Risiko im Management: 100 Fehler, Irrtümer, Verzerrungen und wie man sie vermeidet [1. Aufl.] 978-3-658-25834-4;978-3-658-25835-1

In diesem Buch geht es um die Schaffung des Bewusstseins für verzerrte und fehlerhafte Wahrnehmungen, Beurteilungen und

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German Pages XXIII, 429 [446] Year 2019

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Risiko im Management: 100 Fehler, Irrtümer, Verzerrungen und wie man sie vermeidet [1. Aufl.]
 978-3-658-25834-4;978-3-658-25835-1

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXIII
(Zu viele) Historische Daten (Christian Glaser)....Pages 1-4
Narrative Täuschung (Christian Glaser)....Pages 5-8
Halo-Effekt (Christian Glaser)....Pages 9-12
Selbstüberschätzung (Christian Glaser)....Pages 13-16
Mitläufereffekt und Gruppendenken (Christian Glaser)....Pages 17-20
Problem der Induktion (Christian Glaser)....Pages 21-24
Inflation der „schwarzen Schwäne“ (Christian Glaser)....Pages 25-28
Zukunft als Blackbox (Christian Glaser)....Pages 29-32
Angst vor dem Unbekannten und Unkontrollierbaren (Christian Glaser)....Pages 33-36
(Zu viele) Durchschnittswerte (Christian Glaser)....Pages 37-40
Mathematisierung der Zukunft (Christian Glaser)....Pages 41-44
Die Welt als „Random Walk“? (Christian Glaser)....Pages 45-48
Spielerfehlschluss (Christian Glaser)....Pages 49-52
Millersche Zahl (Christian Glaser)....Pages 53-56
Zielscheibenfehler (Christian Glaser)....Pages 57-60
Bestätigungsfehler (Christian Glaser)....Pages 61-64
Selektive Wahrnehmung (Christian Glaser)....Pages 65-68
Asymmetrische Aufmerksamkeit (Christian Glaser)....Pages 69-72
Rationalitäts-Illusion (Christian Glaser)....Pages 73-76
Murphys Gesetz (Christian Glaser)....Pages 77-80
Selbsterfüllende Prophezeiung (Christian Glaser)....Pages 81-84
Barnum-Effekt (Christian Glaser)....Pages 85-88
Blinde Modellgläubigkeit (Christian Glaser)....Pages 89-92
Einrahmungs-Effekt (Christian Glaser)....Pages 93-96
Nullrisiko-Verzerrung (Christian Glaser)....Pages 97-100
Zurückfeuer-Effekt (Christian Glaser)....Pages 101-104
Kognitive Dissonanz (Christian Glaser)....Pages 105-108
Alpha- und Beta-Fehler (Christian Glaser)....Pages 109-112
Risiken überversichern (Christian Glaser)....Pages 113-116
Fehlschluss der irreversiblen Kosten (Christian Glaser)....Pages 117-120
Auffälligkeitsverzerrung (Christian Glaser)....Pages 121-124
Überlebensirrtum (Christian Glaser)....Pages 125-128
Verfügbarkeitsheuristik (Christian Glaser)....Pages 129-132
Negativitätsverzerrung (Christian Glaser)....Pages 133-136
Status-quo-Verzerrung (Christian Glaser)....Pages 137-140
Dispositionseffekt (Christian Glaser)....Pages 141-144
Beobachter-Erwartungseffekt (Christian Glaser)....Pages 145-148
Konjunktionsfehler (Christian Glaser)....Pages 149-152
Stereotypisierung (Christian Glaser)....Pages 153-156
Anekdotischer Fehlschluss (Christian Glaser)....Pages 157-160
Argumentum ad hominem (Christian Glaser)....Pages 161-164
Strohmann-Argument (Christian Glaser)....Pages 165-168
Appell an die Ignoranz (Christian Glaser)....Pages 169-172
Falsches Dilemma (Christian Glaser)....Pages 173-176
Dammbruchargument (Christian Glaser)....Pages 177-180
Tu quoque (Christian Glaser)....Pages 181-184
Mentale Buchführung (Christian Glaser)....Pages 185-188
Hierarchie-Gläubigkeit (Christian Glaser)....Pages 189-192
Argumentum ad logicam (Christian Glaser)....Pages 193-196
Sonnenblumeneffekt (Christian Glaser)....Pages 197-200
Diversifikations-Mythos (Christian Glaser)....Pages 201-204
Verlustaversion (Christian Glaser)....Pages 205-208
Wissensriesen und Realisierungszwerge (Christian Glaser)....Pages 209-212
Fat tails und die Normalverteilungsillusion (Christian Glaser)....Pages 213-216
Isoliertes Paralleluniversum (Christian Glaser)....Pages 217-220
Entscheidungsverstopfung beim Management (Christian Glaser)....Pages 221-224
Intransparenz (Christian Glaser)....Pages 225-228
Clusterillusion (Christian Glaser)....Pages 229-232
Autoritätsargument (Christian Glaser)....Pages 233-236
Auswahlüberlastung (Christian Glaser)....Pages 237-240
Fehlsteuerung erkennbarer Risiken (Christian Glaser)....Pages 241-244
Langsame, unkoordinierte Reaktion (Christian Glaser)....Pages 245-248
Kausaler Fehlschluss (Christian Glaser)....Pages 249-252
Fluch des Wissens (Christian Glaser)....Pages 253-256
Verschieben der Torpfosten (Christian Glaser)....Pages 257-260
Tautologien und inhaltliche Wiederholungen (Christian Glaser)....Pages 261-264
Gefangen im Hamsterrad (Christian Glaser)....Pages 265-268
Kurzfristorientierung (Christian Glaser)....Pages 269-272
Veraltete, leblose Risikostrategie (Christian Glaser)....Pages 273-276
Keine Verbindung mit der Planung (Christian Glaser)....Pages 277-280
Mangelhafte Risikokommunikation (Christian Glaser)....Pages 281-284
Fehlende Anreizsteuerung (Christian Glaser)....Pages 285-288
Egozentrische Verzerrung (Christian Glaser)....Pages 289-292
Prävalenzfehler (Christian Glaser)....Pages 293-296
Überschätzen der Portfoliobetrachtung (Christian Glaser)....Pages 297-300
Sicherheits- und Möglichkeitseffekt (Christian Glaser)....Pages 301-304
Blind-Validierungen (Christian Glaser)....Pages 305-308
Gelernte Sorg- und/oder Hilflosigkeit (Christian Glaser)....Pages 309-312
Heuristiken in einer komplexen Welt (Christian Glaser)....Pages 313-316
Nicht-Beachtung von Folgeris (Christian Glaser)....Pages 317-320
Detail- statt Zusammenhang-Orientierung (Christian Glaser)....Pages 321-324
Verwechseln von Ursache und Wirkung (Christian Glaser)....Pages 325-328
Keine übergreifende Risikosicht (Christian Glaser)....Pages 329-332
Falscher Umgang mit Innovationen (Christian Glaser)....Pages 333-336
Kontrollillusion (Christian Glaser)....Pages 337-340
Überwälzen der Verantwortung (Christian Glaser)....Pages 341-344
Zu viele Ja-Sager (Christian Glaser)....Pages 345-348
Keine Sicherung gegen den Dominoeffekt (Christian Glaser)....Pages 349-352
Faktor Mensch (Christian Glaser)....Pages 353-356
Vergleich von Äpfeln und Birnen (Christian Glaser)....Pages 357-360
Mittelweg vs. fauler Kompromiss (Christian Glaser)....Pages 361-364
Die Lean Risk Management-Illusion (Christian Glaser)....Pages 365-368
Angst und Gier (Christian Glaser)....Pages 369-372
Beeinflussungen durch Leit- und Fangfragen (Christian Glaser)....Pages 373-376
Zu wenig Erfahrung (Christian Glaser)....Pages 377-380
Lernen aus Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten (Christian Glaser)....Pages 381-384
Quantifikations-Irrglaube (Christian Glaser)....Pages 385-388
Einfluss der Reziprozität (Christian Glaser)....Pages 389-392
Unterschätzen der adversen Selektion (Christian Glaser)....Pages 393-396
Umgang mit unangenehmen Wahrheiten (Christian Glaser)....Pages 397-400
Back Matter ....Pages 402-429

Citation preview

Christian Glaser

Risiko im Management 100 Fehler, Irrtümer, Verzerrungen und wie man sie vermeidet

Risiko im Management

Christian Glaser

Risiko im Management 100 Fehler, Irrtümer, Verzerrungen und wie man sie vermeidet

Christian Glaser Ellhofen, Deutschland

ISBN 978-3-658-25834-4 ISBN 978-3-658-25835-1  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Illustrationen: Maike Mahira Koller, Stuttgart Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Stimmen zum Buch „Eine Lektüre, die überrascht und ganz neue Blickwinkel auf Unternehmen und Management eröffnet.“ Dr. Olaf Berlien, CEO OSRAM Licht AG

„Wenn Sie bessere Entscheidungen treffen wollen, dann lesen Sie dieses aufschlussreiche Buch von Christian Glaser, das Ihnen die Einsichten der Verhaltensökonomik näherbringen wird.“ Prof. Dr. Iris Bohnet, Harvard University

„Das Buch bietet insbesondere Vorständen, Geschäftsführern und Führungskräften lesenswerte Ideen und Konzepte für die Verbesserung von Entscheidungen in einer Welt mit vielen Chancen und Gefahren (Risiken). Der Leser lernt die wesentlichen, insbesondere auch psychologischen Grundlagen kennen, die wichtig sind beim Aufbau eines modernen, entscheidungsorientierten Risikomanagements, das tatsächlich ökonomischen Mehrwert generiert.“ Prof. Dr. Werner Gleißner, Technische Universität Dresden

„Dieses Buch hilft jedem Entscheidungsträger weiter. Die Verbindung von strategischem Risikomanagement und Behavioral Economics ist sehr gut gelungen.“ Prof. Dr. Dr. Joachim Häcker, Hochschule München, Gründer und Direktor des Deutschen Instituts für Corporate Finance

V

VI

Stimmen zum Buch

„Risikomanagement ist ein wichtiger Baustein der Unternehmensführung, der aber auch zur Gefahr werden kann, wenn man es falsch einsetzt. Dies verdeutlicht der Autor anhand plastischer Beispiele in hervorragender Weise. Prof. Dr. Thomas Hartmann-Wendels, Universität zu Köln

„Wer die bisher von Herrn Glaser verfassten Fachbücher kennt, wird von Aufbau und Inhalt des vorliegenden Buches zunächst überrascht sein. Theoriefundiert, anregend und gespickt mit vielen Praxishinweisen diskutiert Herr Glaser in unterhaltsamer Weise die existenziellen Fragen eines ganzheitlichen Risikomanagements. Diese Herangehensweise kann insbesondere bei Entscheidungsträgern in den Unternehmen zu einem kritischen Hinterfragen ihrer bisherigen Denk- und Entscheidungsmuster und damit zu einer Verbesserung im Risikomanagement führen.“ Prof. Dr. Thomas Henschel, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin

„Dieses Buch wird Ihren Blick auf das Management verändern!“ Prof. Dr. Herbert Henzler, ehem. European Chairmen McKinsey & Company

„Dr. Christian Glaser schildert in seinem Buch eindrucksvoll, dass es sich bei Risikomanagement nicht nur um eine Systematik handelt, sondern auch viele psychologische Aspekte von Relevanz sind. Die praxisnahen Beispiele erlauben das eigene Handeln zu reflektieren, dadurch eigene Fehler zu erkennen und darüber hinaus auch aus Fehlern anderer zu lernen.“ Dr. Mark Hiller, CEO RECARO Aircraft Seating GmbH & Co. KG

Stimmen zum Buch

VII

„Dieses Buch leistet einen wichtigen Beitrag zu verstehen, wie nah erfolgreiches Unternehmertum und Risikomanagement beieinanderliegen. Das Buch von Dr. Christian Glaser bietet hierzu einen guten und umfassenden Überblick und behandelt dabei wesentliche Aspekte des Risikomanagements. Ich kann jedem die Lektüre empfehlen.“ Hartmut Jenner, CEO Alfred Kärcher SE & Co. KG

„Christian Glaser stößt mit diesem Buch einen wichtigen Perspektivwechsel an: Effektives Risikomanagement ist nicht allein eine Frage der richtigen Modelle, sondern muss sich auch auf die persönliche Beurteilung stützen, die aber eben oft weit weniger objektiv ist, als wir vielleicht selbst glauben wollen. Das kluge Zusammenspiel beider Faktoren sollte zu nachhaltigem und langfristigem Erfolg führen.“ Wolfgang Kirsch, European Banker of the Year 2013, ehem. CEO DZ Bank AG

„Bei aller Professionalisierung des Risikomanagements darf der ‚Faktor Mensch‘ nicht übersehen werden. Auch für Risikomanager und Entscheider gelten die Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Kognition. Dafür sensibilisiert dieses Buch anhand zahlreicher Beispiele auf sehr anschauliche Art und Weise.“ Markus Mosa, CEO EDEKA ZENTRALE AG & Co. KG

„Sich keiner Fehler bewusst zu sein wird nach Lektüre dieses Buches niemand mehr von sich behaupten können. Spannend und zugleich sehr eingängig und prägnant erzählt, gibt dieses Werk wohl einen der umfassendsten Überblicke über die verschiedenen Theorien zu Fehlern bei der Risikobeurteilung. Eine beeindruckende Sammlung, die eine Fülle an Blind Spots zu Tage bringt.“ Dr. Christian Müller, Vorstand/CFO Carl Zeiss AG

VIII

Stimmen zum Buch

„Verantwortung tragen heißt immer auch Risiken managen. Wie vielfältig mögliche Risiken sein können, das zeigt dieser fundierte Überblick von Christian Glaser – eine nützliche Lektüre für alle Entscheider.“ Dr. Stefan Oschmann, CEO Merck KGaA

„Dem Autor gelingt es, die Grundzüge der modernen Verhaltensökonomik mit den komplexen Herausforderungen des Risikomanagements zu verbinden. Diese Perspektive ermöglicht einen interessanten Zugang zur Identifikation und Einschätzung von Risiken.“ Klaus Rosenfeld, CEO Schaeffler AG

„Dieses Buch hilft dabei, systematische - häufig unterbewusst ablaufende - Fehler zu vermeiden und die richtige Balance zwischen Intuition und reflektiertem Denken zu finden.“ Prof. Dr. Daniel Simonovich, INSEAD

„Das vorliegende Buch gehört in die Handbibliothek jedes Entscheidungsträgers, der Praktiker findet im Kompendium schnell Lösungsvorschläge. Vorbildung schadet dabei allerdings nicht – und hier dient das Buch als vorbildlich kommentierte Leseliste für jeden, der sich in die umfangreiche Materie vertieft einarbeiten möchte.“ Dr. Nikolas Stihl, Aufsichtsratsvorsitzender Stihl AG

„Nicht Wissen, sondern Realisieren ist Macht. Diesen Glaser-Text zu exekutieren, garantiert Sicherheit.“ Prof. Dr. h. c. mult. Reinhold Würth, Stiftungsaufsichtsratsvorsitzender der Würth-Gruppe

Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, erwarten Sie von diesem Buch bitte keine mathematische Abhandlung oder Beweisführung, wo die am häufigsten eingesetzten Risikomodelle Schwächen haben und falsch laufen, die dann am Ende häufig nur noch Finanzmathematiker und Aktuare beziehungsweise „Quants“ nachvollziehen können. Hierzu gibt es bereits genügend Abhandlungen und auch die Finanzmarktkrise hat ab 2007 den „Proof of Concept“ für viele Modelle durchgeführt. In diesem Buch geht es um einen viel umfassendereren, grundlegendereren Blick - nämlich die Schaffung des Bewusstseins für verzerrte und fehlerhafte Wahrnehmungen, Beurteilungen und Interpretationen von risikorelevanten Sachverhalten. Es ist bewusst so geschrieben, dass es sowohl für Entscheidungsträger als auch für Spezialisten gleichsam erhellend sein kann. Die häufigsten Fehler im (Risiko-)Management sind natürlich sehr vielschichtig. Denn sie hängen sehr eng mit der konkreten Branche, den vorhandenen Ressourcen und auch der Aufbau- und Ablauforganisation zusammen. Nichtsdestotrotz zeigte sich bei einem Vergleich einzelner Unternehmen unterschiedlicher Größe und aus unterschiedlichen Branchen, dass immer wieder die gleichen oder zumindest sehr ähnliche Problemfelder auftraten. Dies sind neben den operativen und methodischen Problemen der Modelle und Tools insbesondere der Umgang und die Verarbeitung der Informationen. Speziell die sogenannten „Biases“, also die systematischen Fehler und Verzerrungen IX

X

Vorwort

bei der Informationsverarbeitung, sollten Sie sich bewusst machen, bevor Sie strategische und unternehmensweite Entscheidungen treffen. Einen sehr großen Einfluss auf die Erstellung des Buches hatten hierbei neben meiner jahrelangen Tätigkeit im Bereich Risikomanagement und dem Studium der unterschiedlichsten Lessons Learned von Krisen und Krisenberichten anderer Unternehmen insbesondere die Werke von Nassim Taleb sowie von Daniel Kahneman und Richard Thaler. Dem erstgenannten Autor gelang im Zuge der Finanzmarktkrise ein bahnbrechender Erfolg mit seiner Beschreibung der schwarzen Schwäne. Anhand sehr anschaulicher Beispiele war es plötzlich für jedermann verständlich, dass nicht nur Kleinigkeiten an den Modellen falsch justiert wurden, sondern dass viele Modelle grundlegend falsch waren und es mehr bedurfte als nur eines „Facelifts“. Auch der Ansatz der Antifragilität scheint ein interessanter zu sein. Das Feld der Verhaltensökonomik (Behavioral Economics), das mit den beiden Wirtschaftsnobelpreisträgern Daniel Kahneman und Richard Thaler, aber beispielsweise auch Amos Tversky, an der Spitze der „Bewegung“,

die

Bereiche

Risikomanagement

und

Psychologie

verbunden hat, beurteilt menschliches Verhalten in wirtschaftlichen Situationen. Dabei werden insbesondere Konstellationen untersucht, in denen Menschen im Widerspruch zur Modellannahme handeln. Zentrale Quellen, warum wir „irrational“ handeln, sind dabei Heuristiken (Faustregeln aufgrund nur begrenzter Informationen), Einordnungen (Art und Weise, wie ein Problem vorgestellt wird – also auch der „Subtext“) und unvollkommene Märkte.

Vorwort

XI

Natürlich ist es nicht möglich, dass im vorliegenden Buch alle potenziellen Fehlerquellen im (Risiko-)Management abschließend aufgeführt werden. Vielmehr geht es darum, dass Sie für gängige, noch immer weithin unterschätzte, Gefahren und Fehlerquellen sensibilisiert werden. Und selbst dann werden Ihnen wohl immer noch in Zukunft Fehler unterlaufen. Dies ist auch völlig normal, insbesondere da viele Entscheidungsprozesse unterbewusst ablaufen. Wenn Sie es aber schaffen, dass Sie nur einen entscheidenden Fehler weniger machen, weil Sie vorab dafür sensibilisiert wurden, dürfte sich die Lektüre dieses Buchs für Sie schon gelohnt haben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine interessante Lektüre und wünsche Ihnen, dass Sie für mögliche Verzerrungen, logische Fehlschlüsse und methodische Schwächen in Ihrer Entscheidungsfindung und der Entscheidungsunterstützung sensibilisiert werden. Und denken Sie immer daran: Fehler zu machen ist völlig normal und bleibt nicht aus, denn „wo gehobelt wird, da fallen Späne“. Entscheidend ist allerdings, dass Sie aus den Fehlern klug werden und dafür sorgen, dass diese so in Zukunft nicht mehr eintreten können!

Herzlichst, Ihr Christian Glaser

Heilbronn, im März 2019

Inhalt

Stimmen zum Buch ................................................................. V Vorwort................................................................................. IX Inhalt.................................................................................. XIII

1. (Zu viele) Historische Daten ................................................. 2 Schauen Sie nicht zurück, sondern nach vorne! Denn nur so können Sie die zukünftigen Geschicke aktiv lenken. 2. Narrative Täuschung............................................................ 6 „Ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt!“ - Warum wir nur das wahrnehmen, was wir auch wollen. 3. Halo-Effekt ........................................................................ 10 Wir lieben Erfolgsgeschichten und blenden alles Drumherum aus 4. Selbstüberschätzung ........................................................... 14 Oder wie der Rheinländer sagen würde: „et hätt noch immer jut jejange“ 5. Mitläufereffekt und Gruppendenken ..................................... 18 Schwarmintelligenz oder doch eher „dumme“ Lemminge? 6. Problem der Induktion ........................................................ 22 Der Mensch als bester Freund des Truthahns? 7. Inflation der „schwarzen Schwäne“ ...................................... 26 Schwarzer oder doch nur ein dreckiger, weißer Schwan? XIII

XIV

Inhalt

8. Zukunft als Blackbox........................................................... 30 Vogelstrauß-Politik auf kölsch: „et kütt wie et kütt“ 9. Angst vor dem Unbekannten und Unkontrollierbaren ............. 34 Majestix und Risikomanagement 10. (Zu viele) Durchschnittswerte ............................................ 38 Die Realität ist nicht normalverteilt! 11. Mathematisierung der Zukunft ........................................... 42 Die Illusion, alles erklären zu können, sobald ein konkreter Zahlenwert verfügbar ist 12. Die Welt als „Random Walk“? ............................................ 46 Monte-Carlo-Simulation vs. Kausalität 13. Spielerfehlschluss ............................................................. 50 Die Wahrscheinlichkeit für Schwarz beim Roulette ändert sich nicht, nur weil 5x zuvor Rot kam 14. Millersche Zahl ................................................................. 54 Vermeiden Sie einen Information Overload beim Entscheider! 15. Zielscheibenfehler ............................................................. 58 Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer 16. Bestätigungsfehler ............................................................ 62 Warum Freitag der 13. ein ganz normaler Tag ist 17. Selektive Wahrnehmung.................................................... 66 „Ich sehe was, was du nicht siehst!“ 18. Asymmetrische Aufmerksamkeit ......................................... 70 Warum wir vom Unerwarteten magisch angezogen werden

Inhalt

XV

19. Rationalitäts-Illusion ......................................................... 74 Der Homo oeconomicus ist tot, es lebe der Homo oeconomicus 20. Murphys Gesetz ................................................................ 78 Nichts geschieht ohne Grund! 21. Selbsterfüllende Prophezeiung ........................................... 82 Wenn man nur fest genug an etwas glaubt, tritt es auch ein!? 22. Barnum-Effekt .................................................................. 86 Warum glauben so viele Leute eigentlich an Horoskope? 23. Blinde Modellgläubigkeit .................................................... 90 Warum Modelle qua definitionem falsch sind 24. Einrahmungs-Effekt .......................................................... 94 Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? 25. Nullrisiko-Verzerrung......................................................... 98 Es gibt keine risikolosen Anlagen! 26. Zurückfeuer-Effekt .......................................................... 102 Warum man manche Diskussionen gar nicht gewinnen kann 27. Kognitive Dissonanz ........................................................ 106 Warum wir uns so leicht selbst betrügen 28. Alpha- und Beta-Fehler ................................................... 110 Die Illusion, alle Risiken zu vermeiden sei gut 29. Risiken überversichern .................................................... 114 Unternehmer sein, heißt etwas zu unternehmen, also etwas zu „riskieren“!

XVI

Inhalt

30. Fehlschluss der irreversiblen Kosten ................................. 118 Warum man nicht immer alles zu Ende bringen sollte 31. Auffälligkeitsverzerrung ................................................... 122 „I’m big in Japan!“ 32. Überlebensirrtum ............................................................ 126 Warum Erfolgsaussichten systematisch überschätzt werden 33. Verfügbarkeitsheuristik.................................................... 130 Was nur lange genug wiederholt wird, wird irgendwann als plausibel wahrgenommen 34. Negativitätsverzerrung .................................................... 134 Warum negative Dinge stärker wirken als positive 35. Status-quo-Verzerrung .................................................... 138 Wenn das Neue wieder das Alte ist 36. Dispositionseffekt ........................................................... 142 Die Angst des Verlierers vor dem Verlust 37. Beobachter-Erwartungseffekt ........................................... 146 Gute Erwartungen bewirken gute Leistungen 38. Konjunktionsfehler .......................................................... 150 Kennen Sie die Geschichte von Linda? 39. Stereotypisierung ........................................................... 154 Warum sich Vorurteile nie gänzlich vermeiden lassen 40. Anekdotischer Fehlschluss ............................................... 158 Geschichten wirken stärker als Fakten

Inhalt

XVII

41. Argumentum ad hominem ............................................... 162 „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ 42. Strohmann-Argument ..................................................... 166 Oder: Der Versuch der Schaffung von Fake News 43. Appell an die Ignoranz .................................................... 170 Warum wir nicht beweisen können, dass Aliens nicht im Jahr 1947 in Roswell, New Mexico gelandet sind 44. Falsches Dilemma ........................................................... 174 Welcher ist der beste Fußball-Club der Welt: Bayern München oder Real Madrid? 45. Dammbruchargument ..................................................... 178 „Damit öffnen wir die Büchse der Pandora!“ 46. Tu quoque ..................................................................... 182 „Du solltest erstmal vor der eigenen Haustüre kehren!“ 47. Mentale Buchführung ...................................................... 186 Warum Geldbeträge für uns, subjektiv betrachtet, unterschiedliche Werte einnehmen können 48. Hierarchie-Gläubigkeit ..................................................... 190 „Du sollst nicht kritisieren und schon gar nicht den Chef!“ 49. Argumentum ad logicam ................................................. 194 Nur weil eine Begründung schwach ist, muss die Schlussfolgerung nicht falsch sein 50. Sonnenblumeneffekt ....................................................... 198 Wenn der Chef nur noch das hört, was er vermeintlich hören will

XVIII

Inhalt

51. Diversifikations-Mythos ................................................... 202 Diversifikation ist kein Allheilmittel, eher eine Vorsichtsmaßnahme gegen Ignoranz 52. Verlustaversion............................................................... 206 Bloß nichts verlieren! 53. Wissensriesen und Realisierungszwerge ............................ 210 Volition auf schwäbisch: „net schwätze, schaffe!“ 54. Fat tails und die Normalverteilungsillusion ......................... 214 Warum Ausreißer viel häufiger vorkommen, als wir denken 55. Isoliertes Paralleluniversum ............................................. 218 Warum Informationen nie in Silos gelagert werden dürfen 56. Entscheidungsverstopfung beim Management ................... 222 Reden ist Silber, machen ist Gold 57. Intransparenz................................................................. 226 Transparenz ist für das Risikomanagement, wie für den Menschen die Luft zum Atmen 58. Clusterillusion ................................................................. 230 „Ist das nicht Oma Hildegards Gesicht da oben in den Wolken?“ 59. Autoritätsargument ......................................................... 234 „Als Ihr Lungenarzt würde ich Ihnen dazu raten, nur Marlboro zu rauchen!“ 60. Auswahlüberlastung ........................................................ 238 Herzlichen Glückwunsch, Sie haben die Qual der Wahl

Inhalt

XIX

61. Fehlsteuerung erkennbarer Risiken ................................... 242 Warum wir häufig sehenden Auges ins Verderben laufen 62. Langsame, unkoordinierte Reaktion .................................. 246 Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen 63. Kausaler Fehlschluss ....................................................... 250 Warum es immer regnet, wenn Sie gerade erst Ihr Auto gewaschen haben 64. Fluch des Wissens .......................................................... 254 Die Kunst besteht nicht darin, einfache Dinge kompliziert auszudrücken, sondern komplizierte Dinge einfach! 65. Verschieben der Torpfosten ............................................. 258 Warum allzu große Erfolgsstories stutzig machen sollten 66. Tautologien und inhaltliche Wiederholungen ..................... 262 „Kein Wunder, dass wir existieren!“ 67. Gefangen im Hamsterrad ................................................ 266 „Ich habe keine Zeit, meine Axt zu schärfen, denn ich muss Bäume fällen“ 68. Kurzfristorientierung ....................................................... 270 In the long run, we are all dead 69. Veraltete, leblose Risikostrategie ...................................... 274 Ein veraltetes Fundament kann auf Dauer keinen Wolkenkratzer tragen

XX

Inhalt

70. Keine Verbindung mit der Planung ................................... 278 Nur wenn alle Unternehmenssegel einheitlich gehisst sind, kann volle Fahrt aufgenommen werden 71. Mangelhafte Risikokommunikation.................................... 282 Warum klare, einfache und direkte Kommunikation am besten hilft 72. Fehlende Anreizsteuerung ............................................... 286 You get what you pay 73. Egozentrische Verzerrung ................................................ 290 „Ich bin der König der Welt!“ 74. Prävalenzfehler............................................................... 294 Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast 75. Überschätzen der Portfoliobetrachtung ............................. 298 Allein durch Portfoliomanagement wird ein Bündel Stroh noch lange nicht zu Gold 76. Sicherheits- und Möglichkeitseffekt................................... 302 Sein oder nicht sein (oder sein können) – das ist hier die Frage 77. Blind-Validierungen ......................................................... 306 Wie validiert man noch nicht dagewesene Ereignisse? 78. Gelernte Sorg- und/oder Hilflosigkeit ................................ 310 Die Gefahr von Angststarre und schwarzen Löchern 79. Heuristiken in einer komplexen Welt ................................. 314 Warum Anekdoten und Erfahrungswerte nicht immer hilfreich sind

Inhalt

XXI

80. Nicht-Beachtung von Folgerisiken..................................... 318 Gehen durch getroffene Maßnahmen neue Risiken aus? 81. Detail- statt Zusammenhang-Orientierung ......................... 322 Lieber grob richtig als exakt falsch 82. Verwechseln von Ursache und Wirkung ............................ 326 Troubleshooting statt Ursachenbehebung 83. Keine übergreifende Risikosicht ........................................ 330 Warum nicht jeder Kunde gleich wichtig ist 84. Falscher Umgang mit Innovationen .................................. 334 Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht 85. Kontrollillusion................................................................ 338 Warum Vertrauen häufig die beste Kontrollillusion ist 86. Überwälzen der Verantwortung ........................................ 342 Verantwortung lässt sich nicht delegieren! 87. Zu viele Ja-Sager ............................................................ 346 Stromlinienförmige Ja-Sager vs. unangenehme Querdenker 88. Keine Sicherung gegen den Dominoeffekt ......................... 350 Wenn ein Bereich hustet, hat das ganze Unternehmen Grippe 89. Faktor Mensch................................................................ 354 Erfolgsfaktor und Gefahr gleichsam 90. Vergleich von Äpfeln und Birnen ...................................... 358 Nicht jeder Vergleich ist valide

XXII

Inhalt

91. Mittelweg vs. fauler Kompromiss ...................................... 362 Nichts Halbes und nichts Ganzes 92. Die Lean Risk Management-Illusion .................................. 366 Ist Schlankheit das Allheilmittel? 93. Angst und Gier ............................................................... 370 Warum ein kühler Kopf Gold wert ist 94. Beeinflussungen durch Leit- und Fangfragen ..................... 374 „Sind Sie nicht auch der Meinung, dass…?“ 95. Zu wenig Erfahrung ........................................................ 378 Warum Erfahrung nicht durch Computerprogramme ersetzt werden kann 96. Lernen aus Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten................. 382 Warum die größten Fehler im Erfolg gemacht werden 97. Quantifikations-Irrglaube ................................................. 386 „Was man nicht quantifizieren kann, gibt es nicht!“? 98. Einfluss der Reziprozität .................................................. 390 Fühlen Sie sich nicht schuldig, nur aus Dankbarkeit! 99. Unterschätzen der adversen Selektion .............................. 394 Warum Sie bei asymmetrischen Informationen schnell „mit Zitronen handeln“ 100. Umgang mit unangenehmen Wahrheiten ........................ 398 Nichts tut so weh wie die Wahrheit

Inhalt

XXIII

Zusammenfassung ............................................................... 402 Schlussbetrachtung .............................................................. 406 Über die Illustratorin ............................................................ 410 Über den Autor .................................................................... 412 Quellen ............................................................................... 414

1. (Zu viele) Historische Daten

1. (Zu viele) Historische Daten Schauen Sie nicht zurück, sondern nach vorne! Denn nur so können Sie die zukünftigen Geschicke aktiv lenken.

Würden Sie sich freiwillig an das Steuer eines Sportwagens mit 500 PS setzen, bei dem die Frontscheibe zugeklebt ist und Sie sich stattdessen lediglich anhand des Rückspiegels orientieren können? – Wohlgemerkt: Sie fahren nicht rückwärts, sondern vorwärts. Was für alle, die nicht gerade lebensmüde sind, auf der Rennstrecke ein absolutes No-Go wäre, findet in der alltäglichen Unternehmenssteuerung noch viel zu häufig statt. Denn eine reine Orientierung auf Basis von historischen Daten gleicht einer Autofahrt lediglich anhand des Rückspiegels. Auf einer geraden Strecke, also einer wirtschaftlich stabilen Phase beziehungsweise eines sehr kurzen Zeitraums, mag dies sicherlich temporär funktionieren. Sobald aber unerwartete Situationen – um bei der Metapher der Autofahrt zu bleiben: Kurven – auftreten, geht dies unweigerlich schief. Spätestens die Finanzmarktkrise oder andere Extremereignisse haben gezeigt, dass ein lediglich auf historischen Daten basierendes Risikomanagement nicht effektiv funktionieren kann. Lediglich die Vergangenheitswerte zu extrapolieren und zu meinen, damit die zukünftige Entwicklung vorherzusagen, ohne die zugrunde liegenden Einflussgrößen zu verstehen, ist schlichtweg fatal. Insbesondere Innovationen und geänderte Rahmenparameter führen nämlich dazu, dass sich ehemals als stabil angenommene Sachverhal© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_1

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1. (Zu viele) Historische Daten

te teilweise komplett ändern können. Auch häufig unterstellte Korrelationen und Wechselwirkungseffekte brechen speziell in Krisensituationen auf oder ändern sich komplett. Deshalb sind dynamische und stochastische Simulationsansätze ein zentraler Bestandteil des modernen Risikomanagements. Neben Szenarioanalysen und sonstigen Simulationen zur Krisenanfälligkeit sollte auch eine regelmäßige Überprüfung der Risikostrategie sowie im Falle von Produktinnovationen und Änderungen wesentlicher Märkte, Strukturen und Ressourcen vorgenommen werden. Insbesondere im Falle von Innovationen sollten die Risiken stets im Auge behalten werden. Sofern die Risiken nicht abgeschätzt werden können, ist es in vielen Fällen ratsam, zusätzliche Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen oder im Extremfall Abstand von den Neuerungen zu nehmen. Um sich von den historischen Daten lösen zu können, ist ein ganzheitliches Verständnis der Risikolage notwendig. Folglich bedarf es unter anderem eines grundlegenden Verständnisses über die Gefährdungssituation und die jeweilige Eintrittswahrscheinlichkeit ausgewählter Risikofaktoren und -situationen. So zeigte sich etwa in der Finanzmarktkrise, dass sich die dortigen Risikomanagementsysteme allzu sehr auf historische Entwicklungen verlassen haben. Durch die starke Zunahme der Immobilienpreise wurden die Sicherheiten höher bewertet und das Kreditvolumen damit ausgeweitet. Als allerdings die Sicherheiten anschließend an Wert verloren haben, wurde erst ersichtlich, dass sich die Kreditqualität im Portfolio verschlechtert hatte. Die hohen Ausfallquoten konnten fortan nicht mehr durch hohe Recovery Rates, also einen hohen Verwer-

1. (Zu viele) Historische Daten

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tungserlös, ausgeglichen werden. Dieser verkürzte Wirkungszusammenhang macht umso deutlicher, dass eine qualitative Analyse (volks-)wirtschaftlicher Zusammenhänge und der grundlegenden Risiken des Geschäftsmodells eine elementare Rolle einnehmen. Wenn man sich allerdings nur einmal die aktuelle gesamtwirtschaftliche Lage vor Augen führt, wird bereits grob deutlich, wie komplex die Wirkungszusammenhänge sind: aufgrund der massiven Staatsverschuldungen, im Euro-Raum und auch weltweit, erfolgt – zumindest aktuell – eine globale „kalte Entschuldung“, indem die Zentralbanken den Leitzins niedrig halten. Zahlreiche Banken, Lebensversicherungsgesellschaften und Bausparkassen geraten aufgrund in der Vergangenheit ausgesprochener Zinsgarantien dadurch in entsprechende Turbulenzen. Auch die Globalisierung stellt führende Volkswirte immer wieder vor erhebliche Herausforderungen und macht valide Prognosen nahezu unmöglich. So sind politische und wirtschaftliche Entwicklungen von Schwellenländern wie Brasilien, Indien oder auch dem Mittleren und Nahen Osten (wie beim „arabischen Frühling“) sowie das Erstarken von Ländern wie Russland oder China mittel- bis langfristig nahezu unmöglich

prognostizierbar

und

auch

Umwelteinflüsse

(etwa

Fukushima) haben erhebliche Auswirkungen. Dasselbe gilt für die Aufkündigung bestehender Vereinbarungen, Freihandelsabkommen und auch Freizügigkeitsbestimmungen in eigentlich stabilen Regionen wie Europa oder Nordamerika. Mit steigender globaler Unsicherheit steigt auch die Bedeutung zukunftsgerichteter Daten und der reine Blick in den Rückspiegel wird immer gefährlicher!

2. Narrative Täuschung

2. Narrative Täuschung „Ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt!“ - Warum wir nur das wahrnehmen, was wir auch wollen.

Wer kennt das nicht: Erzählungen über den eigentlich gleichen Sachverhalt hören sich sehr unterschiedlich an, je nachdem, wen man dazu befragt. Seien es nun Fußballfans zweier unterschiedlicher Mannschaften, sei es nun aus Sicht der Finanzabteilung oder des Vertriebs oder aus Sicht des Chefs und des Mitarbeiters. Auch zu Beginn von Biografien werden Lebensereignisse herangezogen, um die angeblichen Ursachen für den späteren Lebensweg - im Nachgang - zu erklären. In der Biografie von Walter Isaacson über Steve Jobs wird beispielsweise ein Großteil seines Erfolgs auf die Erfahrungen in der Kindheit in Bezug auf seinen Vater zurückgeführt. Paul Jobs - über den Steve später rausfand, dass er nicht sein biologischer Vater war - war ein detailversessener Maschinist der Küstenwache und Handwerker, der beispielsweise sehr sorgsam die Rückseite von Schränken und Zäunen gestaltete, auch wenn sie verborgen waren. Das Zusammenspiel zwischen seiner Adoption und der handwerklichen Begabung des Vaters wird immer wieder als Erklärung für seine zentralen Charakterzüge als Erwachsener herangezogen. Dieser Zusammenhang wurde aber von Steve Jobs immer wieder bestritten speziell die Tatsache, dass er es seinen biologischen Eltern, die ihn zur Adoption freigaben, in besonderem Maße beweisen wollte (vgl. Isaacson 2011, S.5). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_2

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2. Narrative Täuschung

Speziell bei Managemententscheidungen ist es nicht nur störend, sondern brandgefährlich, wenn nachträglich eine Erzählung oder gar eine „Legende“ geschaffen wird, um einem Ereignis einen erkennbaren Grund zu verleihen. Denn dadurch entsteht sehr schnell der Eindruck, dass alles geordnet und verständlich ist und die Zukunft wunderbar vorhergesagt werden kann. Am Beispiel von Steve Jobs wird der Einfluss der narrativen Täuschung auch nochmals deutlich, wenn man sich die angeblichen Ursachen für seinen großen Erfolg vor Augen führt: harte Arbeit, detailversessene Eltern, als Kind zur Adoption freigegeben et cetera. Allein in den USA dürfte es im gleichen Zeitraum sehr viele weitere junge Erwachsene mit nahezu identischen Voraussetzungen gegeben haben, die aber allesamt nicht annähernd so erfolgreich wurden. Natürlich steht es wohl genauso außer Frage, dass eine Person ohne jeglichen Ehrgeiz und ohne jegliche Design- und Detailorientierung nie so erfolgreich gewesen wäre. Gleichzeitig sollte berücksichtigt werden, dass die aufgeführten Ursachen nur einige der vielen Gründe für den Erfolg waren. Einen weiteren maßgeblichen Einfluss dürften auch das richtige Timing, das richtige Umfeld, die richtigen Freunde, Kollegen und Geschäftspartner sowie schlichtweg Glück gehabt haben. Da sich dies aber nicht so spektakulär anhört und nur schwer greifbar ist, wird dies häufig ausgeblendet. Aus diesem Grund unterscheidet sich die moderne empirische Forschung von der über Jahrtausende vorhandenen, naiven und rückwärtsgewandten Kausalität, indem nicht Ursachen für das Ergebnis gesucht werden, sondern gefragt wird, ob ein gewisser Faktor

2. Narrative Täuschung

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einen positiven oder negativen Einfluss gehabt hätte. Beispiel: hätte es einen positiven oder negativen Einfluss auf die Karriere von Steve Jobs gehabt, wenn er nicht adoptiert worden wäre? – Diese Frage ist unmöglich zu beantworten. Vielmehr handelt es sich hierbei lediglich um eine Hypothese, die sorgsam auf ihre Anwendbarkeit und ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden muss. Da Hypothesen im Management häufig eher wenig sorgsam oder gar nicht mehr empirisch geprüft werden, sollten speziell bei der Darstellung von reinen Fakten auf den Zusammenhang geachtet und genügend Hintergrundinformationen geliefert werden. Dadurch lässt sich der potenzielle Nährboden der narrativen Täuschung deutlich reduzieren. Außerdem sollten im Berichtswesen und in der qualitativen Aufarbeitung von Sachverhalten, Strategien und Planungen, harte Fakten sehr genau von der persönlichen Meinung getrennt und auf keinen Fall unübersichtlich miteinander vermischt werden. Um zu verhindern, dass die Vergangenheit im Geschäftsumfeld allzu sehr „verklärt“ wird, kommt dem Berichtswesen eine sehr zentrale Bedeutung zu. Bei besonders wichtigen Entscheidungen schwören nicht wenige Entscheider auf eine Art „Tagebuch“, in das die wichtigsten Gedankengänge, Prämissen und Steuerungsalternativen geschrieben werden. Dies ist zwar sehr zeitaufwendig und häufig „lästig“, ermöglicht aber eine sehr gute Reflektion und Rekonstruktion der Entscheidungsgrundlage auch noch Jahre oder gar Jahrzehnte später.

3. Halo-Effekt

3. Halo-Effekt Wir lieben Erfolgsgeschichten und blenden alles Drumherum aus

Wie lässt es sich erklären, dass der Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft, Joachim Löw, bis Anfang Juni 2018 als innovativ, empathisch, flexibel und entscheidungsfreudig galt und keine vier Wochen später als altbacken, orientierungslos, starr und zu wenig entscheidungsfreudig? Dazwischen lag die WM 2018, bei der das deutsche Team als amtierender Fußball-Weltmeister sang- und klanglos bereits in der Vorrunde ausschied. Beide Beschreibungen mögen sich unter Berücksichtigung der jeweiligen Ergebnisse plausibel anhören. Gleichzeitig ist der Halo-Effekt aber so stark, dass man nahezu automatisch den Kausalzusammenhang umkehrt: man neigt zu der Auffassung, dass die Mannschaft scheitert, weil der Trainer zu unflexibel ist. Aber ist es in Wahrheit nicht eher so, dass der Trainer unflexibel erscheint, weil die Mannschaft schlecht spielt? Das große Problem ist häufig, dass wir unsere Geschichten und Erklärungen zu sehr für Vorhersagen heranziehen. Unsere Erklärungen und subjektiven Empfindungen erscheinen damit realer und objektiver als sie tatsächlich sind. Besonders kritisch wird es immer dann, wenn negative Entwicklungen allzu lange von bestimmten, als positiv wahrgenommenen Eigenschaften überstrahlt werden.

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3. Halo-Effekt

Ein anschauliches Beispiel ist der sogenannte „Cheerleader-Effekt“, der besagt, dass eine einzelne Person in einer Gruppe von Menschen attraktiver wirkt als für sich allein betrachtet. Die Attraktivität der Cheerleader-Gruppe als Ganzes überstrahlt die tatsächliche Attraktivität der einzelnen Mitglieder. Aufgegriffen wurde diese kognitive Verzerrung in der US-Fernsehserie „How I Met Your Mother“, als die Figur Barney Stinson seinen Freunden den Effekt in einer Bar erläutert: eine Gruppe von Frauen, die soeben die Bar betrat, sah in Summe ansprechender aus, als wenn man die Frauen einzeln betrachtet (4. Staffel, Episode 7, Folge „Der Nicht-Vatertag“). Denn als die Kamera auf die einzelnen Damen zoomte, sah man plötzlich Zahnfehlstellungen, Piercings an allen Stellen des Gesichts und überdimensionierte Augenbrauen. Die beiden US-Psychologen Drew Walker und Edward Vul konnten diesen Effekt in fünf Experimenten mit über 130 Versuchspersonen empirisch nachweisen. Auch bei Best Practices und möglichen Blaupausen von hocherfolgreichen Unternehmen sollte immer auch eine kritische Distanz eingehalten werden. So erklärt beispielsweise der Wirtschaftsnobelpreisträger von 2002, Daniel Kahneman, dass Bestseller wie „Immer erfolgreich“ (im Original: Built to Last) oder auch „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“ (im Original: In Search of Excellence) ebenfalls dem HaloEffekt aufsitzen. Denn bei der Analyse der Unternehmen, bei denen eines erfolgreicher war als das andere, wird dem Faktor Zufall und Glück keine oder nur eine untergeordnete Rolle zugestanden. Stattdessen werden hochkonsistente Muster erarbeitet, anhand derer „ein visionäres Unternehmen aufgebaut werden könne“ (vgl. Collins, Porras 2003).

3. Halo-Effekt Dies

wird

auch

12 dadurch

unterstützt,

dass

die

Qualität

von

Führungsteams und Managementpraktiken (bisher) nicht empirisch belegt werden konnte. Vielmehr ist der Vorsprung der, in der Studie untersuchten, herausragenden zu den weniger erfolgreichen Unternehmen im Hinblick auf die Ertragskraft und die Aktienrendite praktisch auf null gesunken. Gleiches galt für die Unternehmen aus dem Buch „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“. Dies zeigt sich allein an Firmen wie Citigroup, Hewlett Packard, Motorola oder Sony, die zwar weiterhin am Markt tätig sind, aber bei Weitem nicht mehr alle Wettbewerber überflügeln. Man wäre nun natürlich schnell dazu geneigt, dies mit der Selbstzufriedenheit der erfolgreichen und der höheren Anstrengung der weniger erfolgreichen Unternehmen zu erklären. Dies wäre allerdings – ohne weitere Belege für diese These zu haben – eine narrative

Täuschung! Sicherlich sind viele der aufgeführten Management- und Führungsprinzipien sehr hilfreich. Gleichzeitig sind die genannten Faktoren aber wohl nicht die einzigen Einflussfaktoren. Denn ansonsten wären ja alle Unternehmen, die sich an die Tipps der Bestseller halten, automatisch hocherfolgreich. Vielmehr spielen auch Zufall und Umweltbedingungen, die nicht beeinflussbar sind, eine zentrale Rolle, die häufig unterschätzt wird.

4. Selbstüberschätzung

4. Selbstüberschätzung Oder wie der Rheinländer sagen würde: „et hätt noch immer jut jejange“

Wenn Negativmeldungen von anderen Unternehmen gelesen werden, hört man häufig fast schon reflexartig und mit tiefster Überzeugung den Satz „so etwas passiert bei uns nicht!“. Gleichzeitig werden die genauen Ursachen und Wirkungen aber gar nicht genau studiert und nicht weiter geprüft, ob es nicht doch auch theoretisch denkbar wäre, dass im eigenen Unternehmen entsprechende Krisensituationen eintreten. Auch in anderen Lebensbereichen ist die Selbstüberschätzung weit verbreitet, wie Taleb anschaulich zeigte: in Befragungen gaben 84% der französischen Männer an, überdurchschnittliche Liebhaber zu sein. Ohne den „Overconfidence-Effekt“ müsste dieser Anteil allerdings bei genau 50% liegen. Denn beim Durchschnitt, oder genauer gesagt: dem Median, wären exakt die eine Hälfte der Männer unter- und die andere Hälfte der Männer überdurchschnittliche Liebhaber (vgl. Taleb 2011, S.192). Speziell in der Verhaltensökonomik wurde die Selbstüberschätzung (Overconfidence Bias) in robusten Experimenten untersucht und umfassend beleuchtet. Grundsätzlich gibt es drei Arten der Selbstüberschätzung: Einschätzung der aktuellen Leistung, Einschätzung der eigenen Leistung im Vergleich zu anderen, Einschätzung des eigenen Wissens (hinsichtlich Exaktheit, Aktualität et cetera). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_4

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4. Selbstüberschätzung

Selbstüberschätzung ist keine generelle Persönlichkeitseigenschaft, sondern in erheblichem Umfang kontextabhängig. So zeigte sich, dass die eigenen Fähigkeiten speziell in einfachen und alltäglichen Situationen überschätzt werden (zum Beispiel beim Autofahren). Gleiches gilt für die äußerliche Attraktivität, Intelligenz, moralisches Handeln et cetera. Umgekehrt werden in eher komplexen oder sehr speziellen Situationen

die

eigenen

Fähigkeiten

häufig

unterschätzt

(vgl.

Moore/Healy 2008). So meinen die meisten Leute, dass sie unterdurchschnittliche Schachspieler seien (vgl. Kruger 1999). Männer neigen außerdem dazu, sich stärker zu überschätzen als Frauen. Dunning und Kruger zeigten 1999 in Experimenten an der Cornell Universität, dass weniger kompetente Personen ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen und die überlegenen Fähigkeiten bei anderen schlichtweg nicht erkennen. Selbst wenn sie finanzielle Anreize erhalten, um präzisere Schätzungen der eigenen Leistung vorzunehmen, überschätzen sie sich weiterhin (vgl. Ehrlinger et al. 2008). Die Selbstüberschätzung erfolgt also unterbewusst und unbeabsichtigt. Durch Bildung und Übung können diese Personen nicht nur ihre eigene Kompetenz steigern, sondern auch lernen, sich und andere besser einzuschätzen. Ausdrücklich nicht unter diese Kategorie fällt die incentivierte Selbstüberschätzung, wie man sehr häufig etwa bei großen Bauprojekten sieht, bei denen sowohl die Bauzeiten als auch die Kosten schnell ein Vielfaches der ursprünglichen Schätzung ausmachen. Da diese Selbstüberschätzung aber häufig einkalkuliert oder auch incentiviert wird – Politiker müssen ein geringeres Budget beantragen und später wird ein Großprojekt trotz überbordender Kosten im Normalfall nicht mehr

4. Selbstüberschätzung

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gestoppt, sobald ein gewisser Baufortschritt erkennbar ist (Beispiele wie den geplanten Flughafen Berlin-Brandenburg (BER), Stuttgart 21, die Hamburger Elbphilharmonie et cetera gibt es zur Genüge) – hat dies nichts mehr mit einer intuitiven, teilweise naiven Selbstüberschätzung zu tun! Speziell hinsichtlich Zukunftsprojektionen zeigt sich bei den Entscheidern sehr häufig, dass die eigenen Einschätzungen als deutlich präziser eingeschätzt werden, als sie tatsächlich sind. Um den Raum für Selbstüberschätzung möglichst gering zu halten, ist es wichtig, dass die Unschärfen bei Prognosen hervorgehoben werden und dass keine Scheingenauigkeit von langfristigen Planungen entsteht. Dies lässt sich beispielsweise auch durch entsprechend umfangreiche Bandbreiten bei Langfristplanungen erreichen. Auch sollten die Grenzen der Aussagekraft von Modellen sowie die Wechselwirkungszusammenhänge bestimmter Einflussgrößen immer wieder hervorgehoben werden. Im Risikobereich ist es deshalb unerlässlich, dass sich das Management laufend mit der Risikosituation befasst. Nur wenn die Entscheider nicht nur „book smart“, sondern auch „street smart“ sind, sich also nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis im Detail auskennen, können Verständnis und Sensibilität erzeugt werden. Dadurch wiederum lässt sich das Überschätzungspotenzial niedrig halten.

5. Mitläufereffekt und Gruppendenken

5. Mitläufereffekt und Gruppendenken Schwarmintelligenz oder doch eher „dumme“ Lemminge?

Der Mitläufereffekt (Bandwagon Effect) respektive das Herdenverhalten (Herding) kann häufig bei fortgeschrittenen Trends und Hypes beobachtet werden. Je mehr Personen bereits mitmachen, umso mehr weitere Personen nehmen hastig auch noch teil, nur um nichts zu verpassen und dazuzugehören. Dies zeigt sich regelmäßig bei Aktienblasen, wenn man in der Spätphase kurz vor dem Platzen der Blase von Hausfrauen, vom Friseur oder sonstigen im Normalfall nicht sonderlich börsenaffinen Personen angeblich heiße Aktientipps bekommt. Auch in der Politik sieht man sehr häufig den Mitläufereffekt. Speziell dann, wenn Personen die aktuell in Umfragen führende Partei wählen, um auf der Gewinnerseite zu sein, sich aber nicht näher mit dem Inhalt des Wahlprogramms befasst haben. Auch in Meetings und Gruppendiskussionen ist immer wieder zu konstatieren, dass keine grundlegend neuen Ergebnisse erarbeitet werden (können). Vielmehr besteht die große Gefahr, dass sich einer auf den anderen verlässt, getreu dem Motto „nimm du ihn, ich hab ihn sicher“ und schlechte Ergebnisse herauskommen. Je nach Gruppendynamik kann es durch Gruppendenken (Groupthink) sogar so weit gehen, dass eine Gruppe von eigentlich kompetenten Personen eine schlechtere oder realitätsfernere Entscheidung trifft, weil jede einzelne Person ihre Meinung an die erwartete Gruppenmeinung anpasst. Auch sieht man insbesondere in größeren Gruppen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_5

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5. Mitläufereffekt und Gruppendenken

oder auch Gruppen mit höheren Hierarchieebenen, dass Bedenken oder Feedback nicht frei geäußert werden, sei es aufgrund von Angst oder schlichtweg, um keine Mehrarbeit aufgehalst zu bekommen. Bekannte Beispiele hierzu sind unter anderem der Vietnamkrieg, die Schweinebucht-Invasion,

die

Watergate-Affäre,

das

Challenger-

Unglück oder auch der Korruptionsskandal im Enron-Konzern. Auch in vielen

Unternehmen

herrscht

ein

gefährlicher

Mitläufereffekt

beziehungsweise ein Gruppendenken vor. Wahrscheinlich kennen die meisten von Ihnen den Sparkassen-Werbespot über die „Krisensitzung bei der 08/15 Bank“: Vorstand:

Die

Kunden

laufen

uns

davon.

Vorschläge? Lohmann! Lohmann:

Wir verteilen bunte Fähnchen!

Namenlose Kollegin:

Oder wir machen es wie die Sparkassen: persönliche

Beratung,

quasi

überall

kostenfreie Geldautomaten, immer eine Filiale in der Nähe – und das alles in einem Konto.

Beifall Vorstand:

Was brauchen Sie dafür?

Namenlose Kollegin:

16.000 Filialen, 130.000 Berater, 25… (wird unterbrochen)

Vorstand:

Zustimmendes Klopfen

Ok… wir machen das mit den Fähnchen

5. Mitläufereffekt und Gruppendenken

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Um eine zu starke, lähmende Konsenskultur beziehungsweise auch eine Schweigespirale zu vermeiden, ist es sehr wichtig, dass bei jeder Entscheidung immer auch Querdenker und kritische Personen involviert sind, die - wenn nötig - auch anecken und die Rolle des Devil’s Advocate einnehmen. Natürlich sollten deren Einwände auch ernst genommen werden – und nicht wie bei obigem Beispiel der 08/15-Bank einfach abgebügelt werden. Sehr effektiv lassen sich die Schwachstellen des Gruppendenkens auch dadurch ausmerzen, dass anonymes Feedback oder auch anonyme Vorschläge eingereicht werden können. Dies ermöglicht, dass Kritik ungefiltert und direkt geäußert werden kann, ohne dass eine

einzelne

Person

mit

negativen

Konsequenzen

aufgrund

hierarchisch-unternehmenspolitischer Zugehörigkeiten rechnen muss. Die Verantwortung von der Gruppe zu entziehen und in die Hände einer einzelnen Person zu legen, kann ein weiterer Ausweg sein. Dies ist allerdings mit weiteren Problemen verbunden, wie etwa Machtkämpfen, reduziertem Engagement der nicht in die Entscheidung involvierten Personen et cetera. Letzten Endes ist es aber ratsam, immer einer Person die konkrete Verantwortung für einen Themenbereich zu übertragen, damit sich niemand hinter der Gruppe verstecken kann. Je nach Unternehmens- und Feedbackkultur gibt es immer auch eine kritische Größe, bis zu der noch konstruktiv in einer Gruppe gearbeitet werden kann. Ab einer gewissen Größe kommt es häufig dazu, dass die Produktivität schlagartig sinkt und die „Surfer“ überhandnehmen.

6. Problem der Induktion

6. Problem der Induktion Der Mensch als bester Freund des Truthahns?

„Dem Truthahn geht es gut. 1.000 Tage lang füttert ihn der Mensch und jeden Tag steigt seine Zuversicht, dass der Mensch ihm Gutes will und dafür sorgt, dass es ihm weiter jeden Tag besser geht. Dann, am 1.001. Tag (Thanksgiving-Fest), geschieht etwas völlig Unerwartetes: Der Truthahn wird geschlachtet und sein Wohlbefinden stürzt in den Keller.“ (vgl. Taleb 2011, S.61).

Das Problem der Induktion ist ein bekanntes Grundproblem der Erkenntnistheorie und beschäftigt sich mit der Frage, ob und wann ein Schluss durch die sogenannte Induktion von Einzelfällen auf ein allgemeingültiges Gesetz zulässig ist. Erstmalig wurde diese Fragestellung 1740 von David Hume (deshalb auch häufig als HumeProblem bekannt) aufgeworfen. Das obige „Truthahn-Beispiel“ verdeutlicht diese Schwäche anschaulich. In diesem Kontext wird immer wieder die Metapher des schwarzen Schwans verwendet, um extrem seltene Ereignisse zu beschreiben, die kaum vorhersehbar, aber trotzdem von sehr hoher Bedeutung sind. Charakteristisch für schwarze Schwäne ist ferner, dass sie im Rückblick gut erklärbar sind. Die Metapher des schwarzen Schwans wurde von Nassim Nicholas Taleb, einem New Yorker Professor für Risikoforschung und ehemaligem Wertpapierhändler sowie Autor des gleichnamigen Buchs, © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_6

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6. Problem der Induktion

geprägt. Jahrhundertelang waren in Europa nur weiße Schwäne bekannt und daraus wurde induktiv geschlussfolgert, dass alle Schwäne weiß seien. Mit der Entdeckung schwarzer Schwäne Ende des 17. Jahrhunderts in West-Australien wurde dieses Weltbild allerdings in seinen Grundfesten erschüttert (vgl. Hafner 2009, S.3; vgl. Taleb 2011, S.1). Taleb kritisiert, dass vielfach aus den verfügbaren Fakten ein stimmiges Bild konstruiert wird (vgl. narrative Täuschung). Daten aus der Vergangenheit spielen hierbei eine ganz zentrale Rolle (vgl. historische

Daten). Es zeigt sich hierbei aber, dass aus einer endlichen und damit unvollkommenen Menge bekannter Beobachtungen niemals auf die allgemeine

Gültigkeit

des

scheinbar

erkennbaren

Sachverhalts

geschlossen werden darf (vgl. Gleißner, Papenbrock 2012). Es bleibt also immer ein gewisses „Restrisiko“ bestehen. Speziell wenn man berücksichtigt, dass die Wirklichkeit eben nicht immer ein Idealbild der Vergangenheit darstellt, sondern vielfach chaotisch, überraschend und unberechenbar ist (vgl. Romeike 2010a, S.10). Das Management sollte beim Umgang mit induktiven Schlussfolgerungen deshalb sehr vorsichtig sein und sich vielmehr am philosophischen Standpunkt von Karl Popper orientieren, der anstatt absoluter Wahrheiten vielmehr Hypothesen einfordert. Konkret ist er also davon überzeugt, dass die Wahrheit des Satzes „Alle Schwäne sind weiß“ nicht durch einzelne Beobachtungssätze des Typs „Dieser Schwan ist weiß“ bewiesen werden kann. Denn schon ein einziger schwarzer Schwan reicht aus, um diese Globalaussage zu entkräften. Vielmehr sollten in einem ersten Schritt Hypothesen als Antworten für Probleme aufgestellt werden, die in einem zweiten Schritt durch Beobachtungen

6. Problem der Induktion

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versucht werden zu falsifizieren. Sofern dies nicht gelingt, ist dies aber noch keine Garantie dafür, dass es in Zukunft nicht gelingen kann. Problematisch wird es immer dann, wenn die Zukunft, zum Beispiel bei

vielen

Szenarioanalysen,

anhand

von

Vergangenheitsdaten

vorhergesagt werden soll und schwarze Schwäne hierdurch völlig unberücksichtigt bleiben. Dies gilt allgemein für sämtliche induktiven Modelle, die von endlichen Vergangenheitsdaten auf die Zukunft schließen möchten. Als eines der anschaulichsten Beispiele eines schwarzen Schwans der jüngeren Vergangenheit mit besonders dramatischem Ausmaß kann der Niedergang der Bank Lehman Brothers herangezogen werden.

„Mittwoch war die Sorte Tag, an den sich die Leute noch lange erinnern werden. Ereignisse, die wir mit einer Wahrscheinlichkeit von einmal in zehntausend Jahren kalkuliert haben, traten drei Tage lang jeden Tag ein.“ [Matthew Rodman, Manager bei Lehman Brothers] Beim Einsatz von Modellen sollten Sie sich immer kritisch fragen, wie belastbar dieses Modell ist beziehungsweise ob es nicht auch andere Entwicklungen geben kann, die nicht vom Modell prognostiziert wurden. Ist der unterstellte Zeitraum wirklich repräsentativ oder handelt es sich um ein „Schönwetter-Modell“? Auch Kreativitätstechniken können sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, weitere – plausibel

mögliche



Entwicklungen

und

Ursache-Wirkungs-

zusammenhänge zu identifizieren und im Entscheidungsprozess abzubilden.

7. Inflation der „schwarzen Schwäne“

7. Inflation der „schwarzen Schwäne“ Schwarzer oder doch nur ein dreckiger, weißer Schwan?

Durch den Bestseller „Der schwarze Schwan“ von Nassim Taleb hat dieser Begriff speziell im Risikomanagement eine sehr große Bekanntheit erlangt und es wurden viele Ansatzpunkte für den Umgang beziehungsweise die Vermeidung solcher Extremereignisse diskutiert. Gleichzeitig kann man aber auch immer häufiger vernehmen, dass auch „normale“ Probleme schnell als unvorhersehbare „schwarze Schwäne“ klassifiziert werden, um ein mögliches Führungsversagen unter den Teppich zu kehren. Um bei der Metapher des schwarzen Schwans zu bleiben: die angeblich schwarzen Schwäne sind vielfach gar keine schwarzen Schwäne im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr „dreckige“ weiße Schwäne. Das heißt, die als unvorhersehbar eingestuften Ereignisse wären tatsächlich statistisch in gewissem Umfang vorhersehbar gewesen. Ihre Nicht-Identifikation kann unter anderem auf eine Fehlinterpretation der Ergebnisse oder eine fehlerhafte Kalibrierung und/oder Validierung der Modelle zurückgeführt werden. Ähnlich wie bei der narrativen Täuschung besteht speziell bei eigenen Fehlern die Gefahr, dass die Ursachen für Krisen nicht näher ergründet werden und stattdessen als „Pech“ oder „nicht beeinflussbar“ abgetan werden. Ein solch pauschales Abtun wirft das Risikomanagement aber wieder in die Zeit der Antike zurück, als man die Handlungen der Götter für sämtliche Wechselfälle des Lebens verantwortlich gemacht hat. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_7

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7. Inflation der „schwarzen Schwäne“

Dank der Ablösung des römischen durch das arabische Zahlensystem wurde die Beeinflussung der Zukunft durch den Menschen in den Bereich des Möglichen verlegt und Themen wie Planung, Budgetierung und Kalkulationen von Handlungsalternativen wurden ermöglicht. Trotz der gelegentlichen Ausnahmesituationen, wie eben die schwarzen Schwäne, sollte deren Auftreten nicht inflationär herbeigeredet werden. Vielmehr besteht die zentrale Aufgabe darin, die bestehenden Modelle und Tools „schwarze Schwäne-sicher“ zu machen. Das heißt, die Auswirkungen von unwahrscheinlichen, trotzdem aber plausibel möglichen, Situationen zu untersuchen und mögliche Handlungsalternativen und Schwellenwerte vorzudefinieren, um im Extremfall noch reagieren zu können. Ein sehr interessantes Beispiel, wie Fehler nicht unter den Teppich gekehrt, sondern stattdessen zu etwas Positivem umgemünzt werden, ist die Fehlerkultur bei Google und deren sogenannter „PinguinAward“. Unter dem Motto „Stelle ein Projekt vor, das so richtig an die Wand gefahren ist“ fordert Google seine Mitarbeiter explizit dazu auf, sich zu Niederlagen öffentlich zu bekennen und die Erfahrungen mit den Kollegen zu teilen, um anschließend gemeinsam „aus Fehlern klug zu werden“. Der Name des Awards orientiert sich dabei an einer bewährten Praxis in der Natur: Pinguine weisen eine besondere Form des Sicherheitsmanagements auf. Aus einer Pinguin-Gruppe springt zumeist nur einer in ein Wasserloch im Eis, um nach Fischen zu tauchen. Erst wenn dieser wieder lebendig an Land kommt, begibt sich auch der Rest der Gruppe auf Fischjagd. Dieses Verhalten soll die Mitglieder der Gruppe davor schützen, dass sie durch einen Irrtum („kein Feind im Wasser“) allesamt umkommen.

7. Inflation der „schwarzen Schwäne“

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Eine solche Risikokultur lässt sich natürlich nicht einfach von oben herab verordnen, sondern es bedarf einer gewissen Zeit und eines permanenten Vorlebens durch das Management. Gleiches gilt auch für die kritische Prüfung von Plänen und möglichen Handlungsalternativen, sofern es zu plötzlichen, gravierenden Änderungen kommt. Speziell bei Szenarioanalysen und Stresstests sollten der Fantasie keine Grenzen gesetzt sein. Denn nur durch „herumspinnen“ (natürlich nur im plausiblen Rahmen) kommt man auch auf neue, theoretisch denkbare Entwicklungen. Ein Artikel der Harvard Business Review aus dem Jahr 2017 forderte deshalb, dass Manager mehr Science Fiction lesen sollten (vgl. Peper 2017). Als Beispiel wird aufgeführt, dass die Stadt New York Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund der 145.000 Pferde, die wiederum 45.000 Tonnen Dünger pro Monat produzierten, „zum Himmel stank“. Stadtplaner und Experten kamen aus aller Welt, um nach einer Lösung für dieses Problem zu suchen. 14 Jahre später löste es sich quasi von allein durch die weite Verbreitung des Automobils. Neue Techniken wie Big Data oder auch maschinelles Lernen hätten hierbei nicht weiterhelfen können, da sie lediglich vergangene Trends extrapolieren. Vielmehr ist es Science Fiction, die eine alternative Realität zeigt. Dies ist auch im Sinne Karl Poppers, der speziell beim Problem der

Induktion die Anfälligkeit bestimmter Weltbilder aufgezeigt hat, die aber in Wirklichkeit lediglich Hypothesen sind und keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben, sondern laufend überprüft werden müssen. Dies sollte stets im Hinterkopf behalten werden. Denn nur dann wird verhindert, dass alles auf eine vermeintlich todsichere Karte gesetzt wird, wie etwa in der Finanzkrise vielfach zu beobachten war.

8. Zukunft als Blackbox

8. Zukunft als Blackbox Vogelstrauß-Politik auf kölsch: „et kütt wie et kütt“

Unternehmen, die sich nicht mit ihrer Zukunft befassen und keine soliden Planungen aufstellen, sind zum Scheitern verurteilt. Wie möchte man denn sonst entscheiden, wie und wo die vorhandenen Ressourcen am besten und am gewinnbringendsten eingesetzt werden sollen und ob man auf dem richtigen Weg ist oder ob irgendwo dringend gegengesteuert werden muss? Ohne eine vernünftige Planung verlässt man sich rein auf das Glück. Man könnte also genauso gut an den Roulettetisch gehen und dort versuchen, nachhaltig erfolgreich zu sein. Natürlich lässt sich über den Detaillierungsgrad der Planung trefflich streiten. Außerdem ist die Zukunft nun einmal ungewiss und lässt sich nicht perfekt vorhersagen. Bei einer soliden Planung geht es aber auch nicht darum, die Zukunft vorherzusagen, sondern Transparenz zu schaffen und auf die Zukunft vorbereitet zu sein. Das heißt, frühzeitig Trends zu erkennen, die Ressourcen so einzusetzen, dass am Ende möglichst viel Geld übrig bleibt und langfristige Erfolgspotenziale genutzt werden können. Sicherlich haben auch die Branche, die Unternehmensgröße oder der Lebenszyklus des Unternehmens einen Einfluss auf die Art der Planung. Über die Bedeutung der Planung zum Aufbrechen der „Blackbox Zukunft“ gibt es nur selten unterschiedliche Meinungen. Nicht

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8. Zukunft als Blackbox

umsonst hat der römische Philosoph Seneca bereits vor knapp 2.000 Jahren über die Wichtigkeit einer Planung befunden:

„Wer nicht weiß, in welchen Hafen er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.“ Wie sich auch in einer Studie der Dominican University of California gezeigt hat, sind Menschen, die sich Ziele setzen, erfolgreicher als Personen, die sich keine Ziele setzen. Hinweis: in der Literatur wird

vielfach eine Studie der Yale Universität aus dem Jahre 1953 herangezogen. Demnach setzten sich gerade einmal 3% aller befragten Probanden Ziele. Diese Personen waren aber anschließend deutlich erfolgreicher als jene Personen, die sich keine Ziele setzten. Eine solche Studie hat allerdings nie existiert (vgl. Tabak 1996 und Yale 2010). Gleichzeitig konnten aber durch eine Studie der Dominican University of California ähnliche Ergebnisse erzielt werden, wie sie bereits aus der angeblichen Yale Studie kommuniziert wurden (vgl. Matthews 2008 und Dominican University 2008). Anhand einer guten Zielsetzung entstehen einerseits ein langfristiger Motivationsschub und gleichzeitig auch ein greifbarer Fokus, auf den hingearbeitet werden kann. Sehr wichtig ist, dass eine Planung flexibel aufgesetzt wird und entsprechende Handlungsalternativen möglichst frühzeitig durchexerziert werden. Im Finanzsektor sind die Stresstests als eine Unterart von Szenarioanalysen mittlerweile ein regulatorischer Standard. Hierin werden die Auswirkungen von Extremereignissen auf das eigene Unternehmen untersucht. Hierbei lassen sich grundsätzlich historische, hypothetische und hybride Szenarien unterscheiden. Historische Szenarien basieren auf in der

8. Zukunft als Blackbox

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Vergangenheit eingetretenen Krisen. Diese sind allerdings für Stresstests unbrauchbar, da eine rein vergangenheitsbezogene Betrachtung zu kurz greift und neue Entwicklungen systematisch außer Acht lässt

(vgl. historische Daten, vgl. schwarze Schwäne). Hypothetische Szenarien auf der anderen Seite bilden losgelöst von historischen Entwicklungen mögliche, in der Regel völlig neue, Entwicklungen ab. Da die rein hypothetischen Szenarien häufig schnell als „Spinnerei“ abgetan werden, findet sich mit den hybriden Szenarien eine Kompromisslösung. Die Grundlage bilden zwar weiterhin hypothetisch und plausibel mögliche Szenarien, diese wurden aber im Hinblick auf einzelne Parameter und Wechselwirkungszusammenhänge mithilfe historischer Ereignisse kalibriert. Frei nach Mark Twain, der feststellte, dass sich die Geschichte zwar nicht „wiederholt“, sich dafür aber „reimt“. Um die „Blackbox Zukunft“ zu öffnen und sich vom Faktor Glück und Zufall zu lösen, ist es sehr wichtig, dass die UrsacheWirkungszusammenhänge

transparent

gemacht

und

regelmäßig

geprüft werden. Denn diese sind nicht vollkommen stabil, sondern können – je nach Marktsituation – auch aufbrechen und sich komplett ändern. Außerdem gilt es, die richtige Granularität der Planung und Zielsetzung

zu

finden.

Ausgehend

vom

Umsatz

beziehungsweise

Abschlussvolumen sollten für die einzelnen Unternehmensbereiche SMARTe (spezifische, messbare, erreichbare, realistische und terminierte) Ziele heruntergebrochen werden. Häufig wird für die längerfristige Zukunftsplanung eine Vision entworfen, die als eine Art Fixstern über der kurzfristigen Zielsetzung und Planung thront.

9. Angst vor dem Unbekannten und Unkontrollierbaren

9. Angst vor dem Unbekannten und Unkontrollierbaren Majestix und Risikomanagement

Kennen Sie Majestix? Majestix ist der Häuptling des gallischen Dorfes in Aremorica und deshalb gleichzeitig einer der Hauptdarsteller der Asterix-Serie. Er wird als majestätischer, mutiger, argwöhnischer, alter Krieger beschrieben, der von seinen Leuten respektiert und von seinen Feinden gefürchtet wird. Majestix selbst fürchtet nur eine einzige Sache: dass ihm der Himmel auf den Kopf fallen könnte! Vom heutigen Stand der Naturwissenschaften ist man schnell versucht, seine Sichtweise als „dumm“ abzutun. Denn schließlich ist der Himmel doch noch nie irgendjemandem auf den Kopf gefallen. Andererseits: denkbar wäre so etwas. Wenn auch nicht oder nur sehr schwer zu beweisen. Was sich in ähnlicher Form aber auch heute noch zeigt, ist die Tatsache, dass der Faktor Angst sich auch sehr stark auf das Risikomanagement überträgt und dazu führt, dass teilweise unverständliche oder auch irrationale Dinge getan werden. Grundsätzlich werden Gefahrenquellen umso riskanter eingeschätzt, je weniger man mit ihnen vertraut ist, je unbekannter und unkontrollierbarer sie sind. Früher waren dies Hexen oder zürnende Götter, später etwa Lokomotiven oder Automobile und heute Themen wie selbstfahrende Autos, Elektrosmog, gentechnisch veränderte Lebensmittel, © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_9

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9. Angst vor dem Unbekannten und Unkontrollierbaren

Klimawandel et cetera. Die sogenannten Phantomrisiken finden sich häufig dort, wo Technikbegeisterung der Skepsis weicht. Am Beispiel Elektrosmog zeigt sich das Phantomrisiko sehr deutlich. Über 650 Milliarden Kilowattstunden Strom surren jährlich durch deutsche Haushalte – durch Fernseher, Computer, Telefone, Heizungen, Kühlschränke, Mikrowellen et cetera (vgl. Umweltbundesamt 2018). Knapp zwei Drittel der Bundesbürger haben ein Smartphone. Strommasten, Oberleitungen und Sendeantennen sind weit über die Lande verteilt. Wissenschaftler vermuten, dass sich bei einer so hoch elektrifizierten Umwelt auch elektrischer Smog bildet. Die elektromagnetischen Felder wiederum stehen im Verdacht, Krebs, Alzheimer und Parkinson zu verursachen und das Erbgut zu schädigen. Aber eben nur im Verdacht. Bewiesen ist nichts – genau wie bei Majestix! Auch bei den viel diskutierten schwarzen Schwänen sieht man, dass die Angst vor dem Unbekannten oder nur schwer aktiv Steuerbaren schnell auch lähmen kann. Ein Ausweg aus dem Faktor Angst ist, die Unsicherheit möglichst auf ein Minimum zu reduzieren, indem ein umfassender Blick auf die unternehmensinternen und -externen Prozesse und Abhängigkeiten geworfen wird. Dies umfasst natürlich auch einen regelmäßigen Blick über den Tellerrand hinaus in Form von Vergleichen mit Wettbewerbern und Benchmarks. Vertraute Dinge erzeugen Ruhe und Frieden, während Dinge, die uns fremd sind, Unbehagen und im Extremfall sogar Angst und Schrecken erzeugen. Deshalb ist der Schlüssel im Umgang mit Neuerungen und auch unbekannten sowie teilweise unkontrollierbaren Dingen immer

9. Angst vor dem Unbekannten und Unkontrollierbaren

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das Verständnis. Fangen Sie an, sich diesen anzunähern, sich mit ihnen vertraut zu machen und diese zu verstehen! Auch können mithilfe von Szenarioanalysen die Effekte von Extremereignissen abgeschätzt werden – im Normalfall sogar völlig unabhängig davon, wie wahrscheinlich deren Eintritt ganz konkret ist. Sehr wichtig ist dabei allerdings, dass die Offenheit für Neues nicht verloren geht und auch, dass neue Erkenntnisse laufend berücksichtigt werden. Auch der Erfahrungseffekt sollte nicht außer Acht gelassen werden. Denn heutzutage dürfte die Angst vor Hexen, Lokomotiven und Autos wohl nicht mehr im Ansatz so groß sein wie noch vor einigen Jahrzehnten/Jahrhunderten. Es ist deshalb sehr wichtig, dass auch in der Risikoinventur laufend die neuesten Erkenntnisse Eingang finden. Gleiches gilt für die Frühwarnung und den Umgang mit unvollständigen Informationen. Rechtfertigt eine unvollständige Informationslage automatisch die Einstufung als größtmögliches Risiko oder gibt es doch noch andere Anhaltspunkte, anhand derer eine Hilfsrechnung oder Schätzung vorgenommen werden kann? Es gilt also auch hier wieder der Grundsatz, dass der Transparenz und einer lernenden Organisation eine zentrale Rolle zukommt. Nur wenn das eigene Wissen laufend reflektiert wird und gleichzeitig auch klar ist, auf welchen Gebieten „blinde Flecken“, also Bereiche ohne ausreichende Kenntnisse, vorhanden sind, kann ein gutes Risikomanagement durchgeführt werden!

10. (Zu viele) Durchschnittswerte

10. (Zu viele) Durchschnittswerte Die Realität ist nicht normalverteilt!

Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Sie halten die eine Hand auf eine kochend heiße Herdplatte und die andere Hand in eine Kältekammer mit -60°C. Was ist der Effekt? Die eine Hand ist verbrannt und die andere erfroren. Betrachtet man nun aber lediglich den Mittelwert, dann käme man zum Ergebnis, dass alles wunderbar sein müsse und man sich bei einer komfortablen Raumtemperatur von um die 20°C bewege. Mittelwertbetrachtungen in Form des arithmetischen Mittels sind häufig nicht nur falsch, sondern brandgefährlich! Denn dadurch werden Trendbrüche erst sehr spät erkannt und es kann nur mit deutlicher Zeitverzögerung hierauf reagiert werden. Außerdem suggeriert der errechnete Wert Exaktheit und Wahrheit, obwohl dies gar nicht der Realität entspricht, und fördert damit Fehleinschätzungen. Neben dem arithmetischen Mittel sind es insbesondere Erwartungswerte, Standardabweichungen und Varianzen beziehungsweise Kovarianzen im Falle mehrdimensionaler Verteilungen, die besonders anfällig sind. Viele dieser Werte basieren dann auch noch auf historischen Daten und blenden zukünftige Entwicklungen vollständig aus. Für viele Entscheidungen ist die Bandbreite der Risiken viel wichtiger. Insbesondere Extremereignisse am Ende der Bandbreite. Denn ganz zentral für Gewinne oder Verluste und damit die Funktionsfähigkeit © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_10

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10. (Zu viele) Durchschnittswerte

des Risikomanagements sind nicht die „normalen“ Tage. Vielmehr sind es die Tage, an denen es dramatische Ausreißer gibt, die über die nachhaltige Existenz entscheiden – sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Der französisch-amerikanische Mathematiker Benoît B. Mandelbrot beschäftigte sich in besonderem Maße mit Finanzmathematik und Chaosforschung. Er brachte die Schwächen der bestehenden Modelle sehr anschaulich auf den Punkt, indem er feststellte:

„Jahrhunderte hindurch haben Schiffsbauer ihre Rümpfe und Segel mit Sorgfalt entworfen. Sie wissen, dass die See in den meisten Fällen gemäßigt ist. Doch sie wissen auch, dass Taifune aufkommen und Hurrikane toben. Sie konstruieren nicht nur für die 95 Prozent der Seefahrttage, an denen das Wetter gutmütig ist, sondern auch für die übrigen 5 Prozent, an denen Stürme toben und ihre Geschicklichkeit auf die Probe gestellt wird. Die Finanziers und Anleger der Welt sind derzeit wie Seeleute, die keine Wetterwarnungen beachten.“ Im Detail kritisiert er die „modernen“ Risikomodelle. Insbesondere den Einsatz „schlechter“ Kennzahlen wie beispielsweise den Value-at-Risk, bei dem nur ein einziger Punkt der Verteilung betrachtet wird (nämlich typischerweise der maximale Verlust, der in einem Konfidenzintervall – zum Beispiel 95% oder 99% – nicht überschritten wird).

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Viel wichtiger als nur ein kumulierter Durchschnittswert sind häufig die einzelnen Varianzen, also die lokalen Unterschiede und Extrema. Dies zeigt sich sehr anschaulich beim Thema der globalen Erwärmung in Folge des Klimawandels. Für die meisten Versicherer dürfte vielmehr die Zunahme der Extremwetter- und Katastrophenereignisse von Interesse sein und weniger der Temperaturanstieg von 1,0 oder gar 2,0 Grad Celsius (Hinweis: natürlich steht das erste Ereignis in klarem

Zusammenhang zum letztgenannten). Speziell bei Simulationen basierend auf historischen Daten ist die große Gefahr, dass Werte nach einer ruhigen (volatilen) Periode zu niedrig (zu hoch) sind. Bei einer Berechnung anhand eines VarianzKovarianz-Ansatzes werden die Ausreißer, die sogenannten „Fat Tails“, wegen der Normalverteilungsannahme ignoriert. Die reale Welt ist aber nun einmal bekanntlich nicht normalverteilt! Sicherlich ist es charakteristisch für ein Modell, dass vereinfacht werden muss und dass jede Berechnung ihre Stärken und Schwächen hat. Unabhängig von den Modellen, Kennzahlen und Risikomaßen sollten aber in gesonderten Schulungen und Ergebnisdarstellungen in besonderem Maße auch die Grenzen des Konzepts dargelegt werden. Denn vielfach sind diese zwar dem Anwender (Fachbereich), nicht aber dem Entscheider (Management), bis ins letzte Detail und vollumfänglich bekannt! Denn Daten allein sind nutzlos. Modelle und Kennzahlen sind immer nur so gut, wie die darauf basierenden Entscheidungen. Erst durch ihre Entscheidungsunterstützung gewinnen sie an Mehrwert!

11. Mathematisierung der Zukunft

11. Mathematisierung der Zukunft Die Illusion, alles erklären zu können, sobald ein konkreter Zahlenwert verfügbar ist

Wirtschaftswissenschaftler wären gerne genauso exakt wie Naturwissenschaftler. Nur leider gibt es keine in Stein gemeißelten Naturgesetze für die wirtschaftswissenschaftliche Zukunft. Denn die Einflüsse sind nun einmal in erheblichem Maße vom Verhalten der einzelnen Marktakteure abhängig. Da es keinen Homo oeconomicus gibt (vgl. Rationalitäts-Illusion), ist es sehr schwierig, belastbare Zukunftsaussagen - speziell für Krisensituationen - zu treffen. Die Gefahr einer Scheingenauigkeit - und damit von Fehlsteuerungsimpulsen - entsteht durch immer wieder anzutreffende, methodische Fehler in der Risikoquantifizierung. Aussagen wie: „Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ausfalls in unserer schlechtesten Ratingklasse beträgt 9,21%“, „Der maximale Verlust, den wir im nächsten Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 99% nicht überschreiten werden, beträgt 500 TEUR“ oder „Der DAX wird im nächsten Jahr um 7,2% wachsen“ sind nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch, sondern auch brandgefährlich. Solche „Mathematisierungen der Zukunft“ sind scharf zu kritisieren. Denn sie unterstellen einerseits implizit ein Wissen, das zum einen aufgrund von historischen Daten und zum anderen wegen der Einzigartigkeit von Entscheidungssituationen gar nicht existieren kann. Es ist für den Entscheider, dem diese Informationen ja eigentlich als Entscheidungsunterstützung dienen sollen, überhaupt nicht möglich, © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_11

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abzuschätzen, wie belastbar diese Informationen denn jetzt eigentlich sind. Aus diesem Grund sollte sich ein modernes Risikomanagement vor solchen, wenig fundierten, Pauschalaussagen fernhalten und jegliche Form von gefährlichen Scheingenauigkeiten auf ein Minimum reduzieren. Die Mathematik gehört zum Risikomanagement sicherlich dazu, da sie auch sehr viele Vorteile hat. So wird eine aggregierte Sichtweise der Risiken durch eine Quantifizierung erst ermöglicht. Speziell bei der Quantifizierung sollte man aber sehr große Sorgfalt walten lassen und sicherstellen, dass keine Scheingenauigkeiten entstehen, indem beliebige Werte für unsichere, zukünftige Entwicklungen angenommen werden (Die Welt als Casino?). Mathematik darf im Risikomanagement kein Selbstzweck sein. Ganz im Gegenteil: sie sollte so viel wie nötig und so wenig wie möglich eingesetzt werden. Weniger ist mehr, speziell auch was den Komplexitätsgrad der Modelle und Tools anbelangt. Deshalb muss auch herausgestellt werden, dass die Mathematisierung einzig und allein der Entscheidungsunterstützung des Managements dient. Nur dann kann auch ein Mehrwert geschaffen werden. Denn anstatt eines unrealistischen, einfachen „Punktschätzers“ lassen sich mit mathematischen Risikoanalysen auch Bandbreiten darstellen. Um die obigen Aussagen nochmals aufzugreifen, wäre es zielführender, die Eintrittswahrscheinlichkeiten von Ausfällen zwischen 8-11% anzugeben. Oder wenn man diesen Fall noch weniger exakt einschätzen kann, einen Wert zwischen 5 und 15% zu prognostizieren.

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Je präziser und eindimensionaler eine Zahl angegeben wird, umso eher wird diese als objektiv und belastbar angenommen. Deshalb sollten die Quantifizierungen sehr sorgsam gewählt werden. Dies heißt aber nicht, dass Quantifizierungen schlecht sind, es kommt vielmehr auf die richtige Verwendung an. Quantifizierungen sind auch keinesfalls völlig objektiv. Denn auch hier sind subjektive Faktoren enthalten. Letztlich basieren alle Entscheidungen auf subjektiven Elementen. Es gilt deshalb der Grundsatz, dass aus den besten verfügbaren Informationen, transparent und für den Entscheider gut nachvollziehbar, die besten Schlussfolgerungen abzuleiten sind. Es gilt dabei der aus der IT bekannte Grundsatz „garbage in, garbage out“, gleichzeitig gibt es aber auch viele Techniken, mit denen sich bei subjektiven Informationen die Qualität verbessern lässt. Bandbreiten ermöglichen es, grob richtig anstatt exakt falsch zu liegen. Wohlgemerkt: bei vergangenheitsbasierten Daten, also dem Blick in den Rückspiegel, sind exakt berechnete Werte völlig normal und absolut notwendig. Sobald allerdings Aussagen über die Zukunft oder Trends hergeleitet werden sollen, ist immer eine Unschärfe im Spiel. Bandbreiten sind dabei besser geeignet als einzelne, hochpräzise Kennzahlen. Denn diese suggerieren, dass die Zukunft exakt berechnet werden könne und es keinerlei Unsicherheit gäbe.

12. Die Welt als „Random Walk“?

12. Die Welt als „Random Walk“? Monte-Carlo-Simulation vs. Kausalität

Wie kommt man eigentlich auf die Idee, dass sich mithilfe von Zufallssimulationen die Zukunft vorhersagen lässt? Die Welt ist ja schließlich kein Casino. Umso erstaunlicher ist aber, dass sich der „Random Walk“ auch weiterhin sehr großer Beliebtheit im Risikomanagement und bei finanzmathematischen Bewertungen zur Ermittlung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen erfreut. In Anlehnung an eine Parabel von Michael Murray gleicht der Random Walk dem Weg einer Betrunkenen und ihrem Hund. Auf ihrem Heimweg ist es ungewiss, welche Richtung sie als nächstes einschlägt und welche Entfernung sie für den Heimweg genau zurücklegt. Die Gesamtstrecke setzt sich aus mehreren Teilschritten zusammen, die allesamt hinsichtlich Richtung und Länge zufällig und vom vorherigen Schritt unabhängig und damit ungewiss sind. Sehr ähnlich ist auch die Monte-Carlo-Simulation, die immer dann herangezogen wird, wenn nur noch Zufallsexperimente helfen, bestimmte Werte zu ermitteln. Hierbei wird eine sehr große Zahl gleichartiger Zufallsexperimente durchgeführt und es wird versucht, Probleme, die sich ansonsten analytisch nicht oder nur sehr schwer lösen lassen, mithilfe der Wahrscheinlichkeitstheorie zu lösen.

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12. Die Welt als „Random Walk“?

Dies wäre also stark vereinfacht so, wie wenn man bei einer wichtigen Investitionsentscheidung an den Roulettetisch gehen würde und entscheidet, ob man diese durchführen oder ablehnen soll. Sicherlich gibt es berechtigte Einsatzgebiete des Random Walks und auch der Monte-Carlo-Simulation. Gleichzeitig sollten diese Tools aber kritisch geprüft und ausgewählt werden. Denn in der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass sie fast schon inflationär verwendet werden. Auch in Fällen, in denen man mit etwas Mühe sehr wohl analytische Lösungen gefunden hätte. Denn die Kausalität sollte im Mittelpunkt stehen anstatt einer halbgaren Mathematisierung der

Zukunft. Wenn nicht alle analytischen Mittel und Möglichkeiten der Kausalität ausgeschöpft werden, sind schlechte Ergebnisse vorprogrammiert. Außerdem – und dies wird häufig unterschätzt – erfordert die zielgerichtete Verwendung von Random Walk und Monte-Carlo-Simulation ja bereits vorab eine sehr umfangreiche Bewertung und ein gutes Verständnis der Situation. Nur in Situationen, die sich nicht analytisch lösen lassen – also in absoluten Ausnahmesituationen – macht deren Einsatz Sinn. Und nicht, wenn es lediglich weniger aufwendig erscheint. Wenn die Kausalität außer Acht gelassen wird, werden typischerweise lediglich

Normalverteilungsannahmen

und

Durchschnittswerte in

besonderem Maße berücksichtigt. Speziell für die Bewertung von Krisensituationen ist dies aber höchst problematisch. Und so ist es wenig verwunderlich, dass der Random Walk und die Monte-CarloSimulation besonders für die Betrachtung von Chancen und Risiken

12. Die Welt als „Random Walk“?

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unter Normalbedingungen verwendet werden. Wenn man allerdings Stresssituationen und „Herdenverhalten“ (also den Mitläufereffekt) berücksichtigen möchte, benötigt man andere Modelle. Einfache

Expertenschätzungen

und

der

Aufbau

von

Ursache-

Wirkungsketten sind vielfach deutlich wirkungsvoller als pseudogenaue, mathematisch ermittelte Werte, von denen aber nur die Allerwenigsten wissen, wie sie genau zustande kommen und wo die Grenzen der Aussagekraft liegen. Je transparenter und einfacher das Management ersehen kann, dass bestimmte Aussagen eben doch nicht belastbar möglich sind, umso besser kann dies im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden. Aussagen unter Unsicherheit zu treffen ist ja mehr oder weniger „tägliches Brot“ eines Entscheiders. Aussagen aber unter dem Glauben zu treffen, dass ein konkret greifbarer Wert zugrunde liegt, tatsächlich wird die Unsicherheit aber nur durch mathematische Pseudo-Genauigkeit verdeckt, ist höchst gefährlich und sollte unbedingt vermieden werden. Deshalb: machen Sie sich mit den Modellen und deren Grenzen vertraut. Sorgen Sie dafür, dass nicht nur die Fachabteilungen, sondern auch die Entscheider die Funktionsweisen und Grenzen von Modellen und Kennzahlen kennen. Sehr hilfreich ist hierbei auch eine ausreichende, qualitative Bewertung im Risikoreporting. Vielfach ist in Bezug auf Modelle und Quantifizierungsmöglichkeiten weniger außerdem einfach mehr und es ist viel zielführender und sorgt für schnellere Entscheidungen, wenn unnötige Komplexität und Alibi-Genauigkeiten entfernt werden. Und die Frage, warum der Zufall aus dem Glücksspielumfeld ein guter Ratgeber für Entscheidungen mit strategischer Tragweite sein soll, bleibt rein logisch wohl immer ein Rätsel.

13. Spielerfehlschluss

13. Spielerfehlschluss Die Wahrscheinlichkeit für Schwarz beim Roulette ändert sich nicht, nur weil 5x zuvor Rot kam

Der Spielerfehlschluss (Gambler’s Fallacy) wird häufig auch „Monte Carlo Fehlschluss“ genannt, in Anlehnung an eine legendäre Situation im Casino de Monte Carlo am 18. August 1913. Hier fiel die Kugel des Roulettetischs bereits 24 Mal hintereinander auf Schwarz. Es versammelten sich natürlich immer mehr Leute um den Tisch herum und setzten alles auf Rot, denn „es war ja nur eine Frage der Zeit, bis Rot käme“ beziehungsweise „Rot war ja fällig“. Am Ende kam 26 Mal hintereinander Schwarz, bevor die Serie riss und Rot kam. Die meisten Zocker hatten in der Zwischenzeit riesige Geldbeträge verloren oder waren vollends pleite. Auch die Annahme, dass man „einen Lauf“ oder eine „glückliche Hand“ habe, ist eher psychologischer als rationaler Natur. Dies gilt natürlich nur für Fälle, in denen der Faktor Glück und Zufall eine zentrale Rolle spielt (wie zum Beispiel beim Roulette, bei Münzwürfen et cetera) und nicht das Können des Spielers (wie zum Beispiel bei Sportarten wie Fußball, Pferderennen et cetera). Am Beispiel des Münzwurfs sieht man dies ebenfalls sehr deutlich. Wenn man die Möglichkeit außer Acht lässt, dass die Münze auf dem Rand landet, beträgt die Wahrscheinlichkeit für Kopf oder Zahl jeweils 50%. Wenn man nun zehnmal hintereinander Kopf geworfen hat, ist die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Wurf von Kopf exakt 50%. Natürlich ist die gesamte Wahrscheinlichkeit von elfmal Kopf © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_13

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13. Spielerfehlschluss

hintereinander deutlich geringer (nämlich 0,5 hoch elf, also knapp 0,05%) – allerdings nur bevor man das erste von elf Mal geworfen hat! Der Spielerfehlschluss liegt darin, dass die langfristigen, mathematisch sehr stabilen Wahrscheinlichkeitsverteilungen auch für einen kurzfristigen Zeitraum als stabil angenommen werden. Dies ist aber falsch. Genauso ist es falsch, dass ein gewisses Ergebnis jetzt „fällig“ wäre oder man ein glückliches Händchen hat, nachdem in der Vergangenheit bestimmte Ergebnisse eintrafen. Dies würde ja ansonsten bedeuten, dass die Chance beim Roulette (wenn man die 0 außer Acht lässt) nicht mehr 50:50 für rot oder schwarz wäre, sondern höher oder niedriger – je nachdem was zuvor eingetreten ist. Häufig wird dem Spielerfehlschluss deshalb mit dem folgenden Satz entgegnet: „Der Zufall hat kein Gedächtnis“. Interessanterweise unterliegen nicht nur Menschen dem Spielerfehlschluss. Denn Forscher der Rochester Universität haben auch für Affen nachgewiesen, dass diese mit Zufall nur schlecht umgehen können und stattdessen auch in zufälligen Daten immer wieder nach Mustern Ausschau halten. Das heißt, auch Affen unterliegen dem Fehlschluss, ein glückliches Händchen zu haben, obwohl einzelne Ereignisse unabhängig voneinander stattfinden. Natürlich wurden Affen nicht wie wir Menschen mit der Wahrscheinlichkeitstheorie vertraut gemacht. Das heißt, dass sie auch die Prinzipien der Zufälligkeit und des Glücks nicht kennen und damit auch nicht irrational handeln können. Vielmehr ist ihre Wahl instinktgesteuert. Und dies hat wohl auch vielfach sehr gute Gründe. Wenn wir uns

13. Spielerfehlschluss

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beispielsweise vorstellen, dass ein Affe leckere Früchte auf einem Baum entdeckt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass auf demselben Baum noch weitere Früchte sind. Ähnlich ist es auch, wenn scheinbar zufällig alles an unserem Auto nicht funktioniert. Viel realistischer ist dabei aber eine Kettenreaktion: wenn ein zentrales Teil kaputt geht, dann gehen aufgrund von Überlastung oder Fehlbelastung sehr häufig auch noch andere Teile kaputt. In besonderem Maße trifft dies elektronische Bauteile, aber auch mechanische Elemente, die einseitig stark belastet wurden und deshalb schneller kaputt gehen. Um den Spielerfehlschluss im Unternehmensalltag auf ein Minimum zu reduzieren, ist es ganz wichtig, dass man die Wechselwirkungszusammenhänge ganz genau erkennt und laufend prüft. Nur so ist es möglich, dass man eine belastbare Aussage zu Kausalitäten machen kann und nicht nur auf den Faktor Zufall abstellen muss. Häufig überdeckt der Erfolg in Form von hohen Umsätzen und Gewinnen die latente Gefahr, sodass beispielsweise Investitionen großzügig gewährt werden, obwohl die Erfolgspotenziale unter Umständen deutlich abgenommen haben. Das „glückliche Händchen“ ist häufig schlagartig beendet und die unterlassenen „Hausaufgaben“ in Form von Risikostreuung, breiter Kunden- und Absatzbasis et cetera treten dann sehr schnell zu Tage.

14. Millersche Zahl

7±2

14. Millersche Zahl Vermeiden Sie einen Information Overload beim Entscheider!

Der Psychologe und Professor an der Princeton Universität, George Miller, beschrieb 1956 in einem der meistzitierten Artikel des Psychologie-Bereichs die Tatsache, dass ein Mensch gleichzeitig nur 7 ± 2 Informationseinheiten („Chunks“) im Kurzzeitgedächtnis präsent halten und verarbeiten kann. Die Schätzung der „Magical Seven“ oder „Millerschen Zahl“ ist heute allerdings überholt. So weiß man mittlerweile, dass die Anzahl der handhabbaren Informationsquellen sehr stark vom Inhalt und anderen Eigenschaften abhängt. Bei vielen Aufgaben ist der Wert kleiner als 7. Der Australier Gordon Parker hat beispielsweise im Jahr 2012 Untersuchungen veröffentlicht, wonach die magische Zahl nicht 7, sondern nur 4 sei. Als Beleg führte er Telefonnummern an, die vielfach sieben Ziffern haben und eben deshalb häufig in zweistellige Chunks zusammengefasst werden, damit wir sie uns besser merken können. So wird zum Beispiel aus 1234567 die Folge 12 34 56 7 – also nur vier Chunks, aber sieben Ziffern. Sicherlich kann man über die genaue Zahl der handhabbaren Informationsquellen je nach Situation trefflich streiten. An der grundsätzlichen Aussagekraft und der Tatsache, dass unser Kurzzeitgedächtnis schnell überlastet wird, besteht aber kein Zweifel. Deshalb wird die Millersche Zahl auch im Folgenden weiter verwendet, um konkrete Ansatzpunkte und Fehler im Risikomanagement aufzuzeigen.

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14. Millersche Zahl

Die Kunst besteht hauptsächlich darin, durch sogenanntes „Chunking“, also das intelligente Neugruppieren von Informationseinheiten, die Chunks besser merkbar zu machen. Beispiel: Versuchen Sie sich bitte die folgende Buchstabenfolge zu merken: EMARSIGNAENTMIKO Hierbei handelt es sich um 16 Buchstaben – also deutlich mehr als die sieben (plus zwei) Einheiten der Millerschen Zahl. Die meisten von uns dürften hiermit wohl ihre Probleme haben. Wenn man nun die scheinbar völlig sinnlosen Buchstaben neu sortiert, erhält man Folgendes: RISIKOMANAGEMENT Ein Wort, das Sie kennen. Sich diese Buchstabenreihenfolge zu merken und wiederzugeben dürfte für Sie kein Problem darstellen. Das Wort Risikomanagement - und auch deutlich längere Worte kann sich wohl jeder merken. Ganz zentral ist festzuhalten, dass unser Gedächtnis natürlich mehr als 4 oder 7 Dinge (je nachdem, welche Zahl man nun als Grundlage nimmt) speichern kann. Es ist allerdings nur nicht in der Lage, diese Dinge gleichzeitig präsent zu halten. Um die Entscheidungsträger nicht zu überlasten, empfiehlt es sich, die Millersche Zahl als Anhaltspunkt zu nehmen, um die Anzahl

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an Informationen in Präsentationen und insbesondere auf Powerpoint-Folien zu beschränken

-

an Argumenten in zusammenfassenden Listen festzulegen

-

von Kausalketten zu begrenzen, um die Nachvollziehbarkeit sicherzustellen

-

an gleichzeitig verfolgten Zielen zu begrenzen

-

an Teilnehmern pro Besprechung zu begrenzen

-

an Unterüberschriften pro Hauptüberschrift bei Berichten gering zu halten

-

an Tipps und Handlungsempfehlungen auf das Wesentliche zu begrenzen (wie auch in dieser Liste -)

Obwohl die Millersche Zahl nicht ganz unumstritten ist und neue Studien nahelegen, dass sie heute schon wieder überholt ist, gibt sie eine sehr gute Orientierung und diszipliniert uns, dass wir uns auf das Wesentlichste beschränken. Denn das Risikomanagement sollte sich immer wieder vor Augen führen, dass seine Hauptaufgabe in der Entscheidungsunterstützung liegt und dem Management Informationen bereitgestellt werden sollen, damit dieses die Geschicke des Unternehmens gut lenken kann. Hierfür ist es aber notwendig, dass die Kernaussagen (in der häufig nur sehr begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit) vollständig erfasst und verarbeitet werden.

15. Zielscheibenfehler

15. Zielscheibenfehler Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer

Stellen Sie sich die folgende Situation vor: ein texanischer Cowboy feuert mit seinen beiden Revolvern wahllos in Richtung einer verlassenen Scheune. Es knallt und die Kugeln fliegen wie wild in alle Himmelsrichtungen, einige davon treffen auch die verlassene Scheune. Sobald einige Treffer sehr nahe beieinander liegen, malt er eine Zielscheibe um diese Einschusslöcher herum. Anschließend lässt er sich als Scharfschütze (Texas Sharpshooter) feiern. Es ist quasi die Geburtsstunde des Zielscheibenfehlers. Auch die Frage, ob wir bei Vollmond schlechter schlafen, ist ein klassischer Zielscheibenfehler. Es finden sich zwar sehr viele Suchanfragen zu dieser Frage, aber eine ledigliche Feststellung von Häufungen von Personen, die an diesem Zeitpunkt mit Schlafproblemen zu kämpfen haben, ist noch kein Beweis. Vielmehr ist es eben nur eine Hypothese, die in weiteren, unabhängigen Untersuchungen bestätigt oder widerlegt werden muss. Wenn man nun etwas ausgiebiger recherchiert, findet man ungefähr genauso viele Studien, die aussagen, dass wir bei Vollmond schlechter schlafen, wie Studien, gemäß derer der Mond keinen Einfluss auf unser Schlafverhalten hat. Im Fall der Mondphasen spielt auch der Bestätigungsfehler eine zentrale Rolle. Sicherlich ist das Beispiel des Texas Sharpshooters sehr stark überzeichnet, doch findet man sehr häufig in anderen Situationen ebenfalls den Fall, dass in einer großen Datenbasis – die weitgehend natür-

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15. Zielscheibenfehler

lich zustande gekommen ist – nach Häufungen von bestimmten Aspekten gesucht wird. Und wenn man dann (fast zwangsläufig) einige gefunden hat, dann wird dies als kausaler Zusammenhang verkauft. Eine solche Häufung ist ein voreiliger Schluss. Denn eine Häufung in großen Datenmengen ist nicht unbedingt ein Zeichen für einen Effekt, der auf Ursache und Wirkung basiert. Denn Häufungen sind grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Ganz im Gegenteil: nicht selten sind allzu gleichmäßig verteilte Daten ein Zeichen dafür, dass diese scheinbar nicht natürlich entstanden sind. Dies sieht man auch, wenn man beispielsweise die Häufigkeit von jungen Familien und Störchen ins Verhältnis setzt. Da junge Familien häufiger in die eigenen vier Wände im Grünen ziehen und Störche auch öfters im ländlichen Bereich vorkommen als in der Großstadt, gibt es eine Häufung beider Gruppen im ländlichen Bereich. Daraus allerdings schlusszufolgern, dass der Storch „die Kinder bringt“ wäre natürlich völlig falsch. Denn dann wären Korrelation und Kausalität vertauscht. Ein weiteres Beispiel ist die positive Korrelation zwischen dem Konsum von Bier und der Häufigkeit von Sonnenbrand. Dies bedeutet natürlich nicht, dass man vom Biergenuss Sonnenbrand bekommt – die Kausalität besteht bei diesen beiden Ereignissen nicht untereinander, sondern mit einem dritten Faktor, nämlich der Intensität der Sonneneinstrahlung.

15. Zielscheibenfehler

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Um nicht als blinder Scharfschütze abgestempelt zu werden und den (unbeabsichtigten) Zielscheibenfehler zu vermeiden, ist es sehr wichtig, dass man transparente und trennscharfe Hypothesen bildet und nicht voreilig und hemdsärmelig die Gründe für ein bestimmtes Verhalten nach kurzer Betrachtung eigenmächtig bestimmt. Nur mit vergleichenden Tests können in einem zweiten Schritt die Hypothesen gestützt oder widerlegt werden. Hypothesen im Nachhinein aufzustellen, ist natürlich nicht zielführend. Um also im Bild des texanischen Cowboys zu bleiben: er kann nur beweisen, dass er wirklich ein Scharfschütze ist, wenn die Zielscheibe schon vorab aufgemalt wird! Und genau so sollten Sie auch handeln. – Es ist kein Beinbruch, wenn Sie mit Ihren Hypothesen falschliegen, solange Sie die richtigen Schlüsse daraus ziehen und daran arbeiten, dass sich die Prognoseund Hypothesenqualität verbessert. Wichtig ist auch, dass die Hypothesen unter anderen Nebenbedingungen und insbesondere mit einem anderen Datenset getestet werden. Denn falls die identischen Daten verwendet werden, würde sich die Hypothese selbst erhärten und man hätte lediglich einen Zirkelschluss. Auch dann sind Sie, ob bewusst oder unbewusst, als texanischer Cowboy unterwegs, dessen Erfolge nicht aussagekräftig oder gar gefälscht sind.

16. Bestätigungsfehler

16. Bestätigungsfehler Warum Freitag der 13. ein ganz normaler Tag ist

Stellen Sie sich folgende Situation vor: ein Mann fährt auf der Autobahn. Plötzlich hört er im Radio die Warnung: „Achtung, auf der Autobahn fährt ein Geisterfahrer. Bitte fahren Sie vorsichtig und überholen Sie nicht.“ Der Fahrer schüttelt verächtlich den Kopf und denkt: „Einer? Hunderte!“ Die Situation verdeutlicht den Bestätigungsfehler (Confirmation Bias) sehr anschaulich. Wir machen etwas, von dem wir davon ausgehen, dass es richtig ist. Von diesem Ausgangspunkt aus sieht es dann für uns so aus, als würden die anderen etwas falsch machen. Unsere Vorannahme beeinflusst also in maßgeblichem Umfang unsere Wahrnehmung, sie wird kognitiv verzerrt. Die Verzerrung äußert sich darin, dass Aspekte, die unsere Vorannahme bestätigen, als stark wahrgenommen werden und solche, die ihr widersprechen, abgeschwächt oder gänzlich ignoriert werden. Wir sind davon überzeugt, Recht zu haben, weil unsere Wahrnehmung passende Argumente findet, die uns bestätigen. Sehr ähnlich funktioniert auch der dogmatische Fehlschluss beziehungsweise der Petitio Principii, bei dem eine Behauptung durch Aussagen begründet wird, welche die zu beweisende Behauptung schon als wahr voraussetzen. Man sieht dies beispielsweise auch, wenn man mit Menschen diskutiert, die davon überzeugt sind, dass Freitag der 13. ein Unglückstag ist. Es gibt hierfür aber keinen objektiven Beweis.

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Vielmehr kann es durch eine Art selbsterfüllende Prophezeiung dazu kommen, dass sich manche Leute einreden, dass es ein Unglückstag ist und sie aufgrund eines anderen Verhaltens als an den anderen Tagen plötzlich vermeintliches Unglück haben. In den Social Media lässt sich der Bestätigungsfehler auch sehr häufig beobachten. Man vernetzt sich mit seinen Freunden und Bekannten, die häufig eine ähnliche Sicht auf die Dinge haben und ist auch in Gruppen mit Gleichgesinnten verbunden. Wir schaffen uns selbst ein Umfeld, in dem unsere Erwartungen ganz automatisch immer wieder bestätigt werden. Wer beispielsweise steigende Kriminalität in seiner Nachbarschaft befürchtet, wird sich schnell mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Facebook-Gruppe anmelden, in der fast ausschließlich Polizeinachrichten und Neuigkeiten über Einbrüche und Überfälle geteilt werden. Der Bestätigungsfehler ist sehr weit verbreitet. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass uns eine laufende Bestätigung in Sicherheit wiegt und der Mensch lieber Stimmen hört, die einem beipflichten als solche, die ihm widersprechen. Dies sieht man auch im gesellschaftlichen Zusammenleben. Man umgibt sich häufig mit Menschen, die ähnliche Ansichten haben und weniger mit Leuten, die ständig anderer Meinung sind. Insbesondere hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens und dem Lernen aus der Vergangenheit ist der Bestätigungsfehler sehr gefährlich. Um die Möglichkeit der kognitiven Verzerrung soweit wie möglich zu reduzieren, ist es wichtig, dass man kritisches Feedback bekommt und auch annimmt, dass man sich zur Objektivität

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zwingt und auch gegensätzliche Meinungen ernstnimmt und kritisch hinterfragt. Nur dadurch lässt sich die eigene, ansonsten festgefahrene, Meinung noch ändern. Sehr wichtig ist also, dass eine Unternehmenskultur des offenen und ehrlichen Feedbacks etabliert wird. Speziell bei wichtigen Entscheidungen sollte immer auch die Meinung von wichtigen Mitarbeitern eingeholt werden und man sollte auch vor kritischen Meinungen nicht zurückschrecken. Nicht umsonst übernimmt bei einigen Firmen ein Mitarbeiter explizit die Rolle des „Devil’s Advocat“, um die grundlegenden Meinungen und Auffassungen zu hinterfragen und die Entscheider zur Objektivität und auch kritischen Prüfung zu zwingen. Denn nur, wenn Sie nicht nur auf Ihre anfängliche Überzeugung oder besser: Hypothese - pochen, verfallen Sie auch nicht in die alten Denkmuster, in denen Sie ausschließlich nach Bestätigung für eine Seite suchen. Bei strategischen Entscheidungen zeigt sich außerdem immer wieder die Wichtigkeit von „frischem Blut“ von außen, also Mitarbeitern, die andere Sichtweisen von anderen Unternehmen, Branchen oder auch Kulturen mit in die Entscheidung einbringen. Ein Unternehmen, in dem es keine offene Unternehmenskultur und keinerlei Fluktuation in der Managementebene gibt, ist sehr anfällig für den Bestätigungsfehler!

17. Selektive Wahrnehmung

Vier!

Nein, drei!

17. Selektive Wahrnehmung „Ich sehe was, was du nicht siehst!“

Die selektive Wahrnehmung ist eine zentrale Stärke unseres Gehirns. Denn sie schützt uns davor, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Dies ist auch zwingend nötig, denn täglich prasseln abertausende Reize und Informationen auf uns ein. Es wäre unmöglich, diese individuell zu verarbeiten. Vielmehr sucht unser Gehirn unbewusst nach bekannten Mustern, um Informationen besser und schneller verarbeiten zu können. Ursachen für die selektive Wahrnehmung sind unter anderem Bahnung (Priming) oder auch Framing (Einrahmen). Wer kennt das nicht: manchmal hat man das Gefühl, die Fahrt nach Hause mit einem „Autopilot“ absolviert zu haben. Man kann sich gar nicht mehr richtig an alle Einzelheiten erinnern. Oder wenn man Hunger hat, nimmt man Essensgerüche plötzlich viel stärker wahr. Menschen mit einem unerfüllten Kinderwunsch haben auf einmal das Gefühl, überall Schwangere oder Kinderwägen zu sehen. Die selektive Wahrnehmung zeigt sich auch im folgenden, einfachen Beispiel:

Wussten Sie, dass das das Gehirn unnötige Informationen automatisch ignoriert? Genau wie das zweite „das“ im ersten Satz! Schon Descartes stellte fest: „Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter aus als über Paul.“ Und Sokrates erkannte, dass wir bei unmittelbaren Beobachtungen die absolute Wahrheit gar nicht zwei© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_17

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felsfrei erkennen können. Stattdessen entscheidet unsere Wahrnehmung maßgeblich über die Qualität unserer Entscheidungen und Handlungen. Die Legende des Königs Krösus von Lydien verdeutlicht die selektive Wahrnehmung nochmals sehr anschaulich: Angeblich befragte er seinerzeit das Orakel von Delphi, ob er gegen die Perser marschieren solle. „Wenn du das tust“, prophezeite das Orakel, „wirst du ein mächtiges Reich zerstören“. Klasse, dachte sich König Krösus. Welches Reich könnte wohl mächtiger sein als das der Perser? Das Orakel hatte ihm ja praktisch garantiert, dass er siegreich sein würde. Also zog er hochmütig und siegesgewiss in den Kampf und verlor. Denn in seinem Wunsch nach einem kolossalen Triumph hörte er nur das, was er hören wollte: du wirst siegen, du wirst groß sein. Was er aber überhörte beziehungsweise ausließ, war die Frage, welches Reich das Orakel eigentlich meinte. Wer auf etwas fixiert ist, nimmt dieses in seiner Umgebung stärker war und blendet anderes aus. Gleichzeitig sind wir häufig aber fest davon überzeugt, dass wir die objektive Realität wahrnehmen und uns auf unsere Sinne verlassen können. Tatsächlich ist aber unser individueller Filter sehr stark davon beeinflusst, was gerade im Gehirn vor sich geht. Dies wiederum hängt besonders von eigenen Erfahrungen, Perspektiven, Erwartungen, Interessen und Vorurteilen sowie der Erziehung ab.

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Verhalten Sie sich also nicht wie König Krösus und fragen Sie im Zweifelsfall genau nach, wie manche Dinge wirklich gemeint sind. Auch auf die Gefahr hin, dass Ihnen Ihre erste Vermutung bestätigt wird. Nur so können Sie (voreilig gezogene) Schlussfolgerungen kritisch prüfen und sind offen für neue Erfahrungen. Natürlich lässt sich die selektive Wahrnehmung nicht völlig verhindern, sie läuft ja schließlich unterbewusst ab und erfüllt eine wichtige Rolle. Wir können aber versuchen, die Auswirkungen der Aufmerksamkeitsblindheit zu minimieren. Speziell im Risikomanagement ist dies essenziell wichtig, denn die Umweltbedingungen können sich sehr schnell ändern und erfordern unter anderem auch andere Maßnahmen als in der Vergangenheit. Gleichzeitig sollte aber auch beispielsweise schon bei der Darstellung von risikorelevanten Informationen darauf geachtet werden, dass die zentralen Fakten klar und eindeutig herausgestellt werden, dass nicht zu viele Informationen übermittelt werden und außerdem, dass Meinungen und Interpretationen klar von Fakten getrennt sind. Nur so können den Entscheidern möglichst objektive und transparente Informationen geliefert und deren Anfälligkeit für subjektive Wahrnehmungen wiederum auf ein Minimum reduziert werden.

18. Asymmetrische Aufmerksamkeit

18. Asymmetrische Aufmerksamkeit Warum wir vom Unerwarteten magisch angezogen werden

Genauso wie es für uns unmöglich ist, jederzeit völlig rational zu handeln, ist es für uns auch unmöglich, völlig symmetrisch Dinge wahrzunehmen. Unsere Aufmerksamkeit ist tendenziell immer zu einem gewissen Grad asymmetrisch. Dies hängt von der jeweiligen Situation, dem Charakter und auch von Erfahrungen ab. Ansonsten ließe es sich auch nicht erklären, warum zwei unterschiedliche Personen Dinge unterschiedlich wahrnehmen beziehungsweise warum wir nicht alle Dinge (gleich) wahrnehmen. Auch die selektive Wahrnehmung ist ein zentraler Grund, warum wir Dinge unterschiedlich wahrnehmen. Die asymmetrische Aufmerksamkeit ist sehr eng mit der Verfügbar-

keitsheuristik verwandt. Ähnlich wie bei der Verfügbarkeitsheuristik, bei der wir uns sehr schwer bei der Wahrscheinlichkeitsschätzung von Ereignissen tun und beispielsweise kürzlich eingetretene Ereignisse (Recency) oder große Verluste (Verlustaversion) überschätzen, ist auch unsere Aufmerksamkeit schon sehr stark geprägt von der Art des Ereignisses. Gleiches gilt für den Bestätigungsfehler, wonach wir Informationen, die unserer Meinung widersprechen, viel genauer prüfen als solche, die unsere Auffassung bestätigen. Dies mag erklären, warum einerseits kürzlich eingetretene Änderungen stärker wahrgenommen werden als „normale“ Situationen. Häufig blenden wir die normalen Dinge aus. Denn nur außergewöhnliche Situationen, wie etwa große Verluste, scheinen „bemerkenswert“, sind es also Wert, dass wir sie uns merken. Dies scheint unter Berücksich© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_18

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tigung der Relevanz und unter Effizienzaspekten auch notwendig zu sein. Andererseits ist es aber sehr wichtig, dass wir den Blick aufs Ganze nicht verlieren und uns weder an Nebensächlichkeiten aufhalten, die für die Gesamtaussage gar nicht so wichtig sind, noch zentrale Einflussfaktoren gänzlich übersehen. Sicherlich haben Sie schon einmal vom „Gorilla-Experiment“ von Simons und Chabris aus dem Jahr 1999 gehört. Dieses zeigt sehr anschaulich die Gefahr beziehungsweise Wirkungsweise der asymmetrischen Aufmerksamkeit: In diesem knapp zweiminütigen Video sind zwei Teams mit jeweils 3 Personen zu sehen, die sich einen Basketball zuwerfen. Das eine Team ist weiß, das andere schwarz gekleidet. Die Probanden wurden in zwei Gruppen unterteilt. Die eine Gruppe konzentrierte sich auf das weißgekleidete Team, die andere auf das schwarzgekleidete Team. Das Ziel war es, die Anzahl der Ballkontakte des jeweils zugeteilten Teams zu zählen. Nach etwa einer halben Minute betritt eine Person mit schwarzem Gorilla-Kostüm den Raum und geht mitten durch die beiden Teams hindurch. Erstaunlicherweise haben nur etwa 8 Prozent jener Probanden den schwarzen Gorilla gesehen, welche das weiße Team beobachten sollten. Von den Probanden, die das schwarze Team beobachten sollten, waren es dagegen 67%! Wurde das Video gezeigt, ohne dass die Probanden die Aufgabe erhielten, die Ballkontakte von irgendeinem Team zu zählen, haben alle Teilnehmer den Gorilla erkannt.

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Unsere Aufmerksamkeit erfolgt also sehr selektiv und asymmetrisch, je nachdem welche Aufgabe wir verfolgen beziehungsweise worauf wir den jeweiligen Fokus legen. Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass der Gorilla ein potenzieller Großschaden oder ein zentrales, strategisches Defizit ist - wir uns aber lieber auf unsere operative Aufgabe, nämlich das Zählen der Ballkontakte je Team verlassen - wird deutlich, welche Sprengkraft sich hierdurch ergibt. Stellen Sie also sicher, dass die Mitarbeiter trotz aller operativen Aufgaben nicht zu sehr im „Hamsterrad gefangen“ sind, sondern auch die Möglichkeit für den Blick aufs Ganze haben. Um im übertragenen Sinne „den Gorilla“, also unerwartete Wendungen und Entwicklungen, zu sehen. Das Gorilla-Experiment stellt außerdem die Fähigkeit des Multitaskings infrage. Übertragen Sie Ihren Mitarbeitern und sich selbst nicht zu viele Aufgaben, denn ansonsten übersehen Sie schnell Wichtiges. Ferner kann auch der Geschlechterunterschied beim Multitasking nochmals aufgegriffen und infrage gestellt werden. Denn es wird zwar gemeinhin argumentiert, dass Frauen im Gegensatz zu Männern zu Multitasking fähig sind. Da aber die weiblichen Probanden bei dieser Studie nicht wirklich besser abgeschnitten haben, kann kein Geschlechterunterschied festgestellt werden und die Fähigkeit und insbesondere Effektivität von Multitasking wird generell infrage gestellt.

19. Rationalitäts-Illusion

19. Rationalitäts-Illusion Der Homo oeconomicus ist tot, es lebe der Homo oeconomicus

Die traditionelle Ökonomie und die bekannten Finanz- und Risikomodelle gehen von effizienten Märkten und von rational handelnden Personen, dem sogenannten Homo oeconomicus, aus. Demnach agiert der Mensch stets rational, weiß zu jedem Zeitpunkt genau, was er will, strebt grundsätzlich nach dem größtmöglichen Nutzen für sich selbst und verfügt über vollständige Informationen. Die Annahme, dass der Mensch ein allwissender und nutzenmaximierender Egoist sei, steht in klarem Widerspruch zu vielen alltäglichen Phänomenen. Überbewertungen auf dem Aktienmarkt, Spekulationsblasen et cetera dürfte es nach dieser Auffassung überhaupt nicht geben. Aus diesem Grund verabschieden sich immer mehr Wissenschaftler vom Konzept des Homo oecnomicus. So auch die beiden Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und Vernon Smith, die als Mitbegründer der Behavioral Economics, also der Verhaltensökonomik, gelten. Ziel ist es, mithilfe der Psychologie die RationalitätsIllusion angemessen zu berücksichtigen und ein realistischeres Wesen als den Homo oeconomicus zu erschaffen. „Echte“ Menschen verfügen typischerweise nur über eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität. Sie machen Fehler sowohl bei der Informationsaufnahme als auch bei der Informationsverarbeitung. Sie sind willensschwach und emotional. Und für schnelle Urteile kommt ohnehin pauschalen Schätzungen, Erfahrungswerten beziehungsweise Heuristiken sowie dem Bauchgefühl eine zentrale Rolle zu. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_19

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Treffen wir beispielsweise zufällig einen alten Bekannten und müssen seinen Beruf erraten, so gehen wir pragmatisch vor. Statt auszurechnen, wie hoch die statistische Wahrscheinlichkeit ist, dass unser Gegenüber ein Bibliothekar oder ein Verkäufer ist, schauen wir ihn uns einfach an: Sieht er aus wie ein Bibliothekar, so vermuten wir, dass er auch einer ist. Dabei blenden wir die Tatsache aus, dass es mehr Verkäufer als Bibliothekare gibt und es damit wahrscheinlicher ist, dass wir einen Verkäufer getroffen haben. Die Folgen sind etwa Fehleinschätzungen von Wahrscheinlichkeiten und Entscheidungen, die davon abhängig sind, wie ein Problem dargestellt wurde. Dies betrifft in besonderem Maße auch den

Mitläufereffekt. Sicherlich ist es etwas überspitzt, wenn nun einige Leute einfordern, anstatt des Homo oeconomics, eher Homer Simpson als Prototyp des Menschen zu betrachten. Der vertrottelte, gelbhäutige Familienvater aus der Zeichentrickserie „Die Simpsons" ist das genaue Gegenteil des Homo oeconomicus: er weiß wenig, widerspricht sich ständig selbst und lässt sich generell eher von seinem Bierdurst als von seinem Verstand leiten. Am Beispiel des Homo oeconomicus sieht man die Herausforderungen durch die Rationalitäts-Illusion sehr deutlich. Irgendwann einmal wurden die bekannten, volkswirtschaftlichen Modelle mathematisiert. Diese vereinfachten Modelle haben dann Einzug gehalten in Lehrbücher und die wissenschaftliche Diskussion. Grundlegend hinterfragt und verfeinert wurden sie aber zumeist bis zum heutigen Tag nicht. Nicht einmal vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise oder anderen schweren Verwerfungen.

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Genau bei diesem Versäumnis liegt auch der konkrete Ansatzpunkt für das Risikomanagement. Natürlich ist es schwierig, irrationales Handeln zu modellieren und natürlich können Modelle nur ein vereinfachtes Abbild der viel komplexeren Realität sein. Was allerdings wichtig ist, ist die Tatsache, dass regelmäßig geprüft wird, inwiefern die Modelle gute - das heißt, richtige und verwertbare - Ergebnisse liefern. Ein solches „Backtesting“ kann von einfachen Vergleichen der Prognosegüte bis hin zu hochkomplexen, mathematisch-statistischen Analysen reichen und muss immer mit konkreten Maßnahmen unterfüttert werden, sofern gravierende Abweichungen in der Prognosequalität ermittelt wurden. Außerdem ist es hilfreich, wenn man sich immer wieder die Grenzen von Modellen und potenzielle Fehlerquellen (wie sie auch in diesem Buch dargestellt werden!) - insbesondere auch aufgrund irrationalen Handelns der beteiligten Personen - vor Augen führt und versucht, diese ganz bewusst in der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen beziehungsweise zu vermeiden. Der einzelne Entscheidungsträger sollte in seiner Entscheidung immer auch berücksichtigen, dass die erhaltenen Informationen und Daten in bestimmten Themen nur sehr schwach sind beziehungsweise nicht für alle Entscheidungen isoliert, sondern teilweise in Kombination mit anderen Analysen, betrachtet werden sollten.

20. Murphys Gesetz

20. Murphys Gesetz Nichts geschieht ohne Grund! Jede Person, die mit Risikomanagement zu tun hat, dürfte Murphys Gesetz (Murphy’s Law) kennen. Es entstand 1949 auf der Edwards Air Force Base und geht zurück auf den Ingenieur Captain Edward A. Murphy, der zu diesem Zeitpunkt an einem Raketenschlittenprogramm zur Erforschung der Auswirkungen von Beschleunigungskräften am menschlichen Körper teilnahm. Er entwickelte die zur Erforschung benötigte Messapparatur. Bei einem sehr kostspieligen Experiment wurden am Körper einer Testperson insgesamt 16 Messsensoren befestigt, die allerdings auf zwei Arten angebracht werden konnten: entweder auf die richtige Art oder aber um 90 Grad verkehrt herum. Das Experiment schlug fehl, da ein anderer Techniker alle Sensoren um 90 Grad verkehrt herum anschloss. Unter diesem Eindruck stellte Murphy fest: „If there are two or more ways to do something and one of those results in a catastrophe, then someone will do it that way.” (übersetzt ins Deutsche: „Wenn es zwei

oder mehr Möglichkeiten gibt, etwas zu tun, und wenn eine dieser Möglichkeiten zu einer Katastrophe führt, dann wird sich irgendjemand für genau diese Möglichkeit entscheiden.“) . Ein Projektmanager bezeichnete diese Aussage als „Murphys Gesetz“. Dieses erlangte breite Aufmerksamkeit, als es von Major John Paul Strapp auf einer Pressekonferenz zitiert wurde. Dieses scheinbar unterhaltsame und einfache „Gesetz“ hat einerseits Eingang in unseren Alltag gefunden. So berichten schon kleine Kinder sehr ernst davon, dass ihr Toastbrot

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immer auf die mit Marmelade bestrichene Seite falle. Andererseits bildet dieses Prinzip die Basis für das moderne Risikomanagement. Wichtig ist natürlich, dass man sich immer wieder vergegenwärtigt, dass nichts ohne Grund geschieht und man Murphys Gesetz nicht pauschal mit Pech gleichsetzt. Vielmehr sollte es der Startpunkt für Risikoanalysen zur präventiven Fehlervermeidung sein. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der sogenannte „Perfekte Sturm“, bei dem in Anlehnung an einen Hurrikan vom Oktober 1991 an der US-Ostküste alle Bedingungen (nämlich der Rest des Hurrikans „Grace“ und zwei weitere Wettersysteme) „perfekt“ zusammenkamen und am Ende zum Untergang des Fischereischiffs Andrea Gail führten. Der Begriff des „perfect storms“ wird mittlerweile auch in der Alltagssprache, insbesondere im Finanzbereich und der Politik, verwendet, um auszudrücken, dass es „kaum schlimmer kommen könne“. Die Verkettung von Einflussgrößen zeigt sich auch sehr anschaulich in der Vorbereitung der Apollo-Mission, dem ersten bemannten Flug auf den Mond. Im Zuge des Wettstreits zwischen den USA und der UdSSR wurde am 27.01.1967, knapp einen Monat vor dem geplanten Start der Apollo-Rakete, eine fünfstündige Simulation unter Realbedingungen durchgeführt. Hierbei kam es zu einer folgenschweren Katastrophe, nachdem die Simulation zum wiederholten Male unterbrochen und wieder neu begonnen werden musste. Vermutlich löste ein Kurzschluss einen Kabelbrand aus, der wiederum durch die reine Sauerstoffatmosphäre sofort die komplette Kapsel in Brand steckte. Alle drei Astronauten sind bei diesem Unglück ums Leben gekommen (vgl. Paula 2007, S.72). Im Nachhinein zeigte sich, dass viele technische, methodische und materialbedingte Ursachen für die Katastrophe

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maßgeblich waren, die allerdings erst durch ihre Kombination ein solch verheerendes Ausmaß annehmen konnte. Die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) ist maßgeblich von Murphys Gesetz und auch der Apollo-Katastrophe getrieben. Grundlage hierfür sind analytische Methoden der Zuverlässigkeitstechnik, um potenzielle Schwachstellen zu finden. Der Grundgedanke von FMEA ist die vorbeugende Identifikation und Verhinderung potenzieller Fehler und ihrer Auswirkungen. Risiken werden hierbei bezüglich ihres Auftretens, ihrer Bedeutung und der Wahrscheinlichkeit ihrer Entdeckung bewertet. Dabei wird ein System in seine Bestandteile zerlegt und die Auswirkungen von Fehlern einzelner Faktoren auf das Gesamtsystem untersucht. Wenngleich die Auswirkungen von Fehlern nicht in allen Branchen genauso katastrophal sind wie etwa in der Raumfahrt, sollte jeder Entscheider bestrebt sein, die genauen Einflussfaktoren für Planverfehlungen oder schlagend werdende Risiken zu bestimmen und abzustellen. Neben einem strengen Backtesting der verwendeten Modelle und kritischen Prüfung der Kennzahlen kommt insbesondere auch der Risikokultur innerhalb des Unternehmens eine sehr wichtige Rolle zu. Außerdem sollte man sich vom Faktor Pech weitgehend lösen, denn nichts geschieht ohne Grund! Bei der Konstruktion von Ursache-Wirkungszusammenhängen und Fehlerketten sollte allerdings besonders darauf geachtet werden, dass diese durch eine selektive Wahrnehmung nicht allzu sehr beeinflusst werden. Denn seltene, negative Erfahrungen sind häufig auffällig und werden systematisch überschätzt, während positive Dinge (unterbewusst) überhaupt nicht mehr oder nur noch begrenzt wahrgenommen werden.

21. Selbsterfüllende Prophezeiung

21. Selbsterfüllende Prophezeiung Wenn man nur fest genug an etwas glaubt, tritt es auch ein!?

Der Psychologe Robert Merton erarbeitete 1948 das Konzept der selbsterfüllenden Prophezeiung, wonach sich eine Vorhersage über direkte und indirekte Mechanismen selbst bewirkt. Ein wesentlicher Bestandteil der selbsterfüllenden Prophezeiung ist auch, dass diejenigen, die ein bestimmtes Verhalten oder Ergebnis erwarten, in besonderem Maße dazu beitragen, dass es eintritt – sowohl bewusst als auch unbewusst. Es klingt fast schon zu schön, um wahr zu sein: man glaubt daran, etwas erreichen zu können, und schon tritt es ein. Dies ist natürlich Quatsch. Richtig ist, dass man seinem Ziel näher kommt, wenn man seine Verhaltensweise ändert und quasi auf die Zielerreichung hinarbeitet. Sehr wichtig ist beispielsweise auch in der Zusammenarbeit mit Kollegen oder Mitarbeitern, dass man diese laufend für das gemeinsame Ziel motiviert. Denn Resignation und Selbstzweifel haben den gegensätzlichen Effekt: sie sorgen dafür, dass es eine selbstzerstörende Prophezeiung geben kann. Risikomanagement hat nichts mit Prophezeiungen zu tun. Vielmehr werden Prognosen zur Risiko- und Unternehmensentwicklung sowie der Steuerung der Risiken geliefert. Prognosen wiederum legen die zugrundeliegenden Annahmen offen und müssen kontinuierlich überprüft werden. Sie werden also von der Vergangenheit und Gegenwart gespeist und sind damit strukturell konservativ ausgerichtet. Das grundlegend Neue (etwa schwarze Schwäne) bleibt unberücksichtigt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_21

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Und genau hier setzt die Prophezeiung an: sie umgeht diese strenge Methodik, indem sie eben auch die selbst geschaffenen Fakten – völlig unabhängig, ob diese nun bereits eingetreten sind beziehungsweise validiert wurden oder nicht – einbezieht. Was möglich oder unmöglich ist, definiert sie selbst und auch die Erfahrung ist keine limitierende Größe. Die Macht der selbsterfüllenden Prophezeiung trügt allerdings, da sie schlichtweg überfordert. Denn bereits Immanuel Kant gibt zu bedenken, dass die Zukunft nur demjenigen vorhersehbar ist, „der die Begebenheiten selber macht und veranstaltet, die er zum Voraus verkündet“ (vgl. Kant 1798, S.132). Der große Unterschied von Prophezeiungen im Vergleich zu Prognosen ist die Tatsache, dass Prophezeiungen immun gegenüber jeglicher Art von Kritik und Einwänden sind und im Gegensatz zur Prognose auch nicht fehlertolerant sind. Eine Prognose ist qua definitionem mehr oder weniger falsch, eine Prophezeiung erhebt den Anspruch, sich zu bewahrheiten. Ansonsten wäre es schließlich auch keine Prophezeiung. Diese Absolutheit des Wahrheitsgehalts einer Zukunftsprojektion und keinerlei Möglichkeit, am Zukunftsbild zu rütteln, ist sehr gefährlich. Prophezeiungen unterstellen letztlich der Welt einen einheitlichen und einfachen Sinn, den sie nicht haben kann. Aufgrund der komplexen Wirkungszusammenhänge mit vielen auch externen Einflussfaktoren ist eine wirklich belastbare Prophezeiung für das hochkomplexe und sensible Wirtschaftsgebilde gar nicht möglich. Es würde den Prophezeienden schlichtweg überfordern.

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Viel wichtiger ist es deshalb, dass man sich der Gefahr einer selbsterfüllenden Prophezeiung bewusst wird – insbesondere aufgrund von geändertem Verhalten, geänderter Motivation, geänderten Kenntnissen et cetera. Außerdem sollten die Prognosen kontinuierlich verbessert werden, um auch die „blinden Flecken“, also solche Situationen, die in der Vergangenheit oder Gegenwart noch gar nicht aufgetreten sind und deshalb von Prognosen typischerweise nicht erfasst werden, trotzdem meistern zu können. Im Rahmen von Szenarioanalysen und Stresstests können bisher nicht aufgetretene, aber theoretisch denkbare, Situationen simuliert werden. Ein absoluter Wahrheitsanspruch in Bezug auf das Eintreten und keinerlei Fehlertoleranz erscheinen methodisch aber sehr fragwürdig. Vielmehr orientiert sich das moderne Risikomanagement an Ansätzen wie beispielsweise der Resilienz und Antifragilität und versucht, anstatt einer Vorhersage der „blinden Flecken“ – was unmöglich erscheint – die eigene Verletzlichkeit (Fragilität) zu reduzieren und damit flexibel und den geänderten Marktsituationen angemessen (re)agieren zu können. Speziell in einer globalisierten Welt mit sehr komplexen Interdependenzen und nahezu unkalkulierbaren Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Einflussgrößen erscheinen die Ansätze der Antifragilität und Resilienz sehr interessant zu sein.

22. Barnum-Effekt

22. Barnum-Effekt Warum glauben so viele Leute eigentlich an Horoskope?

Den Barnum-Effekt haben wahrscheinlich die meisten Menschen schon erlebt. Das auch als Forer-Effekt bekannte Phänomen bedeutet, dass Menschen vage und allgemeingültige Aussagen auf sich beziehen und deswegen glauben, dass sie selbst zutreffend beschrieben werden. Der Barnum-Effekt geht dabei zurück auf den Zirkusdirektor Phineas Taylor Barnum. In seinem Zirkuszelt unterhielt er im 19. Jahrhundert ein Kuriosenkabinett, das für jeden Geschmack etwas zu bieten hatte. Es gab eine Ausstellung mit ausgestopften Vögeln und Mumien, einen Bauchredner, Zwerge und Riesen sowie Schlangen, Hunde und Affen. Er war damit sehr erfolgreich. Zeitungshoroskope funktionieren ganz ähnlich: durch allgemeingültige Aussagen wie „Sie stehen vor einer großen Herausforderung", „Sie sind ein bodenständiger Mensch“, „Oft sind Sie gut gelaunt und fröhlich, manchmal aber auch geladen und zornig“ oder „Sie werden bald neue Möglichkeiten im Beruf wahrnehmen" ist für fast jeden Leser etwas dabei, das er auf seine aktuelle Lebenssituation projizieren kann. Man sucht quasi nach der eigenen Nadel im Heuhaufen der Charaktereigenschaften und Lebensumstände. Bis in die Fünfzigerjahre war der Barnum-Effekt noch in Anlehnung an den Psychologieprofessor Bertram Forer als Forer-Effekt bekannt. Forer hatte mit einem fiktiven Persönlichkeitstest in einer Studie mit Studenten gezeigt, dass diese die einzelnen Aussagen zu ihrer Wesensart jeweils als sehr zutreffend empfanden. Dabei hatte Forer © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_22

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allen Teilnehmern denselben Text gegeben und mit allgemeinen Aussagen, die er aus Horoskopen verschiedener Zeitungen entnommen hatte, gearbeitet. Ein sehr umstrittener Ansatz des Barnum-Effekts ist die Manipulation von Menschen. Speziell die Manipulation von Menschen in eine Richtung, die ihnen nutzt, hat in den letzten Jahren sehr stark an Bedeutung gewonnen. Das „Nudging“ (anstupsen) ist ein Begriff der Verhaltensökonomik und wurde maßgeblich vom Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler und Cass Sunstein im gleichnamigen Buch detailliert erläutert. Das Ziel von Nudging ist, im Gegensatz zum Homo

oeconomicus, von einem realistischeren Menschenbild auszugehen und den fehlbaren Menschen dabei zu unterstützen, Fehler zu vermeiden. Beispiele sind etwa das Platzieren von gesunden Lebensmitteln auf Augenhöhe, um deren Konsum zu erhöhen, das Anbringen von Warnhinweisen und Schockbildern auf Zigarettenschachteln oder auch das Aufkleben von Fliegen in den Pissoirs auf öffentlichen Toiletten, um die „Trefferquote“ zu erhöhen und den Reinigungsaufwand zu minimieren. Um den Barnum-Effekt im täglichen Entscheidungsprozess zu verhindern, ist es sehr wichtig, dass etwa die Aussagen des Controllings oder der Planung sehr präzise sind und damit keinen Platz für allgemeingültige Interpretationen lassen. Je präziser und objektivierbarer sie sind und je eher sie auch falsifizierbar sind, umso höher ist der Nutzen für den Entscheider. Aussagen wie „gute Wachstumsperspektiven trotz härter gewordenem Konkurrenzumfeld“, „der Fokus sollte auf der Umsetzung neuer Ideen

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liegen“, „es bestehen Einsparpotenziale“, „der Fokus sollte auf neue Märkte, etwa Schwellenländer, gelegt werden, um sich zukünftig Marktanteile zu sichern“ sind allesamt nutzlos. Denn sie dürften wie ein Horoskop auf fast alle Firmen zutreffen. Entweder werden diese Aussagen noch weiter präzisiert und mit konkreten Beispielen und Anweisungen untermauert, oder sie sind überflüssig. Auch Best-Practice-Beispiele und andere Erfolgsgeschichten sind grundsätzlich wenig hilfreich, wenn sie nur vage sind und allgemeingültige Aussagen (zum Beispiel „Sie neigen zu…“, „Sie sind meistens…“, „Sie können sowohl… als auch… sein“ et cetera) enthalten. Dann fühlen sich viele Entscheider schnell auf dem richtigen Weg und lehnen sich unter Umständen zurück, da der Erfolg nun ja automatisch kommen muss. Um den Barnum-Effekt im Unternehmensalltag so gering wie möglich zu halten, ist eine offene und konstruktive Feedbackkultur sehr wichtig. Das Management sollte sich nicht selbst beweihräuchern und in Eigenlob zurücklehnen. Auch ein Devil’s Advocat kann sehr hilfreich dabei sein, um eine kritische Distanz aufzubauen und wichtige Entwicklungen angemessen zu reflektieren und bei Bedarf auch einmal den Finger in die Wunde zu legen und frühzeitig auf mögliche Fehlentwicklungen hinzuweisen.

23. Blinde Modellgläubigkeit

23. Blinde Modellgläubigkeit Warum Modelle qua definitionem falsch sind

Wissenschaftliche Prognostiker werden häufig zu Propheten unserer Zeit hochstilisiert. Dies ist auch wenig verwunderlich, denn sie liefern ja auch sehr präzise, mathematisch ermittelte, Werte und Bandbreiten zur zukünftigen Entwicklung. Bei mathematischen Modellen oder Simulationen zeigt sich aber immer wieder das Problem der Scheingenauigkeit. Obwohl die Modelle regelmäßig konkret greifbare Ergebnisse wiedergeben, können sie nur einen Teilbereich der Realität und der Wechselwirkungseffekte für die betrachteten Unternehmen berücksichtigen. Die Modelle abstrahieren nur einen Teilausschnitt der Realität. Der britische Statistiker und Professor an der Universität von Wisconsin-Madison, George Box, stellte deshalb fest: „Im Grunde genommen sind alle Modelle falsch, aber manche sind nützlich.“ Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass eine blinde Modellgläubigkeit der Entscheidungsträger schnell eine zentrale Gefahrenquelle werden kann. Insbesondere dann, wenn die realen Risiken aufgrund einer falschen oder nicht hinreichend genauen Beschreibung unter-

oder

überschätzt

werden.

Beispiele

solch

gravierender

Prognose- beziehungsweise Modellfehler sind etwa die Untergangsszenarien des Club of Rome 1972, die Eiszeithysterie in den 1970er Jahren oder auch die zahlreichen schwarzen Schwäne und die gravie-

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renden Modellschwächen, die im Rahmen der Finanzmarktkrise ab 2008 offenkundig wurden. Natürlich hat beispielsweise der Club of Rome bestimmte Entwicklungen, wie etwa die Ölpreis- und Wirtschaftskrise, scheinbar bestätigt. Andererseits blendete er den technischen Fortschritt und die Erfindungsgabe der Menschen komplett aus und obwohl die fossilen Rohstoffe knapp und teurer werden, gibt es noch keinen Zusammenbruch dieser Ressourcen. Gleiches gilt für die apokalyptischen Szenarien, was den sinkenden Wohlstand und eine deutlich sinkende Weltbevölkerung als Folge daraus anbelangt. Heute leben nämlich durch das rasante Wohlstandswachstum in Schwellenländern viel mehr Menschen in relativem Wohlstand als je zuvor. Sicherlich müssen sehr langfristige Prognosen, wie etwa die des Club of Rome, sehr kritisch geprüft werden. Eine gewisse Ungenauigkeit ist hierbei auch unvermeidlich. Trotzdem können sie gewisse Anhaltsund Diskussionspunkte liefern, um den Einfluss gegenwärtiger Maßnahmen auf die Zukunft kritisch zu reflektieren. Die verwendeten Horrorszenarien haben zweifelsohne viel stärker die öffentliche Aufmerksamkeit erregt, als dies durch moderatere, gemäßigtere Schätzungen der Fall gewesen wäre. Insbesondere Krisensituationen von beispielsweise Banken machen immer wieder deutlich, dass Parameter- und Modellrisiken in Risikoquantifizierungsmodellen

nicht

selten

systematisch

unterschätzt

werden. Speziell in Krisensituationen ist öfters zu beobachten, dass diese häufig erst dadurch entstehen, dass bekannte Risiken ignoriert oder systematisch unterschätzt wurden. Eine bewusste Überzeichnung

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beziehungsweise ein bewusstes Simulieren von Extremereignissen, etwa in Form von Stresstests, kann – wie dies ja auch der Bericht des Club of Rome 1972 bereits gezeigt hat – die Entscheider aufrütteln und deren Handeln beeinflussen. Es ist aber trotzdem sehr wichtig, dass man die Prognosen und errechneten Werte von Modellen nicht als absolute Wahrheit auffasst. Vielmehr sollten die Grenzen der Modelle und deren Aussagen regelmäßig kommuniziert werden, um eine blinde Modellgläubigkeit zu verhindern. Eine weitere, zentrale Fehlerquelle ist die Tatsache, dass unterstellt wird, dass Gewissheit über die quantitative Beschreibung der Risiken, etwa die Wahrscheinlichkeitsverteilung, aber auch über die

Korrelationen

und

Wechselwirkungen

der

Einflussfaktoren,

bestünde. Dabei sind in der Realität die historischen Daten eher begrenzt, die Schätzungen nur sehr unscharf und die Risikomodellierungen damit nur mit großer Unsicherheit möglich oder schlichtweg falsch. Für die Adressaten der Modellergebnisse ist es damit nur sehr schwer, teilweise sogar gar nicht möglich, eine rationale Entscheidung zu treffen. Um die Bedeutung von Modellen zu reduzieren, gibt es mittlerweile auch viele Ansätze, etwa das Konzept der Antifragilität und der Resilienz, bei denen vielmehr die flexible Reaktionsfähigkeit und weniger die exakte Prognose im Vordergrund steht.

24. Einrahmungs-Effekt

24. Einrahmungs-Effekt Ist das Glas nun halb voll oder halb leer?

Der Einrahmungs-Effekt („Framing“) beschreibt die Situation, in der unterschiedliche Formulierungen derselben Botschaft - trotz gleichem Inhalt – das Verhalten des Adressaten unterschiedlich beeinflussen. Ist das Glas nun halb voll (eher positiv konnotiert) oder halb leer (eher negativ konnotiert)? Oder schlichtweg zu 50% ausgefüllt (Versuch einer objektiven Umschreibung)? Bekannt wurde dieser Effekt durch Experimente zum Entscheidungsverhalten von Daniel Kahneman und Amos Tversky, bei dem die Versuchsteilnehmer das asiatische Krankheits-Problem („Asian Disease Problem“) lösen sollten. Dieses Experiment gehört mittlerweile zu den Klassikern der Anomalien der Entscheidungstheorie. Die Problembeschreibung war hierbei wie folgt (vgl. Kahneman & Tversky 1984, S.343): Problem 1 (N = 152): Stellen Sie sich vor, dass sich die Vereinigten Staaten auf den Ausbruch eines asiatischen Krankheitserregers vorbereiten müssen, wodurch voraussichtlich 600 Personen getötet werden. Zur Bekämpfung der Ausbreitung stehen zwei alternative Programme zur Verfügung. Hierbei gelten die folgenden exakten, wissenschaftlichen Prognosewahrscheinlichkeiten: Wenn Programm A umgesetzt wird, werden 200 Personen gerettet. (72%)

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24. Einrahmungs-Effekt Wenn Programm B umgesetzt wird, gibt es eine Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass 600 Menschen gerettet werden und eine Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass niemand überlebt. (28%) Welches der beiden Programme würden Sie wählen?

72% der Versuchsteilnehmer bevorzugten Programm A, bei dem 200 von 600 Menschen die Krankheit sicher überleben. Das risikoreichere Programm B, das sich auch als Lotteriespiel mit Menschenleben auffassen lässt, wurde mehrheitlich gemieden. Unter dieser Beschreibung der Programme verhielten sich die Teilnehmer demnach risikoavers. In einer weiteren Befragung wurden die zu erwartenden Konsequenzen der beiden Programme nicht mehr mittels der Zahl der Überlebenden, sondern der Zahl der Sterbenden beschrieben. Hier war die Problembeschreibung wie folgt: Problem 2 (N=155): Wenn Programm C umgesetzt wird, sterben 400 Personen. (22%) Wenn Programm D umgesetzt wird, gibt es eine Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass niemand stirbt und eine Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass 600 Personen sterben. (78%) 78% der Befragten entschieden sich für Variante D, obwohl der Erwartungswert von 200 Überlebenden und 400 Todesopfern bei allen Optionen A - D absolut identisch ist. Kahneman und Tversky schildern

24. Einrahmungs-Effekt

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anschaulich, dass ein sicherer Gewinn der Chance auf einen noch höheren Gewinn vorgezogen wird („lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach“) und außerdem Handlungsoptionen mit positiv belegten Begriffen (wie „gerettet werden“) eher gewählt werden als Optionen mit negativ belegten Begriffen (wie „sterben“). Auch Entscheidungsträger lassen sich von positiv und negativ konnotierten Begriffen beeinflussen. Um trotzdem eine möglichst rationale Entscheidung zu ermöglichen, sollten deshalb besonders positiv beziehungsweise besonders negativ besetzte Begriffe vermieden und speziell im Risikoreporting auf eine möglichst objektive und neutrale Wortwahl geachtet werden. Es kann sehr erhellend sein, wenn man den Risikobericht einmal ganz gezielt nach positiv und negativ „belasteten“ Worten untersucht und sich kritisch fragt, ob eine solch wertende Aussage beabsichtigt war oder nicht. Denn der Blick auf die objektiven

Zahlen

sollte

nicht

unterbewusst

durch

wertende

Signalwörter getrübt werden. Ansonsten können keine rationalen Entscheidungen (sofern dies überhaupt möglich ist) getroffen werden. Neben Worten trifft dies insbesondere auch auf Symbole und Farben zu. Häufig werden positive Entwicklungen grün oder mit einem nach oben gerichteten Pfeil angezeigt, während negative Entwicklungen rot oder orange dargestellt werden. – Was passiert allerdings beispielsweise, wenn die Entwicklung des Wertberichtigungsvolumens dargestellt werden soll? Werden hier ein Anstieg ebenfalls grün und ein Rückgang rot dargestellt? Oder umgekehrt? Oder ganz anders, zum Beispiel neutral in grau? Machen Sie sich diese und ähnliche Fragen bewusst und finden Sie zwischen der jeweiligen Fachabteilung und dem Management eine praktikable Lösung!

25. Nullrisiko-Verzerrung

25. Nullrisiko-Verzerrung Es gibt keine risikolosen Anlagen!

Die Nullrisiko-Verzerrung (Zero Risk Bias) ist der Grund, warum viele Menschen ihr Geld auf Sparbücher und Tagesgeldkonten packen, trotz minimalem Zinssatz, und gleichzeitig Aktien scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. Denn auf dem Sparbuch ist unser Geld „sicher“. So wurde es uns zumindest beigebracht und hiervon sind wir überzeugt – koste es, was es wolle. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass sich das Eingehen von überschaubaren Risiken häufig lohnt. Wer zum Beispiel einen Teil seines Geldes in eine Unternehmensanleihe oder einen Fonds investiert, kann seine Gesamtrendite im Vergleich zu den „sicheren Häfen“ oft klar verbessern. Doch selbst kleine Risiken sind vielen noch zu groß. Dies zeigen einschlägige Untersuchungen, so beispielsweise die folgende: Amerikanische Forscher postierten sich in Greensboro, einer Stadt mitten in North Carolina, vor einem Einkaufszentrum und „priesen” einen WC-Reiniger an und listeten gleichzeitig die Risiken des Produkts auf: „15 von 1.000 Verbrauchern vergifteten sich an den Gasen, noch mal 15 von 1.000 bekamen den Reiniger in die Augen und verletzten sich daran”.

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25. Nullrisiko-Verzerrung Im nächsten Schritt wurden die Kunden befragt, ob und wie viel sie für einen sichereren WC-Reiniger ausgeben würden. Das Ergebnis: Eine Verringerung des Verletzungs- beziehungsweise Vergiftungsrisikos von 15 auf 10 pro 1.000 Verbraucher (das sind 0,5 Prozentpunkte) war ihnen 65 Cent wert. Für die nächsten 0,5 Prozentpunkte wurden nur noch 19 Cent geboten. Aber die letzten 0,5 Prozentpunkte, mit denen das Risiko völlig verschwindet, waren den Kunden deutlich mehr, nämlich weitere 83 Cent, wert!

Das dargestellte Verhalten ist ein typisches Beispiel für die NullrisikoVerzerrung, also die Neigung zum Nullrisiko. Die Neigung hat mindestens zwei Gründe. Der eine liegt in den notorisch schwachen Rechenfähigkeiten begründet: kleine Wahrscheinlichkeiten können schlecht eingeschätzt werden. Wenn etwas in einem Drittel der Fälle passiert, muss das keiner ausrechnen, da reicht etwas Erfahrung, dann kann man es intuitiv abschätzen. Aber wie oft ist „in 15 von 1.000 Fällen“? 15 Promille? 1,5 Prozent? Richtig vorstellen kann sich das keiner, es ist vielmehr eine abstrakte Zahl. Der zweite Grund hängt damit zusammen, dass man immer, wenn ein Restrisiko verbleibt, an dieses denken muss. Das bindet Kraft und Zeit. Erst wenn das Risiko auf null reduziert ist, kann man es guten Gewissens abhaken und fortan ignorieren.

25. Nullrisiko-Verzerrung

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Das große Problem an letztgenanntem Grund ist allerdings, dass es im Unternehmensalltag immer ein Risiko gibt. Man muss sich dies laufend bewusst machen. Ein Risiko per se ist auch nichts Schlimmes, sondern völlig normal. Viel wichtiger als die Eliminierung jeglichen Risikos sind der bewusste Umgang und die adäquate Bepreisung. Denn solange das Eingehen von angemessenen Risiken auch einhergeht mit auskömmlichen Erträgen, ist dies völlig normal und vorteilhaft. Unternehmer sein heißt ja auch schließlich, etwas zu unternehmen. In der Praxis lohnt es sich im Normalfall nicht, um ein Nullrisiko zu kämpfen, denn das erreicht am Ende sowieso keiner. Und jegliche Eventualität kann man auch nicht versichern. Viel wichtiger ist es, sich gegen mögliche existenzbedrohende Schäden abzusichern, ansonsten aber im Kerngeschäft auch einmal Risiken einzugehen, wenn man meint, diese „handlen“ zu können und wenn diese mit positiven Renditen verbunden sind. Also beispielsweise Investitionen in die Automatisierung oder Digitalisierung von Kundenanforderungen. Um sich dauerhaft ein Bild davon zu machen, wie belastbar und stressfähig das eigene Unternehmen ist, ist es deshalb sehr wichtig, dass in regelmäßigen Abständen eine Risikotragfähigkeitsanalyse sowie Stresstests durchgeführt werden. Hierbei wird untersucht, ob die zur Verfügung stehende Substanz in Form von Vermögenswerten ausreicht, um die wesentlichen, schlagend werdenden, Risiken auszugleichen. Sowohl unter Normal- als auch unter Stressbedingungen. Hierbei zeigt sich schnell, inwiefern kleinere Risiken problemlos selbst getragen werden können beziehungsweise auch, wie wichtig (oder unwichtig) ein Nullrisiko-Ansatz ist.

26. Zurückfeuer-Effekt

26. Zurückfeuer-Effekt Warum man manche Diskussionen gar nicht gewinnen kann

Wer kennt das nicht? In manchen Situationen kommt man mit sachlich-logischen Argumenten überhaupt nicht mehr weiter. Vielmehr hat man den Eindruck, dass es wie beim Armdrücken nur darum geht, seine eigene Position durchzudrücken, ohne sich auf die gegnerischen Argumente einzulassen beziehungsweise nach einer besseren, unter Umständen gemeinsamen, Lösung zu suchen. Der Begriff des Zurückfeuer-Effekts („Backfire Effect“) wurde insbesondere von Brendan Nyhan und Jason Reifler von der Universität von Michigan und der Georgia State Universität geprägt. Sie führten im Jahr 2006 mehrere Experimente im Bereich der Politikwissenschaften durch und gaben den Probanden zuerst einen Zeitschriftenartikel, der die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak bestätigt, ehe sie anschließend den Teilnehmern einen Artikel aushändigten, der den ersten Beitrag korrigierte. Die Teilnehmer, die sich eher als Kriegsgegner und liberal bezeichneten, widersprachen dem ersten Artikel und bestätigten den zweiten. Die eher konservativen Kriegsbefürworter stimmten mit dem ersten überein und widersprachen dem zweiten. So weit so gut, dies ist noch nicht überraschend. Was allerdings überrascht, ist die Tatsache, wie die meisten konservativen Kriegsbefürworter auf die Korrektur des ersten Artikels in Form des zweiten Artikels reagierten. Nachdem sie den zweiten Artikel gelesen hatten, gaben zwei Drittel an, noch mehr von ihrer Meinung überzeugt zu sein und dass ihre ursprüngliche © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_26

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Meinung richtig war. Sogar als man ihnen sagte, dass George W. Bush selbst zugegeben hat, dass man keine Massenvernichtungswaffen gefunden habe, er es schon vorher wusste und er bewusst gelogen hat. Das Experiment wurde auch in anderen Bereichen durchgeführt, etwa bei den Themen Stammzellen, Impfen und dem angeblichen Zusammenhang mit Autismus, Steuerreform et cetera. Also allesamt sehr emotionale und polarisiert geführte Diskussionen. Jedes Mal, wenn Korrekturen die eigene Meinung bedrohten, konnte der Zurückfeuer-Effekt wahrgenommen werden. Nach Auskunft der Forscher ist es ein Verteidigungsmechanismus, um die kognitive

Dissonanz zu vermeiden. Unter kognitiver Dissonanz versteht man ganz allgemein den Unterschied zwischen dem, was man wahrnimmt, und dem, was man glaubt. Oder umgekehrt: man sieht und hört etwas, blendet es aber aus, weil es nicht ins eigene Weltbild passt. Der Zurückfeuer-Effekt schlägt insbesondere bei emotionalen Themen zu und wenn es um innere Überzeugungen geht, die man über Jahre hinweg angesammelt hat. Wenn sich nun herausstellt, dass sich die inneren Überzeugungen als großer Irrtum erwiesen haben, kommt dieser Effekt zum Tragen. Häufig zeigt sich auch im Vertriebsbereich die Bedeutung des Zurückfeuer-Effekts. Denn wenn Sie versuchen, den Kunden vom Wettbewerb loszueisen und dabei die eigene, überlegene Lösung vorstellen, bemerkt der Kunde unter Umständen, dass er bisher immer falschgelegen hat. Und anstatt diese neue Lösung mit offenen Armen

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zu empfangen, versucht er stattdessen die negative Erfahrung (ich habe falschgelegen) zu verdrängen und noch viel eher beim bisherigen Anbieter zu bleiben und nicht zu wechseln. Damit muss er sich auch keinen Fehler eingestehen. Wenn Sie also jemanden überzeugen wollen, dass er/sie mit seinen/ihren Auffassungen doch nicht ganz richtig liegt und es sehr gute Argumente dafür gibt, dass er/sie die ganze Zeit in die falsche Richtung gedacht hat, sollten Sie sehr vorsichtig und einfühlsam sein und insbesondere den Zurückfeuer-Effekt im Hinterkopf behalten. Gleichzeitig ist es auch wichtig, dass man sich selbst die eigene Anfälligkeit für den Zurückfeuer-Effekt vor Augen führt. Es ist sehr wichtig, dass man speziell bei zentralen Entscheidungen auch Querdenker involviert, die argumentativ für ihre Überzeugungen kämpfen. Nur so steigt die Chance, dass das Management seine Entscheidungen auf Fakten und objektiven Argumenten und weniger auf Meinungen, den eigenen Überzeugungen und dem über Jahre hinweg gefestigten Glauben aufbaut. Im Sinne einer guten Fehler- und Unternehmenskultur sollte es völlig normal sein, dass man sich fachlich und argumentativ auch einmal „fetzt“ – aber natürlich immer respektvoll im Umgang untereinander bleibt. Dies ist besonders wichtig, da man heute in der Flut an Informationen für jede Meinung immer irgendeinen „Beweis“ finden kann. Getreu dem Motto „traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“.

27. Kognitive Dissonanz

27. Kognitive Dissonanz Warum wir uns so leicht selbst betrügen

Im Jahr 1954 hätte die Welt untergehen sollen – zumindest wenn man den Anhängern einer Sekte in Wisconsin Glauben geschenkt hätte. Sie waren überzeugt, dass eine Sintflut am 21. Dezember alles Leben auf der Erde vernichtet. Nur sie selbst würden von Außerirdischen gerettet. So prophezeite es ihnen ihre Anführerin. Am 21. Dezember 1954 passierte dann aber das, was so häufig zuvor auch schon passierte: nichts. Es gab nicht einmal Regen, Donner oder Blitz - und von Außerirdischen war auch nichts zu sehen. So weit so gut, mag man jetzt denken. Was aber wirklich überraschend war, war die Tatsache, dass die Gläubigen nicht den Humbug entlarvten, sondern vielmehr dem nächsten Irrglauben aufsaßen. Denn sie fühlen sich in ihrem Irrglauben bestätigt und waren davon überzeugt, dass Gott nur ihren Glauben prüfen wollte. Diese Anekdote, die in vielen Sekten auch heute noch zum Tragen kommt, konnte vom Sozialpsychologen Leon Festinger aufgenommen werden. Ihm gelang es, sich undercover in die Gruppe einzuschleusen und die Widersprüche zwischen den Überzeugungen und dem Handeln der Mitglieder zu verstehen. Auf Basis dieser Erkenntnisse entwickelte er seine Theorie der kognitiven Dissonanz. Wir sind wahre Künstler darin, die Realität zu verdrehen, Fakten zu ignorieren und Wahrheiten zu verbiegen, bis diese in unser Weltbild passen und leichter zu verdauen sind. Das Ganze geschieht unterbe-

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27. Kognitive Dissonanz

wusst und in Sekundenbruchteilen. Wir können uns also nur sehr schwer dagegen wehren. Denken Sie beispielsweise nur an die zahlreichen guten Vorsätze, im neuen Jahr endlich mehr Sport zu treiben, gesünder zu essen, mehr Zeit für die Familie zu haben oder auch umweltfreundlicher zu leben. Anspruch und Wirklichkeit klaffen dabei häufig weit auseinander. Allerdings haben wir Strategien entwickelt, um damit klarzukommen. Dies zeigt auch die folgende Situation: ein junger Mann nähert sich auf der Tanzfläche einer sehr attraktiven jungen Dame. Er muss allerdings feststellen, dass sie auf keine seiner Avancen anspringt. Als Reaktion darauf rümpft er die Nase, geht zurück zu seinen Freunden und verkündet lauthals, dass die Dame ohnehin nicht sein Typ sei. Die kognitive Dissonanz entsteht hierbei also zwischen dem Wunsch des jungen Mannes, mit der jungen Dame zu tanzen, und der Realität, dass er dies nicht erreichen kann. Die kognitive Dissonanz zeigt sich auch noch in zahlreichen anderen Situationen im Unternehmensumfeld. Je größer eine Entscheidung ist, umso schwieriger fällt es häufig, diese zu treffen – obwohl schon lange alle Unterlagen und Informationen auf dem Tisch liegen. Hier können schnell Wochen oder gar Monate vergehen. Wenn sich dann letzten Endes noch herausstellt, dass die Entscheidung falsch oder andere Alternativen besser gewesen wären, entsteht kognitive Dissonanz bei den Entscheidern. Es ist schwer bis unmöglich, eine kognitive Dissonanz zu ertragen. Das damit verbundene negative Gefühl ist nicht nur belastend, sondern kann uns regelrecht zerreißen. Also gibt es jede Menge

27. Kognitive Dissonanz Gegenmaßnahmen,

die

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bewusst

oder

unterbewusst

ablaufen, um eine solche kognitive Dissonanz zu vermeiden. Beispielsweise die selektive Wahrnehmung, bei der wir nur das hören beziehungsweise wahrnehmen, was wir auch wahrnehmen wollen. Oder auch eine Informationsbeschaffung lediglich bei Gleichgesinnten, die Schuld auf andere zu schieben oder „alternative Fakten“ und fadenscheinige Rechtfertigungen anzuwenden, bei denen Fakten und Meinungen stark vermischt und verdreht wiedergegeben werden. Der einzig zielführende Umgang mit der kognitiven Dissonanz ist allerdings ein reflektiertes Verhalten, bei dem man Kritik und Feedback zu den eigenen Entscheidungen und Handlungen annimmt und versucht, bestimmte Fehler das nächste Mal nicht mehr zu machen. Um im Unternehmensalltag allerdings eine solche Position einnehmen zu können, bedarf es neben einem sehr starken Charakter auch einer gut ausgeprägten, unternehmensweiten Fehlerkultur. Nur wenn sich alle Entscheider und Mitarbeiter ständig selbst und ihre Arbeit hinterfragen, können sie sich langfristig verbessern und eine kognitive Dissonanz vermeiden. Wichtig ist auch, dass es genügend Personen im Unternehmen gibt, die sich trauen, kritische Dinge offen anzusprechen und bei zentralen Fragestellungen eine Entscheidung einfordern und damit ein langwieriges Aufschieben unangenehmer Entscheidungen verhindern. Denn die meisten Themen werden nicht besser, wenn sie lange ausgesessen oder aufgeschoben werden, aus Angst vor kognitiver Dissonanz, also einer Fehlentscheidung.

28. Alpha- und Beta-Fehler

28. Alpha- und Beta-Fehler Die Illusion, alle Risiken zu vermeiden sei gut

Wann ist das Risikomanagement besonders erfolgreich? Jetzt werden die meisten wahrscheinlich intuitiv antworten: „Na dann, wenn es möglichst wenige Ausfälle von Kunden und deren Engagements gibt“. Das heißt, die Hauptaufgabe des Risikomanagements ist es, die Risiken möglichst gering zu halten. Der Alpha-Fehler setzt im Risikomanagement genau an dieser Sichtweise an, indem er den Anteil der Engagements ermittelt, die im Betrachtungszeitraum ausgefallen sind und diesen ins Verhältnis zur Gesamtanzahl der Engagements setzt. Man könnte also sagen, er ermittelt den Anteil an „schlechten Geschäften“, die trotzdem genehmigt beziehungsweise eingegangen wurden und anschließend zu Ausfällen geführt haben. Wenn Sie sich im Bankenumfeld umhören, kann Ihnen fast jeder Risikomanager die entsprechenden Alpha-Fehler, häufig auch noch unterteilt nach Ratingklassen et cetera, nennen. Auf einen Einjahreszeitraum bezogen, entspricht der Alpha-Fehler typischerweise der Probability of Default (PD), also der Ausfallwahrscheinlichkeit. Der Alpha-Fehler (oder Fehler ersten Grades) wird immer rückblickend ermittelt, indem ein getätigtes Engagement dahingehend geprüft wird, ob es die Erwartungen erfüllt hat. Natürlich mag man kritisch anmerken, dass es hierüber im Nachhinein niemals Zweifel gibt, denn hinterher ist bekanntlich jeder ein Prophet gewesen. Es geht hierbei aber auch weniger um eine Rechtfertigung, sondern im ersten Schritt vielmehr um eine wertfreie und objektive Bestandsaufnahme. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_28

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28. Alpha- und Beta-Fehler

So weit so gut. Was bedeutet nun allerdings der Beta-Fehler? Kurz gesagt: es entscheidet nicht nur das, was wir tun, über Erfolg und Misserfolg, sondern auch das, was wir nicht tun. Und genau um Letzteres geht es beim Beta-Fehler. Sein Ziel ist es, eine Opportunitätskostensicht einzunehmen. Das heißt, dass der Erfolg des Risikomanagements eben nicht nur anhand der genehmigten Engagements, sondern auch anhand der abgelehnten Engagements bewertet wird. Denn ansonsten wäre ja automatisch das Risikomanagement am erfolgreichsten, welches alle Anfragen ablehnen würde. Sämtliche Risiken abzulehnen und gleichzeitig erfolgreich zu sein, ist allerdings eine unternehmerische Illusion. Bei der Ermittlung des Beta-Fehlers wird geprüft, wie hoch die Ablehnung von „guten Geschäften“ war, das heißt, wie viele Kunden sind auch heute noch nicht insolvent und hätten zu positiven Renditen beigetragen, wenn man das ursprünglich angefragte Geschäft genehmigt hätte? Ein gutes Risikomanagement zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sämtliche Risiken vermieden werden, sondern vielmehr, dass die Risiken und Chancen in ein gutes Verhältnis zueinander gebracht werden. Dies kann dann auch einmal dazu führen, dass das eine oder andere Engagement ausfällt und ein finanzieller Schaden entsteht. Solange dieser allerdings von den anderen, zusätzlich genehmigten, Geschäften ausgeglichen werden kann, ist alles gut. In Bezug auf die Kreditrisiken geht es also immer darum, die beiden Faktoren der Alpha- und Beta-Fehler in eine mit der Risikostrategie konsistente Balance zu bringen.

28. Alpha- und Beta-Fehler

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Natürlich wäre es die Idealvorstellung, dass man sowohl einen Alphaals auch einen Beta-Fehler von 0% hat. In der Realität bewegt man sich aber eher in Zyklen. Das heißt, wenn die Anzahl an Alpha-Fehlern zunimmt, ist die Reaktion darauf häufig eine strengere Kreditpolitik mit strengeren Ratingvorgaben. Dies wiederum führt typischerweise und ceteris paribus (unter sonst gleichen Bedingungen) dazu, dass die Ausfälle zwar reduziert werden können, gleichzeitig werden aber auch viele „gute Engagements“ im Vorfeld abgelehnt, sodass auch wertvolle Rendite verschenkt wird. Der zentrale Ansatzpunkt der Entscheidungsträger sollte es deshalb sein, diese Ausschläge und sich abwechselnde Zyklen möglichst gering zu halten und allzu große Überreaktionen – sowohl in die eine als auch in die andere Richtung – zu verhindern. Nur wenn Sie beide Größen, sowohl den Alpha- als auch den BetaFehler angemessen berücksichtigen, können Sie nachhaltig erfolgreich sein! Denn nicht umsonst heißt es rückblickend häufig: „Die größten Fehler werden im Erfolg gemacht“. Häufig werden gerade in wirtschaftlich guten Zeiten die Risiken ausgeblendet und zu viele Risiken ins Buch genommen. In wirtschaftlich schlechten Zeiten hingegen sind die Unternehmen häufig übervorsichtig und verlieren dadurch schnell jahrelange Kunden oder verpassen es zumindest, die Kundenbeziehung weiter zu festigen, indem auch in schlechten Zeiten zum Kunden gestanden wird, auch wenn sich der Wettbewerb schon längst zurückgezogen hat.

29. Risiken überversichern

29. Risiken überversichern Unternehmer sein, heißt etwas zu unternehmen, also etwas zu „riskieren“!

Vor ein paar Jahren wurde in einem Artikel des Harvard Business Managers provokant gefragt, ob Christoph Kolumbus es auch heute noch – unter Einsatz der modernen Risikomanagement-Verfahren – gewagt hätte, einen Seeweg nach Indien zu suchen. Es wurde philosophiert, ob er aufgrund der hohen Risiken die Fahrt scheuen würde, die Chancen für ihn überwiegen könnten oder ob er durch den Abschluss einer Versicherung seine Risiken abwälzen und lossegeln würde (vgl. Leitl 2005). Diese Frage lässt sich wohl nie beantworten. Was sich aber klar beantworten lässt: Kolumbus war bereit, ein sehr großes Risiko einzugehen: er riskierte sein eigenes Leben und das seiner Besatzung. Es gibt keine Versicherung – auch heute nicht – die ihm dieses Leben hätte zurückgeben können, wenn er gekentert wäre. Sicherlich sind die wenigsten von uns heutzutage in solchen Hochrisikoberufen tätig, in denen sie tagtäglich ihr Leben riskieren müssen. Vielmehr beziehen sich die meisten Versicherungen auf den Ausgleich finanzieller Schäden oder Verluste. Und genau darin zeigt sich, dass wir aufgrund einer Sicherheitsillusion und Verlustaversion häufig überversichert sind. Im Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit des tatsächlich eintretenden Schadensfalls und der Höhe der Versicherungsleistungen sind die meisten Versicherungen außerdem schlichtweg zu teuer. Dies sieht man auch sehr anschaulich bei der Nullrisiko-

Verzerrung. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_29

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Außerdem tun wir uns sehr schwer, die Wahrscheinlichkeit von Schadensfällen objektiv einzuschätzen. Denn wir werden hier sehr stark emotional beeinflusst. So sieht man beispielsweise nach einem Flugzeugabsturz, dass mehr Menschen den Zug nehmen. Oder Raucher verweisen auf alte Kettenraucher in ihrer Familie oder ihrem Freundeskreis, um die negativen Folgen auf die Lebenserwartung zu negieren. Und genau diese Fehleinschätzungen von Wahrscheinlichkeiten werden durch Versicherungsanbieter häufig ganz bewusst aktiv angesprochen. So wird etwa an die Verantwortung eines jungen Familienvaters appelliert, dass er eine Risikolebensversicherung abschließen solle, oder es wird darauf verwiesen, dass die wenigsten Unternehmen selbstverschuldet in Zahlungsnot geraten. Vielmehr seien es die eigenen Kunden, die eine Kettenreaktion auslösten et cetera. Dadurch entsteht Unbehagen und die empfundene Eintrittswahrscheinlichkeit von negativen Ereignissen wird viel höher eingeschätzt, als sie tatsächlich ist. Natürlich sind Versicherungen sehr wichtig und können uns beispielsweise bei Elementarschäden vor existenzbedrohenden, finanziellen Verlusten schützen. Gleichzeitig sollte aber speziell im Kerngeschäft kritisch geprüft werden, inwiefern eine Absicherung nötig ist und sich finanziell lohnt. Das heißt: Ist die erkaufte Sicherheit den bezahlten Preis überhaupt wert? Außerdem ist es sehr wichtig, zu prüfen, ob man in manchen Bereichen unter Umständen doppelt oder dreifach versichert ist. Dies ist nämlich nutzlos, denn im Normalfall kann ein einzelner Schaden auch nur einmal reguliert werden.

29. Risiken überversichern

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Wäre Christoph Kolumbus ein risikoscheuer Unternehmer gewesen, hätte er sich die Versicherungen für sein waghalsiges Unterfangen vermutlich gar nicht leisten können und hätte die Fahrt unterlassen. Damit hätte er aber auch nicht Amerika entdeckt und wäre auch nicht in die Geschichte als Seefahrerlegende eingegangen. Für ihn stand im Mittelpunkt, sein Vorhaben sorgfältig umzusetzen und aus ureigenstem Interesse wieder lebendig zurückzukommen. Und dies sollte man auch als Unternehmer versuchen umzusetzen: machen Sie sich bewusst, dass Unternehmer zu sein bedeutet, etwas zu unternehmen. Wichtig ist dabei aber natürlich, dass die Risiken transparent gemacht werden und niemals ein existenzbedrohendes Ausmaß annehmen. Denn nur was man messen kann, lässt sich auch steuern. Egal, ob nun in der Schifffahrt oder im Unternehmensalltag! Der Begriff des Unternehmers darf natürlich nicht mit dem des Hasardeurs verwechselt werden. Denn der letztgenannte zeichnet sich durch das Eingehen unkalkulierbarer Risiken aus und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er scheitert.

30. Fehlschluss der irreversiblen Kosten

30. Fehlschluss der irreversiblen Kosten Warum man nicht immer alles zu Ende bringen sollte

Manchmal reiten wir ein Pferd, das zwar noch nicht ganz tot ist, aber zumindest schon sehr lahm und gebrechlich. Je mehr Zeit und Geld wir bereits in dieses Pferd gesteckt haben, umso schwerer fällt es uns, dieses zu wechseln. Ganz ähnlich ist es, wenn man ein teures Abendessen bestellt hat und – obwohl man schon satt ist – auch noch den letzten Bissen hineinzwängt. Getreu dem Motto „lieber den Magen verrenkt als dem Wirt etwas geschenkt“. Durchhaltevermögen ist ja grundsätzlich eine positiv belegte Eigenschaft. Wenn es aber wider den „gesunden Menschenverstand“ geht, ist es negativ und schädlich. Und genau hier setzt der Fehlschluss der irreversiblen Kosten (Sunk Cost Fallacy) beziehungsweise das eskalierende Commitment (Entrapment) an. Dieser Fehlschluss beschreibt Situationen, in denen wir dazu tendieren, ein Vorhaben fortzusetzen, wenn bereits eine größere Investition in Form von Geld, Anstrengung, Energie, Zeit et cetera getätigt wurde, also irreversible Kosten (Sunk Costs) entstanden sind. Börsenzocker kennen dieses Verhalten wohl auch sehr gut. Je tiefer eine Aktie fällt, umso schmerzhafter wird für sie der Verkauf. Vielfach wird die prognostizierte Entwicklung völlig ignoriert und die Aktie stattdessen weiterhin gehalten, in der Hoffnung, dass sich der Verlust auf lange Sicht doch wieder ausgleicht. Ein absolut irrationales Verhalten!

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30. Fehlschluss der irreversiblen Kosten

Der Sunk-Cost-Trugschluss wird auch immer wieder Concorde-Effekt genannt. Denn auch beim Bau des legendären Überschallflugzeugs in den 1960er Jahren war dieser Effekt zu beobachten. Damals erhöhten sich die Produktionskosten deutlich und das ganze Projekt drohte zu einem Milliardengrab zu werden. Aber aufgeben und sein Gesicht verlieren – vielleicht sogar zugeben, dass man unfähig war, ein solches Prestigeflugzeug zu entwickeln? Niemals! Also machten die britisch-französischen Ingenieure weiter. Die Maschine wurde tatsächlich gebaut, allerdings auf Milliardenkosten der Steuerzahler. Auch später im laufenden Betrieb flog die Concorde nur teilweise Gewinne ein. Wir müssen uns davon lösen, dass wir etwas verlieren, wenn wir etwas nicht zu Ende bringen. Vielmehr müssen wir den bereits eingetretenen, finanziellen und zeitlichen Verlust akzeptieren – wir können ihn schlichtweg nicht mehr ändern. Er ist „versunken“. Viel wichtiger ist es, dass man sich ab sofort nur noch auf die Zukunftsprognose konzentriert. Sie sollten sich die Gefahr der Sunk Cost Fallacy bewusst machen und immer kritisch prüfen, ob Sie im Falle eines nicht laufenden Projekts oder einer Investition et cetera die Reißleine ziehen sollten, um nicht dem schlechten Geld noch gutes Geld hinterherzuwerfen. Sehr wichtig ist es, dass man die zukünftige Entwicklung isoliert von der tatsächlich bereits investierten Summe betrachtet und nur hinsichtlich der realistischen Zukunftsprognose entscheidet, ob es sich lohnt, weiterhin am Projekt festzuhalten oder weitere Investitionen zu tätigen. Hierbei kann auch ein Korrektiv auf Managementebene – oder

30. Fehlschluss der irreversiblen Kosten

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auch in Form eines externen Beraters – sehr hilfreich sein. Führen Sie einen Perspektivenwechsel durch und konzentrieren Sie sich nicht auf die Nachteile des Aufgebens eines Vorhabens, sondern vielmehr auf die Vorteile. Und wenn wir aus den versunkenen, irreversiblen Kosten dann auch noch lernen, hat sich aus einem unternehmerischen Scheitern beziehungsweise

Fehlschlag

auch

noch

ein

unternehmerischer

Mehrwert ergeben. Die Gründe hierfür sollten genau ergründet und im Unternehmen kundgetan werden, damit dies nicht mehr passiert und das ganze Unternehmen aus Fehlern schlau wird, wie dies beispielsweise bei Google mit dem Pinguin-Award der Fall ist (vgl. Inflation der

„schwarzen Schwäne“). Hierdurch ergibt sich auch eine unternehmensweite Fehlerkultur, die das Scheitern nicht als Schande bewertet, sondern vielmehr als völlig normales, fast schon alltägliches, Ereignis, das allerdings zu Beginn einiges an Mut erfordert, um es einzugestehen und mit den Kollegen zu teilen. Viel wichtiger als die Schuldzuweisung für das Scheitern ist die Tatsache, dass das Zustandekommen der fehlerhaften Entscheidung (zum Beispiel im Zusammenhang mit Investitionen) analysiert wird. Denn erst durch Erfahrung lässt sich der, in der Regel nur sehr unscharf bestimmte, Punkt bestimmen, an dem es Zeit wird, aufzugeben und umzukehren.

31. Auffälligkeitsverzerrung

31. Auffälligkeitsverzerrung „I’m big in Japan!“

Die Auffälligkeitsverzerrung (Salience Bias) beziehungsweise wahrgenommene Auffälligkeit (Perceptual Salience) beschreibt die Situation, dass wir uns stärker auf außergewöhnliche und einfach wahrnehmbare Informationen konzentrieren, als auf weniger hervorstechende Merkmale. Sie hängt sehr stark mit der Intensität, Neuigkeit und Bedürfnisrelevanz des Reizes ab. Besonders anfällig sind gegensätzliche Ausprägungen, so etwa das berühmte schwarze Schaf in einer Herde weißer Schafe, ein Europäer/Amerikaner in Asien, der die Einheimischen aufgrund seiner Körpergröße überragt et cetera. Neben äußerlichen Merkmalen können es aber auch emotionale oder geistige Merkmale aus Sicht der jeweiligen Person sein, die eine Auffälligkeit wahrnimmt. Dadurch erklärt sich auch der teilweise große Unterschied in der Wahrnehmung, aber auch der Beurteilung der Leistung von einzelnen Personen. Getreu dem Motto: „Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe“. Die Auffälligkeitsverzerrung ist häufig ein Grund dafür, dass es eine Lücke zwischen unseren Bestrebungen und unseren Verhaltensweisen gibt. Wir möchten vielleicht gesünder essen, aber der Geruch und Geschmack ungesunder Süßigkeiten sind wichtiger als die gesundheitlichen Aspekte. Die unmittelbaren Belohnungen für den Kuchen sind sichtbarer als die langfristigen Kosten (vgl. Milkman et al. 2008, vgl. Loewenstein 1996). Unternehmen geraten häufig in Planungsfehler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_31

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31. Auffälligkeitsverzerrung

und -verzögerungen, weil weniger wichtige Aspekte des Prozesses, wie beispielsweise administrative Aufgaben oder andere Nebenbedingungen, nicht berücksichtigt werden (vgl. Hirshleifer 2008). Die Fähigkeit, schnell zu erkennen, was wichtig ist - und damit die volle Aufmerksamkeit verdient - und was unwichtig oder „normal“ ist, ist ein wichtiger Überlebens- und Lernmechanismus. Unsere Vorfahren mussten in Bruchteilen von Sekunden entscheiden, ob wir von einem Mammut bedroht werden und flüchten müssen oder ob wir in Sicherheit sind. Sehr häufig sind es gerade die Auffälligkeiten, also Dinge, die „aus der Reihe fallen“, die uns besonders ins Auge stechen. Bei den alltäglichen Dingen kann unser Gehirn Energie sparen und diese anhand des „Autopiloten“ abwickeln. Die Auffälligkeitsverzerrung ist sehr eng mit der Verfügbarkeitsheuristik verknüpft, wonach wir tendenziell die Wahrscheinlichkeiten und Kausalitäten von Ereignissen als höher einstufen, wenn wir uns schnell und einfach an sie erinnern können (zum Beispiel an die Terroranschläge vom 11. September 2001). Allerdings zeigt sich auch in entscheidenden Momenten, dass wir intuitiv versuchen, uns auf einfache und anschauliche Informationen zu stürzen anstatt uns auf die informativen, schwerer ermittelbaren und auswertbaren Informationen zu konzentrieren. Dies kann dann schnell zu nicht ganz optimalen Entscheidungen führen. Sehr wichtig ist es deshalb, dass wir uns dieser Verzerrungen bewusst werden. Präzise formulierte und wenn möglich auch visuell gestaltete Handlungsaufforderungen können die Aufmerksamkeit der Entscheider wieder auf bestimmte, zentrale Themenbereiche lenken.

31. Auffälligkeitsverzerrung

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Auch der Art und Weise der Kommunikation kommt hierbei eine wichtige Bedeutung zu. So sieht man etwa in Zeitungen und OnlineInhalten, dass versucht wird, die Aufmerksamkeit des Lesers zu gewinnen, indem etwas Neues, Spektakuläres und Anschauliches geliefert wird. Die Aufmerksamkeit wird dabei beispielsweise auf eher seltene Gefahren wie Flugzeugabstürze oder Haiattacken gelenkt und weniger auf häufigere Todesursachen, die dadurch auch weithin unterschätzt werden, wie etwa Prostatakrebs. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache sollte auch im Risikoreporting ganz bewusst auf eine ausgewogene Berichterstattung geachtet werden. Das Ziel sollte es nicht sein, den Leser zu unterhalten und etwas besonders spektakulär und unterhaltsam darzustellen, sondern vielmehr möglichst objektiv und wertfrei zu informieren. Wichtig sind hierbei nicht nur die reinen Zahlen, sondern auch die gewählten Vergleichszeiträume, die Vergleichsgruppen oder auch die Art der gewählten Darstellung mit unterschiedlichen Diagrammtypen, Symbolen und gewählten Farben et cetera. Speziell Signalfarben wie rot und grün sollten sehr sorgsam gewählt werden, signalisieren sie doch Gefahr/schlecht oder gut/keine Gefahr. Wenn sie nun in einem anderen Zusammenhang verwendet werden, kann eine völlig falsche Interpretation der Informationen erfolgen.

32. Überlebensirrtum

32. Überlebensirrtum Warum Erfolgsaussichten systematisch überschätzt werden

Während des Zweiten Weltkriegs schickten die Engländer fast täglich Bomber über den Ärmelkanal. Ein Unterfangen, von dem nicht alle Piloten lebend zurückkamen. Der Begriff des Überlebensirrtums (Survivorship Bias) geht dabei auf die Arbeit englischer Ingenieure zurück. Denn diese wollten die Panzerung der Flugzeuge verbessern und somit die Überlebensrate der Piloten steigern. Folglich analysierten sie die Einschusslöcher der zurückgekehrten Maschinen und verstärkten an diesen Stellen die Panzerung. Die Überlebensrate erhöhte sich dadurch aber nicht und es wurde gemutmaßt, dass die Panzerung unter Umständen zu schwer und die Flugzeuge dadurch nur noch schlecht manövrierbar wären. Der ungarische Mathematiker Abraham Wald entlarvte schließlich den „Überlebensirrtum“ und hatte einen auf den ersten Blick relativ merkwürdigen Vorschlag: die Flugzeuge sollten dort gepanzert werden, wo es keine Einschusslöcher gab. Denn Treffer an diesen Stellen (nämlich dem 1,5 x 2m großen Bereich, in dem sich der Tank befand) führten zum Absturz bei den nicht zurückgekehrten Maschinen. Und umgekehrt hatten die heimgekehrten Maschinen nur dort Einschusslöcher, wo diese kaum Schaden anrichten konnten. Auch in vielen anderen Bereichen zeigt sich die Situation, dass Verlierer „keine Bücher schreiben“. Misserfolge und Insolvenzen werden (wenn überhaupt) nur sehr kurz als Randnotiz erwähnt. Doch es gibt sie zur Genüge: die Gescheiterten – seien es Unternehmer, Schauspie© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_32

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ler oder Fußballer. Viel interessanter als die Erfolgsgeschichten sind häufig die Geschichten der Gescheiterten. Denn nach aktuellen Schätzungen gehen etwa 80% aller Startups insolvent und nur eines von zehn Startups wird richtig groß. Von ihnen zu lernen, welche Fehler man nicht machen sollte (wie ja auch mit dem vorliegenden Buch zu beschreiben versucht wird), scheint viel wertvoller zu sein – zumindest ermöglichen sie eine realistische Ergänzung zu den unzähligen Erfolgsgeschichten. Denn durch Best-Practice- und Erfolgstagebücher von hocherfolgreichen Gründern sitzen wir häufig dem Überlebensirrtum zugunsten der Erfolgreichen auf. Und während wir beim Thema Misserfolg häufig auf Zufall und Pech verweisen, scheint beim Faktor Erfolg immer Können und kein Glück eine Rolle zu spielen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: bei sehr vielen Erfolgsgeschichten spielt das Glück eine maßgebliche Rolle. Eine Sache, die die US-Amerikaner schon sehr gut machen, ist der Umgang und die Entmystifizierung des Scheiterns. Scheitern wird hier häufig als völlig normal angesehen und sie teilen ihre Erfahrungen – sowohl die positiven als auch die negativen – gerne mit einem breiten Publikum. Und nur durch Lernen aus Fehlern wird man klug, nicht umsonst hat Google den sogenannten „Pinguin-Award“ eingeführt und legt sehr viel Wert auf die unternehmensweite Fehlerkultur. Gleichzeitig sollte man nicht gleich dem nächsten Irrtum aufsitzen, indem man denkt, dass man automatisch hocherfolgreich ist, wenn man die Fehler der Gescheiterten nicht macht. Vielmehr kommt es sehr stark auf situative Faktoren an, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Exakt dieselben Erfolgs- und Misserfolgsgeheimnisse wären nur in

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exakt denselben Umwelt- und Rahmenbedingungen möglich. In der realen Welt ist dies aber natürlich eine Wunschvorstellung. Vielmehr sollte es das Ziel sein, die erlernten Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren angemessen zu verstehen und dann auf neue Situationen transferieren zu können. Der Überlebensirrtum, der aufgrund einer statistischen Stichprobenverzerrung entsteht, lässt sich nur durch eine proaktive Sichtweise umgehen. Anstatt nur rückblickend die „überlebenden“ Erfolgsgeschichten miteinzubeziehen, sollte darauf geachtet werden, dass die gesamte Population erfasst werden kann. Also anstatt der nach einem gewissen Zeitraum noch existierenden Firmen, sollte man eine Liste der Handelsregister-Neugründungen erstellen und anschließend alle – auch die bereits insolventen und geschlossenen – Firmen berücksichtigen. Speziell für die Ermittlung der Attraktivität eines Marktes oder neuen Produkts ist es wichtig, dass Sie sich die gesamte Bandbreite an Gewinnern und Verlierern im Markt anschauen, um zu entscheiden, wie hoch die realistisch zu erreichende Zielrendite und der Zielumsatz sind. Nur unter Berücksichtigung von Gewinnern und Verlierern lässt sich eine nachhaltige Erfolgsstrategie erarbeiten. Versuchen Sie außerdem so tief wie möglich in die Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten einzutauchen, um auch die Hintergründe hierfür zu erkennen, um beurteilen zu können, ob beziehungsweise in welchem Umfang die Rahmenbedingungen auch weiterhin gelten, die die Gewinner zu Gewinnern und die Verlierer zu Verlierern gemacht haben.

33. Verfügbarkeitsheuristik

33. Verfügbarkeitsheuristik Was nur lange genug wiederholt wird, wird irgendwann als plausibel wahrgenommen

Kennen Sie das? Raucher führen gerne als Grund, warum sie nicht mit dem Rauchen aufhören, die Geschichte einer Oma oder Tante an, die bereits 100 Jahre alt ist, obwohl sie seit frühester Kindheit raucht. Das Problem bei solchen Erklärungen ist aber objektiv betrachtet, dass die Anekdote, an die sie sich erinnern können, eine zu große Rolle bei ihrer Entscheidung, weiterhin zu rauchen, einnimmt. Eine Überprüfung der medizinischen Statistiken zur Gesundheit von Rauchern sollte ein weitaus gewichtigerer Faktor im Entscheidungsprozess sein. Die Verfügbarkeitsheuristik (Availability Bias beziehungsweise Availability Heuristic) spielt uns häufig einen Streich beim Versuch einer objektiven Wahrscheinlichkeitsschätzung von Ereignissen. Auch Ereignisse, die vor Kurzem eingetreten sind oder von denen wir überproportional häufig hören, sehen beziehungsweise lesen, werden typischerweise systematisch überschätzt. So überschätzen etwa viele Personen, die Zeugen eines Mordfalls geworden sind, das Risiko, selbst einmal Opfer zu werden - auch dann, wenn die allgemeine Mordrate drastisch sinkt. Betroffene der Verfügbarkeitsverzerrung (und das sind die meisten von uns) denken, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses proportional zu der Leichtigkeit ist, mit der sie sich an ein Beispiel dafür erinnern können. Für ein Urteil haben leicht vorstellbare, bildliche Inhalte mehr Gewicht als eher trockene Statistiken, Daten oder Fakten. So zeigten © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_33

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33. Verfügbarkeitsheuristik

beispielsweise Richard Nisbett und Lee Ross, dass Ärzte mit der Nähe zu Lungenkrebspatienten deutlich weniger rauchten als vergleichbare Berufskollegen. Warum spielen so viele Menschen eigentlich Lotto? An der Wahrscheinlichkeit, Lotto-Millionär zu werden, kann es wohl nicht liegen. Vielmehr dürfte es wohl daran liegen, dass so gut wie jeder LottoMillionär ausgiebig in den Medien gefeiert wird. Sei es nun der New Yorker Taxifahrer, der 50 Millionen Dollar gewonnen hat, der schwäbische Bauer, der zehn Millionen Euro abgesahnt hat, oder auch der Brandenburger Rentner mit acht Millionen Euro. Jeder neuerliche Erfolgsbericht nährt in uns die Hoffnung, selbst einmal zum Lotto-Millionär zu werden. Doch die Wahrscheinlichkeit, die uns durch die vielen Meldungen durchaus realistisch erscheint, ist in Wahrheit extrem gering. Viel einfacher, wenn auch nicht so spektakulär, wäre es wohl, seinen Einsatz in Aktien anzulegen oder aufs Tagesgeldkonto, sodass ein garantierter und kontinuierlicher Gewinn – im Vergleich zur Lotterie aber natürlich ein deutlich geringerer – erwirtschaftet werden kann. Lebensbedrohlich kann die Verfügbarkeitsheuristik werden, wenn Ärzte zu stark von ihrem ersten Eindruck geleitet werden. Der ÄrzteZeitung schilderte Matthias Janneck, Internist und Nephrologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, den Fall einer 34-jährigen Patientin, die mit starken Schmerzen in der Schulter zum Arzt gekommen war. Die Bildgebung ergab keinen Befund, allerdings war bekannt, dass die Frau unter Morbus Crohn litt. Also wurde sie wieder nach Hause geschickt und sollte sich schonen. Wenige Tage später

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wurde die Frau als Notfall in die Klinik eingeliefert und starb an einer Meningokokken-Sepsis. Sehr eng mit der Verfügbarkeitsverzerrung (Availability Bias) ist auch die Aufmerksamkeitsverzerrung (Attentional Bias) verbunden. Sie sollten sich also insbesondere bei wichtigen Entscheidungen einfach einmal etwas Zeit nehmen, um zu überlegen, ob Sie aufgrund von Anekdoten und anderen Soft Facts voreilig entschieden haben und ob es vielleicht noch eine ganz andere, alternative Lösung des Problems gibt. Prüfen Sie immer, ob es neben den Anekdoten und vermeintlich schnell in den Sinn gekommenen Geschichten nicht auch belastbare Statistiken und sonstige Hard Facts gibt. Unternehmen investieren unter anderem auch deshalb sehr stark in Big Data, da es verlässliche Zahlen und Zusammenhänge gibt, die sich von rein subjektiv geprägten Geschichten qualitativ deutlich abheben. Wenn jemand eine bekannte Geschichte oder Anekdote als Beispiel heranzieht, um seine Argumentation zu unterstützen, können Sie leicht und schnell seine Position hinterfragen, indem Sie auf die Verfügbarkeitsheuristik hinweisen. Eine weitere, sehr einfache, aber wirkungsvolle, Vorgehensweise ist, wenn man die Fragen einfach umdreht. So hört man, dass in der Druckereibranche aktuell sehr viele Kunden ausfallen. Umgekehrt: Wie viele Kunden aus der Druckereibranche haben Sie, die keinerlei Zahlungsstörungen aufweisen? Allein dieser simple Trick der umgedrehten Fragestellung kann dabei helfen, die Sinne zu schärfen und dafür zu sorgen, dass Sie die Lage wieder objektiver einschätzen können.

34. Negativitätsverzerrung

34. Negativitätsverzerrung Warum negative Dinge stärker wirken als positive

Wenn einem pro Tag zehn tolle Dinge widerfahren und einmal etwas Schlechtes, erzählen die meisten von uns ihrem Partner/ihren Freunden mit hoher Wahrscheinlichkeit vorrangig vom negativen Vorfall. Wir sind quasi ein Schwamm für Negatives, der sich schön vollsaugt, und Teflon für Positives, an dem alles abperlt. Der Grund für diese asymmetrische Art der Informationsverarbeitung findet sich gemäß des Wirtschaftsnobelpreisträgers Daniel Kahneman in unserer Evolution. Denn nur, indem sich unsere Vorfahren Aussehen und Geschmack einer giftigen Beere einprägten, konnten sie ihr Überleben sichern. Die Beschreibung von zehn leckeren Beeren hingegen verbesserte ihre Überlebenschancen nicht. Heute praktizieren wir schlichtweg die neuzeitliche Version hiervon, indem wir negative Erfahrungen speziell online viel eher teilen als positive. Wenngleich Angst bekanntlich ein schlechter Ratgeber ist, zeigte sich in zahlreichen Studien, dass eine negative Verstärkung im Gegensatz zu vergleichbarer positiver Verstärkung zu schnellerem Lernen führt – sowohl bei Menschen als auch bei Tieren. Auch in Studien mit Säuglingen zeigt sich die starke Ausprägung der Negativitätsverzerrung. Dies erfolgt aber allesamt unterbewusst. Der Psychologe Paul Rozin beschrieb diese Negativitätsverzerrung (Negativity Bias) sehr anschaulich, indem er erklärte, dass eine einzige Küchenschabe unsere Freude an einer Schale Kirschen verdirbt,

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während umgekehrt eine einzelne Kirsche nicht dazu beitragen kann, den negativen Eindruck einer Schale Küchenschaben zu verbessern. Es ist sehr wichtig, dass Sie sich bewusst machen, dass schon sehr wenige, negative Informationen ausreichen können, um Ihr Urteil beziehungsweise Gesamtbild negativ zu beeinflussen oder einzustufen. Etwa bei der strategischen Planung oder dem Eintritt in neue Märkte oder neue Produkte und Geschäftsfelder sollte dies berücksichtigt werden. Hinterfragen Sie sich deshalb immer kritisch, ob dies wirklich ein „Showstopper“ ist, oder ob dies nur ein Einmaleffekt war beziehungsweise ob die positiven Aspekte vielmehr überwiegen. Wie so häufig besteht die große Kunst darin, eine vernünftige Balance zwischen negativen und positiven Erfahrungen insbesondere im Sinne der Risikostrategie herzustellen. Denn einerseits hat die Negativitätsverzerrung speziell in Hochrisikosituationen ohne Zweifel ihre Berechtigung. Gerade hier hilft sie uns, intelligente Entscheidungen zu treffen und somit unser Überleben zu sichern - heutzutage zwar weniger das körperliche, als vielmehr das finanzielle. Andererseits kann sie uns aber auch daran hindern, dass wir eigentlich gute und vertretbare Risiken eingehen, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Im Sinne einer vernünftigen Balance sollten Sie existenzielle Risiken vermeiden, trotzdem aber gezielt diejenigen Risiken eingehen, bei denen Sie der Meinung sind, dass Sie diese auch beherrschen können. Denn Unternehmer zu sein, ist nun einmal auch mit dem Eingehen von Risiken verbunden. Aber natürlich nur mit den kalkulierbaren und tragfähigen Risiken, denn sonst bewegen Sie sich auf dem Gebiet des Hasardeurs, der unkalkulierbar hohe Risiken eingeht und sich völlig seinem Schicksal ergibt.

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Rick Hanson, ein Neurowissenschaftler und Psychologe betont in seinem Buch „Buddha’s Brain“ die Wichtigkeit, dass wir „das Gute annehmen“ sollten, um eine solche Balance zwischen negativen und positiven Erfahrungen sicherzustellen. Diesen Prozess wiederum unterteilt er in die folgenden Schritte: 1. Suchen Sie nach guten Fakten und verwandeln Sie sie in gute Erfahrungen. 2. Genießen Sie die Erfahrung und beachten Sie, was Sie bemerken. 3. Bedenken und empfinden Sie so, dass sich die gute Erfahrung in Ihnen „setzt“. Sehr wichtig ist, dass wir das Positive nicht als völlig normal und selbstverständlich abtun, sondern dass wir dies auch bereits in unserer inneren Haltung versuchen, dem Negativen gleichzustellen. Nur wenn wir unser Gedächtnis noch mehr mit positiven Erfahrungen speisen, können wir es schaffen, die Negativitätsverzerrung zu reduzieren. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Zeiten, in denen wir unsere unternehmerischen Pläne und Zielvorgaben erfüllt haben, die allerdings nur allzu schnell in Vergessenheit geraten, sobald wir einmal nur 98 oder 99% Planerfüllung vorweisen können. Auf der anderen Seite ist es wohl aus Sicht eines Risikomanagers auch völlig normal, dass der Ausschlag des Pendels eher in Richtung Risiko als in Richtung Chance geht. Denn ein Risikomanager mit einer rosaroten Brille wäre wohl auch fehl am Platz.

35. Status-quo-Verzerrung

35. Status-quo-Verzerrung Wenn das Neue wieder das Alte ist

In einem Experiment der Verhaltensökonomik-Professoren Kahneman, Knetsch und Thaler mussten Studierende einen Fragebogen ausfüllen. Als Entschädigung erhielt die eine Hälfte einen Kaffeebecher und die andere Hälfte eine Tafel Schokolade. Anschließend wurde ihnen angeboten, ihre Entschädigung gegen die jeweils andere zu tauschen. 90% der Teilnehmer entschieden sich gegen einen Tausch (vgl. Knetsch 1989, S.1278f.). Da die Zuteilung der Entschädigung zufällig war, kann davon ausgegangen werden, dass ein Teil der Probanden nicht das Geschenk erhielt, das sie im Voraus bevorzugt hätten, und dass sie dieses deshalb nun eintauschen möchten. Weshalb haben dies nur die wenigsten getan? Diese Tendenz lässt sich mit der Status-quoVerzerrung (Status Quo Bias) erklären. Es fühlt sich für uns weniger riskant an, jene Option zu bevorzugen, die dem bisherigen Zustand entspricht. Die Status-quo-Verzerrung hat große Überschneidungen mit dem Default-Effekt, wonach diejenige Option (Default Option) bevorzugt wird, bei der keine aktive Entscheidung nötig ist. Was zunächst wie eine rationale Entscheidungsfindung im Sinne von „was in der Vergangenheit funktioniert hat, funktioniert auch in Zukunft“ erscheint, entpuppte sich nach weiterer Forschung als Denkabkürzung mit großem Risiko für Entscheidungsträger und nicht zuletzt für die Entwicklung eines Unternehmens. Der Status Quo Bias ist ein systematischer, kognitiver Fehler, der uns irrationalerweise dazu verleitet, den aktuellen Zustand einer Änderung © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_35

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35. Status-quo-Verzerrung

vorzuziehen. Dies findet man auch häufig im beruflichen Umfeld. Personen sind seit einigen Jahren bei ihrem Arbeitgeber, sie sind geschätzt und beherrschen ihren Aufgabenbereich. Eine berufliche Stabilität, die sich viele Arbeitnehmer wünschen. Doch genau diese Beständigkeit wird häufig mit schlechteren Karrierechancen bezahlt, die bei einem Jobwechsel möglich wären. Denn irrational ist die Entscheidung immer dann, wenn objektive Gründe für eine Veränderung sprechen, diese Gründe jedoch nicht beachtet oder falsch gewichtet werden. Zahlreiche Experimente sowie Feldstudien aus der kognitiven Psychologie deuten zuverlässig auf die Existenz dieses Effekts hin. Dem Status Quo Bias liegt typischerweise eine Kombination aus Verlustaversion (Loss Aversion) und Besitztumseffekt (Endowment Effekt) zugrunde. Sie sollten sich die Status-quo-Verzerrung bewusst machen und speziell bei zentralen, strategischen Entscheidungen prüfen, ob es angemessene Gründe gibt, interessante und lukrative, strategische Optionen (zum Beispiel Anlage, Markteintritt, Einführung neuer Produkte et cetera) zugunsten der aktuellen Situation auszuschlagen. Sprechen diese Argumente tatsächlich für die konservative Haltung, nichts zu verändern? Eine rationale Möglichkeit, das Argument zu prüfen, bietet der Reversal Test. Der Reversal Test funktioniert dabei wie folgt: wenn argumentiert wird, dass die Änderung eines Parameters insgesamt negative Konsequenzen habe, dann spricht dies dafür, dass eine Änderung des Parameters in die entgegengesetzte Richtung insgesamt positive Konsequenzen haben muss. Wenn nun gesagt wird, dass dies ebenfalls insgesamt negative Konsequenzen nach sich ziehe,

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dann muss derjenige, der dies behauptet, beweisen, weshalb die aktuelle Position durch eine Änderung des Parameters nicht optimiert werden kann, das heißt, zumindest lokal perfekt ist. Sofern dieser Gegenbeweis nicht erbracht werden kann, sollte die Anfälligkeit für die Status-quo-Verzerrung kritisch geprüft werden. Der Reversal Test mit der entsprechenden Beweislastumkehr bei der Beurteilung der Konsequenzen kann auch sehr gut durch eine explizit kritische Person durchgeführt werden, die – auch unter Berücksichtigung möglicher Transaktions- und Anlauf- beziehungsweise Vorlaufkosten - etwa in der Rolle des Devil’s Advocat zentrale, strategische Entscheidungen hinterfragt und die Argumente für und wider kritisch prüft. Diese Person sollte allerdings das eigene Unternehmen und insbesondere die einzelnen Fach- und Funktionsbereiche sehr gut kennen, um eventuelle Vorwände und Ausflüchte schnell zu entlarven und auf eine präzise und korrekte Argumentationskette zu achten. Die Status-quo-Verzerrung ist einer der Ansatzpunkte, die mithilfe des sanften Stupsens (Nudging) in die richtigen Bahnen geleitet werden sollen. Das Ziel ist hierbei, die ökonomischen Anreize - ohne den Einsatz von Geboten und Verboten - zum für eine rationale Entscheidung Positiven zu verändern. Es grenzt sich ganz bewusst von der harten Manipulation von Entscheidungsträgern ab.

36. Dispositionseffekt

36. Dispositionseffekt Die Angst des Verlierers vor dem Verlust

Stellen Sie sich vor, ich biete Ihnen zwei Glücksspiele an: Spiel 1: Sie erhalten 30.000 Euro. Das Geld gehört Ihnen. Dann werden Sie aufgefordert, zwischen den beiden folgenden Möglichkeiten zu wählen: A: Sie erhalten zusätzlich garantierte 10.000 Euro. B: Sie werfen eine Münze: Wenn sie Kopf zeigt, erhalten Sie zusätzlich 20.000 Euro. Wenn sie auf Zahl zeigt, bekommen Sie nichts.

Spiel 2: Sie erhalten 50.000 Euro. Dann werden Sie aufgefordert, zwischen den beiden folgenden Möglichkeiten zu wählen: C: Ein garantierter Verlust von 10.000 Euro. D: Sie werfen eine Münze: Wenn sie Kopf zeigt, verlieren Sie 20.000 Euro. Wenn sie Zahl zeigt, verlieren Sie nichts. Welche Möglichkeit würden Sie in Spiel 1 wählen? A oder B? Und welche Möglichkeit würden Sie in Spiel 2 wählen? C oder D? Wenn Sie im ersten Spiel A und im zweiten Spiel D gewählt haben, befinden Sie sich in sehr guter Gesellschaft. Denn dieses Paar ist in Experimenten die am häufigsten gewählte Kombination. Beachten Sie

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36. Dispositionseffekt

jedoch, dass die Erwartungswerte in der Kombination A und C identisch sind. In beiden Fällen verlassen Sie das Spiel mit 40.000 Euro. Auch B und D sind identisch: Zusammen erzeugen sie eine 50prozentige Chance auf entweder 30.000 oder 50.000 Euro. Warum aber wechseln so viele Probanden zwischen Spiel 1 und Spiel 2 ihre Wahl? Wenn Sie in Spiel 1 die Option A gewählt haben, warum bleiben Sie dann nicht in Spiel 2 bei Option C? Der Grund ist die Tendenz, Risiken einzugehen, wenn Verluste drohen, diese aber zu vermeiden, wenn Gewinne in Gefahr geraten. An der Börse ist die zentrale Frage, die über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, häufig, wann eine Aktie verkauft wird. Das beschriebene Verhalten führt typischerweise dazu, dass Verliereraktien zu lange gehalten und Gewinneraktien zu früh verkauft werden. Auch hier rechnen Anleger nicht mit „vernünftigen“ Wahrscheinlichkeiten, sondern konstruieren sich ihre Wahrscheinlichkeiten anhand weniger Erfahrungswerte. Das Phänomen wird Dispositionseffekt (Disposition Bias) genannt. Es wurde in einer Studie des US-Wissenschaftlers Terrance Odean in 10.000 zufällig ausgewählten Depots eines großen amerikanischen Discount Brokers zwischen den Jahren 1987 und 1993 nachgewiesen. Eine Erklärung, warum wir uns häufig zieren, im Verlust zu verkaufen, ist wohl auch damit begründet, dass wir uns sonst einen Fehler eingestehen müssten. Schließlich waren wir einmal vom Investment überzeugt. Umgekehrt verhält es sich bei den Gewinnen: man hat immer die Angst im Hinterkopf, den Gewinn wieder zu verlieren und möchte sich diesen schnell „sichern“, bevor er wieder weg ist.

36. Dispositionseffekt

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Das Gefährliche am Dispositionseffekt ist die Tatsache, dass der Anleger verleitet wird, größere Risiken einzugehen. Und das Ganze auch noch unbewusst. Denn den meisten Anlegern dürfte dieses Risiko gar nicht bewusst sein. Das Gleiche gilt natürlich auch für Investitionen und Bauprojekte, die sich im Zeitverlauf als teurer als ursprünglich gedacht erweisen. Hier spielt auch der Fehlschluss der

irreversiblen Kosten eine wichtige Rolle. Um den Dispositionseffekt zu vermeiden, sollten Sie sich immer wieder fragen, ob Sie auch heute noch in das Projekt oder den Titel investieren würden. Wenn die Antwort ja ist, sollten Sie die Investition aufrechterhalten. Ist die Antwort nein, sollten Sie einen Verkauf beziehungsweise einen Abbruch des Projekts prüfen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass Sie sich bewusst machen, dass Verluste nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Ganz im Gegenteil: wo gehobelt wird, da fallen Späne. Immer den besten Einstiegs- und Ausstiegszeitpunkt beziehungsweise die optimalen Investitionsentscheidungen zu treffen ist unmöglich. Dies schaffen nicht einmal die ausgeklügeltsten Computerprogramme. Bei Aktien können Stop-Loss-Orders sehr hilfreich sein. Bei Investitionen und sonstigen Unternehmensprojekten ist dies nicht so einfach möglich. Hier kommt es vielmehr auf eine individuelle Steuerung an. Auch sollte die Unternehmenskultur die Negativität von gescheiterten Projekten nehmen und diese vielmehr als etwas ansehen, aus dem nun gemeinsam gelernt werden kann. Dadurch kann verhindert werden, dass ein Projekt, das eigentlich „tot“ ist, allzu lange fortgeführt wird, aus Angst, das eigene Scheitern eingestehen zu müssen.

37. Beobachter-Erwartungseffekt

37. Beobachter-Erwartungseffekt Gute Erwartungen bewirken gute Leistungen

1965 gingen die Psychologen Robert Rosenthal und Leonore Jacobsen in zwei amerikanische Grundschulen und täuschten einen wissenschaftlichen Test vor. Rund 20% der Schüler stünden kurz vor einem intellektuellen Entwicklungsschub und diese sollten nun mithilfe des wissenschaftlichen Tests identifiziert werden. In Wahrheit wurden aber nach einem Zufallsprinzip 20% der Kinder ausgewählt, sodass die Lehrer nun bei einigen Kindern davon ausgingen, dass diese kurz vor ihrem intellektuellen Entwicklungsschub stünden und der Intelligenzquotient (IQ) in den nächsten Monaten ansteigen würde. Dieser Unterschied zwischen den „Aufblühern“ und den „normalen“ Kindern existierte jedoch nur in den Köpfen der Lehrer. In den Folgemonaten passierte Erstaunliches: 45% der ausgewählten Kinder konnten innerhalb eines Jahres ihren IQ um 20 oder mehr Punkte steigern! Wenn man nun bedenkt, dass ein Kind mit einem IQ von 100 als „normal intelligent“ und ein Kind mit einem IQ über 130 als hochbegabt gilt, kann man über das Ergebnis dieses Experiments nur staunen. Geboren war also der Beobachter-Erwartungseffekt, der häufig auch Rosenthal-Effekt oder Pygmalion-Effekt genannt wird. Videoanalysen von Chaiken et al (1974) zeigten, dass Lehrer die „intelligenten“ Schüler mehr anlächelten, mehr Augenkontakt hielten und ihre Kommentare mehr lobten. Dieses meist unbewusste Verhalten beeinflusste die tatsächlichen Leistungen der Betroffenen. Dies galt selbst dann, wenn die Schüler von den Erwartungen nichts wuss© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_37

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37. Beobachter-Erwartungseffekt

ten und die Lehrer glaubten, sich neutral zu verhalten (vgl. Freimuth und Haritz 2009). Der

Beobachter-Erwartungseffekt

spielt

insbesondere

in

der

Führungsarbeit eine zentrale Rolle. Führungskräfte, die überzeugende Ziele vorgeben, eine kooperative Arbeitskultur fördern und tragfähige Lösungen schaffen, bewirken meist auch eine verstärkte Identifikation, Nähe und Akzeptanz bei den Mitarbeitern. Aus diesem Grund ist auch die enge Verzahnung des Risikomanagements mit den operativen Einheiten äußerst wichtig. Denn Risikomanagement sollte vom „Pförtner bis zum Chef“ ganzheitlich gelebt werden. Durch die vorgenannten Maßnahmen lassen sich also auch positive Effekte durch den Erwartungseffekt der Mitarbeiter erzielen. Der Erwartungseffekt spielt außerdem in der Einstellungsphase und der Einarbeitung neuer Mitarbeiter sowie bei der Leistungsbewertung eine wichtige Rolle. Bei der Personalauswahl werden häufig bereits durch Internet-Recherchen Vorabinformationen eingeholt. Hierdurch wird die objektive Wahrnehmung der Kompetenzen und Qualifikationen der Bewerber schnell verzerrt, sodass nicht immer der optimale Kandidat für die offene Stelle schlussendlich auch den Job erhält. Auch bei der Einarbeitung zeigt sich, dass hohe oder niedrige Erwartungen an neue Mitarbeiter zu unterschiedlichen Karriereschritten und einer unterschiedlichen Qualität der Einarbeitung führen können. Und auch bei der Beurteilung der Leistung bestehender Mitarbeiter spielt die unterbewusste Voreingenommenheit eine zentrale Rolle. Um - auch im Sinne des Risikomanagements - die Gefahr für den Beobachter-Erwartungseffekt möglichst gering zu halten, bietet es

37. Beobachter-Erwartungseffekt

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sich an, mit definierten Workflows und Prozessen vorzugehen. Dies umfasst beispielsweise einheitliche Beurteilungskriterien, standardisierte Fragen bei Interviews, aber auch ein strenges Vier-AugenPrinzip bei wichtigen Entscheidungen. Um sich selbst hinsichtlich eines Erwartungseffekts regelmäßig zu hinterfragen und zu reflektieren, können die folgenden Fragestellungen sinnvoll sein: „Was gefällt mir an einer Person?“, „Was sind seine/ihre wichtigsten Eigenschaften?“, „Was macht er/sie besonders gut?“ oder „Was finde ich intuitiv an der Arbeit gut?“. Das Ziel sollte es dabei sein, eventuell falsche oder verzerrte Bilder zu erkennen und zu verändern, bevor sie sich zu tief ins Gedächtnis brennen. Wichtig ist es natürlich auch, bereits als positiv bewertete Mitarbeiter zu hinterfragen. Stimmen Erwartung und Leistung tatsächlich überein? Berücksichtigt der Mitarbeiter seine tatsächliche Leistungsfähigkeit und ist diese dauerhaft realistisch abrufbar? Kann er/sie sich noch steigern? Auch hier muss in jedem Fall eine Kontrolle des Ist-Zustands erfolgen, um den Mitarbeiter optimal zu fördern.

38. Konjunktionsfehler

38. Konjunktionsfehler Kennen Sie die Geschichte von Linda?

Bekanntlich tun wir uns sehr schwer bei der validen Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten. Wenn wir nun auch noch die Wahrscheinlichkeit von Kombinationen von Ereignissen angeben müssen, sind wir meistens überfordert. Die beiden Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky, die als entscheidende Wegbereiter der modernen Verhaltensökonomik gelten, haben

folgenden

Versuch

durchgeführt,

der

als

das

„Linda-

Experiment“ bekannt wurde: „Linda ist 31 Jahre alt, alleinstehend, sehr intelligent und sagt offen ihre Meinung. Sie hat Philosophie studiert. Während der Studienzeit beschäftigte sie sich ausführlich mit Fragen der Gleichberechtigung und der sozialen Gerechtigkeit und nahm auch an Anti-Atomkraft-Demonstrationen teil.“ Nachdem zahlreiche Probanden diese Informationen über die fiktive Person Linda gelesen haben, wurden sie gebeten, die folgenden Angaben nach der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens zu sortieren: 1. Linda ist Bankangestellte 2. Linda ist in einer feministischen Bewegung aktiv 3. Linda ist eine Bankangestellte und in einer feministischen Bewegung aktiv.

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38. Konjunktionsfehler

Erstaunlicherweise entschieden sich bei jeder Auswertung zwischen etwa 80 und 90% der Befragten dafür, dass Option 3 wahrscheinlicher sei als Option 1. Nach einem wahrscheinlichkeitstheoretischen Grundsatz, der als Konjunktionsregel bezeichnet wird, kann die Wahrscheinlichkeit für ein verknüpftes Ereignis nicht größer sein als die Wahrscheinlichkeit der jeweiligen einzelnen Ereignisse – denn sie stellt lediglich eine Schnittmenge dar. Wenn Linda Bankangestellte und Feministin ist, ist sie automatisch schon Bankangestellte; ergo ist kein Grund dafür vorhanden, dass die Wahrscheinlichkeit bei Option 1 geringer sein sollte als bei Option 3. Dass dieses logische Prinzip so häufig verletzt wird, entsteht durch den Konjunktionsfehler, auch bekannt als Linda-Problem oder Repräsentativitätsheuristik. Die Repräsentativitätsheuristik beschreibt die mentale Faustregel, wonach wir geneigt sind, Komplexität zu reduzieren, indem wir bei einem Objekt – wie im obigen Beispiel der jungen Dame namens Linda – nach Mustern in unserer Erfahrung und Ähnlichkeit zu charakteristischen oder vielen Vertretern einer Objektklasse (hierbei einer aktiven Feministin) suchen und dadurch schnell zu einem Urteil finden. Häufig leider vorschnell. Ein weiteres typisches Beispiel für den Konjunktionsfehler sieht man bei der Wahrscheinlichkeit von Gewinnzahlen im Lotto. So ist die Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen der Zahlenfolge „8, 12, 24, 33, 39, 42“ genauso groß wie für „1, 2, 3, 4, 5, 6“. In unserer Wahrnehmung ist die zusammengewürfelte, erstgenannte Kombination allerdings typischer beziehungsweise „stimmiger“. Die Repräsentativität des Unstrukturierten in unserer Wahrnehmung sorgt zumeist für

38. Konjunktionsfehler

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eine systematische Urteilsverzerrung und lässt uns die erste Kombination intuitiv als wahrscheinlicher ansehen als die letztgenannte. Das Denken in Schemata oder Stereotypen kann dazu führen, dass man Zusammenhänge zu erkennen glaubt, wo eigentlich keine vorhanden sind. Dies zeigte sich beispielsweise als die Dotcom-Blase am neuen Markt geplatzt ist oder auch als plötzlich zahlreiche Kryptowährungen gehypt wurden, ohne auf deren tatsächliche Substanz oder nachhaltiges Entwicklungspotenzial zu achten. Allein ein „.com“ oder „krypto“ im Namen hatten gereicht, um einen Kaufrausch bei Zockern und in weiten Teilen der Bevölkerung auszulösen. Von einem, auf einer repräsentativen Wahrnehmung beruhenden, empirischen Zusammenhang wurde auf einen kausalen Zusammenhang geschlossen. Anders ausgedrückt: es wurde aus der erfahrungsbasierten Wahrnehmung auf ein ursächliches Schema geschlossen. Und genau der Rückschluss auf kausale Zusammenhänge war katastrophal! Sie sollten sich also dazu zwingen, Ihre Einschätzungen zu Plausibilität und Eintrittswahrscheinlichkeit von Ereignissen ganz genau zu trennen,

etwa

bei

Szenarioanalysen.

Denn

die

kohärentesten

Geschichten sind nicht unbedingt die wahrscheinlichsten, obwohl sie plausibel

sind.

Und

die

Begriffe

Kohärenz,

Plausibilität

und

Wahrscheinlichkeit werden leicht verwechselt. Nehmen Sie sich also etwas Zeit und prüfen Sie möglichst unvoreingenommen die einzelnen Wahrscheinlichkeiten für unterschiedliche Szenarien.

39. Stereotypisierung

39. Stereotypisierung Warum sich Vorurteile nie gänzlich vermeiden lassen

Was ist eigentlich „typisch deutsch“? Sind wir alle wirklich zuverlässig, fleißig und haben keinen Humor? Das zumindest denken die meisten von uns über sich selbst. Die europäischen Nachbarn halten die Deutschen vor allem für gut organisiert, akkurat und leicht pedantisch. Das ergab eine Studie der GfK Marktforschung, in der rund 12.000 Bürger in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Russland, Tschechien und der Türkei befragt wurden. Verlässt man die Grenzen Europas, kommt Verwunderliches zu Tage: die Amerikaner halten Deutsche für sehr freizügig, die Chinesen stufen uns als langsam ein, und Menschen aus Costa Rica beschreiben uns gar als offen und sehr zugänglich. Das jedenfalls äußerten Austauschschüler des Goethe-Instituts, als sie zu „den Deutschen“ befragt wurden (vgl. BpB 2007). Soziale Stereotype dürften zu den bekanntesten Beobachtungsfehlern zählen. Im Gegensatz zu den eher individuell geprägten Vorurteilen sind Stereotype im gesamten Kulturkreis (beziehungsweise über alle Kulturkreise hinweg) verbreitet. Ein Stereotyp beinhaltet, dass sozialen Gruppen bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben werden, die typisch für jedes einzelne Gruppenmitglied sein sollen. Eine asiatisch aussehende Kandidatin wird in diesem Zusammenhang eventuell von vornherein als „fleißig, aber ohne Eigeninitiative“ eingestuft. Der brillentragende Informatikabsolvent wird sofort

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39. Stereotypisierung

als soziophober Nerd „erkannt“, der selbstverständlich über keinerlei Führungspotenzial verfügt et cetera. Menschen automatisch in verschiede Kategorien einzuordnen und mit vermeintlich passenden Informationen zu ergänzen, ist eine Sparmaßnahme des menschlichen Gehirns, um der Komplexität des Lebens zu begegnen. Egal als wie tolerant wir unsere heutige Gesellschaft bezeichnen, die „guten alten“ Stereotypen bleiben verankert und prägen täglich unser sich globalisiertes Zusammenleben. Gleichzeitig zeigt sich immer wieder, dass Klischees sehr häufig veraltet sind und eher eine negative Konnotation enthalten. Für seriöse Beurteilungen sollten Klischees und Stereotype so gut wie möglich ausgeklammert werden und die reinen Fakten, die zugegebenermaßen häufig deutlich trockener und weniger unterhaltsam sind, in den Vordergrund gestellt werden. Im Geschäftsleben und auch im Risikomanagement sollte man sich vor allzu groben Verallgemeinerungen hüten. Denn obwohl beispielsweise Ärzte, Ingenieure oder auch Anwälte wohl tendenziell überproportional gut verdienen, heißt dies noch lange nicht, dass alle Personen dieser Berufsgruppe auch gute Schuldner sind. Denn zum einen werden nicht alle Personen überdurchschnittlich verdienen und zum anderen kommt es natürlich auch auf den Lebensstil drauf an, inwiefern Kredite ordnungsgemäß bedient werden können. Stereotypisierungen basieren auf als typisch wahrgenommenen (Verhaltens-)Mustern aus der Vergangenheit. Es ist an dieser Stelle wohl überflüssig zu erwähnen, dass dies noch lange kein Indikator für die zukünftige Entwicklung sein muss. Ganz im Gegenteil: Verallge-

39. Stereotypisierung

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meinerungen auf Basis von historischen Daten sind höchst gefährlich. Dadurch wird suggeriert, dass es überhaupt keine Ausnahmen gibt. Und durch diesen methodischen Fehler wird der Adressat der Information, häufig das Management, in falscher Sicherheit gewogen. Es ist also sehr wichtig, dass Sie sich ganz bewusst von Stereotypen fernhalten. Speziell bei Verallgemeinerungen beziehungsweise wenn von „allen“ oder „immer“ die Rede ist, sollten die Alarmglocken schrillen und es ist unbedingt zu prüfen, ob denn nicht, theoretisch und plausibel möglich, eine Ausnahme von dieser Aussage denkbar ist. Und wenn dies der Fall ist, sollte dies auch in der Risikosteuerung angemessen berücksichtigt werden. Denn bei der Beurteilung von Eintrittswahrscheinlichkeiten gilt es nicht nur historische Daten zu berücksichtigen,

sondern

anhand

von

kausalen

Ursache-

Wirkungszusammenhängen auch theoretisch mögliche Szenarien. Speziell für Krisensituationen eignen sich dabei die sogenannten „Stresstests“. Einfluss- und Konsistenzmatrizen können speziell bei der Konstruktion von Stresstests und Szenarioanalysen sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, objektive Einflussparameter für die Szenarien zu definieren und mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit zu unterlegen. Natürlich fließt auch hierbei in erheblichem Maße subjektives Empfinden mit ein, es wird allerdings aufgrund der klar strukturierten, methodischen Vorgehensweise versucht, die subjektiven Einflüsse so weit wie möglich zu begrenzen.

40. Anekdotischer Fehlschluss

40. Anekdotischer Fehlschluss Geschichten wirken stärker als Fakten

Der anekdotische Fehlschluss (Anecdotal Fallacy) zeichnet sich dadurch aus, dass einzelne Erfahrungsberichte und Geschichten vom Hörensagen höher gewichtet werden als statistisch fundierte Berichte und Argumente. Er wird häufig als Gegensatz zur empirischen Evidenz (zum Beispiel empirische Feldstudien, (Labor-)Experimente et cetera) und zum Analogieschluss verwendet. Anekdotische Evidenz hat folglich eine nur sehr schwache, argumentative Aussagekraft. Aufgrund eines sehr anschaulichen Beispiels von Kahneman, Slovic und Tversky (1982, S.112-113) ist der anekdotische Fehlschluss auch unter dem Namen „Volvo-Irrtum“ weit verbreitet. Diesem liegt das folgende Gedankenexperiment zugrunde: Nehmen wir an, Sie möchten ein neues Auto kaufen und haben beschlossen, dass Sie aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Langlebigkeit eines dieser soliden und robusten, schwedischen Mittelklassefahrzeuge kaufen wollen - entweder einen Volvo oder einen Saab. Als umsichtiger und vernünftiger Käufer wälzen Sie die gängigen Autozeitschriften, in denen die Experten sich darüber einig sind, dass der Volvo technisch überlegen ist und auch die Erfahrungen der Leser zeigen, dass ein Volvo weniger reparaturanfällig ist. Mit diesen Informationen ausgestattet, entscheiden Sie sich, noch in

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40. Anekdotischer Fehlschluss dieser Woche einen Kaufvertrag mit dem örtlichen Volvo-Händler abzuschließen. In der Zwischenzeit gehen Sie jedoch zu einer Cocktailparty, bei der Sie einem Bekannten von Ihrem Vorhaben berichten. Er reagiert ungläubig und alarmiert: „Ein Volvo? Du machst wohl Witze. Mein Schwager hatte einen Volvo. Erstens ist dieses komische Benzin-Einspritz-Computer-Ding ständig ausgefallen. 250 Euro. Als nächstes gab es Probleme mit dem Heck. Er musste es ersetzen lassen. Dann das Getriebe und die Kupplung. Nun hat er den Wagen endlich verkauft, nachdem er drei Jahre lang nur Ärger hatte."

Nachdem Sie sich diese Schilderung Ihres Freundes angehört haben: Wollen Sie immer noch einen Volvo kaufen? Wenn Sie nun an Ihrer Entscheidung zweifeln oder gar Ihre Entscheidung rückgängig machen möchten, sitzen Sie dem anekdotischen Fehlschluss auf. Denn Sie überschätzen anhand nur einer Anekdote die Wahrscheinlichkeit. Schließlich konnten Sie bei der Lektüre der Autozeitschriften (deren Richtigkeit vorausgesetzt) die Erfahrungswerte einer Vielzahl von Nutzern und Experten einholen. Der anekdotische Irrtum ist eine Unterart des induktiven Fehlschlusses, denn lediglich anhand einer einzigen Anekdote kann niemals auf eine Gesamtheit geschlossen werden. Es ist also eine voreilige Verallgemeinerung. Ganz gleich, wie emotional ein bestimmter Vorfall ist, es ist nur ein Datenpunkt. Selbst wenn die Beobachtung oder Stichprobengröße auf mehr als einer Anekdote basiert, ist die Menge solcher Geschichten häufig nicht repräsentativ für die verallgemeinerte

40. Anekdotischer Fehlschluss

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Grundgesamtheit. Dies gilt auch, wenn die Anekdoten auf Nachrichten basieren, da Journalisten dazu neigen, über ungewöhnliche und extreme Ereignisse zu schreiben. Was wir von den Nachrichtenmedien lesen oder hören, sind die besten oder schlimmsten Fälle. Die „normalen“, aber eben unspektakulären, Vorgänge sind aber am wahrscheinlichsten! So besagt ein altes Sprichwort sehr passend: „Wenn ein Hund einen Mann beißt, ist das nichts Neues. Aber wenn ein Mann einen Hund beißt, sind das wahre Neuigkeiten, die in jeder Zeitung landen werden.“ Ähnlich wie bei der Verfügbarkeits-Heuristik, ist es auch beim anekdotischen Fehlschluss sehr hilfreich, wenn Sie zentrale, strategische Entscheidungen mit mehreren Entscheidungsträgern treffen und dabei auch stets kritisch prüfen, ob es für bestimmte Argumente dafür oder dagegen valide Erkenntnisse, Stichproben et cetera gibt oder ob lediglich Einzelfälle überbewertet wurden. Anekdoten sollten niemals ungefiltert übernommen werden, sondern vielmehr als Startschuss für nachfolgende, kritische Prüfungen oder auch für Szenarioanalysen und Stresstests dienen, bei denen plausibel mögliche,

eher

seltene,

unternehmensgefährdende

Situationen

simuliert werden. Das Ziel ist es, einerseits die Eintrittswahrscheinlichkeit hierfür abzuschätzen und andererseits insbesondere Gegenmaßnahmen zu erarbeiten, damit ein solcher Extremfall gar nicht erst eintreten kann.

41. Argumentum ad hominem

41. Argumentum ad hominem „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“

Der Begriff „argumentum ad hominem“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet frei übersetzt „Beweisrede gegen den Menschen“. Anstelle einer guten logischen Argumentation ersetzen Ad Hominems die logische Argumentation durch eine Angriffssprache, die nichts mit der Wahrheit zu tun hat. Genauer gesagt: Ad Hominems sind ein Trugschluss von Relevanz, wenn jemand die Ansicht einer anderen Person auf der Grundlage ihrer persönlichen Merkmale, ihres Hintergrunds, ihres Aussehens oder anderer Merkmale, die für das fragliche Argument irrelevant sind, ablehnt oder kritisiert. Die angebrachten Scheinargumente sind häufig ganz bewusst überspitzt, polemisch und auf Wortklauberei ausgelegt. Ein Ad Hominem ist mehr als nur eine Beleidigung. Es ist eine Beleidigung, die benutzt wird, als ob es ein Argument oder ein Beweis für eine Schlussfolgerung wäre. Verbal angreifende Menschen beweisen nichts hinsichtlich der Wahrheit oder Falschheit ihrer Behauptungen. Ad Hominems sind in der Politik allgemein als „Schlammschlacht" bekannt. Anstatt die Position des Kandidaten zu thematisieren oder seine Effektivität als Staatsmann anzusprechen, konzentrieren sich Ad Hominems auf Persönlichkeitsfragen, Sprachmuster, Garderobe, Stil und andere Dinge, die die Popularität beeinflussen, aber rein gar nichts mit ihrer Kompetenz zu tun haben.

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41. Argumentum ad hominem

Zwei einfache Beispiele, bei denen es lediglich darum geht, den Gegner zu kompromittieren beziehungsweise dessen Glaubwürdigkeit zu bezweifeln, sind:

„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ „Jemand, der nicht selbst betroffen ist, kann das doch gar nicht richtig beurteilen.“

Die Aussagen mögen emotional nachvollziehbar sein, sind aber trotzdem ein Fehlschluss. Denn einerseits lassen frühere Lügen nicht automatisch darauf schließen, dass aktuelle Aussagen unwahr sind. Es mag vielleicht begründen, dass man aktuelle Aussagen genauer prüft, mehr aber auch nicht. Dasselbe gilt für die zweite Aussage. Für eine Beurteilung benötigt man kognitive Fähigkeiten, die nicht zwingend nur mit Erfahrung zusammenhängen. Erfahrung schadet sicherlich nicht, aber wenn die Einflussparameter schlüssig erklärt sind, können auch außenstehende Dritte eine Beurteilung vornehmen. Neben den bewusst missbräuchlichen und fehlschlüssigen Fällen der Ad Hominems, also sachgrundlosen Angriffen auf den Gegenüber, gibt es auch Fälle, in denen ein Angriff sachlich gerechtfertigt ist. Diese Fälle beruhen nicht auf einem logischen Irrtum und das Argument ist auch nicht ungerechtfertigt. Hierbei geht es zwar auch um einen direkten Angriff, aber es wird ganz konkret an einzelnen Aspekten der Persönlichkeit des Kontrahenten gezweifelt, wodurch dieser nur unzureichend eine fundierte Argumentation, Behauptung oder Meinung darstellen könne. Häufig wird hierbei auf mangelnde Wahrhaftigkeit,

41. Argumentum ad hominem mangelnde

Vernunft

oder

164 Vorsicht,

Unwissenheit,

mangelnde

kognitive Fähigkeiten oder mangelnde ethisch-moralische Grundsätze beim Gegenüber abgestellt. Speziell bei der Beurteilung von Mitarbeitern, Bewerbern und Geschäftspartnern sollte sichergestellt werden, dass keine Scheinargumente berücksichtigt werden, nur weil man den Gegenüber „nicht schmecken“ kann. In diesem Fall gibt es also keine rationalen Argumente, sondern lediglich einen subjektiven Eindruck, der als Scheinargument vorgebracht und ausgeschmückt wird. Speziell für Entscheidungsträger ist es sehr wichtig, dass Feedback und Meinungen aus den Fachbereichen gefiltert werden. Auch sollte immer geprüft werden, ob einzelne Personen und Bereiche nicht unter Umständen sogar befangen sind und deshalb versuchen, mithilfe von Scheinargumenten und Angriffen auf einzelne Personen ihre Agenda und Interessen „durchzuboxen“. Auch der Einrahmungs-

Effekt kann mit diesem Fehlschluss verbunden sein, wenn versucht wird, nach angeblichen Beweisen und Argumenten für die eigene, vorgefertigte Überzeugung zu suchen. Für das Management ist es also ganz wichtig, dass es sich vor Augen führt, dass es in einer rationalen Diskussion immer nur um die Sache geht. Die Beteiligten sind dabei nebensächlich. Ob ein Argument richtig oder falsch ist, kann korrekterweise nur am Argument selbst festgemacht werden, nicht an der Person, die das Argument anbringt.

42. Strohmann-Argument

42. Strohmann-Argument Oder: Der Versuch der Schaffung von Fake News

Das

Strohmann-Argument

beziehungsweise

der

Strohmann-

Fehlschluss (Straw Man Fallacy) ist eine rhetorische Technik, bei der die tatsächliche Auseinandersetzung mit der Gegenposition nur fingiert wird. In Wahrheit aber wird gegen einen „Strohmann" argumentiert, einen fiktiven und wehrlosen Gegner also, dem eine verkürzte, überhöhte oder falsche Version der gegnerischen Argumentation in den Mund gelegt wird. Typischerweise wird daraufhin beansprucht, die Widerlegung der Strohmann-Position stelle eine Widerlegung der tatsächlichen Position des Diskussionsgegners dar. Strohmann-Trugschlüsse sind eine billige und einfache Möglichkeit, die eigene Position stärker erscheinen zu lassen, als sie ist. Das Strohmann-Argument unterstellt eine nie getroffene Aussage und ist eine Spezialform der sogenannten falschen Prämisse. Unter Verwendung des Strohmann-Fehlschlusses werden gegnerische Ansichten als leblos, wahrheitslos und völlig unzuverlässig charakterisiert. Im Vergleich dazu sieht die eigene Position besser aus. StrohmannArgumente dienen häufig auch für Ad Hominem „Argumente“. Die Metapher des Strohmanns stammt aus dem Schwert- und Fechttraining. Auch Soldaten üben den bewaffneten Kampf regelmäßig in einem ersten Schritt gegen Pappkameraden. Da sich diese kaum bewegen und keinen Widerstand leisten, gewinnen die echten Soldaten oder Fechter diesen Kampf immer. Früher wurde der Strohmann nach erfolgter Übung häufig unter großem Getöse verbrannt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_42

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42. Strohmann-Argument

Wer im Sinne des Strohmanns argumentiert, imitiert folglich nur den Feind und feiert den Sieg gegen die Imitation ab, als hätte er ein echtes (Wort-)Gefecht gewonnen. Die beiden folgenden, fiktiven Dialoge zeigen zwei exemplarische Strohmann-Situationen:

Situation 1: Dialog zwischen A und B. B unterstellt A implizit eine

Allaussage, die A nicht getätigt hat. A: Sonnige Tage sind toll. B: Es wäre absolut furchtbar, wenn alle Tage sonnig wären und es nie mehr regnen würde. Wir würden hungern und innerhalb kürzester Zeit sterben.

Situation 2: Dialog zwischen Journalist und nationalem Sicherheitsberater. Letztgenannter gibt die Aussage des Journalisten

inkorrekt wieder. Journalist: Die Weltgemeinschaft macht sich Sorgen ob Ihres militärischen Aufrüstens. Nationaler Sicherheitsberater: Die Weltgemeinschaft möchte also, dass unser Land ohne Verteidigung dasteht?

Ganz wichtig ist allerdings, zu berücksichtigen, dass eine falsche Darstellung der Gegenposition nicht immer bewusst als rhetorisches Mittel eingesetzt wird. Vielmehr kommt es immer wieder auch unbe-

42. Strohmann-Argument

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wusst vor, dass Strohmann-Argumente angebracht werden. Dies kann beispielsweise dadurch passieren, dass sich eine Person missverständlich ausdrückt und die andere Person aufgrund dessen mit einem „Strohmann“ argumentiert. Beim Umgang mit Strohmännern ist es wichtig, dass Sie zuerst Ihrem Gegenüber zu verstehen geben, dass Sie sich falsch wiedergegeben fühlen. Sofern Ihr Diskussionspartner an einer fairen Diskussion interessiert ist, wird er sich korrigieren oder nochmals genauer nach Ihren Ausführungen fragen beziehungsweise konkret fragen, was er denn falsch verstanden habe. Speziell bei unbewussten Strohmann-Argumenten, die Sie selbst unwissentlich verwenden, kommt der Devil’s Advocat (Advocatus Diaboli) wieder ins Spiel. Der Devil’s Advocat nimmt eine entgegengesetzte Rolle zum Strohmann ein, der ebenfalls als fiktiver Gegner ersonnen wird. Der zentrale Unterschied ist dabei allerdings, dass die Gegenrede so stark wie möglich hervorgebracht werden soll. Indem bei wichtigen Entscheidungen über die Zukunft oder auch wichtigen risikopolitischen Entscheidungen eine Person explizit diese Rolle einnimmt, können die Stichhaltigkeit des eigenen Arguments geprüft und eventuelle Schwachstellen behoben werden.

43. Appell an die Ignoranz

43. Appell an die Ignoranz Warum wir nicht beweisen können, dass Aliens nicht im Jahr 1947 in Roswell, New Mexico gelandet sind

Ein Argument, das an das Nichtwissen appelliert (Argumentum ad ignorantiam) ist ein logischer Fehlschluss, bei dem entweder eine These für falsch erklärt wird, nur weil sie bisher nicht bewiesen werden konnte oder umgekehrt eine These für richtig erklärt wird, nur weil sie bisher nicht widerlegt werden konnte. Sachargumente spielen hierbei keine Rolle. Der so Argumentierende gewichtet seine Unwissenheit oder mangelnde Vorstellungskraft als ausreichend, um die Widerlegung oder Bestätigung einer These vorzunehmen. Eine leichte Abwandlung vom Appell an die Ignoranz ist das „Argument aus persönlichen Gründen“. Hierbei wird eine These subjektiv als unglaublich oder unwahrscheinlich angenommen und stattdessen eine andere These, die subjektiv bevorzugt wird, als zutreffend angenommen. Ein vielzitiertes Beispiel für den Appell an die Ignoranz ist die von Kent Hovind angebotene Wette gegen die Evolutionstheorie. Er verspricht jedem, der beweisen könne, dass Gott nicht an der Entstehung des Lebens beteiligt war, 250.000 Dollar. Hovind ist ein US-amerikanischer Vertreter des christlich-fundamentalistischen Junge-Erde-Kreationismus. Es ist wenig verwunderlich, dass er diese Wette angeboten hat, denn schließlich ist es grundsätzlich unmöglich, eine solche Aussage zu widerlegen.

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43. Appell an die Ignoranz

Denn dieses Argument beruht auf einem Fehlschluss. Erstens folgt aus dem Mangel an Belegen zugunsten einer Theorie kein Argument gegen sie. Eine natürliche Erklärung wäre nur dann unplausibel, wenn positive Befunde dagegen sprächen. Dies gilt für alle Experimente, etwa naturwissenschaftliche Forschungsprogramme, aber auch die Evolutionstheorie. Bereits der Wissenschaftstheoretiker Karl Popper wies darauf hin, dass es keine Möglichkeit gibt, durch schrittweises Eliminieren von Theorien auch nur die „wahrscheinlich richtige“ zu bestimmen (vgl. Popper 1984, S.434). Der Grund liegt darin, dass zur Erklärung eines Sachverhalts in der Regel nicht nur zwei oder drei Alternativtheorien denkbar sind, wonach durch Widerlegung einer Theorie die übrig gebliebenen Theorien an Plausibilität gewönnen. Wird nun eine TheorieVersion widerlegt, rücken unzählige, theoretisch denkbare AlternativVersionen als potenziell „wahre“ Kandidaten nach, sodass der Plausibilitätsgewinn für jede der verbliebenen Theorien praktisch null ist. Aus diesem Grund wurde Hovinds Wettangebot häufig parodiert. Etwa von den Anhängern der Religionsparodie „Fliegendes Spaghettimonster“. Diese wiederum lobten 1 Million Dollar aus, für denjenigen, der empirisch beweisen könne, dass Jesus nicht der Sohn des Fliegenden Spaghettimonsters sei. Ähnlich wie bei Hovinds Wette ist es aber vollkommen unmöglich, den Gegenbeweis anzutreten und die Wette zu gewinnen. Eine Argumentationsstrategie, bei der sich die gegenseitigen - sich eigentlich ausschließenden - Standpunkte jeweils unterstützen, ist keine gute Argumentstrategie. Dies zeigt sich an den folgenden beiden Argumenten:

43. Appell an die Ignoranz

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„Niemand konnte jemals eindeutig nachweisen, dass Außerirdische im Jahr 1947 in Roswell, New Mexiko gelandet sind. Also dürften sie nicht existieren." „Niemand konnte jemals eindeutig beweisen, dass Außerirdische nicht im Jahr 1947 in Roswell, New Mexiko gelandet sind. Also müssen sie real sein." Unwissenheit ist kein Beweis für irgendetwas - außer, dass man etwas nicht weiß. Wenn niemand die Nicht-Existenz von Geistern oder fliegenden Untertassen bewiesen hat, ist das kaum ein Beweis dafür, dass diese Dinge entweder existieren oder nicht existieren. Wenn wir nicht wissen, ob sie existieren, dann wissen wir schlichtweg nicht, ob sie existieren oder nicht. Speziell bei der vorschnellen Schlussfolgerung von strategischen Handlungsalternativen und potenziellen Risikoquellen sollten Sie sehr genau auf die Argumentation und die Plausibilität achten. Sofern beispielsweise kein Beweis für ein bestimmtes Szenario, etwa einen schwarzen Schwan, erbracht werden kann, heißt dies noch lange nicht, dass dieser nicht möglich ist. Es bedeutet nur, dass wir keine präzise Aussage zu seinem Zustandekommen oder der Eintrittswahrscheinlichkeit treffen können. Speziell bei Stresstests und sonstigen Gedankenexperimenten

zur

zukünftigen

Entwicklung

spielt

die

Eintrittswahrscheinlichkeit nur eine nachgelagerte Rolle. Wichtiger ist es, dass Alternativpläne und Gegenmaßnahmen erarbeitet werden können, sofern ein Szenario doch eintritt (zumindest theoretisch denkbar wäre hierbei etwa das Beispiel der oben genannten Situation, dass Aliens auf der Erde landen).

44. Falsches Dilemma

44. Falsches Dilemma Welcher ist der beste Fußball-Club der Welt: Bayern München oder Real Madrid?

Der Trugschluss des falschen Dilemmas wird häufig auch als „AllesOder-Nichts-Fehlschluss“,

„Entweder-Oder-Irrtum“,

„Schwarz-Weiß-

Trugschluss“ oder „Falsche Dichotomie“ bezeichnet. Es wird hierbei suggeriert, dass es zu einer Streitfrage genau zwei bestimmte, einander gegensätzliche Möglichkeiten gibt, obwohl es im konkreten Fall mehr als zwei Möglichkeiten gibt. So werden künstliche Dilemmata konstruiert, die gar nicht existieren. Wenn man etwas Wortklauberei betreibt, unterscheidet sich das falsche Dilemma von der falschen Dichotomie dadurch, dass ein Dilemma zwei gleiche, unattraktive Optionen impliziert, während eine Dichotomie im Allgemeinen zwei Gegensätze umfasst. Im Folgenden wird dies aber – wie auch in der Praxis sehr häufig – ignoriert und stattdessen werden hierunter völlig wertfrei zwei Gegensätze verstanden, egal ob diese nun gleich (un)attraktiv sind oder nicht. Dilemma-basierte Argumente sind nur dann trügerisch, wenn es tatsächlich mehr als die angegebenen Optionen gibt. Es ist jedoch kein Trugschluss, wenn es wirklich nur zwei Möglichkeiten gibt. Zum Beispiel „entweder Bayern München ist der beste Fußball-Club der Welt, oder er ist es nicht". Das ist ein echtes Dilemma, da es dort wirklich nur zwei Möglichkeiten gibt: A oder Nicht-A. Es wäre jedoch irreführend zu sagen: „Es gibt nur zwei Arten von Menschen auf der Welt: Leute, die Fußball lieben und Leute, die Fußball hassen". Denn © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_44

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44. Falsches Dilemma

manche Menschen stehen Fußball gleichgültig gegenüber oder haben schlichtweg keine starken Gefühle hierfür. Das falsche Dilemma ist oft ein manipulatives Werkzeug, das dazu dient, das Publikum zu polarisieren, eine Seite zu lieben und die andere zu hassen. Im politischen Diskurs ist es üblich, die Öffentlichkeit dazu zu bringen, umstrittene Gesetze oder politische Maßnahmen zu unterstützen. Dies kann mit den folgenden, relativ simplen Sätzen geschehen: „Wir machen das entweder richtig, oder wir machen es gar nicht.“ „Entweder bist du für uns oder gegen uns!“ Es ist allerdings kein Trugschluss, wenn andere Optionen existieren, aber Sie bieten keine anderen Optionen als weitere Möglichkeiten an. So zum Beispiel: Chef:

Herr Maier, bitte senden Sie mir die Budgetplanung bis morgen Mittag.

Hr. Maier: Kann ich Ihnen die Budgetplanung auch nächste Woche schicken, Chef? Ich muss schließlich noch den Monatsabschluss machen. Chef:

Sie können mir entweder bis heute Mittag die Budgetplanung schicken oder Sie schicken mir heute Mittag den Monatsabschluss und bis morgen dann die Budgetplanung.

44. Falsches Dilemma

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Neben der absichtlichen Verwendung kann ein falsches Dilemma auch unabsichtlich verwendet werden. Insbesondere dann, wenn zusätzliche Möglichkeiten fälschlicherweise nicht erkannt werden. Die oben aufgeworfene Frage nach dem besten Fußball-Club der Welt mit der Option Bayern München oder Real Madrid mag bei einer Diskussion für Fans der beiden genannten Mannschaften ein richtiges Dilemma darstellen. Tatsächlich ist es aber ein falsches Dilemma, denn es gibt ja noch unzählige weitere Fußball-Clubs, deren Fans überzeugt sind, dass es die besten der Welt sind. Fragen Sie nur einmal in Barcelona, Turin, Paris oder Manchester nach. Hier werden Sie wohl ganz andere Antworten als nur Bayern München oder Real Madrid hören. Sie sollten sich also bei allen Entscheidungen immer wieder kritisch die Frage stellen, ob es wirklich nur zwei Optionen gibt, oder ob nicht auch weitere Möglichkeiten denkbar sind. Sowohl wenn Sie Ihre Position verteidigen möchten, als auch wenn Ihnen eine strategische Handlungsalternative



oder

noch

schlimmer:

eine

angeblich

alternativlose Entscheidung – vorgestellt wird. Es gibt nur ganz wenige Situationen, in denen es keine Alternativen gibt. Speziell bei strategischen Entscheidungen, bei der Steuerung von Risiken oder auch der Identifikation von Risiken können Kreativitätstechniken oder sonstige Ansätze, die ein „Out-of-the-box-Denken“ ermöglichen, sehr hilfreich sein. Denn dadurch können Sie sich von festgefahrenen Sichtweisen und Handlungsoptionen lösen und angebliche Entscheidungsdilemmata schnell als falsch entlarven.

45. Dammbruchargument

45. Dammbruchargument „Damit öffnen wir die Büchse der Pandora!“

Ein Dammbruchargument ist Teil einer rhetorischen Technik, die häufig in der Argumentation vorzufinden ist. Charakteristisch ist dabei, dass der Argumentationsgegner seinen Gegenüber vor dem Eingehen einer Entscheidung eindringlich warnt, indem er darauf verweist, dass diese Handlung „den Damm bricht“. Häufig wird auch die Analogie einer „schiefen Ebene“ beziehungsweise eines „rutschigen Abhangs“ (deshalb auch bekannt als „Slippery Slope Argument“) verwendet, um zu illustrieren, dass dies Stück für Stück weitere negative Konsequenzen zur Folge hat. Typisch für das Dammbruchargument ist ein scheinbar harmloser Ausgangspunkt A, der sich durch eine Vielzahl kleiner Schritte und Ereignisse zu einem unwahrscheinlichen Extremereignis entwickelt. Die Argumentationskette ist dabei vereinfacht wie folgt: „Wenn wir A erlauben, dann folgt zwangsläufig B, dann C und so weiter, bis wir dann irgendwann bei Z landen. Wenn A, dann Z. Und da Z ein absurder, gefährlicher oder anderweitig nicht wünschenswerter Zustand ist, dürfen wir A nicht erlauben.“ Einige Kausalketten sind dabei durchaus sinnvoll und auch die Reihe von Ursachen ist zumindest theoretisch denkbar. Das Dammbruchargument legt allerdings nahe, dass unwahrscheinliche, extrem überzeichnete oder sogar lächerliche Ereignisse wahrscheinlich sind, obwohl es hierfür keinerlei objektive Beweise gibt.

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45. Dammbruchargument

Es ist meistens schon schwer genug, zu beweisen, dass etwas passiert oder passiert ist. Viel schwerer oder gar unmöglich ist es, eine ganze Reihe von Ereignissen, also den unterstellten Domino-Effekt, zu widerlegen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit der unterstellten Kausalkette wird beim Dammbruchargument völlig ignoriert. Die unterstellte Kettenreaktion wird einfach angenommen. Dies zeigt sich sehr anschaulich an dem folgenden, fiktiven Dialog zwischen dem nationalen Sicherheitsberater und dem Präsidenten: „Mr. President, wenn wir keine Waffen an die Rebellen schicken, werden sie sich nicht gegen den kriegsführenden Diktator verteidigen können. Sie werden den Bürgerkrieg verlieren und dieser Diktator wird sie unterdrücken und die Russen werden folglich ihren Einflussbereich ausweiten, der sich dann über den gesamten Nahen Osten erstreckt.“ Weitere Beispiele für Dammbruchargumente finden sich in den Diskussionen zur Erlaubnis der „Rettungsfolter“, zur Homo-Ehe, zur Sterbehilfe, zur Legalisierung von Cannabis et cetera. Wir sind also jeden Tag von „schiefen Ebenen“ umgeben. Nicht umsonst hat schon der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt in seinen Überlegungen zu seinem Stück „Die Physiker“ gleich in Punkt 1 geschrieben: „Eine Geschichte ist [erst] dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“ Die große Herausforderung beim Umgang mit Dammbruchargumenten ist typischerweise der Umgang mit Ungewissheit. Doch Ungewissheit ist nichts Schlimmes – und sie ist nie absolut. Durch die Ungewissheit und die fehlende oder zumindest sehr schwierige Ermittlung

45. Dammbruchargument

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von Eintrittswahrscheinlichkeiten können einerseits gewisse „Schätzungen“ der einzelnen Kausalschritte vorgenommen werden. Ein Dominoeffekt von sehr vielen Einzelschritten, die allesamt relativ unwahrscheinlich sind, ist zwar in Kombination nicht gänzlich unmöglich, aber auf Grundlage der stochastischen Berechnungen dann doch sehr unwahrscheinlich. Andererseits gibt es bei Dammbruchargumenten häufig keine genauen Beweise dafür, dass „der Damm wirklich bricht“, das heißt, dass das prognostizierte Schreckensszenario wirklich so eintritt, selbst wenn es hypothetisch möglich ist. Speziell beim Umgang mit strategischen Entscheidungen sollte man sich deshalb immer wieder die Unschärfen der prognostizierten, oder eben nicht prognostizierbaren, Eintrittswahrscheinlichkeiten vor Augen führen. Auch die schwarzen Schwäne werden immer wieder als potenzielle Gefahrenquelle aufgeführt, obwohl diese qua definitionem ja nur sehr selten eintreten. Eine weitere Möglichkeit, mit dem „rutschigen Abhang“ umzugehen, ist es, dass man entsprechende Gegenmaßnahmen in der Schublade vorhält, sodass ein skizziertes Schreckensszenario gar nicht so gravierend werden kann. Hierfür eignen sich in besonderem Maße Stresstests, die auf hypothetischen Szenarioanalysen basieren. Grundlage eines solchen Stresstests kann dann tatsächlich ein gängiges Dammbruchargument sein. Bei den Stresstests kann dann auch vorrangig auf den Umgang mit den Auswirkungen eines Ereignisses abgestellt werden und die Eintrittswahrscheinlichkeiten sind dann erstmal zweitrangig. In diesem Falle können auch mehrere „Ursachen“ für Dammbrüche auf einmal erschlagen werden.

46. Tu quoque

Auch du!

46. Tu quoque „Du solltest erstmal vor der eigenen Haustüre kehren!“

Der Begriff „Tu quoque“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „auch du“. Der Tu-quoque-Fehlschluss ergibt sich daraus, dass auf das Verhalten anderer verwiesen wird, um ein Argument zu entkräften. Es wird kritisiert, dass die aufgestellte Behauptung falsch sei, da sie zu Unrecht vorgebracht wurde, oder zumindest zurückgenommen werden müsse und im weiteren Verlauf der Argumentation nicht verwendet werden dürfe. Ein einfaches Beispiel hierfür ist die folgende Aussage: „Rauchen kann doch nicht so schädlich sein, wie die meisten Ärzte behaupten. Schließlich gibt es auch viele Ärzte, die selbst rauchen.“ Die Kernaussage des ursprünglichen Arguments ist „Rauchen schadet der Gesundheit”. Daraus wird eine Norm abgeleitet, nämlich „Du sollst nicht rauchen”. Wenn sich der Argumentierende nun selbst nicht an diese Norm hält, dann mag dies zu kritisieren sein. Der Argumentierende verliert vielleicht seine Vorbildfunktion oder moralische Autorität in dieser Frage. Was sich jedoch nicht ändert, ist der Wahrheitsgehalt des ursprünglichen Arguments. Dieser hängt nämlich nicht vom Verhalten des Argumentierenden ab, sondern von anderen Prämissen und Indizien. Ein Tu-quoque-Argument richtet sich also weniger gegen ein Sachargument des Gegenübers, sondern vielmehr gegen den Gegenüber selbst. Es ist also eine Form des Argumentum ad

hominem. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_46

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46. Tu quoque

Weil Gegenvorwürfe oft mit den Worten „Und was ist mit …?“ anfangen, heißt eine Form des Tu-quoque-Arguments auch „Whataboutism“. Der Ausdruck wurde 2008 vom Journalisten Edward Lucas in einem Artikel des Magazins The Economist geprägt. Er schrieb Whataboutism als politisches Ablenkungsmanöver und Propagandataktik insbesondere Russland zu und hielt den neuerlichen Gebrauch des Ausdrucks für ein Zeichen der Wiederkehr des Kalten Krieges und der Mentalität der Sowjetzeit. Im Kalten Krieg nutzte vor allem die Sowjetunion dieses Manöver: Kritik der USA an Menschenrechtsverletzungen konterte sie regelmäßig, etwa mit dem Hinweis auf den Rassismus in den USA. Hinweis:

im

Rechtsumfeld,

speziell

im

Privatrecht,

kann

ein

Tu-quoque-Argument zulässig sein, wenn sich beispielsweise eine andere Vertragspartei nicht an einen Vertrag gehalten hat. Typischerweise werden in diesen Fällen auf Basis der sogenannten Vertragstreue die Leistung und Gegenleistung der Vertragsparteien miteinander verknüpft. Im weiteren Verlauf wird aber verstärkt auf die Argumentationstechnik und die damit verbundenen Fehlschlüsse im (Risiko-)Management abgestellt. Analog zum dogmatischen Fehlschluss oder Bestätigungsfehler ist auch die Forderung bekannt, dass der Kritiker einer Behauptung beweisen solle, dass die Behauptung falsch ist. Da die Pflicht zur Begründung oder zum Beweis einer Behauptung, die Beweislast, aber stets beim Behauptenden und nicht beim Kritiker liegt, handelt es sich bei dieser Form von Tu-quoque-Argument um eine Beweislastumkehr. Dem Kritiker wird die eigene Pflicht aufgebürdet.

46. Tu quoque

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Der Fehlschluss in diesem Argument liegt darin, dass wir versuchen, dasselbe Argument zu ignorieren und gleichzeitig anzuwenden. Wir ignorieren die Kritik des Anderen und fordern im gleichen Atemzug von ihm, unsere Kritik zu akzeptieren. Dies wiederum funktioniert nicht, da es unterschiedliche Maßstäbe an die einzelnen Gesprächspartner anlegt. Getreu dem Motto „Getroffene Hunde bellen“ wird der Tu-quoqueFehlschluss als Ablenkungsmanöver angewendet, wenn es keine ausreichenden, sachlichen Argumente für oder gegen eine Position mehr gibt. Der Tu-quoque-Irrtum ist häufig ein Versuch, von eigener Schuld oder Problemen abzulenken. Ein Trugschluss entsteht immer nur dann, wenn die Aussagen mit Verweis auf den Gegenüber gezielt eingesetzt werden, um Kritik zu neutralisieren und vom eigentlichen Problem abzulenken. Lassen Sie sich also nicht von Ablenkungsmanövern und sonstigen Nebelkerzen die Sicht auf die zugrundeliegenden Argumente vernebeln! Denn in die Entscheidungsfindung sollten nur harte Fakten und keine nicht belegbaren, subjektiven Empfindungen einfließen. Sicherlich mag beispielsweise

bei Mitarbeiterbeurteilungen auch der

Vergleich mit Kollegen eine Rolle spielen, dies darf aber keine Entschuldigung für Fehlverhalten oder Schlechtleistung sein.

47. Mentale Buchführung

47. Mentale Buchführung Warum Geldbeträge für uns, subjektiv betrachtet, unterschiedliche Werte einnehmen können

Die Theorie der mentalen Buchführung (Mental Accounting) geht auf die Arbeiten des Wirtschaftsnobelpreisträgers Richard Thaler zurück. Der objektive Preis einer Ware ist zu einem bestimmten Zeitpunkt grundsätzlich für jeden Käufer gleich. Der Ansatzpunkt der mentalen Buchführung beschreibt allerdings die Erkenntnis, dass der Preis von unterschiedlichen Käufern auch unterschiedlich wahrgenommen wird. Die mentale Buchführung zeigt, dass gleiche Geldbeträge subjektiv gesehen unterschiedliche Werte haben können. In der Verhaltenspsychologie spricht man von Kategorien, in die eine Aufwendung fällt. Demnach teilen wir unsere Ausgaben in verschiedene Bereiche auf, wie zum Beispiel: Auto, Wohnung, Essen, Freizeit oder Hobby. Unser Gehirn versieht diese Kategorien mit verschiedenen Budgets, welche diesen zur Verfügung stehen. Dass diese mentale Buchführung zu unvernünftigen Entscheidungen führt, zeigt folgendes empirisches Experiment, das von Thaler durchgeführt wurde: Situation 1: Sie haben eine Eintrittskarte für eine Vorstellung im Theater für 10 Euro gekauft und merken an der Kasse, dass Sie diese verloren haben und müssen nun eine zusätzliche Karte erstehen. Damit würde Sie die Karte insgesamt 20 Euro kosten. Situation 2: Stellen Sie sich nun vor, Sie bemerken beim Abholen ihrer reservierten Karte an der Kasse, dass Sie 10 Euro Bargeld © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_47

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47. Mentale Buchführung verloren haben und die Karte vom anderen Geld bezahlen müssen. Auch in dieser Situation kostet Sie die Karte effektiv 20 Euro.

Erstaunlicherweise waren in Situation 1 insgesamt 56% der Befragten nicht dazu bereit, sich eine neue Karte zu kaufen und gingen wieder nach Hause. In Situation 2 waren 88% der Befragten dazu bereit, sich die Karte zu kaufen. Und genau hier zeigt sich die Wirkungsweise der mentalen Buchführung sehr deutlich. In der zweiten Situation wurden die verlorenen 10 Euro dem Konto „Verlust Bargeld" zugeschlagen. Der mentale Preis der Eintrittskarte blieb damit bei 10 Euro, während er im ersten Fall auf 20 Euro stieg und damit den Nutzen von 56% der Befragten überstieg. Rational betrachtet, sind Entscheidungen im Kaufverhalten der Menschen zum Teil völlig unsinnig und erklären sich erst durch die Annahme der mentalen Buchführung. Für Anleger wirkt das Phänomen der mentalen Buchführung vereinfachend. Beispielsweise, wenn zwei Investments getrennt betrachtet und bewertet werden, obwohl der Kursverlauf zweier Anlagen in Wirklichkeit korreliert. Die Peak-End-Regel des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman besagt, dass man sich beim Urlaub zumeist an den Höhepunkt und das Ende erinnert, der Rest wird vergessen. Wenn Sie am Ende der Reise nun an der Hotelrezeption eine horrende Rechnung samt Essens- und Getränkekonsum berappen müssen, der Rezeptionist sogar noch unfreundlich

ist oder

sonstige

unverständliche

Positionen

und

Zuschläge auf der Rechnung erscheinen, kann dies sehr schnell die Urlaubserinnerung belasten. Psychologen kennen deshalb die Taktik

47. Mentale Buchführung

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des Precommitments: bezahle zuerst, konsumiere danach – eine Spielform des Mental Accounting, die uns Geldausgaben besser verschmerzen lässt. Selbst wenn Sie Geld „gewonnen“, also unerwartet erhalten haben – zum Beispiel durch eine Steuerrückerstattung, durch Boni oder Lottogewinne – sollten Sie nicht den „Fehler“ der mentalen Buchhaltung machen und dieses verprassen. Achten Sie genau darauf, dass Sie dieses nach denselben strengen Vorgaben einsetzen und investieren, wie das aus dem Job hart verdiente Geld! Im Risikomanagement umfasst dies beispielsweise Fälle, in denen die Ausfallquote deutlich niedriger als erwartet ist. Hier sollte die „gewonnene“ Marge nicht direkt wieder zur Preissenkung verwendet werden. Umgekehrt sollten Sie – wie auch beim Fehlschluss der irreversiblen

Kosten – speziell bei Investitionsprojekten, die deutlich aus dem „Budget-Ruder“ laufen, genau darauf achten, dass Sie dem schlechten Geld nicht noch gutes Geld hinterherwerfen. Prüfen Sie also genau, ob es noch Sinn macht, zusätzliches Geld zu investieren und ob die Investition damit trotzdem noch einen positiven Return erwirtschaften kann. Und das Ganze bitte (so gut es geht) nach objektiven Maßstäben und nicht getrieben von mentalen Konten!

48. Hierarchie-Gläubigkeit

48. Hierarchie-Gläubigkeit „Du sollst nicht kritisieren und schon gar nicht den Chef!“

Hat ein Beobachter es mit einer Führungskraft zu tun, die auf den oberen Hierarchiestufen des Unternehmens steht, so neigt er unter Umständen dazu, sie positiver zu beurteilen. Dies kann sowohl bewusst – zum Beispiel aus Furcht vor (vermeintlichen) Sanktionen seitens des Höhergestellten – als auch unbewusst geschehen. Hinter der unbewussten Überschätzung steht dann die Annahme: „Wer es so weit gebracht hat, der wird auch was draufhaben.“ Die HierarchieGläubigkeit sitzt häufig sehr tief. Im Gegensatz dazu beschreibt der Benjamin-Effekt die Unterschätzung beziehungsweise strengere Beurteilung eines Kandidaten aus Status-Gründen. Hier steht allerdings weniger die Hierarchie-Position als vielmehr die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit sowie das Alter der betreffenden Person im Mittelpunkt. Jungen Kandidaten, die erst seit relativ kurzer Zeit Teil des Unternehmens sind, wird dann ungeachtet ihrer tatsächlichen Leistung pauschal weniger zugetraut als älteren, alteingesessenen Mitarbeitern. Wenn man sich nun noch das „Peter-Prinzip“ in Kombination zur blinden Hierarchie-Gläubigkeit vor Augen führt, sieht man die potenzielle Sprengkraft für ein Unternehmen. Das Peter-Prinzip geht dabei zurück auf eine These des Schulpsychologen Laurence Peter und besagt, dass „nach einer gewissen Zeit jede Position von einem Mitarbeiter besetzt [wird], der unfähig ist, seine Aufgaben zu erfüllen“. Ein Unternehmen, in dem das Peter-Prinzip weit verbreitet ist und in dem eine © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_48

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48. Hierarchie-Gläubigkeit

blinde Hierarchie-Gläubigkeit vorherrscht, ist damit dem Tode geweiht! Als Führungskraft sollten Sie deshalb zum einen besonders darauf achten, dass die richtigen Personen an den richtigen Stellen sitzen und es kein „Wegloben“ gibt oder Beförderungen nur nach Betriebszugehörigkeit und weniger nach Leistung vorgenommen werden. Zum anderen ist es sehr wichtig, dass in Ihrer Unternehmenskultur keine falsche Hierarchie-Gläubigkeit entsteht. Eine offene Feedback-Kultur, in der kritische Themen diskutiert und angesprochen werden (dürfen), ist essenziell wichtig für einen nachhaltigen Erfolg. Ansonsten kann es schnell zu einer Situation kommen, in der alle Mitarbeiter im Unternehmen bis auf eine Person (nämlich Sie) wissen, dass viel zu große Risiken eingegangen werden, Sie aber weiterhin fest davon überzeugt sind, dass alles passt. Es geht Ihnen dann so, wie dem Kaiser in der Novelle „Kleider machen Leute“ vom Hauptmann von Köpenick. Aus Furcht um seine Stellung und seinen Ruf spricht wider besseren Wissens niemand nicht einmal der treueste Minister des Kaisers - die offensichtliche Wahrheit aus: nämlich, dass der Kaiser keine neuen Kleider anhat, sondern völlig nackt ist und Betrügern, die sich als Schneider ausgegeben und ihm versprochen haben, ihm prächtige Kleider zu schneidern, aufgesessen ist. Erst ein unschuldiges Kind spricht die Wahrheit aus, indem es bemerkt, dass der Kaiser ja nackt sei. Um eine offene Unternehmenskultur zu etablieren und sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter den Mut haben – wie im obigen Beispiel das Kind – die Wahrheit offen anzusprechen, sollten sie dies regelmäßig einfor-

48. Hierarchie-Gläubigkeit

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dern und sicherstellen, dass offenes und kritisches Feedback nicht nur nicht bestraft, sondern sogar belohnt wird. Starres Hierarchiedenken und falsche Eitelkeiten des Top-Managements müssen dringend abgeschafft beziehungsweise verhindert werden. Speziell was eine offene und konstruktive Feedback-Kultur anbelangt, können Sie sich bei den amerikanischen Technologieunternehmen wie Google, Apple, Facebook oder auch Tesla orientieren. Denn diese Unternehmen haben begriffen, dass nicht die Großen die Kleinen fressen, sondern die Schnellen die Langsamen. Und nur, wenn alle vorhandenen Ressourcen und alles vorhandene Wissen genutzt werden/wird, kann eine optimale Lösung erarbeitet werden. Sie müssen ja nicht gleich wie Google einen „Pinguin-Award“ einführen, um die größten Fehlschläge und gescheiterten Projekte auszuzeichnen, vielfach ist es schon ein erster Schritt, wenn die Mitarbeiter merken, dass die Hierarchiestufen flach und durchlässig sind. Bieten Sie außerdem den Mitarbeitern an, dass Sie sich jederzeit bei Ihnen melden dürfen und fordern Sie dies auch regelmäßig und aktiv ein. – Gleichzeitig ist dies aber auch eine Verpflichtung an Sie. Denn wenn sich jemand meldet, müssen Sie auch handeln beziehungsweise dürfen nicht beleidigt sein, wenn Sie kritisiert werden!

49. Argumentum ad logicam

49. Argumentum ad logicam Nur weil eine Begründung schwach ist, muss die Schlussfolgerung nicht falsch sein

Der Begriff „Argumentum ad logicam“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet frei übersetzt „Argument vom Irrtum“. Es wird auch teilweise Irrtum vom Irrtum (Fallacy Fallacy), Widerlegung durch Irrtum (Disproof by Fallacy) oder Schlechte-Gründe-Fehlschluss (Bad Reasons Fallacy) genannt. Das Argument vom Irrtum bezeichnet den Fehlschluss, dass eine Schlussfolgerung falsch sein muss, nur weil ein vorgelagertes Argument falsch war. Nur weil ein Aktienanalyst davon ausgeht, dass das prognostizierte Wirtschaftswachstum von 3% auch den Aktienkurs des Unternehmens in die Höhe treibt, heißt dies nicht, dass der Aktienkurs nicht steigt, wenn das Wirtschaftswachstum niedriger ausfällt und beispielsweise nur um 1% steigt. Denn vielleicht hat ein anderer Analyst noch weitere Informationen und weiß beispielsweise, dass durch eine ProduktNeueinführung ein komplett neuer Markt erschlossen werden kann. Auch der folgende, fiktive Dialog zeigt den Irrtum vom Irrtum und die Tatsache, dass eine Schlussfolgerung nicht automatisch falsch sein muss, nur weil unterstützende Aussagen hierzu falsch waren: Peter:

Ich spreche deutsch. Also bin ich Deutscher.

Thomas:

Österreicher und Schweizer sprechen, unter anderem, auch deutsch. Indem du angenommen hast, dass deutsch sprechen und deutscher Staatsbürger zu sein,

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_49

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49. Argumentum ad logicam immer miteinander einhergehen, bist du einem Pauschalisierungsirrtum aufgesessen. Du hast also Unrecht und deshalb bist du auch kein Deutscher.

Natürlich war Peters vorgelagertes Argument, dass jeder, der deutsch spricht, auch Deutscher sein muss, falsch. Seine Schlussfolgerung dass er selbst Deutscher ist - muss es hingegen nicht zwingend sein. Ein zweiter, ebenfalls fiktiver Dialog macht deutlich, wie das Argument vom Irrtum instrumentalisiert werden kann, um als Steilvorlage für einen Fehlschluss zu dienen: Lisa:

Wir

sollten

mehr

gesunde

Lebensmittel

essen.

Schließlich weisen Ernährungswissenschaftler ja auch regelmäßig darauf hin, wie beliebt es ist. Marie:

Wir sollten deshalb doch viel lieber die doppelte Menge an Cheeseburgern mit Speck essen, schließlich sind die noch beliebter.

Streng genommen wird der Irrtum vom Irrtum nur begangen, wenn eine Schlussfolgerung als falsch abgelehnt wird, weil ein Argument dafür irreführend ist, und man deshalb einen logischen Trugschluss begeht. Für einen logischen Trugschluss reicht typischerweise nicht nur irgendein schlechtes Argument. Wenn ein Argument für eine Schlussfolgerung keinen Trugschluss begeht, aber aus irgendeinem anderen Grund ungültig oder nicht stichhaltig ist, dann begeht man den allgemeineren Fehlschluss der „schlechten Gründe“ und nicht den Irrtum vom Irrtum.

49. Argumentum ad logicam

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Im Zusammenhang mit dem Argument vom Irrtum, fordern die Amerikaner häufig dazu auf, „Don’t shoot the message“, man solle also nicht die Nachricht (voreilig) „erschießen“. Nur weil der Bote blöd sei, heiße es noch lange nicht, dass die Nachricht es auch ist. Das Argument

vom

Irrtum

kann

auch

als

eine

Sonderform

des

Argumentum ad hominem verwendet werden, wenn gezielt die Glaubwürdigkeit oder Fähigkeiten des Gegners infrage gestellt werden sollen, um die Position des Gegners zu schwächen und so das „Publikum“ zu beeinflussen. Bei sämtlichen Diskussionen und Prüfungen von Argumenten sollten Sie natürlich einerseits prüfen, ob die Argumente und Begründungen stichhaltig sind. Andererseits sollten Sie aber eben nicht dem Argument vom Irrtum aufsitzen und - sobald eine Behauptung oder ein unterstützendes Argument falsch oder zumindest sehr schlecht vorgetragen werden - die generelle Schlussfolgerung infrage stellen. Machen Sie sich die Mühe und prüfen Sie, ob dies wirklich Einfluss auf die ursprünglich gezogene Schlussfolgerung hat und ob diese damit wirklich hinfällig ist. Auch eine Beweislastumkehr kann in diesem Kontext sinnvoll sein. So können Sie beispielsweise – zumindest vorläufig – einen bestimmten, von Ihnen als unwahrscheinlich eingeschätzten, Vorgang oder eine strategische Planung ablehnen, sofern keine ausreichenden Beweise hierfür vorgelegt wurden. Indem Sie zum Beispiel den Einreichenden eines solchen Vorschlags zeigen, dass alle gängigen Argumente für eine bestimmte Aussage trügerisch erscheinen und die Beweislast auf den Befürworter des Plans gelegt wird, verhindern Sie den Irrtum vom Irrtum.

50. Sonnenblumeneffekt

50. Sonnenblumeneffekt Wenn der Chef nur noch das hört, was er vermeintlich hören will

Der Sonnenblumeneffekt (teilweise auch Sonnenblumen-Management genannt) beschreibt die Tendenz einer Gruppe von Mitarbeitern (=Sonnenblumen), sich an der Meinung oder vermeintlichen Meinung der Führungskräfte zu orientieren. Quasi wie eine Sonnenblume, die ihren Kopf in Richtung der stärksten Quelle von Wärme und Kraft, der Sonne, reckt. Das große Problem hierbei ist allerdings, dass dadurch die Innovationskraft im Unternehmen erlischt, weil die gleichen Methoden und Denkweisen gefördert werden und der Fluss neuer Ideen erstickt. Sehr anschaulich hat der ehemalige CFO des Energieversorgers RWE, Bernhard Günther, den Einfluss des Sonnenblumeneffekts auf Investitionsentscheidungen beschrieben (vgl. Heiligtag 2017). Er zeigte auf, dass RWE zwischen 2005 und 2010 mehr als 10 Milliarden Euro für große Investitionsprogramme und Akquisitionen in konventionellen Kraftwerken ausgegeben hat: „Wir haben auf die Annahmen steigender Rohstoffpreise und stetig steigender Strompreise gesetzt. Was wir völlig unterschätzt haben, war die Wende in der öffentlichen Meinung zur konventionellen Stromerzeugung, zum Beispiel die ökologische Transformation des deutschen Energiesektors und der technologische Fortschritt bei der Erzeugung erneuerbarer Energien und die damit verbundenen Produktionskosten." © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_50

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50. Sonnenblumeneffekt Er führte außerdem aus: „Was offensichtlich wurde, war, dass wir einer Reihe von kognitiven Verzerrungen zum Opfer gefallen waren. Wir konnten sehen, dass Status quo Verzerrungen und

Bestätigungsfehler uns zur Annahme verleiteten, dass die Welt immer so sein würde, wie sie einmal war. Wir haben auch den

Sonnenblumeneffekt klar gespürt. „Wenn der Chef zuerst spricht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mitarbeiter eine abweichende Meinung äußert, sehr niedrig." Explizit angesprochen auf den Sonnenblumeneffekt erklärte Günther ferner: „Unsere Untersuchungen ergaben, dass er auf fast allen Ebenen unserer Organisationshierarchie vorkam. Zum Beispiel gab es ein Gefühl in der Abteilung, die Investitions- und Unternehmensbewertungen für wichtige Entscheidungen vorbereitete, dass bestimmte Szenarien nicht erwünscht wären." Achten Sie bei der Personalauswahl darauf, dass Sie nicht immer nur dieselben Persönlichkeitstypen einstellen. Ray Kroc, der ehemalige CEO von McDonald’s, brachte es anschaulich auf den Punkt, als er feststellte: „Wenn ein Unternehmen zwei Führungskräfte hat, die ähnlich denken, ist einer von ihnen überflüssig“. Die meisten Führungskräfte umgeben sich mit Menschen, von denen sie wissen, dass sie sie unterstützen. So bringt ein CEO, der von außerhalb kommt, sehr häufig auch sein eigenes Team mit. Dies geschieht vordergründig aus Gründen der Effizienz und um Dissens zu vermeiden. Die Grenze zwischen guter Teamarbeit und dem Fördern von „Sonnenblumen“ ist dabei jedoch sehr schmal!

50. Sonnenblumeneffekt

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Um dem Sonnenblumeneffekt Herr zu werden beziehungsweise ihn überhaupt gar nicht erst entstehen zu lassen, ist eine offene Unternehmenskultur, die offenes und ehrliches Feedback einfordert, nötig. Und zwar explizit von oben herab. Das heißt, die Führungskräfte müssen dies immer wieder den Mitarbeitern verdeutlichen und dies auch belohnen. Warum zahlen Unternehmen denn an Beratungsgesellschaften häufig Unsummen an Geld? Die meisten Erkenntnisse zu Prozessen und Verbesserungspotenzialen sind ohnehin schon im Unternehmen vorhanden. Der einzige, aber entscheidende, Unterschied ist allerdings, dass den Beratern Gehör geschenkt wird beziehungsweise dass diese die Dinge auch offen und direkt ansprechen. Nur wenn es Ihnen gelingt, eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder einzelne Mitarbeiter genügend Vertrauen hat, seine Meinung offen zu äußern, können Sie sich die teuren Beraterhonorare sparen. Eine solche Unternehmenskultur zu etablieren, dauert allerdings einige Zeit und muss sich entwickeln. Trotzdem gibt es kleine Dinge, die Sie sofort umsetzen können. Nehmen Sie das geschilderte Beispiel von RWE als Ansatz, um zu bestimmen, welche Fehler Sie umgehen sollten. So kann es beispielsweise ein sehr einfacher Ansatzpunkt sein, wenn Sie in einer Besprechung die Meinungen in umgekehrter hierarchischer Reihenfolge vortragen lassen. Das heißt, der Chef spricht als letztes, damit er nicht die anderen Mitarbeiter beeinflusst beziehungsweise die Mitarbeiter sich trauen, auch abweichende Meinungen vorzutragen.

51. Diversifikations-Mythos

51. Diversifikations-Mythos Diversifikation ist kein Allheilmittel, eher eine Vorsichtsmaßnahme gegen Ignoranz

Für das Thema Diversifikation gibt es fast ausnahmslos Zustimmung. Das Sprichwort „legen Sie nicht alle Eier in einen Korb“ dürfte jeder Anleger kennen und auch die klassische Portfoliotheorie von Harry Markowitz, anhand derer der risikomindernde Effekt der Diversifikation hervorgeht, ist wohl jedem geläufig. Lassen Sie uns doch bitte einmal das folgende Gedankenexperiment vornehmen: Wenn Sie heute eine Zeitreise zehn Jahre zurück in die Vergangenheit machen und dann investieren könnten, würden Sie dann diversifizieren? Wohl eher nicht. Denn Sie wüssten ja, welche Anlage sich zehn Jahre später am besten entwickelt hätte und würden Ihr gesamtes Geld in diese eine Anlage stecken. Hätte sich beispielsweise Gold am besten entwickelt, würden Sie nun als Zeitreisender so viel Gold wie nur möglich kaufen – und sonst gar nichts. Hätte sich die Aktie von Apple über zehn Jahre hinweg am besten entwickelt, würden Sie auf keinen Fall einen Aktienfonds kaufen, der in möglichst viele einzelne Aktien investiert, sondern würden all Ihr Geld einzig und allein in Apple-Aktien stecken. Sie sehen also: Diversifikation ist nur eine Vorsichtsmaßnahme gegen Unwissenheit und Unsicherheit. Weil wir nicht wissen, wie sich die Zukunft entwickelt, streuen wir unser Geld lieber über unterschiedliche Anlagen, um damit das Risiko zu mindern, dass wir auf das falsche Pferd setzen. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_51

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51. Diversifikations-Mythos

Wenn Sie „nicht alle Eier in einen Korb“ legen, vermeiden Sie einerseits, die allerschlechtesten Investitionen zu tätigen, aber andererseits berauben Sie sich auch der Chance, die maximalen Gewinne aus Investitionen zu erzielen. Der Diversifikations-Mythos wird außerdem maßgeblich von der Verlustaversion gespeist. Im Kerngeschäft mag es deshalb legitim und auch sinnvoll sein, alle oder einen großen Teil der Kräfte und auch Investitionen auf einen Fokusbereich zu konzentrieren. Hierdurch besteht die Möglichkeit, den Markt „outzuperformen“, das heißt, sich überdurchschnittlich gut zu entwickeln. Dies heißt natürlich nicht, dass Sie sich nur auf einen einzelnen Kunden konzentrieren sollten. Aber eine Konzentration auf ein Fokusprodukt und einen regionalen Markt müssen nicht zwingend schlecht sein. Speziell bei sehr langfristigen und eher intransparenten, strategischen Entscheidungen und Investitionen hingegen, macht es durchaus Sinn, zu diversifizieren. Denn je größer die Unsicherheit ist, umso höher ist auch das Risiko. Es muss dabei aber natürlich sehr genau darauf geachtet werden, dass es sich auch wirklich um eine präzise Diversifikation handelt. Bei Aktien mag dies noch relativ einfach sein, bei Investitionsoptionen und der Erschließung von neuen Geschäftsbereichen ist dies schon deutlich schwerer. Denn sobald gewisse Querverbindungen

und

Abhängigkeiten

zwischen

einzelnen

Bereichen

bestehen, kann sich eine Diversifikation schnell als ineffektiv erweisen. Wenn ein Maschinenbauer einen Automobilzulieferer übernimmt, kann schnell eine gewisse Abhängigkeit von der Automobilbranche entstehen. Aus Diversifikationsaspekten wäre es vielleicht interessanter, ein

51. Diversifikations-Mythos

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Reisebüro zu übernehmen. Da diese beiden Bereiche aber keinerlei Überschneidungspunkte im operativen Tagesgeschäft haben, gibt es auch keine Synergiepotenziale, die häufig einen erheblichen, positiven Effekt haben. Aus diesem Grund findet man in der Praxis viel häufiger eine

regionale

Diversifikation.

Anstatt

auf

ein

ganz

anderes

„Geschäftsmodell-Pferd“ zu setzen, diversifizieren viele Firmen lieber regional. Diversifikation ist nämlich kein Allheilmittel. Mindestens genauso wichtig ist es, dass man sich genau in den Geschäftsfeldern auskennt, in denen man investiert und in die man den Großteil der zur Verfügung stehenden Ressourcen steckt. Der erfolgreichste Investor des 20. Jahrhunderts, Warren Buffett, brachte dies sehr anschaulich mit dem folgenden Vergleich auf den Punkt: „Konzentrieren Sie Ihre Investments, denn wenn Sie über einen Harem von 40 Frauen verfügen, lernen Sie auch keine richtig kennen“. Die unterschiedlichen Optionen, die für eine Diversifikation herangezogen werden, müssen sehr sorgsam ausgewählt werden, damit sie ihre gewünschte, risikoreduzierende Wirkung einnehmen. Nur fünf verschiedene Investitionen zu tätigen, heißt noch lange nicht, dass man ausreichend und stabil diversifiziert.

52. Verlustaversion

Gewinn Verlust

52. Verlustaversion Bloß nichts verlieren!

Die Verlustaversion ist Teil der Prospect Theory, die 1979 vom Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und Amos Tversky aufgestellt

wurde.

Gemäß

dieser

Erkenntnis

werden

Verluste

tendenziell höher gewichtet als Gewinne. Wenn wir also 500 Euro verlieren, ärgert uns das mehr, wie wir uns über einen Gewinn von 500 Euro freuen würden. Wäre der Mensch ein Homo oeconomicus und würde jederzeit vollständig rational und nutzenmaximierend handeln, dürfte sich eine solche Situation nicht einstellen. Psychologen und Verhaltensökonomen haben festgestellt, dass wir einen Verlust etwa doppelt so stark empfinden wie einen Gewinn. Dies erklärt auch, warum wir viel stärker versuchen, einen Verlust zu vermeiden, als zu versuchen, einen Gewinn in ähnlicher Höhe zu erzielen. Colin Camerer zeigte in den 1990er Jahren in Experimenten mit New Yorker Taxifahrern sehr anschaulich die Verlustaversion und einen Verstoß gegen die Theorie des Homo oeconomicus: Die beobachteten New Yorker Taxifahrer hatten allesamt flexible Löhne und damit ein täglich schwankendes Einkommen. In der Theorie des nutzenmaximieren Homo oeconomicus müssten sie nun an Tagen, an denen eine hohe Nachfrage besteht, lange arbeiten, um ein hohes Einkommen zu erzielen und die Tage mit niedriger Nachfrage zu kompensieren. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_52

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52. Verlustaversion Es zeigte sich allerdings ein völlig anderes Verhalten. Die Taxifahrer setzen sich ein tägliches Umsatzziel, welches sie unabhängig von der Nachfrage erreichen wollten. An Tagen, an denen kaum Nachfrage vorhanden war, arbeiteten die Fahrer viel länger, um diese Summe zu erreichen. Das Verhalten war damals also komplett umgekehrt, als man rein rational erwarten könnte.

Ein weiteres, einfaches Beispiel der Verlustaversion lautet wie folgt: Wenn Sie einer risikoaversen Person ein Glücksspiel (einen einfachen Münzwurf) mit einer 50:50-Gewinnchance von 100 Euro und einem Verlust von 75 Euro anbieten, wird sie dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht akzeptieren. Denn die Zufriedenheit des Gewinnens von 100 EUR wird kleiner sein als die Unzufriedenheit, 75 Euro zu verlieren, obwohl das Glücksspiel einen positiven Erwartungswert hat. Die Verlustaversion zeigt sich beispielsweise auch beim Besitztumseffekt beziehungsweise der Status-quo-Verzerrung. Dadurch, dass wir fast doppelt so emotional bei Verlusten sind wie bei Gewinnen, kommt es auch vor, dass wir übermäßig lange an verlustreichen Investments kleben und schlechtem Geld gerne noch sehr lange gutes Geld hinterherwerfen. Nach Meinung von Kahneman und Tversky ist die Verlustaversion auch der Hauptgrund für den Fehlschluss der irreversiblen

Kosten. Die Theorie der Verlustaversion ist zwar nicht gänzlich unumstritten, aber sie konnte durch einige Experimente bestätigt werden. Sicherlich gibt es unterschiedliche Ausprägungsformen der Verlustaversion, je nachdem wie die Risikoneigung der handelnden Personen und wie die Risikostrategie gelagert ist. Was allerdings für alle Risiko-

52. Verlustaversion

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typen gilt, ist die Zielrichtung, dass sich Risiken und Chancen einigermaßen in der Waage halten sollten. Das heißt, es ist einerseits nicht zielführend, zu versuchen, jegliche Risiken zu vermeiden. Denn Unternehmer zu sein, bedeutet nun einmal, auch Risiken einzugehen, also etwas zu „unternehmen“. Natürlich sollten stets die Chancen überwiegen. Denn Sie würden es wohl nicht lange durchhalten können, alle Risiken einzugehen. Speziell bei Finanzdienstleistern kommt der Berücksichtigung von Alpha- und Beta-Fehlern eine wichtige Rolle bei der Beurteilung des Ausfallrisikos zu. Hierdurch wird versucht, auch eine Opportunitätskostenperspektive hineinzubringen und eine allzu hohe Verlustaversion aufzuzeigen. Denn eine zu hohe Verlustaversion würde sich in einem hohen Beta-Risiko, also einem hohen Anteil abgelehnter, „guter“ Kunden oder Engagements, niederschlagen. Seien Sie sich der Verlustaversion bewusst und prüfen Sie bei wichtigen, strategischen Entscheidungen, ob ein etwas höheres Maß an Risikoakzeptanz vielleicht doch rational wäre. – Natürlich nur dann, wenn hierdurch die erwarteten Chancen überwiegen. Und lassen Sie sich nicht von etwaigen, einmaligen Rückschlägen entmutigen. Viel wichtiger ist, dass Sie wieder aufstehen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen, damit dieselben Fehler nicht nochmals gemacht werden.

53. Wissensriesen und Realisierungszwerge

53. Wissensriesen und Realisierungszwerge Volition auf schwäbisch: „net schwätze, schaffe!“ Fast jedes Unternehmen hat hoch gesteckte Ziele. Auch verfügen die meisten von Ihnen zusammen mit Ihren Mitarbeitern über eine Menge Potenzial und Ressourcen. Doch diese „PS“ müssen Sie erst einmal „auf die Straße“ bringen. Denn in der Realität zeigt sich, dass wir Deutschen 82 Millionen Bundestrainer haben, die allesamt wissen, wie man die Fußball-Nationalmannschaft am besten trainiert und aufstellt. Dass wir dabei allerdings nur in der Theorie gut sind, es aber an der Umsetzung hapert, wird schnell vergessen. Schließlich sitzen viele im bequemen Fernsehsessel mit einem Bier in der Hand. Genauso oder zumindest so ähnlich verhält es sich auch im Unternehmensalltag. Es bringt nichts, die besten Ideen zu haben, wenn wir sie nicht umsetzen. Wer der Frage nachgeht, was den beruflichen Erfolg von Unternehmern maßgeblich beeinflusst, stellt fest, dass es einen Faktor gibt, der noch weit wichtiger ist als Fachwissen, Persönlichkeit oder Motivation: die sogenannte Volition. Unter Volition wird die Fähigkeit verstanden, sich selbst und seine Handlungen so zu steuern, dass ein definiertes Ziel, selbst bei den widrigsten Umständen wie Interessenskonflikten oder Ressourcenproblemen, erreicht wird. Hierauf hat auch der Managementvordenker Peter

Drucker

abgestellt,

als

er

die

Bedeutung

des

Selbst-

Managements als Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts herausgestellt hat.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_53

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53. Wissensriesen und Realisierungszwerge

Erkenntnisse aus neurowissenschaftlichen Studien belegen eindrucksvoll die Wichtigkeit der Volition. Demnach sind Personen mit ausgeprägten Fähigkeiten zur Selbststeuerung belastbarer und leistungsfähiger. Sie wissen nicht nur, was zu tun ist, sondern sie tun es auch, indem sie unbeirrt Kurs aufs Ziel halten und erst wieder davon ablassen, wenn sie es erreicht haben. Untersuchungen der Universität St. Gallen und der London Business School ergaben, dass lediglich zehn Prozent der Führungskräfte über ein hinreichendes Maß an Umsetzungskompetenzen verfügen. Der Großteil der untersuchten Manager ließ Willensstärke, Selbstdisziplin, Konsequenz und Fokussierung vermissen und war stattdessen hyperaktiv, erfolglos, distanziert und zögerlich. Dies bestätigt also auch die von Professor Reinhold Würth vertretene These, dass ein Großteil der Menschen einerseits „Wissensriesen“, aber andererseits auch „Realisierungszwerge“ seien. Und bei Führungskräften verhält es sich wohl ganz genauso. Um die eigenen Führungskräfte zu Realisierungsriesen zu entwickeln, ist es wichtig, dass verstärkt die Umsetzung von Projekten und Vorhaben in den Mittelpunkt gestellt wird. Denn ohne einen „Action Plan“ ist das Risikomanagement nur ein Papiertiger! Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass Fehler in der Umsetzung gemacht werden dürfen. Denn eine Schuldzuweisungskultur führt häufig dazu, dass niemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und/oder etwas Neues auszuprobieren. Im Rahmen der Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung lassen sich die Umsetzungskompetenzen auch systematisch trainieren. Leben

53. Wissensriesen und Realisierungszwerge

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Sie Konsequenz und Tatendrang vor. Der Gründer von Tesla und SpaceX, Elon Musk, beispielsweise möchte alle unnötigen Meetings dadurch reduzieren, dass er Mitarbeiter, die in einem Meeting dabei sind, aber noch nichts dazu beigetragen haben, fragt, warum sie denn bei dieser Besprechung dabei sind. Konzentrieren Sie sich auf die wirklich wertschöpfenden, produktiven Tätigkeiten und reduzieren Sie alles andere auf ein Minimum. Um eine größtmögliche Umsetzungskompetenz bei Ihnen und Ihren Mitarbeitern zu erreichen, sollten Sie die folgenden fünf Punkte versuchen zu erreichen: 1. Fokussierung auf das Wesentliche 2. Zielführendes Emotions- und Stimmungsmanagement 3. Selbstvertrauen und Durchsetzungsstärke 4. Vorausschauende Planung und kreative Problemlösung 5. Zielbezogene Selbstdisziplin durch tieferen Sinn der Arbeit Stellen Sie sicher, dass Sie selbst und Ihre Mitarbeiter sich auf Ihr/ihr Kerngeschäft konzentrieren können, dass eine positive Gefühlslage vorherrscht, Selbstvertrauen in die eigene Kraft und Stärke vorhanden ist – etwa indem Erfolge auch gefeiert werden, aber auch die Ziele entsprechend geplant werden und die Arbeit nicht nur um der Arbeit willen getan wird, sondern einen tieferen Sinn enthält. Wenn Sie all dies berücksichtigt und umgesetzt haben, darf ich Sie herzlich beglückwünschen, denn dann gehören Sie zu einer vom Aussterben bedrohten Spezies: den Realisierungsriesen.

54. Fat tails und die Normalverteilungsillusion

54. Fat tails und die Normalverteilungsillusion Warum Ausreißer viel häufiger vorkommen, als wir denken

Den meisten Risikomodellen liegen eine Normalverteilungsannahme oder Abwandlungen hiervon zugrunde. Typisch sind außerdem die Ausreißer beziehungsweise Extremwerte, die sich an den „Rändern“ bewegen. Diese „fetten“ Verteilungsenden werden auch „Fat Tails“ genannt und sind einer der zentralen Kritikpunkte der meisten Risikomodelle. Das Problem vieler Modelle ist die nur unzureichende Modellierung der Extremwerte. Das eine Extrem sind sogenannte „SchönwetterModelle“. Hier verlassen sich die Entscheider blind auf das Modell und klammern zusätzlich die Ausreißer aus. Solche allzu positiven „Schönwetter-Modelle“ führen schnell zu erheblichen Fehlsteuerungsimpulsen. Teilweise wird das Modell des Value-at-Risks auf Basis einer Normalverteilung mit einem Airbag verglichen, der sich ab einer Geschwindigkeit von 120 km/h automatisch abschaltet. In dieser Situation werden ebenfalls die desaströsen Ereignisse, also ein Autounfall mit mehr als 120 km/h systematisch ausgeblendet. In eine ähnliche Kerbe schlägt der französische Mathematiker, Benoît B. Mandelbrot, der kritisiert, dass die meisten Risikomodelle blind für Extremereignisse sind. Auf der anderen Seite wird bemängelt, dass die in zahlreichen Modellen immer noch zugrundeliegende Gaußsche Normalverteilung oder geometrische Brownsche Bewegung in der Regel nicht nur methodisch völlig falsch sind, sondern sogar zu einer trügerischen Sicherheit füh© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_54

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ren. Der New Yorker Professor für Risikoforschung und ehemalige Wertpapierhändler, Nassim Nicholas Taleb, bezeichnet die Normalverteilung sogar als „großen intellektuellen Betrug“ (Taleb 2011, S.279). So treten nämlich Extremereignisse wie die Finanzmarktkrise 2008 in der empirischen Untersuchung viel häufiger ein, als dies mit dem Standardansatz ermittelt wird. Das bereits im Kapitel „Problem der

Induktion“ verwendete Zitat von Matthew Rodman, damals noch Manager bei Lehman Brothers, veranschaulicht dies besonders:

„Mittwoch war die Sorte Tag, an den sich die Leute noch lange erinnern werden. Ereignisse, die wir mit einer Wahrscheinlichkeit von einmal in zehntausend Jahren kalkuliert haben, traten drei Tage lang jeden Tag ein.“ In Analysen konnte nachgewiesen werden, dass extreme Börsencrashs auf Grundlage von Normalverteilungshypothesen nur einmal in 1.087 Jahren eintreten dürfen, während die empirische Beobachtung gezeigt hat, dass solche Entwicklungen etwa alle 38 Jahre eintreten (vgl. Romeike, Heinicke 2008, S.32f.). Prägnant kann man es auf den Punkt bringen, wenn man feststellt: die reale Welt ist nicht normalverteilt. Dies hat auch der langjährige Herausgeber des Journals of Portfolio Management, Peter Bernstein, auf den Punkt gebracht, indem er zu bedenken gab, dass wir zwar viel über das „Management von Volatilität“ wissen, dies aber nicht gleichzusetzen mit „Risikomanagement“ sei (vgl. Bernstein 2000, S.330ff.). Die notwendigen Verfahren, um solche Extremereignisse besser prognostizieren zu können, wie beispielsweise die Extremwerttheorie, haben bis heute nur eine begrenzte Verbreitung erfahren. Ebenso

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wird den sehr komplexen Abhängigkeitsstrukturen von Risiken untereinander in den meisten Modellen nur unzureichend Rechnung getragen. Wenn man sich nun auch noch die Bestrebungen, Risikomanagementmodelle und Six Sigma-Ansätze zu kombinieren, anschaut, kann einem schnell angst und bange werden. Sicherlich ist die Grundidee in Bezug auf einen (nahezu) fehlerfreien Prozessablauf sehr gut. Wenn man sich aber in Bezug auf Risikomodellierungen vorstellt, dass hier ebenfalls ein Konfidenzniveau von sechs Sigma, also 99,99966% erreicht werden soll, ist einem Modellrisiko und einer Fehleinschätzung der Fat Tails Tür und Tor geöffnet. Denn speziell für die Extremereignisse ist es typisch, dass diese nicht allzu häufig auftreten. Und wann genau, lässt sich nicht präzise bestimmen. Im Zweifelsfall kann aber bereits ein einzelner Extremschaden ausreichen, um die Existenz des Unternehmens zu gefährden. Sie sollten sich speziell bei der Risikomodellierung und bei Prognosen nicht einer Null-Fehler-Illusion hingeben. Dies ist schlichtweg unmöglich und kann sehr gefährlich werden, wenn Sie sich ob der hochpräzisen Werte in trügerischer Sicherheit wiegen. Viel wichtiger sind Szenarioanalysen und Stresstests, die sich von der exakten Prognose lösen und prüfen, wo bestimmte Anfälligkeiten für Verluste sind und welche prozessualen Schwachstellen oder Sicherheitsmaßnahmen schon vorbeugend geschlossen/erarbeitet werden können. Neben quantitativen Bewertungen spielt hierbei insbesondere auch eine qualitative Beurteilung mit Ursache-Wirkungszusammenhängen eine zentrale Rolle.

55. Isoliertes Paralleluniversum

55. Isoliertes Paralleluniversum Warum Informationen nie in Silos gelagert werden dürfen

Silos sind per Definition „große Speicher“ und eignen sich deshalb hervorragend zur Lagerung. Etwa in der Landwirtschaft. Wenn allerdings Informationen und Daten „gelagert“ werden sollen, sind Silos denkbar ungeeignet! Speziell in großen Unternehmen mit mehreren Abteilungen und unterschiedlichen Systemen ist dies ein zentrales Problem. Nicht umsonst hat sich im Bankenumfeld die Bankenaufsicht eingemischt und fordert in den Vorgaben zur Risikodatenaggregation (BCBS 239), dass risikorelevante Daten schnell und einheitlich aggregiert und ausgewertet werden müssen. Im

Management-

und

IT-Umfeld

bezeichnen

Silos

solche

(Management-)Systeme, die nicht in der Lage sind, mit anderen Systemen zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Das Silo ist also von anderen, benachbarten Systemen abgeschottet. So entsteht im Unternehmen eine Umwelt aus individuellen, in sich abgeschlossenen, Systemen, die miteinander nicht im Austausch stehen. Es entstehen also Paralleluniversen. Grundsätzlich lassen sich Daten- und Informationssilos unterscheiden. Während Informationssilos durch mangelnde Kommunikation der Mitarbeiter untereinander entstehen, entstehen Datensilos aufgrund von technischen Hürden. In der Regel nutzen verschiedene Abteilungen unterschiedliche Tools zur Kommunikation und zum Management von Daten. So ist das einfache Teilen von Informationen oder gemeinschaftliches Arbeiten teilweise aufgrund inkompatibler Speicher© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_55

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formate und Schnittstellen nicht möglich. Das Vernetzen von Wissen verschiedener Abteilungen gestaltet sich so äußerst schwierig, selbst wenn eigentlich bekannt ist, dass eine solche Vernetzung sinnvoll wäre. Für eine Schnittstellenfunktion, wie das Risikomanagement, sind sämtliche Silos, sowohl Daten- als auch Informationssilos, ein absolutes No-Go. Auch das Risikomanagement darf sich nicht als „Buntstift-Abteilung“ verstehen, die nur schöne Diagramme erstellt und Kennzahlen errechnet. Viel wichtiger ist eine Weiterentwicklung zu einer ganzheitlichen Unternehmenssteuerung. Hierbei werden die Risiken unter anderem in der Planung berücksichtigt und die klassische Unternehmenssteuerung wird zu einer wertorientierten Risikosteuerung ausgebaut. Im Risikomanagement und speziell im Risikocontrolling ist es besonders wichtig, dass ein Gesamtbild gezeigt wird. Eine Konzentration auf einzelne Kennzahlen, wie beispielsweise eine isolierte Betrachtung von Value-at-Risk-Kenngrößen, ist nicht geeignet, den Entscheidungsträgern ein umfassendes Gesamtbild der Gefährdungslage zu bieten. Das Ziel des idealtypischen Risikomanagementkreislaufs und der einzelnen Schritte im Risikomanagement ist es vielmehr, die jeweiligen Risiken so frühzeitig zu identifizieren und zu steuern, dass sie sich noch nicht in wesentlichem Umfang niedergeschlagen haben. Anhand von Limits und Zielgrößen einzelner Risikoparameter und Frühwarnindikatoren sollte in einem gesamtheitlichen System sichergestellt werden, dass eine rationale Risikosteuerung möglich ist.

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Das Entstehen von Silos ist selten ausschließlich auf technische Hürden oder auf Mitarbeiter, die nicht gewillt sind, mit anderen Teams zu kommunizieren, zurückzuführen. Tatsache ist vielmehr, dass sich Daten- und Informationssilos gegenseitig verstärken, indem sie die Hürde zum Austausch anheben. So muss beispielsweise der Unwille zum offenen Informationsaustausch nicht zwingend nur auf den persönlichen Unwillen einzelner Mitarbeiter zurückzuführen sein, sondern kann auch technischer Natur sein. Ist der Aufwand, mit anderen Abteilungen in Kontakt zu treten, höher als der wahrgenommene Nutzen, findet keine Kommunikation statt. Achten Sie also besonders darauf, dass nicht nur die technischen Voraussetzungen vorhanden sind, um Datensilos zu verhindern, sondern auch auf mögliche Informationssilos. Interessenskonflikte innerhalb der Führungsebene, unterschiedliche Abteilungsziele oder auch Wettkämpfe zwischen Geschäftsbereichen sind allesamt nicht förderlich für den Abbau von Parallelstrukturen und Silos. Eine offene Unternehmenskultur und der Wille des Managements, die technischen Hürden zum unternehmensweiten Informationsaustausch zu reduzieren – eventuell sogar durch nur noch ein einziges System oder eben Subsysteme, die allesamt Schnittstellen ins Hauptsystem haben – sind wichtig, um nur noch ein „Hauptuniversum“ zu haben.

56. Entscheidungsverstopfung beim Management

56. Entscheidungsverstopfung beim Management Reden ist Silber, machen ist Gold

Als Entscheidungsträger heißen Sie nicht umsonst „Entscheidungsträger“, denn es ist Ihre Aufgabe, Entscheidungen zu „tragen“ beziehungsweise zu treffen. Wenn Sie sich um Entscheidungen drücken, sich sehr schwer tun, Entscheidungen zu treffen oder sehr undurchsichtige und stimmungsabhängige Entscheidungen treffen, sind Sie fehl am Platz. Führen Sie sich vor Augen, dass die Schnellen die Langsamen fressen und nicht die Großen die Kleinen. Und genau deshalb ist es wichtig, dass Sie Entscheidungen, von denen Sie überzeugt sind, auch sehr schnell und konsequent treffen. Entscheidungsfreude ist dabei natürlich nicht mit überstürzten Entscheidungen zu verwechseln! Jedes Thema und jede noch so gute Idee lässt sich immer auch zerreden. Je mehr Meetings und Besprechungen Sie ansetzen, umso mehr Produktivität geht flöten und umso mehr Endlosdiskussionen werden gestartet. Als Führungskraft ist es Ihre Aufgabe, die richtige Balance zwischen fundierter Entscheidungsfindung und konsequenter Entscheidungsumsetzung zu finden. Um anstehende Entscheidungen übersichtlich zu klassifizieren und möglichst effizient abzuarbeiten, bietet sich das sogenannte Eisenhower-Prinzip an. Es gibt zwar keine Hinweise darauf, dass der namensgebende US-Präsident und Alliierten-General Dwight D.

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Eisenhower dieses Modell selbst praktiziert oder gelehrt hat, aber es erfreut sich sehr großer Beliebtheit im Beratungsumfeld. Auch und

Wichtigkeit Æ

insbesondere, da es sehr anschaulich und einfach strukturiert ist. Wichtig, aber nicht dringlich

Wichtig und dringlich

Exakt terminieren und

Sofort selbst erledigen

selbst erledigen Weder wichtig noch dringlich

Nicht wichtig, aber dringlich

Nicht bearbeiten

An kompetente Mitarbeiter delegieren

Dringlichkeit Æ Abbildung 1: Strukturierung von Aufgaben nach dem Eisenhower-Prinzip

Ihre Aufgabe als Führungskraft ist es nicht, alles selbst zu entscheiden. Vielmehr ist es wichtig, dass Sie die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen. Dies steigert nicht nur die Motivation aller Beteiligten, sondern reduziert auch die Abhängigkeit des Unternehmens von Ihnen und anderen Know-how-Trägern. Gleichzeitig verhindert es Entscheidungsverstopfung, wenn Sie einmal nicht zugegen sind. Sei es nun im Falle von Krankheit, Urlaub, oder sonstiger Abwesenheit. Um Entscheidungen schnell und konsequent zu treffen, bedarf es Mut und Entschlossenheit. Es ist also nötig, dass die Unternehmenskultur Fehler nicht nur erlaubt, sondern auch versucht, gemeinsam daraus schlau zu werden. Denn ansonsten haben Sie schnell die Situation, dass jegliche Entscheidungen versucht werden auszusitzen. Aufschieberitis und Prokrastination entwickeln sich sonst schnell zu einem unternehmerischen Krebsgeschwür. Getreu dem Motto: wer keine Entscheidungen trifft, dem unterlaufen auch keine Fehler.

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Außerdem ist es natürlich ganz und gar nicht hilfreich, wenn nur unbequeme und schwierige Entscheidungen delegiert werden beziehungsweise lediglich die Verantwortung weitergeschoben wird. Achten Sie darauf, dass die Verantwortung stets (bis zu einem gewissen Grad) beim Management verbleibt und Sie nicht nur die unbequemen Aufgaben delegieren. Hätte der Altkanzler Helmut Schmidt im Februar 1962 ebenfalls an Entscheidungsverstopfung gelitten, wäre aus der Sturmflut, die an sich unvermeidbar war, ein noch größeres Unheil entstanden. Denn der Orkan „Vincinette“ sorgte dafür, dass etliche Deiche brachen und das hereinströmende Wasser etliche Stadtteile Hamburgs überflutete. Über 300 Menschen starben allein in Hamburg. Helmut Schmidt war zu dieser Zeit Polizei- und Innensenator der Hansestadt Hamburg und dem Oberbürgermeister Paul Nevermann unterstellt, der zu diesem Zeitpunkt auf Kur war. Schmidt übernahm die Einsatzleitung und entschied eigenmächtig, dass das Militär zur Unterstützung von Technischem

Hilfswerk

und

Rotem

Kreuz

nötig

ist.

Er

war

verfassungsrechtlich zwar nicht befugt, Teile der Bundeswehr anzufordern, tat es aber trotzdem, da er die Wichtigkeit der Entscheidung sah. Dies brachte ihm sehr viel Respekt in der Bevölkerung ein. Sorgen Sie also dafür, dass die Führungskräfte in Ihrem Unternehmen eigenverantwortlich entscheiden können. Sie sollten lediglich grundlegende Handlungsleitplanken definieren, um die „Claims“, also den Wirkungsrahmen, abzustecken. Der Weg zur Entscheidung sollte im Großen und Ganzen den einzelnen Mitarbeitern überlassen bleiben.

57. Intransparenz

57. Intransparenz Transparenz ist für das Risikomanagement wie für den Menschen die Luft zum Atmen

Transparenz

ist

essenziell

wichtig,

um

gute

und

rationale

Entscheidungen zu treffen. Denn nur wenn alle Einflussfaktoren und Unsicherheiten bekannt sind, lassen sich vernünftige Entscheidungen treffen. Ein gut funktionierendes Risikomanagementsystem zeichnet sich dadurch aus, dass es Licht in die Blackbox des Unternehmensumfelds und der möglichen Gefahrensituationen in und um das eigene Unternehmen bringt. Ansonsten fischen Sie sprichwörtlich im Trüben. Jede Entscheidung, die Sie treffen, ähnelt dann dem Versuch von „Topfschlagen im Minenfeld“. Sie haben dann schlichtweg keinerlei Gespür, in welchen Bereichen

unmittelbarer

Handlungsbedarf

besteht

und

welche

Wirkungszusammenhänge bestehen. Ein erhöhtes Maß an Transparenz erhoffen sich viele Unternehmen durch ein integriertes Risikomanagementsystem, bei dem beispielsweise auch die Unternehmensplanung zusammenläuft beziehungsweise die Erkenntnisse des Risikomanagements zumindest berücksichtigt werden. Ein wichtiges Ziel eines integrierten Risikomanagementsystems

ist

wiederum,

dass

sämtliche

unternehmerischen

Entscheidungen unter Unsicherheit mit einer höchstmöglichen Transparenz, hinsichtlich der jeweiligen Risikosituation, getroffen werden können. Eine Transparenz der Entscheidungen sorgt dafür, dass eine rationale Unternehmensführung ermöglicht wird. Sie sorgt aber auch © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_57

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dafür, dass unternehmerische Entscheidungen im Nachhinein kritisch überprüft werden können. Dies wiederum führt nicht selten dazu, dass die Entscheidungsträger aus persönlichem Interesse versuchen, nicht die größtmögliche Transparenz in die Entscheidungsprozesse zu bringen. Ansonsten machen sie sich bei schlechter oder mittelmäßiger Performance schnell angreifbar. Ein transparentes und integriertes Risikomanagement steht damit in einigen Fällen im Widerspruch zu den persönlichen Zielen und der ungeliebten Messbarkeit einzelner Entscheider. Wie sich in der Praxis des Öfteren zeigt, ist es ein immer noch weit verbreiteter Trugschluss, zu denken, dass Risikomanagement-Tools komplex ausgestaltet sein müssen. Komplexe Lösungen und Strukturen sind sehr anfällig für Intransparenz. Deshalb sind einfache Umsetzungsregeln und Annahmen regelmäßig deutlich zielführender und reduzieren damit auch das inhärente Modellrisiko. Es ist deshalb sehr wichtig, dass die Grenzen von Modellen und Tools sehr genau kommuniziert werden. Und zwar nicht nur innerhalb der Fachabteilungen, sondern auch bis zum Entscheider. Nur wenn der Entscheider in kürzester Zeit alle Informationen korrekt erfassen kann und die Grenzen der Aussagekraft kennt, sind Daten hilfreich. Ansonsten entsteht schnell Intransparenz und eine trügerische Scheingenauigkeit. Um die Transparenz zu erhöhen, ist es wichtig, dass einerseits eine unternehmensweite Risiko- und Fehlerkultur etabliert ist. Dadurch soll verhindert werden, dass aus Angst vor Fehlern einzelne Entscheidungen und Fehlschläge unter den Teppich gekehrt werden (können). Vielmehr sollte es das Ziel sein, diese Fehler zu analysieren (Trans-

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parenzgewinn) und diese angemessen in den Zielen und Planungen zu berücksichtigen. Denn Risiken und Fehler werden wohl immer wieder eintreten. Wichtig ist allerdings, dass Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, damit es nicht immer dieselben Fehler sind. Informationen sind das wertvollste Gut, das es im Risikomanagement gibt. Gleichzeitig werden die meisten Entscheider heutzutage mit Informationen überflutet. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die entscheidungsrelevanten Informationen so strukturiert und übersichtlich dargestellt werden, dass eine höchstmögliche Transparenz beim Entscheider entsteht. Verwenden Sie den KISS-Grundsatz, das heißt: „keep it short and simple“, um die Daten möglichst anwenderfreundlich aufzubereiten. Neben der Konsistenz mit vor- und nachgelagerten Bereichen ist es dabei sehr wichtig, dass die Komplexität auf ein Minimum reduziert wird. Neben rein vergangenheitsbasierten Daten und Informationen ist es sehr wichtig, auch in angemessenem Umfang Zukunftsentwicklungen und Frühwarnindikatoren mit aufzunehmen. Je weiter die Werte allerdings in die Zukunft reichen, umso höher ist regelmäßig deren Unschärfe. Auch Werte, die maßgeblich vom subjektiven Empfinden einzelner Personen abhängen, wie beispielsweise die geschätzte Ausfallwahrscheinlichkeit einzelner Kunden, beinhalten in erhöhtem Maße die Gefahr einer Unschärfe und Ungenauigkeit. Machen Sie deshalb in solchen Fällen die Einflussfaktoren transparent und vermeiden Sie den Eindruck absoluter Wahrheiten, speziell wenn es um unsichere Zukunftsschätzungen geht.

58. Clusterillusion

58. Clusterillusion „Ist das nicht Oma Hildegards Gesicht da oben in den Wolken?“

Wir neigen dazu, immer und überall nach wiederkehrenden Mustern zu suchen. So versuchen wir Ordnung ins Chaos zu bringen. Selbst bei kleinsten Stichproben mit tatsächlich völlig zufälligen Verteilungen. Die Clusterillusion entsteht unter anderem aufgrund des Konjunktionsund Bestätigungsfehlers. Machen wir bezüglich der Clusterillusion ein kurzes Gedankenexperiment: Gegeben sind die beiden folgenden Sequenzen: 1.) OXXXOXXXOXXOOOXOOXXOOX 2.) XXOXOXOOOXOXOOOXOXOOOX Die erste Sequenz wurde versucht völlig zufällig zu erstellen. Ein eventuelles Muster ist deshalb auch zufällig und nicht beabsichtigt. In der zweiten Sequenz gibt es allerdings tatsächlich ein Muster. Ist es Ihnen aufgefallen? Die Position der X entspricht den Primzahlen ab 2 und die der O den Nichtprimzahlen. Im Sport und auch bei Glücksspielen gehen viele Spieler häufig vom „glücklichen Händchen“ (Hot Hand) oder Spielerfehlschluss aus und sind der Meinung, dass eine Erfolgssträhne für immer anhält. Auch Sportkommentatoren sprechen schnell von einem Lauf, wenn ein Spieler mehrere Treffer hintereinander erzielt hat, selbst wenn sein © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_58

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Erfolg in der Nähe der Norm lag. Tversky und seine Kollegen haben in einer Studie nachgewiesen, dass das „Hot Hand“-Phänomen auf die Clusterillusion zurückzuführen ist und durch Zufall erklärt werden kann. Obwohl neue Studien nachweisen konnten, dass etwa 1,2 bis 2,4% der Treffer tatsächlich auf ein Hot Hand-Phänomen zurückgeführt werden können, ist bereits klar, dass dies nicht den inflationären Gebrauch im Sport und Glücksspiel erklären kann. Dem Faktor Zufall kommt hierbei also auch weiterhin die größte Bedeutung zu! Ein weiteres Beispiel sind die Fragen von amerikanischen Eignungstests für Studienplätze, die anhand von Multiple-Choice-Fragen erfolgen. Die Reihenfolge der richtigen Antwortalternativen wird dabei von den Testentwicklern bewusst so gewählt, dass keine längeren Serien gleicher Antworten vorkommen, weil die Studenten erfahrungsgemäß solche Serien für unwahrscheinlich halten. Die Prüflinge könnten sich zu falschen Antworten gezwungen fühlen, nur um eine Serie zu vermeiden. Auch in Aktienkursen versuchen einige Anleger gewisse Muster zu erkennen. Natürlich mag es durch das Setzen von Stop-Loss-Orders besonders beim Über- oder Unterschreiten bestimmter Schwellenwerte zu Kursbewegungen kommen, dies rechtfertigt aber nicht die Mustererkennung und –übertragung zur Prognose der Wertentwicklung. Außerdem wird dabei versucht, anhand der Vergangenheit die Zukunft vorherzusagen. In Aktienkursen werden aber maßgeblich die Erfolge und Zukunftserwartungen sowie das Marktumfeld verarbeitet. Dass sich dies 1:1 wiederholt, ist nahezu unmöglich.

58. Clusterillusion

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Weitere Varianten der Clusterillusion sind zum Beispiel die Pareidolie bei der Erkennung von Gesichtern auf Gegenständen oder die Apophänie bei der Schizophrenie. Hier meint man beispielsweise das Gesicht von Oma Hildegard in einer Wolkenformation zu erkennen, obwohl sie eigentlich vor zwei Wochen gestorben ist. Ein Wunder ist das allerdings nicht, vielmehr ist es die Clusterillusion und unser unterbewusster Versuch, überall Muster und bekannte Abfolgen zu erkennen beziehungsweise hineinzuinterpretieren. Es lohnt sich immer, einen zweiten Blick auf die Dinge zu werfen. Als die Raumsonde Viking 1 der NASA im Juli 1976 die Oberfläche des Mars fotografierte, glaubten viele, ein menschliches Gesicht auf dem Roten Planeten erkannt zu haben. Die vermeintliche Gesichtserkennung (Pareidolie) entpuppte sich aber bei genauem Hinsehen als eine schnöde Felsformation. Prüfen Sie speziell bei größeren Erfolgen und Misserfolgen die ganz konkreten Einflussfaktoren und gehen Sie nicht nur von „einem glücklichen Händchen“ oder „Pech“ aus. Wenn Sie gerade drei erfolgreiche Geschäftsabschlüsse kurz hintereinander erzielt haben, sollten Sie genau prüfen, ob Sie sich in einer heißen Phase befinden oder es nur eine zufällige Reihe von Ereignissen ist, die sich im Laufe des Jahres wieder umkehren kann? Nur wenn Sie auch und insbesondere in Zeiten großen Erfolgs - wenn scheinbar alles wie am Schnürchen läuft - wachsam bleiben und immer versuchen, sich noch weiter zu verbessern, können Sie eine langanhaltende Erfolgsserie, die dann auf Können und nicht nur auf Glück basiert, sicherstellen.

59. Autoritätsargument

59. Autoritätsargument „Als Ihr Lungenarzt würde ich Ihnen dazu raten, nur Marlboro zu rauchen!“

Ein Autoritätsargument oder Argumentum ad verecundiam (Lateinisch für Argument „aus Ehrfurcht“) zeichnet sich dadurch aus, dass es seine These hauptsächlich auf eine Autorität, also beispielsweise einen Experten oder Vorgesetzten, stützt. Zu einer Autorität kann eine Person unter anderem durch ihre fachliche Expertise und soziale Anerkennung oder Stellung avancieren. Ausschlaggebend ist am Ende nicht, wie sie tatsächlich ist, sondern wie sie erscheint – als Autorität eben. Das folgende Beispiel verdeutlicht ein typisches Autoritätsargument: „Eine hohe Dosis von Vitamin C schützt wirksam vor Erkältungen. Das sagt Linus Pauling, und der ist schließlich zweifacher Nobelpreisträger.“ Da eine Autorität natürlich nicht zwingend eine Garantie für Wahrheit ist, ergibt sich hieraus häufig ein Fehlschluss, wenn Fakten ignoriert werden. Im obigen Beispiel wurde zwar eine Autorität angegeben, allerdings aus einem anderen Fachgebiet. Denn Pauling erhielt seinen Chemie-Nobelpreis nicht für die Erforschung des Vitamin C und sein zweiter war außerdem der Friedens-Nobelpreis! Aus diesem Grund sind für die Unterstützung der Aussage weitere Belege zwingend nötig.

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59. Autoritätsargument

Wann immer ein Unglück geschieht, eine Katastrophe über uns hereinbricht, ein Skandal oder eine Affäre aufgedeckt werden – einer ist immer da, um das alles für uns einzuordnen: der Experte. Es gibt Terrorexperten, Nahost- und Fernostexperten, Experten für jede wirtschaftliche

und

militärische

Großmacht,

Außenpolitik-

und

Geheimdienstexperten. Ebenso Gesundheitsexperten, Arbeitsmarktexperten und Meinungsforscher. Die Aufgabe des Experten ist es typischerweise, aktuelle Sachverhalte einzuordnen, einzelne Aspekte herauszuarbeiten und Prognosen über die weitere Entwicklung abzugeben. Je nachdem, wer als Experte herangezogen wird, sind die Analysen und Prognosen deutlich unterschiedlich: von sachlich, kompetent und differenziert bis hin zu einseitig und polemisch. Dies ist per se noch kein Problem. Das Problem beziehungsweise der Fehlschluss entsteht dann, wenn wir die Aussagen ungefiltert übernehmen und nicht hinterfragen. Viele Menschen stellen sich Experten als Personen vor, auf die man nur verweisen muss, wenn man kein gutes Argument mehr hat: „Der Experte XY hat es gesagt, deswegen ist es richtig“. Wer Autoritätsargumente in Anspruch nimmt, ohne sich mit der wissenschaftlichen Argumentation auseinanderzusetzen, der argumentiert per se unwissenschaftlich – und widerspricht sich selbst. Dasselbe gilt für den, der sich mit der Argumentation zwar auseinandersetzt, sie aber nicht kritisch und nicht mit logischen oder empirischen – also: von seiner eigenen subjektiven Sichtweise unabhängigen – Kriterien gegen andere, alternative oder konträre, wissenschaftliche Sichtweisen geprüft hat.

59. Autoritätsargument Das

Autoritätsargument

236 wird

häufig

in

hitzigen

Diskussionen

angewandt, die man in eine bestimmte Richtung lenken möchte. Es ist damit auch sehr eng mit dem Bestätigungsfehler verbunden. Die fehlerhafte, fortlaufende Bestätigung ergibt sich in der wissenschaftlichen Arbeit häufig auch aus sogenannten Zitierkartellen und Zitierzirkeln, in denen immer genau diejenigen Wissenschaftler zitiert werden, deren Forschungen der eigenen Sichtweise entsprechen. Wenngleich Sie in Ihrem Unternehmensalltag wohl nicht streng wissenschaftlich arbeiten, ist es wichtig die Grundprinzipien zu befolgen und die genannten Fehler zu umgehen. Achten Sie in der Zusammenstellung Ihrer Teams darauf, dass genügend Querdenker bei kritischen Entscheidungen dabei sind. Stellen Sie sicher, dass jemand als Devil’s Advocat fungiert und die Positionen und Argumente kritisch auf den Faktengehalt prüft. Rein ehrfürchtige Verweise auf Autoritäten können nicht als Beweis verwendet werden. Auf der anderen Seite sollten Sie aber auch ganz genau darauf achten, dass sich in Ihrem Unternehmen das Autoritätsargument nicht hinsichtlich Ihrer Position verselbständigt und ein Sonnenblumeneffekt bildet. Achten Sie darauf, dass Ihre Mitarbeiter offen ihre Meinung äußern und nicht nur Ihre bevorzugte Position einnehmen, indem sie darauf hinweisen, dass dieses Argument „vom Chef kommt“ und es deshalb nicht mehr kritisch hinterfragt werden dürfe.

60. Auswahlüberlastung

60. Auswahlüberlastung Herzlichen Glückwunsch, Sie haben die Qual der Wahl

Das Auswahl-Paradoxon wird häufig auch Marmeladen-Paradoxon genannt und entstammt der Entscheidungstheorie. Es beschreibt die Probleme im Entscheidungsfindungsprozess bei zu vielen Entscheidungsalternativen. Den

Namen

Marmeladen-Paradoxon

erhielt

dieses

Phänomen

aufgrund einer Studie der Ökonomin und Psychologin Sheena Iyengar von der Columbia Universität in New York, die - zusammen mit ihrem Kollegen Mark Lepper - im Jahr 2000 zu dem Ergebnis kam, dass eine größere Auswahl von Marmeladensorten zu einer Reduzierung der Kauflust führe. Die Studie wurde dabei wie folgt durchgeführt: Die beiden Forscher entwickelten eine Art von A/B Testkonstruktion mit Verkostungsständen für unterschiedliche Marmeladensorten. Bei der A-Variante wurden lediglich 6 Marmeladensorten präsentiert, bei der B-Version insgesamt 24 Sorten. Beide Testszenarien fanden in Kalifornien statt und die Kunden durften so viel probieren, wie sie wollten und erhielten außerdem noch einen Gutschein über 1$, wenn sie ein Marmeladenglas kauften. Die Ergebnisse hierbei waren überraschend. Die kleinere Auswahl der A-Variante lockte lediglich 40% aller Besucher an den Stand, die große Auswahl der B-Variante dagegen 60%. Soweit, so gut, mögen Sie jetzt denken. Doch, wo ist jetzt das Überraschende?

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60. Auswahlüberlastung Das wirklich Verblüffende war die Tatsache, dass bei der B-Variante (große Auswahl) lediglich 2% aller Besucher zu Käufern wurden, während bei der A-Variante (kleine Auswahl) ganze 12% zum Marmeladenglas griffen.

Die größere Auswahl hat eine deutlich stärkere Anziehungskraft auf Menschen und suggeriert zugleich eine größere Wahlfreiheit, mithin stärkt es im Menschen das Gefühl der Kontrolle. Auf der anderen Seite lähmt uns eine übermäßige Auswahl schlichtweg in unserer Entscheidungsfindung. Es muss allerdings in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass die Ergebnisse der Marmeladen-Studie kontrovers diskutiert werden. Laut einem Team um den Wirtschaftspsychologen Benjamin Scheibehenne von der Universität Basel erweist sich die Studienlage zum so genannten „Too-much-choice-Effekt“ jedoch als uneinheitlich. Nach einer Analyse von insgesamt 50 Arbeiten zum Thema kamen die Forscher zu dem Schluss, dass eine große Zahl von Entscheidungsoptionen nicht grundsätzlich aufs Gemüt schlägt. Auch besteht hier sicherlich kein linearer Zusammenhang - Menschen sind also nicht grundsätzlich umso unzufriedener, je mehr Optionen zur Verfügung stehen. Das würde schließlich bedeuten, dass überhaupt keine Wahlmöglichkeit zu haben am glücklichsten mache. Wir scheinen allzu sehr damit beschäftigt zu sein, die unterschiedlichen Varianten gegeneinander abzuwägen, dass wir Entscheidungs-

verstopfung haben und uns gar nicht entscheiden beziehungsweise unter Umständen sogar desillusioniert sind, immer in der Angst, uns

60. Auswahlüberlastung

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falsch zu entscheiden. Je mehr Möglichkeiten wir haben, umso stärker wirkt das Auswahl-Paradoxon. Um die Auswahlüberlastung gering zu halten, sollten Sie bei strategischen Handlungsoptionen und generellen Informationen, etwa auch im Risikoreporting, sehr genau darauf achten, dass die Kernbotschaft erkennbar ist und nicht durch zu viele Daten und Fakten verloren geht. Außerdem ist es wichtig, dass nur die wirklich relevantesten Optionen detailliert geschildert werden. Optionen, die ohnehin von vornherein der Risiko- oder Geschäftsstrategie entgegenstehen, sollten bereits vorab eliminiert werden. Auch eine Beurteilung von Handlungsalternativen durch andere Abteilungen, etwa aus risikopolitischer Sicht durch die Risikomanagementfunktion oder aus Expansionssicht durch die Business DevelopmentAbteilung et cetera, kann dabei helfen, die Auswahlüberlastung zu minimieren. So ist es meistens einfacher, in der Diskussion befindliche Optionen kritisch zu prüfen und die Validität der Argumente zu beurteilen, als komplett von null mit der Abwägung zu starten. Es gibt leider keine feste Anzahl, welches die optimale Anzahl an Auswahlmöglichkeiten ist. Natürlich kann etwa die Millersche Zahl als erste Indikation herangezogen werden. Wann sich eine Auswahlüberlastung ergibt, hängt aber auch maßgeblich davon ab, wie komplex eine Problemstellung ist und wieviel Zeit die Abwägung der Optionen in Anspruch nimmt. Im Extremfall kann sich unter Umständen schon bei zwei oder drei Optionen eine Auswahlüberlastung einstellen.

61. Fehlsteuerung erkennbarer Risiken

61. Fehlsteuerung erkennbarer Risiken Warum wir häufig sehenden Auges ins Verderben laufen

Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum erkennbare Risiken falsch eingeschätzt oder gesteuert werden. Allerdings gibt es nur selten Erfahrungsberichte hierzu aus erster Hand. Eine Ausnahme bildet sicherlich der Erfahrungsbericht des ehemaligen RWE-CFOs Bernhard Günther, der sehr ausführlich über das 10 Mrd. Euro Fehlinvestment des Unternehmens in Folge der Energiewende und des Atomausstiegs berichtete. Im Folgenden hierzu einige Auszüge (übersetzt aus dem Englischen, vgl. Heiligtag 2017): „Obwohl die politische Absicht, erneuerbare Energien in den Markt zu drängen, zum Zeitpunkt unserer Investitionsentscheidung öffentlich bekannt war, fand sie keine Berücksichtigung in unserem Basisszenario. Die Katastrophe von Fukushima hingegen war unvorhersehbar. […] Obwohl der Atomausstieg direkt nach der Fukushima-Katastrophe sehr schnell vonstattenging, hätte sich der ultimative Schlussakt im Markt - auch ohne dieses Ereignis - nicht von der heutigen Situation unterschieden. […] Wir sind einer Vielzahl von kognitiven Verzerrungen aufgesessen und haben es auch versäumt, im Sinne der Portfoliotheorie nicht alle Eier in einen Korb zu legen. […] Wir haben bei unserer Aufarbeitung der Fehler gemerkt, dass wir dem Champion Bias und dem Sonnenblumeneffekt aufgesessen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_61

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61. Fehlsteuerung erkennbarer Risiken sind. […] Speziell der Sonnenblumeneffekt war sehr weit hierarchisch verzweigt, bis in nahezu alle hierarchischen Ebenen. […] Da es keine Anti-Verzerrungs-Mechanismen gab, trauten sich die Mitarbeiter nicht, ihre Bedenken zu äußern und verzichteten darauf, uns zu informieren, dass die „brillante“, neue Investitionsmöglichkeit aus einem anderen Blickwinkel doch nicht so brillant ist.“

Die in obigem Beispiel aufgeführten Muster für eine Fehlsteuerung erkennbarer Risiken betrafen hauptsächlich kulturelle Aspekte sowie systematische Verzerrungen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass in der Unternehmenskultur die Bedeutung von offenem und insbesondere auch kritischem Feedback verankert ist. Nur dadurch kann verhindert werden, dass sich das Management in Sicherheit wiegt, während die operative Basis umfassend von den potenziellen Gefahren weiß. Auch bei der Quantifizierung von Risiken zeigen sich immer wieder erhebliche Defizite. So findet sehr häufig eine zu subjektiv geprägte und pauschale Quantifizierung der Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe statt. Gleiches gilt für Wechselwirkungen der Risiken. Diese werden in nicht wenigen Fällen sogar falsch oder nur unvollständig erfasst. Die Wahlmöglichkeiten und Ermessensspielräume einzelner Personen und Abteilungen sollten deshalb so weit wie nur möglich eingeschränkt werden. Bei der Überschreitung vordefinierter Grenzen oder bei bestimmten, erkennbaren Risiken sollten gewisse Maßnahmen zwingend ergriffen werden (müssen). Erst eine konsequente Vorgehensweise sorgt dafür, dass eine rationale und systematisch strukturierte Risikosteuerung möglich ist.

61. Fehlsteuerung erkennbarer Risiken

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Besonders kritisch ist das sogenannte Management Override (Kurzform des englischen Ausdrucks „management override of internal controls“) zu sehen. Hierbei werden die internen Kontrollmechanismen durch leitende Mitarbeiter, in der Regel auf Vorstands- beziehungsweise Geschäftsführungsebene, außer Kraft gesetzt. Sicherlich gibt es in einzelnen Situationen ein legitimes Unternehmensinteresse, die internen Regeln mit Augenmaß zu behandeln. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn besonders schnell und flexibel gehandelt werden muss, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen und die internen Regeln veraltet sind und nicht mehr zu diesen Anforderungen passen. Es sollte allerdings in diesen Fällen eine detaillierte Dokumentation für die Gründe des Overrides erfolgen. Auch sollten die Prüfungen, etwa der internen Revision, einen starken Fokus auf solche Vorgänge legen. Gleichzeitig sind die internen Regeln laufend zu aktualisieren, um die Bedeutung und Anzahl von Management Overrides deutlich zu senken. Da die Overrides in der Praxis schnell einen gewissen Schwellenwert überschreiten, ist es zur Sicherstellung einer Minimaldokumentation denkbar, ein gesondertes E-Mail-Postfach einzurichten. An dieses werden

stichwortartige

und

weitgehend

standardisierte

Mails

verschickt. Gleichzeitig ermöglicht diese Vorgehensweise wiederum eine detaillierte Auswertung und Prüfung durch die interne Revision.

62. Langsame, unkoordinierte Reaktion

62. Langsame, unkoordinierte Reaktion Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen

Eine häufige Ursache für katastrophale Ereignisse ist eine nur langsame und unkoordinierte Reaktion. Häufig wird aus den unterschiedlichsten Gründen viel zu lange gezögert, eine Entscheidung zu treffen. Sei es aus Angst vor einer falschen Entscheidung, weil man sich vor der Verantwortung fürchtet, weil man sich der zukünftigen Lage nicht gewachsen fühlt und noch weitere Informationen benötigt, oder vielem mehr. Aber genau dies ist falsch. Die Einstellung „wenn man nur lange genug wartet, lösen sich die Probleme von selbst“ ist brandgefährlich. Das Sewol-Fährunglück in Südkorea vom 16. April 2014 zeigt sehr eindrucksvoll die Auswirkungen einer langsamen und unkoordinierten Reaktion bis hin zur Katastrophe: Wie Mitschnitte der Kommunikation zwischen Crewmitgliedern der Sewol und der Küstenwache zeigten, war die Mannschaft völlig überfordert. Dass der Kapitän das sinkende Schiff als einer der ersten verließ war nur noch das i-Tüpfelchen der Katastrophe. Doch gehen wir chronologisch vor. Anstatt ein Notsignal auf dem dafür vorgesehen und reservierten Kanal 16 VHF abzugeben, rief ein Crewmitglied bei der Küstenwache an. Blöderweise aber bei

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62. Langsame, unkoordinierte Reaktion der falschen, nämlich der 80km entfernten und nicht bei der nächstgelegenen. Der Seemann war in Panik und ohne Chef nicht handlungsfähig. Statt Fragen zu beantworten, wollte er immer wieder wissen, ob Rettung unterwegs sei. Auch eine ausreichende Vorbereitung auf den Notfall war nicht gegeben. An Land war die Situation ebenfalls nicht weniger chaotisch. Der Katastrophenschutz von Südkorea war dem Unglück der Sewol nicht gewachsen. Der Mangel an Spezialisten und das Fehlen einer letzten Instanz waren für das Chaos der Rettungsarbeiten mitverantwortlich. Aus diesem Grund wurde wertvolle Zeit verloren.

Nehmen Sie diese Katastrophe als negatives Beispiel, um Ihre eigenen Risikomanagementpraktiken zu prüfen. Stellen Sie sicher, dass ein Kommunikationskanal eingerichtet ist, um ad hoc bestimmte Informationen direkt an das Management zu adressieren. Stellen Sie sicher, dass die wichtigsten Prozesse dokumentiert und eingehalten sind und dass es klare Verantwortlichkeiten gibt. Und last but not least, ist es natürlich auch ganz wichtig, dass Gegen- und Sofortmaßnahmen ergriffen werden, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Erstellen Sie, zum Beispiel auf Basis von Szenarioanalysen und Stresstests, bestimmte Notfallpläne, die eine schnelle Reaktion auf Krisenfälle ermöglichen. Eine ganz zentrale Aufgabe des Risikomanagements ist es, nicht nur auf Risiken und Probleme hinzuweisen, sondern auch sogleich eine Lösung zur adäquaten Reaktion hierauf bereit zu halten. Der Risiko-

62. Langsame, unkoordinierte Reaktion

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manager sollte nicht nur ein ewiger Mahner sein, sondern vielmehr eine optimale Lösung im Sinne des Chancen-Risiko-Verhältnisses sicherstellen. Insbesondere in der Praxis zeigt sich immer wieder, dass die breite Akzeptanz und Wertschätzung des Risikomanagers deutlich zunimmt, wenn er nicht nur auf Missstände und Risiken hinweist, sondern direkt mögliche Reaktionen und Steuerungsalternativen aufzeigt. Um frühzeitig auf mögliche Gefahrensituationen hinzuweisen, ist es besonders wichtig, dass auch im Risikomanagementbereich ein umfassendes Verständnis für die individuellen Besonderheiten des Unternehmens vorhanden ist. Erst wenn die eigenen Prozesse durchgängig verstanden wurden, können nicht nur mögliche Risiken frühzeitig erkannt werden, sondern sogleich auch mögliche, koordinierte Reaktionen eingeleitet werden. Denn nichts ist schädlicher als eine langsame und unkoordinierte Reaktion. Schubladen- und Notfallpläne sind hierfür sehr nützlich. Die Grundidee, die sich hinter diesen Maßnahmen verbirgt, ist relativ einfach: die Schubladenpläne können in Ruhe ausgearbeitet und angepasst werden. Im Bedarfsfall hat der Entscheider damit sehr schnell eine Groborientierung zur Hand und kann dafür sorgen, dass die ersten Maßnahmen ergriffen werden. Es kann also eine Art „Erste Hilfe“ erfolgen.

63. Kausaler Fehlschluss

63. Kausaler Fehlschluss Warum es immer regnet, wenn Sie gerade erst Ihr Auto gewaschen haben

Der kausale Fehlschluss (false cause oder non causa pro causa) bezeichnet Situationen, in denen eine Ursache falsch identifiziert wurde. Hierfür gibt es die unterschiedlichsten Gründe: Korrelation impliziert Kausalität, Zirkelbezug, Regressionstäuschung, Zielscheiben-

fehler et cetera. Sehr weit verbreitet ist der zweifelhafte, logische Fehlschluss, dass Korrelation mit Kausalität einherginge. Speziell wenn statistische Tests Korrelationen zwischen Variablen errechnet haben, ist es sehr verlockend anzunehmen, dass eine Variable die andere verursacht. Die Annahme, dass „Korrelation Kausalität beweist“ beschreibt den zweifelhaften, kausalen Fehlschluss. Dieser Irrtum wird auch als „cum hoc ergo propter hoc“, lateinisch für „mit diesem, folglich deswegen“ und „falsche Ursache" bezeichnet. Ein ähnlicher Trugschluss, dass ein Ereignis, das einem anderen folgte, notwendigerweise eine Folge des ersten Ereignisses war, ist der „post hoc ergo propter hoc“ (lateinisch für „danach, also deswegen“) Trugschluss. Das folgende Beispiel zeigt anschaulich den kausalen Fehlschluss: Ereignis 1:

„Im Jugendalter steigt der Konsum von Energy-Drinks.“

Ereignis 2:

„Im Jugendalter tritt verstärkt Akne auf.“

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63. Kausaler Fehlschluss Schlussfolgerung: „Energy-Drinks verursachen Akne bei Jugendlichen.“

Ein fast schon klassisches Beispiel sind Korrelationen zwischen der Rückkehr der Störche und dem Anstieg der Geburtenzahl im Frühjahr, oder in einer moderneren Variante zwischen der Abnahme der Storchennester in Europa und dem Rückgang der Geburtenrate ebendort. Per cum hoc ließe sich schlussfolgern, dass die Störche ursächlich an der Geburt beteiligt sind oder etwa „die Babys bringen“. Dies ist natürlich Quatsch. Vielmehr sind zum einen die Lebensräume der Störche durch die intensivere landwirtschaftliche Nutzung immer stärker in Gefahr. Zum anderen ziehen gerade junge Familien häufig ins Eigenheim im Grünen, während Studenten und Singles sehr viel häufiger in Großstädten wohnen. Ein inzwischen berühmtes, aktuelles Beispiel für den kausalen Fehlschluss als ironisch-belehrendes Stilmittel von Kritikern ist die Aussage des Physikers Bobby Henderson, dass als einzige Ursache für die globale Erwärmung, Orkane und alle anderen Naturkatastrophen, die sinkende Zahl von Piraten seit Beginn des 19. Jahrhunderts verantwortlich sei. Diese Korrelation kann nämlich als sehr stabil errechnet werden.

Es

gibt

allerdings

keinerlei

kausalen

Zusammenhang

zwischen den beiden Ereignissen. Natürlich verleiten gerade Korrelationen sehr schnell dazu, Wirkungszusammenhänge zu konstruieren, wo in Wirklichkeit gar keine sind. Achten Sie also sehr genau darauf, dass Sie Ursache-Wirkungszusammenhänge laufend sehr kritisch im Auge behalten. Denn ansonsten können Sie schnell auf dem falschen Fuß erwischt werden,

63. Kausaler Fehlschluss

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wenn sich die angenommenen Ursache-Wirkungszusammenhänge lediglich als Korrelationen entpuppen, die eher zufällig gemeinsam aufgetreten sind, sich aber nicht gegenseitig bedingen. Kausale Zusammenhänge sind nur sehr schwer festzustellen. Es bietet sich also an, im Sinne der wissenschaftlichen Methodik von Karl Popper die Ergebnisse und unterstellten Kausalitäten nur als Hypothesen anzusehen, die bis auf Weiteres – also bis das Gegenteil bewiesen werden kann – als gültig angenommen werden. Die Wissenschaft scheint uns hier bereits einen Schritt voraus zu sein. Denn Kausalität in der Wissenschaft zu etablieren, ist schwierig. Vielmehr geht es hier um absolute Wahrheiten, die nicht abschließend bewiesen werden können. Denken Sie nur an die schwarzen Schwäne und das Problem der Induktion. Denn nur wenn alle As von Bs gefolgt werden, dann können wir annehmen, dass B durch A verursacht wird. In diesem Fall gäbe es aber sicherlich einige methodische Fragen hinsichtlich der Stichprobenqualität, der Validität und der Repräsentativität. Zum anderen könnte selbst diese Verallgemeinerung ein Zufall sein. Deshalb wird in der Wissenschaft anstatt Kausalität viel häufiger die weniger angreifbare Korrelation verwendet. Machen also auch Sie sich bewusst, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass schwarze Schwäne eintreten und als „bombensicher“ angenommene Kausalitäten plötzlich aufbrechen.

64. Fluch des Wissens

64. Fluch des Wissens Die Kunst besteht nicht darin, einfache Dinge kompliziert auszudrücken, sondern komplizierte Dinge einfach!

Der Fluch des Wissens beschreibt eine kognitive Verzerrung, die auftritt, wenn eine Person mit anderen Personen kommuniziert und unwissentlich annimmt, dass die anderen denselben Hintergrund haben, um alles bis ins Detail nachzuvollziehen und zu verstehen. Dies hängt sehr häufig mit Rückschau-Verzerrungen zusammen, das heißt, es ist einem gar nicht bewusst, wie stark die eigene Erfahrung und das Wissen die eigene Position verfälschen und wie es jemandem ohne dieses Wissen geht. Sobald man etwas weiß, ist es schwierig oder gar unmöglich, sich vorzustellen, wie es ist/war, es nicht zu wissen. Im Buch „Made to Stick“ beschreiben die Autoren eine sehr einfache Studie von Elizabeth Newton (Stanford Universität) aus dem Jahre 1996: Newton teilte die Probanden in zwei Gruppen ein: „Klopfer“ und „Zuhörer“. Die „Klopfer“ mussten zuerst ein Lied anhören und anschließend die Melodie auf Ihrem Schreibtisch mit den Händen nachklopfen. Die Lieder an sich waren nicht wirklich anspruchsvoll, es waren Lieder wie, „Happy Birthday“ oder „The Star Spangled Banner“. Die „Zuhörer“ mussten diese Lieder anhand des Klopfens erkennen.

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64. Fluch des Wissens Sehr leicht, bis auf die Tatsache, dass über den Klopfern der „Fluch des Wissens“ schwebte. Sie kannten die Lieder und konnten sie in Gedanken hören. Die Zuhörer hatten dieses Wissen jedoch nicht. Interessant ist, dass die Klopfer der Meinung waren, dass die Zuhörer zu mindestens 50% richtig liegen würden. Die Zuhörer konnten allerdings nur zwei Prozent der Melodien wiedererkennen.

Der Fluch des Wissens tritt sehr häufig in der Kommunikation mit Spezialisten aus Fachabteilungen, aber auch Kollegen mit sehr langer Erfahrung, auf. Dies kann sowohl wissentlich als auch unwissentlich erfolgen. Wissentlich tritt dies meistens ein, wenn Personen als besonders intelligent und gebildet erscheinen möchten, indem sie komplizierte Fachausdrücke und Anglizismen verwenden. Getreu dem Motto „Wissen ist Macht“ geht es Ihnen darum, sich zu profilieren. Speziell wenn man sich sehr gut auf einem Fachgebiet auskennt beziehungsweise mit anderen Spezialisten redet, ist es völlig normal, Fachausdrücke zu verwenden. Sie sollten sich aber immer an Ihrem Gegenüber orientieren. Viel schwieriger ist es nämlich, komplizierte Sachverhalte einfach und verständlich zu erläutern. Versuchen Sie, Ihre Position so zu erläutern, dass sie auch ein Siebenjähriger verstehen würde! Achten Sie besonders in Berichten und Strategiepapieren, etwa dem Risikoreporting und der mittelfristigen strategischen Planung, darauf, dass die Kernbotschaft klar und einfach kommuniziert wird. Verwenden Sie Wörter, die den Adressaten geläufig sind und die sie auch

64. Fluch des Wissens

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verwenden. Achten Sie darauf, dass Sie Fachbegriffe und Anglizismen auf ein Minimum reduzieren und stellen Sie die grundlegenden Prämissen und Grenzen der Aussagen und Risikomodelle immer wieder dar. Reduzieren Sie dabei auf das Wesentlichste! Sind Sie in der Lage, Ihre Botschaft in einem „Elevator Pitch“ in etwa ein bis zwei Minuten allgemeinverständlich vorzutragen und die Handlungsmaßnahmen vorzustellen? Verwenden Sie eine bildhafte, anschauliche Sprache und sind die Fakten auf das Wesentlichste beschränkt? Herb Kelleher, ehemaliger CEO von Southwest Airlines brachte die Geschäftsstrategie seines damaligen Unternehmens in nur einem Satz auf den Punkt: „Wir sind DIE Billigfluglinie. Wenn Sie das einmal verstanden haben, können Sie jede Entscheidung in diesem Unternehmen so gut treffen wie ich.“ – Wie sieht es mit Ihrer Risikostrategie aus? Können Sie diese auch so prägnant auf das Wesentlichste verkürzen? Das Problem des „Fluchs des Wissens“ ist, dass er unterbewusst stattfindet. Deshalb müssen Sie sich seine Existenz immer wieder vor Augen führen. Wenn Sie es nicht schaffen, die Entscheidungsträger „abzuholen“ und ihnen die Kernbotschaft kompakt und verständlich mit auf den Weg zu geben, hat das Risikomanagement und insbesondere das Risikocontrolling seine Kernaufgabe verfehlt. Denn nur was man versteht, kann man auch ändern! Und damit die Strategie im ganzen Unternehmen gelebt wird, muss sie im ersten Schritt von allen Mitarbeitern verinnerlicht werden (können).

65. Verschieben der Torpfosten

65. Verschieben der Torpfosten Warum allzu große Erfolgsstories stutzig machen sollten

Das „Verschieben der Torpfosten“ (Moving the Goalposts) ist eine Metapher aus dem Sport und beschreibt den Versuch, sich, durch ein nachträgliches Ändern der Regeln oder Prozesse des Wettbewerbs, einen Vorteil zu verschaffen. Ein Beispiel des Fehlschlusses durch das „Verschieben der Torpfosten“ kann wie folgt aussehen: Person A:

Wenn die Evolution wirklich real ist, dann nenne mir doch ein Beispiel, das aktuell stattfindet.

Person B:

Sicher. Schau dir nur einmal den Anstieg antibiotikaresistenter Bakterien an. Wenn Antibiotika verwendet werden, entsteht ein selektiver Druck, der jene Bakterien ausfiltert, die dafür anfällig sind, sodass

diejenigen,

die

resistent

sind,

außer

Kontrolle geraten (können). Person A:

Nein, das zählt nicht. Nenne mir ein Beispiel, das über einen längeren Zeitraum auftritt.

In dieser Debatte verwendet Person A die Taktik des Verschiebens der Torpfosten. Zuerst erklärt sie, dass ein Beispiel der Evolution, das gerade stattfindet, sie dazu bringen würde, ihre Position zu ändern. Als dann aber solche Beweise dargelegt werden, ändert sie ihre Definition der Evolution, um Artenänderungen, die nur über kurze Zeiträume auftreten, auszuschließen. Dies macht es effektiv unmöglich, ihr Argument zu widerlegen. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_65

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65. Verschieben der Torpfosten

Es gibt große Überschneidungen mit dem Zielscheibenfehler und anderen Verzerrungen wie etwa der „No-True-Scotsman-Verzerrung“ oder dem „Nirvana-Irrtum“. Bei der No-True-Scotsman-Verzerrung (teilweise auch Ad hoc-Rettung genannt) geht es darum, eine universelle Generalisierung, von der man überzeugt ist und die man auch kundtut, vor Gegenbeispielen und Einwänden zu schützen. Hier wird ad hoc die Definition oder These geändert, um das Gegenbeispiel auszuschließen. Dies kann wie folgt aussehen: Person A:

„Kein Schotte trinkt Milch in seinem Kaffee."

Person B:

„Aber mein Onkel Keith ist Schotte und er trinkt immer Milch in seinem Kaffee."

Person A:

„Das mag sein, aber kein echter Schotte trinkt Milch in seinem Kaffee."

Beim Nirvana-Irrtum werden tatsächlich vorkommende Dinge mit unrealistischen, idealisierten Alternativen verglichen. Teilweise wird auch angenommen, dass es für ein Problem die perfekte Lösung gäbe. Ein Argument hierzu kann wie folgt aussehen: Argument:

Der Videoschiedsrichter im Fußball ist eine schlechte Idee. Denn er kann nicht alle Fehler beheben.

Widerlegung: Obwohl nicht alle Fehler durch den Videoassistenten behoben werden, wird die Anzahl der Fehler reduziert. Karl Popper prägte den Begriff der „konventionalistischen Wendung“ in seinem Werk „Vermutungen und Widerlegungen“ und zeigte diesen

65. Verschieben der Torpfosten

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Irrtum im Kontext der Falsifizierbarkeit wissenschaftlicher Theorien auf. Anstatt die Theorien durch fadenscheinige Vergleiche und Ad hoc-Anpassungen zu „retten“, sollten sie angepasst werden. Nur durch die Bereitschaft, sich auf neue Fakten und Meinungen einzulassen, werden sie reifer und belastbarer! Auch im Unternehmensalltag wird häufig versucht, durch Verschieben oder kreatives Auslegen von Zielvorgaben und Obergrenzen von eigenen Fehlern abzulenken oder favorisierte, strategische Projekte „durchzudrücken“. Wichtig ist dabei aber immer Transparenz. Schaffen Sie eine Kultur, in der Fehler nicht stigmatisiert werden, sondern im Gegenteil als etwas Normales verstanden werden. Nur so ist

es

möglich,

Zielerreichung

dass

sind

und

alle

Beteiligten

ehrlich

keine fadenscheinigen

hinsichtlich

der

Alibi-Argumente

suchen, um ihr Gesicht zu wahren. Achten Sie auch sehr genau darauf, dass das Unternehmensinteresse nicht aufgrund einzelner, persönlicher Interessenskonflikte ins Hintertreffen gerät! Der zentrale Ansatzpunkt, um dem Fehlschluss der nachträglich bewegten „Torpfosten“ Einhalt zu gebieten, ist die Schaffung einer positiven und offenen Unternehmens- und Fehlerkultur und der Abbau von Abteilungsdenken zu Gunsten eines einheitlichen Gesamtunternehmensdenkens.

66. Tautologien und inhaltliche Wiederholungen

66. Tautologien und inhaltliche Wiederholungen „Kein Wunder, dass wir existieren!“

Bei Tautologien handelt es sich um eine einfache, inhaltliche Wiederholung. Ein Argument wird quasi mit sich selbst erklärt. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das anthropische Prinzip. Dieses ist zugegebenermaßen kein klassischer Fehler im Risikomanagement. Trotzdem hilft es dabei, einige immer wieder gemachte Fehler in der Argumentation und dem Verstehen oder eben Nicht-Verstehen im Risikomanagement zu erklären. Obwohl das Universum extrem fein auf unsere Existenz abgestimmt ist und wir daher scheinbar notwendigerweise da sind, könnte trotzdem alles ein Zufall sein - sagt das anthropische Prinzip. Brandon Carter fasst das (schwache) anthropische Prinzip wie folgt zusammen: „Wenn wir hier auf der Welt sind, um sie zu beobachten, dann muss sie so sein, wie sie ist“. Wir brauchen uns also nicht zu wundern, dass es uns gibt und dass die Welt wie für uns gemacht scheint, denn wenn es nicht so wäre, gäbe es keinen, der sich wundern könnte, dass wir nicht da sind. Ursprünglich stammt das schwache anthropische Prinzip vom Astrophysiker Robert Dicke (der es jedoch noch nicht so nannte) aus dem Jahre 1957. Erst der Kosmologe Brandon Carter prägte im Jahre 1973 den Begriff „anthropisches Prinzip“, obwohl er sich später über diese Wahl zurecht ärgerte, denn sie suggeriert, dass bei diesem Prinzip der Mensch eine bedeutende Rolle spielt, was gerade nicht der Fall ist. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_66

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66. Tautologien und inhaltliche Wiederholungen

Die gängigste Kritik am anthropischen Prinzip richtet sich insbesondere an seinen tautologischen Charakter, weshalb es nach den Regeln der Logik immer wahr sein muss. Außerdem wird ihm Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen, worüber allerdings eine heftige Kontroverse entbrannt ist. Das anthropische Prinzip ist eng mit dem Überlebensirrtum verbunden. Achten Sie also bei Ihrer Argumentation und der Abwägung von Entscheidungen sehr genau darauf, dass Sie keinen Zirkelschluss, also teutologischen Charakter, in Ihre Entscheidungsfindung einfließen lassen und dass die Grundgesamtheit repräsentativ ausgewählt wurde und nicht nur positive oder negative Beispiele enthält. Außerdem ist es im Sinne der Popperschen Wissenschaftstheorie sehr wichtig, dass Ihre Argumente und Thesen falsifizierbar sind. Ihre Vorhersagen müssen widerlegbar sein. Wenngleich im Zusammenhang mit dem anthropischen Prinzip argumentiert wird, dass es falsifizierbar wäre, wird häufig auch eingewendet, dass es lediglich eine „Lückenbüßer-Rolle“ einnimmt, bis die Wissenschaft belastbarere Erklärungen findet. Bei einer solch komplexen und sich über Jahrmillionen erstreckenden Untersuchung wie der Evolutionstheorie mag eine philosophische Auseinandersetzung mit Thesen und Argumenten vertretbar sein, im Zusammenhang mit Risikomanagement zählen aber greifbare und quantifizierbare Fakten. Unternehmen Sie größte Anstrengungen, dass Ihre Thesen und Einflussgrößen greifbar und quantifizierbar sind. Seien Sie sich nicht zu schade, Ihre Modelle und Tools anzupassen, sobald die Vorhersagegüte oder allgemein die Ergebnisse nicht mit der

66. Tautologien und inhaltliche Wiederholungen

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Realität übereinstimmen oder es sich zeigt, dass neue Einflussfaktoren aufgetreten sind. Sehr hilfreich ist auch die Rolle eines Devil’s Advocat, der im Sinne der Popperschen Theorie alles Erdenkliche versucht, um Ihre Aussagen, Analysen und Prämissen zu widerlegen. Dieser sollte nach Möglichkeit auf Managementebene oder zumindest einer höheren Hierarchieebene sein und einen sehr guten Überblick über das gesamte Unternehmen haben, damit einerseits seine Einwände ernst genommen werden und andererseits auch fundiert sind. Es mag auf den ersten Blick sicherlich befremdlich wirken, wenn jemand ständig gegen die getroffenen Entscheidungen und Prognosen argumentiert und man sich plötzlich verteidigen muss. Dies sorgt aber am Ende dafür, dass Ihre Position nicht geschwächt, sondern vielmehr sogar gestärkt wird. Denn Sie können Ihre Prognosen und Modelle entweder anpassen und Schwachstellen beseitigen oder aber Ihre Annahmen haben auch den kritischsten Prüfungen Stand gehalten. Dies kann als Qualitätsnachweis angesehen werden. Wenn Fehler im Unternehmen offen und ehrlich angesprochen und analysiert werden, ist dies eine sehr gute Ergänzung zum Devil’s Advocat-Prinzip. Denn dadurch wird eine unternehmensweite Fehlerkultur geschaffen, die sich über alle operativen Prozesse des (Risiko-)Managements erstreckt und insgesamt die Qualität des Risikomanagements nachhaltig verbessert.

67. Gefangen im Hamsterrad

67. Gefangen im Hamsterrad „Ich habe keine Zeit, meine Axt zu schärfen, denn ich muss Bäume fällen“

Eine zentrale Schwachstelle im (Risiko-)Management ist häufig das Zeit- und Selbstmanagement. Wenn Sie getrieben sind und ständig Ihr Mail-Postfach überläuft, das Telefon dauerklingelt, die Kollegen dauernd in Ihrem Büro stehen und eine Entscheidung von Ihnen möchten, scheinen Sie ein Problem mit Ihrem Zeitmanagement zu haben. Sie rotieren quasi wie der Hamster im Rad und versuchen immer nur Brände zu löschen und „Troubleshooting“ zu betreiben, anstatt proaktiv Dinge in die richtigen Bahnen zu leiten. Häufig sind es nämlich die kleinen Dinge, die einen großen Effekt haben können, wie die folgende Geschichte zeigt: Ein Mann spaziert durch den Wald und sieht einen Holzfäller, der sich abmüht, einen Baum zu fällen. Der Schweiß rinnt in Strömen und der Holzfäller stöhnt vor Anstrengung, doch der Baum will einfach nicht fallen. Als der Spaziergänger eine Unterhaltung beginnen will, teilt ihm der Holzfäller eher schroff und wortkarg mit, dass er keine Zeit habe. Denn bis zum Abend müsse er schließlich 20 Bäume fällen und nach drei Stunden habe er gerade einmal zwei geschafft. „Ja, aber Ihre Axt ist doch ganz stumpf!“, ruft ihm der Spaziergänger zu. „Das weiß ich selbst”, zischt der Holzfäller, ohne dabei aufzuschauen.

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67. Gefangen im Hamsterrad Der Spaziergänger ist verblüfft: „Und warum schärfen Sie die Axt nicht? Dann geht es doch schneller.” – „Ich habe keine Zeit, die Axt zu schärfen, denn ich muss doch bis heute Abend noch 18 weitere Bäume fällen.”

Dieses Beispiel ist natürlich sehr stark überzeichnet. Doch wenn wir ganz ehrlich sind, finden wir uns häufig in einer ähnlichen Situation wieder. Wir sind so stark in operativen Prozessen und Aufgaben eingebunden, dass wir den Überblick verlieren und offensichtlichen Verbesserungsbedarf überhaupt nicht wahrnehmen. Wir sind gefangen im Hamsterrad. Und wenn es dann doch mal Probleme gibt, lautet das Motto häufig „Augen zu und durch“. Nehmen Sie sich ganz bewusst Zeit, um das Heft des Handelns wieder zurückzuerlangen. Versuchen Sie einmal, den Kopf von allen operativen Problemen frei zu bekommen, um anschließend wieder einen Überblick über die wesentlichen Dinge zu haben und die Prioritäten sinnvoll zu setzen. Abstand lässt die Dinge in der richtigen Perspektive und Dimension erscheinen. Sie sehen nicht nur einen kleinen Bildausschnitt, sondern das größere Bild. Abstand verhilft zu mehr Gelassenheit. Statt sich einer Situation ausgeliefert zu fühlen, können Sie sie von außen betrachten. Darüber hinaus hilft Abstand, Lösungen zu erkennen, die im Problem bereits verborgen liegen. Sorgen Sie dafür, dass nicht mehr die „Zeitdiebe“ über Ihr Engagement bestimmen, sondern Sie. Tun Sie die wichtigen Dinge vor den dringlichen Dingen und prüfen Sie, welche Aufgaben Sie delegieren können und was Sie überhaupt nicht bearbeiten, da es schlichtweg unnötig ist. Denn nicht derjenige, der am lautesten schreit, sollte

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zuerst bedient werden, sondern derjenige, dessen Anliegen am wichtigsten ist. Durch eine klare Übertragung von Verantwortung und ein effektives Delegieren kann bereits ein wichtiger Schritt getan werden, um dem Hamsterrad zu entfliehen und sich auch wieder mehr um strategische Themen zu kümmern. Um stets aus der kompletten Palette der technischen und prozessualen Möglichkeiten wählen zu können und immer wieder Ihren Status quo zu hinterfragen, ist es sehr wichtig, dass Sie aufgeschlossen für Neues sind. Die Digitalisierung bildet gerade für homogene Tätigkeiten große Potenziale zur Effizienzsteigerung und Rationalisierung, sodass Sie Ihre Ressourcen für die komplexen Sachverhalte verwenden können. Bilden Sie sich ständig weiter und teilen und diskutieren Sie Ihre Erfahrungen mit Kollegen innerhalb und außerhalb Ihrer Branche. Nur so können Sie sich neues Wissen und neue Fähigkeiten aneignen, die Ihre Arbeit verbessern. Prüfen Sie nicht nur, wann der richtige Zeitpunkt ist, Ihre Axt zu schärfen, sondern auch, ob Sie alle Bäume selbst fällen müssen oder ob dies auch Kollegen erledigen können. Außerdem sollten Sie sicherstellen, dass Sie die richtigen Bäume fällen. Denn bei aller Effizienz sollte die Effektivität nicht vergessen werden! Prüfen Sie in regelmäßigen Abständen die Prozessabläufe. Sei es nun durch interne Personen oder auch durch externe Unterstützung. Nicht umsonst engagieren größere, häufig hocherfolgreiche Unternehmen, in regelmäßigen Abständen Experten und Berater, um die bisherigen Abläufe kritisch zu prüfen und Verbesserungspotenziale aufzuzeigen.

68. Kurzfristorientierung

68. Kurzfristorientierung In the long run, we are all dead

Wir weisen häufig eine starke Gegenwartsorientierung auf und neigen dazu, sofortige Belohnungen höher einzuschätzen und unterschätzen langfristige Gewinne. Schließlich stellte schon der legendäre Ökonom John Maynard Keynes fest: „In the long run, we are all dead“. Häufig nehmen wir den heutigen „Spatz in der Hand“ und verzichten auf die langfristige „Taube auf dem Dach“, selbst wenn diese sehr wahrscheinlich ist. Verstärkt wird dies zusätzlich noch durch gängige Leistungsanreize innerhalb des Unternehmens. Kritisch wird es immer dann, wenn die Kurzfristorientierung dazu führt, dass eine „Nach mir die Sintflut“-Einstellung entsteht und die Entscheidungsträger nur kurzfristig absahnen wollen. Wenn die Geschäfte dann nicht mehr so laufen wie gewünscht, zieht man eben weiter. Dies allerdings einem Großteil der handelnden Personen zu unterstellen, greift sicherlich viel zu kurz. Achten Sie darauf, dass die Risikostrategie unbedingt eingehalten wird und prüfen Sie, inwiefern (Fehl-)Anreize, sich nicht strategiekonform zu verhalten, bestehen. Etwa, indem existenzielle Abhängigkeiten von variablen Vergütungsbestandteilen bestehen oder auch, indem nur Umsatz- beziehungsweise Volumenvorgaben, aber eben keine risikoinduzierten Zielgrößen an die Vertriebsmannschaft weitergegeben werden.

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68. Kurzfristorientierung

Lassen Sie sich – gerade über einen kurzen Zeitraum – nicht vom Faktor Glück blenden und belohnen Sie vielmehr Können. Das folgende Beispiel eines Anlageberaters, der einen Börsenbrief verschickt, um möglichst viel Geld einzusammeln, veranschaulicht den Zusammenhang von Glück und Können sowie Langfrist- und Kurzfristorientierung (vgl. Dobelli 2011, S.130): Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Sie sind Anlageberater und möchten möglichst viel Geld bei Ihrer Kundschaft einsammeln, um dieses in Ihren eigenen Fonds zu stecken und dabei Verwaltungsgebühren zu kassieren. Je mehr Geld von Ihnen verwaltet wird, desto mehr Gebühren bleiben auch bei Ihnen hängen. So weit, so gut. Doch Sie sind noch sehr unbekannt in der Branche und haben bisher außer Ihrer Oma Gerti und Ihrem Nachbarn Willibald noch keine vermögenden Kunden akquirieren können. Also entscheiden Sie sich, einen Börsenbrief zu verfassen und damit auf Neukundenjagd zu gehen. Sie haben eine geniale Idee. Sie konnten durch gezielte Werbemaßnahmen insgesamt 10.000 Kunden für Ihren Börsenbrief gewinnen und starten mit Ihren Prognosen. Zu Beginn konzentrieren Sie sich lediglich auf eine Prognose des DAX. Sie gehen dabei wie folgt vor: Sie schicken immer eine Prognose, dass der Aktienindex steigt an die eine Hälfte und dass der Aktienindex fällt an die andere Hälfte der Abonnenten Ihres Börsenbriefs

(Hinweis: wenn der Kurs stagniert, hat dies keinen Einfluss auf Ihre Kunden, da sie weder Geld gewinnen noch verlieren. Aus

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Gründen der Einfachheit bleibt diese Option in Ihrem Börsenbrief und der anschließenden Beispielrechnung unberücksichtigt!). Das nächste Mal gehen Sie analog vor, allerdings schicken Sie immer nur den Abonnenten den neuen Brief, bei denen Sie das letzte Mal mit Ihrer Prognose auch richtig gelegen sind. Ihren fünften Börsenbrief schicken Sie zwar nur noch an 625 Interessenten, aber Sie sehen, wie mit jedem richtigen Tipp die Einsätze Ihrer Kunden steigen. Das einfache, oben genannte, Beispiel macht allerdings auch deutlich, wie „dünn“ das Brett wird, wenn Sie sich nur auf Glück verlassen. Bereits nach dem zehnten Börsenbrief haben Sie nur noch 19 Abonnenten. Durch Können wäre es sicherlich möglich, die Einflussparameter besser abzuschätzen und damit die Chancen, dass Ihre Tipps richtig sind, auf über 50% zu steigern. So viel zur Theorie. In der Praxis hingegen würden Sie wahrscheinlich nach Ausflüchten und Entschuldigungen suchen, warum es gerade bei der letzten Prognose nur „Pech“ oder gar ein „schwarzer Schwan“ war und können dadurch vermutlich den ein oder anderen Anleger trotz Fehlprognose doch noch weiterhin bei der Stange halten. Legen Sie Wert darauf, dass Strategien und Langfristpläne sinnvoll ausgearbeitet und mit konkreten Maßnahmen unterlegt werden und prüfen Sie genau, ob beziehungsweise wie sich „Windfall Profits“ und „Windfall Losses“ ergeben haben, für die Sie gar nichts können. Machen Sie diese transparent, um den Erfolg oder Misserfolg besser einordnen zu können und entweder die Kritik oder das Lob zu dämpfen.

69. Veraltete, leblose Risikostrategie

69. Veraltete, leblose Risikostrategie Ein veraltetes Fundament kann auf Dauer keinen Wolkenkratzer tragen

Bereits der römische Philosoph und Staatsmann Seneca erkannte: „Wer nicht weiß, in welchen Hafen er segeln will, für den ist kein Wind der richtige“. Und genauso ist es eben auch im Risikomanagement. Um die langfristigen Ziele zu erreichen und die Risikofunktion bestmöglich wahrzunehmen, muss auch die Risikostrategie aktuell gehalten werden. Die Risikostrategie wird aus der Geschäftsstrategie abgeleitet und bettet die Risikomanagementfunktion in die strategische und operative Geschäftsplanung ein. Sie enthält die konkreten Zielvorgaben und definiert die Wege zur Erreichung des Soll-Risikozustands. Die Risikostrategie beschreibt in Form eines Lastenhefts den Umgang des Unternehmens mit den als wesentlich eingestuften Risiken. Konkrete Leitfragen, die die Risikostrategie beantwortet, sind unter anderem: -

Welche Risiken bestehen und sollen eingegangen werden, welche Risiken sind unbedingt zu vermeiden? (Wesentliche Risikoarten)

-

Bis zu welcher Höhe sollen die einzelnen Risikoarten eingegangen werden? (Risikoappetit und Ableitung von Risikolimits)

-

Woher stammt das Risiko und welche konkreten Bereiche und Abteilungen sind involviert? (Herkunft der Risiken)

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Welche Maßnahmen werden für welche Risikoarten ergriffen? (Steuerungsmaßnahmen)

-

Welche Risiken werden für welchen Zeitraum eingegangen? (Definition des Zeitraums)

-

Welches Deckungspotenzial kann den schlagend werdenden Risiken gegenübergestellt werden? (Risikotragfähigkeit)

Die Risikostrategie muss natürlich mit Leben gefüllt werden und darf kein „Papiertiger“ sein! Es ist also sehr wichtig, dass Sie Ihre Risikostrategie so ausgestalten, dass jeder Mitarbeiter im Unternehmen die wichtigsten Prinzipien kennt und in seiner operativen Tätigkeit angemessen berücksichtigen kann. Dies umfasst auch die Bereitschaft, die Risikostrategie zu aktualisieren. Speziell für nachgelagerte Prozessschritte im Risikomanagement ist eine stets aktuell gehaltene Risikostrategie, die sich sehr eng an die Unternehmensstrategie anlehnt, essenziell. Stellen Sie also sicher, dass nicht nur die Unternehmensstrategie laufend und sehr flexibel angepasst wird, sondern auch die Risikostrategie. Eine erst mit zeitlichem Versatz aktualisierte Risikostrategie kann ihrer zentralen Rolle im Risikomanagement nicht gerecht werden und führt zwangsläufig dazu, dass die Risikomanagementfunktion nicht optimal arbeiten kann. Der Strategieprozess muss als elementarer Bestandteil der Unternehmensführung und -steuerung im Unternehmen etabliert werden. Dies bedeutet auch, dass es bei größeren Änderungen in der Geschäftstätigkeit nicht damit getan ist, die Strategie einmal jährlich formal fürs

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Protokoll abzunicken. Vielmehr ist der Strategieprozess ein fortwährender, dynamischer Kreislauf. Bei dynamischer Auslegung dieses Kreislaufs ergibt sich auch ein konkret messbarer, betriebswirtschaftlicher Mehrnutzen durch ein noch effektiveres und effizienteres Risikomanagement. Eine gute Risikostrategie sollte dynamisch sein, um auch den geänderten Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Andererseits sollte sie aber auch eine gewisse Stetigkeit aufweisen, sodass sie eine wichtige Orientierungshilfe für die Mitarbeiter liefert. Achten Sie darauf, dass Ihre Risikostrategie so kurz wie nötig und so klar wie möglich ist, sodass sie ganzheitlich verstanden und gelebt werden kann. Jeder Mitarbeiter sollte wissen und verstehen, was und warum er etwas zu tun oder zu lassen hat. Eine gute Risikostrategie orientiert sich am Elevator Pitch. Das heißt, sie ist kurz, prägnant und verwendet eine bildhafte Sprache, die einem schönen Storyboard folgt. Denn eine Risikostrategie ist erst dann erfolgreich, wenn sie nicht nur dokumentiert wurde, sondern wenn sichergestellt ist, dass sie auch praktisch umgesetzt wird. Dies stellt häufig immer noch die größte Herausforderung dar. Der Strategieprozess sollte außerdem durch eine breite Einbeziehung von unterschiedlichen Know-how-Trägern präzise und praxisnah ausgestaltet werden. Glücklicherweise sind wir mittlerweile häufig über die Situation hinweg, dass die Risikostrategie im Hinterzimmer „ausgeheckt“ wird und mit der Realität wenig zu tun hat. Das Management hat aber trotzdem eine exponierte Funktion in der praktischen Umsetzung. Denn gerade der „Tone from the Top“ entscheidet darüber, wie die Strategie im Unternehmen final umgesetzt wird.

70. Keine Verbindung mit der Planung

70. Keine Verbindung mit der Planung Nur wenn alle Unternehmenssegel einheitlich gehisst sind, kann volle Fahrt aufgenommen werden

An der Wichtigkeit von Unternehmens- und Geschäftsjahresplanung zweifelt heutzutage wohl niemand mehr ernsthaft. Denn wie wollen wir denn sonst beurteilen, ob wir uns mit unserem Unternehmen „auf Kurs“ befinden, oder ob korrigierende Eingriffe nötig sind. Ebenso wäre es sonst nur schwer möglich, die knappen Ressourcen möglichst optimal und gewinnbringend einzusetzen. Was allerdings umso überraschender ist, ist die Tatsache, dass die Bereiche Planung und Risikomanagement allzu häufig immer noch isoliert voneinander betrachtet werden. Die meisten Planungssysteme geben keine Auskunft darüber, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein bestimmtes Extremereignis (sogenannter schwarzer Schwan) auftaucht oder mit welcher Wahrscheinlichkeit existenzbedrohende Stressszenarien eintreten. Wenn man sich die Definition von Risiko vor Augen führt - mit der Definition des Begriffs „Risiko“ als „die Gefahr einer Abweichung vom Erwartungswert“ - wird die inhaltliche Überschneidung nochmals überdeutlich. Nehmen Sie sich doch Meteorologen als Vorbild bei der Erstellung Ihrer Pläne und Prognosen: „Im Südwesten ziehen immer wieder Wolken vorbei, die Sonne zeigt sich dabei nur kurz. Ab Mittag sind leichte Regenschauer sehr wahrscheinlich. Im restlichen Teil des Bundesgebiets bleibt © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_70

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70. Keine Verbindung mit der Planung es aber freundlich und trocken bei Tageshöchsttemperaturen von 12 bis 18 Grad.“

Diese Wettervorhersage verwendet eine Bandbreite für die erwartete Tageshöchsttemperatur und gibt die Wahrscheinlichkeiten der Prognosewerte an, indem etwa die Regenschauer als „sehr wahrscheinlich“ eingestuft werden. – Warum verwenden wir dies nicht auch öfter in der Unternehmensplanung? Ist es nicht viel realistischer, Bandbreiten bei den zukünftigen und unsicheren Erwartungswerten anzugeben, anstatt eines exakten Punktwerts? Unerwartete Ereignisse oder veränderte Planungsparameter treten in der Regel immer auf. Sie werfen Pläne über den Haufen oder sorgen zumindest dafür, dass Ergebnisse nicht mit der Prognose übereinstimmen. Vielleicht hätte das Management auch anders entschieden, wenn es die abweichenden Ergebnisse oder die Gründe für die Abweichung gekannt hätte? Entscheidungen können qualitativ viel besser getroffen werden, wenn analog zur Wetterprognose auch ein Korridor möglicher und plausibler Abweichungen von der Ergebnisplanung bekannt ist. Dies ermöglicht auch, bestimmte Schwellenwerte und Sofortmaßnahmen für bestimmte Szenarien vorab zu definieren und damit die Unternehmensgeschicke proaktiv zu steuern, anstatt tatenlos auf die Chancen und Risiken zu warten. Die Zukunft nur anhand eines einzelnen Schätzwerts, etwa für Umsatz oder Betriebsergebnis, zu beschreiben, greift nicht nur zu kurz, sondern kann auch sehr trügerisch sein. Bestimmte, externe Faktoren wie Wirtschaftswachstum, Wechselkurse, Rohstoffpreise et cetera lassen sich nun mal nicht in nur einer einzelnen, häufig völlig isolier-

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ten, Zahl beschreiben. Aus diesem Grund sind bei Szenarioanalysen typischerweise Unterscheidungen in Base Case (erwartetes Grundszenario), Best Case (positive Abweichung vom Grundszenario) und Worst Case (negative Abweichung vom Grundszenario) am gängigsten. Viel wichtiger, als nur eine feste Zahl in der Planung auszuweisen, ist aufgrund der Unsicherheit der Zukunft vielmehr eine Bandbreitenplanung. Diese kann sich beispielsweise an folgenden Leitfragen orientieren: -

Welche Risiken und Szenarien können in 12 oder 24 Monaten zu einer Planabweichung führen?

-

Welche Ereignisse können dazu führen, dass die Risikotragfähigkeit des Unternehmens nicht mehr gegeben ist oder dass die Risikostrategie grundlegend angepasst werden muss?

-

Welche Risikosteuerungsmaßnahmen sind aus ökonomischer Sicht zielführend und welche sind eher nutzlos?

Eine enge Verbindung von Planung und Risikomanagement kann die ansonsten eher „eindimensionalen“ Planwerte um Erwartungswerte und unterschiedliche Szenarien sowie die potenzielle Planungsunschärfe, also die Abweichung aufgrund von Chancen oder Risiken, ergänzen.

71. Mangelhafte Risikokommunikation

71. Mangelhafte Risikokommunikation Warum klare, einfache und direkte Kommunikation am besten hilft

Eine klare, systematische und adressatenorientierte Kommunikation über die vorhandenen und potenziellen Risiken im Unternehmen sowie deren Steuerung ist elementarer Bestandteil eines funktionierenden Risikomanagements. Da das Risikomanagement eine Schnittstellenfunktion ist, finden auch unterschiedlichste Kommunikationswege statt, zum Beispiel zwischen Fachspezialisten und Risikomanagern, innerhalb des Risikomanagements, zwischen Risikomanagern und der Unternehmensleitung, innerhalb der Unternehmensleitung, aber auch mit externen Geschäftspartnern und Experten. Gerade in der Finanzmarktkrise gab es im Bankenumfeld zahlreiche Beispiele, wo und wie die Risikokommunikation versagt hat. Es besteht seitdem weitgehende Einigkeit darüber, dass eindeutige Vorgaben ein zentraler Erfolgsfaktor für die Risikokommunikation sind. So kann beispielsweise ein periodischer Standardrisikobericht vorgesehen sein, in dem in regelmäßigen Abständen auf die Risikosituation und insbesondere auch die Entwicklung der Risiken im Zeitablauf eingegangen wird. Unterstützend hierzu bieten sich bestimmte Ad-hocBerichte an, wenn gewisse Situationen eine umgehende Information der

Berichtsempfänger

erfordern,

damit

diese

schnellstmöglich

handeln können. Ein sehr drastisches Beispiel für mangelhafte Risikokommunikation war der Absturz des Mars Climate Orbiter im Jahr 1999: © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_71

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71. Mangelhafte Risikokommunikation Der Mars Climate Orbiter war eine NASA-Sonde, die im Rahmen des Discovery-Programms zum Mars gebracht werden sollte. Sie startete am 11. Dezember 1998 vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral. Am 23. September 1999 erreichte sie den Mars und startete ihr Triebwerk, um von der Mars-Gravitation eingefangen zu werden. Geplant war, durch Abbremsen und eine elliptische Flugbahn, nach 44 Tagen das endgültige Ziel zu erreichen. Doch nach dem Abbremsmanöver konnte kein Kontakt mehr zur Sonde hergestellt werden. Der Fehler konnte schnell ermittelt werden. Er lag in der Kommunikation zwischen der NASA und dem Hersteller der Navigationssoftware, Lockheed Martin. Denn während die NASA mit der Einheit Newton rechnete, nahm die Navigationssoftware Poundforce, also eine 4,45-mal so große Basis. Raumfahrtexperten haben darauf hingewiesen, dass ein solcher Einheitenfehler nicht zwingend zur Katastrophe führen muss. Vielmehr hätten erfahrene Bodenmannschaften den Einheitenfehler auch noch während des Flugs entdecken und so den Absturz verhindern können. Es kommt eben „nur“ auf die Risikokommunikation drauf an.

Wie sich gerade bei diesem Vorfall sehr anschaulich gezeigt hat, braucht Risikokommunikation insbesondere zwei Dinge: erstens Vertrauen und zweitens Gelegenheit. Eine Unternehmens- und Risikokultur lässt sich nicht erzwingen, genauso wenig wie das Zusammenwachsen von Teams. Die Aufgabe des Managements ist es hierbei

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vielmehr, Geduld, Erfahrung und Aufmerksamkeit einzubringen. Darüber hinaus sollten die Kommunikationskanäle am Laufen gehalten werden. Einerseits geplant als regelmäßige Besprechungen und Jour Fixes, aber andererseits auch ungeplant und informell, beispielsweise in Form von gemeinsamen Ritualen wie Mittagessen und Kaffeepausen. So können in den regelmäßigen Besprechungen wichtige Themen strukturiert abgehandelt werden, während beim informellen Austausch häufig unbekannte und noch unstrukturierte Themen in einem sehr frühen Stadium zu Tage treten können. Die große Kunst in der Risikokommunikation ist es, die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Empfänger zu liefern. Auf Basis dieser Informationen soll der Empfänger in seiner Entscheidung im Rahmen der Risikosteuerung unterstützt werden und es soll erreicht werden, dass die Vorgaben aus der Risikostrategie stets eingehalten werden können. Neben den zahlreichen, formalen Vorgaben ist es deshalb aber auch sehr wichtig, dass Sie als Entscheidungsträger nahe an den Mitarbeitern und damit nahe am Puls des Geschehens sind. Betreiben Sie „Management by Walking Around“ und Sie werden sehen, wie schnell und proaktiv Sie einige Dinge erfahren und beeinflussen können. Und im Idealfall können mögliche Probleme und Risiken, noch weit bevor sie schlagend werden, antizipiert und „repariert“ werden.

72. Fehlende Anreizsteuerung

72. Fehlende Anreizsteuerung You get what you pay Gerade der Faktor Vergütung kann häufig als ein zentraler Grund angeführt werden, warum Unternehmen in Schieflage geraten und unverhältnismäßig hohe Risiken eingegangen werden. In der Finanzkrise sieht man in der Nachschau sehr deutlich, welche Auswirkungen besonders aggressive Vergütungssysteme haben können und in welchem krassen Gegensatz sie zur nachhaltigen und risikosensiblen Entwicklung des Unternehmens stehen können. Das Beispiel der nicht mal besonders großen Lehman Brothers Bank, deren Zusammenbruch den zwischenzeitlichen Höhepunkt der Finanzmarktkrise markierte, ist dabei sicherlich eines der extremsten: Es geht hierbei insbesondere um Dick Fuld, den damaligen Chef von Lehman Brothers. Er ist besonders aggressiv zu Werke gegangen und glaubte, dass „jeder Tag eine Schlacht“ sei. Von seinen Mitarbeitern wurde er deshalb „Gorilla“ genannt. Er trieb seine Leute zu immer riskanteren Geschäften an. 39 Jahre arbeitete er für Lehman, davon 14 Jahre als Vorstandsvorsitzender. Ein Magazin feierte ihn als Held, der „den WallStreet-Statisten Lehman in eine superheiße Maschine verwandelte". Der Aktienkurs von Lehman stieg scheinbar unaufhörlich: um durchschnittlich 25 Prozent pro Jahr, 14 Jahre lang. 480 Millionen Dollar hatte Fuld so in nur acht Jahren verdient.

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72. Fehlende Anreizsteuerung Um den Aktienkurs zu befeuern und damit den eigenen Verdienst in neue Rekordhöhen zu katapultieren, benötigte Lehman immer neue Rekorderträge. Die Zauberformel hierfür hieß Fremdkapital und Leverage-Effekt. Am Ende hatte Lehman gerade einmal 3% Eigenkapital, der Rest war Fremdkapital, das in zweitklassige, hypothekengesicherte Wertpapiere ging, die eine schöne Rendite abwarfen. Als diese Wertpapiere ausfielen, konnte auch Lehman seine Kredite nicht mehr bedienen.

Dies ist nur ein, wenn auch ein sehr extremes, Beispiel für die gravierenden Fehlanreize, die sich durch ein schlecht ausgerichtetes Vergütungssystem ergeben können. Um solche Extremsituationen zukünftig zu verhindern, kann die Bankenaufsicht zumindest für deutsche Institute zukünftig bei besonders aggressiven Vergütungssystemen sogar einschreiten und diese ablehnen. Kurzfristige Geschäftserfolge dürfen bei den variablen Vergütungsbestandteilen von Managern und „Risk Takern“, also solchen Mitarbeitern, die hohe Risiken eingehen können, keine Rolle mehr spielen. Notfalls müssen Verantwortliche sogar einen Bonus ganz oder teilweise zurückzahlen. Dasselbe gilt für Abfindungen für ausscheidende Mitarbeiter. Es sollte auf den ökonomischen Erfolg, also die Berücksichtigung aller Kosten für das investierte Kapital, als Grundlage für die Vergütung abgestellt werden. Aus Motivationsgründen ist ein variabler Anteil natürlich auch weiterhin sehr wichtig. Je höher der Erfolg, umso höher soll auch der Bonus sein. Es muss dabei allerdings sichergestellt sein, dass der Erfolg nachhaltig ist und nicht etwa durch „Schönen“ der Bilanz, sonstiges „Verstecken“ von (drohenden) Verbindlichkeiten und Risiken oder der Beeinflussung von Kenngrößen, wie der Erhöhung

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des Return on Equity durch einfaches Reduzieren des eingesetzten Eigenkapitals, zustande kam. Im Zentrum sollte also immer die nachhaltige Wertsteigerung des Unternehmens stehen. Mögliche Anhaltspunkte dabei können sein: -

Mehrjährige Ziele für die Vergütung, die auch von der jährlichen Planung weitgehend unabhängig sind

-

Verwendung absoluter Gewinn-Kennzahlen, unter Berücksichtigung der vollen Kosten für das eingesetzte Kapital, bei der Ermittlung der Performance

-

Beteiligung des Managements, sowohl an den Chancen als auch an den Risiken, quasi als „Unternehmer im Unternehmen“

Obwohl die Vergütung ein ganz zentraler Anreiz für den Umgang und das Eingehen mit/von Risiken ist, ist sie eben auch nur ein mögliches Anreizelement. Mindestens genauso wichtig sind die Unternehmensund Risikokultur sowie auch die organisatorische Umsetzung und die Anzahl von „Risk Takern“. Hier geht es um Fragen, wie etwa: -

Wie werden die internen Vorgaben und die Risikostrategie vom Management vorgelebt („Tone from the Top“)?

-

Gibt es ein strenges Vier-Augen-Prinzip und keine alleinigen Risk Taker?

-

Können die Zielvorgaben bei Umsatz und Betriebsergebnis realistisch erreicht werden, ohne dabei allzu große Risiken eingehen zu müssen?

-

Entsprechen die Wachstumsvorgaben dem Markttrend oder wie werden überproportionale Wachstumsraten begründet?

73. Egozentrische Verzerrung

73. Egozentrische Verzerrung „Ich bin der König der Welt!“

Die egozentrische Verzerrung beschreibt Situationen, in denen sich Personen so sehr auf ihre eigene Perspektive fokussieren, dass sie sich nicht vorstellen können, wie sich eine bestimmte Strategie oder Vorgehensweise auf andere Menschen auswirken wird. Es wird unterstellt, dass alle Personen denselben Zugang zu denselben Informationen hätten. Diese Personen – typischerweise ohne Bezug zum Tagesgeschäft – haben sprichwörtlich den Kontakt zur Basis des Unternehmens verloren. Die egozentrische Verzerrung geht häufig auch einher mit Selbstüberschätzung. Wer Macht hat, deutet Situationen und Zuständigkeiten häufig aus seiner ganz eigenen Perspektive, unter Berücksichtigung seiner Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeiten, sodass der nüchterne Blick für die Gegebenheiten fast vollständig verloren gehen kann. Tatsächlich sind wir sogar blind für Veränderungen. In seiner Studie zeigt der amerikanische Psychologe Thomas Gilovich, dass wir bei geänderten,

eigenen

Lebensumständen

häufig

fälschlicherweise

annehmen, dass sich die Welt verändert habe. Dies zeigt auch die folgende, fiktive Situation: Herr Mayer fährt mit seiner Frau bei dichtem Verkehr auf der Überholspur der dreispurigen Autobahn. Plötzlich fällt ihm ein, dass er an der nächsten Ausfahrt abfahren muss. Er reißt das Lenkrad blitzartig nach rechts, ohne in den Rückspiegel oder auf © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_73

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73. Egozentrische Verzerrung die anderen Verkehrsteilnehmer zu schauen. Hinter ihm entsteht ein großer Unfall, er bemerkt hiervon aber nichts. Als er auf die Bundesstraße einfährt und eine Brücke über der Autobahn passiert, sieht er die Massenkarambolage und sagt zu seiner Frau: „Siehst du Hildegard, es war doch gut, dass wir abgefahren sind, sonst würden wir jetzt auch im Stau stehen!“

Die egozentrische Verzerrung erfolgt typischerweise unbewusst und wir schreiben Erfolge unseren tollen Fähigkeiten und der harten Arbeit zu, während Misserfolge auf Pech, äußere Umstände oder die Schuld anderer zurückgeführt werden. Bei einer von Tanaka 1993 in Japan durchgeführten Studie wurden die Probanden gebeten, faire und unfaire Verhaltensweisen, die sie selbst oder andere taten, aufzuschreiben. Dabei zeigte sich, dass im Zusammenhang mit fairem Verhalten häufig das Wort „ich“ und im Zusammenhang mit unfairem Verhalten häufig die beiden Worte „die anderen“ verwendet wurden. Um der egozentrischen Verzerrung Einhalt zu gebieten, ist es wichtig, dass die Unternehmenskultur ein offenes und kritisches Feedback nicht nur erlaubt, sondern auch explizit einfordert. Nur durch einen laufenden und auch formalisierten Austausch mit Außenstehenden und eine dadurch ermöglichte Reflektion des eigenen Handelns und Auftretens ist es möglich, sich ein abschließendes Bild von sich und seinem Auftreten zu machen. Dadurch ist auch ein Abgleich von Eigen- und Fremdbild sehr einfach möglich.

73. Egozentrische Verzerrung

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Mindestens genauso wichtig ist es, Fehler einzugestehen und diese auch mit anderen zu teilen, damit alle im Unternehmen daraus lernen können. Denn nur so kann in Zukunft vermieden werden, dass dieselben Fehler nochmals auftreten. Genauso sollten Sie auch bei Erfolgen kurz innehalten und sich hinterfragen, was die konkreten Ursachen hierfür waren. Waren es nur „Windfall Profits“ durch günstige Rahmenbedingungen? Haben Sie Ihren Umsatz beispielsweise nur aufgrund einer Preiserhöhung oder eines einmalig angestiegenen Bedarfs bei einem Kunden erzielt? Konnte das Ergebnis nur aufgrund von Wechselkurseffekten und niedrigeren Rohstoffpreisen verbessert werden? Natürlich mag es verlockend sein, sich auch die Erfolge, die nur aufgrund von Glück oder Zufall entstanden sind, selbst zuzuschreiben. Getreu dem Motto: „Das Glück ist bei den Tüchtigen“. Dies hilft Ihnen für die Zukunft aber nicht weiter. Vielmehr sollten Sie die wahren Ursachen transparent machen, um einerseits frühzeitig möglichen Verbesserungsbedarf zu erkennen und andererseits auch Misserfolge in der Zukunft, die tatsächlich auf Pech und ungünstige externe Rahmenbedingungen zurückzuführen sind, erklären zu können, ohne sofort das grundlegende Geschäftsmodell ändern zu müssen. Der amerikanische Sozialpsychologie David Dunning, der maßgeblich bei der Beschreibung des Effekts der Selbstüberschätzung beteiligt war, rät deshalb zu etwas mehr Misstrauen gegenüber der eigenen Ansicht. Es kann Ihnen bereits helfen, wenn Sie sich ergebnisoffen die Meinung anderer anhören und Sie sollten nicht allzu überrascht sein, wenn/dass Sie öfter als gedacht mit Ihren Einschätzungen und Wahrnehmungen falsch liegen!

74. Prävalenzfehler

74. Prävalenzfehler Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast

Der Prävalenzfehler (häufig auch Base Rate Fallacy genannt) ist ein formaler Fehlschluss, der entsteht, wenn Informationen für eine bedingte Wahrscheinlichkeit einer einzelnen Variable und Informationen für die statistische Grundgesamtheit vermischt werden. Deshalb wird er häufig auch Base Rate Fallacy, also Basisratenmissachtung oder Basisratenfehler, genannt. Den Prävalenzfehler sieht man sehr anschaulich an folgendem Beispiel: In einer Stadt mit 1 Million Einwohnern leben 100 Terroristen und 999.900 Nicht-Terroristen. Somit ist die Basisratenwahrscheinlichkeit eines zufällig ausgewählten Einwohners der Stadt, ein Terrorist zu sein, 0,0001 und die Basisratenwahrscheinlichkeit desselben Einwohners, ein Nichtterrorist zu sein, beträgt 0,9999. In einem Versuch, die Terroristen zu schnappen, installiert die Stadt ein Alarmsystem mit einer Überwachungskamera und einer automatischen

Gesichtserkennungssoftware.

Diese

Software

weist allerdings zwei Fehlerraten von jeweils 1% auf: 1. Falsche Negativrate: Wenn die Kamera einen Terroristen scannt, wird zu 99% der Alarm ausgelöst und zu 1% nicht. 2. Falsche Positivrate: Wenn die Kamera einen Nicht-Terroristen scannt, wird zu 99% der Alarm nicht ausgelöst und zu 1% wird er ausgelöst.

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Angenommen, ein Bewohner löst den Alarm aus. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Person ein Terrorist ist? Jemand, der den Prävalenz- oder Basisratenfehler macht, würde folgern, dass es eine 99,99-prozentige Chance gibt, dass die erkannte Person ein Terrorist ist. Dies ist allerdings falsch. Denn wie die folgende Rechnung zeigt, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die erkannte Person ein Terrorist ist, bei knapp 1%. Wenn alle Einwohner der Stadt an der Kamera vorbeilaufen würden, würde bei 99 von 100 Terroristen der Alarm auslösen und bei 9.999 der 999.900 Nicht-Terroristen. Deshalb werden ungefähr 10.098 Menschen den Alarm auslösen, unter denen wiederum 99 Terroristen sind. Also ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person, die den Alarm auslöst, tatsächlich ein Terrorist ist, nur etwa 99 zu 10.098, was knapp unter 1% ist! Auch in anderen Bereichen zeigt sich der Prävalenzfehler sehr deutlich. Viele Lebensmittelhersteller schreiben auf Ihre Verpackungen lieber „50% Extra“ anstatt „33% Rabatt“. Wenn Sie beispielsweise insgesamt 6 Dosen Bier mit der Aufschrift „50% Extra“ kaufen, erhalten Sie „nur“ 2 Dosen dazu. Diesem einfachen Marketingtrick gehen die meisten von uns auf den Leim und überschätzen den Spareffekt! Speziell bei Wahrscheinlichkeiten oder unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten zeigt sich sehr deutlich, dass wir uns sehr schwer damit tun, diese schnell und präzise einzuschätzen. Denken Sie doch nur einmal an das eigentlich recht simple Konstrukt des Value-at-Risks, bei dem in nur einer Kennzahl mit einem Konfidenzintervall von zum Beispiel

74. Prävalenzfehler

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95% oder 99% angegeben wird, wie hoch der maximal zu erwartende Verlust in Euro für dieses Niveau ist. Allein dies wird und wurde in der Vergangenheit sehr häufig falsch eingeschätzt. Das Konfidenzintervall wird entweder sehr schnell komplett ausgeklammert und die Kennzahl wird als maximal möglicher Verlust interpretiert. Oder aber, es fehlt das Gespür für das Verlustpotenzial der Ausreißer, also der nicht erfassten 5% oder 1%, die außerhalb des Konfidenzintervalls liegen. Speziell in Fällen, in denen wir von Emotionen getrieben werden, tun wir uns schwer, rational zu handeln. Überreaktionen bei Krisen und Forderungsausfällen sind nur ein Beispiel. Oder schauen Sie nur einmal an die Aktienmärkte: gemäß des Konzepts der Markteffizienz sollten die Marktpreise von Aktien eigentlich alle Informationen einpreisen. Tatsächlich sieht man vor oder nach gewissen Ereignissen, wie etwa Änderungen der Leitzinssätze, dass die Kurse stark schwanken und sich erst langsam wieder „normalisieren“. Wie das obige Beispiel gezeigt hat, ist es sehr hilfreich, sich einerseits in Ruhe hinzusetzen und die Wahrscheinlichkeiten aufzuschreiben und dann den tatsächlichen Effekt auszurechnen. Hüten Sie sich dabei speziell vor intuitiven „Schnellschüssen“. Auf der anderen Seite sollte die Komplexität von Modellen und Simulationen auf ein Minimum reduziert werden, denn die Zahlen müssen im Unternehmensalltag möglichst schnell und eindeutig interpretierbar sein! Je mehr Wahrscheinlichkeiten und Konfidenzintervalle beinhaltet sind, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese nicht oder falsch berücksichtigt werden oder dass unterschiedliche Prämissen fälschlicherweise miteinander vermischt oder vertauscht werden.

75. Überschätzen der Portfoliobetrachtung

75. Überschätzen der Portfoliobetrachtung Allein durch Portfoliomanagement wird ein Bündel Stroh noch lange nicht zu Gold

Die risikoreduzierende Wirkung der Portfoliobetrachtung wird mittlerweile nur noch von den Wenigsten bestritten. Gleichzeitig wird die Portfoliobetrachtung aber sehr häufig drastisch überschätzt, man kann fast schon von einer „Diversifikations-Illusion“ sprechen. Es geht dabei explizit nicht um den risikomindernden Effekt der von Markowitz geprägten Portfoliotheorie, der ja schon mehrfach wissenschaftlich validiert und präzisiert wurde. Vielmehr zeigen sich in der Praxis häufig handwerkliche Fehler in der Umsetzung sowie Fehlinterpretationen der Möglichkeiten des Portfoliomanagements. Die Prinzipien „gut gestreut ist halb gewonnen“, „breit gestreut, nie bereut“ oder „man soll nicht alle Eier in einen Korb legen“ können nur dann ihre risikoreduzierende Wirkung erfüllen, wenn das Risiko insgesamt gering gehalten wird und nicht, wenn man sich nur auf einzelne Anlageklassen konzentriert. Über eine breite Verteilung der Anlagen lässt sich das Risiko eines Portfolios zwar senken. Doch insbesondere die Finanzkrise hat gezeigt, dass eine Streuung nicht immer den erhofften Schutz bietet und nicht so krisenstabil ist, wie angenommen. Denn viele Anlageklassen laufen insbesondere in Stressphasen gleich gängige Korrelationen greifen dann also nicht mehr. Der Gleichlauf zwischen einzelnen Anlageklassen ist in den vergangenen Jahren sogar stetig gestiegen. Das führte nach der Krise dazu, dass die

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75. Überschätzen der Portfoliobetrachtung

Vorzüge der Portfoliodiversifikation – und damit auch die moderne Kapitalmarkttheorie – infrage gestellt wurden. Don Phillips, Geschäftsführer von Morningstar Inc., erläuterte auf der Morningstar-Konferenz über Portfoliokonstruktion am 5. Mai 2004 sehr anschaulich die Illusion der Risikostreuung vieler Anleger: „Anleger neigen dazu, Fonds zu kaufen, die im letzten Jahr in den Ranglisten ganz oben standen. Sie erwerben damit aber lediglich verschiedene

Schattierungen

desselben

Anlagestils“,

sagte

Phillips vor 300 Beratern und Anlegern auf der eintägigen Veranstaltung in Toronto, die Wege zu einer effektiven Portfoliokonstruktion aufzeigen wollte. „Indem ich auf das gesamte Depot schaue, kann ich erkennen, wann ein Anleger einen bestimmten Fonds gekauft hat“, sagte er. „Viele Anleger kaufen, wenn Fonds in Mode sind.“ Phillips erinnert sich an ein Depot, das er 1999 analysierte. Es enthielt fünf verschiedene Aktienfonds und schien gut diversifiziert zu sein. Bei näherem Hinsehen stellte sich aber heraus, dass vier von fünf Aktienfonds zur Hälfte in Technologiewerten investiert waren und der fünfte sogar ein reiner Technologiefonds war. Das Gesamtdepot war damit sehr eng aufgestellt und bei einer Krise des Technologiesektors akut gefährdet. Um eine wirklich risikoreduzierende Wirkung durch intelligentes Portfoliomanagement und durch Diversifikation zu erreichen, ist es wichtig, dass Sie die Risiken sehr genau prüfen. Schauen Sie hinter

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die Fassade und prüfen Sie, aus welcher Branche Ihre Hauptkundengruppe kommt beziehungsweise von welchen Faktoren der nachhaltige Erfolg Ihrer Kunden am wesentlichsten abhängt. Hierbei spielen Stresstests eine wesentliche Rolle. Um Stresstests möglichst systematisch aufzubauen und wesentliche Einflussgrößen nicht zu vergessen oder zu unterschätzen, kann es sehr hilfreich sein, mit Einfluss- und Konsistenzmatrizen die unterschiedlichen Szenarien zu erarbeiten. Neben der Definition von kritischen Schwellenwerten helfen Stresstests insbesondere auch dabei, unter Umständen verdeckte Wechselwirkungen einzelner Risiken untereinander und Konzentrationsrisiken im Allgemeinen aufzudecken. Lassen Sie sich nicht blenden von einer angeblich perfekten Diversifikation und setzen Sie verstärkt auf Ihren „gesunden Menschenverstand“. Denn aus einem Haufen Stroh Gold zu machen, funktioniert nicht einmal im Märchen. Nicht umsonst heißt es im IT-Umfeld häufig: „garbage in, garbage out“. Die Portfoliobetrachtung kann maximal dabei unterstützen, Risiken zu streuen, aber sie kann die grundlegenden Risiken nicht eliminieren. Auf der anderen Seite sollte berücksichtigt werden, dass es durchaus erstrebenswert sein kann, nicht perfekt diversifiziert zu sein und sich stattdessen auf bestimmte Fokusbereiche zu spezialisieren und sein Profil zu schärfen. Eine Konzentration an sich ist ja nichts Schlimmes. Viel wichtiger ist nur, dass diese im Einklang mit der Risikostrategie steht und transparent in den Entscheidungsprozessen berücksichtigt wird.

76. Sicherheits- und Möglichkeitseffekt

76. Sicherheits- und Möglichkeitseffekt Sein oder nicht sein (oder sein können) – das ist hier die Frage

Der Sicherheits- und auch der Möglichkeitseffekt entstammen der 1979 entwickelten Prospect Theory der beiden Psychologieprofessoren Daniel Kahneman und Amos Tversky und beschreiben kognitive Verzerrungen bei der Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten. Tversky und Kahneman konnten zeigen, dass die subjektive Bewertung von Gewinnen und Verlusten nicht linear erfolgt. Der Sicherheitseffekt (Certainty Effect) beschreibt die Situation, dass wir uns wohler fühlen, wenn etwas sicher und nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich ist. Die Tatsache, dass speziell kleinen Wahrscheinlichkeiten oft ein unverhältnismäßig hohes Gewicht beigemessen wird, zeigt sich auch beim folgenden Gedankenexperiment: Wie viel würden Sie für die Gelegenheit bezahlen, beim Russisch Roulette eine Kugel aus der geladenen Pistole zu entfernen? Wie viel würden Sie für die Reduzierung der Todeswahrscheinlichkeit von 4/6 auf 3/6 bezahlen? Und wie viel für die Reduzierung von 1/6 auf null? Die meisten Teilnehmer dieses Gedankenexperiments waren bereit, einen deutlich höheren Betrag für die Reduzierung von 1/6 auf null zu bezahlen als für die Reduzierung von 4/6 auf 3/6. Dies erscheint irrational, da dem gleichen numerischen Wahrscheinlichkeitsintervall von

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1/6 ein unterschiedliches Gewicht beigemessen wird. Der Grund hierfür liegt in der Nullrisiko-Verzerrung und der Verlustaversion. Dies ist auch der Grund, warum viele Menschen Versicherungen kaufen, die sie eigentlich gar nicht benötigen oder sich sogar doppelt oder mehrfach versichern. Oder auch, warum Situationen wie die folgende sehr häufig eintreten: Eine Person, die zwischen einer 95-prozentigen Chance auf 10.000 EUR oder einer 100-prozentigen Chance auf 9.499 EUR wählen kann, wird normalerweise das Risiko vermeiden und die 100-prozentige, sichere Option wählen. Dies ist allerdings irrational, ist doch der Erwartungswert der Chance mit 95% x 10.000 EUR = 9.500 EUR und damit höher als der des Risikos. Im Umgang mit Chancen und Risiken handeln wir häufig getreu dem uns seit frühester Kindheit anerzogenen Motto „lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ und streichen lieber einen sicheren, deutlich niedrigeren, Gewinn ein, als auf die Chance auf einen deutlich höheren Gewinn zu setzen. Selbst wenn diese Chance sehr groß oder überproportional größer als der Unterschied der Gewinnsummen ist, wie das obige Beispiel gezeigt hat. In ähnlicher Weise wie der Sicherheitseffekt wirkt auch der Möglichkeitseffekt (Possibility Effect). So wird beispielsweise ein Übergang von 0 auf 1 Prozent als viel höher bewertet als ein Übergang von 50 auf 51 Prozent. Speziell kleine Wahrscheinlichkeiten werden systema-

76. Sicherheits- und Möglichkeitseffekt

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tisch überschätzt. Dies erklärt auch die Beliebtheit von Lottospielen: kleine Ausgaben mit einer noch kleineren Gewinnchance auf einen sehr großen Gewinn. Die Leute gewichten kleine Wahrscheinlichkeiten über und haben den unvorstellbar großen Gewinn vor Augen. Natürlich sind in der (Risiko-)Managementpraxis die einzelnen Wahrscheinlichkeiten nicht immer so eindeutig. Vielfach werden diese geschätzt, sodass es auch verständlich erscheint, dass für eine (vermeintlich) absolute Sicherheit ein deutlicher Zuschlag bezahlt wird. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, einmal kritisch zu prüfen beziehungsweise zu hinterfragen, ob der Sicherheitseffekt wirklich ökonomisch sinnvoll ist. Ermitteln Sie doch einfach einmal, wie häufig ein Schadensfall eintreten muss, damit sich eine Versicherung „lohnt“. Speziell für Extremereignisse und externe Effekte wie Brand, Blitzschlag, Wasserschaden et cetera mag dies sinnvoll erscheinen. Auf der anderen Seite ist bei Versicherungen, die Ihr alltägliches Geschäft betreffen und die gleichzeitig relativ teuer sind, die Frage, ob Sie die Risiken nicht besser und ökonomischer selbst steuern können? Da sich der Sicherheits- und Möglichkeitseffekt weitgehend unterbewusst abspielen, kann eine aktive Beschäftigung mit dieser Problematik schon hilfreich sein, um dies zumindest teilweise in die bewusste Steuerung zu überführen. Wie viel Risikoappetit Sie dann letzten Endes aufweisen, bleibt Ihnen unter Berücksichtigung Ihrer Risikostrategie natürlich selbst überlassen.

77. Blind-Validierungen

77. Blind-Validierungen Wie validiert man noch nicht dagewesene Ereignisse?

Ein

großes

Problemfeld

im

Risikomanagement

sind

Blind-

Validierungen. Also insbesondere die Ermittlung und kritische Prüfung von plausiblen, aber eben bisher noch nicht eingetretenen Szenarien. Speziell in Krisenzeiten und wenn bei Wettbewerbern oder in anderen Branchen extreme Schäden eintreten, sieht man häufig die Reaktion, dass der Effekt eines solchen Schadens auch auf das eigene Unternehmen untersucht wird. Unter dem Einfluss der noch aktuellen Ereignisse wird die Eintrittswahrscheinlichkeit häufig überschätzt. Gleichzeitig fehlen häufig aber auch schlichtweg stichhaltige Argumente, um eine objektive Validierung vorzunehmen. Wie validiert man noch nicht dagewesene Ereignisse? Dies ist schlichtweg unmöglich und kann nur näherungsweise erfolgen. Der Hauptansatzpunkt für noch nicht eingetretene Ereignisse sollte eine präzise Prozess- und Schwachstellenanalyse sein. Nehmen Sie sich beispielsweise ein Beispiel an der Luft- und Raumfahrtindustrie. Auch hier spielen Extremereignisse, die bisher noch nicht dagewesen sind, eine sehr wichtige – häufig überlebenswichtige – Rolle. Neben Erfahrungsberichten anderer Betroffener ist insbesondere die präzise Analyse von Schäden sehr wichtig. So wurde beispielsweise in Unfalluntersuchungen erkannt, dass (im Nachhinein betrachtet) alle Informationen, die notwendig gewesen wären, um die Katastrophe zu verhindern, vorlagen. Sie wurden entweder nicht wahrgenommen, nicht als ernst eingestuft oder aber auf ihrer Grundlage wurden keine © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_77

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77. Blind-Validierungen

angemessenen Maßnahmen ergriffen. Um aus eingetretenen Unfällen auch die richtigen Schlüsse zu ziehen, werden speziell in der Luft- und Raumfahrt häufig sehr große Anstrengungen unternommen, um Schadensfälle zu analysieren. Dies zeigte sich beispielsweise beim Flug SR 111, der am 02.09.1998 wegen starker Rauchentwicklung im Flugzeuginneren vor der kanadischen Küste ins Meer stürzte. Hier konnten mit Hilfe von Tauchern und Spezialschiffen knapp 98% der Wrackteile vom Meeresgrund geborgen und an Land wieder zusammengesetzt werden. Anschließend wurden umfassende Tests zum Brandverhalten mit den Originalteilen und -materialien durchgeführt. Darüber hinaus kann bei großen Katastrophenfällen immer wieder beobachtet werden, dass es sogenannte „Early Signals“ gibt. Der Eintritt eines Großschadens ist also nicht auf eine einzelne Ursache zurückzuführen, sondern stellt häufig eine Kettenreaktion von ungünstigen Umständen dar. Die Eliminierung nur einer negativen Einflussgröße kann regelmäßig die Katastrophe verhindern. Sicherlich sind die Folgen von Risiken insbesondere auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht immer so gravierend, wie beispielsweise in der Luft- und Raumfahrtindustrie, aber speziell bei operationellen Risiken können durch menschliche Fehler sehr schnell gravierende Schäden und auch Schäden an der Reputation entstehen. Belastbar durchgeführte Blind-Validierungen sollten als ein laufender Prozess angesehen werden. Im ersten Schritt geht es darum, die Prozesse im Unternehmen ganz genau auf mögliche Schwachstellen – etwa im Rahmen einer Gefährdungsanalyse – zu untersuchen. Hierbei können auch Einfluss- und Konsistenzmatrizen, Expertenschätzungen

77. Blind-Validierungen

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sowie Erfahrungsberichte von externen Firmen innerhalb und außerhalb der eigenen Branche helfen. Anschließend ist es wichtig, diese Schätzungen laufend zu überprüfen und zu aktualisieren. Speziell durch das sogenannte „Backtesting“ können einerseits Feinjustierungen und Kalibrierungen vorgenommen werden, um die Ergebnis- und Prognosegüte zu verbessern. Andererseits sollten immer auch die grundsätzlichen Einflussparameter geprüft werden. So können sich je nach Markt- und Risikosituation auch ursprünglich als stabil angenommene Einflussparameter ändern oder aufbrechen. Mindestens genauso dynamisch wie die Unternehmensumwelt müssen auch die Risikomodelle und –methoden sein. Denn die Zukunft kann der Vergangenheit zwar ähneln, sie wiederholt sich aber bekanntlich nicht. Aus diesem Grund erfreuen sich die Ansätze der Resilienz und Antifragilität speziell bei Extremereignissen großer Beliebtheit. Denn anstatt Extremereignisse so präzise wie möglich vorherzusagen und abzuschätzen, geht es dabei darum, so aufgestellt zu sein, dass man bei geänderten Rahmenbedingungen flexibel reagieren kann und keine existenzbedrohenden Schäden eintreten können. Gleichzeitig sollte aber auch hier sehr kritisch geprüft werden, ob die Ansätze den hehren Zielen wirklich immer gerecht werden oder ob sie nur eine trügerische Sicherheit suggerieren.

78. Gelernte Sorg- und/oder Hilflosigkeit

78. Gelernte Sorg- und/oder Hilflosigkeit Die Gefahr von Angststarre und schwarzen Löchern

Die gelernte Sorg- und Hilflosigkeit beschreiben zwei Formen irrationalen Verhaltens aufgrund von Gewöhnungseffekten. Die erstgenannte Form beschreibt die Situation, wenn ein Akteur nach einer Serie erfolgreicher Engagements das Gefühl für drohende Verluste verlernt hat und demzufolge bereit ist, immer höhere Risiken einzugehen. Das folgende Beispiel veranschaulicht die Funktionsweise der gelernten Sorglosigkeit sehr gut: Sie fahren regelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit. Sie fühlen sich dabei sicher. Hin und wieder lenken Sie das Fahrrad mit nur einer Hand, weil Sie mit der anderen Ihre Tasche halten, eine Richtungsänderung anzeigen, Freunde oder Kollegen grüßen et cetera. Da Sie keinen Unfall haben, lernen Sie, dass einhändiges Fahren problemlos möglich ist. Nun beginnen Sie, freihändig zu fahren, um während der Fahrt ein Eis zu essen, eine Nachricht auf dem Smartphone zu schreiben oder zu prüfen, ob Sie Ihren Hausschlüssel auch eingesteckt haben. Just als Sie sich sehr sicher beim freihändigen Fahrradfahren fühlen, haben Sie einen schweren Unfall, da Sie nicht mehr rechtzeitig bremsen können und dem Auto vor Ihnen direkt ins Heck fahren. Ebenfalls zu nicht-rationalen Entscheidungen kann der sogenannte Myopismus beitragen. Dieser beschreibt die Kurzsichtigkeit unseres © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_78

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78. Gelernte Sorg- und/oder Hilflosigkeit

Denkens und Verhaltens. Wir neigen in vielen Alltagssituationen dazu, in der Zukunft liegende Verhaltenskonsequenzen unzureichend in unserem Verhalten zu berücksichtigen oder zu verdrängen und fokussieren darauf, kurzfristige Gewinne mitzunehmen. Diese „nach mir die Sintflut“-Mentalität war auch in der Finanzkrise ein zentraler Treiber für die exorbitanten Verluste vieler Banken und wurde durch die

fehlenden Anreizsysteme sogar noch befeuert. Nicht von ungefähr haben wir von Kindesbeinen an eingebläut bekommen „Übermut tut selten gut“ beziehungsweise „Wehret den Anfängen“. Denn gerade wenn negative Erfahrungen ausbleiben, unterschätzen wir systematisch die Gefahr. Wir passen unser Verhalten schnell unserem subjektiven, verzerrten Sicherheitsgefühl an und blenden das tatsächliche Risiko der Situation großzügig aus. Dies zeigt sich auch daran, dass Menschen, die Zusatzausstattungen im Auto haben, die die Sicherheit erhöhen sollen, etwa Antiblockiersystem (ABS), Elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP) oder einen Notbremsassistenten, tendenziell riskanter und aggressiver fahren. Der Sicherheitszugewinn durch externe Faktoren wird häufig durch mehr Risikobereitschaft ausgeglichen. Warum ziehen denn so viele Menschen mit einer Rechtschutzversicherung vor Gericht oder warum fahren Skifahrer mit einer Auslandskrankenversicherung mit Rückholgarantie auch abseits der markierten Pisten? Auf der anderen Seite versuchen die Versicherungsanbieter dies durch Selbstbehalte und erhöhte Eigenleistungen zu verhindern. Wer schon einmal Opfer eines Einbruchs, eines Banküberfalls oder sonstiges Raubs wurde, kennt das Phänomen der gelernten Hilflosig-

78. Gelernte Sorg- und/oder Hilflosigkeit

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keit sicherlich aus erster Hand. Man hat das Gefühl beziehungsweise „lernt“, dass man nichts dagegen tun kann und machtlos ist. Dies führt bei Vielen dazu, dass sie sich eher zurückziehen und zu Hause bleiben – zumindest eine Zeit lang. Rein rational betrachtet ist dies natürlich Schwachsinn, denn den Eintritt solcher Ereignisse können Sie dadurch nicht verhindern. Die gelernte Hilflosigkeit untergräbt typischerweise unsere gelernte Sorglosigkeit. Weder die gelernte Sorg- noch die gelernte Hilflosigkeit sind zielführend für eine proaktive und ökonomische Risikosteuerung. Denn beides sind Verzerrungen, einmal in die eine, das andere Mal in die andere Richtung. Beide Sichtweisen verzerren unseren Blick auf die tatsächliche Situation. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Sie sich als Organisation einerseits nicht vom Erfolg blenden und korrumpieren lassen und andererseits bei Misserfolg nicht in Selbstmitleid verfallen. Achten Sie bei der Auswahl Ihres Managementteams darauf, dass Sie die richtige Mischung finden und dass offenes, ehrliches und konstruktives Feedback nicht nur erlaubt, sondern eingefordert wird. Nur durch einen kritischen Blick auf die Dinge und ein gewisses Korrektiv können Sie langfristig erfolgreich sein!

79. Heuristiken in einer komplexen Welt

79. Heuristiken in einer komplexen Welt Warum Anekdoten und Erfahrungswerte nicht immer hilfreich sind

Entscheidungen

im

Risikomanagement

beziehungsweise

Risiken

betreffend, müssen häufig sehr schnell, intuitiv und mit nur sehr wenigen, zur Verfügung stehenden, Informationen getroffen werden. Aus diesem Grund kommt Faustregeln (Heuristiken) in kritischen Situationen eine wichtige Rolle zu. Eine zentrale Rolle spielen die sogenannten Korrelationsillusionen. Insbesondere hinsichtlich eines möglichen Schadens- oder Katastrophenfalls. Von innen oder außen erzeugter, negativer Stress (sogenannter Distress) sowie Kontrollverlust steigern gerade in Extremsituationen die Neigung, dass nicht vorhandene Zusammenhänge und Entwicklungen oder gar Verschwörungen gesehen werden, wo es nicht zwingend welche gibt. Gerade die zahlreichen kognitiven Fehlschlüsse und Verzerrungen, die in diesem Buch vorgestellt werden/wurden, zeigen dies sehr anschaulich. Denken Sie beispielsweise nur an die Spielertäuschung, bei der die Menschen selbst bei stochastisch unabhängigen und eigentlich sehr klaren Zufallsereignissen an Abhängigkeiten und Wechselwirkungen untereinander glauben. Dasselbe können Sie auch beim Würfeln sehen, wenn viele Menschen der Meinung sind, dass jetzt doch bald die Sechs kommen müsse, nachdem zuvor eine längere Serie ohne Sechs auftrat. Eine besondere Form der Korrelationsillusion ist auch die Repräsentativitätsheuristik. Gerade wenn etwas eine hohe Übereinstimmung mit © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_79

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79. Heuristiken in einer komplexen Welt

einer Gruppe an Objekten, Tatbeständen oder Personen hat, ordnen wir dies dieser Gruppe zu. Die objektiven Wahrscheinlichkeiten hierfür werden typischerweise ausgeklammert. Wenn Sie beispielsweise drei Personen aus derselben Firma unabhängig voneinander treffen und alle drei waren arrogant, unhöflich und aggressiv, nehmen Sie vermutlich

an,

dass

die

Unternehmenskultur

durch

Arroganz,

Unhöflichkeit und Aggressivität geprägt ist. Ein anderes Beispiel ist die Frage: Ist ein guter Autofahrer eher Fahrlehrer oder eher Bauarbeiter? Obwohl es in Deutschland mehr Bauarbeiter (über 780.000 per 2016; vgl. Statista 2017) als Fahrlehrer gibt (knapp 45.000 per 2016; vgl. Moving 2016), entscheiden sich die meisten für die Fahrlehrer. Ähnliche Kunden, Engagements und Risiken werden häufig in einen Topf geworfen, anstatt sie sorgsam zu trennen und die genauen Wechselwirkungszusammenhänge zu prüfen. In unserer heutigen, komplexen und globalisierten Welt können die meisten Risiken eben nicht mehr intuitiv erfasst werden, sodass ein intuitiver Vergleich mit einem ähnlichen Risiko häufig viel zu kurz greift. Denn wer hätte noch Anfang 2007 gedacht, dass sich eine Immobilienkrise in den USA jemals zu einer weltweiten Finanzmarktkrise entwickeln könnte. Insbesondere bei Schätzungen von Risiken zeigen sich systematische, kognitive Verzerrungen. So ergibt die Summe der einzelnen Schätzwerte häufig ein viel höheres Risiko als der Schätzwert für das Gesamtrisiko. Speziell bei der Interpretation von Grafiken, etwa im Risikoreporting oder in Dashboards, werden häufig bestimmte Formationen erkannt, obwohl es objektiv dafür überhaupt keine Gründe gibt oder es noch zu

79. Heuristiken in einer komplexen Welt

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früh für eine solche Interpretation ist. Die Neigung dazu verstärkt sich, wenn eine (scheinbar) stimmige Erklärung vorliegt und ganz besonders, wenn der Ratgeber ausdrücklich genannt wird oder sich mehrere Informationen gegenseitig bestätigen. Der Effekt verringert sich, wenn widersprüchliche Signale auftauchen – etwa weil Aussage und Realität unstimmig sind – oder eine Information wenig valide erscheint. Hüten Sie sich vor allzu schnellen Bauchentscheidungen und stark vereinfachenden Daumenregeln und Anekdoten. Viele Daumenregeln (etwa Börsenregeln) sind wie Bauernregeln: sie sind einfach, pointiert und treffen häufig zu - häufig aber eben auch nicht! Speziell bei weitreichenden, komplexen Entscheidungen kann eine allzu starke Vereinfachung aber gefährlich sein. Natürlich können Heuristiken dazu dienen, die getroffenen, fundierten Entscheidungen nochmals einem „Quick Check“ zu unterwerfen, aber mehr sollte es auch nicht sein. Oder sind Sie allen Ernstes der Meinung, dass die zukünftigen Investitionsentscheidungen analog des Pareto-Prinzips verteilt werden sollten? Sicherlich ist eine genaue Prüfung der zu erwartenden Rentabilität der Investitionen, des Marktumfelds, der Absatzmenge et cetera viel sachdienlicher. Verwenden Sie also gerne weiter Heuristiken, aber seien Sie sich der Grenzen der Aussagekraft bewusst und verwenden Sie diese sehr sorgsam!

80. Nicht-Beachtung von Folgerisiken

80. Nicht-Beachtung von Folgerisiken Gehen durch getroffene Maßnahmen neue Risiken aus?

Ein vielfach grundlegend unterschätztes Problemfeld im Risikomanagement sind Folgerisiken, die sich aus getroffenen oder auch aus unterlassenen Maßnahmen ergeben können. Denken Sie doch nur einmal an die Zentralbanken, die sich sehr genau überlegen, welche Auswirkungen ihre geldpolitischen Maßnahmen haben und welche Folgerisiken sich daraus ergeben können. Und trotzdem gab es gerade in der Vergangenheit gravierende Risiken und Preisblasen, die auf die Geldpolitik zurückgeführt wurden. So wird auch der US-Notenbank Fed ein gewisser Anteil an der Finanzmarktkrise und insbesondere deren Ausmaß ab 2007 zugeschrieben. Denn infolge der Dotcom-Blase im Jahr 2000 setzte sie auf eine expansive Geldpolitik, um die US-Konjunktur zu stimulieren. Sie senkte den Leitzins zwischenzeitlich auf 1%, was natürlich die Nachfrage nach Häusern und damit die Immobilienpreise drastisch erhöhte. Auch seit der Subprime-Krise und der sich anschließenden, extrem expansiven Geldpolitik der Notenbanken mit Null- oder sogar Negativzinsen, gibt es viele Experten, die vor der nächsten Wirtschaftskrise warnen. Die Immobilienpreise in New York, London oder Berlin lassen einen ungebremsten Drang zur Spekulation erkennen. Überall werden neue Rekordwerte erreicht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzte schon im Jahr 2014, dass die weltweiten Finanzrisiken wieder jenes Niveau erreicht hätten wie im Jahr 2007, also kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise. Durch die expansive Geldpolitik hat sich die © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_80

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80. Nicht-Beachtung von Folgerisiken

Verschuldung innerhalb und außerhalb des Finanzsektors erhöht, die durch ein Platzen der Blase zu hohen Kreditausfällen führen und das globale Finanzsystem gefährden kann. Sobald

Gerüchte

auftauchen,

dass

einzelne

Kreditinstitute

in

Zahlungsschwierigkeiten sind, leihen sie sich typischerweise untereinander kein Geld mehr und es entsteht eine gefährliche Kreditklemme. Auch gesunde Banken können in diesen Sog hineingezogen werden, wenn sie ihre auslaufenden Verbindlichkeiten nicht mehr rechtzeitig bedienen können. Um einen solchen Dominoeffekt in der Euro-Zone zu verhindern und das Vertrauen der Märkte wiederherzustellen, wählte der EZB-Präsident Mario Draghi 2012 die sehr drastischen Worte „whatever it takes“, als er versprach „alles Notwendige zu tun“, um den Euro zu retten. Zu dieser Zeit war die Euro-Krise in vollem Gange und den Rettungspaketen für Griechenland folgten weitere für Portugal und Irland. Es gab zahlreiche Krisengipfel und schwere Börsenturbulenzen. Aktienkurse und der Euro stürzten ab. Die Risikoaufschläge für Staatsanleihen, insbesondere in Italien und Spanien, schossen in die Höhe. Für zehnjährige spanische Titel verlangten die Investoren zeitweise eine Risikoprämie von 7,6%. Italien stand mit Renditen von 6,6% nur wenig besser da. Die geldpolitischen Maßnahmen haben ihr Ziel, das Vertrauen in die Märkte wiederherzustellen, erfüllt. Allerdings gingen Sie auch mit erheblichen Folgerisiken einher: durch die zahlreichen Anleihekäufe ist die Bilanzsumme der EZB zeitweise auf 4,2 Billionen Euro - also 4.200.000.000.000 Euro

- angestiegen, was knapp 40% der

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jährlichen Wirtschaftsleistung der gesamten Euro-Zone entspricht. Ein unvorstellbar hoher Wert. Und wenig verwunderlich ist die EZB damit zur größten Gläubigerin der Währungsunion geworden. Das große Problem ist allerdings, dass zwar die Symptome der Krise erfolgreich betäubt werden konnten, die eigentlichen Ursachen – nämlich die erheblichen Staatsschulen und nicht wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen einzelner Länder – aber nicht ausreichend behandelt wurden. Aus diesem Grund warnen einige Experten davor, dass durch diese „Operation am offenen Herzen“ erhebliche Folgerisiken entstanden sind, die nicht alle vollumfänglich auch mit neuen Gegenmaßnahmen gesteuert wurden. Auch in Ihrem Unternehmen sollten Sie genau darauf achten, ob die getroffenen, strategischen Maßnahmen unter Umständen weitere Risiken oder gar Fehlanreize für die handelnden Personen schaffen. Nehmen Sie die Gegenmaßnahmen auch explizit in Ihre Risikoinventur auf und prüfen Sie, ob sich eventuell weitere Abhängigkeiten ergeben. Wenn Sie beispielsweise jegliches Risiko über eine Ausfallversicherung oder eine Bankbürgschaft abzuwälzen versuchen, ist das Risiko nicht gänzlich eliminiert, sondern konzentriert sich unter Umständen bei nur noch einem Geschäftspartner beziehungsweise Garanten - einer Bank oder Versicherung. Dass Sie damit von deren Bonität oder zumindest Geschäftspolitik abhängen, versteht sich von selbst und Sie sollten prüfen, ob Sie dies möchten.

81. Detail- statt Zusammenhang-Orientierung

81. Detail- statt Zusammenhang-Orientierung Lieber grob richtig als exakt falsch

Die Stuttgarter Hip Hop-Gruppe „Die Fantastischen Vier“ scheint sich gut auszukennen mit den Unsicherheiten und der Komplexität, die auch im Risikomanagement allgegenwärtig sind. Denn sie stellte in ihrem Song „Einfach sein“ sehr treffend fest „Es könnte alles so einfach sein…“, bevor sie damit schließt „…ist es aber nicht“. So ähnlich ist es auch im Risikomanagement. Es könnte alles so einfach sein, wenn man sich „nur“ auf die Detailorientierung verlassen müsste. Wenn man die präzise ermittelten Werte und Kenngrößen für die Einzelrisiken nur heranziehen müsste oder die Expertenschätzungen für die einzelnen Risikoarten aus dem Risikoinventar herauslesen müsste. Sie werden es nach der Einleitung schon ahnen: das ist es aber leider nicht. Denn insbesondere die Zusammenhang-Orientierung ist viel wichtiger. Nur wenn Sie einen genauen Überblick über die unterschiedlichen Abhängigkeiten und Zusammenhänge haben, können Sie auch die richtigen, langfristigen Entscheidungen treffen beziehungsweise auch kurzfristig beurteilen, ob auf gewisse Entwicklungen umgehend reagiert werden muss, oder ob sie „ungefährlich“ sind. Aus diesem Grund sind reine Sensitivitätsanalysen, die nur eine einzelne Risikoart „stressen“ auch weder zielführend noch realistisch. Viel realistischer sind Szenarien, in denen unterschiedliche Risikoarten zusammenspielen. Denn in einer Krise treten unterschiedliche Risiko© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_81

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81. Detail- statt Zusammenhang-Orientierung

arten im Zusammenspiel untereinander auf. Um nochmals die Finanzmarktkrise heranzuziehen: es haben sich hier nicht nur die Hauspreise reduziert, sondern gleichzeitig sind vermehrt Schuldner ausgefallen und die Banken haben nur noch wenige Kredite vergeben. Das heißt, neben einem Marktpreisrisiko wurden auch noch ein Adressenausfall- und ein Liquiditätsrisiko schlagend. Die große Herausforderung für das Risikomanagement ist es, die Wechselwirkungen und Kausalitäten (nicht zu verwechseln mit Korrelationen!) zu ergründen. Dies ist ein laufender Prozess, der nie gänzlich abgeschlossen ist. Denn einerseits ändern sich diese laufend, sei es aufgrund von wirtschaftlichen, politischen oder sozialen Einflüssen. Andererseits können Kausalitäten auch völlig falsch eingeschätzt worden sein. Deshalb kommt dem laufenden „Backtesting“ auch eine ganz zentrale Rolle zu. Nur durch eine laufende, kritische Prüfung der Modelle, Szenarien und anderen Annahmen kann die Aussage- und Prognosegüte gesteigert werden. Und anstatt die Aussage „Aber es ist doch nochmals gutgegangen“ zu tätigen, sollte die Frage „Welche Ursachen und

Mechanismen

haben

zur

Entstehung

dieses

Ereignisses

beigetragen und welche Gegenmaßnahmen können eine Wiederholung verhindern?“ gestellt werden. Wie viele Personen kennen Sie, die die Dotcom-Blase, die Terroranschläge vom 11. September und die Finanzmarktkrise vorhergesagt haben? Vermutlich nicht sehr viele oder niemanden. Natürlich können diese Ereignisse in der Rückschau interpretiert werden und die Details und Zusammenhänge lassen sich allesamt erklären. Doch diese

81. Detail- statt Zusammenhang-Orientierung

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Ereignisse waren nicht offenkundig klar. Vielmehr müssen wir uns eingestehen, dass wir die Zukunft trotz der modernen Tools und Modelle eben nicht vorhersagen können. Auch nicht alle Wechselwirkungszusammenhänge. Dasselbe gilt auch für die Unternehmensplanung. Und wenn wir ganz ehrlich sind: natürlich können bessere Modelle dabei helfen, offenkundige Fehler auszumerzen, sie können aber trotzdem nicht die Zukunft vorhersagen. Denn die Zukunft ist ungewiss. Es kommt auch gar nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen. Sondern viel wichtiger ist es, auf sie vorbereitet zu sein. Dies stellte übrigens der athenische Staatsmann und General Perikles bereits über 400 Jahre vor Christus fest! Und genau deshalb sollten Sie – wenn Sie den Schritt von der Detailzur Zusammenhang-Orientierung schon gegangen sind und nach weiteren Optimierungsmöglichkeiten suchen – in Erwägung ziehen, ob Sie nicht durch die Ansätze der Antifragilität und Resilienz weiteren Nutzen schaffen können. Unternehmen, die viele kleine Fehler zulassen und dadurch insgesamt besser werden, sind antifragil. Es muss also eine starke Fehler- und Unternehmenskultur vorherrschen, die dies ermöglicht. Ein ausgeprägter Einsatz von Frühwarnindikatoren und Szenarioanalysen kann hierbei ein erster Schritt sein. Gefolgt von vordefinierten Schwellenwerten mit konkreten Gegensteuerungsmaßnahmen oder ganzen Maßnahmenbündeln als Steuerungsalternativen, je nach Limitüberschreitung und Wesentlichkeit des Risikos.

82. Verwechseln von Ursache und Wirkung

82. Verwechseln von Ursache und Wirkung Troubleshooting statt Ursachenbehebung

Das Verwechseln von Ursache und Wirkung ist ein bekannter induktiver Fehlschluss, der leider viel zu häufig zu beobachten ist. Das folgende Beispiel aus dem 19. Jahrhundert zeigt sehr anschaulich, wie lange dieser Fehlschluss schon existiert (vgl. Salmon 1986, S.212): „Ein englischer Reformer des 19. Jahrhunderts bemerkte, dass die Landwirte, die in allem maßvoll und fleißig waren, mindestens ein oder zwei Kühe besaßen. Die, die keine besaßen, waren für gewöhnlich faul und trunksüchtig. Er machte deshalb den Vorschlag, all denjenigen Landwirten, die noch keine Kuh hatten, eine zu geben, um sie in alledem maßvoll und fleißig zu machen.“ Im obigen Beispiel ist der Fehlschluss sehr offensichtlich. Denn die Landwirte sind nicht fleißig, nur weil sie die Kühe haben, sondern haben umgekehrt die Kühe, weil sie fleißig sind. Weitere, ähnlich gelagerte Beispiele findet man häufig in der Politik, aber auch in Finanzdiskussionen. Ferner wird beispielsweise bei Diskussionen zur Klimaveränderung immer wieder bemängelt, dass die Ursache und die Wirkung vertauscht wurden. Wird die Klimaerwärmung nun durch den erhöhten CO2-Ausstoß verursacht oder verursachte die Klimaerwärmung doch eher einen erhöhten CO 2-Ausstoß? Wie sollen wir als Laien

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82. Verwechseln von Ursache und Wirkung

hier eine Antwort finden, wenn sich die Experten bei vielen grundlegenden Dingen schon nicht einig sind? Sicherlich sind im Risikomanagement nicht alle Fragen so vielschichtig und komplex wie die Frage zur Klimaveränderung. Vielmehr zeigt sich, dass häufig auch kognitive und intuitive Fehlschlüsse sowie Verzerrungen ursächlich für die fehlerhafte Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten und Kausalitäten sind. Außerdem wird immer wieder trotzdem von absoluten Wahrheiten ausgegangen, obwohl von Einzelfällen auf die Gesamtheit geschlossen werden soll (induktive Schlussfolgerung). Dies ist aber bei induktiven Schlussfolgerungen generell nicht möglich. Man denke nur an die vielzitierten schwarzen Schwäne als große, und nicht für möglich gehaltene, Gefahr der Induktion. Die Auswirkungen können unterschiedlich sein. Im harmlosesten Fall arbeiten Sie „nur“ fortwährend an den Ursachen und betreiben ein ressourcenintensives Troubleshooting. Im schlimmsten Fall befinden Sie sich in einer trügerischen Sicherheit und denken, Sie hätten alles im Griff, bis dann urplötzlich der Krisenfall auftritt. Sie befinden sich dann quasi einige Zeit im Auge des Tornados, ohne es zu bemerken! Achten Sie deshalb genau darauf, ein enges „Backtesting“ Ihrer Modelle und Methoden durchzuführen. Je mehr Messwerte, Beobachtungen und Erfahrungswerte einfließen, desto belastbarer sind auch die Erkenntnisse. Aus diesem Grund sind auch ein konstruktives Feedback und eine offene Fehlerkultur aller Beteiligten sehr wichtig. Sehen Sie Fehler nicht als Scheitern an, sondern als Chance, die notwendig ist, um sich und die Methoden noch weiter zu verbessern.

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Nur durch eine kritische Prüfung können Sie die Qualität der Tools und damit des ganzen Risikomanagements verbessern. Um die Wechselwirkungen und die Ursachen speziell in komplexen Gebilden anschaulich und objektiv beurteilen zu können, ist es sehr hilfreich, wenn Sie einerseits versuchen, alle Einflussparameter und Abhängigkeiten in möglichst kleine Einheiten aufzusplitten und andererseits etwa anhand von Einfluss- und Konsistenzmatrizen die unterschiedlichen Einflüsse und Auswirkungen unter- und zueinander genauer zu überprüfen. Führen Sie sich die Metapher vom Holzfäller, der keine Zeit hatte, seine Axt zu schleifen, da er Bäume fällen musste ( Gefangen im

Hamsterrad), vor Augen und machen Sie sich deutlich, welche Effekte es nicht nur auf Sie und Ihre persönliche Arbeitsbelastung haben kann, sondern auch auf die Existenz Ihres Unternehmens, wenn Sie zu lange auf der falschen Fährte unterwegs sind und anstatt der Ursache immer nur der Wirkung folgen. Wenn Sie nicht an die Ursache rankommen, ist es ein endloses Hase-Igel-Spiel, das Sie überhaupt nicht gewinnen können. Es ist dann bei wesentlichen Risiken, die Sie partout nicht in den Griff bekommen, nur eine Frage der Zeit, bis Sie und Ihr Unternehmen scheitern werden.

83. Keine übergreifende Risikosicht

83. Keine übergreifende Risikosicht Warum nicht jeder Kunde gleich wichtig ist

Unternehmerisches Handeln ist unweigerlich mit dem Eingehen von Risiken verbunden. Risiko per se ist ja auch nichts Schlimmes. Vielmehr fördert es Innovationen und sorgt dafür, dass die Prozessabläufe immer produktiver und effizienter ausgestaltet werden. Denn jedes Risiko ist immer auch mit der Chance verbunden, das eigene Unternehmen und insbesondere die Prozesse noch besser zu machen. Das Ziel sollte es nicht sein, alle Risiken zu vermeiden, sondern vielmehr die Risiken transparent zu machen und diese, sofern möglich, aktiv zu steuern. Um die Risiken richtig steuern zu können, ist es wichtig, dass alle Beteiligten ein einheitliches Verständnis von der Risikostrategie haben und dass eine übergreifende Risikosicht angewandt wird. In Anlehnung an das Modell der drei Verteidigungslinien (Three Lines of Defense) erfordert eine ganzheitliche Risikosteuerung ein gutes Zusammenspiel zwischen den operativen Einheiten und den eher überwachenden und kontrollierenden Einheiten. Kurzum: „Risikomanagement vom Pförtner bis zum Chef“. Es reicht nicht nur, isolierte Paralleluniversen zu verhindern, indem die Daten- und Informationssilos aufgebrochen und ein einheitliches Risikoreporting aufgesetzt werden, sondern es muss auch in der täglichen Praxis gelebt werden. Denn neben der rein technischen, relativ einfach zu lösenden, Ausrichtung, umfasst eine übergreifende Risikosicht insbesondere auch eine kulturelle und damit schwer © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_83

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83. Keine übergreifende Risikosicht

greifbare oder gar „unsichtbare“ Komponente. Es geht darum, dass alle Beteiligten die Bedeutung und das Ziel des Risikomanagements verstehen und nachvollziehen können. Es beschreibt also auch viel mehr als die lediglich schriftlich fixierte Risikostrategie. Denn Papier ist bekanntlich geduldig. Es geht zu einem gewissen Grad um das Selbstverständnis und die Identifikation

der

eigenen

Abteilung

mit

den

übergeordneten

Unternehmens- und insbesondere Risikozielen. Das folgende Beispiel ist zwar nicht explizit auf Risikomanagement gemünzt, beschreibt aber sehr anschaulich den Effekt einer solchen, unternehmensweiten Identifikation und dem Verständnis des „Big Pictures“ für jede noch so weit davon entfernte Tätigkeit: „Ich helfe mit, Menschen auf den Mond zu befördern.“

Antwort eines Mitarbeiters einer Reinigungskolonne bei der NASA auf die Frage, was seine Aufgabe ist Machen Sie Ihr Unternehmen zu einer „risk driven company“, also einem Unternehmen mit einer ganzheitlichen Risikosicht. Gehen Sie als positives Beispiel voran, denn der „Tone from the Top“ ist häufig der Schlüssel dazu, dass auch andere Abteilungen die Risikostrategie nicht nur befolgen, sondern sie mit Leben füllen. Wenn jeder einzelne Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin das Gefühl hat, dass es um seinen/ihren Stuhl geht, auf dem er/sie sitzt, ist man schon einen deutlichen Schritt weiter. Umgekehrt stinkt der Fisch bekanntlich vom Kopf und wenn das Management nicht mit gutem Beispiel vorangeht, ist keine ganzheitliche Risikosteuerung möglich.

83. Keine übergreifende Risikosicht

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Die Vorgaben von oben können und dürfen nur Leitplanken im täglichen Geschäftsumfeld darstellen. Der Erfolg oder eine übergreifende Risikosicht stellt sich nur dann ein, wenn die Mitarbeiter aller Abteilungen die Risikoperspektive berücksichtigen. Wie gesagt: es geht dabei nicht darum, sämtliche Risiken zu vermeiden. Vielmehr geht es darum, ob die Chancen zu den Risiken in einem günstigen Verhältnis stehen oder nicht. Und deshalb kann es eben auch einmal sein, dass einzelne Kunden oder Anfragen abgelehnt oder zumindest mit einer anderen Priorität bearbeitet werden. Speziell im Vertriebsbereich und der häufig uneingeschränkten Kundenorientierung mag dies einem Kulturwandel gleichkommen. Doch es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum ganzheitlichen und übergreifenden Risikomanagement. Nur wenn Vertrieb und Risikomanagement, also Chance und Risiko, „austariert“ sind, können Sie nachhaltige Erfolge erzielen. Umgekehrt ergibt sich aber auch für die Risikomanagementfunktion eine wichtige Aufgabe: es geht nicht darum, mit Verboten oder StoppSchildern zu arbeiten, sondern vielmehr, mögliche Alternativen zu erarbeiten. Zeigen Sie den Vertriebskollegen Wege auf, wie ein Geschäft doch noch dargestellt werden kann und erklären Sie immer – und bei Bedarf auch mehrfach und gebetsmühlenartig – warum Sie eine Entscheidung wie getroffen haben. Dies fördert die Akzeptanz und hilft dabei, Abteilungsgrenzen abzubauen.

84. Falscher Umgang mit Innovationen

84. Falscher Umgang mit Innovationen Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht

Am Thema Innovation und deren Umsetzung im Risikomanagement scheiden sich die Geister. Der eine Teil ist Feuer und Flamme und würde gerne am liebsten alles Neue, egal wie sinnvoll und ausgereift dies auch ist, sofort umsetzen, während der andere Teil gegen gefühlt jegliche Form von Innovation allergisch reagiert. Die Pro-Veränderungsverzerrung (Pro Innovation Bias) beschreibt dabei den erstgenannten Effekt. Sie geht einher mit einer unreflektierten Präferenz für den Wandel, das Neue, verbunden mit einer Abwertung des Bewährten. Speziell bei bahnbrechenden, technologischen Entwicklungen und ganz allgemein beim technologischen Wandel, zeigen sich gravierende Verzerrungen, wie etwa das Beispiel zum „nuklearen Optimismus“ der 1950er Jahre zeigt (vgl. Sovacool 2011, S.259): Es wurde angenommen, dass alle Stromgeneratoren in der Zukunft atomar sein würden. Die Atombombe würde alle konventionellen Sprengstoffe überflüssig machen und Kernkraftwerke würden dasselbe für Energiequellen wie Kohle und Öl tun. Es gab das allgemeine Gefühl, dass alles irgendwie von einer nuklearen Energiequelle profitieren würde, von der Bestrahlung der Nahrung bis zur Entwicklung der Nuklearmedizin. Es würde ein Zeitalter des Friedens und des Überflusses geben, in dem die Atomenergie „die Energie liefern würde, die benötigt wird, um Wasser für die Durstigen zu entsalzen, die Wüsten für die Hung© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_84

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84. Falscher Umgang mit Innovationen rigen zu bewässern und die interstellare Reise tief in den Weltraum zu befördern".

Solche rosaroten Prognosen entstehen häufig im Überschwang der Gefühle. Auch in der Wirtschaft gibt es ähnliche Fehlprognosen. 1986 etwa war der CEO von General Motors, Roger Smith, davon überzeugt, dass wir „um die Jahrtausendwende praktisch in einer papierlosen Gesellschaft leben“ würden (vgl. Didsbury 2004, S.41). Das andere Extrem im Umgang mit Innovation ist die komplette Ablehnung. Anstatt offen für Veränderungen zu sein und die Prozesse ständig auf Verbesserungspotenzial hin zu prüfen, hört man auf die Frage, warum ein Prozess so aussieht, wie er aussieht, häufig „weil wir das schon immer so gemacht haben“. Ihre Aufgabe als (Risiko-)Manager ist es, diese beiden Extrema zusammenzuführen und im Sinne eines guten Change Managements, einerseits dafür zu sorgen, dass nötige Innovationen und technische Transformationen zeitnah umgesetzt werden, andererseits aber eben mit Sinn und Verstand. Um das Thema Innovation ganzheitlich umzusetzen, ist es wichtig, dass Sie alle Mitarbeiter abholen und Ihnen einerseits die Notwendigkeit klar machen, andererseits aber auch die Angst vor dem Neuen, Unbekannten nehmen. Um die Notwendigkeit zu verdeutlichen, hilft vielleicht auch die folgende Anekdote: Ein Professor händigt die Unterlagen für das Abschlussexamen aus. Seine Studenten sind verwirrt. Einer von ihnen springt auf und ruft entsetzt: „Aber Herr Professor, das sind ja die gleichen Fragen, die Sie uns bei der letzten Klausur gestellt haben!” –

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„Stimmt“, sagt der Professor, „aber die Antworten haben sich geändert.” Dies ist natürlich bewusst überzeichnet, macht aber genau die Problematik deutlich. Sowohl technisch als auch inhaltlich ändern sich im heutigen (Risiko-)Managementumfeld laufend irgendwelche Dinge. Seien Sie nur inkrementell, also geringfügig, oder auch tiefgreifend. Entscheidend ist, dass Sie und Ihre Prozesse auf dem Laufenden bleiben. Denn „wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Die Digitalisierung wird die Geschwindigkeit für Transformationsprozesse noch weiter und mit einer nicht gekannten Schlagkraft erhöhen. Denken Sie nur einmal an die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz, robotergesteuerter Automatisierung oder Big Data – die allerdings auch nur dann voll ausgeschöpft werden können, wenn die Lösungen passgenau auf Ihr Unternehmen zugeschnitten werden! Um die richtige Balance zwischen der Beibehaltung von bewährten Methoden und Veränderungsprozessen im Zusammenhang mit dem Thema Innovation zu finden, ist es sehr wichtig, dass Sie auch in den entsprechenden Projektteams eine richtige Mischung von erfahrenen, alten Hasen und jungen Wilden haben. Die Kombination entscheidet über Erfolg und Misserfolg. Letztlich ist es aber immer noch der Kunde, der den Innovationstakt vorgibt. Es bringt nichts, wenn Sie die besten Services und Features anbieten (können), der Kunde diese aber nicht wertschätzt beziehungsweise nicht bereit ist, diese zusätzlich zu honorieren!

85. Kontrollillusion

85. Kontrollillusion Warum Vertrauen häufig die beste Kontrollillusion ist

Die Kontrollillusion beschreibt den Irrglauben, etwas kontrollieren zu können, über das wir aber objektiv betrachtet überhaupt keine Macht haben. So entsteht beispielsweise der Spieler-Fehlschluss oder wir sind schlagartig überrascht, wenn die Zentralbanken den Zinssatz ändern oder sonstige externen Effekte eintreten. Der Begriff der Kontrollillusion wurde sehr anschaulich anhand des folgenden Experiments der Psychologin Ellen Langer erstmalig im Jahr 1975 geprägt: Grundlage des Experiments war ein Lottospiel. Die eine Hälfte der Probanden durfte ihren Lottoschein (Kaufpreis 1$; Höchstgewinn 50$) mit ihren individuellen Glückszahlen selbst ausfüllen, der anderen Hälfte wurde der Schein vorgegeben. Anschließend wurden die Probanden gefragt, für welchen Betrag sie ihren Schein wieder verkaufen würden. Diejenigen, denen der Schein vorgegeben wurde, verlangten durchschnittlich 1,96$, ein selbstausgefüllter Schein kostete im Durchschnitt 8,67$. Auch die Bereitschaft, den Schein überhaupt zu verkaufen, war bei den Probanden, welche den Schein vorgegeben bekamen, doppelt so hoch als in der anderen Gruppe, die ihren Schein selbst ausfüllen durfte. Die Personengruppe, die den Lottoschein selbst ausfüllen durfte, hatte die Illusion, das Ergebnis selbst in der Hand zu haben und damit beeinflussen zu können. Durch die Kontrollillusion entsteht allerdings © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_85

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auch sehr schnell eine trügerische Sicherheit. Wir meinen, dass wir unser Schicksal selbst in der Hand hätten, obwohl wir doch gar nichts daran ändern können (wie beim obigen Lotto-Beispiel). Die große Gefahr solcher Situationen ist insbesondere ein fehlender Lernvorgang, da wir quasi immunisiert werden für Feedback hinsichtlich unserer Handlungen oder ein falsches Feedback erhalten. Außerdem steigt die Risikobereitschaft, da wir der Meinung sind, alles steuern zu können und das wahrgenommene Risiko und die Unsicherheit viel zu niedrig einschätzen. Analog zum Attributionsfehler werden auch bei der Kontrollillusion naheliegende, einfache Lösungen angezweifelt und es wird fast schon krampfhaft nach komplexen Lösungen gesucht. Selbst da, wo es keine Kausalität gibt. Sehr kritisch wird es immer dann, wenn Sie verleitet werden, sich zu sicher zu fühlen und zu wenig aufmerksam für schwache Signale sind. So etwa bei blindem Vertrauen in Situationen oder Kollegen beziehungsweise Mitarbeiter. Denn genau die schwachen Signale nehmen eine zentrale Frühwarnrolle bei sich anbahnenden Krisen und Katastrophen ein. Speziell bei großen Katastrophenfällen kann immer wieder beobachtet werden, dass der Eintritt eines Großschadens nicht auf eine einzelne Ursache zurückzuführen ist, sondern häufig eine Kettenreaktion

von

ungünstigen

Umständen

darstellt

( Murphys

Gesetz). Die Eliminierung nur einer negativen Einflussgröße kann regelmäßig die Katastrophe verhindern. Wenn Sie der Kontrollillusion aufsitzen, bemerken Sie häufig viel zu spät, dass etwas in die falsche Richtung läuft.

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Machen Sie sich klar und prüfen Sie genau, a) welche Faktoren Sie aktiv beeinflussen können, b) wo externe Kräfte einen wichtigen Einfluss haben und c) wo Sie nur als „blinder Passagier“ nachgelagert reagieren können, auf die Ursache aber keinerlei Einflussmöglichkeiten haben. Aufgabe des Risikomanagements ist es also nicht, nur bunte Grafiken mit Ausfallquoten, Ratingmigrationen oder Konzentrationsrisiken bei Kunden, Regionen oder Absatzprodukten zu erstellen. Sondern vielmehr geht es darum, transparent zu machen, welche Aufgaben und Prozesse aktiv gesteuert und kontrolliert werden können und wo wir den externen Einflüssen ausgeliefert sind. Dies ist sehr wichtig, da letztere typischerweise Felder für Versicherungen oder sonstigen Risikotransfer sind und die erstgenannten häufig versucht werden, aktiv zu steuern. Je offener und konstruktiver die Feedbackkultur in Ihrem Unternehmen ist, umso weniger anfällig sind Sie typischerweise für die Kontrollillusion. Denn kritische Kollegen oder Mitarbeiter können Sie früh genug darauf hinweisen, dass positive Entwicklungen nicht zwingend immer nur auf Ihre eigenen Entscheidungen zurückgehen beziehungsweise negative Entwicklungen nicht nur vorübergehend sind oder nur mit Pech zusammenhängen. Sie dienen damit als wichtiges Frühwarninstrument, um noch rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen zu können und sich nicht in falscher Sicherheit zu wiegen.

86. Überwälzen der Verantwortung

86. Überwälzen der Verantwortung Verantwortung lässt sich nicht delegieren!

Manager haften für Pannen und Risiken, die sich im Unternehmensalltag ergeben, vielfach persönlich. Bei Finanzdienstleistern sind die Haftungsrisiken durch die Regeln der Bankenaufsicht häufig sogar noch strenger. Speziell im Compliance-Umfeld, das ja auch sehr große Überschneidungen mit der Risikofunktion hat, gibt es etwa durch das „Neubürger-Urteil“ bereits weitreichende Folgen. In diesem Präzedenzfall für die Managerhaftung wurde dem ehemaligen SiemensFinanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger im Dezember 2013 zur Last gelegt, er hätte nicht dafür gesorgt, dass ein funktionierendes Compliance Management System (CMS) eingerichtet wurde. Aufgrund dieser Versäumnisse wurde er vom Siemens-Konzern auf 15 Mio. EUR Schadensersatz verklagt. Aufgrund einer Organhaftung wurde der Finanzvorstand also nicht für seine persönlichen, sondern für Versäumnisse des gesamten damaligen Siemens-Vorstands verantwortlich gemacht. Ein solches Urteil hatte es bis dato in Deutschland noch nicht gegeben. Es zeigt aber einmal mehr: Risikomanagement ist eine zentrale Führungsaufgabe, deren Verantwortung nicht delegiert werden kann. Einzelne Aufgaben: ja, die Verantwortung: nein. Der Bereich Risikomanagement bewegt sich damit im ständigen Spannungsfeld, einerseits die Ressourcen optimal einzusetzen und auch gezielt zu delegie-

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ren, andererseits aber stets die Zügel in der Hand zu behalten und die ultimative Kontrollfunktion weiterhin inne zu haben. Delegation ist wichtig, um produktiv und effizient zu arbeiten, aber auch, um die Mitarbeiter zu motivieren. Man möchte ja schließlich Mitarbeiter, die sich als „Unternehmer im Unternehmen“ verstehen und mitdenken. Insbesondere beim Risikomanagement ist es sehr wichtig, dass ein unternehmensweites Verständnis von Risikomanagement gelebt wird und nicht nur strikt nach Verfahrensanweisungen gehandelt wird und alles was nicht beschrieben ist, wird dann auch nicht berücksichtigt. Es ist allerdings auch ein schmaler Grat zwischen eigenverantwortlichem Arbeiten und fortwährender Rückdelegation der Mitarbeiter. Denn vielfach sind Ratschläge, Tipps oder Richtungsvorgaben für Mitarbeiter, die aus dem Büro des Chefs kommen, zwar gut gemeint, zerstören aber die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter. Vorschläge im Job führen schnell zu gelernter Hilflosigkeit und fortwährender Rückdelegation. Lösen Sie sich davon, zu denken, dass Delegation schlecht ist, weil Sie dadurch ersetzbarer sind. Häufig entsteht das Gefühl, je eigenständiger die Mitarbeiter arbeiten und je weniger sie ihren Vorgesetzten um Rat fragen müssen, umso ersetzbarer erscheint die Führungskraft. Doch dies ist falsch. Denn es zeigt nur, dass die Führungskraft nicht zwingend in allen operativen Prozessen involviert sein muss und sich vielmehr um die strategischen Fach- und Führungsaufgaben kümmern kann.

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Um gleichzeitig sicherzustellen, dass die delegierten Aufgaben auch wie gewünscht erledigt werden, ist es allerdings sehr wichtig, dass Sie diese laufend überwachen. Typischerweise erfolgt dies anhand von Kennzahlen sowie einzelfallbezogenen Stichprobenprüfungen, etwa durch die interne Revision, oder eben anlassbezogen durch Sie persönlich. Speziell strategische und auch Leitungsaufgaben sind uneingeschränkte Aufgabe der Entscheidungsträger und können nicht delegiert werden. Die einzelnen Fachbereiche können zwar um ihren Rat gefragt werden oder Vorschläge machen, die finale Entscheidung obliegt aber Ihnen als Führungskraft. Denn Entscheidungsträger zu sein heißt eben nun einmal, die Entscheidungen mitsamt aller Verantwortung zu „tragen“. Anschließend ist es dann wiederum Aufgabe der Fachabteilungen, dass Strategien und Ressourcenverteilungen zur Realisierung der verabschiedeten Ziele und Pläne entwickelt werden. Dies beinhaltet aber auch, dass Sie als Entscheidungsträger frühzeitig intervenieren, wenn Sie das Gefühl haben, dass die vereinbarten Ziele in Gefahr sind und die Maßnahmen zur Realisierung nicht erfolgreich sind und nachjustiert werden müssen. Wohl gemerkt: bis auf ganz wenige Ausnahmen müssen nicht die Ziele nachjustiert werden, sondern die Maßnahmen zu deren Erreichung. Je früher Ihre Warnlampen angehen, umso eher und effektiver können Sie auch gegensteuern.

87. Zu viele Ja-Sager

87. Zu viele Ja-Sager Stromlinienförmige Ja-Sager vs. unangenehme Querdenker

Wie beim Sonnenblumeneffekt und der Hierarchie-Gläubigkeit, gilt auch bei der Teamzusammensetzung: achten Sie darauf, dass Sie unbequeme Querdenker und Freigeister nicht zugunsten stromlinienförmiger Ja-Sager eliminieren. Wenn Sie immer nur Zustimmung von Ihren Kollegen und Mitarbeitern erhalten, mag dies im ersten Schritt vielleicht angenehm sein. Langfristig werden Sie aber in den Zahlen ablesen können, dass etwas schiefläuft. In der Politik und in der Weltgeschichte gibt es zahlreiche Beispiele für Situationen, die völlig falsch eingeschätzt wurden, da keine kritische Prüfung mehr stattgefunden hat und/oder die handelnden Personen von Ja-Sagern umgeben waren. So etwa beim Irak-Krieg und dem Fall „Curveball“: Der Iraker Rafed Aljanabi war als Quelle „Curveball“ ein Informant des Bundesnachrichtendienstes und erzählte diesem Lügen über Massenvernichtungswaffen. Von ihm wird behauptet, er sei der Auslöser für den Irakkrieg gewesen. Die USA um George W. Bush benutzten die ungeprüften Aussagen, um den Krieg zu rechtfertigen. Als später aber keinerlei Massenvernichtungswaffen gefunden werden konnten, war dies eine große Blamage für die Supermacht USA. Heute beteuert Aljanabi, er habe nicht gewusst, dass er sich mit dem Geheim-

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87. Zu viele Ja-Sager dienst eingelassen habe und er wollte nur erreichen, dass Saddam Hussein gestürzt wird.

Glücklicherweise sind Ihre Entscheidungen im Risikomanagement typischerweise nicht so weitreichend und entscheiden auch nicht über Leben oder Tod wie im oben aufgeführten Beispiel des Irak-Kriegs. Trotzdem ist es auch für Sie sehr wichtig, dass Sie Ihre Teamzusammensetzung sehr genau prüfen. Achten Sie darauf, dass Sie nicht von Lakaien umgeben sind, die zu allem Ja und Amen sagen. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat im Jahr 2017 herausgefunden, dass die Generation Y (also die zwischen 1980 und 1999 Geborenen) im Berufsleben eine Gruppe von „Ja-Sagern“ sei. Genau diese These sollte aber sehr vorsichtig interpretiert werden, denn die Genannten sind aktuell/waren zum Zeitpunkt der Studie wohl allesamt Berufsanfänger oder noch am Anfang ihrer Karriere. Da mag es nicht allzu verwunderlich erscheinen, dass nicht sofort alles und jeder infrage gestellt oder kritisiert wird. Mit zunehmender Erfahrung und auch zunehmender Akzeptanz als Spezialist dürfte wohl auch die Neigung zum Kritisieren und konstruktiven Feedback zunehmen, insbesondere auch, wenn höhere Hierarchien involviert sind. Menschen sind nicht als Ja-Sager geboren. Denken Sie nur an die Neugier und die Diskussionsfreudigkeit von kleinen Kindern. Wenn jedoch im beruflichen Umfeld Aufstiegschancen davon abhängen, ob man „pflegeleicht" ist oder nicht, werden sie zu Ja-Sagern erzogen. Ihre Aufgabe als Führungskraft ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass kritische Meinungen nicht nur vertreten werden dürfen, sondern auch durch Karrieresprünge belohnt werden. Nur so fördern

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Sie das Verständnis vom Unternehmer im Unternehmen, der - wenn nötig - kritische Dinge offen und direkt anspricht. Stellen Sie durch kleine, aber effektive, Maßnahmen sicher, dass Ihre Meinung nicht die der anderen überstrahlt und nehmen Sie Kritik dankend an. Achten Sie ganz bewusst auf Ihre Wortwahl bei Fragen und Erklärungen, nicht dass Sie dadurch schon eine Wertung vornehmen, wie zum Beispiel „Finden Sie es nicht auch erstaunlich, dass…“, „Wie kann man denn nur so einen Blödsinn machen…“, „Also ich hätte das ja ganz anders gemacht…“ et cetera. Auch sehr effektiv kann es sein, wenn Sie zwischen schriftlichem Feedback und Präsenzmeetings die richtige Mischung finden. Gerade bei anonymem Feedback sind die Hemmschwellen für Kritik bedeutend niedriger. Fordern Sie beispielsweise Ihre Mitarbeiter und Kollegen dazu auf, Ihnen sowohl die Chancen als auch die Risiken einer diskutierten Entscheidung aus ihrem Blickwinkel heraus mitzuteilen – schriftlich und anonym. Auch in einem Meeting kann ein kleiner, aber effektiver Trick dazu führen, dass neue Dinge angesprochen werden: bitten Sie die Teilnehmer, in umgekehrter hierarchischer Reihenfolge, ihre Meinung kundzutun. Da die Mitarbeiter dann auch noch nicht die Meinung ihres/der Chefs kennen, ist offenes Feedback viel wahrscheinlicher.

88. Keine Sicherung gegen den Dominoeffekt

88. Keine Sicherung gegen den Dominoeffekt Wenn ein Bereich hustet, hat das ganze Unternehmen Grippe

In der heutzutage globalisierten und weitverzweigten Wirtschaft ist es fast unausweichlich, dass ein scheinbar weit entferntes Ereignis schnell eine große Krise auslösen kann. Denken Sie nur einmal an die Reaktorkatastrophe in Fukushima, die durch eine Reihe schwerer Unfälle und Störfälle infolge eines Tsunamis im Jahr 2011 entstand. Und obwohl dieses Ereignis in Japan stattfand, hatte es auch erhebliche Auswirkungen auf die hiesige Wirtschaft, speziell den Energiesektor. Denn die Bundesregierung beschloss den Atomausstieg, wodurch die traditionell sehr stark auf Atomenergie fokussierten, großen Energiekonzerne erhebliche Verluste erlitten. Oder denken Sie an die Finanzmarktkrise ab 2007, die durch eine Immobilienblase in den USA ausgelöst wurde. Infolgedessen mussten zahlreiche Banken, auch in Deutschland, staatlich gestützt werden. Dies wiederum schien alternativlos, sah man doch die gravierenden Auswirkungen sehr anschaulich am Niedergang der Lehman Brothers Bank. Kurzzeitig schien ein systemischer Zusammenbruch, also ein gigantischer Dominoeffekt zu drohen. Zahlreiche Liquiditäts- und Vertrauensprobleme sorgten dafür, dass ein großes Misstrauen im Markt war. Selbst gute Bonitäten erhielten dadurch keine oder nur noch sehr schwer Kredite. Das globale Wirtschaftsleben schien unter einer Schockstarre zu stehen. Es ist natürlich unmöglich, solche externen Effekte vorherzusehen. Allerdings sollten Sie sehr kritisch prüfen, inwiefern einzelne Ursachen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_88

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Sie in eine Schieflage versetzen können. Murphys Gesetz kann sehr hilfreich sein, wenn Sie mögliche Schwachstellen zu ermitteln versuchen, etwa auch im Rahmen einer Worst Case-Betrachtung. Hierfür eignet sich beispielsweise die sogenannte Fehlerbaumanalyse. Die Fehlerbaumanalyse wurde im Jahr 1961 von den Bell Telephone Laboratories entwickelt. Ihr Ziel war ursprünglich die Prüfung des Abschusskontrollsystems für die von Boeing hergestellte Interkontinentalrakete vom Typ LGM-30 Minuteman. In den 1970er und 1980er Jahren wurde die Fehlerbaumanalyse unter anderem bei der Planung von Atomkraftwerken eingesetzt. Eine große Ähnlichkeit zur Fehlerbaumanalyse haben auch die weitverbreiteten Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA; Failure Mode and Effects Analysis) sowie die FMECA (Failure Mode, Effects, and Criticality Analysis). Die FMEAMethode wurde Mitte der 1960er Jahre von der NASA im Zuge der Apollo-Mission entwickelt. Die Fehlerbaumanalyse und auch die FMEA stellen verbesserte semiquantitative Bewertungsmethoden dar. Sie basieren auf der folgenden Überzeugung: Je früher ein Risiko erkannt wird, umso besser ist dies für das Unternehmen. Dies bedeutet aber auch umgekehrt: Je später ein Fehler oder Risiko erkannt wird, umso höher ist regelmäßig auch der entstandene Schaden. Um ein Gespür für die Kritikalität und die Anfälligkeit sowohl externer als auch interner Ereignisse, die sich über eine Kettenreaktion zu einer existenziellen Krise auswachsen können, zu erhalten, können auch Stresstests und Szenarioanalysen sehr hilfreich sein. Dies hilft auch dabei, nicht nur das Management oder einzelne Mitarbeiter, sondern

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das gesamte Unternehmen für bestimmte Entwicklungen und Schwellenwerte zu sensibilisieren. Wohlgemerkt: hier geht es nicht darum, einzelne Ereignisse mit exakten Wahrscheinlichkeiten zu unterlegen oder gar vorherzusagen, sondern vielmehr, mögliche (also plausible) Entwicklungen zu simulieren. Sollten Sie dabei erkennen, dass sich unerwünschte Dominoeffekte und allzu große Konzentrations- beziehungsweise „Klumpenrisiken“ ergeben, haben Sie dann die Möglichkeit hierauf zu reagieren. Oder sie können frühzeitig und mit kühlem Kopf Notfall- und „Schubladenpläne“ ausarbeiten. Und genau hier setzen auch die Ansätze der Resilienz und Antifragilität an. Deren Ziel ist es nicht, die unsichere Zukunft vorherzusagen, sondern vielmehr, einerseits die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass kein Dominoeffekt entstehen kann beziehungsweise dass keine existenzbedrohenden Schäden durch Dominoeffekte entstehen. Andererseits ist ein weiteres, sicherlich sehr hehres Ziel – speziell bei der Antifragilität im Vergleich zur eher starren Resilienz und Robustheit – mit jedem Schaden und mit jedem Schock noch besser zu werden. Das heißt, der Umgang mit Fehlern und eine gelebte Fehlerkultur spielen hier eine zentrale Rolle.

89. Faktor Mensch

89. Faktor Mensch Erfolgsfaktor und Gefahr gleichsam

Der Mensch ist Erfolgs- und Risikofaktor zugleich, wenn es um das Risikomanagement geht. Einerseits zeigen die zahlreichen hier behandelten Beispiele von kognitiven Verzerrungen, Fehleinschätzungen und Fehlinterpretationen, wie anfällig wir für Denkfallen sind. Die zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen und Experimente haben gezeigt, dass diese Fehler eben nicht rein zufällig sind, sondern systematisch ablaufen. Sie hängen sehr stark mit unserer Psyche zusammen. Nicht umsonst hat in letzter Zeit der Zweig der Verhaltensökonomik (Behavioral Finance) sehr großen Zuspruch und Resonanz erhalten, unter anderem dokumentiert durch die beiden Wirtschaftsnobelpreise für Richard Thaler und Daniel Kahneman in den letzten Jahren. Mit der Theorie des Homo oeconomicus ließen sich sehr viele Fortschritte in der Forschung erzielen, allerdings wurden gerade in den letzten Jahr(zehnt)en die Schwächen dieses Ansatzes immer deutlicher. Einen komplett rational denkenden, immer auf die eigene Nutzenoptimierung schielenden, Menschen gibt es eben nur in der Theorie. Die Praxis lebt vielmehr von einer engen Verzahnung mit der Psychologie. Schließlich lässt sich Risiko nicht greifen. Natürlich können anhand entsprechender Modelle sehr genau einzelne mathematische Kennzahlen berechnet werden, nicht aber das Risikoempfinden. Denn das letztgenannte ist immer individuell und subjektiv für den jeweiligen Entscheidungsträger. Sie können das Risiko oder

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89. Faktor Mensch

das jeweilige Risikoempfinden einzelner Personen oder Unternehmen nun mal nicht mit einem Lineal messen. Und genau hier setzt die große Schwierigkeit an, wenn es darum geht, einen unternehmensweiten, einheitlichen Risikoappetit zu etablieren. Es reicht nicht, gewisse Limits und Bandbreiten vorzugeben. Vielmehr geht es darum, ein einheitliches Verständnis für die nicht immer direkt messbaren Faktoren und insbesondere die Graubereiche, bei denen es in besonderem Maße auf die Beurteilungsfähigkeit des einzelnen Mitarbeiters ankommt, zu schaffen. Ein konsequentes Vier-Augen-Prinzip ist deshalb in der Ablauforganisation sehr wichtig, um zu verhindern, dass Fehleinschätzungen oder allzu große Unterschiede zwischen der individuellen und der unternehmerischen Risikotoleranz dazu führen, dass die Risikostrategie nicht mehr eingehalten werden kann. Natürlich kann man dies auch letzten Endes in den harten Kennzahlen ablesen, doch ist dies immer nur ein Blick in den Rückspiegel, wenn „die Messe schon gelesen ist“ oder „das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“. Eine starke, organisatorische Kontrollstruktur und eine starke Risikokultur sind insbesondere auch deshalb wichtig, weil der Mensch viel größere Risiken in Kauf nimmt, wenn er selbstbestimmt handelt (oder zumindest glaubt, es zu tun). So haben Extremsportarten teilweise ein Todesrisiko von 10%. Aktuelle Statistiken zeigen für Extremkletterer sogar, dass schier unglaubliche 40% (!) mittelfristig ihren Sport nicht überleben (vgl. Weinbruch 2011, S.36). Auf der anderen Seite wird bei fremdbestimmten Risiken häufig eine 100% Sicherheit eingefordert. Denken Sie nur einmal an die Sicherheitsbestimmungen bei

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Flugzeugen. Letztgenannte haben sich aber durch eine Kombination von technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen als sicherstes Transportmittel etabliert. Denn neben dem Autopilot und anderen technischen Warnfunktionen ist es insbesondere der Co-Pilot, der die Handlungen des Piloten kritisch überprüft und bei Bedarf eingreifen kann. Und genau dieses „Bei-Bedarf-Eingreifen“ beziehungsweise das Unternehmen – in Anlehnung an das Flugzeug – sicher auf Kurs zu halten und zu landen, ist eine zentrale Herausforderung. Denn speziell bei kleinen und mittelständischen Unternehmen gibt es nicht für jede Position einen adäquaten Ersatz und es ist auch nicht alles dokumentiert. Im Gegenteil: häufig konzentriert sich alles auf den Geschäftsführer oder den Inhaber. Die Abhängigkeit von einzelnen Mitarbeitern und deren existenzielles Ausmaß werden weithin unterschätzt. Stellen Sie deshalb sicher, dass sich Ihre wichtigsten Mitarbeiter mit vertretbarem Aufwand schnell in Ihre Tätigkeiten einarbeiten können. Nutzen Sie Urlaubs- und sonstige Abwesenheitsphasen, um Testläufe zu starten. Nur so können Sie das Know-how-Träger-Risiko einschätzen und auf ein Minimum reduzieren. Ansonsten wäre es wie bei einem Flugzeug ohne Co-Pilot: sobald der Pilot ausfällt, wäre der Crash vorprogrammiert. Würden Sie freiwillig in ein Flugzeug steigen, das ohne Co-Pilot fliegt? Wohl eher nicht. Also stellen Sie auch Ihr Unternehmen entsprechend auf und sorgen Sie dafür, dass zumindest an den wichtigsten Stellen „Co-Piloten“ vorhanden sind!

90. Vergleich von Äpfeln und Birnen

90. Vergleich von Äpfeln und Birnen Nicht jeder Vergleich ist valide

Denken in Analogien ist eine der häufigsten Methoden, mit denen Menschen versuchen, die Welt zu verstehen und Entscheidungen zu treffen. Der Vergleich von Äpfeln mit Birnen beschreibt allerdings sehr anschaulich den Fehlschluss dabei, nämlich die falsche Analogie. Das heißt, es werden zwei Dinge oder Konstellationen miteinander verglichen, die zwar in einer Hinsicht ähnlich sind, es aber nicht zwingend auch in anderen Hinsichten sein müssen. Die falsche Analogie nimmt fälschlicherweise an, dass auch die unbekannten Dinge ähnlich sein müssen. Das Grundprinzip wird in der folgenden Aussage veranschaulicht: „Wenn wir es schaffen, Menschen auf den Mond zu schießen, warum schaffen wir es dann nicht auch, ein Heilmittel gegen Schnupfen zu erschaffen, sodass wir gar nicht erst krank werden?“ Obwohl sich beide Themenbereiche auf die Wissenschaft beziehen, gibt es erhebliche Unterschiede und Fortschritte bei der Weltraumforschung und der biologisch-medizinischen Forschung. Ein weiteres Beispiel ist der Vergleich des menschlichen Verstands mit Computern. Diese Metapher half zwar einerseits, den Fokus auf Themen der Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung zu legen, blendete aber andere zentrale Fragen aus:

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90. Vergleich von Äpfeln und Birnen Die Computer-Metapher lenkte nämlich die Aufmerksamkeit von Fragen der Evolution ab. Also insbesondere Themen wie Kreativität, soziale Interaktion, Sexualität, Familienleben, Kultur, Status, Geld, Macht et cetera. Solange der größte Teil des menschlichen Lebens ignoriert wird, funktioniert die Computer-Metapher sehr gut. Denn Computer sind menschliche Hilfsmittel, die entwickelt wurden, um analytische und mathematische Bedürfnisse zu befriedigen, wie zum Beispiel die Steuererklärung durchzuführen oder Aktienkurse abzurufen. Sie sind allerdings keine autonomen Einheiten, die überleben und sich reproduzieren. Aus diesem Grund ist die Computer-Metapher sehr schlecht geeignet, Forschern bei Fragen zur Evolution, zur Erforschung

von

Charaktereigenschaften

und

menschlichen

Grundbedürfnissen wie Nähe, Liebe und Sexualität zu helfen. Auch die „Uhrmacher-Analogie“ von William Paley zur Evolution, bei der Gott mit einem Uhrmacher verglichen wird, stellt eine falsche Analogie dar. Verkürzt gesagt, besagt sie, dass das Universum ähnlich einer Uhr ist. Eine Uhr wurde von einem intelligenten Wesen (Uhrmacher) hergestellt und folglich muss auch das Universum von einem intelligenten Wesen geschaffen worden sein. Analogien sind sehr hilfreich, wenn es darum geht, komplexe Prozesse oder Ideen zu veranschaulichen und damit verständlich zu machen. Sie müssen aber sehr sorgsam ausgewählt und geprüft werden, um nicht überstrapaziert zu werden oder eben falsch zu sein. Der

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Wirkungsbereich der Analogien sollte sehr genau umrissen sein und auch die Grenzen müssen transparent gemacht werden. Ein weiteres Problem von Analogien ist die Tatsache, dass sie induktive Schlussfolgerungen sind. In Anlehnung an den induktiven

Fehlschluss sind sie besonders anfällig für bewusste und unbewusste Übertreibungen oder Manipulationen der Adressaten. Denn es kann schnell der Eindruck entstehen, dass die Übereinstimmung 100% beträgt und man Vorgänge und Entwicklungen nun ganz sicher planen und vorhersagen könne. Dies ist natürlich nicht der Fall. Egal wie gut eine Analogie auch sein mag, sie kann nie zu 100% die Entwicklung der betrachteten Einheit vorhersagen, denn sie ist ja nur ähnlich und nicht identisch. Mark Twain hatte in diesem Zusammenhang sehr anschaulich festgestellt, dass sich die Zukunft zwar „reimt“, aber eben nicht „wiederholt“. Achten Sie besonders darauf, dass Sie sich nicht von oberflächlichen Ähnlichkeiten blenden lassen und dabei fundamentale Unterschiede ignorieren. Speziell in ungewohnten Situationen und bei neuen Ideen sollten Sie in Vergleichen harte Fakten den vermeintlich noch so exakten Analogien vorziehen. Lassen Sie sich nicht von ihrem ersten, intuitiven Eindruck oder von sehr anschaulichen Metaphern blenden. Speziell in letztgenannten Situationen unterstützt ein Devil’s Advocat, der dabei hilft, die Analogien und Metaphern genauer zu hinterfragen und auf ihre Belastbarkeit hin zu prüfen.

91. Mittelweg vs. fauler Kompromiss

91. Mittelweg vs. fauler Kompromiss Nichts Halbes und nichts Ganzes

Die Tendenz zur Mitte zeigt sich beispielsweise bei Befragungen mit mehrstufigen Skalen (sogenannte Likert-Skalen), bei denen eher die mittleren Skalenwerte als die Extrempunkte ausgewählt werden. Dies führt dazu, dass sich die analysierbare Varianz und damit auch die Aussagekraft der Messung schmälern. Speziell bei Befragungen wird durch einen kleinen, aber effektiven Trick versucht, die Tendenz zum Mittelwert etwas aufzuweichen, indem häufig eine gerade Anzahl wählbarer Skalenwerte vorgegeben wird, sodass die Teilnehmer nicht exakt die Mitte wählen können, sondern eine positive oder negative Tendenz. Kompromisse gab es schon im Römischen Reich. Dort galten sie als „dritter Weg“ der Rechtsprechung und bezeichneten ein gemeinsames Versprechen der streitenden Parteien, sich dem unabhängigen Schiedsspruch eines Dritten zu unterwerfen. Kompromisse sind im zwischenmenschlichen Bereich, wenn es um bestimmte Vorlieben und Präferenzen geht, völlig normal und sinnvoll. Wie das folgende Beispiel zeigt, gilt es aber auch hier einige Grundregeln zu beachten, damit kein fauler Kompromiss entsteht: Zwei Damen streiten sich, weil sie beide eine Orange haben wollen. Am Ende einigen sie sich auf einen Kompromiss: Sie teilen die Orange in zwei Hälften.

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91. Mittelweg vs. fauler Kompromiss Die erste Dame schält die Orange, isst das Fruchtfleisch und schmeißt die Schale weg. Die andere schält die Orange ebenfalls, schmeißt aber das Fruchtfleisch weg und benutzt die Schale zum Backen.

Tja, das ist dann wohl nicht ganz optimal gelaufen. Denn hätten beide Damen nicht nur über ihre Forderungen, sondern auch über ihre Ziele gesprochen, wären sie wohl beide zu einem besseren Ergebnis gelangt. Die eine hätte dann das gesamte Fruchtfleisch und die andere die gesamte Schale bekommen können. Klären Sie also immer vorab, was das Hauptinteresse des Gegenübers ist und prüfen Sie, ob beziehungsweise wie Sie dies in Einklang mit Ihren Interessen bringen können. Speziell im unternehmerischen Umfeld ist es aber auch sehr wichtig, dass Sie klare Grenzen ziehen. Manche Dinge dürfen nicht zur Disposition stehen, etwa die Risikostrategie oder die grundlegende strategische Ausrichtung – zumindest nicht bei Entscheidungen im operativen Tagesgeschäft. Gleiches gilt für Budgets oder Ressourcenplanungen. Die Ursache für faule Kompromisse hängt häufig sehr stark mit der Angst vor Neuem zusammen. Vielfach spielen die Macht der Gewohnheit und Trägheit der handelnden Personen eine zentrale Rolle, warum ein Mittelweg oder fauler Kompromiss gewählt wird, der dann aber „weder Fisch noch Fleisch“ ist und den Erfolg gefährdet. Denn bedenken Sie: nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen. Wenn Sie immer nur den Mittelweg wählen, sind Sie bestenfalls Durchschnitt.

91. Mittelweg vs. fauler Kompromiss

364

Wenn Sie absolut von einer Entscheidung überzeugt sind und die harten Fakten dafür sprechen, sollten Sie dafür sorgen, dass Sie dies Ihren Mitarbeitern vernünftig erklären und ihnen die Angst vor dem Neuen und Unsicheren nehmen. Gleichzeitig ist es dann aber auch Ihre Aufgabe, die Dinge konsequent anzupacken und umzusetzen – zusammen mit Ihren Mitarbeitern. Diskussionen und Klärungen mit allen Beteiligten vorab sorgen für gute Kompromisse und dafür, dass eventuelle Schwächen in Ihren Plänen ausgemerzt werden, dass sich alle Beteiligten für das Ziel identifizieren können und dass trotzdem keine negativen Begleiterscheinungen oder Korrekturen bei den grundlegenden Einflussgrößen, beim Risikoumfang und beim Ressourceneinsatz damit einhergehen. Wohl gemerkt: ein guter Kompromiss bedeutet nicht, dass man sich auf halbem Wege treffen muss. Vielmehr bedeutet er, dass sich alle Beteiligten mit der Lösung identifizieren können und komplett hinter den Zielen und den Maßnahmen zu deren Erreichung stehen. Definieren Sie also gewisse „rote Linien“, die nicht zur Diskussion stehen (dürfen), und stellen Sie ansonsten sicher, dass Sie einerseits die Mitarbeiter abholen und deren Ängste und Sorgen ernst nehmen, andererseits aber das Heft des Handelns weiterhin in der Hand halten. Die Mitarbeiter können gerne in den Entscheidungsprozess miteingebunden werden, was diese sicherlich auch motiviert - die finale Entscheidung treffen aber immer noch Sie in Rücksprache mit dem Management-Team!

92. Die Lean Risk Management-Illusion

92. Die Lean Risk Management-Illusion Ist Schlankheit das Allheilmittel?

Lean Management, also „schlankes“ Management, ist zu einem Modewort bei Reorganisationsprozessen geworden. Toyota war der Vorreiter für die Schlankheitsbemühungen und die Lean ManagementAnsätze in der Produktion und Logistik. Über die Vorteile zahlreicher Ansatzpunkte des Lean Managements gibt es wohl keine großen Diskussionen. Themen wie eine Ausrichtung an den eigenen Stärken und ein ständiger Lernprozess, der die Qualität der Produkte und die Geradlinigkeit der Organisation sichert und beständig perfektioniert, sind wohl ausnahmslos und für jedes Unternehmen erstrebenswert. Der Ansatz des Lean Managements wird seitdem versucht, auf alle möglichen Unternehmen und Funktionsbereiche zu übertragen. Und auch im Risikomanagement wird Schlankheit schnell als Allheilmittel angepriesen. Natürlich ist es äußerst erstrebenswert, durch ein integriertes Risikomanagement eine höhere Qualität und weniger Doppelarbeit sicherzustellen. Dabei werden auch die unterschiedlichen Silos und Paralleluniversen aufgebrochen. Die Konzentration sollte auf den folgenden vier Bereichen liegen: -

Daten (einheitliche Datenbasis, keine Doppelarbeit),

-

Infrastruktur (keine steilen Hierarchien und teilautonome Einheiten),

-

Personen (eigenverantwortlich und gut geschulte Mitarbeiter) und

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_92

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92. Die Lean Risk Management-Illusion -

Prozesse (kritische Prüfung und Trimmen auf Effizienz).

Doch es gibt auch erhebliche Stolpersteine. Beispielsweise die Anforderung, dass die einzelnen Bereiche autonom auf Veränderungen reagieren. Außerdem kann eine allzu starke Verschlankung dazu führen, dass die im Risikomanagement sehr wichtigen Reserven nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Eine höhere Eigenverantwortung und Autonomie der Teilbereiche führt schnell zur Überlastung und/oder Überforderung einzelner Bereiche oder Abteilungen. Gerade im Risikomanagement kommt es in besonderem Maße auf Flexibilität an. Effizienz ist natürlich auch wichtig, aber Effektivität ist wichtiger. Das heißt, es muss bei Bedarf schnell und flexibel reagiert werden können. Durch Kaizen und die laufende Prozessverbesserung werden typischerweise Wiederholungsfehler verringert. Insbesondere bei neuen Entwicklungen treten aber immer wieder neue Fehler auf. Mit die größte Herausforderung bei der Umsetzung von schlanken Prozessen im Risikomanagement ist aber vielfach der Aufbau eines automatisierten Kontroll- und Monitoringsystems. Das Ziel muss es sein, dass keine Folgerisiken entstehen beziehungsweise mögliche Risiken so früh wie möglich identifiziert werden können. Hieran hapert es bei den meisten Ansätzen noch. Für viele Unternehmen dürfte ein vollständiger Lean Risk Management-Ansatz aktuell noch zu früh kommen und Lean Risk Management per se ist auch noch lange kein Erfolgsgarant. Vielmehr sollte es darum gehen, sich die für das eigene Unternehmen „richtigen“ Elemente herauszupicken und dann unter Berücksichtigung der

92. Die Lean Risk Management-Illusion vorhandenen

Ressourcen

umzusetzen.

368 Damit

anzufangen,

Verschwendung, etwa Doppelarbeiten und unterschiedliche Datenbasen, zu eliminieren, kann ein wichtiger Ansatzpunkt sein. Allein dies wird vielfach schon sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Anschließend

kann

der

ganzheitliche

Risikomanagementansatz

verfolgt werden. Dies kann mit dem Fokus auf einer angemessenen Bevollmächtigung einzelner Personen und Bereiche sowie dem Aufbrechen von Abteilungsinseln gelingen. Den Hut sollten aber immer noch Sie aufhaben! Denn die Qualität des Risikomanagements lässt sich nicht so einfach messen wie in einem einfachen Produktionsprozess. Teilweise kann sich eine heute getroffene Entscheidung erst in Jahren oder Jahrzehnten als falsch erweisen, dann aber mit einer erheblichen Tragweite. Aus diesem Grund müssen die Schlankheits-Kuren im Risikomanagement mit äußerster Vorsicht durchgeführt werden! Risikomanagement nur unter dem Kostenaspekt oder hinsichtlich eines Null-Fehler-Ansatzes à la Six Sigma optimieren zu wollen, wäre eine Illusion. Denken Sie nur an die dynamischen Änderungen und auch unvorhergesehene Ereignisse wie schwarze Schwäne, die eine flexible Reaktion erfordern. Deshalb erfreuen sich ja auch die beiden Konzepte der Resilienz und Antifragilität so großer Beliebtheit. Optimieren und verschlanken Sie Ihr Risikomanagement, aber bitte mit Augenmaß und nicht mit einer „Blaupause“ von anderen VorbildUnternehmen oder -Bereichen.

93. Angst und Gier

93. Angst und Gier Warum ein kühler Kopf Gold wert ist

Michael Douglas prägte in seiner Rolle als Finanzhai Gordon Gekko im legendären Börsen-Thriller „Wall Street“ das Zitat: „Gier ist gut. Gier ist richtig gut. Gier ist gesund“. Da er in dieser Rolle allerdings seine Investitionsentscheidungen auf Basis von Insiderinformationen getroffen hat, die ihn letzten Endes ins Gefängnis brachten, dürfte sehr fraglich sein, ob sein Leitmotto letzten Endes wirklich gut für ihn war. Sowohl die Gier als auch ihr Gegenstück, die Angst, können für uns natürlich in gewisser Hinsicht hilfreich sein. Beispielsweise wenn sich Gier in Ehrgeiz äußert und wir damit zu Höchstleistungen und starken Anstrengungen motiviert werden, um unsere Ziele zu erreichen. Auf der anderen Seite kann Angst uns zu sorgsamem und vorsichtigem Handeln zwingen. Speziell in gefährlichen Situationen kann höchste Konzentration sehr wichtig sein. Als Basis für die typischerweise unter Unsicherheit getroffenen Entscheidungen im Risikomanagement sind Emotionen – etwa Angst und Gier – aber häufig eher hinderlich als hilfreich. Kennen Sie die „Hausfrauenrallye“ beziehungsweise den „Bildzeitungsindikator“? Beide Faktoren beschreiben die Spätphase einer Aktienrallye: In der Spätphase eines Börsenbooms hören Viele von den Gewinnen Anderer und fühlen sich schlecht, da die Anderen und nicht sie selbst scheinbar mühelos und ohne großes Risiko (so © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_93

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93. Angst und Gier zumindest der Eindruck) viel Geld mit steigenden Wertpapieren verdient haben. So war es im Übrigen auch zu Zeiten des Goldrauschs im 19. Jahrhundert und vielen anderen Blasen, etwa der Tulpenmanie in den 1630er Jahren. Sobald man von scheinbar allen anderen von deren tollen Gewinnen hört, kommt die Emotion – Neid, eine Form der Gier – ins Spiel. Es finden dann keine rationalen Entscheidungen mehr statt, das Risiko eines (Total-)Verlusts wird völlig ausgeblendet und es geht nur noch darum, auch auf der Gewinnerseite zu sein. Je länger die Phase anhält, umso mehr Personen, die ansonsten überhaupt nichts mit diesem Metier zu tun haben, kommen hinzu: also beispielsweise Hausfrauen oder Bild-Zeitungsleser.

Denken Sie nur an die Dotcom-Krise, als plötzlich jeder eine Technologie-Aktie haben wollte, ohne sich intensiver mit dem Unternehmen dahinter und dessen Ertragschancen zu beschäftigen. Eine zentrale Rolle spielten hierbei sowohl der Halo-Effekt als auch der Mitläufer-

effekt. Warum hört man denn so häufig von reichen Betrügern - die eigentlich schon so viel Geld haben, dass sie es in diesem Leben ohnehin nicht mehr ausgeben könnten - dass sie für einen zusätzlichen Profit das Risiko eingingen, ins Gefängnis zu müssen? Sie blendeten das Risiko völlig aus und ließen sich rein emotional vom Faktor Gier leiten. Ähnlich irrationale Entscheidungen werden häufig auch durch den Faktor Angst getroffen. Dies erklärt beispielsweise, warum viele

93. Angst und Gier

372

Menschen die Risiken überversichern und warum sich die Nullrisiko-

Verzerrung so hartnäckig hält. Die wichtigste Aufgabe für Sie als Entscheidungsträger ist es, sich der Emotionen und deren Einfluss auf die Risikosicht bewusst zu werden. Denn Emotionen per se sind nichts Schlimmes, ganz im Gegenteil: vielfach können sie auch sehr hilfreich sein. Denken Sie nur an die obigen Beispiele, wie wir motivierter, sorgsamer handeln und beispielsweise auch nicht so anfällig für Leichtsinn sind. Es geht allerdings immer um das richtige Maß. Finden Sie die richtige Balance mit mathematisch-quantitativen Modellen, die weitgehend emotionslos sind. Gleichzeitig spielen aber spätestens bei der Interpretation der Ergebnisse auch Emotionen eine zentrale Rolle. Um nicht zu sehr von Ihrer persönlichen Emotion getrieben zu werden, sollten Sie das Management-Team sorgsam auswählen und versuchen, eine gute Mischung zu finden. Auch die explizite Zuweisung der Rolle des Devil’s Advocat an eine Person, zum Beispiel in einer Strategiebesprechung, kann sehr hilfreich dabei sein, die Verzerrungen und Einflüsse von Emotionen zu prüfen und bei Bedarf zu eliminieren. Gleichzeitig sollten Sie sich aber davon lösen, dass a) Sie jegliche Emotionen ausschließen können und b) Emotionen per se immer schlecht sind. Die Idee des emotionslos und immer rational handelnden Homo oeconomicus ist bekanntlich passé und Emotionen können, wie oben gezeigt, auch zielführend sein.

94. Beeinflussungen durch Leit- und Fangfragen

94. Beeinflussungen durch Leit- und Fangfragen „Sind Sie nicht auch der Meinung, dass…?“

Gewollt oder ungewollt können Sie durch Fragen bereits Ihre Adressaten, Kollegen oder Mitarbeiter beeinflussen. So beschreiben Leitfragen beispielsweise keine offenen Fragen im eigentlichen Sinne. Vielmehr bestehen Sie aus einer Behauptung, die von einem Bestätigungsantrag („…, nicht wahr?“) gefolgt sind. Im Unterschied zu wertenden oder Fangfragen (Loaded Questions) eröffnet eine Leitfrage aber lediglich die Diskussion oder Schlussfolgerung durch die Rückfrage wie zum Beispiel „Finden Sie nicht auch, dass…“, „Geht es Ihnen nicht auch so, dass…“ et cetera. Eine wertende Frage oder Fangfrage hingegen nimmt eine gewisse Schlussfolgerung bereits von Anfang an an. Beispielsweise: „Haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu schlagen?“. Hier wird bereits unterstellt, dass der Gegenüber seine Frau schlägt und es wird indirekt bestätigt, wenn er mit „ja“ oder „nein“ antwortet. Durch wertende Fragen oder Fangfragen wird eine objektive, rationale Argumentation sehr schnell torpediert und der Befragte findet sich – trotz der eigentlich besseren Argumente – schnell in einer Verteidigungsrolle wieder. Speziell von Medienkritikern wurde der Begriff „Gotcha-Journalismus“ geprägt, um Interviewmethoden zu beschreiben, bei denen es einzig und allein darum geht, den Gegenüber mithilfe von Leit- und Fangfragen zu Aussagen zu verleiten, die für seine Sache, seinen Charakter, seine Integrität oder seinen Ruf schädlich sind. Ein prominentes © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_94

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375

94. Beeinflussungen durch Leit- und Fangfragen

Beispiel war die damalige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Madeleine Albright, die sich am 12. Mai 1996 in der Fernsehsendung „60 Minutes“ urplötzlich auf schwammigem Terrain wiederfand und den „Gotcha-Journalismus“ am eigenen Leib spüren musste: Die Journalistin Lesley Stahl fragte bezüglich der Auswirkungen der US-Sanktionen gegen den Irak: „Wir haben gehört, dass eine halbe Million Kinder gestorben sind. Das sind mehr Kinder als in Hiroshima ums Leben kamen. Ist das Ihrer Meinung nach den Preis wert?“ Albright antwortete in der Sendung: „Ich denke, das ist eine sehr schwierige Entscheidung, aber den Preis, denken wir, den Preis ist es wert.“ Es ist wenig verwunderlich, dass sich ein Sturm der Entrüstung über Madeleine Albright ergoss. Heutzutage würde es wohl nahezu in Echtzeit in den Social Media einen „Shitstorm“ geben. Und auch Albright erkannte später: „Meine Antwort war ein schrecklicher Fehler: hastig, ungeschickt und falsch. Ich war in eine Falle geraten und sagte etwas, was ich einfach nicht so meinte. Das ist die Schuld von niemand anderem außer mir selbst.“ Lösen Sie sich davon, die Entscheidungen im Risikomanagement mit einer Debatte zu vergleichen, bei der Sie unbedingt Ihre Agenda „durchbringen“ möchten. Dies ist grundlegend falsch. Konzentrieren Sie sich nur auf die Fakten und hören Sie sich auch abweichende

94. Beeinflussungen durch Leit- und Fangfragen

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Meinungen an. Nur so können Sie sich vor Fehleinschätzungen Ihrerseits schützen. Gleichzeitig sollten Sie sich auch bewusst sein, wie Sie selbst von anderen, etwa durch geschickte Fragen, in Ihrer Entscheidung beeinflusst werden können. Wenn Sie bemerken, dass Ihnen Fangfragen oder Leitfragen gestellt werden, sollten Sie einerseits Ihren Gegenüber darauf hinweisen und andererseits im Falle von Fangfragen diese korrigieren, um somit darauf zu antworten, ohne in eine ungewollte Ecke gedrängt zu werden. Um innerhalb Ihres eigenen Unternehmens die Ansatzpunkte für Beeinflussungen jeglicher Art möglichst gering zu halten, ist es wichtig, dass Sie in der Unternehmens- und Risikokultur verankern, dass es um keinen „Wettstreit“ zwischen einzelnen Abteilungen, Bereichen oder Personen geht, sondern einzig und allein um die unternehmensweiten Ziele. Je weniger Abteilungsinseln und interne Wettkämpfe es gibt, um geringer ist auch der Nährboden für Beeinflussungen. Auch die Vergütung spielt hierbei eine wichtige Rolle: sorgen Sie dafür, dass die Unternehmensziele über den individuellen Abteilungs- oder Bereichszielen stehen! Achten Sie auch darauf, dass Sie sich nicht aus der Emotion heraus vorschnell auf eine Richtung oder Meinung festnageln lassen. Dies gilt sowohl für interne als auch für externe Entscheidungen. Nehmen Sie sich die Zeit, um wichtige Entscheidungen angemessen prüfen zu können und involvieren Sie auch Ihre Fachbereiche.

95. Zu wenig Erfahrung

95. Zu wenig Erfahrung Warum Erfahrung nicht durch Computerprogramme ersetzt werden kann

Einen Ältestenrat bringt man häufig spontan mit der Hierarchie und Ordnung eines afrikanischen Dorfs in Verbindung. Häufig nimmt der Dorfälteste eine Art Bürgermeister-Rolle ein und entscheidet in schwierigen Fragestellungen. Auch im Bundestag gibt es einen Ältestenrat. Er ist das wichtigste Koordinationsgremium und setzt sich zwar nicht aus den ältesten, aber aus besonders erfahrenen Politikern zusammen. Die Überzeugung dahinter ist, dass sich die gesammelte Erfahrung positiv auf die Entscheidungsfindung auswirkt und dass ähnliche Situationen bereits in der Vergangenheit aufgetreten sind und die Mitglieder durch ihren reichen Erfahrungsschatz die optimalen Lösungen finden. Die Bedeutung historischer Ereignisse und damit auch von Erfahrung ist elementar für das Risikomanagement, wie auch die Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart gezeigt haben: In ihrem Buch „This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly“ haben sie Hunderte von Finanzkrisen der letzten acht Jahrhunderte in über 66 Ländern analysiert. Sie zeigten auf, dass sich allein in der Zeit seit 1800 rund 320 Staatsschuldenkrisen ereignet haben. Allein Frankreich konnte zwischen 1558 und 1788 acht Staatsbankrotte verbuchen. Spanien kam im Zeitfenster von 1557 bis 1647 auf sechs © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_95

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95. Zu wenig Erfahrung Staatspleiten. Ihr Fazit: Es gibt nichts Neues, außer dem, was vergessen wurde.

Die Erfahrung des Risikomanagers und das „Nicht Vergessen“ von kritischen Risikosituationen und -entscheidungen ist sehr erfolgskritisch. Frei nach Mark Twain, der feststellte, dass sich die Geschichte zwar nicht „wiederholt“, sich dafür aber „reimt“. Neben der rein Compliance-getriebenen Bedeutung mit einer Verhinderung von Haftungsrisiken kommt dem Risikomanager auch eine zentrale Rolle bei betriebswirtschaftlichen Fragestellungen zu. Im besten Fall hat er einen Überblick über die wichtigsten Geschäftsprozesse des Unternehmens und kann dafür sorgen, dass stets ein optimales Risiko-Chancen-Verhältnis gewahrt bleibt. Da es ein völlig risikoloses Geschäft nicht gibt, muss es das Ziel sein, die Risiken unter Berücksichtigung des jeweiligen „Risikoappetits“ so zu managen, dass die damit verbundenen Chancen genutzt werden können. Die Aufgabe des Risikomanagers als „Stimme des Risikomanagements“ ist es primär, Transparenz über die Gefährdungssituation des Unternehmens herzustellen und sekundär, dazu beizutragen, dass die Risiken nicht im Sinne der Risikostrategie „aus dem Ruder laufen“. Ein guter Risikomanager unterstützt die Unternehmensführung durch frühzeitige Information. Ihm liegt aufgrund seiner Erfahrung vorausschauendes Denken im Blut und mögliche Risiken und Bedrohungsszenarien können dadurch frühzeitig simuliert werden. Der Risikomanager ist also alles andere als ein „Erbsenzähler“, sondern vielmehr ein „konstruktiver Herausforderer“ und „Sparringspartner“ für das

95. Zu wenig Erfahrung

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Management. Dieser Rolle kann er allerdings auch nur mit ausreichender Erfahrung gerecht werden. In diesem Zusammenhang muss aber auch berücksichtigt werden, dass Erfahrung nicht mit Kompetenz gleichgesetzt werden darf! Aus diesem Grund ist erst eine Kombination von Erfahrung und Kompetenz ein wichtiges Element von erfolgreichem Risikomanagement. Darüber hinaus kommt heutzutage auch der Affinität zu den unterschiedlichen technischen Möglichkeiten und Programmen eine zentrale Rolle zu. In Zukunft wird sich dies durch die Analysemöglichkeiten von Big Data und die fortschreitende Digitalisierung ganzer Geschäftsmodelle zusätzlich beschleunigen. Nur wer den Anschluss an den technischen Fortschritt nicht verliert, kann seine Erfahrungen auch künftig noch einbringen beziehungsweise nur dessen Erfahrung ist zukünftig weiterhin gefragt. Erfahrung ist zudem auf allen Ebenen wichtig. Was in den vorgelagerten, operativen Prozessen und Entscheidungen falsch gelaufen ist, kann (bestenfalls) nur noch repariert werden. Nur durch ein ganzheitliches Risikomanagement, mit einer gelebten Risikokultur, wird eine proaktive Steuerung auf breiter Basis effektiv und effizient möglich gemacht. Gerade bei der Festlegung der Risikokultur sowie bei der Definition kritischer Schwellenwerte und Gegenmaßnahmen kommt dem Faktor „Erfahrung“ eine sehr wichtige Rolle zu.

96. Lernen aus Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten

96. Lernen aus Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten Warum die größten Fehler im Erfolg gemacht werden

Wenn einem (scheinbar) alles in den Schoß fällt oder wenn eine Erfolgssträhne zu lange andauert, ist die Gefahr sehr groß, dass man nachlässig und träge wird. Nicht umsonst heißt es häufig rückblickend, dass der Erfolg bestimmte Risiken und Missstände lange – zu lange – überdeckt hat und diese dann plötzlich und völlig unerwartet in vollem Umfang schlagend wurden. Im Erfolg gibt es häufig (scheinbar) keinen Grund, etwas zu ändern oder zu kritisieren, getreu dem Motto „Never change a winning team“. Dies wird durch die Status-quo-Verzerrung noch weiter gefestigt. Da die meisten Entscheider das Risiko scheuen, optimieren Sie nur geringfügig das Geschäft, anstatt es zu revolutionieren. Und jemand, der versucht während des Erfolgs etwas zu kritisieren, wird schnell als Schwarzmaler abgekanzelt und es wird stattdessen auf die Erfolgszahlen verwiesen, wonach es keinen Grund zur Änderung gebe. Um auch im fortwährenden Erfolg weiterhin dauerhaft erfolgreich zu bleiben oder sogar daraus zu lernen, bedarf es ganz besonderer Eigenschaften. Intel-Gründer Andy Grove hat vor einigen Jahren betont: „Nur wer paranoid ist, der überlebt.“ Dauerhaft erfolgreich sind demnach nur Unternehmer, die sich kompromisslos auf Neues einlassen. Der amerikanische Management-Berater Gary Hamel hat es in einem Fachbeitrag so ausgedrückt: „Was Unternehmen wirklich umbringt, ist ihre Trägheit.“ Und weiter: „Große Unternehmen beten © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_96

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96. Lernen aus Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten

weder ihre Aktionäre noch ihre Kunden an, sondern ihre eigene Vergangenheit.“ Um wirklich an der Spitze zu bleiben, muss sich jeder ständig infrage stellen, sich verbessern - also verändern wollen. Wer auf dem Gipfel ist, für den geht es in jeder Richtung nur noch abwärts, es sei denn er begreift Erfolg als einen permanenten Prozess. Wie rar diese Eigenschaften sind und wie schwierig es scheinbar ist, aus dem Erfolg die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen, kann man sehr anschaulich am 1982 erschienenen Buch „In Search of Excellence“ sehen. Die Autoren, Tom Peters und Robert Waterman, untersuchten 68 der erfolgreichsten Unternehmen der USA und empfahlen ihre Erfolgsrezepte zur Nachahmung. Die Erfolgsrezepte sind sehr anschaulich und klingen plausibel. Doch muss man heutzutage konstatieren, dass ein Großteil dieser Unternehmen mittlerweile vom Markt verschwunden ist. Hierfür gibt es natürlich die unterschiedlichsten Gründe. Doch es zeigt sich, dass aktueller Erfolg kein Garant für zukünftigen Erfolg ist. Ganz im Gegenteil: schauen Sie sich doch nur einmal an, wie viele Sportler es geschafft haben, sich wirklich dauerhaft in der Weltspitze zu etablieren. Nur ganz wenige. Es gibt viele „One-Hit-Wonders“ – genauso wie auch im Showbusiness – die nach einem kurzen Erfolg nie mehr an alte Leistungen anknüpfen konnten. Die Gründe sind dabei vielfältig. Gerade im Sport gibt es auftretende Verletzungsprobleme, aber immer auch wieder Sportler, deren Trainingseifer dann plötzlich nachlässt, die mit dem Erfolg nicht klarkommen und plötzlich abheben und meinen, dass der Erfolg nun von ganz alleine komme, oft verschieben sich auch die Prioritäten und die Arroganz nimmt zu.

96. Lernen aus Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten

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Auf der anderen Seite wird häufig argumentiert, dass Lernen aus Misserfolgen nachhaltiger wirkt. Denn Verluste bleiben viel länger im Gedächtnis als Erfolge. Dies erklärt Phänomene wie die Verlust-

aversion oder die Nullrisiko-Verzerrung. Wir tun scheinbar alles, um nicht nochmals in eine solch prekäre Lage zu gelangen. Dies würde auch erklären, warum die Mitarbeiter während einer Krisensituation (scheinbar) eher bereit sind, Dinge zu ändern. Gerade in existenziellen Krisen wird der Blick auf das Wesentliche gerichtet und jeder Mitarbeiter scheint bereit, sich auf die Kernthemen zu konzentrieren und ist auch bereit, die berühmte „Extra-Meile“ zu gehen. Gleichzeitig hängt es sehr stark von der Unternehmenskultur, dem Führungsstil und der Persönlichkeit der handelnden Personen ab, ob beziehungsweise wie aus Erfolgen und Misserfolgen die richtigen Schlüsse gezogen werden. Empirische Untersuchungen zur Gegenüberstellung von Lernprozessen im Erfolg und im Misserfolg sind bisher rar und noch in den Kinderschuhen. Was bisher weitgehend bestätigt wurde: um langfristig erfolgreich zu sein, braucht es ein ständiges Erneuern. Die Organisation muss ständig in Bewegung sein und Innovationen einfordern. Dann kann es auch möglich sein, dass sich Erfolge sehr lange wiederholen. Real Madrid hat beispielsweise zwischen 2016 und 2018 drei Mal hintereinander die Champions League gewonnen. In den beiden siegreichen Endspielen 2017 und 2018

starteten

Aufstellung.

„die

Dem

Königlichen“

Faktor

sogar

mit

Unternehmenskultur

exakt

derselben

beziehungsweise

„Team Spirit“ kommt damit wohl ebenfalls eine sehr zentrale Rolle im Lern- und Verbesserungsprozess zu.

97. Quantifikations-Irrglaube

97. Quantifikations-Irrglaube „Was man nicht quantifizieren kann, gibt es nicht!“?

Speziell bei einer zu starken Fokussierung auf Risikomodelle gibt es immer noch den Irrglauben, dass alle wesentlichen Risiken quantifizierbar sein müssen. Alles was man nicht quantifizieren könne, gäbe es nicht und könne/bräuchte deshalb auch nicht gesteuert werden. Die Wichtigkeit der Messbarkeit und Quantifizierung ist unbestritten. Schon der Managementvordenker Peter Drucker bemerkte „Was man nicht messen kann, kann man nicht lenken“. Und auch im Risikomanagement kommt der Quantifizierung von Risiken eine herausragende Bedeutung zu. Sei es, um den Risikoumfang verschiedener Geschäftsfelder zu vergleichen, um die Gesamtrisikosituation zu ermitteln oder auch, um eine Risikotragfähigkeitsrechnung, also eine Gegenüberstellung von Chancen und Risiken, durchzuführen. Auch wenn es darum geht, den Erfolg von Steuerungsmaßnahmen zu bewerten, sind Faktoren wie die erwartete Rendite und die erwarteten Risiken in Form von Ausfällen und Verlusten sehr wichtig. In der Praxis zeigt sich allerdings sehr häufig, dass viele Risiken nicht quantifiziert beziehungsweise als nicht quantifizierbar klassifiziert werden. Die Folge daraus: in der Gesamtrisikobetrachtung bleiben sie unberücksichtigt – quasi so, als ob es dieses Risiko überhaupt nicht geben würde. Die Gründe sind sehr vielschichtig: einerseits gibt es sehr häufig Probleme mit der Erhebung von Daten und Datenhistorien. Außerdem © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_97

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97. Quantifikations-Irrglaube

spielen aber auch Wissensdefizite im Umgang mit Risikomodellen, fehlende technische Voraussetzungen für die Quantifizierung oder schlichtweg eine Aversion gegenüber mathematischen Operationen, die über die einfachen Grundrechenarten hinausgehen, eine zentrale Rolle. Hilfreich

bei

der

Quantifizierung

von

qualitativen

oder

semi-

quantitativen Daten können beispielsweise eine Klassifizierung oder eine Risikomatrix sein. Bei erstgenannter Methode wird bei typischerweise nur geringer Datenbasis vorab eine grundlegende Bewertung der Risiken vorgenommen und diese dann anschließend in ein Bewertungsinstrument wie etwa ein Scoring-Modell überführt. Da Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenspotenzial nicht exakt bemessen werden

können,

wird

typischerweise

auf

Expertenschätzungen

zurückgegriffen. Die Risikomatrix erfreut sich großer Beliebtheit, da sie einerseits die Eintrittswahrscheinlichkeit und andererseits das Schadenspotenzial grafisch anschaulich darstellt. Auch hier können ein Wert oder eine Bandbreite errechnet werden, indem die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Schadenspotenzial multipliziert und der erwartete Schaden für das betrachtete Zeitintervall festgelegt wird. Speziell bei den „klassischen“ Risikokategorien, wie etwa Marktpreisoder Adressenausfallrisiko, sollten Sie gut in der Lage sein, eine Quantifizierung vorzunehmen. Im Falle weiterer Risikokategorien kann auch eine Prüfung der Prozesse sehr hilfreich sein, auf deren Basis wiederum eine Expertenschätzung vorgenommen wird. Auch der Einfluss von „exotischeren“ Risiken wie dem Reputationsrisiko oder dem strategischen Risiko lässt sich grundsätzlich in einer

97. Quantifikations-Irrglaube

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Risikotragfähigkeitsrechnung berücksichtigen. Simulieren Sie doch in einem ersten Schritt den Einfluss von einem dieser Faktoren auf die operativen Geschäfte und damit den finanziellen „Impact“. Zugegeben: das Liquiditätsrisiko ist aufgrund seiner Eigenart nur sehr schwer quantifizierbar. Faktoren wie Fristigkeit und Refinanzierbarkeit sind nur schwer in einzelne Kennzahlen zu packen. Hier sind Themen wie eine Liquiditätsablaufbilanz aussagekräftiger. Achten Sie also sehr genau darauf, dass Sie Ihre Risiken sinnvoll und mit Augenmaß quantifizieren. „Verbale Merkposten“ sind als Notlösung ganz okay, mehr aber auch nicht. Um den Vorteil einer ökonomischen Risikosteuerung vollumfänglich zu nutzen, ist die Quantifizierung sehr wichtig. Gleichzeitig ist sie aber auch nicht das Allheilmittel. Es ist genau zu prüfen, in welchen Fällen beispielsweise eine Bandbreitenschätzung zielführender ist als nur ein Punktwert, welche Grenzen die verwendeten Modelle zur Quantifizierung haben, wann Expertenschätzungen sinnvoll sind, und außerdem sollten die verbleibenden, nicht-quantifizierbaren Risiken angemessen in der Steuerung berücksichtigt werden. Denn man kann tatsächlich auch ohne Quantifizierung „messen“ und damit auch steuern. Wichtig ist immer nur, dass dies transparent gemacht wird und dass allen Entscheidern klar ist, dass es noch zusätzliche, nicht quantifizierte, Risiken gibt, die in den Entscheidungen ebenfalls berücksichtigt werden müssen.

98. Einfluss der Reziprozität

98. Einfluss der Reziprozität Fühlen Sie sich nicht schuldig, nur aus Dankbarkeit!

Die Reziprozität (Regel der Gegenseitigkeit) ist eine weit verbreitete Verhaltensregel. Sie besagt, dass eine Gabe regelmäßig mit einer Gegengabe honoriert wird. So zeigt zum Beispiel das wechselseitige „Entlausen“ bei Affen dieses Prinzip sehr anschaulich. Wir Menschen verbringen zwar nicht viel Zeit damit, unsere Kollegen nach Zecken und Flöhen abzusuchen, aber wir praktizieren das Motto „Wie du mir, so ich dir“ trotzdem tagtäglich. Wenn jemand anderes uns einen Gefallen getan hat, entsteht häufig das Bedürfnis oder gar eine innere Verpflichtung, dass wir diesen wieder zurückzahlen. Genauso ist es aber auch mit Missbilligungen. Der Ursprung hat wohl sehr stark mit der Evolution zu tun, wie der Archäologe Richard Leakey glaubt: „Wir sind Menschen, weil unsere Vorfahren gelernt haben, ihr Essen und ihre Fähigkeiten in einem ehrenvollen Netzwerk von Verpflichtungen zu teilen." Die Reziprozität ist so weit verbreitet, dass verschiedene Kulturen, Religionen und Philosophen einen ethischen Kodex gebildet haben, der treffend „Regel der Gegenseitigkeit" genannt wird. Der Soziologe Alvin Gouldner ist sogar davon überzeugt, dass es keine menschliche Gesellschaft auf der Erde gibt, die nicht der Regel der Gegenseitigkeit folgt. Der amerikanische Psychologe Roberto Cialdini verdeutlichte das Reziprozitätsprinzip in folgendem Experiment:

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1_98

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98. Einfluss der Reziprozität Es wurde eine zufällige Gruppe von Menschen nach einer kleinen Bitte befragt. Situation 1: „Wären Sie damit einverstanden, eine Gruppe jugendlicher Straftäter bei einem Tagesausflug in den Zoo zu beaufsichtigen?" - 17% der Befragten waren damit einverstanden. Situation 2: Es wurde zuerst um einen großen Gefallen gebeten. „Wären Sie ein großer Bruder oder eine große Schwester für eines der Kinder in der Strafanstalt für jugendliche Straftäter? Das würde drei Stunden Ihrer Zeit erfordern, jede Woche für die nächsten zwei Jahre." – Keiner der Befragten war hierzu bereit. Doch das Experiment war noch nicht vorbei. Es wurde nun direkt im Anschluss gefragt: „Nun, da Sie nicht als Pate bereitstehen können, würde ich Sie gerne fragen, ob Sie stattdessen bereit wären, eine Gruppe jugendlicher Straftäter bei einem Tagesausflug in den Zoo zu beaufsichtigen?" – Überraschenderweise

stimmten 50% der Befragten dieser Anfrage zu! Die Befragten scheinen das „Entgegenkommen“ des Anfragestellers zu goutieren und sind deshalb überproportional häufiger bereit, die Jugendlichen zu beaufsichtigen. Sehr effektiv wird diese Technik auch im Marketing angewandt. Zum Beispiel kann das Anbieten einer kostenlosen Süßigkeit am Ende einer Mahlzeit zu einem höheren Trinkgeld führen, da der Kunde sich verpflichtet fühlt, sich zu revanchieren. Auch in der Spieltheorie ist „Tit for Tat“ („Wie du mir, so ich dir“) häufig am effektivsten.

98. Einfluss der Reziprozität

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Trotz aller Vorteile durch Reziprozität sollten Sie sich die Grundprinzipien und Ihre persönliche Anfälligkeit für ungewollte, irrationale Entscheidungen vor Augen führen und sich speziell bei wichtigen, strategischen Entscheidungen immer hinterfragen, ob sie diese unter Umständen nur aufgrund von Reziprozität treffen und es tatsächlich eine bessere, rationalere Lösung gibt. Dasselbe gilt auch für faule Kompromisse oder Missbilligungen, die nur aufgrund des Verhaltens des Gegenübers getroffen werden, nicht aber unter Berücksichtigung der besten Lösung für Ihr Unternehmen. Halten Sie Ihre Emotionen, soweit es geht, aus risikostrategischen Entscheidungen heraus und treffen Sie Ihre Entscheidungen nur auf Basis von Fakten und konkreten Vorteilen für das Unternehmen. Eventuelle Gefälligkeiten oder Freundschafts-/Bärendienste von anderen aus der Vergangenheit sollten an der grundsätzlichen Entscheidung nichts mehr ändern. Trennen Sie das Tagesgeschäft und soziale, mildtätige Engagements ganz stringent voneinander. Denn ansonsten entsteht schnell ein schleichender Prozess, der Ihr ganzes Unternehmen durchsetzt und dafür sorgt, dass Sie im schlimmsten Fall mit Ihrem Kerngeschäft nicht mehr wettbewerbsfähig sind, weil Sie nicht überall die bestmöglichen Lösungen anbieten. Sehr hilfreich kann es sein, wenn zentrale, strategische Entscheidungen einem Kontrollgremium oder der kompletten Geschäftsführung vorgestellt werden, die dann nochmals einen kritischen Blick auf die Fakten wirft und in der Regel nicht - zumindest nicht alle Beteiligten durch die Reziprozität „geblendet“ ist.

99. Unterschätzen der adversen Selektion

99. Unterschätzen der adversen Selektion Warum Sie bei asymmetrischen Informationen schnell „mit Zitronen handeln“

Die adverse Selektion geht auf asymmetrische Informationsverteilungen zurück. Das heißt, nicht alle Teilnehmer einer Transaktion haben dieselben Informationen. Die adverse Selektion, häufig auch Negativauslese genannt, stellt somit ein – zumindest partielles – Marktversagen dar. Das erste Modell zur Erklärung des Zustandekommens wurde bereits 1970 von George Akerlof entwickelt, der hierfür später den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. Das von Akerlof beschriebene „Lemons Problem“ ist wie folgt aufgebaut: 100 Leute wollen ihre gebrauchten Autos verkaufen, davon sind 50 von hoher und 50 von niedriger Qualität (eine sogenannte „Zitrone“ oder Englisch „Lemon“). Die derzeitigen Besitzer kennen die Qualität ihres Autos. 100 Leute wollen wiederum ein gebrauchtes Auto kaufen. Sie können die Qualität der angebotenen Autos nicht beurteilen, kennen aber die Qualitätsverteilung im Markt (50 Gute, 50 Schlechte). Die Besitzer eines schlechten Autos sind bereit, dieses für einen Preis von mindestens 1.000 Euro zu verkaufen. Besitzer eines guten Autos wollen einen Verkaufserlös von mindestens 2.000 Euro erzielen.

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99. Unterschätzen der adversen Selektion Die Zahlungsbereitschaft der Käufer beträgt 2.400 Euro für einen guten Wagen, 1.200 Euro für einen schlechten Wagen. Wenn die Qualität nicht beobachtbar ist, müssen die Käufer abschätzen, wieviel die angebotenen Autos (durchschnittlich) wert sind. Da die Wahrscheinlichkeiten, einen guten oder einen schlechten Wagen zu erwischen, jeweils gleich groß sind, ist der Käufer bereit, maximal den Erwartungswert des Autos zu bezahlen, also 0,5 x 1.200 + 0,5 x 2.400 = 1.800 Euro. Zu diesem Preis wiederum sind nur die Besitzer von „Zitronen“ bereit, ihr Auto zu verkaufen. Da nur Zitronen angeboten werden und die guten Autos „verdrängt“ werden, bewegt sich der final bezahlte Preis zwischen 1.000 und 1.200 Euro.

Das partielle Marktversagen in diesem Beispiel zeigt sich darin, dass aufgrund der asymmetrischen Informationen (die Käufer wissen nicht, ob es sich um ein gutes oder schlechtes Auto handelt) nur schlechte Autos verkauft werden. Obwohl die Zahlungsbereitschaft der Käufer über dem erwarteten Mindestpreis der Verkäufer liegt, wird kein gutes Auto verkauft. Die adverse Selektion spielt neben dem Gebrauchtwagenmarkt insbesondere auf Versicherungsmärkten, bei der Kreditvergabe oder auch Kapitalmärkten eine wichtige Rolle. Um die Informationsasymmetrie auf ein Minimum zu reduzieren, können einerseits externe Experten und Gutachter helfen, gewisse Einschätzungen vorzunehmen, beim Gebrauchtwagenverkauf kann dies beispielsweise ein TÜV-/DEKRAGutachten sein. Darüber hinaus können aber auch Selbstselektions-

99. Unterschätzen der adversen Selektion maßnahmen

sowie

Signalisierung

helfen,

396 die

unterschiedlichen

Informationsstände auszugleichen. Bei erstgenannter Maßnahme versucht der informierte Marktteilnehmer die Informationsasymmetrie abzubauen, indem er/sie zum Beispiel weitere Nachweise, Selbstauskünfte oder Gutachten erbringt. Bei letztgenanntem werden bestimmte vertragliche Bestandteile, wie zum Beispiel Gewährleistungen, angeboten, die sich nur für „gute“ Risiken lohnen. Speziell bei Versicherungen zeigt sich, dass zwischen Voll- und Teilversicherungsverträgen unterschieden wird und auch, dass Rückerstattungen

beziehungsweise

Prämiensenkungen

bei

Nicht-

Inanspruchnahme angeboten werden. Die vollständige Abdeckung ist überproportional teurer. Prüfen Sie, ob es möglich ist, gewisse Rückerstattungen im Nachgang bei „guten“ Risiken vorzunehmen. Wenn der Kunde beispielsweise seine Rechnung frühzeitig bezahlt, können Sie einen attraktiven Skonto oder Barzahlerrabatt gewähren. Bei Krediten können Sie bei vollständiger Bedienung auch eine einmalige Gutschrift mit einem Folgegeschäft verrechnen et cetera. Wichtig ist schlichtweg nur, dass Sie für die Gefahr der adversen Selektion aufgrund von Informationsasymmetrien sensibilisiert sind und versuchen, diese auf ein Minimum zu reduzieren. Ganz vermeiden lassen sich unterschiedliche Informationsstände natürlich nie. Und hin und wieder erwischt man eben trotz aller Vorsicht auch einmal eine „Zitrone“. Wichtig ist nur, dass Sie nicht systematisch „mit Zitronen handeln“ und auch für die guten Risiken attraktiv bleiben.

100. Umgang mit unangenehmen Wahrheiten

100. Umgang mit unangenehmen Wahrheiten Nichts tut so weh wie die Wahrheit

„Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht“. Mit diesem Motto warb die Bild-Zeitung einige Zeit lang um Leser. Abgebildet waren auf den Plakaten Persönlichkeiten wie Galileo Galilei, Mahatma Gandhi oder Albert Einstein. Ob diese Werbung nun passend für die Bild-Zeitung ist oder nicht, soll an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Vielmehr geht es um das Motto. Bereits in der Bibel, aber auch in der griechischen Antike zeigte sich der schwere Stand von Überbringern schlechter Nachrichten. Im zweiten Buch Samuel können Sie lesen, wie der spätere König David reagierte, als er vom Tod König Sauls in der Schlacht am Berg Gilboa erfuhr: Er ließ den Berichtenden kurzerhand von einem seiner Männer erschlagen. Ähnlich reagierte der Aztekenherrscher Montezuma, als ihm das Nahen des Spaniers Cortez gemeldet wurde: Er ließ den Boten hinrichten. Glücklicherweise kommen solche Fälle heutzutage in der westlichen Welt nicht mehr vor. Trotzdem zeigt sich immer wieder, wie schwierig der Umgang mit unangenehmen Wahrheiten auch heute noch ist. Die Metapher vom „Elefant im Raum“ (Elephant in the Room) ist im angelsächsischen Sprachraum weitverbreitet für ein offensichtliches Problem, das zwar im Raum steht, aber dennoch von den Anwesenden nicht angesprochen wird. Die Gründe können dabei sehr vielfältig sein: Angst vor persönlichen Nachteilen und gekränkter Eitelkeit;

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100. Umgang mit unangenehmen Wahrheiten

Angst davor, jemanden (insbesondere den Chef) zu verletzen oder öffentlich zu kritisieren oder auch die ungeschriebenen Regeln der politischen Korrektheit zu brechen. Verhalten Sie sich nicht wie der „Vogelstrauß“, der bei den ersten Anzeichen negativer Informationen seinen Kopf vergräbt beziehungsweise die unangenehmen Effekte kategorisch negiert und verleugnet. Und bleiben Sie immer offen für fachliche Diskussionen und sind Sie bereit, Ihre Position auch aufzugeben, wenn gute Gründe dafür sprechen. Ihr Ziel sollte es sein, den Sonnenblumen-Effekt zu verhindern und vielmehr ehrliches und konstruktives Feedback zu bekommen. Hierfür ist es aber Ihre Aufgabe, eine Infrastruktur und eine Unternehmenskultur zu schaffen und einzufordern, die dies ermöglicht. Achten Sie in der Mitarbeiterauswahl und Teamzusammenstellung darauf, dass Sie auch Mitarbeiter mit „Ecken und Kanten“ einstellen. Genauso sollten Sie darauf achten, auch unangenehme Themen dankbar aufzunehmen und dies an Ihre Mitarbeiter zu kommunizieren. „Entzaubern“ Sie die negativen Eindrücke von „Fehlern“ und „gescheiterten Projekten“. Sehen Sie ein, dass wir die Vergangenheit nicht mehr ändern können und es jetzt primär darum geht, a) Schadensbegrenzung zu betreiben und b) daraus zu lernen, damit solche Situationen hoffentlich nicht mehr eintreten. Danken Sie unbedingt den mutigen

Mitarbeitern,

die

die

unangenehme

Wahrheit

an-

beziehungsweise ausgesprochen haben. Denn nur dadurch ist es möglich, einen Mehrwert für das gesamte Unternehmen zu schaffen. Nehmen Sie sich hierbei ein Vorbild am „Pinguin-Award“ von Google.

100. Umgang mit unangenehmen Wahrheiten

400

Achten Sie besonders darauf, dass einerseits die genaue Ursache für das Eintreten der unangenehmen Situation/Wahrheit ermittelt werden kann und andererseits der Fokus auf der inhaltlichen Ebene bleibt. Es geht hierbei nicht darum, den schwarzen Peter irgendjemandem unterzuschieben oder irgendjemanden anzuschwärzen. Viel wichtiger ist, dass die richtigen Schlüsse gezogen und bei Bedarf die notwendigen Veränderungen konsequent vorgenommen werden. Achten Sie darauf, dass Sie schnellstmöglich die notwendigen Veränderungen vornehmen, um einen möglichen Schwelbrand innerhalb des Unternehmens unbedingt zu verhindern. Kommunizieren Sie die Erfahrungen und Veränderungen auch innerhalb Ihrer Organisation. So sehen die Mitarbeiter, dass ihre Meinung ernstgenommen wird und dass sich auch etwas verändert. Dies erhöht die Motivation, auch weiterhin Themen offen und ehrlich anzusprechen, selbst wenn es sich um unangenehme Dinge handelt. Ein Unternehmen, in dem eine Kultur der Angst vorherrscht und sich niemand traut, unangenehme Wahrheiten anzusprechen, ist dem Tode geweiht. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis alles in sich zusammenfällt. Als vorausschauender Entscheidungsträger müssen Sie dies unbedingt verhindern!

Zusammenfassung Auf den folgenden beiden Seiten werden die zuvor detailliert dargestellten 100 Fehler nochmals übersichtlich gruppiert und klassifiziert. Der kompakte Überblick soll Sie dabei unterstützen, die systematischen Fehler durch geeignete Maßnahmen möglichst zu verhindern beziehungsweise so zu reduzieren, dass sich keine allzu negativen Auswirkungen auf Ihr operatives Geschäft ergeben! Eine

gezielte

und

strukturierte

Auseinandersetzung

mit

den

Fehler(kategorie)n kann Sie ganz allgemein dabei unterstützen, Ihr Unternehmen „resilienter“ und „antifragiler“ aufzustellen, das heißt, dass Sie von negativen Entwicklungen nicht sofort umgeworfen werden (können). Außerdem kann eine strukturierte Auseinandersetzung auch dabei helfen, sich für weitere, hier nicht explizit genannte – aber ähnliche – Fehler zu wappnen.

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Zusammenfassung

Zu viele Informationen

Zu wenig Informationsgehalt

Nicht ausreichend Zeit zur Verfügung

Deshalb beachten wir typischerweise nur…

Deshalb füllen wir die Lücken mit…

Deshalb nehmen wir häufig an, dass…

ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

ƒ Mustern und bekannten Geschichten ƒ Allgemeinheiten und Stereotypen ƒ vereinfachten Wahrscheinlichkeiten und Zahlen ƒ einfacheren Problemen ƒ unserer aktuellen Denkweise

ƒ wir Recht haben ƒ wir das schaffen können ƒ das Naheliegendste auch das Beste ist ƒ wir beenden sollten, was wir angefangen haben ƒ unsere Optionen offenhalten sollten ƒ einfacher auch besser ist

Beispiele:

Beispiele:

Beispiele:

¾

¾ ¾

¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Veränderungen Außergewöhnliches Wiederholungen Bekanntes/Anekdoten Bestätigungen

Zu viele historische Daten Zu viele Durchschnittswerte Bestätigungsfehler Asymmetrische Aufmerksamkeit Einrahmungseffekt Auffälligkeitsverzerrung Verfügbarkeitsheuristik BeobachterErwartungseffekt Verlustaversion Auswahlüberlastung Fluch des Wissens Prävalenzfehler Heuristiken in einer komplexen Welt

¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Halo-Effekt Mitläufereffekt/ Gruppendenken Spielerfehlschluss Millersche Zahl Murphys Gesetz Überlebensirrtum Stereotypisierung Anekdotischer Fehlschluss Mentale Buchführung Argumentum ad logicam Clusterillusion Tautologien und inhaltliche Wiederholungen Sicherheits- und Möglichkeitseffekt Blind-Validierungen Kontrollillusion Lernen aus Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten

¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Selbstüberschätzung Zielscheibenfehler Barnum-Effekt Nullrisiko-Verzerrung Zurückfeuer-Effekt Risiken überversichern Fehlschluss der irreversiblen Kosten Status-quo-Verzerrung Dispositionseffekt Konjunktionsfehler Verschieben der Torpfosten Egozentrische Verzerrung Verwechseln von Ursache und Wirkung Beeinflussungen durch Leit- und Fangfragen Einfluss der Reziprozität

Zusammenfassung

404

Schlechtes Erinnerungsvermögen

Handwerkliche Fehler

Kulturelle Unzulänglichkeiten

Wir merken uns Dinge energiesparend durch…

Handwerkliche und Umsetzungsfehler bei…

Grundlegende Mängel beim/bei der…

ƒ das Herunterkürzen von Gedächtnissequenzen ƒ Verallgemeinerungen ƒ nur ein Beispiel/ Anekdote, das/die wir uns merken ƒ das Zurückgreifen auf externe Erfahrungswerte ƒ die Wahrnehmung von nur einem Teil der Realität

ƒ risikorelevanten und strategischen Modellen ƒ Interpretation und Ermittlung der Kennzahlen ƒ risikorelevanten Prozessen ƒ Geschäfts- und Risikostrategien ƒ notwendigen Ressourcen des (Risiko-)Managements

ƒ offenen und konstruktiven Umgang mit Fehlern ƒ Unternehmenskultur und Tone from the Top ƒ Entscheidungsfreude im Management und auf den operativen Ebenen ƒ Fokussierung auf strategische Ziele ƒ Integration aller Mitarbeiter

Beispiele:

Beispiele:

Beispiele:

¾ ¾

¾ ¾ ¾

¾

¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Narrative Täuschung Inflation der „schwarzen Schwäne" Selektive Wahrnehmung Selbsterfüllende Prophezeiung Kognitive Dissonanz Negativitätsverzerrung Argumentum ad hominem Strohmann-Argument Appell an die Ignoranz Falsches Dilemma Dammbruchargument Tu quoque Faktor Mensch Vergleich von Äpfeln und Birnen Zu wenig Erfahrung Unterschätzen der adversen Selektion

¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Problem der Induktion Zukunft als „Blackbox" Mathematisierung der Zukunft Die Welt als Casino Blinde Modellgläubigkeit Alpha- und Beta-Fehler Diversifikations-Mythos Fat Tails/Normalverteilungsillusion Fehlsteuerung erkennbarer Risiken Langsame, unkoordinierte Reaktion Kausaler Fehlschluss Keine Verbindung mit der Planung Mangelhafte Risikokommunikation Überschätzen der Portfoliobetrachtung Nicht-Beachtung von Folgerisiken Detail- statt Zusammenhangorientierung Keine Sicherung gegen Dominoeffekt Mittelweg vs. fauler Kompromiss Die Lean Risk Management-Illusion Quantifikations-Irrglaube

¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾

Angst vor Unbekanntem/ Unkontrollierbarem Rationalitätsillusion Hierarchie-Gläubigkeit Sonnenblumeneffekt Wissensriesen/ Realisierungszwerge Isoliertes Paralleluniversum Entscheidungsverstopfung beim Management Intransparenz Autoritätsargument Gefangen im Hamsterrad Kurzfristorientierung Veraltete, leblose Risikostrategie Fehlende Anreizsteuerung Gelernte Sorg- und Hilflosigkeit Keine übergreifende Risikosicht Falscher Umgang mit Innovationen Überwälzen der Verantwortung Zu viele Ja-Sager Angst und Gier Umgang mit unangenehmen Wahrheiten

Schlussbetrachtung Herzlichen Glückwunsch! Sie haben sich durch 100 ausgewählte „Fehler des (Risiko-)Managements“ durchgearbeitet und ich möchte nun noch ein paar abschließende Gedanken mit Ihnen teilen. Risiken sind etwas völlig Normales und so ist es auch mit deren Management. Nicht umsonst setzt sich das chinesische Wort für Krise, nämlich „weiji 危机“, aus „wei 危“, was Gefahr, und ji 机“, was Gelegenheit bedeutet, zusammen. Auch im Griechischen beschreibt das Wort „krisis“ keinesfalls nur eine hoffnungslose Situation, sondern vielmehr den Höhe- oder Wendepunkt einer gefährlichen Lage. Der 1998 verstorbene Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann hat dies so ausgedrückt: „Die Tür zum Paradies bleibt versiegelt – durch das Wort Risiko" (vgl. Luhmann 2003, S.26). Um im Diesseits die Chancen zu wahren, musste man schon immer Risiken eingehen. Letzten Endes unterscheidet es den Guten vom sehr Guten und den Schlechten vom sehr Schlechten, wie gut oder wie schlecht er oder sie mit Risiken umgeht. Modellieren Sie Ihre Risiken mit Augenmaß und balancieren Sie empirische Fakten, Intuition und State-of-the-Art-Modelle vorsichtig aus. Dann ist Risikomanagement auch keine „Rocket Science“, sondern vielmehr solides Handwerk. Dies zeigte sich auch im Jahr 1998 beziehungsweise 2000, als der von Richard Merton, seines Zeichens Wirtschaftsnobelpreisträger, mitgegründete Fonds „Long-Term Capital Management (LTCM)“ zuerst gerettet und anschließend endgültig aufgelöst werden musste. Merton konnte in der Spitze zwar Kontrakte © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1

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Schlussbetrachtung

in Höhe von einer Billion US-Dollar abschließen, gleichzeitig gerieten seine Geschäfte aber durch die schlechteren makroökonomischen Bedingungen in den Emerging Markets, die Russlandkrise sowie Fehlspekulationen

mit

italienischen

Staatsanleihen

in

schwere

Turbulenzen. Faktoren wie Flexibilität, Intuition und auch Antifragilität wurden von Merton unterschätzt. Er hat schlichtweg nicht die richtige „Balance“ zwischen Hard und Soft Facts gefunden. Sie haben sicherlich bemerkt, dass ein Großteil der dargestellten Risiken und Beispiele eine große Verknüpfung mit dem Themengebiet der Psychologie haben. Dies ist auch wenig verwunderlich. Schließlich lässt sich „Risiko“ nicht greifen, nicht sehen, nicht berühren und auch nicht wiegen. Es ist vielmehr eine subjektive Empfindung, bei der unsere geistigen beziehungsweise kognitiven Fähigkeiten eine zentrale Rolle einnehmen. Unser Gehirn hat über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg gewisse Strategien entwickelt, um mit Risiken und Ungewissheit schnell und unkompliziert umzugehen. Viele dieser Techniken und Strategien sind hocherfolgreich, gleichzeitig gibt es aber auch Unschärfen oder Anfälligkeiten für Verzerrungen und Fehlschlüsse. Denken Sie nur an die Verarbeitung bei zu vielen Informationen, etwa mithilfe von Stereotypen, Anekdoten, des Bestätigungsfehlers oder des Beobachter-Erwartungswerts. Oder Fehler, wenn wir besonders schnell

handeln

müssen,

wie

beispielsweise

die

Status-quo-

Verzerrung, den Fehlschluss der irreversiblen Kosten, die Selbstüberschätzung oder den Barnum-Effekt. Ähnlich ist es auch bei der Frage, was wir uns wie lange merken (können) sollen oder wenn uns nur unvollständige Informationen vorliegen und wir diese in Bezug auf

Schlussbetrachtung

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Ähnlichkeiten mit unseren Erfahrungen aus der Vergangenheit abgleichen. Wohlgemerkt: dies erfolgt in Bruchteilen von Sekunden und größtenteils unterbewusst! Denkfehler führen speziell im Umgang mit Statistiken zu Verzerrungen und Irrwegen. Es gibt allerdings auch Auswege, wie die zahlreichen Tipps und praktischen Tricks zu den einzelnen Fehlern des Risikomanagements gezeigt haben. Dies ist auch sehr wichtig, wenn man bedenkt, dass die Bedeutung der Interpretation und Wahrnehmung der Daten und Informationen durch Big Data noch deutlich zunehmen wird. Jetzt, da Sie einen guten Überblick über unterschiedliche Bereiche und mögliche Problemfelder im operativen und strategischen (Risiko-) Management erhalten haben, steht Ihrem langfristigen Erfolg nichts mehr im Wege. – Zumindest nicht aus Sicht des Risikomanagements! Zeigen Sie nun, dass in Ihnen nicht nur ein Wissensriese, sondern auch ein Realisierungsriese steckt und ergreifen Sie die richtigen Maßnahmen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nun ein gutes Gelingen bei Ihren unternehmerischen Tätigkeiten und freue mich natürlich auch sehr über Ihre Anmerkungen und Kritik zu den dargestellten Ideen.

Herzlichst, Ihr Christian Glaser

Über die Illustratorin Maike Mahira Koller studierte Illustration und Animation an der Kunsthochschule Kassel und an der

Filmakademie

Baden-Württemberg

in

Ludwigsburg. Sie arbeitet als Illustratorin, Animatorin und Filmemacherin.

Mehr Arbeiten von Maike Mahira Koller finden Sie auf ihrer Webseite: www.maikekoller.de

E-Mail: [email protected]

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Über den Autor Dr. Christian Glaser promovierte zum Risikomanagement von Finanzdienstleistern, nachdem er zuvor mehrere Jahre die Bereiche Risikomanagement und Vertriebscontrolling einer namhaften Leasinggesellschaft verantwortete. Darüber hinaus ist er Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen im Bereich des Controllings und Risikomanagements sowie Mitglied der Arbeitsgruppe „Strategie und

Stresstests“

des

Bundesverbands

Deutscher

Leasing-

Unternehmen e.V. (BDL). Er ist außerdem Speaker auf risikomanagementbezogenen Seminaren und Workshops sowie nebenberuflicher Dozent für das Thema Risikomanagement an mehreren Hochschulen, darunter einer Dualen Hochschule (University of Cooperative Education) in Baden-Württemberg. Neben diesem Buch sind bereits die Titel -

„Risikomanagement im Leasing“ (2. Aufl., 2018),

-

„Wettbewerbsfaktor Vertrieb bei Finanzdienstleistern“ (2. Aufl., 2017) und

-

„Leasing A-Z“ (2. Aufl., 2016)

im Springer-Verlag erschienen.

E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Glaser, Risiko im Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25835-1

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