»Rote Karte« gegen »Spinner«?: Bedeutung und Reichweite staatlicher Neutralitätspflichten in der politischen Auseinandersetzung [1 ed.] 9783428552818, 9783428152810

Die Arbeit beleuchtet die Neutralitätspflichten, die den Bundespräsidenten und die Mitglieder der Bundesregierung in der

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»Rote Karte« gegen »Spinner«?: Bedeutung und Reichweite staatlicher Neutralitätspflichten in der politischen Auseinandersetzung [1 ed.]
 9783428552818, 9783428152810

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1356

„Rote Karte“ gegen „Spinner“? Bedeutung und Reichweite staatlicher Neutralitätspflichten in der politischen Auseinandersetzung

Von

Christian Eder

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIAN EDER

„Rote Karte“ gegen „Spinner“?

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1356

„Rote Karte“ gegen „Spinner“? Bedeutung und Reichweite staatlicher Neutralitätspflichten in der politischen Auseinandersetzung

Von

Christian Eder

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahr 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15281-0 (Print) ISBN 978-3-428-55281-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-85281-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„[…] daß die Worte Demokratie und Freiheit nicht bloß Worte, sondern lebensgestaltende Werte sind […]“ (Antrittsrede des Bundespräsidenten Theodor Heuss vor der Bundesversammlung am 12. September 1949, in: Dahrendorf/Vogt, Heuss, Die großen Reden, S. 88)

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen und berücksichtigt Rechtsprechung sowie Literatur bis Februar 2017. Die kürzlich vorgenommene Änderung des Art. 21 GG ist eingearbeitet. Ganz besonderen Dank schulde ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Jens Kersten, der mir stets mit offenem Ohr zur Seite gestanden und sehr wertvolle Ratschläge zur Abfassung der Arbeit gegeben hat. Frau Prof. Dr. Ann-Katrin Kaufhold sei für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens herzlich gedankt. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Ulrich Becker, LL.M. (EHI) für das interessante Rechtsgespräch im Rahmen meines Rigorosums über die Voraussetzungen eines Parteiverbots nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Durch das Karlsruher Urteil vom 17. Januar 2017 hat die in der vorliegenden Arbeit behandelte Thematik noch einmal an Brisanz gewonnen, da bereits erste Stimmen zu vernehmen waren, die gegenüber Parteien, die zwar nicht verboten, aber doch materiell verfassungswidrig sind, nun weitergehende Äußerungsbefugnisse der Staatsorgane zulassen möchten als gegenüber anderen Parteien. Nur vordergründige Bestätigung findet diese Auffassung in der jüngsten Verfassungsänderung, die gegenüber verfassungsfeindlichen Parteien gestufte Sanktionsmöglichkeiten eröffnet. Angesichts der aus dem Grundgesetz ableitbaren umfassenden Neutralitätspflicht des Bundespräsidenten und der Mitglieder der Bundesregierung wird man insofern mit Bedacht vorzugehen haben. Meiner Mutter, Erika, Martina und Christoph danke ich vielmals für die hilfreichen Anregungen und Korrekturen, ohne die diese Arbeit nicht hätte entstehen können. München, im Juni 2017

Christian Eder

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Staatliche Neutralitätspflichten als aktuelle verfassungsrechtliche Problematik

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I. „Spinner“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Exkurs: Weitere Äußerungen Joachim Gaucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. „Schwesig“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IV. „Wanka“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 V. Landesverfassungsgerichtliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. „Dreyer“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. „Commerçon“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. „Taubert“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4. „Ramelow“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 5. „Lauinger“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Das Prinzip staatlicher Neutralität im Kontext parteipolitischer Auseinandersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Parteipolitische Neutralität als Rechts- und Verfassungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Der Begriff der Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Ausprägungen des Neutralitätsgebots im geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Parteipolitische Neutralität im verfassungsrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . 34 a) Grundwerte des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Konkrete politische Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4. Neutralität als Rechtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Die Freiheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Wahlen als Legitimationsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Inhalt des Prinzips freier Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 III. Verfassungsmäßige Rechte politischer Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Funktionale Stellung der Parteien im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

10

Inhaltsverzeichnis b) Die Rolle politischer Parteien in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (1) Parteien als zentraler Bestandteil der Verfassungsordnung . . . . . . . . . . . 44 (2) Parteien als Mittler zwischen Volk und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (a) Unterscheidbarkeit staatlicher und gesellschaftlicher Willensbildung 45 (b) Parteien als staatsnaher Teil der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (c) Parteien als Bindeglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (3) Parteien als Förderer der aktiven Teilnahme am Willensbildungsprozess 47 (4) Parteien als Integrationsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (5) Anforderungen an die innere Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Sedes materiae der Parteirechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Rechtsnatur des Art. 21 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (1) Art. 21 GG als Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (2) Art. 21 GG als Bestandsgarantie mit subjektiver Komponente . . . . . . . . 50 b) Grundrechte politischer Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Gewährleistungen des Art. 21 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Gründungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (1) Programmfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (2) Wettbewerbsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (1) Verfassungsrechtliche Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (2) Inhaltliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 d) Ausstrahlung auf die Grundrechte der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (1) Generelle Bedeutung für den Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (2) Keine Differenzierung zu Wahlkampfzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (3) Potential der Beeinflussung des Volkes als Gradmesser für die Intensität der Ausstrahlungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 IV. Die Begründung der parteipolitischen Neutralität von Staatsorganen . . . . . . . . . . 62

D. Adressaten der Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Der Bundespräsident als Adressat der Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Aufgaben und Funktionen des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Stellung des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Die Wahl des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (1) Die Bundesversammlung als den Parteieinfluss verringerndes Organ . . . 68 (a) Faktischer Einfluss der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (b) Reduktion des Parteieinflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (2) Exkurs: Der Vorschlag einer Direktwahl des Bundespräsidenten . . . . . . 69

Inhaltsverzeichnis

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c) Verfassungsmäßige Aufgaben des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (1) Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (2) Geschriebene Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (a) Aufgaben mit Entscheidungsbefugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (aa) Befugnisse in der dritten Phase der Wahl des Bundeskanzlers

73

(bb) Befugnisse bei gescheiterter Vertrauensfrage . . . . . . . . . . . . . . . 74 (cc) Geschäftsführende Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (dd) Gänzlich ungebundene Entscheidungskompetenzen . . . . . . . . . 76 (b) Reserveaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (c) Kontrollaufgaben und Legalitätsreserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (aa) Vorschlag zur Wahl des Bundeskanzlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (bb) Ernennung der Bundesminister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (cc) Genehmigung der Geschäftsordnung der Bundesregierung . . . . 79 (dd) Abschluss völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (ee) Ausfertigung und Verkündung von Bundesgesetzen . . . . . . . . . 80 (ff) Ernennungen nach Art. 60 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (d) Beurkundungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (e) Gegenzeichnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (3) Ungeschriebene Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (a) Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (b) Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (aa) Pluralismus als desintegrierender Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (bb) Politische Dimensionen des Präsidentenamtes . . . . . . . . . . . . . . 87 (cc) Der Bundespräsident als unabhängiges Integrationsorgan . . . . . 88 (c) Klassische Prärogativrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (4) Rolle des Bundespräsidenten nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 91 d) Bedeutung der Verfassungstradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 e) Theorien zur Beschreibung der Funktionen des Bundespräsidenten . . . . . . . 92 (1) Der Bundespräsident als „Staatsnotar“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (2) Der Bundespräsident als „pouvoir neutre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (3) Der Bundespräsident als „Hüter der Verfassung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (4) Der Bundespräsident als „Kustos“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Maßstab der Neutralitätspflicht des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Konsequenzen aus der funktionalen Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (1) Verfassungsmäßige Aufgaben und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (2) Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (3) Voraussetzungen der Präsidentenanklage nach Art. 61 GG . . . . . . . . . . . 104 (4) Moralisches Vertrauen in den Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Keine Absenkung des Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (1) Fehlender Wettbewerb mit politischen Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

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Inhaltsverzeichnis (2) Geringe Mittelausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (3) Prägung des Amtes durch die Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Inkohärenzen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . 109 (1) Inkohärenzen in der „Spinner“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (2) Widersprüche zu anderen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (a) Die Entscheidung zur Bundesversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (b) Die „Schwesig“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Der Bundespräsident als parteipolitisch neutraler „Kustos“ . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Die Bundesregierung als Adressatin der Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Funktionale Stellung der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Verfassungsmäßige Aufgaben der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Geschriebene Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (a) Zuständigkeiten des Bundeskanzlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (aa) Intraorgankompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (bb) Interorgankompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (b) Beispielhafte Zuständigkeiten einzelner Bundesminister . . . . . . . . . . 121 (c) Zuständigkeiten des gesamten Kabinetts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (aa) Rechtsetzung und Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (bb) Auswärtige Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (cc) Krisenbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (dd) Beteiligung und Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (2) Ungeschriebene Aufgabenzuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (a) Initiativaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (b) Planungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (c) Informationstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Stellung der Bundesregierung im Verfassungsgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (1) Politisches Leitorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (2) Verwaltungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Die Bundesregierung zwischen Parteipolitik und Staatshandeln . . . . . . . . . . 130 2. Maßstab der Neutralitätspflicht der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Konsequenzen aus der funktionalen Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (1) Parteipolitische Verpflichtungen der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . 131 (2) Pflichten der parteipolitischen Zurückhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Die Bundesregierung als Ergebnis parteipolitischer Auseinandersetzungen 132 c) Wettbewerb mit den Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 d) Umfängliche Mittelausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 e) Geringe persönliche Amtsausfüllungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 f) Fachliches Vertrauen in die Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Die Bundesregierung als parteipolitisch neutrales Staatsorgan . . . . . . . . . . . . . 136

Inhaltsverzeichnis

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III. Strikte parteipolitische Neutralität als Pflicht für den Bundespräsidenten und die Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 E. Wirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Nicht rechtfertigbare Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Das Handeln als Privatperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Existenz einer höchstpersönlichen und einer parteipolitischen Sphäre . . . . . 141 (1) Kernbereich privater Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (2) Parteipolitische Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Sonderstellung des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Bestimmung der aktiven Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (1) Fälle klarer Zuordnung mittels Typisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (2) Zweifelsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (a) Grundsatz des parteipolitischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (b) Grundsatz des staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 d) Bedeutung des Kontextes einer politischen Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 e) Verbleibende Pflichten des „parteipolitischen Organs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Zulässige Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Öffentlichkeitsarbeit und Informationstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Sonderstellung des Bundespräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Bedeutung und Gebotenheit staatlicher Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . 151 d) Voraussetzungen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (1) Vorliegen einer staatlichen Aufgabe und Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . 152 (a) Keine Notwendigkeit zur Einzelfallermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . 152 (b) Aufgabeneröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (c) Einhaltung der Zuständigkeitsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (aa) Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (bb) Organkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (2) Sachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (3) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (4) Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit im Hinblick auf Wahlen . . . . . 160 e) Abgrenzung von parteipolitischer Einflussnahme und zulässiger Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Vertretung des gesellschaftlichen Konsenses oder Teilnahme des Staatsorgans am politischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 4. „Wehrhafte Demokratie“ und Staatsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Reichweite und Inhalt der „wehrhaften Demokratie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (1) Schutzauftrag des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

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Inhaltsverzeichnis (2) Inhaltliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (a) Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung . . . . . . . . . 165 (b) Bestandsschutz der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) „Wehrhafte Demokratie“ und parteipolitische Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Bedeutung und Reichweite des „Parteienprivilegs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (a) Objektiver Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (b) Begriff des „Parteienprivilegs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (c) Erstreckung des „Parteienprivilegs“ auf parteipolitische Äußerungen 172 (aa) Keine bloße Willkürkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (bb) Rechtfertigungsbedürftigkeit mittelbar-faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (cc) Bedeutung politischer Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (dd) Parteiverbot als Präventivmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (ee) Gebotenheit eines weiten Verständnisses des „Parteienprivilegs“ 177 (d) Pflicht zur Stellung eines Verbotsantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 5. Antinationalsozialistisches Sonderrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Eigenes Auftreten der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Öffentliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Das Grundgesetz als Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Schreckensherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 I. Begründung der Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Der Bundespräsident als Adressat der Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 III. Die Bundesregierung als Adressatin der Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 IV. Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Abkürzungsverzeichnis AbgG

Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Bundestages – Abgeordnetengesetz AfD Alternative für Deutschland AöR Archiv des öffentlichen Rechts BayBG Bayerisches Beamtengesetz BayStrWG Bayerisches Straßen- und Wegegesetz BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter BayVersG Bayerisches Versammlungsgesetz BBankG Gesetz über die Deutsche Bundesbank BBG Bundesbeamtengesetz BeamtStG Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – Beamtenstatusgesetz BMinG Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung – Bundesministergesetz BV Verfassung des Freistaates Bayern BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGG Gesetz über das Bundesverfassungsgericht – Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVerfGK Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfSchG Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz – Bundesverfassungsschutzgesetz BVFG Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge BWG Bundeswahlgesetz CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CSU Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. DKfzR Richtlinien für die Nutzung von Dienstkraftfahrzeugen in der Bundesverwaltung DÖV Die Öffentliche Verwaltung DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – Europäische Menschenrechtskonvention EU Europäische Union EUV Vertrag über die Europäische Union FDP Freie Demokratische Partei GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Grundgesetz GOBReg Geschäftsordnung der Bundesregierung GOBT Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages JA Juristische Arbeitsblätter JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts JURA Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JZ JuristenZeitung

16 K&R KommJur NATO NJW NPD NSDAP NVwZ NVwZ-RR ParlStG PartG SPD StGB StPO ThürVBl. VBlBW VereinsG VersG VerwArch VfZG VStGB VVDStRL VwVfG WRV ZaöRV ZBR ZG ZParl ZRP

Abkürzungsverzeichnis Kommunikation und Recht Kommunaljurist North Atlantic Treaty Organization Neue Juristische Wochenschrift Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungs-Report Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre Gesetz über die politischen Parteien – Parteiengesetz Sozialdemokratische Partei Deutschlands Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Thüringer Verwaltungsblätter Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts – Vereinsgesetz Gesetz über Versammlungen und Aufzüge – Versammlungsgesetz Verwaltungsarchiv Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Völkerstrafgesetzbuch Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsverfahrensgesetz Die Verfassung des Deutschen Reiches – Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik

A. Einleitung In der Demokratie des Grundgesetzes sehen sich Staatsorgane einem Dilemma gegenüber: Auf der einen Seite verkörpern sie den Gesamtstaat und müssen sich parteipolitisch zurückhalten. Der moderne demokratische Staat als „Heimstatt“1 aller Bürger, den das Grundgesetz konstituiert, identifiziert sich nicht mit ausgewählten politischen Parteien, sondern offenbart sein freiheitliches Gepräge gerade in der prinzipiellen Unvoreingenommenheit gegenüber allen ideologischen Strömungen. Auf der anderen Seite sind Staatsorgane abhängig von politischen Parteien, die im Rahmen des Willensbildungsprozesses des Volkes eine zentrale Rolle einnehmen (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG) und maßgeblichen Einfluss auf staatspolitisch relevante Personal- und Sachentscheidungen ausüben. Wollen Staatsorgane den Zuspruch der sie unterstützenden Parteien nicht verlieren und – wie die Bundesregierung – ihrer verfassungsmäßigen Aufgabe der Politikgestaltung nachkommen, sind sie gezwungen, politisch Stellung zu beziehen. Die so aufkommende Kontroverse zwischen parteipolitischer Abstinenz und Opportunität definiert im Wesentlichen das Spannungsfeld, in dem sich Staatsorgane bei ihrer täglichen Arbeit bewegen. Das Grundgesetz hält keine ausdrückliche Lösung für dieses Problem bereit. Vielmehr schafft es mit seiner Forderung nach starken Parteien und einem politisch offenen Staat erst die Grundlage für den beschriebenen Konflikt. Wenn sich Staatsorgane wertend gegenüber politischen Parteien positionieren, greifen sie in den von staatlichen Einflüssen im Grundsatz freizuhaltenden Willensbildungsprozess des Volkes und den Wettbewerb der Parteien ein.2 Ihre Handlungen berühren damit die in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG geschützte Chancengleichheit politischer Parteien und die von Art. 38 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG geforderte Freiheit der Wahl. Eine Beschränkung der Redefreiheit von Staatsorganen kann diese unter Umständen aber daran hindern, ihren verfassungsmäßigen Aufgaben effektiv nachzukommen, und sie – als Privatpersonen – in ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG beeinträchtigen. Die Rechte der Parteien und der Staatsorgane sowie der Schutz freier Wahlen als Institution betreffen für den Bestand und die Funktionsweise der Demokratie gleichermaßen elementare Aspekte, die miteinander unter Berücksichtigung aller widerstreitenden Interessen in Einklang gebracht werden müssen. Das Prinzip der Einheit der Verfassung gebietet es, den konfligierenden Rechtsgütern im Wege der praktischen Konkordanz Grenzen zu setzen, sodass alle „zu optimaler Wirksamkeit gelangen können“.3 Die Ergebnisse 1 2 3

BVerfGE 108, 282, 299 – Kopftuch. Vgl. hierzu bereits BVerfGE 44, 125, 146 – Öffentlichkeitsarbeit. So Hesse, Grundzüge, Rn. 72, allgemein zur praktischen Konkordanz.

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A. Einleitung

dieses Prozesses beschreiben dann Inhalt und Ausmaß staatlicher Neutralitätspflichten in der politischen Auseinandersetzung. Die beiden viel beachteten Entscheidungen des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 20144 zeigen zum einen die Aktualität der Thematik und zum anderen die mit ihr verbundenen verfassungsrechtlichen Unsicherheiten.5 Sowohl die Äußerung von Bundespräsident Joachim Gauck, der Anhänger rechtsradikaler Parteien als „Spinner“ bezeichnet hatte,6 als auch die Aussage von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, die im Thüringischen Landtagswahlkampf konstatiert hatte, Ziel Nummer eins müsse es sein, die NPD aus dem Landtag herauszuhalten,7 hat das Bundesverfassungsgericht gebilligt. Die Urteile werfen grundlegende staatsrechtliche Fragen nach der Stellung politischer Parteien, deren Verhältnis zu Staatsorganen, dem von der Funktion des jeweiligen Staatsorgans abhängigen Maßstab der Neutralitätspflichten sowie dem Umfang der vom Grundgesetz gestatteten parteipolitischen Wirkungsmöglichkeiten von Staatsorganen auf und bieten gleichzeitig nur wenige vollauf zufriedenstellende Antworten. Auch Landesverfassungsgerichte8 und Verwaltungsgerichte9 hatten sich in den letzten Jahren vermehrt damit zu befassen, wie intensiv sich öffentliche Amtsträger am politischen Diskurs beteiligen dürfen. Die Vielzahl der Entscheidungen verdeutlicht umso mehr, dass die am Meinungskampf beteiligten Parteien und Staatsvertreter Rechtssicherheit hinsichtlich der ihnen zukommenden grundgesetzlichen10 Position zu erlangen suchen. Aus der Tatsache, dass sich die Problematik parteipolitischer Neutralität in der Praxis dabei vor allem an Parteien mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen entzündet, darf freilich nicht geschlossen werden, dass Staatsorgane nicht auch gegenüber anderen Oppositionsparteien abwertend Stellung beziehen. Gleichwohl wird man Äußerungen gegenüber verfassungsfeindlichen Parteien unter dem Blickwinkel des Staatsschutzes besondere Aufmerksamkeit zu widmen haben. Ausgehend von den aktuellen Entscheidungen11 des Bundesverfassungsgerichts und einiger Landesverfassungsgerichte werden im Folgenden die verfassungs4 BVerfGE 136, 323 – Spinner; 138, 102 – Schwesig; in Bezug auf Regierungsmitglieder noch einmal bestätigt durch BVerfGE 140, 225 – Wanka. 5 Vgl. auch Muckel, JA 2015, 715, 718. 6 BVerfGE 136, 323 – Spinner. 7 BVerfGE 138, 102 – Schwesig. 8 SaarlVerfGH, Urteil vom 08. 07. 2014, Az.: Lv 5/14; RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665; ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295; ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273; ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 281. 9 VGH Kassel, Beschluss vom 03. 05. 2013, Az.: 8 A 772/13.Z; VGH Kassel NVwZ-RR 2015, 508; VG Düsseldorf, Urteil vom 09. 01. 2015, Az.: 1 L 54/15; OVG Münster, Beschluss vom 12. 01. 2015, Az.: 15 B 45/15; OVG Saarlouis KommJur 2014, 173. 10 Art. 21 GG ist automatisch auch Bestandteil der Landesverfassungen (vgl. bereits BVerfGE 6, 367, 375 – Gemeindewahlen). 11 Vgl. hierzu unter B.

A. Einleitung

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rechtlichen Grundlagen12 der Pflicht der Staatsorgane zu parteipolitischer Neutralität erörtert. Im Anschluss daran gilt es den konkreten Maßstab der Neutralitätspflicht für beide zu untersuchenden Verfassungsorgane – also für den Bundespräsidenten13 und die Bundesregierung14 – unter spezifischer Berücksichtigung ihrer jeweiligen grundgesetzlichen Aufgaben und Rechte zu bestimmen. Schließlich werden die trotz der prinzipiellen Neutralitätspflicht bestehenden Wirkungsmöglichkeiten der Staatsorgane im politischen Diskurs mit den Parteien dargelegt.15 Den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden dabei parteipolitische Äußerungen des Bundespräsidenten und der Mitglieder der Bundesregierung in jeder Form – ob schriftlich oder mündlich, in Printmedien oder auf modernen Kommunikationswegen wie Facebook-Seiten oder Tweets.16 Als parteipolitisch ist eine Aussage dann zu qualifizieren, wenn sie ausdrücklich oder konkludent eine wertende Stellungnahme zu einer bestimmten politischen Partei beinhaltet. Sonstige Betätigungen von Staatsorganen mit Bezug zu politischen Parteien, also insbesondere die Zuweisung von Finanzmitteln17 oder die Vergabe von Redezeiten im Parlament,18 bleiben außer Betracht. Auch die Äußerungen anderer Bundesorgane – also des Bundestags, des Bundesrats, des Bundesverfassungsgerichts, der Bundesversammlung und des Gemeinsamen Ausschusses – werden hier ebenso keine Berücksichtigung finden wie die Aussagen von Kirchenvertretern.19

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Vgl. hierzu unter C. Vgl. hierzu unter D. I. 14 Vgl. hierzu unter D. II. 15 Vgl. hierzu unter E. 16 Vgl. hierzu auch ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273, 277. 17 Hierunter fällt auch die finanzielle Ausstattung von Bundestagsfraktionen (vgl. hierzu BVerfG NVwZ 2015, 1361). 18 Vgl. hierzu BVerfGE 10, 4 – Redezeit. 19 Diese können zwar – etwa im Falle der katholischen und evangelischen Kirche – Organe von Körperschaften des öffentlichen Rechts sein, genießen aber im Gegensatz zu Vertretern der unmittelbaren Staatsverwaltung selbst Grundrechtsschutz (vgl. hierzu konkret auch die Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses des Deutschen Bundestags bzgl. des Wahleinspruchs der NPD und anderer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag, BT-Drs. 18/1810, S. 271). 13

B. Staatliche Neutralitätspflichten als aktuelle verfassungsrechtliche Problematik Mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und einiger Landesverfassungsgerichte, denen jeweils Äußerungen der Regierungsmitglieder oder des Bundespräsidenten zugrunde lagen, verdeutlichen die Aktualität verfassungsrechtlicher Neutralitätspflichten staatlicher Organe.

I. „Spinner“-Entscheidung Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 2014 befasst sich mit einer Äußerung des Bundespräsidenten Joachim Gauck gegenüber der NPD.1 Im August 2013 nahm der Bundespräsident an einer Gesprächsrunde, die unter dem Motto „22. 09. 2013 – Deine Stimme zählt!“ stand, mit mehreren hundert Berufsschülern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren in einem Berliner Schulzentrum teil. Auf die Frage eines Schülers, ob sich der Bundespräsident am Abreißen von Wahlplakaten der NPD beteiligt hätte, antwortete dieser: „Nein, beim Plakateabreißen hätte ich nicht mitgemacht. Und wissen Sie auch, wir haben so viele Möglichkeiten, uns gegen Rechtsradikale zu verteidigen, und Gott sei Dank funktioniert das. Ich meine, wir haben gerade auch in Hellersdorf gesehen – ich habe mich selber da auch informiert, bin selber auch mal hingefahren, jedenfalls in die Gemeinde dort –, was passiert da nicht alles, um den Asylbewerbern zu zeigen, also ihr seid hier nicht in einem Niemandsland. Bei uns gibt es Leute, die haben eine politische Ansicht, die die Mehrheit der Deutschen nicht teilt, und wir sind in einem Land, wo die diese Ansicht auch laut sagen dürfen. Das kann uns peinlich sein, und mir als älterem Deutschen ist es enorm peinlich. Ich finde das von allen politischen Irrtümern eigentlich am Widerlichsten. Schauen Sie, ich bin ja noch in der Zeit von Adolf Hitler geboren, ich hab da nicht viel mitgekriegt, weil ich Baby und Kleinkind war, aber als ich fünf war, ging dieser ganze Spuk zu Ende. Und alles, was wir nachher hatten an Leiden, an deutscher Spaltung, an kommunistischer Diktatur, an Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, alles hatte seinen Ursprung, weil wir Deutschen uns überhöht hatten, als das auserwählte Volk gelten wollten und Andere erniedrigt, ausgebeutet, verfolgt, überfallen haben. All das hat mein Leben doch sehr sehr stark beeindruckt. Und dass in der Mitte unseres Volkes ausgerechnet rechtsradikale Überzeugungen wieder Gehör finden, das finde ich so eklig, ich kann gar nicht sagen wie eklig. Aber solange eine Partei nicht verboten ist, darf sie auch sich äußern, und das müssen wir auch ertragen. Eine freie Gesellschaft kann den Irrtum nicht verbieten und kann auch nicht verbieten, dass irrige Meinungen geäußert werden. Die können wir bekämpfen. Und wir bekämpfen die. Und das 1

BVerfGE 136, 323 – Spinner.

I. „Spinner“-Entscheidung

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beruhigt mich. Wir brauchen da auch nicht nur unsere staatlichen Instanzen – die brauchen wir auch manchmal –, aber wir brauchen da Bürger, die auf die Straße gehen, die den Spinnern ihre Grenzen aufweisen und die sagen ,bis hierher und nicht weiter‘. Und dazu sind Sie alle aufgefordert.“2

Auf eine weitergehende Frage, ob man der NPD nicht zu viel Raum lasse, sagte der Bundespräsident: „[…] Ich bin Mecklenburger, und es gibt in Mecklenburg keine sozial national befreiten Zonen, man kann dort überall hingehen. Es gibt zwei oder drei Stellen, wo die sich mit besonderer Dreistigkeit hervortun. Aber auch dort gibt es die Bündnisse, über die ich gesprochen habe. Wir brauchen keine übertriebene Angst zu haben, dass diese Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben, dass die in Deutschland noch irgendwann einmal an die Macht kommen würden. Diese Angst brauchen wir nicht zu haben. Und nun müssen wir uns fragen, wie begegnen wir ihnen in der richtigen Weise, wie grenzen wir ihre Aktivitäten ein, wie bekämpfen wir sie. Und da ist eine Möglichkeit, die ein Teil unserer Parteien und Abgeordneten jetzt versucht, die, diese Partei verbieten zu lassen. Ich bin nicht sicher, ob das das Allerwichtigste ist. Für mich ist das Allerwichtigste, dass wir weder in der Politik eine einzige Partei haben, die mit denen Bündnisse eingeht, noch dass wir als Bürger in der Gefahr sind, ihnen massenhaft zu folgen. Im Gegenteil. Überall wo sie auftreten sind wir 10, 20 oder 30 Mal mehr als die. Das heißt, wir sind diejenigen, die die Macht haben. Und wir sollten ihnen nicht unsere Angst schenken und so tun, als könnten sie diese Demokratie gefährden. Sie sind unappetitlich, wir müssen sie politisch bekämpfen, und es ist eine Frage, ob sie so gefährlich sind, dass unser Verfassungsgericht sie verbieten wird. Da warte ich geduldig ab. Meine – spüren Sie ganz deutlich heraus, das mag so sein, dass sie verboten werden, aber ich bin stolz, Präsident eines Landes zu sein, in dem die Bürger ihre Demokratie verteidigen, in dem sie Bündnisse schaffen und ihre Parteien auch so haben, dass sie sagen, das ist nicht unsere Welt. Die sind stolz auf ein Deutschland, das wir hassen, und sie hassen ein Deutschland, auf das wir stolz sind. Und da, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und das können wir so oder so machen. Übrigens: Wir können die Partei verbieten, aber die Spinner und die Ideologen und die Fanatiker, die haben wir dann nicht aus der Welt geschafft. Die sind ja nicht in irgendwo in einem Lager dann. Sondern die suchen sich Kameradschaften und Cliquen, wo die dann weiter ihr Unwesen treiben. Das ist eben das, was wir uns dann bedenken müssen. Und diejenigen, die dem Parteiverbot kritisch gegenüber [wohl: stehen], sagen, die sind dann praktisch noch schwieriger zu kontrollieren. Also ich will mich da nicht deutlicher festlegen, aber Sie merken schon, dass ich stolz bin auf eine Bevölkerung, die hier wirklich aus der Geschichte gelernt hat und die genau weiß: Nie wieder. Und dazu gehören wir alle, die wir hier im Raum sitzen.“3

Das Bundesverfassungsgericht hat den Antrag der NPD, festzustellen, dass der Bundespräsident sie durch seine Aussagen in ihrem Recht aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 und Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG verletzt habe, als unbegründet zurückgewiesen. Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfülle, entscheide – so das Bundesverfassungsgericht – der Amtsinhaber grundsätzlich 2

Zitiert nach BVerfGE 136, 323, 325 – Spinner, Hervorhebung der streitgegenständlichen Aussage durch den Verf. 3 Zitiert nach BVerfGE 136, 323, 326 f. – Spinner, Hervorhebung der streitgegenständlichen Aussage durch den Verf.

22

B. Staatliche Neutralitätspflichten als aktuelle Problematik

selbst.4 Der Bundespräsident könne den mit dem Amt verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche Entwicklungen und allgemeinpolitische Herausforderungen entsprechend seiner Einschätzung eingehe und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei sei wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform.5 Inwieweit er sich dabei am Leitbild eines „neutralen Bundespräsidenten“ orientiere, unterliege weder generell noch im Einzelfall gerichtlicher Überprüfung.6 Dennoch widerspräche es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wären politische Parteien, deren Recht auf Chancengleichheit ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung sei, im Verhältnis zum Bundespräsidenten rechtsschutzlos gestellt. Vor diesem Hintergrund erscheine es geboten, aber auch ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen habe.7 Dass der Bundespräsident gewaltsame Proteste gegen die NPD unterstützt oder auch nur gutgeheißen habe, lasse sich seinen Äußerungen bei der gebotenen objektiven Auslegung nicht entnehmen. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei auch die Verwendung des Wortes „Spinner“ im konkreten Zusammenhang. Der Bundespräsident habe damit über die NPD und ihre Anhänger zwar ein negatives Werturteil abgegeben, das isoliert betrachtet durchaus als diffamierend empfunden werden könne. Hier aber diene die Bezeichnung als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden hätten und – unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus – rechtsradikale Überzeugungen vertreten würden.8

II. Exkurs: Weitere Äußerungen Joachim Gaucks Joachim Gauck hat sich auch außerhalb der in der „Spinner“-Entscheidung relevanten Aussagen mehrfach abwertend über politische Parteien geäußert. Während einer Diskussionsveranstaltung mit dem polnischen Staatspräsidenten Bronislaw Komorowski am 18. Oktober 2013 brachte Gauck die AfD mit rechtspopulistischen Parteien anderer europäischer Länder in Verbindung und sagte, er sei „sehr dankbar, dass es in Deutschland bislang noch keine solche Partei ins Parlament geschafft“9 habe. Am 2. November 2014 kritisierte Gauck im Rahmen eines Fernsehinterviews aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums des Mauerfalls die sich abzeichnende Bildung einer von der Partei „Die Linke“ geführten Landesregierung in Thüringen wie folgt:

4 5 6 7 8 9

Vgl. BVerfGE 136, 323, 332 – Spinner. Vgl. BVerfGE 136, 323, 332 – Spinner. Vgl. BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. Vgl. BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. Vgl. BVerfGE 136, 323, 337 – Spinner. Zitiert nach Butzer, ZG 2015, 97, 98.

III. „Schwesig“-Entscheidung

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„Naja, Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren. Aber wir sind in einer Demokratie. Wir respektieren die Wahlentscheidungen der Menschen und fragen uns gleichzeitig: Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können? Und es gibt Teile in dieser Partei, wo ich – wie viele andere auch – Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln.“10

III. „Schwesig“-Entscheidung Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2014 ist eine Äußerung der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Manuela Schwesig gegenüber der NPD.11 Am 23. Juni 2014 nahm die Ministerin an der Eröffnung der Sommertagung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz und der in diesem Rahmen stattfindenden Verleihung des Thüringer Demokratiepreises in Weimar teil, für die der Freistaat Thüringen verantwortlich war. Am gleichen Tag gab Schwesig der Thüringischen Landeszeitung ein Interview, das am 25. Juni 2014 erschien. Gegenstand des Interviews waren die Bekämpfung des Rechtsextremismus, die Ausgestaltung des in der Zuständigkeit der Ministerin liegenden Demokratieprogramms des Bundes, die Abschaffung der Extremismusklausel, die Frauenquote auf Führungsebene, die Anbringung der Regenbogenflagge am Ministerium, das Elterngeld und die anstehenden thüringischen Landtagswahlen. Auf die Frage, wie im Falle eines Einzugs der NPD in den Landtag mit deren Anträgen im Parlament oder auf Kommunalebene umzugehen sei, antwortete die Ministerin unter anderem: „Das Gefährliche an der NPD ist, dass sie versucht ihr Molotow-Cocktail-Image abzulegen. Sie kommt nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatzen daher, sondern im feinen Nadelstreifenanzug. Sie tut so, als ob sie sich sozial engagiert. Aber dahinter versteckt sich die Ideologie von Hitler – und jedes Parlament muss sich beraten, wie es damit umgeht. Meine Erfahrung aus dem Landtag in Mecklenburg-Pommern ist der Antrag wird abgelehnt und ein Demokrat spricht für alle demokratischen Fraktionen, um dabei deutlich zu machen, dass der Antrag nur vermeintlich soziales Engagement ist und dahinter etwas anderes steckt. Das hat sich in Schwerin bewährt – und kann ein Beispiel sein. Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt.“12

10 Gauck, in: Internetauftritt des Bundespräsidenten, unter: http://www.bundespraesident. de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Interviews/2014/141102-Bericht-aus-Berlin.html (abgerufen am 01. 06. 2016). 11 BVerfGE 138, 102 – Schwesig. 12 Zitiert nach BVerfGE 138, 102, 104 – Schwesig, Hervorhebung der streitgegenständlichen Aussage durch den Verf.; ähnlich äußerte sich auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin (vgl. dazu noch unter B. IV. 1.).

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B. Staatliche Neutralitätspflichten als aktuelle Problematik

Das Bundesverfassungsgericht hat den Antrag der NPD, festzustellen, dass die Ministerin mit ihrer Aussage das Recht der NPD auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG verletzt habe, als unbegründet zurückgewiesen. Die Maßstäbe für die verfassungsrechtliche Beurteilung parteipolitischer Äußerungen des Bundespräsidenten seien – so das Bundesverfassungsgericht – wegen der unterschiedlichen grundgesetzlichen Stellung auf die Mitglieder der Bundesregierung nicht übertragbar.13 Die Bundesregierung habe jede über das bloße Regierungshandeln hinausgehende Maßnahme, die auf die Willensbildung des Volkes einwirke und in parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien Einfluss nehme, zu unterlassen.14 Dies schließe zwar nicht aus, dass der Inhaber eines Ministeramts außerhalb seiner amtlichen Funktionen am politischen Meinungskampf teilnehme und in den Wahlkampf eingreife. Es müsse aber sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibe.15 Im zu entscheidenden Fall sei die Äußerung der Ministerin dem politischen Meinungskampf zuzuordnen.16 Die Eröffnung der Tagung und das Interview stellten zwei unterschiedliche Sachverhalte dar, die getrennt voneinander zu beurteilen seien. Darüber hinaus habe die Ministerin weder auf die Verwendung von Staatssymbolen oder Hoheitszeichen zurückgegriffen, noch sei ein äußerungsbezogener Einsatz von Sach- oder Finanzmitteln feststellbar, die der Ministerin aufgrund ihres Regierungsamts zur Verfügung stünden. Wenngleich das Interview selbst weitgehend die Regierungstätigkeit zum Gegenstand gehabt habe, sei hiervon der Teil des Interviews zu unterscheiden, der sich mit dem möglichen Einzug der NPD in den Thüringer Landtag befasse. Die Ministerin beziehe sich in dieser Passage in keiner Weise auf ihr Amt als Mitglied der Bundesregierung und die damit einhergehende Autorität.

IV. „Wanka“-Entscheidung Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2015 beschäftigt sich mit einer Äußerung der Bundesministerin für Bildung und Forschung Johanna Wanka gegenüber der AfD.17 Im November 2015 veröffentlichte die Bundesbildungsministerin als Reaktion auf eine von der AfD geplante Versammlung unter dem Motto „Rote Karte für Merkel! – Asyl braucht Grenzen!“ folgende Pressemitteilung (Nr. 151/2015) auf der Internetseite ihres Ministeriums: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. 13 14 15 16 17

Vgl. BVerfGE 138, 102, 111 f. – Schwesig. Vgl. BVerfGE 138, 102, 115 – Schwesig. Vgl. BVerfGE 138, 102, 117 f. – Schwesig. Vgl. BVerfGE 138, 102, 121 ff. – Schwesig. BVerfGE 140, 225 – Wanka.

V. Landesverfassungsgerichtliche Entscheidungen

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Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung.“18

Im Wege einer einstweiligen Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht der Ministerin aufgegeben, die streitgegenständliche Pressemitteilung von der Internetseite ihres Ministeriums zu entfernen, da dem Gericht ein Organstreitverfahren im Zeitpunkt der Eilentscheidung weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet erschien. Zur Begründung rekurriert das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen auf seine Erwägungen in der „Schwesig“-Entscheidung.19 Da die Veröffentlichung der Presseerklärung der Ministerin auf der Homepage des von ihr geführten Ministeriums erfolgt sei, habe sie Ressourcen in Anspruch genommen, die den politischen Wettbewerbern verschlossen seien. Daher könne eine Verletzung des Rechts der Antragstellerin auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb nicht ausgeschlossen werden.

V. Landesverfassungsgerichtliche Entscheidungen Darüber hinaus befassten sich auch mehrere Landesverfassungsgerichte mit parteipolitischen Äußerungen von Mitgliedern der jeweiligen Landesregierungen. Diese sind für die vorliegende Betrachtung deshalb von Relevanz, weil die maßgebliche Norm (Art. 21 GG) auch Bestandteil der Landesverfassungen ist.20

1. „Dreyer“-Entscheidung Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 21. Mai 2014 hat Aussagen der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Maria Luise („Malu“) Dreyer gegenüber der NPD zum Gegenstand.21 Am 23. April 2014 fand in einer Sportgaststätte in Pirmasens eine Veranstaltung unter dem Motto „Politik trifft Sport“ statt, zu der die Vorsitzende des Stadtverbands Pirmasens der SPD eingeladen hatte. Im Rahmen der Veranstaltung gab es eine Fragerunde, bei welcher ein ehemaliger Radioredakteur und SPD-Stadtratskandidat Fragen unter anderem an die Ministerpräsidentin richtete. In einem Bericht über die Veranstaltung in der „Pirmasenser Zeitung“ vom 25. April 2014 wurde ausgeführt, die Ministerpräsi18

Zitiert nach BVerfGE 140, 225, 226 – Wanka. Vgl. BVerfGE 140, 225, 227 – Wanka. 20 Vgl. BVerfGE 6, 367, 375 – Gemeindewahlen; 23, 33, 39 – Wahlkampfkosten; 66, 107, 114; inhaltsgleiches Landesverfassungsrecht wie etwa Art. 20 Abs. 3 der Verfassung des Landes Brandenburg hat daneben Bestand, für widersprechende Regelungen ist hingegen gem. Art. 31 GG kein Raum (kritisch zu sehen daher Art. 15 BV, vgl. auch Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 149). 21 RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665. 19

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B. Staatliche Neutralitätspflichten als aktuelle Problematik

dentin habe geäußert, es müsse „alles daran gesetzt werden, um den Wiedereinzug der rechtsextremen NPD im Stadtrat zu verhindern“22. Der Verfassungsgerichtshof hat den auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Antrag, festzustellen, dass die Ministerpräsidentin mit ihrer Aussage in verfassungswidriger Weise in den laufenden Kommunalwahlkampf eingegriffen habe, wegen Unbegründetheit abgelehnt. Die Ministerpräsidentin habe – so der Verfassungsgerichtshof – nicht in unzulässiger Weise in den laufenden Wahlkampf eingegriffen, da sie sich in ihrer privaten Eigenschaft als Mitglied der SPD und als politisch engagierte Bürgerin geäußert habe. Der nichtamtliche Charakter ihrer Aussage folge aus dem äußeren Rahmen, in dem sie getroffen worden sei. Die Äußerung sei weder unter Einsatz öffentlicher Mittel noch in einer amtlichen Publikation noch unter Verwendung offizieller Zeichen erfolgt. Zu der Veranstaltung, bei der die Äußerung gefallen sei, habe auch keine staatliche Stelle eingeladen, sondern vielmehr die Vorsitzende des SPD-Stadtverbands.23

2. „Commerçon“-Entscheidung Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 8. Juli 2014 befasst sich mit einer Äußerung des Saarländischen Ministers für Bildung und Kultus Ulrich Commerçon gegenüber der NPD.24 Am 21. März 2014 fand in den Räumlichkeiten des Saarländischen Rundfunks in Saarbrücken eine Veranstaltung zur Feier des zehnjährigen Bestehens des Projekts „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ im Saarland statt. Dabei handelt es sich um ein bundesweit unter Beteiligung von 1.250 Schulen betriebenes Konzept, das sich gegen alle Formen von Diskriminierung – vor allem gegen Rassismus – einsetzt. In seiner Grußansprache, über die in den Medien berichtet wurde, äußerte sich der Saarländische Kultusminister unter anderem wie folgt: „Die Schülerinnen und Schüler leisten eine wichtige zivilgesellschaftliche Arbeit, buchstäblich von unten, früher hat man mal ,Graswurzelarbeit‘ dazu gesagt, für den Fortbestand unserer Demokratie. Die Landeszentrale unterstützt das in hervorragender Weise, dafür auch herzliches Dankeschön an die Landeszentrale. Lassen Sie mich vielleicht noch das ein oder andere Beispiel nennen. Viele Schulen leisten ganz wichtige Arbeit im Bereich der Rassismus-Prävention. Sie setzen sich mit den Feinden unserer Verfassung – gestern wie heute – auseinander. Sie sagen, bringen deutlich zum Ausdruck, die NPDler, die Nazis von heute, sind nichts anderes als die Wiedergänger der alten Nazis, die damals auch nicht nur Juden ausgrenzten und ermordeten. Wenn sie heute ,Ausländer raus‘ grölen und deren Rückkehr in die vermeintliche Heimat fordern, tun sie das gleiche, was die Nazis damals getan haben. Als hätten sie sozusagen eine Blaupause, eine Blaupause einstiger NSDAP-Programme gezogen, trennen NPD, Kameradschaften und 22 23 24

Zitiert nach RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665, 665. Vgl. RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665, 668. SaarlVerfGH, Urteil vom 08. 07. 2014, Az.: Lv 5/14.

V. Landesverfassungsgerichtliche Entscheidungen

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andere Versprengte heute die Gesellschaft in Deutsche und Ausländer wie damals deren Altvorderen in ,Volksgenossen‘ und ,Gemeinschaftsfremde‘. Und ich glaube, das muss deutlich gesagt werden: Das ist ein klarer Verfassungsverstoß und so argumentiert auch in diesen Tagen das von den Bundesländern auf den Weg gebrachte Parteienverbot der NPD. Ich sage aber auch, der Kernpunkt wird nicht das Verbot der NPD sein, Kernpunkt wird sein müssen, dass wir in dieser Gesellschaft immer wieder,nein‘ sagen, wenn dieser Mob wieder rauskriecht aus den Köpfen, wenn diese ,braune Brut‘ wieder nach oben kommt. Ich glaube, das ist der Kern dieses Projektes, dass wir immer wieder sagen, ,es darf keinen Schlussstrich geben‘, ,es darf kein ,ist doch alles Schnee von gestern‘-Gerede geben‘. Nein, es bleibt immer und alle Zeit unsere Aufgabe ,nein‘ zu sagen, wenn diese ,braune Brut‘ wieder zum Vorschein kommt.“25

Der Verfassungsgerichtshof hat den Antrag der NPD, festzustellen, dass der Kultusminister sie in ihren Rechten aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG verletzt und zu ihren Lasten in den Europa- und Kommunalwahlkampf eingegriffen habe, als unbegründet zurückgewiesen. Verfassungsrechtliche Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Regierung seien – so der Verfassungsgerichtshof – nicht überschritten, da die Äußerungen des Ministers keinen Bezug zu den im Saarland anstehenden Wahlen aufwiesen. Zwar stellten die Worte „Mob“ und „braune Brut“ negative Werturteile dar, damit habe der Minister aber nicht die Antragstellerin, sondern allgemein Personen gemeint, die die Gesellschaft in Ausländer und Deutsche teilten.26 Soweit der Minister die Anhänger der NPD als die „Nazis von heute“ bezeichnet habe, sei dies in sachlichem Zusammenhang mit einem sich gegen Rassismus wendenden schulischen Projekt gestanden und eine einprägsame Stellungnahme zu einer in der Gesellschaft notwendigen Debatte gewesen.27

3. „Taubert“-Entscheidung Streitgegenständlich sind in dem Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 3. Dezember 2014 Äußerungen der damaligen thüringischen Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie Heike Taubert gegenüber der NPD gewesen.28 Auf der Homepage des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit wurde am 12. März 2014 die folgende Medieninformation (Nr. 069/ 2014) eingestellt: „Taubert ruft zur Unterstützung des Bündnisses ,Kirchheimer gegen Rechts‘ auf. Sozialministerin Heike Taubert (SPD): ,Antidemokratischen und rechtsextremistischen Bestrebungen die Rote Karte zeigen‘. 25 Zitiert nach SaarlVerfGH, Urteil vom 08. 07. 2014, Az.: Lv 5/14, S. 3 f., Hervorhebungen der streitgegenständlichen Aussagen durch den Verf. 26 SaarlVerfGH, Urteil vom 08. 07. 2014, Az.: Lv 5/14, S. 9 f. 27 SaarlVerfGH, Urteil vom 08. 07. 2014, Az.: Lv 5/14, S. 14. 28 ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295.

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B. Staatliche Neutralitätspflichten als aktuelle Problematik Die Thüringer Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit, Heike Taubert (SPD), hat in Erfurt zur Beteiligung an den Protesten gegen den geplanten NPD-Landesparteitag am kommenden Samstag, den 15. März 2014, in Kirchheim im Ilm-Kreis aufgerufen. Heike Taubert sagte: ,Zum wiederholten Mal müssen die Kirchheimer eine Veranstaltung von Neonazis mit ihrer menschenverachtenden Ideologie ertragen. Wir dürfen die Gemeinde in dieser Situation nicht alleine lassen. Wenn die Demokratie gefährdet, Toleranz missachtet und unsere Weltoffenheit aufs Spiel gesetzt werden, dann müssen wir dagegen gemeinsam etwas tun. Deshalb rufe ich alle Thüringerinnen und Thüringer auf, nach Kirchheim zu kommen. Zeigen Sie Rassismus und Intoleranz die Rote Karte.‘ Hintergrund ist der für den kommenden Samstag in der Kirchheimer ,Erlebnisscheune‘ angekündigte Landesparteitag der NPD. Die Thüringer Sozialministerin Heike Taubert wird die Proteste ab 8:30 Uhr persönlich unterstützen.“29

Der Parteitag der NPD fand am 15. März 2014 statt. Nach Medienberichten versammelten sich zu den Protesten etwa einhundert Personen. Die Demonstration verlief friedlich und der Parteitag konnte ohne Störungen durchgeführt werden. Der Verfassungsgerichtshof hat dem Antrag der NPD, festzustellen, dass die Ministerin mit ihrer Äußerung in verfassungswidriger Weise in den laufenden Landtags- und Kommunalwahlkampf eingegriffen habe, stattgegeben. Durch ihren Protestaufruf habe die Ministerin – so der Verfassungsgerichtshof – in das Recht der NPD auf Chancengleichheit eingegriffen, ohne dass sie hierzu durch einen zwingenden Grund berechtigt gewesen sei. Die Ministerin könne sich selbst nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen, da sie nicht als Privatperson, sondern als Amtsträgerin gehandelt habe.30 Auch die anerkannte Kompetenz der Landesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit rechtfertige den Protestaufruf nicht, da die Aufforderung zur Teilnahme an einer Demonstration gegen den Nominierungsparteitag der NPD keine rechtlich zulässige Öffentlichkeitsarbeit sei.31 Ein solcher Aufruf könne auch nicht über die Grundentscheidung der Verfassung für eine „wehrhafte Demokratie“ gerechtfertigt werden.32

4. „Ramelow“-Entscheidung In seinem Urteil vom 8. Juni 2016 hatte sich der Thüringer Verfassungsgerichtshof mit einer Äußerung des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow über die NPD zu befassen.33 Am 15. Juni 2015 stellten im Stadtrat von Eisenach die drei Mandatstra¨ ger der NPD-Fraktion einen Antrag auf Einleitung eines Abwahlverfahrens gegen die Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Die Linke). Der Antrag erhielt 16 29 Zitiert nach ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295, Hervorhebung der streitgegenständlichen Äußerung durch den Verf. 30 Vgl. ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295, 298. 31 Vgl. ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295, 298 f. 32 Vgl. ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295, 299. 33 ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273.

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Stimmen und verfehlte so die notwendige Zweidrittelmehrheit. Am Folgetag interviewte der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) neben weiteren Landespolitikern auch Bodo Ramelow. Das Gespräch wurde in den Räumen der Staatskanzlei vor der Landesdienstflagge gefilmt. Der Ministerpräsident äußerte sich unter anderem wie folgt: „Ich bin ziemlich irritiert, dass eine Denkzettelwahl gegen eine amtierende Oberbürgermeisterin über einen NPD-Antrag offensichtlich von anderen demokratisch gewählten und für die demokratischen Parteien gewählten Stadträten mit genutzt worden ist. Ich glaube, dass es gut ist, dass der Thüringer Weg bisher so beschritten worden ist, dass wir als Demokraten gemeinsam zusammen stehen, wenn die NPD aufmarschiert und ihren braunen Ungeist verbreiten will. Und deswegen gibt es keine Gemeinsamkeit auf der Basis von NPDAntra¨ gen und ich appelliere an alle demokratischen Parteien und ihre Vertreter, dass es wirklich keine Gemeinsamkeiten auf der Basis von NPD-Antra¨ gen geben darf. Die Einzigsten, die dabei gewinnen, ist die NPD selber. Wenn man der Meinung ist, dass man sich mit der Oberbürgermeisterin auseinandersetzen will, dann muss man das als politische Auseinandersetzung führen, aber niemals über einen NPD-Antrag. […] Man muss den jeweils anderen politischen Vertreter nicht akzeptieren oder mögen, aber man muss einen konsequenten Konsens durchhalten, dass man nicht in Karlsruhe ein NPDVerbotsverfahren auf den Weg bringen kann, um dann heimlich in der Wahlurne, wenn es keiner anscheinend sieht, zu meinen, man könnte das jetzt einfach als Denkzettel gebrauchen. Die Nazis werden damit aufgewertet.“34

Der MDR Thüringen stellte das Interview ungekürzt als Audiodatei auf seiner Internetseite bereit. Diese Audiodatei wurde anschließend sowohl in einem Tweet der Thüringer Staatskanzlei als auch auf der Facebook-Seite des Freistaats Thüringen verlinkt. Einzelne Äußerungen aus dem Interview wurden zudem im Rundfunk und im Fernsehen ausgestrahlt. Im Hintergrund war dabei die Landesdienstflagge zu erkennen. Der Verfassungsgerichtshof hat dem Antrag der NPD stattgeben und festgestellt, dass der Ministerpräsident durch seine Äußerungen im Interview und der späteren Verlinkung auf dem Twitter Account der Staatskanzlei und der Facebook-Seite des Freistaats Thüringen gegen das Recht der NPD aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG verstoßen hat. Die Äußerungen seien – so der Verfassungsgerichtshof – Bodo Ramelow in seiner Funktion als Ministerpräsident zuzurechnen.35 Ausschlaggebend für eine Qualifizierung als amtliche Äußerung sei die Nutzung staatlicher Ressourcen durch die Verlinkung des Interviews auf dem Twitter-Account der Thüringer Staatskanzlei und auf der Facebook-Seite des Freistaats Thüringen. Durch seinen an andere Parteien gerichteten Appell, NPD-Antra¨ ge nicht mitzutragen, habe der Ministerpräsident parteiergreifend zulasten der NPD in den allgemeinen politischen Wettbewerb eingegriffen und damit das Neutralita¨ tsgebot verletzt. 34 Zitiert nach ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273, 273 f., Hervorhebungen der streitgegenständlichen Aussagen durch den Verf. 35 Vgl. ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273, 276 f.

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B. Staatliche Neutralitätspflichten als aktuelle Problematik

5. „Lauinger“-Entscheidung In seinem Urteil vom 6. Juli 2016 hatte der Thüringer Verfassungsgerichtshof über eine Äußerung des Thüringer Ministers für Migration, Justiz und Verbraucherschutz Dieter Lauinger gegenüber der AfD zu entscheiden.36 Am 21. Oktober 2015 fand auf dem Domplatz in Erfurt unter dem Motto „Asylkrise beenden! Grenzen sichern!“ eine durch die AfD angemeldete Demonstration statt. Am Tag zuvor hatte der Minister die folgende Medieninformation (Nr. 70/2015) auf der Homepage des von ihm geführten Ministeriums eingestellt: „Keine Debatte um Sorgen, sondern Schüren von Hass ¨ NDNIS 90/DIE GRU ¨ NEN) Thüringens Migrations- und Justizminister Dieter Lauinger (BU warnt angesichts fremdenfeindlicher Demonstrationen, wie auch morgen wieder eine für Erfurt angemeldet ist, vor einem Vermischen von Sorgen, über die gesprochen werden muss, und Straftaten. ,Es ist ja inzwischen offensichtlich, dass es den Organisatoren solcher Veranstaltungen nicht um die sachliche Debatte, sondern aus politischem Kalkül um das Schüren von Ängsten geht‘, sagt Lauinger. ,Die angeblichen Biedermänner haben sich durch fremdenfeindliche Hetze und Rassismus entlarvt – für beides aber ist kein Platz in unserer Gesellschaft und auf unseren Straßen.‘ Nachdem die Kritik an Fanatikern auf den Islam insgesamt ausgedehnt wurde, werden bei den Demonstrationen inzwischen alle Fremden und Politikerinnen wie Politiker offen angefeindet. ,Simple Parolen werden den komplexen Herausforderungen aber nicht gerecht.‘ Lauinger fordert die Bürgerinnen und Bürger auf, genau zu prüfen, ob sie sich für die Ziele der Demonstrationsanmelder einspannen lassen wollen. ,Es geht eben nicht um die bürgerrechtlichen Ideale des Herbstes 1989, sondern um Abgrenzung gegen alles NichtDeutsche‘, sagt Lauinger. ,Auch soziale und wirtschaftliche Themen werden verkehrt und missbraucht, um Hass gegen Menschen aus anderen Ländern zu schüren – im wahrsten Sinn, denn diese Stimmung führt direkt weiter zu brennenden Flüchtlingsunterkünften.‘ Die Zerstörung von Flüchtlingsunterkünften oder Angriffe auf Personen aber haben nichts mit Besorgnis zu tun. ,Wer den Scharfmachern hinterherläuft, macht sich auch für die Folgen der Stimmungsmache mitverantwortlich‘, so Lauinger. Der Minister betont, dass Gewalt keine Form der demokratischen Auseinandersetzung ist. ,Sie ist von keiner Seite durch nichts zu rechtfertigen‘, sagt Lauinger. Er macht deutlich, dass es kein Abrücken von rechtsstaatlichen Prinzipien geben kann. ,Selbstverständlich fordern wir von allen Flüchtlingen, dass sie sich an das Grundgesetz halten‘, so der Minister. ,Ebenso selbstverständlich gilt dies für alle anderen. Es ist daher nicht zu dulden, dass diese Regeln ständig in Frage gestellt werden.‘“37

Der Verfassungsgerichtshof hat dem Antrag stattgeben und festgestellt, dass die Medieninformation die Rechte der AfD aus Art. 21 Abs. 1 GG verletzt hat. Die in der Medieninformation enthaltene Aufforderung komme – so der Verfassungsgerichtshof – in Verbindung mit den negativen Werturteilen einem Aufruf zum Boykott 36 37

ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 281. Zitiert nach ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 281, 281 f.

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der geplanten Versammlung gleich.38 Die Aussage sei geeignet, die Bürger von einer Teilnahme an der Demonstration abzuschrecken, und beeinflusse so die Willensbildung der möglichen Versammlungsteilnehmer. Die von der Medieninformation ausgehende Beeinträchtigung sei nicht durch einen besonders zwingenden Grund gerechtfertigt – weder unter dem Gesichtspunkt zulässiger Öffentlichkeitsarbeit noch nach dem Prinzip der streitbaren Demokratie.39

38 39

Vgl. ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 281, 284. Vgl. ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 281, 283 f.

C. Das Prinzip staatlicher Neutralität im Kontext parteipolitischer Auseinandersetzungen Die Pflicht staatlicher Organe zu parteipolitischer Neutralität stützt sich auf drei verfassungsrechtliche Säulen. Erstens konstituiert das Grundgesetz einen Staat, der keine Identifikation mit bestimmten politischen Richtungen zulässt (vgl. im Folgenden unter I.). Zweitens verlangt der Grundsatz freier Wahlen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) als Legitimationsbasis der Staatsgewalt ein Ausbleiben amtlicher Wahlbeeinflussung (auch) durch parteipolitische Äußerungen von Staatsorganen (vgl. im Folgenden unter II.). Drittens nehmen Parteien im demokratischen System der Bundesrepublik eine für den Willensbildungsprozess des Volkes zentrale Rolle ein, die ihnen insbesondere das Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb mit anderen Parteien verschafft (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) und gleichzeitig den Staatsorganen die Ungleichbehandlung von Parteien verbietet (vgl. im Folgenden unter III.).1

I. Parteipolitische Neutralität als Rechts- und Verfassungsprinzip Sowohl im allgemeinen Wortsinn als auch in verschiedenen gesetzlichen Regelungen lassen sich Anhaltspunkte für ein rechtliches Verständnis des Begriffs der Neutralität erkennen, die auf ein von den Organen zu beachtendes Rechts- und Verfassungsprinzip hindeuten.

1. Der Begriff der Neutralität Unter Neutralität versteht man gemeinhin eine unparteiische Haltung, die nicht an bestimmte Interessen gebunden ist,2 also eine Art Parteilosigkeit.3 Das deutsche Wort „neutral“ leitet sich vom lateinischen Adjektiv „neutralis“, dieses wiederum von lateinisch „neuter“ ab, das so viel heißt wie „keiner von beiden“.4 Im Mittellateinischen hat das Wort „neutralis“ zunehmend die Bedeutung „keiner Partei ange1 2 3 4

Vgl. auch Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 259. Duden, Fremdwörterbuch, Stichwort: Neutralität. Wahrig, Wörterbuch, Stichwort: Neutralität. Duden, Herkunftswörterbuch, Stichwort: neutral.

I. Parteipolitische Neutralität als Rechts- und Verfassungsprinzip

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hörend“ entwickelt, woraus unter dem Einfluss des französischen „neutre“ das deutsche Adjektiv „neutral“ – ursprünglich „keiner (Krieg führenden) Partei angehörend“ – geworden ist.5 Neutral verhält sich also, wer sich keiner bestimmten Gruppe oder Meinung zuwendet und sich nicht mit dem Besonderen identifiziert.6 Dennoch kann auch eine sich neutral verhaltende Person einer bestimmten Auffassung den Vorzug geben. Dies zeigt sich am Beispiel des Richters, der beide Seiten unbefangen anhört, sich letztlich aber mit seinem Urteil für eine der beiden entscheiden muss. Der neutrale Charakter eines Verhaltens stützt sich dann nicht auf das Ergebnis eines Abwägungsprozesses, sondern auf eben diesen Prozess selbst. Man kann Neutralität dann als eine Art „Unvoreingenommenheit“ bei der Entscheidungsfindung begreifen. Das Subjekt des Entscheidungsprozesses ist nicht an die Denk- und Herangehensweise eines anderen gebunden und führt diesen Vorgang autonom durch. Daneben gibt es Fälle, die – anders als etwa das Gerichtsverfahren – keine konkrete Entscheidung des Handelnden erfordern. Dann muss das gesamte, nach außen wahrnehmbare Verhalten neutral sein.7 Jede Identifikation mit einem Partikularinteresse würde eine Vernachlässigung der Neutralität bedeuten, da die agierende Person nicht mehr parteilos wäre. Die beiden Konstellationen haben gemein, dass der Handelnde konsequent eigenen Maßstäben folgen muss, weil er nur so die Parteinahme vermeiden kann. Neutralität meint infolgedessen „die Abwehr eines fremden Handlungs- und Entscheidungsmaßstabes, die Beschränkung auf den jeweils vom Sachgebiet und dessen Eigenart her gebotenen eigenen Maßstab bzw. gerade die Hervorkehrung dieses eigenen Maßstabs“8. Dabei ist Neutralität indes keinesfalls zu verwechseln mit Unentschiedenheit, Indifferenz, Unschärfe, Gleichgültigkeit oder Teilnahmslosigkeit.9 Ein neutral Handelnder ist nicht „blutleer“, sondern vorurteilsfrei und unparteiisch.

2. Ausprägungen des Neutralitätsgebots im geltenden Recht Das Grundgesetz sieht keine ausdrückliche, allgemein geltende Neutralitätspflicht für staatliche Funktionsträger vor. Dennoch statuiert das geltende Recht an unterschiedlichen Stellen einzelne Neutralitätsgebote. Neben der Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG) kennt das einfachgesetzliche Recht etwa die Unparteilichkeit der Verwaltung (§§ 20 f. VwVfG) und die allgemeine, von bestimmten Verfahren losgelöste Pflicht der Beamten,10 ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht 5

Duden, Herkunftswörterbuch, Stichwort: neutral. Schlaich, Neutralität, S. 236. 7 Hegel, Grundlinien, § 187, fordert etwa generell, dass sich die Bürger „auf allgemeine Weise bestimmen“. 8 Schlaich, Neutralität, S. 41. 9 Vgl. statt vieler Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 20. 10 Vgl. Werres, in: Brinktrine/Schollendorf, § 60 BBG, Rn. 2. 6

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

zu erfüllen (§ 60 Abs. 1 S. 2 BBG; § 33 Abs. 1 S. 2 BeamtStG; vgl. zudem etwa Art. 81 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 BayBG), die auch die Weimarer Reichsverfassung in ihrem Art. 130 Abs. 1 bereits enthalten hat. Gemeint ist hiermit nicht nur, aber auch eine parteipolitische Neutralität der Beamten.11

3. Parteipolitische Neutralität im verfassungsrechtlichen Kontext Ungeachtet der Tatsache, dass das Grundgesetz eine allgemeine parteipolitische Neutralitätspflicht nicht explizit normiert, lässt sich der Verfassungsordnung in ihrer Gesamtheit die an die Staatsorgane gerichtete Forderung nach parteipolitischer Zurückhaltung entnehmen. Der Begriff der Neutralität hängt in seinem konkreten Inhalt stark vom jeweiligen Einzelfall ab.12 So gilt es, auch für das Verfassungsrecht – und dort speziell für die parteipolitische Neutralität – eigene Präzisierungen zu finden. Verlangt man für ein neutrales Verhalten, dass der Handelnde seinen eigenen Verhaltensmaßstab anwendet,13 bedeutet dies für Staatsorgane, dass sie die Maximen des Staates zugrunde legen müssen, nicht die der jeweiligen Organwalter. Der Staat des Grundgesetzes ist dabei nicht auf bestimmte Parteien zugeschnitten, sondern fordert – im Gegenteil – eine pluralistische Gesellschaft,14 von der aus sich die Willensbildung hin zu den Staatsorganen vollzieht und nicht umgekehrt von den Staatsorganen hin zur Gesellschaft.15 Hieraus lässt sich schon schließen, dass der Handlungsmaßstab des Staates keine parteipolitische Prägung aufweist. Dennoch gibt es Grundwerte, die dem Staat immanent sind und die daher auch den Neutralitätsmaßstab beeinflussen. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa für die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates formuliert: „Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild,

11 Vgl. Battis, BBG, § 60 BBG, Rn. 7; Reich, BeamtStG, § 33 BeamtStG, Rn. 4. Die Rechtspflicht zur Neutralität als solche ist dabei primär relevant für das Verhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten (vgl. Gusy, NVwZ 2015, 700, 700 f.). Praktische Bedeutung erlangt sie in der Beziehung zu Dritten erst bei der Verletzung von Amtspflichten (vgl. BVerfGE 108, 282, 303 ff. – Kopftuch). 12 Vgl. Schlaich, Neutralität, S. 231. 13 Vgl. dazu soeben unter C. I. 1. 14 Vgl. BVerfGE 5, 85, 205 – KPD-Verbot; 7, 198, 208 – Lüth; 12, 113, 125 – SchmidSpiegel; 20, 56, 97 f. – Parteienfinanzierung II; 69, 315, 344 f. – Brokdorf II; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, Art. 20 GG, Rn. 10; Degenhart, in: BK, Art. 5 GG, Rn. 86; Grzeszick, in: Maunz/ Dürig, Art. 20 GG, II Rn. 17. 15 Vgl. BVerfGE 44, 125, 140 – Öffentlichkeitsarbeit; 121, 30, 54 – Hessisches Privatrundfunkgesetz; 132, 39, 68 – Wahlcomputer; 138, 102, 109 – Schwesig.

I. Parteipolitische Neutralität als Rechts- und Verfassungsprinzip

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das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist […]. Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist indes nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. […] Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden […]. Auch verwehrt es der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten […].“16

Die Grundsätze lassen sich auf die parteipolitische Neutralität des Staates übertragen. Aus der in Art. 1 Abs. 1 GG angelegten Respektierung des Menschen als mündiges und freies Individuum folgt die prinzipielle Offenheit des Staates gegenüber allen politischen Ideologien.17 Eine gezielte parteipolitische Beeinflussung oder Bewertung politischer Parteien bleibt dem Staat deshalb versagt. Gleichzeitig verlangt diese Grundausrichtung keine absolute Distanz von allem Politischem, da der Staat des Grundgesetzes eben kein inhaltsleerer ist und im Übrigen als Förderer politischer Aktivität in Erscheinung treten darf und soll. a) Grundwerte des Staates Aspekte, die den Staat selbst ausmachen, sind Bestandteil des Neutralitätsmaßstabs, weil der Staat keinen von seinem eigenen Wesen abstrahierten Maßstab anlegen kann. Sich selbst gegenüber ist der Staat demzufolge nie neutral, vielmehr immer parteiisch.18 Insofern enthält Neutralität also „durchaus ein Stück Parteilichkeit“19. Dies ist in einer Demokratie, die grundsätzlich auch Kritik an sich selbst zulässt, keine Selbstverständlichkeit. Dennoch muss sich auch in ihr der Staat selbst schützen. Denn in einer pluralistischen Gesellschaft sieht sich der Staat einer Kultur ausgesetzt, die bestehende Strukturen hinterfragt: „Die staatliche Einheit ist gerade deshalb auf die Idee der allgemeinen, gemeinsamen Belange angewiesen, weil die politische Führung dem Wettbewerb der Parteien, ihrer Programmatik und ihrem Machtehrgeiz überantwortet ist.“20 Vernünftigerweise muss folglich auch ein solcher Staat politischen Diskussionen Grenzen setzen und auf die Frage, wieviel Vielfalt er 16

BVerfGE 108, 282, 300 – Kopftuch. Vgl. insbesondere für die religiöse Unvoreingenommenheit BVerfGE 41, 29, 63 (Simultanschule); 52, 223, 247 ff. – Schulgebet; 93, 1, 21 ff. – Kruzifix; 108, 282, 301 – Kopftuch. 18 Vgl. Schlaich, Neutralität, S. 50; vgl. auch Volkmann, NJW 2010, 417, 419, der zu Recht darauf hinweist, dass die Verfassung als Werteordnung dem Staat eine geistige Substanz verschafft, deren Pflege ihm dann aufgetragen ist. 19 So zutreffend Schlaich, Neutralität, S. 41. 20 Isensee, Gemeinwohl, S. 53. 17

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

sich erlauben kann, eine Antwort finden.21 Dies betrifft zum einen das Bestandsinteresse des Staates in seinen territorialen Grenzen, zum anderen ideelle Maximen des Gemeinwesens.22 Plakativ lässt sich das mit dem Schlagwort „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit“ zusammenfassen.23 Der Staat, den das Grundgesetz konzipiert, ist keine Institution ohne besondere Eigenschaften, sondern identifiziert sich mit konkreten materiellen Inhalten. Es existieren Grundwerte, die den Staat konstituieren und deren Beachtung die Verfassung daher verlangt. Das Grundgesetz bezeichnet diese Werte als freiheitliche demokratische Grundordnung (Art. 10 Abs. 2 S. 1, Art. 11 Abs. 2, Art. 18 S. 1, Art. 21 Abs. 2 und 3, Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b), Art. 87a Abs. 4 S. 1 und Art. 91 Abs. 1 GG). Nach allgemeinem Verständnis lässt sich diese Kernsubstanz der Verfassung „als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.“24 Einfachgesetzlich hat dieses Begriffsverständnis in § 92 Abs. 2 StGB sowie in § 4 Abs. 2 BVerfSchG seinen Niederschlag gefunden.25 Aber auch an der fortbestehenden Existenz des Gemeinwesens, das zwar nicht Quelle, aber doch Garant der Freiheitsrechte ist, hat der Staat ein Interesse, da er es als notwendige Bedingung für die selbstverantwortliche Entfaltung des Einzelnen ansieht. Für den freiheitlichen Staat des Grundgesetzes ist sein Bestandsinteresse deshalb kein Selbstzweck. Der Staat möchte vielmehr den Bürgern auch künftig Raum für ihre autonome Entwicklung bieten. Freiheit und Pluralismus politischer Ideen setzen aber die Funktionsfähigkeit des Staates und damit seine Einheit voraus.26 Mit dieser Einstellung offenbart der Staat seine eigene Wertgebundenheit. Die Verfassung verdeutlicht ihren Willen, die Integrität des in der Präambel mit der Aufzählung der Bundesländer umschriebenen Territoriums gegen beispielsweise separatistische Bestrebungen zu verteidigen,27 in Art. 10 Abs. 2 S. 1, Art. 11 Abs. 2, Art. 21 Abs. 2 und 3, Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b), Art. 87a Abs. 4 S. 1 und Art. 91 Abs. 1 GG. Durch diese Konkretisierung der Positionen, für die der Staat Partei ergreifen muss und darf, weitet sich das Spannungsfeld aus, in dem sich Staatsorgane befinden.28 Sie sind nicht nur parteipolitisch gebunden und neutral zugleich, sondern haben auch für den Bestand und die Werte ihres Staates einzutreten.29 Da die De21

Vgl. Schlaich, Neutralität, S. 234 f. Vgl. zu beidem auch noch ausführlich unter E. II. 4. a) (2). 23 Vgl. auch BVerfGE 5, 85, 138 – KPD-Verbot; BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 514 – NPD-Verbot II. 24 BVerfGE 2, 1, 12 f. – SRP-Verbot. 25 Vgl. statt vieler Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 207. 26 Schlaich, Neutralität, S. 235. 27 Vgl. statt vieler Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 162. 28 Vgl. Schlaich, Neutralität, S. 263. 29 Inhalt der Neutralitätspflicht ist das aktive Eintreten des Staatsorgans für die Grundwerte des Staates indes nicht. Dies schließt zwar freilich nicht aus, dass Staatsorgane aus anderen 22

I. Parteipolitische Neutralität als Rechts- und Verfassungsprinzip

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mokratie den größtmöglichen Entfaltungsspielraum für die politischen Akteure fordert, wird man stets in schwierigen Abwägungsprozessen zu bestimmen haben, ob der Staat eine politische Auffassung noch ertragen muss oder sich gegen sie zur Wehr setzen kann.30 b) Konkrete politische Gestaltung Neben dieser positiven Bestimmung lässt sich dem Grundgesetz aus dem in seinem Art. 20 Abs. 1 und 2 niedergelegten Demokratieprinzip auch eine negative Bestimmung des staatlichen Handlungsmaßstabs entnehmen. Die Bundesrepublik ist kein auf eine bestimmte Partei ausgerichteter Staat. Über die dargelegten Grundwerte hinaus macht der Staat keine Vorgaben zur Ausgestaltung der Politik. Alle Staatsgewalt – auch die stark parteipolitisch geprägte Bundesregierung31 – muss gemeinwohlorientiert sein32 und darf sich nicht als von bestimmten Parteien getragen darstellen.33 Das Gemeinwohl lässt sich in einer pluralistischen Gesellschaft jedoch nicht a priori bestimmen.34 Eine auch nur teilweise Identifikation des Staates und seiner Organe mit bestimmten politischen Gestaltungsmodellen, also insbesondere mit weltanschaulichen, philosophischen oder sonstigen doktrinären Konzepten, findet deshalb nicht statt.35 Geht es folglich um konkrete politische Fragen (Wie finanzieren wir unser Gesundheitssystem? Wie können wir Flüchtlinge in unsere Gesellschaft integrieren? etc.), vermag der Staat als solcher keine Antworten mehr zu geben. Die Bürger können sich bei der Formulierung ihrer Lösungsansätze allenfalls an den vom Staat vorgegebenen Grundwerten orientieren. Ansonsten möchte der Staat eine offene Diskussion über alle politischen Themen. Das Demokratieprinzip hält den Staat dabei nicht nur an, verschiedene Strömungen in einer Gesellschaft zu erdulden, sondern verlangt von ihm vielmehr die Rolle eines aktiven Befürworters, wenn nicht gar die eines Motors der Entstehung mannigfaltiger politischer Ideen. Der moderne Staat toleriert nicht nur, er ist Hüter der Toleranz, indem er von den Bürgern tolerantes Verhalten einfordert.36 Deshalb muss er seine Bürger jederzeit anregen und Gründen – etwa auf Basis der Prinzipien der „wehrhaften Demokratie“ (vgl. noch unter E. II. 4.) – hierzu angehalten sein können. Neutralität aber lässt sich nur als Beschränkung, nicht als Erweiterung staatlicher Wirkungsmöglichkeiten begreifen (so auch zutreffend Gusy, NVwZ 2015, 700, 702 für staatliche Kommunikation). Eine gegenteilige Sicht würde das Begriffsverständnis von Neutralität sprengen (insofern deshalb wohl etwas zu großzügig Schlaich, Neutralität, S. 80). 30 Vgl. hierzu noch ausführlich unter E. II. 31 Vgl. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 88. 32 Vgl. BVerfGE 44, 125, 142 – Öffentlichkeitsarbeit. 33 Vgl. für die Bundesregierung BVerfGE 63, 230, 244 – Öffentlichkeitsarbeit II. 34 Vgl. nur Henke, in: BK, Art. 21 GG, Rn. 24; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 232; Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 126. 35 Schlaich, Neutralität, S. 238; Denninger, Rechtsperson und Solidarität, S. 282. 36 Vgl. Schlaich, Neutralität, S. 254, zu weltanschaulichen Fragen.

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

ermuntern, politische Ideen zu entwickeln, wie die Gesellschaft gestaltet werden kann. Dadurch, dass sich der Staat nicht mit bestimmten politischen Ideen identifiziert,37 kann der Bürger in diesem Prozess erst frei sein.38

4. Neutralität als Rechtspflicht Neutralität dient staatlicher Stabilität. Nur wenn sich Staatsorgane gegenüber den Bürgern neutral verhalten, werden sie auf Akzeptanz und Respekt stoßen. Bürger dürfen nicht den Eindruck gewinnen, der staatliche Entscheidungsprozess sei in irgendeiner Form von fremden Bewertungsmaßstäben beeinflusst. „Das für den modernen Staat konstitutive Prinzip der Nicht-Identifikation zielt auf eine übergreifende Neutralität und Allgemeinheit des Staates derart, dass der einzelne ,sich in seiner Eigenart, als geistige oder sittliche Persönlichkeit in seinem Staate unberührbar und geborgen weiß‘ (H. Krüger). Eben daraus gewinnt der Staat die Legitimation, seinen Bürgern mit dem Anspruch auf unbedingte Loyalität gegenüberzutreten.“39

Zur Umsetzung dieser für den Staat bedeutenden Zielsetzung reicht ein bloßes Anstandsgebot oder eine Verfassungstradition40 nicht aus. Beide könnten durch eine einfache Gesetzesänderung eliminiert werden. Es ist im freiheitlichen demokratischen Staat des Grundgesetzes aber nicht denkbar, ein Gesetz zu verabschieden, durch das die Verpflichtung staatlicher Organe zur Enthaltsamkeit gegenüber bestimmten politischen Richtungen aufgehoben würde.41 Durch ein solches Gesetz würde sich der liberale Staat selbst abschaffen. Man befände sich fortan in einer Parteidiktatur, wie sie Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus42 und in der Deutschen Demokratischen Republik43 bereits ertragen musste. Dass das Grund37 Besondere Bedeutung erfährt diese Pflicht zur parteipolitischen Zurückhaltung in Zeiten einer Großen Koalition, wie sie in der Legislaturperiode seit 2013 besteht: Union und SPD verfügen über 503 (mithin ca. 80 Prozent) der 630 Bundestagsmandate (vgl. Sitzverteilung des 18. Deutschen Bundestags, in: Internetauftritt des Bundestags, unter: http://www.bundestag.de/ bundestag/plenum/sitzverteilung_18wp, abgerufen am 22. 02. 2016); vgl. auch BVerfG NVwZ 2016, 922, 922 ff. 38 Vgl. Krüger, Staatslehre, S. 808. 39 Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), 33, 84 f. 40 In diese Richtung aber wohl BVerfGE 136, 323 – Spinner. In der Entscheidung wird zwar nicht die Pflicht staatlicher Neutralität selbst als Verfassungstradition bezeichnet, aber immerhin die Verpflichtung des Bundespräsidenten hierzu daraus hergeleitet. Darauf wird unten noch näher einzugehen sein (vgl. D. I. 2. c) (1)). 41 So auch Jülich, Chancengleichheit, S. 76 f. 42 Vgl. hierzu etwa das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ vom 01. 12. 1933 (RGBl. I, S. 1016). 43 Vgl. hierzu etwa Art. 1 Abs. 1 S. 2 der DDR-Verfassung vom 09. 04. 1968, wonach der Sozialismus unter der Führung der SED verwirklicht werden sollte, sowie § 16 S. 2 des Gesetzes über die Wahlen zu den Volksvertretungen der Deutschen Demokratischen Republik vom 31. 07. 1963 (GBl. I Nr. 8, S. 97), wobei das Recht der Parteien, „ihre Vorschläge zu dem ge-

II. Die Freiheit der Wahl

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gesetz diesen Weg nicht geht, zeigt sich an Art. 20 Abs. 1 und 2 GG, der – wie aus dem in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG aufgestellten Dogma freier Wahlen als Legitimationsbasis der Staatsgewalt44 und der von Art. 21 GG45 geschützten starken Stellung (aller) politischer Parteien ersichtlich – eine offene und freie Demokratie statuiert. Bei dem Erfordernis parteipolitischer Neutralität handelt es sich deshalb um eine Rechtspflicht.46

II. Die Freiheit der Wahl Bereits aus dem in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verankerten Demokratieprinzip folgt, dass Wahlen frei von staatlichen Einflüssen sein müssen.47 Das Grundgesetz wiederholt dieses Postulat in seinem Art. 38 Abs. 1 S. 1 (für die Länder, Kreise und Gemeinden auch in seinem Art. 28 Abs. 1 S. 2) explizit und unterstreicht damit dessen herausragende Bedeutung für die Verfassungsordnung. Nur freie Wahlen vermögen den Staatsorganen demokratische Legitimation zu vermitteln.48 Hieraus leitet sich unter anderem eine Pflicht der Staatsorgane zu parteipolitischer Neutralität ab.

1. Wahlen als Legitimationsbasis In der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes herrscht das Volk – von der vernachlässigbar49 geringen Zahl an Abstimmungen im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG einmal abgesehen50 – nicht in Form von Einzelfallentscheidungen, sondern im Wege der Wahl von Bundestagsabgeordneten (Art. 20 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 38 meinsamen Vorschlag der Nationalen Front des demokratischen Deutschland zu vereinigen“ im Blockparteiensystem der DDR freilich faktisch kein Recht, sondern Zwang gewesen ist; vgl. auch Jesse, in: Gabriel/Niedermayer/Stöss, Parteiendemokratie, 84, 87 ff. 44 Vgl. hierzu sogleich unter C. II. 45 Vgl. hierzu unter C. III. 46 So auch Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 20. 47 Vgl. nur Koch, ZParl 2002, 694, 699. 48 Vgl. BVerfGE 44, 125, 139 – Öffentlichkeitsarbeit; 47, 253, 283 – Gemeindeparlamente; 73, 40, 85 – Parteispendenurteil III; 99, 1, 30 – Bayerische Kommunalwahlen; Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 38 GG, Rn. 107; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 GG, Rn. 125 ff.; Badura, in: BK, Anh. zu Art. 38 GG, Rn. 29 ff.; Magiera, in: Sachs, Art. 38 GG, Rn. 85 ff.; Morlok, in: Dreier, Art. 38 GG, Rn. 81 ff.; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Henneke, Art. 38 GG, Rn. 9; Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38 GG, Rn. 50 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38 GG, Rn. 16 ff.; Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38 GG, Rn. 85 ff.; Meyer, in: HbStR III, § 46, Rn. 23 ff.; Studenroth, in: AöR 125 (2000), 257, 257 f. 49 Vgl. nur Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG, II Rn. 111. 50 Direktdemokratische Elemente finden sich in Art. 28 Abs. 1 S. 4, Art. 29, Art. 118 und Art. 118a GG.

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

Abs. 1 S. 1 GG). Deshalb kommt den Wahlen als Anknüpfungspunkt für die Legitimation der Staatsgewalt ein hoher Stellenwert zu. Das demokratische Prinzip basiert in der parlamentarischen Demokratie auf der zeitlich begrenzten Übertragung von Herrschaft auf vom Volk gewählte Repräsentanten.51 Damit das Volk durch Staatsorgane die von ihm ausgehende Gewalt ausüben kann, bedürfen diese demokratischer Legitimation.52 In der Wahl der Abgeordneten des Bundestags (Art. 20 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) nimmt eine Legitimationskette ihren Ausgang.53 Der Bundestag wählt den Bundeskanzler (Art. 63 oder ggf. Art. 67 GG), der dem Bundespräsidenten die Bundesminister vorschlägt (Art. 64 Abs. 1 GG). Auf diese Weise erhält die gesamte Bundesregierung (Art. 62 GG) eine auf die Bundestagswahl rückführbare Legitimation durch das Volk.54 Die Bundesregierung kann wiederum – ggf. unter Mitwirkung des Bundesrats – allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Ausführung der Gesetze erlassen (Art. 84 Abs. 2, Art. 85 Abs. 2 S. 1, Art. 86 S. 1 GG). Auch die übrigen Bundesorgane weisen eine Rückkopplung an die Entscheidung des Volkes in Wahlen auf. Der Bundesrat besteht aus den Mitgliedern der Regierungen der Länder (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG), deren Verfassungen den demokratischen Grundsätzen des Grundgesetzes entsprechen müssen (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG).55 So wählt beispielsweise auch in Bayern der vom Volk gewählte Landtag den Ministerpräsidenten (Art. 44 BV), der dann die übrigen Mitglieder der Staatsregierung mit Zustimmung des Landtags ernennt und entlässt (Art. 45 BV). Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt, die sich zu gleichen Teilen aus den Mitgliedern des Bundestags und von den Volksvertretungen der Länder gewählten Personen zusammensetzt (Art. 54 Abs. 3 GG). Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden schließlich je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt (Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG). Somit verschafft das Volk über die (freie) Bundestagswahl allen Staatsorganen die notwendige demokratische Legitimation.

2. Inhalt des Prinzips freier Wahlen Das Prinzip freier Wahlen verlangt nicht nur, dass der Bürger selbst darüber befinden kann, ob er wählt56 und dabei eine echte Auswahl zwischen verschiedenen 51

Vgl. auch Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 68. Vgl. statt vieler BVerfGE 83, 60, 71 – Ausländerwahlrecht II. 53 Vgl. hierzu BVerfGE 47, 253, 275 – Gemeindeparlamente; 77, 1, 40 – Neue Heimat; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 545 – NPD-Verbot II; sowie grundlegend Böckenförde, in: HbStR II, § 24, Rn. 11 ff. 54 Vgl. nur Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 46 m.w.N. 55 Vgl. auch Schreiber, BWahlG, § 1 BWahlG, Rn. 4. 56 Die Einführung einer Wahlpflicht wäre daher wohl verfassungswidrig (vgl. auch Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38 GG, Rn. 108; Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38 GG, Rn. 58; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38 GG, Rn. 16; Magiera, in: Sachs, Art. 38 GG, Rn. 85; 52

II. Die Freiheit der Wahl

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Wahlvorschlägen treffen kann,57 sondern insbesondere auch die Möglichkeit, nach eigenen Maßstäben zu entscheiden.58 Eine autonome Wahl erfordert sowohl den freien Akt der Stimmabgabe, der regelmäßig mit seinem Geheimsein (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) gewährleistet ist,59 als auch das Ausbleiben amtlicher Wahlbeeinflussung im Vorfeld der Wahl, und damit die parteipolitische Neutralität60 der Staatsorgane:61 „Unter den […] Begriff der Wahlbeeinflussung fallen öffentliche oder veröffentlichte Äußerungen von Bewerbern und Dritten, die bei objektivem Verständnis dazu geeignet sind, unmittelbar auf die Wahlentscheidung der Wähler einzuwirken […]. Dies setzt neben einem […] örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Wahl vor allem einen sachlichen Bezug voraus. Es muß in der Äußerung um Umstände gehen, die für die Willensbildung des durchschnittlichen Wählers vernünftigerweise erheblich sein können […].“62

Freilich vermag diese Definition noch keine unzulässige Form der Wahlbeeinflussung zu beschreiben. Denn die Beeinflussung des Wählers zu eigenen Gunsten stellt das berechtigte Ziel eines jeden Wahlbewerbers dar.63 Die Grenze rechtmäßiger Wahlbeeinflussung überschreiten daher erst Äußerungen, die den Wähler zu dem gewünschten Verhalten nötigen können.64 Bürger müssen in der Lage sein, „frei von Zwang und unzulässigem Druck“65 zu wählen und „ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung“66 zu fällen. Sie sind deshalb (nur) vor Beeinflussungen zu schützen, „die geeignet sind, [ihre] Entscheidungsfreiheit trotz beste-

Morlok, in: Dreier, Art. 38 GG, Rn. 88; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 38 GG, Rn. 35; a.A. Schneider, in: AK, Art. 38 GG, Rn. 48). 57 Vgl. BVerfGE 47, 253, 283 f. – Gemeindeparlamente; 95, 335, 350; Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 38 GG, Rn. 107; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38 GG, Rn. 16. 58 Vgl. nur Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38 GG, Rn. 16; Hartmann, in: AöR 134 (2009), 1, 1. 59 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38 GG, Rn. 107; Magiera, in: Sachs, Art. 38 GG, Rn. 85. 60 Vgl. BVerfGE 44, 125, 139 – Öffentlichkeitsarbeit; 69, 257, 268 – Wahlwerbesendung WDR; 82, 322, 337 – Sperrklausel; 111, 54, 104 – Parteienfinanzierung X; Badura, in: BK, Anh. zu Art. 38 GG, Rn. 29; Magiera, in: Sachs, Art. 38 GG, Rn. 88; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38 GG, Rn. 109; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 41 GG, Rn. 19; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 38 GG, Rn. 45 f.; Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38 GG, Rn. 53; Morlok, in: Dreier, Art. 38 GG, Rn. 89; Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38 GG, Rn. 62. 61 Vgl. zur Wahlbeeinflussung durch Private etwa Magiera, in: Sachs, Art. 38 GG, Rn. 88; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38 GG, Rn. 18. 62 VGH Mannheim NVwZ 1992, 504, 505 m.w.N.; vgl. auch Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 258. 63 Vgl. nur Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 259. 64 Vgl. Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 259 m.w.N.; vgl. auch § 108 StGB, der eine (extreme) Form der Wählerbeeinflussung verfassungskonform unter Strafe stellt (vgl. Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 38 GG, Rn. 23). 65 BVerfGE 44, 125, 139 – Öffentlichkeitsarbeit. 66 BVerfGE 44, 125, 139 – Öffentlichkeitsarbeit.

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

henden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen“67. Da das Grundgesetz von einem mündigen Bürger ausgeht, der parteipolitische Äußerungen von Staatsorganen einzuordnen weiß, stellt es strenge Anforderungen an die Unfreiheit der Wahl infolge amtlicher Wahlbeeinflussung. Eine solche liegt erst vor, wenn „staatliche Stellen im Vorfeld der Wahl in mehr als nur unerheblichem Maß parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens eingewirkt haben, […] mit Mitteln des Zwangs oder Drucks die Wahlentscheidung beeinflusst haben oder wenn in ähnlich schwerwiegender Art und Weise auf die Wählerwillensbildung eingewirkt worden ist, ohne dass eine hinreichende Möglichkeit zur Abwehr – zum Beispiel mit Hilfe der Gerichte oder der Polizei – oder des Ausgleichs, etwa mit den Mitteln des Wahlwettbewerbs, bestanden hätte.“68

Äußern sich Staatsorgane demnach in diesem Sinne – positiv oder negativ – gegenüber einer Partei, gefährden sie die Freiheit der Wahlentscheidung des einzelnen Bürgers und damit auch den Prozess freier Wahlen als zentralen Legitimationsgrund der Staatsgewalt insgesamt. Ein freier und fairer Wahlkampf ist deshalb integraler Bestandteil des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). In der Folge lässt sich aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG die prinzipielle Pflicht zu parteipolitischer Neutralität aller Staatsorgane ableiten.69

III. Verfassungsmäßige Rechte politischer Parteien Neben der parteipolitischen Unvoreingenommenheit des Staates und der Notwendigkeit freier Wahlen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) bilden die verfassungsmäßigen Rechte politischer Parteien die dritte Grundlage für die Pflicht der Staatsorgane zu parteipolitischer Neutralität. Einwirkungen auf die Freiheit der Wahl durch parteipolitische Äußerungen der Staatsorgane berühren nämlich zugleich die Chancengleichheit politischer Parteien.70 Die Verfassung misst den Parteien einen hohen Stellenwert bei (vgl. im Folgenden unter 1.) und gewährt ihnen einen umfassenden Katalog an Rechten, der sich zum Teil bereits aus dem in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG verankerten Grundsatz freier Wahlen selbst,71 vor allem aber speziell aus Art. 21 GG 67

BVerfGE 66, 369, 380 – Wahlprüfung. BVerfGE 122, 304, 315 – Negatives Stimmgewicht; 124, 1, 20 f. – Nachwahl Dresden. 69 Vgl. BVerfGE 44, 125, 139 – Öffentlichkeitsarbeit; 69, 257, 268 – Wahlwerbesendung WDR; 82, 322, 337 – Sperrklausel; 111, 54, 104 – Parteienfinanzierung X; Badura, in: BK, Anh. zu Art. 38 GG, Rn. 29; Magiera, in: Sachs, Art. 38 GG, Rn. 88; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38 GG, Rn. 109; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 41 GG, Rn. 19; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 38 GG, Rn. 45 f.; Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38 GG, Rn. 53; Morlok, in: Dreier, Art. 38 GG, Rn. 89; Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38 GG, Rn. 62. 70 So auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38 GG, Rn. 17. 71 Vgl. zu dieser Einschränkung des Schutzbereichs auch Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 305; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 73; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 122. 68

III. Verfassungsmäßige Rechte politischer Parteien

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ergibt (vgl. im Folgenden unter 2.). Besondere Bedeutung erlangt dabei der Anspruch der Parteien auf Gleichbehandlung in einem fairen Wettbewerb (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG), der staatliche Parteinahme untersagt (vgl. im Folgenden unter 3.).72

1. Funktionale Stellung der Parteien im Grundgesetz „Man muß wissen, was man will, wenn man von Staat spricht, ob den bloßen Herrschaftsapparat […] oder eine lebendige Volkswirklichkeit, eine aus eigenem Willen in sich selbst gefügte Demokratie.“73

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich für Letzteres entschieden und den Parteien deshalb eine entscheidende Rolle im politischen System zugedacht. Nach dem Verständnis des Grundgesetzes sind Parteien im Sinne des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit, eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten.74 Die Bestimmung des § 2 Abs. 1 S. 1 PartG entspricht dem verfassungsrechtlichen Parteibegriff.75 a) Historischer Hintergrund Zu Weimarer Zeiten wurden Parteien noch als „extrakonstitutionelle Erscheinung“ verstanden.76 Dies verwundert auf den ersten Blick, da Parteien auch damals faktisch einen immensen Einfluss auf die Gestaltung der Politik hatten.77 So wurde beispielsweise der Reichstag nach Parteilisten gewählt (vgl. §§ 14 ff. Reichswahl72

Vgl. auch Gusy, NVwZ 2015, 700, 701 m.w.N. So Carlo Schmid, Vorsitzender der SPD-Fraktion, des Hauptausschusses sowie des Ausschusses für das Besatzungsstatut im Parlamentarischen Rat (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, S. 22). 74 Zu dem hier vertretenen Parteibegriff gibt es im Detail freilich unterschiedliche Auffassungen (so vertritt etwa Henke, in: BK, Art. 21 GG, Rn. 30, dass Parteien gemeinwohlorientiert sein müssen). Diese Auseinandersetzung soll aber nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein, weswegen im Folgenden von dem herrschenden Parteibegriff ausgegangen wird (vgl. zum Streit vielmehr Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 216 ff.). 75 Vgl. BVerfGE 24, 260, 263 f. – Politische Partei. 76 Vgl. Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 5; Triepel, Staatsverfassung und politische Parteien, S. 24; Radbruch, in: HbdStR I, S. 288. 77 Insofern kann man treffend sagen: „Art. 21 GG hat den Parteienstaat vorgefunden, nicht erst geschaffen.“ (Jülich, Chancengleichheit, S. 71). 73

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

gesetz)78 und der Reichspräsident stellte sich im Wahlkampf stets als mit bestimmten politischen Parteien verbunden dar.79 Die Weimarer Reichsverfassung erkannte diese Stellung der Parteien indes nicht an – jedenfalls nicht positiv-rechtlich. So wurden die Parteien hier nur beiläufig in Art. 130 Abs. 1 WRV bedacht: „Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei“. Damit versagte die Verfassung den Parteien nicht nur eine herausgehobene Position, sondern erwähnte sie auch noch in einem rein negativ-abwehrenden Sinn.80 Zurückführen lässt sich dies auf die geringe Erfahrung der Deutschen mit (echten) parlamentarischen Regierungssystemen und mit dem vorhandenen Misstrauen gegenüber der Demokratie.81 An den Parteien offenbart sich daher in besonderem Maße das Auseinanderfallen von Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit in der Weimarer Republik.82 b) Die Rolle politischer Parteien in der Bundesrepublik Aufbauend auf Art. 47 des Herrenchiemseer Verfassungsentwurfs83 waren sich die Schöpfer des Grundgesetzes aber der zentralen Rolle politischer Parteien in der Demokratie bewusst.84 Mit der Schaffung des Grundgesetzes haben die Parteien so an rechtlicher Bedeutung gewonnen. (1) Parteien als zentraler Bestandteil der Verfassungsordnung Nach dem Grundgesetz sind Parteien keine Gruppierungen, die gleichsam zufällig politische Ideen vertreten, sondern „Faktoren des Verfassungslebens“85 und „integrierender Bestandteil des Verfassungsaufbaus“86. Wenngleich in der Regel als privatrechtliche Vereine organisiert,87 haben Parteien doch den „Rang einer verfassungsrechtlichen Institution“88. Sie stellen die verfassungsrechtlich notwendigen 78

Vgl. Gusy, WRV, S. 121; Schulze, Reichstagswahlrecht, S. 141 f. Vgl. Preuß, in: Lehnert/Müller, Gesammelte Schriften, 266, 267. 80 Vgl. auch Gusy, WRV, S. 121; Wittmayer, WRV, S. 64; dass eine solche Denkweise nach dem Ende der Weimarer Republik nicht vollständig beseitigt gewesen ist, zeigen z. B. Art. 13 Abs. 2 und 96 S. 1 BV, die die Parteien ebenfalls negativ erwähnen. Die Zuweisung einer positiven Aufgabe für die Parteien fehlt der Bayerischen Verfassung bis heute. 81 Vgl. etwa Kolb, Weimarer Republik, S. 19. 82 So auch Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 6; vgl. auch Kelsen, Demokratie, S. 107 f. 83 Vgl. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 21 GG, Rn. 2. 84 Die Badische Verfassung von 1947 war insoweit bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und hatte als erste deutsche Verfassung die Parteien positiv erwähnt (vgl. Rixen, in: Kersten/Rixen, PartG, Einl., Rn. 20). 85 BVerfGE 1, 208, 227 – 7,5 %-Sperrklausel. 86 BVerfGE 1, 208, 225 – 7,5 %-Sperrklausel. 87 Vgl. Schöpflin, in: Bamberger/Roth, § 21 BGB, Rn. 60. 88 BVerfGE 2, 1, 73 – SRP-Verbot; 5, 85, 133 – KPD-Verbot; 9, 162, 165 – Hochverrat ohne Parteiverbot; 13, 54, 81 – Neugliederung Hessen. 79

III. Verfassungsmäßige Rechte politischer Parteien

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Instrumente dar, derer die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch aktionsfähigen Gruppen zusammenzuschließen und ihnen so einen wirksamen Einfluss auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen.89 Wegen ihrer wichtigen Rolle im politischen Prozess setzt bereits das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) die freie Agitation politischer Parteien voraus. Damit nehmen die Parteien an der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG teil.90 (2) Parteien als Mittler zwischen Volk und Staat Eine solche Qualifikation rechtfertigt sich unter der Geltung des Grundgesetzes vor allem aufgrund der Regelung des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, der an prominenter Stelle in der Verfassung konstatiert: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“91. Das Grundgesetz schreibt den Parteien einen verfassungsrechtlichen Status zu und betont damit deren hervorragende Bedeutung im demokratischen Verfassungsleben.92 Bemerkenswert ist, dass die Verfassung überhaupt einen Auftrag für die politischen Parteien bereithält. Das Grundgesetz duldet die Parteien folglich nicht nur, sondern „fordert“ ausdrücklich deren Existenz. Außerdem ist die konkrete, den Parteien zugewiesene Aufgabe für die deutsche Demokratie elementar: Denn die Willensbildung des Volkes führt zur Willensbildung des Staates. (a) Unterscheidbarkeit staatlicher und gesellschaftlicher Willensbildung Staat und Gesellschaft sind nicht deckungsgleich,93 wenn auch an vielen Stellen miteinander verwoben.94 Diese Erkenntnis hat sich maßgeblich nach dem Ende der 89

Vgl. bereits BVerfGE 11, 266, 273 – Wählervereinigung. So auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 7; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 19; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 178; Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 7; allerdings werden dabei nicht alle Regelungen des Art. 21 GG von der Bestandsgarantie erfasst, da die konkrete, mit weitgehenden Rechten verbundene Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Stellung politischer Parteien nicht mit dem allgemeinen, in Art. 20 GG in Bezug genommenen Demokratiebegriff gleichzusetzen ist (vgl. etwa Dreier, JZ 1994, 741, 747). 91 Ob es deswegen aber gerechtfertigt ist, die Bundesrepublik als „Parteienstaat“ (vgl. Leibholz, DVBl. 1950, 194, 196) zu bezeichnen, ist eher zweifelhaft. Der Begriff vermag unter Umständen deshalb zu Missverständnissen führen, weil die Parteien als die einzigen relevanten Gruppierungen für die politische Willensbildung des Volkes interpretiert werden könnten. Dies ist indes unzutreffend, da neben den Parteien hieran insbesondere noch die Kirchen, Verbände, Gewerkschaften, Medien und Bürgerinitiativen beteiligt sind und im Übrigen auch die Parteien Art. 21 GG unterfallen, die nicht in den Parlamenten vertreten sind (vgl. hierzu etwa Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 12). 92 Vgl. BVerfGE 44, 125, 139 – Öffentlichkeitsarbeit. 93 So zutreffend Grimm, in: HbVerfR, § 14, Rn. 1; v. Coelln, in: Studienkommentar, Art. 21 GG, Rn. 12; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 21 GG, Rn. 35; a.A. 90

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

konstitutionellen Monarchie in Deutschland durchgesetzt. Dem monarchischen Staat war eine Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft fremd.95 Staat und Gesellschaft bildeten insofern eine Einheit, als der Wille des Monarchen dem Willen des Gesamtstaats entsprach, weil die politisch unmündig gehaltene Bevölkerung keinen Anteil an staatlichen Entscheidungen hatte. Vor diesem Hintergrund schafft und sichert erst die Existenz einer eigenständigen Willensbildung des Volkes die für demokratische Staaten konstituierende Freiheit des Einzelnen.96 Anders als die Bürger direkter Demokratien entscheidet das deutsche Volk konkrete Sachfragen aber nur in seltenen Ausnahmefällen97 (vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 2 Alt. 2, Art. 28 Abs. 1 S. 4, Art. 29, Art. 118, Art. 118a GG).98 Es erteilt vielmehr durch die Wahl der Bundestagsabgeordneten (Art. 20 Abs. 2 S. 2 Alt. 1, Art. 38 GG) über die Legitimationskette99 bestimmten Personen ein Mandat auf Zeit, wodurch eigenständige Institutionen entstehen, die Staatsgewalt innehaben. Diese Organe üben auf der Basis einer autonomen Willensbildung Staatsgewalt aus, wenn sie beispielsweise Gesetze verabschieden (Art. 76 ff. GG) oder ausführen (Art. 83 ff. GG). Jedenfalls in einer repräsentativen Demokratie ist deswegen zwischen Staat und Gesellschaft zu unterscheiden.100 (b) Parteien als staatsnaher Teil der Gesellschaft Parteien beeinflussen sowohl die gesellschaftliche als auch die staatliche Willensbildung, indem sie mit den von ihnen formulierten politischen Agenden sowie mit entsprechendem Personal101 am gesellschaftlichen Wettstreit der Parteien teilnehmen102 und versuchen, ihren Programmen auch bei Entscheidungen der Staatsorgane Geltung zu verschaffen. Zwar sind insbesondere Abgeordnete des Bundestags

Ehmke, in: FS Smend, 23, 24 f.; Sontheimer/Bleek, Grundzüge, S. 99 f.; ausführlich zum Streit Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 9 ff.; vgl. dazu insgesamt Böckenförde, Staat. 94 Vgl. auch Böckenförde, in: FS Hefermehl, 11, 16 f. 95 Vgl. Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 2. 96 Vgl. Böckenförde, in: FS Hefermehl, 11, 17; Rupp, in: HbStR II, § 31, Rn. 27; v. Arnim, Staatslehre, S. 174. 97 Vgl. nur Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG, II Rn. 110. 98 Abgesehen werden soll an dieser Stelle auch von den direkt demokratischen Elementen einiger Landesverfassungen (etwa Art. 74 BV), da es hier nur auf eine bundesrechtliche Betrachtung ankommen soll. 99 Zum Gang der Legitimationskette vgl. bereits unter C. II. 1. 100 Nur im Wahlakt per se, der einen Integrationsvorgang bei der Willensbildung des Volkes darstellt (BVerfGE 95, 408, 418 – Grundmandatsklausel; 129, 300, 340 – Fünf-ProzentSperrklausel Europaparlament), fallen die gesellschaftliche und staatliche Willensbildung zusammen (vgl. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 21 GG, Rn. 35). 101 Vgl. Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 12. 102 Vgl. auch Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 170 f.

III. Verfassungsmäßige Rechte politischer Parteien

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gem. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ausdrücklich nur ihrem Gewissen unterworfen,103 freilich besteht aber ein faktischer Einfluss der Parteien auf ihre Mitglieder fort.104 Dennoch werden sie selbst nie zu einem Teil der Staatsorgane105 und üben keine öffentliche Gewalt aus.106 Vielmehr wirken die Parteien in den Staat hinein und bleiben selbst Teil der Gesellschaft.107 Parteien agieren demnach an der Schnittstelle zwischen Staat und Gesellschaft108 und tragen zur Legitimationsvermittlung an die Staatsorgane bei.109 (c) Parteien als Bindeglieder Die Verfassung begreift die Parteien als die nötigen Bindeglieder zwischen der Staatsgewalt und dem Volk110: „Die politischen Parteien sind Mittler des Bürgerwillens auf den Staat hin und von den Bürgern her zu denken.“111 Diese Rolle nehmen sie wahr, indem sie politische Ziele in den Willensbildungsprozess einführen, eine lebendige Verbindung zwischen Volk und Staat etablieren sowie durch Analyse und Vorklärung politischer Sachverhalte die Bürger befähigen, eigenverantwortlich ihrer Herrschaftsaufgabe aus Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nachzukommen (vgl. auch § 1 Abs. 2 PartG). (3) Parteien als Förderer der aktiven Teilnahme am Willensbildungsprozess Das Grundgesetz hat der Vorstellung von einem „präexistenten Volkswillen“112 eine Absage erteilt.113 Vielmehr obliegt es dem Volk selbst, Ideen für die Gestaltung der Gesellschaft zu entwickeln. Die Verfassung stellt den Bürgern hierfür die Par103 Es besteht zwar ein politisches, aber kein verfassungsrechtliches Spannungsverhältnis zwischen Art. 21 Abs. 1 S. 1 und 38 Abs. 1 S. 2 GG (vgl. Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 113). 104 Vgl. hierzu Kunig, in: HbStR III, § 40, Rn. 86. 105 Vgl. BVerfGE 20, 56, 105 – Parteienfinanzierung II; 73, 40, 96 f. – Parteispendenurteil III; 85, 264, 287 – Parteienfinanzierung VII; kritisch v. Arnim, Politische Parteien, S. 35 ff.; Kersten weist zutreffend darauf hin, dass Parteien nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Staatsferne trifft (vgl. Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 59). 106 Vgl. jüngst BVerfG BayVBl. 2014, 172, 172. 107 Vgl. auch BVerfGE 1, 208, 225 – 7,5 %-Sperrklausel; 107, 339, 361 – NPD-Verbot I; 121, 30, 53 – Hessisches Privatrundfunkgesetz. 108 So etwa auch Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 21 GG, Rn. 3. 109 Vgl. zur Legitimationskette bereits unter C. II. 1. 110 Zu dieser Mittlerfunktion vgl. auch Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 1; BVerfGE 44, 125, 145 – Öffentlichkeitsarbeit; 121, 30, 53 – Hessisches Privatrundfunkgesetz. 111 BVerfGE 73, 40, 112 – Parteispendenurteil III (Sondervotum Böckenförde). 112 So etwa noch bei Rousseau, Gesellschaftsvertrag, S. 18. 113 So auch Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 1.

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

teien als animierende Impulsgeber zur Seite.114 Der so aufkommende Willensbildungsprozess beschränkt sich nicht auf den gesellschaftlichen Bereich, sondern vollzieht „sich in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung“115 mit den politischen Programmen der Staatsorgane. Diesen Austauschvorgang gestalten die Parteien aktiv. (4) Parteien als Integrationsfaktoren Im Rahmen des Willensbildungsprozesses übernehmen die Parteien auch Konzentrationsaufgaben, indem sie aus den verschiedenen politischen Meinungen gebündelte Positionen entwickeln. Auf diese Weise geben sie zugleich Orientierung in einer pluralistischen Welt und tragen zur Integration der Bürger in das Gemeinwesen bei.116 Indem Parteien politische Bildungsarbeit leisten,117 geben sie der Bevölkerung die für die Einbindung in den Willensbildungsprozess nötigen Informationen an die Hand.118 Die Parteien haben so maßgeblichen Anteil an der Funktionsfähigkeit der deutschen Demokratie und besitzen eine integrative Funktion.119 (5) Anforderungen an die innere Struktur Die von den Parteien eingenommene Sonderstellung verdeutlicht zusätzlich Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG.120 Demnach muss die innere Ordnung der Parteien den demokratischen Grundsätzen entsprechen. Vor dem Hintergrund ihrer herausgehobenen Rolle bei der für die Demokratie so wichtigen Willensbildung des Volkes sowie ihres Einflusses auf die Besetzung öffentlicher Ämter ist es nur folgerichtig, dass den Parteien selbst ebenfalls aufgetragen wird, sich an diese elementare Grundvorstellung des grundgesetzlichen Staates zu halten.121

2. Sedes materiae der Parteirechte Mit der herausgehobenen Stellung der Parteien korrespondieren umfassende verfassungsmäßige Rechte. Da Parteien selbst nicht Teil des Staates sind, können sie

114

Vgl. BVerfGE 73, 1, 34 – Parteinahe Stiftungen. BVerfGE 44, 125, 139 f. – Öffentlichkeitsarbeit. 116 Vgl. Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 105. 117 Vgl. auch die einfachgesetzliche Präzisierung in § 1 Abs. 2 PartG (vgl. hierzu Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 107). 118 Vgl. BVerfGE 11, 266, 273 – Wählervereinigung. 119 Vgl. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 21 GG, Rn. 28. 120 So auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 5. 121 Vgl. Henke, in: BK, Art. 21 GG, Rn. 68. 115

III. Verfassungsmäßige Rechte politischer Parteien

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sich gegenüber diesem auf distanzwahrende122 Grundrechte berufen. Art. 21 GG spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. a) Rechtsnatur des Art. 21 GG Neben dem bereits beschriebenen Auftrag des Grundgesetzes für die Parteien konstatiert Art. 21 Abs. 1 GG in seinem Satz 2: „Ihre Gründung ist frei.“ Welche Gewährleistungen dieser Satz genau bereithält, wird noch zu klären sein. Der Ausgangspunkt der Überlegungen ist zunächst viel grundlegender, nämlich die Frage nach der Rechtsnatur dieser Bestimmung. (1) Art. 21 GG als Grundrecht Denkbar ist es, in der Vorschrift ein Grundrecht zu sehen.123 Angesichts der überragenden Bedeutung der Parteien bei der Willensbildung des Volkes scheint eine solche Charakterisierung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG angemessen. Außerdem sind Parteien nur Instrumente zur Verwirklichung der bürgerlichen Freiheitsrechte und können in ihrem Grundrechtsschutz nicht schlechter gestellt sein als jeder andere Verein, der über Art. 19 Abs. 3 GG am Schutz des Art. 9 GG teilnimmt. Die Qualifikation des Art. 21 GG als lex specialis zu Art. 9 GG124 erfordert nach diesem Verständnis die Charakterisierung des Art. 21 GG als Grundrecht.125 So wünschenswert ein explizites Parteiengrundrecht auch sein mag, begegnet die dargestellte Argumentation doch vor allem aufgrund der Tatsache Bedenken, dass Art. 21 GG außerhalb des ausdrücklich mit „Grundrechte“ überschriebenen ersten Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 1 bis Art. 19 GG) steht.126 Da Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG die für eine Verfassungsbeschwerde heranziehbaren grundrechtsgleichen Rechte abschließend enumeriert127 und Art. 21 GG nicht erwähnt, spricht er sogar gegen eine Charakterisierung des Art. 21 GG als grundrechtsgleiches Recht. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht zutreffend nur Art. 21 Abs. 2 GG als lex 122

Vgl. BVerfGE 108, 282, 318 – Kopftuch (Sondervotum Jentsch, Di Fabio, Mellinghoff). So etwa Henke, in: BK, Art. 21 GG, Rn. 216; Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 29; Seifert, Parteien, S. 111; Koch, ZParl 2002, 694, 703 f.; Tsatsos/Morlok, ParteienR, S. 75; Lipphardt, Gleichheit, S. 693; Kunig, in: HbStR III, § 40, Rn. 93 (S. 337 f.); Qualifizierung als grundrechtsähnliches Recht: Stern, StaatsR III/1, S. 375 f. 124 Vgl. BVerfGE 1, 208, 255 – 7,5 %-Sperrklausel; 2, 1, 13 – SRP-Verbot; 12, 246, 304; 17, 155, 166; 25, 69, 78; BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 595 – NPD-Verbot II. 125 Auf dieser Basis differenzierend Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 99. 126 Zu grundrechtsgleichen Rechten vgl. Gusy, in: FS 50 Jahre BVerfG I, 641, 644; Schlaich/ Korioth, BVerfG, Rn. 218; Hillgruber/Goos, VerfassungsprozessR, Rn. 106; Zuck, Verfassungsbeschwerde, Rn. 386. 127 Vgl. Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, Art. 93 GG, Rn. 62. 123

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

specialis gegenüber Art. 9 Abs. 2 GG anerkannt hat. Bei diesen Normen geht es aber nicht um grundrechtlichen oder grundrechtsähnlichen Schutz der Parteien, sondern um ein für Parteien gesondert festgeschriebenes Verbotsverfahren. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG ist hingegen kein „Aliud“ zu Art. 9 Abs. 1 GG128 und damit auch nicht zwingend ein Grundrecht. Aus dem Verhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ergibt sich nichts anderes:129 Zwar wird das Willkürverbot, welches grundsätzlich Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes ist, der besonderen Bedeutung der Parteien nicht gerecht.130 Dem kann aber durch eine dynamische Interpretation des Gleichheitssatzes131 dergestalt begegnet werden, dass im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG die Wertungen des Art. 21 GG Berücksichtigung finden.132 Auch bei personenbezogenen Ungleichbehandlungen müssen die Anforderungen an die Rechtfertigung unter Rückgriff auf die sog. „Neue Formel“ an die konkrete Intensität der Ungleichbehandlung angepasst werden.133 (2) Art. 21 GG als Bestandsgarantie mit subjektiver Komponente Die Maxime eines für die Arbeit der Parteien hinreichend hohen Grundrechtsschutzniveaus erfordert mithin nicht, Art. 21 GG entgegen seiner systematischen Stellung als Grundrecht zu qualifizieren. Dem Schutz der Parteienrechte kann vielmehr durch eine Ausstrahlungswirkung des Art. 21 GG auf die allgemeinen Grundrechte Rechnung getragen werden. Richtig ist es deswegen, in Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG eine objektive Bestandsgarantie zu sehen.134 Die Norm beinhaltet eine institutionelle Gewährleistung der Parteien. Das Grundgesetz entfaltet in seinem Art. 21 Abs. 1 S. 2 hingegen weder ein Grundrecht noch ein grundrechtsgleiches Recht.135 Der Blick sollte sich vielmehr auf den – auch in der objektiven Bestandsgarantie zum Ausdruck kommenden – subjektiven Gehalt der Vorschrift richten, der aus Gründen der effektiven Absicherung der Rechte der Parteien anzunehmen ist.136 Diese subjektive Komponente des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG strahlt auf 128

So zutreffend auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 99. Dazu, inwiefern aus Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG überhaupt ein Gleichheitssatz abgeleitet werden kann, noch unter C. III. 3. c). 130 Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21 GG, Rn. 17. 131 Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 135. 132 Ebenso Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 33; Kunig, in: v. Münch/ Kunig, Art. 21 GG, Rn. 31; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 305; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 76. 133 Vgl. BVerfGE 88, 87, 96 f. – Transsexuelle II; 97, 169, 180 f. – Kleinbetriebsklausel I. 134 Vgl. etwa Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 48 f.; Huber, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 609, 621 ff.; ähnlich Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 305; Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 97; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 122. 135 So auch Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 25. 136 Vgl. Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 49. 129

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die Grundrechte der Parteien aus. Die objektive Bestandsgarantie zugunsten der Parteien ist von allen staatlichen Akteuren zu beachtendes Verfassungsrecht, dessen Einhaltung die Parteien einfordern können. Die verfassungsmäßigen Rechte der Parteien sind also in den allgemeinen Grundrechten zu verorten, die Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG entsprechend prägt – d. h. aus der Sicht der Parteien stärkt.137 b) Grundrechte politischer Parteien Ausgangspunkt der Überlegung, welche Grundrechte auf Parteien Anwendung finden, ist Art. 19 Abs. 3 GG.138 Demnach bleibt den Parteien insbesondere eine Berufung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) versagt – zumindest, soweit höchstpersönliche Rechtsgüter natürlicher Personen geschützt werden. Aber auch Aspekte dieses Grundrechts – etwa der Schutz des Namens und des Rufs einer Partei – können relevant werden,139 wenn sich Hoheitsträger herabsetzend über eine Partei äußern.140 Von besonderer Bedeutung ist – jedenfalls im hier zu untersuchenden Zusammenhang – der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).141

3. Gewährleistungen des Art. 21 GG Mit der Bestandsgarantie des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG bringt das Grundgesetz nicht nur seine Wertschätzung gegenüber den Parteien zum Ausdruck, sondern verdeutlicht auch, dass die Staatsorgane in spezifischer Weise auf Interessen der Parteien Rücksicht zu nehmen haben. Dies wirkt sich in der Folge unmittelbar auf den Grundrechtsschutz aus.

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So auch Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 97. Anwendbar sind insbesondere Art. 9 und Art. 12 GG. Art. 9 Abs. 2 GG hat zwar im Verhältnis zu Art. 21 Abs. 2 GG zurückzutreten, Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG ist aber keine lex specialis zu Art. 9 Abs. 1 GG (so auch Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 48 m.w.N.) – auch nicht, soweit es um die Gründung einer Organisation mit dem Zweck geht, an der politischen Willensbildung mitzuwirken (a.A. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 32). Für Art. 12 GG stellt sich die Situation ganz ähnlich dar: Da eine (alleinige) Berufung auf Art. 21 GG keinen Grundrechtsschutz mit sich bringt, ist bei jeder wirtschaftlichen Tätigkeit einer Partei, also auch, wenn sie parteispezifischen Bezug hat, Art. 12 GG unbedingt nötig und daher auch anwendbar (gänzliche Ablehnung einer Berufung auf Art. 12 GG dennoch durch Ipsen, in: Sachs, Art. 21, Rn. 45; Gusy, in: AK, Art. 21 GG, Rn. 82; die Anwendbarkeit jedenfalls in Bezug auf wirtschaftliche Betätigungen ohne parteipolitischen Bezug bejahend: Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 147). 139 So auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 144; Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 135. 140 Vgl. für private Unternehmen Murswiek, NVwZ 2003, 1, 2. 141 Vgl. hierzu noch näher unter C. III. 3. d). 138

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

a) Gründungsfreiheit Unter der sich direkt aus Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG ergebenden Gründungsfreiheit versteht das Grundgesetz das Recht aller Bürger, eine Partei ohne staatlichen Genehmigungsakt ins Leben rufen zu dürfen142 oder aufzulösen.143 Diese in einer freien Demokratie eher deklaratorische Bestimmung erfolgte als Reaktion auf die „Gleichschaltung“ der politischen Parteien in der Zeit des Nationalsozialismus144 und auf den Lizenzierungszwang in der unmittelbaren Nachkriegszeit.145 In Zusammenhang damit steht die Freiheit, in eine beliebige Partei einzutreten146 und in dieser mitzuarbeiten.147 Erlaubt ist insbesondere die Gründung verfassungsfeindlicher Parteien. Dies ergibt sich implizit aus der Regelung des Art. 21 Abs. 2 GG,148 der vorsieht, dass verfassungsfeindliche Parteien (nur) durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden können (sog. „Parteienprivileg“).149 Die Bestimmung setzt die mögliche Existenz einer verfassungswidrigen Partei also gerade voraus.150 b) Betätigungsfreiheit Die Exekutive darf eine einmal frei gegründete Partei nicht verbieten und deren Tätigkeit nicht behindern. Ein solches Vorgehen würde sowohl der speziellen Re142 Vgl. Roellecke, in: Umbach/Clemens, Art. 21 GG, Rn. 66; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 21 GG, Rn. 45; Zippelius/Würtenberger, StaatsR, § 11, Rn. 18; Bumke/Voßkuhle, VerfassungsR, S. 313. Den Parteien steht es außerdem zu, grundsätzlich frei über Aufnahme und Ausschluss von Mitgliedern zu entscheiden (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21 GG, Rn. 15). Dies ist Ausfluss der den Parteien ebenfalls zukommenden Tendenzfreiheit, also der Freiheit, selbst parteiisch zu sein (vgl. BVerfGE 111, 382, 409 – Drei-Länder-Quorum; Roellecke, in: Umbach/Clemens, Art. 21 GG, Rn. 68; Morlok, NJW 1991, 1162, 1163). 143 Vgl. etwa Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 273. 144 Vgl. die „Verordnung zur Sicherung der Staatsführung“ vom 07. 07. 1933 (RGBl. I, S. 462), das „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ vom 14. 07. 1933 (RGBl. I, S. 479) und das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ vom 01. 12. 1933 (RGBl. I, S. 1016). 145 Vgl. Maunz/Zippelius, StaatsR, S. 81. 146 Vgl. etwa Maurer, JuS 1991, 881, 885; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21 GG, Rn. 15; ebenso geschützt ist freilich auch der Austritt aus einer Partei (vgl. Maurer, JuS 1991, 881, 885; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 51). 147 Vgl. Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 135. 148 Auch verfassungswidrige Parteien haben deshalb etwa Anspruch auf Zulassung zu kommunalen Einrichtungen (vgl. BVerwGE 31, 368, 369; Gassner, VerwArch 1994, 533, 533; Zundel, JuS 1991, 472, 472), auf Vergabe von Stellplätzen für die Wahlwerbung im öffentlichen Straßenraum (vgl. BVerwGE 47, 280, 289; a.A. Koch, ZParl 2002, 694, 715) und auf Zuweisung von Sendezeiten im Rundfunk (vgl. BVerfGE 47, 198, 230 ff. – Wahlwerbesendung; Benda, NJW 1994, 22, 22 f.). 149 Vgl. hierzu noch unter E. II. 4. b) (2). 150 Vgl. Roellecke, in: Umbach/Clemens, Art. 21 GG, Rn. 66; Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 30.

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gelung des Art. 21 Abs. 4 GG widersprechen als auch die Gründungsfreiheit faktisch aushöhlen.151 Daher leitet sich die Betätigungsfreiheit152 direkt aus der Gründungsfreiheit ab.153 Die Betätigungsfreiheit umfasst vor allem das Recht politischer Parteien, sich unter Entwicklung eigener Programme (vgl. im Folgenden unter (1)) am Wettbewerb zu beteiligen (vgl. im Folgenden unter (2)).154 (1) Programmfreiheit Die Parteien und ihre Mitglieder haben das Recht, ihr Programm festzulegen und gemäß ihren politischen Vorstellungen auszugestalten.155 Da der Sinn einer Parteigründung gerade darin besteht, am politischen Wettbewerb mit bestimmten Zielen und Ideen teilzunehmen, muss die Partei eine Beeinflussung durch den Staat nicht hinnehmen und ist in der inhaltlichen Ausformung ihres Programms autonom. Folgerichtig verlangt § 6 Abs. 1 S. 1 PartG lediglich eine schriftliche Niederlegung des Programms, stellt aber keine inhaltlichen Anforderungen auf. Auch die Verfassung setzt den Parteien hinsichtlich ihres Programms nur die Grenze der Art. 21 Abs. 2 und 3 GG.156 Das Grundgesetz fordert aber, dass die Parteien überhaupt ein Programm haben157 und dieses ernsthaft verfolgen.158 Dies findet sich zwar im Wortlaut des Art. 21 GG nicht wieder, ergibt sich aber aus der in Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG beschriebenen Funktion der Parteien als ein bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirkender Faktor. Vereinigungen, die diese Minimalanforderungen nicht erfüllen, genießen den Schutz des Art. 21 GG nicht. Dies gestattet es der Gubernative aber freilich nicht, zu beurteilen, ob ein Parteiprogramm sinnvoll, vernünftig oder realistisch ist, und hierüber öffentliche Aussagen zu treffen. Das Kontrollrecht der Exekutive beschränkt sich auf die Fragen, ob die Parteien überhaupt Ziele formuliert haben und darauf abzielen, ihre Thesen in den politischen 151 Vgl. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 107 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 512 – NPD-Verbot II. 152 Mit dieser geht die Bestandsfreiheit einher (vgl. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 107; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 51). 153 Um die Betätigungsfreiheit nicht praktisch leerlaufen zu lassen, genießen Parteien außerdem Finanzierungsfreiheit (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 277; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 115). Zur konkreten Ausgestaltung ihres Tätigwerdens können Parteien außerdem ihren Namen und ihre Rechtsform frei wählen (vgl. BVerfGE 111, 382, 409 – Drei-Länder-Quorum; Gusy, in: AK, Art. 21 GG, Rn. 64). 154 Vgl. BVerfGE 89, 266, 270 – Unabhängige Arbeiterpartei; Grimm, HbVerfR, § 14, Rn. 33; Maurer, StaatsR, § 11, Rn. 41; Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 32. 155 Vgl. BVerfGE 104, 14, 19 ff. – Wahlkreiseinteilung Krefeld; 111, 382, 409 – DreiLänder-Quorum; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 279; Gusy, in: AK, Art. 21 GG, Rn. 64; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 108; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 59. 156 Vgl. dazu noch unter E. III. 4. b) (2). 157 Vgl. statt vieler Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 36. 158 Vgl. BVerfGE 91, 262, 270 f. – Parteienbegriff I, wonach der bloße Wille, Partei zu sein, ebenso wenig reicht wie eine Teilnahme an Wahlen zwingend nötig ist.

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

Diskurs einzubringen. Weitergehende Überprüfungsmöglichkeiten und mit ihnen korrespondierende Äußerungsbefugnisse der Verwaltung würden der großen Bedeutung des Art. 21 Abs. 1 GG für die Rechte der Parteien nicht gerecht werden. (2) Wettbewerbsfreiheit Parteien müssen nach außen auftreten können, um das Volk von ihren politischen Thesen überzeugen zu können.159 Im Rahmen der Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes stehen Parteien in einem ständigen Wettbewerb zueinander und kämpfen um die Gunst der Bürger. Der Prozess der politischen Willensbildung vollzieht sich gerade auch in der Auseinandersetzung der Parteien untereinander, verdeutlicht dem Bürger auf diese Weise die Unterschiede zwischen den einzelnen Auffassungen und versetzt ihn in die Lage, verschiedene Ansichten und Argumente zu hören, sie gegeneinander abzuwägen sowie eine Entscheidung zu treffen. Für den politischen Prozess ist es deshalb notwendig, dass Parteien miteinander und mit dem Bürger in Kontakt treten, ohne hierbei staatliche Restriktion oder Behinderung zu erfahren.160 c) Gleichheit Da die Demokratie auf der freien Konkurrenz von Meinungen beruht,161 „versteht sich [das Recht der Parteien auf Gleichberechtigung] als Bestandteil der demokratischen Grundordnung von selbst“162. Nur wenn es der Exekutive prinzipiell verboten ist, Parteien unterschiedlich zu behandeln, können die Parteien ihre verfassungs159

Vgl. nur Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 124. Hierfür bedürfen Parteien des Zugangs zu bestimmten Aktivitätsfeldern. So müssen die Parteien einen Straßenwahlkampf mit Plakaten, Informationsständen und Flyern führen können. Sowohl Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG, der eine effektive Möglichkeit der Beteiligung am Willensbildungsprozess fordert, als auch Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG, der den freien Wettstreit unter den Parteien verlangt, verschafft den Parteien eine Position, aus der heraus sie – unbeeinflusst vom Staat – interagieren und um die Wählergunst werben können. Das Ermessen der Behörden hinsichtlich der Zulassung dieses Sondergebrauchs der Straßen ist deshalb in aller Regel auf Null reduziert (vgl. BVerwGE 47, 280, 283; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 60; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 113; zu den Grenzen wegen des Rechts der Bevölkerung aus Art. 2 Abs. 1 GG auf politikfreie Bereiche vgl. etwa OVG Lüneburg NJW 1986, 863, 863 f.). Sieht man das bloße Ansprechen von Personen noch nicht als erlaubnispflichtige Sondernutzung etwa im Sinne des Art. 18 Abs. 1 S. 1 BayStrWG, weil insofern die Kommunikationsgrundrechte zu einer Erweiterung des Gemeingebrauchs etwa im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 BayStrWG führen, bedarf es hierfür ohnehin keiner behördlichen Genehmigung (vgl. etwa BVerwGE 56, 24, 25 ff.). Hingegen ergibt sich weder aus den Grundrechten der Parteien (etwa Art. 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG) noch aus der objektiven Bestandsgarantie des Art. 21 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Zuweisung von Sendezeiten im Rundfunk (vgl. BVerfGE 47, 198, 236 f. – Wahlwerbesendung; BVerwGE 87, 270, 274 f.; Dörr, JuS 1991, 1009, 1010). 161 Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 296. 162 BVerfGE 1, 208, 242 – 7,5 %-Sperrklausel. 160

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mäßigen Aufgaben erfüllen.163 Mit den verfassungsrechtlich gesicherten Freiheiten der Gründung und Betätigung verbindet sich deshalb im Grundsatz auch die volle Gleichberechtigung164 aller Parteien.165 (1) Verfassungsrechtliche Verortung Wollen Parteien ihr Recht auf Gleichbehandlung in Anspruch nehmen, reicht es freilich nicht aus, allein auf die objektive Bestandsgarantie zu rekurrieren.166 Vielmehr müssen sie sich zusätzlich auf ihr Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG berufen, welches dann von Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG seine spezielle Prägung für die Parteiengleichheit empfängt.167 In Literatur und Rechtsprechung werden weitere Anknüpfungspunkte für das Gleichbehandlungspostulat vertreten. So wird teilweise ausschließlich auf Art. 21 GG168 oder auf Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG169 bzw. i.V.m. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG170 abgestellt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt keine einheitliche Linie der verfassungsrechtlichen Verortung der Parteiengleichheit erkennen. Wegen der „Bedeutung, die der Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt“,171 greift das Gericht in der Regel auf Art. 21 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 und 2 GG zurück. Im Zusammenhang mit Wahlen zieht es zusätzlich Art. 38 Abs. 1 GG bzw. Art. 28 Abs. 1 GG172 heran. Daneben kommt Art. 3 Abs. 1 GG173 zur Anwendung, wenn es das vor dem Bundesverfassungsgericht angestrengte Verfahren – wie etwa die Verfassungsbe163

Vgl. nur BVerfGE 2, 1, 13 – SRP-Verbot; 5, 85, 140 – KPD-Verbot; 6, 273, 280 – Gesamtdeutsche Volkspartei; 8, 51, 64 f. – Parteispendenurteil I; 47, 198, 225 – Wahlwerbesendung; 120, 82, 104 – Kieler Sperrklausel; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 119; Maurer, StaatsR, § 11, Rn. 42; Seifert, Parteien, S. 131. 164 Oftmals „Startgleichheit“ genannt (vgl. Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 81; Kißlinger, Chancengleichheit, S. 14 ff.; Schoch, DVBl. 1988, 863, 880). 165 Vgl. BVerfGE 1, 208, 255 – 7,5 %-Sperrklausel; 6, 84, 91 f. – 5 %-Sperrklausel. 166 So auch Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 76; a.A. Lipphardt, Gleichheit, S. 119; vgl. hierzu bereits unter C. III. 2. a) (2). 167 In diese Richtung auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 122, der aber noch explizit die für die inhaltliche Prägung entscheidende Bedeutung der Art. 20 und 38 GG betont. 168 Vgl. etwa Lipphardt, Gleichheit, S. 117 f.; Grimm, HbVerfR, § 14, Rn. 42; Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 33; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21 GG, Rn. 17 sieht in Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG einen speziellen Gleichheitssatz. 169 Vgl. Tsatsos/Morlok, ParteienR, S. 88 f. 170 Vgl. Badura, StaatsR, S. 530 f.; Seifert, Parteien, S. 131 f. 171 BVerfGE 6, 273, 280 – Gesamtdeutsche Volkspartei; 47, 198, 225 – Wahlwerbesendung; 52, 63, 88 – Parteispendenurteil II; 111, 54, 104 – Parteienfinanzierung X; 120, 82, 104 – Kieler Sperrklausel. 172 Vgl. BVerfGE 82, 322, 337; 136, 323, 333 – Spinner. 173 Vgl. BVerfGE 7, 99, 107 – Sendezeit I; 47, 198, 225 – Wahlwerbesendung.

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

schwerde – erfordert.174 Dogmatisch überzeugen kann die wechselnde und beinahe schon beliebig wirkende Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der sedes materiae für die Parteiengleichheit nicht.175 Richtig ist es daher, stets (und das unabhängig von der einschlägigen Verfahrensart) auf Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG abzustellen.176 Einer Zuhilfenahme von Art. 20 und Art. 28 GG bedarf es nicht, da die besondere Bedeutung der Parteien in einer Demokratie speziell in Art. 21 GG zum Ausdruck kommt. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG regelt die Freiheit der Wahl177 und vermag der Gleichbehandlung von Parteien im Wahlkampf so durchaus einen besonders hohen Stellenwert zu verleihen.178 Eine explizite Verortung der Chancengleichheit politischer Parteien in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG gebietet dies aber nicht. Der sachliche Schutzbereich der Chancengleichheit erstreckt sich auf die Tätigkeit der Parteien schlechthin, die „außerhalb von Wahlkämpfen und während derselben die gleiche“ ist.179 Die Verfassung untersagt die Einflussnahme des Staates auf den Prozess der politischen Willensbildung immer.180 Den speziellen Umständen vor einer Wahl wird aber im Rahmen der Intensität der Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 GG auf das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen sein.181 Letztlich ist die exakte verfassungsrechtliche Verortung der Parteiengleichheit so lange nicht von entscheidender Bedeutung, wie man jeder Partei ihre Funktionserfüllung ermöglicht und eine effektive verfassungsprozessuale Absicherung gewährleistet.182 (2) Inhaltliche Ausgestaltung Art. 3 Abs. 1 GG verbietet die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem und die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.183 Gleichheit der Parteien meint deshalb keine Gleichbehandlung, die sich über die durch den Wettbewerb hervorgebrachte reale Ausgangslage hinwegsetzt, sondern diese akzeptiert. Verfassungsrechtliches Ziel ist die Chancengleichheit der Parteien im Wettbewerb, nicht eine

174 Auch dies aber nicht einheitlich, da auch teilweise im Organstreitverfahren auf Art. 3 Abs. 1 GG zurückgegriffen wird (vgl. BVerfGE 111, 382, 398 – Drei-Länder-Quorum). 175 Vgl. auch Streinz, in v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 33. 176 Vgl. auch Jülich, Chancengleichheit, S. 77. 177 Vgl. dazu bereits unter C. II. 178 Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 61 ff. sieht deshalb die besondere Parteiengleichheit im Vorfeld von Wahlen zusätzlich in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG verortet; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 305 stuft Art. 38 Abs. 1 S. 2 und 28 Abs. 1 S. 2 GG als zusätzlich zu berücksichtigenden Akzent bei der Grundrechtsprüfung ein. 179 BVerfGE 85, 264, 285 – Parteienfinanzierung VII. 180 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 297 m.w.N. 181 Vgl. hierzu noch unter C. III. 3. d). 182 So zutreffend auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 122 m.w.N. 183 Vgl. statt vieler Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3 GG, Rn. 7 f.

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Gleichheit der politischen Kräfte.184 Jede Partei muss unter den grundsätzlich gleichen Bedingungen an diesem Wettbewerb teilnehmen können. Der Staat darf die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verändern und deswegen weder bestehende Unterschiede beseitigen noch sie vergrößern.185 Ist der Staat deshalb im Rahmen der Leistungsverwaltung unter Umständen verpflichtet, Parteien unterschiedlich zu behandeln,186 muss er im Übrigen alle Parteien formal strikt gleichbehandeln.187 Dies folgt aus Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG und gilt sowohl im Vorfeld von Wahlen als auch für die sonstige Tätigkeit der Parteien.188 Staatliche Organe dürfen nicht gegen bestimmte Parteien aktiv werden oder diese bewerben und sich so der Bewertungs- und Handlungsmaßstäbe politischer Parteien bedienen. Die Organe sind zur Neutralität verpflichtet.189 d) Ausstrahlung auf die Grundrechte der Parteien Die inhaltlichen Gewährleistungen des Art. 21 GG haben unmittelbare Auswirkung auf den Grundrechtsschutz der Parteien.190 Da einerseits Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG selbst kein Grundrecht und kein grundrechtsgleiches Recht ist,191 man andererseits den Rechten der Parteien aber umfassend Rechnung zu tragen hat, müssen Inhalt und Bedeutung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG bei den Grundrechten der Parteien192 spürbare Berücksichtigung finden.

184 Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 78; vgl. auch allgemein zur Wettbewerbsfreiheit Lindner, DÖV 2003, 185, 192, der zutreffend feststellt, dass Art. 3 Abs. 1 GG das Recht des Wettbewerbers auf gleiche Erfolgschancen sichert, während den Zugang zum Wettbewerb (in der Wirtschaft) Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet. 185 St. Rspr., vgl. nur BVerfGE 20, 56, 118 – Parteienfinanzierung II; 41, 399, 414; 42, 53, 59; 52, 63, 89 – Parteispendenurteil II; 69, 92, 109; 104, 287, 300; 111, 382, 398 – Drei-LänderQuorum. 186 Auch wenn man insbesondere durch die Anwendung der sog. abgestuften Chancengleichheit (§ 5 Abs. 1 PartG) Gefahr läuft, das bestehende Parteienfeld zu zementieren (vgl. v. Arnim, DÖV 1984, 85, 87 f.), handelt es sich bei dem Widerstreit zwischen den Parteien um einen Wettbewerb, in dem neue Teilnehmer aktiv werden müssen, um sich einen höheren Bekanntheitsgrad zu verschaffen. 187 Vgl. BVerfGE 8, 51, 64 f. – Parteispendenurteil I; 82, 322, 337 – Sperrklausel; 85, 264, 297 – Parteienfinanzierung VII; 111, 54, 105 – Parteienfinanzierung X; vgl. auch Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 63, 91; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 296; Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 44, der dies aber nur im Hinblick auf Wahlkampfzeiten anerkennt; Müller, in: Taschenkommentar, Art. 21 GG, Rn. 12; Gröpl, StaatsR I, Rn. 393. 188 Vgl. BVerfGE 66, 107, 114; 85, 264, 297 – Parteienfinanzierung VII; 104, 14, 20 – Wahlkreiseinteilung Krefeld. 189 Vgl. Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 78; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 296; Grimm, HbVerfR, § 14, Rn. 42. 190 Vgl. unter C. III. 3. a) bis c). 191 Vgl. bereits unter C. III. 2. a). 192 Vgl. hierzu unter C. III. 2. b).

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(1) Generelle Bedeutung für den Grundrechtsschutz Unter Zugrundelegung der Prämisse, dass dem einzelnen Bürger bei seiner politischen Betätigung nicht weniger Handlungsformen zur Verfügung stehen können als der von ihm getragenen Partei, vermag Art. 21 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht den Schutzbereich eines Grundrechts zu erweitern. Die besondere verfassungsrechtliche Stellung der Partei wirkt sich im Schutzbereich dann vielmehr insoweit aus, als dieser durch die für die Aufgabenerfüllung notwendigen Handlungen der Parteien spezifiziert wird und sich insbesondere auch auf diese erstreckt.193 Bei der Frage des Vorliegens einer Ungleichbehandlung gilt ein strenger Maßstab. Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung ist grundsätzlich bei jedem Verstoß gegen den streng formalen Gleichheitssatz anzunehmen. Im Zusammenhang mit Äußerungen über Parteien dürfen Staatsorgane keinerlei Differenzierungen zwischen den Parteien vornehmen. Jede Identifikation mit einer bestimmten Partei sowie jede abwertende Aussage bedarf grundsätzlich der Rechtfertigung. Diese streng formale Betrachtungsweise ist Ausdruck des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG.194 Demgegenüber wohnt einer bloßen politischen Betätigung keine relevante Ungleichbehandlung inne. Vielmehr stellen die Auswirkungen, die etwa die Forderung des Bundeskanzlers nach einer Steuererhöhung auf die Parteien hat, bloße Reflexe der politischen Agitation dar – seien diese positiv (für die Regierungsparteien), seien sie negativ (für die Oppositionsparteien). Die eigentliche Stärke eines Grundrechts zeigt sich erst bei den Anforderungen, die an die Schranken und die Verhältnismäßigkeitsprüfung gestellt werden.195 Denn hier ergibt sich, welche Bedeutung man dem betroffenen Recht im Rahmen der Abwägung tatsächlich beimisst.196 So entfaltet sich auch die Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG maßgeblich auf der Ebene der Rechtfertigung. Die den Staatsorganen zukommenden Wirkungsmöglichkeiten197 finden ihre Grenzen dabei in den von der Verfassung vorgezeichneten Tätigkeitsfeldern der Parteien, die grundsätzlich staatsfrei bleiben.198 Je näher ein Grundrecht den spezifischen, durch Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG überantworteten Aufgaben steht,199 desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs. Unterscheidet sich die Tä193 Parteien können sich etwa auf Art. 8 Abs. 1 GG berufen, sodass jede staatliche Äußerung, die auf eine Nichtteilnahme an einer von einer Partei (mit)organisierten Versammlung oder auf eine Teilnahme an einer Gegendemonstration zielt, den Schutzbereich dieses Grundrechts berührt (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21, Rn. 186; Streinz, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 144; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 53). 194 Vgl. bereits unter C. III. 3. c) (2). 195 Vgl. Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 92. 196 Kritisch zu einer solchen Abwägung unter Einbezug der Intensität der Beeinträchtigung bei der Chancengleichheit Murswiek, DÖV 1982, 529, 530 ff. 197 Vgl. dazu noch unter E. 198 Vgl. dazu bereits unter C. III. 1. b) (2) (b). 199 Eng damit verknüpft sind etwa die Kommunikationsgrundrechte der Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG.

III. Verfassungsmäßige Rechte politischer Parteien

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tigkeit einer Partei hingegen nicht wesentlich von der einer beliebigen anderen Person – wie es etwa der Fall ist, wenn sich eine Partei bei rein wirtschaftlichen Handlungen auf Art. 12 Abs. 1 GG beruft200 – ist die Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 GG gering oder ggf. gar nicht vorhanden. Es sind dann die gleichen Maßstäbe für eine Rechtfertigung anzulegen wie in jedem anderen Fall. Eng mit der Beteiligung der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes verknüpft ist ihre von Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete Chancengleichheit in ebendiesem Prozess, die ihnen erst eine freie Teilnahme daran ermöglicht. Nur dort, wo ein aktives Auftreten der Staatsorgane zwingend nötig ist,201 kann deshalb die prinzipiell bestehende Pflicht zur parteipolitischen Neutralität202 durchbrochen werden. Da Art. 21 GG – wie auch Art. 3 GG – keinen Gesetzesvorbehalt enthält,203 können sich solche Handlungsoptionen ausschließlich aus dem Grundgesetz selbst ergeben. Die Maxime der Chancengleichheit politischer Parteien ist mithin einer derjenigen Gleichheitssätze, die über das allgemeine Willkürverbot des allgemeinen Gleichheitssatzes hinausgehen.204 (2) Keine Differenzierung zu Wahlkampfzeiten Aufgrund der engen Verbindung von Parteien und Wahlen in der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes ist es denkbar, aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG abzuleiten, dass Ungleichbehandlungen durch Staatsorgane grundrechtlich nur (oder jedenfalls eher) relevant sind, wenn sie sich im Vorfeld eines Wahlkampfs vollziehen.205 Dies ließe sich begründen, wenn man die grundgesetzlichen Parteienrechte in erster Linie aus der Mitwirkung der Parteien an den freien Wahlen zum Bundestag herleiten würde. Eine solch verengende Sicht ist indes nicht gerechtfertigt. Parteien müssen ihrer Aufgabe aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG ununterbrochen nachkommen. Die repräsentative Demokratie beschränkt sich nicht auf die Wahl, sie gipfelt in ihr.206 Demzufolge ist die Willensbildung des Volkes ein stetiger Prozess, der sich in

200

Vgl. hierzu bereits unter C. III. 2. b). Auch BVerfGE 47, 198, 227 – Wahlwerbesendung spricht bei der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung durch Rundfunkanstalten von „zwingenden“ Gründen, welche es beispielsweise in der Erhaltung eines funktionsfähigen Parlaments sieht (vgl. auch BVerfGE 1, 208, 248 f. – 7,5 %-Sperrklausel; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 314; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 GG, Rn. 273 f.; Heun, in: Dreier, Art. 3 GG, Rn. 88, 102; Osterloh, in: Sachs, Art. 3 GG, Rn. 60 f.; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 21 GG, Rn. 51; v. Arnim, DÖV 1984, 85, 85). 202 Vgl. hierzu unter D. III. 203 So zutreffend auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 117. 204 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 314. 205 Vgl. etwa Badura, in: BK, Anh. zu Art. 38 GG, BWahlG, Rn. 14; Seifert, Parteien, S. 131 f. 206 BVerfGE 20, 56, 114 – Parteienfinanzierung II; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 20. 201

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

dauerndem Wandel befindet.207 Daraus folgt, dass die Parteien sich auch fortwährend auf ihre aus Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG abgeleitete herausgehobene Stellung berufen können. Die Ausstrahlungswirkung nimmt außerhalb von Wahlkampfzeiten nicht etwa automatisch ab.208 Das würde den durch die Norm vorgegebenen Status der Parteien deutlich abwerten. Erstens könnte daraus der unzutreffende Schluss gezogen werden, dass Parteien nur zu Wahlkampfzeiten wirklich gebraucht werden und sie daher reine „Wahlvorbereitungsorganisationen“ sind.209 Eine solche Qualifikation verträgt sich aber nicht mit den mannigfaltigen Aufgaben, die Parteien auch außerhalb des Wahlkampfs wahrzunehmen haben.210 Zweitens würde eine solche Sicht die auch außerhalb von Wahlkämpfen bestehende Einflussmöglichkeit von Staatsorganen auf die Willensbildung des Volkes außer Acht lassen. Zur Verdeutlichung muss man sich nur den Extremfall vor Augen führen, dass Staatsorgane kurz nach einer Bundestagswahl anfangen, mit massiven verbalen Attacken gegen eine Partei vorzugehen. Wären sie erst in zeitlicher Nähe zur nächsten Bundestagswahl wieder verpflichtet, Neutralität walten zu lassen, wäre die Partei bis dahin schon erheblich beschädigt und ihre Chancengleichheit kaum noch wiederherzustellen. Eine Differenzierung zwischen Zeiten des Wahlkampfs und anderen Zeiten begegnet darüber hinaus deswegen Bedenken, weil in der föderalen Bundesrepublik Wahlen nicht nur auf Bundesebene, sondern auch zu den sechzehn Landesparlamenten sowie den kommunalen Bürgervertretungen stattfinden (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG). Diese Wahlen decken sich in zeitlicher Hinsicht nicht mit dem Termin der Bundestagswahl, sodass eine Beeinflussung des Volks ohnehin ständig möglich ist, da meistens auf irgendeiner Ebene des föderalen Systems Wahlen bevorstehen. Zwar gilt insoweit nicht Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG, aber das Bundes- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG), das Prinzip der Bundestreue (Art. 20 Abs. 1 GG)211 sowie Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG verwehren es Staatsorganen auf Bundesebene, die Chancengleichheit der Parteien in unzulässiger Weise zu beeinträchtigen. Hierbei sind sowohl die Rechte der Länder als selbständige Staaten (Art. 30 GG) und der sonstigen Gebietskörperschaften (wie etwa der Gemeinden, vgl. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) als auch die Rechte der Parteien betroffen, die sich auch auf Landesebene auf Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG berufen können.212 Da im Regelfall nicht unterschieden werden kann, ob die parteipolitische Äußerung eines Staatsorgans einem Landesverband oder nur der 207

Vgl. hierzu bereits unter C. III. 1. b). So im Ergebnis aber wohl BVerfGE 44, 125, 151 – Öffentlichkeitsarbeit, wenn es das Anwachsen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe als Indiz für unzulässige Wahlwerbung der Bundesregierung sieht; vgl. dazu noch unter E. II. 2. d) (4). 209 Vgl. v. Coelln, in: Studienkommentar, Art. 21 GG, Rn. 13; anders aber BVerfGE 8, 51, 63 – Parteispendenurteil I; 20, 56, 113 – Parteienfinanzierung II; 91, 262, 268 – Parteibegriff I; 91, 276, 285 – Parteibegriff II. 210 Vgl. hierzu bereits unter C. III. 1. b). 211 Vgl. BVerfGE 12, 205, 254 – Rundfunk; 81, 310, 337 f. – Kalkar II. 212 Vgl. BVerfGE 6, 367, 375 – Gemeindewahlen; 23, 33, 39 – Wahlkampfkosten; 66, 107, 114. 208

III. Verfassungsmäßige Rechte politischer Parteien

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Bundespartei gegolten hat, ist eine Abänderung des Maßstabs zu Bundestagswahlkampfzeiten nicht sachgerecht. (3) Potential der Beeinflussung des Volkes als Gradmesser für die Intensität der Ausstrahlungswirkung Faktisch gesehen sind die Auswirkungen einer parteipolitischen Äußerung zu (Bundestags-)Wahlkampfzeiten aber größer als zu anderen Zeiten.213 Die in die Rechte der Parteien eingreifende Wirkung staatlicher Äußerungen ergibt sich gerade daraus, dass die Wettbewerbslage verfälscht wird, indem die Bürger durch Staatsorgane in ihrem politischen Willen beeinflusst werden.214 Bei der Beurteilung der Verfassungswidrigkeit einer staatlichen Äußerung muss folglich prognostiziert werden,215 ob und inwieweit sich die Aussage eignet, Einfluss auf das Volk und die Chancengleichheit der betroffenen Partei zu nehmen.216 Der Grad der potentiellen Beeinflussung gibt sodann vor, welche Hürden für die Verfassungsmäßigkeit einer Aussage bestehen. Je stärker die mögliche Beeinflussung des Bürgers ist, desto intensiver entfaltet sich auch die Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG auf die Grundrechte der Parteien. Es spielen hierbei verschiedene Faktoren eine Rolle. Solche sind etwa: - der Beliebtheits- und Bekanntheitsgrad des betroffenen Organwalters, - die Eingängigkeit und Merkfähigkeit der getroffenen Wortwahl, - die unter Berücksichtigung ihres Gesamtkontextes zu bestimmende Intensität der herabsetzenden Wirkung einer Aussage, - die Zahl der Zuhörer, - der Umfang der Berichterstattung, - das Ausmaß der öffentlichen Resonanz, - ein etwaiger Verlust in Wählerumfragen sowie

213 Vgl. etwa auch BVerfGE 44, 125, 169 – Öffentlichkeitsarbeit (Sondervotum Geiger): „,Alles‘ hat in der Wahlkampfzeit seine Wirkung, sonst setzen es die im Wahlkampf konkurrierenden Parteien, Gruppen und Personen nicht ein.“ 214 Vgl. BVerfGE 44, 125, 146 – Öffentlichkeitsarbeit; ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295, 297. 215 Die Frage der Beeinflussung der vom Verstoß gegen die (dort: religiöse) Neutralitätspflicht Betroffenen wird auch in BVerfGE 108, 282, 306 – Kopftuch als Kriterium herangezogen, dort aber mangels hinreichender empirischer Erkenntnisse hinsichtlich des Einflusses eines Kopftuchs auf die Kindesentwicklung verworfen. 216 Vgl. hierzu auch die Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses des Deutschen Bundestags bzgl. des Wahleinspruchs der NPD und anderer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag, BT-Drs. 18/1810, S. 270.

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C. Das Prinzip staatlicher Neutralität

- die zeitliche Nähe zu Bundestagswahlen – allerdings nur als einer von vielen Abwägungsaspekten, nicht im Sinne einer automatischen Erhöhung der Ausstrahlungswirkung. All diese Aspekte haben Einfluss darauf, wie sehr sich die Aussage eines Staatsorgans auf die Einschätzung einer Partei durch den Bürger auswirkt. Es bietet sich eine natürliche Betrachtungsweise an, die nicht am Wortlaut der Aussage verhaftet bleibt. Vielmehr ist darauf abzustellen, wie ein vernünftiger und mündiger Bürger die Aussage des Staatsorgans verstanden hat.217

IV. Die Begründung der parteipolitischen Neutralität von Staatsorganen Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass sich der demokratische und freiheitliche Staat des Grundgesetzes nicht mit bestimmten politischen Parteien identifiziert und der von den Staatsorganen anzuwendende Handlungsmaßstab deshalb keine parteipolitische Prägung enthält.218 Unter der geltenden Verfassungsordnung stellt sich dies deshalb als rechtliche Notwendigkeit dar, weil die Wahlen ansonsten nicht frei wären (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) und so den Staatsorganen keine demokratische Legitimation vermitteln könnten.219 Aber auch unabhängig von Wahlen erfordern die den Parteien gewährten Rechte deren ungestörte und vor allem gleichberechtigte Teilnahme an der politischen Willensbildung des Volkes (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG), um die Gründungsfreiheit der Parteien nicht leerlaufen zu lassen (Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG).220 Nur wenn sich Staatsorgane parteipolitisch neutral verhalten, kann den Vorgaben des Grundgesetzes Rechnung getragen werden.

217 218 219 220

So auch ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273, 275 f. Vgl. unter C. I. Vgl. unter C. II. Vgl. unter C. III.

D. Adressaten der Neutralitätspflicht Die Neutralitätspflicht hängt in ihren konkreten Inhalten maßgeblich von dem jeweils zu beurteilenden Einzelfall ab. Denn auch wenn der Staat als solcher parteipolitisch neutral sein muss, um die Freiheit der Wahl zu gewährleisten (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) und die den Parteien zustehenden Grundrechte (insbesondere Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) nicht zu verletzen, können sich aus der Verfassung mit der Neutralitätspflicht kollidierende Aufgaben einzelner Staatsorgane ergeben,1 die den Bestand und die Reichweite dieser Pflicht beschränken. In seinen Entscheidungen vom 10. Juni 20142 sowie vom 16. Dezember 20143 fordert das Bundesverfassungsgericht, den Bundespräsidenten und die Bundesregierung unterschiedlichen Maßstäben hinsichtlich ihrer Neutralitätspflichten zu unterwerfen. So konstatiert das Gericht ausdrücklich: „Die Konsequenzen, die sich für das Handeln eines Staatsorgans aus der Pflicht zur Beachtung des Rechts politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb ergeben, und die Maßstäbe verfassungsgerichtlicher Kontrolle der Beachtung des Neutralitätsgebots sind für jedes Staatsorgan gesondert unter Zugrundelegung der ihm durch die Verfassung zugewiesenen Rechte und Pflichten zu bestimmen. Daher sind die Maßstäbe, die für Äußerungen des Bundespräsidenten in Bezug auf politische Parteien und deren Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht gelten […], auf die Mitglieder der Bundesregierung nicht übertragbar. Sie sind vielmehr ein spezifischer Ausdruck der besonderen Stellung, die das Grundgesetz dem Bundespräsidenten zuweist.“4

In der Tat sieht das Grundgesetz für den Bundespräsidenten und die Bundesregierung verschiedene verfassungsrechtliche Aufgaben und Befugnisse vor. Die beiden Organe können daher im Hinblick auf ihre Pflicht zu parteipolitischer Neutralität nicht unbesehen gleichbehandelt werden. Es bedarf vielmehr in einem ersten Schritt der umfassenden Analyse der verfassungsrechtlichen Stellung der beiden Organe, um in einem zweiten Schritt den Maßstab der Neutralitätspflicht für jedes Staatsorgan individuell festzulegen.

1

Vgl. auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38 GG, Rn. 29, der eine Rechtfertigung von Beeinträchtigungen des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG zu Recht nur bei kollidierendem Verfassungsrecht zulassen möchte. 2 BVerfGE 136, 323 – Spinner. 3 BVerfGE 138, 102 – Schwesig. 4 BVerfGE 138, 102, 111 f. – Schwesig.

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D. Adressaten der Neutralitätspflicht

I. Der Bundespräsident als Adressat der Neutralitätspflicht Sowohl die hinter der Schaffung des Amts des Bundespräsidenten stehende Idee als auch das Gesamtgefüge der deutschen Verfassung führen deutlich vor Augen, dass der Präsident eine zentrale Institution des Verfassungsgeschehens darstellt (vgl. im Folgenden unter 1.). Die grundgesetzlichen Aufgaben, Rechte und Funktionen des Bundespräsidenten verlangen im Ergebnis seine strikte parteipolitische Neutralität (vgl. im Folgenden unter 2.).

1. Aufgaben und Funktionen des Bundespräsidenten Die Aufgaben des Bundespräsidenten erstrecken sich vor allem auf die Herstellung und Verkörperung der staatlichen Einheit sowie der Zusammenführung unterschiedlicher politischer Strömungen.5 Zu diesem Zweck entzieht das Grundgesetz den Bundespräsidenten weitgehend der unmittelbaren politischen Auseinandersetzung. Der Präsident bleibt dabei Teil der Ordnung des Grundgesetzes und nimmt ihm originär obliegende Aufgaben und Funktionen wahr. a) Stellung des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge Der Bundespräsident ist oberstes Bundesorgan6 im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG7 und kein Beamter (vgl. implizit § 4 des Gesetzes über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten). Er steht in einem persönlichen Statusverhältnis zur Bundesrepublik Deutschland.8 Als Staatsoberhaupt9 findet er sich nicht in der Tradition seiner mit erheblichen politischen Machtbefugnissen ausgestatteten Vorgänger10 5

Vgl. noch unter D. I. 1. c) (3). Vgl. etwa Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 4; Erichsen, JURA 1985, 373, 373 ff. 7 Vgl. die verfassungskonforme Konkretisierung in § 63 BVerfGG. 8 Vgl. Nierhaus, in: Sachs, Art. 54 GG, Rn. 22. 9 So auch Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 GG, Rn. 12; Butzer, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 54 GG, Rn. 1; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 3 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 54 GG, Rn. 1; Heun, in: Dreier, Art. 54 GG, Rn. 11; v. Coelln, in: Studienkommentar, Art. 54 GG, Rn. 2; Mehlhorn, Bundespräsident, S. 64; Heun, Verfassungsordnung, S. 159; Domgörgen, in: Hömig/Wolff, Vor Art. 54 GG, Rn. 1; Stern, StaatsR II, S. 190; a.A. Gehrlein, DÖV 2007, 280, 286, der dies mit der (angeblichen) Machtlosigkeit des Präsidenten zu begründen versucht; Henke, DVBl. 1966, 723, 727. 10 Während an der Spitze des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation noch der Kaiser stand (vgl. Zippelius, Verfassungsgeschichte, S. 33 ff.), hatte ab 1806 Österreich den Vorsitz im Deutschen Bund inne (vgl. Willoweit, Verfassungsgeschichte, § 30, Rn. 289 f.) – ein eigent6

I. Der Bundespräsident als Adressat der Neutralitätspflicht

65

wieder, sondern prägt die Verfassungsgeschichte auf seine ganz eigene Weise.11 In regelmäßigen Abständen verleitet die nach dem Wortlaut des Grundgesetzes bestehende Machtlosigkeit des Bundespräsidenten Staatstheoretiker und Politiker dazu, über dessen Abschaffung zu diskutieren.12 Beschränkt man die Betrachtung aber darauf, welche und wie viele durchsetzbare Rechte ihm zugewiesen sind, wird man seiner Stellung im Verfassungsgefüge nicht ansatzweise gerecht. Der Verfassungsgeber hat das Amt des Bundespräsidenten nicht geschaffen, um verfassungsrechtliche Aufgaben zu verteilen, die bei der Kreation der anderen Organe „übriggeblieben“ sind. Dann hätte das im Herrenchiemseer Verfassungsentwurf als Alternativvorschlag in Betracht gezogene Bundespräsidium,13 bestehend aus dem Präsidenten des Bundestags, dem Präsidenten des Bundesrats sowie dem Bundeskanzler (vgl. Art. 75 Abs. 1 des Alternativentwurfs), ebenso gut verwirklicht werden können. Im Parlamentarischen Rat hat man sich vielmehr bewusst für die Einführung eines separaten Organs an der Spitze des Staates entschieden, das nur aus einer Person besteht.14 Dem Staatsoberhaupt sind eigenständige Funktionen zugewiesen worden, die gerade im geteilten und von der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft gezeichneten Nachkriegsdeutschland sehr wichtig waren. Man hat sich von der Einführung des Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt eine gesteigerte und schnellere Anerkennung im Ausland erhofft und auf die „volkspsychologische Bedeutung“ gesetzt, dass der Gesamtstaat „in würdiger und sympathischer Form repräsentiert“ wird.15 Die Institution des Bundespräsidenten war etwa für die CDU/ CSU-Fraktion im Parlamentarischen Rat eine „Definitivlösung“16 und „unerläßliches Staatsoberhaupt gab es mangels entsprechenden Staatsgebildes bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahr 1867, welchem der König von Preußen vorgestanden hat (vgl. Stern, StaatsR V, S. 310), nicht mehr. Nach der Reichsgründung im Jahr 1871 übernahm der Deutsche Kaiser die Stellung des Staatsoberhaupts und erhielt dabei für Staatsoberhäupter typische Rechte (vgl. Menger, Verfassungsgeschichte, S. 310). Nach Ausrufung der Republik im Jahr 1918 und der Schaffung des Amtes des Reichspräsidenten, kam es 1949 zur Gründung der Bundesrepublik, die ebenfalls einen Präsidenten als Staatsoberhaupt kennt. 11 Die Implementierung eines Staatsoberhaupts bereitet in einer Republik Probleme, da dieses gewählt ist und deshalb Anteil an der Staatsgewalt erhalten muss (vgl. Koja, Allgemeine Staatslehre, S. 250; Patzelt, in: Gabriel/Holtmann, Politisches System, S. 293). Dieser Anteil ist in parlamentarischen Regierungssystemen kleiner als in präsidentiellen und semi-präsidentiellen (vgl. hierzu auch Tomuschat, in: FS Carstens II, 911, 911 ff.; Decker, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 157, 159 f.). 12 So ergeht es allerdings den meisten nicht-regierenden Staatsoberhäuptern (vgl. etwa für die britische Krone Hartmann/Kempf, Staatsoberhäupter, S. 25); vgl. für den Bundespräsidenten auch Isensee, NJW 1994, 1329, 1329 f. 13 Vgl. Bericht über den Verfassungskonvent, S. 42 f. 14 Vgl. Mehlhorn, Bundespräsident, S. 64 m.w.N. 15 So Adolf Süsterhenn, zeitweise Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Parlamentarischen Rat (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, S. 66). 16 So erneut Adolf Süsterhenn (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, S. 65).

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D. Adressaten der Neutralitätspflicht

lich“17. Man hat eine „Repräsentation Gesamtdeutschlands gegenüber dem Ausland“ und die Schaffung eines Amtes anvisiert, dessen Inhaber das Recht haben sollte, „für alle Deutschen zu sprechen“18. Diese Erwartungen der Verfassungsgeber offenbaren eine Haltung, die für Oberhäupter parlamentarisch-demokratischer Staaten typische Funktionen verwirklicht sehen möchte. So ist all diesen Staatsoberhäuptern gemein, dass sie das Staatsganze nach außen19 und innen20 repräsentieren.21 In aller Regel schließen sie formal das Gesetzgebungsverfahren ab, ernennen hohes Staatspersonal, haben das Gnadenrecht inne und zeichnen Personen, die sich um das Vaterland verdient gemacht haben, mit offiziellen Orden aus.22 Auch der Bundespräsident vertritt die Bundesrepublik völkerrechtlich (Art. 59 Abs. 1 GG). Darüber hinaus hat er Berührungspunkte mit der Legislative etwa beim Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens (Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG), mit der Judikative bei der Ernennung der Bundesrichter (Art. 60 Abs. 1 GG) und der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts (§ 10 BVerfGG) sowie schließlich mit der Exekutive bei der Ernennung des Bundeskanzlers (Art. 63 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 S. 2 GG) und der Bundesminister (Art. 64 Abs. 1 GG). Dabei ist er selbst keiner dieser drei klassischen Gewalten zuzurechnen.23 Dennoch bindet ihn die Verfassung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG)24 und begreift ihn als vollziehende Gewalt im Verständnis des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG.25 17 So erneut Adolf Süsterhenn (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, S. 66). 18 So Hans-Christoph Seebohm, Mitglied der DP-Fraktion im Parlamentarischen Rat (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, S. 128). 19 Vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 10, Rn. 3; allerdings obliegt ihnen in aller Regel nicht die alleinige Vertretungsbefugnis. Eine solche kommt vielmehr auch für den Regierungschef oder den Außenminister in Betracht (vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. a) WÜRV). 20 Vgl. etwa Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 7; Kimminich, in: BK, Vor Art. 54 – 61, Rn. 13. 21 Repräsentation ist dabei nicht im engen staatsrechtlichen Sinne zu verstehen (vgl. hierzu etwa Kimminich, VVDStRL 25 (1967), 2, 50 ff.; Biehl, Gegenzeichnung, S. 21 f.), sondern im Sinne von Sichtbarmachen (vgl. auch Mehlhorn, Bundespräsident, S. 34 m.w.N.). 22 Vgl. Mehlhorn, Bundespräsident, S. 35; Kimminich, in: BK, Vor Art. 54 – 61, Rn. 8; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 305. 23 Vgl. BVerfGE 136, 277, 310 – Bundesversammlung; Fritz, in: BK, Art. 54 GG, Rn. 31 ff.; Stein, ZaöRV 69 (2009), 249, 255; Mehlhorn, Bundespräsident, S. 65; a.A. Heun, in: Dreier, Art. 54 GG, Rn. 12 (ohne Begründung); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 17 f., der aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ableitet, dass es nur drei Gewalten gebe, der Bundespräsident aber ersichtlich weder der Judikative noch der Legislative angehöre und damit der Exekutive angehören müsse, da er ebenfalls an Recht und Gesetz gebunden sei. Freilich stellt diese Argumentation einen nicht gänzlich überzeugenden Zirkelschluss dar. 24 Vgl. auch Spanner, DÖV 1966, 619, 623 f. 25 Vgl. Sachs, in: Sachs, Art. 20 GG, Rn. 83; Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 GG, Rn. 4 und 5; Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 54 GG, Rn. 3; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 54 GG, Rn. 1; Vgl. Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 13; a.A. Fritz, in: BK, Art. 54 GG, Rn. 32 und 34.

I. Der Bundespräsident als Adressat der Neutralitätspflicht

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Das Grundgesetz weist dem Bundespräsidenten eine ihm eigene Stellung zu und nimmt damit eine stärker ausgeprägte Differenzierung vor als Montesquieu26 in seiner traditionellen Gewaltenteilungslehre.27 Ferner bestätigen die Möglichkeit der Präsidentenanklage (Art. 61 GG) sowie der Inhalt der Eidesformel (Art. 56 GG), dass das Grundgesetz den Bundespräsidenten an Verfassung und sonstiges Recht gebunden sieht.28 Die Stellung des Bundespräsidenten im Regierungssystem des Grundgesetzes entspricht folglich dem „üblichen“ Bild eines Staatsoberhaupts in der parlamentarischen Demokratie.29 Für diese ist es geradezu charakteristisch, dass das Staatsoberhaupt weitgehend außerhalb des tagespolitischen Geschehens steht und damit auf den ersten Blick machtlos wirkt.30 Die Stellung des Staatsoberhaupts kennzeichnen dann dessen Integrations-, Reserve- und Repräsentationsaufgaben.31 b) Die Wahl des Bundespräsidenten Mit der herausgehobenen Stellung des Bundespräsidenten korrespondiert ein besonderes und würdevolles Wahlverfahren.32 Der Bundespräsident wird nach Art. 54 Abs. 1 S. 1 GG von der Bundesversammlung gewählt. Diese ist ein nur für die Wahl des Bundespräsidenten zusammentretendes, besonderes Verfassungsorgan,33 das sich gem. Art. 54 Abs. 3 GG zu gleichen Teilen aus den Mitgliedern des Bundestags und den Mitgliedern zusammensetzt, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl bestimmt werden. Damit spiegelt die Bundesversammlung sowohl die Landes- als auch die Bundesebene wider34 und versetzt den Bundespräsidenten in die Lage, seiner Integrations- und Repräsentationsfunktion35 für die gesamte Bundesrepublik auf besonders glaubwürdige Weise nachzukommen.

26

Vgl. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 213 ff. Vgl. auch Stern, StaatsR II, S. 212; Mehlhorn, Bundespräsident, S. 67. 28 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 74. 29 So auch Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 GG, Rn. 13; kritisch Heun, AöR 109 (1984), 13, 35, der auf Art. 68 GG verweist und darin eine für die reinste Ausprägung der Funktionen eines solchen Staatsoberhaupts zu weitgehende Befugnis erblickt. 30 Vgl. Mehlhorn, Bundespräsident, S. 255. 31 Vgl. Schlaich, in: HbStR II 1987, § 47, Rn. 2. 32 So auch BVerfGE 89, 359, 363 – Befangenheit des Richters Herzog; 136, 277, 311 f. – Bundesversammlung. 33 Vgl. Domgörgen, in: Hömig/Wolff, Art. 54 GG, Rn. 1. 34 Vgl. Nierhaus, in: Sachs, Art. 54 GG, Rn. 10; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 28; Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 14; Heun, Verfassungsordnung, S. 160, der in der Bundesversammlung – wohl etwas zu weit gehend – außerdem ein Mittel sieht, um einen allzu charismatischen Kandidaten zu verhindern. Charismatische Personen sind aber – anders als Demagogen – per se nicht problematisch. 35 Vgl. dazu noch unter D. I. 1. c) (3). 27

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D. Adressaten der Neutralitätspflicht

(1) Die Bundesversammlung als den Parteieinfluss verringerndes Organ Die Einbeziehung der von den Landesparlamenten gewählten Mitglieder erweitert zum einen die Gruppe der Wahlberechtigten und beschränkt zum anderen den Einfluss der parteipolitischen Prägung des Bundestags auf das Amt des Bundespräsidenten. (a) Faktischer Einfluss der Parteien Dies bedeutet nicht, dass die Parteipolitik insgesamt geringen Einfluss auf die Besetzung des höchsten deutschen Staatsamts hat. Gustav Heinemann hat nach seiner Wahl im Jahr 1969 sogar von einem „Stück Machtwechsel“ gesprochen,36 da zum ersten Mal ein Politiker der SPD in ein politisches Spitzenamt gewählt worden war und zugleich die Zusammenarbeit der SPD und der FDP ihren Anfang genommen hatte. Die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung stehen in aller Regel bereits weit vor dem eigentlichen Wahltermin fest.37 Denn weil die Landesparlamente ihre Vertreter nach den Grundätzen der Verhältniswahl bestimmen (Art. 54 Abs. 3 GG), ist die Bundesversammlung ein Querschnitt durch die Mehrheitsverhältnisse in allen Ländern und dem Bund. Da den Landesparlamenten Abgeordnete angehören, die in weit überwiegender Zahl Mitglieder der auch auf Bundesebene aktiven Parteien sind, stellt sich die Loslösung von der Parteipolitik nicht als eine absolute dar. In aller Regel wird die Wahl des Bundespräsidenten als wichtiger Test für die Durchsetzungskraft des Bundeskanzlers angesehen, der beweisen muss, dass er die Anhänger seiner Partei und ggf. die seines Koalitionspartners hinter sich zu vereinen vermag.38 Die traditionell bestehenden zwei großen politischen „Lager“ in der deutschen Parteienlandschaft, die die Unionsparteien auf der einen und die Sozialdemokraten auf der anderen Seite anführen, stellen meist jeweils eigene Kandidaten zur Wahl.39 Die Trennlinie der Wahlvorschläge liegt also zwischen den Parteien, nicht etwa zwischen Bundes- und Landesebene.40 Zudem werden von den Landesvolksvertretungen nur solche Personen in die Bundesversammlung entsandt, von denen ein parteikonformes Abstimmungsverhalten zu er-

36

Vgl. Treffke, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 195, 195. Vgl. hierzu etwa auch v. Arnim, NJW 2009, 2934, 2935. 38 Vgl. Gehrlein, DÖV 2007, 280, 284; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 96; sowie von Ackeren/Goffart, in: Focus Online vom 11. 06. 2016, unter: http://www.focus. de/politik/deutschland/wer-wird-gaucks-nachfolger-taktisches-geschick-gefragt-das-ist-mer kels-naechste-pruefung_id_5613622.html (abgerufen am 26. 07. 2016). 39 Vgl. Schwarz, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 285, 302. 40 Vgl. auch Oppelland, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 63, 70 ff. 37

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warten ist. Folglich beeinflussen die Parteien die Wahl des Bundespräsidenten trotz der Ausweitung auf die Landesebene in nicht vernachlässigbarem Umfang.41 (b) Reduktion des Parteieinflusses Dennoch entrückt die Zusammensetzung der Bundesversammlung den Bundespräsidenten dem politischen Geschehen auf Bundesebene. Gerade weil dieses Gremium nur zur Wahl des Bundespräsidenten zusammentritt, ist es – ebenso wie das zu besetzende Amt – nicht Teil der politischen Auseinandersetzung. Das Ausspracheverbot (Art. 54 Abs. 1 S. 1 GG) unterstützt den die Parteipolitik zurückdrängenden Charakter.42 Die Bundesversammlung bietet damit selbst auch kein Forum für parteipolitische Streitigkeiten. Dieses Prozedere will den Bundespräsidenten sein Amt ohne jede Beschädigung antreten lassen.43 (2) Exkurs: Der Vorschlag einer Direktwahl des Bundespräsidenten Außer der Bundesversammlung gibt es im Grundgesetz kein anderes Verfassungsorgan, das ausschließlich die Aufgabe der Kreation eines Staatsorgans hat. International lässt sich wohl das US-amerikanische Electoral College, das den Präsidenten der Vereinigten Staaten wählt (Artikel II, Abschnitt I sowie 12. und 23. Zusatzartikel der Verfassung), noch am ehesten mit der Bundesversammlung vergleichen.44 Die Bundesversammlung unterscheidet sich aber von ihrem amerikanischen Pendant insofern, als ihre Mitglieder nicht an einem Termin zur gemeinsamen Wahl des Staatsoberhaupts zusammentreten. Die deutschen Landesvolksvertretungen sind nicht gehalten, Berufspolitiker in die Bundesversammlung zu entsenden. Vielmehr wählen sie regelmäßig auch Schauspieler und Sportgrößen.45 Eine Bestimmung der Wahlpersonen nach ihrem Bekanntheitsgrad hat aber freilich wenig mit echter Vertretung des Volkes zu tun.46 Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass immer wieder Reformvorschläge für die Wahl des Bundespräsidenten gemacht werden. Nicht alle von ihnen berücksichtigen den Charakter des Präsidentenamts hinreichend. Insbesondere die immer wieder diskutierte Direktwahl des deutschen

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So bereits Schlaich, in: HbStR II, 1987, § 47, Rn. 9. Vgl. noch unter D. I. 2. c) (2) (a). 43 Vgl. BVerfGE 136, 277, 315 f. – Bundesversammlung. 44 So werden die Mitglieder der Bundesversammlung teilweise – ebenso wie des Electoral College – als Wahlmänner bezeichnet (vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 22.2). 45 Vgl. Heun, in: Dreier, Art. 54 GG, Rn. 28; Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Henneke, Art. 54 GG, Rn. 47; v. Münch/Mager, StaatsR I, Rn. 284. 46 So auch treffend Leisner, NJW 2009, 2938, 2939. 42

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Staatsoberhaupts, wie sie etwa noch Art. 41 Abs. 1 WRV vorgesehen hat, würde diesem die parteipolitische Neutralität seiner Amtsführung erschweren.47 Dabei sind die maßgeblichen Gründe, aus denen ursprünglich auf eine Direktwahl des Bundespräsidenten verzichtet wurde,48 heute nicht mehr gegeben. Die Entscheidung gegen eine Direktwahl ist dem im Parlamentarischen Rat „tief sitzenden Misstrauen und der Sorge um die Verführbarkeit des Volkes durch radikale Rattenfänger“49 entsprungen.50 Die deutsche Demokratie hat sich indes etabliert und wird von der Bevölkerung anerkannt. Gleichwohl ist die Erwartung, das Amt würde bei einer Volkswahl den ihm zugedachten Charakter verlieren, gerechtfertigt. Ein Bundespräsident, der sich direkt vom Volk wählen lassen muss, ist auf Wahlkampf und damit eine plebiszitäre Amtsführung angewiesen.51 Zwar bewerben die Parteien auch jetzt bereits ihre Kandidaten: So hat im Jahr 2010 etwa Joachim Gauck – damals der Gegenkandidat des letztlich obsiegenden Christian Wulff – die Landtage besucht, in denen eine Zustimmung zu seiner Person als eher unwahrscheinlich gegolten hat.52 Mit einem echten Wahlkampf haben solche Strategien zur Bekanntmachung des Kandidaten aber wenig zu tun. Wollte sich eine Person hingegen in einer Wahl gegen ihre Mitbewerber durchsetzen, müsste sie ein politisches Programm vorlegen. Ein solches hat der Bundespräsident jedoch nicht. Bei der Auswahl des geeigneten Amtsinhabers steht vielmehr die persönliche Integrität des Kandidaten im Vordergrund. Die Würde des Amtsinhabers strahlt gleichsam auf den von ihm vorzunehmenden Akt aus. Ob in einem Wahlkampf, der stets mit gegenseitigen Herabsetzungen einhergeht, am Ende der würdevollste Kandidat gewinnt, darf bezweifelt werden. Die Rolle des Bundespräsidenten als ruhender Pol im Grundgesetz, der für die Verfassung und das gesamte Gemeinwesen wirkt, würde so verloren gehen. Auf eine Direktwahl des Bundespräsidenten sollte deswegen verzichtet werden. c) Verfassungsmäßige Aufgaben des Bundespräsidenten Die deutsche Verfassungsordnung sieht mannigfaltige Aufgaben für den Bundespräsidenten vor. Einige davon finden sich ausdrücklich im Grundgesetz. Die meisten stellen ungeschriebene Kompetenzen dar, die aus der dem Bundespräsidenten vom Parlamentarischen Rat zugedachten Stellung als Integrator und Re47

Vgl. zur Diskussion auch Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 14.2. Dasselbe gilt für den weitgehenden Verzicht auf plebiszitäre Elemente auf Bundesebene (vgl. v. Arnim, NJW 2009, 2934, 2935). 49 v. Arnim, NJW 2009, 2934, 2935. 50 Vgl. die Nachweise bei Lange, VfZG 1978, 601, 613 Fn. 43. 51 Vgl. hierzu Oppermann, VVDStRL 33 (1975), 7, 48; kritisch Anders, DÖV 1970, 253, 255. 52 Vgl. etwa Helmö, in: Internetauftritt des Bayerischen Landtags vom 23. 06. 2010, unter: https://www.bayern.landtag.de/aktuelles/veranstaltungen/gaeste-und-begegnungen/23062010 landtagsfraktionen-im-gespraech-mit-den-bundespraesidentenkandidaten/ (abgerufen am 20. 06. 2016). 48

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präsentant des einheitlichen Staates abgeleitet werden können. Alle Rechte und Aufgaben des Präsidenten haben gemein, dass sie ihm keine umfassenden politischen Gestaltungsmöglichkeiten einräumen. (1) Historischer Hintergrund Verstehen kann man die zurückhaltende Rolle des Präsidenten nur vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Reichspräsidenten der Weimarer Republik. Dieser hatte bekanntlich eine umfassende Machtfülle.53 Er war beispielsweise Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Art. 47 WRV), konnte den Reichskanzler nach eigenem Ermessen ernennen und entlassen (Art. 53 WRV) sowie den Reichstag auflösen (Art. 25 Abs. 1 WRV). Die politische Stärke des Reichspräsidenten drückte sich indes vor allem in seinen umfassenden Reservebefugnissen aus. Bei unklaren politischen Verhältnissen, wie sie im Grunde ab dem Rücktritt des Reichskanzlers Hermann Müller im März 1930 chronisch gegeben waren,54 konnte der Reichspräsident, so er denn nur wollte, am Reichstag vorbei Verordnungen erlassen (Art. 48 Abs. 2 WRV). Die sehr weite und unbestimmte Formulierung des Art. 48 Abs. 2 WRV, die entgegen der Erwartung in Art. 48 Abs. 5 WRV nie durch ein Reichsgesetz konkretisiert wurde,55 hat man allgemein als ein Notverordnungsrecht verstanden.56 Die vom Präsidenten erlassenen Verordnungen erlangten gesetzesvertretende Wirkung und hatten teilweise den Umfang ganzer Gesetzesbücher.57 Reichspräsident Paul von Hindenburg machte von diesem Recht vor allem in seinen letzten Amtsjahren exzessiven Gebrauch. Von den insgesamt 254 Notverordnungen, die die Republik vom 10. Oktober 1919 bis zum 31. Dezember 1932 erließ, ergingen 104 allein in den beiden Jahren vor der Machtübernahme Adolf Hitlers.58 Die Reichsregierungen unter Heinrich Brüning, Franz von Papen, Kurt von Schleicher und schließlich Adolf Hitler konnten sich auf keine Mehrheiten im Reichstag stützen und waren daher eigentlich handlungsunfähig.59 Gesetze wurden – entgegen der verfassungsgebenden Intention60 – über den Reichspräsidenten am Parlament vorbei erlassen. Eine wirksame Kontrolle durch den Staatsgerichtshof oder den Reichstag fand nicht statt. Die gerichtliche Nachprüfung war zu weitmaschig und Aufhe-

53 Vgl. v. Münch, StaatsR I, 1993, Rn. 786, der den Bundespräsidenten im Vergleich zum Reichspräsidenten als „Zwerg“ bezeichnet. 54 Vgl. Willoweit, Verfassungsgeschichte, § 38, Rn. 13 und 19; Gusy, WRV, S. 404. 55 Vgl. Gusy, WRV, S. 108. 56 Vgl. nur Willoweit, Verfassungsgeschichte, § 38, Rn. 8. 57 Vgl. Gusy, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 21, 29. 58 Vgl. Gusy, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 21, 29. 59 Es ist daher eines der zentralen Anliegen gewesen, die Abhängigkeit der Regierung vom Präsidenten im Grundgesetz aufzuheben (vgl. Lange, VfZG 1978, 601, 602). 60 Vgl. Gusy, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 21, 27 f.

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bungsforderungen des Reichstags wurden durch Parlamentsauflösungen beantwortet.61 Zwar waren die Institution des Reichspräsidenten im Allgemeinen und Paul von Hindenburg im Speziellen weder alleiniger Auslöser noch Ursache der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ab 1933. Die Weimarer Reichsverfassung eröffnete dem Reichspräsidenten aber durch die Zubilligung umfassender Rechte die Möglichkeit zur Abwendung von der Demokratie. Dies sollte insbesondere dann fatale Folgen haben, wenn das Amt durch einen Anti-Demokraten62 ausgeübt wurde. Den Verzicht auf ein starkes Ein-Person-Organ sicherzustellen, war deshalb ein zentrales Vorhaben sowohl des Herrenchiemseer Verfassungskonvents als auch des Parlamentarischen Rats.63 Das nationalsozialistische Unrecht durfte sich nicht wiederholen: „Zukunftsbewältigung aus Vergangenheitserfahrung“64 hieß die Devise. Entscheidender Schritt hierzu war, kein dem Reichspräsidenten vergleichbares Organ mehr zu schaffen. Die Staatsgewalt musste stets unter der Kontrolle des Parlaments bleiben.65 Da man das politische System dennoch durch ein Staatsoberhaupt komplettieren wollte, hatte man dieses um die der ersten deutschen Republik zum Verhängnis gewordenen Befugnisse zu beschneiden.66 Übrig blieben die maßgeblich auf formelle Akte, Repräsentation und Integration beschränkte Aufgaben.67 (2) Geschriebene Kompetenzen Nach dem Wortlaut der Verfassung kommen dem Bundespräsidenten in erster Linie Reserve- und Beurkundungsaufgaben zu. (a) Aufgaben mit Entscheidungsbefugnissen Nur teilweise gewährt das Grundgesetz dem Bundespräsidenten wirkliche Entscheidungsspielräume. Das deutsche Staatsoberhaupt muss vornehmlich dann aktiv in Erscheinung treten, wenn der politische Mechanismus des Grundgesetzes an seine Grenzen stößt. In diesen Situationen bedarf es eines Organs, das nicht selbst Teil der politischen Auseinandersetzung ist und sich deshalb dazu eignet, unvoreingenom61

Vgl. Gusy, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 21, 31. Vgl. Gusy, WRV, S. 115, 401 und 417, der – neben der Wirtschaftskrise (vgl. S. 403) – den maßgeblichen Grund für den Niedergang der Weimarer Republik zu Recht in der Abwendung der Bürger und der politischen Eliten von der Republik sieht. 63 Vgl. etwa Heun, in: Dreier, Art. 54 GG, Rn. 4; Doehring, ZaöRV 69 (2009), 311, 311. 64 Kloepfer, Verfassungsgebung als Zukunftsbewältigung, S. 4. 65 Vgl. Willoweit, Verfassungsgeschichte, § 42, Rn. 10. 66 Insofern ist es also durchaus zutreffend den Reichspräsidenten zugleich als Vor- und als Schreckbild für den Bundespräsidenten zu bezeichnen (vgl. Maurer, DÖV 1966, 665, 668). 67 Vgl. dazu unter D. I. 1. c) (2) und (3). 62

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men über das weitere Verfahren zu entscheiden. Die Verfassung sieht den Bundespräsidenten in der Rolle ebendieses Organs. (aa) Befugnisse in der dritten Phase der Wahl des Bundeskanzlers Die wohl weitreichendste Kompetenz dieser Art findet sich in Art. 63 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 3 GG.68 Hiernach obliegt es dem Bundespräsidenten zu entscheiden, ob der Bundestag aufgelöst oder ein Bundeskanzler ernannt wird, der nach einem Wahlgang gem. Art. 63 Abs. 4 S. 1 GG nicht die absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestags auf sich vereinigen konnte. Eine solche Konstellation ist eine pathologische und in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht vorgekommen. Vergegenwärtigen sollte man sich in diesem Zusammenhang aber, dass das Grundgesetz – anders als die Weimarer Reichsverfassung in Art. 25 Abs. 1 – kein allgemeines Auflösungsrecht für den Präsidenten vorsieht. Dies ist als bewusste Abkehr von der Weimarer Republik zu verstehen, da dort sämtliche Legislaturperioden ihr Ende in einer Auflösung des Reichstags durch den Reichspräsidenten fanden.69 In der vierzehnjährigen Geschichte der Republik gab es acht Reichstage und zwanzig Reichsregierungen.70 Schon die Drohung mit der Ausübung des praktisch unbegrenzten Auflösungsrechts konnte der Reichspräsident gegenüber dem Reichstag als Mittel der politischen Auseinandersetzung einsetzen.71 Die Rechte des Staatsoberhaupts gegenüber dem Parlament hat das Grundgesetz beschränkt. Zentrales Verfassungsorgan wurde der Bundestag, der auch das einzige Organ des Grundgesetzes darstellt, das direkt vom Volk legitimiert ist (Art. 38 GG). Da Weimar aber auch gezeigt hat, dass es in einer pluralistischen Demokratie stets insofern zu parlamentarischen Blockaden kommen kann, als keine tragfähigen Mehrheiten gefunden werden, war es unerlässlich, ein vom Parlament und den dortigen Mehrheiten unabhängiges Organ damit zu betrauen, mehrheitshindernde Konflikte innerhalb des Parlaments zu lösen. Das Grundgesetz setzt den Bundespräsidenten – jedenfalls dem Wortlaut nach – an dieser Stelle nicht als Schlichter, sondern Entscheider ein. Er soll einschätzen, ob eine Regierung trotz fehlendem Rückhalt in der Lage ist, ihre verfassungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen.72 Die Verfassung eröffnet dem Bundespräsidenten eine vollkommen freie Handlungsmöglichkeit und unterwirft ihn nicht etwa den verwaltungsrechtlichen Ermessensgrundsätzen.73 Ihm steht hinsichtlich dieser politischen Leitentscheidung eine gerichtlich nicht überprüfbare Einschätzungsprärogative zu.74 Darüber hinaus ist er nicht erst befugt, den Bundestag aufzulösen, wenn eine stabile Regierungsbildung 68 69 70 71 72 73 74

Vgl. insofern auch v. Münch/Mager, StaatsR I, Rn. 312. Vgl. Gusy, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 21, 23. Vgl. Gusy, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 21, 32. Vgl. Gusy, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 21, 24. Vgl. Hermes, in: Dreier, Art. 63 GG, Rn. 40; Schneider, in: AK, Art. 63 GG, Rn. 11. Meyn, in: v. Münch/Kunig, 5. Aufl. 2001, Art. 63 GG, Rn. 27. Vgl. Hermes, in: Dreier, Art. 63 GG, Rn. 40; Oldiges, in: Sachs, Art. 63 GG, Rn. 31.

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evident ausgeschlossen ist.75 Seine Unfähigkeit, einen Bundeskanzler zu wählen, hat der Bundestag bereits dadurch unter Beweis gestellt, dass er die ersten beiden Wahlphasen nach Art. 63 Abs. 2 und 3 GG erfolglos hat verstreichen lassen. Nur weil Minderheitsregierungen im Einzelfall durchaus funktionsfähig sein können, wollte das Grundgesetz keine zwingende Auflösung des Bundestags vorschreiben, sondern diese Folge einer erneuten Prüfung durch einen neutralen Beobachter unterziehen. Bei der pathologischen Situation der parlamentarischen Uneinigkeit handelt es sich nicht um ein Problem zwischen dem Bundestag und dem Bundespräsidenten, sondern um einen parlamentsinternen Konflikt, den der Bundespräsident als außenstehendes Organ prinzipiell unvoreingenommen lösen kann.76 In dieser speziellen Situation der parlamentarischen Selbstblockade ermöglicht die Entscheidung des Bundespräsidenten einen Neuanfang und im Optimalfall die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des politischen Apparats. (bb) Befugnisse bei gescheiterter Vertrauensfrage Ähnlich verhält es sich mit der Befugnis des Bundespräsidenten, über die Auflösung des Bundestags zu entscheiden, wenn der Bundeskanzler die von ihm an den Bundestag gestellte Vertrauensfrage verliert (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). Im Gegensatz zur Auflösung nach erfolglosen Wahlgängen (Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG) ist der Fall der Auflösung des Bundestags nach gescheiterter Vertrauensfrage in der Geschichte der Bundesrepublik bereits zweimal vorgekommen. Sowohl Helmut Kohl (1982)77 als auch Gerhard Schröder (2005)78 haben (bewusst) Vertrauensfragen gestellt, die keine Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags gefunden haben. Auch wenn der Bundespräsident nicht seine eigene Einschätzung hinsichtlich der Gebotenheit einer Vertrauensfrage an die Stelle der Beurteilung des Bundeskanzlers setzen darf,79 bleibt er doch frei in seiner Entscheidung,80 den Bundestag letztlich

75 So auch Epping, in: Epping/Hillgruber, Art. 63 GG, Rn. 28.1; a.A. Schröder, in: HbStR III, § 65, Rn. 23; Schneider, in: AK, Art. 63 GG, Rn. 11. 76 Vgl. Epping, in: Epping/Hillgruber, Art. 63 GG, Rn. 28. 77 Vgl. BVerfGE 62, 1, 1 ff. – Bundestagsauflösung 1983. 78 Vgl. BVerfGE 114, 121, 121 ff. – Bundestagsauflösung 2005. 79 Vgl. BVerfGE 62, 1, 50 f. – Bundestagsauflösung 1983. 80 Erforderlich ist aber stets das Vorliegen einer instabilen politischen Lage (vgl. BVerfGE 62, 1, 42 f. – Bundestagsauflösung 1983; Heun, AöR 109 (1984), 13, 18 f.; Hesse, Grundzüge des VerfassungsR, Rn. 636). Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal lässt sich dadurch rechtfertigen, dass alle die Regierungsbildung betreffenden Vorschriften (Art. 63, Art. 67, Art. 68 GG) die Schaffung und die Erhaltung der Stabilität des Regierungssystems bezwecken (vgl. Hermes, in: Dreier, Art. 68 GG, Rn. 15). Nur wenn diese gefährdet ist, wofür – anders als beim Verstreichen zweier erfolgloser Wahlphasen nach Art. 63 Abs. 2 und 3 GG – bei der bloßen Stellung einer Vertrauensfrage noch keine Vermutung spricht, kann der massive Eingriff in die parlamentarische Freiheit seitens des Staatsoberhaupts vollzogen werden.

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aufzulösen.81 Anders als die Weimarer Reichsverfassung (vgl. Art. 25 Abs. 1) sieht das Grundgesetz nämlich drei Verfassungsorgane in der Pflicht, über die frühzeitige Auflösung des Bundestags selbständig zu entscheiden, indem es ihnen jeweils eigene Verantwortungsbereiche auferlegt.82 Diese sog. „Verantwortungskette“ beginnt mit dem Antrag des Bundeskanzlers nach Art. 68 GG, setzt sich in der Entscheidung des Bundestags über den Antrag des Bundeskanzlers fort und endet schließlich bei der politischen Beurteilung der Lage durch den Bundespräsidenten.83 Im Fall der Nichtauflösung des Bundestags nach Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG steht dem Bundespräsidenten gem. Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG auf Antrag der Bundesregierung unter Zustimmung des Bundesrats die tatbestandlich nicht gebundene Ermessensentscheidung84 über die Ausrufung des Gesetzgebungsnotstands hinsichtlich einer konkreten Gesetzesvorlage zu. (cc) Geschäftsführende Bundesregierung Auch Art. 69 Abs. 3 GG eröffnet dem Bundespräsidenten einen Ermessensspielraum. Der Bundespräsident muss den Bundeskanzler und ggf. einen Bundesminister nicht ersuchen, die Geschäfte bis zur Ernennung des Nachfolgers fortzuführen. Wäre der Bundespräsident ohnehin zu einer Aufforderung der Bundesminister verpflichtet, wäre es überflüssig, neben dem Bundespräsidenten auch den Bundeskanzler mit dieser Aufgabe zu betrauen.85 Ein Ermessen kommt dann aber nicht in Betracht, wenn das Amt des betroffenen Mitglieds der Bundesregierung aufgrund rechtlicher Hindernisse (wie etwa im Fall des Verlusts des passiven Wahlrechts) oder tatsächlich (beispielsweise wegen schwerer Krankheit oder Todes) geendet hat.86 Schließlich wird man eine faktische Pflicht des Bundespräsidenten, den Bundeskanzler oder einen Bundesminister zur Fortführung der Amtsgeschäfte aufzufordern, anerkennen müssen, da der Präsident ansonsten seiner Funktion als Wächter87 über die Handlungsfähigkeit des politischen Prozesses nicht nachkommen könnte. Deswegen beschränkt sich das Ermessen auf die Fälle, in denen nicht die gesamte Bundesregierung aus dem Amt geschieden, also insbesondere kein Fall des Art. 69 Abs. 2 Alt. 1 GG gegeben ist, und nicht schon der Bundeskanzler seinen Minister zur Fortführung aufgefordert hat. Keinesfalls darf der Bundespräsident bei seiner Ermessensentscheidung parteipolitische Erwägungen anstellen und eine 81 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 68 GG, Rn. 52, der von einer „hochpolitischen“ Entscheidung des Präsidenten spricht; Schenke, in: BK, Art. 68 GG, Rn. 163 ff.; Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 68 GG, Rn. 16. 82 Vgl. BVerfGE 62, 1, 51 – Bundestagsauflösung 1983; 114, 121, 159 – Bundestagsauflösung 2005. 83 Vgl. BVerfGE 114, 121, 157 ff. – Bundestagsauflösung 2005. 84 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 81 GG, Rn. 51. 85 So überzeugend auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 69 GG, Rn. 52; vgl. auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 69 GG, Rn. 5. 86 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 69 GG, Rn. 53. 87 Vgl. hierzu noch näher unter D. I. 1. e) (4).

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Regierung nur deswegen nicht zur Fortführung der Geschäfte auffordern, weil er ihre politischen Ansichten nicht teilt. (dd) Gänzlich ungebundene Entscheidungskompetenzen Vollkommen frei ist der Bundespräsident bei der Entscheidung über die Einberufung des Bundestags (Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG)88 und der Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Organstreitverfahrens (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG). Darüber hinaus bestimmt der Bundespräsident innerhalb der ihm durch Art. 39 Abs. 1 S. 3 und 4 GG sowie § 16 S. 2 BWG gesetzten Frist den Wahltag der Bundestagswahlen (§ 16 S. 1 BWG). Die Ausübung des Begnadigungsrechts nach Art. 60 Abs. 2 GG überantwortet die Verfassung dem pflichtgemäßen, aber freien Ermessen des Bundespräsidenten.89 Ist dieses nach monarchischem Staatsverständnis noch als „ein Recht fast göttlicher Art angesehen worden, da es die Irrtümer menschlichen Richtens oder jene unbeugsamen Härten ausgleicht, die ebenfalls Irrtümer sind“,90 passt eine solche Beschreibung in einer demokratischen Republik freilich nicht. Dennoch wird aber ersichtlich, welche Bedeutung das Grundgesetz dem Staatsoberhaupt der Bundesrepublik beimisst. Es gibt ihm die Möglichkeit, sich gleichsam über die – an sich ebenfalls demokratisch legitimierte (Art. 97 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG) – Entscheidung eines Gerichts hinwegzusetzen. Die Norm stellt einen Fremdkörper in der Verfassung dar,91 ist doch der Bundespräsident an sich ebenfalls an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Grundgesetz hebt das Präsidentenamt hier etwas über die anderen Gewalten. Obwohl sich Art. 60 Abs. 2 GG gewiss keine generelle Überordnung des Bundespräsidenten – auch nicht hinsichtlich der Judikative92 – entnehmen lässt, nimmt der Bundespräsident insofern eine Sonderstellung ein, als ihm zumindest in dem speziell geregelten Einzelfall der Begnadigung das Recht zusteht, die Entscheidungen anderer staatlicher Stellen zu korrigieren. Es wird hier deutlich, dass das Grundgesetz in ihm einen Garanten der Gerechtigkeit und Unparteilichkeit sieht. (b) Reserveaufgaben Einige der soeben beschriebenen Kompetenzen lassen sich nicht nur unter dem Aspekt der Befugnisse mit Entscheidungsspielraum zusammenfassen, sondern haben auch gemein, dass sie Reservekompetenzen des Bundespräsidenten darstel88

Vgl. Maunz/Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 39 GG, Rn. 76; Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 39 GG, Rn. 28; Morlok, in: Dreier, Art. 39 GG, Rn. 29. 89 Vgl. statt vieler Nierhaus, in: Sachs, Art. 60 GG, Rn. 15. 90 Constant, Politische Schriften, S. 46. 91 Vgl. hierzu eingehend Klein, Gnade als Fremdkörper im Rechtsstaat. 92 Stein, ZaöRV 69 (2009), 249, 255 meint demgegenüber, es sei „Geschmacksfrage“, ob der Bundespräsident über oder neben den anderen Gewalten steht.

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len:93 „Wo immer ein auf dem Wechsel der Parteien aufgebautes Regierungssystem Lücken hat, ist es die Funktion des Staatsoberhaupts, diese auszufüllen.“94 So stehen dem Bundespräsidenten die Auflösungsbefugnisse nach Art. 63 Abs. 4 S. 3, Art. 68 Abs. 1 S. 1 und Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG nur zu, soweit eine Lage politischer Instabilität gegeben ist. Auch das Recht zur Einberufung des Bundestags (Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG), das auf den ersten Blick systemwidrig wirkt, gibt dem Bundespräsidenten die Möglichkeit, ein Stillstehen des politischen Prozesses zu verhindern.95 Das Grundgesetz greift damit auf den Bundespräsidenten zurück, wenn die Hauptakteure ihren verfassungsmäßigen Aufgaben nicht mehr nachkommen können oder wollen. Es ist die Pflicht des Bundestags, einen Bundeskanzler zu wählen (Art. 63 Abs. 1 GG)96 und Gesetzesvorlagen zu beschließen (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG).97 Darüber hinaus besteht die Notwendigkeit, dass sich die Bundesregierung auf eine stabile Mehrheit im Bundestag stützen kann (vgl. Art. 63 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 S. 3 GG).98 Die Verfassungsorgane tragen folglich Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des politischen Prozesses. In erster Linie betrifft dies die Organe, die die Verfassung mit dem Prozess unmittelbar betraut, also Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Liegt eine Störung vor, ist der Bundespräsident zum Handeln berufen.99 (c) Kontrollaufgaben und Legalitätsreserve Dem Bundespräsidenten stehen Befugnisse der rechtswahrenden Kontrolle zu.100 In der Sache handelt es sich hierbei um Reserveaufgaben. Der Bundespräsident ist nämlich für die betroffenen Akte originär nicht zuständig. Vielmehr schaltet das Grundgesetz das Staatsoberhaupt ergänzend ein, um eine zusätzliche und unabhängige Nachprüfung zu ermöglichen. Politische Gestaltungsspielräume eröffnet die Verfassung dem Bundespräsidenten hingegen nicht.101 Die inhaltliche Entscheidung über die Richtung der Politik obliegt nicht ihm, da er parlamentarisch auch nicht

93 Vgl. Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 GG, Rn. 17; Mehlhorn, Bundespräsident, S. 257 f. 94 Kaltefleiter, Funktionen, S. 32. 95 Vgl. auch Maunz/Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 39 GG, Rn. 76; Brocker, in: Epping/ Hillgruber, Art. 39 GG, Rn. 28; Morlok, in: Dreier, Art. 39 GG, Rn. 29. 96 Vgl. nur Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38 GG, Rn. 50. 97 Vgl. etwa Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38 GG, Rn. 22. 98 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 63 GG, Rn. 53. 99 Vgl. Stein, ZaöRV 69 (2009), 249, 256. 100 Vgl. hierzu auch Stern, StaatsR II, S. 250. 101 So auch ausdrücklich v. Münch/Mager, StaatsR I, Rn. 299. § 43 Abs. 1 BVerfGG bestätigt, dass die Verfassung den Präsidenten nicht in einer aktiven politischen Rolle sieht, indem er den Kreis der Antragsberechtigten hinsichtlich eines Parteiverbotsverfahrens auf den Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung beschränkt, d. h. die Organe, die als aktive Teile des politischen Lebens mit politischen Parteien in Berührung kommen.

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verantwortlich ist.102 Die von ihm vorzunehmende Kontrolle beschränkt sich dabei in der Regel auf evidente Verfassungsverstöße. (aa) Vorschlag zur Wahl des Bundeskanzlers Nach Art. 63 Abs. 1 GG wird der Bundeskanzler auf Vorschlag des Bundespräsidenten gewählt. Der Wortlaut der Norm spricht zunächst dafür, dass dieses Vorschlagsrecht keinen weiteren Bindungen unterliegt, der Bundespräsident also prinzipiell nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen über die Person des vorzuschlagenden Kandidaten entscheiden kann. Zwar beschädigt der Vorschlag eines offensichtlich aussichtslosen Kandidaten unter Umständen das Ansehen des Amtes,103 dies ändert aber noch nichts an dem dem Präsidenten zustehenden Recht. Es widerspricht aber jedenfalls der Idee der grundgesetzlichen Kanzlerwahl, wenn der Bundespräsident einen nicht erfolgversprechenden Kandidaten vorschlägt.104 Faktisch wird der Bundespräsident also im Grundsatz daran gebunden sein, auf welchen Kandidaten sich die Mehrheitsfraktionen verständigt haben. Art. 63 Abs. 1 GG möchte dem Bundespräsidenten keine Korrektur von Wahlergebnissen ermöglichen. Dies zeigt sich auch an dessen Entstehungsgeschichte: Während der Entwurf des Herrenchiemseer Verfassungskonvents in Art. 87 noch ein aufschiebendes Vetorecht bei der Kanzlerwahl vorsah,105 reduziert der vom Parlamentarischen Rat beschlossene Verfassungstext das Recht des Bundespräsidenten auf den bloßen Vorschlag, den der Bundestag letztlich sogar ignorieren kann (Art. 63 Abs. 3 GG). Deshalb ist im Vorschlagsrecht aber nicht eine bloße Formalie zu sehen. Denn der Bundespräsident darf den Vorschlag eines ihm aus Gründen des Schutzes der Verfassung bedenklich erscheinenden Kandidaten auch ablehnen.106 Demzufolge kann die Einbeziehung des Bundespräsidenten in die Wahl des Bundeskanzlers als Ausdruck der „wehrhaften Demokratie“107 verstanden werden. Da das Grundgesetz aber keinerlei Vorgaben für den Vorschlag des Bundespräsidenten macht, ist dieser nicht darauf beschränkt, nur Personen ablehnen zu können, die verfassungsrechtlich bedenklich sind. Auch skandalträchtige Kandidaten müssen dem Bundestag nicht vorgeschlagen werden.108

102

Vgl. auch Maurer, DÖV 1966, 665, 671; dies bedeutet indes nicht, dass der Bundespräsident keinerlei politischer Verantwortung unterläge, vielmehr können seine Handlungen jederzeit zum Gegenstand parlamentarischer Debatten gemacht werden (vgl. Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 25). 103 Vgl. etwa Schneider, NJW 1953, 1330, 1331. 104 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 63 GG, Rn. 18; Nettesheim, in: HbStR III, § 62, Rn. 5; v. Münch/Mager, StaatsR I, Rn. 298 sprechen von einer politischen Bindung des Bundespräsidenten. 105 Vgl. Niclauß, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 35, 36. 106 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 63 GG, Rn. 18. 107 Vgl. hierzu noch unter E. II. 4. 108 So zutreffend auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 63 GG, Rn. 18.

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(bb) Ernennung der Bundesminister Der Bundespräsident ernennt gem. Art. 64 Abs. 1 GG die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um einen formalen Akt, weil das Grundgesetz ausdrücklich den Bundeskanzler in der Pflicht sieht, den Vorschlag zu unterbreiten und damit sein Kabinett nach freiem politischen Ermessen zu bilden. Dass der Bundespräsident berechtigt ist, die Ernennung bei drohendem Verfassungs- oder Gesetzesverstoß zu verweigern, wird praktisch durch das Fehlen entsprechender Voraussetzungen für die Übernahme eines Ministeramts entwertet.109 Ein inhaltliches Mitspracherecht, das dem Bundespräsidenten eine Ablehnung aus Gründen politischer Opportunität eröffnen würde, steht ihm nicht zu.110 Ihm bleibt nur der Versuch, politisch auf den Bundeskanzler Einfluss zu nehmen und ihn im persönlichen Gespräch von dem Wunsch der Ernennung des problematischen Kandidaten abzubringen.111 Der Umstand, dass der Bundespräsident so keine rechtliche Möglichkeit hat, einen vom Bundeskanzler vorgeschlagenen Kandidaten zurückzuweisen, ist deswegen unproblematisch und systemgerecht, weil der Bundeskanzler für seine gesamte Regierung gegenüber dem Bundestag die alleinige Verantwortung trägt (Art. 65 S. 1 GG).112 (cc) Genehmigung der Geschäftsordnung der Bundesregierung Ein weiteres Zusammenspiel zwischen dem Bundespräsidenten und der Bundesregierung ergibt sich aus der Genehmigungspflicht der Geschäftsordnung der Bundesregierung durch den Präsidenten gem. Art. 65 S. 4 GG. Dieses Relikt aus der Weimarer Reichsverfassung (dort Art. 55) vermag in das grundgesetzliche Verhältnis von Regierung, Parlament und Präsident nicht recht zu passen.113 Während der Reichspräsident neben dem Reichstag noch als „gleichberechtigter Herr der Reichsregierung“114 gesehen werden konnte, stimmt dieses Bild für den Bundespräsidenten nicht mehr. Das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik kann im Gegensatz zum Reichspräsidenten (vgl. Art. 53 WRV) nicht gegen den Willen des Parlaments eine Regierung ein- oder absetzen (vgl. Art. 63 f. GG). Wieso also der Bundespräsident die Geschäftsordnung der Regierung genehmigen soll, leuchtet aus verfassungssystematischer Sicht nicht ein. Folgerichtig ist die Entscheidung des Verfassungsgebers nur vor dem Hintergrund der Funktion des Bundespräsidenten als desjenigen Organs, welches die unabhängige und parteipolitisch unbeeinflusste 109 So auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 64 GG, Rn. 13, der immerhin § 15 BWG, also das passive Wahlrecht als solche Voraussetzung ausmacht. 110 Vgl. nur Epping, in: Epping/Hillgruber, Art. 64 GG, Rn. 8; Schröder, in: HbStR III, § 65, Rn. 34 sieht hingegen ebenso wie Stern, StaatsR II, S. 248 f. ein Zurückweisungsrecht für den Fall der sonst eintretenden Gefährdung des Staatswohls, welches aber angesichts des Wortlauts und der Systematik der Regierungsbildung nach dem Grundgesetz abzulehnen ist. 111 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 64 GG, Rn. 15. 112 Vgl. Busse, in: Friauf/Höfling, Art. 64 GG, Rn. 19. 113 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 65 GG, Rn. 114. 114 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 65 GG, Rn. 114.

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Legalitätsreserve wahrzunehmen hat. Wegen der Systemwidrigkeit der Norm ist die Befugnis des Bundespräsidenten aber auf eine Rechtskontrolle beschränkt. Politisches Ermessen steht ihm nicht zu.115 (dd) Abschluss völkerrechtlicher Verträge Nach Art. 59 Abs. 1 S. 2 GG schließt der Bundespräsident die Verträge mit ausländischen Staaten. Dies bedeutet angesichts der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gem. Art. 65 S. 1 GG nicht, dass der Präsident eine eigenständige Außenpolitik neben oder über der Bundesregierung betreiben darf.116 Zwar bestimmt der Bundeskanzler in concreto nur für die Mitglieder der von ihm geführten Bundesregierung die Leitgedanken der Politik.117 Man würde das Kompetenzgefüge des Grundgesetzes aber nicht hinreichend berücksichtigen, wollte man den Bundespräsidenten als mit eigenen politischen Zielen agierenden Politiker anerkennen. Dies liefe einer der Hauptaufgaben des deutschen Staatsoberhaupts, nämlich der Verkörperung der staatlichen Einheit,118 zuwider. Die Richtlinienkompetenz ist ein allgemeingültiges Prinzip, das Einfluss auf die Befugnisse aller Verfassungsorgane hat.119 Insbesondere im politischen Tagesgeschäft wird sich in aller Regel schon aus personellen und organisatorischen Gründen nur eine Zuständigkeit, jedenfalls eine Entscheidungsprärogative der Bundesregierung ergeben.120 Der Bundespräsident ist aber auch nicht nur Vollzugsbeamter der Bundesregierung,121 sondern aktiver Beteiligter und muss daher die Ratifizierung eines außenwirksamen Aktes verweigern, wenn dieser verfassungs- oder völkerrechtswidrig ist.122 Einem Einschreiten aus politischen Opportunitätsgründen steht Art. 65 S. 1 GG entgegen.123 (ee) Ausfertigung und Verkündung von Bundesgesetzen Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der Ausfertigung und Verkündung der Bundesgesetze gem. Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG. Sowohl die fehlende Beteiligung des 115

So auch Hermes, in: Dreier, Art. 65 GG, Rn. 48; Oldiges, in: Sachs, Art. 65 GG, Rn. 39. Vgl. Rauschning, in: BK, Art. 59 GG, Rn. 27; etwas großzügiger zugunsten des Bundespräsidenten Heun, in: Dreier, Art. 59 GG, Rn. 18. 117 Vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 59 GG, Rn. 13.1; Nawiasky, Grundgedanken, S. 115. 118 Vgl. hierzu noch unter D. I. 1. c) (3) (a). 119 Vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art. 59 GG, Rn. 52; Maurer, DÖV 1966, 665, 670; a.A. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 59 GG, Rn. 10. 120 Vgl. für die Außenpolitik BVerfGE 131, 152, 195 – Euro-Plus-Pakt. 121 Vgl. Zuleeg, in: AK, Art. 59 GG, Rn. 8; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art. 59 GG, Rn. 53; Schenke, Verfassungsorgantreue, S. 60. 122 Vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art. 59 GG, Rn. 53 m.w.N. 123 Teilweise wird eine einvernehmliche Vorgehensweise von Bundeskanzler und Bundespräsident gefordert (vgl. Nawiasky, Grundgedanken, S. 107) bzw. dem Bundespräsidenten ein Vetorecht zugestanden (vgl. Magis, Mitwirkungsrechte, S. 320 f.); hierzu ausführlich Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art. 59 GG, Rn. 49 f. m.w.N. 116

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Bundespräsidenten am Gesetzgebungsverfahren (Art. 76 ff. GG) als auch der Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG sprechen gegen eine politisch-inhaltliche Prüfungskompetenz des Präsidenten.124 Die Formulierung des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG („Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze“) deutet aber an, dass der Bundespräsident jedenfalls die Ausfertigung wegen formeller Verfassungswidrigkeit des Gesetzes verweigern darf, soweit das Gesetzgebungsverfahren nach den Vorgaben des Art. 78 GG (bzw. Art. 81 Abs. 2 oder Art. 115d Abs. 2 S. 2 GG) betroffen ist.125 Ob dem Bundespräsidenten darüber hinaus ein materielles Prüfungsrecht zusteht, ist seit langem Gegenstand dogmatischer Auseinandersetzungen. Die Staatspraxis hat sich demgegenüber von Beginn an für eine solche Kompetenz entschieden.126 Auch wenn der Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG, die Verfassungsgeschichte127 und der vom Präsidenten zu leistende Amtseid (Art. 56 GG128) kein eindeutiges Bild zeichnen, leitet die mittlerweile vorherrschende Meinung129 ein materielles Prüfungsrecht des Bundespräsidenten aus seiner Verfassungs- und Gesetzesgebundenheit (Art. 20 Abs. 3 und Art. 1 Abs. 3 GG) ab, da dem Bundespräsidenten nicht zugemutet werden kann, ein materiell verfassungswidriges Gesetz zu unterzeichnen.130 Dem steht auch nicht entgegen, dass Art. 20 Abs. 3 GG nicht zur Begründung neuer Kompetenzen herangezogen werden dürfte,131 da ansonsten nur die Ausfertigung eines verfassungswidrigen Gesetzes verfassungskonform wäre.132 Im Hinblick auf die genaue Reichweite der 124

Vgl. nur Pieper, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 20, Rn. 31. Insoweit unstreitig (vgl. statt vieler Nierhaus, in: Sachs, Art. 82 GG, Rn. 6; für eine Beschränkung auf die Prüfungskompetenz hinsichtlich dieser Aspekte Linke, DÖV 2009, 434, 441 f.; Meyer, JZ 2011, 602, 603). Zum Teil werden auch Fragen der Gesetzgebungskompetenz, der Initiativberechtigung, der Mehrheitserfordernisse und der Beteiligung des Bundesrats mit in das Recht zur Prüfung der formellen Verfassungsmäßigkeit einbezogen (so etwa Hederich, ZG 1999, 123, 135 ff.; Rode, Ausfertigung der Bundesgesetze, S. 47 ff., 88 f.; Tams, NVwZ 2006, 1226, 1229). 126 Theodor Heuss verweigerte etwa bereits 1951 wegen fehlender Zustimmung des Bundesrats die Ausfertigung des Gesetzes über die Verwaltung der Einkommens- und Körperschaftssteuer (vgl. auch zu weiteren Fällen Die Welt Online vom 24. 10. 2006, unter: http:// www.welt.de/politik/article89568/Chronik-Warum-Bundespraesidenten-Gesetze-nicht-unter schrieben.html (abgerufen am 16. 08. 2016)); vgl. zudem Butzer, in: Maunz/Dürig, Art. 82 GG, Rn. 155, Fn. 1. 127 Vgl. Butzer, in: Maunz/Dürig, Art. 82 GG, Rn. 172. Dem Reichspräsidenten stand das Recht zu, über ein ihm politisch nicht genehmes Gesetz einen Volksentscheid herbeizuführen (Art. 73 Abs. 1 WRV). 128 Vgl. Friesenhahn, in: FS Leibholz, 679, 686; Ladenburger, Prüfungszuständigkeit, S. 57 ff.; Lehnguth, DÖV 1992, 439, 442; Riedel/Schmidt, DÖV 1991, 371, 372; Knöpfle, DVBl. 1966, 713, 717; großzügiger Strauß, DÖV 1949, 272, 274. 129 Vgl. statt vieler etwa Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 82 GG, Rn. 6 ff.; Schoch, ZG 2008, 209, 226; Sodan/Ziekow, Grundkurs, § 14, Rn. 10. 130 Im Ergebnis wohl auch BVerfGE 1, 396, 413 f. – Deutschlandvertrag. 131 So aber Friauf, in: FS Carstens II, 545, 551. 132 Vgl. Butzer, in: Maunz/Dürig, Art. 82 GG, Rn. 168; Nierhaus, in: FS Friauf, 233, 242. 125

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präsidialen Prüfungskompetenz besteht freilich wiederum keine Einigkeit.133 Richtig dürfte es sein, dem Bundespräsidenten ein volles materielles Prüfungsrecht und ein Ausfertigungsverweigerungsrecht für den Fall zuzubilligen,134 dass der materielle Verfassungsverstoß objektiv evident und der Bundespräsident auch selbst von der Verfassungswidrigkeit überzeugt ist.135 (ff) Ernennungen nach Art. 60 Abs. 1 GG Nach Art. 60 Abs. 1 GG ernennt und entlässt der Bundespräsident die Bundesrichter, die Bundesbeamten, die Offiziere und Unteroffiziere. Die Entscheidungen über die zu ernennenden Personen werden nicht vom Bundespräsidenten, sondern von nach den jeweiligen Vorschriften etwa des GG, des BBG, des BMinG, des ParlStG oder des BBankG zuständigen Gremien getroffen. Dem Bundespräsidenten steht aber aus seiner allgemeinen Aufgabe der Legalitätsreserve das Recht zu, im Einzelfall das Vorliegen der Ernennungs- und Entlassungsgründe zu prüfen.136 Eine Beschränkung der Kontrolle auf Rechtsfragen ergibt sich zwar nicht aus dem Grundgesetz.137 Umgekehrt deutet der Wortlaut aber ebenso wenig an, dass der Bundespräsident überhaupt ein Prüfungsrecht hat.138 § 10 BVerfGG gibt ihm in konstitutiver139 Weise das Ernennungsrecht hinsichtlich der Richter des Bundesverfassungsgerichts und ermöglicht die Nachprüfung der Erfüllung der Ernennungsvoraussetzungen.140 Ein weitergehendes materielles Prüfungsrecht steht dem Bundespräsidenten auch in extremen Ausnahmefällen zur Sicherung des Staatswohls nicht zu.141 133

Vgl. hierzu Butzer, in: Maunz/Dürig, Art. 82 GG, Rn. 158 f. Aus der beschriebenen Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten folgt schließlich auch eine Prüfungspflicht (so auch Butzer, in: Maunz/Dürig, Art. 82 GG, Rn. 205). 135 Zur (wohl zu bejahenden) Prüfungskompetenz hinsichtlich des europäischen Gemeinschaftsrechts vgl. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 82 GG, Rn. 28; Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 82 GG, Rn. 13 ff. 136 Vgl. BVerfGE 39, 334, 354 – Extremistenbeschluss; Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 60 GG, Rn. 4; Leisner, in: Sodan, Art. 60 GG, Rn. 1; hinsichtlich materieller Voraussetzungen nur für eine Evidenzkontrolle Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 60 GG, Rn. 24 ff. 137 Vielmehr ist die gelebte Staatspraxis als Lehre aus Weimar zu begreifen (vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 60 GG, Rn. 4.2). 138 Das Ernennungs- und Entlassungsrecht kann der Bundespräsident gem. Art. 60 Abs. 3 GG nach freiem Ermessen delegieren (vgl. hierzu Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 60 GG, Rn. 23). 139 Die Richter des Bundesverfassungsgerichts sind nach zutreffender Auffassung keine Bundesrichter, sondern Teil eines Verfassungsorgans (vgl. Denkschrift des BVerfG zur Statusfrage, JöR 6 (1957), 144, 146 f.; a.A. Thoma, JöR 6 (1957), 161, 167; Klein, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 10 BVerfGG, Rn. 2). 140 Vgl. Stern, StaatsR II, S. 250. 141 Vgl. aber Umbach, in: Umbach/Clemens, Art. 60 GG, Rn. 27; Klein, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 10 BVerfGG, Rn. 4 m.w.N.; verneinend bei Verfassungs134

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(d) Beurkundungsaufgaben Abgesehen davon, dass dem Bundespräsidenten insoweit die Möglichkeit der rechtlichen Nachprüfung zukommt, sind die Aufgaben nach Art. 59 Abs. 1 S. 2 (Abschluss völkerrechtlicher Verträge), Art. 60 Abs. 1 GG (Ernennung und Entlassung der Bundesrichter, Bundesbeamten, Offiziere und Unteroffiziere), Art. 63 Abs. 2 S. 2 bzw. Abs. 4 S. 2 bzw. Art. 67 Abs. 1 S. 2 GG (Ernennung des Bundeskanzlers), Art. 64 Abs. 1 GG (Ernennung der Bundesminister), Art. 65 S. 4 GG (Genehmigung der Geschäftsordnung der Bundesregierung), Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG (Ausfertigung der Bundesgesetze) sowie § 10 BVerfGG (Ernennung der Richter des Bundesverfassungsgerichts) zudem schlichte Beurkundungsaufgaben. (e) Gegenzeichnungspflicht Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister (Art. 58 S. 1 GG). Das gegenzeichnende Mitglied der Bundesregierung übernimmt so die politische Verantwortung für alle Organakte des Staatsoberhaupts.142 Rechtlich gesehen bleibt der Bundespräsident für seine Handlungen selbst verantwortlich (vgl. Art. 62, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG).143 Die Gegenzeichnung soll nur eine parlamentarische Kontrollierbarkeit der Arbeit des Bundespräsidenten ermöglichen144 und einen Dualismus zwischen dem Präsidenten und der Regierung verhindern.145 Da das Grundgesetz den Bundespräsidenten nicht in einer politischgestaltenden Rolle sieht,146 will es durch die Pflicht zur Kontrasignatur insbesondere erreichen, dass der Präsident die Regierungspolitik nicht durch eigenmächtiges Verhalten überspielt. Der Bundespräsident kann die Gegenzeichnung auch nicht – anders als noch der Reichspräsident (vgl. Art. 53 WRV) – faktisch erzwingen, weil er keine Befugnis zur (eigenmächtigen) Entlassung der Regierungsmitglieder besitzt.147 Gegenzeichnungsbedürftig sind alle „Anordnungen und Verfügungen“. Eine Abgrenzung der beiden Begriffe ist weder trennscharf möglich noch – angesichts der

richtern Nierhaus, in: Sachs, Art. 60 GG, Rn. 8; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 60 GG, Rn. 18; Heun, in: Dreier, Art. 60 GG, Rn. 20; a.A. Ipsen, StaatsR I, Rn. 492. 142 Erfasst sind demnach insbesondere keine privaten Handlungen des Präsidenten (vgl. statt vieler v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, Art. 58 GG, Rn. 6). 143 Vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 58 GG, Rn. 8. 144 Vgl. BVerfGE 62, 1, 32 (Bundestagsauflösung 1983). 145 Vgl. Nettesheim, in: HbStR III, § 62, Rn. 30; Heun, Verfassungsordnung, S. 161; Maurer, DÖV 1966, 665, 671 m.w.N. 146 Vgl. etwa Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 645. 147 Vgl. Nierhaus, Entscheidung, S. 42.

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einheitlichen Rechtsfolge – nötig.148 Die Norm umfasst daher jedenfalls alle schriftlichen und mündlichen Akte mit rechtlicher Regelungswirkung,149 wie etwa Handlungen nach Art. 59 Abs. 1 GG oder die Vergabe von Ehrenzeichen. Ausgenommen sind nach dem Wortlaut des Grundgesetzes nur die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers, die Auflösung des Bundestags gem. Art. 63 GG und das an den Bundeskanzler oder die Bundesminister gerichtete Ersuchen gem. Art. 69 Abs. 3 GG, ihre Ämter bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen (Art. 58 S. 2 GG). Besonders mit der Nennung der Bundestagsauflösung150 bezeugt das Grundgesetz, dass Art. 63 GG eine vom Bundespräsidenten politisch wie rechtlich selbständig wahrzunehmende Aufgabe begründet.151 Ungeschriebene Ausnahmen152 von der Gegenzeichnungspflicht sind anerkannt für das Verlangen der Einberufung des Bundestags nach Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG,153 den Kanzlerwahlvorschlag nach Art. 63 Abs. 1, Art. 115 h Abs. 2 S. 1 GG,154 die Genehmigung der Geschäftsordnung der Bundesregierung nach Art. 65 S. 4 GG155 sowie die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG.156 Hingegen sollten rein tatsächliche Akte wie Interviews und Reden nicht der Gegenzeichnungspflicht unterworfen werden.157 Erstens spricht die Bezugnahme der Verfassung auf „Anordnungen und Verfügungen“ für rechtlich erhebliche Handlungen158 und zweitens fällt eine rechtssichere Differenzierung zwischen Real- und Rechtsakten in der Praxis äußerst schwer.159 Für seine Äußerungen in der politischen Auseinandersetzung bleibt der Bundespräsident demnach auch politisch selbst verantwortlich. 148 Vgl. Nierhaus, in: Sachs, Art. 58 GG, Rn. 25; Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 58 GG, Rn. 7. 149 Vgl. Domgörgen, in: Hömig/Wolff, Art. 58 GG, Rn. 2; differenzierend Kastner, Gegenzeichnung, S. 49 ff.; Biehl, Gegenzeichnung, S. 77 ff. 150 Zu beachten gilt es aber, dass die Bundestagsauflösung gem. Art. 68 Abs. 1 GG wohl nicht gegenzeichnungsfrei ist, weil der Kanzler das abhandengekommene Vertrauen zwischenzeitlich wieder zurückgewonnen haben kann und es in einer solchen Situation nicht sachgerecht wäre, dem Bundespräsidenten eine gegen die Bundestagsmehrheit und den Kanzler gerichtete Entscheidungsbefugnis zuzubilligen; vgl. zum Ganzen Mehlhorn, Bundespräsident, S. 85 ff., mit Nachweisen für beide Ansichten. 151 Vgl. auch Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 58 GG, Rn. 39 f. 152 Die Aufzählung in Art. 58 S. 2 GG ist nach ganz h.M. nicht abschließend (vgl. statt vieler Nierhaus, in: Sachs, Art. 58 GG, Rn. 13). 153 Vgl. Heun, in: Dreier, Art. 58 GG, Rn. 22. 154 Vgl. Küchenhoff, DÖV 1966, 675, 679. 155 Vgl. Hermes, in: Dreier, Art. 65 GG, Rn. 48. 156 Vgl. Schenke, in: BK, Art. 58 GG, Rn. 35. 157 So auch Nierhaus, in: Sachs, Art. 58 GG, Rn. 19; Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 58 GG, Rn. 22 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 58 GG, Rn. 2; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 58 GG, Rn. 50 ff.; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, Art. 58 GG, Rn. 8; Ipsen, StaatsR I, Rn. 524; a.A. etwa Maurer, StaatsR I, § 15, Rn. 27. 158 Vgl. Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 58 GG, Rn. 22. 159 Zu beachten hat der Bundespräsident aber stets die Pflicht zur Verfassungsorgantreue (vgl. Degenhart, StaatsR I, Rn. 707; insbesondere zur Durchsetzung vgl. auch Voßkuhle, NJW

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(3) Ungeschriebene Aufgaben Neben den im Grundgesetz normierten Aufgaben besitzt der Bundespräsident auch einige ungeschriebene Aufgaben (sog. Prärogativrechte des Staatsoberhaupts).160 Diese leitet die Staatspraxis maßgeblich aus der ihm nach dem Grundgesetz zugedachten Stellung sowie aus der Verfassungstradition ab. (a) Repräsentation Der Bundespräsident ist – dies ist aus der Darstellung seiner geschriebenen Kompetenzen deutlich geworden – kein regierendes,161 sondern ein unselbständiges162 Staatsoberhaupt. Denn er hat weder bei politischen Sach- noch Personalfragen wesentliche Entscheidungsbefugnisse und ähnelt damit mehr dem britischen König sowie den Präsidenten von Italien und Österreich163 als dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.164 Der Bundespräsident verkörpert das abstrakte Staatsgebilde in einer konkret greifbaren Person.165 Schon weil der Bundespräsident das einzige – von der Qualifikation einzelner Mitglieder des Gesamtorgans „Bundesregierung“ als Organe abgesehen – Verfassungsorgan des Grundgesetzes ist, das aus nur einer Person besteht, eignet er sich besonders, den Staat zu verkörpern.166 Diese elementare Aufgabe des deutschen Staatsoberhaupts hat man ihm bereits in den Beratungen zum Grundgesetz im Parlamentarischen Rat zugesprochen, wenn man darauf abgestellt hat, dass man mit der Schaffung des Bundespräsidenten sowohl gegenüber dem Ausland die Ernsthaftigkeit des Vorhabens einer Staatsgründung unter Beweis stellen als auch dem Bürger eine Verkörperung des Gesamtstaats präsentieren wollte.167 Ausdrücklich geregelt worden ist diese Aufgabe des Bundespräsidenten nicht. In Art. 59 Abs. 1 S. 1 GG ist allerdings ein Anknüpfungspunkt 1997, 2216, 2219). Der Präsident wird folglich bei politisch brisanten Themen Rücksprache mit der Bundesregierung zu suchen haben (so auch Schenke, Verfassungsorgantreue, S. 57 ff.). 160 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 69. 161 Vgl. Stern, StaatsR II, S. 197 f.; Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 3. 162 Zu diesem Begriff vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 6; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 286 ff.; Nierhaus, in: Sachs, Art. 54 GG, Rn. 4; Stern, StaatsR II, S. 280 ff.; Heun, in: Dreier, Art. 54 GG, Rn. 12 bezeichnet den Präsidenten als „nicht regierend“ und meint in der Sache wohl dasselbe. 163 Vgl. Mehlhorn, Bundespräsident, S. 286 ff. 164 Vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 3; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 6. 165 Vgl. BVerfGE 136, 277, 310 f. – Bundesversammlung; vgl. auch Battis, ZRP 2012, 63, 63, der zu Recht darauf hinweist, dass die identitätsstiftende Repräsentation des Gemeinwesens genauso wichtig sei wie die Nationalflagge (hierzu darüber hinaus Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 25 ff.; Lange, VfZG 1978, 601, 603). 166 So auch Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 Abs. 1 GG, Rn. 14; Schlaich, in: HbStR II 1987, § 49, Rn. 53. 167 So Adolf Süsterhenn (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, S. 66).

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für seine generelle Repräsentationsfunktion vorhanden.168 Wenn der Bundespräsident schon im völkerrechtlichen Sinne für den Gesamtstaat steht und spricht, kann er erst recht bei staatlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen die Bundesrepublik – sowohl nach innen als auch nach außen – vertreten. Auf welche Weise der Präsident dieser Aufgabe nachkommt, bleibt ihm überlassen. Er kann diesem Auftrag beispielsweise durch mahnende Worte zu gemeinschaftsrelevanten Grundfragen im Rahmen von Reden oder Interviews und auch durch Besuche von ausländischen Staaten oder den Empfang externer Staatsgäste gerecht werden. Der Bundespräsident verkörpert dabei den Staat samt seiner Existenz, Legitimität, Legalität und Einheit.169 Die Wahl durch die stark föderativ ausgeprägte Bundesversammlung und die Leistung des Amtseids vor den versammelten Mitgliedern des Bundestags und des Bundesrats (Art. 56 S. 1 GG) unterstreichen seinen Auftrag, die innere Einheit des Staates sichtbar zu machen.170 Die Degradierung des Bundespräsidenten zum bloßen „Frühstücksdirektor“171 stellt hingegen eine nicht nur unpassende, sondern hinsichtlich seiner von Verfassungs wegen zugedachten Stellung falsche Einordnung des Amtes dar. Der Bundespräsident personifiziert die Würde des Gesamtstaats, weswegen die von ihm gegebenen Empfänge und unternommenen Reisen keinesfalls einem Selbstzweck dienen. Sie sind vielmehr Ausdruck der Wertigkeit und des Bestands der Bundesrepublik. (b) Integration Die Repräsentationsaufgabe steht in engem Zusammenhang mit der Integrationsaufgabe des Präsidenten, die dieser in Bezug auf alle gesellschaftlichen Gruppierungen und damit auch politischen Parteien wahrzunehmen hat.172 Denn gerade als die den Gesamtstaat verkörpernde Institution soll er auf sämtliche in der Gesellschaft bestehenden Strömungen integrierend wirken. Richard von Weizsäcker hat die Aufgabe der Integration als wichtige Verfassungspflicht des Bundespräsidenten folgendermaßen beschrieben: „Bei uns dient das Amt des Bundespräsidenten dem Konsens und der Orientierung. Der Konsens wird benötigt und von fast allen Bürgern gewünscht. Es wird dankbar aufgenommen, wenn man zum Konsens mahnt. Aus diesem Bedürfnis heraus entwickelt sich auch die Zustimmung zum Inhaber des Amtes.“173

Den Kern der Integrationsaufgabe treffen auch die Worte Walter Scheels: 168

Vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 6. Vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 6; Stern, StaatsR II, S. 198 f., 218 f. 170 Vgl. Fritz, in: BK, Art. 56 GG, Rn. 14; Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 31 und 54. 171 Diesem Begriff widerspricht zu Recht auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 97. 172 Vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 6. 173 Zitiert nach Hartmann/Kempf, Staatsoberhäupter, S. 21 f. 169

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„Und so wußte ich auch, daß die Möglichkeiten dieses Amtes in der Öffentlichkeit manchmal unterschätzt werden. Ich meine nicht die politischen Entscheidungen, darin liegt nicht der Schwerpunkt des Amtes. Mich hat die Möglichkeit gereizt, auf den Stand und die Entwicklung des öffentlichen Bewußtseins einzuwirken, Anstöße zu geben, die Diskussion politischer Grundsatzfragen voranzubringen und zu beeinflussen. Der Bundespräsident nutzt seine Möglichkeiten und Kräfte dann richtig, wenn er versucht, den demokratischen Grundkonsens aller zu stärken, das Verhältnis des Bürgers zum Staat zu entwickeln und für die Funktionsfähigkeit der Demokratie Sorge zu tragen.“174

(aa) Pluralismus als desintegrierender Faktor Eine pluralistische Gesellschaft wie die des Grundgesetzes zeichnet sich dadurch aus, dass es nur wenige Ansichten gibt, die von allen Mitgliedern der Gemeinschaft geteilt werden.175 Umso bedeutender ist dann die Existenz eines Organs, das Kontinuität und Vertrauen ausstrahlt. Es bedarf einer staatlichen Einrichtung, die nicht Anteil an den fortwährenden Streitigkeiten zwischen Regierung und Opposition hat. Will der Staat, dass ein Konsens hinsichtlich gemeinsamer Grundwerte erreicht wird, muss er mit einem Organ in Erscheinung treten, mit dem sich eine größere Zahl an Bürgern identifizieren kann als mit den parteipolitisch stark beeinflussten Organen wie der Bundesregierung und dem Bundestag. Dieses Organ darf dann keine eigene Position in der streitigen Frage vertreten und nicht selbst Teil des politischen Tagesgeschäfts sein, insbesondere also keine Parteipolitik betreiben. Der dem politischen Diskurs weitgehend herausgelöste Bundespräsident176 ist für diese Aufgabe prädestiniert. (bb) Politische Dimensionen des Präsidentenamtes Schon nach dem Wortlaut des Grundgesetzes ist das Präsidentenamt indes keineswegs unpolitisch.177 So hat auch der Bundespräsident – etwa in den Fällen des Art. 63 Abs. 4 S. 3 und des Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG – politische Entscheidungen zu treffen.178 Bis auf Joachim Gauck waren überdies alle bisherigen Bundespräsidenten Mitglieder politischer Parteien.179 Darüber hinaus weist auch der Vorgang der Wahl des Bundespräsidenten (Art. 54 GG) im Ausgangspunkt hochpolitische Züge auf.180 Während im Parlamentarischen Rat die parteipolitische Neutralität des Bundespräsidenten noch besonders hervorgehoben worden war,181 spielte schon im Rahmen 174

Scheel, Reden und Interviews, 390, 391 f. Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 Abs. 1 GG, Rn. 15. 176 Vgl. hierzu unter D. I. 1. c) (2). 177 So auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 96; Cornils, in: FS Hufen, 151, 152; Kaltefleiter, Funktionen, S. 13. 178 Vgl. Seidel, Bundespräsident, S. 100. 179 Vgl. Heun, Verfassungsordnung, S. 161; Jäger, in: FS Würtenberger, 213, 218. 180 Vgl. Stern, StaatsR II, S. 203; zum Folgenden auch Jäger, in: FS Würtenberger, 213, 214 f. 181 Vgl. Schmid, Erinnerungen, S. 383. 175

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der ersten Regierungsbildung die erste Bundespräsidentenwahl eine erhebliche machtpolitische Rolle. Konrad Adenauer bot damals dem FDP-Vorsitzenden Theodor Heuss das Amt des Bundespräsidenten an. Dem trat der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher mit einer stark polarisierenden Gegenkandidatur entgegen. Schumachers Ziel war es gerade, eine „parteiübergreifende Sammelkandidatur für das Amt des Bundespräsidenten“ zu verhindern, „aus der sich dann eine große Koalition entwickeln“ hätte können.182 Schließlich darf auch der faktische Einfluss des Bundespräsidenten auf politisch bedeutende Entscheidungen, den er etwa im Rahmen persönlicher Gespräche mit Regierungsmitgliedern ausüben kann, nicht unterschätzt werden.183 Die dem Bundespräsidenten zukommende politische Macht nutzt dieser allerdings nicht, um ein konkretes Wahlprogramm umzusetzen. Die Gestaltung der Politik obliegt dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung (vgl. Art. 76 Abs. 1 GG).184 Der Bundespräsident hat kein inhaltliches Mitspracherecht und steht insofern außerhalb des politischen Prozesses. Auch seine sonstigen politischen Handlungsbefugnisse dienen stets der Wiederherstellung eines funktionierenden Staatsapparats, nicht der Umsetzung eigener parteipolitischer Ideologien des Amtsinhabers. Die politische Kraft des Präsidentenamts entspringt deshalb vorwiegend der Fähigkeit des jeweiligen Amtsinhabers, für bestimmte staatspolitische Ziele einzutreten. So scheuen sich die Bundespräsidenten nicht, hinsichtlich der allgemeinen Ausrichtung der Politik deutliche Worte zu finden. Sowohl die faktischen Möglichkeiten der Einflussnahme als auch die Art und die Ablauf der Wahl lassen damit erkennen, dass sich das Präsidentenamt als kein von der Politik gänzlich losgelöstes darstellt. Vielmehr ist es in mehrfacher Hinsicht politischen Spannungen ausgesetzt und es hängt maßgeblich von der Person des Amtsinhabers ab, als wie unabhängig es wahrgenommen wird. (cc) Der Bundespräsident als unabhängiges Integrationsorgan Konkrete parteipolitische Programme propagiert der Bundespräsident aber nicht.185 Üblicherweise lassen die Präsidenten mit Beginn der Amtszeit ihre ggf. bestehenden Parteimitgliedschaften ohnedies ruhen186 und sind auch bereit, Regie182

Schwarz, Adenauer, S. 628. So auch Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 40; Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 649, der allerdings unzutreffend davon ausgeht, dass der Bundespräsident „im stillen [sic!] und unauffällig“ agieren muss; insofern zu zurückhaltend Doehring, Der Staat 3 (1964), 201, 209. 184 Vgl. hierzu auch Kersten, in: Maunz/Dürig, Art. 76 GG, Rn. 27. 185 Eindrucksvolles Beispiel der parteiübergreifenden Überzeugungskraft des Bundespräsidenten ist die Wiederwahl Richard von Weizsäckers im Jahr 1989 gewesen, bei der es noch nicht einmal mehr einen Gegenkandidaten gegeben hat (vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 16; Heun, Verfassungsordnung, S. 160). 186 Vgl. Gehrlein, DÖV 2007, 280, 284; Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 63 meint, es bedürfe keiner Begründung, dass der Bundespräsident parteipolitische Funktionen niederlege. 183

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rungen, die ihnen politisch an sich nahestehen, zu kritisieren.187 Diese sachliche Distanz, die Bundespräsidenten zu den Bundesregierungen zu halten pflegen, macht gerade ihre Stellung als unvoreingenommene und unabhängige Staatsvertreter aus.188 Sie vermögen so die Entzweiung zwischen Staats- und Volkswillen zu verhindern189 und als „ausgleichende Kraft“190 zu wirken. In erster Linie wird der Bundespräsident als Mahner in Erscheinung treten, wenn gesellschaftliche und politische Entwicklungen dies erfordern.191 Er kann und soll fehlerhafte Tendenzen der aktuellen Politik anhand jedermann einsichtiger und übergeordneter Prinzipien aufdecken und allen am Willensbildungsprozess Beteiligten offen vor Augen führen.192 Insofern kann man den Bundespräsidenten durchaus als das „Gewissen“ der deutschen Gesellschaft beschreiben.193 Die Bundespräsidenten haben jedoch auch immer zur aktiven Gestaltung der Gesellschaft aufgerufen. So hat Roman Herzog gefordert, durch Deutschland müsse ein „Ruck“ gehen, um die nötigen Reformprojekte für das 21. Jahrhundert voranzutreiben.194 Und Horst Köhler hat Deutschland als „Land der Ideen“ bezeichnet, das einig und selbstsicher die eigene Zukunft gestalten könne, zugleich aber angemahnt, dass es auch seiner Verantwortung in der Welt und der Europäischen Union gerecht werden müsse.195 Die hierbei betonten moralischen Gesichtspunkte sollten nicht als phrasenhaft abgetan, sondern vielmehr als Gewinn gegenüber der oft allzu technisch anmutenden Sachpolitik angesehen werden. In für die Gesellschaft schwierigen Zeiten – etwa nach humanitären Katastrophen wie Überflutungen, in Phasen der Unsicherheit wegen drohender Terroranschläge oder in wirtschaftlichen Notlagen im Rahmen von Finanzkrisen – kann der Bundespräsident zudem Vertrauen in den Staat hervorrufen sowie Trost und Zuversicht spenden. 187

Vgl. auch Jäger, in: FS Würtenberger, 213, 218; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 91. 188 In einer Umfrage des Allensbacher Instituts haben bereits im Winter 1962/63 64 Prozent, im Jahr 1976 sogar 73 Prozent der Deutschen angegeben, dass man für ein unparteiisches Staatsoberhaupt keinen Monarchen brauche, der Bundespräsident dieser Aufgabe vielmehr gerecht werde (vgl. Allensbacher Jahrbuch, Bd. 4, S. 139 bzw. Bd. 7, S. 57). 189 Vgl. Janssen, DÖV 2010, 949, 958. 190 So Theodor Heuss über sein Amt, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, S. 9. 191 Insbesondere die Medien sprechen in diesem Zusammenhang oft vom „Marktlückenprinzip“ (vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 100). 192 Vgl. Patzelt, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 143, 150. 193 Theodor Heuss etwa hat der verbreiteten gesellschaftlichen Annahme, man habe seinerzeit nichts von den Verbrechen der Nationalsozialisten gewusst, widersprochen und angemahnt, man müsse sich mit der Wahrheit auseinandersetzen (vgl. die Rede „Das Mahnmal“, in: Dahrendorf/Vogt, Heuss, S. 408). 194 Sog. „Ruck-Rede“ vom 26. 04. 1997 im Hotel Adlon in Berlin, unter: http://www.bun despraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1997/04/199 70426_ Rede.html (abgerufen am 18. 06. 2016). 195 Vgl. die Ansprache vor der Bundesversammlung nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten am 23. 05. 2004, unter: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/HorstKoehler/Reden/2004/05/20040523_Rede.html (abgerufen am 18. 06. 2016).

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Neben den in der pluralistischen Demokratie vorhandenen zentrifugalen Kräften der einzelnen Gruppeninteressen muss es immer auch zentripetale Kräfte geben, die die Einheit des Gemeinwesens betonen.196 Der Präsident vermag wegen seiner unparteiischen Stellung als glaubwürdiger Mittler zwischen Staat und Gesellschaft aufzutreten sowie den Zusammenhalt in der Bevölkerung anzumahnen und gezielt voranzubringen, indem er das die Menschen Einende hervorhebt.197 Dass also dem Bundespräsidenten die Integration des Staatsvolkes obliegt,198 lässt sich mit der Notwendigkeit dieser Aufgabe in einer pluralistischen Gesellschaft und der Stellung des Bundespräsidenten außerhalb des Wirkungskreises parteipolitisch motivierter Kräfte im Grundgesetz begründen. (c) Klassische Prärogativrechte Neben den ungeschriebenen Aufgaben des Bundespräsidenten, die vor allem seine staatspolitische Rolle prägen, hat dieser zusätzliche Prärogativrechte eines Staatsoberhaupts, die ihm zuteilwerden. Die Staatspraxis leitet diese zutreffender Weise aus einer Analogie bzw. einem argumentum a maiore ad minus zu Art. 60 Abs. 2 GG ab.199 Danach steht dem Bundespräsidenten das für ein Staatsoberhaupt typische Recht auf Begnadigung zu. Hieraus wird allgemein gefolgert, dass ihm weitere Aufgaben, die üblicherweise Staatsoberhäupter erfüllen, zukommen müssen, auch wenn diese nicht ausdrücklich gesetzlich normiert sind. So entscheidet der Bundespräsident über die zu verwendenden Staatssymbole wie die Bundesflagge (vgl. auch Art. 22 Abs. 2 GG), das Bundeswappen und die Nationalhymne.200 Des Weiteren verleiht er die Orden und Ehrenzeichen des Bundes.201 Hierüber verfügt er allein und nach eigenem Ermessen, aber wiederum nicht mit parteipolitischer Motivation. 196

Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 99. Vgl. auch Pflüger, in: FS Bracher, 383, 390. 198 Vgl. auch BVerfGE 136, 277, 311 – Bundesversammlung; dass es dem Präsidenten überlassen sein soll, zu entscheiden, ob er sich dieser Aufgabe widmen will, ist nicht anzunehmen (so aber Gehrlein, DÖV 2007, 280, 285). Denn der Umstand, dass eine verfassungsmäßige Aufgabe nicht normiert ist, eröffnet dem Amtsinhaber nicht die Freiheit, diese Aufgaben selbst zu definieren. 199 Vgl. Umbach, in: Umbach/Clemens, Vor Art. 54 GG, Rn. 14; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 69; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 54 GG, Rn. 2; a.A. Jekewitz, in: AK, Vor Art. 54 GG, Rn. 16. 200 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 70; vgl. auch Bekanntmachung des Bundespräsidenten betreffend das Bundeswappen und den Bundesadler vom 20. Januar 1950; Erlass des Bundespräsidenten über die Dienstsiegel vom 20. Januar 1950; Anordnung über die deutschen Flaggen vom 13. November 1996; hinsichtlich der Bundeshymne besteht hingegen keine ausdrückliche Anordnung des Bundespräsidenten, der Festlegungsakt erfolgte vielmehr durch einen Briefwechsel zwischen Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl (BGBl. I, S. 2135). 201 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 71. 197

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(4) Rolle des Bundespräsidenten nach dem Grundgesetz Zusammenfassend ergibt sich, dass das Amt des Bundespräsidenten von höchster Würde ist und protokollarisch an erster Stelle im Staat steht.202 Auch wenn der Bundespräsident nach dem Wortlaut des Grundgesetzes keine durchgreifenden Rechte hat, ist sein Amt nicht unpolitisch. Der jeweilige Amtsinhaber kann dem Amt durchaus zu großem politischen Einfluss verhelfen.203 Je überzeugender er auftritt, umso mehr Gewicht erfahren seine Worte. Parteipolitisch wird das Staatsoberhaupt hingegen nicht aktiv. Die Ausgestaltung der konkreten Politik der Bundesrepublik obliegt dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung (vgl. Art. 76 Abs. 1 GG). Der Bundespräsident ist der teils mahnende, teils animierende, teils Zuversicht spendende, aber immer Vertrauen in die Funktionsfähigkeit, Legalität und Legitimität des Gesamtstaats stiftende vorderste Repräsentant der Bundesrepublik. Wegen seiner aus dem (tages-)politischen Diskurs herausgelösten Stellung fungiert er als glaubwürdiger Mittler zwischen Staat und Gesellschaft.204 d) Bedeutung der Verfassungstradition Man kann mit Josef Isensee durchaus sagen: „Im verfassungsstaatlichen Schauspiel ist die Anwesenheit eines Präsidenten vorgesehen; doch der Autor hat versäumt, für die Rolle den Text zu schreiben.“205 Dies führt dazu, dass der Inhaber sein Amt in besonders großem Ausmaß zu prägen vermag.206 Damit ist nicht etwa gesagt, dass das Präsidentenamt alle fünf oder zehn Jahre einem grundlegenden Wandel unerzogen würde, wenn der neue Inhaber sein Amt antritt. Vielmehr hat sich seit Theodor Heuss eine Staatspraxis entwickelt, die mit den verfassungsrechtlichen Aufgaben des Staatsoberhaupts in Deutschland207 weitgehend übereinstimmt. Der Umstand etwa, dass der Bundespräsident seiner Rolle als Integrator durch Reden und sonstige öffentliche Stellungnahmen gerecht werden soll, ist eine Übung, die das Präsidentenamt in seiner öffentlichen Wahrnehmung mehr geprägt hat als die expliziten Befugnisse nach der Verfassung.208 Alle Bundespräsidenten haben Themen auf die Tagesordnung gesetzt, die aus ihrer Sicht zu zögerlich angegangen worden 202

Vgl. Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 54 GG, Rn. 2; Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 3. 203 Vgl. Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 649. 204 Pernice, in: Dreier, 2. Aufl., Art. 54 GG, Rn. 26 bezeichnet ihn als politischen „Mediator“. 205 Isensee, NJW 1994, 1329, 1329. 206 Deshalb zutreffend von „grundgesetzlicher Normenarmut“ sprechend Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 11. 207 Vgl. unter D. I. 1. a) bis c). 208 So auch Grimm, in: FAZ Online vom 18. 01. 2012, unter: http://www.faz.net/aktuell/ feuilleton/jurist-grimm-zur-causa-wulff-der-bundespraesident-116 12563.html (abgerufen am 15. 08. 2016).

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sind. Sie haben sich überparteilich, aber deswegen nicht unpolitisch gegeben.209 Diese durch die Amtsinhaber geschaffene Tradition spielt eine erhebliche Rolle für die Erwartungen, die Bevölkerung und Politik an den Bundespräsidenten haben. Sie vermag allerdings nur wenig über die verfassungsmäßige Rechte des Bundespräsidenten auszusagen. Die zutreffende Annahme, das Amt werde durch die Person geprägt,210 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ausführung des Amtes keinesfalls in das Belieben des jeweiligen Inhabers gestellt ist. Die verfassungsrechtlichen Grenzen gelten für den Bundespräsidenten wie für jedes andere Staatsorgan. Aus bloßen gesellschaftlichen und politischen Erwartungen können weder rechtliche Befugnisse noch Beschränkungen des Präsidentenamts erwachsen:211 „Der Bundespräsident steht in keinerlei Hinsicht ,über dem Gesetz‘.“212 e) Theorien zur Beschreibung der Funktionen des Bundespräsidenten Ausgehend von den im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehenen Kompetenzen und den auf das Amt des Bundespräsidenten passenden ungeschriebenen Aufgaben lassen sich Funktionen ableiten, die dieser in der Bundesrepublik erfüllt. Es hat verschiedene Ansätze zur Funktionsbeschreibung des Präsidentenamts gegeben. Jeder von ihnen trägt einen Teil der Wahrheit in sich, erfasst die Rolle des deutschen Staatsoberhaupts aber nicht umfassend. So ist der Bundespräsident durchaus „Staatsnotar“ (vgl. im Folgenden unter (1)), nach einem etwas flexibleren Verständnis auch „pouvoir neutre“ (vgl. im Folgenden unter (2)) und zudem ein „Hüter der Verfassung“ (vgl. im Folgenden unter (3)). Am ehesten kann man den Bundespräsidenten als „Kustos“ beschreiben (vgl. im Folgenden unter (4)).

209 Die Versuche der politischen Einflussnahme seitens der Bundespräsidenten sind von unterschiedlicher Intensität gewesen. Konrad Adenauer hat Theodor Heuss beispielsweise dessen Wunsch, an den Kabinettssitzungen teilnehmen zu können, ebenso verweigert wie die Vorlage einer Ministerliste (vgl. Pikart, Heuss und Adenauer, S. 78 f.). Dennoch hat Heuss dazu beigetragen, dass „die Präsenz eines überparteilichen Organs rascher als erwartet im öffentlichen Bewußtsein verankert“ (Bracher, Das deutsche Dilemma, S. 218) werden konnte. Auch Heinrich Lübke hat sein Amt eher politisch verstanden (vgl. Morsey, Lübke, S. 308 ff., 353 ff.), Karl Carstens hat dagegen als politisch zurückhaltend gegolten (vgl. Szatkowski, in: v. Ooyen/ Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 217, 222 ff.). Richard von Weizsäcker wiederum ist mit seiner Rede vom 8. Mai 1985 zum „Tag der Befreiung“ als sehr politischer Bundespräsident in Erinnerung geblieben (vgl. Küsters, in: v. Ooyen/Möllers, Der Bundespräsident im politischen System, 233, 236 ff.). 210 So etwa Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 10. 211 So aber zu weit gehend Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 11.2. 212 BVerfGE 136, 323, 333 – Spinner.

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(1) Der Bundespräsident als „Staatsnotar“ Gewiss hat der Bundespräsident an vielen Stellen des verfassungsmäßigen Prozesses beurkundende Aufgaben (vgl. Art. 59 Abs. 1 S. 2, Art. 60 Abs. 1, Art. 63 Abs. 2 S. 2 bzw. Abs. 4 S. 2 bzw. Art. 67 Abs. 1 S. 2, Art. 64 Abs. 1, Art. 65 S. 4 und Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG sowie § 10 BVerfGG).213 Die inhaltliche Entscheidung liegt bei anderen Staatsorganen, während der Bundespräsident die Akte nur formell in Kraft setzt. Eine Beschreibung seines Amtes als „Staatsnotar“214 ist aber zumindest irreführend. Sie verschleiert die vielen elementaren Aufgaben, die der Bundespräsident in der Gesellschaft wahrnimmt, sowie die weiteren Kompetenzen, die ihm nach dem Wortlaut der Verfassung (vgl. etwa Art. 63 Abs. 4 S. 3, Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG) zustehen – mögen sie auch nur in pathologischen Ausnahmefällen virulent werden. Darüber hinaus trägt dieser Begriff etwas Despektierliches in sich und sollte daher nicht zur abschließenden Funktionsbeschreibung verwendet werden.215 (2) Der Bundespräsident als „pouvoir neutre“ Als Benjamin Constant im Jahr 1815 den Begriff des „pouvoir neutre“216 in seiner Staatslehre einführte, hatte er die damals herrschenden Monarchen Europas vor seinem geistigen Auge:217 „Die königliche Gewalt (ich verstehe darunter die des Staatsoberhauptes, ganz gleich, welchen Titel es trägt) ist eine neutrale Gewalt [pouvoir neutre], die der Minister hingegen eine aktive.“218 Nach den bereits getroffenen Feststellungen zum Bundespräsidenten würde eine solche Umschreibung an sich auch auf das deutsche Staatsoberhaupt passen. Der Bundespräsident ist nicht aktiver Teil des politischen Geschehens, sondern unvoreingenommener und überparteilicher Teil der Staatsgewalt. Doch Constant versteht unter der neutralen Gewalt noch etwas anderes: „Die Exekutive, die Legislative, die rechtsprechende Gewalt repräsentieren drei staatliche Bereiche, die, jeder zu seinem Teil, bei dem allgemeinen Gang der Dinge zusammenwirken müssen. Sind aber diese Bereiche nicht eindeutig getrennt, so daß ihre Befugnisse sich kreuzen, einander beeinträchtigen und behindern, bedarf es einer Kraft, die ihnen wieder ihren Platz zuweist. Diese Kraft darf nicht aus einem jener Bereiche selbst kommen, denn sie würde diesen dann dazu dienen, die anderen lahmzulegen. Sie muß außerhalb von ihnen existieren und in gewisser Weise neutral sein, damit sie sich wirklich überall da betätigt, wo

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Vgl. bereits unter D. I. 1. c) (2) (d). Vgl. etwa Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 647. 215 So auch Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 Abs. 1 GG, Rn. 19; Nierhaus, in: Sachs, Art. 54 GG, Rn. 5; den Begriff ablehnend auch etwa Pflüger, in: FS Bracher, 383, 386; weniger kritisch Heuner, in: Dreier, Art. 54 GG, Rn. 21. 216 Constant, Politische Schriften, S. 31 ff. 217 Vgl. auch Doehring, Der Staat 3 (1964), 201, 202; Spanner, DÖV 1966, 619, 620. 218 Constant, Politische Schriften, S. 32. 214

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D. Adressaten der Neutralitätspflicht sie in Aktion treten muß, und sich erhaltend und wiederherstellend auswirkt, ohne feindselig aufzutreten.“219

Hiernach stellt das Staatsoberhaupt eine eigenständige Gewalt dar, deren Hauptzweck es ist, Streitigkeiten zwischen den übrigen Gewalten zu lösen und dort, wo die Verfassung keine eindeutigen Kompetenzzuweisungen vorgibt, Entscheidungen über die Zuständigkeiten herbeizuführen. Konsequent sieht Constant deshalb das Staatsoberhaupt als vermittelnde, aber den anderen Gewalten auch übergeordnete Kraft an,220 der die Kompetenz-Kompetenz zukommt. Der „pouvoir neutre“ unterstützt im Ernstfall nicht die anderen Gewalten, sondern entmachtet sie, ehe sie ihre Macht missbrauchen.221 Hierfür muss das Staatsoberhaupt umfangreiche Rechte besitzen – wie den Austausch der Mitglieder des parlamentarischen Oberhauses, ein Vetorecht gegen Entscheidungen des Unterhauses und ein umfassendes Parlamentsauflösungsrecht für den Fall, dass „das Unterhaus eine bedrohliche Bahn beschreiten“ könnte.222 Der Monarch ist demnach Ursprung aller Gewalt und befugt, denen, die diese Gewalt nur stellvertretend für ihn ausüben, die Grenzen ihres Handelns aufzuzeigen. Letztlich war es das Anliegen Constants, in den revolutionären Zeiten des 19. Jahrhunderts die königliche Herrschaft auf eine zusätzliche Legitimationsbasis zu stellen. Durch die Zuweisung des „pouvoir neutre“ kam dem Monarchen – über die zunehmend in Zweifel gezogene abstrakte Begründung mit dem Gottesgnadentum hinaus – ein eigener verfassungsmäßiger Zweck zu.223 Weder ist der Bundespräsident Ursprung aller staatlicher Gewalt (vgl. nur Art. 20 Abs. 1 S. 1 GG), noch hat er durchgreifende Kompetenzen, mit denen er eine Mittlerfunktion durchsetzen könnte.224 Dem Bundespräsidenten fehlt es an dem „pouvoir“ – jedenfalls wie Constant ihn versteht.225 Man wird insofern sagen können, dass der Bundespräsident eine Macht vertritt, „an deren Ausübung er nicht teilhat.“226 Dennoch fungiert der Bundespräsident nicht nur als „Sprachrohr“ der Bundesregierung227 und ist keine Figur politischer Ohnmacht.228 Bezieht man die von Walter 219

Constant, Politische Schriften, S. 32. Vgl. Constant, Politische Schriften, S. 33. 221 Vgl. auch Doehring, Der Staat 3 (1964), 201, 203. 222 Constant, Politische Schriften, S. 34. 223 Vgl. Menzel, DÖV 1965, 581, 589. 224 So auch, jedenfalls im Ergebnis, die mittlerweile ganz h.M. (vgl. Fink, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 54 Abs. 1 GG, Rn. 6 f.; Nierhaus, in: Sachs, Art. 54 GG, Rn. 5; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, Art. 54 GG, Rn. 2; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 54 GG, Rn. 1; Domgörgen, in: Hömig/Wolff, Vor Art. 54 GG, Rn. 3; Stern, StaatsR II, S. 198; Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 24; Doehring, Der Staat 3 (1964), 201, 201 ff.; Gehrlein, DÖV 2007, 280, 283; Scheuner, Bundespräsident, S. 45; anders noch BVerfGE 114, 121, 159 – Bundestagsauflösung 2005, wo der Bundespräsident noch ausdrücklich als „pouvoir neutre“ bezeichnet wird). 225 So auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 90; vgl. auch Herdegen, ZaöRV 69 (2009), 257, 260. 226 Isensee, NJW 1994, 1329, 1329. 227 So aber Pernice, in: Dreier, 2. Aufl., Art. 54 GG, Rn. 10. 220

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Bagehot erläuterten drei Rechte eines (monarchischen) Souveräns – nämlich die Rechte, um Rat gefragt zu werden, zu ermutigen und zu warnen229 – in die Überlegungen mit ein, wird deutlich, welche Rolle das Oberhaupt eines Staates, der die Macht maßgeblich an das Parlament und die von ihm gestützte Regierung vergeben hat, einnehmen kann. Nach einer funktionalen Betrachtung des Bundespräsidenten, die überdies die Verfassungswirklichkeit berücksichtigt, ist dieser deshalb nicht gänzlich ohne „pouvoir“. Die vielschichtigen Möglichkeiten der Beeinflussung durch die „Macht des Wortes“ des Bundespräsidenten dürfen nicht vollkommen vernachlässigt werden. Man stelle sich nur die Situation vor, der Bundespräsident prangerte öffentlich die Bundesregierung an, weil sie ihrer Aufgabe der „Staatsleitung“230 nicht mehr nachkomme. Möchte die Regierung zumindest einen Teil ihrer Würde und ihres in der Bevölkerung bestehenden Respekts wahren, wird sie gezwungen sein, auf die Rüge des Bundespräsidenten zu reagieren. „Pouvoir“ muss also nicht zwingend in der Form „harter“ Befugnisse bestehen. Entscheidend dürfte es vielmehr darauf ankommen, dass der Inhaber der Gewalt sein Ziel erreichen kann. Dies ist im Fall des Bundespräsidenten möglich, hängt aber maßgeblich auch von der jeweils amtierenden Person und wohl auch von der Nachhaltigkeit der Störung des verfassungsmäßigen Ablaufs ab. Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben löst das Grundgesetz den Bundespräsidenten aus den übrigen Gewalten heraus. Der Bundespräsident ist weder Teil der Bundesregierung (Art. 55 Abs. 1 Alt. 1 GG) noch des Bundestags bzw. des Bundesrats (Art. 55 Abs. 1 Alt. 2 GG) noch der Rechtsprechung (Art. 55 Abs. 2 Alt. 1 GG). Er steht für sich und kann unabhängig agieren. Es begegnet deshalb keinen Bedenken, den Bundespräsidenten – auch nach dem Verständnis Constants – als „neutre“ zu bezeichnen. Er hat zumindest im Grundansatz die gleiche Funktion, wie sie Constant dem Monarchen zugeschrieben hat. Aus der Lehre zum „pouvoir neutre“ von Benjamin Constant kann mithin einiges für die Rolle des Bundespräsidenten fruchtbar gemacht werden.231 Immerhin findet sich der Ausdruck auch in den Materialien zum Grundgesetz.232 Gleichwohl ist das deutsche Staatsoberhaupt freilich keines in dem Verständnis Constants. Selbst wenn der 228

So aber Kilian, JuS 1988, L 33, L 34. Vgl. Bagehot, English Constitution, S. 103: „the right to be consulted, the right to encourage, the right to warn“. 230 Vgl. hierzu noch unter D. II. 1. b) (1). 231 So auch Cornils, in: FS Hufen, 151, 163; v. Münch/Mager, StaatsR I, Rn. 281; Stein, ZaöRV 69 (2009), 249, 252; Grauhan, JR 1965, 379, 380 f.; Seidel, Bundespräsident, S. 107; auch Maurer, DÖV 1966, 665, 666 sieht den Bundespräsidenten in der Tradition der Monarchen; kritisch Heun, in: Dreier, Art. 54 GG, Rn. 12; Küchenhoff, DÖV 1966, 675, 679. 232 So heißt es im Bericht über den Verfassungskonvent, S. 41: „Wenn die Mehrheit sich für die Institution des Bundespräsidenten ausgesprochen hat, so glaubt sie doch, dass der Bundespräsident auf keinen Fall die starke Position haben darf, die der Reichspräsident der Weimarer Verfassung gehabt hat. Sie hält es jedoch andererseits nicht für vertretbar, den Bundespräsidenten allein auf eine Wahrnehmung der mehr formalen Funktionen des Staatsoberhauptes zu beschränken. Mit dem Entwurf wird vielmehr der Vorschlag unterbreitet, den Bundespräsidenten als ein echtes pouvoir neutre in die Lage zu versetzen, eine ausgleichende Wirkung zwischen den verschiedenen Organen des Verfassungsaufbaus auszuüben.“ 229

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Bundespräsident faktisch großen Einfluss auf die Arbeit der Verfassungsorgane hat, kann er sie dennoch nicht zwangsweise durchsetzen. An der Funktion als unparteilicher Mittler im Verfassungsgefüge ändert dies allerdings wiederum nichts. (3) Der Bundespräsident als „Hüter der Verfassung“ Staatsorgane sind verpflichtet, sich selbst an die Verfassung zu halten, und aufgerufen, verfassungsfeindlichen Entwicklungen entgegenzutreten.233 In diesem Zusammenhang entwickelte Carl Schmitt den sog. „Hüter der Verfassung“.234 Schmitt erachtete es nicht für ausreichend, ein Verfassungsgericht einzurichten, da dieses immer nur reagieren, niemals aber präventiv tätig werden könne.235 Unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung sah er den Reichspräsidenten in der Rolle des „Hüters“, da „es in einem Gewalten-unterscheidenden Rechtsstaat folgerichtig [ist], keine der vorhandenen Gewalten nebenbei damit zu betrauen, weil sie sonst nur ein Übergewicht gegenüber den andern erhielte und sich selbst der Kontrolle entziehen könnte.“236 Ein zusätzlich mit der Verfassungswahrung betrautes Organ würde zum „Herrn der Verfassung“. Deshalb sei es notwendig, „eine besondere neutrale Gewalt neben die anderen Gewalten zu stellen und durch spezifische Befugnisse mit ihnen zu verbinden und auszubalancieren.“237 Aufgabe dieser zusätzlichen neutralen Gewalt sei es, sich im Fall des Konflikts zwischen Staatsorganen „auf die eine oder andere Seite der Balance“ zu stellen.238 Schmitt sieht den „Hüter der Verfassung“ als unabhängigen Schlichter, der zum einen „ehrlicher Makler“ sei, zum anderen aber auch den „Zwangsfrieden“ herbeiführen müsse.239 An dieser Umschreibung fallen die Parallelen zur Lehre des „pouvoir neutre“ nach Constant auf.240 Auch Schmitt verlangt eine Gewalt, die unabhängig von den anderen sein muss und auf diese Weise mittelnd zwischen den übrigen Gewalten auftreten kann. Im Unterschied zu Constant geht es Schmitt aber nicht um die Verwirklichung der königlichen Prärogativrechte, deren Einhaltung der Monarch als eigentlicher Inhaber dieser Rechte erzwingt,241 sondern um die Verteidigung der vom Volk gegebenen 233 Zum Schutz der Verfassung gibt es freilich weitere Vorkehrungen wie Art. 20 Abs. 4 oder Art. 79 Abs. 3 GG, die aber eher symbolischen als normativen Charakter haben (vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG, IX Rn. 6; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 GG, Rn. 339; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Art. 20 GG, Rn. 225; Isensee, WiderstandsR, S. 99; Scholz, NJW 1983, 705, 708). 234 Vgl. Schmitt, Hüter der Verfassung. 235 Vgl. Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 11. 236 Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 132. 237 Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 132. 238 Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 144. 239 Vgl. Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 147, 150. 240 Vgl. hierzu bereits unter D. I. 1. e) (2). 241 So aber bei Constant (vgl. auch Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 Abs. 1 GG, Rn. 7).

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Verfassung. Außerdem soll Schmitts „Hüter der Verfassung“ neben und nicht über den anderen Gewalten stehen. Im Grundsatz kann der Bundespräsident dieser „Hüter“ sein. Zwar wird er nicht wie der Reichspräsident vom Volk gewählt (Art. 41 Abs. 1 WRV), aber doch von einem Gremium, das ihm gegenüber den sonstigen politischen Akteuren auf Bundesebene Unabhängigkeit verschafft.242 Die Behauptung, der Bundespräsident könne als nur mittelbar vom Volk legitimiertes Organ im Gegensatz zum Reichspräsidenten nicht für sich in Anspruch nehmen, als unabhängige Institution in Erscheinung zu treten und für das Volk zu sprechen, ist deshalb unzutreffend.243 In einer repräsentativen Demokratie kommt es nicht auf die Länge der Legitimationskette an.244 Die nur indirekt-demokratische Wahl des Bundespräsidenten disqualifiziert diesen also nicht als neutrale und unabhängige Gewalt im Verständnis Schmitts.245 Das grundgesetzliche Gefüge stellt das Staatsoberhaupt vielmehr als von den übrigen Gewalten unabhängige Kraft heraus.246 Dies zeigt sich auch an der Vorschrift des Art. 55 Abs. 1 Alt. 2 GG. Die Inkompatibilitätsklausel des Art. 44 WRV, der sachlich der Regelung des Art. 55 Abs. 1 Alt. 2 GG entspricht, deutet Schmitt als „parteipolitische, aber nicht unpolitische Unabhängigkeit“ des Reichspräsidenten.247 Die Loslösung vom politischen Diskurs des Parlaments und den dort vertretenen Parteien bei gleichzeitiger Bejahung einer politischen Prägung des Amtes ist demzufolge zentrale Eigenschaft des „Hüters der Verfassung“, die der Bundespräsident ebenso wie sein Vorgänger aus der Weimarer Republik aufweist. Der Bundespräsident besitzt aber im Konfliktfall – dies hat bereits gegen seine Stellung als „pouvoir neutre“ gesprochen248 – keine Zwangsmittel, weswegen eine Stellung als „Hüter der Verfassung“ im 242

Dass die Bundesversammlung als einzige Aufgabe hat, den Bundespräsidenten zu kreieren (Art. 54 Abs. 1 S. 1 GG), unterstreicht nicht nur die besondere Wertschätzung, die man dem Amt entgegenbringen wollte (vgl. BVerfGE 136, 277, 311 ff. – Bundesversammlung), sondern auch seine Abstraktion vom politischen Prozess. Der Bundespräsident verfügt sogar über eine „doppelte“ Legitimationsbasis (vgl. Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 14). 243 So aber Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 GG, Rn. 9. 244 Andernfalls dürfte auch kein Gericht seine Urteile „Im Namen des Volkes“ fällen (vgl. etwa § 25 Abs. 4 BVerfGG). Dies aber widerspräche gerade dem Grundgedanken der mittelbaren Demokratie, wonach bei gleichem Legitimationsgrad wie in der direkten Demokratie eine größere Praktikabilität durch Organentscheidungen herbeigeführt wird (so auch Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 54 GG, Rn. 37; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, Art. 54 GG, Rn. 20; Heun, in: Dreier, Art. 54 GG, Rn. 28, der in der Folge aber etwas missverständlich behauptet, die Volkswahl würde dem Präsidenten eine größere politische Legitimation verschaffen; Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 29; vgl. zudem Maurer, DÖV 1966, 665, 670, der auch den Bundeskanzler – jedenfalls politisch – als ebenso stark legitimiert sieht wie die übrigen Verfassungsorgane). 245 Die Volkswahl ist nach Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 150, einer der zentralen Gründe im Reichspräsidenten eine neutrale Gewalt zu sehen. 246 Vgl. bereits zum „pouvoir neutre“ unter D. I. 1. e) (2). 247 Vgl. Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 156. 248 Vgl. unter D. I. 1. e) (2).

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Sinne der Lehre Schmitts ausscheidet.249 Anders als der Reichspräsident kann er beispielsweise nicht unabhängig vom Parlament gesetzesvertretende Notverordnungen erlassen (Art. 48 Abs. 2 WRV), denn im Verteidigungsfall geht die Legislativmacht gem. Art. 115e Abs. 1 GG höchstens auf den Gemeinsamen Ausschuss über. Der Bundeszwang wird gem. Art. 37 Abs. 1 GG von der Bundesregierung unter Beteiligung des Bundesrats durchgeführt, die Rechtsexekution stand hingegen dem Reichspräsidenten zu (Art. 48 Abs. 1 WRV). Der kompetenzträchtige „Hüter der Verfassung“ ist im Bundespräsidenten folglich nicht zu sehen. Ein „schlichtender Makler“ kann der Bundespräsident höchstens in verfassungsrealer Hinsicht sein, indem man seine faktischen Einflussmöglichkeiten auf die anderen Organe mit einbezieht. Gemeint hat Carl Schmitt einen derart verstandenen „Hüter der Verfassung“ aber nicht.250 Am ehesten wird man das Bundesverfassungsgericht als „Hüter der Verfassung“ sehen können.251 Da der Bundespräsident – vor allem bei der Ausfertigung der Bundesgesetze252 – immerhin auch materielle Kontrollrechte hat, kann man ihn als „Mit-Hüter“ bezeichnen.253 (4) Der Bundespräsident als „Kustos“ Auch wenn man im Bundespräsidenten keinen „pouvoir neutre“254 und keinen „Hüter der Verfassung“255 sehen kann, nimmt dieser doch eine Art „Wächterstellung“ ein, die als „Kustos“-Funktion umschrieben werden kann.256 Im Kern entfernt man sich durch eine solche Zweckbeschreibung nicht weit von Benjamin Constant und Carl Schmitt. Die „Kustos“-Funktion ist aber weiter und angepasst auf die in vielen Ländern vorherrschende parlamentarische Demokratie. Handlungsmaxime des Bundespräsidenten ist die Erhaltung der Verfassung samt ihrer darin zum Ausdruck kommenden Werte und die Sicherung der Funktionsfähigkeit des staatlich-politischen Apparats. In dieser Zielrichtung ist der Bundespräsident dem „Hüter der Verfassung“257 und dem „pouvoir neutre“ sehr ähnlich.258 Dabei kann er den von der 249 So auch die ganz h.M.; vgl. nur Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 GG, Rn. 9; Leisner, in: Sodan, Art. 54 GG, Rn. 2; a.A. noch Hamann/Lenz, Vor Art. 54 GG, S. 487. 250 Vgl. Scheuner, Bundespräsident, S. 45. 251 So auch Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 GG, Rn. 10; Stern, StaatsR II, S. 198; Weber-Fas, in: FS Duden, 685, 702 ff. 252 Vgl. hierzu unter D. I. 1. c) (2) (c) (ee). 253 So auch Nierhaus, in: Sachs, Art. 54 GG, Rn. 5; Nierhaus, Entscheidung, S. 45; v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, Art. 54 GG, Rn. 13; Menzel, DÖV 1965, 581, 590; Gehrlein, DÖV 2007, 280, 284 f.; im Ergebnis auch Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 46; a.A. Heun, in: Dreier, Art. 54 GG, Rn. 22, der auf die sonst völlige „Verwässerung“ des Konzepts verweist. 254 Vgl. unter D. I. 1. e) (2). 255 Vgl. unter D. I. 1. e) (3). 256 So zutreffend auch Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 38. 257 Vgl. insoweit Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 38, der einen Unterschied zum „Hüter der Verfassung“ darin sieht, dass der Bundespräsident den Prozess „unter der Verfassung“ schütze.

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Verfassung vorgegebenen Ordnungsrahmen nicht verlassen oder fortschreiben.259 Zur Erfüllung seiner Funktion sieht das Grundgesetz zahlreiche Befugnisse und Pflichten vor, die zugleich seine Rolle als Wächter belegen:260 So finden sich das Recht des Bundespräsidenten, - dem Bundestag einen Vorschlag für die Kanzlerwahl zu unterbreiten (Art. 63 Abs. 1 GG), - darüber zu entscheiden, ob er einen Minderheitskanzler ernennt oder den Bundestag auflöst (Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG), - den Bundestag nach gescheiterter Vertrauensfrage aufzulösen (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG), - den Kanzler und seine Minister bei Amtserledigung zur Fortführung der Geschäfte aufzufordern (Art. 69 Abs. 3 GG), - den Gesetzgebungsnotstand auszurufen (Art. 81 Abs. 1 GG) und - den Zusammentritt des Bundestags zu verlangen (Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG). In Extremfällen – wie dem des Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG – braucht es Mechanismen, die dafür sorgen, dass die Organe ihren Pflichten weiterhin nachkommen. Dies kann im Grundgesetz nicht schematisch geregelt werden, sondern bedarf der Einzelfallprüfung eines erfahrenen261 Menschen, der bei seiner Entscheidung keine Eigeninteressen verfolgt und sich nicht von fremden Erwägungen wie denen seiner politischen Partei leiten lässt. Nach dem Grundgesetz vermag dies nur der Bundespräsident zu leisten. Politische Leitentscheidungen wie die Auflösung des Bundestags und die Ausrufung des Gesetzgebungsnotstands dürfen insbesondere nicht vom Bundesverfassungsgericht getroffen werden, da es dann ein gefährliches Übergewicht gegenüber den anderen Gewalten erhalten würde. Neben der Sorge um die Aufrechterhaltung des verfassungsmäßigen Ablaufs politischer Leitentscheidungen obliegt es dem Bundespräsidenten aber auch, das Grundgesetz in materieller Hinsicht zu bewachen. Die Aufgaben der Legalitätsreserve262 dienen allesamt dem Zweck, eine zusätzliche Kontrolle zu ermöglichen. So erlaubt das Grundgesetz dem Bundespräsidenten beispielsweise, das Inkrafttreten offensichtlich materiell-verfassungswidriger Gesetze zu verhindern (Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG).263 Auf diese Weise schützt der Bundespräsident die Verfassung an entscheidenden Stellen und ist in der Lage, eklatante Fehlgänge frühzeitig zu unterbinden. Der Bundespräsident muss als „Kustos“ der Verfassung also die Funktionsfähigkeit und Fairness264 des verfas258 259 260 261 262 263 264

Vgl. Pernthaler, VVDStRL 25 (1967), 95, 139. Vgl. Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 40. Nach Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 38. Daher sieht Art. 54 Abs. 1 S. 2 GG auch ein Mindestalter vor. Vgl. unter D. I. 1. c) (2) (c). Vgl. hierzu näher unter D. I. 1. c) (2) (c) (ee). So auch Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 40.

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sungsmäßigen Prozesses sowie den Bestand des Grundgesetzes als solchen erhalten. Hierfür hat er eine von den übrigen Gewalten losgelöste Stellung im Verfassungsgefüge und kann als Repräsentant der Einheit der Bundesrepublik sowie Vertrauensstifter und damit auch Integrationsorgan wirken.265

2. Maßstab der Neutralitätspflicht des Bundespräsidenten An sich verpflichten bereits die parteipolitische Unvoreingenommenheit des Staates, die Notwendigkeit des Schutzes freier Wahlen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) sowie die Rechte politischer Parteien (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) den Bundespräsidenten zur Neutralität.266 Seine soeben dargestellten Aufgaben und Funktionen deuten – entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts267 – nicht auf eine Absenkung, sondern auf eine Bekräftigung dieses strikten Neutralitätsmaßstabs hin. a) Konsequenzen aus der funktionalen Stellung Die ihm zukommende „Kustos“-Funktion268 spricht für die Pflicht des Bundespräsidenten zu parteipolitischer Neutralität. Sämtliche Befugnisse, die das Grundgesetz dem Staatsoberhaupt zuweist, sind unabhängig von parteipolitischen Ansichten und immer mit dem Blick auf das Gemeinwohl auszuüben (vgl. im Folgenden unter (1)). Auch das Verfahren seiner Wahl (vgl. im Folgenden unter (2)), die Voraussetzungen der Präsidentenanklage nach Art. 61 GG (vgl. im Folgenden unter (3)) sowie das besondere moralische Vertrauen, das die Bevölkerung dem Präsidenten entgegenbringt (vgl. im Folgenden unter (4)), legen eine Pflicht zur parteipolitischen Neutralität nahe. (1) Verfassungsmäßige Aufgaben und Funktionen Bundespräsident Gustav Heinemann hat seinen Auftrag vornehmlich darin gesehen, „Überbrückungen zu schaffen zwischen den Streitern in der unmittelbaren politischen Arena“ und sich dem Volk als jemand darzustellen, „der gewählt ist, […] über die Parteigrenzen hinweg […] eine Aussage zu machen zu dem, was die Menschen bewegt“.269 Diese knappe Aufgabenbeschreibung deckt sich mit den 265 266 267 268 269

S. 99.

Vgl. hierzu bereits unter D. I. 1. e) (3). Vgl. dazu bereits unter C. Vgl. BVerfGE 136, 323, 331 ff. – Spinner. Vgl. unter D. I. 1. e) (4). Heinemann im Interview mit Gaus vom 03. 11. 1968, in: Heinemann/Gaus, Plädoyer,

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Ergebnissen zur Rolle und Funktion des Bundespräsidenten im deutschen Verfassungsgefüge.270 Der Präsident hat auf notwendige Bewusstseinsveränderungen in der Gesellschaft hinzuwirken und ist insofern aktiv-gestaltender Teil des Verfassungslebens.271 Geht es hingegen um konkrete Sachfragen, obliegt die Entscheidung hierüber vornehmlich Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben muss der Bundespräsident parteipolitische Neutralität üben.272 Der Bundespräsident strahlt durch seine Wahl auf fünf Jahre (Art. 54 Abs. 2 S. 1 GG),273 die nur restriktive Abberufungsmöglichkeit (Art. 61 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 GG)274 und seine Unabhängigkeit von wechselnden Parlamentsmehrheiten275 ein hohes Maß an Kontinuität aus. Darüber hinaus zeigt auch die Art seiner Befugnisse (Legalitätsreserve, Repräsentation und Integration), dass mit ihm eine parteipolitisch neutrale Instanz geschaffen werden sollte.276 Bei seinen politischen Leitentscheidungen277 (Art. 63 Abs. 1, 4 S. 3, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG sowie § 16 S. 1 BWG) hat der Bundespräsident das Staatsganze im Blick und darf nicht nach dem Interesse bestimmter politischer Parteien entscheiden. Die Ernennung des Bundeskanzlers, die Entscheidung über die Auflösung des Bundestags, die Ausrufung des Gesetzgebungsnotstands und die Bestimmung des Wahltermins für den Bundestag erfolgen allesamt – im Rahmen der „Kustos“-Funktion278 – zur Aufrechterhaltung des vom Grundgesetz vorgeschriebenen Systems. Der Bundespräsident stellt mithin die politische Handlungsfähigkeit des Staates in seiner Gesamtheit sicher. Gleichzeitig sind die politischen Leitentscheidungen des Bundespräsidenten keine „Kampfansage an die hinter dem Gewählten stehenden politischen 270

Vgl. unter D. I. 1. c) und e). Vgl. auch Mehlhorn, Bundespräsident, S. 55. 272 So im Ergebnis auch Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 6; Maurer, DÖV 1966, 665, 672 und 675; Heun, AöR 109 (1984), 13, 18; Stern, StaatsR II, S. 218 f., der besonders betont, dass der Bundespräsident Staatsoberhaupt des ganzen Volks sei und Parteiveranstaltungen deshalb zu meiden habe; Mehlhorn, Bundespräsident, S. 69 und 255, der die Neutralität auf S. 51 zudem als „Preis der wirksamen Integration“ beschreibt; vgl. auch Gehrlein, DÖV 2007, 280, 284, der den Bundespräsidenten im Gegensatz zu anderen Verfassungsorganen als dem Neutralitätsgebot in besonderem Maße unterworfen ansieht; Heun, Verfassungsordnung, S. 161, spricht hingegen nur von einer „gewissen Neutralität im parteipolitischen Streit“. 273 Die Bundestagsabgeordneten werden gem. Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG auf vier Jahre gewählt. Parallel bestimmt sich die Amtszeit des Bundeskanzlers und der Bundesminister (Art. 69 Abs. 2 Alt. 1 GG). 274 Anders ist dies etwa beim Bundeskanzler (und damit gem. Art. 69 Abs. 2 Alt. 2 GG auch bei den Bundesministern), der auch durch Misstrauensvotum gem. Art. 67 Abs. 1 GG und die Niederlage bei einer Vertrauensfrage gem. Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG sein Amt verlieren kann. 275 Von diesen sind aber wegen Art. 67 Abs. 1, 68 Abs. 1 S. 1, 69 Abs. 2 GG insbesondere die Mitglieder der Bundesregierung abhängig. 276 Ähnlich Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 158 für den Reichspräsidenten; vgl. auch Cornils, in: FS Hufen, 151, 161. 277 Vgl. unter D. I. 1. c) (2) (a). 278 Vgl. unter D. I. 1. e) (4). 271

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Gruppen“279. Auch bei der Entscheidung für eine Auflösung des Bundestags handelt der Präsident parteipolitisch neutral, wenn er sich nicht – verfassungswidrig – von parteipolitischem Kalkül leiten lässt. Der Umstand allein, dass eine Maßnahme zu Nachteilen für bestimmte Parteien führt, ändert hieran nichts, sondern ist vielmehr bloßer Reflex der Amtshandlung. Die Aufgaben der Legalitätsreserve280 erfordern ebenfalls die Loslösung von parteipolitischen Zielsetzungen. Insbesondere die Ernennung von Beamten und Richtern nach Art. 60 Abs. 1 GG sowie der Bundesverfassungsrichter nach § 10 BVerfGG darf nicht parteipolitisch geprägt sein, weil sich auch die Ernannten nicht politisch zeigen dürfen (Art. 97 Abs. 1 GG, § 60 Abs. 1 S. 1, 2 BBG, § 33 Abs. 1 S. 1, 2 BeamtStG). Wenn aber schon die ernannten Beamten dem ganzen Volk und nicht einer Partei verpflichtet bzw. die Richter unabhängig sind, muss der Vorgang der Ernennung erst recht frei von parteipolitischen Erwägungen sein. Der Ernennende darf an den Ernannten gerade keine politischen Erwartungen haben, da der Ernannte politisch motivierte Handlungen nicht rechtmäßig vornehmen kann. Auch bei den übrigen Aufgaben der Legalitätsreserve stellt der Bundespräsident im Sinne des Gemeinwohls sicher, dass die rechtlichen Vorgaben – etwa beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge (Art. 59 Abs. 1 S. 2 GG) oder bei der Ernennung von Bundesministern (Art. 64 Abs. 1 GG) – eingehalten worden sind. Eine Ablehnung der von ihm vorzunehmenden Handlung aus politischen Opportunitätsgründen ist ihm stets verwehrt. Wenn der Bundespräsident nach dem Grundgesetz beurkundend tätig wird,281 ist er unabhängiger Amtswalter und – ähnlich einem an § 60 Abs. 1 S. 1, 2 BBG, § 33 Abs. 1 S. 1, 2 BeamtStG gebundenen Beamten – zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet. Der Bundespräsident kann bei der Festlegung der Staatssymbole282 ebenfalls keine parteipolitischen Ansichten berücksichtigen. Denn Bundesflagge, -hymne und -siegel dienen der Sicherung der Einheit und des Zusammenhalts des Gemeinwesens.283 Auch die Aufgabe der Repräsentation284 verlangt im Grundsatz seine strenge parteipolitische Neutralität. Der Bundespräsident verkörpert den gesamten Staat nach innen und außen (Art. 59 Abs. 1 S. 1 GG). Zu diesem Gemeinwesen gehören neben den Staatsorganen und sämtlichen Bürgern insbesondere auch die politischen Parteien. Sie alle sind Teil der Gesellschaft und des Willensbildungsprozesses (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG). Vor allem aber begründet die Integrationsaufgabe des Bundespräsidenten285 dessen parteipolitische Neutralität. Nimmt man eine Zweiteilung staatspolitischer Macht in auctoritas („Macht durch Ansehen“) und potestas

279 280 281 282 283 284 285

So aber Knöpfle, DVBl. 1966, 713, 719. Vgl. unter D. I. 1. c) (2) (c). Vgl. unter D. I. 1. c) (2) (d). Vgl. unter D. I. 1. c) (3) (c). Vgl. BVerfGE 81, 278, 293 (Bundesflagge); Krüdewagen, Selbstdarstellung, S. 36 ff. Vgl. unter D. I. 1. c) (3) (a). Vgl. unter D. I. 1. c) (3) (b).

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(„Macht durch Gewalt“) vor,286 steht dem Bundespräsidenten die auctoritas zu.287 Demnach lässt sich die Rolle des Staatsoberhaupts des Grundgesetzes dahingehend beschreiben, „daß das Staatsoberhaupt über die ihm zugewiesenen Zuständigkeiten hinaus die Kontinuität und Permanenz der staatlichen Einheit und ihres einheitlichen Funktionierens darstellt, und daß es aus Gründen der Kontinuität, des moralischen Ansehens und allgemeinen Vertrauens eine besondere Art von Autorität haben muß, die ebensogut zum Leben jedes Staates gehört wie die täglich aktiv werdende Macht und Befehlsgewalt.“288

Indem der Bundespräsident staatliche Einheit sichtbar werden lässt, vermag er als Integrationsfigur glaubhaft in Erscheinung zu treten. Eine Integration der Bürger und der in der Gesellschaft vorhandenen Gruppierungen in das Staatsganze setzt Identifikation mit dem Gemeinwesen voraus. Dieser Vorgang zielt auf die Einbeziehung aller Strömungen und den Zusammenhalt auf der Basis gemeinsamer Grundwerte, die ihren Ursprung im Grundgesetz haben. Hierfür muss der Bundespräsident parteipolitisch neutral in dem Sinne sein, dass er sich nicht mit politischen Parteien identifiziert oder sich negativ über diese äußert. Nur wenn sich das Staatsoberhaupt grundsätzlich offen für alle Gruppierungen zeigt, kann es auch eine Integration derselben erwarten.289 Die mit der „Kustos“-Funktion umschriebenen Aufgaben des Bundespräsidenten verlangen von ihm demzufolge eine strenge parteipolitische Neutralität. Entweder ist es ihm – wie im Falle der geregelten Befugnisse – bereits tatbestandlich nicht gestattet, seine parteipolitische Meinung durchblicken zu lassen, oder er könnte – wie bei der Repräsentation und Integration – seiner Aufgabe faktisch nicht mehr nachkommen. Der Bundespräsident ist der „ruhende Pol“ in der Verfassung, der nicht Teil des politischen Streits zwischen Regierung und parlamentarischer wie außerparlamentarischer Opposition ist. Er verkörpert das Staatsganze in seiner Kontinuität und Ausgeglichenheit. Dabei tritt er als wahrender Mittler zwischen den Staatsorganen (z. B. Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG)290 sowie zwischen Staat und Gesellschaft (z. B. durch integrierende Reden) in Erscheinung. Die parteipolitische Unvoreingenommenheit stellt sich als notwendige Bedingung für die verfassungskonforme Wahrnehmung dieser Aufgaben dar.

286

So etwa Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 135; vgl. auch Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 47. 287 Vgl. Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 650; Pflüger, in: FS Bracher, 383, 389. 288 Für den Reichspräsidenten, aber insofern auch auf den Bundespräsidenten passend Schmitt, Hüter der Verfassung, S. 136. 289 Vgl. auch Mehlhorn, Bundespräsident, S. 51. 290 Vgl. hierzu bereits unter D. I. 1. c) (2) (a) (aa).

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(2) Wahlverfahren Die Entscheidung des Parlamentarischen Rats für die Wahl des Präsidenten durch die Bundesversammlung (Art. 54 GG) begründet einen weiteren Anhaltspunkt für die von der Verfassung verlangte parteipolitische Neutralität des Staatsoberhaupts. Zwar hat die Wahl des Bundespräsidenten große politische Brisanz,291 die Einbeziehung der Landesebene führt aber unter anderem zur Loslösung von den parteipolitisch geprägten Verhältnissen auf Bundesebene. Den Parteien fällt es so durchaus schwerer, ihre Mehrheiten zu organisieren – vor allem wenn wie in Bayern mit den Freien Wählern eine Gruppierung im Landtag mit nicht vernachlässigbarem Stimmanteil vertreten ist, die auf Bundesebene keine Rolle spielt.292 Es bedarf ggf. der Aufstellung von Kandidaten, die für weitaus mehr Parteien als die der Koalitionsregierung auf Bundesebene wählbar erscheinen.293 Das Grundgesetz stellt die Wahl des Bundespräsidenten so auf eine äußerst tragfähige Basis.294 Folglich lässt sich aus der Art der Legitimation des Bundespräsidenten die verfassungsrechtliche Intention ableiten, dass dieser keine – jedenfalls keine dem Regierungschef vergleichbare – parteipolitische Bindung haben soll. Die Bundesversammlung verkörpert vielmehr den Föderalismus und kreiert so in parteiübergreifendem Konsens den die Integrations- und Repräsentationsfunktion innehabenden Bundespräsidenten. (3) Voraussetzungen der Präsidentenanklage nach Art. 61 GG Die Gesamtschau der verfassungsrechtlichen Befugnisse und Funktionen des Bundespräsidenten legt das Erfordernis einer strikten parteipolitischen Neutralität nahe. Dennoch gewährt das Bundesverfassungsgericht295 dem Präsidenten im Ergebnis einen weitaus größeren Spielraum hinsichtlich seiner Äußerungsbefugnisse als beispielsweise der Bundesregierung. Nach Auffassung des Gerichts sei es „ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei ge291

Vgl. bereits unter D. I. 1. b) (1) (a). So haben z. B. bei der Bundestagswahl 2013 die Freien Wähler in Bayern einen Anteil von 2,7 Prozent der Zweitstimmen erzielt (Übersicht über die Ergebnisse der Bundestagswahlen in Bayern, in: Internetauftritt des Bayerischen Landesamts für Statistik, unter: http:// www.wahlen.bayern.de/bundestagswahlen/, abgerufen am 26. 01. 2016). Bei den nur eine Woche zuvor abgehaltenen Landtagswahlen in Bayern kamen die Freien Wähler hingegen auf 9,0 Prozent (Übersicht über die Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern, in: Internetauftritt des Bayerischen Landesamts für Statistik, unter: http://www.wahlen.bayern.de/landtagswahle n/index.php, abgerufen am 26. 01. 2016). 293 Die Bundesversammlung hat mindestens 1.196 Mitglieder: Der Deutsche Bundestag hat nach Art. 38 Abs. 3 GG i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 BWG 598 Abgeordnete. Die Bundesversammlung besteht aus diesen Abgeordneten und einer gleich großen Zahl an Personen, die von den Landesparlamenten entsandt werden (Art. 54 Abs. 3 GG). 294 Vgl. Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 GG, Rn. 2. 295 Vgl. BVerfGE 136, 323, 323 ff. – Spinner. 292

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richtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat“.296 Vorausgesetzt man überprüft Aussagen des Bundespräsidenten überhaupt auf ihre Verfassungskonformität, wozu Art. 19 Abs. 4 GG das Bundesverfassungsgericht verpflichtet, ist dies der niedrigste nur vorstellbare Maßstab. Eine Evidenzkontrolle, wie sie das Verfassungsgericht vornehmen möchte, wird praktisch nie zur Verfassungswidrigkeit der in Streit stehenden Äußerung führen. Der Bundespräsident müsste so deutlich gegen eine Partei vorgehen, dass auch die Schwelle zur vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes sowie der §§ 185 ff. StGB als Voraussetzungen einer Präsidentenanklage erreicht sein dürfte (Art. 61 Abs. 1 S. 1 GG). Art. 61 GG ist Ausdruck einer Verfassungstradition, nach der bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen die Möglichkeit der Abberufung des Staatsoberhaupts gegeben sein muss.297 Indem das Bundesverfassungsgericht lediglich bei Äußerungen einschreiten möchte, die den Amtspflichten des Präsidenten in evidenter Weise zuwiderlaufen, beschränkt es die Überprüfung auf die Extremfälle, die von Art. 61 GG erfasst sind. Eine derart enge Sichtweise lässt sich mit den Rechten der Parteien aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG sowie aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbaren und vernachlässigt allzu sehr die Notwendigkeit des Schutzes freier Wahlen im Sinne des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG. Der Ausnahmecharakter des Art. 61 GG298 legt vielmehr nahe, dass auch unterhalb der Schwelle von vorsätzlichen Verstößen gegen die Verfassung oder gegen ein anderes Bundesgesetz ein verfassungswidriger Eingriff des Bundespräsidenten in die politische Willensbildung des Volkes und den Wettbewerb der Parteien möglich ist. Der vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Maßstab ist damit in jedem Fall zu großzügig. (4) Moralisches Vertrauen in den Bundespräsidenten Dem Staatsoberhaupt wird gemeinhin großer Respekt entgegengebracht.299 Besonders Joachim Gauck ist oft mit der Begründung als geeigneter Kandidat für das Präsidentenamt qualifiziert worden, dass er kein Parteipolitiker, dafür aber „authentisch“, „glaubwürdig“ und „von starker Persönlichkeit“ sei.300 Hieraus wird schon deutlich, welche Stellung der Bundespräsident in der öffentlichen Wahrnehmung hat. Indem er an geeigneter Stelle an die Grundwerte der deutschen Verfassung erinnert und offen für die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Strömungen eintritt, wirkt er in vielen Fällen als das „Gewissen“ der Bundesrepublik.301 Hierfür werden 296

Vgl. BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 61 GG, Rn. 2. 298 Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 61 GG, Rn. 1; Domgörgen, in: Hömig/Wolff, Art. 61 GG, Rn. 1. 299 So auch Kaltefleiter, Funktionen, S. 58; ähnlich auch Hesse, Grundzüge des VerfassungsR, Rn. 535. 300 Zitiert nach Pieper, in: Epping/Hillgruber, Art. 54 GG, Rn. 15.1. 301 Vgl. bereits unter D. I. 1. c) (3) (b) (cc). 297

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ihm – wohl etwas mehr als anderen Staatsvertretern – persönliche Integrität und Zurückhaltung abverlangt. Dies hat das Ende der Präsidentschaft Christian Wulffs eindrucksvoll gezeigt. Obwohl die gegen Wulff erhobenen Vorwürfe Fehltritte vor der Amtsübernahme betroffen und letztendlich keine strafbaren Handlungen dargestellt haben,302 ist der öffentliche Druck auf den Präsidenten zu groß geworden, um im Amt bleiben zu können, ohne dieses dabei zu beschädigen. Man hat Wulff seine Glaubwürdigkeit abgesprochen.303 Auf ein Amt, das sich maßgeblich auf die ethische Mittlerrolle seines Inhabers stützt, kann dies negative Auswirkungen zeitigen. Die Bevölkerung bringt dem Bundespräsidenten als außerhalb des tagespolitischen Betriebs stehendem Organ ein höheres Maß an Vertrauen entgegen als etwa dem Bundestag oder der Bundesregierung.304 Dieses erwächst vor allem aus der Vorstellung, der Bundespräsident verfolge keine unmittelbaren Eigeninteressen305 und diene als moralische Richtschnur für politisches Handeln. Dass das Vertrauen auch gerechtfertigt ist, demonstriert beispielsweise die öffentlichkeitswirksame (vorläufige) Weigerung Horst Köhlers, das Luftsicherheitsgesetz gem. Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG auszufertigen.306 Der Präsident äußerte rechtliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG, der den Abschuss eines Flugzeugs als Ultima Ratio für den Fall zugelassen hat, dass es gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollte. Seine juristischen Vorbehalte fußten maßgeblich in ethischen, zumal die Frage nach der Zulässigkeit eines Flugzeugabschusses bei drohendem Terroranschlag kaum anhand valider rechtlicher Kriterien überprüft werden kann.307 Der Bundespräsident fertigte das Gesetz letztlich aus, mahnte aber eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht an. Dieses erklärte die Norm später gem. § 95 Abs. 3 S. 1 BVerfGG für nichtig.308 Parteiverbundene Wertvorstellungen werden bereits von Parlaments- und Regierungsmitgliedern verbreitet und haben gerade nicht die Vermutung einer Allgemeingültigkeit für sich – im Gegenteil: Die von den Parteien vertretenen Ansichten unterliegen dem politischen Wettbewerb und müssen vom Volk erst auf ihre Überzeugungskraft hin überprüft werden. Der Bundespräsident hingegen – dies folgt aus seiner Integrations302

Vgl. etwa FAZ Online vom 27. 02. 2014, unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/korrup tionsprozess-wulff-erleichtert-ueber-freispruch-1282 3379.html (abgerufen am 20. 06. 2016). 303 Vgl. etwa das Titelblatt des Spiegel (Ausgabe 51/2011): „Der Falsche Präsident“, abrufbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-83180796.html (abgerufen am 20. 06. 2016). 304 So haben in einer repräsentativen Umfrage des Forsa-Instituts im Januar 2016 68 Prozent der Befragten angegeben, Vertrauen zum Bundespräsidenten zu haben. Bei Bundesregierung und Bundestag haben dies jeweils nur 44 Prozent bejaht (vgl. Stern Online vom 17. 02. 2016, unter: http://www.stern.de/politik/deutschland/deutsche-vertrauen-eigenem-arbeitgeber-univer sitaeten-und-aerzten-umfrage-fuer-den-stern-6701676.html (abgerufen am 24. 07. 2016)). 305 So auch Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 645. 306 Vgl. Butzer, in: Maunz/Dürig, Art. 82 GG, Rn. 155, Fn. 1. 307 Vgl. auch die Pressemitteilung des Bundespräsidenten vom 12. 01. 2005, unter: http:// www.bundespraesident.de/DE/Amt-und-Aufgaben/Wirken-im-Inland/Amtliche-Funktionen/ Entscheidung-Januar-2005.html (abgerufen am 20. 06. 2016). 308 Vgl. BVerfGE 115, 118 – Luftsicherheitsgesetz.

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und Repräsentationsfunktion sowie aus seiner Rolle als „Kustos“ – soll Ideen formulieren, die über der parteipolitischen Auseinandersetzung stehen und seinem eigenen moralischen Empfinden entspringen. Deswegen werden an die Person des Amtsinhabers, wie der Fall von Christian Wulff zeigt, sehr hohe Anforderungen gestellt. Denn nur wenn der jeweilige Amtsinhaber fest mit Grundwerten verbunden ist, kann er solche auch für die Bevölkerung anmahnen. Das besondere moralische Vertrauen, das die Bevölkerung dem Bundespräsidenten entgegenbringt, erfordert infolgedessen auch seine parteipolitische Neutralität. b) Keine Absenkung des Maßstabs Auf eine Absenkung des strengen Maßstabs der den Bundespräsidenten treffenden Neutralitätspflicht deutet nichts hin. Nach zutreffender Auffassung des Bundesverfassungsgerichts befindet sich der Bundespräsident zwar weder „mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses, noch stehen ihm Mittel zur Verfügung, die es ihm wie etwa der Bundesregierung ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken.“309 Diese Aspekte sprechen aber – ebenso wie die starke Prägung des Amtes durch den jeweiligen Inhaber – nicht für eine weniger strikte Neutralitätspflicht des Bundespräsidenten. (1) Fehlender Wettbewerb mit politischen Parteien Der Bundespräsident steht nicht mit den Parteien im Wettbewerb. Dem Amtsverständnis des Bundespräsidenten entspricht es, integrierend gegenüber allen Strömungen und Gruppierungen zu wirken. Der Rolle des Staatsoberhaupts ist es – gerade weil es nicht in Konkurrenz zu den Parteien steht – damit nicht immanent, sich mit Parteien auseinanderzusetzen. Dieser Umstand rechtfertigt es aber nicht, den Bundespräsidenten einer weniger strengen Neutralitätspflicht zu unterwerfen.310 Auch das Bundesverfassungsgericht darf keine Wahlwerbung betreiben und sich nicht wertend über Parteien äußern, obwohl es sich mindestens ebenso wenig mit den Parteien im Wettbewerb befindet wie der Bundespräsident. Die Aussagen des Bundespräsidenten oder anderer Staatsorgane haben nicht minder schweres Gewicht wie die Stellungnahmen von Mitgliedern der Bundesregierung. Bei Letzteren wird man – eher im Gegenteil – in der öffentlichen Wahrnehmung noch annehmen können, dass die betreffende Äußerung mit rein parteipolitischer Motivation erfolgt ist. Eine solche kann die jeweilige Partei damit unter Umständen weniger stark belasten als die Aussage des sich ansonsten zurückhaltenden Staatsoberhaupts. Mischt sich der Präsident in die Parteienlandschaft ein und bezieht zu einer Partei wertend Stellung, wird diesem außergewöhnlichen Akt weit mehr Aufmerksamkeit 309 310

Vgl. BVerfGE 136, 323, 334 – Spinner. So aber BVerfGE 136, 323, 334 – Spinner.

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geschenkt, als wenn sich ein Regierungsmitglied über eine Oppositionspartei äußert. Die größere Distanz des Bundespräsidenten zu den Parteien begründet mithin keine Absenkung des Neutralitätsmaßstabs. (2) Geringe Mittelausstattung Ähnlich verhält es sich mit der geringeren Mittelausstattung des Bundespräsidenten. Der Haushaltsplan des Bundes sieht zwar für den Bundespräsidenten und das Bundespräsidialamt bei weitem nicht so hohe Ausgaben wie für die Bundesregierung vor.311 Daraus lässt sich aber nichts für seine Neutralitätspflicht gegenüber politischen Parteien herleiten.312 Allein der Umstand, dass sein Amt eine geringere finanzielle Ausstattung für Öffentlichkeitsarbeit erhält, gibt ihm nicht weniger oder mehr Rechte gegenüber Parteien. Man wird nicht einmal den Schluss ziehen können, dass der Bundespräsident wegen geringerer Mittel faktisch zu weniger öffentlichen Äußerungen neigt, die die Parteien beeinträchtigen könnten. Für Äußerungen in Zeitungsinterviews und Talkshows etwa bräuchte der Bundespräsident kein Budget. Zwar sind von ihm – anders als etwa teilweise von der Bundesregierung313 – keine Anzeigenkampagnen zu seinen Gunsten oder gegen Oppositionsparteien zu erwarten, für die es in der Tat erheblicher finanzieller Rücklagen bedürfte. Gerade der Bundespräsident vermag aber durch pointierte Reden die Haltung der Bürger zu bestimmten gesellschaftlichen Fragestellungen zu verändern und so in den Betätigungskreis der politischen Parteien hineinzuwirken. Auch das Kriterium der Mittelausstattung kann infolgedessen nicht herangezogen werden, um eine Sonderstellung des Bundespräsidenten im Hinblick auf die parteipolitische Neutralitätspflicht zu begründen. (3) Prägung des Amtes durch die Person Die Verfassung sieht für das Präsidentenamt kaum normative Beschränkungen vor, weswegen dieses wesentlich von der Ausfüllung durch den jeweiligen Inhaber abhängt.314 Auf diese Weise hat das Grundgesetz den Weg frei gemacht für eine Verfassungstradition mit gewissen Erwartungen an die Art der Ausübung des Amtes, ohne dass diese sich jedoch zu einem Verfassungsgewohnheitsrecht verdichtet hätte.315 Die Verhaltensweisen der Vorgänger binden den jeweils amtierenden 311 Vgl. etwa den Haushaltsplan für 2016: Auf den Bundespräsidenten und sein Amt entfallen 34,32 Millionen Euro, auf die Bundesregierung hingegen 275,6 Milliarden Euro von insgesamt 316,9 Milliarden Euro an Ausgaben (vgl. Anlage, Teil I, zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) vom 21. 12. 2015, BGBl. I, S. 2378). 312 Anders aber BVerfGE 136, 323, 334 – Spinner. 313 Vgl. hierzu BVerfGE 44, 125, 127 f. – Öffentlichkeitsarbeit. 314 Vgl. Doehring, Der Staat 3 (1964), 201, 210 sowie bereits unter D. I. 1. d). 315 So zutreffend auch Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 22.

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Bundespräsidenten daher nicht.316 Ob eine Tradition dahingehend besteht, dass sich der Bundespräsident gegenüber politischen Parteien zurückhält, ist gleichgültig. Denn es geht auf beiden Seiten um justiziable Rechte bzw. Pflichten – um das Grundrecht der Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG und die Neutralitätspflicht des Bundespräsidenten, die aus seiner gesamten verfassungsrechtlichen Stellung folgt. Die Neutralitätspflicht des Bundespräsidenten stellt keine bloße Erwartung der Verfassung, sondern eine Rechtspflicht dar, die der Präsident gem. Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG zu wahren hat.317 Hiervon ist das Bundesverfassungsgericht im Übrigen selbst noch ohne Weiteres ausgegangen, als es festgestellt hat, dass sein damaliger Präsident Roman Herzog trotz dessen Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten weiterhin die für das Richteramt nötige parteipolitische Unabhängigkeit aufweise.318 Zwar sieht das Grundgesetz für den Bundespräsidenten keine Norm zur Neutralitätspflicht vor. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass es den Bundespräsidenten in seinem Umgang mit den Parteien – bis zur Grenze der im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 GG als „Schmähkritik“319 bezeichneten Äußerungen – von allen Beschränkungen befreit.320 Derart weite Handlungsspielräume billigt ihm die Verfassung auch bei seinen übrigen Aufgaben nicht zu.321 c) Inkohärenzen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht möchte – entgegen den diesseitigen Befunden – die Aussagen des Bundespräsidenten nur einer Willkürkontrolle dahingehend unterziehen, ob der Präsident „unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion […] Partei ergriffen hat.“322 Die parteipolitische Neutralität stelle für ihn lediglich ein „Leitbild“ dar.323 Diese Sichtweise verträgt sich zum einen nicht mit der 316

Diesbezüglich noch zutreffend BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. A.A. BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. 318 Vgl. BVerfGE 89, 359, 362 f. – Befangenheit des Richters Herzog. 319 Vgl. BVerfGE 93, 266, 294 – Soldaten sind Mörder. 320 So aber BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. 321 Vgl. Cornils, in: FS Hufen, 151, 155 f. 322 BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1020 meint hingegen, dass das Bundesverfassungsgericht wegen dessen Verweises auf BVerfGE 124, 300, 330 f. – Wunsiedel den Bundespräsidenten nur im Hinblick auf sein Recht, die historische Singularität des NS-Terrors in den Parteienwettbewerb einzubringen, einer bloßen Willkürkontrolle unterziehen und ihm damit eine Sonderrolle zukommen lassen möchte. Dies findet im Wortlaut der Entscheidung freilich keinen Rückhalt und verträgt sich auch nicht damit, dass das Gericht in der „Schwesig“-Entscheidung ebenfalls auf ein besonderes Recht der Bundesregierung zum Umgang mit extremistischen Parteien Bezug nimmt, in der Folge aber einen sehr strengen Neutralitätsmaßstab annimmt (vgl. BVerfGE 138, 102, 116 – Schwesig). 323 BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. 317

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grundgesetzlichen Stellung des Bundespräsidenten,324 zum anderen steht sie auch in Widerspruch zur eigenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. (1) Inkohärenzen in der „Spinner“-Entscheidung Dass der Bundespräsident „integrierend nur wirken [kann], wenn es ihm freisteht, nicht nur die Risiken und Gefahren für das Gemeinwohl, sondern auch mögliche Ursachen und Verursacher zu benennen“,325 ist im Ansatz richtig. Die Verfassung verbietet es dem Bundespräsidenten prinzipiell nicht, auch gezielt Störer der gesellschaftlichen Gemeinschaft und Einheit zu benennen. In vielen Situationen wird es darüber hinaus gar nicht vermeidbar sein, neben dem Problem auch dessen Urheber anzusprechen, weil entweder die Bevölkerung diesen ohnehin kennt oder ohne dessen Nennung der Inhalt der Kritik schlichtweg nicht zurechenbar und verständlich wäre. Der Bundespräsident kann die Themen seiner Äußerungen sowie die Art der Kommunikation grundsätzlich frei wählen.326 Insbesondere darf er auch überspitzt formulieren,327 um seinen Ansichten effektives Gehör zu verschaffen. Ferner gibt es keinen – etwa vom Bundesverfassungsgericht – vorgegebenen Katalog an Aussagen, den der Bundespräsident verwenden darf. Zieht man hieraus aber den Schluss, dass die Verfassung den Bundespräsidenten im Hinblick auf seine Äußerungsmöglichkeiten von allen Beschränkungen befreit, vernachlässigt man die Rechte der Parteien aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG und die Bedeutung der Institution freier Wahlen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Darüber hinaus kann die einzige verfassungsrechtliche Grenze nicht erst bei strafrechtlich relevanten (§§ 185 ff. StGB) oder der – aus anderen Zusammenhängen bekannten – „Schmähkritik“328 unterfallenden Aussagen gezogen werden.329 Das Bundesverfassungsgericht darf sich nicht seiner aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Verantwortung entziehen, die Äußerungen von Staatsorganen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen.330 Vollkommen losgelöst von verfassungsmäßigen Beschränkungen ist der Bundespräsident unterhalb der Schwelle des Strafrechts nämlich nicht.331 Derjenige, dessen Amt nicht zur demokratischen Disposition steht und der sich auch selbst keiner Wiederwahl stellen muss – also etwa der Monarch –, 324

Vgl. dazu soeben unter D. I. 2. a) und b). BVerfGE 136, 323, 335 – Spinner. 326 Vgl. BVerfGE 136, 323, 332 – Spinner. 327 So zutreffend auch BVerfGE 136, 323, 335 – Spinner. 328 Vgl. BVerfGE 93, 266, 294 – Soldaten sind Mörder m.w.N. 329 So aber BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. 330 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19 GG, Rn. 32 f.; vgl. auch Hillgruber, JA 2014, 796, 798, der von einem „Kontrollausfall“ spricht. 331 So aber im Ergebnis BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner; insofern treffend die Zusammenfassung des vorgenannten Urteils unter der Überschrift „Seit heute ein König“ durch Hipp, in: Spiegel Online vom 10. 06. 2014, unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gauckdarf-npd-mitglieder-spinner-nennen-a-974368.html (abgerufen am 30. 09. 2015). 325

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vermag zwar leichter eine durchgehend neutrale Haltung einzunehmen, ohne zur politischen Bedeutungslosigkeit herabzusinken.332 Der Umstand aber, dass der Präsident mitunter auf politische Einzelfälle reagieren muss und insofern nicht neutral bleiben kann,333 rechtfertigt keinen generell von verfassungsrechtlichen Grenzen befreiten Handlungsspielraum, wie ihn das Bundesverfassungsgericht zubilligen möchte.334 Vielmehr ist solchen staatsgefährdenden Lagen allenfalls durch Ausnahmen vom Grundsatz der Neutralitätspflicht Rechnung zu tragen.335 Eine andere Sichtweise würde den Bundespräsidenten in unantastbare Höhen heben, die ihm nach seiner Stellung in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes nicht zukommen.336 Aus der „Kustos“-Funktion des Bundespräsidenten folgt vielmehr, dass sich der Bundespräsident im Grundsatz gegenüber politischen Parteien streng neutral zu verhalten hat. Dies ist – entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – nicht nur ein „Leitbild“,337 sondern eine grundgesetzliche Forderung, die sich aus allen geschriebenen und ungeschriebenen Kompetenzen des Bundespräsidenten ableiten lässt.338 Mit seiner anders lautenden Rechtsprechung setzt sich das Bundesverfassungsgericht in Widerspruch zu seiner eigenen – zutreffenden – Feststellung, dass der Bundespräsident gem. Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist und die Chancengleichheit der Parteien zu wahren hat.339 Für den, der die Chancengleichheit der Parteien beachten muss, kann parteipolitische Neutralität indes nicht zugleich ein bloßes „Leitbild“ sein. (2) Widersprüche zu anderen Entscheidungen Darüber hinaus sind die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts in der „Spinner“-Entscheidung nicht vereinbar mit denen im Urteil zur Bundesversammlung340

332

Vgl. Doehring, Der Staat 3 (1964), 201, 207 unter Bezugnahme auf Carl Schmitt. Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 91. 334 So aber Badenhausen/Löbel, VR 2014, 357, 358. 335 Vgl. noch näher unter E. 336 So auch Schlaich, in: HbStR II 1987, § 49, Rn. 56; v. Ooyen, Recht und Politik 2014, 127, 130; kritisch auch Putzer, DÖV 2015, 417, 422; Sachs, JuS 2014, 956, 958 weist zudem darauf hin, dass der Bundespräsident nunmehr selbst zu Wahlkampfzeiten keine verfassungsrechtlichen Schranken zu befürchten habe. In der Tat verwundert die fehlende diesbezügliche Unterscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 136, 323, 323 ff. – Spinner vor dem Hintergrund von BVerfGE 44, 125, 144 – Öffentlichkeitsarbeit, wonach sich alle Staatsorgane im Wahlkampf neutral zu verhalten haben. 337 So aber konturlos und ohne Begründung BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner; zustimmend Badenhausen/Löbel, VR 2014, 357, 358, die gleichzeitig aber von einer „Verfassungsmaxime der größtmöglichen Neutralität“ sprechen. 338 Vgl. hierzu bereits unter D. I. 2. a) (1). 339 Vgl. BVerfGE 136, 323, 333 – Spinner. 340 BVerfGE 136, 277 – Bundesversammlung. 333

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und denen im Urteil zu den Äußerungsbefugnissen der Mitglieder der Bundesregierung.341 (a) Die Entscheidung zur Bundesversammlung Das Urteil zur Bundesversammlung untersucht eingehend die Stellung des Bundespräsidenten. Anlass für die Entscheidung waren die Rechte eines Mitglieds der 13. Bundesversammlung bei der Wiederwahl Horst Köhlers zum Bundespräsidenten sowie der 14. Bundesversammlung, in der Christian Wulff zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Im Kern drehte sich das Organstreitverfahren zwischen dem Bundesversammlungsmitglied – zugleich Angehöriger der NPD – einerseits und dem Präsidenten des Bundestags342 sowie den beiden Bundesversammlungen andererseits um die Möglichkeit einer mündlichen Stellungnahme zu Geschäftsordnungsänderungsanträgen und die Vorstellung der zur Wahl stehenden Kandidaten. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich zur Abweisung der gestellten Anträge nicht auf ein Zitat des Art. 54 Abs. 1 S. 1 GG, sondern nimmt die verfassungsrechtliche Position des Bundespräsidenten überhaupt in den Blick.343 Der Bundespräsident sei Staatsoberhaupt, Repräsentations- sowie Integrationsorgan und entfalte „vor allem geistig-moralische Wirkung“344. „Mit dieser Stellung des Bundespräsidenten korrespondiert das Verfahren seiner Wahl […]. […] Die Bundesversammlung hat nicht nur zur Aufgabe, den Bundespräsidenten zu wählen, sondern sie soll zugleich in ihren Abläufen die besondere Würde des Amtes unterstreichen. […] Bei der Wahl des Bundespräsidenten kommt es allein auf die Sichtbarkeit des Wahlaktes in seinen realen und symbolischen Dimensionen an; eine öffentliche Debatte ist gerade nicht vorgesehen (Art. 54 Abs. 1 Satz 1 GG). […] Das Ausspracheverbot dient dem Schutz der Würde des Wahlakts, der dem parteipolitischen Streit enthoben sein soll […]. […] Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Bundesversammlung entgegen der Intention des Ausspracheverbots zum Forum für eine politische Auseinandersetzung unter den Kandidaten oder jedenfalls für eine politische (Selbst-)Darstellung würde.“345

Diese Ausführungen des Senats heben den Bundespräsidenten in eine monarchisch anmutende Position, die das oberste Amt in der Demokratie der Bundesre341 342 343 344 345

BVerfGE 138, 102 – Schwesig. Dieser leitet gem. § 8 S. 1 BPräsWahlG die Bundesversammlung. Vgl. BVerfGE 136, 277, 309 ff. – Bundesversammlung. BVerfGE 136, 277, 310 f. – Bundesversammlung. BVerfGE 136, 277, 311 ff. – Bundesversammlung.

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publik nicht zutreffend beschreiben. Zweifellos weist das Amt des Bundespräsidenten nach dem Verständnis des Grundgesetzes eine staatstragende Würde auf. Die Wortwahl des Senats, der an anderer Stelle sogar von der „Kür“346 des Bundespräsidenten spricht, lässt aber das dennoch von den übrigen Staatsgewalten kontrollierte Amt des Bundespräsidenten (vgl. etwa Art. 61, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) in einem zu einer Republik (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht passenden Licht erscheinen. Entscheidender sind allerdings die in der Bundesversammlungsentscheidung enthaltenen Widersprüche zur „Spinner“-Entscheidung: Wenn es der Würde des Amtes widerspricht, dass sich die Kandidaten in der Bundesversammlung vorstellen oder die Versammlungsmitglieder nur über die Geschäftsordnung sprechen, muss ein parteipolitisch aktives Auftreten des Gewählten mit dieser Würde erst recht unvereinbar sein. Es überzeugt nicht, auf der einen Seite die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer von politischen Streitigkeiten gelösten Wahl des Bundespräsidenten zu postulieren, an den Amtsinhaber selbst auf der anderen Seite aber nur „verfassungsrechtliche Erwartungen“ hinsichtlich seiner parteipolitischen Neutralität zu stellen. Sieht man die Würde des Wahlakts gerade in seiner Abstraktion von parteipolitischen Diskursen realisiert,347 kann für den Bundespräsidenten und seine Amtsführung nichts anderes gelten. Möchte man hingegen dem Bundespräsidenten möglichst viel Spielraum bei der Erfüllung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben gewähren,348 besteht kein Bedarf für ein von politischen Diskursen streng freigehaltenes Wahlverfahren.349 Soweit man folglich das Ausspracheverbot als Ausdruck der verfassungsrechtlichen Enthebung des Bundespräsidenten von parteipolitischen Debatten liest,350 ist Art. 54 Abs. 1 S. 1 GG zusätzliches Indiz für die Pflicht des Staatsoberhaupts zur parteipolitischen Neutralität.351 (b) Die „Schwesig“-Entscheidung In der „Schwesig“-Entscheidung betont das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich, dass „jede parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zulasten einzelner oder aller am politischen Wettbewerb beteiligten Parteien“ mit Art. 21 GG unvereinbar sei.352 Eine Differenzierung nach den einzelnen Staatsorganen nimmt der Zweite Senat hier nicht vor. Während diese vom Bundesverfassungsgericht formulierte These gewiss zu weit geht, da gerade die Bundesregierung ansonsten allzu engen Beschränkungen unterworfen wäre,353 gilt 346

Vgl. BVerfGE 136, 277, 318 – Bundesversammlung. So wohl BVerfGE 136, 277, 315 f. – Bundesversammlung. 348 So wohl BVerfGE 136, 323, 335 f. – Spinner. 349 So zu Recht auch Cornils, in: FS Hufen, 151, 158; kritisch gegenüber dem Zweck des Ausspracheverbots Jülich, DÖV 1969, 92, 96; positiv hingegen Kunig, JURA 1994, 217, 218. 350 Vgl. auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 GG, Rn. 40. 351 Vgl. zum Wahlverfahren bereits unter D. I. 2. a) (2). 352 BVerfGE 138, 102, 109 ff. – Schwesig. 353 Vgl. noch näher unter E. 347

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sie nach der „Spinner“-Entscheidung offenbar aber für den Bundespräsidenten überhaupt nicht. Die Pflicht zur Unterlassung von Äußerungen, die im Bereich des Art. 5 Abs. 1 GG als „Schmähkritik“ oder Beleidigung (§§ 185 ff. StGB) aufgefasst werden können, leitet der Senat – jedenfalls für die Bundesregierung – bereits aus Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG ab.354 Darüber geht der Senat im Hinblick auf den Bundespräsidenten nicht hinaus. Während er in der „Schwesig“-Entscheidung einen strengeren Neutralitätsmaßstab für die Bundesregierung aus deren Stellung im Grundgesetz ableitet,355 sieht er dazu beim Bundespräsidenten offensichtlich keine Veranlassung. Dies überzeugt – wie gesehen – bei genauer Betrachtung der grundgesetzlichen Aufgaben und Funktionen des Bundespräsidenten nicht. Des Weiteren stellt der Senat fest, die Bundesregierung habe – ungeachtet des Verbots von beleidigenden Äußerungen – die Pflicht, „das Recht der Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG und das daraus folgende Neutralitätsgebot zu beachten.“356 Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der Bundespräsident, der sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich beleidigender Äußerungen enthalten müsse, die aus Art. 21 Abs. 1 GG folgenden bzw. hierdurch konkretisierten Rechte nicht zu berücksichtigen hat. Ein solches Ergebnis wäre mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar. Freilich konstatiert das Bundesverfassungsgericht in der „Spinner“-Entscheidung, zu den vom Bundespräsidenten zu achtenden Rechten gehöre auch Art. 21 GG.357 Diese Aussage passt aber weder zu der in der „Spinner“-Entscheidung entwickelten Willkürformel noch zu der in der „Schwesig“-Entscheidung vorgenommenen Differenzierung zwischen der allgemeinen Gesetzesgebundenheit der Staatsorgane einerseits und der Beachtung der spezifischen Parteirechte andererseits. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht im Ansatz noch zutreffend, dass der Schutz des Art. 21 Abs. 1 GG über das Niveau der §§ 185 ff. StGB hinausgeht. Dies verdeutlicht die „Schwesig“Entscheidung. Die „Spinner“-Entscheidung lässt aber nicht erkennen, weshalb den Parteien gegenüber dem Bundespräsidenten ihre besonderen Rechte nicht zustehen sollen. Der oberflächliche Verweis auf die weitgehende normative Offenheit des Präsidentenamts genügt hierfür jedenfalls nicht, da das Grundgesetz seinem Wortlaut nach der Bundesregierung ebenso große Freiräume gewährt.358

354

Vgl. BVerfGE 138, 102, 114 – Schwesig. Vgl. BVerfGE 138, 102, 114 ff. – Schwesig und unter D. II. 2. 356 BVerfGE 138, 102, 114 – Schwesig. 357 Vgl. BVerfGE 136, 323, 333 – Spinner. 358 Cornils, in: FS Hufen, 151, 155 und Butzer, ZG 2015, 97, 114 f. gehen davon aus, dass der Umstand, dass es sich bei den Antragstellern um Mitglieder der NPD oder die Partei selbst gehandelt hat, einen gewissen Einfluss auf den Inhalt der Entscheidungen gehabt haben dürfte. 355

I. Der Bundespräsident als Adressat der Neutralitätspflicht

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3. Der Bundespräsident als parteipolitisch neutraler „Kustos“ Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich aus der „Kustos“-Rolle des Bundespräsidenten dessen vom Grundgesetz vorausgesetzte neutrale Haltung gegenüber politischen Parteien ergibt. Dieser ist nach dem Verfassungsgefüge nicht selbst Teil des gestaltenden politischen Prozesses, sondern sorgt – sowohl in Problemsituationen als auch im Normalfall – für die Wahrung der Verfassung und die Aufrechterhaltung des politischen Ablaufs. Bei der Ausübung seiner Befugnisse dürfen politische Opportunitätsgründe keine Rolle spielen, denn es geht um die Aufrechterhaltung des Gesamtprozesses, nicht um die Umsetzung politischer Vorstellungen des Bundespräsidenten. Im Hinblick auf seine nicht explizit normierten Aufgaben – vornehmlich also die der Integration und der Repräsentation – muss sich der Bundespräsident bereits deswegen gegenüber politischen Parteien neutral verhalten, weil er den Aufgaben sonst nicht effektiv nachkommen könnte oder ihnen sogar zuwiderhandeln würde. Da die genannten Aufträge wichtig für die Einheit und den Zusammenhalt der Gesellschaft sind, ist die Neutralität auch keine bloße Erwartung an den Bundespräsidenten, sondern seine Pflicht.359 Dies ergibt sich auch aus der Wahl des Bundespräsidenten von der Bundesversammlung – einem Organ, welches die Ausstrahlung der parteipolitischen Prägung verringert. Das besondere moralische Vertrauen, das dem Bundespräsidenten entgegengebracht wird, darf nicht durch ein parteipolitisch aktives Auftreten des Amtsinhabers enttäuscht werden. Die Umstände, dass das Staatsoberhaupt nicht in unmittelbarem Wettbewerb mit den Parteien steht und weniger Mittel als die Bundesregierung zur Verfügung hat, führen zu keiner Absenkung seiner Neutralitätspflicht. Hierbei darf sich der Bundespräsident noch nicht einmal darauf beschränken, die aktive Parteinahme zu unterlassen, sondern muss bereits den Eindruck der Parteilichkeit vermeiden.360 Die Aussage, es sei „ausschließlich Sache des Bundespräsidenten selbst […], darüber zu befinden, wie er seine Amtsführung gestaltet und seine Integrationsfunktion wahrnimmt“,361 trifft in dieser Weite nicht zu, weil der Bundespräsident die Grundrechte der Parteien (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) zu achten und für eine freie Wahl im Sinne des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG einzutreten hat. Selbst wenn man dem Staatsoberhaupt einen prinzipiell weiten Gestaltungsspielraum zugesteht, kann sich eine gerichtliche Überprüfung von Äußerungen des Präsidenten über politische Parteien nicht auf eine Willkürkontrolle beschränken. Betrachtet man das gesamte, den Bundespräsidenten umgebende Normengefüge sowie seine funktionale Stellung

359 360 361

Vgl. bereits unter C. I. 4. Vgl. Kaltefleiter, Funktionen, S. 60; Nettesheim, in: HbStR III, § 61, Rn. 20. BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner.

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D. Adressaten der Neutralitätspflicht

innerhalb der Verfassung, ergibt sich vielmehr eine umfassende parteipolitische Neutralitätspflicht.362

II. Die Bundesregierung als Adressatin der Neutralitätspflicht Das Staatsorgan „Bundesregierung“ gliedert sich in mehrere Teilorgane363 und besteht gem. Art. 62 GG aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern.364 Die Regierung stellt neben dem Bundestag und dem Bundesrat das Zentralorgan der politischen Auseinandersetzung dar und ist deswegen die in der öffentlichen Wahrnehmung wohl am stärksten beachtete Institution des Verfassungslebens. Nach dem Verfassungsgefüge, wie es für eine parlamentarische Demokratie üblich ist,365 entspringt die Bundesregierung der Mehrheit der im Parlament vertretenen Abgeordneten (Art. 63 Abs. 2 S. 1 GG). Bei der Auseinandersetzung mit ihren parlamentsinternen und -externen Kritikern befindet sich die Regierung in einem Spannungsfeld: Einerseits zeigt sie sich selbst als hochpolitisches Gremium und muss – auch nach den Vorgaben des Grundgesetzes – ihre Vorstellungen umzusetzen versuchen. Andererseits weist ihr das Grundgesetz die Rolle eines Staatsorgans und den einzelnen Bundesministerien den Charakter oberster Bundesbehörden zu.366 Hierbei verwehrt ihr die parteipolitische Neutralität des Staates wertende Äußerungen gegenüber Parteien. Um zu entscheiden, welcher Rolle größeres Gewicht zukommt, bedarf es einer Analyse der funktionalen Stellung der Bundesregierung im Verfassungsgefüge (vgl. im Folgenden unter 1.), um anschließend Rückschlüsse auf den Grad der Neutralitätspflicht der Bundesregierung ziehen zu können (vgl. im Folgenden unter 2.).

362

Den Präsidenten des Bundesrats treffen, so er den Bundespräsidenten gem. Art. 57 GG vertritt, dieselben Pflichten wie den eigentlichen Amtsinhaber (vgl. nur Stern, StaatsR II, S. 209). 363 Vgl. Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 16; Schenke, in: BK, Art. 62 GG, Rn. 3. 364 Bei Art. 62 GG handelt es sich um eine Legaldefinition der Bundesregierung (vgl. Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 8). 365 Vgl. zum Mehrheitsprinzip als elementaren Bestandteil des Demokratieprinzips BVerfGE 1, 299, 315 – Wohnungsbauförderung; 5, 85, 231 f. – KPD-Verbot; 29, 154, 165; 112, 118, 140 – Vermittlungsausschuss. 366 Vgl. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 36 GG, Rn. 4; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 36 GG, Rn. 7; Epping, in: Epping/Hillgruber, Art. 62 GG, Rn. 1; Busse/Hofmann, Bundeskanzleramt und Bundesregierung, S. 42.

II. Die Bundesregierung als Adressatin der Neutralitätspflicht

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1. Funktionale Stellung der Bundesregierung Neben dem Bundestag (Art. 38 ff. GG), dem Bundesrat (Art. 50 ff. GG), dem Bundespräsidenten (Art. 54 ff. GG), der Bundesversammlung (Art. 54 GG), dem Bundesverfassungsgericht (Art. 92 ff. GG) und dem Gemeinsamen Ausschuss (Art. 53a GG) ist die Bundesregierung (Art. 62 ff. GG) ein weiteres oberstes Bundesorgan.367 Die für sie vorgesehenen Kompetenzen sind – ebenso wie beim Bundespräsidenten368 – nicht enumerativ.369 Insbesondere fehlt eine nähere Erläuterung, welche verfassungsrechtliche Rolle die Bundesregierung in der Gesamtsystematik des Grundgesetzes innehat.370 Daher gibt es auch für die Bundesregierung keine Vorschrift, die es ihr entweder positiv aufträgt, sich gegenüber politischen Parteien neutral zu verhalten, oder verbietet, parteiergreifende Äußerungen zu tätigen. Die Normen des sechsten Abschnitts der Verfassung beschäftigen sich vorwiegend mit der Entstehung (Art. 63 f. GG), Absetzung (Art. 67 ff. GG) und inneren Organisation (Art. 65 GG) der Regierung. Konkrete statusrechtliche Aussagen über das Verhältnis der Bundesregierung zu den Parteien finden sich nicht. a) Verfassungsmäßige Aufgaben der Bundesregierung Wie im Fall des Bundespräsidenten lassen sich auch bei der Bundesregierung im Grundgesetz explizit genannte und von der Verfassung nur vorausgesetzte Aufgaben unterscheiden. Dem Parlamentarischen Rat war bei der Schaffung der Institution der Bundesregierung die Rolle einer Regierung, wie sie sich seit der konstitutionellen Monarchie etabliert hat, bewusst.371 Es ist also zulässig, außerhalb der konkret normierten weitere Kompetenzen anzunehmen, die einer Regierung im Rahmen eines verfassungsmäßig gebundenen Gesamtgefüges üblicherweise zukommen. Normierungen sieht das Grundgesetz vornehmlich dort vor, wo nicht schon die Gesamtaufgabe der Regierung diese Kompetenzen verleiht.372 Ausgehend von den geschriebenen Rechten und Pflichten können folglich zusätzliche, ungeschriebene Kompetenzen abgeleitet werden. (1) Geschriebene Kompetenzen Bei der Bundesregierung handelt es sich – aus Art. 62 GG ersichtlich – um ein Kollegialorgan.373 Insofern hat das Grundgesetz die Struktur der Regierung aus der 367 Vgl. statt vieler Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 17; Hermes, in: Dreier, Art. 62 GG, Rn. 7 m.w.N.; Busse/Hofmann, Bundeskanzleramt und Bundesregierung, S. 29. 368 Vgl. unter D. I. 1. c). 369 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 62 GG, Rn. 1. 370 So auch Schröder, in: HbStR III, § 64, Rn. 1. 371 Vgl. Schröder, in: HbStR III, § 64, Rn. 6. 372 Vgl. Hesse, Grundzüge des VerfassungsR, Rn. 649. 373 Vgl. nur Epping, in: Epping/Hillgruber, Art. 60 GG, Rn. 3.

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Weimarer Republik (Art. 52 WRV) übernommen.374 Daraus folgt, dass bei den Kompetenzen streng zu trennen ist zwischen solchen, die die Verfassung der Bundesregierung als Gesamtorgan zuweist, und solchen, die sie einzelnen Mitgliedern, also entweder dem Bundeskanzler oder einem Bundesminister, verleiht. Es finden sich Anklänge an das auf den Regierungschef zugeschnittene „Kanzlerprinzip“ (Art. 65 S. 1 GG), an das die einzelnen Sachbereiche betonende „Ressortprinzip“ (Art. 65 S. 2 GG) und an das die gemeinsamen Entscheidungen in den Mittelpunkt stellende „Kabinettsprinzip“ (Art. 65 S. 3 GG).375 (a) Zuständigkeiten des Bundeskanzlers Dem Bundeskanzler kommen Kompetenzen innerhalb der Bundesregierung (sog. Intraorgankompetenzen) und solche im Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen (sog. Interorgankompetenzen) zu.376 (aa) Intraorgankompetenzen Zu den Intraorgankompetenzen zählen das Vorschlagsrecht für die Ernennung und Entlassung der Bundesminister (Art. 64 Abs. 1 GG) und das Recht, die konkrete Ressortverteilung unter den Bundesministerien zu bestimmen (§ 9 S. 1 GOBReg). Darüber hinaus leitet der Bundeskanzler die Geschäfte der Bundesregierung (Art. 65 S. 4 GG), bestimmt die Richtlinien der Politik (sog. Richtlinienkompetenz) und trägt hierfür Verantwortung (Art. 65 S. 1 GG). Der Bundeskanzler ist damit eine der wichtigsten Figuren im politischen System. Ob die Bundesrepublik sich deswegen als „Kanzlerdemokratie“377 darstellt, lässt sich vor dem Hintergrund der weitreichenden Kompetenzen der übrigen Verfassungsorgane bezweifeln. Der Begriff beschreibt eher den Führungsstil einiger Kanzler als das rechtliche System.378 Eine entscheidende Stellung des Regierungschefs ist jedoch zweifelsohne anzunehmen. Bei seinem Vorschlagsrecht hinsichtlich der Ernennung und Entlassung der Bundesminister (Art. 64 Abs. 1 GG) ist der Bundeskanzler vollkommen frei.379 Er darf und soll hier nach politischer Opportunität entscheiden. Insbesondere der letztlich den Formalakt vornehmende Bundespräsident vermag dem Bundeskanzler

374 Elementarer Unterschied zwischen Bundes- und (Weimarer) Reichsregierung ist die nun nicht mehr bestehende Abhängigkeit der Regierung vom politischen Willen des Staatsoberhaupts. 375 Vgl. Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 5 f. 376 So zutreffend auch Schröder, in: HbStR III, § 64, Rn. 18; Detterbeck, in: HbStR III, § 66, Rn. 22 ff; Schneider, in: AK, Art. 62 GG, Rn. 2. 377 Vgl. dazu etwa Bracher, in: Löwenthal/Schwarz, Zweite Republik, 179, 179 ff. 378 So auch Heun, Verfassungsordnung, S. 158; Oldiges, in: Sachs, Art. 65 GG, Rn. 9. 379 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 64 GG, Rn. 4; Epping, in: Epping/Hillgruber, Art. 64 GG, Rn. 2.

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rechtlich380 keine politischen Bedenken entgegenzuhalten. Sieht man das Innehaben des passiven Wahlrechts als Ernennungsvoraussetzung für Bundesminister,381 führt dies ggf. nur dazu, dass der Vorschlag des Bundeskanzlers letztlich ins Leere läuft. Eine rechtliche Einschränkung seines Vorschlagsrechts ist damit nicht verbunden. Wenn der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt (Art. 65 S. 1 GG), trifft er grundlegende und richtungsweisende Entscheidungen, die auch bedeutende Einzelfälle betreffen können.382 Hierbei steht ihm ein eigener politischer Beurteilungsspielraum zu.383 Insbesondere binden ihn Koalitionsverträge384 oder sonst von Parteien artikulierte Auffassungen rechtlich nicht.385 Seine politischen Zielvorgaben legen die übrigen Verfassungsorgane nicht auf seine Politik fest. Zudem schließt die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers die Möglichkeit der Entwicklung anderweitiger politischer Absichten durch den Bundestag nicht aus.386 Verbindlich sind die Vorgaben des Bundeskanzlers hingegen sowohl für die einzelnen Bundesminister387 als auch für die Bundesregierung als Kollegialorgan,388 da das Recht, die grundlegenden Weichenstellungen für die Regierungsarbeit vornehmen zu dürfen, ansonsten leerliefe. Der Wortlaut der Verfassung statuiert lediglich eine Verantwortung des Bundeskanzlers für die von ihm bestimmten Richtlinien (Art. 65 S. 1 GG). Hierbei ist zunächst nicht nur von einer Verantwortlichkeit gegenüber dem Bundestag auszugehen. Vielmehr muss sich der Bundeskanzler für etwaige Fehltritte letztlich – auch ethisch-moralisch – vor der gesamten Öffentlichkeit rechtfertigen389 und bei seiner Politik Rücksicht auf alle Staatsorgane nehmen. Letzteres gebietet bereits der Grundsatz der Organtreue.390 Für den Bundesrat etwa ergibt sich dies auch aus den Regelungen des Art. 53 S. 1 und 3 GG. Darüber hinaus deutet das grund380

Zur dennoch bestehenden Möglichkeit faktischer Einflussnahme vgl. bereits unter D. I. 1. c) (3) (b) (bb). 381 Vgl. bereits unter D. I. 1. c) (2) (c) (bb). 382 Vgl. Schenke, in: BK, Art. 65 GG, 20 ff.; Schneider, in: AK, Art. 62 GG, Rn. 3; Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 65 GG, Rn. 6. 383 Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 65 GG, Rn. 3; Schenke, in: BK, Art. 65 GG, Rn. 29. 384 Die rechtliche Qualifizierung von Koalitionsvereinbarungen ist umstritten. Nach überwiegender Auffassung werden sie zutreffend als bloße politische Absprachen ohne rechtlich verbindlichen Charakter eingestuft (vgl. statt vieler Kloepfer, VerfassungsR I, § 18, Rn. 89 ff.). 385 Vgl. Hermes, in: Dreier, Art. 65 GG, Rn. 14 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 65 GG, Rn. 3. 386 Vgl. Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 65 GG, Rn. 3; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 65 GG, Rn. 29 ff. 387 Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 65 GG, Rn. 3. 388 So auch Mager, in: v. Münch/Kunig, Art. 65 GG, Rn. 9; Schenke, in: BK, Art. 65 GG, Rn. 40 ff.; a.A. Hermes, in: Dreier, Art. 65 GG, Rn. 26; Oldiges, in: Sachs, Art. 65 GG, Rn. 36 f. 389 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 65 GG, Rn. 52, der zu Recht auf die gemeinhin unterschätzte ethische Selbstbindung, welche beispielsweise durch den Amtseid (Art. 64 Abs. 2, Art. 56 GG) zum Ausdruck kommt, nachdrücklich hinweist. 390 Vgl. hierzu allgemein Schenke, Verfassungsorgantreue, S. 26 ff.

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gesetzliche System eine Verantwortung der Bundesminister an.391 Diese leiten gem. Art. 65 S. 2 GG ihren Geschäftsbereich innerhalb der Richtlinien des Bundeskanzlers eigenständig (sog. „Ressortprinzip“).392 Da auch sie damit zu selbständigen Staatsorganen werden, müssen sie gem. Art. 20 Abs. 3 GG die Rechte anderer Organe und der Parteien beachten. Dafür haben sie sich jedenfalls vor dem Bundeskanzler,393 ggf. aber auch vor dem Bundestag zu verantworten.394 Denn der Bundestag hat das Recht, jederzeit die Anwesenheit eines beliebigen Regierungsmitglieds zu verlangen (Art. 43 Abs. 1 GG), eine bestimmte Angelegenheit zum Gegenstand eines Untersuchungsausschusses zu machen (Art. 44 Abs. 1 GG) und die Regierung insgesamt des Amtes zu entheben (Art. 67 Abs. 1 S. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 2, Art. 69 Abs. 2 GG).395 Politische – nicht rechtliche – Verantwortung übernimmt der Bundeskanzler bzw. der zuständige Bundesminister durch Gegenzeichnung auch für die Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten (Art. 58 S. 1 GG).396 (bb) Interorgankompetenzen Zu den Interorgankompetenzen zählt das Recht des Bundeskanzlers, den Bundestag einberufen zu lassen (Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG), welches auch der Bundespräsident innehat. Die Ermessensentscheidung des Regierungschefs unterliegt keinen besonderen verfassungsrechtlichen Beschränkungen.397 Zwar kann sich der Bundestag nach Einberufung sofort wieder vertagen. Macht der Bundeskanzler aber von seinem – dem Bundespräsidenten nicht zustehenden – Recht aus Art. 43 Abs. 2 S. 2 GG Gebrauch, muss der Bundeskanzler zunächst zu Wort kommen.398 Zudem kann er über Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG die Auflösung des Bundestags herbeiführen, auch wenn diese letztlich vom politischen Ermessen des Bundespräsidenten abhängt.399 Die – verfassungsgerichtlich nur sehr eingeschränkt nachprüfbare400 – Meinung des Bundeskanzlers, dass die Handlungsfähigkeit der Regierung wegen der

391

Vgl. Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 46, der aber darauf hinweist, dass das Grundgesetz keine spezifische Kabinettsverantwortlichkeit kenne; a.A. Hermes, in: Dreier, Art. 65 GG, Rn. 38 f.; Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 65 GG, Rn. 49. 392 Vgl. Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 20. 393 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 65 GG, Rn. 66. 394 So auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 65 GG, Rn. 1; Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 145 f.; Junker, Richtlinienkompetenz, S. 80 f. 395 Oldiges, in: Sachs, Art. 65 GG, Rn. 22 spricht deshalb von einer stark ausgeprägten informellen Abhängigkeit der Bundesminister. 396 Vgl. bereits unter D. I. 1. c) (2) (e). 397 Vgl. Maunz/Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 39 GG, Rn. 72. 398 So auch Magiera, in: Sachs, Art. 39 GG, Rn. 26. 399 Vgl. BVerfGE 62, 1, 62 f. – Bundestagsauflösung 1983; vgl. zudem bereits unter D. I. 1. c) (2) (a) (bb). 400 Vgl. BVerfGE 62, 1, 50 ff. – Bundestagsauflösung 1983; 114, 121, 152 ff. – Bundestagsauflösung 2005.

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Mehrheitsverhältnisse im Bundestag oder Bundesrat beeinträchtigt ist,401 wird großen Einfluss auf die Entscheidung des Bundespräsidenten haben. (b) Beispielhafte Zuständigkeiten einzelner Bundesminister Regelmäßig, wenn also nicht gerade ein Fall des Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG gegeben ist, vertritt der jeweils zuständige Bundesminister die Bundesrepublik im Rat der Europäischen Union (Art. 16 Abs. 2 EUV).402 Der Rat wird neben dem Europäischen Parlament als Gesetzgeber tätig (Art. 16 Abs. 1 S. 1 EUV). Der Bundesfinanzminister tritt in der Finanzverwaltung teilweise an die Stelle der Bundesregierung als Kollegialorgan (Art. 108 Abs. 3 S. 2 GG) und muss Ausgaben, die den Haushaltsplan überschreiten, zustimmen (Art. 112 S. 1 GG). (c) Zuständigkeiten des gesamten Kabinetts Nach dem Wortlaut des Grundgesetzes fällt die überwiegende Zahl der Regierungsaufgaben dem Kabinett, also der Bundesregierung als Kollegialorgan, zu. Für den Gang der Beschlussfassung und den Prozess der einheitlichen Meinungsbildung enthalten §§ 15 ff. GOBReg einige verfassungskonkretisierende403 Bestimmungen. (aa) Rechtsetzung und Gesetzesvollzug Das Gesetzesinitiativrecht der Regierung gem. Art. 76 Abs. 1 Alt. 2 GG404 stellt eine zentrale Kompetenz zur aktiven Gestaltung der Politik dar. Die Bundesregierung vermag es besonders effektiv zu nutzen, weil sie in aller Regel von der Mehrheit des Bundestags unterstützt wird. Deswegen gibt es die Verweigerung der Verabschiedung eines von der Regierung öffentlich präsentierten Gesetzes praktisch nur sehr selten (Art. 62 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, Abs. 4 S. 2, Art. 67 Abs. 1 S. 1 GG).405 Für das Haushaltsgesetz (Art. 110 Abs. 3 GG) steht der Bundesregierung das alleinige In-

401 Diese Krisenlage wird als zusätzliche ungeschriebene Voraussetzung für die Auflösung des Bundestags verlangt (vgl. BVerfGE 114, 121, 152 ff. – Bundestagsauflösung 2005; Epping, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 68 GG, Rn. 12 ff.; Hermes, in: Dreier, Art. 68 GG, Rn. 10 ff.; Oldiges, in: Sachs, Art. 68 GG, Rn. 15 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 68 GG, Rn. 3; Schenke, in: BK, Art. 68 GG, Rn. 62 ff.). 402 Vgl. Ziegenhorn, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 16 EUV, Rn. 30 ff. 403 Dies bedeutet aber nicht, dass die Regelungen der GOBReg am verfassungsrechtlichen Vorrang teilnehmen (vgl. nur Epping, in: Epping/Hillgruber, Art. 65 GG, Rn. 18; a.A. Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 124). 404 Vgl. auch Art. 115d Abs. 2 GG, wonach im Verteidigungsfall von der Bundesregierung als für dringlich eingestufte Gesetzesvorlagen von Bundestag und Bundesrat unverzüglich gemeinsam zu beraten sind. 405 Der Regierung kommt so faktisch eine Monopolstellung bei der Einbringung von Gesetzesvorlagen zu (vgl. Kersten, in: Maunz/Dürig, Art. 77 GG, Rn. 60).

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itiativrecht zu.406 Art. 113 GG sieht Zustimmungserfordernisse und weitere Befugnisse der Regierung vor, falls der Bundestag vom Haushaltsplan abweichende Gesetze verabschieden möchte. Darüber hinaus bestehen zugunsten der Bundesregierung zahlreiche durch Gesetze zugebilligte Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen (Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG).407 Nach Art. 119 S. 1 GG darf die Bundesregierung in Angelegenheiten der Flüchtlinge Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen. Obgleich sich die Vorschrift mit der Verabschiedung des BVFG408 erledigt hat,409 kann ihr doch entnommen werden, dass die Einführung einer Befugnis der Bundesregierung zum Erlass von gesetzesvertretenden Verordnungen nicht schlechthin gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstößt.410 Außerdem hat die Bundesregierung das Recht auf Stellungnahme zu Gesetzesvorlagen des Bundesrats (Art. 76 Abs. 3 GG) sowie zur Einberufung des Vermittlungsausschusses (Art. 77 Abs. 2 S. 4 GG).411 Ferner koordiniert und regelt die Bundesregierung die Ausführung der Bundesgesetze (Art. 84 ff. GG). (bb) Auswärtige Gewalt Die Bundesregierung hat darüber hinaus in vielerlei Hinsicht auswärtige Gewalt für den Bund inne und muss gem. Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG, §§ 3 ff. EUZBBG, § 13 IntVG den Bundestag und den Bundesrat umfassend über die Angelegenheiten der Europäischen Union (vgl. § 5 EUZBBG) informieren. Daraus wird ersichtlich, dass die Bundesregierung bzw. im jeweiligen Einzelfall ein Bundesminister für Deutschland die konkreten Verhandlungen mit den anderen Mitgliedsstaaten führt. Stellungnahmen des Bundestags zu Gesetzesvorhaben der Europäischen Union müssen von der Bundesregierung gem. Art. 23 Abs. 3 S. 2 GG sowie § 8 Abs. 2 S. 1 EUZBBG nur berücksichtigt, nicht aber vollumfänglich umgesetzt werden (vgl. aber etwa die die Mitwirkung des Bundestags sichernden §§ 2 ff. IntVG).412 Die Regierung ist daher bei europäischen Rechtsetzungsakten letztlicher Entscheidungsträger mit großem politischen Ermessensspielraum, weil „die Gestaltung auswärtiger Verhältnisse und Geschehensabläufe nicht allein vom Willen der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden kann, sondern vielfach von Umständen abhängig ist, die sich ihrer Bestimmung entziehen. Um es zu ermöglichen, die jeweiligen politischen Ziele der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des völkerrechtlich und 406

Vgl. BVerfGE 45, 1, 46 – Haushaltsüberschreitung. Allein das BImSchG wird durch 30 Rechtsverordnungen ergänzt (vgl. Remmert, in: Maunz/Dürig, Art. 80 GG, Rn. 2). 408 Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 19. 05. 1953, BGBl. I, S. 201. 409 Vgl. Mann, in: Sachs, Art. 119 GG, Rn. 1; Lübbe-Wolff, in: Dreier, Art. 119 GG, Rn. 4 ff.; a.A. Gnatzy, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 119 GG, Rn. 4. 410 Vgl. Lübbe-Wolff, in: Dreier, Art. 119 GG, Rn. 8; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Art. 119 GG, Rn. 4.1. 411 Vgl. hierzu auch Kersten, in: Maunz/Dürig, Art. 77 GG, Rn. 60. 412 Vgl. Heintschel von Heinegg, in: Epping/Hillgruber, Art. 23 GG, Rn. 33. 407

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verfassungsrechtlich Zulässigen durchzusetzen, gewährt das Grundgesetz den Organen der auswärtigen Gewalt einen sehr weiten Spielraum in der Einschätzung außenpolitisch erheblicher Sachverhalte wie der Zweckmäßigkeit möglichen Verhaltens.“413

Des Weiteren erklärt die Verfassung die im freien politischen Ermessen der Bundesregierung stehende Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen der Länder mit ausländischen Staaten (Art. 32 Abs. 3 GG) zur Wirksamkeitsvoraussetzung für diese.414 Die vom Bundespräsidenten gem. Art. 59 Abs. 1 S. 2 GG für den Bund geschlossenen völkerrechtlichen Verträge werden von der Bundesregierung ausgearbeitet415 und bedürfen gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG der Mitwirkung der Bundesregierung. (cc) Krisenbewältigung Umfangreiche Kompetenzen sieht das Grundgesetz für die Bundesregierung außerdem in Krisenzeiten vor. Der Bundesregierung obliegt – unter Beteiligung des Bundesrats – die Durchführung des Bundeszwangs (Art. 37 GG). Auch der Gesetzgebungsnotstand nach gescheiterter Vertrauensfrage und nicht erfolgter Bundestagsauflösung (Art. 68 GG) wird vom Bundespräsidenten auf Antrag der Bundesregierung unter Zustimmung des Bundesrats ausgerufen (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG). Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung können unter den dort genannten Voraussetzungen von der Bundesregierung nach Art. 87a Abs. 4 GG Streitkräfte bzw. nach Art. 91 Abs. 2 GG Bundespolizisten eingesetzt und den Ländern Weisungen erteilt werden. Im Bündnisfall nach Art. 5 NATO-Vertrag, der nicht deckungsgleich ist mit dem Verteidigungsfall nach Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG,416 können die auf Art. 80a Abs. 1 GG Bezug nehmenden Vorschriften417 mit Zustimmung der Bundesregierung aktiviert werden (Art. 80a Abs. 3 S. 1 GG). Die Feststellung des Verteidigungsfalls erfolgt grundsätzlich gem. Art. 115a Abs. 1 S. 2 GG auf Antrag der Bundesregierung. Ihr stehen sodann die in Art. 115 f Abs. 1 sowie Art. 115i Abs. 2 GG genannten zusätzlichen Rechte zu. Die Bundesregierung hat den Gemeinsamen Ausschuss gem. Art. 53a Abs. 2 S. 1 GG über ihre weiteren Vorhaben zu informieren, soweit dieser nach Art. 115e Abs. 1 GG die Aufgaben des Bundestags und des Bundesrats einheitlich wahrnimmt. Außerdem hat sie das Recht, im Falle von länderübergreifenden Naturkatastrophen die Landesregierungen anzuweisen, Polizeikräfte zur Verfügung zu stellen (Art. 35 Abs. 3 S. 1 GG). 413

BVerfGE 55, 349, 365 – Rudolf Hess. Vgl. Streinz, in: Sachs, Art. 32 GG, Rn. 63. 415 Regelmäßig erteil der Bundespräsident sowohl eine Verhandlungs- als auch eine Abschlussvollmacht für die jeweiligen Mitglieder der Bundesregierung (vgl. Pieper, in: Epping/ Hillgruber, Art. 59 GG, Rn. 22). 416 Jeder Verteidigungs- ist ein Bündnisfall, nicht aber jeder Bündnis- auch ein Verteidigungsfall (vgl. Schmidt-Radefeldt, in: Epping/Hillgruber, Art. 80a GG, Rn. 9). 417 Hierbei handelt es sich um Notstandsvorsorgeregelungen wie etwa das KatastrophenschutzG (vgl. hierzu ausführlich Mertins, Spannungsfall, S. 128 ff.). 414

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(dd) Beteiligung und Information Des Weiteren können die Mitglieder der Bundesregierung an allen Sitzungen des Bundestags (Art. 43 Abs. 2 GG) und des Bundesrats (Art. 53 S. 1 GG) teilnehmen. Gem. Art. 52 Abs. 2 S. 2 GG ist der Bundesrat auf Verlangen der Bundesregierung durch seinen Präsidenten einzuberufen. Der Bundesrechnungshof hat der Bundesregierung jährlich Bericht zu erstatten (Art. 114 Abs. 2 S. 2 GG). (2) Ungeschriebene Aufgabenzuweisungen Die im Grundgesetz geregelten Kompetenzen der Bundesregierung sind nicht abschließend. Gem. § 15 Abs. 1 GOBReg sind dieser „alle Angelegenheiten von allgemeiner innen- oder außenpolitischer, wirtschaftlicher, sozialer, finanzieller oder kultureller Bedeutung“ zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen. Daraus darf man aber nicht den verfehlten Schluss ziehen, die Bundesregierung sei für jede politische Thematik allein zuständig. Insbesondere kann dieser Vorschrift keine andere Verfassungsorgane bedrängende Allzuständigkeit entnommen werden.418 Wohl beschreibt diese jedoch zutreffend die Funktion der Regierung als eines zentralen, die Politik gestaltenden Organs. (a) Initiativaufgaben Meist gibt die Bundesregierung den ersten Anstoß für politische Initiativen.419 Die Bevölkerung erwartet von der Regierung innovative Ideen für die wirtschaftliche, kulturelle und rechtliche Entwicklung der Gesellschaft.420 Deshalb ist die Bundesregierung dazu berufen, gesellschaftliche Fehlentwicklungen aufzugreifen und Handlungsbedarf zu erkennen. Anders als beim Bundespräsidenten erschöpft sich die Aufgabe der Bundesregierung aber nicht darin, allgemeine Lösungsrichtungen aufzuzeigen. Vielmehr muss die Bundesregierung konkrete Vorschläge zur Bewältigung eines bestimmten Problems entwickeln. Welche Problemfelder die Bundesregierung auf die politische Agenda setzt, entscheidet sie prinzipiell nach objektiver Dringlichkeit und eigenem politischen Ermessen. Von ihr werden die politischen Programme der Parteien konkretisiert und – vorbehaltlich der Zustimmung der Legislative (Art. 78 GG) – ausgearbeitet. Zwar besteht keine verfassungsrechtliche Pflicht, bestimmte Vorhaben, die etwa von objektiver Bedeutung für den Staat sind, umzusetzen. Untätigkeit führt aber nicht nur zu schlechten Chancen auf eine Wiederwahl, sondern unter Umständen auch zu einem Verstoß gegen Leistungsgrundrechte der Bürger.421 Neben den gesetzlich normierten Initiativrechten (Art. 76 418 So auch Oldiges, Die Bundesregierung, S. 296 ff; Schröder, in: HbStR III, § 64, Rn. 25; anders Schneider, in: AK, Art. 62 GG, Rn. 4. 419 Deshalb zutreffend von „Initiativgewalt“ sprechend Leisner, JZ 1968, 727, 729. 420 Vgl. auch Schröder, in: HbStR III, § 64, Rn. 27. 421 Vgl. hierzu allgemein etwa Heintschel von Heinegg/Haltern, JA 1995, 333, 333 ff.

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Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 S. 1, Art. 110 Abs. 3 GG) hat die Bundesregierung mithin auch eine allgemeine gesellschaftliche Antriebsfunktion. Hierzu eignet sie sich wegen ihrer parteipolitisch homogenen Struktur, ihres parlamentarischen Rückhalts und ihres umfassenden Verwaltungsapparats422 in besonderer Weise. (b) Planungsaufgaben Bei ihrem Handeln hat die Bundesregierung stets das Staatsganze im Blick. Für bestehende Notlagen müssen nachhaltige Aktionspläne aufgestellt und für unerwartete Fälle hinreichende Vorsorge getroffen werden.423 Prognose und Statistik bilden dabei ein elementares Handwerkszeug der Regierung.424 Auf der Basis der so gesammelten und kategorisierten Fakten kann die Regierung – ggf. unter Hinzuziehung sachverständiger Ratgeber425 – Pläne zur zukunftsgerichteten Lösung des von ihr ausgemachten Problems entwickeln. Die vorgenannte Initiativaufgabe steht also in untrennbarem Zusammenhang mit der Planungstätigkeit der Regierung. Versteht man Regieren als die Ausfüllung eines politischen Gestaltungsfreiraums,426 setzt man gleichzeitig voraus, dass die handelnden Akteure dabei immer auch die Zukunft im Blick haben. Ein innovatives Vorgehen ohne Berücksichtigung künftiger Entwicklungen ist nicht nachhaltig und damit nicht im Interesse des Staates. (c) Informationstätigkeit Die Bundesregierung unterliegt herkömmlicherweise in Bezug auf die von ihr verfolgte Politik einer Informationspflicht,427 die sich „auf die Darstellung von Maßnahmen und Vorhaben der Regierung, die Darlegung und Erläuterung ihrer Vorstellungen über künftig zu bewältigende Aufgaben und die Werbung um Unterstützung“428 bezieht. Das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und die parlamentarische Verantwortung der Regierung (Art. 65 S. 1, Art. 43 Abs. 1 GG) fordern einen steten Austausch der Regierung und der Bevölkerung. Staatsorgane und Staatsvolk beeinflussen sich im politischen Willensbildungsprozess (Art. 21 Abs. 1 422

Vgl. auch Hermes, in: Dreier, Art. 62 GG, Rn. 37. Vgl. Ellwein, Einführung, S. 131; Krüger, ZBR 1978, 117, 117. 424 Vgl. BVerfGE 27, 1, 9 – Mikrozensus I; 45, 1, 47 – Haushaltsüberschreitung. 425 Dabei sind die Grenzen der Privatisierung der Regierungsarbeit zu beachten (vgl. hierzu näher Mayen, DÖV 2001, 110, 110 ff.). 426 Ähnlich auch Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 27 unter Bezugnahme auf BVerfGE 1, 281, 282 – Europäische Verteidigungsgemeinschaft; 55, 349, 365 – Rudolf Hess; Stern, StaatsR II, S. 677 ff. 427 Vgl. BVerfGE 44, 125, 147 – Öffentlichkeitsarbeit; 63, 230, 242 f. – Öffentlichkeitsarbeit II; Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 62 GG, Rn. 36; Häberle, JZ 1977, 361, 361. 428 BVerfGE 20, 56, 100 – Parteienfinanzierung II; 105, 252, 269 – Glykol; 105, 279, 302 – Osho. 423

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S. 1 GG) gegenseitig.429 Eine einmal gewählte Regierung darf sich nicht der politischen Auseinandersetzung entziehen. Sie muss dem Souverän, also dem Volk (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG), ihre Politik erklären und sich ggf. der Kritik stellen. Oftmals gibt es aber darüber hinaus ein Informationsungleichgewicht in der Zivilgesellschaft, da die gemeinhin zugängliche Information etwa von bestimmten marktbeherrschenden Unternehmen interessengeleitet ist.430 In derartigen Fällen kann die Bundesregierung verpflichtet sein, ihr vorliegende oder von ihr beschaffbare Informationen zu offenbaren. Die Regierung verfügt gegenüber den übrigen Staatsorganen und der Bevölkerung über einen erheblichen Wissensvorsprung.431 Informationshandeln erschöpft sich demzufolge bei weitem nicht mehr in der Darstellung des eigenen Regierungsprogramms:432 „So gehört es in einer Demokratie zur Aufgabe der Regierung, die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld ihrer eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit zu unterrichten. In einer auf ein hohes Maß an Selbstverantwortung der Bürger bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme ausgerichteten politischen Ordnung ist von der Regierungsaufgabe auch die Verbreitung von Informationen erfasst, welche die Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der Problembewältigung befähigen.“433

Aus dem Grundgesetz ergeben sich zahlreiche Aufgaben der Bundesregierung in unterschiedlichen Krisensituationen.434 Daraus lässt sich ableiten, dass die Regierung auch im Vorfeld, gleichsam zur Verhinderung dieser Krisen, handeln muss. Teil der so verstandenen Krisenbewältigung ist unter Umständen die Versorgung der Bevölkerung mit den Informationen, die sie zum eigenverantwortlichen Schutz vor der Notlage benötigt und die ihr eine mündige Teilnahme am Willensbildungsprozess ermöglichen. Die Regierung treffen also Fürsorgepflichten für die in dem von ihr maßgeblich (mit)gelenkten Staat lebenden Menschen. b) Stellung der Bundesregierung im Verfassungsgefüge Der Versuch einer Kategorisierung der Regierungsaufgaben muss in Anbetracht der im Wesen der Regierung angelegten Offenheit für künftige und noch unbekannte Herausforderungen des Staates435 an der Maxime der Vollständigkeit scheitern,436 sodass die Entwicklung eines materiellen Regierungsbegriffs schwerfällt. Das Grundgesetz hält in seinem Art. 62 nur einen formellen Regierungsbegriff bereit, der

429 430 431 432 433 434 435 436

Vgl. BVerfGE 44, 125, 139 f. – Öffentlichkeitsarbeit. Vgl. auch BVerfGE 105, 252, 269 – Glykol. Vgl. etwa BVerfGE 121, 135, 159 – Luftraumüberwachung Türkei. Vgl. bereits VerfGHNW NWVBl. 1992, 14, 15. BVerfGE 105, 252, 269 – Glykol und 105, 279, 302 – Osho. Vgl. hierzu bereits unter D. II. 1. a) (1) (c) (cc). Vgl. auch Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 23. Vgl. etwa Schröder, in: HbStR III, § 64, Rn. 8.

II. Die Bundesregierung als Adressatin der Neutralitätspflicht

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beschreibt, wie sich die Bundesregierung rein personell zusammensetzt.437 Immerhin deckt die Beschreibung der Bundesregierung als politisches Leit- und Verwaltungsorgan den für den hiesigen Zusammenhang maßgeblichen Teil der Regierungsarbeit ab und verdeutlicht die Kontroverse zwischen (partei-)politischer Führung und gesamtstaatlicher Gemeinwohlorientierung, in der sich die Bundesregierung wiederfindet. (1) Politisches Leitorgan Während der Bundestag die zentrale Institution der Gesetzgebung darstellt,438 die jedenfalls bei allen dem Wesentlichkeitsgrundsatz unterfallenden Vorhaben zur Entscheidung berufen ist,439 qualifiziert sich die Bundesregierung als das „Organ der politischen Führung“440. Insofern überantwortet die Verfassung politische Entscheidungen der Bundesregierung und dem Bundestag „zur gesamten Hand“441. Dies zeigt schon die Nähe der Regierung zum Bundestag. Ausgehend von der Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63 GG) bleibt die gesamte Regierung gegenüber dem Bundestag verantwortlich (Art. 65 S. 1 GG) und kann von diesem jederzeit durch eine andere ersetzt werden (Art. 67, Art. 69 Abs. 2 GG). Die Regierung hängt damit in ihrer Entstehung und ihrem Fortbestand von der politischen Gunst des Bundestags ab. Umgekehrt hat aber auch der Bundeskanzler nicht zu vernachlässigende Druckmittel gegenüber einem „unwilligen“ Parlament. Er kann die Einberufung des Bundestags verlangen (Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG), hat wie die Bundesminister ein permanentes Rederecht (Art. 43 Abs. 2 S. 2 GG), kann durch das Stellen der Vertrauensfrage die Zustimmung zu Gesetzesvorlagen (politisch) einfordern (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG),442 gemeinsam mit den Ministern als Kollegialorgan beim Bundespräsidenten die Ausrufung des Gesetzgebungsnotstands beantragen (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG) und damit letztlich den Bundestag bei der Verabschiedung von Gesetzen sogar umgehen (Art. 81 Abs. 2 S. 1 GG). Dieses System gegenseitiger Abhängigkeit verdeutlicht die bei der politischen Gestaltung bestehende Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung. Die Verfassung sieht die Regierung als treibende Kraft für die Etablierung politischer Ideen und stattet sie deshalb mit weitgehenden Befugnissen zur konkreten Umsetzung des 437

Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 62 GG, Rn. 51 f. Vgl. etwa auch Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38 GG, Rn. 30. Zwar wird auch der Bundesrat gesetzgeberisch tätig (Art. 50, Art. 78 GG), soweit es sich aber um bloße Einspruchsgesetze handelt (Art. 77 Abs. 3 GG), kann der Bundestag diesen überstimmen (Art. 77 Abs. 4 GG). 439 Vgl. nur BVerfGE 47, 46, 78 f. – Sexualkundeunterricht. 440 Ipsen, StaatsR I, Rn. 345. 441 Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9, 38; vgl. auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 65 GG, Rn. 2. 442 Zur Zulässigkeit dieser sog. unechten Vertrauensfrage, die auf die Auflösung des Bundestags gerichtet ist (vgl. BVerfGE 62, 1, 34 ff. – Bundestagsauflösung 1983; 114, 121, 149 ff. – Bundestagsauflösung 2005). 438

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Regierungsprogramms aus (vgl. beispielsweise Art. 76 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 S. 1, Art. 76 Abs. 3, Art. 77 Abs. 2 S. 4 GG).443 Auch wenn Art. 65 S. 1 GG dem Bundeskanzler nur gegenüber seinen Ministern die Richtlinienkompetenz verleiht,444 verdeutlicht das Grundgesetz an dieser Stelle doch auch, dass die Regierung insgesamt innovative Leitgedanken entwickeln und gewichten soll. Ihre Pflicht zur Aufstellung des Haushaltsplans (Art. 110 Abs. 3 GG) spiegelt die politische Entscheidungsmacht der Bundesregierung ebenfalls wider. Die Regierung ist es auch, die die gem. Art. 59 Abs. 1 S. 2 GG geschlossenen völkerrechtlichen Verträge ausarbeitet445 und als erste Ansprechpartnerin für Vertreter ausländischer Staaten auftritt. Dabei setzt sich die Bundesregierung für die Förderung von weltweiten Friedensbemühungen – wie z. B. durch die jährliche (Mit-)Organisation der Münchner Sicherheitskonferenz446 – ein und trägt so zum Ansehen der Bundesrepublik in der Weltgemeinschaft bei. Hierbei nimmt sie Interessen des Gesamtstaates wahr, orientiert sich inhaltlich aber weitgehend an parteipolitischen Programmen. All diese Kompetenzen lassen sich auch unter dem – schwer zu umschreibenden und schon gar nicht abschließend definierbaren – Begriff der „Staatsleitung“447 zusammenfassen.448 Ob aber die Regierung „in den Kreis der Politik fällt, d. h. in dem der Staat sich und sein Wesen bestimmt und durchsetzt“449 oder sie „spezielle Aufgaben staatlicher ,Führung‘ [wahrnimmt, die] der Regierung allein vorbehalten oder von ihr zwar gemeinschaftlich mit dem Parlament, aber unter gesteigerter Selbständigkeit diesem gegenüber zu erledigen sind“,450 ist letztlich nicht entscheidend. Man sollte den Beschreibungsversuchen nur ihren gemeinsamen Kern entnehmen, der die Regierung als „Gravitationszentrum politischer Gestaltung und Leitung“451 verständlicher macht. Die Bundesregierung kann sich unter der geltenden Verfassungsordnung für die Hervorbringung, Weiterentwicklung und Konkretisie443

Vgl. auch Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1017. Vgl. zur Reichweite der Richtlinienkompetenz bereits unter D. I. 1. c) (2) (c) (dd). 445 Vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art. 59 GG, Rn. 49. Damit unter anderem die Divergenz zwischen den Denkanstößen des Bundespräsidenten und den konkreten Plänen der Bundesregierung nicht zu groß wird, sieht § 5 GOBReg eine laufende Unterrichtungspflicht des Bundeskanzlers gegenüber dem Bundespräsidenten vor. So soll die Einheitlichkeit der „Staatsleitung“ sichergestellt und dem Bundespräsidenten die Möglichkeit frühzeitiger Einwirkung auf die Bundesregierung gegeben werden (vgl. Nettesheim, in: HbStR III, § 62, Rn. 30; Heun, Verfassungsordnung, S. 161; Maurer, DÖV 1966, 665, 671 m.w.N.). Dem gleichen Zweck dient die Gegenzeichnungspflicht gem. Art. 58 GG (vgl. bereits unter D. I. 1. c) (2) (e)). 446 Vgl. BT-Drs. 18/388 als Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage einiger Abgeordneter der Fraktion „Die Linke“ (BT-Drs. 18/277). 447 So feststellend auch BVerfGE 138, 102, 113 f. – Schwesig. 448 Hermes, in: Dreier, Art. 62 GG, Rn. 31 bezeichnet ihn als nicht normierbar; ähnlich Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 23, der darlegt, dass die Regierungstätigkeit insgesamt ihrem Wesen nach innovativ und deshalb nicht enumerativ normierbar sei. 449 Smend, Politische Gewalt, S. 79. 450 Heckel, in: HbStR II, S. 389. 451 Stern, StaatsR I, S. 791. 444

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rung richtungsweisenden Gedankenguts verantwortlich zeichnen. Ihre Initiativ-452 und Planungsaufgaben453 begründen die Einordnung als „primum movens“. Das „Führen“ der Bundesregierung muss dabei im Sinne eines „Zusammenführens“ verstanden werden.454 Freilich darf man in einer pluralistischen Demokratie nicht erwarten, dass die Regierung mit ihrer Politik auf ebenso breite Zustimmung stößt wie der Bundespräsident, wenn er auf die gemeinsamen Grundwerte der Gemeinschaft hinweist. Dennoch muss auch in einer freien Gesellschaft der Großteil der Bevölkerung – jedenfalls mittelfristig – mit dem konkret verfolgten Kurs der Regierung einverstanden sein. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Gemeinwesen auseinanderfällt. Vermögen sich die Bürger zwar mit den grundlegenden Vorstellungen der Verfassung, aber nicht mehr mit der von ihrer „Staatsleitung“ betriebenen Politik zu identifizieren, kann schwerlich von der Souveränität des Volkes (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) gesprochen werden. Die Ausrichtung der Politik auf die Bevölkerung ist deswegen nicht nur politisches Kalkül, sondern verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Die Bundesregierung stellt sich so als aktiv politikgestaltendes Organ dar, das inmitten der politischen Auseinandersetzung agiert, aus dieser hervorgeht und in dieser bewertet wird. Hierdurch entsteht ein stark ausgeprägtes Näheverhältnis zu politischen Parteien und deren Zielsetzungen. Ihrer inneren Struktur nach ist sie ein parteipolitisch homogenes, mit umfassenden Informationen und Kompetenzen ausgestattetes, effizientes Gestaltungsorgan, das am politischen Prozess teilnimmt. (2) Verwaltungsorgan Neben dem politischen Führungsauftrag hat die Bundesregierung eine Reihe weiterer Kompetenzen, die der Aufrechterhaltung des Staatsganzen dienen und in unterschiedlichen Notlagen greifen.455 Sie sind weitaus technischer als die des Bundespräsidenten, deswegen aber nicht weniger wichtig für das Gemeinwesen, denn Vertrauen in den Staat kann nur erwachsen, wenn dieser seinen Bürgern in handlungsfähiger Gestalt gegenübertritt. Des Weiteren ist auch die Beteiligung der Regierung am Vollzug der Bundesgesetze als staatstragender Akt zu verstehen, der die Funktionsweise des Gemeinwesens sichert.456 Mit den umfassenden Handlungsbefugnissen der Bundesregierung im Falle von Krisen bezeugt das Grundgesetz ferner die große Verantwortung, die die Bundesregierung für den Staat trägt.457 Diese beweist sich hierbei als echtes Staatsorgan in dem Sinne, dass sie nicht die Umsetzung eines eigenen politischen Programms zum (primären) Ziel hat, sondern die 452 453 454 455 456 457

Vgl. dazu unter D. II. 1. a) (2) (a). Vgl. dazu unter D. II. 1. a) (2) (b). Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 691. Vgl. unter D. II. 1. a) (1) (c) (cc). Vgl. auch Stern, StaatsR II, S. 199. Vgl. auch BVerfGE 105, 252, 270 – Glykol; 105, 279, 306 – Osho.

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Existenz und Permanenz rechtmäßigen staatlichen Handelns gegenüber dem Bürger garantiert. c) Die Bundesregierung zwischen Parteipolitik und Staatshandeln Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Bundesregierung Verwaltungs- und politische Leitaufgaben besitzt. Sie entsteht und agiert inmitten politscher Diskurse und ist erheblich parteipolitisch beeinflusst. Die Abgeordneten der Regierungsparteien sind für ihre Wiederwahl auf eine in der Bevölkerung anerkannte Arbeit der Bundesregierung angewiesen,458 die Regierung bedarf ihrerseits der fortwährenden Unterstützung durch die Mehrheitsparteien. Aus dieser gegenseitigen Abhängigkeit ergibt sich die naheliegende Neigung der Bundesregierung, die sie tragenden Parteien in der politischen Auseinandersetzung zu unterstützen. Gleichzeitig nimmt die Bundesregierung in vielerlei Hinsicht Gemeinwohlaufgaben wahr. Das so bestehende Spannungsfeld459 erschwert es Regierungsmitgliedern bisweilen, einen verfassungskonformen Umgang mit Parteien zu pflegen. Auf der einen Seite müssen diese von Amts wegen Parteipolitik betreiben, auf der anderen sind sie Staatsorgane. Hierbei wird noch ein alle Beteiligte schonender Ausgleich zu finden sein.460

2. Maßstab der Neutralitätspflicht der Bundesregierung Die Bundesregierung ist ein selbständiges Staatsorgan mit eigenen Rechten, Pflichten und grundgesetzlichen Funktionen. Vor allem in Bezug auf ihre Rolle im politischen Gestaltungsprozess unterscheidet sie sich klar vom Bundespräsidenten. Deswegen sind die ihr gesetzten verfassungsrechtlichen Grenzen hinsichtlich parteipolitischer Äußerungsbefugnisse gesondert zu bestimmen.461 a) Konsequenzen aus der funktionalen Stellung Das Grundgesetz sieht die Bundesregierung gleichzeitig in der Pflicht parteipolitischer Abstinenz und politischer Aktivität. Funktional hat die Bundesregierung 458 Vgl. auch Volkmann, Politische Parteien, S. 48; Ridder, in: FS Stein, 57, 68 f.; Häberle, JZ 1977, 361, 367. 459 Vgl. hierzu auch BVerfGE 44, 125, 167 ff. – Öffentlichkeitsarbeit (Sondervotum Geiger) einerseits und 185 ff. (Sondervotum Rottmann) andererseits; Häberle, JZ 1977, 361, 363; Schröder, in: HbStR III, § 64, Rn. 32; Ellwein, Regierung und Verwaltung, S. 160 f. 460 Vgl. hierzu insbesondere unter D. II. 3. 461 So auch BVerfGE 136, 323, 334 – Spinner; 138, 102, 111 ff. – Schwesig.

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Aufgaben politischer Führung und solche mit staatstragendem Charakter.462 Damit steht sie den sie stützenden Parteien inhaltlich sehr nahe und ist zugleich als Regierung aller dem Gemeinwohl des Gesamtstaats verpflichtet. In ihrer „Doppelrolle als Partei- und Staatsführung“463 hat sie den Mittelweg zwischen der Umsetzung des Parteiprogramms sowie der damit regelmäßig einhergehenden Schwächung des politischen Gegners auf der einen und der parteiübergreifenden Lenkung des Staatsapparats auf der anderen Seite zu finden. Einen eindeutigen Hinweis auf die Pflicht zur strikten Neutralität gegenüber Parteien enthält die Verfassung also – anders als beim Bundespräsidenten464 – nicht. (1) Parteipolitische Verpflichtungen der Bundesregierung Die Verfassung sieht für die Mitglieder der Bundesregierung keine dem Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG entsprechende Regelung vor. Wie sie ihre „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen“ (Art. 65 Abs. 2, Art. 56 GG), bleibt ihnen überlassen.465 Von außen, insbesondere von den Parteien ausgehenden Einfluss auf die Regierungsarbeit schließt die Verfassung folglich normativ nicht aus. Bei der „Staatsleitung“ im Allgemeinen und der Gestaltung der Gesellschaft durch einzelne Gesetzesvorhaben im Besonderen muss die Bundesregierung mit dem Bundestag zusammenarbeiten. Hierdurch erfährt die Bundesregierung die sie kennzeichnende parteipolitische Verbundenheit in ihrer verfassungsmäßigen Tätigkeit. Die Bundesregierung stellt sich so auch als „Parteiregierung“ und damit nicht als parteipolitisch neutral dar.466 Ihr Wesen als politisches Führungsorgan verbietet ihr sogar parteipolitische Unvoreingenommenheit, da sie gerade dazu berufen ist, politische Lösungsansätze für gesellschaftliche Problemstellungen zu entwickeln, die ausgehend vom Willensbildungsprozess (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG) über die gewählten (Art. 20 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) Abgeordneten Eingang in den Bundestag und die Bundesregierung (Art. 63, Art. 65 S. 1 GG) finden. Will die Bundesregierung ihr Potential nutzen, welches sie aufgrund ihrer homogenen Struktur, ihres Informationsvorsprungs sowie ihres Beamtenapparats hat, muss sie Entscheidungen treffen, die in einer pluralistischen Gesellschaft zwingend auch konträr zu Ansichten anderer Parteien stehen.467 Davon geht die Verfassung implizit aus, wenn sie den Mitgliedern der Bundesregierung ein jederzeitiges Rederecht im Bundestag (Art. 43 Abs. 2 S. 2 GG) und im Bundesrat (Art. 53 S. 2 GG) gewährt.

462 463 464 465 466 467

Vgl. dazu unter D. II. 1. b). Grimm, in: HbVerfR, § 14, Rn. 63. Vgl. dazu unter D. I. 2. a). Vgl. auch Grimm, in: HbVerfR, § 14, Rn. 60. Vgl. Schröder, in: HbStR III, § 64, Rn. 32 m.w.N. Vgl. auch Gusy, NVwZ 2015, 700, 702.

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D. Adressaten der Neutralitätspflicht

Denn diese Informationsbefugnis dient gerade der Darlegung eigener politischer Standpunkte der Bundesregierung.468 (2) Pflichten der parteipolitischen Zurückhaltung Die Aspekte der verfassungsrechtlichen Stellung der Regierung, die auf den ersten Blick gegen die Notwendigkeit ihrer parteipolitischen Neutralität zu sprechen scheinen, treten neben weitere Aufgaben und Funktionen, die das Gegenteil verlangen. Jedes Bundesministerium ist auch Behörde und als solche gehalten, alle Parteien strikt gleich zu behandeln (§§ 20 f. VwVfG, § 60 Abs. 1 S. 2 BBG; § 33 Abs. 1 S. 2 BeamtStG). Darüber hinaus erbringt die Regierung ihre „staatsleitenden“469 und integrativen470 Aufgaben zum Wohl aller Bürger und darf deshalb auch auf dieser Basis keine parteipolitischen Differenzierungen vornehmen. Des Weiteren stellt die Bundesregierung ein Staatsorgan dar.471 Sie bildet keinen bloßen „Exekutivausschuss der Mehrheitsfraktionen“472. Sähe man sie ausschließlich als verlängerten Arm der Bundestagsmehrheit, könnte man allenfalls die kritisch zu sehende Entwicklung hin zu einer anwachsenden personellen wie sachlichen Verschmelzung von Regierung und Koalitionsfraktionen beschreiben. Der staatsrechtlichen Rolle der Bundesregierung würde man damit jedoch nicht gerecht. Nach Betrachtung der unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen der Bundesregierung ergibt sich also noch kein eindeutiges Bild vom Grad ihrer Neutralitätspflicht. b) Die Bundesregierung als Ergebnis parteipolitischer Auseinandersetzungen Mit dem Umstand, dass die Bundesregierung Teil der politischen Auseinandersetzung ist, versucht das Bundesverfassungsgericht in der „Schwesig“-Entscheidung einen besonders strengen Neutralitätsmaßstab für parteipolitische Aussagen der Regierung zu begründen:473 „Da das Regierungsprogramm die Vorstellungen der sie tragenden Parteien widerspiegelt und das Handeln der Regierung mit diesen Parteien verbunden wird, fließt die Bewertung 468 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 43 GG, Rn. 153 f.; Dörr, in: Epping/Hillgruber, Art. 53 GG, Rn. 10 ff. 469 Vgl. dazu unter D. II. 1. b) (1). 470 Vgl. dazu unter D. II. 1. b) (2). 471 Vgl. statt vieler Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 62 GG, Rn. 1. 472 So aber BVerfGE 44, 125, 183 – Öffentlichkeitsarbeit (Sondervotum Rottmann); zustimmend Müller, in: Taschenkommentar, Art. 62 GG, Rn. 5; zu Recht a.A. Oldiges, in: Sachs, Art. 62 GG, Rn. 41; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 88; Hermes, in: Dreier, Art. 62 GG, Rn. 8; Küster, in: Hömig/Wolff, Vor Art. 62 GG, Rn. 8; auf die dennoch enge Bindung zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung hinweisend Grimm, in: HbVerfR, § 14, Rn. 66. 473 Vgl. BVerfGE 138, 102, 114 ff. – Schwesig.

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dieses Handelns in die Wahlentscheidung ein und wirkt sich auf die Wahlchancen der im politischen Wettbewerb stehenden Parteien aus.“474

Diese zutreffende Beschreibung der Ausgangslage spricht aber eher für eine Absenkung der verfassungsrechtlichen Neutralitätsanforderungen. Zwischen der Bundestagswahl und der Ernennung der Mitglieder der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten (Art. 63 Abs. 2 S. 2, Art. 64 Abs. 1 GG) finden oft langwierige Sondierungs- und Koalitionsgespräche statt,475 die in der Folge oft nicht zu Wunschbündnissen führen, sodass parteipolitische Streitigkeiten Teil der Regierungsarbeit werden. Gerade in Zeiten, in denen die etablierten Parteien vermehrt an Zuspruch in der Bevölkerung einbüßen,476 finden die bisher gekannten Fraktionszusammenschlüsse oft keine Mehrheiten mehr und die von den Parteien eingegangenen Zweckbündnisse vermögen eine harmonische Regierungsarbeit kaum zu ermöglichen. Die Mitglieder der Regierung können sich diesen Kontroversen nicht verschließen, denn in aller Regel haben sie als führende Parteipolitiker diese verursacht oder zumindest entscheidend daran mitgewirkt. Folglich ist die Bundesregierung von ihrer Entstehung her ein Produkt des Kompromisses verschiedener politischer Parteien und sowohl Subjekt als auch Objekt parteipolitischer Auseinandersetzungen. Wenn es aber dem Wesen der Regierung entspricht, sich mit politischen Parteien auseinanderzusetzen, müssen Regierungsmitgliedern, die zuvor noch als reine Parteivertreter Wahlkampf geführt haben, parteipolitische Äußerungen eher gestattet sein als dem Bundespräsidenten, für den es hierfür – von seinen grundgesetzlichen Aufgaben ausgehend – keinen Bedarf gibt. Die ausgeprägte Einbindung in den politischen Prozess streitet vor diesem Hintergrund für eine – im Vergleich zum Bundespräsidenten – weniger strikte Neutralitätspflicht der Bundesregierung.

474

BVerfGE 138, 102, 114 f. – Schwesig. Dies ist etwa nach der Bundestagswahl am 22. 09. 2013 der Fall gewesen, in deren Folge erst am 17. 12. 2013 Angela Merkel als Bundeskanzlerin gewählt worden ist; vgl. etwa auch für einen grafischen Überblick über die Dauer der Regierungsbildungen Zeit Online vom 17. 12. 2013, unter: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013 - 12/kanzlerin-merkel-wiederwahl (abgerufen am 24. 07. 2016). 476 Die Parteienlandschaft spaltet sich in immer mehr kleinere Parteien. Haben sich die sechs Bundestage zwischen 1961 und 1983 lediglich in drei Faktionen (CDU/CSU, SPD und FDP) gegliedert, sind 1983 Die Grünen (später als Bündnis 90/Die Grünen) und 1990 die PDS (später als Die Linke) in das Parlament eingezogen. Seit der Bundestagswahl 2013 spielt die AfD eine viel beachtete Rolle im politischen Parteienspektrum und konnte immerhin ein bundesweites Ergebnis von 4,7 Prozent der Zweitstimmen erzielen (vgl. zu allem Vorstehenden Informationen des Bundeswahlleiters, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, S. 20 ff.). In der Folge sind seit 2005 bereits zwei Große Koalitionen geschlossen worden – ein Umstand, der in den über 50 Jahren zuvor lediglich einmal vorgekommen war. Aber auch in traditionellen Bündnissen können regierungsinterne Streitigkeiten keineswegs ausgeschlossen werden, woran die Koalition aus CDU/CSU und FDP (2009 bis 2013) jüngst erinnert hat (vgl. FAZ Online vom 23. 06. 2013, unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/wahlprogramm-union-verbit tet-sich-kritik-aus-der-fdp-12241214.html (abgerufen am 20. 06. 2016)). 475

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D. Adressaten der Neutralitätspflicht

c) Wettbewerb mit den Parteien Obgleich die Bundesregierung eine größere Nähe zu den politischen Parteien aufweist als der Bundespräsident, steht die Bundesregierung also solche – anders als die sie tragenden Parteien – nicht mit den Oppositionsparteien in Wettbewerb.477 Vielmehr wetteifern die Parteien untereinander um die Besetzung von Regierungsämtern. Dass es hierbei personelle Überschneidungen zwischen Parteifunktionären und Regierungsämtern gibt, ändert daran nichts. Im Übrigen beeinflusst der Aspekt des Wettbewerbs mit politischen Parteien den Grad der Neutralitätspflicht eines Staatsorgans – wie beim Bundespräsidenten gesehen478 – ohnehin nicht. d) Umfängliche Mittelausstattung Die Bundesregierung erhält aus dem Bundeshaushalt eine erhebliche479 Ausstattung mit finanziellen Mitteln.480 Selbstverständlich können die Parteien, welche die Regierung tragen, nicht unmittelbar auf diese Staatsfinanzen zurückgreifen. Da aber auch die Bundesregierung, deren Mitglieder in aller Regel führende Persönlichkeiten ihrer Parteien (meist sogar die Bundesvorsitzenden) sind, im Amt bleiben möchte, ist es in der Vergangenheit immer wieder zu der Situation gekommen, dass Regierungsmitglieder Werbung für die Arbeit der Regierung gemacht haben.481 Diese Inszenierung kommt – wie von den einzelnen Mitgliedern beabsichtigt – am Ende auch den Parteien zugute. Aufgrund der zusätzlichen finanziellen Ressourcen entsteht ein Ungleichgewicht zwischen den Regierungs- und den Oppositionsparteien. Das Gemeinwesen hat kein objektives Interesse daran, dass nur die Mitglieder bestimmter Parteien in Regierungsverantwortung kommen. Vielmehr verlangt das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) die rechtliche wie faktische Möglichkeit eines regelmäßigen Wechsels der regierenden Personen.482 Zudem würde die Wettbewerbslage zwischen den Parteien evident verfälscht, dürfte die Bundesregierung mit zusätzlichen öffentlichen Mitteln die sie tragenden Parteien unterstützen. 477

So auch BVerfGE 138, 102, 120 – Schwesig. Vgl. unter C. I. 3. b) (1). 479 Allein das Bundeskanzleramt zählt etwa 620 (vgl. die Information des Bundeskanzleramts, unter: https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Artikel/2009/10/2 009 - 09 - 22-bk-dienstsitze.html?nn=391346 (abgerufen am 20. 06. 2016)), das Bundespräsidialamt dagegen nur 180 Mitarbeiter (vgl. die Information des Bundespräsidialamts, unter: http:// www.bundespraesident.de/DE/Amt-und-Aufgaben/Bundespraesidialamt/bundespraesidialamtnode.html (abgerufen am 20. 06. 2016)). 480 Vgl. etwa den Haushaltsplan für 2016: Auf die Bundesregierung entfallen 275,6 Milliarden Euro von insgesamt 316,9 Milliarden Euro an Ausgaben (vgl. Anlage, Teil I, zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) vom 21. 12. 2015, BGBl. I, S. 2378). 481 Vgl. bereits BVerfGE 44, 125, 125 ff. – Öffentlichkeitsarbeit; 63, 230, 230 ff. – Öffentlichkeitsarbeit II. 482 Vgl. statt vieler Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG, II Rn. 15. 478

II. Die Bundesregierung als Adressatin der Neutralitätspflicht

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Den Oppositionsparteien stehen derartige Möglichkeiten nicht zur Verfügung. Sie sind strukturell ohnehin bereits im Nachteil, da die Mitglieder der Bundesregierung meist mehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen als einfache Bundestagsabgeordnete oder sonstige Oppositionspolitiker. Weil es der Bundesregierung nicht verwehrt sein kann, die eigene Arbeit in positivem Licht darzustellen, haben die außerhalb der Regierung stehenden Parteien deutlich weniger Gelegenheiten zur Eigenwerbung. Diese Situation ist dem grundgesetzlichen System von Regierung und Opposition immanent und deshalb hinzunehmen.483 Sie darf aber keinesfalls noch durch zusätzliche Mittelgewährungen verschärft werden.484 Die Bundesregierung kann also mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen keine Parteiwerbung betreiben. Dieses Postulat schließt sowohl positive als auch abwertende Äußerungen ein. Das Maß der finanziellen Ausstattung, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsorgane zur Verfügung steht, ist für den Grad der Neutralitätspflicht hingegen unerheblich. Denn auch der Bundespräsident vermag – mit vergleichsweise wenigen Mitteln – große Aufmerksamkeit durch öffentliche Reden und Stellungnahmen zu erregen.485 Die Bundesregierung muss lediglich sicherstellen, dass ihre Ressourcen in verfassungskonformer Weise eingesetzt werden. e) Geringe persönliche Amtsausfüllungsmöglichkeiten Entsprechend zu den Feststellungen im Hinblick auf den Bundespräsidenten486 verschärft sich die Neutralitätspflicht der Bundesregierung nicht deswegen, weil die Regierungsämter weniger stark von der Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers abhängen. Erstens handelt es sich hierbei um kein entscheidendes Kriterium. Zweitens sind die Vorschriften zur Bundesregierung hinsichtlich ihrer Stellung und ihren Verhaltenspflichten gegenüber Parteien ähnlich inhaltsleer wie die zum Bundespräsidenten, sodass sich ohnehin kein spürbarer Unterschied ergibt. f) Fachliches Vertrauen in die Bundesregierung Während das Vertrauen der Bevölkerung gegenüber dem Bundespräsidenten vor allem auf moralischen Aspekten fußt, gründet sich dieses Vertrauen gegenüber der Bundesregierung vorwiegend auf fachliche Gesichtspunkte. „[D]ie Verfügung über staatliche Ressourcen in personeller, technischer, medialer und finanzieller Hinsicht“487 vermittelt zudem den berechtigten Eindruck eines Informationsvorsprungs der Regierung.488 Über das bei Medien und Volk gemeinhin vorhandene Wissen 483 484 485 486 487 488

So auch BVerfGE 138, 102, 115 – Schwesig. Vgl. auch BVerfGE 44, 125, 141 – Öffentlichkeitsarbeit. Vgl. auch Cornils, in: FS Hufen, 151, 157. Vgl. dazu unter D. I. 2. b) (3). BVerfGE 138, 102, 115 – Schwesig. Vgl. auch Magiera, Parlament und Staatsleitung, S. 232 ff.

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D. Adressaten der Neutralitätspflicht

hinaus hat die Regierung Einblick in die bei ihr zusammenlaufenden Erkenntnisse von Behörden, Nachrichtendiensten und ausländischen Regierungen. Entsprechend ausgebildetes Personal sichert ein gewisses Qualitätsniveau der Datenverarbeitung und die Funktionsfähigkeit der Verwaltung insgesamt. Eine zu sehr betonte und nach außen getragene parteipolitische Prägung der Arbeit würde das Vertrauen des Volkes in die Fachkompetenz der Bundesregierung beeinträchtigen. Es muss deshalb stets einen Bereich des Regierungshandelns geben, der sich dem parteipolitischen Einfluss entzieht. Vor allem die Verwaltungs- und die Informationstätigkeit der Bundesregierung dürfen keine parteipolitische Motivation erkennen lassen. Der Aspekt des fachlichen Vertrauens weist also eine große sachliche Nähe zur Integrationsfunktion der Regierung als Verwaltungsorgan auf.489 Stellt sich die Regierung auch im Rahmen ihrer politischen Führungsaufgabe aber ausschließlich oder überwiegend als Parteiregierung dar und tritt dabei das Element der Gesamtstaatsführung zu sehr in den Hintergrund, kann dies zu einem nicht unerheblichen Vertrauensverlust wegen mangelnder Identifikation der Bevölkerung mit dem Staatsganzen führen.

3. Die Bundesregierung als parteipolitisch neutrales Staatsorgan Von ihrer Natur her ist die Bundesregierung parteipolitisch geprägt und „nicht ,neutrale‘, über den politischen Parteien schwebende Exekutivspitze“490. Sie muss sich dabei auch gezielt gegen die Vorstellungen anderer Parteien positionieren können, da klare Entscheidungen sonst unmöglich werden. Ihre Stellung als Staatsorgan verlangt indes gem. Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG, dass die Bundesregierung die von Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG geprägten Grundrechte der Parteien wahrt und für eine freie Wahlentscheidung im Sinne des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG Sorge trägt.491 Die Bundesregierung ist Vertreterin des parteipolitisch ungebundenen Staates und kann sich in dieser Funktion nicht über das für ihre Aufgabenerfüllung nötige Maß mit den Zielen der sie tragenden Parteien identifizieren. Entscheidend ist dabei nicht, dass die Bundesregierung mehr Mittel zur Verfügung hat als der Bundespräsident,492 sondern dass von ihr überhaupt staatliche Mittel eingesetzt werden können. Auch ihre Funktionen der „Staatsleitung“ und der politischen Integration verlangen wie ihre verwaltenden Aufgaben und das ihr von der Bevölkerung entgegengebrachte fachliche Vertrauen parteipolitische Abstinenz. Nur ihre politischen Führungsaufgaben streiten gegen eine strikte Neutralitätspflicht der Bundesregierung. 489

Vgl. dazu bereits unter D. II. 1. b) (2). BVerfGE 44, 125, 183 – Öffentlichkeitsarbeit (Sondervotum Rottmann); vgl. auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 88; Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 268. 491 So auch BVerfGE 138, 102, 114 – Schwesig. 492 So aber BVerfGE 138, 102, 112 – Schwesig. 490

II. Die Bundesregierung als Adressatin der Neutralitätspflicht

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Die Bereiche der Regierungstätigkeit, die eine parteipolitische Neutralität nahelegen, genießen im Ergebnis deswegen Vorrang, weil das Grundgesetz auch die politische Leitfunktion nicht im Sinne einer Befugnis der Regierung zu wertenden Stellungnahmen gegenüber politischen Parteien, sondern als politischen Gestaltungsauftrag mit Blick auf das Gemeinwohl versteht. Bei dessen Wahrnehmung werden politische Parteien lediglich mittelbar benachteiligt, falls sich die Bundesregierung nicht für deren Auffassungen entscheidet. Wenn also die Bundesregierung beispielsweise einen Mindestlohn in Höhe von zehn Euro fordert, macht sie damit zwar eine parteipolitische Aussage, gibt aber noch keine Wertung im Hinblick auf bestimmte politische Parteien ab, die dieses Ziel nicht teilen. Die Tatsache, dass manche Parteien einen Mindestlohn fordern und andere nicht, reicht nicht aus, um eine verfassungswidrige Benachteiligung bestimmter Parteien (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) oder eine Gefährdung freier Wahlen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) zu erkennen. Vielmehr handelt es sich bei den möglichen negativen Auswirkungen auf die Oppositionsparteien um den bloßen Reflex eines verfassungsrechtlich gebotenen Beitrags der Bundesregierung zur Gestaltung des Gemeinweisens und zur politischen Willensbildung der Bevölkerung. Die politischen Führungsaufgaben der Regierung rechtfertigen demnach keine Absenkung des Neutralitätsmaßstabs. Aus diesem Grund ist die Bundesregierung „zur Beachtung des Neutralitätsgebots verpflichtet. Sie hat jede über das bloße Regierungshandeln hinausgehende Maßnahme, die auf die Willensbildung des Volkes einwirkt und in parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien Einfluss nimmt, zu unterlassen. Es ist ihr von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen […].“493

In der Konsequenz vergrößert das Bundesverfassungsgericht auch – anders als beim Bundespräsidenten – die Kontrolldichte: „Daher bedarf die Beachtung des aus dem Recht der politischen Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb folgenden Neutralitätsgebots uneingeschränkter Kontrolle. Angesichts der verfassungsrechtlichen Stellung der Bundesregierung und de[s] sich daraus ergebenden Risiko[s] für die politischen Parteien ist für eine Reduktion des Kontrollmaßstabs auf willkürliche Verletzungen des Neutralitätsgebots kein Raum.“494

Den Grundrechten der Parteien und der Institution freier Wahlen als zu schützendes Strukturprinzip wird auf diese Weise umfassend Rechnung getragen.

493 494

BVerfGE 138, 102, 115 – Schwesig. BVerfGE 138, 102, 121 – Schwesig.

138

D. Adressaten der Neutralitätspflicht

III. Strikte parteipolitische Neutralität als Pflicht für den Bundespräsidenten und die Bundesregierung Infolgedessen ergibt sich sowohl für die Bundesregierung als auch für den Bundespräsidenten die verfassungsmäßige Pflicht, sich gegenüber politischen Parteien strikt neutral zu verhalten. Für den Bundespräsidenten lässt sich diese Pflicht aus seiner verfassungsrechtlichen Stellung und seinen Aufgaben ableiten, die er allesamt nicht mehr erfüllen könnte, wenn er sich parteipolitisch positionieren würde.495 Aber auch die Bundesregierung vermag bei der Außerachtlassung der parteipolitischen Neutralität wesentliche Aspekte ihres grundgesetzlichen Pflichtenkreises nicht mehr wahrzunehmen.496 So richtig also die scharfe Herangehensweise des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die Bundesregierung ist, so wenig versteht man seine davon abweichende Haltung gegenüber den Äußerungen des Bundespräsidenten.497 Der Senat begründet den strengen Maßstab, den er an die Aussagen von Regierungsmitgliedern anlegt, mit dem Potential498 ihrer erheblichen Rückwirkung auf die Meinungsbildung der Bevölkerung. Das vom Senat erkannte „Risiko für die politischen Parteien“499 besteht indes bei parteipolitischen Positionierungen beider Staatsorgane gleichermaßen. Denn die Gefahr für die Parteien basiert nicht auf besonderen rechtlichen Kompetenzen der Regierung, sondern ist eher faktischer Natur.500 Eine Differenzierung zwischen den Staatsorganen geht deshalb im Ergebnis fehl.

495

Vgl. dazu insbesondere D. I. 2. a) (1). Vgl. dazu D. II. 2. 497 Vgl. BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. 498 Vgl. BVerfGE 138, 102, 112 f. – Schwesig. 499 BVerfGE 138, 102, 121 – Schwesig. 500 Vgl. auch Cornils, in: FS Hufen, 151, 157; Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, 215, 215; a.A. Badenhausen/Löbel, VR 2014, 357, 359, die angesichts der wenigen Entscheidungsbefugnisse des Präsidenten ein Risiko des Missbrauchs der von BVerfGE 136, 323, 323 ff. – Spinner eingeräumten Redebefugnisse ausschließen, was unter Berücksichtigung der auch von den Autoren betonten „Macht des Wortes“ des Bundespräsidenten nicht überzeugt. 496

E. Wirkungsmöglichkeiten Die aufgezeigten Grenzen der Äußerungsbefugnisse von Bundesregierung und Bundespräsident bleiben nicht ohne Ausnahmen. Vielmehr bestehen mannigfaltige Wirkungsmöglichkeiten, die den Staatsorganen Handlungsspielräume eröffnen, damit sie ihren verfassungsmäßigen Aufgaben nachkommen, ihre Rechte als Privatpersonen wahrnehmen und schließlich auch das Wertesystem des Grundgesetzes effektiv verteidigen können. Rechtsdogmatisch handelt es sich bei diesen Gestaltungsoptionen um Rechtfertigungsgründe, soweit es um Grundrechtsverletzungen (insbesondere also um Beeinträchtigungen von Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) geht. Ist hingegen ausschließlich Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG betroffen, bewirken die Handlungsmöglichkeiten – als Ergebnis einer Abwägung zwischen den jeweils betroffenen Rechtsgütern – eine Durchbrechung der Neutralitätspflicht.

I. Nicht rechtfertigbare Äußerungen Die Rechtfertigung einer Äußerung bzw. die Durchbrechung der Neutralitätspflicht scheidet bei solchen Äußerungen von vornherein aus, die in anderen Zusammenhängen als „Schmähkritik“ bezeichnet werden.1 „Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts hat das Bundesverfassungsgericht den in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff der Schmähkritik aber eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muß vielmehr, daß bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen“.2

Bei derartigen Aussagen begrenzt das Bundesverfassungsgericht den Rechtsschutz zutreffend schon bei Auseinandersetzungen zwischen Privaten. So ist eine Berufung auf die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) grundsätzlich nicht möglich.3 Äußert sich ein Staatsorgan auf diese abwertende Weise gegenüber den 1

So wohl auch BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner; 138, 102, 114 – Schwesig. BVerfGE 93, 266, 294 – Soldaten sind Mörder; 82, 272, 283 f. – Zwangsdemokrat; vgl. auch BVerfG NJW 2003, 3760, 3760; sowie jüngst BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. 09. 2015, Az.: 1 BvR 3217/14, juris-Rn. 14. 3 Vgl. BVerfGE 61, 1, 12 – NPD von Europa; 93, 266, 294 – Soldaten sind Mörder; sowie jüngst BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. 09. 2015, Az.: 1 BvR 3217/14, Orientierungssatz 2. 2

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E. Wirkungsmöglichkeiten

privaten4 Parteien, duldet dies die Verfassungsordnung erst recht nicht.5 Dafür, dass ein Staatsorgan kraft seiner Autorität und dem ihm in der Bevölkerung zukommenden Ansehen eine politische Partei beleidigt, kann es keine verfassungsrechtliche Veranlassung geben. Staatsorgane müssen die Würde des Gemeinwesens bei ihrem gesamten Verhalten stets im Blick haben. Das Herabsinken auf eine unbedachte und die Ehre des Gegenübers nicht mehr berücksichtigende Ausdrucksweise entspricht dieser Stellung von Staatsorganen nicht. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert die Unantastbarkeit der menschlichen Würde und gibt den staatlichen Organen zugleich den Auftrag zu deren Achtung und Schutz. Da sich auch Parteien eingeschränkt6 auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG berufen können und beleidigende Äußerungen eine massive Beeinträchtigung ihrer Chancengleichheit bedeuten, bewegen sich Staatsorgane mit Beleidigungen in einem äußerst eingriffsintensiven Bereich. Hier sind stets andere Formen der Kommunikation zu wählen. Einfachgesetzlichen Rückhalt findet dieses Ergebnis in den strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 185 ff. StGB, an die sich Staatsorgane (als Ausdruck des Vorrangs des Gesetzes) schon wegen Art. 20 Abs. 3 GG zu halten haben.

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten In zahlreichen Situationen ist den Staatsorganen eine parteipolitische Zurückhaltung nicht mehr zumutbar. Vor allem aus der Notwendigkeit, staatlichen Funktionsträgern die politische Auseinandersetzung im Wahlkampf zu ermöglichen, sowie aus dem grundgesetzlichen Wertesystem ergeben sich deshalb unter Umständen Grenzen ihrer strikten Neutralitätspflicht.

1. Das Handeln als Privatperson Sowohl die Mitglieder der Bundesregierung als auch der Bundespräsident sind Menschen, die nicht nur im Dienst des Staates stehen, sondern auch als Privatpersonen handeln.7 Ihre unterschiedlichen Kommunikationsrollen müssen bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung parteipolitischer Äußerungen stets Berücksichtigung finden.8 4

Vgl. dazu unter C. III. 1. b) (2) (b). Vgl. auch Gröpl/Zembruski, JURA 2016, 268, 275. 6 Vgl. dazu bereits unter C. III. 2. b). 7 Vgl. auch BVerfGE 44, 125, 141 – Öffentlichkeitsarbeit, wonach es Mitgliedern der Bundesregierung außerhalb ihrer amtlichen Funktionen gestattet sein muss, für eine Partei in den Wahlkampf einzugreifen. 8 So auch RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665, 667; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1016. 5

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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a) Existenz einer höchstpersönlichen und einer parteipolitischen Sphäre Nicht dem staatlichen Bereich zuzuordnen sind solche Äußerungen, die Organwalter im heimischen Umfeld und in einem politischen Diskurs tätigen, in dem sie nicht als Staatsorgane, sondern als Repräsentanten ihrer Partei in Erscheinung treten. Auch bei staatlichen Akteuren gibt es immer eine private Dimension, die es vor staatlichen Eingriffen und Pflichten zu schützen gilt. Mit der Entscheidung, ein Staatsamt zu bekleiden, geht nicht ein umfassender Verzicht auf Grundrechte einher.9 Beschränkungen unterliegt ferner nicht die Person des Amtsinhabers, sondern das Amt. Die Mittlerwirkung des Amtes kann aber nicht weiter reichen als das Amt selbst. Dort also, wo das Amt endet, besteht auch keine prinzipielle Grundrechtspflichtigkeit mehr. (1) Kernbereich privater Lebensgestaltung Die höchstpersönliche Sphäre umfasst alle Handlungen, die dem Kernbereich der privaten Lebensführung der Organwalter unterfallen. Die nach Art. 1 Abs. 1 GG stets garantierte Unantastbarkeit der Menschenwürde fordert auch im Gewährleistungsbereich des Art. 21 Abs. 1 GG den Schutz individueller Entfaltung: „Art. 10 Abs. 1 GG gewährleistet die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Kommunikation und schützt damit zugleich die Würde des Menschen […]. Der Schutz ist allerdings anders ausgestaltet als der des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG. Auf Grund des besonders engen Bezugs dieses Grundrechts zur Menschenwürde gewährt Art. 13 GG einen absoluten Schutz des Verhaltens in den Wohnräumen, soweit es sich als individuelle Entfaltung im Kernbereich privater Lebensgestaltung darstellt […]. Für sie benötigt jeder Mensch ein räumliches Substrat, in dem er für sich sein und sich nach selbst gesetzten Maßstäben frei entfalten, also die Wohnung bei Bedarf als ,letztes Refugium‘ zur Wahrung seiner Menschenwürde nutzen kann […].“10

Diese für die Wohnraumüberwachung entwickelten Grundsätze gelten allgemein für den Schutz des beschriebenen Lebensmittelpunkts eines Menschen und können deshalb auch für Äußerungen von Amtsträgern im heimischen Bereich fruchtbar gemacht werden. Den Amtsinhabern kann eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Pflichten nicht vorgeworfen werden, wenn sie sich im Rahmen dieses Kernbereichs äußern. Ihre höchstpersönliche Sphäre ist als absolut unantastbar geschützt.11 Auch 9 Vgl. auch BVerfGE 138, 102, 117 – Schwesig; RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665, 667; ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273, 276; Gröpl/Zembruski, JURA 2016, 268, 271; vgl. aber Nierhaus, in: Sachs, Art. 54 GG, Rn. 22, der unter Verweis auf Schlaich, in: HbStR II 1987, § 48, Rn. 13 etwas missverständlich davon spricht, dass das Amt die Person aufsauge. 10 BVerfGE 113, 348, 391 – Telekommunikationsüberwachung. 11 Vgl. nur BVerfGE 119, 1, 29 f. – Esra; 120, 274, 335 – Online-Durchsuchung; 124, 43, 69 – E-Mail-Beschlagnahme; 130, 1, 22 – Al Quaida.

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E. Wirkungsmöglichkeiten

wenn es bei den Äußerungsbefugnissen von Staatsorganen freilich nicht um Eingriffsbefugnisse des Staates bei der Telekommunikations- und Wohnraumüberwachung geht, wird doch deutlich, dass der Staat gegenüber jedem Menschen ab einem gewissen Punkt Zurückhaltung üben muss. Er darf zum einen nicht aktiv in den Kernbereich der Lebensgestaltung eindringen und zum anderen den für ihn tätigen Personen keine in diesen Bereich hineinwirkende Verpflichtung auferlegen. Die jedem Organwalter zukommende Menschenwürde überwiegt in diesem Fall. Eine noch so negative Äußerung darf keinerlei verfassungsrechtliche Sanktion für den Amtsinhaber nach sich ziehen. Hiervon unberührt bleibt aber ggf. eine strafrechtliche Verfolgung (§§ 185 ff. StGB). Für dieses Ergebnis sprechen im Übrigen auch die Erwägungen zur Ermittlungspflicht von Staatsanwälten gem. § 152 Abs. 2 StPO (für Polizeibeamte i.V.m. § 163 Abs. 1 StPO) bei privat gewonnenen Kenntnissen zu Straftaten: „Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ist ein Polizeibeamter verpflichtet, seine Dienststelle über privat gewonnenes Wissen strafbarer Handlungen in Kenntnis zu setzen, wenn diese strafbaren Handlungen in die Phase seiner Dienstausübung hineinreichen und wenn eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Straftatverhinderung bzw. Straftatverfolgung und dem privaten Interesse des Beamten am Schutz seiner Privatsphäre angesichts der Schwere der Straftat ein Überwiegen des öffentlichen Interesses ergibt […].“12

Es stehen sich also das Recht auf den Schutz der Privatsphäre des Polizeibeamten oder des Staatsanwalts aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und die Pflicht zur Beachtung derjenigen Vorschriften, die bei der Diensterfüllung gelten, gegenüber. Ist hingegen keinerlei Dienstbezug vorhanden, kommt eine Bindung an §§ 152 und 161 StPO grundsätzlich nicht in Betracht.13 Die Privatsphäre genießt in einem solchen Fall Vorrang. Bei Äußerungen von Staatsorganen wird der Bezug zum Amt schon dann zu bejahen sein, wenn der jeweilige Organwalter für Außenstehende erkennbar öffentlich auftritt, da jeder verständige Dritte dabei immer auch das Staatsamt vor Augen hat.14 Nur wenn der Bundespräsident oder das Mitglied der Bundesregierung im rein privaten Bereich bleiben, wie es etwa bei Familienfeiern, im Urlaub oder bei Treffen mit privaten Freunden anzunehmen ist, und ein verständiger Dritter keinerlei Bezugnahme auf das Staatsamt und die Parteifunktion wahrnimmt, kann von einer ausbleibenden Grundrechtsbindung ausgegangen werden.15

12

BVerfG NJW 2003, 1030, 1030. Vgl. etwa BGHSt 38, 388, 389. 14 Vgl. hierzu noch näher unter E. II. 1. c) (2). 15 Dringen Inhalte von privaten Gesprächen nach außen, ändert dies nichts daran, dass der Organwalter in der Situation der Tätigung der Aussage nicht grundrechtspflichtig war und deshalb ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht nicht in Betracht kommt. 13

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

143

(2) Parteipolitische Sphäre Die Betätigung im parteipolitischen Diskurs – wie etwa die Teilnahme an Talkshows und Parteitagen – beschreibt eine weitere Sphäre, in der sich das Staatsorgan bewegen kann. Ein Abstellen auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung ist dann nicht möglich, weil die jeweilige Person nach außen in Erscheinung tritt. Besondere Bedeutung erlangt hierbei aber das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, auf das die Funktionsträger durch die Amtsübernahme nicht verzichtet haben. Darüber hinaus gibt auch Art. 3 Abs. 1 GG vor, dass Parteipolitiker, die zugleich ein Staatsamt bekleiden, dennoch die Möglichkeit haben müssen, Werbung für ihre Partei zu betreiben und als aktiver Teil der politischen Auseinandersetzung in Erscheinung zu treten. Andernfalls würde die Partei in ihrem Recht auf Chancengleichheit über Gebühr beeinträchtigt, da diejenigen Politiker, die auch ein Regierungsamt innehaben, in aller Regel führende und damit wichtige Persönlichkeiten in der jeweiligen Partei sind.16 Aus dem Grundgesetz ergibt sich demzufolge neben der staatlichen und höchstpersönlichen auch eine parteipolitische Sphäre der Amtsinhaber, in der sich die Grundrechte der Politiker Raum verschaffen können. b) Sonderstellung des Bundespräsidenten Dem Bundespräsidenten sind parteipolitische Äußerungen auch auf reinen Parteiveranstaltungen verwehrt, weil es für ihn angesichts seiner verfassungsmäßigen Aufgaben17 keinen Anlass zu solchen Aussagen gibt. Ihm steht nur die Möglichkeit offen, sich im persönlichen Umfeld privat zu äußern.18 Sobald der Bundespräsident aber in irgendeiner Form öffentlich auftritt, betrachtet man ihn nicht als Parteivertreter, sondern immer als Staatsoberhaupt. Politische Führung gehört – anders als bei den Mitgliedern der Bundesregierung – nicht zu den Aufträgen, die das Grundgesetz für den Präsidenten vorsieht. Der Inhaber des Präsidentenamts ist nach der verfassungsrechtlichen Konzeption auch nicht zugleich ein hoher Vertreter seiner Partei. Anders als bei der Bundesregierung (vgl. vor allem Art. 63 f., Art. 67, Art. 68 GG) sieht das Grundgesetz keine Überschneidungen im Sinne von Abhängigkeiten zwischen Staatsamt und parteipolitisch durchsetztem Parlament vor. Deshalb kann ihm auch der Rechtfertigungsgrund der freien politischen Meinungsäußerung in einer parteipolitischen Sphäre, die den Regierungsmitgliedern gerade wegen ihrer ambivalenten verfassungsrechtlichen Stellung zukommt,19 nicht zur Seite stehen.

16 17 18 19

Vgl. hierzu auch BVerfGE 138, 102, 117 – Schwesig. Vgl. hierzu unter D. I. 1. c). So auch Butzer, ZG 2015, 97, 100. Vgl. dazu unter D. II. 1. b).

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E. Wirkungsmöglichkeiten

c) Bestimmung der aktiven Sphäre Probleme bei der Bestimmung der Sphäre, in der der jeweilige Organwalter bei Tätigung der Aussage agiert, bereitet vor allem die Differenzierung zwischen parteipolitischer und staatlicher Sphäre. Der höchstpersönliche Bereich ist dadurch abgrenzbar, dass der Auftritt des Amtsinhabers nach seiner objektiven Zielrichtung ein privates Internum sein soll. (1) Fälle klarer Zuordnung mittels Typisierungen Ob ein Politiker in parteipolitischer oder amtlicher Funktion aktiv wird, kann häufig nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Dennoch gibt es Situationen, in denen die Zuordnung zu einem bestimmten Bereich naheliegt, da sich entweder aus der Aussage selbst oder aus deren Kontext entsprechende Indizien ablesen lassen, die eine Typisierung ermöglichen. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts nimmt in der „Schwesig“-Entscheidung einige beispielhafte Situationen in den Blick, in denen die Mitglieder der Bundesregierung parteipolitisch in Erscheinung treten, und bewertet diese hinsichtlich ihrer Zuordnung zu bestimmten Sphären. Der Funktion als Staatsorgan entstammten demnach solche Äußerungen, bei denen ausdrücklich auf das Amt Bezug genommen werde oder ausschließlich Maßnahmen bzw. Vorhaben des Organs zum Gegenstand gemacht würden.20 Amtsautorität werde ferner in Anspruch genommen, wenn der Amtsinhaber Sach- oder Finanzmittel, die einem Regierungsmitglied aufgrund seines Amtes zur Verfügung stünden, einsetze21 oder wenn er sich durch amtliche Verlautbarungen unter Verwendung von Staatssymbolen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs22 erkläre.23 Demgegenüber sei eine schlichte Beteiligung am politischen Wettbewerb anzunehmen, wenn sich ein Regierungsmitglied auf Parteitagen oder vergleichbaren Parteiveranstaltungen äußere.24 Den Ausführungen des Senats ist zuzustimmen. Auf Parteiveranstaltungen tritt die Wahrnehmung des Politikers als Staatsorgan so weit zurück, dass typischerweise kein hinreichender Bezug zum Amt mehr vorhanden bleibt. Hingegen kann bei der Verwendung von finanziellen Mitteln oder von Zeichen, die die Autorität des Staates und das diesem entgegengebrachte Vertrauen in Bezug nehmen, grundsätzlich keine Einordnung in den parteipolitischen Bereich mehr erfolgen. Freilich können sich im Einzelfall – besonders, wenn es zu Überschneidungen der dargestellten Kriterien kommt – aber abweichende Beurteilungen ergeben. Relevant ist die objektivierte

20 21 22 23 24

Vgl. BVerfGE 138, 102, 118 f. – Schwesig. Vgl. hierzu bereits BVerfGE 44, 125, 143 – Öffentlichkeitsarbeit. Vgl. hierzu insbesondere auch BVerfGE 140, 225, 227 – Wanka. Vgl. BVerfGE 138, 102, 119 – Schwesig. Vgl. BVerfGE 138, 102, 119 – Schwesig.

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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Einschätzung eines „verständigen Beobachters“25, „aufgeschlossenen Durchschnittswählers“26, „unbefangenen Lesers“27 bzw. „mündigen Wahlbürgers“28. (2) Zweifelsfälle Sind keine besonderen Anhaltspunkte ersichtlich, die die Zuordnung zu einem Bereich für geboten erscheinen lassen, muss hingegen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis gefunden werden, mit dessen Hilfe Zweifelsfragen geklärt werden können. Tritt etwa Angela Merkel in einer Talkshow auf oder gibt sie einem Fernsehsender ein Interview, ist sie immer als CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin zugleich angesprochen. Regelmäßig werden auch beide Titel genannt. Jeder Versuch einer Aufspaltung zwischen den beiden Funktionen wirkt auf den ersten Blick lebensfremd.29 (a) Grundsatz des parteipolitischen Handelns Der Senat geht in der „Schwesig“-Entscheidung offenbar vom Grundsatz des parteipolitischen Handelns aus, weil er für eine staatliche Qualifikation der Äußerung eine Inanspruchnahme der „Autorität des Amtes oder [der] damit verbundenen Ressourcen“ fordert:30 „Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet nur statt, wenn der Inhaber eines Regierungsamtes Möglichkeiten nutzt, die ihm aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen, während sie den politischen Wettbewerbern verschlossen sind. Dies ist insbesondere gegeben, wenn die Äußerung unter Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen erfolgt oder eine erkennbare Bezugnahme auf das Regierungsamt vorliegt und damit die Äußerung mit einer aus der Autorität des Amtes fließenden besonderen Gewichtung versehen wird. Ist dies der Fall, unterliegt das Regierungsmitglied der Bindung an das Neutralitätsgebot. Ansonsten ist seine Äußerung dem allgemeinen politischen Wettbewerb zuzurechnen.“31

25

VGH Mannheim DVBl. 1985, 170, 171. VGH Mannheim NVwZ 1992, 504, 504. 27 BVerwG NVwZ 1997, 1220, 1221. 28 OVG Koblenz NVwZ-RR 1992, 255, 258. 29 Vgl. auch BVerfGE 138, 102, 118 – Schwesig; 44, 125, 186 f. – Öffentlichkeitsarbeit (Sondervotum Rottmann). 30 BVerfGE 138, 102, 117 f. – Schwesig; vgl. auch BVerwG DÖV 1974, 388, 389; ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273, 276; RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665, 667; Putzer, DÖV 2015, 417, 423; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1016, der auf die Notwendigkeit eines extensiven Grundrechtsschutzes der Staatsorgane hinweist und dabei den ebenfalls nötigen Grundrechtsschutz der Parteien außer Acht lässt; Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 271 ff.; Oebbecke, NVwZ 2007, 30, 31. 31 BVerfGE 138, 102, 118 – Schwesig. 26

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E. Wirkungsmöglichkeiten

Dass bei Veranstaltungen des allgemeinen politischen Diskurses die Amtsbezeichnung verwendet werde, sei – so der Senat – dabei noch kein Indiz für die Inanspruchnahme von Amtsautorität, weil staatliche Funktionsträger ihre Amtsbezeichnung ebenso in außerdienstlichen Zusammenhängen führen dürften:32 „Auch insoweit kommt es letztlich für die Geltung des Neutralitätsgebots entscheidend darauf an, ob der Inhaber eines Regierungsamtes seine Aussagen in spezifischer Weise mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt. Dies kann im Rahmen derselben Veranstaltung bei einer Mehrzahl von Aussagen in unterschiedlicher Weise der Fall sein.“33

(b) Grundsatz des staatlichen Handelns Die Betrachtungsweise des Senats überzeugt nicht. Vielmehr gebietet die enorme faktische Wirkung, die parteipolitische Äußerungen von Staatsorganen haben können, einen Ansatz mit umgekehrten Vorzeichen. Nötig ist also das Hervortreten des parteipolitischen Charakters der Aussage, während das staatliche Auftreten des Organs den Grundsatz bildet und deshalb im Zweifel anzunehmen ist.34 Die Auffassung des Senats verkürzt in unverhältnismäßiger Weise die Grundrechte der Parteien, die von Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG ihre besondere Prägung empfangen. In erster Linie nimmt die Öffentlichkeit Personen, die nicht nur führende Parteipolitiker sind, sondern auch hohe Staatsämter bekleiden, als Staatsorgane wahr.35 Wer ein Zeitungsinterview liest, das mit der Verteidigungsministerin geführt wurde, erlebt sie auch zuvorderst in dieser Funktion. Dass sie möglicherweise zugleich stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei ist, hinterlässt nicht den wesentlichen Eindruck beim Wähler. Das Staatsamt prägt mehr, weil es besonders ist. Darüber hinaus hat es auch stets weitreichende Bedeutung, wie sich die Bundesregierung als politisches Leitorgan der Bundesrepublik zu einer Sachfrage positioniert. Auf Aussagen von Ministern wird deshalb immer genau geachtet werden, weil sie von Vertretern des Staates kommen, nicht von einem beliebigen Parteivertreter. Eine Inanspruchnahme der Amtsautorität erfolgt von selbst. Der Wähler kann sich seines Eindrucks, den Politiker vor allem in seiner staatlichen Funktion zu sehen, nicht erwehren. Dies bedeutet freilich nicht, dass jede Äußerung eines Staatsorgans auf einer Dienstreise von vornherein einen amtlichen Bezug aufweist. Ebenso wenig spricht die bloße Nutzung dienstlicher Mittel – wie etwa des Dienstfahrzeugs, das die Organe im Übrigen auch privat verwenden dürfen (§ 14 Abs. 1 S. 1 der Richtlinien für die Nutzung von Dienstkraftfahrzeugen in der Bundesverwaltung [DKfzR]) – vor oder nach einer Aussage schon zwingend für einen staatlichen Charakter. Es bedarf 32

Vgl. BVerfGE 138, 102, 119 f. – Schwesig. BVerfGE 138, 102, 120 – Schwesig. 34 So auch Gröpl/Zembruski, JURA 2016, 268, 273 f.; Mandelartz, DÖV 2015, 326, 328; Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, 215, 216. 35 Vgl. auch Putzer, DÖV 2015, 417, 423; BVerfGE 138, 102, 118 – Schwesig erkennt zumindest an, dass der Betroffene in einer Doppelrolle wahrgenommen wird. 33

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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stets einer genauen Untersuchung des Gesamtzusammenhangs der Äußerung, wie er sich einem vernünftigen Wähler präsentiert. Da aber nach zutreffender Ansicht ohnehin vom Grundsatz des staatlichen Handelns auszugehen ist, spricht der Umstand, dass die Äußerung ohne den staatlichen Rahmen nicht gefallen wäre, jedenfalls nicht für eine parteipolitische Qualifizierung. Auch der bloße Hinweis auf die Parteizugehörigkeit eines Staatsorgans, der bei Regierungsmitgliedern häufig zu finden sein wird, bietet keinen Anhaltspunkt für eine Äußerung in nichtamtlicher Eigenschaft. Es entspricht journalistischer Praxis, neben dem Staatsamt auch auf die Parteizugehörigkeit hinzuweisen.36 In Bezug auf den Gehalt und die Zweckrichtung der Äußerung kann man hieraus folglich nichts schließen.37 Zweifelsohne wird ein Staatsorgan auch auf einem Parteitag maßgeblich als solches wahrgenommen. Doch gilt es die nach außen hervortretende und den Gesamtkontext bestimmende Parteibezogenheit der Äußerung zu berücksichtigen. Zudem muss im Zuge eines schonenden Ausgleichs zwischen den Rechten der Parteien auf der einen und des Staatsorgans auf der anderen Seite dem Organ effektiver Raum zur Wahrnehmung seiner Grundrechte gewährt werden. Dies lässt sich am besten im Rahmen einer offenkundigen Parteiaussage realisieren. Da das Ausmaß der Einwirkung einer Äußerung auf den Wählerwillen als Gradmesser für die Intensität der Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG fungiert,38 muss das Potential der Beeinflussung dieses Willens auch bei der Rechtfertigung des Eingriffs mit privatem Handeln Berücksichtigung finden. Deshalb ist im Grundsatz von einer staatlichen Charakterisierung der Aussage auszugehen. d) Bedeutung des Kontextes einer politischen Äußerung Zu berücksichtigen hat man stets den Zusammenhang, in dem eine Äußerung getätigt wird – sowohl zur Bestimmung der aktiven Sphäre als auch zur Gewichtung in der Gesamtabwägung mit den Grundrechten der Parteien.39 Neben den bereits herausgearbeiteten Aspekten, die die äußeren Umstände einer Aussage betreffen, ist stets auch der inhaltliche Kontext von Relevanz.40 Gibt die jeweilige Äußerung selbst nichts für die Beantwortung der Frage her, ob sie im Rahmen des Staats- oder des 36

In diese Richtung auch BVerfGE 138, 102, 120 – Schwesig mit der Feststellung, dass ein staatlicher Funktionsträger seine Amtsbezeichnung auch in außerdienstlichen Zusammenhängen führen dürfe. Unerheblich ist hingegen, dass der Funktionsträger keinen Einfluss auf die redaktionelle Ausgestaltung des Beitrags hat, da eine Grundrechtsverletzung nicht von einem Verschulden des Amtswalters abhängt (anders aber wohl ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273, 276). 37 Mandelartz, DÖV 2015, 326, 329. 38 Vgl. dazu unter C. III. 3. d) (3). 39 A.A. Krüper, JZ 2015, 414, 415, der die Amtsautorität als etwas von außen Zugeschriebenes sieht, sodass diese von der Amtsperson nicht in Anspruch genommen werden könne. 40 So auch explizit ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273, 276.

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E. Wirkungsmöglichkeiten

Parteiamtes erfolgte, kann auf die übrigen Passagen der Rede oder des Interviews zurückgegriffen werden. Dabei gilt es ggf., zwischen verschiedenen Teilen einer längeren Äußerung zu unterscheiden. So steht es dem Organwalter prinzipiell frei, sich als solches zu äußern, an anderer Stelle aber explizit darauf hinzuweisen, dass diese Aussage nicht als amtliche, sondern als persönliche oder parteipolitische Ansicht zu verstehen sei. Maßgeblich kommt es auf den objektiven Gesamteindruck der Stellungnahme an. Einzelne Aussagen sind nur – auch dann nicht grenzenlos41 – fähig, diesen zu ändern, wenn ein ausdrücklicher Hinweis des Sprechers erfolgt.42 Ein bloß thematischer Schwenk novelliert nicht ohne Weiteres den Charakter der Äußerung. e) Verbleibende Pflichten des „parteipolitischen Organs“ Denkbar ist es, bei Äußerungen des Organwalters in der parteipolitischen Sphäre die Neutralitätspflicht – wie bei der Berührung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung – von vornherein zu verneinen.43 Eine derartige Sichtweise vernachlässigt allerdings die Stellung der Person als Vertreterin einer staatlichen Institution,44 der als solcher erfahrungsgemäß besonders große öffentliche Aufmerksamkeit und weitgehendes Vertrauen entgegengebracht werden.45 Wenn beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag im Dezember 2014 in Köln angesichts der geplanten Öffnung der SPD für Koalitionen mit der Partei „Die Linke“ fragt, „wie viel kleiner […] sich die SPD eigentlich noch machen“46 wolle, erkennt ein objektiver Dritter zwar eine eindeutige Zuordnung zur parteipolitischen Sphäre der Kanzlerin, der Niederschlag auf die wahlstrategische Position der SPD ist aber nicht gänzlich vernachlässigbar. Das absolute und starre „Alles-oder-nichts“-Prinzip des Bundesverfassungsgerichts47 und des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz48 leuchtet auch angesichts der schwierigen und unscharfen Differenzierbarkeit zwischen parteipolitischen und organbezogenen Aussagen nicht ein.49 Personen, die ein Regierungsamt übernommen haben, verpflichtet das Grundgesetz – außer in höchstpersönlichen Bereichen – grundsätzlich immer auf die Grundrechte (Art. 1 41

Vgl. sogleich unter E. II. 1. e). Freilich kann dies nicht gelten, wenn der Wunsch, sich in einer bestimmten Sphäre zu äußern, nicht kundgetan wurde (vgl. hierzu auch Mast, K&R 2016, 542, 543, der zu Recht eine wachsende Rechtsunsicherheit befürchtet). 43 So wohl BVerfGE 138, 102, 117 ff. – Schwesig. 44 So auch Putzer, DÖV 2015, 417, 423; Häberle, JZ 1977, 361, 365. 45 Vgl. dazu unter D. I. 2. a) (4) und D. II. 2. e). 46 Merkel, in: Internetauftritt des CDU-Parteitags in Köln 2014, unter: http://www.koeln2 014.cdu.de/sites/default/files/media/docs/141209-rede-merkel.pdf (abgerufen am 02. 03. 2016). 47 Vgl. BVerfGE 138, 102, 117 – Schwesig. 48 Vgl. RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665, 668. 49 So auch Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, 215, 216; a.A. Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 276. 42

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Daher ist stets im Wege der praktischen Konkordanz50 ein schonender Ausgleich zwischen den Rechten der Parteien und denen der Politiker zu finden. Würden den Organwaltern bei parteipolitischen Äußerungen ihre unbeschränkten Bürgerrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG zustehen, könnten sie vollkommen losgelöst von jeder staatlichen Verfassungsbindung und der Verpflichtung nach Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG agieren. Das Strafrecht (§§ 185 ff. StGB), das aber freilich nur die gröbsten Verstöße zu erfassen vermag, bildete die einzige – und auch nur einfachgesetzliche – Grenze. Dies wird den Parteigrundrechten und dem Stellenwert freier Wahlen nicht gerecht. Dass auch parteipolitisch handelnde Staatsorgane nicht gänzlich von ihrer Neutralitätspflicht entbunden werden können, ist schon deswegen geboten, weil ansonsten die Gefahr einer missbräuchlichen Nutzung parteipolitischer Plattformen droht. So könnte der Organwalter behaupten, er spreche nun als Parteivertreter, und anschließend harte Angriffe auf eine Partei vorbringen oder seine ihm im Staatsamt untersagten Äußerungen auf Parteitage verschieben. Die enorme faktische Wirkung der Äußerungen von Staatsorganen verwehrt es ihnen, ihre Meinungen „wie jeder andere Bürger“ kundzutun,51 und verlangt vielmehr vom parteipolitisch Handelnden Neutralität dergestalt, dass eine bewusste Ausgrenzung zu unterbleiben hat.52 Dies bedeutet keine Durchbrechung des Grundsatzes, dass nur der Staat und seine Organe grundrechtspflichtig sind, sondern ist das Resultat einer aus Wertungsgründen gebotenen Ausstrahlung der staatlichen Sphäre des Organwalters auf seine parteipolitische Sphäre. Wann eine solche Ausgrenzung vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls und richtet sich danach, wie stark aus der objektiven Sicht eines verständigen Wählers die Auswirkungen auf die Chancengleichheit der Partei sind. Die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden Aspekte sind die gleichen wie bei der Beurteilung der Intensität der Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG.53 Auch hier erhebt die dort dargestellte Liste an Faktoren freilich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie vermag aber Anhaltspunkte für die zutreffende Einordnung zu bieten. Während also private und staatliche Äußerungen eindeutige Rechtsfolgen zeitigen, stellt sich die Beurteilung parteipolitischer Aussagen als verfassungsrechtlich äußerst problematisch dar. Hier haben die Gerichte anhand der dargestellten Kriterien den schonenden Ausgleich der Rechte und Interessen zu schaffen.

50

Vgl. allgemein zur praktischen Konkordanz Hesse, Grundzüge, Rn. 72. So aber RhPfVerfGH NVwZ-RR 2014, 665, 668. 52 Übersteigertes Lob für eine Partei begründet hier keinen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht, da dieses weit weniger eingriffsintensiv als eine abwertende Bemerkung ist und deshalb wertungsmäßig keine Grundrechtsverpflichtung in der parteipolitischen Sphäre rechtfertigt. 53 Vgl. hierzu unter C. III. 3. d) (3). 51

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E. Wirkungsmöglichkeiten

2. Zulässige Öffentlichkeitsarbeit Mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit tritt die Bundesregierung an die Bevölkerung heran, um sie über ihre Politik und aktuelle Fragen des Gemeinschaftslebens zu informieren (vgl. auch § 25 Abs. 4 S. 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien).54 Diese Form der Kommunikation befähigt den Bürger, als mündiger Teil der Gesellschaft gestaltend aktiv zu werden, und ist für eine moderne Demokratie unverzichtbar. Sieht man in der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit vor diesem Hintergrund eine verfassungsmäßige Aufgabe der Regierung, kann die Information der Wähler über verfassungsfeindliche Bestrebungen einer Partei durchaus ein legitimier Zweck sein, der es der Regierung erlaubt, in die Chancengleichheit der Parteien aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG einzugreifen. a) Öffentlichkeitsarbeit und Informationstätigkeit An sich gilt es zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Informationstätigkeit der Bundesregierung zu unterscheiden. In ihrer Öffentlichkeitsarbeit stellt die Regierung ihre eigene Tätigkeit vor, im Rahmen der Informationsarbeit berichtet sie über Dritte und etwaige Bedrohungen für die Gemeinschaft.55 Gleichwohl eignen sich beide genannten Formen, um parteipolitische Äußerungen zu tätigen, und unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen und Grenzen nicht. Sie sollen deshalb im Folgenden gemeinsam untersucht werden. b) Sonderstellung des Bundespräsidenten Zunächst ist zu konstatieren, dass sich der Bundespräsident auf diese Ausnahme von der Neutralitätspflicht nicht berufen kann. Zwar gehört auch er im weitesten Sinne zur „Staatsleitung“,56 seine grundgesetzliche Rolle besteht aber nicht darin, den ihm zukommenden Informationsvorsprung mit der Bevölkerung zu teilen. Gemäß seinen Kompetenzen ist er nicht mit der Analyse und Bewertung der politischen Ziele von Parteien im Rahmen des Verfassungsschutzes betraut. Informationen über verfassungsfeindliche Parteien würden bei ihm nicht auf verwaltungsmäßig erhobenen Daten beruhen, sondern auf eigenständigen Bewertungen, die keinen objektiven und sachlichen Informationsgehalt besitzen. 54 Gem. § 47 Abs. 3 AbgG sind auch die Bundestagsfraktionen berechtigt, die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit zu informieren. 55 Fuchs, VBlBW. 2015, 401, 404 unterscheidet noch weiter zwischen Öffentlichkeits- und Pressearbeit der Regierung, da bei der Pressearbeit die Person des Ministers, nicht die Bilanz des Ministeriums im Vordergrund stehe. Ob eine solche Differenzierung zutreffend ist, kann bereits bezweifelt werden, jedenfalls aber führen Öffentlichkeits- und Pressearbeit nicht zu unterschiedlich ausgeprägten Neutralitätspflichten, da sich der Minister in beiden Fällen im Rahmen seiner Amtstätigkeit äußert. Dies sieht auch Fuchs letztlich wohl nicht anders. 56 Vgl. hierzu unter D. I. 1. e) (4).

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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c) Bedeutung und Gebotenheit staatlicher Öffentlichkeitsarbeit Das Grundgesetz sieht die Bundesregierung als staatsleitendes Organ.57 Die Aufgabe der „Staatsleitung“ umfasst als integralen Bestandteil u. a. die Informationsarbeit.58 Anhaltspunkte dafür, dass die Regierung die ihr vorliegenden Informationen mit anderen Gremien und letztlich auch dem Volk teilen muss, lassen sich in verschiedenen Informationspflichten der Bundesregierung erkennen. So muss sie den Bundesrat über die Führung der Geschäfte auf dem Laufenden halten (Art. 53 S. 3 GG) sowie den Abgeordneten die zur Ausübung ihres Mandats nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG erforderlichen Informationen verschaffen.59 Die Öffentlichkeitsarbeit von Staatsorganen ist vor diesem Hintergrund nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern vielmehr notwendig.60 Damit die Bundesregierung ihrer Informationspflicht nachkommen kann, muss sie den offenen Kontakt zur Bevölkerung suchen: „Die Demokratie des Grundgesetzes bedarf – unbeschadet sachlicher Differenzen in Einzelfragen – eines weitgehenden Einverständnisses der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung. Dieser Grundkonsens wird von dem Bewußtsein der Bürger getragen, daß der vom Grundgesetz verfaßte Staat dem Einzelnen im Gegensatz zu totalitär verfaßten Staaten einen weiten Freiheitsraum zur Entfaltung im privaten wie im öffentlichen Bereich offenhält und gewährleistet. Diesen Grundkonsens lebendig zu erhalten, ist Aufgabe staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. In den Rahmen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit fällt, daß Regierung und gesetzgebende Körperschaften – bezogen auf ihre Organtätigkeit – der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern […]. Eine verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung des Volkes setzt voraus, daß der Einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen, von den durch die verfaßten Staatsorgane getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschlägen genügend weiß, um sie beurteilen, billigen oder verwerfen zu können. Auch dazu vermag staatliche Öffentlichkeitsarbeit einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Je mehr der Einzelne auf diese Weise zur eigenen Beurteilung aufgerufen und in ihm das Bewußtsein wachgehalten wird, als selbstverantwortliches Glied der Rechtsgemeinschaft die Gestaltung, Ausformung und Konkretisierung der für alle verbindlichen Rechtsordnung zu beeinflussen und an den grundlegenden politischen Entscheidungen beteiligt zu sein, um so leichter wird es ihm, den vom Grundgesetz verfaßten Staat, der ihm diese Möglichkeiten eröffnet, als seinen Staat anzunehmen.“61

57

Vgl. dazu unter D. II. 1. b) (1). Vgl. dazu bereits unter D. II. 1. a) (2) (c). 59 Vgl. dazu auch BVerfGE 13, 123, 125 f. – Fragestunde; 57, 1, 5 – NPD – Kleine Anfrage; 67, 100, 129 – Flick-Ausschuss; 105, 252, 270 – Glykol; 105, 279, 306 – Osho. 60 BVerfGE 44, 125, 147 – Öffentlichkeitsarbeit; 105, 252, 269 – Glykol; 105, 279, 301 – Osho; vgl. auch ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295, 298. 61 BVerfGE 44, 125, 147 – Öffentlichkeitsarbeit. 58

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E. Wirkungsmöglichkeiten

Aufgabe staatlicher Öffentlichkeitsarbeit ist es demnach, Zusammenhänge offenzulegen, Verständnis für erforderliche Maßnahmen zu wecken oder um ein bestimmtes Verhalten zu werben. d) Voraussetzungen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit Zulässige Öffentlichkeitsarbeit hat das Prinzip der Chancengleichheit der politischen Parteien zu beachten62 und verlangt die Eröffnung des Aufgabenbereichs des handelnden Staatsorgans (vgl. im Folgenden unter (1)) sowie die Sachlichkeit (vgl. im Folgenden unter (2)) und Verhältnismäßigkeit (vgl. im Folgenden unter (3)) der Informationstätigkeit. Denn auch wenn bei bloßem Informationshandeln in aller Regel nur mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen vorliegen können, bedeutet dies nicht, dass das Grundgesetz den staatlichen Organen insoweit keine Grenzen setzt (vgl. im Folgenden unter (4)).63 (1) Vorliegen einer staatlichen Aufgabe und Zuständigkeit Staatliche Organe müssen für ihr Handeln – allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien (Art. 20 Abs. 3 GG) entsprechend – zuständig sein.64 Soweit eine Maßnahme nicht zum Aufgabenbereich der agierenden Körperschaft gehört, können auch mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen auf verfassungsrechtlichem Boden nicht gerechtfertigt werden. Andernfalls wäre ein Missbrauch staatlicher Informationstätigkeit für beliebige Äußerungen gegenüber ungewollten Personen möglich. (a) Keine Notwendigkeit zur Einzelfallermächtigung Die vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Informationstätigkeit der Bundesregierung erörterte Kategorie der mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung65 versteht sich als Modifikation des klassischen Grundrechtseingriffs. Sie findet ihre Existenzberechtigung in dem Bedürfnis nach einer möglichst effektiven Wahrnehmbarkeit der „Staatsleitung“ durch die entsprechenden Körperschaften. Verharrte man im herkömmlichen Schema der Prüfung von Grundrechtseingriffen, verlangte jede Informationstätigkeit eine eigenständige gesetzliche Grundlage. In Fällen, in denen eine Information der Bevölkerung zügig zur Kenntnis gebracht werden muss, liegt es auf der Hand, dass dies faktisch nicht 62

Vgl. BVerfGE 44, 125, 148 – Öffentlichkeitsarbeit. Vgl. auch BVerfGE 105, 279, 305 f. – Osho. 64 Dies folgt letztlich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit exekutiver Organe und der Verwaltung (vgl. hierzu Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 GG, VII Rn. 26). 65 Sehr skeptisch insofern etwa Murswiek, NVwZ 2003, 1, 2, der die mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht für eine eigene Kategorie, sondern nur für eine „schlampige Formulierung“ des Bundesverfassungsgerichts hält. 63

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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umsetzbar sein wird. Aber auch in weniger dringenden Situationen würde eine entsprechende Generalermächtigung zur Farce und könnte nur vordergründig ein höheres grundrechtliches Schutzniveau gewährleisten: „So liegt es jedenfalls bei einer Informationstätigkeit der Regierung, die aufgrund der Reaktionen der Bürger zu mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen führt. Die Voraussetzungen dieser Tätigkeit lassen sich gesetzlich sinnvoll nicht regeln. Ist eine Aufgabe der Regierung zum Informationshandeln gegeben, steht damit im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit und Veränderlichkeit der in Betracht kommenden Lebenssachverhalte in aller Regel nicht im Vorhinein fest, aus welchen Anlässen es zu welchem Informationshandeln der Regierung kommen wird. Die Themen denkbarer staatlicher Informationstätigkeit betreffen praktisch alle Lebensbereiche. Dementsprechend vielfältig sind die Zwecke staatlichen Informationshandelns. Die Art und Weise des staatlichen Vorgehens werden durch den konkreten Anlass der Äußerung bestimmt, der oft kurzfristig entsteht, sich unter Umständen schnell wieder ändert und deshalb vielfach ebenfalls nicht prognostiziert werden kann. Ungewiss sind auch und vor allem die Wirkungen und weiteren Folgen der staatlichen Informationstätigkeit für den Bürger. Ob und welche nachteiligen Konsequenzen diese Tätigkeit im Einzelfall für den Grundrechtsträger hat, hängt im Allgemeinen von einer Vielzahl unterschiedlichster Faktoren und deren Zusammenwirken ab. […] Weder die rechtsstaatliche, grundrechtsschützende und den Rechtsschutz gewährleistende noch die demokratische Funktion des Gesetzesvorbehalts fordert unter diesen Umständen eine über die Aufgabenzuweisung hinausgehende gesetzliche Ermächtigung. Gegenstand und Modalitäten staatlichen Informationshandelns sind so vielgestaltig, dass sie angesichts der eingeschränkten Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers allenfalls in allgemein gehaltenen Formeln und Generalklauseln gefasst werden könnten. Ein Gewinn an Messbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns ist für den Bürger auf diesem Wege regelmäßig nicht zu erreichen oder nur in einer Weise, die den Erfordernissen staatlicher Informationstätigkeit nicht gerecht wird.“66

Die Entfernung vom bisherigen Eingriffsverständnis und die Hinwendung zu einer Relativierung staatlichen Handelns im Hinblick auf seine grundrechtlichen Auswirkungen für den Bürger haben also maßgeblich pragmatische Gründe, die vor dem Hintergrund der Notwendigkeit staatlicher Informationstätigkeit gerechtfertigt erscheinen.67 Darüber hinaus kommt der Beeinträchtigung des Bürgers bei staatlichem Informationshandeln tatsächlich eine andere Qualität zu als bei sonstigen Grundrechtseingriffen. Auch der äußerst weite, moderne Eingriffsbegriff verlangt, dass eine staatliche Maßnahme gegeben ist, die ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich macht.68 Die Informationstätigkeit als 66

BVerfGE 105, 279, 304 f. – Osho. A.A. Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1018; ablehnend auch Murswiek, NVwZ 2003, 1, 4 ff., der dem Bundesverfassungsgericht ein Verwischen grundrechtsdogmatischer Kategorien vorwirft; vgl. auch Huber, JZ 2003, 290, 293 ff.; weniger kritisch Faßbender, NJW 2004, 816, 817. 68 Vgl. nur BVerfGE 105, 279, 303 – Osho; Wiedemann, in: Umbach/Clemens, Art. 2 GG, Rn. 359; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 GG, Rn. 151; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 GG, Rn. 60; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, StaatsR II, Rn. 240; Hufen, StaatsR II, § 8, Rn. 6 ff. 67

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E. Wirkungsmöglichkeiten

solche hat aber noch keinerlei Auswirkungen auf die rechtliche und wirtschaftliche Stellung des Betroffenen. Bei staatlichem Informationshandeln schlägt sich die Beeinträchtigung erst aufgrund zusätzlicher, eigenverantwortlicher Handlungen Dritter nieder, die etwa in einem veränderten Kaufverhalten69 oder auch in der Abwendung von einer politischen Partei70 liegen können. Es ist also durchaus zutreffend, nur von mittelbar-faktischen Beeinträchtigungen zu sprechen, die weniger strengen Einschränkungen als Grundrechtseingriffe unterliegen, aber dennoch dem Staatsorgan keinen unumschränkten Freiraum außerhalb des Grundgesetzes gewähren. (b) Aufgabeneröffnung In Ausübung ihrer Kompetenz zur „Staatsleitung“ bestimmt die Bundesregierung die politische Ausrichtung des Staatswesens und wirbt um politische Legitimation der Führung.71 Die Regierung wird ihrer Aufgabe nicht gerecht, wenn sie sich allein auf Mittel der Gesetzgebung und der richtungsweisenden Einwirkung auf den Gesetzesvollzug beschränkt. Sie ist vielmehr gehalten, sich auch mit Informationen an die Öffentlichkeit zu wenden, die diese zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der gesellschaftspolitischen Problembewältigung befähigen.72 Es existieren Bereiche, in denen Informationen ohne Hilfestellung seitens der Regierung nur sehr schwer verfügbar sind oder „die Informationsversorgung der Bevölkerung auf interessengeleiteten, mit dem Risiko der Einseitigkeit verbundenen Informationen beruht und die gesellschaftlichen Kräfte nicht ausreichen, um ein hinreichendes Informationsgleichgewicht herzustellen“73. In diesen Fällen gibt die Kompetenz zur „Staatsleitung“ der Bundesregierung auf, die Bürger zu informieren: „Von der Staatsleitung in diesem Sinne wird nicht nur die Aufgabe erfasst, durch rechtzeitige öffentliche Information die Bewältigung von Konflikten in Staat und Gesellschaft zu erleichtern, sondern auch, auf diese Weise neuen, oft kurzfristig auftretenden Herausforderungen entgegenzutreten, auf Krisen schnell und sachgerecht zu reagieren sowie den Bürgern zu Orientierungen zu verhelfen.“74

Politische Parteien im Allgemeinen und sich am Rande der Verfassungsmäßigkeit bewegende Parteien im Besonderen neigen dazu, ihre politischen Ziele möglichst unscharf oder jedenfalls beschönigend zu formulieren, um eine breite Masse an69 So jedenfalls die Befürchtung der die Verfassungsbeschwerde erhebenden Unternehmen in BVerfGE 105, 252, 262 – Glykol. 70 Vergleichbar hiermit ist die Befürchtung der die Verfassungsbeschwerde erhebenden Sekte, dass durch die staatliche Äußerung eine Verzerrung des Wettbewerbs unter den konkurrierenden Religionsgemeinschaften eintreten könnte (vgl. BVerfGE 105, 279, 288 f. – Osho). 71 Vgl. zur Informationstätigkeit der Regierung bereits unter D. II. 1. a) (2) (c). 72 Vgl. BVerfGE 105, 252, 268 f. – Glykol; 105, 279, 301 f. – Osho. 73 BVerfGE 105, 252, 269 – Glykol; 105, 279, 302 – Osho. 74 BVerfGE 105, 252, 269 – Glykol; 105, 279, 302 – Osho.

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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zusprechen. Dies ist nicht per se verwerflich, sondern zulässige Werbung. Der Staat muss aber dort korrigierend eingreifen, wo die parteieigene Wahlwerbung den Wähler bzgl. der Verfassungsmäßigkeit der politischen Vorstellungen irreführt und ihm kein zutreffendes Bild vom Programm der Partei vermittelt.75 Gefährlich sind extremistische Äußerungen oftmals vor allem aufgrund der ihnen typischerweise innewohnenden Vereinfachung von Sachverhalten und Lösungen. Dies verleitet gerade bei schwer lösbaren Problemstellungen einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung dazu, der einfachsten, aber meist auch radikalsten Lösung zu folgen. An den in jüngster Vergangenheit vermehrt zu beobachtenden „Denkzettelwahlen“76 zeigt sich dies besonders deutlich. Bürger wählen extremistische Parteien oft nicht, weil sie das jeweilige Programm überzeugt, sondern weil sie etablierten Parteien Missstände in ihrer Politik aufzeigen wollen. Obwohl derartige Wahlentscheidungen selbstverständlich von der staatlichen Gewalt zu respektieren sind, bergen sie dennoch ein großes Gefahrenpotential in der Form, dass extremistische Parteien auf diesem Weg die Führung im Staat übernehmen. Die Aufgabe der „Staatsleitung“ berührt dies dann insofern, als die Wahlentscheidungen maßgeblich auf einer mangelnden Information der Bevölkerung beruhen. Sobald eine Partei mit harmlos wirkenden Forderungen versucht, Wählerstimmen zu sammeln, um Ziele umzusetzen, die mit grundlegenden verfassungsmäßigen (nicht nur politischen) Wertentscheidungen in Widerspruch stehen, obliegt es den mit der „Staatsleitung“ betrauten Körperschaften, den Bürgern in geeigneter Form, also beispielsweise im Rahmen der Verfassungsschutzberichte, eine objektive und realistische Einschätzung hinsichtlich dieser Partei mitzuteilen. Das Grundgesetz setzt den Organen hierbei enge Grenzen.77 So darf das Organ freilich keine anderen Parteien zugutekommende „Anti-Werbung“ betreiben, sondern muss sich auf die objektive Information über tatsächliche Zielvorstellungen der entsprechenden Partei und deren wissenschaftlich fundierte Einordnung in einen politisch-historischen Kontext beschränken. (c) Einhaltung der Zuständigkeitsgrenzen Neben der allgemeinen Aufgabeneröffnung sind auch die sonstigen Zuständigkeitsvorschriften der Verfassungsordnung – insbesondere hinsichtlich der Verbandsund Organkompetenz – zu beachten.78

75

Vgl. auch BVerfGE 113, 63, 78 – Junge Freiheit. Vgl. zum Begriff Duden, Deutsche Rechtschreibung, Stichwort: Denkzettelwahl. 77 Vgl. dazu noch unter E. II. 2. d) (3). 78 Vgl. auch Murswiek, NVwZ 2003, 1, 5, der zu Recht darauf hinweist, dass es sich hierbei aber um objektives Recht handelt und somit Verstöße mit einer Verfassungsbeschwerde nicht ohne Weiteres angegriffen werden können. 76

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E. Wirkungsmöglichkeiten

(aa) Verbandskompetenz Anhaltspunkte für die Zuständigkeit des Bundes lassen sich etwa aus den Vorschriften über die Gesetzgebungskompetenzen gewinnen. Aber auch aus der Natur der Sache79 können Zuständigkeiten des Bundes erwachsen. Stehen etwa Vorgänge mit Auslandsbezug (vgl. Art. 73 Abs. 1 GG) oder länderübergreifende Sachverhalte mit überregionaler Bedeutung in Frage, fordert schon die Notwendigkeit der Effektivität staatlichen Informationshandelns ein Tätigwerden des Bundes. Eine vergleichbare Kompetenzverteilung kennt man beispielsweise von Vereinsverboten, bei denen ebenfalls danach unterschieden wird, ob der betroffene Verein in nur einem Land oder in mehreren Ländern auftritt. Der hinter § 3 Abs. 2 S. 1 VereinsG80 stehende Gedanke kann auch für das Informationshandeln in Bezug auf politische Parteien fruchtbar gemacht werden. Sieht man den Zuständigkeitsbereich des Bundes als eröffnet an, ist dessen Kompetenz als eine umfassende zu verstehen. Sie endet insbesondere „nicht schon dort, wo zur Bewältigung der Krise zusätzlich ein Handeln von Staatsorganen mit anderer Verbandskompetenz in Betracht kommt, etwa das der Landesregierungen im Zuge der Wahrnehmung ihrer eigenen staatsleitenden Aufgabe oder das der Verwaltung im Rahmen polizeilicher Gefahrenabwehr.“81 Zentrales Anliegen der Informationstätigkeit ist die Umfänglichkeit der Unterrichtung der Bevölkerung, deren Informationsdefizit zum Schutz des Einzelnen und des Gemeinwesens beseitigt werden soll. Da die überwiegende Zahl der Parteien in mehreren Ländern aktiv ist oder jedenfalls bei Bundestagswahlen antritt, wird sich die Information über politische Parteien im Regelfall als Bundesaufgabe darstellen. (bb) Organkompetenz Ist eine Aufgabe des Bundes gegeben, können sowohl die Bundesminister als auch der Bundeskanzler im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit vor extremistischen Parteien warnen.82 Eine gesonderte Ressortzuständigkeit fordert die Aufgabe zur „Staatsleitung“ nicht.83 79

Vgl. hierzu im Zusammenhang mit Gesetzgebungskompetenzen die Definition von Anschütz, in: HbdStR I, 1930, S. 367 für die WRV, wonach die Kompetenzen kraft Natur der Sache aus einem „ungeschriebenen, im Wesen der Dinge begründeten, mithin einer ausdrücklichen Anerkennung durch die Reichsverfassung nicht bedürftigen Rechtssatz, wonach gewisse Sachgebiete, weil sie ihrer Natur nach eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheiten des Reichs darstellen, vom Reiche und nur von ihm geregelt werden können“, erwachsen; vgl. auch BVerfGE 11, 89, 96 f. – Bremisches Urlaubsgesetz; Uhle, in: Maunz/Dürig, Art. 70 GG, Rn. 75 ff. 80 § 3 Abs. 2 S. 1 VereinsG konkretisiert Art. 9 Abs. 2 GG in verfassungskonformer Weise (vgl. BVerfGE 80, 244, 254 – Vereinsverbot). 81 BVerfGE 105, 252, 271 – Glykol; 105, 279, 307 – Osho. 82 Bundestag und Bundesrat kommen wegen ihrer heterogenen Struktur und langsamen Entscheidungswege ebenso wenig in Betracht wie der mangels Bürokratieapparats an Informationen vergleichsweise arme Bundespräsident. Für das Bundesverfassungsgericht lassen sich aus dem Grundgesetz schließlich schon keine Kompetenzen zur Informationsverbreitung ablesen.

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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(2) Sachlichkeit Die von der Bundesregierung im Rahmen ihrer Informationsarbeit getätigten Aussagen müssen inhaltlich richtig sein und wie jedes staatliche Handeln dem Gebot der Sachlichkeit gehorchen.84 Nur eine objektiv korrekte Äußerung vermag ein Wissensdefizit bei der Bevölkerung zu beseitigen und die Voraussetzungen für eine mündige Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess zu schaffen. Jede ausschließlich subjektiv wertende oder unrichtige Information fördert das Misstrauen der Bürger gegenüber dem Staat und läuft deshalb dem Ziel85 staatlicher Informationsverbreitung zuwider. Ausnahmsweise kann ein Staatsorgan berechtigt sein, Informationen zu veröffentlichen, deren Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt, aber so sorgfältig wie möglich geprüft worden sind.86 Hierfür muss ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Informationsverbreitung gegeben sein, wie es etwa bei Risiken für Verbraucher, die von potentiell giftigen Lebensmitteln bedroht sind,87 der Fall ist. Die Marktteilnehmer sollten dann auf die verbleibenden Unsicherheiten hinsichtlich der Richtigkeit der Information hingewiesen werden, um sie in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, wie sie mit der Ungewissheit umgehen möchten. Heikel sind derartige Informationspreisgaben seitens staatlicher Stellen freilich deshalb, weil mit der Autorität der Staatsorgane Aussagen getroffen werden, die erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Bürger und so auf den Wettbewerb haben: „Bei marktbezogenen Informationen richten sich die Anforderungen auch nach den Funktionserfordernissen des Wettbewerbs. Wertungen dürfen nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Die Information darf auch bei zutreffendem Inhalt in der Form weder unsachlich noch herabsetzend formuliert sein. Im Übrigen ist die Verbreitung von Informationen unter Berücksichtigung möglicher nachteiliger Wirkungen für betroffene Wettbewerber auf das zur Informationsgewährung Erforderliche zu beschränken.“88

In besonderem Maße muss dies für den unter den speziellen Schutz des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG gestellten Wettbewerb der politischen Parteien gelten, bei dem es um die Funktionsfähigkeit des gesamten demokratischen Staatswesens geht. Es sind kaum Sachverhalte denkbar, in denen die Regierung aus Gründen des Bevölkerungsschutzes gezwungen ist, in den Wettbewerb der politischen Meinungsbildung einzugreifen, ohne Gewissheit über die Korrektheit der zu verbreitenden Information zu haben. Anders als die Warnung vor drohenden Lebensmittelvergiftungen wird eine Aufklärung über politische Parteien nicht vergleichbar dringend sein. Es können daher in aller Regel nur objektiv nachprüfbare und gesicherte Informationen unter 83 Vgl. BVerfGE 105, 252, 270 f. – Glykol; 105, 279, 306 f. – Osho; a.A. etwa Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1017. 84 Vgl. bereits BVerfGE 57, 1, 8 – NPD – Kleine Anfrage. 85 Vgl. hierzu unter E. II. 2. c). 86 Vgl. BVerfGE 105, 252, 272 – Glykol. 87 Vgl. BVerfGE 105, 252, 253 – Glykol. 88 BVerfGE 105, 252, 272 f. – Glykol.

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E. Wirkungsmöglichkeiten

dem Gesichtspunkt der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit kundgetan werden. Darüber hinaus muss die Bundesregierung bei Wertungen stets Zurückhaltung walten lassen und auf einen sachlichen Gesamteindruck – insbesondere hinsichtlich der Aufmachung und des Tons – achten. (3) Verhältnismäßigkeit Bei der Entscheidung, ob die staatliche Stelle eine bestimmte Information veröffentlicht, gilt es schließlich auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das aus der Aufgabe der „Staatsleitung“ (Art. 62 ff. GG) resultierende Interesse der Bundesregierung an verantwortungsvoller Unterrichtung der Bevölkerung muss mit dem Interesse der jeweiligen Partei an einer von staatlichen Einflüssen befreiten Teilnahme am politischen Wettbewerb (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) in Einklang gebracht werden. Grundsätzlich steht der Bundesregierung ein weiter Ermessensspielraum zu, da ihr die Möglichkeit gegeben werden muss, effektiv und umfassend auf Bedrohungslagen zu reagieren. Sie kann insbesondere „den betreffenden Vorgang aufgreifen, gegenüber Parlament und Öffentlichkeit darstellen und bewerten und, soweit sie dies zur Problembewältigung für erforderlich hält, auch Empfehlungen oder Warnungen aussprechen.“89 Deutlich wird daraus aber auch, dass vor allem Warnungen einer gesonderten Erforderlichkeitsprüfung standhalten müssen, weil sie die größte Nähe zum Grundrechtseingriff aufweisen. Ungeachtet dessen stehen der von informatorischen Äußerungen der Regierung betroffenen Partei im Rahmen der Abwägung maßgeblich zwei Gesichtspunkte zur Seite: Erstens ist die Freiheit des Wettbewerbs unter den Parteien für das Funktionieren einer Demokratie äußerst wichtig90 und das korrespondierende Interesse der Partei deshalb entsprechend hoch zu gewichten. Zweitens ist das Informationsbedürfnis der Bevölkerung im Hinblick auf die objektive Einordnung von Parteien nicht sehr ausgeprägt. Während etwa die Bürger von potentiell mit Frostschutzmitteln versehenen Weinen91 ebenso wenig wissen können wie von im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs weitgehend unbekannten Jugendsekten,92 ist die Lage bei den in der Öffentlichkeit aktiv agierenden Parteien eine gänzlich andere. Parteien treten allgemein wahrnehmbar in Erscheinung und verbreiten ihr Programm. Regelmäßig findet bereits in den Medien eine breite Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit ihrer Zielsetzungen statt. In der Bevölkerung vorhandene Informationsdefizite werden von der Presse als „Vierte Gewalt“ so weitgehend ausgeglichen.93 Allenfalls in den Anfangsjahren einer Partei oder bei qualitativ 89

BVerfGE 105, 252, 271 – Glykol. Vgl. dazu unter C. III. 3. b) (2). 91 So im Fall von BVerfGE 105, 252 – Glykol. 92 So im Fall von BVerfGE 105, 279 – Osho. 93 Zur Bedeutung der Presse und Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG vgl. auch BVerfGE 33, 52, 84 – Zensur. 90

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neuartigen Entwicklungen können der Bundesregierung Informationen vorliegen, die der Bevölkerung zur besseren Einordnung der Partei zugänglich gemacht werden müssen. Parteien wie die NPD als verfassungsfeindlich zu bezeichnen, kann nach jahrelangem öffentlichen Auftreten der Partei keine auf einem Informationsvorsprung der Regierung gründende Öffentlichkeitsarbeit mehr darstellen, sondern ist eher politische Agitation. Gerade in Zeiten, in denen extremistische Parteien mit ihren Themen im gesellschaftlichen Dialog viel Raum gewinnen, haben die Bürger Kenntnis von der Existenz jener Parteien und der von den übrigen Parteien an ihnen geübten Kritik. Die bekannten extremistischen Parteien operieren nicht im Verborgenen, sodass höchstens hinsichtlich der Entlarvung von manch wohlklingendem, in Wahrheit aber verfassungsfeindlichem Versprechen noch ein Informationsdefizit bestehen kann. Zu seiner Behebung trägt aber gerade auch der Wettbewerb unter den Parteien bei. Es kann nur in äußersten Ausnahmefällen – etwa wenn die übrigen Parteien dazu außerstande oder nicht willens sind – staatlichen Organen obliegen, die Bürger auf zweifelhafte Inhalte in Parteiprogrammen oder bedenkliche Parteiveranstaltungen extremer Parteien hinzuweisen. Wenn die Demokratie von einem mündigen Bürger ausgeht, muss sie ihn auch als solchen behandeln und ihm die Einschätzung einer Partei im Grundsatz selbst überlassen.94 Ist also anzunehmen, dass die Bürger im Hinblick auf politische Parteien nur in geringem Umfang auf zusätzliche Auskünfte von staatlichen Stellen angewiesen sind,95 muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine Rechtfertigung parteipolitischer Äußerungen durch rechtmäßige Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen regelmäßig scheitern. Denn je geringer das Informationsbedürfnis ist, desto eher ist das jeweilige Staatsorgan gehalten, sich zurückzuhalten.96 Dies ergibt sich aus dem bereits angesprochenen,97 vom Bundesverfassungsgericht zutreffend formulierten Ziel und Zweck der Informationstätigkeit der Regierung. Danach erstreckt diese sich vornehmlich auf Bereiche, in denen die Bürger keine umfassenden und ausgewogenen Informationen erhalten.98 Dass von einer Partei eine Dauergefahr für die Gesellschaft ausgeht, auf die auch regelmäßig hinzuweisen ist, rechtfertigt keine Aussagen, die über die Verbreitung neuer Erkenntnisse in den Verfassungsschutzberichten sowie die bloße Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit (Art. 21 Abs. 2

94 Vgl. auch Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1018, der zu Recht von einem „paternalistisch“ anmutenden Konzept spricht. 95 Vgl. hierzu auch BVerfGE 63, 230, 244 – Öffentlichkeitsarbeit II, das in der Wahlkampfzeit einen „akuten Anlass“ der Öffentlichkeitsarbeit fordert. 96 In diese Richtung wohl auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 09. 01. 2015, Az.: 1 L 54/15 (NWVBl 2015, 201), das von einer umso größeren Zurückhaltung der Äußerungsbefugnisse des Bürgermeisters ausgeht, je geringer der örtliche Bezug der betroffenen Angelegenheit ist; vgl. auch ThürVerfGH ThürVBl. 2016, 273, 278, der ein aktuelles Thema für zulässige Öffentlichkeitsarbeit fordert. 97 Vgl. unter E. II. 2. c). 98 Vgl. BVerfGE 105, 252, 269 – Glykol; 105, 279, 302 – Osho.

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E. Wirkungsmöglichkeiten

und 3 GG)99 hinausgehen. Wegen der ausgesprochen nachteiligen Auswirkungen auf ihre faktische Stellung100 wird die Partei auch dies indes nicht über einen längeren Zeitraum hinzunehmen haben. Eine Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht (vgl. für den Bund: §§ 3, 16 BVerfSchG; für Bayern: Art. 15 BayVSG)101 geht aufgrund ihres warnenden Charakters „über die bloße Teilhabe staatlicher Funktionsträger an öffentlichen Auseinandersetzungen oder an der Schaffung einer hinreichenden Informationsgrundlage für eine eigenständige Entscheidungsbildung der Bürger“ hinaus und stellt damit eine mittelbar belastende negative Sanktion gegen den Betroffenen dar.102 Es ist daher ein Ausgleich zu finden zwischen dem Recht der Partei auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) und dem Recht der Regierung auf eine fundierte Willensbildung (Art. 62 ff. GG). Der konkrete zeitliche Rahmen ist eine Frage des Einzelfalls und hängt maßgeblich von der Komplexität der Parteistrukturen ab. Gelangt die Regierung etwa in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zu der Erkenntnis, eine Partei sei aus bestimmten Gründen verfassungsfeindlich, wird man in der Regel davon ausgehen können, dass sich die Annahme der Regierung hinreichend gefestigt hat, sodass sie in ein Verfahren zum Verbot oder zum Ausschluss von der staatlichen Finanzierung übergehen kann. Zu diesem Schritt ist die Regierung dann aber auch verpflichtet.103 Ein ausgeprägtes Informationsbedürfnis ist darüber hinaus beispielsweise anzunehmen bei ansonsten schwer zugänglichen Quellen wie etwa der internen Parteikommunikation, aktuellen Themen und Inhalten, über die die Presse nicht ausgewogen berichtet. Der Entschluss eines Regierungsmitglieds, die Bevölkerung über bestimmte Sachverhalte in Kenntnis zu setzen, ist wegen der Bedeutung der Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG sowie wegen Art. 19 Abs. 4 GG gerichtlich voll nachprüfbar. Für die Zulässigkeit der Äußerungen, die Mitglieder der Bundesregierung zur Verfassungsfeindlichkeit von Parteien im Rahmen parlamentarischer Anfragen tätigen, kann nichts anderes gelten.104 (4) Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit im Hinblick auf Wahlen Die zeitliche Nähe zu Wahlen engt die Handlungsmöglichkeiten der Regierung unter dem Gesichtspunkt zulässiger Öffentlichkeitsarbeit noch weiter ein. Das Grundgesetz verwehrt es Staatsorganen, unter dem Deckmantel der Öffentlich99

Vgl. zum Begriff der Verfassungsfeindlichkeit noch unter E. II. 4. a) (2). Dies für einen Verlag auch anerkennend BVerfGE 113, 63, 78 – Junge Freiheit. 101 Vgl. zur Notwendigkeit dieser Ermächtigungsgrundlagen wegen des Eingriffscharakters der Einstufung einer Partei als verfassungsfeindlich auch Morlok, JURA 2013, 317, 318. 102 BVerfGE 113, 63, 77 – Junge Freiheit. 103 Vgl. dazu noch unter E. II. 4. b) (2) (e). 104 Insoweit erneut auf das bloße Willkürverbot abstellend BVerfGE 57, 1, 8 (NPD – Kleine Anfrage); a.A. zu Recht Gusy, in: AK, Art. 21 GG, Rn. 141; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 21 GG, Rn. 115; eher kritisch auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21 GG, Rn. 18a. 100

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keitsarbeit Wahlwerbung zu betreiben. Staatliche Gewalt darf nicht „als Werkzeug zur Perpetuierung der Herrschaft einer bestimmten Mehrheit“105 missbraucht werden; der demokratische Prozess muss vielmehr stets in alle Richtungen offen sein. In Wahlkampfzeiten gilt das Gebot äußerster Zurückhaltung.106 Öffentlichkeitsarbeit dient dem Ziel, die Bürger in die Lage zu versetzen und zu ermutigen, mündig am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Die auf diese Weise erlangte Akzeptanz des Staates und seiner Organe verleiht der Öffentlichkeits- und Informationsarbeit ihre verfassungsmäßige Rechtfertigung.107 Je weniger die Bundesregierung aber diese Ziele verfolgt (und das ist bei zunehmender Nähe zu bevorstehenden Wahlen verstärkt anzunehmen), desto strengeren Beschränkungen unterliegt sie. Auf eine Faustformel gebracht bedeutet dies: „Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung findet dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt.“108 Vor dem Hintergrund des soeben Beschriebenen109 wird man diese Aussage noch weiter beschränken müssen: „Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung findet spätestens dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt.“ Im Hinblick auf Äußerungen über politische Parteien bleibt den Staatsorganen damit unter dem Gesichtspunkt rechtmäßiger Informationstätigkeit kaum Raum. e) Abgrenzung von parteipolitischer Einflussnahme und zulässiger Öffentlichkeitsarbeit Faktoren, die Äußerungen als Wahlwerbung und damit als verbotene parteipolitische Einflussnahme kennzeichnen, sind nach zustimmungswürdiger110 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der in der Aussage deutlich werdende Wunsch der Regierung, im Amt bleiben zu wollen, die negativ akzentuierte Bemerkung über Wahlgegner, eine vornehmlich reklamehafte Aufmachung, ein fehlendes Informationsinteresse der Bevölkerung und ein zahlenmäßiges Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit zu Wahlkampfzeiten.111 Auch die offene oder versteckte Gleichsetzung von Amt und Partei, die Anpassung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit an die Wahlkampagne einer Partei und die Bereitstellung von Materialien für bestimmte Parteien können entsprechende Indizien sein.112 Derartige Handlungen sind der

105

BVerfGE 44, 125, 142 – Öffentlichkeitsarbeit. BVerfGE 44, 125, 152 – Öffentlichkeitsarbeit. 107 Vgl. auch BVerfGE 44, 125, 148 – Öffentlichkeitsarbeit. 108 BVerfGE 44, 125, 125 – Ls. 4 – Öffentlichkeitsarbeit. 109 Vgl. unter E. II. 2. d) (3). 110 So auch Studenroth, AöR 125 (2000), 257, 267. 111 Vgl. BVerfGE 44, 125, 150 ff. – Öffentlichkeitsarbeit; 63, 230, 244 – Öffentlichkeitsarbeit II. 112 Vgl. BVerfGE 63, 230, 246 – Öffentlichkeitsarbeit II, wonach es unerheblich sein soll, dass einzelne Formulierungen von politischen Parteien aufgegriffen werden; Volkmann, Politische Parteien, S. 49 f. 106

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E. Wirkungsmöglichkeiten

Regierung untersagt und fallen nicht mehr in den Bereich zulässiger Öffentlichkeitsarbeit.

3. Vertretung des gesellschaftlichen Konsenses oder Teilnahme des Staatsorgans am politischen Diskurs Allein der Umstand, dass ein Staatsorgan mit seiner Äußerung dem gesellschaftlichen Konsens113 – etwa hinsichtlich der Verfassungsfeindlichkeit einer Partei – Ausdruck verleiht oder sich am politischen Diskurs in der Gesellschaft beteiligt, vermag eine parteipolitische Äußerung nicht zu rechtfertigen. Die Bevölkerung ist sich in Bezug auf politische Fragen – auch zur Verfassungsfeindlichkeit von Parteien – nie gänzlich einig. Außerdem können sich Staatsorgane angesichts ihrer Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG) nur schwer darauf berufen, sie würden nur das sagen, was ohnehin alle dächten. Staatsorgane haben das Recht zu wahren und dürfen es nicht politischer Opportunität unterordnen. Wenn sich Mitglieder der Bundesregierung oder der Bundespräsident am politischen Diskurs beteiligen und zu aktuellen Fragen des Zusammenlebens Stellung beziehen, zeigen sie, dass sie sich für die Sorgen der Bürger interessieren und die virulenten Probleme im Blick haben. Zu den Herausforderungen für den Staat können insbesondere auch Parteien mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen zählen. Die staatlichen Institutionen einer pluralistischen Gesellschaft dürfen sich deshalb nicht zurückhalten und auf eine Besserung der Situation ohne ihr Zutun hoffen. Pluralismus beinhaltet nicht nur die Auseinandersetzung verschiedener Parteien miteinander, sondern auch die Konfrontation der „Staatsleitung“ mit alternativen politischen Vorschlägen.114 Aus der gebotenen Begleitung gesellschaftlich relevanter Themen erwächst allerdings kein eigenständiger Rechtfertigungsgrund im Hinblick auf Aussagen, die die Chancengleichheit der Parteien beeinträchtigen. Dies muss schon deshalb gelten, weil ansonsten kaum justiziable Grenzen der Äußerungsrechte ausgemacht werden könnten. Darüber hinaus finden die von Staatsorganen geäußerten Ansichten immer große Berücksichtigung bei der Willensbildung des Volkes. Dieser Effekt hemmt den freien Diskurs. Gerade bei der Debatte über verfassungsfeindliche Parteien kann es so zu einer unberechtigten Vorverurteilung der Parteien kommen. Einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund für parteipolitische Äußerungen kann man in der Teilnahme am politischen Diskurs daher nicht erkennen.

113 Vgl. insofern auch Schlaich, Neutralität, S. 80, der das aktive Eintreten für die übereinstimmend angenommenen Grundwerte sogar als Inhalt der Neutralitätspflicht begreift (vgl. hierzu bereits unter C. I. 3. a)). 114 Vgl. BVerfGE 44, 125, 139 f. – Öffentlichkeitsarbeit, wonach sich die Willensbildung des Volkes und die der Staatsorgane in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung vollziehen.

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4. „Wehrhafte Demokratie“ und Staatsschutz Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich als „wehrhafte Demokratie“. So verleiht das Grundgesetz nicht nur dem Volk die alleinige Souveränität (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG), sondern hält an vielen Stellen Schutzmechanismen zur Bewahrung dieser Regierungsform bereit. In Anbetracht des hohen Stellenwerts, den die Verfasser des Grundgesetzes der Verhinderung eines neuen „Dritten Reiches“ beigemessen haben,115 liegt es nicht fern, den Staatsorganen eine Pflicht zur Verteidigung der grundlegenden und staatstragenden Werte der Verfassung zuzuweisen. Auf dieser Grundlage könnten die Organe parteipolitische Äußerungen mit dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung rechtfertigen – jedenfalls soweit es um Parteien geht, die diese Ordnung gefährden. Dabei darf das Prinzip der „wehrhaften Demokratie“ jedoch nicht als unspezifische, pauschale Eingriffsermächtigung missverstanden werden. Vielmehr ist stets eine Einzelfallbetrachtung vonnöten.116 a) Reichweite und Inhalt der „wehrhaften Demokratie“ Den Willen zur eigenen Verteidigung kann man dem Grundgesetz an mehreren Stellen entnehmen. Versucht man zu beschreiben, welche Werte und Institutionen unseres Zusammenlebens so elementar sind, dass sie als vom Grundgesetz unabdingbar geschützt angesehen werden müssen, läuft man Gefahr, einen rechtlich abgesteckten Rahmen zu verlassen. Dennoch hält die Verfassung selbst Anhaltspunkte für diesen Rahmen bereit. (1) Schutzauftrag des Grundgesetzes Die „wehrhafte“ oder „streitbare“ Demokratie ist ein Sammelbegriff für Instrumentarien, die den demokratischen Staat befähigen, sich gegen seine Feinde zu wehren.117 Den ideengeschichtlichen Hintergrund dafür bilden das von Karl Loewenstein entwickelte Modell der „militant democracy“,118 Karl Mannheims Analysen zur „geplanten Demokratie“119 sowie George van den Berghs Thesen zur Intoleranz gegenüber Anti-Demokraten.120 Bezeichnenderweise sind all diese Werke zur Zeit des Nationalsozialismus, also vor dem Eindruck der Zerstörung der Demokratie mit – weitgehend – legalen Mitteln, entstanden. In Art. 1 Abs. 3 gibt das Grundgesetz dem Staat auf, die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht zu achten und zu sichern. Damit verdeutlicht die Verfassung, dass sie nicht wertneutral 115 116 117 118 119 120

Vgl. dazu auch unter D. I. 1. c) (1). BVerfGE 134, 141, 180 – Abgeordnetenüberwachung. So auch Volp, NJW 2016, 459, 460. Loewenstein, American Political Science Review 31 (1937), 417 sowie 638. Mannheim, Diagnosis of Our Time. Van den Bergh, De democratische Staat.

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E. Wirkungsmöglichkeiten

ist. Sie entscheidet sich vielmehr für bestimmte Grundgedanken und nimmt diese in ihren Schutz.121 Die Bewahrung demokratischer Grundstrukturen dient nach der Idee des Grundgesetzes somit keinem Selbstzweck, sondern dem Erhalt existenzieller Bedingungen für ein freies und gleiches Zusammenleben der Bürger. Folgerichtig trifft das Grundgesetz Vorkehrungen gegen deren Bedrohung, institutionalisiert besondere Verfahren zur Abwehr von Angriffen auf die verfassungsmäßige Ordnung und konstituiert auf diese Weise eine „wehrhafte Demokratie“.122 Sichtbar wird die Verteidigungsabsicht des Grundgesetzes123 zum einen in seiner Entscheidung, die Freiheit des Einzelnen durch dessen Pflicht zur Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu begrenzen (so in Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 S. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2 S. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 18 S. 1, Art. 20 Abs. 4, Art. 21 Abs. 2 und 3 GG). Zum anderen äußert sich die Verteidigungsabsicht darin, dass die Verfassung von den Staatsorganen verlangt, diese Ordnung zu wahren (vgl. etwa Art. 73 Abs. 1 Nr. 10b, Art. 79 Abs. 3, Art. 87a Abs. 4 S. 1, Art 91, Art. 98 Abs. 2 GG). Einfachgesetzlichen Niederschlag haben diese Grundwertungen etwa in § 1 Abs. 1 S. 1 PartG, § 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG, § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG und in §§ 86 Abs. 2, 93 Abs. 2 StGB gefunden.124 Das Grundgesetz beschreibt folglich nicht nur gewisse Werte, an die es den Staat gebunden sieht, sondern fordert deren Einhaltung von jedem Bürger sowie jedem Staatsorgan. Es verwehrt dem souveränen Volk sowie seinen Vertretern weitgehend sogar eine Änderung dieser Gegebenheit (Art. 79 Abs. 3 GG). Die Achtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung markiert die Grenze jedes Handelns. Gleichzeitig muss der Staat geeignete Maßnahmen treffen, um diese Ordnung zu schützen bzw. wiederherzustellen – sei es durch gesetzgeberische Aktivitäten (Art. 73 Abs. 1 Nr. 10), sei es durch den Einsatz der Streitkräfte im Innern (Art. 87a Abs. 4 S. 1 GG). Auch wenn es sich – jedenfalls dem Wortlaut nach – bei den zitierten Kompetenzen um bloße Befugnisse, nicht aber um Pflichten handelt, kann es bei entsprechender Gefahrenlage aus der Gesamtschau der verfassungsmäßigen Wertungen zu einer Ermessensreduzierung auf Null kommen.125 Von vornherein kompromisslos zeigt sich das Grundgesetz dagegen im Hinblick auf Vereine und Parteien. Diese sind gem. Art. 9 Abs. 2 GG verboten bzw. gem. Art. 21 Abs. 2 GG verfassungswidrig. Es besteht kein Ermessensspielraum der zur Entscheidung berufenen Verfassungsorgane.126 So verdeutlicht das Grundgesetz, dass sich der freiheitliche

121

Vgl. hierzu bereits unter C. I. 3. a). Vgl. BVerfGE 5, 85, 139 – KPD-Verbot; 39, 334, 349 – Extremistenbeschluss. 123 Vgl. dazu BVerfGE 39, 334, 349 – Extremistenbeschluss; Volp, NJW 2016, 459, 461. 124 Vgl. Volp, NJW 2016, 459, 461. 125 Vgl. etwa Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Art. 87a GG, Rn. 2, der die Gewährleistung von Sicherheit als unbedingte staatliche Aufgabe bezeichnet. 126 Dies schließt freilich gewisse Freiheiten bei der Auslegung bestimmter Tatbestandsmerkmale nicht aus (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 602 – NPD-Verbot II). 122

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demokratische Rechtsstaat „nicht in die Hand seiner Zerstörer geben“127 kann und darf. Gegenüber den Feinden der Toleranz ist Toleranz nicht angezeigt.128 Carlo Schmid hat dies so formuliert: „Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muß man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“129

Aus dem Postulat des Grundgesetzes für eine „wehrhafte Demokratie“ folgt damit der allen Verfassungsorganen erteilte Auftrag, die freiheitliche demokratische Ordnung zu wahren und aktiv für sie einzutreten.130 (2) Inhaltliche Ausgestaltung Schutzziel der Verfassung ist die vom Grundgesetz selbst so bezeichnete „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (vgl. z. B. in Art. 21 Abs. 2 GG) als materieller Gehalt einer von der Verfassung erwünschten Gesellschaftsordnung und Regierungsform. Des Weiteren muss man auch den Bestand des Staates als solchen zu den Schutzgütern zählen, da das Grundgesetz ein Interesse an der Erhaltung des Staatsgebiets hat. (a) Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Die freiheitliche demokratische Grundordnung umfasst wesentliche Grundgedanken des deutschen Verfassungsstaats in einer Prägung, die er insbesondere aus den Erfahrungen mit dem Untergang der Weimarer Republik und der anschließenden nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft empfangen hat.131 Hierzu zählen jedenfalls:132 127

BVerfGE 39, 334, 349 – Extremistenbeschluss. Vgl. Sichert, DÖV 2001, 671, 673. 129 So Carlo Schmid, Vorsitzender der SPD-Fraktion, des Hauptausschusses sowie des Ausschusses für das Besatzungsstatut im Parlamentarischen Rat (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, Akten und Protokolle, S. 36). 130 Vgl. auch BVerfGE 57, 1, 8 – NPD – Kleine Anfrage; Gröpl/Zembruski, JURA 2016, 268, 278 sehen dagegen in erster Linie den Bundesminister des Innern und die Bundesregierung als Kollegialorgan in der Pflicht. Aus der aufgezeigten Gesamtschau der grundgesetzlichen Bestimmungen ergibt sich nach überzeugender Ansicht aber wohl eine entsprechende Verpflichtung jedes Bundesministers. 131 Sie ist nicht identisch mit dem Regelungsgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 537 – NPD-Verbot II; vgl. auch Warg, NVwZBeilage 2017, 42, 43). 132 Vgl. erstmals BVerfGE 2, 1, 13 – SRP-Verbot. In der Folgezeit hat das Bundesverfassungsgericht den Katalog der Elemente, die zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören, um die Vereinigungsfreiheit (vgl. BVerfGE 5, 85, 199 – KPD-Verbot), den Parlamentarismus (vgl. BVerfGE 5, 85, 230 ff. – KPD-Verbot), das Grundrecht auf freie Mei128

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E. Wirkungsmöglichkeiten

- die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten (Art. 1 ff. GG), insbesondere vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und freie Entfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG), - die Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG), - die Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), - die Verantwortlichkeit der Regierung (Art. 65 S. 1 GG), - die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3, Art. 83 ff. GG), - die Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG), - das Mehrparteienprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG) und - die Chancengleichheit für alle politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG).133 Die genannten Prinzipien kennzeichnen das deutsche Staatswesen unter der Geltung des Grundgesetzes in konstitutiver Weise. Sie sind Ausdruck der Errungenschaften der deutschen Verfassungsgeschichte und geben dem Einzelnen auf dessen unveräußerlicher Menschenwürde beruhende Entfaltungsrechte, die die Basis für ein fruchtbares und gestaltendes Miteinander bilden.134 Demzufolge sieht das Grundgesetz den von ihm geschaffenen Staat als Garanten für Frieden und Freiheit (vgl. Präambel des Grundgesetzes, S. 1, sowie Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG), den es daher zu schützen gilt. (b) Bestandsschutz der Bundesrepublik Deutschland Beachtenswert ist ferner das Interesse des Grundgesetzes am Schutz des Staates in seiner Gesamtheit. Aufrechterhalten werden soll die territoriale Integrität und außenpolitische Handlungsfähigkeit des Bundes135 in der Form des in der Präambel umschriebenen Gebiets.136 Die Definition des § 92 Abs. 1 StGB entspricht dem verfassungsrechtlichen Bestandsbegriff.137 nungsäußerung (vgl. BVerfGE 7, 198, 208 – Lüth), den freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfGE 44, 125, 139 – Öffentlichkeitsarbeit), die Rundfunk-, Presse- und Informationsfreiheit (vgl. BVerfGE 77, 65, 74 – Beschlagnahme von Filmmaterial), das Bekenntnis zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität (vgl. BVerfGE 27, 195, 201 – Hessische Privatschulen) und die Religionsfreiheit (vgl. BVerfGE 137, 273, 303 – Kirchliches Arbeitsverhältnis) ergänzt. 133 Vgl. zu Letzterem insbesondere BVerfG NVwZ 2016, 922, 923 f. 134 Vgl. BVerfGE 2, 1, 12 f. – SRP-Verbot sowie bereits unter C. I. 3. a). 135 Vgl. Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 147; Henke, in: BK, Art. 21 GG, Rn. 354; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21 GG, Rn. 34; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 229 f.; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 520. 136 Vgl. Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 162. 137 Vgl. Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 147.

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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b) „Wehrhafte Demokratie“ und parteipolitische Äußerungen Die Rechtfertigung parteipolitischer Äußerungen über das Grundprinzip der „wehrhaften Demokratie“ ist außerordentlich problematisch. Während das positive Eintreten für die geltende Verfassungsordnung vom Grundgesetz verlangt wird, sind negative Werturteile über Parteien stets an der Grenze des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG zu messen, der an sich jede parteipolitische Positionierung verbietet.138 Zu beachten ist zudem Art. 21 Abs. 4 Alt. 1 GG, wonach über die Frage der Verfassungswidrigkeit allein139 das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Vor dem Hintergrund dieser Sonderregelung für politische Parteien kommt insbesondere keine Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG) verfassungsfeindlicher Parteien in Betracht.140 Ob Staatsorganen in Anbetracht dieser Bestimmung das Recht zugebilligt werden kann, nicht verbotene Parteien verbal zu attackieren, bedarf einer eingehenderen Analyse. Hierbei gilt es zu beachten, dass der Rechtfertigungsgrund der „wehrhaften Demokratie“ einen nur beschränkten Anwendungsbereich hat. (1) Anwendungsbereich Wendet sich eine Partei gegen den Bestand der Bundesrepublik oder gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, kann aus den Schutzpflichten der Staatsorgane prinzipiell eine Rechtfertigungsmöglichkeit für parteipolitische Äußerungen erwachsen.141 Die staatliche Gewalt trifft insbesondere die Pflicht zum Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung sowie zur Wahrung der Menschenwürde.142 Aus ebendiesen Schutzpflichten wird aber zugleich die Grenze des Rechtfertigungsgrunds deutlich: Nur Aussagen über Parteien, die die Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 GG erfüllen,143 aber noch nicht verboten wurden, können – wenn überhaupt – über den Gesichtspunkt der „wehrhaften Demokratie“ verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Derartige Parteien sollen im Folgenden als verfassungsfeindliche Parteien bezeichnet werden.144 Die Grundentscheidung für eine „wehrhafte Demokratie“ vermag darüber hinaus höchstens sachlich begründbare und nachvollziehbare negative Werturteile staatlicher Stellen über verfassungsfeindliche Parteien zu rechtfertigen. Sie kann keine Kompetenz dahingehend 138

Vgl. dazu unter C. III. 3. Vgl. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 215. 140 Vgl. auch Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 46; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 215; Seifert, Parteien, S. 394 f. 141 So auch ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295, 299; RhPfVerfGH NVwZ 2008, 897, 898. 142 Vgl. BVerfGE 5, 85, 138 – KPD-Verbot; ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295, 301 (Sondervotum Heßelmann). 143 Vgl. dazu sogleich unter E. II. 4. b) (2) (a). 144 Vgl. zu dieser Begrifflichkeit auch BVerfGE 63, 266, 266 ff. – Anwaltszulassung; Pieroth, in: Jarass/Piertoh, Art. 21 GG, Rn. 38; Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 202. 139

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E. Wirkungsmöglichkeiten

begründen, selbst als Partei aktiv in den Wettbewerb um die Stimmen der Wähler einzutreten. Nur wenn die Absicht der Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestands der Bundesrepublik erkennbar im Vordergrund der Aussage steht, kommt eine Rechtfertigung über das Prinzip der „wehrhaften Demokratie“ in Frage. Eine gegenüber den Staatsorganen großzügigere Sichtweise würde zu einer Aushöhlung des Rechts aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG führen, das allen Parteien gleichermaßen zusteht, solange das Bundesverfassungsgericht nicht über ihre Verfassungswidrigkeit entschieden hat.145 (2) Bedeutung und Reichweite des „Parteienprivilegs“ Problematisch sind also lediglich Äußerungen gegenüber verfassungsfeindlichen Parteien. Bei den übrigen Parteien kommt eine Rechtfertigung auf der Basis der Prinzipien der „wehrhaften Demokratie“ nicht in Betracht. (a) Objektiver Maßstab Aus Gründen der Rechtssicherheit ist an die Beantwortung der Frage, ob eine verfassungsfeindliche Partei im konkreten Fall betroffen ist, ein rein objektiver und gerichtlich voll nachprüfbarer Maßstab anzulegen. Dem handelnden Staatsorgan kann keine Einschätzungsprärogative zuteilwerden. Dies gebietet der hohe Stellenwert politischer Parteien in der Demokratie146 ebenso wie die weitreichenden Folgen,147 die parteipolitische Äußerungen von Staatsorganen typischerweise haben. Verfassungsfeindlich ist noch nicht die bloße Kritik an Verfassungswerten oder die Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern. Erst bei Aktivitäten zur Beseitigung der Ordnung des Grundgesetzes kann dies anders zu beurteilen sein.148 Hierbei finden die gleichen Faktoren wie bei der Beurteilung der Verfassungswidrigkeit von Parteien Anwendung. Das Grundgesetz überlässt – wie unter anderem aus Art. 21 Abs. 2 GG ersichtlich ist – die Gestaltung der Gesellschaft nicht vollständig seinem Volk und den Parteien. Vielmehr trägt es Sorge dafür, dass seine Existenz nicht in Gefahr gerät. Auch dies kann als „Lehre aus Weimar“ bezeichnet werden.149 Weil die Weimarer Reichsverfassung den Parteien keine hinreichende Beachtung schenkte, verwehrte sie sich selbst die Möglichkeit, ihren Bestandsschutz zu inkorporieren. Unter dem Grundgesetz sind aber nur solche Parteien verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bun145 146 147 148 149

So auch ThürVerfGH ThürVBl. 2015, 295, 299. Vgl. dazu unter C. III. 1. b). Vgl. dazu auch unter C. III. 3. d) (3). Vgl. BVerfGE 113, 63, 81 f. – Junge Freiheit. Vgl. auch BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 514 – NPD-Verbot II.

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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desrepublik Deutschland zu gefährden (Art. 21 Abs. 2 GG). Die Massivität des von einem Parteiverbot ausgehenden Eingriffs in den freien demokratischen Willensbildungsprozess verlangt eine enge Auslegung dieser Voraussetzungen.150 So geht eine Partei nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst dann auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus, wenn sie „kontinuierlich auf die Verwirklichung eines der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechende[n] politische[n] Konzept[s]“151 hinarbeitet und sich dieses planvolle Handeln der Partei „darüber hinaus als qualifizierte Vorbereitung im Hinblick auf die Erreichung ihrer gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichteten Ziele“152 darstellt.153 Das Grundgesetz beweist sich damit als liberale Verfassung. Es nimmt an, dass die von ihm manifestierte Ordnung stark genug ist, um eine Auseinandersetzung mit solchen Bestrebungen zu überstehen und sogar zu fördern (vgl. Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG), die dem grundgesetzlichen System kritisch oder gar feindlich gegenüberstehen. Erst wenn der Bestand des Staatswesens und das Gemeinwohl in qualifizierter Weise gefährdet sind, erlaubt die Verfassung einen Eingriff in die politische Auseinandersetzung. Zu beachten ist aber auch dann, dass das Parteiverbot „kein Gedanken-, sondern ein Organisationsverbot“154 darstellt und deshalb ein aktives Auftreten der zu verbietenden Partei voraussetzt. Zusätzlich hat man die Einschränkungen des über Art. 1 Abs. 2 und Art. 59 Abs. 2 GG als Bundesgesetz155 zur Anwendung kommenden Art. 11 Abs. 2 S. 1 EMRK zu berücksichtigen.156 Danach ist ein Verbot von Vereinigungen nur zulässig, wenn es „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist. Diese Notwendigkeit eines Parteiverbots erfordert nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass die betreffende 150 So auch BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 524 – NPD-Verbot II; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 486; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 146; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 223; Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21 GG, Rn. 206; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21 GG, Rn. 31; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 21 GG, Rn. 17; v. Coelln, in: Studienkommentar, Art. 21 GG, Rn. 46. 151 BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 576 – NPD-Verbot II. 152 BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 577 – NPD-Verbot II. 153 Zu weiteren Interpretationen des Tatbestandsmerkmals des „Darauf Ausgehens“ vgl. Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 162; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 525; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21 GG, Rn. 33; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 142 und Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 232 fordern darüber hinaus das Vorliegen einer qualifizierten Vorbereitungshandlung. 154 Preuß, Die empfindsame Demokratie, in: FAZ vom 22. 08. 2000, S. 51; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 573 – NPD-Verbot II. 155 Vgl. BVerfGE 74, 358, 370 – Unschuldsvermutung; 120, 180, 200 – Caroline von Monaco III; 128, 326, 367 – Sicherungsverwahrung; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 59 GG, Rn. 92; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 68; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, Art. 1 GG, Rn. 29 f. 156 Vgl. indirekt auch BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 607 ff. – NPDVerbot II; Morlok, JURA 2013, 317, 324; Shirvani, JZ 2014, 1074, 1079 ff., der die Vorgaben der EMRK auf Rechtsfolgenseite prüfen möchte.

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E. Wirkungsmöglichkeiten

Partei entweder Ziele verfolgt, die sich mit fundamentalen Grundsätzen der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes nicht vereinbaren lassen, oder dass die Mittel, die die Partei einsetzt, rechtswidrig oder undemokratisch sind.157 In der Regel verlangt der Gerichtshof darüber hinaus eine durch die Partei drohende Beeinträchtigung der Demokratie.158 Hierfür ist ein gewisser öffentlicher Einfluss der Partei vonnöten, der sich beispielsweise in Wahlerfolgen zeigen kann.159 Stets kommt es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aber auf eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der historischen Erfahrungen in dem jeweiligen Konventionsstaat an.160 In Umsetzung der Vorgaben der EMRK sieht das Bundesverfassungsgericht ein „Darauf Ausgehen“ i.S.d. Art. 21 Abs. 2 GG zwar nicht erst bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG,161 aber dennoch erst dann als gegeben, „wenn konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichtete Handeln einer Partei erfolgreich sein kann (Potentialität). Lässt das Handeln einer Partei dagegen noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedarf es des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot als schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde […] nicht. Ein Parteiverbot kommt vielmehr nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen, und wenn sie von diesen Wirkungsmöglichkeiten auch Gebrauch macht.“162

Diese Grundsätze schränken die Möglichkeit eines Parteiverbots stark ein und bedrohen die Schärfe des Schwerts der „wehrhaften Demokratie“.163 Gleichzeitig stellen sie sich als notwendiges und zustimmungswürdiges Resultat der Übertragung der Maßgaben des Art. 11 Abs. 2 S. 1 EMRK auf Art. 21 Abs. 2 GG dar. Erfüllt eine Partei die dargestellten Tatbestandsvoraussetzungen nicht, können ihr gegenüber getätigte Äußerungen nicht unter dem Aspekt der „wehrhaften Demo157 Vgl. EGMR, Urteil vom 14. 12. 2010, HADEP and Demir v. Turkey, Nr. 28003/03, § 61; EGMR, Urteil vom 30. 06. 2009, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Nr. 25803/04 und 25817/04, § 79; vgl. auch EGMR NVwZ 2003, 1489, 1492. 158 Vgl. EGMR, Urteil vom 30. 06. 2009, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Nr. 25803/ 04 und 25817/04, § 83; vgl. auch EGMR NVwZ 2003, 1489, 1493. 159 Vgl. EGMR, Urteil vom 20. 10. 2005, United Macedonian Organisation Ilinden – Pirin u. a. v. Bulgaria, Nr. 59489/00, § 61. 160 Vgl. EGMR, Urteil vom 12. 04. 2011, Republican Party of Russia v. Russia, Nr. 12976/ 07, § 127; EGMR NVwZ 2003, 1489, 1495. 161 Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 581 ff. – NPD-Verbot II; vgl. auch EGMR, Urteil vom 30. 06. 2009, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Nr. 25803/04 und 25817/04, § 81 f. 162 BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 585 f. – NPD-Verbot II. 163 Vgl. dazu auch Shirvani, JZ 2014, 1074, 1083.

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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kratie“ gerechtfertigt werden. Denn wenn eine Partei eine derart untergeordnete Rolle in der Gesellschaft spielt, dass sie nicht verboten werden kann, besteht auch kein Bedürfnis nach parteipolitischen Äußerungen von Staatsorganen, die sich gegen eine solche Partei richten – selbst wenn diese Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgen sollte.164 Nach der zwischenzeitlich als Reaktion auf das zweite NPD-Urteil165 vorgenommenen Verfassungsänderung kann das Bundesverfassungsgericht eine Partei ggf. nicht nur verbieten (Art. 21 Abs. 2 und 4 Alt. 1 GG), sondern auch von der Parteienfinanzierung ausschließen (Art. 21 Abs. 3 und 4 Alt. 2 GG).166 Zwar sieht das Grundgesetz damit nun gestufte Sanktionsmöglichkeiten vor, die es vordergründig nahelegen, dass sich Staatsorgane im politischen Meinungskampf gegen Parteien positionieren dürfen, die von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen wurden. Gänzlich ungebunden sind Staatsorgane aber nicht: Zum einen müssen sie sich stets beleidigender Äußerungen enthalten, zum anderen erlaubt der Ausschluss von der Finanzierung keine vollständige Verdrängung der Partei aus dem Wettbewerb. Die Sanktion des Art. 21 Abs. 3 GG muss hinter der des Abs. 2 zurückbleiben, da andernfalls die vom Bundesverfassungsgericht verschärften Verbotsvoraussetzungen leerliefen. Die Verfassungsänderung novelliert das „Parteienprivileg“, hebt es jedoch nicht auf. Nur in sehr begrenztem Umfang darf man Staatsorganen deshalb weitergehende Äußerungsbefugnisse gegen von der Finanzierung ausgeschlossene Parteien zubilligen.167 (b) Begriff des „Parteienprivilegs“ Parteien sind insofern privilegiert, als sie – im Gegensatz zu sonstigen Vereinigungen (Art. 9 Abs. 2 GG) – gem. Art. 21 Abs. 4 GG nur vom Bundesverfassungsgericht168 verboten bzw. von der Finanzierung ausgeschlossen werden können.169 Der missverständliche170 und daher auch kritisierte171 Begriff des „Privilegs“ 164 165

bot II.

Wohl a.A. Gusy, NJW 2017, 601, 603. Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 527 und 624 – NPD-Ver-

166 Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat in Art. 21 Abs. 3 GG („darauf ausgerichtet sein“) bewusst schwächere Voraussetzungen als in Abs. 2 („darauf Ausgehen“) statuiert, um das Kriterium der „Potentialität“ zu vermeiden (so ausdrücklich BT-Drs. 18/12357, S. 6). 167 Vgl. auch Ebert / Karaosmanog˘ lu, DVBl. 2017, 375, 377; prinzipiell offener Gusy, NJW 2017, 601, 604; Jacob, jM 2017, 110, 115. 168 Vgl. BVerfGE 12, 296, 305 – Parteienprivileg; 17, 155, 166; 47, 130, 139 – KBWWerbung; BVerwG NVwZ 2006, 694, 694. 169 In der beinahe 70-jährigen Geschichte der Bundesrepublik hat es bislang vier Verbotsverfahren gegeben (vgl. BVerfGE 2, 1 – SRP-Verbot; 5, 85 – KPD-Verbot; 107, 339 – NPDVerbot I; BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13 – NPD-Verbot II), von denen zwei erfolgreich gewesen sind. Während der gerade einmal 14-jährigen Lebensdauer der Weimarer Republik hat es dagegen auf Basis des 1. Gesetzes zum Schutze der Republik sowie einiger Notverordnungen 37 Parteiverbote gegeben (vgl. Gusy, WRV, S. 123).

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E. Wirkungsmöglichkeiten

beinhaltet zum einen eine materielle verfassungsrechtliche Bevorzugung politischer Parteien und enthält zum anderen das an die Exekutive gerichtete Verbot, mit unmittelbarer rechtlicher Wirkung gegen Parteien vorzugehen. In diesem Sinne entfaltet Art. 21 Abs. 4 GG Schutzwirkung zugunsten der Parteien: Sie sind so lange als verfassungsmäßig zu behandeln, wie das Bundesverfassungsgericht ihre Verfassungswidrigkeit nicht in dem dafür vorgesehenen Verfahren (§§ 43 ff. BVerfGG) festgestellt hat.172 Das Grundgesetz verleiht den Parteien damit eine uneingeschränkte Bestandsgarantie und ein Recht zu freier Betätigung. Die Parteien dürfen „in ihrer politischen Tätigkeit nicht behindert werden“173. Zugleich schützen Art. 21 Abs. 2 und 3 GG den Staat vor verfassungswidrigen Parteien und ist damit Ausdruck der „wehrhaften Demokratie“, welche die Parteienfreiheit begrenzt.174 Art. 21 GG verdeutlicht mit der Gewährung der Parteienfreiheit (Abs. 1 S. 2) auf der einen und der Beschränkung dieser Freiheit (Abs. 2 und 3) auf der anderen Seite den bewussten Versuch der Verfassung, eine „Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung“175 herzustellen. Diese doppelte Schutzwirkung176 definiert das Spannungsfeld, in dem sich staatliche Akteure beim Umgang mit verfassungsfeindlichen Parteien stets befinden. Sie haben den Schutzauftrag zugunsten des Staates, aber auch den zugunsten der Parteien zu achten und zu verteidigen. (c) Erstreckung des „Parteienprivilegs“ auf parteipolitische Äußerungen Die materiell-rechtliche Sperrwirkung177 des Art. 21 Abs. 4 GG erschöpft sich nach überwiegender Auffassung darin, dass „bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen kann“.178 Unklar bleibt, worin sich dann aber zeigen soll, dass Art. 21 GG 170

Vgl. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 215. Vgl. etwa Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 149; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 541; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 21 GG, Rn. 83. 172 Vgl. Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 152; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 571 ff.; Gusy, in: AK, Art. 21 GG, Rn. 129. 173 BVerfGE 47, 130, 139 – KBW-Werbung. 174 Vgl. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 215. 175 BVerfGE 5, 85, 139 – KPD-Verbot. 176 Vgl. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 215; Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 21 GG, Rn. 571; Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 148. 177 So zutreffend bezeichnet bei Maurer, AöR 96 (1971), 203, 230 ff.; Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 21 GG, Rn. 571; nunmehr auch BVerfGE 111, 382, 410 – Drei-Länder-Quorum. 178 BVerfGE 12, 296, 304 – Parteienprivileg; vgl. auch BVerfGE 138, 102, 111 – Schwesig; vgl. auch Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 574 ff.; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, Art. 21 GG, Rn. 121; Müller, in: Taschenkommentar, Art. 21 GG, Rn. 17; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 21 GG, Rn. 22. 171

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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„die politischen Parteien wegen ihrer Sonderstellung im Verfassungsleben mit einer erhöhten Schutz- und Bestandsgarantie (dem sog. ,Parteienprivileg‘)“179 ausstattet. Insbesondere die Beschränkung des Privilegs auf rechtliche oder administrative180 Beeinträchtigungen der Parteien birgt das große Risiko einer Umgehung des Art. 21 Abs. 4 GG.181 Nur bei der Vergabe öffentlicher Einrichtungen an Parteien,182 der effektiven Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit,183 der Gewährung von Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk184 und der Parteienfinanzierung185 hat das Bundesverfassungsgericht konsequent die Sperrwirkung des Art. 21 Abs. 4 GG angewandt und alle nicht verbotenen Parteien gleichbehandelt. In vielen anderen Fallkonstellationen sieht das Bundesverfassungsgericht hingegen lediglich „faktische Nachteile“, vor denen Art. 21 GG nicht schützen soll.186 Wird eine Partei etwa in staatlichen Publikationen wie Verfassungsschutzberichten als verfassungsfeindlich bezeichnet oder als „rechtsradikal, rechtsextrem, eine Feindin der Freiheit und eine Gefahr für die freiheitliche Grundordnung“187 beschrieben, soll darin kein das Recht der Partei aus Art. 21 GG beeinträchtigendes Verhalten zu sehen sein. Ebenso sollen Fälle zu beurteilen sein, in denen der Bundesminister des Innern im Rahmen einer Kleinen Anfrage (§ 104 GOBT) eine Partei einer verfassungsfeindlichen und der nationalsozialistischen Ideologie entliehenen Zielsetzung bezichtigt188 oder die Staatsmacht Personen auf Grundlage des Art. 33 Abs. 5 GG wegen ihrer Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Parteien den Zugang zum Beamtendienst verwehrt.189 Es handle sich – so das Bundesverfassungsgericht – in diesen Fällen weder um ein administratives Einschreiten gegen die Partei, noch werde deren Verfassungswidrigkeit rechtlich geltend gemacht. Die für die Partei entstehenden und vom Bundesverfassungsgericht auch gesehenen faktischen Nachteile seien hinzunehmen. Die Partei könne sich mit den Mitteln des parteipolitischen Wettbewerbs zur Wehr setzen.190 Einschränkend führt das Bundesverfassungsgericht aus: 179

BVerfGE 12, 296, 304 – Parteienprivileg. Vgl. BVerfGE 5, 85, 140 – KPD-Verbot. 181 Vgl. auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 218; Battis/Gusy, Einführung, Rn. 105 f. 182 Vgl. etwa BVerfG NVwZ 2014, 1572, 1573. 183 Vgl. BVerfG NJW 2001, 2076, 2077. 184 Vgl. BVerfGE 47, 198, 225 – Wahlwerbesendung; 69, 257, 268 – Wahlwerbesendung WDR. 185 Vgl. etwa BVerfGE 111, 54, 104 – Parteienfinanzierung X; 111, 382, 410 – Drei-LänderQuorum. 186 Vgl. BVerfGE 39, 334, 360 – Extremistenbeschluss; 40, 287, 292 f. – Verfassungsschutzbericht NPD; 57, 1, 5 f. – NPD – Kleine Anfrage. 187 BVerfGE 40, 287, 293 – Verfassungsschutzbericht NPD. 188 Vgl. BVerfGE 57, 1, 5 f. – NPD – Kleine Anfrage. 189 Vgl. BVerfGE 39, 334, 359 – Extremistenbeschluss. 190 BVerfGE 40, 287, 292 f. – Verfassungsschutzbericht NPD; 57, 1, 6 – NPD – Kleine Anfrage; 133, 100, 107 f. – Verfassungskonformität NPD; vgl. auch Klein, in: Maunz/Dürig, 180

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E. Wirkungsmöglichkeiten

„Dies bedeutet indessen nicht, daß der Befugnis der Staatsorgane, negative Werturteile über Ziele und Betätigung nicht verbotener politischer Parteien kundzutun, keinerlei verfassungsrechtliche Schranken gesetzt wären. Das Recht solcher politischer Parteien auf Chancengleichheit als ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung verbietet vielmehr jede staatliche Maßnahme, die den Anspruch der Partei auf die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigt. Danach wäre es der Regierung untersagt, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn diese Maßnahme bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich wäre und sich daher der Schluß aufdrängte, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruhte.“191

Das heißt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts allerdings nicht, dass es Mitgliedern der Bundesregierung verwehrt ist, ihrer Pflicht zur Beantwortung parlamentarischer Anfragen nachzukommen und dabei ihrer Einschätzung, eine Partei sei verfassungsfeindlich, Ausdruck zu verleihen.192 Diese Sichtweise im Hinblick auf rein faktische Nachteile für Parteien steht freilich in Widerspruch zur eigenen – wenn auch teilweise erst zeitlich nachrangig ergangenen – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und überzeugt auch sonst nicht.193 (aa) Keine bloße Willkürkontrolle Die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht für die Regierung aufstellt, ähneln eher denen, die nach der „Spinner“-Entscheidung – in Abgrenzung von der Bundesregierung – für den Bundespräsidenten gelten sollen. Dieser unterliegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts194 nur der Willkürkontrolle.195 Die Regierung hingegen habe „ungeachtet der tatsächlichen Rückwirkungen ihres Handelns auf die Willensbildung des Volkes“ Aussagen zu unterlassen, die parteiergreifend auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien einwirken.196 Nun kann man freilich erwägen, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Pflicht der Regierung zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung weniger strenge Grenzen gelten zu lassen.197 Schließlich trägt das Organ so zur öffentlichen Meinungsbildung bei und wählt ein im Vergleich zur Stellung eines Verbotsantrags

Art. 21 GG, Rn. 575, der unter Missachtung der enormen Auswirkungen auf die Betätigungsfreiheit behauptet, Empfindlichkeiten der Parteien könnten keinen Schutz genießen. 191 BVerfGE 40, 287, 293 – Verfassungsschutzbericht NPD; vgl. auch BVerfGE 133, 100, 108 – Verfassungskonformität NPD. 192 Vgl. BVerfGE 57, 1, 8 – NPD – Kleine Anfrage. 193 Daher zu Recht kritisch etwa Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, StaatsR II, Rn. 510; zustimmend hingegen beispielsweise v. Coelln, in: Studienkommentar, Art. 21 GG, Rn. 42. 194 Vgl. hierzu näher unter D. I. 2. c). 195 Vgl. BVerfGE 136, 323, 336 – Spinner. 196 BVerfGE 138, 102, 113 – Schwesig. 197 So BVerfGE 138, 102, 116 – Schwesig.

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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milderes Mittel.198 Doch ist dies nicht der Weg, den das Grundgesetz für den Umgang mit verfassungsfeindlichen Parteien vorsieht. Derartige Parteien sind gem. Art. 21 Abs. 2 GG zu verbieten bzw. gem. Abs. 3 von der Finanzierung auszuschließen und nicht auf einem undefinierbaren Mittelweg durch anderweitige faktische Benachteiligungen aus dem Wettbewerb zu drängen. Ein sog. „kaltes“ oder indirektes Parteiverbot, welches die betreffenden Parteien „in die Grauzone nur noch geduldeter Parteien verbannt“,199 erlaubt das Grundgesetz nicht und verhindert damit die Bereitung eines Nährbodens für Diskriminierungen und Umgehungen des Art. 21 Abs. 4 GG.200 Dies bedeutet – auch für die alte Rechtslage – nicht, dass nur die Wahl zwischen der „Todesstrafe“ und „dem gänzlich ungehinderten Laufenlassen unerwünschter Parteien“ bestünde.201 Denn erstens trifft die Pflicht zu parteipolitischer Neutralität lediglich Staatsorgane in ihrer amtlichen Funktion, sodass eine Bekämpfung der Partei im allgemeinen politischen Diskurs möglich bleibt.202 Zweitens schließt das „Parteienprivileg“ nicht die Beobachtung einer verfassungsfeindlichen Partei durch staatliche Stellen aus.203 Rechtsschutzlücken werden durch ein striktes Verständnis des „Parteienprivilegs“ mithin nicht erkennbar. Eine Relativierung des „Parteienprivilegs“ würde jedoch große Rechtsunsicherheit mit sich bringen. (bb) Rechtfertigungsbedürftigkeit mittelbar-faktischer Grundrechtsbeeinträchtigungen Sog. mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen sind mittlerweile anerkannt und bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.204 Nichts anderes kann für die aus parteipolitischen Äußerungen resultierenden faktischen Nachteile gelten. (cc) Bedeutung politischer Parteien Die Kategorie der verfassungsrechtlich irrelevanten faktischen Nachteile überzeugt vor dem Hintergrund der Bedeutung politischer Parteien im grundgesetzlichen Gefüge nicht. Denn auch das Bundesverfassungsgericht schließt bis zur Beendigung des ordentlichen Verbotsverfahrens ein „administratives Einschreiten gegen den 198 Vgl. BVerfGE 13, 123, 125 f. – Fragestunde; 40, 287, 292 f. – Verfassungsschutzbericht NPD; 57, 1, 6 ff. – NPD – Kleine Anfrage; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 155; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 576; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 21 GG, Rn. 121. 199 So zutreffend Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 115. 200 Vgl. Preuß, in: AK, Art. 21 GG, Rn. 38; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 115, 218 und 220. 201 So aber Kloepfer, NJW 2016, 3003, 3006 f. 202 Vgl. unter E. II. 1. 203 Vgl. unter E. II. 2. d) (3). 204 Vgl. hierzu BVerfGE 105, 279, 299 ff. – Osho; 113, 63, 78 – Junge Freiheit; sowie ausführlich unter E. II. 2. d) (1) (a); zu diesem Widerspruch auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 21 GG, Rn. 218; Morlok, in: Dreier, Art. 21 GG, Rn. 155.

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E. Wirkungsmöglichkeiten

Bestand einer politischen Partei schlechthin aus, mag sie sich der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gegenüber noch so feindlich verhalten“.205 Rundfunkanstalten soll es verwehrt sein, Parteien, die zur Wahl zugelassen sind, von der Benutzung des Rundfunks und Fernsehens mit dem Argument auszuschließen, dass sie die Parteien für schädlich halten oder der Wahlwerbespot verfassungsfeindliche Ziele enthält.206 Erst wenn die Partei beschimpft oder verunglimpft und so die für jedermann geltenden strafrechtlichen Grenzen überschreitet, gestattet Art. 21 GG eine Ungleichbehandlung der Partei.207 Hinter diesen Erwägungen steckt der Gedanke, dass die Demokratie verfassungsfeindliche Parteien und deren Äußerungen aushalten muss: „Die [verfassungsfeindliche] Partei kann zwar politisch bekämpft werden, sie soll aber in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein […]. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit der Partei bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit besteht, um der politische Freiheit willen in Kauf. Die Partei handelt, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele propagiert, im Rahmen einer verfassungsmäßig verbürgten Toleranz […].“208

Wenn man es aber schon zuzulassen hat, dass verfassungsfeindliche Parteien aktiv im Rundfunk für sich werben, bewegen sich gezielt gegen diese Parteien gerichtete Äußerungen seitens staatlicher Organe erst recht außerhalb der verfassungsmäßig verbürgten Toleranz. Das Grundgesetz räumt der Bevölkerung und den Parteien weitreichende Möglichkeiten zur offenen Hinterfragung auch grundlegender verfassungsrechtlicher Strukturen ein, da die plurale Demokratie der Bundesrepublik auf die Fähigkeit der Bürger vertraut, sich mit Kritik an der Rechts- und Gesellschaftsordnung auseinanderzusetzen und diese Kritik dadurch abzuwehren. Die Verfassung baut also auf die Erwartung, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren, erzwingt diese Werteloyalität aber nicht.209 Vielmehr gewährt sie im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung die Kommunikationsgrundrechte – wie etwa Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG – grundsätzlich auch den sich in der Minderheit befindlichen Gegnern der Freiheit.210 Darüber hinaus schützt Art. 21 Abs. 4 GG „bis zu einem Verbot die mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitende partei-offizielle Tätigkeit ihrer Funktionäre und An-

205

BVerfGE 5, 85, 140 – KPD-Verbot; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 526 – NPD-Verbot II. 206 Vgl. BVerfGE 47, 198, 225 ff. – Wahlwerbesendung. 207 Vgl. BVerfGE 47, 198, 232 – Wahlwerbesendung; 69, 257, 268 f. – Wahlwerbesendung WDR. 208 BVerfGE 47, 198, 228 – Wahlwerbesendung; vgl. auch BVerfGE 12, 296, 305 ff. – Parteienprivileg; 39, 334, 357 – Extremistenbeschluss. 209 BVerfG NJW 2010, 2193, 2194; vgl. auch BVerfGE 12, 296, 305 ff. – Parteienprivileg; 39, 334, 357 – Extremistenbeschluss; 47, 198, 228 – Wahlwerbesendung; 124, 300, 320 – Wunsiedel. 210 BVerfGE 124, 300, 320 – Wunsiedel; BVerfG NVwZ 2013, 570, 571.

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

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hänger vor dem Zugriff der Exekutive oder der Gesetzgeber“211. Mit diesem umfassenden Schutz, den das Bundesverfassungsgericht im Ansatz zutreffend erkennt, ist die Rechtsprechung zu faktischen Nachteilen unvereinbar. Die meisten Nachteile aus parteipolitischen Äußerungen – wie die Abnahme gesellschaftlichen Rückhalts und Stimmenverluste – sind faktischer Natur. Das Bundesverfassungsgericht verkennt, dass Art. 21 Abs. 4 GG und Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG die Parteien gerade auch vor diesen Nachteilen bewahren wollten. Führen staatliche Handlungen dazu, dass Parteien Stimmenverluste, mithin faktische Nachteile drohen, werden sie in ihrer Betätigungsfreiheit beschränkt. Der Umstand, dass diese Handlungen nicht in der Form eines administrativen Einschreitens oder der rechtlichen Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit der Partei vorgenommen worden sind, ändert an ihren Wirkungen nichts. Im Übrigen verlangt das Bundesverfassungsgericht – den sog. modernen Eingriffsbegriff anwendend – auch für sonstige Grundrechtseingriffe kein rechtsförmiges Handeln des Staatsorgans,212 weil zum einen die rechtliche Qualifikation der staatlichen Maßnahme auf die Intensität der Betroffenheit keine Auswirkung hat und zum anderen den Staatsorganen keine „Hintertür“ für grundrechtsverkürzendes Wirken geöffnet werden darf. Schließlich hilft auch der Verweis darauf, dass die betroffene Partei sich mit den Mitteln des Wettbewerbs zur Wehr setzen kann, nicht weiter, da staatliche Äußerungen stets großen Einfluss auf das Denken der Bevölkerung haben und eine einzelne Partei – schon im Hinblick auf die ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen – kein ebenbürtiger Gegner sein kann. (dd) Parteiverbot als Präventivmaßnahme Das Parteiverbot ist eine Präventivmaßnahme.213 Der Staat verteidigt sich gegen Angriffe auf die von ihm aufgestellte Grundordnung und befindet sich so in einer defensiven Abwehrhaltung.214 Erst wenn die jeweilige Partei hinreichend deutlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorgeht, berechtigt ihn die Verfassung zu einer Reaktion. Auch dieser Umstand erfordert eine großzügige Auslegung des „Parteienprivilegs“. (ee) Gebotenheit eines weiten Verständnisses des „Parteienprivilegs“ Das Grundgesetz kennt die Kategorie der faktischen Nachteile nicht.215 Es setzt vielmehr als selbstverständlich voraus, dass sich staatliche Maßnahmen auch rein tatsächlich in der Position des Bürgers niederschlagen können. Die Intention, in 211

BVerfGE 13, 123, 126 (Fragestunde). Vgl. BVerfGE 105, 279, 303 – Osho; Wiedemann, in: Umbach/Clemens, Art. 2 GG, Rn. 359; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 GG, Rn. 151; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 GG, Rn. 60; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, StaatsR II, Rn. 240; Hufen, StaatsR II, § 8, Rn. 6 ff. 213 Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 584 – NPD-Verbot II. 214 Vgl. BVerfGE 5, 85, 141 f. – KPD-Verbot; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 515. 215 Vgl. Seifert, Parteien, S. 476. 212

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E. Wirkungsmöglichkeiten

derartigen Fällen dem Betroffenen eine Berufung auf seine Grundrechte zu verwehren, liegt der Verfassung nicht zugrunde. Mit der in Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG gesicherten Freiheit der Gründung ist auch „die volle Gleichberechtigung aller Parteien notwendigerweise verbunden“.216 Eine Beschränkung des Grundrechtsschutzes politischer Parteien auf Eingriffe, die durch administratives Einschreiten oder rechtliches Geltendmachen der Verfassungswidrigkeit der Partei erfolgen, schmälert die gesamte rechtliche Stellung der Parteien in einer mit Art. 21 GG nicht in Einklang zu bringenden Weise. Mit seiner Rechtsprechung verstößt das Bundesverfassungsgericht damit letztlich selbst gegen das „Parteienprivileg“ des Art. 21 Abs. 4 GG. Indem es verfassungsfeindlichen Parteien im Wege der Rechtfertigung über die Grundsätze der „wehrhaften Demokratie“ schon vor ihrem Verbot mehr negative Werturteile seitens staatlicher Organe zumutet als anderen Parteien, begeht es eine Ungleichbehandlung. Dem Bundesverfassungsgericht ist dies auch nicht etwa wegen seiner Zuständigkeit für die Verfahren gem. Art. 21 Abs. 4 GG gestattet, denn das Privileg des Art. 21 Abs. 4 GG verliert erst dann seine Sperrwirkung, wenn die Partei „in dem dafür vorgesehenen Verfahren (§§ 43 ff. BVerfGG)“217 verboten oder von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen worden ist. (d) Pflicht zur Stellung eines Verbotsantrags Wollen Staatsorgane gegen verfassungsfeindliche Parteien vorgehen, bleibt ihnen die Stellung eines Antrags auf Verbot oder Ausschluss von der staatlichen Finanzierung (§ 43 Abs. 1 BVerfGG). Hierzu können sie unter Beachtung der Prinzipien der „wehrhaften Demokratie“ sogar verpflichtet sein.218 Parteien, die die Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 bzw. 3 GG erfüllen, „sind“ verfassungswidrig bzw. von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen. Aus der Rechtsbindung staatlicher Gewalt gem. Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG folgt deshalb, dass dieser Zustand nicht hingenommen werden kann.219 Zwar sprechen der Ausnahmecharakter und die Schwere des Eingriffs in die Rechte der Partei eher für eine Ermessensentscheidung.220 Dieses Ermessen der antragsbefugten Organe wird aber auf Null reduziert

216

So BVerfGE 44, 125, 146 – Öffentlichkeitsarbeit. BVerfGE 40, 287, 291 – Verfassungsschutzbericht NPD. 218 So zu Recht etwa auch Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 178 ff. Im Parlamentarischen Rat ging man überdies davon aus, dass verfassungswidrige Parteien nicht zu dulden seien und dem Bundesverfassungsgericht deshalb bei seiner Entscheidung kein Ermessensspielraum zukommen könne (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 601 – NPDVerbot II unter Verweis auf Wortprotokolle des Parlamentarischen Rats). 219 So auch Stein, in: Ipsen, Vor §§ 32, 33 PartG, Rn. 4. 220 Vgl. BVerfGE 5, 85, 113 – KPD-Verbot; 40, 287, 291 – Verfassungsschutzbericht NPD, welche von einem „pflichtgemäßen Ermessen“ sprechen; 5, 85, 128 f. – KPD-Verbot, wo von einem „politischen Ermessen“ die Rede ist; 39, 334, 360 – Extremistenbeschluss, welches nur von „Ermessen“ spricht; Henke, in: BK, Art. 21 GG, Rn. 359 (politisches Ermessen); Maurer, AöR 96 (1971), 202, 225 ff. (politisches Ermessen). 217

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sein, wenn sich die Partei nachhaltig verfassungsfeindlich verhält.221 Ein „kaltes Parteiverbot“ ist im Grundgesetz nicht vorgesehen und deshalb mittels der Ermessensreduzierung zu verhindern. Im Rahmen der für die Entscheidung über die Stellung dieses Antrags notwendigen gesellschaftlichen Debatte bleibt es auch Staatsorganen unbenommen, das Für und Wider eines Verbots in sachlicher Form abzuwägen. „Erst wenn erkennbar wird, dass diese Debatte nicht entscheidungsorientiert, sondern mit dem Ziel der Benachteiligung der betroffenen Partei geführt wird, kommt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG in Betracht.“222 Um also die Gefahr der Umgehung des Art. 21 Abs. 4 GG zu minimieren, ist für parteipolitische Äußerungen in diesem Zusammenhang eine erkennbare und ernsthafte prinzipielle Bereitschaft zur Einleitung eines Verfahrens nach §§ 43 ff. BVerfGG nötig. Aus einem gescheiterten Antrag auf Verbot oder Ausschluss von der Parteienfinanzierung kann schließlich keine Ungleichbehandlung der Partei hergeleitet werden, da die negativen Auswirkungen nur ein Reflex der Erfüllung staatlicher Aufgaben (Art. 21 Abs. 2 bzw. 3 GG i.V.m. § 43 Abs. 1 BVerfGG) sind.

5. Antinationalsozialistisches Sonderrecht In Zeiten, in denen die größte Bedrohung für eine demokratische Gesellschaft von rechtsextremistischen Angriffen auf die Grundwerte unserer Verfassung ausgeht,223 stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer gesonderten Rechtfertigung politischer Äußerungen gegenüber Parteien, die ein dem Nationalsozialismus entlehntes Gedankengut verbreiten. Obwohl es in der Bundesrepublik stets rechtsradikale Bestrebungen gegeben hat, haben diese selten einen so großen gesellschaftlichen Rückhalt gefunden wie heute. Dass solches Gedankengut eine Gefahr für Deutschland darstellt, soll an dieser Stelle vorausgesetzt werden. Eine parteipolitische Äußerung eines Staatsorgans allein mit dem Umstand zu rechtfertigen, dass gegen nationalsozialistische Ideologien vorgegangen werden soll, lässt sich daraus aber nicht ohne Weiteres ableiten. a) Eigenes Auftreten der Partei Vorab ist eine bisweilen vorgebrachte Argumentationslinie zu entkräften, die einer selbstsicheren Demokratie wie der des Grundgesetzes mehr schadet als nützt. Gewiss treten vor allem rechtsradikale Parteien oft mit stark provozierenden Parolen in Erscheinung. Deswegen können Gerichte aber nicht eine unsachliche Tonart des 221 Vgl. Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 178; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 547, der aber verlangt, dass die Partei zuvor politisch bekämpft worden ist; vgl. auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 245, der aber wohl eher von einer echten Pflicht, also keiner Ermessensentscheidung ausgeht; Seifert, Parteien, S. 490 ff. 222 BVerfGE 133, 100, 108 (Verfassungskonformität der NPD). 223 Vgl. auch Volp, NJW 2016, 459, 464.

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E. Wirkungsmöglichkeiten

Staatsorgans eher billigen als sonst. Verschiedentlich lässt sich lesen, dass negative Werturteile gerade von der NPD, „die auch ihrerseits in der Abgabe von Werturteilen nicht gerade zurückhaltend ist, […] hingenommen werden“224 müssten. Diese These verfängt nicht, denn der Staat kann – in der Sache dem Talionsprinzip folgend – zur Rechtfertigung seines eigenen Gesetzesverstoßes nicht die Gleichwertigkeit des vom Bürger begangenen Gesetzesverstoßes heranziehen. Der Staat und seine Organe fungieren als Vorbild gegenüber den Bürgern. Sie können sich deshalb nicht auf das gleiche Niveau herablassen, welches manche Teilnehmer des politischen Diskurses an den Tag legen.225 Natürlich muss sich auch ein Staatsvertreter nicht jeden schmähhaften Angriff gefallen lassen. Dafür stehen ihm aber rechtsstaatliche Mittel wie Strafanzeige und Strafantrag zur Verfügung. Er sollte nicht der Versuchung erliegen und einen Ton salonfähig machen, den sich im allgemeinen Umgang zu Recht niemand wünscht. Staatsorgane haben sich vielmehr stets um eine von Sachargumenten getragene Kommunikation zu bemühen. Dabei kann es der Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der Reaktionen staatlicher Stellen gerade zuträglich sein, wenn die Aussagen in nüchterner Form erfolgen. Schließlich können Staatsorgane auch den Weg eines förmlichen Verbots- oder Finanzierungsausschlussverfahrens wählen, um sich gegen besonders aggressive Parteien zur Wehr zu setzen. Ein raues Auftreten des Staatsorgans im allgemeinen politischen Diskurs wird also nicht geboten sein.

b) Öffentliche Ordnung Nicht argumentiert werden sollte ferner mit einer Gefahr für die Schutzgüter der öffentlichen Ordnung, d. h. für alle ungeschriebenen Moralvorstellungen einer Gesellschaft, die für ein gedeihliches Miteinander unabdingbar sind.226 Insbesondere bei verfassungsfeindlichen und dem Nationalsozialismus nahestehenden Parteien haben Behörden auf eine Gefahr für die öffentliche Ordnung rekurriert (§ 15 Abs. 1 VersG bzw. Art. 15 Abs. 1 BayVersG), um von diesen Parteien organisierte Versammlungen zu verbieten.227 Deshalb könnte man durchaus erwägen, bei parteipolitischen Äußerungen ebenso zu verfahren und auf dieser Basis wertende Äuße224 BVerfGE 40, 287, 293 f. – Verfassungsschutzbericht NPD; vgl. auch SaarlVerfGH, Urteil vom 08. 07. 2014, Az.: Lv 5/14, S. 15: „Es kann nicht sein, dass sie [die NPD] sich als politische Partei das – vermeintliche – Recht nehmen dürfte, zugespitzt und diskreditierend und in der öffentlichen Debatte staatliche Organe und die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland anzugreifen, zugleich jedoch ein Recht einfordern dürfte, dass staatliche Organe, die diese Rechtsordnung zu verteidigen haben, sie selbst und ihre Anhänger allenfalls mit den Worten einer akademischen, zurückhaltend-distanzierten Formensprache beschreiben.“ Diese Argumentation ist eines Rechtsstaats freilich unwürdig – vor allem unter Berücksichtigung der dort streitgegenständlichen Aussagen des Landesbildungsministers (vgl. hierzu unter B. IV. 2. a)). 225 So auch Mandelartz, DÖV 2015, 326, 329, Fn. 31. 226 Vgl. nur Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Art. 8 GG, Rn. 155. 227 Vgl. etwa BVerfGK 1, 320, 320 ff.

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rungen über Versammlungen oder die Parteien im Allgemeinen zuzulassen. Der Begriff der öffentlichen Ordnung weist aber schon generell eine zu große Unschärfe auf, um mit ihm einen Grundrechtseingriff – noch dazu in ein für die Demokratie so wesentliches Kommunikationsgrundrecht228 wie Art. 8 Abs. 1 GG oder auch Art. 3 Abs. 1 GG – rechtfertigen zu können.229 Im Rahmen der Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG ist dies erst recht nicht möglich. Sähe man in der Versammlung einer verfassungsfeindlichen Partei eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, würde man das Verbot am Inhalt der Versammlung230 und damit am Parteiprogramm festmachen. Das ist mit Art. 3 Abs. 1 bzw. Art. 8 Abs. 1 GG231 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG nicht vereinbar. Allen Parteien stehen – unabhängig von ihrer inhaltlichen Ausrichtung – bis zum Verbot bzw. Ausschluss von der staatlichen Finanzierung durch das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 21 Abs. 4 GG dieselben Rechte zu. Diese Rechte können nicht durch allgemeine Sittenvorstellungen in der Gesellschaft beschränkt werden. Die Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG erfordert vielmehr zwingende Gründe zur Rechtfertigung.232

c) Das Grundgesetz als Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Schreckensherrschaft Das Grundgesetz ist Ende der vierziger Jahre unter dem Eindruck der beispiellosen Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten entstanden. Viele Bestimmungen der Verfassung lassen sich in ihrer ganzen Tragweite erst mit den Erfahrungen des Scheiterns der Weimarer Republik an dem unbändigen Zerstörungswillen der Nationalsozialisten erklären und verstehen. Bestes Beispiel hierfür ist Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, der die Würde des Menschen als unantastbar festschreibt. Zustimmungswürdig führt das Bundesverfassungsgericht in seinem Wunsiedel-Beschluss daher aus: „Das menschenverachtende Regime dieser Zeit, das über Europa und die Welt in unermesslichem Ausmaß Leid, Tod und Unterdrückung gebracht hat, hat für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung, die einzigartig ist und allein auf der Grundlage allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen nicht eingefangen werden kann. […] Das Grundgesetz kann weithin geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden und ist von seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen.“233 228

Str., so wie hier BVerfG NJW 2001, 2459, 2460; vgl. Möllers, NJW 2005, 1973, 1974 ff. Vgl. BVerfGE 69, 315, 353 – Brokdorf II; BVerfG NJW 2001, 1409, 1410; NJW 2004, 2814, 2816; a.A. Battis/Grigoleit, NJW 2004, 3459, 3459; Kersten, in: Kersten/Rixen, § 1 PartG, Rn. 143, der insbesondere auf Art. 139 GG verweist. 230 So auch Beyerbach, JA 2015, 881, 882. 231 Vgl. auch BVerfGE 140, 225, 228 – Wanka. 232 Vgl. dazu unter C. III. 3. d) (1). 233 BVerfGE 124, 300, 328 – Wunsiedel. 229

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E. Wirkungsmöglichkeiten

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus gerechtfertigt, der Befürwortung nationalsozialistischen Gedankenguts eine rechtliche Sonderstellung dergestalt einzuräumen, dass wegen des dieser Billigung innewohnenden Angriffs auf die Identität des deutschen Gemeinwesens ihr friedensbedrohendes Potential vermutet werden kann. Folgerichtig lässt das Bundesverfassungsgericht deshalb auch eine Ausnahme vom Erfordernis der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG zu.234 Dies bedeutet aber nicht, dass jede denkbare Konfrontation mit den dem Nationalsozialismus nahestehenden Meinungen, auch wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, staatliche Eingriffe zu rechtfertigen vermag. Die nationalsozialistische Ideologie widerspricht vielen zentralen Aussagen des Grundgesetzes. Doch gehört es zu einem freiheitlichen Staat, sich grundsätzlich auch mit extremen Meinungen zu befassen und sie in der öffentlichen Debatte zuzulassen:235 „Der Schutz vor einer Beeinträchtigung des ,allgemeinen Friedensgefühls‘ oder der ,Vergiftung des geistigen Klimas‘ sind ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Auch das Ziel, die Menschenrechte im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung zu festigen, erlaubt es nicht, zuwiderlaufende Ansichten zu unterdrücken. Die Verfassung setzt vielmehr darauf, dass auch diesbezüglich Kritik und selbst Polemik gesellschaftlich ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird.“236

Ein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip kennt das Grundgesetz nicht.237 Eingriffe, die eine Konfrontation mit rechtsradikalem oder nationalsozialistischem Gedankengut schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts verhindern wollen, sind unter der Geltung des Grundgesetzes, insbesondere in Anbetracht von Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG, nicht möglich.238 Aber auch die insoweit vorbehaltlose Gewährung weiterer Grundrechte, die wie Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG das freiheitliche Gepräge des Grundgesetzes maßgeblich bestimmen, verwehrt dem Staat ein nur auf den Inhalt einer Ideologie gestütztes Vorgehen gegen verfassungsfeindliches und damit auch nationalsozialistisches Gedankengut.239 234 BVerfGE 124, 300, 327 f. – Wunsiedel; kritisch hierzu etwa Fohrbeck, Wunsiedel, S. 90 ff.; Hong, DVBl. 2010, 1267, 1276; Handschell, BayVBl. 2011, 745, 751; Schaefer, DÖV 2010, 379, 381; Lepsius, JURA 2010, 527, 534 f. 235 Vgl. dazu unter E. II. 4. b) (2) (c) (cc). 236 BVerfGE 124, 300, 334 – Wunsiedel. 237 Zutreffend BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 596 – NPD-Verbot II; BVerfGE 124, 300, 330 – Wunsiedel; vgl. auch Ebert/Karaosmanog˘ lu, DVBl. 2017, 375, 376; Höfling/Augsberg, JZ 2010, 1088, 1094 f.; a.A. OVG Münster NJW 2001, 2111, 2111 f.; Leitmeier, NJW 2016, 2553, 2554; Battis/Grigoleit, NVwZ 2001, 121, 123 ff.; Hufen, JuS 2010, 558, 561. 238 Vgl. BVerfGE 124, 300, 330 – Wunsiedel. 239 Auch ein Parteiverbot kann nicht allein auf eine Wesensverwandtschaft der Partei zum Nationalsozialismus gestützt werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 593 – NPD-Verbot II).

II. Einzelne Wirkungsmöglichkeiten

183

Würde man einem Staatsorgan erlauben, gegen Parteien schon deshalb aktiv zu werden, weil sie nationalsozialistische Vorstellungen in sich tragen, wären der Willkür kaum justiziable Grenzen gesetzt. Denn die Entscheidung darüber, welche Meinungen als nationalsozialistisch einzustufen sind, kann im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten und staatlichen Stellen grundrechtsbeeinträchtigende Handlungsspielräume eröffnen, die ihrerseits eine gewisse Nähe zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aufweisen. Dass beispielsweise ein Staatsorgan gegen eine Partei mit massiven verbalen Attacken vorgehen, eine geplante Versammlung der Partei verbieten oder die Verbreitung einer Parteizeitschrift untersagen würde und sich dabei ausschließlich auf die Qualifikation der Partei als nationalsozialistisch stützen müsste, würde den Schutzbereich der Grundrechte allzu sehr verkürzen und ließe sich im Übrigen mit dem „Parteienprivileg“240 aus Art. 21 Abs. 4 GG nicht vereinbaren.241 Zulässig werden staatliche Eingriffe – und damit auch parteipolitische Äußerungen – erst dann, wenn ein weiterer legitimer Zweck hinzukommt, der an die Verbreitung nationalsozialistischer Ideologien anknüpfen kann. Der Umstand, dass dem Grundgesetz kein antinationalsozialistisches Prinzip innewohnt, hindert also nicht die Annahme einer aus der Verfassungsgeschichte ableitbaren antinationalsozialistischen Tendenz der deutschen Verfassungsordnung, die im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung staatlicher Maßnahmen Berücksichtigung finden kann.242 Zu beachten gilt es, dass weitere Gegebenheiten hinzutreten müssen, die über die bloße geistige Nähe zum Nationalsozialismus hinausgehen und deshalb ein staatliches Einschreiten erforderlich machen. Beeinträchtigt demnach eine Partei mit ihrer Tätigkeit den öffentlichen Frieden in seinem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit, kann darin ein Eingriffsgrund gesehen werden.243 Ziel ist dann der Schutz vor den Betätigungen einer Partei, die erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen ausgehen und dabei den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch fordern und fördern.244 Anknüpfungspunkt für das staatliche Aktivwerden ist damit das Gutheißen von realen Verbrechen, zu denen – in Anlehnung an § 130 Abs. 3 StGB i.V.m. § 6 Abs. 1 VStGB sowie § 130 Abs. 4 StGB245 – etwa zählen: die in der Absicht der Ausrottung oder Unterdrückung ganzer Bevölkerungsgruppen begangene Tötung, schwere körperliche Misshandlung durch medizinische Experimente, Sterilisation, Freiheitsentziehung, Enteignung, Aussonderung aus öffentlichen Ämtern (sog. „Säuberungen“) und gezielte Einschüchterung von Menschen aus 240

Vgl. hierzu soeben unter E. II. 4. b) (2). Politisch zustimmungswürdig, diese verfassungsrechtliche Konsequenz aber unterschätzend Leitmeier, NJW 2016, 2553, 2555 f. 242 Insofern versteift sich Leitmeier, NJW 2016, 2553, 2553 f. allzu sehr auf den Begriff des „Prinzips“. 243 Vgl. hierzu im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG BVerfGE 124, 300, 335 – Wunsiedel. 244 Vgl. hierzu im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG BVerfGE 124, 300, 335 – Wunsiedel. 245 Vgl. zur insoweit parallelen Auslegung auch BGH NStZ 2006, 335, 337. 241

184

E. Wirkungsmöglichkeiten

rassischen, religiösen, sexuellen, weltanschaulichen oder ethnischen Gründen. Eine Partei, die sich allgemein wahrnehmbar und gegenwärtig mit diesen systematisch begangenen, schweren Menschenrechtsverletzungen in Verbindung bringt, diese verharmlost, rechtfertigt, verherrlicht, billigt oder leugnet und sich gerade auf den Nationalsozialismus als Gewalt- und Willkürherrschaft bezieht,246 stellt eine Gefahr für die Friedlichkeit der Gesellschaft dar und hat deshalb den Schutz des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich nicht verdient. Die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) setzt jeder Freiheit eine absolute Grenze. In Anlehnung an die im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG geltenden Kriterien247 muss sich eine Partei all ihre Aussagen „aus dem Programm und den sonstigen parteiamtlichen Erklärungen, aus den Schriften der von ihr als maßgebend anerkannten Autoren über die politische Ideologie der Partei, aus den Reden der führenden Funktionäre, aus dem in der Partei verwendeten Schulungs- und Propagandamaterial, sowie aus den von ihr herausgegebenen oder beeinflussten Zeitungen und Zeitschriften“248 zurechnen lassen. Außerdem können die Stellungnahmen von Anhängern ihrer Nebenorganisationen herangezogen werden.249 Entscheidend ist die „Grundtendenz“250 einer Partei, die nicht ausdrücklich kundgetan sein muss.251 Vielmehr vermag über diese Grundtendenz auch die personelle Zusammensetzung der Führungsschicht der Partei Aufschluss zu geben.252 Einzelne Entgleisungen von einfachen Mitgliedern oder Sympathisanten haben hingegen nur Relevanz, wenn ein Organ sie zumindest konkludent billigt.253 Parteipolitische Äußerungen von Staatsorganen gegenüber Parteien, die auf die beschriebene Weise dem Nationalsozialismus nahestehen, können folglich gesondert über antinationalsozialistisches Sonderrecht gerechtfertigt sein, wobei freilich auch dann die eingangs erörterten Grenzen nicht rechtfertigbarer Äußerungen zu beachten sind.254 Eine Einzelfallermächtigung erfordern derartige Äußerungen nicht, da es den Ämtern der Bundesregierung und des Bundespräsidenten immanent ist, sich in den vorbezeichneten Grenzen gegen die Bestrebungen einzusetzen, die den Nationalsozialismus verherrlichen.

246 Vgl. hierzu im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG BVerfGE 124, 300, 345 – Wunsiedel. 247 Vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 557 ff. – NPD-Verbot II; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21 GG, Rn. 236 ff. 248 BVerfGE 5, 85, 144 – KPD-Verbot. 249 Vgl. für das Parteiverbot Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 538. 250 BVerfGE 5, 85, 143 – KPD-Verbot. 251 Vgl. für das Parteiverbot Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 536. 252 Vgl. BVerfGE 2, 1, 23 ff. – SRP-Verbot. 253 Vgl. für das Parteiverbot BVerfG, Urteil vom 17. 01. 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rn. 563 f. – NPD-Verbot II; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 GG, Rn. 540; Ipsen, in: Sachs, Art. 21 GG, Rn. 157. 254 Vgl. unter E. I.

F. Zusammenfassung Staatsorgane befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen der Pflicht zu parteipolitischer Abstinenz und Opportunität.1 So treffen in der Politik meist Parteigremien wesentliche Personal- und Sachentscheidungen. Die jeweiligen Amtswalter sind in aller Regel selbst zugleich Mitglieder von politischen Parteien und versuchen, deren Programme umzusetzen. Hierin manifestiert sich kein pathologisch großer Einfluss der Parteien; vielmehr tritt lediglich der Wille des Grundgesetzes nach politischer Gestaltung des Gemeinwesens durch die Parteien zu Tage. Gleichzeitig stellt sich die deutsche Verfassungsordnung als eine pluralistische und parteipolitisch ungebundene dar. Das Grundgesetz bekundet kein Interesse daran, dass nur eine politische Richtung ihre Ziele einbringen und umsetzen kann, sondern fordert – im Gegenteil – einen offenen Austausch der Ideen. Die so verstandene Entscheidung des Grundgesetzes für eine demokratische Gesellschaft verwehrt es Staatsorganen, politisch Stellung zu beziehen. Für die Auflösung des Konflikts gilt es die Bedeutung und die Reichweite staatlicher Neutralitätspflichten zu bestimmen. Welche Probleme und Unsicherheiten damit in der Praxis einhergehen, haben die zahlreichen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen der jüngsten Vergangenheit demonstriert.2 Das Grundgesetz selbst enthält keine ausdrückliche Vorschrift zur parteipolitischen Neutralität seiner Organe, deutet aber klar an, dass sich der Staat mit Einwirkungen auf den politischen Willensbildungsprozess des Volkes zurückhalten muss.

I. Begründung der Neutralitätspflicht Definiert man Neutralität im Wesentlichen als die Anwendung eigener unter Abwendung fremder Handlungsmaßstäbe, müssen Staatsorgane die Handlungsmaßstäbe des Staates, nicht die der jeweiligen Amtswalter anwenden,3 und deshalb im Grundsatz parteipolitische Neutralität walten lassen. Erstens weist der Staat des Grundgesetzes keine parteipolitische Prägung auf. Zwar identifiziert sich die deutsche Verfassungsordnung durchaus mit bestimmten unveränderlichen Werten, die unter dem Begriff der freiheitlichen demokratischen

1 2 3

Vgl. dazu unter A. Vgl. dazu unter B. Vgl. dazu unter C. I. 1.

186

F. Zusammenfassung

Grundordnung zusammengefasst werden können.4 Die Entscheidung über konkrete politische Sachfragen überlässt das Grundgesetz aber dem freien Willen des Volkes und schließt eine Beeinflussung seitens staatlicher Stellen grundsätzlich aus.5 Zweitens verbietet der Grundsatz der Freiheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) eine amtliche Wahlbeeinflussung, da die Wahlen andernfalls weder den Abgeordneten des Bundestags noch den übrigen Staatsorganen ihre wegen Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nötige Legitimation vermitteln könnten. Parteipolitische Äußerungen von Staatsorganen gefährden eine autonome Wahlentscheidung der Bürger und damit auch die Legitimationsbasis der Staatsgewalt.6 Drittens stehen die umfassenden, den Parteien vom Grundgesetz eingeräumten Rechte einer parteipolitischen Aktivität der Staatsorgane weitgehend entgegen. Hat die Weimarer Verfassungsordnung die Parteien noch als extrakonstitutionelle Erscheinung begriffen, die weder den Schutz noch eine besondere Regulierung durch die Verfassung erfahren haben,7 sieht das Grundgesetz die Parteien in einer zentralen Rolle bei der politischen Willensbildung des Volkes (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG).8 Parteien sind nach diesem Verständnis nicht nur Mittler zwischen Volk und Staat,9 sondern auch Förderer einer aktiven Gestaltung der Gesellschaft.10 Sie wirken als Integrationsorgane.11 Mit dieser Bedeutung der Parteien für die Demokratie des Grundgesetzes korrespondiert ihre herausgehobene rechtliche Position. Auch wenn Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG nicht als Grundrecht qualifiziert werden kann, ist ihm doch eine objektive Bestandsgarantie mit subjektiver Komponente zu entnehmen, die den Grundrechten politischer Parteien erhebliches Gewicht zukommen lässt.12 Dabei gewährt Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG den Parteien in erster Linie die Gründungsfreiheit,13 die zugleich eine Betätigungsfreiheit14 der Parteien beinhaltet. Diese Freiheiten wiederum erfordern das Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb und damit die Chancengleichheit der Parteien (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG).15 Mit parteipolitischen Äußerungen greifen Staatsorgane in dieses Recht ein. Der hohe Stellenwert der politischen Parteien und die daraus resultierende Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG auf die Grundrechte der Parteien verlangen grundsätzlich zwingende verfassungsrechtliche Gründe, um 4

Vgl. dazu unter C. I. 3. a). Vgl. dazu unter C. I. 3. b). 6 Vgl. dazu unter C. II. 7 Vgl. dazu unter C. III. 1. a). 8 Vgl. dazu unter C. III. 1. b) (1). 9 Vgl. dazu unter C. III. 1. b) (2). 10 Vgl. dazu unter C. III. 1. b) (3). 11 Vgl. dazu unter C. III. 1. b) (4). 12 Vgl. dazu unter C. III. 2. 13 Vgl. dazu unter C. III. 3. a). 14 Vgl. dazu unter C. III. 3. b). 15 Vgl. dazu unter C. III. 3. c). 5

I. Begründung der Neutralitätspflicht

187

solche Aussagen rechtfertigen zu können.16 Für die nötige Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht – wie beispielsweise den Rechten der Amtswalter als Privatpersonen aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG – kann die Nähe zu einer Wahl durchaus einer von mehreren relevanten Aspekten sein. Der Aspekt führt aber nicht zu einer automatisch strengeren Neutralitätspflicht und entbindet erst recht nicht von der stets nötigen Einzelfallprüfung, zumal Parteien keine „Wahlvorbereitungsvereine“ darstellen.17 Vielmehr muss stets nach einer natürlichen Betrachtungsweise prognostiziert bzw. geschätzt werden, inwieweit das Volk von der zu beurteilenden Aussage in seiner Einstellung gegenüber der Partei beeinflusst worden ist. Der Grad der potentiellen Einwirkung auf das Meinungsbild eines verständigen Bürgers gibt sodann vor, welche Hürden für die Verfassungsmäßigkeit einer Aussage bestehen. Je stärker die mögliche Beeinflussung des Bürgers ist, desto mehr entfaltet sich auch die Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG auf die Grundrechte der Parteien – insbesondere also auf Art. 3 Abs. 1 GG. In diesem Zusammenhang spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Solche sind etwa: - der Beliebtheits- und Bekanntheitsgrad des betroffenen Organwalters, - die Eingängigkeit und Merkfähigkeit der getroffenen Wortwahl, - die unter Berücksichtigung ihres Gesamtkontextes zu bestimmende Intensität der herabsetzenden Wirkung einer Aussage, - die Zahl der Zuhörer, - der Umfang der Berichterstattung, - das Ausmaß der öffentlichen Resonanz, - ein etwaiger Verlust in Wählerumfragen sowie - die zeitliche Nähe zu Bundestagswahlen.18 Parteipolitische Neutralität ist mithin eine Rechtspflicht,19 die teilweise einfachgesetzliche, nicht aber eine explizite verfassungsrechtliche Regelung erfahren hat. Dennoch verlangen die parteipolitische Unvoreingenommenheit des vom Grundgesetz elaborierten Staatsgebildes, die Notwendigkeit des Schutzes freier Wahlen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) sowie insbesondere das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit im Wettbewerb (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG) die prinzipielle parteipolitische Zurückhaltung der Staatsorgane.

16 17 18 19

Vgl. dazu unter C. III. 3. d) (1). Vgl. dazu unter C. III. 3. d) (2). Vgl. dazu unter C. III. 3. d) (3). Vgl. dazu unter C. I. 2.

188

F. Zusammenfassung

II. Der Bundespräsident als Adressat der Neutralitätspflicht Dessen ungeachtet können sich aus der Verfassung mit der Neutralitätspflicht kollidierende Aufgaben einzelner Staatsorgane ergeben, die den Bestand und die Reichweite dieser Pflicht beschränken. Sie vermögen sich aber letztlich weder beim Bundespräsidenten noch bei der Bundesregierung durchzusetzen, sodass für beide Organe ein strikter Neutralitätsmaßstab gilt. Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland und hat – anders als seine Vorgänger20 – keine durchgreifenden politischen Rechte.21 Bereits seine Wahl durch die Bundesversammlung enthebt ihn dem parteipolitischen Diskurs,22 weswegen die immer wieder diskutierten alternativen Wahlverfahren – insbesondere eine Direktwahl – nicht umgesetzt werden sollten.23 Seine Aufgaben bestehen im Wesentlichen in der Aufrechterhaltung des Staatsapparats, wie seine Befugnisse zur Auflösung des Bundestags belegen (Art. 63 Abs. 4 S. 3, Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG),24 in der Ausübung der Legalitätsreserve25 sowie insbesondere in der Repräsentation26 und der Integration.27 Der Bundespräsident tritt als der teils mahnende, teils animierende, teils Zuversicht spendende, aber immer Vertrauen in die Funktionsfähigkeit, Legalität und Legitimität des Gesamtstaats stiftende vorderste Repräsentant der Bundesrepublik in Erscheinung. Wegen seiner aus dem tagespolitischen Diskurs herausgelösten Stellung ist er glaubwürdiger Mittler zwischen Staat und Gesellschaft und fungiert als „Kustos“,28 der zentrale Aspekte eines „pouvoir neutre“29 und eines „Hüters der Verfassung“30 in sich vereint. Bei der Wahrnehmung all seiner Befugnisse dürfen politische Opportunitätsgründe keine Rolle spielen. Er sorgt für die Aufrechterhaltung des Gesamtprozesses, nicht die Umsetzung seiner eigenen politischen Vorstellungen. Wenn die Verfassung ihm beispielsweise die Aufgabe zur Ernennung von Beamten und Richtern (Art. 60 Abs. 1 GG) sowie das Begnadigungsrecht gewährt (Art. 60 Abs. 2 GG), betont sie seine – unter anderem von den Parteien – unabhängige Stellung. Auch seiner Integrationsaufgabe könnte der Bundespräsident nicht nachkommen, wenn er sich in die Parteipolitik einmischen dürfte. Da die einheitsstiftende und auf das Staatsganze 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Vgl. dazu unter D. I. 1. c) (1). Vgl. dazu unter D. I. 1. a). Vgl. dazu unter D. I. 1. b) (1). Vgl. dazu unter D. I. 1. b) (2). Vgl. dazu unter D. I. 1. c) (2) (a). Vgl. dazu unter D. I. 1. c) (2) (c). Vgl. dazu unter D. I. 1. c) (3) (a). Vgl. dazu unter D. I. 1. c) (3) (b). Vgl. dazu unter D. I. 1. e) (4). Vgl. dazu unter D. I. 1. e) (2). Vgl. dazu unter D. I. 1. e) (3).

II. Der Bundespräsident als Adressat der Neutralitätspflicht

189

gerichtete Wirkung des Bundespräsidenten große Wichtigkeit für die pluralistische Gesellschaft des Grundgesetzes aufweist, ist seine parteipolitische Neutralität auch keine bloße Erwartung an ihn, sondern seine Pflicht.31 Aus der Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung lässt sich ebenfalls ableiten, dass dieser keine parteipolitische Bindung haben soll. Die Bundesversammlung verkörpert vielmehr den Föderalismus und kreiert so in parteiübergreifendem Konsens den die Integrations- und Repräsentationsfunktion innehabenden Bundespräsidenten.32 Nach zustimmungswürdiger Auffassung des Bundesverfassungsgerichts widerspricht es der Würde des Amtes, dass sich die Kandidaten in der Bundesversammlung vorstellen (vgl. auch Art. 54 Abs. 1 S. 1 GG) oder die Versammlungsmitglieder auch nur über die Geschäftsordnung debattieren. Dann aber muss es mit dieser Würde erst recht unvereinbar sein, wenn der Präsident anschließend als parteipolitisch aktiver Teil des Verfassungslebens auftritt. Sieht man die Würde des Wahlakts gerade in seiner Abstraktion von parteipolitischen Diskursen realisiert, kann für den Bundespräsidenten und seine Amtsführung nichts anderes gelten.33 Der nach der „Spinner“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts34 an die Aussagen des Bundespräsidenten anzulegende Kontrollmaßstab einer bloßen Evidenzprüfung wird praktisch nie zur Verfassungswidrigkeit der in Streit stehenden Äußerung führen. Der Bundespräsident müsste so deutlich und bewusst gegen eine Partei vorgehen, dass auch die Schwelle zur vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes sowie der §§ 185 ff. StGB als Voraussetzungen des Art. 61 Abs. 1 S. 1 GG erreicht sein dürfte. Daher deutet die Systematik zur Präsidentenanklage auf eine strenge Neutralitätspflicht hin.35 Das besondere moralische Vertrauen, das dem Bundespräsidenten entgegengebracht wird, darf ferner nicht durch parteipolitisch aktives Verhalten enttäuscht werden.36 Der Umstand, dass das Staatsoberhaupt nicht in unmittelbarem Wettbewerb mit den Parteien steht, führt – entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts – zu keiner Veränderung seiner Neutralitätspflicht. Auch das Bundesverfassungsgericht dürfte keine Wahlwerbung betreiben und sich wertend über Parteien äußern, obwohl es mindestens ebenso wenig mit den Parteien im Wettbewerb steht wie der Bundespräsident. Mischt sich der eigentlich dem parteipolitischen Diskurs enthobene Präsident in die Parteienlandschaft ein, wird diesem außergewöhnlichen Akt weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als wenn sich ein Regierungsmitglied über eine Oppositionspartei äußert. Die betroffene Partei belastet eine solche Aussage unter Umständen sogar stärker als die Äußerung eines Regierungsmitglieds.37 Auch die – im Vergleich zur Bundesregierung – geringere 31 32 33 34 35 36 37

Vgl. dazu unter D. I. 2. a) (1). Vgl. dazu unter D. I. 2. a) (2). Vgl. dazu unter D. I. 2. c) (2) (a). Vgl. zum Sachverhalt unter B. I. Vgl. dazu unter D. I. 2. a) (3). Vgl. dazu unter D. I. 2. a) (4). Vgl. dazu unter D. I. 2. b) (1).

190

F. Zusammenfassung

Mittelausstattung des Bundespräsidenten relativiert die Neutralitätspflicht des Bundespräsidenten nicht. Denn gerade der Bundespräsident kann durch pointierte Reden, für die er praktisch kein Budget braucht, die Haltung der Bürger zu bestimmten gesellschaftlichen Fragen verändern und so auf den Betätigungskreis der politischen Parteien einwirken.38 Zudem schränkt die Tatsache, dass das Präsidentenamt in seiner konkreten Wahrnehmung stark von der Person seines jeweiligen Inhabers abhängt, die Neutralitätspflicht ebenfalls nicht ein. Ob also eine Tradition dahingehend besteht, dass sich der Bundespräsident gegenüber politischen Parteien zurückhält, ist gleichgültig. Denn es geht auf beiden Seiten um justiziable Rechte bzw. Pflichten – um das Grundrecht der Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG und die Neutralitätspflicht des Bundespräsidenten, die aus seiner gesamten verfassungsrechtlichen Stellung folgt.39 Diese Gedanken hat das Bundesverfassungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, als es seinen Prüfungsmaßstab auf eine bloße Willkürkontrolle herabgestuft hat. Auch wenn der Präsident mitunter auf politische Einzelfälle reagieren muss und insofern nicht neutral bleiben kann, billigt ihm das Grundgesetz keinen derart weitgehend von verfassungsrechtlichen Grenzen befreiten Handlungsspielraum zu. Vielmehr ist einer solchen staatsgefährdenden Lage allenfalls mit Ausnahmen vom Grundsatz der Neutralitätspflicht Rechnung zu tragen.40 Das Bundesverfassungsgericht stellt außerdem fest, dass die Bundesregierung – ungeachtet des Verbots von beleidigenden Äußerungen – das Recht der Parteien auf Chancengleichheit und das daraus folgende Neutralitätsgebot zu beachten hat. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Bundespräsident, der sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts lediglich beleidigender Äußerungen enthalten muss, die aus Art. 21 Abs. 1 GG folgenden bzw. hierdurch konkretisierten Rechte nicht zu berücksichtigen hätte. Ein solches Ergebnis widerspricht dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).41 Nach alledem muss der Bundespräsident bereits den Eindruck der Parteilichkeit vermeiden, um seinen verfassungsmäßigen Aufgaben gerecht zu werden.42

III. Die Bundesregierung als Adressatin der Neutralitätspflicht Die Bundesregierung hat hingegen neben staatstragenden auch politisch leitende Aufgaben, sodass sich – anders als beim Bundespräsidenten – aus ihren verfassungsmäßigen Aufgaben noch kein zwingender Schluss auf ihre Neutralitätspflicht 38 39 40 41 42

Vgl. dazu unter D. I. 2. b) (2). Vgl. dazu unter D. I. 2. b) (3). Vgl. dazu unter D. I. 2. c) (1). Vgl. dazu unter D. I. 2. c) (2) (b). Vgl. dazu unter D. I. 3.

III. Die Bundesregierung als Adressatin der Neutralitätspflicht

191

ziehen lässt.43 Sie entsteht und agiert inmitten politscher Diskurse und ist erheblich parteipolitisch beeinflusst und gebunden. Der politische Gestaltungsauftrag, den das Grundgesetz an die Regierung richtet (vgl. insbesondere Art. 76 Abs. 1 GG),44 erschwert es Regierungsmitgliedern daher bisweilen, einen verfassungskonformen Umgang mit Parteien zu pflegen. Im Unterschied zum Bundespräsidenten entspricht es gerade der Aufgabe der Bundesregierung, politische Ideen zu formulieren, die andere ggf. ablehnen. Dennoch ist auch die Bundesregierung Vertreterin des parteipolitisch ungebundenen Staates und kann sich in dieser Rolle nicht über das für ihre Aufgabenerfüllung nötige Maß mit den Zielen der sie tragenden Parteien identifizieren.45 Ihre Funktion der „Staatsleitung“46 verlangt ebenso wie ihre verwaltenden Aufgaben und das ihr von der Bevölkerung entgegengebrachte fachliche Vertrauen47 parteipolitische Abstinenz. Wie beim Bundespräsidenten vermögen die Aspekte der Nähe zum Wettbewerb mit den politischen Parteien48 und der möglichen Prägung des Amtes durch die Person seines Inhabers49 den Grad der Neutralitätspflicht nicht zu beeinflussen. Die ihr in großem Umfang zur Verfügung stehenden Mittel erlegen der Bundesregierung keine strengere Neutralitätspflicht auf, sondern müssen von ihr lediglich verfassungskonform, d. h. nicht zur Parteiwerbung, eingesetzt werden.50 Die Faktoren der Regierungstätigkeit, die eine parteipolitische Neutralität nahelegen, genießen im Ergebnis deswegen Vorrang, weil das Grundgesetz auch die politische Leitfunktion, die als Einzige gegen eine parteipolitische Neutralität spricht, nicht im Sinne einer Befugnis der Regierung zu wertenden Stellungnahmen gegenüber politischen Parteien, sondern als Gestaltungsauftrag mit Blick auf das Gemeinwohl versteht. Der Umstand, dass sich die Regierung dabei praktisch immer gegen die politische Meinung einer anderen Partei stellt, ist bloßer Reflex ihrer Aufgabenerfüllung und erlaubt ihr nicht generell, sich wertend über politische Parteien zu äußern.51 So richtig damit im Ergebnis die strenge Herangehensweise des Bundesverfassungsgerichts in der „Schwesig“-52 und in der „Wanka“-Entscheidung53 bzgl. der Bundesregierung ist, so wenig vermag seine allzu großzügige Haltung gegenüber Äußerungen des Bundespräsidenten zu überzeugen. Die Gefahr der Rückwirkung auf die Willensbildung des Volkes basiert nicht auf besonderen rechtlichen Kom43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53

Vgl. dazu unter D. II. 1. Vgl. dazu unter D. II. 1. b) (1). Vgl. dazu unter D. II. 1. b) (2). Vgl. dazu unter D. II. 1. b) (1). Vgl. dazu unter D. II. 2. f). Vgl. dazu unter D. II. 2. c). Vgl. dazu unter D. II. 2. e). Vgl. dazu unter D. II. 2. d). Vgl. dazu unter D. II. 3. Vgl. zum Sachverhalt unter B. III. Vgl. zum Sachverhalt unter B. IV.

192

F. Zusammenfassung

petenzen der Regierung, sondern ist eher faktischer Natur und geht vom Bundespräsidenten gleichermaßen aus. Eine Differenzierung zwischen den Neutralitätspflichten der Bundesregierung und denen des Bundespräsidenten geht deshalb letztlich fehl.54

IV. Handlungsmöglichkeiten Handlungsmöglichkeiten gewährt das Grundgesetz den Staatsorganen nur in begrenztem Umfang. Der die Grundrechte der Parteien spezifizierende Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG sowie die Bedeutung freier Wahlen für den demokratischen Prozess (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) verlangen zwingende, sich aus der Verfassung selbst ergebende Gründe, um die prinzipiell bestehende Pflicht zur strikten parteipolitischen Neutralität zu durchbrechen.55 Dabei können Äußerungen verfassungsrechtlich nie zulässig sein, die im Zusammenhang mit Art. 5 GG als „Schmähkritik“ bezeichnet werden oder dem Strafrecht (§§ 185 ff. StGB) unterfallen. Bei derartigen Aussagen begrenzt das Bundesverfassungsgericht den Rechtsschutz zutreffend schon bei Auseinandersetzungen zwischen Privaten. Äußert sich ein Staatsorgan auf diese abwertende Weise gegenüber den privaten Parteien, duldet dies die Verfassungsordnung erst recht nicht.56 Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in der „Spinner“-57 und „Schwesig“-Entscheidung58 zustimmungswürdig festgestellt, der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes in der „Commerçon“-Entscheidung59 hingegen nicht hinreichend gewürdigt. Besondere praktische Bedeutung erlangt das Recht der Regierungsmitglieder und des Bundespräsidenten auf private Äußerungen. Der Umstand, dass Parteimitglieder Regierungsämter bekleiden, darf für die Parteien nicht von Nachteil sein – auch nicht in dem Sinne, dass die meist führenden Persönlichkeiten sich nicht am Wahlkampf beteiligen können. Außerdem geht mit der Übernahme eines Staatsamts kein umfassender Verzicht auf private Grundrechte einher, sodass auch Organwalter den Kernbereich privater Lebensgestaltung als absolut zu schützende private Sphäre60 sowie eine parteipolitische Sphäre, in der sie öffentlich als Parteifunktionäre auftreten,61 für sich in Anspruch nehmen können. Im Zweifel ist aus Gründen eines umfassenden Grundrechtsschutzes zugunsten der Parteien – entgegen der Auffas54 55 56 57 58 59 60 61

Vgl. dazu unter D. III. Vgl. dazu unter C. III. 3. d) (1) (c). Vgl. dazu unter E. I. Vgl. zum Sachverhalt unter B. I. Vgl. zum Sachverhalt unter B. III. Vgl. zum Sachverhalt unter B. V. 2. Vgl. dazu unter E. II. 1. a) (1). Vgl. dazu unter E. II. 1. a) (2).

IV. Handlungsmöglichkeiten

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sung des Bundesverfassungsgerichts,62 des Verfassungsgerichtshofs RheinlandPfalz63 und des Thüringer Verfassungsgerichtshofs64 – von einem staatlichen Handeln der Akteure auszugehen.65 Tritt die Absicht, für die Partei zu sprechen, aber erkennbar hervor, darf das Staatsorgan grundsätzlich parteipolitische Aussagen treffen.66 Auch wenn sich ein Organ jedoch innerhalb dieser parteipolitischen Sphäre äußert, sind davon ausgehende Risiken für die Chancengleichheit der Parteien nicht auszuschließen. Das vom Bundesverfassungsgericht67 und vom Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz68 herangezogene „Alles-oder-nichts“-Prinzip, welches den Organen erlaubt, sich im parteipolitischen Bereich wie jeder andere Bürger zu äußern, leuchtet angesichts der ansonsten bestehenden Umgehungsmöglichkeiten nicht ein. Die enorme faktische Wirkung der Äußerungen von Staatsorganen verlangt vom parteipolitisch Handelnden Neutralität dergestalt, dass eine bewusste Ausgrenzung zu unterbleiben hat. Wann eine solche Ausgrenzung vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls, deren Beantwortung sich grundsätzlich nach denselben Faktoren richtet wie die Bestimmung der Intensität der Ausstrahlungswirkung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG auf die Grundrechte der Parteien.69 Im Rahmen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und Informationstätigkeit können Staatsorgane unter Einhaltung enger Grenzen – etwa in Verfassungsschutzberichten – auf verfassungsfeindliche Parteien hinweisen. Aufgabe staatlicher Öffentlichkeitsarbeit ist es, Zusammenhänge darzulegen, Verständnis für erforderliche Maßnahmen zu wecken oder um ein bestimmtes Verhalten zu werben.70 Überall dort, wo ein erhebliches Informationsdefizit in der Bevölkerung mit einem Informationsvorsprung der Bundesregierung korrespondiert, erlaubt und gebietet es die Aufgabe der „Staatsleitung“ prinzipiell, die der Regierung vorliegenden Informationen mit der Bevölkerung zu teilen.71 Die – meist als Warnung einzustufende – Information über (verfassungsfeindliche) politische Parteien stellt sich allerdings regelmäßig als unverhältnismäßiger Eingriff in die Parteigrundrechte dar, weil die mündige Bevölkerung hier keiner Hilfestellungen seitens der Regierung bedarf. Ohnehin muss sich die Bundesregierung auf die objektive Information über tatsächliche Zielvorstellungen der betroffenen Partei und die wissenschaftlich fundierte Einordnung in einen politisch-historischen Kontext beschränken. Die sachlich begründete Bezeichnung einer Partei als verfassungsfeindlich kann eine zu billigende 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Vgl. zu den Sachverhalten der Entscheidungen unter B. I., III. und IV. Vgl. zum Sachverhalt unter B. V. 1. Vgl. zu den Sachverhalten der Entscheidungen unter B. V. 3. bis 5. Vgl. dazu unter E. II. 1. c) (2). Vgl. dazu unter E. II. 1. d). Vgl. zu den Sachverhalten der Entscheidungen unter B. I., III. und IV. Vgl. zum Sachverhalt unter B. V. 1. Vgl. dazu unter E. II. 1. e). Vgl. dazu unter E. II. 2. c). Vgl. dazu unter E. II. 2. d) (1) (b).

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F. Zusammenfassung

Schlussfolgerung der Bundesregierung sein. Wegen der erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf ihre Stellung im freien politischen Wettbewerb wird die Partei dies indes nicht über einen längeren Zeitraum hinzunehmen haben.72 Wahlwerbende Aussagen sind Staatsorganen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit stets verwehrt,73 sodass – wie im Ergebnis insbesondere der Thüringer Verfassungsgerichtshof in seinen drei Entscheidungen zur Neutralitätspflicht,74 nicht hingegen der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes75 zutreffend erkannt hat – der Gesichtspunkt rechtmäßiger Informationstätigkeit den Staatsorganen letztlich kaum zusätzlichen Spielraum zu verleihen vermag. Demgegenüber erweitert die Teilnahme am politischen Diskurs bzw. die Vertretung des gesellschaftlichen Konsenses die Handlungsoptionen gar nicht, weil ansonsten kaum justiziable Grenzen der Äußerungsrechte ausgemacht werden könnten.76 Auch der Aspekt der „wehrhaften Demokratie“ eröffnet – wie der Thüringer Verfassungsgerichtshof77 richtig festgestellt hat – keine weitreichenden Wirkungsmöglichkeiten für Staatsorgane. Hierbei schützt die von den Staatsorganen als verfassungsfeindlich eingestuften Parteien insbesondere das „Parteienprivileg“ des Art. 21 Abs. 4 GG,78 das entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Parteien auch vor faktischen Nachteilen und damit vor den Auswirkungen parteipolitischer Äußerungen der Staatsorgane bewahrt.79 Wenn man es nämlich schon zulassen muss, dass verfassungsfeindliche Parteien aktiv im Rundfunk für sich werben, bewegen sich gezielt gegen solche Parteien gerichtete Äußerungen seitens staatlicher Organe erst recht außerhalb der verfassungsmäßig verbürgten Toleranz gegenüber diesen Parteien.80 Ein sog. „kaltes Parteiverbot“ sieht das Grundgesetz nicht vor und lässt sich mit der herausragenden Bedeutung der Parteien für die deutsche Demokratie nicht in Einklang bringen. Mit seiner Ansicht, dass das Grundgesetz Parteien nicht vor rein faktischen Nachteilen schützt, verstößt das Bundesverfassungsgericht damit letztlich selbst gegen das „Parteienprivileg“ des Art. 21 Abs. 4 GG. Hieran vermag auch die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Verfahren gem. Art. 21 Abs. 4 GG nichts zu ändern. Denn das Privileg verliert erst dann seine Sperrwirkung, wenn die Partei in dem dafür vorgesehenen Verfahren (§§ 43 ff. BVerfGG) verboten worden ist.81 Wollen Staatsorgane 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Vgl. dazu unter E. II. 2. d) (3). Vgl. dazu unter E. II. 2. d) (4). Vgl. zu den Sachverhalten der Entscheidungen unter B. V. 3. bis 5. Vgl. zum Sachverhalt der Entscheidung unter B. V. 2. Vgl. dazu unter E. II. 3. Vgl. zu den Sachverhalten der drei Entscheidungen unter B. V. 3. bis 5. Vgl. dazu unter E. II. 4. b) (2) (b). Vgl. dazu unter E. II. 4. b) (2) (c) (aa). Vgl. dazu unter E. II. 4. b) (2) (c) (cc). Vgl. dazu unter E. II. 4. b) (2) (c) (ee).

IV. Handlungsmöglichkeiten

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gegen eine ihrer Auffassung nach verfassungsfeindliche Partei vorgehen, müssen sie deshalb den Weg des Parteiverbots oder des Ausschlusses von der staatlichen Finanzierung wählen – selbst wenn vor allem das Parteiverbot mittlerweile hohe Hürden aufweist.82 Auch die zwischenzeitlich als Reaktion auf das zweite NPD-Urteil vorgenommene Verfassungsänderung eröffnet den Statsorganen keine spürbar weitergehenden Äußerungsbefugnisse gegen verfassungsfeindliche Parteien. Zwar sieht das Grundgesetz nun gestufte Sanktionsmöglichkeiten vor, die es vordergründig nahelegen, dass sich Staatsorgane im politischen Meinungskampf gegen Parteien positionieren dürfen, die durch das Bundesverfassungsgericht von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen wurden. Gänzlich ungebunden sind Staatsorgane aber nicht: Zum einen müssen sie sich stets beleidigender Äußerungen enthalten, zum anderen erlaubt der Ausschluss von der Finanzierung keine vollständige Verdrängung der Partei aus dem Wettbewerb. Die Sanktion des Art. 21 Abs. 3 GG muss hinter der des Abs. 2 zurückbleiben, da andernfalls die vom Bundesverfassungsgericht verschärften Verbotsvoraussetzungen leerliefen. Die Verfassungsänderung novelliert das „Parteienprivileg“, hebt es indes nicht auf.83 Nur unter dem Gesichtspunkt des antinationalsozialistischen Sonderrechts ermöglicht das Grundgesetz in seiner Eigenschaft als Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ein Vorgehen gegen Parteien, die akut die Friedlichkeit der Gesellschaft stören. Zwar enthält das Grundgesetz kein allgemeines antinationalsozialistisches Prinzip, da es als freiheitliche Verfassung auch Kritik an der eigenen Ordnung zulässt. Diese Freiheit findet aber dort ihre Grenze, wo sich eine Partei allgemein wahrnehmbar und gegenwärtig mit den systematisch begangenen, schweren Menschenrechtsverletzungen der Nationalsozialisten in Verbindung bringt, diese verharmlost, rechtfertigt, verherrlicht, billigt oder leugnet und sich gerade auf den Nationalsozialismus als Gewalt- und Willkürherrschaft bezieht.84 Zu beachten gilt es aber, dass – entgegen der in der „Commerçon“-Entscheidung85 vertretenen Auffassung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes – allein das aggressive Auftreten einer Partei im politischen Diskurs noch keine weitergehenden Äußerungsbefugnisse des Staatsorgans zu begründen vermag.86

82 83 84 85 86

Vgl. dazu unter E. II. 4. b) (2) (e). Vgl. dazu unter E. II. 4. b) (2) (a). Vgl. dazu unter E. II. 5. b). Vgl. zum Sachverhalt unter B. V. 2. Vgl. dazu unter E. II. 5. a).

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F. Zusammenfassung

V. Ausblick Bei der Bestimmung der Bedeutung und der Reichweite staatlicher Neutralitätspflichten muss stets bedacht werden, dass das Grundgesetz die Verfassung einer mittlerweile stark und selbstbewusst gewordenen Demokratie ist. In jedem Fall können Staatsorgane daher in ihrer amtlichen Tätigkeit darauf verzichten, bestimmte Parteianhänger als „Spinner“ zu bezeichnen oder ihnen die symbolische „Rote Karte“ zu zeigen. Die Bevölkerung akzeptiert die deutsche Verfassungsordnung als Garantin für Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Gleichheit. Die auf dieser Basis stehende Demokratie des Grundgesetzes ist widerstandsfähig genug, um auch verfassungskritische Töne zu ertragen.

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Sachwortverzeichnis Antinationalsozialistisches Sonderrecht, 179 ff. Beleidigungen siehe Schmähkritik Bundespräsident – Bedeutung der Verfassungstradition, 91 f. – Direktwahl, 69 f. – Funktionen, 92 ff. – Historischer Hintergrund, 71 f. – Hüter der Verfassung, 96 ff. – Integrationsaufgabe, 86 ff. – Kompetenzen siehe verfassungsmäßige Aufgaben – Kustos, 98 ff. – Legalitätsreserve, 77 ff. – Maßstab der Neutralitätspflicht, 100 ff. – Mittelausstattung, 108 – pouvoir neutre, 93 ff. – Politische Dimensionen, 87 f. – Prägung des Amtes durch Person, 108 f. – Prärogativrechte, 90 – Präsidentenanklage, 104 f. – Repräsentationsaufgabe, 85 f. – Rolle, 91 – Staatsnotar, 93 – Verfassungsmäßige Aufgaben, 70 ff. – Vertrauen, 105 ff. – Wahlverfahren, 67 ff., 104 – Wettbewerb mit politischen Parteien, 107 f. – Willkürkontrolle, 109 ff., 174 f. Bundesregierung – Auswärtige Gewalt, 122 f. – Informationstätigkeit, 125 f. – Interorgankompetenzen, 120 f. – Intraorgankompetenzen, 118 ff. – Kompetenzen siehe verfassungsmäßige Aufgaben – Krisenbewältigung, 123 – Maßstab der Neutralitätspflicht, 130 ff. – Mittelausstattung, 134 f.

– Politisches Leitorgan, 127 ff. – Staatsleitung, 128 f., 131, 136, 150, 151, 152 f., 154 f., 158, 162 – Stellung, 117 ff. – Verfassungsmäßige Aufgaben, 117 ff. – Vertrauen, 135 f. – Verwaltungsorgan, 129 f. – Wettbewerb mit politischen Parteien, 134 Bundesversammlung, 40, 67 ff., 86, 104, 111 ff., 115 Einzelfallermächtigung, 152 ff. Freiheit der Wahl, 39 ff. Freiheitliche demokratische Grundordnung, 35, 165 ff. Herrenchiemseer Verfassungskonvent, 44, 65, 72, 78 Legitimationskette, 40 Mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen, 153, 175 Neutralitätspflicht – Adressaten, 63 ff. – Anknüpfungspunkte, 32 ff. – Ausprägungen, 33 f. – Definition, 32 f. – Durchbrechungen, 139 ff. – Maßstab für den Bundespräsidenten, 100 ff. – Maßstab für die Bundesregierung, 130 ff. – Rechts- und Verfassungsprinzip, 32 ff. – Wahlkampfzeiten, 59 ff. Öffentliche Ordnung, 180 f. Öffentlichkeitsarbeit – Aufgabe und Zuständigkeit, 152 ff. – Bedeutung, 151 f.

Sachwortverzeichnis – Grenzen im Hinblick auf Wahlen, 160 f. – Sachlichkeit, 157 f. – Sonderstellung des Bundespräsidenten, 150 – Verhältnismäßigkeit, 158 ff. – Voraussetzungen, 152 ff. Parteien – Ausstrahlungswirkung der Parteirechte, 57 ff. – Bestandsgarantie, 50 f., 172 – Betätigungsfreiheit, 52 ff. – Gleichheit, 54 ff. – Grundrechte, 51 – Gründungsfreiheit, 52 – Historischer Hintergrund, 43 f. – Kaltes Parteiverbot, 178 f. – Parteienprivileg, 168 ff. – Pflicht zur Stellung eines Verbotsantrags, 178 f. – Rolle und verfassungsmäßige Stellung, 43 ff. – Verfassungsfeindlich, 168 ff. – Verortung der Parteirechte, 48 ff. – Voraussetzungen eines Parteiverbots, 168 ff. – Wettbewerbsfreiheit, 54 Parteienprivileg siehe Parteien Private Äußerungen – Bestimmung der aktiven Sphäre, 144 ff. – Familienfeiern, 142

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– Interviews, 86, 146, 148 – Kernbereich privater Lebensführung, 141 f. – Kontext einer Aussage, 147 f. – Parteipolitische Sphäre, 143 – Parteitage, 143 – Private Treffen, 142 – Sonderstellung des Bundespräsidenten, 143 – Staatliche Sphäre, 146 f. – Talkshows, 143 – Urlaub, 142 – Verbleibende Pflichten, 148 f. Schmähkritik, 139 f. Staatsschutz, 163 ff. Teilnahme am politischen Diskurs, 162 Verfassungsschutzberichte, 155, 159, 173, 193 Vertretung des gesellschaftlichen Konsenses, 162 Wahlbeeinflussung, 41 Wahlen als Legitimationsbasis, 39 f. Wahlkampf, 56, 59 ff. Wahlwerbung, 107, 155, 161 Wehrhafte Demokratie, 163 ff. Weimarer Reichsverfassung, 34, 44, 72, 73, 75, 79, 96, 168