur, nach den bisherigen Plautinischen Umschweifen, die die Handlung auf der Stelle treten ließen, zur Sache zurückkehrt, da er jedes weitere Klopfen an der Tür verbietet und andernfalls eine wirklich ausführbare Maßnahme androht, nämlich auf Amphitryon mit einem Ziegel zu werfen (3—5). Zur Antwort will Amphitryon die Tür einrennen, also gleichfalls etwas unmittelbar Mögliches unternehmen (6f). Und er schreitet auch zur Tat (pergo), doch Mercur nicht minder, denn er wirft den Ziegel (accipe). Dies ist ein bedeutender Höhepunkt, mit energischer Aktion auf beiden Seiten, auf der Bühne natürlich entsprechend augenfällig, und mit schlagartiger Ein-Wort-Wechselrede aufs Wesentliche zugespitzt (8). Körperlich getroffen hat der Stein wohl nicht, doch ist der Zorn Amphitryons gewaltig, daß hier die Hand gegen den Herrn erhoben wurde (in herum? 8). Damit ist aber in diesem höchst gespannten Augenblick zugleich das Stichwort gefallen, Mercur hakt ein 3 , der Alte habe wohl zu tief ins Glas geschaut, daß er ihn für seinen Sklaven halte, sein Herr sei nämlich Amphitryon ( 1 0 - 1 2 ) . Vielleicht nicht ganz geglückt ist nun, wie auf einmal von Amphitryons Zorn nichts mehr zu hören ist, und wie 3 Im Prinzip wäre ein Einhaken Mercurs auch schon auf V. 6 mets me procul aedibus hin möglich gewesen.

prohibessis

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er gleich zu zweifeln beginnt, ob er noch seine Gestalt besitzt. Offensichtlich steckt aber dahinter ein Konzept des Autors, der den Amphitryon schon V. 1 sagen läßt nisi formam dii hodie meam perduint. Das klingt an der Oberfläche wie die übliche Beteuerung si vivam, läßt aber den Zuschauer schon hier die Unsicherheit Amphitryons vorausahnen. Verwirrt und betroffen will Amphitryon der unglaublichen Behauptung nachgehen. Aber nun sagt ihm Mercur in aller Deutlichkeit, daß er nicht Amphitryon ist, wiederholt den Verdacht der Trunkenheit, und führt den nächsten, noch böseren Streich: Amphitryon ruhe im Haus bei seiner Gemahlin (15-18). Dies ist dem Amphitryon so ungeheuerlich, daß er mehrfach und für alle Einzelheiten nachfragen muß. Mercur sträubt sich zum Teil, malt aber auch die Liebesszene genüßlich aus (19-23). Und noch einmal beginnt Amphitryon von vorne, ob er denn nicht Amphitryon sei, und wieder kontert Mercur mit dem Bild der von Amphitryon umschlungenen AIcmene, trumpft dann auf, wenn es draußen keine Ruhe gebe, werde er seinen Herrn holen (26—31). Das allerdings ist dem echten Amphitryon sehr recht, und Mercur hat einen Grund zum Rückzug ins Haus, nachdem er noch den Amphitryon vor jeder Zudringlichkeit gewarnt hat. So muß Amphitryon vor dem Haus warten, und hat Zeit, sich Gedanken über die unbegreiflichen Ereignisse zu machen. Dabei erinnert er sich an manche anderen Wunderdinge und besonders Verwandlungen, von denen man hört, an Werwölfe (39—41) und an Ereignisse um Cadmus, den Gründer Thebens ( 5 0 55), um schließlich wieder zu seinem eigenen Unglück zurückzukehren: wie konnte Alcmene nur über seinen Feldzug schon Bescheid wissen, und wie kam sie zu der Schale? Da hat er plötzlich die Lösung, daß offenbar Sosia hinter allem steckt, Sosia, der ihm ja eben auch so unerhört mitgespielt hat (65—72). Während sich so Schritt für Schritt Amphitryons Gedanken dem Sosia nähern, nähert Sosia selbst sich dem Amphitryon auf der Bühne. Er ist aufgetreten mit Blepharo, den zu holen ihm der falsche Amphitryon aufgetragen hatte, und mit dem er sich gleichfalls über die Wunder des heutigen Tages unterhält: begreiflich, daß Sosia über das spricht, was ihn am meisten bewegt, aber auch von dem Autor wohl bedacht: so wird Blepharo einigermaßen eingestimmt auf das, was ihm bevorsteht, und am Ende der Szene wird er, auf dies sein neuestes Wissen gestützt, guten Rat geben können. V. 49 bemerkt Blepharo den Amphitryon, der aber noch völlig in Gedanken versunken ist und die neu Aufgetretenen nicht wahrnimmt. Im V. 58 kommt nun Sosia die Sache nicht geheuer vor, daß sein Herr vor dem verschlossenen Haus auf- und abgeht. Auch hört er, wie Amphitryon laut mit sich redet, und möchte zur Vorsicht lieber erst horchen: so nahe ist man also inzwischen dem Amphitryon gekommen. Zu seinem Schrekken muß Sosia aber gerade hören, wie Amphitryon von einer Schuld des Sosia spricht und fürchterliche Strafe plant. Die Spannung ist damit Zug um Zug auf ihren Höhepunkt gestiegen. Jetzt meint Sosia, man solle Amphitryon nicht durch weiteres Warten noch zorniger werden lassen, und Blepharo spricht ihn an. Gleich wundert sich Amphitryon, wieso Blepharo zu ihm kommt, und hier käme 22

man ja auf manches Merkwürdige, wenn man sich in die Behauptung vertiefte, Amphitryon habe den Blepharo eingeladen; doch bricht Amphitryon den Klärungsversuch ab, sowie nur der Name Sosia fallt. Schon in der Schroffheit des Umspringens zeigt sich die Gewalt seines Zorns (87). Dabei ist er so von Sinnen, daß er zunächst den Sosia mit den Blicken nicht erkennen kann (auch vorher hatte der Rachedurst ihn schon blind für seine Umgebung gemacht, so daß Blepharo erst durch ein Anrufen auf sich aufmerksam machen mußte, 82); sowie er ihn aber sieht, stürzt er auf ihn los, Blepharo abschüttelnd, der eingreifen will (90). Hier verdichtet sich das Geschehen, dem vielfältige Bewegungen auf der Bühne entsprechen müssen, zu einer echten Drei-Personen-Handlung — eine Leistung, die sonst keinem der Supplement-Autoren auch nur in den Sinn kommt, außer dem Codrus, und auch ihm gelingt derlei nicht so gut. Amphitryon prügelt, Sosia empfängt die Prügel, Blepharo will vermitteln. Alles ruft und agiert durcheinander, wie sehr, zeigt schon Amphitryon, der zugleich Sosia prügeln und dem Blepharo zuhören kann: Die, ausculto; tu vapula! (91). Sosia erst, dann auch Blepharo versuchen eine Verteidigung: sie hätten sich doch wirklich beeilt; einen anderen möglichen Grund für Amphitryons Zorn kann sich natürlich Sosia nicht denken. 4 Hier wäre von neuem Anlaß für Amphitryon, stutzig zu werden, aber fur ihn gibt es im Augenblick nur eins: den Sosia verprügeln — was aber nicht ausschließt, daß er gedankenlos einen Teil der Verteidigung nachspricht (94). Jeder einzelne Hieb läßt sich im Text verfolgen ( 9 5 97). Erst nachdem so der schlimmste Rachedurst gelöscht ist, kann Blepharo aufs neue versuchen, bei Amphitryon Gehör zu finden, diesmal mit Erfolg, Amphitryon nennt den Grund seines Zorns (97—98). Dagegen kann, jetzt endlich, Sosia alles abstreiten und seine Geschichte erzählen, die Amphitryon mit einzelnen scharfen Fragen sich begreiflicher zu machen sucht, um doch nach dem ersten Durchgang verzweifelt wieder seine eigene Version dem Blepharo vorzulegen (106). So versucht er es ein zweites Mal, und jetzt verweist zu seinem Unglück Sosia darauf, daß Alcmene ja dabei war, als Amphitryon ihn ausgeschickt hatte. Dadurch wird alles nur noch schlimmer, so treibt er den Stachel in Amphitryons empfindlichste Stelle, dorthin, wo schon Alcmene in Szene 2,2 und eben V. 18ff wieder Mercur zutiefst getroffen hatte: schon setzt es wieder Schläge, und erst nach erneutem Einschreiten von Blepharo läßt Amphitryon ab ( l l l f ) · Blepharo als nicht so Verwickelter hat die klare Einsicht, daß hier nicht alles mit rechten Dingen zugehen kann, daß hier vielleicht Zauberei der Grund ist, und so wird Amphitryons Zorn von Sosia abgelenkt. Zum Ende der Szene tritt damit eine gewisse Beruhigung ein. Aber schon tritt Jupiter aus dem Haus des Amphitryon, erzürnt über den Lärm vor .seiner' Tür. Augenblicklich entscheidet sich Sosia für ihn als den ech4 Sosia knüpft damit genau an V. 81, seine letzten Worte zuvor, an: schon da verließ er ja deswegen seinen Horchposten, weil er Amphitryon durch längeres Warten nicht noch ärgerlicher werden lassen wollte.

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ten Amphitryon, natürlich, da er von diesem keine Schläge bekommen hat (124). Blepharo ist ebenfalls tief beeindruckt von den zwei Amphitryonen, bemüht sich aber wieder um ein abgewogenes Urteil (125f). Jupiter ergreift die Initiative und wendet sich an Blepharo und besonders an Sosia, wobei er sich sofort als der Amphitryon zu erkennen gibt, der Sosia nach Blepharo ausgeschickt hat. Da er zudem noch auf das bevorstehende Mahl anspielt, geht Sosia nun vollends mit fliegenden Fahnen zum falschen Amphitryon über: volito sagt er (129)! Das zieht den echten Amphitryon in die Handlung hinein, erst mit Worten, dann mit Schlägen geht er auf seinen abtrünnigen Sklaven los (130f). Dies aber kann Jupiter in der Rolle Amphitryons nicht zulassen: über den Besitzanspruch auf Sosia stoßen beide Amphitryone erstmalig direkt zusammen. Dabei ist von Anfang an Jupiter die überlegene Ruhe selbst: das wilde mentiris (132) des Amphitryon müßte an sich den Sturm eröffnen, doch Jupiter schickt erst Sosia noch ins Haus hinein, nimmt also in diesem Streitpunkt den Sieg schon vorweg. Dann erst geht er auf Amphitryons mentiris ein, läßt sich bestätigen, daß er recht gehört hat, und fährt ihm an den Hals (138f). Jetzt ist es Amphitryon, der Blepharo zu Hilfe ruft, ebenso wie 110 Sosia. Für Blepharo ist die Lage freilich unerklärbar, doch das Handgemenge will er in jedem Fall beenden. Jupiter läßt sich aber so schnell nicht erschüttern, zweimal muß Blepharo ihn auffordern, den Hals des andern loszulassen: inzwischen steht also Jupiter, Amphitryons Hals in der Hand, und diskutiert mit Blepharo (143-47)! Auch als er schließlich losläßt, zeigt er sich weiterhin ungläubig erstaunt, daß Blepharo diesen anderen ebenfalls für Amphitryon hält. Amphitryon selbst, bereits erheblich gedämpft, will wissen, ob der andere wirklich Amphitryon ist (150), und so tritt mit Nachdruck Behauptung gegen Behauptung (150—52). Wieder treibt Jupiter die Handlung weiter, indem er jetzt Blepharo entscheiden lassen will, und der plant, die Verwirrung mit Hilfe von Indizien zu klären (153). Nach einer ersten Runde, die mit Gewalttätigkeit keine Entscheidung zwischen den zwei Amphitryonen gebracht hat, soll also eine zweite, mit Argumenten geführte, beginnen. Blepharo fragt zuerst nach den Befehlen, die Amphitryon vor der Taphierschlacht gab, Amphitryon antwortet korrekt, aber auch Jupiter weiß dazu etwas, und drängt sich ungefragt damit vor (154—57). Hier möchte Amphitryon selber mit einer weiteren Frage an Jupiter nachhaken, er aber wird von Blepharo zur Ordnung gerufen (158). Die Anregung, nach der Geldsumme zu fragen, greift Blepharo indes auf, doch wieder wissen beide gleich gut Bescheid (159—62). Bevor noch Blepharo eine neue Prüfung beginnen kann, holt Jupiter ungefragt aus zu einem großspurigen Bericht seiner Taten, der zwar nur wenig enthält, was seine vorgebliche Identität beweisen könnte, der aber besonders, da er in das Beisammensein mit Alcmene mündet, Amphitryon wieder im Innersten treffen muß (163-66). So verliert Amphitryon auch zunächst völlig die Fassung (167f), setzt dann aber dagegen eine — gleichfalls wenig beweisende — Darstellung seiner Abkunft, Stellung und Kriegführung (169—73). Nur weiß wiederum Jupiter entsprechend zu antworten (174—77), so daß Amphi24

tryon sich nur noch wundert — obwohl es sich in diesem Gang um so verborgenes Wissen gar nicht gehandelt hatte (178f). Hier endlich gelingt es Blepharo wieder, die Dinge in die Hand zu bekommen: als letzte, entscheidende Probe verlangt er, die Narbe des Amphitryon aus dem Kampf mit Pterela zu sehen (180—82). Damit verfällt er auf ein an sich untrügliches und damit besseres Kriterium: die Fragen 1 5 4 - 6 0 zielten lediglich auf Wissen, das ein geschickter Impostor zur Not sich noch erwerben konnte: bei dem körperlichen Merkmal einer Narbe war das nicht möglich, so lange es mit rechten Dingen zuging. Doch Jupiter spielt jetzt seine göttliche Überlegenheit so weit aus, daß er sogar dem Blepharo ins Wort fallt und, noch ehe der die letzte Prüfung nennen kann, sie vorweg ausspricht (180f). Beide Amphitryone weisen dann die gleiche Narbe vor, und Blepharo weiß keinen Rat mehr (182—87). Der Anschluß von diesem Ende des Supplements an das Plautinische ist wiederum vorzüglich. V. 1035 zeigt Blepharo in eben der erreichten Ratlosigkeit, und aus diesem Grund geht er 1038 ab und will mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Jupiter, durch sein Auftreten im Supplement der Sieger nach Punkten, geht triumphierend in Amphitryons Haus zurück, nicht ohne durch seine letzten Worte Alcumena parturit (1039) erneut seine Gewalt über Alcmene zu bekräftigen und Amphitryon am empfindlichsten Punkt zu treffen. Amphitryon bleibt zurück, von allen verlassen, erst verzweifelt, dann besinnungslos vor Zorn, schließlich zum erneuten Sturm auf sein Haus ansetzend, wie schon in Szene 4,1 und V. *7. Wie auch Blepharo *113f, kann er sich alles nur als Werk eines Zauberers erklären, eines Thessalus veneficus (1043). Bei dem Autor dieses Supplements haben wir es unzweifelhaft mit einer besonderen Begabung für das Dramatische zu tun. Alle drei Szenen sind prall von Handlung, bringen Turbulenz, Grobheiten, Schimpfwörter, Tätlichkeiten. Kräfte und Gegenkräfte werden in einem wirklichen Ringen gezeigt, niemand vermag schnell durchzusetzen, was er will, selten wird Unfaßliches gleich verstanden. Die einzelnen Szenen steigern sich stets auf den wirksamsten Effekt hin, und alle Szenen miteinander steigern sich gleichfalls von anfänglicher Zweizu echter Drei-Personen-Handlung. Der Autor weiß, was auf der Bühne wirkt: wenn Amphitryon gegen Sosia Drohungen ausstößt — und Sosia unbemerkt längst aufgetreten ist; wenn Jupiter den Amphitryon am Hals gepackt hält und seelenruhig Fragen erörtert, die weniger nahe liegen. Zudem hat der Autor mit Sorgfalt alle Hinweise berücksichtigt, die das erhaltene Plautinische Stück für Inhalt und Verlauf der ausgefallenen Szenen gab. An wörtlichen Vorverweisen ist das allerdings nicht viel: Mercur kündigt (998— 1003 und 1008) an, daß er auf das Dach steigen und von da aus Amphitryon vom Haus fernhalten wird; Sosia werde dann dafür büßen müssen; Jupiter schickt (950—53) den Sosia, Blepharo zu holen, der allerdings kein Essen bekommen werde, sondern zum Narren gehalten werden solle, wenn Jupiter den Amphitryon am Hals packt. Damit ist in der Tat der Kern je einer von den ergänzten Szenen umrissen. Viel bedeutsamer aber ist es, daß der Autor sich in die Bau25

gesetze des ganzen Stücks vertieft hat und so die angelegten Entsprechungen und Steigerungen, von denen schon die Rede war, verwirklichte. Besonders die Szenen I und III sind stark nach ihrem Muster 1,1 ausgerichtet.5 Das geht bis in den Aufbau der Szenen und bis in einzelne Formulierungen hinein. In Szene I betreibt Mercur sein Ziel, den Ankömmling fortzujagen, ebenso wie in 1,1 zuerst mit purer Gewalt — dort mit Faustschlägen (370), hier mit dem Steinwurf (*5—8) - , dann, indem er den Gegenspieler an seiner Identität irre macht (374ff u. *10ff). Voraus gehen Drohungen des Mercur, denen Amphitryon *6 entgegnet Tun furcifer meis me procul prohibessis aedibus?, ganz ähnlich wie Sosia 361: tun domo prohibere peregre me advenientem postulas? Die Szene III steht von Anfang an in noch viel engerer Beziehung zu 1,1, Sosias Worte ziehen die Parallele ausdrücklich: Amphytrionem, ut arbitror, ita comiter Amphytrio accipiet, ut memet ego ille alter Sosia Sosiam (*134f). In 1,1 wurde die Auseinandersetzung darum, wer der echte Sosia sei, zuerst mit Handgreiflichkeiten geführt (370ff), dann mit Argumenten (403ff, vgl. 423 argumentis vicit). Ebenso liefern sich die beiden Amphitryone erst ein Handgemenge (*13947), dann soll, diesmal unter Vorsitz eines Unparteiischen, des Blepharo, durch Zeichen (signis * 153) entschieden werden (*152-187). 1,1 beginnt Sosia, durch Mercurs Anspruch fassungslos, mit einer Selbstbehauptung, in der er seine Identität versichert und seine letzten Erlebnisse und Verrichtungen aufzählt (403— 08), doch Mercur nimmt alles Gesagte für sich selbst in Anspruch (410—15). Das entspricht genau den auftrumpfenden Tatberichten der zwei Amphitryone * 163—77, bis zu dem verzweifelten Ausruf des Amphitryon und Sosia am Ende dieses Ganges: So. egomet mihi non credo, quom illaec autumare illum audio; hic quidem certe quae illic sunt res gestae memorai memoriter (416f), Am. DU immortales, iam mihimet non credo, ita hic omnia, quae facta illic, examussim loquitur (* 178f). Im Amphitruo folgen darauf die Fragen Sosias nach Einzelheiten, mit denen er den falschen Sosia überführen will, erst nach der patera des Pterela (418—22), dann nach der heimlichen Beschäftigung des Sosia, dem stillen Weingenuß, wovon nur der echte Sosia wissen können sollte (425—30). Dem entsprechen im Supplement die Fragen Blepharos nach den Befehlen Amphitryons vor der Taphierschlacht (*154—56) und nach dem Geldbetrag in der Börse (* 157—61). Wieder unterstreicht zum Abschluß ein wörtlicher Anklang: So. mira sunt, nisi latuit intus illic in illac hirnea (432), Bl. Intus in crumena clausum alterum esse oportuit (*162). Die Reihenfolge der Punkte Tatenbericht und Verborgenes Wissen ist somit im Supplement gerade umgekehrt. Die abschließende Prüfung mit der Narbe am Arm des Amphitryon geht aber wieder auf eine Anregung aus 1,1 zurück, die dort ebenfalls am Ende der Auseinandersetzung auftaucht, ohne allerdings durchgespielt zu werden: Sosia vergleicht sein Äußeres mit dem Mercurs und sieht nur Übereinstimmung (441-45), und schließt diesen Gedanken ab mit den Worten: si tergum cicatricosum, ni5

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Für die Szene III bemerkt dies, aber nur in aller Kürze, Örjan Lindberger S. 42.

hil hoc similist similius (446). Dieses einzige in 1,1 nicht geprüfte Kennzeichen hat der Autor zum kraftvollen Schlußeffekt seiner Ergänzung entfaltet, die Prüfung der Narbe findet hier statt (* 180-87). So erstaunlich hat der Autor sich in den Bau des Stücks eingefühlt, daß seine Ergänzung in der Sache mit mehreren Fragmenten aus der Lücke übereinstimmt. Fr. 1 at ego te cruce et cruciatu mactabo, mastigia, die direkte Erwiderung Amphitryons auf V. 1034, paßt in der Sache und sogar in der Wiederaufnahme des Wortes macto zu *1, fr. 2 erus Amphitruost occupatus zu * 1 Vf; die fr. 4 und 5, in denen Mercur dem Amphitryon droht, ihm einen Aschetopf auf den Kopf zu werfen oder Wasser auf ihn zu schütten, entsprechen der Drohung mit dem Ziegelstein (*5); fr. 6 hält Mercur den Amphitryon fur behext (laruatus), *10und *15ff für betrunken, fr. 11 (Am. zu So.) quid minitabas te facturum, si istas pepulissem foresi steht den Versen *95—97 nicht fern. Schließlich zeigt fr. 15, wie Jupiter dem Amphitryon an den Hals fährt: manufestum hunc optorto collo teneo furem flagiti (vgl. * 139— 47). Daß es dazu kommen würde, entnahm der Autor allerdings dem V. 953 (Iu.) quom ego Amphitruonem collo hinc opstricto traham, der auch auf die Formulierung einwirkt: obstricto collo hac diripiam (* 139). Schon hieraus, wie zudem aus den sachlichen Unterschieden zu den Fragmenten, die sich im einzelnen dann doch wieder ergeben, wird klar, daß der Autor die Fragmente nicht kannte, sondern wirklich nur instinktiv in ihre Nähe gelangt ist. Daß der Autor offensichtlich nicht durch die Fragmente beeinflußt war, führte andererseits dazu, daß er gar nicht auf den Gedanken verfiel, auch noch eine weitere Amphitryon-Alcmene-Szene zu schreiben. So treffend die Ergänzung sonst im gesamten Verlauf und in vielen Einzelheiten ist: hier liegt der wesentliche Unterschied zwischen der modernen Rekonstruktion und der humanistischen Ergänzung. In der Tat führt aber kein direkter Verweis aus dem erhaltenen Stück auf eine solche Szene, wir heute schließen nur aus fr. 7—10 darauf und erhalten aus der großen Symmetrie des ganzen Stücks die Bestätigung. So ingeniös war der Ergänzer nun wieder nicht, daß er darauf ohne Kenntnis der Fragmente kam. Immerhin hat dieser Autor damit aber eine Gestaltung dieser Szenen gefunden, die noch einem Molière eingeleuchtet hat, denn auch bei ihm begegnet Amphitryon der Alcmene nicht noch einmal. Das sollte erst bei Kleist wieder anders werden.6 Ein weiterer Punkt, der bei Plautus anders ausgesehen haben muß, ist der Abgang des Sosia in Szene III. Denn der vollzieht sich in das Haus des Amphitryon (134ff), wo doch Mercur sich noch befinden muß, das Ebenbild des Sosia, der ihn 1,1 gerade vom Haus verjagt hatte. Die antike Komödie pflegt ja auch die unsichtbaren Vorgänge in den Häusern mit großer Sorgfalt zu berücksichtigen; bei Plautus kann Sosia nicht ins Haus Amphitryons gegangen β Noch vor Kleist haben allerdings schon Dryden, José da Silva und Falk eine Szene mit beiden Amphitryonen und Alkmene gestaltet, s. zu diesen Dichtern unten S. 35f.

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sein. Auch Molière und Kleist sind hier nicht mit dem Supplement zufrieden; bei ihnen jagt erneut der nochmals auftretende Mercur den Sosia davon und schließt ihn vom Festmahl aus. 7 Doch ergibt auch die Gestaltung des Ergänzers einen unverächtlichen Effekt: wenn Sosia auf Jupiters Aufforderung hin in Amphitryons Haus tritt, ist dies ein augenfälliger Ausdruck für Jupiters Sieg schon in der Auseinandersetzung, wem der Sklave gehört, mithin aber, wer der echte Amphitryon ist. Weitere Dinge, die strenger Kritik wohl nicht standhalten, sind die nicht einsehbare schnelle Verwirrung des Amphitryon V. *13, sowie die beiderseitigen Tatenberichte der zwei Amphitryone, die nur wenig eigentlich Beweisendes enthalten. Auch hier fehlt aber die Entschuldigung nicht ganz: schnelle Verwirrung ist das durchgehaltene Konzept für Amphitryon in der Ergänzung (s. V. * 1, 13, 23, 140, 149), und die beiden Tatenberichte sind wohl hauptsächlich als Übernahme aus der Musterszene 1,1 zu verstehen. Was alles aus dieser Ergänzung den höchsten Ansprüchen, nämlich der Bühne späterer Jahrhunderte, genügte, das zeigen die Amphitryon-Dichtungen von Molière und Kleist, die zwar vieles ausschieden, den Ablauf dieser Szenen und viele Einzelheiten daraus aber einer Aufnahme in ihre Stücke würdigten. Um kurz nur Molière zu verfolgen - dem Kleist im wesentlichen gleicht —, droht in seiner Szene 3,2 Mercur vom Dach herab ebenso dem Amphitryon, wenn auch nicht mit einem Ziegelwurf, bestreitet, daß Amphitryon vor ihm stehe, sein Gegenüber müsse wohl betrunken sein, Amphitryon sei drinnen mit Alcmene. Bemerkenswert, daß bei Molière Amphitryon zunächst nicht ahnungsvoll und kleinlaut wird, sondern erst dann, als Mercur ihn allein gelassen hat (3,3). Die nächste Szene (3,4) bringt sofort Sosia und Amphitryon zusammen, die Feldherren (die an die Stelle des einen Blepharo getreten sind) schlichten, Sosia ruft sie als Zeugen an, Amphitryon fragt, wer dem Sosia den Einladungsauftrag gegeben hätte und wann, Sosia gibt die fatale Antwort: „bei deiner Versöhnung mit Alcmene." Amphitryon ist erst erzürnt, dann verwirrt, erhält aber Zuspruch von den Feldherrn. Er klopft aufs neue an seine Tür. Jupiter tritt auf, Sosia läuft sofort zu ihm über, die Einladung zum Essen besiegelt seinen Entschluß: „Le véritable Amphitryon Est l'Amphitryon où l'on dîne." Amphitryon geht auf Jupiter los, aber die Feldherren reißen sie auseinander. Der Schluß allerdings verläuft dann anders, ein Schiedsgericht und eine Untersuchung finden nicht statt. Im ganzen aber wird der Einfluß und damit die Bedeutung unseres Autors klar, den große Dichter in dieser Art anerkannten. Eine merkwürdige Ungereimtheit des Supplements bleibt aber noch zu erörtern. V. * 120—23, am Beginn der Szene III, sagt Amphitryon: 1 Dafür ist Kleist aber in gleicher Weise unbedacht, wenn er 3,2 Mercur plötzlich im Haus sein läßt, ohne zu zeigen, wie er dorthin kam. Das gleiche Versehen schon bei Molière, das kaum gemildert wird durch Jupiters Worte am Ende von 2,6 „Mercure y remplira sa place."

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Nihil est, ut dici solet, quod hodie bene succédât mihi. Deserui Blefaronem et Sosiam, ut cognatum Naucratem Convenirem: hune non repperi, et illos perdidi. Sed eos video. Ibo adversum, ut siquid habent scisciter. Nichts deutet aber sonst darauf hin, daß Amphitryon seit dem Ende der Szene II sich von Blepharo und Sosia getrennt hätte und sie -erst jetzt wiederträfe, noch auch, daß er erneut nach Naucrates gesucht hätte, und infolgedessen eine längere Zeit zwischen beiden Szenen verstrichen sein müßte. Die Verse lassen sich also ganz und gar nicht erklären. Nur vorsichtig läßt sich vermuten, was zu der Verwirrung führte: es könnte sein, daß dem Autor in einer schwachen Minute sein eigenes Konzept und ein fremdes durcheinander gekommen sind, nämlich das des Pandolfo Collenuccio. Dieser Collenuccio ist Verfasser einer italienischen Amphitruo-Ubersetzung in Terzinen, die erstmalig in Venedig 1530 gedruckt erschienen ist 8 und allgemein als der Text gilt, der am 26. Januar 1487 in Ferrara aufgeführt wurde. Die Aufführung ist durch das Diarium Ferrariense bezeugt 9 , allerdings nicht der Name des Übersetzers, so daß der strikte Beweis für die Beteiligung Collenuccios fehlt. Gleichwohl muß diese Übersetzung vor dem 11.7.1504, dem Todestag Collenuccios, verfaßt sein10, und etwaige Zusammenhänge mit dem Supplement sind in jedem Fall zu prüfen, denn auch diese Übersetzung überbrückt die Lücke im Plautinischen Text. Dazu gibt es die zwei gegensätzlichen Meinungen von Creizenach 11 , daß Collenuccio sich im wesentlichen an das Amphitruo-Supplement gehalten habe, und von Saviotti 12 , daß Collenuccio nicht dem Supplement folge. Eine nähere Prüfung ergibt sofort, daß von diesen zwei Meinungen nur die von Saviotti richtig sein kann. Collenuccios Übersetzung zeichnet sich auf der einen Seite zwar durch eine öde und nervtötende Aufschwemmung des Plautinischen Dialogs aus13, hat aber das bestimmte Prinzip, im Kern der Sache nie von Plautus abzuweichen, und insbesondere die Reihenfolge von Rede und Gegenrede aus der Vorlage peinlich genau zu reproduzieren. Da bei Collenuccio eine Rede nie kürzer als eine Terzine ist, kommt es immer wieder vor, daß an die Stelle von Versbruchteilen, ja von einzelnen Worten bei Plautus ganze Terzinen treten. Zum Beispiel steht bei Collenucio fur Amphitryons ego sum (V. 1021):

' Vgl. Einleitung Anm. 1. 9 Diario Ferrarese, in: Muratori, Rerum Italicarum scriptores torn. 24. p. 7 S. 122. 10 M. E. Cosenza V S. 515. 11 II S. 203. 12 S. 137 Anm. 1. 13 Zur ungelenken und langatmigen Sprache Collenuccios im Amfitrione s. auch C. Varese S. 7 - 1 4 3 , bes. 1 2 5 - 2 9 .

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Apri non vidi tu guarda son io El par che de sta cosa sii insiente Pur conoscer dovresti il parlar mio. Nun ist es schwer vorstellbar, warum Collenuccio mit einer fremden Vorlage für die Ergänzung der Lücke nicht ebenso verfahren sein sollte wie mit dem Plautus-Text. Er müßte doch mit gleicher Genauigkeit die Reden jedes einzelnen Sprechers in ihrer Reihenfolge, wenn auch oft mit Worten unmäßig bereichert, wiedergeben. Das aber ist evident nicht der Fall. Hinzu kommt der in vielen Einzelheiten andere Verlauf der Handlung bei Collenuccio. Mercur wehrt auch hier den Amphitryon vom Haus ab, die spektakuläre Aktion des Wurfes mit dem Ziegel fehlt aber, und Amphitryon erfährt auch nicht, daß ein anderer Amphitryon im Haus bei Alcmene sein soll. Gerade das dramatisch Wirksamste findet sich also nicht. Nach dieser Szene geht Amphitryon ab, um erneut Naucrates zu suchen. Erst nachdem Blepharo und Sosia aufgetreten sind, kommt Amphitryon zurück, und stürzt sich auf Sosia. In die folgende Auseinandersetzung greift Blepharo nur einmal kurz ein, im übrigen entwickelt sich aus dem Dialog mit Sosia in Amphitryon der Gedanke, daß es durch Zauberkraft einen zweiten, falschen Amphitryon im Haus geben müsse. Diesem will er nun zu Leibe, und klopft von neuem. Drauf erscheint Jupiter, beide Amphitryone beanspruchen, echt zu sein, Sosia, von Amphitryon als Zeuge angerufen, wird von Jupiter als falscher Doppelgänger des echten Sosia abgelehnt^). Der Streit der zwei Amphitryone geht saftlos länger weiter, Amphitryon verlangt, daß Alcmene kommen und entscheiden soll, Jupiter lehnt das ab. Amphitryon ruft dann Blepharo als Richter an, der aber keine Entscheidung weiß. Wiederum bleibt alle kräftige Bewegung und alles Eindrucksvolle beiseite, Jupiter fährt dem Amphitryon nicht an den Hals (trotz Am. 953!), und Blepharo denkt nicht daran, ernsthaft die Identität zu prüfen mit verfänglichen Fragen und an unveränderlichen Kennzeichen. Collenuccio kann von dem Supplement nicht beeinflußt sein. Umgekehrt weist aber manches darauf, daß der Autor des Supplements den Collenuccio vielleicht kannte. Denn neben einer doch ungefähren Ähnlichkeit des Handlungsablaufs stehen unter anderen folgende merkwürdige Übereinstimmungen: 1. Nach seiner Abweisung durch Mercur vertieft sich Amphitryon in den Gedanken, wie wenig ihm doch der frische Kriegsruhm nützt, da er jetzt so schweres Unglück leiden muß. Dem steht *32f oder mehr noch *65 sehr nahe. 2. Blepharo tritt mit Sosia auf mitten im Gespräch über die unfaßlichen Erlebnisse des Sosia und fragt, ob so etwas denn wahr sein kann, ganz wie *42. 3. An der Stelle, die dem Beginn der Szene III entspricht, sagt Jupiter: „Chi è costui che la porta el capo insieme A romper hoggi me sta", was dem V. * 117 sehr nahe kommt. 4. Mitten in der Konfrontation der beiden Amphitryone malt Blepharo sich mit Schrecken aus, wie es wäre, wenn er seinerseits auf seinem Schiff einen zweiten Blepharo vorfände: die gleiche Idee hat Sosia *45f. 30

Anregungen aus Collenuccio für das Supplement scheinen danach möglich, und — nach beträchtlichem Umweg — läßt sich daher für die schwierigen Verse * 120—23 die Erklärung vorschlagen, daß dem Autor eine Erinnerung daran in die Feder geriet, daß bei Collenuccio Amphitryon in der Tat ein zweites Mal den Naucrates suchen geht, wenn auch nicht an der vergleichbaren Stelle. Verzeihlich werden die Verse aber auch so nicht. 14 Nicht nur in der Handlung, sondern ebenso in der Sprache hat sich der Autor außerordentlich nahe am Plautinischen orientiert; auch in diesem Betracht ist er der Plautinischste aller Ergänzer. Besonders der Amphitruo selbst hat immer wieder wörtliche Anregungen geliefert. 15 Sonst stammt Einzelnes nachweislich besonders aus der Aulularia und dem Poenulus. 16 Aber auch allgemein verfugt der Autor frei über die Plautinische Sprache, über ihre Drastik 17 , ihren Reichtum an Schimpfwörtern 18 , ihre archaischen Formen 1 9 , ihre sonstigen Wendungen 20 , sogar für die Klangfiguren hat er ein Ohr. 21 Starke Neigung zur Prädikatsellipse spiegelt den lebendigen Gesprächston. 22 Ein beträchtlicher Teil der Ausdrücke stammt freilich wieder nicht aus Plautus, doch kaum jemals läßt sich fiir dergleichen eine einzige Quelle fest bestimmen. 23 Auffallig sind nur zwei sehr nahe Terenz-Parallelen aus der Andria. 24 Unantik ist wenig. 2s Auf Ausgefallenes hat es der Autor kaum abgesehen 26 , er liest sich durchweg flüssig und kommt, wie viele Wiederholungen zeigen, mit einem eingeschränkten Wortschatz aus. 27 Dank der stets dichten Dramatik der Ergänzung bleibt wenig Raum für unerwünschtes Moralisieren oder das Einflechten entlegener Kenntnisse. Wo dies gleichwohl geschieht, ist es zwar in der Sache ohne Vorbild bei Plautus, dient aber durchaus der Handlung: wenn Amphitryon zu Beginn der Szene II über Werwölfe und die Cadmus-Sage nachdenkt, so gibt das immerhin den einen 14

Weitere sachliche Flüchtigkeiten sind hier nicht der Rede wert; sie mentar behandelt, zu 5 0 - 5 3 , 86, 104, 121. 15 Vgl. z.B. den Kommentar zu 1 formam perduint, 10 quidum, 19, usuraria. 14 Kommentar zu 2, 93, 94, vielleicht auch 9 5 - 9 7 , 130. 17 2 bubulis coriis onustus, 5 tuum diminuam caput, 47 mulcavit, 78 pulas, 91 vapula, 129 sa tur pugnis. 18 S. den Kommentar zu 1 carnifex. 19 S. den Kommentar zu 2 faxo. 20 Z.B. 17 molestus ne síes, 23 vae misero mihi, 37 dii vostram fidem, tium.

werden im Kom20, 22, 24 uxor

meas onerai

sca-

87 nusquam gen-

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16 Bacchus bacchanal, 172 vi vici. Z.B. 6 0 nihil mea sententia, 6 3 nescio quid secum solus, 85 quid hue ad me?, 131 men venefìcum? 23 S. allgemein den Kommentar. 24 S. zu 76 und 79. 25 S. zu 21, 24, 27, 94, 99. 26 Höchstens umbratilis 3, sarrio 25, seminium 52, obgannire 62, adagium 81, Daedalea remigia 92, apposite 182. 27 Im Kommentar notiert. 22

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Pol des reizvollen und spannungsreichen Gegensatzes zu Sosia, der mit Blepharo auftritt, und wenn die beiden Amphitryone * 169—77 mit gewählten Einzelheiten des Teloboer-Feldzuges und der Genealogie ihres Hauses auftrumpfen, gereicht das nicht nur dem Autor zum Ruhm, der zeigt, daß er Apollodor und die Apollonius-Scholien kennt, sondern mindestens ebenso den Amphitryonen, die solche Kenntnisse hier eben als Waffe verwenden. Zum Ganzen kann man ruhig sagen, daß keiner von allen, die den Plautus suppliert haben, seinem Vorbild so nahe kommt und überhaupt eine so glückliche Hand für den dramatischen Dialog und für die Bühne hat. Und dieser Autor hat einen wichtigen Teil des Amphitryon-Stoffes für Jahrhunderte geprägt. Nicht nur Molière und Kleist, die oben schon mit dem Supplement verglichen wurden, sind hier zu nennen; dies sind nur die zwei Bedeutendsten, die sich von dem Supplement beeinflussen ließen. Wie man weiß, hat der Amphitryon-Stoff zahllose Dichter aus allen Ländern Europas zur Bearbeitung gereizt. Das Material ist grundlegend gesammelt und besprochen in Karl von Reinhardstoettners Buch über die späteren Bearbeitungen Plautinischer Lustspiele 28 , übrigens für den Amphitryon-Stoff in einer solchen Fülle, daß man fragen darf, ob Giraudoux mit seinem Titel „Amphityon 38" nicht zu bescheiden war.29 Allerdings hat dieser moderne Franzose den Stoff so umgestaltet, daß für eine Nachwirkung des Supplements kein Raum blieb, dieser Autor interessiert hier also nicht weiter. Eine vollständige Übernahme der ergänzten Szenen zeigt dagegen zunächst der ,.Anfitrión" des Spaniers Francisco Lopez de Villalobos, erstmals 1515 zu Zaragoza gedruckt. 30 Es handelt sich dabei allerdings nur um eine Über28

S. 1 1 5 - 2 2 9 . Die neuere Literatur zu den Wandlungen des Amphitryon-Stoffes ist reich, doch wird überall das Supplement allenfalls am Rande behandelt. Hier eine Auswahl: A. L. Bonduiant, The Amphitruo of Plautus, Molière's Amphitryon, and the Amphitryon of Dryden, Sewanee Review Quarterly 33, 1925, 4 5 5 - 4 6 8 ; F. Stoessl, Amphitryon. Wachstum und Wandlung eines poetischen Stoffes, Trivium 2, 1944, 9 3 - 1 1 7 ; A. Emout, Amphitryon dans Piaute et dans Molière, Neophilologus 33, 1949, 1 1 3 - 1 2 0 ; D. G. Dyer, ,Amphitryon': Plautus, Molière and Kleist, German Life and Letters, N. S. 5, 1952, 1 9 1 - 2 0 1 ; sehr viel solider dann Hansres Jacobi, Amphitryon in Frankreich und Deutschland, Diss. Zürich 1952; Örjan Lindberger, The Transformations of Amphitryon. Jacobi spricht S. 21 kurz vom Einfluß des Supplements auf Rotrou und Molière, Lindberger ebenfalls nur kurz von dem auf Rotrou, Molière, Heywood, Dryden. Ohne Bedeutung, und nicht nur, weil er das Supplement gar nicht berücksichtigt, ist C. D. N. Costa, The Amphitryo Theme, in: Roman Drama, Edited by T. A. Dorey and Donald R. Dudley, London 1965, S. 8 7 - 1 2 2 . " In jüngerer Zeit hat L. R. Shero, Alcmene and Amphitryon in Ancient and Modern Drama, TAPA 87, 1956, 1 9 2 - 2 3 8 , noch mehr Amphitryon-Bearbeitungen zusammengestellt als selbst von Reinhardstoettner, und erörtert denn auch die Frage nach der Berechtigung des Titels bei Giraudoux, S. 228f Anm. 41. - Im übrigen sind die Ergänzungen des Materials durch Shero für unsere Zwecke unerheblich; das Supplement und seine Wirkung wird mit keinem Wort erwähnt. 30 Die Datierung ergibt sich aus dem Nachwort: „en 6 de octubre de 1515 años." Der Text ist mir bekannt aus dem Abdruck: Biblioteca de Autores Españoles desde la for-

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Setzung des Plautus-Stücks, die kaum von der Vorlage abweicht, an entscheidenden Stellen so wenig, daß als zugrundeliegende Plautus-Ausgabe eindeutig die undatierte von Galbiati (ca 1497?) zu bestimmen ist. Das legt schon nahe eine Bemerkung im Prooemium: „Y agora en nuestros tiempos han trabajado de corregir y glosar al Plauto cuatro hombres que en todo género de doctrina fueron los mayores sábios de toda Italia, conviene saber: Hermolao Barbaro, cardenal de Aquileya, y Angelo Policiano, Filippo Beroaldo y Merula", was die vier auf dem Titelblatt Galbiatis Genannten sind; das beweist gleich der Anfang der Übersetzung des Supplements, mitsamt dem Anschluß vom Plautinischen her: Mercurio: Porque te quiero matar por desastre. Anfitrión: Mas yo te mataré á té puesto en cruz y atormentado; sal acá fuera, ladrón; ¿tú me has de matar, verdugo? (vgl. den Apparat zu Am. *1 und davor). Der nächste bei von Reinhardstoettner genannte Autor, Maestro Fernán Perez de Oliva (ca 1494—1530), ist mir nur aus dem Referat dort bekannt 3 1 , das aber fur die fragliche Partie recht engen Anschluß erweist, auch in einzelnen dort zitierten Wendungen (S. 144), z.B.: Sosia: Blefaron, aquel que sale de casa, es el verdadero: estotro es algún encantador, was Am. * 124 entspricht. Ein klangvollerer Name in dieser Reihe ist dann der des Luiz de Camöes (1524—1580), der in seinem „Auto dos Amphitriöes" „manches andere, wie die gewiss glückliche Gegenüberstellung der beiden Amphitruo in der ersten Szene des fünften Aktes, nach den Supposita zu Plautus glücklich verwertet (hat)." 3 2 In seinen Szenen 4,3 bis 5,1, die der Stelle der scenae suppositae entsprechen, kürzt er zwar im einzelnen, übernimmt aber von dort den Handlungsverlauf, zusammen mit vielen markanten Einzelheiten. Freier ist das Verhältnis noch gegenüber der Szene Am. *I, zum Beispiel wirft Mercur nicht mit dem Ziegelstein und verweist auch nicht deutlich auf den anderen Amphitryon im Haus. Dann aber entspricht etwa den V. Am. *88f in 4,4 die Rede des Amphitryon 33 : Ha, der Zorn, der nie mir schwindet, Hat die Augen so verbündet, Dass den Schuft ich überseh'n! Sehr nahe ist dann in 5,1 etwa der Bezug auf V. *124: Sosea. Seht ihr jetzt den Zauber schon, Drein er meinen Herrn verfeite? Der herauskommt, Belferron, Ist fürwahr Amphitryon, Und ein Gauner ist der zweite. marión de lenguaje hasta nuestros dias, Bd 36, Madrid 1950, offenbar identischer Nachdruck der bei von Reinhardstoettner S. 138 zitierten Ausgabe Madrid 1855. Der „Anfitrión" steht S. 4 6 1 - 4 9 3 , das dem Supplement Entsprechende S. 4 7 9 - 4 8 3 . 31 S. 1 4 0 f f . « v. Reinhardstoettner S. 152. 33 Die Zitate aus: Luis' de Camoens Dramatische Dichtungen. Zum ersten Male deutsch von Wilhelm Storck, Paderborn 1885.

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Braun ( H y p . 6 4 )

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Sosea wird von Jupiter ins Haus geschickt, wie V. * 133 : Du geh indessen Und bestell' im Haus das Essen, Bis ich kalt gemacht den Tropf. Belferron tritt dann zwischen die Kämpfenden, will den Streit entscheiden mit Fragen nach dem Befehl an ihn beim Beginn der Taphier-Schlacht und nach der Summe im Kriegsschatz, also wie V. *154—61. Hinzu kommt noch die Probe mit der Narbe am rechten Arm, mitsamt deren Ergebnis, wie V. *184f 34 : Belferron. Nein! mich überläuft ein Schreck; Denn die Wund' ist beiden eigen, Gleicher Gross' am gleichen Fleck. Jean de Rotrou, der wichtige Vorgänger Molières, hat sich in seinem Stück „Les Sosies" (1636 oder 1638) sehr deutlich von dem Supplement anregen lassen. 35 Gleich in Szene 4,2 droht Mercur von oben, wie in V. *3—5: Spectre, qui que tu sois, fantôme, ombre vivante, Qui crois par ta menace exciter l'épouvante, Si ta fuite, insensé, tarde encore un moment, Si du pied, de la main, ou du doigt seulement, Même du souffle seul, tu touches cette porte, Devine quel congé cette tuile te porte: Un passeport du jour aux éternelles nuits. Weiter stimmt etwa überein mit V. *60: Premier Capitaine. En attendant la faim, rêvant il se promène, mit V. *91: Pr. Cap. Écoutez-moi. Am. Parlez. Mais toi, reçois les coups. Auch hier findet das Verhör der beiden Amphitryone statt, mit den gleichen Fragen nach den Befehlen vor der Schlacht und dem Inhalt der Kriegskasse, auch halten beide Amphitryone Reden gegeneinander wie V. 163—179. Die Probe mit der Narbe allerdings übernimmt Rotrou nicht. Nicht zugänglich waren mir zwei weitere Autoren aus dem romanischen Sprachraum, die nach von Reinhardstoettners Referaten ebenfalls Elemente der Handlung verwenden, die letzten Endes aus dem Supplement stammen: der Italiener Lodovico Dolce, der in seinem „II Marito" (gedruckt zuerst Venedig 1545), einer säkularisierten Fassung der Amphitryon-Geschichte mit veränderten Namen, den 4. Akt ganz ähnlich wie die drei ergänzten Szenen ver34 Mir nicht zugänglich war R. M. Rosado Fernandes, 0 tema de Anfitriao em Camoes, Ocidente 54, 1958, 6 2 - 7 1 . 35

Entgegen von Reinhaidstoettner S. 177 kann ich nicht finden, daß Rotrou in der Lücke des Originals „freier waltet."

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laufen ließ 36 , und der Portugiese Don Antonio José da Silva, dessen Oper „Amfitriäo, ou Jupiter, e Alcmena", 1736 in Lissabon aufgeführt, ungeachtet ihrer weiteren Fantastik, an der entsprechenden Stelle ebenfalls dem Supplement folgt. 37 Ähnlich ist die Handlung offenbar auch geführt in Thomas Heywoods „The Silver Age, including The loue of Jupiter to Alcmena" (erschienen 1613), welches Werk ich auch nur aus von Reinhardstoettners Bericht kenne. 38 Ein größerer Name begegnet aber wieder in John Dry den (1631-1700). In seinem „Amphitryon: Or, The Two Sosias" (erstmalig erschienen 1690) 39 ergibt sich im Auftritt 4,2 zunächst die vertraute Situation, daß Amphitryon in sein Haus will und Mercury ihn nicht einläßt. Zwar wird kein Ziegelstein geworfen, aber Mercury ruft aus, entsprechend V. 12: How! Thou my Master? By what Title? I never had any other Master, but Amphitryon. Es folgt der Vorwurf der Trunkenheit, und die entscheidende Spitze, Alcmene sei drinnen, und bei ihr intimerweise „My Master". In Szene 4,3 erscheint Sosia, mit ihm Polidas, Tranio und der Richter Gripus, die alle dem einen Blepharo des Supplements gleichkommen. Amphitryon stürzt sich auf Sosia, aber Gripus zeugt für ihn und vermutet übernatürliche Hintergründe für die merkwürdigen Ereignisse des Tages, wie Blepharo in V. 112—114: Nay, he (Sosia) has told us some passages, as he came along, that seem to surpass the power of Nature. Folgt Dryden bis hierhin vielleicht auch eher Molière als direkt dem Supplement - in seiner Vorrede beruft er sich auf Molière und „Plautus" in gleicher Weise —, so wird, nach einigen vorbildlosen Zwischenszenen (4,4—5,4), die Benutzung der Ergänzung eindeutig. In Szene 5,5 stoßen Amphitryon und Jupiter zusammen. Hier sollen Polydas, Tranio und Gripus entscheiden. Wieder wird nach dem Befehl, das Schiff für die Flucht im Notfall bereitzuhalten, gefragt (vgl. V. 154—156), wieder geht es um den Inhalt der Kasse: Tranio. You know I was Pay-master: What direction did you give me the Night before the Battle? . . . Amph. I order'd you to take particular care of the great Bag. Grip. Why this is Demonstration. Jup. The Bag that I recommended to you, was of Tygers skin; and mark'd Beta. . . . Tran. 34

von Reinhardstoettner S. 165. von Reinhardstoettner S. 158. 38 S. 186. A. H. Gilbert, Thomas Hey wood's Debt to Plautus, Journal of English and Germanic Philology 12, 1913, 5 9 3 - 6 1 1 , gibt gerade über den Einfluß des Supplements keine Auskunft. 39 Von mir benutzt in der Ausgabe: The Comedies, Tragedies, and Operas Written by John Dryden, Esq; Now first Collected together, and Corrected from the Originals. 2 Bde, London 1701. 37

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You peaceable Amphitryon, what Money was there in that Bag? Jup. The Summ in gross, amounted just to fifty Attick Talents. Tran. To a farthing? Grip. Paugh: Obvious, obvious. Amph. Two thousand pieces of Gold were ty'd up in a Handkerchief by themselves. Tran. I remember it. Grip. Then 'tis dubious again. Jup. But the rest was not all Silver; for there were just four thousand Brass half-pence. Hier stimmen Zahlen und Münzarten genauestens mit V. 1 5 9 - 6 1 überein. Danach folgt, ebenfalls ganz ähnlich, die Narbenprobe. 40 Schließlich ist noch Johann Daniel Falk zu erwähnen, der als direktes Vorbild für Kleist heute immer stärker berücksichtigt wird, neben dem von Kleist selbst schon im Titel eingestandenen Molière: „Amphitryon. Ein Lustspiel nach Molière." 41 Falk hat das Supplement selbst gelesen und sich von ihm leiten lassen, weniger in der Handlung, die er frei und sehr anders entfaltet, aber in folgenden einzelnen Punkten: V. 1376f (3,3) droht Amphitruon dem Mercur, der ihn nicht einläßt: Bei'm Jupiter, hier schwör' ich's dir, noch heut, Der Teleboär Manen dich zu opfern! was V. *119 benutzt, also an sich aus einer anderen Situation schöpft: (Iu.) Quem sì compererò, Telebois sacrificato

manibus.

V. 1401-04 läßt Mercur auf Amphitruon einen ganzen Regen von Ziegeln niedergehen, wie nicht ganz so wild V. *5 und 8. 42 V. 2 8 4 1 - 4 6 (5,3) findet sich wieder die Narbenschau, V. 2852-69 (5,4) soll die Summe im Schatz wieder als Entscheidungsmerkmal dienen: Nausikrates. Amphitruon Nausikrates. Amphitruon 40

Wie viel enthält's an Golde? I. Zwölf Talente! Wie viel an Silbermünz'? I. Eilf tausend Drachmen!

Bondurant (s. oben Anm. 28) meint S. 462, es sei offensichtlich Drydens originale Zugabe, daß die beiden Amphitryone nach dem Betrag in der Kasse gefragt werden und ihre Narben zeigen. Das erweist aufs Neue, wie nötig es ist, die Supplemente wieder stärker ins allgemeine wissenschaftliche Bewußtsein zu bringen. S. auch Lindberger S. 41 Anm. 5, der einen gleichen Fehler noch an anderer Stelle gefunden hat. 41 Zugrunde liegt die neue Ausgabe: Johann Daniel Falks Bearbeitung des AmphitryonStoffes. Ein Beitrag zur Kleistforschung von Helmut Sembdner, Berlin 1971. Über das Verhältnis Falks zu Kleist s. dort S. 16ff, dazu die Similien in den Anmerkungen S. 195ff, die auch den letzten Zweifler überzeugen dürften. " Das Motiv des Ziegelwerfens hat Falk auch in sein Faschingsspiel „Zwey Arlekine für einen oder Die lustige Hahnreyschaft" übernommen, das nochmals, in sehr viel lockererer Weise, den Amphitryon-Stoff behandelt (Ausgabe von Sembdner, s. die vorige Anm.). Dort sagt Merkur V. 463ff zu Amphitruon: Was bedroht ihr mich? He! Ehe werden alle Ziegel vom Dache, als nur ein einziges Haar von mir durch euch von meinem Kopfe fallen! (Wirft nach ihm mit Dachziegeln.)

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Das Supplement hat also, natürlich getragen von seiner Plautinischen Umgebung, eine beachtliche Wirkung weithin über die europäische Literatur gehabt. Ja, bis zu Shakespeare hat sich vielleicht der Einfluß erstreckt. In seiner „Comedy of Errors", die ohnehin neben den Menaechmi den Amphitruo verarbeitet, entspricht der Auftritt 3,1 im grundsätzlichen der Szene Am. 4,2. Der Herr des Hauses wird von dem Doppelgänger seines Dieners nicht eingelassen, und droht: You'll cry for this, minion, if I beat the door down. später noch: Go fetch me something: I'll break ope the gate. Das ähnelt durchaus den V. *2 und 7. 43 43 Hinweis auf die Ähnlichkeit der Szenen bei Lindberger a.O. S. 56; allgemeiner zum Einfluß von Amphitruo und Menaechmi Gilbert Highet, The Classical Tradition, Oxford 1967, S. 214f und Anm.; Weiteres zur Ähnlichkeit der ganzen Situation in beiden Szenen bei Horst-Dieter Blume, Plautus und Shakespeare, A & A 15, 1969, S. 135ff, bes. 154f.

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Aulularia Der Inhalt der Aulularia, soweit erhalten, ist in Kürze dieser: In einem Götterprolog berichtet der Lar familiaris aus dem Haus des alten Euclio die Vorgeschichte, daß nämlich vor langen Jahren der Großvater des Euclio ihm, dem Hausgott, einen Goldschatz anvertraut und im Herd vergraben habe. Nach dem Tod des Großvaters weiß niemand mehr von dem Schatz, und der Lar hat auch lange keinen Grund, das Geheimnis zu enthüllen, da der Sohn sowie der Enkel Euclio den Lar nicht so ehren, wie sie sollten. Erst Phaedria, die Tochter des Euclio, erfreut täglich den Lar mit kleinen Gaben, trotz der ärmlichen Verhältnisse im Haus. Jetzt, da diese Tochter unverschuldet ins Unglück geraten ist ein junger Mann, Lyconides, hat ihr Gewalt angetan, ohne daß sie ihn erkennen konnte, und ihre Niederkunft steht unmittelbar bevor —, will der Lar ihr helfen. Er hat Euclio den Schatz finden lassen, damit er Mittel für eine Mitgift hat. Außerdem will er dem Megadorus, dem alten Herrn im Nachbarhaus, und Onkel des Lyconides, eingeben, um die Hand der Phaedria anzuhalten: dies soll in Lyconides Reue und Verantwortungsgefühl wecken, so daß er sich als Täter entdecke und schließlich Phaedria selber heirate: ein feingesponnener Plan. Die ersten Szenen ( 1 , 1 - 2 ) zeigen, wie der plötzliche Goldfund Euclio aus dem Gleichgewicht geworfen hat: Mißtrauen gegen alle beseelt ihn, keiner soll von dem Schatz wissen. Als dann der Nachbar Megadorus ihn um die Hand der Phaedria bittet (2,2), willigt er zwar ein, denkt aber nicht daran, von seinem plötzlichen Reichtum der Tochter eine Mitgift zu geben. Überdies hat ihn also der Geiz in den Klauen, soweit, daß er grundlegende sittliche Pflichten nicht erfüllt. Obwohl so der Plan des Lar zunächst ohne Aussicht scheint, kommt nun alles ins Rollen: Megadorus übernimmt großzügig auch die Ausrüstung des Hochzeitsfestes und schickt dem Euclio Köche ins Haus. Euclio in seinem Wahn muß sie für Diebe halten, die auf sein Gold aus sind. So bringt er das Gold in den Tempel der Fides, einen vermeintlich sicheren Ort. Dabei wird er aber beobachtet von Strophilus, dem Sklaven des Lyconides.1 Dieser ist sogleich entschlossen, 1 So nenne ich ihn hier mit den alten Drucken und Ergänzungen. In den Plautus-Handschriften heißt der Sklave Stiobilus, also ebenso wie ein Sklave des Megadorus; jedoch können die Personen nicht identisch sein. Diese Erkenntnis ist schon alt; die frühen Ausgaben helfen sich ingeniös durch Unterscheidung von Strobilus und Strophilus, die neueren zeigen weniger Phantasie und mehr Redlichkeit, indem sie die Stellen, wo der bedenkliche Name im Dialog vorkommt, für verderbt erklären, und sonst den Sklaven Lyconidis servus nennen. Vgl. allgemein W. Ludwig, Aulularia-Probleme, mit weiterer Literatur, danach noch ders., Nachtrag im Philol. 106, 1962, 153, E. W. Handley, Plautus, Aulularia 3 6 3 - 3 7 0 , Philol. 107, 1963, 316f, Dorothy Lange, The Number of Slave Roles in Plautus' Aulularia, CPh 68, 1973, 62f.

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sich das Gold anzueignen, wird bei einem ersten Versuch allerdings durch den wieder darüberkommenden Euclio gestört, den böse Vorzeichen zu Hause nicht haben ruhen lassen. Euclio beschließt daraufhin, den Schatz im Hain des Silvanus vor den Mauern der Stadt erneut in Sicherheit zu bringen. Aber auch dabei beobachtet Strophilus ihn, und so gelingt es ihm, den Schatz aus dem neuen Versteck zu stehlen. Unterdessen hat sich in Lyconides, ganz wie der Lar geplant hatte, das Gewissen geregt. Er hat seiner Mutter Eunomia den Fehltritt gebeichtet, und sie will den Onkel Megadorus von seinem Heiratsplan abbringen zugunsten des Lyconides, was sie auch erreicht. Da stürzt Euclio auf die Bühne mit dem Schreckensruf: das Gold ist weg! Lyconides, der hinzukommt, meint, Euclio jammere über die Schande seiner Tochter, und erst nach einer glanzvollen Szene der Mißverständnisse erfährt Lyconides, daß Euclio einen Goldschatz verloren hat, und verspricht, ihm bei der Suche nach dem Dieb zu helfen, und Euclio erfährt, jetzt erst, was Lyconides seiner Tochter getan hat, daß Megadorus das Verlöbnis löst, daß aber Lyconides die Phaedria heiraten will. Euclio wankt ins Haus, ein gebrochener Mann. Lyconides bleibt allein auf der Straße, wo gleich darauf sein Sklave Strophilus zu ihm stößt, mit der frohen Kunde, er habe einen großen Topf mit Gold gefunden oder eher dem Euclio stibitzt, jetzt wolle er dafür von Lyconides freigelassen werden. Lyconides ist außer sich vor Empörung und verlangt die sofortige Herausgabe des Goldes. Strophilus versucht zunächst die Ausrede, das sei alles nur Spaß, er habe gar kein Gold, und versteift sich schließlich gegen den nicht locker lassenden Herrn: „Und wenn du mich umbringst, du bekommst es nicht!" Hier, mitten im Streit, bricht das Erhaltene ab. Jedoch ist in der Hauptsache klar, was gefolgt sein muß. Das Ziel der Handlung hat ja der Lar schon im Prolog festgelegt: Phaedria soll zum Lohn für ihre Frömmigkeit von Lyconides geheiratet werden und den Schatz von ihrem Vater Euclio zur Mitgift erhalten. Die Hindernisse, die diesem Ziel im Weg stehen, sind einmal der Umstand, daß Lyconides sich zuerst nicht zu seiner Tat bekennt, dann der, daß Euclio in seinem Geiz den Schatz nicht hergeben will. Das erste Hindernis wird noch im Erhaltenen beseitigt, Lyconides stellt sich zu seiner Tat. Das zweite wird sich so erledigen, daß Lyconides, getreu seinem Hilfsversprechen an Euclio, seinen Sklaven Strophilus dazu bringt, das Gold wieder herzugeben, und zwar durch Drohungen oder wahrscheinlicher durch das Versprechen, ihn doch freizulassen. Lyconides überreicht dann Euclio das Gold, und der muß einsehen, daß er zu Unrecht aller Welt mißtraut, daß ihm das Geld nur Angst und Mühen gebracht hat — das zeigen die fr. 3 und 4 —, und wohl auch dies, daß es seine Pflicht ist, die Tochter auszusteuern; die Fragmente 1 und 2 passen in eine Auseinandersetzung um diesen Punkt. Es endet mit dem Einzug ins Haus zur fröhlichen Hochzeit, wobei vielleicht die Köche noch ein Wort zu sagen hatten, das fr. 5 behandelt jedenfalls Feinschmeckerfragen. Und Strophilus wird wohl ein freier Mann; solch hoher Lohn entspräche durchaus der poetischen Gerechtigkeit, denn Strophilus hat, wenn auch in unredlicher Absicht, im Sinne des Lar zur Lösung 39

beigetragen: ohne seine Beobachtungen hätte niemand etwas vom Schatz des Euclio erfahren, und dieser würde ihn für sich behalten. 2 Die bis zum Schluß notwendigen Bewegungen auf der Bühne sind mindestens folgende: Am Ende von 5,1, der letzten erhaltenen Szene, geht Strophilus ab, das Gold aus dem außerszenischen Haus des Lyconides (712) und aus seiner arca (823) zu holen. Als Garantie dafür, daß er auch mit dem Gold zurückkommt, dürfte die Aussicht auf Freilassung ausgereicht haben. Lyconides wird daher auf der Bühne bleiben, vielleicht schon Euclio herausrufen (5,2). Dann kommt Strophilus mit dem Gold, überreicht es Lyconides, dieser dem Euclio, und Euclio gibt es an Lyconides als Mitgift zurück (5,3). Dies ist das Bild, das wir heute von Aufbau, Handlungsziel und Schluß der Aulularia haben. 3 Die Ergänzer des 15. Jahrhunderts hatten begreiflicherweise noch nicht Einblick in die feineren Kräfte, die Euclio schließlich zum Hergeben des Schatzes bewegen, aber für das Handgreifliche gaben ihnen schon die beiden antiken argumenta, die ja noch das unversehrte Stück vor Augen hatten, eine straffe Richtschnur 4 : arg. 2,8f illic (Lyc.) Euclioni rem refert. ab eo donatur auro, uxore et filio, und weniger deutlich arg. l,13ff per dolum mox Euclio cum perdidisset aulam, insperato invenit laetusque natam conlocat Lyconidi. Daß Lyconides Phaedria und Mitgift erringt, war danach klar. Für die Freilassung des Strophilus fand sich kein ganz verläßlicher Anhaltspunkt, aber der Sklave hatte seinen Wunsch danach schon entschieden vorgebracht (817, 823), und außerdem gibt es die Parallele des Epidicus, wo ebenfalls ein Sklave, mag er auch noch so ein Schlitzohr sein, am Ende die Freilassung verdient: Hie is homo est qui libertatem malitia invenit sua (Ep. 732).5 Die Ergänzungen II und III haben

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Vgl. M. Neumann S. 50f. Wir verdanken es im wesentlichen den Forschungen von W. Ludwig, auf dessen „Aulularia-Probleme" allgemein zu verweisen ist. Dort wird auch die wesentliche ältere Literatur zitiert und besprochen. Ders. nochmals zu Einzelheiten, bes. der Lenkung des Geschehens durch den Prologgott, in Fondation Hardt, Entretiens 16, 1970, S. 71ff. Neuere Überlegungen zum Aulularia-Schluß bei Armin Schäfer, Menanders Dyskolos, der S. 1 0 3 - 1 1 0 des längeren erörtert, welche verschiedenen Gründe Euclio zur Herausgabe des Goldes bewogen haben könnten, äußerer Druck oder innere Wandlung durch Einsicht, sich aber nicht entscheidet, und bei W. Salzmann, der, was abwegig scheint, annimmt, der Gesinnungswandel Euclios müsse in einem Monolog vor der Rückgabe des Goldes vonstatten gehen (S. 2 5 4 - 5 6 ) . Die Parallele zu Menanders Dyskolos 71 Iff, auf die Salzmann doch selbst hinweist, ist deutlich genug; auch sieht man nicht leicht, wann und wo Euclio noch Gelegenheit zu einem solchen Monolog hätte, ohne daß die Spannung des Spiels darunter litte. Bedeutungsvoll ist hingegen die Beobachtung von W. Steidle S. 354f, daß Euclio von Anfang an unter dem Besitz des Goldes leidet (programmatisch V. 65f), was seine durchgehend unruhige Bewegung auf der Bühne auch augenfällig macht. 3

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Grosso bei C. Malagola S. 407, Creizenach I S. 577. Messenio in den Men. ist als servus frugi ein anderer Fall. Auch Syrus in den Ad. läßt sich nicht genau vergleichen. 5

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sich jedenfalls dieses beglückende Ereignis nicht entgehen lassen 6 , und das Supplement I eröffnet wenigstens den Ausblick auf ein gleiches Ende. Dieses erste Supplement schließt allerdings überhaupt das Stück nicht ab, sondern führt es nur um ein geringes weiter. Dabei bleiben so gut wie alle Linien der künftigen Entwicklung offen, die Richtung der Fortsetzung deutet sich nur an. Schon äußerlich ist der Umfang mit 24 Versen gering, wohl zu gering, um überhaupt das Stück zu beenden, und am Ende gibt es kein plaudite, das doch jedes Stück des Plautus und Terenz, und auch fast alle Humanistenkomödien besiegelt. Mit non feram? knüpft Lyconides unmittelbar an die letzten erhaltenen Worte des Strophilus an: vel hercle enica, numquam hinc feres a me, wogegen Strophilus sich gleich und für den Rest der Szene darauf versteift, das Gold nicht zu haben, und alles sei nur Scherz gewesen. Er bleibt damit auf dem Aul. 827—31 erreichten Punkt. Weder die Drohung des Lyconides, ihn zu töten ( * 2 - 4 ) , noch der Hinweis, er habe doch schon gestanden, daß das Gold bei ihm in der Schatulle liege (*6), machen ihn irre. Aber auch Lyconides bringt seinerseits nichts Neues vor, die Todesdrohung hat Strophilus schon 831 mit vel hercle enica vorausgenommen, und 830 hat Lyconides selbst gesagt: (aurum) quod modo fassu's esse in arca. Und auch die vorsichtige Frage, was nun wäre, wenn das Gold sich doch fände (*10), hat Strophilus schon 828 einmal in anderen Worten gestellt, und schon da hat Lyconides barsch geantwortet: i, redde aurum, wie er jetzt i et redde (*11) sagt. Zum Abschluß spitzt sich hier der Dialog wenigstens im Tempo, wenn schon nicht in der Sache, zu, indem Lyconides noch zweimal nur dies i et redde setzt gegen die doppelte Hartnäckigkeit des Sklaven, der Befehl sei umsonst. Und hier, ohne daß einer von beiden Greifbares erreicht h ä t t e , bricht Lyconides ab u n d eilt, nach einer Zusammenfassung der Lage des Euclio, in dessen Haus, um zu sehen, wie die eigene Sache steht (*11 —13). Erst jetzt, da Strophilus allein bleibt, zeigen sich an ihm die Früchte des Streits: in breitem Moralisieren vergleicht er die Anständigkeit seines Herrn, der gewillt ist, einen solchen Schatz dem rechtmäßigen Besitzer zurückzuerstatten und den greifbaren persönlichen Vorteil hintanzustellen, mit der Menge der schlechten und skrupellosen Menschen, die Fundunterschlagung und Diebstahl begehen ohne Scheu gegen Menschen und Götter (* 1 4 - 2 1 ) . Da Strophilus selber bislang zu dieser letzten Gruppe zählte, bereitet sich unter der Hand sein Sinneswandel vor. Nur möchte er doch wenigstens einen Teil des Goldes abbekommen, um sich freizukaufen (*22). Da, wie er eben dies ausspricht, ein Specht zur Linken schreit (*23), erkennt er, daß das Glück auf seiner Seite ist, u n d macht sich davon, um den Schatz zurückzubringen. Die Bühne ist damit leer, und mit den Acteuren hat sich das Stück auch selbst davongeschlichen.

' Übrigens auch die Ergänzungen von Dorpius und Camerarius nicht (s. Einleitung A n m . 2 u. 3).

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Auch wenn der Autor dieser Ergänzung die Bewegungen auf der Bühne immerhin im Auge behält: im Dramatischen lag sein Ehrgeiz gewiß nicht. Dafür um so mehr, wie es scheint, im Sprachlichen. Weitgehend verarbeitet er typisch Plautinische Wendungen, natürlich auch mit eigenen Abänderungen, wie actutum seni id auri redditio est (2), ve capiti tuo (4), non par est identidem serio vorder (8), ne me irritassis (9), harpagatum (16). Solche sprachlichen und oft auch sachlichen Anregungen stammen zunächst aus der Aulularia selbst, sonst in den meisten Fällen aus Amphitruo und Asinaria, also insgesamt mit Vorliebe aus den ersten drei Stücken des Corpus. Der Autor hat somit seinen Plautus von vorne zu lesen angefangen und kannte ihn da besonders gut. So wird der Schulunterricht vorgegangen sein, so liest auch Poggio bei C. F. Meyer: „Ich hatte den witzigen Amphitryo beendigt, schon lag die Aulularia mit der unvergleichlichen Maske des Geizhalses vor mir aufgeschlagen." Auffällig ist, daß nichts eindeutig auf Benützung des Terenz führt. Dagegen fügt der Autor manches Dunkle und Erlesene ein, das mit Plautus und der Komödie nichts zu tun hat, mitunter auch ohne jeden Beleg aus der Antike bleibt: pollinctorius (3), noviter (4), arrogia (4), eine Anspielung auf den Libralakt mit Anklang an eine Persius-Stelle (10), Eleusina und Cocyto (17). Ohne Zweifel war dies der ganze Stolz des Autors, doch frischer geblieben wären seine Verse im rein Plautinischen Ton. Hinzu kommt noch eine Neigung zum spröden Ausdruck überhaupt und zur Ellipse von Objekten (z.B. nunquam dabo 4) und Prädikaten (z.B. ut, quid comiciis proximis, videam 12). All dies führt leider dazu, daß man sich nicht immer sicher sein kann, verstanden zu haben, was der Autor meint. Ein wesentlich stärkeres dramatisches Talent zeigt Codrus in seiner Ergänzung. Zunächst führt er die Handlung in 120 Versen auch wirklich bis zu ihrem natürlichen Ende, und führt sie dahin ohne Leerlauf unter lebhafter und stets sinnvoller dramatischer Bewegung. Auf das vel hercle enica des Strophilus (831) hin droht Lyconides erst einmal eine Reihe exquisiter Foltern an (*2—4). Doch werden hier nicht nur Worte gewechselt, hier sehen wir auch Taten: er springt zum Nachdruck dem Sklaven an die Kehle und wird ihn mit das an non? kräftig schütteln (*7). Dabo heißt es da auch gleich von Strophilus, der nach Atem ringt ( * 7 - 8 ) . Aber kaum hat er sich erholt, stellt er sich dumm: quid ut dem poscis here? (*9). Da greift Lyconides zum bewährten Mittel: er ruft die Zuchtmeister, die lorarii (*12); dies macht sofort auf Strophilus Eindruck, und er bittet um Gehör, aber Lyconides ist jetzt vollends in Fahrt, er ruft ein zweites Mal, die lorarii kommen, und er gibt seine Befehle (*13f). Erst jetzt dringt Strophilus durch mit seiner Bitte, etwas sagen zu dürfen. Man sieht, wie lebendig hier zwei harte Köpfe aufeinanderschlagen, jeder von beiden hat seinen eigenen Schwung und ist so leicht nicht zu bremsen. Nun wird es ruhiger, Strophilus macht in breiterer Rede dem Herrn klar, daß grausame Folter nur zum Tod des Sklaven führen würde, und der Herr hätte das Gold immer noch nicht. Den Erfolg wird nur das Versprechen der Freiheit bringen, sie ist — hier weitet sich die Rede zum locus communis de liberiate — das hohe Ziel aller Menschen, 42

Sklave zu sein dagegen das größte Unglück (* 17—25). Soweit hat Strophulus seinen Herrn gewonnen; dessen Einwurf non stulte loqueris (*26) zeigt zugleich, daß die Dramaturgie des Codrus den Gegenspieler nicht aus dem Auge verliert. Bestärkt, holt Strophilus noch weiter aus: der Grundfehler der Herren ist heutzutage überhaupt ihr Geiz, besonders zutagetretend darin, daß sie den Sklaven die Vorratskammern versperren. Natürlich finden die gewitzten Sklaven dennoch einen Zugang. Das Beispiel lehrt: nur Freigebigkeit macht die Sklaven treu (*26—46). Servos fideles liberalitas facit (*46), das schließt einprägsam ab; selbst ein Galeazzo Bentivoglio soll es gern zitiert haben. 7 Nur ist die Rede etwas lang geworden, und Lyconides tadelt das auch, findet sich jetzt aber bereit zu dem Handel Freiheit gegen Gold ( * 4 7 - 4 9 ) . Das heißt aber, daß hier der Streit tatsächlich ein Ergebnis hat, im Gegensatz zum Supplement I, wo sich die Kontrahenten aus den Augen verlieren, bevor irgend eine Entscheidung gefallen ist. Danach geht es um die Garantien des Lyconides für die Vertragserfüllung. Wie nämlich kann Strophilus sicher sein, daß er auch wirklich frei wird? Zuerst verlangt er die Zusicherung vor Zeugen. Eunomia und Megadorus werden zu diesem Zweck herausgerufen und bringen neues Leben auf die Bühne (*49— 60). Aber zur doppelten Sicherung besteht Strophilus auf einem Schwur bei Jupiter. Das ist Lyconides erst zu stark, und Strophilus muß diesen neuen Widerstand brechen mit einer Schilderung aus dem täglichen Leben, wie heute auch vor Gericht nichts unangefochten bleibt (*60—66). Und nun vollzieht Lyconides den uralten feierlichen Schwur per Iovem lapidem, und wirft den Stein in weitem Bogen. Jedes Humanistenpublikum muß es genossen haben, hier diesen Schwur vollführt zu sehen, von dem man so viel gehört hatte. 8 Strophilus geht, das Gold zu holen (*70). Lyconides mahnt zur Eile (*71), wie überhaupt er in der ganzen Szene stets der ungeduldig Drängende war (*7 nunc, *12 iam ubi, *47 non paucis, *67 cito, *69f satin iam feci tibi?, auch später noch *85 protinus) und selbst dem zeitraubenden Hin und Her Spannung und Tempo gab. Denn für ihn geht es um sein Lebensglück: Euclio das Gold zurückgewinnen und Phaedria heiraten, das ist eins. Solche Gedanken füllen die kurze Zeit, bis Strophilus wiederkommt (*72—78). Dies gestaltet Codrus wieder mit glücklichem Griff für das Bühnengemäße: der Sklave kommt nur langsam näher, und Lyconides sieht ihn und seine Last erst nach und nach mit Klarheit (*79f). Das Ende ist reiner Jubel: Lyconides, von dem Schatz zutiefst beeindruckt, ruft sogleich Euclio herbei, der erst — wieder eine spannungsreiche Verzögerung — an einen üblen Scherz glaubt, dann aber tief bewegt sein geliebtes Gold in die Arme schließt (*83—96). Doch während er noch äußerlich in stummer Freude

7 Codrus sermo II, in der Ausgabe Bologna 1 5 0 2 auf f. Q lr: „huius liberalitatem imitati sunt posteri eius et praecipue nepos eius Galeatius archidiaconus Bononiensis: qui versiculum illum nostrum semper habet in ore / Servos fideles liberalitas facit." Hinweis von Ezio Raimondi S. 25 Of. * Zu den antiken Stellen vgl. den Kommentar zu V. 6 7 - 6 9 .

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verharrt, und während Lyconides die Erkenntnis in Worte faßt, daß zwar kein Geld zu haben schrecklich ist, zuviel Geld aber noch schrecklicher, muß Euclio im Innern Ähnliches erkannt haben: als er wieder zu Wort kommt, ist er ganz umgewandelt, drückt in überströmendem Dank Lyconides das Gold in die Hand und spricht ihm seine Tochter zu (*97—116). Nur Strophulus muß noch an die zugesagte Freilassung erinnern, die ihm bestätigt wird, und dann kann er elegant von einem Fazit des Stückes überleiten zum plaudite (*117-123). Erst näheres Hinsehen läßt erkennen, daß hinter dem flotten Spiel auch manche Ungereimtheiten stecken. Der umständlich abgesicherte Handel des Strophilus, der das Gold nur gegen die Freiheit hergibt, ist möglich nur dadurch, daß Lyconides in der Ergänzung sich nicht mehr an das erinnert, was er bei Plautus V. 830 doch wußte, nämlich daß das Gold bei Strophilus im Kasten liegt. Indes kam kein Ergänzer auf den Gedanken, daß Lyconides das Gold im eigenen Zugriff holen könnte, vielleicht schon deswegen nicht, weil im Erhaltenen Lyconides selbst keine solche Absicht hat, und weil gerade die letzten Worte des Strophilus (831) so klingen, als ginge es wirklich nur über seine Leiche. Daß die iorarii offensichtlich aus dem Haus des Megadorus gerufen werden, ist ebenfalls bedenklich, denn Lyconides wohnt nicht bei Megadorus9: wie kann er über dessen Sklaven so verfügen? Auch dafür gibt es aber eine Entschuldigung: Aul. 727 spricht Lyconides vom Haus des Megadorus als aedes nostrae\ das kann Lyconides nicht wörtlich meinen, aber Codrus konnte es so verstehen — mancher versteht es heute noch so. Im Original werden Eunomia und Megadorus kaum noch einmal aufgetreten sein; ihr Auftritt bei Codrus mit V. 54 ist freilich zunächst nicht ohne Effekt, und 111 leisten sie noch einmal als Trauzeugen gute Dienste, dazwischen allerdings stehen sie nutzlos herum. Das muß besonders ins Auge fallen, wenn Lyconides V. 7 2 - 7 8 , bis Strophilus zurückkommt, seinen zeitüberbrückenden Monolog spricht — anstatt sich Mutter und Onkel zuzuwenden. Daß schließlich Euclio bei Plautus nicht so schnell und nicht allein aus Dankbarkeit sich wieder von seinem Gold getrennt hat, ist oben schon bemerkt. Immerhin spricht wenigstens Lyconides aus, was für Euclio bei Plautus auch ein Grund war: heu quantas passus est aerumnas Euclio (103). Kaum etwas hat Codrus von den puerilen Auswüchsen, mit denen sonst humanistische Komödienschreiber prunken. Wo er moralisiert — und das tut er gar nicht so selten (22-25, 2 7 - 4 6 , 6 3 - 6 6 , 72f, 9 7 - 1 0 2 ) - , geschieht das fast immer mit festem Bezug aufs Ganze und begründet jedesmal einen weiteren Schritt der Handlung. Und wo er seltenes Sprachgut oder entlegene Realien einflicht, wie herniosus (3), rabula (66), thesaurarius Alcides (91f), verdunkelt sich doch dadurch nicht der Sinn der ganzen Stelle.

' S. Ludwig a.O. (oben Anm. 1) im Anhang, S. 2 5 9 f f .

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Stefano Grosso und Ezio Raimondi haben bereits die Sprache des Supplements genauer geprüft. Beide rühmen, daß sie im Ausdruck zunächst wie aus einem Guß scheint, haben aber auch für eine ganze Reihe von Einzelstellen schon gezeigt, aus welchen verschiedenen Quellen Codrus sein sprachliches Material geschöpft hat. 1 0 Danach ist zunächst ohne antiken Beleg nur weniges: sitibundas (30), depulvero (96), supra quam quod 10lf, dazu noch condono aliquem aliqua re (109). Weiter steht neben dem selbstverständlichen Plautus und neben Terenz auch Einfluß aus den klassischen und nachklassischen Dichtern. Die Quellen sind somit hier weitgehend festgestellt. Die Art ihres Einwirkens allerdings ist verschieden: ausgefallene Einzelwörter, gleichsam Kleinodien, die nur von einer einzigen Stelle genommen sein können, stammen aus Plautus (harpago 28, neutrobi 36, morologus 72) oder aus späteren Dichtern (.Pegaseo gradu 71, voraus viam 71, thesaurarius Alcides 91f, opulesco 102), ganz unscheinbare Wendungen aber stimmen oft fast wörtlich mit einzelnen Terenzstellen überein (anitnam recipere 8, ad necem 17, ex compressu 78, et habetur et refertur gratia 112f, quod restât 117; ausgefallener ist nur quadrupedem strinxero 2). Seinen Terenz hatte Codrus also offenbar im Kopf, terenzische Wendungen flössen ihm einfach aus der Feder. Erlesene Einzelwörter dagegen mußte er eigens aus anderen Autoren sammeln und hat sie offensichtlich mit einem ganz anderen Grad von Bewußtsein eingebaut. Hinzu kommt aber noch manches, was wieder aus einer allgemeineren Vertrautheit mit der klassischen Dichtersprache stammt: in Oceani gurgite 30, Tartarea ingluvies 33, laetis complector ulnis 93f. Durch all dies wird nun freilich das Supplement nicht eben sehr Plautinisch im Grundton. Zudem steckt die Rede des Strophilus 2 2 - 4 6 voller rhetorischer Figuren, Dikola und Trikola, zum Teil mit Anaphern, und setzt zweimal Sentenzen effektvoll ans Abschnittende 11 : das macht der Meisterschaft des Codrus nicht wenig Ehre und gibt der Rede eigenen Schwung, nur: so schreibt Plautus nicht. Von der reichlich überspannten These Grossos, Codrus habe selbst mit unplautinischem Vokabular ganz so geschrieben, wie Plautus es auch hätte tun können, bleibt somit wenig übrig. Zu Recht hat aber Raimondi allgemein die Neigung des Codrus zum kraftvollen Ausdruck hervorgehoben. 12 Zu dem erwähnten Schwung der längeren Reden kommt die Lebhaftigkeit des Dialogs, der reich mit Interjektionen durchsetzt ist 13 und sich strafft durch Ellipsen und Kurzphrasen. 14 Als Einzelzug fällt 10

Grosso a.O. (s. oben Anm. 4) S. 3 8 5 f f , Raimondi S. 2 4 7 - 5 1 . 2 2 - 2 5 zweimal Dikolon mit Anapher, Sentenz zum Abschluß, 28 Trikolon, 2 9 f Dikolon, 3 1 - 3 3 Trikolon mit Anapher, 37, 40, 4 2 dreimal Trikolon, 4 6 Sentenz, auch 9 7 - 1 0 0 zweimal Trikolon. 11

" S. 248. ah ah 9, heia 12, heus heus 14, hem 54, 61, 67, heus 63, heu 103. 14 feram 1, recte quidem tu 4 7 ; velis nolis 2, das an non etqus. 7f, recipere rogo 8, volo adsint 4 9 f . 13

sinas te

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noch die Liebe des Codrus zu großartigen Zahlen ins Auge. 15 Und überall hängt natürlich der energische Ausdruck fest zusammen mit der dramatischen Gestaltungskraft des Autors, die so leicht unter den Humanisten dieser Zeit nicht ihresgleichen findet. Eine Nachwirkung wie dem Amphitruo-Supplement war aber der Ergänzung des Codrus nicht beschieden, trotz den immer neuen Aufnahmen des AululariaStoffes in der europäischen Literatur, die etwa von Reinhardstoettner (S. 274— 324) bespricht. Das hängt sicher damit zusammen, daß gerade am Schluß jeder Nachahmer der Aulularia eine eigene Lösung suchte. 16 Ganz vereinzelt hat nur, wie Ussing in seiner kommentierten Plautus-Ausgabe bemerkt (II S. 272), eine Wendung des Codrus für den Namen von Molières Harpagon Pate gestanden: Tenaces nimium dominos nostra aetas tulit, Quos harpagonas, Harpyas et Tañíalos Vocare soleo (V. 27ff). Lessing mochte übrigens den Codrus-Schluß nicht: „Es ist nur zu betauren, daß sie (die Aulularia) nicht ganz zu uns gekommen ist. Antonius Codrus . . . hat sie zwar ergänzt, allein seine und des Plautus Arbeit unterscheiden sich allzusehr." 17 Sehr viel ruhiger geht es im dritten Supplement zu. Lyconides springt seinem Sklaven nicht an den Hals, und auch sonst tut sich nichts Turbulentes; wenn Lyconides einmal mit Schlägen lediglich droht, ist das schon das Ärgste (cornerberatus 6). Die Handlung, die nur noch von Lyconides, Strophilus und später Euclio getragen wird, verläuft so, daß Lyconides in einer ersten Runde den Sklaven, der auch gar nicht bestreitet, das Gold zu haben, allein durch seine Autorität unter Druck setzt. „Da bleibt mir noch übrig, mich aufzuhängen", jammert Strophilus ( 1 - 2 9 ) . Die Worte aber sind ein übles Omen für die Hochzeit, die Lyconides plant. Schon um dessen Einfluß abzuwehren, gewinnt er in einem zweiten Anlauf Strophilus auch innerlich, das Gold zu holen, indem er ihm einen — allerdings unbestimmten — Lohn verspricht und ihn auf seine Treue verpflichtet, da es um den Nutzen des Herrn gehe (30—43). Strophilus holt den Goldtopf und übergibt ihn Lyconides (44-62). Lyconides stellt etwas deutlicher Belohnung für Strophilus durch Euclio in Aussicht (63—79a); er schreitet zur Übergabe, und Euclio schenkt dem Lyconides aus Dankbarkeit Tochter und Gold, und bittet ihn, den Strophilus freizulassen, der doch geholfen habe, das Gold wieder zu beschaffen. Das soll geschehen, und ab geht es zur Hochzeit (79b-94). Nicht ganz klar wird nur, ob Lyconides mit den Worten mihi tua satis est pro dote filia (88) eine artige Wendung macht oder tatsächlich auf das Gold verzichtet. 15

Vgl. den Kommentar zu 38. Bei dieser Gelegenheit läßt sich auch kurz abmachen, daß, entgegen der Behauptung von Grosso bei Malagola S. 407f, das Supplement des Codrus auf die Komödie La Sporta von G. B. Gelli, die sich im großen Ganzen nach der Aul. des Plautus richtet, aber auch nicht die Spur eingewirkt hat. " G. E. Lessings sämtliche Schriften. Hg. von Karl Lachmann, 3. Aufl. Stuttgart 1889 Bd 4, S. 79 (Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters). 16

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Die Frage, um die im Aulularia-Schluß ja gleich zweimal alles kreisen muß: wie bringt man jemanden dazu, sich von Geld, das er hat, zu trennen, wird in ihrem Ernst hier wieder nicht erfaßt. Bei Strophilus soll für eine solche Selbstüberwindung die bloße Autorität und eine vage Aussicht auf ungewissen Lohn ausreichen, bei Euclio die reine Dankbarkeit für meritum und fides (87) des Lyconides. Desgleichen kommt der Vorschlag Euclios, Strophilus freizulassen, ohne alle Vorbereitung — im ganzen Supplement war von der Freilassung nie die Rede, und was Strophilus sich Aul. 823 gewünscht hat, kann Euclio ja nicht wissen — und überdies gegen jede Wahrscheinlichkeit. Denn Euclio kennt doch den Strophilus genau vom Heiligtum der Fides her (628-60); ein erneutes Auftauchen des Strophilus im Zusammenhang mit dem Goldtopf konnte den Alten nur mit dem tiefsten Mißtrauen erfüllen. Man konnte diese Seitenlinie der dramatischen Entwicklung zur Not durch Verschweigen überspielen, so wie Codrus es getan hat, aber man sollte nicht gerade Euclio zum Fürsprecher des Strophilus machen. Merkwürdig ist die Auffassung der Bühne, da zweimal sich die Handlung ohne irgendwelche Umstände in Innenräume begibt, 44—54 in das Haus des Lyconides — das streng genommen nicht auf der Bühne steht! —, 79—94 in das des Euclio. Es ist dies die ältere, noch nicht wieder nach antikem Muster eingerichtete Bühne, wie sie nach neuesten Untersuchungen 18 vorauszusetzen ist für das gesamte sogenannte teatro goliardico, das lateinische Studententheater Italiens aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Die für die Aufführung notwendigen Häuser konnten in diesen Fällen aus „skeletal structures" bestehen, also Bauten ohne Vorderwand, die auch die Vorgänge in ihrem Innern erkennen ließen. Dem modernen Theaterbesucher sind solche aufgeschnittenen Häuser ja wieder bestens vertraut, die antike Bühne kennt aber dergleichen nicht und kann Interieurs nicht darstellen. An diese antiken Bedingungen der Bühne hält sich unser Supplement, als einziges von allen, also nicht. Und doch hat dieses Supplement seinen eigentümlichen Reiz, denn sein Autor ist der einzige unter den Ergänzern der Aulularia, der sich der besonderen Aufgabe eines Komödiendialogs stellt, hin und wieder witzig zu sein. Schon Lyconides bereichert seinen sonst bieder-braven Text zweimal mit Wortspielen, warnt Strophilus, ullam stropham auszuhecken (22), und wünscht am Schluß, daß aus der fabula ulularía, dem Jammerstück, glücklich eine Aulularia werde (93f). Besonders aber ist auf schlagfertigen Witz und reiche Möglichkeiten des Komischen gegründet die Figur des Strophilus. Er dreht seinem Herrn das Wort im Munde um, aus der Drohung malo magno beatus sies hört er nur beatus, und meint, das sei er zufrieden (2 und 4); als er zum redhibere des Goldes aufgefordert wird, faßt er redhibere in der engeren Bedeutung des Zurückgebens von mangelhafter Ware, und sagt: „das ist nun wirklich nicht nötig, das Gold ist ta-

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Mary Hieber Sabatini S. 5 - 7 0 .

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dellos" (23f). Er weiß auch sonst, die Dinge für sich günstig und für uns erheiternd zurechtzulegen, wenn er seinen Diebstahl als günstigen Zufall oder Glücksfund anspricht (8,19) und gleich gegen den Neid der Herren ausfällt, die ihren Sklaven aber auch gar nichts gönnen (7—10). Und er steigert sich bis zum Skurrilen, wenn er dem Herrn, der die Schandtat schon aus Rücksicht auf den eigenen Ruf nicht dulden will, einreden möchte, es müßte ja niemand davon erfahren, er selbst sei kaum bei seiner eigenen Tat dabei gewesen (14). So lebt der ganze Wortwechsel bis V. 29 vom Witz des Strophilus. Dann nimmt Lyconides ihn bei seiner Treue, und Strophilus zeigt nur einmal noch den Schalk, der in ihm steckt, wenn er sich Flügel oder den Gygesring wünscht, um ungehindert mit dem Gold davonzukommen (56—59). Danach verflacht das Stück. Dieser Strophilus setzt in wesentlichen Zügen den Sklaven des Lyconides aus der Aulularia fort. Schon jener neigt zum Wortwitz und absichtlichen Mißverstehen (637); schon jener ist zugleich Schlitzohr und treuer Sklave, in seinen Auftrittsworten noch auf nichts als die Pflicht bedacht (587ff), doch bereits 681 hat er Interessanteres zu tun: certum est, malam rem potius quaeram cum lucro. So bleibt auch der Strophilus suppositus im Innern zerrissen, als er den Schatz für seinen Herrn holt, und begreift sich selber nicht (44-51), bringt aber doch das Gold und macht damit seine Treueversicherung von vorher (38f) wahr, wie auch die weitere Beteuerung (61f) und besonders sein Freudenausbruch V. 77 die echte Anhänglichkeit an den Herrn erweisen. Lyconides dagegen bleibt geradlinig und ehrlich, auf seinen guten Ruf bedacht (12, 21, 25), und wird daher nicht weiter interessant. Die Sprache ist der Komödie erstaunlich wenig verpflichtet. Nur nae (44) und häufiges pol (s. den Komm, zu 4), Wendungen wie malo tuo magno (2), servitutem serviam (45) und plausum date (94) erinnern allgemein an den Komödienton, auch simitu (80) gehört nur ins Altlatein. Nichts stammt eindeutig aus Terenz, von bestimmten Plautus-Stellen nur wenig (s. zu 11, 19, 42, 46, 47, 82). Dagegen steht massiver Einfluß von Cicero und der späteren Prosa, für bestimmte Einzelheiten haben Gellius (aurum Tholosanum 3), Columella (adobruo 80), Apuleius oder vielleicht Cato (paritario 89) eingewirkt. Nichts deutet auf Benutzung klassischer oder nachklassischer Dichter. Auffallend oft begegnet juristische Terminologie (s. zu 13, 16, 23, 26, 60, 75, 91). All das paßt vorzüglich zu dem mit hoher Wahrscheinlichkeit erschließbaren Autor Barbaro (s. S. 83ff), der studierter Jurist war, und der in einem Brief von 1480 (ep. 8) nur die Prosaiker Cicero, Plinius, Columella, Varrò, Seneca und Apuleius als die von ihm gelesenen Schriftsteller nennt. Da er, wie er behauptet (undatierter Brief 5, s. S. 84), das gesamte Supplement in eineinhalb Stunden fertig schrieb, nahm er offenbar an Worten und Vorstellungen, was er gerade im Kopf hatte, und stöberte nicht weiter nach besonders zum Plautinischen Passendem oder sonstigem Entlegenen. Das hat die erfreuliche Folge, daß der Ausdruck im ganzen leicht verständlich bleibt und frei von dunklen Anspielungen. Andererseits wird es 48

ebenso an der raschen Niederschrift liegen, wenn Barbaro gar nicht selten antik nicht belegte oder sogar eindeutig falsche Formen und Konstruktionen verwendet. 1 9

" Eigenwillig: 12 compilo absolut, 19 deruncino aliquid, 20 manticulor aliquem, 30 uxorem cogito, 80 mortibus adobruor; falsch: 15 mutio „still sein", 37 aurum exhibito opus est, 38 subterfugio „ A u s f l ü c h t e m a c h e n " , 4 3 dicassis.

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Braun ( H y p . 6 4 )

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Bacchides Für die Aulularia war es verhältnismäßig einfach, das Fehlende neu zu dichten. Verloren war dort der Schluß mit der Lösung, doch waren im Erhaltenen schon zahlreiche Weichen für die abschließende Entwicklung gestellt, und der Prolog des Lar sowie die beiden argumenta gaben die wichtigsten Fakten, die noch ausstanden. Sehr viel schwieriger war von vornherein die Aufgabe, die Bacchides zu ergänzen, da hier der Anfang verloren ist, also jedenfalls die Exposition mit den grundlegenden Tatsachen, und mit dem Anfang ebenso die argumenta, die es auch für dieses Stück zweifellos gab. Es blieb daher nur übrig, vom Vorhandenen aus die Vorgeschichte zu rekonstruieren, das heißt, aus dem Ergebnis auf die Ursachen zu schließen. Ein weiteres Hilfsmittel hätten natürlich die Bruchstücke, die wir aus Grammatikerzitaten besitzen, an die Hand geben können, doch hat der Autor des Bacchides-Supplements diese offenbar überhaupt nicht gekannt. Er hätte allerdings zu diesem Zweck auch vorher die hergehörigen Fragmente selber sammeln müssen, denn eine brauchbare Zusammenstellung der Plautus-Fragmente erschien erst in der Ausgabe des Fabricius (Basel 1558), in der überdies nur 11 von den heute bekannten 20 Bacchides-Splittern enthalten sind. Allein aus dem Erhaltenen wird folgende Vorgeschichte klar: Der junge Mann Mnesilochus, von seinem Vater Nicobulus von Athen nach Ephesus geschickt, um dort bei einem Archidemides eine Geldschuld (von 1200 Philippdor, V. 230) einzutreiben, hat auf dieser Reise in Samos die Hetäre Bacchis kennengelernt und sich in sie verliebt. Diese ist aber mit ihren Dienstleistungen durch einen Vertrag an den Soldaten Cleomachus gebunden, dem sie daher nach Athen folgen muß. Die Liebenden werden also zunächst getrennt, der Rivale hat die Oberhand. Deswegen schreibt Mnesilochus nach Athen an seinen Freund Pistoclerus, er solle dort die Bacchis ausfindig machen. Pistoclerus, als treuer Freund, stößt bei seiner Suche aber auf zwei Hetären dieses Namens, Schwestern, wovon die eine in Athen ansässig ist, die andere, die eigentlich gesuchte, gerade zu Besuch bei ihrer Schwester eingetroffen ist. Das Erhaltene setzt mit der Szene ein, als Pistoclerus die beiden Bacchides eben gefunden hat, und diese sich ihrerseits seiner Hilfe versichern wollen, damit die (aus Samos bekannte und daher) Samische Bacchis sich aus dem Vertrag mit dem Soldaten lösen kann, was durch Rückzahlung der Mietsumme an sich möglich ist. Die Athenische Bacchis läßt dabei ihre professionellen Künste spielen und lädt Pistoclerus zu einem Gelage in ihr Haus ein. Nach anfänglichem Widerstreben verfällt Pistoclerus auch völlig ihren Reizen, geht für das Gelage einkaufen und begibt sich, trotz heftigen Wortwechsels mit seinem sittenstreng

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entrüsteten Pädagogen Lydus, in das Hetärenhaus. Als Vortrab des heimkehrenden Mnesilochus kommt nun dessen Sklave Chrysalus nach Athen zurück, erfährt von Pistoclerus, daß die Bacchis wunschgemäß gefunden ist, und verspricht sofort, das zu ihrer Auslösung nötige Geld zu beschaffen, oder richtiger, gleich aus der in Ephesus eingetriebenen Summe abzuzweigen. Nicobulus, dem Vater des Mnesilochus, erzählt er zur Erklärung des Fehlbetrags das Märchen, die Schuld beizutreiben sei ihnen nicht gelungen. Unterdes hat der Pädagoge Lydus aus dem lotterhaften Treiben des Pistoclerus die Konsequenz gezogen und dessen Vater Philoxenus alarmiert. Mit diesen beiden trifft der heimkehrende Mnesilochus zusammen, und da er nur hört, daß Pistoclerus es mit einer Hetäre namens Bacchis treibe, kommt er, nicht wissend, daß es zwei Schwestern dieses Namens gibt, zu dem niederschmetternden Schluß, Pistoclerus habe ihn hintergangen. Daher gesteht er, über Bacchis erzürnt, seinem Vater Nicobulus die Lüge des Chrysalus ein und händigt ihm alles Geld aus, das er von Ephesus geholt hatte. Erst danach trifft er mit Pistoclerus zusammen und kann das peinliche Mißverständnis klären. Chrysalus aber muß von neuem Geld beschaffen, nicht nur für die Auslösung der Samischen Bacchis, sondern auch für den fortgesetzten Lebenswandel der zwei Freunde. Nicobulus fällt denn auch zum zweitenmal auf die Intrigen des Chrysalus herein, und als er, zusammen mit Philoxenus, erbost gegen die Hetären vorgehen will, erliegen auch noch diese beiden Alten deren Reizen. In dem ergänzten Prolog wird nun eine Vorgeschichte entworfen, die ziemlich anders aussieht (V. *53—81): die Bacchides seien Zwillingsschwestern, gebürtig aus Samos; nach dem Tod ihrer Eltern habe ein miles die eine von ihnen mit sich nach Creta genommen, die andere sei nach Athen gezogen. In diese letzte verliebt sich, in Athen, Mnesilochus; die Romanze wird aber dadurch unterbrochen, daß er nach Ephesus geschickt wird. Dort muß Mnesilochus hören, daß seine Bacchis Athen verlassen habe. Daher schreibt er seinem Freund Pistoclerus, er solle die Bacchis wiederfinden. Diese Suche wird dadurch ziemlich leicht, daß diese Bacchis, zusammen mit ihrer Zwillingsschwester, ohnehin nach Athen zurückkehrt. Pistoclerus verfällt der anderen Bacchis, also der, die ursprünglich mit dem miles nach Creta gezogen war und jetzt zum erstenmal nach Athen kommt. Somit ist dem Ergänzer eben das geschehen, wovor die Erlebnisse des Mnesilochus im Plautinischen Stück doch ausreichend hätten warnen müssen: er hat die beiden Bacchides durcheinandergebracht. Für ihn gilt aber nicht als Entschuldigung, was er selbst im Prolog so ausdrückt: has si videres, ita confundas oculos, utra ut sit, non queas internoscere (51f). Denn es ist im Plautinischen absolut klar, daß die Bacchis, die in vertraglicher Bindung zu dem miles steht, die Geliebte des Mnesilochus ist.1 Auch weiteres widerspricht dem Plautinischen: 1 Schon 103f tibi nunc operam dabo de Mnesilocho, soror, ut hic accipias potius aurum quam hinc eas cum milite, ferner 842f Clfeomachus). Meamne hie Mnesilochus, Nicobuli fllius, per vim ut retineat mulierem?, s. auch 917f, 1009.

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Deutlich genug kommen die Schwestern nicht miteinander nach Athen, sondern die eine wohnt schon länger da, und am Beginn des Erhaltenen ist die andere eben bei ihr eingetroffen, denn diese zweite sagt V. 101 bene me accipies advenientem, mea soror, und wird (107f) von der ersten zum Ausruhen nach der Seereise aufgefordert: nam uti navivecta's, credo, timida es. So. aliquantum, soror. Ba. sequere hac igitur me intro in lectum, ut sedes lassitudinem.2 Daß die Bacchides Zwillingsschwestern seien, ist ebenfalls ein Irrtum, der dadurch nicht besser wird, daß er auch heute noch nicht ausgerottet scheint. Der Ergänzer wurde zu der Behauptung verleitet offenbar durch die falsche Parallele der Menaechmi, die nun wirklich Zwillinge gleichen Namens und Aussehens sind. 3 Das Bacchides-Stiick bietet aber nicht den mindesten Anhaltspunkt für ein gleiches Aussehen der beiden Hetären, auch heißen sie nie gemirme, sondern stets nur sórores. 4 V. 835ff erkennt Nicobulus in der einen von ihnen ohne Schwierigkeiten seine Nachbarin, die Athenische Bacchis, die andere ist ihm sichtlich unbekannt, er nennt sie bella mulier, und Chrysalus kann dann behaupten, das sei die Gemahlin des miles. V. 1161 findet Philoxenus an der einen von ihnen besonderen Gefallen, obwohl die andere genau daneben steht. Hervorgehoben wird nur zweimal im Stück ausdrücklich ihre Namensgleichheit s , die ja allein für die Handlung von Bedeutung ist. Anderes ist reine Phantasie: Nirgends steht, daß der Geschäftsfreund Archidemides in Ephesus ein Phoenizier ist (*70). Die Namen der Eltern der Bacchides sowie ihren Tod hat der Ergänzer frei erfunden, sie tauchen bei Plautus nicht auf. Mit der Reise des miles zusammen mit der einen Bacchis nach Creta steht es ebenso. Aber damit sind wir überhaupt bei einem besonderen Komplex der Vorgeschichte, der im Erhaltenen nur angedeutet ist; der freilich schwierigeren Aufgabe, aus diesen Andeutungen vernünftige Schlüsse zu ziehen, war der Ergänzer erst recht nicht gewachsen. Wenn Pistoclerus V. 200 auf die Frage des Chrysalus, ob er wunschgemäß die Bacchis gefunden habe, antwortet: Samiam quidem, so ist zugleich daraus zu schließen, daß die andere Bacchis nichts mit Samos zu tun hat. Diesen sicheren Schluß darf nicht verwirren, daß Lydus, der die Sache ja nicht recht durchschaut, 472 behauptet, Pistoclerus sei einer Bacchis aus Samos verfallen: das ist der Keim für das Mißverständnis des Mnesilochus, aber im übrigen eben eine falsche Behauptung. Schließlich heißt es noch in den Auftrittsworten des Parasiten, er gehöre zu dem miles, qui amicam secum avexit ex Samo (574). Wohin die Reise gegangen ist, steht nicht da, aber wir wissen, daß 2

Ansprechend schlägt Tränkle MH 1975, S. 118 tectum statt lectum vor. Die Liste derer, die auch heute die Bacchides für Zwillinge halten, würde endlos; als Gegenstimme kenne ich nur Waheeb Kamel, The Bacchides of Plautus: Its Plot and Origin, S. 1 0 1 - 1 2 ; außerdem, außerhalb der eigentlichen wissenschaftlichen Diskussion, schon Karl Moriz Rapp in seiner Plautus-Übersetzung S. 1586. 4 V. 372, 568f, 719. 5 fr. 6 und V. 39 cognominis. 3

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die Bacchis des miles auch die des Mnesilochus ist, also die, die diesen Tag in Athen eingetroffen ist. Dahin hat also natürlich der miles von Samos aus diese Bacchis gebracht, und das stand offenbar von vornherein fest, und Mnesilochus wußte das: sonst hätte er dem Pistoclerus nicht den Auftrag geben können, seine Bacchis in Athen zu suchen; daß aber der Auftrag so lautete, wird daraus klar, daß Chrysalus 175ff erwartet, den Pistoclerus in Athen sofort zu treffen, und daß dieser die Bacchis möglichst schon gefunden haben sollte (192). Dazu paßt es, daß Mnesilochus 563ff, noch in seinem Mißverständnis befangen, dem Pistoclerus den Vorwurf macht, ob er sich denn keine andere Hetäre in Athen hätte aussuchen können als gerade die seines Freundes. Die Reise der Bacchis, die im Gegensatz zur anderen aus Samos kommt, ging also, im Gefolge des miles, nach Athen. All dies hat der Ergänzer nicht durchschaut. Da es explizit immer nur „Bacchis aus Samos" heißt, hat er das großzügig auf beide ausgedehnt und läßt dort sogar beide geboren sein. Da er nun schon einmal die Bacchides verwechselt hatte, kam er auch nicht mehr darauf, daß der miles mit seiner Bacchis nach Athen fährt, sondern erfand das Phantasieziel Kreta, das für die Handlung des Stücks ohne jeden Sinn und Zweck ist, und verlegt sie außerdem in eine völlig irrelevante Zeit lange vor Beginn des Stückes. Und überhaupt ist die Bedeutung des miles dem Ergänzer ganz und gar nicht klar geworden: in seinem Prolog führt er ein unbedeutendes Dasein am Rande der Ereignisse, in Wirklichkeit verkörpert er ja aber in dem Stück gerade die auslösende Schwierigkeit, wodurch es notwendig wird, Geld zu beschaffen und den Nicobulus zu betrügen. Da die Weichen für die Ergänzung einmal falsch standen, wurde auch das andere drauflos konstruiert: daß Mnesilochus seiner Bacchis schon vor der Ephesus-Reise verfiel, steht nirgends und ist völlig sinnlos: seine Geliebte ist eben in Wirklichkeit die Bacchis aus Samos, nicht die aus Athen. 6 Daß Mnesilochus dann in Ephesus erfährt, seine Bacchis habe Athen verlassen, rechtfertigt immerhin — notdürftig — den Brief des Mnesilochus an Pistoclerus, ist aber gleichfalls ohne Grundlage erdichtet. Da die Bacchis des Mnesilochus dann aber ganz von selbst nach Athen zurückkommt, brauchte es die Suche durch Pistoclerus nicht, da konnte sie, nach diesen Voraussetzungen, auch von Mnesilochus wiedergefunden werden, und das in Muße, da für die Bacchis ja kein Soldat als Nebenbuhler zu fürchten war. Also wozu das Ganze? Mit der abwegigen Vorgeschichte, die der Prolog entwickelt, stimmt allerdings das ebenfalls ergänzte argumentum überein. Auch hier die Liebe des Mnesilochus zu einer Bacchis schon vor seiner Ephesus-Reise, auch hier das Verschwinden und Wiederauftauchen dieser Bacchis von und in Athen, und ebenso der Brief des Mnesilochus an Pistoclerus. Genauer als der Prolog (72 und 78)

6 Vielleicht eine Erinnerung an die Verhältnisse im Mere., w o in der Tat der liebende Jüngling vor seiner ebenfalls durch den Vater erzwungenen Geschäftsreise eine Affäre am Heimatort hat? Die Supplemente für Ba. und Mer. stammen ja offensichtlich vom gleichen Autor (s. S. 87f), dem der Mer. also einigermaßen bekannt war.

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ist hier noch die Angabe, daß die bewußte Reise der einen Bacchis ihre Zwillingsschwester in Creta zum Ziel hat (3f); da Prolog und argumentum sich so passend gegenseitig vervollständigen, wird klar, daß hinter beiden Ergänzungen der gleiche Kopf steckt. 7 Bis V. 6a enthält das argumentum die Vorgeschichte, der Rest will offenbar das Wesentliche dessen erzählen, was im Stück selbst geschehen wird. Unverständlich bleibt indes, was gemeint ist mit den Worten ut mutent geminas, ei dat aurum (7f). Bei der Fähigkeit des Autors, Komödienhandlung zu durchschauen, möchte man aber nicht ausschließen, daß hier ein noch viel monströseres Mißverständnis vorliegt, daß nämlich Mnesilochus dem Pistoclerus Geld verschaffe, um seine Bacchis von ihm freizubekommen. Mit den Plautinischen Bacchides hätte das natürlich gar nichts mehr zu tun. Brav nach antikem Vorbild ist aber die äußere Form der Akrostichie. Der Prolog im ganzen enthält vor der Vorgeschichte noch verschiedene andere Partien. Er beginnt mit einer allgemeinen Bitte ans Publikum um Ruhe und Aufmerksamkeit. Dazu holt er weiter aus: Es ist ein Wunder, wenn heute das Publikum nicht unruhig ist (1—4). Schon junge Schauspieler haben es schwer (5f), wieviel schwerer also der jetzige Prologsprecher, ein alter Mann auf einem Esel (7f). 8 In zwei scherzhaften Wendungen kommt dann gleichwohl die Ermahnung zur Ruhe (11 — 17), die schließlich als eingetreten bezeichnet wird (18f). Der Sprecher erklärt, wer er ist (20-35), nämlich der Ziehvater des Bacchus. Das Stück stammt von Philemon und heißt griechisch Euantides, Plautus hat es Bacchides genannt (36—38). Und diese Bacchides dem Publikum zu bringen, ist der Zweck von Silens Kommen (39-45). Die Bacchides sind Hetären, und Zwillingsschwestern, die sich im Aussehen aufs Haar gleichen (46—52). Daran schließt sich die besprochene Darstellung der Vorgeschichte. In seinem klaren Aufbau, der durch gliedernde Verse, die das jeweils folgende ankündigen, noch weiter verdeutlicht wird, und in der Abfolge seiner Teile 7 Fast schon wieder gerührt ist man, wenn man bei G. Michaut, Piaute, Paris 1920, I S. 192 eine völlig ernstgemeinte Inhaltsangabe der Ba. liest, die ihren Anfang genau auf die unsinnige Vorgeschichte aus dem Supplement baut: „Deux soeurs jumelles, les deux Bacchis, nées à Samos, ont été emmenées l'une à Athènes, où elle est aimée pai Mnésiloque, fils de Nicobule, et l'autre en Crète. Nicobule envoie, un jour, son fils à Ephèse, chercher de l'argent qu'il avait confié à un ami. Pendant ce voyage, Mnésiloque apprend que sa Bacchis a quitté Athènes; il écrit aussitôt à son ami Pistoclère, fils de Philoxène, et le charge de retrouver la jeune fille. Pistoclère retrouve à Athènes les deux Bacchis, qui y sont revenues ensemble, et il s'éprend de la Bacchis de Crète, au grand désespoir de son pédagogue, Lydus." Verständlicher ist es vielleicht, wenn Naudet im Jahre 1833 falschen und echten Plautus nicht auseinanderhält und in seine Inhaltsangabe etwa einfließen läßt hinsichtlich des Mnesilochus: „car des navigateurs lui ont appris qu'elle (Bacchis) était partie aussi d'Athènes après lui", was entspricht Nam nautae noti navigasse nuntiant (*pr. 73). 8 Daß es sich dabei um Silen handelt, sagt zunächst nur der Titel des Prologs, erst die V. 2 5 - 3 2 machen das umschreibend klar, ohne aber den Namen zu nennen.

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scheint dieser Prolog besonders dem des Amphitruo verpflichtet. Auch dort gibt es zunächst die Bitte um Ruhe ( 1 - 1 6 ) , dann die Selbstvorstellung des Prologsprechers — dort ist es Mercur, also ebenfalls ein Gott - und die Erklärung, warum er gekommen ist (17—49), danach einen Teil ohne Entsprechung im Bacchides-Supplement (50—96), zum Schluß aber gleichfalls die Vorgeschichte, das argumentum (97—139). Die gliedernden Verse sind im Am.: nunc quoiius iussu vento et quam ob rem venerim dicam simulque ipse eloquar nomen meum (17f); nunc quam rem oratum hue veni primum proloquar; post argumentum huius eloquar tragodiae (50f); nunc vos animum advortite, dum huius argumentum eloquar comoediae (95f). Ihnen entspricht im ergänzten Bacchides-Prolog: attendite, quaeso, atque animum advortite, dum nomen huius eloquor statariae (9f); qui sim, cur ad vos veniam, paucis eloquar, simul huius nomen proferam comoediae (2lf); ut nomen huius eloquar statariae, simul sciatis ad vos cur venerim (34f); huius argumentum eloquar comoediae (54). Diese Verse gleichen sich nicht nur sehr in der Formulierung, sondern auch in Einzelheiten der Funktion, indem sie den gleichen Punkt mehrmals und auch mehrere Punkte miteinander ankündigen. Griechischen und lateinischen Titel, dazu den griechischen Autor (*36—38), das alles gibt der Amphitruo-Prolog nicht an, aber solches steht As. 10-12, Cas. 31—34, Mer. 9f, Tri. 18—20. Auf die Formulierung hat aber keines dieser möglichen Vorbilder eingewirkt, nur die dreiste Behauptung, Philemon habe das griechische Original verfaßt, geht natürlich auf Mer. oder Tri. zurück. In der Sache ist die Angabe wieder reinste Phantasie, ohne Grund und ohne wissenschaftliches Verantwortungsgefühl; andererseits konnte der Autor ja noch nicht wissen, daß das Original der Dis exapaton des Menander war. 9 Die kurze Anspielung auf das Kriegsglück der Römer *55—57 hat ebenfalls nur das allgemeine Vorbild der häufigen derartigen Erwähnungen in Prologen. 10 Wiederholte Bitten um Ruhe und Aufmerksamkeit (9, 24, 53, 89) verstehen sich in einem Prolog von selbst11, die drei Wortwitze (14, 33, 41) sind alle gleicher Art und, wie noch manches Einzelne, ebenfalls Plautinischen Prologen abgesehen. 12 Der Prolog schließt mit einem Hinweis auf den auftretenden Pistoclerus (86ff). Es folgt die ebenfalls ergänzte erste Szene, in der Pistoclerus seine Liebesverwirrung entsprechend konfus vorträgt — der Autor mag das als passend empfunden haben. Lydus findet aus dem Abstand alles höchst bedenklich. Schließlich läßt der Autor Pistoclerus noch sagen: video sorores geminas, Bacchanal meum (I 27), und meint wohl, damit sei jetzt der Anschluß an Ba. 1,1 perfekt. Die Mängel sind indes wieder zahlreich. Pistoclerus ist 1,1 noch keineswegs so liebesverwirrt, wie er sich im Ergänzten gibt, sondern widerstrebt erheblich. ' Erkannt von Ritsehl, Parerga I S. 4 0 4 f f . 10 As. 15, Cap. 68, Cas. 87f, Ci. 197ff, Ru. 82, aber stets ganz am Ende des Prologs. 11 Z.B. Am. 15, 95, As. 1 - 3 , 14, Cap. 6, Cas. 29. 12 S. allgemein den Kommentar.

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Erst V. 92 stellt er sich in die Dienste der Bacchis. Eben die Frage, fur welches Alter Hetärenumgang am besten paßt, beurteilt Pistoclerus Ba. 56, 65ff und 88 gerade gegenteilig als *21 — 25, erst Ba. 129 ändert sich das. Die erfundene Szene nimmt also widersprüchlich und vollkommen nutzlos eine erst spätere Entwicklung vorweg. Andererseits gibt sie sich gar keine Mühe, in die ja nicht einfache Ausgangssituation der Bacchides hineinzuführen, also das zu tun, was man der Ergänzung wirklich gedankt hätte. Woher und wie die Bacchides auftreten, wird nicht gesagt. Von dem miles ist so völlig unvermittelt die Rede (Ba. 43): kein Mensch kann das verstanden haben, aber der Autor verstand das Stück ja ohnehin nicht. Dramatik geht der Szene völlig ab, sie tritt im moralisierenden Erguß auf der Stelle. Auch wir wissen zwar nicht ganz genau, wie der Anfang der Bacchides aussah, aber so konnte es gewiß nicht gehen. Zunächst weist nichts auf einen Götter-Prolog 13 , wahrscheinlich war die gesamte Exposition von Figuren des Stückes innerhalb der Handlung, also dramatisch, gegeben, zum einen Teil von der Athenischen Bacchis, zum anderen von Pistoclerus. Faßbar sind mindestens drei Szenen etwa folgenden Inhalts: 1. die Athenische Bacchis läßt durch einen Hausp u t z die gastliche A u f n a h m e ihrer Schwester vorbereiten (fr. 3, 4); 2. Pistoclerus, die Bacchis aus Samos gemäß der Bitte seines Freundes suchend, gerät an die Athenische, und wird von ihr über die Schwester belehrt (fr. 15 Bacch. Ath. über den suchenden Pistoclerus?, fr. 6 aus dem Gespräch beider); 3. die Samische Bacchis wird von einem Dienstboten des miles gebracht, dabei werden ihr die Bestimmungen ihres Vertrags eingeschärft (fr. 1, 2, 10, 11). Indem Pistoclerus, der vielleicht das Ganze aus dem Hintergrund verfolgt hat (fr. 17 einer seiner K o m m e n t a r e ? ) zu den Schwestern tritt, dürfte die ursprünglich vierte Szene des Stücks beginnen; erst später in dieser Szene setzt das Erhaltene ein. Jedenfalls hat Plautus die Voraussetzungen seines Stücks breit u n d ausführlich exponiert. Da diese alles andere als einfach sind, war Breite durchaus am Platz. Der Ergänzer dagegen hilft dem Leser in nichts beim Einstieg in das Stück und ersetzt das Verlorene nicht. Was er geleistet hat, ist lediglich eine rein äußerliche u n d nur schembare Komplettierung des Stücks, das nun über akrostichisches argumentum, Prolog und eine erste Szene verfügt, ohne doch davon irgend 13 Entgegen T. B. L. Webster, Studies in Menander S. 128, H. J. Mette, Lustrum 13, 1968, 542. - Zuletzt haben über die Anordnung dei Fragmente gehandelt Bernd Bader, Der verlorene Anfang der plautinischen „Bacchides", (1970), S. 3 0 4 - 2 3 , und, gegenüber Bader kaum anders, Konrad Gaiser, Die plautinischen „Bacchides" und Menanders „Dis exapaton", (1970) S. 5 1 - 8 7 , zum verlorenen Anfang S. 6 5 - 6 9 . Beide Rekonstruktionen operieren eindrucksvoll mit der Berücksichtigung der verschiedenen Metra der Fragmente, doch bleibt manches problematisch, z.B. könnte zwar Pistoclerus von sich selbst als hic homo reden, aber nicht als hic adulescens (fr. 15, vgl. Bader S. 308), das wird also jemand anders als Pistoclerus sagen, und dann über ihn, vgl. Aul. 37 hic senex, Ci. 149 haec anus. - Die wesentlichen früheren Rekonstruktionen sind von F. Ritsehl, Opuscula II S. 2 9 2 374, O. Ribbeck, RhM 42, 1887, S. 1 1 1 - 1 7 . S. außerdem die Bacchides-Ausgabe von Cesare Questa, Florenz 2 1975, S. 1 3 - 1 6 .

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einen Nutzen zu haben oder irgendwie gebessert zu sein. Freilich, wie am Anfang bemerkt: gerade die Bacchides waren schwierig zu ergänzen. Sieht man allerdings von den Unzulänglichkeiten in der Sache ab, so ist mindestens der Prolog nicht ohne Schwung in seiner sprachlichen Gestalt. Zwar hat der Autor stets den Ehrgeiz, erlesene Wörter einzuflechten (wie prosumia ar. 2, roncus pr. 2, veternosus 7, Trieteris 60), und ohne Hemmungen auch unbelegtes Gut zu verwenden — was sich mit seiner Eigenwilligkeit im Sachlichen trifft - (wie consulco 2, concreparius 3, gemelliticus 48), aber im ganzen gelingt doch hier ein flotter Ton, der schon von sich aus sehr an Plautinische Prologe erinnert. Die zahlreichen Plautinischen Wendungen tun dazu das Ihre (etwa scortantur, potitant ar. 9, glabri histriones pr. 6, non queas internoscere 52; die Einflüsse stammen aus der ganzen Breite der Plautus-Stücke), das häufige Einbeziehen der Regungen im Publikum während des Prologs (erstauntes Fragen 7f, endlich eintretende Stille 19 usw.) gibt lebendige Frische. Auch in der Sprache verschwommener wird dann leider die ergänzte erste Szene. Eindeutige Einflüsse von anderen antiken Autoren sind nur für wenige Einzelheiten feststellbar u n d deren Quellen dann sehr weit gestreut, etwa Trieteris pr. 60 aus Cic. de nat.deor., blandulus 83 aus dem bekannten Gedicht des Kaisers Hadrian, die F u n d o r t e für Mädchen und Hetären I 1 lf aus Ovids ars. Nur der technische Ausdruck stataria (10) und der Name Sostrato (58) stammen sicher aus Terenz, sonst folgt die Sprache, wo sie sich nach der Komödie richtet, gerade stets demPlautus. Eine bemerkenswerte Nachwirkung hat die Bacchides-Ergänzung in der Komödie „Le due cortigiane" von Lodovico Domenichi erlebt. 1 4 Dies Stück in italienischer Prosa schließt sich überhaupt außerordentlich eng an die Bacchides an, die Handlung übernimmt es vollständig, und immer wieder stimmen auch einzelne Wendungen des Textes genau überein. Nur hat Domenichi die Handlung in das zeitgenössische Italien, nach Pisa, verlegt, und die Eigennamen und andere Einzelheiten entsprechend geändert, zum Beispiel geht die Reise des Mario (Mnesilochus) nicht nach Ephesus, sondern nach „Barcellona". Mit gleicher Treue wie das echt Plautinische hat der Autor auch das Supplement übernommen. Dies zeigt beispielhaft eine Wendung, in der er zudem selbst auf seine Abhängigkeit hinweist: „Colui, che prima la compose in Greco, la chiamò le Euantide. Plauto, che la fece Latina, la intitolò le Bacchide, e il nostro, che l'ha ridotta in Toscana, la domanda LE DUE CORTIGIANE." Hier wird nächste Übereinstimmung mit V. *37f des Prologs deutlich. Einzelheiten hat Domenichi der veränderten Handlungszeit angepaßt, aus pr. 55—57

14 Vgl. von Reinhardstoettner S. 4 4 1 ff, der aber die direkte Einwirkung des Supplements nicht erkannt zu haben scheint; Le Due Cortigiane, Comedia di M. Lodovico Domenichi. Al Signor Luca Sorgo, Gentilhuomo Ragugeo. In Fiorenza, a Stanza di Giorgio Mariscotti; MDLXIII; ein Exemplar vorhanden in der Staatlichen Bibliothek Regensburg.

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Samos quae terra sit, nota est omnibus. Nam maria, terras, montéis, atque ínsulas Vostrae legiones reddidere pervias wird: „Voi sapete tutti, dove è Valèza in Hispagna: perciò che voi altri galantihuomini, che andate per lo m o n d o , & per mare, & per terra più volte vi siete stati." Und aus pr. 60f Placuitque initiatis Trieteride, Quas ederent, Bacchi vocitare nomine wird: „& per esser tanto simili, non volsero porre loro a battesimo altro che un nome." Einzelne Verse oder Ausdrücke läßt Domenichi auch ganz unberücksichtigt, zum Teil wohl, weil sie auch ihm etwas dunkel erschienen (so pr. 3—6, 26, 31 f; I 8 und 24 werden die Schwierigkeiten umgangen). Nur im „Argoment o " geht er eigene Wege, indem er recht ausführlich und vor allem klar und zutreffend die Entwicklung des ganzen Stückes bis zum Schluß darlegt. Erstaunlich bleibt aber, daß im ganzen der ergänzte Prolog und die ergänzte erste Szene bei Domenichi, trotz aller oben ausgeführten Unzulänglichkeiten, auf freundliche Aufnahme gestoßen sind. Wesentlich kritischer und klüger setzt sich dagegen Karl Moriz R a p p 1 5 mit dem Bacchides-Supplement auseinander, der mit vollem Recht mit dem Urteil beginnt: „Wer die (untergeschobenen) Stücke aber auch verfaßt haben mag, so viel ist gewiß, daß der Schreiber das Lustspiel nicht verstanden h a t . " 1 6

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S. Einleitung Anni. 9.

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S. 1585, vgl. auch oben Anm. 3.

Mercator Für den Plautinischen Mercator liegt eine hinreichende Darstellung des Aufbaus noch nicht vor, so daß hier Ausführlichkeit geboten ist. 1 Es wird sich dabei das Kuriosum ergeben, daß die zwei völlig unnötigen und überhaupt störenden Ergänzungen, die dieses Stück von Humanistenhand erhielt, gerade durch ihre Ungereimtheiten dem Blick eine andere Stelle bloßlegen, an der nun wirklich etwas fehlt. Doch das ist eine Lücke, die nicht die Überlieferung gerissen hat, hier hat Plautus mit hoher Wahrscheinlichkeit sein griechisches Original gekürzt. Der junge Mann Charinus befindet sich in einer bejammernswerten Lage: vor Jahren hatte er sich in die Bande einer Hetäre verstrickt; doch als der Vater Demipho ihm Sittenlosigkeit und Verschwendung vorwarf, dagegen auch die eigene Jugend als leuchtendes Gegenbild von Schlichtheit, Zucht und Gehorsam vorhielt, löste Charinus als braver Sohn sich von der Hetäre und ging auf Handelsreise zu Schiff nach Rhodus. Dort konnte er gute Geschäfte machen und sogar einen Überschuß gewinnen für die eigene Tasche. Doch seinem Schicksal entrinnt er nicht: bei einem Gastmahl im Freundeshaus trifft er das Mädchen Pasicompsa, in das er sich so sehr verliebt, daß er es kauft und mit sich zurück nach Athen bringt. Davon darf der Vater natürlich nichts erfahren; so hat Charinus Pasicompsa fürs erste auf seinem Schiff gelassen, mit dem er am Vortag angekommen ist. Doch da bringt ihm sein Sklave Acanthio die Schreckensbotschaft, Demipho sei plötzlich auf dem Schiff erschienen, und die Pasicompsa habe er schon entdeckt. Er, Acanthio, habe immerhin die Geistesgegenwart besessen, das Mädchen als Geschenk für die Mutter des Charinus auszugeben. Doch kann sich Charinus kaum vorstellen, daß Demipho das glaubt; verzweifelt geht er mit Acanthio ab. Demipho selbst tritt auf mit der Schilderung eines Traumes, den er gehabt hat, und der ihm sein weiteres Schicksal ankündigt, doch so symbolisch verschlüsselt, daß er nicht daraus klug wird. Ein wirres Geschehen mit Tiergestalten ging da vor sich; nur was die Ziege, die dabei auch vorkam, zu bedeuten hat, glaubt Demipho schon zu wissen: das muß das reizende Geschöpf sein, das er eben im Schiff seines Sohnes entdeckt hat — also Pasicompsa. Für sie ist er 1 An dem, was mir das Wesentliche scheint, nämlich an einer Analyse des Handlungszieles und der hemmenden Gegenkräfte, aus denen erst das Drama entsteht - an diesem vorbei gehen u.a. folgende Darstellungen: G. Michaut I S. 186f; Paul Lejay S. 78f; Gilbert Norwood S. 2 9 - 5 3 ; R. Perna S. 2 4 0 - 4 5 ; B.-A. Taladoire S. 1 2 0 - 2 4 ; Marie Delcourt S. 1 6 8 - 7 7 . Ganz besonders verfehlt, ja unbegreiflich ist die versuchte Rekonstruktion des griechischen Originals des Mercator, des Emporos, durch F. della Corte, S. 1 0 5 - 1 3 .

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jäh entflammt. Auch seinem Nachbarn Lysimachus enthüllt er diesen seinen Johannistrieb, und erntet nicht einmal den erwarteten Tadel. Gleich darauf trifft er in dieser gehobenen Stimmung auf seinen ganz anders gestimmten Sohn, der sichtlich noch unter der Wucht des ersten Schlages schwankt. Doch soll er gleich einen zweiten Schlag empfangen. Demipho eröffnet ihm, er habe Pasicompsa gesehen, doch scheine sie ihm für eine Dienstmagd, die man der Mutter schenken könnte, viel zu ansehnlich. Deswegen sollte man sie besser verkaufen; er wisse auch schon einen Interessenten, einen Alten, der ganz vernarrt in sie sei. Aber in höchster Bedrängnis fingiert nun auch Charinus seinerseits einen adulescens, der noch viel unsinniger in das Mädchen verliebt sei, und der viel mehr für sie zu zahlen verspreche. Es beginnt ein kurioses Wettbieten zwischen Vater und Sohn zugunsten ihrer angeblichen Käufer. Doch da Charinus sich in Widersprüche verwickelt, setzt sich der Vater durch und geht zum Hafen, um gleich den angeblichen Verkauf perfekt zu machen; wie er beiseite noch erklärt, will er seinen Nachbarn Lysimachus zum Strohmann gewinnen. Aber auch dem Charinus springt unversehens ein Strohmann bei: Eutychus, der Sohn des Lysimachus, hat durch die Haustür die ganze Auseinandersetzung mit angehört und ist bereit, Pasicompsa gegen den unbekannten Alten, von dem Demipho gesprochen hat, zu ersteigern. Der nächste Aktbeginn stellt aber vor vollendete Tatsachen: Lysimachus kommt mit Pasicompsa, die er für Demipho wunschgemäß zum Schein gekauft hat. Gleichfalls nach dem Wunsch des Demipho bringt er sie in sein eigenes Haus: natürlich darf Demiphos Frau nichts von der Sache wissen, und bei Lysimachus ist es gerade sturmfrei, da dessen Frau sich auf dem Landgut aufhält. Demipho erscheint wenig später und möchte nun mit Pasicompsa gleich zur Sache kommen, doch Lysimachus, der auch in seinem Innern immer mehr zum Komplizen wird, setzt durch, daß man erst einkauft und einen Koch mietet: das erst sei die wahre Lebensart. So wird die Szene frei für Eutychus, der seinen Mißerfolg dem Charinus gestehen muß und ihm damit den dritten Schlag versetzt. Und da er auch den Namen des Alten, der Pasicompsa schon gekauft hatte, nicht erfahren konnte, gibt Charinus jede Hoffnung auf, seine Geliebte jemals wiederzusehen, und beschließt, in die Fremde zu ziehen. Zum Abschied tritt er noch einmal ins Elternhaus. Eutychus aber ist entschlossen, Pasicompsa wiederzufinden, um seinen Freund zu retten. In diesem Augenblick, da für die jungen Freunde die Lage sich gleichermaßen verzweifelt wie für die Alten hoffnungsvoll ausnimmt, beginnt sich das Blatt zu wenden: unangekündigt kehrt Dorippa, die Frau des Lysimachus, von ihrer Sklavin Syra begleitet, vom Landgut zurück, und entdeckt in ihrem Haus die Hetäre Pasicompsa. Dafür hat sie begreiflicherweise nur eine Erklärung: Lysimachus hat in ihrer Abwesenheit ein Abenteuer gesucht. Und schon kommt Lysimachus vom Markt zurück. Dorippa nimmt ihn ins peinliche Verhör. Doch seinen Freund Demipho will Lysimachus nicht bloßstellen, so verfällt er schließlich auf die Aus60

rede, das Mädchen sei ihm zur Verwahrung gegeben worden als strittiges Rechtsgut aus einem Prozeß. Nur k o m m t in diesem Augenblick der gemietete Koch mit Einkäufen und Gehilfen dazu, was alles gar nicht zu dieser Ausrede paßt. Für Dorippa ist damit die Sache klar, sie schickt Syra, ihren Vater zu holen, w o m i t sie unmißverständlich ihre Scheidung von Lysimachus einleitet, u n d rauscht in ihre Gemächer. Lysimachus selbst eilt aufs Forum: jetzt soll Demipho ihm wenigstens wieder aus der üblen Lage helfen. Auf der somit leeren Szene trifft Syra, die den Vater der Dorippa nicht zu Hause fand, auf Eutychus, der ohne Erfolg in der ganzen Stadt nach Pasicompsa gesucht hat. Erstaunt hört er von Syra, daß sein Vater eine Hetäre ins Haus geholt habe. Eutychus tritt ins Haus, Syra nach einigen Gedanken über die unrechte Behandlung der Frauen ebenfalls. Charinus erscheint, von Abschiedsschmerz bewegt. Inzwischen hat aber Eutychus die Pasicompsa im Haus seines Vaters gefunden, trifft Charinus auf der Straße u n d bringt ihm, im letzten Augenblick, die frohe Nachricht. Das geht nicht ohne Verzögerungen, denn Eutychus möchte, daß Charinus als Gegenleistung verspricht, die Eltern des Eutychus wieder zu versöhnen. Dann stürmen beide ins Haus des Lysimachus. Lysimachus hat Demipho getroffen und k o m m t mit ihm im heftigen Gespräch. Doch schon tritt Eutychus aus dem Haus dazu und verkündet dem Lysimachus, daß Dorippa ihm verziehen habe, dem Demipho aber, er habe keine Freundin mehr. Vorwürfe gegen Demipho folgen, besonders der, daß der Vater dem eigenen Sohn die Freundin entrissen habe. Da fällt nun Demipho aus allen Wolken, denn von der Liebe seines Sohnes hatte er wirklich nichts gewußt. Doch Lysimachus und Eutychus setzen ihm vereint so lange zu, bis er kleinlaut die Erlaubnis gibt, daß Charinus seine Pasicompsa haben und behalten darf. Damit ist das Handlungsziel, die dauerhafte Vereinigung der Liebenden, erreicht. Ihr standen zwei Hemmungen entgegen: einmal die besondere, daß Pasicompsa von Demipho angeblich verkauft und jedenfalls für Charinus unauffindbar war. Dieses Hindernis wird mit der glücklichen Entdeckung der Pasicompsa durch Eutychus beseitigt. Dies allein würde aber noch lange nicht bedeuten, daß Charinus seine Pasicompsa ungehindert behalten darf. Charinus kennt ja die Strenge seines Vaters nur zu gut noch aus der Zeit seiner ersten Liebschaft. Daher auch seine anfängliche Absicht, Pasicompsa verborgen zu halten, und daher sein Entsetzen, als er hört, sein Vater habe sie schon entdeckt. Dieses zweite, allgemeine Hindernis wird dadurch überwunden, daß die Strenge Demiphos sich als nur die eine Seite seiner doppelten Moral erweist: gerade er, der mit den bittersten Vorwürfen und nicht zuletzt mit dem Argument seiner eigenen vorbildlichen Jugend den Sohn seinen ersten Liebesbanden entrissen hatte, läßt sich selbst ohne jeden Widerstand den Kopf verdrehen, ein verheirateter Mann und im unschicklichsten Alter. Sehr elegant wird also die eine Hemmung, die Strenge des Vaters, durch das Hinzukommen einer anderen Hemmung, den scheinbaren Verkauf der Pasicompsa, zuletzt aufgehoben. Der Charakter Demiphos enthüllt 61

sich, er wird ,schuldig' und verdient am Schluß die .Strafe', die zugleich die Belohnung ist für Charinus, den folgsamen Sohn. 2 Es ist behauptet worden, der eigentliche Konflikt in diesem Stück sei die Rivalität zwischen Vater und Sohn. 3 Dies läßt sich aber so kaum sagen, denn zur Rivalität gehört, daß ein Rivale von dem andern weiß und auch dessen Einstellung kennt. Gerade das ist aber im Mercator die längste Zeit nicht der Fall. Demipho hört erst in der letzten Szene, daß Charinus die Pasicompsa liebt, und das lügt er keineswegs, seine eigene Liebe hatte ihn von Anfang an so blind gemacht, daß er die dünne Ausrede, Pasicompsa sei als Geschenk für die Mutter gedacht, nie bezweifelt hatte. 4 Allein dem Eutychus ist die Liebe des Charinus bekannt, und natürlich der Pasicompsa. Umgekehrt weiß aber auch bis kurz vor dem Schluß nur der Nachbar Lysimachus von dem wahren Motiv des Demipho, von dessen amouröser Neigung zu Pasicompsa. Charinus und mit ihm Eutychus ahnen nicht das mindeste von diesem Hintergrund. Sofern überhaupt eine Absicht Demiphos angenommen wird, ist es die der erzieherischen Strenge, Charinus vom verhängnisvollen weiblichen Einfluß fernzuhalten 5 , sonst gehen beide jungen Männer stets nur von dem aus, was ihnen die Tatsachen zu sein scheinen: von dem Verkauf der Pasicompsa an einen unbekannten Alten. Auch Pasicompsa weiß nicht, weshalb sie, wie es ihr scheinen muß, dem Lsyimachus verkauft wurde: eloquere ... cur emeris me muß sie sogleich den Lysimachus fragen (503f), und als der, nach dem Umweg über so manche Altherrenwitze, eröffnet: tuo ero redempta's rusum (529), da versteht das Mädchen, das sich trotz ihres Berufs ein schlichtes Gemüt bewahrt hat, alles falsch und denkt nur an Charinus als ihren Herrn. Daraus entsteht zwar einige komische Verwirrung, doch werden keine Namen genannt, und über die Identität des erus hat jeder weiterhin seine eigenen Vorstellungen. Dies ist auch in den letzten Worten, die Lysimachus mit der Pasicompsa überhaupt wechselt, noch so, als er beim Hinausgehen ins Haus zurückruft: adducam ego ilium iam ad te, si convenero (562). Natürlich meint er damit Demipho, Pasicompsa kann es aber wieder nur auf Charinus beziehen. Zu dem ersehnten Besuch Demiphos bei Pasicompsa, der freilich hätte Klarheit schaffen müssen, kommt es ja auch nicht mehr. Und überhaupt kommen die beiden Parteien der zwei Alten und der zwei Jungen nur zweimal im ganzen Stück miteinander in Berührung, nämlich in der Schlußszene und in Szene 2,3. Hier stehen sich Vater und Sohn gegenüber, aber ihr höchstes Ziel dabei ist es gerade, den eigenen amor zu verheimlichen: De. non vereor ne illam me amare hic potuerit resciscere; quippe haud etiam quicquam inepte feci amantes ut soient. 2 Die einzelnen Charaktere als Grundlage für die poetische Gerechtigkeit hat M. Neumann, Die poetische Gerechtigkeit, S. 25, 40, 82ff dargestellt. 3 W. H. Friedrich, Euripides und Diphilos, S. 179. S. auch Taladoire S. 120. 4 Vgl. Mer. 261, 332f, 390ff. 5 Vgl. die düstere Vorahnung des Charinus V. 3 5 1 - 5 5 .

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Ch. res adhuc quidem hercle in tutost, nam hunc nescire sat scio de illa amica; quod si sciret, esset alia oratio. (380—383) Wenn dann beide brennendstes Verlangen als Beweggrund ihrer angeblichen Käuier nennen ( 4 4 3 f f ) , scheint die Enthüllung k a u m n o c h vermeidbar, u n d , wie nachher in der Lysimachus-Pasicompsa-Szene, steigt die komische Spannung aufs äußerste: aber keiner erkennt die Wahrheit — und nur das Publikum hat seine Freude. Damit stellt sich aber die ganz entscheidende Frage: wie kann Eutychus V. 966 zu Demipho sagen: tibi amicam esse nullam nuntiol Woher weiß er, daß Demipho die Pasicompsa sich zur amica ausersehen hatte? Er erfährt es auf der Bühne nirgends, er kann es auch im Haus bei dem Verhör der Pasicompsa durch Dorippa (V. 925f) nicht erfahren haben, denn Pasicompsa kennt Demiphos Absicht nicht, er kann aus keinem Anhaltspunkt auf den wahren Beweggrund schließen. Dabei ist dies nicht eine beiläufige Information unter vielen anderen, sondern das anfängliche Nichtwissen und plötzliche Wissen um diesen Punkt konstituiert das ganze Drama, schafft die Verwicklung und nachher die Lösung. Daß Eutychus diese Kenntnis plötzlich hat, ohne daß uns gezeigt wird, woher und warum, ist ein schwerer Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht des Dramatikers. Denn ein mechanischer Textausfall ist ausgeschlossen: Eutychus kann über Demiphos amor nur durch Demipho oder Lysimachus unterrichtet werden. Erst in Szene 5,4 trifft er aber mit diesen beiden zum erstenmal zusammen. Hier ist Rede und Gegenrede so eng verzahnt, daß zwischen V. 961, dem A u f t r i t t des Eutychus, und 966, seiner Anrede an Demipho, nichts fehlen kann, was ursprünglich bei Plautus da gestanden hätte. Es kann daher nur der Dichter der griechischen Vorlage, Philemon, oder aber Plautus versäumt haben, die entscheidende Unterrichtung vorzuführen. Und natürlich kann nach allem, was wir über die Leichtfertigkeit des Plautus wissen, emstlicher Verdacht nur auf den Römer fallen. Zur Rekonstruktion dessen, was im Emporos des Philemon gestanden haben dürfte, gewinnt nun der Traum, den Demipho in Szene 2,1 erzählt, erhebliche Bedeutung. Dieser Traum beschreibt ja, in leicht faßlicher Symbolik, den weiteren Verlauf des Stücks. Hier deuten die Verse 2 3 4 - 4 4 recht ausführlich auf eine heftige Auseinandersetzung zwischen Demipho und Lysimachus voraus: nachdem die Frau des Lysimachus Pasicompsa entdeckt hat, wird Lysimachus sich erregt bei Demipho beschweren über die verzweifelte Lage, in die er durch ihn geraten ist, u n d über die Gefährdung seiner Ehe durch die junge Hetäre. Darum wird er sofortige Entfernung der Pasicompsa verlangen, und für den anderen Fall androhen, das Mädchen der Frau des Demipho vorzuführen. Von diesem hier sehr detailliert geschilderten Streit sehen wir auf der Bühne kaum etwas. Wir hören nur die erboste Ankündigung des Lysimachus, er wolle Demipho auf dem Forum treffen und ihm androhen, die Pasicompsa an den Haaren aus seinem Haus auf die Straße zu zerren, falls er sie nicht selbst fortbringe 63

(797—99). Diese Auseinandersetzung beginnt also jedenfalls außerhalb der Szene; wir sehen nur noch ein paar Verse davon, als die beiden Alten Szene 5,3 wieder die Bühne betreten. Dort fallt aber die entscheidende Drohung, die Demipho im tiefsten treffen müßte, mit keinem Wort, nämlich die der Unterrichtung seiner Frau. Dabei ist die Angst vor ihr etwas, das den Demipho immer wieder bewegt, nicht nur in der Traumerzählung, sondern auch V. 275: quasi hircum metuo ne uxor me castret mea, 545 emptast amica clam uxorem, und schließlich jagt Lysimachus noch 1003 dem Demipho einen bösen Schreck ein, als er meint, die Frau würde sich schon um Demiphos Bestrafung kümmern, wenn sie die Geschichte höre. Spräche aber Lysimachus diese wirksamste Drohung gegen Demipho auf der Bühne aus, so würde nicht nur die für das weitere Geschehen entscheidende Kraft erwünschterweise sichtbar gemacht, sondern zugleich ergäbe sich die Möglichkeit, daß Eutychus, diese Szene belauschend, von Demiphos amor als Hintergrund erfährt. Ohnehin ist es kaum denkbar, daß Eutychus dieses Wissen auf anderem Weg als durch Lauschen gewinnen könnte, denn von den zwei bisher einzig Unterrichteten wird Demipho sich nie freiwillig verraten, und auch Lysimachus hat bisher jedenfalls auch in höchster eigener Bedrängnis durch seine Frau Dorippa den Nachbarn nicht preisgegeben. Überhaupt wird Lysimachus seine Drohung immer nur als Druckmittel eingesetzt haben, ohne ernstlich an eine Ausfuhrung zu denken. Es ergibt sich also mit hoher Wahrscheinlichkeit folgender Verlauf im Emporos: Demipho und Lysimachus treten Szene 5,3 im hitzigen Streit auf, dazu tritt 5,4 unbemerkt Eutychus und hört, wie Lysimachus droht, Pasicompsa zur Frau des Demipho zu bringen und damit Demiphos amor zu verraten. Ab V. 964 folgt Plautus dann wieder durchaus dem griechischen Original, Eutychus weiß jetzt Bescheid und kann augenblicklich über Demipho herfallen. 6 Natürlich bleibt die Frage: warum sollte Plautus den Emporos so kürzen? Hier kann man nur vermuten, daß das griechische Stück auch sonst noch in der Abwicklung der Lösung korrekter gewesen sein dürfte, und daß Plautus überhaupt alles wegließ, was den Schluß seiner Meinung nach durch Formalien unnötig hinauszögerte. Denn genau genommen müßte Eutychus, da er aus seinem Elternhaus tritt, bei seinem Kenntnisstand in diesem Augenblick, ja die weiteren notwendigen Schritte klar sehen und etwa so in Worte fassen: „Ich muß jetzt meinen Vater finden, um ihm zu sagen, daß die Mutter versöhnt ist, und um herauszufinden, für wen er nun wirklich Pasicompsa gekauft hat" — denn das hat Pasicompsa vielleicht im Verhör (vgl. 926) gesagt, daß er sie nicht für sich wollte (vgl. 528f) - , „und um jedenfalls Pasicompsa von ihrem Käufer 6 Mit ähnlicher Blitzesschnelle reagiert etwa Epidicus im gleichnamigen Stück 192f auf eine erlauschte höchst wichtige Information. Vergleichen läßt sich auch, wie Cas. 2,8 Chalinus dem Lysidamus und Olympio lauschend auf die Schliche kommt: auch hier wird der amor eines Alten offenbar.

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zurückzukaufen." Es ist denkbar, daß Plautus solche Komplikationen als störend empfand und deswegen auch Eutychus gleich zum Angriff übergehen ließ.7 In jedem Fall liegt hier eine Stelle, an der ein aufmerksamer Leser mit vollem Recht eine Lücke feststellen und eine Ergänzung, ein Supplement einfügen könnte. Doch scheint dies wiederum von einem Humanisten des 15. Jahrhunderts zuviel verlangt. Der Mercator ist an zwei Stellen ergänzt, oder richtiger: erweitert worden, aber eben nicht dort, wo es wirklich sinnvoll und notwendig gewesen wäre. Vielmehr erhält die Szene 5,3, der Auftritt von Lysimachus mit Demipho, am Anfang ein knappes Dutzend unerheblicher Verse, die nur den Gesprächsbeginn etwas weniger abrupt machen. Die echte Szene 5,3 läßt ja die beiden Alten mitten im hitzigen Gespräch auftreten, das schon außerhalb der Szene begonnen und sich weitgehend entwickelt haben muß. Die Auftrittsworte des Demipho machen all das in glücklicher Gedrängtheit klar: ,Als ob du niemals dergleichen getan hättest!" (957). Davor setzt das Supplement ein ermüdend breites Palaver: Lysimachus beginnt und spricht erst einmal Demipho mit Namen an, wie umgekehrt nachher auch Demipho seinen Freund (*8), damit auch ja nichts mißverstanden wird. Dann legt Lysimachus einen sicheren Grund für alles weitere mit dem dictum weiser Männer, die Lust sei der Köder des Lasters. Dabei sollte Demipho froh über sein Alter sein, das doch im allgemeinen von den Leidenschaften befreie. Aber nein, nur um so tiefer habe er sich in die Liebeslust verstrickt, darüber ganz den Verstand verloren und jetzt auch noch ihn, den Lysimachus, in größte Gefahr gebracht. Dagegen redet sich Demipho auf die göttliche Fügung hinaus, die offenbar doch alles so gewollt habe: ein schwacher Trost für Lysimachus. Doch eben darum möge der Freund nicht ihm, dem Demipho, grollen, der doch sein Mitwisser sei: damit fällt Demipho gegen 1 Wurde hiermit Szene 5,3 und Anfang 5,4 für den Emporos richtig rekonstruiert, ergibt sich eine Konsequenz für den seit langem umstrittenen Traum des Demipho: Es war ursprünglich ein Gedanke von F. Marx (Sber. der Kais. Akad. d. Wiss. Wien, 140, 1899, Abh. 8), daß von den zwei sich stark ähnelnden Traumerzählungen Mer. 2 2 5 - 5 1 und Ru. 593—610 nur die des Rudens aus dem griechischen Original, das von Diphilos stammt, übernommen sei, der Traum im Mercator hingegen, nach dem Muster des Rudens, eine selbständige Einlage des Plautus in die Handlung des Philemonischen Emporos darstelle. Dieser Auffassung hat kein Geringerer als Eduard Fraenkel zugestimmt (S. 187ff u. 4250, später auch, allerdings ohne neue Erörterung, G. Jachmann, Plautinisches und Attisches, Berlin 1931, S. 74, A. Körte, RE XIX (1938) s. v. Philemon, c. 2142. Dagegen ist die Herkunft beider Träume aus den griechischen Originalen (und dann wahrscheinliche Abhängigkeit des jüngeren Diphilos von dem älteren Philemon) verfochten worden in der Hauptsache von F. Leo S. 162ff, P. J. Enk, Mnemos. 1925, S. 5 7 - 7 4 , ders., MercatorKommentar I S. 7 - 2 1 , W. Beare, CR 42, 1928, S. 214f. Wenn nun dieser Traum im Mercator, entgegen dem Stück selbst, eben jenen Vorgang in Andeutung enthält, der allein die korrekte Lösung des ganzen Stückes ermöglicht, liegt darin ein Argument von ganz anderer Kraft als in allem, womit man eine freie Erfindung des Traums durch Plautus hat wahrscheinlich machen wollen. - Auch die letzte Stellungnahme für Marx von A. G. Katsouris hat mich nicht überzeugt (Liverpool Classical Monthly 3, 1978, 47f), unter anderem weil Artemidor 119, 20ff (Pack) unberücksichtigt bleibt.

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Braun ( H y p . 6 4 )

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Lysimachus aus und versucht, ihn als Mitschuldigen unter Druck zu setzen. Dies sind die einzigen Worte von einiger Kraft in diesem Supplement — bezeichnend, daß eben sie die Brücke zum echten Text schlagen. Aber gerade dem Lysimachus suppositus, der es nötig brauchte, fehlt alle Heftigkeit und echte Not: vix vivo miser, das läßt nur Plautus ihn sagen (958). Die andere, mit fast 90 Versen sehr viel umfangreichere Ergänzung führt die Frau des Demipho, von der wir so viel hören, auf die Bühne und bringt diese mit Dorippa, der Frau des Nachbarn, zusammen. Dieses zweite Stück erscheint in den Editionen stets, wenn überhaupt, und wenn auch nicht in den Anhang verbannt, hinter der Szene 4,5, in der die Sklavin Syra, von ihrem vergeblichen Gang zum Vater der Dorippa zurückkehrend, mit Eutychus zusammentrifft; dieser geht dann in sein Elternhaus ab. Die Ergänzung beginnt damit, daß Syra auf Perystrata aufmerksam wird, die Frau des Demipho, die soeben, von ihrer Sklavin Lycissa begleitet, die Bühne betritt, sichtlich erregt, so daß Syra beschließt, zu lauschen. Perystrata hält einen langen, undramatischen Monolog, in dem sie, von der Allgewalt der Liebe ausgehend, auf deren Macht über Jung und Alt kommt, und dann erst auf das, was sie wirklich bedrückt: ihr Sohn liebt, doch sein Vater hat davon erfahren und das geliebte Mädchen verkauft; aus Verzweiflung will der Sohn in die Fremde gehen. Das aber kann Perystrata nicht ertragen, und ist entschlossen, die Geliebte wiederzufinden. Dabei kann sie von dem Gerücht ausgehen, das Mädchen sei in das Haus eines dem Demipho befreundeten Alten in der Nachbarschaft gebracht worden: alles scheint auf Lysimachus zu deuten. Da liegt es nahe, sich um ein Gespräch mit dessen Frau Dorippa zu bemühen. Und eben in dem Augenblick tritt diese auch auf, doch statt sie, was sich doch anbietet, anzusprechen, beschließt Perystrata, zu lauschen, womit sich nun zwei Lauschergruppen auf der Bühne befinden. Dorippa zeigt sich verärgert über das Ausbleiben Syras, und hält dann ausfuhrlich die beiden Varianten gegeneinander, die ihr die Anwesenheit der Pasicompsa in ihrem Haus erklären sollen: ihr Mann Lysimachus hatte das Mädchen als Rechtsgut, das er verwahren sollte, erklärt, ihr Sohn Eutychus behauptet nun, das Mädchen werde von einem Alten, der seinen Sohn und sie auseinanderbringen wolle, zum Verkauf angeboten, und diesem Alten zu Gefallen habe Lysimachus das Mädchen aufgenommen. Vor diesen Widersprüchen will Dorippa gar nichts mehr glauben als das, was ihr der Auftritt des Kochs (Szene 4,4) zu offenbaren schien. Da bemerkt sie Syra, die schon vorher sich entschlossen hatte, ihren Lauscherposten aufzugeben. Syra richtet aus, daß Dorippas Vater außer Reichweite auf dem Land ist, und gerade wollen Herrin und Dienerin ins Haus zurück, da fühlt auch Perystrata die Zeit gekommen, sich einzumischen. Die beiden Matronen schütten sich ihr Herz aus, erst Dorippa über ihren ungetreuen Mann, der Hetären und Köche ins Haus bringt, dann Perystrata über den ihren, daß er in seiner unerbittlichen Strenge die Liebste ihres Sohnes Charinus zum Verkauf angeboten hat. Bei diesen Worten fängt Dorippa an, die Zusammenhänge zu begreifen: das Mädchen in ihrem Haus erklärt sich also doch so, wie 66

Eutychus behauptet hat. Weitere Fragen fuhren zur Evidenz, der Dorippa fällt ein Stein vom Herzen, und sie kann nun der Perystrata gleiche Beglückung verschaffen, indem sie verrät, daß das gesuchte Mädchen des Charinus nirgends anders als tatsächlich im Haus des Lysimachus ist. Dorthin begeben sich auch die beiden Damen, Lycissa wird in das Haus Perystrata/Demipho zurückgeschickt, um den Sklaven Acanthio von der glücklichen Entwicklung zu unterrichten. Damit ist die Erweiterung zu Ende, es folgt die Plautinische Szene 4,6, in der Syra, allein, über das ungleiche Los von Männern und Frauen im Fall des Seitensprungs bitter klagt. So kommt das aber ganz und gar post festum: die unechte Szene davor sprach am Ende ja gerade Lysimachus von jedem Verdacht frei (Dorippa: verum dixerat filius; ego mariti amìcam putabam mei 78), und von der geplanten Untreue Demiphos ist bisher überhaupt noch nicht die Rede gewesen. Zudem hat Syra schon die längste Zeit keine Aufgabe mehr auf der Bühne, zuletzt lieferte sie ihre Botschaft über Dorippas Vater, und das ist rund 35 Verse her (51f). Besonders wegen des Inhalts von Syras Klagen ist es daher sehr wahrscheinlich, daß dieses Supplement überhaupt an der falschen Stelle eingeschaltet worden ist, und das schon seit Pio, seinem ersten Editor. Sehr viel besser paßt es erst hinter der Szene 4,6, der Klageszene der Syra. Nur dann steht Syra zunächst noch völlig unter dem Eindruck der scheinbaren Untreue des Lysimachus und erhebt ihre Klage mit einer gewissen Berechtigung. Danach kann sie dann, am Beginn des Supplements, gut auf Perystrata aufmerksam werden, Dorippa kommt dazu, und die Verhältnisse klären sich. Am Ende wird Syra nicht mehr genannt, im Gegensatz zu ihrer Standesgenossin Lycissa; da sie aber keine Aufgabe mehr hat, bietet die Annahme, sie ginge stumm mit den beiden Damen ab, dorthin, wo sie ohnedies wohnt, keine Schwierigkeit. Die Textgeschichte dieses Supplements ermuntert erst recht dazu, Lokalisierungsfragen neu zu überdenken, denn Pio fand die Supplemente noch nicht in den Plautinischen Zusammenhang eingebaut vor, und das zweite Supplement stellte er jedenfalls an einen falschen Platz, nämlich unmittelbar hinter das erste, also vor Szene 4,6. 8 Eine Kleinigkeit spricht ebenfalls fur die vorgeschlagene Umstellung: von Pio bis Bothe, also bis ins erste Viertel des 19. Jahrhunderts, sieht der Beginn des Supplements I so aus, als würde er von Eutychus gesprochen, denn der hat Szene 4,5 das letzte Wort (sequere me), und danach setzt ohne neues Sprechersiglum das Supplement ein mit den Worten quid Perystratam hic Demiphonis contuor? Indes kommt als Sprecherin nur Syra in Frage, sie, und nicht Eutychus, wird in den Szenentiteln zwischen V. *3 und 4 sowie zwischen 33 und 34 genannt, und andererseits muß Eutychus in sein Elternhaus gegangen sein, da Dorippa *38ff von ihrem dortigen Zusammentreffen mit ihm berichtet. Und überhaupt ist fiir einen Eutychus auf der Bühne im ganzen Supplement kein Platz. Es müßte also am Beginn des Supplements I das Sprechersiglum der Syra • Die Einzelheiten im Kapitel Überlieferungsgeschichte S. 115.

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ergänzt werden. Die Einordnung nach Szene 4,6 macht aber diese Ergänzung überflüssig, denn in diesem Fall spricht Syra auch schon, bevor das Supplement einsetzt. Daß es in der Überlieferung an der Stelle kein solches Siglum gibt, wäre damit erklärt: es war bei dieser Anordnung nie notwendig. Beide Mercator-Supplemente sind ohne viel Glück und Verstand geschrieben. Von der geringen Kraft des zweiten war schon die Rede. Dem ersten ist zudem mehr als ein Widerspruch in sich selbst und zu der Handlung des Plautus-Stücks vorzuwerfen. Diese ganze Erweiterung entstand ja offenbar aus dem zunächst nicht unbegreiflichen Wunsch, die Frau des Demipho, die so oft im Stück erwähnt wird und Demiphos Pläne ständig überschattet, auch dem Auge sichtbar zu machen. Es war dies aber, genauer besehen, doch ein unseliger Einfall, da die besondere Wirkung dieser Figur eben darin liegt, daß sie nicht auftritt und auch nicht handelt, sondern allein durch ihr Vorhandensein außerhalb der Szene ständige Bedrohung ausstrahlt, gleichsam eine Bombe, deren Zünder noch nicht gestellt ist. Als die glückliche Lösung des Stücks erreicht ist, zeigt sich auch, daß man die Bombe nicht springen lassen muß: die Frau des Demipho wird von der Sache nichts erfahren, wie Eutychus zusichert (1004), und gleichwohl ist allein durch den drohenden Hinweis auf sie das Ziel der Handlung erreicht. Jetzt, da sie im Supplement, entgegen ihrem dramatischen Zweck, doch die Bühne betritt, erfährt sie zwar auch nicht das, was Demipho wirklich belastet, seinen amor, wird aber doch gefährlich weit in die Handlung verwickelt.9 Ferner, da die Aufgabe dieser Figur darin lag, da zu sein, aber nicht Bescheid zu wissen, steht der Autor des Supplements, da er sie zugunsten ihres Sohnes eingreifen lassen will, vor der Schwierigkeit, woher sie überhaupt einigermaßen unterrichtet sein kann. Er löst dies ohne Geschick: Perystrata, wie er sie nennt, behauptet, durch den Sklaven Acanthio von dem Unglück und besonders von dem Auswanderungsentschluß ihres Sohnes zu wissen (*24ff). Der hat bei Plautus nur den einen Auftritt in Szene 1,2 als servus currens, und geht danach auf der einen Straßenseite ab; in das Haus des Demipho setzt er keinen Fuß. Da er nicht weiter auftritt, ist es auch kaum begreiflich, woher er seinerseits von dem Entschluß des Charinus, in die Fremde zu gehen, wissen soll, denn dazu kommt es erst in Szene 3,4. Aber danach geht Charinus selbst in das Haus seiner Eltern ab, um Lebewohl zu sagen: wenn denn Perystrata schon diesen Plan kennen sollte, war es da nicht das Beste und Einfachste, sie aus Charinus' Mund davon hören zu lassen? Direkt widersprechen dem Plautinischen die Verse *28f: Per. Die tu, Lycissa: num in hanc viciniam adduetam autumant? Ly. In hanc, opinor, in amici senis cuiusdam aedis. Denn V. 637 sagt Eutychus, daß niemand weiß, wo der wohnt, der die Pasicompsa gekauft hat, noch 805 kehrt er ohne Erfolg von der Suche in der ganzen Stadt zurück, und gerade, daß weder Charinus noch sonst ein ihm Wohlgesonnener dies herausbekommt, hält ja die Handlung in Gang. 9

Dieser Unterschied richtig erfaßt von Schmieder in seiner Plautus-Ausgabe S. 511, falsch dagegen C. Albizzati S. 228 mit Anm. 2.

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Während Syra lauscht, macht sie zwei Einwürfe, und beide setzen hellseherische Gaben voraus: als sie sagt quantum intellego, et hanc male habet Demipho (21), hat Perystrata den Demipho und überhaupt irgendwelche persönlichen Verhältnisse noch mit keinem Wort berührt, vielmehr bleibt sie bis dahin ganz im allgemeinen Gedanken, wie die Liebe auf Jung und Alt zu wirken pflegt. Im zweiten Fall verdächtigt Syra den Demipho und Lysimachus der gemeinsamen Schurkerei (30f) auf nichts anderes hin, als daß Perystrata von Demipho gesagt hat: vendidit (27) und num in hanc viciniam adductam autumant (28)? Syra kann nicht einmal wissen wen! Zudem spielt in den Versionen des Lysimachus, die Syra allein bis jetzt kennen kann, ein Verkauf oder Kauf eines Mädchens keine Rolle, es muß für sie also an Berührungspunkten zwischen den zwei Alten völlig fehlen. Erst in der nächsten Supplement-Szene hat Dorippa dann durch Eutychus von einem Handel um Pasicompsa gehört (39f). Auch dabei will aber Dorippa von Eutychus Dinge erfahren haben, die dieser so nicht behaupten kann: nicht amici senis gratia (39f), sondern als regulär gekauften Besitz hat Lysimachus die Pasicompsa im Haus, so muß Eutychus jedenfalls glauben, und auch mit (Demipho) habet venalem (40) ist der Sachverhalt, wie Eutychus ihn sehen muß, nicht getroffen: danach ist Pasicompsa vielmehr schon verkauft (vgl. bes. V. 615f). Merkwürdig verkürzt ist, was Dorippa V. *64f die Perystrata fragt: quid tibi animi esse nunc possiet, si amicam hac aetate ante oculos tuos adduxerit Demipho?, und erstaunlich schnell begreift Perystrata, daß nicht ihr Demipho, sondern Dorippas Lysimachus sich eine amica beigezogen haben soll. Mit V. *78 widerruft Dorippa ihre bisherige Meinung, Lysimachus habe Pasicompsa zu amourösen Zwecken ins Haus geholt. Nur weil jetzt festzustehen scheint, daß Demipho das Mädchen bis zum endgültigen Verkauf einstweilen bei Lysimachus untergebracht hat, müßte sie diese Ansicht noch keineswegs ändern - aber der Autor wollte es so. Das macht nun aber alle umständlichen Bemühungen des Eutychus, in Szene 5,2, also nach dem Supplement, den Charinus zum Vermittler zwischen seinen zerstrittenen Eltern zu gewinnen, völlig überflüssig. Die Meldung der jüngsten Entwicklung an Acanthio, die der Lycissa aufgetragen wird (87), muß in das Haus des Demipho erfolgen: nur bleibt sie ohne alle Wirkung, denn eben von dort tritt 5,1, unmittelbar nach dem Supplement, Charinus auf, und ist verzweifelt wie zuvor. Hätten wir es bei dem Supplement I mit einem antiken Erzeugnis zu tun, müßte man angesichts der zwei letzten Punkte, die beide schon wichtige Ergebnisse der Szenen 5,1—2 vorwegnehmen, ernsthaft die Frage prüfen, ob das Supplement nicht eher diese Szenen überhaupt ersetzen als das ganze Stück an einer Stelle erweitern sollte. Und in der Tat hat bereits Niebuhr hier eine Ersatzfassung erkennen wollen, allerdings eine antike, was nicht sein kann. 1 0 Im 10

A.O. S. 1 7 5 f ; zur Datierung s. u n t e n S. 90f.

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15. Jahrhundert dagegen wird man solche Absichten von vornherein kaum vermuten. Allerdings ist es nicht einfach, auf dem Niveau eines solchen Autors zu argumentieren. Wir sehen natürlich klar, daß bei diesem Verfahren, mögen auch die zwei zuletzt genannten Widersprüche oder Handlungsdoppelungen verschwinden, sofort neue Unerträglichkeiten entstehen, denn erstens ist Charinus dann V. 1008 im Haus des Lysimachus, ohne jemals sichtbar dorthin gekommen zu sein, zweitens läßt die Handlung dann überhaupt Charinus, die Hauptperson, ohne weitere Berücksichtigung, er erfährt nicht einmal in für das Publikum erkennbarer Weise, daß seine Pasicompsa gefunden ist. Nur: empfand das dieser Humanist auch als so unerträglich? Von hier läßt sich also der Gedanke an eine Ersatzfassung schlecht widerlegen. Stärker ist aber das Gegenargument, daß im Bacchides-Supplement, das vom gleichen Autor stammt 11 , ebenfalls eine Entwicklung vorweggenommen wird, die im Plautinischen erst danach eintritt, nämlich die völlige Betörung des Pistoclerus durch die Bacchides12, und hier kann niemand die Absicht einer Ersatzfassung annehmen. Gerade das, was Niebuhr zu seiner These verleitete, die Handlungsdoppelung, ist also offenbar für diesen Autor typisch und darf uns nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Und überhaupt ist doch die Haltung des Humanismus die, daß sie Antikes verehrt, nicht verdrängt! Gerade die Brillanz der Szene 5,2 muß auch einem Humanisten eingeleuchtet haben: so etwas ersetzt man nicht, auch wenn das eigene Elaborat seinem Autor noch so köstlich dünkt. So bleibt nur das harte Urteil, daß die supplierten Szenen für die zielstrebige Entwicklung der Handlung absolut unerheblich sind, die wirklich nötige Ergänzung im Raum der Szenen 5,3-4 nicht bringen, statt dessen nur Widersprüche und unnütze Doppelungen schaffen. Besonders den wichtigen Unterschied zwischen dem, was der Autor mit dem Publikum weiß, und dem, was die einzelnen Figuren des Dramas wissen, hat dieser Autor nicht begriffen. Seine Personen verstehen zu schnell und wissen zu viel. Was außerhalb der Bühne geschehen soll, unterliegt der reinen Willkür: Acanthio kann nicht im Haus Demiphos sein; ist er aber dort, darf er dem Charinus die glückliche Wendung nicht verschweigen. Auf der Bühne bewegen sich die Figuren mit größter Umständlichkeit: Syra, kaum daß sie die - ihrem Haus befreundete (56f, 62f)! - Nachbarin Perystrata sieht, geht in Deckung und lauscht. Perystrata, die erklärtermaßen mit ihrer Nachbarin Dorippa sprechen will, taucht ebenfalls unter, gerade da diese wie gerufen die Bühne betritt (32f). Da der Autor so die Personen, die doch miteinander sprechen wollen und sollen, zunächst auf Distanz gehen läßt, hat er nachher nur die größere Schwierigkeit, sie dennoch zusammenzubringen. Ohne lautes Anrufen und ein quis me vocat? (46, vgl. 56) geht es nun nicht mehr. An denkbaren Gründen für all den Umstand gibt es mehrere: Lauscherszenen sind an sich in der antiken Komödie nicht selten; da darin zu beobachten ist, 11 12

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Vgl. unten S. 87f. Vgl. oben S. 55f.

wie eine Person, ohne daß sie es ahnt, wichtige Dinge preisgibt, bietet sie grundsätzlich eine spannende Situation. Die Lauscherszene gilt daher offenbar als besonders ,komisch', das heißt als typisch für die Gattung wie auch als tatsächlich reizvoll, nicht nur unserem Autor, sondern überhaupt der neulateinischen Komödie, die reichen, o f t zu reichen Gebrauch von ihr macht. 1 3 Hinzu k o m m t , daß sich eine Lauscherszene bequemer schreibt als ein Zwiegespräch: hier müssen beide Figuren aufeinander reagieren, dort nur die erste auf die zweite, die zweite kann sich frei entfalten. Der besondere Grund für den Verfasser des Supplements war aber wohl der, daß er einfach nicht darauf kam, Perystrata und Dorippa in umgekehrter Reihenfolge auftreten zu lassen. Denn dann wäre Syra sofort mit ihrer Herrin Dorippa zusammengetroffen und nach Ausrichten ihrer Botschaft gleich wieder aus der Handlung ausgeschieden, in der sie ohnehin weiter keine Funktion hat — kennzeichnend, daß sie gar keine Gelegenheit erhält, das von ihr Erlauschte und so geschwind Erschlossene (30f) nutzbringend zu verwenden! Danach hätte ganz normal Perystrata, um ihren Sohn beunruhigt, auftreten und mit Dorippa zusammentreffen und alles bereden können. In der sprachlichen Gestalt ragt heraus der breite, fast hymnenartige Passus über die in diesem Zusammenhang so völlig unerwartete Göttin Astarte (I 4 - 2 0 ) . Hier finden sich vor allem wuchtige Trikola: vis, vita, salus (4), pernities, mors, interitus (5), eius ducuntur nutu, illi obtempérant, earn spectant (6f), und auch sonst eine füllige, mehrgliedrige Redeweise: quae vivunt omnia atque sentiunt (8), enecat, extinguit (9), fovet atque erigit (9). Im übrigen Dialog herrscht ein Gesprächston, der zu Verkürzungen neigt: Id verum? (21), non patiar (26), mater redimet (27). Der Autor hat nicht wenig aus Plautus geschöpft, besonders aus dem Mercator selbst. Sonst läßt sich an Quellen kaum etwas nachweisen; nichts stammt aus Terenz, eine Einzelheit aus Cicero (II 2f). Auch hier ist manches ohne antiken Beleg (s. den Kommentar zu I 1 , 2 , 28), manches Seltene und Erlesene eingefügt: excludo 7, podagricus, articularius 50, cuculus 44, Astarte 4. 13

Z.B. Epirota S z e n e 6, 7, 15, Chrysis 5, 2 (vgl. V. 7 7 5 0 , Bophilaria S z e n e 19, Annu-

laria 3, 4, ( 1 2 ) , 16, 18, 24 (hier z w e i Lauscher-Partcien!), auch A m . "Szene 2, Ba. *I.

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Pseudolus Längst nicht jede Plautinische Komödie hat einen Prolog. Einen Prolog von nur zwei Versen aber, wie ihn nach den Handschriften der Pseudolus haben soll, gibt es sonst nirgends. Wenn zudem dieser Minimal-Prolog nur sagt, es sei besser, sich zu strecken und aufzustehen, es käme jetzt ein langes Plautus-Stiick, wird die Sache sehr verdächtig. Auch Ritsehl nahm an, daß davor einiges verloren gegangen ist, und Leo hatte die Erleuchtung, welcher Gedanke am ehesten unmittelbar vorausgehen konnte. Denn sich strecken und aufstehen, das tut man gewöhnlich am Ende eines Stücks, um dann zu gehen: Ep. 733 plaudite et valete, lumbos porgite atque exurgite. Infolgedessen ergänzt Leo in seiner Ausgabe: „sententia sic fere suppletur: sed si qui sunt qui noient dare Silentium" (exporgi meliust lumbos atque exurgier ... ).1 Aber auch das macht noch keinen ganzen Prolog. Man erwartet noch manches andere, zum Beispiel die Angabe, wie das Stück heißt, vielleicht, wie das griechische Original heißt und von wem dieses dann stammt, einen Überblick über die bevorstehende Handlung und ihr Ziel und besonders über ihre Vorgeschichte, und, alles andere einleitend und immer wieder verbrämend, die Bitten um Ruhe und Aufmerksamkeit an das Publikum, die Bemühungen, es durch Komplimente oder Scherze oder auch durch Anpreisung der Vorzüglichkeit des Stücks sich geneigt zu machen. Jeder Plautinische Prolog setzt sich aus mehreren dieser Elemente zusammen — doch keines von all diesen Elementen ist in dem Zwei-Verse-Prolog des Pseudolus enthalten. 2 Dem hat der Autor des ergänzten Prologs abgeholfen. Als Sprecher ist ein neutraler Prologus zu denken, wie bei Plautus oft, Terenz immer. Dieser beginnt mit einem Gedankengang, der zugleich dem Publikum schmeichelt und die Vortrefflichkeit des Stückes versichert: das Stück ist gut, denn guten Menschen soll man nur Gutes bringen; das Publikum besteht aber aus guten Menschen, also passen Stück und Publikum zusammen (1—10). In verspielter Ausführlichkeit wird dieser anspruchslose Gedanke vorgetragen, das Gegenteil, daß ein schlech1

1

Schon Karl Moriz Rapp ergänzt (S. 1858) die zwei Zeilen auf Deutsch so: „Wer mit Geduld uns anzuhören her nicht kam Erhebe lieber seinen Steiß und gehe hinaus, Dieweil ein lang plautinisch Stück in Scene geht."

Gleichwohl hält Karlhans Abel S. 16f es allen Ernstes für vertretbar, die zwei Verse als vollständigen Prolog anzusehen, und kann immerhin auf Lindsays Plautus-Ausgabe verweisen, der zwar im Apparat die Meinung von Ritsehl und Leo notiert, selber aber keine Lücke durch irgendwelche Zeichen andeutet. Dabei stellt gerade Abel S. 105f sehr übersichtlich zusammen, was alles in Plautusprologen üblicherweise gesagt wird und daher doch auch zu erwarten ist.

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tes Stück einem schlechten Publikum gebührte, wird auch nicht vergessen, zum Schluß aber, unter einhämmernder Häufigkeit des Kernwortes bonus, steht wieder, wie schon zu Beginn, die Bitte um geneigte Ohren: Studete hodie mihi(\), operant date gregi (9). Dazwischen fügt sich, wie zum Beweis des Gutseins des Publikums, die Erwähnung seiner in Krieg und Frieden erfolgreichen Gegnerschaft gegen die .Schlechten' (7f). Ein nächster Abschnitt verheißt Sättigung der Sinne durch das Stück, beginnt also wieder mit der Vortrefflichkeit des Darzubietenden, und knüpft daran die eher bemühte Wendung, daß andere Sättigung davon aber nicht zu erwarten ist, wer buchstäblich Hunger hat, soll lieber heimgehen (11-16). Daß ein Prolog oft auf die Vorgeschichte des Stücks eingeht, war dem Verfasser bewußt. Zugleich sah er aber, daß in der ersten Szene und besonders in dem Brief der Phoenicium, den Pseudolus V. 5 1 - 7 3 vorliest, die Vorgeschichte klar genug wird. So begnügt er sich im Prolog mit einem Hinweis darauf, daß Pseudolus die nötige Unterrichtung noch geben wird (17f)· Am Schluß steht die Ermahnung, in der Heiterkeit des Festes nichts weiteres zu erwarten, und die Sorgen zu vergessen (19—23). Heute soll man sich nur in Muße räkeln: damit ist der Anschluß an das Plautinische hergestellt, formal nicht ohne Reiz, da V. 1 nicht als syntaktische Einheit gesehen ist, sondern mit dem Rest des Ergänzten verschmilzt, in der Sache aber leider ein Mißverständnis, denn exsurgier heißt nichts anderes als „aufstehen" und macht klar, daß der Gedankenzusammenhang ein anderer gewesen sein muß. Der Autor hat aber jedenfalls gesehen, daß das Erhaltene nicht den Anfang, sondern höchstens den Schluß des ursprünglichen Prologs gebildet haben kann. Er hat weiter recht bedacht, was üblicherweise in einem Prolog gesagt werden soll. Daß der Pseudolus-Prolog, im Gegensatz zu vielen Plautus-Prologen, nicht über die Vorgeschichte unterrichtet haben wird, hat er sich ebenfalls, mit Blick auf Szene 1,1 wohl richtig, überlegt.3 Ein Element, das noch oft begegnet, fehlt hier: die Erklärung, wer in welchem Haus wohnt, und wie überhaupt die Stadt heißt. Aber das muß nicht sein. Das Schwergewicht hat der Ergänzer darauf gelegt, im Publikum gute Stimmung herzustellen. Die Sprache dieses Prologs ist durch und durch schlicht, sie kommt mit kurzen, unkomplizierten Sätzen aus und beschränkt sich auf einen unprätentiösen Wortschatz, der zudem durch zahlreiche Wortwiederholungen klein bemessen bleibt {afferò 1, 10, fero 2, odi 4, 5, 7, hodie 1, 10, 23, in scenam 1,12, bonus und malus 1 - 1 0 häufig). Einzelnes klingt besonders an Stellen aus Am., As., Cas., Poe. an, sonst läßt sich nichts auf bestimmte antike Quellen zurückführen. 3

Diese Annahme auch bei Abel. S. 16.

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Metrik In allen Fragen der Metrik gerät man bei den Supplementen auf höchst unsicheren Grund. Verwirrung schafft sogleich, daß die verschiedenen Autoren offensichtlich ganz verschiedene Begriffe vom Wesen der Komödienverse haben, die sie nachahmen wollen. Diese Unklarheit hat ihre Gründe: schon in der römischen Kaiserzeit schwindet das Verständnis für die Plautinische Metrik, und die Spätantike verstand weithin auch den Senar nicht mehr. Priscian mußte eigens eine Schrift „de metris fabularum Terentii" verfassen, um der Meinung entgegenzutreten, Terenz habe Prosa geschrieben — und zeigt nur um so deutlicher, wie wenig selbst ein Eiferer zu dieser Zeit von der Sache noch wußte. Die Handschriften, in denen Mittelalter und Frühhumanismus Terenz und Plautus lasen, hatten oftmals die antike Versabteilung aufgegeben und schrieben den Text fortlaufend wie Prosa. So hatten die Humanisten erst recht um den Senar zu ringen. Anders war es bei dem tragischen Trimeter, den die Theorie des Lovato 1 und die Dichtung der Mussato und Loschi 2 ohne Mühe schon seit dem Duecento wieder in den Griff bekam. Aber überall bei den antiken Autoren, die davon sprachen, bei Horaz in der ars poetica 3 , bei Pseudo-Censorin4, bei Terentianus Maurus 5 , bei Priscian6 hieß es, der Komödienvers oder auch die altlateinischen Jamben seien eine Sache fur sich. Und vor den Versen selbst mußte man wieder an der Theorie irre werden, da über prosodische Sonderheiten des Altlateins wie Jambenkürzung und Kürzung durch Tonanschluß aus keinem Autor helfende Belehrung zu erhalten war. Scevola Mariotti hat mehrere einzelne Stufen verfolgt, in denen sich das Verständnis des Senars bei den Humanisten entwickelt. 7 Dabei werden einige Plautus-Supplemente berücksichtigt und eingeordnet. 1

Lovato Lovati ( 1 2 4 1 - 1 3 0 9 ) verfaßte eine kurze Abhandlung über die Metrik der Tragödien Senecas; veröffentlicht sind zwei verschiedene, aber in der Sache gleiche Auszüge, ein kürzerer von F. Novati, Giornale Storico 6, 1885, S. 192 Anm. 1, ein längerer, durch A. Mussato in Dialogform gebrachter von R. Peiper, de Senecae trag, lectione vulgata, in: Festschrift zur 250jährigen Jubelfeier des Gymnasiums zu St. Maria Magdalena zu Breslau . . . , Breslau 1893, S. 1 5 5 - 5 9 ; beide Bearbeitungen hat neu herausgegeben Anastasios Ch. Megas, O prooumanistikos kyklos tes Padouas (Lovato Lovati - Albertino Mussato) kai oi tragodies tou L. A. Seneca, Thessalonike 1967. 2 Albertino Mussato: Ecerinis; Antonio Loschi: Achilles; beide Tragödien nachgedruckt und neu ins Englische übersetzt von Joseph R. Berrigan, München 1975. 3 Hor.a.p. 2 5 1 - 6 2 . 4 14,4f. 5 2232-42. 6 de metr. fab. Ter. 3, 4 1 9 - 2 1 K. 7 Humanitas 3, 1950, S. 191ff, bes. 198ff.

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Mariotti unterscheidet vier Stufen: 1. Verse — falls sie diesen Namen verdienen —, die nur die ungefähre Länge eines Senars besitzen, sonst keine Ähnlichkeit mit ihm aufweisen. 2. Verse, die außerdem regelmäßig eine kurze vorletzte Silbe haben, überdies im allgemeinen mindestens 12 Silben zählen. 3. Jambische Hexapodien („esapodie giambiche"), die im 6. F u ß auch Anapäst, Tribrachys, Daktylus, Spondeus, in allen anderen gelegentlich Trochäus oder Pyrrhichius als Ersatz des Jambus zulassen. 4. Regelrechte Señare. Wir werden sehen, daß das in Einzelheiten für die Supplemente noch genauer zu fassen ist und auch nicht ausreicht, da nur Señare, aber keine Langverse berücksichtigt sind — allerdings fiel diese Gruppierung bei Mariotti nur als Parergon ab —; von entscheidender Bedeutung ist aber die Trennung in Verse, die nach einzelnen Füßen gebaut sind, also die innere Struktur des Senars, wie frei auch immer, nachzubilden suchen (Mariottis Typ 3 und 4), und in Verse, die sich nur am Umfang des Senars und vielleicht noch an seinen letzten zwei Silben, also nur am Äußeren oder kaum ins Innere Eindringenden orientieren (Mariottis Typ 1 und 2). Vor der Untersuchung der einzelnen Verstechniken muß man sich allerdings klarmachen, daß auch die strengsten Versgestalter in dieser Umgebung weit entfernt sind von jener festen Gesetzmäßigkeit, die den Versbau der Antike regiert. Man m u ß schon zufrieden sein mit der Annahme, daß die Gesetzmäßigkeit, die sich der großen Mehrzahl der Verse eines Textes abgewinnen läßt, höchstwahrscheinlich die ist, die dem Verfasser vorschwebte. Aber selbst wenn über diese Gesetzmäßigkeiten Sicherheit zu gewinnen wäre, lassen sich in dieser Zeit und auf diesem literarischen Niveau Irrtümer und Versehen des Verfassers nicht ausschließen. Für die Textgestaltung hat das die Folge, daß allein metri causa nie geändert werden darf; erst wenn schwere Anstöße des Sinns und der Sprache hinzukommen, scheint eine Änderung geboten, die dann mit den beobachteten Regeln übereinstimmen sollte. Das Supplement, das dem antiken Senar am nächsten k o m m t , ist der Aulularia-Schluß des Codrus. Und zwar will Codrus tatsächlich Señare schreiben, wie schon die Versanfänge 2 velis nolis, 4 divelhm appenso, 6 cur non compello zeigen, nicht Trimeter, wie dies auch im Umkreis der Komödie etwa Reuchlin in seinem Henno ( 1 4 9 7 ) 8 und Giovanni Battista Scita in seinem Preisgedicht auf die Stephanium des Giovanni Armonio (ca 1500) 9 taten (oder wenigstens beabsichtigten). Freilich kann von „senari con struttura metrica regolare", entgegen Mariotti 1 0 , bei weitem die Rede noch nicht sein (Mariotti kennt allerdings den Text nur aus der Botheschen Plautus-Ausgabe, in der das Metrische ganz besonders geglättet ist). Natürlich wird sich niemand daran stoßen, daß das BentleyLuchssche Gesetz verletzt wird 1 1 , daß zerrissene Anapäste begegnen 12 , daß jam8

Praktisch lesbar in der Ausgabe von Harry C. Schnur, Stuttgart 1970. ' Ioannis Harmonii Marsi comoedia Stephanium, herausgegeben von Waither Ludwig, München 1971, S. 18. 10 S. 202. 11 15 V. 3, 17, 71, 110. V. 16, 17, 90, 113.

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bische Füße durch daktylische oder tribrachysche Wörter dargestellt werden 13 : das sind Feinheiten, die erst das 18. und 19. Jahrhundert im antiken Senar entdecken. Aber nur 99 von den 123 Versen des Codrus lassen sich im überlieferten Wortlaut auf Anhieb als soweit korrekte Señare skandieren, 2 Verse haben 3

4

5

5 Füße (11, 61), 2 dafür 7 Füße (22, 100 mit mendicarier'i), 3 sind um eine Silbe zu lang (1, 60, 94), einer endet mit trochäischem Wort (117 liberi). Einige von diesen Fällen dürfen wohl auch metrisch korrigiert werden, da der Text nicht befriedigt (1, 11, 22), den Rest wird man zunächst als reines Versehen betrachten. Aber in 13 weiteren Versen (10, 12, 14, 19, 31, 36, 51, 54, 55, 59, 73, 80, 117) stellt sich die Frage, ob wiederum nur Versehen vorliegt, ober ob Codrus Gebrauch gemacht hat von der Lizenz, einen jambischen Fuß durch Trochäus oder auch Pyrrhichius zu ersetzen. Diese Lizenz, die dem klassischen Philologen zuerst die Haare zu Berge stehen läßt, ist doch von Mariotti einigermaßen glaubhaft gemacht worden. Die Belegstellen stammen aus den Senaren in Poníanos Dialog Antonius und aus dem Menaechmi-Prolog des Polizian. 14 Besonders Polizians Verse sind hier von großem Gewicht, da er in einem Begleitbrief hervorhebt, er habe diesen Prolog verfaßt „genere ilio versiculorum qui sint comoediae familiares", und im Prolog selbst sogar polemisiert gegen die, quorum nec ullis versibus comoediae ... constant (18f). Zudem weiß er bei anderer Gelegenheit völlig korrekte Trimeter zu bauen, mit der einzigen Freiheit der Doppelkürze auch in der 2. und 4. Senkung, nämlich in seinem Spottgedicht in anum. Im Menaechmi-Prolog wird man daher eine versehentlich falsche Quantität nicht erwarten — was Polizian schrieb, das wollte er auch schreiben. Und hier steht eben außer dem Vers, den Mariotti anführt: quam si magistris freti trivialibus (30), auch noch: cuius habetur Flautus hic noster pater (29), also Trochäus einmal im 4., einmal im 1. Fuß. Die theoretische Grundlage für eine solche Freiheit findet sich nicht nur bei einem gewissen Laurentius (saec. XIV?) im cod. 7907 der Pariser Nationalbibliothek, an den Perosa erinnert hat 1 5 , sondern auch bei Pseudo-Censorin, der mehr in die Breite gewirkt haben dürfte: 1497 erscheint er in Bologna gedruckt. 16 Dort heißt es 14,4 sogar zum trimetrus tragicus: recipit in parte prima gressionis spondium, et eius loco dactylon et anapaestum, et pro iambo chorium et tribrachyn; zuvor (13,2) wird der chorius in der üblichen Weise erklärt: ex longa et brevi, cuius exemplum Roma.

13

V. 13 audio, 25 Iuppiter, 123 fabula, 54 Strophile. Giovanni Fontano, I Dialoghi, a cura di Carmelo Previtera, Florenz 1943, S. l O l f u. 107f; zum Menaechmi-Prolog des Polizian vgl. Einleitung Anm. 7. 15 A. Perosa, Rinascimento 3, 1952, 187, vgl. auch Geppert, Zur Geschichte der Terentianischen Texteskritik, Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik, Suppl.-Bd 18, 1, 1852, S. 69. 16 (Index librorum: qui in hoc volumine continentur.) Censorinus de die natali. . . . per Benedictum hectoris: Bononiae, quarto idus Maii, 1497. 14

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Eine weitere Lizenz, die für Polizian und Pontano wenigstens gesichert sein dürfte, von der Codrus allerdings keinen Gebrauch macht, erlaubt im 6. Fuß Anapäst oder Tribrachys zu setzen. Polizian setzt solches viermal 17 , Pontano einmal. 18 Nicht bewiesen scheint mir aber die weitere von Mariotti und Cecchini 19 angenommene Freiheit des Daktylus und Kretikus im 6. Fuß. Daß diese Freiheit aller Vernunft widerspräche, nirgends sonst, nur gerade im heiklen 6. Fuß den Kretikus zuzulassen, will zwar nicht viel heißen, denn mit Vernunft kommt man in diesen Versen ohnehin nicht weit. Aber die angeführten Beispiele überzeugen nicht: im Menaechmi-Prolog V. 17 quale soient nugari molitores caeteri ist nicht, wie Mariotti zu meinen scheint, von möUtores, Veranstaltern, die Rede, sondern von molitores, Müllern, mit Anspielung auf die bekannte Nachricht der Plautus-Biographie 20 , daß Plautus eine Zeit lang sein Leben als Müller gefristet habe; molitor ist daher zur Metonymie für Plautus oder auch Komödiendichter überhaupt geworden. 21 Im zweiten herangezogenen Vers 40: sed qui nos damnant, histriones sunt maxumi, mißt Polizian offensichtlich histrjones, wie 35 histrionicam: quod si qui clamitent nos facere histrionicam. Mit einem Kretikus im 6. Fuß ist es also in beiden Fällen nichts. Weiter wird aus Pontano kein solcher Fall beigebracht. Und die Plutos-Übersetzung Brunis (V. 1 - 2 4 ) scheint mir viel eher in einer anderen Verstechnik gehalten zu sein, die ich weiter unten besprechen werde. Aber zurück zu Codrus: vielleicht ist auch bei ihm damit zu rechnen, daß er den gelegentlichen Ersatz des Jambus durch Trochäus oder Pyrrhichius für erlaubt hielt. Die Freiheit des Kretikus oder Daktylus im 6. Fuß dagegen ist aus anderen Texten nicht bewiesen und darf daher zur Erklärung der Verse 60 und 94 kaum angenommen werden, obwohl sich diese Verse so erklären ließen. Es bleiben außerdem noch folgende Verse nicht erklärt: 57, 81, 108 zeigen, daß Codrus von an sich falschem Lycönides ausging, analog etwa zu Aristïdes·, die richtigen Quantitäten den Versschlüssen Aul. 779 oder arg. I 10 und 15 (Lycömdes) zu entnehmen war Codrus offenbar nicht imstande. 104 hilft höchstens die Annahme eines Hiats: ob aulam pausante a se deperditam. Zurück bleibt also ein Rest von 5 Versen, die auch den erweiterten Regeln des Senars nicht entsprechen: 5

$

5

6

V. 2 vestri oculi, 13 expuite,

5

6

14 catapotia,

5

20 praeter

6

títulos.

" Vgl. Mariotti S. 200: atrox, dubium (Previtera 101,35). " Maxiotti S. 198 Anm. 2; Leonardo Bruni, Versione del Pluto di Aristofane. Introd. e testo critico di Maria ed Enzo Cecchini, Florenz 1965, S. Xllf. 20 Varrò bei Geli. 3,3,14. 21 Z.B. steht molitor asinius fiir Plautus im Prolog des Petrus Guntherus zum Epirota des Thomas Medius, abgedruckt in den Epirota-Ausgaben Oppenheim 1516 und Leipzig 1517 (vgl. zu den Drucken meine Epirota-Ausgabe S. 45f); zudem bezeichnet Polizian in seinem Begleitbrief zum Menaechmi-Prolog die elenden Komödienschreiber seiner Zeit, also eben die, die er V. 17 molitores caeteri nennt, als non quidem Plautos, sed tantum pistores. Vgl. auch schon Min.Fei.Oct. 14,1 homo Plautinae prosapiae, ut pistorum praecipuus.

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60 61 94 100 117

Quod dixit? Me. Audivimus. Str. Iura etiam per Iovem. Ly. Hem quo redactus sum alieno malo. Complector ulnis, et te dulcí capio osculo! Viro s furari, mendicarier ipsos senes. Quod restât, here, nunc memento, ut sim liber.

Ein ähnliches Bild bietet die Verstechnik des Aulularia-Schlusses III. Nur handelt es sich hier nicht um Señare, sondern um jambische Oktonare. Zum Teil müssen diese allerdings erst in ihren Grenzen bestimmt werden, denn die Handschrift, die einzige Quelle für dieses Supplement, läßt zunächst nicht erkennen, daß sie Verse bietet, sondern schreibt den Text wie Prosa. Erst ab V. 19 steht, wenn auch nicht ganz regelmäßig, ein Zeichen ähnlich einem großen Τ zur Bezeichnung der Zeilenanfänge in der Vorlage. Die jeweils zwischen diesen Zeichen eingeschlossenen Textstücke entsprechen weitgehend der Struktur von jambischen Oktonaren; dieselbe Versform läßt sich danach auch in dem nicht gekennzeichneten Text feststellen. Der Text besteht demnach aus 94 Oktonaren, von denen 70 tadellos gebaut sind, zerrissene Anapäste und dergleichen wieder nicht gerechnet. Nur in 6 von den fehlerhaften Versen empfiehlt der sprachlich verdächtige Text eine Änderung (1, 19, 48, 50, 54, 90). Hiate wurden vielleicht vom Autor hingenommen, mit ihnen werden 14 cum'abstuñ und 57 fenestram'evolem skandierbar. Wieder, wie bei Codrus, steht mehrmals Trochäus oder Pyrrhichius statt Jambus: 6 7 8 ^ 5 4 2 auctusque sies, 18 faxis et, 22 nec ullam, 24 wahrscheinlich putumque, 30 4 4 7 8 1 6 7 8 1 placet, 37 erit, 49 movear, 66 opes, 93 ulularía, 94 fuit (?). Ob aus Versehen oder mit Absicht, bleibt unklar. Grobe metrische Fehler bietet der Text, wie er überliefert ist, V. 8 mit accident-, 26, (39), 42 und 79 sind um 1 - 2 Silben zu lang, 55 und 94 andererseits haben nur je 15 Silben. Doch neben den Senaren des Codrus sind diese Verse noch das Strengste, was die Supplemente bieten, ganz abgesehen davon, daß sie als weitgehend geglückte Nachahmung von Langversen bis jetzt überhaupt einzig dastehen. Als baldigen Nachfolger kenne ich nur Camerarius, der in seinem Aulularia-Schluß trochäische Septenare verfertigt, übrigens auch fast perfekte Señare, dort sowohl wie in seinen Prologen zu Aulularia und Mostellaria.22 Alle weiteren Ergänzungen bauen die antiken Verse nicht Fuß für Fuß, sondern nur im ungefähren Äußeren nach. Hier sind die Verse des Arguments und Prologs der Bacchides sowie des Prologs des Pseudolus bemerkenswert, da in ihnen durchgehend die vorletzte Silbe kurz bleibt und ihre Silbenzahl sich an der im antiken Senar möglichen Anzahl wenigstens ungefähr orientiert, nämlich in den Bacchides sich zwischen 10 und

"

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Die Zitate s. Einleitung, Anm. 3.

15 und im Pseudolus zwischen 11 und 17 hält. 23 Doch bleiben die Extreme selten: 10 Silben haben nur noch zwei Verse (Ba.arg. 8, pr. 5), 11 und 17 im Ps. je einer (5, 14), 15 in den Ba. auch nur einer (pr. 47). Daß diese Verse noch nicht zu einer fußweisen Bauart gehören, zeigen etwa Ba.pr. 45, 85, Ps. 14f, die auch mit Annahme mehrfacher Ersetzung des Jambus durch Trochäus/Pyrrhichius nicht skandierbar werden. Mariotti beschreibt diese Verse als seinen Typ 2. 24 Diese Art begegnet im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert recht häufig, zum Beispiel in der Chrysis des Piccolomini, der Stephanium des Armonio, in der Bophilaria und Annularia des Egidio Gallo 25 , aber auch in Begleittexten für Humanistenkomödien, wie dem Preisgedicht des Sabellicus auf die Stephanium und dem Prolog des Guntherus zum Epirota. 26 Auch die oben erwähnte PlutosÜbersetzung des Bruni gehört hierher. Bei einer so weiten Verbreitung dieser seltsamen Verse sollte man denken, daß sich irgendwo die grundlegende Theorie dafür greifen lassen müßte. Eine solche hat sich aber bisher nicht gefunden. Vielmehr gibt die bekannte Schrift de generibus metrorum von Perotti 27 im ganzen richtige Anweisungen zur Konstruktion von Trimetern oder Senaren, die aber streng Fuß für Fuß die Quantitäten festlegen und zu einem rein silbenzählenden Bau durchaus nicht ermuntern. In vergleichbarer Weise scheint im Aulularia-Schluß I ein Langvers äußerlich nachgeahmt zu sein. Allerdings muß auch hier die ursprüngliche Kolometrie erst zurückgewonnen werden, denn Pio, der erste Editor dieses Supplements, gibt diese offensichtlich nicht. Daß in Pios 27 Zeilen die Silbenzahl zwischen 12 und 27 schwankt, und daß in 12 Zeilen die vorletzte Silbe lang ist, würde dabei noch wenig beunruhigen, denn wir müssen für Am. und Mer. durchaus mit solchen Versen rechnen, wie sich noch zeigen wird. Aber 15 Zeilen, mehr als die Hälfte, haben Enjambement. Nun ist das Zusammentreffen von Versende und syntaktischem Einschnitt immer das Normale und Natürliche, Enjambement immer die Ausnahme. Und gerade in einem so kaum noch geregelten Versbau, dessen Länge und Kürze in sehr weiten Grenzen freisteht, in dem man also nicht so bald, weil der Vers nun zu Ende ist, den Sinn abbrechen und in den nächsten Vers fortfuhren muß, ist jedes Enjambement erst recht erstaunlich und verdächtig. Dagegen liefert eine neue Kolometrie 24 Verse, die zwischen 16 und 25 Silben zählen und stets eine kurze vorletzte Silbe haben. Enjambement begegnet 23 In dem zehnsilbig überlieferten Vers Ps. *6 (bonos esse. Vosque id estis boni) ist ziemlich sicher ausgefallener Text zu ergänzen. 24 Seine unrichtige Behauptung, im Ba.-Prolog sowie im Ps.-Prolog hätten alle Verse mindestens 12 Silben (a.O. S. 202), rührt zum Teil wieder daher, daß er diese Texte nur aus Bothes Plautus-Ausgabe von 1 8 0 9 - 1 1 kennt, s. seine Anm. 1 S. 202. 25 Vgl. Antonio Stäuble S. 153. " Das Gedicht des Sabellicus handlich abgedruckt in Ludwigs Stephanium-Ausgabe S. 13. Zu Gunthers Epirota-Prolog vgl. oben Anm. 21. 27 Von mir benutzt in der Ausgabe: Nicolaus Perottus. De generibus metrorum. Basel 1507.

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dann nicht mehr. 28 Wegen der Mindestzahl von 16 Silben und der festen Kürze der vorletzten Silbe könnte der Vers aus der Absicht entstanden sein, einen jambischen Oktonar nachzuahmen. Für die Langverse gibt es übrigens bisher keine solche Untersuchung wie für die Señare der Humanisten. Hier ist auch ein Wort über den Versbegriff des Pylades zu verlieren, der die Supplemente für Am., Mer. und Ps. weitgehend neugedichtet hat, meistens, um nach seinen Begriffen den Vers zu bessern.29 Pylades achtet bei seiner Neugestaltung, die besonders für Am. und Mer. II auch eine weitgehend neue Kolometrie bedeutet, sehr streng auf Grenzwerte bei den Silbenzahlen, aber alles andere ist ihm gleich. Die Silbenzahlen liegen im Ps.-Prolog zwischen 13 und 16, die Extreme der ursprünglichen Fassung von 11-17 sind also gemildert, und besonders hat sich Pylades um die Verse bemüht, die er bei Pio mit weniger als 12 Silben ausgestattet fand: aus sunt mali: malos quod oderint boni / bonos esse: vosque id estis boni (5f) macht er sunt mali; malos quod oderint boni, bonos / esse oportet: vosque ideo estis boni, quandoquidem, aus hunc bonam boni operam date gregi (9) wird huic vos nunc pariter bonam boni operam date gregi. Die Beispiele zeigen zugleich, daß Pylades nicht etwa auf einen fußweisen Versbau aus war, auch nicht auf einen freieren. Daß auch, wo er eingreift, die vorletzte Silbe kurz bleibt (5 bono, 6 quandoquidem, 22 quaerere), muß nicht Absicht sein. Jedenfalls nimmt er im Mer. und noch stärker im Am. lange Silbe an dieser Stelle in Kauf. Dort handelt es sich allerdings um Langverse, und für den Am. sagt Pylades ausdrücklich, welche Langverse. Das Maß der Szene I des Supplements nennt er (im Kommentar zu Am. 1021) „tetrametrum . . . brachicatalecticum (sc. carmen): septem pedibus incedens." Da die hergestellten Verse dieser Szene zwischen 14 und 19 Silben zählen, denkt Pylades offenbar tatsächlich an einen siebenfüßigen Vers, der aus einem Tetrameter entstanden sei durch ,Brachykatalexe', also Wegfall der zwei letzten Elemente, das heißt des ganzen letzten Fußes. Zu dieser - für uns kuriosen - Vorstellung wird ihn Priscian verleitet haben, denn dessen Bestimmung der Verse Am. 161 ita peregre adveniens und 164a qui hoc noctis a portu30 als jambische brachykatalektische Dimeter zitiert Pylades in seinem Kommentar zur Stelle. Übrigens rechnet auch Perotti mit dieser Erscheinung: „brachicatalecticum est: cui ut perfectum sit, deest integer pes"; dieser führt auch eigens ein Beispiel vor für einen jambischen brachykatalektischen Tetrameter: marcent lucernae: sol propinquat. non tarnen vocas.31 Das rhythmische Geschlecht seiner Verse denkt Pylades sich offenbar ebenfalls als jambisch, da die Versenden überwiegend jambisch sind, und Pylades überdies in all seinen metrischen Analysen, wenn überhaupt, so stets vom jambischen Geschlecht spricht. " Zur Kontrolle wurde unter anderem versucht, den Text in Señare von entsprechender Art aufzuteilen, was sich als undurchführbar erwies. " Über ihn und seine Art der Textbehandlung s. das Weitere S. lOOf. 30 31 Priscian de metr.fab.Ter. 3,422 K. A.O. f. η IIII r., η V v.

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Weniger erstaunlich sind die metrischen Ansätze des Pylades für die Szene II im Amphitruo-Supplement: „Tetrameter acatalecticus est versus huius scenae octo pedes nactus", und zu Szene III: „Idem est genus carminis cum superiore: tetrametrum s. acatalecticum: octo pedibus incedens." Hier halten sich die Silbenzahlen durchwegs zwischen 16 und 23; immer noch die Mehrzahl der Verse endet jedoch jambisch, Pylades meint also wieder Jamben. Hier und da gibt es durchaus Verse, die mit diesen Terminologien nach klassischen Maßstäben in Einklang stehen: 11 (nach der neuen Kolometrie des Pylades V. 13) quando 2

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6

7

;

2

tu me tuum servum censes. Am. quid censeo?, 79f (Pyl. II 39) Sein quid vulgo 5

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^

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dici solet? Bl. Quid dicturus sis nescio, 117 (Pyl. III 1) Qu is tarn vasto impete . 3

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has fores toto convulsit cardine? Aber nur die wenigsten Verse, die Pylades so abgeteilt und hergerichtet hat, lassen sich regelrecht skandieren. Die innere Struktur nach Füßen, von denen er doch spricht, hat ihn in Wirklichkeit kalt gelassen. Ein Tetrameter, mit 20 Silben, kann bei ihm so aussehen (37f = Pyl. II 1): Di vostram fidem: quae intemperiae nostram agunt familiam. quae mira. Für den Mer. hat Pylades seinen Kommentar nicht mehr ausarbeiten können, es fehlt daher der offizielle Name für die Verse, die hier hergestellt sind. Da sie aber zwischen 15 und 18 Silben zählen, dürfte Pylades wieder brachykatalektische Tetrameter im Sinn gehabt haben. Von den ursprünglich 10, von ihm zu 11 neu abgeteilten Versen endet nur einer spondeisch, alle anderen jambisch. Die innere Struktur ist ebenso unbegreiflich wie auch sonst bei ihm: quo te, consiliumque tuum, atque mentem perdit funditus (5f = Pyl. 6). Immerhin schafft aber Pylades mit den festen Namen fur seine Versgebilde für uns ein wenig Klarheit über die metrischen Unklarheiten seiner Zeit. Wir sehen, was selbst bei vollem Bewußtsein und großem eigenen gestalterischen Aufwand als vermeintlich antiker Komödienvers hingenommen werden konnte. In den jetzt noch zu besprechenden Supplementen wird die Verstechnik von neuem erheblich undeutlicher. Die Silbenzahlen sind kaum noch an irgendwelche Grenzen gebunden, in Ba.I sind es 13 bis 20, im Am. 9 bis 25, im Mer. 11 bis 27. Nur in Ba.I und Am. überwiegt noch jambisches Versende, im Mer. zeigt sich auch dafür keine Regel. Natürlich fragt es sich da, ob man überhaupt der überlieferten Versabteilung trauen darf. Für den Am. stellt sich die Frage besonders dringlich, da jeder der drei Drucke, auf die die Textgestaltung zu gründen ist, die Zeilen auf eigene Art abteilt. 32 Doch trägt in diesem Punkt nur die Veneta von 1495 (V) die Marken einer gewissen Glaubwürdigkeit. Nur in ihren Zeilen zeigt sich die deutliche Neigung, spondeisches Ende und Enjambement zu meiden: jenes begegnet in den 36 Zeilen der ersten Szene nur zweimal (10 quidum, 30 vide sis), dieses dreimal (17, 24, 32). Pio dagegen teilt so ab, daß in der gleichen Szene 9 spondeische

32

Die Einzelheiten erörtert das Kapitel „Überlieferungsgeschichte".

6 Braun (Hyp. 64)

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Schlüsse und 12 Enjambements entstehen, Beroaldus hat 14 Endspondeen und 13 Enjambements. Da, wie Mariotti 33 festgestellt hat, die Kürze der vorletzten Silbe schon in sonst noch ganz rohen Humanistenversen erstrebt scheint, und da, wie oben bemerkt, eine Häufung von Enjambements in solchen Versen kaum zu erwarten ist, wird man mit der Versabteilung von V dem ursprünglich Gemeinten noch am nächsten kommen. Meine Ausgabe richtet sich für den Am. daher in Kolometrie und Zählung nach V. Daß V jedenfalls seiner Vorlage treu folgt, zeigen die Verse 171 und 183, die durch ihre Kürze im Druckbild von allen anderen deutlich abstechen: hier hat V zu wenig Text, markiert aber die Lücken durch Freilassen des restlichen Zeilenraums, und läßt sich nicht etwa zum direkten Anschluß des Weiteren und damit zum Verwischen vorgefundener Zeilengrenzen verleiten. Umgekehrt ist auf Pio im Bereich 24-47 (f. e 7v.) überhaupt kein Verlaß, da hier der Text ganz wie Prosa mit strengem Randausgleich gesetzt ist. Und gegen Beroaldo macht außerdem noch skeptisch, daß er Szene II und III jeweils mit Kurzzeilen schließen läßt (uxorem advocatum volo; quid dicam nescio), die entschieden einfach das enthalten, was nach einer neuen Zeilenaufteilung am Ende noch übrigblieb. Es zeigt sich aber auch keine befriedigende Möglichkeit, wie im Fall von Aul. I gegen die Überlieferung durch eine Neuabteilung Verse sichtbar zu machen, die eine glaubhafte und weniger lockere Gesetzmäßigkeit aufwiesen. Ebensowenig läßt sich die von Angelius überlieferte Kolometrie von Ba.I so verändern, daß etwas Besseres und Strengeres daraus wird. Die Zahl von 6 Enjambements in 27 Versen kann man noch hinnehmen, und daß nur einmal Spondeus am Versende erscheint (celöcem 13), verleiht der Überlieferung einigen Kredit. Die Silbenzahlen bewegen sich mit 13 bis 20 in eher engen Grenzen, zumal nur ein Vers 13-silbig ist (3). In sich glaubwürdig wirken auch die Zeilen, die Pio für den Mer. mitteilt. Nur 14mal in 97 Versen entspricht das Versende nicht dem Sinnabschnitt. Daß dieser Versbegriff spondeisches Ende nicht ablehnt, zeigt deutlich das Ende des ersten Supplements, das einen unbestreitbaren Versschluß bildet: divertam (87). Daher dürfen auch die weiteren 8 spondeischen Enden als glaubhaft gelten. Die Silbenzahlen, 11—27 im ersten, und 15—23 im zweiten Supplement, zeigen dann, daß hier nur eine ganz äußerliche Annäherung an das Schriftbild antiker Komödienverse versucht wurde, wie überhaupt in dieser ganzen letzten Gruppe, die Am., Ba., Mer. umgreift. Es findet sich also die ganze Breite von Versvorstellungen, die schon Mariotti für den humanistischen ,Senar' festgestellt hat, bei den verschiedenen Autoren der Supplemente vertreten, von ganz groben äußerlichen Nachahmungen bis zu einem fußweisen Bau in besten Absichten. Als Erweiterung unserer Kenntnisse ergibt sich aber, daß, wie mit den Senaren, so auch mit den Langversen umgesprungen wurde. 33

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S. 202.

Verfasserfragen Das zweite Aulularia-Supplement ist das einzige, für das der Verfasser zum Glück unumstößlich feststeht. Seit dem ersten Abdruck bei Beroaldus erscheint regelmäßig der Name des Codnis Urceus in der Überschrift der Ergänzung. Bestätigt wird die Verfasserangabe dadurch, daß Codrus selbst in seinen sermones zweimal aus dem Supplement zitiert und dies dabei als sein Werk bezeichnet: Galeatius archidiaconus Bononiensis, qui versiculum ilium nostrum semper habet in ore: Servos fideles liberalitas fatiti; nonne versus illos nostros legisti unquam? heus tu, nostra aetas etqus.2 Diese zwei sermones sind überdies durch Erwähnung historischer Tatsachen fest datiert, der 12. auf 1499/1500, der 1. auf 1494/95 3 , so daß das Supplement 1495 oder früher verfaßt sein muß, wie der Ausdruck nonne legisti unquam in sermo 1 nahelegt, sogar nicht unbeträchtlich vor 1495. Über den Autor Antonius, genannt Codrus, Urceus unterrichten besonders die Monographien von C. Malagola und Ezio Raimondi. Daraus hier nur die wichtigsten Fakten: Antonius Urceus wurde am 14. (oder 17.) August 1446 in Rubiera geboren, war in Ferrara eine Zeit lang Schüler des Gian Battista Guarino, ging 1469 als Lehrer nach For Ii. Dort traf ihn das Unglück, daß sein Zimmer mit allen Papieren ausbrannte; vielleicht daraufhin gab er sich selbst den Beinamen Codrus, in Erinnerung an den armen antiken Poeten Codrus, dem gleichfalls seine Behausung mit allem, was er besaß, in Flammen aufging, wie Juvenal in seiner 3. Satire erzählt. Wohl 1481/82 kam Codrus Urceus als Professor nach Bologna. An der Universität erklärte er zunächst lateinische, ab 1485 auch griechische Autoren. Der ältere Beroaldus wurde sein Freund. In Bologna starb er auch, am 11.2.1500. Seine hinterlassenen Werke bestehen hauptsächlich aus sermones, das sind Universitäts-Reden sehr bunten Inhalts, und verschiedenen kleineren Dichtungen. Das Aulularia-Supplement ist in die frühen Sammlungen seiner Werke 4 nicht aufgenommen worden. Das dritte Aulularia-Supplement ist anonym überliefert. Der Verfasser kann aber aus mehreren Indizien so gut wie sicher erschlossen werden. Wie im vori1

V. 46 zitiert in sermo 12, S. 233 der Ausgabe: Antonii Codri Urcei . . . Opera quae extant omnia . . . Basileae, per H. Petrum, 1540. 2 V. 6 3 - 6 6 , zitiert sermo 1, a.O. S. 71; auf die beiden Selbstzitate hat aufmerksam gemacht Ezio Raimondi S. 250f; vgl. dazu auch unten im Kapitel Überlieferungsgeschichte. 3 Raimondi S. 147 u. 149. 4 (In hoc Codri Volumine haec continentur.) Orationes, seu sermones ut ipse appellabat. Epistolae. Silvae. Satyrae. Eglogae. Epigrammata. Am Ende: Impressum Bononiae, per Joannen) Antonium Platonidem, sub anno Domini 1502, die vero 7. martii. Zu der Ausgabe Basel 1540 s. oben Anm. 1.

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gen Kapitel ausgeführt, ist die Versform dieser Ergänzung, der weitgehend korrekte jambische Oktonar, etwas in dieser Zeit Einzigartiges, jedenfalls nach unserem Wissen. Über diese auffallende Form ergibt sich eine erste Verbindung zu Almorò Barbaro, dem venezianischen Gelehrten, Jurist und Diplomaten (1453— 1493), der in einem Brief an Lucius Phosphorus Episcopus Signinus, also Bischof von Segni, davon spricht, daß er eine nicht vollständige Plautus-Komödie ergänzt habe, und dies in octonarioli. Der Brief lautet 5 :

Hermolaus Barbarus Maffeo Lucio Phosphoro Episcopo Signino Sal. Quod tu octonariolos meos probes, amicitiae est, quod alii, foelicitatis, quod ad eos populi concursus fiat, partim laetor, partim doleo. Alterum, ut adeuntes aemulatio exacuat, alterum, quia fore video ut multi me rideant, quasi aut cum Plauto certare salibus et eloquentia voluerim, aut rem latinam supposititio quodam partu velut auctario iuvare cogitaverim, ceu non multo melius sit comoedias eius poetae ambustas et mutilas circumferri, quam reconcinnatas interpolatasque de meo; non secus, hercule, quam qui statuas antiqui operis sine capite aut pedibus inventas reficiunt ferruminantque, nec vident longe minus sic integras piacere quam truncas. „At enim, inquies, Plauti gloria ex comparatione crescet. " Id curat scilicet eminentissimus poeta, qui tot saeculis in supremo stetit, in comparationem modo veniat, in ordinem se cogi et vulgari sentiat? Alioquin stultitiae proximum est, ut alienae famae consulam, meo ipsius nomini officere. Sed si hoc videbam cur non temperavi a scribendo? Ingenium, ut fit, exercuL Nec in earn rem (ita mihi manes Plauti non irascantur!) amplius sesquihora impensum est, sed nec edendum id putavi, nec editum volo; tu me invito reclamitanteque subinvolasti. Vitium non est scribere quae scripta non placent, sed emitiere; nec fama scribentis agitur in eo quod scribit, sed in eo quod probat. Scripsi, fateor, non probavi; tu probasti, non scripsisti; tua res agitur, non mea: si fabulam edi voles, penes te ius et potestas eius rei tota esto. Itaque iam non doleo, mecum bellissime deciditur. Labor meus est, pericuhim tuum. Quid si laus aliqua sequatur, utrius futura est? tua qui probaveris an mea qui condiderim? Dubium non est quin mea. Vide quem in locum rationes tuas conieceris: si laudatur, aliud agis; si damnatur, male agis; si nec recipitur nec exploditur, nihil agis. Vale. Pridie nonas decembris. Daß Barbaro, wenn er octonarioli sagt, tatsächlich im großen Ganzen das meint, was auch wir darunter verstehen, ist nach den trüben Erfahrungen, die 5 Nach: Ermolao Barbato, Epistolae, Orationes et Carmina, ed. V. Branca, Florenz 1943, II S. 89. - Zu Barbaros Leben ( 1 4 5 3 / 5 4 - 1 4 9 3 ) vgl. allgemein Dizionario Biografico degli Italiani, Rom 1960ff, VI S. 96ff (E. Bigi), zu seinen - wenigen - Dichtungen Vittore Branca, Ermolao Barbaro „Poeta" e la sua „Presentazione" alla Corte Aragonese, Classical, Mediaeval and Renaissance Studies in honor of Berthold Louis Ullman, Rom 1 9 6 4 , II S. 385-411.

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im vorigen Kapitel etwa mit einem Pylades zu machen waren, zwar nicht sicher; auch seine völlig korrekten carmina, die vor allem in elegischen Distichen verfaßt sind, geben noch keinen Ausschlag, da in dieser Form bekanntlich die Meisterschaft der Humanisten im allgemeinen ebenso groß ist, wie sie in den Dialog-Versen der Komödie sich als gering erweist; aber in dem Brief 34, an Quintius Emilianus Cimbriacus, erörtert Barbaro eine schwierigere prosodische Frage in einem von Cimbriacus verfaßten Phalaeceus mit so viel Kenntnis und Anteilnahme, daß man überhaupt in metrischen Dingen bei ihm mit einiger Genauigkeit wird rechnen dürfen.6 Daß Barbaro schließlich bei octonarioli an jambische Verse dachte, legt der antike Gebrauch von octonarius sc. versus nahe: das Wort begegnet so nur bei fünf Autoren, wovon Varrò (bei Diom. I 515,9) und Ter. Maurus (2275) es eindeutig auf Jamben festlegen 7 , Mar. Victorinus (VI 55,17) nur allgemein die Gleichung zwischen tetrameter und octonarius aufstellt, während er an anderer Stelle (133,6ff) eindeutig nur Jamben meint und das gleiche Beispiel wie bei Ter. Maurus anfuhrt, Ps.-Censorin fr. 14,6 vom octonarius iambus, aber 14,9 auch immerhin von octonarius anapaestus spricht, und allein Quintilian (9,4,72f) einen trochäischen Oktonar impliziert, was ein nicht sorgfältig interpretierender Leser aber leicht übersehen konnte. Bestätigend kommen mehrere ganz ausgefallene sprachliche Parallelen zwischen dem Aulularia-Supplement und den Briefen des Barbaro hinzu. In ep. 76, einer Schilderung seiner persönlichen Verhältnisse, sagt er: Quaeris an sim maritus. Non sum, uxorem ne cogito quidem. Das deckt sich genau mit V. 30 des Supplements: uxorem qui cogito. Dieser Ausdruck uxorem cogitare ist im gesamten antiken Schrifttum nicht belegt.8 Ferner entspricht ep. 125 Multis nos magnus ille vir in dies et studiis accumulai et officiis adobruit dem V. 80: tot simitu mortibus adobruor, was wieder von besonderem Gewicht ist, da eine antike Parallele fehlt: adobruo ist der rein gartentechnische Ausdruck für „mit Erde bedecken", der in übertragener Bedeutung nirgends belegt ist. ep. 59 nul· lam mihi video reliquam esse stropham, und besonders ep. 105 mille strophas comminisceris trifft sich mit V. 22f nec ullam stropham ... comminiscitor; stropha ist kein häufiges Wort, und die Verbindung mit comminisci steht antik nur bei Tert. de anima 28,4 (nam qui talem commentus est stropham). Andere seltene Vokabeln sind nicht strikt beweisend, aber immerhin auffallend: ep. 23 6 Es geht dort darum, daß Cimbriacus geschrieben hatte Quam si Crântôrîs aùt Pôliclètëa·, Barbaros Tadel lautet zu Recht: fit quartus pes spondeus qui non potest corei loco poni (schon die Spätantike und erst recht diese Zeit sieht den Phalaeceus als einen fünffüßigen Vers an, bestehend aus spondeus, dactylus und drei trochaei bzw. chorei). Barbaro meint also die drittletzte Silbe des Verses, (Polijcle(tea), und schlägt die Verbesserung vor quod si Crantoris atque Pülicleti. 7 Varrò mit dem Beispielvers pater meus dicens docendo qui docet dicit docens, Ter. Maur. mit (2279) adest celer phaselus ille quem videtis, hospites. 8 Allerdings heißt es einmal, bei Capitol.Max.Balb. 2,3 uxorem et liberos cogitare, aber da ist cogitare so viel wie respicere.

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Utinamque non sic esset ac partiario mihi allevaretur hoc quoque und V. 89 partiario, ep. 21 agentur quocumque rumusculo und V. 16 rumusculus; und sehr zu lieben scheint Barbaro immer neue Abwandlungen eines Ausdrucks, den zum Beispiel Mettius Modestus gebraucht bei Plin.ep. 1,5,14: omnium bipedum nequissimus.9 Er schreibt ep. 53 simulator omnium bipedum maximus, ep. 138 ingratissimus omnium sim bipedum, ep. 129 ingratissimus, flagiciosissimus, nequissimus, turpissimus omnium sim bipedum atque adeo quadrupedum, wozu sich V. 64 fügt: omnium bipedum turpissimus et nequissimus. Auch Einzelheiten stimmen überein: mehrere Wendungen des Supplements verraten einen studierten Juristen als Verfasser und zeigen auch in der Sprache Abhängigkeit vom corpus iuris: Barbaro wird am 27.Okt.1477 Doktor beider Rechte 10 , und hebt diesen Stand auch gelegentlich im Brief 108 hervor: quia iurisconsulti sumus. Die in den Briefen auffallende Neigung, immer wieder einzelne griechische Wörter zu verwenden — natürlich nach dem Vorbild Ciceros — zeigt sich wieder in dem lateinisch nicht belegten Wort hermeum in V. 19.11 Aus allen diesen Gründen scheint es mir kaum bezweifelbar, daß Barbaro das dritte Aulularia-Supplement verfaßt hat, und daß sich sein Brief an Phosphorus auf diese Ergänzung bezieht. Seit Niebuhr 12 glaubte man allerdings, Barbaro müsse da von dem Amphitruo-Supplement sprechen, und selbst Ritsehl hat sich nach früheren Zweifeln dieser Meinung angeschlossen.13 Der Schluß war aber von Anfang an kühn, da der Brief eben nirgends den Namen des ergänzten Stücks nennt. Und da die Ergänzung aus Oktonaren bestehen soll, kommt nach den Ergebnissen des vorigen Kapitels der Amphitruo nicht in Betracht 14 , sondern nur - unter den uns bekannten Supplementen — das dritte der Aulularia. Nur hier zeigen sich auch starke Ähnlichkeiten mit der Sprache Barbaros. Sehr vage und unhaltbar bleiben dagegen die Verbindungen, die Ritsehl 15 zwischen Amphitruo* und Barbaro herstellen will, denn nur, weil der Name des Barbaro in der Galbiati-Ausgabe im Titel sowie in einigen Lemmata des Kommentars auftaucht, muß Barbaro nicht auch das Amphitruo-Supplement verfaßt haben, ganz abgesehen davon, daß dieses hier nicht zum erstenmal abgedruckt wird, wie Ritsehl glaubt, sondern zum zweitenmal, nach dem Vorgang der ed. Veneta von 1495.16 9

Die wenigen weiteren antiken Belege s. im Kommentar zu 64. S. E. Bigi (s. oben Anm. 5) S. 96. u Das Wort begegnet aber ebenfalls in einem Brief des Barbaro: testabor numquam iturum ad te istuc hermaeum nostrum (Hermolaus Barbarus, De coelibatu. De officio legati. ed. V. Branca, Florenz 1969, S. 174). 12 S. 177. 13 Ritsehl Opuscula II S. 46 u. 48; vgl. auch Creizenach I S. 578, von Reinhardstoettner S. 116. Ich selbst hatte früher diese allgemeine Meinung ebenfalls ohne viel Nachdenken geteilt: Epirota-Ausgabe S. 12f. 14 Dies gegen Creizenach, der a.O. gerade im Am.-Supplement Oktonaie sieht. 15 A.O. 16 S. Kapitel „Überlieferungsgeschichte". 10

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Da kaum anzunehmen ist, daß der Brief von einem noch anderen, uns unbekannten Plautus-Supplement des Barbaro in Oktonaren spräche, gewinnen wir auch eine obere Grenze für die Datierung der Ergänzung, denn Barabaro gibt dem Adressaten Maffeo Lucio Fosforo den Titel Episcopus Signinus, den dieser am 19.8.1482 erhielt. 17 Die andere Grenze ist mit 1493, dem Todesjahr Barbaros, bestimmt. 18 Bei den anderen Supplementen bleiben die Verfasser im Dunkeln. Doch zeichnen sich in den Eigenheiten der Supplemente mehrere verschiedene VerfasserPersönlichkeiten mit hinreichender Deutlichkeit ab. Zunächst ragt das Amphitruo-Supplement durch seine kraftvolle Dramatik so heraus, daß dieser Anonymus mit keinem anderen Plautus-Ergänzer verwechselbar ist, nur zu Codrus ist in diesem Betracht der Abstand nicht so groß, doch trennt es von diesem wieder, wie auch von dem dritten Aulularia-Supplement, das wir Barbaro zuschreiben, die Verstechnik und die stark an Plautus orientierte Sprache. In diesen beiden letzten Punkten sind die Unterschiede zu allem Weiteren zwar nicht erheblich, aber wieder ist es zunächst die Dramatik, die den Amphitruo-Anonymus von den übrigen absondert. Unter diesen dürfen dann, nach einer alten Vermutung von Creizenach 19 , die Verfasser von Ba.* und Mer.* als identisch angesehen werden. Die auffallendste Gleichheit, auf die eben auch Creizenach hinwies, liegt in der eigenwilligen Nennung der - im antiken Schrifttum kaum begegnenden — Göttin Astarte, die beidemale sichtlich der Venus gleichgesetzt wird (Ba.* I 24, Mer.* I 4ff); überdies erscheint dieser Name jeweils im Zusammenhang mit dem Gedanken, daß die Liebe, als Wirkung der Astarte, noch eher zur Jugend paßt, daß aber, wer sich ihr in der Jugend entzieht, im Alter entweder um so schlimmer von ihr getroffen wird oder in Raserei verfällt (Ba.* I 2 1 - 2 5 , Mer.* I 14-20; auch diese Entsprechung bereits von Creizenach 11

Barbaro ed. Bianca (1943) II S. 147. Infolgedessen horcht man auf bei der nicht selten zu lesenden Behauptung (zuletzt bei J. Blänsdorf, Plautus, in: Das römische Drama, herausg. von E. Lefèvre, Darmstadt 1978, S. 217), im Jahre 1484 sei auf dem römischen Quirinal die Aulularia unter der Regie des Pomponius Laetus aufgeführt worden. Leider ist das eine alte Verwechslung der Aulularia mit der Asinaria, die aus dem an Irrtümern reichen Buch von R. L. Grismer, The Influence of Plautus in Spain before Lope de Vega, New York 1944, S. 62 übergegangen ist in G. Duckworth, The Nature of Roman Comedy, Princeton 1952, S. 399, und wohl von da aus so beklagenswert in die Breite gewirkt hat. Richtig stand es bei J. L. Klein, Geschichte des Dramas IV, Leipzig 1866, S. 248, auf den sich Grismer beruft. Richtig übrigens auch, wenn auch ohne Angabe einer Quelle, bei Stäuble S. 201 Anm. Es kommt hinzu, daß diese Asinaria-Aufführung keineswegs genau datiert ist, in dem Zeugnis, von dem alles abhängt (Paulus Cortesius, De cardinalatu, Symeon Nicolai Nardi Senensis alias Rufus Calchographus (!) imprimebat in Castro Cortesio, 1510, f. 98v), steht nur: T. quidem Phedrus Volaterranus (= Inghirami) ... in adolescentia ..., cum Parilibus in Quirinali Plauti Poetae Asinaria ageretur, in summis actorum laudibus, gestuum tantum et manuum nimias argutias excepisse dicitur. Inghirami ist 1470 geboren, und nun hängt alles davon ab, wie weit wir seine adolescentia reichen lassen. 18

" I 575.

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a.O. beobachtet). Dazu treten schon in diesen Bereichen auch wörtliche Übereinstimmungen: Ba.* I 25 insanibit, Mer.* I 16 insaniunt acrius, 22 insanii vehementius. Merkwürdig ist weiter in beiden Supplementen, daß die Wirkung der Liebe metaphorisch als ein Ernähren oder auch Umbringen des von ihr Ergriffenen betrachtet wird: Ba.* I 6 haec non nutrii Baccha, verum iugulai, Mer.* I 9f alios enecat, extinguit, alios suo lacte fovet atque erigit. Sed quos enecat, ... quos properat alere ac erigere. Der von der Liebe Überwältigte wird, ebenfalls metaphorisch, zu Boden gestreckt: Ba.* I 5 prosternât, Mer.* I 12f iacent, ruunt. Überhaupt ist die Liebe als Katastrophe aufgefaßt: Ba.* I 9 u.ö. naufragium, 19 ubi pereat, 20 mihi... peperi infortunium, Mer.* I 11 pereunt. Weitere Ubereinstimmungen im Ausdruck sind: Ba.* pr. 29 nunquam, quod mihi placet, illi displicet, Mer.* I 7f quod illi displicet... quicquid complacitum, Ba.* pr. 4 fremunt. Mer.* 113 fremunt, Ba.* pr. 2 strepunt, Mer.* 113 perstrepuntque, 20 obstrepunt, Ba.* pr. 1 mirum ... ni, 83 quid mirum si, 1 1 0 nimirum si, Mer.* 131 mirum, ni, vielleicht noch Ba.* I 4 video et sentio, Mer.* I 8 quae vivunt omnia atque sentiunt. Schließlich gleichen sich diese zwei Supplemente noch darin, daß sie unfähig sind, sich den Zusammenhängen der zu ergänzenden Stücke genauer einzupassen: gerade das wirklich Vermißte ergänzen sie nicht (vgl. S. 56, 70), fügen statt dessen Handlungen ein, die die Entwicklung im Plautinischen schon vorwegnehmen (vgl. S. 56, 690, und erfinden ganz willkürlich unnötige Dinge, besonders Figuren und deren Namen, Pyrgoteles, Sostrato, Pyrocles im Bacchides-Prolog (V. 58), Perystrata und Lycissa im Mercator, dazu noch Ba.* pr. 36f Titel und Verfasser des griechischen Originals der Bacchides. Nun findet sich in der Literatur, oft ohne jeden Vorbehalt, die Behauptung, Verfasser des Bacchides-Supplements sei Antonio Beccadelli, genannt Panormita. 20 Das geht zurück auf eine Notiz von Pio, der sagt, er kenne eine BacchidesErgänzung, wolle sie aber nicht in seine Plautus-Ausgabe aufnehmen, da ihr Verfasser, wie er wisse, eben Beccadelli sei.21 Daraus hat Ritsehl22 geschlossen, daß jenes Bacchides-Supplement, das dann 1514 in der Juntina zum erstenmal gedruckt erscheint, eben dieses von Pio gemeinte sei. Doch ist dieser Schluß ganz unsicher, einmal kann es sehr wohl zwei verschiedene Bacchides-Ergänzungen gegeben haben 23 , und selbst wenn Pio und Angelius das gleiche Supplement meinen, haben wir keinerlei unabhängiges Zeugnis dafür, ob Pio mit seiner Zuweisung an Panormita recht hat. Die Verfasserschaft des Panormita ist für das uns bekannte Bacchides-Supplement denn auch schon von Feiice Ramorino 34 20 Z.B. von Reinhaidstoettner S. 427, Antonio Stäuble S. 201 Anm. 1, A. Perosa, Teatro Umanistico, Mailand 1965, S. 34. - Panormita lebt 1 3 9 4 - 1 4 7 1 . 21 Vgl. unten S. 114, dort auch der Wortlaut der Pio-Notiz. 22 Parerga I S. 402. 23 Ritsehl selbst hat (Parerga I S. 400f) auf zwei weitere argumenta zu den Bacchides aufmerksam gemacht; außerdem braucht man sich nur an die drei oben besprochenen Aulularia-Schlüsse zu erinnern. 54 F. Ramorino, Contributi alla storia biografica e critica di Antonio Beccadelli detto il Panormita, Archivio storico Siciliano N.S. 6, 1881, S. 2 1 3 - 2 0 , bes. 218f.

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bezweifelt worden, und ist überhaupt aus allgemeinen Überlegungen wenig wahrscheinlich. Panormita ist durchaus einer der größeren Namen des 15. Jahrhunderts 25 , an Rang vergleichbar, wenn schon nicht einem Polizian, so doch dem Codrus und Barbaro. Da fallt es nun schwer, im ganzen so unbeholfene und in vielem Einzelnen so unklar ausgedachte Erzeugnisse, wie die Supplemente zu Bacchides und Mercator - denn dies müßten wir ja hinzuziehen - es sind, mit einem solchen Namen zu verbinden. Sollte ferner gerade der lebensfrohe Autor des lockeren .Hermaphroditus' und der Verfechter der epikureischen Lust in Vallas Dialog de voluptate 26 eine so moralisierende, ja katastrophale Auffassung von der Liebe seinen Gestalten, darunter einem jugendlichen Held, in den Mund legen? Schließlich ergeben sich auch keine schlagenden Übereinstimmungen zwischen den Supplementen zu Bacchides und Mercator und den zweifelsfreien Schriften Panormitas, besonders auch nicht den Briefen, während doch gerade die Briefe des Barbaro in der Sprache nahe mit dem 3. Aulularia-Schluß übereinstimmen und die Identifikation des Verfassers zum guten Teil begründen. Eine andere Notiz zur Herkunft des Bacchides-Supplements führt auch nicht weiter. In der Plautus-Ausgabe des Longolius (1530) steht zum Anfang der Ba. (S. 306) zu lesen: „Primus actus Bacchidum desideratur cum prologo . . . Quod autem habemus dedit Lascaris gramaticus ille graecus, ut testatur in epistola ad Bembum quod Messanae in Sicilia invenit. Sunt multi qui a Francisco Petrarcha effictum putent." Das ist höchst anrüchig schon wegen der Nennung Petrarcas, denn der konnte nun die Bacchides wirklich nicht ergänzen, da diese erst 1429 wieder auftauchen. 27 Und woher hat überhaupt auf einmal Longolius diese Angaben, nachdem doch Angelius nichts dergleichen zu erzählen wußte, obwohl er sich rühmt, als erster das Bacchides-Supplement gefunden zu haben, andererseits aber sehr wohl zugibt, daß es sich dabei nicht etwa um Plautus handelt? Von dem erwähnten Brief des Lascaris an Bembo fehlt uns jede Spur, so daß nur allgemeine Überlegungen weiterhelfen. Große Namen wie Petrarca oder auch Beccadelli fallen zu lassen mag immer nahe gelegen haben, wenn man eigentlich " Vgl. etwa G. Voigt, Die Wiederbelebung des classischen Altertums oder das erste Jahrhundert des Humanismus, H893 (Nachdruck Berlin 1960), I S. 460, 477ff. 16 Laurentius Valla, Opera omnia, con una premessa di Eugenio Garin, Turin 1962, Bd I S. 8 9 6 - 9 9 9 (Nachdruck der Ausgabe Basel 1540); vgl. allgemein Hanna-Barbara Gerì, Rhetorik als Philosophie, Lorenzo Valla, München 1974. Die neue, kritische Ausgabe von M. de Panizza-Lorch, Bari 1970, war mir nicht zugänglich. - Besonders widersprechen sich geradewegs Mer. *I 4 - 1 4 , katastrophale Auffassung der Liebe, und de voluptate I 922, die berühmte Stelle „De fornicatione & adulterio non improbando", in der Valla den Panormita gerade sein Programm des hemmungslosen Liebesgenusses entwickeln läßt. Unvereinbar mit dem Mercator-Supplement etwa auch de vol. I 912: „Nos (Panormita und die ,Epikureer') ipsius naturae iura retinentes, dieimus appetendas oblectationes. Illi (die .Stoiker') labores gratuitos, nos iueunditatem. Illi tormenta, nos voluptatem. Denique illi necem, nos vitam"; I 924 „tarnen dico quod sentio, melius merentur scorta et prostibula de genere humano, quam sanctimoniales virgines ac continentes." " Vgl. Niebuhr S. 172, Ramorino a.O. S. 214.

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gar nichts wußte. Schon eher horcht man auf bei dem Namen Lascaris, da dieser es auch war, der die Bibliothek desPolizian nach dessen Tod auflöste 2 8 — und aus einem Codex der Bibliothek Polizians kennt Pio das Mercator-Supplement. 2 9 Aber das reicht alles auch nur für luftige Schlüsse, und zum Verfasser führt uns auch diese Kombination nicht. 30 Am Rande zu behandeln ist hier noch eine These zu Herkunft und Datum des Mercator-Supplements: Carlo Albizzati 31 hat verfochten, wir hätten es dabei mit einem jedenfalls antiken Erzeugnis zu tun, vielleicht aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., und wahrscheinlich sei dieser Passus sogar direkt aus dem Emporos des Philemon übersetzt. Daß das in dieser Zuspitzung völlig haltlos ist, liegt auf der Hand: wegen der Widersprüche zwischen Supplement und Mercator-Handlung 32 kann unmöglich Philemon übersetzt sein, und im 2. Jahrhundert sind unmetrische Plautus-Interpolationen nicht denkbar. Etwas anderes wäre es, wenn Albizzati mehr Ernst gemacht hätte mit seinem Vergleich der falschen Mercator-Verse zum Querolus und dessen rhythmischer Prosa 33 , da müßte man weiter ausholen und zunächst wieder auf die Identität von dem Verfasser des Bacchides- und Mercator-Supplements verweisen; es könnten daher diese beiden Ergänzungen frühestens geschrieben sein, nachdem der ursprüngliche Anfang der Bacchides verloren war, also nicht vor Donat und Servius.34 Die Spätantike aber ergänzt keine Lücken diesen Umfangs, und schon gar nicht in einer sprachlichen Form, die einerseits — klarstem im akrostichischen Bacchides-argumentum — Vers sein will, andererseits gerade dies eben doch nicht ist. Hinzu käme die ganz unwahrscheinliche Art der Überlieferung durch das Mittelalter hindurch bis in die Renaissance, ohne daß eine der uns kontrollierbaren Handschriften des Mittelalters die geringste Spur davon zeigte. Was Albizzati überhaupt auf seinen Gedanken brachte, waren die in der Tat zunächst überraschenden Parallelen von Mer.* I 4—13 zu Einzelheiten der Göttin Astarte, die erst wir Heutigen wieder wissen, die im 15. Jahrhundert aber unbekannt waren. Diese Parallelen sind aber nur zufällige und scheinbare. Nicht von einem allgemein zerstörerischen Aspekt Astartes ist die Rede, und erst recht nicht von etwas, das man mit Albizzati vorschnell auf die Kriegsgöttin Iätar 35

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S. Ida Maier, Les manuscrits d'Ange Politien. Catalogue descriptif, avec dix-neuf documents . . . , Genf 1965, S. 6. 29 S. unten S. 115. 30 Ritsehl hingegen erblickte in der Erwähnung Siziliens und Messinas gerade eine Bestätigung seiner oben besprochenen Kombination auf den Sizilianer Beccadelli: „Non autem aegre intelligitur, quomodo, quos versículos natu Siculus homo Neapoli composuisset, in eos Messanae forte incidere Lascaris potuerit." (Parerga I S. 403f). 31 S. 2 2 7 - 3 9 . 32 Vgl. oben S. 68f. 33 Albizzati S. 227. 34 Vgl. Ritsehl Opuscula II S. 319ff. 35 Albizzati S. 230f.

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oder auf die phönizischen Menschenopfer 36 beziehen könnte, sondern, wie der weitere Gedankengang zeigt, von der zerstörenden Kraft der Liebe, und die ist nun eine allgemein menschliche Erfahrung. Manches bleibt zwar, das ist zuzugeben, an den Versen I 4 - 1 3 sehr phantasievoll, aber gerade den Kern, von dem alles ausgeht, nämlich die Gleichsetzung von Astarte und Venus, kann man bei Cicero 37 hinreichend als auch dem 15. Jahrhundert zugänglich greifen. 38 Vor allem liefert aber Albizzati mit seiner Stellensammlung selbst den Nachweis, daß die Spätantike genausowenig von der Astarte wissen konnte wie ein Humanist des 15. Jahrhunderts. Von daher also wären allenfalls die Chancen gleich, ob die falschen Mercator-Verse in der Spätantike oder in der Renaissance entstanden sind. Jeder frühere Zeitpunkt kommt nicht in Frage, die Spätantike aus den weiteren, soeben angeführten Gründen ebenfalls nicht, das Mittelalter und die Zeit bis 1429, dem Jahr des Wiederauftauchens von Bacchides und Mercator, ohnedies nicht. Die noch zu besprechenden Supplemente, der erste Aulularia-Schluß und der Pseudolus-Prolog, sind von so geringem Umfang, daß eine Bestimmung des Verfassers nur aus sachlichen und sprachlichen Merkmalen ohne sichere Grundlage bleibt. Doch fehlt es nicht ganz an Punkten, die hier noch zwei weitere Anonymi zu erkennen raten: der Pseudolus-Prolog bleibt mit seiner schlichten und zugleich nicht so genau an Plautus orientierten Sprache ebenso ein Sonderfall wie Aul.* I mit seiner halb plautinischen, halb höchst ausgefallenen Ausdruckswahl, wozu als Besonderheit noch die Einfallslosigkeit im Sachlichen kommt. Die Datierung muß für alle anonymen Supplemente ziemlich vage bleiben. Von genauer Art ergeben sich zum Teil überhaupt nur termini ante quos durch die Daten der ersten Abdrucke: Am.* muß vor 1495, Aul.* I vor 1500 verfaßt sein. Die Supplemente zu Ba., Mer. und Ps. hingegen können nicht vor 1429 entstanden sein, doch ist der Abstand zur jenseitigen Grenze stets ein großer: Ba.* liegt vor 1514 (Druck des Angelius), Mer.* vor 1500 (Pio) oder, etwas genauer, doch wohl vor 1494, dem Todesjahr des Polizian, da die Quelle Pios ein Codex aus Polizians Bibliothek war, Ps.* vor dem Erscheinen von Galbiatis Ausgabe, also vor ungefähr 1497. Die weiteren Einzelheiten der eben genannten Drucke erörtert das nächste Kapitel. 36 37 38

Albizzati S. 232f. de nat.deor. 3,59, vgl. den Kommentar zu Mer. *I 4 - 2 0 . Vgl. allgemein auch den Kommentar zur Stelle.

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Überlieferungsgeschichte Amphitruo Das Amphitruo-Supplement dringt am frühesten in die Plautusdrucke ein und widersteht hartnäckiger als die meisten anderen Ergänzungen den Zweifeln an seiner Echtheit. Schon die Veneta 1 von 1495 bietet diese Szenen, und selbst so kritische Männer wie Camerarius und Lambin schließen sie nicht völlig aus: Camerarius verbannt die Ergänzung zwar in den Kommentar, aber schon bei Lambin steht sie wieder im Text. Die Textzeugen dieser Ergänzung weichen in einem hohen Maße voneinander ab, so daß eine ausführliche Untersuchung über ihren Zeugenwert sich nicht vermeiden läßt. Am engsten hängen die Veneta von 1495 (V) und die Ausgabe von Ducius und Galbiati (G) zusammen. Sie stimmen überein in allen Äußerlichkeiten wie Zeilenabteilung, Sprechersigla, Zeichensetzung, Orthographie, wie auch im gesamten Wortlaut bis hin zu Kuriositäten wie pitomperie (37), sercum (63), pruis (153), peraniae (158). Notwendig hat ein Druck dem anderen als Vorlage gedient. Da nur V datiert ist, müssen die wenigen geringen Abweichungen klären, ob G früher oder später ist. G druckt falsch couis (2) für richtiges coriis in V, tentas (3) für territas, exeruisse (10) für exercuisse, excravisti (16) für exercuisti, examissim (160) für examussim, Teleborum (171) für Teleboorum, sito te (180) für fito te. Da beide Drucke sonst allen Unsinn.gleichlautend bieten, erkennt man bei keinem von beiden den entschiedenen Willen, den Text zu verbessern. Wenn V seinen Text aus G nahm, hätte es sich mit couis und excravisti zufrieden geben können, genauso wie es pitomperie (37 s.o.) jedenfalls hinnahm. Besonders hätte tentas (3) kaum Anlaß zu territas, das durch andere Drucke als richtig gesichert wird, geben können, eher noch zu (quid me minis) temtas bzw. temptas. Eher hat also G den Text aus V genommen, nicht ohne ihn noch etwas weiter zu verderben. V. 8 bestätigt dies: aus ursprünglichem in herum (in der Vorlage her(um)l) wird leichter erst in hec (V) und dann in haec (G) als umgekehrt. Es kommt hinzu, daß G wegen seines schmäleren Satzspiegels in besonders langen Zeilen mehr Abkürzungen verwenden muß als V, zum Beispiel in V. 5 diminua, cü, lingua, was V alles ausschreibt. Aber im ganzen ist V den Abkürzungen gar nicht abgeneigt: z.B. 33 patriä V -am G, 51 beluâ V -am G, 57 an1

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S. die Übersicht über die frühen Plautus-Drucke S. 202.

gunt(ur) V -untur G, 68 tñ V tarnen G. V hat Raum für längere Zeilen. Hätte V aus G abgedruckt, so hätte es keinen besonderen Grund gegeben, gerade in langen Versen die Kurzformen aus G aufzugeben, in kurzen Versen aber noch mehr Kurzformen einzufügen, als G aufweist. Die wenigen Stellen, an denen G Besseres bietet als V, fallen dagegen nicht ins Gewicht: 30 acmenam V alcumenam G, 34 Vccersam V Accersam G; und dreimal interpungiert G geringfügig richtiger, 78 und 88 setzt er den fehlenden Punkt am Zeilenende, 167 läßt er am Zeilenende den falschen Punkt weg. Man könnte daher G für das Amphitruo-Supplement ganz beiseite lassen; aber eine Überraschung bietet der Druck doch: unmittelbar vor dem Anfang der Ergänzung (Tun me mactes) steht der Zusatz: Am. At ego certe cruce & cruciatu Exi foras mastigia

mactabo.

also das Amph.-Fragment 1 aus Nonius 342. Die Textfassung des Fragments stimmt weitgehend mit der des Nonius-Druckes Venedig 1496 überein, abgesehen von cruciatum dort, weicht aber stark ab von den Nonius-Drucken 1471 s.l. und 1476 Venedig: cruciatum mactabo exuo mastigia. Aus dem Umkreis der Ausgabe 1496 wird G also diesen Text genommen haben. Das gleiche Fragment, mit eben diesem Text, hat dann von neuem Pio eingesetzt, aber an anderer Stelle, nach V. 2 des Supplements. Pio hat das Fragment gewiß nicht aus G, denn sonst führt nichts auf eine solche Abhängigkeit, sondern seinerseits aus einem der zahlreichen Nonius-Drucke. Daß aber V das Fragment überhaupt nicht mitfuhrt, erweist wiederum das spätere Datum von G: bei der sklavischen Treue zwischen den beiden Drucken hätte V keinen Grund gehabt, gerade dies Fragment zu streichen. Aber sehr wohl entspricht es den weiteren Neigungen von G, das Fragment neu einzusetzen. Denn G hat sich auch sonst weit umgetan: gerade in der Umgebung des Supplements bietet G zwei vorzügliche Lesarten, die letztlich aus dem codex Ursinianus der Plautus-Uberlieferung (D) stammen: Am. 1034 (te mactoj infortunio, 1053 spes (statt dapes). spes wird erst seit Angelius im Plautus-Text fest, infortunio sogar erst seit Camerarius.2 Somit wird man aber G als den späteren Druck ansehen, nicht als den früheren, was Ritsehl ohne deutliche Gründe tat. 3 Ganz anders sieht der Text bei Pio (Ρ, 1500) aus. Fast in jeder Zeile gibt es Unterschiede zu V, Varianten, Auslassungen, Zusätze. Besonders die Zusätze sind 2 Allein diese Lesart macht erneut klar, wie wenig der cod. Ursinianus (D) auf den Plautus-Text gewirkt hat, so schwungvoll man seine Entdeckung im Jahre 1428 auch begrüßt hatte; vgl. dazu allgemein Ritsehl Opuscula II S. 4ff, Cesare Questa, Per la storia del testo di Plauto, passim. Von den mir bekannten Plautus-Hss. des späteren 15. Jhds haben noch der Laur. 36.36 und der Urb.lat. 655 infortunio in V. 1034. Für den Laur. steht die Verbindung zu D fest (Questa S. 54ff), für den Urbinas wäre sie zu untersuchen. 3 A.O. S. 47f. Der Indice Generale degli Incunaboli delle Biblioteche d'Italia IV S. 290, Nr. 7874 datiert auf „c. 1497?", der British Museum General Catalogue of Printed Books Bd 191 Sp. 330 auf „1500?", beide ohne Angabe von Gründen.

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oft von der Art, daß sie nicht aus bewußter Korrektur von Ρ gegenüber V stammen können. Denn entweder bietet V keinen Anstoß, oder die Varianten sind zu ausgefallen, als daß ein Korrektor sie einsetzen würde. Folgende Stellen sind die deutlichsten: 13 quam me minus norit V mirum qui me non norit Ρ, 26 quid Sosia V quid malum Sosia Ρ, 34 interea V tu interea P, 52 exquisitor anguineus repente hostis périt V quaestor anguineo Repentes hostes peperit seminio P, 71 at at novi iam V at at novi iam ludum P, 80 quid tibi faciendum ariolor V quod tibi patiundum fore ariolor P, 82 Verum: ideo hominem compellabo V verum Quidem e loco compellemus alacre P, 103 salutavi V salutem hodie P, 11 Of quin vapules. Bl. Mitte hune V quin vapules. So. Blepharo. Ble. Amphitruo mitte hune P, 183 aspiciam V aspiciam. lu. Deteximus vide P. Ρ nahm also seinen Text nicht aus V (oder G). An fast allen eben aufgeführten Stellen druckt Beroaldus (B) gleich wie P 4 , und teilt überhaupt die weitaus meisten Varianten mit ihm. Auch Β stammt also nicht aus V. Stammt Β aus P? Das Datum spricht in keinem Fall dagegen, wie auch immer man sich im Vexierspiel des Kolophons von Β entscheidet: Anno Salutis. M. D. tertio Cal. Decêbr. Ob das 29.11.1500 oder 1.12.1503 heißen soll — Pios Ausgabe erschien am 18.1.1500 und damit in jedem Fall früher. 5 Überdies hatte Beroaldo für die Ausgabe des Pio eine Empfehlungsepistel verfaßt, die dessen Druck vorausgeht. Er sollte also die Ausgabe gekannt haben. Und doch hat Β die Pio-Ausgabe nach allen weiteren Anzeichen nicht für den Text des Supplements zugrunde gelegt, denn er zeigt einige merkwürdige Abweichungen. In Ρ erscheint nicht nur, wie schon erwähnt, das Amphitruo-Fr. 1 im Text des Supplements hinter V. 2, sondern ebenso in V. 99 eingeschaltet das fr. 11, nach 128 das fr. 16, schließlich nach 57 ein Wortlaut, der zum größten Teil mit dem fr. 91 R 2 . aus dem Amphitryo des Accius (!) identisch ist. Daß Β diese sämtlichen Amphitruo-Fragmente, die Ρ nur aus Nonius gezogen und in den Text gesetzt haben kann, nicht aufnimmt, fällt noch nicht ins Gewicht. Pio hielt das Supplement für echt, Β nicht, denn er verbannt es in den Anhang und setzt die Bemerkung davor (f. 249 r): „In Amphytrione . . . desunt quaedam genuina Plautina, pro quibus haec substituía sunt, quae etsi notha sunt minimeque Plautinos sales redolentia, tarnen non repudianda Lector id quoque transiege." Eine solche Einstellung mag zu verschiedener Textbehandlung führen. Aber mehrfach weicht Β von Ρ ab und nähert sich gleichzeitig dem Text von V. Die Stellen sind von der Art, daß un4 Die Unterschiede: 52 Β om. peperit, 80 fere, 82 quidem hominem e loco compellamus a., 183 om. Β. 5 Nach einem freundlichen Hinweis von Paul G. Schmidt ist allerdings wegen der Zeilenaufteilung und besonders wegen des Tagesdatums die zweite Deutung die wesentlich wahrscheinlichere, denn der 29.11.1500 war ein Sonntag, der 1.12.1503 hingegen ein Freitag.

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möglich Β, wie man zunächst vermutet, einfach die einleuchtenden V-Lesarten in seinen P-Text einkorrigiert hat. Dafür vermißt man zuviele schlagend bessere Varianten aus V. So fehlen in Β (wie in P) gegenüber V zum Beispiel das unentbehrliche nam mihi herum (12) sowie arbitror (23), mastigam (75), cum uxore hac (110), eamus (116), linquo sed (147), und die eindeutig richtige Lesart hat V gegenüber falschem Β (und P) etwa 95 tegulas (-a BP), 122 convenirem (comperirem BP). Dagegen stimmen Β und V gegen Ρ zusammen in durchweg unwichtigen Dingen wie 1 u. 32 dii BV di Ρ, 29 dictum BV dictum vis P, 57 homines (nostrates optimos) Β homines (mortis optimis) V Omnes (nostrates optimi) Ρ, 73 loquitur BV loqutus Ρ, 82 (verum quidem) hominem (e loco compellamus alacre) Β (Verum: ideo) hominem (compellabo) V verum quidem e loco compellemus alacre P, 133 i intro BV intro P, 143 noli BV nolo P, 173 deionis Β adonis V Deionei P. 6 Am deutlichsten werden die Verhältnisse, wenn Β sich dem Text von V nähert und dabei die Stelle eben nicht verbessert oder sogar noch weiter verdirbt: 43f te alterum reperisse tui Similem sosiam ain. So. ais? ego Β Ain tu alium reperiisse domi consimilem sosiam. So. Ain ais V Ain tu alterum reperisse Tui consimilem sosiam? So. Aio. ego P. P bietet einen glatten Text, Β konnte keinen Anlaß haben, durch Annäherung an V, nämlich Einfügen von ain ... ais am Ende, den P-Text absichtlich zu verdunkeln. 89 schreibt Β non te sacrificem (Nusquam evades), was dem Sinn gerade widerspricht: Amphitryon droht dem Sosia „du kommst mir nicht mit heiler Haut davon!" non liegt aber näher an nun (V) als an ne (Ρ). Bei Anregung aus V sollte ein Beroaldus allenfalls nunc geschrieben haben, oder bei ne (Ρ) geblieben sein. Die Unabhängigkeit des Beroaldus von den anderen Drucken erweist am Ende noch 87: sed ubi illic scelestus Ρ (sed illic) scelestus (ubi) V, aber B: sed ubi illic scelus. Dies wäre eine ganz unerhebliche Variante, wenn nicht in Pios Kommentar stünde „Scelestus. alibi legitur scelus." Aus eben diesem „alibi" schöpft also B. Das alles bedeutet: Β nahm das Amphitruo-Supplement weder aus P, entgegen Ritsehl 7 , noch aus V. Vielmehr geht jeder der Drucke auf eigenem Weg auf frühere Vorlagen zurück. Diese Vorlagen können aber nicht für alle Drei unmittelbar die gleichen gewesen sein. Dann würde ja nicht erklärt, warum Ρ und Β in der überwältigenden Zahl der Fälle gegen V zusammengehen, besonders beim Auslassen von einigen ganz unwichtigen Wörtern, die nur V bewahrt, aber eben wegen ihrer Unerheblichkeit auch kaum interpoliert haben kann, zum Beispiel iam 4, hem 8, hodie 32, id 35. Das führt auf eine gemeinsame Vorlage für Ρ

6 Kennzeichnend ist, daß die unten zu besprechenden Ausgaben von Charpentarius und Angelius, die nun wirklich ihren Primärtext mit Hilfe von V bereichern und korrigieren, eben das gegenteilige Bild zu Beroaldus bieten: von den soeben genannten unentbehrlichen oder einleuchtenden Lesarten aus V nehmen diese beiden Herausgeber einen großen Teil auf, von den genannten unwichtigen Lesarten dagegen kaum eine. 7 Opuscula II S. 61.

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und Β, die X genannt sei.8 Erst X schöpft mit V aus einer Quelle, dem Archetypus 0 . Ein erstes Stemma sieht demnach so aus: 0

G

P B

Damit ergibt sich der klassische Fall, daß Gleichheit von Ρ und Β den Text von X verbürgt, Gleichheit von Ρ mit V oder von Β mit V den Text von O. 9 Von den vier bisher besprochenen Drucken darf nur G beiseite bleiben, die anderen drei sind Variantenträger. In zwei Fällen führen deutliche Spuren überdies auf Zwischenglieder der Abstammung. Zwischen X und Β muß eine Abschrift χ liegen, die gegenüber X drei Lücken aufwies; diese drei Lücken erkannte Beroaldus nicht, suchte vielmehr die Ränder durch leichtes Umformen zu verwischen: 56f V sie factum habet Homines mortis optimis pro claris factis duris anguntur malis Ρ sic fatum habet Omnes nostrates optimi pro claris factis diris aguntur malis Β sic fatum habet homines nostrates optimos pro claris factis diris malis Demnach stand in X: sie f . h. homines nostrates optimis (oder -i?) pro claris f . diris anguntur malis. Von hier gelangt man zum Text in Β kaum in einem einzigen Schritt: erst müßte wohl ein Zwischenglied χ anguntur auslassen, denn optimos, von fatum habet homines abhängig, entsteht nicht leicht, so lange anguntur noch da steht. Allerdings fehlt dieser Stelle letzte Gewißheit, klarer sieht man an den zwei anderen. 172f V Vi vici & summa regem virtute bellica Illi isti pretuli caphalü magni acìonis filium. Ρ Vi vici & summa regem virtute bellica, illisce praefeci cephalum magni Deionei filium. Β vi vici & summi deionis filium. X muß noch den vollen Text gehabt haben, mit summa ... magni·, offensichtlich hat aber schon χ regem bis magni ausgelassen, bot also vi vici & summa

' Wenn Pio in seinem Kommentar Dinge sagt wie „in quibusdam codicibus legitur", „sunt qui scribunt", heißt das, aus dem prahlerischen Gelehrten-Stil seiner Zeit übersetzt, nichts anderes, als daß er eben dies in seiner einzigen Vorlage fand und doch etwas anderes in den Text setzen möchte. 9 Das ist genau der Typ III 2 3 bei Paul Maas, Textkritik, "I960, S. 28.

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Deionis filium. Daraus machte Β das erst jetzt naheliegende summi deionis fi· lium. 72 V Qui me hodie quoque praesentem ausit indigne praevortier Ρ Qui me hodie quoque praesentem ausit magne praevortier Β Qui me hodie quoque praesentem magice prevertit. In X stand noch ausit... praevortier, χ ließ ausit weg, Β brauchte ein Prädikat und schrieb prevertit. Für V legen zwei Stellen ähnlicher Art ebenfalls eine Zwischenstufe zu O nahe, eine Handschrift Y, die die V-G-Rezension entscheidend geprägt haben dürfte: 181 f stand in X cicatricem in dextro musculo ex illoc vulnere quod mihi impegit pterela. Bl. earn quidem. In V fehlt cicatricem in dextro musculo, es folgt Ex illoc vulnere qu. m. nupegit pterela. Bl. Hoc equidem. Blepharo will aber nicht die Wunde sehen — die hat sich schon geschlossen - , sondern die Narbe, also sagt er richtig eam quidem. Dies wird V auch in seiner Vorlage gefunden haben, da aber dort das Beziehungswort cicatricem nicht mehr stand, empfahl sich der Anschluß an vulnus durch hoc. Für sich weniger deutlich ist 52: V Magnus europe exquisiter anguineus repente hostis perit. In X stand M. eur. quaestor anguineo repentes hostes peperit seminio, anguineus in V kann zwar auch direkt aus -eo entstanden sein, besonders wahrscheinlich ist das aber erst, wenn seminio schon ausgefallen war. In 0 haben wir überdies wahrscheinlich noch nicht die Urschrift des Autors erreicht, denn der rekonstruierbare Text von 0 enthält noch einige Fehler: 1 perdiunt statt -uint, 14 num statt non, 16 qui statt quis, 27 ve statt ne, 32f fehlt jedenfalls eine Negation, etwa (una) ne, 47 mulctavit statt mulcavit, 59 wohl ante zu ergänzen, 69f Pterelam nostris expugnatum occisum manibus statt wohl besser Pterelae nostris expugnatum oppidum m., 74 detexerit statt wohl besser decoxerit. Das genauere Stemma sieht also so aus: Urschrift

G

Β

Die vier bis fünf Textzeugen, die sich so erschließen lassen - χ, Χ, Y, O und wohl davor die Urschrift des Verfassers — müssen Handschriften gewesen sein, da nicht anzunehmen ist, daß es (Plautus-)Drucke gab, von denen wir heute gar nichts mehr wüßten. Man interessierte sich also für diesen Text und schrieb ihn 7

Braun ( H y p . 6 4 )

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häufig ab. Vorerst ist es allerdings nicht gelungen, auch nur eine dieser Handschriften wieder aufzufinden. Suchen müßte man zunächst in den italienischen Plautus-Handschriften des späteren 15. Jahrhunderts. Eine erste Durchsicht hat aber die erhofften Funde nicht erbracht. 10 Genauer müßte man außerdem die handschriftlichen Plautus-Kommentare dieser Zeit durchgehen.11 Aber vorerst bleibt es dabei, daß wir unsere Supplemente in keiner Handschrift lesen können, ebensowenig wie Ritschi. 12 Mit einer Ausnahme: Der Plautus-Codex Τ 6. 10 der Biblioteca Angelica in Rom 13 zeigt auf dem Rand des f. 18 r und v, den primären Plautus-Text umgebend, in kleinerem Schriftgrad, das Amphitruo-Supplement von V. 1—88 non vides.14 Die Handschrift ist ein Prachtstück des späteren 15. Jahrhunderts, in folio auf Pergament. Sie enthält die 20 Komödien des Plautus auf 317 Blättern. Ein Nicolaus Romanus nennt sich am Ende als ihr Schreiber. Der Plautus-Text nimmt keinerlei Rücksicht auf eine Verseinteilung. Zwischen den Zeilen und auf dem Rand stehen zahlreiche Einfügungen und Korrekturen. Die weitaus auffallendste und umfangreichste Einfügung stellt eben die erste Hälfte des Amphitruo-Supplements dar. Sie stammt von einer anderen Hand als der Plautus-Text, wie besonders deutlich wird am Unterbogen des Q, am Fragezeichen, an der Unterlänge des g und am M. Das Zeichen \ zwischen te macto (Am. 1034) und Bl. Vos inter vos (Am. 1035) zeigt, wo der Nachtrag hingehört. Auf dem Rand wurde die Wiederholung des Zeichens vergessen. Nur lernen wir aus der Handschrift für die Herstellung des Textes nichts, denn der Nachtrag stammt aus dem Druck Pios. Mit ihm teilt er sämtliche bedeutenden Sonderlesarten, wie Einsetzung der Amphitruo-Fragmente nach 2 und 57, sowie dictum vis 29, utinam 32, cognitas 41, So. Aio. ego 44, cum 47, peperit 52, trudebat 53, omnes, optimi 57, loqutus 73, sein quid 79, patiundum fore 80, om. hominem 82, compellemus 82. Unmöglich liegt die Handschrift vor P, da ihr Text ja V. 88 abbricht. Auch die Hoffnung, daß die Hand10 Geprüft wurden die folgenden Handschriften: Bologna, Biblioteca Universitaria 2282. - Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana 36.36; 36.37; 36.38; 36.39; 36.41; 36.42; 36.46. - Biblioteca Riccardiana 517; 533. - London, British Library, Burney 228; 11,901; Harl. 2454. - München, Bayerische Staatsbibliothek cod.lat. 6722; cod.lat. 15742. - Parma, Biblioteca Palatina Ms. 882. - Perugia, Biblioteca Augusta del Commune C. 60; C. 64; D. 37. - Rom, Biblioteca Nazionale Centrale Vitt. Emanuele II 365 (olim 568, 409). - Biblioteca Apostolica Vaticana Barb.Lat. 97; Barb.Lat. 153; Ottob.Lat. 1697; Urb.Lat. 343; Urb.Lat. 655; Vat.Lat. 1632; Vat.Lat. 1633; Vat.Lat. 3303; Vat.Lat. 11.469. - San Daniele del Friuli, Biblioteca comunale 53. - Verona, Biblioteca Capitolare CXXXVIII. 11

Über das in solchem Zusammenhang aufgetauchte, bisher unbekannte Aul.-Supplement (III) s. unten S. 113. 12 A.O. S. 16f. 13 Nr. 1396 im Catalogus codicum manuscriptorum . . . in Biblioteca Angelica . . . edidit Henricus Narducci, Rom 1893. 14 S. die Tafel I.

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schrift an Ρ vorbei auf eine gemeinsame Vorlage zurückginge, ist schnell aufzugeben: die Vorlage von Ρ können wir ja als die Handschrift X aus Β und V rekonstruieren, in ihr hat gestanden: 44 ain. So. ais, 57 homines, 73 loquitur, 82 hominem: wenigstens eine Spur davon sollte dann in der Handschrift der Angelica auftauchen. Ebenfalls fehlt jeder Anhaltspunkt für eine Zwischenstufe zwischen X und P, aus der auch die Handschrift stammen könnte, da auch zum Nachweis dieses Verhältnisses die Handschrift mindestens eine Lesart mit X gegen Ρ haben müßte. Dies ist aber nicht der Fall, abgesehen von Spontankorrekturen wie 24 usurariam (uxurariam P). Und schließlich sagt Pio im Kommentar, er selbst habe das Fragment nach 57 gefunden und in den Text gesetzt: „versus hi substituendi: quos in priscis exemplaribus deprehendi." 15 Daß Drucke auf Handschriften einwirken, ist in dieser Zeit nicht selten, wenn auch für uns verwunderlich. Aber auch dieser Schreiber hat ja offensichtlich auf halbem Weg die Freude an dem mühseligen Geschäft verloren. Der Text der Pylades-Ausgabe (Pyl. 1506) beruht zunächst auf Pio. Pylades teilt mit ihm nicht nur alle anderen bedeutenderen Sonderlesarten, sondern hat auch die erst von jenem ausdrücklich eingesetzten Fragmente nach 57, 99 und 128, sowie die erst von jenem im Kommentar gemachte Korrektur perduint 1. Auch Pylades führt uns also nicht an Pio vorbei zu Älterem. Die gleichwohl erheblichen Abweichungen gegenüber Pio gehen alle auf absichtliches Eingreifen des Pylades selbst zurück, wie aus seinem Kommentar deutlich wird. Nur selten kommt es ihm dabei aber allein auf die sprachliche Richtigkeit an, wie 23: „Pius hoc loco Incubât legit et commentatur contra grammaticae rationem: quae requirit: ut Incubet dicatur." (Da bei Pio statt ut arbitror ... nur steht ut corpore corpus incubât, ist Pylades scheinbar im Recht.) Entscheidender Beweggrund ist vielmehr für ihn, daß er korrekte Verse herstellen möchte. Dies sagt er ausdrücklich im Kommentar zum Ende des Supplements: „In superioris autem adiectionis expositione non visum est nobis opere pretium notare singula verba correcta: versusque singulos in suum nitorem redactos: brevitatis causa: hoc uno contenti verbo, quod ab ilio versu: Sacrufìco ego hunc tibi iuppiter (= 1034): ad hunc: vos inter vos isthaec partite (= 1035): non minus laboris absumpsimus in redigendis ad libellam metris: quam in ceteris antecedentibus & sequentibus. ita undique fragmentis: & superfluitatibus: ac defectibus scatebant." Zu diesem Zweck also streicht und ergänzt er bedenkenlos, stellt um und teilt vor allem die Zeilen ganz neu ab. Zum Beispiel heißt es bei Pio so ( 2 a - 7 ) :

15 Von den anderen Supplementen hat die Handschrift nichts. Nur zu Am. 824 setzt ebenfalls die zweite Hand auf dem Rand dazu: Amp. Qui testes? Ale. Testes. Am. Quid testicularis? enim uno sat ë. Nec nobis praesente aliquis nisi servus aphricanus adest: si in actione hanc absene nobis invenerit puer. Das geht wohl auch auf Pio zurück, der diesen stark verformten Passus aus Non. 76 M (mit leichten Varianten) im Kommentar hat, aber nicht im Text. Dieser Unsinn dringt nach Pius weitgehend in die Plautus-Editionen ein und wird noch lange mitgeschleppt.

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At ego certe cruce: & cruciatu mactabo: exi foras mastigia. Mer. Larua umbratilis me minis territas? ni hinc fugias Si denuo pultaveris: si minusculo digito fores increpuerint Hac tegula tuü diminua caput: ut cu dëtibus linguam excrees. Am. Tun furcifer meis me procul prohibessis aedibus? Tun meas pultare fores? Hasce illico toto demolliar cardine. Daraus macht Pylades: Ita ego te certo cruce & cruciatu mactabo, exi foras Mastigia. Me. Larva umbratilis tu me minis territas? Nisi hinc actutum fugias: si denuo pultaveris: Si minusculo digito increpuerint fores: hac tegula Tuum diminuam caput: ut cum dentibus linguam excrees. Am. Tun furcifer meis me procul prohibessis aedibus? Tun pultare fores? hasce illieo demolliar cardine. Das sind dieselben Freiheiten, die sich Pylades auch durchgehend gegenüber dem Plautus-Text nimmt. 1 6 Dabei hatte er notwendig eine eigenartige und falsche Vorstellung von den Versen der lateinischen Komödie wie auch von denen der Supplemente, die er freilich für echt hielt. Das Metrik-Kapitel hat dazu das Nähere gebracht. Ugoletus (1510) druckt das Amphitruo-Supplement ausschließlich nach Pylades, übernimmt also auch dessen Kolometrie; seine geringen Abweichungen stellen Eigenfehler dar. Für die Textgestaltung hat der Druck keinen Wert. Die namenlose Ausgabe Venedig 1511 greift dagegen auf Pio als einzige Quelle zurück, und dies so ohne alle Kritik, daß sogar die irrtümliche Verdoppelung von V. 17ff stehen geblieben ist. Auch die Verseinteilung ist die von Pio. Etwas mehr Aufmerksamkeit verdienen die zwei Ausgaben des Charpentarius, die einbändige von 1513 (Cha I) und die undatierte zweibändige (Cha II). Sie gehen beide auf Pio zurück, wie auch hier schon die Versteilung zeigt, und das doppelte Auftauchen von V. 17ff. Daneben sind aber, was selbst Ritsehl übersehen hat, hier erstmalig Lesarten aus V aufgenommen: 12 malum tibi {nam mihi) praeter amphitryonem (Cha I setzt nur nam hinzu; das noch viel notwendigere herum aus V nimmt Cha aber in keine Ausgabe hinein), 19 qua uxore (P qui uxore), 23 immo ut (arbitror), 24 lucrum est quod miseriç (Ρ lucri est quod miseriam), 30 amphitryo meus uno cubiculo almena (!) {uno) complexu tenet, 41 mansisse (Ρ mansitasse), denuo ... cognitos (P domo ... cognitas), 42 illud (P illue), 47 Nam (Ρ Cum), 49 vae {mihi), 55 anguem (Ρ anguis), 65 {Am.), 81 bile (Cha II V bile in Ρ bile), 91 Die dû (Cha II Ρ Dum), 95 tegulas (Ρ -a), 103 salutavi (Cha I P salutem), 105 miseras (V misseras Ρ mittis), 111 hue {mo), 115 miserum (P missum), 116 tx¿^d*n+rvu>

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