Räumliche Umwelt: Die Phänomenologie des räumlichen Verhaltens als Beitrag zu einer psychologischen Umwelttheorie 9783110830965, 9783110044065

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Räumliche Umwelt: Die Phänomenologie des räumlichen Verhaltens als Beitrag zu einer psychologischen Umwelttheorie
 9783110830965, 9783110044065

Table of contents :
Vorwort
Teil I: PROBLEMSTELLUNG
§ 1 Umweltbewußtheit und Umweltpsychologie
§ 2 Die Umweltvergessenheit der traditionellen Psychologie
§ 3 Die wissenschaftliche Konkretisierung der Umwelt
§ 4 Der konkrete Raum als Phänomen
Teil II: UMWELT UND RAUM IN DER PHÄNOMENOLOGISCHEN PSYCHOLOGIE UND ANTHROPOLOGIE
§ 5 Räumliches Paradigma
§ 6 Lebenswelt und gelebter Raum I: Vorbemerkungen zu Begriffen und Methode
§ 7 Lebenswelt und gelebter Raum II: Phänomenologische Konzeptionen (Heidegger, Minkowski, Dürckheim, Stern, Bollnow)
§ 8 Wohnen und Leiblichkeit
Teil III: DER GESTIMMTE RAUM
§ 9 Gestimmter Raum und Gestimmtheit: Klärung der Begriffe
§ 10 Stimmung und Gestimmtheit in der Sprache
§ 11 Beispiele gestimmter Räume und gestimmten Daseins
§ 12 Formale Charakterisierung des gestimmten Raumes
Teil IV: DER ORIENTIERTE RAUM
§ 13 Grundzüge des orientierten Raumes
Kapitel I Der Handlungsraum
§ 14 Aktueller und potentieller Handlungsraum
§ 15 Die „Dinge“ im Handlungsraum
§ 16 Richtungen und Wege im Handlungsraum
§ 17 Der Handlungsraum als sozialer Raum
Kapitel II Der Wahrnehmungsraum
§ 18 Tiefe und Horizontstruktur des Wahrnehmungsraumes
§ 19 Wahrnehmung und Bewegung
§ 20 Modalitäten des Wahrnehmungsraumes
Teil V: BESONDERE AUSPRÄGUNGEN GELEBTEN RAUMES
§ 21 Tag- und Nachtraum und verdämmernde Räume
§ 22 Das Einschlafen und das Aufwachen
§ 23 Die Räumlichkeit des Melancholischen
§ 24 Die Räumlichkeit des liebenden Miteinander
Schluß
§ 25 Zur phänomenologischen Grundlegung der Umwelttheorie
Literatur
Autorenregister
Sachregister

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LENELIS RÄUMLICHE

KRUSE UMWELT

PHÄNOMENOLOGISCH-PSYCHOLOGISCHE FORSCHUNGEN

Herausgegeben von

C. F. GRAUMANN und A. MÉTRAUX

Band 15

w DE

G 1974

WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK

LENELIS KRUSE

RÄUMLICHE UMWELT Die Phänomenologie des räumlichen Verhaltens als Beitrag zu einer psychologischen Umwelttheorie

W DE G 1974

WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK

ISBN 3 11 004406 4 Library of Congress Catalog Card Number: 73 - 88301

© Copyright 1974 by Walter de Gruyter & Co, Berlin, vormals G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit & Comp., 1 Berlin 30 Alle Redite vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianisdiem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Omnium-Drudt, Berlin Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin Printed in Germany

VORWORT Mit der Umweltpsychologie ist der Psychologie in der letzten Dekade ein neues Teilgebiet zugewachsen. Ähnlich wie bei der Entstehung der Sozialpsychologie zu Beginn des Jahrhunderts, der Psycholinguistik in dessen Mitte, handelt es sich nicht darum, daß ein neues Gebiet, daß neue Erlebnis- und Verhaltensweisen entdeckt worden wären. Daß der Mensch in einer Umwelt lebt und sich zu und in ihr verhält, ist ebenso wenig neu, wie daß er ein soziales und sprechendes Wesen ist. Lediglich die Bedeutung dieser Umweltlidikeit menschlicher Existenz wurde einer rasch wachsenden Gruppe von Psychologen zu einer Zeit klar, in der die Umwelt audi im öffentlichen Bewußtsein aufhörte, etwas Gegebenes und als selbstverständlich Hinzunehmendes zu sein. In dem Maße allerdings, wie diese — meist als „ökologische Krise" etikettierte — Umweltbewußtheit auf die Psychologie in Form von dringenden Fragen übergreift, wird audi deutlich, daß das traditionelle theoretische, begriffliche und methodische Rüstzeug der Psychologen vor eine echte Belastungsprobe gestellt wird. Denn „Umwelt" war für die bisherige Psychologie keine zentrale oder sonstwie wesentliche Kategorie. Sie stellte sich dem Vertreter der allgemeinen (experimentellen) Psychologie aufgelöst in physikalisch beschreibbare „Reize" dar, dem Vertreter der differentiellen Psychologie als das globale soziale Gegengewicht zur „Anlage". Im Gegensatz zu Ethologie und Ethnologie, für die das Lebewesen (Tier oder Mensch) in seinem natürlichen Habitat der eigentliche Gegenstand ihrer Forschung ist, konnte die Psychologie trotz vereinzelter Ansätze nicht zu einer ökologischen Fragestellung durchstoßen, die das menschliche Bewußtsein und Handeln in den Kontext seiner alltäglichen Umwelten, der Häuser, Straßen, Verkehrsmittel, Städte und Landschaften rückt. Erst die heutige Umweltpsychologie macht diesen Versuch, den Menschen „in situ" zum Gegenstand zu machen: den Menschen in seinen konkreten räumlichen Umwelten, allerdings — angesichts der „Weltlosigkeit" der traditionellen Psychologie — weitgehend theorielos und mit begrifflichen Anleihen in den verschiedenartigsten Wissenschaften. In dieser Lage, die sich nicht durch die Anhäufung empirischer Befunde verbessern läßt, versucht die vorliegende Arbeit, einen Beitrag zu einer psychologischen Umwelttheorie, und zwar von der Phänomenologie räumlichen Verhaltens her, zu leisten. Mehr als andere Forschungsrichtungen hat sich die Phänomenologie seit Husserls ersten Konstitutionsanalysen der zeitlichen und räumlichen Struktur menschlichen Bewußtseins und Verhaltens

VI

Vorwort

zugewandt in der Gewißheit, daß menschliche Existenz in dem Sinne räumlich ist, daß sie sich, wie Merleau-Ponty es formuliert hat, nach innerer Notwendigkeit einem „Außen" öffnet. In quasi drei Durchgängen charakterisiert Lenelis Kruse, unter ständigem Rückgriff auf phänomenologische Analysen, den Raum, wie er uns als gestimmter Raum anmutet, wie er sich als Handlungsraum aus unserem individuellen und sozialen Handeln nach Richtungen und Bereichen artikuliert und wie er sich als Wahrnehmungsraum in der Wahrnehmung des leiblichen Subjekts perspektivisch strukturiert. Die Mensch-Umwelt-Beziehung, heute erklärtes Rahmenthema der Umweltpsychologie, wird damit phänomenologisch präzisiert im Aufweis der Modalitäten räumlicher Intentionalität. Das in der empirischen Umweltpsychologie erkennbare Interesse an den kognitiven, emotionalen und Verhaltens-„Komponenten" der Mensch-Umwelt-Beziehung kann hier die theoretische Verankerung finden, die die umweltvergessene Bewußtseins- und Reiz-Reaktionstheorie der traditionellen empirischen Psychologie nicht bieten können. Ein erster begründender, wenngleich nur begründender Schritt in Richtung auf eine psychologische Theorie der Mensch-UmweltBeziehung ist damit getan. C. F. Graumann

Die vorliegende Arbeit wurde von der Wirtschafts- und Sozialwissensdiaftlidien Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen und erhielt den Akademischen Preis 1973 der Universität Heidelberg.

INHALT

Vorwort Teil I: § 1 § 2 § 3

§ 4 Teil II:

V PROBLEMSTELLUNG Umweltbewußtheit und Umweltpsychologie Die Umweltvergessenheit der traditionellen Psychologie . Die wissenschaftliche Konkretisierung der Umwelt . . . a Das Konzept des Lebensraumes bei Lewin . . . . b Umwelt in der ökologischen Psychologie c Umwelt in der Ethologie: Das Tier in seinem Habitat d Umwelt in der Ethnologie Der konkrete Raum als Phänomen UMWELT U N D RAUM I N DER P H Ä N O M E N O L O G I S C H E N PSYCHOLOGIE U N D A N T H R O P O L O G I E

§ 5 § 6

Räumliches Paradigma Lebenswelt und gelebter Raum I: Vorbemerkungen zu Begriffen und Methode § 7 Lebenswelt und gelebter Raum II: Phänomenologische Konzeptionen (Heidegger, Minkowski, Dürckheim, Stern, Bollnow) § 8 Wohnen und Leiblichkeit Teil I I I :

1 7 11 11 14 15 21 22

25 27

31 40

DER GESTIMMTE RAUM

§ 9

Gestimmter Raum und Gestimmtheit : Klärung der Begriffe § 10 Stimmung und Gestimmtheit in der Sprache § 11 Beispiele gestimmter Räume und gestimmten Daseins . . § 12 Formale Charakterisierung des gestimmten Raumes . . a Die „Dinge" im gestimmten Raum: Form, Farbe, Klang b Ort, Lage und Distanz im gestimmten Raum . . . . c Der gestimmte Raum als Bewegungsraum Teil IV: § 13

59 60 61 65 65 68 70

DER ORIENTIERTE RAUM Grundzüge des orientierten Raumes

Kapitel I Der Handlungsraum § 14 Aktueller und potentieller Handlungsraum

77 79 80

Inhalt

Vili § 15 § 16

Die „Dinge" im Handlungsraum Richtungen und Wege im Handlungsraum a Oben-unten: Die Dimension der Höhe b Links-rechts: Die Dimension der Breite c Vorn-hinten: Die Dimension der Tiefe § 17 Der Handlungsraum als sozialer Raum

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Kapitel II Der Wahrnehmungsraum § 18 Tiefe und Horizontstruktur des Wahrnehmungsraumes § 19 Wahrnehmung und Bewegung § 20 Modalitäten des Wahrnehmungsraumes Teil V: § § § §

21 22 23 24

.

109 114 119 123

BESONDERE AUSPRÄGUNGEN GELEBTEN RAUMES Tag- und Nachtraum und verdämmernde Räume . Das Einschlafen und das Aufwachen Die Räumlichkeit des Melancholischen Die Räumlichkeit des liebenden Miteinander

.

.

129 136 143 147

Zur phänomenologischen Grundlegung der Umwelttheorie

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Schluß § 25 Literatur

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Autorenregister

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Sachregister

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TEIL I: P R O B L E M S T E L L U N G

§ 1 Umweltbewußtheit und Umweltpsychologie Seit einigen Jahren ist das Thema „Umwelt" in aller Munde. „Umweltverschmutzung und -Zerstörung", „Qualität des Lebens und der Umwelt" sind Sdilagworte, die fast täglich Gegenstand von Zeitungsberichten, von Rundfunk- und Fernsehsendungen, von wissenschaftlichen und journalistischen Gesprächsrunden sind. In Rathäusern und Parlamenten werden Vorlagen zur Umwelt eingebracht und Umweltgesetze verabschiedet. Die Umwelt ist Thema überregionaler, nationaler und internationaler Verhandlungen, das Jahr 1970 wurde in den USA zum Um weit jähr erklärt, und im Sommer des Jahres 1972 versammelten sidi Vertreter aller Länder der Welt zu einer von der U N O veranstalteten Umweltkonferenz in Stockholm. Die Fülle der politischen Dokumentationen und Manifeste, der populären und wissenschaftlichen Abhandlungen zum Thema Umwelt, die den Büchermarkt überschwemmen, ist kaum mehr zu überblicken. Man braucht nicht einmal ein Prophet zu sein, um bereits jetzt sagen zu können: „The next fifty years may come to be known as the age of the physical environment" (Craik 1970, 4). Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen und woher rührt dieses allgemeine Interesse an der Umwelt? Der große technologische Fortschritt bescherte der Menschheit nidit nur einen höheren Lebensstandard, sondern auch eine neue „soziale Krankheit" (Frank 1966), indem er zur Gefährdung und Zerstörung der bewohnbaren Erde beigetragen hat, zur Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung, zur Vergiftung und Ausrottung vieler Tier- und Pflanzenarten und nicht zuletzt zur Zerstörung und Krankheit vieler menschlicher Individuen (etwa durch Verkehrsunfälle und Drogen) oder Gruppen (etwa durch den Gebrauch von Atom- und biologisch-chemischen Waffen) führte. Der rasche Zuwachs der Bevölkerung, der zur Überbevölkerung mancher Gebiete, zur Konzentration vieler Menschen in wenigen großen Ballungszentren, den Metropolen und Megalopolen und schließlich den ökomenolpolen führte, ist heute Gegenstand, sei es düsterer Prognosen und Weltuntergangsvisionen (vgl. Meadows et al. 1972), sei es hoffnungsfroher— auf die Vernunft des Menschen bauende — Vorhersagen (vgl. Maddox 1973). Die Eroberung der Umwelt durch den Menschen ist in ein Stadium getreten, indem sidi das Verhältnis Mensch—Umwelt „umzukehren" scheint: 1 Kruse, Umwelt

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Problemstellung

Der Mensch wird zum Opfer seiner Eroberungen und Produkte, die Umwelt ist außer Kontrolle geraten, der „Haushalt der Natur" ist gestört. Diese Entwicklung ist heute als „ökologische Krise"1 für alle Menschen erfahrbar und hat in den letzten Jahren immer stärker das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Im Bereich der Wissenschaft gibt es gegenwärtig kaum eine Disziplin, die heute nicht ihre „Umweltperspektive" entwickelt hätte, aus der heraus die verschiedenen Einflüsse des Menschen auf seine Umwelt und die daraus folgenden Rückwirkungen analysiert werden. Unter anderem sind es Geographie, Biologie, Anthropologie, Soziologie, Psychologie, Ökonomie und Politologie sowie die Design-Wissensdiaften der Architektur, Stadtund Regionalplanung, die sich als „Umweltwissenschaften" (environmental sciences) verstehen und ihre Aufgabe darin sehen, die „man-ordered and man-defined environment" (Proshansky et al. 1970) zu untersuchen, bzw. „to analyze systematically the character of the total contemporary physical environment, including its natural and man-influenced, professionally designed and haphazardly formed manifestations" (Craik 1970, 5). Doch öffentliche Aufmerksamkeit und wissenschaftliches Forschungsinteresse allein können die Umweltkrise nicht überwinden. Daß der Mensch in seinem Haushalt nicht nur positiv wirkt, war auch schon vor der eigentlichen Inthronisation der Ökologie (und ihrer Vorbereitung durch Darwin) beachtet und bekannt gemacht worden ist (vgl. z.B. die wichtige Arbeit von Marsh 1864; s.a. 1965); doch jetzt stehen akute soziale und wirtschaftliche Probleme zur Lösung an, die konkrete politische Entscheidungen, Aktionen und Reformen verlangen. Hier aber liegen die Schwierigkeiten: Erstens ist die Ökologie „die undisziplinierteste aller Wissenschaften" (Thomas 1970, 945), die nodi einen weiten Weg zu gehen hat, bis sie von gegenwärtig nur eklektischen Ansätzen zu eigenen Konzeptionen gelangt und ihre Ergebnisse so zu integrieren und zu vermitteln versteht, daß sie als Grundlagen für gesellschaftliche und politische Veränderungen brauchbar sind. Zweitens scheint zwischen erhöhter „Umweltbewußtheit" und konkreten Taten zur Wiederherstellung der Umweltqualität eine Diskrepanz zu herrschen, die nicht nur für „linke" Gesellschaftskritiker und Kapitalismusgegner „selbstverständlich" sein dürfte, sondern auch den Psychologen interessieren muß, der nicht nur das Verhalten des Menschen in seiner Umwelt untersuchen, sondern auch das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt beeinflussen will. Wohl hat die Ökologie als „subversive Wissenschaft" (Sears 1964; vgl. auch Shepard u. McKinley 1969) bewirkt, daß in den 1

Ökologie sei hier verstanden in ihrer ursprünglichen, auf Haeckel (1870) zurückgehenden allgemeinen Bedeutung als Lehre von der Ökonomie, vom Haushalt der Lebewesen, d. h. als Lehre von den Beziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer (physikalischen) Umwelt.

Umweltbewußtheit und Umweltpsychologie

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USA das Jahr 1970 zum „Conservation Year" wurde mit einem „Earth Day", „Survival Day" und „Environmental Teach-ins" (vgl. Sewell u. Foster 1971), daß eine „Eco-Commando Force 7 0 " entstand, die für „Sabotage im Namen der Ökologie" einen Goldenen Fudis als „ecotage"-Preis aussetzte (Time, 31. Jan. 1972, 37), doch besitzt der Mensch offenbar, wie Dubos (1969) es formulierte, eine ungeheure Fähigkeit, Unerträgliches zu ertragen, Unakzeptables zu akzeptieren (s.a. Dubos 1965 u.Kaplan 1972). Die Kluft zwischen Umweltidealismus und konkreten Maßnahmen, zwischen individuellen und kollektiven Wünschen nach „environmental quality" und der nötigen Opferbereitschaft scheint groß: „the concern generated by the environmental crisis has heightened our perception of various components of the milieu and their interrelatedness, but has not substantially altered our actions . . . We are not yet able to accept the major changes in habit and organization that the environmental crisis demands" — schlußfolgern Sewell und Foster (1971, 131) resignierend und malen drohend das Bild einer neuen Gesellschaft an die Wand, die zum Wohl der Umwelt und ihrer Bewohner autoritär und diktatorisch die Rechte und Pflichten der einzelnen beschneiden muß — es sei denn, die Menschheit käme von selbst zur Vernunft, bevor die Grenze des Erträglichen überschritten ist. Und so erweist sich bereits hier die Umwelt nicht nur als ein physikalisches, sondern auch als psychologisches Problem (vgl. dazu audi Swan 1971). Bezeichnend aber ist, daß diese Beziehungen zwischen Ethos, Oikos und Ethik (ebenso wie die zwischen Ökologie und Ökonomie) bisher nur selten in der wissenschaftlichen Literatur behandelt wurden (vgl. jedoch Shepard und McKinley 1969, Teil 5) oder gar Gegenstand empirischer Untersuchungen sind. Vorerst sind die Probleme einer „Psychologie der Umwelt" anderer Art. Das allgemeine wissenschaftliche Interesse an der Umwelt hat auch die Psychologie auf den Plan gerufen, die sich in den letzten Jahren immer häufiger mit Problemen der Umwelt befaßt hat. Als „environmental psychology" hat sie sich seit Ende der sechziger Jahre als eine „Disziplin" der „environmental sciences" etabliert, dokumentiert durch die Gründung einer neuen Zeitschrift „Environment and Behavior", die 1969 im ersten Jahrgang erschien, und durch zwei wichtige Arbeiten, die den Titel „environmental psychology" tragen: einen Sammelband von Proshansky, Ittelson und Rivlin (1970) und ein umfangreiches Sammelreferat von Craik (1970). Nach einer Definition dieser neuen Disziplin sucht man bisher vergeblich : Proshansky et al. führen vier Merkmale an, die für die „environmental sciences" ganz allgemein charakteristisch sind: „They deal with the manordered and -defined environment, they grow out of pressing social problems; they are multidisciplinary in nature; and they include the study of man as an integral part of every problem" (S. 5). Die Rolle der Psychologie wird sehr allgemein verstanden als „study of human behavior in relation ι*

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Problemstellung

to the man-ordered and -defined environment" (ebda.). Da es dieser neuen Disziplin noch weitgehend an eigenen Konzepten und Konzeptionen mangelt, ziehen es die Autoren vor, sie erst einmal „operational" zu definieren: „environmental psychology is what the environmental psychologists do" (ebda.), und dementsprechend legen sie auch in ihrem Reader eine Auswahl von theoretischen, empirischen und essayistischen Analysen und methodischen Ansätzen unterschiedlichster Provenienz und Qualität vor, die wohl „für jeden etwas" bringen — Sommer (1972) spricht vom „appetizer tray" —, aber sicherlich nicht zur kognitiven Ordnung möglicher Ansätze einer Umweltpsychologie beitragen. Auch bei Wohlwill, der 1970 „the emerging discipline of environmental psychology" im American Psychologist vorstellt, fehlt eine Definition dieser neuen Disziplin, und auch Craik (1970) verzichtet ganz auf eine erste Bestimmung von „environmental psychology". Noch skeptisch gegenüber dem möglichen Nutzen der akademischen Psychologie überhaupt für die Lösung der anstehenden Umweltprobleme zieht auch Craik es vor, verschiedene Ansätze darzustellen, wobei der methodische Bias eher zur Strukturierung beiträgt, als daß er dieses Sammelreferat einseitig erscheinen ließe. Die Einseitigkeiten und Mängel dieser Arbeiten, die hier als wohl bekannteste herausgegriffen wurden, aber noch beliebig ergänzt werden könnten, liegen auf einem anderen Gebiet: Die fehlenden Definitionen von „environmental psychology" sind nur ein erstes Indiz dafür, daß es in dieser Disziplin noch keine adäquaten theoretischen Konzepte, eine erste theoretische Struktur oder auch nur explizite Grundannahmen gibt. Auf diesen Mangel wird zwar immer wieder hingewiesen (vgl. z.B. Esser 1971; Detwyler 1971; Proshansky et al. 1970; Sommer 1972; Wohlwill 1970) und dieser wird entweder mit dem Embryonalstadium dieses Forschungsgebietes oder seinem interdisziplinären Charakter begründet und entschuldigt (s. Proshansky et al., 7 ff.). Was aber wird unternommen, um diesem Mangel abzuhelfen? Eine Antwort auf diese Frage enthält fast nur negative Bestimmungen: 1. Es gibt kaum theoretische Analysen im Bereich der neu entstandenen „environmental psychology"! Die wenigen, die vorliegen, stammen meist nicht von Psychologen, sondern vorwiegend aus dem Bereich der „environmental design"-Wissenschaften, von Architekten, Stadt- und Regionalplanern oder Psychologen, die bereits in diesen Gebieten tätig sind (vgl. Alexander 1964; Carr 1970; Dieges 1966; Kates 1966; Lynch und Rodwin 1970; Parr 1963; 1970; Stea 1970; Studer 1970; Studer u. Stea 1966; u. a.) oder aus dem Bereich der „architectural psychology", die sich sozusagen als „Verhaltens-Perspektive" in den Design-Wissenschaften seit Beginn der sechziger Jahre rasch entwickelt hat (vgl. Bailey et al. 1961; Warriner 1966; Taylor et al. 1967; Canter 1970; Honikman 1971). Dabei stehen solche theoretischen Ansätze im Vordergrund,

Umweltbewußtheit und Umweltpsydiologie

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bei denen eine Analyse der Mensch-Umwelt-Beziehungen in systemtheoretischen Termini versucht wird (vgl. ζ. B. Studer 1970). 2. Andere „theoretische Bemühungen" gehen dahin, daß man Konzepte und theoretische Modelle aus anderen Wissenschaften übernimmt und sie mehr oder — meistens — weniger reflektiert und kritisch auf das Verhalten des Mensdien in seiner Umwelt überträgt. Dabei sind es insbesondere Konzepte aus der Ethologie, derer man sich beliebig bedient, so daß Befunde, die unter dem Titel „environmental psychology" angeboten werden, ebenso gut auch in der Humanbiologie Platz hätten. Es sei an dieser Stelle auf Beispiele verziditet, da wir dieses Thema nodi ausführlicher diskutieren werden (vgl. § 3 c). 3. Ein weiterer Ausweg aus dem Dilemma fehlender Theorien scheint der zu sein, daß man sich aller theoretischen Reflexionen enthält und einfach drauflos experimentiert. Es kommt dann zu jenen Experimenten, deren Parzellierung, Labilisierung und Reduzierung Holzkamp (1970; u. a.) immer wieder kritisiert hat. Experimente dieser Art gibt es in großer Zahl, vor allem im Bereidi der „Mikro-Ökologie", die z. B. Sitzplatzwahl und Distanzverhalten von Versuchspersonen unter verschiedenen Bedingungen untersucht. So interessant manche der Befunde auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, praktische Relevanz können sie erst in einem größeren theoretischen Zusammenhang gewinnen. D a ß eine solche Theorie notwendigerweise interdisziplinäre Konzepte enthalten muß, macht ihre Schwierigkeit aus, sollte aber kein Hinderungsgrund sein, in dieser Richtung zu arbeiten. 4. Aber noch nachteiliger als „our fragmented piecemeal study of the problem" (Detwyler 1971, 2) und die allgemeine Theorielosigkeit der Umweltpsychologie scheint mir zu sein, daß die Umwelt, um die es sidi in dieser Umweltpsychologie handeln soll, als „physikalische" apostrophiert wird. So lautet der Untertitel zu Proshanskys et al. „Environmental psychology" — „man and his physical setting". Für Craik ist es „the everyday physical environment", „natural" oder „man-influenced", als „geographic", „urban" und „indoor environment", bzw. „human behavior as it relates to, for example, rock formations, downtown streets, and corners of r o o m s . . . " (1970, 13), was den Gegenstand der Umweltpsychologie ausmacht. Solche Bestimmungen erwecken den Anschein, als handele es sidi bei dieser Umwelt nur um die subjektunabhängige Welt, die sidi schließlich dodi auf „physikalische" Reize, Reizkomplexe oder -konfigurationen reduzieren lasse. Wenn es allerdings darum geht, solche „physical settings" näher zu beschreiben, werden so viele Vorbehalte und Zusatznannahmen eingeführt, daß am Ende nur ein sehr komplexer und gleichzeitig unbestimmter Umweltbegriff übrigbleibt. Ein Beispiel: In einer theoretischen Analyse der Beziehungen zwischen physikalischer Umwelt und Verhalten (Proshansky, Ittel-

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Problemstellung

son und Rivlin 1970, 27 if.) wird die Existenz eines „physical environment" gleichsam wieder aufgehoben: „To speak of man's behavior in relation to the physical environment . . . implies that a dichotomy can be made between the person on the one hand and the environment on the other. Theoretically, however, sudi a distinction is untenable. There is only the total environment, of which man is simply one kind of component in relationships with other kinds of components. Indeed it can be asserted, again from a theoretical point of view, that man does not exist except in his relationships to all the other components of a given environmental situation . . . To use the term .physical environment' as we have been using it implies that there are other kinds of environments. And so there are. Again, for purposes of analysis and research, it is possible to extract from the total environment a social, physical or even personal or psychological environment. Yet there are not separate environments but different ways of analyzing the same situation. And even for purposes of analysis, the physical environment, perhaps more than any other kind, does not exist except in relation to the total environment" (33 f., eigene Hervorhebg.). So umfaßt denn audi das „physical setting" einer psydiiatrisdien Station •— ein Untersuchungsgegenstand der Autoren — nidit nur den „physikalischen Raum, sein Design und die unbelebten Objekte", sondern audi „andere Menschen, ihr Verhalten und den sozialen Kontext, der den Raum in bestimmter Weise definiert etc. Betrachtet man solche „theoretischen" Ausführungen — dieses Beispiel ließe sich durch weitere ergänzen —, bleibt eigentlich nur zu fragen, was die Rede vom „physical setting" soll. Es wird hier ein Programm vorgegeben, das in der wissenschaftlichen Praxis nicht einzulösen ist. Man fühlt sich an J. B. Watson erinnert, der unter Verhalten audi das Schreiben eines Buches, den Flirt mit einer Frau, Tennispielen, Hochhäuser bauen und Pläne schmieden versteht, tatsächlich aber nur Muskelbewegungen und Drüsenreaktionen meint. Als Fazit bleibt: Alle reden von Umwelt und so auch die Psychologie. Die „Umweltpsychologie" ist der wissenschaftliche Ausdruck der allgemeinen Umweltbewußtheit unserer Zeit. Aber so sehr sie sich ihrer Aktualität und Relevanz in der gegenwärtigen (Umwelt-)Krisensituation bewußt ist, so wenig ist sie sich ihres Gegenstandes als eines Themas psychologischer Forschung bewußt. Die Umweltpsydiologie hat bisher noch kein eigenes Umweltkonzept entwickelt. Sie arbeitet a-theoretisch bzw. „nur" empirisch oder bedient sich relativ unkritisch theoretischer Konzepte aus anderen Wissenschaften. Fragen wir daher weiter: Hätte denn die traditionelle Psychologie Umweltkonzepte anzubieten, die für eine Theorie der Umwelt fruchtbar zu machen wären?

Die Umweltvergessenheit der traditionellen Psychologie

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§ 2 Die Umweltvergessenheit der traditionellen Psychologie Betrachtet man die Psychologie seit ihrer Begründung als empirische Wissenschaft und untersucht sie auf ihre „Umweltrepräsentanz", muß man feststellen, daß sie sich durch eine allgemeine „Umweltvergessenheit" auszeichnet. Die Bewußtseinspsychologie befaßte sich mit „Bewußtseinstatsachen", Vorstellungen, Empfindungen, Gefühlen und Willensvorgängen. Die äußere Welt als konkrete Umwelt des Menschen tritt hier nicht in Erscheinung, es sei denn, gleichsam internalisiert. Sie „äußert" sich nur in den introspektiv zu erfassenden Erlebnissen der Versuchsperson. Nicht Verhalten in der Umwelt ist das Thema der frühen experimentellen Psychologie, sondern Bewußtseinsvorgänge oder der Erlebnisstrom als person immanente Gegebenheiten. Aber auch im Behaviorismus bleibt die Umwelt eine vernachlässigte Dimension. Wohl ist jetzt der Untersuchungsgegenstand das Verhalten, aber im Sinne von „behavior" als Reiz-Reaktions-Verbindung. Vom aktiven Handeln des Menschen in seiner Umwelt, das Watson ζ. Β. als Bücher schreiben oder Wolkenkratzerbauen sehr wohl als Verhalten verstanden wissen wollte (vgl. 1968, 39), bleibt schließlich nur ein sehr verarmter Verhaltensbegriff übrig: beobachtbare und meßbare Anpassungsreaktionen im Sinne von Bewegungen oder innersekretorischen Reaktionen des Organismus auf kontrollierbare und manipulierbare physikalische oder physiologische Reize. Dabei handelt es sich bei den Reizen und Reaktionen um relativ kleine analytische Einheiten, so daß weder solche „Objekte der allgemeinen Umwelt" wie eine schöne Frau oder ein leeres Grundstück als Reize verstanden werden können, noch ein Flirt oder der Bau eines Hauses als Reaktion. Die Reflexologie eines Pawlow und Bechterew, der „Muskelzuckismus" (Tolman) eines Watson haben für konkrete Lebenssituationen keinen Platz (vgl. dazu v. a. Brunswiks (1952) graphische Zusammenstellung der grundlegenden Untersuchungseinheiten in verschiedenen psychologischen Schulen und Theorien). Die Umwelt dieser psychologischen Forschungsrichtungen ist die des Labors, das untersuchte Verhalten wird vom Versuchsleiter im vorhinein festgelegt. Er manipuliert und kontrolliert den Input, die Reize, und registriert den Output, die Reaktionen, deren Spielraum meist durch vorgegebene Reaktionskategorien eingeschränkt wird. Abweichende Reaktionen werden als „Fehler" aus der weiteren Analyse ausgeschieden. Im Laboratorium wird Verhalten künstlich produziert; der Experimentator fungiert als „operator", der aktiv das Geschehen beeinflußt, im Vergleich zum „transducer", der die beobachteten „Phänomene" lediglich in „Daten" transformiert, um sie für eine weitere Bearbeitung verfügbar zu machen (vgl. Barker 1965; 1968). Das produzierte und neutralisierte Verhalten in einer

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Problemstellung

Laborsituation, in der Umwelt nur als Reizgegebenheit auftaucht, hat nur nodi wenig Ähnlichkeit mit „natürlichem" Verhalten in einer konkreten Umwelt (vgl. dazu auch die kritische Darstellung von Willems 1969). Die Untersuchung von Erlebnissen und Reiz-Reaktionsverbindungen im Labor lassen „Objekte der allgemeinen Umwelt" nicht in den Blick kommen. Wie aber steht es mit dem Aspekt der „Darstellung" oder „Leistung", den Bühler (1927) als dritten Gegenstand psychologischer Forschung einbezogen wissen will? „Zum Ausgangsgegenstand der Psychologie gehören also die Erlebnisse, das sinnvolle Benehmen der Lebewesen und ihre Korrelationen mit den Gebilden des objektiven Geistes" (Bühler 1965, 29). Diese von Menschen geschaffenen Gebilde, seien es Bauwerke, Kunstgegenstände, Sprachen oder soziale Institutionen, sind Ergebnisse menschlicher Tätigkeit, Objektivierungen menschlichen Geistes. Verhalten, das zur Herstellung von Gegenständen führt, wird jedoch bei Bühler hauptsächlich unter dem Aspekt gesehen, daß sich hier die Persönlichkeit des Menschen in seinen Werken verewigt und die Werke auf den Menschen zurückverweisen. Daß diese Werke aber mehr oder minder absichtlich für andere Menschen entstehen, um ein bestimmtes Verhalten zu beeinflussen oder hervorzurufen, bleibt weitgehend unberücksichtigt. Der Schaffensprozeß des Mensdien, als Funktionslust, reine Schaffensfreude oder auch aufopfernde Hingabe, und die daraus resultierenden „geistigen" Gebilde sind nur Teilaspekte dessen, was eine Psychologie, die an der „natürlichen" Umwelt und den sie erfüllenden Dingen interessiert ist, zu berücksichtigen hatte. In einer Psychologie, die, weil sie sich als Naturwissenschaft verstand, das Experiment zur Methode ihrer Wahl erklärte, konnte die reale Umwelt nicht zum Gegenstand der Forschung werden. Sie ließ sich nicht ins Labor bringen, manipulieren und kontrollieren. Infolge dieser methodischen Einengung mußte die Umwelt eine „hidden dimension" bleiben, und so ist von dieser psychologischen Forschungstradition audi kein Umweltkonzept zu erwarten. Wie aber steht es mit jenen psychologischen Disziplinen, die sich nicht darauf beschränken können, ihren Gegenstand experimentell zu untersuchen, sondern auf Beobachtungen in konkreten Lebenssituationen angewiesen sind? Müßte man nicht von einer Entwicklungs-, Sozial- oder pädagogischen Psychologie, aber audi von der klinischen und Arbeitspsychologie einen Beitrag zum Thema Umwelt erwarten können? Schließlich befassen sich dodi alle diese Forschungsrichtungen mit dem oder den Mensdien in der Umwelt. In der Entwicklungs- und -pädagogischen Psychologie wird das Individuum auch als Produkt der Interaktion zwischen Anlage und Umwelt studiert. Doch ist „Umwelt" hier eine Sammelkategorie für die Fülle derjenigen Einflüsse, die nicht genetisch bedingt sind. Auch da, wo die Betonung auf der Umweltdeterminiertheit des Verhaltens liegt und die perfekte

Die Umweltvergessenheit der traditionellen Psychologie

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Kontrolle der Umwelt als höchstes Ziel angesehen wird, — so bereits bei Watson (vgl. 1968) und heute wieder neu und nodi dogmatischer bei Skinner (z.B. 1971): „the autonomous agent is replaced by the environment..." (184) und „that the functions of autonomous man be taken over one by one as the role of the environment is better understood" (58) — bleibt das Konzept der Umwelt relativ unreflektiert oder abstrakt (zur Kritik an Skinners Umweltideologie vgl. u.a. Chomsky 1972). Als Umwelt gelten alle extraorganismisdien Bedingungen wie Elternhaus, Kindergarten, Schule und Berufsumwelt, bzw. das Erziehungs- oder Arbeits-„Milieu". Dabei sind es zumeist die sozialen und interpersonalen Bedingungen, z. B. Familienbeziehungen, Freundschaften, Lehrer-Schüler-Verhältnisse oder audi so globale Umweltkategorien wie Stadt-Land, die zum Gegenstand der Forschung werden. Vernachlässigt aber wurden die konkreten Umweltbedingungen, unter denen Menschen aufwachsen, ihr Lebensraum und ihre Sadiumwelt: das Wohnhaus mit seinem Kinderzimmer, der Laufstall und das Spielzeug, der Familieneßtisdi und der Arbeitstisch, die Spielplätze, Straßenecken und Hinterhöfe, die „Spielhöllen" und Fußballplätze, die Cafés und Stammtische, aber auch der ländliche Bauernhof oder die Hochhauswohnung. Selbst da, wo die Einflüsse unterschiedlicher Umwelten auf die Entwicklung und Persönlichkeit eines Individuums zum eigentlichen Thema werden, in der Sozialisationsforschung, blieb die konkrete Umwelt lange Zeit eine kaum erwähnte, aber noch weniger untersuchte Variable (s. Heckhausen 1972). Erst in jüngster Zeit — zumeist im Anschluß an die von Barker und seinen Mitarbeitern entwickelten Konzepte der ökologischen Psychologie (s. u.) — läßt sich eine stärkere Beachtung räumlich-dinglicher Umweltwariablen beobachten (vgl. etwa die Untersuchungen von Wendt (1965) und Wendt et al. (1971) zur „kindlichen Ökologie" qua Laufstall und Strampeldecke, vor allem aber die von Barker u. Gump 1964 angeführten und oftmals wiederholten und kritisierten Untersuchungen zum Einfluß der Schulgröße, z.B. Baird 1969; Wicker 1968; 1969; Willems 1967). Doch auch hier wird häufig, selbst unter dem Titel „ökologische Umwelt", den sozialen Faktoren von vornherein das entscheidende Gewicht zugewiesen (vgl. etwa Trudewind 1971). Die konkrete Umwelt bleibt vorläufig nur eine partielle Randbedingung, so daß Ansätze zu einer übergreifenden Umwelttheorie noch nicht zu erwarten sind. Desgleichen blieb auch in der klinischen Psychologie die Umwelt als „pathogener Faktor" ein globales Konzept, das ähnlich wie in der Entwicklungs-, pädagogischen und Sozialpsychologie meist nur die interpersonalen Beziehungen oder die „sozialen Verhältnisse" thematisierte. Lediglich der Faktor „Bevölkerungsdichte" und seine Beziehung zu Delinquenz, Kriminalität und psychischen Erkrankungen war hier schon relativ früh Gegenstand empirischer Forschung (vgl. z.B. Schmitt 1957; 1963; 1966; Wechsler

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Problemstellung

1961). Erst mit der sozialpsychiatrischen Orientierung und dem Interesse an der — verbalen und non-verbalen — Kommunikation und ihren Bedingungen wurde die konkrete häusliche und klinische Umwelt zum Gegenstand vieler Untersuchungen, und audi für die moderne „Umweltpsychologie" ist das Krankenhaus eine der meist untersuchten Umwelten (vgl. ζ. B. Esser et al. 1970; Good et al. 1965; Ittelson et al. 1970; Sommer 1967 a; Srivastava u. Good 1968). Betrachten wir als letzte psychologische Disziplin noch die Arbeitspsychologie. Gerade sie beschäftigte sich ausdrücklich mit der Beziehung des Menschen zu seiner Arbeitsumwelt, zu Arbeitsplatz, Werkzeug, Geräten und Maschinen. Psychotechnik, „ergonomics", „human engineering" und „human factors research" können mit einer gewissen Berechtigung als Vorläufer einer „environmental psychology" gelten, weil hier tatsächlich die konkrete Umwelt zum Gegenstand der Forschung wird. Wenn aber auch aus dieser Richtung keine brauchbaren Konzepte zu erwarten sind, hat das folgende Gründe: Das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, wie es in der Psychotechnik, vor allem im Taylorismus untersucht wurde, war sehr einseitig und partikularistisch konzipiert. Mit dem Ziel, die Arbeitsleistung des Menschen zu optimieren, war man bestrebt, das Design und die Anordnung der Arbeitsgeräte und Maschinen bestmöglich an die Menschen anzupassen. So war diese „Umweltforschung" beschränkt auf die Untersuchung von Mensch-Maschine-Systemen und der Einflüsse bestimmter Umweltvariablen wie Temperatur,, Ventilation, Licht oder Lärm auf Arbeitseffizienz und Zufriedenheit. Meist handelte es sich um einfache Korrelationsstudien, in denen eine dieser Variablen manipuliert wurde und als abhängige Variablen etwa Leistungsmenge, Ermüdung oder Zufriedenheit gemessen wurde. Die arbeitspsychologische Umweltperspektive, so wie sie sidi in der frühen Arbeitspsychologie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts zeigt, sieht den Menschen als homo oeconomicus in einer auf einzelne Variablen reduzierten Umwelt. Die einseitige Ausrichtung auf Leistungssteigerung resultierte in einer relativ kontextlosen Forschung, in der nur „first stage criteria" (Langdon 1966) in eindimensionalen Designs erfaßt wurden, nicht aber die Komplexität der Arbeitsumwelt zum Thema wurde. Die Entwicklung der modernen Arbeitsforschung (human engineering, ergonomics etc.) brachte eine Hinwendung zu multivariaten Forschungen, eine Erweiterung des Bereichs der Umweltvariablen (z. B. Farben, Formen, Textur, räumliche Ausdehnung und räumliches Arrangement bis hin zur „Umweltqualität") und der Verhaltensvariablen (z.B. exploratives Verhalten, soziale Interaktion, interpersonale Wahrnehmungen). Wenn man auch heute nur noch selten die „Auswirkungen verschiedener Sitzprofile auf das Sitzverhalten von Büroangestellten" untersucht (Burandt u. Grandjean 1969), so sind audi multivariate Designs, wie sie in den letzten Jahren vor allem in England bei Untersuchungen von „office environments" Anwen-

Die wissenschaftliche Konkretisierung der Umwelt

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dung finden (vgl. Langdon 1966; Langdon u. Keighley 1964; Manning 1965; Wells 1965; 1967; 1970) noch kein entscheidender Beitrag zu einer (Arbeits-)Umwelttheorie. Es läßt sich also feststellen, daß weder eine Reiz-Reaktionspsychologie, die „weltvergessen" im Labor forschte, noch eine Psychologie, die Umwelt im weiten Sinne als Komplementär- bzw. Gegenpol zur Anlage verstand, oder — wie die Arbeitspsychologie — Umwelt nur parzelliert und kontextlos untersuchte, geeignet ist, die Entwicklung einer Psychologie zu fördern, die das Verhalten des Menschen in seiner konkreten Umwelt zu ihrem Thema erklärt. Wo aber sind adäquate Konzepte zu finden bzw. wie muß man vorgehen, wenn man die Umwelt des Menschen möglichst umfassend als Verhaltens- und Erlebnisumwelt in ihrer räumlichen und materialen Beschaffenheit erfassen und „auf den Begriff" bringen will?

§ 3 D i e wissenschaftliche K o n k r e t i s i e r u n g d e r U m w e l t Ansätze zu einer Revision der traditionellen Psychologie sind am ehesten bei phänomenologisch orientierten Forschern zu finden, die es sich zur Aufgabe machen, das Lebewesen in seiner natürlichen Umgebung aufzusuchen und zu beobachten, Verhalten also nicht „in vitro", sondern „in vivo" bzw. „in situ" studieren (vgl. Willems u. Raush 1969). Hier sind vor allem die in der gestalt- und feldttheoretischen Tradition entstandene „ökologische Psychologie" Barkers und seiner Mitarbeiter zu nennen sowie die in Abhebung zur Tierpsychologie konzipierte Ethologie und die Ethnologie bzw. Kulturanthropologie, soweit sie sich als Verhaltensforschung versteht, ö k o logische und „naturalistische" Perspektiven „sehen" ihren Untersuchungsgegenstand nicht im Labor, im Käfig oder Labyrinth, sondern in seiner jeweiligen Lebenssituation: das Tier in freier Wildbahn, das Kind auf seinem Schulweg, in der Schulklasse und auf dem Spielplatz, den Erwachsenen an seinem Arbeitsplatz, beim Einkaufen, im Gespräch mit Freunden, beim Skat am Stammtisch. N u r in solchen „molaren" Umweltsituationen kann Umwelt in ihrer konkreten Beschaffenheit, in ihrer Eigenschaft als Erlebnis- und Verhaltensumwelt sichtbar werden. Einige dieser Umweltkonzepte seien im folgenden kurz charakterisiert. a Das Konzept

des Lebensraumes bei Lewin

Beginnen wir mit Lewins feldrheoretischem Ansatz (vgl. 1935; 1936; 1963) und untersuchen, inwieweit darin „konkrete" Umwelt erfaßt wird. Dabei geht es uns hier nur um die inhaltlichen Bestimmungen der wesentlichen Konzepte, nicht aber um ihre mathematische bzw. topologische Formalisierung.

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Problemstellung

Der -wesentlichste Beitrag Lewins zur theoretischen Psychologie liegt in seiner Betonung der Interdependenz von Person und Umwelt. Danach sind psychologische Prozesse nicht auf individuelle Merkmale, wie Triebe, Erbanlagen, Intelligenz, Bedürfnisse oder Gewohnheiten zurückzuführen, sondern nur unter Berücksichtigung von Person und Situation zu verstehen. Der wichtigste Begriff bei Lewin ist der des „Lebensraums" (life space, psychological field, total situation). Alles Verhalten, sei es als Handeln, Denken, Träumen, Hoffen, wird als Funktion des Lebensraumes aufgefaßt: V — f (Lr), wobei der Lebensraum als Produkt der Interaktion zwischen Person und Umwelt konzipiert ist: V — f (P, U). Er umfaßt die Gesamtheit der Faktoren, die das Verhalten eines Individuums zu einem gegebenen Zeitpunkt determinieren (1936, 216). Betrachtet man nun genauer, was mit „Umwelt" gemeint ist, zeigt sich, daß Lewin diesen Begriff unterschiedlich verwendet, und daß je nach seiner Verwendungsweise die Formel V = f (P, U) sinnlos wird, da es sich um eine Zirkeldefinition handelt (vgl. Deutsch 1968; Graumann 1972, 1111 f.). Lebensraum als Interaktion von Person und Umwelt zu bestimmen, ist nur dann sinnvoll, wenn die Umwelt als unabhängige Größe behandelt wird, also z.B. als objektiv bestimmbare, geographische Umwelt, bzw. als Reizsituation, der sich das Individuum als wahrnehmendes und handelndes zu einem bestimmten Zeitpunkt gegenübersieht. Lewin aber versteht unter Umwelt zumeist die psychologische Umwelt, so wie sie für das Individuum existiert. „So wie sie für das Individuum existiert", heißt aber, daß diese Umwelt nicht nur durch die objektiven Merkmale bestimmt wird, sondern vor allem durch die Eigenschaften bzw. Aktivitäten der Person. Die psychologische Umwelt ist also bereits ein Produkt der Interaktion zwischen Person und objektiver Umwelt, die Bestimmung des Lebensraumes enthält somit eine Zirkeldefinition. Wo Lewin unklar und inkonsistent bleibt, ist Koffka, auf den Lewin sich bezieht, mit seiner Unterscheidung zwischen „geographical" und „behavioural environment" viel eindeutiger. Die geographische Umwelt als personunabhängige Umgebung wird als Verhaltensumwelt erfahren und löst ein bestimmtes phänomenales Verhalten aus, das als reales Verhalten seinerseits auf die geographische Umwelt wirkt und in ihr stattfindet (vgl. Koffka 1935, 40 et passim). Interessanter als Lewins inadäquate Verwendung der Funktionsgleichung ist für uns die Frage, wie Lewin die objektive, personunabhängige, „physische" und „soziale" Umwelt versteht. Im Lebensraum ist sie nur mit erfaßt, sofern sie das Verhalten zu einer bestimmten Zeit beeinflußt. Daneben gibt es eine Vielzahl von Vorgängen in der physikalischen und sozialen Welt, welche zur Zeit den Lebensraum nicht beeinflussen. Als dritten Bereich konzipiert Lewin eine „Grenzzone" (foreign hull) des Lebensraumes, die solche Faktoren der physikalischen und sozialen Welt enthält, die den

Die wissenschaftliche Konkretisierung der Umwelt

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Zustand des Lebensraumes mitbestimmen, also niditpsydiologische Fakten, die niditpsychologischen Gesetzen, etwa der Physik, Soziologie oder Ökonomie gehorchen, aber das gegenwärtige Verhalten beeinflussen. Sie gehören als Grenzbedingungen zum Lebensraum, bilden seine in sich unabgeschlossene äußere Hülle, in die jederzeit niditpsydiologische Fakten der physischen und sozialen Welt eintreten und das Verhalten beeinflussen können. Herauszufinden, welche Teile dieser niditpsychologischen Umwelt die Grenzzone des Lebensraumes determinieren und determinieren werden, sieht Lewin als Aufgabe einer Disziplin an, die er „psychologische Ökologie" nennt (vgl. 1963, 101; sowie das Vorwort von Lohr, 31 ff.). Dieser verhaltensrelevante, nichtpsychologische Grenzbereich findet aber bei Lewin kaum Beachtung — weshalb Brunswik (1943; s. a. 1952) Lewin den Vorwurf der „Einkapselung" des Lebensraumes macht —, mit Ausnahme jener Untersuchung, in der die „psychologische Ökologie" explizit zum Thema wird (1943; s. 1963, Kap. VIII)*. Die spezifische Untersuchung über die Eßgewohnheiten amerikanisdier Familien und die darin entwickelte „Kanaltheorie", wonach der Strom der Nahrungsmittel und Ernährungsprozesse in sozialen und ökonomischen Kanälen durch „Pforten" und „Pförtner" gesteuert wird, ist in unserem Zusammenhang nicht interessant. Wichtig aber scheint mir zu sein, daß Lewin die vorrangige Bedeutung — d. h. vorrangig vor jeder Lebensraumanalyse — ökologischer Untersuchungen solcher „nichtpsychologischen Faktoren wie Klima, Verkehr, Gesetze des Landes oder der Organisationen" selbst gesehen hat: „der Psychologe untersucht .niditpsydiologische' Daten, um die Bedeutung dieser Daten f ü r die Grenzbedingungen des Lebens des Individuums oder der Gruppe kennenzulernen. Erst wenn diese Bedingungen bekannt sind, kann man beginnen, mit einer nun psychologischen Untersuchung jene Faktoren zu erforschen, welche die Handlungen der Gruppe oder des Individuums in Situationen bestimmen, die sidi als relevant erwiesen haben" (1963, 206). Umso erstaunlicher ist es, daß Lewin diesem Bereidi so wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, vor allem, wenn man seinen Anspruch kennt, mit seinen Konzepten „the relation of the concrete individual to the concrete situation" (1935, 41; eigene Hervorhebung) zu erfassen, diese konkrete Situation jedoch auf den unmittelbaren Lebensraum einschränkt.

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Interessant ist, daß Lewin bereits vor jeder Beschäftigung mit feldttheoretischen Umweltkonzeptionen die „konkrete", und das heißt auch „ökologische" Umwelt thematisiert hat, und zwar in seiner phänomenologischen Beschreibung der „Kriegslandschaft" (1917), auf die wir in einem anderen Zusammenhang noch zurückkommen werden (s. weiter unten S. 101 ff.).

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Problemstellung

Hier setzen denn auch einige Schüler Lewins, die Gruppe um Roger Barker, mit ihrer Kritik an und bestimmen die „ökologische Umwelt" zum eigentlichen Gegenstand der Forschung. b Umwelt in der ökologischen

Psychologie

„Scientific psychology knows nothing, and can know nothing, about the real-life settings in which people live in ghettos and suburbs, in large and small schools, in regions of poverty and affluence" (Barker 1969, 31). Diese Umwelt ist nicht auf den „Lebensraum" einzuschränken, wie er von einem bestimmten Individuum zu einem gegebenen Zeitpunkt erfahren wird, sondern betrifft auch die ökologische Umwelt, „the objective, preperceptual context of behavior; the real-life settings within which people behave" (1968, 1). Das Verhalten von Mensdien in ihrer ökologischen Umwelt zu studieren, ist die Aufgabe einer „eco-behavioral science". Eine solche Wissenschaft bedarf neuer Methoden und Konzepte; denn es geht um die Beobachtung konkreten Verhaltens in konkreten Umwelten, und diese ist nicht mit dem Methoden- und Begriffsinventar der experimentellen Psychologie zu leisten. Programm und Zielsetzungen dieser ökologischen Psychologie werden deutlich in Barkers Definition der Ökologie: „ecology is concerned with the naturally occuring environment of entities, i. e. with the environment as it occurs without the intervention of the investigator, and with the distribution over the earth of the entity and its environmental variables" (1960, 12).

Verhalten wird nicht in terminis von „behavior tesserae", d. h. vom Forscher ausgewählten und definierten Verhaltensfragmenten, untersucht, sondern als „behavior unit" oder „episodes", das sind unabhängig vom Beobachter auftretende, „self-generated", d. h. natürliche Verhaltenssegmente (vgl. Barker 1963; 1965; Wright 1967). Der Forscher fungiert nicht als „operator", sondern lediglich als „transducer", der die beobachteten Phänomene als Daten aufbereitet (s. o.). N u r die Beobachtung und Beschreibung von Verhalten in seinem natürlichen Kontext, seinem real-life-setting, kann uns Informationen über die Verteilung der psychologischen Phänomene in der Welt geben: wieviel Lachen und Weinen, Furcht, Ärger und Frustration, Spiel und Strafe, Liebe und Armut auf der Welt vorhanden sind. Füllen die experimentellen Ergebnisse der Frustrationsforschung im Labor auch ganze Zeitschriftenbände, sie können doch nichts darüber aussagen, wieviel Frustration im Alltag vorkommt: So fand Fawl (1963) in einer 16tägigen Beobachtungszeit bei den Kindern von Midwest relativ wenig blockierte Ziele, Frustration und negative Affekte, weit weniger als nach dem Stellenwert dieser Faktoren in Entwicklungs- und Persönlichkeitstheorien zu erwarten gewesen wäre.

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Das Verhalten in seinem zugehörigen Kontext wird als „behavior setting" konzipiert (vgl. Barker u. Wright 1955; Barker 1963; 1968). Darunter ist zu verstehen „a standing pattern of behavior and a part of the milieu which are synomorphic and in which the milieu is circumjacent to the behavior" (Barker u. Wright 1955, 45). Es würde in diesem Zusammenhang zu weit führen, die einzelnen strukturellen und dynamischen Merkmale solcher settings aufzuführen. Wichtig für uns ist ihr Untersdiied zu Lewins Lebensraumkonzept: Hier geht es um extraindividuelle Umwelt-Verhaltens-Einheiten, um Umwelt, die ein bestimmtes Verhalten erfordert, ermöglicht, verhindert, um Verhalten, das an bestimmte zeitlich und räumlich bestimmbare Umweltgegebenheiten gebunden ist. Beispiele solcher settings sind etwa Klassenzimmer, Spielplatz, Kino, Arztpraxis, Gottesdienst, Angelpartie, Cafeteria usw., wie sie vor allem von Barker und Wright (1955) in ihrer Feldstudie der Städte Midwest und Yoredale untersucht wurden. Die übermäßige Betonung der physikalischen Struktur, der räumlich-zeitlichen Lokalisation solcher settings und die vergleichsweise geringe Berücksichtigung ihrer sozialen (z.B. Rollen-)Struktur und der situationsspezifisdien Merkmale ist Barker oft zum Vorwurf gemacht worden (vgl. z.B. Gofïman 1964; 1971; Cazden 1970; Kagan 1967). Diese Einseitigkeit, vielleicht zu verstehen als Reaktion auf Lewins subjektivistisches Lebensraumkonzept, ist aber dennoch weit davon entfernt, Umwelt rein „physikalisch" (physical) im Sinne der Formel „man and his physical setting" zu konzipieren. c Umwelt

in der Ethologie:

Das Tier in seinem

Habitat

Wenn audi nicht in der Psychologie entstanden, so doch vorschnell von ihr aufgenommen wurden die Konzepte und Theoreme der Ethologie, jener Wissenschaft, die das Verhalten der Tiere in ihrer natürlichen Umwelt studiert. Ethologisdie Einflüsse sind für die moderne Umweltpsychologie von besonderer Bedeutung geworden. Die Gründe dafür sind naheliegend: Bereits zur Zeit ihrer Begründung um 1830 in Frankreich war die Ethologie aus dem Konflikt mit der laborgebundenen, anatomisch orientierten „psychologie comparée" entstanden (vgl. Jaynes 1969). Mit der weiteren Entwicklung der experimentellen Methodik, der physikalistischen Ausrichtung der Psychologie und der bewußten Nachahmung physikalischer Methoden wurde in den USA die Tierforschung lange Zeit fast gänzlich von der „comparative psychology" bestritten, während sich in Europa die „naturalilistisdie Perspektive" immer mehr durchsetzte, vertreten vor allem durch Lorenz (z.B. 1935; 1937) und Tinbergen (1951; 1953), dessen Arbeit „The study of instinct" aus dem Jahre 1951 historisch bedeutsam ist, da mit ihr in Unkenntnis der französischen Vorfahren — die ethologisdie Schule in Europa offiziell begründet und die Ethologie als „objektive Wissenschaft

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Problemstellung

vom Verhalten", als „biologische Erforschung des Verhaltens" definiert wird. Die Ethologen verstanden sich von Anfang an als „Naturalisten". Ihr Ziel war es, die Artifizialität, Labor- und Designgebundenheit der Tierbzw. Vergleichenden Psychologie zu überwinden und stattdessen das Tier in seinem natürlichen Habitat aufzusuchen, sein Verhalten möglichst genau zu beschreiben und zu ordnen, um schließlich ein vollständiges Verhaltensinventar (Ethogramm) jeder Tierart zu gewinnen. Nicht Lernprozesse und gelerntes Verhalten in künstlicher Umgebung, sondern „alltägliches" Verhalten in „alltäglicher" Umwelt stellt den Gegenstand dieser Forschungsrichtung dar. Was als Verhaltensforschung an Tieren begann, wurde schließlich auch als „Humanethologie" auf den Menschen ausgedehnt — eine Richtung, die heute vor allem von Eibl-Eibesfeldt (vgl. 1967; 1968) vertreten wird und in ihrer besonderen Ausprägung als „Kulturethologie" (vgl. Koenig 1970) in die Ethnologie hineinreicht. Sind auch heute die Kontroversen zwischen „Europäern" und „Amerikanern" nicht mehr so ausgeprägt (vgl. Hess 1962; Klopfer u. Hailman 1967; Crook u. Goss-Custard 1972) und bahnt sich auch zuweilen eine Synthese beider Richtungen an (vgl. Hinde 1970), kann man doch — zugespitzt — sagen, daß die exemplarische Ratte des Lernpsychologen, mus norvegicus albinus, kein Lebewesen ist, das ethologischer Untersuchung wert ist, wohl aber die Wanderratte, die psychologische Labors und Labyrinthe von unten annagt! So läßt sich also feststellen, daß diese ethologisdie Forschungsattitüde, sofern sie auf Verhalten im vollen Sinne als molares Verhalten gerichtet ist, die ideale Voraussetzung für eine allgemeine Umweltforschung bildet, was in besonders interessanter Weise in den von Willems und Raush (1969) gesammelten interdisziplinären „naturalistic viewpoints" dokumentiert wird. Aus der Zielsetzung, das Verhalten in seiner konkreten Umwelt zu studieren, ist verständlich, daß es vor allem der Lebensrawm ist, der bevorzugte Aufmerksamkeit findet, und zwar nicht als „physical setting", sondern in seinen „Bedeutungen" (Valenzen) für das jeweilige Lebewesen, als „Merkwelt" und „Wirkwelt". Diese Konzeption des Lebensraumes wurde von J . v. Uexküll (1909; 1921; vgl. 1956) herausgearbeitet und hat nicht nur viel Kritik als „sujektivistisdie Biologie" geerntet, sondern auch großen Einfluß auf die Entwicklung der Ethologie gehabt. Seine Umweltlehre ist insofern subjektivistisch, als sie die spezifische „Umwelt" eines Tiersubjekts als den Ausschnitt aus der „Umgebung" bestimmt, den das Tier mit Hilfe seiner Sinnesorgane „merken" und auf den es durch seine speziellen Wirkorgane „wirken" kann. Merkwelt und Wirkwelt sind also von der Körper-

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organisation abhängig, die wiederum auf die Umwelt des Tiersubjekts abgestimmt ist. Die Dinge in der Umwelt des Tieres sind nicht nur sinnliche Merkmalsträger, sondern haben „Bedeutungen" und „Rollen" im Leben des Tieres, die in der „Innenwelt" des Tieres als „Erlebnistöne" repräsentiert sind. Die Einheit bzw. „Ganzheit" von Umwelt und Lebewesen versteht v. Uexküll als „Funktionskreis", dessen Erläuterung am Beispiel der Zwecke weithin bekannt geworden ist. J . v. Uexkülls Rede von der Umwelt als „Seifenblase" findet sich heute in überraschend vielen umweltpsychologischen Arbeiten wieder, als „bubble", „body buffer zone" oder auch „personal space"; seine Bedeutungslehre hat jedoch bisher kaum Beachtung gefunden. Neben solchen allgemeinen Umweltkonzepten sind es vor allem die speziellen Charakterisierungen des Lebensraumes nadi Territorien, Revieren, Regionen, Zonen, nach Distanzen und Wegen sowie des räumlichen Verhaltens wie „homing" und „retrieving", Gruß- und Besdiwichtigungsgebärden, Abwehr- und Kampfverhalten, soziales Verhalten in Gruppen sowie die Markierung und Verteidigung von Territorien — Konzepte, von denen nicht nur viele allzu bereit von der Ethologie in die Humanethologie übernommen wurden, sondern audi einen wesentlichen Teil des Begriffsinventars der „environmental psychology" bilden: Das Register von Proshanskys et al. Sammelband kann diese Behauptung auf den ersten Blick bestätigen! Nun ist gegen eine Übernahme von Konzepten und Modellen aus anderen Wissenschaften nicht prinzipiell etwas einzuwenden. Solange sie die Befunde der rezipierenden Wissenschaft adäquat beschreiben und abbilden, kann ihre Adoption manchen mühseligen Prozeß der Begriffsbildung ersparen. Doch sollte eine solche Übernahme nicht voreilig, und das heißt ohne vorherige eingehende Reflexion der mit diesen Begriffen verbundenen Annahmen, Theoremen und Theorien geschehen. Die Gefahr ist groß, daß man entgegen der ursprünglichen Absicht, nur einen rein deskriptiven Begriff für einen neuen Sachverhalt zu übernehmen, unversehens einen begrifflichen H o f mitübernimmt, der sich in der Folgezeit als recht lästig erweist. Wird er von manchen Forschern allzu selbstverständlich akzeptiert und großzügig zur Interpretation ihrer Befunde herangezogen, verwenden andere beträchtlidie Mühe darauf, „ihren" Begriff von seinen angestammten De- und Konnotationen zu befreien und gegebenenfalls völlig neu zu bestimmen, so daß lediglich eine Wortgleichheit übrigbleibt. Als Beispiel sei hier das Konzept des Territoriums, des Territorialverhaltens oder allgemein der Territorialität angeführt. „The area of human territoriality is about to become one of the „ i n " topics in the behavioral s c i e n c e s . . . " (Altman 1970, 1) und es gibt kaum eine Untersuchung in diesem Bereich, die nicht zu Beginn ausführlich auf die Begriffe und Befunde der Territorialitätsforschung an Tieren eingeht. 2 Kruse, Umwelt

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Problemstellung

Territorium und Territorialität gehören zu den ältesten Begriffen, die bei der Beobachtung von Tieren Anwendung fanden, lange bevor es eine wissenschaftliche Verhaltensforschung oder gar Ethologie gab. Zuerst wurden Territorien bei Vögeln entdeckt, später auch bei den meisten Säugetieren und vereinzelt bei Insekten und Fischen. Wird audi das Erscheinen von Howards Buch „Territory in bird life" im Jahre 1920 als Geburtsstunde des Begriffs und der systematischen Erforschung der Territorialität bezeichnet, finden sich Beschreibungen solchen Territorialverhaltens in unterschiedlicher Terminologie schon sehr viel früher: Willugby spricht bereits 1678 vom „Friehold" der Nachtigall (vgl. Carpenter 1958), Altum 1868 von den „Revieren" der Vögel. (Zur Geschichte des Begriffs und seiner vielfältigen Differenzierungen vergleiche Nice 1941; Carpenter 1958; Klopfer 1969; Mountjoy u. Sears 1970 u. a.) Die allgemeinste Bestimmung kennzeichnet das Territorium als „verteidigtes Gebiet", die Territorialität als „raumgebundene Intoleranz" (EiblEibesfeldt 1967, 309). Große Aufmerksamkeit wurde den verschiedenen Arten, der Markierung und Verteidigung von Territorien gewidmet (vgl. etwa Nice 1941; Burt 1943; Hediger 1942; 1954; 1961; Leyhausen 1954; 1965; McBride 1964; Wickler 1966; Schenkel 1966; Ardrey 1968), darüberhinaus aber war es vor allem die Frage nach den Funktionen des Territoriums für die soziale Organisation und das Überleben der Tiere, die den Verhaltensforscher interessierte (s. dazu vor allem Wynne-Edwards 1962). Einige dieser Funktionen seien hier genannt (vgl. die Zusammenstellungen von Carpenter 1958; Stamm 1972 u. a.). Ein Territorium — — — — — — — — — — —

erleichtert den Nahrungserwerb, kann als Ernährungsbasis dienen, reguliert die Bevölkerungsdichte, verhütet Überbevölkerung, erleichtert den Zusammenhang der Gruppen, verhindert Uberausbeutung eines Gebietes, dient der innerartlichen Auslese durch Konkurrenz, erleichtert Kontrolle und Verteidigung des Eigentums, gewährt Schutz vor Eindringlingen, erleichtert das Finden von Partnern, ermöglicht Nestbau, Brüten, Schutz der Jungen, reduziert Stress, Kämpfe und Fluchtreaktionen, verhindert die Ausbreitung von Krankheiten etc. Diese Liste ließe sich noch weiter fortführen und für verschiedene Tierarten spezifizieren. Darüberhinaus wäre vor allem die Interaktion zwischen territorialem und sozialem Verhalten der Tiere zu beachten (s. dazu WynneEdwards 1962), um den Überlebenswert der Territorialität deutlich zu machen. Bedingt durch seine spezifische Organisation ist das Tier an einen begrenzten Lebensraum gebunden, der ihm die notwendigen Lebensbedingungen bietet.

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Nach diesen kurzen Ausführungen zur tierlichen Territorialität fragen wir nun, wie dieses Konzept für menschliches Verhalten „fruchtbar" gemacht wird. Es ist hier nicht der Ort, den Wert tierethologischer Befunde und Erklärungsmodelle für den Erkenntnisgewinn im Humanbereich zu beurteilen — stellvertretend für viele kritische Analysen sei hier auf die Arbeit von v. Cranach (1972) verwiesen —, vielmehr geht es uns darum, vor dem leichtfertigen Gebrauch ethologischer Konzepte, hier: dem der Territorialität, zu warnen. Zwischen den wissenschaftlich unqualifizierten, dennodx vielzitierten Analogiebildungen eines Ardrey (1968), der das menschliche Streben nach Besitz und seine Verteidigung als angeborenen, unausrottbaren Instinkt, als „territorialen Imperativ", ansieht, und der Feststellung Scotts (1969, 634 f.), das Auftreten menschlichen Territorialverhaltens sei eher eine Erfindung des Menschen als eine Grundeigenschaft von Primaten, finden sich viele Varianten des „Ethologisierens" (Callan 1970), was solchen Forschern wohl nicht ganz zu Unrecht den Ruf als „intrepid speculators" (Hütt u. H ü t t 1970, 175) eingebracht hat. Der Zoomorphismus zeigt sich unverhüllt, wenn Ellenberger (1960) das Verhalten hospitalisierter Geisteskranker mit dem von Zootieren vergleicht oder Staehelin (1954) das Territorial- und Dominanzverhalten solcher Patienten als Beweis für das Verfallensein an urbiologische Gesetzmäßigkeiten ansieht. Wenn Storr (1970) bestimmte Formen menschlicher Aggression aus der Reviergebundenheit des Menschen erklärt oder Leyhausen einen individuellen und sozialen Raumanspruch des Menschen postuliert, der durdi seine Stammesgeschichte gegeben und daher konstituierendes Merkmal der Gattung und „innerhalb gewisser Grenzen" (?) ein unabdingbares Naturrecht ist (1954 in 1968, 129), werden allzu direkt und einfach tierische Ursprünge für mensdiliche Verhaltensweisen geltend gemacht, wird von ihrer komplexen sozial und kulturell modifizierten Struktur abgesehen. Im Gegensatz dazu distanzieren sich andere Autoren von dieser Art des Ethologisierens und versuchen, das spezifisch Menschliche am sog. Territorialverhalten in den Griff zu bekommen. In der Tradition Goffmans (1959; 1971) versuchen Lyman und Scott (1967), menschliches Territorialverhalten in interaktionalen Termini zu fassen. Sie differenzieren zwischen „public", „home", „interactional" und „body" Territorien und bestimmen mögliche Formen ihrer Verletzung und Verteidigung. Scheflen (1968) versteht das territoriale Verhalten als „Signal sozialer Integration". Ebenfalls in Goffmansdier Tradition unterscheidet Roos (1968) vom Territorialverhalten, das sidi vornehmlich auf ein geographisch fixierbares Gebiet bezieht, die spezifisch menschliche Variante der „Jurisdiktion", der Rechtsprechung über ein Gebiet, Objekte oder auch Menschen. Hier werden vor allem die soziale Natur der Umgebung mit berücksichtigt und dementsprechend komplexe Verhaltensweisen erfaßt. Diese Objekt-Territorialität wird von Altman (1970) nodi ergänzt durch die kognitive Territorialität, die in Copyrights,

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Problemstellung

Patenten u. ä. ihren Niederschlag findet und den Besitz von Ideen im weitesten Sinne, wie Meinungen, Einstellungen, Werthaltungen, Weltanschauungen, einschließt. Nodi weiter entfernen sich Proshansky, Ittelson und Rivlin (1970, 169 ff.) von ethologischen Kategorien, wenn sie in einer theoretischen Analyse versuchen, für die Begriffe „privacy", „territoriality'' und „crowding" und damit verbundene Verhaltensweisen als gemeinsamen Nenner das motivationale Konzept der „Wahlfreiheit" (freedom of choice) zu entwickeln. Dabei lassen sie mögliche genetische, instinkthafte oder physiologische Grundlagen menschlichen Territorialverhaltens unberücksichtigt und richten ihr Augenmerk vielmehr auf die verhaltensmäßigen Manifestationen der Territorialität und ihren Funktionswert für die unterschiedlichsten sozialen, und das heißt vor allem gelernte, Motive. Damit wird ein Konzept menschlicher Territorialität vorgezeichnet, das in seiner Multidimensionalità! erst in Ansätzen untersucht ist, aber mit den scheinbar simplen, in Wirklichkeit aber sehr voraussetzungsvollen Extrapolationen eines Ardrey keine Ähnlichkeit hat. Ein gutes Beispiel für eine multidimensionale Analyse des Territorialitätskonzepts liefert Altman (1970). Um den Begriff von einem scheinbaren Konsensus hinsichtlich seines theoretischen Gehalts und seiner Anwendungsmöglichkeiten zu befreien, analysiert er einige gängige Territorialitätskonzepte nach antezedenten, situationalen, organismischen und (Verhaltens-) Responsefaktoren. (Ein antezedenter Faktor wäre z. B. das Eindringen eines Feindes, ein situationaler Faktor ein bestimmtes geographisches Gebiet, ein organismischer Faktor z. B. der Hungerzustand eines Lebewesens und ein Responsefaktor die Markierung oder Verteidigung eines Gebietes oder Objektes.) Ein Vergleich von Phänomenen tierlichen und menschlichen Territorialverhaltens unter diesen vier Aspekten macht deutlich, wie unzureichend die ethologischen Konzepte menschliches Territorialverhalten beschreiben. Mit einer eigenen Definition versucht Altman dem Facettenreichtum menschlicher Territorialität gerecht zu werden: „Human territoriality encompasses temporally durable preventive and reactive behaviors including perceptions, use, and defense of places, people, objects, and ideas, by means of verbal, self-marker, and environmental prop behaviors in response to the actual or implied presence of others and in response to properties of the environment, and is geared satisfying certain primary and secondary motivational states of individuals and groups" (1970, 8). Am Beispiel einiger empirischer Untersuchungen menschlichen Territorialverhaltens zeigt er, wie diese in seinen definitorischen Rahmen passen; ein Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand macht deutlich, wie wenige Aspekte bisher überhaupt empirisch untersucht wurden. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn Altman zukünftige Forschungsrichtungen vorschlägt, die über das, was tierethologische Konzepte nahelegen mögen

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— und daher den Großteil bisheriger Territorialitätsforschung ausmacht — , weit hinausgehen. Seine Forderung nach ausgedehnten, breit angelegten Verhaltensstudien, die nicht nur ungewöhnliche Versuchspersonen (psychiatrische Patienten) und ungewöhnliche Situationen (psychiatrische Krankenstationen, soziale Isolierung, temporäre Überbevölkerung) in Betracht ziehen, so wie sein R u f nach einer deskriptiven, verhaltensorientierten Sprache kommt unserer eingangs aufgestellten Forderung nahe, Begriffe zur Beschreibung räumlichen und im engeren Sinne territorialen Verhaltens nur in ihrem rein deskriptiven Gehalt ohne ethologische Vor- und Zusatzannahmen anzuwenden. d Umwelt in der

Ethnologie

Als eine weitere Forschungsrichtung, die sich den Primat der experimentellen Methodik versagen muß, ist die Ethnologie oder Kulturanthropologie zu nennen, soweit diese zu den „behavioral" oder „social sciences" gehören. Diese Disziplinen sind von vornherein auf die Feldforschung festgelegt; denn ihr Gegenstand sind die Umwelt und das Verhalten von Völkern fremder und eigener Kulturen. Sie können ihre Untersuchungsobjekte bzw. -Subjekte nicht ins Labor bringen, sondern müssen zu ihnen hingehen, ihr „ H a b i t a t " aufsuchen, dort mit ihnen leben und sie beobachten. In diesen Forschungsgebieten ist der Zugang zum Gegenstand zumeist durch Spradhbarrieren erschwert, und so ist es das Verhalten, das zur Kommunikation wird, weshalb auch aus dieser Forschungsrichtung die meisten Beiträge zur non-verbalen Kommunikation stammen. In der Beschränkung auf die Verhaltensbeobachtung ist es vor allem das räumliche Verhalten im weitesten Sinne, das zum Gegenstand des Interesses wird: Häuserbau und Feldbestellung, Grußrituale und Tanzzeremonien, Gesten und Körperhaltungen, Benutzung und Ausnutzung von Räumen und Plätzen mit ihren beweglichen und unbeweglichen Objekten sowie der U m g a n g mit Distanzen. Der kulturanthropologische Forscher ist darauf angewiesen, den Menschen im Gesamtkontext seiner konkreten Umwelt zu studieren, sofern er sich nicht der Gefahr aussetzen will, durch vorschnelle Abblendung auf einzelne Merkmale seinen Gegenstand zu verfehlen. U n d so hat sich audi hier in den letzten Jahren immer stärker eine phänomenologische Orientierung durchgesetzt, die ihren methodischen Ausdrude findet z. B. im „psychologischen Naturalismus" (vgl. Gutman 1969) oder der „Ethnomethodologie" (vgl. Cicourel 1964; Garfinkel 1967) und inhaltlich vor allem bei Forschern wie E. T . H a l l und Goffman zum Tragen kommt. Wenn es gilt, über die alltägliche Lebenswelt fremder Kulturen etwas auszusagen, reicht es nicht aus, sie aus der eigenen kulturellen Perspektive zu betrachten und sie dann rein privativ als „Welt der Primitiven" gegen unsere Welt abzusetzen. Stattdessen ist es notwendig, den eigenen gewohnten Bezugsrahmen zu verlassen und möglichst unbefangen partizipierend

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Problemstellung

neue Umwelten und ihr Verhalten zu entdecken. Gerade in der ethnologischen Forschung wird die Notwendigkeit deutlich, „to approach behavioral phenomena as if for the first time, with minimal determination by prior theoretical categories" (Willems u. Raush 1969,273). Eine „operator"Attitüde ist solange fehl am Platz, wie es darum geht, neue Phänomene, außerhalb unserer eigenen kulturspezifischen Kategorien, zu entdecken. Eine naturalistische Forschungseinstellung könnte dazu beitragen, neue Kategorien zu finden, die — an unser eigenes kulturelles System angelegt — bekannte Phänomene in neuem Licht erscheinen ließen. Daß eine solche Einstellung nur dem Maße möglich ist, wie der Ethnozentrismus abgebaut wird, wird insbesondere in Halls Studien deutlich: Beauftragt mit der Ausbildung von Entwicklungshelfern wird angesichts der Mißerfolge des „ugly American" Halls Interesse geweckt, jene Bereiche fremder Kulturen zu erforschen, die im allgemeinen als „Selbstverständlichkeiten" gelten (vgl. 1959; 1966). So entdeckt er „the silent language" der Kultur, die Sprache der Zeit und vor allem die des Raumes, Sprachen, die — im Sinne von „parole" — alle Menschen sprechen, deren Komponenten und Strukturen — im Sinne von „langue" — aber keinem bewußt sind. Mit dem Ziel „to bring to awareness much that is taken for granted" studiert er „man's use of space — the space that he maintains between himself and his fellows and which he builds around him in his home and office" (1966, x). Im Rahmen dieser von Hall als „proxemics" bezeichneten Forschungsrichtung entwirft er ein System von vier Distanzzonen, mit detaillierten Entfernungs- und anderen Merkmalsangaben, konzipiert als Instrument zum interkulturellen Vergleich, zum Aufweis der kulturellen Relativität des Raumverhaltens und der Raumausnutzung. Neben den ethologischen Territorialitätskonzepten ist es vor allem diese kulturanthropologische Erweiterung und Präzisierung Halls, die in der Umweltpsychologie — vor allem in den empirischen Forschungsansätzen Sommers und seiner Mitarbeiter (vgl. z.B. Sommer 1962; 1965; 1967; 1969) — große Verbreitung gefunden hat.

§ 4 Der konkrete Raum als Phänomen Alle diese Ansätze, seien sie feldtheoretisch-ökologischer oder etho- und ethnologischer Herkunft, sind in ihrem Kern Variationen über ein Thema, das die traditionelle Psychologie aufgrund eines Kantschen Verdikts als nicht-empirisch, sondern a-priorisch verkennen oder vergessen mußte, nämlich Raum. Dieser Raum, sofern er nicht nur Gegenstand einer Wahrnehmungspsychologie ist, sondern als konkreter Raum gleichbedeutend wird mit der Umwelt, in der wir handeln und die wir erleben, wird zum Hauptthema einer Umweltpsychologie.

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Nicht „man and his physical setting" kann die Leitidee einer psychologischen Umwelttheorie sein, sondern die Erlebnis- und Verhaltensunvwelt des Menschen. Will man den gegenwärtigen Elektizismus einer neuen Disziplin überwinden — ein Elektizismus, der nicht zuletzt in der allgemeinen Traditionslosigkeit der amerikanischen Psychologie gründet —, muß man den Mut haben, Bausteine zu einer psychologischen Theorie der Umwelt zusammenzutragen, um erste Anstöße zu geben und Richtungen aufzuweisen, in denen weiterzuarbeiten sinnvoll erscheint. Die vorangegangene Darstellung der weit- und raumvergessenen traditionellen Psychologie sowie der ersten Versuche zu ihrer Überwindung sollte deutlich machen, daß deskriptive, morphologische und klassifikatorische Ansätze den Vorrang haben müssen, wenn man „unbefangen" und „weltoffen" ein altes Thema neu angehen will, ein Thema, das zu variieren weiterer Forschung vorbehalten sein muß. Um das Thema, die konkrete menschliche Umwelt, und zwar insbesondere die räumlichen und dinglichen Aspekte dieser Umwelt, zu ent-decken, ist es legitim, das vorliegende phänomendeskriptive Grundmaterial abzufragen. Dazu bieten sich erstens die Phänomenologie, phänomenologische Psychologie und Anthropologie an, deren Ziel es ist, die Phänomene nicht in einzelwissenschaftlich theoretischer Voreinstellung, sondérn unverkürzt zu beschreiben. Zweitens bietet sich an der phänomenologisch relevante Gehalt der Wissenschaften, die in einer deskriptiv-klassifikatorischen Perspektive Raumphänomene thematisieren. Im folgenden wird der Versuch gemacht, derartige phänomenologische Ansätze darzustellen, um sie als Beitrag zu einer psychologischen Umweltpsychologie einzubringen.

TEIL II: UMWELT UND RAUM IN DER PHÄNOMENOLOGISCHEN PSYCHOLOGIE UND ANTHROPOLOGIE

§ 5 Räumliches Paradigma Ich sitze in meinem Arbeitszimmer am Schreibtisch in der Nähe des Fensters. Vor mir liegen auf einer Schreibunterlage mehrere Papiere und Kugelschreiber, rechts von mir liegen einige beschriebene Seiten und links mehrere aufgeschlagene Bücher, an denen idi gerade arbeite. Weitere Bücher habe idi am Rande des Schreibtischs aufgestellt, um sie griffbereit zu haben, wenn ich sie brauche. Hinter mir an der Wand steht ein Regal, in das ich heute morgen die bereits bearbeiteten Bücher eingeräumt habe. Nicht alle paßten hinein, sie liegen nun noch auf dem Tisch herum; ich werde bald einmal aufräumen müssen, um wieder Platz zu schaffen. — Liegen Bücher, Schreibzeug und Papier auf meinem Schreibtisch in Reichweite, so muß idi von meinem Stuhl aufstehen und ein paar Schritte zurückgehen, um ein Buch aus dem Regal zu holen. Dort stehen sie bis hoch an die Decke, und, um an die oberste Reihe heranzureichen, muß ich auf einen Stuhl steigen. — Von meinem Platz am Schreibtisch aus schaue ich umher. Mein Blick bleibt an der Fotographie eines Kirchenportals hängen: meine Gedanken wandern zu dem Urlaubsort vom vergangenen Sommer; nur einen Moment habe idi das kleine Dorf mit den verwinkelten Gassen, die zur hochgelegenen Kirche führen, ganz deutlich vor Augen. Und schon kommen mir meine nächsten Reisepläne in den Sinn, ein noch unbekanntes Ziel an der südlichen Küste: Idi stelle mir einen langen Sandstrand vor, der sich an einem steil abfallenden Küstengebirge entlangzieht. Weiter geht mein Blick aus dem Fenster, über Obstbäume und Hausdächer bis zum kegelförmigen Berg jenseits des Flußufers. Trete ich ganz nah ans Fenster, kann ich noch mehr von unserem Tal überschauen; zur rechten kann ich den Fluß verfolgen, bis er hinter einem Bergrand verschwindet, auf der linken Seite setzt sich die Hügelkette weiter fort, bis sie meinen Blicken entschwindet. Ich weiß, daß ich nur vor dem Haus die Straße zum Fluß hinunterzugehen brauchte, dort die Brücke oder auch das Fährschiffdien benutzen könnte, um am anderen Ufer den Weg zu erreichen, der midi auf die Anhöhe führt. Von dort hätte ich einen Blick über das weite Tal bis zur Bergkette am fernen Horizont oder zur anderen Seite hin auf den Fluß, der sich im großen Bogen durch das Tal hindurchzieht.

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Umwelt und Raum in der phänomenologisdien Psychologie

Dodi schon seit Tagen sitze ich in diesem Zimmer über meiner Arbeit, die in der nächsten Woche fertig sein muß. Manchmal habe ich das Gefühl, daß mir die Decke auf den Kopf fällt, das Zimmer zu eng wird. Ich fühle mich eingesperrt. Ein Spaziergang auf den Berg den ich immer vor Augen habe, erscheint immer verlockender, doch der Berg an Arbeit hindert mich daran. Über meine Arbeit nachdenkend, höre ich plötzlich das Motorengeräusch eines Autos. Von rechts kommend ein langsames Anschwellen, ein kurzes Abfallen und Wiederauftauchen und das allmähliche Verschwinden des Geräusches zeigen mir an, daß das Auto die Straße hinter meinem Haus hinaufgefahren ist. Es klingelt. Idi gehe an die Haustür, um sie zu öffnen. Ein Kollege besucht midi, um ein Buch auszuleihen. Wir gehen zurück in mein Zimmer und an das Bücherregal. „Das Budi von L . . . , das da mit dem grünen Umschlag; dort steht es ja schon" — er zeigt auf ein grünes Buch, ich nehme es aus dem Regal und gebe es ihm. Es wird dämmrig, Nebel steigen auf. Die Häuserdächer verschwinden, der Berg zeigt sich nur noch schemenhaft in seinen Umrissen. Es wird nun am Schreibtisch zu dunkel, ich brauche Licht. Ohne meine Augen von der Budiseite abzuwenden, strecke ich meinen Arm zur Scheibtischlampe aus und taste nach dem Schalter. Wie verändert der Raum plötzlich ist! N u r noch die vom Lichtkegel ausgeleuchtete Flädie ist f ü r mich deutlich erkennbar, sind die dort befindlichen Dinge unterscheidbar. Das übrige Zimmer tritt zurück, und auch der Blick nach draußen ist nun versperrt. Der Raum um midi herum schrumpft zusammen, konzentriert sich (und mich) auf den kleinen beleuchteten Ausschnitt. Die Beschreibung dieser alltäglichen Situation soll deutlich machen, wie wir, wenn wir uns verhalten, immer schon in einer „Situation" sind, die sich nach Buytendijk (1958 a, 12) als „irgendwo-mit-in-Sein" bestimmen läßt, d. h. an irgendeinem Ort, in einer sinnvollen Beziehung zu irgendetwas (Gegenständen, Mitmensdien, Formen, Farben, Klängen, Erinnerungen, Phantasien, Wünschen, Erwartungen) sein, welcher von Buytendijk als „absolute Bedingung jedes Verhaltens" (ebda.) postuliert wird. Dabei ist Verhalten nicht im Sinne des Forschungsgegenstandes irgendeiner behavioristischen Richtung gemeint, sondern als sinnhaftes Bezogensein eines leiblichen Subjekts auf die Welt. Dieses Irgendwo-in der Welt-bei-den-Dingen-Sein läßt sich in bezug auf unser Beispiel weiter ausfalten: Idi bin jetzt hier an einem bestimmten Ort, von dem aus mir alle Dinge oder Personen als da erscheinen, als unmittelbar (in Reichweite) greifbar oder in wenigen Schritten erreichbar, oder audi nur wahrnehmbar. Idi als lebendiger Leib, bin das natürliche Zentrum, von dem aus sich der Raum gliedert in die Riditungen des vorn und hinten, oben und unten,

Vorbemerkungen zu Begriffen und Methode

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links und rechts; auf dieses Zentrum sind Gegenstände als Dinge bezogen als erreichbare oder unzugängliche, als erwünschte oder zu meidende. Je nachdem, wo idi stehe, von wo aus ich blicke, stellt sich die Welt anders dar. Was eben noch links von mir war, ist nach einer Drehung meines Leibes rechts, war vorn war, ist jetzt hinten. Die Richtungen ändern sidi relativ zu meiner Bewegung, immer bleibt mein Leib der Mittelpunkt, auf den der Raum in bestimmter Weise (perspektivisch) bezogen bleibt. Was und wie ist dieser Raum, diese Worin und Woraufhin meiner Bewegung, in dem idi midi immer sdion vorfinde, in dem ich ,wohne', midi verhalte, in dem ich Klänge, Farben, Formen, Düfte wahrnehme, sie hörend, sehend, tastend, riechend erfasse, in dem ich die Dinge als groß oder klein, nach oder fern, erreichbar oder unerreichbar erfahre?

§ 6 Lebenswelt und gelebter Raum I: Vorbemerkungen zu Begriffen und Methode Unsere Untersuchung zum Raum beginnt mit der Betraditung dieses konkreten unmittelbar, präreflexiv erfahrenen Idi-jetzt-hier. Wir gehen aus von dem, was Husserl „Lebenswelt" genannt hat, ein Konzept, das unter dieser Bezeichnung zwar erstmals in dem 1936 veröffentlichten Teil der „Krisis" auftaucht und in Beziehung zu Heideggers ontologischer Analyse des In-der-Welt-Seins (1927) zu sehen ist, aber, wie Brand (1971, 16) angibt, als Grundproblem der Phänomenologie mindestens schon in den „Ideen" (1913) da ist (vgl. dazu auch Claesgens 1964, 9 ff. und Gadamer 1972, 190 ff.). Es ist die Welt, die immer schon und immer fort ,νοη selbst' ist, in der wir immer schon ganz selbstverständlich leben, die ansdiaulidi konkrete, sinnvolle Welt, die vor jedem wissenschaftlichen Fragen, aber auch als Grundlage jeden Fragens „vorausgesetzt" und vorgegeben ist. Sie ist das „Universalfeld, in das alle unsere Akte, erfahrende, erkennende, handelnde hineingerichtet sind". (Husserl, Krisis 1962, 147). Ein Grundzug dieser Welt ist ihre Vorgegebenheit in der Weise eines universalen unthematischen Horizontes: „In der Lebenswelt leben wir bewußtseinsmäßig immer; normalerweise ist kein Anlaß, uns sie universal als Welt ausdrücklich thematisch zu machen. Wir leben, ihr als Horizont bewußt, unseren jeweiligen Zwecken..." (a.a.O., 459), den Berufszwecken und -interessen, dem wissenschaftlichen und praktischen Handeln. Husserl war der erste, der diese immer schon vorausgesetzte, unthematische Welt, die Welt, die ich als Leibsubjekt unmittelbar erfahre, als philosophisches Problem formuliert hat und ihre Selbstverständlidikeit verständlich zu machen suchte. Die Vernachlässigung der Lebenswelt sah er als einen

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Hauptgrund für die „Krisis der europäischen Wissenschaften" an, die in ihrer Befangenheit in der „objektivistischen", „äußerlichen" Weltbetrachtung, in den wissenschaftlichen Zweckgebilden, die all diesen Welten vorgängige und zugrundeliegende Welt der unmittelbaren Erfahrung außer A dit läßt und nicht sieht, daß die Lebenswelt als Horizont und Universalfeld aller wissenschaftlichen Praxis vorgegeben ist und diese in sich einschließt. „Jede praktische Welt, jede Wissenschaft setzt die Lebenswelt voraus, sie als Zweckgebilde wird kontrastiert mit der Lebenswelt, die immer schon und immerfort ist, ,νοη selbst*. Andererseits ist jedoch jedes menschheitlich (individuell und in Gemeinschaftlichkeit) Werdende und Gewordene selbst ein Stück der Lebenswelt: also der Kontrast hebt sich auf. Das aber ist nur verwirrend, weil eben die Wissenschaftler, wie alle in einem Berufszweck (,Lebenszweck') vergemeinschaftet Lebenden, für nichts Augen haben als für ihre Zwecke und Werkhorizonte. Wie sehr die Lebenswelt die ist, in der sie leben, der auch alle ihre theoretischen Werke' zugehören, und wie sehr sie von Lebensweltlichem, das eben in der theoretischen Behandlung als das Behandelte ,zugrunde liegt', Gebrauch machen, so ist eben die Lebenswelt nicht ihr Thema, nicht als die ihnen jeweils vorgegebene und nicht die als ihr Werk hinterher aufnehmende, und so nicht in voller Überschau das Universum von Seiendem, das ständig in unaufhörlicher Bewegung der Relativität für uns ist, und Boden für alle jeweiligen Vorhaben, Zwecke, Zweckhorizonte und Werkhorizonte von Zwecken höherer Stufe" (a.a.O., 462). Diese lebensweltliche Ignoranz der Wissenschaften führt in eine Krise, die sich darstellt als fortschreitende Sinnentleerung der konkreten Welt. Für das Ideal der vollständigen Objektivierung, d. h. Operationalisierung, Quantifizierung, Formalisierung zahlt die moderne wissenschaftlich-technische Welt den Preis der Lebens-(und Welt)entfremdung (vgl. audi Hannah Arendt 1960, 249: „Weltentfremdung und nicht Selbstentfremdung, wie Marx meinte, ist das Kennzeichen der Neuzeit." eigene Hervorh.). Greifen wir aus dem Komplex der Lebenswelt ihre Räumlichkeit heraus, so kommt uns damit ein Thema in den Blick, das als „gelebter Raum" um 1930 von mehreren Seiten unabhängig und mit unterschiedlicher Pointierung entwickelt wurde. Zunächst hat Heidegger (1927) die „Räumlichkeit" des Daseins in „Sein und Zeit" untersucht. Aus ganz anderer Perspektive und ohne Bezug auf Heidegger folgen 1932 die „Untersuchungen zum gelebten Raum" von Dürckheim. Diese Arbeit, entstanden in der Tradition der Leipziger Ganzheits- und Strukturpsychologie, wird allgemein als Ursprungsort des Terminus „gelebter Raum" angesehen. Doch sprechen m. E. viele Anzeichen dafür, daß Dürckheim sich auf die von W. Stern schon früher definierten Begriffe der „gelebten" Welt bezieht, ist doch auch die Zielsetzung seiner

Vorbemerkungen zu Begriffen und Methode

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Untersuchung eine im Sinne Sterns personalistische (s. u. S. 52 ff.). Etwa gleichzeitig mit Dürckheim entwickelte Minkowski innerhalb seiner Schizophrenieanalysen die Konzepte „distance vécue", „espace vécue", „ampleur de la vie", gelebte Distanz, gelebter Raum, Weite des Lebens, als die Dimensionen, in denen das individuelle und kollektive Leben der Menschheit zu fassen ist. Bevor nach diesen ersten Skizzierungen des Problembereichs und seiner Begrifflichkeit eine eingehende Analyse folgt, einige Anmerkungen zur Methode: Zur phänomenologischen Methode Als Zugangsweise zum gelebten Raum bietet sich die phänomenologische Betrachtung und Deskription an, die versucht, das, was sich zeigt, von ihm selbst her sehen lassen" (Heidegger 1967, 34). Das, was sich von ihm selbst her sehen lassen soll, ist jedoch meist nicht das, was auch schon „phänomenal" gegeben ist, vielmehr ist Phänomen das, „was sich zunächst und zumeist gerade nicht zeigt, was gegenüber dem, was sich zunächst und zumeist zeigt, verborgen ist, aber zugleich etwas ist, was wesenhaft zu dem, was sich zunächst und zumeist zeigt, gehört" (a.a.O., 35). Es gilt also, insbesondere das aufzuweisen, was vorher verdeckt, d. h. verborgen, verschüttet oder verstellt war. Wir gehen das Problem des Raumes und der Räumlichkeit nicht an unter Voraussetzung ( = Verstellung durch) eine(r) noch so primitive(n) Theorie, ζ. B. Raum als receptaculum rerum, als Behälter, angefüllt mit Dingen und Mitmenschen, — sondern fragen nach dem ursprünglichen, vor aller R e flexion bestehenden Verhältnis des Menschen zum Raum, versuchen die Grundstrukturen dieses Verhältnisses zu erfassen und zu explizieren und das durch etwaige theoretische Voreinstellungen Verdeckte in Erscheinung treten zu lassen. Dieses „Zu den Sachen selbst", wie Husserl es formuliert hat, bedeutet also, ohne jede Voreingenommenheit durch traditionelle wissenschaftliche Begriffe und Lehrmeinungen an den Gegenstand der Untersuchung heranzugehen, sich vielmehr die Begrifflichkeit im Zuge der Explikation des Gegenstandes erst zu bilden. Die Forderung nach einem unvoreingenommenen, ansatzfreien Vorgehen wirft wissenschaftstheoretische Probleme auf. Versteht sich die phänomenologische Methode als reine Beschreibung eines „Gegebenen" gemäß dem Husserlschen „Prinzip aller Prinzipien", daß „jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei, daß alles, was sich uns in der ,Intuition originär . . . darbietet, einfach hinzunehmen sei, als was es sich gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen es sich da gibt" (Husserl, Ideen I, 1950 § 24), so darf nicht übersehen werden, daß es so etwas wie „reine" Beschreibung nicht gibt, eine Erkenntnis, die spätestens seit den Diskussionen des Wiener Kreises über das „Basisproblem" (vgl. etwa Popper 1966, 60 ff.) zu den wichtigsten Aussagen

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Umwelt und Raum in der phänomenologischen Psychologie

jeder Wissensdiaftstheorie gehört. Gegebenes ist auch da, wo es in einem ersten „unvoreingenommenen" Hinschauen erfaßt werden soll, schon immer ansatzbedingt. Daraus ist nun aber nicht der Sdiluß zu ziehen, die Phänomenologie als Methode der Beschreibung sei wertlos geworden; vielmehr gilt es, ihre Leistung und Grenzen fortgesetzt kritisch zu reflektieren. Das bedeutet 1., immer wieder ihren „Ansatz" auf seine Bedingtheit hin zu überprüfen (vgl. dazu u. a. Funke 1966), 2. die Begrenztheit dessen, was sie leistet, zu akzeptieren, denn sie „ b e f a n g e n . . . in der Idee gradlinigen Fortschreitens am Gegebenen, verschließt sich leicht den Blick für den Sachverhalt, daß längst nicht alles, was zu ihrem Phänomenbereich gehört, rein deskriptiv vollständig ausgelegt werden kann" (Ströker 1965, 10). Liegt audi der Wert so mancher „phänomenologischer" Analysen gerade in ihrer von der deskriptiven Ebene weit entfernten Begrifflichkeit, bedeutet diese Überschreitung des Deskriptiven doch häufig eine Gefahr: So wird in explizit als phänomenologisch etikettierten Analysen etwa eines Binswanger und Straus zwischen den Ebenen phänomenologischer Beschreibung einerseits und anthropologischer oder ontologischer Auslegung andererseits ständig gewechselt, ohne daß darauf hingewiesen würde. Wir beginnen unsere Analyse des Raumes „diesseits aller Entscheidungen über subjektunabhängige Außenwelt, Realität, Ansichsein" (Ströker, 17), vor jeder Theorie „des" Raumes, betrachten den Menschen in seiner unmittelbar erfahrenen, außerwissenschaftlichen Lebenswelt, in der so etwas wie Raum noch gar nicht thematisiert ist. „Nicht auf sein Urteil ,über' den Raum soll das Subjekt primär befragt werden, sondern auf sein Verhalten ,in' ihm" (Ströker, 18). Es gilt das „ins Licht der Reflexion zu heben, was im präreflexiven Alltagsbewußtsein immer schon als Raum gegenwärtig, unthematisch erfaßt und je schon gewußt ist, bevor begriffliche Arbeit einsetzt" (Ströker, 3). Und daß dieses das — im Sinne Heideggers — zunächst und zumeist Verdeckte ist, werden die folgenden Analysen deutlich machen. Insofern als wir als Ausgangspunkt den Menschen in seiner Leiblichkeit wählen und nach seinem Verhältnis zum Raum, seinem Verhalten „im" Raum fragen, und seine Rolle bei der Konstitution des Raumes untersuchen, können wir von einer anthropologischen Fragestellung sprechen; anthropologisch in dem Sinne, daß Räumlichkeit eine Wesensbestimmung des menschlichen Daseins ist, daß der Mensch immer und notwendig des Raumes bedarf, einerseits als Bedingung der Möglichkeit von Verhalten überhaupt, andererseits als Medium und Instrument dieses Verhaltens.

Phänomenologische Konzeptionen

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§ 7 Lebenswelt und gelebter Raum II: Phänomenologische Konzeptionen (Heidegger, Minkowski, Dürckheim, Stern, Bollnow) Die Konzepte des gelebten Raumes (wie auch der gelebten Zeit) wurden in Abhebung und Gegenüberstellung zu den Raum- und Zeitbegriffen der Mathematik und der Physik entwickelt, um damit das Leben und Erleben des Menschen, sein leibhaftiges Dasein als räumliches und zeitliches zu erfassen. Die gelebte Zeit wurde als Gegenstand philosophischer Fragestellungen im Vergleich zum gelebten Raum früher und häufiger untersucht (vgl. Bergsons ,durée' (1889), Heideggers „Sein und Zeit" (1927), Minkowskis „Temps vécu" (1933) etc.) Die wichtigsten Beiträge zur Raumproblematik stammen von Heidegger (1927, § 22—24), Minkowski (1930; 1933 [s.a. 1971 u. 1972]; 1936),Dürckheim (1932), E. Straus (1930), Binswanger (1933), Lassen (1939), Bachelard (1958). Von einiger Wichtigkeit für die Analyse des gelebten Raumes ist auch Cassirers (1931) Beschreibung des mythischen Raumes, wenngleich Cassirer diese Raumform als charakteristisch nur für den primitiven Menschen ansieht und nodi nicht seine Bedeutung für den gelebten Raum überhaupt erkennt. Eine erste zusammenfassende Darstellung dieser verschiedenen Ansätze gibt Bollnow (1963). Über das Verhältnis von gelebtem und mathematisch-physikalischem Raum liegen vor allem zwei neuere Untersuchungen von Ströker (1965) und Gölz (1970) vor. Dieses Thema war bereits erstmalig 1923 von O. Becker in Angriff genommen worden auf der Grundlage und als Fortführung der transzendentalen Bewußtseinsphilosophie Husserls, der selbst den gelebten Raum niemals thematisch behandelt, sondern Raum nur im Zusammenhang mit der Dingkonstitution als Raum dinglichkeit analysiert hat (vgl. bes. Claesges 1964). Vor allem die Untersuchung von Ströker, in welcher der Aufweis einer Fundierung des mathematischen im gelebten Raum versucht wird, liefert eine detaillierte Analyse des gelebten Raumes, auf die wir im folgenden vielfach zurückgreifen werden. Das Thema der historischen Entwicklung des Raumproblems als Gegenstand von Philosophie, Physik und Mathematik wird im Rahmen dieser Arbeit ausgeklammert. Insofern allerdings unser Wissen um die mathematisch-physikalische Struktur und unsere Konzeptualisierung des Raumes unser Erleben und Verhalten beeinflussen und dieses als Thema empirischpsychologischer Forschung in den Blick kommt, werden wir am jeweiligen Ort darauf zurückkommen. Als geschichtliche Darstellungen seien hier vor allem die Arbeiten von Gent (1926; 1930), Conrad-Martius (1958), Deichmann (1893), Heimsoeth (1925/26), Koyré (1957) und Jammer (1960) genannt.

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Umwelt und Raum in der phänomenologischen Psychologie

Zunächst einige Bestimmungen des gelebten Raumes, die für unsere D a r stellung, in der es uns darum geht, das Verhältnis des Menschen zum Raum, sein Leben im Raum näher zu betrachten, von Bedeutung sind. Dieses Verhältnis wird am klarsten und stringentesten von Heidegger (1927) herausgearbeitet, wenn er die Räumlichkeit als Wesensbestimmung des menschlichen Daseins untersucht. Das „In-Sein", das wir meinen, wenn wir vom Leben im Raum sprechen, kann nicht verglichen werden mit dem Vorhandensein eines Gegenstandes im Raum als Behälter, ζ. B. in einer Schachtel. Es gibt nicht ein zunächst raumloses Subjekt, das sich dann auch im Raum vorfindet, sondern es besteht eine ganz ursprüngliche innige Einheit von Subjekt und Raum, in der beide Bestimmungsstücke nicht unabhängig voneinander gedacht werden können, sondern intentional aufeinander bezogen sind. H a t auch das Subjekt als Körper die Eigenschaften eines Dinges indem es ein bestimmtes Volumen hat und damit Raum ausfüllt, so ist das In-Sein als räumliches Dasein, als In-der-Welt-sein doch von anderer A r t : „In-Sein meint eine Seinsverfassung des Daseins und ist ein Existential. Dann kann damit aber nicht gedacht werden an das Vorhandensein eines Körperdinges (Menschenleib) ,in' einem vorhandenen Seienden . . . In-Sein ist demnach

der formale existentiale Ausdruck des Seins des Daseins, das die wesenhafte Verfassung

des In-der-Welt-seins

hat" (Heidegger 1967, 54).

Erst durch die räumliche Struktur des In-der-Welt-seins erschließt sich die Räumlichkeit der Welt, etwa der Dinge, des Zuhandenen. Dieser a-priorische Charakter der Räumlichkeit darf nicht im Sinne der kantischen „transzendentalen Idealität" verstanden werden, wobei der Raum im Subjekt ist und als Form der Anschauung sozusagen aus ihm hinausgeworfen wird, darf aber auch nicht als unabhängig vom Menschen Seiendes verstanden werden, etwa als ihn umschließenden Weltraum.

„Der Raum ist weder im Subjekt, noch ist die Welt im Raum. Der Raum ist vielmehr ,in* der Welt, sofern das für das Dasein konstitutive In-derWelt-sein Raum erschlossen hat" (a.a.O., 111). Das Dasein manifestiert sich als räumliches im Umgang mit den Dingen, dem umsichtigen Besorgen des innerweltlich begegnenden Seienden. Die Weisen der Begegnung charakterisiert Heidegger als Ent-fernung und Ausrichtung — Ent-fernung als In-dieNähe-bringen, bereitstellen, zur Hand haben, und damit verbunden das Ent-fernen in einer bestimmten Richtung, als Hingehen, Hinbringen nadi rechts oder links, usw. Die Räumlichkeit des Zuhandenen zeigt sich im Raum-geben, im Einräumen. Einräumen, hier wieder als Existential verstanden, heißt „das Freigeben des Zuhandenen auf seine Räumlichkeit" (a.a.O., 111). (Auf diese Bestimmungen werden wir im Zusammenhang mit dem Handlungsraum nodi näher eingehen.)

Phänomenologische Konzeptionen

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Die Welt des Zuhandenen, in der die Dinge ihren Platz haben und in einem „Verweisungszusammenhang" stehen, ist der ursprüngliche Raum, in dem wir leben. Denken wir jedoch beim Stichwort ,Raum' sogleich an den dreidimensionalen abstrakten Raum der Mathematik, so nicht nur deswegen, weil dieser langjährige Gegenstand schulischen Lernens war, jener dagegen selbstverständlicher, vorgegebener, aber unthematischer Horizont unseres Lebens ist, sondern audi, weil ein Großteil unseres praktischen H a n delns diese objektiven räumlichen Beziehungen zugrundelegt, etwa wenn wir messend und berechnend unsere Umwelt bewältigen, ein Haus bauen, einen Plan für die Einrichtung eines Zimmers entwerfen. Das Übergewicht dieses objektiven mathematischen Raumes in unserem bewußten Verhalten und Erleben bedeutet aber nicht, daß dieser auch das Fundament für den gelebten Raum ist. Vielmehr ergibt sich der mathematische Raum aus dem gelebten Raum, darstellbar als Folge einer stufenweisen Abstraktion vom umsichtigen Handeln mit den Dingen im Raum, über das Messen und Berechnen dieses Raumes bis zur bloßen, umsichtfreien Hinsicht, der formalen Anschauung des Raumes, wo die konkrete Platzganzheit des Zuhandenen zur puren Stellenmannigfaltigkeit des Vorhandenen absinkt, an die Stelle der Weltmäßigkeit der Dinge die Entweltlicbung (Heidegger) tritt. Die Welt verliert das spezifisch Umhafle, der Umraum wird zum homogenen Naturraum. Diese Stufenfolge und dieser Fundierungszusammenhang, die bereits von O. Becker (1923) analysiert worden sind, von Heidegger nur kurz skizziert, aber nicht weiter ausgefaltet wurden, sind das zentrale Thema der Arbeiten von Ströker (1965) und Gölz (1970). Auch Minkowski bestimmt den gelebten Raum in Abhebung zum homogenen Raum der Naturwissenschaften als „espace amathématique et agéométrique" (1930, 728). Es ist der Raum, in dem wir leben und handeln, in dem sich unser persönliches Leben und das der gesamten Menschheit abspielt. „Nous

vivons

et agissons dans l'espace,

et c'est dans l'espace que se

déroule aussi bien notre vie personelle que la vie collective de l'humanité. La vie s'étend dans l'espace, sans pour cela avoir de l'étendue géométrique à proprement parler. Pour vivre nous avons besoin d'étendue, de perspective, d'horizon. L'espace est aussi indispensable à l'épanouissement de la vie que le temps" (ebda.). Minkowski verdeutlicht seine Raumkonzeption am Phänomen der gelebten Distanz (distance vécue) bzw. der Weite des Lebens (ampleur de la vie). Distanz als gelebte ist eine Qualität, die sich nicht als meßbares Intervall zwischen zwei Punkten bestimmen läßt, sondern als Entfernung (hier nicht im Heideggerschen Sinne) der Dinge und Menschen zu mir. Diese Entfernung mit der ihr eigenen Möglichkeit zum Kontakt macht den Spielraum (l'espace libre) aus, in dem sich mein Leben und meine Aktivität entfalten. Diesen Spielraum nennt Minkowski auch „sphère de l'aisance". „Je me sens à l'aise, je me sens libre dans cet espace que j'ai devant moi, il n'y 3 Kruse. Umwelt

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Umwelt und Raum in der phänomenologischen Psychologie

a pas de contact immédiat, au sens physique du mot, entre le moi et le devenir ambiant. Mais contact avec le devenir ambiant s'effectue pardessus ou plutôt à l'aide d'une .distance' qui nous unit l'un à l'autre" (a.a.O., 731 f.). Diese hier vorerst individuell konzipierte Distanz wird aber nun als allen Menschen zukommendes Phänomen erfahren und akzeptiert. Dieses von mir gleichsam nadi außen projizierte und objektivierte Phänomen als wesentliches Merkmal der Menschheit insgesamt nennt Minkowski „ampleur de la vie". In der Weite des Lebens bewegen sich die Menschen miteinander, umeinander, in frei gewählter Nähe oder Ferne, ohne sich zu berühren oder berührt zu sein: „Je vais dans la rue, je croise quantité de gens, mais chacun d'eux, tout en faisant partie d'un tout, suit son chemin et ses pensées; on s'en va dans des directions opposées, et pourtant on reste comme reliés les un aux autres, sans se .toucher' au sens strict du mot. C'est que notre vie se déroule dans l'espace et reste une de ce fait; l'espace contribue ainsi à faire de nous une collectivité, mais il reste toujours entre nous de l'espace libre, de la distance vécue, lourde de possibilités individuelles, ce qui permet à chacun de vivre dans cet espace sa propre vie. L'ampleur de la vie se dégage de cet état de choses." (a.a.O., 736) Diese Konzeption des Lebensraumes mit seinen Dimensionen der Weite und Tiefe, als Spielraum Grundlage und -bedingung unserer Entfaltungsmöglichkeit, wurde von Minkowski im Kontext seiner psydiopathologisdien Beobachtungen entwickelt, um von daher die Räumlichkeit schizophrenen Daseins charakterisieren zu können, worauf aber hier nicht weiter eingegangen werden soll. Stand bei Heidegger die ontologische Bestimmung der Räumlichkeit des menschlichen Lebens im Mittelpunkt, blieb dabei der Raum als gelebter, ζ. B. als Medium des Verhaltens, doch gänzlich im Hintergrund. Raum als konkretes Umherum, das in bestimmter Weise erlebt und gelebt wird, woran Mangel oder Uberfluß herrschen kann, spielt kaum eine Rolle. Ebenso findet man auch bei Minkowski wenig über den konkreten Spielraum, den der Mensch zur Entfaltung seines Lebens und seiner Aktivität braucht. Audi bei ihm ist die „Weite des Lebens" eher eine Wesensbestimmung des Menschen als eine Charakterisierung seines Lebensraumes, worin sich Menschen ja auch in anderer als nur übertragener Weise berühren können. Die Analyse der Räumlichkeit menschlichen Lebens ist von großer Bedeutung, weil sie einerseits die Kantische Konzeption des Raumes als bloßer Anschauungsform, als subjektiver Entwurf überwindet, andererseits aber audi die Auffassung vom Raum als subjektunabhängiger Behälter zunichte macht. Doch blieb bei der Konzentration auf die Räumlichkeit als Wesensbestimmung menschlichen Daseins der Raum als Korrelat eines lebendigen Leibsubjekts in seiner Struktur weitgehend unberücksichtigt.

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Deutlicher kommt dies bei Dürckheim in den Blick, der aus ganz anderer Perspektive das Thema Mensch und Raum angeht. Die philosophischen Analysen Heideggers, die psychopathologischen Untersuchungen von Minkowski (1930) oder Straus (1930) hat er offenbar nicht zur Kenntnis genommen, nimmt er doch weder wörtlich nodi sinngemäß darauf Bezug. Seine Argumentationen bewegen sich ganz im Rahmen der Ganzheits- und Strukturpsychologie der zweiten Leipziger Schule, der Ausdruckspsychologie von Klages und vor allem der Personalistik W. Sterns (ohne daß diese Ursprünge von Dürckheim explizit gemacht würden!). Die von W. Stern seit 1906, insbesondere aber vom Ende des 1. Weltkrieges an entwickelten Gedanken zu einer personalistischen Psychologie (vgl. 1906, 1917, 1923, 1924 u. a.) haben offensichtlich den Anstoß zu Dürckheims Untersuchungen des gelebten Raumes gegeben. Sein Ziel geht dahin, von der Welt, in der der Mensch lebt, sich entfaltet und verwirklicht, Aufsdiluß über die personale Ganzheit des Menschen zu gewinnen. So geht es ihm letztlich nicht um die Interaktion MenschUmwelt, sondern um das Selbst als strukturelles „Seins- und Lebensgefüge". „Nur eine Psychologie, die den Menschen in der von ihm gelebten Welt erforscht, kann dem Menschen in seiner personalen Ganzheit gerecht werden" (Dürckheim 1932, 387). Sein Ausgangspunkt ist der konkrete Raum, in dem der Mensch „wirklich existiert", in dem er lebt, sich entfalten kann, der ihm aber auch gleichzeitig Widerstand bietet durch seine Eigenständigkeit, seine „leibhaftige Herumwirklichkeit". „Im gelebten Raum ist der Mensch mit seiner ganzen Wesens-, Wertund Lebenswirklichkeit drin. Räumliche Wirklichkeit ist sinnhafte Mannigfaltigkeit in Ganzheiten, deren Sinnzentrum letzten Endes das personale Gesamtselbst ist. Als solche ist sie, das was sie ist, nur als Raum dieses lebendigen Selbstes. Der gelebte Raum ist für das Selbst Medium seiner leibhaftigen Verwirklichung, Gegenform oder Verbreiterung, Bedroher oder Bewahrer, Durchgang oder Bleibe, Fremde oder Heimat, Material, Erfüllungsort oder Entfaltungsmöglichkeit, Widerstand und Grenze, Organ und Gegenspieler dieses Selbstes in seiner überdauernden und seiner augenblicklichen Seins- und Lebenswirklichkeit... Der Raum mag sich dem erlebenden Subjekt nodi so sehr als Gefüge eigenständiger Wirklichkeiten darbieten, von eigenem Sinn und immanenter Bedeutung, so lange er gelebter und erlebter Raum bleibt, so lange bleibt er sinnund bedeutungshaltige Wirklichkeit, die als das, wofür sie genommen wird, und in der Bedeutung, in der sie vollzogen wird, nur aus der eigenartigen Lebenswirklichkeit des Subjekts heraus verständlich ist, das sie in seiner Weise gegenwärtig hat und lebt" (a.a.O., 389 f.). Der Terminus „gelebter Raum" versteht sich hier einerseits als Gegensatz zum objektiven mathematischen Raum, andererseits als Abhebung bzw. 3*

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Ergänzung zum erlebten Raum, dem Untersuchungsobjekt der traditionellen Psychologie. Die Beziehung zwischen Leben und Erleben, zwischen Lebnis und Erlebnis, gelebter und erlebter Welt wurde von Stern (ζ. B. 1924; 1936; 1950) ausführlich dargelegt. Leben, im allgemeinsten Sinne als Lebendigkeit, ist Vorbedingung und Grundlage jeden Erlebens. „Nur was lebt, kann auch er-leben" (1950, 99). „Leben bildet die Grundlage, aus der alles Erleben wächst, die alles Erleben trägt, in die alles Erleben einmündet. Leben ist total, Erleben ist ihm gegenüber partiell, vom Leben her und auf Leben hin verstehbar" (ebda.). Erleben bedeutet zweckmäßige, sinnhafte Selektion des personal Relevanten aus dem Totalangebot des Lebens, es ist damit subjektives (bei Stern: psychisches) Geschehen. In gleicher „Figur-Grund Beziehung" bestimmt sich auch das Verhältnis von erlebter und gelebter Welt. Gelebte Welt ist personale Welt, Welt der Person. Gelebte Welt ist zentriert, „jede Person ist das Zentrum ihrer Welt" (123). Als erlebte Welt ist sie jener Teil der gelebten Welt, der ins Bewußtsein aufgenommen wird, sich im Bewußtsein spiegelt, von Stern auch als Gegenstandswelt = Ziel objektivierenden Erlebens bezeichnet. Um diesen erlebnisfähigen Teil der Welt lagern sich einmal die Biosphäre als Bereich der Vitalfunktionen, zum anderen die introzeptible Welt der transpersonalen Eigenschaften, Werte und Forderungen, die sich das Individuum durch die introzeptiven Akte ζ. B. Lieben, Verstehen, Schaffen, „eineignen" kann. Mit der Konzeption der gelebten Welt als personale Welt geht Stern über die zuvor übliche Zweigliederung in objektive Welt- subjektives Welterlebnis hinaus, setzt zwischen dem physikalischen Reiz und Wahrnehmungserlebnis einen personalen Lebensraum an, als „einheitliche Reizsituation, in der die Person lebt" (a.a.O., 1244). Die Beziehung zwischen Person und Welt formuliert Stern in seinem Konvergenzprinzip : „Im ständigen Austausch des Geschehens ζwischen Person und Welt formt sich nicht nur die Person, sondern auch deren Welt. Die „Umwelt" eines Menschen ist nicht jenes Stück objektiver Welt, das sich zufällig in der Nähe befindet und deshalb auf den Menschen einwirkt; Umwelt ist vielmehr das Stück Welt, das der Mensch sidi nahebringt, weil er dafür Empfänglichkeit oder Reizbarkeit besitzt, und dem er zugleich diejenige Form zu geben sucht, die seinem Wesen gemäß ist" (a.a.O., 125). Damit ist die Welt als personale, d. h. perspektivische (im Gegensatz zur unperspektivischen mathematischen Welt) bestimmt. Das Subjekt (die Person) als Zentrum seiner Welt eignet sich die Objekte seiner Umwelt gemäß seiner eigenen Perspektive an. „Zwei Personen, die dauernd in der gleichen Landschaft, in der gleichen Gemeinschaft, ja im gleichen Zimmer leben, haben dennoch nicht die gleiche Umwelt; denn die Auslese und Modellierung, die jede Person an den Din-' gen, Geschehnissen und Umständen vornimmt, ist verschieden und versdiie-

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den deshalb auch die Gesamtgestalt und Gesamtatmosphaere der beiden personalen Umwelten" (a.a.O., 125; eigene Hervorh.). Sterns Konzeption des Person-Weltgeschehens ist weit entfernt von jeder Reduktion auf Reiz-Reaktionsketten. Die Person ist nicht nur reagierende, sondern auch spontan agierende Person und so ist die personale Welt „stets zugleich Schicksal und Werk der Person" (a.a.O., 126). Die Welt ist zugleich Aufforderungs- und Materialcharakter, dem die Person entweder teilnehmend oder prägend begegnet. Teilnahme meint Hereinnahme der Welt in die Person, Hingabe, Angleidiung an die Welt in „zentripetaler" Richtung; Prägung, das Umsetzen der innerpersonalen Ideen in transpersonaler Weise: „Aus seinem spontanen Innengeschehen heraus prägt jeder Mensch seiner personalen Welt einen Widerspruch seines Wesens auf" (a.a.O., 127)1. Die Person bestimmt in „zentrifugaler" Richtung die sie umgebende Atmosphäre nach sich, bildet seine Gemeinschaft, seine Wohnung. Dabei differenziert Stern beide Richtungen nach den qualitativen Ausprägungen der Homogeneität und Heterogeneität. Homogeneität in zentripetaler wie zentrifugaler Richtung bedeutet optimal Angleichung von Person und Welt, effektiv jedoch höchstens Anähnelung, aufgrund der jeweiligen strukturbedingten Widerständigkeit, des Eigencharakters des jeweils Anzugleichenden. So kommen jeder homogenen Beziehung von Person und Welt bereits heterogene Anteile zu. Aber erst in der heterogenen Beziehung offenbart sich Person-Welt als Sinnzusammenhang, der zugleich ein sinn-teiliger ist, da „der Gesamtsinn nur dadurch realisiert werden kann, daß jeder Faktor einen anderen Teilsinn vertritt" . . . (a.a.O., 128). Solche sinnteiligen Beziehungen wären etwa HerrschaftGefolgschaft, Bedrohung-Flucht, das Säen im Hinblick auf die Ernte, Investieren im Hinblick auf zukünftigen Gewinn. Jedes Glied für sich ist unvollständig, erhält seinen Sinn aus der Ergänzung durch das andere. Stärkste Heterogeneität, aber gleichzeitig auch ein besonders starker Sinnzusammenhang ist bei Gegensätzlichkeit beider Glieder gegeben. Stern bezeichnet dies als die „Dialektik im Verhältnis von Person/Welt, daß das, was sich gegenseitig negiert, sich zugleich gegenseitig zu ergänzen vermag. Die Person sucht in der Welt das, was ihr fehlt; und sie reagiert auf die Welt im Sinn einer Gegenwirkung, wenn sie ihr Selbstsein gegenüber dem Angeglichenwerden behaupten muß" (ebda.). Mit dieser Bestimmung der personalen Welt als Werk und Schicksal und der Explikation der möglichen Einflußrichtungen und -qualitäten deutet sich bereits bei Stern eine Bestimmung der Person-Welt Beziehung an, wie sie auch in der modernen Umweltpsychologie wieder auftaucht, in der — nach Uberwindung der Positionen des „environmentalism" und „possibi1

Vgl. in diesem Zusammenhang auch die ganz ähnliche Begrifiskoppel „Assimilation" und „Akkomodation" von Piaget (1970).

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lism" (vgl. Craik 1970, 43) — der Mensdi sowohl „Opfer" als audi „Eroberer" seiner Umwelt ist (vgl. Proshansky et al. 1969, 4). Mit einigem Redit ließe sidi Stern mit seinem „kritischen Personalismus" (vgl. 1906) und der dort formulierten Konvergenztheorie als einer der geistigen Väter der Umweltpsychologie bezeichnen, zumal audi sein Konzept des „personalen Raumes" — wenn auch wesentlidi verkürzt — in den Begriff des „personal space", wie ihn die moderne „environmental psychology" definiert, miteingegangen ist. Doch bleiben seine Überlegungen zur PersonWelt Beziehung an den Anfängen, z.B. bei der Nativismus-Empirismus Kontroverse, stehen, so daß etwa die Rolle der konkreten Umwelt als gelebte Welt in seinen allgemein-, entwidclungs- und differentialpsychologischen Werken unberücksichtigt bleibt und m.E. vor Dürdsheim auch keinen Zeitgenossen zu eingehenderen Untersuchungen motiviert hat 8 . Diese Doppelrolle der Person als Opfer und Eroberer findet bei D ü r k heim in der Unterscheidung von „objektivem" und „persönlichem" Raum Ausdruck; Objektivität im Sinne von Eigencharakter oder Widerständigkeit des Raumes, dem sidi das Subjekt fügen und anpassen muß, wogegen es dem Raum als „persönlichem" seinen Stempel aufdrückt, ihn in ausschließlich persönlicher Bedeutsamkeit lebt und erlebt. Auf diese zweiseitige Akzentuierung und etwaige Mißdeutunggen wird zu einem späteren Zeitpunkt (S. 64) noch einzugehen sein. Bollnows (1963) Konzeption des „erlebten" Raumes ist eher in die Linie Stern-Dürckheim einzureihen als an Heidegger anzuschließen. Macht er audi aus sprachlichen Bedenken heraus den „gelebten" Raum wieder zum „erlebten", so ist dieser aber bei ihm „nichts Seelisdies, nichts bloß Erlebtes oder Vorgestelltes oder gar Eingebildetes, sondern etwas Wirkliches: der konkrete Raum, in dem sich unser Leben abspielt" (1963, 19). 8

Wenn man schon von Vätern der Umweltpsychologie spricht, sollte nicht unerwähnt bleiben, daß deren eigentlicher Begründer Wilhelm Hellpach gewesen ist, der bereits 1911 über die „geopsydiisdien Erscheinungen" arbeitete, die später unter dem Titel „Geopsydie" in mehreren Auflagen und Sprachen erschienen (vgl. 1950) und „die Menschenseele unter dem Einfluß von Wetter und Klima, Boden und Landschaft" betrachtete. In der Geopsydie bereits vorentworfen und 1939 unter dem Titel „Mensch und Volk der Großstadt veröffentlicht, hat Hellpach audi eine „Tektopsychologie" konzipiert, die sich mit den Wirkungen befaßt, die „vom technisch geschaffenen Lebensraum auf Erden ausgehen, von Stube und Möbel, Haus und Halle, Gasse und Platz, Fahrbahn und Fahrzeug" (1950, 5). Neben Geo- und Tektopsychologie zählt audi nodi die Sozialpsydiologie zur Umweltpsychologie, die Hellpach 1924 unter dem Ttiel „Psychologie der Umwelt" entworfen und damit wohl auch als erster diesen Terminus eingeführt hat. Uber viele gute Beobachtungen und Beschreibungen und die Sammlung der wenigen damals vorliegenden Forschungsergebnisse hinaus hat er jedodi keinen Ansatz geliefert, der für eine phänomenologische Analyse der Umwelt von Belang wäre, so daß er in der vorliegenden Arbeit keine weitere Berücksichtigung finden kann.

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„Es handelt sich nidit um eine vom konkreten Bezug zum Menschen losgelöste Wirklichkeit, sondern um den Raum, wie er für den Menschen da ist, und in eins damit um das menschliche Verhältnis zu diesem Raum; denn beides ist voneinander gar nicht zu trennen" (18). Um die bei der philosophischen Analyse menschlicher Räumlichkeit meist vernachlässigten vielfältigen inhaltlichen Bestimmungen des gelebten Raumes stärker in den Blick zu bringen, zieht Bollnow es vor, bei eben diesem konkreten Lebensraum anzusetzen, um von ihm aus auf die Räumlichkeit menschlichen Lebens zurückzuschließen (vgl. dazu sein Schlußkapitel, S. 271 ff.). In Abhebung zum Raum als bloßem Korrelat intentionaler Akte, als Konstituens von Wahrnehmung und Bewegung, zum perspektivischen und horizonthaften Raum, dessen Mittelpunkt der jeweilige Standort und Blickpunkt des Menschen ist, zieht Bollnow es vor, den gelebten Raum primär unter einem anderen Aspekt zu betrachten; nämlich, wie er es nennt, als Medium. Der Raum gewinnt hier eine „quasi-materielle" Bedeutung als ein Mittleres (und nichts anderes meint bei Bollnow wohl Medium) zwischen „Gegenstand" und reiner „Anschauungsform", zwischen subjektunabhängigem Behälter und subjektivem Entwurf (vgl. S. 274). Als Medium ist der Raum etwas Ruhendes mit einem festen unverrückbaren Mittelpunkt, „in" dem der Mensdi sich bewegt, so wie wir etwa die Erdoberfläche als festen Grund empfinden. Mit dieser Redeweise vom Medium will Bollnow keineswegs eine weitere Hypothese zum „Wesen des Raumes" aufstellen, vielmehr nur dem Ausdruck verleihen, was in der unmittelbaren Raumerfahrung phänomenal gegeben ist: daß der Mensch sich „im" Raum bewegt und der Raum feststeht, dabei aber auch nicht als subjekt-unabhängig gegeben erscheint, sondern ein subjekt-bezogenes Relationssystem bildet. Diese Weise der Raumerfahrung läßt sich vielleicht gegenüber dem aktuellen Raumerleben als „Raum-haben" bezeichnen, womit zunächst nur eine intensivere, innigere Weise der Zugehörigkeit zum Raum ausgedrückt werden soll, die es weiter unten noch näher zu bestimmen gilt. Im alltäglichen Sprachgebrauch beschreiben wir unsere Bewegung im Raum als „fortgehen" und „zurückkehren", als „verreisen" und „nach Hause kommen"; wir sind in einer „fremden" Stadt und haben „Heimweh". Solche Redewendungen sind nur sinnvoll, wenn „fort" und „zurück" auf einen bestimmten Bezugspunkt verweisen, der gegenüber dem ständigen Wedisel des Aufenthaltes konstant bleibt, d. h. einen mehr oder weniger überdauernden Ausgangs- und Endpunkt meiner Handlungen bildet. Ich sitze in der Bibliothek und lese; um ein neues Buch zu holen, verlasse ich meinen Platz. Indem idi dies tue, verändern sich Perspektive und Horizontstruktur des Bibliotheksraumes entsprechend meiner Bewegung in ihm. Doch bleibt dieser Raum als Aktualraum meiner Bewegung gleichsam eingebettet in den auf meinen Sitzplatz zentrierten Raum. Dieser relative Bezugspunkt

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meines Sitzplatzes mag nur für meinen heutigen Bibliotheks-Aufenthalt gelten oder auch als mein Stammplatz von größerer Permanenz und Wichtigkeit sein. Aber auch, dieser Ort in der Bibliothek ist wiederum nur vorübergehender Aufenthalt in bezug auf meine Wohnung, von der ich heute morgen aufbrach, um am Abend wieder dorthin zurückzukehren. Der Bezugspunkt Wohnung ließe sich nodi einbetten in den umfassenderen Bereich der Heimat und damit eine — hier nur flüchtig skizzierte — Hierarchie räumlicher Bezugspunkte, die eine Kette von Verweisungen bilden, die wir als habituellen gelebten Raum bezeichnen wollen, um damit das Gesamt „ausgezeichneter" ö r t e r und Plätze (und die zu ihnen führenden Wege) zu umschreiben, an die ich immer wieder zurückkehre, wo ich mich häufig und über längere Zeit hinweg aufhalte, weil oder weswegen sie den Charakter des Gewohnten, Bekannten und damit Vertrauten und schließlich des Alltäglichen und „Gewöhnlichen" (vgl. Heidegger 1967) annehmen. Vom habituellen Raum unterscheiden wir den „aktuellen" gelebten — hier primär erlebten — Raum mit ständig verändertem Mittelpunkt, wechselnder Perspektive und Horizontstruktur. Vor einer eingehenderen Bestimmung dieses habituellen Raumes und der für ihn charakteristischen Weisen des „Raum-habens" sei als weitere Untergliederung des gelebten Raumes noch der potentielle Raum eingeführt, der zusammen mit dem aktuellen und habituellen Modus die Gesamtheit des gelebten Raumes in seinen Grundzügen ausmacht. Als potentieller Raum gilt — zunächst innerhalb des aktuellen Raumerlebens — jener Ort, an dem ich gerade war und nun nicht mehr bin, oder den ich jetzt noch nicht einnehme, aber im nächsten Augenblick einnehmen werde, ein Ort oder Platz, an dem sich vielleicht gerade ein Mitmensch befindet, ihn als Standort oder Blickpunkt hat, wodurch er auch mir als möglicher einzunehmender Platz erst eröffnet wird. Desgleichen ist der habituelle Raum als Potentialität der Raum möglicher Plätze, Aufenthaltsorte, Stammplätze, Wohnplätze usw., den ich als Ort möglichen Verhaltens, als Vermöglichung immer schon mithabe. Mein aktuelles Raumerleben, meine aktuelle Raumhabe sind eingebettet in die übergreifende Ganzheit möglichen, d. h. prinzipiell von mir und anderen zu verwirklichenden Raumerlebens und Raumhabens.

§ 8 W o h n e n u n d Leiblichkeit Habitueller Raum als gewohnter erwies sich als das Gesamt der Plätze und Wege, denen sich der Mensch besonders zugehörig fühlt, die ihm bekannt und vertraut sind und als ausgezeichnete Bezugspunkte aller weiteren Aufenthalte gelten. Straus (1930) unterscheidet in diesem Sinne zwischen Heimat und Aufenthalt: Heimat als feste Mitte des historischen Rau-

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mes (unserer Lebensgeschichte), die Ausgangs-, Bezugs- und Endpunkt unseres Unterwegsseins bildet, im Gegensatz zur beweglichen Mitte des Aufenthalts 3 . Die vielen — räumlichen wie zeitlichen — Teilräume, in denen der Mensch sich im Laufe eines Tages oder eines ganzen Lebens aufhält, sind miteinander verbunden im Hinblick auf diesen subjektiven Bezugspunkt Heimat. Eine ausgezeichnete Bedeutung innerhalb dieses Bereiches des Vertrauten und Gewohnten kommt der Wohnung und dem Wohnen zu. Sprachgeschichtlich läßt sich zeigen, daß Wohnen primär nicht an eine bestimmte Räumlichkeit, an eine begrenzte häusliche Umwelt gebunden war, diese Bedeutung vielmehr später hinzuerworben hat. Aus der Grundbedeutung „behagen", „gefallen", „zufrieden sein", „verlangen", „lieben" hat sich das „wohnen" i. e. Sinne als „verweilen", „bleiben", „sich befinden" (manere, morari und auch habitare, sedem habere) entwickelt (vgl. Funke 1961, 209 ff.). Dieses sprachgeschichtlichen Zusammenhanges bedient sich audi Heidegger, wenn er das Wohnen als Existenzial, d. h. als Seinsverfassung des Daseins bestimmt. In „Sein und Zeit" (1927; 1967) stellt er das In-Sein des In-der-Welt-seins dem „Sein i n . . . " des „In-einander-seins" von Seiendem (das Wasser im Glas, die Bank im Hörsaal, der Hörsaal in der Universität usw.) gegenüber. „In-sein" meint demnach ursprünglich gar keine räumliche Beziehung, sofern „in" sich ableitet von „innan-" und hier ,in' soviel wie „wohnen", „sich aufhalten", ,an' soviel wie „ich bin gewohnt", „vertraut mit", „pflege etwas" bedeuten. In-Sein heißt dann „wohnen bei", „vertraut sein mit" und ist „der formale existentiale Ausdruck des Seins des Daseins, das die wesenhafte Verfassung des In-der-Welt-seins hat" (1967, 54). Die enge Beziehung zwischen dem Wohnen als Grundverfassung menschlichen Lebens und der Wohnung als gebauter Behausung wird von Heidegger in seinem Vortrag „Bauen-Wohnen-Denken" (1952) ebenfalls sprachgeschichtlich hergeleitet: Danach ist das althochdeutsche bauen (buan) gleichbedeutend mit wohnen = „bleiben", „sich aufhalten", und zwar in einer sehr viel umfassenderen Bedeutung, als wir sie heutzutage meinen, wenn wir etwa wohnen, arbeiten, unterwegs sein nebeneinanderstellen. Bauen = wohnen heißt so viel wie „sein", — als Sterblicher auf der Erde sein. Daneben hat es noch die Bedeutung von „hegen" und „pflegen" (colere), wie sie heute noch im „bebauen" erhalten ist, und erst später entwickelt sich daraus das bauen im Sinne von aedificare = Bauten errichten, auf welche Bedeutung es schließlich beschränkt bleibt. Dies begründet Heidegger damit, daß das Wohnen = als Mensch auf der Erde sein in dieser Ursprünglichkeit so sehr zum „Gewohnten" wird, daß es auch in der Sprache in Vergessen3

Diese Unterscheidung wurde neuerdings audi im Bereich der Urbanistik aufgegriffen, wenn Felizitas Lenz-Romeiß (1970) mit dem Titel ihrer Abhandlung fragt: „Die Stadt — Heimat oder Durdigangsstation?"

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heit gerät. In dieser weiten Bedeutung wird das „Wohnen" als .habiter' erst wieder bei Merleau-Ponty zum zentralen Begriff oder besser: zum selbstverständlichen Beschreibungsmodus, wenn es besonders innige Seinsverhältnisse zu verdeutlichen gilt. Doch 'bevor ich darauf ausführlich eingehe, bleibt erst noch das Wohnen in seiner Eigenart näher zu bestimmen. Wohnen im Sinne von „bleiben, sich aufhalten" heißt mehr als ,an einem beliebigen Ort verweilen*. Es hat die Bedeutung von „zufrieden sein, zum Frieden gebracht, in ihm bleiben" (Heidegger 1952, 75). Friede meint „frei sein" = vor Schaden und Bedrohung bewahrt = geschont. Dieses Schonen leistet der „umfriedete" Wohnbereich, das Haus mit seinen schützenden Mauern, seine ,Einfriedung' durch Zäune und Hecken, aber auch über das Haus hinaus die befestigte Stadt, die „heimische" Landschaft usw. Doch kommt dem Haus als „Pol der Geborgenheit" (vgl. Bilz 1957) als „Urfunktion des Wohnens" (vgl. Bachelard 1960) eine zentrale Stellung zu. Bollnow hebt diese Bedeutung hervor, wenn er das Haus als „Mitte der Welt" (vgl. 123 ff.) bestimmt, auf die alle Wege des Menschen bezogen sind. Dort ist der Mensch „zu Hause", dorthin kann er „heimkehren". Dieser räumliche Bereich des Hauses und der Wohnung bildet den Mittelpunkt des Vertrauten, das sich als gewohntes Straßennetz, vertrautes Viertel, vertraute Stadt, Landschaft etc. in mehreren Zonen um dieses Zentrum aufbaut. Als eine soldie Mitte ist das Haus geradezu notwendig für das Dasein des Menschen, erfüllt eine „anthropologische Funktion" (vgl. Bollnow, 136 ff.): Der Mensch, der sidi dem alltäglichen Lebenskampf stellt, sich der „feindlichen" Welt aussetzt, braucht den „Frieden" einer Wohnung, in die er sich vor anderen und zu anderen Menschen zurückziehen kann, die ihm einen „Privatbereich" und damit Schutz vor der Öffentlichkeit bietet. (Auf die Bedeutung dieses Bergens der Wohnung und des Gefühls der Geborgenheit ist Bollnow in seiner Studie zur „Neuen Geborgenheit" (1958) insbesondere eingegangen.) Den Menschen, die nach mehrmaligem Verlust von Haus und Heimat heutzutage alles, „was nadi Geborgenheit aussieht" (Bollnow 1963,137), belächeln und die Entbehrlichkeit des Hauses propagieren, ist die anthropologisdie Bedeutung des Hauses verlorengegangen. In diesem Sinne ist auch Heideggers Argumentation (1952) zu verstehen, wenn er Wohnungsnot nicht nur als Fehlen von Wohnunigen sondern als „Not des Wohnens" (Heimatlosigkeit, Ruhelosigkeit) verstanden wissen will und feststellt, daß die Menschen das Wohnen erst lernen müssen (S. 84). Und audi die zentrale Berücksichtigung des Wohnens bei Merleau-Ponty (1960; 1966; 1967) ist vielleicht nicht zuletzt aus seiner Kritik an der Idealisierung des entwurzelten Menschen ohne Raum und Zeit durch den französischen Existenzialismus zu verstehen. Das Wohnen als Grundverfassung und Wesensbestimmung menschlichen Daseins erfährt durch Merleau-Pontys Gebrauch des Wortes ,habiter' eine

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neue und umfassendere Bestimmung. Die transitive Verwendung von .habiter' im Französischen hat im Deutschen keine Entsprechung; im „bewohnen" wird das innige Verhältnis des Wohnenden zum Bewohnten, das Merleau-Ponty ausdrücken will, nur annäherungsweise wiedergegeben 4 . Merleau-Ponty gebraucht Wendungen wie ,das Sein bewohnen' (1960a, 20), ,die Seele bewohnt den Leib' (1966, 370; 1967 b, 29), ,der Leib bewohnt den Raum und die Zeit' (1966, 169) oder auch ,der Leib ist zum Raum und zur Zeit (,être à l'espace et au temp«'; vgl. 1966, 170, 178 u. a.), ,der Mensch bewohnt die Welt' (1966, 488); ja er spricht sogar davon, daß die Wissenschaft die Dinge zwar behandele, aber darauf verzichte, sie zu bewohnen (1967 b, 13). Dieser Begriff des Wohnens, den Merleau-Ponty so häufig und in so verschiedenartigen Zusammenhängen gebraucht, wird von ihm an keiner Stelle explizit eingeführt oder gar definiert. Dodi schon der Sprachgebrauch Merleau-Pontys macht deutlich, wie er diesen Begriff verstanden wissen will. Im Wohnen soll ein besonders inniges Seinsverhältnis zwischen zwei Phänomenen ausgedrückt werden, das mehr ist als nur gleichzeitiges miteinander oder ineinander vorkommen. ,Habiter' meint eine besondere Weise des „Habens", des „Seins bei" (den Dingen, der Welt etc.), des „Engagiert-Seins", der „Inkarnation"—Begriffe, die Merleau-Ponty im Zusammenhang mit dem „Wohnen" häufig verwendet. Kann die Wissensdiaft die Dinge nur in ihrer Gegenüberstellung als Objekte und durch ihre Manipulation erfassen, hat der Mensch die Möglichkeit, durch das Medium des Leibes bei den Dingen zu sein, sie zu bewohnen. Das bedeutet, daß f ü r den Menschen die Dinge nicht nur ihm äußere Gegenstände sind, denen er sidi räumlich gegenüber' befindet, sondern daß er in bestimmter Hinsicht „bei den Dingen ist", sie in unmittelbarer Weise „hat". Mit dieser Konzeption des Bewohnens der Welt stellt sich Merleau-Ponty den französischen Existentialisten, vor allem Sartre, entgegen, f ü r die die Welt alles andere, nur nicht bewohnbar ist (vgl. zu dieser Gegenüberstellung die Analyse von Maier 1964). So sind etwa bei Sartre (1943; 1962) die Dinge f ü r den Menschen stets fremd, feindselig und bedrohlich, die Welt ist eine „dramatische Situation", in die der Mensch „hineingeworfen" ist, und bleibt in ihrer „Widerständigkeit" immer Gegenstand seiner „Pflichterfüllung", seiner moralischen Anstrengung; ein ausruhendes Wohnen in ihr wäre gleichbedeutend mit dem Verlust des „eigentlichen", d. h. sittlichen Menschseins. Ausgangspunkt und zentrales Thema bei Merleau-Ponty ist die Leiblichkeit des Menschen. N u r von ihr her kann die Beziehung des Menschen zur Welt und zu den Dingen, kann sein räumliches Dasein verstanden werden. 4

In der deutschen Ubersetzung der „Phénoménologie de la perception" (1945) durdi R. Boehm (1966) wird daher meist die etwas umständliche Ausdrucksweise des „innewohnens" oder „einwohnens" gewählt.

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Durch den Leib ist der Mensch in der Welt verankert, ihm die Welt erschlossen.

durch den Leib ist

Das In-der-Welt-sein Heideggers, das von Sartre als ,être-dans-le-monde' übernommen wurde, wird bei Merleau-Ponty abgelöst durch das ,être-aumonde', dem Zur-Welt-sein, in der Bedeutung einer ganz ursprünglichen Verankerung des Menschen in der ihn umgebenden Welt. „Es ist ein Geöffnetsein und Bezogensein auf die Welt, das immer schon jeder reflexiven Einstellung vorausgeht . . . ein Bezogensein zur Welt in der natürlichen Einstellung" (Maier 1964, 36). Hier bezieht sich Merleau-Ponty auf Husserls Lebenswelt-Konzeption und übernimmt audi seinen Begriff der „Urdoxa", des Urglaubens, der diese natürliche Einstellung kennzeichnet. In der Urdoxa, der ursprünglichen Gläubigkeit oder Meinung (foi primordiale et opinion originaire) wohnt der Mensch auf der Erde. „ . . . und es gibt eine Meinung, die nicht lediglich Vorform des Wissens und bestimmt ist, abgelöst zu werden von absolutem Wissen, sondern vielmehr in eins die älteste, rudimentärste, aber auch die bewußteste und reifste Form des Wissens ist — eine ursprüngliche Meinung im doppelten Sinne des ,Ersten' und des .Fundamentalen'" (Merleau-Ponty 1966, 451). In der Urdoxa bietet sich uns die Welt in der „Weltthesis", einer Synthesis, die vor allen weiteren Thesen über die Welt, vor jeder theoretischen oder metaphysischen Einstellung auf die Welt gegeben ist (vgl. Merleau-Ponty 1960b, in 1967b, 45 ff.). Die eigentliche, wahre Existenz des Menschen liegt in diesem Bezogensein auf die Welt durch die Urdoxa, Existenz verstanden als ZurWelt-sein, als Bewohnen der Erde. Erde (oder Welt) wird dabei ganz konkret, aber audi sehr umfassend bestimmt als tragender ,Boden' (deutsch im Original bei Merleau-Ponty 1945, 491) all dessen, was ruht und sich bewegt, oder auch als „Träger" meiner Gedanken und meines Lebens. » . . . ich hätte gar keinen Begriff von Bewegung, ließe ich in der Wahrnehmung nidit als den ,Boden' aller Ruhe wie aller Bewegung, diesseits aller Bewegung und aller Ruhe die Erde sein, da idi sie bewohne (Merleau-Ponty 1966, 488); oder an anderer Stelle, „ . . . die Erde zum Beispiel, die nicht in Bewegung ist wie die objektiven Körper, aber ebensowenig in Ruhe, weil man nicht sieht, woran sie festgenagelt' wäre — [ist] ,Boden' oder ,Träger' unseres Denkens wie unseres Lebens" (ders., 1967 a, 66). Dieser Boden ist ein vor aller Rationalität und wissenschaftlicher Konstruktion liegender fester Boden, unser ursprüngliches „positives Sein". Dieses Sein aber enthüllt sich nicht durch den Rückgang auf das ,reine Bewußtsein', und so kehrt denn auch Merleau-Ponty der Bewußtseinsphilosophie Husserls den Rücken, nachdem er seine Gedanken gründlich studiert und teilweise rezipiert hatte. Das ,positive Sein' ist das uns umhüllende Sein, das wir bewohnen (vgl. 1960 a, 20), und zwar mittels unseres Leibes, ist unsere Verankerung in der Welt, ist „unser Gesichtspunkt zur Welt, der Gesichtspunkt aller Gesichtspunkte", wie es R. Boehm in der Vorrede zu seiner

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Übersetzung der „Phénoménologie de la perception" (1966, V) formuliert hat. Bevor idi die Welt wahrnehmend, denkend, erkennend erfasse, habe ich sie mittels meines Leibes, und zwar in der ursprünglichen Weise des „Ich kann", das jedem „Ich denke" vorausgeht. Vor jedem Raum „bewußtsein" kann ich midi im Raum bewegen, ihn im „Griff" haben, sozusagen ein implizites Wissen in den Händen oder Füßen haben, durch das mir der Raum gegeben ist. „So kann idi also durch das Mittel meines L e i b e s . . . in meiner U m g e b u n g . . . midi einrichten, ohne Leib und Umgebung erst als Objekte im Kantisdien Sinn zu nehmen (Merleau-Ponty 1966, 130 f.). Das Bewußtsein ist ursprünglich nicht ein ,Ich denke z u . . s o n d e r n ein ,Ich k a n n ' " (a.a.O., 166). „Bewußtsein ist Sein beim Ding durch das Mittel des Leibes" (a.a.O., 167 f.). Das Verhältnis des Menschen zur Welt oder konkreter zum Raum wird hier bestimmt als ein Eingespieltsein auf den Raum durch den Leib. Die Welt ist für uns „da", bevor wir eine durch das Denken vermittelte Raumvorstellung haben. Als leibliche Wesen „glauben" wir an die Welt, bevor wir über sie nachdenken, wir „haben" die Welt, bevor wir sie „thetisch setzen" können. Und erst aufgrund dieses „Situiertseins" im Räume durch unseren Leib, diese vorbewußte, ursprüngliche Weise des Daseins im Raum, haben wir überhaupt die Möglichkeit, einen objektiven Raum vorzustellen ( „ . . . so müssen wir doch, um den Raum uns vorstellen zu können, zuvor allererst durch unseren Leib in ihn eingeführt s e i n . . . " (a.a.O., 171). Bei der Bestimmung des Subjekt-Welt-Verhältnisses ,être-au-monde', als Wohnen im Raum durch das Medium des Leibes, als Verankertsein in der Welt in der Weise der Urdoxa, erweist sich der Leib als ein „Gegenstand", der sich dem Zugriff der objektiven Wissenschaften entzieht und daher für sie immer „rätselhaft" bleiben muß. Denn dieser Leib, der wie alle anderen Dinge als räumliches Gebilde in der Welt ist und damit wie alle anderen Dinge und neben allen anderen Dingen sichtbar ist, ist darüber hinaus auch das Subjekt, das diese seine Sichtbarkeit selbst erfährt, das als gelebter Leib Ausgangspunkt von Wahrnehmung und Bewegung ist, der sein leibhaftiges Dasein am eigenen Leibe zu erfahren imstande ist (vgl. dazu vor allem Plügge 1967; 1970). So ist er als sichtbarer und sehender Leib Objekt und Subjekt zugleich. „Das Rätsel liegt darin, daß mein Körper 5 zugleich sehend und sichtbar ist. Er, der alle Dinge betrachtet, kann sich zugleich auch selber betrachten und in dem, was er gerade sieht, ,die andere Seite' seines Sehvermögens erkennen. Er sieht sich sehend, er betastet sich tastend, er ist für sich selbst sichtbar und spürbar. Er ist ein ,Sich', nicht durch Transparenz wie das 5

In der deutschen Fassung von „L'oeil et l'esprit" von 1967 übersetzt H . W . Arndt ,Ie corps' irreführend mit „Körper", obwohl „Leib" der allgemein übliche und bessere Terminus ist.

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Denken, das, wie er audi immer denkt, sich selbst assimiliert, indem er es als Denken konstituiert, in Denken verwandelt, sondern ein ,Sich' durch ein Einswerden, durch eine narzißtische Verbundenheit dessen, der sieht, mit dem, was er sieht, dessen, der berührt, mit dem, was er berührt, des Empfindenden mit dem Empfundenen — ein ,Sich' also, das den Dingen verhaftet ist, das eine Vorder- und eine Rüdeseite, eine Vergangenheit und eine Zukunft h a t . . . " (Merleau-Ponty 1967 a, 16). „Ein menschlicher Körper ist vorhanden, wenn es zwischen Sehendem und Sichtbarem, zwischen Berührendem und Berührtem, zwischen einer H a n d und der anderen zu einer Art Begegnung kommt, wenn der Funke des Empfindend-Empfundenen sich entzündet, wenn jenes Feuer um sich greift, das unaufhörlich brennen wird, bis irgendein Zwisdienfall dem Körper zustößt und zunichte macht, was kein Zwischenfall hätte zustande bringen können . . . " (a.a.O., 17). Der Leib als Medium, durch den hindurch uns die Objekte erst gegeben sind, ist selbst mehr und anderes als ein objektivierbarer Körper; seine Organe und Glieder sind mehr als nur Werkzeuge, mittels derer wir Welt erfahren. Ein körperhaftes Objekt ist stets umgrenzt und eindeutig bestimmbar. Nicht so der gelebte Leib. Seine Grenze ist nicht durch die Begrenzung seiner objektivierbaren Glieder gegeben, vielmehr bestimmt sich seine Einheit durdi die lebendige Verknüpfung der Funktionen, die in der jeweiligen Situation relevant sind. So kann ein Kranker eigene Glieder als nicht zu seinem Leib gehörig empfinden oder, wie z. B. bei den „Doppelempfindungen", als äußere Dinge ausklammern, aber auch Dinge in seinen Leibbereich miteinbeziehen, die objektiv gar nicht vorhanden sind, wie z.B. beim Phänomen des Phantomgliedes. Auch künstliche Instrumente können als Organe fungieren, so z. B. der Blindenstock, dessen Spitze gleichsam zum Endpunkt des Tastorgans Hand wird: „ . . . der Stock ist kein Gegenstand mehr, den der Blinde wahrnähme, sondern ein Instrument, mit dem er wahrnimmt" (Merleau-Ponty 1966, 182). Gelebter Leib und objektivierbarer Körper sind also nicht identisch, der Körper ist begrenzt, der Leib kann diese Grenzen über- oder unterschreiten, eine Erkenntnis, die — aus anderer Perspektive gewonnen — bereits 1930 in Grünbaums Unterscheidung von Eigen- und Fremdraum (bzw. Umweltraum) ihren Niederschlag fand und die psychopathologischen Analysen der Raumstörungen entscheidend bereichert hat. Als dieser Leib und durch diesen Leib sind wir bei der Welt. Welt- und Raumerfahrung geschieht nicht durch ein über der Welt schwebendes Denken aus der Vogelschau (pensée de survol) (vgl. Maier 1964, 31) durch die Vorstellung oder das Bewußtsein des Raumes, das .cogito' Descartes' oder die subjektive Anschauung Kants, sondern durch das Medium des Leibes (à travers le corps, par l'intermédiaire du corps). Dieser Leib gehört nicht der Sphäre des An-sidi (en-soi) oder der des reinen Bewußtseins an, als

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.corps phénoménal' ist er nicht im Raum, sondern er bewohnt den Raum (und die Zeit). Von daher bestimmt Merleau-Ponty den Raum als ,espace corporel': „Insofern ich einen Leib habe und durch ihn hindurch in der Welt handle, sind Raum und Zeit für midi nicht Summen aneinandergereihter Punkte, nodi audi übrigens eine Unendlichkeit von Beziehungen, deren Synthese mein Bewußtsein vollzöge, meinen Leib in sie einbeziehend; ich bin nicht im Raum und in der Zeit, ich denke nicht Raum und Zeit, idi bin vielmehr zum Raum und zur Zeit, mein Leib heftet sich an ihnen an und umfängt sie" (1966, 170). Diese Konzeption des Leibes, der im Raum verankert ist und durch den Raum erst erschlossen wird, exemplifiziert Merleau-Ponty an einer Fülle von Beispielen zur Raumwahrnehmung und -Orientierung, etwa an Wertheimers Studien über das Sehen von Bewegung (1912) oder den Strattonschen Umkehrbrillenversuchen (1896 ff.). Auf ihre Darstellung und Interpretation durch Merleau-Ponty muß hier verzichtet werden; zu einem guten Überblick über diesen Ansatz sei auf die Arbeit von Kockelmans (1964) verwiesen. Zusammenfassend können wir sagen, daß das für uns interessante und wichtige Ergebnis der Merleau-Pontysdien Analysen seine Kategorie des Wohnens ist, diese ursprüngliche Vertrautheit mit der Welt durch das Medium des Leibes. Das Bewohnen der Welt stellt für Merleau-Ponty ein anthropologisches „Fundamental" dar, das nicht weiter reduzierbar ist. Die Welt ist der „vertraute Aufenthaltsort unseres Lebens" (1966, 76), der „Boden aller Gedanken", „die Heimat aller Rationalität" (a.a.O., 489), und nur weil ich an die Welt glaube, zu ihr Vertrauen habe, kann ich die Welt überhaupt wahrnehmen und midi in ihr bewegen (vgl. a.a.O., 344 ff.). Dieses Vertrauen ist aber wiederum bedingt durdi die besondere Art unserer Leiblichkeit, die in dem „Paradox" zum Ausdruck kommt, daß mein Leib zu den Dingen gehört und dem Gewebe der Welt verhaftet ist, doch umgekehrt auch die Welt aus eben dem Stoff des Leibes gemacht ist (vgl. Merleau-Ponty 1967 b, 16). „Nur weil ich als leiblich existierendes Wesen selbst ein Teil und damit auch von gleichem Stoff bin wie das mich von allen Seiten umhüllende Ganze der Welt, kann ich auch absolutes Vertrauen haben zur Welt" (Maier 1964, 65). Dieses Verflochtensein von Subjekt und Objekt, dieser Austausch zwischen einem Sichtbaren und einem Sehendem, einem Berührbarem und Berührenden, zwischen dem Objekt, da sinnlich wahrnehmbar ist, und dem Subjekt, das wahrnimmt, versucht Merleau-Ponty als „Wohnen" begrifflich zu fassen. Bollnow (1963) greift diese Kategorie des Wohnens auf, pointiert und modifiziert sie in entscheidender Weise, um dann sein Verständnis der Räumlichkeit menschlichen Daseins zu präzisieren. Bollnow konkretisiert das Wohnen sehr stark in Richtung auf das Wohnen in einem Wohnraum, wenngleich dieser audi weiter gefaßt ist als der enge Raum einer Wohnung,

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eines Hauses. Beschäftigte er sich bereits 1955 in der „Neuen Geborgenheit" mit dem Wohnen und seiner anthropologischen Funktion, so greift er dieses Thema erneut (1961) auf, in seiner Auseinandersetzung mit Saint-Exupérys Spätwerk „La Citadelle" (1948). Bei Saint-Exupéry steht das Wohnen in engem Zusammenhang mit dem Bauen, -wie wir es in ähnlicher Weise, wenn auch aus ganz anderer Perspektive, bei Heidegger (1952) gesehen hatten. Der Mensch ist ein Städtbauer, sagt Saint-Exupéry, der sich an einem Ort niederläßt und Häuser baut, um durch diese Verwurzelung an einer bestimmten Stelle in den Stand versetzt zu werden, imstande zu sein, dem Ansturm der Welt zu begegnen. „Ich habe eine große Wahrheit entdeckt, nämlich zu wissen, daß die Menschen wohnen und daß sich der Sinn der Dinge für sie wandelt je nach dem Sinn ihres Hauses" (Saint-Exupéry 1951, zit. η. Bollnow 1963, 126). Eine weitere Grundlage für Bollnows Konzeption des Wohnens und der Rolle des Hauses bildet der Rekurs auf die sprachgeschichtliche Bedeutung von „wohnen", auf die idi weiter oben (S. 41 f.) bereits eingegangen bin. So kommt er abschließend zu der Auffassung: „Wohnen heißt also: eine feste Stelle im Raum haben, an diese Stelle hingehören und in ihr verwurzelt sein. Damit aber der Mensch an dieser Stelle verweilen, damit es ihm hier behagen kann, darf der ,Ort' des Wohnens nicht als ein bloßer Punkt aufgefaßt werden . . . Um dort in Muße wohnen zu können, bedarf diese Stelle einer gewissen Ausdehnung. Der Mensch muß sich dort in einem gewissen Bereich bewegen können. Das Wohnen erfordert einen bestimmten Wohnraum. Ich spreche in diesem Sinne von einer Wohnung, ohne damit über die Art dieser Wohnung mehr auszusagen, als daß sie der räumliche Bereich des Wohnens sei" (1963, 128 f.). Wie aber läßt sich nun dieser räumliche Bereich des Wohnens näher bestimmen, wenn es darum geht, ihn in seiner Bedeutung für die Wesensverfassung des Menschen, sein räumliches Dasein zu verstehen? Bollnow nimmt hier den Gedanken Merleau-Pontys auf, daß das Leben des Menschen nur als Wohnen, als ,être-au-monde' oder, être à l'espace' richtig zu fassen sei, ein Gedanke, der bei Bollnow als „Raum-haben" interpretiert und erweitert wird. Ich hatte bereits an anderer Stelle (S. 39) darauf hingewiesen, wie Bollnow die von der Intentionalität her verstandene Räumlichkeit des Menschen für unzureichend hält und den intentionalen Raumbegriff kritisiert. Demgegenüber bestimmt er den Raum als Medium, als ein quasi-materielles Mittleres zwischen subjektunabhängigem „Gegenstand" und bloß subjektiver „Anschauungsform". Wenn Bollnow allerdings mit diesem Begriff des Mediums keineswegs eine neue Hypothese über das „Wesen des Raumes" aufstellen will, sondern nur meinte, „daß ich mich wirklich zum Raum in verschiedener Weise verhalten kann" (1963, 274), so ist das kein geeignetes Differentialkriterium. Denn gerade zu Gegenständen kann ich midi in ver-

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sdiiedener Weise verhalten, und oft wird ein Gegenstand erst durch die verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten, die er zuläßt, definiert; so, wenn Tolman bereits 1922 sagt: » . . . the behavior object is to be defined . . . in terms of the group of behaviors to which it may lead" (Tolman 1958, 6). Wenn Bollnow Raum als Medium bezeichnet, so meint er damit Raum als „allgemeinste Form der Welt", so daß „Im-Raum-sein und In-der-Welt-sein nahe aneinanderrücken und manchmal fast gleichbedeutend werden" (ebda.)· Die ursprünglichste und allgemeinste Weise, sich im Raum zu befinden, sich zum Raum zu verhalten, ist das „Raumhaben". Der Begriff des Seins — einmal im Sinne von Sein in einem innerweltlich-objektiven Raum, in dem die Dinge und Menschen vorhanden sind, so wie eine Tasse im Schrank vorhanden ist, zum anderen als intentionales Sein im Raum, als einem subjektzentrierten Beziehungssystem — reicht nicht aus, um das „Sein" des Mensdien, die Räumlichkeit des Daseins zu bestimmen. „Die ursprünglichen Bestimmungen des menschlichen Lebens sind die des Habens und nicht des Seins ( . . . ) , und erst vom Haben her kann überhaupt gefragt werden, was im menschlichen Bereich ,sein' bedeutet" (a.a.O., 283). Diesen Raum, den man „hat", bezeichnet Bollnow als „Eigenraum". Es ist der Raum, den wir lebendig besitzen, den wir bewohnen. Bollnow untergliedert diesen Eigenraum in drei Bereiche: 1. den eigenen Leib, 2. den Raum des eigenen Hauses und 3. den umschließenden Raum überhaupt. Unter Haus wird dabei jeder über den Leib hinausgehende abgeschlossene Eigenbereich verstanden, in dem sich der Mensdi aufhalten und mit Sicherheit bewegen kann" (a.a.O., 286), „Raum überhaupt" meint jeden umfassenden Raum, „der nicht mehr durch eine erkennbare Grenze als Innenraum von einem Außenraum unterschieden ist" (ebda.). Innerhalb dieser drei Bereiche werden auch verschiedene Weisen des Raumhabens herausgehoben und als Modifikationen menschlicher Räumlichkeit verstanden. Ich werde mich im folgenden dieser dreifachen Gliederung bedienen, weniger um Bollnows Argumentation darzustellen, als vielmehr sie als Anstoß und Gerüst weiterer Überlegungen zu benutzen, ad 1) Auf den Raum des eigenen Leibes soll hier nicht weiter eingegangen werden, da dieser in seiner Rolle und Bedeutung für das ,être-au-monde' bereits bei der Darstellung der Position Merleau-Pontys hinreichend klar geworden ist. Bollnow ergänzt zwar Merleau-Pontys Bestimmung des „Wohnens" im Leib noch durch Marcels Formulierung der „Inkarnation", womit eine besonders „geheimnisvolle und innige Verbindung zwischen mir und meinem Leib" (Marcel 1935, zit. nach Bollnow 1963, 290), eine Art partieller Identifikation mit dem Leib bezeichnet werden soll, doch trägt dieser theologisch belastete Begriff kaum mehr zum Verständnis menschlicher Räumlichkeit bei als Merleau-Pontys Wohnen. (Bollnows Bevorzugung dieses Ausdrucks mag nicht zuletzt dadurch begründet sein, daß ihm sprachwidrige Wendungen wie der transitive Gebrauch von „wohnen" 4 Kruse, Umwelt

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— idi wohne meinen Leib — oder von „leben" — gelebter Raum etc. — von vornherein suspekt erscheinen, eine Behauptung, die sich durch zahlreiche Bemerkungen in seinem Buch stützen ließe.) ad 2) Daher beginnt auch die Charakterisierung der zweiten Form des Eigenraums, des Hauses, nicht mit dem Wohnen, sondern mit der Inkarnation im Haus. Das Haus, als die Stätte des Friedens und der Geborgenheit wird in Analogie zum Leib betrachtet: » . . . so kann man das Haus doch in einer gewissen Hinsicht als einen erweiterten Leib betrachten, mit dem sich der Mensch in einer ähnlichen Weise identifiziert und durch den er sich entsprechend in einen größeren Umraum einordnet. Hier wie dort gibt es eine Grenze, die deutlich erkennbar den Eigenraum, mit dem ich mich identifiziere, der ich also in irgendeinem Sinne ,bin', von dem anderen Raum scheidet, der ich nicht mehr bin, der nicht zu mir gehört, der mir fremd ist. Dabei liegt der Unterschied aber darin, daß ich mit dem leiblichen Eigenraum unlösbar verwachsen bin und ihn mit mir herumtrage, wo immer ich mich bewege, daß der häusliche Eigenraum aber feststeht, so daß ich ihn verlassen und wieder in ihn zurückkehren kann" (Bollnow 1963, 292). Diese Vertrautheit des Hauses, das als etwas eng zu mir Gehöriges erlebt wird, findet auch eine Entsprechung im Sprachgebrauch: im Französischen z. B. im „chez moi", „chez nous" (bei mir, bei uns zu Hause), aber auch im Deutschen sage ich, daß idi meine Freunde „zu mir" einlade, wenn idi sie in meine Wohnung bitte. Bollnow führt noch ein weiteres Beispiel für die Identifizierung von Mensch und Haus an: daß die Menschen nach ihren Häusern benannt werden. „Sie heißen Langhans, aber sie schreiben sich Schneider", bedeutet, daß der erste Name der eigentliche ist, der zweite — vom Vater übernommen — nur als zweitrangig, als eine bürokratische Formalität angesehen wird (vgl. Bollnow, S. 294). Dieses besondere Verhältnis des Menschen zu seinem Haus, das solche Ausdrücke wie Identifikation, erweiterter Leib etc. nahelegt, manifestiert sich in vielfältiger Weise. So wird z.B. der Raum innerhalb des Hauses ganz anders erlebt als der Außenraum: „Ähnlidi wie beim Leib kann man audi hier sagen, daß der Raum im Sinne eines durch Abstände und Richtungen gegliederten Zusammenhangs erst außerhalb des Hauses beginnt. Erst an der Haustür beginnen die Wege, die die Welt erschließen . . . Die Schritte, die der Mensch im Hause tut, lassen sich zu denen, die er auf der Straße macht, nicht zu einer gemeinsamen Entfernung addieren. Es sind verschiedene Räume, die sich innerhalb und außerhalb des Raumes entfalten und die sich nicht unmittelbar zu einem übergreifenden Gesamtraum zusammenfassen lassen..." (Bollnow, S. 292). Zimmer, Haus, Grund und Boden, die ich bewohne, sind „mein" Besitz, wobei es sich hier nicht in erster Linie um ein formales Besitzverhältnis

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handeln kann, sondern um ein Verhältnis, das durch das Gefühl der Zugehörigkeit bestimmt ist'. Meine Wohnung, mein Haus ist der Ort, an dem idi mich am häufigsten oder gewöhnlich aufhalte, wenn ich nicht unterwegs oder an meinem Arbeitsplatz bin, von dem idi immer wieder nachhause zurückkehre. Verbringe idi, objektiv betrachtet, audi manchmal mehr Zeit an meinem Arbeitsplatz, so ist dies dodi nicht der Ort, an dem ich wohne, zu Hause bin. Meine Wohnung ist dort, wo ich midi zu Hause, d. h. wohl fühle, wohin es mich immer wieder hinzieht, weil idi dort gern bin, weil es dort wohnlich ist. Wohnlich wird eine Wohnung nicht durch eine bestimmte Möblierung, Bilder oder Farben, sondern durdi das Wohnen, ein Verhalten, durch das idi mich in einem Raum einrichte, in eine lebendige Beziehung zu ihm trete und von ihm Besitz ergreife. Ein Raum wird zwar durch Möbel und andere zum Schlafen, Essen, Arbeiten etc. notwendige Einrichtungen überhaupt erst bewohnbar, aber noch nidit wohnlich. Wohnlichkeit ist das Ergebnis des Bewohnens, des Lebens in und mit einem Raum. Wie ein Raum vom nur bewohnbaren zum wohnlichen wird, ist für jeden unmittelbar erfahrbar, wenn er in eine andere Wohnung umzieht. Diesen Ausgangspunkt wählt auch Buckley (1971) für seine phänomenologische Analyse des „Zuhauseseins" (at-homeness), auf die wir hier nicht näher eingehen können. Wohnlidikeit als Ergebnis des Wohnens darf nicht dahingehend mißverstanden werden, als handle es sich dabei um eine Eigenschaft des Raumes oder Hauses, die diesem nach einer Zeit des „Einwohnens" und „Eingewöhnens" schließlich ein für allemal zukomme. Wohnlidikeit ist gebunden an mein (oder unser) Wohnen im Raum, allein und mit anderen Menschen. Wohnlidikeit ist ein Phänomen des — in einem sehr konkreten Sinne — gelebten Raumes. In diesem Zusammenhang sei auch auf Minkowskis „Themen mit Variationen": ,Espace, intimité, habitat' (1954) verwiesen, in denen er ähnliche Gedanken entwickelt. Auf ein wesentliches Moment der Wohnlidikeit weist Maier (1964) in seiner Merleau-Ponty-Analyse hin, wobei audi die Rolle des Leibes nicht nur als Analogiemodell, sondern als Bestandteil des Wohnens deutlich wird: „Wohnlich ist . . . mein Zimmer für mich nicht schon dadurch, daß alle gegenstände' darin einen festen und in bezug auf die Wände genau abmeßbaren Abstand haben, und daß ich einen bis ins Detail richtigen Plan dieses Zimmers ,im Kopf' habe, sondern es wird für midi erst dann wohnlidi, wenn alle ,Dinge' in ihm in einem gelebten Ordnungsgefüge ihren Platz gefunden haben, wenn meine Hände .wissen', wohin sie grei• Zur leiblichen Fundiertheit menschlicher Besitzverhältnisse zu Sachen und ihre Bedeutung für die Rechtsverhältnisse vgl. von Herrmann (1971). 4

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fen müssen, um dieses Buch oder jenes Heft zu erreichen, in denen ich gerade etwas nadilesen möchte, wenn meine Füße .wissen', wieviel Schritte nötig sind, um zum Ofen, zum Fenster oder zur Tür zu gelangen, kurz, wenn mein Leib von jedem Platz des Zimmers aus um die Entfernung zu all den Dingen ,weiß', mit denen ich zu tun habe. Indem ich in einem Zimmer wohne, das durch seine Lage, seine Größe und seine Einrichtung f ü r mich überhaupt bewohnbar ist, konstituiert sich gleichsam von selbst eine ,ursprüngliche Einheit' 7 oder eine .Einheit der Koexistenz' 7 : durdi das Wohnen sind plötzlich die Dinge und ich von einem uns gemeinsam Umschließenden umgeben, eben von dem Raum, der jetzt nur noch ganz äußerlich als ein durch die Wände, das Fenster und durch die Tür begrenzter Raum ist. U n d es ist weiterhin charakteristisch f ü r den sich im Wohnen konstituierenden Raum, daß er nicht nur eine nicht mehr übertragbare Einheit bildet, sondern daß er geradezu untergeht in meinem Verhalten und als Phänomen mir noch gegeben ist in dem innigen Verzahntsein ( . . . ) meines sich ,ins Werk' richtenden Leibes mit den midi umgebenden Dingen" (82 f., eigene Hervorh.). Was Merleau-Ponty bereits im Zusammenhang mit der Motorik des Leibes und seiner Beziehung zu den äußeren Gegenständen hervorgehoben hatte, wird hier übertragen auf das Wohnen im gewohnten Raum. Dort trat der Leib gleidi der „Dunkelheit des Saales" zurück, sdirumpfte gleichsam zu einer Zone des „Nidit-seins" zusammen, um das „Schauspiel" der Gesten und Gebärden sichtbar werden zu lassen (1966, 126). Hier ist es die räumliche Ordnung der Dinge, die in uns als „Wissen des Leibes" repräsentiert ist, oder, wie Thomae (1943; 1958) es nennt, als „Lageschema" „in Fleisch und Blut" übergeht. Kann man den Erwerb einer motorischen Gewohnheit als Verwandlung und Erneuerung des „Körperschemas" verstehen (vgl. Merleau-Ponty 1966, 172 ff.), so wird im Wohnen das Bewohnte zum Gewohnten durch den Erwerb eines Lageschemas. Haben wir hier die besondere Weise der Zugehörigkeit zum Raum, deren Ausdruck und Manifestation die Wohnlichkeit ist, hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt des Habituierens und des Habituellen betrachtet, wobei zuletzt noch die Bedeutung des Eingespieltseins des Verhaltens auf den Raum in den Blick kam, so ist das dodi nur ein Aspekt des Phänomens Wohnlichkeit. Ein weiterer, die Stimmung, wird sich im Zusammenhang mit der Analyse des gestimmten Raumes ergeben (s. Teil III). Gleichermaßen ist auch die Wohnlichkeit nur ein, wenn auch wesentliches Merkmal, das den Eigenraum „Haus" charakterisiert. Auf eine umfassende Beschreibung des Wohnens im Haus muß im Rahmen dieser Arbeit vorerst verzichtet werden, wenngleich ich mir der Notwendigkeit einer solchen Analyse im Hinblick auf eine zu leistende theoretische Fundierung der Um7

Begriffe von Merleau-Ponty in „Signes" (1960)

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weltpsychologie durchaus bewußt bin. Ein wichtiger Beitrag zu einer Phänomenologie des Wohnen liegt bereits in Badielards ,La poétique de l'espace' (1957) vor, die 1960 in deutscher Übersetzung erschien. Wenngleich audi Bollnow die „Poetik" dieses Werkes als „Phänomenologie" verteidigt (vgl. Bollnow 1963, 21), darf nicht übersehen werden, daß die reichhaltige und detaillierte Beschreibung von Haus und All, Dachboden, Keller und Winkel, Schubladen, Truhen und Schränken eher ein Meisterwerk dichterischer Einbildungskraft als der Versuch einer Phänomenbeschreibung ist, das auch nur der bescheidensten (amerikanischen) Konzeption von Phänomenologie, einer Haltung „disziplinierter Naivität" (MacLeod) nähekäme. Ein Aspekt des Wohnens im Haus sei abschließend noch kurz skizziert: das Haus als Besitz. Haben wir im vorangegangenen Abschnitt den „Besitz" des Hauses (der Wohnung, des Zimmers) als Resultat einer unmittelbaren Identifizierung vorwiegend in seinen psychologischen oder erlebnismäßigen Auswirkungen betrachtet, so blieb dabei noch unerwähnt, daß eine solche Identifikation sehr konkrete Besitzverhältnisse etabliert, die sich in vielfältiger Weise manifestieren. Wir denken hier vor allem an jene Bindung an den Raum, die man als „Territorialität" bezeichnet. Wie bereits in § 3 c dargelegt wurde, ist dieses Phänomen eines der ersten, auf das man bei der Beobachtung tierlichen Verhaltens aufmerksam wurde, dessen hervorragende Bedeutung für das Sozialleben der Tiere aber erst seit dem Beginn der neueren Ethologie voll thematisiert wurde. Von der Ethologie in die Humanethologie übernommen fand das Konzept der Territorialität sehr bald Eingang in die neu entstehende Umweltpsychologie, in der es heutzutage einen breiten Raum in der Analyse und Konzeptualisierung von Mensch-Umwelt-Beziehungen einnimmt. Hier sei nur darauf aufmerksam gemacht, daß sich bereits als Datum der unmittelbaren Erfahrung aufweisen läßt, in welcher Weise der Mensch sich mit seinem Haus identifiziert und es als einen Besitz betrachtet, den es gegen unbefugte Eindringlinge zu verteidigen gilt. Dabei sind die Grenzen dessen, was als zum Besitz gehörig betrachtet wird, sehr variabel, desgleichen auch die Reaktionen der Verteidigung, je nach der Person des Angreifers, der Art des Angreifens u. a. m. Mein Territorium kann auf den „Ort maximaler Geborgenheit", wie Hediger (1954) das im Zentrum des Territoriums gelegene „Heim" bestimmt, beschränkt sein, ζ. B. mein eigenes Zimmer oder meine Wohnung umfassen, oder auch das Haus, in dem die Wohnung liegt, und seinen Garten mit einschließen oder gar bis an die Grenzen meines „Heimatlandes" reichen. „Der Mensch identifiziert sich mit seinem Haus. Er verschmilzt mit ihm. Er ist, indem er in seinem Haus wohnt, unmittelbar darin gegenwärtig und fühlt sich geradezu physisch getroffen, wenn ein Fremder gegen seinen Willen in die Sphäre seines Hauses eindringt. Aber der Bereich geht weiter und bezieht sich, wenngleich in abgestufter Form, auch auf

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Umwelt und Raum in der phänomenologischen Psychologie alles, was an Raum der Besitzphäre des Menschen angehört. So identifiziert sich der Bauer in entsprechender Weise mit seinem Acker, und sein Zorn über das unbefugte Betreten seines Grundes beruht nicht auf seiner Besorgnis wegen der Möglichkeit, daß ein Schaden angerichtet werden könnte, etwa durch das Niedertreten des Korns, sondern entspringt ganz unmittelbar aus der Abwehr gegen das Eindringen in ,seinen' Raum, durch dessen Betreten er sich unmittelbar selber getroffen und gekränkt fühlt" (Bollnow 1963, 293).

Grenzziehung, -markierung und -Verteidigung, für das Tierreich heute bereits ausgezeichnet erforscht, manifestieren sidi beim Menschen in vielfältiger und gelegentlich sehr subtiler Form. Zwei Kinder beim gemeinsamen Bad in der Badewanne mögen noch ganz „kindlich" mit einem Fingerstrich durchs Wasser ihr jeweiliges Territorium „abgrenzen". Ein Hausbesitzer wird vielleicht sein Eigentum mit einem festen Zaun, einer hohen Hecke oder Mauer „abstecken", um sich gegen ungebetenes Eindringen, sei es fremder Blicke oder Schritte, zu schützen. In vielen Situationen des täglichen Lebens jedoch benötigt ein Mensch noch nicht einmal einen Mantel oder eine Zeitung, um den Sitzplatz neben sich auch noch als sein Territorium zu markieren, wenn auch eine leichte „Drohgebärde", etwa ein unverwandter, abweisender Blick auf den Neuankömmling, ihn ebenso wirksam von diesem Platz fernhält. (Einen interessanten Zusammenhang zwischen den leiblichen Phänomenen des Besitzergreifens und der rechtlichen Anerkennung von Eigentumsverhältnissen stellt von Herrmann (1971) her.) Eine phänomenologisch-psychologische Analyse des Hauses, das als Ort maximaler Geborgenheit, Ruhe und Sicherheit auch der ständigen Sicherung bedarf — ein Zusammenhang, den Franz Kafka (vgl. 1970) in seiner Erzählung „Der Bau" so eindrucksvoll aufgreift, indem er das Verhalten eines Tieres in seinem weitverzweigten Bau geradezu phänomenologisch beschreibt —, steht für den Bereich menschlichen Wohn- und Territorialverhaltens noch aus. Dabei könnte eine solche Analyse vielleicht mehr zum Verständnis unserer modernen Wohn- und Wohnungsprobleme, die von Uberbevölkerung und übergroßer Bevölkerungsdichte über die Wohnplanung in den städtischen Ballungsgebieten und ländlichen Ferienhaussiedlungen bis zu den kleinen Zimmern und dünnen Wänden des sozialen Wohnungsbaus reichen, beitragen, als es Territorialitätskonzepte vermögen, die aus der Tierforschung unvermittelt und mit dem Anspruch weitreichender Gültigkeit zur Erklärung menschlichen Verhaltens übertragen werden. Diese mögen ausreichen, um etwa den mit Wohnungsbaufragen in einer ländlichen Gegend befaßten Juristen aufzuklären, der mir kürzlich von der für ihn unerklärlichen, aber immer wiederkehrenden Reaktion der Antragsteller berichtete, die den Vorschlag, Häuser in „Anbauweise" (Wand an Wand) zu errichten, um dadurch u. a. größere Gartenflächen zu gewinnen, mit dem Argument ablehn-

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ten, ein eigenes Haus wäre erst dann ein Haus, wenn man rundherumgehen könne. Bereits im Lichte der immer wieder vorgetragenen These von der „Umweltgebundenheit" des Tieres gegenüber der „Weltoffenheit" des Menschen (vgl. Gehlen 1955) erscheint es problematisch, ein Konzept wie Territorialität, wenn sie etwa Eibl-Eibesfeldt (1967) als „raumgebundene Intoleranz" definiert, für das Verhalten des Menschen in seiner Welt zu übernehmen. Zwischen den Polen der „äußeren" und „inneren" Emigration bleibt dem Menschen ein weiter Spielraum von Verhaltensmöglichkeiten, seine spezifische Bindung an den Raum zu lösen oder zu verteidigen. ad 3) Die dritte Form des Eigenraums, die Bollnow (1963) unterscheidet, ist der „umschließende Raum überhaupt", der über den durdi Wände und Mauern begrenzten und geschützten Innenraum hinausgeht. Auch dieser ist ein „Eigenraum", den wir „bewohnen", in dem wir in einer sicheren Behausung Schutz und Geborgenheit erfahren. Diese Behauptung stützt Bollnow einmal dadurch, daß er an diesem Raum Züge aufweist, die denen des Hauses ähnlich sind, zum anderen durch verschiedene an Bachelard, Minkowski u. a. anschließende Argumentationen, daß dem bergenden, schützenden, vertrauten Raum ein Vorrang vor allen anderen Modifikationen der Räumlichkeit zukomme. Zum ersten Punkt greift er einen Gedanken auf, den er im ersten Teil seines Buches expliziert hat, „daß der konkret erfahrene Raum, in dem wir leben, keineswegs den Charakter des Unendlichen hat, sondern immer noch den eines bergenden Innenraums oder Hohlraums b e h ä l t . . . " (302). Und wenn man den allgemeinen Lebensraum als „Haus im vergrößerten Maßstab" (ebda.) betrachten kann, argumentiert Bollnow, lassen sich auch die für das Wohnen im Haus gewonnenen Bestimmungen darauf übertragen. Hauptgewährsmann für die These, daß Glück und Geborgenheit die ursprünglichen Weisen räumlichen Daseins und gleichzeitig Voraussetzung für die Erfahrung feindlicher und bedrohlicher Räume sind, ist Bachelard. Dieser beschränkt jedoch seine Untersuchungen ausdrücklich auf „die Bilder des glücklichen Raumes", weshalb er sie auch als „Topophilie" bezeichnet (vgl. Bachelard 1960, 29). Bachelards Anliegen ist es nicht, eine methodisch gewissenhafte Analyse menschlicher Räumlichkeit durchzuführen und dabei von der unmittelbaren, präreflexiven Erfahrung des Menschen auszugehen, vielmehr sind es die Bilder, Erinnerungen, Träumereien des Menschen vom Haus (und allen seinen Varianten), und zwar die glücklichen, nidit die angstvollen Phantasien, die ihn interessieren. Bachelard geht davon aus, daß der Mensch, bevor er in die Welt geworfen wird, in die Wiege des Hauses gelegt wird; weil das Leben gut, umschlossen, umhegt, ganz warm im Schöße des Hauses beginnt, bleibt das Haus in unseren Träumen eine große Wiege (vgl. S. 39). Wenn nun Bachelard diese Merkmale des Bergenden an allen Arten von Wohnungen, seien es Ei, Muschel, Nest, Haus,

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Vaterland oder das All, untersucht, so tut er dies anhand gedichteter und verdichteter Träumereien, Wünsche und Sehnsüchte. Neben Bachelard sind es vor allem nodi Minkowski und Straus, die Bollnow heranzieht, um seine Auffassung vom ursprünglichen, vertrauten Einssein von Mensch und Raum, der Inkarnation des Menschen im Raum zu stützen. Aber auch Minkowskis Analyse des Nachtraums (1933) sowie Straus' Konzeption der Bewegung im „präsentischen" Raum — Themen, auf die ich in späteren Abschnitten meiner Arbeit noch zu sprechen komme — scheinen mir kaum ausreichend, die Ursprünglichkeit und den Vorrang des räumlichen Daseins in der Geborgenheit zu postulieren. Andere Grundlagen — wie Husserls Konzeption der Lebenswelt oder die daran anschließende Auffassung Merleau-Pontys vom Wohnen im Raum in der Weise der Urdoxa — die m. E. wichtigere Beiträge zu diesem Thema geleistet haben, berücksichtigt Bollnow nicht. Bollnow verteidigt sich gegen einen etwaigen Vorwurf, „in schwärmerischer Weise Behauptungen" aufgestellt zu haben (vgl. S. 305), indem er sagt, daß es sich hier zwar um schwer faßbare Zusammenhänge handele, die einem Bereich angehören, der noch vor der Ausbildung des gegenständlichen Bewußtseins liegt, daß man aber trotz unangemessener (methodischer) Mittel versuchen müsse, die zugrundeliegenden Erfahrungen in den Blick zu bringen, nicht aus Furcht vor möglichen Mißverständnissen an der Grenze des adäquat Sagbaren halt machen dürfe, sondern auch darüber hinausgehende Andeutungen wagen müsse (vgl. S. 306). Bollnow beendet seine Analysen des Eigenraums und der verschiedenen Weisen räumlichen Daseins mit „Forderungen für das wahre Wohnen" 8 , für einen Ethiker wohl der folgerichtige Schluß seiner Reflexionen zum Thema „Mensch und Raum". Hier wird die Feststellung Heideggers (1952), daß die Menschen das Wohnen erst lernen müssen, ernst genommen und in konkrete Handlungsanweisungen umgemünzt. Ich setze mich mit diesen Forderungen hier nicht weiter auseinander, weil ich der Auffassung bin, daß es erst nodi fundierter Untersuchungen menschlichen Wohnens bedarf, bevor man so weitgehende normative Sdilußfolgerungen ziehen sollte. In den vorangegangenen Abschnitten wurden verschiedene Ansätze dargestellt, in denen das Verhältnis des Mensdien zum Raum thematisiert 8

Die erste Forderung richtet sich gegen die Heimatlosigkeit des Flüchtlings und Abenteurers und betont die Notwendigkeit einer festen Niederlassung, um einen Raum der Geborgenheit zu schaffen. Die zweite Forderung weist hin auf die Gefahr einer Abkapselung im Innenraum und plädiert dafür, audi den bedrohlichen Außenraum in das Leben miteinzubeziehen. Erst in dieser Spannung zwischen beiden Räumen kann das menschliche Leben zur eigentlichen Erfüllung kommen. Die dritte Forderung richtet sich gegen den naiven Glauben an die Festigkeit des eigenen Hauses und tritt dafür ein, sich vom Vertrauen an den größeren, umschließenden Raum tragen zu lassen (Bollnow 1963, 310).

Wohnen und Leiblichkeit

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wird, und dabei dieser vom Mensdien erlebte und gelebte oder auch bewohnte Raum vom Raum der Mathematik und Physik unterschieden. Dabei war aber meist die Rede vom gelebten Raum schlechthin und allgemein vom Leben und Wohnen in Räumen sowie von dem Verhältnis des Menschen in seiner Leiblichkeit zu diesem Raum. Es wurde noch nicht der Versuch gemacht, dieses Verhältnis näher zu bestimmen, und noch nicht danach gefragt, ob ζ. B. einer veränderten Seinsweise des Leibsubjekts audi eine veränderte Raumstruktur entspricht. Diese Frage gilt es nun zu stellen. Kehren wir für einen Augenblick zu meinem räumlichen Paradigma (S. 25 ff.) zurück: Dort zeigte sich Raum als „Reichweite" zu den Dingen, als ein Von-hier—dorthin meiner Bewegung, als Woraufhin meines Zeigens, als perspektivisch und horizonthaft für meinen Blick, als akustisch vermittelter Bewegungsraum (eines Autos); er zeigte sich als Raum meiner Erinnerung und Vorstellung, erwies sich als zu enger, aber nicht überschreitbarer Raum eines Zimmers, als weithin geöffneter Raum einer Landschaft, als allmählich entschwindender Raum der Dämmerung usw. Sind diese verschiedenen Gegebenheitsweisen unterschiedliche Formen des gelebten Raumes, sind es nur Aspekte ein- und desselben Raumes, die sich nur aufgrund eines je verschiedenen Umweltbezuges des Subjekts voneinander abheben lassen? Eine Klärung dieser Frage wird sich von selbst ergeben, wenn im folgenden der Versuch gemacht wird, die Struktur des gelebten Raumes näher herauszuarbeiten. Dabei wird sich zeigen, daß die Rede von der Gegebenheitsweise des Raumes nicht so zu verstehen ist, als handle es sich dabei um subjekt-unabhängige Ausprägungen des Raumes, der Welt. Vielmehr besteht ein streng korrelativer Bezug zwischen Subjekt und Welt, so daß eine veränderte Gegebenheitsweise nur aus der veränderten Zuwendung oder Welteinstellung des Subjekts, die Zuwendung des Subjekts nur aus der jeweiligen Gegebenheitsweise der Welt zu verstehen sind, oder, wie Binswanger (1955, 199) sagt, „Ich und Welt stets eine dialektische Einheit [bilden], in der nicht der eine Pol dem anderen seinen Sinn verleiht, der Sinn vielmehr sich aus dem Widerspiel beider Pole ergibt". Als ein sinnvoller Rahmen für eine systematische Untersuchung der Strukturen und Aspekte des gelebten Raumes bietet sich eine Untergliederung in den gestimmten Raum (Teil III), den Handlungsraum (Teil IV, I) und den Wahrnehmungsraum (Teil IV, II) an, wobei wir die beiden letzten Unterscheidungen als Ausprägungen des orientierten Raumes (Teil IV) verstehen. Daß es sich, bei dieser Einteilung eher um einen methodischen Kunstgriff handelt, der es erlaubt, einzelne Merkmale des gelebten Raumes zu akzentuieren und dadurch verständlicher zu machen, als um eine vom Gegenstand diktierte Differenzierung, wird sich sowohl als Vorteil wie auch als Nachteil herausstellen. Deshalb sollen im Anschluß an diese analytischen

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Umwelt und Raum in der phänomenologischen Psychologie

Differenzierungen noch einige besondere Ausprägungen gelebten Raumes dargestellt werden (Teil V), in denen das, was vorher geschieden wurde, umso deutlicher in seiner Zusammengehörigkeit sichtbar wird.

TEIL III: DER GESTIMMTE RAUM

§ 9 Gestimmter Raum und Gestimmtheit: Klärung der Begriffe Der gestimmte Raum, als Terminus von Binswanger 1933 b (vgl. 1955) vorgeschlagen für den Raum, „sofern er der Raum unserer jeweiligen Stimmung oder Gestimmtheit ist" (205 f.), ist keiner direkten Messung zugänglich, sondern in seiner Qualität, seinem Ausdrucksgehalt, seiner Atmosphäre, die von einem gestimmten Subjekt erfahren werden und es beeindrucken. Es ist der Raum, der je verschieden „anmutet", als Arbeitsraum nüchtern, als Kirdienraum feierlich, als Ballsaal fröhlich stimmt, als „belebte" Straße an- oder aufregt, als weite Landschaft beruhigt, als Wohnung oder Heimat Schutz und Geborgenheit bedeutet, als unbekannter Wald in der Dunkelheit unheimlich und ängstigend wirkt. Diese verschiedenartigen „Räume", die Sachlichkeit oder Feierlichkeit, Gefahr oder Unheil „ausstrahlen", die zum Verweilen einladen oder auch Angst und Abwehr hervorrufen, sind Räume, in denen der Mensch sich zu Hause oder fremd fühlt, in denen es ihm weit ums Herz wird oder die Brust zusammenschnürt, die er als einladend oder ungastlich, als wohnlich und gemütlich oder unpersönlich und kalt empfindet. Diese „Räume" sind Formen ein- und desselben „gestimmten Raumes", der „je ein anderer ist, wie das Wesen, das in ihm lebt, je ein anderes ist" (Ströker 1965, 22). Der Begriff von Stimmung und Gestimmtheit, wie er hier verwendet wird, wurde zuerst von Heidegger in seiner Analyse des Daseins als „Befindlichkeit" (vgl. 1967, 134 ff.) entwickelt. Befindlichkeit (oder auch Gestimmtheit 1 ) und Verstehen sind zwei gleichursprüngliche Weisen des Daseins, charakterisieren als Existentialien die ursprüngliche Ersdilossenheit des In-der-Weltseins. Dabei kommt der Befindlichkeit insofern eine ausgezeichnete Stellung zu, als sie „als Grundmodus des Seins des Daseins begriffen wird" (143), der in gewisser Weise dem Verstehen schon vorausgeht, jedoch nicht umgekehrt: „Befindlichkeit hat je ihr Verständnis, wenn auch nur so, daß sie es niederhält. Verstehen ist immer gestimmtes" (142). Die Stimmung, die offenbar macht, „wie einem ist und wird" (134), „kommt weder von ,Außen' noch von ,Innen', sondern steigt als Weise des 1

Dem ontologischen Begriff der Befindlichkeit entspricht ontisch das Gestimmtsein, die Stimmung.

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Der gestimmte Raum

In-der-Welt-seins aus diesem selbst auf" (136). Gestimmtheit ist also das, •worin sich der Mensch schon vor aller reflexiven Hinwendung zur Welt vorfindet, ist die ursprüngliche Erschlossenbeit von Welt. Stimmung ist nicht gerichtetes Erfassen eines seelischen Zustandes, sondern Stimmung überfällt, man ist ihr ausgeliefert. Die Begegnung mit der gestimmten Welt geschieht nicht durch „gnostisches" Wahrnehmen und Erkennen, sondern durch „pathisches" Gewahren oder Ergriffen- und Überwältigtwerden, sie ist „unreflektiertes" oder „qualitatives Innesein", wie es Dürckheim (1932, 399; 411) nennt. Die Welt, der Raum „mutet mich an", betrifft mich, spricht mich an, teilt sich mir mit, „man hat ihn im ,Innesein', hat ihn in seinen Gliedern und im Gefühl, in Leib und H e r z . . . " (a.a.O., 399). Dieser Charakter der Betroffenheit ist Ausdruck jener ganz ursprünglichen Verbundenheit von Subjekt und Welt, die überhaupt die Grundlage bildet für jedes spätere reflexive Sidi-richten-auf die Welt, der sinnlichen Anschauung, des Denkens, des zweckhaften Handelns. „Das Gestimmtsein bezieht sich nidit zunächst auf Seelisches, ist selbst kein Zustand drinnen, der dann auf rätselhafte Weise hinausgelangt und auf die Dinge und Personen abfärbt" (Heidegger, 137). Gestimmtsein erweist sich als ein doppelseitiges Geschehen, als Kommunikation zwischen Subjekt und Welt: Die Atmosphäre eines Raumes wirkt auf den Menschen, wie umgekehrt der Mensch in einer bestimmten Gemütsverfassung dazu neigt, diese auf den Raum übertragend wiederum als seine Anmutungsqualität zu erleben (was nicht im Sinne einer Ursache-Wirkungs-Folge, sondern einer unmittelbaren, ursprünglichen Zusammengehörigkeit zu verstehen ist). Dem heiteren Menschen erscheint auch seine Umgebung heiter, dem bedrückten auch seine Umgebung bedrückend. „Je nachdem, wie es mir zumute ist, ob es mir weit oder eng ums Herz ist, ob mir das Herz vor Freude aufgeht oder vor Kummer sich zuschnürt, ob es voll ist zum Überlaufen oder ausgebrannt und leer, ändert sich auch der Ausdruck der Welt" (Binswanger 1955, 199 f.) Gestimmtheit ist, wie aus Heideggers Analyse deutlich wurde, Wesensmerkmal jeden Raumes, Gestimmtheit bzw. Befindlichkeit der Grundmodus des Daseins. Wenn wir also vom gestimmten Raum neben einem Handlungs- und Wahrnehmungsraum sprechen, so bedeutet das nicht, daß diese Räume nicht auch gleichzeitig gestimmt sind. Vielmehr werden in einer solchen Analyse die Stimmungscharaktere zugunsten der Handlungs- bzw. Wahrnehmungsmomente abgeblendet, während sie im folgenden zum ausschließlichen Thema gemacht werden.

§ 10 Stimmung und Gestimmtheit in der Sprache Unsere Sprache ist reich an Ausdrücken, die wir gleichzeitig zur Charakterisierung des gestimmten Menschen wie des gestimmten Raumes verwen-

Beispiele gestimmter Räume und gestimmten Daseins

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den, wodurch einmal mehr die enge Beziehung zwischen räumlicher Atmosphäre und seelischer Gestimmtheit dokumentiert wird. Ich bezeichne die Stimmung eines Menschen wie auch eines Raumes ζ. B. als kalt, unpersönlich, sachlich, nüchtern, kühl, als bedrückend, unheimlich, düster, trostlos, trübe oder als heiter, leicht, warm, verträumt, strahlend, festlich, feierlich. Das eigene Zumutesein wird als Gestimmtheit des Raumes erlebt und umgekehrt, wobei sich nicht sagen läßt, welches nun das genetisch Frühere, welches das Spätere ist, das Bedingende oder Bedingte, die Ursache oder Wirkung. Räumliche Begriffe dienen zur Beschreibung von augenblickshaften Stimmungen und Gefühlen, überdauernden Gestimmtheiten, Einstellungen und Haltungen, dienen zur Charakterisierung von Rollen und Positionen, die ein Mensch bekleidet oder erreicht: mir fällt die Decke auf den Kopf, der Himmel stürzt über mir zusammen, ich bin ganz down, niedergedrückt oder hochgemut, die Brust weitet sich, engt sich ein, ein Mensch ist weit-, eng-, hoch- oder offenherzig, ist engstirnig, beschränkt, eingeengt oder weitschweifig; es geht mit ihm abwärts oder aufwärts, er ist der höher oder nieder Stehende, eine hochgestellte Persönlichkeit oder zum niederen Volk gehörig...

§ 11 Beispiele gestimmter Räume und gestimmten Daseins Ein Wohnraum ist wohnlich und gemütlich, freundlich oder großzügig, eine Sitzecke kann einladend, die Atmosphäre intim sein, ein anderer erscheint einem als „kalte Pracht", unpersönlich und kühl, beklemmend oder ungastlich. Eine Landschaft mutet heiter, weit, hell und offen, ein See verträumt, eine Gebirgsschlucht düster, bedrohlich, nicht geheuer an. Was macht die Kälte der „kalten Pracht", was die Gemütlichkeit einer Kaminecke, die Heiterkeit oder Bedrohlidikeit einer Landschaft aus? Diese Qualitäten eines Raumes, die physiognomischen Ausdrucksgehalte einer Landschaft sind keiner quantitativen Bestimmung zugänglich, noch lassen sie sich durch objektive Beschreibung ihrer Formen, Farben, Größenund Mengenverhältnisse fassen2. Mag auch die „kalte Pracht" ihren Namen daher haben, daß diese gute Stube mit den besten Möbeln und kostbaren Nippes nur sonntags geheizt, 2

Dies hindert nicht, daß in der Psychologie immer wieder der Versuch gemacht wird, diese Eindrucksqualitäten als Dimensionen meßbar zu machen, und zwar durch die Anwendung von Skalierverfahren. Hier ist vor allem auf das bipolar angelegte, so häufig benutzte wie problematische Semantisdie Differential hinzuweisen, das — zurückgehend auf Osgood (vgl. Osgood et al. 1957) — in der empirischen Umweltpsychologie vielfache Anwendung findet und zahlreiche Modifikationen erfahren hat.

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Der gestimmte Raum

die restliche Woche mit Schonbezügen abgedeckt und verschlossen wurde — mögen viele Materialien eines modernen Interlübke-Zimmers: Stahl, Glas, Leder, Kunststoff und weißer Schleiflack objektiv ( = meßbar) kälter sein als die warme Holztäfelung, das weiche Plüsdisofa und der Kachelofen einer alten Wohnstube —, doch das, was uns als Kälte oder Gemütlichkeit anmutet, geht nicht auf in Gestaltungsqualität, die ich nach Farbe, Form, Größe, ja auch Temperatur, objektiv bestimmen kann. Vielmehr ist es die „Ganzqualität", wie es die 2. Leipziger Schule nannte, die den Charakter, die Physiognomie eines Raumes bestimmt. Einzelheiten treten zurück, sind verflochten in dem Arrangement, das in seiner Ganzheit die Anmutungsqualität, den Ausdrucksgehalt ausmacht. Es sind nicht „Eigenschaften" eines Dinges, die idi wahrnehme, sondern seine „Charaktere" (s. Klages 1923), die midi „anmuten", wenn es mir als „Ausdrucksgestalt" gegeben ist. Es ist seine „Tönung", in der es mir als weich, hart, heiter, streng, leicht, traurig oder lustig vorkommt, und damit bewege ich midi weniger in der anthropomorphisierenden Einstellung des Kindes in seiner „magisch-mythischen Phase", sondern reagiere auf Sinngestalten und Symbole, die uns „besondere Gemütsstimmungen geben" und „sinnlich-sittliche und ästhetische" Wirkung auf uns haben, wie Goethe (1810) in seiner Farbenlehre sagt®. Ist „Wohnlichkeit" eine wohl allen bekannte Stimmungsqualität eines Zimmers, so kann sie dodi im einzelnen recht verschieden realisiert sein: Für den einen gehören dazu Spitzendeckchen, Kreuzgesticktes, säuberlich eingedellte Paradekissen, der Gummibaum und ein Blumenstück an der Wand, ein anderer empfindet erst dann sein Ferienquartier als wohnlidi, wenn er eben dieses alles entfernt hat. Wohnlichkeit eines Raumes ist zu verstehen als ein „Bedeutungsganzes" (Dürckheim), dem die Einzelheiten, z. B. die Gegenstände in einem Zimmer zu- bzw. untergeordnet werden. Etwas „paßt hinein" oder „stört", was nur zu verstehen ist in bezug auf ein übergreifendes Ganzes. Dabei können Stimmigkeits- oder Unstimmigkeitserlebnisse sehr allgemeiner oder individueller Art auftreten: wohl für die meisten gehören Kirchenfenster nicht ins Labor, ein Ehebett nicht ins Büro des Chefs, doch nicht erst bei Spitzendeckchen auf der Anrichte und Pin-up girls im Spind scheiden sich die Geister (wobei hier, wohlgemerkt, nidit die Zweckbestimmtheit der Dinge, ihr 5

Es sei in diesem Zusammenhang auch auf die Ansätze innerhalb der Geographie hingewiesen, die es als Aufgabe einer „Landschaftsphysiognomik" ansahen, die Ausdrucksqualitäten und Sinngehalte einer Landschaft und ihre Wirkung auf den Betrachter zu beschreiben und zu analysieren (vgl. etwa Lehmann 1950; Schwind 1950 und auch Hellpach, der bereits 1911 in seinen „Geopsychischen Erscheinungen" und später in seiner „Geopsyche" (vgl. 1950) im Kapitel „Landschaft und Seele" m. E. die ersten Schritte zu einer solchen Landsdiaftsphysiognomik unternommen und damit auch die o. a. geographischen Arbeiten beeinflußt hat.

Beispiele gestimmter Räume und gestimmten Daseins

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„Um-zu" in Frage steht, sondern lediglich ihr unmittelbarer Ausdruckswert). Räume können so ausgeprägte Eigencharaktere besitzen, daß sie den Menschen, der in ihnen weilt, in ganz besonderer Weise „betreffen", sich ihm aufdrängen, von ihm Besitz ergreifen. Man denke etwa an eine schroffe Felswand, einen dunklen Abgrund, an „unendliche" Meere und Ebenen, einen hohen, lichten gotischen Dom, ein düsteres Gewölbe. Vor allem die Geschichte der sakralen Bauwerke macht deutlich, wie solche Momente beachtet und genutzt wurden, um die Menschen in ganz bestimmte Stimmungen zu versetzen (vgl. dazu Hager (1957) und audi die Ausführungen Bollnows (1963) zum sakralen Raum). Umgekehrt kann die Gestimmtheit des Menschen so dominierend sein, daß die räumliche Eigencharaktere kaum mehr Gewicht haben. Dem hochgradig Verzweifelten und Bedrückten erscheint die Welt entleert; mag noch so viel Leben um ihn sprudeln, ihn spricht nichts an, er „starrt ins Leere". Mit der Fülle der seelischen Regungen schwindet audi die Fülle der Ausdrucksgehalte der Welt. Gerade hier zeigt sidi die wechselseitige Bezogenheit von Raum und Raumerleben besonders deutlich. Tellenbadi beschreibt in seiner Melancholie-Studie (1956), auf die idi weiter unten noch ausführlich eingehen werde, wie für den Kranken die Dinge aus der Nähe gegen einen fernen Hintergrund abrücken, ihre Plastizität verlieren und zu einem flächenhaften Nebeneinander verarmen und diese Verarmung der Welt begleitet ist von dem Gefühl der Leere, der inneren Einengung und Resonanzlosigkeit. Daraus wird deutlidi, „wie die innere Verarmung zur Leere und die Verarmung der Welt zur Leere korrespondieren, wie sich der entleerte Raum in die innere Leere fortsetzt" (Tellenbadi, S. 16). In dieser „Leerform des Herzens" sieht Sdieler (1927, 298) das „Urdatum aller Begriffe der Leere überhaupt", z.B. der leeren Zeit, des leeren Raumes. — Zu einer umfassenden phänomenologischen Analyse der Leere vergleiche Kijm (1954). Demgegenüber steht die Ausweitung von Idi und Welt bei übermäßigen Glückserlebnissen (vgl. Mayer 1914; Rümke 1924). „Es gab Zeiten, wo alles, was ich sah, enorme Ausdehnungen annahm. Menschen schienen Riesen, alle Gegenstände und Entfernungen erschienen mir wie in einem großen Fernrohr . . . " (Rümke zit. nach Binswanger 1955, 217). Der Steigerung der Größenverhältnisse, der Klarheit, Tiefe und Perspektive entspricht das „Ganz-davon-erfüllt-sein" des Glückgefühls. Wieder anders sieht die Welt des „ideenflüchtigen Menschen" aus, wie sie von Binswanger 1933 (a) beschrieben wurde, in der Dinge, Menschen, Gedanken ganz nah zusammenrücken, so daß sie ganz leicht, „springend" — geistig und leiblich — erreicht werden können. Alles ist weich, glatt,

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Der gestimmte Raum

biegsam, die Dinge stoßen sich nidit hart im Raum, sondern berühren sich weich und leicht, man stößt sich nicht an ihnen, sie weichen zurück, verwandeln sidi, zerfließen, geben Raum. Das macht die „Volatilität", die Überfliegbarkeit der Welt des Ideenflüditigen aus. Alles gibt nach, ist schwebend, fliegend, springend zu überwinden. Für den Verzweifelten sdirumpft die Welt zusammen, verdunkelt sich, bis sie schließlich ganz entleert ist. Dem euphorisch Gestimmten, dem Optimisten erscheint alles rosig, hell und wolkenlos, die Welt weitet sidi ins Unendliche. Gestimmter Raum und gestimmtes Subjekt — diese beiden Pole einer engen Wechselbeziehung habe idi im vorangegangenen Absatz akzentuierend dargestellt, indem ich zunächst die Eigencharaktere von Räumen in den Mittelpunkt rückte, um dann solche Räume aus der Sicht des gestimmten Subjekts zu betrachten (wobei gelegentlich nicht nur Stimmungsqualitäten, sondern audi Handlungsmomente des gelebten Raumes in den Blick kamen). Als eine solche akzentuierende Betrachtungsweise muß auch Dürckheims Unterscheidung zwischen „objektivem" und „persönlichem" Raum verstanden werden (vgl. 1932, 425 ff.), eine Unterscheidung, die für den gelebten Raum in seiner Gesamtheit gelten soll, deren begriffliche Fassung mir jedoch redit unglücklich zu sein scheint, weil damit sozusagen die Subjekt-ObjektSpaltung zementiert wird. Gelebter Raum wird einmal mehr als „objektives Bedeutungsganzes", einmal mehr als „persönlich bedeutsames Ganzes" gefaßt. Dem „objektiven" Raum „fügt" sich der Mensch, er versenkt sich in ihn, läßt ihn auf sich wirken, wobei er sich „mit der Gesamtheit seiner augenblicklichen oder überaugenblicklichen Lebensgerichtetheiten von sich aus .einklammert' oder auch auf Grund des Vorgefundenen .einklammern' muß" (426). Als „persönlicher Raum" erscheint der Raum in dem Maße, „als das erlebende Subjekt in seinem eigenen Leben und seinen diesen bewährenden augenblicklichen oder überaugenblicklichen Ansprüchen befangen ist und darin verharrt" (ebda.). Eine solche Unterscheidung darf nicht dazu verleiten, den Raum als etwas Unabhängiges „außerhalb" meiner anzusetzen, der erst auf mich einwirken müsse, damit ich auf ihn „reagiere", oder den ich einfach „vorfinde", um ihn meinerseits zu „stimmen" und zu gestalten. Die streng korrelative Beziehung zwischen Subjekt und Welt soll darum im folgenden noch deutlicher herausgestellt werden, wenn die besondere Art der Kommunikation zwischen Subjekt und (gestimmten) Raum nodi einmal systematisch analysiert wird.

Formale Charakterisierung des gestimmten Raumes

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§ 12 Formale Charakterisierung des gestimmten Raumes U m einen ersten Zugang zur systematischen Betrachtung des gelebten Raumes und seines Erlebnissubjekts in ihrer Gestimmtheit zu gewinnen, will ich zwei verschiedene Weisen, im Raum zu sein oder Raum zu haben einander gegenüberstellen und zu diesem Zwecke Dürckheims Unterscheidung von „Gegenständlichkeit" und „Innesein" übernehmen. Wenn ich in meinem Arbeitszimmer sitze, kann idi mir dieses Im-Zimmer-sein wie audi die Beschaffenheit des Zimmers in allen Einzelheiten „gegenständlich" bewußt machen: das Zimmer in bestimmter Lage zu anderen Zimmern, in diesem Stockwerk in diesem Haus, an dieser Straße, in dieser Stadt, in diesem Land etc., daß ich vor dem Schreibtisch, am Fenster, neben dem Bücherregal, unter der Lampe sitze. Ich kann also dieses Zimmer und mich in diesem Zimmer in einer spezifisch intentionalen Gerichtetheit „ausdrücklich gegenständlich gegenwärtig" haben (S. 397). Ich kann dieses Zimmer aber auch nur in einem „unreflektierten Innesein" gegenwärtig haben, wobei dem Zimmer keine gegenständliche Wirklichkeit zukommt, vielmehr färbt und steuert das „In-diesem-Zimmer-sein mein Gesamterleben, das in seiner Totalität anders wäre, wenn ich in einem anderen Raum, z. B. im Freien säße und arbeitete" (ebda.). Hier wird der Raum nicht „in seiner gegebenen Mannigfaltigkeit ,gesehen' und gegenständlich ,erfaßt' oder ,vor-gestellt' oder angeschaut, sondern ist in seiner jeweils leibhaftigen und bedeutungsvollen Ganzheit .gegenwärtig' in Gesamteinstellung, Haltung, Gerichtetheit und Zumutesein, man hat ihn im Gefühl, in Leib und Herz . . . " (S. 399). Dieses unthematische Sein im Raum als „Innesein" oder als „Befindlichkeit", das so verschieden ist von der gegenständlichen Gerichtetheit, dem Bewußt-machen und Bewußt-haben der Dinge, gilt es nun auf seine Merkmale hin zu untersuchen. a

Die „Dinge" im gestimmten

Raum: Form, Farbe,

Klang

Der gestimmte Raum ist uns immer in seiner ganzen Fülle gegenwärtig, als Zimmer mit Möbeln, als von Menschen und Autos „belebte" Straße, als bewaldete Landschaft. Die Dinge werden von uns aber nicht in ihren objektiven Dingeigenschaften wahrgenommen, sondern sprechen uns an in ihren „Charakteren", ihren „Anmutungsqualitäten", ihren „Ausdrucksgehalten", ihrer „Physiognomie". Form, Größe und Farbe eines Dinges sind nicht in ihrer Qualität, sondern nur in ihrer Stimmungsvalenz relevant. Ein „gewaltiges" Bergmassiv, ein „erhabener" Dom, ein zierliches Gebilde mögen dies alles auch aufgrund ihrer objektiven Größe sein, aber wesentlicher ist die von dieser Größe getragene Ausdrucksgestalt des Mächtigen, Gewaltigen, also die physiognomische Qualität. Gleiches gilt f ü r die Farbe. Selbst da, wo es sich um ein Rot als Gegenstandsfarbe (rote Kissen, rote Polster, rote Blumen) hanS Kruse, Umwelt

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Der gestimmte Raum

delt, kann dieses Rot global anmuten, das heißt, ohne in seiner Gegenstandsbezogenheit zu imponieren, die Stimmung eines Raumes beherrschen. Farben lassen einen Raum enger oder weiter, höher oder niedriger, wärmer oder kälter wirken (vgl. dazu insbesondere Goethes Ausführungen in seiner Farbenlehre zur sinnlich-sittlichen Wirkung der Farben). Von besonderer Bedeutung für den gestimmten Raum sind Töne und Geräusche, die stärker als alle anderen Qualitäten Räume verändern können. Man denke an ein schalldichtes Tonstudio oder an einen Beatschuppen, in dem die Musik vielfach verstärkt von den Wänden hallt, den Raum völlig ausfüllt. Töne und Geräusche lassen Entfernungen schrumpfen, machen Räume kleiner. Das Dorf in der Ferne rückt plötzlich näher, wenn seine Glocken zu läuten beginnen, ein Kirchenraum verengt sich, wenn er von den Klängen der Orgel durchflutet wird. Musik verringert Distanzen, schafft Kontakt: Straus (1930, in 1960, 150) führt als Beispiel den Stummfilm an, in dem die Bilder in ungewöhnlicher Ferne erscheinen, marionettenhaft und leblos sind, und „nüchtern, trocken, öde" vor dem Beschauer ablaufen. Erst wenn Musikbegleitung einsetzt, die nicht einmal der Szene angepaßt sein muß, wird der Kontakt zum Zuschauer hergestellt. In seinen „Formen des Räumlichen" hat Straus (1930, in 1960, 142 ff.) die unterschiedliche Daseins- und Wirkungsweise von Farben und Klängen eingehend analysiert und dabei dem „auditiven Raum" eine ganz besondere Bedeutung beigemessen. Straus bedient sich dabei des Unterschieds zwischen Geräusch und Schall (Ton, Klang). Geräusche, so kontinuierlich und durchdringend sie auch sein mögen, bleiben immer an ihre Quelle gebunden: Auch das Rauschen eines in der Dunkelheit nicht mehr sichtbaren Baches, das Knattern eines Motors werden immer noch als ihr Tun aufgefaßt. Ein Klang dagegen, obwohl auch, auf seine Quelle zurückverweisend, zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er sich ablösen und zu einem Eigendasein gelangen kann. Ein Geräusch ist immer Geräusch von etwas, hat den Charakter des „Hinweisens" und „Anzeigens", während erst das von der Schallquelle losgelöste Dasein des Tones seine eigentliche Bestimmung ausmacht, die am reinsten und vollkommensten in der Musik verwirklicht ist. Straus kommt zu dieser scharfen Trennung von Geräusch und Klang, da er in seiner Analyse immer nur vom Einzelgeräusdi ausgeht, nicht aber das erfüllende und oft nicht lokalisierbare Rauschen (z. B. des Windes) berücksichtigt. Obgleich er diese Phänomene in anderem Zusammenhang nennt, meint er hier davon absehen zu können, um die Grundannahmen seines Modells stärker zu akzentuieren. Daß dieses nicht nur in offensichtlicher Unkenntnis der allgemeinen Psychologie der auditiven Wahrnehmung, sondern auch infolge unzureichender Phänomenbeschreibung geschieht, ist nicht nur ihm, sondern auch Ströker anzulasten, die Straus' Positionen unkritisch übernimmt.

Formale Charakterisierung des gestimmten Raumes

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Ein Klang erscheint uns in ganz anderer Weise als z.B. Formen und Farben: „Die Farbe erscheint uns gegenüber, dort, auf eine Stelle beschränkt, den Raum in Teilräume begrenzend und gliedernd, entfaltet sich in ein Neben- und Hintereinander. Der Ton dagegen kommt auf uns zu, erreicht und erfaßt uns, schwebt vorbei, er erfüllt den Raum, gestaltet sich in einem zeitlichen Nacheinander" (Straus 1960, 146). Einem Ton sind wir ausgeliefert, wir können uns ihm nur schwer entziehen. Dem Ergriffenwerden durch den Ton steht das Ergreifen, die aktive Zuwendung zum farbigen Gegenstand, gegenüber, dem wir uns audi leicht wieder entziehen können, indem wir uns einfach abwenden und den Gegenstand hinter uns lassen. Ergreifen und Ergriffenwerden als gnostisdies bzw. pathisches Moment der Wahrnehmung sind f ü r Straus zwei wesentliche Charakteristika zur D i f ferenzierung des räumlichen Daseins von Farbe und Klang. Ein kritischer Einwand scheint an dieser Stelle angebracht: Straus analysiert das räumliche Dasein der Farben lediglich in ihrer Gegebenheitsweise als „Oberflächenfarben" nicht aber als „Raumfarben" (zu dieser Unterscheidung vgl. D . Katz 1911). Raumfarben, wie sie z. B. auftreten bei einem in rotes Licht getauchten Zimmer, einem Sonnenuntergang am Meer, einer Schneelandschaft bei gleißender Mittagssonne, sind von Oberflächenfarben phänomenologisch durchaus verschieden, und verschieden sind auch ihre räumliche Wirkung und damit ihre Bedeutung für den gestimmten Raum. Eine solche Abblendung wesentlicher Aspekte räumlicher Gegebenheiten mag ein Grund dafür sein, daß Straus den gestimmten Raum primär als auditiven Raum versteht. Eine weitere qualitative Bestimmung der Daseinsweise von Klängen und Farben ist f ü r den gestimmten Raum von besonderer Bedeutung: das zeitliche Nacheinander der Töne gegenüber dem räumlichen Nebeneinander der Farben. Ein Ton setzt ein, dringt heran, verklingt. Dieses zeitliche Dasein des Tones bezeichnet Straus als „präsentisch", den Klangraum als „präsentischen Raum". Alles Hören ist präsentisch... Im Klang haben wir Geschehen präsentisch, in der Farbe erfassen wir distantes Sein" (1960, 156). Diesen pathisdien und gnostisdien Modi des Räumlichen entsprechen das pathische Wahrnehmen, das das Wie des gegebenen Seins erfaßt, und das gnostisdie, das auf das Was des gegenständlich Gegebenen gerichtet ist. Der präsentische Raum, der zunächst als Grundform des Klangraums entwickelt wurde, ist aber nicht auf den akustischen Bereich beschränkt. Er ist auch der Raum einer besonderen Form der Bewegung, der ziel- und zwecklosen Bewegung des Tanzes, die erst durch den Einfluß der Musik möglich wird. „Die Musik formt erst die Struktur des Räumlichen, in der die Tanzbewegung geschehen kann" (a.a.O., 160). Damit ist der präsentisdie Raum als akustischer Raum zugleich der Raum des Tanzes. Ihm gegenüber steht der optische Raum als Raum der gerichteten, zweckhaften Bewegung. (Auf die Charakterisierung der Tanzbewegung werde ich wei5

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Der gestimmte Raum

ter unten zurückkommen.) Neben Farbe, Form, Größe und Klang als Dingcharaktere, welche die Physiognomie des Raumes wesentlich bestimmen, dürfen jene Ausdrucksgehalte nicht vergessen werden, die von den Mitmenschen, den eigentlich „beseelten Dingen" im Raum ausgehen4. „Vom Standpunkt des gegenständlichen Raumbewußtseins muß es völlig unbegreiflich bleiben, daß uns in ihrer Nähe ,der Raum weit wird' oder ,zu eng', daß sie nur ,Spielraum' lassen oder uns von unserem ,Platz' verdrängen, veranlassen, daß wir den ,Ort' wechseln, uns räumlich von ihnen entfernen" (Ströker 1965, 30). Mitmenschlidie Distanzen, solange sie konstitutiv sind für den Ausdrucksgehalt des gestimmten Raumes, sind etwas grundsätzlich anderes als die Abstände im metrisch erfaßten Raum. Mitmenschliche „Nähe" und „Ferne" sind nicht auf die Messung von Abständen reduzierbar. b

Ort, Lage und, Distanz im gestimmten

Raum

Wir haben den gestimmten Raum als eine Raumform kennengelernt, der die Ausdruckscharaktere ganz allgemein und lokalisiert anhaften. Sie lassen sich nicht auf eine bestimmte abgrenzbare Stelle im Raum festlegen, sondern gehören dem Raum als ganzem an, machen überhaupt erst seine Bedeutung, seinen Symbolcharakter, aus. Sofern ich in diesem Raum als gestimmtes Subjekt weile, habe ich, wie Dürckheim ausführt, den Raum im „unreflektierten, qualitativen Innesein" als Sinneinheit, nidit aber „gegenständlich" gegenwärtig. Das bedeutet, daß ich als Leibsubjekt nicht das ausgezeichnete Zentrum in diesem Raum bin, von dem her sich der Raum nach Richtungen und Entfernungen gliedert, auf den Lage und Abstand der Dinge bezogen sind. Damit verbunden ist ein gewisser Mangel an Orientiertheit, im Sinne der Richtungsorientierung. Ich kann zwar angeben, „wo" ich mich befinde, bin also nicht „desorientiert", kann aber nicht, wie im Wahrnehmungs- oder Handlungsraum, eine präzise Ortsbestimmung leisten. Als gestimmter Leib bin ich im gestimmten Raum, aber nicht an einer bestimmten fixierbaren Stelle, die vor anderen ausgezeichnet wäre. Idi kann mal hier, mal dort sein, ohne daß der Raum sich in seiner Gestimmtheit änderte. „Erst im absichtslosen Verweilen teilt sich der gestimmte Raum voll und ganz mit, zeigen die Dinge ihr eigentümliches Gesicht" (Ströker 1965, 33). Zwar nehme ich die Dinge an bestimmten Stellen wahr, sehe, höre, taste sie, aber diese Weise des Bezogenseins auf die Dinge als Wahrnehmungsgegenstände ist nicht das stimmungsmäßige Betroffensein, welches das gestimmte Dasein auszeichnet, und ist damit nicht konstitutiv für den gestimmten Raum. 4

Vergleiche dazu vor allem das Thema der „Atmosphäre" des Mensdien, wie es etwa von Rudert (1964) und Teilenbach (1964; 1968) aufgegriffen worden ist.

Formale Charakterisierung des gestimmten Raumes

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Wenn wir sagen, daß es im gestimmten Raum keine ausgezeichneten ö r t e r und Richtungen gibt, ist damit nicht impliziert, daß jede Stelle im Raum beliebig auswechselbar ist, daß das Vorhandensein der Dinge als beliebiges Nebeneinander zu fassen ist. Im Gegenteil, oft ist es gerade ein bestimmter Platz, der einem Ding seinen besonderen Ausdrucksgehalt verleiht und den es verliert, wenn man es woanders hinstellt. Das „Hingehören" bzw. „Stören" eines Dinges an einem Platz und die damit verbundenen Stimmigkeits- und Unstimmigkeitserlebnisse sind überhaupt nur in bezug auf die Sinneinheit zu verstehen, in der man das Ganze des Raumes gegenwärtig hat (Dürckheim 1932, 406). Der Platzwechsel eines Dinges (vgl. das Beispiel der Kirchenfenster im Labor, des Ehebetts im Büro), der von einer anderen Perspektive — der des Handlungsraumes — als Zweckentfremdung erscheint, — bedeutet f ü r den gestimmten Raum eine Veränderung bzw. Zerstörung seiner Atmosphäre. So wenig sich im gestimmten Raum von einem Zentrum aus Richtungen und Lagen bestimmen lassen, so wenig lassen sich Abstände angeben, wenn man diesen Begriff f ü r metrische Größen reserviert. Abstände zwischen den Dingen kommen diesen nur in ihrer Eigenschaft als Wahrnehmungsgegenstände zu, nicht aber als Ausdrucksträger im gestimmten Raum. Kleinere oder größere Abstände zwischen den Dingen erscheinen daher nicht als dingunabhängige Größen, sondern als Qualität der Dinge selbst: als ihr N a h - oder Fern-sein in bezug auf das gestimmte Erlebnissubjekt. Straus (1956, 403 ff.) hat in seiner Analyse der „Ferne als raumzeitliche Form des Empfindens" die Eigenart von Nähe und Ferne herausgearbeitet. Nähe und Ferne sind qualitativ verschieden, sie lassen sich nicht aufeinander reduzieren, sondern sind wechselseitig aufeinander bezogen. Von Ferne (und Zukunft) kann man nur sprechen in Beziehung zur N ä h e (und zum Gegenwärtigen). Nähe fordert Ferne, wie ein Hier das Dort, ein Jetzt das Dann. Aber die Beziehung der Nähe zur Ferne läßt sich nicht in ein Nebeneinander von Raumstellen auflösen: „Da kann ich nicht addieren. Nähen ergeben keine Ferne. Eine Ferne enthält auch keine andere in sich wie eine größere Strecke die kleinere" (a.a.O., 409). Nähe und Ferne sind keine objektiven Maße wie ein Abstand, eine Strecke, die sidi unterteilen lassen, sondern die Art und Weise, wie mir die Dinge gegenwärtig sind. „Nähe und Ferne sind keine attributiven Bestimmungen der gewahrten Dinge, sondern meine Weise des Gewahrens" (Ströker 1965, 34). N ä h e und Ferne haben wie Hier und Dort nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Bestimmung: N a h ist mir, was ich hier und jetzt gegenwärtig habe, was mich betrifft und betroffen macht, ist räumliche und zeitliche Gegenwart. Leichter noch faßlidi ist die Ferne als raumzeitlidies Phänomen. Fern ist der Ort, an dem ich noch nicht bin, der noch vor mir liegt, oder an dem ich nicht mehr bin, weil ich ihn schon hinter mir habe. Fern ist, was ich noch nicht oder nicht mehr gegenwärtig habe, was der

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Der gestimmte Raum

Zukunft oder der Vergangenheit angehört, und damit ist Ferne zugleich die Grenze des gestimmten Raumes. Ferne kann ich nicht überwinden oder auslöschen, indem ich Entfernungen (hier nicht im Sinne Heideggers!) überbrücke. Jedes Sich-nähern schafft neue Ferne, jedes Nicht-Mehr bedeutet ein weiteres Noch-Nicht. Ferne als das „Dort" bleibt als Ziel immer auch Zukünftiges. Bereits die Daseinsweise des Klanges verwies uns auf eine zeitliche Bestimmung des gestimmten Raumes, das raumzeitliche Phänomen der Nähe und Ferne fügt eine weitere hinzu. Eine dritte wird sich ergeben, wenn wir nun den gestimmten Raum als Bewegungsraum betrachten. c

Der gestimmte Raum als

Bewegungsraum

Die Beziehung des gestimmten Subjekts zum gestimmten Raum in seiner Ausdrucksfülle haben wir als Betroffenheit, Ergriffensein, Innesein, Zumutesein usw. beschrieben und — verstärkt durdi die Rede vom pathischen Erleben, das den Gedanken an Passivität nahelegen mag, — dabei vielleicht den Eindruck entstehen lassen, als verharre das Erlebnissubjekt unbewegt im Raum, genießerisch hingegeben oder sprachlos überwältigt. Wir haben noch kaum berücksichtigt, daß wir es mit einem beweglichen Leibwesen zu tun haben, das gehen, laufen, hüpfen, tanzen, liegen, sitzen, stehen kann, das sich nähern und entfernen kann. Es bleibt also zu klären, ob und wie das Subjekt als bewegliches im gestimmten Raum ist. Schon Ausdrücke wie „bewegt sein" oder „gelähmt sein" verweisen auf die Teilhabe der Bewegung am gestimmten Dasein. Jede Bewegung, definiert als Ortsveränderung, setzt Raum als Bedingung ihrer Möglichkeit schon immer voraus. Bewegung vollzieht sich immer im Raum. Raum ist „Spielraum" f ü r meine Bewegung. Betrachten wir den gestimmten Raum als Bewegungsraum; Kirche, Arbeitsraum, Museum, Kirmesplatz, Waldweg oder eine Straße, sofern sie Räume mit unterschiedlichem Ausdrucksgehalt (und nicht lediglich unterschiedlicher Zweckbestimmtheit) f ü r das gestimmte (und nicht zweckgerichtete) Subjekt sind, erfordern (ermöglichen, verhindern) ganz verschiedenartige Bewegungen. „So bewegt man sich anders in der Kirche als in einem Arbeitsraum, in einem Walde anders als auf der Straße, in einer nordischen Landschaft anders als in einer südlichen, im eigenen Haus anders als in dem eines Freundes" (Dürckheim 1932, 420), und zwar deshalb, weil jeder dieser Räume in seiner Zugehörigkeit zu einer Sinneinheit seine Eigenart als Bewegungsraum hat. „Das erlebende Subjekt trägt dem f ü r ihn in diesem Raum verkörperten Sinngehalt unwillkürlich Rechnung. Unwillkürlich nimmt das erlebende Subjekt die ihm gemäße Haltung ein, und je nach dem Orte, an dem es sich befindet,,bewegt' und verhält es sich anders" (a.a.O., 407).

Formale Charakterisierung des gestimmten Raumes

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Diesem Forderungscharakter der Stimmung eines Raumes kann das Subjekt sidi verschließen, indem es durch nicht „gemäße" Bewegungen den Ausdrucksgehalt des Raumes negiert und damit seine Atmosphäre völlig verändern kann: Dem Eigengehalt der Kirche als „heiligem Ort" widersetze ich mich dadurch, daß idi weder mit gedämpfter Stimme nodi in gemessenen Bewegungen umhergehe, also kirchengemäßes Verhalten zeige, sondern stattdessen meine eigenen aktuellen oder überdauernden Einstellungen und Gestimmtheiten entgegensetze und midi dementsprechend bewege. Im Vollzug dieser Bewegung setze idi meinen Anspruch durdi, um damit gleichzeitig den Eigenansprudi des Raumes zu zerstören. War bereits bei der Analyse des Gestimmtseins und der Stimmung (vgl. S. 59 ff.) die wechselseitige Bezogenheit von Raum und Subjekt deutlidi geworden, erscheint auch hier der Bewegungsraum in einem doppelten Sinne: „Der Raum ist bzw. wird ein bestimmter dadurch, daß er, indem er einerseits bestimmte ihn vollziehende Verhaltungsweisen anregt oder auslöst, einerseits die Realisierung bestimmter Geriditetheiten des Selbst erfüllt, andererseits, indem er bestimmte Geriditetheiten des Selbst durchkreuzt, Bewegungen auslöst und vorschreibt, in denen das erlebende Subjekt sich gerade dadurch verwahrt, daß es sich den Zumutungen des gegenwärtigen Raumes widersetzt" (a.a.O., 425). Oder wie Ströker prägnant formuliert: „Der Raum ist nicht nur Raum für meine Bewegung — er ist, als gerade so gestimmter, auch Raum durch meine Bewegung (1965, 37). Diese Beziehung zwischen Ausdrucksbewegung und Bewegungsraum soll am Beispiel der Tanzbewegung und des ihr eigenen Tanzraumes, wie sie zuerst von Straus (1930) innerhalb seiner Analyse des „präsentisdien Raumes" untersucht wurden, noch präzisiert werden, um von da aus dann weitere Bestimmungen zu gewinnen, die das gestimmte Subjekt als Leibwesen und das Problem der Richtungsbesúmmúieit betreifen. Zur Einführung einige Begriffe und Hypothesen, die das Verständnis und die Einordnung des Ansatzes von Straus erleichtern sollen-. Straus unterscheidet innerhalb des gelebten Raumes zwei verschiedene Modi des Räumlichen, und zwar auf der Grundlage der für sie charakteristischen Wahrnehmungsweisen einerseits, ihrer typisdien Bewegungsiormen andererseits. Für beide Raumformen benutzt er mehrere Bezeichnungen, je nachdem, welcher Aspekt des Räumlichen gerade thematisiert wird, die sich jedoch alle seinem polar konzipierten Raum-Sdiema unterordnen lassen: auf der eine Seite der optische, politische, historische, Zweckraum (der gerichteten Bewegung), auf der anderen Seite der akustische, pathische, symbolische, präsentische Raum (des Tanzes). Den optischen Raum, den Raum der (farbigen) Gegenstände, der dem gnostischen Erkennen zugänglich ist, habe ich bereits beschrieben und abgehoben vom akustischen Raum, der als Klangraum sich im pathisdien Erleben eröffnet, und von Straus als „präsentischer Raum" bezeidinet wird,

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Der gestimmte Raum

da in ihm alles Geschehen präsentisch gegeben ist. Vom Klangraum, der mit rhythmischer Musik erfüllt, eine ganz bestimmte Art von Bewegung induziert, kommt Straus dann auf den präsentischen Raum als Bewegungsraum zu sprechen, auf den Raum und die Räumlichkeit der Tanzbewegung. So lautet denn seine Ausgangshypothese: „Der optische Raum ist der Raum der gerichteten und gemessenen Zweckbewegung, der akustische Raum der Raum des Tanzes, Zweckbewegung und Tanz sind nicht als verschiedenartige Kombinationen der gleichen Bewegungselemente zu begreifen; sie unterscheiden sich als zwei Grundformen der Bewegung überhaupt, die auf zwei verschiedene Modi des Räumlichen bezogen sind" (1960, 160). Die wichtigsten Charakteristika dieser Tanzbewegung und des mit ihr verbundenen Raumerlebnisses, — von Straus als ein Beitrag zur „Psychologie der Bewegung" analysiert, seien im folgenden kurz dargestellt: Gegenüber dem Gehen, das immer Überwindung einer Entfernung auf einem Weg in Richtung auf ein Ziel ist, fallen beim Tanz erstens die Bewegungsfülle und zweitens die Dreh- und Rückwärtsbewegungen auf, die vom Standpunkt zweckmäßigen Verhaltens aus betrachtet, nutzlos und geradezu sinnlos erscheinen müssen. Tanz bedeutet Fehlen jeglicher Ökonomie der Bewegungen. Weiterhin zeichnet sich die Tanzbewegung durch eine Steigerung der Rumpfmotorik aus, indem der Anteil der Gliedmaßenbewegungen zugunsten der Eigenbewegungen des Rumpfes im Bewegungsganzen zurückgehen. Die Glieder haben ihre spezifischen Funktionen, die ihnen bei der orientierten, zweckbestimmten Bewegung im optischen (oder besser: Hándlungs-)Raum zukommen, verloren. Stattdessen erscheint der Leib ungegliedert. Rumpf und Glieder bilden eine Einheit, ihre Bewegungen bedingen sich gegenseitig und sind aufeinander abgestimmt. Sie erscheinen mühelos und selbstverständlich, bieten den Anblick von Harmonie, Anmut und Grazie. Zudem sind sie durch ein hohes Maß an Symmetrie ausgezeichnet. Ströker (1965, 39 f.) verweist auf die ausnahmslos symmetrischen Haltungen in Gebet, Andacht, Versenkung sowie auf die ebenfalls stark symmetrischen Gesten und Gebärden beim Erschrecken, bei Verzweiflung, Trauer, überschwenglicher Freude etc. Typisch für die Tanzbewegungen sind nicht (gerichtetes) GeradeausSchreiten, sondern „Drehen und Beugen, Senken und Heben, Neigen und Wiegen" (Straus 1960, 164), Bewegungen, die nicht dazu beitragen, den Körper in einer bestimmten Richtung zu halten, ihn vielmehr aus der Geraden herausdrängen. „Der Tanz ist nicht auf eine Richtung bezogen; wir tanzen nicht, um von einem Punkt des Raumes an einen anderen zu gelangen . . ( e b d a . ) . Dem Tanz fehlt jeder Bezug auf Richtung und Entfernung, auf räumliche und zeitliche Begrenzung. „Beim Gehen bewegen wir uns durch den Raum, von einem Ort zum anderen, beim Tanzen bewegen wir uns im

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Raum" (ebda.). Tanz ist „nicht-gerichtete" und „nicht-begrenzte" Bewegung im richtungslosen, ungegliederten Raum. Die Tanzfläche engt den Tänzer ein, ist aber nicht notwendige Grenze des Tanzes, sowie das Aufhören der Musik nicht gleichzeitig der natürliche Abschluß des Tanzes ist. Er kann sofort wieder aufgenommen werden, endlos (bis zur Erschöpfung) weitergehen, seine zyklisch in sich zurückkehrende Bewegung hat kein Ziel. Dies wird am deutlichsten bei den Rückwärts- und Drehbewegungen. Im Raum des alltäglichen Handelns wäre jede Rückwärtsbewegung ein „Rückschritt", den man nur notgedrungen tut, um einem Hindernis auszuweichen oder Platz zu machen. Die Bewegung ist uns unangenehm, sie erfordert besondere Absicherung: durch zögerndes Tasten mit dem Fuß, Umwenden des Kopfes; denn die natürliche „Vorsicht" der Vorwärtsbewegung fehlt. Das Rückwärtsgehen wird als Zwang erlebt und nach Möglichkeit vermieden. Im Gegensatz dazu ist das Rückwärtstanzen selbstverständliches und ungezwungenes, „spontanes Tun" (a.a.O., 174). Es fehlt das Bedürfnis nach Sicherung, „weil sich die Tanzbewegung in einem anders strukturierten Räume abspielt als die Zweckbewegung" (a.a.O., 175). Die gleiche Bewegungsrichtung wird also beidemal verschieden erlebt, was nur aus der je eigentümlichen Struktur und Gliederung der beiden Räume und unserem Verhältnis zu ihnen zu verstehen ist: Im gestimmten Raum gibt es keine ausgezeichneten Richtungen (unberücksichtigt bleiben hier die durch die Organisation des Leibes immer schon gegebenen und nie völlig aufhebbaren Richtungsgliederungen). „Der gestimmte Raum ist atrop" (Ströker 1965, 39), ist ein homogener, von Richtungsdifferenzen und Ortsvalenzen freier Raum. Demgegenüber ist der Raum des täglichen Lebens, den Straus hier als historischen Raum einführt, ein gerichteter Raum, eingeordnet auf „einen Mittelpunkt, ein festes, unverrückbares ,Hier'" (a.a.O., 175). Dieses ,Hier' — als zeitliches und räumliches — nennt Straus „Heimat" und unterscheidet davon ein bewegliches Hier, den „Aufenthalt", dessen Mittelpunkt durch die jeweilige Position des Leibes gebildet wird, ein Raum also, der mit dem Leib wandert und gemäß dieser formalen Bestimmung ein „orientierter Raum" wäre. Diese jeweiligen, begrenzten Räume des Aufenthalts sind bezogen auf den übergeordneten Raum der Heimat, von dem aus wir fortgehen, unterwegs sind und zu dem wir zurückgehen. Die Dynamik des historischen Raumes ist bestimmt durch die Hauptrichtungen Vorn-Hinten (die Straus aus der historischen Gliederung in einem K a m p f - und Fluchtraum herleitet). In diesem Raum, der durch die Vorwärtsbewegung konstituiert wird, „ist die Rückwärtsbewegung darum gegen den eigentlich vom Raum ausgelösten Impuls gerichtet" (a.a.O., 176); denn „vorwärtsgehend kehren wir zurück" (a.a.O., 175). Straus verdeutlicht dies an einem Beispiel: „Wenn wir ein Fahrzeug benutzen, um vom Hause zur Arbeitsstätte zu gelangen, so bleibt der Charakter des Hinwegs erhalten, audi wenn wir mit

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Der gestimmte Raum

dem Rücken gegen die Fahrtrichtung sitzen. Was hinter uns liegt, hat doch den Charakter des Vorwärts" (ebda.). Entsprechend gälte für den Heimweg vorwärts sitzend, daß das, was vor uns liegt, den Charakter des Zurück hat. Vor und zurück sind also individualgeschiditlidi bestimmte, „historische" Momente und nicht auf den Leib zentrierte Hauptachsen. Für den Raum des Tanzes fehlt diese Dynamik, ein Ort ist hier wie jeder andere, gleichwertig und gleich gewichtig. Das Bezugssystem der Tanzbewegung ist ein anderes, das nicht nach Richtungsdifferenzen und Ortsvalenzen, sondern nach Stimmungsvalenzen gegliedert ist. Insofern muß die Charakterisierung des Tanzraumes als „richtungslos und ungegliedert", als gleichwertig und gleichgewichtig, dahingehend modifiziert werden, daß die Gliederung durch den gestimmten Raum selbst gegeben ist, und zwar durch seine symbolischen Qualitäten. „Der Tanzraum ist nicht ein Stück des gerichteten historischen Raumes, sondern symbolischer Teil der Welt. Er ist nicht durch Entfernung, Richtung und Größe bestimmt, sondern durch Weite, Höhe, Tiefe und Eigenbewegung des Raumes." (a.a.O., 176 f.) Neben diesen qualitativen Distanzen, die bereits weiter oben behandelt wurden, sei noch auf die qualitativen Richtungsdifferenzen im gestimmten Raum hingewiesen, die elementaren Gegensätze von oben-unten, vornhinten, links und rechts, in ihrer Funktion als Ausdrucks- und Bedeutungsträger. Erinnert sei an die religiöse Bedeutung von oben-unten, OrientOkzident, die mythisch-magische von links und redits usw. (vgl. dazu u. a. Klages 1923 und Cassirers Ausführungen zur „mythischen Geographie" (1969, II). Von der Charakterisierung des historischen Raumes her wird verständlich, wie der Tanzraum gleich dem akustischen als „präsentischer" Raum, das Tanzen als präsentische Bewegung zu verstehen sind. Im Tanz gibt es kein Fortgehen und Zurückkehren, keinen Start und kein Ziel, das historische Geschehen schreitet nicht fort. Im Unterschied zum — immer historischen — zweckhaften Handeln ist Tanzen lustvolle Bewegung, die ihren Sinn in sich selbst und in keinem außer ihr liegenden Ziel hat; sie ist „präsentische" Bewegung, die sidi im reinen Gegenwärtigsein erfüllt. „Die präsentische, nicht gerichtete und nicht begrenzte Bewegung . . . kennt nur ein An- und Abschwellen, eine Steigerung und ein Verebben. Sie führt keine Veränderung herbei, ist kein historischer Prozeß; darum nennen wir sie eben präsentisch; . . . trotz ihrer Dauer in der objektiven Zeit" (Straus 1960, 172 f.). Tanzbewegung und Tranzraum von Straus als die Ausdrucksbewegung und der gestimmte („präsentische") Raum schlechthin beschrieben, dienten uns hier als Paradigma, um einige Bestimmungen zu gewinnen, die den gestimmten Raum als Bewegungsraum, das gestimmte Subjekt als bewegliches Leibsubjekt charakterisieren. Dabei galt es vor allem, die mangelnde Richtungsdifferenziertheit des gestimmten Raumes und das weitgehende

Formale Charakterisierung des gestimmten Raumes

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Fehlen der Leibesgliederung in Rumpf und Gliedmaßen herauszuheben, sowie die daraus resultierenden typischen Bewegungen in Beziehung zu dem durch sie konstituierten bzw. sie konstituierenden Bewegungsraum zu beschreiben. So wertvoll die reichhaltigen Beobachtungen Straus' für uns sind, sie dürfen nicht über einige wesentlichen Schwächen seines Vorgehens hinwegtäuschen, die nicht nur für seine Raumanalyse charakteristisch zu sein scheinen. Straus postuliert aufgrund seiner Analyse des Klanges einen eigenständigen Klangraum, dessen Struktur er „präsentisch " nennt, und entdeckt einen wesensmäßigen Zusammenhang zur — musikinduzierten — Tanzbewegung und der ihr zugehörigen Räumlichkeit. Beide „Räume" faßt er — unter der Annahme ihrer Strukturgleichheit — als „präsentischen Raum". Diesem polar zugeordnet definiert er den optischen, bzw. Zweckraum, bzw. historischen, bzw. Handlungsraum etc. Dabei zeigt sich immer wieder, daß Straus einige wenige Aspekte der untersuchten Phänomene (z.B. Farben, Töne) herausgreift und — die übrigen ablehnend — voreilig verabsolutiert und nach Gegensätzen polarisiert. So entsteht ein dualistisches Raumschema, das — wenn auch nicht explizit — vorgibt, den Aspektenreichtum des gelebten Raumes abzudecken. Abgesehen von der ungewöhnlichen und irreführenden Terminologie („präsentischer" Raum, „pathisdier" Raum, historischer = Handlungsraum etc.) sind seine Kategorien zu eng und erlauben nicht die Generalisierungen, zu denen Straus mangels ausgeprägten Methodenbewußtseins vorschnell kommt. Die Tanzbewegung ist eine — zwar bisher kaum beachtete — vieler möglicher Ausdrucksbewegungen, aber nicht die Ausdrucksbewegung schlechthin. Einige der von Straus — im Anschluß an Klages' (1932) Analysen zur Bewegung im „Anschauungs"- oder Ausdrucksraum — herausgearbeiteten Merkmale der Tanzbewegung treffen sicherlich nicht für moderne Tänze zu, sondern gelten nur für jene klassischen Tänze, wie Menuett, Walzer oder Tango, die wohl Straus — und in gleicher Weise auch Buytendijk (1951) — bei ihren Tanzanalysen vor Augen hatten. Statt Schwingen und Wiegen, Schreiten und Gleiten finden wir heute eher zackige oder schlacksige, abrupt ausfahrende oder gleichmäßig wippende Bewegungen, ein Hüpfen oder fast bewegungsloses auf-der-Stelle-Treten, Bewegungen, die wohl kaum den Straus'schen Vorstellungen von Harmonie und Grazie entsprechen dürften. An dieser Stelle sei jedoch noch auf eine weitere und neuere phänomenologische Analyse des Tanzes von Sheets (1966) hingewiesen, die unabhängig von Straus zu ähnlichen Ergebnissen kommt, wenn sie die Räumlichkeit und Zeitlichkeit der Tanzbewegungen untersucht, im Hinblick auf den Ausdrucksgehalt und Symbolcharakter des Tanzes jedoch zu anderen Schlußfolgerungen kommt.

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Der gestimmte Raum

Sind auch 'die von Straus gefundenen Merkmale des Tanzes nicht für den Tanz schlechthin gültig, treffen viele von ihnen dodi ebenso für andere Bewegungen im gestimmten Raum zu, etwa für das absichtslose, genießerische Spazierengehen. Hier geht es nicht um das Erreichen eines Zieles, die Überwindung von Distanzen in kürzester Zeit, vielmehr ist es der Reiz der Landschaft, der unsere Schritte lenkt und zu Umwegen einlädt. Spazierengehend durchquert man die Landschaft nicht, sondern gibt sich dem Wechsel von Hoch und Tief, den Windungen eines Baches hin, verweilt, um eine schöne Aussicht zu genießen, und kümmert sich nicht um Ziel und Geschwindigkeit. Diese unterschiedlichen Bewegungsweisen sind vor allem von Linschoten (1954) in seinen Reflexionen über die Straße und den Wanderpfad expliziert worden. Ebenso eng und einseitig wie die Gleichsetzung von Tanzbewegung erscheint auch die Gleichsetzung des akustischen mit dem präsentischen Raum. Bereits aus unserem Beispiel des Spazierengehens geht hervor, wie gerade auch optische Eindrücke „präsentisch" sind und „präsentische" Bewegungen hervorrufen. Der Begriff des präsentischen Raumes konnte sich nicht durchsetzen. Binswanger lehnte ihn als zu eng und mißverständlich ab und definierte stattdessen den sehr viel umfassenderen Begriff des gestimmten Raumes, der heute weitgehend Eingang in die Literatur gefunden hat (vgl. Bollnow, Gölz, Ströker, u. a.).

TEIL IV: DER ORIENTIERTE RAUM

§ 13 Grundzüge des orientierten Raumes Die Gestimmtheit ist ein Grundzug jeden Raumes, Gestimmtheit bzw. Befindlichkeit die ursprüngliche Weise des Daseins, Grundart der Erschlossenheit von Welt. Sie bildet die Grundlage für jedes weitere Sich-richtenauf, sei es als umsichtiges Besorgen, als Wahrnehmen und Erkennen. Im Gestimmtsein — so führt Dürckheim aus — erleben wir den Raum im ungegenständlichen Innesein, haben ihn unthematisch gegenwärtig. Die Dinge lassen wir uns nicht in ihren Eigenschaften begegnen, sondern auf uns wirken in ihren Ausdrucksgehalten, deren Gesamtheit das ausmacht, was wir als Atmosphäre, Physiognomie oder „ Ganzqualität ° eines Raumes bezeichnet haben. Der Leib zeigte sich im gestimmten Raum als phänomenal ungegliedert, seine Bewegungen erschienen als harmonisches Zusammenspiel von Rumpf und Gliedern. Die hervorragende Bedeutung der Gliedmaßen im Bereich zielgerichteten Handelns trat zugunsten gesteigerter Rumpfmotorik zurück. Dabei erwies sich der gestimmte Raum als Bewegungsraum als unzentriert, nicht-orientiert und damit richtungslos. Im gestimmten Raum, der dadurch charakterisiert ist, Ausdrucksgestalt zu sein, kommt dem Leib kein ausgezeichneter Ort als Zentrum zu, von dessen Hier sich der Ort der Dinge als Dort bestimmte. Aber Dasein geht nicht auf im Gestimmtsein, der gelebte Raum ist als gestimmter Raum nur in einem, wenn auch grundlegenden Aspekt thematisiert. Der Raum unseres täglichen Daseins ist vor allem Raum, in dem wir tätig sind, arbeiten oder ausruhen, dabei mit Dingen umgehen, sie betrachten, aufsuchen und gebrauchen, wenn sie uns — etwa als Werkzeug — dienlich sind, sie wegräumen, beiseite schaffen, wenn sie uns im Wege stehen. Wir bewegen uns, legen Entfernungen zurück, um von einem Ort zum anderen nzu gelangen. Bewegung, als Ortsveränderung in der Zeit, läßt den Handlungsraum immer audi als Zeitraum, als zeitlich strukturierten Raum erscheinen. Unsere Wege und Bewegungen sind zielgerichtet, sie gehen aus von einem Hier und enden bei einem Dort, einem Platz oder einem Gegenstand. Dieses Hier ist aber nicht ein beliebiger Ort im Raum, sondern ist der Ort, an dem ich mich befinde als handelndes und wahrnehmendes Leibwesen. Damit

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Der orientierte Raum

kommen diesem Raum als Worin unseres zweckmäßigen und zielgerichteten Handelns ganz andere Eigenschaften zu als dem gestimmten Raum. Dieser „Umweltsraum des einzelnen" wurde 1923 von Becker als „orientierter Raum" bezeichnet und wie folgt charakterisiert: „Wir verstehen unter dem .orientierten Raum' den Umweltsraum des einzelnen; also jenes Gebilde, in dessen Mittelpunkt ,idi' mich ständig befinde und dessen äußerste ( . . . ) Grenze der ,Fernhorizont' ( . . . ) ist. Ich kann im orientierten Raum nicht wandern, vielmehr nehme idi ihn . . . immer mit. Sein Hauptmerkmal ist, daß in ihm der Leib des Ich konstituiert ist als räumliches Gebilde und als, wenn auch ausgezeichnetes, Objekt unter anderen Dingen seine Stelle in ihm hat . . . [Doch ist] die Stelle des orientierten Raumes, an welcher der Leib sich befindet, ganz besonders vor allen ausgezeichnet. Sie ist das absolute ,Hier' im Gegensatz zu jedem ,Dort*. Ebenso ist die Entfernung von ,mir' wesentlich etwas anderes als die Entfernung zweier Gegenstände voneinander*' (454). Das handelnde Leibsubjekt bestimmt sich also als Hier, als Zentrum des Raumes, das den Bezugspunkt für jedes Dort bildet. An welchem Ort im Raum ich midi auch befinde, mein Leib ist immer das Zentrum, das absolute Hier zu jedem Dort, und damit vor allen anderen Plätzen ausgezeichnet. Ist auch mein Leib ein räumliches Gebilde wie ein Ding und nimmt auch er „Raum" ein wie ein Ding, so ist sein Platz doch qualitativ anders als der Platz des Dort. Dort und Dort, als Plätze der Dinge, sind vertauschbar, weil diese Plätze wohl verschieden, aber doch gleichwertig sind. Hier und Dort sind nicht vergleichbar, nicht gleichwertig und damit nicht vertauschbar. Das Hier des Leibes bleibt absoluter Bezugspunkt, von dem aus sich der Raum strukturiert. Damit erweist sich dieser Raum als inhomogener Raum, im Gegensatz zum homogenen Raum der Mathematik, in dem es keine ausgezeichneten Plätze, keinen Mittelpunkt und keine Gliederung gibt, der sich vielmehr nach allen Seiten gleichmäßig und unbegrenzt erstreckt. Ein inhomogener Raum mit einem beweglichen und wahrnehmenden Leibsubjekt ist gleichzeitig gerichteter bzw. „orientierter" Raum. „Richtung setzt zunächst unterscheidbare Gebiete voraus, fixierbare Orte, Stellen, ein Hier und ein Dort; Richtung ist stets Richtung von . . . nach" (Ströker 1965, 54). So ist das Subjekt im orientierten Raum Ausgangspunkt gerichteter Bewegung (und Wahrnehmung); als Subjekt mit einer ganz spezifischen leiblichen Organisation (etwa der Fähigkeit zum aufrechten Gang) gliedert es den Raum nach qualitativ verschiedenen Richtungen, den Gegensatzpaaren oben-unten, vorn-hinten, links-rechts. Der orientierte Raum ist anisotrop im Gegensazt zum atropen gestimmten Raum. Diese Bestimmungen mögen fürs erste ausreichen, um den „orientierten Raum" als weiteren Modus des gelebten Raumes in Abhebung vom gestimmten Raum zu charakterisieren.

Grundzüge des orientierten Raumes

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Zum Zwecke weiterer Analyse läßt sich der orientierte Raum sinnvollerweise differenzieren in einen Handlungsraum, insofern hier der Leib als Ausgangspunkt zielgerichteten Handelns thematisiert wird, und in einen Wahrnehmungsraum, in dem das Subjekt nur als sinnlich wahrnehmendes in den Blick kommt. Eine solche Unterscheidung läßt sich lediglidi als analytisch zweckmäßig, nicht aber als durch die Sache selbst diktiert, rechtfertigen. Als handelndes Subjekt, im tätigen Umgang mit den Dingen, als Subjekt, das Wege zurücklegt und Orte aufsucht, ist es immer auch wahrnehmendes Subjekt. »Umsichtiges Besorgen" in der Welt des Zuhandenen — um einen Ausdruck Heideggers (1967) zu verwenden —, impliziert immer audi die „Sicht" auf die Dinge: sie sind stets auch gesehene, gehörte, getastete, also Gegenstände unserer Sinneswahrnehmung. Handlung und Wahrnehmung bilden eine funktionale Einheit. Andererseits treten im unmittelbaren Tätigsein die Wahrnehmungsqualitäten der Dinge hinter den Eigenschaften der Dienlichkeit, Handlichkeit, Greifbarkeit oder auch Widerständigkeit zurück. Die Dinge erscheinen als Woraufhin einer Handlung in ihrer Verwendbarkeit und Verfügbarkeit im Hinblick auf ein Ziel und erst in einer besonderen Einstellung auch oder nur noch als Wahrnehmungsdinge. Eine solche Einstellung ist ζ. B. das plötzliche Innehalten während einer Handlung, einer Bewegung zum Zwecke der „Orientierung", wobei ein Ziel als zu erreichendes für einen Augenblick lediglidi Wahrnehmungsgegenstand sein kann. Betrachten wir die Dinge nur noch in ihren sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten, in Beziehung zu einem wahrnehmenden Leibsubjekt, sprechen wir vom Wahrnehmungsraum. Gelegentlich trifft man auch auf die Bezeichnung „optischer Raum" oder „Sehraum" entsprechend dem Primat der optischen Wahrnehmung. Doch scheint schon eine Trennung von Wahrnehmung und Bewegung nicht möglich, wie noch zu zeigen sein wird, so ist eine Abblendung des Tast- und Hörraumes und der übrigen Wahrnehmungsräume, so wenig über sie auch bekannt sein mag, nicht statthaft. Denn schließlich gilt es, den gelebten Raum möglichst umfassend, aus allen leiblichen „Hinsichten", zu beschreiben. Zu diesem Zwecke mag es erlaubt sein, einige Aspekte stärker ins Licht zu rücken und sie aus ihrer Verflochtenheit mit anderen herauszulösen. Und um eine Entflechtung dieser Art handelt es sich, wenn wir zwischen dem Handlungs- und Wahrnehmungsaspekt des gelebten Raumes trennen.

Kap. I

Der Handlungsraum

Beginnen wir mit der eingangs geschilderten Situation im Arbeitszimmer und richten den Blick auf ihre Handlungsaspekte. Ich sitze in meinem Arbeitszimmer am Schreibtisch in der Nähe des Fensters, vor mir Papier und Kugelschreiber, rechts neben mir einige be-

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Der orientierte Raum sdiriebene Seiten, links mehrere aufgeschlagene Bücher, an denen ich gerade arbeite. Am Rande des Schreibtischs weitere Bücher in Reichweite, griffbereit. Hinter mir an der Wand ein Regal, in das idi Bücher hatte zurückstellen wollen, die aber nicht mehr alle hineinpaßten, so daß sie jetzt auf dem Tische herumliegen. Idi werde aufräumen müssen, um wieder Platz zu sdiaffen. Auf dem Schreibtisch habe ich Papier, Schreibzeug und Bücher griffbereit; zum Papierkorb unter dem Schreibtisch muß ich mich bücken, es sei denn, idi wagte es — seines Standortes gewiß —, mit dem wegzuwerfenden Papier hineinzuzielen; so wie ich auch bei einbrechender Dunkelheit „blindlings" nach dem Schalter meiner Schreibtischlampe taste, um Licht zu machen. Um an das Regal zu gelangen, muß ich vom Stuhl aufstehen und ein paar Schritte zurückgehen. Die oberste Regalreihe kann ich nur erreichen, wenn ich einen Stuhl als Leiter benütze. Vom Haus aus führt eine Straße zum Fluß, den ich auf der Brücke oder mit einem Fährschiffdien überqueren kann, um vom anderen Ufer aus auf den Weg zu gelangen, der mich auf den Berg führt. Erweitern wir unser Beispiel nodi um einige Handlungsaspekte: Idi benötige noch ein Budi aus der Bibliothek. Um dorthin zu kommen, müßte idi das Auto nehmen. Normalerweise könnte ich in einer halben Stunde zurück sein, doch jetzt, während der ,rush hour', ist es in dieser Zeit nidit zu sdiaffen. Idi könnte einen Umweg machen, der weniger befahren ist, so daß ich die größere Entfernung durch höhere Geschwindigkeit wettmachen könnte. Dodi ich überlege mir: Lohnt sich der Aufwand für dieses eine Buch? Genügt es nicht, wenn idi es morgen mitnehme? Kann ich die Zeit jetzt nicht besser nutzen? Hier ist die Fülle der Autos, die ein Hindernis auf dem Weg zur Bibliothek bedeuten, in einem anderen Beispiel unserer Ausgangssituation ist es die ungetane, termingerecht fertigzustellende Arbeit, die als „Barriere" vor dem Spaziergang auf den Berg jenseits des Flusses liegt, aber audi Müdigkeit oder Niedergeschlagenheit könnten einen Gang auf den Berg äußerst mühevoll oder gar unmöglich machen.

§ 14 Aktueller und potentieller Handlungsraum In den angeführten Situationen kommt Raum in den Blick als Worin meiner Handlungen, der aktuellen wie der potentiellen. Sitze ich am Schreibtisch und arbeite, habe ich Papier, Schreibzeug, Bücher unmittelbar griffbereit, benutze sie, lege sie fort, um sie vielleicht gleich darauf wieder in die Hand zu nehmen. Mein Schreibtisch mit allem, was ich zu meiner Arbeit brauche, gehört zu meinem unmittelbaren Handlungsfeld. Aber auch das Regal an der Wand, das idi mit wenigen Schritten er-

Aktueller und potentieller Handlungsraum

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reichen kann, um dort ein Buch herauszunehmen, das idi für meine weitere Arbeit benötige, gehört mit in den Bereich nodi unmittelbarer Verfügbarkeit. Das aktuelle Handlungsfeld, der Aktionsraum, wie Ströker (1965) es nennt, enthält also die Dinge, die für mein unmittelbares, aktuales Handeln als greifbar, verfügbar, handhabbar in Seh- und Hörweite erfahren werden, Dinge, die damit auch erlebnismäßig „nah", d. h. „hier" und nicht „da" sind. Diese Dinge können dabei meinen Intentionen unmittelbar dienlich sein, meinem Handeln entgegenkommen, etwas beitragen oder „mitmachen", sie können aber audi den Gang meiner Handlungen behindern, mir Widerstand leisten, ihre Verfügbarkeit ersdiweren (der Bleistift bricht ab, das Papier geht zuende, ein Buch ist hinter das Regal gefallen etc.). Andererseits ist Verfügbarkeit als „Nähe" der Dinge abhängig von der Verfügbarkeit meines Leibes, meiner Sinne und meiner Glieder. Der Aktionsradius eines gesunden, wachen, agilen Mensdien ist ein ganz anderer als der desselben Mensdien, wenn er müde, betrunken, krank oder audi nur traurig ist. Mit einem Gipsbein kann ich nicht auf den Stuhl steigen, um an das Buch in der oberen Regalreihe zu gelangen; wenn ich müde oder traurig bin, wird der sonst so beliebte Spaziergang auf den Berg zum schweren Gang. Der Raum als Aktionsfeld meines aktuellen Handelns ist gleidizeitig auch Raum meines potentiellen Handelns. Den Aschenbecher auf meinem Sdireibtisdi werde ich benötigen, wenn idi rauchen möchte, er kann mir aber audi zum Beschweren meiner Papiere nützlich sein, wenn ich das Fenster öffne und Durchzug entsteht. Der Sdireibtisdi dient mir zum Lesen und Schreiben, aber auch zum Frühstücken. Idi benutze ihn als Unterlage für meine Schreibmaschine, als Ablagefläche beim Aufräumen meines Zimmers; seine Kanten sind mir dienlich, wenn ich einen Bogen Papier durchteilen will. Die Dinge, die idi im Augenblick in bestimmter Hinsidit verwende, verweisen immer auch auf andere Verwendungsmöglichkeiten; Dinge, die ich derzeit nicht brauche, sind gleichwohl immer Dinge möglichen Gebrauchs. Ebenso sind auch Räume, in denen ich jetzt nicht bin oder nicht mehr bin, Räume möglichen Handelns. Das gilt für Räume eines als jederzeit erfüllbar antizipierten Handelns (vgl. Graumann 1960), z.B. die Küdie, wo ich im Eisschrank etwas Trinkbares finde; die Bibliothek, aus der ich ein Buch holen muß. Es gilt für zur Zeit unerreichbare, aber erstrebte Räume, wie der Berg, den jetzt oder auch morgen zu besteigen, mich unerledigte Arbeit hindert. Das gilt auch für den Viertausender, den idi täglich vom Fenster meines Feriendomizils aus betrachte, dessen Gipfelregion ich im Geiste durchklettere, von dem idi aber nicht einmal weiß, ob er für einen alpinistisch nicht geschulten Touristen überhaupt zugänglich ist. Das gilt weiterhin für jene fiktiven Räume, in denen zu leben, Thema einer 6 Kruse. Umwelt

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antizipatorisdien Phantasie sein mag, von deren realer Existenz und Lokalisation (U-topie) ich jedoch nichts weiß. So erscheint die Welt gestaffelt vom Raum, an dem jetzt zu sein, notwendig ist, bis zu jenem utopischen Raum, an dem dereinst zu sein, vielleicht unmöglich ist. In diesem Sinn unterscheidet auch Schuhmann (1971, 19) zwischen der Welt als unverwirklidibare Möglichkeit, „verwirklichbare Möglichkeit" (bzw. mögliche Wirklichkeit) und der aktuell gegebenen Welt. Zum Raum potentiellen Handelns gehört aber auch jener Raum, in dem ich war und jetzt nicht mehr bin, von dem ich aber weiß, daß ich ihn wieder zum aktuellen Handlungsfeld machen kann. In dieser Weise erscheint mir die Welt als „Welt in wiederherstellbarer Reichweite" (Schütz 1971, I, 355). Der weitere Raum potentiellen Handelns ist kognitiver Raum. In der Phänomenologie und phänomenologischen Psychologie wird Handlungsraum jedoch meist als unmittelbarer, aktueller Handlungsraum des „Besorgens" (Heidegger), des „Manipulierens" (Tolman), als „Aktionsraum" (Ströker) thematisiert; vom kognitiven Raum bleibt meist nur der Wahrnehmungsraum übrig. Wenden wir uns zunächst dem aktuellen Handlungsfeld zu, das als „Handlungsbereich" („manipulatory area") den Kern der Wirklichkeit konstituiert (G. H . Mead 1932; 1938). Im aktuellen pragmatischen Handeln „erfahre idi mich als Mittelpunkt einer Welt, die räumlich und zeitlich um midi angeordnet ist. Der Platz, den mein Leib einnimmt, mein gegenwärtiges ,Hier' ist der Ausgangspunkt, von dem aus ich midi im Raum orientiere. Es ist sozusagen der Nullpunkt eines Koordinatensystems, das bestimmte Dimensionen der Umweltorientierung wie auch die Entfernung und Perspektiven der Umweltgegenstände bestimmt. Diese befinden sich oben oder unten, vorn oder hinten, rechts oder links, näher oder weiter . . . Dieser Ausschnitt der wahrgenommenen und wahrnehmbaren Gegenstände, in dessen Mittelpunkt idi mich befinde, sei Welt in meiner aktuellen Reichweite genannt" (Schütz 1971, I, 354). Diese Welt umfaßt alle Gegenstände in Hör- und Sehweite, die ich handhaben kann, umfaßt den Bereich, den ich „entweder unmittelbar durch meine Körperbewegungen oder mit Hilfe künstlicher Verlängerungen meines Körpers, also mit Geräten und Instrumenten . . . verändern kann. Der Handlungsbereich ist derjenige Teil der Außenwelt, auf den ich jeweils einwirken kann" (a.a.O., 354 f.). Wir wollen zunächst davon absehen, daß diese Welt meines alltäglichen Handelns von vornherein eine intersubjektive ist, die ich mit meinem „unmittelbar räumlich und zeitlich koexistierenden Mitmenschen" und den nur „mittelbar" anwesenden „Nebenmenschen" d. h. meinen „Zeitgenossen, teile oder als eine von meiner „Vorwelt" gestaltete antreffe (vgl. Schütz 1932). Dieser Aspekt wird uns noch beschäftigen, wenn wir den Handlungsraum als sozialen Raum diskutieren (s. § 17). Im folgenden soll statt-

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dessen die Welt meiner Reichweite auf ihre allgemeine Struktur untersucht werden.

§ 15 Die Dinge im Handlungsraum Als Ansatzpunkt zu einer genaueren Untersuchung des Raumes als Feld menschlidien Handelns bietet sich Heideggers Analyse des innerweltlich Seienden, vor allem die „Zeug"analyse (vgl. 1967, 66 fi.) an. Dinge, mit denen wir besorgend umgehen, als „pragmata" im praktischen Handeln hantieren, bezeichnet Heidegger als „Zeug". In ihrer Seinsweise als Zeug sind „Dinge" etwas, „um-zu...": das Schreib-zeug ist zum Schreiben, das Näh-zeug zum Nähen etc. Die verschiedenen Weisen des „um-zu" machen die „Zeugganzheit" eines „Dinges" aus: Eine Nadel gebrauche ich, um zu nähen, etwas aufzuspießen, zwei Stoffstücke oder Papiere zusammenzustecken, eine Stelle im Stoif zu markieren, an der ich einen Knopf annähen will. In dieser Struktur des „um-zu" „verweist" Zeug immer auf anderes: „Zeug ist in seiner Zeughaftigkeit immer bestimmt aus der Zugehörigkeit zu anderem Zeug: Die Nadel zum Nähen verweist auf den Faden, den Stoff usw.; umgekehrt verweist der Faden auf die Nadel, oder auch auf das Paket, das mit dem Faden verschnürt werden kann. Alles Zeug steht innerhalb einer „Verweisungsganzheit" und ist mit seinen Eigenschaften der Dienlichkeit, Verfügbarkeit, Handlichkeit, Greifbarkeit oder auch Abträglichkeit „zuhanden". Wenn wir von der „Handlichkeit" eines Dinges sprechen, meinen wir zweierlei: einmal seine handliche, körperliche Form, seine „Gefügigkeitsqualität", wie Ach es genannt hat (vgl. 1929; 1932), die seine ökonomische, sichere und zweckentsprechende Handhabung ermöglicht — ein Moment, das vor allem bei der Konstruktion von Werkzeug ausschlaggebend ist —, zum anderen verstehen wir unter Handlichkeit die räumlidie und zeitliche Verfügbarkeit von Zeug. In dieser zweiten Bedeutung spricht Heidegger von Zeug als Zuhandenem, bezeichnet die Seinsart des Zeugs als Zuhandenheit. So ist also eine Schere, die, weil sie gut in der Hand liegt, „handlich" ist, nicht auch schon „zuhanden", wenn ich sie z.B. verlegt habe, sie nicht an ihrem „Platz" finde. Sie ist immer noch handlich im Sinne der ersten Bedetung, aber nicht mehr zuhanden, wenn sie im Büro liegt, aber ich sie jetzt hier, an meinem Schreibtisch zu Hause, benötige. Zuhandenheit ist also eine Funktion des Ortes. Zeug ist dann zuhanden, wenn es griffbereit, leicht erreichbar, also in bestimmter räumlidier Nähe zu mir antreffbar ist. Der aktuelle Handlungsraum ist Raum meiner Reichweite und damit an einen Nahbereich gebunden. Wie ist die Räumlichkeit des Zuhandenen genauer zu bestimmen? Damit Zeug als Zuhandenes begegnen kann, muß es an einem „Platz", an seinem 6*

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Platz liegen. Der Platz eines Zeugs ist nicht eine beliebige Stelle im Raum, an der ich es vorfinde, sondern ist „das bestimmte ,Dort' und ,Da' des Hingehörens eines Zeugs" (Heidegger 1967, 102), der Platz, an dem es „anund untergebracht, aufgestellt und zurechtgelegt ist" (ebda.). Der Platz meines Portemonnaies ist die linke Jackentasdie, der Platz meines Führerscheins das vordere Fach in der Brieftasche, der Platz des Schlüsselbundes die Handtasche. Zuhandenes darf jedoch nicht isoliert als einzelnes D a und Dort gesehen werden, sondern immer nur im funktionalen Zusammenhang mit anderem Zeug, mit dem es in einer Verweisungsganzheit steht. Der Platz eines Zeugs bestimmt sich aus dem sinnvollen Ganzen, in das es mit anderem Zeug angeordnet ist. Jedes Zeug steht in sinnvollem Zusammenhang mit anderem Zeug: das Buch im Regal an der Wand, der Kugelschreiber in der Schreibschale auf dem Schreibtisch etc. Diesen Bereich der Zusammengehörigkeit von Dingen nennt Heidegger „Gegend" (der Schreibtisch ist die Gegend, wo ich den Kugelschreiber anzutreffen erwarte). Eine „Gegend" steht wiederum in einem größeren Zusammenhang (der Schreibtisch vor dem Fenster, neben dem Tisch . . . ) . Der Platz des Zuhandenen in einer Gegend ist nicht als fester Ort zu verstehen, sondern ist innerhalb einer Gegend in bestimmten Grenzen variierbar. „Gegend ist der Spielraum' für die freie Variierbarkeit des P l a t z e s . . . " (Ströker 1965, 61). Es sind die „Gegenden", denen ich mich zuwende, wenn idi Zeug an seinem Platz suche. Die Gegend ist daher das Gesamt der Plätze in einem Funktionszusammenhang, die in ihrem Umfang, ihren Grenzen je nach der intendierten Handlung variiert. Gegend ist also kein von vornherein festgelegter abgrenzbarer Teil des gesamten Aktionsbereichs sondern bestimmt sich aus dem je aktuellen Handlungsentwurf. Die Gegend für den Platz meiner Schere kann die linke obere Schreibtischschublade, der Schreibtisch oder mein Arbeitszimmer sein. J e kleiner die Gegend eines Platzes, umso stärker ist der Handlungsraum strukturiert. Die Strukturiertheit des Handlungsfeldes ist eine Funktion der Handlungsintention. Ist für den Wanderer ein See eine homogene Gegend, die für ihn unpassierbar ist, so ist derselbe See für den Angler oder Taucher in sehr viel mehr Gegenden strukturiert oder, wie Ströker es nennt, „geschachtelt" (1965, 62 if.). Ströker verweist auch auf die Beziehung zwischen Strukturiertheit des Handlungsraumes und dem Handlungsraum als „Spielraum": In einem völlig durchstrukturierten Raum konvergiert die Gegend gegen einen eindeutig bestimmbaren Platz: eine Variierbarkeit des Platzes innerhalb der Gegend wird damit unmöglich, der Platz wird die kleinste Gegend des Raumes. Ein völlig durchstrukturierter Raum, in dem es keine freien Plätze mehr gibt, ist als Handlungsraum undenkbar. Der Umgang mit den Dingen ist unmöglich, weil es keinen Spielraum mehr gibt:

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„Zuhandenes erhält seinen Platz im Umgang mit ihm angewiesen. Der .Um'gang aber gestattet nicht nur, sondern fordert sogar die Unexaktheit des Ortes, wie sie im Spielraum als Gegend möglicher Verrückungen gegeben ist. Denn dieser Spielraum ist keineswegs eine mit fortschreitender Aktion zu beseitigende topographische Ungenauigkeit, sondern er ist eine dem Platz des Zeugs zukommende positive Bestimmung. Fehlt der Spielraum, stehen mithin die Dinge ,z«' dicht, sieht sich das agierende Subjekt nicht etwa im Vollbesitz seiner Handlungsmöglichkeiten, sondern mißbilligt die ,Überfüllung' — das Zuhandene wird ohne Spielraum seines Platzes gerade unhandlich! Die Variabilität des Platzes innerhalb einer Gegend ist daher konstitutiv für den Ort des Zuhandenen. Platz ist also ,nur' bis auf eine Gegend topographisch faßbar — in seiner kleinsten Gegend, dem Spielraum aber stets hinreichend genau" (Ströker 1965, 63). Wäre der Handlungsraum durch das Gesamt seiner Plätze eindeutig festgelegt, bliebe mir keine Möglichkeit mehr, mit den Dingen (als Zeug) umzugehen. Um ein Ding zu ergreifen und mit ihm zu hantieren, brauche ich Raum, Spielraum für meine Bewegungen. Dieser für mein Handeln notwendige Spielraum ist mir im allgemeinen nicht thetisch bewußt, da er ja erst im Vollzug des Handelns, im umsichtigen Besorgen konstituiert wird. Erst in der Behinderung und Störung meiner Handlungsvollzüge, ζ. B. durch herumliegende Dinge, die mir „im Wege stehen", macht er sich als fehlend bemerkbar. Er wird mir als Spielraum erst in einem defizienten Modus des Besorgens bewußt. In analoger Weise thematisiert auch Plügge (1957; 1962; 1967; 1970) den „Spielraum des Leibes". Der Leib wird erst dann in seiner Räumlichkeit konkret erfahren, wenn es zu einer Störung, Bedrohung oder Verletzung dieses Bereiches kommt unid damit der Leib als immer schon „vertrauter" Raum „tangiert" wird (vgl. 1967, Kap. I). So bedeutet auch hier das Fehlen des Spielraums eine Einschränkung der Daseinsmöglichkeiten: Haben wir im Zustand des „Wohlbefindens*' einen „unbemerkten und unbeschränkten inneren Spielraum" (Plügge 1962, 82), tritt im „Mißbefinden" dieser leibliche Raum, z . B . als Schmerzraum, plötzlich ganz deutlich ins Bewußtsein. Was für die Selbstverständlichkeit des Spielraumes gilt, gilt auch für die Weise des Begegnens von Zuhandenem. Im umsichtigen Besorgen hat das Sein des Zuhandenen den „Charakter der unauffälligen Vertrautheit" (Heidegger 1967, 104). Idi greife „blindlings" zum Knopf meiner Schreitischlampe, um Licht zu machen, greife „automatisch", „gedankenlos" in die linke Jackentasche, wenn ich mein Portemonnaie zum Bezahlen brauche — in der unausgesprochenen Erwartung, daß die Dinge an ihrem Platz sind. Erst wenn ich die Dinge nicht an ihrem Platz antreffe und damit ihr Fehlen entdecke, wird mir der Platz als Platz eben dieses Dinges allererst bewußt.

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In seiner Unverwendbarkeit, d. h. Unzuhandenheit, wird es auffällig. Zeug, das durch sein Fehlen auffällig wird, begegnet im Modus der Aufdringlichkeit; Zeug, das dadurch auffällig wird, daß es „im Wege" steht, als Nidithierher-Gehöriges oder auch Unerledigtes den gegenwärtigen Handlungsablauf stört, wird in seiner Aufsässigkeit erfahren (vgl. Heidegger, 73 ff.). In dem Maße, wie durch das Auffälligwerden der Charakter der Zuhandenheit des Zeugs „sich verabschiedet", enthüllt es darin seine Vorhandenheit. „Die Modi der Auffälligkeit, Aufdringlichkeit und Aufsässigkeit haben die Funktion, am Zuhandenen den Charakter der Vorhandenheit zum Vorschein zu bringen. Dabei wird aber das Zuhandene nodi nicht lediglich als Vorhandenes betrachtet und begafft, die sich kundgebende Vorhandenheit ist noch gebunden in der Zuhandenheit des Zeugs" (a.a.O., 74). In ihrem Auffälligwerden sind das Zeug wie auch in gleicher Weise der Spielraum nidit mehr in bloßer Umsicht gegeben. Es kommt eine weitere „Sicht" hinzu, in der die Dinge plötzlich audi oder nur noch als Wahrnehmungsdinge begegnen. Sind im umsichtigen Hantieren die Dinge immer auch wahrgenommen, d. h. gesehene, getastete usw., so tritt doch im Handlungsvöllzug ihr perzeptiver Charakter hinter dem der Verfügbarkeit zurück. Die veränderte Seinsart von Zeug, die sidi als Aufdringlichkeit oder Aufsässigkeit korreliert mit einer veränderten Einstellung des Subjekts. Fehlt ein Ding an seinem Platz, beginne ich vielleicht es zu suchen; stehen mir Dinge im Wege, unterbreche ich meine Handlung, um mir einen Uberblick über die Situation zu verschaffen. In diesem Innehalten zum Zwecke der Orientierung können die Dinge ihre Eigenschaften der Dienlichkeit oder auch Abträglichkeit für einen Augenblick ganz verlieren; aus der Umsicht wird dann die reine Sidot auf die Dinge, der Handlungsraum tritt zugunsten des Wahrnehmungsraumes zurück. Ein phänomenologisch relevanter Ansatz, die Objekte der unmittelbaren Umwelt rein verhaltensmäßig, das heißt in Beziehung zum handelnden, bzw. sich verhaltenden Subjekt zu bestimmen, liegt in Tolmans Analyse der „Sign-Gestalten" vor (1932; 1933; 1951; 1959), ein Ansatz, den er nach einem Wort W. Köhlers selbst als „kryptophänomenologisch" bezeichnet (1959; vgl. Graumann 1965). Als Behaviorist ausschließlich am Verhalten interessiert, versucht er, die Verhaltensumwelt des Menschen näher zu beschreiben, und kommt dabei zu Ergebnissen, die mit denen der Heideggêrschen Zeuganalyse interessante Ähnlichkeiten aufweisen. Im Gegensatz zur Reiz-Reaktionsbestimmung des Verhaltens im klassischen Behaviorismus konzipiert Tolman Verhalten als „purposive", als Verhalten, das immer auf etwas gerichtet ist, und zwar auf den Verhaltensgegenstand (vgl. Tolman 1925). Verhalten, hier als ein räumliches (Lokomotion) genommen, heißt konkret: Verhalten hin zum Gegenstand (to-

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ward-whidiness), bzw. weg vom Gegenstand (from-whichness), bzw. von einem Gegenstand zum anderen (leading-on-ness; oder in Heideggersdier Terminologie: Verweisung). Der Verhaltensgegenstand bestimmt sich aus der Gesamtheit der Verhaltensweisen, die durch ihn ausgelöst werden können (vgl. Tolman 1922, 6). Mit dieser Konzeption von Verhalten, die Tolman als „Propositionalismus" bezeidinet, wendet er sidi gegen jene Auffassungen, in denen — wie beim sensualistischen Strukturalismus — Verhalten reduziert wird auf „Empfindungen" und „Vorstellungen" in bezug auf sensorische Reizgegebenheiten, oder — wie in der Gestaltpsychologie — Verhalten als organisierte Wahrnehmung einer Reizkonfiguration bestimmt wird. Tolman dagegen bettet das Verhaltensobjekt ein in einen übergreifenden Zusammenhang des „um-zu", in dem die Gegenstände als „Sign-Gestalten" begegnen. Je nach dem Handlungsentwurf, dem Ziel des Verhaltens, der „Proposition", werden die Gegenstände des Verhaltens unterschiedlich erfahren, stehen, wie ontologisch Heidegger es formulierte, in einem unterschiedlichen „Verweisungszusammenhang". . . . 'this chair, if sat on, will lead to rest ( . . . ) ' ; or ,that chair, if placed against the wall, can be stood up on like a stepladder to reach this picture'; or ,yonder chair, if placed near a table and sat upon, will make writing possible'; or ,that chair over there, if placed near sudi and such other furniture, will form an aesthetically pleasing whole'; or ,this chair, if kicked out of the way, will conduce to the catdiing of yonder escaped white rat' . . . " (Tolman 1958, 80). Die Gegenstände der Umwelt des Subjekts werden in terminis seines in bestimmter Hinsicht gerichteten Verhaltens beschrieben: Als „zuhandene" Gegenstände, die f ü r das Subjekt in bestimmter Weise dienlich, verfügbar, „manipulierbar" sind, bezeichnet sie Tolman als „manipulanda"; als Gegenstände, die ein bestimmtes Unterscheidungsverhalten hervorrufen, sind sie „discriminanda"; als Gegenstände, die als Mittel dienen, um ein weiteres Ziel zu erreichen, erscheinen sie in einer Mittel-Zweck-Beziehung (means-end relation). „By manipulanda I would understand those properties of objects which actually support (i. e. make possible) motor manipulations" (a.a.O., 82). Gemäß den je verschiedenen Handlungsentwürfen sowie der je unterschiedlichen Körperorganisation des handelnden Individuums variieren die Modi der Manipulierbarkeit: Ein Stuhl wird z. B. erfahren in seiner „Daraufsitzbarkeit" (sit-upon-ableness), Draufkletterbarkeit (climb-upon-ableness), Greifbarkeit (grasp-ableness) oder auch Umherwerfbarkeit (throwabout-ableness). „Discriminanda is my name for those properties of objects wherein, in purely sensory fashion, sudi objects differ one from another" (a.a.O., 80). Als discriminandum ist ein Stuhl etwas, das ich — entsprechende Sinnesorgane vorausgesetzt — von anderen Objekten unterscheiden kann, wobei

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nur die sensorisdien Qualitäten des Objekts und nicht seine Umgangsqualitäten das Verhalten bestimmen. In diesem Sinne sind die Objekte als discriminanda Thema des Wahrnehmungsraumes. Manipulanda und Discriminanda in ihrer Funktion als Mittel zu einem weiteren Zweck (der Stock, um den Apfel vom Baum zu holen, der Wegweiser, um den gesuchten Ort zu finden) bestimmt Tolman als Mittel-Zweck-Relationen: „By means-end relations I wish to designate those interrelational properties between environmental objects, whereby the ,enjoyment of' (i. e. the ,commerce with') the discriminanda and manipulanda constitutive of one such object will ( . . . ) lead on to an immediate possibility of ,enjoyment of' (commerce with the discriminanda and manipulanda of such and sudi environmental objects" (a.a.O., 85 f.). Als ein solches „Mittel" wird das Objekt als „leading-on-ness" erfahren 1 . Häufiger Umgang mit den Objekten resultiert in „Erwartungen" hinsichtlich ihrer Manipulierbarkeit, Diskriminierbarkeit und Mittel-ZweckFunktionen, in manipulanda-expectations, discriminanda expectations und means-end expectations, verstanden als „preparatory sets", bestimmte manipulanda, discriminanda oder means-end relations anzutreffen. Das bedeutet, daß die manipulanda, discriminanda etc. des aktuellen Handlungsraumes immer auch auf einen potentiellen Handlungsraum verweisen. Wiederholte Erfahrung mit den Verhaltensobjekten resultiert in Erwartungen bezüglich künftiger Verhaltensmöglichkeiten. Die Umwelt eines Menschen als Gegenstand seines kognitiven und manipulierenden Verhaltens bestimmt Tolman als means-end field, „in which the various component objects and situations appear ineluctably in their roles of possible, or impossible, good, or bad, better or worse, means to, or from, such and such other objects or situations" (a.a.O., 86 ff.). Entsprechend ist eine solche Umwelt nicht im Sinne einzelner Empfindungen oder Vorstellungen, sondern im Sinne von nach Mitteln und Wegen strukturierten „cognitive maps" für das Individuum gegeben (vgl. Tolman 1948). In einer solchen kognitiven Landkarte sind die Mittel-Zweck-Beziehungen als „räumlich-mechanische" Struktur repräsentiert, das heißt als Richtungen, Distanzen, offenen und versperrten Wegen, Umwegen und „instrumenteilen" Wegen. Umfang und Komplexität dieser Landkarten weisen starke individuelle und/oder situationsspezifische Unterschiede auf. Tolman (1948) unterscheidet zwischen „strip maps" und „comprehensive maps". Mit einer „strip map" steht dem handelnden Subjekt nur ein einziger und sehr einfacher Weg zum Ziel zur Verfügung. Die Umwelt ist nur 1

In einer Arbeit, in der Tolman und Brunswik ihre verhaltenstheoretischen Ansätze einer Synopse unterwerfen (1935), wird anstelle von „means-end relations" der Terminus „utilitanda" verwendet, der den Sachverhalt des „um zu", der Nützlichkeit für einen bestimmten Zweck, eigentlich treffender beschreibt.

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sehr eingeschränkt und selektiv für das Subjekt repräsentiert, so daß es sidi in einer veränderten Umwelt, in der die räumlichen Beziehungen der Gegenstände verändert sind, u. U. nicht mehr zurechtfinden kann. Mit einer „comprehensive map" stehen dem Subjekt mehrere Möglichkeiten zur Zielerreichung offen, der repräsentierte Umweltausschnitt ist größer und differenzierter, so daß eine Orientierung auch bei veränderten räumlichen Relationen möglich bleibt. Die Gleichgewichtigkeit der manipulanda, discriminanda und means-end relations gestattet es sensu Tolman nicht, von einem puren „Handlungsraum" zu sprechen, wie wir ihn in diesem Abschnitt konzipiert haben, d. h. einem Raum, in dem die Dinge nur als „manipulanda" begegnen. Konsequent finden wir daher bei Tolman (1951) den Begriff des „behavior space", der eher dem entspricht, was wir als „orientierten" Raum bestimmt haben. Als „Verhaltensumwelt" des Menschen enthält behavior space sowohl discriminanda und manipulanda wie Mittel-Zweck-Relationen, die vom handelnden Individuum „wahrgenommen" werden. Der Begriff der „Wahrnehmung", der hier den von Tolman früher verwendeten Ausdruck „apprehension" ablöst, wird in einem sehr umfassenden Sinn verwendet. Er bleibt nicht auf die Sinneswahrnehmung im engeren Sinne beschränkt, sondern schließt auch Vorstellungen, Einbildungen und Erwartungen nicht-sinnenfälliger Objekte, sowie Einstellungen Überzeugungen, Werthaltungen gegenüber den Verhaltensobjekten und den Beziehungen zwischen ihnen mit ein. So definiert Tolman „behavior space" folgendermaßen : „A behavior space is thus to be defined as a particularized complex of perceptions (memories and inferences) as to objects and relations and the ,behaving self', evoked by the given environmental stimulus situation and by a controlling and activated belief-value matrix . . . The immediate behavior space is to be defined as an array of particular objects, in suchand-such particular ,direction* and .distance* relations to one another, which are perceived by the actor at the given moment. And some of these objects tend to have positive or negative ,valences' on them" (Tolman 1951, 296). Ein Verhaltensraum umfaßt also nicht nur bestimmte Objekte, sondern auch deren räumliche, zeitliche und andere Beziehungen zueinander. Das bedeutet weiter, daß das „Medium", wie Tolman die den Verhaltensraum konstituierenden Richtungen und Distanzen nennt, nidit nur räumlich und zeitlich konzipiert ist, sondern audi im übertragenen Sinne verwandt wird. Als Verhalten in einem Verhaltensraum gilt daher audi mein Umgang mit Zahlensystemen, Fremdsprachen, logisdien und ästhetischen Systemen usw., insofern es sich dabei um Verhalten, d. h. Bewegung auf ein Objekt hin, von einem Objekt weg, in einem aktuell gegebenen Verhaltensraum handelt.

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Der Raum als Feld menschlichen Handelns und die Dinge als Gegenstände des Handelns machte auch Ichheiser (1933) zum Bezugssystem, als er „das Können, die Bedingungen des Könnens und das Erlebnis des Könnens" analysiert. Für unsere vorangegangene Diskussion des Handlungsraums ist diese wenig bekannte Arbeit vor allem deshalb von Bedeutung, weil auch hier eine Korrelativität angesetzt wird zwischen dem Können des Subjekts und dem Erlebnis dieses Könnens auf der einen Seite und den Möglichkeiten, die die Umwelt diesem Können bietet oder verwehrt, auf der anderen. Idiheiser analysiert die personale Welt bzw. Situation — ein Begriff, den er von Stern (vgl. 1950) übernommen hat — aus der Perspektive des „könnenden" Individuums und kommt dabei zu einigen Kategorien, die unsere bisherige Diskussion des aktuellen und potentiellen Handlungsraums, des Spielraums, der Handlichkeit und Verfügbarkeit von Dingen weiter differenzieren. Ausgehend von einer Unterscheidung zwischen dem faktischen Können und dem Erlebnis des Könnens stellt Idiheiser als Bedingungen des Könnens die personalen den konstellativen Bedingungen gegenüber. Erstere umfassen die physischen und psychischen Fähigkeiten und Möglichkeiten der Person, ζ. B. Körperkräfte und -fertigkeiten oder kognitive Fähigkeiten wie Gedächtnis, Intelligenz usw. Unter konstellativen Bedingungen werden einerseits technische, andererseits soziale Bedingungen verstanden, die ein Handeln, das heißt Verfügen über die Dinge in der Umwelt überhaupt erst ermöglichen. Zur Verständigung mit einem Freund bediene ich mich des Teiëphons, also einer technischen Apparatur. Wenn ich diesen Freund besuchen will, muß ich ein Auto oder die Eisenbahn benutzen; um dies jedoch zu „können", muß idi über die nötigen Geldmittel verfügen. Diese sozialen Bedingungen wie Geld, soziale Stellung, Privilegien sind es, die die Verfügbarkeit über Dinge und Plätze in unserer Umwelt in hohem Maße bestimmen, und Prototyp dieses sozialen Könnens ist für Idiheiser das Geld. Das für ihn wesentliche Argument ist nun, daß dieses soziale Können nicht in seiner konstellativen Bedingtheit, sondern als Können des Individuums erlebt wird. „Wenn jemand auf Grund seiner Stellung oder seines Geldes über die menschliche und sádilidie Umwelt verfügen kann, dann empfindet er dieses Können als ein von ihm selbst ausgehendes·, nicht sein Geld, nicht seine Stellung, sondern er selbst ,kann' dies oder jenes" (367 f.). Diese Annahme bildet die Grundlage für Ichheisers Analyse der „personalen Situation": Von der anschaulich-sichtbaren wird die abstrakt-unsichtbare Situation unterschieden. „Wenn jemand durch eine Straße geht, dann bildet die räumliche Gestalt der Straße, die bekannten und unbekannten Menschen, denen er begegnet, die Auslagen, die Autos, die Vergnügungsstätten, sie alle bilden die anschaulich-sichtbare Situation. Das Bewußtsein hingegen, daß man etwa ein Konto in einer Bank hat, daß man eine Stellung innehat, die jederzeit bestimmte Beziehungen und Maßnahmen reali-

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sieren läßt — dies alles konstituiert die abstrakt-unsichtbare Situation. Sie ist zwar im anschaulich-sichtbaren Felde nicht enthalten, ragt aber, unsichtbarerweise, hinein, und ist unter Umständen mächtiger und wirksamer als jene unmittelbare Situation, in der man sich gerade befindet. Die Vergnügungsstätten z.B. sind nur dann ,zugänglich', .erreichbar', wenn man das nötige Geld besitzt. Die abstrakte Situation stattet also erst die Umwelt mit ,Erreichbarkeitsakzenten' a u s . . . " (368 f.). Mit diesem Begriff der Erreichbarkeitsakzente oder -charaktere greift Ichheiser einerseits Lewins Konzept des „Aufforderungscharakters", andererseits Sterns Begriff des „Materialcharakters " der personalen Umwelt auf. „Jedem ,ich kann' entspricht auf der Gegenstandsseite ein: ,es ist erreichbar"' (376). Den vier Formen des Könnens korrelieren auf der Umweltseite vier Formen von Erreichbarkeitscharakteren, die physischen, die psychischen, die technischen und die sozialen. Meinem sportlichen Können entspricht der Erreidibarkeitsdiarakter des anderen Ufers eines Baches, den ich überspringen möchte. Meinen Fremdsprachenkenntnissen entspricht die Erreichbarkeit meiner ausländischen Bekannten. Meiner technischen Fertigkeit, mit Münzfernsprechern umgehen zu können, entspricht die Erreichbarkeit des weitentfernten Freundes. Diese technische Erreichbarkeit ist jedoch kaum denkbar ohne die durch das soziale Können, also etwa durch Geld, vermittelte Erreichbarkeit. Diese verschiedenen Formen des Könnens und die ihnen korrelativen Erreichbarkeitscharaktere der Umwelt bestimmen den Spielraum unseres Handelns, unsere Bewegungsfreiheit im wörtlichen wie übertragenen Sinne. Dieser Spielraum ist wiederum nach zwei Richtungen hin zu differenzieren: der faktisch vorhandene, objektive Spielraum als Grundvoraussetzung jeder Bewegung, wie wir ihn im Zusammenhang mit Heideggers Zeugnanalyse diskutiert haben (s. S. 83 f.) und das Spielraumbewußtsein, das eine Komponente des Erlebnis des Könnens darstellt. Dieses Spielraumbewußtsein ist für unser Können entscheidender als der faktische Spielraum; dieser wird ja eben durch das Spielraumbewußtsein für die Person präsent — nicht widergespiegelt; denn, wie jeder aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann, neigen wir zu Über- oder Unterschätzungen unseres Spielraums. Dieses so oder so akzentuierte Erlebnis des Könnens wird erst durch die Realisierung der Handlung im sog. „aktuellen" Können (im Gegensatz zum „potentiellen" Können) korrigiert. Das Spielraumbewußtsein beeinflußt also unser Handeln ganz wesentlich, indem es Spielraum nicht (nur) widerspiegelt, sondern vor allem mitbestimmt, indem es ganz bestimmte Folgen unseres Handelns antizipiert. Handeln impliziert: „erwarten, daß sich gewisse Folgen einstellen werden" (373; im Orig. gesperrt). Diese antizipierten Situationsschemata, wie Ichheiser es einmal nennt, werden bestimmt und modifiziert durch mein Können und die Bedingungen des Könnens, den Wechselwirkungen innerhalb und zwischen diesen beiden Komplexen. Jedes

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aktuelle ( = realisierte) Können wird zur Bedingung jedes weiteren ( = potentiellen) Könnens. Ein gelungener Sprung über einen breiten Bach beeinflußt mein Spielraumbewußtsein in der Weise, daß idi dieses Können als Sicherheit, als Selbstständlichkeit f ü r weitere Situationen voraussetze. Das Moment der Selbstverständlichkeit, das uns weiter oben bei der Diskussion des Spielraums im Sinne von Plügge und Heidegger bereits begegnet war, bei Heidegger insbesondere als „unauffällige Vertrautheit" der Dinge (des Zuhandenen) im Handlungsraum (s. S. 85), wird von Ichheiser nodi um die Dimension der sozial bedingten Selbstverständlichkeit erweitert: „Daß man sich z. B. in einer Stadt nur im Netzwerk der Straßen bewegen kann (und nicht quer durch die Häuser und Mauern hindurch), dies bildet, wie gesagt, einen derart unausschaltbaren Bestandteil unserer ganzen Handlungsbereitschaft, daß es als ein ,Zwang', als eine Einengung unserer Bewegungsfreiheit' gar nicht erlebt wird. Aber nicht nur die räumlichen Konfigurationen und Bahnungen des Lebensspielraums, sondern auch die sozialbedingten Möglichkeiten' kommen in einem entsprechenden Aufbau des Spielraumbewußtseins zum Ausdruck und werden, sofern wir in der naiven Haltung leben, jeder Problematisierung durch diesbezügliche Reflexion entzogen" (374 f., Anm. 1). „Sofern wir in der naiven Haltung leben" muß wohl so verstanden werden, daß wir uns eben dieser Konstellation nicht bewußt sind, daß wir sie nicht reflektieren. Hier bleibt nun Ichheisers Analyse stehen. Sie müßte jedoch weitergeführt werden: In dem Augenblick, wo der faktische Spielraum geringer ist, als durch das Spielraumbewußtsein antizipiert wurde — ich merke plötzlich, daß ich keine Groschen habe, um den Münzfernsprecher zu bedienen, — treten auch diese sozialbedingten Möglichkeiten aus ihrer unauffälligen Vertrautheit heraus, werden, um mit Heidegger zu sprechen, aufdringlich oder aufsässig. Meine Handlungsunfähigkeit als Folge meines sozialen Nicht-Könnens wird mir durchaus bewußt. Diese Weiterführung der Ichheisersdien Analyse nimmt der übermäßigen Akzentuierung des Nicht-bewußten oder Nicht-erlebten der sozialen Bedingungen des Könnens ein wenig die Spitze, schmälert jedoch nicht das Verdienst Ichheisers, auf diese Faktoren in ihrer Bedeutung f ü r das menschliche Handeln und den Handlungsraum überhaupt aufmerksam gemacht zu haben. Diese Analyse des Könnens wurde ausgefaltet unter Bezug auf und in Weiterführung von Ichheiser und Lewin („space of free movement"; vgl. dazu den folgenden Paragraphen) in Heiders naiver Psychologie (1958). Was bei Idiheiser als personale und konstellative Bedingungen unterschieden wurde, wird bei Heider als „individual power" oder „ability" bzw. „environmental forces" in großer Ausführlichkeit analysiert. In Heiders Ausführungen über „can" und „try" werden heute die historischen Grundlagen der Attributionstheorie gesehen.

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Richtungen und Wege im Handlungsraum

§ 16 Richtungen und Wege im Handlungsraum Behavior

space,

vom Verhalten her definiert, wird konstituiert durch

Bewegungen in bestimmten Richtungen und über bestimmte Distanzen zu den Objekten hin und von den Objekten weg. Diese Bewegungen, die also nicht nur motorische Bewegungen im Sinne räumlicher „goings-to" und „goings-from" sind, bezeichnet T o l m a n im Ansdiluß an Lewin als motionen".

„Loko-

Ein Individuum, das sidi in einer bestimmten Verhaltensregion

wahrnimmt, ζ. B . als „im Haus seiend", aber gleichzeitig eine andere Region möglichen Verhaltens wahrnimmt, die eine „positive V a l e n z " für es besitzt, ζ. B . auf dem Berg jenseits des Flusses zu sein, wird zu Lokomotionen angeregt, welche zu einer Folge motorisch-manipulatorischer und diskriminatorischer Verhaltensweisen auf das erstrebte Ziel hin führen. Was bei T o l man als Lokomotion von einer Region möglichen Verhaltens zu einer nächsten beschrieben wird, erweist sich für den Handlungsraum als recht komplexes Problem. Zweckhaftes Handeln als zielgerichtete Bewegung auf etwas hin ist nur möglich in einem nach Richtungen gegliederten, d. h. orientierten R a u m . W i e ich bereits in der Einleitung dieses Kapitels über den orientierten R a u m dargelegt habe (s. S. 77 fi.), ist der orientierte, inhomogene H a n d lungs- und Wahrnehmungsraum gegenüber dem homogenen mathematischen R a u m vor allem durch die Ungleich Wertigkeit der Richtungen, seine sotropie

Ani-

ausgezeichnet.

Oben und unten, vorn und hinten, links und rechts sind nichts im oder am Leib, etwas in oder an den Dingen, sondern Beziehungen des handelnden Leibes zu den behandelten Dingen. Es sind Bewegungsrichtungen, die vom Leibsubjekt ausgehen und im Umgang mit den Dingen sich als qualitativ verschieden erweisen (vgl. auch Sterns ( 1 9 3 6 ) Diskussion der „personalen Dimensionen"). Wahrnehmen und Handeln ist nur möglich in einem strukturierten und orientierten R a u m , nicht aber im homogenen, isotropen, geometrischen bzw. mathematischen R a u m (vgl. Straus 1949 in 1 9 6 0 ; M e r leau-Ponty 1966). D i e Gliederung des Raumes in die drei elementaren Richtungsgegensätze ist bedingt durch die Organisation des Leibes. „Jedem Lebewesen ist sein Verhältnis zur W e l t und sein Verhalten in der W e l t durch seinen Bauplan vorgeschrieben. Durch seine Leiblichkeit ist das Erleben des Menschen mitbestimmt, sind ihm Weiten geöffnet und Grenzen gezogen (Straus 1960, 2 2 4 ) . M i t der Hinwendung zur Bewegung und den durch sie konstituierten Richtungen erweist sich das Problem des gelebten Raumes einmal mehr als ein Problem der Leiblichkeit (vgl. dazu insbesondere Gosztonyi ( 1 9 5 7 ) ) .

a O b e η - un t e η : Die Dimension der Höbe V o n besonderer Bedeutung für die Richtungsgliederung des Handlungsraumes ist die aufrechte Haltung. Die Symmetrieachse des Körpers be-

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Der orientierte Raum

stimmt die vertikale Gliederung des Raumes. Das „oben" ist die Richtung meiner Kraftanstrengung, midi vom Boden zu erheben und der Schwerkraft zu widerstehen, das „unten" ist die Richtung, in die mich die Schwere zieht oder fallen läßt und wohin idi midi bücken muß, wenn ich einen Gegenstand aufheben mödite. Die aufrechte Haltung erscheint als Gegenriditung gegen die bindenden, fesselnden Kräfte der Schwere, und dies — so Straus (1960) — ist der Beginn der Befreiung von der unmittelbaren Herrschaft physikalischer Kräfte. Sich-aufriditen bedeutet Aufgabe der sicheren Geborgenheit, des innigen Kontaktes mit dem tragenden Grund, bedeutet aber zugleich Gewinn an Freiheit, einen Standpunkt in der Welt einzunehmen, sich in und gegenüber der Welt selbständig zu verhalten. Durch die Entfernung vom Boden rücken die Dinge in eine Distanz zum handelnden Subjekt. Im Gegensatz zum Tier, das durch die Fortbewegung in der Längsachse seines Körpers immer direkt auf die Dinge gerichtet bleibt, gewinnt der Mensch in der aufrechten Haltung die Fähigkeit, sich vom unmittelbaren Kontakt mit den Dingen zu lösen, sie von sich abzurücken, auf sie zu zeigen und ihre Beziehungen untereinander zu überschauen. Die Korrespondenz von äußerer und „innerer" Haltung, wie sie von Straus immer wieder betont wird, greift auch Buytendijk (vgl. z.B. 1956; 1958; 1967) auf, wenn er etwa sagt, daß das Tier immer in der Situation „engagiert" sei, der Mensch jedoch die Möglichkeit habe, ihr „gegenüber" zu stehen (Buytendijk 1958, 177). Wir wollen hier nicht weiter verfolgen, welche spezifisch menschlichen Bedeutungen und Bewertungen die Polarisation der Vertikalen durch die aufrechte Haltung bzw. die Schwerkraft gewinnt, z.B. Freiheit und Gebundenheit, Sieg und Niederlage, aber auch „high" oder depressiv sein etc., Bedeutungen, die neben Straus vor allem von Minkowski (1936) und in jüngster Zeit von Jager (1971) untersucht wurden. Stattdessen wollen wir noch einmal auf die besondere leibliche Fundierung dieser Richtungsdimensionen eingehen. Der Richtungsgegensatz oben-unten ist — aufgrund der Schwerkraft — der stabilste. Auch bei einer Lageveränderung des Körpers, z. B. in die Horizontale, bleiben die Oben-Unten-Richtungsgegensätze erhalten, während sich die anderen Orientierungsrichtungen ändern können. Die Orientierung nach oben und unten ist also nicht an die Position des Leibes gebunden, noch ist sie in den Dingen fundiert, noch läßt sie sich einem raumkonstituierenden Geist (Kant) zuschreiben. Vielmehr bestimmt sich die Richtung aus den Aktivitäten des Leibsubjekts, wie es Merleau-Ponty (1966) anhand seiner Analyse und Neu-Interpretation der Strattonschen Umkehrbrillenversudie (1897) und der Wertheimerschen Spiegelexperimente (1912) zu zeigen versucht. Kann man bei Strattons Experimenten, die später auch von Erisman (1948) und Kohler (1953; 1956) wiederholt wurden, die Wiederherstellung einer durch die Umkehrbrille auf dem Kopf erscheinenden

Richtungen und Wege im Handlungsraum

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Welt nodi dadurch erklären, daß die Versuchsperson diese neue Welt im aktuellen Handeln erfahren kann, so kann diese Erklärung für Wertheimers Experiment nicht mehr zutreffen, wo es audi ohne motorische Erfahrungsmöglichkeiten zu einer plötzlichen „Umdisposition" eines durch Spiegelung verkehrten Raumes kommt. Diese Phänomene lassen sich nadi MerleauPonty nur durch die besondere Weise des Leibes, beim Raum zu sein, bzw. im Raum zu wohnen, erklären: Für die Orientierung des wahrgenommenen Raumes kommt es nicht an auf meinen Leib, so wie er faktisch ist, als Ding im objektiven Raum, sondern auf ihn als System möglicher Aktionen, als virtuellen Leib, dessen phänomenaler „Ort" durch die Aufgabe und die Situation bestimmt wird. „Mein Leib ist da, wo er etwas zu tun hat" (a.a.O., 291). Als virtueller Leib bewohnt das Subjekt den neuen reflektierten Raum, der dem wirklichen Leib als „verkehrt" erscheint. Es verdrängt gleichsam „den wirklidien Leib so weitgehend, daß das Subjekt sich nicht mehr in der Welt fühlt, in der es sidi tatsächlich befindet, und statt seiner wirklichen Arme und Beine solche Arme und Beine empfindet, wie es sie haben müßte, um in dem reflektierten Zimmer gehen und tätig sein zu können; es bewohnt das Schauspiel. In diesem Augenblick gerät das Raumniveau ins Schwanken und etabliert sidi in der neuen Lage. Es ist dieses nichts anderes als eine Weise des Weltbesitzes meines Leibes, eine Art des Anhalts meines Leibes an der Welt" (a.a.O., 292). Es bedarf also der „Verankerung" des Leibes in der Welt, d. h. einer besonderen Art des „Wohnens", auf die wir bereits weiter oben (s. S. 45 if.) ausführlich eingegangen sind, es bedarf eines realen oder auch nur potentiellen oder virtuellen Wechselspiels zwischen Leib und Welt, um die Richtung des oben und unten zu konstituieren. b Links-rechts:

Die Dimension der Breite

Von einem Gegensatz links-rechts zu sprechen, scheint zunächst nicht gerechtfertigt, wenn man nur vom äußeren Erscheinungsbild des Körpers ausgeht. Der Körper erscheint symmetrisch in zwei Hälften geteilt, die nach beiden Seiten gleich ausgedehnt sind und rein äußerlich, keine strukturellen Unterschiede aufweisen. Die bilaterale Symmetrie erlaubt es dem Mensdien, sich in gleicher Weise nach links und rechts zu bewegen. Daraus könnte man nun folgern, daß beide Richtungen gleichwertig seien und die Breitendimension des gelebten Raumes ebenso symmetrisch sei, wie es etwa Weyl (1952) für die Naturwelt aufgewiesen hat. Was bei der äußeren Betrachtung der körperlichen Erscheinung nicht augenfällig werden konnte, zeigt sich erst dann, wenn der Leib als handelnder in den Blick kommt: die funktionelle Asymmetrie des Leibes, die vor allem in der „Händigkeit" deutlich wird, die aber auch, wie van der Meer (1958) experimentell zeigen konnte, in der Wahrnehmung (als „Äugig-

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Der orientierte Raum

keit") aufweisbar ist. Der Mensch besitzt eine „Vorzugshand". Bei den meisten Menschen ist es die rechte, die geschickter, aktiver und kräftiger und dadurch gelegentlich auch größer ist als die linke Hand. Aber nicht diese individuelle Unterschiedlichkeit beider Hände ist in erster Linie phänomenologisch von Interesse, sondern die Tatsache, daß es überhaupt eine funktionelle Ungleichgewichtigkeit und damit eine Höherwertigkeit einer H a n d gibt. Beide Hände sind, wie vor allem Straus (1949) betont, selbständige Organe, die sich unabhängig voneinander bewegen können, so daß simultane Bewegungen nicht notwendig synchron oder symmetrisch sind und die Redite durchaus nicht „wissen" muß, was die Linke tut. Der Leib ist nicht nur „beidhändig", sondern „zweihändig". Im Gegensatz zur Stabilität der Höhendimension bei veränderter Körperlage im Raum, werden die Rechts-Links-Richtungen immer mit dem Leib mitgenommen. Damit erweisen sie sich als „subjektive" Gegensätze in dem Sinne, daß rechts und links immer nur in bezug auf das Leibsubjekt gilt, das solches von sich aussagt. Der „Vorzugshand" entsprechend, richtet sich der Mensch im Raum ein. Dinge, die er nur mit der rechten Hand greifen kann, wird er auf der rechten Seite seines orientierten, d. h. subjektzentrierten Handlungsraumes anordnen und einräumen, um sie für sein aktuelles Handeln verfügbar und griffbereit zu haben. Ich decke den Tisch so, daß ich das Messer, den Löffel, die Tasse rechts, die Gabel aber links anordne, so daß ich sie mit dem geringsten Bewegungsaufwand ergreifen kann. Werkzeug wird der Händigkeit angepaßt, damit es „gefügig" ist, das heißt, „uns gut in der Hand liegt und zugleich infolge seiner bestimmten Bauart die Bewegungen, die zur Bedienung des Werkzeuges notwendig sind, in einfacher und zweckentsprechender Weise ausführen läßt" (Ach 1932, 309). Maschinen und Einrichtungsgegenstände werden so ausgestattet und räumlich angeordnet, daß sie „zuhanden" sind. In einer Kultur, in der die Dinge vorwiegend auf Rechtshänder „zugeschnitten" sind, werden diese dem Linkshänder sehr viel häufiger als dem Rechtshänder in ihrer „Auffälligkeit" begegnen, aus ihrer „Zuhandenheit" in die „Vorhandenheit" eintreten und damit nidit mehr nur „Umsicht", sondern häufiger auch „Sicht" erfordern. Ganz abgesehen von den vielen Gebraudisgeräten, wie Scheren, Messern usw., die oft für einen Linkshänder kaum handzuhaben sind, sind es der Telefonhörer, der „falsch", d. h. in umgekehrter Richtung, auf der Gabel liegt, oder der Kleiderbügel, der „verkehrt" im Schrank hängt, die immer wieder aus ihrer „unauffälligen Vertrautheit" heraustreten, zum Aufmerken und zur Neuorientierung zwingen. Audi hier wird deutlich, wie sich Richtung als polares Verhältnis zwischen dem handelnden Leib und den Dingen bestimmt, als „von-mir-aus" „auf-etwas-hin".

Richtungen und Wege im Handlungsraum c V orn-hinten:

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Die Dimension der Tiefe

Die Dimension der Höhe ist durch die Richtung der Schwerkraft als einzige eindeutig und unverrückbar festgelegt. Während redits und links, vorn und hinten sich ändern, wenn der Mensch sich dreht, bleibt die Vertikale auch bei Drehung oder Lageveränderung des Menschen als Orientierungsachse konstant. Oben-unten ist daher auch die Richtung, die nach einem Zustand der Orientierungslosigkeit, ζ. B. im Schlaf oder im Schwindel, als erste wiedergewonnen wird (vgl. dazu die Ausführungen über das Aufwachen, § 22). Von besonderer Bedeutung für den Handlungsraum (und erst recht für den Wahrnehmungsraum) erweist sich die Dimension der Tiefe, der Richtungsgegensatz vorn-hinten. Hier wird die qualitative Unterschiedlichkeit beider Richtungen besonders auffällig. Der Handlungsraum als Raum zielgerichteter Bewegung ist ein Vorn-Raum. In der Körperorganisation ist dieser Vorn-Raum vor allem durch die anatomische Struktur der Bewegungsorgane vorgezeichnet, wie aber auch durch die Frontalstellung der Augen, die eine Übersicht über die zu behandelnden Dinge, Plätze und Gegenden eben nur nach vorn gestatten. Der gestimmte Raum erwies sich als „atrop" oder doch zumindest als „isotrop" vor allem dadurch, daß in ihm Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen gleichwertig erschienen, wie Straus anhand seiner Analyse der Tanzbewegung zeigen konnte. Im Gegensatz dazu ist eine zielgerichtete, zweckbestimmte, geplante Bewegung im Handlungsraum wie im „behavior space" nach vorn und damit auch gleichzeitig in die Zukunft gerichtet. Es ist also nicht in erster Linie die körperliche, d. h. morphologische Asymmetrie, welche die Heterogenität der Dimension vorn-hinten ausmacht, sondern die Beziehung des handelnden Subjekts zum Raum und zu den Dingen. Erschien im Tanz die Rückwärtsbewegung als selbstverständliches, „spontanes Tun" (vgl. Straus 1960, 174 f.), erfolgt sie im Handlungsraum nur unfreiwillig oder reaktiv, als Ausweichen oder Zurückweichen. Im Vergleich zum Wahrnehmungsraum, der, vor allem als Schema, ausschließlich Vorn-Raum ist, gibt es zwar für das handelnde Subjekt einen Hintenraum, dieser ist jedoch meist auf den „Greifraum", etwa die rückwärtige Reichweite der Arme oder auch eines Schrittes beschränkt. Es ist dies der Nahbereich, auf den der handelnde Leib in besonderer Weise eingespielt ist, und der deshalb u. U. noch in den dynamischen „Eigenraum" des Leibes einbezogen wird, jenseits dessen erst der eigentliche „Umraum" oder „Fremdraum" beginnt, dessen Eroberung bzw. „Behandlung" erst eigentlich der zielgerichteten Bewegung bedarf. Daher kommt es, gemäß dem bewegungsphysiologischen Ökonomieprinzip, in dem Augenblick, da der HintenRaum zum Ziel des Handelns wird, meist unwillkürlich zu einer Kehrtwendung des Leibes, so daß der eigentliche Handlungsraum wieder VornRaum ist. 7 Kruse, Umwelt

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Der Raum hinter uns, den wir nicht wahrnehmen können, ist zwar auch im aktuellen Handeln immer in irgendeiner Weise mitgegeben, ζ. B. als Raum potentiellen Handelns, aber für uns ungleich geringer ausgedehnt als der Vorn-Raum. „Der handelnde Leib lebt nicht mit den Dingen hinter sich" (Ströker 1965, 77), wogegen für den gestimmten Leib auch der Hintenraum stimmungsmäßig wirksam ist. So gesehen, ließe sich der gestimmte Raum als „mittelpunkt-zentriert" bezeichnen, da er „rund um" das Subjekt ausgebreitet ersdieint; dagegen ist der Ort des Subjekts im eigentlich „subjektzentrierten" Raum des Handelns — und am stärksten in dem der Wahrnehmung — an die Peripherie gerückt. Als Zentrum des Handlungsraumes bestimmt sich mein Leib als das Vonwo-aus meines Geriditetseins auf die Dinge. Er ist das absolute Hier zu jedem Dort. Handeln setzt immer an bei den Dingen und nicht beim Subjekt des Handelns. Das bedeutet, daß das Dort immer früher ist als das Hier. Ich bin im Handeln stets schon über meinen Leib hinaus im Sinne des intentionalen wie auch des räumlichen Geriditetseins auf die Dinge. Unter diesem Gesichtspunkt spricht denn auch Heidegger davon, daß wir handelnd mit den Dingen umgehen, in dem wir sie „entfernen", das heißt in unsere Nähe bringen, Entferntheit verschwinden lassen. Dabei ist das, was abstandsmäßig am „nächsten" ist, nicht auch gleichzeitig „nah". Und wenn heute die Entfernungen in Raum und Zeit immer mehr schrumpfen, sind damit nicht auch schon neue „Nähen" gewonnen. „Allein das hastige Beseitigen aller Entfernungen bringt keine Nähe; denn Nähe besteht nidit im geringen Maß der Entfernung. Was streckenmäßig in der geringsten Entfernung zu uns steht, durch das Bild im Film, durch den Ton im Funk, kann uns fern bleiben. Was streckenmäßig unübersehbar weit entfernt ist, kann uns nahe sein. Kleine Entfernung ist nicht schon Nähe. Große Entfernung ist nodi nicht Ferne" (Heidegger 1967 a, 37). Die Brille auf der eigenen Nase kann mir ferner sein als die griffbereite Zigarettenschachtel an der Ecke des Tisches. „Über Nähe und Ferne des umweltlich zunächst Zuhandenen entscheidet das umsichtige Besorgen. Das, wobei dieses im vornhinein sich aufhält, ist das Nächste und regelt die Ent-fernungen" (Heidegger 1967, 107). Dadurch, daß wir immer zunächst auf das Dort gerichtet sind, ist Entfernung immer auch gerichtetes Ent-fernen. Heidegger bestimmt Ent-fernung und Ausrichtung als Existentialien, welche die Räumlichkeit des Inder-Welt-seins, das Dasein im umsichtig-besorgenden Umgang mit den Dingen charakterisieren. Diese dem allgemeinen Sprachgebrauch entgegengerichtete Verwendung von Ent-ferntheit als Nähe hat sich jedoch nicht durdigesetzt, und so werde auch idi im folgenden Nähe und Ferne wieder in ihrer alltäglichen Bedeutung verwenden. Die Tiefe des Handlungsraumes kommt dann vor allem in den Blick, wenn das Handeln als Bewegung im Raum betrachtet wird. Tiefe erweist

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sidi dann als raumzeitliches Phänomen, insofern jede Bewegung als Ortsveränderung in der Zeit zu verstehen ist. Handeln als InangrifFnehmen und Hintersidilassen bedeutet Fortbewegung von einem Dort zum nädisten Dort, heißt jetzt hier sein und gleich dort sein. Was jetzt nodi fern ist, wird gleich nah sein, wenn idi mich daraufzu bewege, nach vorn und in die Zukunft. Da ich bereits bei der Analyse des gestimmten Raumes auf die raum-zeitlidie Bestimmung von Nähe und Ferne, wie sie vor allem von Straus (1956) herausgearbeitet wurde (vgl. jedoch audi Stern 1936), eingegangen bin (vgl. § 12(b)), sei hier nur darauf hingewiesen, wie gerade das Handeln als In-Bewegung-sein die raumzeitliche Erstreckung des Raumes, seine Tiefe, konkret erfahrbar macht. Für den Handelnden bedeutet Ferne, daß etwas in Raum und Zeit vor ihm liegt, das zu erreichen er sich fortbewegen muß. Dieser durch zielbestimmte Fortbewegung erschlossene Raum ist reiner Vornraum, in dem den übrigen Erstreckungen nadi redits, links, oben, unten und hinten nur ein vergleichsweise geringes Gewicht zukommt. Je stärker eine Handlungsbewegung als Weg von hier nach dort in den Blick kommt, wird audi der Zeitbezug des Handelns deutlicher. Der Weg zum Büro ist nicht 15 km, sondern eine Viertelstunde, in der „rush hour" vielleicht auch eine halbe Stunde „weit". Der Gang ums Viereck ist, wie Heidegger nodi sagt, „eine Pfeife lang" — eine Maßeinheit, die im Zigarettenzeitalter nicht mehr so aktuell ist. Sehr viele Längen- und Flächenmaße gehen ursprünglich auf Zeitmaße zurück: der Acker des Bauern bemißt sich nach „Morgen" oder „Tagwerk" und umfaßte ursprünglich die Fläche, die sich an einem Morgen oder Tag bearbeiten ließ (vgl. dazu u. a. Fettweis 1958). Die Tiefe des Raumes erschließt sich dem Menschen, der als handelnder unterwegs ist, zu ständig neuen Zielen: Der Mensch als homo viator, der in die Ferne und in die Zukunft strebt. Ferne ist das, was ich jetzt vielleicht nur wahrnehme, woraufhin ich midi aber sdion gleich oder später zubewegen kann. Ferne bedeutet aber auch die Ferne zukünftiger Ziele, die unmittelbar erreichbar oder kaum mehr vorstellbar erscheinen. Sobald wir den unmittelbaren Nahbereidi des Handelns verlassen, zeigt sich der Handlungsraum als Wegeraum. Im Handeln bin ich auf ein Ziel gerichtet oder, wie man auch sagt, verfolge ein Ziel. Handlungsentwurf impliziert nidit nur das Entwerfen eines Zieles, sondern audi eines Weges zum Ziel. Dabei kann es sich um die Planung oder den Entwurf eines neuen Weges oder aber die Auswahl eines mehrerer möglicher, bereits vorgegebener Wege handeln, die sozusagen als „geronnene Spuren" früherer Handlungsvollzüge für mich vorfindbar sind. Ziele setzen und verfolgen bedeutet, Wege bahnen und auswählen. Es sind Wege verschiedenster Art: die Fußspur im Schnee, der Trampelpfad der Tiere, schmale, gewundene Gebirgspfade und sdinurgerade Autobahnen oder Eisenbahnlinien; Bäche, 7*

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Flüsse und Kanäle und ihre Übergänge, die Stege und Brücken. Sie alle haben die Funktion, Raum zu erschließen, Fernen zu eröffnen (vgl. u. a. Linschoten 1954). Simmel (1909) hält für eine der größten menschlichen Leistungen, als die Menschen zum erstenmal einen Weg zwischen zwei Orten anlegten, weil sich darin ihr Wille bekundete, Getrenntes zu vereinigen, räumliches Auseinander zu verbinden. Als herausragendes Symbol dieses Verbindungswillens nennt er die Brücke, die erst in dem Augenblick gebaut werden konnte, als die beiden Ufer eines Flusses nicht mehr nur „auseinander", sondern als „getrennt" betrachtet wurden, welche Trennung es zu überwinden galt; das heißt in dem Augenblick, als das Flußufer dort drüben zum Ziel des Handelns wurde, für dessen Erreichung ein Mittel bzw. ein „Weg" zu finden war. Wenn Simmel jedoch den Wegebau als spezifisch menschliche Erfindung hinstellt und den Tieren die Fähigkeit abspricht, „die Bewegung zu einem festen Gebilde . . . gerinnen zu lassen" (1957, 2), übersieht er, daß es oft gerade die „Tierstraßen" waren, die die Menschen zu ihren Verkehrswegen machten und schließlich zu „Straßen" ausbauten (vgl. Hediger 1967). Allerdings hat Simmel bei seinen Überlegungen wohl eher den Weg vor Augen, der planvoll und absichtlich zur Verbindung zweier Orte geschaffen wurde, nicht aber den Weg, der durch wiederholtes Hin- und Hergehen als „gewohnter" Weg gleichsam von selbst entsteht und damit zum „bekannten" Weg (vgl. v. Uexküll u. Kriszat 1956, 70 ff.) wird. Daß aber geplante Wege und Straßen nicht nur in positiver Weise Getrenntes verbinden, sondern audi Verbundenes trennen, wird heutzutage besonders häufig in den Großstädten deutlich, wenn durch den Bau oder Ausbau von Schnellstraßen, von U- und S-Bahnen ein ungehindertes Überqueren dieser Verkehrswege durch die Anwohner unmöglich wird. Durch weit auseinanderliegende, vorgeschriebene Übergänge wird plötzlich der Gang zum Kaufmann gegenüber, bei dem man jahrelang seine Besorgungen zu machen pflegte, der Sprung auf ein Viertelstündchen hinüber zur Nachbarin so sehr erschwert, daß diese Kontakte schließlich einschlafen. Verkehrsreiche Straßen begrenzen nicht nur den Spielraum des Kindes, sie werden zu Barrieren im Bewegungsraum des Menschen überhaupt und bestimmen damit Kontaktmöglichkeiten und Nachbarschaftsbeziehungen. Ein besonders krasses Beispiel für die unvorhergesehene, negative Funktion von Straßen wurde jüngst in Südamerika offenbar, als durch den Bau der Transamazonas-Straße viele Indianerstämme zerschlagen oder sogar ausgerottet wurden. Nicht zu vergessen die Zerstörung der Landschaft, das Ergebnis eines willkürlichen menschlichen Gestaltungswillens! In dieser negativen Funktion sind die Straßen ganz sicherlich spezifisch menschliche „Leistungen". Einen wichtigen Beitrag zur Strukturanalyse des menschlichen Handlungs-(und Verhaltens-)Raumes als Wegraum stellt Linschotens (1954) phänomenologische Betrachtung der Straße dar: die Straße als Symbol des

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menschlichen Lebensweges, der als unendliche Folge von Zielsetzungen verstanden wird (a.a.O., 250). Das Unterwegs-sein auf der Straße („être en route") wird dem Unterwegs-sein auf dem Wanderpfad gegenübergestellt. Den Wanderpfad suchen wir um seiner selbst und um der Landschaft willen, die er erschließt, auf. Aber „wir sind nicht auf der Straße um der Straße willen, wir sind auf der Straße, indem wir auf dem Wege zum Ziel sind" (a.a.O., 244). Die Straße ist Mittel zum Ziel, sie ist zurückzulegende Route und nidit Selbstzweck. Charakteristisch für dieses Unterwegs-sein ist es, daß das Ziel bereits intentional erreicht ist, sobald man sich auf den Weg macht und bereits schon zum Ausgangspunkt eines neuen Zieles geworden sein kann, bevor es tatsächlich erreicht ist. „In gewissem Sinne ist dann das Ziel qua Ziel schon durch die Tatsache der Zielsetzung aufgehoben" (249); „jede Zielsetzung überschreitet schon das in ihr gesetzte Ziel" (250). Die Straße symbolisiert die unendliche Ferne, jene Ferne, die Straus (1956) bestimmt hat als das, was idi nicht überwinden kann. Jedes Sich-Nähern schafft neue Ferne, jedes Nicht-Mehr bedeutet ein weiteres Nodi-Nicht, und so bedeutet jedes erreichte Ziel auf der Straße bereits Sicht und Ausrichtung auf ein neues Ziel. Im Bild der Straße offenbart sidi die Horizontstruktur des Verhaltensraumes, die ihre stärkste Ausprägung da findet, wo der Verhaltensraum nur noch als Wahrnehmungsraum erscheint. Die psychologische Dynamik des menschlichen Wegraums in mathematisch eindeutige Begriffe zu übertragen, war das Ziel Lewins (1934), als er den nach Richtungen und Entfernungen strukturierten Lebensraum als „hodologischen" Raum konzipierte (vgl. audi Lewin 1936; 1969 und die Darstellungen von Leeper 1943 und Brown 1954). Dieser Versuch, der auf den ersten Blick in keinerlei Beziehung zu einer phänomenologischen Analyse zu stehen scheint, hat einen sozusagen phänomenologischen Vorläufer: eine Analyse der Kriegslandschaft, die Lewin 1917 unter dem Eindruck seiner Erfahrungen im 1. Weltkrieg geschrieben hat. Die Landschaft, wie sie sich im Stellungskrieg darbietet, wird der „Friedenslandschaft" gegenübergestellt. Ist diese nach allen Richtungen gleichermaßen ausgedehnt, und ohne vorn und hinten, ist die Kriegslandschaft einseitig durch die „Front" begrenzt. Auf diese Front ist alles bezogen, hinter ihr hört alles auf. Wir könnten auch sagen, die Front bildet eine unverrückbare Grenze, die — ungleich dem Horizont — bei Annäherung nicht weicht, sondern als eine Barriere bestehen bleibt. Die für den orientierten Raum charakteristische Orientierung auf das Subjekt wird hier verkehrt: Die Kriegslandschaft kennt ein „Vorn und Hinten, das nicht auf den Marschierenden bezogen ist, sondern der Gegend selbst fest zukommt (a.a.O., 441). Je weiter man sich der Front nähert, um so stärker strukturiert sie sich. Es bildet sich eine „Gefahrenzone" heraus, in der die „Gefahrenstellen", die Punkte schlechter Deckung, herausragen. In ganz besonderer Weise artikuliert sich die „Stellung", das

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Gefechtsfeld, als besonderer Landschaftsteil: Alle Dinge erscheinen als Gefechtsgebilde, deren Eigenschaften sich bestimmen als Möglichkeit oder Unmöglichkeit, vom Feind eingesehen zu werden, Schutz zu bieten oder als Schußfeld zu dienen. Innerhalb der Gefechtszone wird ein zerschossenes Dorf ganz anders wahrgenommen als außerhalb. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen treten dann besonders hervor, wenn — im Bewegungskrieg — die Stellung gewechselt wird: Was eben nodi Stellungs- und Gefechtsgebilde war, ist plötzlich wieder Landschaft, ein Acker, eine Wiese. H a t ein Hügelkamm, der eben noch Stellungsgrenze war, seinen Gefahrencharakter verloren, sind Höhenuntersthiede und unterschiedliche Waldesdichten plötzlich kaum mehr auffällig. Die Landschaft verändert sich, so daß sie manchmal nicht mehr wiedererkannt wird, dodi gibt es auch Dinge, die als „Kriegsinseln" übrig bleiben: ein abgebranntes Dorf der der nach Kampf aussehende Graben, „unter" dem sich das Land hinzieht. Was hier an einem Extremfall gelebten Raumes so eindrücklich geschildert wird, läßt deutlich werden, wie wenig ein erlebter Landschaftsraum mit dem geographischen Raum einer Landkarte etwas gemeinsam haben muß (zur Unterscheidung des landschaftlichen und geographischen Raumes vgl. Straus 1956, 335 ff., wie auch die terminologisch ähnliche, aber viel umfassendere Differenzierung Koffkas (1935) zwischen „geographical" und „behavioural environment"). Und so wenig ist ein „hodologischer" Weg als Abstand zwischen zwei Punkten zu fassen. Wenn wir davon sprechen, daß wir „geradewegs" auf ein Ziel losgehen, bedeutet dies nicht, daß wir die „Gerade" als kürzeste Verbindung zwischen Ausgangsort und Ziel wählen, sondern den „ausgezeichneten Weg". Dies ist der Weg, den idi in einer bestimmten Situation gewählt habe entsprechend einem „Minimumprinzip", das zugleich ein „Maximumprinzip" ist: „Der ausgezeichnete Weg mag etwa als der ,billigste', der ,am schnellsten zurücklegbare', der ,am wenigsten unangenehme' oder der ,sicherste' Weg interpretiert werden" (Lewin 1934, 265), es mag der Weg mit der schönsten Aussicht, den wenigsten Steigungen oder dem geringsten Autoverkehr sein. Auch ein „Umweg", der sich zeitweilig vom Ziel zu entfernen scheint, kann so zum ausgezeichneten Weg gehören, wenn es gilt, „Barrieren" zu überwinden oder zu umgehen2. Richtung und Abstand als hodologische Größen sind also etwas völlig anderes als die geometrischen Größen des euklidischen Raumes. Ist hier die Strecke von A nach Β gleich der von Β nadi A, trifft dies für die Hin- und Rückwege im Lebensraum des Menschen sicherlich nicht zu. Wie unterschiedlich erweisen sich Hin- und Rückweg zu oder von einem geliebten Menschen, zu oder von einer Prüfung? Welcher Weg gewählt wird und welche Eigenschaften ihn jeweils auszeichnen, hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die das jeweilige „Feld" 2

Vgl. dazu auch von Uexkülls Konzept des „bekannten Weges" (1934; s. von Uexküll und Kriszat 1956).

Richtungen und Wege im Handlungsraum

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mitbestimmen, und daher sind „Struktur, Richtung und Entfernung im Lebensraum . . . nur relativ zu den zugrunde gelegten Prozessen bzw. zu den maßgebenden Auswahlprinzipien zu bestimmen" (a.a.O., 285, im Orig. kursiv). Als solche dynamischen Faktoren gelten nicht nur konkret faßbare Gegebenheiten oder Fähigkeiten, wie ein Auto zu haben oder keines, schwimmen zu können oder nicht, welche die Art der „Lokomotion" determinieren, sondern vor allem auch der „Zustand der betreffenden Person". Entfernungen schrumpfen, die Welt wird kleiner, weil wir Flugzeuge und Raketen besitzen, die ganz neue Wege zu ausgezeichneten machen, von denen wir vor ein paar Jahrzehnten noch nichts ahnten. Eine nahe Sandbank im Meer ist für mich unerreichbar, wenn idi nicht schwimmen kann, aber ebenso unerreichbar ist für midi der Berg jenseits des Flusses, solange unerledigte Arbeit von vornherein Auswahl und „Auszeichnung" eines Wegs dorthin verhindern. Der Weg auf den Berg ist je ein anderer, ob ich müde oder traurig, frisch oder leichten Herzens ihn besteige. Der Lebensraum des Soldaten im Stellungskrieg artikuliert sich nach Höhenunterschieden, die Schutz vor Feindeinsicht gewähren, der Lebensraum des Herzkranken nach Höhenunterschieden, die zu vermeiden auch große Umwege in Kauf genommen werden (vgl. Plügge 1962). Ich habe mich bei der Darstellung des hodologischen Raumes, wie Lewin ihn konzipiert hat, darauf beschränkt, Wege als konkrete Wege einer Landschaft, „Lokomotion" als beobachtbare Bewegung, wie Gehen, Fahren, Schwimmen, zu explizieren. Es bleibt daher noch nachzutragen, daß Lewin den hodologischen Raum sehr viel umfassender bestimmt, und zwar sa, wie wir ihn bereits in der Tolmanschen Rezeption als „behavior space" diskutiert haben. Hodologische Struktur und Dynamik kommt auch „Räumen" im übertragenen Sinne zu: Wege sind also auch Denkwege, Richtungen auch Wegentwürfe im gedachten Raum. Desgleichen habe ich auch Lewins Mathematisierung des hodologischen Raumes in Vektoren und Differentiale unberücksichtigt gelassen und mich nur auf die phänomenologisch interessanten Argumentationen beschränkt. Phänomenologisch bedeutsam ist der Ausgangspunkt Lewins, nämlich das Verhalten des Menschen in seinem Lebensraum zu beschreiben. In diesem Sinne wurde die Konzeption des hodologischen Raumes auch von Sartre in „L'être et le néant" aufgegriffen, in der er sie der Auffassung einer Welt als Gegenstand „standpunktfreier Erkenntnis" gegenüberstellt: „Der wirkliche Weltraum ist der, den Lewin als ,hodologisch' bezeichnet" (Sartre 1962, 404). In seiner Darstellung der Heideggerschen Zeuganalyse interpretiert er die Weise, wie Zuhandenes in der Welt begegnet, in hodologischen Begriffen: „Der sich mir entdeckende ursprüngliche Raum ist der hodologische; er ist von Wegen und Straßen durchfurcht, er ist instrumental und ist der Ort der Werkzeuge" (a.a.O., 420). Bestimmte Dinge sind mir

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mehr oder minder zugänglich oder bleiben mir versagt, „es gibt Sperren und Hindernisse in meinem hodologischen R a u m " (a.a.O., 427). So fanden die in der Gestaltpsychologie entwickelten Begriffe und K o n zeptionen des „Lebensraums" als „hodologisdier R a u m " oder auch als „behavioural environment" (Koffka) nicht nur Eingang in die „Kryptophänomenologie" eines Tolman, sondern auch in die phänomenologisch fundierte Existenzphilosophie eines Sartre; denn beiden geht es jeweils auf ihre Weise darum, das Verhalten bzw. das In-der-Welt-sein eines lebendigen Organismus bzw. eines leiblichen Subjekts umfassend zu bestimmen.

§ 17 Der Handlungsraum als sozialer Raum Betrachteten wir im vorangegangenen Abschnitt Wege und Straßen als Richtungen unserer Handlungsentwürfe, Mittel und Medien zur Zielerreichung, blieb doch ein wesentlicher Aspekt dieser Wege und Straßen nahezu unerwähnt: ihre Funktion, Verkehrsweg zu sein, Weg für den Verkehr von Menschen und zwischen Menschen. Menschen sind es, die Straßen und Wege anlegen und sie benutzen, um sich zu besuchen, zu „handeln" oder an einer gemeinsamen Arbeitsstätte (berufs-)tätig zu sein. Es ist nun nicht meine Absicht, den Verkehr auf der Straße, das Gehund Fahrverhalten des Menschen genauer zu untersuchen — dazu sei auf die Betrachtungen Linschotens (1954) und vor allem van Lenneps (1953) verwiesen — , stattdessen will ich kurz skizzieren, in welcher Weise sich der Handlungsraum als Raum menschlichen Miteinanders, als Raum sozialen Handelns manifestiert. Ursprünglich wurde in der Phänomenologie Raum meist als individueller, „jemeiniger", untersucht, aber als Raum, in dem immer schon Menschen miteinander leben, erleben und handeln, wohl erwähnt, jedoch nur selten thematisiert. Diese egologische Perspektive mag noch adäquat sein für die Analyse des gestimmten Raumes, weniger schon für den Wahrnehmungsraum; für den Handlungsraum aber kann sie nur eine — und vielleicht nicht einmal die wichtigste — Perspektive sein. Umgekehrt bietet sich vom Aspekt des Miteinander her gesehen ein ähnliches Bild: Wohl wird die vis-à-vis-Situation einer menschlichen Begegnung als leibliche Kopräsenz bzw. Koexistenz hinreichend beachtet und analysiert ( z . B . Binswanger 1962; Buytendijk 1958; Linschoten 1957; Merleau-Ponty 1960 b; Sartre 1962, van den Berg 1957 u . a . ; vgl. dazu auch die Darstellungen von Theunissen 1965 u. BöckenhofF 1970), doch nur selten wird Begegnung als räumliches und zeitliches Präsent-sein explizit zum Thema gemacht. Wir wollen uns in diesem Kapitel nicht mit den phänomenologischen Analysen der Intersubjektivität überhaupt befassen, sondern mit dem Raum

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(und seinen Dingen) in seiner Bedeutung für soziales Handeln: als Bedingung der Möglichkeit, als Medium und als Produkt sozialen Handelns. Die Lebenswelt und insbesondere die Welt des alltäglichen Handelns als eine „soziale Welt" expliziert zu haben, ist vor allem das Verdienst von Schütz (1932; 1971). Er geht davon aus, daß die unmittelbare soziale Beziehung, die räumliche und zeitliche Koexistenz von Menschen als grundlegende Struktur der Alltagswelt anzusehen ist, und daß jede theoretische Analyse des Begriffs „Umwelt" bei ihr anzusetzen habe (vgl. 1971 I, 253). Die Welt meines Handelns ist in ihrer Raum-Dinglichkeit nie meine private Welt, sondern von Anfang an eine intersubjektive Kulturwelt. „Sie ist intersubjektiv, da wir in ihr als Mensch unter Menschen leben, an welche wir durch gemeinsames Einwirken und Arbeiten gebunden sind, weldie wir verstehen und von welchen wir verstanden werden" (1971 I, 11). Mein Handeln vollzieht sich in „Räumen", Innen- und Außenräumen, die von Mensdien bewohnt und belebt werden, die von Menschen gestaltet oder durdi menschliches Einwirken verändert werden und wurden. Die Gegenstände meines Handelns, Werkzeuge, Bücher, Kunstwerke, aber auch Sprachen und Symbole verweisen in Ursprung und Bedeutung auf menschliche Tätigkeiten. Sie sind nicht nur „sozial" im eigentlichen Sinne, das heißt Gegenstände gemeinsamen, aktuellen Handelns, sondern bleiben auch als Gegenstände „jemeinigen", privaten Handelns immer mit sozialen Bedeutungen behaftet. Der Schreibtisch, an dem ich arbeite, wurde von einem anderen angefertigt, das Buch von einem „Zeitgenossen" oder „Vorfahren" für andere Menschen geschrieben etc. Schütz unterteilt die soziale Welt in drei Bereiche (vgl. 1960, 181 ff.): 1. in die soziale „Umwelt" und die Mitmenschen, zu denen ich in einer Wir-Beziehung stehe, 2. in die soziale „Mitwelt" und die Nebenmenschen, zu denen idi in einer Ihr-Beziehung stehe, 3. in die „Vorwelt" und die Vorgänger, zu denen ich in einer Sie-Beziehung stehe. Entscheidend für die soziale „Umwelt" ist die unmittelbare räumliche und zeitliche Koexistenz, in der mir die Mitmenschen „leibhaftig" gegeben sind. In der mitweltlichen Situation ist es nur eine mittelbare räumlidizeitlidie Koexistenz, in der der „Zeitgenosse" nicht in seiner Leibhaftigkeit zugegen ist, wohingegen der Vorgänger der „Vorwelt" nur durch Urkunden, Denkmäler oder als in anderer Form tradiert erfahren wird. Die Dinge meiner Handlungswelt stehen in einem Verweisungszusammenhang, in dem der Mitmensch (hier ganz allgemein genommen) eine wichtige Rolle spielt. Dieses Moment hat audi Heidegger (1927) schon in seiner Zeuganalyse herausgestellt, wenn er davon spricht, daß das Zeug nicht nur auf das Werk und die Materialien, sondern vor allem audi auf die Benützer verweist. Das Zeug ist immer auf den Mitmenschen bezogen,

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es wird von Menschen gemacht, gebraucht, benannt, es ist für Menschen bestimmt, wird von Menschen besessen. Auch Löwith (1928) sieht die Dinge primär in ihrem mitweltlichen Bezug, wenn er er sagt, daß die Umwelt als Werk oder als Gebrauchsgegenstand auf die Mitwelt verweise, daß man den Menschen hinter den Dingen „sehe". Die Welt wird aus dem Miteinander der Menschen bestimmt, Welt wird immer als eine bereits durdi den Anderen vermenschlichte Welt angetroffen (vgl. Löwith a.a.O., 29 ff.). Gilt aber, wie Schütz meint, dieser mitmenschliche Sinnzusammenhang nur für den kulturellen Bereich und die „Kulturdinge", die explizit „unserem Handeln und dem Handeln unserer Mitmenschen, unserer Zeitgenossen und Vorgänger" (Schütz 1971, I, 11 f.) entsprungen sind, nicht aber für die sogenannten „Naturdinge"? Der Baum, dessen Früchte ich auf dem Markt kaufe, die Blume, die ich pflücke, um sie einem Freunde zum Geschenk zu machen, sind als Gegenstände einer Agri-Kultur in ihrer sozialen Bedeutung noch unmittelbar erfahrbar. Doch auch der Wald, der zum Anlaß von Eigentumsstreitigkeiten wird, die öde Wüstenlandschaft, in der Ölquellen entdeckt werden, die sumpfige Wiese, die durch den geplanten Autobahnbau plötzlich zum Gegenstand von Bodenspekulationen wird, aber auch der Fluß, der, hier verschmutzt, anderen Menschen die Trinkwassergewinnung und den Fischfang erschwert — sie alle sind als Naturdinge doch auch Gegenstand sozialen Handelns. Naturalia, sofern sie überhaupt Güter werden können, werden genauso Bedingung und Instrumente sozialen Handelns wie Kulturgüter im engeren Sinne. Entsprechend sind sie in eine Analyse des Raumes als soziales Handlungsfeld mit einzubeziehen. Wenden wir uns jetzt dem sozialen Handeln im eigentlichen Sinne, dem miteinander Handeln in einer konkreten Situation zu. Charakteristisch für eine solche face-to-face Situation ist die räumliche und zeitliche Kopräsenz zweier oder mehrerer Individuen. Raum — und die ihn erfüllenden Dinge — erweisen sich als Bedingung der Möglichkeit des miteinander Handelns, insofern sie Interaktion ermöglichen, erleichtern, erschweren oder verhindern. Sie erweisen sich aber auch als Medium, insofern sie Instrumente des Handelns werden, wobei sich diese beiden Aspekte nicht immer voneinander trennen lassen. (Zu einer ausführlichen Analyse über die Funktion der Dinge im sozialen Handlungsraum sei auf die beiden Arbeiten von Graumann (1974 a u. b) verwiesen.) Um zusammenzukommen, zu arbeiten, zu handeln und zu verhandeln, zu essen und zu spielen, braucht man Platz und „Plätze". In einem kleinen Studierzimmer läßt sich keine große Versammlung abhalten oder ein Tennismatch durchführen. Zu einer gemeinsamen Sitzung bedarf es der Sitzgelegenheiten, das Einnehmen einer Mahlzeit wäre ohne einen Tisch sehr erschwert. Bestimmte Handlungen setzen bestimmte Räumlichkeiten und gegenständliche Einrichtungen voraus, ohne die solche Handlungen gar nicht

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erst stattfinden können. U m zu kegeln, braucht man nidit nur eine Kegelbahn, sondern auch Kegel und Kugel, zum Tanzen braudit man nicht nur Platz, sondern auch Musik, sei es von einer K a p e l l e oder aus der Konserve eines Radios, Plattenspielers oder Bandgerätes. U m bestimmte Tätigkeiten auszuführen, suchen wir dazu geeignete R ä u m e auf und gestalten oder verändern sie entsprechend unseren Zielen. Ebenso treffen wir aber audi schon bestimmte räumliche Gegebenheiten an, die den Inhalt und die Form der Interaktionen beeinflussen oder determinieren. Die fest installierten Sitzplatzreihen, das vis-à-vis angeordnete Rednerpult in einem H ö r s a a l ermöglichen bzw. verhindern ganz andere Verhaltensweisen als kleine Zweiertischchen in einem Strafiencafé. In diesem Sinne kann man unterscheiden zwischen Räumen, die Interaktion und gemeinsames H a n d e l n fördern bzw. erschweren: Osmond (1957) spricht von „soziopetalen" und „soziofugalen" Räumen. Ein rundes Tepee-Zelt ist, „interaktionsfreundlicher" als ein Bahnsteig oder auch eine Lesehalle, in der die Stühle absichtlich weit auseinanderstehen und vielleicht noch durch Sichtblenden getrennt sind, um das Gespräch mit dem Nachbarn zu vereiteln. Die durch Glaswände abgeteilte Sitzecke in einem Großraumbüro ist für ein vertrautes Gespräch unter vier Augen weniger geeignet als die gleiche Sitzecke in einem R a u m , dessen Türen und Wände eine optische und akustische Barriere gegen ungebetene Zaungäste bilden. Die Tür, die hier als Barriere gegen unerwünschte Eindringlinge dient, kann bei anderer Gelegenheit geradezu zum K o n t a k t einladen, indem sie in Erwartung eines Gastes bereits geöffnet wurde. Der Tisch, der eine gemeinsame Arbeit überhaupt erst möglich machte, wird zur Barriere für ein verliebtes tête-à-tête. Räumliche Arrangements bestimmen über die Zugänglichkeit zu verschiedenen Handlungsbereichen für die jeweiligen Teilnehmer und definieren ihre Rolle und ihr Verhalten. Im Gerichtssaal sitzen die Richter am erhöhten Tisch und sind durch eine Barriere vom übrigen Saal getrennt. Tresen und Glaswand trennen den Bankkunden vom Schalterbeamten, definieren aber auch gleichzeitig ihre Rollen. „Situational cues" bestimmen Zugänglichkeit und Rollenverhalten der Teilnehmer in einer Situation, bestimmen über „persönliche" oder aber „funktionale" K o n t a k t e (vgl. dazu Duijker 1957). Begegnungen in der Öffentlichkeit verlaufen anders als solche in der Privatsphäre eines Wohnhauses. Die Begegnung zwischen Arzt und Patient hat je eine andere Form, ob sie in der Praxis, am Krankenhausbett oder beim Hausbesuch stattfindet. D i e Verhaltensmöglichkeiten des Kranken, der ans Bett gefesselt ist, sind ungleich geringer als die des Arztes, der an sein Bett herantritt. Die Abhängigkeiten zwischen räumlichen Bedingungen und Verhalten formulierten Barker und seine Mitarbeiter (vgl. Barker und Wright 1955; Barker 1963; 1968) in ihrem Konzept des „behavior setting". Solche sett-

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Der orientierte Raum

ings sind „areas which individuals enter and in which they behave in accordance with forces that produce characteristic behavior patterns" (Wright u. Barker 1950, 456). Behavior settings sind bestimmte räumlidi und zeitlich fixierbare Bereiche oder Orte der Umwelt, die typische Verhaltensweisen induzieren, wobei die teilnehmenden Individuen prinzipiell austauschbar sind, z . B . ein Fußballspiel, ein Begräbnis, die Arztpraxis, die Schulklasse, ein Kinobesuch. Die physikalische Struktur eines Umwelt-settings ist zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung sozialen Verhaltens. Erst die Berücksichtigung der sozialen Valenz eines solchen setting läßt seine Bedeutung als verhaltensdeterminierender bzw. -beeinflussender Faktor zur vollen Geltung kommen. Welche soziale und politische Relevanz räumliche Arrangements gewinnen können, wurde in jüngster Zeit der ganzen Weltöffentlichkeit deutlich, als 1968 zu Beginn der Pariser Friedensgespräche über Vietnam erst nach acht Monaten über Größe, Form und Sitzanordnung des Verhandlungstisches Übereinkunft erzielt werden konnte (vgl. dazu die graphische Darstellung in McCrosky, Larson u. Knapp 1971, 98). Räume und ihre Gegenstände sind Objekte sozialer Regulierungen und Normen („social order"), und als solche regeln sie das Verhalten der in ihnen handelnden Menschen. Dieser Aspekt sozial regulierten Verhaltens oder besser: Benehmens ist der Ausgangspunkt vieler Beobachtungen und Beschreibungen des Soziologen GofFman. Seine detaillierten Studien (vgl. u . a . 1959; 1961; 1963; 1967; 1970; 1971) über das Verhalten in sozialen Situationen, sei es in der Öffentlichkeit oder im privaten Bereich, sei es in kleinen Gemeinden der Shetland Inseln oder in Krankenhäusern und Gefängnissen, stellen einen wichtigen Beitrag zu einer — noch zu leistenden — Phänomenologie sozialen Handelns dar. Goffman spricht von „social gatherings", wenn er die aktuelle Situation, in der Individuen in unmittelbarem Kontakt miteinander stehen, auch als raum-zeitliche Situation bestimmen will, und versteht unter einer solchen sozialen Zusammenkunft eine „größere soziale Angelegenheit oder ein E r eignis, zeitlich und räumlich begrenzt und jeweils durch eine eigens dafür bestimmte Ausstattung gefördert". ( 1 9 7 1 , 2 9 ) . Beispiele dafür sind etwa eine Party oder ein Arbeitstag im Büro, ein Picknick im Grünen oder ein Abend in der Oper. Die Ähnlichkeit dieser Konzeption mit dem Begriff des „behavior setting", auf den Goffman auch explizit Bezug nimmt, ist deutlich, doch ist Goffman mehr als Barker nicht nur an der räumlichen Zugänglichkeit und Begrenzung solcher settings interessiert, sondern vor allem an der sozialen. Nicht nur dicke Wände schirmen eine soziale Zusammenkunft gegen Störungen von außen ab, sondern auch „conventional engagement closures" (1963, 156 ff.), die oft mehr leisten, als physische Barrieren imstande sind.

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Von besonderer Wichtigkeit f ü r eine mitmenschliche Interaktionssituation ist ihre Zugänglichkeit. Sichtbare Grenzen, Beschilderungen und Symbole sowie das räumliche Arrangement zeigen an, ob ein Bereich allen Personen oder nur ausgewählten Teilnehmern offensteht, wie diese in den Bereich eintreten können und welches Benehmen von ihnen erwartet wird. Goffman spricht von „open regions" und „free territories", unterscheidet zwischen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Orten, in denen die Begegnungen jeweils anders, ζ. B. in unterschiedlicher Distanz zustande kommen und ihren charakteristischen Verlauf haben. Unsere Diskussion des Raumes als Bedingung und Medium sozialen H a n delns bliebe nodi durch jenen Aspekt zu ergänzen, der Raum als Produkt sozialen Handelns thematisiert. In der phänomenologischen Literatur findet dieser Aspekt kaum Beachtung, was umso weniger verständlich ist, wenn man bedenkt, wie das eigentliche Raum-schaffen im Sinne eines umbauten Raumes einen wesentlichen Bereich menschlichen Lebens und Handelns bestimmt. Die Planung und Errichtung eines Hauses verlangt die Arbeitsgemeinschaft vieler Menschen. Lebensraum i. e. S. ist nicht von Anfang an schon vorhanden, sondern entsteht durch gemeinsame Anstrengung. Nicht nur Kampf um den Lebensraum, sondern vor allem gemeinsame Gewinnung (Urbarmachung, Erschließung, Bebauung) sind Kennzeichen sozialen Handelns. Auf einen weiteren Aspekt des „Raum-schaffen" bin ich bereits weiter oben im Zusammenhang mit dem Wohnen im Haus und seiner Wohnlichkeit eingegangen (vgl. § 8), indem ich darauf hinwies, daß Wohnlichkeit nur als Ergebnis gemeinsamen Wohnens sinnvoll zu analysieren ist. Aus dieser Perspektive der Gestaltung und Modifikation des Raumes durch menschliches Zusammenleben gewinnt auch der bei Binswanger (1953) oft zitierte Satz "daß gerade wo du bist, ein Ort f ü r mich entsteht" konkrete Bedeutung (vgl. dazu die Ausführungen zur Räumlichkeit des liebenden Miteinander, § 24). Das Thema des sozialen Handlungsraumes, das ich hier nur in ersten Ansätzen skizziert habe, ist vor allem im Hinblick auf eine theoretische Fundierung umweltpsychologischer Konzepte von besonderer Bedeutung und bedarf der weiteren Ausarbeitung.

Kap. I

Der Wahrnehmungsraum

Bei der Diskussion des Handlungsraumes waren wir immer wieder auf Momente gestoßen, in denen die Dinge nicht mehr nur als „manipulanda", als Gegenstände menschlichen Handelns oder — in Heideggers Terminologie — im umsichtigen Besorgen als Zeug in den Eigenschaften der Manipulierbarkeit, Dienlichkeit, Verwendbarkeit oder der Abträglichkeit und

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Der orientierte Raum

Widerständigkeit begegneten, sondern plötzlich zu reinen Objekten, zu Sehdingen bzw. discriminanda wurden. Ein solcher Moment lag etwa dann vor, wenn ein Ding dem handelnden Leib „auffällig" wurde, dadurch, daß es der intendierten Handlung Widerstand leistete oder nicht an seinem Platz angetroffen wurde. Infolgedessen kam es zur Unterbrechung des Handlungsablaufs; das umsichtige Aufgehen in der Welt des Zuhandenen wurde abgelöst durdi die reine Sicht auf die Dinge. Einen weiteren Übergang von der Umsicht zur Sicht konnten wir dann feststellen, wenn der Nahbereich der unmittelbaren Reichweite überschritten wurde und ein Ding nidit mehr in greifbarer Nähe verfügbar, sondern nur noch sichtbar war. Es bleibt zu fragen, ob in solchen Übergängen ein neuer, eigenständiger Modus gelebter Räumlichkeit sichtbar wird, oder ob es sich nur um einen weiteren Aspekt des Handlungsraumes, nämlich den bewußt wahrgenommenen Handlungsraum handelt. Bereits in der einleitenden Diskussion zum orientierten Raum (vgl. § 13) wurde auf die funktionale Einheit von Wahrnehmung und Handlung verwiesen. Handeln ist nicht zu reduzieren auf ein sozusagen „blindes" Hantieren mit den Dingen des täglichen Umgangs, sondern es impliziert immer auch ein Sehen, Tasten, Hören, vielleicht audi ein Schmecken und Riechen der Dinge. So gesehen wäre also die Diskussion der wahrnehmungsmäßigen Raum-Dinglidikeit nur als Ergänzung zu verstehen, ohne welche die Darstellung des Handlungsraumes unvollständig geblieben wäre: Der Begriff des Wahrnehmungsraumes wäre demnach nur ein subtraktiver Begriff. Für diese „Sichtweise" des Verhältnisses von Wahrnehmungs- und Handlungsraum, die ich ja auch durch meine Wahl des Übergriffs „orientierter Raum" dokumentiert habe, läßt sich vor allem dann argumentieren, wenn man den wahrnehmungsmäßig gegebenen Raum primär als potentiellen Handlungsraum sieht, so daß in der Sicht auf die Dinge in ihrem Wassein immer auch schon ihr Wozusein, also ihre Handlungseigenschaften, mitgegeben wären. Als Beispiel einer solchen Sichtweise läßt sich Tolmans Konzept des „behavior space" anführen, der ja, wie ich bereits ausgeführt habe (vgl. § 15), als das Insgesamt von manipulanda, discriminanda und Mittel-Zweck-Beziehungen zu verstehen ist. Wenn wir aber dennodi den Wahrnehmungsraum als eigenständigen Aspekt des gelebten Raumes thematisieren, läßt sich das folgendermaßen begründen: Wie bereits mehrfach festgestellt, handelt es sich bei der Unterscheidung eines gestimmten Raumes, eines Handlungs- und eines Wahrnehmungsraumes lediglich um analytische Differenzierungen, die den Zweck haben, die für den gelebten Raum insgesamt charakteristischen Merkmale prägnanter — und das heißt audi: unter Vernachlässigung anderer Merkmale — hervortreten zu lassen (wobei idi die Schulden dieser Vernachlässigung dadurch abzutragen hoffe, daß ich im folgenden Teil dieser Arbeit (vgl. Teil V) versuche, den gelebten Raum als ganzes an einigen Beispielen vorzustellen).

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Aber noch in einer weiteren Hinsicht läßt sich von einem „eigenständigen" Wahrnehmungsraum sprechen, und zwar dann, wenn Raum Gegenstand der ästhetischen Betrachtung wird — „ästhetisch" hier im ursprünglichen Wortsinn von „Aisthesis" verstanden. Ist diese ästhetische Räumlichkeit auch am leichtesten bei der Betrachtung dargestellter Räume realisierbar, ist sie doch auch als Modus des wirklich gelebten Raumes aufweisbar. Ein solcher Raum entsteht etwa dann, wenn ich ganz in die Betrachtung der Formen oder Farben eines Raumes versunken bin, ζ. B. die verschwimmenden Konturen einer Hügelkette während der fortschreitenden Dämmerung „im Auge" habe oder die in der Ferne immer bläulicher werdende Landschaft betrachte. Es ist also ein rein figuraler oder farblicher Raum, den ich anschauend erfasse. Steht auch dieser Raum der reinen Aisthesis in enger Beziehung zum gestimmten Raum, so ist er doch ein anderer; denn es sind nicht die Ausdruckscharaktere der Dinge, die midi anmuten, sondern ihre Wahrnehmungseigenschaften, wie Form, Farbe, Größe oder Textur, auf die ich schauend gerichtet bin. Die Dinge imponieren auch nicht in ihrer Handlungsvalenz, sondern nur in ihrer Vorhandenheit. In dieser ästhetischen Einstellung des Subjekts erscheint der Wahrnehmungsraum daher auch sehr viel weniger als ein potentieller Handlungsraum als dies bei der alltäglichen Wahrnehmungseinstellung der Fall ist. Im Handlungsraum kam das Subjekt primär als handelndes, im tätigen Umgang mit den Dingen (als Zeug oder auch manipulanda) in den Blick, während außer Acht blieb, daß dieses Subjekt gleichzeitig auch ein gestimmtes und wahrnehmendes ist. Aber Stimmung und Wahrnehmung sind nicht thematisch, sondern eben nur auch gegeben. Die Struktur dieses Raumes wird konstituiert durch die Handlungseinstellung des Subjekts. Entsprechend ist die Wahrnehmungseinstellung, das Nur-noch-Hinsehen für den Wahrnehmungsraum konstitutiv. Es ist also die jeweilige intentionale Einstellung des Subjekts, die den Nahraum primär als Aktionsbereich, den Fernraum aber als Sehbereich bestimmt, in dem die Dinge nicht mehr in ihrer Zuhandenheit, sondern nur noch in ihrer Vorhandenheit begegnen. In der „theoretischen" Einstellung des Subjekts treten einige Strukturen des gelebten Raumes in besonderer Deutlichkeit hervor: seine Tiefe und Horizontstruktur und damit zusammenhängend seine Zentriertheit bzw. Perspektivität. Obwohl es sich bei diesen Strukturen auch um Probleme des Handlungsraumes handelt (vgl. v. a. Graumann 1960), wurden sie in der phänomenologischen Literatur primär als Wahrnehmungsprobleme erörtert, und zwar fast ausschließlich als Probleme der visuellen Wahrnehmung. Insofern ist der Begriff „Wahrnehmungsraum" in der phänomenologischen Literatur vorzugsweise gleichbedeutend mit dem visuellen Raum. Läßt sich diese Verwendungsweise des Begriffs auch erklären durch den Primat des Sehens vor allen anderen Modi sinnlicher Anschauung, wollen wir Wahrnehmungsraum verstanden wissen als Oberbegriff für alle modal geschie-

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Der orientierte Raum

denen Sinnesräume, den visuellen, auditiven, haptischen und olfaktorischen Raum. Allerdings werde auch ich die wesentlichen Strukturen des Wahrnehmungsraumes hauptsächlich am Beispiel der visuellen Wahrnehmung explizieren, da der visuelle Raum der am meisten durchstrukturierte ist. Bevor wir mit der Diskussion des Wahmehmungsraumes beginnen, sei noch einmal unser Ausgangsbeispiel einer räumlichen Situation auf seine Wahrnehmungsaspekte hin untersucht: Von meinem Platz am Schreibtisch aus sdiaue ich umher. Mein Blick bleibt an der Fotographie eines Kirchenportals hängen: meine Gedanken wandern an den Urlaubsort vom vergangenen Sommer; ich sehe das kleine Dorf mit den verwinkelten Gassen, der hochgelegenen Kirche ganz deutlich vor Augen . . . Blicke ich aus dem Fenster und vergewissere midi, was idi alles sehen kann, so stellt sich rasch heraus, daß von den Blumen, Bäumen, Häusern und Bergen die meisten nur teilweise oder ausschnittweise zu sehen sind; die Dinge in meinem Wahrnehmungsraum verdecken einander. Dabei verdecken die Dinge im Vordergrund und auch noch große im Hintergrund einander so, daß ich sie als hintereinander bzw. in der Tiefe gestaffelt sehe. Selbst dort, wo sie, wie die Bäume in der Ferne in eine durchgehende bläuliche Silhouette eingehen, erwecken sie nodi den Eindruck einer Tiefe. Das heißt, sie ordnen sich auch da noch dem allgemeinen Eindruck der Erstreckung in die Tiefe ein, wo ich sie gar nicht mehr in ihrer Körperhaftigkeit, in der Differenz von Licht und Schatten erblicken kann . . . Vom Schreibtisch aus kann ich über Obstbaumspitzen und Hausdächer zum kegelförmigen Berg jenseits des Flußufers blicken. Trete ich näher ans Fenster heran, kann ich noch mehr von unserem Tal überschauen, den Fluß bis zum Bergrand verfolgen, die Hügelkette bis an den Horizont, die Grenze meines Blickfeldes... Mit Einbruch der Dämmerung und dem Aufsteigen der ersten Nebel verschwinden die Häuserdächer, zeigt sich der Berg nur noch schemenhaft in seinen Umrissen. Ich schalte das Licht ein, und der Schein der Lampe verändert das Zimmer: nur nodi die vom Lichtkegel angeleuchtete Fläche ist für midi deutlich erkennbar. Das übrige Zimmer tritt zurück und auch der Blick nachdraußen ist nun versperrt. Der Raum um mich herum schrumpft zusammen. Der erste Aspekt des zitierten Beispiels betrifft eine Modalität des Wahrnehmungsraumes, auf die idi im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingehen kann, nämlich den Vorstellungsraum. Gleichwohl sei sie hier erwähnt, denn auch anschauliche Vorstellung, Phantasie und Einbildung haben ihre Bedeutung für den gelebten Raum, die Räumlichkeit menschlichen Daseins. Auch die Veränderung des Raumes in der Dämmerung werden wir nicht als

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Modifikation des Wahrnehmungsraumes diskutieren, sondern in einem umfassenderen Zusammenhang als spezifische Ausprägung gelebten Raumes darstellen (vgl. § 21). Wenden wir uns jetzt dem Raum zu, wie er sich beim Blick aus dem Fenster, bei der Aussicht von einem Berg zeigt und fragen nach der Gegebenheitsweise dieses Raumes und seiner Dinge für das wahrnehmende Subjekt. Dabei richtet sich unser Interesse hauptsächlich auf das visuell wahrnehmende Subjekt, dem der Wahrnehmungsraum vor allem als Fernraum gegeben ist. Der Wahrnehmungsraum ist ebenso wie der Handlungsraum ein orientierter Raum. Sein Zentrum wird gebildet durch das Leibsubjekt, das als absolutes Hier zu jedem Dort aufzufassen ist, als Ausgangs- und Bezugspunkt aller Sicht- (und Handlungs-)Weisen. Die Ordnung der Dinge untereinander in diesem Raum ist nicht als reine Lagebeziehung, als „Konstellation", wie Ströker (1965, 102) sagt, zu verstehen, sondern als eine „Situation", „eine Ordnung des Dort relativ auf das Hier-Jetzt eines Leibsubjekts in der Verfassung des sinnlichen Anschauens". Nicht Ordnung, sondern Zu-ordnung in bezug auf das wahrnehmende Subjekt charakterisiert die Gegebenheitsweise der Dinge. Das orientierte Subjekt ist auf die Dinge gerichtet, der Wahrnehmungsraum ist wie der Handlungsraum ein richtungsbestimmter Raum. War aber der Handlungsraum vor allem durch seine Richtungsgegenrátze als „anisotrop" ausgezeichnet, wird diese Anisotropie im Wahrnehmungsraum fast ganz aufgehoben; denn da die Wahrnehmung nur ein Minimum von Bewegungen verlangt, ist die funktionelle Asymmetrie des Leibes, die für die Richtungsgegensätze im Handlungsraum bzw. Bewegungsraum ausschlaggebend war, nur noch für die Blickrichtung und -bewegung (sowie für die Fortbewegung im Wahrnehmungsraum) relevant: Bedingt durch die Frontalstellung der Augen ist der visuelle Wahrnehmungsraum ein reiner Vornraum. Der Leib ist nidit mehr „inmitten" der Dinge, erlebt den Raum als „umhaft", sondern ist ganz an die Peripherie gerückt und steht den Dingen gegenüber. Lassen (1939), dem es in seiner phänomenologischen Analyse der Anschauung darum geht, den Vorrang der Räumlichkeit für das menschliche Dasein aufzuweisen, benutzt diese hervorragende Stellung des „Vorn-raums" gegenüber dem „Um-raum" dazu, Heideggers Konzeption des „In-der-Welt-seins" zu kritisieren und zu ersetzen durch den Modus des „Zur-Welt-seins" (vgl. 112 fiF.). Das Verhältnis des Subjekts zum Raum bestimmt er als „einseitig vorhaftes Eingestelltsein": Das Subjekt „würde dadurch einerseits zu allem Gegenständlichen in ganz bestimmten ranghaften räumlichen Entfernungsbeziehungen stehen, ohne doch andererseits selbst einer Gegend des Raumes anzugehören, da der Raum dann eben das Ich nicht umhaft einschließen, sondern ihm vorhaft entgegenstehen würde. Das Ich wäre auf diese Art vielmehr raumbezogen und raumenthoben zugleich, ohne daß das eine dem anderen wider8 Kruse, Umwelt

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spräche" (114, im Original gesperrt). Es ist hier nicht der Ort, das Verhältnis von Ich und Raum weiter zu diskutieren, wenngleich es reizvoll wäre, die interessanten und wenig beachteten Wahrnehmungsanalysen Lassens etwa denen Merleau-Pontys (1966) und seiner ganz anderen Auffassung des „etre-au-monde" gegenüberzustellen. Stattdessen wollen wir fragen, wie dieser Vornraum des Wahrnehmungsfeldes in der unmittelbaren Erfahrung gegeben ist.

§ 18 Tiefe und Horizontstruktur des Wahrnehmungsraumes Für die allgemeine Psydiologie der Wahrnehmung war die „Tiefendimension" immer ein besonderes Problem, das sich jedoch weniger phänomenologisch als psycho-physiologisdi stellte, ging es doch darum, die phänomenale Tiefe oder „Dreidimensionalität" unserer Wahrnehmung, die der — im physikalischen Sinne — objektiven Dreidimensionalität der Körperdinge entspricht, mit der nur — wenngleich gekrümmt — zweidimensionalen Repräsentation der wahrgenommenen Dinge auf unseren Netzhäuten zu vereinen. Die Geschichte dieser Theorien, für die sich der Eindruck von Räumlichkeit bzw. Körperlichkeit der „Sehdinge" auf eine sogenannte „Tiefendimension" konzentrierte, die es zu erklären galt, gehört nicht zum Thema dieser Arbeit. Immerhin sei auf die Kritik Gibsons ([1950] 1973) verwiesen, der den traditionellen Theorien mit Recht vorwerfen konnte, daß sie aufgrund der Vernachlässigung der natürlichen Umwelt „reine Lufttheorien" waren (a.a.O., 25), die im Grunde nur die Luftlinie zwischen Auge und punktuell aufgefaßtem Wahrnehmungsobjekt berücksichtigen. Ihnen stellt Gibson seine „Bodentheorie" entgegen, die, vom Gesamtkontext des visuell Gegebenen, von der „visuellen Welt" (a.a.O., 51 ff.) ausgehend, als deren „elementare Eindrücke" Oberflächen und Kanten besonders berücksichtigt und so zu einem neuen psychophysischen Verständnis der Raumwahrnehmung führt. Auch Gibsons Theorie der Raumwahrnehmung ist letztlich aber um die Identifikation retinaler Reizvariablen bemüht und bleibt damit eine psychophysische Theorie wie alle früheren. Entsprechend ist der phänomendeskriptive Gehalt der Gibsonschen Analyse nicht wesentlich größer als bei den früheren psychologischen Untersuchungen der Raumwahrnehmung. Immer schon nahm man an, daß neben den strittigen physiologischen oder „primären" Kriterien der „Tiefenwahrnehmung" sich Räumlichkeit und Tiefe unserer Welt aus einer Reihe weiterer visueller Eindrücke konstituiert. „Wenn ein Gegenstand einen anderen zu .verdecken' scheint, muß er näher sein. Wenn als parallel verlaufend bekannte Kanten zu konvergieren scheinen, müssen sie in der Realität zurückweichen, und wenn als gleich groß bekannte Gegenstände fortlaufend kleiner erscheinen, müssen sie in wach-

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sender Entfernung liegen. Erscheint ein Ding über einem anderen, dann ist es wahrscheinlich nicht in der Luft aufgehängt, sondern liegt lediglich in größerer Entfernung auf dem Boden auf. Wirkt ein Gegenstand bläulich getönt und unscharf, dann wird er, wie die Berge am Horizont, weit entfernt sein. Ist ein Gegenstand teils beleuchtet, teils im Schatten, dann kann seine Oberfläche nicht flach, sie muß in Wirklichkeit gewölbt oder gebogen sein. Scheint sich ein Ding bei seitlichen Kopfbewegungen des Betrachters fortzubewegen oder anderen Dingen gegenüber verlagert zu sein, dann muß es proportional zu seiner relativen Ortsveränderung näher liegen" (a.a.O., 44 f.). Keines dieser Phänomene konstituiert jedoch Tiefe, sondern setzt sie immer schon voraus. Selbst der isolierte Lichtpunkt im sonst völlig homogenen Dunkel „wird nicht im Auge wahrgenommen, sondern ,da drüben"* (Linsdioten 1958, 93). Das, was anschauliche Verdeckung, phänomenale Größendifferenzen etc. leisten, ist die anschauliche Artikulation der Tiefe in Nähe und Ferne, vorne und hinten. Die Tiefe selbst ist ein „Urphänomen des Sehens" (ebda.), fundiert in unserer Leiblichkeit, deren Zusammenhang mit der Dingwelt sich in der Perspektivität unserer Wahrnehmung ausdrückt: „Die Tiefe erscheint als Perspektive, die Perspektive ist die Erscheinungsweise der Tiefe" (ebda.). Zugleich ist Tiefe die Weise, in der Dinge als erreichbar erscheinen (a.a.O., 94); denn die Möglichkeit des Ichleibes, sich zu bewegen, ergibt erst den Sinn dessen, was wir Ferne und Nähe nennen, was wir als Offenheit des Raumes bezeichnen können (ebda.). Betrachte ich vom Garten aus das etwas unterhalb gelegene Nachbarhaus, kann idi seine Vorderseite, eine Seitenfront und das Flachdach sehen. Es ist mir nicht als Ganzes anschaulich gegeben, sondern nur in Aspekten. Sehe ich es vom Garten aus unter einem bestimmten Gesichtswinkel, sähe ich es anders von der Straße oder vom Flugzeug aus. Wahrnehmungsgegenstände sind immer unter einer bestimmten Perspektive gegeben. Zwar kann ich meine Perspektive beliebig oft wechseln, an eine Perspektive aber bleibe ich immer gebunden. „Perspektivisch gegeben sein, heißt in Abschattung gegeben sein" (Graumann 1960, 66). Die Vorderseite des Hauses kann ich deutlich in Farbigkeit und Struktur, z.B. ihrer Fensteraufteilung erkennen,Seitenfront und Dach aber erscheinen verkürzt, ihre Farbe wird nach „hinten", in die Tiefe des Raumes, dunkler, ihre Struktur immer weniger differenziert, ihre Begrenzungslinien laufen zusammen, erscheinen als Fluchtlinien. In dieser Absdiattungsweise erscheinen die Dinge in ihrer Körperlichkeit. Mit der anschaulichen Gegebenheit einer Seite habe idi gleichzeitig das Ganze. Das unmittelbar Anschauliche verweist auf das nicht mehr Anschauliche, etwa die Vorderseite des Hauses auf seine Rückseite. „Dasjenige, was sich in perspektivischer Abschattung unserem Gewahren bietet, ist immer Anblick, und zwar Anblick eines Ganzen. Anblick eines 8 *

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Ganzen meint dasjenige vom Ganzen, was je von unserem Blick erreicht wird" (Graumann, 60). Anschauliche Verweisung ist dabei, wie Husserl (1948) ausgeführt hat, in einem doppelten Sinne zu verstehen, a) als Verweisung vom unmittelbar in der Wahrnehmung Gegebenen auf das jeweils „Unsichtige" des betrachteten Gegenstandes, insofern das in perspektivischer Abschattung Gegebene immer Anblick eines Ganzen ist. Diese Verweisung innerhalb desselben Gegenstandes bezeichnet Husserl als „Innenhorizont"; b) verweist der Gegenstand, auf den jetzt mein Blick fällt, in seiner Abgeschattetheit über sich hinaus, und zwar auf andere mit ihm in meinem Blickfeld koexistierende Gegenstände, auf das übergreifende Ganze des überhaupt Wahrnehmbaren. Diese Verweisung auf „Mitobjekte" bezeichnet Husserl als „Außenhorizont". „So hat jede Erfahrung von einem einzelnen Ding ihren Innenhorizont; und ,Horizont' bedeutet hierbei die wesensmäßig zu jeder Erfahrung gehörige und von ihr untrennbare Induktion in jeder Erfahrung selbst . . . Diese ursprüngliche ,Induktion' oder Antizipation erweist sich als ein Abwandlungsmodus ursprünglich stiftender Erkenntnisaktivitäten, Aktivität und ursprünglicher Intention, also ein Modus der ,Intentionalität', eben der über den Kern hinausmeinenden, antizipierenden; aber hinausmeinend nicht nur in der Weise eines Antizipierens von Bestimmungen, die als sich herausstellende an diesem erfahrenen Gegenstand jetzt erwartet werden, sondern auch nach anderer Seite hinausmeinend über das Ding selbst mit allen seinen antizipierten Möglichkeiten künftiger Weiterbestimmung, hinausmeinend auf die anderen mit ihm zugleich, wenn auch zunächst bloß im Hintergrund bewußten Objekte. Das heißt, jedes erfahrene Ding hat nicht nur einen Innenhorizont, sondern es hat auch einen offen und endlosen Außenhorizont von Mitobjekten ..., denen ich zwar im Augenblick nicht zugewendet bin, denen ich mich aber jederzeit zuwenden kann als von dem jetzt erfahrenen verschiedenen oder in irgendeiner Typik gleichen" (Husserl 1948, 28). Husserls Verdienst ist es, den Begriff des Horizontes für die phänomenologische Analyse der Erfahrung fruchtbar gemacht zu haben, indem er die Horizontstruktur aller Erfahrung überhaupt aufgewiesen hat: „Jede Erfahrung hat ihren Erfahrungshorizont·, jede hat ihren Kern wirklicher und bestimmter Kenntnisnahme, hat ihren Gehalt an unmittelbar selbstgegebenen Bestimmtheiten, aber über diesen Kern bestimmten Soseins hinaus... hat sie ihren Horizont" (a.a.O., 27). Allerdings hat Husserl selbst den Begriff des Horizontes nie expliziert; dieses wurde erst bei van Peursen (1954) und Graumann (1960) nachgeholt.

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Was also ist ein Horizont? Das Wort leitet sich her aus dem griechischen Verb für „begrenzen". Horizont bedeutet Grenze des Sehfeldes, darüber hinaus aber audi Begrenzung überhaupt, sowohl physikalischer wie geistiger Art. Als Grenze des Blickfeldes ist der Horizont eine Bestimmung besonderer Art, da sie immer auf den menschlichen Blick bezogen ist. Auch die Wände eines Raumes, die Berge in einem engen Gebirgstal, begrenzen meinen Blick, in dem sie die Durchsichtigkeit des Raumes unterbrechen. Während idi mich aber dieser Grenze nähern kann, sie gegebenenfalls umgehen oder überwinden kann, bleibt der Horizont unerreichbar und für meine Wahrnehmung unüberwindbar. So weit ich auch wandere, der Horizont wandert mit, er ist unaufhebbar. Der Horizont ist nichts unabhängig vom Menschen Vorfindbares, sondern bleibt immer an meinen Standort und Blickpunkt gebunden. Er ist wiederum auch nichts „Binnenseelisches", bloß Vorgestelltes oder Ideales, sondern ist „objektiv da draußen vorfindbar, durch Messung bestimmbar, wenn audi immer nur in seiner Entfernung zu mir und in seiner Ausdehnung für mich" (Graumann, 29). Der Horizont ist anschaulich absolute Grenze für meine Wahrnehmung. Bestimmt als meine Augenhöhe ist er an die Wirklichkeit meines Leibes und an die ständig sich wandelnde Faktizität meiner Leiblichkeit gebunden (vgl. Graumann, 68 ff.). Der Horizont aber engt den Menschen nicht nur ein, sondern breitet gleichzeitig das Wahrnehmungsfeld vor dem und für den menschlichen Blick aus. Van Peursen hat vor allem diesen Doppelaspekt des Horizontes „unerreichbare Grenze und Raum zum Vordringen zu sein" (1954, 208) herausgearbeitet. Diesen Doppelaspekt aller Grenzen, Abgrenzung von etwas und Übergang zu etwas zu sein, verdeutlicht Graumann am Beispiel der Fluchtlinien einer geraden Straße. „Denn selbst wenn die in die Tiefe führenden Parallelen einer geraden Straße . . . sich im Horizont ,berühren', so tun sie dies anschaulich doch nicht in der Weise, in der die Seiten eines Dreiecks in der Spitze konvergieren und in nidits über die geschlossene Gestalt des Dreiecks hinausweisen. Die anschaulich in die Tiefe weisenden Parallelen der perspektivischen Straße weisen in ihrer Konvergenz im Horizont in weitere nicht mehr wahrnehmbare Tiefe. Entsprechend ist der Horizont . . . anschauliche Verweisung vom noch Sichtbaren auf das nicht mehr Sichtbare ... er vereinigt den je wahrgenommenen mit dem je wahrnehmungstranszendenten Raum zum Ganzen des prinzipiell wahrnehm baren Raumes" (a.a.O., 30). Das Wahrgenommene verweist auf das Wahrnehmbare, der aktuelle Wahrnehmungsraum auf den potentiellen. Die Beziehung zwischen beiden „Räumen" zeigt sich in ihrer Dynamik, wenn man Wahrnehmung als einen fortschreitenden Prozeß betrachtet. Dabei wird dann audi die enge Verbindung zwischen Wahrnehmen und Handeln deutlich.

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Wahrnehmen heißt, durch den einzelnen Blick immer schon auf einen weiteren verwiesen sein, erfasse ich dodi mit diesem einzelnen Blick einen Teil des Ganzen, welcher als Ganzes immer schon „mitgegeben" ist (vgl. Husserl 1948). Aktuelle Wahrnehmung impliziert und motiviert weitere Wahrnehmungsmöglichkeiten. „... es ist das prinzipielle Ungeniigen eines einzelnen Blickes, das . . . den nächsten motiviert" (Graumann, 71), so daß der Wahrnehmungsverlauf nicht als bloße Aufeinanderfolge einzelner Blicke zu verstehen ist, sondern als sachlidi motivierte Geriditetheit auf sinnvolle Ganzheiten. Hier zeigt sich die Horizontstruktur der Wahrnehmung als raumzeitliche, „in der das Hier und Jetzt meines Standpunktes und das Jetzt-dasein meines Wahrnehmens bei den in horizontaler Verweisung gegebenen Dingen immer schon das Dann eines unmittelbar folgenden Wahrnehmens impliziert" (ebda.). Die Vorwegnahme möglicher Aspekte und Perspektiven, die sinnvolle Aufeinanderfolge einzelner Blicke wird bei Gurwitsch (1957; 1964) als notwendige Bedingung jedes Wahrnehmungsprozesses herausgestellt. Jede Einzelwahrnehmung wird dadurch, daß sie über sich hinausweist, als prinzipiell ein-seitig erfahren. „ . . . each single perception is meant as experienced as a one-sided perception. The thing perceived under a certain aspect in a given perception presents itself as perceivable under different aspects, as liable to appear in other orientations than that of the moment, and to exhibit properties and qualities not displayed now, but to be exhibited in the future under conditions presently unrealized. In other terms, each single perception refers beyond itself to a systems of perceptions of the same thing" (1964, 203). In diesem System kommt jeder Einzelwahrnehmung ein bestimmter Platz oder Stellenwert zu, sie ist eine Phase innerhalb eines Prozesses. Die Aufeinanderfolge einzelner Phasen ist jedoch nicht beliebig, sondern erfolgt, wie Gurwitsch an vielen Beispielen zeigt, nach gestaltlichen Kriterien, deren Zusammenwirken als — hier temporal verstandene — „Gestaltkohärenz" bezeichnet wird. Wahrnehmen als immer und notwendiges Unterwegssein zum Horizont läßt den Wahrnehmungsraum gleichzeitig als Handlungsraum in den Blick kommen, insofern als der potentielle Wahrnehmungsraum in der Regel nur durdi Handeln erreichbar ist. Und so „verweist" diese Analyse des Wahrnehmungsraumes als eines horizonthaften auch auf die Horizontstruktur des Handlungsraumes, auf die wir bereits im Zusammenhang mit dem „Wegeraum" — und dort vor allem in Linschotens Analyse der Straße (1954) — gestoßen waren, ohne sie explizit als Horizontstruktur auszuweisen (vgl. § 16). Am Bild der Straße verdeutlichte Linschoten, wie im Hier-Jetzt des gegenwärtigen Aufenthaltes, Stand- und Blickpunktes immer schon das Da-Dann des nächsten impliziert und audi schon wieder überschritten ist. „Die Straße schießt über ihr Ziel hinaus oder vielmehr sie ersetzt die nahen Ziele durdi immer wei-

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ter entfernte. Man könnte sagen, daß die Straßen sich selbst verlängern" Linschoten, 249), indem jede Zielsetzung das in ihr gesetzte Ziel bereits überschritten hat. Dieses Vorwegnehmen und Dariiberhinaus-sein versteht Linschoten als Ausdruck der „exzentrischen Räumlichkeit, nämlich einer Welt, in der der Mensch nie mehr ganz bei sich selber ist" (a.a.O., 259). Bei Graumann kommt dieses Moment in den Blick, wenn er die perspektivische Struktur des Wahrnehmungsraumes über das per-spicere (durchblicken) hinaus zum pro-spicere (vorausschauen) erweitert und so von der Beziehung zwisdien Wahrnehmung und Bewegung das Verhalten als prospektive Gerichtetheit und das horizontale Verweisungs-Ganze, innerhalb dessen wir uns gerichtet finden, als Situation bestimmt. In der Vorwegnahme möglicher Perspektiven zeigt sich die motivationale Einheit von Wahrnehmung und Bewegung und damit die — analytisch isolierte Handlungs- und Wahrnehmungsaspekte übergreifende — perspektivische Struktur des „Verhaltensraumes" oder der Situation, in der ich prospektiv handelnd immer wieder auf neue Blickpunkte und Horizonte midi entwerfe.

§ 19 W a h r n e h m u n g u n d Bewegung Im vorangegangenen Paragraphen wie auch bei der Diskussion des Handlungsraumes war immer wieder die Rede von der funktionalen und motivationalen Einheit von Wahrnehmung und Bewegung. Wahrgenommenes verweist auf Wahrnehmbares, der aktuelle Wahrnehmungsraum auf einen potentiellen, und in dieser Verweisung liegt die Motivation zur Bewegung begründet. Verweisung ist virtuelle Bewegung: Sie motiviert Bewegung zu neuen Standpunkten, die andere Perspektiven auf die Dinge gewähren, neue Aspekte sichtbar werden lassen, den Blick auf Verdecktes freigeben, Bewegung aber auch in Richtung auf das ferne Ding, um mich in seine Nähe zu bringen. Nur die Bewegung des Leibes, sei es als Bewegung seiner Organe und Glieder, sei es als Fortbewegung im Raum, ermöglicht eine volle Dingerfahrung (wobei in dem Wort Er-fahrung schon zum Ausdruck kommt, daß es sich hier ursprünglich um das Ergebnis einer Fortbewegung handelt). Alle Aussagen, die wir über den Wahrnehmungsraum madien, implizieren Bewegung oder Beweglichkeit als prinzipielle Möglichkeit der Bewegung eines Leibes. Denn gelebter Raum und in eins damit der Wahrnehmungsraum als eine besondere Ausprägung gelebten Raumes ist Raum für ein Leibsubjekt, und das heißt immer, für einen beweglichen Leib. Ein Wesen, das keiner Bewegung fähig ist, kann auch nicht wahrnehmen. (Eine empirische Bestätigung dieser Aussage ließ sich u . a . durch Versuche erbringen, in denen mit Hilfe einer relativen Fixierung des Auges eine echte Wahrnehmung unmöglich wurde.) Bewegung heißt hier immer relative Bewegung

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des Betrachters zum Objekt, des Objekts zum Betrachter. Eine soldie Bewegung mag minimal wie die der sakkadischen Augenbewegung sein oder auch Bewegungen des Kopfes und des ganzen Körpers einschließen. Die Einheit von Wahrnehmung und Bewegung zu einem anthropologischen Prinzip erhoben zu haben, war das Verdienst V. v. Weizsäckers, der die „Kohärenz" zwischen Wahrnehmung und Bewegung — als zerreißbare bzw. störbare Einheit, die das Subjekt mit seiner Umwelt in einer bestimmten Ordnung bildet —, oder den „biologischen Akt" von Wahrnehmung und Bewegung zum Ausgangspunkt seiner Theorie des „Gestaltkreises" macht ([1947] 1950). Daß geordnete Bewegung immer audi der Mitwirkung der Sinne bedarf, andererseits die Sinneswahrnehmung von Bewegung abhängig ist, ist als Prinzip der Sensumotorik bekannt und vielfach bestätigt worden. Von Weizsäcker geht, in Weiterführung des v. Uexküllschen Ansatzes, darüber hinaus, indem er von einem „biologischen" Prinzip spricht, welches ihn zwingt, das „Subjekt" in die Biologie, bzw. die naturwissenschaftliche Medizin einzuführen. Was heißt „Kohärenz", was wird unter dem „Akt von Sehen und Bewegen" verstanden? „Wir betrachten einen Menschen, der einen Schmetterling beobachtet, welcher in seinem Gesichtsfeld erscheint. Man darf annehmen, daß zunächst sein Bild über ein Stückchen Netzhaut gleitet. Es folgt eine Blickbewegung in der Flugrichtung des Tieres, der bei dessen eigentümlicher Flugweise bald Kopfbewegungen, Rumpfbewegungen und Gangbewegungen folgen. Der Erfolg dieses vielseitigen Einsatzes der Muskulatur ist immer derselbe: sie ermöglichen eine möglichst kontinuierliche Abbildung des Tieres auf der zentralen Netzhautpartie. Auf diese Weise bleibt trotz mannigfacher Störung der Beobachter mit dem Tiere optisch vereint. Auch hier also läßt die Bewegung den Gegenstand erscheinen, insofern durch die Erhaltung der Kohärenz sowohl er selbst wie auch seine Bewegungen erscheinen. Die Kohärenz bleibt also nur unter der Bedingung jener Bewegungsfolgen erhalten, und wir nehmen uns davon ein Recht, das ganze Geschehen — Sehen + Bewegen — einen Akt zu nennen" (a.a.O., 9). An weiteren Beispielen, etwa dem sogenannten Eisenbahnnystagmus oder dem Verfolgen der Zeilen beim Lesen eines Buches wird veranschaulicht, wie die Kohärenz ständig zerrissen und wieder neu gestiftet wird. Dabei zeigt sich dann, „daß im optischen Verhalten es immer einen Teil der Sehwelt gibt, dessen Kohärenz erhalten, einen anderen, dessen Kohärenz geopfert wird; und in eben dieser Aufteilung besteht nun eigentlich der Akt des Sehens jederzeit" (ebda.). Die Motorik ermöglicht und bestimmt das Erscheinen der Gegenstände in meinem Wahrnehmungsraum. Die „Leistung" eines Wahrnehmungsaktes, etwa das Verfolgen eines Schmetterlings, „zeigt eine Verschränkung des motorischen Geschehens mit dem durch sie ermöglichten Erscheinen von Gegenständen" (10). Sie wird erreicht durch kohärente und geopferte

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Gegenstände, wobei das „Opfer" in Form einer „nicht ernst genommenen Bewegung" erscheint. Hier wird nun deutlich, was es mit der sogenannten „Relativität" der Bewegung auf sich hat. Was ernst genommen wird, richtet sich nach dem Gegenstand des Leistungsaktes. „Solange midi der Schmetterling interessiert, vernachlässige, opfere ich die anderen Bewegungen, die durch meine eigenen Bewegungen entstehen. Solange ich in der fahrenden Eisenbahn der Fernlandschaft zugewandt bin, opfere ich die vorbeirasenden Telegraphenstangen. Bin ich aber der Bewegung des Zuges zugewandt, so konstituiere ich deren Einschätzung aus eben diesem Vorbeirasen. Täusche ich mich beim Anfahren eines auf dem Nachbargeleise stehenden Zuges und nehme ein Anfahren des eigenen wahr (wie oft geschieht), so opfere ich die wahrgenommene Bewegung, obwohl sie diesmal objektiv geschah" (ebda.). Nicht die relativen Bewegungen der Körper zueinander, nicht der absolut bzw. objektiv als ruhend bestimmte Körper ist für meine Wahrnehmung entscheidend, sondern meine Geriditetheit auf diesen Körper als Gegenstand meiner Wahrnehmung, meine Einordnung in bezug auf einen Gegenstand. „Das Eisenbahnabteil kann jetzt mein Leistungsraum sein, der auch in bezug auf meine Bewegung als ruhende Umwelt wahrgenommen wird. Blicke ich aus dem Fenster, so ist es die Erdscheibe, in die ich mich einordne" (ebda.). Ähnlich spricht hier Merleau-Ponty, wenn auch in anderem Zusammenhang, von „Verankerung" als Voraussetzung jeder Bewegung und Wahrnehmung von Bewegung: „Ruhe und Bewegung erscheinen zwischen einem Gegenstand, der von sich aus nicht Ruhe und Bewegung bestimmt ist, und meinem Leib — der es ebensowenig als Gegenstand ist —, insofern er sich in bestimmten Gegenständen verankert" (1966, 325). Diese Möglichkeit wechselnder Verankerung, des Opferns von einem Bezugssystem zugunsten eines anderen, wird auch bei v. Weizsäcker als wesentliches Kriterium der Kohärenz von Wahrnehmung und Bewegung mehrfach expliziert und exemplifiziert, so am Beispiel des (experimentell erzeugten) Drehschwindels, der Störung und Erhaltung des Körpergleichgewichts. Jeder kennt den Zustand, wenn es, versetzt man sich stehend durch eigene Bewegung in schnelle Drehungen, bei einer bestimmten Geschwindigkeit der eigenen Drehung zu einer Gegenbewegung der Umwelt kommt. Wenn man nun diese Eigendrehung ersetzt durch eine künstliche Drehung der Umwelt, wie man sie mit Hilfe eines den Körper umgebenden, innen beleuchteten, drehbaren Pappzylinders erreichen kann, lassen sich interessante Phänomene beobachten: „Bei allmählicher Beschleunigung seiner Umdrehung erfahren wir, daß schließlich auch hier die Wahrnehmung der objektiven Bewegungen unterbrochen und durch Wahrnehmungen ersetzt werden kann, die wir nicht ernst nehmen. Hält sich die ruhig stehende Versuchsperson einen ruhenden Gegenstand vor Augen und fixiert diesen (statt auf den Pappzylinder zu blicken), so erscheint ihr bei einer bestimm-

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ten Geschwindigkeit des Zylinders dieser plötzlich in Ruhe, der eigene Körper aber im Gegensinne gedreht. Audi diese Bewegung wird als unwirklich erlebt, sie wird nicht ernst genommen, und die Versuchsperson macht auch keine Bewegung, wie wir sie zu machen pflegen, wenn wir auf der Drehscheibe wirklich gedreht werden. Wohl aber erscheinen solche Bewegungen, wenn die Täuschung nicht eintritt, solange also der Zylinder in rascher Drehung wahrgenommen wird. Dann können die Sensationen, die man als Schwindelgefühl bezeichnet, auftreten und der Körper in eine Bewegungsunruhe geraten, die bis zur Bedrohung des Körpergleichgewichts und Gefahr des Stürzens geht" (v. Weizsäcker 1950, 8). Welche Art von Bewegung erlebt wird, ist jedoch nicht festgelegt. Bei objektiver Zylinderdrehung kann dieser oder aber der Körper als gedreht wahrgenommen werden. Es kann jedoch auch eine „Teilung zwischen Körper und Umwelt" eintreten: Umwelt und Körper erscheinen in je halber Geschwindigkeit gegeneinander bewegt. Es gibt also bei gleicher objektiver Reizsituation mehrere Wahrnehmungsmöglichkeiten, es besteht eine „Freiheit der Wahrnehmung" (162). Physikalische und erlebte Bewegung stehen zueinander nicht in einer parallelen Entsprechung, sondern nur in einer relativen. Diese relative Entsprechung zeigt sich in der wechselseitigen Vertretbarkeit von Wahrnehmung und Bewegung. Dieses wird als eines der wichtigsten Kriterien des biologischen Aktes angesehen: Meine (Selbst-)bewegung kann durch meine Wahrnehmung ersetzt werden und umgekehrt. Wahrnehmung und Bewegung sind „äquivalent", wenn es um die Erfüllung einer bestimmten Leistung geht. Eine solche Äquivalenz ist nur möglich unter der Voraussetzung dieser eigentümlichen Verschränkung von Wahrnehmung und Bewegung, die mit dem Begriff der „Kohärenz" gefaßt wurde. Das Postulat der Verschänkung von Wahrnehmung und Bewegung bedarf nun noch weiterer Explikation, um das v. Weizsäckersche Denkmodell einsehbar zu machen. Verschränkung wird charakterisiert als „gegenseitige Verborgenheit" von Wahrnehmen und Bewegen, indem Verschränkung, wie v.Weizsäcker ausführt, „in sidi die notwendige Bedingung [enthält], daß die Tätigkeit, wodurch mir etwas erscheint, selbst nicht erscheint, und daß, indem mir etwas erscheint, ich auch tätig bin . . . Die Wahrnehmung enthält nicht die Selbstbewegung als Faktor, der sie bedingt: sie ist Selbstbewegung" (21). Oder anders ausgedrückt: Im Wahrnehmen kann idi die es ermöglichende Bewegung nidit wahrnehmen sowie ich im Bewegen die es bedingende Wahrnehmung nicht vollziehen kann. „Insofern ist Bewegen ein Esnicht-Wahrnehmen und das Wahrnehmen ein Es-nidit-Bewegen" (201). Dieses Verhältnis des gegenseitigen Ausschlusses bezeichnet v. Weizsäcker als „Prinzip der Drehtür", ein Bild, das er — m. E. nicht sehr überzeugend — deshalb wählt, weil es so ist, „daß wenn ich durch eine Drehtür gehe, ich das Innere des Hauses nur sehe, wenn idi herein gehe, und daß nur, wenn ich herausgehe, es nicht mehr sehe" (21).

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Dieses Verhältnis gegenseitiger Verborgenheit von Wahrnehmen und Bewegen wird zum „biologischen" Grundverhältnis erklärt, das zur Voraussetzung hat, daß Physisches und Psychisches nicht als unabhängig voneinander, sondern als Einheit gesehen werden. Aus dieser Perspektive erscheinen Wahrnehmung und Bewegung als Leistungen eines Subjekts·. Wahrnehmung und Bewegung ist — verdeutlicht vor allem am Beispiel des Drehschwindels — nicht Reaktion eines Organismus auf Reize in einer objektiven Gegenstandswelt, sondern „Begegnung zwischen Ich und Umwelt". Begegnung heißt hier: Zugeordnetsein von Ich und Umwelt in dem Sinne, wie es v. Uexküll in seinem Modell des Funktionskreises entwickelt hat und bei v. Weizsäcker als „Gestaltkreis" weitergeführt wird: Zugeordnetsein als ein Aufeinander-bezogensein von Subjekt und Objekt, wie es sich manifestiert in der Kohärenz von Wahrnehmung und Bewegung, ihrer gegenseitigen Austauschbarkeit oder auch Komplementarität als Ergebnis eines biologischen Aktes. Wie immer man den phänomenologischen Gehalt dieser Theorie des Gestaltkreises einschätzen mag, die Betonung der Verschränkung von Wahrnehmung und Bewegung läßt einmal mehr deutlich werden, wie unsere anschauliche Umwelterfahrung an ein Leibsubjekt und dessen Möglichkeit der Verankerung in der Welt gebunden ist, ein Gedanke, der, wie bei der zu Beginn dieser Arbeit geführten Diskussion und der Lebenswelt des gelebten Raumes herausgearbeitet wurde, für die phänomenologische Analyse des In-der-Welt-seins von großer Bedeutung ist.

§ 20 Modalitäten des Wahrnehmungsraumes Wenn von Wahrnehmungsraum oder von räumlicher Wahrnehmung die Rede ist, handelt es sich zumeist um den visuellen Raum, um die visuelle Wahrnehmung räumlicher Gegebenheit. In der vorliegenden Analyse, die eine phänomenologische räumlichen Verhaltens ist, wurde auf den rein akzentuierenden Charakter der Rede vom Wahrnehmungsraum gegenüber der vom Handlungsraum, der Rede vom gestimmten gegenüber dem orientierten Raum großer Wert gelegt. Kommen wir aber mit dem methodischen Begriff der Akzentuierung, der rein analytischen Abhebung aus, wenn wir uns den Phänomenen der Modalitäten des Wahrnehmungsraumes zuwenden? Denn immer wieder ist in der Literatur die Rede auch vom haptischen oder Tastraum, vom auditiven oder Hörraum. Im welchem Sinne ist es phänomenologisch gerechtfertigt, vom Hörraum, vom Tastraum überhaupt zu sprechen? Nehmen wir das durch entsprechende Forschungen und Theorienbildungen besser belegte Problem des sogenannten Tastraums. Wenn wir vom haptischen Raum auch nur akzentuierend sprechen wollen, stellt sich als

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erstes die Frage, mit welchem Raumbegriff wir an die Analyse herangehen wollen. Sidier kann nur vom phänomenalen Raum die Rede sein, nidit vom physikalischen oder geometrischen. Aber wird nicht, ehe wir uns versehen der dominant visuell repräsentierte Raum unserer alltäglichen (wie wissenschaftlichen Erfahrung zum stillschweigenden Bezugssystem unseres Fragens und Entdeckens? Werden nidit Merkmale dieses Raumes, wie seine Höhe, Breite und Tiefe, Offenheit und Verdecktheit, Nähe und Ferne, Richtungen, Gegenden und örter, seine Durchsetztheit mit Dingen „heuristisch" auf den gleichen Raum angewendet, der jetzt allerdings nur noch mit Hilfe des Getasts erfahren werden soll? Fragen wir so, stellt sich bald heraus: Es gibt keinen haptisdien Raum i. e. S. (vgl. Ströker 1965). Oder aber wir halten uns streng an die haptische Erfahrung und suchen aus ihr Abschluß über ihre Form und Qualitäten zu gewinnen. Aber, wenn wir nidit selber Blindgeborene sind (die übrigens noch hören), erhalten wir von anderen Informationen über eine getastete Welt, die uns in einer Sprache vermittelt wird, die wir Sehenden wiederum, wie von ungefähr, mit unserem Verständnis auffassen, d. h. durchsetzt mit unseren Erfahrungen der Dinge und ihrer Qualitäten. Selbst ein Gedankenexperiment oder eine ideierende Abstraktion von unserer Erfahrung schützt uns nicht vor derartigen Konfundierungen. Außerdem: So wichtig das in Psychologie und Philosophie übliche Experimentieren bzw. Argumentieren mit pathologischen Varianten unserer Erfahrung für bestimmte Zwecke sein mag, wir greifen in der Regel bei der Analyse der visuellen Raumwahrnehmung doch auch nidit auf den taubstummen Stereoagnostiker zurück, wie wir umgekehrt immer wieder versucht sind, die haptische und auditive Erfahrung auf Beobachtungen an Blinden zu stützen. Eine an der Rolle der Sinnesmodalitäten interessierte Phänomenologie des Wahrnehmungsraumes ist mit der ersten phänomenologischen Analyse dieser Art konfrontiert, mit Wilhelm Sdiapps „Beiträgen zur phänomenologischen Wahrnehmung" von 1910 (s. 1925). In ihr wird aufgewiesen, wie Farben, Töne, aber audi „Data des Tast- und Drucksinnes" je auf ihre Weise Raum bzw. die räumliche Dingwelt in ihren entsprechenden Eigenschaften darstellen. Das heißt aber: „der eine Raum stellt sich im Hören, Sehen, Tasten dar" (a.a.O., 39). Damit wird die Rede vom Sehraum, Hörraum und Tastraum sinnlos (41). Das Fließen des dahinschnellenden Baches sehen wir, wie wir es hören und es um unsere Hand spüren, die wir in das fließende Wasser halten. Immerhin, wenn auch die durch Farben, Töne und Drude oder Berührung dargestellte Welt eine einzige Welt ist, die „Welten" der darstellenden Farben, Töne und Tastdaten sind untereinander verschieden, haben ihre eigenen Ordnungen (a.a.O., 29 ff.). Gerade auf dem Gebiet des Tastsinnes kann ein methodisches Prinzip verdeutlicht werden, daß selbstverständlich für die Analyse aller Sinne gilt. Wir können nämlich zu den haptisdien Qualitäten zwei sehr verschiedene

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Einstellungen beziehen; „die Einstellung des werktätigen Menschen und die des theoretischen, dem es um Erkenntnis zu tun ist. Es ist etwas anderes, ob idi taste oder ob idi die Hand a u f l e g e . . . Es ist etwas anderes, ob ich die Bürde eines Gewichtes schleppe oder ob ich das Gewicht wiege, prüfe . . . Es ist ein Unterschied, ob ich ein Stück Brot schneide oder im Schneiden die Härte, Weichheit des Brotes e r f a h r e . . ( a . a . O . , 30). Für die tätige Praxis, den alltäglidien Umgang wird die haptische oder auditive Qualität höchstens, wenn sie eigens zu bestimmten Zwecken als Eigenschaft geprüft wird, thematisch im Sinne der Heideggersdien „Vorhandenheit''; im übrigen bleiben diese Qualitäten, eingebunden in Eigenschaften und Nützlichkeiten der Dinge, modaliter ungetrennt: die Flexibilität des Metallstabs stellt sich Gesicht, Gehör und Getast zugleich dar (a.a.O., 34 ff.). Wenn wir also, statt nach dem Tastraum, nach der haptisdien Modalität der Ding- und Raumerfahrung fragen, werden wir in kaum einem Falle auf „reine Haptik" reflektieren können, sondern nur auf ausgezeichnete taktile Erfahrungen und die durch sie vermittelten Eigenschaften unserer Welt. Hierbei zeigt sidi als erstes, daß die haptische Grunderfahrung der Widerständigkeit in ihrer Leibunmittelbarkeit keine unmittelbare Entsprechung in anderen Modalitäten aufweist®. Der Begriff des „Nahsinns" findet hier seine strengste Anwendung. Ein weiteres Differentialkriterium wurde von Katz als die Bipolarität der Tastphänomene bezeichnet. „Bei ihnen verbindet sich scheinbar unausweichlich eine subjektive auf den Leib bezogene Komponente mit einer anderen, welche auf Eigenschaften von Objekten g e h t . . . " (1969, 19). Welche „Komponente" überwiegt, hängt einmal von der Körperpartie ab; Stellen, die normalerweise weniger dem Tasten dienen, wirken eher „subjektiv" berührt, andere, die mehr als Taste n d Greif-)organe dienen, eher objektbezogen berührend. Letzteres wird vor allem durch aktives Ertasten bewirkt. Schon E. H . Weber (1905) hatte in seiner erstmals 1846 veröffentlichten Untersuchung über „Tastsinn und Gemeingefühl" auf das Phänomen aufmerksam gemacht, „daß bei Betastung eines Körperteils durch einen anderen der bewegte den ruhenden als Objekt fühlt" (Katz 1969,20). Die objektivierende Funktion taktiler Intentionalität ist daher nicht unbedingt auf Objekte der Außenwelt gerichtet; sie ist es wahrscheinlich nicht einmal primär. Das erste Tast- und Greifobjekt des Neugeborenen ist der eigene Leib. G. H . Mead glaubt in seiner „Philosophy of the Present" (1969), daß sich unsere Dingerfahrung aus der Erfahrung der Widerständigkeit des eigenen Leibes herleitet und damit unsere Erfahrung von Innen und Außen: 3

Eine thermische Entsprechung ist allerdings in einer „Hitzeschranke" zu spüren, die, quasi die Haut versengend, uns zum Rückzug zwingt. Hier wirken jedoch oft thermische und taktile Empfindungen, etwa durch Sengen der Körperhaare zusammen. — Über den Anteil der Temperaturempfindung an der Tastleistung vgl. Katz (1969, 163 ff.).

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„If we use pressures of surfaces of our own bodies against each other in the experience of bodies acting upon us, this only takes place in so far as the body and other objects have been organized in a common field of physical things. Without doubt surfaces in contact and organic experiences bounded by these surfaces are, in the experience of the infant, the experiences out of which the outsides and insides of things arrive" (119). Den Ursprung dieser Unterscheidung sieht Mead vor allem in dem Widerstand, den die einzelnen Körperpartien einander leisten. Vornehmlich die Hand drückt auf verschiedene Körperteile, die diesem Druck Widerstand leisten. Üben wir nun mit der Hand Druck auf eine Tischplatte aus, dann machen wir die gleiche Erfahrung; nur fehlt die Reaktion auf den Widerstand, den die andere Hand leisten würde (134; vgl. Graumann 1974 b). Ähnlich sieht auch Ströker in der Tatsache, daß der Leib sowohl Subjekt als auch Objekt des Tastens ist, die Grundlage für die Unterscheidung von Außen und Innen. Allerdings müsse dieser Artikulation ein Identitätserlebnis vorausgehen, „in dem der Leib als tastender identisch sich weiß mit sich als Betastetem" (1965, 162). Wie Mead argumentiert auch Ströker: „So gibt es keinen Leibkörper ohne körperliche Dinge, keine Größe und Gestalt des eigenen Leibes ohne die Möglichkeit ihrer Ausweisung an einer ausgedehnten Dingwelt und umgekehrt" (ebda.). Leib wie Dinge nehmen damit aber auch einen Ort im Raum ein. „Ein nicht tastender Leib hätte keine Außenwelt" (a.a.O., 163). In der haptischen Erfahrung vollzieht sich demnach die für den Wahrnehmungsraum konstitutive Urdifferenziemng von Innen und Außen, von „Ichleib" und „Umwelt". Sie wird in der Bewegung des aktiven Ertastens weitergeführt und verstärkt. Jedoch nur in der visuellen Repräsentation erscheint die Welt als eigentliches Gegenüber. Auf die verschiedenen Qualitäten der taktilen Erfahrung von Flächen und Flächenstrukturen sei hier nicht eingegangen. Zwei andere Erfahrungsweisen dürften jedoch für die Raumwahrnehmung wichtig sein: das Ertasten von Kanten und Ecken, das zumindest der aktiv tastenden Hand mit der Körperlichkeit der getasteten Dinge eine gewisse Tiefe vermittelt. Ebenso müssen die Tasterfahrungen Tiefe vermitteln, die in durchlässigen Medien gewonnen werden, in Wasser, Sand, Teig oder auch Wind. Katz spricht bei diesem Tastphänomen zwar von einem „raumfüllenden Tastquale" (1969, 27), vermeidet es aber, da „eine feste Orientierung im Räume" fehlt, von einer „raumhaften Tastung" zu sprechen (ebda.), die er dagegen für das „Durchtasten" trennender Schichten ansetzt, wie es beim Palpitieren des Internisten vorliegt (151). Hier, wie auch beim Tasten mit Körper verlängernden Hilfsmitteln (Stöcken, Stangen), bei denen Vibrationsempfindungen neben Druckempfindungen eine Rolle spielen, „entfernt" sich zwar der Bereich, in dem objektivierende Erfahrungen gemacht werden können, von der Körperperipherie, bleibt aber unlöslich mechanisch an sie gebunden. Das,

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was in der visuellen Wahrnehmung als Artikulation der Tiefe in Nähe und Ferne bezeichnet werden konnte, bleibt dem Getast verschlossen. Ein paar abschließende Gedanken zur auditiven Repräsentation des Raumes, über die erstaunlich, wenig Deskription vorliegt 4 . Die wenigen phänomenologischen Ausnahmen führt wieder Schapp an, der die Eigenart des „Tonraumes" (im Sinne der oben gemachten Einschränkung) in wenigen und knappen Beispielen skizziert: „Wenn wir in Gedanken über Feld gehen und plötzlich den Hammer des Schmiedes hören, leuchtet uns ein Raumstück auf, von uns bis dahin, wo wir den Klang herzuhören vermeinen. Jeder neue Schlag zaubert wieder diesen Raum hervor. Tritt eine Pause ein in den Schlagen, so hört die Erscheinung auf, der Raum verschwindet. Dieser eigenartige mit dem Ton in Verbindung stehende Raum umgibt uns fast stets. Die Mücke, die uns vor dem Einschlafen umsummt und in blitzschnellen Wendungen bald hierhin, bald dorthin fährt, umgibt uns mit diesem Tonraum und zeichnet Figuren in i h m . . . Wo die Wand uns den Blick versperrt, erschafft die mit dem Geschirr hantierende Magd neue Räume für uns. Ziehen wir im Finstern über die Landstraße, so umgeben uns die Kirchenglocken, die von allen Seiten zu uns herübertönen, mit einem gewaltigen Raum, von dem unser Blick nichts sieht" (1969, 24). Was Schapp hier quasi erzählt, ist unserer auditiven Erfahrung wohl vertraut. Auch ohne, daß uns über andere Sinnesmodalitäten irgendwelche Informationen erreichen, sind wir recht gut in der Lage, sowohl die Richtung wie — in Grenzen — die Entfernung von Dingen und Personen einzuschätzen, sofern und solange diese „Schallquellen" sind, also Töne oder Geräusche abgeben. Töne „kommen" in der Regel aus einer Richtung, oder aber — um ein weiteres Beispiel anzufügen — sie „füllen" einen Raum. Mit der Erfahrung des als räumlich erlebten Kommens und Gehens von Geräuschen hören wir also auch Bewegung, wie bei sich nähernden und wieder entfernenden Schritten, Fahrzeugen, Flugzeugen. Bedingung für diese raum-orientierten und -orientierenden Schalleindrücke ist deren relative Identität und Kontinuität. Selbst die mit dem Namen Doppler-Efiekt bezeichnete Veränderung der Tonhöhe sich rasch vorbei bewegender Schallquellen beeinträchtigt — bei entsprechender Lautstärkeänderung — den auditiven Bewegungseindruck kaum: „Höher" und „lauter" wird unmittelbar als näher, „tiefer" und „leiser" als weiter entfernt gehört. Der Dominanz des Gesichtssinns in der Helligkeit, wie auch oft dem Lärm, des Tages mag es zuzuschreiben sein, daß wir uns der auditiven Strukturierung des Raumes weniger bewußt sind. In der Dunkelheit der Nacht und bei relativer Stille sind es jedoch vor allem Geräusche, an denen wir uns, besonders in unbekannter Umgebung, orientieren, auf die zu, von * Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Begründung der Phänomenologie im φαίνεσθαι zu einem „Optozentrismus" ihrer Analysen geführt hat, ähnlich wie in der Gestaltpsychologie (vgl. dagegen Doelle 1974).

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Der orientierte Raum

denen weg wir uns halten. Sie können haltgebender Grund sein: der Müller wird wach, wenn die Mühle stillsteht. Stille wie bestimmte Geräusche können uns motivieren, unser Verhalten zu ändern, Wege zu meiden, Orte aufzusudien. Ob mit den nachts sich nähernden Schritten anschauliche Vorstellungen verbunden sind, oder ob das anonyme Sichnähern als soldies beunruhigt oder gespannt macht, ob der plötzliche nahe Schuß erregt oder die damit verbundene Vorstellung einer Gefahr, mag von Fall zu Fall anders entsdiieden werden. Sicher vermitteln uns Töne und Geräusche nicht primär Gegenstände, sondern „Bedeutsamkeiten" (Binswanger 1953, 290). Diese Bedeutsamkeiten, die wir audi primär den Richtungen, Gegenden und ö r t e r n unserer Umwelt attribuieren, werden im Alltag durch alle Sinne repräsentiert. Am Beispiel der Straße hat dies Graumann exemplifiziert (1960, 128 f.): „Ich pflege die Straße nicht nur zu sehen, wie sie sich vom Hause weg nadi beiden Seiten in die Landschaft erstreckt, um sich hinter Häusern oder in der Ferne zu verlieren, ich habe sie audi im Dunkeln erkennen gelernt am Geräusch des über sie hinwegrollenden Verkehrs und am Summen der sie begleitenden Telegraphendrähte; im Dunkeln vom Feldweg kommend spüre ich sie mit meinen Füßen an dem plötzlich glatten und harten Untergrund ihrer Asphaltdecke; ich habe sie an heißen Sommertagen meiden gelernt, um nicht ihren Staub schmecken und Benzinwolken riechen zu müssen. Und die Integration dieser Sinnesmodalitäten in der Erfahrung, wie schon das Zusammenwirken der Sinne in der Einheit eines wahrnehmenden Verhaltens, macht die Intermodalität des Verhaltens a u s . . . " , auf das gegenwärtige Thema gewendet, zugleich die Intersensualität des Wahrnehmungsraumes.

TEIL V: BESONDERE AUSPRÄGUNGEN GELEBTEN RAUMES Bisher wurde die Struktur des gelebten Raumes untersucht, indem idi versuchte, anhand der analytischen Differenzierungen in einen gestimmten, einen Handlungs- und einen Wahrnehmungsraum wesentliche Charakteristika gelebten Raumes stärker herauszuheben. Im folgenden werden nun noch einige Modifikationen gelebten Raumes dargestellt, in denen diese Trennung in Stimmungs-, Handlungs- und Wahrnehmungsmomente wieder aufgehoben wird und weitere Momente in den Blick kommen, die bisher kaum beachtet wurden, gleichwohl aber, wie z. B. das Miteinandersein, räumliches Dasein entscheidend mitbestimmen. Unsere Beispiele gelebten Raumes, Tag- und Nachtraum, die Räume des Einsdilafens und Aufwachens, der Raum des Melancholischen und des liebenden Miteinander — sind nur eine kleine, recht beliebige Auswahl der Räume menschlichen Daseins, deren Analyse bereits geleistet wurde oder zu leisten von großer Wichtigkeit wäre. Dazu gehören z. B. der Raum des Schizophrenen und des Ideenflüchtigen, der Raum der Ermüdung, des Traumes, der epileptischen Aura, die vielfältigen Räume der Rauschgiftpsychosen, der experimentellen Raus die und der Narkose (die ja gerade in jüngster Zeit neue Bedeutung gewonnen haben); dazu kämen die Räume abnormer Glückserlebnisse, aber auch Räume der Verzweiflung und Trauer, des Hasses und des Kampfes und nicht zuletzt Analysen des räumlichen Daseins in Kindheit, Pubertät, im Jugend-, Erwachsenen- und Greisenalter.

§ 21 Tag- und Nachtraum und verdämmernde Räume Wenn ich in den vorangegangenen Abschnitten den gelebten Raum in seinen verschiedenen Aspekten analysiert habe, so war, wenn auch unausgesprochen, meist vom Tagraum die Rede, der durch größte Überschaubarkeit und Klarheit, durch volle Sichtbarkeit der Dinge, durch Horizont und Perspektive ausgezeichnet war. Doch sind dies nicht Eigenschaften des Raumes schlechthin, sondern primär solche des Tagraums und damit dem kognitiv gerichteten, zweckhaft handelnden Subjekt zugänglich. Tagraum Dem Tagraum als Raum unseres täglichen Verhaltens kommt hervorragende Bedeutung zu; auf ihn sind unsere traditionellen Raumauffassun9 Kruse, Umwelt

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Besondere Ausprägungen gelebten Raumes

gen und- Vorstellungen bezogen. Im Tagraum liegen alle Dinge übersichtlich. vor mir, die Gegenstände enthüllen sich in der Gesamtheit ihrer Eigenschaften, in Form und Kontur, Größe und Farbe usw. Aber nicht nur die Dinge, auch die Abstände zwischen ihnen, den „freien Raum", kann ich wahrnehmen. „Ich öffne die Augen. Der helle Raum dehnt sich ganz weit vor mir aus. Idi sehe in diesem Raum Farben und Unterschiede der Lichtstärke selbstverständlich, aber ich sehe auch Objekte mit präzisen Konturen und ich sehe auch die Distanz, die sie voneinander trennt oder das „Nebeneinander", das sie in engere Verbindung setzt, vom räumlichen Standpunkt aus. Ich sehe die Dinge, aber idi sehe zusätzlich den leeren Raum, den freien Raum, der sich zwischen ihnen befindet, und zwar sehe ich diesen Raum ebenso gut wie die Objekte, die sich darin befinden" (Minkowski 1972, 261). Der Tagraum ist in erster Linie ein Sehraum, in dem vor allem der akustische und haptisdie Sinn zugunsten des optischen zurückgedrängt werden, wohingegen sie im Nachtraum die Führung übernehmen. Der Primat des Sehens hat Straus (vgl. 1930) veranlaßt, den optischen Raum mit dem Handlungsraum gleichzusetzen in Abhebung zum präsentischen Raum, der überwiegend als akustischer Raum „in Erscheinung tritt" (vgl. § 12). Neben dem Merkmal der Übersichtlichkeit des hellen Raumes, in dem alles „klar, präzis, natürlich, unproblematisch" ist (a.a.O., 261), hat der Tagraum wesentlich den Charakter eines Allgemeinbesitzes („domaine public"). Es ist der Raum, den idi immer schon mit anderen teile, die dort handeln und leben wie ich: „ . . . ich teile ihn mit allem, was sich darin befindet, er gehört mir nicht mehr als all dem, was er außer mir enthält; idi nehme darin nur einen ganz kleinen Platz ein. Es ist audi in diesem Raum, daß ich sehe wie andere Menschen gleich mir schauen, sich bewegen, handeln und leben. Der helle Raum ist von vornherein ein sozialer Raum im weitesten Sinne des Wortes" (a.a.O., 262). Nachtraum Der Naditraum läßt sich gegenüber dem Tagraum auf zweierlei Weise beschrieben: einmal als defizienter Modus, der durch das Fehlen der Eigenschaften des Tagraums gekennzeichnet ist, zum anderen durch die positive Bestimmung seines Eigencharakters, der nur ihm zukommenden Merkmale. Im ersten Fall wird der Nachtraum durch die Dunkelheit als Fehlen des Lichts bestimmt, welche die Gegenstände in ihrer vollen Materialität zurücktreten oder sogar ganz verschwinden läßt. An die Stelle des übersichtlichen, problemlosen Tagraums, der primär Seh- und Handlungsraum war, tritt nun der Naditraum, den idi in erster Linie hörend und tastend erfasse. Als Handlungsraum schrumpft er auf eine kleine Nahzone zusammen, die ich nicht mehr „übersehen", sondern nur nodi vorsichtig tastend erfassen kann.

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Der Spielraum der freien Bewegung ist merklich eingeschränkt: Wohl ist mir das Zueinander der Dinge in meiner Wohnung so gut bekannt, daß ich in „blindem Vertrauen" darauf bei Dunkelheit durch die Zimmer gehen kann. Doch erlebe ich die „Widerständigkeit" der Dinge doppelt stark (oder gar schmerzhaft), wenn ich sie wahrnehmend nicht antizipieren kann. Wo mir die Voraussicht auf die Dinge fehlt, kann ich mich nur nodi vorsichtig tastend zwischen ihnen bewegen. In einem unbekannten Raum ist bei Dunkelheit kein zielgerichtetes Handeln mehr möglich. Eine positive Bestimmung des £igendiarakters der Nacht haben Minkowski (1930; 1933, s. 1972) und im Anschluß an ihn Merleau-Ponty (1966) gegeben. Sie postulieren sogar den Vorrang des Nachtraums gegenüber dem des Tages, da in ihm die Dimension der Tiefe („profondeur primordiale"), die als die entscheidende des gelebten Raumes herausgearbeitet wird, am reinsten zum Ausdruck kommt. Darum wird die Nacht als ursprünglichste Räumlichkeit (spatialité originale) ausgezeichnet. Als wesentliches Merkmal dieser Räumlichkeit ohne Dinge, ohne Spielraum, imponiert das Umhüllende, Durchdringende der Nacht. „Sie ist nicht Gegenstand mir gegenüber, sie umhüllt mich, durchdringt alle meine Sinne, sie erstickt meine Erinnerungen, sie löscht beinahe meine persönliche Identität aus. Ich finde mich nicht mehr auf meinen Wahrnehmungsposten zurückgezogen, von dem aus ich auf Abstand die Profile der Gegenstände vorüberziehen sehe. Die Nacht ist ohne Profile, sie selber ist es, die mich anrührt, und ihre Einheit ist die mystische Einheit des Mana" (MerleauPonty 1966, 329 f.). Minkowski (1972) beschreibt den nächtlichen Raum folgendermaßen: „Stellen wir uns jetzt die schwarze Nacht vor, so dunkel, daß man nichts darin sieht, oder aber stellen wir diese absolute Dunkelheit her, indem wir die Augen schließen und indem wir, soweit es möglich ist, von allem abstrahieren, was wir wissen und was wir uns vom hellen Raum vorstellen können. Diese Dunkelheit ist übrigens keineswegs die einfache Abwesenheit von Licht, wie wir wissen; sie hat etwas durchaus Positives an sich. Sie scheint mir viel materieller, viel „stofflicher" zu sein als der helle Raum, der . . . sozusagen verschwindet vor der Stofflichkeit der sich darin befindlichen Dinge. U n d so dehnt sie sich gerade nicht vor mir aus, sondern berührt mich direkt, hüllt mich ein, umgibt mió, dringt sogar in mich ein, durchdringt mich ganz, geht durch mich hindurch, so daß man fest sagen möchte, daß das Ich f ü r die Dunkelheit, aber nicht f ü r das Licht durchlässig ist. Das Ich behauptet sich also nicht gegenüber der Dunkelheit, sondern vermischt sich mit ihr, wird eins mit ihr" (262). Die Dunkelheit ist kein absolutes Nichts, vielmehr voll von Geheimnissen, von unerwarteten Geräuschen und Lichtern, welche die Dunkelheit beleben und mich ganz durchdringen. 9*

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Besondere Ausprägungen gelebten Raumes

Dieses Durchdringende der Nacht, in der der R a u m den Mensdien so eng umschließt, d a ß er geradezu den Charakter eines körperlich fühlbaren Mediums annimmt, vergleicht Minkowski immer wieder mit dem auditiven Raum (vgl. 1972, 239; 264 f.; 1936, 105 ff.), in dem Töne und Klänge den Mensdien durchströmen: » . . . ich werde mich von allen Seiten durch die Musik eingehüllt fühlen, die Töne werden zu mir gelangen, indem sie sozusagen den ganzen Raum, der mich von ihren Ausgangspunkten trennt, erfüllen, sie werden in mich eindringen, bis auf den Grund meines Wesens, sie werden diesen Raum sowie midi selbst sozusagen in eine uniforme klingende Sphäre verwandeln, u n d ich werde vibrieren, ich werde beim K o n t a k t der midi erfüllenden harmonischen Töne vibrieren, genauso wie es die ganze Umwelt um midi herum tun w i r d " (1972, 264). Ähnlich bringt audi Straus (1930 in 1960) den raumfüllenden Charakter von Nacht und Dämmerung mit dem des Klanges in Verbindung: „Der T o n . . . dringt auf uns ein, erfaßt, ergreift, packt uns. Das Akustische verfolgt uns, wir können ihm nicht entrinnen, wir sind ihm ausgeliefert" (155). „Die Dämmerung erfüllt den Raum, wie auch die Nacht, ganz ähnlich wie der Klang, der, den R a u m erfüllend und homogenisierend, das Auseinanderstrebende eint und bindet" (157). Diesem Raum, in dem es keine Abstände, keine Richtungen, keine Vorder- und Hintergründe und keine Oberflächen und Konturen gibt, kommt eine nur ihm eigentümliche Dimension der Tiefe zu, „aber keine Tiefe, die zur Breite oder H ö h e hinzukommen würde sondern als einzige und alleinige Dimension, die sich von vornherein gerade als Tiefe a u f d r ä n g t . . . " (Minkowski 1972, 263). War der Tagraum, der ,espace visuel', die Domäne der Gemeinsamkeit, der Sozialität, so bleibt im Raum der Nacht der Mensdi allein in einem quasi subjektiven Raum, v o n dem ich nicht mehr weiß, ob die anderen ihn mit mir teilen (vgl. die Kennzeichnung der Nacht als „private Welt", die sich häufig bei Straus und Merleau-Ponty findet). In der Dunkelheit fehlt der Blick der Verständigung, das Lächeln der Verbundenheit — eine C h a rakterisierung der Nacht, die meines Erachtens zu einseitig nur das Fehlen der optischen Wahrnehmung in Betracht zieht und die anderen Modalitäten der interpersonalen Wahrnehmung (Getast, G e r u c h . . . ) außer Acht läßt. Diesem so charakterisierten N a d i t r a u m entspricht nach Minkowski die Welt des Schizophrenen. Im Gegensatz zum Gesunden, f ü r den im Nachtraum der Tagraum immer nodi als wieder erreichbarer R a u m der Gemeinsamkeit, der Bewegungsfreiheit mitgegeben ist, da er sich gleichsam noch „am Gerüst des Tages" festhalten kann (Merleau-Ponty 1966, 330), verharrt der Schizophrene in einer privaten Welt, in der es keinen Spielraum, keine Indivi-

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dualität und Freiheit mehr gibt. Der Schizophrene lebt nur noch in der „Landschaft", der „geographische Raum" 1 ist ihm nicht mehr zugänglich. Er ist im Raum verloren, weil er seinen Ort im Raum in seiner Lage zum übergreifenden Ganzen nicht mehr bestimmen kann, ist gefangen in einem Raum mit ständig wechselnden Horizonten, in dem eine Orientierung nicht möglich ist. Merleau-Ponty beschreibt — im Rückgriff auf Minkowskis SchizophrenieAnalysen —, wie mit dem Fehlen der physischen Abstände zwischen der Person und den Dingen auch die „gelebten" Abstände (distance vécue) schrumpfen und so die „Weite des Lebens" (ampleur de la vie) immer mehr eingeschränkt wird: „Neben dem zwischen mir und allen Dingen bestehenden physischen und geometrischen Abstand verbindet ein erlebter Abstand mich den Dingen, die f ü r mich zählen und existieren, und verbindet sie untereinander. Dieser Abstand ist von Augenblick zu Augenblick das Maß der .Weite' meines Lebens. Bald ist zwischen mir und dem Geschehen ein Spielraum, der mir Freiheit gewährt, ohne daß das Geschehen mich zu berühren aufhörte; bald wieder ist der erlebte Abstand zugleidi zu gering und zu groß: die Mehrzahl der Ereignisse hört auf, f ü r midi noch zu zählen, indessen die nächsten mich bedrängen. Sie hüllen midi ein wie die Nacht und entziehen mir meine Freiheit und Individualität. Ich kann buchstäblich nicht mehr atmen" (Merleau-Ponty 1966, 332 f.). Merleau-Ponty arbeitet noch stärker den Charakter des mythischen prälogisdien Raumerlebens heraus, wie es in der N a d i t und insbesondere im Schlaf und im Traum hervortritt, da wir den Ursprüngen des Lebens am nächsten sind und der Raum nicht mehr vom reflexiven Denken der Person getragen ist, sondern vor jedem objektiven, thetischen Denken als „ursprüngliche Räumlichkeit" (spatialité originaire) gegeben ist. Diese ursprüngliche Räumlichkeit, die sehr ähnlich wie Husserls lebensweltliches Sein in der Weise der Urdoxa konzipiert ist, führt Merleau-Ponty weiter aus als „Naturraum", als der Raum, der allen anderen vorrangig ist und auf den alle weiteren Modalitäten des Räumlichen aufgebaut sind (s. v. a. 339 ÍÍ.). Verdämmernde Räume Den schrittweisen Verlust der Klarheit und Übersichtlichkeit des hellen Tagraumes bis zur einhüllenden und einengenden Finsternis des Naditraums verdeutlicht Bollnow (1963) an den „verdämmernden Räumen" des Waldes, des Nebels, des Schneefalls und der Dämmerung. K a n n man beim Wald auch nicht eigentlich von einem verdämmernden Raum sprechen, so subsumiert Bollnow ihn doch unter diese Kategorie, und zwar unter dem 1

Zur Unterscheidung zwischen landschaftlichem und geographischem Raum vgl. Straus (1956, 335 ff.).

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Gesichtspunkt, daß audi hier Sichtbarkeit und Übersichtlichkeit des Raumes und der Dinge behindert sind. Hier ist es nicht ein dazwischentretendes Medium, wie Dunkelheit, Schnee oder Nebel, sondern Bäume, Sträudier, Blattwerk, also die Dinge selbst, versperren den Durchblick in den weiteren Raum. Einem dichten Wald ohne erkennbare Wege kommt wie den übrigen verdämmernden Räumen das Moment des Umhüllenden und Einengenden zu, da er keinen freien Ausblick gewährt, keinen horizonthaften Abschluß hat und die Bewegungsfähigkeit vermindert. Die Dichte der Bäume und Sträucher engt den Spielraum freier Bewegung ein, der Gefangenschaft des Blicks entspricht die Gefangenschaft der Bewegung. „Der Mensch ist an einen engen Raum gebunden, ohne daß dieser eine feste angebbare Grenze hätte. Er kann sich in einem gewissen Maß frei bewegen. Er kann durch den Wald hindurchgehen. Aber sobald er nach der einen Seite hin in ihn eindringt, entgeht er nicht der Gefangenschaft seines Blicks und gewinnt nidit das Freie, sondern der enge übersehbare Bereich wandert mit ihm mit, wie ein Schatten; er wird seine Enge nicht los, sondern bleibt darin eingeschlossen" (Bollnow 1963, 218). Auch im Nebel wird der Raum auf eine kleine Nahzone beschränkt, in der die Dinge unvermutet und unvermittelt auftauchen und wieder verschwinden. Man kann sich nicht mehr gefaßt machen auf das, was einem im nächsten Moment begegnet, zumal wenn dieser Effekt nodi durch eine eigentümliche Stille, vor allem in freier Landschaft, verstärkt wird. Daher wirkt die vernebelte Welt eher unberechenbar und bedrohlich als traulich umhüllend. Dieser Charakter tritt umso deutlicher hervor, je weißer und heller der Nebel ist, die Dinge der Tagwelt gleichsam in Watte verpackt und dadurch form- und wesenlos erscheinen läßt. Beim Schneefall ist es die „weiße Finsternis" — um ein von Bollnow zitiertes Stifterwort anzuführen —, die diesen Raum ungleich ängstigender und gespenstischer wirken lassen kann als die nächtliche Dunkelheit. „Es ist die übergroße Helligkeit, die ,weiße Finsternis', verbunden mit der Unmöglichkeit, irgendetwas Bestimmtes zu erkennen, die den Menschen viel mehr dem bedrängenden Nichts ausliefert, als je die schwarze Finsternis der Nacht es vermöchte. Es ist die völlige Entstofflidiung der Umwelt. Der Mensch hat das Gefühl, ins Nichts abstürzen zu müssen, weil er nichts Festes um sich sieht, an das er sich halten könnte. Er meint zu schweben und ins Nichts zu fallen" (a.a.O., 221 f.). Dichter Sdineefall läßt die Höhenunterschiede im Gelände, die Grenze zwischen Himmel und Erde und schließlich jeglichen Horizont verschwinden, so daß die Orientierung im Raum sehr erschwert und oft nur noch durch die auf die eigene Schwerkraft gründende Richtungsbestimmtheit des Oben und Unten gewährleistet ist.

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Dämmerung Die verdämmernde Welt weist eine große Ähnlichkeit mit der des Nebels auf, treten doch auch beide Erscheinungen häufig zusammen auf. Dabei ist jedoch der Dämmerungsnebel von ganz anderer Art als der vom Sonnenlicht durchflutete Nebel des Tages. Die verblassenden Konturen der Gegenstände, das Verschwimmen des Horizontes, das Raumfüllende der D ä m merung als Nebelschwaden oder Dunst vermindern die Durchsicht und Übersicht des Raumes. Was eben nodi überschaubare Weite war, verengt sich nun immer mehr auf eine kleine Nahzone, wodurch auch Bewegungsund Handlungsmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt werden. Dämmerung und Dunkelheit können je nach der persönlichen Situation, der Tätigkeit des erlebenden Subjekts bedrohlich und angsterregend oder auch traulich bergend wirken. Ein Wanderer, der von der einsetzenden Dunkelheit überrascht nur noch mit Mühe seinen Weg finden kann, für den sich durch Sinnestäuschungen und Illusionen die Welt mit unheimlichen Gebilden füllt, erlebt diese Situation als beängstigend und ist bestrebt, ihr so schnell wie möglich zu entkommen. Ganz anders dagegen derjenige, der erst im Schutze der Dunkelheit seinen zweifelhaften Geschäften nachgehen kann, oder der, für den „der Dämmerung Hülle" die Welt erst „so traulich und so hold" macht, dem das Verschwimmen der Konturen, das Entschwinden der Fernzonen nun die ungestörte Konzentration auf einen Gegenstand, eine Tätigkeit ermöglichen, für die die vielen optischen Sinneseindrücke des Tagraumes nur hinderlich waren. Die Vorherrschaft der visuellen Wahrnehmung wird durch das Hervortreten anderer Sinne, insbesondere des auditiven und haptischen abgelöst. Die „blaue Stunde", diese Stunde der Dämmerung, bevor man endgültig das Licht einschalten muß, lädt ein zum Nachdenken, zum vertrauten Gespräch, zum geruhsamen Anhören von Musik. Die Fülle der Reize der Tagwelt, die zu ständigem Wachsein, andauernder Bewegung und Tätigkeit auffordern, nimmt immer weiter ab, und in gleicher Weise wird auch der Tätigkeitsbereich des Subjekts kleiner, seine Bewegung langsamer; es kann sich intensiver auf weniger Dinge konzentrieren. Der Lichtkegel einer Schreibtischlampe läßt nur einen kleinen Ausschnitt der dämmrigen oder dunklen Welt in großer Klarheit erscheinen, die Umgebung tritt zurück; die Konzentration auf die Arbeit fällt leichter, weil Blick und Gedanken nicht mehr von den vielfältigen Reizen einer hellen, geräuschvollen, wachen Umgebung abgelenkt werden. Sieht Bollnow die „Stofflichkeit" der Dunkelheit eher als etwas bedrohlich auf den Menschen Eindringendes an, ist es bei Merleau-Ponty eben diese Stofflichkeit, die den Menschen ganz und gar durchdringt, ihn schützend aufnimmt in einen vertrauten Raum, ihn gleichsam mit diesem verschmelzen läßt.

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Und so beschreibt audi Straus (1960) die Dämmerung als traulich, „weil hier die Natur selbst die Grenzen, die die Dinge voneinander trennen, den Abstand zwischen uns und ihnen verschleiert. Die Dämmerung erfüllt den Raum, wie audi die Nadit, ganz ähnlich wie der Klang, der den Raum erfüllend und homogenisierend, das Auseinanderstrebende eint und bindet" (157). Die jeweilige intentionale Beziehung der Person zur Welt ist also entscheidend dafür, in welcher Weise sidi diese Welt verändert und wie die veränderte Welt erlebt wird. Nicht Dunkelheit „an sich" ist bedrohlich oder bergend, sondern ist solches nur für ein Subjekt, das sidi bedroht und geborgen fühlt.

§ 22 Das Einschlafen und das Aufwachen Einen weiteren Aspekt des Räumlichen, der die Struktur des gelebten Raumes noch weiter beleuchtet, erbringt die Analyse des Einschlafens. Wir stützen uns hier in erster Linie auf die eingehende phänomenologisdie Untersuchung Linsdiotens (1956), in der er den Prozeß des Einschlafens als eine Änderung der intentionalen Beziehung zwischen Person und Welt entwickelt. Er stellt sich damit jenen physiologischen oder audi psychologischen Untersuchungen (z.B. Trömner 1911; Angyal 1927) entgegen, in denen das Einschlafen als ein Geschehen im Menschen beschrieben wird, und von daher das „Einschlafbewußtsein" und seine „Inhalte" erforscht werden. Linsdioten sudit seinen Ansatzpunkt dagegen nicht beim einschlafenden Menschen oder gar seinem Bewußtsein, sondern geht vom Korrelat dieses Bewußtseins, der Welt, aus: „Meine ,einschlafende Welt' bietet mir den Leitfaden zu einer Analyse der Einschlafakte [gesperrt imOrig.]. Um das Einschlafen zu durchschauen, müssen wir daher die Welt untersuchen" (76). Wie sieht diese Welt aus? Die wesentlichen Momente der einschlafenden Welt sind ihre Stille und Dunkelheit, die zu einem „Gliederungsverlust" der nächtlichen Landschaft führen: „Das Dunkeln und das Stillewerden der abendlichen Landschaft bedeutet ein Versinken der Formen und Geräusche, eine Entdifferenzierung durch innere Angleidiung der die Lanschaft aufbauenden Teile. Es gibt keine Farben mehr, nur noch grau; keine Geräusche, nur noch Stille; keine Figuren und daher keine Hintergründe, nur noch ein homogenes ,Feld', das als regungsloses Leerfeld keine Aktivität mehr anregt, die Aufmerksamkeit nicht länger fesselt, dem Verhalten keinen Halt mehr bietet" (288). Dunkelheit und Stille stehen zum Schlafen nicht in einem Kausalzusammenhang, sondern in einem Wesenszusammenhang, sie verursachen nicht

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das Einschlafen, sondern motivieren es. Die Welt verstummt; das heißt nicht, daß sie für uns ausgelöscht ist, daß es überhaupt keine Reize mehr gibt. Vielmehr haben diese Reize ihren „Wachwert", ihre „Wachbedeutung" verloren, sie riditen keinen Appell mehr an uns, fungieren nicht mehr als „cues". An die Stelle der wachen Geriditetheit ist die Interesselosigkeit der Person der Welt getreten. Die Person will nicht mehr dabei sein, nicht mehr teilnehmen am Geschehen der Welt. Stille heißt nicht unbedingt Fehlen von Geräuschen, Dunkel nicht Fehlen des Lichts. Sie allein bringt nodi keinen Schlaf, was jeder, der trotz tiefster Dunkelheit und Stille schon eine schlaflose Nacht verbracht hat, oder derjenige, der nur beim gleichmäßigen Ticken seines Weckers, oder dem Lichtschein einer Straßenlaterne einschlafen kann, leicht nachzuvollziehen vermag. Nicht das negative Fehlen-von-etwas, sondern die positive Veränderung durch Stille und Dunkel lassen die Welt als Horizont zielgerichteten Verhaltens, reflexiven Erlebens zurücktreten und geben uns die Möglichkeit, uns von den Ansprüchen dieser Welt zurückzuziehen, auf die Welt zu verzichten. Stille und Dunkel müssen in ihrer positiven Beschaffenheit erlebt werden, wenn sie das Einschlafen ermöglichen sollen. In diesem Sinne bezeichnet Linschoten das Einschlafen als „Verstummen eines Gesprächs": „Nichts spricht mehr zu mir — oder nur so, daß ich nicht zu antworten brauche" (287). Hier wird deutlich, daß das Einschlafen kein passives Geschehen ist, das automatisch durch die Wirkung von Dunkel und Stille eintritt, sondern Aktivität von seiten der Person voraussetzt, ihre Bereitschaft und den Entschluß, einzuschlafen. Spreche ich auch davon, daß der Schlaf über mich kommt, daß ich mich in den Schlaf fallen lasse, so werde ich doch nicht geschlafen, sondern ich schlafe und ich wache (vergleiche in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen Merleau-Pontys (1966, 196) und H. Eys (1967, 63) zur Aktivität des Schlafens). Nicht die Welt erstirbt, sondern ich lasse sie ersterben. Allerdings erreicht die reflexive und präreflexive Aktivität niemals den Zustand der völligen Passivität, die „Nullstufe des Bewußtseins", vielmehr bleibe ich ständig bereit, wieder aufzuwachen, das Gespräch mit der Welt aufzunehmen: „Der Schlaf ist eine Linienform, eine Annäherung zur Nullstufe des Bewußtseins, in dem ich anonym nur noch lebe, aber fortwährend bereit bin, als Ich-selbst zu erwachen." (Linschoten, 281). Merleau-Ponty (1966) gebraucht das Bild der angelehnten Tür, durch welche die Dinge jederzeit wieder eintreten, bzw. der Schläfer zur Welt zurückkehren kann. „In diesem Sinne ist der Schläfer nie gänzlich in sich verschlossen, ist er nie gänzlich Schläfer..." (a.a.O., 196), da immer noch ein letztes Band zwischen ihm und der Welt bestehen bleibt, das Merleau-Ponty durch die „anonyme Wachsamkeit der Sinne" geknüpft sieht.

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Diese Aktivität des Verziditens auf die Welt ist verbunden mit dem Verzicht auf alle anderen Arten von Aktivität, vorab der körperlichen Aktivität. Zum Einschlafen legen wir uns hin, verlassen die vertikale Lage, geben unsere aufrechte Haltung und damit unseren ,Standpunkt' auf. Auf die anthropologische Bedeutung der aufrechten Haltung hat vor allem Straus 1949 (in 1960) aufmerksam gemacht: „Im Aufrichten gewinnt der Mensch einen Stand in der Welt, er gewinnt die Möglichkeit, sich der Welt gegenüber selbständig zu verhalten, die Welt und sich selbst zu gestalten" (1960, 226). Mit dem Aufrichten löst sich der Mensch vom Boden, vom tragenden Grund, stellt sich den abwärts ziehenden Kräften entgegen und gewinnt so mit dem Verlust der Geborgenheit gleichzeitig die Freiheit, selbst-ständig zu werden. Diese Freiheit zur Bewegung, zur Distanzierung von den Dingen, zur Einnahme eines Standpunktes, einer Haltung, einer Ein-stellung, die Möglichkeit standes-gemäßen Verhaltens wird aufgegeben, wenn wir uns zum Schlafen hinlegen. „ . . . wir hören auf, uns in der Welt der Welt gegenüber zu behaupten" (Straus, 225). „Die Entgegenstellung von Person und Welt, das Aufrichten und das Greifen nach dem, was über uns ist, der Zugang zur Ferne, die greifbare Nähe der Dinge um uns herum, die Übersichtlichkeit des Raumes, in dem wir uns befinden, die freie Ortswahl, das alles wird beim Einschlafen preisgegeben" (Linschoten, 275). Während der Körper als Zentrum der Aktivität aufgegeben wird, tritt auch die Welt als Korrelat dieser Aktivität zurück; ohne Stellungnahme verlieren auch die Gegenstände als ob-jecta ihren Wert. Aus dieser Perspektive gewinnt das Liegen und vor allem das Liegen im Bett besondere Bedeutung. Mit dem Hinlegen schrumpft die Welt zusammen auf den kleinen Bereich meines Schlafzimmers, oder auch nur des Bettes. Das Bett ist für mich der tragende Boden, dem ich mich im Liegen anvertraue, der zum ausgezeichneten Pol der Geborgenheit wird. Darauf weist auch van den Berg (1954, 70) hin, wenn er beschreibt, wie das Verlassen des Bettes, nachdem man sich einmal hingelegt hat, zu einer „ungewohnten Exkursion" wird, von der man schnell wieder zurückkehrt, um in dem Augenblick, da man sich die „Decke über den Kopf zieht", das Gefühl zu haben, wieder zu Hause („chez moi") zu sein. Auf diese Bedeutung des Bettes werden wir gleich noch weiter eingehen müssen, wenn wir auf den bergenden Charakter der Einschlafwelt zu sprechen kommen. Mit dem Einschlafen hört nicht nur die körperliche Auseinandersetzung mit der Welt auf — dieses geschieht ja auch schon beim bloßen Hinlegen oder Entspannen —, audi die intentionale Gerichtetheit qua reflexiver Akte, wie das Denken, Wahrnehmen, Aufmerken, Be-greifen, wird zurückgenommen.

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Rücknahme der Intention, der geistigen Eigenaktivität, heißt jedoch nicht, daß der Erlebnisstrom abbricht und erst mit dem Erwachen wieder einsetzt, bedeutet auch nicht, daß es zu einer „Dissoziation des Bewußtseins" (Trömner 1911) kommt, so daß es gleichsam nur als „negatives Bewußtsein" (Ey 1967, 61) übrigbleibt. Vielmehr kommt es durch das Abschütteln des Korrelats Welt zu einer, wie C. Schneider (1930) sagt, „Richtungsänderung" des Erlebnisstromes. Der Erlebnisstrom kann nun gleichmäßig dahinströmen, es fehlen die Zäsuren im Erleben, da es nicht mehr durch das Eingreifen reflexiver Akte unterbrochen wird. Ebenso fehlen audi die Zäsuren in der Außenwelt. Die scharfen Umrisse, die plastischen Formen verschwinden in der Dunkelheit, audi die zeitlichen Markierungen fallen weg, an ihre Stelle tritt eine ungegliederte zeitlose Rundheit: „Die Welt rundet sich zu einer zeitlosen Sphäre, wofür die Kugel das Symbol ist: da muß man in Schlaf sinken, wenn der ganze Horizont ohne Markierungen oder Unebenheiten, glatt und rund, einfach und homogen ist; es gibt nicht mehr Ferne und Zukunft, Hinten und Vergangenheit, Hier und Jetzt, es gibt nur noch die vollkommene, undifferenzierte Rundheit" (Linschoten, 269). Es sei hier darauf hingewiesen, wie diese Schilderung der richtungslosen, homogenen, zeitlosen Welt des Einschlafens in vieler Hinsicht der Darstellung des „präsentischen" Raumes von Straus (1930) ähnelt, auf die ich weiter oben (s. § 12) ausführlich eingegangen bin. Dieser einhüllende, schützende Charakter der Einschlafwelt in ihren räumlichen und zeitlichen Aspekten — von Linsdioten durch die Merkmale Behaglichkeit und Geborgenheit gekennzeichnet —, ist eine weitere Voraussetzung für das Einschlafen. Neben der körperlichen und geistigen Entspannung — durch Einstellung der Aktivitäten und reflexiven Akte — ist es die „seelische" Entspannung, das wohlige Versinken in die Schlafsituation, welches zu innerer Ruhe und Zufriedenheit, zum Gefühl der Geborgenheit führt, wodurch Schlaf allererst möglich wird. Diese seelische Entspannung wird vor allem von Bollnow (1963) betont, der in diesem Zusammenhang auf die besondere Funktion des Bettes hinweist als Quell von „Wärme und Behaglichkeit", das dem Menschen „ein Gefühl des Friedens und der Geborgenheit" verleiht (a.a.O., 168). Obwohl das Bett eine so wichtige Rolle im Leben des Menschen spielt — das Leben beginnt und endet (meist) im Bett, ein Drittel seines Lebens verbringt der Mensch schlafend im Bett —, wurde ihm, wie Bollnow anmerkt, weder von Dichtern und Philosophen nodi von seiten der empirischen Wissenschaft große Aufmerksamkeit geschenkt. Wohl gibt es eine „Philosophie des Bettes" (Eden u. Carrington 1961), in der viele dichterische Bettgeschichten verarbeitet werden, die aber kaum psychologische Relevanz besitzt. Fraenkel (1930) erkennt den Wert des Bettes als Therapeutikum, wenn er sagt, „daß audi bei seelisch Normalen ein

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Schreckerlebnis durch nichts Besseres abreagiert wird, als durch einen Tag Bettruhe" (zit. nach Bollnow, 168). Die einzige phänomenologische Analyse, die mir bekannt geworden ist, ist van den Bergs Studie (1954) zur Situation des Krankseins, in der die unterschiedliche Bedeutung des Bettes für den Gesunden und den Kranken, der „das Bett hüten" muß, herausgestellt wird. Was für den Gesunden ein „Attribut der Nacht", eine Gelegenheit zur glücklichen Entfernung von der Welt in der Erwartung eines Morgen, „in dem alles gut werden wird", ist, ist für den Kranken ein „Dauerzustand", wo an die Stelle der „glücklichen Entfernung" eine traurige „Distanzierung", „Entfremdung", erwartungsloses Verharren" tritt (vgl. 1954, 83 f.). Durch den Zwang, im Bett geborgen und audi verborgen zu bleiben, wird das Bett zum Gefängnis, das zu verlassen nur noch ferne Hoffnung ist. Das Gefühl des wohligen Behagens, der unendlichen Geborgenheit, das das Bett als die letzte Steigerung der Geborgenheit im Hause erfahren läßt, kann nur der erleben, der bereit ist, sich in den Schlaf fallen zu lassen und damit das aktive Inter-esse bei der Welt aufzugeben. Wer dagegen die Welt und den Raum als bedrohend und unheimlich ansieht, wer das Aufgeben der Haltung als Haltverlust fürchtet und ständig auf der H u t sein muß vor drohenden Gefahren, darf den Boden unter den Füßen nicht verlassen. Für ihn kann das Bett nicht zum Ort größter Geborgenheit werden. Ebenso verschieden ist auch das Bergende des Bettes für den, der dazu verurteilt ist, das Bett zu hüten, für den bettlägrigen kranken und alten Menschen. Ihn „birgt" das Bett vor der für ihn gefährlichen Außenwelt, es „verbirgt" ihn vor dem eigentlichen Leben, isoliert ihn von den Mitmenschen. Ist das Liegen für den Säugling noch die natürlichste Position, ist sie für den, der ans Bett „gefesselt" ist, zum Zwang geworden. Das Liegen gerät in die Nähe des „Unterliegens". Der Kranke als Patient wird zum Kind, wird unmündig gemacht; er ist ein Sub-jekt, das Ärzten, Helfern und Besuchern „unterworfen" und „unterlegen" ist. Dem Liegen als Manifestation des Unterworfenseins, und zwar unterworfen den Regeln einer festgefügten Institution, die das Individuum hochgradig verwaltet, hat Goffman (1961) in seiner Analyse des „Insassen"-Daseins in Krankenhäusern besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Fassen wir die phänomenologische Analyse des Einschlafens, Hinlegens und Liegens im Sinne Linsdiotens noch einmal zusammen: Das Wesentlichste an Linschotens Ansatz scheint mir zu sein, daß der Versuch unternommen wird, das Einschlafen nicht introspektiv von einem Einschlafbewußtsein her zu analysieren oder als direkte Folge einer stille und dunkel werdenden Außenwelt zu betrachten, sondern als Auseinandersetzung zwischen Person und Welt. Hier wird gelebte Welt, in ihrer, wie Binswan-

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ger sagt, „dialektischen Einheit" sichtbar, „in der nicht der eine Pol dem anderen seinen Sinn verleiht, der Sinn vielmehr sich aus dem Widerspiel beider Pole ergibt" (Binswanger 1955, 199). Der veränderten Weltzuwendung der einschlafenden Person entspricht eine Bedeutungsveränderung der Welt. Die veränderte Welt bestimmt, d. h. motiviert, die Art meiner Zuwendung zu ihr, meines Interesses an ihr. In diesem Sinne kann Welt nicht als objektive, physische Welt verstanden werden, sondern als „Totalkorrelat der Akte", als Feld meiner Aktivitäten, als Horizont meiner Interessen. Einsdilafen bedeutet „Ersterben des Interesses" (Husserl), ist „Verstummen eines Gesprächs (Linschoten). Linschoten greift dabei auch auf v. Weizsäckers (1940) Konzept des Gestaltkreises zurück, wonach Subjekt und Welt nicht als unabhängige Realitäten, Akte der Person und Weltgeschehen nicht parallele Erscheinungen sind, sondern die Aktivitäten der Person die Entwicklung des Gesamtgeschehens mitbestimmen. „Wir können Person und Welt nicht einander gegenüberstellen als unabhängige Realitäten, die in einer äußerlichen Beziehung zueinander stehen, sie sind doch immer innerlich, wesentlich aufeinander bezogen. Wir können sie auch nicht für gleichwertig erklären, weil uns die Person immer als Zentrum ihrer Aktivitäten erscheint, die aber motiviert und gelenkt werden von der Welt" (Linschoten, 290). Das Aufwachen ist vom unmittelbaren Erleben her gut zu analysieren, weil es, wie das Einschlafen, nicht plötzlich geschieht, sondern in mehreren unterscheidbaren Phasen vor sich geht. Beschrieb Linschoten das Einschlafen als Verstummen eines Gesprächs der Person mit der Welt, so bezeichnet er das Erwachen als ein „Wiederaufnehmen des Fadens", der beim Einschlafen fallen gelassen worden war. Aufwachen ist Rückkehr in die Welt, bedeutet Fortsetzen des „eigentlichen" Lebens, das so ganz anders ist als das Leben im Traum (vgl. dazu Straus 1956, 348 f.). Diese Rückkehr vollzieht sich in mehreren Schritten. Idi finde midi im Augenblick des Aufwachens nicht gleich in dem mir vertrauten Raum wieder, audi bin ich als Zentrum meiner Aktivität nicht sofort voll orientiert und handlungsfähig, sondern auch hier zeigt sich — analog dem Einsdilafen, wenngleich auch unvergleichlich schneller — , ein schrittweises Aufwadien des Ich in Korrelation zu einer erwachenden Welt. Die erste Stufe wird von Dürckheim (1932) beschrieben als der Augenblick des Erwachens, in dem jede Orientierung, jede Richtungsbestimmtheit des Subjekts und damit überhaupt jede Raumbestimmtheit fehlt. „Es sind Augenblicke eines seltsam wesenlos-unzentrierten Im-NiditsHängens. Es ist ein gewichtloser, körperloser, raumloser, weder in sich gefestigter noch gerichteter dahinfließender Gesamtzustand ohne Raumbewußt-

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sein und — bedeutsamerweise ohne eigentliches Se/¿5íbewufitsein" (Dürckheim, 400). Diesem Zustand folgt dann plötzlich das „ruckartige Erlebnis des Bodens". Man weiß wieder, wo oben und unten ist, gewinnt eine erste Richtungsbestimmtheit, meist jedoch noch keine volle Raumorientierung. Bisweilen erfährt man nur erst das Unten, den Boden, bzw. die Unterlage, auf der der Körper aufruht, doch ist mit diesem ersten Lageinnesein noch nicht gleich die räumlidie Bestimmtheit der Nahzone gegeben. „Man ,hat' nodi nicht, wo ,Wand', wo Bewegungsfreiheit ist, und nicht, wie der Boden weiter beschaffen ist" (a.a.O., 400 f.). Dieses Stadium erlebt man besonders deutlidi, wenn man z. B. des Nachts plötzlich aufwacht oder beim morgendlidien Erwadien in einem fremden Hotelzimmer. Es sind dies Situationen, in denen man oft minutenlang unbeweglich verharrt. Meist lösen sie sich auf, „wenn eine unwillkürliche Bewegung einem das Herum erleuchtet, oft schlagartig wiederbringt im bekannten Räume . . . " (a.a.O., 401), oder schlagen — vor allem beim nächtlichen Aufwachen — wieder um in einen Zustand der Desorientiertheit. Man verliert den Boden unter den Füßen und verliert mit der räumlichen Ordnung auch sich selbst; ein Zustand, der dem des Drehsdiwindels sehr ähnlich ist, in dem nicht nur die räumliche Umwelt aus den Fugen [gerät], sondern unser Menschsein überhaupt" (a.a.O., 403). Auf diese Phase eines ersten Lageinneseins, in der man noch nicht „ganz da" ist, folgt das „schlagartige Einschnappen" der Raumorientierung; gekennzeichnet durch Zentriertheit und Richtungsbestimmtheit des Raumes: Man erfährt sich, als hier, die Gegenstände als dort. Diese Orientierung kann durchaus noch vor dem optischen Raum liegen, wie Dürckheim es nennt: „All das vollzieht sich vor dem „Augenaufschlagen", ist auch nicht an „Vorstellungen" gebunden und audi bei offenem Augen nicht ausschließlich optisch da. Man hat sich und den unmittelbaren Herumraum räumlich bestimmt in der Einstellung und im Gefühl" (a.a.O., 402). Für diese Stufe der Orientierung bedarf es nodi nicht der Helligkeit des Tages, vielmehr ist diese elementare Orientierung nach oben-unten, vornehinten, links und rechts eher ein Wiederfinden des Körperschemas, eine Differenzierung von Leib- und Umraum. Der Raum als Feld gerichteten Handelns, in dem mir die Dinge als zuhanden begegnen, ist in dieser Phase noch, nicht relevant. Vielmehr könnte man diesen Zustand, in der das Um-Herum nodi im „Gefühl" gegeben ist, aber dodi schon eine erste Gliederung aufweist, als Ubergang vom nur gestimmten zum „schon" handlungsrelevanten Raum bezeichnen. In seiner Beschreibung des Aufwachens verweist Dürckheim immer wieder nachdrücklich auf die Bedeutung der Lokalisierung des Idi im Raum und die elementare Ordnung des Umraumes für das Bewußtsein der Identität oder, wie er im Ansdiluß an W. Stern sagt, das personale Selbst, welches wiederum die Voraussetzung für die aktive Auseinandersetzung mit

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der Welt, die Möglichkeit zur Stellungnahme und „Haltung", zur Freiheit des Handelns ist. Das Thema der Identität und Kontinuität wurde auch von Straus mehrfach aufgegriffen im Zusammenhang mit seinen Analysen des aufrechten Ganges (1949) und des Wachseins (1956; 1960), wobei jedoch weniger die Rolle der räumlichen als vielmehr die temporale Lokalisierung des Ich expliziert wird. So schreibt Straus in seiner Studie über das Wachsein: „ . . . sleep and dream interfere with the possibility of establishing and realizing primary Mine-ness" (1960, 349). Während wir beim Träumen (meist) nicht wissen, daß wir träumen, sind wir anscheinend fähig zur Unterscheidung zwischen Traum und Wachsein: Wir wissen, daß wir geschlafen und geträumt haben und jetzt wach sind. Diese Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen beiden Regionen des Träumens und Wachseins und insbesondere zwischen meinem Träumen und meinem Wachsein betrachtet Straus als grundlegend für das Verständnis meiner Identität und der Kontinuität meiner Existenz. „I distinguish between my being awake and my dreaming, — to be more explicit, between my being awake and my having dreamed. The distinction is, therefore, a biographical one, related to my life history and its temporal order . . . Awake, I know about myself and thereby about my today and yesterday. I comprehend the continuity of my existence, lasting through sleep and dream into the present" (a.a.O., 350). Die räumliche und zeitliche Lokalisierung des Idi beim Aufwachen und ihre Bedeutung für die Konstitution des Selbst formuliert Lipps (1941, 46): „Daß man sich dabei der Wirklichkeit des Nächstliegenden, Greifbaren versichert, daß man weiß, daß man nicht träumt, läßt einen noch nicht zu sich selbst kommen. Sondern dies, daß man . . . sich wieder ergreift in seiner Lage." Daß jedoch das Wiederergreifen der (eigenen) Lage nicht ohne das Wiederergreifen der räumlichen Lage vollendet werden kann, sollten die vorangegangenen Darlegungen gezeigt haben. Die Welt gewinnt ihre Tagesstrukturen in dem Maße wieder, als ich mich auf sie richte, wieder Interesse an ihr zeige, d. h. an ihr teilnehme. Und wiederum motiviert sie jedes weitere Sich-richten auf, zum Wahrnehmen, Handeln und Begreifen.

§ 23 Die Räumlichkeit des Melancholischen Bei den weiter oben beschriebenen Modalitäten gelebten Raumes, dem Tag- und dem Naditraum, veränderte sich die Beziehung zwischen Person und Welt hauptsächlich infolge eines veränderten Weltgeschehens, nämlich den Lichtverhältnissen. Bei dem nun folgenden Beispiel gelobter Räumlichkeit, dem Dasein des melancholischen Menschen, ist es die veränderte Be-

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findlidikeit der Person, die im Vordergrund steht. Es handelt sich dabei um eine Aspektverschiebung, wie wir sie ja audi schon mehrfach bei der Diskussion des gestimmten Raumes antrafen (vgl. § 11), etwa in Dürckheims (1932) Unterscheidung — oder besser: Akzentuierung — eines „persönlichen" (subjektgeprägten) und eines „objektiven" (i. S. dominierender räumlicher Atmosphäre) Raumes. Im Gegenteil, gerade hier — ausgehend vom depressiv gestimmten Menschen — erscheint es besonders notwendig, die Melancholie als Subjekt-Welt-Korrelation zu fassen, als Begegnung eines melancholischen Subjekts mit einer sozusagen „melancholischen" Welt. Der enge und beengende Raum des ängstlichen, niedergedrückten Menschen sei beispielhaft anhand von Teilenbachs Studie über „die Räumlichkeit der Melancholischen" (1956) geschildert. Diese Arbeit, die in der daseinsanalytischen bzw. anthropologischen Tradition von Binswanger, v. Gebsattel, Heidegger, Minkowski, Straus u. a. steht, ist insofern von Bedeutung — und zwar nicht nur für den Bereich der Psychopathologie —, als hier zum erstenmal der Versuch gemacht wird, die Störungen des Raumerlebens in der Melancholie zu beschreiben und durch eine Analyse der Räumlichkeit des Melancholischen — im Sinne der Heideggerschen Existentialanalytik — zu erweitern. Hatten wir bereits zu Beginn unserer Diskussion über den gelebten Raum festgestellt, daß Analysen der Zeitlichkeit des Daseins und der gelebten Zeit sehr viel früher und häufiger begonnen wurden als solche, die den gelebten Raum zum Thema haben, so gilt das auch für das Feld der Psychopathologie und vor allem für den Bereich der psychotischen Krankheiten. Wohl finden sich, wie Tellenbadi angibt, bereits in den frühen dreißiger Jahren die Arbeiten von F.Fischer (vgl. 1933) und Minkowski (1931) zum Zeitund Raumerleben in der Schizophrenie; für den Bereich der endogenen Depression bzw. Melancholie liegen jedoch bisher nur Zeitanalysen vor, insbesondere von v. Gebsattel, Minkowski und Straus. Teilenbachs Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Im ersten beschreibt er anhand mehrerer Falldarstellungen die Veränderungen des Raumerlebens als „Symptome" der Melancholie, im zweiten Teil wird auf der Basis der Heideggerschen Fundamentalontologie die Räumlichkeit des melancholischen Daseins analysiert, wobei die „Symptome" des Raumerlebens in den „Phänomenen" des gelebten Raumes aufgehen. Die Veränderungen des erlebten Raumes werden einmal in bezug auf den orientierten Raum (1), zum anderen auf den „Inraum" des Leibes (2) beschrieben. ad 1) Veränderungen im Erleben des orientierten Raumes. Besonders hervorstechend ist hier der Verlust der Tiefendimension: Die Gliederung des Raumes in Nah und Fern verändert sich : „Die Dinge rücken aus dem Vordergrund weg gegen einen fernen Hintergrund und verlieren

Die Räumlichkeit des Melancholischen

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ihre Plastizität". Sie verarmen zu einem flächenhaften Nebeneinander auf einer Projektionsfläche: Ein Haus hat nur nodi Fassade, nicht mehr Tiefe, Bäume erscheinen wie zwei hingemalte Striche ohne Rundung. Dinge wirken wie an eine Fläche hingeklebt, „alles ist wie eine Wand, alles ist flach" (Teilenbach, 15). Die Gegenstände rücken weit ab vom Leib, daher wird ihre Wahrnehmung beeinträchtigt, das Schätzen der Entfernung zu ihnen, der Abstände zwischen ihnen, erschwert. Neben der Tiefenstruktur sind auch die Riditungen des Oben und Unten, von Links und Rechts verändert. Das Erleben der Schwere kann bis ins Unerträgliche gesteigert sein, alles drückt auf den Kranken nieder („Depression"), lastet auf der Brust. Die Schwerkraft kann jedoch auch in ein Levitationserleben verkehrt sein: „Die Luft steigt von unten nach oben"; . . . „hab ich das Gefühl, als wenn ich in der Luft rumflieg"; ein Haus erscheint „wie wenn's auf dem Wasser schwimmt" (a.a.O., 15 f.). Eine Patientin meint, auf der rediten Seite weniger zu sehen, dafür in der linken Körperhälfte mehr Gefühl zu haben. Audi das Sehen von Bewegung, eigener wie fremder, ist gestört: „Ich kann nicht mehr vom Fleck — „wie wenn ich in einem Sumpf stecken täte"; „wenn idi einen Radfahrer sehe, das ist grad, wie wenn er stehen bleibt" (a.a.O., 16). ad 2) Veränderungen im Erleben des „Inraums". Erschienen die Veränderungen des orientierten Raumes als gestörte Zuordnungen der Riditungen, Lagen, Bewegungen auf das Zentrum, auf das Hier des Leibes hin, zeigt sich das Räumliche des Körperinnern in der Weise verändert, als es als leer oder unnatürlich ausgefüllt, eng, beklemmend, fremdkörperhaft erlebt wird. Charakteristisch dafür sind der Druck auf der Brust, der Kloß im Hals, der hinuntergewürgt, der Fremdkörper im Magen, der ausgehustet werden soll, vor allem aber das Gefühl der Leere des Kopfes und des Körperinnern, verbunden mit der Entleerung der gefühlsmäßigen Beziehung zu den Menschen und Ereignissen der Umwelt. Nach dieser erlebnisdeskriptiven Darstellung melancholischer Raumstörungen, die eine Anzahl verschiedener, oft widersprüchlicher „Symptome" (Leere vs. Völlegefühl; Schwere vs. Schwerelosigkeit) erbrachte, geht Teilenbach über die deskriptive ( = traditionelle) Psychopathologie hinaus, um in einer daseinsanalytischen Betrachtungsweise die „Phänomene" (Wesensmerkmale) der Räumlichkeit melancholischen Daseins aufzuspüren, die veränderten Raumerlebnisse als Veränderung der Räumlichkeit auszuweisen, in der Weise, wie es bereits Binswanger (1933) für das Dasein des ideenflüchtigen Menschen geleistet hatte. 10 Kruse, Umwelt

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Als das Charakteristische dieser Veränderungen melancholischer Räumlichkeit sieht Tellenbach das Entrücktsein an, das sich als Entrücktsein von den Dingen und vom eigenen Selbst manifestiert. Entrücktheit der Dinge zeigt sich in ihrem Wegrücken; sie verlieren den Charakter der »Nähe", des „Eingeräumtseins" (Heidegger), sie verarmen zu einem beziehungslosen (punktuellen) Nebeneinander. Entrücktheit äußert sich als Verlust der Tiefe, Veränderung des Plastischen ins Flächenhafte. Der Verlust der „Zuhandenheit" der Dinge dadurch, daß sie aus der Nähe abrücken, führt zu Störungen des Bewegungsverhaltens (Verlangsamung der Bewegung bis zur Reglosigkeit, stereotype, ziel- und endlose Bewegung). „Im melancholischen In-der-Welt-sein zeigt sich innerweltlich Seiendes in einer durch reines Vorhandensein, richtungs- und gegendlose Entrücktheit, schließlich in einer durch Beliebigkeit des Punktuellen gekennzeichneten Räumlichkeit" (a.a.O., 293). Diese Gegebenheitsweise der Dinge findet ihre Entsprechung im räumlichen Dasein des Melancholischen: in der punktuellen Vereinzelung (Verdinglichung), Vertikalisierung (Hochstimmung vs. Depression) und schließlich im Entrücktsein. Dieses Entrücktsein zeigt sich „sinnenfällig" als blasse Farben, fade Speisen, gedämpfte Klänge, weitweg gerückte Sehdinge, manifestiert sich als Fehlen jeglicher Gemütsbewegung, wie Trauer oder Freude sowie als innere Leere, die einem leeren Raum entsprechend keine Nähen und Fernen hat. Hier wird deutlich, „wie die innere Verarmung zur Leere und die Verarmung der Welt zur Leere korrespondieren, wie sich der entleerte Raum in die innere Leere fortsetzt" (a.a.O., 16). Alles ist flach und verflacht auf einen nahen Hintergrund beschränkt; das melancholische D a sein entbehrt der Dimension der Tiefe, die doch erst die „Weite des Lebens", wie Minkowski und Merleau-Ponty es formulieren, ausmacht. Und mit der Tiefe gehen auch Horizont und Perspektive verloren. Davon ausgehend, daß „jedes veränderte Erleben zugleich eine Veränderung der Welt und damit auch ihrer Räumlichkeit [bedeutet]" (Scheller 1957, 572), zeigt Tellenbach in seiner Analyse, daß die Strukturen, die bereits die „Symptomdeskription" des Raumerlebens erbrachten, auch für den gelebten Raum charakteristisch sind und damit das In-der-Welt-sein des Melancholischen kennzeichnen. In diesem Zusammenhang sei noch auf eine kaum beachtete Arbeit von Schilder (1936) hingewiesen, die sich mit den Störungen des Außen- und Leibraumes bei verschiedenen Neuroseforschungen beschäftigt. Sie enthält eine Fülle deskriptiven Materials, das trotz seiner psychoanalytischen Interpretation auch vom phänomenologisch-psychologischen Standpunkt her Aufmerksamkeit verdiente.

Die Räumlichkeit des liebenden Miteinander

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§ 24 Die Räumlichkeit des liebenden Miteinander Waren die soeben besdiriebenen Räume immer als Modifikationen je individuellen räumlichen Daseins anzusehen, so sei zum Sdiluß noch ein Beispiel jener Räumlichkeit angeführt, in der Raum als ein von Mitmenschen geteilter und bewohnter Lebensraum thematisiert wird. Unsere Lebenswelt ist immer auch „soziale Umwelt", in der wir uns in „räumlicher und zeitlicher Koexistenz" mit unseren „Mitmenschen" vorfinden (vgl. Schütz 1960). Enge oder Weite, Nähe oder Ferne, die sich als Dimensionen des gelebten Raumes in seinen Stimmungs-, Handlungs- und Wahrnehmungsaspekten ergaben, dabei aber in der egologischen Tradition Husserls und Heideggers meist nur als „jemeinige" in den Blick kamen, gewinnen eine wesentlich andere Bedeutung, wenn sie als Merkmale eines mitmenschlichen Lebensraumes betrachtet werden. Das Haus oder die Wohnung einer Familie kann bald zu groß, bald zu klein sein; einmal als Folge des objektiven Platzbedarfs für den einzelnen Mitbewohner wie auch für Möbel und andere zum Leben notwendige Einrichtungen, zum anderen infolge unterschiedlicher Ansprüche und Wünsche, die den objektiv gleichen Lebensraum dem einen zu weit, dem anderen zu eng erscheinen lassen mögen. Und schließlich verändert sich der gemeinsame Lebensraum audi aufgrund temporärer oder überdauernder seelischer Verfassungen, so daß einem heute dasselbe Zimmer zu eng wird, in dem man sich gestern noch verloren fühlte. Aus der Fülle der Möglichkeiten, den Raum als mitmenschlichen Lebensraum darzustellen, habe ich eine ausgewählt, in der Lebensraum durch die besondere Beziehung zweier Menschen und ihrer seelischen Verfassung mit konstituiert und verändert wird. Eine solche Modifikation des Lebensraumes beschreibt Binswanger (1942), wenn er eine „Grundform menschlichen Daseins", die des liebenden Miteinanderseins, auf ihre Räumlichkeit und Zeitlichkeit untersucht. Sein Ausgangspunkt ist das Dasein eines Ich und Du in ihrer dualen Wirheit, ein Dasein, das sich von dem der „Jemeinigkeit", bei der Heidegger ansetzt, wesentlich unterscheidet; denn auch Heideggers Bestimmung des „Mitsein mit Anderen" kann dieses duale Wir nicht fassen. Damit ist Binswangers Analyse einerseits eine Kritik an Heidegger, die die Erweiterung seines Ansatzes um eben diesen Modus der Wirheit fordert, andererseits ist sie eine anthropologische Auslegung der Heideggerschen Fundamentalowio/ogie. Eine Darstellung der Position Binswangers stößt auf einige Schwierigkeiten, da sie nur vor dem Hintergrund der Heideggerschen Ontologie richtig zu verstehen ist. Eine eingehende Ausfaltung der Heideggerschen Begriffe — soweit diese nicht schon an anderer Stelle von mir expliziert wurden — ginge über den Rahmen dieser Arbeit hinaus; sie werden daher im folgenden als bekannt vorausgesetzt. Innerhalb der Binswangerschen Dato *

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Besondere Ausprägungen gelebten Raumes

seinsanalyse des liebenden Miteinander will idi mich auf den Aspekt der Räumlichkeit beschränken und versuchen, aus der Fülle der vorliegenden Bestimmungen einige wesentliche herauszugreifen. Schaffung von Lebensraum geschieht durch den Modus des Einräutnens, der sich in verschiedener Weise manifestieren kann. Lebensraum, als der Raum, in den sich Menschen teilen müssen, kann leicht Anlaß zu Rivalität werden, wenn „im Kampf ums Dasein" einer dem anderen seinen Platz streitig machen will. Einräumen als Wegräumen reicht vom Konkurrenzkampf im Berufsleben bis zum gewaltsamen Platz-schaffen durch Macht und Gewalt im Krieg zwischen Völkern. Eine andere Form des Einräumens expliziert Binswanger an einer Räumlichkeit im übertragenen Sinn, an der „(Sinn-)Räumlichkeit", wie sie zum Beispiel zwischen Dikussionspartnern gegeben sein kann. Wenn man in der Diskussion einem anderen etwas zu-gibt, ihm seine bestimmte Position überläßt, gibt man damit einen persönlichen Machtbereich auf, weicht zurück, „macht Konzessionen", d. h. man räumt dem Partner einen Platz ein, den man vielleicht vorher für sich beansprucht hatte. Dieses Einräumen vollzieht sich meist nicht nur verbal, sondern auch non-verbal durch Haltung, Gesten, Gesichtsausdruck, Blick und Stimme. Doch auch bei dieser Art des Einräumens trifft man auf eine Machtstruktur, auf Besitzansprüche und Gegensätze von Mein und Dein. Wenn man nun das liebende Miteinander auf den ihm eigenen Modus des Einräumens untersucht, zeigt sich, „daß die Räumlidiung der Liebe etwas ganz anderes sein muß als die gewaltsame Einräumung eines Platzes durch Wegräumen eines an ihm vorhandenen menschlichen Körperdings oder der ihm entsprechenden Machtsphäre . . . Liebe und Macht oder Gewalt schließen einander aus" (Binswanger 1953, 25), so auch „jede Art von Rechthaben und ein-Recht-auf-etwas H a b e n . . . " (ebda.). Hier findet kein zurückweichendes Einräumen von etwas statt, keine Vergrößerung oder Verkleinerung von „Eigenraum", kein Zuwachs oder Verlust an Besitz; stattdessen „das von keiner einmaligen, endlichen Situation bedingte . . . unbesorgte, endlose Einräumen des grenzenlosen, einen und unteilbaren Raumes des Einander, des unendlichen, unerschöpflichen und unergründlichen Wir der Liebe" (a.a.O., 26). Welche Art von Räumlichkeit und Räumlichung gemeint ist, die hier so abstrakt formuliert wurde, versucht Binswanger anhand dichterischer Zeugnisse näher zu charakterisieren und zu erklären. Typische Aus drucks formen solcher Räumlichkeit sind etwa „grenzenlose" Weite und Freiheit, nicht im Sinne einer „Unvertrautheit" des Raumes oder „Verlorenheit" im Raum, sondern im Sinne von „Heimat" als „Vertrautheit" und „Nähe", Räume, die ganz anderen Dimensionen als der Descartes'schen extensio angehören. Diese sprachlichen Raumbilder und -gleichnisse wertet Binswanger aus, um von daher zu einem „ganz neuartigen Raumproblem" zu kommen: „An-

Die Räumlichkeit des liebenden Miteinander

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stelle der wegräumenden Verdrängung ,des Anderen' von seinem P l a t z e . . . tritt hier das merkwürdige Phänomen, daß gerade da, wo Du bist, ein Ort (für mich) ,entsteht'·, anstelle der Abtretung einer Position ,an den Anderen' in der vorbestimmten Räumlichkeit der ratio und des entsprechenden Verlustes an Eigenraum tritt das merkwürdige Phänomen der .grenzenlosen' Mehrung an Eigenraum durch Hingabe von Eigenraum" (a.a.O., 31). Es entsteht eine „Tiefe" und „Weite", in der es keine Plätze und Positionen gibt und daher keine Rivalität um sie, „sondern nur das ,Glück' unaufhörlicher .Vertiefung' und ,Erweiterung' als solches" (ebda.). Diese Räumlichkeit der Liebe stellt Binswanger dem umsichtig-besorgenden In-der-Welt-sein Heideggers gegenüber. Bedeutet Dasein als Sorge immer Besorgen von etwas in einer bestimmten Situation, also innerhalb einer begrenzten Bewandtnisganzheit, ist das Dasein der Liebe unbegrenztes, un-bedingtes Sein miteinander. „Der überall auf Grund stoßenden, begrenzten und insofern ,erschöpfbaren', also ,endlichen' Räumlichkeit des Besorgens steht die ,grundlose', grenzenlose, unerschöpfliche, die unendliche Räumlichkeit der Liebe gegenüber" (a.a.O., 71). Liebendes Dasein als duale Wirheit ist nicht ein Dasein, das von seiner „Jemeinigkeit", seiner ichhaften Selbstheit ausgehend etwas für den Anderen, um seiner willen tut — wie es sich als „Fürsorge", als Raum-bereiten und -gewähren zeigen könnte —, sondern „daß Wir hier miteinander sind und sonst überhaupt nicht sind . . . [kann nur heißen], „daß wir uns, wie Rilke es formuliert hat ( . . . ) , ,gegenseitig unaufhörlich Raum und Weite und Freiheit', also Raum und Weite schlechthin, Freiheit von jeder räumlichen Einschränkung .erzeugen'. In dieser Uneingeschränktheit und Unbedingtheit des Raumes des Einander gründet die Tatsache, daß die Liebenden überall und nirgends zuhause sind, d. h., daß das liebende Miteinandersein ,an keinen (bestimmten) Ort (in der Welt des Besorgens) gebunden' ist. Der Raum, den sie sich gegenseitig erzeugen, ist ihre Heimat" (a.a.O., 72). Dieser Begriff der Heimat, nicht in einem räumlich-geographischen Sinne, auch nicht im Sinne von Heideggers „Nähe" (als Ent-fernung und Ausrichtung), sondern als Nähe, die entsteht durch die „raumschaffende Kraft der Liebe", die Nähe bleibt, auch wenn „ganze Welten uns trennen" — diese Bestimmung von Heimat ist der zentrale Begriff in Binswangers Analyse liebenden Daseins: Beheimatet sein als Liebe, gegenüber dem In-der-Weltsein als Sorge. Die eigentlich räumlichen (und auch zeitlichen) Bestimmungen dieses Begriffs werden jedoch immer wieder in Richtung auf eher metaphysische als metaphorische Bedeutungen, wie „Ewige Heimat", überschritten. Bollnow (1963) kritisiert m. E. mit Recht, daß wohl zu sehr die Perspektive der ersten Liebesbegegnung, bei der die Liebenden im „siebenten Himmel" zu sein pflegen, vorherrsche und allzu schnell der Grund und Boden des gemeinsamen Lebensraumes, des endlichen, nicht zu vermehrenden Raumes

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Besondere Ausprägungen gelebten Raumes

verlassen wird, welchen Schritt Bollnow dann wieder rüdegängig macht, um, an Binswanger anschließend, die durch die Liebe geschaffene Heimat im Sinne seiner Thematik, nämlich der des Wohnens und der Wohnung als Pol der Geborgenheit, weiter auszufalten. Gerät auch Binswangers Analyse immer wieder in die Gefahr, eine Raummetaphorik seelischer Verfassungen zu werden — eine Gefahr, die er selbst sieht und an mehreren Stellen explizit zurückweist —, liegt sein Verdienst doch darin, die qualitativen Veränderungen des gelebten Raumes aufgewiesen und in ihrer anthropologischen Bedeutung analysiert zu haben. Dem Raum des umsichtigen Besorgens, dem Handlungsraum, wird der Raum des liebenden Miteinander gegenübergestellt, in dem anstelle zweckhaften Handelns die gefühlshaften Momente stärker in den Vordergrund treten, weshalb ihn Binswanger (1955) auch unter den „gestimmten Raum" subsumiert. Spricht man nicht von einer Gegenüberstellung, sondern stattdessen von einem Nebeneinander oder gar einem Ineinandergreifen beider Räumlichkeit, so lösen sich die Schwierigkeiten, die Binswanger sieht, wenn er den Raum des Besorgens, also den Handlungsraum, einerseits in den Raum der Liebe miteingehen lassen will, andererseits aber im Rahmen seiner Kritik am Heideggerschen Ansatz ihn als einen fundamental anderen betrachtet wissen will. Geht man davon aus, daß es sich — wie weiter oben ausgeführt wurde ;— bei der Differenzierung des gelebten Raumes in einen gestimmten, einen Handlungs- und einen Wahrnehmungsraum nicht um voneinander unabhängige Kategorien handelt, sondern nur um Akzentuierungen, um (analytisch differenzierbare) Aspekte des einen gelebten Raumes, folgt daraus, daß ein gestimmter Raum ohne jegliche Handlungsmomente, ein Handlungsraum ohne Gestimmtheit nur im Extrem, vielleicht nur in der Abstraktion möglich sind. Wurde mit Binswangers Untersuchung der Räumlichkeit der Liebe das Fundament zu einer Daseinsanalyse gelegt, die nicht mehr beim „jemeinigen" Dasein, sondern beim „Miteinander-Dasein" ansetzt, scheint damit der Boden bereitet zu weiteren Analysen, die spezielle Ausprägungen des „Mitseins mit Anderen" auf ihre Räumlichkeit untersuchen. Binswanger selbst hat eine solche „spezielle Phänomenologie" (Thomae) für die Freundschaft entworfen. Als interessante Ergänzungen böten sich räumliche Analysen an, die das Mit- und Gegeneinandersein in Haß, Neid, Eifersucht, Mißgunst oder Rivalität thematisierten und konkreten Lebensraum als gemeinsamen, geteilten, geneideten und umkämpften in den Blick kommen ließen.

SCHLUSS

§ 25 Zur phänomenologischen Grundlegung der Umwelttheorie Bevor ich zum Absdiluß dieser Arbeit versuchen will, den Ertrag der phänomenologischen Analyse der Lebenswelt und des gelebten Raumes als einen Beitrag zu einer psychologischen Umwelttheorie einzubringen, sei vorab noch einmal der Ausgangspunkt unserer Überlegungen anhand einer Zusammenfassung dargelegt: In den letzten Jahren ist innerhalb der Psychologie eine neue Disziplin entstanden, die als „environmental psychology" sich als ein Zweig der interdisziplinär konzipierten „environmental sciences" versteht, jener Wissenschaften, die das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt aus ihrer jeweiligen Perspektive, der biologischen, geographischen, anthropologischen, ökonomischen, soziologischen, psychologischen etc. bestimmen wollen, in der Absicht, einen wissenschaftlichen Beitrag zur Lösung der ökologischen Krise und der damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu leisten. Der Mensch, angetreten als Eroberer der Welt, der unmittelbaren Umwelt wie des fernen Weltraumes, wird immer mehr zum Opfer seiner Eroberungen, solange er nicht realisiert, daß er selbst nur ein Rädchen im ökologischen Getriebe ist, und daß seine „inputs" in diesem System sich in einer Weise verselbständigen, die sich seiner Kontrolle weitgehend entzieht. „The web of life", dieses Netz- und „Räder"-werk des Lebens, ein Thema, das ursprünglich von Darwin und Haeckel als „Ökologie" inauguriert wurde und in unterschiedlichster Weise in die biologischen, Sozialund Verhaltenswissenschaften Eingang gefunden hat, wird nun angesichts akuter Probleme erneut zum beherrschenden Thema der „Umweltwissenschaften" und so audi einer „Umweltpsychologie". Geht man davon aus, daß jede Psychologie behauptet, Umwelt und Verhalten in der Umwelt zu behandeln, ist zunächst zu fragen, was das Neue an einer „Umweltpsychologie" ist, wie sie ihren Untersuchungsgegenstand definiert und welche Verbindungen oder Gegensätze zur traditionellen Psychologie bestehen. Diese Fragestellungen wurden im ersten Teil dieser Arbeit untersucht. Als Ergebnisse waren festzuhalten: 1. Die „neue" Richtung der „environmental psychology" hat bisher kein eigenes Umweltkonzept entwickelt. Sie arbeitet meist theorielos, „nur" empirisch-partikularistisch oder übernimmt relativ unkritisch Konzepte und

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Schluß

Theoreme aus anderen Wissensgebieten. Infolgedessen beeindruckt diese Umweltpsychologie bisher als Sammelbecken aller möglichen Ansätze, in dessen theoretisch unbestimmter Vielfalt man vergeblich nach einer Struktur sucht, die den Gegenstand „Umwelt" deutlich werden und damit identifizieren ließe. Die globale Bestimmung des Gegenstandes als „man and his physical setting" erweckt zudem den Verdacht, als wolle man audi hier, wie in alter laborpsychologischer Tradition, „man" und „setting" unabhängig voneinander bestimmen, sei es als unabhängige oder abhängige Variablen: Umwelt als Reizgegebenheit für oder Machwerk des Menschen; der Mensch als Eroberer oder Opfer der Umwelt. Damit wäre die Umweltpsychologie lediglich neuer Wein in alten Schläuchen, eine Reiz-Reaktions-Psychologie in anderen Termini — nicht aber eine Psychologie, die das Verhalten des Menschen —, Verhalten nicht als „responses", sondern als „molares" Verhalten verstanden — in und zu einer konkreten Umwelt in ihrer räumlichen und dinglichen Gegebenheit im Blick hat. „Theorielosigkeit", „Eklektizismus" und „inadäquate Gegenstandsbestimmung" sind Vorwürfe, die man als zu pauschal und global zurückweisen könnte. Sie mögen dennoch erlaubt sein; denn es geht um die allgemeine Charakterisierung eines Trends, nicht um die differenzierte Berücksichtigung positiver Ausnahmen. Als Fazit ergab sich die Notwendigkeit, Umwelt als Gegenstand der Psychologie näher zu bestimmen und vorhandene Konzepte auf ihre Brauchbarkeit zu überprüfen. 2. Bei der Betrachtung von Umweltkonzepten der traditionellen Psychologie zeigte sich einerseits die „Weltvergessenheit" der Allgemeinen Psychologie, deren Umwelt auf das Labor beschränkt bleibt, andererseits die Vernachlässigung konkreter Umwelt in jenen Disziplinen, die Umwelt in Abhebung und Ergänzung zur Anlage untersuchen, und drittens die Partikularisierung der Umwelt in einzelne isolierte Variablen dort, wo es darum geht, räumlich-materiale Umwelt an den Menschen und seine Fähigkeiten anzupassen. 3. Ansätze zu einer Revision der Umweltvergessenheit zeigten sich in jenen Disziplinen, die in gestalt- und feldtheoretischer oder allgemein phänomenologischer Orientierung auf das Lebewesen in seiner natürlichen, alltäglichen Umgebung gerichtet sind. Wurde bei Lewin Umwelt noch vorwiegend als „psychologische" Umwelt, d. h. lediglich aus der individuellen Struktur des Verhaltens und Erlebens konzipiert, erfuhr dieses Konzept eine Konkretisierung durch einige von Lewins Schülern, wie Barker und seine Mitarbeiter, indem diese sich der „ökologischen" Umwelt zuwandten und sie explizit als extra-individuell bestimmbare Verhaltensumwelt verstanden.

Zur phänomenologischen Grundlegung der Umwelttheorie

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Während diese feldtheoretisch-ökologische Tradition unverständlicherweise bisher kaum im Rahmen der „environmental psychology", wohl aber in der pädagogischen und Entwicklungs-Psydiologie rezipiert wurde, ist eine andere verhaltenswissenschaftliche Tradition sehr viel einflußreicher geworden: Ethologie und Ethnologie, die von vornherein auf Laborexperimente verzichten wollten oder mußten, suchen ihren Forschungsgegenstand in seinem natürlichen Habitat auf. Die Sprachbarrieren zwischen Forscher und „subjects" haben hier konsequenterweise dazu geführt, Verhalten zu beobachten und umfassend zu beschreiben, weshalb in diesen Gebieten „phänomendeskriptive" Konzepte entwickelt wurden, die in vielfältiger Weise direkt in die Umweltpsychologie übernommen wurden und dort oft recht unkritisch und unreflektiert als Erklärungskonstrukte verwendet werden. Das führt häufig dazu, daß die in einem engen empirischen Rahmen gewonnenen Ergebnisse in einer Weise theoretisch interpretiert und generalisiert werden, die oberflächlich betrachtet interessant erscheint, bei genauerem Hinsehen aber meist jeder praktischen Relevanz entbehrt. Nach dieser negativen Bilanz stellte sich für mich die Aufgabe, nach Ansätzen zu suchen, die für eine Analyse der konkreten Umwelt als Gegenstand psychologischer Forschung relevant sind. Nachdem bereits die Bedeutung der „naturalistischen", phänomendeskriptiven Ansätze anderer Wissensgebiete aufgewiesen war, schien es nur konsequent, in dieser Richtung weiterzufragen, um einen Beitrag zu einer theoretischen Begründung der Umweltpsychologie zu leisten. So lag es nahe, die Ansätze der Phänomenologie, phänomenologischen Psychologie und Anthropologie auf ihre Umweltthematik zu untersuchen; denn gerade hier wird versucht, Verhalten in der Umwelt so umfassend wie möglich, das heißt ohne jede theoretische Voreinstellung und einzelwissenschaftliche Beschränkung zu analysieren, dh. zu beschreiben und zu klassifizieren. Jede Begrenzung der Phänomene, jede Reduktion auf vorgegebene Einheiten wird in der phänomenologischen Analyse ausdrücklich vermieden, das Handeln in einer konkreten, „wirklichen" Umwelt wird nicht vorschnell abgeblendet zugunsten einer kontrollierten Analyse von Reaktionen auf Reizgegebenheiten. Bereits im Zusammenhang mit den ökologischen, ethologischen und ethnologischen Ansätzen war der Anspruch auf den Primat einer Analyse „in situ" deutlich geworden. Das Lebewesen in seiner Umwelt zu untersuchen, heißt, sich um „situs" und „Situation" zu kümmern, so wie sie vor jeder „Operation" des Forschers gegeben sind, und zwar gegeben für ein Lebewesen, das entsprechend seiner leiblichen Faktizität seine Umwelt wahrnimmt und in ihr handelt. Nicht die objektive oder physikalische Umwelt kann der Ausgangspunkt einer psychologischen Umweltanalyse und Theorienbildung sein, sondern die Umwelt als konkret erfahrbares, erlebbares Umherum. In dieser Hinsicht erweist sich der Wert phänomenologischer

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Sdiluß

Ansätze, die um den Aufweis und die Explikation „gegebener" Strukturen der konkreten Umwelterfahrung — in phänomenologischer Terminologie: der Lebenswelt oder des gelebten Raumes — bemüht sind. Phänomenologisch fundierte Umweltanalysen richten sich auf die konkrete, materiale und sinnhafte Beschaffenheit der Umwelt. An einer typischen Frage, wie sie gegenwärtig an den Psychologen herangetragen wird, läßt sich noch einmal verdeutlichen, wie die drei oben herausgearbeiteten Aspekte gelebten Raumes, sein Stimmungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsaspekt thematisch werden: In einer Stadt soll ein großes, modernes Kaufhaus errichtet werden. In den Planungsprozeß wird ein Psychologe eingeschaltet und gefragt, mit welchen „Reaktionen" der Bürger auf eine solche Umweltveränderung zu rechnen sei. Für den Psychologen stellt sich damit die Frage nach der sozialwissenschaftlidi verstandenen „Wirklichkeit" im Sinne des Thomas-Theorems: „If men define situations as real, they are real in their consequences" (Thomas 1928, 572). Und so steht er vor der Aufgabe, mögliche Auswirkungen dieses Umweltobjektes auf das Erleben und Verhalten der Einwohner der Stadt zu analysieren. Das aber heißt, dieses Objekt in den Modalitäten seiner Erfahrbarkeit zu bestimmen. Ein Hochhaus, das innerhalb eines alten Stadtkerns entsteht, hat bestimmte Ausdrucks- und Stimmungsvalenzen, in denen es je nach Zeit und Ort unterschiedlich auf Menschen wirken mag. Es kann gefallen oder „in die Augen springen" wegen seiner eleganten Form und klaren Strukturen oder wegen seiner eintönigen, leblosen oder „exotischen" Fassade als störend empfunden werden. Es „paßt nicht" in die übrige Umgebung, sondern fällt heraus, beherrscht und erdrückt andere Gebäude, die dadurch auf einmal alt, düster und schmutzig wirken und damit vielleicht plötzlich selber als störend empfunden werden. Schön oder häßlich, kalt oder freundlich, störend oder passend, großzügig oder klotzig sind unmittelbare Anmutungsqualitäten dieses Gebäudes, die zu denen des betreffenden Stadtviertels in ein bestimmtes (harmonisches, kontrastierendes u. ä.) Verhältnis treten. Ein solches Gebäude verändert nicht nur das objektive Stadtbild, wie es foto- und kartographisch erfaßbar ist, sondern audi das den Bürgern vertraute Bild (image) der Stadt. Was vorher vielleicht unthematische Struktur war, erhält jetzt einen neuen Orientierungs- oder Kontrapunkt. Dies kann zu einer völligen Umstrukturierung des „image" führen, das Profil der Stadt grundlegend verändern. Schon von weitem ist das helle, herausragende Gebäude zu sehen, es kann zum Erkennungsmerkmal und zum Brennpunkt werden, auf den hin sich der übrige Stadteil, jetzt als „Umgebung" dieses neuen Projekts zentriert. Damit sind aber auch schon die möglichen Handlungskonsequenzen dieses Neubaus angesprochen. Er mag nicht nur zum Brennpunkt der (Wahrneh-

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mungs-)Orientierung, sondern audi zum allgemeinen „Treffpunkt" werden. Seine günstige Verkehrslage, seine Anziehungskraft als Einkaufsstätte machen ihn zu einem Kommunikationszentrum, an und in dem sidi die Schüler nach der Schule treffen, die Hausfrauen zum nachmittäglichen Einkauf und Tässchen Kaffee verabreden. Wird hier durch den Bau dieses Hauses bestimmtes Verhalten allererst möglich, wird anderes Verhalten unmöglich oder erschwert. Konnte man etwa vorher den Platz diagonal überqueren, ist jetzt ein Umweg notwendig geworden, der noch dazu durch neue Menschenströme und Ampeln behindert und kanalisiert wird. Aber nicht nur im unmittelbaren Umfeld des Neubaus werden die zeitlichen Strukturen des Verweilens oder Vorübereilens, die räumlichen Strukturen der Wege und ihrer Verkehrsdichte verändert. Die Anziehungskraft des Kaufhauses, in dem alles bequem unter einem Dach erreichbar und greifbar ist, führt zu einer Konzentration des Einkaufsverhaltens auf eben dieses Zentrum. Die Straßen in anderen Stadtvierteln sind weniger bevölkert, ihre Geschäfte sind leer. An einem konkreten Bau- und Raumproblem werden hier die in der Arbeit dargelegten Strukturen gelebten Raumes sichtbar in den analytischen Perspektiven eines Stimmungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsraumes. So machen praxisbedingte umweltpsychologische Fragestellungen am konkreten Einzelfall die Notwendigkeit eines phänomenologisch-strukturanalytischen Vorgehens deutlich. Das aber heißt allgemeiner, daß in einer theoretisch fundierten Umweltpsychologie auf Strukturanalysen nicht nur nicht verzichtet werden kann, sondern daß diese als Fundament anzusehen sind, auf dem dann — jenseits der Möglichkeit phänomenologischer Analyse — die einzelwissenschaftliche Funktions- und Bedingungsanalyse aufbauen muß. Was hierzu aus der Tradition der einzelwissenschaftlichen Psychologie schon für eine Umweltpsychologie fruchtbar zu machen ist, muß in einer eigenständigen Arbeit aufgewiesen werden, die erst mit der hier vorgelegten zusammen das Fundament einer Umweltpsychologie liefern kann. Aber schon die vorliegende Analyse zeigt, daß Umweltpsychologie mehr sein kann als eine weitere Forschungsrichtung oder gar nur ein weiterer Anwendungsbereich der Psychologie. Vielmehr kann die Blickrichtung auf das Erleben und Verhalten von Menschen „in situ" gerade durch die kritische Reflexion des „situs" die psychologische Theorie im ganzen entscheidend verändern.

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AUTORENREGISTER Ach 83, 96 Arendt 28 Alexander 4 Alunan 17, 19 f. Altum 18 Angyal 136 Ardrey 18 f., 21 Bachelard 31, 42, 53, 55 f. Bailey et al. 4 Baird 9 Barker 7, 14 f., 108, 152 Barker u. Gump 9 Barker u. Wright 15, 107 Becker 31, 33, 78 Bergson 31 Bilz 42 Binswanger 30 f., 57, 59 f., 63 f., 104, 109, 128, 141, 145, 147 ff. Bödtenhoff 104 Bollnow 31, 38 f., 42, 47 ff., 63, 76, 133 f., 139, 149 Brand 27 Brown 101 Brunswik 7, 13 Buckley 51 Bühler 8 Burandt u. Grandjean 10 Burt 18 Buytendijk 26, 75, 94, 104 Callan 19 Canter 4 Carpenter 18 Carr 4 Cassirer 31, 74 Cazden 15 Chomsky 9 Cicourel 21 Claesges 27, 31 Conrad-Martius 31 Craik 1 ff., 38 Cranadi, v. 19 Crook u. Goss-Custard 16

Deidimann 31 Detwyler 4 f. Deutsch 12 Dieges 4 Dubos 3 Dürckheim v. 28, 31, 35, 38, 62, 64 f., 69 f., 141 f., 144 Duijker 107 Eden u. Carrington 139 Eibl-Eibesfeldt 16, 55 Ellenberger 19 Erismann 94 Esser 4, 10 Ey 137, 139 Fawl 14 Fettweis 99 Fischer 144 Fraenkel 139 Frank 1 Funke 30,41 Gadamer 27 Garfinkel 21 Gehlen 55 Gent 31 Gibson 114 f. Gölz 31, 33, 76 Goethe 62 Goffman 15, 19, 108, 140 Good et al. 10 Gosztonyi 93 Graumann 12, 81, 86, 106, 111, 115 ff., 126, 128 Grünbaum 46 Gurwitsdi 118 Gutman 21 Haeckel 2, 151 Hager 63 Hall 21 f. Heckhausen 9 Hediger 18, 53, 100

170

Autorenregister

Heidegger 27 ff., 38, 40 ff., 48, 56, 59 f., 70, 79, 83 ff., 91 f., 98, 105, 109,113, 144, 146 f. Heider 92 Heimsoeth 31 Hellpach 38, 62 Herrmann v. 51, 54 Hess 16 Hinde 16 Holzkamp 5 Honikman 4 Howard 18 Husserl 27 ff., 56, 116, 141 H ü t t u. H ü t t 19 Ichheiser 90 ff. Ittelson, Proshansky u. Rivlin 10 Jager 94 Jammer 31 Jaynes 15 Kafka 54 Kagan 15 Kaplan 3 Kates 4 Katz, D. 67, 125 ff. Kijm 63 Klages 62, 74 f. Klopfer 18 Klopfer u. Hailman 16 Kockelmans 47 Koenig 16 Koffka 12, 102, 104 Kohler 94 Koyré 31 Langdon 10 f. Langdon u. Keighley 11 Lassen 31, 113 Leeper 101 Lehmann 62 Lenz-Romeiss 41 Lewin 11 ff., 92 f., 101 ff., 152 Leyhausen 18, 19 Linsdioten 76, 100 f., 104, 115, 118, 136 ff., 141 Lipps 143 Lorenz 15 Lyman u. Scott 19 Lynch u. Rodwin 4

Maddox 1 Maier, W. 43 f., 46 f., 51 Manning 11 Marcel 49 Marsh 2 Mayer, W. 63 McBride 18 McCrosky, Larson u. Knapp 108 Mead, G. H . 82, 125 f. Meadows et al. 1 Merleau-Ponty 42 ff., 51 f., 56, 93 f., 104, 114, 121, 131 ff., 137, 146 Minkowski 31, 33 ff., 51, 55 f., 94, 130 ff., 144, 146 Mountjoy u. Sears 18 Nice 18 Osgood, Suci u. Tannenbaum 61 Osmond 107 Parr 4 Peursen ν. 116 f. Piaget 37 Plügge 45, 85, 103 Popper 29 Proshansky, Ittelson u. Rivlin 2 f., 20, 38 Roos 19 Rumke 63 Rudert 68 Saint-Exupéry 48 Sartre 43, 103 f. Schapp 124 ff. Scheflen 19 S dieler 63 Scheller 146 Schenkel 18 Schilder 146 Schmitt 9 Schneider 139 Schütz 82, 105 f. Schuhmann 82 Schwind 62 Scott 19 Sears 2 Sewell u. Foster 3 Sheets 75 Shepard u. McKinley 2 f. Simmel 100

Autorenregister Skinner 9 Sommer 4, 10, 22 Srivastava u. Good 10 Staehelin 19 Stamm 18 Stea 4 Stern, W. 28 f., 35 ff., 90, 93, 99 Storr 19 Straus 30 f., 35, 40, 56, 66 f., 69 ff., 93 f., 99, 102, 130, 132 f., 135 f., 138 f., 141, 143 Ströker 30 f., 33, 59, 66, 68, 71 ff., 76, 78, 81, 84 f., 98, 113, 124, 126 Studer 4 f. Studer u. Stea 4 Swan 3 Taylor et al. 4 Tellenbadi 63, 68, 144 ff. Theunissen 104 Thomae 52, 150 Thomas 2, 154 Tinbergen 15 Tolman 7, 82, 86 ff. Tolman u. Brunswik 88 Trömner 136, 139

Trudewind 9 Uexküll v. 16, 100, 102 van den Berg 104, 138, 140 van der Meer 95 van Lennep 104 Warriner 4 Watson 7 Weber 125 Wechsler 9 Weizsäcker, v. 120 ff., 141 Wells 11 Wendt 9 Wendt et al. 9 Wertheimer 47, 94 f. Weyl 95 Wicker 9 Wickler 18 Willems 8 f. Willems u. Raush 11, 16, 22 Wohlwill 4 Wright 14 Wright u. Barker 108 Wynne-Edwards 18

SACHREGISTER Abstand s. Distanz Aktionsraum s. Raum, Handlungsampleur de la vie 29, 38 f., 133 anisotrop 78, 93, 113 atrop 73, 78, 97 Atmosphäre 59 ff., 68 f., 71 Aufenthalt 39 ff., 73 Aufwachen 77, 141 ff. Ausdrucksbewegung 71 ff. Ausdrucksgehalt 59 ff., 77, 111 Behaviorismus 7, 26 behavior setting 15, 107 f. behavior space (Tolman) 86 ff., 89, 93, 97, 103, 110 Barriere 100, 108 Bedeutsamkeit 35, 68, 74, 128 Bewegung 27, 39, 45, 47, 57, 70 ff., 77 f., 84 ff., 97 ff., 113, 119 ff., 134, 138 Bewohnen s. Wohnen Bipolarität 125 f. Breite 27, 95 f. cognitive maps 88 f. Ding 27, 32, 43, 45 f., 51 f., 65 ff., 77, 79 f., 83 ff., 92, 93, 96, 98, 105 ff., 108, 109 f., 113, 124, 130, 134, 138, 144 f. discriminanda 87 ff., 110 distance vécue 29, 33 f., 133 Distanz 21, 50, 68 f., 76., 88 f., 93, 132 Dreidimensionalität 114 Einschlafen 136 ff. Entfernung 32, 50, 66, 69 f., 72, 74, 98 Entrücktsein 146 Erreichbarkeit 91 (s. a. Reichweite) espace vécu 29 Ethnologie 21 f., 153 Ethnomethodologie 21

Ethologie 5, 15 ff., 53, 153 être-au-monde 44 f., 48, 49, 114 Farbe 65 ff., 111, 124, 130, 146 Feldttheorie 11 ff., 152 f. Ferne 68, 69 f., 98 f., 101 Funktionskreis 17, 123 Gegend 84 f. gelebter Raum s. Raum, gelebter Geräusch 66 f. (s. a. Klang) Gestaltkreis 120 ff., 141 gestimmter Raum s. Raum, gestimmter Gestimmtheit 52, 59 ff., 71, 77,111,154 Grenze(n) 35, 53 f., 70, 117 Grenzzone 12 f. Habitat 16, 21, 153 Haltung (aufrechte) 39, 57, 93 f., 138, 143 Händigkeit 95 f. Handlichkeit 79, 83 Handlungsraum s. Raum, Handlungshaptisdier Raum s. Raum, TastHaus s. Wohnen, Raum, WohnHeimat 35, 40 ff., 73, 148 ff. hodologisdier Raum s. Raum, WegeHöhe 26, 74, 93 f., 134, 142 Horizont 25, 27 f., 78, 101, 111, 112, 116 ff., 129, 134, 135 In-der-Welt-sein 26, 32 ff., 41, 44, 49, 60, 98, 104, 113, 146, 149 innen-außen 125 f. Innesein 60, 65, 68, 77 Intentionalität 39, 48, 57, 64, 98, 111, 136, 138 Interaktion, soziale 105 ff. isotrop 93, 97 Klang 66 f., 70, 124, 127 f., 132, 136, 146 Klangraum s. Raum, auditiver

Sachregister

Können 90 ίϊ. Körper 45 f. Körperschema 57, 142 Kohärenz (v. Weizsäcker) 120 ff. Kopräsenz, Koexistenz 82, 104 ff., 147 Konvergenzprinzip 36 f. Kulturanthropologie s. Ethnologie Lage 68 ff., 113 Landschaft 26, 38, 42, 57, 59, 61 f., 76, 101 f., 133, 134 Lebensraum (life space) s.Raum, LebensLebenswelt 27 ff., 151, 154 Leere 63, 146 Leib, Leiblichkeit, Leibsubjekt 26 f., 30, 34 f., 43 ff., 49, 51 f., 57, 68, 71 ff., 77 f., 81, 93 ff., 105, 113, 115, 119, 123, 125 f., 153 Liegen 107, 138 ff. links-redits s. Breite Lokomotion 86, 93,103 (s. a. Bewegung) manipulanda 87 ff., 109, 110, 111 manipulatory area 82 means-end-relations 88, 110 Melancholie 143 ff. Mensch-Umwelt-Verhältnis 1 f., 5, 36 f. Merkwelt 16 f. Nachtraum s. Raum, NachtN ä h e 68, 69 f., 81, 98 f., 101, 148 oben-unten s. Höhe Ökologie 2 f., 5, 14, 151 —, psychologische 13 ökologische Krise 2 ökologische Psychologie 9, 11, 14 f. ökologische Umwelt 9, 13 f., 152 O r t 40, 68 ff., 77, 83 f., 109 Ortsbestimmtheit 68 personale Welt 35 f. Personalismus 29, 35, 36, 38 Perspektive, Perspektivität 27, 36, 39, 57, 111, 115 ff., 119, 129 Phänomenologie 27 ff. phänomenologische Anthropologie 23, 25 ff., 30, 153 phänomenologische Beschreibung 29 f. phänomenologische Methode 29 f.

173

phänomenologische Psychologie 23, 25 ff., 153 Platz 21, 40, 78, 83 ff., 106 f. proxemics 22 Psychologie Arbeits- 10 f. Bewußtseins- 7 Entwicklungs- 8 f., 153 Gestalt- 104, 127 n„ 152 klinische 9 f. pädagogische 8 f., 153 Umwelt- s. Umweltpsychologie vergleichende 15 Wahrnehmungs- 22, 66 räumliches Paradigma 25 ff., 57, 79 f., 112 Räumlichkeit 28 f., 32, 34, 47 ff., 98, 114 f., 143 ff., 147 ff. Raum -begriff 28 f., 30, 31, 33 ff., 38 f., 48, 57 -bewußtsein 45 f., 68, 141 f. -Wahrnehmung 47, 71, 114 f. Aktions- s. Handlungsaktueller 39, 40, 80 ff., 98, 117 Anschauungs- 75 auditiver (akustischer) 26, 57, 66 f., 71 ff., 76, 112, 123, 127 f., 130, 132 Ausdrucks- 75 Bewegungs- 70 ff., 93 ff., 113, 119 ff. dargestellter 111 Eigen- 46, 49 ff., 55 f., 97, 148 f. erlebter 35, 36, 38 ff., 57, 144 Fern- 111, 113 Fremd- 46 gelebter 27 ff., 31 ff., 35, 38, 51, 57, 64, 78 f., 102, 110, 112, 129, 151, 154 gestimmter 52, 57, 59 ff., 77 f., 110, 111, 129, 150, 154 Greif- 97 haptischer s. Raum, TastHandlungs- 25 f., 32, 57, 60, 68, 69, 75, 77, 79 ff., 109 ff., 118 f., 129, 130, 150, 154 Hinten- 97 f. historischer 40, 71, 73 ff. hodologischer s. Raum, WegeH ö r - s. Raum, auditiver homogener 33, 78, 93 inhomogener 77, 93

174

Sachregister

konkreter 22, 38 f. (s. a. Umwelt, konkrete) Lebens- 12 f., 14 ff., 17, 101 ff., 152 Leib- 142, 144 ff. mathematisch-physikalischer 31, 33, 35, 36, 57, 78, 93 melancholischer 143 ff. Nacht- 56, 127 f., 130 ff., 137 ff. objektiver 38, 64 olfaktorischer 112 optischer 67, 69, 71, 79, 130 (s. a. Raum, visueller) orientierter 57, 77 ff., 93, 110, 143 f. persönlicher 38, 64 personaler 36 ff. potentieller 40, 80 ff., 98, 110, 111, 117 präsentischer 56, 67, 71 ff., 130, 139 sozialer 82, 104 ff., 130, 147 ff. Spiel- 33 f., 38 f., 70, 84 f., 91 f., 100, 101, 131, 134 Tag- 127, 129 f., 134 f. Tast- 112, 123 ff. Um- 33, 97, 113, 142 verdämmernder 26, 112, 133 ff. visueller 112 ff., 123, 124 (s. a. Raum, optischer) Vorn- 97, 113 f. Vorstellungs- 25, 57, 112 Wahrnehmungs- 25, 57, 60, 68, 79, 82, 86, 88, 93, 95, 97 f., 104, 109 ff., 129, 150, 155 Wege- 99 ff., 118 f. Wohn- 40 ff., 50 ff., 61, 109, 147 Reichweite 26, 57, 80, 82, 83, 97 Richtung 50, 68 ff., 71 ff., 78, 88 f., 93 ff., 101, 113, 127, 132, 134, 141 f. Schizophrenie 132 f. Schwindel (Nystagmus) 120 ff., 142 Situation 6, 12 f., 15, 26, 80, 90 f., 105 ff., 112, 113, 119, 153, 154 sozialer Raum s. Raum, sozialer Spielraum s. Raum, SpielStehen s. H a l t u n g Stimmung s. Gestimmtheit Straße 76, 80, 100 ff., 118 f. Tagraum s. Raum, TagTanz 67, 72 ff., 97 Tastraum s. Raum, Tast-

Territorialität, Territorialverhalten 17 ff., 53 Territorium 17 ff., 53 f., 109 Tiefe 26, 34, 73, 74, 97 ff., 114 ff., 131 f., 144 f., 149 Tiefenwahrnehmung 114 f. Umweg 80, 88, 102 Umwelt -bewußtheit 2 -psychologie (Psychologie der U m welt, environmental psychology) 3 ff., 17, 22 f., 37 f., 151 ff. -Vergessenheit 7, 23, 152 -Wissenschaften 2 f., 151 geographische 12, 102, 133 konkrete 7 ff., 11 ff., 23, 38, 39, 152 Konzepte (Theorie) d. U. 5 f., 8 f., 12 f., 16 f., 23, 151 ff. physikalische 5 f., 12, 15, 23, 153 psychologische 12, 152 soziale 12, 105 f. (s. a. Raum, sozialer) utilitanda 88 n. Verweisung 33, 83, 87, 105, 115 ff. visueller Raum s. Raum, visueller visuelle Welt 114 Vorhandenheit 33, 86, 96, 111, 123 vorn-hinten s. Tiefe Vorstellungsraum s. Raum, VorstellungsWahrnehmung 77 f., 87 ff., 95 f., 109 ff. (s. a. Raum, Wahrnehmungs-) Wahrnehmungsraum s. Raum, Wahrnehmungs·) Weg 40, 42, 73 f., 77, 93, 99 ff. (s. a. Raum, Wege- und Bewegungs-) Widerständigkeit 37, 79, 110, 125 f., 131 Wirkwelt 16 f. Wohnen 27, 41 ff., 44 ff., 49 f., 95, 147 Wohnlichkeit 51 ff., 62 f., 109 Wohnraum s. Raum, WohnZeit, Zeitlichkeit 31, 47, 67, 69 f., 73, 75, 77, 82, 89, 99, 108, 118, 143, 147 Zeuganalyse 83 ff., 105 f. Zugänglichkeit 107 ff. Zuhandenheit 32 f., 79, 83 ff., 87, 96, 98, 103, 146

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Walter de Gruyter Berlin · N e w a r k Stadt- und Regionalplanung Herausgegeben von Peter Koller und Jul Diederich

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Die Reaktion der Bewohner auf die äußere Veränderung der Städte Groß-Oktav. 181 Seiten. Mit Darstellungen und Tabellen. 1972. Gebunden D M 58,— I S B N 3 11 001985 X

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