Ciceros Widerstand gegen Caesars Tyrannis : Untersuchungen zur politischen Bedeutung der philosophischen Spätschriften

402 53 9MB

German Pages 317 [329] Year 1996

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Ciceros Widerstand gegen Caesars Tyrannis : Untersuchungen zur politischen Bedeutung der philosophischen Spätschriften

Citation preview

HAB ELT S D IS S E R T A T IO N S D R U C K E REIHE ALTE GESCHICHTE Herausgegeben von

Hartmut Galsterer, Klaus Rosen Hatto Schmitt und Gerhard Wirth Heft 43

DR. RUDOLF HABELT GMBH • BONN 1996

CICEROS WIDERSTAND GEGEN CAESARS TYR ANNIS Untersuchungen zur politischen Bedeutung der philosophischen Spätschriften von

HERBERT WASSMANN

DR. RUDOLF HABELT GMBH • BONN 1996

Gedruckt mit Genehmigung der Universität Hannover Referent: Prof. Dr. Horst Callies, Hannover Korreferent: Prof. Dr. Günther Mensching, Hannover Tag der mündlichen Prüfung: 23. April 1996 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wassmann, Herbert: Ciceros Widerstand gegen Caesars Tyrannis : Untersuchungen zur politischen Bedeutung der philosophischen Spätschriften / von Herbert Wassmann. - Bonn : Habelt, 1996 (Habelts Dissertationsdrucke : Reihe Alte Geschichte ; H. 43) ISBN 3-7749-2790-1 NE: Habelts Dissertationsdrucke / Reihe Alte Geschichte

D 89 ISBN 3-7749-2790-1 Copyright 1996 by Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn

- V-

Abstract Die Arbeit befaßt sich mit einem in der Geschichtswissenschaft bisher kaum behandelten Problem: der politischen Bedeutung, die C iceros philosophische Schriften haben, die in den Jahren 46 bis 44 v. Chr., also im Bürgerkrieg und unter der Alleinherrschaft C aesars entstanden sind. C icero hat - trotz gegenteiliger Äußerungen - m seine Philosophica Aussagen eingefugt, die Bezug haben zur Zeitgeschichte, vor allem aber seinen Widerstand gegen C aesar ausdrücken. Im ersten Teil werden die Rahmenbedingungen untersucht: Datierung der Schnften und ihr Zeitbezug; C iceros Motive für die philosophische Schriftsteilerei; das mit der Herausgabe von Schriften politischen Charakters verbundene Risiko. Die Analyse der Paradoxa Stoicorum weist sodann die Methode des Verfassers auf, durch Anspielungen beim Leser Assoziationen zu wecken, ohne den Gegner C aesar direkt anzugreifen; inhaltlich diente die Schnft im wesendichen der Rechtfertigung seines eigenen politischen Handelns im Bürgerkrieg. Weitergehend wird gezeigt, warum die Denkschrift für C ato politisch so brisant wirkte, daß sie als einzige Arbeit C iceros eine Gegenschrift C aesars hervorrief. Der im Anschluß daran erhobene textanalytische Befund der ubngen Philosophica belegt zudem, daß der Konsular in nahezu allen Schriften Klagen über das Llend der res publica während des Bürgerkrieges und Angnffe gegen den Alleinherrscher vortragt, ihn als Tyrannen bezeichnet und ihm gegenüber den höheren Wert des Philosophen heraussteüt. Weiterhin ergibt sich eine anticaesansche Bedeutung der Personenwahl im gesamten Werk dadurch, daß fast ohne Ausnahme Gegner C aesars genannt smd, wahrend er selbst und seine Gefolgsleute nahezu ganz ausgespart werden. Die Philosophica enthalten auch die über den Widerstand gegen die aktuellen politischen Verhältnisse hinausweisenden Vorstellungen C iceros vom idealen Staatslenker als Gegenbild zum Tyrannen und von der societas hominum als einer auf Vernunft und nicht auf Gewalt beruhenden allgemeinen Ordnung. Die Würdigung des Befundes schließlich läßt erkennen, daß den philosophischen Schnften die Auffassung C iceros von der Staatsknse als einer moralischen Krise zugrundelag, für die er m der Philosophie ein Heilmittel gefunden zu haben glaubte - vor allem mit dem Blick auf die Jugend Roms. Insgesamt ergibt die Analyse der Philosophica C iceros aus den Jahren 46 bis 44, daß er seine Schnften auch als ein politisches Mittel eingesetzt hat, um semen Widerstand gegen die als Tyrannis empfundene Herrschaft C aesars zu zeigen.

-VI-

Abkürzungsverzeichnis Alle Abkürzungen folgen dem System des Kleinen Pauly. Lexikon der Antike, Ausgabe Deutscher Taschenbuch Verlag, Bd. 1, S. XXIVff.

-VII -

Inhaltsverzeichnis Seite Abstract

V

Abkürzungsverzeichnis

VI

Einleitung

1. Datierung der philosophischen Schriften

1

32

2. Kritische Betrachtung der Beweggründe Ciceros für die Beschäftigung mit der Philosophie während der Alleinherrschaft Caesars

52

2.1. Selbstzeugnisse in Briefen und Schäften

53

2.2. Rechtfertigungsgründe

56

2.3. Suche nach Trost

57

2.4. Bildungsabsicht

61

2.5. Dienst am Staat

64

2.6. Ciceros eigener philosophischer Standpunkt und sein Verhältnis zur Stoa

3. Das Risiko der Opposition gegen Caesar

69

74

3.1. Ciceros Entschluß zur Rückkehr nach der Niederlage bei Pharsalos und die Folgen

74

3.2. Die Beziehungen zu Caesars Anhänger

90

3.3. Die Folgen der Risiken für Cicero

94

- VIII -

4. Die politische Bedeutung der Paradoxa Stoicorum

96

4.1. Rhetorische Übung oder politische Aussage?

96

4.2. Die Auswahlkriterien und ihre politische Bedeutung

101

4.3. Politische Personen als exempla für stoische Grundsätze

105

4.4. Philosophischer Sinn und politische Bedeutung der stoischen Grundsätze

132

5. Die Cato-Denkschrift Ciceros und Caesars Reaktion

139

5.1. Bedeutung und Entstehungsgeschichte der Cato-Denkschriften

139

5.2. Inhaldiche Rekonstruktion

147

5.3. Die politische Wirkung der Kontroverse um Cato

150

6. Das Elend der res publica und Caesars Tyrannis im Spiegel der philosophischen Schriften

160

6.1. Brutus

160

6.2. De finibus bonorum et malorum

172

6.3. Tusculanae disputationes

182

6.4. Academici libri

209

6.5. De natura deorum

209

6.6. Ertrag der inhaltlichen Analyse

212

7. Anticaesansche Personenwahl in den philosophischen Schriften

217

7.1. Die politische Bedeutung; der Personenwahl

217

7.2. Widmungsernpfänger: Brutus und Varro

218

7.3. Dialogpartner

233

7.4. Namensbeispiele im Text der Philosophica

252

7.5. Gegenbeispiel: Vatinius als Anhänger Caesars

262

7.6. Ergebnis der prosopographischen Analyse

265

- IX -

8.

Ciceros Vorstellungen vom idealen Staatslenker und von der Gemeinschaft aller Menschen als Gegenentwurf zu Caesars Alleinherrschaft

268

8.1. Der ideale Staatslenker als Gegenbild zum Tyrannen

269

8.2. Societas hominum: Ordnung durch Vernunft

274

9.

288

Einordnung und Würdigung des Befundes

Literaturverzeichnis

306

Anhang

312

1. Übersicht zur Datierung der philosophischen Schriften

312

2. Personenregister

313

3. Quellenverzeichnis zu den philosophischen Spätschriften

316

Einleitung

Den Anstoß, die philosophischen Spätschriften C iceros auf ihre politische Bedeutung hin zu untersuchen, hat eine Beobachtung am dritten Buch von de finibus bonorum et malorum gegeben. C ato als Dialogpartner rühmt darin den wunderbaren Aufbau und die unglaubliche Geschlossenheit des stoischen Gedankensystems.1 Der Weise, fugt er mit Bezug auf die Paradoxa der Stoa hinzu, wird - durch die Vernunft über den Wert der Tugend belehrt - immer glückselig sein und zu Recht die Namen besitzen, über die Unkundige gewöhnlich spotten: rex, dictator, dives. Zum Beweis und zur Erläuterung folgen drei Beispiele aus der römischen Geschichte: T arquinius, S ulla und C rassus. Merkwürdig an dieser Textstelle ist nicht, daß C icero historische exempla verwendet, um einen philosophischen Gedankengang zu bestätigen; das war ein gebräuchliches literarisches und rhetorisches Stilmittel. Er selbst hatte in de inven­ tione (I 49) die Vorbildfunktion des Beispiels festgestellt: exemplum est, quod rem auctontate aut casu alicuius hominis aut negotii confirmat aut infirmat Es fallt vielmehr ins Auge, daß die nomina des Weisen nicht - wie bei einem fundamenta­ len Thema der Philosophie eigentlich zu erwarten wäre, und wie es bei seinem Vorbild P laton auch für gewöhnlich der Fall ist - durch Beispiele weiser Männer erläutert, sondern mit Namen aus der römischen Geschichte exemplifiziert werden, die dem Bereich des Politischen entstammen. Darüber hinaus verknüpft C icero mit den Namen politische Werturteile, wobei das Ideal des Weisen als Maßstab dient, an

fin. III 74-76

dem gemessen die Genannten als unwürdig bezeichnet werden, "rex" zu heißen oder "dictator" oder "dives". So ergab sich die Frage: Ist der Zusammenhang zwischen Philosophie und Politik in de finibus aus Zufall entstanden oder steht eine Absicht dahinter? Weitergehende Nachprüfungen bestätigten die Beobachtung. So werden die wegen ihrer Widersprüchlichkeit gegenüber der üblichen Auffassung als Paradoxa bezeichnten Lehrsätze der Stoa nicht nur hier in der angeführten Textstelle, sondern auch im vierten Buch behandelt, zudem ausführlich in der Abhandlung über die Paradoxa Stoicorum, stellenweise im Dialog Brutus, in den Tusculanae disputationes und in der MuRBNA-Rede.2 Dabei ergibt sich immer wieder das gleiche Bild: Philosophische Aussagen erhalten durch den sachlichen Zusammen­ hang oder m Verbindung mit Namensbeispielen eine politische Bedeutung. Die vielfache Wiederkehr desselben Sachverhalts kann bei einem derart wortmächtigen Autor wie C icero nicht auf Zufall beruhen. Es läßt sich vielmehr mit Grund behaupten, daß Philosophisches und Politisches in semen Schriften mit Absicht verbunden wurden. Die Frage entsteht dabei: mit welcher Absicht? Zunächst sollen noch weitere Beobachtungen angefügt werden, denn auch auf andere Weise lassen sich Indizien finden für eine derartige Verbindung. Da ist vor allem der Name C atos

zu

nennen, dem C icero im dritten Buch von de finibus die

Aufgabe zuweist, als sein Dialogpartner die Auffassung der Stoa zu ethischen Grundfragen zu vertreten. Dessen Tod während des Bürgerkrieges war für C icero Anlaß zu einer Denkschnft, die C aesar in ihrer Wirkung gegen seine Politik für so bedeutend hielt, daß er mit einer eigenen Gegenschrift antwortete. Wenn C icero den politischen Gegner des Dictators erneut - nicht nur beiläufig, sondern in einer grundlegenden Schrift über die Ethik - so ausführlich zu Wort kommen ließ, dann ist auch dann ein politisches Zeichen zu sehen. Darüber hinaus fällt die Niederschrift von de finibus bonorum et malorum in die erste Hälfte des Jahres 45, in eine Zeit also, die den Sieg Caesars während des 2 Vgl. fin. IV 7,21 f., 55£, 65, 74; parad. bei fast allen behandelten Grundsätzen; vgl. Brut. 118ff., Tuse. I 74; Mur. 61



3

-

spanischen Feldzuges und damit endgültig die Sicherung seiner Alleinherrschaft umfaßt. Auf dem Hintergrund dieses Ereignisses, dem maßlose Ehrungen für den Sieger durch einen unterwürfigen Senat folgten, mußte ClCEROS Schrift politische Wirkung haben, weil jede Äußerung eines so bedeutenden Politikers in der römischen Öffentlichkeit wegen seiner bekannt oppositionellen Haltung C aesar gegenüber auf allgemeines Interesse stie ß. Die anhand der Textstelle im dritten Buch von de finibus entstandene Vermu­ tung über eine Verbindung von Philosophie und Politik in den philosophischen Spätschriften C iceros bildete den Anstoß, die bereits erwähnten Stellen mit den Lehrsätzen der Stoa genauer zu betrachten, darüber hinaus das gesamte Werk aus der Zeit des Bürgerkrieges systematisch daraufhin zu untersuchen, ob es noch andere Aussagen mit politischer Bedeutung enthält. Dabei mußte die Analyse auf dem Hintergrund der zeitgeschichtlichen Situation durchgeführt werden, in der sich C icero während der Jahre 49 bis 44 v. Chr. befand; es waren also die politi­ schen Verhältnisse zu berücksichtigen, die zur Entstehungszeit der Schnften herrschten. Dem steht freilich entgegen, daß C icero in Briefen und Schriften nach der Schlacht bei Pharsalos ausdrücklich erklärt hatte, er wolle sich aus der aktiven Politik zurückziehen und sich künftig nur mit der Philosophie beschäftigen.3 Noch das Prooemium zum zweiten Buch von de divinatione legt zu Beginn des Jahres 44 Zeugnis davon ab.4 Es wäre daher müßig, in seinen Spätschriften Textstellen mit politischer Bedeutung - also mit Bezug zu Personen und Ereignissen der Bürger knegszeit - zu suchen, wenn er die Trennung zwischen politischer Tätigkeit und philosophischer Beschäftigung tatsächlich so streng vollzogen hätte.5

5Vgl. z.B. die Briefe an Varro fam. IX 1,2; 2,2; 3,3 und 5; an Volumnius fam. VII 33,2; an P. Figulus fam. IV 13; an Paetus fam. IX 18,1; Att. XII 23,5; 25,1; 28,2; 30,2; 42,1; 48,4 (auch in Verbindung mit dem Tod der Tochter Tullia); XIII 7,3 im Zusammenhang mit der geplanten Caesar-Denkschrift; Brut. 2 f; Tuse. I 1; nat. I 7; div. II 6f.

4 div II 6f

-4-

Das dritte Buch von de finibus begründet aber Zweifel im Hinblick auf diese Trennung. Es könnte sein, daß C icero - etwa wegen des hohen Risikos - nur vorgab, sich unter C aesars Alleinherrschaft ausschließlich mit Philosophie zu befas­ sen, in Wahrheit aber in seinen philosophischen Schriften öffentlich zu erkennen geben wollte, wie er über den Zustand der res publica während des Bürgerkrieges dachte und welche Haltung er dem Dictator gegenüber einnahm. Wenn die Vermutung zutrifft, dann sind allerdings keine offenen Aussagen gegen die Politik C aesars

zu

erwarten, etwa als Aufruf zum Widerstand. Dann ist vielmehr zu

suchen nach Anspielungen, Hinweisen und verborgenen Bedeutungen im Text, die ein politisches Verständnis beim Leser auslösen, auch als Aufforderung verstan­ den werden können, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Wie C icero seinen Entschluß, während des Bürgerkrieges nach Pharsalos jede politische Tätigkeit aufzugeben und über Philosophie zu schreiben, verstanden wissen wollte, ist im bereits erwähnten Prooemium zum zweiten Buch von de divinatione dargelegt worden.5 Das schwere Unglück des Gemeinwesens (casus gravis civitatis) habe dazu geführt:, daß er sich dem Staate nicht mehr in gewohnter Weise widmen konnte; da er jedoch nicht untätig bleiben wollte und keine andere seiner Würde angemessene Tätigkeit zu finden vermochte, habe er sich der Philo­ sophie zugewandt. Unübersehbar verweist der Konsular auch darauf, worin er die Ursache der elenden Lage sieht: cum esset in unius potestate res publica. Der als Rückblick abgefaßte Bericht enthält deudich erkennbar die Faktoren, die C iceros Entschluß bestimmten: den Bürgerkrieg, den durch Alleinherrschaft

bedingten Niedergang des Staates, den Zwang zu politischer Untätigkeit und die Absicht, eine angemessen würdige Aufgabe zu finden. Nicht aus freien Stücken also, läßt der Konsular erkennen, hat er sich philosophischen Studien zugewandt, sondern unter dem Zwang der politischen Verhältnisse, denen er sich ohnmächtig ausgeliefert fühlte.5

5Ebd

-5-

Die Wirklichkeit sah freilich ein wenig anders aus; C iceros Handeln während des Bürgerkrieges und sein Verhältnis zu C aesar waren tatsächlich komplizierter, als es seine Darstellung in de divinatione glauben machen will. Das Problem der Recht­ fertigung seiner eigenen Politik spielt daher in den philosophischen Schriften eine gewichtige Rolle, wie noch zu zeigen sein wird. Für das politische Schicksal des Konsulats nach der Schlacht bei Pharsalos hatte sich als ein Datum von entscheidender Bedeutung der 25. September 47 erwiesen. Das war der Tag, an dem C aesar als Sieger den untedegenen Gegner bei seiner Rückkehr aus Ägypten an der Straße von Tarentum nach Brundisium unter höflich-rücksichtsvollen Umständen in Gnaden wieder aufnahm.6 Die Feststellung gilt auch dann, wenn in Betracht gezogen wird, daß ClCERO erheblich früher, bereits unmittelbar nach der Niederlage der Senatspartei unter P ompeius bei Pharsalos, seine persönliche Situation grundsätzlich neu beurteilt und den Entschluß zur Rückkehr nach Italien gefaßt hatte. - Einschneidend wirkte das Ereignis vom Herbst 47 aus zwei Gründen. Zum einen kam damit das eigenartige Schwanken des Konsulars und Imperators zwischen den Bürgerkriegsparteien endgültig zum Stillstand, ein Schwanken, das sich anfänglich noch aus der Vermitt­ lerrolle zwischen den Vertretern der nss publica und C aesar hatte rechtfertigen lassen, nach dem Abzug der Pompeianer aus Italien aber nichts anderes mehr war als ein Zeichen hilfloser Entschlußlosig;keit gegenüber der Frage, auf welche Seite er sich angesichts der drohenden militärischen Auseinandersetzung stellen sollte. Zum andern hatte sich C icero bereits durch die Rückkehr nach Italien im Herbst des Jahres 48 ganz in die Hand des siegreichen C aesar begeben, auf dessen Entscheidung über sein weiteres Schicksal er freilich ein Jahr lang in bitterer Ungewißheit und Ohnmacht warten mußte. Mit der Ungewißheit war es nun vorbei: Wie immer sich die politische Gesamdage noch entwickeln mochte, für C icero gab es nach dem Tage der Begnadigung kein Ausweichen mehr vor der

6 Vgl Geizer Cicero, S 262f., Seel Cicero, S 328f

-6•

Tatsache, daß sein persönliches und politisches Schicksal ganz und gar abhing von Willen und Wohlwollen C aesars. C icero wurde freilich, trotz aller Bemühungen des Siegers, nicht zu C aesars

Parteigänger, sondern versuchte, in einem schwierigen Balanceakt, seine Stellung und seine Eigenständigkeit zu wahren - soweit es eben möglich war, darüber hinaus die Versöhnungspolitik des Machthabers zu nutzen, um Gesinnungsfreun­ den in Not zu helfen und die eigenen Vorstellungen von der res publica praktisch durchzusetzen.7 Die innere Entwicklung des Gemeinwesens nach dem Sieg C aesars im spanischen Feldzug führte indessen bei ihm zu politischer Enttäu­

schung und zu einer immer stärker ausgeprägten Haltung der Opposition gegen­ über dem Dictator.8 Damit stand C icero indessen nicht allein. Der Widerstand gegen den Sieger im Bürgerkrieg war keineswegs völlig erloschen; selbst unter C aesars Anhängern fanden sich Kritiker.9

Es ist freilich nicht leicht, C iceros Haltung C aesar gegenüber in den Jahren 47 bis 44 eindeutig zu bestimmen, weil sein Urteil über den Alleinherrscher je nach Entwicklung der politischen Lage und entsprechend den Gelegenheiten, im Sinne der eigenen Vorstellungen wirken zu können, schwankte.10 Trotz des taktischen Hin und Her verfolgte er aber immer die allgemeine Linie der Opposition zu C aesar, zunächst gegenüber dem Führer der Gegenpartei im Bürgerkrieg, schließ­

lich gegen den als rex und tyrannus bezeichneten Feind der res publica.11 Eines wird dabei deudich: Ungeachtet aller Müllen C iceros, sich nach dem Herbst 47 als einen der Politik entrückten Philosophen darzustellen, ließen Rang und Ansehen, ließ es seine Stellung C aesar gegenüber in Wirklichkeit nicht zu, sich in Muße der griechischen Philosophie, ihrer Darstellung in lateinischer Sprache zu widmen. Was immer er tat und sagte wurde von Gesinnungsfreunden und Gegnern aufmerksam verfolgt.

7Vgl Geizer Cicero, S 277ff 8 Vgl ebd , S 314ff 9 Vgl Geizer Caesar, S 278ff, Christ Knse, S 390ff 10 Vgl Geizer Caesar, S 252ff, Anm 6, 23, 26, 27, 35, 51 "Vgl ebd , S 283ff, 296ff, 309, Seel Cicero, S 188ff„ 327, 332f

-7-

Wenn bisher vorliegende Arbeiten zu C icero unter dem Gesichtspunkt betrach­ tet werden, in welchem Maße die Autoren die zuletzt in de divinatione von ihm behauptete Trennung zwischem Politischem und Philosophischem in seinem Verhalten während des Bürgerkrieges und unter der Alleinherrschaft C aesars als tatsächlich gegeben ansahen, dann ergibt sich ein höchst unterschiedliches Bild.

M anfred Fuhrmann schreibt die bestimmende Wirkung für den "kühnen Plan",

die Erkenntnisse der griechischen Philosophie systematisch ins Lateinische zu übertragen, dem Gefühl der Resignation zu, das C icero unter dem Eindruck seiner politischen Ohnmacht ergriffen habe. In der 1990 erschienenen Ausarbei­ tung über "C icero und die römische Republik" stellt der Autor in bezug auf C icero fest, daß "im Zentrum seines Daseins...das geistige Schaffen, die philoso­

phische Schriftstellerei" gestanden habe. Weiter heißt es:"Er konnte jetzt nicht mehr versuchen wollen, Politik mit anderen Mitteln zu treiben und durch Appelle an das Verantwortungsbewußtsein der Zeitgenossen auf den Lauf der Dinge einzu­ wirken: ein derartiges Beginnen mußte jetzt, angesichts der fest etablierten Diktatur C aesars, auch einem C icero als Ding der Unmöglichkeit erscheinen. Die Werke

der philosophischen Enzyklopädie waren denn auch das Produkt völliger Resigna­ tion gegenüber der Politik; sie hatten - nur noch, wie man wohl im Sinne C iceros sagen darf - literarisch-kulturelle und ethische Ziele."12 Im Urteil F uhrmanns werden also die Grundzüge des Problems deutlich herausgearbeitet: die bestim­ mende Wirkung der Alleinherrschaft C aesars; die Alternativen, vor die sich C icero gestellt sah - entweder Politik oder Philosophie; seine Resignation, die ihn zu "lite­ rarischen Ersatzhandlungen" trieb.13 Bei dieser Betrachtungsweise gibt es weder einen Wechsel zwischen politischer Tätigkeit und philosophischen Studien, noch einen fließenden Übergang - solange die Grundbedingung, die Alleinherrschaft C aesars, andauert. Folgerichtig fehlt dann auch in F uhrmanns Biographie eine

12 Fuhrmann Cicero, S. 220, 223 13 Ebd., S. 104

-8-

Untersuchung zu der Frage, ob C iceros philosophische Spätschriften Aussagen mit politischer Bedeutung enthalten. Einen ähnlichen Standpunkt nimmt auch W ilhelm S üss ein in seinen Ausführun­ gen über C iceros Arbeiten zur Philosophie.14 Dessen philosophische Schriftstelle­ rei bezeichnet er als "ein Ergebnis der Not", bedingt durch das Scheitern aller politischen Hoffnungen nach der Rückkehr aus dem Bürgerkrieg.15 Aus C iceros Briefen sei "Niedergeschlagenheit und Resignation" erkennbar; seinen Anspruch auf einen Triumph habe er aufgegeben und sich der Philosophie zugewandt, um über den Schmerz der politischen Isoliemng hinwegzukommen.16 Darüber hinaus führt Süss auch den schweren seelischen Druck an, unter den C icero durch den unerwarteten Tod seiner Tochter T ullia im Frühjahr 45 geraten war; dies sei ein zusätzliches Motiv gewesen, sich mit der Philosophie zu befassen.17 Er habe in seinem persönlichen Leid Hilfe gesucht in der philosophischen Literatur, um den Schmerz ertragen zu können, und alle Trostgründe dann in einer Schrift, der Consolatio, zusammengefügt.18 Süss sieht also nicht nur politische Motive wirksam, wenn sich C icero in dieser Zeit mit philosophischen Fragen befaßte. Ein weiteres Mal erscheinen die Alternativen Politik und Philosophie bei K laus B ringmann, deutlich erkennbar in Kapitelüberschriften:"Von der Politik zur Philo­

sophie" - "Die Rückkehr zur Politik".19 Die scharfe Trennung zwischen den beiden Bereichen im Handeln C iceros wird damit stichwortartig hervorgehoben. B ring­ mann

begründet seine Auffassung dann im einzelnen folgendermaßen. C iceros

Absage an eine politische Tätigkeit wird als Reaktion auf den Sieg C aesars bei Thapsus im Frühjahr 46 verstanden, als er erkennen mußte, daß die Hoffnung auf eine politische Mitwirkung an der Wiederherstellung der res publica verfehlt war.20

14 Süss Cicero 15 Ebd , S. 229 16Ebd 17 Ebd., S 230 18 Ebd 19 Bringmann Untersuchungen, S 72, 182 20 Ebd., S 72fT.

-9 C icero sei daraufhin in Resignation verfallen.21 Der Zusammenbruch der politi­

schen Pläne und ein starkes Trostbedürfnis habe ihn zur Beschäftigung mit der Philosophie geführt.22 Erst nach C aesars Tod sei er als Handelnder in die Politik zurückgekehrt.23 Nach B ringmanns Verständnis hat C iceros Entscheidung für die wissenschaftlich-literarische Alternative nahezu ausschließende Wirkung in bezug auf die andere Möglichkeit - das Handeln als Politiker - gehabt. Da die Beschäfti­ gung mit der Philosophie, so führt der Autor aus, für C icero neben anderem die Aufgabe gehabt habe, "die quälenden Gedanken an das politische Unglück...zu verdrängen", mache dies auch "den sehr weitgehenden Verzicht auf alles aktuell Politische in den philosophischen Schriften des Jahres 45/44" verständlich.24 Unter Bezug auf de finibus und die Tusculanen stellt B ringmann fest, daß es in den moralphilosophischen Werken C iceros "fast ausschließlich um die Probleme des individuellen, privaten Lebens" gegangen sei. Weiter heißt es: "Politisches wird hier nur berührt, soweit es die Wiedergabe griechischer Lehren mit sich brachte; die abstrakte, aus der Lehre der kosmopolitischen Gemeinschaft des Menschenge­ schlechts deduzierte Fordemng nach politischer Tätigkeit auf die besonderen Verhältnisse in Rom zu beziehen, wird vermieden."25 Gleichwohl sieht B ringmann einen inneren Zusammenhang; zwischen der vita activa des Politikers C icero und der dem philosophischen Werk gewidmeten vita contemplativa. Auch unter der Alleinherrschaft C aesars habe bei C icero der Wille zu politischer Tätigkeit bestanden, und nach den Iden des März sei sein Bemühen erkennbar, kontinuierliches Handeln als Politiker dadurch zu belegen, daß er seine philosophischen Schriften in den Rahmen der Politik eingeordnet wissen wollte. B ringmann beruft sich dabei im wesentlichen auf die Äußerungen C iceros im

Prooemium zum zweiten Buch von de divinatione.26 Der Tod C aesars, so

21 Ebd , S 82ff 22 Ebd , S. 86 23 Ebd, S 182ff 24Ebd, S 190 25 Ebd , mit Bezug auf Tuse V 54ff, worin Kritik an den politischen Verhältnissen unter Caesar enthalten sei, wird freilich eine Ausnahme zugestanden, 26 Vgl div II 1-6

■10B ringmann, haibe bei C icero einen Wandel bewirkt von "Verzweiflung und

Resignation" unter der Alleinherrschaft zu der Erkenntnis, daß die Philosophie "Einsicht in die Gesetze politischer Entwicklung" vermittele.27 Auf diese Weise werde deutlich, "wie C icero nach den Iden des März seine Rolle aufgefaßt wissen wollte und wie er über seine künftigen Aufgaben dachte".28 Nun ergibt sich freilich ein Widerspruch, wenn einerseits gilt, daß C iceros Handelns unter der Dictatur C aesars den Rückzug aus der Politik und die Hinwen­ dung zur Philosophie bedeutet, andererseits die philosophischen Schriften eine Fortsetzung der politischen Tätigkeit darstellen. B ringmann versucht diesen Widerspruch aufzulösen, indem er unterscheidet zwischen den Schäften des Jahres 46 (vor allem Brutus und Orator), in denen C icero "keineswegs auf freimütige politische Meinungsäußerungen verzichtete", und dem philosophischen Werk der Jahre 45/44: Darin habe er sich "am weitesten von allem Politischen zurückgezogen".29 Der Umschwung sei durch ClCEROS Erkenntnis bewirkt worden, "daß unter C aesar nur der Rückzug aus dem öffentlichen Leben übrigblieb, wenn man sinnlose Gefährdung oder würdelose Schmeichelei vermeiden wollte".30 Auch B ringmann trennt also deutlich zwischen der politischen Tätigkeit C iceros und

seiner Beschäftigung mit der Philosophie, in der er keinen politischen Bezug erkennt. Nur zieht er den Trennungsstrich nicht bereits zwischen dem Jahre 47 und der darauffolgenden Zeit unter C aesars Alleinherrschaft - wodurch die in den Jahren 46 bis 44 verfaßten Schriften C iceros unter dem Gesichtspunkt ihrer politi­ schen Bedeutung zur Einheit werden

sondern erst später, nachdem die rhetori­

schen Arbeiten erschienen sind; dadurch wird das eigentlich philosophische Werk ganz aus der Politik herausgelöst.

Ganz als Politiker erscheint C icero in der 1990 erschienenen Arbeit C hristian Habichts. Der Verfasser nennt es tragisch, daß C icero mit seinem Ehrgeiz, ein

27Bringmann a O , S 193 3 Ebd., S. 194 29 Ebd, S 11, 252ff 30Ebd, S 254

-11 -

Staatsmann werden zu wollen, überwiegend gescheitert sei, Unsterblichkeit aber mit einer Leistung gewonnen habe, die "er nur als Ersatz für die Politik betrachtete".31 Unter Berufung auf Äußerungen aus dem Prooemium des zweiten Buches von de divinatione (6-7) stellt Habicht fest, daß das Handeln als Politiker für C icero immer den Vorrang gehabt habe gegenüber einer wissenschaftlichen Tätigkeit, die nichts gewesen sei als ein Notbehelf in Zeiten erzwungener politi­ scher Passivität - wie in den Jahren 54 bis 51, als P ompeius und Caesar die Macht hatten, so von 46 bis 44 unter der Alleinherrschaft C aesars. "Resignation trieb ihn mehr als einmal zu den Studien; neue Hoffnung, politisch wirken zu können, zog ihn von den Büchern wieder fort."32 Die rhetorischen und philosophischen Schriften C iceros in den Jahren 46 bis 44 bezeichnet H abicht daher folgerichtig als "ein Surrogat für die politische Tätig­ keit"; in seiner Arbeit behandelt er nur diejenigen, "die zugleich ein politisches Manifest waren", die also in seiner Sicht einen Ersatz bilden für die Politik.33 Das smd: der Brutus, die Denkschrift für C ato, die Academica priora und posteriora.34 Kurz erwähnt werden der Timaeus und das geplante Sendschreiben an C aesar.35 Die politische Bedeutung des Brutus sieht H abicht darin, daß C icero mit dieser Arbeit seine Politik der Vermittlung gerechtfertigt habe.36 Die Denkschrift für C ato wird erwähnt, weil sie mit der Huldigung für den Toten die Kritik an C aesar

verbunden habe und damit zur Herausforderung für den Anticato geworden sei.37 An den Academica erscheint ihm bemerkenswert, daß sie durch den Inhalt und die Personenwahl Kritik an C aesar erkennen lassen.38 Der Timaeus wird angeführt, weil der in dem Werk genannte Gesprächspartner Anhänger des

31 Habicht' Cicero, S. 10 32 Ebd., S 11 33 Ebd , S 87ff 34Ebd 35 Ebd, S 91 36 Ebd, S 87 37Ebd, S 88 33 Ebd , S 90f

- 12P ompeius war.39 Als politisches Manifest hält H abicht das Sendschreiben an C aesar deswegen für bedeutsam, weil es den durch die CATO-Denkschrift erzürn­

ten C aesar hätte besänftigen sollen.40 Die anderen philosophischen Schriften C iceros werden nicht erwähnt, woraus sich schließen läßt, daß H abicht ihnen

keine politische Bedeutung beimißt.

Bei den bisher angeführten Arbeiten ist übereinstimmend ein kennzeichnender Begriff für C ice:ros Haltung nach seiner Rückkehr und Begnadigung erkennbar geworden: die Resignation. Aus Einsicht in seine politische Ohnmacht unter der Alleinherrschaft C aesars hat er also die Ausflucht in die philosophische Schriftstel­ lerei gefunden. Einen Bezug zur Politik hat das philosophische Werk aus dieser Zeit nach Ansicht der Autoren nur zum Teil: bei F uhrmann und Süss als Reaktion auf die politischen Verhältnisse,

in der Arbeit B ringmanns im Hinblick auf

einzelne Schriften. H abicht nimmt insofern eine besondere Stellung ein, als er zwar in einem Teil des ciceronischen Werkes die Ersatzfünktion der Philosophie für die Politik erkennt, die entscheidenden Philosophica in seinen Vorträgen aber ausklammert, weil er den Politiker C icero in den Mittelpunkt stellt.

In seiner zuerst '1986 erschienenen Biographie C iceros zeigt P ierre G rimal kraß den Unterschied auf zwischen dem Sieger im Bürgerkrieg und dem Unterlegenen.41 Auf der emen Seite stand

Caesar,

der die Staatsgeschäfte ordnete,

Kommando über seine Legionen übernahm und den Feldzug vorbereitete; auf der anderen Seite

das

in Nordafrika

kehrte "C icero still und unauffällig ins

römische Leben" zurück, in den neuen Staat, "C aesars Staat", und begann dort eine Tätigkeit als "Philosoph und Schriftsteller".42 Das in der Folge entstehende Werk C iceros faßt G rimal in zwei Gruppen zusammen: die rhetorischen Schriften (den Brutus und die Paradoxa Stoicorum) sowie die CATO-Denkschrift einerseits,

19 Ebd , S 91 40 Ebd 41 Grimal Cicero 42 Ebd , S. 407, 404

- 13 -

und andererseits die philosophischen Arbeiten, beginnend mit dem Hortensius.43 Der ersten Abteilung schreibt er eindeutig einen politischen Charakter zu. Der Brutus sei bestimmt nicht gedacht gewesen, die Beredsamkeit zu behandeln, sondern die "höhere Einsicht" zu vermitteln, daß für C icero Geschichte und geschichtliches Werden das Ergebnis menschlichen Handelns bedeutet.44 Auch in den Paradoxa Stoicorum erkennt G rimal eine politische Absicht"eine Analyse der Ursachen, die zum Bürgerkrieg geführt haben".45 In der CATO-Denkschrift schließ­ lich führte C icero, nach der Meinung G rimals, das bereits in den Paradoxa Stoicorum angesprochene Problem weiter aus, das sich aus dem Zusammenhang zwischen der ethisch geprägten Person und ihrem Handeln in der Politik ergibt.46 Resümierend stellt der Autor fest, daß sich aus den genannten Schriften der ersten Gruppe die Absicht C iceros erkennen lasse, auch unter der Herrschaft C aesars politisch zu handeln und auf "intellektueller Ebene" sein Ideal zu vetreten.47489 Auch in der zweiten Abteilung, den philosophischen Arbeiten, wird für G rimal die Verbindung zur Politik sichtbar, aber in anderer Form. "Der Philosoph C icero ahnte voraus, was die erwartete Erneuerung des Staates erfordern würde: eine Besinnung auf die moralischen Werte P latons und seiner Nachfolger, zu denen für ihn auch die Stoiker gehörten."'16 Aus der Geschichte und dem Werk des griechischen Philosophen habe C icero den Gedanken gewonnen, das Gemeinwe­ sen auf "rationalem Fundament" neu zu gründen; im "gelebten Risiko" unter der Alleinherrschaft

Caesars sei dieser Gedanke in das philosophische Werk

einge flössen.45 G rimal sieht also, was die Kontinuität des politischen Handelns bei C icero

betrifft, einen stärkeren Zusammenhang zwischen clen beiden Bereichen Politik und Philosophie;

43 Ebd , S 44 Ebd , S 45Ebd, S «Ebd., S 47Ebd, S 48 Ebd , S 49 Ebd , S

er gesteht zwar ein, daß dem Politiker

419ff,439ff 412 415ff 418 419 439 458

C icero im "Staat

- 14C aesars" kaum Möglichkeiten zu eigenständig politischer Tätigkeit offenstanden,

vertntt aber entschieden die Auffassung, daß C icero als "Philosoph und Schrift­ steller" in seinem gesamten Werk während der Herrschaft C aesars eine auf verschiedene politische Ziele gerichtete Absicht ausgedrückt habe. Damit - und das ist entscheidend - gewinnen auch die eigentlich philosophischen Schriften politische Bedeutung. Politik und Philosophie sind aus G rimals Sicht bei C icero nicht mehr zwei getrennte Bereiche, zwischen denen er je nach den politischen Verhältnissen wechselt;

sie bilden vielmehr ein einheitliches Handlungsfeld.

Zudem wird erkennbar, daß C icero in semen Schriften nach der Begnadigung drei Aufgaben zu lösen versuchte: Analyse des Bürgerkrieges, Kampf gegen die Allein­ herrschaft C aesars und Stabilisierung der politischen Ordnung durch den tragen­ den Vemunftgedanken der griechischen Philosophie. Der Zusammenhang zwischen Politik und Philosophie ist bereits bei P hilipp son

in seinem RE-Artikel aus dem Jahre 1939 über die philosophischen Schriften

C iceros erkennbar, wenn auch nicht in der bei G rimal gegebenen Deutlichkeit.30

Dort wird erwähnt, daiß C icero erst unter der Alleinherrschaft C aesars, "die ihn auf jede öffentliche Tätigkeit verzichten läßt", mit der Abfassung seiner rhetori­ schen und philosophischen Schriften begonnen habe, wobei er sich durch "persön­ liche" und "allgemeine"

Beweggründe habe leiten lassen: Nutzen für die

Mitbürger; Erziehung der Jugend; geistiges Ergötzen der Erwachsenen; erhöhter Ruhm für das römische Volk; Verdrängung epikureischer Schriften; Gleichstellung der Römer mit den Griechen; Bereicherung der lateinischen Sprache.5051 Dazu habe er, nach den rhetorischen Arbeiten, den "großen Plan" gefaßt, "die ganze Philoso­ phie darzustellen".52 Allerdings arbeitet P hilippson die politische Bedeutung der philosophischen Schnften C iceros nicht weiter aus.

50 Philippson, RE, VII A 1, Sp 1104-1192

51 E bd,Sp 1183f 52 Ebd , Sp 1184

- 15 -

Einen Schritt weiter geht M atthias G elzer mit seinem "biographischen Versuch" über C icero. Der Konsular habe sich m der durch Bürgerkrieg und Herrschaft der familiares C aesars in Rom bestimmten Situation unter dem Einfluß seines Freundes A tticus und des B rutus der Beschäftigung mit philosophischen Arbeiten zugewandt, um kein Mißtrauen zu erregen. Das daraufhin entstandene Werk sei von Anfang an auch Ausdruck der Verzweiflung über die herrschenden politischen Verhältnisse gewesen.53 So

urteilt G elzer über die in dieser Zeit zuerst erschienene Schrift Brutus, daß

die darin enthaltenen Klagen über den Zustand des Gemeinwesens sie "zu einer sehr wichtigen politischen Kundgebung" machen.54 Ein wenig später äußert er sem Erstaunen darüber, daß C icero unter den Bedingungen des Bürgerkrieges den Mut aufbrachte, "seine politischen Gefühle so unverblümt auszusprechen".55 Auch die Paradoxa Stoicorum hält er für eine "caesarfeindliche Äußerung", allerdings nur unter der Voraussetzung, daß die Schrift bereits zur Zeit ihrer Abfassung veröffendicht wurde - was er indessen anzweifelt.56Weil er überzeugt ist, daß die philo­ sophische Tätigkeit bei C icero an die Stelle der politischen getreten ist, stellt G elzer fest"...insofern haben auch diese Philosophica

ihre politische Seite",

wobei die Ablehnung der Gegenwart ergänzt werde durch "die dialogische Einklei­ dung" und "die geschichdichen Beispiele".57 Aus diesen Feststellungen, die denen in seinem RK-Artikel über M. T ullius C icero aus dem Jahre 1939 entsprechen, geht eindeutig hervor, daß G elzer die nach der Begnadigung C iceros verfaßten rhetonschen und philosophischen Schriften als politische, gegen C aesars Allein­ herrschaft geachtete Aussagen versteht - zumindest teilweise.58 Allerdings werden weder die erwähnten dialogischen Einkleidungen noch die geschichdichen Beispiele der philosophischen Arbeiten unter diesem Gesichtspunkt analysiert.

53 Gelzer Cicero, S 264 54 Ebd , S 265 55 Ebd , S 267 56 Ebd , S 272 57Ebd, S 313 58 Gelzer, RE, VII A 1, Sp 1008-1023

- 16-

Bei der Untersuchung der Frage, wie C icero die Krise der res publica in seiner Zeit gesehen hat, zieht H orst Callies neben den Briefen und Reden als Quellen­ material auch philosophische Schriften heran.: für das Ende der fünfziger Jahre de re publica, für die 2'eit nach 44 de gloria, den Laelius und de officiis.59 Dahinter steht die Auffassung, daß C icero "sowohl tätiger Politiker war als auch Philosoph und sein politisches Bemühen nicht selten auf die Politik seiner Zeit bezog".60 An mehreren Beispielen erweist sich bei C allies die politische Bedeutung der philoso­ phischen Schriften, so bei der Rechtfertigung der Ermordung Caesars in de offici­ is, so bei der Idealisierung der römischen Verfassung in. de re publica, so bei der Suche nach einem Heilmittel für die Krise des Staatswesens in den Philosophica überhaupt.61 Allgemein wird feslgestellt, daß C icero die Krise seiner Zeit im wesentlichen als ein moralisches Problem sah, daher in der Ethik die Beweggründe fand zur Ablehnung der Tyrannis und zur Forderung, die althergebrachte res publica wiederherzustellen. Indessen weist C allies auch darauf hin, daß durch C iceros Denkweise bei der Übertragung der griechischen Philosophie ins Lateini­

sche die stadtstaatliche Organisation Roms bestätigt wurde, deren kritischer Zustand beim Versagen gegenüber aktuellen politischen Problemen längst erwiesen war.62 C iceros Irrtum bedeute daher eine Mahnung, Gedanken kritisch zu prüfen, wenn es darum geht, sie aus ihrer Zeit in eine andere zu übertragen. Die Arbeit macht deudieh, daß über die Briefe und Reden C iceros hinaus auch in den philosophischen Schriften Erkenntnismöglichkeiten zu seinem politischen Denken enthalten sind, die zu einem besseren Verständnis der zerfallenden römischen Republik, und der führenden Männer dieser Zeit beitragen können. Wichtig ist aber auch der Hinweis darauf, daß die Philosophica dadurch nicht zu rein politischen Schriften werden; Philosophisches und Politisches verbinden sich in ihnen auf eine Weise, die der eingehenden Analyse bedarf.

59 Callies. Cicero, S. 108, 111, 114ff. 60 Ebd , S. 105 61 Ebd., S 111, 114f. 62 Ebd., S. 118f.

- 17-

Einen Wendepunkt in der Betrachtung der philosophischen Schriften C iceros unter dem Aspekt ihrer politischen Bedeutung stellt H ermann S trasburgers 1990 posthum herausgegebene Studie "C iceros philosophisches Spätwerk als Aufruf gegen die Herrschaft C aesars" dar, die allerdings Fragment geblieben ist.63 Die Arbeit unterscheidet sich insofern von anderen Untersuchungen, als hier ein Histo­ riker konsequent die Philosophica C iceros als Quellenmaterial verwendet, um dessen politische Haltung C aesar gegenüber zu analysieren, ohne den Anspruch, zu erheben, als Fachmann für Philosophie gelten zu wollen. S trasburgers These lautet,

daiß es in den späten philosophischen Schriften

C iceros eine "planvolle Polemik gegen C aesar" gegeben habe.64 Indessen halbe

diese Ansicht tn der communis opinio bisher keinen Platz gefunden; nur m einzel­ nen Fällen - F riedrich: M ünzer, H ugo W illrich und M atthias G elzer werden erwähnt - sei das in den Philosophica vorliegende Material angemessen zur Kennt­ nis genommen worden. Strasburger sieht die in den Jahren 46 bis 44 verfaßten rhetorischen und philosophischen Arbeiten C iceros als ein "eigenartiges, ja vielleicht einzigartiges literarisches und zugleich politisches Unternehmen" an, das nach dem "Vorspiel in den Rhetonca des Frühjahrs 46" mit den Philosophica seit dem Hortensius einem "festen auf weite Sicht vorausdisponierten Angriffsplan" folgte.65 Zwar sei das rhetorische oder philosophische Thema jeweils "Hauptsa­ che"; das politische Thema hänge damit aber untrennbar zusammen. Als Methode zur konsequenten Durchführung seiner "politischen Gmndabsicht" habe C icero eine Kombination von zwei Verfahrensweisen gewählt: eine gegen Caesar gerich­ tete Personenwahl und die Einfügung sachlicher Angriffe in den Inhalt.66

63 Vgl das Nachwort der Herausgeberin Gisela Strasburger, in: Strasburger' Ciceros philoso­ phisches Spätwerk, S. 85f Zu der Kontroverse zwischen Strasburger und Geizer in bezug auf die Beurteilung Caesars und damit auch seiner politischen Gegner vgl die abgewogene Stellungnahme Bleickens in: Geschichte der Römischen Republik, S 21 lf 64 Ebd , S lf 65 Ebd, S 29 66 Ebd, S 38ff und 54ff

- 18-

An Strasburgers Untersuchung sind zwei Punkte von besonderer Bedeutung. Zum einen wird mit dem philosophischen Spätwerk ein bisher von der Geschichts­ schreibung kaum ausgewertetes Quellenmaterial systematisch erschlossen.67 Zum andern gilt für den Autor dieses Material als Beleg für C iceros "Unterfangen, das Phänomen C aesar vor der damals erreichbar objektivsten Urteilsinstanz für politi­ sche und menschliche Weltmaßstäbe zu prüfen, der griechischen Staats- und Sittenlehre".68

Die auf dem dargelegten Forschungsstand fußende eigene Untersuchung folgt der darin vorgezeichneten allgemeinen Richtung und behandelt das Problem, in welcher Weise C icero seinen Abhandlungen zur Philosophie aus den Jahren 46 bis 44 eine politische Bedeutung verleiht. Politisch meint in diesem Zusammenhang, daß Aussagen der philosophischen Schriften Bezug haben zur Zeitgeschichte, also zu Ereignissen und Personen des Bürgerkrieges, insbesondere zu C aeär als der führenden Persönlichkeit. Unter diesem Gesichtspunkt ist vorab nach den Gründen zu fragen, die C icero bewogen haben, seinen philosophischen Schriften auch eine politische Bedeutung zu geben. Drei verschiedene Motive lassen sich bestimmen. Zunächst gibt es einen persön­ lichen Beweggrund: C icero wollte nicht schweigend hinnehmen, daß einzelne Mächtige aus Eigenmteresse ihre Macht mißbrauchten und damit die res publica in Gefahr brachten, sondern seine Opposition zum Ausdruck bringen. Zum andern ging es ihm darum, den Handelnden - vor allem dem Alleinherrscher C aesar • mit den philosophischen Schriften einen Spiegel vorzuhalten, worin zu erkennen war, was als Recht und Unrecht zu gelten hatte. Damit kommt dem Spätwerk auch eine didaktische Bedeutung zu; die Krise des Staates erscheint als moralisches Problem, das durch den Hinweis auf ethische Grundsätze gelöst werden kann. Schließlich konnte C icero seine philosophischen Schriften auch als eine Möglichkeit sehen, Gesinnungsfreunde zu gewinnen, indem er sie informierte und mit ihnen öffentlich 67 Als Beleg lassen sich Strasburgers einleitende Feststellungen anfuhren, vgl.

68 Ebd., S 3

ebd , S lf

- 19-

ein Gespräch führte über grundlegende Fragen der Politik. Sein Ziel wird dabei gewesen sein, politisch Einfluß zu gewinnen, Kräfte zu organisieren, die im Sinne seiner politischen Vorstellungen wirken konnten. Insgesamt können C iceros philosophische Spätschriften mit ihrer politischen Komponente betrachtet werden als der Versuch, auf philosophisch-literarische Weise die Macht auszuüben, die er in der Wirklichkeit des römischen Bürgerkrieges C aesar gegenüber nicht besaß.

C iceros Philosophica sind somit Ausdruck des

Protestes und des Widerstandes gegen eine Politik, die er grundsätzlich ablehnte. Er wollte politische Zeichen setzen dafür, daß er nicht einverstanden war mit dem Handeln des Siegers im Bürgerkrieg. Widerstand leisten hieß für C icero in dieser Situation daher vor allem, ethische Maßstäbe in seinen Schriften öffentlich zu machen, an denen Personen und ihre Taten gemessen werden müssen: Grundsätze philosophischen Denkens. Er forderte die Leser seiner Philosophica auf, Philoso­ phie zur Richtschnur der Politik zu nehmen und nicht das Streben nach persönli­ cher Macht. Aktive Politik gegen den Alleinherrscher konnte er nicht betreiben, weil er dafür viel zu schwach war. Wenn es am Ende dazu kam, daß C aesar getötet und damit dessen persönliche Alleinherrschaft aufgelöst wurde, dann war das freilich nicht C iceros Werk, sondern das Ergebnis politischer Bestrebungen von Männern, die

aus anderen Gründen handelten als er es wollte und konnte. An der Tatsache, daß C iceros philosophische Schriften der Jahre 46 bis 44 auch eine politische Bedeutung haben, ist spätestens seit der Untersuchung Strasburgers

nicht mehr zu zweifeln. Um aber C iceros Vorgehen im einzelnen und die

zugrundeliegenden Absichten genau erkennen zu können, ist es erforderlich, das Spätwerk als Quellenmaterial systematisch Satz für Satz unter dem Gesichtspunkt zu analysieren, in welchen formalen und inhaltlichen Zusammenhängen darin Aussagen zur Politik enthalten sind. Als Spätwerk werden dabei die Schriften betrachtet, die während der Alleinherrschaft C aesars verfaßt und herausgegeben wurden. Damit können Erkenntnisse gewonnen werden, die über das hinausgehen, was bisher aus seinen Briefen und Reden dieser Zeit bekannt ist.

-20-

Die Untersuchung bringt drei methodische Grundprobleme mit sich. Zum einen ist zu prüfen, wie es mit der Kontinuität der politischen Überzeugung C iceros steht, ob also Textstellen aus frühen Schriften ohne Bedenken zur Bestätigung von Aussa­ gen im Spätwerk angeführt werden können. Zweitens stellt sich die Frage, ob die Gleichzeitigkeit genügt, um Übereinstimmung zu begründen zwischen verschiede­ nen Äußerungen in Briefen, Reden und Schäften zu einem bestimmten Zeitpunkt. Schließlich kann nicht von vornherein der Zeitbezug der späten Abhandlungen zur Philosophie als gegeben vorausgesetzt werden; wenn die Siege C aesars im Bürger­ krieg bei Pharsalos, Thapsus und Munda mit ihren politischen Folgen als die Schlüsselereignisse für den Ausbau seiner Alleinherrschaft gelten, dann muß unter dem Gesichtspunkt der politischen Bedeutung eine Reaktion darauf im Werk C iceros zweifelsfrei nachgewiesen werden.

Die drei Grundprobleme lassen sich auf einen Punkt konzentrieren: die bestän­ dige Wechselwirkung zwischen Philosophie und Politik in Denken und Handeln C iceros. Die Kontinuität der politischen Überzeugung, die Überemstimmung

seiner Äußerungen - trotz der Zweckgebundenheit mancher Aussagen - und der Bezug des philosophischen Spätwerks zur Zeitgeschichte können daraus erklärt werden, daß sich für C icero Maßstab und Leidtnie seines politischen Handelns aus der Philosophie ergeben, andererseits seine eigenen Erfahrungen als Politiker Einfluß haben auf seine Denkweise. Die enge Verbindung von Philosophie und Politik bildet in bestimmender Weise den Kern seiner Persönlichkeit. C icero ist Staatsmann und Philosoph zugleich; daraus ergeben sich unwandelbar Stärken und Schwächen seines politischen Handelns in der Krise der römischen Republik. Zunächst mag die allgemeine Feststellung genügen, um die methodischen Grundprobleme einleitend zu lösen. Im einzelnen muß später anhand konkreter Fragestellungen bestimmt werden, ob und wie der Zusammenhang zwischen Philosophie und Politik jeweils zu belegen und damit aus verschiedenen Schriften eine etnheidiche Position zu begründen ist. Das Vorhaben, C iceros philosophisches Spätwerk unter dem Gesichtspunkt seiner politischen Bedeutung als Äußerung des Widerstandes gegen die Tyrannis

- 21 C aesars

zu

untersuchen, wirft darüber hinaus die Frage auf, an welchen Merkma­

len überhaupt zu erkennen ist, daß innerhalb des Textes eine Stellungnahme zur aktuellen Politik vorliegt. Wenn allgemein vorausgesetzt wird, daß jede Opposition gegen den Dictator während des Bürgerkrieges mit hohem Risiko für Leben, Stellung und Vermögen verbunden war, dann sind nur Aussagen zu erwarten, die auf indirekte Weise die Meinung des Verfassers zu den politischen Verhältnissen und zum Machthaber ausdrücken. Gleichwohl mußten die Meinungsäußerungen so deutlich abgefaßt werden, daß ihr Sinn von den Adressaten verstanden werden konnte. Der Leserkreis der philosophischen Schriften kann in den Jahren des Bürgerkrieges nicht allzu groß gewesen sein, übertraf in seinem Umfang jedoch die Erwartiangen des Konsulats, wie er im zweiten Buch von de divinatione anmerkt: quos quidem plures, quam rebar, esse cognovi.69 C icero zeig in dieser Textstelle zudem, daß er in didaktischer Absicht auf die jungen Angehörigen der römischen Führungsschicht setzt, die bisher - so ist zu ergänzen - noch nicht das Alter erreicht hatten, um an der politischen und militärischen Auseinandersetzung teilzunehmen. Vor allem aber wird er an philosophisch gebildete und politisch tätige Zeitgenossen mit entsprechendem Einfluß gedacht haben, wie etwa B rutus, die hinreichend Sachkenntnis besaßen und das Interesse aufbrachten, in den Wirren der Zeit philosophische Arbeiten eines Mannes vom Range C jceros

zu

lesen. Bei ihnen konnte der Autor voraussetzen, daß sie seine versteckten Aussagen und Anspielungen zu entschlüsseln vermochten sowie die politischen Inhalte in ihrer gegen die Alleinherrschaft C aesars gerichteten Absicht mündlich an Vertraute Weitergaben. Einen Ratschlag an die Leser, wie seine Schriften zu verste­ hen seien, gibt C icero im fünften Buch der Tusculanen: acute autem disputantis illud est, non quid quisque dicat, sed quid cuique dicendum sit videre.70 Entscheidende Hinweise zu dieser methodischen Frage sind - wie erwähnt - bei S trasburger

69 div

zu

finden.71 Die "Hauptindizien für eine konsequent durchgeführte

II 5 70 Tuse V 28; vgl Brut 42 71 Strasburger, a 0 , S 38ff, 54ff



22

-

politische Grundabsicht" in C iceros philosophischen Spätschriften faßt er in zwei Gruppen zusammen: (1) prosopographisch in Form der gegen C aesar gerichteten Personenwahl, (2) als anticaesarische Inhalte. Die erste Gruppe bildet er anhand der Beobachtung, daß C icero als Widmungsempfianger, Dialogpartner und Namensbeispiele im Text nur Personen auswählt, die Gegner C aesars sind, jeden­ falls nicht zu seinen Gesinnungsgenossen oder Gefolgsleuten gerechnet werden können. Diese bettußt vorgenommene Personenwahl versteht S trasburger als politisches Zeichen. So überzeugend sein methodischer Ansatz auch wirkt, so schwieng ist indessen die praktische Durchftthrung. Zwar sind die Widmungsemp­ fänger und Dialogpartnet ihrer Zahl nach begrenzt, sie lassen sich auch - weil es sich ausnahmslos um bekannte Persönlichkeiten handelt - eindeutig m Bezug setzen zu C aesar. Problematisch wird das Verfahren aber bei der Fülle der Namensbeispiele nn Text; zudem sind in nicht wenigen Fallen biographische Daten nur unzureichend überliefert. Es kommt darüber hinaus auch vor, daß C aesar selbst oder einer seiner Anhänger eiwähnt wird. Daher ist eine vorsichtige

Formulierung in der prosopographischen Beweisfrage angebracht: Die Personen­ wahl C iceros in den Philosophica wird insgesamt dann als ein gegen C aesar gerichtetes politisches Zeichen anerkannt, wenn die angeführten Namen der Gegner C aesars eindeutig m der Überzahl sind im Vergleich zu neutralen oder dem Dictator freundschaftlich gesonnenen Personen. Grundsätzlich muß zuvor auch geklärt werden, ob es für C icero andere als auf C aesar bezogene und damit politische Gründe gegeben haben kann, eine

Entscheidung für oder gegen bestimmte Personen als Widmungsempfanger, Dialogpartner oder exempla für philosophische Aussagen zu treffen. So kann etwa die Auswahl in den Schnften zufällig erfolgt sein. Dagegen spncht jedoch C iceros Vorgehensweise; mehrfach laßt sich - vor allem aus den Briefen an A tticus belegen, daß er in dieser Frage bewußt und absichtsvoll handelte. Zum andern besteht die Möglichkeit, daß bestimmte Namen allem unter dem Gesichtspunkt ihrer philosophischen Kompetenz ohne Rücksicht auf ihre politische Bedeutung ausgewahlt wurden. Das aber würde nicht ubereinstimmen mit dem Bezug der

-23

-

Philosophica zur Zeitgeschichte, der sich im Inhalt erkennen läßt - was hier erst einmal vorausgesetzt wird. Eine apolitische Personenwahl bei philosophischen Aussagen mit politischer Bedeutung wäre ein Bruch des inneren Zusammenhanges. Gleiches läßt sich auch anführen gegen die Möglichkeit, daß der Konsular nur Personen benannte, denen er aus irgendeinem Grunde persönlicher oder literari­ scher Art verpflichtet war. Daher ist anzunehmen, daß C icero in Übereinstimmung mit dem Bezug zur Politik im Inhalt auch Personen mit politischer Bedeutung für seine Schriften ausgewählt hat, darüber hinaus, daß diese Personen in Beziehung standen zu Caesar: Er war der führende und entscheidende Politiker während des römischen Bürgerkrieges und damit zur Abfassungszeit der philosophischen Schrif­ ten. Bei der zweiten Indiziengruppe, den anticaesanschen Inhalten, wird ein Bezug zur Politik angenommen, wenn der Sinn philosophischer Aussagen auf vier politi­ sche Gegenstandsbereiche gerichtet ist: Zustand des römischen Staates während des Bürgerkrieges, besonders mit Blick auf den Zeitraum der Niederschrift eines bestimmten Werkes; Rechtfertigungsgründe C iceros für sein eigenes politisches Handeln; Auswirkungen der Alleinherrschaft C aesars und schließlich Vorstellun­ gen C iceros über ein als Gegenbild verstandenes Modell der staatlichen Ordnung. Dabei ist zu erwarten, daß sich die Bezüge und ihre Bedeutungen jeweils durch Assoziationen ergeben, durch Gedankenverbindungen, die erst im Bewußtsein des Lesers zu Schlüssen im Sinne der politischen Ansichten C iceros führen. Als Stellungnahme zum Zeitgeschehen kann daher eine Aussage im Zusammenhang der philosophischen Gedankenführung immer dann gelten, wenn sich ein Bezug zu einem der vier angeführten politischen Gegenstandsbereiche herstellen läßt. Sowohl bei der Personenwahl als auch tm Hinblick auf die Inhalte muß zudem beachtet werden, daß die Form der Nennung oder Aussage und der Zusammen­ hang mit dem philosophischen Text - an zentraler Stelle oder eher beiläufig - die politische Bedeutung nutbestimmen kann. In jedem Fall ist der Bezug zu C aesar zu belegen. Schließlich geht es auch um den Nachweis, wieweit C icero in seinen Spätschnften einerseits auf aktuelles politisches Geschehen reagiert, und wo

- 24 ■

andererseits Vorstellungen über eine dauerhafte Stabilisierung der staatlichen Ordnung über die Krise der Gegenwart hinaus erkennbar sind.72 Die Eigenständigkeit und Neuartigkeit der vorliegenden Untersuchung ergibt sich aus drei Punkten. Zum einen werden alle philosophischen Schriften C iceros aus den Jahren 46 bis 44 vollständig analysiert, was bei S trasburger wegen des fragmentarischen Charakters seiner Arbeit nicht der Fall sein konnte. Die Analyse ist zudem differenzierter, breiter und mit anderen Schwerpunkten angelegt. So wird nunmehr den Paradoxa Stoicorum und der Denkschrift für Cato inhaltlich ein bedeutend größeres Gewicht beigemessen, weil beide Schriften in jeweils besonde­ rer Weise den Bezug der politischen Absicht C iceros auf C aesar sichern. Zweitens liegt der eigenen Arbeit die Auffassung zugrunde, daß C iceros Invektiven gegen C aesar von Fall zu Fall entstanden sind, abhängig von konkreten politischen

Ereignissen mit besonderer Bedeutung und - vor allem - in Verbindung mit dem philosophischen Gedankengang, in den sie jeweils eingebunden sind. Erst im nachhinein wird daraus in der nachvollziehenden Betrachtung eine zusammenhtingende Polemik gegen C aesar. Diese Auffassung unterscheidet sich grundlegend von der Annahme Strasburgers, daß C icero in seinen Philosophica einen zuvor gefaßten Angnffsplan gegen den Dictator verfolgt; dafür finden sich keine Belege. Der spezielle Ansatz der eigenen Arbeit ergibt sich schließlich daraus, daß die eigentlich philosophische Komponente in den Schriften C iceros entschieden stärker in Betracht gezogen wird als das bisher in historischen Untersuchungen geschah. Sein Tyrannis-Begriff steht unter dem bestimmenden Einfluß P latons und kann in seiner politischen Bedeutung C aesar gegenüber auch nur von daher angemessen verstanden werden. Gleiches gilt für die stoische Philosophie etwa im Hinblick auf die Rechtfertigung der eigenen Politik C iceros im Bürgerkrieg oder auf die Rolle, die einem C ato als Gegner des Alleinherrschers zugeschrieben wird. In den Augen C iceros bildete die Beschäftigung mit der Philosophie eine Einheit71

71 Strasburger,

a.O., S 38ff, 54ff

-

25

-

mit dem Handeln in der Kurie oder auf dem Forum: Beides war Dienst für den Staat. Wenn sich m der Untersuchung die grundlegende Annahme bestätigt, daß C iceros philosophische Spätschriften neue Einsichten in sein politisches Denken

und Handeln sowie in seine Beweggründe während des Bürgerkrieges ergeben, dann wird damit auch der Standpunkt überwunden, daß die Philosophica nur eine aus Resignation wegen der politischen Ohnmacht entstandene literarische Ersatz­ handlung für fehlende Mitwirkung in der Politik darstellen. Das politische Handeln des Konsulats vor und nach der Alleinherrschaft C aesars bildet dann vielmehr mit der philosophischen Schriftstellerei der Jahre 46 bis 44 eine auf fester und beständi­ ger Grundüberzeugung beruhende Handlungsweise, in der bei gleichbleibender Zielsetzung - Wiederherstellung und Bewahrung der res publica - sich entspre­ chend den politischen Verhältnissen nur die Mittel ändern. Sein Handeln während der Dictatur C aesars wäre dann also dadurch gekennzeichnet, daß an die Stelle aktiver Mitwirkung m der aktuellen Politik die Hervorbringung philosophischer Schriften trat, in die politische Aussagen eingefügt wurden. Damit ist nicht gesagt, daß C icero sich bewußt verstellt und seine Leser absichdich täuscht, wenn er behauptet, daß er sich aus der Politik zuruckgezogen habe.73 In der Tat war seine Stellung im Gemeinwesen während der Alleinherrschaft C aesars anders geartet als in der Zeit davor und nach den Iden des März - aber das betraf nicht nur ihn allein. Seinem subjektiven Empfinden nach mag der Unterschied noch weitaus stärker gewesen sein als es in Wirklichkeit war. C icero szih seine führende Stellung im Staat unter C aesar nicht anerkannt, auf die er seiner Ansicht nach wegen seiner früheren politischen Verdienste einen Anspruch zu haben glaubte. Es war sein gravierendstes Problem, nicht unter den Ersten sein zu können, als C aesar an der Macht war.

73 Vgl Seel, a.O, S 344ff

- 26 -

In diesem Zusammenhang ist noch ein Blick zu werfen auf die besondere philoso­ phiegeschichtliche Funkäon, die C iceros Philosophica fur die römische Gesellschaft hatten.74 Ohne Zweifel war er kern originärer Denker, dessen Gedankensystem einem P laton oder einem A ristoteles oder den Vertretern der Stoa an die Seite gestellt werden könnte. C iceros Leistung bestand dann, die ihm aus langjährigen Studien wohlvertraute griechische Philosophie durch seine unübertreffliche Sprach kraft so geformt zu haben, daß sie den Römern zugänglich wurde. Das bedeutete zunächst ihre Darstellung in lateinischer Sprache, darunter die Übersetzung der Fachausdrücke - und ihre Neuschöpfung, wo dies nicht möglich war. Darüber hinaus ging es um eine Ausformung der philosophischen Gedanken in einer Art, die der herkömmlich auf das praktische Handeln gerichteten Denkweise der Römer entsprach. Durch die Einfügung; vorbildhafter Namen aus der römischen Geschichte zur Erläuterung und zum Beleg philosophischer Aussagen wurde diese Grundabsicht noch verstärkt zum Ausdruck gebracht. Dadurch verband C icero in seinen philosophischen Schriften die ethischen Maßstäbe der griechischen Philoso­ phie mit dem Traditionsbewußtsein der römischen Gesellschaft und den daraus gewonnenen sittlichen Einsichten zu einem neuen Selbstverständnis, durch das politisches und pnvates Handeln der Führungsschicht Roms in hohem Maße bestimmt werden sollte. Dem lag auch die Überzeugung des Konsulars zugrunde, daß die Wirklichkeit der römischen res publica dem entsprach, was P latons Gedanken über einen möglichen vollkommenen Staat umfaßten. C iceros philosophiegeschichtliche Bedeutung für die römische Gesellschaft liegt

also darin, daß seine Mittierfunktion zwischen griechischem Denken und dem auf

74 Aus der umfangreichen Literatur vgl - Fuhrmann Cicero, S. 212 - Pohlenz: Stoa I, S 257ff -Heuß Das Zeitalter der Revolution, in Propyläen Weltgeschichte, Bd 4, S 241ff -Heuß Römische Geschichte, S 187ff - Geizer Cicero, S 293fF, 297 - Bringmann Untersuchungen, S 255 - Philippson, RE, V IIA 1 (1939), Sp 1180ff, 1190 - Süss. Cicero, S 370ff - Gigon. Erneuerung, S. 226ff

- 27 -

praktisches Handeln gerichteten Sinn der führenden Persönlichkeiten Roms einen Höhepunkt bildete in einem lang andauernden Prozeß der Aneignung. Ein Zeichen für seine Wirksamkeit unter den Zeitgenossen ist darin zu sehen, daß selbst in den politischen und militärischen Turbulenzen des römischen Bürgerkrieges C iceros philosophische Schriften von nicht wenigen unter den Beteiligten und Betroffenen gelesen wurden; auch ihre Reaktion auf die Philosophica ist in Schriften und Briefen erkennbar.

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich folgender Aufbau der Untersuchung. Im ersten Kapitel geht es dämm, die Entstehungszeit der philosophischen Schriften C iceros aus den Jahren 46 bis 44 so genau zu bestimmen, daß der Bezug zu

wichtigen politischen Ereignissen während des römischen Bürgerkrieges und unter der Alleinherrschaft C aesars festgestellt werden kann. So ist beispielsweise von Bedeutung, ob die Nachncht vom Tode C atos in Utica C icero noch vor der Abfassung und Herausgabe der Paradoxa Stoicorum erreicht hat, oder auch die Frage, von welchem Zeitpunkt an C icero die Bezeichnung Tyrannis für die Allein­ herrschaft C aesars verwendete, abhängig von der Entwicklung der politischen Verhältnisse. Ausgangspunkt ist der Schriftenkatalog im zweiten Buch von de divinatione, wobei zu prüfen bleibt, ob er wirklich vollständig ist. Die Probleme der relativen und absoluten Chronologie der Schriften müssen aus den Angaben C iceros im Werk und in den Bnefen sowie anhand der wissenschaftlichen Litera­

tur gelöst werden; dabei wird in manchen Fällen gewiß nur ein Näherungswert zu bestimmen sein, dessen Plausibilität genügen muß. Das zweite Kapitel befaßt sich im einzelnen mit den Gründen, die C icero bewogen haben, sich der gnechischen Philosophie zuzuwenden. Vor allem geht es um die Frage, welche persönlichen und politischen Motive ihn angetrieben haben, mithin um die Annäherung an das Kernproblem: War C iceros philosophische Schriftstellerei während der Alleinherrschaft C aesars eher Ausdruck der Resigna­ tion oder stellt sie eine Fortsetzung

seiner Politik mit anderen Mitteln dar?

Unerläßlich ist in diesem Zusammenhang auch die Klärung der Frage, welche

-

28

-

Bedeutung sein eigener philosophischer Standpunkt gegenüber den verschiedenen Richtungen der griechischen Philosophie hatte. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen spielte die Philosophie im politischen und gesellschaftlichen Leben Roms in den letzten beiden Jahrhunderten der Republik eine bedeutende Rolle (Stoa, E pikur); aus gemeinsamen Überzeugungen und Weltanschauungen der Handeln­

den konnten daher Kräfte entstehen, die auch Einfluß auf den Gang der Politik nahmen. Zum andern bedarf es der Erklärung, warum C icero die dogmatischen Lehren der Stoa so umfassend aufgenommen und verbreitet hat. Handelte er dabei aus eigener philosophischer Überzeugung oder war die stoische Philosophie ledig­ lich ein Mittel, um politische Wirkung mit ihrem Erzvertreter C ato

zu

erzielen?

C iceros spektakulärer Schritt nach der Niederlage bei Pharsalos in den

Herrschaftsbereich C aesars hatte nach außen den Anschein einer klaren politi­ schen Entscheidung; in seinem Innem gab es aber keineswegs die wünschenswerte Klarheit der festen Überzeugung, nunmehr der rechten Seite zu folgen. Die einzel­ nen Schnften können Aufschluß darüber geben, wie er im Zusammenhang mit den darzustellenden philosophischen Ixhren seine eigene existentielle Situation einschätzte. So ist vor allem zu klären, warum er zwar unter der Herrschaft des Siegers zu leben bereit war, gleichwohl gegen ihn opponierte. Trotz der Begnadi­ gung, trotz des Wohlwollens, das C aesar dem unterlegenen Gegner immer wieder bewies, leistete der Konsular protestierend Widerstand gegen den Herrschaftsan­ spruch des Machthabers. Um zu verstehen, warum C icero überhaupt das Mittel semer philosophischen Schriften als Möglichkeit der Einwirkung auf die Politik wählte, muß untersucht werden - dem ist das dritte Kapitel gewidmet -, wie groß das Risiko war, das er mit seiner Opposition gegen C aesar einging unter den politischen Verhältnissen, die weithin bestimmt waren durch Tod im Bürgerkneg, Konfiskationen, Unterdrükkung und Gefährdung des Rechts. Er fand die Möglichkeit, politisch zu wirken, ohne sich in unkalkulierbarem Maße einer Gefahr auszusetzen - das ist anhand seiner philosophischen Schnften im einzelnen zu pmfen.

- 29 -

Nach den vorbereitenden drei Kapiteln zur Entstehungsgeschichte des Spätwer­ kes, zu den Beweggründen des Verfassers und zu den Risiken durch die politischen Verhältnisse, unter denen die Philosophica verfaßt wurden, wird im vierten Kapitel an einem eigenartigen Text - den Paradoxa Stoicorum - das Problem untersucht, wie C icero es unternahm, eine Schrift, die auf den ersten Blick allein einen fachspezifischen Gegenstand der Redekunst behandelt, mit einer politischen Bedeutung zu versehen. Die Arbeit steht zwar inhaltlich im Zusammenhang mit dem unmittelbar davor verfaßten Brutus - beide behandeln rhetonsch-philosophische Fragen -, weist aber im Unterschied dazu Merkmale auf, die weit stärker der Politik zuzuordnen sind, allerdings so in das Philosophische eingebettet, daß ihre Eigenart und Bestimmung erst bei genauem Hinsehen deutlich werden. Unter dem Gesichtspunkt der Risiko Vermeidung wirkt dieses Vorgehen aufschlußreich. Daneben kann aus der Textanalyse dei Paradoxa Stoicorum auch eine Antwort auf die Frage erwartet werden, welche Bedeutung die stoische Philosophie für C icero hat. Schließlich geht es auch darum, die in der Schnft enthaltenen Hinweise auf die Technik der Assoziationsbildung auszuwerten, die dann besteht, daß in den Text Schlüsselwörter und Anknüpfungspunkte verschiedener Art eingefügt sind, mit deren Hilfe der sachkundige Leser zu einer vom Verfasser gewünschten Auffas­ sung geführt wird - ohne daß dies deutlich ausgesprochen ist. Auch im fünften Kapitel geht es um einen einzelnen Text mit besonderer Bedeu­ tung. Die Denkschrift für C ato ist die einzige Publikation C iceros - soweit wir wissen -,

auf die

C aesar mit einer eigenen Gegenschrift reagierte. Zudem

kennzeichnet die Kontroverse unverkennbar das Verhältnis zwischen dem Macht­ haber und seinem Opponenten. Obwohl die Person C atos im Mittelpunkt der literarischen Auseinandersetzung steht,, ist er auf dem Hintergrund des politischen Kampfes nur Anlaß und Beispiel für das viel tiefer reichende Ringen um das Problem der Legitimation von Macht und das Verhältnis von Staat und Individu­ um. C iceros Lobrede und die Schmähschrift

C aesars bedeuten zudem eine

- 30 -

Umkehrung der politischen Situation: In diesem Falle ist C icero der Agierende, C aesar muß sich verteidigen.

Eingehend werden dann im sechsten Kapitel die rhetorisch-philosophischen Schriften der Jahre 46 bis 44 unter dem Gesichtspunkt analysiert, ob sie Aussagen mit politischer Bedeutung enthalten und welche Form dann dabei gefunden wurde. Vor allem geht es dämm, wie C icero den politisch folgenreichen Tyrannen-Vor­ wurf gegen C aesar aus der griechischen Philosophie entwickelt und darstellt; auch seine Haltung zum Tyrannenmord ist zu ermitteln. Die inhaldiche Aaalyse erstreckt sich auf den Brutus und die Abhandlungen zur Philosophie von de finibus bonorum et malorum über die Tusculanae disputationes und die Academici libri bis zu de natura deomm. Die bereits tm Kapitel über die Paradoxa Stoicorum erörterte Assoziationstechnik C iceros zeigt sich hier in ihrer vollen Wirkung. Dabei wird deutlich, wie der Konsular trotz seiner wiederholt gegebenen Versiche­ rung, sich in seinen Schriften nicht mit Politik zu befassen, so häufig politische Anspielungen mit den rhetorischen und philosophischen Themen verknüpft, daß in der Gesamtheit der Textstellen mit Angriffen gegen C aesar die politische Grundabsicht des Verfassers erkennbar wird. Das siebente Kapitel umfaßt eine Analyse der genannten Schnften unter dem Gesichtspunkt der anücaesanschen Personenwahl. Die Widmungsempfänger, Dialogpartner und - allerdings nur exemplarisch - die in den Text eingefügten Namensbeispiele werden auf ihr politisches Verhältnis zu Caesar hm untersucht. Auf diese Weise wird an den Schnften die Vermutung überprüft, daß C icero aus politischer Absicht weder den Machthaber selbst noch seme Anhänger oder Perso­ nen, die auf andere Weise für dessen Sache standen, in die Philosophica aufnahm, sondern im Gegenteil nur Namen anführte, die als Gegner C aesars gelten können. Auffälligkeiten in der Widmungspraxis - B rutus - und charakteristisches Vorgehen beim Aufbau der Szenerien für die Dialoge und die darauf beruhende Auswahl der Gesprachsteilnehmer, darüber hinaus die Namensbeispiele im Text zeigen jeweils m ihrer planvollen Systematik die damit verbundene politische Absicht.

- 31 -

Das achte Kapitel geht der Frage nach, ob C iceros philosophische Spätschriften Gedanken darüber enthalten, wie auf dem Hintergrund des als moralische Krise empfundenen tief gestörten Zustandes der res publica Heilmittel in der griechi­ schen Philosophie

gefunden werden können, die eine Wiederherstellung und

Stabilisierung der althergebrachten Ordnung des römischen Gemeinwesens zu fördern vermögen. Die Krise des Staates gab es seit langem, auch das Bewußtsein davon in der Führungsschicht. Daher ist zu erwarten, daß C icero sich in seinen philosophischen Schriften nicht nur mit Fragen der individuellen Ethik befaßt, sondern auch erörtert, welche gesellschaftlichen und politischen Folgerungen die griechische Philosophie aus ihren Erkenntnissen gezogen hat. Unter diesem. Aspekt wäre der Anspruch C aesars auf die Alleinherrschaft, der sich als Ergebnis des römischen Bürgerkneges ausgebildet hat, als zwar schwerwiegender, aber doch nur zeitlich begrenzter Angnff auf die res publica zu betrachten. Es ist zu untersuchen, wie C icero seine Vorstellungen vom idealen Staatslenker und von der societas hominum als dem Bild einer umfassenden Menschengemeinschaft dem Zweck zuordnet, das römische Gemeinwesen dauerhaft zu stabilisieren gegen Störungen durch mächtige Einzelpersonen. Dabei muß vor allem die Rolle der Jugend in den Schriften des Konsulars betrachtet werden. Im abschließenden neunten Kapitel wird der aus den philosophischen Spätschnften C iceros als Quellenmatenal erhobene Befund unter drei Gesichtspunkten geordnet: Rechtfertigung der eigenen Politik im Bürgerkneg, das Verhältnis zu C aesar und die Suche nach Verbündeten. Es geht im wesendichen um die

Erkenntnis, auf welche Weise der Konsular die den Philosophica eingefugte politi­ sche Bedeutung als Ausdruck des Protestes und des Widerstandes gegen die als Tyrannis empfundene Alleinherrschaft C aesars verwendet Weitergehend wird versucht, den Befund historisch zu würdigen und mit dem bereits in der wissenschafdichen Literatur vorhandenen Bild C iceros zu vergleichen. Dabei wird sowohl auf Grundlage und Grenzen semes Urteils über die Krise der res publica zu achten sein als auch auf das Ergebnis seiner Anstrengungen zur Wiederherstellung des römischen Gemeinwesens.

1. Datierung der philosophischen Schriften

In der vorliegenden Untersuchung geht es um die philosophischen Schriften, die C icero während der Alleinherrschaft C aesars verfaßt hat. Der Endpunkt dieses

Zeitabschnitts ist eindeutig durch den 15. März 44 v. Chr. festgelegt, den Todestag C aesars. Schwieriger ist es hingegen, den Anfang zu bestimmen. Es erscheint

zweckmäßig, dafür das Schlüsselereignis zu wählen, durch das ihr Verhältnis auf eine neue Grundlage gestellt wurde: die Begnadigung am 25. September 47.75 Der aus Ägypten zurückgekehrte Sieger im Bürgerkrieg gewährte Gnade dem unterlegenen C icero, der sich von nun an seiner philosophischen Schriftstellerei widmete. Das in diesem Zeitraum - vom 25. September 47 bis zum 15. März 44 v. Chr. - entstandene Werk C iceros über die griechische Philosophie bildet daher den Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen. Die Datierung der Schriften muß aus zwei Gründen möglichst genau erfolgen. Zum einen deshalb, weil konkrete Ereignisse während des Bürgerkrieges - etwa die Siege C aesars bei Thapsus und Munda oder der Tod C atos in Utica - Einfluß auf das schriftstellerische Werk des Konsulars gehabt haben können, was zu analysie­ ren wäre. Zum andern geht es darum, die Abhängigkeit vermuteter politischer Äußerungen in den Philosophica von den jeweils behandelten Themen festzustel­ len und ihre Wirkung auf die Politik im Zusammenhang mit den Versuchen C iceros

zu

prüfen, zu einer bestimmten Zeit eigene politische Ziele gegenüber

75 Zum Datum vgl. Geizer Caesar, S 241, Geizer Cicero, S 262

-33 C aesar

zu

-

verfolgen. Bei der Datierung sind zwei Faktoren von Bedeutung, die

Abfassungszeit und das Datum der Herausgabe.

Einen Rückblick auf die bis dahin verfaßten Arbeiten enthält das Prooemium des zweiten Buches von de divinatione, in dem C icero eine Zwischenbilanz seiner Bemühungen um die Darstellungn lateinischer Sprache vorlegt.76 Indessen sind diese Schriften nicht chronologisch, sondern systematisch geordnet, womit also das Problem der Datierung nicht gelöst ist. Zudem muß auch noch geprüft werden, ob der Schriftenkatalog überhaupt vollständig ist. Am Anfang der Auflistung steht der Hortensius als eine Schrift, die allgemein zur Beschäftigung mit der Philosophie anregen soll. Es folgen die vier Bücher Acade­ mica, in denen die Frage behandelt wird, welche Art des Philosophierens die angemessene ist. De finibus bonorum et malorum bildet danach mit fünf Büchern die Grundlage der Philosophie als Vergleich verschiedener Lehrmeinungen zur Ethik. Den gleichen Umfang haben auch die anschließend geschriebenen Tuscu­ lanae disputationes, in denen vor allem die Dinge untersucht werden, die vorrangig zum glücklichen Leben erforderlich sind, darunter das für C iceros Schicksal während des Bürgerkrieges so überaus wichtige Thema, daß im Hinblick auf die Glückseligkeit die Tugend sich selbst genüge - docet enim ad beate vivendum virtu­ tem se ipsa esse contentam.77 Dabei handelt es sich um seme eigene Formulierung der für sein philosophisches und politisches Denken außerordentlich folgenreichen stoischen Lehrmeinung von der Autarkie der Tugend. Darauf führt der Autor drei Bücher de natura deorum an, die ergänzt werden durch die Schrift de divinatione. Diesen Fragenbereich will C icero nach seinen eigenen Worten abschließend mit einer Arbeit de fato behandeln. Zu seinem philosophischen Werk zählt er in diesem Zusammenhang auch die sechs Bücher de re publica, weil es sich dabei um einen gewichtigen und die Philo­ sophie unmittelbar betreffenden Gegenstand handele; er beruft sich dabei auf

76 div II Iff 77 div II 2

-

34

-

P laton, A ristoteles, T heophrast und die Peripatetiker. Die Consolatio for seine

Tochter T ullia und Cato maior de senectute stellt er ebenso in diese Reihe wie den "Cato" - quoniam philosophia vir bonus efficitur et fortis.78 Da auch A ristoteles und T heophrast Philosophie und Anleitungen zur Redekunst miteinander verbunden hätten, will der Konsular außerdem diesem Bereich zurechnen: drei Bücher de oratore, als viertes den Brutus und fünftens den Orator. Die Aufstellung wird mit der Bemerkung abgeschlossen: adhuc haec erant.

C iceros Übersicht weist bereits auf den ersten Blick einige Auslassungen und

Mängel auf. So ist der Zeitpunkt, zu dem sie abgefaßt wurde, nicht exakt zu bestimmen; sie ist außerdem nicht vollständig, und sie enthält keine präzisen Angaben über die Entstehungszeit der darin aufgefohrten Schriften, nur eine relative Chronologie. Es ist auch nicht erkennbar, ob de divinatione insgesamt oder das Prooemium des zweiten Buches bereits vor dem Tode C aesars abgeschlossen wurde oder später. Daher muß die Frage der Datiemng auf andere Weise unter Erfassung aller Äußerungen C iceros aus den Jahren 46 bis 44 und der wissen­ schaftlichen Literatur behandelt werden.

P hilippson führt in seinem RE-Artikel, nach ihrer Entstehungszeit geordnet,

insgesamt 28 philosophische Schriften C iceros an.79 Aus der Zeit vor dem Bürger­ krieg stammen neben rhetorischen Arbeiten (de inventione, de oratore, Partitio­ nes oratoriae) vor allem de re publica, das nach mehrjähriger Vorarbeit kurz vor der Abreise nach Kilikien Ende April des Jahres 51 herausgegeben wurde, und de legibus, verfaßt unmittelbar nach der Schrift über den Staat, im Entwurf zur gleichen Zeit zum Abschluß gebracht, aber noch nicht veröffentlicht.80 Eine abwei­ chende Meinung über die Abfassungszeit von de legibus vertritt G elzer m seiner CiCERo-Biographie.81 Aus einem. Brief C iceros (fam. IX,3 aus der Zeit kurz nach

78 div II 3 79 Philippson, RE, VII A 1, Sp 1104-1192 80 Ebd , Sp 1109, 11118 81 Geizer: Cicero, S 273

-

35

-

dem 19. April 46), in dem er von politischer Betätigung spricht - entweder in der Kurie und auf dem Forum oder in Briefen und Büchern bei der Erforschung von Herkommen und Gesetzen - schließt der Verfasser auf eine Fortsetzung der Arbeit an de legibus. "Mit großer Wahrscheinlichkeit ist zu vermuten, daß er damals das unvollendete Werk über die 'Gesetze' wieder vomahm", schreibt G elzer.82 Als Zeitrahmen setzt er die Monate April und Mai des Jahres 46 an.83 C icero habe in dieser Zeit die Darstellung des Naturrechts mit dem zentralen Gedanken von der auf göttliche Vernunft begründeten Weltordnung in das erste Buch von de legibus eingefügt und damit "im Jahre 46 die philosophische Begründung verstärkt".84 Die Ansicht G elzers von der nachträglich vorgenommenen Überarbeitung kann jedoch nicht recht überzeugen, weil C icero sich in dieser Zeit vor allem mit rheto­ risch-philosophischen Schriften befaßte; der Verfasser selbst spricht auch nur von einer "Vermutung".85 Zudem ist das Werk zu dieser Zeit auch nicht an die Öffent­ lichkeit gelangt und hätte daher auch keine politische Wirkung erzielen können.86 Wie stark beide Schriften - de re publica und de legibus - während ihrer Entste­ hungszeit abhängig waren von der politischen Situation, in der sich C icero nach seiner Rückkehr aus der Verbannung befand, macht G elzer allerdings überzeu­ gend deutlich.8’

Mit dem Brutus beginnt bei P hilippson die lange Reihe der philosophischen Arbeiten C iceros, die in die - für die eigene Untersuchung maßgebliche - Zeit unter der Alleinherrschaft C aesars fallen88 Als Abfassungszeit für den Brutus wird das Jahr 46 "vor dem Tode C atos" angegeben.89 G elzer setzt die Entstehungszeit ähnlich in die Monate "vor April

82 Ebd 83 Ebd 84 Ebd., S 273f 85 Ebd , S 274 86 Ebd , S 273, vgl Philippson, RE, VII A 1, Sp 111 Bf 87 Vgl Gelzer Cicero, S 1 9 1 ff,2 1 2 ff,2 1 8 ff

88 Philippson, a O , Sp 1122ff 89 Ebd , Sp 1122

-36-

46".90 Auch B ringmann vertritt diese Ansicht, wobei er zudem die Hypothese abweist, der Brutus sei bereits im Oktober/'November 47 geschrieben worden.91 K ytzler verbindet die Frage nach der Entstehungszeit des Brutus mit derjenigen

der Paradoxa Stoicorum.92 Unter Bezug auf § 2 der Paradoxa geht er davon aus, daß diese Schnft verfaßt sei "bevor noch die Nachricht von C atos Freitod in Utica nach Rom gelangt war"; das bedeutet nach K ytzlers Ansicht eine Abfassungszeit "vor Ende April 46".93 Aus der Anspielung in den Paradoxa (illud maiorem vigili­ arum munus in tuo nomine apparuit) schließt er auf den Widmungsempfänger B rutus und damit auf eine Abfassungszeit des Dialogs "im Winter 47/46".94 Ein

"weiteres Indiz" mit Hinweischarakter auf den Abschluß des Brutus vor Ende April 46 sieht der Verfasser noch darin, daß C ato im Dialog als em Lebender analog zu M. M arcellus und M etellus S cipio - erwähnt werde.95 Es gibt somit in der Forschung eine weitgehende Übereinstimmung dahinge­ hend, daß der Brutus vor Ende April des Jahres 46 zu Ende geführt und wohl sogleich auch herausgegeben wurde.96 Mit diesem Werk beginnt also die Reihe der philosophischen Schriften C iceros unter der Alleinherrschaft Caesars, die Gegen­ stand der folgenden Untersuchungen sind. Auf den Brutus folgten unmittelbar die Paradoxa Stoicorum.97 Ein Schlüsselda­ mm ist in diesem Falle C atos Tod in Utica nach der Niederlage der senatonschen Kräfte gegen C aesar bei Thapsus am 6. April 46, genauer: der Zeitpunkt, zu dem die Nachncht von seinem Freitod in Rom eintraf. Aus dem Inhalt wird allgemein geschlossen, daß C icero zur Zeit der Niederschrift glaubte, C ato sei am Leben. Während P hilippson nur auf C atos Tod hinweist, nennt G elzer als

90 Geizer Cicero, S 264 91 Bringmann, a O , S 15f 92 Vgl die Einführung in der von ihm besorgten Textausgabe, S 272ff 93 Kytzler Brutus-Textausgabe, S 272f 94 Ebd , S 273 95 Ebd 96 Zur Veröffentlichung vgl Geizer Cicero, S 265 97 Philippson, a O , Sp 1122

-

37

-

Entstehungszeit der Paradoxa Stoicorum etwa "Anfang Mai 46"; B ringmann fuhrt zunächst P. G roebes Angabe (2. bis 20. April) an, bezeichnet dann aber G elzers Datum als möglich mit der Begründung, daß C ato unmittelbar vor der Kapitula­ tion Uticas sich selbst getötet habe und die Todesnachricht erst Anfang Mai an C icero gelangt sei.98 Unter politischem Gesichtspunkt interessant ist in diesem

Zusammenhang noch, daß G elzer Zweifel äußert, ob die Schrift zu diesem Zeitpunkt bereits herausgegeben wurde, weil sie "nicht anders denn als caesarfeind­ liche Äußerung verstanden worden" wäre.9910

Als dritte rhetorisch-philosophische Arbeit folgte der Orator, nach P hilippson begonnen statim catone absoluto (35) - nach Abschluß der CATO-Denkschrift also - und zu Ende gebracht Mitte September 46.100 G elzer setzt die Veröffentlichung etwa in den "Intercalans posterior", den November julianisch des Jahres 46.101 Unter Bezug auf den Orator selbst und einen Brief über die Vollendung des Werkes nimmt B ringmann als Abfassungszeit etwa die Monate zwischen Juli und September an.102 Wenn die Veröffentlichung später erfolgt sein sollte, dann sei das "aus der intensiven politischen und halbpolitischen Beanspruchung C iceros" zu erklären.103 K ytzler als Herausgeber der Textausgabe des Orator gibt unter Verweis auf mehrere Bezugsstellen den Intercalaris posterior an, den November 46, als Zeitpunkt der "Vollendung und Veröffendichung".104 Die Monate seit der Rückkehr C aesars vom afrikanischen Feldzug waren erfüllt durch Tätigkeit ClCEROS im öffendichen Leben, die im wesentlichen angeregt war durch seine Hoffnung, der Sieger werde die res publica wiederherstellen: Teilnahme an Senatssitzungen, Umgang mit C aesars Vertrauten, Reden für M. M arcellus

98 Ebd.; Gelzer Cicero, S 272, Anm. 52; Bringmann, a.O , S 60 99 Gelzer Cicero, S 272 100 Philippson, a.O , Sp 1123 101 Gelzer: Cicero, S 284 102 Bringmann, a.O., S. 41 103 Ebd, S 41f 104 Kytzler Orator-Textausgabe, S 224

- 38 -

und Q. L igarius, Briefe an die familiares; daneben belasteten ihn auch familiäre Schwierigkeiten.105

Die präzise Datierung der Denkschrift für C ato ist schwierig. O.E. S chmidt versucht das Problem zu lösen, indem er die Abfassungszeit verbindet mit der zeitlichen Einordnung des Briefwechsels mit Arncus im Jahre 46.106 Danach hat B rutus "etwa Ende Mai oder Anfang Juni" in einem Brief bei C icero angeregt,

über C ato

zu

schreiben. Aus verschiedenen brieflichen Mitteilungen folgert

S chmidt, daß C icero die Lobschrift auf den Toten "bald nach Anfang Juli auf dem

Tusculanum" beendet habe; jedoch sei die Arbeit erst im November 46, also nach der Abreise C aesars zum spanischen Feldzug, an die Öffentlichkeit gelangt.107 Als Grund für diese Verzögerung führt S chmidt an, daß C icero eine ungünstige Reaktion C aesars nach dessen Rückkehr aus Africa habe vermeiden wollen, auf dessen Milde er im Zusammenhang mit der Versöhnungspolitik des Siegers bei seiner Fürsprache für Verbannte angewiesen gewesen sei.108 Allerdings wird diese Datierung bei D rumann/G roebe in Zweifel gezogen, da es "bisher nicht gelungen (ist), irgend einen sicheren Anhaltspunkt zur zeitlichen Festlegung des 'Cato' wie des 'Orator' beizubringen".109 Als sicher gelte nur, daß erst der Cato, dann der Orator verfaßt worden sei, dessen Abschluß in die Zeit vor Ende 46 falle. Der Ansicht S chmidts folgt F ehrle, wenn er feststellt, daß die CATO-Denkschrift "wahrscheinlich kurz nach der Abreise C aesars zum spanischen Feldzug am 5. November (iul.)" veröffentlicht wurde.110 Unklar bleibt, ob es einen zeitlichen Abstand zwischen der Niederschrift und der Herausgabe an die Öffentlichkeit gab, und - wenn es tatsächlich so war - worin der Grund für die Verzögerung lag. F ehrle untersucht zwar das Problem, kann aber keine überzeugende Lösung

105 Geizer Cicero, S 267ff 106 Schmidt Briefwechsel, S 244f,264 107 Ebd , S 245, 264 108 Ebd , S 264, Geizer Cicero, S. 282 109Drumann/Groebe Geschichte Roms, Sechster Band, S 216, Anm 11 110 Fehrle Cato, S 290f

-39-

finden. Allerdings sieht er auch keinen zwingenden Grund für C icero, mit der Veröffendichung - wenn die Schnft schon früher fertiggestellt war - bis zu einer Abreise C aesars zu warten; sie habe so oder so als "Affront" wirken müssen.111 Anders urteilt T schiedel in seiner Untersuchung zu C aesars Anticato.112 Zunächst stellt er fest, daß C icero mit der Niederschrift seiner Lobrede auf C ato "unter dem frischen Eindruck der aus Africa eingetroffenen Kunde vom Tode C atos begonnen" habe.113 Das muß indessen keine chronologische Bestimmung

sein; vielmehr ist dann eine Aussage über den Beweggrund

ClCEROS

zu vermuten.

T schiedel nimmt freilich an, daß der Verfasser - "der politischen Brisanz...voll

bewußt" - in der Hoffnung auf eine Restaurationspolitik durch C aesar die Heraus­ gabe verzögert habe, bis deudich geworden sei, wie aussichtslos eine derartige Erwartung war. Erst dann sei C icero "planvoll und bedachtsam" darangegangen, "den 'Cato' aus der Schublade zu holen".114 Den Zeitpunkt der Herausgabe kurz nach der Abreise C aesars habe er gewählt, nicht weil er Strafmaßnahmen fürchte­ te, sondern wegen des Anscheins der Peinlichkeit und Undankbarkeit, den ein derartiger Schritt hervorrufen mußte.115 Aus diesen Feststellungen ergibt sich, daß T schiedel einen größeren zeidichen Abstand voraussetzt zwischen der Nieder-

schnft der Lobrede auf C ato und ihrer Veröffendichung im November 46. Bei G elzer sind keine präzisen Zeitangaben zur CATO-Denkschrift zu finden. Im Zusammenhang mit der Abwesenheit C aesars während des Feldzuges in Afnca erwähnt er lediglich, daß C icero die dadurch bedingte Ruhe in der Politik dazu benutzt habe, sich seit Anfang )um auf dem Tusculanum, aufzuhalten und den Gedankenaustausch mit V arro

zu

püegen.116 Im unmittelbar darauffolgenden

Abschnitt schildert G elzer dann das schwierige Problem, das C icero mit B rutus' Bitte gehabt habe, "dem M. C ato em literarisches Denkmal zu errichten".117

111 Ebd 112 Tschiedel Caesars Anticato, S 15ff 113 Ebd , S 15 114 Ebd ,S 16 115 Ebd 116 Gelzer Cicero, S 276 117Ebd

-

40

-

Daraus entsteht der Eindruck, als habe der Konsular die Denkschrift eben in dieser Zeit verfaßt. Wie immer auch die Entstehungszeit der Lobrede au f den toten C ato in der Forschung bestimmt: wird, über das Datum der Herausgabe Anfang November 46, nach der Abreise Caesars aus Rom, besteht Übereinstimmung. Erst nach diesem Zeitpunkt konnte sie in der Öffentlichkeit eine politische Wirkung erzielen.

Die Datierung der Consolatio, einer Trostschrift, die C icero verfaßte, um den Schmerz über den Tod seiner Tochter T ullia im Februar 45 (nach S chmidt etwa am 15. Februar) zu lindem, ergibt sich aus einem Brief an Atticus.118 Allerdings weichen in der Forschung die Angaben über die Abfassungszeit dieses Schreibens voneinander ab, wenn auch nur geringfügig. C icero reiste nach einem Aufenthalt bei seinem Freunde in Rom Anfang März auf sein Landgut bei Astura. Den ersten Brief von dort, der die Mitteilung enthält, daß er das Buc h - die Consolatio - sofort nach der Abschrift an A tticus senden werde, setzt P hilippson auf den 6. März.119 Zudem hält er es für "wahrscheinlich", daß die Schrift schon früher, also während des Aufenthaltes in Rom, abgefaßt worden sei.120 S chmidt hingegen nimmt die Abreise aus Rom erst für den 6. März an - nach

einem Aufenthalt im römischen Stadthaus des A tticus; C icero sei dann, mit kurzer Unterbrechung in Lanuvium, nach Astura weitergereist und dort am 7. März eingetroffen.121 Am selben Tage habe er den fraglichen Brief mit der Nachricht über die Consolatio geschrieben. Nach G elzer ist der 7. März der Reisetag.122 Den B'tief mit dem Hinweis auf die Trostschnft setzt er auf den 8. März; die entsprechende Textstelle versteht er so,

118Att XII 13,3, Schmidt: Briefwechsel, S 276, zum Inhalt vgl Tuse I 65f, 76, 83, HI 71, 76, IV 63 119Philippson, a d , Sp 1123 120 Ebd , Sp 1123,1126 121 Schmidt Briefwechsel, S 276f, die Begründung ergibt sich aus der Abfassungszeit der Briefe im März 45 122 Geizer Cicero, S 290

-41 ■■

als habe C icero seinem Freunde an diesem. Tage die "Vollendung der 'Consolatio' melden" wollen.123 Der Herausgeber der Amcus-Briefe, K asten, vermerkt als Abfassungsdatum des Briefes den 8. März.124 Nach diesen Angaben hat C icero die Consolatio also in den drei Wochen nach dem Tode T ullias von Mitte Februar bis etwa zum Ende der ersten Märzwoche des Jahres 45 geschrieben - wobei die geringen Differenzen in den Tagesangaben vernachlässigt werden können. Allerdings weist P hilippson auch darauf hin, daß in Bnefen an A tticus noch am 15., 18. und 20. März Anfragen C iceros

zu

der Trost­

schrift an den Freund gerichtet wurden, was bedeutet, daß das Problem der Trauer um T ullia durch die Consolatio allein noch nicht überwunden war.125 Anders datiert Karl B üchner, indem er den Bnef an A tticus vom 8. März so interpretiert, daß "C icero mit der Formulierung und dem Plan" bei seinem Aufent­ halt in Rom "noch nicht begonnen hat".126 Eit schließt daraus auf eine Entste­ hungszeit der Trostschrift im Marz und April.

Daneben hat der Konsular noch andere Arbeiten geplant oder verfaßt. P hilipp­ son

verzeichnet ein "volumen prohoemiorum", eine Sammlung von Vorreden, aus

der C icero jeweils ein Stück herauszunehmen und einer Schnft voranzustellen pflegte.127 Dieses volumen prohoemiorum sei "wahrscheinlich" Ende des Jahres 46 oder zu Anfang 45, vor T ullias Tod geschrieben worden.128 Weiterhin sind bei P hilippson noch erwähnt:: das ouiißouXeuxiKov als ein politischer Rat an C aesar,

fertiggestellt am 13. Mai 45, aber nicht herausgegeben, und ein geplanter otiXAoyo,mKog (ein politisches Gespräch) im Anschluß daran.129 Die Zeitangabe zu der politischen Denkschrift für C aesar wird von G elzer bestätigt.130

Von Beginn des Jahres 45 an verfaßte C icero dann in dichter Aufeinanderfolge die Schriften, die bestimmt sind durch seine Absicht, die "von S okrates begrün­ dete Philosophie in lateinischer Sprache darzustellen".131 Am Beginn steht der Hortensius, ein Protreptikos nach Art des A ristoteles, dessen Zweck es ist, allge­ mein in die Philosophie einzuführen. P hilippson nimmt an, daß C icero die Schrift in Rom vor T ullias Tod "ziemlich vollendet" gehabt habe.132 Den Beginn der Arbeit am Hortensius setzt er schon in die Schaltmonate vor dem Dezember 46 nach Abschluß des Orators im September, unter Bezug auf ein Schreiben C iceros an P aetus mit der Bemerkung: cotidie aliq|uid legitur aut scribitur.133 Bnefe an Atticus aus der Zeit zwischen der Ankunft in Astura Anfang März und dem 19.

März 45 lassen erkennen, daß die Bearbeitung des Hortensius fortgesetzt wurde.134 Auch nach Meinung G elzers belegen diese Briefstellen eine Beschäftigung mit dem Werk.135 B üchner akzeptiert die angeführten Briefe C iceros allerdings nicht als Beweis

für eine so frühzeitige Abfassung des Hortensius und meint, daß der Dialog "im Anschluß an die Consolatio" geschrieben wurde; als Begründung führt er die "innere Wahrscheinlichkeit" an, durch die der Hortensius näher an die Trostschrift zu stellen sei als an die nachfolgenden philosophischen Schriften.136 Die Academici libri betrachtet B üchner als "eine konsequente Fortsetzung des Hortensius". Am

129Ebd , Sp 1134f. 130 Geizer Cicero, S 315f 131 ac 2,3, sum ingressus .philosophiamque veterem illam a Socrate ortam Latinis litteris illustrare 132Philippson, a O , Sp 1126 133 Ebd., mit der Quellenangabe fam IX 26,4, der Herausgeber der Briefe ad familiares, Helmut Kasten, gibt allerdings als Datum dieses Briefes - mit Fragezeichen September/Oktober 44 an, S 541 134 Philippson, a.O , Sp 1126, Att XH 13,3, 20,1, 22,2, 25,2 135 Geizer Cicero, S 293 136Büchner: Cicero, S 377

-43

-

13. Mai seien die beiden ersten Bücher vollendet gewesen; unter der Annahme, daß die Trostschrift im März abgefaßi: wurde, hat seiner Ansicht nach die Niederschrift des Hortensius und der Academici libri den April und einen großen Teil des Mai in Anspruch genommen. Die letzte Fassung fällt, wie er meint, in die Zeit vom 23. bis zum 28. Juni 45.137

Ausführlich befaßt sich B ringmann mit der relativen und absoluten Chronologie der Spätschriften C iceros zur Philosophie im Kapitel über Motive und Absichten des Werkes.138 Br versteht den Hinweis des Verfassers im Orator, sich mit gewich­ tigen und bedeutenden Gegenständen befassen zu wollen (148), als ein "äußeres Indiz" für den Plan zu einer Reihe aufeinander bezogener philosophischer Schrif­ ten, der "bis in den Sommer des Jahres 46" zurückgehe.139 Damit fallt der Beginn des Hortensius in eine Zeit weit vor der Abfassung der Consolatio; die Trostschrift hat demnach als Reaktion auf den unerwarteten und C icero tief bewegenden Tod T ullias die Arbeit am philosophischen Werk unterbrochen.140 Nach B ringmann

ist also der Hortensius zwischen Oktober 46 und Februar 45 entstanden.141 Die weitere Chronologie sieht danach so aus: Abschluß der Academica priora am 13. Mai, der beiden ersten Bücher von de finibus bonorum et malorum Ende Mai und aller fünf Bücher vor dem 25. Juni 45.142 Parallel dazu sei die Umarbeitung der Academica pnora erfolgt mit dem Abschluß "in der letzten Juniwoche".143 Die Academica priora bestehen aus den beiden Dialogen Catulus und Lucullus, die mit dem Hortensius eine Trilogie bildeten; sie wurde in die vier Bücher der Academica posteriora so umgearbeitet, daß aus dem Catulus die beiden ersten Bücher, aus dem Lucullus das dntte und vierte Buch der quattuor Academici libn entstanden.14417

117 Ebd , S 380f 138 Bringmann, a O , S 90ff 139Ebd, S 91 140 Ebd , S 92 141 Ebd , S 93 142 Ebd 143 Ebd 144 vgl Tuse II 4

-44-

Über die Gründe für die Umarbeitung - Bedenken hinsichtlich der philosophischen Kompetenz bei den früher eingesetzten Hauptpersonen, Notwendigkeit einer Widmung an V arro - äußerte sich C icero mehrfach in Briefen an A tticus.145 Die Herausgeber einer Textausgabe von Hortensius, Lucullus und Academici libri geben als Entstehungszeit der Trilogie den Frühsommer und der vier Bücher Academici libri den Juni 45 an.146 G elzer ordnet die Ergebnisse der philosophischen Schriftstellerei C iceros mit

Bezug auf den Tod T ullias im Februar 45.147 Danach unterbrach die Consolatio die bereits im Jahre 46 begonnene Beschäftigung mit der Philosophie, so daß erst im Frühjahr 45 das einführende Werk, der Hortensius, entstand. Er macht demnach folgende Zeitangaben: im März 45 Beschäftigung mit dem Hortensius; Vollendung von Catulus und Lucullus am 13. Mai, der fünf Bücher von de finibus bonorum et malorum und der Neubearbeitung der Academici libri am 30. Juni.148 Im Anschluß daran habe die Arbeit an den Tusculanae disputationes begonnen, die freilich erst im Jahre 44 vollendet und veröffentlicht worden sein könnten. Im August 45 habe es zudem Hinweise auf die Abfassung von de natura deorum gegeben.149

In diese Zeit, als C icero mit höchster Arbeitsintensität die Lehren der griechi­ schen Philosophie in lateinischer Sprache darstellte, fiel em politisches Ereignis von großer Tragweite: der Sieg C aesars bei Munda in Spanien am 17. Mai 45 über die Söhne des P ompeius; die Nachricht darüber wurde am 20. April in Rom bekannt.150 Damit stand C aesar endgültig als Sieger im römischen Bürgerkrieg fest.

145 Vgl Att XIII 24,3, 25,1, 26,1,27,1, zur Entstehungsgeschichte der Academici libri vgl Philippson, a O , Sp 1128ff 146 Straume-Zimmermann, Broemser, Gigon Textausgabe von Hortensius, Lucullus, Academici libri, S 317, 324 147 Geizer Cicero, S 290ff 144 Ebd , S 293 149Ebd , S 293, 296fF 150Ebd, S 315, Geizer Caesar, S 274f

-45 -

Die Entstehungsgeschichte der fünf Bücher von de finibus bonorum et malorum zeigt C iceros Arbeitsweise bei der Niederschrift seines philosophischen Werkes auf: Während er noch mit den Academici libri beschäftigt war, faßte er bereits den Plan für die Gestaltung der nachfolgenden Schrift.151 Der Grund liegt darin, daß die Academici libri, de finibus und die Tusculanen sachlich eng miteinander verbunden sind.152 Für die schriftliche Ausarbeitung des umfangreichen Werkes de finibus setzt P hilippson nur eineinhalb Monate an, etwa vom 15. Mai bis zum 30. Juni.153 B ringmann stimmt in den wesentlichen Punkten mit den Angaben P hilippsons

und G elzers überein: Beschäftigung mit de finibus seit März, Abschluß der Niederschrift Ende Juni, Überschneidung der Entstehungszeit mit den Academia libri.154 Die Herausgabe der Schrift de finibus legt er nach brieflichen Mitteilungen C iceros in den Juli 45.155

Auch B üchner nimmt als Entstehungszeit von de finibus die Wochen von Mitte Mai bis Ende Juni an.156 Die Herausgeber der Textausgabe von de finibus machen die gleiche Zeitangabe, ebenfalls unter Berufung auf die Briefe an A tticus.157 Schwieriger sind die Zeitbestimmungen im Falle der Tusculanae disputationes. P hilippson hält Vorarbeiten zu dem Werk im Mai 45 für möglich; eine Nieder­

schrift bereits im Juni erscheint ihm hingegen wegen der Beschäftigung mit de finibus als unwahrscheinlich. Da C icero und A tticus gemeinsam in Rom weilten, fehlen Briefe zwischen ihnen aus der Zeit von September 45 bis März 44, damit auch Nachnchten über den Fortgang der Arbeiten an den Tusculanen.158 Unter Hinweis auf C iceros Angaben in de divinatione vermutet P hilippson, daß die

151 Vgl Philippson, a O , Sp 1135

152Vgl div II2

153 Philippson, aO , Sp 1135 154Bringmann, a.O , S. 138 155 Ebd 156 Büchner' Cicero, S 384 157 Gigon/Straume-Zimmermann Textausgabe von de finibus bonorum et malorum, S. 574 158 Philippson, a.O , Sp 1141f

-

46

-

Tusculanae disputationes unmittelbar nach de finibus geschrieben und vor de natura deorum im Herbst 45 herausgegeben wurden.159 Der Widerspruch, der in bezug auf den Zeitpunkt der Herausgabe zwischen G elzer (wahrscheinlich erst im Jahre 44) und P hilippson (Herbst 45) besteht,

kann nicht aufgelost werden, da es kein Quellenmaterial gibt, das eine eindeutige Entscheidung zuläßt.160 Da jedoch B ringmann eine Beschäftigung C iceros mit den Tusculanen bereits im Mai des Jahres 45 nachweist, zudem G igon als Herausgeber der Textausgabe die Entstehung des Werkes in den Herbst 45 legt, erscheint dieser Zeitabschnitt für die Vollendung und Herausgabe als wahrscheinlicher gegenüber dem Jahre 44, zumal C icero nach dem Tode C aesars sehr intensiv mit anderen Aufgaben befaßt war.161 Eine Bestätigung findet sich außerdem bei B üchner, der folgenden Zeitverlauf annimmt:: Planung der Tusculanen während der Niederschnft von de finibus, Beginn der Abfassung nach deren Abschluß Ende Juni, Vollendung im Herbst des Jahres 45.162

Nachdem die Arbeit an de finibus abgeschlossen war, hat C icero, vermutet P hilippson, zwei platonische Dialoge übersetzt oder herausgegeben: Protagoras

und Timaios.165

Das gleiche Problem wie bei den Tusculanae disputationes stellt sich auch tm Hinblick auf de natura deorum: Weil keine bneflichen Mitteilungen C iceros darüber vorliegen, lassen sich zur Entstehungsgeschichte nur Vermutungen anstel­ len. P hilippson nimmt an, daß de natura deorum "nach der Herausgabe der Tusc." und "vor Abschluß der div." vollendet worden sei.164 An zwei Stellen weist er auf

1,9 Ebd , Sp 1142 160 Geizer Cicero, S 293 161 Philippson, a O , S p 1151 unter Punkt 19, Bringmann, a O , S 138, 15 7fif, Gigon in der Textausgabe, S 412, Geizer Cicero, S 325fF 162 Büchner Cicero, S 387 163 Philippson, a 0 , S p 1149f 164Ebd, Sp 1151

-47-

den Umstand hin, daß der Abschluß zeitlich vor der Ermordung C aesars liegt.165 Ziemlich unbestimmt ist die Angabe zur Abfassungszeit bei B üchner: Vollen­ dung von de natura deorum vielleicht "gegen Ende 45".166 B ringmann setzt die Entstehung der drei theologischen Werke C iceros - de

natura deorum, de divinatione, de fato - in die Zeit vom "Herbst 45 bis Mai 44".167 Dabei nimmt er als sicher an, daß de natura deorum vor dem 15. März 44 vollen­ det war; da in de divinatione sowohl Stellen enthalten sind, die nur aus der Zeit vor C aesars Tod stammen können, als auch andere, die auf diesem Ereignis basieren,

erscheint es B ringmann am wahrscheinlichsten, "daß das Werk unmittelbar vor dem Abschluß stand, als C aesar

ermordet wurde, und C icero noch einiges

einfiigte, besonders das Proömium zum zweiten Buche, was der neuen Situation Rechnung trägt".168169Die Vollendung der Schrift de fato verlegt er in die zweite Hälfte des Jahres 44.165 Bei G elzer findet sich auch in dem Abschnitt seiner ClCERO-Biographie, in dem er sich mit de natura deorum eingehender befaßt, wieder nur die weitgespannte Angabe zur Bearbeitungszeit im Sommer 45.170 Interessant ist jedoch, daß in der Biographie unmittelbar darauf eine umfangreiche Analyse des Verhältnisses zwischen C icero und C aesar folgt, die sich unter die allgemeine Überschrift "C iceros politische Enttäuschung" stellen läßt.171 G elzer fugt damit das philoso­

phische Werk in den politischen Zusammenhang des Jahres 45 ein mit dem Sieg C aesars in Spanien, dem Ausbau der dictatoiischen Machtstellung des Siegers, den

ausschweifenden Ehrenbeschlüssen des Senats und C iceros zerstörten Hoffnun­ gen auf eine Wiederherstellung der res publica. Auch die Herausgeber der Textausgabe von de natura deorum geben den Hinweis auf die Fertigstellung der Schuft vor C aesars Tod, machen darüber hinaus

165 Ebd 166 Büchner Cicero, S 392 167 Bringmann, a O , S 171 168 Ebd, S 171, Anm 1 169Ebd 170 Gelzer Cicero, S 309 171 Ebd, S 313ff

-48-

aber nur wenige Angaben, so in bezug auf die Arbeit am ersten Buch im August des Jahres 45.172 Übereinstimmung läßt sich bei den verschiedenen Autoren feststellen in bezug auf die Entstehungsgeschichte von de divinatione. Die Auffassung B ringmanns ist bereits vorgezeichnet bei P hilippson. A us verschiedenen Textstellen schließt er, daß "das Werk vor C aesars Tode wohl im wesentlichen fertig gewesen" sei und kurz danach mit Zusätzen und dem Prooemium zum zweiten Buch herausgegeben wurde; die Veröffentlichung belegt er mit einem Hinweis in de fato.173 Als maßgeb­ lich für die Frage nach der Vollendung von de divinatione sieht B üchner die Textstelle im zweiten Buch an, in der C icero anmerkt, daß sein politischer Rat wieder gefragt sei (II 7). Diese Aussage stammt nach B üchners Ansicht aus der Zeit nach Caesars Tod, wie einige andere Sätze auch.174 Insgesamt aber hält er die Schrift wegen der langen Vorbereitungszeit und ClCEROS Abreise aus Rom vor dem 7. April für soweit vollendet, daß sie zur Veröffentlichung an A tticus gegeben werden konnte.175 Eingehend befaßt sich auch G elzer mit dem Problem der Niederschrift und Herausgabe von de divinatione.176 Die Hinweise im Text auf C aesars Untergang betrachtet er als nachträglich erfolgte Einarbeitungen; zu C iceros Einstellung merkt er an: "Das Prooemium des zweiten Buches ist erfüllt vom Bewußtsein der zurückgewonnenen senatonschen Würde. Darum klingt auch der Bericht über seine Haltung unter C aesars Alleinherrschaft stolzer, als sie in Wahrheit gewesen war".177 Während ihm das zweite Buch als sorgfältig ausgearbeitet erscheint, sieht G elzer das erste eher als Materialsammlung an, dem noch die Ordnung fehlt.178

172 Gerlach/Bayer Textausgabe von de natura deorum, S 556 173 Philippson, a O , Sp 1156f 174Büchner' Cicero, S 409f., gemeint sind div 127, 119, II 13, 31, 99, 110 175 Büchner Cicero, S 410 176 Gelzer Cicero, S 335f 177 Ebd , S 335 178 Ebd., S 336

-49-

Eher allgemein bleibt der Hinweis auf die Entstehungszeit beim Herausgeber der Textausgabe, S chäublin: "vermutlich in den ersten Monaten des Jahres 44".179 Die Auswirkung der Ermordung C aesars wird ebenfalls erwähnt. Mit großer Vorsicht äußert sich indessen P hilippson über die Entstehungszeit von de fato.180 Unter Berufung auf die Vorrede (post interitum C aesaris) und das bereits mehrfach angeführte Prooemium aus de divinatione setzt er die Vollendung der Schrift nach dem 15. März 44 an (zwischen Mai und Juni), gesteht aber zu, daß der Entwurf in den Grundzügen bereits in der Zeit davor fertiggestellt gewesen sein kann. B üchner weist auf den Aufenthalt C iceros vom 17. April bis zum 14. Mai auf

semen Gütern um das Puteolanum und ein Gespräch mit H irtius hin; somit ergebe sich die Entstehungszeit von de fato "aus der Situation".181 Da in der Schrift auf schwierige politische Fragen angespielt wird - B üchner vermutet Umtriebe des A ntonius -, werden Abschluß und Herausgabe des Werkes auf die Zeit kurz nach

dem 17. Mai 44 datiert.182 Auch G elzer meint, daß de fato einer tatsächlich geführten Unterredung zwischen C icero und H irtius entspricht, che für die Zeit etwa Mitte Mai anzuset­ zen ist; daher sei die Schrift etwas später verfaßt worden.183 K arl B ayer als Herausgeber der Textausgabe bestimmt als Entstehungszeit von

de fato die Monate März bis Juni 44.184 Übereinstimmung herrscht in der Forschung auch darüber, wann C icero seine Schrift Cato maior de senectute verfaßt und herausgegeben hat. P hilippson meint unter Berufung auf die Vorrede zum zweiten Buch von de divinatione und einen Bnef an A tticus, daß dieses Werk noch unter der Alleinherrschaft Caesars175

175 Schäublin Textausgabe von de divinatione, S 399 180 Philippson, a O , Sp 1161 181 Büchner Cicero, S 415 182Ebd 183 Geizer Cicero, S 338 184 Bayer Textausgabe von de fato, S 112

- 50 -

geschrieben und vor dem 11. Mai 44 veröffentlicht wurde.185186Dieser Auffassung ist auch B üchner.180 G elzer erwähnt, daß C icero in der "Zeit der tiefsten Erniedri­ gung" nach dem 1. Januar 44, als er an den Senatssitzungen teilnehmen und die Ehrungen für den siegreichen Dictator mitansehen mußte, die "Last des politischen Drucks nur aushalten (konnte) mit seiner Philosophie".187 Nachdem er die Tusculanen abgeschlossen habe, sei er an die Niederschrift von de natura deomm und Cato maior de senectute gegangen - "m diesen Monaten".188 Das weist eindeutig auf die Entstehungszeit vor dem 15. März 44 hin. Die Bemerkung C iceros in einem Brief an A tticus vom 11. Mai, er lese die Schrift zur Ablenkung, gilt G elzer als Beleg dafür, daß der Cato abgeschlossen war.189 F altner als Herausgeber der Textausgabe setzt die Vollendung des Werkes in

das Frühjahr 44, ohne nähere Angabe zur Entstehungszeit190 Alle anderen philosophischen Schriften C iceros sind eindeutig nach dem Tode C aesars geschrieben worden: Laelius, de amicitia vom 15. März bis zum 7. Mar 44;

de glona mit einer ersten Erwähnung in einem Brief an Atticus vom 3. Juli; die Topica während einer Seereise nach Rhegium mit der Ankunft am 28. Juli; de officns, nach dem Laelius und de glona begonnen, vor dem 9. Dezember abgeschlossen; de virtutibus nach de officiis.191 Damit liegen diese Arbeiten außerhalb des gewählten Untersuchungszeitraums, der die Dauer der Alleinherrschaft C aesars umfaßt. Das schließt freilich nicht aus, daß auch sie herangezogen werden können, wenn geprüft werden soll, wie sich effle bestimmte, während der Dictaüir entstandene gedankliche Vorstellung C iceros nach dessen Tode weiterentwickelt hat.

185 Philippson, a O , Sp 1162 186 Büchner Cicero, S 400 187 Gelzer Cicero, S 32 If 188E bd, S 322 189 Ebd , S 323 190 Faltner Textausgabe von Cato maior de senectute, S 227 191 Philippson, a.O , Sp 1164-1173, vgl Büchner Cicero, S 422ff mit im wesentlichen übereinstimmender Datienmg.

-51 -

Insgesamt gesehen ergibt der Befund ein recht klares Bild zur Datierung des philosophischen Spatwerks, das C icero während der zweieinhalb Jahre von seiner Begnadigung durch C aesar am 25. September 47 bis zum 15. März 44 geschrieben hat. Die Philosophica dieser Zeit lassen sich eindeutig abgrenzen gegenüber den Schriften aus den Jahren davor und danach; somit entsteht ein fest umrissenes Untersuchungsfeld zu der Frage nach der politischen Bedeutung der Spätschriften zur Philosophie unter der Alleinherrschaft C aesars.

Innerhalb der Schriftengruppe aus den Jahren 47 bis 44- sind zeitliche Zuordnun­ gen zu wichtigen politischen Ereignissen und Entwicklungen möglich, die sich allgemein nach Wochen, zuweilen nach Tagen bestimmen lassen. Daher ist zu erwarten, daß Aussagen mit politischer Bedeutung in den philosophischen Schrif­ ten nicht nur als allgemein gültige, auf langfristige Prozesse bezogene Reaktion C iceros betrachtet werden können, sondern auch als eine Stellungnahme zu

aktuellen zeitgeschichtlichen Ereignissen. Durch diese gedankliche Verbindung Philosophie und politisches Geschehen - bilden die philosophischen Schriften eine wertvolle Quelle für historische Erkenntnisse, als Ergänzung zu den anderen Äußerungen C iceros aus der Zeit des Bürgerkrieges in Briefen und Reden. Indes­ sen sind sie ungleich höher emzuschätzen, da die Schriften zur Philosophie in stärkerem Maße den Anschein der Wahrheit für sich haben, als die für die Öffent­ lichkeit gedachten oder zu einem bestimmten Zweck verfaßten Briefe und Reden. Das schließt freilich nicht aus, daß C icero auch in seinem philosophischen Werk im Rückblick zuweilen eine Darstellung wählt, die ihn in günstigerem Licht erschei­ nen läßt - wofür das Prooemium zum zweiten Buch von de divinatione ein schla­ gendes Beispiel bildet. Gleichwohl ist seinen Worten und seinem Urteil über die politischen Verhältnisse während der Zeit des römischen Bürgerkrieges in den Philosophica in höherem Maße zu trauen als in den Briefen und Reden.

2. Kritische Betrachtung der Beweggründe Ciceros für die Beschäftigung mit der Philosophie während der AUeinhenrschaft Caesars Das Vorhaben, erneut die Gründe zu untersuchen, die C icero nach seiner Begnadigung im Herbst 47 bewogen haben, sich mit der griechischen Philosophie zu beschäftigen, bedarf deswegen der Rechtfertigung, weil es bereits mehrere Arbeiten gibt, die sich mit dem Problem befassen.192 Vor allem zwei Punkte müssen noch eingehender erörtert werden: zum einen die politischen Motive, zum andern die auf den ersten Blick merkwürdig erscheinende Tatsache, daß C icero als skeptischer Akademiker der stoischen Philosophie überaus breiten Raum gewährt in semen philosophischen Schriften, obwohl er andererseits das Gedankensystem E pikurs so entschieden ablehnt.

Der erste Punkt ergibt sich aus dem Zusammenhang der vorliegenden Untersu­ chung. Wenn C iceros Philosophica aus den Jahren 46 bis 44 auch eine politische Bedeutung haben, dann kann vermutet werden, daß bereits in dem Bündel von Motiven, das er selbst als Antnebe für die Beschäftigung mit der Philosophie während des römischen Bürgerkrieges nennt, politische Faktoren enthalten sind. Es ist zu erwarten, daß bei einem Autor, der seine Briefe, Reden und Schriften so bewußt gestaltet, ein derart bedeutender Faktor wie der Bezug zur Zeitgeschichte nicht von zufälligen Gegebenheiten abhängt., sondern auf einem starken Motiv des Verfassers beruht. Es kommt also bei der Untersuchung seiner Schriften aus den Jahren unter der Alleinherrschaft C aesars zunächst darauf an, den politischen Anteil an den Beweggründen zu trennen von den persönlichen; dabei müssen auch die Bnefe und Reden dieser Zeit mit herangezogen werden.

192Geizer Cicero, S 264, 291ff, Philippson, RE, VII A 1, Sp 1183ff, Bringmann, a.O , S 9ff, 251ff, vgl Süss Cicero, S 213-228

-53

-

Auch der zweite Punkt - C iceros intensive Beschäftigung mit der stoischen Philosophie - kann politische Implikationen haben, die aber schwieriger zu fassen sind. Es geht dabei zunächst um Vermutungen, dahingehend etwa, daß er die Stoa deswegen so herausstellte - beispielsweise in den Paradoxa Stoicorum und in de finibus bonorum et malorum -, weil sie sich in der Zeitgeschichte mit dem Namen C atos auf eine politisch wirkungsvolle Weise verbinden ließ. Denn C icero war

kein überzeugter Anhänger der stoischen Philosophie mit ihrer strengen Dogmatik, sondern ein skeptischer Akademiker mit der Grundauffassung, daß es keine unbezweifelbaren Wahrheiten gibt, vielmehr nur die Suche nach der Wahrheit.

2.1. Selbstzeugnisse in Briefen und Schriften

In einem Brief vom 26. November 46 an S er. S ulpicius R ufus, den Konsul des Jahres 51, gibt C icero Aufschluß über seine Beweggründe, sich mit der Philo­ sophie zu befassen.193 Auf Klagen über den elenden Zustand des Staates folgt in dem Schreiben eine kleine Trostrede, die dem Empfänger Mut machen soll, indem sie auf dessen Makellosigkeit, Klugheit und Würde hinweist - und auf das Wohlwollen C aesars, das er genießt. Gleichsam nebenbei fügt der Briefschreiber noch an: tantum dicam...me, postea quam illi arti, cui studueram, nih.il esse loci neque in curia neque in foro viderem, omnem meam curam atque operam ad philosophiam, contulisse.194 Die gleiche Gedankenverbindung - Zerrüttung des Staates, Zwang zu eigener Untätigkeit, Hinwendung zur Philosophie - ist bereits in einem Brief an P. N igidius F igulus vom August 46 vorgezeichnet;

sie wird

mehrfach wiederholt und erweist sich als überaus folgenreich im Dasein und für die politische Stellung des Konsulars.195 Aus C iceros Briefen entsteht so der Eindruck, daß zunächst nicht wissenschaftliches Interesse, sondern vor allem die

193 fam IV 4 194 fam. IV 4,4 195 fam IV 13

- 54 -

Situation des Gemeinwesens und seine veränderte Position darin für ihn den Beweggrund abgeben dafür, sich in dieser Zeit der Philosophie zuzuwenden. Im Prooemium seiner Schrift de natura deorum, im Herbst des Jahres 45 also, befaßt sich C icero auch mit den Reaktionen, die sein philosophisches Werk bis zu diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit ausgelöst hat.196 Dazu erklärt er: nos autem nec subito coepimus philosophari nec mediocrem a primo tempore aetatis tn eo studio operam curamque consumpsimus, et cum minime videbamur, tum maxime philosophabamur; quod et orationes declarant refertae philosophorum sententiis et doctissimorum hominum familiaritates, quibus semper domus nostra floruit, et principes illi D iodotus, P hilo, Antiochus, P osidonius, a quibus instituti sumus.197

Die philosophischen Lehren halbe er auch - so heißt es unmittelbar darauf in der Textstelle - öffentlich und pnvat durch die Tat befolgt.198 Dann äußert sich C icero über den Anlaß zur schriftlichen Niederlegung seiner philosophischen Arbeitsergebnisse: nam cum otio langueremus et is esset rei publicae status, ut eam unius consilio atque cura gubeman necesse esset, pnmum ipsius rei publicae causa philosophiam nostris hominibus explicandum putavi, magni existi­ mans Interesse ad decus et ad laudem civitatis res tam gravis tamque praeclaras Latinis etiam litteris contineri.199 Die bereits in den Briefen des Jahres 46 angesprochene Tatsache der politischen Zerrüttung wird hier ergänzt durch die Absicht, in die Zukunft hineinzuwirken, - pnmum ipsius rei publicae causa - den Mitbürgern eine philosophisch begründete Hilfe an die Hand zu geben. Schließlich führt C icero neben den politischen Gründen auch die Linderung an, die Philosophie bei seelischem I^eid zu spenden

1,6 nat ,97 nat 198 nat 199 nat

16 I6 I7 17

-

55

-

vermag, das durch einen großen, schwerwiegenden Schicksalsschlag verursacht wurde.200

Ein weiteres Mal - in de divinatione - erläutert er ausführlich Anlaß und Umstän­ de, die ihn bewogen haben, sich mit der Philosophie zu befassen.201 Wieder wird das Unglück des Gemeinwesens erwähnt und der Beweggrund, etwas Nützliches leisten zu wollen, hier aber doch mit einer bemerkenswerten Abweichung gegen­ über de natura deorum. Viel deutlicher tntt nunmehr ClCEROS eigenes Handeln hervor - oder vielmehr die Art, wie er sein eigenes Handeln verstanden zu wissen wünscht: ac mihi quidem explicandae philosophiae causam attulit casus gravis civita­ tis, cum in armis civilibus nec tueri meo more rem publicam nec nihil agere poteram nec, quid potius, quod quidem me dignum esset, agerem, reperiebam. dabunt igitur mihi veniam mei cives vel gratiam potius habebunt, quod, cum esset in unius potestate res publica, neque ego me abdidi neque deserui neque adflixi neque ita gessi, quasi homini aut temporibus iratus, neque porro ita aut adlatus aut admiratus fortunam sum altenus, ut me meae paenitaeret.202 Elemente der Rechtfertigung des eigenen Standpunktes treten deudich hervor. C icero war zwar - so stellt er es im nachhinein dar - wohl auch Opfer des Bürger-

kneges, hat aber doch zum Schutz der res publica getan, was in seinen Kräften stand; er sieht sich ehrenhaft unterlegen. In seiner Haltung ungebeugt will er nicht auf die Seite des Siegers überlaufen, sondern sich weiterhin - nur auf andere Weise - dem Dienst an semen Mitbürgern widmen. Es folgt als Begründung der Hinweis auf P laton und die Philosophie, woraus er die Erkenntnis über den Wandel der Staatsformen gewonnen habe, wobei einmal eine kleine Gruppe, dann das ganze Volk, zuweilen auch einzelne Machthaber herrschten. Als eben dies irn römischen

200 nat 19 201 div II 6f 202 div II 6

-56-

Staat eingetreten sei, habe er sich wiederum mit der Philosophie beschäftigt, sich selbst zum Trost und seinen Mitbürgern zum Nutzen. Weiter heißt es: in libris enim sententiam dicebamus, contionabamur: philosophiam nobis pro rei publicae procuratione substitutam putabamus.203 Damit bekräftigt C icero seine im ersten Satz des zweiten Buches dargelegte Auffassung , seinen Dienst am Staat niemals unterbrochen, sondern nur unter dem übermächtigen Druck der Ereignisse in der Form verändert zu haben. Das bedeutet: Sein Widerstand gegen den Störer der politischen Ordnung im Bürgerkrieg wird fortgesetzt. Neben die Motive, die er bisher schon für seine Beschäftigung mit der Philosophie genannt hat, tritt also noch ein anderer Beweggrund: Die philosophischen Schriften sollen Zeugnis ablegen von seiner Tätigkeit für das Gemeinwesen. Wegen ihrer Vielfalt scheint es zweckmäßig , die verschiedenen Motive C iceros anhand der philosophischen Schriften und seiner Briefe in den folgenden Abschnitten systematisch zu ordnen.204

2.2. R echtfertig ungsgründe Die Paradoxa Stoicorum aus dem Frühjahr 46 sind ein Beispiel dafür, daß C icero schon bald nach seiner Begnadigung durch C aesar im Herbst 47 versuch­

te, seine politische Haltung im Bürgerkrieg gegenüber kritischen Stimmen zu rechtfertigen. Im ersten und zweiten Paradoxon legt er dar, daß der stoische Grundsatz von der Autarkie der Tugend zu der Einsicht führe, nur moralische Schuld sei ein Übel; daher sei in politischen Dingen einzig der zur Htindlung führende Wille zu beurteilen, nicht jedoch Erfolg oder Mißerfolg des Handelns.205 Die gleiche Auffas­ sung wird erkennbar in Briefen aus dieser Zeit an L. M escinius, A. C aecina, M.

203 div. II 7 204 Vgl Philippson, a O , Sp 1183ff 205 parad. 6-19; vgl Bringmann, a.O , S 17, 64ff, 71, Anm. 40, 73, Kumaniecki Ciceros Paradoxa, S 125

-

57

-

M arius, L. P apirius P aetus und - Ende 46/Anfang 45 - an

A. M anlius

T orquatus.206

Besonders eindrucksvoll ist das Bekenntnis zur Philosophie, das C icero im fünften Buch der Tusculanae disputationes ablegt.207 Seit frühester Jugend habe er ihr Willen und Interesse zugewandt; his gravissimus casibus...magna iactati tempestate sei er in diesen Hafen geflüchtet.208 Die Philosophie, so fahrt er fort, sei aber nicht nur Hilfe in persönlichen Notlagen, sie sei auch die Begründerin der Staaten und menschlicher Gemeinschaft. Diese Beispiele aus philosophischen Schriften und Briefen zeigen skizzenhaft auch die politische Bedeutung auf, die nach C iceros Ansicht die Philosophie für ihn und andere Mitglieder der römischen Nobilität hat. Philosophie ist damit keines­ wegs nur Angelegenheit privater Muße und einer vita contemplativa, sondern Richtschnur und Maßstab auch des öffentlichen, des politischen Lebens.

2.3. Suche nach Trost Wie das in der angeführten Textstelle aus den Tusculanen anklingt, sah sich C icero während der Jahre des Bürgerkrieges vom Schicksal geschlagen: einmal

durch den Verlust seiner politischen Stellung, zum andern durch den Tod seiner Tochter T ullia. Angesichts der beiden Schicksalsschläge suchte er Trost in der Philosophie. C icero empfand den V erlust der geliebten Tochter auch deshalb als besonders

schmerzlich, weil sie ihm in seinem politisch bedingten Elend eine Stütze gewesen war. In einem Brief an S er. S ulpicius ELufus, als Antwort auf dessen Kondolenz­ schreiben, zeigt sich die tiefe Niedergeschlagenheit über das doppelte Unglück: non enim, ut tum me a re publica, maestum domus excipiebat, quae levaret, sic nunc domo maerens ad rem publicam confugere possum, ut in eius

206 fam V 22, VI 5, VII 3; IX 16; 'VI 1, 3; 4 207 Tuse V 5 205 Tuse V 5

-

58

-

bonis adquiescam. itaque et dom o absum et foro, quod nec eum dolorem, quem de re publica capio, dom us iam consolari potest nec dom esticum res publica.209 Versuche seines Freundes Atticus, ihn zur Rückkehr nach Rom und zur Tätig­ keit im Senat und au f dem Forum zu bewegen, hatte C icero freilich zuvor selbst zurückgewiesen, weil er sich aus dem "Heilungsprozeß" nicht abberufen lassen wollte, der in der Lektüre philosophischer Trosditeratur und in der Abfassung einer eigenen Consolatio bestand.210 Wie sehr ihm beides T rost verschaffte, geht aus einem B nef an semen Freund A tticus hervor, in dem er ihm die Vollendung der Schrift mitteilte.211 Überhaupt em pfand C icero seine Studien als ein Heilmittel m schwerer Krankheit, das jetzt viel stärker zur Geltung kam als zu einer Zeit, da er die W irksamkeit nicht bemerkte, weil er sich gesund fühlte.212 Der eigentümliche Zusammenhang der beiden Schicksalsschläge - Verlust der politischen Stellung und Tod der Tochter - und die heilende Wirkung der Philoso­ phie kommen im ersten Buch der Academici libri besonders klar zum Ausdruck.213 Seinem Dialogpartner V arro erwidert der Konsular auf dessen Stellungnahme zum Wert der Philosophie, daß er während seiner politischen Tätigkeit die Liebe zu ihr in seinem Herzen bewahrt und nach Kräften durch Lektüre aufgefrischt habe. Nunc vero, fährt er fort:, et fortunae gravissimo percussus vulnere et administratione rei publicae liberatus doloris medicinam a philosophia peto et otii oblectatio­ nem hanc honestissimum ludico.214 Zur Rechtfertigung dieser Ansicht folgen vier Gründe für den Wert der Philosophie: (1) Die Beschäftigung mit ihr ist dem Alter C iceros am ehesten ang;emessem; (2) sie stimmt besonders gut mit seiner Leistung

überein; (3) für die Bildung der Mitbürger ist sie nützlich; (4) auf jeden Fall gibt es nichts Besseres, mit dem er sich beschäftigen kann.215

209 fam IV 6,2 210 Att XII 23,5 211 Att XII 13,3 212 fam 1X2,2 213 ac 2,11 214 ac. 2,11 215 ac 2,11, vgl zu (1) Hortensius, fr 12, Str , zu (2) fin I 1 und 11, zu (3) fin I 10,

- 59-

Es ist erstaunlich, wie bewußt und zielstrebig der Konsular sich der Philosophie zuwendet auf der Suche nach Trost in seiner überaus schwierigen Lebenssituation. Das zeigt, wie vielschichtig die Bedrängnis und im Zusammenhang damit die Motivationsstruktur war in ihrer Verbindung von politischen und persönlichen Beweggründen. Seiner Art nach begnügte er sich zudem nicht mit der Lektüre philosophischer Werke, sondern faßte den Entschluß, sich der eigenständigen Bearbeitung der gesamten griechischen Philosophie zu widmen.216 In der Suche nach Trost wird zugleich eine Haltung deutlich, die später im. Zusammenhang mit C atos Freitod ihren Wert für C icero beweisen wird: die Haltung, auch schweren Schicksalsschlägen standzuhalten und nicht zu weichen. Freilich konnte die Philosophie das Geschehene nicht ungeschehen machen. Wenn sie ihm aber half, seinen Schmerz zu lindem, konnte sie auch dazu dienen, den Verlust zu überwinden, erträglich zu machen mit dem Gedanken, anderen Menschen in ihrer Not beizustehen mit seinen philosophischen Schriften.217 Dieser Gedanke galt für beide Bereiche: den persönlichen und den politischen. Das zeigt sich deutlich m der angeführten Textstelle aus den Academici libn. In dieser Betrachtungsweise ist dann Philosophie nicht mehr eine Ersatzhandlung für etwas Verlorenes, sondern die Grundlage für eine in die Zukunft gerichtete, helfende Tätigkeit. So schrieb C icero am 19. April 46 an V arro: Modo nobis stet illud una vivere in studiis nostris, a quibus antea delecta­ tionem modo petebamus, nunc vero etiam salutem; non deesse, si quis adhibere volet, non modo ut architectos verum etiam ut fabros ad aedifi­ candam rem publicam et potius libenter accurrere; si nemo utetur opera, tamen et scnbere et legere 7toX.iiEiaer Tod ist schrecklich nur für diejenigen, die mit ihrem Leben alles verlieren, nicht für die, denen der Ruhm nicht genommen werden kann; die Verbannung fürchten die nicht, die den ganzen Elrdkreis als ihre Heimat betrachten - qui omnem orbem terrarum unam urbem esse ducunt.438 Der zweite Teil des Gedankens weist voraus auf das fünfte Paradoxon, in dem C icero sich mit dem stoischen Grundsatz befaßt, daß allein der Weise frei und überall Bürger sei.439 Schließlich druckt er gegen Schluß des zweiten Paradoxons seine Überzeugung aus, daß sein Leben lobenswert sei, weil seine Tugend und sein Charakter lobens­ wert sind.440 Der Gedanke ist in anderer Form auch in einem Bnef zu finden, in dem der Konsular sich auf seine Bemühungen bezieht, durch friedlichen Ausgleich den drohenden Bürgerkrieg zu verhindern.441 Wie eine Zusammenfassung klingt es, wenn C icero Ende 46 an T orquatus schreibt: atque haec eo pertinet oratio, ut perditis rebus omnibus tamen ipsa virtus se sustentare posse videatur.442

436 fam IX 16,5, vgl fam VTI 3,5 437 fam VI 5,12, vgl den Brief an Marius Ende August/Anfang September 46, fam. VII, 3,4, den Brief an Mescinius von April 46, in dem er feststellt, daß praeter culpam ac peccatum., homini accidere nihil posse, quod sit horribile aut pertimescendum, fam. V 22,5, schließlich den Brief an A Torquatus von Ende 46, fam VI l,3f 438 parad 18 439 parad 33f 440 parad 19 441 Vgl fam V 22,2 442 fam VI 1,4, vgl fam VI 1,3-4, 3,4,4,3

-

112

-

Im Zusammenhang mit seiner Korrespondenz aus dem Jahre 46 - vor allem aus den ersten Monaten, also zeitgleich mit der Niederschrift seiner Abhandlung gewinnt der in Rede stehende Teil der Paradoxa Stoicorum den Charakter einer Rechtfertigungsschrift auf dem Hintergrund seines Entschlusses, nach der Nieder­ lage von Pharsalos den militärischen Widerstand gegen C aesar aufgegeben zu haben und aus dem Lager des P ompeius auf die andere Seite gewechselt zu sein. Der Konsular weist Kritik an seinem Verhalten zurück, nicht wie andere Verteidi­ ger der res publica freiwillig in die Verbannung gegangen zu sein oder sich nicht selbst getötet zu haben, um der Schande zu. entgehen, unter der Alleinherrschaft des Siegers leben zu müssen.443 Die gleiche Haltung spricht aus dem Brief an C. C assius von Mitte August 47 und aus dem Schreiben an V arro kurz nach dem 19.

April 46, worin es heißt: tibi autem idem consilii do, quod mihimet ipsi, ut vitemus oculos hominum, si linguas minus facile possimus; qui enim victoria se effemnt, quasi victos non intuentur, qui autem victos nostros moleste ferunt, nos dolent vivere.444 C icero versucht, den Mißerfolg in der Politik, vor allem das Scheitern seiner

Vermittlungsbemühungen im Bürgerkrieg, dadurch für sich erträglich zu machen und in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, daß er sich auf philosophische Grund­ sätze beruft.445 In der Philosophie der Stoa gewinnt er den Maßstab S(ur Beurteilung politischer Vorgänge. Dadurch wird es ihm möglich, Absicht und Ergebnis einer Handlung zu trennen, dabei die Absicht als das allem entscheidende Kntenum eines Urteils zu bestimmen und demgegenüber das tatsächlich vorliegende Ergebnis abzuwerten, weil es nicht in der Hand des Menschen liegt, sondern von zufälligen Gegebenhei­ ten abhängt. In einem Brief an T orquatus vom Januar 45 schreibt C icero, daß der stärkste Trost im Unglück das Bewußtsein sei, das Beste gewollt zu haben, und daß es kein größeres Übel als die Schuld gebe; dann fahrt er fort:

443 fam VII 3,6, vgl Geizer Cicero, S 259 444 fam. IX 3,2, den Brief an Cassius, fam. XV 15 445 Vgl Kumaniecki, a.O , S 116ff

- 113 -

a qua quoniam tantum absumus, ut etiam optime senserimus eventusque magis nostri consilii quam consilium reprehendatur, et quoniam praestiti­ mus, quod debuimus, moderate, quod evenit, feramus.446 Die Argumente, die C icero in den Paradoxa Stoicorum, zu seiner Rechtfertigung vorbringt, entsprechen sinngemäß auch denjenigen in einem ausführlichen Schrei­ ben an M. M arius von Ende August/Anfang September 4Ö.447 Schritt für Schritt begründet er darin sein Handeln während des Bürgerkrieges: den Übergang auf die Seite des P ompeius, die Kritik an dessen Kriegsführung, den Rückzug aus dem Kriege, den Entschluß, sich nicht selbst zu töten.Gerade der Vorwurf, nicht konse­ quent auf das Scheitern seiner Politik mit dem Freitod reagiert zu haben, scheint ein schmerzlich empfundener Angriff auf seine Würde gewesen zu sein.44* Die Verteidigung dagegen erfolgte auf unterschiedliche Weise. In den Paradoxa bezieht C icero seine Rechtfertigung aus der Philosophie: Der Weise, dessen Glückseligkeit

auf der Tugend beruht, muß nicht aus dem Leben scheiden.449 Im Schreiben an M arius argumentiert er hingegen politisch: Er sei nach Italien zurückgekehrt, um

mitwirken zu können, si esset aliqua forma rei p., tamquam in patria ut essem; sich den Tod zu geben habe er keinerlei Grund gesehen.450 Denn stets sei er dagegen gewesen, daß ein einzelner Mann mächtiger werde als der Gesamtstaat; als aber durch die Schuld des P ompeius Widerstand gegen den Sieger zwecklos geworden sei, habe er zum friedlichen Ausgleich geraten und sich für ein Ende des schreckli­ chen Krieges nach Kräften eingesetzt451 In ihrem Zusammenhang betrachtet zeigen die Paradoxa Stoicorum und die Briefe C iceros aus dieser Zeit, daß er die Notwendigkeit gesehen hat, seinen politi­ schen Standpunkt im Bürgerkrieg und sein Handeln nach der Schlacht bei Pharsalos zu rechtfertigen. Während dabei die Briefe im wesentlichen auf sein eigenes

446 fam VI 3,2 447 fam VII 3 448 Vgl fam VII 3,4 und 6 449 parad 19 450 fam VII 3,4 451 fam VII 3,5

-

114

-

Schicksal bezogen sind, verweist die philosophische Schrift auf die allgemein gültige Überzeugung, daß der Besitz der virtus den allein entscheidenden Maßstab für das Urteil über Leben und Handeln bildet Wenn der stoische Grundsatz von der Autarkie der Tugend, so stellt C icero fest, für ihn selbst eine Rechtfertigung und ein Trost ist, so kann das auch für alle gelten, die gleich ihm unter dem elenden Zustand des Staates leiden müssen. Dann - und in Verbindung mit den Briefen - zeigt sich deutlich, daß die Paradoxa Stoicorum nicht nur als ein der Redekunst gewidmetes philosophisches Werk aufzufassen sind, sondern auch als eine politische Meinungsäußerung während der Alleinherrschaft C aesars gelten müssen. Zwar wird der Name des Machthabers nirgends genannt; er aber war der Sieger im Bürgerkrieg und damit verantwortlich für den Zustand der res publica und das Schicksal seiner Gegner. Ergänzt wird diese Beurteilung des Inhalts durch den formalen Befund aus den ersten beiden Paradoxa. C icero fügt als Belege für die Bedeutung der stoischen Grundsätze über die Tugend ausschließlich Beispiele in den Text ein, die politisch oder militärisch handelnde Personen darstellen, keine Philosophen. Dies sind - von R omulus bis R egulus - Namen aus der älteren Geschichte Roms. Ihre Verehnmg

wird um ihrer Verdienste willen oder wegen der persönlichen Opfer allgemein geteilt unter den Römern. An diese Reihe fügt C icero aus der Zeitgeschichte C. M arius an und - vor allem - sich selbst. Unter dem Blickwinkel seines eigenen,

ausführlich behandelten Schicksals im Bürgerkrieg gewinnt die Abfolge der Namen ihre politische Bedeutung .für die Gegenwart der Abfassungszeit. Ein gedanklicher Zusammenhang wird damit hergestellt vom sagenhaften Gründer Roms bis zum Verteidiger der res publica gegen einen einzelnen Mann, der mächtiger sein will als alle anderen im Staat. So entsteht durch C iceros Darstellung ein Verhältnis der Wechselwirkung von Philosophie und Politik in den Paradoxa Stoicomm.

- 115 -

Das dritte Paradoxon befaßt sich mit dem Grundsatz der Stoa, daß Vergehen und Pflichten einander jeweils gleich seien, einer ethischen Problematik, in der keine politischen Bezüge erkennbar sind.452 Daher finden sich in diesem Abschnitt auch keine Namen mit historischer oder zeitgeschichtlicher Bedeutung.

Ganz anders verfährt C icero im darauffolgenden Paradoxon; am Beispiel seiner eigenen Auseinandersetzung mit C lodius geht es um das Problem der Verban­ nung. Das vierte Paradoxon lautet: Omnis stultos insanire.453 Was damit gemeint ist erklärt C icero im dritten Buch der Tusculanae disputationes mit einem Syllogismus so: omnis autem perturbationes animi morbos philosophi appellant negantque stultum quemquam his morbis vacare, qui autem in morbo sunt, sani non sunt; omnes insipientes igitur insaniunt.454 Er berichtet, daß die "Philosophen", womit er "unsere Vorfahren" (maiores nostri) meint, das Leiden oder die Krankheit des Geistes als Wahnsinn (insania) bezeichnet haben, oder - da die leidende Seele nicht über das Licht des Geistes (lumen mentis) verfugt - auch als Verrücktheit (amentia, dementia). Diese "Philosophen" hätten in der Sache in der Tat dasselbe vertreten, quod a S ocrate acceptum diligenter Stoici retinuerunt, omnis insipientes esse non sanos.

4SS

Wie für die Krankheiten des Körpers gebe es nun auch für die Leiden der Seele ein Heilmittel: est profecto animi medicina, philosophia.456 Diese Medizin wirkt indessen viel zuverlässiger als die Mittel für den Körper; wenn eine Seele gesund werden will und den Vorschriften der Weisen gehorcht, wird sie ohne Zweifel genesen - qui se sanari voluerint praeceptisque sapientium paruerint, sine ulla dubitatione sanentur. Außerdem steht fest: Wir selbst können uns mit Hilfe der Philosophie heilen.45'

432 Vgl Kumaniecki, a.O., S 126f, Cicero behandelt dieses Paradoxon ausführlich im vierten Buch von de finibus, IV 21, 55, 56, 63-64, 68, 74-77; vgl Mur. 61 453 Vgl Tuse IV 54, fin IV 74 454 Tuse III 9, vgl IV 54; SVF III 657ff, 677ff 435 Tuse III 10, maiores nostri s III 8; vgl SVF III 662ff, 666 436 Tuse III 6 437 Tuse III 6

-

116

-

Nach Rechtfertigung und Verteidigung seines Handelns in den ersten beiden Paradoxa geht C icero nunmehr tn seiner Schrift zum Angriff über auf den politi­ schen Gegner in der Person des C lodius.458 Aufgebaut ist das vierte Paradoxon wie eine altercatio, ein Streitgespräch mit einem Kontrahenten im Senat oder vor Gericht. Das Vorbild dieser rhetorischen Auseinandersetzung mit C lodius ist bereits in einem Brief an A tticus von Anfang Juli 61 enthalten, in dem C icero ausführlich den Prozeßverlauf wegen des Bona-Dea-Vorfalls und die politischen Folgen dargestellt hatte.459 Freilich wird der Name des C lodius jetzt in der Abhandlung nicht genannt. Dieses Vorgehen ist aber keineswegs ungewöhnlich für die philosophischen Schriften und Reden C iceros. Auch in der Danksagungsrede an den Senat unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Exil vermeidet er eine Namensnennung, wenn er C lodius meint.460 Er spricht, von einem Feind (inimicus, 4), von einem Räuber (latro, 13) und von einem "verruchten Bürger oder vielmehr inneren Feind" (sceleratus civis aut domesticus potius hostis, 19). Mit der Ausnahme im Brutus und in de natura deorum mit der kurzen Erwähnung des V atinius werden die Namen C aesars und seiner Anhänger in den philosophischen

Schriften überhaupt nicht genannt. Aus den Hinweisen in den Paradoxa vier und fünf ist aber eindeutig erschließbar, daß es sich bei der gemeinten Person um C lodius handelt.461

Wegen der politischen Bedeutung der angeführten Textstelle muß das Verhältnis zwischen C icero und C lodius hier kurz betrachtet werden.462 P. C lodius P ulcher war seit dem Prozeß des Jahres 61 wegen Religionsfrevels - es ging um den BonaDea-Skandal vom Dezember 62

als C icero in seiner Zeugenaussage das Alibi des

458 Eine erste Invektive gegen Clodius findet sich - ohne Namensnennung - bereits im zweiten Paradoxon, vgl parad 17 und 18 459 Att I 16, vgl Geizer Cicero, S 11 Off, Geizer Caesar, S 53ff 460 p red in sen 461 Verschwörung des Catilina in parad. 28, aedes Nympharum in 31, Bona Dea in 32, vgl Ciceros Vorwürfe gegen Clodius in der Verteidigungsrede für Milo §§ 72ff, in der Verteidigungsrede fur Caelius § 78, wobei Cicero eimge Vorwürfe an Sex Clodius, einen der Helfer des P Clodius, richtet; außerdem Bringmann, a O , S 68, Kumaniecki, a O , S 129 462 Vgl Fröhlich, RE, IV 1, Sp 82-88

-

117

-

Angeklagten entscheidend erschütterte, sein Todfeind.463 Das Gerichtsverfahren bildete indessen nur einen Teil der politischen Auseinandersetzungen dieser Zeit, die den Konsular mit tiefer Sorge um den Bestand des Gemeinwesens erfüllten.464 Nach dem Amtsantritt des C lodius als Volkstnbun am 10. Dezember 59 kam es mit Hilfe gut organisierter Banden zu Gewalttaten; C icero mußte Anfang März 58 nach Griechenland fliehen, um der Achtung zu entgehen; sein Vermögen wurde eingezogen.465 Gegen den Widerstand des C lodius gelang ihm. erst am 5. August 57 die Rückkehr.466 Auch C ato mußte 58 Rom für zwei Jahre veilassen, allerdings unter wesentlich anderen Bedingungen: Er sollte Cypem für den römischen Staat einziehen.467 C icero reagierte auf die Verbannung mit tiefster Niedergeschlagenheit.468 Zwar

war er auch enttäuscht darüber, daß die Hilfe der damals Mächtigen - P ompeius und C aesar - ausblieb; er argwöhnte aber, daß weniger seine Feinde, sondern eher seine Neider, vor allem H ortensius, die Schuld trügen an dem Unglück469 Tiefen Schmerz empfand er über den Sturz von der Machtfülle des Konsulats in die Verbannung der Jahre 58 und 57; das Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Mächtigen überwältigte ihn, dazu die Enttäuschung angesichts der Erfolglosigkeit der Anstrengungen, möglichst bald nach Rom zurückkehren zu können.470 Neben der Sorge um seine in Not geratene Familie plagte ihn auch die Angst um semen Bruder, der ebenfalls von C lodius verfolgt werden konnte.471 In der Maßlosigkeit

463 Geizer Caesar, S 90f, Geizer Cicero, S 1 lOff, Fuhrmann Cicero, S. 125f 464 Vgl Geizer Cicero, S 112ff, Att 1 17,8, 18,2-3,6f. 465 Geizer Cicero, S 135fF, Att III 15,6 466 Geizer Cicero, S 149 467 Fehrle’ Cato Uticensis, S 142ff 468 Att III 2,4; 5, 6, 7,2, 8,3f, 9,1, 10,lf ; 12,1, 13,1, 14,2; 15,2 und 5; 17,1, 18; 19,2f; 20,1; 25,27; fam X IV l,ad Q fr 13,6; 4,4 469 Geizer Cicero, S 146, Att.III 8,4, 9,1, 10,2, 13,1, 15,5; zur Schuld anderer Personen vgl Att III 9,1, 19,3,20,1, über Enttäuschung vgl. Att I II 18, über Neider vgl Att III, 7,2, 15,2 470 Wie sehr Cicero von der Hoffnung auf baldige Rückkehr bewegt war, zeigt sich noch in de divinatione im Bericht über seinen Traum von der Weissagung des C Marius, div I 59, II 140, vgl fam VI 5,2 (Brief an A. Cacina) 471 Att III 8,2, 9,1,3, 10,2, 11, 14,2, 17,1, 19,3, 23,5

- 118 -

der Klagen zeigt sich indessen deutlich, daß die Philosophie dem Konsular zur Zeit seiner Verbannung kernen Halt bot im Elend. Nirgends ist erkennbar, daß er im Besitz der Weisheit gleichgültig gewesen wäre gegenüber den Anfechtugen des Schicksals.472473 C lodius erwies sich noch nach der Rückkehr C iceros im Widerstand gegen die

Anträge im Senat (Juli 57), ihn zu rehabilitieren, als unversöhnlich, unterlag aber.4,5 In den Dankreden an den Senat und das Volk rühmte der aus der Verbannung Heimgekehrte «die Verdienste aller, die zu seiner Rückkehr beigetragen hatten, und benannte unmißverständlich seine politischen Gegner: C lodius, die Catilinaner, die Konsuln des Jahres 58 und die Neider.474 Rom war auch in den folgenden Jahren erfüllt vom Terror der Banden des C lodius, der sich als Aedil für das Jahr 56 und als Praetor für 52 bewarb.475 Die

Straßenschlachten zwischen politischen Gegnern bildeten freilich nur ein Sympton dafür, daß die Ordnung des Gemeinwesens tief gestört war.476 Nachdem C lodius am 18. Januar 52 in einer Auseinandersetzung mit M ilos Banden zu Tode gekom­ men war, nahmen die zerstörerischen Kämpfe ein solches Ausmaß an, daß der Senat zu Notmaßnahmen greifen mußte und schließlich P ompeius zum Consul sine collega gewählt wurde.477 Auf diesem politischen Hintergrund sind C iceros Invektiven gegen C lodius im vierten Paradoxon zu sehen. In der Person des skrupellosen Gewaltmenschen wird der tief zerrüttete Zustand der res publica anschaulich gemacht. Zugleich zeigt sich wiederum, daß es sich bei den Paradoxa Stoicorum nicht nur um eine rhetorische Übung zum Gebrauch philosophischer Lehrmeinungen in einer Rede handelt,

472 Wiederholt scheint Atticus seinen Freund gemahnt zu haben, mehr Würde und Haltung zu zeigen, wie die Zurückweisungen dieser kritischen Bemerkungen durch Cicero erkennen lassen, vgl Att III 10,1, 14,2, 15,1,7, 20,3 Sogar das Gerücht, er habe den Verstand verloren, nahm Cicero so ernst, daß er wiederholt in Briefen an Atticus versicherte, er sei durchaus klaren Sinnes, vgl. Att III 14,2, 15,2 473 Geizer Cicero, S 148f 474 Ebd , S 150f 475 Ebd , S 156f,205f 476 Ebd, S 205 477 Ebd, S 206f

- 119-

sondem auch um eine grundsätzliche Abrechnung mit Gegnern der Politik C iceros.

Auffällig ist die Ähnlichkeit der Anj^riffe gegen C lodius in den Paradoxa und in den Reden, die der Konsular nach seiner Rückkehr aus der Verbannung als Danksagung an Senat und Volk sowie im Zusammenhang mit der Forderung nach Ausgleich für den während der politischen Auseinandersetzung erlittenen materiel­ len Schaden, schließlich zur Verteidigung des wegen Aufruhrs angeklagten S estius hielt. Da C icero in der letztgenannten Rede im wesentlichen die Invektiven wiederholt, die er zuvor öffentlich geäußert hatte, genügt es, die Übereinstimmung mit den Paradoxa an diesem Beispiel zu belegen.478 C icero will, ehe er sich mit der Verteidigung seines Mandanten befaßt, den

"Schiffbruch des Staates darlegen" - rei publicae naufragium exponere -, bei dem eben der Mann eine entscheidende Rolle spielte, dessen Name auch hier nicht genannt wird.479 Der Redner läßt durch wiederholte, eindeutige Anspielungen jedoch keinen Zweifel, daß er C lodius meint, den er einen furibundus homo ac perditus nennt, voller Wut gegen C icero, den Fneden und das öffendiche Wohl, nefarius ex omnium scelerum conluvione natus; ein Konsul habe hanc taetram immanemque beluam von der Kette gelassen - die Parallele zum zweiten Buch von de re publica ist unübersehbar, wo C icero den Tyrannen ähnlich bezeichnet.480 Unter den Augen der Konsuln sei es zu schwersten Gewalttaten gekommen. Nullus erat senatus, sagt C icero, nihil reliqui magistratus: unus omnem omnium potestatem armis et latrociniis possidebat...insultabat, dominabatur.481 Weiter heißt es: alii nominatim relegarentur, alii metu et periculo terrerentur, arma essent in templis, armati in foro...482 In den Paradoxa Stoicorum greift der Konsular seinen Gegner an mit den Worten: qui templa occupaverit? in foro castra posuisti?483 Das

471 Sest 15-66 479 Sest 15 ■“ “rep 1148 481 Sest 34 “ 2 Sest 35 483 parad 31

- 120 -

seien freilich nur Beispiele für alle möglichen Verbrechen, deren sich C lodius schuldig gemacht habe. Zunächst ist festzustellen, daß die auffallende Ähnlichkeit der Angriffe gegen C lodius in der Schrift des Jahres 46 mit denen der Reden aus den Jahren 57 und

56 kein Zufall sein kann, sondern wegen des inneren Zusammenhanges in der Absicht des Verfassers gelegen haben muß. C icero kam es darauf an, durch die Verknüpfung in Form und Inhalt hinzuweisen auf die Vergleichbarkeit der politi­ schen Verhältnisse damals und jetzt unter der Alleinherrschaft C aesars.

Auch ein anderer Punkt ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. In der SESTius-Rede hatte C icero bereits semen Gegner als furibundus bezeichnet, als

wütend, rasend.484 Er verwendet das Wort, wie ein Vergleich mit zwei anderen Textstellen in de divinatione und den Philippischen Reden zeigt, um einen Zustand der Unvernunft zu bezeichnen, wenn die Leidenschaften den Menschen überwältigen.485 Die Exemplifizierung des stoischen Grundsatzes omnis stultos insanire durch C lodius in den Paradoxa Stoicorum bedeutet also einerseits wiederum eme Verknüpfüng mit der Sestiana, andererseits aber auch eine Verbin­ dung viel weitergehender Art: den Vergleich zwischen dem Weisen und dem Toren in der Philosophie. Als C icero die Paradoxa mederschneb, sah er sich in der Rolle des philosophisch gebildeten Weisen und konnte von daher im nachhinein Stellung nehmen zu seinem politischen Gegner und der Zeit seiner Verbannung. Auch auf diese Weise wird die Abhandlung des Jahres 46 zur Abrechnung mit dem Kontra­ henten in der Politik. Die Philosophie gibt ihm die Möglichkeit an die Hand, die Rollen in der Auseinandersetzung zu vertauschen: Der Angreifer C lodius wird zum moralisch Unterlegenen; C icero als der damals Ohnmächtige steht nunmehr als ein Weiser auf seiten der res publica, des Rechts, der Moral. Im vierten Paradoxon sucht er zu erweisen, daß C lodius

zu

den Wahnsinnigen

gehört, weil seine Seele von wilden Begierden erfüllt ist; dies zeige sich in seinen 484 Sest 15, Fuhnnann übersetzt, wahnwitzig 485 div. 14; Phil XIII 19

■■121 -

Untaten: Mord, Brandstiftung, Schändung der Tempel, Mißbrauch des Forums und - mit Bezug auf den Bona-Dea-Skandal - Religionsfrevel 486 Aber C icero geht in seiner Streitrede weit über diesen Vorwurf hinaus. Wer sich mit derartigen Verbrechen so schwerwiegend gegen die Gesetze vergehe, der sei ein Verbannter (exul), auch wenn er in Rom weile.487 An dieser Stelle - nunmehr mit Bezug auf C lodius - wird erneut das Problem der Verbannung aus dem zweiten Paradoxon

aufgenommen, das Problem, dessen Last der Konsular so schwer empfunden hatte. Nicht C icero also war der Verbannte, sondern C lodius, der Wahnsinnige, der homo amentissime.488 Denn wenn S partacus ein Staatsfeind war, so argumentiert C icero, wie kann dann C lodius als Bürger gelten: caedem in foro fecisti, armatis latronibus templa tenuisti, privatorum domos, aedis sacras incendisti.489 Dagegen stellt er sein eigenes ruhmvolles Eintreten für Bürgerschaft und Staat ego semper civis, et tum maxime, cum meam salutem senatus exteris nationibus, ut civis optumi, commendabat.490 Diesen Vorwurf führt C icero weiter ins Allgemeine: Als C lodius seine Untaten beging, gab es keine Bürgerschaft und keinen Staat: Non...erat illa tum civitas, cum leges m ea nih.il valebant, cum iudicia lacebant, cum mos patnus occiderat, cum ferro pulsis magistratibus senatus nomen in re publica non erat; praedonum ille concursus et te duce latroci­ nium m foro constitutum et reliquiae coniurationis a C atilinae furiis ad tuum scelus furoremque conversae non civitas erat.491 Wenn es denn aber keine Bürgerschaft, keinen Staat gab - so lautet die entschei­ dende Schlußfolgerung -, dann konnte C icero auch nicht in die Verbannung gezwungen werden.492

486 parad 31f 487 parad 30-32, vgl Att 116,9, vgl SVF III 677ff 488 parad 27, 30, fam VII 3,3, ad Q ff II 15,2, III 1,11, vgl Kumaniecki, a O , S 129f 489 parad 30 490 parad 29 491 parad. 27, vgl Sest 35,42 492 parad 28

- 122-

Auffällig ist in diesem Zusammenhang eme Parallele in der Gedankenfuhrung zwischen den Paradoxa Stoicorum und dem Anfang des dritten Buches von de re publica.493 In beiden Textstellen geht es C icero um den Gedanken, daß die Anerkennung des Rechtes und der Gemeinsamkeit des Nutzens die Grundlage eines Gemeinwesens bilden müsse; wo diese Anerkennung in einer Ansammlung von Menschen nicht vorhanden ist, kann es mithin auch kein Gemeinwesen geben - wie sich dies (in den Paradoxa) am Beispiel des C lodius zeigt. Die Parallele macht die Kontinuität in der Denkweise C iceros deutlich; darin liegt zudem ein weiterer Hinweis darauf, daß die Paradoxa Stoicorum über die rhetorische Behand­ lung stoischer Grundsätze

hinaus

seine politischen

Grundüberzeugungen

ausdrücken. In anderer Form erscheint der Gedanke, daß es ohne Anerkennung des Rechtes und des Gemeinwohls keiine politische Ordnung gelben kann, auch in den zuvor erwähnten Danksagungsreden an Senat und Volk.494 Nachdem C icero in der Rede an den Senat deutlich gemacht hat, daß zur selben Z eit mit ihm auch der Staat in die Verbannung gegangen, mit ihm auch zurückgekehrt sei, fügt er die Worte an: mecum leges, mecum quaestiones, mecum iura magistratum, mecum senatus aucto­ ritas, mecum libertas, mecum etiam frugum ubertas, mecum deorum et hominum sanctitates omnes et religiones afuerunt.495 Hart stellt C icero im vierten Paradoxon dann auch die politischen Situationen gegeneinander: Während er in das Gemein­ wesen zurückberufen wurde, als wieder Recht und Gleichheit (ius et aequitas) herrschten, habe C lodius mit den Waffen seiner Räuberbanden jede Ordnung zerstört.496 Später, gegen Ende des Jahres 46 und zu Anfang 45, beklagt C icero in Bnefen an seine politischen Freunde A. M anlius T orquatus, C. T oranius und C. C assius den Untergang des ganzen Staates (universae rei p. intentum) während der

493 parad 27, rep III, Inhaltsangabe aus Augustinus, de civitate Dei, 2,21 Vgl. p red in sen. 34; p red ad Quir. 14 455 p. red. in sen 34 496 parad 28f,vgl fam 1 10,1 lf 494

-123 -

Alleinherrschaft C aesars in bitteren Worten.497 Damit gewinnt der Gedanke aus den Paradoxa Stoicorum, daß die Existenz des Gemeinwesens unabdingbar an die Herrschaft einer gesetzlichen Ordnung gebunden ist und unter der Willkür eines einzelnen Machthabers zugrundegeht, den Bezug zur Zeitgeschichte. Zusammenfassend betrachtet hat das im vierten Paradoxon in Form der alterca­ tio behandelte Beispiel des C lodius ein weiteres Mal die Funktion, die von C icero so überaus schmerzlich empfundene Verbannung unter dem philosophischen Gesichtspunkt der stoischen Lehrmeinung vom Wahnsinn aller Toren erträglich zu machen. Indem er sich selbst in die Position des Weisen stellt kann er seinem Gegner den Platz des Außenseiters zuweisen, desjenigen, der sich durch seine Untaten aus der Ordnung ausschließt. Als besonders befriedigend mußte ihm dabei erscheinen, daß er die Auseinanderse tzung mit dem politischen Feind nunmehr auf semem ureigensten Gebiet, dem der Redekunst, und mit philosophisch-rhetori­ schen Mitteln fuhren konnte. - Es bleibt freilich noch zu fragen, was C icero bewogen haben mag, C lodius als erläuterndes und bestätigendes Beispiel in den Text der Paradoxa Stoicorum einzufugen. Die politischen Bedingungen der Abfas­ sungszeit fuhren zu der Folgerung, daß er mit semen Invektiven nicht eigentlich auf C lodius zielte, sondern auf den, der bei C iceros Verbannung hinter dem vordergründig Agierenden gestanden hatte: C aesar.498 Freilich konnte das weder im Jahre 57 noch 46 offen ausgesprochen werden. Es ist aber als sicher anzuneh­ men, daß der Konsular die politische Lage und die Machtverhältnisse zur Zeit semes Exils genau genug kannte, um zu wissen, daß nicht der Volkstribun C lodius die bestimmende Kraft war. Wie wenig C icero es wagte, C aesar und P ompeius als die Urheber seiner Verbannung - oder als duldende Mitwisser - zu nennen, zeigt auch die im Sommer 55 gehaltene Rede gegen L. C alpurnius P iso C aesonius, mit G abinius gemeinsam Konsul des Jahres 58.499 Rhetorisch außerordentlich geschickt erwähnt der

497 fam VI 1,1,4, 20,1,3 mit dem angeführten Zitat, XV 18,1 498 Vgl Sest 40, 41, p red in sen 32 499 Complecti vis amplissimos viros ad tuum et Gabini scelus, neque id occulte, nam paulo ante dixisti me cum eis confligere quos despicerem, non attingere eos qui plus possent,

-

124

-

Konsular öffentlich durchaus die Mächtigen, die verantwortlich waren, aber in einer Form, die ihn. selbst unangreifbar macht. In seiner Danksagungsrede an den Senat zudem, nach der Erwähnung seiner politischen Gegner, denen er im Jahre 58 weichen mußte, stellt C icero fest: erat alius ad portas cum imperio in multos annos magnoque exercitu, quem ego inimi­ cum mihi fuisse non dico, tacuisse, cum diceretur esse inimicus, scio.*500015In der Tat war es C aesar, der nach seinem Konsulat ein imperium als Proconsul uber die Provinzen Gallia citerior mit Illyricum und Gallia superior besaß. Zu Anfang des Jahres 58 befand er sich noch in der Nähe Roms, aber außerhalb des Pomeriums, um den Erfolg der innenpolitischen Maßnahmen zur Stärkung seiner Position abzuwarten.301 In derselben Textstelle findet sich ein wenig später ein zweiter Hinweis. Als C icero den Senatoren vortrug, welche Handlungsmöglichkeiten er damals beses­

sen habe, erwähnte er, daß er sich mit bewaffneter Macht hätte verteidigen können; sed videbam, si vicissem praesentem adversarium, nimium multos mihi alios esse vicendos.502 Deutlicher konnte C icero unter den politischen Bedingun­ gen des Jahres 57 seine Überzeugung nicht ausdrucken, daß er hinter C lodius auch C aesar als seinen Gegner vermutete. Wenn er nun für den sachkundigen Leser

eindeutig erkennbar in den Paradoxa Stoicorum formal und inhaltlich eine Parallele bildete zu seinen öffentlichen Aussagen nach der Rückkehr aus dem Exil, so wurde damit die Invektive gegen C lodius auch zum politischen Angriff auf Caesar. Diese Auffassung läßt sich zudem belegen durch eine inhaltliche Verbindung, deren einer Teil der Gedanke "non erat civitas" in. den Paradoxa ist.503 In de re publica war dieser Gedanke - wie dargelegt - bereits vorgezeichnet.504 Wenn aber so heißt es dort weiter - der König, die Optimalen oder das Volk selbst ungerecht,

quibus erratus esse deberem Quonim quidem - quis enim non intellegit quos dicas? quamquam non est una causa omnium, tamen est omnium mihi probata, Pis 75 Hic tu hostis ac proditor alliis me inimiciorem quam tibi debere esse dicis? Pis 78f 500 p red insen 32 501 Gelzer Caesar, S 37fF 502 p red in sen 33 503 parad 27 5Mrep III, Inhaltsangabe aus Augustinus, de civitate Dei, 2,21

- 125 -

also Tyrannen sind, dann gibt es überhaupt kein Gemeinwesen (omnino nullam esse rem publicam). Weiter läßt sich der Gedanke verfolgen in einem Brief an seinen Bruder Q uintus von Ende Oktober oder Anfang November 54, wo steht: angor nullam esse rem publicam, nulla iudicia.505 Die letzten Glieder der Gedan­ kenkette bilden dann die bereits erwähnten Briefe an T orquatos, T oranius und C assius aus den Jahren 46 und 45.506

Unter diesem Blickwinkel ergibt sich dann die wahre politische Bedeutung des vierten Paradoxons vom Wahnsinn aller Toren. C icero führt zwar das Beispiel des C lodius an - wofür es gute Gründe genug gab -, richtet seine Angriffe aber eigent­

lich auf C aesar. Es ging dabei nicht nur um das eigene Schicksal des Konsulats. C icero konnte durchaus auch andere Angehörige der führenden Schichten im Auge haben, die nach der militärischen Niederlage im Bürgerkrieg gegen C aesar eher außerhalb Italiens leben wollten, als sich dem Sieger zu unterwerfen oder sich selbst zu töten, wenn er Ende August/Anfang September 46 an M. M arius schrieb: ex omnibus autem us, quae dixi, incommodis nihil tolerabilius exsilio, praesertim innocenti, ubi nulla adiunctast turpido; addo etiam, cum ea urbe careas, m qua nihil sit, quod videre possis sine dolore.507

Das fünfte Paradoxon behandelt den Gegensatz zwischen dem Weisen, der allein frei zu leben vermag, und dem Toren, der immer ein Sklave ist.508 Niemand ist frei zu nennen als der Weise, stellt C icero fest und fügt hinzu: quid est enim libertas? potestas vivendi, ut velis.509 Das bedeutet: quis igitur vivit, ut volt, nisi qui recte vivit, qui gaudet officio, cui vivendi via considerata atque provisa est?510 Er beschließt diesen Abschnitt mit dem Sate: soli igitur hoc contingit sapienti; ut nihil

505 ad Q fr III 5,4 506 fam. VI 1,1,4,3,1,4,20,1,3, XV 18,1 507 fam VII 3,3, vgl Kumaniecki, a O., S 130 508 parad 33-40 509 parad 34 5,0 parad 34

-

126

-

faciat invitus, niM dolens, nihil coactus.511 C icero denkt hier philosophisch, nicht politisch; es geht ihm also zunächst um die Freiheit im ethischen Bereich. Der Freiheit des Weisen werden alle in Knechtschaft lebenden Toren gegenüber­ gestellt: diejenigen, die sich von ihren Leidenschaften überwältigen lassen.512 Gier nach Reichtum und Macht, die Sucht nach einflußreichen Stellungen, schönen Häusern und kostbaren Kunstwerken, auch der Wunsch nach seltenen Fischen, wenn er übermächtig wird, machen die Menschen zu Sklaven. Als Gegenbeispiele nennt C icero aus der römischen Geschichte L. M ummius und M'. C urius; sie haben in echt römischer Weise den Reichtum verachtet.513 Politische Bedeutung gewinnt der philosophische Grundsatz dort, wo C icero den imperator erwähnt, die principes civitatis, die Fischteichbesitzer, weil damit der philosophisch begründete Gegensatz zwischen dem Weisen und dem Toren dadurch auf die Politik bezogen wird, daiß nach seiner Ansicht selbst hohe Stellun­ gen in der res publica wenig bedeuten im Vergleich zur Würde des idealen Philoso­ phen - jedenfalls dann, wenn das Streben nach Macht der ethischen Grundlage entbehrt.514 Das Beispiel der piscinani ist besonders aufschlußreich, weil der Konsular damit eine Kritik an Standesgenossen verbindet, deren schwächliche Haltung und Leistung im Dienst für das Gemeinwesen und bei politischen Ausein­ andersetzungen er seit langem getadelt hatte. So findet sich bereits in einem Brief an A tticus vom 20. Januar 60 nach einem Bericht über die politische Situation die Bemerkung sed interea

7toÄ .uiK b< ; a v r j p

ou5'

ovap

quisquam inveniri potest; qui poterat,

familiaris noster..., P ompeius togulam illam pictam silentio tuetur suam. C rassus verbum nullum contra gratiam, ceteros lam nosti; qui ita sunt

51' parad 34 512 parad 33ff 512 parad 38, vgl parad 48 mit weiteren Namen aus der römischen Geschichte 514parad 33, 37, 38, 40, 41, vgl Geizer Cicero, S 114f, Meier Res publica amissa, S 164,274

-

127

-

stulti, ut amissa re publica piscinas suas fore salvas sperare videantur.515 Einzig C ato wird von dieser Kritik ausgenommen.516 Ein anderes Schreiben an den Freund kurze Zeit später gibt Einblick in das, was C icero seine "Lebensgrundsätze" nennt.517 Wiederum nach einem allgemeinen

Bericht über die politische Situation, m dem auch beiläufig von der Absicht des C lodius die Rede ist, zur Plebs überzutreten, schreibt er über seine Tätigkeit als

Politiker, die daran ausgerichtet sei, seinen "so ungewöhnlichen, unsterblichen Ruhm" nach der Niederschlagung der Catilinarischen Verschwörung und die dadurch begründete herausragende Stellung zu bewahren. Dieser Absicht stehe entgegen der Wankelmut und die Unzuvedässigkeit der Gerichte (wie sich am Freispruch des C lodius anläßlich des Bona-Dea-Skandals gezeigt habe), der Konflikt zwischen dem Senat und den Steuerpächtem, schließlich die Erfahrung: tum autem beatos homines, hos piscinanos dico, amicos tuos, non obscure nobis invidere.518 Mitte des Jahres 60 kritisierte er: nostri...principes digito se caelum putent attinge­ re, si mulli barbati in piscinis sint, qui ad manum accedant, alia autem neglegant. Die Worte mulli barbati kehren m den Paradoxa Stoicorum wieder.519 Und im Frühjahr 59 werden Standesgenossen als "Fischteichtritonen" lächerlich gemacht.520 In emem Fragment des Hortensius, das der Naturgeschichte des P linius entnom­ men ist, sind "Fischteichbesitzer" namentlich genannt, unter ihnen L icinius M urena, H ortensius, L ucullus und C. H irrus.521

Wiedemm zeigt sich also, wie C icero in den Paradoxa den Bezug herstellt zur Politik, indem er Beispiele aus der nur wenige Jahre zurückliegenden Zeitgeschichte anfuhrt, um einen Grundsatz der stoischen Philosophie zu erläutern und zu bewei­ sen. Seine Kritik nchtet sich gegen führende Männer im Staat, die nach der

515 Att I 18,6 516 Att I 18,7 517 Att 1 19,6-9 518 Att I 19,6 ,19 Att II 1,7, parad 38 520 Att 119,1 521 Hortensius, ff 40 III aus Plinius, nat hist 1X168-172

- 128 -

Meinung des Konsulars in der politischen Wirklichkeit ihrem Anspruch nicht gerecht werden, prin cipes civitatis zu sein. C icero bildet im fünften Paradoxon den Gegensatz zwischen dem Weisen, der

frei ist, weil er sein Leben nach eigener Entscheidung gestalten kann, und dem Nichtweisen, gefangen in den Leidenschaften, in der Gier nach Macht und Reich­ tum und Luxus. Sklaven sind die, die in ihrer Sucht nach einer besonderen Stellung in unwürdigster Weise selbst einem C ethegus dienen, Mitverschwörer C atilinas und homo non probatissimus.522 Der Tor lebt in Knechtschaft (servitus) auch dann, wenn er seinem Anspruch nach zu den Ersten im Staat gehört und zu denen, die tm Luxus leben.523 Servi igitur omnes improbi, servi!52425Auch imperator kann nach C iceros Worten zu Recht nur derjenige sein, der in seiner Haltung und Pflichterfüllung beweist, daß er seines Titels würdig ist: ille videat, quo modo imperator esse possit, cum eum ne liberum quidem esse ratio et ventas ipsa •

convincat.

60«

Wieder hat C icero, wie bei den anderen Paradoxa auch, ausnahmslos Beispiele aus dem politischen Bereich zur Erläuterung eines philosophischen Grundsatzes gewählt. Am Ende der Abhandlung steht die philosophische Aussage der Stoa, daß allein der Weise reich sei.526 Das sechste Paradoxon wird in den Wortlaut gefaßt: quis igitur, si quidem, ut quisque quod plurimi est possidet, ita divitissimus habendus est, dubitet quin in virtute divitiae sunt? quoniam nulla possessio, nulla vis auri et argenti pluris quam virtus aestimanda e st527 Wieder führt der Konsular Beispiele aus dem politischen Bereich an. Zwei Gruppen werden gebildet: auf der einen Seite fiktive und reale (aus der sullanischen Zeit) Vertreter der Nobilität, die sich unrechtmäßig bereichert haben, auf der anderen Seite rechtschaffene, der

522 parad 40, zu C Cornelius Cethegus vgl Geizer Cicero, S 85, 92f., 97 523 parad 35, 39 524parad. 35 525 parad 41, vgl 33,37 526parad 42-52, vgl SVF III 589-603; fin HI 75, ac 1,136, rep 128 527parad. 48, vgl Kumaniecki, a O , S 132

- 129 -

Einfachheit (parsimonia) verpflichtete Vorfahren wie F abricius, M'. C urius, S cipio und M'. M anilius.528 Nicht ohne Reiz ist dabei der Hinweis C iceros auf die eigene Person - angebracht wohl, um von vornherein dem Einwand zu begegnen, er selbst sei wohl kaum ein leuchtendes Beispiel altrömischer Genügsamkeit.529 Er nimmt damit den Gedanken der Trennung von Herrschaft und Gelderwerb sowie von der Bedeutung des einfachen Lebens wieder auf, den er bereits in de re publica behandelt hatte: nolo enim eundem populum imperatorem et portitorem esse terrarum. Optimum autem et in pnvatis familus et in re publica vectigal duco esse parsimonium.530 Ein politischer Bezug des sechsten Paradoxons zur aktuellen Situation der Abfassungszeit und zur Verschwendungssucht führender Anhänger C aesars ergibt sich aus einem Brief an A tticus von Anfang April 46 mit dem

Hinweis auf die Spiele in Praeneste: ibi H irtius et isti omnes; et quidem ludi dies VIII. quae cena, quae deliciae! res interea fortasse transacta est. o miros homines! at B albus aedificat!531 Verstöße gegen die Grundsätze redlichen Finanzgebarens prangert C icero im sechsten Paradoxon an mit dem Hinweis auf das Handeln in isti ordini und auf die Proskriptionen der sullanischen Zeit.532 Den Bezug des Wortes ordo auf den ordo senatorius, "dem das facere quaestum seit der lex C laudia verboten war", hat K umaniecki uberzeugend deutlich gemacht.533 Lang ist die Liste der Vorwürfe

gegen den fiktiven Vertreter der Nobilität: Betrug an Verbündeten, Mißbrauch öffentlicher Gelder, Bestechung bei Gerichtsverfahren und Wahlen, Ausplünde­ rung von Provmzen, Vertreibung der Nachbarn, Raubzüge im eigenen Lande und Verstöße gegen viele andere Rechte aus Geldgier.534

528 parad 43, 46, 48, 50 529 parad 48, 49f Es mag auch sein, daß Cicero es in diesem Zusammenhang für notwendig erachtete, sein eigenes Verhalten beim Kauf eines repräsentativen Hauses in Rom von Crassus im Herbst 62 zu verteidigen (vgl. fam V 6,2, Att I 12,2, 13,6,20,3, Fuhrmann. Cicero, S. 116ff) 530 rep IV 7 531 Att XII 2,2 532 parad 43,46 533 Kumaniecki, a O , S 132 534 parad 43, 46

- 130 -

Ein besonderes Beispiel für Raffsucht und Mißbrauch des Reichtums fand der Konsular in M. L icinius C rassus, mit dem Beinamen D ives, Konsul der Jahre 70 und 55.535 Obwohl der Name nicht genannt wird, läßt sich aus einer Textstelle der Paradoxa Stoicorum: in Verbindung mit de officiis eindeutig erschließen, daß es sich bei dem angeführten Exempel um C rassus handelt.536 Auch G elzer hat in seiner CiCERO-Biographie die "Schilderung unersättlicher Habgier" in den §§ 45 und 46 der Paradoxa überzeugend auf eben diesen C rassus bezogen.537 Als C icero die stoischen Paradoxa in de finibus erneut behandelte, fügte er als Beispiel - in diesem Falle unter Nennung des Namens - C rassus ein.538 Auch im ersten und dritten Buch von de officiis wird M. C rassus im Zusammenhang mit der Geldgier erwähnt.539 Wie im Falle des C lodius liegt die politische Bedeutung dieses Beispiels zum einen dann, daß im nachhinein - C rassus ist im Jahre 53 auf einem Feldzug gegen die Parther zu Tode gekommen - der Konsular seine Gegnerschaft in der Auseinandersetzung um die Fühmng im Gemeinwesen ausdrückt, zum andern in der engen Verbindung zwischen C rassus und C aesar während dieses Machtkamp­ fes.

Die Untersuchung; der sechs Paradoxa unter dem Gesichtspunkt, welchen Bezug zur Politik die in den Text eingefügten historischen und zeitgeschichdichen Beispiele haben, führt zu einem zweifachen Ergebnis. Zlunächst wird die Funktion der Exempel erkennbar, die ausgewählten Grundsätze der Stoa durch die Wirklich­ keit bestätigen zu lassen. Daraus geht hervor, daß es - nach C iceros Ansicht -

535 Vgl off ffl 73, 75 536 In parad 45 fuhrt Cicero gegenüber einem fiktiven Gesprächspartner an multi te audierunt, cum diceres neminem esse divitem nisi qui exercitum alere posset suis fructibus... Mit nahem gleichem Wortlaut gibt er in de officiis, diesmal ausdrücklich unter Nennung des Namens, dessen Ansicht so wieder: ut nuper M. Crassus negabat ullam satis magnam pecuniam esse ei, qui in re publica princeps velle esse, cuius fructibus exercitum alere non posset (off I 25) Deutlicher auch als in den Paradoxa Stoicorum wird hier der politische Zweck des Reichtums bezeichnet 537 Geizer1Cicero, S 272 53! fin ffl 75 539 off. I 25, III 73, 75

- 131 -

keinen Widerspruch gibt zwischen den radikal erscheinenden Aussagen der stoischen Philosophie - in der Abhandlung - und den allgemein herrschenden Auffassungen in der Realität des politischen und gesellschaftlichen Lebens. C icero erfüllt auf diese Weise die im Prooemium gestellte Aufgabe, Philosophie und Redekunst so miteinander zu verbinden, daß Überzeugungskraft und Glaubwürdig­ keit des Redners verbessert werden.540 Außerdem haben die exempla eine politische Bedeutung. Dies wird freilich erst genau erkennbar, wenn die Paradoxa Stoicorum im Zusammenhang gesehen werden mit anderen Äußerungen C iceros in seinen Reden, im Briefwechsel mit seinem Bruder Q uintus, mit Atticus und mit politischen Freunden, schließlich in anderen philosophischen Schriften. Die Vielzahl der Textstellen in der Abhandlung mit Bezug zur Zeitgeschichte ist ein Beleg dafür, daß der Konsular mit der Schrift eine gegen C aesar gerichtete politische Demonstration verbinden wollte - aller­ dings in verhüllter Form. An keiner Stelle wird der Machthaber selbst genannt; alle Bezüge zu ihm müssen durch den Leser geknüpft werden. Gleichwohl sind die Anspielungen für jeden, der sachkundig liest, unübersehbar. In ihrer politischen Absicht sind daher die Paradoxa Stoicorum dem Brutus an die Seite zu stellen. Zwei Ziele lassen sich erschließen. C icero geht es erstens um die Rechtfertigung seines politischen Handelns im Bürgerkneg. Von den Lesern seiner Abhandlung innerhalb der Nobilität konnte dieses persönliche Exempel auch ms Allgemeine gewendet und damit als Trostmittel nach der Niederlage der Senatspartei bei Pharsalos aufgefaßt werden. Zum andern bilden die Paradoxa Stoicorum eine späte Abrechnung mit politischen Gegnern, vor allem mit C lodius unter dem Aspekt der Verbannung. Beide Ziele der Schrift haben Bezug zu C aesar und zur politi­ schen Situation der Zeitgeschichte. Gleichwohl wäre es verfehlt, die Paradoxa ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung in der Auseinanderset­ zung um die Macht in der res publica zu sehen. Die dann enthaltenen Grundge­ danken, vor allem der philosophische Grundsatz der Stoa von der Autarkie der

540 Vgl Bringmann, a O ,S 62

- 132 -

Tugend, erfüllten C icero als feste Überzeugung; dies zeigen seine Bnefe aus den Jahren 46 und 45 sowie Textstellen aus den Tusculanes disputationes und aus de finibus.541

4.4. Philosophischer Sinn und politische Bedeutung der stoischen Grundsätze

Uber die bisher votgenommene Textanalyse hinaus können die Paradoxa Stoicorum auf ihre politische Bedeutung hm noch untersucht werden anhand des philosophischen Sinnes, den die dann behandelten Grundsätze der Stoa haben. Dies kann wegen der Fidle der Zusammenhänge hier freilich nur exemplansch geschehen. Wegen der weitreichenden politischen Bedeutung, die bisher schon deutlich geworden ist, wird dazu das Beispiel des Freitodes gewählt - wobei zuvor noch einmal ausdrücklich festgestellt werden muß, daß mit großer Wahrscheinlich­ keit C atos Selbsttötung in Utica zur Zeit der Niederschnft noch nicht bekannt war. Es kann also ausgeschlossen werden, daß dieser Aspekt bei C icero - wenig­ stens zu dieser Zeit - Einfluß gehabt hat auf die Konzeption der Abhandlung. Daher kann nur gefragt werden, ob die .Lehrmeinung der Stoa zum Problem des Freitodes für ihn überhaupt einen Bezug zur Politik hatte. Bei der Erörterung des zweiten Paradoxons - es geht um die Autarkie der Tugend - macht C icero auch an seinem eigenen Beispiel deutlich, daß die Philoso­ phie und das Bewußtsein, recht gelebt und gehandelt zu haben, schützen gegen die Furcht vor dem blinden Walten des Schicksals.542 Dann ist mehr zu sehen als nur die Reaktion auf eine aktuelle politische Situation. Im sechsten Buch von de re publica hatte er bereits den entscheidenden Gmnd genannt, warum ein Mensch sich nicht selbst den Tod geben darf: Ein jeder hat die Aufgabe, diese Erde zu

541 Z B fam V 22,5, VI l,3 f, 2,3f, 3,2, VII 3,4, IX 16,5, Tuse V 12ff, 48, fin III 43, IV 30 542

- 133 schützen, und einem jeden ist göttlicher Geist eingegeben.543 Weiter heißt es dann in der Mahnrede an S cipio: quare et tibi P ubli et piis omnibus retinendus animus est in custodia corpo­ ris, nec miussu eius a quo ille est vobis datus, ex hominum vita migrandum est, ne munus humanum adsignatum a deo defugisse videamini.544 Im Sinne dieser Maxime argumentiert C icero auch in der Sestiana gegenüber dem Vorwurf, er habe versäumt, konsequent Widerstand gegen seine politischen Gegner zu leisten und im Kampf den Tod zu suchen.545 Ausführlich begründet er sein Handeln damit, daß er die Aufgabe hatte, den Staat und seine Mitbürger zu schützen.546 Auch habe er keineswegs den Tod gefürchtet.547 So kommt er zu dem Ergebnis: haec ego et multa alia cogitans hoc videbam, si causam publicam mea mors peremisset, neminem umquam fore qui auderet suscipere contra improbos civis salutem rei publicae; itaque non solum si vi interissem, sed etiam si morbo exttnctus essem, fore putabam ut exemplum rei publicae conservan­ dae mecum simul interiret.548 Den Vorwurf, in der politischen Auseinandersetzung aus Feigheit geflohen zu sein, nimmt C icero also zum Anlaß, sein Handeln als beispielhaft zur Rettung des Staates herauszustellen. Diese Auffassung bestätigt er durch einen Brief an M. M arius von Ende August/Anfang September 46.549 Der Grundgedanke der Stoa, auf dem ihre gesamte Ethik aufbaut, besagt, daß der Mensch, der ein tugendhaftes Leben führen will, in Überemstimmung mit der Natur leben soll.550 Unter dieser Natur wird nach stoischer Lehrmeinung einerseits

543 rep VI 15 544 rep VI 15 545 Sest 45 546 Sest 46, vgl fin III 68 547Sest 47 548 Sest 49 549 fam VII 3,4 550 Diog Laert. VII 87f, SVF I 552, III 4

- 134 -

die allgemeine Natur im Kosmos verstanden, andererseits die eigentümlich menschliche Natur.551 Von dieser Grundannahme ausgehend hat die altere Stoa (Z enon, K leanthes, C hrysipp) den Gedanken entwickelt, daß sich der Mensch in

seiner besonderen Verbindung von biologischem und vernünftigen Wesen zu einer Vollkommenheit des Daseins ausbilden soll. Denn seine Entwicklung ist kein mit Notwendigkeit festgelegter Vorgang, sondern eine Aufgabe, eine Pflicht.’52 Trotz der fundamentalen Pflicht zur Selbsterhaltung und Selbstentwicklung gibt es nach der Lehrmeinung der Stoa aber auch das Recht auf den "wohlerwogenen Freitod".553 Bei

D iogenes

L aertius

findet

sich

diese

Auffassung

so

wiedergegeben:"Wenn er gute Grunde hat, so wird der Weise...sich auch selbst das Leben nehmen zur Rettung des Vaterlandes oder der Freunde und wenn er von gar zu hartem Leid heimgesucht wird, sei es von Verstümmelung oder von unheilbarer Krankheit.554 C icero knüpft daran an. Im dritten Buch von de finibus legt er C ato die Worte

in den Mund: Das Naturgemäße ist der Bezugspunkt aller unserer Pflichten und Überlegungen, in his et excessum e vita et in vita mansionem, in quo enim plura sunt quae secundum naturam sunt, huius officium est in vita manere; in quo autem aut sunt plura contraria aut fore videntur, huius officium est de vita excedere.555 Die Entscheidung darüber, ob der Weise der Pflicht folgt, im Leben zu bleiben, oder der Pflicht, aus dem lieben zu scheiden, liegt allem bei ihm: prima autem illa naturae sive secunda sive contraria sub ludicium sapientis et dilectum cadunt, estque illa sublecta quasi materia sapientiae.556 Mit dem Begriff officium bezeichnet C icero, quod ita factum est, ut eius facti probabilis ratio reddi possit.557

Diog Laert VII 89, SVF I 555, III 4 552 SVF III 140-146, 178-189 ”3 SVF III 757ff, vgl Zeller Philosophie der Griechen, III Teil, 1 Abt, S 313-318, Pohlenz Stoa, Bd I, S 156 554Diog Laert VII 130, SVF III 757 555 fin III 60 ”6 fin III 61 ”7 fin III 58

- 135 -

Wenn es also um die Entscheidung geht, im Leben zu bleiben oder das Leben zu verlassen, stellt sich dem Weisen die Aufgabe, wohl abzuwägen, welche der Alter­ nativen überwiegend naturgemäß ist; die Entscheidung als Voraussetzung der folgenden Tat kann einsichtig und überzeugend gemacht werden.558 Dazu kommt es auch auf den richtigen Zeitpunkt an, den Augenblick der Einsicht des Weisen, ob er mehr Naturgemäßes in seinem lieben vorfindet oder nicht. C icero läßt in de finibus bonorum et malorum im Zusammenhang mit Proble­

men der Ethik durch C ato das Ideal des Weisen schildern entsprechend der stoischen Tradition. Im dritten und vierten Buch geht es also um philosophische Fragen, nicht um politische. Die fiktive Zeit, in der C ato spricht, ist das Jahr 52.559560 C icero vermeidet somit in seiner philosophischen Schrift den unmittelbar gegebe­

nen Bezug zum tatsächlich geschehenen Freitod C atos in Utica im April 46, obwohl diese Tat dem Autor bei der Niederschrift des Werkes im ersten Halbjahr 45 gegenwärtig gewesen sein muß. Gezeichnet wird hier das Bild des Weisen, wie es C icero bereits in de re publica erscheinen läßt.360 In den Paradoxa Stoicorum stellt er nun das Ideal in die politische Wirklichkeit, indem er es am eigenen Schicksal exemplifiziert.561 Gleichsam zur Rechtfertigung seines Entschlusses, nach politischen Niederlagen - Verbannung und Pharsalos nicht den Freitod gesucht zu haben, bedient er sich eines stoischen Lehrsatzes, wie das zweite Paradoxon zeigt: quam ob rem ut inprobo et stulto et inerti nemini bene esse potest, sic bonus vir et sapiens et fortis miser esse nemo potest; nec vero, cuius virtus moresque laudandi sunt, eius non laudanda vita est, neque porro fugienda vita est quae laudanda est, esset autem fugienda, si esset misera..562 Seine virtus, seine mores hält C icero für lobenswert - wie er das auch in dem Bnef an M arius feststellt; zudem fühlt er sich frei von Schuld. Denn zwei Dinge

558 Vgl das Beispiel Platon/Dionysius in fin IV 56 559 Vgl .fin IV 1 560 rep 126,28 561 parad 17f 562 parad 19

-

136

-

halten ihn aufrecht die Vertrautheit mit der Wissenschaft und der Ruhm gewaltiger Erfolge. Wenn der Konsular mithin - so ist er zu verstehen - die guten und die schlechten Dinge in seinem Leben abwägt, dann erweist sich seiner Überzeugung nach, daß die guten überwiegen. Also gibt es für ihn keinen zureichenden Grund, aus dem Leben zu scheiden. Die politische Bedeutung der Paradoxa Stoicorum erschließt sich somit auch aus dem Sinn darin enthaltener philosophischer Aussagen. C icero wägt im Geiste der stoischen Lehre wohl ab, ob es in der konkreten Situation des römischen Bürger­ krieges für ihn - und auch andere in der gleichen Lage - Grund dafür gibt, im Leben zu bleiben oder das Leben zu verlassen. Er entscheidet sich für das Leben und setzt damit ein Zeichen für alle, die seine Arbeit über die Grundsätze der Stoa lesen. ClCEROS Abhandlung über einige merkwürdige stoische Lehrmeinungen ist selbst

eine merkwürdige Schrift: Obwohl er in der Vorrede den Eindruck zu erwecken versucht, philosophische Aussagen zu dem Zweck heranzuziehen, eine rhetonsche Übung vorzulegen, stellt die Arbeit im Kern eine politische Kundgebung gegen C aesar dar. In seiner Verbindung von Philosophie und Rhetorik auf der einen

Seite mit dem beabsichtigten Bezug zur Politik andererseits bildet das kleine Werk ein ungewöhnliches Dokument für die Fähigkeit des Verfassers, eine Aussage gleichzeitig zu verbergen und zu enthüllen. Daher ist auch die unterschiedliche Beurteilung in der Forschung zu erklären; je nach dem gewählten Gesichtspunkt kann die Abhandlung nur als formales rhetonsches Spiel oder auch als politische Äußerung gegen C aesar betrachtet werden. Die Absicht der politischen Wirkung ergibt sich zum einen daraus, daß C icero im Prooemium B rutus und C ato - als einen der führenden Gegner C aesars im noch andauernden Bürgerkrieg - zusammenfügt, zum andern aus dem Bemühen, das eigene politische Handeln im vorangegangenen Jahrzehnt zu rechtfertigen, dadurch sich selbst und die Gesinnungsgenossen in der Nobilität zu trösten, schließlich aus dem Angnff auf C aesar als den Verantwortlichen für den

- 137-

zerrütteten Zustand des Gemeinwesens zur Zeit der Niederschrift. Die Paradoxa Stoicorum schließen sich eng an den Brutus an; beide Schriften behandeln die Redekunst, beide enthalten auch Politisches. Indessen zeigt die Abhandlung über die stoischen Grundsätze viel stärker die aggressive Absicht C iceros gegenüber C aesar auf. In der Zeit des Feldzuges m Africa mußte eine Schrift wie die

Paradoxa mit ihren Hinweisen auf die Gewalttaten der jüngsten Vergangenheit und auf die Täter - auch wenn sie namendich nirgendwo genannt werden - als Ausdruck des Protestes und als ein Aufruf zum Widerstand gegen die Alleinherr­ schaft wirken. In Form und Inhalt ist das Werk mit den Ereignissen seiner Entste­ hungszeit so eng verbunden, daß es als eine auf persönlicher Erfahrung C iceros im römischen Bürgerlcneg beruhende politische Streitschrift betrachtet werden kann, die dem Ziel dient, den eigenen Standpunkt m der Auseinandersetzung öffendich klarer zu bezeichnen, als das in der Vergangenheit geschah - und eindeutiger wohl auch, als er seit dem Jahre 49 tatsächlich war. Die Paradoxa Stoicorum sind somit trotz ihrer durch die Umstände erzwungenen verhüllenden Form einer rhetori­ schen Übung dem Inhalt nach eine politische Aussage C iceros in eigener - auf die Politik bezogener - Sache, so wie er sich von seinen Lesern verstanden wissen wollte.

Zum Schluß stellt sich die Frage, was für C icero den Vorrang hatte: die rhetorische Übung oder die politische Aussage? Nach dem Ergebnis der Textanalyse heißt die zugespitzte Antwort: C icero geht es um Politik in rhetorisch-philosophischer Form. Beides erscheint gleichwertig und kann nicht voneinander getrennt werden. Die Paradoxa Stoicorum sind demnach sowohl der Versuch, philosophische Grund­ sätze - der Stoa - mit der Wirklichkeit überein zu bringen, als auch die Gelegenheit, die für C icero

so

bedeutsame Wirklichkeit • des römischen Bürgerkrieges - so

darzustellen, daß seine eigene Auffassung über ethisch begründete Politik sichtbar und damit auch das Handeln semer Gegner als gegen die Moral gerichtet verurteilt wird. Der Konsular hatte mit seiner Abhandlung - wie sich später noch ausführli­ cher zeigen läßt - formal und der Sache nach seine ihm eigentümliche Methode

- 138 -

gefunden, sich mit der Alleinherrschaft Caesars und den politischen Folgen auseinanderzusetzen.

5. Die Cato-Denkschrift Ciceros und Caesars Reaktion

5.1. Bedeutung und Entstehungsgeschichte der Cato-Denkschriften

Unter den philosophischen Arbeiten C iceros aus der Zeit zwischen 46 und 44 kommt seiner Denkschrift fur M. P orcius C ato eine besondere Bedeutung zu: Durch C atos Eintreten für die Senatspolitik, die ihn zu einem unerbittlichen Gegner C aesars werden ließ, durch seine auf der Grundlage der stoischen Philo­ sophie beruhende menschliche und politische Integrität, durch die Umstände seines Todes im römischen Bürgerkrieg, schließlich wegen der Reaktion C aesars auf das Werk. C iceros Lobrede auf den Toten ist also von vornherein untrennbar verbunden mit den politischen Verhältnissen der Abfassungszeit. C icero hat diese Arbeit ausdrücklich zu seinen Philosophica gerechnet, wie aus

der Zusammenstellung im zweiten Buch von de divinatione hervorgeht.563 Danach unterscheidet er ein Atticus gewidmetes liber de senectute von einer Schrift "Cato", die deswegen den Charakter eines philosophischen Werkes hat, weil die Philosophie den guten und tapferen Mann bildet.564 Die Bemerkung zeigt, daß der Verfasser in besonderer Weise die philosophisch-sittliche Grundhaltung C atos hervorzuheben wünscht. Die Begründung für diese Absicht nennt C icero in einem Brief an A tticus vom Mai 46, in dem er die Befürchtung äußert, daß selbst dann,

563 div II 3, vgl Süss Cicero, S 345ff 564 div II 3, vgl Schäublin in der Anmerkung zu dieser Textstelle in der Textausgabe von de divinatione, S 344 und Süss Cicero, S 346, Anm 1

-

140

-

wenn er sich beim Lobe C atos nur auf das Ethische beschranken wollte, die Denkschrift bei den Anhängern des Alleinherrschers Anstoß erregen würde.565 Es gab also von vornherein bei ihm keinen Zweifel darüber, daß eine Ehrung des Toten politische Bedeutung haben mußte. Der rhetorische Kunstgriff des Konsu­ lare würde bei einem weiterdenkenden Leser allerdings die Frage auslösen, warum in einer Lobrede auf C ato das Philosophische so betont und die Politik ausgeklam­ mert wurde. Auf diese Weise erreichte er im Verständnis des Adressaten das gewünschte Ergebnis emes politischen Bezuges, ohne Personen oder Faktoren nennen zu müssen, die mit dem Freitod von Utica im Zusammenhang standen. Die Umstände, unter denen die Denkschrift entstand, lassen sich ziemlich genau bestimmen.566 Am 13. April 46 hatte C ato als müitänscher Führer in Utica den Freitod gesucht, nachdem durch den Sieg C aesars über die republikanischen Truppen unter ihrem Oberbefehlshaber Q. C aecilius M etellus S cipio am 6. April bei Thapsus die Fortsetzung des Krieges in Afnca aussichtslos geworden war. C ato wollte seine Begnadigung nicht dem Tyrannen verdanken.567

Die Nachricht von der Entscheidung in Afnca muß ein bis zwei Wochen später m Rom emgetroffen sein.568 C icero erwähnt in einem Brief an V arro, geschneben kurz nach dem 19. April, "einschneidende Neuigkeiten" (praesertim tantis postea novis rebus adlatus).569 In demselben Schreiben wird auch eine tiefe Betroffenheit erkennbar angesichts der Niederlage und seine Sorge wegen des Verhaltens von Siegern und Besiegten.570 Gegen Ende April wird C icero wohl auch vom Tode C atos in Utica erfahren haben.

Kurz darauf übermittelte B rutus, den C aesar als Statthalter m die Provinz Gallia Cisalpina entsandt hatte, dem Konsular brieflich die Bitte, für seinen Onkel eine

565 Att XII 4,2 566 Vgl Fehrle Cato Uticensis, S 285ff, Geizer Cicero, S 276ff, Geizer Caesar, S 279ff 567 Fehrle, a O , S 276, Geizer Caesar, S 248, zu den Einzelheiten des Vorgangs vgl Fehrle, a O , S 276ff, antike Belege für das Ereignis sind auf der S 278, Anm 178 verzeichnet 568 Geizer Cicero, S 273 569 fam 1X3,1 570 fam IX 3,2 und 4

- 141 -

Denkschrift zu verfassen.571 Die Aufgabe hielt C icero wegen der politischen Auswirkungen, die eine Lobrede auf den Toten in dieser Zeit unvermeidlich haben mußte, für überaus problematisch. Im Mai 46 schrieb er - in dem bereits erwähnten Bnef - an seinen Freund A tticus, der das Vorhaben unterstützt zu haben scheint: sed de C atone itpdßXri|j.a ApxtgnSsiov est. non adsequor, ut scribam, quod tui convivae non modo libenter, sed etiam aequo animo legere possint; quin etiam, si a sententiis eius dictis, si ab omni voluntate consiliisque, quae de re p. habuit, recedam t|/iXe>erque velim gravitatem constantiamque eius laudare, hoc ipsum tamen istis odiosum aKoucrpa sit. sed vere laudari illi vir non potest, nisi haec ornata sint, quod ille ea, quae nunc sunt, et futura viderit et ne fierint contenderit et facta ne videret vitam, reliquerit.572 Hier, in einem vertraulichen Schreiben, äußert C icero, was er wirklich denkt und in einer öffentlichen Lobrede nicht zu sagen wagt: C ato hat klar gesehen, wohin die politische Entwicklung gehen wird; er hat sich dagegengestemmt und schließlich sein Leben aufgegeben, als er erkennen mußte, daß sein Widerstand vergeblich war. C icero suchte sich bei der schwierigen Aufgabe der Denkschrift dadurch abzusi­

chern, daß er ausdrücklich die Urheberschaft für den Gedanken an eine Lobrede auf den Caesargegner C ato dem Gefolgsmann des Dictators, B rutus, zuschneb. So erwähnte er B rutus gegenüber im Orator, daß er dieses Werk unmittelbar nach der Vollendung des Cato begonnen habe, und fügte dann hinzu: ...quem, ipsum numquam attigissem tempora timens inimica virtuti, nisi tibi hortanti et illius memoriam mihi caram excitanti non parere nefas esse duxissem, sed testificor me a te rogatum et recusantem haec scribere esse ausum, volo enim mihi tecum commune esse cnmen, ut, si sustinere tantam quaestionem non potuero, iniusti oneris impositi tua culpa sit, mea recepti.573

571 Fehrle, a O , S 285, Gelzer Cicero, S 276 572 Att XII 4,2

-

142

-

Offen und nachdrücklich werden hier - in einem für die Öffentlichkeit gedachten rhetorischen Werk zwei Punkte dargelegt: die Urheberschaft des B rutus an dem Gedanken, eine Denkschrift für C ato

zu

verfassen, und C iceros Furcht vor den

Folgen. Damit ist zunächst die Frage gestellt, ob C atos politische und militärische Leistung in der Auseinandersetzung mit C aesar nach der Niederlage der republika­ nischen Truppen in Africa so stark nachwirkten, daß es für C icero ein überaus großes Wagnis bedeuten mußte, mit einer Denkschrift für den Toten an die Öffentlichkeit zu treten. C ato hatte bereits seit dem Jahre 63 semen Einfluß auf die Politik im Senat, der auf der Integrität seiner Persönlichkeit und der Tatkraft bei der Durchsetzung seiner politischen Ziele beruhte, gegen C aesar benutzt, weil er dessen Machtansprüchen mißtraute und m ihnen eine Gefahr für die Ordnung des Gemeinwesens sah.574 Beispiele für diese Auseinandersetzung sind der Kampf um das Ackergesetz im Februar 59 - dem Konsulatsjahr C aesars

C atos Warnun­

gen vor den Risiken außerordentlicher Kommandos für den Bestand der res publica während des Jahres 56, der Antrag auf Auslieferung C aesars an die Germa­ nen wegen der Völkerrechtsverletzungen m Gallien als Reaktion auf dessen Bericht über die Feldzüge des Jahres 55, C atos Widerstand gegen eine Bewerbung C aesars um das Konsulat für das Jahr 52 in Abwesenheit und die kompromißlose Haltung bei der Diskussion im Senat um eine friedliche Regelung der Ansprüche C aesars Anfang Januar 49, an deren Ende das senatus consultum ultimum und die Übertra­ gung des Oberkommandos an P ompeius stand.5’5 Aus dieser politischen Haltung heraus war es konsequent, daß C ato sich im Bürgerkrieg dem P ompeius anschloß und dann auch militansche Aufgaben m Sizilien, auf Rhodos und bei Dyrrhachium übernahm.5’6 Nach der Niederlage bei Pharsalos ging er mit einem Teil der republi­ kanischen Truppen nach Africa, wo er unter dem Oberbefehl des M etellus S cipio bei der Verteidigung L'ticas und der Küste gegen C aesar eine wichtige militansche

,74 Fehrle, a O , S 68fF 575 Vgl Fehrle, aO zum Ackergesetz S 121ff, zu den Warnungen S 170ff,zur Auslieferung S 176, zur Eiewerbung S 213fF, .zur Senatsdiskussion S 237ff ’76 Ebd , S 244ff

- 143 -

Funktion erfüllte.577 Er gehörte also zu den führenden Römern, die ohne jede Nachgiebigkeit Widerstand leisteten gegen den Herrschaftsanspruch C aesars. Die Tatsachen und Motive der politischen und militärischen Gegnerschaft C atos zu C aesar waren aber bekannt und konnten auch nach seinem Tode in Utica eigentlich keine so entscheidend neue Situation schaffen, daß C icero schwerwie­ gende Folgen seiner Denkschrift für den Toten hätte fürchten müssen. Was zudem die Tatsache seines Todes selbst anging, so war er außerordentlich nicht im Verlauf des Bürgerkrieges: P ompeius war als Oberbefehlshaber in Ägypten ermordet worden; unzählige Soldaten und Zivilpersonen hatten ihr Leben lassen müssen; andere militärische Führer des Feldzuges in Africa, darunter M etellus S cipio, wurden auf der Flucht getötet oder auf Befehl C aesars umgebracht, so auch L ucius C aesar, dessen Hinrichtung C icero tief verstörte.578

Es muß aber einen schwerwiegenden Grund dafür gegeben haben, daß der Konsular mit so großen Bedenken an die Ausarbeitung der Lobrede auf den Toten ging. Ein Hinweis darauf ist in der Textstelle mit der Bemerkung C iceros enthal­ ten, daß er ein Versagen vor der Aufgabe fürchtete. Seine Furcht kann zwei ganz verschiedene Gründe gehabt haben: die Schwierigkeit des rhetorischen Problems oder die Ungewißheit der politischen Folgen. Da der zitierte Abschnitt in einem Werk enthalten ist, das die systematische Behandlung der Redekunst zum Gegenstand hat, kann vermutet werden, daß C icero die Denkschrift für C ato als ein Beispiel anführt, bei dem die rhetorische

Gestaltung höchst schwierig ist. Für diese Vermutung spricht der innere Zusam­ menhang der Textstelle: Unmittelbar im Anschluß an die zitierten Sätze werden Probleme der Redekunst behandelt.579 Wenn C icero also gegenüber B rutus auf die Schwierigkeit der Aufgabe hinweist, die für ihn mit einer Lobrede auf C ato verbunden ist, dann kann er damit durchaus das rhetorische Problem gemeint haben.

Ebd , S 260fF 57! Zum Tode der militärischen Führer in Africa vgl Geizer Caesar, S 249f, fam IX 4 579 or 36ff ™

-

144

-

Die Textstelle kann aber auch anders ausgelegt werden, wenn sie nicht als Anfang eines Gedankenganges über die Schwierigkeiten der Redekunst aufgefaßt wird, sondern als Hinweis auf schwerwiegende und unabsehbare Folgen politischer Art. C iceros Furcht, er werde vor der Aufgabe versagen, bezieht sich dann nicht auf das rhetorische Problem, sondern auf die Ungewißheit der Reaktion Caesars. Zur Begründung dieser Auffassung läßt sich an fuhren, daß der Konsular im Abschnitt davor Politisches anspricht; er lobt B rutus für die vorbildliche Verwal­ tung seiner Provinz: ergo ex omnibus tems una Gallia communi non ardet incen­ dio, in qua frueris ipse te, cum in Italiae luce cognosceris versansque in optimorum civium.580 Das ist eine hochpolitische Bemerkung zur Abfassungszeit des Orators im Herbst 46, wenige Monate nach der Rückkehr C aesars vom afrikanischen Feldzug. Eingefugt ist diese Textstelle freilich in einen gedanklichen Zusammen­ hang, der gebildet wird durch das rhetonsche Problem, den idealen Redner zu beschreiben, durch den Ausdruck der Bewunderung und der Zuneigung C iceros für B rutus, in dessen Wesen sich die Gegensätze severitas und comitas auf das Beste vereinigten, und durch den Hinweis darauf, daß der Angesprochene trotz seiner großen Aufgabe noch Zeit für wissenschaftliche Studien finde, und semper aut ipse scribis aliquid aut me vocas ad scribendum.581 - Der Abschnitt wirkt beispielhaft für die Vorgehensweise C iceros in den Schriften dieser Zeit. Einerseits will er ein politisches Zeichen setzen mit der Lobrede auf Cato, den vorbildlichen Caesargegner, andererseits fürchtet er die Reaktion C aesars und seiner Gefolgsleu­ te. So verbirgt er sein Vorhaben hinter einem dichten Geflecht von rhetorischen Problemen, Lobsprüchen für B rutus und Hinweisen auf wissenschaftliche Schnftstellerei. Mit gT°ßem literarischem Geschick formuliert C icero seine wahren Gedanken so, daß zwar der Kundige sie zu deuten weiß, der Argwöhnische aber getäuscht wird.

580 or 34 581 or 34

■■145 -

Im Brutus bereits hatte er C ato lobend erwähnt, allerdings politisch wenig anstö­ ßig als vollkommenen Stoiker und wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten.582 Gleiches gilt für die Paradoxa Stoicorum - wobei die politische Bedeutung der Namensnennung indessen stärker ins Gewicht fiel durch den Bezug der Abhand­ lung zur Politik insgesamt.583 Die dritte Erwähnung C atos während weniger Monate, zudem in einer literarischen Arbeit, die ganz auf dessen Person bezogen war, barg über die Tatsache der Wiederholung hinaus noch Brisanz durch den Kernpunkt der darin enthaltenen Aussage. Die Schlüsselstelle in dieser Hinsicht ist C iceros Bemerkung im Orator: tempora tim ens inimica virtuti.584 Darin drückt sich

seine Furcht aus, daß ein Lob der virtus C atos in der Zeit nach C aesars Sieg bei Thapsus ein Risiko bedeutete für den Verfasser. Zunächst kann aber nur die Vermutung geäußert werden, daß der gesuchte Grund in der moralischen Integrität des Toten zu finden ist, deren rühmende Erwähnung in einer Denkschrift C aesar zu strafenden Maßnahmen reizen könnte, weil der Sieger des Bürgerkrieges fürch­ tete, daß C ato durch die Festigkeit seiner politischen Überzeugung und durch sein konsequent bis in den Tod hinein ausgeführtes Handeln zum Symbol des standhaf­ ten Verteidigers der res publica würde. Um die Vermutung zu belegen, müssen die Reaktionen C aesars auf das Erscheinen der Lobrede untersucht werden. C aesar reagierte in der Tat auf die Denkschrift. Anfang Mai ließ er zunächst

durch A ulus H irtius eine Gegenschrift verfassen als Zeichen dafür, daß er nicht gesonnen war, der Entwicklung einfach ihren Lauf zu lassen. Diesen Schritt kommentierte C icero in einem Bnef an Atticus vom 9. Mai 45 geradezu erleich­ tert: qualis futura sit C aesaris vituperatio contra laudationem meam, perspexi ex eo libro, quem H irtius ad me misit, in quo colligit vitia C atonis, sed cum maximis laudibus meis...volo enim eum divulgan.S85 Kurz darauf bat er semen Freund um

582 Brut 118 583 parad 1-3 584 or 35 585 Att XII 44,1, die Bitte um Veröffentlichung wird wiederholt am 13 und am 17 Mai, vgl Att XII 48,1, XII 53,2

-

146

-

dessen Urteil über die Zuschrift (epistula), quae mihi quasi TtpotcXactpa videtur eius vituperationis, quam C aesar scripsit de C atone.586 Sobald C aesar nach seinem Sieg bei Munda, 17. März 45, Zeit fand, verfaßte er selbst eine Gegenschrift zu C iceros Lobrede auf C ato.587 Die Entstehungszeit ist nicht genau bekannt, doch gibt es einen terminus ante quem in einem Brief an A tticus vom 23. August 45, in dem der Konsular beiläufig erwähnt, daß C aesar

durch B albus und O ppius von seiner (C iceros, H.W.) Lektüre der Anticatones unterrichtet sei.588 Einen Tag später teilte C icero mit, daß er an C aesar geschneben und sich in dem Brief lobend über dessen Werk geäußert habe.589 Merkwürdig bleilbt die von C icero erwähnte Annahme, C aesars Schrift gegen C ato werde im wesentlichen derjenigen gleichen, die H irtius verfaßt hatte. Es mag

freilich sein, daß H irtius in einem seiner Briefe, von denen der Konsular A tticus berichtet, über die Absicht C aesars geschrieben hat, selbst einen Anticato verfas­ sen zu wollen.590 Doch ist dann weiterhin ungeklärt, worauf C icero seine Annahme über die Ähnlichkeit der beiden Schriften - des H irtius und C aesars stützen konnte. - Erklärlich wird das nur unter einem Gesichtspunkt: Der Konsular hatte erkannt, daß die Art, wie er seine laudatio auf C ato abgefaßt hatte Beschränkung auf philosophisch-ethische Wesenszüge unter Aussparung des Politischen -, gar keine andere sinnvolle Entgegnung zuließ, als sie dann überein­ stimmend von H irtius und C aesar geschrieben wurdle. Wenn das zutrifft, dann hätte C icero in der Tat das im Brief an A tticus vom Mai 46 angesprochene "archimedische Problem" der Denkschrift: auf die einzig mögliche Weise gelöst: eine Lobrede mit politischer Wirkung zu verfassen, die selbst nicht politisch,

586 Att XII 46,4 587 Geizer Caesar, S. 280, Geizer Cicero, S 315; Fehrle, a.O , S. 294, Tschiedel Anticato, S 9f 588 Att XIII 55,1 585 Att XIII 56,1; Tschiedel fuhrt unter Bezug auf Briefe Ciceros an, daß der "irgendwann zwischen dem 11. Mai und dem 23 August 45" den Anticato erhalten habe, s. S. 41 590 Att XII 36,3,40, vgl Tschiedel, a.O , S 37ff

- 147 -

sondern philosophisch war.1’91 Damna hatte er seinem Freund A tticus im Juli oder August 46 berichten können: C ato me quidam delectat.592 Die Wirkung seiner Denkschrift mußte den Konsular in seiner oppositionellen Haltung gegen C aesar mit Befriedigung erfüllen. Der Alleinherrscher war so gereizt, daß er sich öffentlich zur Reaktion veranlaßt sah; er mußte aber auf eine Weise antworten, die den Urheber der Kontroverse in jeder Hinsicht unversehrt ließ. C icero hatte dem Dictator das Feld aufgezwungen, auf dem eine politische Auseinandersetzung nur mit den Waffen auszufechten war, die er selbst meister­ haft zu fuhren verstand. Darüber hinaus wurde durch diesen Vorgang ein Weg aufgezeigt, der sich künftig gefahrlos begehen keß. Mit der bedeutenden Rolle, die er C ato als Dialogpartner im dritten und vierten Buch von de finibus bonorum et malorum bei der Behandlung der stoischen Philosophie kurz darauf übertrug, nahm C icero die Möglichkeit wahr, weiterhin politische Angriffe gegen die Allein­ herrschaft C aesars auf philosophische Weise vorzutragen - oder sie doch in die philosophischen Schriften so einzubauen, daß sie ein geringes Risiko für den Verfasser bargen. Das wird in einem der folgenden Kapitel noch detailliert zu zeigen sein.

5.2. Inhaltliche Rekonstruktion

Unglücklicherweise sind von C iceros Denkschrift für C ato nur wenige Fragmente überliefert; auch der Anticato C aesars ist nicht vollständig erhalten, aber doch in einem Ausmaß, daß mehrfach versucht werden konnte, daraus auch C iceros Lobrede zu rekonstruieren.593 So problematisch diese Versuche auch sind,

so müssen die Ergebnisse hier doch erörtert werden wegen der Bedeutung, die die Kontroverse um. C ato für die Auseinandersetzung zwischen C icero und C aesar hat.594

591 Att XII 4,2 592 Att XII 5,2 593 Vgl Fehrle, a O , S 286ff, Tschiedel Anticato 594 Kumaniecki Ciceros Cato, S 168-188

-

148

-

Nach K umaniecki war C iceros Denkschrift für Cato ein "Register seiner Tugenden", dargestellt an Beispielen seines Handelns.595 Sie enthielt in einem ersten Teil das Lob auf die bona externa (die Vorfahren), die bona corporis und die bona animi (seine philosophische Überzeugung und deren Lehrer). Der zweite Teil umfaßte das Lob auf die Tugenden C atos: temperantia, iustitia, pietas, continentia und fides, daneben noch auf andere Vorzüge des Charakters; die constantia wurde vor allem mit seinem Tod exemplifiziert.596 K umaniecki belegt seinen Versuch der Rekonstruktion zum emen mit dem Aufbau des Anticato C aesars, zum andern mit der Theorie über Form und Inhalt der laudatio in C iceros Schnften.597 C icero habe - so faßt er seine Ansicht zusammen - nach dem Vorbild griechischer Enkomien (X enophon, Isokrates) mit seiner Lobrede auf C ato versucht, "ein Beispiel des sich durch eine Reihe von Tugenden auszeichnenden Helden zu geben, das ein Muster für die Nachkommenschaft zur Nachahmung eines guten und tapferen Menschen war, der nach C iceros Worten 'dank der Philosophie gut und tapfer' wurde.598 Weil C icero den Ursprung der Tugenden C atos in der Philo­ sophie gesehen habe, konnte er seine Denkschrift ihrem Wesen nach auch zu den philosophischen Werken zählen.599 Im Gegensatz dazu stellt sich nach K umaniecki det Anticato C aesars dar als ein "Register der Fehler C atos".600 Der Aufbau der Gegenschrift laßt sich nach seiner Ansicht folgendermaßen aus den Fragmenten rekonstruieren.601 Nach einem einlei­ tenden Lob auf C iceros Beredsamkeit wurde Punkt für Punkt die Tugendliste C atos dadurch widerlegt, daß C aesar die von C icero genannten Beispiele in

Vorwürfe umwandelte. Als Beweis für das fehlende moralische Maßhalten (tempe­ rantia) C atos wurde dessen Trunksucht und ein Liebesverhältnis mit der eigenen

5,5 Ebd , S 182,184 596Ebd , S 187 597Ebd, S 172fF und 186f 598Ebd, S 188 599 Ebd, S 185 600 Ebd, S 174, Tschiedel, a O , S 13ff,Att XII 44,1 601 Kumaniecki, a 0 , S 173ff

- 149 -

Schwester S ervilia angeführt.602 C atos angebliche pietas innerhalb der Familie, als Teil der umfassenden iustitia, wurde umgestoßen durch das schändliche Verhalten gegenüber seiner Gattin M arcia, die er dem viel älteren H ortensius überlassen, gleichsam ausgeliehen habe, um nach dessen Tod das Erbe antreten zu können, und gegenüber dem Bruder C aepio , bei dessen Bestattung er sich keineswegs freigebig und uneigennützig gezeigt habe, sondern habgierig.603 Dem Vorwurf des Geizes (avaritia) ließ C aesar in seiner Schrift sodann weitere Untugenden C atos folgen: arrogantia, superbia und dominatus - gestellt gegen C iceros Lob auf die dignitas, fides und constantia des Toten; bezogen war dies insgesamt auf die Mission in Cypem.604 Als weitere Beispiele für C atos Charakterfehler führte C aesar noch dessen Handeln als rücksichtsloser Richter während seiner Prätur, die

Eigenmächtigkeit als Quästor sowie respektloses und anmaßendes Verhalten gegenüber den staatlichen Autoritäten bei seiner Rückkehr aus Cypem an.605 Zusammenfassend stellt K umaniecki schließlich fest, daß "C äsar sich durchaus nicht nur auf Angriffe des privaten Lebens beschränkte, sondern auch die öffentli­ che Tätigkeit C atos kritisierte".606 In seiner ausführlichen Untersuchung der Testimonien und Fragmente zu C aesars Anticato bestätigt T schiedel im wesentlichen diesen Rekonstruktionsver-

such K umanieckis.607 Danach kritisierte C aesar an dem Toten die Trunksucht (als Verstoß gegen die Tugenden der temperantia und der severitas), wertete das Verhalten in Cypem statt als Beweis für iustitia und constantia vielmehr als "Mani­ festation eines beschränkten Krämergeistes" und suchte die Mißachtung seiner Pflichten gegenüber der Familie durch die Beispiele der Gattin M arcia, der Schwe­ ster S ervilia und des Stiefbruders C aepio zu belegen. Ein Fragment deutet T schie­ del

so, daß mit den dann enthaltenen Vorwürfen der arrogantia, superbia,

602 Ebd , S 174f 603 Ebd., S. 177fF 604 Ebd , S 180f 605 Ebd, S 18lf Ebd , S 182 607 Vgl das Resümee, S 130ff 606

- 150 -

dominatus C atos gesamtes Wesen abgelehnt wurde.608 Der Autor faßt sein Urteil so zusammen: C aesar habe mit seiner Gegenschrift den Eindruck erwecken wollen, "daß C ato selbst den durch ihn repräsentierten Postulaten nicht gerecht wurde, und das sollte ihm jeden Anspruch auf politische oder moralische Führung nehmen".609 Damit ist eindeutig der Bezug der Denkschrift zur Zeitgeschichte herausgesteHt.

Unter der Voraussetzung, daß die Rekonstruktionen des ciceronischen Cato und des Anticato C aesars zutreffend den Inhalt wiedergeben, bleibt als Wesentliches daran festzuhalten: Die Form der laudatio gab C icero den Rahmen, Tugenden und Taten C atos rühmend darzustellen. C aesar verstand die Denkschrift trotz ihres philosophischen Charakters als eine politische Demonstration, als Ausdmck der Opposition gegen seinen auf militärischen Siegen im Bürgerkrieg beruhenden Herrschaftsanspruch.610 Gleichwohl hielt: sich seine Gegenschrift formal und inhaltlich an die ciceronische Vorgabe.611 Auf diese Weise glaubte er wohl seinem Unmut über das Lob auf seinen politischen und militärischen Gegner gebührend Ausdmck geben zu können, ohne mit einer unangemessenen Reaktion Gefahr zu laufen, Öl ms Feuer zu gießen. Bemerkenswert bleibt in diesem Zusammenhang aber doch, daß es der Alleinherrscher nach all seinen Siegen im römischen Bürger­ krieg für erforderlich hielt, überhaupt auf die Schrift C iceros zu reagieren.

5.3. Die politische Wirkung der Kontroverse um Cato

Wenn C aesar gehofft hatte, mit seiner vituperatio das Problem Cato gelöst zu haben, so mußte er freilich enttäuscht sein. Weitere Ixibschnften auf den Toten

Tschiedel, a O , S 119ff 609 Ebd , S 132 610 Vgl Geizer Caesar, S. 279ff, Meier Caesar, S 536ff 611 Vgl Cicero top 94f, Tschiedel, a O , S 49ff m

-

151

-

von Utica erschienen; die Verfasser waren B rutus, der Epikureer M. F adius G allus und M unatius R ufus.612 C icero reagierte auf Caesars Anticato vorsichtig und mit diplomatischer

Klugheit. Vorsicht mochte ihm geboten erscheinen, weil die Ausführungen des Alleinherrschers gegen den toten C ato "eine furchtbar gereizte Stimmung", einen "Ausbruch dämonischen Zorns" des Verfassers erkennen ließen, wie G elzer es in seinen Biographien C iceros und C aesars formuliert.613 Andererseits konnte sich der Konsular beruhigt fühlen durch die Lobesworte auf seine Redekünste, was die Absicht des Dictators sichtbar machte, die Kontroverse nicht bis aufs Äußerste zu treiben.614 C icero hielt es in dieser überaus schwierigen Situation für geraten, nachdem A tticus ihn dazu aufgefordert hatte, ein längeres Schreiben an C aesar abzufassen, in dem er sich lobend über den Anticato äußerte.615 Wie behutsam der Bnefschreiber dabei vorging zeigt sich m zwei Vorsichtsmaßnahmen. Einerseits ließ er sein Schreiben an C aesar erst durch dessen Vertrauensleute in Rom, B albus und O ppius, prüfen, bevor es endgültig abgesandt wurde; andererseits versicherte er Atticus gegenüber, daß es sich bei seinem Brief keineswegs um eine unwürdige

Schmeichelei handele, da er wirklich eine hohe Meinung von der Schrift C aesars habe. Zu einer ausgleichend wirkenden Reaktion C iceros gegenüber C aesar bestand auch insofern Anlaß, als der auf den Rat seines Freundes A tticus zurück­ gehende Plan zu einer politischen Denkschrift an den Dictator daran scheiterte, daß B albus und O ppius bei einer vorangegangenen Prüfung des Textes zu bedeu­ tenden Änderungen rieten.616 Anfänglich hatte C icero die Denkschrift abgelehnt, weil ihm zu diesem Thema einfach nichts einfalle. Das sei wie er brieflich versi­ cherte - die wahre Begründung, nicht die damit verbundene Schmach, obwohl es eigentlich so sein müßte, denn die Liebedienerei sei schimpflich, cum vivere ipsum

6,2 Vgl Tschiedel, a 0 , S 10f., Cicero erwähnt die Schrift des Brutus in Att XIII 52,2, das Werk des M Fabius Gallus in fam. VII 25,2 613 Geizer Cicero, S 315, Geizer Caesar, S 280 6,4 Geizer Cicero, S 315, fr 1-3 in Tschiedel, a O , S 69-83, vgl Att XIII 52,2 615 Att XIII 55,1 und 56,1 616 Geizer Cicero, S 316 mit den Angaben zu den Briefen Ciceros über dieses Vorhaben

- 152 -

turpe sit nobis.617 Gleichwohl wirkt schon sonderbar, in welchem Maße sich der Konsular C aesars Gefolgsleuten gegenüber zu einer Art freiwilliger Zensur bereit­ fand - oder bereitfinden mußte.

Die Kontroverse zwischen C icero und C aesar um das Andenken an Cato vollzog sich in Schrift und Gegenschrift äußerlich als eine literarische Auseinander­ setzung; sie war aber keineswegs darauf beschränkt, unterschiedliche Auffassungen über die Persönlichkeit Catos aus Anlaß seines Todes auszudrücken. Die beiden Denkschriften waren Ausdruck des politischen Streites. Eine Lobrede auf den republikanischen Gegner C aesars im Bürgerkrieg mußte besonders unter den Umständen seines Todes als eine Demonstration gegen die Alleinherrschaft des Siegers wirken. In Cato stand damit ein Vorbild an altrömischer Gesinnung, republikanischem Pflichtbewußtsein, philosophisch begründeter Ethik und trotzi­ ger Tapferkeit einem, machthungrigen Dictator gegenüber, der allein seiner eigenen dignitas wegen Staat und Bürger ms Verderben führte. So sah es C icero, und so hat auch C aesar die politische Wirkung sowie die möglichen Folgen der Denkschrift eingeschätzt; darauf mußte er reagieren. Auf der anderen Seite konnte er seine Versuche, mit den Gegnern zu emem Ausgleich zu kommen, durch eme harte Gegenmaßnahme nicht in Gefahr geraten lassen. Seine Ansätze zu einer allgemeinen Versöhnungspolitik gegenüber der republikanischen Opposition am Ende des Bürgerkrieges erforderten eine maßvolle Reaktion auf die Herausforderung durch die Denkschrift auf C ato. C iceros briefli­ che Antwort auf diese Reaktion in Form des Anticato zeigt, daß auch er um einen Ausgleich bemüht war, entweder aus dem Bewußtsein der politischen Ohnmacht heraus, oder weil er seinerseits hoffte, den Alleinherrscher noch einmal bewegen zu können, als Sieger im Bürgerkrieg wieder zu der althergebrachten staatlichen Ordnung des Gemeinwesens zurückzukehren, die res publica wiederherzustellen.

617

Att XIII 4,2

-

153

-

Neben der herausragenden politischen Bedeutung hat die Kontroverse um C ato auch noch zwei andere Aspekte. Da gibt es zunächst die methodische Seite der Auseinandersetzung. C icero konnte nach der Herausgabe des Brutus und der Paradoxa Stoicorum nun aus der Reaktion C aesars auf seme CATO-Denkschrift den Eindruck gewinnen, daß eine auf philosophischer Grundlage geführte Konfrontation im Vergleich zu anderen politischen Handlungen ein kalkulierbares Risiko barg. Keine seiner Schriften hatte bis dahin zu einer Reaktion des Dictators geführt, die der Konsular als eine Gefährdung seiner Person oder Stellung hätte einschätzen müssen. C icero konnte nunmehr hoffen, auch künftig politisch gemeinte Äußerungen gegen C aesar ohne Risiko an die Öffentlichkeit geben zu können - wenn er sich im Rahmen seiner philosophischen Schriftstellerei hielt. Daher wirkt es folgerichtig wenn er im nächsten Werk, dem zwischen März und Ende Juni 45 geschriebenen de finibus bonorum et malorum, C ato als Dialogpart­ ner einsetzte - neben L. T orquatus und M. Piso

mit der Erklärung Atticus

gegenüber, die Auswahl der Gesprächsteilnehmer werde nirgends Eifersucht erregen, quod omnes illi decesserant.*18 Auch als Dialogpartner in den Academici libri sollte C ato

zu

Wort kommen, als sich ergeben hatte, daß C atulus, L ucullus

und H ortensius in diesen Rollen nicht recht glaubwürdig wirkten; die Entschei­ dung fiel dann doch auf V arro.618619 Unter philosophischem Aspekt greift C icero schließlich in de officiis den Tod C atos noch einmal auf. In einem Abschnitt, der sich mit der Bedeutung der allge­

meinen und der individuellen Natur als Richtlinie des Handelns befaßt und der Pflicht, Handlungen und Lebensgestaltung ohne inneren Widerspruch zu ordnen, führt C icero als Beispiel C atos Freitod an.620 Es heißt dann dort: atque haec differentia naturarum tantam habet vim, ut non numquam mortem sibi ipse consciscere alius debeat, alius in eadem causa non debeat, num enim alia in causa M. C ato fuit, alia ceteri, qui se m Africa C aesari

618 Att XIII 29,4, vgl Att XII 22,2 6,9 Att XIII 27,1, vgl 29,5 620 off I 112

- 154-

tradiderunt? atqui ceteris forsitan vitio datum esset, si se interemissent, propterea quod lenior eorum vita et mores fuerant faciliores; C atoni cum incredibilem tribuisset natura gravitatem, eamque ipse perpetua constantia roboravisset semperque in proposito susceptoque consilio permansisset, monendum potius quam tyranni vultus ascipiendus fuit.621 Die Textstelle erweist sich in mehrfacher Hinsicht als aufschlußreich. Zum einen greift C icero hier erneut das Todesproblem auf, das ihn bereits in den Paradoxa Stoicorum, in de finibus und ausführlich im ersten Buch der Tusculanen beschäf­ tigt hatte. In der Gegenüberstellung der beiden Personen, die in konkreten Situatio­ nen bei gleichen äußeren Bedingungen entgegengesetzt handeln, zeigt sich der stoische Lehrsatz von der Pflicht zu naturgemäßer Lebensführung, die auch die Frage nach dem Verlassen des Lebens und dem Verbleiben im Leben umfaßt.622 Die Nennung C atos in de officiis ist eine Exemplifizierung dieses Grundsatzes: Für die einen ist es Pflicht, im Leben zu bleiben, weil sie über mehr Dinge verfü­ gen, die ihrer Natur gemäß sind - sie haben sich folgenchtig in Afnca dem Sieger C aesar ergeben; Cato hingegen mußte sich selbst töten, weil er seiner Lebensauf­

fassung nach unter der Tyrannis C aesars nicht hätte existieren können. In den Paradoxa Stoicorum - und in seinen Briefen - hatte C icero in Hinsicht auf sein eigenes Handeln den Entschluß, nach der Niederlage von Pharsalos nicht den Freitod zu suchen, ebenfalls mit diesem Grundsatz der Stoa gerechtfertigt. Zum andern läßt die angeführte Textstelle aus de officiis die Folgerichtigkeit der catonischen Lebensführung erkennen; konsequent blieb er bei seiner durch die Philosophie begründeten Überzeugung bis in den Tod hinein. Sein Handeln wurde nicht bestimmt von Willkür oder durch die Zufälligkeiten des Daseins; es ist auch nicht abhängig vom Tun anderer Menschen. Seinen Ursprung hat es allein in der beharrlichen Ausformung seines von Natur gegebenen festen Wesens und in der Ausrichtung am selbstgesetzten Ziel und der vorgefaßten Absicht. C icero bewun­ dert diese Haltung.

621 off I 112 622 Vgl. fin. III 60

-

155

-

Gleichwohl zeigt sich in seinen Worten neben der Bewunderung auch die Kritik, wenn er die anpassungsfähige Lebensauffassung anderer erwähnt, deren Charakter umgänglicher ist. Nach den Ausfühnmgen in den Paradoxa ist deudich, daß C icero auch sich selbst damit meint; in seinem Fall hätte ein Freitod als Fehler

gelten müssen, schlimmer: als ein Verstoß gegen die Pflicht, am Leben zu bleiben. Er nimmt damit für sich in Anspruch, trotz gegenteiliger Entscheidung in einer konkreten politischen Situation gegenüber dem Tyrannen genauso konsequent in philosophischem Sinne gehandelt zu haben wie C ato . Was in den Paradoxa noch erschien wie eine persönliche Selbstrechtfertigung gegen die Vorwürfe von Standesgenossen, wird nunmehr zu einer allgemeinen philosophisch begründeten Maxime - exemplifiziert an C ato. Schließlich ergibt sich anhand der Textstelle in der Gegenüberstellung von C ato und C aesar noch der Gegensatz zwischen dem, der nach philosophischen Grund­ sätzen handelt, und eben jenem anderen, der als Tyrann kein Gesetz und kerne Ordnung achtet, wenn es um seine persönlichen Interessen geht. Wenn C icero in der Denkschrift für C ato dessen virtus gelobt hat, wird ihm auch der Alleinherr­ scher als Gegenbild dieser virtus vor Augen gestanden haben; C aesar hat dann wohl in vollem Verständnis des damit verbundenen Angriffs auf seine dignitas versucht, im Anticato die Rechtschaffenheit des Mannes zu zerstören, der ihm und vermutlich auch anderen - mit seinem Freitod als Vorwurf erscheinen mußte. Noch em anderer Punkt verdient in diesem Zusammenhang genauer betrachtet zu werden: C ato wird in C iceros Darstellung einem S okrates an die Seite gestellt. Im ersten Buch der Tusculanen, wo die Beschaffenheit der Seele erörtert wird, geht der Konsular in einem längeren Abschnitt auf den Phaidon P latons ein mit der darin enthaltenen Schilderung vom Tode des S okrates.623 In enger Anlehnung an den platonischen Text legt er dar, daß S okrates an ein unterschiedliches Schicksal der Seelen nach dem Tode glaubte: Die Seelen aller, die sich mit Lastern befleckt,

623 Tuse I 71 ff, vgl Phaidon 61 cl, 113d, Plutarch hat in seiner Cato-Biographie innerhalb des Berichtes über die Todesumstände in Utica erwähnt, daß Cato kurz vor seinem Freitod lange Zeit im Phaidon gelesen habe, vgl Fehrle, a 0 , S 277

-

156

-

den Staat verletzt und Verbrechen begangen haben, werden von der Gemeinschaft mit den Göttern ausgeschlossen; die Seelen aber der Tugendhaften und Weisen kehren zu ihrem Urspmng im Licht zurück. Diesen "alten und griechischen Dingen" wird dann C ato gegenübergestellt, der sich gefreut habe, eine "Ursache des Sterbens gefunden zu haben" - ut causam monendi nactum se esse gauderet. Zwar verbiete es der Gott in uns, sagt C icero, eigenmächtig aus dem Leben zu scheiden; cum vero causam iustam deus ipse dederit ut tunc S ocrati, nunc C atoni, saepe multis, ne ille me Dius Fidius vir sapiens laetus ex his tenebris in lucem illam excesserit.624 Wenn C icero auf diese Weise C ato neben S okrates stellt, lassen sich mehrere Folgerungen ziehen. Zunächst einmal erweist sich die Sache dessen, der m den Tod gezwungen wird, als gerecht; so wie S okrates den für die Gemeinschaft gültigen Gesetzen gehorchte, sich auch nicht aus dem Gefängnis befreien ließ, so tat C ato in Utica seine Pflicht gegenüber der res publica und den römischen Bürgern. Unrecht und Schuld liegen somit auf der Seite derer, die gegen göttliches und menschliches Recht Mitbürger in den Tod zwingen, die rechtschaffen sind und schuldlos an den Zuständen. Weder für S okrates noch für C ato ist daher der Tod eine Schande oder etwas, vor dem sie sich hätten fürchten müssen; er ist vielmehr Aufbruch der guten Seele in ihr wahres Reich. C ato wird, wie S okrates, durch sein konsequentes Eintreten für das, was recht ist, zum Märtyrer. Auf diese Weise lost C icero den Tod C atos in Utica heraus aus den niederen Bereichen der politi­ schen Kampfe und hebt ihn hinauf in die höhere Sphäre der Philosophie. Aus allem ergibt sich in der Gedankenverbindung auch die gegenteilige Ergän­ zung. Wenn S okrates und C ato ihrer Überzeugung wegen verfolgt und in den Tod getneben wurden, dann liegt die Schuld an diesem Verbrechen auf der anderen Seite, bei ihren Gegnern: den Burgern in Athen und dem Tyrannen C aesar.

624

Tuse I 74

- 157-

Nun mutet es freilich sonderbar an, daß der Stoiker C ato in eine so enge Verbin­ dung gesetzt wird zur Philosophie P latons, gerade unter dem Aspekt des Unsterb­ lichkeitsglaubens. Die Diskrepanz muß auch C icero bewußt gewesen sein - jeden­ falls versucht er, einen Ausgleich zu finden. Im vierten Buch von de finibus, inner­ halb der Kritik an der zuvor von Cato vorgetragenen Philosophie der Stoa, legt C icero als Partner im Dialog seine Meinung dar, daß sie beide als Stoiker und

Akademiker in der Sache übereinstimmten, nur in Worten wichen die Vertreter der stoischen Lehrmeinung von der Wahrheit ab. Darauf läßt C icero P latonis illi et deinceps qui eorum auditores fuerunt fragen: nos cum te, M. C ato, studiosissimum philosophiae, iustissimum virum, optimum ludicem, religiosissimum testem, audiremus, admirati sumus, quid esset cur nobis Stoicos anteferres, qui de rebus bonis et malis sentirent ea, quae ab hoc P olemone Z eno cognoverat.625 Wenig später heißt es noch in dieser Textstelle: praesertim cum in re publica princeps esse veiles ad eamque tuendam cum summa tua dignitate maxime a nobis ornari atque instrui posses.626 Gerade als führender Staatsmann hätte C ato bei der Verteidigung des Gemeinwesens von daher Hilfe erfahren, weil P laton und seine Nachfolger alles, was mit dem Staate zusammenhängt, untersucht, geordnet und in Lehren gefaßt haben. C icero hätte noch hinzufügen können: Wie ich es getan habe.627 C ato mdessen, zur Antwort aufgefordert, gibt sogleich das Wort an seinen Gesprächspartner zurück, der ja auch ein Schüler P latons ist; C icero übernimmt es also im Dialog, die Kritik an der Stoa fortzusetzen.628 Bemerkenswert an der Textstelle aus de finibus ist, daß C icero eine enge Verbin­ dung zu knüpfen sucht mit dem Stoiker C ato - von der Sache her. Da gibt es zunächst die Übereinstimmung hinsichtlich der rhetonschen Gewohnheit, philoso­ phische Grundsätze in die öffentliche Rede - auf dem Forum und im Senat -

625 fin IV 61 626 fin IV 61 627 fin IV 62ff 628 Das Wort tuendam in der Text stelle verweist auf ähnlich klingende Formulierungen in div II 6 und rep II 51

- 158 -

einzuflechten. Das erinnert an die Paradoxa Stoicorum.629 In de finibus geht C icero weit darüber hinaus. Die Übereinstimmung mit C ato wird auf den gesam­

ten Bereich der Ethik ausgedehnt; es geht auch nicht nur um die philosophische Begründung der privaten Lebensführung, sondern vor allem darum, daß der Staats­ mann sein Handeln an den Erkennmissen der Philosophen ausnchtet. Der Akade­ miker C icero nimmt freilich unter ausdrücklicher Berufung auf P laton für sich in Anspruch, philosophische Erkennmisse über den Staat und die Gesetze begründe­ ter und systematischer vortragen zu können als der Vertreter der Stoa.630 Aber die Differenzen sind nach der Ansicht C iceros unwichtig gegenüber dem Bewußtsein der Gemeinsamkeit zwischen ihm und C ato. Die hier angeführten Textstellen aus den philosophischen Spätschriften zeigen, daß C icero es nach dem Tode C atos bewußt unternommen hat, die Gemeinsam­ keit zwischen ihnen auf der Grundlage der gnechischen Philosophie zu schaffen unter Zurucksetzung der Unterschiede bei den von ihnen vertretenen philosophi­ schen Richtungen. Unverkennbar ist weiter, daß dieses Vorhaben m politischer Absicht geschah und in der Wendung gegen die Alleinherrschaft C aesars. Catos Freitod im Bürgerkrieg wurde verklärt, der Tote überhaupt zum Symbol für die res publica gemacht; seine Lebensführung und sein politisches Handeln wurden zudem als konsequentes Befolgen philosophischer Lehren dargestellt. Die Kontroverse zwischen C icero und C aesar, wie sie sich im Cato und im Anticato abbildet, ist somit nicht ein einzelner, beziehungsloser Vorgang ohne Nachwirkung, sondern erscheint als der Ausgangspunkt einer fortdauernden politischen Kundgebung des Konsulars gegen den Dictator C aesar im Rahmen seines philosophischen Werkes. Die eigentümliche Verfahrensweise - politische Angriffe in Schriften philosophi­ schen Inhalts einzufügen - hatte sich in seinen Augen wahrend der Kontroverse

6Z!lparad 1-3 630 In Tuse V 4 stellt Cicero jedoch die Kraft der Tugend, wie sie sich bei Cato gezeigt habe, über die eigene Schwäche

- 159 -

um die Denkschrift für C ato als ungefährlich bewährt. C icero behielt sie bei bis zum Tode C aesars.

6, Das Elend der res publica und Caesars Tyrannis im Spiegel der philosophischen Schriften

6.1. Brutus

Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln Arbeiten C iceros behandelt wurden, die durch ihre Eigenart eine besondere Stellung in seinem Spätwerk einnehmen unter dem Gesichtspunkt ihres Bezuges zur Zeitgeschichte • die Paradoxa Stoicorum und die Denkschrift für C ato

geht es im folgenden Kapitel

dämm, die anderen philosophischen Schriften der Jahre 46 bis 44 - vom Brutus bis • zu de natura deorum - auf ihre Verknüpfung mit der Politik hin zu untersuchen. Zunächst wird noch einmal auf die besondere Art des Vorgehens hingewiesen, die bereits in der Analyse der Paradoxa erörtert wurde: die Assoziationstechnik. C icero fügt dabei scheinbar unverfänglich gemeinte Anknüpfungspunkte in den

Text ein, die in Wahrheit dazu dienen, im Bewußtsein des sachkundigen Lesers gedankliche Verbindungen zu Personen, Taten und Ereignisse anzuregen, die in abwertendem Zusammenhang mit C aesar und semer Politik stehen. Am Beispiel des Brutus läßt sich C iceros Vorgehensweise in allen semen philo­ sophischen Schriften aufzeigen. Gleich zu Anfang des Dialogs stellt A tticus auf die Frage des Konsulars, ob es endlich etwas Neues zu benchten gebe, fest: eo...ad te animo venimus, ut de re publica esset silentium et aliquid audiremus potius ex te, quam te afficeremus ulla modesüa.631 In dieser Textstelle sind bereits die wesentlichen Elemente enthalten, die C iceros Methode kennzeichnen. Als Schutz wird die Fiktion aufgebaut, es gehe

631

Brut 11

-

161

-

im Dialog nur um fachliche Fragen der Rhetorik, nicht um Politisches. Gleichwohl wird die Szenerie mit wenigen Worten als politisch charakterisiert: C icero sitzt müßig zu Hause (essem otiosus dorm), beim Anblick der eintreffenden Freunde M arcus B rutus und T itus P omponius vergeht ihm alle Sorge um den Staat (eorum

aspectu omnis quae me angebat de re publica cura).632 Ausdrücklich gesagt wird nichts über den Grund seiner Sorge, kein Wort vom Bürgerkrieg, von seiner Ursache, von der Ungewißheit über den Ausgang des afncanischen Feldzuges, vom Anlaß für die Muße des Konsulars; die Abfassungszeit des Dialoges im Frühjahr 46 muß die Gedanken des Lesers in die vom Verfasser gewünschte Richtung fuhren. Die Namen seiner Besucher fugen sich beziehungsreich ein, vor allem natürlich der des B rutus. Wie von selbst schließt sich an die Textstelle dann C iceros Bemer­ kung an über den aufmuntemden Brief des B rutus, den der Empfänger als Anstoß verstanden hat, sich mit einem historischen Beispiel über das Elend des Gemein­ wesens zu trösten und seine literarischen Studien wieder aufzunehmen.633 In immer neuen Wendungen wird darauf die schwierige und bedrückende Situati­ on, in der der Konsular sich befindet, gegenübergestellt dem trostreichen Zuspruch der Besucher, sich wieder der Schriftstellerei zu widmen, zumal sie seit seinen Büchern "Uber den Staat" nichts mehr von ihm gelesen hätten.634 A tticus schlägt, unter Hinweis auf ein früher auf dem Tusculanum geführtes Gespräch mit C icero, auch sogleich das Thema vor:...de oratonbus, quando esse coepissent, qui etiam et quales fuissent.635 Wieder verbindet C icero in seiner Erwiderung das Lob auf die vortreffliche Rednergabe des B rutus mit der Klage darüber, daß subito in civitate cum alia ceciderunt, und auch die Beredsamkeit verstummt sei.636 B rutus pflichtet zwar seinem Vorredner bei in dessen Schmerz, besteht aber darauf, sich der Redekunst zuzuwenden, weil nicht Gewinn und Ruhm ihn daran reizten, sondern das Studium selbst. Der Gastgeber willigt schließlich ein, über die Beredsamkeit zu

632 Brut 633 Brut 634 Brut 635 Brut 636 Brut

10 l lf 19 20 22

- 162 -

sprechen, wiederum nicht ohne einen Seitenhieb auf seine politischen Gegner zu fuhren: praeclare...B rute, dicis eoque magis ista dicendi laude delector, quod cetera, quae sunt quondam habita in civitate pulcherruma, nemo est tam humilis, qui se non aut posse adipisci aut adeptum putet: eloquentem neminem video factum esse victoria.637 Die angeführten Textstellen lassen die Methode C iceros erkennen. Ausdrücklich stellt er heraus, daß er sich von der Politik femhalten und sich mit seiner Schrift auf die Redekunst beschränken will. Ein kritischer, ihm womöglich feindselig gesonnener Leser kann darauf verwiesen werden. Auf der anderen Seite werden die politischen Verhältnisse der Gegenwart in Anspielungen so gezeichnet, daß erkennbar wird, wie wenig der Konsular damit einverstanden ist. Allerdings ist der Autor vorsichtig genug, keinen Machthaber bei Namen zu nennen, der verantwort­ lich ist für den beklagenswerten Zustand des Gemeinwesens, in dem so viel zusam­ menbricht. Mißstände werden nicht offen angeprangert; vielmehr wird dem redebegabten B rutus nur das Mitgefühl zuteil dafür, daß er unter den herrschen­ den politischen Verhältnissen seine rhetorischen Fähigkeiten nicht zeigen kann, um sich damit auszuzeichnen. Zudem steht der Konsular - so läßt er durchblicken mit seiner Sorge und seinem Schmerz nicht allein. Hilfreiche Freunde suchen ihn zu trösten, auch damit, daß sie zu erkennen geben, wie sehr sie in ihrem Urteil mit ihm übereinstimmen und selbst leiden. Ceterarum remm causa...istuc et doleo et dolendum puto, versichert: B rutus und bezieht A tticus damit ein.638 Auch die Namensnennung ist ein Zeichen. C icero führt hier Personen als Gesprächspartner in den Dialog ein, die seinem Urteil nach in Gegnerschaft stehen zu den gegenwärtigen Verhältnissen. Anhänger C aesars werden nicht herangezo­ gen. Ob das Urteil des Konsulars gerade in bezug auf B rutus zutrifft, muß aller­ dings später noch geprüft werden. An. dieser Stelle geht es zunächst einmal um. die Feststellung, daß C icero die beteiligten Personen in seiner Schrift bewußt und begründet ausgewählt hat.

637 Bmt 24 638 Bmt 23

-

163

-

Im Prooemium des Dialoges führt C icero zurück zu dem Zeitpunkt, als er - auf der Rückreise von seinem Prokonsulat in Kilikien - vorn Tode des Q uintus H ortensius erfahren hat (I 1). Das: Ereignis gibt ihm nicht nur Gelegenheit, die

eigene Person hervorzuheben - durch den Hinweis auf sein Konsulat und die Mitgliedschaft im Kollegium der Auguren, zu der H ortensius ihm einst verholfen hatte -, sondern auch zur Klage über das Schicksal des ruhmreichen Redners. Ihr gibt C icero eine auffällige Form. Der Verlust des verehrten und hochverdienten Mitstreiters und Teilhabers an ruhmvoller Leistung (socium...et consortem gloriosi laboris) wiege in dieser Zeit besonders schwer. Augebat etiam molestiam, quod magna sapientium civium bonorumque penuria vir egregius comunctissumusque mecum consiliorum omnium societate alienissumo rei publicae tempore extinctus et auctoritatis et prudentiae suae triste nobis desidenum reliquerat.639 Und doch, fährt C icero dann fort, sei H ortensius für sein Glück zu preisen, gerade zur rechten Zeit gestorben zu sein, um nicht die gegenwärtige Not des Staates erleben zu müssen. Die Vorrede enthält mit den Hinweisen auf die Person des Redners H ortensius und das Elend der Gegenwart Züge einer politischen Stellungnahme.640 So galt H ortensius aufgrund seiner Stellung und seines Auftretens unter den Zeitgenossen

als Führer der Senatspartei und Gegner C aesars. Vonder M ühll bezeichnet die von C icero geschilderte Gruppierung mit führenden Vertretern des Senats im Dialog Hortensius - für die der Brutus in diesem Zusammenhang gleichsam eine Vorform bildet - als eine "feine Demonstration gegen die Caesarische Monarchie", und Strasburger stellt fest, daß der Beginn des Brutus von C aesar "nicht gerade als captatio benevolentiae" aufgefaßt worden sein dürfte.641 C icero ist es also bereits zu Beginn seiner Schrift über die Beredsamkeit gelungen, mit Hilfe der von ihm praktizierten Assoziationstechnik - durch Anknüpfungspunkte in Form der

639 Brut 2 6,0 Vgl Vonder Mühll, RE, VIII, Sp 2470ff, Callies Cicero, S 114ff, Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 29f 641 Vonder Mühll, a O , Sp 2479, Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 30

-

164

-

Szenerie und die Nennung bestimmter Namen - einen Bezug zur Politik herzustel­ len, den er angeblich gar nicht herstellen will. Das Verhältnis des Konsulars zu H ortensius war in Wirklichkeit freilich durch­ aus nicht so freundschaftlich, wie dies im Brutus erscheint. Bei der

VERRES-Klage

im Jahre 70 etwa sind beide erbitterte Gegner gewesen; sowohl der Ausgang des Prozesses als auch die rhetorische Überlegenheit C iceros im Laufe des Verfahrens hatten schwerwiegenden nachteiligen Einfluß auf die Automat des Älteren. Erst nach dem Konsulat C iceros und: nach der Catilmarischen Verschwörung kam es bei der Verteidigung der Nobilität zur Aussöhnung zwischen den Rivalen und. zu gemeinsamen Auftritten in Gerichtsverfahren. Gleichwohl kritisierte C icero auch an H ortensius das politische Versagen der "Fischteichbesitzer" unter den Nobfles, die sich eher um ihr eigenes Wohlergehen kümmerten als um den Zustand des Gemeinwesens - das ist bereits aus den Paradoxa Stoicorum bekannt.642 Auch Neidgefühle unterstellte der Konsular seinem Konkurrenten in der Politik und vor Gencht. Bitter antwortete er etwa seinem Freunde Atticus, als der ihm brieflich den Rat erteilte, sich, in der Verbannungsfrage an H ortensius

zu

wenden: obsecro,

mi P omponi, nondum perspicis, quorum opera, quorum insidiis, quorum scelere penerimus.643 Auch im Brutus unterläßt er den Hinweis nicht, daß sein eigenes Konsulat den H ortensius zunächst verletzt habe - primo leviter perstrinxerat -, ehe der Rivale es

vermocht habe, dem Ruhm der Taten C iceros angemessen Bewunderung entgegenzubringen.644 Die Trauer über den Tod seines nur wenige Jahre alteren politischen Weggefährten erscheint jedoch echt, wie aus einem Brief an A tticus vom 3. August 50 zu ersehen ist, in dem er sich angesichts dieses Verlustes als "todunglücklich" (excrucior) bezeichnete.645 Geschickt werden also im Brutus biographische und politische Daten sowie wahre Empfindungen der Trauer über den Tod seines Mitstreiters verbunden mit

642 Vgl Att I 18,6, 19,6, 20,3, II 1,7, 9,1 6,3 Att III 9,2 644 Brut 323 645 Att VI 7,2

-

165

-

Gefühlsäußerungen, die geeignet sind, beim Leser kritische Assoziationen zur Gegenwart auszulösen. Im Verlauf des Dialoges, nachdem er einen histonschen Überblick über die griechischen Vertreter der Redekunst gegeben hat, beginnt C icero die Reihe der römischen Redner mit Lucius B rutus, illi nobilitatis vestrae principi.64* Dieser L. B rutus hat, so führt der Konsular die Ruhmestaten auf, einen machtvollen König

vertrieben (potentissimum regem extulerit), den Staat aus dauernder Knechtschaft befreit (civitatem perpetuo dominam liberatam), ihn durch jährlich wechselnde Beamte, durch Gesetze und Gerichte geordnet (magistratibus annuis, legibus ludiciisque devinxerit) und schließlich dafür gesorgt, daß in der Bürgerschaft die Erinne­ rung an den Königsnamen ausgelöscht wurde (e civitate regdis nominis memoriam tolleret).646647 Ihre eindeutig auf die politische Situation der Gegenwart bezogene Bedeutung gewinnt die Textstelle im Zusammenhang mit der Lobrede auf den Dialogpartner B rutus und die Mahnung an ihn, nach dem Tode des berühmten Redners H ortensius als Hüter der Redekunst mit C icero gemeinsam alle drohen­ den Gefahren abzuwenden.648 Zwar sieht der Konsular sich gegenwärtig in die "Nacht des Staates gestürzt" (in hanc rei publicae noctem incidisse), aber zusam­ men mit A tticus wünscht er für B rutus jenen Zustand des Gemeinwesens, in qua duorum generum amplissumorum renovare memonam atque augere possis.649 In C iceros Darstellung wird B rutus damit nicht nur als Nachfahre des Königsvertreibers Lucius B rutus, sondern auch des Tyrannenmörders S ervilius A hala angesprochen.650 Diesen genealogischen und zur Zeit der Alleinherrschaft C aesars hochpolitischen Zusammenhang stellt C icero auch in einem Brief an A tticus im August 45 her.651 In den Paradoxa Stoicorum, in den Tusculanae disputationes, in de finibus bonorum et malorum und in Cato maior de senectute sowie in de re

646 Brut 53 647 Brut 53 648 Brut 330ff 649 Brut 331 650 Schur, RE, Suppi. V, Nr 46a, Sp 356-369, Münzer, RE, IIA 1, Sp 1768-1771 651 Att. XIII 49,1

- 166-

publica finden sich zudem Hinweise auf die mutigen Taten der Vorfahren im Kampf gegen die Unterdrücker.652 Schon zuvor, in einem Bnef an A tticus vom August 59, hatte C icero im Zusammenhang mit der Mordanklage gegen V ettius beiläufig erwähnt, daß er selbst gememt sei mit der Anspielung auf den "redege­ wandten Konsular" (consularem disertum), der einen S ervilius A hala oder B rutus gefordert habe.653

Mag auch Zweifel geboten sein, daß B rutus tatsächlich von Lucius B rutus und S ervilius A hala abstammte, so war doch für die politische Situation der Abfas­

sungszeit des Dialoges Brutus von Bedeutung, daß C icero m einer für die römische Öffendichkeit bestimmten Schrift diesen Zusammenhang herstellte.654 S trasburger urteilt so darüber:"Die Verbindung der beiden legendären Befreiema-

men, des Tyrannenvertreibers und des Tyrannenmörders, machte die Aufforderung an B rutus, 'das Land vom Tyrannen befreien' unmißverständlich - zwei Jahre vor den Iden des März."655 An spaterer Stelle im Dialog fugt der Konsular wiederum Klagen darüber ein, daß im gegenwärtigen Zustand des Gemeinwesens sein Rat nicht gefragt sei, die staadichen Aufgaben vielmehr in unwürdige Hände non translata sint, sed nescio quo pacto devenennt.656 Diese Klagen fühlt er freilich nicht selbst, sondern legt sie B rutus in den Mund, um zu zeigen, daß er nicht allein steht mit der Kritik an den

politischen Verhältnissen, vielmehr schon Verbündete hat in seinem Widerstand gegen den Machthaber. Sogleich auch laßt er - wie zur Abwiegelung - A tticus die im Prooemium geäußerte Mahnung wiederholen: dixeram...a principio, de re publica sileremus; itaque faciamus.657 Der stilistische Hinweis auf das selbstauferlegte Schweigegebot wird unübersehbar zur Anspielung auf die politische Bedeu­ tung der Aussage.

6,2 parad 12,Tusc IV 2, fin II 66, III 75, Cato 56, rep 16,1146 655 Att II 24,3 654 Vgl den Kommentar von Jahn/Kroll/Kytzler zur Textausgabe des Brutus, S 277 655 Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 30 656 Brut 157 657 Brut 157

-

167

-

Noch ein drittes Mal wird die Mahnung vorgebracht; nun ist es C icero selbst, der den bewegt über den Verlust so vieler tüchtiger Männer und vortrefflicher Burger klagenden B rutus schweigen heißt, denn allein die Redekunst sei ihr Thema.658 Wie sehr der Konsular in der Tat von der großen Zahl der Toten im Bürgerkrieg betroffen war, die hier in den Namen einzelner Personen begreiflich gemacht werden, zeigen Briefe an seine politischen Freunde aus der Zeit zwischen Juni 46 und Mai 45.659 Die Briefstellen sind auch ein Beleg dafür, daß die politi­ schen und militärischen Ereignisse der Zeitgeschichte Eingang finden in C iceros philosophische Schriften. Auch C aesar selbst wird im Brutus angegriffen. Die Kritik an M. C aelius R ufus, C. S cribonius C urio und P. L icinius C rassus trifft zwar vordergründig die

Genannten, richtet sich in Wahrheit aber gegen den Alleinherrscher.660 Solange sie nämlich seinem eigenen Einfluß offenstanden, sagt C icero, solange waren sie auf dem rechten Weg; als sie sich aber unter die Anhänger C aesars einreihten, stürzten sie ins Verderben. - R ufus war 48 Prätor, genet in Schwierigkeiten und kam noch im selben Jahre während eines von ihm selbst erregten Aufstandes bei Thurii in Unteritalien zu Tode; C urio, dessen Vater ein heftiger Gegner C aesars und ein Förderer C iceros war, wechselte um 50 nach einer Zeit des Widerstandes gegen C aesar auf dessen Seite über und fiel in Afnca während eines Feldzuges gegen I uba; C rassus schließlich verlor sein Leben nach einer Reihe militärischer

Kommandos unter Caesar mit seinem Vater gemeinsam im Krieg gegen die Parther 53 bei Karrhae.661 Die kurzen biographischen Hinweise zeigen, daß junge, ehrgeizige Männer, anfangs in der Tat wohl mit C icero in Verbindung, zu Gefolgsleuten C aesars wurden, dessen Erfolge sie locken konnten. Der Konsular versteht es, im Brutus

658 Brut 266, in ähnlicher Form auch 328 659 fam IX 5,2, 7,3, IV 4,If, 13,2, 14,2, V 16,2, vgl Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 73, Anm 161 660 Brut 273, 280, 282 661 Vgl -Münzer, RE, III 1, Sp 1266-1272 -Münzer, RE, II A 2, Sp 862-876 -Münzer, RE, XIII 1, Sp 291-294

-

168

-

ihr individuelles Schicksal ins Allgemeine zu wenden mit dem Versuch, beim Leser seines Dialoges den Eindruck zu erwecken: Wer nicht mir folgt, sondern C aesar, gerät ins Verderben. Beispielhaft mag dafür stehen, was er über C urio sagt.662 Ehre gewinnt nur, wer tüchtig ist, die Zuneigung der Bürger erwirbt und auf der Stufenleiter der Ämter emporsteigt, dabei dem Beispiel der Älteren folgend; qui autem occasione aliqua, etiam invitis suis civibus, nactus est imperium, ut ille cupiebat, nunc nomen honoris adeptum, non honorem puto.663 Dem Leser bleibt es überlassen, aus den drei angeführten Fällen eben die Folgerungen zu ziehen, die C icero selbst nicht nennt: C aesar ist die Ursache ihres Verderbens. Schon mehrfach ist angedeutet worden, daß C icero - m der rhetorischen Figur der Metastase - die Dialogpartner dazu heranzieht, seine eigenen Auffassungen über Personen oder politische Zustände auszudrucken und zu bestätigen.664 B rutus insbesondere wird die Rolle dessen zuteil, der C aesars Feinde lobt. Zum einen rühmt er C ato, seinen Onkel, wegen der hervorragenden rednerischen Fähigkeiten - obwohl er doch ein Stoiker ist, denn die Anhänger der Stoa sind scharfsinnig in ihrer Argumentation, aber unbeholfen im freien Vortrag.665 Geschickt hebt C icero hier zwei Hauptpunkte ins Blickfeld: die Verwandtschaft mit einem erklärten Gegner C aesars und die Bedeutung der stoischen Philosophie für C ato. Allerdings ist der Konsular vorsichtig genug, diese Zusammenhänge nur auf dem Gebiet der Redekunst aufzuzeigen. Ebenso auf seiten der Gegner C aesars stand Q. C aecilius M etellus P ius S cipio; er hatte am 1. Januar 49 im Senat den Antrag eingebracht, der C aesar aufforderte, seine Provmz aufzugeben und das Heer zu endassen, wenn er nicht Gefahr laufen wolle, zum Staatsfeind erklärt zu werden.666 Gleich Cato hat auch er bei Pharsalos gekämpft, und mit ihm stand er in Afnca militärisch gerüstet. Gerühmt wird im

662 Brut 281 663 Brut 281 664 Vgl Bmt 10, 157, 266, 329, besonders 253 665 Brut 118 Geizer: Caesar, S 173f 666

-

169

-

Brutus die überaus vornehme und weise Familie, der S cipio angehört; bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch, daß er seit 53 Schwiegervater des P ompeius war und damit über die Identität der politischen Interessen hinaus auch familiäre Bindungen zwischen den beiden Caesargegnem eine Rolle spielten.667 Aufschlußreich im Hinblick auf die politischen Implikationen wirkt auch der gedankliche Aufbau der Stelle im Dialog, in der C icero seinen Gesprächspartner B rutus dessen höchst lobreiche Meinung über M arcellus vortragen läßt.668 B rutus äußert den Wunsch, auch etwas zu sagen über die zeitgenössischen Redner

(qui hodie sunt), wenigstens über C aesar und M arcellus, die doch C icero selbst immer mit Lob bedenke. Das Gespräch wird nun so gelenkt, daß B rutus ausführ­ lich Rühmenswertes über M arcellus darlegen kann, weil er den ja so oft gehört habe, während der andere (gemeint ist C aesar, H.W.) abwesend war. C icero jedoch wird durch das Lob an das gemeinsame Unglück erinnert und fugt - gleich­ sam im selben Atemzug - die Aufforderung an A tticus hinzu, sein Urteil über C aesar beizutragen. Der gibt sich erstaunt und bewundernd wegen der Konse­

quenz des Konsulars, selbst nichts zu sagen über die lebenden. Diese Konsequenz sei aber - so A tticus - im Falle C aesars nicht vonnöten, da doch C iceros Meinung über dessen Rednertalent bestens bekannt sei, wie im umgekehrten Falle auch.669 Gleichwohl schweigt der Konsular. Im Dialog legt daher A tticus seine Meinung über den Redner Caesar dar - allerdings in der Form, daß er B rutus dabei anredet, nicht C icero.670 Durch den gedanklichen Aufbau dieser Dialogstelle wird also bereits die Distanz deutlich, in der sich der Konsular darzustellen wünscht gegen­ über der Person C aesars, um nicht auf den mächtigen Gegner des Bürgerkrieges treffen zu müssen. Die Reihe der Redner im Brutus endet mit dem Namen, der ganz am Anfang stand: H ortensius.671 Erneut erscheint der widersprüchliche Gedanke: Glücklich

667 Brut “ "Brut 669 Brut 670 Brut 671 Brut

212f, Münzer, RE, III 1, Sp 1224-1228 248ff 251 252 329

-

170

-

preist C icero den Mann, den der Tod davor bewahrte, das Unheil tatsächlich eintreffen zu sehen, das er vorausgeahnt hat; saepe enim inter nos impendentis casus deflevimus, cum belli civilis causas in. privatorum cupidiatibus inclusas, pacis spem a publico consilio esse exclusam videremus.672736Deutlich wird hier das Urteil des Konsulats, daß die Ursache des römischen Bürgerkrieges in der Herrschsucht einzelner liegt, wobei offenbleibt, ob er C aesar meint oder aber P ompeius, vielleicht auch beide. Die Hoffnung auf Frieden wird er dabei m seiner eigenen Person konzentriert sehen, in seinen Vermittlungsbem uhungen vor Ausbruch der militärischen Auseinandersetzungen. Bemerkenswert ist auch der Gedanke, daß H ortensius das Unheil hat kommen sehen - em Topos, den C icero spater auch in

der Denkschrift für C ato auf den Toten beziehen wird. Zugrunde liegt die von ihm selbst geteilte Meinung, daß für vernünftige, klarsichtige Politiker das Elend des Bürgerkrieges noch im Jahre 49 hatte vermieden werden können, wenn die Mehrheit dazu willens gewesen wäre. C icero lenkt damit die Aufmerksamkeit des Lesers erneut auf seine eigenen Vermittlungsbemühungen in dieser Zeit - was in diesem Zusammenhang als eine Rechtfertigung seiner Politik vor Ausbruch des militärischen Kampfes aufgefaßt werden kann. Nun ist es im Bmtus aber nicht so, daß der Konsular semen Widerpart C aesar nur angreift; er weiß vielmehr durchaus Rühmenswertes über ihn zu sagen. Darm bildet - um es vorwegzunehmen - diese Schnft während der Alleinherrschaft C aesars eine Ausnahme; in keiner anderen seiner philosophischen Arbeiten aus

den Jahren 46 bis zum 15. März 44 wird dessen Name überhaupt erwähnt. Im Dialog läßt C icero durch A tticus dessen "eigenes Urteil", aber auch "das unseres Freundes hier" - gemeint ist der Verfasser selbst - über Caesar vortragen.6 3 Danach spricht der so Gerühmte "unter nahezu allen Rednern das gewählteste Latein" - illum omnium fere oratorum Latme loqui elegantissume -, wozu ihn mit größtem Eifer betnebene Studien befähigen. Das kann zwar ironisch gememt sein; das Lob auf die Beredsamkeit des Gegners ist aber eine Möglichkeit, dem

672 Brut 329 673 Brut 252

-

171

-

schwierigen und gefährlichen Thema Politik auszuweichen - geeignet zumindest, die Konfrontation nicht allzu deutlich werden zu lassen. Ein anderes Beispiel dafür bietet der Besuch C aesars bei C icero auf dessen Landgut bei Cumae am 19. Dezember 45.6 4 Vor allem aber hat C aesar, unter namendicher Erwähnung, C icero als den Hauptvertreter und Erfinder der rednerischen Fülle gelobt, womit

er sich um Namen und Ansehen des römischen Volkes verdient gemacht habe.676 Eben diese Bemerkung fügt Brutus im Dialog hinzu, und C icero selbst pflichtet ihm bei, besonders deshalb, weil "das ein Zeugnis von C aesars Urteil ist und nicht nur von seinem Wohlwollen" - modo sit hoc C aesaris iudici, non benevolentiae testimonium.6'6 Im Dialog wird also das Lob auf C aesar sogleich umgewendet in ein Lob auf C icero; wenn C aesar hier gerühmt wird, erscheint das nur als ein Anlaß, sich selbst - und noch in stärkerem Maße - hervorzuheben. Das Gespräch mündet dann auch in eine Invektive gegen die Triumphe der "Eroberer ligurischer Kastelle"; multo magnus orator praestat minutis imperatoribus - verum quidem si audire volumus, sagt er kurz zuvor.677 Die angeführten Textstellen aus dem Brutus enthalten Indizien dafür, daß in der ersten großen Schrift unter der Alleinherrschaft Caesars mehrfach Aussagen einge­ fügt sind, die Bezug haben zur Politik und Angriffe auf den politischen Gegner in unterschiedlicher Form darstellen. Zwar hat der Autor wiederholt den Anschein zu erwecken versucht, er wolle sich mit seiner Arbeit von der Politik femhalten und auf sein rhetorisches Thema beschränken; aber das ist nur als ein literanscher Kunstgnff zu werten, um übelwollenden und mächtigen Kritikern keine Handhabe zur Verfolgung zu bieten. Die politischen Angriffe auf C aesar, in die Form der Klage über den elenden Zustand der res publica gekleidet, zudem als I.obreden auf dessen Gegner dargestellt, sind zu zahlreich und zu kunstvoll in den Gang des Dialoges eingefügt, als daß es sich dabei um Zufall oder Belanglosigkeiten handeln könnte. Mit der Sprachkraft C iceros wäre es gelungen, einen Dialog über die

674 Vgl Geizer Cicero, S 320f 675 Brut 253f 676 Brut 255 677 Brut 256

- 172 -

Redekunst so abzufassen, daß darin keinerlei politische Anspielungen und kein wie immer gealteter Angriff auf

C aesar

enthalten sein müßte - wenn das in der

Absicht des Konsulars gelegen hätte. Der Brutus bildet daher - neben einer Darstellung der Redekunst - auch einen massiven, politisch motivierten Angriff auf

C aesar.678 6.2. De finibus bonorum et malorum

In den fünf Büchern dieser philosophischen Schnft stellt C icero ein fundamen­ tales Problem der Ethik in den Mittelpunkt: die Frage nach dem Sinn des Handelns, nach seinem Ausgangspunkt und seinem Ziel, nach dem, was zu erstre­ ben ist, und dem, was vermieden werden soll. In Dialogform und mit wechselnden Gesprächspartnern in unterschiedlichen Szenenen werden darin die Gedankensy­ steme der wesentlichen philosophischen Schulen - mit Ausnahme der Akademie erörtert: die

EPIKURS, der Stoa und des Penpatos.

Die Erkenntnisse der stoischen Philosophie behandelt C icero im dritten und vierten Buch; als seinen Dialogpartner hat er hier den perfectissimus Stoicus, M. P orcius C ato gewählt. Das Gespräch findet - wie der Hinweis in 4,1 auf die Lex P omponia zeigt - im Jahre 52 in der tusculanischen Villa statt, die M. L icinius L ucullus geerbt hatte.679 C icero will dort - so die fiktive Rahmenhandlung - in der

Bibliothek einige Werke des A ristoteles einsehen und tnfft zufällig auf den inmit­ ten stoischer Bücher sitzenden C ato. Zwanglos ergibt sich ein philosophisches Gespräch, da C ato wünscht, daß C icero seine Sympathie den Stoikern zuwenden möge.680 Am Ende des Dialogs rühmt C ato das Ideal des stoischen Weisen: qui cum ratio docuerit, quod honestum esset, ld esse solum bonum, semper sit necesse est beatus vereque omnia ista nomina possideat, quae irriden ab mpentis solent.681

678 Vgl Schmidt Briefwechsel, S 38f, Geizer Cicero, S 265, Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk., S 29f 679 Gelzer Cicero, S 301 680 fin III 9f 681 fin III 75

- 173 -

Dann folgt in C atos Darlegung ein durch den Bezug zur Zeitgeschichte bedeu­ tungsschwerer Satz: rectius enim appellabitur rex quam T arquinius, qui nec se nec suos regere potuit, rectius m agister populi - is enim est dictator - quam S ulla, qui trium pestiferorum vitiorum , luxuriae, avaritiae, crudelitatis, m agister fuit, rectius dives quam C rassus, qui nisi eguisset, num quam E uphraten nulla belli causa transire voluisset.682

Merkwürdig an dieser Textstelle ist, daß C icero durch eine C ato in den Mund gelegte Formulierung ein philosophisches Ideal der Stoa, den durch Vernunft gelei­ teten Weisen, in Verbindung bringt mit der Politik, auch stilistisch hervorgehoben durch ein dreifaches rectius. Die politische Bedeutung ist unschwer erkennbar, muß aber noch genauer untersucht werden.683 Auf den ersten Blick geht es bei dei Textstelle um die Gestalt des Weisen inner­ halb des philosophischen Gedanken Systems der Stoa, wobei Form und Inhalt zuruckverweisen auf die in den Parade xa Stoicorum behandelten stoischen Grund­ sätze, vor allem auf die Autarkie dei Tugend. Den Wert des Ideals, das in der Vorstellung vom Weisen enthalten ist, hebt C icero dadurch hervor, daß er es vergleichend abgrenzt gegenüber namentlich genannten Beispielen aus der römischen Geschichte. Eine tiefergehende Analyse zeigt, daß der Konsular hier sehr geschickt einen politisch motivierten Angriff gegen

Caesar

führt - wobei dessen Name freilich

wieder einmal nicht genannt wird. Nicht ohne Bedeutung ist dabei, daß diese Aussage C ato in den Mund gelegt wird, dessen politische Gegnerschaft zu C aesar den Hintergrund darstellt. Der Gedankengang selbst bildet den Auslöser für vergleichende Fragen beim sachkundigen Leser, Anknüpfungspunkt für gedankli­ che Verbindungen. Diese Bezüge lassen sich fast von jedem Wort der angeführten

682 fin III 75 683 Strasburger sieht in den Bemerkungen Cal os "drei ganz schwere Angriffe auf Caesar in einem einzigen Satz", vgl Ciceros philosophisches Spätwerk, S 56

-

174

-

Textstelle, jedem Namen und Begriff aus entwickeln und fuhren immer auf C aesar zu. Die eingefügten Namen - S ulla, C rassus - und der Euphrat weisen auf diplo­ matische und kriegerische Unternehmungen gegen die Parther hin: S ulla hatte als Proprätor von Kilikien im Jahre 92 die Ansprüche Roms gegen M ithridates durchgesetzt und war dabei am Euphrat mit einem Vertreter des Partherkönigs diplomatisch sehr ungeschickt verfahren; die Niederlage des Prokonsuls in der Provinz Synen, C rassus, während eines Feldzuges gegen die Parther bei Karrhae im Jahre 53 war eine Katastrophe für die römische Herrschaft im Osten des Reiches.684 Auf der anderen Seite waren C aesars Vorbereitungen zu einem Partherkrieg seit dem Frühsommer des Jahres 45 bekannt.685 C icero selbst hatte in seiner geplanten Denkschnft an den Alleinherrscher geraten, erst dann in den Krieg gegen die Parther zu ziehen, wenn er das Staatsrvesen geordnet habe.686 Aus Briefen an Atticus vom 25. und 28. Mai geht hervor, daß C icero mit seinem Rat nichts anderes vorbrachte, als was C aesar selbst plante.687 Allerdings wurde die Denkschnft niemals vollendet, weil seine Ratschläge bereits in der Vorprüfung bei den Caesananem B albus und O ppius derart große Bedenken erregten, daß er das Schreiben zuruckzog.688 Eine andere Gedankenverbindung zu C aesar besteht von den beiden Begriffen rex und dictator her. Da war vor allem die Art, wie C aesar seit dem siegreichen Feldzug in Spanien nur noch unter Beachtung der herkömmlichen Formen der res publica das durchsetzte, was er allein für richtig hielt; zudem gab es noch das äußere Erscheinungsbild seines Auftretens nach der Rückkehr in Rom. G elzer hat dafür die Bezeichnungen "Herrschertätigkeit" und "Herrscherkult" verwendet.689 So erwähnt C icero in einem Brief an L. P apirius Paetus, daß er seinen Namen

684 Vgl Fröhlich, RE, IV, Sp 1527f, Geizer, RE, XIII 1, Sp 320ff 685 Geizer Caesar, S 282f,299 686 Att XIII 3,1 687 Att XIII 3,1, 7,3 688 Att XII 56,2, XIII 1,2,2, 3,1,4,1, 7,3 689 Geizer Caesar, S 288, 290

-

175

-

unter Senatsbeschlüssen gefunden habe, von denen er überhaupt nichts wußte: nam mihi scito iam a regibus ultimis adlatas esse litteras, quibus mihi gratias agant, quod se mea sententia reges appellaverim, quos ego non modo reges appellatos, sed omnino natos nesciebam.690 Neben der Kritik am Regierungs Stil enthält der Satz auch die hintergründige Bedeutung, daß anderswo ganz und gar unbedeutende - aus römischer Sicht - Potentaten mit Billigung Roms beliebig zum König ernannt werden, während doch der Eine, der das römische Reich beherrscht, sich so nicht nennen kann. Brieflich aber fand C icero für den Alleinherrscher wiederholt die Bezeichnung rex, so m einem Schreiben an A tticus vom 14. August 45 und an M atius, spater dann auch in de officiis - qui rex populi Romani dominusque omnium gentium esse concupiverit ldque perfecerit.691 Der Konsular tat dies im sicheren Bewußtsein, daß die Bezeichnung bei den Römern seit Überwindung der Königsherrschaft mit schärfster Ablehnung behandelt wurde.692 Deutlicher noch fallen die Bezüge zur Politik ms Auge, wenn er in der Textstelle aus de finibus S ulla als Beispiel für den Begriff dictator anfuhrt. C icero zielt darauf ab, im Verständnis des Lesers eine Assoziation herzustellen zwischen dem dictator S ulla und dem dictator C aesar und damit die Vorstellung vom grausamen Machthaber von dem einen Namen auf den anderen zu übertragen. Mehrere Jahre zuvor schon, in einem Bnef an A tticus vom 25. März 49, hatte er dem Freunde seine Sorge mitgeteilt, Caesar werde einen Senatsbeschluß erwirken, daß ein Prätor die Konsulwahlen durchführen oder einen dictator ernennen darf, was in beiden Fällen einen Rechtsverstoß bedeuten würde. Sed si S ulla potuit efficere, so fuhr der Briefschreiber fort, ab interrege ut dictator diceretur et magister equitum, cur hic non possit?693 S ulla hatte in der Tat im Jahre 82 nach dem Tode der beiden Konsuln vom Senat verlangt, nach altem Rechtsbrauch einen Interrex zu

690 fam 1X21,4 691 Att XIII 46,2, fam XI 29,8, off III 83, vgl Geizer Caesar, S 283, Ed Meyer, a 0 , S 446, Anm 5 rep I 62, vgl Geizer Caesar, S 283 693 Att IX 17,2 692

-

176

-

bestimmen, und - als das geschehen war - diesen aufgefordert, ihn zum dictator zu ernennen - was seit 120 Jahren, seit dem Krieg gegen H annibal, nicht mehr geschehen war.694 Auf diese Weise in den Besitz einer umfassenden dictatorischen Gewalt gelangt, "die einer Alleinherrschaft gleichkam" (wie F röhlich feststellt), konnte S ulla sowohl seine zuvor getroffenen Maßnahmen, Proskriptionen und Einziehungen von Vermögen mit dem Schein der Gesetzlickeit versehen als auch künftig alles rechtfertigen, was ihm politisch zweckmäßig erschien.695 Wenn C icero in de finibus dictator gleichsetzt mit magister populi, so gibt ihm das zunächst die Möglichkeit des Wortspiels - S ulla sei magister tnum pestifer­ orum gewesen: luxuriae, avaritiae, crudelitatis. Darüber hinaus entsteht eine Gedan­ kenverbindung zu de re publica: nam dictator quidem ab eo appellatur quia dicitur, sed in nostris libns indes eum Laeli magistmtn populi appellan.696 Über den dictator hatte C icero dort gesagt, daß seine Ernennung eine äußerste Maßnahme in größter Not sei: valet emm salus plus quam libido.697 Denn wenn das römische Volk im Frieden und daheirn auch über den Beamten steht, in bello sic paret ut regi.698 Trotz der etymologischen Unstimmigkeit in de re publica in Hinsicht auf das Wort dictator ist Idar, was C icero mit der Anspielung audrucken will: Die römische Verfassungsordnung besaß zwar klare Regeln für die alltäglichen Verhältnisse und für den Notfall; wer aber die Ausnahmeregel unangemessen verwendet, bringt die gesamte staatliche Ordnung ins Wanken. S ulla als magster luxuriae, avaritiae, crudelitatis - ein weiteres Mal bietet der

Konsular dem sachkundigen Leser damit Anknüpfungspunkte zu Gedankenverbin­ dungen. Der Vorwurf der Schwelgerei (luxuna) wurde S ulla sowohl für die Zeit seiner Jugend als für die Jahre nach der Abdankung gemacht.699 Für seine Habgier gibt es mehrere Zeugnisse.700 So zog er ungeheure Gewinne aus den von ihm

694 Fröhlich, RE, IV, Sp 1556, vgl Dmmann/Groebe, II, S 404f 695 Fröhlich, a O , Sp 1556f 696 rep 163 697 rep 163 698 rep I 63 699 Fröhlich, a.0 , Sp 1532, 1562, Drumann/Groebe, II, S 364, 420f 700 Vgl Fröhlich, a.0 , Sp 1525, 1528, 1539, 1543

-

177

-

während seiner Herrschaft durchgeführten Proskriptionen.701 Was schließlich den Vorwurf der crudelitas angeht, so zieht sich in der Tat eine Spur abstoßender Grausamkeit durch S ullas Leben von den furchtbaren Strafgenchten, die er als Legat im Bundesgenossenkrieg gegen die Samniten in den Jahren 90 und 89 verhängte, über die Mißhandlungen seiner Gegner in Rom, die Mordtaten und Plünderungen unter den Bewohnern Griechenlands und Kleinasiens im Krieg gegen M ithridates bis zu dem massenhaften Blutvergießen während der Zeit der Proskriptionen.702 Ganze Landstriche in Italien wurden verwüstet, besonders Samnium; es gab Massenhinrichtungen in Rom und in der latinischen Stadt Praeneste; selbst hochrangige Personen, wie der Prätor M. M arius G ratidianus, wurden auf entsetzliche Weise umgebracht. Nicht einmal vor den Toten machte die Rachsucht S ullas halt: Die sterblichen Überreste des Konsuls M arius wurden auf seine Anordnung hin aus dem Grab gerissen und in den Fluß Anio geworfen.703 In der Rede für C luentius hat C icero die Ursache dafür aufgezeigt, daß die Proskriptionen unter S ulla so ungeheuer viele Opfer forderten: Der Schuldbegriff war so weit gefaßt, daß jeder Anhänger des dictators mit anderen Bürgern nach seinem Belieben verfahren konnte.704 "Allen niederen Trieben, die in einem geord­ neten Staatswesen durch Recht und Sitte in Schranken gehalten werden, war Thür und Thor geöffnet." So urteilt F röhlich zusammenfassend über die Grausamkeit der Proskriptionen unter S ulla.705 Von der furchtbaren "Ernte der sullanischen Zeit" - S ullani tempons messem spricht C icero daher in den Paradoxa Stoicorum.706 Die Grausamkeit gegen Bürger und Bundesgenossen, auch die Habgier S ullas verurteilt der Konsular noch in de officiis.707 In dieser Textstelle zieht er zudem die Verbindung zwischen S ulla und

701 Ebd., Sp 1552, vgl Verr. III 81 702 Fröhlich, a O , Sp 1531ff, 1536f, 1539f, 1543f, 1548ff, Drumann/Groebe, II, S 367, 371, 378ff, 399ff Fröhlich, a O , Sp 1548ff, 15521F; Drumann/Groebe, II, S 397ff. 704 Vgl Drumann/Groebe, II, S 401 705 Fröhlich, a O , Sp 1550 706 parad 46 707 off II 27 703

-

178

-

C aesar mit den Worten: ergo in illo secuta est honestam causam non honesta

victoria. Denn S ulla gab die konfiszierten Vermögen römischer Bürger als Kriegs­ beute aus. Secutus est, heißt es dann weiter, qui in causa impia, victoria etiam foediore, non singulorum civium bona publicaret, sed universas provincias regio­ nesque uno calamitatis iure comprehenderet.708 Einen weiteren Bezug stellt C icero dann in de officiis her mit dem Hinweis auf seine Verteidigung des S extus R oscius aus Ameria im Jahre 80 unter der Dictatur S ullas.709 In dieser Rechtsangelegenheit traten die schlimmen Bestandteile der

sullanischen Alleinherrschaft offen zutage: Willkür der Proskriptionen gegen den politischen Gegner; Grausamkeit und Habgier durch S ullas Freigelassenen C hrysogonus; Mord, Gewinnsucht und Denunziation innerhalb der Familien.

Dagegen setzte C icero in seiner Rede Ruhm und Beliebtheit eines Verteidigers, der für das Recht derjenigen eintrat, die durch die Macht eines übermäßig Starken unterdrückt und bedrängt wurden.710 Im Textabschnitt aus de finibus III 75 fuhrt C icero schließlich an dritter Stelle den Namen des M. L icinius C rassus D ives auf, Konsul der Jahre 70 und 55, Anhänger S ullas seit 84 und vom Dictator reich belohnt.711 C icero hatte bereits in einem Brief an Arricus aus dem: Jahre 61 mit der Bemerkung über den "Kahlkopf, den mit den Gütern des N anneius" auf dessen Gewinn aus der Zeit der Proskrip­ tionen angespielt.712 Und wenn er in den Paradoxa Stoicorum einen Reichen schil­ dert, der seinen Wohlstand zu politischen Schandtaten mißbrauchte, mit deren Hilfe er wiederum seinen Reichtum vermehrte, so läßt sich dabei an C rassus denken.713 Die Verbindung zu C aesar ergibt sich aus der Ende 60 oder zu Beginn 59 getroffenen Vereinbarung zwischen C rassus, P ompeius und C aesar, "wonach

708 off II 27, der mit itaque darauf bezogene Folgesatz enthält die Kritik an Caesars Triumph über Massilia, wodurch die Verbindung zwischen Sulla und Caesar im davor stehenden Satz eindeutig belegt ist 709 off II 51, Rose , vgl Drumann/Groebe, V, S 249-259 710 off II 51, vgl Brut 312 711 Geizer, RE, XIII 1, Sp. 295ff 712 Att I 16,5 7,3 parad 42ff,vgl Geizer, a.O ,Sp 301

-

179

-

in der Politik nichts unternommen werden sollte, was einer der drei mißbillige".714 Dieser Pakt wurde dann im April 56 in Luca erneuert.715 C icero selbst sah sich, wie er in einem langen Brief an L entulus vom Dezember 54 schilderte, zum Wohlver­ halten gegenüber den Machthabern gezwungen.’16 Das Urteil des Konsulars über C rassus in de finibus schwankt indessen. Wurde er im zweiten Buch, bei der Erörterung der Philosophie

E pikurs, noch

als zwar

gerissener und mächtiger Übeltäter eingeschätzt, der sich aber mit dem eigenen Vermögen begnügt, so würdigt ihn C icero hier im dritten Buch als derart habgierig herab, daß er deshalb einen Feldzug gegen die Parther beginnt. Freilich hatte

C icero bereits im November C rassus ins Feld als unwürdig

55 in einem Brief an

A tticus

den Abgang des

kritisiert und ihn einen nichtswurdigen Menschen

gescholten.717 In Rom und Italien gab es erhebliche Widerstände gegen dessen Absicht, ohne zwingenden Grund einen Krieg gegen die Parther zu fuhren und auch gegen dessen Vorhaben, so im Osten die Grenzen des Alexanderreiches wieder zu errichten - ein Plan übrigens, der durchaus die Zustimmung fand.718 Aber alles Bemühen der Volkstnbunen blieb erfolglos, so daß

C aesars

C rassus in

den Wintermonaten des Jahres 55 auf 54 mit seinem Heer von Italien nach Syrien aufbrach. Zuvor hatte es, wie

C icero

in einem Brief an

L entulus

vom Dezember 54

C rassus eingeladen hatte.719 Im Laufe des Jahres 55 war es zwischen C icero und C rassus zu einer Auseinandersetzung im Senat um den Konsul und Statthalter in Syrien, G abinius , gekommen, die so heftig wurde, daß C aesar und P ompeius für eine Aussöhnung eintreten mußten.720 Trotz dieser entgegenkommenden Geste ClCEROS blieb das benchtete, noch ein Versöhnungsessen gegeben, zu dem er

Verhältnis zwischen den beiden Kontrahenten gespannt. Schon früher, in einem

714 Geizer, a O , Sp 314, Geizer Caesar, S 62 715 Geizer, RE, XIII 1, Sp 347, Geizer Caesar, S 111 716 fam I 10 717 Att IV 15,2 7,8 Geizer, RE, XIII 1, Sp 320ff 719 fam I 10,20 720 Geizer, a O , Sp 32 lf

-

180

-

Brief an T erentia vom Oktober 58, wahrend seiner Verbannung, hatte er einge­ räumt, daß er Angst vor

C rassus

habe.’21 Selbst als der Konsular sich für seinen

Gegner anläßlich eines Antrages im Senat, ihn als Statthalter Syriens abzuberufen, einsetzte, hat er tn einem Brief vom Januar 54 an ihn bei aller Versicherung der Freundschaft und Hilfsbereitschaft es nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß es in der Vergangenheit zwschen ihnen schmerzliche Vorfälle gegeben habe.721722 Im Brutus beklagte C icero , wobei er auch hier den mehrfach verwendeten Topos von der Verführung junger Männer durch das schlimme politische Beispiel gebraucht, das Schicksal des P.

C rassus,

C aesars

der mit seinem Vater zusammen im

Feldzug gegen die Parther gefallen ist - darauf wurde bei der Untersuchung des Dialoges bereits verwiesen.’23 In de finibus nun wirft

C icero

dem

C rassus mit beißender Schärfe vor,

einzig

aus Habgier den Kneg gegen die Parther geplant zu haben.724 Dem entspricht, daß

C rassus tatsächlich erst Ende April im zweiten Jahr seines Prokonsulates in Syrien den Euphrat zum Angriff überschntt.725 Das vorangegangene Jahr hatte er - wie

G elzer

formuliert - für eine "gute Finanzierung des Krieges" verwendet durch

Einziehung verschiedener Abgaben in Syrien, vor allem aber durch Wegnahme der Tempelschatze m Hierapolis und Jerusalem.726 Vermutlich bezieht sich auf diese Maßnahmen der Geldbeschaffung C iceros Anspielung in de finibus. Die hier angeführten Beispiele aus den Biographien S ullas und deudich die Vorgehensweise gegen

C aesar

C aesar

C iceros

C rassus' zeigen

bei seinem politisch motivierten Angriff

in de finibus auf - daher wurden sie so ausführlich behandelt.

wird dabei selbst nicht ausdrücklich als herrschsuchtig, als rechtsbrüchig

oder als habgieng bezeichnet, zumal sein Name wiederum überhaupt nicht erscheint.

721 fam XIV 2,2 722 fam V 8,3 723 Brut 28lf 724 fin III 75 725 Geizer, a O , Sp 323 726 Geizer, a O , Sp 323f

- 181 -

Der Konsular bietet vielmehr vor allem mit den Namen S ulla und C rassus, mit den Begriffen rex, dictator und dives, mit der Kennzeichnung S ullas als magister luxuriae, avaritiae und crudelitatis dem sachkundigen Leser Anknüpfungspunkte dar, von denen aus gedankliche Verbindungen hergestellt werden können, bei den obwaltenden politischen Bedingungen unter der Alleinherrschaft Caesars geradezu hergestellt werden müssen, die ihn in den Zusammenhang mit den Lastern und Fehlem der zum Exempel angeführten Vorgänger bringen und ihn so brandmar­ ken und herabwürdigen. Die Erwähnung der Namen und Begriffe zwingt den Leser der philosophischen Schnft de finibus bonorum et malorum nachgerade, den Vergleich zur Gegenwart zu ziehen und sich die Frage zu stellen, wie es denn mit einem Machthaber steht, der auftritt wie ein römischer König, der sich zum dicta­ tor ernennen läßt wie S ulla, und der einen Feldzug gegen die Parther vorbereitet wie der habgienge

C rassus. E s

fällt bei der Fülle der Angaben schwer, dabei an

einen Zufall zu glauben. Mit den hier angeführten Namen und Begriffen ist das Beziehungsgeflecht der Fakten keineswegs vollständig bezeichnet. Ausgangspunkt des durch

C ato

vorge­

tragenen Gedankenganges im dritten Buch von de finibus war der philosophisch begründete hohe Rang des Weisen.

C icero

konnte voraussetzen, daß beim

sachkundigen Leser der hier erwähnten Eigenschaften des stoischen Ideals die Erinnerung an die Paradoxa Stoicorum wachgerufen wurde, die er ein Jahr zuvor herausgegeben hatte. Die Textstelle enthält mehrere nahezu wörtliche Zitate aus den dort behandelten Paradoxa: Allem das Tugendhafte ist gut (I); der Tugend­ hafte ist glückselig (II); der Weise ist frei (V); der Weise ist reich (VI). Auch der Gedanke, König könne nur der Weise sein, gehörte zur Lehrmeinung der Stoa.727 Die Textstelle läßt sich mit dem Anknüpfungspunkt rex auch philosophisch inter­ pretieren und auf

C aesar

beziehen. Sem Herrschaftsanspruch wird damit am

Maßstab der griechischen Philosophie gemessen und vom Gedankensystem der Stoa her als unvernünftig und somit als verwerflich zurückgewiesen.

727Zum Bild des Weisen und des Toren vgl Pohlenz, Stoa I, S 154fF, Diog Laert VII 122, SVF III 617, vgl 618ff

-

182

-

Es soll noch einmal betont werden, daß die Textstelle aus de finibus in ihrer Gesamtheit kein Ergebnis des Zufalls sein dürfte. Dagegen spricht die stilistisch ausgefeilte Formulierung; dagegen spricht zudem die dreifache Anführung histori­ scher Beispiele mit Bezug zu

C aesar;

dagegen spricht schließlich der innere

Zusammenhang mit anderen Paradoxa der Stoa in anderer als

C ato

C iceros

Schriften. Und: Kein

spricht hier! Es handelt sich also um eine bewußt und absichts­

voll aufgebaute, gegen die Alleinherrschaft

C aesars

gerichtete politische Aussage

innerhalb eines philosophischen Gedankensystems.

6.3. Tusculanae disputationes

Unter den politischen Verhältnissen des Jahres 45, die im wesentlichen bestimmt wurden durch den Sieg C aesars bei Munda, die kaum zu ubertreffenden Ehrungen für den Sieger und den Ausbau der Alleinherrschaft, arbeitete

C icero

die Tuscu­

lanae disputationes in fünf Büchern aus, deren Themen er in de divinatione so bezeichnet: (1) de contemnenda morte; (2:) de tolerando dolore; (3) de aegntudine lenienda; (4) de reliquis animi perturbationes; (5) eum locum complexus est, qui totam philosophiam maxime inlustrat, docet enim ad beate vivendum virtutem se ipsa esse contentam.’28 Wenn schon der Inhalt der Schrift die Seelenlage

C iceros

zur Zeit ihrer Abfassung widerzuspiegeln scheint, so entspncht die gewählte Szene­ rie gleichfalls der Gegenwart: Es wird die Fiktion aufgebaut, als hätten die Gesprä­ che kurz zuvor (nuper) im Tusculum zwischen

C icero

und den Dialogpartnem

tatsächlich so .stattgefunden. Auch wenn dies stark an die Form sokratischer Dialoge erinnert, bei denen sich häufig grundlegende philosophische Erörterungen aus einer alltäglichen Gelegenheit entwickeln, so scheint

C icero

hier den stilisti­

schen Kunstgriff doch gewählt zu haben, um eine Situation mit Bezug zur Gegen­ wart so realistisch und glaubwürdig wie möglich darstellen zu können. 29

div II 2 729 Tuse I 8 m

- 183 -

Merkwürdig ist zudem, daß - abweichend von den anderen philosophischen Arbeiten dieser Zeit - keiner der anderen Gesprächsteilnehmer mit Namen kennt­ lich gemacht wird; nur von complures familiares oder nostri familiares ist hier die Rede.730 Allem B rutus wird in allen fünf Büchern jeweils zu Beginn angesprochen, aber so, daß er nicht Dialogpartner ist, sondern derjenige, dem C icero von den Gesprächen berichtet. '31 Der Verfasser gibt dabei vor, von ihm gemahnt worden zu sein - B rute, te hortante maxime

cum defensionum laboribus senatoriisque

munenbus aut omnino aut magna ex parte essem aliquando liberatus, die lange versäumte Beschäftigung mit der Philosophie wieder aufzunehmen.732 B rutus wird also in besonderer Weise hervorgehoben. Darüber hinaus stellt C icero ihn im fünften Buch in Zusammenhänge, die von großer politischer Bedeutung sind, so, wenn er als Beispiel für die Kraft der Tugend avunculus tuus, B rute preist.733 C ato wird m den Tusculanen nur noch an einer einzigen anderen Stelle, dort aber in herausragender Weise erwähnt - im Zusammenhang mit dem Problem des Freitodes.734 Am Schluß fügt C icero den Gedankenkreis zusammen, indem er den Eingangs­ satz des ersten Buches mit dem Hinweis auf B rutus, der ihn zur Beschäftigung mit der Philosophie in dieser schweren Zeit gemahnt habe, wieder aufgreift. Ad B rutum nostrum will er die fünf Bücher senden gleichsam als Dank für dessen

Hilfe, nostns quidem acerbissimis dolonbus variisque et undique circumfusis molestus alia nulla potuit invenin levatio.735 Die Hervorhebungen des B rutus mögen freilich einen politischen Hintergrund haben: die Furcht, der bisher so geschätzte Verbündete könnte sich doch noch auf eine Weise an C aesar binden, die gleichzeitig den Bruch mit C icero bedeuten würde. Eine Andeutung dahingehend findet sich in einem Bnef, den der Konsular

730 Z B Tuse 1 7, II 9, III 6 731 Tuse I 1,11 1, III 1,IV 1, V 1 732Tuse I 1

733 Tuse V 4 734 Tuse I 74, in V 32 geschieht dies eher beiläufig im Hinblick auf seine Rolle als Gesprächspartner in fin IV 735 Tuse V 121

-

184

-

um den 17. August 45 an A tticus schrieb.736 Wenn dem wirklich so war, können Widmung und auszeichnende Anrede in dieser Schrift verstanden werden als der Versuch, den vermeintlich Gefährdeten noch einmal in besonderer Weise zu verpflichten. Mangels weiterer Belege bleibt das aber nur eine Vermutung. Im ersten Buch der Tusculanen, das sich mit der Geringschätzung des Todes befaßt, erörtert C icero auch die Unsterblichkeit der Seele und zieht dazu das Beispiel des

sokrates

heran, wie es bei P laton in der Apologie und im Phaidon

dargestellt wird.737 Es soll gezeigt werden, daß der Tod kein Unglück ist, sondern ein Glück - wie der griechische Philosoph seinen Richtern in der Verteidigungsrede entgegengehalten hat.738 In seiner Darstellung der sokratischen Lehre über die Wanderung der Seelen folgt C icero der Schilderung P latons über die Gespräche des Verurteilten mit semen Freunden am letzten Tag vor der Hinrichtung. In einem Punkt weicht er allerdings davon ab. Ausgeschlossen von der Gemeinschaft mit den Göttern sind die Seelen, die vel domesticis vitiis atque flagitiis se inquina­ vissent vel de re publica violanda fraudes inexpiabiles concepissent.739407Im Unter­ schied zu P laton bildet C icero also eine Gruppe von Übeltätern, die sich gegen den Staat vergehen. Ihre Verbrechen erhalten insofern eine andere Qualität, als sie nicht nur die Gebote innerhalb einer Ordnung verletzen, sondern die Ordnung selbst zerstören und daher unsühnbar sind. Wenn C icero gegenüber P laton in einem entscheidenden Punkt differenziert, härter und viel stärker ins Allgemeine gehend formuliert, so hat das bei ihm einen durchaus realen Bezug. Denn bereits einige Jahre zuvor, in einem Brief an A tticus vom 28. März 49, hatte er den Freund zitierend Anhänger C aesars charakterisiert: qui comitatus...vskokx - und hinzugefügt: o rem perditam! o copias desperatas!'40

736 Att. XIII 49,1 B7apol 40c-41d; Phaid 80a-84b 738 apol. 40c 739 Tuse I 72 740 Att 1X21,2

- 185 -

Wenige Tage später berichtete er auch noch über die Machenschaften dieses Gesindels.741 Die Textstelle aus dem ersten Buch der Tusculanen zeigt in Verbindung mit den angeführten Briefzitaten: C icero formuliert die philosophische Aussage über die Unsterblichkeit der Seelen in Abänderung der platonischen Vorlage so, daß sie auch eine politische Bedeutung gewinnen kann und sich damit gegen C aesar und seine Gefolgsleute richtet.

Im Zusammenhang mit dem philosophischen Problem, welcher Art die Krank­ heiten der Seele sind, und wie sie geheilt werden können, erwähnt C icero im dritten Buch der Tusculanen wiederum Gedankengänge und historische Beispiele, die Anknüpfungspunkte zur politischen Gegenwart bilden können. So beklagt er, daß der Mensch von der Natur nicht angeleitet werde, sie selbst zu betrachten und ihrem Vorbild zu folgen - ein philosophischer Grundgedanke der Stoa -, sondern sich von den Dichtem und vom Volk verführen lasse, nach Ehren, Ämtern und Ruhm zu streben.742 In ihrer Blindheit hätten so einige ihre Staaten zugrunde gerichtet, andere sich selbst.743 Hier erscheint ein weiteres Mal toposartig der Gedanke einer Verführung durch falsche Vorbilder, was C icero etwa schon im Brutus getadelt hatte.744 Freilich bildet die Philosophie das Heilmittel der Seele.745746 C icero fugt dann einen weiteren stoischen Grundsatz an, den bereits in den

Paradoxa Stoicorum behandelten Gedanken, daß alle Toren wahnsinnig seien und belegt ihn mit den Beispielen des vom Zorn verwirrten A chills und A lexanders, der mit seinem Glück nicht umzugehen verstand.146 Die schlimmste und verwerf­ lichste aller Leidenschaften, den Kummer, und seine "mördensche" (camificana) Wirkung stellt er dar am Schicksal des aus Syrakus vertriebenen Tyrannen

741 Att IX 23,1, vgl Geizer Caesar, S 191 742 Tuse III 2f 743 Tuse III4 744 Brut 273,280,281 745 Tuse III 6 746 Tuse III4, 18,21

- 186 D ionysius und des T arquinius: Der eine machte sich nach seiner Vertreibung

lächerlich, der andere kämpfte vergeblich um seine Macht und starb schließlich vor Kummer.747 Bemerkenswert ist zudem die Formulierung, die C icero bei dem Beispiel des T arquinius findet: T arquinio vero quid impudentius, qui bellum gereret cum iis qui eius non tulerant superbiam? Das quid impudentius entspricht nahezu wörtlich der Stelle in einem Brief an A tticus vom 27. Dezember 50, in dem der Konsular die Forderungen C aesars an den Senat untersucht und kommentiert: nam quid impudentius?748 Unversehens fließt ihm damit ein Ausdruck in die Feder, der die Verbindung knüpft zwischen dem altrömischen König und C aesar: Beide erscheinen ihm machtversessen und gewalttätig gegen das Volk allein ihrer persönlichen Interessen wegen, weil sie eme mögliche Zuruck­ setzung nicht ertragen können. Das ist C iceros Hauptvorwurf gegen C aesar angesichts des Bürgerkrieges.

Ein weiterer Beleg für die Verbindung von Philosophie und Politik läßt sich aus dem dritten Buch der Tusculanen anführen. Nachdem C icero eine lange Reihe von Exempeln aus griechischer und römischer Geschichte für Ursachen und Erscheinungsformen des Kummers vorgetragen hat behandelt er die Frage, wie es gelingen kann, den Schmerz zu überwinden und sich den Umständen zu fügen.749 Gleichsam dem Zweifler antwortend, der fragt, ob es denn überhaupt möglich sei, Kummer und Sorgen zu vergessen, berichtet der Konsular von der Ermordung des P ompeius im Jahre 48, wie seine Anhänger ihn tödlich getroffen zusammenbrechen

sahen und selbst, cum in illo ipso acerbissimo misemmoque spectaculo, von der feindlichen Flotte umringt, für ihr eigenes Leben fürchteten. Aber erst nach erfolg­ reicher Flucht hätten sie begonnen, zu trauern und klagen.750 Wenn also die Angst

747 Tuse III 26f, zu Dionysius vgl Ciceros Anspielung in Att IX 10,1 748 Tuse III27, Att VII 9,4; zu den Forderungen Caesars vgl Geizer Caesar, S 170ff 749 Tuse III 65 730 Tuse III 66, zur Ermordung des Pompeius am 28 9 48 vor Alexandria vgl Drumann/Groebe, III, S 469f und IV, S 538

- 187-

um das eigene Leben es möglich macht, Trauer und Kummer zu vermeiden, sagt C icero, wie sollte es dann der Einsicht und der wahren Weisheit nicht gelingen?

Die Textstelle muß im Zusammenhang mit jenem Abschnitt im ersten Buch der Tusculanen betrachtet werden, in dem C icero die philosophische Frage erörtert, ob der Tod auch dann kein Unglück ist, wenn die Seele den Körper nicht überdau­ ert, wie es etwa E pikur und die Stoa in ihren Lehrmeinungen vertreten.751 Der Tod ist deswegen kein Unglück, sagt er, weil er uns von den Übeln trennt.752 Zur Erläu­ terung und Bestätigung seines Satzes fugt er das Exempel "unseres Freundes P ompeius" an, als der krank in Neapel damiederlag - im Jahre 50 also.753 In

eindrucksvoller Reihe - durch ein siebenfaches non verbunden - führt C icero dann auf, was dem P ompeius an schlimmen Erfahrungen erspart geblieben wäre mit seinem Tode vor Ausbruch des Bürgerkrieges: non enim cum socero bellum gessisset, non inparatus arma sumpsisset, non domum reliquisset, non ex Italia fugisset, non exercitu amisso nudus in servorum ferrum et manus incidisset, non liberi defleti, non fortunae omnes a victoribus possiderentur, qui si mortem tum obisset, in amplissi­ mis fortunis occidisset, is propagatione vitae quot quantas quam incredibilis hausit calamitate.754 Die Erwähnung der beiden nur wenige Jahre zurückliegenden Ereignisse um die Person des P ompeius im Zusammenhang mit der Erörterung einer fundamentalen Frage der Philosophie - Stellung des Menschen zum Tode - ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie C icero in seinem philosophischen Spätwerk einen politisch motivierten Angriff vortragt. Der Gedanke, daß der Tod auch wohltätig sein kann, indem er vor unerträglichem Leid bewahrt, wird verbunden mit dem der Zeitge­ schichte entnommenen Gegenbeispiel des P ompeius, der im Bürgerkneg das Schlimmste erleben mußte, was einem Menschen widerfahren kann. Politische

751 752 753 754

Tuse I 82ff Tuse I 83 Vgl Drumann/Groebe, IV, S 541,Tusc 186 Tuse I 86

-

188

-

Bedeutung gewinnt das Exempel dadurch, das es C aesar war, der den Bürgerkneg begann und damit all das Leid über die Menschen brachte. Später, in de divinatione, greift C icero bei der Untersuchung eines anderen Problems der Philosophie, der Frage, ob die Kenntnis der Zukunft dem Menschen von Nutzen sei, noch einmal den Tod des P ompeius auf.755756Den Gesprächspartner, seinen Bruder Q uintus, fragt er, ob P ompeius von Freude erfüllt gewesen wäre über seine gewaltigen Erfolge, wenn er geahnt hätte, wie furchtbar sein zukünftiges Schicksal sein werde, und welche Ereignisse seinem Tode folgen würden, quae sine lacnmis non possumus dicere.75,6 Nun kommt aber etwas Neues in C iceros Vorge­ hensweise hinzu, etwas, das deudich die völlig veränderte Situation - so wie er sie sieht - nach dem 15. Marz 44 zeigt: Dem Beispiel des P ompeius wird ausdrücklich das Exempel C aesars gegenübergestellt. In welcher Seelenqual, fragt der Konsular, hätte wohl C aesar sein Leben geführt, wenn er vorausgeahnt hätte, unter wie schändlichen Umständen - in der cuna Pompeia, vor dem Standbild des P ompeius er einmal den Tod erleiden werde.757 Diese Textstelle in de divinatione weicht eklatant ab von der An:, wie C icero in seinem philosophischen Spätwerk zuvor verfahren ist: C aesar wird hier zum ersten Mal seit dem Brutus wieder mit Namen erwähnt.758 Das ist ein erstes Indiz dafür, daß Nennung oder Nicht-Nennung einer Person in den philosophischen Schriften nicht vom Zufall abhängen, sondern jeweils in der Absicht des Verfassers liegen und somit eine Bedeutung haben im Zusammenhang einer Textstelle. Das Problem ist so wichtig, daß es spater ausführ­ licher untersucht werden wird.

Das fünfte Buch der Tusculanae disputationes ist dem stoischen Lehrsatz gewid­ met, "die Tugend sei zum glückseligen Leben sich selbst genug". Dies sei em Punkt von besonderer Bedeutung, wie C icero meint; denn unter allen Fragen, mit denen

755 div II 22ff 756 div II 22 7,7 div II 23 758 Zum Problem der Abfassungszeit vgl Schäublin in Stellenkommentar und Einführung zur Textausgabe, S 298, 350f, 399

-

189

-

sich die Philosophi befaßt, gebe es keinen wichtigeren und großartigeren - nihil est omnium quae in pl ilosophia tractantur, quod gravius magnificentiusque dicatur.759 Anknüpfungspunkt des Gesprächs ist die Schrift de virtute, die B rutus verfaßt und ihm gewidmet hat. ’° Freilich gehört dieser Satz der Stoa, so räumt der Konsular ein, zu den schwiei gen philosophischen Fragen, propter tam vana et tam multa tormenta fortunae.7' 1Weit ausholend vollzieht er den Beweisgang für die Autarkie der Tugend. In der philosophischen Gedankengang werden mehrere historisch­ politische Beispiele i ingefügt, bei denen in drei Paaren jeweils Tugend und Laster einander gegenüberg stellt sind: L aelius und C inna; M arius und Catulus; schließ­ lich D ionysius und Archimedes.762 Dabei erscheinen L aelius und C atulus als tugendhaft und glücl selig; C inna und M arius werden als grausam und lasterhaft verurteilt, denn: acci >ere quam facere praestat iniuriam.763 Kann bei den letzten beiden Namen nur v -rmutet werden, daß ihre Erwähnung in diesem Zusammen­ hang einen politisch 1 rotivierten Angriff gegen C aesar bedeutet (er war der Neffe des M arius und der S :hwiegersohn C innas),

so

ist dies - wie später noch zu zeigen

sein wird - bei dem Intten Exempel sicher: bei D ionysius, dem Tyrannen von Syrakus.764 Mit dem Tyrannen Vorwurf gegen C aesar ist ein Kernpunkt des philosophi­ schen und politischen Denkens bei Cicero berührt. Nach de re publica ist die Tyrannis keine eigen tändige Staatsform neben Monarchie, Aristokratie und Demokratie, sondern . ine Entartungserscheinung; sie kann zwar aus jeder dieser drei Herrschaftsformei entstehen, besonders anfällig ist aber das Königtum, wie C icero am Beispiel de: römischen Königs T arquinius aufzeigt, der, weil er selbst

die Strafe wegen seines Verbrechens fürchtete, wollte, daß andere ihn fürchten.765

759 Tuse. V 1; vgl. Diog Le ;rt. VII 127f. 760 Vgl fin I 8 761 Tuse V 1 762 Tuse. V 54-64 763 Tuse V 56f 764 Zur familiären Verbindur Caesars mit Marius und Cinna vgl Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerl, S. 52, Tuse V S7fF 765 rep I I 45, zum Tyrannen vgl 1 50, 65, 68, II 48, III 23 i

- 190 -

Auf seine Siege und Reichtumer gestützt, sagt C icero, ging er über jedes Maß hmaus (exultabat insolentia) und konnte weder über seine eigenen Sitten herrschen noch über die Leidenschaften der Seinen - neque suos mores regere poterat neque suorum libidines.766 Als schließlich noch das Verbrechen an L ucretia geschah, trieb Lucius B rutus den König und sein ganzes Geschlecht wegen ihrer zahllosen Übergriffe in die Verbannung. Wenn also ein gerechter König sich durch seine Verderbtheit verleiten läßt, zu einem ungerechten Gewaltherrscher zu werden - so ist C icero hier aufzufassen -, entsteht der Tyrann.767 Dieser "Gewaltherr des Volkes" (dominus populi), den die Griechen als Tyrannen bezeichneten, kann nicht mehr mit Recht ein Mensch genannt werden, weil er sich selbst durch die Ungeheuerlichkeit seines Charakters aus der Gemeinschaft des Rechts mit dem ganzen Menschengeschlecht und der Verbundenheit in der Menschlichkeit ausschließt.768*70 Wo nun, wie in Syrakus unter dem Tyrannen D ionysius, dem Volke nichts gehört, und das Volk selber in der Gewalt des Alleinherrschers ist, gibt es nicht ein verdorbenes, dort gibt es überhaupt kein Gemeinwesen - ubi tyrannus est, ibi non vitiosam..., sed nullam esse rem publicam.'66 Damit liegt, nach C iceros Auffassung, in der Verderbnis des Machthabers zum Gewaltherrscher die Ursache für die Zerstörung der Rechtsgemeinschaft aller Bürger und des Zusammenlebens der Menschen m einem geordneten Staatswesen begründet. Daraus läßt sich dann auch folgern: Wenn der Tyrann beseitigt wird, kann der Staat gerettet werden. In einem Brief an A tticus, datiert vom 12. März 49, ubertragt C icero diese allge­ meinen staatstheoretischen Gedanken über Tyrannis und Widerstand gegen den Tyrannen auf die konkrete politische Situation des römischen Gemeinwesens vor dem drohenden Bürgerkneg.’70 Indem er - m griechischer Sprache - Überlegungen anstellt zu den Gefahren, die die Beseitigung eines Tyrannen für das Staatswesen

766 rep 767 rep 768 rep 765 rep 770 Att

1145 1147 1148 11143 1X7

- 191 -

und die Bürger mit sich bringen kann, zu den Versuchungen der Macht und zum Risiko, das ein Politiker eingeht mit seinem Widerstand für sich selbst und seine Familie, versucht der Konsular Klarheit zu gewinnen in bezug auf sein eigenes Handeln. Unverkennbar liegt den aktuellen politischen Gedanken die Auffassung aus seiner Schrift über den Staat zugrunde: Der Tyrann wirkt als Ursache der Gefahren, die dem Gemeinwesen drohen; er muß daher beseitigt werden. Allein bedenkenswert bleiben noch die Wahl des zweckmäßigsten Mittels - Krieg oder Verhandlung - und die Frage, ob Leben oder Freiheit höher einzuschätzen seien. Ein Schlüsseldokument für C iceros Auffassung von der Gestalt des Tyrannen ist ein umfangreicher Brief an Atticus von Anfang Mai 49.771 Pompeius hatte zu dieser Zeit mit seinen Truppen Italien bereits über die Adria hin verlassen; C aesar war auf dem Wege, um den Feldzug gegen Massilia und seine Gegner in den spani­ schen Provinzen zu führen.772 Der Konsular wägt in dieser Lage ab, was er selbst tun soll: C aesar folgen oder besser P ompeius, vielleicht neutral bleiben? Wichtig ist für C icero in diesem Zusammenhang, wie die Erfolgsaussichten C aesars im drohenden Bürgerkrieg einzuschätzen sind. In seiner Hoffnung, "diese Gewaltherr­ schaft (könne) kaum sechs Monate dauern", glaubt der Konsular sich durch die griechische Philosophie bestärkt: auguria quoque me incitant quaedam spe non dubia, nec haec collegii nostri ab A tto, sed illa P latonis de tyrannis.773 Der Bnef wirkt insofern aufschlußreich, als ckmit - neben der Textstelle aus dem fünften Buch der Tusculanen - belegt ist, daß C iceros Kntik am Tyrannen sich gegen C aesar richtet. Zudem wird deutlich, daß er sich aus dem, "was bei P laton über

die Tyrannen steht", Hilfe erhofft bei seiner persönlichen Entscheidung, wie er sich verhalten soll angesichts der drohenden Gefahren. C icero bezeichnet das als auguna: Was er in der platonischen Politeia findet, betrachtet der Konsular als Anzeichen der Bestätigung für seine politische Entscheidung, C aesar nicht zu folgen. Wegen der Bedeutung, die der Zusammenhang zwischen C iceros Denken

7,1 Att X 9 772 Vgl Geizer Caesar, S 195fF 773 Att X 9,6

-

192

-

und P latons Auffassung über die Tyrannis und den Tyrannen hat, erscheint es angemessen, näher darauf einzugehen. P laton läßt in der Politeia S okrates während eines Gesprächs das Wesen der

Tyrannis erörtern und ihre sich zwangsläufig vollziehende Entwicklung aus der Demokratie, wenn das Streben nach immer größer werdender Freiheit umschlägt in das Verlangen nach der Gewaltherrschaft.774 Aus einer idealen Staatsverfassung, in der höchste Gerechtigkeit herrscht, entsteht unvermeidlich die denkbar schlech­ teste Ordnung mit der größten Ungerechtigkeit. Der vom Volk eingesetzte Führer wandelt sich unter diesen Bedingungen zum Tyrannen: Gestützt auf eine ihm ergebene Gefolgschaft geht er mit ungerechten Beschuldigungen und mit Hilfe gerichtlicher Entscheidungen gegen seine Feinde vor, läßt verbannen und hinrich­ ten, spielt zwar anfangs den Milden und Gnädigen, führt aber beständig Kriege, weil er nur so Anführer sein und ihm verdächtige Widersacher beseitigen kann. Wer mächtig ist, tapfer, hochherzig und reich, muß verfolgt werden - das alles geschieht mit Notwendigkeit, weil der Tyrann nur auf diese Weise seine Herrschaft sichern kann. Auf der anderen Seite gerät der Gewaltherrscher so in eine Zwangs­ lage: Wenn er alle Menschen aus dem Wege geräumt hat, die anderer Überzeugung sind, wenn er keinen Freund mehr auf seiner Seite hat, bleibt ihm nur seine "Leib­ garde", die er mit Belohnungen und Bestechungen an sich binden muß. Und wenn die Güter der vernichteten Gegner dazu nicht mehr ausreichen, wird er die Tempelschätze an sich nehmen. Seme Anhänger werden ihn bewundern, die anständigen Menschen aber hassen und meiden. Das Volk jedoch muß sich ihm entgegenstellen, es muß erkennen, welchen Unhold es sich selbst vorgesetzt hat; es muß ihm die Waffen abnehmen und, wenn er sich nicht fügen will, ihn mit Gewalt dazu zwingen. Während P laton im 8. Buch der Politeia die Entwicklung der Tyrannis und des Tyrannen unter staatstheoretischem Aspekt behandelt, erörtert er im 9. Buch den Werdegang des "einzelnen Mannes von tyrannischer Sinnesart".775 Hierbei herrscht 774 Plat. rep 562-569

775 571-580, vgl Apelt, S 521, Anm 42 und S 522, Anm 54

- 193 -

der psychologische Gesichtspunkt vor; die tyrannische Gesinnung ergibt sich demgemäß aus der Vorherrschaft der Begierden über die Vernunft. Der Tyrann folgt - so läßt er S okrates sagen - ohne Achtung vor den Gesetzen allein seiner Herrschsucht; er nimmt fremdes Eigentum an sich, wann immer es ihn gelüstet; er mordet, raubt die Tempel aus. Aber er ist auch der unglücklichste Mensch, besitzt keinen Freund, hat von wahrer Freiheit keine Vorstellung. Da nun ein Verhältnis der Ähnlichkeit besteht zwischen dem Mann von tyrannischer Gesinnung und dem tyrannisch regierten Staat, so bilden beide den Gegensatz zum sittlich besten Menschen und dem gerecht verwalteten Staatswesen; beide sind in ihrem Bereich der denkbar schlechteste Zustand.776 Die Notwendigkeit einer Entwicklung der Tyrannis als Staatsform und des tyran­ nischen Menschen in seinem Seelenzustand ergibt sich für P laton aus der in sich stimmigen Abfolge von der vollkommenen Gerechtigkeit zur tiefsten Ungerechtig­ keit. Unter den von ihm. dargestellten Bedingungen folgt die nächste Stufe zwangs­ läufig aus der vorhergehenden. Als Beweis für die Richtigkeit seiner theoretischen Konstruktion betrachtet der Philosoph das historische Beispiel des D ionysios, dessen Gewaltherrschaft er mit eigenen Augen gesehen hat, in dessen sittliches Wesen er mit den "Augen des Geistes" eingedrungen ist. Und weil er das selbst erlebt hat, zählt P laton sich zu den Urteilsfähigen in dieser Frage.777 Aus der Übereinstimmung zwischen dem, was er bei P laton gelesen und dem, was er selbst in der Entwicklung C aesars zum Alleinherrscher beobachtet hat, zieht C icero seinerseits die Gewißheit über das Wesen der Tyrannis und des Tyrannen. Für ihn gibt es daher auch keinen Zweifel, daß C aesar fallen wird. Nos tamen hoc confirmamus illo auguno, quo diximus, nec hos fallit nec aliter accidet: corruat iste necesse est aut per adversarios aut ipse per se, qui quidem sibi est adversarius unus acerrimus.778 - Als Anzeichen des Verfalls sieht C icero, auch darin P laton folgend: C aesar hat sich, obwohl in höchster Blüte stehend, innerhalb

776 Das Gegenstück hat Platon behandelt, als er das Wesen der Gerechtigkeit bestimmte, vgl 4 Buch, 442ff 777 9 Buch, 577

778 Att X 9,8

- 194-

weniger Taiip beim Volke unbeliebt gemacht, und er hat seinem Ansehen gescha­ det, indem er den Ruf seiner Milde zerstörte durch das gewaltsame Vorgehen gegen den Volkstribunen M etellus und durch die Wegnahme des Staatsschatzes aus dem airarium, wodurch sich zudem seine finanzielle Stärke als Luftblase erwies.779 Ern weiteres Indiz für die Tyrannis Caesars sieht C icero im Sinne PLATONS dsrin, daß auch der römische Alleinherrscher ein Gefolge unwürdiger

Handlanger als eine Art Leibwache um sich hat.780 Im Schreiben an A tticus verbinden sich also auf kennzeichnende Weise Philoso­ phie und Pq litik. Der Konsular verwendet P latons Aussagen als Erkenntnismuster für aktuelle Geschehnisse; er sieht sich sowohl ethisch als auch politisch dadurch gerechtfertigt. Die phi osophischen Erkenntnisse spiegeln sich auch wider in dem bereits angeführten Brief an P aetus von Anfang Juli 46, in dem C icero schreibt, daß er sich frei fühle von Schuld an möglicher "Mißgunst" (invidia) wegen seines politi­ schen Handelns im Bürgerkrieg. Eter im, cum plena sint monumenta Graecorum, quem ad modum sapientissimi viri regna tulerint vel Athenis vel Syracusis, cum servientibus suis civitatibus fuerint ipsi quodam modo liben, ego me non putem tueri meum statum sic posse, ut neque offendam animum cuiusquam nec frangam dignitatem meam?781 Aus dem Schreiben wird deutlich, daß er nunmehr versucht, ein politisches Problem für sich selbst mit philosophischen Mitteln zu lösen. Diese Erkenntnis ist ein Zeichen für seine Einsicht in die machtpolitischen Gegebenheiten nach Caesars Sieg en im römischen Bürgerkrieg.

779 Att. X 9,6 780 Zur Bedeutung der Leibwache vgl. Geizer: Caesar, S 292, 294, zum Geldmangel Caesars, zu seinen Anleihen und Gutereinziehungen vgl. Drumann/Groebe, III, S. 508f.; zu den B elo inungen für seine Anhänger vgl Geizer Caesar, S 269f. und DmmamV Groebe, HI, S 553ff. 781 fam. IX 16,0

- 195 -

Die philosophische Erörterung im fünften Buch der Tusculanen stellt eine Reaktion C iceros auf die politischen Ereignisse dar, die der Rückkehr C aesars nach Rom im September 45 folgten.782 G igon bezieht die Entstehungszeit der Tusculanen insgesamt ausdrücklich auf die Monate "der Dictatur C aesars (Herbst 45 v. Chr.)".783 Der Senat überhäufte den aus Spanien heitnkehrenden Sieger mit bis dahin nicht erlebten Ehningen; nach den Huldigungen und dem vierfachen Triumph im Jahre 46 folgten Beschlüsse, die Caesar über alle Menschen emporho­ ben und ihn den Göttern zuordneten.784 Politisch noch bedeutsamer waren seine Ernennungen zum Dictator und Imperator in neuen Formen.785 C aesar wurde nun Konsul zum fünften Mal, Dictator und Imperator auf Lebenszeit. In Verbindung mit den Ehrungen als praefectus moribus und pontifex maximus war damit eine titulare und tatsächliche Machtfülle erreicht, die den Alleinherrscher zum rex machte. In den Augen C iceros ist C aesar damit zum Tyrannen geworden; Hoffnungen auf die Wiederherstellung der republikanischen Ordnung hat er nun endgültig verloren. Wie P laton sah er im Alleinherrscher den Zerstörer der Grundlagen des Staates und der menschlichen Rechtsgememschaft. Protest und Widerstand gegen die Herrschaft des Tyrannen wurden für C icero eine philoso­ phisch begründete politische Pflicht. Auf diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund muß das Gespräch im fünften Buch der Tusculanen betrachtet werden mit dem ethischen Problem, wie die Autarkie der Tugend im Hinblick, auf die Glückseligkeit des Menschen zu bewerten und auch durch historisch-politische exempla zu belegen ist. Das Schicksal des Tyran­ nen D ionysius zeigt nach Ansicht C iceros auf, welche Folgen die Tyrannis für den Gewaltherrscher selbst hat. Im Vergleich zu de re publica und den beiden Briefen an A tticus und P aetus wird das politische Problem aber ganz anders behandelt. War dort unter staatstheoretischem Aspekt Entstehung und Bewertung der Tyran­ nis untersucht und die praktische Frage erörtert worden, wie ein Politiker unter den

782 Zur Zeitangabe vgl Drumann/Groebe, III, S. 589 783 Vgl das Nachwort zur Textausgabe, S 412f 784 Vgl Drumann/Groebe, III, S 548fF., 580f, 593f, 598ff, Geizer Caesar, S 257, 292 785 Vgl Drumann/Groebe, III, S 594ff, 735ff, Geizer Caesar, S. 296f

- 196 -

Bedingunger der Gewaltherrschaft Widerstand leisten kann, so geht es in den Tusculanen darum, im Vergleich der vita contemplativa des Philosophen und der vita activa eines Gewaltherrschers das Verhängnis zu schildern, in das die ungerechte Herrschsucht den Tyrannen selbst zwangsläufig fuhren muß. Nach der Darstellung C iceros ist das Leben des D ionysius so sehr von Furcht und Mißtrauen bestimmt, daß er keine Freunde um sich duldet, Vorkehrungen für seine Sicherheit selbst bei der eigenen Familie treffen muß und Reden nur von einem hoher Turm herab zu halten wagen kann. Ständig hängt - bei allem Reich­ tum und jedem denkbaren Luxus - der Schrecken über ihm wie das Schwert des Damokles.78' C icero hat das Schicksal des D ionysius als Beispiel einer Gewaltherrschaft und

ihrer Folgen für den Tyrannen selbst unter diesem Blickwinkel bewußt ausgewählt, wie ein Briei an P aetus vom 20. Juli 46 zeigt.787 Gegen das Exempel stellt er das Leben des / rchimedes, der in derselben Stadt wie D ionysius gelebt hat.788 Die Gegenüberstellung geschieht derart, daß jeder Leser wohl eher das Schicksal des philosophiscien Mathematikers als das des Tyrannen für sich selbst wählen wurde. Si vitae modjm actionemque quaenmus, alterius mens rationibus agitandis exquirendisque alebatur cum oblectatione sollertiae, qui est unus suavissimus pastus animorum, a tenus in caede et iniums cum et diurno et nocturno metu. 89 Der massh e Angriff gegen den Tyrannen im fünften Buch der Tusculanae (dispu­ tationes lenk:: den Blick auf das Problem, mit welchen Begnffen C icero die Allein­ herrschaft C aesars bezeichnet, und welche Auffassung er zur Tötung eines Tyran­ nen hat. Damit wird! auch der Bezug hergestellt zwischen dem philosophischen Werk mit seinem Tyrannen-Vorwurf und den politischen Verhältnissen des Jahres 45, die bestimmt waren durch den Ausbau der Alleinherrschaft C aesars. Schon zu Beginn des Bürgerkrieges, m einem Berief an A tticus vom 5. Februar 49, spricht C icero von C aesar als einem Tyrannen, an den sich zu binden eine

786 Tuse V 571F 787 fam IX 17,1 788 Tuse V 64 789 Tuse V 66

- 197-

Schande sei.790 Wie bewußt der Konsular den Begriff verwendet zeigt ein Brief einige Wochen später; darin heißt es: nec iam recusat, sed quodam modo postulat, ut, quem ad modum est, sic appelletur tyrannus.791 Zwar wird C aesar nicht namentlich genannt, im inneren Zusammenhang ist die Zuordnung aber eindeutig erkennbar. Die Formuliemng C iceros ist aufschlußreich im Hinblick auf seine zugrundeliegende Meinung, denn er verwendet nicht willkürlich einen Begriff, um die Herrschaft eines politischen Gegners zu bezeichnen. Der jeweils gewählte Begriff ist vielmehr Ausdmck bestehender Verhältnisse: Nicht C icero verwendet aus eigenem Wollen das Wort tyrannus - die Tatsachen selbst erfordern es. Noch nach dem Tode C aesars schreibt er am 3. Mai 44 seinem Freunde A tticus: ego autem...minore periculo existimo contra illas nefarias partes vivo tyranno dici potuisse quam mortuo.792 Briefe vom 23. März und 16. April 49 weisen auch auf den Zusammenhang zwischen C iceros Tyrannenbegnff und P laton hin.793 Andererseits gibt es aus der "Zeit des Bürgerkrieges Briefe, in. denen von regnate, regnum oder rex die Rede ist, wenn es um die Meinherrschaft C aesars geht.794 Zuweilen finden sich in einem Schreiben beide Begriffe: tyrannis und regnum, einmal auch dominatio, regnum und regnare.795 Die Beispiele verweisen auf die Notwendigkeit, die Frage zu klären, welche Vorstellung C icero verbindet mit den Begriffen tyrannis, regnum, dominatio. Dabei handelt es sich zunächst um das philologische Problem der Begriffsbestim­ mung und der Untersuchung im textlichen Zusammenhang, dann aber auch um die Einordnung in die politische Situation des Bürgerkrieges, also in die Wirklichkeit.

790 Att VII 21,2 791 Att X 5,2 792 Att XIV 17,6 793 Att IX 14,4, X 9,6 794 Att Vn 11,1, VIII 11,2, X 8,1, 9,2 und 7, XIII 46,2, fern VI 19,2, IX 16,6, noch nach dem Tode Caesars in fäm XI 29,8 795 Att VII 11,1, VIII 11,2

-

198

Hilfe bei der Lösung des philologischen Problems bietet K arl B üchners Abhandlung "Der Tyrann und sein Gegenbild in C iceros 'Staat' ".796 Im Zusam­ menhang mit der umfassenderen Frage, "ob C icero in de re publica in einem princeps das Heil des Staates sieht und ob dieser princeps als Vorbereitung der augusteischen Lösung die dauernde Herrschaft eines Mannes bedeutet, weiter, ob C icero dabei an emen bestimmten Zeitgenossen denkt", wird auch die Unterschei­

dung zwischen rex und tyrannus sowie die Kntstehung des Tyrannen untersucht.797 C icero läßt im zweiten Buch von de re publica S cipio am Beispiel des T arqui­ nius

S uperbus vortragen, wie im Wechsel der Staatsformen aus dem König der

Tyrann entsteht.798 Danach erscheint der König zunächst wie em fürsorglicher Vater des Volkes und das Gemeinwesen in einer guten Form; es hat indessen die Neigung, in einen verderblichen Zustand zu stürzen. So heißt es dann weiter: simul atque enim se inflexit hic rex in dominatum iniustiorem, fit continuo tyrannus.799 Der folgend« Paragraph faßt noch einmal zusammen: habetis igitur primum ortum tyranni; nam hoc nomen Graeci regis iniusti esse voluerunt.800 In der Auslegung dieser Textstelle hebt B üchner zwei Punkte hervor.801 Nach C iceros/S cipios Ansicht ist das Königtum eine "gute Staatsform", die freilich m der Gefahr steht, in eine schlechte umzuschlagen. Zum andern geht es um die Ursache des Wandels: Der Übergang vom guten König zum schlimmen Tyrannen ist "nicht an Form und Institution" gebunden, "sondern an das Handeln wahrend der Herrschaft, mithin an den in der Tat sich enthüllenden moralischen Zustand des Herrschers".802 Entscheidend ist also - B üchner hebt das mehrfach hervor - der Wille, die Absicht des Herrschers, Unrecht zu tun, mithin die Macht zu eigenen Zwecken zu mißbrauchen.803 Bei C icero lautet der Gedanke so:

796 Büchner Twann, in Studien, Bd II, S 116-147 797 Ebd , S 116 798 rep 1147 799 rep II 48, vgl I 65 800 rep 1149 801 Büchner, a ü , S 120 802 Ebd 803 Ebd, S 129, 132f, 141ff

- 199quare p nm a sit haec form a et species et origo tyranni inventa nobis in ea re publica...ut quem ad m odum T arquinius non novam potestatem nactus, sed quam habebat usus iniuste, totam genus hoc regiae civitatis everterit.804 B üchner zieht aus den Textstellen eine wichtige Folgerung in bezug auf die

Verwendung des Tyrannen-Begtiffs in der politischen Auseinandersetzung zur Zeit C iceros. "Die Erkenntnis, daß T arquinius S uperbus, obwohl der Stellung nach

rex, durch die Verwandlung seines Herrschern dominus geworden ist und Tyrann zu heißen hat, hat einen Begriff des Tyrannen erfassen lassen, der nicht mehr an die Staatsform gebunden ist, sondern, dem Sprachgebrauch der ciceronischen Zeit entspricht, der mit diesem Wort einen Menschen brandmarkt, der in der res publica nach dominatio strebt."805 Diesen Gedanken verbindet B üchner mit der Feststellung, daß es bei C icero nicht um einen einzelnen Tyrannen geht, sondern um ein genus hominis - belegt durch die Worte in § 48: sed ent hoc de genere nobis alius aptior dicendi locus..., wobei B üchner aus ernenn vorhergehenden Teilsatz ein hominis ergänzt.806 Es ist demnach "Zufall der historischen Lage", wenn die Entstehung des Tyrannen aus dem Königtum am Beispiel des T arquinius gezeigt wird.807 Andere Beispiele bei C icero (S purius C assius, M arcus M anlius, S purius M aelius in § 49; die decemviri

in § 62f.) lassen erkennen, daß er unter dem Begriff des Tyrannen eine bestimmte Art von Menschen faßt, eben diejenigen, die ihre potestas mißbrauchen.808 Wenn C icero in den §§ 47 und 49 die Graeci als Urheber des Begriffes tyrannus erwähnt, dann nimmt B üchner das zum Anlaß, auf die staatstheoretischen Schrif­ ten X enophons, A ristoteles' und P latons

zu

verweisen.809 Dagegen stellt er

C iceros Denkweise, der vom Gedanken an die res publica her zwei Typen von

861 rep II 51 805 Büchner, a O , S 121, als Belege für diesen Sprachgebrauch werden Textstellen zitiert aus Vat 23 und 29, leg a.gr III 3, leg agr II 32, s S 121, Anm 8 806 Büchner, a O , S 132,120 807 Ebd , S 132 808 Ebd 809 Ebd, S 140

-

200 -

Menschen uni erscheidet: "jenes genus, das unter Selbstverleugnung die res publica im Sinn hatte, das andere, das die anderen zu seinem Vorteil unter seine Botmäßig­ keit bringen v ollte, in seinem Egoismus und Individualismus aus dem Gemeinwe­ sen herausfiel, den Willen zur Zerstörung hatte".810 Maßstab zur Beurteilung eines Menschen ist damit nicht die Theorie, sondern der Sinn, der für einen Römer in der tatsächlich existierenden res publica enthalten ist.811 Darin unterscheidet sich also C icero nach Ansicht B üchners von den Griechen: Er betrachtet nicht den gedanklich abstrahierten, sondern den "primär im Gemeinwesen wurzelnden" Menschen.812 An diese Feststellung fügt B üchner noch einen Satz an, der aufschlußreich wirkt in bezug auf C iceros Denkweise während des Bürgerkrieges; ihm sei, "unter dem Wandel cler historischen Situation und nach dem offenkundi­ gen Verlust der res publica" der Tyrannen-Begriff aus de re publica nicht wichtig geblieben: "als C aesar auch die Foim der Tyrannis verwirklichte, treten in den Reden, Briefen und philosophischen Werken die gnechischen Anschauungen wieder hervor".813 Dies meint doch wohl, C icero habe die Philosophie heranziehen müssen, weil er anders die Alleinherrschaft C aesars, die Absicht und Form umschloß, mil seinem Tyrannen-Begriff nicht habe fassen können, der sich allem auf die Absicht des Machthabers bezog. Damit kann erklärt: werden, daß C icero in seinen Äußerungen zur Tyrannenherrschaft während des Bürgerkrieges vor allem P laton anfühtte.

Das in de re publica erwähnte histonsche Beispiel des T arquinius S uperbus erklärt die Verwendung des Begriffes rex in abwertender Bedeutung. Weil T arqui­ nius

als König nach Gewaltausübung, nach Unterdrückung des Volkes strebte, ein

rex inportunus war - wie es in I 50 heißt -, ist auch dieser Begriff ebenso abwertend wie tyrannus. B üchner weist daraufhin, daß C icero das Wort tyrannus "als Metapher in der Sprache politischer Polemik" schon früh gebraucht. "Das griechi­ sche Wort ha: offenbar mehr Resonanz und Schwingungen als die lateinischen

810 Ebd , S 141 811 Ebd , S 143 8,2Ebd, S 146 813 Ebd

-201

-

Worte rex und dominus."814 In der Bedeutung - und das ist in diesem Zusammen­ hang der entscheidende Punkt - sind sie einander gleich. Wie C icero die Metapher tyrannus verwendet, belegt B üchner am Beispiel der Rede gegen V erres (III 20: ita severe ut tyrannum) und in der Milonia in bezug auf C lodius: gewalttätige und eigennützige Menschen werden so benannt.815 Am Beispiel des T arquinius entwickelt C icero in de re publica auch den Gegen­ begriff zum Tyrannen, der seine Macht mißbraucht: sit huic oppositus alter, bonus et sapiens et peritus utilitatis dignitatisque civilis, quasi tutor et procurator rei publi­ cae; sic enim appelletur quicumque erit rector et gubernator civitatis.816 B üchner betrachtet dieses Gegensatzpaar von tyrannus und tutor et gubernator rei publicae als "ein Leitmotiv" der ganzen Schrift über den Staat.817 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob C icero dabei einen Bezug zur Gegenwart der Abfas­ sungszeit (die Jahre 54 - 51) im Auge hat, also an konkrete Personen denkt, die den Staat aus der Krise führen können. Die Anmerkung in II 51, daß er sich mit seinen Ausfühlungen nicht wie P laton auf ein gedankliches Staatsgebilde bezieht, sondern auf das in der Wirklichkeit existierende, von R omulus gegründete Gemein­ wesen, läßt darauf schließen, daß C icero auch im Hinblick auf den gubernator civitatis realitätsbezogen denkt. Strasburger geht in dieser Frage noch einen Schritt weiter und stellt unter Berufung auf das Prooemium des ersten Buches von de re publica fest, daß' C icero wohl sich selbst dabei im Auge und auf der anderen Seite sowohl P ompeius als auch C aesas, ausgeschlossen hatte.818 Das klingt - zumal auch de legibus zur Bestätigung herangezogen wird - insgesamt überzeugend. Wenn das so zutrifft, dann ist bereits mehrere Jahre vor Ausbruch des Bürgerkrie­ ges deutlich erkennbar, wie C icero seine eigene Stellung im Verhältnis zu Caesar emschatzt.

8.4 Ebd , S 135 8.5 Ebd , S 135, Anm. 20, 138ff 8.6 rep II 51, vgl 1169, V 8 817 Büchner, a O , S 134, 147

8,8 Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 16ff

-

Die Abhandlung

B üchners

202 -

hat für die Frage, was

C icero

mit den Begriffen

tyrannis/tyrarnus, regnum/rex, dominatio/dominus meint, deswegen fundamen­ tale Bedeutung, weil von daher auch eine Lösung für das Problem gefunden werden kann, welche Auffassung er von der Tyrannis zeigt auf, wie

C icero

am histonschen Beispiel des

C aesars

T arquinius

hatte.

B üchner

die Erkenntnis

gewinnt, daß nicht die Form des Staatswesens, sondern die in der Tat erkennbare Absicht das bestimmende Element bildet - die sich dann freilich mit der Form verbinden kann. Ein gewalttätig und eigennützig handelnder Machthaber wird von

C icero

als rex, dominus oder - treffender - als tyrannus bezeichnet. So heißt

es in de re publica: ...tyrannus, quo neque taetrius neque foedius nec dis hominibusque invisius animal ullum cogitari potest; qui quamquam figura est hominis, morum tamen inmanitate vastissimas vincit beluas. Quis enim hunc hominem rite dixeril, qui sibi cum suis civibus, qui denique cum omni hominum genere nullam iuris communionem, nullam humanitatis societatem velit?819 Die drei. Begriffe tyrannis, regnum und dominatio werden bei C icero synonym gebraucht; da> läßt sich an einzelnen Beispielen zeigen. Im Bnef vom 27. Februar 49 an A tticui wirft er unter ausdrücklichem Bezug auf de re publica P ompeius vor, cum antea nunquam tum in hac causa minime an das Wohlergehen des Volkes gedacht zu haben, um dann - auch im Gedanken an Caesar - hinzuzufügen: dominatio quaesita ab utroque est.820 Wenige Zeilen später stellt er wieder fest, daß weder P ompe, us noch C aesar an das allgemeine Wohl denken - uterque regnare vult.821 Das Schreiben vom 21. Januar 49 an den Freund verbindet clen Begriff der Tyrannis - als Zitat aus den Phönissen des E uripides

mit regnum im folgenden

Satz, wo C ici ro für die eigene Person den Gedanken an omnia istius modi regna zurückweist.82! Das bezieht sich auf C aesar, dem der Konsular vorwirft, eigen­ mächtig, gewaltsam und ungesetzlich vorzugehen, um seine dignitas zu wahren. In

819 rep 820 Att 821 Att 822 Att

1148 VIII 11,2 VIII 11,2 VII 11,1

-203 -

beiden Briefen ist zudem das von B üchmer aufgezeigte Grundmuster zu erkennen: Der Machthaber handelt aus Eigennutz, nicht im Interesse des Gemeinwesens, und verfolgt seine Ziele mit Gewalt; daher ist diese Art des Herrschens als dominatio, regnum, tyrannis zu bezeichnen. Der Tyrannen-Vorwurf gegen C aesar berührt, das wurde bereits gesagt, sowohl einen politischen als auch einen philosophischen Kernpunkt in C iceros Denken. Dabei geht es auch um sein eigenes Verhältnis zur Macht. Politisch gerechtfertigt und philosophisch begründet erscheint ihm ein Herrscher, mit welcher Machtfülle auch immer, nur dann, wenn er die ihm verliehene Macht einsetzt für das Wohl des Gemeinwesens, für die Rechtsgemeinschaft aller Menschen.823 Ein Tyrann hinge­ gen ist nicht nur politisch ein Übeltäter schlimmster Art, sein Tun ist auch moralisch verwerflich. Deudich sagt das C icero mit Hinweis auf P ompeius und C aesar, den er auch hier wieder einen Tyrannen nennt, in einem Brief an A tticus

vom 14. April 49: quis enim potest aut deserta per se patria aut oppressa beatus esse? et sL.recte in illis libns diximus nihil esse bonum nisi quod honestum, nihil malum nisi quod turpe sit, certe uterque istorum est miserrimus, quorum utrique semper patriae salus et dignitas posterior sua dominatione et domesticis commodis fuit.824 Dagegen stellt C icero das Bewußtsein, seine Pflicht dem Gemeinwesen gegenüber erfüllt oder zumindest keine unredlichen Absichten bei seinem Tim gehegt zu haben. Den Wunsch nach Gewaltherrschaft hält er für schlimmer als die Strafe am Kreuz; entsetzlicher scheint ihm dann nur noch eines zu sein: adipisci, quod ita voluens.825 Das Heilmittel gegen die Versuchungen der Macht ist ihm die Philoso­ phie, denn der Weise ist glücklich im Bewußtsein seiner Tugend.826 Erkennbar wird an diesen Aussagen, daß C icero auch in politischen Fragen - da, wo es um

823 rep II 51 824 Att X 5,4f, die Anspielung illis libris bezieht sich auf de re publica 825 Att VII 11,2 826 Vgl off III 35ff

-

204

-

fundamentale Probleme geht - von der Philosophie her, unter moralischem Gesichtspunkt also, denkt und handelt. Man mag in seiner Haltung "fehlenden Machtwillen" kritisieren, wie es G elzer im Zusammenhang mit C iceros Weige­ rung tut, im Jahre 59 der Aufforderung C aesars

zu

folgen, sich dem Dreibund mit

ihm, P ompeius und C rassus anzuschließen.827 Aber C icero konnte in der Politik nicht anders handeln, als er es tat, wenn er sich selbst gegenüber glaubwürdig bleiben wollte. Eine ganz andere Frage ist freilich, ob er nicht rechtzeitig hätte erkennen m i ssen, daß unter diesen Bedingungen nur ein vollständiger Rückzug aus der Politik fij r ihn sinnvoll war.

Mit C iceros Auffassung von der Tyrannis und dem Tyrannen ist zugleich das Problem aufgeworfen, wie er zum Tyrannenmord stand, genauer: ob es sich m semen Augen, rechtfertigen ließ, den Tyrannen C aesar zu toten und damit seiner Gewaltherrschaft ein Ende zu setzen. In de re publica hatte er sich zwar eindeutig über die Tynnnen und ihre Gefolgsleute geäußert, in bezug auf ihre Beseitigung aber nur allgemein festgestellt: quos si boni oppressunt, ut saepe fit, recreatur civitas.828829Auch unter der Alleinherrschaft Caesars blieb C icero in diesem Punkt sehr vorsichtig. Nur andeutungsweise wird seine Meinung m einem Brief an Atticus vom 17. Mai 45 erkennbar, daß er C aesar den Tod wünscht.825 Öffentlich

wagt er sich dazu nicht zu äußern, auch in semen philosophischen Schuften nicht. Mehrere Belege gibt es jedoch dafür, daß der Konsular - entgegen der Anschuldi­ gung durch M. .Antonius - an der Verschwörung;, die zum Attentat am 15. März 44 führte, nicht beteiligt war, ja nicht einmal davon wußte.830 Nach der Tat allerdings äußerte er ostentativ seine freudige Zustimmung laetitiam, quam oculis cepi iusto

827 Geizer Cicero, S 120ff 828 rep I 68, vg rep II 46 829 Att XII 53,2 830 fam X 27,1; XII 2,1, 3,1,4,1, Phil II 25, vgl Geizer Cicero, S 325, Ed Meyer, a O , S 4481F, 456 Zur Verschwörung als Tat gegen die Tyrannis vgl Geizer Caesar, S 298, 300ff und Meier, a.O., S 383, 510, 568 (Meier erwähnt auf S. 569, daß Cicero bereits im Sommer 45 geplant habe, mit M Antonius zusammen ein Attentat auf Caesar auszuführen, allerdings gibt er dafür keinen Beleg an )

- 205 -

interitu tyranni.831832Eine "herrliche Tat" - vestn... pulcherrimi facti - nannte er den Mord in einem Schreiben an C assius Anfang Oktober 44. 832 Zudem teilte er politi­ schen Freunden sein Bedauern darüber mit, daß er nicht an der Verschwörung beteiligt war, weil er sonst noch weitergegangen wäre bei der Beseitigung von Anhängern des Tyrannen.833 Aber auch sein Zweifel wird erkennbar, ob die Ermordung des Tyrannen notwendig und politisch klug war. Am 24. Mai 44 schrieb C icero an A tticus: licet enim de me, ut libet, existimes..., si haec ita manant, ut videntur..., me Idus Martiae non delectant.834 Denn - so fährt er fort - C aesar wäre ohnehin vom geplanten Feldzug gegen die Parther niemals zuriickgekehrt, und die aus Furcht vor seinen Anhängern gegebene Zustimmung zu seinen Verfügungen wäre nicht nötig gewesen; damit habe die Ermordung des Gewaltherrschers auch nicht die ersehnte Freiheit gebracht. Es waren also praktische politische Eiwägungen, die ihn zweifeln ließen, nicht moralische Bedenken. Tiefe Resignation wird zudem spürbar: vivit tyrannis, tyrannus occidit! eius interfecti morte laetamur, cuius facta defendimus!835 Da muß es verwundern, wie eindeutig C icero sich zum Tyrannenmord später in de officiis äußert; dort heißt es im. dritten Buch: quod potest maius scelus quam non modo hominem, sed etiam familiarem hominem occidere? Num igitur se adstrinxit scelere, si qui tyrannum occidit quamvis familiarem? Populo quidem Romano non videtur, qui ex omnibus praeclaris factis illud pulcherrimum existimat.836

831 Att XIV 14,4, vgl Alt XIV 4,2, 6,1, farn IX 14,4 und 5 Das kurze Schreiben an den Caesarmörder L Minucius Basilius mit dem Text tibi gratulor, mihi gaudeo wird von Geizer und dem Herausgeber der Briefe ad familiares, Helmut Kasten, auf das Datum 15 März 44 gesetzt, Geizer Cicero, S 326 und Kasten, S 968 832fam XII 3,1, vgl Phil I 9, II 116ff 833 fam X 27,1, XII 3,1, 4,1, vgl Att XIV 17,6 834 Att XV 6,3 835 Att XIV 9,2, vgl 11,2, 13,2, 14,3, 22,2, fam XII 1,2 836 off III 19

■■206 -

Eine moralische Wertung, durch Grundsätze der Philosophie gestützt, schließt sich an: vicit ergo utilitas honestam? Immo vero, honestatem utilitas secuta est.837

C icero

verwendet das Exempel des Tyrannenmordes, quod pateat latius, um zu

belegen, daß es auch von der Situation abhängt - saepe enim tempore fit

ob ein

ethischer Grundsatz zu befolgen ist Es gibt nach seiner Auffassung Ausnahmesi­ tuationen, wie etwa eine Tyrannenherrschaft, die selbst den Mord an einem vertrauten Menschen rechtfertigen - wie im übrigen das Handeln des römischen Volkes beisp ielhaft zeige. In anderem Zusammenhang - mit seiner Vorstellung von der societas hominum erwähnt Cic ;ro wenig später das Beispiel des Tyrannen P halaris und stellt fest: nulla est enirn societas nobis cum tyrannis et potius summa distractio est, neqte est contra naturam spoliare eum, si possis, quem est honestum necare, atque hoc omne genus pestiferum atque impium ex hominum communitate exterminandum est.838 Zwar sprich t

C icero

in dieser Textstelle über

Beispiel in seinen Schriften

P halaris

- ein häufig erwähntes

die Äußerung läßt sich aber auch auf Caesar bezie­

hen. Ein Beleg für diese Auffassung findet sich in einem Brief an A tticus vom 22. Januar 49, m dem der Konsular - unter Verwendung der bei ihm wiederholt anzutreffenoen Redefigur der Metastase •

C aesar

als einen zweiten

P halaris

bezeichnet, von dem das Schlimmste zu befürchten sei.839 Die Beseitigung des Tyrannen (eines Tieres in Menschengestalt) mit Gewalt, seine Entfernung aus der menschlichen Gemeinschaft - vergleichbar der Abtrennung eines toten und schäd­ lichen Körperteils - ist gerechtfertigt, weil er sich durch seine Taten auf das Schwerste gegen eben diese Gememschaft vergangen h at840 An einer anderen Stelle des dritten Buches von de officiis stellt

C ic e r o

die rheto­

risch gemeinte Frage, wie ein Mensch Nutzen aus seinem Leben ziehen könne,

857 off III 190' 838 of III 32 835 Att VII 12.3, das Beispiel des grausamen Tyrannen Phalaris findet sich auch in Tuse II 17 ', V 75, 87, fin IV 64, V 85, nat III 82 840 off III 32

- 207-

cum eius vitae ea condicio sit, ut qui illam eripuerit, in maxima et gratia futurus sit et glona.841 Den Gedanken äußert er in ganz ähnlicher Form auch in der ersten Philippischen Rede, wobei

C aesars

Name genannt wird.842 - Auffällig an den

Textstellen aus de officiis wirkt, daß sich wiederholt Gedankenverbindungen ergeben zu de re publica. Dabei enthält die Schrift über den Staat die Maßstäbe, an denen gemessen C aesar dann in dem Werk über die Pflichten als einer bezeichnet wird, der dagegen verstoßen hat. Anders ausgedrückt:

C aesar

entspricht mit

seinem Wesen und mit seinen Taten in der politischen Wirklichkeit dem Bild des Tyrannen, das C icero in der Tradition P latons theoretisch gezeichnet hat. Einige Beispiele mögen das anschaulich machen.

C aesar hat

aus Herrschsucht

göttliches und menschliches Recht mißachtet; er ist ein Opfer seiner Leidenschaf­ ten geworden.843 C aesar hat die auf Eintracht und Gleichheit vor dem Gesetz beruhende Ordnung der res publica zerstört und Unrecht begangen aus Freude am Unrechttun.844 C aesar hat sich selbst durch seine Taten aus der Gemeinschaft der Menschen ausgeschlossen.845 Daher ist es auch gerechtfertigt, diesen Menschen zu töten.844 Die griechische Philosophie bildet somit die Grundlage für Urteil über den Tyrannen

C aesar

mord. Aber noch einmal sei betont:

C iceros

politisches

bis hin zu dem Gedanken an den Tyrannen­

C icero

erörtert das Problem in der Theorie, als

eine moralische Frage - er handelt nicht. Ihm fehlen Mut und Entschlossenheit zur Tat; gleichwohl wäre er gern bei den Tätern gewesen. Auch auf andere Weise noch läßt sich ein Indiz dafür gewinnen, wie

C icero über

den Tyrannenmord dachte: durch einen Vergleich seiner Äußerungen zum Tode des P ompeius und C aesars in seinen Schriften. Mit literarischen Mitteln hat er seine Meinung kundgetan. In den Tusculanen, in de divinatione und in der zweiten

141 off III 85 842 Phil 135 843 rep I 52, 60 - off I 26, zu Platon vgl rep 571a-592b 844 rep I 49 - off II 48 845 rep I 49 - off III 32 844 rep II 4 6 -o ff III 19

■■208 -

Philippischen Rede finden sich Betrachtungen über das beklagenswerte Ende des Mannes, auf dessen Seite der Konsular im Bürgerkrieg stand.847 P ompeius' Tod löste tiefe Trauer aus; ihm geschah durch den Sieger und seme Gefolgsleute Unrecht in einem Maße, daß er geradezu glücklich zu nennen ist, weil er es nicht in seiner ganzen Schwere erfahren hat. Das gesamte römische Volk seufzte wegen seines Unglücks. - Ganz anders klingt die Darstellung, wenn zum Attentat auf den Mächtigen.

C icero

sich äußert

C aesar wurde getötet inmitten einer Menge von

Menschen, unter denen viele waren, die ihm so viel verdankten: Senatoren, Offizie­ re, römische Bürger - und keiner von ihnen kam ihm zu Hilfe, müssen wir ergän­ zen. Er starb symbolträchtig in der Cuna Pompeia, vor dem Standbild seines Gegners P ompeius , und niemand - nicht einmal ein Sklave - trat zu seinem Leich­ nam. Selbst M.

A ntonius

floh aus Angst um sein Leben - praeclaro illo die.848

C icero äußert kein Wort des Bedauerns, des Mitleids über den Tod des Tyrannen; einzig die Folgen der Tat für die res publica rufen in ihm Sorge hervor. Seine Äußerungen über den Tod der beiden mächtigsten Männer seiner Zeit sind so unterschiedlich, daß aus dem Vergleich

C iceros

eigenes Urteil ersichtlich wird.

Tiefe Trauer empfindet er selbst für seinen Mitstreiter im Bürgerkrieg und dessen elendes Schicksal; zudem greift er in einer Philippischen Rede noch in M.

Antonius den Mann an, der sich am Vermögen des Toten schamlos bereichert habe. C aesars Ende hingegen wird mit Genugtuung und ohne Mitgefühl registnert als die gewünschte und erwartete Folge für einen herrschsüchtigen Tyrannen. Sem Tod - auch in der höchst schrecklichen Form, in. der er geschah ■ist in Augen nichts als die Konsequenz der Untaten, die

C aesar während

ClCEROS

seiner Allein­

herrschaft gegen die res publica und unzählige römische Bürger begangen hat.

847 848

Tuse III66; d v II 27, Phil II 64 div. II 23, vgl I I 19, Phil II 88fF

- 209 -

6.4. Academici libri

Obwohl der philosophische Gegenstand (erkenntnistheoretisehe Probleme und ihre Behandlung) dieser Schrift wenig geeignet erscheint, politische Angriffe gegen die Alleinherrschaft

C aesars

aufzunehmen, und entgegen der Auffassung Stras-

burgers, die Academici libri enthielten keine anticaesarischen Äußerungen, stellen doch zwei Textstellen Insinuationen dar,349 Allerdings fallen diese Bemerkungen im Vergleich zu den Invektiven in den Tusculanen mit dem Tyrannen-Vorwurf und später in de natura deorum (Tempelraub) recht harmlos aus. In I 2 fragt seinen Freund

A tticus

C icero

nach Neuigkeiten aus E.om; der aber wehrt ab, weil diese

Nachrichten nur Kummer bereiten könnten. In der zweiten Textstelle (I 11) wiederholt

C icero

den bereits bekannten Topos, daß die Beschäftigung mit der

Philosophie Heilung für seinen Schmerz bedeute, der durch den überaus harten Schicksalsschlag - Tod der Tochter - und den Verlust der Verantwortung für den Staat hervorgerufen sei.

6.5. De natura deorum Wiederum, ein letztes Mal vor den Iden des März 44, verwendet

C icero

den

Gegensatz von Macht und Moral in einem philosophischen Werk als Angriff gegen

C aesar.

Zweck der Schrift ist die Auseinandersetzung

m it

einem besonders

schwierigen Problem der Philosophie: der Frage nach dem Wesen der Götter, ihrer Existenz, ihrem Wirken in der Welt und ihrer Fürsorge für den Menschen. In einem fiktiven Streitgespräch läßt der Konsular die Ansichten dreier wichtiger philosophischer Schulen zu diesem Thema durch kompetente Vertreter erörtern -

V elleius für die Philosophie E pikurs, L ucilius B albus für die Stoa und A urelius C otta für die Akademie; er selbst hält sich weitgehend zurück.8“ 84950

C.

849 ac 2,2 und 11, vgl Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 54, P Groebe sieht darin "Haß gegen Caesar", vgl. DrumaniVGroebe, VI, S 285, Anm 2 850 nat 115-17

C.

-

210

-

C otta versucht, die Existenz der Götter und ihre Fürsorge für den Menschen zu widerlegen. Ai s Gründe für den Zweifel an der göttlichen Fürsorge werden vorge­ bracht, daß die Götter nicht auf das Wohl der Guten bedacht seien und das Böse in der Welt n cht verhinderten. Er faßt seine Meinung in einem Verszitat zusam­ men: nam si curent, bene bonis sit, male malis; quod nunc abest.851 Es folgt darauf eine lange Reihe historischer Beispiele, die belegen sollen, daß es in Wirklichkeit den Guten scnlecht, den Schlechten aber gut ergangen ist.852538Wie als Fortsetzung seines Exempels aus dem fünften Buch der Tusculanen läßt Gesprächspar ner

C otta

C icero

seinen

unter den Frevlem, die die Götter nicht straften, auch

den Tyrannen D ionysius als Tempelräuber in Lokroi, Olympia und Epidaurus anführen, der bei seinen Übeltaten obendrein noch die Götter verhöhnt habe, als sie ihn ohne Strafe ließen.833 Trotzdem kann, so fährt

C otta

fort, aus diesen Beispielen nicht gefolgert

werden, daß «s eine Berechtigung zum Freveln gibt, denn auch ohne Glauben an die Strafe der Götter ist ein Bewußtsein von rechtem Handeln und von Vergehen vorhanden. Erst wenn das fehlt, wenn es in Hauswesen, staadicher Gemeinschaft und unter göttlicher Weltregiemng keine Unterscheidung mehr gibt zwischen gut und böse, wenn gute Taten nicht belohnt, Verbrechen nicht bestraft werden, dann liegt alles darnieder.854 Nun hat C icero an anderer Stelle auch C aesar unter die Tempelräuber gestellt.855 Er spielt damit: auf die Vorgänge Anfang April 49 in Rom an, als C aesar versuchte, durch verschiedene Anträge Senatsbeschlüsse zu erwirken, die seinem Handeln eine rechdichc Grundlage schaffen sollten. Dabei ging es auch um die Auszahlung des Staatsschatzes, der im Satumtempel auf dem Forum Romanum für Notfälle verwahrt wurde, an ihn. Die Intercessiionen des Volkstribunen Lucius

M etellus

851 nat III 79 852 nat III 80-8^ 853 nat III 83f 854 nat III 85 855 Zu den Vorgängen um die Wegnahme des aerarium sanctius vgl. Drumann/Groebe, III, S 398ff, Geizer Caesar, S 192, Att. VII 12,3, 22,2, X 5,8, 9,6, fern VIII 16,1

-

211

-

verhinderten aber den rechtmäßigen 2'ugang

Caesars

zum aerarium. Über den

weiteren Ablauf der Ereignisse gehen die Meinungen auseinander. Aus mehreren Briefen

C iceros,

wobei er sich im wesentlichen wohl auf einen Bericht

stützte, der ihn Mitte April in Cumae besuchte, läßt sich erkennen, daiß wegen der Intercessionen des

M etellus

C urios C aesar

höchst erzürnt war und gewaltsam den

Staatsschatz in Besitz nahm. Dabei soll er den Volkstribunen, der den Zugang zum Tempel mit seinem Leibe schützen wollte, mit dem Tode bedroht und die Türen aufgebrochen haben. Wenn dieser Bericht zutrifft, dann war der Unmut des Volkes wegen des Angriffs auf seinen sakrosankten Vertreter berechtigt.

C icero

hielt

diesen Vorgang und seine Folgen für so bedeutsam, daß er an ein schnelles Ende der Gewaltherrschaft glaubte: iam intelleges id regnum vix semestre esse posse.856

C aesar

selbst gibt im Bellum Civile eine andere Darstellung.857 Danach war

durch einen früher gefaßten Senatsbeschluß festgelegt, daß P ompeius Geld aus dem aerarium erhalten sollte. Der Konsul

Lentulus

sei gekommen, um die Tür zu

öffnen und den Schatz zu entnehmen, habe aber aus Furcht vor Unruhen eilig die Flucht ergriffen und dabei das innere aerarium geöffnet hinterlassen. Caesar selbst sei wegen der Verhinderungstaktik seiner Gegner unverrichteter Dinge bereits ms jenseitige Gallien abgereist gewesen. - Über eme Inbesitznahme des Staatsschatzes sagt er in seinem Bericht nichts. Gleichwohl ist anzunehmen, daß er tatsächlich das Geld an sich nahm; sein Hinweis auf die bereits geöffneten Türen des aerarium ergibt nur dann einen Sinn, wenn damit der Vorwurf des Rechtsbruchs durch den gewaltsamen Zugang entkräftet werden soll.858 Darüber hinaus ist bemerkenswert, daß er überhaupt in seinem Bericht über den Bürgerkrieg auf den Vorfall so ausführlich eingeht. Auf dem Hintergrund dieses Ereignisses kann räuberischen Tyrannen

C iceros

Darstellung des tempel­

D ionysius in de natura deorum als Anspielung und Angriff

auf C aesar bezogen werden. Seine Überzeugung von der Richtigkeit des Berichtes

856 Att X 9,7, vgl 8,3 857 Caes civ 1,6, 1,14, 1,33 858 Vgl Drumann/Groebe, III, S 399, Geizer Caesar, S 192

-

212

-

über den Vctgang vor dem Satumtempel und die damit verbundene Kritik an

C aesar ist

freilich nur dann politisch bedeutsam, wenn er außerdem voraussetzen

konnte, von den Lesern seiner Schrift auch entsprechend verstanden zu werden; die Tat C aesars mußte also

C aesar hat

als Frevel allgemein bekannt gewesen sein.

seinerseits in seinen Aufzeichnungen über den Bürgerkrieg mehrfach

den Gegnern Tempelraub vorgeworfen.859 Beide Setten zeigten somit, daß sie kein Mittel scheuten, den politischen Gegner auch dadurch ins Unrecht zu setzen, daß sie ihm topos artig Bmch nicht nur des menschlichen, sondern auch des göttlichen Rechts unterstellten. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist bedeutsam,

CiCEIRO dieses Mittel der politischen Auseinandersetzung einfugt in seine philosophisch e Schrift und damit C aesar angreift, wiewohl die angeführten daß auch

Beispiele vermuten lassen, daß der Tempelraub in Kriegen eher allgemein geübte Praxis war.

6.1 i. Ertrag der inhaltlichen Analyse und ihre Bewertung

Am Ende des Kapitels ist es angebracht, den Untersuchungsbefund aus den Schriften vom Brutus bis zu de natura deorum unter dem Gesichtspunkt zusam­ menzufassen, daß dann Aussagen neben ihrer philosophischen auch eine gegen

C aesars Alleinherrschaft genchtete politische Bedeutung haben. Wenn vorausgesetzt wird, daß C icero es nach seiner Begnadigung durch den Sieger bei Pharsalos Ende September 41 für ratsam hielt, sich von jeglicher aktiven politischen Tätigkeit zurückzuziehen, so bedeutet dies auch die Notwendigkeit, in seinen Philosophica mit Aussagen gegen den Machthaber so vorsichtig zu verfahren, daß sie keine Handhabe zui Verfolgung bieten konnten. Es war also von vornherein zu erwar­ ten, daß die philosophischen Schriften keine offen vorgetragenen Angriffe gegen

C aesar enthalten. C icero mußte

- wenn er einen Bezug zur Politik herstellen und

seinen Widerstand gegen die Alleinherrschaft

859 Caes civ 1,6, 2,18 und 21, 3,33

C aesars

darlegen wollte - vielmehr

-213 ein Verfahren der Insinuation anwenden, das die politische Wirkung nicht direkt in den Worten des Verfassers ausbildet, sondern erst im Verständnis eines sachkundi­ gen Lesers. Diese Vorgehensweise wurde als Assoziationstechnik bezeichnet, bei der bestimmte Aussagen als Anknüpfungspunkte für gewünschte Gedankenverbin­ dungen wirken. Ein erster Anhaltspunkt zeigte sich im Brutus darin, daß

C icero

zwar auf seine

Absicht verwies, sich zu politischen Fragen nicht zu äußern, aber seine Dankbar­ keit den Freunden gegenüber ausdrückte, ihm in dieser schwierigen Zeit helfend zur Seite zu stehen. Dieser Ansatz wurde dann zu einer Vorgehensweise entwickelt, die zwei miteinander verbundene Stränge bildet. Ohne den Urheber für das gegen­ wärtige Elend des Staatswesens zu nennen, führt der Konsular immer wieder verstorbene und noch lebende Personen ein, denen er kritische Äußerungen gegen­ über den herrschenden politischen Verhältnissen in den Mund legt. Ergänzend dazu wird es ihm möglich, im Zusammenhang mit seinem eigentlichen Thema, der Redekunst und der Philosophie, eine Gegenposition zum Gewaltherrscher aufzu­ bauen. Dabei erweist sich, daß in Kenntnis dieser Vorgehensweise

C iceros in den

verschiedenen philosophischen Schriften Aussagen festgestellt werden können, die als politische Kundgebung gegen die Alleinherrschaft C aesars gemeint sind. Im Brutus verfahrt der Konsular auf unterschiedliche Weise, um den Bezug zur Politik herzustellen. Zum einen behandelt er ausführlich das Schicksal des

H orten ­

sius, der so früh starb, daß ihm das Leid erspart blieb, das gegenwärtige Elend der res publica erleben zu müssen. Zum andern wünscht er

B rutus,

nicht ohne

Anspielung auf dessen ruhmreiche Ahnen, eine Zukunft, in der es ihm möglich sein wird, mit seinem Redetalent die Nachfolge des

H ortensius

antreten zu

können. Die beiden Namensbeispiele s ind also Variationen des einen Topos: Klage über die elende Gegenwart. - In einer zweiten Personengruppe kleidet C icero seine Kritik am Zustand des Gemeinwesens in die Form der Trauer über talentierte junge Männer, denen es solange wohlerging, wie sie ihm folgten, die aber ins Verderben stürzten, als sie sich von ließen. Auch diesen Topos setzt

C aesar

C icero

in militärische Abenteuer locken

dann in seinem philosophischen Werk

-

214 -

wiederholt ein. Eine dritte Möglichkeit nutzt der Verfasser in der Weise, daß er seinen Dialoypartnern Lobreden in den Mund

C aesar

leg:,

die Gegnern

C aesars

gelten.

selbst wird freilich auch gerühmt, aber in einer Art, daß dieses Lob zur

Kritik wird, weil es dem Redner und Schriftsteller gilt, nicht dem Politiker. In de finibus bonorum et malorum wird C iceros Vorgehensweise komplizierter, obwohl es immer noch demselben Grundmuster - Kritik und Gegenbild - folgt. Im Zusammenhang mit einem Paradoxon der Stoa fuhrt er drei scharfe politische Angnffe gegen C aesar , indem er C ato den Satz vortragen läßt, daß der Weise mit größerem Recht den Titel eines Königs trage als T arquinius , den Titel eines dictators als S ulia und den Titel, ein Reicher zu sein als

C aesars

C rassus.

Obwohl der Name

nicht erwähnt wird, fuhren von den Anknüpfungspunkten der Namen

und Begriffe für den sachkundigen Leser so viele Gedankenverbindungen auf dessen Petscn hin, daß kein Zweifel an der aggressiven Absicht des Verfassers begründet sem kann. Der Angriff besteht im wesentlichen darin, daß der gegenwär­ tige Machthaber geradezu zwangsläufig in Zusammenhang gebracht wird mit grausamen und rechtsbrechenden Gewaltherrschern der römischen Geschichte. Die Textsteils in de fimbus bildet daher em schlagendes Beispiel für die Verknüp­ fung einer philosophischen mit einer politischen Aussage in aggressiver Absicht gegen C aesar. Zwar spielen auch hier die Namen der von

C icero herangezogenen

exempla eine Rolle; sie werden aber wesentlich ergänzt durch politische Begriffe (rex, dictator mit polemischer Bedeutung im aktuellen Zeitrahmen der philosophi­ schen Abhandlung. In den Tusculanae disputationes wird die griechische Philosophie in zweifacher Weise als Maßstab verwendet, um C aesar und sein politisches Mandeln zu messen: einmal unter dem Gesichtspunkt des Unsterblichkeitsgedankens, zum andern mit dem staatstheoretischen Aspekt der Gewaltherrschaft durch einen Tyrannen. Auf dem Hintergrund der platonischen Dialoge, die sich mit dem Tode des S okrates befassen, und mit dem Hinweis auf den Freitod

C atos

wird das unterschiedliche

Schicksal von la te m und Opfern beim Brach der menschlichen Rechtsordnung behandelt. Das gibt

C icero

die Möglichkeit, den Alleinherrscher

C aesar

und

-215

-

dessen Gefolgsleute 2 u verurteilen. - Den schärfsten und folgenreichsten Angriff fuhrt C icero dann mit dem Tyrannen-Vorwurf gegen C aesar in der Form, daß es dabei sowohl um die Zerstörung der Grundlagen menschlicher Ordnung geht als auch um den schädigenden Einfluß der schrankenlosen Herrschsucht auf den Tyrannen selbst. C aesar wird mit Bezug auf römisches Denken als rex und dominus gebrandmarkt sowie wirkungsvoller noch unter Berufung auf P latons Staatstheorie als tyrannus. Die Wucht seiner Anklage steigert C icero noch dadurch, daß er dem Gewaltherrscher den Weisen gegenülberstellt, der durch die Philosophie davor bewahrt wird, Macht zu mißbrauchen. Politische Verbrechen erscheinen aus dieser Sicht nicht als unentrinnbares Verhängnis, sondern als persönliche Schuld. Der Mord am Tyrannen wird gerechtfertigt. C iceros eigenes Handeln wirkt hingegen moralisch bestimmt: Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun. Die Academici libn enthalten Varianten zur Klage über die elende Lage des Konsulats während des Bürgerkneges und zur heilenden Wirkung der Philosophie. De natura deorum weist dann noch die Steigerung des Angriffes gegen den Rechtsbrecher auf: Tempelräuber - zu denen auch C aesar durch das Mittel der Gedankenverknüpfung in Verbindung gebracht wird - verstoßen nicht allein gegen die menschliche, sondern zudem gegen die göttliche Ordnung. Die in diesem Kapitel untersuchten philosophischen Schriften C iceros zeigen also den Zusammenhang auf zwischen Philosophie und Politik, dessen vielfache Wiederholung ein Beleg ist für die zugrundeliegende Absicht des Konsulars. Dabei wird deutlich, daß seme Haltung einem Entwicklungsprozeß unterliegt. Während im Brutus die Klagen über den elenden Zustand der res publica und die Folgen des Bürgerkrieges vorherrschen, geht es auf dem Hintergrund der in der politischen Wirklichkeit immer stärker ausgeformten Alleinherrschaft C aesars in den Tusculanen vor allem um den Tyrannen-Vorwurf gegen den Sieger in der militärischen Auseinandersetzung. In de finibus wird zudem der ideale Weise stoischer Vorstel­ lung als Gegenbild geschildert, der durch die Philosophie geleitet über allen

-

216

-

Machtpolitiket t steht, die nicht das Wohl des Staates, sondern nur ihr eigenes Interesse im Auge haben, das sie mit Gewalt durchsetzen. Somit kanr als erwiesen gelten, daß sein Werk sich keineswegs, wie C icero ausdrücklich glauben machen will, nur auf die Darstellung der griechischen Philo­ sophie in lateir ischer Sprache beschränkt. Es ist auch eine politische Kundgebung gegen die Alleinherrschaft C aesars, den er damit als einen Zerstörer des römischen Gemeinwesens und der Rechtsgemeinschaft aller Menschen anprangert. Wenn zu Anfang dieser literarischen Widerstandsbemühungen gegen den Machthaber aus den Texten noch der Eindruck entstehen konnte, daß C icero hoffte, beim Sieger des Bürgerkrieges werde durch Einsicht eine Umkehr und die Wiederherstellung der gestörten Ordnung möglich sein, so zeigt die Schärfe des Angriffs in den letzten Schriften auch ein hohes Maß an Resignation: Heilung scheint ihm nur noch dadurch möglich, daß der Tyrann C aesar als Zerstörer der Ordnung besei­ tigt wird. Wiederholt .vurde in diesem Kapitel auch auf den Zeitbezug der Philosophica C iceros hinget .riesen. Der nach und nach sich vollziehende Ausbau der Alleinherr­

schaft C aesar , als politische Folge der drei Schlüsselereignisse des römischen Bürgerkrieges |seine Siege bei Pharsalos, Thapsus und Munda), das immer stärker sichtbar werdende Zurückweichen des Senats vor dem Machtanspruch des Siegers, schließlich die enttäuschte Hoffnung auf eine Wiederherstellung der res publica nach den Siegen übten ihren Einfluß aus auf C iceros philosophische Schriften. So hatte der Tyrannen-Vorwurf gegen C aesar seinen realpolitischen Hintergrund im wesentlichen i i den diktatorischen Vollmachten, die ein willfährig handelnder Senat vor allem im Laufe des Jahres 45 dem Sieger m Titeln und de facto an die Hand gab, ohne daß Klarheit darüber herrschte, für welche politischen Ziele der dictator seine r ahezu unumschränkte Macht einsetzen werde - außer zur Sicherung seiner monarchischen Stellung im Staate. Unter dliesem Gesichtspunkt betrachtet sind C iceros philosophische Schriften auch eine Reaktion auf den Gang der Zeitgeschichte.

7. Anticaesarische Personenwalil iin den philosophischen Spätschriften

7.1. Die politische Bedeutung der Personenwahl

Die methodischen Probleme einer gegen C aesar gerichteten Auswahl der Perso­ nen in den Philosophica C iceros aus den Jahren 46 bis 44 sind bereits in der Einleitung zu dieser Untersuchung behandelt worden. Darüber hinaus ist noch anzumerken, daß die Bestimmung der Widmungsempfanger, Dialogpartner und historischen oder zeitgenössischen Beispiele im Text (ihre Nennung oder NichtNennung) nur dann als Indiz für eine gegen C aesar gerichtete politische Meinungs­ äußerung des Konsulars gelten kann, wenn sie nicht auf zufälligen Festlegungen beruht, sondern für den Leser erkennbar einem systematisch durchgeführten Plan folgt, der in Anbetracht des Risikos einer oppositionellen Haltung gegen den Alleinherrscher freilich nicht ausdrücklich dargelegt werden konnte, sondern sich bei der Lektüre der Schnften ergeben mußte. Für die Aufgabe, in einer philosophischen Schrift als politische Kundgebung gegen C aesar und als Ausdruck des Widerstandes gegen seine Alleinherrschaft zu wirken, waren die Namen von Personen in dem Maße geeignet, wie sie in der Politik allgemein oder während des Bürgerkrieges als seine Gegner aufgetreten waren.860 In gleicher Richtung mußte auch das Gegenstück zu dieser Vorgehens­ weise wirken: das Fehlen geglichen Hinweises auf C aesar selbst oder einen seiner

860 Strasburger fuhrt dazu an: "Republikaner, Pompeianer, Optimaten oder welche politischen Schattierungen auch immer die Vertreter der anderen Seite haben", vgl. Ciceros philosophisches Spätwerk, S 49

-218 -

Gefolgsleute in einer Fülle von Namen. Beides - die Erwähnung der Gegner sowie das Ausspare n seiner Person und der Anhänger - mußte den philosophischen Schriften übe:- den im Inhalt erkennbaren Bezug zur Zeitgeschichte eine gegen den Dictator gern htete politische Bedeutung geben.861 Trotzdem resultiert noch eme Unsicherheit aus dem Umstand, daß bei der Vielzahl der Namen und bei der großen Eile, die mit der Arbeitsweise C iceros in der kurzen Zeit der Abfassung von weniger als zwei Jahren zwangsläufig verbunden war, die Personenwahl nicht einheitlich gewesen sem könnte. Daher muß bei jedem einzelnen Namen in den Philosophica der Bezug zu C aesar nachgewiesen werden.

7.2. Widmungsempfangen Brutus und Varro

Die Widmung, dedicatio, verwendeten seit der Mitte des 5. Jahrhunderts zunächst griechische, später auch lateinische Autoren, um ihr Werk als Ausdruck persönlicher Bindung - Wertschätzung, Zuneigung, Dankbarkeit - einem bestimm­ ten, meist ausdrücklich genannten Adressaten zuzueignen. Bei C icero geschieht das in den philosophischen Spätschriften in unterschiedlicher Form: unter nament­ licher Erwähnung des Widmungsempfangers oder einfach als Anrede, zuweilen wird brieflich darauf hingeweisen. Auffällig ist, daß C icero diejenigen seiner zwischen dem Jahre 46 und C aesars Tod verfaßten philosophischen Werke, die erkennbar eine Widmung enthalten, nur zwei Personen zugeeignet hat: M. J unius B rutus sind der Brutus, die Paradoxa Stoicorum, der Orator, de finibus bonorum et malorum, die Tusculanae disputatio­ nes und de natura deorum gewidmet; als Widmungsempfanger der Academici libri wurde nach lingerer Überlegung V arro gewählt.862 Die Feststellung wird ergänzt durch den Befund, daß nach dem Tode C aesars die Schriften entweder überhaupt keine Widmung enthalten (soweit erkennbar: de divinatione, de fato, de gloria, de

861 Strasburger tat für dieses Verfahren den Begriff gewählt. "Politicum der anticaesarischen Personenwahi", vgl. Ciceros philosophisches Spätwerk, S. 46 862 Zu den Widmungen im einzelnen vgl Philippson, RE, VII A 1, Sp. 1122ff

-

219

-

virtute) oder anderen als den genannten Personen zugeeignet sind: Cato maior de senectute und Laelius de amicitia seinem Freunde A tticus, die Topica dem Juristen und Gefolgsmann C aesars C. T rebatius T esta, schließlich de officiis seinem Sohn M arcus.865 Der Unterschied in der Widmungspraxis C iceros vor dem 15. März 44

und danach ist auffällig; er beruht gewiß nicht auf Zufall, da der Konsular die Frage der Zueignung, wie das Beispiel der Academica zeigt, gründlich durchdacht hat. Darin ist vielmehr die Absicht zu erkennen, bestimmte Personen hervorzuhe­ ben, sie zu verpflichten, oder ihnen Dank abzustatten. Während der Alleinherr­ schaft C aesars hat diese Absicht - so kann zunächst vermutet werden - auch eine politische Bedeutung.

m

. ju n iu s b r u t u s

Aus dem Prooemium des Brutus geht nicht ausdrücklich hervor, wem die Schrift gewidmet ist. Die Szenerie ist allerdings so aufgebaut, daß die Darstellung der Redekunst vor allem ein Zwiegespräch zwischen C icero und B rutus ist.864 Die Paradoxa Stoicorum wirken inhaldich - was also die Rhetorik angeht - als Fortset­ zung und Ergänzung. Die kleine Schrift ist ausdrücklich B rutus gewidmet, wie die Anrede und eine Textstelle (parad. 1 und 5) zeigen; auf die Zueignung des Dialogs Brutus weist C icero hin - illud maiorum vigilarium munus in tuo nomine adparuit (parad. 5). Damit ist gesichert, daß B rutus der Widmungsempfänger beider Schrif­ ten - des Dialogs Brutus und der Paradoxa Stoicorum - ist.865 Diese Zueignungen haben ihre politische Bedeutung darin, daß der Konsular so einerseits die Verbindung schafft zu B rutus, andererseits die Abgrenzung herstellt zwischen ihnen beiden hier und C aesar dort. Die Gemeinsamkeit ergibt sich daraus, daß beide ein hohes Interesse an der Redekunst haben und C icero als der ältere, erfahrene Redner zu dem jüngeren B rutus ein Lehrer-/Schülerverhältnis 863 Philippson, a O , Sp 1156ff., zu Testa vgl fam VII 6-22 8MBrut lOff 865 Vgl Philippson, a O , Sp 1122, Geizer Cicero, S 269, Strasburger: Ciceros philosophisches Spätwerk, S 39

-2 2 0 -

aufbaut. Die gemeinsame Abgrenzung C aesar gegenüber entsteht - so C iceros Vorstellung - dadurch, daß beide unter den politischen Gegebenheiten der Gegen­ wart leiden, weil sie nun ihre Fähigkeiten als Redner nicht öffendich beweisen können.866 Schuld an der beklagenswerten Situation trägt C aesar - zu dieser Gedankenverbindung soll der Leser kommen. Die Zueignung bedeutet daher, auch im Zusammenhang mit der in den Paradoxa Stoicorum angesprochenen verwandtschafdichen Beziehung zu C ato, über die Ehrung hinaus eine Verpflichtung für den Widmungsempfänger: B rutus soll auch künftig in Anspruch genommen werden für eine Aufgabe, die er bereits - ebenso wie C ato und C icero - auf seiten der res publica wahrgenommen hat.86 Auf diese Weise sucht der Konsular die Kontinuität gemeinsamer politischer Überzeugung anschaulich zu machen. Auch die dritte Schrift mit rhetonscher Thematik, den Orator, hat C icero dem B rutus gewidmet.868 Für die Zueignung wurde eine besondere Form gewählt. C icero baut die Fiktion auf, daß er sich den dringend mündlich und brieflich an

ihn gerichteten Bitten des Jüngeren um fachlichen Rat in Fragen der Redekunst füge. Wiederholt geht der Verfasser des Orator unter namentlicher Nennung darauf ein und erweckt so den Flindruck einer länger andauernden vertraulichen Verbindung, einer Freundschaft, die auf übereinstimmender philosophisch-rhetori­ scher Bildung und gememsamem Interesse an der Verbesserung der Redekunst beruht.869 Freirch wurde die in die Form einer persönlich gewählten rhetorischen Unterweisung gekleidete Widmung an B rutus von zeitgenössischen Lesern als Fiktion erkannt, wie der Brief C aecinas an C icero vom Dezember 46 deutlich gezeigt hat.870 Der Schreiber äußerte dann seine Ansicht: auges etiam tu mihi timorem, qui in 'Oratore' tuo caves tibi per B rutum et ad excusationem socium

866 Vgl Brut 22:', 328ff 867 Geizer nimmt an, daß Cicero über Brutus auf Caesar Einfluß zu nehmen hoffte bezüglich einer Verfassungsreform, vgl Geizer Cicero, S 285,314 868 Zur Widmung vgl Philippson, a O , Sp 1123, Geizer Cicero, S 285, Strasburger: Ciceros philosophisches Spätwerk, S 39, Kytzler in der Textausgabe, S 225 869Z B or 1,19; 33, 40, 52, 73, 100, 136; 140, 174, 227, 237 870 fam VI 8,4, Münzer, RE, III 1, Sp 1237f

■■221 -

quaeris.871 Er wisse, wie schwierig es sei, bei Veröffentlichungen ungeschoren davonzukommen - im Unterschied zu C icero mit seinem überragenden Talent.872 C aecina erkannte also die Schutzfunktion der Widmung an B rutus im Orator -

vermudich erging es anderen Lesern ebenso. Damit ist für diesen Fall der Beleg gesichert, daß die Zueignung einer Schrift eine politische Funktion hatte. Caecinas Bemerkung, C icero verstecke sich hinter B rutus, kann sich über die Widmung hinaus auch auf den Inhalt beziehen, etwa auf die bereits früher erwähnte Rückver­ sicherung bei der Denkschrift auf den toten C ato.873 In einem Brief an A tticus, datiert vom 23. Juni 45, erwähnt C icero, daß er seine Schrift de finibus bonorum et malorum auf dessen Vorschlag hin B rutus gewid­ met habe: idque tu eum non nolle mihi scripsisti.874875In dem Schreiben geht es unter anderem auch um Widmungsfragen bezüglich der Academica und de finibus. Es gab also ein Einverständnis zwischen Verfasser und Widmungsempfänger, wohl vermittelt durch A tticus. Bestätigt wird diese Zueignung in einem Schreiben an den Freund vom 10. Juli des Jahres.878 Der Konsular berichtet darin über die Fortschritte bei den V arro gewidmeten Büchern und ergänzt: item quos B ruto mittimus in manibus habent librarii. In der Abhandlung selbst erscheint die Widmung in der Form, daß B rutos wiederholt namentlich angesprochen wird.876 Eine Textstelle im dritten Buch zeigt, daß C icero auch hier dieselbe Vorgehensweise anwendet wie im Orator: Er sendet die Schrift an B rutus, quia facillime in nomine tuo sidquiesco.877 Zwar folgt noch die Bemerkung, daß B rutus derjenige sei, der am besten beider Studien einschät­ zen könne; es ist aber doch deudich, daß sich die Beruhigung, die von dessen Namen ausgeht, nicht auf den fachlich-philosophischen Bereich beziehen kann,

871 fam VI 8,4 871 fam, VI 8,4 875 or 35 874 Att XIII 24,3, zur Widmung vgl Philippson, a.O , Sp 1135, Strasburger: Ciceros philosophisches Spätwerk, S 39 875 Att XIII 34,2 876 fin I 1, III 1, V 1,8 877 fin III 6

-2 2 2 -

sondem nur 2 uf den politischen. Wie in den voraufgegangenen rhetorischen Schrif­ ten hat also die Widmung die Funktion eines Schutzschildes für C icero - mit B rutus' Billigung, wie aus dem zuvor erwähnten Bnef an A tticus hervorgeht.

Die Tuscuianae disputationes will der Konsular, wie er am Schluß des fünften Buches erwäl nt, ad B rutum nostrum senden, weil er sich von ihm zu seinen philo­ sophischen

Schriften

nicht

nur

angetrieben

fühlt,

sondern

geradezu

herausgefordert.878 Im übrigen ist die Widmung a.n B rutus dadurch erkennbar, daß er jeweils zu Beginn der fünf Bücher namentlich angesprochen wird.879 Wie in den anderen Schriften auch stellt der Konsular also in den Tusculanen toposartig B rutus als den Urheber seines gesamten literarischen Werltes dar.

Auch de natura deorum als letzte noch vollständig vor dem Tode C aesars verfaßte Sehr ft ist B rutus zugeeignet, wie aus der Anrede zu Beginn des Prooemiums hervorgeht.880 Im Unterschied zu den anderen Werken ist die Funktion des Widmungseir pfängers hier aber nicht erkennbar; unmittelbar an den Namen wird nur noch die Bemerkung angefügt, daß B rutus die in der Schrift behandelten besonders schwierigen Fragen nach dem Wesen der Götter genau kennt. Wahrscheinlich sah C icero den Inhalt der Abhandlung unter politischem Gesichts­ punkt mellt als so bedenklich an, daß er sich des gewohnten Beistands versichern zu müssen glaubte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allein, daß der Konsular in der Vorrede als Antwort auf die rhetonsche Frage, warum er erst so spät seine philosophischen Erkenntnisse an die: Öffentlichkeit gibt, zwei Punkte anführt: seine erzwungene Untätigkeit als Politiker und die Alleinherrschaft eines Mannes.881 Vvenn in diesen Bemerkungen überhaupt eine Kritik an C aesar verbor­ gen liegt, dann ist sie so vorsichtig abgefaßt, daß sie kaum Anstoß erregen konnte.

878 Tuse V 121 879 Tuse I 1, II 1, III 1, IV 1, V 1; vgl Philippson, a.O., Sp 1143, Strasiburger. Ciceros philosophisches Spätwerk, S 39 880 nat I I , vgl Philippson, a O , Sp 1151 (eine Widmung wird nicht erwähnt), Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 39 881 nat 17 '

■223 -

Die Häufung der Widmungen an B rutus ist umso merkwürdiger, als C icero in einem Brief an A m cus vom 29. Juni 45 herausstellt, daß er sich bezüglich seiner philosophischen Schriften zum Grundsatz gemacht habe, neminem includere in. dialogos eorum, qui viverent.882 Was hier über das Dialogpersonal gesagt wird, könnte eigendich in gleicher Weise auch für die Widmungsempfänger gelten. Freilich verstieß er mit den Academici libri gegen seinen Grundsatz, begründete dies aber im erwähnten Brief ausführlich. Es muß also einen besonderen Grund dafür gegeben haben, der C icero bewog, in der viel bedeutenderen Widmungsfrage davon abzuweichen. Wegen der herausragenden Bedeutung, die B rutus in den philosophischen Schuften C iceros zuteil wird, soll über die wenigen Anmerkungen im vierten Kapitel hinaus das Verhältnis zwischen dem Konsular und ihm kurz umrissen werden. C icero und B rutus standen seit langem in enger Verbindung.883 Im Dialog

Brutus erwähnt der Konsular die Zusammenarbeit, ergänzt durch H ortensius, bei forensischen Aufgaben im Jahre 52.884 Gestärkt wurde die Verbindung durch A tticus, wie aus mehreren Briefen C iceros hervorgeht, die in den Jahren 51 und

50 geschrieben sind.885 Auch in anderen Mitteilungen aus dieser Zeit an verschie­ dene Empfänger wird die enge Beziehung wiederholt hervorgehoben.886 Zudem konnte C icero aus einer Schnft, die B rutus im Jahre 52 gegen die dictatorischen Bestrebungen des P ompeius verfaßt hatte, den Eindruck gewinnen, in B rutus einen politischen Gesmnungsgenossen zu haben.887 - Gleichwohl gab es auch Meinungs­ verschiedenheiten zwischen ihnen, die ihre Ursache darin hatten, daß C icero

882 Att XIII 29,3 883 Zur Brutus-Biographie vgl Geizer, RE, X 1, Sp 973-1020, Drumann/Groebe, III, S 587ff, IV S 19-49, vgl Geizer Cicero, S 261-270, 277, 289, Anm 223, 313, 314, Anm. 345, 316f,322 884 Brut 324 885 ZB Att V 17,6,20,6,21,10,13, VI 1,1,3,7,25,2,7,9,3,5,7 886 So an C Cassius, fam XV 14,6, an M Caelius, fam II 13,2, an Appius Pulcher, fam 1114,2, 10,2, 11,3 887 Geizer, RE, X 1, Sp 978, vgl Drumann/Groebe, IV, S 24ff

-224-

während seine; Prokonsulats in Kilikien im Jahre 51 nicht mit dem von B rutus gewünschten Nachdruck dessen Geldgeschäfte förderte; B rutus hatte sie vermit­ telt, als er 56 seinen Onkel C ato begleitete, der als quaestor cum iure praetoris das Königreich Cypem zu verwalten hatte, und sich auch während des Prokonsulats seines Schwieg ervaters A p. C laudius P ülcher in. Kilikien (als Vorgänger C iceros) dämm bemüht 888 In diesem Zusammenhang beklagte sich der Konsular bei seinem Freunde A tticus über den trotzigen, anmaßenden und von Arroganz zeugenden Ton, den B ru"US in seinen Briefen ihm gegenüber anzuschlagen pflege.889 Trotz dieser Mißhelligkeiten hielt C icero an der Verbindung fest; er schätzte die hohe Begabung, den angenehmen Charakter, die einzigartige Rechtschaffenheit und Beständigkeit, wie er in überaus höflichen Worten an D olabella schneb.890 Als A p. C laudius P ulcher im Jahre 50 von D olabella in einen maiestas-Prozeß gezogen wurde, verteidigten H ortensius und B rutus ihn so erfolgreich, daß ein Freispruch erfolgte; auch C icero unterstützte ihn trotz der Vorbehalte, die er gegen seinen Vorgänger wegen dessen Amtsführung in Kilikien hegte.891 Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Bemerkung C iceros in einem Brief an Atticus von Ende April 50: pro A ppio nos hic omnia facimus, honeste tamen, sed plane libenter, nec enim ipsum odimus et B rutum amamus.892 Die im gleichen Schreiben erwähnte starke Unterstützung, die P ompeius fur APPIUS P ülcher aufbrichte, führte dazu, daß B rutus in der sich anbahnenden Auseinan­

dersetzung des Bürgerkrieges auf dessen Seite trat893 Während der Kämpfe in Makedonien befand er sich bei P ompeius; C icero erwähnt in einem Brief ausdrück­ lich, daß B rutus sich für die Sache leidenschaftlich einsetze - mit ihm stehe er sich gut.894

888 Geizer, RE, X 1, Sp 977f, Drumann/Groebe, IV, S 24ff. 889 Att VI 1,7, 3,7, Ciceros Ärger zeigt sich auch in Att V 21,10ff 890 fam IX 14,5; auch Att XIV 17 A, 5 891 Vgl Geizer, RE, X 1, Sp 980 892 Att VI 2,10 893 Geizer, RE, X 1, Sp. 980 894 Att X I4

-2 2 5 -

Die Unterwerfung des B rutus nach der Niederlage bei Pharsalos kam Caesar vor allem deswegen entgegen, weil der Neffe C atos damit die "geplante Politik" der Milde des Siegers unterstützen konnte; daher nahm er ihn sogleich "als hervor­ ragend wertes Mitglied in seinen Freundeskreis auf', wie G elzer schreibt.895 Nun begann, was B ernhard K ytzler einen "Agon" genannt hat: ein Wettstreit zwischen C aesar und C icero, um B rutus auf die eigene Seite zu ziehen und dort zu halten.896 Als Erklärung dafür, daß sich so bedeutende Männer um B rutus bemühten, gibt G elzer die "geistige Bedeutung" an, die beide Kontrahenten gleichermaßen angezogen habe.897 Es kann freilich nicht als bewiesen gelten, daß dieser "Agon" zwischen C aesar und C icero bewußt ausgetragen wurde in der Form, daß Entscheidungen in bezug auf B rutus getroffen wurden jeweils mit Blick auf den Gegenspieler. Auch dessen Person an sich stand wohl nicht so sehr im Mittelpunkt des beiderseitigen Interesses als vielmehr die Tatsache, daß der Name B rutus einen hohen Symbolwert für vieles besaß, was in der Auseinandersetzung

um die res publica Bedeutung hatte. Vorerst - in den Jahren unmittelbar nach der Schlacht bei Pharsalos - hielt B rutus sich auf der Seite C aesars, blieb aber während des Ägyptenfeldzuges wohl

in Kilikien und traf den Sieger über P ompeius erst Mitte des Jahres 47 dort wieder auf dessen Rückweg durch Kleinasien. Aus dieser Zeit stammt der Ausspruch Caesars über B rutus anläßlich der leidenschaftlichen Verteidigungsrede für D eiotarus in Nikaia, den C icero in einem Brief aus späterer Zeit berichtet: magni

refert, hic quid velit, sed, quicquid volt, valde volt.898 G elzer sieht darin das Gesamturteil C aesars über B rutus ausgedrückt und erkennt auch dessen Zweifel, ob es ihm gelingen werde, den Umworbenen ganz auf seine Seite zu ziehen..899

895 Gelzer Caesar, S 224, vgl Gelzer Cicero, S 266, Gelzer, RE, X 1, Sp 981, Drumann/Groebe, IV, S 28 896 Kytzler in der Einfühlung zum Orator, S 225, vgl Gelzer, RE, X 1, Sp 982 897 Gelzer, RE, X 1, Sp 982 898 Att XIV 1,2, vgl Brut 21 899 Gelzer, RE, X 1, Sp 982

-

226-

Aus der Provinz Asia schrieb B rutus jenen entscheidenden Brief an C icero, der ihn in Brundisium aus der Ungewißheit über sein weiteres Schicksal erlöste, zumin­ dest die Hoffnung auf eine Begnadigung durch C aesar begründete.9“1 Wie unabhängig sich B rutus auf der anderen Seite von Caesar fühlte, zeigt sein Besuch bei dessen erbittertem Feind M. M arcellus, der es in seinem Exil auf Lesbos ablehnte, sich der Gnade des Siegers zu unterwerfen.90901 Eine unter dem Eindruck dieser Begegnung verfaßte Schnft de virtute widmete B rutus dann C icero.902 Während des Aufenthaltes auf seinen Landgütern bei Tusculum und

Cumae Ende des Jahres 47/Anfang 46 kam es mehrfach zu Besuchen bei C icero, was zu der Szenerie des Dialoges Brutus in passendem Verhältnis steht. Gleichwohl bewies C aesar ihm sein volles Vertrauen, als er B rutus für das Jahr 46 zum legatus pro praetore in der Provinz Gallia Cisalpina bestellte.903 In dieser Zeit pflegten C icero und B rutus einen regen Briefwechsel miteinander.904 Das Einvernehmen zwischen C aesar und B rutus auf der einen Seite und zwischen C icero und B rutus andererseits verlief jedoch nicht ohne Trübung. Als ein Affront gegen semen Gönner mußte wirken, daß B rutus sich Mitte 45 von seiner Frau C iaudia trennte und im Juli P orcia, die Tochter C atos und Witwe des M. B ibulus, heiratete - ein Vorgang mit ganz außerordentlicher gesellschaftlicher Bedeutung.905 G elzer urteilt darüber: "Es war das gegenüber C aesar eine Kühnheit, wie sie nur B rutus wagen konnte."906 C icero verfaßte daraufhin eine laudatio P orcias.907 Andererseits suchte der Konsular in dieser Zeit ein Zusam­ mentreffen auf dem Tusculum oder in Rom zu vermeiden.908 Wenn er wenige Tage später an A m cus schreibt, er freue sich über die Zuneigung des B rutus,

900 Brut 11, 33C 901 Geizer, RE, X 1, Sp 982 992 Geizer, RE, X 1, Sp. 982f 993 Geizer, RE, X 1, Sp. 983 994 Geizer, RE, X 1, Sp 983f 995 Geizer, RE, X 1, Sp 986 996 Geizer, RE, X 1, Sp 986 997 Att Xin 45,2, 46,3 908 Att Xin 23,1,33,2,

34,1

so

zeigt

- 227-

sich darin, daß der Konsular wohl nur aus Furcht vor der öffentlichen Wirkung diese Zurückhaltung ihm gegenüber beobachtete.'109 Aber auch in bezug auf C icero wahrte B rutus seine Eigenständigkeit, sehr zu dessen Mißfallen. So erregte er sich in einem Brief vom 17. Marz 45 an A tticus darüber, daß B rutus in einer kurz zuvor verfaßten Schrift über C ato die Rolle C iceros während der Vorgänge um die Catilinarische Verschwörung nicht

angemessen gewürdigt habe.909910 Auch über den Freitod C atos in Utica waren beide ganz unterschiedlicher Meinung - dei Konsular pries in seiner Denkschrift das konsequente Handeln, B rutus hielt die Tat für unfromm und unmännlich.911 Schließlich kam C icero in einem Bnef vom 11. Mai 44 an Atticus, in dem er sich unter anderem mit seinen Differenzen zu B rutus befaßte, auch darauf zurück, daß bereits anläßlich seiner B rutus gewidmeten Schrift Orator unterschiedliche Auffas­ sungen zur Redekunst offenbar geworden seien und B rutus gegenüber Atticus und ihm festgestellt habe: sibi illud, quod mihi placeret, non proban.912 Zwar ging es dabei vordergründig nur um Fragen des rhetorischen Stils; der sachliche Zusam­ menhang in der Briefstelle - erörtert wurde der Bestand des Staates - und die symbolische Bedeutung der Redekunst in den B rutus gewidmeten Schriften während der zurückliegenden Jahre lassen es begründet erscheinen, bei dieser Meinungsverschiedenheit zwischen C icero und B rutus auch an die Politik zu denken. In ihrer Gesamtheit zeigen diese kurzgefaßten biographischen Angaben über das Verhältnis zwischen C icero und B rutus deudich, daß B rutus während der Allein­ herrschaft C aesars seine Unabhängigkeit sowohl ihm gegenüber als auch in bezug auf C icero wohl zu wahren wußte. Trotz aller Bemühungen gelang es beiden nicht, den Umworbenen fest auf die eigene Seite zu ziehen und damit den "Agon" für sich zu entscheiden.

909 Att XIII 37,3 910 Att XII 23,1 911 Geizer, RE, X 1, Sp 985 9,2 Att XIV 20,3

-228-

An dieser Situation änderte sich bis in den Spätsommer des Jahres 45 wenig. C aesar lobte B rutus für dessen Amtsführung in der Provinz und ernannte ihn für

das Jahr 44 zum praetor urbanus; die überschwenglichen Ehmngen für den Allein­ herrscher naca dessen Sieg in Spanien irritierten B rutus zunächst nicht.913 Anderer­ seits hielt er "tägliche Dauerreden" zum Lobe C iceros.914 Über deren Inhalt verlautet freilich nichts. Die Bemerkung muß aber eine politische Bedeutung haben, da der Konsular sie im Zusammenhang mit einer Aussage über seinen Neffen Q uintus macht, der heftig gegen ihn bei Caesar intrigierte. In einem Brief an A tticus vcm Tage zuvor, dem 14. August: 45, hatte er noch im Hinblick auf die Machenschaften des Neffen, sich selbst und seinen Freund beruhigend, festgestellt, das wirkte furchtbar, nisi viderem scire regem me animi nihil habere.915 Der Anstoß für B rutus, sich auf eine äußerste Weise gegen C aesar

zu

stellen,

kam vermutlich aus der Erkenntnis, daß der Meinherrscher zum Tyrannen gewor­ den war. G el2.er urteilt:"Den entscheidenden Entschluß gegen C aesar bewirkte in ihm wohl die Übertragung der Dictatur auf Lebenszeit."916 Wie bereits P lutarch in seiner

Caesa--Biographie feststellte, bedeutete die Dictatur auf Lebenszeit die

Übereinstimmung mit der Tyrannis, indem sie die Unbeschränktheit der Meinherr­ schaft mit der Aufhebung der zeitlichen Begrenzung verband.917 Die Ermordung C aesars zeigt, daß C icero im "Agon" um B rutus schließlich Sieger blieb, auch wenn mit der Tat nur der Tyrann, nicht die Tyrannis beseitigt wurde.918 Das muß freilich nicht bedeuten, daß C icero seit der ersten Widmung an B rutus als den Teilnehmer einer Verschwöiung zur Ermordung des Meinherr­

schers gedacht hat, obwohl dies Jahren...vielerwogener Plan" war.919

913 Geizer, RE, X 1, Sp 986 914 Att XIII 47,1 9,1 Att XIII 46,2 916 Geizer, RE, X I, Sp 988 9,7 Plutarch, Caesir 57 918 Att XIV 14,2 9,9 Geizer, RE, X 1, Sp 989

- wie G elzer

feststellt

- em "seit

- 229

Wenn

C icero

-

mit den Widmungen seiner späten philosophischen Schriften in

derart massiver Form.

B rutus

ehrte und ihn damit für seine eigenen politischen

Absichten in Anspruch nahm, dann hatte diese Maßnahme im wesentlichen die Funktion eines Schutzes gegen Verdächtigungen und drohende Strafhandlungen

C aesars oder seiner Gefolgsleute. Außerdem verbanden sich in der Person des B rutus mehrere Faktoren, die C iceros Vorgehensweise, mit der philosophischen Aussage seiner Schriften die politische Kundgebung gegen Caesar zu verbinden, überaus wirksam verstärken konnte: die Herkunft aus aitadeliger Familie mit hohem gesellschaftlichen Ansehen, die Abstammung von Ahnen mit antityranni­ scher Tradition, das Verwandtschaftsverhältnis zu

C ato

und schließlich die

gemeinsame philosophisch-rhetorische Bildung. Der Zusammenhalt zwischen

C icero und B rutus bestand in einem Bündnis aus übereinstimmenden Interessen wobei der Nutzen ohne Zweifel in weit höherem. Maße auf der Seite des Konsulars lag; daher ging - unter Vermittlung seines Freundes

A tticus

- die Initiative zu

dieser Verbindung von ihm aus. Aber auch B rutus konnte Vorteile daraus ziehen, wenn er mit einem Mann von Rang und Ansehen

ClCEROS verbunden

war; seine

philosophisch-rhetorischen Interessen konnten so befriedigt werden und ihm Anerkennung verschaffen. Die Widmungen brachten also B rutus Ehre und politi­ schen Schutz für C icero .

M. TERENTIUS VARRO

Die Zueignung der Academici libri an gründe

C iceros,

V arro

gibt auch Einblick in die Beweg­

weil sie ausführlich in seinen Briefen dokumentiert ist. Die

Widmung der vier Bücher hat der Konsular in einem Schreiben vom 11. oder 12. Juli 45 ausgesprochen.920 Uber die Entstehungsgeschichte des Werkes informiert

A tticus, m dem C icero mitteilt, daß er die ursprüng­ C atulus, L ucullus und H ortensius gewidmeten Bücher nunmehr auf V arro

ein Brief vom 26. Juni 45 an lich

920 fam 1X8,1

-2 3 0 -

umgeschrieben habe.921 Sie seien zuvor auf C ato und B rutus als Dialogpartner übertragen worden, weil diese beiden ihm als philosophisch vorgebildete Teilneh­ mer angemessener erschienen.922 Nachfolgende Schreiben vom 28. und 29. Juni lassen erkennen, daß A tticus den Rat gegeben hat, die Schrift V arro

zu

widmen;

C icero war freilich noch nicht ganz überzeugt und fragte nach, ob sein Freund

wirklich meinte, daß dies nötig sei.923 Deutlicher noch drückte der Konsular die Urheberschaft des A tticus Ende Juni/Anfang Juli aus, als er mitteilte: V arroni quidem quae scripsi te auctore, ita propero mittere.924 Gleichwohl trug der Verfas­ ser noch Bedenken, die ihm so gewichtig erschienen, daß er darüber nur mündlich mit A tticus sprechen wollte; außerdem bat er den Freund ausdrücklich, die Schrift nach der Vervielfältigung durch die Kopisten solange zurückzuhalten, bis sie persönlich miteinander gesprochen hätten.925 Welcher A,t die Bedenken waren, wird in einem Bnef vom 11. Juli angedeutet; dabei ging es wohl zum einen dämm, wie die Öffentlichkeit darauf reagieren würde, zum andern um die Aufnahme bei V arro selbst. Auf jeden Fall schob C icero die Verantwortung für die Weitergabe A tticus

zu

.926 Zudem spielte beim

Konsular wohl auch gekränkte Eitelkeit eine Rolle; V arro hatte seit zwei Jahren eine "ganz große, bedeutende Widmung" für ihn angekündigt, sein Versprechen aber bisher nicht gehalten.927 Schließlich brachte D olabellas Interesse an einer ihm gewidmeten Schnft C icero in diesem Zusammenhang in Verlegenheit.928 Einleuchtend klingt die Erklärung D ahlmanns, C icero habe mit der Widmung seiner Academici libn für V arro solange gezögert, "um V. zur Beschleunigung seines eigener Werkes zu veranlassen".929 Wie sehr der Konsular sich durch die

921 Att XIII 27, 922 Att XIII 24,3,25,1, 27,1 923 Att XIII 28,:’., 29,5 924 Att XIII 30, 925 Att XIII 29,5, 30,1, 32,1, 33,1,34,2 926 Att XIII 35, 927 Att XIII 24,3, fäm 1X8,1 928 Att XIII 25,2 929 Dahlmann, RJE, Suppi VI, Sp 1203, vgl fam IX 8,1, Att XIII 28,2

-231

-

Handlungsweise V arros in der Tat verletzt fühlte, geht noch aus den Academici libri selbst hervor, in deren erstem Buch er A tticus sagen läßt, daß V arros Musen langer als gewöhnlich schwiegen.930 Dort ist zudem angedeutet, daß V arro sein Werk de lingua Latina C icero widmen werde; so geschah es dann später auch.931 Die Angelegenheit wurde noch schwieriger, als auch A tticus plötzlich starke Bedenken äußerte; C icero sah sich daher genötigt, zu sagen, er sei für V arro, und die Bücher böten keinen Anlaß zu dessen bekannter Nörgelei. Gleichwohl bestand der Konsular darauf, daß A m cus die Arbeit auf seine Gefahr hin überreichen sollte, andernfalls werde er sie auch auf B rutus umschreiben.932 Als er schließlich die Mitteilung erhielt, das Werk solle V arro übergeben werden, sobald er da sei, antwortete C icero am 13. Juli: dati igitur iam sunt, nec tibi integrum est, hui, si scias, quanto penculo tuo!933 Am 21. oder 22. Juli stand für den Konsular fest, daß A tticus "es gewagt habe", seine Schnft an V arro

zu

geben - tu tamen ausus es

V arroni dare! Nunmehr sei er gespannt auf dessen Urteil, schrieb C icero.934 - Was

mag ihn bewogen haben, auf eine derart ängstliche Weise die Verantwortung für die Deduktion seiner Schrift an V arro auf Atticus abzuwälzen - gab es vielleicht politische Gründe dafür? V arro, im Lebensalter C icero um em Jahrzehnt voraus, war ein Anhänger des P ompeius, hatte lange unter ihm m Spanien während der siebziger Jahre gedient, ist

Volkstribun und Praetor gewesen, hat als sein Legat am Seeräuberkneg teilgenom­ men, wobei er auf besondere Weise augezeichnet wurde, und führte dann nach einem Jahrzehnt der wissenschaftlichen Tätigkeit im Jahre 49 die legatio in der Provinz Hispania ulterior, allerdings erfolglos, so daß er zu C aesar nach Corduba überging. Zwar stand V arro in Dyrrhachium gemeinsam mit C icero auf der Seite des P ompeius; nach der Niederlage suchte er aber den Ausgleich mit C aesar und

930 ac 2,2, Cicero legt darin nebenbei Varro die auch für die eigene Produktionsweise aufschlußreich wirkende Bemerkung in den Mund intemperantis enim arbitror esse scribere quod occultari velit 931 Zur Deduktionsgeschichte vgl Dahlmann, RE, Suppi VI, Sp. 1204 932 Att XIII 36,3 933 Att XIII 37,3 934 Att XIII 39,2

-

232

-

zog sich ganz auf seine Besitzungen zurück, um sich ausschließlich mit wissen­ schaftlicher Arbeit zu befassen.935 Seine Schrift antiquitates rerum divinarum widmete er im fahre 47 C aesar, der ihm kurz darauf die Aufgabe übertrug, griechi­ sche und römische Literatur zum Aufbau einer Bibliothek zu sammeln.936 Aus diesen biographischen Daten ist nicht erkennbar, daß es trotz der Parteinahme für P ompeius in der Person V arros Gründe gab, die C icero hindern sollten, ihm eine

philosophische Schrift zu widmen. Und doch lassen die Bnefe des Konsulars an ihn aus der Zeit vor der Zueignung der Academici libri erkennen, daß es nach seiner Meinung Anlaß gab zur Vorsicht. C icero fürchtete das "Gerede": valde id, credo, laborandum est, ne, cum omnes in

omni genere ei scelerum et flagitiorum volutentur, nostra nobiscum aut mter nos cessatio vituperetur.937938 Diese Ängstlichkeit gegenüber Vorwürfen derjenigen, die "bedauern, daß wir noch am Leben sind", zeigt sich mehrfach in den Briefen aus dem Jahre 4 7 .138 C icero glaubte sich rechtfertigen zu müssen sowohl für sein Auftreten an. der Seite des P ompeius als auch für semen Rückzug aus der aktiven Politik nach der Niederlage bei Pharsalos. Dennoch bleibt - auch wenn nicht genügend über Varro bekannt ist - zweifelhaft, ob allem die Furcht vor politischen Folgen die Ursache war für das Zögern des Konsulars m der Widmungsfrage im Hmblick auf die Academici libn. Überzeugender wirkt die Erklärung, daß der entscheidende Grund im hterarischen Bereich zu finden ist. V arro widmete sein Werk de vita populi Romani, wohl im Jahre 43 verfaßt, dem A tticus; auch m den Büchern über die res rustica tritt er später als Dialogpartner auf.939 So ist anzunehmen, daß es eine engere Verbindung zwischen ihnen gab, als sie von seiten V arros

zu

C icero bestand.

Daher wäre dessen Zurückhaltung verständlich aus der Sorge, die Zueignung der Academici libri könnte als Anbiederung verstanden werden.

935 Dahlmann, RE. Suppi VI, Sp 1175ff 936 Dahlmann, RE. Suppi VI, Sp 1178 937 fam. IX 2,1 938 fam IX 3,2,5, 5,2, 7,3-5 939 Dahlmann, RE Suppi VI, Sp 1177

- 233 -

So läßt sich zusammenfassend feststellen, daß in bezug auf die beiden Widmungsempfänger vor dem Tode

C aesars

eindeutig nur bei

B rutus

von einer

Wahl mit politischer Bedeutung gesprochen werden kann, obwohl auch bei

V arro

ein derartiger Zusammenhang nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Allerdings fällt dann im Vergleich das Übergewicht bei B rutus so stark ins Auge, daß dieser politische Bezug ein überragendes Ausmaß erhält. Seine Person gewinnt als Widmungsempfänger mehrerer philosophischer Schriften einen starken Symbol­ wert für C iceros politische Haltung während der Alleinherrschaft C aesars - relati­ viert, vielleicht mit Absicht, durch V arro . 7.3. Dialogpartner Weitaus umfangreicher als die Anzahl der Widmungsempfänger ist die Gruppe der Dialogpartner, die

C icero

in semem philosophischen Spätwerk eingesetzt hat.

Auf den ersten Blick ist erkennbar, daß es einen engen Zusammenhang gibt zwischen der Auswahl der sprechenden Personen und der Bestimmung des fiktiven Zeitpunktes, zu dem das Gespräch stattfindet.940 C icero hat für die Dialoge jeweils Zeiten gewählt, die Bezug haben zur politischen Gegenwart: Brutus, Tusculanae disputationes und Academici libn stummen in ihrer fiktiven Zeit uberein mit der Abfassungszeit; von de finibus bonotum et malorum sind die beiden ersten Bücher in das Jahr 50 gesetzt, die Bücher III und IV etwas früher in das Jahr 52; Horten­ sius und Lucullus haben als Dialogzeit das Jahr 62. Schwierig ist die Feststellung im Falle der Schnft de natura deorum; zwar läßt sich das Gespräch auf den Staatsfeier­ tag der Fenae Latinae datieren, das als Bundesfest der latmischen Stamme Anfang Januar begangen wurde, das Jahr aber bleibt offen. Strasburger datiert das Werk auf die siebziger Jahre und vermutet,

C icero

habe als "Vorsichtsmaßnahme"die

Gesprächszeit zurückverlegt, um Ende 45/Anfang 44 keinen Angriffspunkt für

940 Vgl Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 41, zur Dialogform vgl. Geizer. Cicero, S 186, Anm 153

-234-

politische Maßnahmen gegen sich zu bieten.941 Das wäre verständlich angesichts der turbulenten innenpolitischen Entwicklung hin zur Vollendung der Alleinherr­ schaft C aesar ;.

Brutus

B rutus an gleichnamigen Dialog geben für C iceros Ausführungen über

Als Gesprächsteilnehmer bekommt Aufgabe zugewiesen, den Anstoß zu

die die

Entwicklung der Redekunst und ihre bedeutenden Vertreter durch sein sichtbar bekundetes Interesse an diesem Thema.942 So geht es vor allem um. fachliche Probleme der Rhetorik. Der Konsular zeigt im Gespräch mit

B rutus, daß

er sein

Fach meisterhaft beherrscht von den philosophischen Grundlagen der Redekunst bis zu ihrer Wirkung auf die Zuhörer.

B rutus

ist der aufnehmende, lernende

Partner im Dialog; zwar bringt er wiederholt eigene Gedanken in das Gespräch ein, aber gleichsam nur nebenbei, wie ein literarisch-dramaturgisches Mittel, um den Verlauf interessanter und abwechslungsreicher zu gestalten. Seine Gesprachshaltung ist wesentlich bestimmt durch aufmerksames Zuhören und bewundernde Zustimmung. Es wird deutlich, daß

C icero

ihn gewinnen, in Anspruch nehmen

will für seine Ansichten über die Beredsamkeit - dann entspricht die Rolle des

B rutus

als Dialogpartner seiner Bedeutung als Widmungsempfanger: sowohl im

rhetorisch-fachlichen als auch übertragen im politischen Sinn. Eine ganz andere Rolle hat

C icero

seinem Freunde

A tticus

im Dialog

zugewiesen.943 Beide sind etwa im gleichen Alter, haben aber einen ganz unter­ schiedlichen Lebensweg bis zur Zeit des Gespräches zurückgelegt. Während

C icero

im wesentlichen in der Politik tätig war, widmete sich

A tticus

vor allem

literarischen S tudien und wirtschaftlichen Aufgaben. Ein zwei Jahrzehnte währen­ der Aufenthalt in Griechenland - wo er in Athen gemeinsam mit

941 Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 41 942Z B Brut 2, 133, 147, 300 943 Zur Biograpliie vgl Feger, RE, Suppi. VIII, Sp 503-526

C icero

auch

-235 -

Philosophen hörte - hatte ihm griechische Sprache und Bildung vermittelt. Uber ererbten Reichtum hinaus gelang es ihm, durch Geschäfte in der Landwirtschaft, mit Spekulationen und Geldverleih, auch mit einer Schule für Gladiatoren ein Vermögen zu gewinnen, das es ihm erlaubte, seinen eigenen Interessen gemäß zu leben und zu handeln. Seme wichtigste Schnft, liber annalis, die eine Art Handbuch zur römischen und athenischen Geschichte darstellte, kam im Jahre 47 an

C icero

und hatte großen Einfluß auf ihn.94'* Seinem Wesen nach, durch Bildung und Lebenserfahrung war

Atticus

eher auf Ausgleich als auf Streit bedacht; philoso­

phisch gebildet - durch die Lehre

E pikurs

- und weltgewandt, richtete sich sein

praktischer Sinn an der zweckmäßigen Lösung realer Probleme aus; durch Klugheit und Tatkraft wußte er die eigenen Interessen und die semer Freunde in den Wirren des Bürgerkrieges zu wahren.

C aesar

gegenüber versuchte er sich neutral zu

verhalten; zu dessen Anhängern - vor allem zu

Balbus

und

O ppius

- stand er in

gutem Verhältnis. Mit C icero verband A tticus von Jugend auf eine enge Freundschaft; wieder und wieder bedurfte der Konsular seiner Plilfe in politischen, finanziellen und persönli­ chen Angelegenheiten. Vor allem aber war A tticus sein Vertrauter, dem er Zugang zu seiner innersten Gedankenwelt erlaubte - der Briefwechsel zwischen den beiden Männern gibt davon Zeugnis. Im Brutus ist die Rolle des A tticus als dnttem Gesprächspartner so angelegt, daß er um Mäßigung in politischen Dingen, sachkundig um Ausgleich bemüht ist.94945 Seme wichtigste Aufgabe fallt ihm zu, wenn es dämm geht, C aesar als Redner zu würdigen.946 C icero hebt dabei m dreifacher Weise die eigenständige Rolle des Dialogpartners

C aesar

abgibt

A tticus hervor; es wird betont, daß er sem eigenes Urteil über (252); C icero wird erwähnt als der Freund, qui me de illo maluit

quam se dicere (253); schließlich mahnt er am Ende seines Emschubs: sed ad eos, si placet, qui vita excesserunt, revertamur (262). Diese literansche Konstruktion

944 Brut 13-16 945 ZB Brut 11,42-43,157,292-297 949 Brut 252-262

236 -

C icero , Atticus "ein freundschaftliches, ein großes Lob" embringen zu lassen, das C aesar über den Redner C icero geäußert hat: Er habe sich um das römische Volk verdient gemacht (253). Kommentierend bekräftigt B rutus den Ausspruch und fügt hinzu: hanc autem...gloriam testimoniumque C aesaris tuae quidem supplicationi non, sed triumphis multorum antepono (255). C icero nimmt erlaubt es

als Gesprächspartner diese indirekt vorgetragene Kritik an den politischen Verhält­ nissen - Geis t .gilt mehr als Macht und militärischer Erfolg ■ auf und stellt mit starkem Nachdruck fest, daß ein großer Redner die kleinen Feldherren bei weitem überrage.947 In diesem überaus geschickt inszenierten Zusammenspiel der drei Dialogpartner wird in einem Abschnitt, der eigentlich dem Lobe

C aesars

dienen soll, die Situa­

tion m ihr Gegenteil verkehrt, indem nun C aesar den Ruhm C iceros verkündet.948 Insgesamt zeigt der prosopographische ESefund in bezug auf die Dialogpartner des Brutus aber, daß die Wahl der sprechenden Personen nicht als caesarfeindliche Maßnahme betrachtet werden kann. In diesem Punkt muß die pauschalisierende Feststellung Strasburgers, daß "alle Sprecher m den späten Philosophica promi­ nente und notorische Caesargegner" seien, eingeschränkt werden.949 Es ist vielmehr so, daß

B rutus

und

A tticus

als Teilnehmer des Gesprächs neben

ersten Schrifl unter der Alleinherrschaft

C aesars

C icero

in der

wegen ihrer neutralen Haltung

dem Machthaber gegenüber angeführt werden - oder weil sie sein Wohlwollen besitzen. Der Konsular brauchte als Verfasser kurz nach seiner Begnadigung Personen, d i; bei

C aesar

und semen Gefolgsleuten kemen Argwohn erregen

konnten. Dieter Zwang hinderte ihn jedoch keineswegs daran, in die Schrift inhalt­ lich massive politische Insinuationen gegen den Machthaber emzufügen - das ist bereits aufgezeigt worden. Es bedurfte wohl der Absicherung bei der Personen­ wahl, um in cer Sache angreifen zu können.

947 Bmt 256, zu den politischen Bezügen vgl Geizer Cicero, S 265ff 948 Brut 254f 949 Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 42, mit der "halben Ausnahme in De natura deorum"

-

237

-

Hortensius, Lucullus, Catulus, Academici libri Wohl bei keiner anderen philosophischen Arbeit C iceros wirkt die Auswahl der Dialogpartner insgesamt so kompliziert und verwirrend wie in diesen inhaltlich eng zusammenhängenden Schriften aus dem Frühsommer (Trilogie Hortensius, Lucullus, Catulus) und dem Juni 45 (Academici libri), zu einer Zeit also, als Senat und Volk in Rom dem Sieger des Bürgerkrieges mit überschwenglichen Ehrenbe­ schlüssen huldigten.950 Die Szenerie der Gespräche hat

C icero

in den Zeitraum

vom Sommer 62 bis zum Sommer 61 gelegt.951 Damals stand er nach dem Konsu­ lat auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn. Die Rahmenhandlung wird mit wenigen Sätzen im Lucullus so geschildert: Die Dialogpartner C atulus, L ucullus,

H ortensius und C icero treffen sich tn der Villa

H ortensius bei Bauli zum Gespräch über philoso phische Fragen, nachdem sie tags zuvor bei C atulus gewesen sind.952 Die Situation ist also nicht zufällig entstan­ den, sondern ergibt sich - so C iceros Fiktion - aus einem schon längere Zeit des

gegebenen gemeinsamen Interesse an der Philosophie. So bildete sich in seiner fiktiven Szenerie des Jahres 62 (oder 61) eine Gesprächs­ runde würdiger, verdienstvoller, älterer Konsulare mit weitgehend übereinstimmen­ der politischer Gesinnung, die sich nicht zuletzt in der Gegnerschaft zu bewiesen hatte, der

C icero

C aesar

sich selbst als zwar jüngerer, dem eigenen Anspruch

nach aber durchaus ebenbürtiger Teilnehmer einfügte.953 Die innere Einheit der drei Dialoge Catulus, Lucullus und Hortensius wird gestiftet durch das 'Thema - die Bedeutung der Philosophie für die Lebensführung, wobei besonderes Gewicht liegt auf den Anschauungen P latons , der platonischen Akademie und der Stoa.

950 Geizer Cicero, S 293fF., Geizer Caesar, S 284ff 951 Vgl die Einführung zur Textausgabe der Trilogie, S. 316 932 ac 1,9 953 Zu Q. Hortensius Hortalus vgl Vonder Mühll, RE, VIII, Sp 2470-2481, Drumann/Groebe, III, S 78-101, zu L. Licinius Lucullus vgl. Geizer, RE, XIII, Sp 376-414, Drumann/Groebe, IV, S 134-187, zu Q Lutatius Catulus vgl Münzer, RE, XIII, Sp. 2082-2094

-238-

So eindeutig der politische Standpunkt der drei ausgewählten Dialogpartner auch war, so fragwürdig blieb ihre Kompetenz in philosophischen Fragen. Den Vorwurf der mangelnden Sachkunde muß

C icero

selbst als so gravierend empfunden

haben, daß er ihn im Lucullus eigens erwähnte.954 Zwar sah der Verfasser darin eine Beleidigung Lebender und Verstorbener, fügte aber doch in die Vorreden - überlie­ fert ist diejenige aus dem Lucullus - Anmerkungen ein, die eine hinreichende Kompetenz seiner Dialogpartner in bezug auf die Philosophie belegen sollten. Nach einem Brief an

A tticus vom 29.

Mai 45 scheint C icero für den Catulus und

den Lucullus eigens neue Vorreden geschrieben zu haben, quibus eorum uterque laudatur.955 So heißt es über L ucullus ttn Prooemium, daß er auf jedem Gebiet der Wissenschaft, besonders aber in der Philosophie, größeren Eifer bewiesen habe, als allgemein bekannt sei, weil er sich sowohl m seiner Jugend als auch während seiner militärischem Tätigkeiten darin weiterbildete, wobei ihm der Philosoph

A ntiochos ,

der Schüler P hilons , als sein überaus sachkundiger Begleiter zur Seite gestanden habe; überdies sei ihm sein vorzügliches Gedächtnis eine große Hilfe gewesen.956

A tticus vom 29. Juni 45 läßt freilich erkennen, daß es sich bei dieser Ehrenrettung nur um einen literarischen Kunstgnff, nicht um C iceros feste Lun Brief an

Überzeugung handelte.95 Dem Freunde gegenüber gesteht er ein, daß die philoso­ phischen Probleme der Dialoge "viel zu wissenschaftlich" seien, "als daß man glauben konnte, jene Männer hatten auch nur einmal davon geträumt".958 Wenn der Verfasser selbst also die Sachkunde seiner Gesprächspartner auf dem Gebiet der Philosophie so gering einschätzte, dann fragt sich, warum er sie überhaupt als Teilnehmer philosophischer Erörterungen ausgewählt hat. Nahelie­ gend ist die Antwort:

C atulus, L ucullus und H ortensius

haben in diesen Dialo­

gen vor allem eine politische Funktion; als führende Vertreter der Nobilitat waren sie ihrer Überzeugung und ihrem Handeln nach Gegner von Politikern, deren Streben

95' Att XIII 10,3 956 ac 1,4, vgl die Einführung zur Textausgabe der Trilogie, S 324 957 Att XIII 29,5 958 Att XIII 29,5

- 239 -

nach möglichst großer und unbeschränkter Macht die althergebrachte Ordnung der res publica in Gefahr bringen mußte. Indem Schriften

C atulus, L ucullus und H ortensius

C icero

für seine philosophischen

als Dialogpartner auswählte, setzte

er politisch ein Zeichen; sie waren überzeugte und beispielhaft wirkende Repräsen­ tanten der Senatsherrschaft, erfolgreich im. Dienste des Gemeinwesens - und Gegner

C aesars. C icero

- so macht er mit der Einfügung ihrer Namen in sein

philosophisches Werk deutlich - ist einer der Ihren. Das weitere Vorgehen bei der Abfassung der Schriften ist bekannt. Noch im Juni wandelte er die Dialoge in die vier Bücher der Academici libn um in der Form, daß der Catulus nunmehr die beiden erstem Bücher, der Lucullus das dntte und vierte Buch bildeten.959 Der Hortensius blieb - nach Änderungen - als eigenständige

C icero ihn, wie aus einem Bnef an A tticus vom 26. Juni 45 hervorgeht, kurzfristig auf Cato und B rutus übertrag;en; endgültig stellte er dann aber V arro und A tticus als Gesprächspartner neben sich.960 Damit war er Schrift bestehen. Zwar hatte

der Notwendigkeit enthoben, die philosophische Kompetenz seiner Dialogpartner eigens gegen Zweifel begründen zu müssen. Umso schwerer wiegt dann aber das politische Motiv, vor allem auf dem Hintergrund der Ereignisse am Ende des römischen Bürgerkrieges - soweit es C aesar betraf. De finibus bonorum et malorum Ihrer Entstehungszeit nach fallen die fünf Bücher über die Ethik zwar mit der Arbeit an den drei Dialogen Catulus, Lucullus und Hortensius von März bis Juni 45 annähernd zusammen, die Szenerie und die Teilnehmer an den philosophischen Gesprächen mit den Lehrmeinungen

E pikurs,

der Stoa und des Penpatos zu

diesem fundamentalen Problem der Philosophie sind aber ganz unterschiedlich ausgewählt. Das erste und das zweite Buch geben einen Dialog wieder, den C icero

959 Vgl die Einführung zur Textausgabe der Trilogie, S 325, 377 960 Att XIII 26,1,27,1; 28,2, vgl. Geizer Cicero, S. 298

-

240

-

auf Anfang Dezember 50 setzt.961 Die Szenerie entsteht dadurch, daß zwei Freunde

- L. M anlius T orquatus und C. V alerius T riarius

- den nicht von politischen

Geschäften in Anspruch genommenen Konsular in seiner Villa in Cumae besuchen.962 Die Gründe für die präzise Zeitwahl der Fiktion bleiben dunkel, "aber" - so urteilt Strasburger - "jedenfalls war es die Zeit, in welcher der aus Kilikien heimgekehrte C icero in elfter Stunde zwischen dem Senat und C aesar zu vermitteln vetsucht hatte: Tage der höchsten politischen Nervosität, die zu der friedlichen Rune des fiktiven Gesprächs so auffallend schlecht passen, daß gerade in dieser Zeitwahl, in Verbindung mit der Wahl der beiden Gesprächspartner, der gesuchte Aufe inanderprall der beiden Welten, der ciceronischen und der caesarischen, der Friedens- und der Kriegswelt, zu erkennen ist".963 Vor allem die Namen der beiden Teilnehmer an der philosophischen Unterre­ dung mußten in diesem Zusammenhang als politisches Zeichen wirken. Nach

G elzer haben der designierte Praetor T orquatus und T riarius tatsächlich Anfang Dezember 50 den Konsular auf seinem Cumanum besucht.964 Wenn das zutrifft, dann beruht die Szenerie der beiden ersten Bücher in der Tat auf realen Vorgängen dieser Zeit. Lit erarische Fiktion und politische Wirklichkeit entsprächen also einan­ der in einem Mäße, daß im Verständnis des sachkundigen Lesers bei der Lektüre der philosophischen Schrift de finibus bonorum et malorum unfehlbar die Verknupfüng hergestellt wird zum Politiker

C icero

und seinem Bemühen, durch

Gespräche und Verhandlungen den drohenden Bürgerkneg abzuwenden. Einige biographische Anmerkungen zu den Beteiligten scheinen nicht unnütz.

T orquatus

war eindeutig ein aktiver Gegner Caesars.965 Er kämpfte im Jahre 48

auf pompeianii eher Seite bei Dyrrhachium und war Teilnehmer des Feldzuges in Africa, wo er sich nach dem Sieg Caesars bei Thapsus im April 46 in militänsch

961 Zur Datierung vgl Philippson, KE, VII A 1, Sp 1135, Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 42, Gigon/Straume-Zinunermann in der Einführung zur Textausgabe, S 576fif 962fin. I 14 963 Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 43

964Geizer Cicero S 241, vgl Münzer, RE, XIV 1, Sp 1206 965Münzer, RE, XIV 1, Sp 1203-1207; vgl Geizer' Cicero, S. 107, Anm 31

-241

-

aussichtsloser Lage selbst tötete.966 Zu diesem Zeitpunkt muß

T orquatus

etwa

fünfzig Jahre alt gewesen sein, wie sich aus einer Bemerkung C iceros im zweiten Buch von de finibus ersehen läßt, wo gerühmt wird, er habe als adulescentulus dazu beigetragen, daß sein Vater gegen S ulla das Konsulat errang - der ältere

T orquatus war gemeinsam mit L. A urelius C otta im Jahre 65 Konsul.967 Wie sein Vater auch war T orquatus Anhänger der Philosophie E pikurs.968 Die Bedeutung der Person für C icero zeigt sich darin, daß er in Briefen an A tticus die beiden ersten Bücher von de finibus ausdrücklich mit dem Namen T orquatus kennzeichnet.969

T riarius

nahm ebenfalls aktiv am Bürgerkrieg gegen

C aesar

teil; nach einem

Kommando in der pompeianischen Flotte fiel er wahrscheinlich in der Schlacht bei Pharsalos.970 C aesar erwähnt im Bellum Civile seinen Namen:

P ompeius

T riarius habe dem

den Rat gegeben, die feindlichen Soldaten erst angreifen zu lassen, um

dann den Gegenangriff zu führen.971 Wenn sich

C icero

bereits im Falle der Dialogpartner

C atulus, L ucullus

und

H ortensius vor die Notwendigkeit gestellt sah, ihre Sachkunde in philosophischen Fragen gegen Einwände zu rechtfertigen, so war bei T orquatus und T riarius noch weniger ersichdich, was sie in die Lage setzte, bei so fundamentalen Proble­ men der Philosophie wie in de finibus kompetent das Gespräch mit ihm zu führen. Zwar hatte er seine beiden Dialogpartner bereits im Brutus erwähnt; T orquatus wurde wegen seiner umfassenden literanschen Kenntnisse, wegen seines geradezu übermenschlichen Gedächtnisses und wegen der gewählten Ausdrucksweise gerühmt,

T riarius

wiederum gelobt, weil sein Stil trotz des jugendlichen Alters

bereits ein gereifter Altersstil gewesen sei.972 In einem Brief läßt

966 Münzer, RE, XIV 1, Sp 1206f 967 fin II 62, Münzer, RE, XIV 1, Sp 1202 968 Vgl fin II 107 969 Att XIII 10,3, 14,1 970 Volkmann, RE, VII A 1, Sp 234 971 Caes civ III 92 972 Brut 256

C icero

zudem

-

242

-

seine Wertsch ätzung für dessen Familie erkennen.973 Aber fundierte Kenntnisse der griechischen Philosophie, insbesondere E pikurs , schreibt er beiden Gesprächspart­ nern nicht zu. Eine Erklär ing für sein scheinbar widersprüchliches Verhalten gibt C icero selbst in einem Sch:-eiben an A m cus, datiert auf den 29. Juni 45.974 Darin erläutert er seine Beweggründe für die Wahl der Dialogteilnehmer - soweit dies in den Bereich der Philosophie gehört. Danach ist er "in den Schriften der letzten Zeit" der Methode des

A ristoteles

gefolgt, wonach das Gespräch der Mitunterredner so

geführt wird, .laß der Verfasser selbst die Leitung hat.975 Daher läßt finibus

T o rqi

atus

C icero

die epikureischen Thesen vertreten - die stoischen von

die peripatetischen durch

P iso .

in de C ato ,

Abgesehen davon, daß nach Meinung des Konsu­

lats diese Männer keinen Grund zur Eifersucht bieten, weil sie bereits tot sind, hat das Verfahren den Vorteil für den Verfasser, selbst auf besonders sachkundige und umfassende VCeise im Gespräch auftreten zu können. Einwände wegen mangeln­ der philosophischer Kenntnisse der Gesprächsteilnehmer - was sich freilich nicht auf

C ato

beziehen kann - gehen durch diesen literanschen Kunstgriff ins Leere.

Auf der andere n Seite gewinnt damit auch hier der politische Aspekt der Personen­ wahl - Gegners chaft zu C aesar: - stärker an Bedeutung. Das dritte und das vierte Buch von de finibus, in: denen es um die Auffassung der Stoa zu den Voraussetzungen und Zielen menschlichen Handelns geht, werden beherrscht duich M.

P orcius C ato U ticensis

als Gesprächspartner

C iceros .9769 7

Über die Begle tumstände des Treffens ist bereits das Wesentliche im vorangegan­ genen Kapitel gesagt worden.97' C atos

Wahl als Dialogpartner über Probleme der stoischen Philosophie läßt sich

von der Sach; her durchaus rechtfertigen; unter politischem Gesichtspunkt

973 Att XII 30,3 974 Att. XIII 29,3-5 975 Att. XIII 29,4

976 Miltner, RE., XXII 1, Sp 168-211, vgl Fehrle Cato Uticensis, S 302, Drumann/Groe >e, V, S 165-209 977 Vgl. die Einführung zur Textausgabe, S 577

- 243 -

bedeutet die Wahl aber gegenüber den Teilnehmern der beiden ersten Bücher eine Demonstration, die kaum noch überboten werden kann.9,8 Bei keiner anderen Entscheidung über beteiligte Personen in den philosophischen Schriften zeigt sich die gegen

Caesar

gerichtete Absicht so unverhüllt.

C ato ,

die "repräsentativste

Gestalt der damaligen Senatsaristokratie, die Inkarnation ihrer besten moralischen Eigenschaften", war unter den politischen und militärischen Gegnern einer der unerbittlichsten.978979 Zudem galt er als die bestimmende Symbolgestalt des Wider­ standes gegen den Alleinherrscher.980 M iltner hält ihn für stärker als den Senat und

P ompeius.981

Der Grand für

C atos

Widerstand gegen

C aesar

lag nicht in

persönlicher Feindschaft, sondern in der grundsätzlichen und kompromißlosen Ablehnung jeder Alleinherrschaft.982 Allerdings war das Verhältnis zwischen

C ato

und C icero trotz weitgehender Übereinstimmung in Fragen der Politik nicht ohne Spannungen.983 Erst nach dessen Freitod in Utica änderte sich das entscheidend; darüber ist bereits gesprochen worden. In de finibus wird deutlich, daß

C icero

bemüht ist, seinen Dialogpartner m

besonderer Weise herauszustellen, nachdem er ihn im Brutus schon geehrt hatte.984 Beide stehen auf gleicher Stufe, nicht als Lehrer und Schüler, wie der Konsular das sonst gern darstellt. Das zeigt sich etwa dann, daß ausdrücklich die Haltung aus der MuRENA-Rede widerrufen wird.985 Der Schluß des Gesprächs läßt darüber hinaus das Selbstbewußtsein

Catos

erkennen, das auf seiner stoischen Überzeugung

beruht.986 Seine Wahl als Dialogpartner m de finibus folgt also konsequent der Haltung, die

C icero

bereits in der Kontroverse um die Denkschrift für den Toten

978 Vgl Fehrle, a O , S 270, Anm 137, 279f, 292, 298 979 Heuß Zeitalter der Revolution, in: Propyläen-Weltgeschichte, IV, S 175-316; Zitat S 284 980 Miltner, RE, XXII 1, Sp 211 981 Miltner, RE, XXII 1, Sp 211 982Zu den Gründen vgl Miltner, RE, XXII 1, Sp 187f 983 Vgl Att X 13,2, 18,3, fam. VII 3,3, Geher Cicero, S 178, 232f., 236, 254f, Miltner, RE, XXII 1, Sp 183, 191, 195f, Att XII 4,2; 5,2, vgl Geizer: Cicero, S 276 984 Brut 118 985 Mur 60-66 986 fin III 74-76, IV 80

-244-

im Jahre zuvor gezeigt hatte: C ato ist seinem Wesen und seinem Handeln nach ein Symbol für römische Pflichterfüllung im Dienste der res publica.

Szenerie, Gesprächszeit und Dialogpartner des fünften Buches von de finibus sind von ganz anderer Art als die der vorhergehenden Teile: C icero hält sich mit Freunden zu n Studium in Athen auf; während eines gemeinsamen Spaziergangs zu den Anlagen der Akademie wird unter dem Eindruck des Ortes über Erinnerungen an berühmte Männer gesprochen.987 Das Gespräch biegt dann ein in die Frage nach der rech ten philosophischen Erziehung und damit in Probleme der Philoso­ phie überhaupt. Die Zeit der Unterhaltung wirkt realistisch: C icero hat sich während seiner zweijährigen Bildungsreise nach Griechenland und Kleinasien im Jahre 79 tatsächlich für sechs Monate in Athen aufgehalten, um A ntiochos von Askalon zu hören, der damals der Akademie Vorstand.988 In V 1 und V 96 wird zudem ewähnt, daß zwei der Gesprächsteilnehmer - M arcus P iso und T itus P omponius - in Athen wohnen. Als Mitunterredner setzt der Konsular außer sich

selbst und den beiden zuvor Genannten noch ein: seinen Bruder Q uintus und den Vetter Lucius C icero. In dieser Gruppe ist M. P upius Piso F rugi bei weitem der älteste Teilnehmer, sein Geburtsjahr ist um 115 anzusetzen.989 Zwar war das Verhältnis zwischen C icero und Piso über längere Zeit gespannt, weil sie in wichtigen politischen

Fragen unterschiedliche Meinungen vertraten.990 Es besserte sich aber, als beide auf der Seite des P ompeius standen.991 Eine in ihren guten und schlechten Wesenszü­ gen ausgewogene Charakteristik Pisos als Redner und Anwalt hatte C icero bereits im Brutus gegeben.992 Im vierten Buch von de finibus bezeichnet er ihn als familians noster.993 1m fünften Buch wurde er als Gesprächsteilnehmer eingesetzt, wie aus

987 fin V 1-8 988 Brut 315, Geizer Cicero, S 23ff 989 Stein, RE,, XXIII 2, Sp. 1987, zur Biographie vgl Drumann/Groebe, II, S 69-71, 541-543 990 Att I 13,2f, 16,6-8, Stein, RE, XXIII 2, Sp 1990, Geizer Cicero, S 110fl' 991 Stein, RE, XXIII 2, Sp 1992 992 Brut 236 993 fin IV 73

- 245 -

A tticus vom 29. Juni 45 zu ersehen ist, weil dies - vergleichbar mit und C ato - nirgends Anstoß erregen würde, da er nicht mehr unter

einem Brief an

T orquatus

den Lebenden weilte.994 Aus der Vorrede zu de natura deorum geht zudem hervor, daß

C icero

ihn für sachkundig hielt in bezug auf die Philosophie des Peripatos.995

Pisos Wahl als Dialogpartner ist somit eher philosophisch begründet; eine aktive Gegnerschaft zu

C aesar

ist nirgends erkennbar, auch wenn er zu

P ompeius

in

enger Beziehung stand. Weiterhin gehört zu den Gesprächsteilnehmem

T itus P omponius , C iceros

vertrauter Freund, dessen Beiname eigens erklärt wird: ita enim se Athenis colloca­ vit, ut sit paene unus ex Atticis, ut id etiam cognomen videatur habiturus.996 C icero legt ihm das Bekenntnis tn den Mund, Anhänger

E pikurs

zu

sem; während des

Dialogs ist A tticus allerdings fast nur Zuhörer.997 Am Ende des Buches lobt er mit wenigen Worten die Fähigkeit P isos, die peripatetische Lehrmeinung auf Latein so nchtig und klar formuliert zu haben wie die Gnechen - was indirekt ein Lob auf den Verfasser

C icero

bedeutet.998 - Mit seinem Bruder

Q uintus

verfährt der

Konsular m gleicher Weise. Im einführenden Gespräch wird dessen Neigung zu

S ophokles

ersichtlich; erst zum Schluß äußert er seine Wertschätzung gegenüber

der peripatetischen Philosophie - im übrigen hört er schweigend zu.999 Und doch ist unter politischem Gesichtspunkt das Verhältnis C iceros

zu

seinem

etwas jüngeren Bruder von besonderer Bedeutung.1000 Q uintus war - nach seinen Tätigkeiten als Aedil im Jahre 65, als Praetor 62 und als Propraetor der Provinz Asia 61 bis 58 - von

C aesar

als Legat in Gallien eingesetzt worden, hatte ihn 54

nach Bntannien begleitet und sich beim Überfall des A mbiorix auf das Winterlager der von ihm geführten 14. Legion bewahrt.1001 Schon zuvor hatte er C aesar so sehr

594 Att XIII 29,4 995 nat I 16 996 fin V 4 997 fin V 3 998 fin V 96 999 fin V 3, 96 1000 Münzer, RE, VII A 2, Sp 1286-1306; Drumann/Groebe, VI, S 637-666 1001 Münzer, RE, VII A 2, Sp 1295ff, Drumann/Groebe, VI, S 6501F

-

246

-

schätzen gelernt, daß er seinem Bruder empfahl, sich eher diesem als dem

P ompeius

.inzuschließen.1002

Q uintus

trennte sich dann von

C aesar,

folgte als

propraetori scher Legat seinem Bruder und unterstützte ihn während der Statthal­ terschaft in Kilikien bei den Kämpfen gegen die dortigen Bergstämme.1003 Die Ereignisse des Bürgerkrieges führten dann aber zu einem tiefen Zerwürfnis

Q uintus sich nach einer Beratung mit seinem Bruder Anfang 49 auf die Seite des P ompeius stellte, machte er ihm nach der Niederlage Del Pharsalos - wohl auch unter dem Einfluß semes C aesar ergebenen zwischen den Brüdern.1004 Obwohl

Sohnes - schwere Vorwürfe; nach gegenseitigen Beschuldigungen trennten sie sich:

Q uintus

blieb in Achaia und versuchte, die Begnadigung bei C aesar

zu

erwirken

(die ihm und seinem Sohn auch Mitte Juli 47 gewährt wurde), während der Konsu­ lar nach Brundisium übersetzte. Kennzeichnend für die redliche Gesinnung des

A tticus vom 8. März 47, in dem er von einem Schreiben an C aesar benchtet, das Q uintus von der Schuld der Parteinahme gegen ihn endasten sollte - anscheinend war C aesar uberzeugt, Q uintus sei die treibende Kraft gewesen.1005 Gleichwohl zeigt der Brief­ wechsel C iceros aus dieser Zeit seine schwere Verbitterung über die Haltung des Alteren gegenüber seinem Bruder ist ein Bnef des Konsulars an

Bruders; ers: nachdem auch seine eigene Begnadigung bekannt wurde und

Q uintus

ihn dazu herzlich beglückwünschte, kam es zur Aussöhnung zwischen

ihnen.1006 Da zudem die überaus schwienge Ehe zwischen der Schwester des

A tticus, aufgelöst wurde

Q uintus und P omponia ,

(Ende 45 oder Anfang 44), lebte er in

der überwiegenden Zeit bei seinem Bruder.1007 Von den Tnumvim auf die Prosknptionsliste gesetzt wurde

Q uintus

mit seinem Sohn zusammen Ende

Dezember 41 getötet.1008 - Unter biographisch-politischem Aspekt ist also ein

1002Münzer, RE. VII A 2, Sp 'M1 Münzer, RE, VII A 2, Sp 1004 Münzer, RE, VII A 2, Sp 1005 Att XI 13 1006 Att XI 22,2 1007 Münzer, RE, VII A 2, Sp 100! Münzer, RE, V I A 2, Sp

1295, Drumann/Groebe, VI, S 651 1300 130lff, Drumann/Groebe, VI, S 656f 1303, Drumann/Groebe, VI, S 658 1304, Drumann/Groebe, VI, S 658f

-

247

-

Zeichen der Aussöhnung zwischen den Brüdern darin zu erblicken, daß Q uintus im fünften Buch als Gesprächsteilnehmer eingefuhrt wird. Zu der Gruppe gehört schließlich noch der junge L. T ullius C icero, ein Vetter des Konsulars von der Seite des Vaters her.1009 C icero scheint ihn sehr geliebt zu haben, wie aus einem Brief an A tticus vom November 68 hervorgeht, in dem er seinem Schmerz über den Tod des Vetters Ausdruck gibt.1010 Beide hatten im Jahre 70 zusammengearbeitet, als C icero in Sizilien Untersuchungen zum Prozeß gegen V erres durchfuhrte. In de finibus stellt er seinen jungen Verwandten in die Rolle

desjenigen, der von den älteren Teilnehmern in seiner philosophischen Ausbildung angeleitet wird. Die Erwähnung im fünften Buch ist also der liebevollen Erinne­ rung an Lucius, den frater noster, gewidmet.1011 Die politische Bedeutung der Personenwahl ist, was die Dialogpartner in de finibus insgesamt betnfft, in ihrer gegen C aesar gerichteten Wirkung unterschied­ lich zu beurteilen. Da sind zum einen die beiden jugendlichen Zuhörer: der junge L ucullus im dritten Buch und vor allem Lucius C icero im fünften. Ihre

Teilnahme stellt ein Zeichen dar für die Absicht des Konsulars, mehr und mehr die Jugend Roms in seine Bildungsbemühungen einzubeziehen, um die künftige Führungsschicht des Staates mit den philosophischen Grundlagen politischen Handelns vertraut zu machen. Dieser Aufgabe gilt später in herausragendem Maße die seinem Sohn Marcus gewidmete Schrift de officiis. In de finibus deutet sich C iceros Vorhaben an.

Die zweite Gmppe - T orquatus, T riarius, P iso, auch der Bruder Q uintus wird gebildet durch Personen, die sich, bei aller Unterschiedlichkeit, gegen C aesar und für die Sache der res publica eingesetzt haben; A tticus mag aus der Sicht C iceros dazugehoren, weil er sein Freund und Vertrauter ist.

Die entscheidende Wucht ihrer anticaesanschen Wirkung gewinnt die Personen­ wahl in de finibus aber durch die Einführung C atos als Gesprächs teilnehmer. Das

1009 Münzer, RE, VII A 1, Sp 823f, Geizer Cicero, S 24, 39, 55, 304 1010 Att I 1,1 1011 fin V 1

-

248

-

ist vor allem auf dem Hintergrund der zeitlich nur wenig zurückliegenden Kontro­ verse zwischen

C icero

und

C aesar

anläßlich der Denkschrift für den Toten zu

sehen. W em dem erklärten Caesargegner nach allem, was vorausgegangen war, in de finibus ene derart bedeutende Rolle zugeschrieben wurde, dann mußte das als eme massive Demonstration oppositionellen Widerstandes gegen den Alleinherr­ scher wirken

Tusculanae disputationes Die Szenerie ist an allen fünf Gesprächstagen gleich: Mehrere Bekannte waren so die Fiktion - vor kurzem nach B rutus1Abreise bei C icero

zu

Besuch und übten

sich mit ihm in der Verbesserung der Redekunst. Dabei wurde jeweils so vorgegan­ gen, daß jemand ein Thema angab, zu dem der Konsular sodann einen Vortrag hielt; diese - nach griechischem Vorbild so genannten - Lehrstunden (scholae) der fünf Tage übertrug der Verfasser dann entsprechend m fünf Bücher m der Form eines Benchts an

B rutus. Merkwürdig an der Szenerie

ist, daß

C icero

anders als

in der vorangegangenen (de finibus bonorum et malorum) und der folgenden (de natura deorum) philosophischen Schrift; seine Dialogpartner nicht beim Namen nennt. Die Bekannten (familiares) haben nur die Aufgabe, das Thema anzugeben, zu dem sie etwas hören wollen; alles andere ist Vortrag C iceros . Damit begibt sich der Verfasser der Möglichkeit, durch die Personenwahl etn politisches Zeichen zu setzen. Eine überzeugende Erklärung für diesen Umstand ist nicht leicht zu finden. Aufschluß in der Frage, warum C icero

für die Tusculanen diese Form des Dialo­

ges gewählt hat. gibt der Vergleich zum griechischen Vorbild, der im ersten Buch so hergestellt wird: Sed ut

Aristoteles ,

vir summo ingenio, scientia, copia...dicere docere

etiam coepit adulescentes et prudentiam cum eloquentia lungere, sic nobis

■■249 -

placet nec pristinum dicendi, studium deponere et in hac maiore et uberiore arte versari.1012 Wie der große Philosoph hält auch C icero Vorträge über philosophische Themen, ganz wie er früher Vortrage gehalten hat über Rechtsfälle. Die aristotelische Form des Dialogs bietet den Vorteil, daß der Konsular selbst im Mittelpunkt steht: Er bestimmt den Rahmen, den Inhalt und den Verlauf des Gesprächs, er berichtet das Gesagte aus seiner Erinnerung, er kann auch die eigene Überzeugung grundlegend einführen.1013 Aber der Hinweis auf A ristoteles gibt allein noch keine ausreichende Erklärung; vom Thema her stand es im Belieben C iceros, auch die platonische Form des Dialogs zu wählen, bei der die Gesprächspartner die Gedankenfuhrung wesentlich mitbestimmen, der Verfasser des Berichts jedoch im Hintergrund bleibt oder ganz unbeteiligt ist. Es bleibt die Frage, warum C icero in den Tusculanen sich selbst so herausgestellt und keine angemessen amtierenden Dialogpartner eingeführt hat. Die Antwort lautet: Wenn der Konsular mit den Tusculanae disputationes seinen philosophischen Gedanken eine andere literarische Form gab als in den zuvor und später verfaßten Schriften zur Philosophie, dann ist das ein Indiz dafür, daß er sich in einer Situation befand, die ein besonderes Ausdrucksmittel verlangte. Am Ende des fünften Buches begründet er seine Absicht, den Bericht über die Gespräche in Tusculum an B rutus zu senden als Antwort auf dessen dringende Aufforderung, C icero möge sich mit der Philosophie befassen.1014 Weiter heißt es dann, daß die Philosophie ihm als einziges Heilmittel gegen Schmerzen und Verzweiflung erscheint angesichts der Situation, in der er leben muß.1015Worum es

10,2 Tuse I 7 1013 Vgl Tuse II 9, zu den verschiedenen Stilen des Philosophierens äußert sich Cicero auch in fin. II 1-3, die Wahl jeweils anderer Dialogformen in seinen philosophischen Schriften begründet er ausführlich in einem Brief an Atticus vom 29 Juni 45, Att XIII 29,3-4, vgl die Einführung zum Brutus, S 279f, das Nachwort zu den Gesprächen in Tusculum, S 412f. und die Einführung zu de natura deorum, S 556 10.4 Tuse V 121 10.5 Tuse V 121

-250-

sich dabei handelt wird deudich aus einem Brief an des Januars 45, in dem

C icero

C assius

aus der ersten Hälfte

die Kraft der stoischen Lehre darlegt, weil er

angesichts des staadichen Niedergangs nichts anderes zu schreiben weiß.1016 Was er brieflich indessen im einzelnen nicht mitteilen konnte legte er in einem philosophi­ schen Werk nieder - den Tusculanae disputationes. Es ist also seine persönliche Überzeugung, die seiner Ansicht nach nicht auf platonische Weise im Widerstreit der Meinungen zu gewinnen ist, sondern nach Art des

A ristoteles

dargelegt

werden muß, als Erkenntnis aus eigener philosophischer Bildung und politischer Erfahrung erwachsen. Die Gespräche, über die C icero in den Tusculanen benchtet, sind also eigentiich philosophische Erörterungen, um die eigene Existenz bewahren zu können in einer Zeit, die eine politische Tätigkeit im Smne seiner Vorstellung nicht zuläßt.1017 Sie stellen den Versuch dar, mit Hilfe der griechischen Philosophie eine politische Situation zu bewältigen, die ihm nach C aesars Sieg in Spanien, den Ehrenbeschlüs­ sen des Senats und dem Scheitern seiner Absicht, den Alleinherrscher zur Wieder­ herstellung der republikanischen Ordnung zu bewegen, als hoffnungslos erschien. Seine politische Ohnmacht stürzt ihn in Verzweiflung; die Philosophie allem vermag ihm zu helfen. Diese ganz persönliche Erfahrung will der Konsular mit seiner Schrift weitergeben; ob sie anderen m gleicher Lage hilft erscheint ihm aller­ dings fraglich.

De natura deorum

Ein ganz anderes Bild zeigt sich im nächsten Werk, dem über das Wesen der Götter. Der Dialog ist in die Zeit der Feriae Latinae etwa des Jahres 77 gesetzt.1018 Das stimmt ungefähr überein mit der Rückkehr C iceros von seinem zweijährigen Studienaufenthalt in Griechenland und Meinasien. Die Szenene ergibt sich

1016 fam XV 18.3 10,7 Vgl Tuse I 1 und 5 1018 Zur Jahresangabe vgl Geizer Cicero, S 309, Münzer gibt als Dialogzeit die Jahre von 78 bis 71 an, vgl RE, X III2, Sp 1640

-251 -

G aius C otta seinen Freund C icero einlädt, in seinem Hause gemein­ sam mit G aius V elleius und Q uintus L ucilius B albus an einem Streitgespräch über die Götter teilzunehmen.1015 C icero erklärt auf die einfuhrenden Worte C ottas hin sofort, daß er nur zuhören wolle.10191020 Daher fällt die Gesprächsfuhrung dadurch, daß

in dieser geistigen Auseinandersetzung jeweils demjenigen der drei anwesenden Dialogpartner zu, der ein bestimmtes philosophisches System

(E pikur ,

Stoa,

Akademie) in der Frage nach dem Wesen der Götter vertritt. Die politische Haltung der beiden Gesprächspartner

B albus

V elleius

und

L ucilius

kann kaum eingeschätzt werden, weil die Informationen über sie recht

V elleius wird in de natura deorum als Senator eingefiihrt (I 15) und als Landsmann (municeps) des Schauspielers R oscius bezeichnet, der aus Lanuvium am Südhang der Albaner Berge stammte.1021 Von ihm sagt C icero , daß er ein überzeugter und höchst kenntnisreicher Anhänger E pikurs sei.1022 V elleius spärlich sind.

ist also der Fachmann für die epikureische Theologie; eine bedeutende politische Rolle wird er kaum gespielt haben.1023 - Ebenso apolitisch scheint der als hervorra­ gender Vertreter der Stoa in I 15 eingeführte

Q uintus L ucilius B albus gewesen zu

Antiochos ihm ein Eluch geschickt habe A ntiochos von Askalon, der im Jahre 79 auch Lehrer C iceros war. Nach der Textstelle II 88 hat er zudem - ebenso wie C icero - den Philosophen P oseidonios sein.1024 In I 16 wird erwähnt, daß

von Apameia gehört.1025 Als Dialogpartner hat der Konsular beide ausgewählt, weil sie als kompetente Fachleute jeweils für das philosophische Gedankensystem

E pikurs

und der Stoa

gelten konnten. Eine politische Bedeutung ist in diesem Zusammenhang nicht erkennbar.

1019 nat I 15-17 1020 nat 117 1021 nat I 79, zu Q Roscius Gallus vgl Vorder Mühll, RE, I A 1, Sp 1123-1125 1022 nat 115 und 58 1023 Vgl Ziegler, RE, VII A 1, Sp 637, die Einführung zur Textausgaibe, S 557 1024 Vgl die Einführung zur Textausgabe, S 557 1025 Zu Ciceros philosophischen Lehrern vgl nat I 6

-

Auch bei

C. A urelius C otta

252

-

ergibt: sich im wesentlichen ein ähnliches Bild,

obwohl er im Jahre 76 Konsul war.1026 C icero schätzte an ihm sowohl die hohe Redekunst - wenn auch nicht ganz ohne Einschränkung - als auch sein Eintreten für die Art des Philosophierens, die von der neuen Akademie mit ihrem skepti­ schen Verfahren gelehrt wurde.1027 In beidem - der Beredsamkeit und der philoso­ phischen Denkweise - sah der Konsular verwandte Geisteshaltung und Kompetenz. Auch dann glaubte er sich mit

C otta

in Übereinstimmung, daß die

Verbindung von Rhetorik und Philosophie von hoher Bedeutung sei.1028

Insgesamt is t nicht zu ersehen, daß

C icero

seine drei Gesprächspartner für die

philosophische Erörterung über das Wesen der Götter in politischer Absicht ausgewählt hat, seiner Personenwahl also in diesem Falle eine gegen C aesar gerich­ tete Bedeutung zukommt.

V elleius, B albus und C otta werden

als kenntnisreiche

Vertreter dreier verschiedener philosophischer Gedankensysteme vorgestellt - und so verhalten sie sich auch im Dialog. Eme andere Interpretation wäre verfehlt. Die politisch zu verstehenden Hinweise im Prooemium (I 7) beziehen sich auf die Beweggründe

C iceros ,

gerade in dieser Zeit seine philosophischen Erkennmisse

schrifdich niederzulegen, und betreffen nicht die Stellung seiner Dialogpartner gegenüber C aesar. 7.4. Namensbeispiele im Text der Philosophica

Neben den Empfängern der Widmungen und den Dialogpartnem enthalten die philosophischen Spätschriften

C iceros noch eme dritte Gruppe von Personen, die

daraufhin zu untersuchen sind, ob in ihrer Wahl ein gegen die Alleinherrschaft

C aesars

gerichteter politischer Bezug zu erkennen ist: diejenigen, die als

Namensbeispiele in den Text emgefügt sind.1029 Dabei ergibt sich die Schwierigkeit,

1026 Klebs, RE, II. Sp 2484 1027Zu Cotta als Redner vgl Brut 202-207, 297, 317, als Philosoph vgl nat II 1, 147f 1028 nat I 6 1025 Vgl Strasbur ger Ciceros philosophisches Spätwerk, S. 48ff, zur Bedeutung des

- 253 -

daß bei der Vielzahl der Namen nur mit außerordentlich großem Aufwand jeder einzelne überprüft werden kann; es erscheint daher zweckmäßig - und auch ausrei­ chend

in diesem Teil der Untersuchung exemplarisch vorzugehen, also Personen

auszuwählen, die bereits als Widmungsempfänger und Dialogpartner genannt wurden - um ihre Funktion innerhalb des Textes zu prüfen. Als Gegenprobe soll auch nach Anhängern C aesars gesucht werden. Zunächst kann rein quantitativ der Befund festgehalten werden, daß

C icero

häufig Personennamen aus den Gmppen der Widmungsempfänger und der Dialogpartner, die im vorangegangenen Teil der Untersuchung überwiegend als Gegner

Caesars

ermittelt wurden, auch in den Text seiner Philosophica einfugt,

um damit beispielhaft bestimmte Zusammenhänge zu erläutern oder die Gedanken des Lesers in eine vom Verfasser gewünschte - politische - Richtung zu lenken. Im Brutus zeigt sich deutlich der Bezug zur Politik gegen Ende der Schrift, wenn

C icero den Wunsch äußert, die politischen Verhältnisse sollten so sein, daß B rutus das Ansehen zweier hervorragender Geschlechter zu stärken vermöchte.*1030 Der entscheidende Satz lautet: et ipse re publica careas et illa te.1031 In den Academici libri stellt der Konsular seinen Gesprächspartner

B rutus

in

einen doppelten Zusammenhang: einmal zu sich selbst, dann zu dem anderen Mitunterredner V arro .1032 Im ersten Faill kommt über die Erwähnung des Namens hinaus eine Verbindung mit

C icero

zustande, die politische Bedeutung hat. Der

unmittelbar davor ausgeführte Gedankengang enthält mit der Klage über seinen eigenen Ausschluß von politischer Tätigkeit und in der Bemerkung über die tröstende Wirkung der Philosophie in dieser tief schmerzlichen Situation einen Angriff auf C aesar , weil der Dictator in seinen Augen die Schuld trägt am elenden

exemplum bei Cicero vgl Büchner Cicero, S 59 und Anm dazu S 485f. Wie stark Cicero die rhetorische Freiheit gegenüber den historischen Tatsachen vertritt, geht aus einer Atticus in den Mund gelegten Bemerkung im Brutus hervor quoniam quidem concessum est rhetoribus ementiri in historiis, ut aliquid dicere possint argutius (42) Der Gedanke ist ihm so wichtig, daß er ihn durch Beispiele ergänzt 1030 Brut 331 1031 Brut 332 1032 ac 2,12

-254

-

Zustand der :res publica. Wenn sogleich darauf B rutus erwähnt wird, der sich ebenfalls in so ausgezeichneter Weise mit der Philosophie in lateinischer Sprache befaßt - wie C icero sagt

so liegt durch die enge Aufeinanderfolge der Gedan­

ken die Verknüpfung mit den politischen Verhältnissen nahe. Der andere Zusammenhang wird dadurch hergestellt, daß B rutus durch eine ähnliche Ausbildung in Athen der gleichen philosophischen Richtung zuneigt wie V arro. Auf diese Weise wird die Kompetenz in Fragen der griechischen Philoso­

phie, die der Verfasser B rutus zuschreibt, hervorgehoben. Diese Kompetenz erfährt im diitten Buch von de finibus noch eine besondere Würdigung.1033 Dadurch wird weitergehend die geistige Verwandtschaft zu C icero selbst ins rechte Licht geruckt. An dem Beispiel kann auch aufgezeigt werden, auf welche Weise der Konsular mit der Nennung eines Namens eine Wirkung zu erreichen sucht. Er wendet hier ebenfalls seine bereits bekannte Technik an, einen Anknüpfungspunkt für gedank­ liche Verbindungen im Bewußtsein des Lesers zu bieten, ohne selbst ausdrücklich diesen Zusammenhang darzustellen. Die Namensnennung im Text wird damit zum Auslöser, Fragen und Vergleiche zur politischen Situation der Gegenwart zu entwickeln. Die Technik der gedanklichen Verknüpfung verwendet C icero in den Tusculanen in besonders auffälliger Form. Während die ersten vier Bücher den Namen des B rutus nur als Anrede des Adressaten verwenden, dem der ganze Bencht über die

philosophischen Gespräche gewidmet ist, wird er um fünften Buch an mehreren Stellen als Exempel eingefügt. In der Sache geht es um den häufig erwähnten Grundsatz der Stoa von der Autarkie der Tugend. B rutus wird auf die Weise damit in Verbindung gebracht, daß er m seinem eigenen, dem Konsular gewidmeten Buch diesen I^ehrsatz als zutreffend vertreten habe.1034 C icero, als der Vortragen­ de, formuliert rhetorisch Zweifel - nicht an der Tugend selbst, denn das habe, wie er feststellt, 'dein Onkel, B rutus, unmöglich gemacht" - quam dubitationem031*

1031 frn 111 6, vg: fin V 8 1034 Tuse V 1

-255 -

avunculus tuus, B rute, sustulit; aber ihre Kraft wird in Frage gestellt, alles auffan­ gen zu können, was auf den Menschen einsturzen kann - quae cadere in hominem possunt.1035 Der Name C atos ist in diesem Zusammenhang, ohne genannt zu werden, somit ein erster Auslöser, um politisch bedeutsame Gedankenverbindun­ gen zu knüpfen. In einer wenig später folgenden Textstelle begründet C icero dann seinen Zweifel.1036 Es gibt nämlich, so formuliert er, "eine ganze Schar von Übeln"; neben Mängeln der sozialen Stellung und körperlichen Schwächen sind dies: intentus patriae, exilium, servitus.1037 Der Zufall bringe diese Dinge mit sich, und wenn das Übel seien, quis potest praestare semper sapientem beatum fore, cum vel in omnibus his uno tempore esse possit?1038 Weil das aber so ist, sagt C icero weiter, habe er Zweifel, ob er "meinem ESrutus" (B rüte meo), "den gemeinsamen Lehrern" (communibus magistris) und A ristoteles, S peusippos, X enokrates und P olemon in ihren philosophischen Überzeugungen zustimmen könne.1039 Im

Verlauf des Gespräches wird darüber hinaus die Frage der Übereinstimmung zwischen Stoikern und Peripatetikern. sowie die Bedeutung der Philosophie als Heilmittel gegen die Schwierigkeiten des Lebens behandelt - das mag hier beiseite bleiben. Es kommt vielmehr darauf an, mit der Textstelle aufzuzeigen, wie C icero in zweifacher Hinsicht eine politische Wirkung zu erzielen sucht. Zum einen wird für den sachkundigen Leser durch die Verbindung zu C ato das Beispiel eines Mannes in Erinnerung gebracht, der in der Auseinandersetzung mit C aesar die Tugend (virtus) höher schätzte als das Leben. Zum andern sucht der Konsular durch die Hervorhebung der gemeinsamen philosophischen Bildung auch den Eindruck politischer Übereinstimmung mit B rutus

zu

erwecken. Die Gemeinsamkeit besteht

dann, daß beide den Gmndsatz von der Autarkie der Tugend vertreten, der für

1035 Tuse 1036 Tuse 1037 Tuse 103STuse 1039 Tuse

V4 V 29f V 29 V 29 V 30

-

C icero

256

-

- wie bereits die Paradoxa Stoicorum gezeigt haben - eine Rechtfertigung

seiner politischen Haltung während des Bürgerkrieges bedeutet.1040 Neben B rutus gibt es noch weitere Beispiele dafür, daß C icero Widmungsemp­ fänger und Dialogpartner seiner philosophischen Spätschnften auch als exempla in den Text einfügt, um durch Assoziationen eine gegen

C aesar gerichtete politische

Wirkung zu erreichen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Person des Q.

L utatius C ati lus, Titelfigur eines Dialogs und Gesprächsteilnehmer in den Schrif­ ten Hortensius und Lucullus.

C atulus,

Konsul des Jahres 78, wird bereits im Brutus erwähnt (133, 222), im

Zusammenhang mit seinem Vater (Konsul des Jahres 102) und anderen berühmten Mitgliedern seiner Familie, unter ihnen die beiden fuhrt

C icero

den

C atulus

Cato .1041

In den Tusculanen

als historisches Beispiel dafür an, daß es besser sei,

Unrecht zu leiden als Unrecht zu tun; sein freiwilliger Tod sei ehrenhafter gewesen als das Handeln des deorum steht

C. M arius, der C atulus dazu gezwungen habe.1042 In de natura

C atulus

- neben vielen anderen berühmten Opfern aus der

römischen Geschichte - exemplarisch für den Einwand gegen die philosophische Lehrmeinung der Stoa, daß die Götter für die Menschen sorgten.1043 Die politische Bedeutung der Textstellen, in die der Name

C atulus

mit seinen personellen

Verknüpfungen eingefügt ist, hegt darin, daß für den Konsular der nach philoso­ phischen Grundsätzen handelnde Mensch höher steht als der allein aus Herrsch­ sucht nach Macht strebende Politiker. Vergleichbar ist das Beispiel des auch ihn hat

C icero

L. L icinius L ucullus,

Konsul des Jahres

74;

in derselben Textstelle des Brutus (222) bereits erwähnt, ihn

dann im gleichnamigen Dialog zur leitenden Figur des Gesprächs gemacht und ihn schließlich mit seinem Sohn und C ato in Verbindung gebracht.1044

1040 Tuse V 34 1041 Vgl die Stammtafeln im Kommentar zur Textausgabe, S 360f 1042 Tuse V 56 1043 nat III 80 1044 fin. III 7,8

-

257

-

für Q. H ortensius H ortalus;

Gleiches gilt weiterhin

sein Name kommt

ebenfalls im Brutus vor (an zahlreichen Stellen, besonders 228ff. und 301 ff.); zudem erhält er eine auszeichnende Rolle in einem nach ihm benannten Dialog, auch wird er später noch in einer philosophischen Schrift erwähnt.1045 Gemeinsam ist den beiden zuletzt genannten Personen, daß sie verwandtschafdiche Beziehungen zu

B rutus haben und politisch

an herausragender Stelle auf der

Seite der Senatspartei stehen. Gleichsam ein Gegenstück in seiner eher unpolitischen Hal tung bildet M. T eren ­

V arro , Gesprächsteilnehmer in den Academici libri und Widmungsempfän­ ger. C icero hat ihn in seinen philosophischen Schriften nur an zwei Stellen im Brutus erwähnt (60, 205). V arro wird dabei zwar als "gründlicher Altertumsfor­ tius

scher" und als em "Mann von außerordendicher Begabung und allumfassender Bildung" gerühmt; ein politischer Zusammenhang ist aber nicht zu erkennen. Aus der Gruppe der Gesprächsteilnehmer, die C icero in den fünf Büchern von de finibus eingeführt hat, ragen zwei Namen aus unterschiedlichen Gründen hervor: L.

M anlius T orquatus

und M. P orcius

C ato U ticensis .

In der philoso­

phischen Auseinandersetzung, mit T orquatus wird als Grund dafür angeführt, daß ihm eme bedeutende Rolle in der Schrift zugewiesen wurde: delector...et familia vestra et nomine.1046 Die Bemerkung ist nicht nur schmeichelhaft gemeint; sie enthält auch emen Hinweis auf die politische Bedeutung der Namen, die der Konsular in den Text eingefügt hat: Es werden Personen erwähnt, die zugunsten

C iceros

und seiner Sache wirken können. Wenn deren philosophische Überzeu­

gung und ihre politische Stellung nicht übereinstimmen, tntt die Politik der Philo­ sophie gegenüber in den Vordergrund. Noch eins kommt hinzu:

C icero greift bei seinen Namensbeispielen häufig den

Gesichtspunkt der Familienzugehorigkeit auf; nicht so sehr der einzelne Name ist für ihn von Wichtigkeit, sondern entsprechend römischer Denkweise eine ganze

,045 Tuse I 59 1044fin II 72

- 258 -

Familie mit berühmten Mitgliedern in der Generationenfolge oder auch zur gleichen Lebenszeit. Der Name des L. M anlius T orquatus bildet in de finibus ein gutes Beispiel für C iceros Vorgehensweise. Die philosophischen Standpunkte der beiden Gesprächs­

partner - der Stoiker T riarius spielt im Dialog keine vergleichbar tragende Rolle stimmen nicht überein. T orquatus wird als überzeugter Epikureer vorgestellt, der seinen Dialogpartner C icero mit der einleitenden Frage herausfordert, warum er eigentlich die Lehre E pikurs ablehne.1047 Daraus entwickelt sich dann die philoso­ phische Disputation, in der C icero seinen abweichenden Standpunkt erläutert; das zeigt sich etwa dort, wo er seinem jungen Gegenüber, der für das kommende Jahr als Praetor designiert ist, die Frage stellt, ob T orquatus womöglich bei der obliga­ torischen Rede zum Amtsantritt die Philosophie E pikurs mit ihrem tragenden Prinzip der Lust (voluptas) als für sich verbindlich erklären wolle.1048 Das sei doch wohl - so läßt der Konsular erkennen - für den "Träger eines solchen Namens, solcher Begabung, solchen Ruhms" undenkbar. Politisch ist die Szene als Anspie­ lung in der MO'eise von Bedeutung, als das Jahr des Amtsantritts 49 sein wird, also das Jahr, in dem der von C aesar begonnene Bürgerkrieg ausbricht. Damit erhält die literarische Fiktion der philosophischen Schrift den Bezug zur politischen Wirklichkeit. In der Philosophie also stimmt

C icero

überein; trotzdem erwähnt er den Namen

mit semem Dialogpartner keineswegs

T orquatus

mehrfach als Exempel im

Text. Der Vater seines jungen Freundes - ebenfalls Epikureer, Konsul von Beistand

C iceros

in der Auseinandersetzung um

C atilina - wird

65 und

im ersten Buch

erwähnt; daneben erscheinen der mehrfache Dictator und Konsul T.

M anlius

T orquatus I iweriosus , der im 4. Jahrhundert mit seiner Tapferkeit den Ruhm der Familie begriindet hatte, der sittenstrenge T. M anlius T orquatus , Konsul des Jahres 165, schließlich A. M anlius T orquatus , Praetor von 70, C iceros Helfer im

1047 fin 1 14 1048 fin II 74

-2 5 9 -

Prozeß des T. A nnius M ilo im Jahre 52.1049 Der Konsular versäumt dabei nicht, auch die Familie der D ecii anzufuhren, die sich ebenfalls über mehrere Generatio­ nen hinweg um den Staat veidient gemacht haben.1050 Im Brutus bereits wurden die M anlii T orquati erwähnt, darunter in der Textstelle, die B rutus Anlaß gibt,

seinen Schmerz zu äußern über den Tod der beiden Freunde T orquatus und T riarius im Bürgerkrieg und die Klage über die vergeblichen Friedensbemühungen C iceros.1051 Im vierten Buch der Tusculanen greift der Konsular erneut das

Beispiel des T orquatus auf, der seine Tapferkeit bewies, als er im Zweikampf am Arno einem Gallier die Halskette (torques) entriß und sich damit den berühmten Beinamen erwarb.1052 Schließlich wird die Familie noch als Namensbeispiel erwähnt in de officiis.1053 Die politische Bedeutung der Namensnennungen in C iceros philosophischen Spätschriften ergibt sich aus zwei Faktoren, die miteinander verbunden sind. Zum einen wirkt da die Vorbildfunktion der römischen Tradition. Starke Persönlichkei­ ten haben mit ihrem Handeln die Größe Roms geschaffen. Ihr Pflichtbewußtsein galt dem Dienst an der res publica, sim Gemeinwohl. Außerdem hat sich in der Bewährung an den Herausforderungen der Vergangenheit eine Ordnung des Gemeinwesens herausgebildet, die nach festen, allgemein anerkannten Regeln funktioniert. C icero fühlt sich gerade als homo novus dieser großen Vergangenheit verbunden - er ist Traditionalist im Streben nach Bewahrung des Bewährten. Beide Faktoren - Tradition und Ordnung der res publica - bilden darüber hinaus einen Maßstab, an dem das aktuelle politische Geschehen gemessen werden kann. Von daher gerät in der Sichtweise C iceros C aesar mit seinem Machtanspruch, ausgenchtet an der eigenen dignitas, in die Rolle eines Außenseiters mit zerstöreri­ scher Wirkung auf die althergebrachte Ordnung und Funktionsweise der res

1049 Im ersten Buch werden die Torquati erwähnt in 23, 24, 25, 34, 35, 39, im zweiten Buch in 60, 72 1030 P Decius Mus als Kollege im Konsulat des Jahres 340, P Decius Mus, Konsul der Jahre 312, 308, 297 und 295, zu dessen Sohn P Decius Mus vgl. :Sn II 61 1051 Bmt 266, vgl 239,245,265 1052 Tuse IV 49 1053 off III 112

-

260

-

publica. Ihm Widerstand zu leisten ist dann folgerichtig die Aufgabe aller, die sich dem Erbe verpflichtet fühlen. Wenn C icero in seinen Schriften mit historischen Beispielen und Namensnen­ nungen auf diese Zusammenhänge hinweist, wird sein eigener Anspruch erkenn­ bar, auf seiten der großen Männer im Dienst für das Gemeinwesen zu stehen, während C aesar trotz seines alten und verpflichtenden Namens aus Eigensucht gegen die Grundordnung und die Grundregeln des römischen Staates verstößt.1054 Zum Hauptsprecher des dritten und vierten Buches von de finibus, M. P orcius Cato UTICENSIS, soll an dieser Stelle nur noch eine Anmerkung zur Ergänzung des

bereits früher Gesagten gemacht werden. Seine Bedeutung im Text des Brutus ist eher gering im Vergleich zu M. P orcius C ato C ensorius, seinem Urgroßvater; eigentlich wird er nur an einer Stelle erwähnt als der perfectissimus Stoicus.1055 Der ältere C ato hingegen wird oft und ausführlich als Exempel für einen hervorragen­ den Redner he rangezogen, aber auch als Bürger, Senator und Feldherr.1056 Erst in dem nach dem Tode des jüngeren C ato in Utica geschnebenen Tusculanen verschieben sich die Gewichte zwischen beiden. Zwar wird C ato C ensorius noch wiederholt genannt, aber überwiegend als Redner gerühmt.1057 C ato U ticensis hmgegen erscheint nunmehr als Beispiel in Zusammenhängen mit massiver, gegen C aesar genchieter politischer Bedeutung.1058 Darin liegt ein weiterer Hinweis auf

die Rolle des Jimgeren, der in C iceros Spätschriften zum Symbol des Widerstandes gegen den Alleinherrscher stilisiert wird; der auf die Politik bezogene Gestaltungswille des Konsulars in semen Philosophica gerat somit ms Blickfeld. Die Dialogpartner im fünften Buch von de finibus • A tticus, Q. T ullius C icero, der Vetter L. T ullius C icero, P iso - haben, wie bereits erwähnt, ihre Bedeutung eher durch die familiären oder freundschaftlichen Bindungen an den Konsular als

1054 Vgl Geizer Caesar, S 71 1055 Brut 118f 1056 Brut 65, vgl 60f,63, 75, 77, 80-82, 89f., 293f, 298, 333, vgl Hortensius fr 1 = ac 1,5 Cato lernt Griechisch 1057 Tuse I 3,5,10, III 51, 70, IV 3 1058 Tuse I 74, V 4f

- 261 -

durch ihre politische Stellung; die Erwähnungen im Text ändern an diesem Sachverhalt nichts. Als historische Beispiele mit politischer Bedeutung sind auch die drei Gesprächs­ partner aus de natura deorum nicht hervorgetreten.

Bei der Durchsicht der philosophischen Schriften unter prosopographischem Aspekt fallen zwei Punkte besonders ins Auge: Die von C icero ausgewählten Personen werden fast immer in allen Hauptwerken (Brutus, Tusculanae disputatio­ nes, de finibus bonorum et malorum, de natura deorum) erwähnt; zudem stehen sie überwiegend im Zusammenhang mit anderen Mitgliedern ihrer Familie. Nur wenige Namen erscheinen nur einmal, und dann im Brutus. Es fällt auf, daß ein Vergleich der Namensliste aus C iceros philosophischen Arbeiten mit derjenigen aus den GELZER-Biographien C aesars und C iceros, die für die Zeitgeschichte - die politische Wirklichkeit also - wichtige Namen anführen, eine starke Übereinstim­ mung bei den erwähnten Personen zeigt, wenn sie entsprechend der Zugehörig­ keit zu ihren Familien geordnet werden. Bei C icero ist es etwa ein Dutzend Geschlechter, deren Mitglieder häufig als Namensbeispiele im Text erscheinen. Das sind vor allem die C aecilii, besonders mit ihrem Zweig der Metelli, die C ornelii, die L icinii, die S empronii und die O ctavii; ihre Namen werden in allen oben angeführten philosophischen Schnften genannt. Mit der Ausnahme von de natura deorum sind die M arii, die P ompeii und die S ervilii erwähnt; nur in de finibus fehlen die C laudii und die L ivii; eine Lücke bei den Tusculanen weisen die M ucii auf. Die gens S ulpicius ist im Brutus und in den Tusculanen vertreten; Gleiches gilt für die L utatii. Zweimal auch werden genannt die D ecii (in de finibus und de natura deorum), und im Bmtus sowie in den Academici libri finden sich die S cribonii. - Zwar gibt diese Liste der in den philosophischen Schnften C iceros als

Beispiele angeführten Gentilnamen im Grunde kaum etwas anderes wieder als ein Verzeichnis der die römische Republik beherrschenden alten Adelsgeschlechter. Und doch läßt sich dann die Absicht des Konsulars erkennen, mit seinen exempla einerseits auf die Tradition Roms zu verweisen, andererseits deutlich zu machen,

-

262

-

daß eine Viekahl von hervorragenden Persönlichkeiten das römische Gemeinwe­ sen geschaffen hat und noch immer vertritt. Ein treffendes Beispiel findet sich in den Tusculanae disputationes, wo es um die Todesverachtung tapferer Männer geht: Wenn sie den Tod gefürchtet hätten, sagt C icero, non L. B rutus arcens eum reditu tyrannum quem ipse expulerat in proelio

concidisset, non cum Latinis decertans pater D ecius, cum Etruscis filius, cum P yrrho nepos se hostium telis obiecissent.1059

Aufschlußreich im Hinblick auf die politische Bedeutung der Personenwall] ist zudem, wie C icero auf der anderen Seite mit C aesar verfährt. Es wurde bereits erwähnt, daß nur im. Brutus, in de natura deorum und dann wieder in de divina­ tione von C aesar die Rede ist.1060 Das zeigt im Vergleich mit den anderen Namens­ nennungen eindeutig die Absicht des Konsulars, den politischen Gegner weder bei den Widmungen noch als Dialogpartner oder im Text als Beispiel zu berücksichti­ gen. C icero behandelt: den Alleinherrscher C aesar, den mächtigsten Mann seiner Zeit, in den philosophischen Schäften gleichsam als unerwünschte Person.

7.5. Gegenbeispiel: Vatinius als Anhänger Caesars

Eindeutig tils Gefolgsleute C aesars

zu

identifizierende Namen finden sich sehr

selten in den philosophischen Spätschnften.1061 Die Suche nach ihnen bedeutet, die Gegenprobe anzustellen zu der These, C icero habe nur die Gegner Caesars allenfalls politisch neutral eingestellte Personen - als Namensbeispiele eingefuhrt. Im Brutus sind unter den Rednern drei Namen zu finden, die eindeutig als Parteigänger C aesars gelten können: M. C aelius R ufus, M. C alidius und C. S cribonius C urio.1062 Aber abgesehen davon, daß der Konsular Kritik an ihnen übt

1059 Tuse I 89 1060 Brut 218f, 248, 251ff, 261; ohne Namensnennung in nat I 7, div 1119 Die Erwähnung Caesars in de divinatione anläßlich eines ungewöhnlichen Befundes bei der Opferschau "kurz vor seinem Sturz", vermutlich im Herbst 45, kann erst nach dem 15. März 44 in den Text eingefugt worden sein, vgl. auch den Kommentar zur Textausgabe, S 337 1061 Vgl Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S 49 1062 Brut - Caelius in 273, 297, Calidius in 274, 278, Curio in 218, 280, 283

-263

-

im Hinblick auf ihre rhetorischen Fähigkeiten, bildet ihre Parteinahme für C aesar vor allem während des Bürgerkrieges ein Zeichen für ihren politischen und militäri­ schen Ehrgeiz.1063 Erst später, in de natura deorum - und dann auch mit deutlich spürbarer Distanz bei der Formulierung -, fügt C icero in den Text als Beispiel dafür, wie die Götter persönlich ihre Macht zu erkennen geben, den Namen des P ublius V atinius ein, den "Großvater des hier lebenden jungen V atinius" - P. enim V atinius avus huius adulescentis.1064 Nun gibt es keinen Zweifel, daß P. V atinius, der .Enkel, seit seinem Volkstribunat im Jahre 59 ein "überzeugter Gehilfe C aesars und popularis" war - oder nach dem Wort G elzers: G lesars "Handlanger".1065 C icero stand zu V atinius in erbitterter Gegnerschaft, wie die V ettius-Affäre im

Herbst 59 deutlich zeigt.1066 ELrst die durch P ompeius vermittelte Aussöhnung im Jahre 55 entspannte das Verhältnis zwischen den beiden Kontrahenten. Höchst unangenehm für den Konsular war aber, daß er ein Jahr später "auf C aesars düngendes Bitten" hin V atinius in einem Prozeß gegen die Anklage des Wahlumtriebes mit Bestechung verteidigen mußte.1067 C icero kam dadurch bei der Senatspartei in den Verdacht, die politische Seite gewechselt zu haben. Während des Bürgerkrieges beteiligte sich V atinius aktiv an den Auseinandersetzungen; er wurde durch C aesar mit dem Konsulat für das Jahr 47 belohnt.1068 Als Prokonsul in Ulyrien wurde er zum Imperator ausgerufen; da er mit seinem Antrag auf ein Dankfest bei C aesar jedoch auf Widerstand stieß, wandte er sich brieflich an

1063 Vgl. zu M. Caelius Rufus Geizer Caesar, S. 137, 171f, 175, 193, 208fF., besonders S 209, Anm 175; zu M. Calidius vgl Geizer: Cicero, S. 59, 193, 198, 208, zu C Scribonius Curio vgl Geizer Caesar, S 71, 79, 81f, 165, 169ffi, 173, 175, 181, 191, 193fF, 202 1064 nat II 6, III 11, 13, vgl das Urteil Strasburgers " die Stelle wundert mich sehr", in: Ciceros philosophisches Spätwerk, S. 49 1065 Gundel, RE, VIII A 1, Sp. 498; Geizer Cicero, S. 64, 129, 195; Geizer: Caesar, S 62f, 66ff, 71, 77, 81f, 87, 109, 115, 133, 208, 223, 235, 243 1066 Geizer Cicero, S 129f 1067 Geizer: Cicero, S. 195f Gundel, RE, VIII A 1, Sp 511 w a

- 264 C icero mit der Bitte um Unterstützung;.1“ 9 Ob es tatsächlich zu der Ehrung kam

bleibt ungewiß.10691070107 Zu fragen ist, warum C icero einen erklärten und verdienten Gefolgsmann Caesars im Text seiner philosophischen Schrift über das Wesen der Götter

erwähnt. STRASBURGER läßt unentschieden, ob es sich dabei um einen unüberlegten Einfall im Rahmen der guten Beziehungen zwischen C icero und V atinius nach dem Jahre 55 handelt, oder um eine Geste des Dankes für die Hilfe während der Internierung des Konsulars in Brundisium in den Jahren 48 und 47, oder um politi­ sche Berechnung wie im Falle des H irtius und dessen Erwähnung in de fato.11,71 Der Schlüssel zum Verständnis der Textstelle aus de natura deorum liegt in C iceros Reaktion auf seinen erzwungenen Aufenthalt in Brundisium. Seme Briefe

an A tticus aus dieser Zeit zeigen seine Verzweiflung über die politische Situation und sein eigenes Handeln, das er als Versagen begreift10720731V atinius, von C aesar als Kommandant des bedeutenden Hafens eingesetzt, leistete dem Konsular wichtige Dienste.10/3 Der Brief von Ende Oktober 45 an den "Imperator" V atinius zeigt noch C iceros Dankbarkeit für die Hilfe.1074 In eben dieser Zeit entstand de natura deorum. Daher kann die Textstelle mit der Namensnennung, so unschein­ bar sie eigentlich ist, als ausdrückliches Zeichen der Dankbarkeit C iceros verstan­ den werden - wobei sie ihren Wert gewinnt durch die Tatsache der Abweichung von der Gewohnheit, weder Caesar noch einen seiner Anhänger m den philoso­ phischen Schriften zu erwähnen. Es mag darüber hinaus auch zutreffen, daß der Konsular sich geschmeichelt fühlte - wie G elzer meint -, wenn der Prokonsul V atinius ihn wegen des Triumphes um seine Hilfe bat und damit zu politischen

Aktivitäten anregte, weil er ihm Einfluß auf C aesars Entscheidungen zutraute.

1069 Gundel, RE, VIII A 1, Sp 5131' 1070 Gundel, RE, VIII A 1, Sp 5141' 1071 Strasburger Ciceros philosophisches Spätwerk, S. 49; zu Hirtius vgl S. 47f; vgl fat. 2ff 1072 ZB Att XI 8, 13, 15; 16,21,23,24 1073 Att XI 6,4; vgl Grimal Cicero, S 398f 1074 fam. V 10,1

-

265

-

7.6. Ergebnis der prosopographisehen Analyse

Die Aussage, daß C iceros Personenwahl in den philosophischen Spätschriften in bezug auf Widmungsempfänger, Dialogpartner und Namens beispiele im Text auch eine gegen die Alleinherrschaft C aesars gerichtete politische Bedeutung hat, wird durch die Befunde der Untersuchung in diesem Kapitel gestützt. Da ist zum einen festzustellen, daß - außer im Brutus - in keinem Werk aus der Zeit zwischen Anfang 46 und dem 15. März 44 C aesar selbst namentlich genannt wird. Das wirkt umso erstaunlicher, als. C aesar dem Konsular bereits früher - im Jahre 54 seine Schrift de analogia gewidmet hatte, C icero also eigendich nur eine literari­ sche Dankesschuld hätte abtragen müssen mit der Zueignung eines eigenen Werkes. Selbst gegenüber dem politischen Gegner wäre das unverfänglich gewesen. C icero tat das jedoch nicht; er sparte den Machthaber - darüber hinaus auch

sehr weitgehend dessen Gefolgsleute - in seinen Philosophica so konsequent aus, daß darin ein sicheres Indiz für den politischen Beweggrund des Konsulars zu erkennen ist. C icero wollte damit öffendich ein Zeichen setzen, daß es einen unüberbrückbaren Gegensatz gab zwischen seiner philosophisch-literarischen Tätigkeit und C aesars Politik während des römischen Bürgerkrieges, er wollte semen Widerstand unübersehbar beweisen. Zum andern hat die Analyse ergelben, daß in den Philosophica überwiegend Namen von Personen erscheinen, die politische Gegner C aesars waren. Sie werden gerühmt und als Vorbilder beispielhaft angeführt, um philosophische Grundsätze zu belegen und anschaulich zu machen. Zwar folgte C icero weitge­ hend seiner eigenen Maxime, nur Verstorbene anzuführen, um keinen Anstoß zu erregen; im Falle des B rutus und seiner Rolle als Widmungsempfänger und Dialogpartner wich er aber zum Beispiel so eklatant davon ab, daß auch darin ein politisches Zeichen zu erkennen ist. Die Untersuchung ergab als bestimmenden Grund dafür, daß B rutus eine derart auffällige Hervorhebung erfuhr, C iceros Absicht, sich sowohl des Schutzes zu versichern, den der Vertraute C aesars

zu

bieten vermochte, als auch dessen Einfluß auf den Machthaber zu nutzen. Es war

-

266

-

also ein politis,ches Motiv, das den Konsular bewog, B rutus in seinem philosophi­ schen Werk so häufig und in derart herausgehobener Funktion einzusetzen. Indessen wurde in der Analyse auch festgestellt, daß nicht alle ausgewählten Personen politische Gegner C aesars waren; es gibt auch Namensnennungen m it rein fachlich rhetorischer oder philosophischer Bedeutung. Die Personenwahl in den Philosophica folgt also nicht einem einheitlichen Verfahren. Der Grund liegt darin, daß C icero sein philosophisches Werk nicht ausschließ­ lich unter dem Gesichtspunkt konzipiert hat, es als ein literarisches Mittel einzuset­ zen, das bei seinen Lesern eine gegen die Alleinherrschaft Caesars gerichtete politi­ sche Wirkung erzielen sollte. Die Schriften der Jahre 46 bis 44 sind sowohl ihrem Inhalt nach als auch in ihrer meist dialogischen Form Abhandlungen zur Darstel­ lung der griechischen Philosophie in lateinischer Sprache. C icero nutzte aber auch die in ihnen liegenden Möglichkeiten, um sie in widerstreitende Beziehung zur Politik des Siegers im Bürgerkrieg zu setzen. Die zeitgenössischen Leser sollten durch geeignet erscheinende Personen als Widmungsempfänger, Dialogpartner und Namensbeispiele im Text aufgefordert werden, selbst Gedankenverbindungen zur politischen Situation der Gegenwart herzustellen, Vergleiche zu ziehen zwischen den angeführten Exempla und den Machthabern während des Bürgerkrieges, vor allem zu C aesar. Dazu war es nicht zweckmäßig - wegen des damit verbundenen persönlichen Risikos eher untunlich -, bei jeder Gelegenheit einer Personenwahl den Argwohn der Gefolgsleute oder des Machthabers selbst gegen seine bekannt oppositionelle Einstellung zu wecken. Darüber hinaus war das literarische Mittel der namentlichen Nennungen und Beispiele auch dadurch begrenzt, daß es in Übereinstimmung stehen mußte mit dem Zweck, philosophische Gedanken darzu­ stellen. Im Rahmen dieser Gegebenheiten erschemt C iceros Vorgehensweise bei seiner anticaesarischen Personenwahl in den philosophischen Schriften sinnvoll. Zum Schluß ist noch zu fragen, ob es alternative Erklärungen gibt für den perso­ nalen Bezug der Philosophica zu C aesar. Der Zufall kann ausgeschlossen werden, weil C iceros Absicht bei Personenwahl und Aufbau der Szenerien klar erkennbar ist. Eine Wahl allein unter dem Gesichtspunkt der philosophischen Kompetenz

- 267 -

aller Personen hätte zudem im Widerspruch zur politischen Bedeutung des Inhalts gestanden - etwa zum Tyrannen-Vorwurf. C aesar war die entscheidende Kraft in der Politik; ein Zeitbezug unter Aussparung seiner Person wäre darüber hinaus wenig glaubwürdig gewesen. Daher ist trotz einiger Abweichungen festzustellen, daß C icero bewußt die Personenwahl als literarisches Mittel in seinen Philosophica verwendet hat, um. in Verbindung mit den gegen C aesar gerichteten inhaltlichen Aussagen seinen Widerstand gegenüber den durch die Alleinherrschaft bestimmten politischen Verhältnissen auszudrücken.

8. Ciceros Vorstellungen vom idealen Staatslenker und von der Gemeinschaft aller Menschen als Gegenentwurf zu Caesars Alleinherrschaft In den voraufgegangenen Kapiteln wurden Textstellen aus dem philosophischen Spätwerk ClCKROS untersucht, die politische Aussagen gegen die Alleinherrschaft C aesars enthalten. Die zugrundeliegende Absicht des Konsulars war dabei, seinen

eigenen Standpunkt deudich zu machen gegenüber einem Machthaber, der mit seinem während des Bürgerkrieges gewaltsam durchgesetzten Herrschaftsanspruch die althergebrachte Ordnung der res publica und die Freiheitsrechte des römischen Bürgers mißachtete, Protest zu erheben und Zeichen des Widerstandes zu setzen. In semen Augen war C aesar ein Tyrann, den es zu beseitigen galt, um Schaden vom Gemeinwesen abzuwenden. Die Untersuchung hat bisher gezeigt, daß in C iceros Denkweise Philosophisches und Politisches in engem Zusammenhang

standen. Dabei haben, wie C allies formuliert, die philosophischen Schriften auch die "Funktion gehabt, Hilfe und Einsichten für den politischen Kampf zu vermitteln".1075 C iceros philosophisches Spätwerk ist mit seiner politischen Komponente aber

nicht auf die aktuelle Auseinandersetzung während des Bürgerkrieges, auf den Widerstand geg;en C aesars Alleinherrschaft begrenzt. Die Schriften zur Philoso­ phie enthalten darüber hmaus Vorstellungen, die sich zu einem Gegenbild des Tyrannen, dem idealen Staatslenker, und zur Gegenwelt einer nicht auf Gewalt,

1075 Callies Cicero, S 114

-

269

-

sondern auf Vernunft beruhenden Gemeinschaft aller Menschen zusammenfugen. C icero sah in der philosophisch ausgerichteten Erziehung der Führungsschicht,

vor allem der Jugend, zu dem Ziel der societas hominum das Heilmittel für die wesentlich als moralischen Verfall verstandene Krise des römischen Gemeinwesens. Seine Gedanken zur Grundordnung der res publica fuhren in diesem Punkt also weit über die aktuelle Auseinandersetzung mit C aesar hinaus, obwohl sie sich - wie zu zeigen sein wird - auch gegen dessen Herrschaftsanspruch richten. Zudem liegt der Ursprung dieser Gedanken vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges in seiner Schrift de re publica. C iceros Aussagen zum Ideal des Staatslenkers und zur societas hominum sind freilich nicht systematisch zusammengefaßt, sondern über die einzelnen staatstheoretischen und philosophischen Schriften verstreut. Sie müssen Stück für Stück zusammengefügt werden, um seine Auffasssung sichtbar zu machen.

8.1. Der ideale Staatslenker als Gegenbild zum Tyrannen

Im fünften Buch der Tusculanae disputationes tritt der Gegensatz von Macht und Geist in C iceros Darstellung besonders deutlich hervor - das ist im 6. Kapitel erörtert worden. Nachdem er dort das schreckliche Schicksal eines Tyrannen am Beispiel des D ionysius von Syrakus geschildert hat, zeichnet: er zum Vergleich das Gegenbild des A rchimedes, der in derselben Stadt wohnt.1076 Während die Seele des einen, so führt der Konsular aus, durch Erwägen und Erforschen von Prinzi­ pien und den Genuß des Nachdenkens genährt wurde, geschah dies beim anderen durch Mord, Untaten und Furcht bei Tag und Nacht.1077 In sprachlicher Form und sachlichem Gehalt unterschieden stehen die Alternativen einander klar gegenüber. Darüber hinaus wird anschließend mit dem Vergleich zwischen den Studien und Freuden der Philosophen D emokrit, P ythagoras und A naxagoras einerseits und dem Besitz von Königreichen und Reichtümern auf der anderen Seite der

1076 Zum Tyrannen vgl Tuse V 57-63, zu Archimedes 64ff 1077 Tuse V 66

-270

-

Gegensatz von Geist und Macht dargestellt, personifiziert am Weisen und am Herrscher.1078 Ein anderer Gedanke kommt noch hinzu: Da das Beste am Menschen ein gesun­ der und wacher Geist ist, das Gut des Geistes aber in der Tugend besteht, beruht das glückselige Leben im Genuß dieses Geistes und seiner Tugend.1079 C icero verbindet an dieser Stelle den nach Erkenntnis und Wahrheit suchenden Geist mit dem bereits mehrfach vorgebrachten Grundsatz der Stoa von der Autarkie der Tugend, der Lehrmeinung also, daß ihr Besitz ausreiche zu einem glückseligen Leben.1080 Diese Zusammenfügung wird dann zum Ausgangspunkt einer Reihe von Aussagen über den nach Erkennmissen in den drei Bereichen Physik, Ethik und Logik strebenden Philosophen.1081 Darauf folgt der unter politischem Gesichtspunkt entscheidende Satz: transeat idem iste sapiens ad rem publicam tuendam.1082 Der Weise wird zum Lenker des Staates. Nichts Besseres kann es nach Auffassung des Konsulars geben, als wenn der Philosoph erkennt, daß sich der Nutzen der Bürger aus der Klugheit ergibt, die Gerechtigkeit zum Wohl aller führt - und nicht zum Eigennutz des einzelnen, wenn überhaupt die Tugenden m der Realität zur Wirkung kommen. Sollte darüber hinaus noch der Lohn der Freundschaft sich einstellen, dann kann der Weise die Glückseligkeit der Tugend genießen.1083 Die auf diese Weise von C icero unter Rückgriff auf Elemente der platonischen, aristotelischen und stoischen Philosophie entwickelte Vorstellung vom idealen Staatslenker steht m krassem Gegensatz zum. Bild des Tyrannen. Bedeutung kommt der Textstelle aus den Tusculanen über die Charakterisierung des Staats­ mannes hinaus, der durch Klugheit, Gerechtigkeit und alle übrigen Tugenden bestimmt wird, dadurch zu, daß die gedankliche Verbindung mit ganz ähnlichen Aussagen über den Lenker des Gemeinwesens - rector rei publicae - tm fünften

1078 Tuse 1079 Tuse 1080 Tuse ,08' Tuse '°82 Tuse 1083 Tuse

V 66 V 67 V 67, vgl V 38f V 68-72 V 72 V 72

-

271

-

Buch von de re publica besteht.1084 Über ihn heißt es dort: summum virum et doctissimum esse debere, ita ut sapiens sit et iustus et temperans et eloquens, ut possit facile currente eloquentia animi secreta ad regendam plebem exprimere, scire etiam debet ius...1085 C icero unterläßt auch den Hinweis nicht, daß dieser ideale Staatslenker die Schriften der Griechen kennen muß, deren Nutzen sogar der alte Cato anerkannt habe.1086

In der gedanklichen Verbindung; zwischen den beiden Schriften (Tusculane disputationes und de re publica) wird die Kontinuität der politischen Grundgedan­ ken C iceros erkennbar. Zwar kann die Formulierung in den Tusculanen als eine Reaktion auf die politischen Verhältnisse des Jahres 45 gelten; die Vorstellung vom philosophisch gebildeten Lenker des Gemeinwesens als Ideal des Staatsmannes hat aber ihre Wurzeln in den bereits Ende der 50er Jahre geäußerten Auffassungen über die Führung des Staates. Es geht dabei also nicht nur um die Findung eines Heilmittels in der aktuellen Krise während des Bürgerkrieges und unter der Allein­ herrschaft C aesars; der Gedanke vom idealen Staatsmann ist ganz allgemein in C iceros Auffassung die Grundlage für eine auf Gerechtigkeit und gemeinsamen

Nutzen der Bürger beruhende res publica. Andererseits zog der Konsular dieses Musterbild in einer wichtigen politischen Frage auch für sich selbst heran, als er angesichts des drohenden Bürgerkrieges vor dem Problem stand, ob er sich P ompeius zuwenden sollte oder Caesar. In einem Brief an A tticus vom 27. Februar 49 berichtet er von seinem gedanklichen Bemühen um das Ideal, wie er es in seiner Schrift über den Staat dargestellt habe. Im 5. Buch sei die Feststellung S cipios enthalten: ut emm gubernatori cursus secundus, medico salus, imperatori victoria, sic huic moderatori rei publicae beata civium vita proposita est, ut opibus firma, copiis locuples, gloria ampla, virtute honesta sit; huius enim operis maximi inter homines atque optimi illum esse perfectorem volo.1087

1084 rep. V 2 1085 rep V 2 1086 rep V 2 1087 Att VIII 11,2

-

272

-

An diesem Malistab mißt er P ompeius und Caesar und stellt fest, daß beide nach der Alleinherrschaft streben, nicht aber das Wohl der Bürger im Auge haben.1088 Ganz konkret leit Vgl j usc v 62, wo der Tyrann Dionysius als Unglücklicher dargestellt wird, der durch eigene Schuld in eine Lage geraten ist, die keine Möglichkeit der Rückkehr bietet.

-

295

-

Bestimmungen politischer Funktionsweisen dargelegt hatte, wandte er sich in den philosophischen Schriften der Jahre 46 bis 44 unter der Wirkung des Zeitgesche­ hens dem Problem zu, Abhilfen für die Störungen des realen Zustands zu finden, durch die er den Staat auf das Höchste gefährdet sah, "momentane Nachhilfe", wie H egel kritisch meint, um "die römische Republik zu erhalten".1162 Das geschah

freilich nicht systemarisch, sondern von Fall zu Fall im Zusammenhang mit den Hauptaussagen seiner philosophischen Schriften. Noch ein anderer Funkt ist bemerkenswert: Cicero befaßt sich in seinem Werk eher mit Fragen einer vollkommenen Gedankenkonstruktion, mit einer politischen Utopie, nicht mit praktischen Reformvorschlägen wie Sallust in seinen beiden Denkschnften an Caesar Ende der 50er Jahre und im Jahre 46.1163 Der Konsular sah aber auch die real e Not des Bürgerkrieges: die ungeheure Zahl der Toten, die Konfiskationen, die 1 urcht derer, die vergeblich ihr Recht suchten oder von der Gnade des Siegers erbitten mußten. Die Klagen darüber ziehen sich wie ein roter Faden durch die späten Schriften zur Philosophie. Er sah auch den Übermut und die Raffgier der Gefolgsleute des Mächtigen, die Hilflosigkeit und Unterwürfigkeit seiner Standesgenossen dem Sieger des Bürgerkrieges gegenüber, sah, wie der Senat ihm in maßloser Übertreibung Ämter und Titel andiente, die seine durch militäri­ sche Gewalt erworbene Machtstellung formal auch noch rechtfertigten, obwohl diese Formen selbst schon nicht mehr der Ordnung entsprachen; er sah auch die unerhörten Ehrungen für Taten emes Mannes, der nicht nur auswärtige Feinde, sondern zunehmend römische Bürger zu Opfern gemacht hatte. C icero erlebte, wie bei Caesar "der subjektive Trieb der Herrschaft zur Leidenschaft" wurde - um noch einmal H egel zu zitieren.1164 Dagegen stellte er seine eigene Auffassung in den Philosophica dieser Zeit. C icero hat C aesar gehaßt der tyrannischen Herrschaft wegen; er hat getan, was

in semen Kräften stand, um selbst Widerstand zu leisten und andere "Gutgesinnte"

1162 Hegel Vorlesungen, Si 379 1163 Gaius Sallustius Crispus Epistulae ad Caesarem senem de re publica, hrsg. von Karl Büchner, Stuttgart 1971, vgl. Geizer Caesar, S 167f, 256f "MHegel. Vorlesungen, 5. 378

-

296

-

zur Tat gegen den Tyrannen aufzurufen.1165 Die philosophischen Schriften - hier wieder besonders die Paradoxa Stoicorum und die Tusculanae disputationes zeigen, daß er in den Denkkategorien der stoischen Philosophie die Leidenschaft geißelte als Krankheit des Geistes, für die Heilung gesucht werden müsse. Wenn das alles auch auf philosophische Weise geschah, wird doch durch seine Taten etwa in seinem Eintreten für die Verbannten - deutlich, daß C icero in der Ausein­ andersetzung mit dem Alleinherrscher und mit dessen Gefolgsleuten das praktizier­ te, was mit einem modernen Ausdruck "Realpolitik" genannt wird. Darin lagen Möglichkeiten und Grenzen seines Handelns als Politiker Caesar gegenüber in den Jahren zwischen 46 und 44.

Die politische Bedeutung der philosophischen Spätschriften zeigt sich schließlich unter dem dritten Gesichtspunkt in dem Versuch, die Philosophie einzusetzen, um Verbündete y» gewinnen, herausragende Männer dadurch auf die eigene Seite zu ziehen, daß die Gemeinsamkeit der philosophischen Bildung hervorgehoben wird. Augenfälliges Beispiel für dieses Bemühen ist B rutus, als Widmungsempfänger mehrfach gewählt und wiederholt zum Dialogpartner bestimmt - eine Auszeich­ nung von besonderem Wert.1166 Der Befund aus der Analyse der Schriften zeigt vor allem die Schutzfunktion auf, die ihm Cicero damit angetragen hat gegenüber Caesar, bei dem B rutus in Gunst stand, von dem er gleichfalls umworben und

durch hervorgehobene Stellungen ausgezeichnet wurde. Das Beispiel des B rutus läßt erkennen, wie bewußt C icero seine philosophi­ schen Schriften auch, als geistiges Mittel zum politischen Zweck einsetzt. Das ist außer durch den Brutus mit dem fünften Buch der Tusculanae disputationes zu belegen.1167 Dann wird B rutus sowohl als hervorragender Kenner der griechischen Philosophie angesprochen als auch unter politischem Gesichtspunkt zusammen mit Cato erwähnt. Auffällig ist etwa, wie C icero in einem Gedankengang die

1165 Vgl. Geizer: Cicero, S 325f 1166Zur Bedeutung, die Brutus innerhalb der Opposition gegen den Tyrannen Caesar hatte, vgl. Christ. Krise, S. 390f. 1167 Tuse V 4f

-297-

philosophische Geme nsamkeit im Mmblick auf die Lehrmeinung zur Autarkie der Tugend darstellt: et, s- omne beatum est cui nihil deest..., idque virtutis est propri­ um, certe omnes virt itis compotes beati sunt, et hoc quidem mihi cum B ruto convenit, id est cum Aristotele, Xenocrate, S peusippo, P olemone, sed mihi videntur etiam beatis imi.1168 Schließlich enthält der Schlußgedanke des fünften Buches Ciceros Beka intnis, daß es EIrutus war, der ihm. in seiner seelischen Not auf dringlichste Art zur Arbeit an philosophischen Schriften geraten hat.1169 Obwohl es sich der Consular - wiederholt eingefügte Äußerungen beteuernden Charakters weisen dar: uf hin - zum Grundsatz gemacht hatte, in sein Werk nur die Namen Verstorbener tufzunehmen, weicht er im Falle des B rutus in eklatanter Weise davon ab. Da: iir gab es offenbar schwerwiegende Gründe. Das waren zunächst - wie der Be und aufzeigt - neben der bereits erwähnten Schutzfünktion die Abkunft aus ein« berühmten Familie mit dem Ruf einer anti-tyrannischen Tradition und die Ven ’-andtschaft zu Cato Uticensis. Zudem mag bei. B rutus im Verständnis Ciceros a ich frühzeitig eine politische Auffassung erkennbar gewor­ den sein, die dann anli ßlich der Ernennung Caesars zum Dictator auf Lebenszeit den Entschluß zur get 'altsamen Befreiungstat auslöste. Einen weiteren wichtigen Faktor bildet zudem d r Umstand, daß B rutus ein überzeugter Stoiker war; damit gewann Cicero über d ; Philosophie mehrere Anknüpfungspunkte. Zunächst ging es - das wurde an den rhetorisch geprägten Schriften Brutus, Paradoxa Stoicorum, ( Irator aufgezeigt - um die geistige Gemeinschaft zwischen dem um zwei Jahrzehr :e älteren Meister der Beredsamkeit und seinem lernbegieri­ gen Schüler. Besonder in den Paradoxa verbanden sich dabei die wesentlichen Faktoren: stoische Ph losophie, Redekunst und Verwandtschaft mit Cato. So verwunderlich es imme • wieder scheint, daß der skeptische Akademiker C icero in seinen Schriften das de ^mansche Gedankengut der Stoa zustimmend erörtert, hier findet sich eine der E rklärungen für sein Wohlwollen gegenüber der stoischen Philosophie, das so k aß im Gegensatz steht zu seiner Ablehnung E pikurs -

Tuse V 39, vgl 30 1,69 Tuse V 121

298 obwohl zum Beispiel sein vertrauter Freund Atticus Epikureer war. Für C icero lag die entscheidende Bedeutung darin, daß über die Beschäftigung mit der Philo­ sophie geistige Verwandtschaft begründet und erhalten werden konnte. Aus diesem Grunde hat er sich auch - deutlich erkennbar in de finibus bonorum et malorum darum bemüht, die Differenzen in den Lehrmeinungen der verschiedenen Schulen herunterzuspielen. Gemeinsamkeiten zwischen C icero und B rutus konnten sich über die philosophisch gestitzte Rhetorik hinaus auch in zwei politischen Haupt­ fragen ergeben: Ablehnung der Tyrannis und Entwicklung einer kosmopolitischen Gemeinschaft im Sinne der Stoa. B rutus wird damit über die aktuelle politische Bedeutung hinaus in den Augen

des Konsulars zu einem philosophisch gebildeten jüngeren Politiker, der die Vorstellung einer auf Vernunft gegründeten allgemeinen Ordnung in die Wirklich­ keit umsetzen könnte. Wieweit sich darin eher Wunsch und Hoffnung ausdrückten als Einsicht in die realen Möglichkeiten, mag dahingestellt bleiben. Wenn C icero aber am Ende des Brutus überschwenglich die rhetorischen Talente seines Gesprächspartners rühmt und ihm in leidenschaftlichen Worten wünscht, daß er sie eines nicht allzu femen T ages in einem wieder geordneten römischen Gemein­ wesen auch ausüben könne, dann läßt sich das Gesagte auch auf die politischen Fähigkeiten erweitern. Der Gedanke liegt auch deswegen nahe, weil der Konsular kurz zuvor beklagt, daß er selbst wegen seines fortgeschrittenen Alters den angemessenen Ruhm für seine politischen Taten nicht mehr erfahren werde, da der Staat durch die Schuld eines machtsüchtigen Alleinherrschers gegenwärig in tiefer Not sei. Der in den Untersuchungen erhobene Befund gibt das Recht, davon zu sprechen, daß die philosophischen Schriften auch eine schwerwiegende politische Bedeutung haben. B rutus galt in den Augen C iceros als ein geistiger und politi­ scher Verbündeter, der seine Hoffnung tragen konnte auf eine dauerhafte Wieder­ herstellung der res publica - mag das unter den Bedingungen des Bürgerkrieges, der Alleinherrschaft Caesars und den sich daraus ergebenden Folgen für die Verhält­ nisse im Gemeinwesen auch wenig realistisch gewesen sein. Damit hätte der

-

299

-

Konsular seine Erwartungen in der Politik nicht nur auf die Jugend gerichtet - wie im fünften Buch von de finibus und in de officiis. Im Jahre 45 erreichte B rutus ein Lebensalter, das ihm nach der Ordnung der römischen Republik den Zugang zum höchsten Amt freigab. C icero mochte: das wohl bedacht haben.

Wenn von C iceros Widerstand in der vorausgegangenen Untersuchung die Rede war, dann war damit gemeint, daß er sich als Verteidiger der res publica und ihrer Ordnung sah, die dure h den Machtanspruch des Siegers im Bürgerkrieg gefährdet wurde. Der Begriff Verteidigung kann auch dann gelten, wenn politische Aussagen in den philosophischen Schriften als Angriffe gegen Caesar erscheinen; von der Gesamtsituation her betrachtet befand sich der Konsular in der Abwehr. Zwar bediente sich Caesar, etwa als Konsul oder als Dictator, der Formen, die das römische Gemeinwese t von altersher zur Ausübung der Macht entwickelt hatte; er tat das jedoch in einei Weise, die durchaus nicht mehr dem Sinn dieser Formen entsprach.1170 Cicero sah die Gefahr für die res publica vor allem in zwei Ansprü­ chen Caesars, die sich in der politischen Praxis untrennbar miteinander verbanden: In seinen Augen wollte Caesar die Herrschaft für sich allein und auf Dauer.1171 Das bedeutete für den Konsular einen zerstöreirischen Verstoß gegen die beiden fundamentalen Regeln der res publica zur Begrenzung der Machtausübung. Seine politische Absicht war darauf gerichtet, die nun praktisch etablierte Alleinherrschaft des Siegers im Bürgerkrieg, die er im Sinne der griechischen Philosophie als Tyran­ nis empfand, wenigstens zu schwächen, indem er in seinen Schriften auf die fehlende moralische Legitimation hinwies und schließlich unverhohlen ihre Beseiti­ gung propagierte. Unde utlich blieb dabei, ob C icero damit tatsächlich zur Ermor­ dung Caesars aufrief, nirgends steht ausdrücklich in den philosophischen Schriften: Tötet den Tyrannen! Aber wie anders hätte er sich dann die Beseitigung

1170 Vgl Geizer Caesar, S 286ff, Christ Krise, S 380fF., Meier Caesar, S 544fF, 561ff 1171 Vgl. Geizer Cicero, S 325f, Meier Caesar, S 568ff, Strasburger: Caesar im Urteil seiner Zeitgenossen, S 53, Anm. 149

-

300

-

der Alleinherrschaft und die Wiederherstellung der althergebrachten res publica überhaupt vorstellen können? Der Zusammenhang mit einzelnen aktuellen politischen Ereignissen - auf den in den Untersuchungen immer wieder verwiesen wurde - und die Thematik der verschiedenen philosophischen Schriften geben Hinweise darauf, daß es sich bei C iceros Angriffen gegen die Alleinherrschaft C aesars um einen Entwicklungspro­

zeß handelt, bei dem von Fall zu Fall die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu Invektiven genutzt wurden. Es fällt schwer, an einen frühzeitig gefaßten, dann langfristig über mehrere Jahre hinweg konsequent ausgefuhrten Angriffsplan zu glauben. Cicero konnte zu Beginn seiner philosophischen SchriftsteHerei im Jahre 46 nicht wissen, wie lange sich Caesars Herrschaft überhaupt halten würde. Zudem lassen die Insinuationen gegen den Machthaber zwar bestimmte, immer wieder verwendete Methoden erkennen, aber keinen systematisch geordneten Verlauf vom Bmtus bis zu de natura deorum - und weiter bis zu de officiis. Erst im nachhinein wird sichtbar, daß C iceros Angriffe gegen C aesar in dem entscheiden­ den Vorwurf der Tyrannis gipfelten.

Nichts wäre nach dem bisher Gesagten freilich verfehlter als der Gedanke, C icero habe sich nach seiner Begnadigung durch C aesar im Herbst des Jahres 47

aUein aus dem Grunde mit der Philosophie beschäftigt, um sein Verhalten im römischen Bürgerkrieg vor sich selbst und seinen Standesgenossen zu rechtferti­ gen, Angriffe gegen die AEeinherrschaft des Siegers zu fuhren oder B rutus auf seine Seite zu ziehen - also nur aus politischen Gründen. Das Politische hatte C icero - wie die Untersuchung erwiesen hat - auch im Sinn, aber es war nicht die

Hauptsache seiner phEosophischen Schriftsteilerei. Wesentlich ging es ihm um die Darstellung der griechischen Philosophie mit ihren traditioneUen Bereichen der Logik, der Ethik und der Physik in lateinischer Sprache. Politische Ziele verfolgte er im Zusammenhang mit seiner literarischen Tätigkeit - so wie es sich von daher in der Reaktion auf aktuelle Ereignisse während der Entstehungszeit seiner Schrif­ ten ergab.

-301

-

Im Grunde handelte Cicero im Zeitraum von 47 bis 44 nach eben dem Muster, das er bereits während der ersten schweren Gefährdung seiner Existenz und politi sehen Stellung in den Jahren nach 58 entwickelt hatte.1172 Die eigene Lebenskrise durch die Verbannung hatte er nach seiner Rückkehr :in mehreren Reden zur allge­ meinen Krise erklärt - ungeachtet der Tatsache, daß es die Staatskrise wirklich gab und auch das Bewußtsein davon.1173 Als Reaktion auf die bittere Erfahrung seiner politischen Ohnmacht gegenüber den Mächtigen hatte er damals die staatstheoreti­ schen und rhetorischen Schriften verfaßt. Damals auch war die Vorstellung vom idealen Staatslenker und von der societas hominum entstanden. Die Parallele dieser ersten Krise durch die Verbannung zur zweiten während der Alleinherrschaft Caesars fällt ins Auge; wieder mußte sich der Konsular politisch einer überlegenen

Macht fugen, wieder re agierte er mit literarischer Tätigkeit, wieder nahm er Ideale auf als Maßstab seines Urteils und Richtschnur seines Handelns. Anders ist freilich in den Jahren 46 bis *4 der in den Schriften praktizierte Widerstand gegen den Tyrannen. In der Parallelität der Krisen und der Reaktionen auf die politischen Verhältnisse zeigt sich bei C icero eine Kontinuität des Denkens und Handelns, die auf eine tiefreichende und dauerhafte Grundüberzeugung schließen läßt. Bei allen Widrig­ keiten der persönlicher Existenz und seiner Stellung als Politiker behielt er trotz

1172 In einem Brief an P. Lentulus hatte er Anfang 55 zur Rechtfertigung seines Anschlusses an Pompeius geschrieben: Me quidem etiam illa res consolatur, quod ego is sum, cui vel maxime concedant omnes, ut vel ea defendam, quae Pompeius velit, vel taceam vel etiam, id quod mihi maxime litet, ad nostra me studia referam litterarum, quod profecto faciam, si mihi per eiusdem ami ritiam licebit, quae enim proposita fuerat nobis, cum et honoribus amplissimis et laboribus maximis perfrtpcti essemus, dignitas in sententiis dicendis, libertas in re publica capessendi, ea sublata totast, nec mihi magis quam omnibus; nam aut adsentiendum est nulla cum gravitate paucis aut frustra dissentiendum, fam. 1 9,3 Das, was er hier in bezug auf Pompeius äußerte, läßt sich auch als Richtschnur seines Handelns unter Caesar erkennen. 1173 Vgl Geizer Caesar, S. 252ff; dazu Cicero in rep I 70, vgl. Geizer. Caesar, S 254, Anm 7, Geizer " anerkennen, daß das Versagen der alten Staatsorgane keinen anderen Ausweg mehr zuließ'', Geizer: Caesar, S. 255. Zu den Reformgesetzen Caesars und ihren Ergebnissen vgl Geizer Caesar, S. 266ff. und 305ff, Geizer Cicero, S. 408ff; in Verbindung mit S 266f, Bleicken’ Verfassung, S 130, 255f., Bleicken. Geschichte der römischen Republik, S ?.02ff. und 216ff nn Verbindung mit S. 161f; Meier’ Caesar, S 425

302

-

häufigen Zauderns und Schwankens und ungeachtet seines Mangels an Tatkraft die Generallinie bei: Elintreten für die res publica in ihrer hergebrachten Form, Wahrung der Ordnung bei Institutionen und Entscheidungsverfahren, Respekt vor Göttern und Menschen, vor dem Gesetz. Cicero war ein Bewahrer; nichts konnte ihm so zuwider sein wie das zerstörerische Handeln der "Potentiores" bei der Verfolgung iErer im wesentlichen auf die eigenen Interessen ausgerichteten Ziele. Dem galt sein Widerstand im Rahmen dessen, was ihm als Politiker, Redner und Philosoph möglich war. Der bei den Untersuchungen der philosophischen Schäften aus den Jahren 46 bis 44 erhobene Befund stimmt im wesentlichen! mit dem Bild des Politikers C icero überen, das Gelzer in seiner Biographie für die Zeit unter der Dictatur Caesars von ihm gezeichnet hat.1174 Die bisher aus den Briefen und Reden gewon­

nenen Erkenntnisse über C icero werden durch denj Befund aus den Philosophica bestätigt, abei auch durch die Qualität des Quellerjmatenals, das die philosophi­ schen Spätschriften bilden, in entscheidendem Majße erweitert - dann liegt der wissenschaftliche Gewinn der vorliegenden Untersuchung vor allem begründet. Dadurch wird nicht nur bereits Bekanntem etwas hjnzugefügt, sondern durch die Verbindung einer qualitativ neuen Erkenntnis mit vorhandenem historischen Wissen ein wissenschaftliches Forschungsergebnis in (besonderer Weise gesichert. Es ging für Cicero in der Zeit nach der Begnadigjang bis zu den Iden des März 44 um die Veiteidigung des eigenen politischen Standpunktes im Bürgerkrieg, um Widerstand gegen Caesars Alleinherrschaft, überhaupt um Wahrung und Wieder­ herstellung dei alten res publica m seinem Verständnjs - das war in der Geschichts­ schreibung und bei Biographen bereits bekannt. Wenn die philosophischen Schnften als Quellenmaterial unter politischem Gesichtspunkt wesentlich mehr bieten als Bestätigung, so hat das semen besonderen! Wert durch die Eigenart und Bedeutung der Quellen. "Wollen wir wissen, was undjwie C icero ehrlich dachte, so smd seine Philosophica die reinste Quelle, weil das di^ Literaturgattung ist, in der er

'Vgl Geizer Cicero, S 264-324

-

303

-

aus Prinzip nicht lügt", schreibt H ermann Strasburger.1175 Dem Urteil des Histo­ rikers kann trotz der sc harfen Formulierung zugestimmt werden, soweit es aus dem Vergleich mit den Reden und Briefen begründet wird, die im allgemeinen weit mehr als die philosophischen Schriften auf einen bestimmten Zweck hin abgefaßt sind. Das gilt zwar im Grunde auch für die Philosophica - sie sollen nicht nur über das Denken der Griechen informieren, sondern den Leser auch bewegen, sich zu ihm zu bekennen und sowohl im privaten als auch irn politischen Bereich danach zu handeln. Indessen wird doch Ciceros Bemühen erkennbar, die verschiedenen Lehrmeinungen der Akademie, des Peripatos und der Stoa gewissenhaft darzustel­ len, auch wenn er keiren Zweifel läßt etwa im Hinblick auf seine eigene philoso­ phische Überzeugung oder die Ablehnung E pikurs. Die Redlichkeit in der Darstellung des Philosophischen übt ihren Einfluß auch dann aus, wenn es dann um Aussagen mit polinscher Bedeutung geht. Es gibt nach den Untersuchungen keinen vernünftigen Grund, sie als polemische Streitschriften im politischen Machtkampf während des Bürgerkrieges zu betrachten, als aus Rücksicht auf Verbündete und Gegr er bewußt gestaltete Äußerungen eigener Absichten und Ziele oder auch als Ausdruck unkontrollierter Leidenschaft. Weil das so ist, sind die philosophischen Schnf :en samt ihren politischen Aussagen eine verläßliche Quelle und ein unschätzbares Zeugnis auch für C iceros politisches Denken in der Ausein­ andersetzung mit

C a ESji R.

In der Sache läßt dei Befund die beiden Kernpunkte erkennen: C icero war sich der Krise des römischen Gemeinwesens bewußt, und er suchte nach einem wirksa­ men Heilmittel dagegen.1176 Als deutlichsten Ausdruck der Staatskrise sah er die Herrschaft der Mächtigen an, bei Caesar zur Tyrannis entartet. Deren Ursache erkannte er in der Schwäche des Senats, der es in seiner Uneinigkeit, aus Eigennutz und Gleichgültigkeit zuließ, daß fundamentale innen- und außenpolitische

1175 Vgl Strasburger Ciceris philosophisches Spätwerk, S 20; auch Strasburger Caesar im Urteil seiner Zeitgen:>ssen, S 58f 1176 Vgl. Bleicken. Geschichte der römischen Republik, S. 63ff., Christ: Krise, S 111, 117ff, 164ff., 231ff, 3('0ffi, 356ff.; Heufl: Das Zeitalter der römischen Revolution, in Propyläen-Weltgeschid te, Bd IV, S. 177-316, besonders S. 198ff., 227ff., 286ff.

-

304

-

Probleme ungelöst blieben und einzelne mächtigte Männer aus der Not der Menschen und des Staates ihren Anspruch begiünjdeten, selbst uneingeschränkt herrschen zu wollen. Da Cicero den elenden Zustand der res publica als morali­ sche Krise begriff, suchte er ein doppeltes Heilmjittel: unter Berufung auf die griechische Philosophie, besonders P latons, den Sturz des Tyrannen Caesar, außerdem - gleichfalls unter Einfluß philosophische^ Erkenntnisse - die Idealisie­ rung des Weisen als Gegenbild zum Tyrannen, die sjocietas hominum als eine auf Vernunft beruhende allgemeine Ordnung. Beides zielte darauf, den Bestand der römischen Republik seinen Vorstellungen entsprechend zu wahren. Es ist in der Geschichtsschreibung wiederholt dargestellt worden, daß C icero die Krise der res publica in ihrem Ausmaß und in ihren Ursachen unzureichend erkannt hat, und worin die Gründe dafür lagen.1177 Aiich das wird durch die vodiegenden Untersuchungen bestätigt.

C icero hatte mit seinen Gedanken und Anstrengungen zur Wiederherstellung

der römischen Republik in ihrer traditionellen Form [kernen Erfolg. Auch was er gewollt hat mit seiner Vorstellung von einem auf Vernunft statt Gewalt gegründe­ ten Gemeinwesen konnte er unter den gegebenen und sich entwickelnden politi­ schen Bedingungen seiner Zeit nicht erreichen, weil fadere Kräfte stärker waren. Vor allem der römische Bürgerkrieg hatte Auswirkungen auf das gesamte Staatswe­ sen, denen er semem Wesen nach nicht gewachsen [war. Die Geschichte Roms folgte dem durch Caesar vorbereiteten Weg. Vom jErgebnis her betrachtet ist C icero also mit seinem Lebenswerk gescheitert.

Wer indessen mit Sorgfalt und unvoremgenommen seine philosophischen Spätschriften unter dem Blickwinkel ihrer politischen Bedeutung liest, kann zu der wohlbegründeten Überzeugung kommen, daß C icero seine Rolle so übel nicht gespielt hat, als die res publica unterging. Obwohl seinen Mühen kein Erfolg

7 Vgl. Geizer Cicero, S 101, 266f, 408ff, Callies Cicero, S 117 f, Fuhrmann' Cicero, 306f., Bleicken. Geschichte der römischen Republik, S. 202fr.; Heuß: Römische Geschichte, S 189; Habicht. Cicero der Politiker, S. 109, Gfiebel: Cicero, S. 47fF.

-

305

-

beschieden war, kann auch hier gelten, was er als grundlegende Erkenntnis über die Autarkie der Tugend aus der stoischen Ethik gewonnen hat: Beim Urteil über das Handeln eines Menschen kommt es nicht so sehr auf das vom Zufall des Gesche­ hens bestimmte Ergebnis an, sondern auf das rechte Wollen.

Literaturverzeichnis A. Textaus gaben der Schrillten Ciceros -De re publica. Vom Gemeinwesen, lat./dtsch., übersetzt und hrsg. von Karl Büchner, Stuttgart 1991 -Staatstheoretische Schriften, lat./dtsch., von Konrat!Ziegler, Berlin 19843 -M. Tulli Ciceronis Scripta quae mansemnt omnia, fase. 3, De oratore, ed. Kazimierz F. Kumaniecki, Leipzig 1969 -De legibus, hrsg. von Konrat Ziegler, überarbeitet und durch Nachträge ergänzt von Woldemar Görber, Freiburg/Würzburg 19733 -Orator, lat./dtsch., ed. Bernhard Kytzler, München und Zürich 19883 -Brutus, lat./dtsch., ed. Bernhard Kytzler, Darmstadt 19904 -Paradoxa Stoicorum, in: M. Tullii Ciceronis Opera Quae Supersunt Omnia, ed. J.G. Bauter, C.L. Kayser, vol. VIII. Opera Philosophica et Politica, vol. III, Leipzig 1865, p. 115-130 -Uber die Ziele des menschlichen Handelns. De fmibilis bonorum et malorum, lat./dtsch., hrsg., übersetzt und kommentiert von Olof Gigon und Laila Straume-Zimmermann, München und Zürich 1988 \ -Hortensius. Lucullus. Academici libri, lat/dtsch., hrsk, übersetzt und kommentiert von Laila Straume-Zimmermann, Ferdinand Broemser und Olof Gigon, München und Zunch 1990 -Gespräche in Tusculum, lat./dtsch., hrsg. von Olof Gigon, München und Zürich 19845 -Vom Wesen der Götter, lat./dtsch., hrsg., übersetzt und erläutert von Wolfgang Gerlach und Karl Bayer, München und Zürich 19903 -Über die Wahrsagung. De divinatione, lat./dtsch., hrslg., übersetzt und erläutert von Christoph Schäublin, Darmstadt 1991 ! -De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln, lat./dtsch.^, übersetzt, kommentiert und hrsg. von Heinz Gunermann, Stuttgart 1992 -Vom rechten Handeln, lat./dtsch., hrsg. und übersetzt von Karl Büchner, München und Zürich 19873 -Die politischen Reden, lat./dtsch., hrsg., übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann, Bd. I-III, Darmstadt 1993 -M. Tulli Ciceronis Orationes, recognovit brevique adnotationes critica instruxit by Albertus Curtis Clark, Bd. II, Oxford 1976 -Atticus-Briefe, lat/dtsch., hrsg. und übersetzt von Hejimut Kasten, Darmstadt 19904 -An seine Freunde, lat./dtsch., hrsg. und übersetzt von! Helmut Kasten, München und Zürich 19894 -Epistulae ad Quintum fratrem. Briefe an den Bruder Quintus, lat./dtsch., übersetzt und hrsg. von Ursula Blank-Sangmeister, Stuttgart 1993 -Briefwechsel mit M. Brutus, lat/dtsch., übersetzt und [hrsg. von Manon Giebel, Stuttgart 1982

-

307

-

-Cato der Ältere. Über das Alter/Laelius. Über die Freundschaft, lat./dtsch., hrsg. von Max Faltnei, München und Zürich 1988 -Topik, lat./dtsch., hrsg. von Hans Günter Zekl, Hamburg 1983 -Marci Tulli Ciceronis De Fato/Marcus Tullius Cicero Über das Fatum, lat./dtsch., hrsg. von .Carl Bayer, München 19803 B. Andere Schriften -Albrecht, v[on], M[icf ael]: M. Tullius Cicero. Sprache und Stil, RE, Suppi. XIII (1973), Sp. 1237-1347 Ergänzung zu VII A, Sp. 827-1274 Bleicken, Jochen: Die Verfassung der römischen Republik, Paderborn 19895 -Bleichen, Jochen: Geschichte der römischen Republik, München 19924 -Bringmann, Klaus: Untersuchungen zum späten Cicero, Göttingen 1971 -Büchner, Karl: Römische Literaturgeschichte, Stuttgart 19622 -Büchner, Karl: Der Tyrann und sein Gegenbild in Ciceros 'Staat', in: ders.: Studien zur römischer Geschichte, Bd. II. Cicero, Wiesbaden 1962, S. 116-147 -Büchner, Karl: Cicero Bestand und Wandel seiner geistigen Welt, Heidelberg 1964 -Büchner, Karl (Hrsg.) Das neue Ciceirobild, Darmstadt 1971 -Garns Julius Caesar: E er Bürgerkrieg. Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Marieluise Deissmann-Merten, Stuttgart 1991 -Callies, Horst: Cicero ind die Krise seiner Zeit - Auffassungsmöglichkeit, Analyse, Verstehen, in Lutz Hieber, Rudolf Wolfgang Müller (Hrsg.): Gegenwart der Antike. Frankfurt/New York 1982, S. 105-119 -Christ, Karl: Krise und Untergang der Römischen Republik, Darmstadt 19842 •Dahlmann, Hellfr[ied] M. Terentius Varro, Nr. 84, RE, Suppi. VI (1935), Sp. 1172-1277 -Dieterich, [Albrecht]: Dionysius II., Nr. 1, RE, V (1905), Sp. 882-904 -Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, übersetzt von Otto Apelt, unter Mitarbeit von Flans Günter Zekl hrsg. von Klaus Reich, Hamburg 1990 -Drumann, W[ilhelm]: Geschichte Roms in seinem Übergange von der republikanischen zur monarchischen Verfassung oder Pompeius, Caesar, Cicero und ihre Zeitgenossen nach Geschlechtern und mit genealogischen Tabellen, 6 Bde., Königsberg 1834-44, 2. Auflage hrsg. von P. Groebe, 1897-1929, Nachdruck Hildesheim 1964 -Dulckeit, Gerhard: Römische Rechtsgeschichte, München und Berlin 1952 -Feger, Rjobert]: T. Pomponius Atticus, Nr. 102, RE, Suppi. VIII (1956), Sp. 503-526 -Fehrle, Rudolf: Cato Uticensis, Darmstadt 1983 -Fröhlich, [Franz]: P. Clodius Pulcher, Nr. 48, RE, IV 1 (1901), Sp. 82-88 -Fröhlich, [Franz]: L. Cornelius Sulla Felix, Nr. 392, RE, IV (1901), Sp. 1522-1566

-

308

-

-Fuhrmann, Manfred: Cicero und die römische Republik, R.epüfc München, und Zürich 19902 -Geizer, [Matthias]: M. Iunius Brutus, Nr. 53, RE, X 1 (1917), Sp. 973-1020 -Geizer, [Matthias]: M. Licinius Crassus, Nr. 68, RE, XIII 1 (1926), Sp. 295-331 -Geizer, [Matthias]: L. Licinius Lucullus, Nr. 104, RE,, XIII 1 (1927), Sp. 376-414 -Geizer, [Matthias]: L. Manlius Torquatus, Nr. 79, RE, XIV 1 (1930), Sp. 1199-1203 -Geizer, Matthias: M. Tullius Cicero (als Politiker), RE, VII A 1, Sp. 827-1091 -Geizer, [Matthias]: M. Porcius Cato Censorius, Nr. 9, RE, XXII 1 (1953), Sp. 108-145 -Geizer, Matthias: Caesar. Eirt Politiker und Staatsmann, Wiesbaden 19836 -Geizer, Matthias: Die Nobilitat der römischen Republik. Die Nobilität der Kaiserzeit, Stuttgart 19832 -Geizer, Matthias: Cicero. Ein biographischer Versuct, Wiesbaden 1983 -Giebel, Marion: Marcus Tullius Cicero, Reinbek bei Hamburg 1987 -Gigon, Olof: Die Erneuerung der Philosophie in det Zeit Ciceros, m: Aufstieg und Niedergang der römischen Weit. Von een Anfängen Roms bis zum Ausgang der Republik, vierter Band, Berlin/ New York 1973, S. 226-261 -Graaf, Jürgen: Ciceros Selbstauffassung, Heidelberg 7963 -Grimal, Pierre: Cicero. Philosoph, Politiker, Rhetor, München 1988 -Gundel, H[ans]: P. Vatinius, Nr. 3, RE, VIII A 1 (1955), Sp. 494-520 -Gundel, H[ans]: C. Vibius Pausa Caetronianus, Nr. ljs, RE, VIII A 1 (1958), Sp. 1953-1965 -Habicht, Christian: Cicero der Politiker, München 1990 -Hampl, Franz: "Stoische Staatsethik" und Frühes Rom, in: HZ 184 (1957), S. 249-271 -Hampl, Franz: Römische Politik in republikanischer £eit und das Problem des "Sittenverfalls", in: HZ 188 (1959), S. 497-525 -Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Frankfurt am Main 19923 -Helm, R[udolf|: M. Porcius Cato Censorius, Nr. 9, Ergänzung, RE, XXII 1 (1953), Sp. 145-165 -Henze, [Walter]: P. Cornelius Scipio Afncanus, Nr. 336, RE, IV (1901), Sp. 1462-1470 -Fleuß, Alfred: Römische Geschichte, Braunschweig 19764 -Heuß, Alfred: Das Zeitalter der Revolution, in: Propyläen Weltgeschichte, Berlin/Frankfurt am Mam 1986, Bd. IV, S. 175-316 -Klebs, [Elimar]: M. Atilius Regulus, Nr. 51, RE, II (1896), Sp. 2086-2092 -Klebs, [Elimar]: C. Aurelius Cotta, Nr. 96, RE, II (1896), Sp. 2482-2484 -Kroll, W[ilhelm]: P. Nigidius Figulus, Nr. 2, RE, XVIII 1 (1936), Sp. 200-212 -Kübler, [BemhardJ: Consul, Consularis, RE, IV (1900], Sp. 1112-1142 -Kumaniecki, Kazimierz: Ciceros Paradoxa und die römische Wirklichkeit, in: Philologus 101 (1957), S. 113-134

-

309

-

-Kumaniecki, Kazimierz: Ciceros "Cato", in: Forschungen zur Römischen Literatur. Festschrift zum 60. Geburtstag von Karl Büchner, hrsg. von Walter Wimmel, Wiesbaden 1970, S. 168-188 -Lenschau, Thomas: T rannis, RE, VII A (1948), Sp. 1821-1842 -Liebenam, [Willy]: Dic tator, RE, V (1905), Sp. 370-390 -Mayer-Maly, Theo: Gemeinwohl und Naturrecht bei Cicero, in: Karl Büchner (Hrsg.): Das neue Cice robild, Darmstadt 1971, S. 371-387 -Meier, Christian: Popt lares, RE, Suppi. X (1965), Sp. 549-615 -Meier, Christian: Res publica amissa. Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik, Wiesbaden 1980 -Meier, Christian: Caesar, München 19933 -Meyer, Eduard: Caesais Monarchie und das Principal des Pompeius, Darmstadt 1974 -Miltner, Franz: M. Poicius Cato Uticensis, Nr. 16, RE, XXII 1 (1953); Sp. 168-211 -Münzer, [Friedrich]: Q. Caecilius Metellus Scipio, Nr. 99, RE, III 1 (1897), Sp. 1224-1228 -Münzer, [Friedrich]: A Caecina, Nr. 7, RE, III 1 (1897), Sp. 1237f. -Münzer, [Friedrich]: M. Claudius Marcellus, Nr. 299, RE, III 2 (1899), Sp. 2760-2764 -Münzer, [Friedrich]: M. Caelius Rufus, Nr. 35, RE, III 1 (1897), Sp. 1266-1272 -Münzer, [Friedrich]: M'. Curius, Nr. 6 und Q. Curius, Nr. 7, RE, IV (1901), Sp. 1840 -Münzer, [Friedrich]: C. Coponius, Nr. 3, RE, IV (1901), Sp. 1215 -Münzer, [Friedrich]: L. Cornelius Baibus, Nr. 69, RE, IV (1901), Sp. 1260-1268 -Münzer, [Friedrich]: P. Cornelius Dolabella, Nr. 141, RE, IV (1901), Sp. 1300-1308 -Münzer, [Friedrich]: P. Cornelius Scipio Africanus, Nr. 335, RE, IV (1901), Sp. 1439-1462 -Münzer, [Friednch]: C. Scribonius Cunio, Nr. 10, RE, II A 2 (1921), Sp. 862-876 -Münzer, [Friedrich]: L. Scribonius Libo, Nr. 20, RE, II A 1 (1921), Sp. 881-885 -Münzer, [Friednch]: C. Servilius Ahala, Nr. 32, RE, II A 1 (1923), Sp. 1768-1771 -Münzer, [Friednch]: T. Labienus, Nr. 6, RE, XII (1925), Sp. 260-270 -Münzer, [Friednch]: P. Licinius Crassus, Nr. 63, RE, XIII (1926), Sp. 291-294 Münzer, [Friedrich]: Q. Licinius Balbus, Nr. 20, RE, XIII 2 (1927), Sp. 1640 -Münzer, [Friedrich]: Q. Lutatius Catulus, Nr. 8, RE, XIII 2 (1927), Sp. 2082-2094 -Münzer, [Friednch]: A. Manlius Torquatus, Nr. 76, RE, XIV 1 (1928), Sp. 1194-1199 -Münzer, [Friedrich]: L. Manlius Torquatus, Nr. 80, RE, XIV 1 (1928), Sp. 1203-1207 -Münzer, [Friedrich]: C. Oppius, Nr. 9, RE, XVIII 1 (1939), Sp. 729-736 -Münzer, F[riedrich]: L. Tullius Cicero, Nr. 26, RE, VII A 1 (1939), Sp. 823f. -Münzer, [Fnedrichj: Q. Tullius Cicero, Nr. 31, RE, VII A 2 (1948), Sp. 1286-1306 -Niese, [Benedikt]: Dionysius II., Nr. 2, RE, V (1905), Sp. 904-908 -Philippson, Aflfred]: Cicero. Die philosophischen Schriften, RE, VII A 1 (1939),

-

310-

Sp. 1104-1192 -Platon: Werke in acht Bänden, gr./dtsch., übersetz)! von Friedrich Schleiermacher, hrsg. von Günther Eigier, Darmstadt 1973 -Platon: Sämtliche Dialoge, hrsg. von Otto Apelt, VII Bde., Hamburg 1988 -Pohlenz, Max: Antikes Führertum. Cicero de officiis und das Lebensideal des Panaitios, Leipzig und Berlin 1934 -Pohlenz, Max: Die Stoa. Geschichte emer geistigen Bewegung, 2 Bde., Göttingen 19785 -Plutarchi Vitae Parallelae, ecl. K. Ziegler, Leipzig 1928 -Plutarch: Lebensbeschreibungen. Mit Anmerkungen nach der Übersetzung von Kaltwasser bearbeitet von Hanns Floetke, 5. Bd., Mjiinchen und Leipzig 1913 -Plutarch: Große Griechen und Römer, aus dem Griechischen übertragen, eingeleitet und erläutert von Konrat Ziegler, 6 Bde., München 1979ff. -Rosenberg, [Arthur]: Rex, RE, I A (1914), Sp. 703-7)26 -Rosenberg:, [Arthur]: Imperium, RE, IX 2 (1916), Spj>. 1201-1211 •Gaius Sallustius Crispus: Epistulae ad Caesarem senem de re publica, hrsg. von Karl Büchner, Stuttgart 1971 -Schanz, Martin: Geschichte der Römischen Literatur. Erster Teil: Die Römische Literatur in der Zeit der Republik, neu bearbeitet von Carl Hosius, München 1927 -Schmidt, Otto Eduard: Der Briefwechsel des M. Tullius Cicero, von seinem Prokonsulat in Cilicien bis zu Caesars Ermordung, Leipzig 1893, Nachdruck Hildesheim 1987 -Schur, W[emer]: Lucius Iunius Brutus, Nr. 46a, RE, puppi. V (1931), Sp. 356-369 -Seel, Otto: Cicero. Wort. Staat. Welt, Stuttgart 1953 -Sonnet, [Paul]: C. Trebatius Testa, Nr. 7, RE, VI A 2 (1937), Sp. 2251-2261 -Süss, Wilhelm: Cicero. Eine Einführung in seine philosophischen Schriften (mit Ausschluß des staatsphilosophischen Werkes), Wiesbaden 1966 -Syme, Ronald: Die Römische Revolution, hrsg. von Werner Dahlheim, München/Zürich 1992 -Stem, A[rthur]: M. Pupius Piso, Nr. 10, RE, XXIII 2 (1959), Sp. 1987-1993 -Stoicorum Vetera Fragmenta, coli. Ioannes ab Arnim, IV Bde., Stuttgart 1978f. -Straaten, Modestus van: Panaetii Rhodii Fragmenta, Leiden 1962 -Strasburger, H[ermann]: Nobiles, RE, XVII 1 (1936) Sp. 785-791 -Strasburger, Hermann: Caesar im Urteil seiner Zeitgenossen, Darmstadt 19682 -Strasburger, Hermann: Poseidonios on Problems of jhe Roman Empire, in: Journal of Roman Studies 55 (1965), S. 40-53 -Strasburger, Hermann: Studien zur Alten Geschichte] hrsg. von Walter Schmitthenner und Renate Zoepffl, 3 Bde., Hildeshejm/New York 1982ff. -Strasburger, Hermann: Ciceros philosophisches Spätwerk als Aufruf gegen die Herrschaft Caesars, hrsg. von Gisela Strasburger, Hildesheim 1990 -The Cambridge Ancient History, vol. IX, The Romarji Society 133-44 B.C., ed. by S.A. Cook, F.E. Adcock, M.P. Charlesworth, (tambridge 1966 -Tschiedel, Hans Jürgen: Caesars 'Anticato'. Eine Untersuchung der Testimonien und Fragmente, Darmstadt 1981

-311

-

-Volkmann, Hans: C. Valerius Triarius, Nr. 365, RE, VIII A 1 (1955), Sp. 234 -Vonder Mühll, [Friedrich]: A. Hirtius, Nr. 2, RE, VIII (1913), Sp. 1956-1962 -Vonder Mühll, [Friedrich]: Q. Hortensius Hortalus, Nr. 13, RE, VII (1913), Sp. 2470-2481 -Vonder Mühll, [Friedrich]: Q. Roscius Gallus, Nr. 16, RE, I A 1 (1914), Sp. 1123-1125 -Weynand, [Rudolph] C. Marius, Nr. 14, RE, Suppi. VI (1935), Sp. 1163-1425 -Wissowa, [Georg]: Augures, RE, II (1896), Sp. 2313-2344 -Zeller, Eduard: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Dritter Teil. Erste Abteilung. Die nacharistotelische Philosophie, Hildesheim 19636 -Ziegler, Konrat: C. Velleius, Nr. 1, RE, VIII A 1 (1955), Sp. 637

Anhang 1. Übersicht zur Datierung der philosophischen Schriften (Auswahl) 52/51

Beginn der Arbeit an de [legibus (Fortsetzung im April/Iv^ai 46 möglich; keine Herausgabe durch Cicero) 51 Ende April De re publica 46 vor Ende April Brutus April/Mai Paradoxa Stoicorum Anfangjuli (?) Denkschrift für Cato (Herausgabe Anfang NoVember) Ende 46/Anfang 45 (?) volumen prohoemiorum 45 Mitte Febmar Ende 1. Märzwoche Consolatio Denkschrift an Caesar (niecht abgeschlossen) 13. Mai danach Ein politisches Gespräch Mai/Juni Hortensius (Bearbeitung ^eit 46 möglich) Mai/Juni Academici libri Juni/Juli De finibus bonorum et rr|alorum Herbst Tusculanae disputationes | Herbst/Frübjahr 44 De natura deorum 44 Januar bis März De divinatione (mit Ergänzung nach dem 15. März 44) März bis Juni De fato vor Mitte Mai Cato maior de senectute (J3earbeitung seit Januar 44 möglich) 15. März bis 7. Mai Laelius de amicitia Juli De gloria Topica Ende Juli vor 9. Dezember De officiis (Bearbeitung seit Ende Juli möglich) nach 9. Dezember De virtutibus

-313 -

2. Personenregister (mit Ausnahme Cice ros und Caesars, die nahezu auf jeder Seite erscheinen, sind alle im Text der Untersuchung erwähnten Namen der römischen Zeitgeschichte, dei Exempla und der Philosophen aufgefiihrt) Achill 185 Alexander 185 T. Ampius Baibus 91 Anaxagoras 269 T. Anmus Milo 118,259 Antiochos 54, 238, 244, 251 M. Antonius 68, 80f., 204, 208, 251 Archimedes 189, 196, 269 Anstoteies 26, 34, 42, 172, 199, 242, 248ff., 255, 282, 297 M. Atilius Regulus 108,114 C. Aurelius Cotta 2091,25lf. L. Aurelius Cotta 241

Cocles 107 Cornelii 261 L. Cornelius Balbus 84, 91, 93, 129, 146, 151, 174,235 P. Cornelius Dolabella 81 f., 84, 224, 230 L. Cornelius Lentulus Crus 211 P. Cornelius Lentulus Spinther 179 L. Cornelius Sulla 1, 86, 173f£, 175f£, 180, 181,214,241 M’. Curius 107, 126, 129 Damokles 196 Decii 107, 259, 262 Deiotarus 225 Demokrit 269 Diodotus 54 Dionysius I. und II. 186, 189, 190, 193, 195£, 210, 211,269,277

Caecilii 261 L. Caecilius Metellus 194, 211 Q. Caecilius Metellus Pius Scipio 36, 68, 140, 142, 143, 168 A. Caecina 56, 88f., 91,111, 220 M. Caelius Rufus 81, 167, 262 Ennius 66, 292f. Caepio 149 Epicharm 71 M. Calidius 262 Epikur 28, 52, 72, 179, 187, 209, 235, M. Calpurnius Bibulus 226 239, 241, 242, 245, 251, 258, 297, 303 L. Calpurnius Piso Cas sonius 123 Euripides 202 C. Cassius Longinus 8'), 112,122,125, 205, 250, 284 C. Fabncius 107, 129 Chrysippos 106,134 M. Fadius Gallus 151 Chrysogonus 178 Claudia 226 A. Gabinius 123, 179 Cinna 86, 189 Claudii 261 Hannibal 176 M. Claudius Marcellus 36, 37, 60, 82, 88, Hegel 295 8 9 ,104£, 110,169,22« A. Hirtius 49, 91, 129, 145f£, 264 App. Claudius Pulcher 224 Q. Hortensius Hortalus 101, 117, 127, 149,153,163£, 165, 169£, 213, 223, P. Clodius Pulcher 115 125,127,130, 224, 237-239, 257 131,201 A. Cluentius 177

-

314

Iuba 79, 167 L. Iunius Brutus 107,165,166,190, 262 M. Iunius Brutus 15, 21, 30, 36, 38, 39, 60, 82, 88, 97, 9 9 ,103ff., 105f., 136,140, 141,142,143,144,151,161,162,165, 166,167, 168, 169,171,183,189, 213, 218, 219-229, 230£, 233, 234-236, 248f., 253f., 254£, 256, 257, 259, 265f., 287, 296-299, 300 Isokrates 148 L. Iulius Caesar 143 C. Iulius Caesar Octavianus 68 Kleanthes 134 Kratippos 60 D. Laelius 84, 189 Licinii 261 M. Licinius Crassus Dives 1, 101, 126, 130, 167, 173£, 178ff., 181, 204, 214 P. Licinius Crassus 167, 180 L. Licinius Lucullus 127,153,229, 237-239, 256 M. Licinius Lucullus 172, 247 L. Licinius Murena 100ff., 127 Q. Ligarius 38, 92 Livii 261 Q. Lucilius Balbus 209, 25 lf. C. Lucilius Hirrus 127 Lucretia 190 Lutatii 261 Q. Lutatius Catulus 108, 153, 189, 229, 237-239, 256 Lykurg 100 M'. Manilius 129 A. Manlius Torquatus 57, 101, 111, 112, 122,125, 258 L. Manlius Torquatus 153, 240ff., 245, 257f. T. Manlius Torquatus 258 T. Manlius Torquatus Imperiosus 258 Marcia 149 Marii 261

-

C. Marius 8 7 ,108£, 114,177,189, 256 M. Manus; 57,113,125, 133 M. Mariu^ Gratidianus 177 C. Matius 60, 91, 175 L. Mescin us Rufus 56, 96 Metelli 261 Mithridates 174,177 Mucii 2611 C. Mucius;87,107 L. Mummius 126 Munatius Rufus 151 P. Nigidiuj Figulus 53, 89, 91 Numa Porjapilius 107 Octavii 261 C. Oppius 84, 91, 93,146,151,174, 235 Panaitios 71 L. Papirius Paetus 42, 57, 74£, 87, 89, 90, 93,111,174, 194,195, 196 Peisistratos 87 Phalaris 87} 206, 283 Philon 54, 238 Platon 1,13, 24, 26, 34, 55, 71, 155, 157£, 184,191f£, 194, 195,197,199, 200, 201, 207, 215, 237, 249£, 275, 282, 283, 292, 294, 304 Plutarch 228 Polemon 255, 297 Pompeii 261 Cn. Pompejus 5, 11, 12, 44, 77£, 79, 80£, 83, 86,| 87, 89, 91, 94, 112,113, 117, 118, 123, 126, 142, 143, 169, 170, 178,179,186f£, 191, 201f£, 204, 207£, 211, 223, 224, 225, 231 £, 241, 243, 244, 245, 246, 263, 271 £, 289 Pomponia 2j46 T. Pomponiris Atticus 15, 22, 38, 40£, 42, 44, 45, 48, 49, 50, 58, 60, 71, 77£, 81, 82, 83, 84, 86, 87, 93, 94,104,108, 116, 126, 129, 131, 139, 141,145,146, 147, 151,15S, 160, 161, 162, 164, 165, 166, 169, 170, 174, 175, 178, 179,184,

-

315

186,190,191 ff., 195, 196,197, 202, 203, 204, 205, 206, 219,22 lf., 223, 224, 226, 227, 228, 229, 230f., 232, 234-236, 238, 239, 241, 242, 244ff., 246, 247, 260, 264, 272, 298 Porcia 226 M. Porcius Cato Uticensis 1,2,11, 24, 27, 28, 29, 32, 35, 36, 58f., 53, 59, 68, 77, 82, 87, 97f., 99,10 J, 102,105£, 107, 117,127,132,134£, 136, 139-159, 168, 170, 172ff., 181, 182,' 83, 214, 220, 221, 224, 225, 226, 227, 22'), 230, 242f£, 245, 247, 254f, 256, 257, 230, 272£, 275£ 289, 296, 297 M. Porcius Cato Censorius 256, 260, 271 Poseidonios 54, 251 Postumius 91 M. Pupius Piso Frugi 242, 244ff, 260 Pythagoras 269 Romulus 107,114,201 Sex. Roscius Gallus 178, 251 C. Sallustius Crispus 295 Scipiones 107 Scribonii 261 C. Scribonius Curio 86, 167£, 262 Sempronii 261 L. Sergius Catilina 128, 258 Servilia 149 Servilii 261 C. Servilius Ahala 165f P. Sestius 63, 119f. Sokrates 42, 115, 155£ 182, 184, 192, 193, 214 Solon 100 Sophokles 245 Spartacus 121 Speusippos 255, 297 Stoa 2, 26, 28, 29, 52, 56, 69, 71 f£, 99f£, 102£, 105£, 107,108,112,114, 115,

-

122,123,125f, 127,128,130,131,132, 133£, 136,137,139,147,154,157£, 168,172,173,181,182,185, 187,188f, 209, 214, 215, 237,239, 242, 250, 251, 254, 255£, 270, 272£, 274, 275£, 281, 282, 287,289, 296, 297, 298, 303, 305 Sulpicii 261 Ser. Sulpicius Rufus 53, 57, 82,101 £ Tarquinius Superbus 1, 173, 186, 189£, 198£, 200f£, 214 'Ferentia 83,180 M. Terentius Varro 39, 44, 58, 59, 64, 67, 91,112,140,153, 218, 221, 229-233, 239, 253,257,277f. Theophrast 34 C. Toranius 122, 125 C. Trebatius Testa 219 Trebianus 91 Tullia 34, 40£, 42£, 44, 57£, 65 L. Tullius Cicero 247, 260, 285 M. Tullius Cicero (der Sohn) 219, 247, 274, 281, 285£, 292 Q. Tullius Cicero 78, 81, 125, 131, 188, 245f£, 260 Q. Tullius Cicero (der Neffe) 228, 246 C. Valerius Trianus 240ff, 258, 259 P. Vatinius 116, 262-264 C. Velleius 209, 251 Vettius 166 C. Vibius Pansa 91 Xenophon 148, 199 Xenokrates 255, 297 Zenon 102, 134, 157

-

316

-

3. Quelllenverzeichriis zu den philosophischen Spätschriften (Auswahl) de re publica 33, 34f., 63, 66, 71,100, Lucullus 43f., 61, 66, 69f., 233, 237-239 119,1222,124,129,132£, 135, 165, 176, 189,191, 193,198f£, 204, 207, 269, 271, Catulus 4b, 237-239 273, 276, 278, 282, 294 Academici libri 11, 30, 33, 42£, 44£, 58£, 70, 209, 215, 218, 223,229f£, 232, de legibus 34£, 201, 277, 278, 294 233, 237-239, 253, 257, 277 Brutus 2,10, 11,12, 13,15, 29, 30, 34, de finibus, bonorum et malorum 1, 2, 4, 35£, 60, 72, 75, 95, 97, 99,100,103, 9, 30, 33, 43£, 45, 53, 60, 63, 66, 72, 104, 105,116,131,137,145, 153, 102,105, U07,108,109, 130,132, 134£, 160-172,177.180,185,188, 212, 213, 147,153,154,157£, 165,172-182, 213, 215, 218, 219, 226, 233, 234-236, 241, 215, 218, 221,233, 239-2:48, 254, 257£, 243, 244, 253, 256, 257, 259, 261,262, 260, 261, 272, 273, 275£, 278£, 281, 265, 296,297, 298, 300 285£, 289 290, 298, 299 Paradoxa Stoicomm 2, 12,13, 15, 24, 27, 29, 36£, 53, 56£, 65, 72, 75, 96-138, Tusculana)? disputationes 2, 9, 21, 30, 33, 44f£, 30, 57, 60, 69,100,103,107, 145,153,154, 155,158,160,164,165, 108,109,115,132,154,155£, 165, 173,178,181, 185, 218, 219, 220, 256, 182-209, 210, 214, 215, 218, 222, 233, 287, 296, 297 248-250, 2B4£, 256, 259, 260, 261, 262, Denkschrift für Cato 11, 12,13, 24, 29, 269f£, 273 278, 296 34, 37, 38f£, 87, 139-159, 160, 170, 221, de natura georum 30, 33, 44, 46f£, 50, 243, 248, 289 54£, 64, 69, 66, 70, 108,109,116, Orator 10, 34, 37, 38, 42, 43, 71, 72, 88, 209-212, 2)5, 218, 222, 233, 245, 248, 99, 100, 141, 143f£, 218, 220£, 227, 297 250-252, 256, 261, 262, 263f£, 279f£, 300 volumen proh oemiorum 41 de fato 33, 47, 48£, 218, 264 Consolatio 8, 40£, 42£, 44, 58, 73 de divinatione 3, 4, 5, 7, 11, 21, 27, 33, 45, 47, 48, 49, 51, 55, 60, 62, 64, 66, 100, Denkschnft an Caesar 2, 11, 12, 93, 120, 139, 182, 188, 207, 218, 262, 286, 151 £, 174 290 politisches Gespräch 41 Cato maior|de senectute 49,165, 219 Hortensius 13, 17, 33, 42£, 44, 61, 127, Laelius de amicitia 50, 219 163,233,237-239

-317-

de glona 50, 219 Topica 50, 150, 219 de officiis 50, 67ff., 71.72, 108,130, 153,175,177,178, 20. ff., 219, 247,259, 274, 281£, 283£, 285f. 290, 292£, 299, 300 de virtutibus 50, 219