Rhetorik des Lachens und Diätetik in Boccaccios »Decameron« [1 ed.] 9783428520824, 9783428120826

Ein Autor vollendet seine Sammlung vergnüglicher Geschichten und veröffentlicht diese, als die Pest in weiten Teilen Eur

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Rhetorik des Lachens und Diätetik in Boccaccios »Decameron« [1 ed.]
 9783428520824, 9783428120826

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Schriften zur Literaturwissenschaft Band 28

Rhetorik des Lachens und Diätetik in Boccaccios Decameron Von Béatrice Jakobs

a Duncker & Humblot · Berlin

BÉATRICE JAKOBS

Rhetorik des Lachens und Diätetik in Boccaccios Decameron

Schriften zur Literaturwissenschaft Im Auftrag der Görres-Gesellschaft herausgegeben von Bernd Engler, Volker Kapp, Helmuth Kiesel, Günter Niggl

Band 28

Rhetorik des Lachens und Diätetik in Boccaccios Decameron

Von Béatrice Jakobs

a Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6720 ISBN 3-428-12082-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ∞



Internet: http://www.duncker-humblot.de

Ein Wort zuvor Nach Fertigstellung dieser Arbeit – die im Sommersemester 2005 unter dem Titel ›Boccaccios Decameron: Novellenerzählen »pour leesser et esbaudir les esperitz des hommes«‹ von der Philosophischen Fakultät der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen wurde – ist es an der Zeit, einmal all denen zu danken, die mir in den letzten Jahren mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Hier sei an erster Stelle mein Doktorvater Herr Professor Dr. Volker Kapp genannt, der auf jedes »Herr Kapp, haben Sie mal einen Moment Zeit?« mit einem freundlichen »Aber natürlich, kommen Sie«, reagierte und durch den stetig geführten Dialog und zahlreiche Anregungen wesentlich zum guten Abschluß des Projekts beigetragen hat. Des weiteren danke ich Herrn Professor Dr. Javier Gómez-Montero und Herrn Professor Dr. Udo Kühne für die Übernahme des Zweit- und Drittgutachtens. Eine Fülle wertvoller Denkanstöße verdanke ich zudem Frau PD Dr. Dorothea Scholl, die mir in langen Telefonaten und fruchtbaren Flurgesprächen immer wieder bereitwillig ›Rede und Antwort‹ stand. Mein besonderer Dank gilt schließlich dem Präsidenten der GörresGesellschaft, Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Paul Mikat, für die freundliche Gewährung eines Druckkostenzuschusses sowie dem Herausgeberquartett für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe ›Schriften zur Literaturwissenschaft‹.

Kiel, im September 2005 Béatrice Jakobs

»…peuent estre racomptees nouvelles soubz gracieuses manieres et honnestes paroles pour leesser et esbaudir les esperitz des hommes« Laurent de Premierfait: Prologue du translateur du Livre des Cent Nouvelles de Jehan Bocace

Inhalt 1. Varia hominum iudicia in eo... Inst. orat. VI, 3, 6 ................................... 11 2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen ................................. 25 a) Die ›Großen‹ der klassischen Antike ................................................... 25 b) Eine neue Dimension: Das Christentum .............................................. 61 3. Präsenz des Lachens in der Literatur und im Leben der Menschen ........ 91 4. Begriffliches: Komik – Lachen – Humor ............................................... 131 5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94 Vergnügliche Literatur in traurigen Zeiten ....................................... 155 a) Alcuno allegiamento prestare…. Dec. Proemio, 7............................. 155 b) ›Lachen ist gesund‹ als Volksweisheit............................................... 172 c) Lachen macht gesund − Lachen und seelische Ausgeglichenheit als Heilmittel für Körper und Geist .................................................. 176 6. recreatio et moderatio: Ergebnisse für Struktur und Inhalt des Decameron .......................... 241 a) …pervenne la mortifera pestilenza Dec. I, Intr. 8 .............................. 241 b) Quella allegrezza e festa prendendo… Dec. I, Intr. 71 ...................... 248 c) Rallegrare con alcuna novella da ridere… Dec. I, Concl. 14 ............ 259 7. Das Decameron − zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare ......................................................................... 263 a) Rhetorische Finessen – antik und zeitgenössisch ............................... 263 b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage ................................. 269 aa) cavillatio – zum Lachen reizende Geschichten von gestern und heute .................................................................... 271 bb) dicacitas toskanisch: dire onestamente villania........................... 295 8. Novellenerzählen »…pour leesser et esbaudir les esperitz des hommes« Decameron/Prologue du translateur........................... 313 Literatur...................................................................................................... 325 Primärliteratur ........................................................................................ 325

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Sekundärliteratur .................................................................................... 338 Internetseiten .......................................................................................... 353 Bildquellennachweis .............................................................................. 353 Personenregister ......................................................................................... 355

1. Varia hominum iudicia in eo... Inst. orat. VI, 3, 61 »Hör auf zu lachen, Obelix!« Die Schelte des Freundes ist wohl begründet, der Moment über den Gegner zu lachen prekär. Mag sein, daß sich Obelix der Gefahr, daß sein Lachen den Zorn der Angreifer schüren könnte, nicht in vollem Maße bewußt gewesen ist. Wahrscheinlich war es ihm wohl schlicht unmöglich, das Lachen zu unterdrücken. Eine ähnliche Situation hat wohl jeder schon einmal erlebt: Sei es, daß man aufgrund eines Mißgeschicks, das einem anderen widerfährt, plötzlich lachen muß, obwohl man dies Sekunden später bereut, sei es, daß man bei feierlichen oder traurigen Anlässen lachen muß, weil eine Erscheinung am Rande plötzlich dazu reizt. Manchmal gelingt es, ein lautes Auflachen zu vermeiden, das Gesicht verzieht sich dann lediglich zu einem schiefen Grinsen, was jedoch in etlichen Situationen ähnlich unangenehm sein kann. – Ein alltägliches Phänomen also, dessen Stellenwert für das menschliche (Zusammen)-Leben man sich wenig bewußt macht. Es erscheint deshalb sinnvoll, einer Arbeit, in deren Mittelpunkt die Analyse von Form und Bedeutung vergnüglicher Literatur in traurigen Zeiten steht, einige grundsätzliche Überlegungen voranzustellen. Aus eigener Erfahrung wissen wir, daß Lachen manchmal unvermeidbar ist. Ohne unser Zutun bricht es aus uns heraus, und man muß sich quasi ein Leid ___________ 1 (M. F. Quintilianus): M. Fabi Quintiliani Intitutionis oratoriae. Libri duodecim. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit M. Winterbottom, 2 Bde (Bd. I: libri IVI; Bd. II: libri VII-XII), Oxford 1970, hier Bd. I; VI, 3, 6 [Inst. orat. I/II]. Alle Werktitel verbleiben im folgenden in der Originalsprache. In dieser wird, wenn möglich, auch zitiert. Eine Ausnahme bilden Schriften griechischer, russischer, hebräischer oder arabischer Herkunft. Um die Lektüre zu vereinfachen, werden diese in Übersetzung zitiert und in lateinischer Schrift notiert. Gleiches gilt für die Werktitel. Eine Vielzahl ursprünglich griechischer Schriften ist aufgrund der Kommentartradition des Mittelalters eher unter dem lateinischem Namen bekannt. Dementsprechend werden nicht immer die griechischen, sondern die üblicherweise in der Forschungsliteratur verwendeten Titel in einer Anmerkung hinzugefügt.

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antun, um es zu unterbinden.2 Das Lachen erscheint oft als natürliche Lebensäußerung des Menschen, als körperlicher Ausdruck, der ebenso angeboren ist wie das Niesen3 oder die Fähigkeit, laufen oder sprechen zu lernen. Als Beweis werden oft ethologische Experimente angeführt, bei denen taube und blinde Kinder, die Lachen oder Lächeln nicht durch Nachahmung lernen können, im gleichen Alter wie gesunde Babys zu lächeln und später zu lachen begonnen haben.4 Die zeitliche Abfolge − erst lächeln, dann lachen − verleitet dazu, Lächeln als eine Art Vorstufe des Lachens, als geringes Lachen, zu interpretieren.5 Dies geschieht auch immer wieder bei der Interpretation literarischer Texte. So wird die Aussage: »Die dargestellte Situation erzeugt beim Leser Lachen« oft mit der Bemerkung quittiert, hier sei wohl eher lächeln gemeint, denn daß jemand bei der stillen Lektüre eines Buches plötzlich laut auflacht, geschehe doch eher selten. Auch wenn der Einwand berechtigt scheint, beruht er dennoch auf einem Irrtum, dem es nachzugehen lohnt. Sehr junge Babys zeigen beide Ausdrucksverhalten in sehr unterschiedlichen Situationen. Ursprünglich ist Lächeln nichts anderes als ein ›Breitziehen‹ der Mundmuskulatur. Wenn diese durch das Saugen an der Mutterbrust über längere Zeit hinweg kreisförmig angestrengt wurde, pendelt sie sich anschließend in die entgegengesetzte Richtung, die Breite, aus. Die zeitliche Abfolge: Saugen = Mund rund und Beendigung des Saugens = Mund breit, ist also eine Folge der Muskelbeschaffenheit6 und nicht, wie S. Freud vermutet, Zeichen der lustvollen Übersättigung.7 Diese Bedeutung wird dem ›Mund-Breitziehen‹ erst durch die Mutter beigemessen. Ihre positive Reaktion fördert die Bewegung, aus der sich erst im Laufe der Zeit das eigentliche Lächeln entwickelt. Da alle Neugeborenen saugen, sind ___________ 2

Diese Spontaneität und der explosionsartige Charakter des Lachens finden sich im Deutschen durch Verben wie ›herausplatzen‹ oder ›hervorbrechen‹ wiedergegeben, was dem Italienischen ›scioppare dal ridere‹ oder ›ridere a crepapelle‹ entspricht. Möchte man das Lachen vermeiden, ›verbeißt‹, ›verkneift‹ oder ›unterdrückt‹ man es. Stets wird gewissermaßen eine Gewaltanwendung beschrieben. Gleiches gilt auch für das Italienische ›reprimere‹ oder ›contenere un riso‹. 3 Wie das Lachen, so bricht auch das Niesen explosionsartig hervor und kann nur schwerlich unterdrückt werden. Niesen ist die Folge einer Reizung der Nasenschleimhaut, die ein Zusammenziehen der Atemmuskulatur hervorruft; cf. Bertelsmann Lexikographisches Institut: Goldmann Lexikon. 24 Bde, Gütersloh, München 1998, [Goldmann], hier Bd. 16, Lemma Niesen. 4 Cf. I. Eibl-Eibesfeldt: Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung. München, Zürich 61980, S. 22, 557f. [Eibl-Eibesfeldt]. 5 Das Verhältnis Lächeln-Lachen wurde auch in der Verhaltensforschung lange Zeit auf diese Weise verstanden (Cf. z. B. V. B. Dröscher: Die freundliche Bestie. Forschungen über das Tier-Verhalten. Reinbek 1974, S. 206f). 6 »In großen A-Fasern von Wirbeltieren kehrt nicht unmittelbar der Ruhezustand ein, sondern der Wert der Erregung geht über sein Maß hinaus« (K. Lorenz: Vergleichende Verhaltensforschung. Grundlagen der Ethologie. Wien, New York 1978, S. 140). 7 Cf. S. Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Der Humor. Einleitung von P. Gay. Frankfurt a. M. 72004, S. 160 [Der Witz/Der Humor].

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Experimente mit sehr jungen, taubblind geborenen Kindern in bezug auf das Lächeln wenig aussagekräftig. Sie stellen nämlich einen Zusammenhang zwischen der körperlichen Nähe Erwachsener und dem Lächeln der Kinder her, die letzteres intensivieren, um sich Zuwendung zu sichern.8 Das Beispiel verweist auf die kontaktstiftende Qualität des Lächelns. Während das Lachen willentlich kaum zu steuern ist, es den Menschen oft unerwartet übermannt, wird das Lächeln oft ganz bewußt eingesetzt. Man lächelt verliebt oder entschuldigend, aufmunternd oder hinterhältig, je nachdem, was man erreichen will. Das Lächeln ist somit in weitaus größerem Maße domestiziert als das Lachen. Oft bleibt es an der Oberfläche und huscht nur über das Gesicht, ohne daß eine bestimmte Gefühlslage die Ursache ist. Ethologen gehen davon aus, daß sich das Lachen aus einem Aggressionsverhalten entwickelt hat9 − bei dem man richtiggehend Zähne zeigt − das Lächeln jedoch als Demutsverhalten fungiert.10 Obwohl diese Erkenntnisse per Analogieschluß aus dem Tierreich gewonnen wurden, ein heutzutage bei den Verhaltensforschern sehr umstrittenes Vorgehen,11 erscheint es doch einsichtig, daß zwei Phänomene, die sich in ihrem (sekundär) kontaktstiftenden versus aggressiven Potential gegenüberstehen, auch phylogenetisch nur schwerlich die gleiche Wurzel haben können.12 Der Begriff ›lächeln‹ einschließlich seiner Synonyme zum Ausdruck ›geringen‹ Lachens wird im folgenden bewußt vermieden, weil er einen anderen Sachverhalt beschreibt. Wenn Säuglinge auf freundliches Kitzeln mit glucksendem Lachen reagieren, liegt es nahe, Kitzeln als angeborenen Auslösemechanismus (AAM) zu deuten.13 Wobei sich dann jedoch die Frage stellt, was der eigentliche Auslöser des Lachens ist. Das Kitzeln, als sehr intime Form der Berührung, ist in unserer Gesellschaft eher selten, kann also nicht primärer und einziger Auslöser allen Lachens sein. Das vorliegende stimulus-response-Verhältnis beruht hier auf dem beschränkten Lebens- und Personenradius des Kindes. Je mehr Erfahrungen das Neugeborene macht, je mehr Menschen es kennenlernen wird, desto differenzierter werden seine Reaktionen14, was zur Folge hat, daß mit zuneh___________ 8

Cf. R. Stollmann: Groteske Aufklärung, Studien zu Natur und Kultur des Lachens. Stuttgart 1997, S. 72f [Stollmann]. 9 Cf. Eibl-Eibesfeldt, S. 206-208. 10 Cf. z. B. K. Lorenz: »Vergleichende Bewegungsstudie an Anatinen« in: K. Lorenz: Über tierisches und menschliches Verhalten. − Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Bd. II, München 101973, S. 13-113, hier S. 17. Dabei ist Demut auch als Abkommen ›ich bin freundlich − du bist freundlich‹ zu verstehen. 11 Cf. z. B. Eibl-Eibesfeldt, S. 22. 12 Cf. dazu: W. E. Hartmann: Über das Lachen. Zur anthropologischen Bedeutung des Lachenkönnens und der Sinn des Lachens. Schaffhausen 1998. S. 91-97 [Hartmann]. 13 Cf. Eibl-Eibesfeldt, S. 99. 14 Auf dieser Erfahrungszunahme basiert auch das ›Fremdeln‹, das im Alter von sechs bis acht Monaten einsetzt (Cf. R. Oerter/L. Montada : Entwicklungspsychologie: Ein Lehrbuch. Weinheim 31995, S. 230f).

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mendem Alter das Kitzeln nur noch bestimmten Personen erlaubt sein wird. Auch der Moment ist entscheidend: Wenn das Kind hungrig oder müde ist, reagiert es abweisend, ist es dagegen in ›Spiellaune‹15, also mit der Welt zufrieden, wird es auf freundliches Kitzeln mit Lachen reagieren. Lachen kann nicht willentlich gesteuert werden – sein Ausbrechen nicht verhindert – aber genauso wenig kann man sicher sein, durch bestimmte Worte oder Handlungen mit 100%er Sicherheit Lachen hervorzurufen. Man kennt mittlerweile die unterschiedlichsten Situationen, von denen man sagen kann: »Darüber lachen die Leute« Aber wie oft passiert es, daß man einen Witz, über den man selber sehr gelacht hat, im Freundeskreis erzählt und anstatt in lautes Gelächter auszubrechen, lächeln die Zuhörer nur müde, wohl um den Erzähler nicht zu verletzen. Kaum ein anderes Phänomen des menschlichen Lebens ist so situationsabhängig wie das Lachen. Ein Bild oder eine Werbeanzeige, an der man gestern noch achtlos vorübergegangen ist, kann am Tag darauf zum Lachen reizen, weil sich die Perspektive geändert hat, man plötzlich eine Anspielung versteht. Das Beispiel läßt vermuten, daß Lachen mit der Fähigkeit rationalen Denkens verbunden ist, ein Sachverhalt, der gerade auch in Hinblick auf die zum Lachen reizende, literarische Situation eine entscheidende Rolle spielt. Neben das spontane Lachen als ›Antwort‹ auf einen momentanen Auslöser – das wiederum schadenfroh oder freundlich, hämisch oder gutherzig sein kann – tritt das Lachen als Ausdruck positiver Lebenseinstellung oder schlicht guter Laune. Dann bedarf es keines besonderen Motivs, man lacht, weil die Sonne scheint, beim Beobachten spielender Kinder oder ausgelassen umhertollender Tiere.16 Die Liste zum Lachen reizender Situationen ist unendlich und von Mensch zu Mensch verschieden. Diese Vielfalt, verbunden mit der unleugbaren Präsenz ___________ 15 Cf. H. Rubinstein: Lachen macht gesund. Über die Heilkraft von Lachen und Fröhlichkeit. Landsberg/Lech 1987, S. 33. 16 Die Ursache für diese Form des Lachens als Zeichen der Lebensfreude hat man über Jahrhunderte vergeblich gesucht und eine Fülle von Erklärungsmodellen entwickelt. Erst seitdem im 20. Jahrhundert das Zusammenspiel von bestimmten Zonen des limbischen Systems und sogenannten Neurotransmittern aufgedeckt werden konnte, ist es möglich, Lachen physiologisch zu erklären (Cf. R. F. Schmidt/G. Thews (Hg.): Physiologie des Menschen. Mit 626 vierfarbigen Abbildungen in 1067 Einzeldarstellungen und 100 Tabellen. Berlin e. a. 271997, S. 176f). Auf dieser Beobachtung beruht auch manche Erfolgsmeldung vergangener Jahre, in der es heißt, auch Tiere könnten lachen. Zwar sind derartige Mechanismen auch im tierischen Organismus wirksam und lösen dort gleichermaßen positive Gefühle aus, phänotypisch äußern sich diese jedoch deutlich anders als beim Menschen. Die Formulierung »Tiere können lachen« impliziert zudem auch den Bereich des Lachens aufgrund eines formalen, nur rational erfaßbaren Auslösers (Cf. dazu Kapitel 4). Dieser ist Tieren jedoch nicht zugänglich.

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des Lachens im Leben jedes Menschen, macht das Lachen zu einem schwer faßbaren, komplexen Phänomen, dessen zahlreiche Facetten noch immer einige Rätsel aufgeben. Als ›normale‹ lachende Person ist man sich der unterschiedlichen Dimensionen des Lachens oft gar nicht bewußt. Man grinst, kichert, feixt, lacht; verhalten, schallend, ›dreckig‹, aufmunternd und stellt dabei lediglich fest, daß man sich stets ›irgendwie gut fühlt‹. Nur in den wenigsten Fällen, etwa beim Lachen aus Galgenhumor oder bei allen Formen erzwungenen Lachens tritt nicht gleichzeitig ein Gefühl der Entspannung oder der spontanen Freude ein. Für die meisten Menschen ist Lachen dementsprechend positiv konnotiert. Als Beweis für die Bedeutung und Beliebtheit des Lachens können zahlreiche Sprichwörter oder Redensarten dienen − die ja in erster Linie Volksweisheiten17 sind − in denen der Ausdruck ›Lachen‹ stellvertretend für Glück-haben oder glücklich-sein verwendet wird: Während in der Wendung »Mir ist nicht zum Lachen« das Lachen hyperbolisch verdeutlicht, daß es dem Sprecher augenblicklich auf emotionaler Ebene nicht gut geht, ihm also eher zum Weinen zumute ist, spielt das Sprichwort »Wer zuletzt lacht, lacht am besten«18 auf den Erwerb materiellen Glücks an. Hier ist das Lachen eine Metapher für die Freude über nicht mehr zu verlierenden Gewinn. Das gleiche, jedoch ins Negative gewendete, Bild verwenden die im französischen und italienischen Sprachraum verbreiteten Parömien »Tel qui rit vendredi, dimanche pleurera« bzw. »Chi ride il venerdi, piange la domenica«. Die deutsche Wendung »die lachenden Erben« verbindet das Lachen ebenfalls mit materiellem Glück, auch hier dient die Kraft und Plastizität des Ausdrucks dazu, große Freude zu verdeutlichen. Neben Sprichwörtern und Redensarten sind Märchenmotive mögliche Indikatoren volkstümlichen Gedankenguts. Besonders Sammlungen, die auf der Grundlage oraler Tradition ___________ Cf. R. Wahrig-Burfeind (Hrsg.): Wahrig − Deutsches Wörterbuch. Gütersloh, München 72000 [Wahrig], Lemma Sprichwort. Ebenso: »im Volksmund verbreitete kurze, bildhaft zugespitzte Redewendung, die eine allgemeine Lebenserfahrung wiedergibt« (Goldmann, Bd. 20, Lemma Sprichwort), sowie: »Detto breve e spesso arguto, di origine popolare e molto diffuso, che contiene massime, norme, consigli fondati sull’esperienza« (Cf. N. Zingarelli (Hrsg.): lo Zingarelli 2001. Bologna 122000 [Zingarelli], Lemma Proverbio). Um die allgemeine Gültigkeit mancher Phänomene im folgenden demonstrieren zu können, werden im weiteren Verlauf der Arbeit exemplarisch auch Beispiele aus dem Französischen herangezogen. Cf. dementsprechend »Formule présentant des caractères formels stables, souvent métaphorique ou figurée et exprimant une vérité d’expérience ou un conseil de sagesse pratique et populaire, commun à tout un groupe social.« (Cf. J. Rey-Debove, A. Rey (Hg.): Le nouveau Petit Robert de Paul Robert. Paris 1996 [Petit Robert], Lemma Proverbe). Besonders der Charakter der Volkstümlichkeit und der allgemeinen Lebenserfahrung werden also stets betont. Wenn nicht anders angegeben, sind alle Hervorhebungen in den in der Arbeit verwendeten Zitaten von mir. 18 Im französischen und italienischen Sprachraum entspricht dies: »Rira bien qui rira le dernier« bzw. »Ride ben chi ride l’ultimo«. 17

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entstanden sind, geben die Volksmeinung nicht nur in kondensierter Form wieder, sie vermitteln auch ein »Wesensbild der wirklichen Welt«19. So erzählt zum Beispiel das Märchen Schwan kleb an20 von einem König, der demjenigen »tausend Goldgulden oder ein schönes Gut«21 verspricht, dem es gelingt, seine Tochter zum Lachen zu bringen, und der auch dann nicht von seinem Versprechen zurücktritt, als nicht ein Prinz, sondern ein ganz normaler Junge der Prinzessin ein Lachen entlockt. Die Bedeutung des Lachens ist hier offensichtlich: Der Vater, in Sorge um das Wohl seiner Tochter, interpretiert die Absenz des Lachens als deutlichen Hinweis auf das unglückliche Leben, das die Prinzessin führt, da er davon ausgeht, daß ein Mensch, der nie lacht, keine Lebensfreude verspüren kann.22 Auch wenn sich die Erzählungen ursprünglich nicht ausschließlich an ein junges Publikum wenden, werden die Märchensammlungen von Anfang an mehrheitlich von Kindern rezipiert. Der Grund für diese kindliche Vorliebe ist nicht so sehr der Inhalt der erzählten Geschichte, sondern vielmehr die Verläßlichkeit der Botschaft. Auch wenn das Märchenpersonal den Kindern auf den ersten Blick nicht mehr unbedingt Identifikationsfiguren bietet23, die Erzählungen darüber hinaus von mancher Grausamkeit berichten − man denke an Menschenfresser oder böse Stiefmütter −, vermittelt die immer ___________ 19

Cf. L Röhrich: »Die innere Wirklichkeit des Märchens«, in: H. G. Rötzer: Märchen. Themen Texte Interpretationen. Bamberg 1981, S. 68-78, hier S. 68 [Röhrich, in: Rötzer]. 20 Cf. L. Bechstein: Märchen. Nach der Ausgabe von 1857, textkritisch revidiert und durch Register erschlossen. Hrsg. von H.-J. Uther. München 1997, S. 250-254 [Bechstein]. 21 Cf. Bechstein, S. 254. 22 Das Nicht-Lachen-Können wird hier als »Situation psychischer Unordnung« verstanden. Als Konfliktstoff steht es somit auf einer Stufe mit anderen Abnormitäten, wie dem zu sehr behütenden Vater, dem Mannweib oder dem Kind, das sein Elternhaus nicht verlassen möchte (Cf. Röhrich, in: Rötzer, S. 69), für die das Märchen Umgangsoder Lösungsvorschläge an die Hand gibt. Das Motiv der ernsthaften Königstochter findet sich unter anderem auch im Grimmschen Märchen von der Goldenen Gans: »Er (der Dummling) kam darauf in eine Stadt, da herrschte ein König, der hatte eine Tochter, die war so ernsthaft, daß sie niemand zum Lachen bringen konnte. Darum hatte er ein Gesetz gegeben, wer sie könnte zum Lachen bringen, der sollte sie heiraten.« (Cf. Brüder Grimm: Kinder und Hausmärchen. Bd. II, Märchen Nr. 61-144. Nach der Großen Ausgabe von 1857, textkritisch revidiert, kommentiert und durch Register erschlossen. Hrsg. von H.-J. Uther, München 1996, S. 20-25, hier S. 23). Eine Fülle weiterer Märchen dieses Motivs aus aller Welt bietet die Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von K. Ranke, hg. von R. W. Brednich. 10 Bde., Berlin, New York 1996, Lemmata Lachen, zum Lachen bringen; Klebezauber; Freierprobe; Rätselwettkampf. 23 Die Welt der Handwerksgesellen und Bauern ist vielen Kindern heutzutage sicherlich ebenso fremd wie das Leben am Königshof. Da die Konfliktsituation des Märchens jedoch häufig aus einer problematischen Familienkonstellation hervorgeht, ergeben sich auf dieser Ebene zahlreiche Berührungspunkte (z. B das jüngste Kind, die gemeinen Schwestern, das schwarze Schaf der Familie).

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gleiche Werteordnung ein Gefühl der Sicherheit: Die Konzepte von gut und böse, arm und reich, Lohn und Strafe sind in allen Märchen quasi identisch und entsprechen zudem in gewissem Maße der Wirklichkeit. Habgier und Rachsucht, Haß oder Ungerechtigkeit, die im Märchen verdammungswürdig sind, werden auch im realen Leben verurteilt.24 Auf diese Weise vermitteln die Erzählungen moralische Werte und Lebenseinstellungen, die den Kindern als Orientierung dienen können und sollen. Der Aufgabe, die nachwachsende Generation mit den verbreiteten Vorstellungen und Traditionen der Gesellschaft vertraut zu machen, haben sich auch die Autoren modernerer Kinder- und Jugendliteratur angenommen. James Krüss legt in Timm Thaler − Das verkaufte Lachen25 die Bedeutung des Lachens ex negativo dar und zeigt gerade durch den Umkehrschluß, wie schön und wie wichtig es ist, lachen zu können. Nicht nur die Tatsache »sein kullerndes Lachen mit dem Schlucker am Schluß«26 verloren zu haben, sondern auch die Folgen des Verlustes: •

Timm hatte mit seinem Lachen noch etwas anderes verloren: seine Arglosigkeit und sein Vertrauen in die Welt und die Menschen.27



Wer sein Lachen verkauft hat, kann kaum glücklich sein.28



Wer nicht lachen kann, kann auch nicht singen. [...] Am liebsten hätte er laut gelacht. Aber sein Mund formte nur die Grimasse des Lachens. Kein munterer Gluckser kam aus dem Bauch herauf.29



Wer nicht lachen kann, kann auch nicht staunen.30

machen den Protagonisten »zum einsamsten und zum traurigsten Jungen, den die Sonne beschien«31. Als Timm nach dem (angeblichen) Tod des Baron Le___________ 24 Cf. M. Lüthi: Das europäische Volksmärchen. Form und Wesen. München 101997, S. 80f. In der Mehrzahl der in Europa bekannten und verbreiteten Märchen werden diese Werte sozusagen ›zwischen den Zeilen‹ vermittelt, so daß die daraus gezogene Lehre von Mensch zu Mensch differiert. Charles Perrault fügte seiner Sammlung von Volksmärchen moralités in Versform an, um die von ihm intendierte Kritik der zeitgenössischen Gesellschaft in rechte Bahnen zu lenken (Cf. C. Perrault: Histoires ou contes du temps passé. Èdition présentée, annotée et expliquée par D. Couty, Paris 1991). 25 J. Krüss : Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen. Hamburg 1988 [Timm Thaler]. 26 Timm Thaler, S. 35 passim. 27 Timm Thaler, S. 73. 28 Timm Thaler, S. 75. Als man bemerkt, wie ernst der Junge ist, beschließt man, ein Marionettentheater zu besuchen, um dort eine Aufführung des Märchens Schwan kleb an zu sehen. Der Titel des Märchens wird zu einer Parole der Hoffnung, wie die Prinzessin wird auch Timm sein Lachen wiedererlangen. 29 Timm Thaler, S. 103/104. 30 Timm Thaler, S. 150. 31 Timm Thaler, S. 61.

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fuet32 − dem Mann, dem er sein Lachen verkaufte − zu dessen Alleinerben wird, freut er sich nicht über den gewonnenen Reichtum: Aber sein Lachen war mit dem Baron gestorben und würde mit ihm begraben werden. Der reichste Mensch der Welt war der ärmste unter den Menschen. Er hatte für immer sein Lachen verloren.33

Durch die überraschende Übernahme des Wortes ›ärmste‹ aus dem Begriffsfeld ›Reichtum‹ und die daraus hervorgehende Struktur ›Lachen können = reich sein‹ wird die Bedeutung des Lachens und damit die Botschaft des Romans in wenigen Worten auf den Punkt gebracht. Die allgemeine Beliebtheit34 des Buches ist wohl in der einfühlsamen Zeichnung des Jungen und der eindringlichen Schilderung dieses Lebens ohne Lachen begründet. Die Wertschätzung der Geschichte und die empfundene Traurigkeit angesichts einer solchen Existenz sollten als Beweis für eine positive Grundeinstellung des Menschen zum Lachen und eine generelle ›Lachlust‹ genügen. Die Allgegenwart des Lachens und die Zustimmung der Bevölkerung hat Forscher unterschiedlichster Fachrichtungen dazu geführt, sich näher mit dem Phänomen zu beschäftigen. Ärzte, aber auch Philosophen und Theologen blicken auf eine lange Geschichte der Auseinandersetzung mit dem Thema zurück. Schon die antiken Heiler betrachteten das Lachen als beobachtbare Äußerung des Menschen, deren physiologische Ursache es zu ergründen galt. Die moralische Rechtfertigung des Lachens blieb dabei unberücksichtigt, es waren eher die frühen Denker, die sich mit solchen Fragestellungen auseinandersetzten. Daß Gelächter manchmal als unpassend empfunden wird, zeigte bereits der Comic-Ausschnitt. Derartige Momente, in denen man tunlichst das Lachen unterlassen sollte, kennt jeder: in der Kirche, bei der Beerdigung, beim Zusammentreffen mit Behinderten und so fort. Der Gedanke, der dahinter steht, ist stets der gleiche: Man möchte vermeiden, daß sich jemand gekränkt fühlt. Ob dabei aus Schadenfreude, unerklärlicher »Lachlust« oder einem anderen Grund ___________ 32 Der Name Lefuet ist ein Anagramm bzw. Ananym von Teufel und hat dementsprechend Symbolwert. Der Teufel als Widersacher Gottes hatte durch die Versuchung und Verführung Evas im Paradies die Rahmenbedingungen für die Ausbreitung des Lachens unter den Menschen geschaffen. Cf. S. 79, Anm. 247. 33 Timm Thaler, S. 105/106. 34 Unter http//www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3789140139/ref=ase_musicalmix/ 302-659 (Zugriff 20. September 2005) findet man eine Vielzahl von Kurzrezensionen und Kundenbewertungen, die Timm Thaler als »spannend«, »ultra gut«, »Denkbuch«, »eines der Lieblingsbücher«, »Buch für Kinder und Erwachsene« bezeichnen. Für weitere Informationen zum Erfolg des Buches Cf. K. Doderer (Hrsg.): Lexikon der Kinder und Jugendliteratur. Personen, Länder und Sachartikel zur Geschichte und Gegenwart der Kinder- und Jugendliteratur in drei Bänden und einem Ergänzungs- und Registerband, Weinheim, Basel 1984, Lemma Krüss, James.

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gelacht wird, ist zweitrangig. Was den Lachenden herrliche Überlegenheit empfinden läßt oder ihm einfach ›ein gutes Gefühl‹ vermittelt, kann für den ›Auslöser‹ ungemein verletzend sein. Die Frage, ob und wenn ja in welchem Maße es zu rechtfertigen ist, über den Mitmenschen selbst oder seine Vorstellungen zu lachen und ihm damit eventuell zu schaden, wird somit seit jeher kontrovers diskutiert. In neuerer Zeit haben sich zunehmend Forscher aus dem Bereich der Humanwissenschaften, Ethologen, Anthropologen, Mediziner, Psychologen für das Phänomen des Lachens interessiert. Sie strebten auf ihre Weise danach, die Ursache des Lachens – den Auslöser – zu finden. Parallel zur theoretischen und gewissermaßen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Lachen versuchte man selbstverständlich schon früh aus der allgemein positiven Einstellung gegenüber dem Lachen Kapital zu schlagen − oft im wahrsten Sinne des Wortes. Wem es gelang, andere Menschen zum Lachen zu bringen, sei es im Rahmen von wohlorganisierten Bühnenstücken oder als spontaner Alleinunterhalter, dem war Anerkennung und Lohn sicher. Ausgehend von der Alltagserfahrung, daß viele Menschen oft über gleiche oder sehr ähnliche Situationen lachen, bemühte man sich mit der Zeit, die Natur dieser Momente näher zu bestimmen, um sie anschließend ›künstlich‹ zu erzeugen und sich zunutze zu machen. Das Ergebnis dieser Kategorisierungsversuche war sozusagen ein Katalog zum Lachen reizender Situationen und Figuren. Literaturschaffende35 aller Epochen bedienen sich ihrer als erfolgversprechende Versatzstücke, sogenannte topoi. Die bisherigen Ausführungen kennzeichnen das Lachen als Gegenstand volkstümlichen wie gelehrten Interesses. Auch wenn die hier aus Gründen der Übersichtlichkeit getrennt dargestellten Sphären sich in der Realität wohl viel mehr verquicken bzw. gegenseitig befruchten, lassen sich deutlich zwei Traditionslinien erkennen: Die ›Theoretiker‹ erörtern in zahlreichen Schriften nicht nur die möglichen Ursachen, sondern auch das Für und Wider des Lachens, die volksnäheren ›Praktiker‹ handeln nach dem Prinzip ›lachen und lachen machen‹ und berufen sich auf ihre Erfahrungen als lachende Menschen. Diese schlagen sich dann in Werken nieder, deren vorrangige Aufgabe es ist, die Menschen zum Lachen zu bringen. ___________ 35 Der Ausdruck Literaturschaffende wurde aufgrund seiner semantischen Spannweite gewählt. Dazu gehören nicht nur die Autoren literarischer Werke, sondern alle mit dem Erstellen fiktionaler Texte, Filme usw. befaßte Personen. Auch moderne Komiker arbeiten wahrscheinlich nach dem gleichen Prinzip. Die Erfolge von Loriot, Coluche, Totò & Co beweisen die Gültigkeit traditioneller Konzepte in unserer Zeit.

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Zu diesen Schriften könnte man auch Boccaccios Decameron36 zählen, denkt man an die listigen Ehefrauen, denen es gelingt, ihr ehebrecherisches Tun vor den Gatten geheimzuhalten37, an den dummen Maler Calandrino38, der von seinen Freunden hinters Licht geführt wird, oder an den Koch Chichibio39, der sich durch eine schlagfertige Antwort vor schlimmer Strafe schützt. Die zahlreichen zum Lachen reizenden Momente führen dazu, daß die Lektüre des Werkes recht vergnüglich ist – wenn nur die düstere Beschreibung der Pest zu Beginn des Buches40 nicht wäre. Die Kompositionsprinzipien des Decameron und das Verhältnis von Rahmen und Novellen waren und sind immer wieder Gegenstand literaturwissenschaftlicher Analysen.41 Dabei wurde oft die Frage gestellt, wie es möglich sei, daß die zehn jungen Leute, die nach der Erfahrung von Krankheit und Tod in Florenz auf’s Land geflohen sind, dort ein so ruhiges, sogar überaus angenehmes Leben führen können, ohne moralische Skrupel zu haben.42 Auf der Ebene der Fiktion ist die Antwort rasch gegeben. Für Boccaccio war der historische Rahmen der Pestepidemie und die gängige Praxis, vor der Pest ___________ 36 Cf. G. Boccaccio: Decameron. Nuova edizione rivista e aggiornata. A cura di V. Branca. 2 Bde., Turin 82001 [Dec.]. Der erste Band umfaßt das Proemio, sowie den ersten bis vierten Tag, der zweite Band den fünften bis zehnten Tag sowie die Conclusione dell’autore. Im folgenden wird auf die Bandangabe verzichtet und nur der Tag (römische Ziffer) und die Position der Novelle in der Reihenfolge der erzählten Geschichten (arabische Ziffer) notiert. Die zweite arabische Ziffer bezeichnet den Absatz. Zu Struktur und Aufbau des Decameron cf. W. Th. Elwert: Die italienische Literatur des Mittelalters – Dante, Petrarca, Boccaccio. München 1980, S. 212-234 [Elwert]; zur Biographie, die hier nur insoweit dargestellt wird, als sie zur Interpretation der Werke Boccaccios von Bedeutung sind cf. V. Branca in: Dec./Branca/Vita, S. XLI-LII [Dec./Branca/Vita]. 37 Cf. z. B. die Mehrzahl der Novellen von Dec. VII: »nella quale [...] si ragiona delle beffe, le quali […] le donne hanno già fatte a’ suoi mariti, senza essersene avveduti o sì« und Dec. VIII: »nella quale [...] si ragiona di quelle beffe, che tutto il giorno o donna a uomo o uomo a donna o l’uno uomo all’altro si fanno«. 38 Dec. VIII, 3; VIII, 6; IX, 3; IX, 5. 39 Dec. VI, 4. 40 Dec. I, Intr.1ff. 41 Es ist schier unmöglich, an dieser Stelle einen Überblick über die vorhandene Forschungsliteratur zum Decameron zu geben. So sei nur angemerkt, daß seit 1963 regelmäßig die Zeitschrift Studi sul Boccaccio [SSB] (Hrsg. von V. Branca) erscheint, die eine Vielzahl von Beiträgen zur Novellensammlung des Autors beinhaltet. Weitere bibliographische Angaben bei Branca: Nota bibliografica generale/bibliografie particolari, in: Dec. Bd. I, S. LXXIX-CXXII. Eine (relativ) rezente Gesamtbibliographie bietet ferner J. P. Consoli: G. B. An Annotated Bibliography, New York 1992. 42 Cf. z. B. G. Boccaccio: Poesie nach der Pest. Der Anfang des Decameron: Vorwort/1Tag: Einleitung, Novelle I-IV. Ital./dt. Neu übersetzt und erklärt von K. Flasch. Mainz 1992, S. 85 [Flasch], ebenso E. Carini.: »La peste, Boccaccio e il ›Trionfo della morte‹ del Camposanto pisano«, in: Italienisch 42. 1999, S. 2-12, hier S. 10 [Carini].

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zu fliehen43, um anderswo ein besseres Leben zu führen, ein ideales Fundament für seine Geschichtensammlung. Durch die Bemerkung Dioneos: Donne, il vostro senno piú che il nostro avvedimento ci ha qui guidati; io non so quei de’ vostri pensieri voi v’intendete di fare: li miei lasciai io dentro della porta della città [...] E per ciò o voi sollazzare e a ridere e a cantare con meco insieme vi disponete44

nach dem Verlassen der Stadt und die positive Reaktion Pampineas: »Dioneo, ottimamente parli: festevolemente viver si vuole«45 werden aufkommende Zweifel an der Legitimität des Vorhabens im Keim erstickt. Konnte Boccaccio also mit einem Erfolg des Werkes rechnen, weil sein Buch den Lesern so viele Identifikationsmöglichkeiten bot? War es nicht ebenso denkbar, daß gerade das Gefühl, ähnliches wie die Mitglieder der brigata erlebt zu haben, dazu führen würde, das Decameron abzulehnen? Denn die Wunde, die die Pest von 1348 der Bevölkerung zugefügt hatte, war noch recht frisch, als Boccaccios Werk in Umlauf kam.46 Wer schon einmal versucht hat, jemanden in einer schwierigen Situation abzulenken oder zum Lachen zu bringen, weiß, wie leicht solch ein Ansinnen mißdeutet werden kann. Der Vorwurf, die Lage nicht ernst zu nehmen oder gar zu verharmlosen, ist meist schnell zur Hand. Der Gefahr dieser Anschuldigung setzte sich auch Boccaccio aus, als er ein Buch, dessen vergnüglicher Tenor nicht zu leugnen ist, zu einer Zeit herausgab, die von allgemeinem Leid ge___________ 43 Daß die Menschen in Pestzeiten wenn möglich die Stadt verließen, berichten zahlreiche Chronisten: »Le genti spaventate abbandonavano la casa, e fuggivano in un’altra; e chi nella città, e chi si fuggia in villa« (Marchionne di Coppo Stefani: Cronaca fiorentina, in: L. A. Muratori (ed.): Rerum italicarum scriptores. Raccolta degli Storici Italiani dal Cinquecento al Millecinquecento. Nuova edizione ampliata e coretta con la direzione di G. Carducci e V. Fiorini. Bd. XXX (Cronache toscane), Città di Castello 1903, S. 230-232 i. e. I, VIII, 136-142, hier I, VIII, 136 [Cronaca fiorentina]); ähnliches berichtet auch ein anonymer Pisaner Chronist: »Alcuni cittadini fuggivano della città e andavano per lo contado« (Anonym: Monumenta Pisana. Ab anno MLXXXIX usque Annum MCCCLXXXIX. Deducta et continuato usque ad MCCCCVI, in: L. A. Muratori (ed.): Rerum italicarum scriptores. Raccolta degli Storici Italiani dal Cinquecento al Millecinquecento. Mailand 1728 (Ristampa anastatica, Forli 1979), [Muratori], Bd XII, cc. 970-1088, hier c. 1021. Zur sogenannten Pestflucht und deren gesellschaftlichen und politischen Folgen cf. H. Dormeier: »Die Flucht vor der Pest als religiöses Problem«, in: K. Schreiner (Hrsg.): Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. München 1992, S. 331399, insbesondere S. 331-340. 44 Dec. I, Intr. 92/93 45 Dec. I, Intr. 94. 46 Man geht heute davon aus, daß das Decameron frühestestens 1349, spätestens aber 1351 fertiggestellt wurde (Cf. V. Branca: »La vita e le opere di Giovanni Boccaccio«, in: Dec. Bd. I, S. XLI-LXVI, hier S. XLV [Dec./Branca/Vita]). Sowohl die Introduzione des vierten Tages als auch die Conclusione dell’autore, in denen der Autor auf kritische Stimmen reagiert (Dec. IV, Intr., 1-11; Concl. 3), deutet darauf hin, daß Teile der Schrift schon vor der Fertigstellung des Gesamtwerkes in Umlauf waren.

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kennzeichnet war. Die grundsätzlich positive Aufnahme des Decameron47 läßt hingegen vermuten, daß dem Autor das Schreiben vergnüglicher Literatur in traurigen Zeiten nicht übel genommen wurde. Im Proemio zu seinem Werk gibt Boccaccio an, das Buch den Frauen zu widmen, die: il più del tempo nel piccolo circuito delle loro camere racchiuse dimorano e quasi oziose sedendosi, volendo e non volendo in un medesima ora, seco rivolgendo diversi pensieri, li quali non è possibile che sempre sieno allegri. E se per quelli alcuna malinconia, mossa da focoso disio, nelle lor menti, in quelle conviene che con grave noia si dimori, se da nuovi ragionamenti non è rimossa.48

Der Versuch, die Traurigkeit der Damen durch die Lektüre von Novellen – reizen sie zum Lachen oder nicht, sie lenken in jedem Fall ab – zu vertreiben, beruht auf dem Prinzip eines allopathischen Heilmittels.49 Wenn sich der Autor auf die Wirkungsweise allopathischer Medizin beruft, so schreibt er sich in einen Trend ein, der sich bis ins fünfte Jahrhundert vor Christus zurückverfolgen läßt: Schon die berühmten Ärzte der Antike haben sich bemüht, eine Kunst des gesunden Lebens zu entwickeln, die nicht nur prophylaktisch wirken, sondern auch im Krankheitsfall die Beschwerden lindern sollte. Innerhalb dieser sogenannten Diätetik spielt ein heiteres Gemüt – und in Verbindung damit auch das Lachen – eine entscheidende Rolle. Wesentliches Anliegen der vorliegenden Studie ist es demnach, die Bedeutung diätetischer Richtlinien für Boccaccios Novellensammlung aufzuzeigen. ___________ 47 Cf. A. Balduino: »Fortune e sfortune della novella italiana fra tardo trecento e primo cinquecento«, in: M. Picone e. a. (éd.): La nouvelle. Formation, codification et rayonnement d’un genre médiéval. Actes du Colloque International de Montréal 1982. Montréal 1983, S. 156-173, hier S. 158f. 48 Dec. Proemio, 10/11. Dieser Widmung des Buches an die Frauen geht im Proemio die allgemeine Überlegung voraus, das Buch all denen zu widmen, die – wie Boccaccio selbst – an der Liebe gelitten haben (Cf. Dec. Proemio, 6-8), bzw. grundsätzlich an die Liebenden (Dec. Proemio, 13: »che amano«). Auf diese Weise stellt sich der Autor in die Tradition Dantes und der Stilnovisten, die ihre Werke gleichermaßen den fedeli d’amore zueigneten. Wenn er in der Verteidigung seines Werkes in der Introduzione des vierten Tages erklärt, Guido Cavalcanti und Dante hätten sich ebenso wie Cino da Pistoia auch im fortgeschrittenen Alter für Frauen interessiert, spielt er damit direkt auf die Gruppe der Stilnovisten an (Dec. IV, Intr. 33/34). Zum Programm dieser Dichter äußert sich Dante im Purgatorio: »Ma dì s’ i’ veggio qui colui che fore trasse le nove rime, cominciando/Donne che avete intelleto d’amore«; Dante Alighieri: La Commedia secondo l’antica vulgata III – Purgatorio. A cura di G. Petrocchi. Mailand 1967, XXIV, Vv. 49-51. Zur Frage des Dolce stil nuovo und zur Bedeutung Dantes für den Kreis der Dichter, die sich diesem Stil verschrieben haben cf. H. Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik. Frankfurt 1964, S. 55-125 (Zu Dante S. 88f.) [Friedrich]. 49 In Hinblick auf die Frage nach der Rechtfertigung eines Werkes dieses Inhalts in der beschriebenen Situation ließe sich die Intention natürlich auch auf die gesamte Leserschaft übertragen. Diese sollten dann nicht mehr ›nur‹ vom Liebeskummer befreit, sondern grundsätzlich erleichtert werden (Cf. S. 160, Anm. 30).

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Dabei geht es nicht so sehr um eine grundsätzliche Neudeutung des Werkes, sondern vielmehr um eine erstmalige systematische Unterfütterung oft bekannter Interpretationsansätze aus medizinisch-diätetischer Perspektive. Ausgehend von der oben dargelegten Problematik soll die Legitimitätsfrage geklärt werden. Der persönlichen Rechtfertigung Boccaccios folgt die Analyse der Aussagen von Ärzten und Philosophen zur Diätetik sowie die Auseinandersetzung mit Pesttraktaten und medizinischen Handbüchern. Anschließend soll untersucht werden, inwieweit sich die Lehre vom gesunden Leben tatsächlich im Decameron niederschlägt und welche Folgen sich daraus für dessen Struktur und Inhalt ergeben. Hatte sich der Autor durch die diätetische Grundlegung seines Werkes in Medizinerkreisen Anerkennung verschaffen können, bleibt im folgenden zu klären, welche Maßnahmen Boccaccio ergriffen hat, um seiner Sammlung zum Lachen reizender Geschichten auch unter Humanisten Anerkennung zu sichern. Nach der Erarbeitung der Strukturierungsprinzipien des Werkes hinsichtlich der zum Lachen reizenden Geschichten, erfolgt die exemplarische Analyse einiger Novellen. Auf diese Weise soll das Decameron als Werk gekennzeichnet werden, das der ›Mode‹ des aufkommenden Ciceronianismus einen Teil seines Erfolgs verdankt, das aber auch wesentlich zur Verbreitung der rhetorischen Maßstäbe des Arpinaten beigetragen hat. Wenn es darum geht, die Bedeutung der zum Lachen reizenden Situation und des Lachens selbst in einem Werk zu analysieren, ist es sinnvoll, die Stellung des Lachens in der Gesellschaft zur Zeit der Abfassung des jeweiligen Werkes in die Überlegungen mit einzubeziehen. Bei der Beschäftigung mit dem Lachen im Decameron kann man von einem humanistischen Verstehenshorizont der Autors ausgehen. Boccaccio war mit den Werken antiker Schriftsteller − soweit sie bekannt waren − vertraut, und nicht zuletzt dank seines Studiums kanonischen Rechts50 war ihm wohl auch die Einstellung der Kirche zum Thema geläufig. Im folgenden soll die theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen sowie dessen Präsenz in der Literatur und im Leben der Menschen dargestellt werden, um zu zeigen, auf welcher Grundlage der Autor operiert und auf welche Weise er sich in vorhandene Traditionen einschreibt. Bereits Quintilian bemerkte vor rund zwei Jahrtausenden: varia hominum iudicia in eo (i.e. risu), quod non ratione aliqua, sed motu animi quodam nescio an enarrabili iudicatur.51

Da seither eine Vielzahl von Meinungen hinzugekommen ist − die Natur des Lachens sich in dieser Hinsicht aber nicht verändert hat −, kann und soll hier ___________ 50 51

Cf. Dec./Vita, »Notizia biografica«, S. XLVIII. Inst. orat. I; VI, 3; 6.

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nur ein richtungsweisendes Panorama aufgezeigt werden.52 Wenn dabei der theoretischen Auseinandersetzung sehr viel Raum gegeben, die tatsächliche Präsenz des Lachens aber nur recht knapp skizziert wird, so erklärt sich dies vor allem durch die Bedeutung des Gegenstands im Gesamtzusammenhang. Die Aussagen von Philosophen, Rednern und Vertretern der Kirche sind nämlich auch medizingeschichtlich interessant, so daß im weiteren Verlauf der Arbeit erneut auf sie zurückgegriffen werden wird. Den Aussagen frühchristlicher und mittelalterlicher Autoren, die das Lachen im Lichte christlicher Weltanschauung beurteilten, kommt eine ebenso wichtige Bedeutung zu. Zur Zeit der Abfassung des Decameron hatte das Christentum durch seine Repräsentanten starken Einfluß auf das Denken der Menschen, eine Verurteilung des Lachens seitens der Kirche hätte also auch Boccaccio veranlassen können, zum Lachen reizende Momente nur sparsam einzusetzen. Daß Theorie und Praxis in der Realität stark differieren und die Menschen zu allen Zeiten und trotz aller Warnungen nicht nur gelacht, sondern auch andere bewußt zum Lachen gebracht haben, wird beim Blick in eine Literaturgeschichte deutlich: Farcen und Facetiae, Satiren und Fabliaux entstanden zu Zeiten, in denen Philosophen und Vertreter der Kirche bestimmte Formen des Lachens verurteilten oder doch stark einschränkten. Aufgrund der bereits konstatierten prinzipiell positiven Einstellung der Menschen gegenüber dem Lachen ist es lediglich notwendig, den Raum zu definieren, der dem Lachen in Antike und Mittelalter zukam, sowie die ihm damals von den Menschen beigemessene Bedeutung zu analysieren. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird es anschließend möglich sein, den Einsatz zum Lachen reizender Elemente in der Novellensammlung angemessen zu beurteilen.

___________ 52 Die folgende Darstellung erhebt also in keiner Weise Anspruch auf Vollständigkeit. Neben die zeitliche Begrenzung tritt zudem die kulturräumliche Beschränkung auf das (christliche) Abendland.

2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

a) Die ›Großen‹ der klassischen Antike Demokrit von Abdera ist sicher nicht nur einer der ersten Philosophen, der ethische Probleme zum Reflexionsgegenstand machte, er vertritt darüber hinaus auch eine eudämonistische Lebensphilosophie, die ihn zum Ahnherrn jeglicher Beschäftigung mit dem Lachen macht.1 Wenn der Abderite heutzutage üblicherweise als ›der lachende Philosoph‹2 bezeichnet wird, so scheint dieser Beiname auf die heitere Ausgeglichenheit,  zu verweisen, die − so seine Lehre − allein durch Mäßigung und Einsicht erreicht werden kann.3 Jene Gelassenheit, und nicht Sinnenlust oder Besitz und Erfolg, ist Ziel des Lebens und damit Inbegriff allen Glücks. Damit steht Demokrit am Beginn einer Tradition, die über Jahrhunderte hinweg die moderatio als Ordnungsprinzip anerkennen und die Fähigkeit zur Mäßigung gewissermaßen als Schlüsselqualifikation, als ___________ 1

Im folgenden werden nur solche Werke und Textpassagen besprochen, in denen die Autoren Aussagen zum Lachen und damit in Verbindung stehender Lebenseinstellungen gemacht haben. Für weitergehende Informationen zum Leben der Philosophen und ihren Schriften verweise ich auf gängige Überblickswerke zur griechischen und römischen Literatur- und Geistesgeschichte (Cf. A. Dihle: Griechische Literaturgeschichte. Darmstadt 21991 [Dihle]; A. Lesky: Geschichte der griechischen Literatur. Bern 31971; M. von Albrecht: Geschichte der römischen Literatur. Von Andronicus bis Boethius mit Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Neuzeit, 2 Bde., München, New Providence, London, Paris 21994 [v. Albrecht]; W. Kroll (Hrsg.): Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung, begonnen von. G. Wissowa, 35 Bde. (+ Teilbände und Supplements), Stuttgart 1912 e. a. [Pauly] sowie H. Cancik/H. Schneider (Hg.): Der neue Pauly − Enzyklopädie der Antike. 15 Bde., Stuttgart, Weimar 2001 [DNP]. 2 Cf. z. B. A. Halder/M. Müller: Philosophisches Wörterbuch. Freiburg 1993, Lemma Demokrit, ebenso: G. Ueding (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bisher 6 Bde., Tübingen 1992f, hier Bd. 5, Lemma: Lachen, das Lächerliche [Hist. Wört. der Rhet.]. 3 Cf. Demokrit: Denksprüche: »Denn dem Menschen wird Wohlgemutheit zuteil durch Mäßigung des Lebens und des Lebens rechtes Maß. Mangel und Überfluß dagegen pflegen umzuschlagen und große Bewegungen in der Seele zu verursachen«, in: H. Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker. Hrsg. von W. Kranz, 3 Bde. (Bd. 3 ist Registerband), Berlin 61952, hier Bd. II, Demokrit: 68 B 191 [Diels/Kranz I/II]. Zum Verhältnis zwischen dem Bild des ›lachenden Philosophen‹ und dessen Lehre cf. R. Müller: »Demokrit − der lachende Philosoph«, in: S. Jäkel/A. Timonen: Laughter down the centuries. Bd. I, Turku 1994, S. 39-51 [Müller, in: Jäkel/Timonen].

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen menschlichen (Zusammen)Lebens betrachten wird. Es stellt sich jedoch die Frage, warum Demokrit ausgerechnet der ›lachende‹, nicht aber der ›heitere‹ oder der ›lächelnde‹ Philosoph genannt wird. Beide Attribute brächten zumindest nach allgemeiner Auffassung die eudämonistische Lebensphilosophie Demokrits ansprechender zum Ausdruck als der Begriff ›lachend‹. Der Grund für diese Wortwahl und für die Herausbildung des locus communis vom philosophus ridens ist im Nachhinein nicht mehr mit letzter Sicherheit zu rekonsturieren. Es lassen sich jedoch Etappen der topos-Bildung nennen4: Nachdem Cicero vornehmlich auf die physiologischen Abhandlungen Demokrits anzuspielen scheint: Ubi sit, quo modo exsistat atque ita repente erumpat, ut eum cupientes tenere nequeamus, et quo modo simul latera, os, venas, oculos, vultum occupet, viderit Democritus5

instrumentaliert ihn Horaz darüber hinaus auch als Gesellschaftskritiker: Si foret in terris, rideret Democritus, seu diversum confusa genus panthera camelo sive elephans albus volgi converteret ora, spectaret populum ludis attentius ipsis ut sibi praebentem nimio spectacula plura.6

Dieses Bild eines Philosophen, der auf das Verhalten seiner Mitmenschen mit Lachen reagiert, wird im folgenden vor allem von den Stoikern aufgenommen. In seiner Monographie über den Zorn, ein nach stoischer Auffassung tunlichst zu vermeidender Affekt, stellt Seneca dem lachenden Demokrit den weinenden Heraklit zur Seite: Democritus ridens et Heraclitus flens: Heraclitus quotiens prodierat et tantum circa se male viventium, immo male peruentium viderat, flebat, miserebatur omnium qui sibi laeti felicesque occurebant, miti

___________ 4 Cf. T. Rütten: Demokrit – lachender Philosoph und sanguinischer Melancholiker. Eine pseudohippokratische Geschichte. Leiden, New York u. a 1992, S. 8-53: Fabula de philosopho ridente [Rütten]. Der Verfasser zeichnet hier die einzelnen Phasen der toposBildung anhand literarischer und ikonographischer Quellen nach. 5 M. T. Cicero: De oratore/Über den Redner. Lt./dt., Übers. und hrsg. von H. Merklin. Stuttgart 42001, II, 235 [De orat.]. 6 Q. Horatius Flaccus: Satiren/Briefe; Sermones/Epistulae. Lt./dt., übers. von G. Hermann, hrsg. von G. Fink. Düsseldorf, Zürich 2000, Ep. II, 1, 194-198 [Sermones/Epistulae]. A. Kiesling weist darauf hin, daß sowohl Cicero als auch Horaz hier das ethische Interesse Demokrits in den Blick nehmen, darüber hinaus aber auch an eine heutzutage verlorene Schrift    des Abderiten gedacht haben können. (Cf. Q. Horatius Flaccus: Briefe. Erkl. von A. Kiessling. Berlin 1889, Kommentar zu II, 1, 194).

a) Die ›Großen‹ der klassischen Antike

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animo, sed nimis imbellico: et ipse inter deplorandos erat. Democritum contra aiunt numquam sine risu in publico fuisse; adeo nihil illi videbatur serium eorum quae serio gerebantur.7

Auch wenn Lachen und Weinen letztlich ebenso Affekte sind, die der Stoiker in seinem Wunsch nach Ataraxie zu vermeiden wünscht, sind diese gegenüber dem Zorn das kleinere Übel. Lachen und Weinen sind hier Ausweichverhalten der Weisen, die sich selbständig von der Fremdbestimmung durch die Affekte befreit haben. Lachen und Weinen werden nur an Zornes Statt gebilligt, wobei das Lachen positiver bewertet wird als das Weinen.8 Heraklit erhielt schon zu Lebzeiten den Beinamen : ›der Dunkle‹. Die Bezeichnung impliziert nicht nur eine Anspielung auf seine oft rätselhafte Ausdrucksweise und die Schwerverständlichkeit seiner Lehre, sondern verweist auch auf den vermeintlich düsteren, weinerlichen Charakter des Philosophen.9 Eine derart negative Weltsicht läßt sich jedoch anhand der noch erhaltenen Fragmente nicht in dieser Deutlichkeit belegen.10 Die Gegenüberstellung zweier Philosophen mit (scheinbar) gänzlich verschiedenem Lebenskonzept führte zur grundsätzlichen Frage, ob man besser ›über den Dingen stehen‹, indem man mit Demokrit das Leben ›verlacht‹ oder aber das Leben, die Welt und die Menschen mit Heraklit beklagen sollte.11 Die ___________ 7 L. A. Sénèque (le jeune): De ira, II, X, 5, in: L. A. Sénèque: Dialogues I+II, texte établi et traduit par A. Bourgéry. Paris 1951, S. 1-109. 8 »In hoc itaque flectendi sumus, ut omnia vulgi vitia non invisa nobis, sed ridicula videbantur, et Democritum potius imitemur quam Heraclitum [...] Sed satius est publicos mores et humana vitia placide accipere, nec in risum nec in lacrimas excidentem.« (L. A. Seneca (d. J.): De tranquilitate animi XV 2, 5, in: L. A. Seneca: Dialoge VII-XII. Lt./dt., übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von M. Rosenbach, S. 101173. Darmstadt 1983 [De tran. an.]). Zur stoischen Auseinandersetzung mit dem Philosophenpaar cf. Rütten, S. 14ff. 9 Cf. J.-E. Pleines: Heraklit. Anfängliches Philosophieren. Hildesheim, Zürich, New York 2002, S. 8 [Pleines]. 10 Cf. Pleines, S. 8f. Die Hartnäckigkeit, mit der sich das Bild des weinenden Philosophen in der Antike und seit der Wiederbelebung des topos im Renaissancezeitalter gehalten hat, läßt sich wohl u. a. durch die Autorität von Diogenes Laertios (»Theophrastus puts it down to melancholy that some parts of his work are half finished«; Diogenes Laertios: Vitae philosophorum – Lives of Eminent Philosophers, with an english translation by R D. Hicks. 2 Bde, London 1958/1995, hier Bd. II, IX, 6 [Vitae].) und Lukian von Samosata erklären, die diese Vorstellung in ihren Werken festschrieben (»den Weinenden aus Ephesus [...] als ob er um jemanden Trauer hätte, denn er weint aus Leibeskräften«; Lukian von Samosata: Seelenauktion (Vitarum auctio), in: Lukian von Samosata Sämtliche Werke. Aus dem Griechischen übersetzt von M. Weber. 2 Bde., Leipzig 1910, hier Bd. I, S. 141-160, c. 13.). 11 Cf. Müller, in: Jäkel/Timonen, S. 45. Der Autor weist darauf hin, daß hinter der von Demokrit vertretenen Lebensweise und dem damit verbundenen Lachen gewissermaßen ein »aufklärerischer Geist der Freiheit« steht, eine Idee, die besonders im Renaissancezeitalter wieder aufgenommen wird.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

unterschiedlichen Antworten, die man im Laufe der Jahrhunderte gefunden hat, spiegeln in gewisser Weise die Diskussion um das Lachen wider.12 Diese beziehen sich jedoch größtenteils auf das Lachen als Ausdruck positiver Lebenseinstellung − aus christlicher Sicht also auf das Lachen als Zeichen der Freude am irdischen Leben − nicht aber auf die Frage nach der moralischen Legitimität des Lachens. Die Darstellung Demokrits als ›Lachender‹ birgt nämlich die Gefahr der unzulänglichen Verkürzung seiner Botschaft.13 Denn neben dem Bild des lachenden Philosophen, das sich wie hier angedeutet, in der Antike großer Beliebtheit erfreute und schließlich von den Humanisten wieder entdeckt und begeistert aufgenommen wurde14, existiert noch eine weitere Tradition, die den Abderiten als sanguinischen Melancholiker zeichnet, das Lachen also als integrativen Bestandteil des melancholischen Prinzips anerkennt.15 Dieses ›konträre‹ Bild des Philosophen enstand im ersten vorchristlichen Jahrhundert und basiert auf einer Folge von Briefen, die Teil des Corpus Hippocraticum sind und im Renaissancezeitalter als Melancholieschrift gedeutet wurden.16 Diese Sicht___________ 12 Cf. A. Buck: »Democritus ridens et Heraclitus flens«, in: H. Meier/H. Sckommodau (Hg.): Wort und Text, Festschrift für Fritz Schalk, Frankfurt a. M. 1963, S. 167-186, hier S. 171f [Buck, in: Meier/Sckommodau]. 13 Der Bezug späterer Autoren zu Demokrit gründet zumeist auf einer ähnlichen Lebenseinstellung und Weltsicht, die dann auch explizit hervorgehoben und Demokrit als Vorbild präsentiert wird. cf. z. B. M. de Montaigne: »Democritus et Heraclitus ont esté deux philosophes, desquels le premier, trouvant vaine et ridicule l’humaine condition, ne sortoit en public qu’avec un visage moqueur et riant; Heraclitus, ayant pitié et compassion de cette mesme condition nostre, en portoit le visage continuellement atristé, et les yeux chargés de larmes [...]. J’aime mieux la première humeur, non parce qu’il est plus plaisant de rire que de pleurer mais parce qu’elle est plus desdaigneuse, et qu’elle nous condamne plus que l’autre« (Montaigne orientiert sich hier an der bereits zitierten Textpassage aus Senecas De ira; M. de Montaigne: Essais. Éd par V. L. Saulnier/P. Villey, 3 Bde., Paris 21992, hier I, L, S. 303 [Essais]). Auch C. Sorel gibt Demokrit den Vorzug: »Fasse qui voudra l’Héraclite du siècle; pour moi j’aime mieux en être le Democrite, et je veux que les plus importantes affaires de la terre ne me servent plus que de farces« (C. Sorel: Histoire comique de Francion. Édition de 1633, présentée par F. Garavini, établie par A. Schoysman et annotée par A. L. Franchetti. Paris 1996, livre VIII, S. 382), ebenso C. Gozzi: »Se ho qualche particella di filosofia, inclino più a Democrito che ad Eraclito a’riverberi di questa lente.« (C. Gozzi: Memorie inutili. A cura di D. Bulferetti. 2 Bde., Turin 1928, hier: Bd. I, S. 22). 14 Zur Rezeptionsgeschichte cf. Rütten, S. 35f sowie Buck, in: Meier/Sckommodau, S. 175f. Ein Grund für die geringe Verbreitung des topos im Abendland mag die negative Einstellung gegenüber dem Lachen gewesen sein. 15 Cf. Rütten, S. 54. Der Verfasser weist jedoch mit Recht darauf hin, daß der Typ ›sanguinischer Melancholiker‹ erst im 15. Jahrhundert mit Demokrit als Prototyp geprägt wurde. Wenn hier von einer Tradition gesprochen wird, die mit dem Bekanntwerden der Brieffolge einsetzte, ist dies sozusagen rückwirkend zu betrachten, es handelt sich hier also um ein »rezeptionsgeschichtliches Präjudiz« (Rütten, S. 55). 16 Cf. Rütten, S. 116. Zu Inhalt und Bedeutung des Textes, der gemeinhin als Briefroman bezeichnet wird und die Briefe 10-23 umfaßt, cf. Rütten, S. 116ff. Eine deutsche Übertragung des Textes bietet A. Fingerle in (Pseudo)- Hippokrates: Die Briefe des Hippokrates. Ergänzungsteil von A. Fingerle, in: (Hippokrates): Die Werke des Hippo-

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weise Demokrits erfreute sich zwar zunächst ähnlich großer Beliebtheit wie das Bild des Lachers17, steht aber heutzutage deutlich im Schatten der HeraklitDemokrit-Opposition.18 Bei Demokrit ist das Lachen nicht nur Kennzeichen eines subjektiven Lebensgefühls, sondern auch Reflexionsgegenstand. Seine fragmentarisch erhaltenen Schriften beinhalten somit Aussagen zur Bedeutung des Lachens im zwischenmenschlichen Bereich: »Es ist würdig, als Menschen über Menschen Unglück nicht zu lachen, sondern zu wehklagen.«19 Die Frage nach der Legitimation des Lachens per se erhält mit dem Verlachen eine neue Dimension.20 Beide Aspekte werden über Jahrhunderte im Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Lachen stehen. Dabei gelingt es Platon und Aristoteles, die Ideen des Abderiten weiter zu entwickeln, indem sie das Phänomen aus philosophischen, ›naturwissenschaftlichen‹ und rhetorischen Blickwinkeln zu analysieren suchen. Diese Spannweite mag dazu geführt haben, daß die Ideen der beiden Philosophen quasi die Grundlage für alle späteren Aussagen zur Natur des Lachens bilden, die »kaum anderes als konzeptionelle Varianten ihrer Deutungen darstellen«21. Die Werke Platons haben wie kaum ein anderes Gesamtwerk eines bedeutenden Philosophen die vergangenen zwei Jahrtausende relativ unbeschadet ___________ krates. Die hippokratische Schriftensammlung in neuer deutscher Übersetzung. Hrsg von R. Karpferer. Stuttgart 1938 [Hippokrates/Briefe]. Zur Rezeption des Textes im Renaissancezeitalter, cf. S. 210, Anm. 224. 17 Cf. Rütten, S. 144f. 18 Neben die von den Stoikern forcierte Gegenüberstellung mit Heraklit tritt noch eine weitere, die besonders anhand einer Illustration von Sebastian Brants Navis stultifera (Cf. Anonymus: De larvatis fatuis. Holzschnitt (1497) Basel 1507, fols 126v, abgebildet in: Rütten, Abb. 1) ersichtlich wird. Hier zeigt sich Demokrit mit dem Kyniker Diogenes. Grund dieser Verbindung ist nicht nur das gemeinsame Interesse für ähnliche Themen (Cf. Rütten, S. 33ff). So gelang es z. B. auch dem Kyniker Menippos von Gadara ebenso wie Demokrit, über die negativen Dinge der Welt zu lachen. Diese Fähigkeit schlug sich auch in seinen Werken nieder. In seinen nur fragmentarisch erhaltenen Schriften (Cf. Dihle, S. 283) kritisierte er Persönlichkeiten und gesellschaftliche Mißstände auf zum Lachen reizende Weise. Strabo bezeichnete ihn deshalb als   (Strabo: Geography ( ), books XV/XVI (Strabo VII). With an english translation by H. L. Jones. Cambridge, London 2000 (Neudruck der Ausgabe von 1930), XVI, 2, 29). 19 Diels/Kranz II: Demokrit, 68 B 107a. 20 Dieser Dualismus von Lachen und Verlachen wird im Laufe der folgenden Jahrhunderte immer wieder aufgenommen und bildet letztlich auch die Basis verschiedener Komiktheorien (Cf. Kapitel 4). 21 A. Kablitz: »Lachen und Komik als Gegenstand frühneuzeitlicher Theoriebildung« in: L. Fietz/J. O. Fichte/H.-W. Ludwig (Hg.): Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart. Tübingen 1996, S. 123-153, hier S. 125 [Kablitz, in: Fietz e. a.].

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

überstanden, sie standen sogar zu allen Zeiten als Lektüre zur Verfügung.22 Da Platon selbst in seinen Schriften sehr wenig von sich preisgibt, ist man für weitere Informationen auf die Anekdoten angewiesen, die innerhalb seiner Akademie in Umlauf waren und schon früh schriftlich fixiert worden sind23. Der Wahrheitsgehalt solcher Episoden ist oftmals gering, da sie aber das gängige Bild des Philosophen vermitteln, können sie bei der Betrachtung der Schriften Platons von Interesse sein. So schreibt zum Beispiel Diogenes Laertios über den Philosophen, er habe niemals richtig gelacht,24 andere berichten, das Lachen sei in der Akademie verboten gewesen25. Aber schlägt sich diese Absenz des Lachens in den Schriften des Philosophen nieder? Auch Platon verwendet Formulierungen wie »du wirst lachen«26 oder »lachte er und sagte«27 zur Strukturierung seiner Dialoge und bedient sich des ironischen Ausdrucks, um die existentiellen Probleme, die im Mittelpunkt einiger seiner Dialoge stehen, verständlich zu machen. Er akzeptiert auf diese Weise das Lachen als natürliche Lebensäußerung des Menschen. Dennoch beurteilt er es nicht durchweg positiv, sondern sieht in der menschlichen Vorliebe28 für das Lachen auch negative Seiten. Dies zeigt sich vor allem in seinen staatstheoretischen Werken, dem Staat und den Gesetze(n)29. Platon entwickelt im Staat das Modell eines idealen Staates − im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht nur die Philosophenherrschaft30, sondern vor allem die Harmonie unter den Bürgern31 unterscheidet das skizzierte Gemeinwesen von ___________ 22

U. Neumann: Platon. Reinbek 2001, S. 18 [Neumann]. Cf. Dihle, S. 207, sowie Neumann, S. 20f. 24 Vitae, Bd. I, III, 26. 25 Cf. C. Aelianus: Varia historia. Edidit M. R. Dilts. Leipzig 1974, III, 35. 26 Platon: Phaidros. (  (Platon: Werke. Bd. III, 4 ). Übersetzung und Kommentar von E. Heitsch. Göttingen 21997, 252b [Phaidros]. 27 Phaidros 267b. Einen »Index Platonicus zum Wortfeld Lachen − Lächerlichkeit − Spott − Komödie« besorgte M. Mader in: Das Problem des Lachens und der Komödie bei Platon. Berlin e. a. 1977, S. 130-132 [Mader]. 28 »Nimmst du aber die lustvolle Muse auf [...], dann werden in deiner Stadt Lust und Schmerz König sein statt des Gesetzes und der Vernunft.« Der Mensch zieht Spiel und Spaß also der Vernunft vor. (Platon: Der Staat ( ). Deutsch von R. Rufener. Mit einer Einleitung von T. A. Szlezák und Erläuterungen von O. Gigon. München 21998, X, 7; 606d [Staat]). 29 Platon: Gesetze (), in: ders: Sämtliche Werke. Bd. 4 (Timaios, Kritias, Minos, Nomoi). Übers. von H. Müller und F. Schleiermacher (Minos); auf der Grundlage der Bearbeitung von W. F. Otto, E. Grassi, G. Plamböck, neu hrsg. von U. Wolf. Reinbek 1994, S. 143-574 [Gesetze]. 30 Staat V, 18; 473c. 31 Diese Eintracht führt dazu, daß es im Staat des Philosophen keine politischen Gruppierungen gibt, was wiederum jede Form werbender oder überzeugender Rede überflüssig macht. Aufgrund des herrschenden ›jedem gehört alles‹-Prinzips (Staat V) fallen auch zahlreiche juristische Redeanlässe fort. Dies mag vielleicht eine Erklärung 23

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der griechischen Realität zu Lebzeiten des Philosophen.32 Platon entwirft den Staat sozusagen ›von oben‹, er verwendet sehr viel Sorgfalt auf die Konzeption des Lehr- und Wehrstandes33, dem Gros der Bürger und dem täglichen Leben schenkt er wenig Beachtung. Dieser Interessenschwerpunkt wird auch in bezug auf das Lachen deutlich: SO: Aber auch nicht lachlustig dürfen unsere Wächter sein. Denn wenn sich jemand einem heftigen Lachen ergibt, so ruft das auch nach einem heftigen Umschwung.34

Platon sieht die Verfassung des Staates durch die dem Lachen inhärente Ordnungslosigkeit35 bedroht. Wer lacht, läßt seinen Körper sprechen, ist − für den Augenblick − frei von allen Zwängen, aber unfähig, für sich oder andere Verantwortung zu übernehmen. Ungleich größer als die Angst vor einer Störung der äußeren wie inneren Ordnung − dieser Möglichkeit widmet der Philosoph nur wenige Zeilen36 − ist die Sorge um die moralische Integrität der herrschenden Gesellschaftsschichten: SO: Wenn du in einer Komödie oder in einem kleinen Kreis einen Spaß hörst, den selbst zu machen du dich schämtest, und wenn du nun die größte Freude daran hast und ihn nicht als etwas Schlechtes verabscheust, dann machst du genau dasselbe wie dort beim Mitleiden (i. e. bei der Tragödie). Denn wiederum: was du durch Vernunft niedergehalten hast, wenn es bei dir diesen Spaß machen wollte, weil du den Ruf des Possenreißers scheutest, dem lässest du hier Freiheit. Und hast du es da stark werden lassen, dann wirst du unvermerkt in deinem eigenen Freundeskreise so weit kommen, daß du zu einem Komödianten wirst.37

___________ dafür sein, daß die Philosophen keine rhetorische Ausbildung genießen (Staat VII, 6f) und Platon darüber hinaus in keiner Weise die Lachanlässe im Rahmen deliberativer oder juristischer Rede thematisiert. Zur grundsätzlich recht kritischen Einstellung Platons zur Rhetorik cf. Neumann, S. 68ff. 32 Platon entwickelte seinen Idealstaat nicht in der Hoffnung, daß kommende Generationen ihn nachahmen würden, sondern zur Illustration der Gerechtigkeit (Staat II, 10; 368d-369b). Dementsprechend wird wohl weder die athenische Polis noch irgendein anderer Staat der Welt je dem platonischen Modell entsprechen. Zu Platons Leben sowie zur politischen Situation in Griechenland cf. Neumann, S. 7-28 sowie D. Lotze: Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Hellenismus. München 1995, S. 67f. 33 Staat II, 15f, dazu Dihle, S. 215. 34 Staat III, 3; 388c. 35 Das Prinzip der Ordnungslosigkeit oder Nicht- bzw. Andersordnung wird im Laufe der Jahrhunderte immer wieder mit dem Lachen in Verbindung gebracht, so zum Beispiel im Karnevalsmotiv oder im topos von der verkehrten Welt. 36 Der platonische Staat soll als Gemeinwesen die mangelnde Autarkie der Einzelwesen ausgleichen. Das herrschende Prinzip der Gerechtigkeit, demzufolge jedem Bürger die Aufgabe zufällt, die ihm entsprechend seiner Fähigkeit zukommt, führt dazu, daß bei einem funktionierenden Staats- und Erziehungswesen, das den Menschen auf seine Aufgaben vorbereitet, keine grundsätzliche Unzufriedenheit aufkommt. Umsturzgedanken einzelner werden also kaum Anklang und Verbreitung finden (Cf. Staat IV, 17f, dazu Neumann, S. 89f). 37 Staat X, 7; 606b-d.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

Der Status eines Komödianten erscheint Platon als etwas sehr Negatives, impliziert er doch nicht nur gedankenlose Nachahmung, sondern auch Handlungen, die der Vernunft zuwiderlaufen. In einem Staatsmodell, dessen tragende Säulen Vernunft und Gerechtigkeit38 sind, haben Affekte wie (Lach)- Lust und Trauer, die durch Komödie und Tragödie hervorgerufen werden und zur Verweichlichung führen39, nur eine bedingte Daseinsberechtigung: SO: Nimmst du aber die lustvolle Muse auf, sei es in lyrischer oder in epischer Form, dann werden in deiner Stadt Lust und Schmerz König sein statt des Gesetzes und der Vernunft, die sich noch immer und überall als das Beste erwiesen haben.40

Nur wenn etwas »zum Scherz geschieht«41 − also zur Erheiterung des Augenblicks − ist es akzeptabel. Schauspiele oder Possenreißer, die andere dazu verleiten, über Dinge oder Personen in einer Weise zu witzeln, die nicht dem Wesen des Scherzenden entspricht, sind charakterschädigend.42 Das Problem liegt somit vor allem in der Nachahmung falscher Vorbilder. Um zu verhindern, daß die Bürger des Staates sich dem Lachen hingeben, müssen, neben der Komödie, weitere Gefahrenquellen von vornherein ausgeschlossen werden: SO: Man darf es also nicht hinnehmen, daß jemand bedeutende Männer, und erst recht nicht, daß er Götter darstellt, wie sie von der Lachlust bezwungen werden.43

Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, daß Platon sich zwar gegen das Lachen ausspricht, die Gründe für diese negative Einstellung aber im Dunkeln bleiben. Die Ablehnung erfolgt, weil das Lachen im Rahmen des Idealstaatskonzepts unpassend, ja gefährlich erscheint, eine menschlich-moralische Be-

___________ 38

Staat IV,16/17; 441c-443d. Diese Einschätzung der Wirkung von Komödie und Tragödie ergibt sich aus dem Mimesisverständnis Platons. Dieser betrachtet Dichter wie Maler nur als Nachahmer eines »Erscheinungsbildes« (Staat X, 2; 5598c), als »Nachahmer von Abbildern der menschlichen Tüchtigkeit [...] und der anderen Dinge, von denen sie dichten, (die) aber die Wahrheit nicht berühren« (Staat X, 4; 601a). Er geht des weiteren davon aus, daß nicht etwa der besonnene und ruhige Charakter Gegenstand der Nachahmung ist, sondern der leicht reizbare, unbeständige, dem es nicht gelingt, Freude und Trauer mit Hilfe seiner Vernunft zu zügeln: »(Der Dichter) wendet sich an den anderen Teil der Seele und nicht an den besten. Schon aus diesem Grund haben wir recht, wenn wir ihn in eine Stadt, die gute Gesetze haben soll, nicht aufnehmen« (Staat X, 6; 605c). 40 Staat X, 7; 606b-d. 41 Staat III, 8; 396c. 42 Cf. Mader, S. 45. 43 Staat III, 3; 388c. Diesem Verdikt fällt z. B. auch Homers Odyssee zum Opfer, deren Verse: »Unauslöschliches Lachen erhob sich unter den Göttern/Als sie Hephaistos sah’n, geschäftig keuchend im Saale« Platon explizit zitiert (Staat III, 3; 389a.). Die hier zitierten Verse sind der von mir verwendeten Staat-Ausgabe entnommen, sie entsprechen den Versen der Odyssee VIII, 326f. (Homer: Ilias/Odyssee. Dt. von J. H. Voss, bearb. von H. Rupé/E. R. Weiß mit Bildern von B. Genelli, Köln 2000). 39

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gründung wird hier nicht gegeben. Eine solche unabhängige Theorie des

  entwickelt Platon erst im Altersdialog Philebos44.

Ausgangspunkt des Gesprächs zwischen Sokrates, Protarchos und Philebos ist die Frage, ob das Wissen oder die Lust als das höchste Gut im Leben der Menschen anzusehen ist: SO: Philebos behauptet also, daß gut für alle Lebewesen ist, sich zu freuen, die Lust, das Vergnügen und was sonst zu dieser Art paßt. Wir bestreiten das und vertreten die Auffassung, daß Einsicht, Vernunft, Erinnerung [...] sich als besser und wertvoller erweisen als die Lust.45

Wie bereits im Staat erkennt Platon Lust und Vergnügen und deren Manifestation − das Lachen − als dem Menschen zugehörig an, sieht diese aber auch in Opposition zu dem von ihm bevorzugten Lebenskonzept. Die Dialogpartner des Philebos kommen im Laufe der Unterhaltung zu dem Ergebnis, daß das Streben nach Lust und nach Einsicht gleichermaßen in der Seele des Menschen angelegt ist und weder eine rein hedonistische noch eine ausnahmslos noetische Einstellung zu vollkommenem Glück führen kann.46 Nur wer das Gegenteil, die Unlust kennt, kann den Status der Lust ausmachen und sich an ihm erfreuen, nur wer Nonsens und Unordnung erfahren hat, kann die Vorzüge eines von Vernunft gesteuerten Lebens genießen. Der Moment des höchsten Glücks kann also nur erreicht werden, wenn die Seelenverfassung auf ›Mischung‹ beruht.47 Was für das Seelenganze gilt, trifft auch für seine Teile zu: Wie das Verhalten von Tragödienzuschauern zeigt, die »sich zugleich freuen, während sie Tränen vergießen«48, ist in der Lust immer auch ein Moment der Unlust enthalten. Was für negative Gefühle bei der Tragödie plausibel klingt und von Protarchos problemlos akzeptiert wird, erscheint in bezug auf das Lachen als Antwort auf die Scherze einer Komödie schwer nachvollziehbar. Die Verständnisprobleme seines Gesprächspartners zwingen zu einer ausführlichen Darstellung. Sokrates erklärt das gleichzeitige Auftreten von Lust und Unlust am Beispiel des : ___________ 44

Platon: Philebos. ( ) (Platon: Werke Bd. III 2), Übersetzung und Kommentar von D. Frede. Göttingen 1997 [Philebos]. Die Chronologie der Werke Platons ist teilweise umstritten, relativ sicher ist jedoch die Zuordnung von Staat und Phaidros zur mittleren Schaffensperiode. Der Philebos-Dialog wird als Spätwerk angesehen, die Gesetze allgemein als letzte Schrift Platons anerkannt, die dieser wahrscheinlich nicht selbst vollendet hat (Cf. Dihle, S. 210f; Neumann, S. 35). 45 Philebos 11b. Die Übersetzung ›Lust‹ für griechisch ! kann schnell zu Mißverständnissen führen, vor allem aufgrund des Plurals ›Lüste‹, der in diesem Fall unpassende Assoziationen weckt. Platon meint mit ! wohl jede Art positiven Gefühls, ebenso wie er mit " alles Negative bezeichnet (Cf. Philebos, Anmerkung der Übersetzerin, S. 13, Nr. 1). 46 Philebos 20ff, dazu Hartmann, S. 176. 47 Philebos 25a-e, dazu Mader, S. 16. 48 Philebos 48a.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen SO: Mit dem Wort ›Mißgunst‹, das wir gerade benutzt haben, würdest du damit eine Unlust der Seele bezeichnen, [...] ? [...] SO: Mißgünstig ist jemand, der sich über ein Übel freut, das seinen Nächsten befällt. [...] SO: Ein Übel ist aber die Unwissenheit und auch der Zustand, den wir Dummheit nennen. [...] SO: Zieh daraus deine Schlüsse über die Natur des Lächerlichen. [...] SO: Es ist, kurz gesagt, eine Schwäche, deren Namen von einer bestimmten Verfassung abgeleitet ist. Von allen schlechten Eigenschaften ist sie diejenige, die genau das Gegenteil von dem darstellt, was die Schrift von Delphi sagt. PRO: Meinst du den Spruch ›Erkenne dich selbst‹, Sokrates? 49

Mangelnde Selbsterkenntnis wird hier als lächerlich qualifiziert und im weiteren Verlauf der Unterhaltung näher erläutert: SO: Wollen wir Scheinwissen, eingebildete Schönheit und was wir sonst eben durchgegangen sind [...], bei unseren Freunden als lächerlich bezeichnen, wenn sie mit Schwäche verbunden sind, als hassenswert dagegen, wenn sie mit Stärke einhergehen. Wollen wir also [...] diesen Zustand bei den Freunden als lächerlich bezeichnen, wenn er sich als harmlos für andere erweist, oder nicht? [...] SO: Aus dieser Überlegung ergibt sich, daß unserer Mißgunst Lust beigemischt ist, wenn wir darüber lachen, daß sich unsere Freunde lächerlich machen, so daß sich Lust mit Unlust mischt. Haben wir doch vorhin die Mißgunst als Unlust, das Lachen aber als Lust bezeichnet. [...]50

Die Betrachtung der Reaktion auf das Leid des anderen ist hier losgelöst von den Vorbehalten des Philosophen gegenüber der Dichtkunst.51 Das Empfinden von Lust in Verbindung mit − berechtigter − Unlust wird hier als seelische ___________ 49 Philebos 48bc.  wird üblicherweise mit Neid übersetzt. Da es Platon hier jedoch nicht allein um das Nichtgönnen von etwas Gutem geht, sondern um grundsätzliches Übelwollen, erhält  hier die Bedeutung von Schadenfreude. Der Autor setzt diese Gesinnung aber mit einer allgemeinen Unlust der Seele gleich, die Übersetzung Schadenfreude würde also das positive Element zu sehr betonen (Cf. Philebos, Anmerkung der Übersetzerin, S. 62, Nr. 72 sowie Kommentar S. 286/287). 50 Philebos 49e-50a. Das Beispiel des  steht stellvertretend für den Beweis der gemischten Natur der Emotionen (Philebos 47d-50e). Sokrates geht davon aus, daß eine Untersuchung, die in Hinblick auf die Freude am Lächerlichen plausibel erscheint, auch die Mischnatur anderer Gefühle hinreichend erklärt (Cf. Philebos, Kommentar, S. 290, ebenso Mader, S. 17). R. Descartes wird diesen Gedanken der beigemischten Unlust wieder aufnehmen. Wie Platon sieht er diese Verbindung der Gefühle als Voraussetzung für das Lachen: »Or qu’il semble que le rire soit un des principaux signes de la joie, elle ne peut toutefois le causer que lorsqu’elle est seulement médiocre et qu’il y a quelque admiration ou quelque haine mêlée avec elle«; R. Descartes: Les passions de l’âme. Introduction, notes, bibliographie et chronologie par P. d’Arcy. Paris 1996, S. 174, Article 125: »Pourquoi il n’accompagne point les plus grands joies« [Les passions]. 51 Obwohl die Diskussion über das Lächerliche vom Beispiel der Komödie ausgeht. Sie gelangt aber bald auf die Ebene des Allgemeinmenschlichen.

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Mangelerscheinung interpretiert, die jedoch vom Menschen selber nicht als solche wahrgenommen wird. Die angenehme Empfindung des Lustgefühls verleitet dazu, immer wieder Gelegenheiten zu suchen, um es erleben zu können, »nicht nur auf der Bühne, sondern auch in jeder Tragödie oder Komödie des Lebens«52. Das Lachen über Lächerliches erfährt im Philebos keinerlei moralische Beurteilung. Platon konstatiert lediglich, daß es gerechte wie ungerechte Lust und Unlust gibt und nennt dafür auch Beispiele: SO: Es ist aber keineswegs unrecht oder ein Zeichen von Mißgunst, sich über das Mißgeschick unserer Feinde zu freuen? [...] SO: Das Unglück der Freunde ungerührt mitanzusehen oder sich gar noch darüber zu freuen, ist dagegen unrecht?53

Ebenso wenig bietet Platon Besserungsvorschläge an, er nimmt den ›stetigen Wettkampf‹54 unter den Menschen, der jede Harmonie − und damit letztlich auch die Verwirklichung seiner Idealstaatsidee unmöglich machen würde − als gegeben hin. Im Gemeinwesen, das Platon den Lakedaimonier Megillos, den Kreter Kleinias sowie einen Gastfreund aus Athen während ihres Spaziergangs zum Zeusheiligtum entwerfen läßt, herrschen nicht mehr die Philosophen, sondern die Gesetze – Nomoi55. Diese beinhalten sowohl Vorschriften in bezug auf den äußeren Rahmen des Staates, wie Wahl und Aufgabe der Staatsbeamten oder Landesverteidigung, als auch Normen, die das Zusammenleben der Bürger ___________ 52 Philebos 50b. Aus diesen Aussagen läßt sich natürlich die Botschaft herauslesen, daß es sich nicht ziemt, über bestimmte Gegenstände zu lachen. Hier findet sich also erneut nicht nur Demokrits Idee des verletzenden Verlachens wieder, sondern auch der Gedanke herrschender Konventionen, wie sie auch heutzutage noch Gültigkeit besitzen (Cf. Philebos; Kommentar, S. 289). 53 Philebos 49d. 54 H. G. Gadamer hat diesen Aspekt sehr treffend als ›Konkurrenzsorge‹ bezeichnet: d. h. »die Sorge um das Voraussein vor dem anderen, bzw. um das nicht zurück sein hinter dem anderem, wobei eine Bekümmerung um das eigene Sein zum anderen nur stattfindet, wenn man mit ihm in einer gewissen Gemeinsamkeit steht. Die Kehrseite der Mißgunst, die Schadenfreude ist fundiert in der Konkurrenz, und dieses Fundament ist nicht einfach dahin zu begreifen, daß wir sonst mißgünstig sind und so entsprechend jetzt bei seinem Unglück schadenfroh sind, sondern unsere Schadenfreude ist selbst eine Erscheinungsform derselben grundlegenden Konkurrenzsorge, die sich gegenüber dem Glück des Freundes als Mißgunst äußert. [...] Gerade weil sich im schadenfrohen Gelächter diese Sorge erleichtert und vergißt, ist das Gelächter so maßlos.« (H. G. Gadamer: »Platos dialektische Ethik. Phänomenologische Interpretationen zum Philebos«, in: H. G. Gadamer: Platos dialektische Ethik und andere Studien zur platonischen Philosophie. Hamburg 1968, S. 149/150). 55 Cf. Gesetze II, 715d. Die Entscheidung für die Regierung durch festgeschriebenes Recht im Gegensatz zur Philosophenherrschaft erklärt sich durch die Erkenntnis, daß der Vorsteher des im Staat beschriebenen Staates, die ihm angetragenen Aufgaben gar nicht erfüllen könnte, »weil er mehr zu leisten hätte, als es menschengemäß wäre« (Neumann, S. 110).

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

betreffen. Den Erziehungsregeln kommt innerhalb dieses Gesetzeskorpus’ eine wichtige Rolle zu. Ziel aller Vorschriften ist, daß »die Bürger so glücklich und so befreundet untereinander werden wie möglich.«56 Nur wenn die Menschen in relativer Eintracht zusammen leben, kann der Staat funktionieren. Die richtige Erziehung trägt − neben einer gleichmäßigen Verteilung der Güter − zum Glück der Bürger bei.57 Dieses Erziehungsziel unterscheidet sich wesentlich von den bisher entwickelten Konzepten: In den Gesetzen steht nicht mehr die Frage nach dem Wesen der vollkommenen Gerechtigkeit, sondern die Zufriedenheit aller im Vordergrund. Um diese zu erreichen greift Platon auf einen Gedanken zurück, den er bereits im Philebos geäußert hat: Um glücklich sein, benötigt der Mensch neben der Arbeit auch Augenblicke der Erholung.58 Der Staat verbürgt sich dafür, daß jeder die ihm entsprechende Art der Entspannung genießen kann: Allerwärts müssen die Jünglinge Turnschulen anlegen zu ihrem Nutzen und dem der Greise, in dem sie [...] für [...] dem Greisenalter zusagende Bäder sorgen, zum Vorteil an Krankheiten leidender und freundlich die durch die Anstrengungen des Ackerbaus Angegriffenen aufnehmend [...] Dies also und alles Derartige dürfte solchen Stellen zum Schmuck und Nutzen gereichen mit nicht unergötzlicher Kurzweil.59

Wesentliches Kennzeichen dieser Erholungsphasen ist die gleichzeitige Gegenwart von Ernst und Scherz. Geschieht etwas »ohne Leidenschaftlichkeit und scherzend«60, ist es im Rahmen der  gestattet, egal ob es sich dabei um die Aufführung von Lustspielen oder die Darbietung von Versdichtungen handelt. Ernst gemeinter, verletzender Spott hingegen ist verboten.61 Die gesetzliche Festlegung »nicht unergötzlicher Kurzweil« hat oft zu der Annahme geführt, Komödie und Lachen seien im Staat verboten, in den Gesetzen dagegen erlaubt gewesen.62 Diese Feststellung ist jedoch nicht haltbar. Bei näherem Hinsehen wird nämlich deutlich, daß sich die Einstellung Platons nicht wesentlich verändert hat. Der Philosoph läßt das Lachen nämlich nur im begrenzten Bereich der  zu. Auch dort ist es weiterhin verpönt, den Affekten freien Lauf zu lassen: ___________ 56

Gesetze V, 743c. Cf. Neumann, S. 110/111, ebenso Dihle, S. 220. 58 Philebos 30a: »SO: Der Scherz dient manchmal zur Erholung von der Ernsthaftigkeit, Protarchos«. 59 Gesetze XI, 761d. Zur Bestimmung dieser Einrichtungen cf. L. Radermacher: Weinen und Lachen. Studien über antikes Lebensgefühl. Darmstadt 1969, S. 90f [Radermacher]. 60 Gesetze XI, 935e. 61 Cf. Gesetze XI, 935d-e, Mader, S. 45. 62 Cf. Mader, S. 45. 57

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Es ziemt sich, übermäßigen Lachens und Weinens sich zu enthalten − dazu muß jeder jeden ermahnen − und jede ausgelassene Freude, jeden übertriebenen Schmerz zu verbergen und sich zu bemühen, das Wohlanständige zu beobachten. 63

Die Erlaubnis, in Augenblicken der Erholung Komödienaufführungen und ähnlichem beizuwohnen, ist darüber hinaus eine Erziehungsmaßnahme: Die Nachbildungen häßlicher Gestalten und Gesinnungen, und die Scherzgebilde solcher, welche Lachen zu erregen bemüht sind, die in Worten, Gesang und Tanz und allen derartigen Nachbildungen das Lustspiel darstellen, diese mitanzuschauen und kennenzulernen ist notwendig; denn das Ernste ist ohne das Lächerliche, sowie das Lächerliche, wenn jemand zur Einsicht gelangen will, von allen Entgegengesetzten keines ohne das ihm Entgegengesetzte zu begreifen, doch nach beider Weise zu handeln, ist, wenn jemand sich nur einigermaßen tugendhaft bewähren will, nicht möglich; eben deswegen muß man jedoch beides kennenlernen, aus Unbekanntschaft damit, Lächerliches zu tun oder zu sagen, obwohl man es nicht darf.64

Die Äußerungen Platons in seinem Alterswerk liegen dementsprechend auf verschiedenen Ebenen. Während er zum einen das Lächerliche, wohl auch auf der Basis der Erkenntnisse des Philebos weiterhin ablehnt, akzeptiert er zum anderen, daß die Menschen »das Mehr-sich-Freuen, aber Weniger-betrübt-Sein während des ganzen Lebens zu erreichen suchen«65, was einer natürlichen Disposition zu Spiel und Scherz gleichkommt. Er hofft jedoch, daß der Wunsch, ein tugendhaftes und einem freien Menschen würdiges Leben zu führen, die Lachlust in angemessenen Grenzen hält. Die bereits von Demokrit angeregte Zweigleisigkeit bei der Beschäftigung mit dem Lachen wird also von Platon fortgeführt und mit einem theoretischen Unterbau versehen. Sein Schüler Aristoteles wird die Diskussion vor allem um die rhetorische Perspektive erweitern. Konnte man die platonische Auseinandersetzung anhand der − wenn auch unsicheren − Werkchronologie nachvollziehen, so kommt bei der Darstellung der aristotelischen Vorstellungen nur eine ___________ 63 Gesetze V, 732c. Die Aufführung von Lustspielen oblag dementsprechend auch den Personen im Staat, die diesem Verhaltenskodex nicht unterlagen (i. e. »Sklaven und um Lohn gedungene Fremdlinge« Gesetze VII, 816e). 64 Gesetze VI, 816f. 65 Gesetze V, 733a. Der Gedanke durch die Erfahrung am eigenen Leibe den richtigen Umgang mit so heiklen Dingen wie Scherz und Spott zu lernen, ist in der Antike nicht ungewöhnlich. Der mythische Gesetzgeber von Sparta − Heimat des Gesprächsteilnehmers Megillos − nennt die Syskenien (Speisegemeinschaften) einen Ort, an dem man mit solchen Verhaltensweisen konfrontiert wird: »Même les enfants assistaient souvent à ses repas; on les menait comme à une école de tempérance, ils y entendaient parler de la politique et y assistaient à des amusements dignes d’hommes libres; ils s’habituaient eux-mêmes à plaisanter et à railler sans mauvais goût et à subir la raillerie sans se fâcher« (Cf. Plutarque: Vie de Lycurgue, in: Vies I (ThéséeRomulus/Lycurgue-Numa) Gr./frç., texte établi et traduit par R. Flacelière, É. Chambry, M. Juneaux. Revu et corrigé par J. Irigoin. Paris 31993, S. 109-166, 12, 6 [Plutarque/Lycurgue]).

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

thematische Vorgehensweise in Betracht.66 Das Fehlen der exoterischen Schriften des Stagiriten und die erst posthume Zusammenstellung und Edition der esoterischen Werke machen es quasi unmöglich, eine Chronologie zu entwickeln, die zudem für das Verständnis des aristotelischen Denkens von »verhältnismäßig geringer Bedeutung ist«67. Zwei der wohl bekanntesten, weil einprägsamsten Formulierungen des Aristoteles − er kennzeichnet den Menschen als »  # $% & ' «68 sowie als »$%  «69 − können als Ausgangspunkt der Analyse dienen, da sie sich zum einen auf die Natur des Einzelmenschen, zum anderen auf das Individuum in der Gesellschaft beziehen. Die Bezeichnung des Menschen als »  # $% & ' « steht in der Abhandlung Über die Teile der Tiere im Rahmen der anatomischen und physiologischen Beschreibung der Eingeweide, im Abschnitt über die Funktion des Zwerchfells.70 Dieses fungiert nach Meinung des Philosophen als »espèce de barrage et de cloture, et elle a séparé la partie noble de celle qui l’est moins«71, das heißt also, es trennt den Bereich des Denkens und der Emotionen von allem rein Körperlichem, Niedrigen, wie Nahrungsaufnahme und Ausscheidungen.72 Eine Reizung dieser natürlichen Grenze bewirkt Lachen. Das Zwerchfell als ›für das Lachen verantwortliches Organ‹ hat durch seine Lage im Körper an beiden Bereichen teil. Das führt dazu, daß beim Menschen sowohl Witze, die auf der Ebene des Intellektes angesiedelt sind und − wie wir sehen werden − auf rhetorischem Gebiet eine große Rolle spielen, als auch kör___________ 66

Cf. z. B. die Einteilung in Sprach- (Dazu gehören auch die Schriften über Rhetorik und Dichtkunst), Natur- (Werke zur Physik, Biologie und Psychologie), Erste- (Metaphysik) und Sozialphilosophie (Ethik und Politik), die E. R. Sandvoss vornimmt (E. R. Sandvoss: Aristoteles. Stuttgart 1981, S. 87ff [Sandvoss]). Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die Reihenfolge nicht etwa willkürlich gewählt wurde, sondern sich am aristotelischen Erkenntnisweg orientiert. Der praktischen Philosophie − Ethik und Politik − geht die Entscheidung voraus, die wiederum auf theoretischen Überlegungen fußt (Sandvoss, S. 135). 67 I. Düring: Aristoteles. Darstellung und Interpretation seines Denkens. Heidelberg 1966, S. 593. 68 Aristoteles: Les parties des animaux (De partibus animalium) Gr./frç., texte établi et traduit par P. Louis, Paris 1956, III, 10; 672b [Parties]. 69 Aristoteles: Politik. (( )) Eingel., übers. und komm. von O. Gigon. Stuttgart, Zürich 21971, I. 2; 1353a [Politik]. $%   wird hier als »von Natur aus [...] staatenbildendes Lebewesen« übersetzt, d. h. also als Wesen, dessen Natur es entspricht, in Gemeinschaft mit anderen zu leben. Die Formulierung findet sich ebenfalls in der Nikomachischen Ethik: »da ja der Mensch seiner Natur nach in Gemeinschaft lebt« (Aristoteles: Nikomachische Ethik. ( !)  Gr./dt. Übers. von O. Gigon, neu hrsg. von R. Nickel. Düsseldorf, Zürich 2001, I, 5; 1097b [Eth. Nic.]. 70 Parties III, 10; 672ab. 71 Parties III, 10; 672b. 72 Cf. Hartmann, S. 183.

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perliche Reize wie das Kitzeln Lachen hervorrufen.73 Der offensichtliche Zusammenhang zwischen einer Reizung des Zwerchfells (durch Kitzeln) und dem Lachen − hält man sich nicht oft genug vor Lachen die Seiten − hat wohl dazu geführt, daß dieser Zusammenhang Eingang in die Problemata physica74 fand, ein zwar Aristoteles zugeschriebenes, im Grunde jedoch erst durch die Peripatetiker als Summe des naturwissenschaftlichen Wissens der Schule zusammengestelltes Kompendium.75 Buch XXXV fragt nach den »Wirkungen der Berührungen«: Warum kann niemand sich selbst kitzeln? Doch wohl, weil man sich auch von einem anderen weniger (gekitzelt fühlt), wenn man es vorher merkt, mehr aber, wenn man es nicht voraussieht. [...] Deshalb lacht man auch, wenn einem (unversehens) auf das Zwerchfell geschlagen wird. Denn es ist nicht eine beliebige Stelle, durch die man lacht. Das Heimliche aber geht darauf aus, zu täuschen. Auf diese Weise also entsteht das Lachen [...].76

Die Information hinsichtlich der physiologischen Wirkungskette wird hier durch einen interessanten Aspekt erweitert: den Moment des Unerwarteten, der notwendig ist, um Lachen hervorzurufen. Bereits in der Nikomachischen Ethik hatte Aristoteles erwähnt, daß man durch entsprechende Einstimmung oder Vorbereitung verhindern kann, von Leidenschaften übermannt zu werden.77 Der Überraschungseffekt spielt jedoch nicht nur in bezug auf das Auslösen des körperlichen Lachreizes eine Rolle, sondern auch hinsichtlich des Wortwitzes, also wiederum im Bereich der Rhetorik. Cicero weist im De oratore explizit darauf hin: Sed scitis esse notissimum ridiculi genus, cum aliud expectamus, aliud dicitur: Hic nobismet ipsis noster error risum movet.78

Das Diktum vom ›  # $% & ' ‹ hat in der Folgezeit eine Vielzahl von Autoren zu Interpretationen und Wiederaufnahmen gereizt. Dabei hat die rein ›naturwissenschaftliche‹ Aussage des Philosophen oft genug eine philosophische Umdeutung erfahren.79 Daß das Lachen schließlich als ontolo___________ 73 Diese Deutung mag auch bei der Unterscheidung von »Komik der Heraufsetzung« und »Komik der Herabsetzung« eine Rolle spielen, cf. dazu Kapitel 4. 74 Aristoteles: Problemata physica. Übers. von H. Flashar. (Aristoteles Werke in dt. Übersetzung, hrsg. von E. Grumach, Bd. 19) Darmstadt 1962 [Problemata]. Der deutsche Titel *Probleme führt leicht zu Mißverständnissen, deshalb wird hier grundsätzlich darauf verzichtet, ihn zu verwenden. 75 Cf. Problemata, Einleitung des Übersetzers, S. 295- 384, hier S. 326. 76 Problemata XXXV, 6; 965a. 77 Cf. Eth. Nic VII, 8; 1150b. 78 De orat. II, 255. Die Bedeutung des ›Unerwarteten‹ wird im Rahmen der Auseinandersetzung mit Ciceros Schriften näher beleuchtet (S. 49f.). 79 So betrachtet zum Beispiel Boethius im In Isagogen Porphyrii Commenta das Lachen als Vorrecht des denkenden Menschen: »est autem genus quidem ut animal, species vero ut homo, differentia autem ut rationale, proprium ut risibile, accidens ut album,

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

gisches Merkmal betrachtet wurde, zeigt die Formulierung François Rabelais’. In der Widmung Aux lecteurs zu seinem Gargantua schreibt er: Mieux est de ris que de larmes escripre Pour ce que rire est le propre de l’homme.80

Das aristotelische Diktum, das seinen hohen Bekanntheitsgrad wohl auch dem Zutun Rabelais’ zu verdanken hat, wird hier als Aussage verstanden, die das Wesen des Menschen im Unterschied zum Tier beschreibt.81 Die Bezeichnung des Menschen als »  # $% & ' « läßt sich mit einer Reihe anderer Bemerkungen in Über die Teile der Tiere in Zusammenhang setzen, in denen es ebenfalls darum geht, den Menschen vom Tier abzugrenzen: L’homme, au lieu des pattes et des pieds de devant, possède des bras et ce qu’on appelle les mains. Car il (l’homme) est le seul des animaux à se tenir droit parce que sa nature et son essence sont divines.82

___________ nigrum sedere« (Anicii Manlii Severini Boethii: In Isagogen Porphyrii Commenta. Copiis a G. Schepps comparatis suisque usus recensit S. Brandt. Leipzig/Wien 1906, Editionis secundae II, 5; 13). Diesen Gedanken nimmt noch im 20. Jahrhundert R. MüllerFreienfels wieder auf »Der Grund, das nur der Mensch lacht ist der, daß nur der Mensch ›Geist‹ hat, womit ich ganz allgemein die Fähigkeit des Menschen bezeichne, die Welt nicht nur in ihrer konkreten Gegebenheit zu erleben, sondern sich in Abstraktion über die konkrete Wirklichkeit zu stellen« (R. Müller-Freienfels: Das Lachen und das Lächeln. Komik und Humor als wissenschaftliche Probleme, Bonn 1948, S. 14 [MüllerFreienfels]). Das Lachen als natürliche Lebensäußerung des Menschen bleibt davon unberührt. Zur Aristotelesrezeption im Mittelalter cf. R. Heinzmann: Philosophie des Mittelalters. Stuttgart 21998, S. 144ff [Heinzmann], zur Wiederaufnahme des Diktums vom ›  # $% & ' ‹ cf. J. Suchomski: ›Delectatio‹ und ›Utilitas‹. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur. Bern, München 1975, S. 10 [Suchomski] sowie G. Minois: Histoire du rire et de la dérision. Paris 2001, S. 125 [Minois]. Zur Auseinandersetzung Thomas’ von Aquin mit den ethischen Büchern des Stagiriten cf. S. 86f. 80 F. Rabelais: La vie très horrific du Grand Gargantua/Père de Pantagruel, in: F. Rabelais: Œuvres complètes I. Introduction, notes, bibliographie et relevé de variantes par P. Jourda. Paris 21982, S. 3-210, hier S. 3. Zur Bedeutung des Diktums im Gesamtzusammenhang der Pentalogie Rabelais’ cf. M. Moog-Grünewald: »›Pour ce que rire est le propre de l’homme‹: Zu einer Anthropologie des Lachens in der französischen Renaissance«, in: Fietz e. a., S. 154-167. 81 Cf. dazu die Wiederaufnahme des Diktums durch B. Castiglione im Cortegiano: »che per descriver l’omo si suol dir che egli è un animal risibile« (Cf. Il Cortegiano del Conte Baldesar Castiglione. Annotato e illustrato da V. Cian. Florenz 31929, II, XLV, 18 [Cortegiano] Die erste römische Ziffer gibt das Buch an, die zweite das Kapitel, die arabischen Ziffern die Zeilen). Nach Cian ist diese Aussage ganz im Sinne von Aristoteles zu lesen: »risibile: nel senso attivo di atto, inclinato al riso«. Castiglione spielt also nur auf die menschliche Fähigkeit zu lachen an. (Cf. Cian, Anm. zu Cortegiano, II, XLV, 18). 82 Parties IV, 10; 686a, weitere z. B. Poetik IV, 1448b »Da nun das Nachahmen unserer Natur gemäß ist«.

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W. Hartmann weist zu Recht darauf hin, daß diese Aussagen, die alle dazu dienen, die Überlegenheit des Menschen gegenüber anderen Lebewesen zu legitimieren, substanzlos sind. Denn ein Vergleich von Mensch und Tier ist hier wie die Gegenüberstellung von Äpfel und Birnen: Sie führt zu nichts außer zu dem Ergebnis, daß Unterschiede vorliegen, daraus Schlüsse über das Sein des Menschen ableiten zu wollen, ist unmöglich.83 Die dargelegte mangelnde Aussagekraft des aristotelischen Diktums führt zu der Frage, welche Bedeutung der Philosoph ihr selbst beigemessen hat. Unabhängig von der bereits oben erwähnten Intention aller Aussagen dieses Typs, mag Aristoteles, wie schon vorher sein Lehrer Platon, das Lachen als natürliche Lebensäußerung des Menschen empfunden haben. Dafür sprechen auch die Bemerkungen in Über die Fortpflanzung der Tiere hinsichtlich der angeborenen Fähigkeit zu lachen.84 Die Beschränkungen, die Aristoteles dem Lachen in seinen Werken auferlegt, erfolgen also alle auf der Basis einer neutralen, wenn nicht positiven Einstellung, und ergeben sich aus einer weiteren Grundtatsache menschlichen Daseins: Das Leben in Gemeinschaft mit anderen Individuen. Diesem widmet sich der Philosoph vornehmlich in seinen Werken zur Ethik und Staatsphilosophie. Aber auch in seiner dichtungstheoretischen Abhandlung – der sogenannten Poetik85 – sowie in den unter dem Titel Rhetorik86 zusammengefaßten Schriften wird das Lachen, das entsteht, wenn mehrere Menschen miteinander leben, thematisiert. Spätestens seit Umberto Ecos Il nome della rosa ist hinreichend bekannt, daß der Abschnitt der Poetik, in dem von der »Kunst, die in Hexametern nachahmt, und von der Komödie«87, die Rede sein wird, nicht mehr existiert.88 Eini___________ 83

Cf. Hartmann, S. 187. Aristoteles: De la génération des animaux. (De generatione animalium) Gr./frç., texte établi et traduit par P. Louis, Paris 1961, V, 1, 779a. 85 Aristoteles: Poetik. ( +  ) Gr./dt. Übers. und hrsg. von M. Fuhrmann. Stuttgart 1982 [Poetik]. 86 Aristoteles: Rhetorik. (( , !) Übers. und hrsg. von G. Krapinger. Stuttgart 1999 [Rhet.]. 87 Poetik 6; 1450a. 88 Cf. U. Eco: Il nome della rosa. Mailand 1980 [Il nome]. Das zweite Buch der Poetik fällt in Ecos Roman einem Flammeninferno zum Opfer (S. 486/487) Ausgelöst wurde dies durch den Bibliothekar Jorge, der hoffte, durch die Zerstörung des Buches unterbinden zu können, daß die Haltung der Kirche dem Lachen gegenüber wesentlich verändert würde. Dies war bereits in Folge der Entdeckung anderer Schriften des Stagiriten geschehen (Cf. Il nome, S. 477; daß seine Sorge berechtigt war, zeigt das Beispiel der Nikomachischen Ethik. Diese wurde zu Beginn des 13. Jahrhundert aufgefunden und trug wesentlich zu einer Neubewertung des Lachens durch Thomas von Aquin bei, cf. S. 86f). Die Einstellung des Mönchs spiegelt die Lachfeindlichkeit wider, die im Mittelalter von weiten Teilen der ›Amtskirche‹ vertreten wurde (Cf. Kapitel 2. b)). Zu Ecos Roman cf. S. 149f.). Die Frage, ob der die Komödie betreffende Teil wirklich verloren gegangen ist oder vielleicht nie existiert hat, wird in der Forschung kontrovers disku84

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ge Hinweise zur Komödie sind dennoch vorhanden. Diese finden sich in den ersten Kapiteln mit einleitendem Charakter. Beschäftigt man sich mit den aristotelischen Aussagen zur Komödie, so sollte man berücksichtigen, daß diese nicht wie die seines Lehrers in philosophische Gespräche eingebettet sind, sondern Teil einer theoretischen Abhandlung, die sich im wesentlichen mit der Tragödie auseinandersetzt. Das Wesen des Lustspiels wird dementsprechend per Umkehrschluß anhand des Trauerspielmodells erarbeitet. Hier wie dort steht nicht die Ursache, sondern die Wirkung im Mittelpunkt, moralische Gesichtspunkte werden nicht diskutiert, weil sie innerhalb der Dichtungstheorie nicht von Interesse sind: Die Komödie ist, wie wir sagten, Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht in Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit als das Lächerliche am Häßlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht.89

Platon wollte die Menschen stets vor den negativen Folgen der Komödie schützen. Aristoteles hingegen scheint deren Effekte quasi zu bagatellisieren. Lächerlich ist nur ›was nicht weh tut‹, also keine direkten Auswirkungen auf die Menschen hat. Grundlage dieses Postulats der Unschädlichkeit ist die Mimesiskonzeption des Philosophen. Für Aristoteles ahmt das Geschehen auf der Bühne zwar das Leben nach, dennoch trennt er sorgfältig zwischen der ›gefährlichen‹ Realität und deren ›ungefährlicher‹ Darstellung auf der Bühne. Konsequenterweise ist bei ihm dann auch nicht das Gesicht einer Person, sondern die Maske eines Darstellers von Schmerzen gezeichnet.90 Der Zuschauer ist sich dementsprechend der Fiktionalität des Lächerlichen wie des Tragischen zu jeder Zeit bewußt.91 Bei einem Trauerspiel ist die Nicht-Wirklichkeit des Bühnengeschehens eng mit dem Empfinden von  und -  und der anschließenden Auflösung dieses Affektstaus verknüpft. Nur wenn der Zuschauer ___________ tiert, ist aber für unseren Zusammenhang nicht von Bedeutung. Es sei jedoch an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß auch das erhaltene erste Buch im 14. Jahrhundert nicht zur Verfügung stand, Boccaccio und seine Zeitgenossen sich also nicht auf die dort vorhandenen Aussagen stützen konnten. Wenn im folgenden einige Passagen aus der Poetik analysiert werden, so ist dies vor allem wirkungsgeschichtlich motiviert. Es ist nämlich davon auszugehen, daß die Aussagen des Aristoteles andere Autoren in ihrer Beurteilung beeinflußt haben, bevor man das Werk aus den Augen verlor. 89 Poetik 5; 1449b. 90 Poetik 5; 1449b: »wie ja auch die lächerliche Maske häßlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz«. 91 Cf. H. Flashar: »Aristoteles, das Lachen und die alte Komödie«, in: Jäkel/Timonen S. 59-70, hier S. 60 [Flashar, in: Jäkel/Timonen]. Die hier dargestellte Konzeption widerspricht also der Vorstellung vom Welttheater, theatrum mundi, (Cf. Philebos 50b, Gesetze, VII, 817b), die von Autoren wie z. B. William Shakespeare in: As you like it (1599/1623) oder Pedro Calderón de la Barca in: El gran teatro del mundo (1641/1655) wieder aufgenommen wurde.

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diese emotionale Entlastung erlebt hat, kann er gereinigt − der medizinische Begriff )  wird hier im übertragenen Sinne verwendet − das Theater verlassen.92 Unschädlichkeit und Fiktionalität der Komödie hingegen führen dazu, daß etwaige moralische Zweifel über die Legitimität des Lachens gar nicht erst aufkommen, der Zuschauer sich also ganz dem Vergnügen hingeben kann.93 Das Lachen hat dementsprechend ebenfalls Entlastungsfunktion, die jedoch nicht mit der Wirkung der Tragödie vergleichbar ist, sondern eher dem  -Konzept entspricht. Ob es eher Platons Entwurf einer Reformrhetorik im Phaidros94 oder aber die eigenen positiven Erfahrungen im Rahmen des akademischen Unterrichts waren, die Aristoteles dazu geführt haben, sich intensiv mit der Rhetorik auseinanderzusetzen, ist schwerlich zu sagen. Sicher ist jedoch, daß es dem Stagiriten gelang, die Redekunst von ihrem schlechten Ruf zu befreien, der ihr seit der Zeit der Sophisten anhaftete.95 Darüber hinaus erhält die Rhetorik dank Aristoteles den Status einer   und wird zur Schwesterwissenschaft der Dialektik ernannt.96 Nicht nur der Antwortcharakter der unter dem Titel Rhetorik zusammengefaßten Schriften – Aristoteles thematisiert im ersten Buch eine Vielzahl der von Platon vor allem im Phaidros angesprochenen Kritikpunkte97 – sondern auch verschiedene Hinweise auf die Poetik98 lassen darauf schließen, daß die Gedanken zur Redekunst erst relativ spät zusammengetragen wurden.99 Aristoteles definiert die Rhetorik als »Fähigkeit, das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen«100, überzeugender Sachverhalt, Redner und ___________ 92

22. 93

Cf. H.-D. Gelfert: Die Tragödie. Theorie und Geschichte. Göttingen 1995, S. 15-

Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß es zu Lebzeiten von Aristoteles an der Tagesordnung war, über Behinderte oder geistig verwirrte Menschen offen zu lachen (Cf. Minois, S. 61). Zur für modernes Empfinden deutlich nach oben verschobenen Toleranzgrenze in bezug auf das Lachen über körperlich oder geistig Benachteiligte, cf. R. Garland: »The mockery of the Deformed and Desabled in Graeco-Roman Culture«, in: Jäkel/Timonen, S. 73-84. 94 Phraidros 270a-272b. 95 Cf. Neumann, S. 67. 96 Rhet. I, 1; 1354a. Zum Verhältnis von Dialektik und Rhetorik sowie zur Bedeutung des  -Begriffes cf. M. Fuhrmann: Die Dichtungstheorie der Antike. Aristoteles, Horaz, Longin. Darmstadt 21992, S. 81f. Einen guten Überblick über die Gesamtanlage der aristotelischen Rhetorik-Schrift (wie auch über weitere wichtige Werke zur Redekunst) vermittelt J. Knape: Allgemeine Rhetorik. Stationen der Theoriegeschichte. Biobibliographischer Anhang von D. Till. Stuttgart 2000 [Knape]. 97 Cf. Knape, S. 27-34. 98 Cf. Rhet. I, 11; 1372a; III, 1-18; 1404a-1419b. 99 Cf. Sandvoss, S. 100. 100 Rhet. I, 2; 1355b.

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Zuhörer bilden ein Kommunikationsdreieck. Allen Gliedern dieser Verbindung kommen spezifische Aufgaben zu: Von den durch die Rede geschaffenen Überzeugungsmitteln gibt es drei Arten: Sie sind zum einen im Charakter des Redners angelegt, zum anderen in der Absicht, den Zuhörer in eine bestimmte Gefühlslage zu versetzen, zuletzt in der Rede selbst, in dem man etwas nachweist oder zumindest den Anschein erweckt, etwas nachzuweisen.101

Bei dem Versuch, den Zuhörer zu beeinflussen, um ihn der Sache gegenüber günstig zu stimmen, spielen Scherze eine wichtige Rolle: Was Scherze betrifft: Da sie in Debatten einigen Nutzen zu haben scheinen, soll man, so sagte Gorgias, den Ernst der Gegner durch Gelächter, ihr Gelächter durch Ernst zunichte machen − und er hat recht damit. Wie viele Arten von Scherzen es gibt, von denen einer sich für einen freien Mann schickt, ein anderer wieder nicht, darüber haben wir schon in der Poetik gesprochen. Jeder soll hier wählen, was zu ihm paßt! Ironie allerdings entspricht eher einem freien Mann als Possenreißerei, erstere treibt man zur eigenen Erheiterung, letztere zur Belustigung anderer.102

Die zitierte Textpassage beinhaltet drei wesentliche Äußerungen, die eng miteinander verknüpft und für die weitere Auseinandersetzung mit dem Lachen richtungsweisend gewesen sind. Die positive Wirkung eingestreuter Scherze hat wohl jeder schon einmal registriert, der versucht hat, für längere Zeit die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer an sich zu binden. Eine ironische Bemerkung, ein Wortspiel oder eine Anspielung können oft Wunder wirken, wenn es gilt, das Publikum bei Laune zu halten. Das Wissen, daß es in einer solchen Situation dienlich sein kann, die Hörerschaft zum Lachen zu bringen, beruht auf der allgemeinmenschlichen Erfahrung des ›guten Gefühls‹103, das man beim Lachen verspürt und was dazu führt, vorher Bedrückendes (also auch eine uninteressante Rede!) wesentlich gelassener zu ertragen. Eine Folge dieser entspannteren Sichtweise ist auch die Sympathie für den Redner, der mit seinen Scherzen dazu beigetragen hat, die Lage erträglicher zu machen. Eine Konfrontation des beschriebenen Szenarios mit der Realität macht hingegen deutlich, daß oft auch der ein oder andere Scherz eine Rede nicht retten kann. Denn die Verwendung zum Lachen reizender Elemente ist immer eine Gratwanderung, nur zu leicht wird der Redner zum »Possenreißer«. Grund für das Lachen sind dann nicht die Scherze, sondern das (unpassende) Verhalten des Redners. ___________ 101 Rhet. I, 2; 1356a. Aristoteles führt diesen Gedankengang im folgenden Kapitel noch weiter aus. 102 Rhet. III, 18, 7; 1419b. Die Aussage Gorgias’, auf die sich Aristoteles hier bezieht, ist bei Diels/Kranz II, Gorgias 82 B 12 belegt. 103 Cf. dazu auch Rhet. I, 11, 1371b.

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Die richtige Verwendung von Scherzworten wird dementsprechend zu einem vieldiskutierten Problem, dem sich in der Nachfolge Aristoteles’ vor allem Cicero und Quintilian, viele Jahrhunderte später dann auch Castiglione und weitere Verfasser von Anstandsbüchern widmen werden. Die hier skizzierte Traditionslinie soll im Laufe der Arbeit weiter verfolgt werden, da die aufgeworfene Frage in Hinblick auf die Verwendung zum Lachen reizender Elemente im Decameron durchaus von Interesse ist. Der Stagirit spricht in der Rhetorik vom »freien Mann«, der Scherze eher zu seiner eigenen Erheiterung machen soll, denn zur Belustigung anderer.104 Nach zeitgenössischem, griechischen Verständnis ist ein »freier Mann« Bürger einer Polis105, der gängigen politischen Organisationsform im klassischen Zeitalter.106 Die oft demokratisch regierten Stadtstaaten umfaßten nicht nur das städtische Siedlungszentrum, sondern auch das Hinterland. So hatte ein Bauer, dessen Felder an den Grenzen des Machtbereichs lagen, grundsätzlich die gleichen Rechte wie ein Stadtbewohner. Um als potentielles Mitglied der Volksversammlung das politische Tagesgeschehen mitbestimmen zu können, war es einzig notwendig, als Vollbürger registriert zu sein. Es war also gut möglich, daß eine Polis nur ein unbedeutendes Zentrum, dafür aber weite Ländereien hatte, die für die stets angestrebte wirtschaftliche Autarkie unerläßlich waren: politischer Ort war dennoch in jedem Fall die Stadt.107 Hier tagten die Richter und trafen sich die Mitglieder der Volksversammlung. Die Zusammensetzung der Gremien wurde per Los entschieden. War dies geschehen, gab es nur noch eine Möglichkeit, persönliche Macht zu erlangen, um die Geschicke des Staates nach eigenen Vorstellungen zu lenken: die Beeinflussung des Volkes. Männern wie Perikles oder Alkibiades ist es vor allem deshalb gelungen, trotz demokratischer Grundordnung in Athen quasi zu ›Alleinherrschern‹108 zu werden, weil sie es verstanden haben, die Menge durch rhetorisches Geschick von ihren Vorhaben zu überzeugen. Das Bild des geschickten Redners ist somit in der griechischen Vorstellungswelt eng mit der Stadt als dessen Wirkungsstätte verknüpft. Mit der Übernahme hellenistischen Gedankenguts durch den Westen im ___________ 104

Schon Platon hatte die Belustigung anderer, in Form von Komödienaufführungen, zur Aufgabe der Sklaven und der »um Lohn gedungenen Fremdlinge« – als Gegenpart zum freien Mann – gemacht. 105 Cf. Rhet. I, 3; 1358b: »Wer über Künftiges urteilt, ist z. B. Mitglied der Volksversammlung, wer über Vergangenes, z. B. Richter.« Aristoteles verwendet hier Strukturelemente der Polis, um die Redegattungen zu erläutern, die er im weiteren Verlauf der Schrift näher betrachten wird (Cf. dazu Lotze, S. 58-60, ebenso Sandvoss, S. 48). 106 Cf. Lotze, S. 58f. Zu Struktur von Polis und Demokratie cf. W. Dahlheim: Die griechisch-römische Antike. Herrschaft und Freiheit: Die Geschichte der griechischen Stadtstaaten. (Bd. I), Paderborn 21994, S. 42f [Dahlheim I]. 107 Dahlheim I, S. 178f, 184f, Sandvoss, S. 53/54. 108 Dahlheim I, S. 191f, ebenso Lotze, S 56f.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

zweiten vorchristlichen Jahrhundert gelangt diese Idee nach Rom109, wo sie als urbanitas bald einen festen Platz im römischen Wertekatalog erhalten wird. Von Cicero zuerst im De oratore110 festgeschrieben, basiert das Konzept jedoch im wesentlichen auf Gedanken, die Aristoteles bereits in der Nikomachischen Ethik geäußert hatte. In der Rhetorik hatte sich der Stagirit darauf beschränkt, zu konstatieren, daß manche Form des Scherzes besser zu bestimmten Personenkreisen paßt als andere. Einige Jahre später präzisiert er seine Aussage und widmet ein ganzes Kapitel seiner Ethik111 der Beschreibung der angemessenen Art zu scherzen: Wer nun im Komischen übertreibt, wirkt als Possenreißer und als ordinär. Er sucht um jeden Preis das Lächerliche und strebt mehr danach, Lachen zu erregen als etwas passendes zu sagen und die ausgelachte Person nicht zu verletzen. Wer aber selbst niemals scherzt und sich über die Scherzenden ärgert, gilt als ungebildet und steif. Wer endlich angemessen scherzt, heißt gewandt, als einer der sich zu wenden weiß. [...]. Dergleichen scheinen nämlich Bewegungen des Charakters zu sein, und wie man den Körper nach seinen Bewegungen beurteilt, so auch den Charakter. [...] Da aber das Komische das Nächstliegende ist und die meisten sich an Spiel und Scherz mehr freuen, als sie sollen, so gelten auch die Possenreißer als liebenswürdig und werden gewandt genannt. Soll man nun das rechte Scherzen bestimmen als ein Reden, das für einen vornehmen Menschen passt, oder als eines, das den Hörer nicht verletzt, sondern vielmehr amüsiert? [...] Was man also gerne anhört, das wird man wohl auch selbst tun. [...] Der Liebenswürdige und Vornehme wird sich dementsprechend verhalten und gewissermaßen für sich selbst Gesetz sein.112

Wenn sich Aristoteles hier negativ über Personen äußert, die sich gegenüber Scherzenden ablehnend zeigen und er die Freude am Scherzen als natürliche Reaktion des Menschen betrachtet, bricht er eine Lanze für Spiel und Lachen. Er skizziert eine Form des angemessenen, moderaten Scherzens, die als ___________ 109

Nach der bereits 148 v. Chr erfolgten Umwandlung des ehemaligen Königreichs Makedoniens in die römische Provinz Macedonia werden 145 v. Chr. die besiegten Griechenstädte dieser Provinz angegliedert. Von diesem Zeitpunkt an gelangten nicht nur eine Vielzahl materieller Güter aus dem hellenistischen Kulturkreis nach Rom, auch die griechische Philosophie fand Einlaß ins römische Denken und verschmolz mit ihr zu einer Geisteshaltung, die heutzutage als humanitas bezeichnet wird (Cf. W. Dahlheim: Die griechisch-römische Antike. Stadt und Imperium: Die Geschichte Roms und seines Weltreiches. (Bd. II), Paderborn 1992, S. 87f [Dahlheim II]). 110 »Temporis igitur ratio et ipsius dicacitatis moderatio et temperantia et raritas dictorum distinguent oratorem a scurra.« (De orat. II, 247). Die urbanitas wird zudem durch die dargestellte Konversation exemplifiziert. Die sich unterhaltenden Männer verkörpern diese Tugend in idealer Weise. 111 Zahlreiche Querverweise deuten darauf hin, daß die Nikomachische Ethik ein sehr spätes Projekt Aristoteles’ ist und der Text größtenteils von ihm selbst verfaßt wurde (Cf. Sandvoss, S. 135, Dihle, S. 224). 112 Eth. Nic. IV, 14; 1128a. Um diese wie alle folgenden Textpassagen der Nikomachischen Ethik besser in den Gesamtzusammenhang des Werkes einordnen zu können, verweise ich auf die Inhaltsübersicht der von mir verwendeten Ausgabe (S. 532-549).

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"  113 Hörerkreis und Situation berücksichtigt. Die Bestimmung dieser "   als Merkmal einer humanen Gesinnung wird in der Folgezeit ein Hauptanliegen all derer, die sich auf theoretischer Ebene mit dem Lachen auseinandersetzen. Aufgrund der Abhängigkeit des Konzepts von Zeit und Raum wird es notwendig sein, die Angemessenheit stets neu zu definieren.114 Die Bestimmung angemessenen Scherzens beruht bei Aristoteles auf dem bereits von Demokrit empfohlenen moderatio-Prinzip, das heißt des Ausschlusses des Zuviel und des Zuwenig. Die Empfehlung der Mittellage verbindet den Philosophen mit den Ärzten. Die Analyse der heilkundlichen Konzepte von Lachen und gesundem Leben (Kapitel 5. c)) wird zeigen, daß der Gedanke des Aristoteles nicht allein eine Folge seiner familiär begründeten Vertrautheit mit medizinischen Erklärungsmodellen ist115, sondern Ausgewogenheit und besonders die Vermeidung des Übermaßes in der zeitgenössischen Heilkunde weit verbreitet waren. Es mag vielleicht erstaunen, daß der Stagirit in der Nikomachischen Ethik, einer Schrift die sich im wesentlichen mit der Möglichkeit tugendhaften Handelns auseinandersetzt, Lachen und Scherzen Raum gibt. Er legt zwar, wie gezeigt, dem Scherzenden Beschränkungen auf, das Lachen wird jedoch nie grundsätzlich in Frage gestellt, sondern durch seine Entlastungsfunktion legitimiert.116 Daß Spiel und Scherz Erholung bieten, hatte schon Platon erwähnt und von diesem Potential profitiert. Aristoteles verfeinert das Konzept, das in Form der recreatio animi Eingang in die philosophische wie literarische Tradition gefunden hat.117 Dem Stagiriten geht es nicht mehr nur um die Entspannung nach körperlicher Arbeit: ___________ 113 "   als Substantiv zu "   (= »einer, der sich zu wenden weiß«) wäre dementsprechend mit Wohlgewandtheit zu übersetzen. 114 Die Theoretiker der römischen urbanitas – allen voran Cicero – haben dementsprechend eine andere Vorstellung von "   als Aristoteles oder die Verfasser von Anstandsbüchern im Renaissancezeitalter (Cf. dazu G. Ueding: »Rhetorik des Lächerlichen«, in: Fietz e. a., S. 20-36, hier S. 25 [Ueding, in: Fietz e. a.]). 115 Der Vater von Aristoteles war Leibarzt des Makedonenkönigs Amyntas III., cf. Sandvoss, S. 21. 116 »Da es nun im Leben auch eine Erholung gibt und in ihr Unterhaltung und Scherz« (Eth. Nic. IV, 14; 1128a). Ebenso: »Auch der Ausgelassene scheint zügellos zu sein, ist aber in Wirklichkeit weichlich. Denn der Scherz ist eine Lockerung, also eine Art der Erholung. Der darin Übermäßige ist der Ausgelassene.« (Eth. Nic. VII, 8; 1150b). Auch hier denkt Aristoteles wieder in den Kategorien von Zuviel (und Zuwenig). 117 Cf. Kablitz, in: Fietz e. a., S. 129. Seneca nimmt z. B. in De tranquilitate animi den Gedanken ebenso wieder auf (»nec in eadem intentione aequaliter retinenda mens est, sed ad iocos devocanda [...] sed ut antiqui illi viri solebant inter lusum ac festa tempora virilem in modum tripudiare. Danda est animis remissio: meliores acrioresque requieti surgent [...] ita animorum impetus assiduus labor franget; vives recipient paulum resoluti et remissi.« (De tran. an. XVII, 4/5)) wie später Plinius d. Jüngere in

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen Wie wir also schon oft wiederholt haben, wertvoll und genußreich ist das, was dem Guten solches ist. Nun ist jedem diejenige Tätigkeit am liebsten, die seiner eigentümlichen Art entspricht. Dies kann für den Guten nur die der Tugend gemäße Tätigkeit sein. Die Glückseligkeit besteht also nicht im Spiel. [...] Das Spiel ist eine Art von Erholung, und der Erholung bedürfen wir, weil wir nicht ununterbrochen arbeiten können.118

Die Billigung von Scherz und Spiel beruht auf der Anerkennung der Grenzen menschlicher Kraft zu tugendhaftem Handeln. Im Gegensatz zu Platon, der in Hinblick auf die  keinen Unterschied zwischen Sklaven und Freien machte, trennt Aristoteles zwischen primitiver sinnlicher Lust, die alle empfinden können, und einer verfeinerten Art, die den Tugendhaften vorbehalten ist.119 Im Rahmen dieser Erholung – jedoch nicht ausschließlich – findet dann auch die "   breite Anwendung. Neben der breitgefächerten Auseinandersetzung des Aristoteles mit den unterschiedlichen Facetten des Lachen-Könnens und Lachen-Müssens, nimmt sich der Anteil, den Cicero zur Diskussion beigetragen hat, auf den ersten Blick bescheiden aus. Der Wahlrömer120 hat sich fast ausschließlich aus rhetorischer ___________ einem seiner Briefe. »Ut in vita sic in studiis pulcherimum et humanissimum existimo severitatem comitatemque miscere, ne illa in tristitiam, haec in petulantiam excedat. Qua ratione ductus graviora opera lusibus iocisque distinguo« (C. Plini Caecili Secundi: Epistularum libri decem. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit R. A. B. Mynois. Oxford 1963; VIII, XXI, 1-2). Auf die rekreative Wirkung der Poesie weist erstmals Horaz in seinen Carmina hin: »Vos (i. e. Camenae = die Musen) Caesarum altum, militia simul/fessas cohortes abdidit oppidis/finire quaerentem labores/Pierio recreatis antro.« (Q. Horatius Flaccus: Carmina. In: Q. Horatius Flaccus Opera. Edidit D. R. Shackleton Baley. Editio altera. Stuttgart 1991, III, 4, 37-40). Valerius Maximus stellt gar in seiner Sammlung von Facta et Dicta memorabilia (Valerius Maximus: Facta et Dicta memorabilia. Vol. I/II (Vol. I: libri I-VI; Vol. II: libri VII-IX.) Iuli paridis epitoma fragmentum de praenominibus, Ianuari Nepotiani epitoma (Vol. II) Edidit J. Briscoe. Stuttgart, Leipzig 1998 [Facta et Dicta]) im Kapitel De otio (VIII, 8) eine Anzahl von Beispielen berühmter Männer vor, die sich von ihren täglichen Arbeiten erholen, indem sie z. B. Muscheln suchen (»Scipio et Laelius [...] vagos lictoribus conchulas et umbilicos lectitasse« Facta et Dicta, VIII, 8, 1; 13/14) oder Steckenpferdreiten (»Socrates [...] cum interposita harundine cruribus suis cum paruolis filiolis ludens«, Facta et Dicta, VIII, 8, ext. 1; 27/28). Derlei Tätigkeiten unterscheidet der Autor vom einfachen Nichtstun und bewertet sie aufgrund ihrer rekreativen Wirkung positiv: »Otium, quod industriae et studio maxime contrarium videtur, praecipue subnecti debet, non quo evanescit virtus, sed quo recreatur: alterum enim etiam inertibus vitandum, alterum strenuis quoque interdum ad petendum est, illis ne + proprie + vitam + inernem + exigant, his ut tempestiva laboris intermissione ad laborandum fiant vegetiores« (Facta et Dicta, VIII, 8, praef. 1-7). Zur recreatio cf. auch Kapitel 5. a) sowie Kapitel 6 und 8. 118 Eth. Nic. X, 6; 1177. 119 Cf. U. Wolf: Aristoteles’ ›Nikomachische Ethik‹. Darmstadt 2002, S. 241, sowie Hartmann, S. 186f. 120 Cicero stammt ursprünglich aus Arpinum, lebte aber lange Jahre in Rom. Dort war er bestrebt, als homo novus von den stadtrömischen nobiles als ›ihresgleichen‹ aner-

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Perspektive mit dem Lachen – genauer mit den Möglichkeiten, dieses auszulösen – beschäftigt. Dies ist jedoch kaum verwunderlich, da er Erfolg und Ansehen vor allem seinem Ruf als hervorragendem Redner zu verdanken hat. Er agiert dementsprechend auf seinem ›Spezialgebiet‹. Daß sich Cicero über längere Jahre intensiv mit rhetorischen Fragestellungen auseinandersetzte, zeigt die Vielzahl seiner Schriften zur Redekunst.121 In diesen betont Cicero – angefangen bei seinem Jugendwerk De inventione122 über De oratore bis zu Brutus123 und Orator124 – immer wieder die Bedeutung des movere, der Affekterregung. In diesem Zusammenhang stehen auch seine Empfehlungen, die Zuhörer zum Lachen zu reizen, um auf diese Weise ihre Aufmerksamkeit (wieder) zu erlangen und sie Redner und Sache gegenüber wohlwollend zu stimmen, Gedanken, die ja bereits Aristoteles und vor ihm Gorgias geäußert hatten. Dank freundschaftlicher Verbindungen zwischen seiner Familie und stadtbekannten Rednern aus dem Kreis der römischen nobiles, kam Cicero schon sehr früh in den Genuß rhetorischer Ausbildung.125 Die Tradition spezifisch römischer Unterweisung in der Redekunst war in den Jugendjahren Ciceros noch recht jung und stark von griechischem Gedankengut geprägt.126 Eines der ersten lateinischen Lehrbücher, das im Rahmen des römischen Rhetorikschulwesens entstanden ist und dort auch verwendet wurde, ist die sogenannte Rhe-

___________ kannt zu werden. Einen Überblick über das Leben des Anwalts und politischen Redners vermittelt M. Giebel in: Marcus Tullius Cicero. Reinbek 1976, hier S. 7f [Giebel]. 121 Cf. v. Albrecht, S. 423/424. 122 M. T. Cicero: De inventione/De l’invention. Lt./frç., éd. par G. Achard, Paris 1994 [De inv.]. Das Werk trug ursprünglich den Titel Libri rhetorici. Die gängige Bezeichnung rekurriert auf De inv. II, 178. 123 M. T. Cicero: Brutus. Lt./dt., hrsg. und übers. von B. Kytzler. Düsseldorf, Zürich 5 2000 [Brutus]. Brutus und Orator wurden erst 1421 von G. Landriani in Lodi wiederentdeckt (Cf. H. Hunger e. a.: Die Textüberlieferung der antiken Literatur und der Bibel. Mit einem Vorwort von M. Bodmer. Nördlingen 21988, S. 553 [Hunger]), standen also Boccaccio nicht zur Verfügung. Sie werden hier aus den bereits in bezug auf die Poetik des Aristoteles angeführten Beweggründen dennoch berücksichtigt. 124 M. T. Cicero: Orator/De optimo genere oratorium./L’orateur/Du meilleur genre d’orateurs. Lt./frç., texte établi et traduit par A. Yon, Paris 1964 [Orator]. 125 Cf. Giebel S. 10/11: Cicero war zunächst Schüler von L. L. Crassus, später von Q. M. Scaevola. Wenn Cicero diese als Gesprächsteilnehmer im De oratore an der Bestimmung des orator perfectus (De orat. III, 76ff) beteiligt, ist dies wohl auch als Zeichen des Dankes und der Hochachtung gegenüber seinen Lehrern zu deuten. 126 Cf. De. orat., Einleitung des Hrsg., S. 15. Der besondere Erfolg der hellenischen Rhetoriktradition in Rom hängt u. a. mit dem starken Eindruck zusammen, den eine griechische Gesandtschaft 155 v. Chr. bei Volk und Senatoren hinterlassen hatte. Die Reaktionen waren zwar nicht durchweg positiv, dennoch betrachtete man die griechische Redekunst als gute Ausgangsbasis, um eine – bessere – römische Beredsamkeit zu entwickeln. Zur Entwicklung der lateinischen Schultradition cf. Knape, S. 61/62.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

torica ad Herennium.127 Daß auch Cicero dieser Tradition verbunden ist, zeigt die textliche Nähe von zahlreichen Passagen beider Werke.128 Wie der Auctor ad Herennium betont Cicero den Nutzen von »re nova aut ridicula«: Sin res dabit, non inutile est ab aliqua re nova aut ridicula incipere: aut ex tempore quae nata sit, quod genus strepitu, acclamatione, aut iam parata, quae vel apologum vel fabulam vel aliquam contineat inrisionem. [...] Nam, ut cibi satietas et fastidium aut subamara aliqua re relevatur aut dulci mitigatur, sic animus defessus audiendo aut admiratione integratur aut risu novatur.129

Die gedankliche Nähe zu Aristoteles und dessen Nachfolgern scheint offensichtlich.130 Es ist jedoch zu bedenken, daß Cicero, als er im Alter von etwa 23 Jahren De Inventione verfaßte, bereits einige Reden auf dem Forum und im Senat gehört hatte. Dank des römischen Erziehungsprinzip der deductio verfügte er zu diesem Zeitpunkt bereits über eine gewisse – wenn auch nur theoretische – Erfahrung. Das Beobachten der Redner wird dazu geführt haben, daß er die wichtigsten und erfolgversprechenden Techniken schnell durchschaut hatte. Zu diesen gehörten natürlich auch die verschiedenen Möglichkeiten, die Zuhörer zum Lachen zu reizen, um sie Sache und Redner gewogen zu machen. Geht man zudem davon aus, daß die immer wieder betonte Neigung Ciceros zu scherzen131 Teil seiner Persönlichkeit und nicht nur aufgesetzt war, wird er die___________ 127 Cf. Knape, S. 63ff. Die Rhetorica ad Herennium (Anonym: Rhétorique à Herennius. Texte établi et traduit par G. Achard. Paris 1989 [Rhet. ad Her.]) wurde um 84 v. Chr. von einem anonymen Autor verfaßt. 128 Dies zeigt sich besonders in den Abschnitten I, 2; 3; 12; 14 (beinahe wörtlich) und 16. Auf diese Gemeinsamkeiten läßt sich wohl auch zurückführen, daß die Rhetorica ad Herennium in Mittelalter und Frühneuzeit als Werk Ciceros betrachtet wurde. (Cf. z. B. (S) Thomas Aquinatis: Summa theologiae. II, II, q. 168, art. 2, ra. 1: »Tullius dicit in i rhet., quod quando auditores sunt defatigati, non est inutile ab aliqua re nova aut ridicula orationem incipere« in: (S) Thomas Aquinatis: Opera omnia II. (Summa contra gentiles; autographie deleta; Summa theologiae), curante R. Busa. S. I. Stuttgart, Bad Cannstatt 1980, 184-926 [Sum. theol.]. Die Kleinschreibung von Eigennamen wurde hier wie in allen weiteren Zitaten aus der Gesamtausgabe zugunsten der im Deutschen gängigen Majuskeln aufgegeben.). Auch F. Petrarca teilt diesen Gedanken, wenn er an Luca de Penna schreibt, er besäße die Rhetorik Ciceros (Cf. F. Petrarcae Florentini Epistolarum de Rebus Senilibus Libri XVI, in: (F. Petrarca): F. Petrarcae Florentini Opera omnia. Basel 1581, S. 735-968, hier Epist. XV, I, S. 947). 129 De inv. I, XVII, 25, cf. Rhet. ad Her. I, 10: »Si defessi erunt audiendo, ab aliqua re, quae risum movere possit«. 130 Cicero wird die Äußerungen des Stagiriten nicht im Original, sondern nur in verarbeiteter Form, also aus den Rhetoriklehrbüchern seiner Zeit gekannt haben (Cf. De inv. Introduction des Hrsg, S. 15). Erst bei der Abfassung des Orator hat er tatsächlich mit der aristotelischen Rhetorik gearbeitet (Cf. W. Kroll: »Cicero und die Rhetorik«, in: B. Kytzler (Hrsg.): Ciceros literarische Leistung. Darmstadt 1973, S. 73-85, hier S. 76). 131 Inwieweit diese Neigung tatsächlich vorhanden war, läßt sich im nachhinein schwerlich beurteilen. Aufgrund der Ähnlichkeit von Cicero als cognomen der gens Tullia mit cicer = Kichererbse, liegt die Vermutung nahe, daß dieses cognomen der Familie von Außenstehenden gegeben wurde, um die gens durch ein für sie charakteristisches Merkmal – häufiges Lachen oder zum Lachen reizen – zu kennzeichnen. Im Rahmen

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sem Gesichtspunkt besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Die sehr allgemeine Aussage in seiner Jugendschrift mag also von griechischer Lehrmeinung beeinflußt sein, läßt aber bereits speziell ciceronianisches Gedankengut erkennen.132 Rund dreißig Jahre später und um viele Erfahrungen reicher schreibt Cicero De oratore. Die Schrift ist als Gespräch führender Männer der rhetorischen Bühne konzipiert.133 Ciceros Anliegen war es, durch die Konfrontation der Meinungen das Bild des idealen Redners zu entwickeln.134 Das zweite Buch der Abhandlung ist der inventio gewidmet, also der Frage, wie man bestmöglich argumentiert, um sein jeweiliges Ziel zu erreichen. Die in die Abschnitte zu den ___________ des römischen tria-nomen-Systems war es möglich, daß solche ursprünglich nur privat verwendeten ›Spitznamen‹ erblich wurden (H. Bagola: »Italienische Anthroponomastik«, in: G. Holtus e. a. (Hg.): Lexikon der romanischen Linguistik. 7 Bde. (+Teilbände) Tübingen 1988 e. a., S. 419-431, hier, Bd. IV, S. 421: Zur Geschichte des Namensystem in Italien [LRL]. Bereits der Vater von Marcus und Quintus trug das cognomen Cicero, ebenso Marcus’ Sohn und sein Neffe. Plutarch hebt zudem Ciceros Vorliebe für Scherze in seiner Biographie immer wieder hervor, cf. Plutarque: Vie de Cicéron, in: Plutarque: Vies XII (Démosthène-Cicéron). Gr./frç., texte établi et traduit par R. Flacelière. Paris 1976, S. 51-124, z. B. 1, 5; 7, 6; 26; 7. Auch Macrobius weiß rund 500 Jahre später noch zu berichten: »eum scurram ab inimicis appellari solitum« (Cf. A. T. Macrobius: Saturnalia. Apparatu critico instruxit In somnium Scipionis commentarios. Selecta varietate lectionis ornavit I. Willis, Leipzig 1963, II, 1, 12 [Saturnalia]). Tiro, Ciceros freigelassener Sklave soll zudem eine Witzsammlung seines ehemaligen Herrn veröffentlicht haben (Cf. Inst. orat. I; VI, 3; 5; sowie Saturnalia II, 1, 12, cf. dazu: F. Graf: »Cicero, Plautus und das römische Lachen«, in: J. Bremmer/H. Roodenburg (Hg.): Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute. Aus dem Englischen übersetzt von K. Brodersen. Darmstadt 1999, S. 32-42, hier S. 32/33). 132 Achard weist zudem in der Einleitung zu De inv. auf die Affinität der Schrift mit De ratione dicendi hin (Cf. S. 19). In diesem verloren gegangenen Werk des Antonius habe die Beschäftigung mit Lachen und Scherz weiten Raum eingenommen. Antonius war ein Freund der Familie des Cicero und ein bekannter Redner (Cf. Giebel, S. 10). Cicero setzt ihm in De oratore ein Denkmal. Als einer der Gesprächsteilnehmer befürwortet er die Verwendung zum Lachen reizender Elemente innerhalb einer Rede (Cf. z. B. De orat. II, 115f). Wenn Cicero in seinem Frühwerk also die Nützlichkeit des Lachens hervorhebt, kann dies auch auf den Einfluß des Antonius zurückzuführen sein. 133 Zu den Gesprächsteilnehmern cf. Knape, S. 94, ebenso De orat. Einleitung des Hrsg., S. 24/25. 134 Wenn Crassus zunächst den idealen Redner skizziert, im Anschluß daran aber deutlich macht, daß er dieser Vorstellung nicht entspricht, stellt sich automatisch die Frage, ob denn irgend jemand dem Ideal gerecht werden kann. Die minutiöse Beschreibung des ›orator perfectus‹ legt die Antwort nahe: »sin aliquis extiterit aliquando, qui Aristotelio more de omnibus rebus in utramque partem possit dicere et in omni causa duas contrarias orationes, praeceptis illius cognitis, explicare aut hoc Arcesilae modo et Carneadi contra omne, quod propositum sit, disserat, quique ad eam rationem adiungat hunc rhetoricum usum moremque exercitationemque dicendi, is sit verus, is perfectus, is solus orator.v (De orat. III. 78) – es ist Cicero selbst! Nicht nur seine Stellung als homo novus, sondern auch die dignitas eines homo liberalis machen diese Form der Verschlüsselung notwendig.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

Techniken des probare, conciliare und movere gegliederte Darlegung des Antonius wird durch Caesar Strabos langes Referat zu den Möglichkeiten der Affekterregung durch den Einsatz von »iocus und facetiae«135 unterbrochen. Illustriert durch eine Fülle von Beispielen aus dem römischen Oratorenalltag verdeutlicht er die Wichtigkeit des Scherzes für deliberative wie juristische Rede und kultivierte Plauderei: Verum tamen, ut dicis Antoni, multum in causis persaepe lepore et facetiis profidi sunt. [...] cumque oratoriis dictionibus tum urbanis sermonibus accomodatum [...] nullum ut sit vitae tempus, in quo non deceat leporem humanitatemque versari.136

Die Nähe zum griechisch-aristotelischen Gedankengut ist hier unverkennbar. Caesar Strabo137 betont zudem am Ende seiner Ausführungen, daß er die Informationen größtenteils von den Griechen übernommen hat138. Dies zeigt sich auch an den anfangs formulierten Fragen, die Ausgangspunkt und Ordnungsprinzip seines Vortrags bilden: De risu quinque sunt, quae quaerantur: (1) unum, quid sit; (2) alterum unde sit; (3) tertium, sitne oratoris risum velle movere; (4) quartum, quatenus; (5) quintum, quae sint genera ridiculi.139

Während er die Beantwortung der ersten Frage ablehnt, weil sie nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fällt, hat er für die übrigen vier Probleme sofort eine Lösung zur Hand: (2) Locus autem et regio quasi ridiculi [...] turpitudine et deformitate quadam continetur, haec enim ridentur, vel sola vel maxime, quae notant et designant turpitudinem aliquam non tupiter. (3) Est autem [...] est plane oratoris movere risum; vel quod ipsa hilaritas benevolentiam conciliat ei, per quem excitata est, quod admirantur omnes acumen uno saepe in verbo positum maxime respondentis, non numquam etiam lacessentis; vel quod frangit adversarium, quod impedit, quod elevat, quod deterret, quod refutat, vel quod ipsum oratorem politum esse hominem significat, quod eruditum, quod urbanum, maxime quod tristitiam ac severitatem mitigat et relaxat odiosasque res saepe, quas argumentis dilui non facile est, ioco risuque dissolvit. (4) Quatenus autem sint ridicula tractanda oratori [...] Nam nec insignis, improbitas, et scelere iuncta nec rursus miseria insignis agitata ridetur, facinerosos enim maiore quadam vi ridiculi vulnerari volunt, miseros inludi nolunt, nisi se forte iactant. (5) Due sunt enim genera facetiarum, quorum alterum re tractatur, alterum dicto.140

___________ 135

De orat. II, 216. De orat. II, 219; 270/271. 137 Um bei der Betrachtung der ciceronianischen Aussagen Verwirrung zu vermeiden, soll dieser im folgenden als agierende Person angenommen werden und nicht Caesar Strabo, der nur Träger der Information innerhalb der Gesprächsfiktion ist. 138 De orat. II, 288. 139 De orat. II, 235. Numerierung in diesem und allen folgenden Zitaten aus De orat. von mir. 140 De orat. II, 236-240. 136

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Die Antwort auf die zweite Frage läßt die aristotelische Komödiendefinition anklingen, das Unschädlichkeitspostulat des Stagiriten findet seine Entsprechung auf sprachlicher Ebene im »non turpiter«.141 Wie Aristoteles erklärt auch Cicero, daß die Anlässe zum Lachen und zu ernsten Gedanken dieselben sind.142 Es kommt nur darauf an, wie man damit umgeht. Das Wissen über die richtige Art über Negatives, wie zum Beispiel über körperliche Mißbildungen zu sprechen, unterscheidet den orator urbanus vom mimus: »Temporis et igitur ratio et ipsius dicacitatis moderatio et temperantia et raritas dictorum distinguent oratorem a scurra«.143 Hatten Platon und Aristoteles davor gewarnt, nicht wie die Possenreißer zu werden, so dient nun das Bild des scurra als negative Folie. Wenn Cicero in Reaktion auf die dritte Frage verdeutlicht, daß es für einen Redner überaus nützlich sein kann, seine Zuhörer zum Lachen zu bringen, zeigt sich erneut die enge Verbindung von rhetorischer Tradition und eigener Erfahrung. Die Bemerkung: »quod ipsa hilaritas benevolentiam conciliat ei, per quem excitata est«144 läßt zudem darauf schließen, daß auch Cicero diese »hilaritas« als etwas Positives, Erwünschtes betrachtet, das in der menschlichen Natur angelegt ist. Dennoch setzt er dem Lachen in der Antwort auf die vierte Frage klare Grenzen. Nicht nur die Angst vor verletzendem Spott, sondern auch die Natur manchen Gegenstandes zwingen dazu, zu anderen Waffen zu greifen. Sei es, weil der Moment des Verlachens als zu hart empfunden wird, sei es, weil drastischere Maßnahmen angebracht scheinen. Diese Bemerkungen bilden letztlich das Gegenstück zur Forderung nach Unschädlichkeit. Wenn »scelere« und »rursus miseria« die Menschen wirklich betreffen, erweisen sich Scherze als unpassend.145 Anschließend stellt er die genera ridiculi vor und strukturiert auf diese Weise das weite Feld der Scherzrede:

___________ 141

Cf. Kablitz, in: Fietz e. a., S. 132. De orat. II, 248: »Sed hoc mementote, quocumque locos attingam, unde ridicula ducantur, et eisdem locis fere etiam gravis sententias posse duci tantum interest, quod gravitas honestis in rebus severisque, iocus in turpiculis et quasi deformibus ponitur«, cf. dazu Hartmann, S. 189. 143 De orat. II, 247. Es sei jedoch nochmals daran erinnert, daß die Menschen damals wesentlich weniger zimperlich miteinander umgingen, die Hemmschwelle also sehr viel niedriger lag als in unseren Tagen (Cf. dazu Kablitz, in: Fietz e. a., S. 28/29). Cicero nimmt hier zudem das von Demokrit und Aristoteles empfohlene moderatio-Prinzip wieder auf. 144 De orat. II, 236. 145 Cf. dazu die Anmerkungen zum aristotelischen Mimesiskonzept, S. 43f. Ob es hingegen zu rechtfertigen ist, die Menschen zum Lachen zu reizen, obwohl sie miseria empfinden, wird sich im Rahmen dieser Arbeit herausstellen. 142

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen Etenim cum duo genera sint facetiarum, alterum aequabiliter in omni sermone fusum, alterum peracutum et breve, illa a veteribus superior cavillatio, haec altera dicacitas nominata est.146

Diese Unterscheidung erweist sich als folgenreich und zudem bis in unsere Zeit gültig. Erzählt jemand eine Geschichte, bei der die zum Lachen reizenden Momente »in omni sermone fusum« sind, werden die Zuhörer vielleicht da und dort auflachen, den Augenblick als angenehm empfinden und sich bald entspannt und ›irgendwie gut fühlen‹. Im allgemeinen Sprachgebrauch würde man eine solche Anekdote wohl als kurzweilig bezeichnen, vom Erzähler würde man sagen, er habe Humor oder könne ›launig berichten‹.147 Der zweite Fall liegt etwas anders: Auch hier wird vielleicht eine Geschichte erzählt, aber Handlung oder Personen reizen in keiner Weise zum Lachen, das Thema entwickelt sich und plötzlich ist die Pointe da, »peracutum et breve«: eine unerwartete Wendung, ein geistvoller Einwand – und die Zuhörer brechen in Gelächter aus. Selbstverständlich ist so ein ›Knalleffekt‹ auch in zahlreichen anderen Situationen denkbar und nicht auf die Einbindung in eine Geschichte angewiesen. Die dicacitas wird üblicherweise als Witz bezeichnet, entweder in Form einer sehr kurzen, selbständigen Geschichte oder als eingestreute Bemerkung, die sich aus der Situation ergibt. Man könnte an dieser Stelle sicher einwenden, daß die erste Variante letztlich nur eine Reihung von zum Lachen reizender Momente ist, die hervorgerufene Lachlust vielleicht weniger intensiv. Cicero betont jedoch immer wieder die intellektuelle Seite der dicacitas. Wer den Einsatz von Wortwitzen beherrscht, sie in Rede oder Konversation integriert, erweist sich als geistvoll, als urban. Die Qualität der urbanitas – bzw. grundsätzlich intellektuelle Begabung – ist jedoch nicht jedem gegeben. Will man also ein breites Publikum ansprechen, erscheint es sinnvoll, von beiden Möglichkeiten Lachen und Wohlgefühl auszulösen, Gebrauch zu machen. Die Analyse der Präsenz des Lachens in der Literatur und im Leben der Menschen (Kapitel 3) wird zeigen, in welchem Maße sich die Autoren von zum Lachen reizenden Werken sich dies zu Herzen genommen und beide Formen berücksichtigt haben. Es ist das Verdienst Ciceros, diese Differenzierung im De oratore festgeschrieben und damit literarisiert zu haben, in der realen Welt war sie seit jeher ___________ 146 De orat. II, 218. Innerhalb der Fiktion nimmt Caesar Strabo diese Abgrenzung bereits am Anfang vor, bevor er die fünf Fragen formuliert. Diese fügt er nur auf Nachfrage seiner Gesprächspartner ein (De orat. II, 228f). Um die »genera ridiculi« in ihrer Gesamtheit vorstellen zu können, erschien es an dieser Stelle sinnvoller, die Chronologie der Rede zu durchbrechen. 147 Die Ausdrücke ›Humor‹ und ›launig‹ werden hier nur allgemeinsprachlich verwendet. Um sie für die Literaturanalyse nutzbar zu machen, werden diese und andere in Kapitel 4 definiert.

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präsent.148 Ob als Komödienzuschauer oder als ›Privatmann‹ im römischen Alltagsleben, ein durch seinen eigenen Hang zum Scherzen sensibilisierter Mann wird sich dieses offensichtlichen Unterschieds rasch bewußt geworden sein. Er kompensiert die Banalität der Feststellung durch die im Anschluß vorgenommene, minutiöse Darlegung aller Facetten des Themenbereichs. Dieser Präzision verdankt das System Ciceros dann wohl auch seinen Erfolg.149 So wurde die Theorie des ridiculum – wie die De oratore-Passage oft genannt wird150 – von Autoren wie Boccaccio, Pontano oder Castiglione wieder aufgenommen und für ihre Zwecke fruchtbar gemacht.151 Dies war möglich, weil Cicero mit allgemeingültigen Aussagen operiert, die nur durch die zahlreichen Kostproben römischer Beredsamkeit mit dem Alltag des Verfassers verbunden sind. Nach Abzug der Beispiele ist der Textausschnitt im Grunde genommen eine Aufzählung der verschiedensten Möglichkeiten, als Redner Lachen zu erzeugen. Das Schneiden von Grimassen ist ebenso unwürdig wie alle anderen Verrenkungen des Körpers oder das Verstellen der Stimme, um die Zuhörer zum Lachen zu bringen. Dem Redner stehen ausschließlich alle Formen von cavillatio und dicacitas zur Verfügung. Es soll im folgenden darauf verzichtet werden, die Möglichkeiten im einzelnen zu kommentieren. Die gewählte Darstellungsform dient nicht nur der besseren Übersicht, sie soll auch die Orientierung erleichtern, wenn bei der Auseinandersetzung mit späteren Wiederaufnahmen auf den Originaltext verwiesen wird.

___________ 148 Eine ähnliche These enthält auch der 1839 von J. A. Cramer aufgefundene, sogenannte Tractatus Coislianus. In diesem stehen sich »Laughter from the manner of speaking« und »Laughter from actions« gegenüber (R. Janko: Aristotle on Comedy. Towards a Reconstruction of ›Poetics II‹. London 22002, S. 94). Man vermutet heutzutage, daß es sich bei dem Manuskript um einen Kommentar des verlorenen Teils der aristotelischen Poetik handelt. Wenn dem so ist, hat nicht Cicero, sondern Aristoteles diese Opposition festgeschrieben. Aufgrund der ungeklärten Forschungslage und der Tatsache, daß das Traktat nur eine »sorry Byzantine fabrication« (S. 3) ist – eine Rekonstruktion der Urschrift also sehr im Bereich des Hypothetischen verbleiben muß – sollte man dennoch dem Römer die Ehre dieses Verdienstes zuteil werden lassen. 149 Cf. Ueding, in: Fietz e. a., S. 26. 150 Cf. Ueding, in: Fietz e. a., S. 29. 151 Zur Verarbeitung der Theorie durch Boccaccio cf. Kapitel 7, zu Pontano und Castiglione Kapitel 8. Zur Wiederentdeckung des De oratore cf. Hunger, S. 531.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

cavillatio in omni sermone fusum

in rebus si quando quid tamquam aliqua fabella narratur. […] Perspicitis genus hoc quam sit facetum, quam elegans, quam oratorium, sive habeas vere quod narrare possis, (2) quod tamen est mendaciunculis aspergendum, sive fingas. Est autem huius generis virtus, [...] ut mores eius, de quo narres, ut sermo, ut vultus omnes exprimantur, ut eis, qui audiunt, (3) tum geri illa fierique videatur. (4) In rem est item ridiculum, quod ex quadam depravata imitatione sumi solet.152

Die Tatsache, daß einer recht geringen Anzahl von cavillatio-Beispielen eine große Fülle von Varianten der dicacitas gegenübersteht, läßt sich wohl einerseits aus der persönlichen Vorliebe Ciceros erklären. Andererseits ist gerade der angemessene, geistreiche Einwurf sicheres Kennzeichen römischer urbanitas, ein Repertoire von Wortwitzen also nicht nur für den Redner, sondern für jeden homo liberalis äußerst nützlich. dicacitas peracutum et breve

in verbis (1) Alterum genus est in imitatione admodum ridiculum, sed nobis furtim tantum licet, si quando, et cursim, aliter enim minime est liberale (2) tertium, oris depravatio, non digna nobis, (3) quartum obscenitas, non solum non foro digna, sed vix convivio liberorum. (4) Ambigua [...] non saepe magnum risum movent, magis ut belle, ut litterate dicta laudantur [...] sed admirationem magis quam risum movet. [...] (5) Sed scitis esse notissimum ridiculi genus, cum aliquid expectamus, aliud dicitur: hic nobismet ipsi noster error risum movet quod si admixtum est etiam

in rebus (1) narratio, res sane difficilis, exprimenda enim sunt et ponenda ante oculus ea, quae videantur et veri similia [...], et quae sint, quod ridiculum proprium est, subturpia. [...] (2) Et ad hoc genus ascribamus etiam narrationes apologorum. (3) Est etiam ex similitudine, quae aut conlationem habet aut tamquam imaginem. (4) Valde autem ridentur etiam imagines, quae fere in deformitatem aut in aliquod vitium corporis ducuntur cum similitudine turpioris. (5) Etiam illa, quae minuendi aut augendi causa ad incredibilem admirationem efferentur (6) Arguta

___________ 152 De orat. II, 240-242. Hinweise, die Boccaccio im Decameron verwerten wird, wurden hier sowie in der Übersicht zur dicacitas durch Kursivdruck gekennzeichnet.

a) Die ›Großen‹ der klassischen Antike ambiguum, fit salsius. [...] (6) Hoc tum est venustum, cum in altercatione arripitur ab adversario verbum et ex eo [...] in eum ipsum aliquid, qui lacessivit, infligitur. (7) Alterum genus est, quod habet parvam verbi immutationem. (8) Etiam interpretatio nominis habet acumen, cum ad ridiculum convertas, quam ob rem ita quis vocetur. (9) Saepe etiam versus facete interponitur, vel ut est vel, paululum immutatus, aut aliqua pars versus. (10) In hoc genus coniciuntur etiam proverbia [...] qua re ea quoque, quoniam mutatis verbis non possunt retinere eandem venustatem, non in re, sed in verbis posita ducantur. (11) Est etiam in verbo positum non insulsum genus ex eo, cum ad verbum, non ad sententiam rem accipere videare. (12) In verbis etiam illa sunt, quae aut ex immutata oratione ducuntur (13) aut ex unius verbi translatione (14) aut ex inversione verborum. (15) [...] ornant igitur in primis orationem verba relata contrarie, quod idem genus saepe est etiam facetum.153

___________ 153

De orat. II, 252-263.

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etiam significatio est, cum parva re et saepe verbo res obscura et latens inlustratur. (7) Urbana etiam dissimulatio est, cum alia dicuntur ac sentias, non illo genere, de quo ante dixi, cum contraria dicas, [...] sed cum toto genere orationis severe ludas, cum alter sentias ac loquare. Genus est perelegans et cum gravitate salsum cumque oratoriis dictionibus tum urbanis sermonibus accomodatum. (8) Est huic finitimum dissimilationi, cum honesto verbo vitiosa res appellantur. (9) Acutum etiam illud est, cum, ex alterius oratione aliud excipias atque ille vult. (10) Sunt etiam illa subabsurda, sed eo ipso nomine saepe ridicula, non solum mimis perapposita, sed etiam quodam modo nobis. [...] (11) Genus hoc levius [...] mimicum, sed habet non numquam aliquid etiam apud nos loci, ut vel non stultus quasi stulte cum sale dicat aliquid. (12) Valde haec ridentur et hercule omnia, quae a prudentibus per simulationem subabsurde salseque di-cuntur. (13) Ex quo genere est etiam non videri intellegere quod intellegas. (14) Est bellum illud quoque, ex quo is, qui dixit, inridetur in eo ipso genere, quo dixit. […] (15) Salsa sunt etiam, quo habent suspicionem ridiculi absconditam. […] (16) Me tamen hercule etiam illa valde movent stomachosa et quasi submorosa ridicula [...] (17). Huic genere quasi contrarium est ridiculi genus patientis ac lenti. (18) Est etiam stultitiae salsa reprehensio (19) Movent illa etiam, quae coniectura explanantur longe aliter atque sunt, sed acute atque concinne. […] (20) Ridentur etiam discrepantia. [...] (21) Bella est familiaris reprehensio quasi errantis. […] (22) Huic similis est etiam admonitio in consilio dando familiaris. […] (23) Bellum est, cum quid cuique sit consentaneum dicitur. (24) Sed ex his omnibus nihil magis ridetur, quam quod est praeter expectationem (25) Saepe etiam facete concedas

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen adversario id ipsum, quod tibi ille detrahit [...] (26) Sed etiam sententiose ridicula dicuntur. […] (27) Saepe etiam salse, quae fieri non possunt, optantur [...] (28) Salsum est etiam quaerentibus et quasi percontantibus lente respondere quod nolint. 154

Viele dieser Beispiele hatte bereits der Stagirit in seiner Rhetorik-Schrift zusammengetragen.155 Wie bei diesem spielt auch bei Cicero das Lachen aus enttäuschter Erwartung eine entscheidende Rolle: (Aristoteles): Das bewirken auch Späße, die die Abfolge von Buchstaben verändern, denn sie täuschen die Erwartung. (Cicero): noster delectat error, ex quo, cum quasi decepti sumus expectatione ridemus. [...] Sed ex his omnibus nihil magis ridetur, quam quod est praeter expectationem.156

Wenn sich eine Erwartung nicht erfüllt, weil etwas anderes eingetreten ist, ist dieses andere notwendig unerwartet. Bei Cicero ist dieses Unerwartete eng mit den verschiedenen Formen der dicacitas, vor allem dem Spott, verbunden157: Die Prävalenz dieses Typus im vorgestellten Modell führt zu der Annahme, daß dieses auf dem Überraschungsmoment als wesentlichen Auslöser des Lachens rekurriert. Kablitz weist zu Recht darauf hin, daß das Kriterium der getäuschten Erwartung nicht ausreicht, um Lachen auszulösen. Wenn ein lang ersehnter Gast nicht persönlich kommt, sondern statt dessen anruft, um abzusagen, liegt ebenfalls eine Erwartungsdurchbrechung vor: Lachen wird sie jedoch nicht auslösen. Um Lachen hervorzurufen, muß die Täuschung nicht nur ›unschädlich‹, sondern auch von demjenigen, der sie ausführt, absichtsvoll herbeigeführt sein.158 Berichtet jemand über die Taten eines Menschen und lobt diesen in höchsten Tönen, macht sich der Zuhörer ein Bild, denkt die Sätze zu Ende, bevor sie ausgesprochen werden. Schlägt die Wertschätzung allerdings in beißenden Spott um, nimmt die ›Lobeshymne‹ ein unvorhergesehenes Ende. Nicht die getäuschte Erwartung, sondern die Feststellung, daß zwischen erwartetem Ausgang und eingetretener Realität eine deutliche Diskrepanz vorliegt, reizt schließlich zum Lachen. Das ›Geheimnis‹ gelungener dicacitas liegt also ___________ 154

De orat. II, 264-287. Rhet. III, 11, 6; 1412a-11, 15; 1413b. Aristoteles legt insbesondere dar, welche Möglichkeiten Lachen zu erregen sich durch den Gebrauch von Metaphern und Homonymien ergeben. 156 Rhet. II, 61412a; De orat. II, 260, 284. 157 De orat. II, 289: »expectationibus enim decipiendis et naturis aliorum inridendis [...] risus moventur«. Zur ›Erwartungsdurchbrechung‹ als auslösendes Moment in modernen Komiktheorien cf. Kapitel 4. 158 Cf. Kablitz, in: Fietz e. a., S. 132/133. 155

a) Die ›Großen‹ der klassischen Antike

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nicht nur in der Pointe, sondern auch in der Fähigkeit, eine Erwartungshaltung aufzubauen. Der De oratore ist das Vermächtnis eines begabten Redners. Die Schrift beinhaltet alle Bereiche der Redekunst, die dem Autor am Herzen lagen.159 Daß Cicero etwa zehn Jahre nach der Abfassung des Werkes erneut zum Kalamos griff, und neben dem Brutus – einer Geschichte der Beredsamkeit160 – den Orator schrieb, wird oft übersehen. Dies mag einerseits an der späten Wiederentdeckung des Werkes im 15. Jahrhundert liegen, konnte das Werk auf diese Weise doch nicht von einer Popularisierung durch die Cicero-Begeisterung der frühen Humanisten, vor allem Petrarcas, profitieren. Andererseits fügt der Orator dem De oratore inhaltlich kaum neue Aspekte hinzu. Polemischer Ton und Traktatform des Werkes haben wohl dazu geführt, daß man auch heutzutage eher zum De oratore greift, will man sich über die römische Beredsamkeit informieren. Der Orator entstand im Zusammenhang mit der Debatte um Asianismus und Attizismus.161 Als man Cicero asianischen Stil vorwarf, verteidigte er sich, indem er im Orator den attischen Stil neu definierte.162 Der Verwendung von Scherzworten in der Rede widmet Cicero im Orator nur drei Kapitel.163 Sie bieten quasi eine Zusammenfassung des Vortrags Caesar Strabos, allerdings aus einem anderen Blickwinkel. Denn der De oratore enthält, überspitzt gesagt, eine Liste mit allem, was zu tun ist, der Orator eine Aufzählung der Dinge, die zu unterlassen sind. Durch Formulierungen wie »Illud admonemus tamen, ridiculo sic usurum oratorem, ut nec [...] ne...«; »vitabit etiam...« oder »quibus exceptis...«164 definiert Cicero ex negativo den optimum genus oratorium. Die Aussagen Ciceros zum Lachen finden sich alle in seinen Büchern zur Redekunst. Könnte man ihm also vorwerfen, er hätte es sehr einseitig und – im ___________ 159

Cf. Orator, Introduction des Hrsg., S. VI. Im Brutus legt Cicero die Geschichte der Beredsamkeit in Form eines Gesprächs mit seinen Freunden Brutus und Atticus dar. Die Darstellung ist vorrangig historischbiographisch ausgerichtet, trägt zur Frage nach Bedeutung und auslösenden Faktoren des Lachens also wenig bei. Es sei jedoch erwähnt, daß Cicero diejenigen Redner besonders lobt, die das Prinzip des movere gut beherrschen (Cf. Brutus 89, 304ff). 161 Der Attizismus – also die Nachahmung der alten attischen Redner wie Lysias und Thukydides – entwickelte sich in Reaktion auf die scheinbar geschwollene Redeweise, die zu Beginn des ersten vorchristlichen Jahrhunderts von hellenistischen Rednern nach Rom gebracht und dort weiter gepflegt worden war. Cicero verwendet im De oratore den Ausdruck homines asiaticos (De orat. III, 43) und grenzt deren Stil von seiner eigenen Redeweise ab (ebenso Orator VIII, 27). Der von ihm geprägte Neologismus wird im Nachhinein zum ›Eponym‹ für die gesamte Strömung (Cf. DNP, Bd. I, Lemmata Asianismus; Attizismus). 162 Cf. Orator, Introduction des Hrsg., S. XIII-XV. 163 Orator XXVI, 87-89. 164 Orator XXVI, 88/89. 160

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

Gegensatz zu seinen griechischen Vorgängern – nur in einem begrenzten Bereich, nicht aber im Gesamtkontext menschlichen Zusammenlebens betrachtet? Genau genommen hat sich Cicero gar nicht mit dem Lachen beschäftigt, sondern nur mit den Möglichkeiten, dieses auszulösen. Lachen ist für ihn eine Reaktion. Aufgabe des Redners ist es, diese hervorzurufen. Das Lachen per se wird nicht hinterfragt, er setzt voraus, daß Lachen von den Menschen als positiv empfunden wird. Diese Einstellung Ciceros macht seine Werke zu einer Ideenfundgrube für alle Autoren zum Lachen reizender Literatur. Die von ihm entwickelten Kategorien und die zahlreichen Beispiele machen es leicht, analog strukturierte Situationen zu entwerfen, deren ›Lacherfolgs‹ man sich gewiß sein kann. Die ständige Sorge um die res publica165, die Cicero als Anhänger der republikanischen Ordnung durch das Emporkommen wechselnder Alleinherrscher bedroht sieht166, führt ihn dazu, auch dem Redner Beschränkungen aufzulegen. Ansätze solcher ›Verhaltensregeln‹ finden sich wie gezeigt bereits in De Oratore, stärker noch im Orator. In seinem letzten Werk, De officiis, integriert er diese in ein Erziehungsprogramm, das die römische Gesellschaft vor dem endgültigen Zerfall bewahren soll.167 Die Ratschläge für Politiker, Richter und Privatmänner lassen sich alle auf einen Nenner bringen: Angemessenes Verhalten des einzelnen in jeder Situation ist Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Zusammenleben168: Et quibus illud intellegitur, ut at officii formam revertamur, appetitus omnes contrahendos sedandosque esse excitandam animadversionem et diligentiam, ut ne quid temere ac fortuito, inconsiderate neglegenterque agamus. [...] Ludo autem et ioco uti illo quidem licet, sed sicut somno et quietibus ceteris tum cum gravibus seriisque rebus satis feremus. [...] Duplex omnino est iocandi genus: inum illiberale, petulans, flagitiosum, obscenum, alterum elegans, urbanum, ingeniosum, facetum. [...] Facilis igitur est distinctio ingenui et iliberalis ioci. Alter est, si tempore fit, ut si remisso animo, homine dignus, altero ne libero quidem, si rerum turpitudini adhibetur verborum obscenitas. Ludendi etiam est quidam modus retinendus, ut ne nimis omnia profundamus elatique voluptate in aliquam turpitudinem delabamur.169

Lachen als natürliche Lebensäußerung des Menschen – Lachen als Erholung von den ernsten Seiten des Lebens – die Warnung, beim Scherzen nicht über die Stränge zu schlagen und sich wie ein Possenreißer zu benehmen – die Empfehlung, geistvolle Pointen zur richtigen Zeit anzubringen, weil nur sie dem ___________ 165

Cf. De Oratore, Einleitung des Hrsg., S. 23. Cf. Dahlheim II, S. 191ff. 167 Cf. Giebel, S. 133. 168 M. T. Cicero: De officiis/Les devoirs (Introduction, Livre I). Lt/frç., texte établi et traduit par M. Testard, Paris 1965, Introduction des Hrsg., S. 55; 65/66 [De off.]. 169 De off. XXIX, 103/104. Interessanterweise nennt Cicero hier Scherz, Schlaf und Ruhe in einem Atemzug, eine Verbindung, die bei der Beschäftigung mit dem Thema aus medizinischem Blickwinkel eine Rolle spielen wird. 166

b) Eine neue Dimension: Das Christentum

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freien Manne würdig sind: Cicero faßt in diesem Abschnitt nicht nur seine eigenen Gedanken zusammen, sondern – ungewollt – auch die wesentlichen Ergebnisse der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Lachen. Ursache des Lachens ist das Unangemessene: Für Platon liegt dies im ›Sich-selbstVerkennen‹, für Aristoteles in einem mit Häßlichkeit verbundenem Fehler, für Cicero in der Fehlerhaftigkeit allgemein. Quintilian wird diesem Katalog noch das ›Sich-Verstellen‹ hinzufügen.170 Dem Unangemessenen wohnt immer eine Normverletzung inne.171 Ein Scherz wird also nur dann zum Lachen reizen, wenn man ihn als Maßstabsverletzung erkennt, was aufgrund der Variabilität und Vielfalt möglicher Normen nicht immer gewährleistet ist. Wenn man mit den Maßstäben einer Gesellschaft nicht vertraut ist, wird man Scherze, die diese in Frage stellen, nicht als solche empfinden. Solche Normen des menschlichen Zusammenlebens sind traditionell gewachsen und deshalb den Mitgliedern einer Gesellschaft geläufig. Sie ändern sich meist unmerklich im Laufe der Generationen – oder wenn Außenstehende neue Maßstäbe setzen.

b) Eine neue Dimension: Das Christentum Eine solche tiefgreifende Veränderung wurde nur wenige Jahre nach der Ermordung Ciceros durch das Auftreten eines jüdischen Wanderpredigers ausgelöst. Zunächst nur auf die Provinz Juda beschränkt, hatten Leben und Sterben Jesu zu Beginn weder Auswirkungen auf die Politik des Imperium Romanum, noch betrafen sie große Teile der Bevölkerung. Dies sollte sich durch die Missionstätigkeit der Mitglieder der ersten christlichen Gemeinden, die sich bald nach dem Ende des irdischen Lebens und Wirkens Jesu gebildet hatten172, rasch ändern. Die Neugründung christlicher Gemeinschaften im heutigen Griechen___________ 170 Inst. orat. I; VI, 3; 85: »Plurimus autem circa simulationem (ad dissimulationem) risus est.« Es soll im folgenden darauf verzichtet werden, das dritte Kapitel des sechsten Buches der Institutio oratoria, in dem Quintilian sich mit dem Lachen auseinandersetzt, vorzustellen, da es keine wesentlich neuen Aspekte enthält (T. Viljamaa arbeitet in seinem Beitrag: »Quintilian’s Theorie of Wit« in: Jäkel/Timonen, S. 85-95 die wenigen Neuerungen gegenüber Ciceros Aussagen heraus.) Quintilian lehnt seine Darstellung eng an Ciceros Ausführungen im De oratore an, verhehlt diese Abhängigkeit auch nicht, sondern verweist immer wieder auf sein Vorbild, das er stellenweise auch kritisiert (Inst. orat. I; VI, 3; 2). Zur Person des Quintilian und zu seinem Konzept vom orator perfectus cf. O. Seel: Quintilian oder Die Kunst des Redens und Schweigens. Stuttgart 1977. 171 Cf. Ueding, in: Fietz e. a., S. 32. In rhetorischer Terminologie gesprochen, handelt es sich hier um eine aptum-Verletzung (Cf. Hist. W. der Rhet., Bd. 1, Lemma Angemessenheit). Während Quintilian in der Institutio den Begriff aptum bzw. apta dicere verwendet, spricht Cicero in Orator und De oratore eher von decorum, conveniens oder accomodatum. 172 Zur Verbreitung des Christentums im ersten Jahrhundert und den Missionsreisen der ersten Christen, besonders des Paulus cf. J. Becker: Paulus. Der Apostel der Völker. Tübingen 1998, 132ff [Becker].

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

land und in Italien173 – auch in Rom174 – führte dazu, daß sich traditionelles und christliches Gedankengut beeinflußten, befruchteten und vermischten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche Übernahme ›heidnischer‹ Vorstellungen auch in bezug auf das Lachen möglich war. Wie gezeigt, wurde es bisher als natürliche Lebensäußerung akzeptiert, ja sogar im Rahmen allgemeiner Entspannung oder als rhetorische Finesse positiv bewertet. Nur in Hinblick auf übermäßiges Lachen oder bezüglich des Lachens auf Kosten anderer hatte man Mäßigung und Rücksicht empfohlen. Grundlage all dieser Überlegungen war die antike griechische oder römische Weltanschauung. Diese ist jedoch rein diesseitig ausgerichtet und unterscheidet sich daher grundlegend von der christlichen.175 Eine Religion, die als Ziel allen Lebens die Teilhabe am ewigen Heil im Reich Gottes verkündet, läßt für das Lachen als Zeichen der Freude am irdischen Dasein keinen Raum. Hat die christliche Kirche ihren Anhängern also das Lachen verboten und sie damit in ständige Gewissenskonflikte gestürzt? Oder hat man Wege gefunden, das Lachen in das christliche Lebenskonzept zu integrieren? Um die wechselnden Positionen der Kirche176 zum Lachen im folgenden nachvollziehen zu können, erscheint es sinnvoll, die Anfänge des Christentums kurz in Erinnerung zu rufen. Wirtschaftliche Not sowie das Gefühl, von Machthabern unterdrückt zu werden, machten besonders im Ostteil des Reiches die Menschen für die christliche Botschaft empfänglich. Die Gebote der Nächstenliebe, die bisher nicht gekannte Solidarität mit Bessergestellten innerhalb der Gemeinden und vor allem die Verheißung einer besseren Welt machten die neue Religion attraktiv.177 Man glaubte den flammenden Reden der Apostel und ließ sich taufen. Aber ___________ 173 Auch wenn die politische Einigung Italiens erst im 19. Jahrhundert erreicht wurde, es also bis dato kein geeintes Italien gab, sondern das Leben auf der Apeninnenhalbinsel von geographisch und politisch wechselnden Konstellationen geprägt war, wird im folgenden Italien zur Bezeichnung dieses Kulturraums verwendet (Zur Geschichte Italiens cf. G. Procacci: Geschichte Italiens und der Italiener. München 21989). 174 Der Einfluß der christlichen Gemeinden war jedoch besonders in den Großstädten anfänglich sehr begrenzt. So konnte Quintilian im Jahre 95 n. Chr. seine Institutio oratoria veröffentlichen, ohne befürchten zu müssen, trotz ›rein profanen Inhalts‹, keine Leser mehr zu finden. Die antike Kultur lebte auch zur Zeit der Verbreitung des Christentums noch eine zeitlang relativ ›unbehelligt‹ fort. 175 Selbstverständlich grenzen sich die antiken Kulte durch ihre Diesseitigkeit nicht nur von der neuen christlichen Religion ab, sondern auch vom Judentum. Dies soll jedoch im folgenden nicht in die Darstellung einbezogen werden, da explizite Berührungspunkte zur jüdischen Kultur und Religion für Boccccio nicht bekannt sind. 176 Es soll, wie im vorangegangenen Kapitel, nur die theoretische Auseinandersetzung dargestellt werden, in diesem Fall also die kirchliche Lehrmeinung. Inwieweit sich die Christen im einzelnen an die Ge- und Verbote gehalten haben, wird hier nicht thematisiert (Cf. dazu Kapitel 3). 177 Cf. K. Bringmann: Römische Geschichte München 52000, S. 100, ebenso Becker S. 256f.

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dennoch: Wer den neuen Glauben annahm, kehrte allen Traditionen nicht notwendig den Rücken, sondern blieb ihnen – wenn auch unbewußt – verbunden. Antike Herrscher- und Mysterienkulte, althergebrachte Lebensformen und Werte, aber auch die Errungenschaften der Philosophie lebten in den Köpfen der Menschen fort. Wollten die Verkünder der christlichen Botschaft neue Anhänger gewinnen, mußten sie diese Traditionen berücksichtigen und sie gegebenenfalls umdeuten.178 Daß es dennoch zu Spannungen kam, ist hinlänglich bekannt. Diese wurden erst durch Kaiser Konstantin im Toleranzedikt von Mailand und Theodosius endgültig aufgehoben, der das Christentum schließlich zur Staatsreligion erhob und auf diese Weise den Kritikern allen Wind aus den Segeln nahm.179 Die Christen der ersten drei Jahrhunderte mußten sich in einem, wenn nicht ununterbrochen feindlich gestimmten, so doch verständnislosen Umfeld bewähren. Um dies zumindest theoretisch zu ermöglichen, war es nicht allein damit getan, die Menschen mit den Glaubensgeheimnissen vertraut zu machen. Ebenso wichtig war es, konkrete Ratschläge zu geben, wie ein christliches Leben in Abgrenzung zum ›Heidnischen‹ zu führen sei. – Die neue Religion wandte sich gleichermaßen an die sozialen Unterschichten wie an den Adel, an die Bewoh___________ 178 Die Anverwandlung heidnischen Kulturguts wird besonders in den Zeichenhandlungen der Sakramente ersichtlich. Reinigungen und Salbungen waren traditionelle Bestandteile antiker Kultur und fanden besonders bei der Einweihung in die verschiedenen Mysterien ihre Anwendung. Auch im Rahmen von Übergangsriten, also bei der Eingliederung in neue soziale oder gesellschaftliche Gruppierungen, waren sie von Bedeutung (Cf. A. von Gennep: Übergangsriten – les rites de passage. Aus dem Französischen von K. Schomburg und S. M. Schomburg-Scherff. Mit einem Nachwort von S. M. Schomburg-Scherff. Frankfurt a. M., New York, Paris 1986, passim). Diese Struktur weisen u. a. auch Taufe, Firmung und Priesterweihe auf: Immersion (heutzutage oft Infusion oder Aspersion) in gesegnetes Wasser zum Zeichen der Sündenvergebung und Salbung zur Besiegelung der Aufnahme in die Gemeinschaft der (mündigen) Gläubigen bzw. in den Priesterstand. Die Taufe als Zeichen der Umkehr war zur Zeit Jesu auch in Teilen des Judentums üblich und wurde christlich überformt (Cf. Die Heilige Schrift. Einheitsübersetzung. Hrsg. von der Deutschen Bibelgesellschaft, Stuttgart 41986, Mk. 1, 4; 8: »So trat Johannes der Täufer in der Wüste auf und verkündete Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden [...]. Ich (Johannes) habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen«. Wenn nicht anders angegeben, wurden alle weiteren Bibelzitate dieser Ausgabe entnommen und werden im folgenden unter den dort üblichen Abkürzungen geführt). Die Umdeutung heidnischer Riten war lange Zeit gängige Praxis. Das Weihnachtsfest z. B. wurde im vierten Jahrhundert auf den 25. Dezember gelegt. Auf diese Weise verband man die Geburt des ›Lichts der Welt‹ (Joh. 8, 12) mit dem heidnischen Fest der Wintersonnenwende. 179 Einen kurzen Überblick über das Verhältnis von Christentum und römischem Staat, die Polemik gegen die Christen und die Maßnahmen, die von den Machthabern ergriffen wurden gibt T. Klauser e. a. (Hg.) Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. z. Z. 11. Bde., Stuttgart 1954 e. a. (z. T. bereits durch die Neuausgabe von 2001 ersetzt), Bd. II, Lemma Christenverfolgung (historisch).

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

ner der Kolonien wie an den Stadtrömer. Um alle gleichermaßen ansprechen zu können, bedurfte es nicht nur einer gemeinsamen koiné, sondern auch einer Grundlagenschrift, die zwar für alle verbindlich war, aber dennoch Raum für Interpretationen ließ. Diese Orientierung ›in allen Lebenslagen‹ bot in späteren Jahren die Bibel.180 In den ersten Jahrhunderten stand diese jedoch noch nicht zur Verfügung.181 Unabhängig davon, hätte ein Teil der Bevölkerung diese nicht lesen können. Die Aufgabe, die Menschen im christlichen Glauben zu führen, hatten in den ersten Jahren die Apostel, später die Bischöfe, als gewählte Gemeindevorsteher, inne. Paulus war sich dieser Verantwortung sehr deutlich bewußt. Aus seinen Briefen spricht merklich die Sorge um die noch jungen christlichen Gemeinden.182 Der Apostel wandte sich an sie, sobald er das Gefühl hatte, daß diese seines Rates oder seiner Unterstützung bedurften. Wenn er immer wieder betont, daß die von ihm gegründeten Gemeinden das Kapital seien, mit dem er einst vor Gott treten werde, wird deutlich, daß er den Briefen als ›Gelegenheitsprodukten‹ keine besondere Bedeutung beimaß.183 Schon seine Gemeindemitglieder sahen das anders, was dazu führte, daß die Korrespondenz nicht nur verwahrt und verbreitet wurde, sondern daß auch nach Paulus’ Tod Briefe entstanden, die von der Autorität seines Namens profitierten.184 Wie schon die frühen Christen bemerkt hatten – sonst hätten sie die an bestimmte Gemeinden oder Persönlichkeiten adressierten Briefe nicht weitergegeben –, enthalten die paulinischen Briefe eine Fülle von Erläuterungen und Ratschlägen von zeitloser und universaler Gültigkeit.185 Diese Qualität kennzeichnet das Corpus Paulinum als wichtiges Zeugnis damals gängiger Wertvorstellungen und Probleme. ___________ 180 Die Bibel galt zumindest bis ins 14. Jahrhundert als unbedingte Autorität in nahezu allen Bereichen. Für Kleriker und Gelehrte war sie meist der Ausgangspunkt für alle weiteren theoretischen und praktischen Überlegungen (Cf. J. Le Goff: »Lachen im Mittelalter«, in: Bremmer/Roodenburg, S. 43-56, hier S. 51 [Le Goff, in: Bremmer/Roodenburg]. 181 Die heutige Gestalt der Bibel wurde erst im Jahre 382 n. Chr. festgelegt. Bis dahin kursierten eine Fülle von Berichten über Jesu Erdenleben und die Entwicklung der Urkirche oft zweifelhafter Provenienz. Durch die Kanonisierung wurde die Lehrautorität der Evangelien sowie bestimmter Schriften aus der Zeit der ersten christlichen Gemeinden festgeschrieben (Cf. Hunger, S. 163ff). 182 Cf. z. B. 2. Kor. 11, 28: »die Sorge für alle Gemeinden«, dazu Becker, S. 170-179, insbesondere S. 172/173. 183 Cf. z. B. 1. Kor. 3, 1-17, Gal. 1, 16; 3, 1-5; 4, 12-20, 1. Thess. 2, 1, 9-12; 19f. Die Tatsache, daß Paulus sich zum Beispiel im Galaterbrief an den rhetorischen Gepflogenheiten der Epoche orientiert – das Schreiben ist wie eine Gerichtsrede aufgebaut – zeichnet den Apostel als ein Kind seiner Zeit aus. 184 Zu den sog. Deuteropaulinen sowie zur Zusammenstellung und Kanonisierung des Corpus Paulinum cf. Becker, S. 6-11. 185 Diese Allgemeingültigkeit wird wohl bei der Entscheidung, die Korrespondenz in den neustestamentlichen Kanon aufzunehmen, eine Rolle gespielt haben.

b) Eine neue Dimension: Das Christentum

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Es kann deshalb auch über die Haltung gegenüber dem Lachen Auskunft geben. Das Lachen wird nicht als natürliche Lebensäußerung oder Zeichen allgemeinen Wohlseins thematisiert, sondern nur im Kontext menschlichen Zusammenlebens. Paulus, genauer gesagt seine Nachfolger, denn die im folgenden analysierten Textpassagen entstammen Deuteropaulinen, nehmen hier also die anfangs skizzierte Aufgabe wahr, den Gemeinden Hilfen bei der Entwicklung eines christlichen Lebensstils zu geben: Von Unzucht aber und Schamlosigkeit jeder Art oder von Habgier soll bei euch, wie es sich für Heilige gehört, nicht einmal die Rede sein. Auch Sittenlosigkeit und albernes oder zweideutiges Geschwätz schickt sich nicht für euch, sondern Dankbarkeit. Denn das sollt ihr wissen: Kein unzüchtiger, schamloser oder habgieriger Mensch – das heißt kein Götzendiener – erhält ein Erbteil im Reich Christi und Gottes.186

Der Briefschreiber findet hier harte Worte. Um die Tragweite seiner Aussage nachvollziehen zu können, ist es sinnvoll, einen Blick in den griechischen Originaltext zu werfen, um die sehr vage Formulierung »albernes oder zweideutiges Geschwätz« zu erhellen: Im Griechischen steht an dieser Stelle »    . "  «187. Dies mag erstaunen: Was in vorchristlicher Zeit im Zusammenhang mit dem Lachen gelobt und als einzig würdige Art mit Scherzen umzugehen angesehen wurde, wird hier schlichtweg verboten. Auch wenn Scherzworte nur in angemessener Form und mit Rücksicht auf Zeit, Ort und Gesprächspartner verwendet werden, bleiben sie Scherzworte, die gegen eine andere Person gerichtet sind. Im Kontext des Ephesertextes erscheinen selbst solcherart angebrachte Scherze unpassend.188 Hatte der Briefschreiber hiermit die Frage der Angemessenheit, die in den vergangenen Jahrhunderten bereits mehrfach die Gemüter erhitzt hatte, für die Christen endgültig gelöst, indem er jegliche Scherze untersagte? Mitnichten! Der Brief an die Kolosser enthält folgenden Ratschlag: Eure Worte seien immer freundlich, doch mit Salz gewürzt, denn ihr müßt jedem in der rechten Weise antworten können.189

___________ 186

Eph. 5, 3-5. Novum testamentum Graece et Latine. Testum Graecum post E. Nestle et E. Nestle communiter ediderunt K. Aland e. a. Textus Latinus Novae Vulgatae Bibliorum Sacrorum Editioni debetur. Utriusque textus apparatum criticum recensuerunt et editionem novis curis elaboraverunt K. et B. Aland. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1984 [NTG; NTL], hier NTG, Eph. 5.4. 188 Cf. J. Bremmer: »Witze, Spaßmacher und Witzbücher«, in: Bremmer/Roodenburg, S. 18-31, hier S. 30 [Bremmer, in: Bremmer/Roodenburg]. 189 Kol. 4, 6. 187

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

In der Frage, wie die Wendung »mit Salz gewürzt« zu verstehen ist, hilft in diesem Fall nicht so sehr das griechische Original190, sondern eher eine lateinische Übersetzung: Sermo vester semper sit in gratia, sale conditus, ut scitis opporteat, unicuique respondere191

Sale ist im Lateinischen ein Homonym.192 Was sich aus dieser Doppeldeutigkeit für Probleme und Chancen ergeben, legt Quintilian in der Institutionis oratoriae dar: Salsum in consuetudine pro ridiculo tantum accipimus: natura non utique hoc est, quamquam et ridicula esse oporteat salsa. [...] Salsum igitur erit, quod non erit insulsum, velut quoddam simplex orationis condimentum, quod sentitur latente iudicio velut palato, excitatque et a taedio defendit orationem. Sales enim ut ille in cibis paulo liberaliis adspersus, sit tamen non sit inmodicus, adfert aliquid propriae voluptatis, ita hi quoque in dicendo habent quiddam, quo nobis faciam audiendi sitim.193

Cicero wandte salsum stets in der Bedeutung ›zum Lachen reizend‹ an: Genus est perelegans et cum gravitate salsum cumque oratoriis dictionibus tum urbanis sermonibus accomodatum [...] Saepe etiam salse, quae fieri non possunt, optantur [...] Salsum est etiam quaerentibus et quasi percontantibus lente respondere quod nolint.194

Die Deuteropaulinen sind wohl zwischen 70 und 90 n. Chr geschrieben worden.195 Der De oratore ist also gut hundertfünfzig Jahre vorher, die Instititionis oratoriae etwa zur gleichen Zeit entstanden. Wie die beiden Textpassagen zeigen, hat sich das Verständnis von salsum als ›zum Lachen reizend‹ bis zu den Lebzeiten Quintilians gehalten: »in consuetudine pro ridiculo«. Die Wendung »mit Salz gewürzt« des Kolosserbriefes ist also sowohl im Sinne von ›nicht langweilig‹ als auch als »mit Scherzen versehen« zu interpretieren. Dies führt bei der Frage nach der Angemessenheit196 nicht zu neuen Erkenntnissen, wirft jedoch das Problem, ob es grundsätzlich eine Form christlich geprägter ___________ 190 NTG, Kol. 4, 6: »& &  /0 ) 1 ) 2 3  4  2 +  0 5 /6 1+ 1) 7 8« 191 NTL Col. IV, 6. 192 Cf. A. Walde/J. B. Hofmann (Hg.): Lateinisches etymologisches Wörterbuch, 2 Bde, Heidelberg 31954 [Walde/Hofmann]; Lemma sal/salsus: Salz, aber auch Witz, Klugheit, Feinheit; salzig, würzig, ebenso witzig, gewandt, klug. 193 Inst. orat. I; VI, 3, 18/19. 194 De orat. II, 270, 289. 195 Der Kolosserbrief entstand um 70 n. Chr., das Schreiben an die Epheser etwa zehn bis fünfzehn Jahre später (Cf. H.-J. Klauck: Antike Briefliteratur und das neue Testament. Paderborn, München 1998, S. 238-242). 196 Die Sorge um die Angemessenheit schlägt sich im Zusatz ›immer freundlich‹ nieder.

b) Eine neue Dimension: Das Christentum

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"   gibt, erneut auf. Denn der Kolosserbrief verwirft das Lachen nicht in letzter Konsequenz. Eine Lösung bietet Klemens von Alexandrien an. Mit seinem Werk, dem Erzieher197, möchte er den Christen in ›heidnischer‹ Umgebung Hilfestellung bei der Einrichtung ihres Lebens geben.198 Dem Gelehrten war es stets daran gelegen, eine Synthese von Philosophie und Christentum herbeizuführen. Seine Kenntnis der profanen Literatur manifestiert sich nicht nur in einer Fülle von Zitaten und Verweisen in seinen Werken, sondern vor allem durch die gedankliche Nähe zahlreicher Aussagen zu den verschiedenen philosophischen Schulen.199 Demzufolge eignen sich seine Schriften vorzüglich für eine Analyse der Anverwandlung vorchristlicher Konzepte, zumal davon auszugehen ist, daß er Begriffe wie "   nicht nur als Worthülsen verwendete, sondern sich ihrer ursprünglichen Bedeutung wohl bewußt war. Nach seinem eigenen Zeugnis, lebte Klemens als freier christlicher Lehrer in Alexandria.200 Er war also mit dem Leben in der Großstadt vertraut und wußte um die Gefahren und Verführungen, denen die Christen ausgesetzt waren. Diese Kenntnisse schlagen sich im Erzieher deutlich nieder. Während das erste Buch Jesus als Lehrer der Menschen darstellt und eher philosophischethische Zielsetzungen verfolgt, beinhalten Buch II und III konkrete Ratschläge für das Leben im Alltag.201 In Kapitel fünf bis sieben des zweiten Buches widmet sich Klemens dem Problem des Lachens sowie des unanständigen Redens und Spottens: Leute, die darin geschickt sind, lächerliche oder vielmehr zu verlachende Stimmungen nachzuahmen, müssen wir aus unserem Staate ausweisen. Denn da alle Reden ihren Ausgangspunkt im Denken und in der Sinnesart haben, so ist es nicht möglich,

___________ 197 Klemens von Alexandreia: Der Erzieher (

) in: Klemens von Alexandreia: Der Erzieher Buch II+III. Welcher Reiche wird gerettet werden? (Bibliothek der Kirchenväter) Aus dem Griechischen übers. von O. Stählin. München 1934 [Erzieher]. 198 Cf. B. Altaner/A. Stuiber: Patrologie: Leben, Lehre und Schriften der Kirchenväter. Freiburg, Basel, Wien 81978/93, S. 192 [Altaner/Stuiber]. Hier findet sich auch ein kurzer Überblick über Leben, Werke und Lehre Klemens’ von Alexandrien i. e. Titus Flavius Clemens (S. 190-197). 199 Cf. Heinzmann, S. 42-49. Neben den Einflüssen des Platonismus zeigt sich Klemens besonders in bezug auf sein Menschenbild von stoischem Gedankengut beeinflußt. Zum Verhältnis des Autors zur Gnosis cf. Heinzmann, S. 43. F. Quatember widmet ein Kapitel seines Buches Die christliche Lebenshaltung des Klemens von Alexandrien nach seinem Pädagogus. Wien 1946 [Quatember] dem Verhältnis des Autors zur profanen Literatur (S. 64-84). 200 Klemens von Alexandreia Teppiche (9 ); Wissenschaftliche Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie. (Bibliothek der Kirchenväter) Buch I-III, aus dem Griechischen übers. von O. Stählin. München 1936, I, 11, 1. 201 Eine Übersicht über Inhalt und Aufbau des Werkes liefert Quatember, S. 43-50.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen irgendwelche lächerlichen Reden von sich zu geben, die nicht von einer lächerlichen Sinnesart ausgingen. Denn das Wort, ›es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, und keinen schlechten Baum, der gute Früchte bringt‹ paßt wohl auch hier; Frucht der Gesinnung ist die Rede. Wenn wir demnach die Possenreißer aus unserem Staat verbannen müssen, so ist es noch viel weniger möglich, daß wir uns selbst gestatten, lächerliche Possen zu treiben. 202

Hallen hier nicht die Worte Platons wider, der alle Dichter aus dem Idealstaat verbannt sehen wollte und auch an den Possenreißern – ebenso wie später Aristoteles und Cicero – harsche Kritik übte? Klemens führt diese Tradition fort. Für seine Vorgänger war diese Figur Sinnbild jeglicher Art unangebrachten Scherzens. Klemens geht einen Schritt weiter. Er betrachtet die Lächerlichkeit solcher Spaßmacher als Spiegel ihrer Geisteshaltung und untermauert seine Meinung durch die Autorität des Evangeliums.203 Wer ihre Gesinnung nicht teilte, sollte sich dementsprechend auch nicht verleiten lassen, ihre Gewohnheiten anzunehmen. Die negative Einstellung gegenüber Possenreißern und allen, die nur darauf aus sind, durch ihr Verhalten bei anderen Lachen auszulösen, geht jedoch nicht mit einer grundsätzlichen Ablehnung des Lachens einher, im Gegenteil: Denn man darf nicht deswegen, weil der Mensch ein Lebewesen ist, zu dessen wesentlichen Merkmalen das Lachen gehört, immerfort lachen, da ja auch das Pferd, dessen Kennzeichen das Wiehern ist, nicht immerfort wiehert. Als vernünftige Wesen müssen wir aber selbst das richtige Maß für uns finden, indem wir das Herbe und Übertriebene unseres Ernstes in maßvoller Weise mildern, nicht in maßvoller Weise aufgeben.204

Klemens akzeptiert das Lachen als natürliches Merkmal des Menschen aus der Überzeugung heraus, daß alles, was Gott aus seiner Sorge für die Menschen erschaffen hat, notwendig gut ist. Diese Einstellung erklärt auch seine Aussage in bezug auf »unanständige Reden«205: Wir haben aber in gründlicherer Darstellung gezeigt, daß die Bezeichnung des wirklich Unsittlichen sich nicht auf die Worte und ebensowenig auf die dem Geschlechtsverkehr dienenden Glieder und die eheliche Umarmung bezieht, [...] denn auch das Knie und das Schienbein, diese Körperteile, und ihre Benennung und die mit ihnen vollführten Tätigkeiten sind nicht unsittlich [...] unsittlich ist aber ihre ungebührliche Verwendung [...] denn in der Tat ist etwas Unsittliches allein das Laster und die aus ihm hervorgegangenen Handlungen.206

___________ 202

Erzieher II, 5; 45, 1-2. Mt. 7, 18; Lk. 6, 43. 204 Erzieher II, 5; 46, 2. 205 Erzieher II, 6, Titel. 206 Erzieher II, 6; 52, 2. 203

b) Eine neue Dimension: Das Christentum

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Im gleichen Maße, wie der Mensch Teile des von Gott geschaffenen menschlichen Körpers durch sein Zutun verunglimpfen kann, ist es auch möglich, das Lachen als Wesensmerkmal des Menschen zu mißbrauchen.207 Wenn der Verfasser der Schrift Lachen und Ernst als die beiden Extreme der menschlichen Affektwelt ansieht, die es als »vernünftiger Mensch« zu beherrschen gilt, zeigt er sich von der Philosophie der Stoa beeinflußt.208 Nach stoischer Idealvorstellung dominiert der Mensch seine Leidenschaften und erlangt auf diese Weise eine Ausgeglichenheit, die er als Glückseligkeit empfindet. Dieses Bestreben mag hier in Ansätzen vorhanden sein, denn Klemens zwingt nicht mehr – wie seine Vorgänger – nur das Lachen in Fesseln, sondern legt auch dem Ernst Beschränkungen auf.209 Gelungene Affektbeherrschung ist auch nach außen hin für jedermann sichtbar: Wenn man die Spannung des Gesichts wie die eines Instruments zu harmonischer Wirkung ein wenig nachläßt, so heißt das Lächeln (:2 und so breitet sich Erheiterung über das Gesicht aus, dies ist das Lachen des Verständigen. Wenn man aber die Haltung des Gesichts völlig auflöst, so heißt dies, wenn es bei den Frauen geschieht Gekicher und dies ist das Lachen der Dirnen, bei den Männern aber Gelächter und dies ist das Lachen wie bei den zuchtlosen Freiern und ein Zeichen des Übermuts. Der Tor lacht mit lauter Stimme, der Kluge aber lächelt kaum leise sagt die Schrift (Sir. 21, 20). Mit dem klugen Mann meint sie hier einen Verständigen, dessen Art der des Toren entgegengesetzt ist.210

Freies, ungezwungenes Lachen wird hier Personengruppen zugeordnet, die in der Gesellschaft allgemein schlecht angesehen waren. Diese Verbindung kommt einer negativen Beurteilung gleich, die zudem durch das Schriftzitat zu___________ 207 Cf. Quatember, S. 125. Diese Einstellung liegt auch der Aussage zugrunde, mit der Klemens die genaue Beschreibung der Geburtsvorgänge rechtfertigt: »Wir brauchen uns aber nicht zu schämen, zum Nutzen der Hörer die dem Gebären dienenden Organe zu nennen, die zu schaffen sich Gott nicht geschämt hat« (Erzieher II, Kapitel X, 92, 3) Nicht der Körper oder seine Teile sind schlecht oder anstößig, problematisch ist nur der unrechte Gebrauch. 208 Die Auseinandersetzung mit ›heidnischer‹ Literatur, insbesondere mit den Werken Senecas (d. J.) mag zu einer gewissen Vertrautheit mit stoischem Gedankengut geführt haben, was sich dann auch im Werke Klemens niederschlägt (Cf. dazu: W.-D. Hartwig: »Komik der Erlösung«, in: P. Kiedaisch/J. A. Bär (Hg.): Heiterkeit. Konzepte in Literatur und Geistesgeschichte. München 1997, S. 231-261, hier S. 235 [Hartwig, in: Kiedaisch/Bär]). 209 Die Formulierung: »(müssen wir) das Herbe und übertriebene unseres Ernstes [...] mildern« kann als Hinweis auf die weltliche Traurigkeit gedeutet werden, die Paulus bereits in 2. Kor. 7, 10 verwirft: »Die gottgewollte Traurigkeit verursacht nämlich Sinnesänderung zum Heil, die nicht bereut werden braucht; die weltliche Traurigkeit aber führt zum Tod«. Thomas von Aquin wird sie als »tristia de bono spirituali inquantum est bonum divinum« definieren (Sum. theol., II, II, q. 35, art. 3, co.) Als solche wird sie als acedia in den Katalog der sieben Todsünden aufgenommen. 210 Erzieher II, 5; 46, 3. Klemens benutzt hier eine musikalische Metaphorik, die er im wesentlichen Platon entlehnt (Staat III, 10; 398ff). Diese wird auch im weiteren Verlauf des Textes beibehalten (Cf. dazu Hartwig, in: Kiedaisch/Bär, S. 234-242).

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

sätzlich gestützt wird. Für einen Christen ziemt es sich nur zu lächeln. Aus dem Zusammenhang geht nicht genau hervor, ob : hier als ›geringes‹ Lachen oder echtes ›Lächeln‹ verstanden wird.211 Aufgrund der weiter unten angeführten Opposition von »Lachen mit lauter Stimme« und »leisem Lächeln« ist jedoch zu vermuten, daß hier das ›verhaltene‹ Lachen einer ausgeglichenen Persönlichkeit gemeint ist.212 Diese soll jedoch nicht wie der stoische Weise die Gesellschaft fliehen, sondern mitten unter den Menschen leben. Handlungsnorm sei für ihn das Schickliche, das ihn nirgendwo ›anecken‹ läßt: Man darf aber weder immer lachen (denn das ginge über das rechte Maß hinaus), noch in Gegenwart von älteren Leuten oder sonst welchen, die Rücksicht verdienen. [...] man darf aber auch nicht jedem Beliebigen gegenüber lachen und nicht an jedem Ort und nicht allen zuliebe und nicht über alles.213

Wenn der Verfasser Angemessenheit und Rücksicht auf Ort, Gesprächspartner und Gegenstand empfiehlt, führt er die Traditionslinie fort, die – in immer wieder anderem Gewand – von der aristotelischen "   über die von Cicero propagierte urbanitas bis ins Renaissancezeitalter weiterzuverfolgen ist. Läßt sich nun der Ephesertext mit den bisher gemachten Aussagen in Einklang bringen?214 Klemens unternimmt in Kapitel VII einen Versuch: ›Aus dem Munde des Unverständigen‹ sagt die Schrift ›kommt der Stab des Übermutes‹ (Spr. 14, 3), indem sie die Gelegenheit zum Übermut einen Stab nennt, auf dem sich der Übermut stützen und mit dessen Hilfe er ausruhen kann. Daher bewundere ich den Apostel, der auch hier uns ermahnt, keine leichtfertigen Witze zu machen und keine ungehörigen Worte zu sprechen.215

___________ 211 Zum grundsätzlichen Unterschied von Lächeln und Lachen cf. S. 12/13 dieser Arbeit. Das Lachen bzw. Lächeln wird hier isoliert betrachtet und nicht in bezug auf seine Funktion im zwischenmenschlichen Bereich. Dies ist ein weiterer Beweis, daß es sich eher um ›geringes Lachen‹ handelt, da Lächeln im allgemeinen der Kontaktaufnahme und -regulierung dient. Die Mahnung zu ›lächeln‹ kann zudem im Zusammenhang mit der Tugend der affabilitas gesehen werden. Daß ein heiterer Gesichtsausdruck, verbunden mit Freundlichkeit, das menschliche Zusammenleben erleichtert, war allgemein anerkannt (Cf. Suchomski, S. 16). Thomas von Aquin wird diesen Gedanken bei der Rechtfertigung des Lachens in der Summa theologiae wieder aufnehmen (Cf. S. 89f). 212 Hartwig spricht in diesem Zusammenhang vom ataraktischen Lächeln. Ataraxie (i. e. Unerschütterlichkeit) galt als wesentliches Kennzeichen des Stoikers (Cf. Hartwig, in: Kiedaisch/Bär, S. 235). Wenn Klemens hier den Christen mahnt, Mangel und Übermaß zu meiden, schließt er sich den Befürwortern der moderatio an. 213 Erzieher II, 5; 47, 2. 214 Die Entwicklung der "   wird im Rahmen dieser Arbeit nur skizziert. Eine detaillierte Darstellung der aristotelischen Idee sowie der Wiederaufnahme durch andere Autoren liefert H. Rahner in: C. Baumgartner, SJ (Hrsg.): Dictionnaire de spiritualité ascétique et mystique − doctrine et histoire. 16 Bde., Paris 1957, hier Bd. IV, Lemma eutrapélie [Baumgartner]. 215 Erzieher II, 5; 53, 2/3.

b) Eine neue Dimension: Das Christentum

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Das Verbot des Apostels216 erstaunt auch den Verfasser der Schrift. Er beruft sich auf die bereits von Platon und Aristoteles propagierte Idee, daß Lachen und Scherze, allerdings in angemessener Form, dem Menschen Erholung bieten und deshalb durchaus akzeptabel sind. Diese Sichtweise, die ja im wesentlichen auf bereits bekannten Konzepten fußt, scheint in den nächsten Jahrhunderten in Vergessenheit geraten zu sein. Anstatt in der Folgezeit die Frage nach der Angemessenheit von Lachen und Scherzen immer wieder neu zu stellen und diese entsprechend den Veränderungen der Gesellschaft sowie der wechselnden Ethik- und Moralvorstellungen neu zu definieren, wiederholen alle diejenigen, die sich intensiv der Schriftlektüre und -auslegung widmeten, nur immer wieder: Jesus hat nie gelacht und deshalb sollen auch die Christen darauf verzichten! Und tatsächlich: Ein Blick in eine Konkordanz oder auch ein Vergewissern ›vor Ort‹ bestätigt die Feststellung: In den vier Evangelien wird an keiner Stelle berichtet, Jesus habe gelacht. Dieser Erkenntnis wird man heutzutage wenig Bedeutung beimessen. Geht man davon aus, daß die Evangelien mit einigem zeitlichen Abstand zu den darin beschriebenen Ereignissen und zudem noch mit dem vorrangigen Ziel, Jesu Botschaft zu tradieren, verfaßt wurden, so erscheint es selbstverständlich, daß die Evangelisten die Dinge des täglichen Lebens, zu denen auch das Stillen der menschlichen Grundbedürfnisse gehört, nicht explizit erwähnen. Wenn Jesus zehntausend Menschen nur durch fünf Brote und zwei Fische satt macht217, oder seine Jünger schlafen anstatt mit ihm zu wachen und zu beten218, erhalten natürliche Verrichtungen symbolische Bedeutung im Rahmen der christlichen Botschaft. Nur unter dieser Bedingung wird von ihnen berichtet. Die zahlreichen Nächte, die Jesus sonst mit seinen Jüngern verbrachte, bleiben ebenso unerwähnt wie die gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten, bei denen vielleicht auch gelacht und gescherzt wurde. Im frühen Christentum sah man die Dinge etwas anders. Nicht nur die Tatsache, daß an keiner Stelle vom Lachen Jesu erzählt wird, sondern auch der Zusammenhang, in dem dieser das Lachen erwähnt, führten zu einer grundsätzlich ablehnenden Haltung. Jesus verwendet den Begriff ›Lachen‹ nur in Opposition ___________ 216

Auch Klemens wird wohl bewußt gewesen sein, daß der Brief an die Epheser nicht von Paulus selbst geschrieben wurde. Er erwähnt dies jedoch nicht, um von der Autorität des Apostels profitieren zu können. 217 Cf. z. B. Mk. 6, 36-44. 218 Cf. z. B. Lk. 22, 45/46. Die Liste der Begebenheiten, in denen Essen, Schlafen usw. symbolische Bedeutung erhalten, ist lang. Grund dafür ist ihre Alltäglichkeit. Gemeinschaft beim Essen, Erquickung durch Schlaf oder den Genuß von Speisen und Getränken sind Erfahrungen, die jeder schon einmal gemacht hat und die sich deshalb sehr gut zur Illustration abstrakter Glaubenswahrheiten eignen.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

zu ›Weinen‹: »Selig, die Ihr jetzt weint, denn Ihr werdet lachen«219 sowie »Weh euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet klagen und weinen«.220 Wer es im irdischen Leben schwer hat und »weint«, wird eines Tages die Freuden des Himmelreiches genießen und »lachen«, weil er sich ›einfach gut fühlt‹. Wer es sich hingegen auf Erden gut gehen läßt, lacht und das Leben genießt, wird am Tag des Jüngsten Gerichts nichts mehr zu lachen haben, sondern »klagen und weinen«. Diese einfache ›Übersetzung‹ der beiden Bibelverse macht den Gedankengang der Menschen von damals nachvollziehbar: Wenn Jesus selbst nicht lachte und darüber hinaus den Menschen die negativen Folgen des Lachens drastisch vor Augen stellte, war es dann nicht angebracht, als Christ in der Nachfolge Jesu das Lachen ebenfalls zu unterlassen? Denn auch im Alten Testament war das Lachen nicht gut gelitten. Nur in den Psalmen wird vom Lachen als Zeichen der Freude berichtet.221 Sonst wird das Lachen stets in Form des Ver- oder Auslachens erwähnt.222 Einzig Kohelet scheint dem Lachen gegenüber positiv eingestellt zu sein: »Es gibt eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen«223. Diese eigentlich positive Aussage – erhält Lachen doch durch sie eine gewisse Daseinsberechtigung – kann ihre Wirkung jedoch nicht gänzlich entfalten, da sie durch das »Über das Lachen sage ich: Wie verblendet!«224 zu Beginn des Buches gewissermaßen relativiert wird. Auch die Tatsache, daß einer der Patriarchen den Namen Isaak trägt, rückt das Lachen in kein besseres Licht. Die landläufige Meinung, Isaak würde ›Lachen‹ bedeuten, mag zu der Annahme führen, der Träger des Namens sei ein fröhlicher Mann gewesen. Eine solche Vermutung läßt sich jedoch anhand des Bibeltextes weder bestätigen noch widerlegen. Isaak läßt sich als apokopierte Form des theophoren Namens Isaak-El = ›dem Gott lacht‹, ›dem Gott günstig gestimmt ist‹, interpretieren.225 Aber auch die Deutung des Namens als Anspielung auf die Reaktion seiner Eltern auf die Ankündigung seiner Geburt ist denkbar: ___________ 219

Lk. 6, 21. Lk. 6, 25. 221 Cf. z. B. Ps. 126, 2: »Da war unser Mund voll Lachen und unsere Zunge voll Jubel«. 222 Cf. z. B. Ijob 30, 1; Weish. 5, 4; I. Kön. 18, 27. Vom Ver- und Auslachen ist auch im Neuen Testament die Rede, cf. z. B. Mk. 5.4; Lk. 23, 35. Die wenigen Beispiele sollen genügen, um die negative Konnotation des Lachens verständlich zu machen. Weitere Schriftzitate sind einer Konkordanz zu entnehmen sowie Hartmann, S. 194. 223 Koh. 3, 4. 224 Koh. 2, 2. 225 Cf. C. Westermann: Biblischer Kommentar zum alten Testament, II. Teilband, Genesis 12-36. Düsseldorf 1981, S. 324. J. Schwennen betrachtet den Namen Jizchak (= Isaak, der Autor ist bemüht bei der Übertragung der Namen in lateinische Schrift die hebräische Aussprache nachzubilden) als Ableitung von hebr. - er lächelt, er lacht. Dabei bleibt jedoch offen, ob das Personalpronomen ›er‹ hier den Namensträger, den Na220

b) Eine neue Dimension: Das Christentum

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Weiter sprach Gott zu Abraham: [...] Ich will sie segnen und dir auch von ihr einen Sohn geben. [...] Da fiel Abraham auf sein Gesicht nieder und lachte. Er dachte: Können einem Hundertjährigen noch Kinder geboren werden und kann Sara als Neunzigjährige noch gebären? [...] Sara lachte daher still in sich hinein und dachte: Ich bin doch schon alt und verbraucht.226

Abraham und Sara lachen nicht aus Freude, sondern ungläubig, vielleicht sogar spöttisch, weshalb sie es anschließend auch leugnen: (Sara) »Ich habe nicht gelacht. Sie hatte nämlich Angst. Er (der Engel als Gottes Bote) aber sagte: Doch du hast gelacht«.227 Das Lachen kann nicht eindeutig als Zeichen der Lebensfreude bewertet werden und somit nicht zur ›Rehabilitation‹ des Phänomens beitragen.228 ___________ mensgeber oder eine dritte Person ersetzt (Cf. J. Schwennen: Biblische Eigennamen. Gottes-, Personen- und Ortsnamen im Alten Testament. Stuttgart 1995). 226 Gen. 17, 15-17; 18, 12. 227 Gen. 18, 14. Im Bericht über die Geburt Isaaks wird das Lachen erneut thematisiert: »Sara aber sagte: Gott ließ mich lachen, jeder der davon hört, wird mit mir lachen« (Gen. 21.6). Auch hier kann das Lachen sowohl als Zeichen der Freude als auch als Spott bewertet werden (Cf. Minois, S. 97). 228 Interessanterweise scheinen sich auch nur sehr wenige Künstler der Gestaltung der Ankündigung der Geburt Isaaks – und damit der lachenden Sara – angenommen zu haben. Da bildhafte Darstellungen jahrhundertelang für die Übermittlung der biblischen Botschaft an einen Großteil der Bevölkerung unabdinglich waren, würde eine eventuelle ikonographische Absenz des Motivs darauf hindeuten, daß die Szene entweder als unwichtig erachtet oder aber absichtlich ausgespart wurde. Es lohnt sich also die Abbildungen dieser Szene einmal aufzuspüren und gegebenenfalls zu interpretieren. Bei der Suche – die sich aus gegebenen Anlaß nur auf den Bereich christlicher Ikonographie beschränkte – stellte sich bald heraus, daß sowohl einschlägige Nachschlagewerke als auch Werkverzeichnisse unter dem Lemma Isaak meist nur Werke führen, die entweder auf die Opferung (Cf. Gen. 22) Bezug nehmen oder aber die Patriarchendreiheit AbrahamIsaak-Jakob darstellen. Eine Möglichkeit, das Gespräch zwischen Gott und Abraham bzw. Gott und Sara, während dem er ihnen das Schwangerwerden der alten Frau voraussagt, abgebildet zu finden, bieten die Darstellungen des Besuchs der drei Engel bei Abraham, in dessen Rahmen nach biblischem Bericht das Gespräch stattfindet. Abraham wird hier jedoch stets bei der Bewirtung der Gäste gezeigt. Sara hingegen ist entweder gar nicht oder gleichfalls geschäftig für die Besucher arbeitend zu sehen. Da hier offensichtlich ein Mahl vorbereitet wird, wurde die Szene, obwohl im biblischen Zusammenhang die Sohnesverheißung im Mittelpunkt steht, oft als eucharistische Vorausdeutung interpretiert, was die wiederholte Darstellung des Motivs erklärt; cf. B. Brenk: Die frühchristlichen Mosaiken in San Maria Maggiore zu Rom. Mit 77 Abbildungen auf 36 Tafeln und vier Farbtafeln. Wiesbaden 1975, S. 61 [Brenk]. Abbildungen dieser Kunstwerke, die jedoch Sara nicht lachend zeigen – Brenk spricht sogar von einem »bedeutungsschweren Blick des Ehepaares« (Brenk, S. 57) – bietet der Band von H. Karpp: Die Mosaiken von San Maria Maggiore. Baden Baden 1966, Abb 32-36. Weder der von Brenk vorgenommene Vergleich mit anderen Mosaikdarstellungen der Szene (Brenk, S. 58), als auch meine eigenen Nachforschungen ergaben, daß die Unterhaltung mit Gott und das Lachen Saras dem Betrachter vorenthalten wird, was der lachfeindlichen Haltung der Kirchenoberen, die ja oft die Auftraggeber derartiger Werke waren, entspricht. Die Tatsache, daß auch auf den Werken des 17. und 18. Jahrhunderts keine lachende Sara zu sehen ist, mag darauf hindeuten, daß das Lachen, wenn man es darstellt, die Gesichter

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

Die Bibel kennt also zwei Formen des Lachens: Das spöttische Lachen über jemanden und das Lachen als Zeichen persönlicher, momentaner Freude. Diese Unterscheidung ist im hebräischen Urtext deutlich erkennbar. Für das freie, ungezwungene Lachen steht ‫ = צחק‬shq229, spottendes Lachen wird durch ‫= צחש‬ śhq 230 wiedergegeben. Auch das Griechische, die Ursprache des Neuen Testa___________ entstellt und häßlich macht. In diesem Fall widerspräche das Abbilden lachender Personen dann auch den Regeln der bienséance (Eine Übersicht der Darstellungen der Motive Abraham empfängt die drei Engel bzw. Abraham bewirtet die drei Engel bietet A. Pigler in: ders.: Barockthemen: Eine Auswahl von Verzeichnissen zur Ikonographie des 17./18. Jahrhunderts. Bd. II (Darstellungen religiösen Inhalts.) Budapest 21974, S. 38-42). Darstellungen von lächelnden Personen findet man hingegen in reicher Zahl – man denke nur an das berühmte Lächeln der Mona Lisa Leonardo da Vincis (1503/1506, Paris, Louvre) – zum einen, weil ein Lächeln das Gesicht oft hübscher macht, zum anderen weil der Betrachter sich durch die Kontaktaufnahme, die das Lächeln impliziert, angesprochen fühlt. Auch die modernste Darstellung des Motivs von M. Chagall (Abraham et les trois anges, 1960/1966, Nizza, Musée Message biblique) zeigt Sara mit ernstem Gesicht (Cf. C. Goldmann: Bild-Zeichen bei M. Chagall. Bd. 2: Enzyklopädie zu den Bildern der ›Biblischen Botschaft‹ Göttingen 1995, S. 92). Die Absenz des Motivs läßt sich auch im literarischen Bereich konstatieren. Nur wenige Werke führen Isaak oder Abraham im Titel ohne gleichfalls die Beschränkung auf die geplante Opferung mit anzugeben (Cf. beispielsweise das Werk Thédore de Bèze’ Abraham sacrifiant. (Genf 1550)). Eine Ausnahme bilden die religiösen Dramen von F. Belcari: Rappresentazione di Abramo e Isacco (Cestelli 1449) und J. C. Lavater: Abraham und Isaak (Winterthur 1776). In beiden Fällen beginnt die Handlung bereits zeitlich vor der Opferung, beschreiben also auch das Leben der Familie. Belcaris Rappresentaziome beginnt mit der Aufforderung Abrahams durch den Engel, er solle mit seinem Sohn fortziehen und diesen an einer von Gott bestimmten Stelle diesem opfern. Daran anschließend wird der Aufbruch, die Reise und die im letzten Moment verhinderte Opferung des Sohnes sowie die Rückkehr geschildert. Ein Hinweis auf die Geburtsverheißung oder den (eventuell) sprechenden Namen Isaaks ist im gesamten Stück nicht enthalten (Cf. F. Belcari: Rappresentazione di Abramo e Isacco, in: E. Faccioli (ed.): Il teatro italiano. Dalle origini al Quattrocento I. Turin 1975, S. 133-149). Lavater läßt seine Protagonisten zwar von Isaak als »Du Hoffnung, die Gott uns gab« (J. C. Lavater: Abraham und Isaak. Ein religiöses Drama (in drei Akten). Winterthur 1776, I, 2, S. 23) und »Du gesegneter des Herrn« (I, 4, S. 32) sprechen, das ungläubige Lachen der Eltern als erste Reaktion bleibt jedoch unerwähnt. Im protestantischen Umfeld Lavaters wäre er damit beim Publikum auch sicher auf Protest gestoßen. 229 Die Form ‫ = צחק‬shq (Die Transliteration erfolgt nach der Übersicht Die hebräischen Konsonantenzeichen und ihr Lautwert, in: R. Bartelmus: Einführung in das biblische Hebräisch – ausgehend von der grammatischen und (text-) syntaktischen Interpretation des althebräischen Konsonantentexts des Alten Testaments durch die tiberische Masoretenschule des Ben Ascher – mit einem Anhang: Biblisches Aramäisch für Kenner und Könner des biblischen Hebräisch. Zürich 1994, S. 26) findet sich (in flektierter Form) beispielsweise in den bereits zitierten Genesisversen: Gen. 17, 17; 18, 12; 21, 6 (Cf. Biblia Hebraica Stuttgartensia quae antea cooperationibus A. Alt, e. a. ediderat R Kittel. Edition funditus renovata adjuvantibus H. Bardtke e. a. cooperantibus H. P. Rüger et J. Ziegler ediderunt K. Ellinger et W. Rudolph. Textum Masoreticum curavit H. P. Rüger, Stuttgart 41990 [BHS]). 230 ‫ = שחק‬śhq = verlachen, lachen über wird z. B. in den Psalmen verwendet: Ps. 2, 4: »Doch er, der im Himmel thront, lacht, der Herr verspottet sie« (Ps. 59, 9 (BHS: 58, 8): »Du aber, Herr, verlachst sie, du spottest über alle Völker«).

b) Eine neue Dimension: Das Christentum

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ments, kennt mehrere Worte:  6 wird grundsätzlich zum Ausdruck des Lachens verwendet, 1  6 für negatives, spottendes Lachen.231 Im Lateinischen gibt es diese Differenzierung nicht, risus bzw. ridere steht für beide Formen. Ein lateinisch formuliertes Verbot des Verlachens kam also stets einem generellen Verbot des ridere gleich, da der Unterschied nicht wiedergegeben werden konnte.232 Die Ablehnung des Verlachens erklärt sich durch die Tatsache, daß diese Art des Lachens immer Feindschaft und Mißgunst gegenüber dem Anderen ausdrückt und somit ein Verstoß gegen das christliche Gebot der Nächstenliebe impliziert. Es wurde – mit anderer Begründung – bereits in vorchristlicher Zeit in die Schranken gewiesen und unterliegt auch heutzutage noch den jeweils geltenden Regeln des Anstands. Wo das Lachen über eine Person mit zwar treffendem, aber intelligenten, angemessenen Wortwitz einher geht, verbindet es sich mit der Tradition sich wandelnder "  . Die Reglementierung des freien, ungezwungenen Lachens hingegen ist neu. Sie findet ihr vorchristliches Pendant lediglich in der Mahnung an die Verantwortlichen im platonischen Idealstaat. Alle Freiheiten, die dem Lachen in den vergangenen Jahrhunderten zugestanden worden waren – war doch die Tatsache, daß Lachen Entspannung und Erholung schenkt, grundsätzlich anerkannt – scheinen Kirchenschriftsteller und Kirchenväter zurückzunehmen: Jesus hatte nicht gelacht, also sollten auch die Christen nicht lachen! Warum aber lachte Jesus nie? Konnte er nicht oder wollte er nicht?233 Ein Großteil der christlichen Gelehrten der frühen Jahrhunderte war mit der ›heidnischen‹ Literatur noch recht vertraut, das aristotelische Diktum vom ›  # $% & ' ‹ weithin anerkannt. Lachen galt demnach als eine nur dem Menschen angeborene Fähigkeit. Nach christlichem Verständnis ___________ 231

Dementprechend wird  6 in Gen. 17, 17 »1 «; 18, 12 »1 « und 21, 6 » )« (Septuaginta (Vetus Testamentum Graecum) – Genesis (Vol I) Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum. Vol I. edidit J. W. Wevers. Göttingen 1974) sowie in der Feldrede des NT verwendet: Lk. 6, 21 »  )« (NTG). 1  6 hingegen in den Psalmen: Ps. 2. 4: »1  )« Ps. »1  );« (Septuaginta – Psalmi cum Odis (Vol. X). Societas Scientiarum Gottingensis auctoritate edidit A. Rahlfs. Göttingen 1931) Für verspottendes Lachen ist des weiteren die Form   6 gebräuchlich< cf. Le Goff, in: Bremmer/Roodenburg, S. 52/53, sowie Konkordanzen zu den jeweiligen Bibelausgaben. 232 Wobei im Lateinischen selbstverständlich Präfixbildungen zur Verfügung standen, so z. B. irridere, deridere. Diese werden dann auch in den Psalmversen verwendet, die bereits in bezug auf das Hebräische und Griechische als Belegtelle dienten: Ps. 2, 4: »Qui habitat in caelis, irridebit eos/Dominus subsannabit eos«; Ps. 59, 9: »Et tu Domine, deridebis eos, subsannabis omnes gentes« (Nova Vulgata. Bibliorum sacrorum. Editio Sacros. Oecum. Concilii Vaticani II ratio habita iussu Pauli PP VI recognita auctoritate Ioannis Pauli PP II promulgata. Vatican 1979). 233 Cf. Stollmann, S. 26, Anm. 2.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

ist Jesus »wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch, [...], wesensgleich dem Vater der Gottheit nach, wesensgleich uns der Menschheit nach, in allem uns gleich, außer der Sünde«234. Jesus war also ›ganz Mensch‹ und dementsprechend fähig zu lachen.235 Sein Nicht-Lachen beruht auf einer bewußten Entscheidung. Diese Feststellung hatte weitreichende Folgen. Auf das Lachen zu verzichten wurde integraler Bestandteil gottgefälligen Lebens und deshalb auch in die Ordensregeln der verschiedenen Gemeinschaften aufgenommen.236 Jedoch galt das Gebot, dem Lachen zu entsagen, nicht nur für Mönche, die sich in besonderem Maße der Nachfolge Christi verschrieben hatten, sondern für alle Christen. Die hier nur knapp dargestellte Problematik füllt in Wirklichkeit einige Kodices.237 Die an der Diskussion beteiligten stützen ihre Argumentation vorrangig auf die oben angeführten Schriftzitate aus beiden Testamenten. Dies soll im folgenden am Beispiel Johannes Chrysostomus’, einem der eifrigsten Verfechter der These, Jesus habe nie gelacht, exemplarisch verdeutlicht werden. Johannes Chrysostomus war lange Zeit Prediger in Antiochien.238 Sein Werk besteht deshalb im wesentlichen aus Homilien, die während des Vortrags von Zuhörern aufgezeichnet und später veröffentlicht wurden. Stil und Inhalt lassen einen flammenden Redner erahnen, der sein Publikum für eine Sache begeistern möchte: Eingestreute Anspielungen auf Zeitumstände, Digressionen und Gleichnisse fesselten auch während der oft sehr langen Homilien die Aufmerk___________ 234 Definitio fidei des Konzils von Chalkedon, 451 n. Chr., in: J. Wohlmuth e. a. (Hg.): Dekrete der Ökumenischen Konzilien. 3 Bde., hier Bd. I, S. 86. Paderborn, Mün2 chen 1998 (Dt. Übersetzung und Bearbeitung des von G. Alberigo hrsg. Conciliorum Oecumenicarum Decreta. Bologna 31973) [Wohlmuth I/II/III]. 235 Thomas von Aquin schreibt diese grundlegende Erkenntnis quasi am Ende der Jahrhunderte währenden Debatte in der Summa theologiae fest: »dicendum quod ea quae sunt proprie unius, non possunt vere de aliquo praedicari nisi de eo quod est idem illi, sicut risibile non convenit, nisi ei quod est homo. in mysterio autem incarnationis non est eadem divina natura et humana, sed est eadem hypostasis utriusquae naturae, et ideo ea quae sunt unius naturae, non possunt de alia praedicari.« (Sum. Theol. III, q. 16, art. 5). 236 Siehe unten, S. 81ff. 237 Nicht so sehr die Vehemenz, sondern mehr die Länge der Diskussion (sie wurde, mit Unterbrechungen, über die Dauer von acht Jahrhunderten geführt) und die Tatsache, daß sich viele im Bereich der Kirchen- und Dogmengeschichte einflußreiche Persönlichkeiten daran beteiligt haben, haben es wohl mit sich gebracht, daß zu diesem Thema eine umfangreiche Forschungsliteratur entstanden ist (Cf. z. B. T. Baconsky: Le rire des Pères. Essai sur le rire dans la patristique grecque. Paris 1996, S. 11f; Minois, S. 95ff; Hist. Wört. der Rhet., Lemma Lachen, das Lächerliche, Sp. 7/8; J. Horowitz/S. Menache: L’humour en chaire. Le rire dans l’Église médiévale. Genf 1994, S. 28ff [Horowitz/Menache] sowie E. R. Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern, München 61967, S. 419ff [Curtius]). 238 Zu Leben, Schriften und Lehre Johannes Chrysostomus’ cf. Altaner/Stuiber, S. 322-331.

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samkeit der Zuhörer239 und machten sie empfänglich für die von Johannes verkündete Lehre, die nicht selten ›starker Tobak‹ war. In den Predigten In Epistolam ad Hebraeos zum Beispiel, zählt er den Gläubigen ein ganzes Sündenregister auf. Er wirft den Christen vor, wie die Dirnen und die Schauspieler darauf aus zu sein, andere zum Lachen zu bringen, er beschuldigt sie, weder die negative Reaktion Gottes auf Saras ungläubiges Lachen, noch Jesu Aussage in der Feldrede als Mahnung ernst zu nehmen. Die Aufzählung wird immer wieder durch den Ausruf Rides! unterbrochen, der leitmotivisch die Predigt durchzieht.240 Die stete Wiederholung soll die Zuhörer aufrütteln, damit sie sich ihrer Vergehen bewußt werden. Johannes entwickelt keine neuen Ideen, sondern stellt Bekanntes in einen veränderten Kontext. Wenn er Schauspieler mit professionellen Spaßmachern241 auf eine Stufe stellt, knüpft er an die Tradition Platons und Klemens’ von Alexandrien an. Auch der Gedanke, daß Worte ein Spiegel der Seele sein können, ist nicht neu. Johannes verbindet ihn mit einer Paraphrase von Eph. 5. 4: Magna mala habitant in anima quae verba usurpat scurrilia et faceta, magna dissolutio. [...] Habes linguam non ut comicis dictis incessas, sed ut Deus agas gratias. Non vides moriones, qui   dicuntur quod risum moveant, et vulgo vocantur   (?) isti sunt  ) , id est scurriles et faceti.242

___________ 239 Cf. Altaner/Stuiber, S. 324. Die außergewöhnlichen rhetorischen Fähigkeiten haben Johannes zum Beinamen Chrysostomus = Goldmund verholfen. 240 Joannis Chrysostomus: Homiliae In Epistolam ad Hebraeos XV, in: J. P. Migne (Hrsg.): Patrologia cursus completus. Series graeca. (PG) Paris 1860, Bd. LXIII, cc. 118-124, passim [Homiliae In Epistolam ad Hebraeos, in: Migne, PG, Bd. LXIII]. Die ursprünglich in griechischer Sprache verfaßten Predigtmitschriften werden im folgenden auf Latein zitiert, da sie nicht alle in deutscher Sprache vorliegen. Die Ausgabe von Migne bietet die Werke vollständig und in a fronte Darstellung zum griechischen Text. 241 Joannis Chrysostomus: In Epist. Ad Ephes. Cap. V. Homil. XVII, in: Migne, PG, Bd. LXII, cc. 116-122, hier c. 120: »[...] res est parasitorum [...]«. Parasiten, die durch Dienstleistungen – zu denen auch Witzeleien und Scherze gehörten – die Gunst der Reichen zu erringen suchten, um auf diese Weise einen Platz an deren üppig gedeckten Tisch zu erhalten, waren fester Bestandteil antiker griechischer Kultur. (Cf. DNP, Bd.9, Lemma: Parasit) Plautus und Terenz machten die Figur des Parasiten auch im lateinischen Sprachgebiet bekannt, gehörte doch der Parasit oft zum Personal der griechischen neuen Komödie, die den römischen Autoren als Grundlage zahlreicher Stücke diente. (Cf. v. Albrecht, S. 78/79). Die negative Einstellung der Kirche gegenüber Schauspielern, Gauklern und allen anderen, deren Hauptziel die Belustigung der Menschen war, schlug sich in zahlreichen Erlassen und Bestimmungen gegen diese Berufsgruppen nieder (Cf. Suchomski, S. 25-28, sowie E. Faral: Les jongleurs en France au Moyen Age. Paris 1910, S. 25-60, insbesondere S. 26-43 [Faral/Jongleurs]). 242 Joannis Chrysostomus: In Epist. Ad Ephes. Cap. V. Homil. XVII, in: Migne, PG, Bd. LXII, cc. 116-122, hier c. 120.   ist eventuell auch als   zu lesen (Cf. die Anm. des Hrsg, S. 120). Bei   handelt es sich um Schauspieler – »saltarum gens« – wie sie bei Aristophanes und Theophrast erwähnt werden.

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Wer seine Zunge für »scurrilia et faceta« mißbraucht – wie es ja auch Schauspieler tun –, verrät auf diese Weise eine für einen Christen zweifelhafte Geisteshaltung. Die zum Teil noch aus ›heidnischer‹ Tradition stammenden Aussagen für und wider das Lachen werden in den Homilien mit der spezifisch christlichen, biblisch geprägten, Sichtweise verschränkt: Rides, dic mihi? Ubi vidisti Christum hoc facientem? Nusquam, sed saepe quidem tristem. Et enim quando vivit Jerusalem, flevit; et quando de proditore cogitavit, fuit turbatus; et quando Lazarum suscitaturus erat, lacrymatus est; tu autem rides? 243

Sehr ähnliche Worte findet er in der Homiliae in Matthaeum VI: Si tu quoque sic lacrymeris, Domini tui imitator effectus es. Nam et ipse lacrymatus est et de Lazaro et de civitate (Joan. 11. 35; Luc. 19, 41), et circa Judam turbatus est. Idipsum porro videre est saepe facientem, ridentem vero nusquam, imo ne subridentem quidem: nullus certe hoc evangelista narravit.244

Daß Johannes und alle anderen, die auf ähnliche Weise argumentierten zumindest theoretisch Erfolg hatten, ist offensichtlich. Die Folgen, die sich aus dieser Lesart der Heiligen Schrift für die Haltung der Kirche zum Lachen ergeben, wurden bereits dargelegt. Jedoch: Jesu Abstinenz ist nicht der einzige Grund für die ›Verteufelung‹ – im wahrsten Sinne des Wortes – des Lachens im Mittelalter. Johannes schreibt: Non enim Deus id dat ut ludamus, sed diabolus: Sedit. Inquit, populus manducare et bibere, et surrexerunt ludere (Ex. 32.6).245

Um seine Behauptung zu stützen, wählt er eine Passage aus dem Buch Exodus. Dort wird beschrieben, wie das Volk Israel, des Wartens auf Mose müde, den Glauben an Jahwe verliert und ein ausgelassenes Fest zu Ehren des Goldenen Kalbes feiert. Wenn ein Mensch oder wie hier ein ganzes Volk »ins Verderben läuft«246, das heißt, sich von Gott abwendet, hat es sich nach jüdischchristlichem Verständnis vom Satan ›verwirren‹ lassen.247 Seitdem dieser Eva überredet hatte, vom Baum der Erkenntnis zu essen, gilt er als der Widersacher Gottes, der stets bemüht ist, die Menschen vom rechten Weg abzubringen. Der Wunsch der Menschen »wie Gott zu sein und Gut und Böse erkennen zu können«248, der sie zum Genuß der verbotenen Früchte verleitet hatte, führte zur ___________ 243

Homiliae In Epistolam ad Hebraeos XV, in: Migne, PG, Bd. LXIII, cc. 121/122. Joannis Chrysostomus: Homiliae in Matthaeum VI, in: Migne, PG, Bd. LVII, cc. 62-72, hier c. 69. 245 Homiliae in Matthaeum VI, in: Migne, PG, Bd. LVII, hier c. 69. 246 Ex. 32, 7. 247 Cf. W Kasper. e. a. (Hg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 8 Bde, Freiburg e. a.31997 [LThK], Lemma Teufel (1. Allgemein, 2. Judentum). 248 Gen. 3, 4-6. 244

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Vertreibung aus dem Paradies. Durch den Sündenfall war nicht nur die Harmonie zwischen Mensch und Gott, sondern auch unter seinesgleichen gestört. Ärger, Spott und das Lachen über den anderen, Verhaltensweisen, die den Menschen vor der Intervention des Satans fremd waren, gehören seither wie selbstverständlich zum Leben dazu.249 Die Vehemenz, mit der sich Johannes Chrysostomus gegen das Lachen ausspricht, vermag leicht darüber hinweg zu täuschen, daß auch er das Lachen letztlich in engen Grenzen zuläßt: Exempli causa ridere, et jocosa dicere verba, non manifestum quidem peccatum esse videtur, sed in manifestum crimen inducit: nempe saepe ex risu turpia nascuntur verba, a turpibus verbis actiones turpiores. [...] Si tibi igitur bene consulturus es, non turpia tantum verba, neque turpia tantum facta, neque plagas et vulnera et homicidia, verum et ipsum intempestivum risum et verba fugies scurrilia, quoniam subsequentium malorum radix talia esse solent.250

Und an anderer Stelle: Insitus est nobis risus, ut quando viderimus amicos post longum tempus, hoc faciamus, quando aliquos perculsos et territos, ut subridendo eos recreemus, non ut cachinnos edamus, et semper rideamus; animo nostro insitus est risus, ut aliquando relaxetur animi, non ut diffundatur.251

Johannes nimmt hier im wesentlichen die Gedanken Klemens’ von Alexandrien wieder auf, in dem er verhaltenes Lachen billigt, unmäßiges aber verurteilt. Wie vielen vor ihm, geht es also auch Johannes um die Angemessenheit des Lachens, die sich unter anderem durch moderatio erreichen läßt. Deutlich unterscheidet er zwei Formen. Während er das Verlachen (ex risu turpia nascuntur verba) als Gefahr betrachtet, hält er das Lachen aus (Lebens)-Freude für durchaus natürlich – und nimmt damit aristotelisches Gedankengut auf. Auch die Erholungsfunktion des Lachens spricht er an. Sie kommt hier allerdings nicht dem Lachenden selbst zugute, sondern seinem Mitmenschen, der von der

___________ 249 Cf. Minois, S. 95/96. Auf diesen Sachverhalt spielt auch Baudelaire an, wenn er in De l’essence du rire das Lachen als »diabolique« bezeichnet (C. Baudelaire: De l’essence du rire et généralement du comique dans les arts plastiques, in: Œuvres complètes de C. Baudelaire: Quelques-uns de mes curiosités esthétiques. Notice, notes et éclaircissements de J. Crépet. Paris 1923, (11846), S. 369-396, hier S. 372 [De l’essence]). Auch Eco, der im Roman Il nome della rosa den Bibliothekar die Worte in den Mund legt: »Il riso è la debolezza, la corruzione, l’insipidità della nostra carne« (Il nome, S. 477) hatte dabei wohl diese Genesispassage im Kopf (Cf. dazu S. 149f). 250 Joannis Chrysostomus: Homiliae XV de statius, in: Migne, PG, Bd. IL, cc. 154161, hier cc. 158/159. Die sogenannten Säulenhomilien entstanden im Zusammenhang mit einer Aufruhr, die anläßlich einer Steuererhöhung im Volk entstanden war. Dabei hatte man die kaiserlichen Bildsäulen umgestürzt (Cf. Altaner/Stuiber, S. 322). 251 Homiliae In Epistolam ad Hebraeos XV, in: Migne, PG, Bd. LXIII, cc. 121/122.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

entspannten Atmosphäre, die durch das Lachen entsteht, profitieren kann.252 Lachen im Dienste der Nächstenliebe! Es ist im Nachhinein schwer zu beurteilen, was Johannes dazu bewogen hat, das Lachen dennoch zu akzeptieren. Sei es, daß er am eigenen Leib erfahren hat, daß es quasi unmöglich ist, gänzlich auf das Lachen zu verzichten, er dies also auch nicht von den Gläubigen erwarten wollte, sei es, daß er bei anderen Rednern oder Predigern die positive Aufnahme von Scherz und Lachen beobachtet hatte und er deshalb dem Lachen – gegen seine ursprüngliche Überzeugung – einen Platz im Leben des Christen zugestand. Kirchenväter und Kirchenschriftsteller haben sich jahrelang bemüht, den Raum, der dem Lachen im Leben der christlichen Gemeinden zugebilligt werden konnte, zu definieren. Auch wenn die Auseinandersetzung mit dem Phänomen die Dimensionen des Lachens und Verlachens in den Blick nahm, blieb sie dennoch recht einseitig, da sie sich auf das Lachen als Antwort beschränkte. Die Frage, ob Jesus selbst vielleicht seine Mitmenschen zum Lachen reizte oder aber aus Lebensfreude und guter Laune lachte, wurde nie gestellt.253 Schon Klemens von Alexandrien und Johannes Chrysostomus hatten eine direkte Beziehung zwischen gesprochenem Wort und innerer Einstellung gesehen. Diese Auffassung liegt auch den Geboten zugrunde, die Benedikt von Nursia in seiner Ordensregel aufstellte und mit denen er das Lachen in seine Schranken wies. Benedikt hatte sich nach einem enttäuschenden Aufenthalt in Rom in die Einsamkeit zurückgezogen.254 Als andere Männer sich ihm zugesellten, die wie er ein Leben nach dem Evangelium führen wollten, das Zusammenleben aber trotz des gemeinsamen Ziels bald unerträglich wurde, flüchtete Benedikt mit nur wenigen Vertrauten und baute auf dem Monte Cassino ein Kloster. Diese Mönchsgemeinschaft war der erste Adressat seiner Regel. Diese zeichnete sich nicht durch Härte, sondern vor allem durch ›Menschlich-

___________ 252

Lachen wird hier also eindeutig positiv bewertet. Dies hat sich in der Folgezeit stark verändert. Besonders im vergangenen Jahrhundert haben sich viele Forscher, Theologen wie Literaturwissenschaftler mit dem zum Lachen reizenden Potential der Bibel (AT und NT) auseinandergesetzt. Einen Überblick über die Entwicklung der letzten Jahre geben Horowitz/Menache, S. 28f. sowie Minois, S. 99f. 254 Cf. im folgenden Altaner/Stuiber, S. 481 sowie (Benedikt von Nursia): Worte der Weisung. Die Regel des heiligen Benedikt als Einführung ins geistige Leben. Hrsg. von E. Jungclaussen OSB. Mit einer Einführung von C. Feldmann. Freiburg 1999, S. 9-12 [Worte]. Zur Entwicklung des Mönchtums in den ersten christlichen Jahrhunderten cf. K. S. Frank: Geschichte des christlichen Mönchtums, Darmstadt 51993 [Frank], insbesondere Kapitel 1-3, S. 1-50. 253

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keit‹ aus255, was wohl entscheidend zur jahrhundertelangen Vorherrschaft der Regula Benedicti im Abendland beigetragen hat.256 Die Sonderstellung der Regula ermöglicht, sie stellvertretend für die Mehrzahl aller Ordensregeln zu analysieren.257 Nach einer Zeit der Mischregelobservanz lebten die Klostergemeinschaften des Abendlandes vom siebten Jahrhundert bis zum Aufkommen der Bettelorden und der Entwicklung von Chorherrenstiften im zwölften Jahrhundert zumeist nach der Regel Benedikts. Die Entwicklung neuer Orden mit veränderten Schwerpunkten, änderte an diesem Sachverhalt nur wenig, auch die derzeit entstandenen Regeln verrieten eindeutig benediktinische Prägung.258 Erst als Dominikaner und Franziskaner das Prinzip der stabilitas loci aufgaben – das trotz aller Akzent-verschiebungen nie angetastet worden war – wurde die Ordenslandschaft grundlegend verändert.259 Als Benedikt im sechsten Jahrhundert seiner Klostergemeinschaft eine Regel gab, konnte er aus dem Vollen schöpfen: Antonius und Pachomius hatten durch ihr Vorbild dem mönchischen Lebenskonzept wichtige Impulse gegeben, der eine als Einsiedler, der andere als Vorsteher einer Gemeinschaft. Basilius von Caesarea, Augustinus von Hippo und viele andere hatten redigierte Regelwerke ___________ 255 Dies wird besonders in der Vorrede deutlich: »Constituenda est ergo nobis dominici scola servitii. In qua institutione nihil asperum, nihil grave nos constituturos speramus, sed et si quid paululum restrictius, dictante aequitatis ratione, propter emendationem vitiorum vel conservationem caritatis processerit«; (Benedikt von Nursia): Die Benediktsregel. Eine Anleitung zu christlichem Leben. Der vollständige Text der Regel lat./dt., übersetzt und erklärt von G. Holzherr. Zürich 41993 Prologus, 45-47 [RB]. Der Mönch wird also stets als Lernender betrachtet. 256 Cf. Altaner/Stuiber, S. 481, ebenso Le Goff, in: Bremmer/Roodenburg, S. 49. 257 Cf. RB, Einführung des Herausgebers, S. 9: »Benedikts Regel ist für Mönche geschrieben. Doch sie wurde verfaßt längst bevor es ›Benediktiner‹, ›Basilianer‹ oder ›Augustiner‹ gab. Die geistliche Lehre der Regel ist weitgehend identisch mit der altkirchlichen Spiritualität überhaupt.« Hervorhebung vom Herausgeber. 258 Cf. Frank, S. 68f. Nicht nur die Entwicklung der Städte, sondern auch die immer größer werdenden Konvente führten im elften Jahrhundert zu einer ›Flucht‹ in die Einsamkeit, denn nur dort schienen die Ideale von vita apostolica und vita evangelica noch zu verwirklichen zu sein. Das Wiederaufleben des Eremitentums führte bald zur Gründung neuer Ordensgemeinschaften. Auch sie lebten nach der Regel Benedikts, die sie an das Leben im ordo emeriticus anpassten. Dieses Beispiel illustriert sehr gut den Umgang mit der Regula Benedicti, die »kaum mehr als eine Metapher (war), an deren Seite je eigene Konstitutionen traten, die das Leben im einzelnen Stift [...] bestimmten« (Frank, S. 82). Trotz aller Veränderungen blieb die Benediktsregel also stets Diskussionsgrundlage. 259 Cf. Frank, S. 85ff. Auch wenn sich Lebensform und Selbstverständnis der Ordensgemeinschaften des Hoch- und Spätmittelalters im Gegensatz zu den ›alten‹ Orden formal gewandelt hatten, blieben die Grundsätze des Lebens aus dem Evangelium erhalten und damit – theoretisch – auch die Einstellung zum Lachen. Zum Umgang mit diesbezüglichen Bestimmungen, besonders bei den Franziskanern, cf. Kapitel 3.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

hinterlassen260 – ein Ideenfundus, den Benedikt sich durchaus zunutze zu machen wußte. Die Regula fusius tractatae des Basilius bezeichnet er sogar explizit als sein Vorbild.261 In der Tat vertritt dieser in bezug auf das Lachen bereits einen ähnlichen Standpunkt wie später Benedikt: Interrogatio XVII: Quod oportet risum continere: Nam intemperanti ac immodico risu detineri, indicio est grassari intemperantiam, nec sedari motus, nec a severa ratione comprimi laxitatem animi. Risum quidem leni et hilari effusionem animi detegere indecorum non est, quantum scilicet necesse fuerit ut solum indicetur quod scriptum est, cordis laeti facies floret, (Spr. 15, 13) [...] quantum es Evangeliorum historia constat, risus numquam usus est, imo vero eos qui risu tenentur, miseros pronuntiat (Lk. 6, 25). Neque verum fallat nos ambiguum risus nomen. Est enim Scripturae familiare, saepe numero animi gaudium et hilarem affectum ex bonis ortum, risum appelare, quemadmodum ait Sara (Gen. 21, 6).262

Basilius nimmt hier die bekannten Argumente gegen das Lachen wieder auf, räumt aber zugleich ein, daß es auch in der Bibel Passagen gibt, in denen das Lachen nicht negativ konnotiert ist, sondern im Gegenteil Freude über ewiges Heil symbolisiert. Eine grundsätzliche Ablehnung wäre also nicht zu rechtfertigen. Wie Klemens und Johannes sieht er einen Zusammenhang zwischen Herz und Seele. Unbeherrschtes, zügelloses Lachen widerspricht dementsprechend der sich für den demütigen Gott suchenden Mönch geziemenden Lebensweise. Der Rat, das Lachen zu mäßigen ergibt sich daraus als logische Konsequenz. Eine weiteres Modell fand Benedikt in der Regula Magistri.263 Unter dem Titel ars sancta formuliert ihr anonymer Verfasser eine Vielzahl von Leitsätzen für den Abt, die indirekt auch für die übrigen Mönche264 gelten. Zwei Gebote beziehen sich auch auf das Lachen: ___________ 260 Cf. A. de Vogüé: Les règles monastiques anciennes (400-700). Turnhout 1985, S. 53ff [de Vogüé/Règles]. 261 RB LXXIII, 5. 262 Basilius Caesariensis: Regula, in: J. P. Migne (Hrsg.): Patrologia cursus completus. Series graeca. Paris 1860, Bd. XXXI, cc. 890-1302, hier c. 961. Die Regula fusius tractatae des Basilius sind ein in Frage und Antwort Form geschriebener Pflichtund Tugendkatalog, in dem vornehmlich die Gedanken eines älteren Freundes von Basilius, Eustathius von Sebaste, festgeschrieben sind. Dieser hatte wie Basilius bei der Verbreitung des Mönchtums im Osten eine entscheidende Rolle gespielt (Cf. Altaner/Stuiber, S. 292; dort auch Angaben zu Leben, Werk und Wirken Basilius’). 263 Die Abhängigkeit der beiden Regeln ist in der Forschung lange diskutiert worden. Noch Altaner/Stuiber sehen den Einfluß dieser Regel auf die Regula Benedicti nicht als gesichert (Cf. Altaner/Stuiber, S. 482. Dort auch allgemeine Informationen zur Regula Magistri.), wohingegen sowohl Le Goff als auch de Vogüé die Beziehung als einwandfrei nachgewiesen betrachten (Cf. Le Goff, in: Bremmer/Roodenburg, S. 49; de Vogüé/Règles, S. 54 sowie A. de Vogüé: La règle de Saint Benoît. Commentaire doctrinal et spirituel. Paris 1977, S. 116ff [de Vogüé/Benoît]). 264 Der Ausdruck ›Mönch‹ wird im folgenden stellvertretend für beide Geschlechter verwendet und bezeichnet allgemein eine Person, die in Gemeinschaft mit anderen lebt

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Verba vana aut risui apta non ex toto loqui. Risum multum aut excussum non amare.265

Eine Gegenüberstellung dieser Maximen mit den entsprechenden »instrumenta bonorum operum«, die Benedikt in Kapitel IV seiner Regel zusammengestellt hat, legt die Vermutung nahe, daß sich der Verfasser der Regula Benedicti von der Regula Magistri hat inspirieren lassen: Verba vana aut risui apta non loqui. Risum multum aut excussum non amare.266

Wie Klemens und Johannes spricht sich auch Benedikt nur gegen unmäßiges, schallendes Gelächter aus.267 Erneut zeigt sich hier die Mahnung zur moderatio.268 Auch in Hinblick auf die zum Lachen reizenden Worte ist er der gleichen Meinung wie diese, hatten doch auch sie Schauspieler und Possenreißer, deren Metier ja gerade darin besteht, andere zum Lachen zu reizen, verurteilt und festgestellt, daß ein solches Verhalten sich nicht für Christen ziemt. Vor dem Hintergrund des dargelegten, vorherrschenden Bibelverständnisses, das den in der Nachfolge Jesu stehenden Mönchen das Lachen gänzlich untersagte, erscheint die Haltung Benedikts moderat. Sie mag in der bereits erwähnten Einstellung des Verfassers der Regula begründet sein. Anstatt das Lachen zu verbieten, zeigt er Verständnis für die Situation des Mönchs als Lernenden, indem er verlangt, was auch erreichbar ist. Die in Kapitel IV angesprochenen ___________ und sich verpflichtet hat, nach einer bestimmten Regel zu leben. Zur Parallelentwicklung religiöser Frauengemeinschaften, cf. Frank, S. 98; 103f. 265 Regola del Maestro/Regula Magistri a cura di M. Bozzi e A. Grilli (Introduzione, testo e note), 2 Bde., Brescia 1995, hier Bd. II, Kapitel III, 59, 60 [RM], dazu de Vogüé/Benoît, S. 122. Beim Verbot der »verba vana« kann sich der Verfasser der Regel auf die Autorität der Bibel berufen: »Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen«, Mt. 12, 36. Die Gefährlichkeit des Lachens für den Menschen wird darüber hinaus anhand eines sehr eindrucksvollen Bildes verdeutlicht: »Habet deinde anima nostra constitutam portam oris et seram dentium, quam pravo claudat eloquio, ut non excuset anima factorem suum muniminum sibi minime fabricasse« (RM VIII, 21). Dem Lachen wird ein Hindernis in den Weg gestellt, damit es an Kraft verliert und gemäßigt wird. An die Stelle eines Verbots tritt auch hier die Empfehlung der moderatio. Es sei an dieser Stelle auf die überraschend positive Rolle hingewiesen, die dem menschlichen Körper entgegen der allgemein herrschenden Leibfeindlichkeit hier zukommt (Cf. Le Goff, in: Bremmer/Roodenburg, S. 50). Eine ähnliche Bewertung hatte er bereits durch Klemens von Alexandrien im Erzieher erfahren. 266 RB IV, 53, 54. Die instrumenta sollen dem Mönch ermöglichen, bei entsprechender Anwendung, die klösterlichen Tugenden Gehorsam, Schweigen und Demut zu erfüllen (Cf. de Vogüé/Benoît, S. 118). 267 Das Verbot schallenden Gelächters findet sich bereits bei Sir. 21, 20: »Der Tor lacht mit lauter Stimme, der Kluge aber lächelt kaum leise«. 268 Zur moderatio als einem der Grundpinzipien benediktinischer Lebensführung cf. S. 225f.

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

Aspekte werden im folgenden wieder aufgenommen und zunächst mit der taciturnitas verknüpft: Der Mönch vermeide schlechte Worte gänzlich, gute benutze er sehr wenig, gegenüber dem Abt schweige er oder frage präzise und respektvoll, was er wissen möchte.269 Das Lachen oder zum Lachen reizende Worte finden hier keinen Raum: Scurilitas vero vel verba otiosa et risum moventia aeterna clusura in omnibus locis damnamus et ad talia eloquia discipulum aperire os non permittimus.270

Die Aussage scheint zunächst nur die Mahnung des vierten Kapitels zu wiederholen. Sie erhält jedoch durch den Anklang des Ephesertextes »turpitudo et stultiloquium, aut scurrilitas« und die Begriffe »aeterna«, »omnibus« und »damnamus«, die alle eine Form der Ausschließlichkeit ausdrücken, mehr Gewicht.271 Die Vehemenz der Ablehnung läßt sich durch die Bedeutung erklären, die Benedikt dem Schweigen als ein ›Hören auf Gott‹ beimißt. Äußeres Schweigen, also Nicht-Reden, ist für den Ordensvater immer nur ein Zeichen für inneres Schweigen, das wiederum geistige Sammlung und Abwendung von allem Überflüssigen impliziert.272 Daß in diesem Konzept »Scurilitas vero vel verba otiosa et risum moventia« keine Daseinsberechtigung haben, versteht sich von selbst. Kapitel VII führt die Gedanken des vorangehenden Abschnitts fort. Das Lachen wird stets im Zusammenhang mit überlegtem Sprechen gesehen. Entgegen seiner Natur erscheint es hier steuerbar. Die Beherrschung des Lachens ist aber kein Willensakt, sondern ergibt sich aus der Geisteshaltung des Mönches: Nonus humilitatis gradus est, si linguam ad loquendum prohibeat monachus et, taciturnitatem habens, usque ad interrogationem non loquatur, monstrante Scriptura quia in multiloquio non effugitur peccatum, et quia vir linguosus non dirigitur super terram. Decimus humilitatis gradus est, si non sit facilis ac promptus in risu, quia scriptum est: ›Stultus in risu exaltat vocem suam‹.

___________ 269

RB VI, De taciturnitate, 1-8. RB VI, 8. 271 Cf. de Vogüé/Benoît, S. 168/169. 272 Benedikt verlangt also nicht ununterbrochenes Schweigen, sondern mahnt im Gegenteil zum überlegten Umgang mit dem Wort. Ähnliches empfahl schon der Verfasser des Epheserbriefs: »Über eure Lippen kommt kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, stärkt, und dem, der es hört, Nutzen bringt.«; Eph. 4, 29, cf. dazu Worte, S. 38/39, ebenso (Benedikt von Nursia): Die Regel St. Benedikts. Eingel., übers. und aus dem alten Mönchtum erklärt von B. Steidle OSB. Beuron 1952, S. 122 [Regel St. Benedikts]. 270

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Undecimus humilitatis gradus est, si, cum loquitur monachus, leniter et sine risu, humiliter cum gravitate vel pauca verba et rationabilia loquatur, it non sit clamosus in voce, sicut scriptum est: Sapiens verbis innotescit paucis.273

Die Unterteilung von Kapitel VII in Abschnitte, sogenannte »gradi«, orientiert sich am Bild der zwölfstufigen Himmelsleiter aus Gen. 28, 12.274 Die einzelnen Stufen beschreiben verschiedene Möglichkeiten, durch Selbsterniedrigung zum Ziel christlichen Lebens zu gelangen.275 Da völlige Selbstaufgabe für ein Leben nach dem Evangelium eines länger währenden (Reifungs)-Prozesses bedarf, deuten die einzelnen »gradi« zwar eine Reihenfolge an, jedoch ist nicht die eine Stufe die Voraussetzung für die nächste. Die Entscheidung, gar nicht oder nur selten zu sprechen und in diesen Fällen auf das Lachen möglichst zu verzichten, erwächst aus dem Verlangen der völligen Hingabe an Gott. Wer grundlos spricht, (laut) lacht oder andere zum Lachen reizt, zieht, bewußt oder unbewußt, immer die Aufmerksamkeit auf sich, stellt sich in den Mittelpunkt, nimmt sich wichtig. Diese Verhaltensweisen stehen zur geforderten – und von ihm selbst erstrebten – demütigen Haltung des Mönchs im Widerspruch und werden deshalb verurteilt. Aus Freude am Leben hingegen, etwa weil er Gott in besonderer Weise erfahren hat oder er ein selbst gestecktes Ziel erreicht hat, darf der Mönch lachen – aber nicht schallend! Interessanterweise spricht Benedikt dem Lachen keinerlei Entspannungsfunktion zu. Ein Grund dafür mag die Tatsache sein, daß er sich mit seiner Regel an Menschen wendet, die in gewisser Weise außergewöhnlich sind. Nicht nur besondere Willenskraft, sondern auch ein klar gezeichnetes Lebenskonzept führen im Idealfall dazu, daß der Mönch eine Entlastung durch das Lachen, auch nach anstrengender körperlicher Arbeit, nicht nötig hat, da er Entspannung und Erholung in Gebet und Gottesdienst findet. Die klösterliche Lebensform war auch Thomas von Aquin vertraut. Als Kind auf Monte Cassino erzogen, später Mitglied des eben gegründeten Dominikanerordens, stellte sich Thomas Zeit seines Lebens in den Dienst der Kirche und des Evangeliums. Zunächst Student in Neapel und Paris, anschließend Magister und Schüler von Albertus Magnus, nach einigen Jahren in Köln und Rom,

___________ 273

RB VII, De humilitate: 56-61 (Cf. dazu Regel St. Benedikts, S. 129). RB VII, 6: »actibus nostris ascendentibus scala illa erigenda est quae in somnio Iacob apparuit, per quam ei descendentes et ascendetes angeli monstrabantur« (Cf. dazu die Anm. des Hrsg. S. 120/121, sowie Regel St. Benedikts, Anm. des Hrsg, S. 11; 123/124, sowie 133-135). 275 RB VII, 7 »Non aliud sine dubio descensus ille et ascensus a nobis intellegitur nisi exaltatione descendere et humilitatis ascendere.« (Cf. die Anm. des Hrsg., S. 121, sowie Worte, S. 100). 274

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

Rückkehr nach Paris und Lehrer an der dortigen Universität:276 Der Lebensgang des Aquinaten ähnelt auf den ersten Blick dem zahlreicher anderer Angehöriger des Ordens der Predigerbrüder: jung, begabt und begeistert lehrten sie an den Universitäten des Abendlandes. Was Thomas von Vielen unterschied, war seine besondere Kenntnis der aristotelischen Schriften. Mit diesen war er im Laufe seiner Studienjahre in Neapel in Berührung gekommen, damals einer der Hauptkontaktorte mit arabisch-islamischer Wissenschaft.277 Im arabischen Kulturkreis waren die griechische Philosophie und insbesondere die Werke des Stagiriten seit langem bekannt, schon um das Jahr 1000 lagen alle damals greifbaren aristotelischen Schriften einschließlich namhafter Kommentare in arabischer Übersetzung vor. Thomas von Aquin ebenso wie sein Lehrer Albertus Magnus waren wesentlich an der Übertragung dieser Werke ins Lateinische beteiligt.278 Dies wurde jedoch nicht allgemein begrüßt. Problematischer als die Werke per se, war in den Augen der Vertreter der Kirche die Verwendung von Übersetzungen und Kommentaren, die von jüdischen oder islamischen Gelehrten besorgt worden waren.279 Wer sich als Theologe mit Aristoteles auseinandersetzte, mußte stets bemüht sein, durch »transformierende Weiterführung«280 die Wogen zu glätten und die oft gegensätzlichen Standpunkte von »heidnischer Philosophie und Christentum« miteinander zu versöhnen und zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Die Summa theologiae ist ein Versuch Thomas’ in dieser Richtung. Anhand des Werkes lassen sich die zentralen Gegenstände theologischer Diskussion erkennen.281 Zu diesen gehörte, wie gezeigt, auch die Frage, ob, und wenn ja auf welche Weise, es sich für einen Christen ziemt zu lachen. Thomas geht davon aus, daß die äußeren Körperbewegungen, zu denen er auch das Lachen zählt, ein Spiegel der inneren Gesinnung sind,282 ein Standpunkt, den auch alle anderen hier betrachteten Autoren in Spätantike und Mittelalter vertreten hatten. Wie sie empfiehlt er durch Vermeidung des Zuviel und ___________ 276 Einen Überblick über Leben und Werk Thomas von Aquins vermittelt R. Schönberger: Thomas von Aquin zur Einführung. Hamburg 1998, insbesondere S. 14-21 [Schönberger]. 277 Cf. Schönberger, S. 20. 278 Cf. Schönberger, S. 21. 279 Cf. Heinzmann, S. 158/159. 280 Heinzmann, S. 160. 281 Cf. W. Kluxen: »Institution und Ideengeschichte. Zur geschichtlichen Bedeutung der mittelalterlichen Universität«, in: M. Hoenen e. a. (Hg.): Philosophy and Learning Universities in the Middle Ages. Leiden 1995, S. 3-16, hier S. 12, ebenso Schönberger, S. 25-28. 282 Cf. Sum. theol. II, II, q. 168, art. 1, ra. 1: »quod motus exteriores sunt quaedam signa interioris dispositionis«.

b) Eine neue Dimension: Das Christentum

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des Zuwenig, die Leidenschaften zu zügeln, um die von der Gesellschaft geforderte Würde zu bewahren: inquantum enim, per exteriores motus ordinamur ad alios, pertinet exteriorum motuum moderatio ad amicitiam vel affabilitatem, quae attenditur circa delectationes et tristitias quae sunt in verbis et factis in ordine ad alius quibus homo convivit, inquantum vero exteriores motus sunt signa interioris dispositionis, pertinet eorum moderatio ad virtutem veritatis.283

Auch der Hinweis auf die gebotene Rücksichtnahme auf Zeit, Ort und Gesprächspartner gehört zum gewöhnlichen Repertoire all derer, die das Lachen in begrenztem Maße zuließen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern toleriert Thomas ein so gezügeltes Lachen nicht nur, sondern befürwortet es, da es ermöglicht, die Tugenden der affabilitas und amicitia zu erfüllen.284 Diesen Gedankengang führt er anschließend weiter aus. Auf der Basis von Bemerkungen von Ambrosius von Mailand285 und Johannes Chrysostomus286 skizziert er zunächst die bis dato geltende skeptische Haltung der Kirche gegenüber Lachen und Spiel und rechtfertigt diese anschließend unter Bezugnahme auf Aurelius Augustinus: sc. Sed contra est quod Augustinus dicit, in ii musicae, volo tandem tibi parcas, nam sapientem decet interdum remittere aciem rebus agendis intentam. sed ista remissio animi a rebus agendis fit per ludicra verba et facta. ergo his uti interdum ad sapien-

___________ 283

Cf. Sum. theol. II, II, q. 168, art. 1, ra. 3. Cf. Suchomski, S. 57. Während heutzutage ›Tugend‹ moralische Kategorie ist (Wahrig, Lemma Tugend »sittlich hevorragende Eigenschaft«), betrachtet sie Thomas als bestmögliche Realisierung der dem Wesen innewohnenden Potenzialität (Cf. Schönberger, S. 152). ›Tugend‹ erhält hier also die Bedeutung von Fähigkeit. 285 Sum. theol. II, II, q. 168, art. 2, ag. 1: »Ad secundum sic proceditur. Videtur quod in ludis non possit esse aliqua virtus. Dicit enim Ambrosius, in de offic. dominus ait, vae vobis qui ridetis quia flebitis. non solum ergo profusos, sed etiam iocos declinandos arbitror, sed illud quod potest virtuose fieri, non est totaliter declinandum, non ergo circa ludos potest esse virus.« Thomas paraphrasiert hier eine Stelle aus Ambrosius De officiis: »Cavenda enim etiam in fabulis ne inflectant gravitatem severioris propositi. Vae vobis qui ridetis, quia flebitis, Dominus ait, et nos ridendi materia requirimus ut hic ridentes, illic fleamus! Non solum profusos sed omnes etiam iocos declinandos arbitror, nisi forte plenum urbanitas et gratiae sermonem esse non indecorum est.« (Ambrose: De officiis. Edited with an introduction, translation and commentary by I. J. Davidson. Bd. I (Introduction, text, translation), Oxford 2001, I, 23 (103)). 286 Sum. theol. II, II, q. 168, art. 2, ag. 2: »Praeterea, virtus est quam deus in nobis sine nobis operatur, ut supra habitum est. sed Chrysostomus dicit non dat deus ludere, sed diabolus. audi quid ludentes passi sunt sedit populus manducare et bibere, et surrexerunt ludere. ergo circa ludos non potest esse virtus. ag. 3. Praeterea, philosophus dicit, in x ethic., quod operationes ludi non ordinantur in aliquid aliud. sed ad virtutem requiritur ut propter aliquid eligens operetur, sicut patet per philosophum, in ii ethic. ergo circa ludos non potest esse virtus. Thomas bezieht sich hier im wesentlichen auf die Predigten zum Hebräerbrief und zum Matthäusevangelium sowie zu den Säulenhomilien. 284

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen tem et virtuosum pertinet. philosophus etiam ponit virtutem eutrapeliae ("   circa ludos, quam nos possumus dicere iocunditatem.287

Das Original steht jedoch in keinerlei Zusammenhang mit der theoretischen Diskussion über das Lachen, sondern greift vielmehr eine recht alltägliche Situation wieder auf, was die Schlagkraft des Arguments noch erhöht: Ein Lehrer gönnt nach längerem, konzentrierten Arbeiten seinem Schüler eine Ruhepause: post tam longum sermonem respiremus aliquantulum; et illorum versuum meminerimus, quos mihi extemporales paulo ante ipsa lassitudo suggessit: Volo tandem tibi parcas, labor est in chartis Et apertum ire per auras animum permittas Placet hoc nam sapienter, remittere interdum Aciem rebus agendis decenter intendam.288

Die oft wiederholte These, daß der Mensch nach geistiger oder körperlicher Arbeit Entspannung braucht, wird hier durch die Autorität Augustinus’ bestärkt, das Erholungsbedürfnis jedoch nicht mehr als notwendiges Übel toleriert, sondern positiv bewertet.289 Diese Einstellung mag sicher auch persönliche Gründe haben, im wesentlichen beruht sie jedoch auf den veränderten gesellschaftlichen und sozialen Gegebenheiten. Die Einflüsse der stoischen Philosophie und die asketische Ausrichtung des östlichen Mönchtums hatten in den ersten christlichen Jahrhunderten in weiten Teilen zu einer ›kontrollierten Gesellschaft‹ geführt. Lachen und Weinen, Schlafen und Essen wurden als rein körperliche Bedürfnisse verachtet.290 Hatte sich diese Haltung im theoretischen Schrifttum teilweise bewahrt, zeigten sich in der Praxis andere Tendenzen. Trotz aller ausgesprochenen Verbote ließen die Menschen ihren Gefühlen freien Lauf – sie lachten und es ging ihnen gut dabei. Wenn Thomas also den entlastenden Charakter von Lachen und Scherz anerkennt, stützt er sich damit nicht nur auf die Aussagen von Platon, Aristoteles und letztlich Augustinus, er trägt auch einer beobachtbaren gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung. Lachen und Erholung sind auch bei ihm abhängige Größen. Er betrachtet sie nicht nur hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Einzelperson, sondern sieht in ihnen eine Möglichkeit, harmonisches Zusammenleben zu erleichtern, ein auch im Rahmen der christlichen Tugendlehre angestrebter Wert. In diesem Zusammenhang ___________ 287

Sum. theol. II, II, q. 168, art. 2, sc. Aurelius Augustinus: De musica libri sex, in: J. P. Migne (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum) Series latina (PL) Paris 1860, Bd. XXXII, cc. 1082-1194, hier cap. II, c. 14. Zur Rezeption der Abhandlung cf. G. Ceriotti: Presentazione, in: L. F. Pizzolato/G. Scanavino (Hg.): Lectio Augustini: ›De Musica di Agostino d’Ippona. Palermo 1990, S. 1-17, insbesondere S, 12f. 289 Cf. Sum. theol. II, II, q. 168, art. 2, co. 290 Cf. Bremmer, in: Bremmer/Roodenburg, S. 30. 288

b) Eine neue Dimension: Das Christentum

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erhält auch die aristotelische "   Raum.291 Wer in bezug auf Lachen und Scherzen angemessen agiert, trägt zu einem angenehmen Miteinander bei. Dieses wird nicht nur durch ein Zuviel, das sich in Rücksichts- und Maßlosigkeit entlädt, beeinträchtigt,292 sondern auch durch ein Zuwenig, das sich als Griesgrämigkeit und Freudlosigkeit manifestiert.293 Thomas beläßt die aristotelische "   in ihrer ursprünglichen Form, durch ihre Integration macht er sie für das christliche Tugendsystem fruchtbar. Hier von einer »attitude chrétienne de l’eutrapélie«294 zu sprechen, ist irreführend. Denn Thomas stellt die antike Tugend nur in einen neuen Kontext, ihr Gehalt bleibt davon unangetastet. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die bei der Beschäftigung mit dem Lachen ebenfalls auf die aristotelische "   rekurrierten, erfährt die Tugend bei Thomas eine Aufwertung, da sie – wie auch schon Spiel und Erholung – nicht mehr nur als kleinstmöglichstes Übel betrachtet wird, sondern als Teil des christlichen Heilsplans. Die veränderte Einstellung zum Lachen hatte weitreichende Folgen. Sie trug zum Beispiel wesentlich zur langsam einsetzenden Rehabilitation der unterhaltenden Berufe bei. Hatte man in den vergangenen Jahrhunderten Schauspieler und Gaukler verachtet, weil ihr Tun als unnütz und diesseitig verstanden wurde, erlangten sie durch die Neubewertung von Spiel und Scherz Ansehen.295 Die immer wieder bezeugte Ablehnung dieses ___________ 291 Sum. theol. II, II, q. 168, art. 2, co: »sicut et in omnibus aliis humanis actibus, ut congruat personae et tempori et loco, et secundum alias circumstantias debite ordinetur, ut scilicet sit et tempore et homine dignus. [...] et ideo circa ludos potest esse aliqua virtus, quam philosophus eutrapeliam ("   nominat, et dicitur aliquis eutrapelus a bona versione, quia scilicet bene convertit aliqua dicta vel facta in solatium. et inquantum per hanc virtutem homo refrenatur ab immoderantia ludorum, sub modestia continetur.« Die Aussagen zur "   in der Sum. theol. entsprechen jenen im Kommentar zur Nikomachischen Ethik (Cf. (S) Thomas Aquinatis: Sententia libri Ethicorum, in: (S) Thomas Aquinatis: Opera omnia IV. (Commentaria in Aristotelem et alios) Ut sunt in indice thomistico additis 61 scriptis ex altris medii aevi auctoribus curante R. Busa. S. I. Stuttgart, Bad Cannstatt 1980, S. 143-234, lib. IV, lectio XVI). 292 Sum. theol. II, II, q. 168, art. 4, co.: »Respondeo dicendum quod omne quod est contra rationem in rebus humanis, vitiosum est. est autem contra rationem ut aliquis se aliis onerosum exhibeat, puta dum nihil delectabile exhibet, et etiam delectationes aliorum impedit.« (Cf. dazu Suchomski, S. 57). Auch Klemens hatte bereits vor übertriebenen Ernst gewarnt. Das Vermeiden von Zuviel und Zuwenig wird in bezug auf die Gemütsbewegungen auch aus medizinischer Sicht empfohlen. Als accidentia animae ist es obligatorischer Bestandteil diätetischer Lebensregeln (Cf. Kap. 5. c)). 293 Sum. theol. II, II, q. 168, art. 4, co.: »duri et agrestes«. 294 H. Rahner in: Baumgartner, Bd. IV, Lemma eutrapélie, Sp. 1727-1729; dazu Suchomski, S. 60. 295 Cf. Suchomski, S. 58. Interessanterweise war man sich lange Zeit in Schaustellerkreisen des – wenn auch nur theoretischen – Engagements Thomas’ von Aquin für die Rehabilitierung dieser Berufsgruppen sehr bewußt. Davon zeugen nicht nur das Trattato sopra l’arte comica, cavato dall’opere di San Tomaso e da altri santi (G. B. Andreini, 1603 (?) Cf. dazu: F. Marotti/G. Romei: La professione del teatro. La commedia dell’arte e la società barocca. Rom 1993, S. 468-472), sondern auch die zahlreichen, in

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2. Theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen

Personenkreises in der Literatur zeigt jedoch, daß der Wunsch, andere Menschen zum Lachen zu reizen, stets präsent war.

___________ apologetischer Absicht eingefügten Verweise auf die Schriften des Aquinaten in der Korrespondenz bekannter capocomici von commedia dell’arte-Truppen (Cf. dazu Comici dell’Arte: Corrispondenze. Edizione diretta da S. Ferrone, a cura di C. Buratelli e. a., Florenz 1993, passim). – Wenn hier die Aussagen Thomas’ von Aquin zur Frage nach dem Lachen ausführlich dargestellt wurden, so geschah dies einerseits aufgrund seines unmittelbaren Bezugs zu Aristoteles und seiner Beschäftigung mit der "  2 die den in dieser Arbeit intendierten Überblick über die theoretische Auseinandersetzung mit dem Lachen auf sinnvolle Weise beschließt, andererseits äußert sich der Theologe in seiner Summa theologiae zu den zentralen Gegenständen der Zeit, ein ›Übergehen‹ dieses Werks würde das Gesamtbild verzerren. Es erscheint dementsprechend sinnvoll, noch darauf hinzuweisen, daß sich neben dem Aquinaten eine Vielzahl weiterer ›Kleriker‹ wie beispielsweise Bernard von Clairvaux, Johannes von Salisbury, Petrus Venerabilis, Petrus Cantor und Hildegard von Bingen mit dem Lachen beschäftigt haben.

3. Präsenz des Lachens in der Literatur und im Leben der Menschen Kaum etwas anderes ist so individuell und so relativ wie das Lachen. Auf diesen Sachverhalt wurde bereits in der Einleitung mehrfach hingewiesen, darüber hinaus hat ihn wohl jeder schon einmal am eigenen Leib erfahren. Eine Bestimmung der Präsenz des Lachens in der Literatur und im Leben der Menschen kann letzteren jedoch nicht als Individuum betrachten, sondern nur als Teil einer Gruppe, nämlich der Gesamtheit aller Menschen, eventuell aufgesplittet nach Alter, kulturellem Hintergrund, sozialer Schicht und so fort. Gleiches gilt für die zeitliche Komponente. Auch wenn vieles, was heute zum Lachen reizt, morgen in keiner Weise mehr Lachen hervorruft, muß man für eine allgemeine Analyse größere Maßstäbe wählen und in Jahrhunderten oder gar Epochen denken. Aufgrund des zeitlichen Abstandes ist es zudem kaum möglich, die tatsächliche Präsenz des Lachens zu bestimmen. Über das herzliche Lachen der Bauersfrau, die zufrieden auf der Bank in der Sonne sitzt und dem tolpatschigen Spiel junger Hunde zuschaut, berichtet kein antiker Historiker und auch in den mittelalterlichen Chroniken wird individuelles Lachen im privaten Bereich wohl nicht dokumentiert. Diese Absenz der privaten Sphäre menschlichen Lachens in den Quellen zeigt, daß der Raum, den das Lachen im Leben einnimmt, nur durch eine Betrachtung der möglichen Lachanlässe hinreichend definiert werden kann. Auch wenn eine solche Analyse, die letztlich ebenfalls auf historische Dokumente angewiesen ist, in Teilen auf Hypothesen beruht, erweist sie sich hier als angebracht, da sie Traditionen in den Blick nimmt, die auch Boccaccios Novellensammlung beeinflußt haben.1 Wie bereits am Beispiel des Lachens der Bauersfrau gezeigt, lacht der Mensch oft im privaten Raum, das heißt also tatsächlich in den eigenen vier Wänden bzw. innerhalb der Grenzen eines ihm (vorübergehend) zugeteilten Gebietes. Dem gegenüber steht das öffentliche Lachen: auf dem Marktplatz, in der Ratsversammlung, in der Schulstube, an allen Orten, an denen Menschen öffentlich zusammenkommen. Zu dem beschriebenen Gegensatzpaar tritt ein weiterer Antagonismus, der individuelles Lachen vom kollektiven abgrenzt. ___________ 1 Dennoch kann und soll auch eine solche Analyse nur einen Trend aufzeigen und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

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3. Präsenz des Lachens

Das tolpatschige Spiel der jungen Hunde hat die Bauersfrau zum Lachen gereizt, ihr Lachen ist individuell, jedoch nicht weil sie die Situation allein erlebte, sondern weil der Auslöser des Lachens auf sie ›zugeschnitten‹ war, der Anblick nur bei ihr Lachen hervorrief, andere Personen aber anders hätten reagieren können. Individuelles Lachen wird auch hervorgerufen, wenn Personen zum Beispiel nur aufgrund sehr speziellen gemeinsamen Vorwissens mit- oder übereinander lachen. Kollektives Lachen hingegen berührt das Allgemeinmenschliche. Ausgelöst durch die bekannten Mechanismen – wie Erwartungsdurchbrechung oder Schadenfreude – betrifft es die Zuschauer einer Gauklervorstellung ebenso wie den stillen Leser einer Sammlung zum Lachen reizender Geschichten. Hier wie dort wird das Lachen durch den Einsatz einander ähnelnder Versatzstücke hervorgerufen. Die dargestellten Gegensatzpaare lassen sich auf unterschiedliche Weise miteinander kombinieren und ergeben somit ein Raster, mit dem sich eine Vielzahl möglicher Lachanlässe in Antike und Mittelalter erfassen und ordnen läßt. Ein vom ›modernen‹ Außenstehenden nur schwerlich faßbarer Bereich ist der Moment privat-individuellen Lachens: Das fröhliche Lachen eines gekitzelten Kindes, das Lachen sich neckender Verliebter, das Lachen über die eigene Person, weil man sich wider Erwarten dumm anstellt – all diese Formen des Lachens begleiten den Alltag, werden von niemanden registriert oder gar explizit dokumentiert. Sie vermitteln dem Menschen ein positives Lebensgefühl. Erwähnung findet privat individuelles Lachen nur, wenn es von der Norm abweicht, sich also als Zuviel im exzessiven Gelächter2 manifestiert oder aber als Zuwenig, im Nicht-Lachen, das ebenfalls als unnormal empfunden wird.3 ___________ 2

Möglicher Grund für exzessives oder grundloses Lachen (i. e. Lachen ohne erkennbaren Auslöser) ist oft genug eine psychische Erkrankung wie z. B. das postenzephalitische Syndrom, dessen Merkmal sogenanntes Zwangslachen ist (Cf. H. Hildebrandt e. a. (Hg.): Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. Berlin, New York 2581998, Lemma: Zwangslachen). Der inadäquate Effekt, also das Lachen ohne Auslöser zeigt sich häufig bei an Schizophrenie erkrankten Patienten (Cf. M. Zaudig e. a. (Hg.). Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen. Deutsche Bearbeitung und Einleitung von H. Saß und H. U. Wittchen, Göttingen e. a. 1996, Lemma: Schizophrenie). Da die komplexen Krankheitsbilder in früheren Jahrhunderten nicht in der Weise erkannt und behandelt werden konnten wie in unserer Zeit, hat man desorganisierte oder verwirrte Menschen oft schlicht als verrückt bezeichnet und aus der Gesellschaft verbannt. Wenn die geistige Verwirrung nicht in hohem Maße das Leben der Menschen beeinflußte, konnten einige von ihnen ihr ›Glück‹ als Hofnarren machen (Cf. S. 106f.). Darüber hinaus geschah es immer wieder, daß das schallende Lachen eines Menschen als unnatürlich empfunden wurde, da die Umstehenden den Lachen auslösenden Moment nicht nachvollziehen konnten. Ein Beispiel dafür ist das Entsetzen der Bevölkerung von Abdera gegenüber dem Lachen Demokrits, wie es im pseudohippokratischen Briefroman beschrieben ist. (Cf. Hippokrates/Briefe, 10. Brief, S. 31 und passim). 3 Oft wird man sich der Normalität steter Präsenz des Lachens im menschlichen Leben erst bewußt, wenn dies auf einmal ausfällt oder doch deutlich seltener hervorbricht

3. Präsenz des Lachens

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Eine glückliche Ausnahme ist die Lebensbeschreibung Louis’ IX. Der Verfasser des Livre des saintes paroles et des bons faiz nostre roy saint Looÿs4, Jean de Joinville, gehörte zum engsten Kreis der Vertrauten Louis’. Neben Daten und Fakten enthält die Schrift dementsprechend auch viele persönliche Erinnerungen des Chronisten: Maintenant qu’il me vit entrer en sa chambre, la ou il parloit au legat, il se leva et me trait d’une part et me dit: ›Vous savez‹, fist le roy, ›que je ne vous reting que jusques a Pasques; si vous pri que vous me dites que je vous donra pour estre avecques moy de Pasques en un an.‹ Et je li dis que je ne vouloie que il me donnast plus de ses deniers que ce que il m’avoit donné, mes je vouloie fere un autre marché a li. ›Pour ce, fis je, que vous vous couroucies quant l’en vous requiert aucune chose, si weil (sic!) je que vous m’aiés couvenant que se je vous requier aucune chose toute ceste année, que vous ne vous courrouciés pas; et se vous me refusés, je ne me courroucerai pas.‹ Quant il oÿ ce, si commença a rire moult clerement et me dit que il me retenoit par tel couvenant.5

Die Szene läßt darauf schließen, daß König und Seneschall einander recht vertraut gewesen sind, andernfalls würde dieser nicht wagen, eine derartige ___________ als üblich. Grund für weniger häufiges Lachen ist oft eine bedrückte, traurige Stimmung, ausgelöst durch ein bestimmtes Ereignis, einen erlittenen Verlust oder ähnliches. Nach der Verarbeitung der Situation kehrt dann zumeist auch das Lachen zurück. Wenn hingegen eine derartige Verstimmung ohne deutlichen Auslöser auftritt und sowohl für den Betroffenen als auch für seine Mitmenschen zunächst unerklärlich erscheint, liegt oft eine pathologische Ursache vor. Starker Interessen- oder Freudverlust, bis hin zur »affektiven Verödung, Anhedonie« (H. Häcker/K. H. Stapf (Hg.): Dorsch Psychologisches Wörterbuch. Bern e. a.131998, Lemma: Anhedonie) gelten heutzutage als Symptome einer depressiven Störung oder Depression (Cf. G. Wenninger e. a. (Hg.): Lexikon der Psychologie. 5 Bde., Heidelberg, Berlin 2000, Lemma Depression). Interessanterweise wird in den verwendeten Nachschlagewerken unter dem Lemma Depression stets auf den Eintrag Melancholie verwiesen, wo die kurze Notiz »alt für Depression, siehe dort« die Vermutung nahelegt, daß zwischen dem modernen Krankheitsbild der Depression und der Melancholie der Alten phänomenologisch kein wesentlicher Unterschied besteht. Es sei an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen, daß der Begriff ›Melancholie‹ nicht immer negativ konnotiert war. So betrachteten zahlreiche Dichter des Renaissancezeitalters und erneut des 18. und 19. Jahrhunderts die Melancholie als »inspirationsspendende Kraft«, eine Idee, die im wesentlichen auf Buch XXX der Problemata fußt (Cf. H. Mehnert: Melancholie und Inspiration. Begriffs- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen zur poetischen »Psychologie« Baudelaires, Flauberts und Mallarmés. Mit einer Studie über Rabelais. Heidelberg 1978, S. 49 [Mehnert]. Interessant ist hier vor allem das zweite Kapitel: »Melancholie als Voraussetzung der poetischen Potenz«, S. 49- 91). Zu Buch XXX der Problemata cf. S. 211f. 4 J. de Joinville: Vie de Saint Louis. Texte établi, traduit; présenté et annoté, avec variantes par J. Monfrin. Paris 1995 [Vie de Saint Louis]. Die Schrift trägt in den überlieferten Manuskripten keinen Titel. Da der Verfasser in § 2 erwähnt, die Königsmutter habe ihn beauftragt, ein Livre des saintes paroles et des bons faiz nostre roy saint Looÿs zu verfassen, wird diese Wendung gemeinhin als Überschrift gebraucht. Allgemein bekannt ist die Schrift heutzutage unter dem Titel Vie de Saint Louis (Cf. Introduction des Hrsg., S. 32). 5 Vie de Saint Louis, § 500.

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3. Präsenz des Lachens

Frage zu stellen. Wenn der Chronist über Scherze und Neckereien, die zwischen ihm und dem König gefallen sind, berichtet, ist es möglich, das damit verbundene Lachen durchaus als privat-individuelles Lachen zu betrachten. Denn Scherz und Lachen entstanden aus der Situation heraus, entwickelten sich im privaten Rahmen und sind nur für andere verständlich, wenn man die Vorgeschichte erklärt. Im Gegensatz zum lebensweltlichen Lachen ist hier jedoch zu berücksichtigen, daß die Darstellung Louis IX nicht notwendig der Realität entspricht, sondern von den Vorstellungen des Chronisten geprägt ist. Auch wenn Joinville im wesentlichen den Grandes chroniques folgt6, war es ihm doch möglich, das Bild seines Dienstherrn durch seine eingestreuten persönlichen Erinnerungen so zu zeichnen, wie es ihm lieb war. Die Betonung des heiteren Gemüts und der Bericht zahlreicher Anekdoten, in denen Louis die Situation durch einen Scherz entschärfte, führten dazu, daß der Herrscher heutzutage als Prototyp des rex facetus gilt7. Sie lassen darüber hinaus auch Rückschlüsse auf die Einstellung des Chronisten zu. Wenn Joinville. in einer Zeit zwar geminderter, aber dennoch verbreiteter Verurteilung des Lachens durch die Kirche, Diesseitigkeit8 und im Lachen ausgedrückte Lebensfreude9 eines so frommen Mannes10 auf diese Weise hervorhebt, beweist dies einerseits, welche Bedeutung der Chronist selbst diesen Werten beimißt. Es zeigt andererseits, daß die Kirche weder das Lachen per se noch dessen positive Bewertung von Seiten der Gläubigen verhindern konnte. Frömmigkeit und Lebensfreude schließen sich in den Augen des Volkes nicht aus. Die angegebenen Beispiele privat-individuellen Lachens sind sehr zeitlos, die umrissenen Episoden können sich im Altertum ebenso zugetragen haben wie im Mittelalter oder in unserer Zeit. Als solche können sie auch in jeder Form literarischer Fiktion nachgebildet werden. In diesem Fall treten sie jedoch aus der privaten Sphäre heraus und werden öffentlich. Ob sie als Szene eines Theaterstücks aber beim Zuschauer Lachen hervorrufen könnten, ist fraglich. Nicht nur, weil dem Publikum oft das nötige Vorwissen fehlt, sondern weil eine Situation vor allem zum Lachen reizt, wenn sie mit ernster Miene vorgetragen ___________ 6

Cf. Vie de Saint Louis, Introduction des Hrsg., S. 61. Zum Motiv des rex facetus cf. J. Le Goff: Saint Louis. Paris 1996, S. 486-489; sowie Le Goff, in: Bremmer/Roodenburg, S. 48. Kennzeichen des rex facetus ist vor allem die Tatsache, daß er Lachen und Scherze zu Instrumenten der Herrschaft machte, das Verhältnis zu den Untergebenen durch Ver-lachen und Mit(-einander) Lachen geprägt ist. 8 Vie de Saint Louis, § 628: »Lors dit le roy: ›Seigneurs, j’ai oÿ vostre avis et l’avis de ma gent. Or vous redirai je le mien, qui est tel que se je descent de la nef, qu’il a ceans tiex. VC (i. e. 500) persones et plus qui demorront en l’ille de Cypre pour la poour de peril de leur cors, car il n’i a celi qui autant n’aime sa vie comme je faiz la moie«. 9 Cf. z. B. Vie de Saint Louis: § 32; § 389, § 566, § 673, § 766 (Cf. dazu Introduction des Hrsg., S. 85). 10 Louis IX wurde 1215 heilig gesprochen. 7

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wird. Kein Komiker und kein guter Komödienschauspieler wird auf der Bühne lachen,11 es sei denn er möchte, daß sein (exzessives) Lachen auf das Publikum ansteckend wirkt. Die Übertragung authentischer Lachsituationen ist also problematisch. Um diese wirkungsvoll darbieten zu können, wäre immer Überzeichnung und Reduktion auf das Wesentliche notwendig, Mechanismen, die in zum Lachen reizender Literatur breite Verwendung finden. Der Bereich privatindividuellen Lachens muß demnach weitgehend im Hypothetischen verbleiben. Geht man aber von der grundsätzlich positiven Haltung des Menschen gegenüber dem Lachen aus und betrachtet dieses als natürliche Lebensäußerung, läßt sich vermuten, daß sich in dieser Hinsicht das Lachverhalten im Laufe der Jahrhunderte nicht wesentlich verändert hat. Ähnliches gilt auch für den Bereich öffentlich-individuellen Lachens. Auch hier stehen kaum historische Quellen zur Verfügung, aufgrund der Zeitlosigkeit individuellen Lachens lassen sich heutzutage beobachtbare Phänomene aber auf die Vergangenheit übertragen. »Die schaut aber griesgrämig«; »der macht ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter«; »meine Güte, hat die eine entsetzliche Lache«, denkt man oft selbst, wenn man an anderen Passanten vorübergeht, oder aber man hört entsprechende Kommentare: gibt es denn niemanden, der auf offener Straße auf unauffällige Weise lacht? Doch, mit Sicherheit, aber wie bereits in Hinblick auf privat-individuelles Lachen konstatiert, wird man als Außenstehender des Lachens nur gewahr, wenn es nicht der Norm entspricht. Eigenes wie fremdes Lachen wird als selbstverständlich empfunden und deshalb nicht explizit erwähnt. Öffentlich-individuelles Lachen kann letztlich ähnliche Auslöser haben wie individuelles Lachen im privaten Bereich: die plötzliche Freude, die sich beim Anblick der ersten Frühlingsboten in Lachen entlädt, die verzweifelten – und deshalb für den Außenstehenden nicht weniger Lachen auslösenden – Versuche einer Dame, ihren Hut wieder einzufangen, den ihr der Wind vom Kopf geweht hatte, die Neckerei zweier Verliebter bei einem Spaziergang. Die Beispiele machen die Verwandtschaft der beiden Bereiche deutlich. Das Lachen entsteht hier wie dort aus der Situation heraus und ist unter anderem abhängig von der augenblicklichen Stimmung des oder der Beteiligten. Mag sein, daß beim nächsten Sturm einer Dame ein ähnliches Mißgeschick geschieht, man es nun aber nur beiläufig registriert und sich wundert, warum man in einer solchen Situation je hat Lachen müssen. Auch in Hinblick auf öffentlich-individuelles Lachen lassen sich also nur wenig konkrete Aussagen ___________ 11 Cf. dazu: W. Haug: »Schwarzes Lachen: Überlegungen zum Lachen an der Grenze zwischen dem Komischen und dem Makabren«, in: Fietz e. a., S. 49-64, hier S. 54 [Haug, in: Fietz e. a.]. Auf diesen Sachverhalt hatte bereits Cicero verwiesen: »Itaque imbuendus est is, qui iocose volet dicere, quasi natura quadam apta ad haec genera et moribus, ut ad cuiusque modi genus ridiculi vultus etiam accomodetur; qui quidem quo severior est et tristior, [...] hoc illa, quae dicuntur, salsiora videri solent« (De. orat. II, 289).

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machen, zumal sich der private Bereich oft gewissermaßen in die Öffentlichkeit verlagert, wie im Beispiel der sich neckenden Verliebten: Die Lachanlässe sind zu Hause und auf dem Spaziergang solange identisch, wie das Paar in Zweisamkeit verharrt. Erst wenn es Kontakt zur Außenwelt aufnimmt, wird sein Lachen öffentlich. Die möglichen Lachanlässe in bezug auf individuelles Lachen sind also vielfältig, unterscheiden sich aber im privaten oder öffentlichen Bereich vor allem durch Art und Zahl der beteiligten Objekte und Personen. Während im privaten Bereich meist untereinander bekannte Personen mit- oder übereinander lachen, können in der Öffentlichkeit auch fremde Personen an der Lachsituation beteiligt sein. Das Lachen kann somit ›kontaktstiftende‹ Qualität erlangen und kommt damit dem Lächeln sehr nahe.12 In Hinblick auf privat-kollektives Lachen lassen sich im wesentlichen zwei Formen unterscheiden: Einerseits die private Rezeption literarischer Werke, andererseits alle Arten menschlichen Zusammenseins, die nicht allgemein zugänglich, sondern nur bestimmten Kreisen geöffnet sind. In beiden Fällen differieren die antiken und mittelalterlichen Gewohnheiten mit heutzutage üblichen Gepflogenheiten. Um eine differenzierte Einsicht in die Bereiche privatkollektiven Lachens zu erlangen, erscheint es sinnvoll, zwischen arm und reich, Stadt- und Landbevölkerung zu unterscheiden.13 Unabhängig von Zeitalter, Ort und sozialer Zugehörigkeit war es für denjenigen, der sich eigenständig mit Literatur auseinandersetzen wollte, notwendig, nicht nur Lesefähigkeit und Interesse, sondern vor allem genügend Zeit und Muße zu haben, um sich neben der Beschäftigung für den Broterwerb, der Literatur zu widmen. Anhand der Voraussetzungen wird schnell deutlich, daß nur wenige Menschen diese erfüllen konnten, vorrangig die Bewohner der Städte sowie Teile der Landbevölkerung, die durch Erbschaft oder günstige Güterverteilung Reichtum erlangt hatten und dementsprechend nicht in ständiger Sorge um das tägliche Brot lebten.14 ___________ 12

Die in bezug auf privat-individuelles Lachen erwähnten Möglichkeiten der Nachbildung im Rahmen von Bühnenstücken gelten selbstverständlich auch für öffentlichindividuelles Lachen. 13 J. Duvignaud weist auf die Notwendigkeit einer solchen differenzierten Sichtweise ebenfalls hin: »Il y a plus d’analogie ou d’homologie entre les cités grecques, flamandes, italiennes, anglaises du Moyen Age européen qu’il y en a entre ces dernières et les formes de vie non urbaine qui les environnent.« (J. Duvignaud: Le rire et le propre de l’homme. Histoire du rire et de la dérision. Paris 1985, S. 65 [Duvignaud]). 14 Cf. Dahlheim I, S. 202f, Dahlheim II, S. 64f. Während die antike Landwirtschaft im wesentlichen Subsistenzwirtschaft war, gelang es den Bauern dank veränderter Bewirtschaftungsmethoden seit dem neunten Jahrhundert Überschüsse zu erwirtschaften, die sie jedoch zumeist an ihre Feudalherren abführen mußten (Cf. R. Auty e. a. (Hg.): Lexikon des Mittelalters. 9 Bde, München, Zürich 1980 e. a., Lemma Landwirtschaft (II) [LexMa]).

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Entgegen dem allgemeinen Vorurteil, literarische Werke seien in Antike und Mittelalter vor allem deshalb nur von sehr wenigen rezipiert worden, weil ein Großteil der Bevölkerung nicht lesen und schreiben konnte, war es nicht so sehr mangelnde Schulbildung, sondern vielmehr fehlende Zeit und Ruhe, die ärmere Bürger und Bauern von den Büchern fernhielt. Sowohl in der Antike als auch im Mittelalter bestand die Möglichkeit, teilweise sogar die Verpflichtung15, die Kinder am Schulunterricht teilnehmen zu lassen. Diese Gelegenheit wurde jedoch von den Menschen unterschiedlich wahrgenommen. Die Bewohner der Städte nutzen diesbezügliche Angebote in weit größerem Maße als die Landbevölkerung.16 Trotz aller Bildungsmöglichkeiten muß man davon ausgehen, daß vom vierten Jahrhundert bis zum Beginn der Herrschaft der Karolinger der überwiegende Teil der abendländischen Bevölkerung illiterat war.17 Das mag auf den ersten Blick eine lange Zeit sein, gemessen an den hier betrachteten achtzehn ___________ 15

In Athen, das im klassischen Griechenland oft Vorbild- und Vorreiterfunktion innehatte, lag die Erziehung seit dem siebten Jahrhundert v. Chr. in der Verantwortung der Polis. Zunächst noch Adelserziehung, deren Hauptaufgabe es war, ins Kriegshandwerk einzuführen, entwickelte die staatliche Erziehung in Athen bald ein einheitliches Bildungssystem. Der Unterricht in den Elementarschulen war für alle Kinder verpflichtend (und somit nur sehr wenige Griechen wirklich 100%prozentig illiterat), der Besuch der höheren Schule und später die Teilnahme am wissenschaftlichen Unterricht hingegen freigestellt. Dieses dreistufige System blieb über die hellenistischen Jahrhunderte hinaus und letztlich bis zum Untergang des Imperium Romanum – die Römer hatten das Modelle ihren Vorstellungen entsprechend angepasst – bestehen (Cf. H.-I. Marrou: Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum. Übers. von Ch. Beumann, hrsg. von R. Harder. Freiburg, München 1957, S. 66; 152-164; 209-259, zu den römischen Verhältnissen: S. 347-361; 387-423 [Marrou]). Auch in Sparta, das ja in vielerlei Hinsicht einen Sonderweg ging, war die Erziehung aller Kinder Aufgabe des Staates. Auch wenn sie im wesentlichen kriegerisch ausgerichtet war, um jederzeit der Helotengefahr begegnen zu können, lernten auch spartanische Jungen und Mädchen (vereinzelt) die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen (Cf. Marrou, S. 40, sowie E. Baltrusch: Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. München 1998, S. 63-87, insbesondere S. 82f [Baltrusch]). 16 Die Bildung der ›Landkinder‹ oblag seit dem vierten/fünften Jahrhundert vor allem kirchlichen Einrichtungen. Zunächst noch als externe Schüler von Bischofs-, Presbyterial- und Klosterschulen (Cf. Marrou, S. 482ff), konnten sie nach der Einrichtung des Oblateninstituts gänzlich von klösterlicher Erziehung profitieren. Im elften und zwölften Jahrhundert war man schließlich allgemein der Meinung, daß die Kinder nur im Kloster die bestmögliche Erziehung erführen (Cf. Centro di studi medievali, X, Università cattolica del Sacro Cuore, Milano: »L’enfant dans la société chrétienne aux XIe-XIIe siècles«, in: P. Riché (Hrsg.): Éducation et culture dans l’Occident médiéval. Norfolk 1993, S. 281-302, hier S. 291/292). Die sogenannte »révolution scolaire« führte zur vermehrten Gründung von allgemeinen Stadtschulen, Grammatikschulen (auch in kleineren Marktflecken) und zahlreicher Privatschulen, die von unabhängigen Magistern geführt wurden (Cf. LexMa, Lemma: Schule, III Die Neuerungen des Hohen Mittelalters, c. 1584). 17 Cf. LexMa, Lemma: Schule, [2] Wandlungen im Frühmittelalter, cc. 1582/1583.

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Jahrhunderten – von der klassischen Antike bis ins Renaissancezeitalter – nimmt sich die Zeitspanne doch recht kurz aus. In damaliger Zeit war es für den Privatmann jedoch nicht immer einfach, sich die gewünschte Lektüre zu beschaffen. Die Werke standen nicht als handliche Paperbacks im häuslichen Bücherregal, sondern wurden zunächst noch als Papyrus- oder Pergamentrolle, später in Form von Kodices in Bibliotheken aufbewahrt.18 Nur wer sein Leben dem Studium und damit den Büchern verschrieb, konnte es sich in Antike und Mittelalter leisten, gewisse Werke selbst zu besitzen. Zwar verfügten zu allen Zeiten wohlhabende Bürger über kleine Buchbestände, aber erst humanistische Autoren wie Petrarca, Valla oder Salutati strebten in ihrer Begeisterung für die Literatur der Antike danach, umfangreiche eigene Bibliotheken aufzubauen. Der Erwerb solcher Schriften war also für den gemeinen Mann unerschwinglich – aber auch nicht erstrebenswert. Die Mehrheit der Bevölkerung erlebte Literatur durch mündliche Überlieferung: auf dem Feld bei der Arbeit oder beim Essen erzählte man sich nicht nur die Erlebnisse des Tages, sondern auch erfundene Geschichten; Erzählungen, die man von einem fahrenden, professionellen Gaukler aufgeschnappt hatte, aber auch solche, die von Generation zu Generation tradiert wurden und deren Ursprung keiner mehr kannte. Gegenstand dieser Geschichten waren Episoden aus der näheren und weiteren Umgebung, realistisch berichtet oder märchenhaft verformt, oft zum Lachen, manchmal zum Weinen. Erzählungen also, wie sie auch das Decameron sowie zahlreiche andere Sammelwerke enthalten. Denn was in den ärmeren Bevölkerungsschichten aus der Not geboren war, entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte zur Tradition des Reihum-Erzählens, die vor allem in den Häusern der Adligen und an den Höfen gepflegt und mit der Zeit auch schriftlich fixiert wurde. Darüber hinaus bestand natürlich die Möglichkeit, die im Schulunterricht erhaltenden Impulse selbständig weiter zu verwerten. Hatte man im Altertum noch Homer und die rhetorischen Schriften der Griechen studiert19, die dem Lachen ja zum Teil weiten Raum gaben, änderte sich dies mit der Übernahme des Bildungssektors in kirchliche Trägerschaft. Aufgrund der negativen Einstellung gegenüber dem Lachen läßt sich davon ausgehen, daß nicht etwa die spottenden Verse römischer Satirenschreiber20 oder das zum Lachen reizende Ro___________ 18

Cf. Hunger, S. 25f. Aufgrund der Tatsache, daß neben den Epen Homers auch die Komödien Menanders auf dem Lehrplan standen (Cf. Marrou, S. 225) ist also nicht auszuschließen, daß die jungen Griechen und später auch die Römer sowie die Bewohner des Imperium Romanum bei der mühevollen Lektüre auch mal herzlich gelacht haben. 20 Dies waren vor allem Ennius, Lucilius, Horaz, Flaccus, Juvenal und Varro. Zur römischen Satire cf. v. Albrecht, S. 195-203. Quintilian nennt in Inst. orat. II; X, 93-95 oben angeführte Autoren als maßgebliche Vertreter der Gattung und fügt als weiteren Satirenschreiber Persius hinzu. 19

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manfragment des Petronius21 auf dem Lehrplan standen, sondern vornehmlich erbauliches Schrifttum sowie Werke, die zur Vermittlung der trivialen Grundfertigkeiten Grammatik, Rhetorik und Dialektik dienten.22 Neben den sonntäglichen Gottesdiensten boten Kloster- und Kathedralschulen, die spätestens seit der sogenannten karolingischen Renaissance die Hauptausbildungstätten waren, die besten Möglichkeiten, die kirchliche Lehrmeinung – und dazu gehörte auch die Verurteilung von Spiel und Lachen – publik zu machen.23 Da auch die Hauslehrer, denen die Erziehung junger Adliger oder wohlhabender Bürgersöhne und -töchter anvertraut war, oft Kleriker waren, läßt sich vermuten, daß auch diese ihren Schützlingen keine zum Lachen reizenden Werke darboten, sondern sich an die Vorgaben ihres obersten Dienstherrn, der ›Amtskirche‹ hielten. Schriftlich fixierte literarische Zeugnisse bieten dementsprechend einem Großteil der Bevölkerung nur sehr wenig Lachanlässe im privaten Raum. Eine größere Bedeutung kommt hier dem spontanen Lachen zu, ausgelöst nicht nur durch die bereits erwähnten Geschichten, sondern vor allem durch Witzworte, geistreiche Gedanken, Zoten und Anekdötchen, die stets erzählt werden, wenn viele Menschen in froher Runde zusammensitzen. Die Bedeutung solcher Momente für das Leben der Menschen hatte bereits Demokrit erkannt und auf eine prägnante Formel gebracht: »Ein Leben ohne Festfeier ist ein langer Weg ohne Gasthäuser.«24 Gibt es am Wegesrand keine Möglichkeit zum Einkehren, geht jeder seinen Weg, macht jeder seine Arbeit, ohne auf die Idee zu kommen, anzuhalten, um sich im Kreise Gleichgesinnter eine Pause zu gönnen. Wie das Gasthaus bieten Feste den Menschen Augenblicke des Innehaltens und der Erholung, bei denen oft auch viel gelacht wird. Die im theoretischen Schrifttum immer wieder erwähnte Entspannungsfunktion des Lachens, die ja letztlich auch zur Rehabilitation des Lachens und zur Aufwertung unterhaltender Berufe beigetragen hat, findet hier breite Anwendung. Grundlage dieses Verhaltens ist jedoch nicht abstraktes, aus Büchern erworbenes Wissen, sondern schlicht die Erfahrung, daß man sich bei viel Gelächter in geselliger Runde ›einfach gut fühlt‹ und sich manch anstrengende Arbeitsstunde anschließend leichter ertragen läßt. Hatte man sich aus Zeitmangel nur selten literarischen Werken zugewandt, weil eine Beschäftigung mit diesen zwar kurzweilig, aber oft nicht min___________ 21 Zum Satirikon cf. H. Kuch e. a.: Der antike Roman. Untersuchungen zur literarischen Kommunikation und Gattungsgeschichte. Berlin 1989, S. 126-135, 206-209 [Kuch]. 22 Cf. LexMa, Lemma: Schullektüre. Nach der Neubewertung des Lachens durch Thomas von Aquin und der damit in Verbindung stehenden Umorientierung begann man auch in den Kathedral- und Klosterschulen mit der Lektüre der Werke von Horaz oder Juvenal. 23 Cf. Suchomski, S. 29. 24 Diels/Kranz II: Demokrit 230.

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der anstrengend als die Arbeit des Tages war, wurden Feiern und Zusammenkünfte nicht als zeitraubend empfunden. Zudem wurden viele Feste aus kultischem oder religiösen Anlaß begangen: in vorchristlicher Zeit zur Feier der Einweihung in Mysterienkulte, später anläßlich der Schwertleite oder des Empfangs der Sakramente, sowie zum Totengedenken25 – Augenblicke also, an denen die Arbeit ohnehin ruhte. Initiationen wurden jedoch zumeist in größerem Rahmen gefeiert und werden deshalb wie die antiken Feste zu Ehren der Stadtgottheiten und die großen christlichen Feiertage im Laufe des Kirchenjahres – allen voran Ostern, aber auch Weihnachten, Pfingsten sowie das Patronatsfest des Ortsheiligen – im Zuge der Auseinandersetzung mit den Formen öffentlich-kollektiven Lachens thematisiert.26 Feste und gesellige Runden im nicht-öffentlichen Rahmen boten – ob mit oder ohne Anlaß – eine Fülle von Möglichkeiten privat-kollektiven Lachens. Eine im klassischen Altertum übliche Form der privaten Zusammenkunft war das Symposion, ein Gastmahl, in dessen Verlauf traditionellerweise nicht nur ___________ 25 Hauptsächliche Anlässe privater Feierlichkeiten waren im Früh- und Hochmittelalter Hochzeit und Taufe. Die zwei- bzw. dreischrittige christliche Initiation wurde bis ins 12 Jahrhundert meist in enger zeitlicher Abfolge vollzogen. Anstatt wie heutzutage üblich zwei bzw. drei Feste zu feiern, wurden Taufe und Firmung jugendlichen oder erwachsenen Bewerbern meist in derselben Osternacht gespendet, in der die Neugetauften auch zum ersten Mahl aktiv an der Eucharistiefeier teilnehmen durften (Cf. R. Meßner: Einführung in die Liturgiewissenschaft. Paderborn 2001, S. 115/116 [Meßner]). Die Freude über die Neugetauften verband sich also stets mit der Osterfestfreude, weshalb sich spezifische Aussagen zur Feier des ›Christ-Werdens‹ kaum machen lassen. Auch als Firmung und Erstkommunion im größeren zeitlichen Abstand von der Taufe gefeiert wurden, wurden diese Feste zumeist an kirchlichen Feiertagen begangen (Cf. Meßner, S. 109; 120). Vermählungen und Begräbnisse hingegen wurden jederzeit (Hochzeiten jedoch nicht während der gebotenen Fastenperioden) und meist ›im großem Kreis‹ begangen. Das konnte bedeuten, daß das ganze Dorf, der ganze Pfarrbezirk, geladen war. (Cf. H. W. Goetz: »Der kirchliche Festtag im frühmittelalterlichen Alltag«, in: D. Altenburg e. a. (Hg.): Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes. Sigmaringen 1991, S. 53-63, hier S. 57f.). ›Privat‹ im oben definierten Sinn waren derlei Veranstaltungen dann nur insoweit, als der ursprüngliche Anlaß nicht die Allgemeinheit, sondern zunächst nur eine oder zwei – bei Hochzeiten – Familien betraf. Inwieweit diese Feiern dann ausgeweitet wurden, lag im Ermessen des Ausrichters. Zahlreiche Heirats- und Begräbnisordnungen, die die Zahl der Gäste vorschrieben und Angaben zu den zu reichenden Speisen und Getränken sowie zur Kleidung enthielten, machen die Ausmaße deutlich, die solche Feiern zum Teil annahmen, bei denen sich die Obrigkeit zum Einschreiten genötigt sah (N. Bulst: »Feste und Feiern unter Auflagen. Mittelalterliche Tauf-, Hochzeits- und Begräbnisordnungen in Deutschland und Frankreich«, in: Altenburg e. a., S. 39-51, hier S. 42). Was hier über die Feiern des ›gemeinen Volkes‹ gesagt wurde, gilt gleichermaßen für Feste bei Hofe. Neben christlich motivierte Feste treten zudem solche, die sich aus dem höfisch-ritterlichen Kontext ergeben wie z. B. die Schwertleite als Initiationsritus des Ritterstandes (Cf. Faral/Jongleurs, S. 97, sowie ausführlich: J. Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 2 Bde, München 1986, hier Bd. I, S. 318f). 26 Cf. S. 111f.

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anspruchsvolle Reden zu einem vorher bestimmten Thema gehalten wurden, sondern oft auch professionelle Spaßmacher für Stimmung sorgten. Xenophon von Athen beschreibt ein solches Gelage in seinem gleichnamigen Werk: Es war der Tag des Pferderennens an den großen Panthenäen. Kallias, des Hipponikos Sohn, war damals in den jungen Autolykos verliebt und mit dem Knaben, der gerade im gemischten Faust- und Ringkampf gewonnen hatte, zu dem Schauspiel gekommen. [...] Als das Pferderennen vorbei war, wollte er mit Autolykos und dessen Vater zu seinem Haus in Pyräus gehen. [...] Wie er aber Sokrates, Kritobulos [...] beieinander stehen sah [...] (ging er selbst auf die Gruppe zu und lud sie ein): ›Ich will nämlich Autolykos und seinem Vater ein Fest geben.‹ [...] Bald darauf fanden die Gäste sich bei ihm ein [...] (und) aßen schweigend, als wäre es ihnen von einem Höheren befohlen worden. Unterdessen hatte aber Philippos, der  , an die Tür geklopft und den Pförtner drinnen melden lassen, wer er sei und warum er hier abzusteigen gedenke. [...]: ›Daß ich ein Spaßmacher bin, wißt ihr alle. Ich wollte einfach mal hereinkommen, weil ich mir dachte, es sei lustiger, ungeladen als geladen zum Essen zu kommen.‹ Darauf erwiderte der Gastgeber: ›Leg dich nur nieder, denn die Leute hier sind [...] ganz mit Ernst erfüllt und könnten wohl eher etwas Lachen vertragen.‹ Während des Essens versuchte Philippos gleich, etwas Witziges zu sagen, um so das Entgelt zu entrichten, für das er sonst immer zu den Mahlzeiten eingeladen wurde. Als er aber kein Gelächter hervorrief wurde er sichtlich unzufrieden. Kurz darauf wollte er trotzdem noch etwas Witziges zum Besten geben, und als man auch da nicht über ihn lachte, ließ er plötzlich das Essen stehen, barg seinen Kopf unter das Gewand und blieb so liegen. ›Was soll das, Philippos‹ fragte Kallias. ›Hast Du etwa Kummer‹ ›Beim Zeus, allerdings‹ antwortete der mit einem tiefen Seufzer, ›großen sogar‹ [...] Bei diesen Worten schneuzte er sich, und deutlich schien in seiner Stimme etwas wie Weinen zu liegen. Da trösteten ihn alle, sie würden auch wieder lachen, und baten ihn weiterzuessen, wobei Kritobulos über sein Lamentieren sogar in schallendes Gelächter ausbrach. Als schließlich die Tische abgetragen waren [...] fand sich zum geselligen Teil des Abends ein Mensch aus Syrakus bei ihnen ein, der eine gute Flötenspielerin und eine Tänzerin mitbrachte [...] und außerdem einen überaus hübschen Knaben, der sehr schön Leier spielen und tanzen konnte. (Die Unterhaltungskünstler führten nun einige akrobatische Kunststücke vor.) [...] ›Auf geht’s‹ rief Philippos ›auch für mich soll die Flöte spielen, damit ich auch einmal tanze!‹ Er stand auf und imitierte in aller Ausführlichkeit den Tanz des Knaben und des Mädchens. Und wenn man vorher gerühmt hatte, wie der Knabe durch seine Bewegungen noch schöner erscheine, so brachte er es fertig, daß jeder Teil seines Körpers, den er bewegte, noch lächerlicher wirkte, als er ohnehin schon war. [...] (Phlippos): ›Der Junge soll mir die große Trinkschale füllen.‹, ›Beim Zeus‹, rief Kallias, ›Uns auch! Denn auch wir haben Durst, weil wir so über dich lachen mußten!‹27

Die Textpassage ist in vielerlei Hinsicht aufschlußreich: Sie zeigt zum einen mögliche Anlässe antiker Festgelage – hier die Feier des sportlichen Erfolges eines Familienmitglieds –, zum anderen den Wunsch der Gastgeber, hochkarä___________ 27

Xenophon von Athen: Das Gastmahl (=8 Gr./dt., übers. und hrsg. von E. Stärk. Stuttgart 1986; I, 2-16; II, 21-23 [Gastmahl]. Das Werk gehört zu den sogenannten sokratischen Schriften des Autors, mit denen er, wie viele andere Zeitgenossen auch, versuchte, die Erinnerung an den Philosophen wachzuhalten und dessen geistige Größe hervorzuheben (Cf. Nachwort des Hrsg, S. 112/113). Zu Ansehen und Auftreten von

  in griechischer Kultur und Literatur cf. Pauly, Lemma  .

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tige Gesprächsteilnehmer um den Tisch des Hauses zu versammeln. Das läßt darauf schließen, daß die Ausrichtung derartiger Symposien gewissermaßen ›zum guten Ton‹ gehörte und das gesellschaftliche Ansehen des Gastgebers auch vom Gelingen solcher Abende abhängen konnte.28 Daß es dabei nicht nur Ernst zuging, sondern im Gegenteil, das Lachen sogar erwünscht war, zeigt die Reaktion des Hausherrn beim Eintreten des  , wörtlich: der »Lachen-Macher«29. Hintergrund der Aufforderung, die Anwesenden zum Lachen zu bringen, mag wiederum das intuitive Wissen um die Erholungsfunktion des Lachens gewesen sein. Warum die ersten Versuche Philippos’, durch witzige Bemerkungen bei den Zuhörern Lachen hervorzurufen, fehlschlugen, läßt sich im Nachhinein schwerlich feststellen. Sei es, daß das Publikum eventuelle Anspielungen aufgrund mangelnden Vorwissens nicht verstehen konnte, sei es, daß der aufgebaute Überraschungseffekt nicht groß genug war, um Lachen hervorzurufen. Der Spaßmacher hat erst Erfolg, als er beginnt, seine Scherze aus dem Moment heraus zu entwickeln. Dies geschieht zum einen, indem er, entgegen dem üblichen Verhaltenskodex, seinen Kopf im Gewand verbirgt und stöhnt, seinen Gefühlen also freien Lauf läßt. Auch wenn Xenophon es nicht explizit erwähnt, läßt sich dennoch davon ausgehen, daß dieses Stöhnen bei weitem übertrieben ist und letztlich eine Nachahmung ehrlichen Kummers darstellt. Diese ›Nummer‹ zeitigt dann auch sofortigen Erfolg, da Urbild und Abbild gegenwärtig sind: Vergleich und offensichtliche, ›unschädliche‹ Diskrepanz reichen aus, um Lachen auszulösen. Der gleiche Mechanismus liegt auch der zweiten Szene zugrunde, in der es Philippos gelingt, die Symposionteilnehmer zum Lachen zu bringen. Durch die Präsens von Modell und Nachbildung werden Unterschiede in Bildungsniveau und Umfeld, die den Erfolg eines Scherzes gefährden können, unwichtig. Aus eben diesem Grund wenden Spaßmacher zu allen Zeiten diese Technik der verzerrenden, übertreibenden Nachahmung an.30 Auch Clowns im Zirkus oder in den Medien bedienen sich dieser Strategie, um ihr heterogenes – ___________ 28

Cf. Pauly, Lemma Symposion. Cf. Bremmer, in: Bremmer/Roodenburg, S. 18. 30 Es sei an dieser Stelle daran erinnert, daß für Aristoteles die Komödie auf Nachahmung beruht: »Die Nachahmenden ahmen handelnde Menschen nach. Diese sind notwendigerweise entweder gut oder schlecht. [...] Demzufolge werden Handelnde nachgeahmt, die entweder besser oder schlechter sind, als wir zu sein pflegen, oder auch ebenso wie wir. [...] Es ist nun offenkundig, daß von den genannten Arten der Nachahmung jede diese Unterschiede hat und daß sie dadurch je verschieden ist, daß sie auf die beschriebene Weise je verschiedene Gegenstände nachahmt. Denn auch beim Tanz, sowie beim Flöten- und Zitherspiel kommen diese Ungleichheiten vor, und ebenso in der Prosa und in gesprochenen Versen. So hat Homer bessere Menschen nachgeahmt, Kleophon uns ähnliche und Hegemon von Thasos, der als erster Parodien  0 dichtete [...] schlechtere. [...] Die Komödie sucht schlechtere, die Tragödie bessere Menschen nachzuahmen als sie in der Wirklichkeit vorkommen« (Poetik 2, 1448a, cf. dazu S. 41f). 29

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ihnen unbekanntes – Publikum im Lachen zu vereinen. Die Grundidee, durch überzeichnende Nachbildung, die man heutzutage allgemein Parodie31 nennt, Lachen zu erregen, hat im Laufe der Jahrhunderte selbstverständlich Wandlungen erfahren. Die Gegenwart von Urbild und Abbild ist oft zugunsten einer angedeuteten Präsens des Musters aufgegeben worden32, da die Literaturparodien in Antike und Mittelalter oft sehr allgemeinbekannte Werke oder topoi nachbildeten.33 Auch wenn private Gastmähler oft ein Forum für Unterhaltungskünstler aller Art gewesen sind, sollte man nicht übersehen, daß eine solche Abendgestaltung auch im zeitgenössischen Urteil zuweilen negativ bewertet wurde: Wo aber die Teilnehmer am Trinkgelage von feinerer Art und gebildet sind, da wirst du wohl keine Schalmeienspielerinnen, Tänzerinnen oder Harfenspielerinnen erblicken, sondern sehen, daß sie selbst sich für ihr Zusammensein genügen, ohne diese kindischen Albernheiten, kraft ihrer eigenen Stimme, indem sie in geordnetem Wechsel sprechen und einander zuhören, auch wenn sie sehr viel Wein getrunken haben.34

Interessanterweise bezieht sich auch dieser Textauszug aus Platons Protagoras auf ein Gastmahl im Hause des Kallias.35 Beiden Autoren dient die Symposionatmosphäre nur als Hintergrund, im Mittelpunkt des Werkes steht der philosophische Dialog. Während Xenophon die Gegenwart von Spaßmachern jedoch recht neutral beschreibt und ihre Darbietung als Nebenepisode gelten läßt, verurteilt Platon die Possenreißer und nimmt bereits die rigorose Haltung ein, die er in seinen späteren Werken beibehält.36

___________ 31 Kennzeichen der Parodie ist einerseits deutlich erkennbare Intertextualität in bezug auf einen bestimmten Text, ein spezielles literarisches Motiv, aber auch in Hinblick auf außerliterarische Phänomene, andererseits die Verformung des Urbildes – das aber als Vorlage erkennbar bleibt – mit dem Ziel, durch die Veränderung Lachen zu erregen (Cf. DNP, Bd. 9, Lemma Parodie). Das von Horaz in den Sermones geprägte: »ridentem dicere verum« als Maxime zum Lachen reizender Literatur (Sermones I, 1, 24. Im Original als Frage: »ridentem dicere verum, quid vetat?«) gilt auch für weite Bereiche literarischen Schaffens in Antike und Mittelalter (Cf. Curtius, S. 419, sowie vor allem: W. Ax/R. F. Glei (Hg.): Literaturparodie in Antike und Mittelalter. Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium, Bd. 15, Trier 1993, Einleitung der Hg., S. 9. 32 Eine solche Vorgehensweise hatte bereits Cicero empfohlen, der wie viele andere nach ihm vor übertriebener Nachahmung warnte, da sich diese nicht für einen honestus ziemt. 33 Cf. dazu die Ausführungen zum öffentlich-kollektiven Lachen, S. 111f. 34 Platon: Protagoras (   )), (Platon: Werke, Bd. VI, 2), Übersetzung und Kommentar von B. Manuwald. Göttingen 1999, 347de [Protagoras]. 35 Cf. Protagoras 314e ff. 36 Der Protagoras-Dialog wird im allgemeinen zu den frühen Dialogen gezählt (Cf. Neumann, S. 35).

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Eine Sonderform derartiger Zusammenkünfte waren die spartanischen Syskenien.37 Diese Speisegemeinschaften waren jedoch eher ein Forum zum Austausch von Neuigkeiten als ein Ort philosophischen Gesprächs. Zudem war die Teilnahme nicht freiwillig, sondern gehörte zu den Pflichten des spartanischen ; >  . Den einen oder anderen Scherz oder Spottvers haben die Spartiaten dort sicher ausgetauscht,38 für Spaßmacher bot jedoch der Kosmos Sparta keinen Raum.39 Die Scherze der Unterhaltungskünstler und   wurden nur selten schriftlich fixiert, gelungene Ideen oft bloß mündlich tradiert. Es läßt sich jedoch vermuten, daß die Witze von Spaßmachern wie Philippos den Kalauern ähnelten, die im einzigen erhaltenen ›Witzbuch‹, dem Lachfreund, heutzutage noch greifbar sind.40 Herkunft und ursprünglicher Gebrauch dieses Werkes sind weitgehend unklar. Die in den Manuskripten vermerkten Verfasser Hierokles und Philagrios haben keine weiteren Schriften hervorgebracht, mit deren Hilfe es möglich wäre, den kulturellen Hintergrund der Sammlung zu erhellen. Eine Wortschatzanalyse läßt jedoch vermuten, daß die Schrift erst im dritten bis fünften Jahrhundert die endgültige Form angenommen hat, was jedoch nicht besagt, daß die Witze alle erst aus spätantiker Zeit stammen. Die Ideen mögen

___________ 37 Cf. P. Schmitt-Pantel: La cité au banquet – Histoire des repas publiques dans les cités grecques. Rom 1992, S. 62f. Die Verfasserin berichtet darüber hinaus von zahlreichen anderen Männergemeinschaften griechischer Stadtstaaten (insbesondere von den Verhältnissen auf Kreta, passim), die Orte privat-kollektiven Lachens gewesen sind. 38 Cf. dazu S. 37, Anm. 65. 39 Cf. Baltrusch, S. 94. Daß das Leben in Sparta auf den Sieg im Krieg ausgerichtet war, beweisen nicht nur die Lehrinhalte der spartanischen Staatserziehung, sondern auch die Zeugnisse kultureller Betätigung. Künstler waren nur in Sparta gelitten, wenn ihre Kunst dem Staat nutzen brachte, sei es in Form von Marschkompositionen oder Hymnen für gefallene Krieger. Dichter von Tragödien und Komödien oder gar Spaßmacher, deren Ziel es war, die Menschen zu unterhalten bzw sie dazu zu verleiten, ihren Leidenschaften freien Lauf zu lassen, waren demnach in Sparta nicht gern gesehen, ihnen wurde schlicht der Eintritt in die Stadt verweigert. Trotz allen gewollten Ernstes wurde das Lachen auch in Sparta in eng begrenzter Form akzeptiert: »En effet, le caractère serieux de Lycurgue lui-même n’était pas sans détente, et Sosibios rapporte qu’il fît élever une petite statue du Rire, avec l’intention d’introduire à propos l’enjouement dans les banquets et les passetemps du même genre come un assaisonnement déstiné à pallier la pénible austérité de leur vie«, (Plutarque/Lycurgue, 25, 4). Hintergrund ist also wiederum die Entspannungserfahrung, der man sich auch in Sparta nicht verschließen konnte und wollte. 40 (Hierokles/Philagrios): Philogelos (   )/Der Lachfreund von Hierokles und Philagrios. Gr./dt., mit Einleitung und Kommentar, hrsg. von A. Thierfelder. München 1968, Einleitung, S. 6 [Lachfreund]. Thierfelder betont hier, daß es sich hier wie da um Einzelwitze handelt, die nicht wie im Falle der Komödie oder innerhalb einer Rede in einen größeren Zusammenhang eingebettet sind.

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deutlich älter sein, wurden aber erst spät schriftlich festgehalten, was dann auch die Lexik erklärt.41 Daß Spaßmacher ›Witzbücher‹ wie den Lachfreund verwendet haben, geht aus den Beschreibungen von Gastmählern nicht hervor. Einen deutlichen Hinweis auf den Gebrauch solcher Sammlungen bietet hingegen der römische Dichter Plautus im Stichus: Logos ridiculos vendo. [...] Nemo meliores dabit (Nulli meliores esse parasito sinam.). [...] Vendo vel alias malacas crapularias, cavillationes, adsentatiunculas ac perieratiunculas parasiticas, robiginosam strigilim ampullam rubidam, parasitum inanem quo recondas reliquias.42 Ibo intro ad libros et discam de dictis melioribus; nam ni illos homines expello, ego occidi planissume.43 Libros inspexi; tam confido quam potis me meum optenturum regem ridiculis logis.44

Nicht nur die Tatsache, daß die Komödienstoffe Plautus’ im wesentlichen auf griechischen Vorlagen beruhen, sondern auch der Name des Spaßmachers – Gelasimus – lassen diesen als ›Geistesverwandten‹ des xenophontischen Philippos und anderer   erkennen.45 Der Lachfreund enthält 265 kurze, von einander unabhängige Witze: Ärzte und Juristen, Professoren und Studenten46 werden gleichermaßen Zielscheibe des Spotts wie Faule, Geizige oder Ungeschickte. Nur wenige Witze beinhalten Obszönitäten. Auch Frauen werden selten erwähnt.47 Hauptthema der Sammlung ist die (vermeintliche) Dummheit: Es läßt sich leicht vorstellen wie Männer (und Frauen) – wohl aus ärmeren städtischen Kreisen – am Abend beisammensaßen und auf diese Weise »die Vernunft des kleinen Mannes feierten«.48 Es soll im folgenden darauf verzichtet werden, einzelne Witze der Sammlung zu analysieren, da dies im Rahmen der Analyse möglicher Lachanlässe ___________ 41

Cf. Lachfreund, Einleitung des Hrsg., S. 10-13. Eine weitere Datierungshilfe bieten Währungen oder Gegenstände, die nur vorübergehend in Gebrauch waren (Einleitung des Hrsg., S. 14). Auch hier bestand jedoch die Möglichkeit späterer Veränderung, d. h. Modernisierung. 42 Cf. Plautus: Stichus, in: Plaute: Pseudolus, Rudens, Stichus. Tome VI, Texte établi et traduit par A. Ernout. Edition revue et corrigée. Paris 21957, S. 212-261 Vv. 221-2; 400/401; 455/456 [Stichus]). 43 Stichus, Vv.400/401. 44 Stichus, Vv. 455/456. 45 Cf. Bremmer, in: Bremmer/Roodenburg, S. 24. 46 Sie werden alle unter dem negativ konnotierten Begriff   zusammengefaßt. 47 Einen Überblick über die verschiedenen Gegenstände oder Personengruppen, die in den Witzen thematisiert werden, vermittelt die Einleitung des Hrsg. vom Lachfreund (S. 19-26). 48 Bremmer, in: Bremmer/Roodenburg, S. 26.

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keine neuen Erkenntnisse bringt. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß nicht alle Scherze durch eine plötzlich herbeigeführte, geistreiche Pointe zum Lachen reizen, sondern oft auch die erzählte Episode in ihrer Gesamtheit Lachen auslöst.49 Die von Cicero festgeschriebene Unterscheidung von cavillatio und dicacitas zeigt sich dementsprechend auch hier und macht die Texte der Sammlung einem breiten Publikum zugänglich. Hatte der mimus der lateinischen Komödienbühne, der darüber hinaus auch in den römischen Bürgerhäusern gern gesehener Gast war, gewissermaßen das Erbe der griechischen   angetreten, oblag die Aufgabe im privaten Raum für Unterhaltung und Lachen zu sorgen, im Mittelalter den Hofnarren und Spielleuten.50 In den Jahren der Völkerwanderung und in der Umbruchs- und Reorganisationsphase nach dem Niedergang des Imperium Romanum lassen sich die Spuren dieser umherziehenden Künstler nur unzureichend verfolgen. In der Folgezeit hingegen bezeugen Rechnungsbücher, Urkunden und Chronisten die ›Rückkehr‹ der professionellen Unterhalter auf die Straßen und Plätze des Abendlandes. Zunächst traten sie nur öffentlich auf: zur Volksbelustigung auf Messen und Jahrmärkten, bei Hofe, an Wegkreuzungen – kurz gesagt: immer dort, wo sie auf eine größere Zuschauermenge hoffen konnten.51 Die Spielleute waren nicht nur beim Volk beliebt, sondern auch bei Königen und Bischöfen, Fürsten und Markgrafen, hatten sie doch die Gabe, manch langweiligen Winterabend oder ausgedehntes Festbankett durch ihre Künste erträglicher zu machen.52 Aus diesen Gelegenheitsbesuchen entwickelte sich seit dem neunten Jahrhundert der Brauch, dauerhaft einen Unterhalter bei Hofe zu behalten. Diese wurden mit der Zeit nicht nur fester Bestandteil abendländischer Hofkultur –

___________ 49

Cf. z. B. § 40: »Ein Kalmäuser hatte ein Söhnchen verloren. Als er sah, daß seines hohen Ranges wegen sich zu dessen Begräbnis viele Leute eingefunden hatten, sagte er: ›Es ist mir peinlich, zu einer so großen Menge (nur) ein kleines Kind herauszubringen‹«. Während in diesem Fall das Lachen durch die unerwartete Pointe hervorgerufen wird, reizt die in § 64 beschriebene Situation in ihrer Gesamtheit zum Lachen: »Ein Kalmäuser hatte sich Hosen gekauft. Da sie zu eng waren und er nur mit Mühe hineinschlüpfen konnte, machte er eine Kur zur Entfernung der Körperhaare« (Der Ausdruck ›Kalmäuser‹ leitet sich von lt. calamus = Schreibrohr ab und meint einen pedantischen Studenten (Cf. Lachfreund, Einleitung des Hrsg., S. 20)). 50 Cf. Faral/Jongleurs, S. 2; 229: »ce que les jongleurs ont hérité des mimes latins, ce n’est pas leur repertoire; c’est simplement l’esprit mimique, esprit fort riche, qui s’exprime de manières très diverses [...]. Ils ont été animés par cet instinct très ancien qui pousse les hommes à se contrefaire eux-mêmes, et qui leur fait prendre plaisir à voir imiter leurs propres actions, leurs gestes, leurs attitudes leurs paroles.« 51 Cf. Faral/Jongleurs, S. 86/87. 52 Cf. Duvignaud, S. 96/97.

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ihre Anwesenheit gehörte sozusagen zum ›guten Ton‹53 –, sondern häufig auch zu engen Vertrauten der Mitglieder des Hofstaates.54 Das von ihnen hervorgerufene Lachen im determinierten, abgegrenzten Raum läßt sich dementsprechend als privat-kollektives Lachen fassen.55 So unterschiedlich wie die von den Unterhaltern beherrschten Künste sind auch die Ausdrücke, die zur Bezeichnung der Angehörigen dieser Berufsgruppe verwendet wurden: Während die einen tanzten oder akrobatische Kunststücke zeigten, dichteten andere Lieder und sangen diese zur vielle-Begleitung. Bevor die Spielleute an den Höfen seßhaft wurden, nannte man sie gemeinhin jongleurs.56 Später setze sich allgemein der Ausdruck ménestrel/menestrello durch, der, zunächst nur für den Dichter und Sänger, ab dem 14. Jahrhundert die allgemein gängige Bezeichnung für Unterhaltungskünstler aller Art wurde.57 Hauptziel dieser Männer und Frauen war, das Publikum zu zerstreuen, ihm die Zeit zu vertreiben. Lachen wurde nur hervorgerufen, wenn – unerwartet – ein Mißgeschick geschah, weil die Zuschauer feststellen konnten, daß sie sich ›einfach gut fühlten‹ und deshalb aus purer Lebensfreude lachten oder aber wenn der Künstler sein Programm speziell darauf ausrichtete, Lachen hervorzurufen, etwa durch Parodien, Sprachspiele oder ähnliches. Diese Kunst beherrschten vor allem die Hofnarren58. Oft entstellt durch körperliche oder mentale Gebrechen, genoß der Narr den Schutz des Hofes und sorgte im Gegenzug für Spaß und Lachen.59 ___________ 53

J. Verdon: Rire au Moyen Âge. Paris 2001, S. 96 [Verdon]. Deutlicher Beweis für die Präsenz von Spielleuten am Hofe sind die in den Rechnungsbüchern vermerkten materiellen Zuwendungen. 54 Cf. Faral/Jongleurs, S. 104. Ein Beispiel dieser Vertrautheit bietet Joufroi de Poitiers: »Li cuens a une part l’apele,/au col li a mis lo braz destre,/si s’en vont a une fenestre./Iluec se sunt asis andui/entre le conte et celui«; Joufroi de Poitiers: Roman d’aventures du XIIIe siécle. Édition critique par P. B. Fay et J. L. Grigsby. Genf, Paris 1972, Vv. 796-800 (Le poète décrit sa dame). 55 Das von ihren fahrenden Kollegen ausgelöste Lachen fällt hingegen in den Bereich öffentlich-kollektiven Lachens (Cf. S. 113f). 56 Faral/Jongleurs, S. 2: »Nous considérons comme jongleurs tous ceux qui faisaient profession de divertir les hommes«. Spielleute dieser Art waren vor allem in den romanischen Ländern verbreitet, weshalb im folgenden allgemein gebräuchlichen frz. bzw. ital. Ausdrücke verwendet werden (Ein Arbeitsschwerpunkt der Spielleute war neben der Belustigung am Hofe die Begleitung der Pilger auf Jakobsweg und Via Francigena, die beide vor allem durch romanisches Sprachgebiet führen (Cf. Faral/Jongleurs, S. 260)). Hofnarren hingegen waren auch im germanischen Sprachraum in großer Zahl vertreten (Beispiele namentlich bekannter Narren bei Minois, S. 125/126). 57 Cf. Faral/Jongleurs, S. 107. 58 Frz. fou de cour, ital. buffone di corte. 59 Cf. Verdon, S. 96. Victor Hugo setzt einem solchen Narren in Le roi s’amuse ein trauriges Denkmal. Triboulet, Narr François I., körperlich entstellt und enger Vertrauter seines Herrn hatte dessen Leben und Regierung wesentlich beeinflußt und somit den Haß der Bevölkerung auf sich gezogen: »nous avons contre lui chacun quelque rancune,

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Körperliche Mißbildungen und geistige Störungen flößten den Leuten im Mittelalter Angst und Schrecken ein. Der Mensch war nach Gen. 1, 2760 Ebenbild Gottes, derartige Verformungen deuteten also auf Teufelswerk hin, was die Leute jedoch nicht daran hinderte, sich daran bis zu einem gewissen Grad zu ergötzen.61 Während auch extremer Kleinwuchs und starke Buckligkeit62 den Narren im allgemeinen nicht in seiner Aufgabe als Hofunterhalter beeinträchtigen konnten, sondern im Gegenteil all seine Bewegungen in einer zum Lachen reizenden Weise verzerrten, wirkte sich geistige Behinderung störend aus, da der Narr unberechenbar und somit zu einer Gefahr für den Hof werden konnte. Geistige Narrheit wurde deshalb oft nur vorgetäuscht und war – entgegen dem eigentlichen Wortsinn – recht geistreich. Ein Beispiel derart gespielter Narrheit bietet eine Szene der Folie Tristan de Berne: Quant Tristan vint devant lo roi, Auques fu de povre conroi : Haut fu tonduz, lonc ot lo col, A mervoille sambla bien fol. Mout s’est mis por amor grande. Mars l’apele si li demande : ›Fous, con as non‹ – ›G’é non Picous.‹ – ›Qui t’angendra?‹ – ›Uns galerous.‹ – ›De que t’ot il‹– D’une balaine. Une suer ai que vos amoine. La meschine a non Bruneheut. Vos l’avroiz, et j’avrai Yseut.‹ – ›Se nos chanjon, que feras tu?‹ Et dit Tristanz : Or bee tu ! Entre les nues et lo ciel,

___________ nous pouvons nous venger« (V. Hugo: Le roi s’amuse, in: V. Hugo: Théâtre complet I. Préface par R. Purnal, notices et notes par J. J. Thierry et J. Mélèze. Paris 1967, S. 13371485, hier Akt I, Szene 5, S. 1366). Guiseppe Verdi nimmt die Geschichte dieses Hofnarren in Rigoletto wieder auf. Das von Francesco Maria Piave geschriebene Libretto der Oper folgt weitgehend der französischen Vorlage, verlegt jedoch die Handlung an den Hof des Herzogs von Mantua. 60 Gen. 1, 27: »als Abbild Gottes schuf er ihn«. 61 Cf. W. Mezger: »Bemerkungen zum mittelalterlichen Narrentum«, in: H. Bausinger e. a. (Hg.): Narrenfreiheit. Beiträge zur Fastnachtsforschung. Tübingen 1980, S. 4387, hier S. 45; 47/48 [Mezger, in: Bausinger e. a. ]. 62 Menschen mit derartigen körperlichen Mißbildungen wurden oft als Zwerge bezeichnet. Beispiele für die weite Verbreitung kleinwüchsiger Narren an europäischen Fürstenhöfen gibt Verdon, S. 97.

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de flors et de roses, sanz giel, Iluiec ferai une maison [...] Encor n’ai pas finé maon conte.63

Auch wenn die Narrenrede hier nur von Tristan inszeniert wird, um König Marke günstig zu stimmen und die Herausgabe der Geliebten zu erreichen, vermittelt die Episode einen Eindruck von der Arbeit der Hofnarren.64 Das noch heutzutage geläufige Sprichwort ›Narren und Kinder sagen immer die Wahrheit‹, das auch im französischen und italienischen Sprachraum seine Entsprechungen hat – ›fous et enfants disent toujours la vérité‹; ›matti e bambini dicono sempre la verità‹ – weist auf einen weiteren wichtigen Aufgabenbereich der Narren hin und verbindet sie mit der literarischen Tradition des ›ridentem dicere verum‹: Hofnarren waren oft die einzigen, die ihren Vorgesetzten, oft parodistisch verbrämt, die Meinung sagen konnten.65 ___________ 63

Anonym: La folie Tristan de Berne. Publiée avec commentaire par E. Hœpffner. Édition revue et corrigée. Paris 21949, Vv. 150-169. Die Narrenepisode (von der hier nur der Beginn wiedergegeben ist) findet sich ebenfalls im Tristan en prose, sowie im Tristant Eilharts von Olberge. Daß sie in Tristan et Yseut von Béroul nicht enthalten ist, mag an der fragmentarischen Überlieferung des Manuskriptes liegen. Thomas d’Angleterre hingegen scheint sich absichtlich gegen deren Aufnahme entschieden zu haben. Sein Roman endet mit dem gemeinsamen Tod der Geliebten, die sich jedoch zu Lebzeiten nicht wiedergefunden hatten. Grund für das Tilgen der Narrenszene mag zum einen die Tatsache gewesen sein, daß bereits ausgeschmückte Formen der Folie Tristan im Umlauf waren. Zum anderen wollte Thomas wohl eine weitere Nebenepisode vermeiden, um den Schwerpunkt des Werkes auf der unglücklichen Liebe der Protagonisten belassen zu können (Cf. J. C. Payen (Hrsg.): Les Tristan en vers. Édition comprenant textes, traduction nouvelle, introduction, bibliographie et notes. Paris 21974, passim). 64 Die den Narren zugeschriebene, mehr oder minder ausgeprägte, geistige Verwirrung spiegelt sich heuzutage noch in einer Vielzahl von Redewendungen wider: Im Italienischen ›fare, dire buffonate‹, ›fare il buffone‹ wird direkt auf die Aufgaben des Hofnarren angespielt. Zum Ausdruck des Außergewöhnlichen, Überspitzten wird pazzo, a verwendet: ›essere pazzo d’amore‹, correre a pazza velocità, ›agire da pazzo‹ (Zingarelli, Lemmata buffone, buffonata, pazzo, a) Im Französischen. ›il travaille comme un fou‹; ›les fous du tennis‹, ›être fous de qn‹; ›fou rire‹ (Petit Robert, Lemma fou, fol, le) dient fou stets als Verstärkung oder zum Ausdruck übertriebener, extravaganter Handlungsweisen. Das gleiche Schema findet sich auch im Deutschen: ›arbeiten wie ein Verrückter‹; ›das macht mich verrückt‹; ›jdn lieben wie verrückt‹, aber ›einen Narr an jmd/etw gefressen haben‹; ›jdn zum Narren halten‹ (Wahrig, Lemmata verrückt, Narr). 65 Cf. Verdon, S. 100, ebenso Mezger, in: Bausinger e. a., S. 45. Mag man nach heutigem Verständnis die enge Verwandtschaft von Narr und Kind vor allem darin begründet sehen, daß beide keine Rücksicht auf ständischen Dünkel oder gesellschaftliche Zwänge nehmen und deshalb sagen, was sie denken, entspringt die Verbindung im Ursprung wohl eher der mittelalterlichen ordo-Vorstellung. Danach gehörte jeder einem Stand an, vertikale Mobilität war undenkbar. Narren und Kinder standen außerhalb dieses Systems, während jedoch den Kindern mit wachsender Einsicht die Integration bevorstand, blieb diese den Narren verwehrt. Die Ähnlichkeit von Narr und Kind wird zudem in ihrer Schutzbedürftigkeit offenbar, eine Tatsache, die entscheidend zur Ausbil-

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Die Möglichkeit, private Festlichkeiten durch den Auftritt eines Spaßmachers aufzulockern, bot sich jedoch nicht nur den Reichen. Oft standen Narren oder Spielleute in städtischen Diensten und konnten für Hochzeiten und ähnliche Feiern ›gebucht‹ werden66, manchmal wurden sie aber auch direkt angesprochen und ›von der Straße weg‹ engagiert: Ein Beispiel dafür findet sich im Roman de Renart: La dame son novel seignor Baise e acole par amor. Renart virent vers aus venir Et la vïele au col tenir mout furent lié, pas né conurent, salüé l’on si con ii durent: Qui este vos, font il biau frere? – – Biau saingnor, je fout bon guglere et savré moi mout bon chançon que je fout pris a Besançon67

Auch das Fabliau Des trois boçus legt Zeugnis von Spaßmachern im privaten Bereich ab, die engagiert wurden, das Weihnachtsfest im Bürgerhause zu beleben.68 Im Mittelalter ließ sich die Standeszugehörigkeit des Einzelnen auf den ersten Blick an der Kleidung erkennen. Dies gilt auch für den Narren: Eselsohrenkappe, grüngelbes Gewand, Schellenkränze und Marotte waren seine Kennzeichen.69 Daß uns diese Attribute heutzutage noch vertraut sind, liegt vor allem in der Tatsache begründet, daß der so bekleidete Narr zur emblematischen Figur des Karnevals und später der Narrenliteratur geworden ist. ___________ dung der fête des fous-Tradition beigetragen hat (Cf. J. Heers: Fêtes des fous et carnavals. Paris 1983, S. 148f [Heers]). 66 Cf. Faral/Jongleurs, S. 88. 67 Anonym: Le Roman de Renart Ie branche. Édité d’après le manuscrit Cangé par M. Roques, Paris 1957, Vv. 2851-2860. 68 Anonym: Des trois boçus: »I borgois i avoit manant/Qui du sein vivoit belemant/[...]/Tant qu’il avint à un Noel/Que III boçu menestrel/Vindrent à lui où il estoit;/Se li dist chascuns qu’il voloit/fere celle feste avoec lui« (in: A. de Montaiglon/G. Raynaud: Recueil général et complet des Fabliaux des XIIIe et XIVe siècles (imprimés et inédits). Publiés avec Notes et Variantes d’après les manuscripts. 6 Bde., New York 1965 (11872), Bd. I, S. 13-23 (Manuscript F Fr n° 837 fol 234 v° à 240 r°), hier S. 13; 15. 69 Cf. Mezger, in: Bausinger e. a., S. 48. Zur Bedeutung der einzelnen Teile des Gewandes cf. Mezger, in: Bausinger e. a., S. 51-53.

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Die Analyse der möglichen Lachanlässe im privat-kollektiven Raum macht zweierlei deutlich: Sie zeigt zum einen, mit welchem Erfindungsreichtum und Engagement sich die Menschen, ob arm oder reich, seit jeher bemüht haben, Arbeitsalltag und begrenzte freie Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Zum anderen wird ersichtlich, daß sich gerade solche Beschäftigungen, bei denen das Lachen quasi vorhersehbar war, großer Beliebtheit erfreuten, wie das Erzählen zum Lachen reizender Geschichten oder der Genuß der Darbietungen von Spaßmachern. Gibt es einen besseren Beweis für die ›Lachwilligkeit‹ der Menschen? Wurde der verbreitete Wunsch nach Zerstreuung und Erholung bisher nur von seiten der ›Rezipienten‹ betrachtet, also derjenigen, die Spaßmacher oder Narren zu sich holten, damit diese ihnen kurzweilige und mit Lachen erfüllte Stunden bescherten, erscheint nun ein vorübergehender Perspektivenwechsel sinnvoll. Kein   hätte die Mühe auf sich genommen, allabendlich von Gastmahl zu Gastmahl zu ziehen, kein Stadtvater hätte die Kosten für die Ausrichtung aufwendiger Feste tragen wollen, wenn er nicht darauf hätte bauen können, daß sich derartige Belustigungen beim Volk so großer Beliebtheit erfreuten, daß Zuspruch und Erfolg voraussehbar waren. Unterhalter und Unterhaltung-Suchende, Lachwillige und ›zum Lachen Reizende‹ stehen seit jeher in quasi symbiotischer Beziehung. Wo sie zusammentreffen, entsteht öffentlichkollektives Lachen. Auch hier lassen sich im wesentlichen zwei Teilbereiche voneinander abgrenzen. Während bei Theateraufführungen und Jongleurs-Darbietungen die Anbieter und Rezipientenseite deutlich voneinander getrennt sind, die Menschen also kommen, um sich unterhalten zu lassen, treten bei öffentlichen Festen wie den Saturnalien oder im Karneval die Verantwortlichen in den Hintergrund und feiern einfach mit. Komödienaufführungen waren in Altertum und Mittelalter mögliche Anlässe öffentlich-kollektiven Lachens. Im antiken Griechenland fanden sie im Rahmen von Festen zu Ehren bestimmter Gottheiten statt.70 Seit dem fünften Jahrhundert v. Chr. wurden bei den Lenäen, später auch bei den Städtischen Dionysien neben dem Tragödien-Agon auch Phallus-Umzüge veranstaltet, die mit improvisierten Wechselgesängen und mancher Obszönität einhergingen.71 Aus diesen Festzügen entwickelte sich die Komödie.72 Auch wenn sie sich schon bei ___________ 70

In diesem Rahmen wurden oft auch Initiationen gefeiert. Cf. B. Greiner : Die Komödie. Tübingen 1992, S. 25-31. 72 Die Bezeichnung für diesen ausgelassenen Festzug zu Ehren des Dionysos –  0 – hat dann auch der daraus hervorgegangenen Gattung ihren Namen gegeben:    (Cf. Poetik 4, 1449a). Neben dieser aristotelischen Erklärung fanden auch andere Etymologien Eingang in die Kommentare und Grammatiken des Mittelalters. Der (falsche) Rückbezug auf gr.   (Dorf) mag dazu geführt haben, daß die Komödie als 71

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Aristophanes als organisiertes Bühnenstück mit relativ kohärenter Handlungführung präsentiert,73 blieb das orgiastische Element und die damit verbundene Ordnungslosigkeit als Gattungsmerkmal kennzeichnend. Tabubrüche und Zoten, Schlägereien und Saufgelage legen davon beredtes Zeugnis ab. In der Alten Komödie noch stark vertreten,74 ist der Anteil dieser Partien in den Stücken späterer Autoren wesentlich geringer. Aber auch in den rund hundert Jahre später entstandenen Werken Menanders und seiner römischen Kollegen Plautus und Terenz hagelt es noch gelegentlich Stockschläge und (obszöne) Beschimpfungen.75 Prügelszenen, Verkleidungen, Verwechslung und plötzliches Wiedererkennen haben Generationen von Zuschauern seither zum Lachen gereizt. Damit Gewaltszenen Lachen und nicht Weinen oder Entsetzen auslösen, müssen sie ›unschädlich‹ sein. Dies ist zum Beispiel gewährleistet wenn die beiden Kontrahenten sich jagen, der Schlagende nie trifft, weil der andere stets geschickt ausweicht, der Schlagstock zerbricht und so fort. Den Schaupielern steht in dieser Hinsicht das weite Feld übertreibender, parodierender Nachahmung zur Verfügung. Das gleiche gilt auch auf sprachlicher Ebene: Wenn die beiden Streithähne sich beschimpfen, können sie durch Wortspiele, Dialektparodie oder Prägung überraschender Neologismen beim Publikum Lachen hervorgerufen. Auch die Methode ›lachend die Wahrheit zu sagen‹ findet hier breite Anwendung.76 Selbst wenn ein Zuschauer aus akustischen Gründen oder mangels Vorwissen die auf sprachlicher Ebene angesiedelten möglichen Lachanlässe nicht wahrnimmt, kann er dennoch lachen, weil ihn die Handlung dazu reizt. Die parallele Verwendung von cavillatio und dicacitas in einem Stück verleiht ___________ ›cantus villanus‹ oder ›cantica agrestica‹ bezeichnet wurde: »Comedia dicitur a ›comos‹ quod est ›villa‹ et ›odos‹, quod est ›cantus‹, quasi villanus cantus, quia de materia vili et iocosa contextitur« ((Johannes de Garlandia): The Parisiana Poetria of John of Garland – Parisiana Poetria de Arte Prosayca Metrica et Rithmica. Edited with Introduction, Translation, and Notes by T. Lawler. New Haven, London 1974, IV, 472-474 [Parisiana Poetria]. Dies wiederum hatte zur Folge, daß nicht-adliges Personal prägendes Merkmal der Gattung wurde. (Cf. Suchomski, S. 221/222). Weiteres Kennzeichen der Komödie ist ihr positiver Ausgang: »Comedia est carmen iocosum incipiens a tristitia et terminans in gaudium« (Parisiana Poetria, IV, 478/479). Diesen betonen neben de Garlandia eine Vielzahl anderer Autoren, zusammmen mit der ›Ständeklausel‹ ging er in die Poetiken des 17. und 18. Jahrhunderts ein (Cf. Suchomski, S. 225/226). 73 Cf. zum Beispiel Die Archaner, Eirene, Die Wolken. 74 Cf. Flashar, in: Jäkel/Timonen, S. 65f. 75 Cf. zum Beispiel die Frühwerke Menanders, Aspi und Dyskolos, vor allem aber zahlreiche plautinische Werke wie Amphytruo, Asinaria und Aulularia. 76 Hier wurde mit Absicht die deutsche Entsprechung des erst später von Horaz in geprägten Diktums gewählt. In den zeitkritischen Komödien Aristophanes‹ wurde die Technik eines ›ridentem dicere verum‹ ante litteram bereits mit Erfolg angewandt (Cf. W. Süss: Lachen, Komik und Witz in der Antike. Stuttgart, Zürich 1968, S. 19f).

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diesem quasi einen ›doppelten Boden‹ und ermöglicht dementsprechend eine positive Aufnahme bei einem breiten Publikum. Steinerne Zeugen der Beliebtheit von Theateraufführungen sind die Amphitheater und Arenen, die selbstverständlicher Teil jeder größeren antiken Stadt waren.77 In diesen wurden nicht nur Komödien aufgeführt, sie boten auch den passenden Rahmen für eine Vielzahl anderer Volksbelustigungen. Der resignierte Ausruf Juvenals über die Niveaulosigkeit des römischen Volkes: »panem et circenses«78 würden genügen, um das Volk glücklich zu machen und es davon abhalten, sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen, läßt erahnen, welche Bedeutung die Menschen Spiel und Erholung beimaßen, die sie unter anderem in Theaterbesuchen fanden. Im Altertum fanden Theaterauführungen vor allem im Rahmen kultischer Feste, aber auch anläßlich von Triumphen bedeutender Feldherrn statt. Mit dem Niedergang der römischen Herrschaft in Europa ging auch der Zerfall von diesbezüglichen institutionellen Einrichtungen einher, weil den Verantwortlichen oft schlicht die finanziellen Mittel, die vorher der Staat zu Verfügung gestellt hatte, fehlten. 79 Somit oblag die Aufgabe, die Menschen zu unterhalten und sie von ihren Alltagssorgen abzulenken, im Mittelalter zumeist fahrenden Künstlern. Lebensform und Auftreten der jongleurs wurde im vorangegangenen Abschnitt hinreichend beschrieben. Anders als ihre seßhaften Kollegen waren diese Spielleute stets unterwegs, zogen von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und waren in weitaus größerem Maße von der Gunst des Publikums abhängig als die Unterhalter am Hofe. Zwar konnten auch diese bei ihrem Herrn in Ungnade fallen, dennoch lebten sie nicht in der ständigen Gefahr, nicht zu gefallen. Die Werke der jongleurs, die meist erst im Nachhinein schriftlich fixiert worden sind, spiegeln deshalb in besonderem Maße den Publikumsgeschmack wider.80 Die große Anzahl von Farcen81 und Fabliaux, die Forscher wie de Montaiglon/Raynaud oder Tessier gesammelt und ediert haben82, läßt vermuten, daß ___________ 77

Cf. Pauly, Lemma: Städtebau der Griechen (Abschnitt 19). D. I. Iuvenalis: Saturae sedecim, edidit I. Willis, Stuttgart, Leipzig 1997, X, 81. 79 Cf. v. Albrecht, S. 79. 80 Cf. Faral/Jongleurs, S. 255. 81 Diese wurden nicht von ›Alleinunterhaltern‹, sondern von fahrenden Schauspielgruppen gezeigt. 82 Cf. A. Tessier (Hrsg.): Recueil des Farces (1450-1550). Textes annotés et commentés par l’éditeur. 12 Bde., Genf 1986. Das bewährte sechsbändige Standardwerk von Montaiglon/Raynaud: Recueil général et complet des Fabliaux des XIIIe et XIVe siècles (imprimés et inédits) wurde in den 80er Jahren durch den Nouveau Recueil complet des Fabliaux (NRFC) von W. Noomen und N. von den Boogaard (Hg., 10 Bde., Assen 1986) ergänzt, das neben den bereits in der Ausgabe von Montaiglon/Raynaud enthaltenen Stücken auch zahlreiche neue enthält sowie den anderen aktualisierte Kommentare 78

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zum Lachen reizende Darbietungen bei den Zuschauern sehr beliebt gewesen sind.83 Das Repertoire der jongleurs umfaßte neben Formen, die speziell darauf ausgerichtet waren, Lachen hervorzurufen, eine Vielzahl von ephemeren Künsten wie Gesang, Akrobatik, Tanz oder Pantomime, die nicht schriftlich fixierbar sind, aber dennoch potentielle Lachanlässe waren, da sie oft auch parodistische Einlagen enthielten. Wenn die Menschen trotz ihrer Arbeitsbelastung Zeit fanden die jongleurs zu bestaunen, beweist dies einmal mehr den weitverbreiteten Wunsch nach Entspannung, sowie das Wissen um deren kraftspendende Wirkung.84 Die Darbietungen waren kurz und quasi ›im Vorbeigehen‹ zu konsumieren. Auch die von Schauspielgruppen aufgeführten Stücke waren einfach gebaut, so daß es problemlos möglich war, diese zu verstehen, auch wenn man nicht von Anfang an zugeschaut hatte.85 Außer auf dem Marktplatz oder an Wegkreuzungen traten Spielleute auch im Rahmen religiöser Veranstaltungen auf: Sei es, daß sie Pilgerzüge begleiteten oder am Rande von Prozessionen für Belustigung sorgten, sei es, daß sie bei der Aufführungen von Mysterienspielen, die oft an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen stattfanden, die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zogen.86 Diese Einlagen wurden von kirchlicher Seite zunächst nur zähneknirschend geduldet, schließlich sogar forciert, da man nach Augenblicken der Entspannung gesteigerte Aufmerksamkeit für das Wesentliche erwarten konnte. Darüber hinaus gelangte man immer mehr zu der Einsicht, daß auch die Kirche von der positiven Haltung der Menschen gegenüber dem Lachen, die in den Erfolgen von Jongleurs und Schauspieltruppen offenbar wurde, profitieren könnte. Die dargestellte Ablehnung des Lachens von seiten der Kirche bedeutete, daß dieses nicht nur über Jahrhunderte keinen Einzug in die Kirchenräume ___________ hinzufügt. Auch wenn die Textsammlungen zum Teil mehrere Varianten und einen umfangreichen Apparat umfassen, vermittelt bereits die Gesamtzahl von (16) resp. 22 (6 resp. 12+10) Bänden eine Vorstellung vom Umfang des Korpus’. 83 Zu Darbietungs-/Aufführungspraxis cf. Minois, S. 172-175 (Fabliaux) und 176179 (Farces). 84 Auf die rekreative Wirkung derartiger zum Lachen reizender Darbietungen verwies man oft bereits in der Einleitung: »Fablel sont bon à escouter:/Maint duel, maint mal font mesconter/Et maint anui et maint meffet« Cortebarbe: Des trois aveugles de compiengne, in: Montaiglon/Raynaud, Bd. I, S. 70-81 (Manuscrit F Fr n° 837, fol 73v à 75r et 1593), hier S. 70. 85 Cf. Verdon, S. 85f. 86 Cf. Faral/Jongleurs, S. 31f. Hatte man im neunten Jahrhundert begonnen, parallel zur Schriftlesung die Szenen auch pantomimisch darzustellen, war das zwischen 1100 und 1150 entstandene Jeu d’Adam das erste Spiel mit unabhängigem lateinischen und volksprachlichen Text. Der Aufführung dieses Stückes sollten sehr bald weitere folgen. Im Laufe des Hochmittelalters wurden die Werke immer komplexer, ihre Darstellung stets aufwendiger.

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hielt, sondern auch, daß es weder pastoral noch liturgisch instrumentalisiert wurde. Eine Ausnahme ist das risus paschalis, das der Priester am Ostermorgen bei seinen Gläubigen durch Scherze von der Kanzel auszulösen suchte.87 So wie einst der heidnischen Freude über die neuerwachte Natur, wurde nun der christlichen Auferstehungsfreude im Lachen Ausdruck gegeben. Der Brauch steht damit in direkter Verbindung zur Seligpreisung der Feldrede: »Selig die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen«. Die Auferstehung Jesu als Voraussetzung für die Tage kommenden Heils, auf das sich das futurische »denn ihr werdet lachen« bezieht, wird dementsprechend lachend begrüßt.88 Darüber hinaus ist das risus paschalis ein Lachen wider den Tod. Dieser wird ausgelacht, da in der Auferstehung Christi seine Machtlosigkeit offenbar wird.89 Dem Lachen kommt also karthatische Bedeutung zu: Ausgehend von der Ostererfahrung, die den Tod unterlegen zeigte, befreien sich die Menschen von der Angst vor dem Tod,90 der in früheren Jahrhunderten allgegenwärtig war. Hatte die Kirche es bis dato Außenstehenden überlassen, durch die Integration zum Lachen reizender Momente die ›ernste‹ christliche Botschaft aufzulockern, um sie auf diese Weise besser ›an den Mann‹ bringen zu können, bedienten sich seit Beginn des 12. Jahrhunderts die Prediger immer häufiger der Lachen auslösenden Anekdote und machten sie zum Vehikel ihrer Mission.91 Die Wiederbelebung des vita apostolica-Ideals und die verbreitete Meinung, daß neben der selbsterwählten Armut die Predigertätigkeit wesentliches Element dieser Lebensform sei, führte nicht nur zur Gründung des Dominikaner- wie des Franziskanerordens, sondern auch zu einer Zunahme nicht anerkannter Prediger, die bei den Gläubigen eher für Verwirrung sorgten, als daß sie zu ihrem Seelenheil beitrugen. Während diese unbefugten Verkünder des Wortes Gottes durch Kritik am Klerus und dogmatisch zweifelhafte Aussagen bei der kirchlichen Obrigkeit rasch in Verruf gerieten92, wurde die franziskanische Predigt ___________ 87

Cf. Hartmann, S. 197. Cf. Haug, in: Fietz e. a., S. 52, dazu Le Goff, in: Bremmer/Roodenburg, S. 54. 89 Cf. Haug, in: Fietz e. a., S. 53. Der Autor zieht hier zudem eine Verbindung zum Karneval, wo aus dem verlachten Tod des Ostermorgens der lachende Tod wird. In beiden Fällen wird die Machtlosigkeit des Todes – und damit des Teufels, als dessen Inkarnation er verstanden wird – deutlich, hier durch die Auferstehung, dort durch die lachende Weltsicht, die alles verzerrt und ins Gegenteil verkehrt. 90 Cf. Hartwig, in: Kiedaisch/Bär S. 247. 91 Cf. Suchomski, S. 75f. 92 Cf. (Franz von Assisi): Die Schriften des heiligen Franziskus von Assisi. Einführung, Übersetzung, Auswertung. Hrsg. von K. Eßer OFM und L. Hardick. OFM. Franziskanische Quellenschriften. Bd. 1, Werl 1951, Erläuterungen der Hg., S. 222/223 (Die Laienpredigt) [Die Schriften]. Die dargestellte Situation mag dann auch dazu geführt haben, daß sich Franziskus verpflichtet fühlte, in seiner Ordensregel explizit darauf hinzuweisen, daß nur diejenigen Brüder predigen dürfen, denen es von der zuständigen Obrigkeit – Ordensminister, Diözesanbischof oder Papst – erlaubt worden ist: »Nullus fratrum praedicet contra formam et institutionem sanctae ecclesiae et nisi consessum sibi 88

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bald allgemein anerkannt und zu einer wichtigen Triebfeder abendländischer Glaubensverkündigung. Der Grund für diesen Erfolg war wohl zum einen die Volksnähe der Minoriten – die Franziskanerbrüder waren vor allem in der Anfangszeit zumeist Männer aus dem einfachen Volk ohne spezielle theologische Bildung – deren Ratschläge dementsprechend willige Aufnahme fanden, zum anderen die immer wieder hervorgehobene Heiterkeit ihrer Predigten, die dazu führte, daß sich zur Bezeichnung der Minderbrüder gemeinhin der Ausdruck joculatores Dei durchsetzte.93 Diese Ausrichtung war jedoch vom Ordensgründer keinesfalls intendiert, im Gegenteil. Ihn selbst zog es nämlich nicht mit frohem Gesicht auf die Straße, ___________ fuerit a ministro suo« (Die Regula non bullata der Minderbrüder, hrsg. von D. E. Flood OFM Franziskanische Studien 19. Werl 1967, Kapitel XVII (De praedicatoribus), Abschnitt 1/2 [Regula non bullata]). Die Bezeichnung Regula non bullata rührt vom Incipit einer Handschrift her und erklärt sich durch die Tatsache, daß die Regel in dieser Form keine päpstliche Bestätigung erfahren hat. Dies war erst bei der zweiten Regel von 1223 der Fall, die Honorius III. mit der Bulle »Solet annuere« in Kraft setzte (Cf. Regula non bullata, Einleitung, S. 20). Auch diese Regel enthält eine derartige Bestimmung: »Fratres non praedicent in episopatu alicuius episcopi, cum ab eo illis fuerit contradictum. Et nullus fratrum populo penitus audeat praedicare, nisi a ministro generali hiuis fraternitatis fuert examinatus et approbatus, et ab eo officium sibi praedicationes concessum«, François d’Assise: Écrits. Texte latin de l’édition K. Esser. Introduction, traduction, notes et index par T. Desbonnets e. a. OFM, Paris 1981, Kapitel IX (De praedicatoribus), Abschnitt 1/2 [Regula bullata]. 93 Cf. Horowitz/Menache, S. 65; Minois, S. 191. Der Ausdruck joculator liegt auch afrz. jogleor, nfrz jongleur sowie ital. giullare zugrunde (Cf. O. Bloch/W. v. Wartburg: Dictionnaire étymologique de la langue française. Quatrième édition revue et augmentée par W. von Wartburg. Paris 1964, Lemma jongleur; G. Alessio/C. Battisti: Dizionario Etimologico italiano, 5 Bde, Florenz 1952, Lemma giullare [Alessio/Battisti]). H. Feld übersetzt den Ausdruck joculator dei mit Spielmann Gottes (H. Feld: Franziskus von Assisi. München 2001, S. 42 [Feld].). Als Beleg für diese Entscheidung gibt er Passagen aus der von Thomas de Celano verfaßten Legenda secunda an: »Lignum quandoque [...] colligebat e terra, ipsumque sinistro bracchio, superponens arculum filoflexum tenebat in dextera, quem [quasi] super viellam trahens per lignum, et at hoc gestus repraesentans idoneos, gallice cantabat de Domino« ((T. de Celano): S. Francisci Assisiensis Vita et Miracula additis opusculis liturgicis auctore Fr. Thoma de Celano. Hanc editionem novam ad fidem Mss recensuit P. E. Alenconiensis. OFMcap. Rom 1906, Legenda secunda, XC: »Quod spiritu exhilaratus sanctus gallice cantabat« [Vita et Miracula]). Dieses Verhalten des Heiligen wird von Celano als Begleiterscheinung höchster Extase in Freude über Gott und die Schöpfung beschrieben (Vita et Miracula, Legenda secunda XC: »divini susurrii [...] erumpebat in iubilum«), ein Seelenzustand, der bei Franziskus nicht selten war. Daß dieses ›Fideln‹ auf einer imaginären vielle für Außenstehende ungewöhnlich wirkte und sie deshalb zum Lachen reizte, ist gut vorstellbar. Da diese Handlungen auch von seinen Brüdern übernommen wurden, haben diese ›Vorführungen‹ den Ruf der Minderbrüder als ›spaßige Gesellen‹ sicher unterstützt.

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sondern eher in die Einsamkeit, er zog die stille Zwiesprache mit Gott der Öffentlichkeit vor94: beatus Franciscus fuit in magna cuiusdam dubitationis agonia positus, an videlicet orationi vacaret assidue, an praedicando per mundum discurreret95

Eine erste Hilfe wurde ihm in der Zeit nach seiner ersten Christus-Vision zuteil. Hatte er den Aufruf: »Francisce, vade, repara domum meam, quae, ut cernis, tota destruitur«96 zunächst rein praktisch verstanden, und sich daran gemacht, die Kirchen Umbriens Stein für Stein wieder aufzubauen97, wurde ihm im Laufe seiner Arbeit deutlich, daß er auch im Rahmen des ideellen Aufbaus der Kirche Gottes gefordert war.98 Die Predigt ist für Franziskus nichts anderes als ›lautes Beten‹, die labor predicationis besteht vor allem darin, die quies orationis in ein anderes Medium zu transferieren, um sie so für andere erfahrbar und fruchtbar zu machen.99 Dieses Predigtverständnis schließt ein Eingehen auf den Publikumsgeschmack, wie es die ›Alten‹ vorschlugen, grundsätzlich aus100, rhetorische Ratschläge zur ansprechenden Gestaltung einer Rede, die zu Lebzeiten Franz’ von Assisi auch immer häufiger im kirchlichen Rahmen Verwendung fanden101, greifen hier nicht. Wenn Franziskus dennoch im Kapitel De praedicatoribus der Regel von 1223 verlangt, die Brüder sollten cum brevitate sermonis102 spre___________ 94 Zu Leben und Werk Franz’ von Assisi sowie dessen Glaubensauffassung cf. Feld, S. 18-39. 95 Bartholomeo de Pisa (Bartholomaeus de Rinonico): De conformitate vitae Beati Francisci ad vitam Domini Iesu, libri II, Clara Aquas/Quaracchi 1906, hier I, fructus X, pars secunda, S. 466 [De conformitate]. Cf. dazu C. Mouchel: Rome franciscaine. Essai sur l’histoire de l’éloquence dans l‘Ordre des Frères Mineurs au XVIe siécle. Paris 2001, S. 21 [Mouchel/Rome]. 96 Vita et Miracula, Legenda secunda, VI: »De imagine crucifixi quae sibi locuta fuit, et honore quem ei impendit«. 97 Cf. Feld, S. 20. 98 Cf. De conformitate, I, fructus VIII, pars secunda, S. 176. 99 Cf. Mouchel/Rome, S. 23: »Par le discours, le travail intérieur est donné en spectacle, offert aux regards, mais le pénitent ne dialogue pas avec l’auditoire«. 100 Cf. Mouchel/Rome, S. 24. 101 Cf. M. G. Briscoe/B. H. Jaye: Artes praedicandi and Artes orandi. Turnhout 1992, S. 15 [Briscoe/Jaye]. Augustinus war wohl der erste, der offiziell dafür plädierte, die Regeln der klassischen Rhetorik für die christliche Predigt fruchtbar zu machen: »Dixit enim quidam eloquens (i. e. Cicero), et verum dixit, ita dicere debere eloquentem, ut doceat, ut delectet, ut flectat.« (Aurelius Augustinus: De doctrina christiana libri IV, in: (Aurelius Augustinus) Sancti Aurelii Augustini: De doctrina christiana, De vera religione. Cura et studio I. Martin (Aurelii Augustini Opera Pars IV, 1), Turnhout 1963, S. 1168, lib. IV, XII, 27). Cf. dazu Suchomski, S. 73ff. 102 Regula bullata, Kapitel IX, Abschnitt 4.

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chen, so geschieht dies wiederum auf der Basis des Verständnisses der Predigt als Sonderform des Gebets: Le sermon doit à la prière un certain genre de brièveté qui ne concerne pas l’étendue apparente du discours mais l’attitude de l‘esprit d’où émanent également l’ampleur de la prière et la concision du sermon. Même si la parole intérieure du pénitent consiste en un flux de propos, d’images et de sentiments, la briéveté a bien sa place dans cette éloquence intime. Elle résulte de l‘extraordinaire effort de concentration exigeant le recueillement de l’esprit et du corps tout entier, par lequel le méditant coincide avec un train de considérations spirituelles où ne vient pas se loger l’obstacle de la présence des autres. […] Brièveté signifie ici adhérence parfaite à l’image du Christ intérieurement projetée et refus du supplément d’abondance qu’entraîne le besoin de faire comprendre et d’associer.103

In rhetorischer Terminologie gesprochen – die Franziskus jedoch nur unzureichend vertraut war104 – kommt diese Art zu predigen dem Prinzip verbaler percursio nahe, dem Versuch der Beschränkung auf das Wesentliche.105 Dieses Stilideal wurde in der Folgezeit in keiner Weise beibehalten. Selbst die Ansprachen so bekannter Minderbrüder wie Bonaventura und Duns Scotus – gewissermaßen die ›Aushängeschilder franziskanischer Eloquenz‹ späterer Jahre – unterscheiden sich in wesentlichen Punkten vom Vorbild des Ordensgründers. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß Bonaventura wie Duns Scotus eine wissenschaftliche Grundausbildung genossen hatten, die auch die Vermittlung rhetorischer Fertigkeiten umfaßte. Beider Redekunst hatte durch diese Art der Vorbildung – hier von Verbildung zu sprechen, wäre wohl übertrieben – sicher etwas von der dem Ordensgründer eigenen Unmittelbarkeit verloren. Dennoch lassen sich die flammentia verba106 des Bonaventura ebenso wie die inconcinnitas107 Duns Scotus’ als Anverwandlungen des Stils Franz’ von Assisi deuten. ___________ 103

Mouchel/Rome, S. 25. Cf. Feld, S. 18. Auch wenn Franziskus in seiner Jugend nicht nur Lesen und Schreiben lernte, sondern auch Kenntnisse der französischen Literatur erwarb, hat er diese Bildung nie zugegeben, da sie dem von ihm propagierten Prinzip der Heiligen Einfalt (Cf. Feld, S. 42f) widersprach. 105 Cf. Mouchel/Rome, S. 26: »Le principe de la brevitas sermonis édicté par la Règle a aussi le sens d’abrègement et de réduction à l’essentiel«. 106 Mouchel/Rome, S. 41: »Jusque-là nous comprenons l’ardeur et la chaleur (flammentia verba) dont son éloquence a toujours été créditée, c’est à dire le ton de l’exhortation qui l‘imprègne même en ses passages les plus subtils, miroir et effet dans le discours d’une puissante tension de l’esprit, en effort constant de rapporter toute affirmation sur l’être au principe divin qui le constitue.«. Der Unterschied zwischen dem Stil Bonaventuras mit seinen prunkvollen Worten und einer oft ›schnörkeligen‹ Syntax und der schlichten Rede des Poverello läßt sich mit dem Verhältnis von attischem und asianischen Redestil vergleichen (Cf. Mouchel/Rome, S. 48). Es bedarf somit einiger Übung und Kenntnis franziskanischer Theologie, um hinter den verschiedenen Ansätzen die Gemeinsamkeiten zu entdecken. 107 Cf. Mouchel/Rome. S. 73. Die inconcinnitas als Gegenstück zur ciceronianischen concinnitas (≈ elegantia) nimmt den Stil der Predigt als ›lautes‹ Beten wieder auf. 104

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Hier wie dort wird die positive Grundeinstellung der Sprecher und deren Vertrauen auf die göttliche »Allmacht und Allgüte«108 spürbar, die W. Dethloff als »franziskanische Vorentscheidung« kennzeichnete.109 Hat sich die franziskanische Beredsamkeit in den Jahrhunderten seit der Ordensgründung auch entscheidend weiterentwickelt und umorientiert, so erscheint es anhand der gezeigten Beispiele dennoch wenig einsichtig – geradezu widersinnig – die Minderbrüder mit dem oben erwähnten Beinamen joculator Dei zu belegen.110 Zur Auflösung dieses Widerspruchs dient eine Passage der Regula non bullata. Interessanterweise hatte Franziskus bereits dort festgeschrieben, daß man sich heiteren Gesichts und mit Freude seinen Aufgaben, zu denen bald auch die Verkündigung der christlichen Botschaft gehörte, widmen sollte: Et caveant sibi fratres quod non se ostendant tristes extrinsecus et nebulosos hypocritas, sed ostendant se gaudentes in Domino et hilares et convenienter gratiosos.111

Auch wenn sich Franziskus grundsätzlich als Sünder empfand und deshalb oft zerknirscht vor Gott trat112, wird seine grundsätzlich positive Einstellung dazu geführt haben, daß eine Vielzahl seiner ›lauten Gebete‹ Lob, Dank oder Bittgebete waren, die es hilari vultu vorzutragen galt. Daß Franziskus vor seiner Bekehrung ein überaus lebensfroher Mensch gewesen ist, dessen stets guter Laune auch die einjährige Gefangenschaft in Perugia keinen Abbruch tat,113 mag zudem dazu geführt haben, daß er Lachen und Fröhlichkeit als selbstverständlichen Teil menschlichen Daseins betrachtete. Anstatt sie zu bekämpfen instrumentalisierte er sie für die Seelsorge. Es ist kaum zu leugnen, daß ein Prediger, der von seiner Sache selbst begeistert ist, nicht nur größeren Erfolg bei seinen Zuhörern haben wird, sondern daß diese innere Freude auch äußerlich sichtbar wird – an einem heiteren Gesichtsausdruck – und in der Verwendung von Scherzworten. Die Formulierung des Heiterkeitsgebots geschah also nicht in gewollter Opposition gegenüber den bisherigen Formen abendländischen Mönchtums114, sondern ergab sich aus der Per___________ 108

Heinzmann, S. 223. G. Krause/G. Möller (Hg.): Theologische Realenzyklopädie. 36 Bde, Berlin/New York 1983, Lemma Franziskanerschule (2). 110 Diese Widersprüchlichkeit mag Mouchel dann auch dazu bewogen haben, diesen Aspekt in seiner Studie unerwähnt zu lassen. 111 Regula non bullata, Kapitel VII: De modo serviendi et laborandi, Abschnitt 16. 112 Cf. Vita et Miracula, Legenda prima, XI: »De spiritu propheticae et monits sancti Francisci«, dazu: Feld, S. 29. 113 Cf. Feld, S. 18/19. 114 Gegenüber der Regula Benedicti erscheint diese Vorschrift – mit den Adverben gaudentes und hilares, die im krassen Gegensatz zum Gebot, das Lachen weitgehend zu 109

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sönlichkeit des Ordensgründers und dem seelsorgerischen Auftrag der Brüder.115 Die Franziskaner leben nicht hinter Klostermauern, sondern mitten in der Welt. Mit ihrem heiteren Gesicht und ihren Predigten, deren eingestreute exempla116 oft genug Anlaß zum Lachen gaben, warben sie bei einem lachfreu___________ vermeiden, stehen – als wesentliche Neuerung. Letztlich verlangt der Ordensgründer hier jedoch kaum anderes als das Vermeiden von Pharisäertum und stattdessen Begeisterung für die Sache, die man verkündet. Auch Franziskus wird oft genug am eigenen Leib gespürt haben, daß das Los der selbst erwählten Armut nicht immer leicht zu tragen war, Hitze, Kälte und Krankheit haben ihm gleichermaßen zu schaffen gemacht wie seinen Brüdern. Aber anstatt das Leiden zur Schau zu stellen oder gar Mitleid zu erheischen (Cf. Mt. 6, 1; 16: »Hütet euch, Eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen, sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten.«; »Wenn Ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, daß sie fasten«), sollen seine Brüder wie er selbst stets heiter sein, da die Freude über Gottes Schöpfung und die Erwartung ewigen Heils alle irdischen Sorgen aufwiegt. 115 Dies mag vielleicht auch die Tatsache erklären, daß das Heiterkeitsgebot nicht in die endgültige Regel des Ordens aufgenommen wurde: »Die nicht bestätigte Regel offenbart am meisten das Denken und Wollen des hl. Franziskus. [...] Sie gewährt immer wieder tiefe Einblicke in seine Religiösität. In ihr weht der Geist des Heiligen noch in ursprünglicher Fülle, ungebrochen von aller bitteren Erfahrung, die ihm in den kommenden Jahren noch werden sollte. Der freie Schwung seines kühnen Idealismus setzt sich hier in grenzenlosem Vertrauen auf die Gutheit der Menschen über alle Bedenken hinweg« (Die Schriften, Einleitung der Hg., S. 4). Es ist im Nachhinein schwer zu beurteilen, ob der Idealismus der Aussage von Kapitel VII, 16 (Regula non bullata) zur Zeit der Abfassung der zweiten Regel nicht mehr zeitgemäß erschien, oder ob die Tatsache, daß Heiterkeit und positive Weltsicht für die Brüder so selbstverständlich war, dazu führte, daß es nicht mehr nötig schien, dieses Gebot explizit in der Ordensregel festzuschreiben. 116 Zahlreiche Forscher haben sich lange Jahre bemüht, das exemplum auf der Basis des vorliegenden Quellenmaterials, hinreichend zu definieren. C. Bremond, J. Le Goff, J-C. Schmitt tragen in ihrer Monographie eine Vielzahl derartiger Definitionen zusammen und schlagen aufgrund der durch den Vergleich gewonnenen Erkenntnisse schließlich vor, das exemplum als » récit bref donné comme véridique et destiné à être inséré dans un discours (en général un sermon) pour convaincre un auditoire par une leçon salutaire« zu fassen (C. Bremond/J. Le Goff/J-C. Schmitt: L’exemplum. Typologie des sources du moyen Âge occidental. Turnhout 1992, S. 37/38). Einen Überblick über die Verwendung von exempla im Mittelalter gibt Suchomski, S, 217f. Die Idee, in sich abgeschlossene Geschichten in einen größeren Zusammengang einzubetten, um auf diese Weise den Lesern oder Zuhörern bestimmmte Sachverhalte zu verdeutlichen, ist nicht mittelalterlich. Eine derartige Vorgehensweise wurde bereits von Aristoteles (Rhet. II, 20, 1393a), Cicero (De inv. I, XX, 28, De orat. II, 114f) und Quintilian (Inst. orat. I; V, 11, 1. Der Rhetoriklehrer erklärt hier besonders die Begrifflichkeit in den unterschiedlichen Sprachen »Graeci vocant  )  ?888@ ab illis parabole dicitur.«) empfohlen. Auch einige Gleichnisse Jesu sind exempla (NTL, Mk. 4, 33: »Et talibus multis parabolis loquebatur eius verbum«; NTG, Mk. 4,33:   ). Derartige Geschichten wurden im Hochmittelalter zwar noch oft durch Hören-Sagen weitergegeben, immer häufiger wurden sie aber in schriftlicher Form tradiert. Besonders bekannt sind heutzutage die zahlreichen exempla von Jacques de Vitry, die bereits im 13. Jahrhundert schriftlich fi-

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digen Publikum für die christliche Botschaft. Der Erfolg dieser Strategie zeigte sich nicht nur in einer schnell wachsenden Ordensgemeinschaft,117 sondern auch in der Tatsache, daß diese Predigtpraxis bald von Außenstehenden übernommen wurde und sich bei zahlreichen Klerikern und Gläubigen großer Beliebtheit erfreute.118 Auf die Weise konnte die Predigt zum möglichen Anlaß öffentlich-kollektiven Lachens werden Selbstverständlich wurde diese neue Art zu predigen nicht allein von den Franziskanern praktiziert. Sicher ist jedoch, daß ihre heiteren Homilien wesentlich zu einer raschen Verbreitung der neuen Sitten beigetragen haben. Hatte Alanus ab Insulis kurz vor 1200 in der Summa [...] de arte praedicatoria – einem der bekanntesten Predigthandbücher aus der Frühzeit der Gattung – die Verwendung zum Lachen reizender Elemente noch abgelehnt,119 wird deren Einsatz in der Folgezeit von den Verfassern derartiger Kompendien geradezu empfohlen.120 Auch in den exempla-Sammlungen standen erbauliche und zum Nachdenken anregende Texte neben solchen, die Lachen hervorrufen sollten. Wenn die Prediger Lachen auslösende Elemente in ihren Reden integrierten, so taten sie dies zum einen in der Hoffnung, auf diese Weise die Sympathie ihrer Zuhörerschaft zu erlangen.121 Zum anderen gingen sie davon aus, daß die von der Arbeit ermüdeten Menschen durch Lachen Entspannung erfahren und deshalb der eigentlichen Botschaft der Predigt gesteigerte Aufmerksamkeit entgegenbringen würden, nachdem sie einmal ordentlich gelacht hatten – eine Strategie, die bereits Aristoteles den athenischen Rednern empfohlen hatte. ___________ xiert vorlagen. Die Beispielgeschichten entstammten jedoch nicht alle Jacques Phantasie. Auch er hat sie wiederum aus anderen Quellen – wie zum Beispiel der Vitae patrum oder der Disciplina clericalis – übernommen (Cf. G. Frenken: »Die Exempla des Jacob von Vitry. Ein Beitrag zur Erzählliteratur des Mittelalters« in: P. Lehmann (Hrsg.): Vom Mittelalter und von der lateinischen Philologie des Mittelalters. Bd. 5, Heft 1, München 1914, S. 3-154, hier S. 37/38 [Frenken, in: Lehmann]). 117 Cf. Feld, S. 99f. 118 Cf. Horowitz/Menache, S. 66f. Von einem Prediger ›unserer‹ Tage (»noch anfangs dieses Jahrhunderts i. e. des zwanzigsten), der sich durch Scherze die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicherte, berichtet Radermacher, S. 7/8. Aber auch zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts kommt es gelegentlich vor, daß ein Geistlicher einen Scherz oder eine zum Lachen reizende Anekdote in seine Predigt integriert. Die von den Minderbrüdern praktizierte Form war jedoch nicht bei allen und zu allen Zeiten gleichermaßen beliebt. 119 Alanus ab Insulis: Summa de arte praedicatoria, in: Migne, PL, Bd. CCX, cc. 110-198, hier c. 112: »Praedicatio enim non debet habere verba scurrilia, vel puerilia«. 120 Cf. Briscoe/Jaye, S. 17/18. Die Verfasser geben hier eine Vielzahl von Beispielen derartiger Predigthandbücher. 121 Zum Hervorrufen des Lachens als Möglichkeit der captatio benevolentiae cf. Suchomski, S. 215/216. Horowitz/Menache widmen den zweiten Teil ihres Werkes dem Humor practicum. Darin vermitteln sie einen sehr plastischen Eindruck mittelalterlicher Predigtpraxis (Cf. S. 79-242).

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Bei der Auseinandersetzung mit dem zweiten großen Teilbereich öffentlichkollektiven Lachens bietet sich zunächst die Studie des russischen Literaturwissenschaftlers Michael Bachtin – Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur – als erster Ausgangspunkt für weitere Analysen an.122 Auch wenn Bachtin seine Aussagen aus der Analyse eines Werkes aus dem 16. Jahrhundert schöpft, dessen Autor gemeinhin als Repräsentant des Renaissancezeitalters123 bezeichnet wird, lassen sich einige seiner Bemerkungen für die Betrachtung des Karnevals als Anlass mittelalterlichen Lachens fruchtbar machen.124 Für Bachtin stellt sich das ›offizielle‹ Mittelalter als eine düstere freudlose Zeit unter dem Joch der christlichen Kirche dar. Er vertritt die These, daß dem Lachen im Mittelalter nur sehr wenig, in der Renaissance aber sehr viel Raum im Leben der Menschen zukommt. Der Grund für die geringe Bedeutung des Lachens im Mittelalter ergebe sich aus der Tatsache, daß der Mensch durch die kirchliche Allmacht dazu gezwungen sei, in zwei Welten zu leben: In einer offiziellen, nach christlichen Gesetzen geregelten Welt, in der das Lachen nach dem Willen der Kirche unterdrückt werde und in einer zweiten, inoffiziellen Welt, die stets unterschwellig vorhanden wäre und zur Karnevalszeit hervorbräche. In dieser spielt dann auch das Lachen eine entscheidene Rolle.125 Mag die These des russischen Literaturwissenschaftlers auf den ersten Blick einleuchtend sein, so wirft sie bei näherem Hinsehen deutliche Probleme auf: Bachtin bezeichnet die offizielle Haltung der Kirche im Mittelalter als lachfeindlich und seriös. Dies ist – wie in Kapitel 2. b) dieser Arbeit dargelegt – grundsätzlich richtig, aber nicht für die Epoche in ihrer Gesamtheit zutreffend. Bachtin spricht stets vom ›Mittelalter‹, ohne die von ihm näher betrachteten Jahrhunderte explizit zu benennen. Da sich, wie gezeigt, die Einstellung zahlreicher Kirchenvertreter seit den Aussagen Thomas’ von Aquin aber gewandelt hat und auch die Praktiker seit dem zwölften Jahrhundert immer öfter die menschliche Lachbegeisterung für ihre Predigten instrumentalisierten, läßt sich diese Aussage für die vier Jahrhunderte, die gemeinhin als Hochmittelalter bezeichnet werden, nicht aufrechterhalten. Gerade in diese Zeit zunehmender To___________ 122 Die Studie Bachtins rief zum Teil heftige Kritik hervor, was jedoch dazu führte, daß sich zahlreiche Forscher infolge der anhaltenden Kontroversen für das Lachen in Mittelalter und Renaissance interessierten und den Karneval zum Gegenstand ihrer Untersuchungen machten. Zur Aufnahme des bachtinschen Werkes cf. z. B. Stollmann, S. 84-103, ebenso Minois, S. 135-139. 123 Cf. F. R. Hausmann: François Rabelais. Stuttgart 1979, S. 3ff. 124 Ebenso verfährt F. R. Hausmann in: »Rabelais’ ›Gargantua et Pantagruel‹ als Quelle mittelalterlicher Fest- und Spieltradition« (in: Altenburg, S. 335-348). 125 Cf. M. Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Übers. von G. Leupold, hrsg. und mit einem Vorwort versehen von R. Lachmann, Frankfurt a. M. 2 1998, S. 53, 145 [Bachtin].

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leranz des Lachens sowie der unterhaltenden Berufe fällt jedoch die Hochzeit des Karnevals.126 Die von Bachtin aufgespannte Opposition ist damit gewissermaßen gegenstandslos, der Gegensatz von offizieller und inoffizieller Kultur nicht im von ihm dargestellten Maße vorhanden. Es ist zudem äußerst zweifelhaft, daß sich die beiden Welten im Bewußtsein der Menschen oppositionell gegenüberstanden. Die Christen – also bei weitem die Mehrheit der Bevölkerung des Abendlandes – lebten ihre Tage und Jahre im Rhythmus der kirchlichen Feste. Wer, wie zum Beispiel Juden und Muslim andere Wege ging, erschien suspekt und wurde schlimmstenfalls abgelehnt und verfolgt. Die Sitten und Normen der christlichen Religion waren allein maßgeblich. Sie wurden nicht als ›von oben‹ aufoktroyiert empfunden, sondern waren – wie das Lachen – natürlicher Teil des Lebens.127 Bachtin unterscheidet »drei Grundformen volkstümlicher Lachkultur«128, räumt jedoch selbst ein, daß sowohl die »komischen [...] Texte«129, als auch die »familiäre Rede des Marktplatzes« oft im Rahmen von Karnevalsfesten ihren Platz finden130, der Ort par excellence, an dem mittelalterliches Lachen stattfindet. Karneval: Umkehrung aller Normen, zeitliche Befreiung von gesellschaftlichen und hierarchischen Zwängen, Herrschaft der Narren, lizensierte Brüche bestehender Tabu, Betonung des Leiblichen – das Bild, das Bachtin vom karnevalsken Treiben zeichnet, ist bunt.131 Ebenso schillernd sind auch die Bräuche, die in zahlreichen Landstrichen bis in unsere Zeit gepflegt werden und ___________ 126 Cf. J. Küster: Die Fastnachtsfeier. Über Sinn und Herkunft der Narrenbräuche. Freiburg 1987, S. 21 [Küster/Fastnachtsfeier]. 127 Cf. A. Gurjewitsch: »Bachtin und seine Theorie des Karnevals«, in: Bremmer/Roodenburg, S. 57-63, hier S. 57 [Gurjewitsch, in: Bremmer/Roodenburg]. Darüber hinaus erscheint unklar, mit welcher Berechtigung Bachtin die inoffizielle Volkskultur als ›Lachkultur‹ (Bachtin, S. 52) definiert. Nicht nur anhand der exempla, die ja das Leben der ›einfachen‹ Leute widerspiegeln und diesen deshalb Identifikationsmöglichkeiten bieten (Cf. Frenken, in: Lehmann, S. 150f), sondern auch durch historische Quellen wird deutlich, daß die Leute zwar oft gelacht, ihr Leben aber ebenso oft als leidvoll erfahren haben (Cf. Gurjewitsch, in: Bremmer/Roodenburg, S. 58). 128 Bachtin, S. 52. Als Grundformen nennt er: »I. Rituell-szenische Formen (Feste vom Karnevalstyp, unterschiedliche komische Marktplatzszenen u. ä.); II. Komische, (darunter auch parodistische) Texte, mündliche und schriftliche, lateinische und volkssprachliche; III. Verschiedene Formen und Gattungen der familiären Rede des Marktplatzes (Schimpfworte, Schwüre, Flüche, volkstümliche Scheltgedichte, Blasons u. a.) Hervorhebungen vom Autor. 129 Bei der Gegenüberstellung der beiden Welten übersieht Bachtin zudem, daß zahlreiche Vertreter der ›offiziellen‹ Kultur eben diese Parodie sakraler Texte sogar explizit befürworteten. Diese kam nämlich auch dem Urtext zugute, der in Folge der Umformung wieder bewußt wahrgenommen wurde (Cf. Minois, S. 44). 130 Cf. Bachtin, S. 62, 66. 131 Cf. Bachtin, S. 58-61.

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zum Teil an mittelalterliche Tradition anküpfen.132 Sowohl die modernen Jekken als auch die Mehrzahl der Forscher, die sich aus wissenschaftlicher Perspektive mit dem Phänomen auseinandersetzen, erkennen an, daß ›am Aschermittwoch alles vorbei (ist)‹133, daß nach dem Ende der ›tollen Tage‹ die österliche Bußzeit beginnt.134 Gerade diese christliche Komponente des Festes wird jedoch von Bachtin quasi negiert: Der eigentliche Karneval [...] wurde auf die letzten Tage vor dem Großen Fasten gelegt [...]. Wesentlicher als diese terminliche, ist die genetische Verbindung dieser rituell-szenischen Lachformen mit alten heidnischen, bäuerlichen Festen, zu deren Ritual auch ein Lachelement gehörte.135

Wenn Bachtin nicht den christlichen Charakter des Festes, sondern die Traditionslinie von den antiken Saturnalien136 und anderer heidnischer Feste zum ___________ 132 Einen kurzgefaßten Überblick über noch heutzutage gängiges Fastnachtsbrauchtum bietet J. Küster: Bräuche im Kirchenjahr. Historische Anregungen für die Gestaltung christlicher Festtage. Freiburg 1986, S. 40-55 [Küster/Kirchenjahr]. W. Mezger weist jedoch darauf hin, daß noch am Ende des 14. Jahrhunderts nur wenige Bräuche ausgebildet waren. Zu diesen gehört das Schlachten sogenannter Fastnachtshühner, das Ausblasen von Eiern sowie die Herstellung von Schmalzgebäck oder Riesenwürsten. Diese Tätigkeiten dienten allesamt dazu, die in der kommenden Fastenzeit verbotenen Speisen oder deren Lieferanten zu dezimieren (Cf. W. Mezger: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur. Konstanz 1991, 487-490 [Mezger]). 133 Das Ende der Fastnacht ist mancherorts durch die offizielle Herrschaftsrückgabe an die Obrigkeit sowie die Verabschiedung des Karnevals und die rituelle Begrüßung des Aschermittwoch gekennzeichnet (Cf. Küster/Kirchenjahr, S. 44). Darüber hinaus thematisieren zahlreiche Werke, den Antagonismus von Karneval und Fastenzeit. So zum Beispiel das bekannte Gemälde von P. Bruegel Der Streit zwischen Karneval und Fasten (1559, Wien, Kunsthistorisches Museum). Weitere Beispiele bietet Minois, S. 142ff. 134 Diese Abfolge spiegelt sich auch in zahlreichen gängigen Festbezeichnungen wider: im französischen Sprachraum sind Mardi Gras = der ›fette‹ Dienstag vor dem ›mageren‹ Aschermittwoch sowie carême-prenant geläufig, die beide auf den baldigen Beginn der Fastenzeit anspielen. Dem entspricht das italienische martedi grasso und der deutsche Ausdruck Fastnacht, der in Analogie zur Christnacht als Nacht vor dem Christfest denTag oder Abend vor Beginn des Fastens beschreibt. Darüber hinaus ist in allen drei Sprachen der Begriff carnaval, carnevale, Karneval in Gebrauch. Dieser rekurriert auf den gebotenen Fleischverzicht während der österlichen Bußzeit: carnelevare = Fleisch wegnehmen. Auch die auf Volksetymologien beruhenden Varianten carne-vale: Fleisch ade! oder carne-valere = »Achte das Fleisch, denn du mußt für lange Zeit darauf verzichten!«, die ebenfalls zu carnaval, carnevale, Karneval verkürzt wurden, spielen auf den gleichen Sachverhalt an (Cf. Mezger, S. 12; Heers, S. 224). 135 Bachtin, S. 56. 136 Die antiken Saturnalien, die nicht nur von Macrobius in seinem gleichnamigen Buch – Saturnalia – sondern auch von zahlreichen anderen römischen Autoren erwähnt werden, weisen in der Tat einige Parallelen zu späteren Karnevalsbräuchen auf: Neben der Beseitigung hierarchischer Unterschiede für einen bestimmten Zeitraum »age, libertate Decembri, quando ita maiores voluerunt, utere, narra« (Sermones, II, 7) wird besonders der übermäßige Verzehr von Speisen und Getränken angeführt: »Vinum familiae

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mittelalterlichen Karneval hervorhebt, so mag dies insoweit gerechtfertigt sein, als es im Christentum üblich war, heidnische Feste umzudeuten.137 Ein Fortleben überkommener Riten im Karnevalsbrauchtum wäre dementsprechend durchaus möglich. In bezug auf die Frage nach Motivation und Sinngehalt des Festes bringt diese Feststellung jedoch keinen Erkenntnisgewinn: Es ist zudem wenig einsichtig, daß die Pflege alter Bräuche als Motivation zur Ausgestaltung eines Festes ausreichend ist, das mit soviel Mühen vorbereitet und so aufwendig gefeiert wurde.138 Auch wenn moderne Wissenschaftler von der Christlichkeit des Karnevals überzeugt sind,139 herrscht dennoch keine Einigkeit über die inhaltliche Bedeutung des Festes. Während eine Gruppe von Forschern dafür plädiert, daß alles, was in den sechs Tagen des Karnevals geschieht, zufällig stattfindet, das heißt also in keiner Weise von Seiten der geistigen oder weltlichen Obrigkeit gelenkt, geht eine andere Gruppe von einer strikten Reglementierung allen Geschehens aus.140 Erstere betrachten den Karneval als Spiel, als Zeit, in der alles erlaubt ist, was Spaß macht und zum Lachen reizt, als Ventil für jeden Schabernack, auf den es in den kommenden vierzig Tagen zu verzichten gilt.141 Diese Deutung rekurriert im wesentlichen auf der Erfahrung, daß Lachen und Spiel entlastend wirken und Kraft geben können für die Entbehrungen der Fastenzeit, ein Argument, daß ja auch in kirchlichen Kreisen allgemeine Anerkennung fand. Andere sehen im Karneval die Darstellung der civitas terrena, die Augustinus in De civitate Dei dem Gottesstaat gegenüberstellt.142 Die Zeit des Karne___________ [...] hoc amplius Saturnalibus et Compitalibus« (M. Porci Catonis: De agri cultura, ad fidem florentini codicis deperditi iteratis curis edidit A. Mazzarino. Adiectae sunt duodecim tabulae. Leipzig 21982, LXII, 1). Wie der Karneval waren die Saturnalien ein öffentliches Fest, der Ruf Io Saturnalia ertönte in den Straßen (Petronius: Satyrika. Lt./dt. von K Müller und W. Ehlers. Mit einem Nachwort von N. Holzberg, Darmstadt 1995; 58, 2) und »niemand tat mehr etwas, außer zu seinem Vergnügen und nur die Köche und Kuchenbäcker durften noch arbeiten« (M. Fuhrmann: »Fasnacht als Utopie: Vom Saturnalienfest im alten Rom«, in: Bausinger, S. 29-42, hier S. 34). Sie boten den Römern über viele Jahrhunderte hinweg am Feiertag des Saturn (i. e. 17. Dezember) Anlässe öffentlich-kollektiven Lachens. 137 Cf. Minois, S. 161, Mezger, S. 482. 138 Cf. Küster/Fastnachtsfeier, S. 12. 139 Cf. Mezger, S. 13f (Der Autor gibt hier einen kurzen Überblick über die Fastnachtsforschung der vergangenen Jahrzehnte), ebenso Gurjewitsch, in: Bremmer/Roodenburg, S. 58f und Minois, S. 140ff. 140 Cf. Mezger, S. 14. 141 Auf diese Weise wird jedoch nur der Fastnachtstermin, nicht aber der Inhalt des Festes erklärt. 142 Die apologetische Schrift Augustinus’ De civitate Dei ist der Versuch, die Universalgeschichte als Heilsgeschichte zu interpretieren, indem man »sie aus dem christlichen Glauben heraus als sinnvolles Geschehen betrachtet« (Heinzmann, S. 91). Sie entstand,

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vals ist demnach das genaue Pendant zur civitas Dei, die nach christlichem Verständnis in der Zeit nach Ostern auf Erden vorgebildet ist, aber erst im Reich Gottes tatsächlich realisiert werden wird.143 Diese religiöse Sichtweise, die allen Darbietungen allegorische Bedeutung beimißt, bezieht sich jedoch weitgehend auf die Fastnachtsfeiern im Renaissancezeitalter und ist in Hinblick auf die betrachtete Epoche kaum von Belang. Für den Menschen des 12.-14. Jahrhunderts ist der Karneval der Moment, alle Sorgen zu vergessen, ausgelassen zu feiern und frei von ständischen Zwängen zu lachen und zu scherzen, bevor ihm in der österlichen Bußzeit zahlreiche Fastenprediger seine Sündhaftigkeit und Vergänglichkeit erneut vor Augen führen. Aufgrund der in der Fastenzeit geltenden Speisegebote waren die Festlichkeiten der Fastnachtstage oft mit dem Verzehr üppiger Speisen und dem Genuß von Wein verbunden. Nach derartigen Gelagen war der thematische Gehalt die___________ als man versuchte, das Christentum für den Untergang des Imperium Romanum verantwortlich zu machen. Während sie der Bischof von Hippo in den Büchern I-X polemisch mit dem gegen die Christen erhobenen Vorwurf sowie mit der heidnischen Philosophie auseiandersetzte, skizziert er in den Büchern XI-XXII die civitas Dei. Parallel zur Konzeption des Gottesstaates entsteht als Gegenmodell die civitas terrena: »[...] generis humani, quod in duo genera distribuimus, unum eorum, qui secundum Deum vivunt, quas etiam mystice appellamus civitates duas, hoc est duas societates hominum, quarum est una quae praedestinata est in aeternum regnare cum Deo, altera aeternum supplicium subire cum diabolo« ((Augustinus Aurelius) Sancti Aurelii Augustini: De civitate Dei. Libri XI-XXII. Curaverunt B. Dombart/A. Kalb. (Aurelii Augustini Opera Pars XIV, 2), Turnhout 41955, XV, I, 58 [De civitate Dei]). Die hier zitierte Textpassage steht am Beginn der Gegenüberstellung der beiden civitates. Alle Forscher, die zur Erklärung des Karnevalsphänomens auf Augustinus zurückgreifen, rekurrieren dementsprechend auf De civitate Dei XVff. 143 Cf. Mezger, S. 483, Küster/Kirchenjahr, S. 49. Die Bedeutung des augustinischen Werkes für die Entwicklung von Narrenreichen und anderen Fastnachtsbräuchen analysiert D.-R. Moser in »Narren – Prinzen – Jesuiten. Das Karnevalskönigreich am Collegium Germanicum in Rom und seine Parallelen. Ein Beitrag zur Geschichte der Fastnachtsbräuche«, in: Zeitschrift für Volkskunde II. Halbjahresband Stuttgart 1981, S. 167208. Darüber hinaus faßt der Autor die Lehre des Kirchenvaters nach De civitate Dei XV anhand eines Strukturdiagramms anschaulich zusammen (S. 184). Eine noch zu unserer Zeit sichtbare Folge der augustinischen Zweistaatenlehre ist das im 13. Jahrhundert als Pendant zum Karneval eingeführte Fronleichnamsfest. Nicht nur die Prozession als Antwort der civitas Dei auf den närrischen Umzug der civitas terrena (Cf. Küster/Fastnachtsfeier, 18f), sondern auch die (bis zur Liturgiereform des II. Vatikanum) im Gottesdienst vorgetragenen Perikopen (Lk. 18, 35-42 (Der Blinde am Weg) vs. Lk. 14, 15-24 (Gleichnis vom Festmahl)) veranschaulichen die oppositionelle Struktur beider Feste. Der Name des Fastnachtsonntags, Septuagesima (64 Tage vor Ostern), deutet zudem auf die siebzigjährige babylonische Gefangenschaft der Juden hin. Die Zeit zwischen Fastnacht und Fronleichnam, am 64. Tag nach Ostern, kann als Ausgang aus der Knechtschaft und Aufstieg nach Jerusalem interpretiert werden (Cf. D. R. Moser: »Fastnacht und Fronleichnam als Gegenfeste. Festgestaltung und Festbrauch im liturgischen Kontext«, in: Altenburg, S. 359-376, vor allem S. 367f).

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ser Feiern oft gleichgültig, da sich die Menschen in weinseliger Stimmung sehr gut unterhielten und an Umzügen und Tanz gleichermaßen Gefallen fanden. Bachtins Deutung des Karnevalphänomens auf der Basis heidnischer Riten läßt sich aus der Oppositionsposition erklären, die dem Fest im Rahmen seines Denkmodells zukommt. Begreift man den Karneval als ein Fest, daß sich nur aus dem christlichen Kontext heraus erklären läßt, fällt das System Bachtins wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Der Karneval ist jedoch nicht das einzige Fest, dem man antike oder heidnische Wurzeln andichten möchte, das aber tatsächlich einen festen Platz im kirchlichen Kalender hatte und religiöser Tradition entsprang. Gleiches gilt zum Beispiel auch für fête des Innocents und fête de l’âne. Beide wurden seit dem 12. Jahrhundert in einer Weise begangen, die in mancher Hinsicht an die Festformen des Karnevals erinnert.144 Liturgisch im Weihnachtsfestkreis verankert, rufen sie die Geschehnisse unmittelbar nach der Geburt Christi ins Gedächtnis: Die fête des Innocents gedenkt des Mordes an unschuldigen Kindern in Betlehem durch König Herodes,145 die fête de l’âne wurde zu Ehren des Esels gefeiert, der zunächst Jesus im Stall wärmte und ihn schließlich sicher nach Ägypten und damit aus der Reichweite des Herodes trug.146 Hier wie dort steht das Kind in seiner Fragilität im Mittelpunkt.147 Dieser wurde man in einer Zeit sich entwickelnder Städte wesentlich deutlicher gewahr als im restringierten Kreis der Familien- oder Dorfgemeinschaft.148 Vorher noch als Arbeitskräfte eingesetzt, kam den Kindern in den Städten eine gänzlich neue Rolle zu,149 die oft genug in eine Katastrophe mündete. Ausgehend vom Mitleid für diese oft verwahrlosten, kranken oder hungernden Kinder und geführt von dem Gedanken, daß Christus selbst die Liebe und Unterstützung für Kinder immer wieder gefordert hat150, entwickelte man im Hochmittelalter eine Folge von ___________ 144

Cf. Minois, S. 154-60. Mt. 2, 16-18. 146 Mt. 2, 13-15; 19-22. Der Esel selbst wird allerdings im Evangelium nicht erwähnt. 147 Cf. Heers, S. 108. 148 Cf. Heers, S. 109f. Mit der Entwicklung der Städte ging auch die Ausbildung des Hospitalwesens einher. Vor allem kirchliche Einrichtungen, aber auch Insititutionen in munizipaler Trägerschaft nahmen sich verstärkt der neuen Aufgaben der Kranken- und Waisenfürsorge an (Cf. W. U. Eckart: Geschichte der Medizin. Heidelberg e. a.42000, S. 122-127 [Eckart]). 149 Cf. LexMa, Lemmata Kind, Erziehungswesen (I). 150 Cf. zum Beispiel: Mk. 10, 14; 16: »Laßt die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran [...] Und er nahm die Kinder in seine Arme, dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie«; Lk. 18, 17: »Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.« Der Vergleich »wie ein Kind« verweist hier auf kindliche Dankbarkeit und Unvoreingenommenheit (Cf. F. Bovon: Das Evangelium nach Lukas. III. Teilband Lk. 15, 1-19, 27. Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen 145

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Festen, die sich alle zeitlich um das Weihnachtsfest gruppierten151 und nicht nur das göttliche Kind, sondern alle Kinder – und mit ihnen alle, die ihnen ähnlich waren: Kranke und Narren – feierten.152 Dem Grundgedanken der Feste entsprechend spielen die Kinder in diesen Tagen die Hauptrolle: Es kommt zur Umkehrung der Hierarchien und somit zur verkehrten Welt, Motive, die bereits von den Saturnalien und vom Karneval bekannt sind. Während jedoch in der Fastnacht die ›ganze‹ christliche Welt gleichzeitig auf den Beinen war, wurde oft in jedem Ort ein anderes fêtes begangen.153 Organisiert wurden sie meist von den ansässigen Klerikern einer Stadt, einem Domkapitel oder ähnlichen Gruppierungen von Geistlichen. Gefeiert wurde jedoch von der ganzen Gemeinde, der ganzen Stadt, so daß auch diese Feste als Anlässe öffentlichkollektiven Lachens faßbar sind. Wie beim Karneval existiert jedoch auch hier keine scharfe Trennung von Darstellern und Zuschauern. Oft folgten sie einer bestimmten Festordnung, die der kirchlichen Liturgie nachgebildet war. Innocent oder âne waren mit den Insignien geistiger Würdenträger ausgestattet und herrschten für einige Tage über die Gläubigen. Typische Darbietungen waren Mysterienspiele, die das jeweils gefeierte Festgeschehen dramatisierten. Aber auch die Cène des enfants, bei der die Szenerie des letzten Abendmahls von Kindern nachgespielt wurde und mit Witzen und zum Lachen reizenden Anekdoten gewürzt war, kam zur Aufführung.154 Derlei Feste zollten also nicht nur der neuen Sensibilität für die Sorgen der Mitmenschen Tribut, sondern auch der Lach- und Vergnügungslust aller Beteilgten. Die in diesem Rahmen parodierten Handlungen und Texte waren allen bekannt: Ob jung oder alt, gebildet oder eher einfach, die Rituale des Gottesdienstes und die Gesänge und Gebete waren den Menschen vertraut. Die Feste vermittelten ihnen ein Gefühl von Gemeinsamkeit und Geborgenheit in der Gemeinschaft der Christen, die der Kirche grundsätzlich zugute kam. Zudem wurden Inhalt und Bedeutung der Texte, die oft nur noch ›mit einem Ohr‹ wahrgenommen wurden, auf diese Weise den Gläubigen neu ins Bewußtsein gerufen. Die Parodie der Schriftzitate und Gebe___________ Testament. Neukirchen-Vluyn 2001, S. 224f) und stellt es damit dem Weisen gegenüber. Diese Opposition beweist erneut die kindliche Nähe zum Narren. 151 Die einzelnen Feste dieses Kranzes, von St. Nikolaus bis zur Epiphanieoktav, werden allgemein unter dem Begriff fête des fous zusammengefaßt. Da manche über mehrere Tage gefeiert werden, sind die Übergänge oft fließend (Cf. Heers, S. 105). Der Ausdruck fête des fous erklärt sich aus der – im Mittelalter üblichen – engen Verbindung der beiden Personengruppen. 152 Cf. Heers, S. 148. 153 Diese zeitliche Verschiebung brachte es mit sich, daß die Menschen, oft an mehreren Festen nacheinander teilnehmen konnten. Es bot sich ihnen also quasi die Möglichkeit, einen Monat lang zu feiern. Wenn sie diese Gelegenheit tatsächlich wahrgenommen haben – was sich sicherlich anhand von Stadtchroniken nachvollziehen ließe – wäre dies wohl als hinreichender Beweis für die menschliche Lachlust zu werten. 154 Cf. Minois, S. 160-163.

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te, die ihr in der restlichen Zeit des Jahres heilig waren, nahm die Kirche deshalb billigend in Kauf. Das für die Betrachtung der Präsenz des Lachens in der Literatur und im Leben der Menschen entwickelte Raster hat sich als fruchtbar erwiesen. Auch wenn gerade in bezug auf die literarische Verarbeitung zum Lachen reizender Motive nur eine geringe Auswahl an Beispielen erwähnt werden konnte, wird anhand des gewählten Ordnungsschemas die potenzielle Gegenwart des Lachens im menschlichen Leben deutlich. Ob das Lachen jedoch als so natürlich und notwendig für das menschliche Leben und Wohlsein angesehen wird, daß es sogar in Zeiten größter Not nicht ausbleibt und es deshalb sehr wohl zu rechtfertigen ist, Lachen bewußt zu provozieren, wird zu zeigen sein. Bevor jedoch die Begründung Boccaccios für sein Decameronprojekt sowie die von ihm verfolgten Ziele näher beleuchtet werden, soll kurz das ›Handwerkszeug‹ vorgestellt werden, das zur Analyse zum Lachen reizender Literatur zur Verfügung steht und im wesentlichen in den Ideen der ›Großen‹ vorgebildet ist.

4. Begriffliches: Komik – Lachen – Humor Wer heutzutage versucht, im Rahmen einer Analyse zum Lachen reizender Momente Begrifflichkeiten zu klären und bestimmte Termini zu definieren, wird sich wohl leicht wehmütig an den Stoßseufzer Quintilians erinnern. Denn seit den Lebzeiten des Rhetoriklehrers haben sich nicht nur christliche Theologen und Ärzte vermehrt zu Wort gemeldet, sondern wie bereits angedeutet, in jüngerer Zeit auch die Repräsentanten verschiedener, zum Teil noch recht junger wissenschaftlicher Fachrichtungen. Die Spannweite des Themas erscheint enorm und reicht vom anthropologischen Ansatz, der Lachen und Weinen als Antwort auf menschliche Grenzerfahrung versteht1, über psychoanalytische Herangehensweisen, die den Einfluß des Unterbewußtseins beleuchten2, bis hin zu literaturwissenschaftlichen3, philosophischen4 und (kultur)soziologischen5 Stu___________ 1 Wichtigster Vertreter ist hier wohl H. Plessner mit Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. Bern, München 31961 [Lachen und Weinen]. 2 Hier sei erneut auf die immer noch grundlegende Studie Freuds verwiesen. 3 In literatur- wie auch in sprachwissenschaftlicher Hinsicht ist der Kolloquiumsband aus der Reihe Poetik und Hermeneutik (Bd.VII) W. Preisendanz/R. Warning (Hg.): Das Komische. München 1976 [Preisendanz/Warning] auch heutzutage noch maßgebend. In einem weitgespannten Panorama beleuchten Forscher unterschiedlicher Fachprovenienz das Phänomen des ›Lachen machens‹ und fragen nach dem »Generalisierungspotential des Komischen und seiner Theorie« (Vorwort der Herausgeber, S. 7). Darüber hinaus haben sich aber auch zahlreiche bekannte Autoren aus theoretischem Interesse mit dem Lachen auseinandergesetzt und diesbezügliche Gedanken niedergeschrieben, so z. B. C. Baudelaire in De l’essence du rire oder L. Pirandello in L’umorismo (Introduzione di S. Guglielmino, Cronologia di S. Costa. Mailand 1992 [L’umorismo]) Mit diesem Essay setzt sich schließlich U. Eco in »Pirandello ridens« kritisch auseinander (in: Sugli specchi e altri saggi. Il segno, la rappresentazione, l’illusione, l’immagine. Mailand 1985, S. 261-270). Er bezeichnet den Artikel Pirandellos abwertend als »trattatello metafisico su tutto – o sul Tutto« (S. 262), in dem der Autor alles beschreibt, nur nicht das Wesen des Humors, was eigentlich sein Ziel war. Auf diese Weise schreibt er auch seine eigenen Gedanken zum Thema nieder. Ein gutes Jahrzehnt später wird er in Il nome della rosa (Cf. S. 150f) darauf zurückgreifen (Der 1969 verfaßte Aufsatz erschien erstmals 1978 in englischer, im gleichen Jahr auch in italienischer Sprache). 4 Hier ist vor allem das Werk H. Bergsons zu nennen: H. Bergson: Le rire. Essai sur la signification du comique. In : H. Bergson: Œuvres. Textes annotés par A. Robinet. Introduction par H. Gouhier. Paris 1959 [Le rire]. 5 Abgesehen von der Rabelais-Studie Bachtins sei hier noch auf eine weitere Schrift verwiesen, deren Verfasser das Lachen als Gruppenphänomen beschreibt: A. C. Zijderveld: Humor und Gesellschaft: Eine Soziologie des Humors und des Lachens. Aus dem Niederländischen übertragen von D. Zils. Graz, Wien, Köln 1976 [Zijderveld].

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4. Begriffliches: Komik – Lachen – Humor

dien. Die zu berücksichtigenden Meinungen haben sich also entscheidend vermehrt. Angesichts dieser Materialfülle stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse moderner Untersuchungen zur Erklärung zum Lachen reizender Momente in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit überhaupt herangezogen werden können. Läßt sich ein Phänomen, das in so großem Maße von Raum, Zeit und Individuum abhängig ist wie das Lachen mit Hilfe von Begrifflichkeiten beschreiben, die erst in unserer Zeit geprägt worden sind? Die Verfasser rezenter Studien oben genannter Fachbereiche interessieren sich mehrheitlich nicht für das Lachen per se. Dieser Bereich, das heißt die Erklärung des Lachens als physiologisches Phänomen, fällt heutzutage in die Zuständigkeit der Naturwissenschaftler, vor allem der Mediziner.6 Auch Bergson, der seine Abhandlungen zwar unter dem Titel Le rire zusammenfaßte, fragt in seinen Studien vielmehr danach, was den Menschen zum Lachen reizt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Lachen hervorbricht, als nach dem Lachen selbst. Dem Untersuchungsgegenstand entsprechend trägt das Werk den Untertitel Essai sur la signification du comique.7 Eben dieser Begriff comique = komisch wird nicht nur fach-, sondern vor allem umgangsprachlich verwendet, um die Qualität einer Situation (eines Bildes usw.) zu beschreiben, die den Menschen zum Lachen reizt. Oft genug hört man Sätze wie »Das sah so komisch aus, darüber mußte ich einfach lachen« oder »die Situation war so komisch, da konnte ich das Lachen nicht unterdrücken«. Ein Blick in einschlägige Lexika macht jedoch deutlich, daß es sich bei der Formulierung ›der Mensch lacht über Komisches‹ um eine Zirkeldefinition handelt. Denn die Aussage läßt sich auch in umgekehrter Richtung denken. Komisch ist, was »Lachen, (was) Heiterkeit erregt. [...]«8. Auf diesen Sachverhalt hatte bereits Müller-Freienfels eindringlich hingewiesen: [...] man übersieht, daß nicht das Komische das Lachen, sondern nur das Lachen das ›Komische‹ zu erklären vermag. Das Subjektive, das Lachen, ist das Primäre, die ob-

___________ 6 Diese fachliche Trennung setzte sich jedoch erst in der Neuzeit durch. Schon Demokrit und Aristoteles, Männer die wir heute gemeinhin als Philosophen bezeichnen, boten medizinisch-physiologische Erklärungsmodelle an. Descartes, ebenfalls Philosoph, aber mithin auch Universalgelehrter, versuchte sich noch im 17. Jahrhundert an einer physiologischen Erklärung des Lachens (Cf. Les passions, S. 173-175, Article 124: »Du rire«, Article 126: »Quelles sont ses principales causes«). 7 Erstaunlicherweise haben J. Franckenberger und W. Fränzel, die das Werk ins Deutsche übertrugen, auf diesen Zusatz verzichtet (Cf. H. Bergson: Das Lachen. Ins Deutsche übertragen von J. Franckenberger und W. Fränzel. Meisenheim am Glan 1948). 8 Wahrig, Lemma komisch. Ähnliche Definitonen geben auch Petit Robert »qui provoque le rire« (Lemma comique) und Zingarelli »che provoca divertimento, ilarità« (Lemma comico).

4. Begriffliches: Komik – Lachen – Humor

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jektiven Tatbestände erregen lachen nicht, weil sie an sich komisch sind, sondern weil sie lachen erregen, erscheinen sie komisch.9

Die Bezeichnung ›komisch‹ sagt also über den Grund des Lachens nichts aus. Des weiteren läßt sich aus der Präsenz des Lachens im Leben eines Menschen oder in einem literarischen Werk nicht notwendig folgern, daß dieses Lachen durch eine komische Situation – im traditionellen Sinn10 – ausgelöst wurde. Lachen bricht auch als Zeichen der Lebensfreude hervor oder als Ausweichverhalten in Momenten, in denen man – wie im Fall des Galgenhumors – lacht, um nicht zu weinen. Eine eins zu eins Zuordnung von Lachen und Komik ist also nicht möglich.11 Es gibt Lachen ohne ›Komik‹, das heißt ohne (ersichtlichen) Auslöser, aber keine Komik ohne Lachen.12 Im folgenden sollen beide Formen – das Lachen infolge einer ›klassischen‹ Lachen auslösenden Situation und das lebensbejahende Lachen – näher beleuchtet und die dazugehörigen theoretischen Ansätze präsentiert werden. Um die ›komische‹ Sackgasse zu verlassen, in die man durch die Aussage »man lacht über Komisches« geraten ist, bedarf es eines weiteren Elements, mit dessen Hilfe eine genauere Bestimmung des zum Lachen reizenden Moments möglich wird: X ist komisch für/wirkt komisch auf Y aufgrund von a (wobei X und Y Kommunikationspartner bezeichnen, a eine faktische Situation, die als komisch qualifiziert wird)13

Ließe sich diese Strukturformel auf jede beliebige Lachsituation anwenden, so würde dies auch die Erklärung zum Lachen reizender Momente in Werken ___________ 9

Müller-Freienfels, S. 13. Das heißt durch erprobte Versatzstücke, die in Komödien, Parodien usw. schon Generationen von Menschen zum Lachen gereizt haben. 11 Aus diesem Grund wurde der Ausdruck ›komisch‹ im Rahmen dieser Studie bisher vermieden und durch ›zum Lachen reizend‹; ›Lachen auslösend‹ usw. ersetzt. Im folgenden werden die Begriffe ›Komik‹, ›komisch‹ nur als literaturwissenschaftliche termini technici – etwa in der Wendung Komik der Heraufsetzung (s. u.) – verwendet. 12 Auf diesen oft vernachlässigten Sachverhalt hat E. Arend mit ihrer kürzlich erschienenen Studie Lachen und Komik in Boccaccios ›Decameron‹, Frankfurt a. M. 2004 [Arend] eindrücklich hingewiesen. Mit Bezug auf Plessners Definition des Lachens als Antwort in Grenzsituationen (Cf. S. 137) macht die Autorin die Notwendigkeit deutlich, im Rahmen literaturwissenschaftlicher Analysen die althergebrachte Verbindung Komik-Lachen aufzubrechen, und beide Sphären zwar aufeinander bezogen, aber dennoch getrennt zu untersuchen. Dieser Entscheidung zufolge beinhaltet ihre Schrift dann auch einen Abschnitt zum »Lachen im Decameron« (Kapitel III. 1. III. 5. 6, S. 169-241) sowie zur »Komik im Decameron« (Kapitel IV. 1-IV. 5, S. 255-415). 13 S. H. Schmidt: »Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele«, (Bemerkungen zum Begriff Komik) in: Preisendanz/Warning, S. 167-189, hier S. 168. Es ist jedoch ebenfalls möglich, daß sich X als Bild, Situation oder in sprachlicher Form manifestiert. Auch muß Y nicht unbedingt eine Einzelperson sein, sondern kann auch eine Gruppe oder die Menschheit im allgemeinen bezeichnen. 10

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4. Begriffliches: Komik – Lachen – Humor

antiker oder mittelalterlicher Literatur mit Hilfe der Ergebnisse moderner Studien rechtfertigen. Die Studien Freuds, Bergsons und Plessners sowie der Autoren der von Warning und Preisendanz zusammengestellten Arbeiten sind ebenso wie die Aussagen der ›Großen‹ der Antike darauf angelegt, die faktische Situation a zu erläutern. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Wie bereits in Kapitel 2. a) herausgearbeitet, weisen sowohl Aristoteles als auch Cicero darauf hin, daß getäuschte Erwartung zum Lachen reizt: (Aristoteles) Das bewirken auch Späße, die die Abfolge von Buchstaben verändern, denn sie täuschen die Erwartung.14

Anders formuliert: Die Veränderung der Abfolge von Buchstaben (X) wirkt komisch auf (Y)/grundsätzlich komisch, weil die Erwartung getäuscht wird (a)15. Die Wiederaufnahme des Gedankens durch Cicero: »Noster delectat error, ex quo, cum quasi decepti sumus expectatione ridemus«16 läßt sich gleichermaßen umwandeln: error noster (X) nos delectat (Y), cum quasi decepti sumus expectatione (a). Bergson erweitert den Moment des (Un)erwarteten als Lachen auslösenden Faktor noch durch die Qualität des plötzlichen Eintritts Est comique tout incident qui appelle notre attention sur le physique d’une personne alors que le moral est en cause. [...] D’où vient le comique de cette phrase d’oraison funèbre d’un philosophe allemand: »Il était vertueux et tout rond« De ce que notre attention est brusquement ramenée de l’âme sur le corps. 17

Auch hier läßt sich die Strukturformel anwenden: Le moment lorsque notre attention est ramenée de l’âme sur le corps (X) est comique pour nous (Y) parce que le passage d’un thème à l’autre est brusque et inattendu (a). Nachdem auch Kant in der Kritik der Urteilskraft das Lachen als »Affekt aus einer plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts«18 zu erklären suchte, wurde die getäuschte Erwartung oftmals zum Rettungsanker all derjenigen, die um Aufschluß in dieser Sache rangen. T. Lipps sah in ihr sogar den alleinigen Verursacher komischer Lust.19 Auf die Problematik dieser Annahme wurde ___________ 14

Rhet. II, 61412a. Das heißt das eigentlich Erwartete, die richtige Abfolge, tritt nicht ein. 16 De orat. II, 260. 17 Le rire, S. 411. Hervorhebung vom Autor. 18 I. Kant: Kritik der Urteilskraft. Hrsg. von W. Weischedel. Werkausgabe Bd. X, Frankfurt a. M. 21977, Anmerkung zu § 53 (= Akademie-Ausgabe § 549, S. 273). Im Original hervorgehoben. 19 »Vielmehr lag eben in der Enttäuschung der Erwartung, d. h. in dem Kontrast zwischen dem Erwarteten und dem relativen Nichts, das dafür eintrat, jederzeit der ganze Grund der Komik« (T. Lipps: Komik und Humor. Eine psychologisch-ästhetische Unter15

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bereits mehrfach hingewiesen.20 Betrachtet man den Ausdruck ›Erwartung‹ jedoch nicht temporal, also in bezug auf eine zu erwartende Abfolge von Ereignissen, und verzichtet darüber hinaus auf den Aufbau einer Erwartungshaltung, weil diese durch die geltenden Normen der Gesellschaft und das ›was üblicherweise so geschieht‹, bereits als gegeben verstanden wird, stellt man fest, daß sich auch solcherart Vorschläge unter dem Aspekt getäuschter Erwartung zusammenfassen lassen, die zunächst den Anschein haben, ein Gegenmodell darzustellen. Die bekannte These Bergsons, nach der der Mensch zum Lachen gereizt wird, wenn etwas ursprünglich und normalerweise Lebendiges mechanisch wirkt21, als unterliege es einem Automatismus – »du mécanique plaqué sur du vivant«22 – läßt sich in gewisser Weise ebenfalls als Lachen aufgrund von getäuschter Erwartung deuten: Aufgrund aller bisher gemachten Erfahrungen erwartet man Lebendiges lebendig zu erfahren. Präsentiert sich dieses hingegen starr, mechanisch, raide23, läuft eine derartige Erscheinung allen Erwartungen zuwider.24 Gleiches gilt für die Aussage Plessners, Lachen entstehe, wenn »wir mit einer Situation nicht fertig werden«, weil sie »anstößig, widersprechend, doppelsinnig ist«25. Auch hier schwingt die Kategorie des Unerwarteten mit: ___________ suchung. Leipzig 21922, S. 50/51). Lipps kommt zu diesem Ergebnis, nachdem er auf den ersten fünfzig Seiten seiner Studie die ihm bekannten Definitionsversuche des komischen Moments systematisch widerlegt hatte. Er faßt seine Gedanken im Kapitel »Die Erwartung« (S. 50-57) zusammen, dem auch oben angeführtes Zitat entnommen ist. 20 Cf. dazu Der Witz, S. 211 sowie meine diesbezüglichen Bemerkungen S. 58. 21 Cf. Le rire, S. 401; 403: »Les attitudes, gestes et mouvements du corps humain sont risibles dans l’exacte mesure où se corps nous fait penser à une simple mécanique [...] Là où il y a répétitions, similitude complète, nous soupçonnant du mécanique fonctionnant derrière le vivant«. 22 Le rire, S. 405. 23 Le rire, S. 391. 24 K. Stierle hat Bergsons starres Konzept, das durch die Mechanismus-Metapher zwar sehr einprägsam ist, sich aber gerade deshalb nur auf ein eingeschränktes Maß an Beispielen anwenden läßt, schließlich erweitert: »Objektive Voraussetzung für Komik ist, daß das Scheitern einer Handlung sinnfällig wird als Fremdbestimmtheit eines Handelns. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die durch ein plötzliches Moment der Störung zur Unhandlung gewordene Handlung dennoch den Schein der Handlung bewahrt, und zwar als einer abgelenkten oder fehlgerichteten« (K Stierle: »Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie«, in: Preisendanz/Warning, S. 237-268, hier S. 238/239). Um diese sehr abstrakt anmutende Erklärung des Lachen auslösenden Mechanismus ›mit Leben zu füllen‹, erläutert Stierle diese anhand des Stummfilms Modern Times: Der Hauptdarsteller Charlie Chaplin arbeitet den ganzen Tag am Fließband, wo er stets dieselbe Handbewegung zu machen hat. Wenn er nach Feierabend eben diese Bewegung weiterhin und ohne das zugehörige Material ausführt, reizt diese offenkundige Fremdbestimmung, der er sich für ein paar Stunden entronnen wähnte, zum Lachen (Cf. S. 239). 25 Lachen und Weinen, S. 121. An anderer Stelle gibt er eine (unschädliche) Normwidrigkeit als Auslöser des Lachens an (S. 118).

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Man empfindet etwas als »anstößig, widersprechend« oder »doppelsinnig«, weil es den geltenden Vorstellungen entgegen aller Erwartungen nicht entspricht.26 Dies ist jedoch nicht die einzige Parallele zwischen den Ideen der Alten und den rezenten Modellen. Bereits Cicero hatte als Voraussetzung jeglicher zum Lachen reizender Rede die Qualität des non turpiter27 hervorgehoben und damit die Richtigkeit des aristotelischen Postulats der Unschädlichkeit28 bestätigt. Diese Tradition führt Bergson fort, wenn er davon ausgeht, daß man nur über etwas lachen kann, was ›nicht so schlimm‹ ist, bzw. für den Augenblick nicht so erscheint: Je ne veux pas dire que nous ne puissions rire d’une personne qui nous inspire de la pitié par exemple, ou même de l’affection : seulement alors, pour quelque instants il faudra oublier cette affection, faire taire cette pitié. […] Le comique exige donc enfin, pour produire tout son effet, quelque chose comme une anesthésie momentanée du cœur.29

Da die oben angeführten Beispiele sich weitestgehend auf das Verlachen Dritter beziehen, kommt in diesen Fällen stets die Kategorie des aptum zum Tragen, die besonders der römische Orator zu beachten hatte. Aber auch im zwischenmenschlichen Bereich unserer Tage ist die Unschädlichkeit quasi Voraussetzung für jedes Lachen über andere Personen, sollen diese nicht unangemessen verletzt werden. Im Modell Plessners hingegen ist die Frage nach der situativen Angemessenheit des Lachens zunächst nebensächlich. Auch er sieht die Möglichkeit, eine Situation mit Lachen zu quittieren, nur gegeben, wenn diese ungefährlich ist, und liegt dementsprechend auf einer Linie mit Aristoteles, Cicero und Bergson: »Unbeantwortbare nicht bedrohende Lagen dagegen erregen Lachen oder Weinen.«30 Um die Qualität des »nicht Bedrohenden« fassen zu können, bedarf es zunächst einer Klärung der Kategorie des »Unbeantwortbaren«. Vereinfacht ausgedrückt ist eine Situation unbeantwortbar, wenn es dem Menschen nicht gelingt, mit dem ihm zur Verfügung stehenden Repertoire an gestischen, mimischen oder sprachlichen Ausdrucksmitteln adäquat auf sie zu reagieren.31 ___________ 26 Die Stellung der Erwartungsdurchbrechung als zwar entscheidender, aber durchaus nicht alleiniger Lachen auslösender Faktor hatte wohl bereits Cicero erkannt. Wohl um die Grundsätzlichkeit der Feststellung hervorzuheben, läßt er Caesar Strabo das Lachen aus getäuschter Erwartung gleich zweimal in ähnlicher Formulierung erwähnen (Cf. De orat. II, 260, 284). 27 De orat. II, 336. 28 Cf. Poetik 5; 1449b. 29 Le rire, S. 388; 389. 30 Lachen und Weinen, S. 89. Hervorhebungen vom Autor. 31 Cf. Lachen und Weinen, S. 85f. Das Lachen, das in einer solchen unbeantwortbaren Situation hervorbricht, entspricht nicht notwendig dem Lachen infolge einer der be-

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Wird diese Ausgangslage durch den Aspekt des Bedrohlichen32 angereichert, sind Schwindel und leib-seelische Probleme die Folgen.33 Demgegenüber steht die nicht bedrohende – unschädliche – Situation, in der sich das Lachen (oder das Weinen) als einziger Ausweg anbietet: Unbeantwortbare und nicht bedrohende Lagen dagegen erregen Lachen oder Weinen. Der Mensch kapituliert als Leib-Seele Einheit, d. h. als Lebewesen, er verliert das Verhältnis zu seiner physischen Existenz, aber er kapituiert nicht als Person. Er verliert nicht den Kopf. Auf die unbeantwortbare Lage findet er gleichwohl – kraft seiner exzentrischen Position, durch die er in keiner Lage aufgeht – die einzig mögliche Antwort: von ihr Abstand zu nehmen und sich zu lösen. Der außer Verhältnis zu ihm geratene Körper übernimmt für ihn die Antwort, nicht mehr als Instrument von Handlung, Sprache, Geste, Gebärde, sondern als Körper im Verlust der Herrschaft über ihn, im Verzicht auf ein Verhältnis zu ihm bezeugt der Mensch noch sein souveränes Verständnis des Unverstehbaren, noch seine Macht in der Ohnmacht, noch seine Freiheit und Größe im Zwang. [...] Er weiß auch da noch eine Antwort zu geben, wo es nichts mehr zu antworten gibt. Er hat, wenn auch nicht das letzte Wort, so doch die letzte Karte im Spiel.34

Diese Beispiele zeigen, daß das aristotelische Modell noch immer Gültigkeit besitzt und von Theoretikern mit so unterschiedlichen Ausrichtungen wie Bergson und Plessner gleichermaßen anerkannt wird. Neben dieser grundsätzlichen Übereinstimmung zeigen sich des weiteren vor allem strukturelle Parallelen. Antike Werke unterscheiden sich von modernen Studien vornehmlich durch ihre Spannweite. So agiert Cicero zum Beispiel überwiegend auf dem Feld der Rhetorik. Seine Aussagen sollen dem Orator eine Hilfe sein, eine Rede durch den Einsatz zum Lachen reizender Elemente interessanter zu gestalten. Moderne Studien sind meist weit weniger praktisch orientiert. Den Verfassern geht es um eine grundsätzliche Klärung der Frage, was den Menschen zum Lachen reizt. Zu diesem Zweck benötigen sie Beweismaterial aus allen Bereichen menschlichen Lebens. Das Fachgebiet Ciceros – die Möglichkeiten, durch virtuosen Umgang mit Sprachmaterial, Lachen zu erregen – ist dementsprechend selbstverständlicher Teil des zu analysierenden Korpus, aber eben nur ein Teil. Und nicht nur das: Die von Cicero im De oratore ___________ kannten und erprobten Lachen hervorrufenden Momente. Es könnte sich hier ebenso um ein Lachen aus Verlegenheit handeln. 32 Dabei kann es sich, auch wenn Plessner dies an keiner Stelle explizit sagt, auch um die Bedrohung eines Dritten handeln. In diesem Fall spielt die Frage der Angemessenheit dann erneut eine Rolle. 33 Lachen und Weinen, S.88/89: »Unbeantwortbare und zugleich bedrohende Lagen erregen Schwindel. Der Mensch kapituliert als Person, er verliert den Kopf. Symptome, die vom Drehschwindel her bekannt sind, wie Schweißausbruch, Übelkeit, Erbrechen und Ohnmacht, können wie bekannt in gleichen Existenzkrisen höherer Ordnung auftreten.« Hervorhebungen vom Autor. 34 Lachen und Weinen, S. 89. Hervorhebungen vom Autor.

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festgeschriebene Unterscheidung von cavillatio und dicacitas35 spiegelt sich in den modernen Werken durchaus wider. Das zweite Kapitel der Abhandlung von Bergson ist in zwei Abschnitte untergliedert: comique de situation und comique de mots.36 Betrachtet man die darin behandelten Themen, wird deutlich, daß es sich hier letztlich um die Trennung von cavillatio und dicacitas handelt. Auch Plessner37 wendet sich beiden Kategorien zu. Freud beschäftigt sich in seinem Werk vornehmlich mit dem Witz. Hier ist es stets die Pointe, die »peracutum et breve« zum Lachen reizt und dementsprechend der ciceronianischen dicacitas gleichkommt.38 Daß die untersuchten faktischen Situationen in allen Fällen sehr ähnlich sind, zeigt die Darstellung:

___________ 35

Cf. Kapitel 2. a), S. 54ff. Cf. Le rire, chapitre II, comique de situation (S. 418-436); comique de mots (S. 436-449). Auch die im dritten Kapitel vorgestellte comique de caractère (S. 450-479) läßt sich gewissermaßen der cavillatio zuordnen. Diese Spannweite der Untersuchung erklärt die Auswahl des Werks für die unten vorgenommene Gegenüberstellung. Gleiches gilt für das Werk Plessners. Freuds Untersuchung über den Witz wurde aufgenommen, da sich der Autor in dieser in ähnlich minutiöser Weise mit den Formen der cavillatio auseinandersetzt wie vor ihm der Römer. 37 Cf. Lachen und Weinen, Kapitel III: Anlässe des Lachens, Abschnitt 3: Komik – cavillatio (S. 106-123); Abschnitt 4: Witz – dicacitas (S. 123-144). 38 Auch wenn Freud aufgrund seines psychoanalytischen Erklärungsansatzes den Witz als Auslöser des Lachens streng von anderen möglichen Ursachen (Situation, Charaktere usw.) trennen möchte, sieht er die Quelle der Lust, die uns über einen Witz lachen läßt, im Wegfall des »im Vergleich zum psychischen Gesamtaufwand« zwar geringen, aber sonst stets nötigen »psychischen Hemmungsaufwand« (Der Witz, S. 170/171). Er kommt dennoch nicht umhin einzugestehen, daß ihm die gewünschte Abgrenzung zur ›althergebrachten Komik‹ unmöglich ist: »So verlockend es wäre, diesen intimeren Bedingtheiten des komischen Lustgewinns nachzuspüren, so muß doch der Autor sich vorhalten, daß weder seine Vorbildung noch sein täglicher Beruf ihn berechtigen, seine Untersuchungen weit hinaus über die Sphäre des Witzes zu erstrecken, und darf eingestehen, daß gerade das Thema der komischen Vergleichung ihn seine Inkompetenz fühlbar macht. Wir lassen uns also gerne daran mahnen, daß viele Autoren die scharfe begriffliche und sachliche Scheidung zwischen Witz und Komik nicht anerkennen, zu der wir uns veranlaßt sahen, und daß diese den Witz einfach das ›Komische der Rede‹ oder ›der Worte‹ hinstellen.« (Der Witz, S. 224). 36

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Bergson: Le rire (1900) On obtient un effet comqiue quand on affecte d’entendre une expression au propre alors qu’elle était employé au figuré. Parler de petites choses comme si elles étaient grandes, c’est d’une manière générale, exagérer. L’exagération est comique quand elle est prolongée et surtout quand elle est systématique.39 Cicero: De oratore (55 v. Chr.) Etenim cum duo genera sint facetiarum [...] alterum peracutum et breve [...] haec altera dicacitas nominata est. Sed scitis esse notissimum ridiculi genus, cum aliquid expectamus, aliud dicitur: hic nobismet ipsi noster error risum movet quod si admixtum est etiam ambiguum, fit salsius. Est etiam in verbo positum non insulsum genus ex eo, cum ad verbum, non ad sententiam rem accipere videare.

Freud: Der Witz und seine Beziehungen zum Unbewußten (1905) Wenn wir uns nun in die Mannigfaltigkeit der ›mehrfachen Verwendung‹ desselben Wortes noch weiter einlassen, so merken wir mit einem Male, daß wir Formen von ›Doppelsinn‹ oder ›Wortspiel‹ vor uns haben. Wir haben nun bereits an zwei Beispielen erfahren, daß die Witzarbeit sich der Abweichungen vom normalen Denken, der Verschiebung und des Widersinnes, als technischer Mittel zur Herstellung des witzigen Ausdrucks bedient.41

Etiam illa, quae minuendi aut augendi causa ad incredibilem admirationem efferentur. Acutum etiam illud est, cum, ex alterius oratione aliud excipias atque vult.40 Plessner: Lachen und Weinen (1941) Zu verstehen geben im Modus des Anspielens kraft einer Mehrdeutigkeit, die auf sehr unterschiedliche Weise erreicht werden kann.

___________ 39 Le rire, S. 441/442; 446. Hervorhebungen vom Autor. Bergson bietet anschließend Beispiele an, die der Illustration seiner Bemerkungen dienen. 40 De orat. II, 218; 255, 259; 267, 273 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in verbis 5, 11; dicacitas in rebus 5, 9). 41 Der Witz, S. 51, 75. Die dazugehörigen Beispiele finden sich auf den Seiten 52ff und 65ff. Hervorhebungen vom Autor.

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4. Begriffliches: Komik – Lachen – Humor Deshalb von jeher die Einsicht, daß die Essenz des Witzes in der Kürze, im Einfall, in der blitzartigen Erhellung, in der überraschenden Entdeckung, in der plötzlichen Verbindung einander fremder Elemente liege.42

Auch wenn diese Gegenüberstellung in keiner Weise vollständig ist, wird deutlich, daß die Frage nach möglichen Gründen des Lachens gestern wie heute auf ähnliche Weise beantwortet wurde. Dabei werden keine konkreten Auslöser des Lachens angeführt, sondern allgemeingültige Kriterien definiert. Ob diese letztlich auf deutsches, französisches oder lateinisches Sprachmaterial angewandt werden, ist einerlei. Gleiches gilt auf dem Gebiet der cavillatio. Ob Gaukler beim Saturnalienfest oder moderner Straßenkünstler in der Fußgängerzone: die Methoden, mit denen der eine wie der andere die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen versucht, sind quasi identisch. Launige Reden hier wie da, Spott, aber auch parodierendes Nachahmen und Grimassenschneiden. Die Mechanismen sind die gleichen, verändert haben sich Personen oder Sachverhalte, die Gegenstand der Vorstellung waren. Die hier vorgestellten Beispiele beziehen ihr zum Lachen reizendes Potential mehrheitlich aus einem Vergleich. Stets ist es die Diskrepanz zwischen dem Üblichen – Erwarteteten – und der eingetreteten Realität, die Lachen hervorruft.43 Zur Kennzeichnung dieser Art des Lachen auslösenden Moments und in Abgrenzung zum Lachen aus ›purer Lebensfreude‹ hat es sich im Rahmen literaturwissenschaftlicher Analyse eingebürgert, in diesem Fall von Kontrastkomik bzw. Komik der Gegenbildlichkeit zu sprechen.44 Darüber hinaus ist der Terminus »Komik der Herabsetzung«45 geläufig, dem im folgenden der Vorzug gegeben wird, da sich durch die Parallelbildung »Komik der Heraufsetzung«46 auch ein Terminus zur Charakterisierung der Momente anbietet, in denen Lachen aus Freude am Dasein hervorbricht.

___________ 42

Lachen und Weinen, S. 129/130. Dieser implizit nötige Vergleich führt dazu, daß man Scherze und Witze nicht versteht, wenn aufgrund mangelnden Vorwissens keine Diskrepanz zwischen Vorstellung und Realität festgestellt werden kann. 44 Cf. H. R. Jauß: »Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden«, in: Preisendanz/Warning, S. 103-132, hier S. 105 [Jauß, in: Preisendanz/Warning]. 45 Jauß, in: Preisendanz/Warning, S. 104. 46 Jauß, in: Preisendanz/Warning, S. 104. 43

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Jauß definiert Komik der Herabsetzung als »Herabsetzung eines heroischen Ideals in seine Gegenbildlichkeit«47. In bezug auf den zum Lachen reizenden Helden eines Theaterstücks, der sich erst im Laufe der Zeit durch diverse Mißgeschicke als Träger der Lachen auslösenden Handlung offenbart, scheint die Wahl dieses Terminus’ nachvollziehbar. Um jedoch Verwechslung, Verkleidung und Nachahmung, sowie alle Formen des Wortwitzes als Beispiele für Herabsetzungskomik ansehen zu können, ist es nötig, den Begriff des »heroischen« Ideals mit fortgesetzter Gradlinigkeit zu übersetzen. Gegenbildlichkeit manifestiert sich dementsprechend in einem plötzlichen, unerwarteten Richtungswechsel. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: Sowohl die Komödienfigur des Dieners, der in der Jacke seines Herren dessen Geliebte verführt, als auch der Nachahmer eines Ticks oder der üblicherweise Mundfaule, der durch eine schlagfertige Antwort überrascht, lösen Lachen aus, in dem sie bei einem Dritten die Erkenntnis befördern, daß zwischen erwarteter Wirklichkeit und Realität eklatante Unterschiede vorliegen.48 Das Lachen infolge derartiger Kontrastmomente ist somit oft ein Verlachen, das andere verletzen kann.49 »Komik der Heraufsetzung« hingegen basiert nicht auf Einzelsituationen. Grundlage des Lachens ist hier die menschliche Natur, das Dasein: Der Mensch freut sich seines Lebens. Dies geschieht jedoch nicht auf Kosten anderer, es ist kein Lachen über, sondern mit anderen. Jauß sieht den Grund dieses Lachens in der »Heraufsetzung des materiell Leiblichen der menschlichen Natur«.50 Erneut scheinen Erläuterungen – besonders hinsichtlich der Natur des materiell Leiblichen – angebracht. Schaltet man heutzutage zu nachmittäglicher Stunde den Fernseher ein, erwischt man mit ziemlicher Sicherheit eine der zahlreichen Talkshows, deren Gäste vor laufender Kamera über ihre sexuellen Probleme in der Partnerschaft berichten; auf den Titelseiten zahlreicher Illustrierter prangen nackte Körper schöner Menschen beiderlei Geschlechts. Die Dar- und Zur-Schaustellung des menschlichen Körpers erscheint in der modernen Gesellschaft von jedem Tabu befreit, ja es geht sogar so weit, daß man der Prüderie bezichtigt wird, wenn man Qualität oder Quantität derartiger Illustrationen und Themen negativ bewertet. ___________ 47

Jauß, in: Preisendanz/Warning, S. 104. Auf diesem Prinzip beruht auch die Parodie. Hier ist es der Unterschied zwischen parodiertem Original und neu entwickelten Text, der Lachen auslöst. Auch der Erfolg des horazischen Diktums vom »ridentem dicere verum« beruht auf diesem Modell. 49 Natürlich können solche Diskrepanzen auch in Hinblick auf das eigene Verhalten empfunden werden: Wie konnte ich nur als einzige im kurzen Kleid erscheinen, obwohl sogar auf der Einladungskarte ›lange Abendgarderobe erbeten‹ vermerkt war? In diesem Fall verlacht man sich selbst, was die evtl. verletzende Wirkung mindert. 50 Jauß, in: Preisendanz/Warning, S. 104. 48

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Auch wenn Scherze erotischen oder sexuellen Inhalts sicher den einen oder anderen zum Lachen bringen, berechtigen diese Lacherfolge, besonders vor dem Hintergrund oben angestellter Überlegungen, nicht dazu, hier einen anderen Auslöser des Lachens zu benennen als den Kontrast mit eigenen Erfahrungen. Es erscheint also sinnvoll, den Bereich des materiell Leiblichen weiter zu fassen. Zeugungsakt, Geburtsvorgang, und Ausscheidungen sind ebenso wie Krankheit und Tod auch in unserer Zeit noch mit einem Tabu belegt. Während letztere aufgrund der oft negativen Folgen für alle Beteiligten so gut es geht verdrängt werden, sind Zeugungsakt, Geburtsvorgang und Aussscheidungen ›unschädlich‹51 und können deshalb zum Gegenstand des Lachens werden. Beide verweisen den Menschen auf seine Triebhaftigkeit und Körperlichkeit und sind ihm – dem animal rationale – deshalb unangenehm. In außergewöhnlichen Situationen, wie beispielsweise bei einer lizensierten Tabuverletzung in froher Runde, tritt die Freude am Mensch-Sein bei allen Anwesenden gleichermaßen zu Tage: sie lachen miteinander. Lachen aufgrund der »Komik der Heraufsetzung« entsteht ›aus dem Bauch heraus‹, es ist aus der Situation nicht zu erklären, sondern nur als Folge allgemein menschlicher Disposition.52 Die hier vorgestellten Grundformen des Lachen auslösenden Moments53 – der Komik – werden und wurden von den Autoren aller Epochen in ihre Werke integriert, um auf diese Weise den Leser zum Lachen zu bringen und den Erfolg der Schriften zu sichern. Wurde das Lachen aufgrund einer Gegenbildlichkeit im Rahmen dieser Studie schon wiederholt angesprochen, so fand das Lachen infolge der »Komik der Heraufsetzung« nur in Hinblick auf die lizensierten Tabuverletzungen des Karnevals indirekte Erwähnung. In der Tat ist es erneut vorrangig der Studie Bachtins und seiner Überlegungen zum Ursprung des ___________ 51

Zeugungsakt und Geburtsvorgang haben sogar meist positive Folgen. Selbstverständlich können auch Krankheit und Tod zum Gegenstand der »Komik der Heraufsetzung« werden, denn auch sie betreffen den Menschen in seiner Leiblichkeit. Stärker noch als in bezug auf Zeugung und Geburt hängt die Lachbereitschaft des Einzelnen hier von persönlichen Erfahrungen ab. Wer einen nahestehenden Menschen nach langer Krankheit verloren hat, wird über Scherze, die mit den Grenzen von Leben und Tod spielen, schwerlich lachen können. Andere hingegen, die noch keine diesbezüglichen Erfahrungen gemacht haben, lachen unbedarft, denn der eigene Tod ist ja weit weg... 53 Es sei jedoch an dieser Stelle darauf hingeweisen, daß sich auch mit Hilfe dieser Kategorien nicht alle Lachanlässe hinreichend erklären lassen. So beruht zum Beispiel das Lachen aus purer Lebensfreude, wie es zu Beginn des dritten Kapitels am Beispiel der Bauersfrau gezeigt wurde, weder auf der Erkenntnis einer Diskrepanz zwischen Realität und Vorstellung (Es sei denn, man vergleicht die Bewegungen der Tiere mit denen der Menschen (Cf. Le rire, S. 388)), noch auf einer Tabuverletzung. Auch der Plessnersche Ansatz der Grenzerfahrung greift hier nicht. Es bedarf in diesem Fall also weiterer Untersuchungen in bezug auf die Physiologie des Lachens, die dem Wirken von Neurotransmittern nachgehen. 52

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Karnevals zu verdanken, daß diese zweite Form des Lachen auslösenden Moments in den Fokus literaturwissenschaftlichen Interesses gelangte.54 Für den russischen Forscher waren die Tage des Karnevals der priviligierte Zeitraum, um der Leibfeindlichkeit der Kirche die Freude am irdischen Dasein, am menschlichen Körper, entgegenzustellen: Der Einzelne empfindet auf dem Festplatz, in der Karnevalsmenge, wenn er mit fremden Körpern aller Altersstufen und sozialen Schichten in Berührung kommt, die Kontinuität des Lebens. Dort fühlt er sich als Teil des ewig wachsenden und sich erneuernden Volkes. Daher besiegt das volkstümlich-festliche Lachen nicht nur die überirdischen Schrecken, die Angst vor dem Heiligen und dem Tod, sondern auch die Angst vor jeder Macht überhaupt [...]55

Garant dieser Kontinuität ist der menschliche Körper der nie fertig und abgeschlossen (ist), immer im Entstehen begriffen und selbst stets einen weiteren Körper erzeugt; er verschlingt die Welt und läßt sich von ihr verschlingen [...]. Deshalb spielen jene seiner Teile, in denen er über sich selbst, über die eigenen Grenzen hinauswächst und einen neuen zweiten Körper produziert, eine besondere Rolle: der Bauch und der Phallus. Sie bilden das Zentrum des grotesken Körpers und genau sie werden zum Gegenstand positiver Übertreibung. Sie können sich sogar vom Körper trennen, ein selbständiges Leben führen, denn sie verdrängen den Restkörper als etwas zweitrangiges (besonders leicht löst sich die Nase vom Körper). Die nächstwichtige Rolle nach dem Bauch und den Geschlechtsorganen nimmt für den grotesken Körper der Mund ein, der die Welt verschluckt, und dann der Hintern, denn all diese Ausstülpungen und Öffnungen, zeichnen sich dadurch aus, daß an ihnen die Grenze zwischen zwei Körpern oder Körper und Welt überwunden wird.56

Es ist offensichtlich, daß die von Bachtin hervorgehobenen Körperteile in alle »Akte des Körperdramas – Essen, Trinken, Verdauung [...] Beischlaf, Schwangerschaft, Entbindung, Wachstum, Alter, Krankheiten, Tod [...]«57 involviert sind, und daß diese eben jenen entsprechen, die damals wie heute mit einem Tabu belegt sind. In Zeiten ausgelassenen Feierns fallen derartige Grenzen, und die Menschen können sich ungehemmt ihres Mensch-Seins freuen.

___________ 54

Cf. dazu B. Teuber: Sprache – Körper – Traum. Zur karnevalesken Tradition in der romanischen Literatur aus früher Neuzeit. Tübingen 1989, insbesondere S. 129ff. 55 Bachtin, S. 141/142. Der russische Forscher deutet das Lachen hier als Gruppenphänomen, ein Standpunkt den nach ihm auch Bergon »Notre rire est toujours le rire d’un groupe. Le rire cache une arrière-pensée d’entente, je dirais presque de complicité, avec d’autres rieurs, réels ou imaginaires« (Le rire, S. 390) sowie Zijderveld (S. 185: »In vielen Fällen markieren der Humor und das Lachen die Grenzen einer Gruppe [...]«) und Müller-Freienfels (S. 27) vertreten haben. 56 Bachtin, S. 358/359. Hervorhebungen vom Autor. 57 Bachtin, S. 359. Hervorhebungen vom Autor.

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Wichtiger als die Frage, ob das Körperliche, wie Bachtin es beschreibt, tatsächlich im Mittelpunkt europäischer Karnevalstradition steht58, erscheint es in unserem Zusammenhang, den Begriff »grotesker Körper« bzw. grundsätzlich ›grotesk‹ zu erhellen. Einsprachige Lexika bieten unter dem Lemma grotesk/grotesque/grottesco eine Fülle von Wortbedeutungen an, deren semantische Spannweite auf den ersten Blick erstaunt59: Im allgemeinen Sprachgebrauch wird ›grotesk‹ im Deutschen ebenso wie im Französischen und Italienischen oft zur Bezeichnung von etwas sehr Außergewöhnlichen verwendet: Kennzeichen einer grotesken Situation oder Darstellung ist das nie Dagewesene, das außerhalb aller Normen liegt, aber dennoch nicht bedrohlich wirkt, sondern auf seine Weise zum Lachen reizt. Die Erläuterung des Wortes als Beschreibung für »ciò che è ridiculo per stranezza, bizzaria, difformità o goffagine«60 erscheint angemessen. Überraschend ist hingegen die weitaus weniger geläufige Begriffsbestimmung des dazugehörigen Substantivs61: »tipo di ornamento cappricioso con foglie, fiori, frutti e sim.«62, zumal diese die ›ursprünglichere‹ ist. Die ersten ›Grotesken‹ waren nämlich eben solche phantastischen Malereien und Ornamente, die Menschen-, Tier- und Pflanzenformen vereinten, sie verzerrten und in bisher unbekannter Weise darboten. Man hatte diese im Jahre 1480 in der Domus Aurea entdeckt.63 Da man sie keiner damals gültigen ästhetischen Kategorie zuzuordnen wußte, rettete man sich aus dieser Verlegenheit, ___________ 58 Dieses Problem wurde seit dem Erscheinen des bachtinschen Werkes immer wieder kontrovers diskutiert. Eine Übersicht über die gängigen Forschermeinungen geben Stollmann, S. 104f sowie Minois, S. 143ff. Auch wenn die Zentralität, die Bachtin dem Phänomen der ›überbordenenden Leiblichkeit‹ beimißt, sicher zu diskutieren wäre, zumal sie im Rahmen eines ohnehin zweifelhaften Karnevalsmodell verortet ist, läßt sich die Bedeutung des von allen Tabus bereinigten Körpers als Gegenstand des Lachens wohl kaum leugnen. Wie sich zeigen wird, dient dieser auch im Decameron dazu, die brigata – und somit auch den Leser – zum Lachen zu reizen. 59 Cf. Wahrig, Petit Robert, Zingarelli, Lemma: grotesk/grotesque/grottesco. 60 Zingarelli, Lemma: grottesco. Dementsprechend im Petit Robert, Lemma grotesque: »risible par son apparence, bizzare, caricaturale, burlesque, extravagant [...] Qui prête à rire par l’excès […]« und im Wahrig: »derbkomisch, komisch- verzerrt, lächerlich überspannt.« 61 Dies ist im Italienischen und Französischen Homonym des jeweiligen Adjektivs und dementsprechend unter dem gleichen Lemma notiert. 62 Zingarelli, Lemma: grottesco, entsprechend Petit Robert, Lemma grotesque: »ornements fantastiques […], figures fantastiques, caricaturales«. sowie Wahrig, Lemma Groteske: »Rankenornament […] mit menschlichen tierischen, pflanzlichen Darstellungen« Zu weiteren Bedeutungen, etwa im Bereich des Tanzes und der Schauspielerei cf. die entsprechenden Lemmata der angegebenen Nachschlagewerke. 63 Cf. G. Lugli: La Domus aurea e le terme di Traiano. Rom 1969, S. 11f [Lugli]. Abbildungen der Domus Aurea Grotesken finden sich auf S. 22/23 der Publikation Luglis (Abb. 7; 9)).

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indem man sie kurzerhand nach ihrem Fundort – den grotte64 – benannte: grottesche.65 Begeistert von den neuen Gestaltungsmöglichkeiten und Motiven, die sich in hohem Maße von den schlichten, bis dato bekannten antiken Formen unterschieden,66 begannen die Künstler des Renaissancezeitalters die Ornamente der grotte67 zunächst zu imitieren um sich schließlich von der Vorlage zu emanzipieren und selbst schöpferisch tätig zu werden.68 Entgegen der oft geäußerten Meinung, »die Renaissance versuch(t)e das Groteske durch Marginali___________ 64

Zwar handelte es sich bei der Fundstätte keinesfalls um natürliche Höhlen, dennoch wurden die Räume des ehemaligen Palastes Kaiser Neros gemeinhin so genannt, da sie im Laufe der Jahre und in Folge der auf ihnen ruhenden Lasten immer tiefer in die Erde gesunken waren (Cf. Lugli, S. 14; 20). Der negativ besetzte Begriff grotte mag darüber hinaus auf den zweifelhaften Ruf des ehemaligen Hausherrn anspielen, der vor allem durch Suetons Nerobiographie (G. Suetonius T.: Kaiserbiographien/De Vitae caesarum. Lt./dt. von O. Wittstock. Mit 16 Tabellen. Berlin 1993, z. B. VI, 26, I »petulantiam, libidinem, luxuriam, avaritiam, crudelitatem sensim quidem primo et occulte et velut iuvenili errore exercuit, sed ut tunc quoque dubium nemini foret naturae illa vitia, no aetatis esse.«) und die Annalen des Tacitus (P. C Tacitus: Annales. Lt./dt. Hrsg. von E. Heller. Mit einer Einführung von M. Fuhrmann. Darmstadt 31997, z. B. XIII, 25, 1: »Q. Volusio P. Scipione consulibus otium foris, foeda domi lascivia, qua Nero itinera urbis et lupinaria et deverticula veste servili in dissimulationem sui compositus pererabat«) weit verbreitet war. 65 Cf. P. Knaak: Über den Gebrauch des Wortes »grotesque«. Greifswald 1913, S. 9ff. Der Autor zeichnet hier die Entwicklung von grottesco einschließlich seiner Derivationen in verschiedenen Sprachen nach. Auf die Entdeckung der Gewölbedekorationen der Domus Aurea als begriffsbildenden Faktor verweisen auch die Einträge in einschlägigen etymologischen Wörterbüchern. 66 Zeigte sich die Orientierung am antiken Vorbild bisher vor allem in einer »Gliederung in wohlproportionierte, in ausgewogenenem Verhältnis zueinander geordnete und für das Auge meßbare Flächen« (C. Wetzel (Hrsg.): Belser Stilgeschichte. Studienausgabe in drei Bänden. Stuttgart 1998, hier Bd. III (Neuzeit), S. 57), so eröffneten die Dekorationen des Neropalastes den Künstlern eine weitere Möglichkeit, die Kunstformen des Altertums zu imitieren und weiterzuentwickeln. Einen Überblick über die zur Zeit der Entdeckung der Domus Aurea gängigen Formen gibt Wetzel, insbesondere auf den Seiten 11-79 seiner Stilgeschichte (Bd. III). 67 Selbstverständlich waren derartige Ornamente nicht nur in der Domus Aurea zu finden, sondern auch in zahlreichen anderen Palasträumen, an Häuserfassaden usw, die bei archäologischen Grabungen entdeckt wurden (Cf. P. Morel: Les grotesques. Les figures de l’imaginaire dans la peinture italienne de la fin de la Renaissance. Paris 1997, S. 24/25 [Morel]). Auch wenn die Verbreitung derartiger Dekorationen darauf schließen läßt, daß diese sich einer gewissen Beliebtheit erfreuten, wurden sie oft sowohl in malerischer und archiktonischer als auch in literarischer Ausgestaltung verworfen. So bewertet sie beispielsweise Horaz äußerst negativ: »Humano capiti cervicem pictor equinam/iungere si velit et varias inducere plumas/undique conlatis membris, ut turpiter atrum/desinat in piscem mulier formos superne,/spectatum admissi risum teneatis amici? Credite, Pisones, isti tabulae fore librum/persimilem, cuius velut aegri somnia, vanae/fingentur species, ut nec pes nec caput uni reddatur formae.«; Epistulae II, 3: A Pisones (genannt De arte poetica), 1-8. 68 Morel, S. 24 und passim.

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sierung zu umgehen«69, zeigt D. Scholl in ihrer kürzlich erschienenen Studie: Von den »Grottesken« zum Grotesken70 die Bedeutung des Grotesken als ParaÄsthetik auf und zeichnet anhand von zeitgenössischen kunsttheoretischen Traktaten und Werken der Schönen Literatur der Epoche71 die Entwicklung nach, die schließlich zur Konstituierung einer Poetik des Grotesken führte. Diese lag jedoch nicht – wie im Fall der Dramenpoetik – als zu konsultierendes Regelwerk vor, sondern existierte vielmehr in Form von bestimmten Vorstellungen in den Köpfen der damit Beschäftigten. Der Grund für diese Situation, die wohl auch dafür verantwortlich ist, daß es bisher nicht gelungen ist, eine allgemein anerkannte Definition des Grotesken zu entwickeln, liegt in der Natur des Gegenstands selbst begründet: Ein Charakteristikum – wenn nicht das Hauptcharakteristikum – des Grotesken besteht darin, Verbindungen nicht nur mit sämtlichen Künsten, sondern innerhalb dieser, mit allen möglichen Gattungen, Diskursen und anderen kulturellen Ausdrucksformen einzugehen. Das Groteske kann als eine [...] konstante ästhetische Kategorie angesehen werden, deren Verhältnis zur dominanten Ästhetik einer Epoche oder zu unterschiedlichen Konstellationen innerhalb einer Epoche mal oppositionell [...] mal affirmativ [...] sein kann. [...] Daher ist es sinnvoll, das Groteske als ein transhistorisches Konzept zu betrachten, das jedoch sowohl epochenspezifisch, als auch gat-

___________ 69 E. Rosen: Beitrag »Grotesk«, in: K. Barck e. a.: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Frankfurt a. M. 2001, Bd. II, S. 876-900, hier S. 877 [Rosen, in: Barck e. a.]. 70 D. Scholl: Von den »Grottesken« zum Grotesken. Die Konstituierung einer Poetik des Grotesken in der italienischen Renaissance. Münster 2004 [Scholl]. Der sehr umfangreiche Bildteil vermittelt einen Eindruck der Formenvielfalt, die mit dem Ausdruck ›grotesk‹ verbunden werden kann. Weitere Abbildungen bei Morel. 71 Während Vasari wohl der erste war, der den Begriff grottesche als Gattungsname auf dem Gebiet der Ornamentik verwendete: »Le grottesche sono una specie di pittura licenziosa e ridicola molto […]« (G. Vasari: Le vite de’ più eccellenti architetti, pittori e scultori italiani da Cimabue insino a’ tempi nostri. Nell edizione per i tipi di Lorenzo Torrentino Firenze 1550. A cura di L. Bellosi e A. Rossi. Presentazione di G. Previtali. 2 Bde, Turin 1991, hier Bd. I. Introduzione – Pittura, XXVII), übertrug A. F. Doni den Begriff als erster in den literarischen Bereich (Cf. Scholl, S. 99). Für Doni ist das Groteske ein Mittel, sich vom Althergebrachten, Traditionellem zu lösen. Er verwendet den Begriff nicht nur in seinen theoretischen Schriften, wie beispielsweise im Dialog Disegno von 1549, sondern kreiert auch in seinen fiktionalen Werken »nie Dagewesenes und Unerhörtes«, das für ihn das Wesen des Grotesken ausmacht. Weitere frühe Übertragungen auf das Gebiet der Literatur leisteten G. P. Lomazzo, der 1587 einer Gedichtsammlung den Titel Grotteschi gab – die jedoch unter dem Titel Rime erschien (Cf. Scholl, S. 454) – und Montaigne, der seine Art zu schreiben mit Groteskenmalerei verglich: »Considérant la conduite de la besongne d’un peintre que j’ay, il m’a pris l’envie de l’ensuivre. Il choist le plus bel endroit et milieu de chaque paroy, pour y loger un tableau élabouré de toute sa suffisance ; et, le vuide tout au tour, il le remplit de crotesques, qui sont peintures fantasques, n’ayant grace qu’en la variété et estrangeté. Que sont-ce icy (i. e. les Essais) aussi, à la vérité, que crotesques et corps monstrueux, rappiecez de divers membres, sans certaine figure, n’ayants ordre, suite ny proportion que fortuité ?« (Essais, I, XXVIII, S. 183).

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tungs- und autorenspezifisch variieren kann. [...] Wie eine linea serpentinata begleitet, umspielt und konterkariert das Groteske in der bildenen Kunst wie auch in der Literatur den Wechsel und die Aufeinanderfolge verschiedener Ästhetiken und Ausdrucksformen [...]. Merkmale des Grotesken und der Grund für seine Langlebigkeit [...] sind neben seiner rationalen Unauflösbarkeit und Unbestimmtheit seine Assimilations- und Integrationsfähigkeit sowie seine Aktualisierbarkeit. Durch Selektion, Kombination, Integration und Innovation werden die Formen immer wieder neu variiert und aktualisiert, nicht nur in Hinblick auf sich verändernde historische Gegebenheiten, auch innerhalb der eigenen Tradition, so daß es [...] verschiedene [...] Ausprägungen des Grotesken gibt.72

Konstanz, Variation und Opposition, sind dementsprechend die Schlüsselwörter, mit denen sich das Groteske zwar grob umreißen, aber nicht für alle Zeiten definieren ließe.73 Diese finden sich dann auch folgerichtig in den beiden großen Studien, deren Autoren sich mit dem Phänomen auseinandersetzten74 und eine ganzheitliche Bestimmung versuchten. Für W. Kayser »ist das Groteske die entfremdete Welt. [...] Dazu gehört, daß, was uns vertraut und heimisch war, sich plötzlich als fremd und unheimlich enthüllt.[...] Das Grauen überfällt uns so stark, weil es eben unsere Welt ist, deren Verläßlichkeit sich als Schein erweist. Zugleich spüren wir, daß wir in dieser verwandelte Welt nicht zu leben vermöchten. [...] Zur Struktur des Grotesken gehört, daß die Kategorien unserer Weltorientierung versagen«.75 Für ihn ist das Groteske Ausdruck ___________ 72 Scholl, S. 17/18. Hervorhebungen von der Autorin. Der hier aufgestellte Katalog der Charakteristika des Grotesken wird im weiteren Verlauf der Studie dann konsequent durch Beispiele aus bildener Kunst und Literatur belegt. 73 Cf. dazu auch: Rosen, in: Barck e. a., S. 880: »Es fehlt eine wirklich maßgebene Definition des Begriffs, was zweifelsohne auch daran liegt, daß das Groteske auf einem Prinzip aktiver Schöpfung beruht und sich nicht auf eine Formel festlegen läßt.« 74 Darüber hinaus existiert natürlich noch eine Fülle weiterer Schriften, die sich mit Einzelaspekten des Themengebiets auseinandersetzen. Eine Übersicht über die Literatur der letzten Jahre bietet Scholl, S. 20, Anm. 15, sowie R. Hess e. a.: Literaturwissenschaftliches Wörterbuch für Romanisten (LWR) Tübingen, Basel 42003, Lemma Grotesk. 75 W. Kayser: Das Groteske in Malerei und Dichtung. Oldenburg und Hamburg 2 1960, S. 136/137. Im Mittelpunkt dieser Studie stehen Romantik und Moderne, der Renaissance wird nur im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Begriffsgeschichte Raum gegeben (S. 14-17; 141/142). Eine ähnlich negative Bewertung erfährt das Groteske durch A. Horn: »Das unnatürliche (oder als unnatürlich angesehene, in Wirklichkeit nur konventionell unmögliche) Nebeneinander heterogener, ja widersprechender Elemente, das indessen nicht nur als komische Normverletzung erlebt wird, sondern zugleich – gerade weil es die Ordnung von Natur und Gesellschaft durch seine Grenzverletzungen grundsätzlich in Frage stellt, so daß unsere Weltorientierung versagt – auch mehr oder weniger als unheimlich, ja grauenvoll« (A. Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. Würzburg 1988, S. 222/223). Neben dem Aspekt des Bedrohlichen hebt Horn jedoch auch das Grenzüberschreitende, Unbestimmte hervor, das dem Grotesken inhärent ist und auch von Scholl als Charakteristikum angeführt wurde. Gerade dieser Gesichtspunkt wird dann auch bei der Analyse des Decameron eine Rolle spielen (Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß man in Hinblick auf das Werk Boccaccios nur von Groteske ante litteram sprechen kann).

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der Entfremdung des Individuums gegenüber der Welt. Bachtin hingegen verortet das Groteske in der Gemeinschaft. Dem negativen Groteskebegriff Kaysers stellt er in seiner Rabelaisstudie eine positive Bewertung entgegen.76 Wie gezeigt betrachtet der Autor das Groteske – insbesondere in Form des grotesken Körpers – als Möglichkeit, unterdrückte Begierden und Ängste abzubauen, wozu die Zeit des Karnevals als Moment lizensierter Heiterkeit zur Verfügung steht.77 Bei der Erklärung des von ihm geprägten Ausdrucks »grotesker Realismus«78 bezieht sich Bachtin gleichfalls auf die Entdeckung der Dekorationen in der Domus Aurea und hebt dabei insbesondere auf die »außerordentliche Freiheit und Leichtigkeit der künstlerischen Phantasie« ab, die »als heitere, geradezu lachende Zwanglosigkeit wahrgenommen wird«79. Diese von ihm hervorgehobenen Attribute kennzeichnen nach seinem Verständnis auch das Karnevalstreiben. Im Anschluß an seine Bestimmung des Grotesken im Renaissancezeitalter gibt Bachtin einen Überblick über dessen Weiterentwicklung bis in unsere Zeit. Wenn er der mit der Volkskultur verbundenen Groteske rabelaischer Prägung die »eher privat, kammertonhaft(e)80 Groteske der Romantik gegenüberstellt, trifft er sich gewissermaßen mit Baudelaire.81 Für diesen ist das Groteske nicht mehr Zeichen kollektiven Lebensgefühls, sondern Ausdruck des Überlegenheitsgefühls einer Einzelperson: L’orgueil humain, qui prend toujours le dessus, et qui est la cause naturelle du rire dans le cas du comique, devient aussi cause naturelle dans le cas du grotesque, qui est une création mêlée d’une certaine faculté imitatrice d’éléments préexistants dans la nature. Je veux dire que dans ce cas-là, le rire est l’expression de l‘idée de supériorité non plus de l’homme sur l’homme mais de l‘homme sur la nature.82

Die Ausführungen Baudelaires machen es möglich, einen ersten thematischen Kreis zu schließen. Denn die Unterscheidung von »supériorité non plus ___________ 76 Diesen Kontrast der beiden Positionen thematisiert Bachtin selbst in seiner Schrift (S. 98f). 77 Auch wenn die beiden Ansätze Kaysers und Bachtins in vielen Punkten gegensätzlich sind, betrachten demnach beide Autoren das Groteske als Möglichkeit der Daseinsbewältigung und schreiben ihm apotropäische Wirkung zu (Cf. Scholl, S. 26). Trotz dieser Übereinstimmung wäre es falsch, dem Grotesken generell ein problemlösendes Potential zuzusprechen. Eine solche Grundsatzentscheidung würde das Groteske einengen (Cf. Scholl, S. 28). 78 Bachtin, S. 81, passim. Der Begriff Realismus verdeutlicht, daß es sich hier nicht um ein literarisches, künstlerisches oder in irgendeiner anderen Form mimetisches Vorgehen handelt, sondern um lebensweltliche Groteske. 79 Bachtin, S. 83. Hervorhebungen vom Autor. 80 Bachtin, S. 88. 81 Cf. dazu Scholl, S. 25, Anm. 33. 82 De l’essence, S. 384.

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de l’homme sur l’homme mais de l‘homme sur la nature« nimmt letztlich vorweg, was Jauß Jahre später als »Komik der Heraufsetzung« und »Komik der Herabsetzung« bezeichnen wird.83 Das Lachen über die menschliche Natur – in der Terminologie Baudelaires ein Lachen aufgrund von »comique absolu«84 – ist ein Lachen über die natürlichen Schranken, die der Körper und damit das Leben in seiner Endlichkeit dem Menschen setzt. Das Lachen hat somit wiederum apotropäische Bedeutung: in dem man über die Grenzen lacht, verlieren sie den Schrecken. Dem gegenüber steht das Lachen von »l’homme sur l’homme«, das mit einer Prise Schadenfreude den Menschen über das Mißgeschick eines anderen triumphieren läßt.85 Dieses Lachen infolge von »comique sigificatif«86 bezeichnet Baudelaire dementsprechend als »diabolique«87, denn es kam erst in die Welt, als sich die Menschen nicht mehr einig waren – das heißt in dem Moment als Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten und auf diese Weise die bis dato herrschende Eintracht zerstört war.88 Der Rückbezug Baudelaires auf den Genesisbericht und damit zum Teufel als Urheber des Lachens, erinnert unweigerlich an die bereits zitierte Aussage des Jorge de Burgos, Bibliothekar in Ecos Rosenroman: »Il riso è la debolezza, la corruzione, l’insipidità della nostra carne«.89 Die rigorose Einstellung Jorges gegenüber dem Lachen war – wie in Kapitel 2. b) gezeigt – im Mittelalter nicht ungewöhnlich, wobei jedoch zu Beginn des 14. Jahrhunderts90 die Polemik gegenüber dem Lachen schon deutlich verhaltener war als einige Jahre zuvor. So ___________ 83

Die Gegensatzpaare sind selbstverständlich nicht 100%ig deckungsgleich. Während Jauß in Hinsicht auf die »Komik der Herabsetzung« die Gegenbildlichkeit hervorhebt, betont Baudelaire den Aspekt des Lachens über andere (Cf. unten, Anm. 86), der ja auch im Modell von Jauß eine wichtige Rolle spielt. Mit Bezug auf die Theorien Bachtins unterstreicht er zudem den Triumph über das materiell Leibliche, wohingegen Baudelaire die menschliche Natur in ihrer Gesamtheit in den Blick nimmt (Cf. unten, Anm. 84). 84 De l’essence, S. 385 : »le comique absolu, se rapprochant […] de la nature, se présente sous une espèce une, et qui veut être saisie par intuition. Il n’a qu’une vérification du grotesque, c’est le rire, et le rire subit […]. Au point de vue de l’absolu définitif, il n’y a plus que la joie. Le comique ne peut être absolu que relativement à l’humanité déchue«. Hervorhebung vom Autor. 85 Beispiele für Situationen, in denen man über andere lacht, gibt Baudelaire auf den Seiten 378f seines Essays. 86 De l’essence, S. 385: »J’appellerai comique significatif le comique ordinaire. Le comique significatif est un langage […] clair, […] facile à comprendre pour le vulgaire, et surtout […] facile à analyser, son élément étant visiblement double: l’art et l’idée morale«. 87 De l’essence, S. 372, ebenso S. 377/378: »Le rire vient de l’idée de sa propre superiorité. Idée satanique s’il en fut jamais« 88 Baudelaire spielt hier auf Gen. 3, 7f. an. 89 Il nome, S. 477. Zum Inhalt des Romans und der Problematik, die – so die Fiktion – zum Verlust des zweiten Teils der aristotelischen Poetik führte cf. S. 41, Anm. 88. 90 Die Romanhandlung spielt im Jahre 1327 (Cf. Il nome, S. 19).

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stellt Eco auch nicht den Standpunkt des Bibliothekars in Frage, sondern den Versuch, diese eigene Ansicht als alleingültige Wahrheit zu deklarieren: »Jorge ha compiuto un opera diabolica perché amava in modo cosi lubrico la sua verità da osare tutto pur di distruggere la menzogna.«91 Daß der Autor diese ›Systemkritik‹ am Beispiel des Lachens übt, mag am grundsätzlichen Interesse Ecos für das Phänomen des Lachens und die dadurch zum Ausdruck gebrachte Lebenseinstellung liegen, hatte er sich doch bereits an anderer Stelle intensiv damit auseinandergesetzt.92 Angesichts der rauchenden Trümmer des Klosters läßt er den Protagonisten des Romans, Guglielmo da Baskerville, als eine Art Nachruf auf Jorge de Burgos sagen: Jorge temeva il secondo libro d’Aristotele perché esso forse insegnava davvero a deformare il volto di ogni verità, affinché non diventassimo schiavi dei nostri fantasmi. Forse il compito di chi ama gli uomini è di far ridere della verità, fare ridere la verità perché l’unica verità è imparare a liberarci dalla passione insana della verità.93

Eco spielt hier auf die – ebenfalls bereits zitierten – Horazverse, »ridentem dicere verum, quid vetat«94 an, die im Mittelalter als Legitimation manch kritischer Aussage dienten. Ihm geht es jedoch nicht darum, in zum Lachen reizender Verzerrung Dinge zu sagen, die man sonst nicht auszusprechen wagte. Der Autor propagiert vielmehr ein Lachen, das der Wahrheit etwas von ihrem Ernst nimmt,95 indem es Distanz schafft: »liberarci dalla passione insana della veri___________ 91

Il nome, S. 494. Cf. besonders den bereits erwähnten Beitrag »Pirandello ridens« von 1969 (Cf. S. 131). Interessanterweise spielt Eco bereits hier auf die Tatsache an, daß »per un accidente, la parte della Poetica sul Comico è andata perduta«; Eco/Pirandello, S. 262. Der Autor spinnt im folgenden den Faden weiter, indem er fragt, ob der Verlust des Buches kein Zufall, sondern von Aristoteles intendiert war. Er stellt desweiteren fest, daß nicht etwa diejenigen Autoren sich theoretisch mit dem Lachen auseinandergesetzt haben, die diesem auch in ihren Werken weiten Raum gaben, sondern eher ernste Naturen wie Kant, Baudelaire u. a (Eco/Pirandello, S. 262). Der Gedanke, daß das ›Verschwindenlassen‹ eines Buches dieses Inhalts eine Fülle von Schlußfolgerungen über Weltanschauung und Lebenseinstellung des dafür Verantwortlichen zuläßt, hat Eco dementsprechend schon mindestens ein Jahrzehnt vor der Publikation von Il nome della rosa fasziniert. 93 Il nome, S. 494. Hervorhebungen vom Autor. Wenn Eco diese Worte Guglielmo da Baskerville in den Mund legt, stellt er gewissermaßen den franziskanischen ›joculator Dei‹ dem ernsten Benediktiner gegenüber, dessen Ablehnung des Lachens, wenn auch nicht in so krasser Form, bereits in der Regula festgeschrieben ist. 94 Sermones I, 1, 24. 95 Cf. P. von Moos: »Umberto Ecos offenes Mittelalter. Meditationen über die Historik des Romans.«, in: M. Kerner (Hrsg.): »Eine finstere und fast unglaubliche Geschichte«? Mediävistische Notizen zu Umberto Ecos Mönchsroman: ›Der Name der Rose‹. Darmstadt 1987, S. 128-168, hier S. 154 [v. Moos, in: Kerner]). 92

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tà«.96 Anstatt die eigenen Überzeugungen, seien es politische, weltanschaulische oder andere mit einem nicht zu rechtfertigenden Absolutheitsanspruch durchzusetzen, empfiehlt Eco, ihnen gegenüber eine Haltung anzunehmen, die man heutzutage wohl landläufig als Humor bezeichnet.97 Bereitete die Definition der Ausdrücke ›Komik‹ und ›Groteske‹ bereits einige Probleme, so wiederholt sich dieses Dilemma in bezug auf den ›Humor‹. Komik, das heißt zum Lachen reizende Momente und groteske Strukturen – die letztlich ja auch nur eine der zahlreichen Möglichkeiten Lachen auszulösen sind – lassen sich jedoch bewußt konstruieren und absichtsvoll in literarische oder künstlerische Werke integrieren. Sie werden somit zum Gegenstand literarischer Analyse. Beim Humor hingegen handelt es sich um eine »persönliche, dauernde Einstellung des Charakters«98. Wer Humor hat, sieht in Tatbeständen, die (allgemein) als minderwertig und lächerlich gelten, etwas Wertvolles, Sympathisches, dem Verständnis Zugängliches [...]. Mit Humor gesehen, wird das Kleine zum »Possierlichen«, oder »Niedlichen«, das Ungeschickte zu etwas ___________ 96 Il nome, S. 494. Dieser Gedanke wird im anschließenden Gespräch zwischen Guglielmo und Adso da Melk erneut aufgenommen: »Le uniche verità che servono sono strumenti da buttare« (Il nome, S. 495). Er dient Guglielmo zur Erklärung eines vorher angebrachten Wittgensteinzitats – »Er muß sozusagen die Leiter (der Erkenntnis) wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist« (L. Wittgenstein: Logischphilosophische Abhandlung/Tractatus logico philosophicus, in: L. Wittgenstein: Tractatus logico philosophicus/Tagebücher 1914-1916/Philosophische Untersuchungen (Werkausgabe Band I). Frankfurt a. M. 1984, 6. 54) – das hier allerdings in mittelhochdeutscher Übersetzung vorliegt und nach Aussage des Franziskaners aus dem Mund eines »mistico delle tue (i. e. Adso) terre (che) lo ha scritto da qualche parte« (Il nome, S. 495) stammt. 97 Cf. v. Moos, in: Kerner, S. 154/155. 98 Müller-Freienfels, S. 92, detaillierter L’umorismo, S. 4ff. Daß Humor haben bzw. humorvoll sein eher ein dauerhafter Zustand als ein flüchtiger, zum Lachen reizender Moment ist, läßt sich etymologisch begründen. Das Wort geht zurück auf lat. (h)umor(es) = feucht, Feuchtigkeit und bezeichnet im Rahmen der Humoralpathologie den Körpersaft. Dieser Lehre zufolge beruhen sowohl körperliche Leiden als auch Gemütszustände – und somit auch die Disposition, das Leben von der positiven Seite zu nehmen – auf dem Mischverhältnis der Säfte, das sich naturgemäß nicht ad hoc verändert (Zur Säftelehre cf. Kapitel 5. c), S. 184ff). Im Gegensatz zum deutschen ›Humor‹ bezeichnen die Ausdrücke ›humeur‹, ›humour‹, ›umorismo‹, die gleichermaßen aus dem Lateinischen ›(h)umor‹ hervorgegangen sind, nur Einzelaspekte. So z. B. frz.: ›être de mauvaise humeur‹ = ›schlechter Laune sein‹. Zu Wortgeschichte und Bedeutungsgehalt der Ausdrücke im Französischen und Italienischen cf. Bremmer, in: Bremmer/Roodenburg, S. 9 sowie Petit Robert und Zingarelli, Lemmata: humeur, humour, umorismo. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß neben der Säftelehre noch die mit ihr eng verbundene Qualitätenpathologie existierte. Krankheit wurde ihr zufolge durch die Unausgewogenheit der Primärqualitäten ›warm‹, ›kalt‹, ›feucht‹ und ›trocken‹ hervorgerufen. Auch wenn die beiden Begriffe oft fälschlich synonym verwendet werden, handelt es sich ursprünglich um konkurrierende Konzepte (Cf. Kap. 5. c) sowie K. E. Rothschuh: Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart. Stuttgart 1978, S. 185 [Rothschuh]).

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Drolligem, Dummheit und Irrtum, moralische Fehler und ästhetische Mängel erscheinen als etwas Närrisches, Harmloses, Verzeihliches, oft sogar Rührendes.99 Die Aussage: »jemand hat Humor« oder »jemand ist humorvoll« beschreibt also eine spezifische Art, die Dinge des Lebens zu betrachten,100 was bedeutet, daß der Humor per se nur in indirekter Weise Gegenstand literarischer Analyse sein kann. Es ist wohl grundsätzlich davon auszugehen, daß humorvolle Menschen oft und gerne lachen, da sie aufgrund ihrer Lebenseinstellung vieles als ›unschädlich‹ betrachten, was andere schon als bedrohlich empfinden101, was die Anzahl der Gelegenheiten, durch »Komik der Herabsetzung« zum Lachen gereizt zu werden, stark erhöht. Auch das Lachen aus Lebensfreude – das die Lachanlässe aufgrund der Komik der Heraufsetzung einschließt – mag bei einer Person, die die Fähigkeit besitzt, von allem vorrangig die gute Seite zu sehen, wohl öfter hervorbrechen. Der Umkehrschluß hingegen scheint unmöglich. Denn das Ausdrucksverhalten Lachen schließt auch den Aspekt des Verlachens ein. Wer jedoch über jemand anderen lacht, ist nicht notwendig humorvoll, sondern schadenfreudig, neidisch usw. Die Darstellung lachender Protagonisten in literarischen Werken läßt also zunächst wenig Aussagen über den Charakter der Figuren zu. Auch ein Rückbezug auf die Lebenseinstellung des Verfassers ist nicht unbedingt möglich. Zwar mag sich die Haltung des Autors in seinen Werken widerspiegeln, sie muß es jedoch nicht. So wie ein professioneller Komiker im Alltag ein ernsthafter Mann sein kann, vermag ein humorvoller Mensch Protagonisten zu kreieren, die in keiner Weise mit der eigenen Lebenseinstellung konform gehen. Da zudem nicht die humorvolle Sicht der Dinge, sondern eher deren eventuelle Manifestation, das Lachen102, ansteckend wirkt ___________ 99 Müller-Freienfels, S. 91/92. Ähnlich Freud: »Der Humor hat [...] etwas Großartiges und Erhabenes. [...] Das Großartige liegt offenbar im Sieg des Narzißmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, daß ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen können, ja, es zeigt, daß sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind.« (Der Humor, S. 254). Im weiteren Verlauf seines Essays erklärt Freud die humorvolle Sicht der Dinge als Folge einer Überbesetzung des Über-Ich, das die Reaktionen des Ich abzuändern vemag (Cf. S. 257), indem es ihm zuruft: »Sieh her, das ist nun die Welt, die so gefährlich aussieht. Ein Kinderspiel, gerade gut, einen Scherz darüber zu machen.« (S. 258) Geht man davon aus, daß das Über-Ich die Elterninstanz vertritt, erscheint diese Deutung einleuchtend, wenn man bedenkt, wie oft Eltern ihren Kindern nahelegen (sollten), wegen einer Meinungsverschiedenheit nicht gleich eine Freundschaft zu beenden oder nicht den ganzen Tag Trübsal zu blasen, weil morgens eine Verabredung platzte. 100 Cf. L’umorismo, S. 119f. 101 Diese Fähigkeit eines humorvollen Menschen hat dann wohl auch zur gängigen Wendung ›Humor ist wenn man trotzdem lacht‹ geführt. 102 Zijderfeld bezeichnet das Lachen folgerichtig als »Sprache des Humors«, S. 51. Diese Verbindung von Humor und Lachen führt dazu, daß ›humorvoll‹ bzw ›humo-

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und einen positiven Eindruck hinterläßt, kann sie auch nur in indirekter Weise Träger einer Botschaft an den Leser sein: Wer bei der Leküre eines Buches oder beim Hören einer Geschichte oft zum Lachen gereizt wird103, wird den Urheber für einen humorvollen Menschen halten, wobei er mit dieser Einschätzung, wie oben angedeutet, nicht unbedingt recht haben muß. Hat sich bei der näheren Beschäftigung mit dem Wesen des Humors herausgestellt, daß dieser bei der Analyse literarischer Werke voraussichtlich nur eine untergeordnete Rolle spielen wird, gab die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Komik und Lachen, sowie mit der Groteske Material an die Hand, mit dem im folgenden der Gebrauch des zum Lachen reizenden Moments untersucht werden kann. Dabei soll jedoch der Analyse der konkreten Lachen auslösenden Situation die grundsätzliche Klärung der Frage vorgeschaltet werden, aus welcher Legitimation und Motivation heraus sich Boccaccio daran machte, vergnügliche Literatur in traurigen Zeiten zu schreiben.

___________ ristisch‹ gemeinsprachlich oft mit ›zum Lachen reizend‹ gleichgesetzt und mithin als Synonym von ›komisch‹ verwendet wird. 103 Eine humorvolle Wesensart manifestiert sich dementsprechend eher in launig erzählten Geschichten, ciceronischer cavillatio, als im schlagfertigen Wortwitz.

5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94 Vergnügliche Literatur in traurigen Zeiten

a) Alcuno allegiamento prestare…. Dec. Proemio, 7 Die Frage, aus welcher Motivation heraus Boccaccio sein Decameron verfaßte, klärt sich bereits bei der Lektüre der ersten Seiten des Werkes. Im Proemio berichtet der Autor, er habe im Laufe seines Lebens die positive Erfahrung machen dürfen, daß ihn Freunde auch dann nicht im Stich gelassen haben,1 wenn die Liebe ihn wieder einmal »grandissima fatica«2 hatte leiden lassen. Ausgehend von der moralischen Prämisse, daß besonders derjenige zu guten Taten verpflichtet ist, der selbst schon einmal Nutznießer solcher gewesen ist,3 gibt er an, der Entschluß dieses Werk zu verfassen, sei vor allem aus einem Gefühl der Dankbarkeit erwachsen.4 Die Strategie Boccaccios ist offensichtlich: In der Hoffnung, der Leser werde in der Lektüre fortfahren bzw. diese auch dann nicht abbrechen, wenn ihm Inhalt oder Tenor der Schrift nicht (mehr) gefällt, zeichnet der Autor von sich ein sehr positives, menschliches Bild, um auf diese Weise die Sympathie des Lesers zu gewinnen. Die Entscheidung auf diese Art das Decameron zu beginnen, zeugt jedoch ebenso wenig von literarischer Originalität wie von schlechtem Gewissen – etwa in Hinblick auf im Buch enthaltene Aussagen – sondern vielmehr von der Kenntnis antiker wie zeitgenössischer rhetorischer Richtlinien. Schon im Altertum war es gängige Praxis, die Regeln der Rhetorik auch für die narrativen Gattungen und die Briefliteratur fruchtbar zu machen.5 Das ___________ 1

Dec. Proemio, 4: »Nella qual noia tanto refrigerio già mi porsero i piacevoli ragionamenti d’alcuno amico e le sue laudevoli consolazioni« (Cf. dazu L. Battaglia Ricci: Ragionare nel giardino. Boccaccio e i cicli pittorici del ›Trionfo della morte‹. Rom 1987 [Battaglia Ricci]: »Egli (Boccaccio) ha sperimentato in prima persona la forza salvifica della parola rasserenante, il potere consolatorio dei pacevoli ragionari« (S. 180)). 2 Dec. Proemio, 3. 3 Cf. Dec. Proemio, 2. 4 Cf. Dec. Proemio, 7. 5 Cf. Hist. Wört. der Rhet., Lemma Exordium (I), sowie E. Faral: Les Arts poétiques du XIIe et du XIIIe siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du Moyen Âge. Paris 1924, S. 56 [Faral/Arts poétiques]. Diese Entwicklung erreichte im 12./13. Jahrhundert ihren Höhepunkt: »Au début du XIIIe siècle, toute composition littéraire, en prose comme en vers, est perçue comme soumise à l’empire de la rhétorique.« (J.-Y.

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bedeutete, daß die Lehre von den Redeteilen, zu denen auch das Exordium6 und damit die Technik der captatio benevolentiae, gehört, Eingang in die Poetiken erhielt. Derartige Handbücher sind beispielsweise die Parisiana Poetria von Johannes de Garlandia7 oder die Poetria Nova des Geoffrey de Vinsauf8. Da ein Exemplar dieses Buches im Bestand der Parva Libreria nachgewiesen ist,9 läßt sich vermuten, daß Boccaccio die Schrift des englischen Rhetoriklehrers auch tatsächlich gekannt und benutzt hat.10 Neben diesen ›modernen‹, standen Boccaccio und seinen Dichterkollegen natürlich auch die bereits wiederentdeckten antiken rhetorischen Werke, namentlich die Rhetorica ad Herennium sowie die Schrift De Inventione – die sich beide ebenfalls in Boccaccios Besitz befanden11 – sowie deren jeweilige volgarizzamenti als Leitfaden zur Verfügung.12 ___________ Tilliette: Des mots à la parole. Une lecture de la ›Poetria nova‹ de Geoffrey de Vinsauf. Genf 2000, S. 29 [Tilliette]). 6 Zu den Formen des Exordiums in Antike und Mittelalter sowie zu den Aussagen der Rhetoriker zu diesem Thema cf. Hist. Wört. der Rhet. Lemma Exordium sowie meine diesbezüglichen Ausführungen. 7 Die Parisiana poetria wurde wohl in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfaßt (Cf. Introduction zur Parisiana Poetria, S. XIV). 8 Das Werk wurde um 1200 von Galfridus de Vinosalvo verfaßt (Cf. Faral/Arts poétiques, S. 33f.). Die hier verwendete lateinische Namensform ist das Pendant zu den romanischen und germanisch/englischen Formen Geoffrey de/of/von Vinsauf bzw. Galfrido di Vino Salvo. Der Verfasser nennt sich selbst an einer Stelle Gaufredus Anglicus (Cf. Geoffrey de Vinsauf: Poetria Nova, in: Faral/Arts poétiques, S. 197-262, V. 1, hier allerdings in flektierter Form, i. e. Genitiv Singular [Poetria Nova, in: Faral/Arts poétiques]). Beide Varianten verweisen auf die Herkunft des Dichters. 9 Cf. A. Mazza: »L’inventario della ›parva libreria‹ di Santo Spirito e la biblioteca del Boccaccio«, in: Italia Medioevale e Umanistica IX (1966), S. 1-74, hier S. 16 [Mazza]. Boccaccio verfügte testamentarisch, daß seine Bibliothek zunächst in den Besitz von Fra Martino übergehen sollte, um dann anschließend, nach dessen Tod, in die Parva Libraria von Santo Spirito integriert zu werden. So geschah es auch 1387 (Cf. S. 2f). 10 Dementsprechend soll ihr im folgenden besondere Beachtung geschenkt werden. Weitere Handbücher dieser Art, etwa von Matthieu de Vendôme, stellt Faral in Les arts poétiques vor. 11 Cf. Mazza, S. 35. Die Schriften sind hier als Ars vetus et nova Ciceronis geführt. 12 Dies war zum einen die Retorica italiana Brunetto Latinis, geschrieben nach 1260 (Cf. W. Jens (Hrsg.): Kindlers neues Literaturlexikon. 22 Bde. München 1988/1998 [Kindler], Lemma Brunetto Latini), ein partielles volgarizzamento der ciceronianischen De Inventione-Schrift ((Brunetto Latini): La Rettorica italiana di Brunetto Latini. Ed. da F. Maggini. Florenz 1915 [Rettorica]. Das volgarizzamento Latinis endet bei I, XVII, 24), zum anderen die Fiore di Rettorica Bono Giambonis, ein volgarizzamento der Rhetorica ad Herennium (Cf. B. Giamboni: Fiore di Rettorica. Edizione critica a cura di G. B. Speroni. Pavia 1994 [Fiore]). Rhetorica ad Herennium und De inventione waren »les deux ouvrages de l’antiquité païenne de loin les plus répandus« (Tilliette, S. 25). Man sollte dennoch nicht vergessen, daß auch die ›Poetik‹ Horaz’ in dieser Zeit eifrig studiert wurde (Cf. Tilliette, S. 35, 42f) und oft die Basis mittelalterlicher Richtlinien bildete. Tilliette kennzeichnet den gängigen Umgang mit den antiken Bestimmungen folgendermaßen: »pour ces auteurs, la rhétorique – car rhétorique il y a indéniablement – n’est pas une fin en soi, mais elle est l’instrument efficace (qui leur permet de formuler

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Darüber hinaus läßt sich davon ausgehen, daß Boccaccio die zweite große Rhetorikschrift des Römers – De oratore – gleichermaßen bekannt war.13 Ein Blick in diese Handbücher läßt vermuten, daß auch Boccaccio diese beim Schreiben des Proemio vor Augen hatte. Er hält sich im wesentlichen an die dort gegebenen Richtlinien: •

Rhet. ad. Her.: Exordium est principium orationis per quod animus auditoris […] constituitur et apparatur. […] Item vitiosum est […] quod neque benivolum neque docilem neque adtentum facit auditorem.14



De inv.: Exordium est oratio animum auditoris idonee comparans ad reliquam dictionem: quod eveniet si eum benivolum, attentum, docilem confecerit.15



De oratore: initio conciliandos eorum esse animos, qui audirent.16



Parisiana Poetria: Item notandum quod ›exordium‹ aliquando large sumitur, scilicet illud totum quod antecedit narrationem; aliquando stricte, scilicet proverbium (vel illud quod est in loco proverbii). Est autem exordium rhetoricum principium ad persuadendum. Proemium est preordinatio libri ad instruendum. Prologus est inductivus sermo subsequentis operis. […] In exordio debent esse tria: benevolentiae (ubi utilitas aparietur); docilitas (ubi apparietur modus agendi), attentio (ubi aparietur difficultas).17



Poetria Nova: Si pars prima velit majus diffundere lumen/thematis intacta serie, sententia (i. e. proverbia) sumpta/ad speciale nihil declinet, sed caput edat altius/ad quoddam generale.18

Die Gestalt der jeweiligen Vorrede ist gewissermaßen abhängig von Inhalt und Form des nachfolgenden Werkes. Muß der Redner oder Dichter davon ausgehen, daß die Zuhörer respektive Leser seine Ausführungen nicht nur unbedingt positiv aufnehmen werden – es sich im folgenden um eine causa im genus anceps handelt –, sollte er der captatio benevolentiae weiten Raum geben.19 Wenn Boccaccio dem Decameron also dieses Proemio voranstellt, so ___________ explicitement et de formaliser les lois du discours poétique énoncées de façon elliptique et confuse par Horace)«; Tilliette, S. 44. Zur inhaltlichen wie konzeptionellen Nähe von Poetria Nova und sogenannter De arte poetica cf. Tilliette, S. 35 und passim. 13 Auch wenn sich das Werk nicht in Boccaccios Besitz befand – es gehörte zumindest nicht zum Inventar der Parva Libreria – wird ihm Pertrarca sicher einen Einblick gewährt haben. 14 Rhet. ad. Her. I, 4, 11. 15 De inv. XV, 20. 16 De orat. I, 143. 17 Parisiana poetria IV, 92-97; 14-16. 18 Poetria Nova, in: Faral/Arts poétiques, II, 126-129, ebenso II, 180-184, hier gibt der Autor unter der Überschrift »Ipso principio sedet hoc generale propinquum« (V. 180) eine Reihe von Beispielen bekannter Proverbien (Cf. dazu Tilliette, S, 53). 19 Cf. De inv. XV, 20/21: »(genus) anceps, in quo aut iudicatio dubia est aut causa et honestatis et turpitudinis particeps, ut et benivolentiam pariat et offensionem. [...] Sin autem partem turpidinis, partem honestatis habebit, benivolentiam captare oportebit, ut

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könnte man dies auch als Anzeichen eines eventuellen Problembewußtseins des Autors deuten. War sich Boccaccio der Schwierigkeiten und Vorwürfe also bewußt, die ihn als Autor vergnüglicher Literatur in traurigen Zeiten treffen könnten? Rührt daher vielleicht seine Vorsicht? Das ist wenig wahrscheinlich. Auch wenn der Verfasser der Novellensammlung sich zu Beginn des vierten Tages, als er sich als Autor in die Fiktion einschaltet,20 über die zahlreiche Kritik an seinem Werk überrascht gibt21, sollte diese Reaktion nicht dazu verleiten, die jetzige Gestalt des Decameron zu verabsolutieren. Es ist kaum anzunehmen, daß das Decameron in einem Stück geschrieben wurde, Boccaccio also mit dem Schreiben des Proemio begonnen hat und die Feder erst nach Abschluß der Conclusione dell’autore wieder beiseite legte. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß der Autor das Proemio erst nachträglich hinzugefügt oder während des Redaktionsprozesses des Gesamtwerks verfaßt und immer wieder überarbeitet hat. Der Entschluß, ein Proemio zu verfassen, steht also eher in Verbindung mit den Vorhaltungen, sich zu sehr für die Damen zu interessieren, als mit der generellen Frage nach einer Rechtfertigung des Schreibens von Geschichten diesen Inhalts. Der Empfehlung der mittelalterlichen Poetiken, mit einem proverbium zu beginnen22, kommt Boccaccio mit der Eingangsformel »Umana cosa è aver compassione degli affliti«23 nach. Auch die Unterteilung der captatio benevolentiae in loci a persona und loci a re wurde von ihm berücksichtigt. Nachdem er in den Abschnitten zwei bis sieben des Proemio die persönlichen Gründe – loci a persona – dargelegt hatte, die ihn zum Verfassen des Buches veranlaßt ___________ in genus honestum causa translata videatur.« Aristoteles hatte in der Rhetorik ebenfalls festgestellt, daß es Werke gibt, die keine Vorrede verlangen: »Die wichtigste Funktion des Prooimions und sein eigentliches Wesen ist es, darauf hinzuweisen, welches Ziel die Rede verfolgt. Deshalb braucht man, ist das Ziel klar und die Angelegenheit unbedeutend auch kein Prooimion.« (Rhet. III, 14, 6; 1415a). Zu den möglichen genera einer Rede cf. H. Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik. Eine Einführung für Studierende der klassischen, romanischen, englischen und deutschen Philologie. München 2 1963, §§ 34-38 [Lausberg]. 20 Cf. Dec. IV, Intr. 2-43. 21 Cf. Dec. IV, Intr. 2-11. 22 Der Beginn mit einem proverbium ist eine von acht Möglichkeiten, die der ordo artificialis bereithält. Diesem steht der ordo naturalis gegenüber, in dem ein Werk, eine Rede oder ein Brief schlicht mit dem Anfang beginnt. Der ordo artificialis wurde im Mittelalter als eleganter und erfolgversprechender empfunden. Zu den ordines cf. Poetria Nova, in: Faral/Arts poétiques, Vv. 87-202 sowie Faral/Arts poétiques, S. 58/59. Auf S. 58 findet sich eine gute Übersicht zu beiden ordines in Tabellenform. Zwischen diesen Formen des Werkanfangs konnten wiederum bereits die Redner der Antike wählen, fanden sich doch die diesbezüglichen Richtlinien auch in den einschlägigen Handbüchern (Cf. z. B. Rhet. ad Her. I, 11). 23 Dec. Proemio, 2.

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haben, kommt er in den folgenden Textpassagen auf die äußeren Faktoren – loci a re – zu sprechen, die Form und Inhalt seines Werkes beeinflußten. Als durch die Hilfe der Freunde ›von den Leiden der Liebe geheilter‹ Verfasser hat Boccaccio schließlich »(meco) stesso proposto di volere […] alcuno allegiamento prestare.«24 Während das Schreiben als ›an der Liebe Leidender‹ durchaus den literarischen Gepflogenheiten der Zeit entsprach, erscheint das Ansinnen, durch Literatur »allegiamento« verschaffen zu wollen, zunächst ungewöhnlich und bedarf deshalb einiger Erläuterungen. Diese liefert der Autor selbst, wenn er im darauffolgenden Satz präzisiert »il mio sostentamento, o conforto che vogliam dire«25 Damit ist der Sinn des Buches umrissen: Es soll Menschen in Not helfen und trösten. Daß Boccaccio jedoch nicht die Absicht hatte, religiöse Erbauungsliteratur zu verfassen wird deutlich, wenn man bedenkt, daß der Ausdruck sostentamento auch über den moralisch-religiösen Bereich hinaus, nämlich auf medizinisch-therapeutischem Gebiet anwendbar ist.26 Dieser Ansatz findet sich im folgenden bestätigt. Auch bei der Begründung des Entschlusses, im Rahmen des anzugehenden literarischen Projekts die Frauen aufgrund ihrer schlechten gesellschaftlichen Position stärker zu berücksichtigen als die Männer, verwendet Boccaccio medizinisches Vokabular: E chi negherà questo, quantunque egli si sia, non molto più alle vaghe donne che agli uomini convenirsi donare? Esse dentro a’ dilicati petti, temendo e vergognando, tengono l’amorose fiamme nascose, le quali quanto piú di forza abbian che le palesi coloro il sanno che l’hanno provate: e oltre a ciò, ristrette da’ voleri da’ piaceri, da’ comandamenti de’i padri, delle madri, de’ fratelli e de’ mariti il più del tempo nel piccolo circuito delle loro camere racchiuse dimorano e quasi oziose sedendosi, volendo e non volendo in un medesima ora, seco rivolgendo diversi pensieri, li quali non è possibile che sempre sieno allegri. E se per quelli alcuna malinconia, mossa da focoso disio, nelle lor menti, in quelle conviene che non grave noia si dimori, se da nuovi ragionamenti non è rimossa.27

Auch der von ihm indirekt vorgeschlagenen Gegenmaßnahme – die Ablenkung durch »nuovi ragionamenti« – liegt ein therapeutisches Prinzip zugrunde: Nach dem contraria contrariis-Grundsatz28 möchte er ein Werk konzipieren, ___________ 24

Dec. Proemio, 7. Dec. Proemio, 8. 26 Cf. z. B. Dec. X, Concl. 3: »a sostentamento della nostra santà e vita.«. 27 Dec. Proemio, 9-11. 28 Bereits Hippokrates – legendenumwobener Arzt aus Kos und seither ethische wie fachliche Leitfigur des Ärztestandes – sowie seine Anhänger verabreichten ihren Patienten gleichgerichtete Gegenmittel, handelten also nach dem contraria contrariis-Prinzip (Cf. H. Diller: Nachwort zur Ausgabe: H. Diller (Hrsg.): Hippokrates: Ausgewählte Schriften. Aus dem Griechischen übers. von H. Diller, mit einem bibliographischen Anhang von K.-H. Leven. Stuttgart 1994, S. 325-337, hier S. 324f. [Hippokrates/Schriften/Diller]. Zu Hippokrates und seinem Umfeld cf. Kapitel 5. c). sowie erneut Hippokrates/Schriften/Diller, S. 329f). Die Vorstellung, daß man Krankheiten vorrangig auf diese Weise heilen konnte, war bis zur Entwicklung des homöopathischen Thera25

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das als allopathisches Heilmittel fungiert, die Frauen also von ihrem Leid ablenkt und sie auf diese Weise davon befreit. Wenn er im Anschluß an die deutliche Parteinahme für die Frauen auch die Situation der Männer darstellt, soll dies nicht etwa dem Vorangegangenen durch Schwarz-Weiß-Malerei mehr Gewicht verleihen, sondern im Gegenteil auch die Männer in den Adressatenkreis des Werkes miteinbeziehen: Essi, se alcuna malincolia o gravezza gli affligge, hanno molti modi da alleggiare o sa passar quello, per ciò che a loro, volendo essi, non manca l’andare a torno, udire e veder molte cose, uccellare, cacciare, pescare, cavalcare, giucare o mercatare: de’ quali modi ciascuno ha forza di trarre, o in tutto, o in parte, l’animo a sé e dal noioso pensiero rimuoverlo almeno per alcuno spazio di tempo, appresso il quale, con un modo o con altro, o consolazion sopraviene o diventa la noia minore.29

Die Parallelität der Formulierungen »alcuna maliconia [...] che non grave noia si dimori« einerseits und »alcuna malincolia o gravezza« andererseits deutet nämlich darauf hin, daß beide Geschlechter auf die gleiche Weise auf Liebeskummer reagieren und dementsprechend auch die Männer, wenn sie einmal nicht in der glücklichen Lage sind, sich ablenken zu können, gleichermaßen auf anderweitige Zerstreuung angewiesen sind und somit von Boccaccios Buchprojekt profitieren können.30 ___________ piemodells durch C. F. S. Hahnemann zu Beginn des 19. Jahrhunderts allgemein verbreitet. Er stellte dem gängigen contraria contrariis-Prinzip den Gedanken des Heilens nach der Maxime similia similibus gegenüber (Cf. Rothschuh: S. 339). Erste Ansätze eines solchen Gegenmodells wurden jedoch bereits dreihundert Jahre eher von Paracelsus (i. e. Theophrast von Hohenheim) entwickelt (Cf. dazu Rothschuh, S. 270). 29 Cf. Dec. Proemio, 12. Diese Erweiterung wird jedoch nie explizit formuliert. Boccacio spricht im Gegenteil nur die Frauen an (Cf. z. B. Dec. I; Intr. 2 »graziosissime donne«; Dec. IV, Intr., 2: »carissime donne«. Auch das »nobilissime giovani« (Dec. Concl. 1), das sich in vorliegender grammatischer Form auch an die Männer richtet, wird im weiteren Verlauf des Satzes auf die Frauen als Adressaten eingeschränkt: »a consolazion delle quali [...]« (Dec. Concl. 1)). 30 In einer solchen Situation befinden sich auf fiktionaler Ebene auch die Mitglieder der brigata. Hatte der Leser bereits zu Beginn erfahren, daß die Männer den Frauen nicht nur verwandt- sondern auch partnerschaftlich verbunden waren (Cf. Dec. I, Intr. 79), wird besonders durch die Gesänge am Ende jeden Tages deutlich, daß manch einer, man denke insbesondere an Filostrato, mit seiner derzeitigen Situation nicht zufrieden ist und deshalb unter Liebeskummer leidet. Das allopathische Heilmittel Decameron – und hier besonders die Novellen – haben also gewissermaßen eine doppelte Funktion zu erfüllen: es soll nicht nur in Hinblick auf die externe Leserschaft, sondern auch intern, in bezug auf die brigata seine Wirkung entfalten (Cf. R. Schnell: »Mittelalter oder Neuzeit? Medizingeschichte und Literaturtheorie. Apologie weiblicher Sexualität in Boccaccios ›Decameron‹«, in: R. Schnell (Hrsg.): Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Heinz Rupp zum 70. Geburtstag. Stuttgart, Bern 1989, S. 240-287, hier S. 266/267 [Schnell, in: Schnell]). Auf beiden Ebenen soll es sowohl Melancholie allgemein, hervorgerufen durch negative Erfahrungen wie beispielsweise die Pest, als auch besonders die Melancholie infolge von Liebeskummer bekämpfen, der als Liebeskrankheit in der medizinischen Tradition des Mittelalters oft als selb-

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Dieses wird im folgenden spezifiziert: in soccorso e rifugio di quelle che amano […] intende di raccontare cento novelle, o favole o parabole o istorie […] e alcune canzonette […] cantate al lor diletto.31

Interessant ist hier die Verortung der versprochenen »nuovi ragionamenti« in »novelle, o favole o parabole o istorie«. Diese Aufzählung kann zunächst als impliziter Hinweis des Autors auf die zu erwartende abwechslungsreiche Materie gewertet werden. Während jedoch die Begriffe parabola32 und istorie33 recht eng gefaßte Sachverhalte bezeichnen, nämlich einerseits eine Geschichte34 mit moralisch-didaktischen Anspruch, andererseits eine Erzählung mit historisch-realem Hintergrund, sind die Ausdrücke novelle und favola wenig greifbar. Novella war im 14. Jahrhundert zunächst jede kurze, der Phantasie entstammende Geschichte.35 Zum Wesen der favola hat sich Boccaccio selbst

___________ ständige Krankheit betrachtet wurde, deren Heilung allerdings dieselbe Therapie wie die Melancholie erforderte: »Set quia frenesis et mania et melancolia et amor, qui hereos dicitur, quasi idem sunt, ideo de hiis est videndum« (G. Agilonis: Summa medicinalis. Nach den Münchener Cod. Lat. Nr. 325 und 13124 erstmalig ediert mit einer vergleichenden Betrachtung älterer medizinischer Kompendien des Mittelalters, hrsg von P. Diepgen, Leipzig 1911, S. 102 (fol 44v b) [Summa medicinalis]. Zu Person und Schaffen des spanischen Arztes cf. die Einleitung Diepgens, S. 4f). Um Intention des Autors und Adressatenkreis des Decameron erfassen zu können, ist es notwendig zu analysieren, welche Vorstellung Boccaccio hier mit dem Begriff ›malinconia‹ verbindet. Es wird im folgenden zu untersuchen sein, welche Vorstellungen von Melancholie und Liebeskrankheit in medizinischen Kreisen kursierten bzw. allgemein anerkannt waren und von Boccaccio hätten adaptiert werden können. Bis zur Klärung dieses Problems wird der Begriff Melancholie in der (allerdings stark verkürzten) Bedeutung ›große Traurigkeit‹ verwendet. 31 Dec. Proemio, 13/14. 32 Cf. Alessio/Battisti, Lemma parabola. Der italienische Ausdruck parabola nimmt den lateinischen wieder auf, der als Synonym für exemplum geläufig war. Cf. zudem Dec. Proemio, 13, Anm. Nr. 1 des Hrsg., sowie M. Veglia:: »La vita lieta«. Una lettura del ›Decameron‹. Ravenna 2000, S. 268 [Veglia]. 33 Cf. Alessio/Battisti, Lemma (istoria) ⇒ storia: »racconto di un avvenimento storico«. Cf. zudem Dec. Proemio, 13, Anm. Nr. 1 des Hrsg., ebenso Veglia, S. 268. Schon in der römischen Schulrhetorik wurde zwischen istoria, argumentum und fabula unterschieden: »Historia est gesta res, sed ab aetatis nostrae memoria remota, argumentum est ficta res, quae tamen fieri potuit, velut argumenta com ediam. (Cf. Rhet. ad Her. I, 13). 34 Im folgenden werden Geschichte, Novelle und Erzählung aus stilistischen Gründen synonym verwendet. 35 Cf. Alessio/Battisti, Lemma novella: »racconto immaginario di un fatto.« Der Aktualitätsbezug ist erst seit den novelle Boccaccios konstituierendes Element. Cf. zudem Dec. Proemio, 13, Anm. Nr. 1 des Hrsg, dazu auch Veglia, S. 268.

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in der rund fünfzehn Jahre36 nach dem Decameron verfaßten Genealogia Deorum gentilium37 geäußert. Im vierzehnten Buch dieses Werkes – in dessen erstem Teil der Autor in enzyklopädischer Manier den griechischen und römischen Götterhimmel erklärt – verteidigt er die Dichtkunst gegen die fiktiven Vorwürfe einiger Zeitgenossen.38 Der Verfasser definiert die fabula im Rahmen der grundsätzlichen Rechtfertigung dichterischen Schaffens. Zu Beginn des neunten Kapitels der sogenannten Apologie der heidnischen Dichtung (i. e. Buch XIV) berichtet Boccaccio empört: »hi boatores asserunt poetas fabulosos homines esse [...] vocitant fabulones«39. Dieses Aufbegehren entpuppt sich jedoch bald darauf als rhetorische Finesse: »Concedo fabulosos, id est fabularum compositores, esse poetas«.40 Die fabula – italienisch favola – ist also ein Erzeugnis dichterischer Kunst. Ihre Natur versucht der Dichter anhand der Etymologie des Wortes zu erklären: »fabula igitur ante alia a for faris honestam sumit originem, et ab ea confabulatio, que nil aliud quam collocutio sonat«41. Die anschließend dargelegte Argumentationskette: fabula hat denselben Stamm wie confabulare; dies wird auch in den Evangelien in der Bedeutung ›miteinander sprechen‹ verwendet42; es kann ___________ 36

Cf. L. Surdich: Boccaccio. Bari, Rom 2001, S. 275 [Surdich]. G. Boccaccio: Genealogie deorum gentilium. A cura di V. Zaccaria, in: G. Boccaccio: Tutte le opere di Giovanni Boccaccio. A cura di V. Branca, Bd.VII/VIII (Genealogie deorum gentilium, De montibus, silvis, fontibus, lacubus, fluminibus, stagnis seu paludibus, et de diversis nominibus maris) Mailand 1998, S. 44-1606 [GDG]. Die erste römische Ziffer bezeichnet das Buch der GDG, die zweite das Kapitel, die arabische Ziffer den Absatz. Zum Verhältnis zwischen den Schriften in volgare und dem lateinischem Spätwerk cf. L. Marino: The Decameron ›Cornice‹: Allusion, Allegory, and Iconologie. Ravenna 1979, S. 12 [Marino]. 38 In den Kapiteln II bis V von Buch XIV der GDG wendet sich Boccaccio systematisch an die Vertreter der Gruppen (Theologen, Juristen, Ärzte, Grammatiker), die traditionell die Dichtkunst verurteilen und konfrontiert sie mit ihren Vorwürfen um diese im weiteren Verlauf des Werkes zu entkräften. Ähnlich arbeitet auch Petrarca in den Invectivae contra medicum (1351). Zu inhaltlichen wie stilistischen Gemeinsamkeiten der beiden Werke cf. B. Hege: Boccaccios Apologie der heidnischen Dichtung in der Genealogia deorum gentilium. Buch XIV: Text, Übersetzung, Kommentar und Abhandlung von B. Hege. Tübingen 1997, S. 12-18 [Hege/Apologie]. 39 GDG XIV, IX, 1. 40 GDG XIV, IX, 2. 41 GDG XIV, IX, 3. Hervorhebungen vom Autor. Dieselbe Etymologie gibt beispielsweise auch Isidor von Sevilla in den Origines an: »Fabulas poetae a fando nominaverunt, qui non sunt res factae, sed tantum loquendo fictae.« (Isidori Hispalensis Episcopi: Etymologiarum sive Originum. Libri XX. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. M. Lindsay, Bd. I (l. I-X), Oxford 1957, I, XL, 1 [Etymologiarum].). Cf. dazu Walde/Hofmann, Lemma fabula. Auch diese Autoren verweisen auf das Etymon for, fari, fatus = sprechen, sagen, weissagen, besingen) Der Bezug zu confabulari und fabulari ist wohl eine Idee Boccaccios (Cf. Hege/Apologie, S 193). 42 Der Autor bezieht sich hier auf den Bericht über die Emmausjünger im Lukasevangelium; Lk. 24, 13-36, hier 24, 15: »Et ipsi loquenbantur ad invicem de his omni37

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deshalb schwerlich negativ bewertet werden; also ist auch das Schreiben von fabulae keine Sünde43; erscheint wenig einleuchtend. Da die Bibel im 14. Jahrhundert jedoch unbedingte Autorität besaß, Boccaccio sich mit seinem Werk unter anderen gegen die Theologen – gewissermaßen die Sachwalter der Heiligen Schrift – wandte, wohnt diesen Worten zwar harsche Kritik inne, aber sie überzeug(t)en. Damit ist allerdings noch nichts über Wesen und Inhalt der fabula ausgesagt. Dies holt der Autor im folgenden nach: Verum nusquam legetur quin ab intelligenti homine cognoscatur aliquid magni sub fabuloso cortice palliatum. Et ob id consuevere non nulli fabulam definire: ›Fabula est exemplaris seu demonstrativa sub figmento locutio, cuius amoto cortice, patet intentio fabulantis‹.44

Die Idee ist nicht neu, sondern vielmehr altes Fundament jeglicher Form allegorischen Schreibens.45 So kann sich Boccaccio bei der Darlegung der verschiedenen fabula-Typen auch am Modell Ciceros und Macrobius’ orientieren.46 Ihm wie seinen Vorbildern dient der Wahrheitsgehalt als Abgrenzungkriterium.47 Was Boccaccio der traditionellen Diskussion um die fabula hinzu___________ bus, quae acciderant, et factum est, dum confabularentur et secum quererent, it ipse Christus appropinquans ibat cum illas.« Hervorhebungen vom Autor. Der Bibelstelle ist hier aus dem GDG-Text zitiert. Der Text entspricht demjenigen der Vulgata. 43 Cf. GDG XIV, IX, 3/4. 44 GDG XIV, IX, 4. 45 Cf. Hege/Apologie, S. 194 sowie Hist. Wört. der Rhet., Lemma Allegorie, Allegorese, insbesondere B. 1. 46 Cf. De inv. I, XIX, 27 »fabula est in quae nec verae, nec veri similes res continentur« (sehr ähnlich Rhet. ad. Her. I, 13) sowie vor allem Macrobius: »a philosopho fabulam non oportuisse confingi, quoniam nullum figmenti genus veri professoribus conveniret. [...] Fabulae, quarum nomen indicat falsi professionem, aut tantum conciliandae auribus voluptatis […] argumenta fictis casibus amatorum referta […] Hoc totum fabularum genus, quod solas aurium delicias profitetur, e sacrario suo in nutricum cunas sapientiae tractatus eliminat«; A. T. Macrobii Commentarii in Somnium Scipionis. Edidit I. Willis accedunt quattuor fabulae. Leipzig 1958, I, 2, 4-8 [Somnium], Cf. dazu Hege/Apologie, S. 195. 47 Boccaccio unterscheidet vier fabula-Typen nach ihrem Wahrheitsgehalt, nennt ihre Erfinder und charakterisiert ihr Publikum: Typ I: erhält keine Wahrheit in der äußeren Erzählschicht, bestes Beispiel sind die Fabeln Äsops, diese sind bei Bürgern und Bauern gleichermaßen bekannt. Sie werden sogar von Aristoteles erwähnt. Typ II: vermischt in der äußeren Erzählschicht das Wahre mit dem Erfundenen, es handelt sich meist um mythologische Erzählung, in der Göttliches mit Menschlichem verbunden wird. Dieses Typs haben sich besonders die Komödiendichter angenommen, die beim einfachen Volk um Anerkennung bemüht sind. Typ III: ist nahe verwandt mit der historia, was bedeutet, daß die in der äußeren Erzählschicht berichteten Ereignisse nicht wahr sein müssen, aber können, d. h. sie müssen wahrscheinlich (verisimile) sein. Dieser fabula-Typ wird beispielsweise von Homer, Vergil sowie den ehrenhaften Komödiendichtern (i. e. Plautus und Terenz) erzählt. Die Botschaft des cortex weicht dabei häufig von der darunterliegenden, entscheidenden Aussage ab (Das argumentum der Rhet. ad Her. entspricht demensprechend ebenfalls diesem Typ). Typ IV: berichtet weder in der äußeren Erzählschicht etwas Wahres, noch enthält sie einen wahren Kern. Boccaccio bezeichnet sie als

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fügt48, ist die Hinwendung zum cortex, das Beachten des kunstvoll gefertigten figmentum, dem er – wie noch zu zeigen sein wird – eine eigene Funktion zuspricht. Das Interesse für die Oberfläche, das sichtbare Äußere der fabula ergibt sich notwendig aus dem apologetischen Zusammenhang, lag doch der Vorwurf in der Luft, die Beschäftigung mit den Mythen der Griechen und Römer bzw. grundsätzlich die Dichtkunst sei unnütz, gar schädlich, wenn sie sich nicht mit religiösen Inhalten auseinandersetzte. Wenn Boccaccio sich hier für die Beachtung der Außenschicht der fabula ausspricht, die er ja als dichterisches Erzeugnis gekennzeichnet hatte, erklärt er sich sowohl mit phantasievollen inhaltlichen als auch mit der sprachlichen Ausschmückung der fabula einverstanden: Poesis enim [...] est fervor quidam exquisite inveniendi atque dicendi, seu scribendi quod inveneris. […] Huius enim fervoris sunt sublimes effectus, ut-puta-mentem in desiderium dicendi compellere, peregrinas et inauditas inventiones excogitare, meditatas ordine certo componere, ornare compositum inusitato quodam verborum atque sententiarum contextu, velamento fabuloso atque decenti veritate contegere.49

Die hervorgehobenen Textabschnitte machen deutlich, daß Boccaccio der Meinung ist, der Schreibvorgang beim Verfassen von fabulae lasse sich in die gleichen Abschnitte unterteilen wie das Konzipieren einer Rede. Hier wie dort bedarf es zunächst einer oder mehrerer Ideen50, die anschließend angeordnet ___________ Phantasieprodukt alter Weiber. Der Autor rechfertigt die ersten drei Varianten, indem er sie mit Erzählformen vergleicht, die auch in AT und NT verwendet werden (Cf. GDG XIV, IX, 5-8), argumentiert also wiederum mit der auctoritas der Heiligen Schrift, die fabula vierten Typs lehnt er ab, weshalb sie keiner Rechtfertigung bedarf (GDG XIV, IX, 11). Die von Boccaccio vorgenommene Unterteilung orientiert sich an derjenigen von Macrobius (Somnium, I, 2, 9-12), der allerdings nur drei Arten unterscheidet. 48 Stierle zeichnet in seinem Beitrag »Fiktion« (Cf. Stierle, in: Barck e. a., S. 380427) die Diskussion um die Legitimation der Fiktion von der Antike (Ovid/Cicero) bis ins Renaissancezeitalter nach. Dabei betont er besonders die Bedeutung des Christentums. Nicht nur der Absolutheitsanspruch der Evangelien, sondern auch das Selbstverständnis der Kirche, alleinige Verkünderin der Wahrheit zu sein, entzog der Fiktion jede Daseinsberechtigung im christlichen Abendland (Cf. Stierle, in: Barck e. a., S. 389/390). Erst die Heraufkunft der Idee allegorischen Dichtens gab der Fiktion ein »relatives Eigenrecht« zurück (Stierle, in: Barck e. a., S. 393). Es bedurfte jedoch noch des Einsatzes einiger Dichterpersönlichkeiten wie Chrétien de Troyes oder Jean de Meung, die durch innovative Formen des Schreibens das latente ›Fiktionsverbot‹« zu umgehen wußten (Cf. Stierle, in: Barck e. a., S. 394/395). Boccaccio ist nach langen Jahrhunderten der Duldung der erste, der die Fiktionen der Alten positiv bewertet und sie gleichberechtigt neben die Literatur aus der Feder christlicher Autoren stellt: »Noch nie sind Weite und Vielfalt der Fiktion so überschwenglich gepriesen worden wie bei Boccaccio« (Stierle, in: Barck e. a., S. 397). 49 GDG XIV, VII, 1. 50 Cf. dazu Hege/Apologie, S. 181. Wenn Boccaccio hier die Aufgabe des fabulaDichters mit »peregrinas et inauditas inventiones excogitare« umreißt, grenzt er ihn jedoch eindeutig vom Redner ab. Diesem wird nämlich geraten, Wahres oder Wahrschein-

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und sprachlich ausgestaltet werden müssen.51 Mit Beendigung dieser Arbeitsschritte liegt die Außenschicht der fabula vor, die unter sich eine andere Wahrheit verbirgt. Diese muß jedoch nicht gänzlich verhüllt sein, sondern kann bereits in der oberen Erzählschicht spürbar werden.52 Das schlagkräftigste Wort dieser Textpassage ist dennoch »fervor«. Gemäß einer Bemerkung Ciceros, der in den Humanistenkreisen des 14. Jahrhunderts höchste Autorität genoß, handelt es sich dabei um eine Gabe göttlichen Ursprungs53, die dem Dichter bei der Geburt zuteil wird, sein ingenium schärft und ihn somit zu seinen Aufgaben als Dichter drängt.54 Der Hinweis auf den göttlichen Ursprung des fervor und damit der poesia als Konkretisierung des durch den fervor ausgelösten »desiderium dicendi«55 nimmt den Kritikern, insbesondere den Theologen, den Wind aus den Segeln, läßt sich doch gegen eine infolge göttlicher Anregung ausgeführte Tätigkeit schwerlich etwas einwenden.56 Boccaccio sichert also seine fabula-Konzeption in zweifacher Weise ab. Die Hervorhebung von (eventueller) Originalität und sprachlicher Schönheit des cortex durch den Autor bedeutete jedoch nicht, daß er der darunterliegenden Botschaft keine Beachtung schenkt. Er betont vielmehr die positive Seite der Doppelbödigkeit der fabula: Quid multa? Tanti quidem sunt fabule, ut earum primo contextu oblectentur indocti, et circa abscondita doctorum exerceantur ingenia, et sic una et eadem lectione proficiunt et delectant.57

In dieser Aussage stellt der Autor in einer Art Fazit die wesentlichen Elemente der fabula noch einmal zusammen: Eine fabula ist für Boccaccio ein ›Stück Fiktion‹, das unter einer ersten allgemein zugänglichen Erzählschicht eine weitere, tiefere Botschaft enthält. Je nach Bildungsgrad des Rezipienten ist ___________ liches zu berichten (Cf. z. B. De inv. I, VII, 9: »Inventio est excogitatio rerum verarum aut veri similium quae causam probabilem reddant.«). 51 Diese Arbeitschritte entsprechen drei der traditionellen fünf officia oratoris: inventio, dispositio, elocutio. Die übrigen, memoria und actio, werden hier nicht benötigt, da die fabula im Sinne Boccaccios in schriftlich fixierter Form vorliegt (Zu den officia oratoris cf. Knape, S. 18, 66f (zur Rhet. ad. Her.), 111-114 (zum De orat.)). 52 Dies ist z. B. bei der fabula des zweiten Typs der Fall. 53 Cf. Cicero: Oratio pro Archia, VIII, 18: »quasi divino quodam spiritu inflari«; (in: M. T. Ciceronis Scripta quae mansuerunt omnia (Fasc. 19): Oratio pro P. Sulla iterum recognovit H. Kasten. Oratio pro Archia poeta. Iterum recognovit P. Reis, S. 43-57, Leipzig 1949. Die Aussage Ciceros, der sich natürlich auf die römischen Götter bezog, wurde hier christlich umgedeutet (Cf. dazu: F. Tateo.: »Poesia e favola nella poetica del Boccaccio«, in: Filologia romanza 5, 1958, S. 267-342, hier S. 269f [Tateo/»Poesia e favola«]). 54 Cf. Hege/Apologie, S. 181. 55 Cf. Hege/Apologie, S. 179. 56 Cf. Tateo/»Poesia e favola«, S. 271. 57 GDG XIV, IX, 15.

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es also möglich, sich entweder nur an der dichterisch ausgestalteten oberen Lage zu erfreuen – delectare – oder aber zusätzlich von der zweiten, noch freizulegenden Erzählschicht zu profitieren – proficere. Die Formulierung läßt nicht nur das bekannte horazische Diktum: »Aut prodesse volunt aut delectare poetae«58 anklingen, sie erinnert gleichermaßen an das Proemio des Decameron: Nelle quali novelle piacevoli e aspri casi d’amore e altri fortunati avvenimenti […] delle quali le già dette donne, che queste leggeranno, parimente diletto delle sollazzevoli cose in quelle mostrate e utile consiglio potranno pigliare.59

Es war also bereits im Decameron Boccaccios Anliegen, seinen Lesern60 »diletto« und »utile consiglio« zu bescheren. Läßt sich anhand dieser konzeptionellen Übereinstimmung – die wohl keine Seltenheit war, da die Wendung aus der Epistel Horaz’ als Maxime dichterischen Schaffens schon seit dem Mittelalter allgemein Anerkennung fand61 – jedoch davon ausgehen, daß Boccaccio bei der Definition der fabula in der Genealogia tatsächlich die »cento novelle, o favole o parabole o istorie« […] seines Werks in volgare vor Augen hatte? Erste Aufgabe der Geschichten des Decameron war es, die melancholischen Damen durch »nuovi ragionamenti« abzulenken. Auf diese Funktion der fabula weist Boccaccio auch in seinem Spätwerk hin: Fabulis fessis illustrium virorum circa maxima animis vires persepe restitute sunt quod non tantum exemplo veteri sed assiduis demonstratur. Cernimus enim principes et maximis occupatos rebus quasi rerum natura docente, post regnorum suorum sublimes dispositiones in melius, ut fessas in nervum revocent vires, convocare, qui iocosis confabulationibus recreent animos fatigatos. Fabulis laborantibus sub pondere adversantis fortune non numquam solamen inpensum est, quod Lucium Apuleium cernitur. Quem penes Carithes, generosa virgo, infortunio suo apud predones captiva,

___________ 58

Epistulae/De arte poetica, Vv. 333. B. Kytzler weist jedoch darauf hin, daß die Idee des »zweifachen Zwecks der Poesie« nicht unmittelbar von Horaz stammt, sondern auf Neoptolemos von Parion zurückgeht, dessen literaturkritische Aussagen die Basis des horazischen Briefes bilden (Cf. B. Kytzler: Horaz. Eine Einführung. München, Zürich 1985, S. 98/99). 59 Dec. Proemio, 14. Die Tatsache, daß Boccaccio als »allegiamento« nicht nur »piacevoli«, sondern auch »aspri casi d’amore« anbietet, ist einerseits durch das Prinzip der variatio bedingt, andererseits durch den Wunsch des Autors, die Welt realistisch darzustellen, also mit Sonnen- und Schattenseiten. 60 Auch wenn Boccaccio betont, daß sich sein Werk in erster Linie an Frauen richtet, werden sicherlich auch viele Männer das Buch gelesen haben, da, wie bereits angedeutet, diese als ›an der Liebe Leidende‹ gleichermaßen zum Adressatenkreis des Decameron gehörten. Dementsprechend wird im folgenden die neutrale männliche Form verwendet und nur dann von explizit von Leserinnen gesprochen, wenn der Begriff kontrastiv benutzt wird. 61 Cf. Suchomski, S. 70.

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captivitatem suam deplorans, ab anicula fabule Psycis lepiditare paululum refocillata est. 62

In den ersten Sätzen der zitierten Textpassage spielt der Autor auf das von Aristoteles ebenso wie von Plinius, Valerius Maximus und anderen erwähnte recreatio-Prinzip an. Er geht somit nicht mehr nur davon aus, daß die fabula den Menschen ablenken und auf andere Gedanken bringen kann, sondern spricht ihr darüber hinaus, rekreative, kraftspendende Wirkung zu.63 Mag dieser – psychologische – Effekt auch nach unserem Verständnis die Grundlage für alle auf dem Lachen gründenden Heilerfolge sein, so betrachteten die Zeitgenossen Boccaccios, ebenso wie die ›Großen‹ der Antike und des Mittelalters, die Wirkung des Lachens modern gesprochen vornehmlich physiologisch, das heißt, sie erklärten das Auftreten von Krankheiten vor allem durch eine Disharmonie der Säfte (bzw. Qualitäten). Lachen und Heiterkeit konnten im Rahmen der accidentia animae und somit als einer der sex res non naturales dazu beitragen, die Harmonie unter den humores respektive qualitates wieder herzustellen.64 Daß der Dichter nicht mit der rekreativen Wirkung der Novellen des ___________ 62

GDG XIV, IX, 13. Möglicherweise spielt Boccaccio hier auf die Verse der Carmina Horaz’ an (Cf. dazu S. 47, Anm. 117). 63 Cf. dazu Tateo/»Poesia e favola«: »Boccaccio attribuisce talvolta a la favola […] il più semplice compito recreativo.« (S. 312). Es läßt sich zudem vermuten, daß Boccaccio Valerius Maximus’ positive Bewertung des otiums mit rekreativer Wirkung kannte. Er hatte nicht nur selbst Teile der Facta et Dicta memorabilia ins Italienische übertragen (Cf. Mazza, S. 56) und besaß den Kommentar des Dionigi di Borgo San Sepolcro zu Valerius Maximus’ Werken (Cf. Mazza, S. 54), sondern sich darüber hinaus bereits 1339 in einem Brief an Francesco de’ Bardi offensichtlich auf die im De otio-Kapitel berichteten Anekdoten bezogen und auf diese Weise die kraftspendende Wirkung ›niederer‹ Tätigkeiten herausgestellt: »con ciò sia cosa che le forze degl’uomini, se aiutate non sono talvolta da alcuno riposo, resistere non possano né perseverare nelle fatiche continue alle quali noi medesimo spesse volte più che non ci bisogna miseri sottentriamo, è conceduto per li savi uomini, anzi è consigliato, che interponendo a quelle talvolta alcuno onesto diletto, sì come stanche e vinte le riconfortiamo E per questo non estimò Socrate […] essere sconvenevole a lui la mente cessare dalle considerazioni de’ profondissimi secreti della natura e co’ suoi piccioli figliuoli cavalcare sopra il cavallo della canna […]. E similmente Cornelio Scipione et Lelio […] non si vergognarono d’essere su per lo lito di Gaeta veduti ricogliere le piccole pietre et le conche […] e fanciullescamente insieme diportarsi con quelle.« (G. Boccaccio: Lettere. A cura di. G. Auzzas in: Tutte le opere di Giovanni Boccaccio. A cura di V. Branca, Bd.V, I (Rime, Carmina, Epistole e Lettere, Vite), Mailand 1992, S. 857-878, hier S. 861, 1-3. (Lettera I, S. 861-865)). Zur rekreativen Funktion von Literatur mit zahlreichen, weiterführenden Textbeispielen cf. G. Olson: Litterature as recreation in the Later Middle Age. Ithaka, London 1982, insbesondere S. 90ff [Olson]. 64 Cf. dazu ausführlich Kapitel 5. c). In den antiken und mittelalterlichen Werken zur Gesundheitslehre werden für den Affekthaushalt unterschiedliche Bezeichnungen verwendet: die gängigsten sind accidentia animae, animi affectibus, accidentes animi und passiones. Im folgenden wird – unabhängig von den in den Quellen verwendeten Bezeichnungen – stets der Ausdruck accidentia animae gebraucht.

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Decameron argumentiert, bedeutet jedoch nicht, daß diese ihnen nicht zu eigen ist.65 Im zweiten Teil des Zitats verweist der Autor auf ein Werk Apuleius’ – Metamorphoses – besser bekannt unter dem Titel Asinus Aureus.66 Er spielt hier auf die Situation des Mädchens Charite an, das sich in einer ähnlich traurigen Lage wie die toskanischen Damen, denen der Dichter sein Decameron widmete, befindet. Während die Melancholie dieser Frauen jedoch ›nur‹ durch Liebeskummer hervorgerufen wird, unter dem auch Charite leidet, weiß sie doch nicht, ob sie ihren soeben geheirateten Mann je wiedersieht,67 sieht sich das Mädchen darüber hinaus durch die Gefangenschaft existenziell bedroht. In dieser Situation schlägt ihr ein herbeigeholtes altes Weib vor: »ego te narrationi___________ 65 Die rekreative Funktion der Novellen und des Landaufenthalts ingesamt schwingt nämlich in den Worten Panfilos am Ende des zehnten Erzähltages unverkennbar mit: »Noi, come voi sapete, domane saranno quindici dí, per dovere alcun diporto pigliare, a sostentamento della nostra santà e della vita, cessando le malincolie e dolori e l’angosce, le quali per la nostra città continuamente, poi che questo pistolenzioso tempo incominciò si veggono, uscimmo di Firenze […] E per ciò, acciò, che per troppa lunga consuetudine alcuna cosa che in fastidio si convertisse nascer non ni potesse, e perché alcuno la nostra troppo lunga dimoranza gavillar non potesse, e avendo ciascun di noi la sua giornata avuta la sua parte dell’onore […] giudicherei […] che convenevole cose fosse ormai il tornarci là onde ci partimmo.« (Dec. X, Concl. 3-6). Ob die Pest in Florenz abgeflaut und damit wieder Normalität eingekehrt ist, scheint nebensächlich. Die Mitglieder der brigata werden also nach ihrer Rückkehr den gleichen Gefahren ausgesetzt sein wie vor ihrem Landaufenthalt, aus dem sie jedoch geistig und körperlich gestärkt, recreati, hervorgehen. Durch die eventuell verfrühte Rückkehr der brigata ins immer noch pestverseuchte Florenz wird zudem deutlich, daß der fiktive Landaufenthalt der jungen Damen und Herren im Decameron nicht als Flucht vor der Pest konzipiert ist, die nicht nur Boccaccio selbst (Cf. Dec. I, Intr., 25), sondern auch seine Zeitgenossen verurteilt hatten. 66 Apuleius Madaurensis: Metamorphoseon libri XI − Der goldene Esel. Lt./dt. Hrsg. und übers. von E. Brandt und W. Ehlers. Mit einer Einführung von N. Holzberg. Düsseldorf, Zürich 51998 [Met.]. Die römische Ziffer bezeichnet das Buch, die arabischen Zahlen das Kapitel und den Vers. Der Titel Asinus Aureus geht zurück auf einen Passus in De Civitate Dei XVIII, 19/20. Zum Werk des Autors und zur Tradition des antiken Romans cf. v. Albrecht, S. 955ff. Die Bezeichnung ›antiker Roman‹ ist heutzutage allgemein gebräuchlich und wird sogar als Titel für Publikationen, die einer bestimmten Gruppe von Werken – wie beispielsweise die Fragmente Petronius oder die Schrift Apuleius’ – gewidmet sind (so z. B. auch für die von mir benutzte Veröffentlichung des Autorenkollektivs um H. Kuch), verwendet. Die Verschiedenheit der unter dem Oberbegriff ›Roman‹ zusammengefaßten Texte läßt vermuten, daß es zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Texte keine formalen Vorschriften gegeben hat. Die in der Sekundärliteratur (Cf. z. B. Kuch, S. 14, ähnlich. E. Burck: »Zum Verständnis des Werkes« in: Apuleius: Metamorphosen oder Der goldene Esel. Nach der Übersetzung von A. Rode, neu bearbeitet und kommentiert. Berlin 1961, S. 256-309, hier S. 258.) immer wieder zitierte ›Gattungsdefinition‹ des Macrobius »(fabula est) argumenta fictis casibus amatorum referta, quibus vel multum se Arbiter exercuit vel Apuleium non numquam lusisse miramur« (Somnium I, 2, 8), die sich zudem in bezug auf das Werk Apuleius’ als Zirkeldefinition erweist, bezieht sich nur auf den Inhalt. 67 Cf. Met. IV, 26.

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bus lepidis anilibusque fabulis protinus avocabo.«68 Obwohl die Geschichte von einer Alten (anus) erzählt wird, es sich also auf den ersten Blick um eine auch von Boccaccio verurteilte fabula des vierten Typs handelt69, erfüllt die Erzählung von Amor und Psyche ihren Zweck: sie lenkt ab. Und nicht nur das: Inhalt und Form bieten darüber hinaus dem Rezipienten ein Hör- bzw. Lesevergnügen. Daß die fabula desweiteren auch als Warnung vor zu großer Neugier70 zu lesen ist, mag nicht nur Charite in ihrer Not entgangen sein, sondern auch dem weniger aufmerksamen Leser. Ob man diese Botschaft aber herauszulesen weiß oder nicht, tut dem Genuß an der Lektüre keinen Abbruch, was dem literarischen Programm Boccaccios zur Aufwertung der Fiktion entspricht. Was hier hinsichtlich der Amor und Psyche-Erzählung gesagt wurde, gilt gleichermaßen für einen Großteil der Novellen des Decameron. Auch diese bieten zunächst vornehmlich »diletto« und somit »allegiamento«. Auch wenn man als Leser die tiefer liegende Botschaft nicht immer erkennt, man also nicht allen Geschichten »utile consiglio« entnehmen kann, wird die Zielsetzung des literarischen Projekts nicht in Frage gestellt. Die hier dargestellten Gemeinsamkeiten zwischen der Konzeption der fabula bei Apuleius – die von Boccaccio ausdrücklich so bezeichnet wird und als positives Beispiel fungiert – und der Novellen des Decameron lassen also vermuten, daß zwischen der fabula des Spätwerks und den favole der Novellensammlung ein Zusammenhang besteht, man also die Aussagen des Autors in der Genealogia für die Interpretation des Decameron fruchtbar machen kann.71 ___________ 68

Met. IV, 27, 8. GDG XIV, IX, 11. 70 Cf. Met. V, 6, 7. 71 Erstaunlicherweise lehnt B. Hege eine Verbindung zwischen dem fabula-Begriff der Genealogia und den Novellen des Decameron, grundsätzlich ab, da die fabula der GDG ihrer Meinung nach »vor allem mythische Erzählung ist« (Hege/Apologie, S. 5, Anm. 9). Durch die von ihr gewählte Formulierung »vor allem« widerlegt sie sich jedoch quasi selbst. Sicher ist der von Boccaccio vorgeschlagene zweite fabula-Typ »vor allem mythische Erzählung«, neben dieser definiert der Dichter aber noch drei weitere, deren äußere Erzählschicht er jedoch kaum näher beschreibt (Auf diesen Sachverhalt weist Hege jedoch in der gleichen Anmerkung selbst hin). Die Tatsache, daß die Verteidigung der Dichtung eng mit einer ›Mythologie-Enzyklopädie‹ verbunden ist, sollte nicht dazu verleiten, die Ausführungen des Autors nur in diesem eng gefaßten Rahmen zu verstehen. Die sehr allgemeinen Aussagen zum Verhältnis zwischen Dichtkunst und Rhetorik im siebten Kapitel deuten beispielsweise darauf hin, daß es Boccaccio hier um die Klärung einiger grundsätzlicher Fragen ging. In Kapitel XVII, 5 gibt er schließlich an, es könne sich bei den Protagonisten der fabula um »quorumquunque animantium« handeln (GDG, XIV, XVII, 5). Eine Beschränkung auf den mythologischen Bereich ist somit schwerlich zu begründen. Für eine Verbindung zwischen den theoretischen Aussagen der GDG und den Novellen des Decameron plädiert zudem Tateo (Cf. Tateo/»Poesia e favola«, S. 331) – gegen dessen an dieser Stelle geäußerte Meinung Hege opponiert – sowie Veglia, S. 269. 69

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Die Aussagen in bezug auf die Erzählungen im einzelnen lassen sich auch auf das gesamte Korpus übertragen. Sowohl die Novellen des Decameron als auch die in den Roman eingelegten Geschichten72 bei Apuleius können getrennt voneinander, als Einzelkunstwerke, genossen werden. Auf die tiefer liegende Aussage der Autoren, die sich erst aus dem Zusammenspiel der Teile ergibt,73 muß dann allerdings verzichtet werden, was jedoch das primäre Vergnügen bei der Lektüre der äußeren Erzählschicht nicht mindert. Die Aufzählung der strukturellen und ideellen Gemeinsamkeiten zwischen dem antiken Roman und der Novellensammlung ließe sich fortsetzen. So sind den beiden Werken nicht nur einige Novelleninhalte gemein, die Boccaccio von Apuleius übernommen und adaptiert hat74, sondern – und das ist an dieser Stelle entscheidend – auch ein positiver Grundtenor sowie die Präsentation des Geschichtenerzählens als angenehmen Zeitvertreib. Apuleius stimmt seine Leser bereits in den ersten Zeilen der Metamorphoses auf eine vergnügliche Lektüre ein, wenn er behauptet, Geschichten in milesischen Stil75 schreiben zu wollen, die »aures tuas benivolas lepido susurro permulce(ant).«76 Diese Linie behält er im folgenden bei: »Lector intende, laetaberis.«77 Aus dieser Autorenrede spricht die unverhohlene Lust am Erzählen. Es wird zum Zeitvertreib.78 Das ___________ 72 Neben der bereits erwähnten Amor und Psyche Erzählung (Met. IV. 28-VI. 24.) sind dies vor allem die Ehebruchsgeschichten der Müllersfrau, die Lucius dank seiner »auribus grandissimis« mitanhört (Met. IX, 15f). 73 In bezug auf die Metamorphoses sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, daß die in der Erzählung von Amor und Psyche angeprangerte Neugier auch im Gesamtwerk eine entscheidende Rolle spielt, da sie nicht nur für die Verwandlung des Protagonisten Lucius in einen Esel verantwortlich zeichnet (Met. III, 21-25), sondern auch im weiteren Verlauf der Handlung immer wieder zur treibenden Kraft und damit zum Auslöser weiterer Unglücksfälle (Cf. z. B. Met. IX, 42) wird. 74 Cf. dazu L. Sanguinetti White: Apuleio e Boccaccio. Caratteri differenziali nella struttura narrativa del ›Decameron‹. Bologna 1977, insbesondere S. 52-67 [Sanguinetti White], sowie S. 277. 75 Met. I, 1, 1. Apuleius spielt mit der Formulierung »sermone Milesio« auf die Milesischen Geschichten (A ) des Aristeides von Milet an. Diese sind jedoch in ihrer ursprünglichen Form nicht erhalten, sondern nur in der lateinischen Übersetzung L. C. Sisennas auf uns gekommen. Milesische Geschichten gelten heutzutage als Gattungsbezeichnung für die erotische Novelle, was wohl auf den Inhalt der Ursprungsgeschichten rekurriert. Cf. v. Albrecht, S. 965, sowie Kuch, S. 203 (Aristeides von Milet) und 206 (L. C. Sisenna). 76 Met. 1. 1, 1. 77 Met. I, 1, 6. 78 Auch Boccaccio gibt an, sein Werk für die müßigen Frauen geschrieben zu haben: »offerto alle oziose e non all’altre« (Dec. Concl. 20). Während er jedoch explizit auf die Melancholie dieser Damen hinweist, die er durch seine Geschichten zu vertreiben gedenkt, ist das Erzählen bei Apuleius gegen andere, ebenso kurzweilige Aktivitäten austauschbar. Wenn Sokrates, Aristomenes und Lucius sich beim Spazierengehen unterhalten und Geschichten erzählen (Cf. Met. I, 2, 6 »simul iugi, quod insurgimus, aspritudinem fabularum lepida iucunditas levigabit«), so tun sie dies vor allem, weil andere Be-

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Decameron läßt diese Unmittelbarkeit vermissen. Die grundsätzlich positive Stimmung und die Idee des Reihum-Erzählens werden im Proemio nur angedeutet und erst in der brigata-Fiktion durch die Worte Dioneos und Pampineas konkretisiert.79 Diese Vorsicht läßt vermuten, daß Boccaccio das Erzählen vergnüglicher Geschichten nur unter medizinischem Vorzeichen, nämlich zum Vertreiben der Melancholie als legitim erachtete. Diese Absicht stellt er dementsprechend auch ganz deutlich heraus. Erst in der Introduzione zum ersten Tag, als er als Autor hinter die Fiktion zurücktritt, gibt er sein Vorhaben detaillierter bekannt. Wenn er vergnügliche Geschichten therapeutisch einsetzt, kann er auf die Akzeptanz des Diktums »Lachen ist gesund«, sowie auf dessen lange Traditionsgeschichte in Philosophie, Medizin und Literatur bauen. Dies mag den Autor dazu angeregt haben, sein Werk nach diätetischen Richtlinien zu gestalten. Der Erfolg seines literarischen Projekts war in jedem Fall auf diese Weise gesichert, denn Gesundheit80 gilt seit jeher als erstrebenswertes Gut. ___________ schäftigungen, die die Mühen des Fußmarsches gleichermaßen vergessen lassen würden, im Gehen schwerlich ausführbar sind. Dementsprechend ist ein Fußmarsch oder ein Spaziergang lediglich eine gute Möglichkeit, das Motiv des (gegenseitigen) Erzählens von Geschichten, das dem Autor erlaubt, verschiedene Meinungen zu einem Thema vorzustellen, sinnvoll in ein Werk zu integrieren (Cf. z. B. Satyrica, 118-124; ähnlich G. Chaucer: Canterbury Tales: »That ech of yow, to shorte with oure weye, in this viage shal telle tales tweye«; G. Chaucer: Die Canterbury Erzählungen. Mteng./dt., in dt. Prosa übertragen von F. Kemmler, mit Erläuterungen von J. O. Fichte. Bd. I (Fragment I Gruppe A – Fragment IV, Gruppe E), München 1989, I, 791/792). 79 Cf. Dec. I, Intr. 92-94: Beschluß, fröhlich miteiander zu leben; Dec. I, Intr. 110112: Vorschlag, die heißesten Stunden des Tages mit dem Erzählen von Geschichten zu verbringen. 80 Um die im folgenden analysierten Ratschläge zur Gesundheitsbewahrung angemessen bewerten zu können, ist es sinnvoll, sich kurz vor Augen zu führen, was es in Mittelalter und Früher Neuzeit bedeutete, wenn man dieses Gut nicht besaß und statt dessen mit Krankheit und Tod konfrontiert war. In früheren Zeiten waren die Grenzen zwischen ›gesund‹ und ›krank‹ deutlich anders gezogen als in unserer Zeit. Die WHO definiert Gesundheit als »Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens«, was über ein »Fehlen von Krankheiten und Gebrechen« deutlich hinausgeht (Verfassung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. Juli 1946, Text einsehbar unter http://www.who.int/en/ (Zugriff 01. 09. 2005)). Ein solcher Zustand erscheint heutzutage also erreichbar und wünschenswert. Dies war am Ausgang des Mittelalters deutlich anders, ein ›Schweigen der Organe‹ war kaum vorstellbar und viele Krankheiten, die uns heutzutage plagen, sind vom größten Teil der Bevölkerung wohl gar nicht als solche registriert worden. Die Menschen hatten neben der Sorge um das tägliche Brot keine Möglichkeiten, sich zu schonen oder auf krankmachende Tätigkeiten zu verzichten (Cf. H. Schipperges: Die Kranken im Mittelalter. München 1990, S. 79 [Schipperges/Die Kranken]). Krank zu sein kam oft einem Todesurteil gleich, es bedeutete, daß man nicht mehr für den Lebensunterhalt sorgen konnte und mehr als sonst auf die Hilfe anderer angewiesen war. Zwar bildete sich seit dem 11. Jahrhundert das städtische Hospizwesen heraus und Orden und Bruderschaften begannen sich der Kranken anzunehmen (Cf. S. 127, Anm. 148), dennoch galten zahlreiche Erkrankungen, die wir heute

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b) ›Lachen ist gesund‹ als Volksweisheit Versucht man Herkunft und Geschichte des Sprichworts nachzuzeichnen, um den ursprünglichen Sinngehalt aufzudecken, und konsultiert dabei verschiedene Nachschlagewerke, so eröffnet sich ein historisches wie europäisches Panorama: Wendungen, die Lachen oder ein heiteres Gemüt positiv bewerten und als vorteilhaft für das Leben des Menschen betrachten, gibt es in großer Zahl und in verschiedenen Sprachen. Auch sind sie für unterschiedliche historische Epochen nachweisbar. Wie bereits erwähnt, sind Sprichwörter »volkstümlich und leicht faßlich formulierte Sprüche«81 oder ›Lebensweisheiten‹. Es ist also davon auszugehen, daß sie seit langem weit verbreitetes Kulturgut sind.

___________ – besonders in den hochentwickelten Staaten des Westens – als ungefährlich betrachten, für den damaligen Stand der Medizin als unheilbar. Aufgrund der damaligen Wohn- und Lebensverhältnisse war es zudem im allgemeinen wesentlich schwieriger, Gesundheit zu erlangen und zu erhalten als in unserer Zeit. Neben diesen rein praktischen Gesichtspunkten spielt selbstverständlich auch der psychologische Aspekt eine entscheidende Rolle. Auch wenn man heutzutage um das Entstehen vieler Krankheiten weiß und Therapien kennt, um die Schmerzen zu lindern oder gar zu beseitigen, löst der Gedanke krank zu sein Unsicherheit und Angst aus. Die Diagnose ›unheilbar krank‹, bei einem selbst oder bei nahestehenden Personen, stellt meist das gesamte bisherige Lebenskonzept in Frage. Wieviel schwerer muß dementsprechend zur Entstehungszeit des Decameron das Urteil ›krank‹ gewogen haben? Neben die materielle Unsicherheit trat hier schlicht die Angst, hervorgerufen durch Unwissenheit und Aberglauben, aber auch geschürt von den Vertretern christlicher Religion (Cf. dazu auch meine Anmerkungen zur Pestepidemie, S. 236ff). Weil Krankheit immer wieder als Strafe Gottes interpretiert wurde, fühlten sich die Betroffenen einerseits als Sünder und fürchteten den Zorn Gottes beim Jüngsten Gericht, andererseits hatten die Krankenheilungsberichte der Evangelien die Ausbildung des Christus-Medicus-Motivs gefördert, das bereits altestamentalische Wurzeln (Jes. Sir. 38, 1-15) hatte und sich analog zum antik-heidnischen Modell der Übertragung der Heilsgewalt von Apollo medicus auf seinen Sohn Asklepsios herausgebildet hatte (Cf. Schipperges/Die Kranken, S. 203; Eckart, S. 45). Die Betreuung der Kranken war also stets Aufgabe der Kirche, die dieser Verantwortung zunächst auf spiritueller Ebene durch die Einrichtung des Sakraments der Krankensalbung im fünften Jahrhundert nachkam. Die wechselnden Bezeichnungen sowie die Gebetstexte machen deutlich, daß die oben erwähnten Aspekte von Heilung und Sündenvergebung zwar stets präsent waren, aber je nach herrschendem Gottesbild unterschiedlich akzentuiert wurden (Cf. J. Pourrias e. a.: Les sacrements dans l’histoire: L’onction des malades. Angers 1989, Leporello, nicht paginiert, insb. Abschnitt II [Pourrias]). Darüber hinaus wurde(n) Krankheit (und Tod nahestehender Angehöriger) als Prüfung oder Zeichen der Erwählung verstanden. Vorbilder waren nicht nur der altestamentalische Hiob (Cf. z. B. Ijob 2, 10), sondern auch zahlreiche Heilige, die ihr von Gott gegebenes Leid getragen haben und schließlich geheilt wurden. 81 Cf. G. von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 82001. Lemma Sprichwort.

b) ›Lachen ist gesund‹ als Volksweisheit

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H. A. Seidl führt in seiner Studie zu den englischen und deutschen medizinischen Parömien82 ein mittellateinisches Sprichwort an, das im Florilegium Gottingense83 von 1366 enthalten und möglicherweise die Grundlage zahlreicher Varianten im europäischen Sprachraum ist: »Spiritus exultans facit, ut tua floreat aetas.«84 Der gleiche Gedanke findet sich bereits im Buch der Sprichwörter: »Ein fröhliches Herz tut dem Leib wohl«85, sowie ähnlich bei Jesus Sirach. »Herzensfreude ist Leben für die Menschen, Frohsinn verlängert ihm die Tage«86. Ob die in Europa verbreiteten Varianten der Parömie sich auf der Grundlage des mittellateinischen Sinnspruchs oder auf biblischer Basis entwickelt haben, ist im Nachhinein kaum nachvollziehbar und an dieser Stelle nicht relevant. Festzuhalten ist lediglich, daß die Idee grundsätzlich bekannt und – dank der Bibel – auch wohl verbreitet war.87 Eine englische Variante aus dem 14. Jahrhundert »As long lives the merry heart as the sad«88 mißt jedoch dem »merry heart« keinerlei Vorzüge bei, sondern konstatiert nur eine grundsätzliche Verbindung zwischen Gemütszustand und Lebenslänge.89 Spätere Varianten aus dem deutschen Sprachraum sehen im Lachen und Fröhlich-sein eindeutig gesundheitliche Vorteile: •

Wo frewd ist, da ist gesundheit vnd Leben.



Fröligkeit ist gut vor kranckheit.



Heiterkeit erhält die Gesundheit.



Heiteres Gemüth die Nägel aus der Bahre zieht.

___________ 82 Cf. H. A. Seidl: Medizinische Sprichwörter im Englischen und Deutschen. Eine diachrone Untersuchung zur vergleichenden Parömiologie. Frankfurt a. M. 1982 [Seidl]. 83 Anonym: Florilegium Gottingense. Hrsg von E. Voigt. Erlangen 1887 [F. G.]. Die Anthologie liegt »ohne Rubrik, die uns über Verfasser und Titel Auskunft gäbe« (Voigt, Einleitung, nicht paginiert) in der Universitätsbibliothek Göttingen vor. Florilegium Gottingense ist also ein (Verlegenheits)titel – gebildet aus Fundort und Gattungsbezeichnung – der seither allgemein zur Bezeichnung dieser Sammlung verwendet wird. 84 F. G. fol. 175b, Nr. 206. 85 Cf. Spr. 17, 22. 86 Cf. Sir. 30. 22. 87 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß das sehr spät entstandene Buch Jesus Sirach (Ben Sira verfaßte es wohl im zweiten vorchristlichen Jahrhundert) keinen Eingang in den hebräischen Kanon fand und somit vom gottesdienstlichen Gebrauch ausgeschlossen war. Dies mag den Bekanntheitsgrad des Buches zunächst vermindert haben. Da es aber sowohl in die Septuaginta als auch in die Vulgata – und somit in die meistverwendeten Bibelausgaben des Mittelalters – aufgenommen wurde, konnten die darin enthaltenen Sinnsprüche dennoch Allgemeingut werden (Cf. O. Kaiser: Die alttestamentalichen Apokryphen: eine Einleitung in Grundzügen. Gütersloh 2000, S. 79f). 88 Cf. Seidl, S. 202. 89 Was in Mittelalter und Frühneuzeit jedoch mit körperlicher Gesundheit gleichzusetzen ist.

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5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94 •

Ein fröhlich Herz arzneiet wohl.90

Die ersten beiden sind bereits im 17. Jahrhundert bezeugt, die letzteren sind wohl jüngeren Datums.91 Ebenso wie die heutzutage gebräuchlichen Formen »Lachen ist gesund«92 und »Lachen ist die beste Medizin«93 sowie das französische Pendant »Le rire est bon pour la santé«94 bieten die Wendungen weiten Interpretationsspielraum. Es bleibt offen, ob das Lachen als physiologisches oder psychologisches Phänomen betrachtet wird, als spontane Reaktion auf einen Auslöser oder als generelles Zeichen der Lebensfreude. Auch der pathologische Aspekt spielt stets eine Rolle, wobei es jedoch nicht immer deutlich ist, ob dem Lachen eine prophylaktische oder eine krankheitsabwehrende Wirkung zugeschrieben wird. Wenn Lachen und gute Laune dem Menschen gut tun, so erzielt das Gegenteil nachteilige Wirkung. Dementsprechend weiß der Volksmund: »Der Zorn läßt den Menschen nicht alt werden«95, was dem Englischen »Anger is a poison that distroys the mind«96 entspricht und wohl ebenfalls im Buch Jesus Sirach vorgebildet ist.97 Den ›Wahrheitsgehalt‹ der bisher genannten Sprichwörter hat wohl jeder schon einmal am eigenen Leib erfahren. Sie könnten deshalb als echte Volksweisheiten gelten, da sie auf den ersten Blick auf Erfahrung, nicht aber auf medizinischem Wissen beruhen. Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, daß z. B. die gängige Form »Lachen ist gesund« wohl eine Verkürzung des ursprünglichen »Lachen ist der Leber gesund«98 ist. Nicht persönliches Erleben sondern medizinische Erkenntnisse bilden hier die Grundlage. Der Zusatz »der Leber« fiel wohl dem Wunsch nach sprichwörtlicher Kürze zum Opfer, da die Verbindung Lachen-Leber nicht mehr allgemein verständlich ist. Früher ging man jedoch davon aus, daß die Leber als Produktionsstätte der schwarzen Galle

___________ 90

Cf. Seidl, S. 202-204. Cf. Seidl, S. 202. 92 Cf. Röhrich, Lemma Lachen. 93 Cf. L. Röhrich: Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. 4 Bde., Freiburg e. a. 1992 [Röhrich], Lemma Lachen, ähnlich Seidl, S. 204. 94 F. Montreynaud e. a.: Dictionnaire de Proverbes et Dictons. Paris 1980, Lemma rire. 95 Cf. Seidl, S. 200. 96 Cf. Seidl, S. 200. 97 Cf. Sir. 30, 24: »Neid und Ärger verkürzen das Leben, Kummer macht vorzeitig alt«. 98 Cf. Röhrich, Lemma Lachen. 91

b) ›Lachen ist gesund‹ als Volksweisheit

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für Traurigkeit und schlechte Laune verantwortlich war.99 Aus demselben Grund sind Sprichwörter wie: •

Ein froher Mut schafft gesundes Blut.



Fröhlich Gemüth gibt gesundes Geblüth100

sowie italienisch »Il riso fa buon sangue«101 ein wenig ›aus der Mode‹ gekommen. Zwar ist das Blut als Indikator für Gesundheit und Krankheit heutzutage allgemein anerkannt, die Beziehung zwischen einem »fröhlich Gemüth« und der Beschaffenheit des Blutes aber nicht mehr geläufig. Gleiches gilt für die im französischen Sprachraum geläufige Wendung »dilater la rate«102. Die Parömie: »Gleicher Muth ist die beste Arzenei in bösen Tagen«103 läßt sich ihrerseits anhand gängiger medizinischer Prinzipien erklären: Der Rat, stets »gleichen Muths« zu sein, fügt sich im Sinne der accidentia animae in das System der sex res non naturales ein und beinhaltet somit gleichermaßen die Ermahnung nach moderatio. Neben die persönliche Erfahrung treten hier also die Erkenntnisse der ärztlichen Wissenschaft und machen die Verknüpfung Lachen-Gesundheit zu einer Nahtstelle volkstümlichen wie gelehrten Interesses.

___________ 99

Dieser Gedanke liegt dann wohl auch der Wendung: »Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?« zugrunde. Man geht hier davon aus, daß die Berührung das Organ zur Produktion von schwarzer Galle gereizt hat. Der hier vorliegende Irrtum, die Leber sezerniert nämlich gelbe Galle, mag darauf zurückzuführen sein, daß die schwarze Galle, obwohl sie im humoralpathologischen Viererschema gleichberechtigt neben Blut, Schleim und gelber Galle steht, tatsächlich kein primärer, von einem Organ hergestellter Saft ist, sondern im Gegenteil nur eine krankhafte Verbildung der (gelben) Galle ist. Zur Säftelehre, speziell zum bis dato ungelösten »Problem des vierten Saftes« cf. S. 185ff. 100 Cf. Seidl, S. 202. 101 Cf. K. F: W. Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörterlexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk. 4 Bde., Leipzig 1870, Lemma: Lachen. 102 Cf. Petit Robert; Lemma dilater. Die Milz wurde oft als Reinigungs- und Exkretionsorgan der schwarzen Galle betrachtet (Cf. dazu meine Anmerkung oben). Man ging davon aus, daß durch Lachen ein eventueller Überschuß dieses für Traurigkeit und Schwermut verantwortlichen Saftes abgebaut werden konnte. Milz und Leber wurden also fälschlich beide mit     in Verbindung gebracht. Zu verbreiteten Vorstellungen über die Aufgaben der Milz cf. Schipperges/Die Kranken, S. 124. 103 Cf. Seidl, S. 205. Im englischen Sprachraum wird ebenfalls empfohlen, Stimmungsschwankungen zu vermeiden: »Two things doth prolong thy life: a quiet heart and a loving wife«. Grund dafür ist wiederum die Beachtung der sex res non naturales als Richtschnur für gesundes Leben.

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5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94

c) Lachen macht gesund − Lachen und seelische Ausgeglichenheit als Heilmittel für Körper und Geist Auch wenn die im vorangegangenen Kapitel vorgestellte Auswahl an Parömien sicher nur einen Bruchteil der in Europa bekannten Sprichwörter zu diesem Themenbereich ausmacht, läßt der immer gleiche Tenor erahnen, daß der positive Einfluß von Lachen und Heiterkeit auf Gesundheit und Wohlergehen für jedermann offensichtlich war und kaum je in Frage gestellt wurde. Wenn Boccaccio also eine Fülle Lachen auslösender Elemente in sein Decameron integriert, erscheint dies nur plausibel: Wer traurige Damen auf andere Gedanken bringen, sie von ihrem momentanen Leid ablenken möchte, muß sie zum Lachen reizen oder zumindest grundsätzlich erheitern. Konnte der Dichter aber damit rechnen, mit diesem Konzept auch in Gelehrtenkreisen Anerkennung zu finden? Nicht nur der Kontakt zu Petrarca, sondern auch mit zahlreichen anderen bedeutenden Männern104 läßt vermuten, daß Boccaccio hoffte, auch von seinen ›Humanistenkollegen‹ akzeptiert zu werden.105 Er konnte es sich dementsprechend kaum leisten, ein Werk an den Interessen der Gelehrten seiner Zeit ›vorbei‹ zu schreiben. Selbstverständlich waren die Gebildeten als Menschen ebenso bestrebt, Körper und Geist gesund zu halten wie alle anderen. Auch sie werden die positive Seite von Ablenkung und Erheiterung schon am eigenen Leib erfahren haben. Dennoch wurde zur Zeit Boccaccios den Aussagen anerkannter Autoritäten mehr Bedeutung beigemessen als dem persönlichen Erleben. Es stellt sich also die Frage, ob die von Boccaccio gewählte Methode auch von den Fachleuten der betroffenen Wissenschaftsbereiche akzeptiert und als vorteilhaft gewertet wurde.106 Denn nur unter ___________ 104

Cf. Surdich, S. 263f. Diese Zugehörigkeit zu zwei Welten – zur Welt des einfachen Volkes und zur Welt der Gelehrten – spielt auch in bezug auf die Gesamtkonzeption des Decameron (Cf. Kapitel 7) eine entscheidende Rolle. 106 Daß Boccaccio über ein gewisses medizinisches Grundwissen verfügte, hatte er bereits in anderen Werken unter Beweis gestellt. Er war dementsprechend in Gelehrtenkreisen kein unbeschriebenes Blatt und konnte umso mehr Akzeptanz erwarten. So läßt er z. B. in der Teseida delle nozze di Emilia, geschrieben um 1340, nicht nur einen Arzt die Qualitätenlehre ansprechen: »Ma lasciando i miracoli in lor loco/dico che Esculapio non varrebbe per sanità di lui molto né poco,/né il chiaro Appollo, ancora che tutta ebbe/l’arte con seco e seppe il ghiaccio e ‘l foco/e l’umido e ‘l calor e che potrebbe/ciascuna erba o radice, però ch’esso/per lungo e per traverso è dentro fesso.« (G. Boccaccio: Teseida delle nozze di Emilia. A cura di A. Limentani, in: (G. Boccaccio): Tutte le opere di Giovanni Boccaccio. A cura di V. Branca, Bd.II (Filostrato, Teseida delle nozze di Emilia, Comedia delle ninfe fiorentine), Mailand 1964, S. 229-664, hier X, 13 [Teseida]. Zu Inhalt und Bedeutung des Werkes cf. die Introduzione von Limentani, S. 231-244, sowie Surdich, S. 47f), er benutzt diese auch zur Erklärung erhöhter Libido bei Männern in gemäßigten Breiten: »Un uomo, il quale sia di frigida natura, o sia per accidente ancora freddo, non può sanza gran difficultà a quello atto pervenire per le virtù attive dal freddo impedite. Similmente colui o che è di natura troppo caldo, o è 105

c) Lachen macht gesund

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dieser Voraussetzung war mit einem relativen Erfolg beim Publikum zu rechnen. Aussagen zum Verhältnis von Lachen und Gesundheit finden sich nicht nur in den Werken von Ärzten, sondern auch bei Philosophen und Vertretern der Kirche. Auf eine Darlegung der Ausführungen letzterer zum Thema kann jedoch an dieser Stelle zunächst verzichtet werden. Um einen ersten Überblick zu gewinnen, reicht es aus, zurückzublättern und das zweite Kapitel erneut zu lesen. Sowohl die ›Großen‹ der klassischen Antike, als auch die unter 2. b) vorgestellten christlichen Denker sprachen sich einstimmig für einen moderaten Umgang mit dem Lachen aus. Selbst Benedikt von Nursia verbat den Mönchen nicht das Lachen, sondern erlaubte es in gemäßigter Form. Wurde moderatio in vielen Fällen in Verbindung mit der gebotenen Angemessenheit empfohlen, etwa wenn es darum ging, einem (gesellschaftlichen) Idealbild zu entsprechen, so galt sie darüber hinaus im Rahmen antiker wie mittelalterlicher Diätetik als Schlüssel zu einer gesunden Lebensführung.107 Mäßigung war aber nicht nur in ___________ per accidente o di soperchio vino o di fatica riscaldato, ha si resolute le attive virtù, che esercitare non si può in cotale atto« (Teseida, chiosa zu VII, 50). Um den »appetito irasibile« der im Norden lebenden Menschen erklären zu können, bedient er sich auch der Säftelehre: »Questo appetito irascibile si trova prontissimo negli uomini ne’ quali è molto sangue, perciò che il sangue di sua natura è caldo, e le cose calde per ogni picciolo movimento leggiermente s’accendono; è cosi avviene che gli uomini molto sanguinei subitamente s’adirino.« (Teseida, chiosa zu VII, 30). Um die Glossentexte relativ kurz zu halten, zeigt er dem Leser weitere Informationsmöglichkeiten auf: »Chi disidera di vederlo (i. e. die Kräfte Amors) legga la canzone di Guido Cavalcanti Donna mi priega, etc., et le chiose che sopra vi fece Maestro Dino del Garbo« (Teseida, chiosa zu VII, 50). Bei der Glosse handelt es sich um ein heutzutage als Codex Chigiano bekanntes Autograph Boccaccios, das neben Werken Dantes und Petrarcas auch die Lehrkanzone Guido Cavalcantis Donna me prega in Verbindung mit einem Kommentar des Florentiner Arztes Dino del Garbo enthält (Eine Beschreibung des Codex Chigiano L. V. 176 der Biblioteca Apostolica Vaticana bietet M. Barbi in der Einleitung zu seiner Ausgabe von Dantes Alighieris Vita nuova (Edizione critica di M. Barbi, Florenz 1932, Introduzione – manoscritti, S. XXII-XXV)). Selbstverständlich war der Kommentar del Garbos nicht Boccaccios einzige Informationsquelle (Säfte- oder Qualitätenpathologie werden hier nämlich gar nicht erwähnt), er wird seine Kenntnisse darüber hinaus aus den gängigen medizinischen Fachbüchern seiner Epoche erworben haben. Zur medizinischen Bildung Boccaccios cf. A. E. Quaglio: »Prima fortuna della glossa garbiana a ›Donna me prega‹ del Cavalcanti«, in: Giornale storico della letteratura italiana CXLI (1964), S. 336-368, insbesondere S 360f [Quaglio]. Dort finden sich auch Informationen über Leben und Schaffen des Florentiner Arztes († um 1325). Den vollständigen Text der Glosse bietet E. Fenzi: Dino del Garbo: Scriptum super cantilena Guidonis de Cavalcantibus, in: E. Fenzi: La canzone di Guido Cavalcanti e i suoi antichi commenti. S. 86-133 (Lt./it.) Genua 1999 [Scriptum super cantilena Guidonis]. 107 Die Bedeutung des Maßhaltens betont auch Isidor von Sevilla. Im vierten Buch des Etymologiarum liber – das auch unter dem Titel De medicina bekannt ist – erklärt er den Namen des gesamten Wissensbereichs, in dem es um Gesunderhaltung und Krankheitsbekämpfung geht, durch Rückbezug auf modus = Maß: »Nomen autem medicinae a modo, id est temperamento, impositum aestimatur, ut non satis, sed paulatim adhibeatur. Nam in multo contristatur natura, mediocriter autem gaudet. [...] Inmoderatio enim om-

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bezug auf Lachen und Scherzen gefragt, sondern auch in entgegengesetzter Richtung. Thomas von Aquin empfahl in Verbindung mit seinem "  BKonzept Zornesausbrüche, Traurigkeit oder schlechte Laune gleichermaßen zu meiden, da sie Harmonie und menschliches Zusammenleben beeinträchtigen. In medizinischer Terminologie entspricht dieser Rat – wie bereits angemerkt – dem Gedanken der accidentia animae, deren Beachtung dazu beitragen konnte, Krankheiten vorzubeugen oder zu heilen. Wenn Menschen ohne entsprechende Vorbildung – abgesehen von Aristoteles, der ja einer Medizinerfamilie entstammte – Ratschläge für eine gesunde Lebensführung erteilen können, deutet dies darauf hin, daß zumindest dieser Bereich der antik-mittelalterlichen Heilkunst Allgemeingut war und als Richtschnur menschlichen Lebens grundsätzlich Anerkennung fand. Seit Hippokrates gelten Diätetik, Pharmakologie und Chirurgie als Grundpfeiler jeglicher Therapie. Die hier gewählte Aufzählungsreihenfolge entspricht zunächst noch der Ordnung der therapeutischen Schritte im heilkundlichen Gesamtgefüge: So sollen die Richtlinien der Diätetik dem Menschen helfen, ein gesundes Leben zu führen und somit Krankheiten vorzubeugen. Nur bei Mißachtung oder Vernachlässigung der Regeln entsteht Krankheit. Ist es aber so weit gekommen, wird diese zunächst ausschließlich mit Hilfe von Arzneien bekämpft. Nur wenn auch diese Therapiemethode nicht zum gewünschten Erfolg führt, bleibt das Schneiden als letzte – ungeliebte – Möglichkeit, um Gesundheit wieder herzustellen.108 Daß dieses Konzept nicht nur das Hirngespinst eines allzu idealistischen Ärztekollegiums109 war, sondern über Jahrhunderte hinweg von den mit Gesundheitserhaltung und -wiederherstellung Befaßten als sinnvoll erachtet und bejaht wurde, zeigt der Fortbestand des sogenannten Hippokratischen Eides bis in unsere Zeit: Ich schwöre und rufe Apollon den Arzt und Asklepsios und Hygieia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, daß ich diesen Eid und diesen Vertrag

___________ nis non salutem, sed periculum affert« (Etymologiarum IV, II, 1/2). Cf. dazu H.-A. Schütz: »Wenn Isidor [...] den Begriff Medizin interpretiert [...], geht es ihm nicht um eine genaue etymologische Ableitung des Begriffes an sich, sondern um die Darlegung eines wichtigen Gedankens. Hier will er sagen, daß die Medizin in ihrer Anwendung ausgeglichen sein soll. [...] Im Gleichmaß und in der Mäßigung [...] kann nur der Mensch bestehen.« (H.-A. Schütz: Die Schrift ›De Medicina‹ des Isidor von Sevilla. Ein Beitrag zur Medizin im spätantiken Spanien. Giessen 1984, S. 77/78 [Schütz]). 108 Cf. D. von Engelhardt: Krankheit, Schmerz und Lebenskunst. Eine Kulturgeschichte der Körpererfahrung. München 1999, S. 25 [v. Engelhardt]. 109 Der nachstehende Eid ist im Zusammenhang mit einer Vielzahl weiterer Schriften im Corpus Hippocraticum (CH) zusammengefaßt. Diese stammen jedoch nicht alle aus der Feder von Hippokrates selbst, sondern auch von seinen Schülern und Kollegen, die sich zum Teil nicht im einzelnen identifizieren lassen (Cf. Eckart, S. 53).

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nach meiner Fähigkeit und meiner Einsicht erfüllen werde. [...] Auch werde ich niemandem ein tödliches Mittel geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde und werde auch niemanden dabei beraten, auch werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel geben. [...] Ich werde nicht schneiden, sogar Steinleidende nicht, sondern werde das den Männern überlassen, die dieses Handwerk ausüben. [...] Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weitereden darf werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.110

Wenn hier neben Apollon und Asklepsios die Göttinnen Hygieia und Panakeia – in dieser Reihenfolge – nicht aber Cheiron angerufen werden, spiegelt dies die Akzeptanz des oben dargelegten dreischrittigen Therapiekonzepts wider. Nach griechischem Verständnis ist Hygieia für Diätetik verantwortlich, Panakeia für Arzneimittelkunde.111 Die absichtsvolle Vernachlässigung Cheirons, des für das Schneiden zuständigen Gottes, macht die negative Haltung gegenüber dieser Art der Krankenbehandlung offensichtlich. Zur Bekräftigung des Gedankens wird dieser im weiteren Text erneut aufgenommen und die Durchführung jeglicher operativer Eingriffe »den Männern überlassen, die dieses Handwerk ausüben«112. ___________ 110

Hippokrates: Der Eid CD ), in: Hippokrates/Schriften/Diller, S. 7-10, hier S. 8, Édition Littré IV, S. 628-630. Obwohl die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts besorgte Gesamtausgabe des CH durch E. Littré aus medizinischer wie philologischer Sicht einige Mängel aufweist, gilt sie in Hinblick auf das CH noch immer als Referenzausgabe. Da mir einige Bände dieser Ausgabe nicht zugänglich waren, zitiere ich weitestgehend aus dem Band von Diller, gebe aber die entsprechenden Stellen bei Littré an. Zum Eid cf. K. Pollak: Die Jünger des Hippokrates. Der Weg des Arztes durch sechs Jahrtausende. Düsseldorf, Wien 1963, S. 127 [Pollak/Jünger]. 111 Cf. DNP, Lemmata Hygieia, Panakeia. Daß die Sorge um eine gesunde Lebensführung in den Aufgabenbereich der Göttin Hygieia fiel, belegt noch der moderne Begriff ›Hygiene‹, ital. igiene, frz. hygiène. Im Gegensatz zum umfassenden antikmittelalterlichen Verständnis (s. u.) wird dieser im heutigen Sprachgebrauch semantisch verengt nur in bezug auf jede Form von Reinlichkeit verwendet. Ein ähnliches ›Schicksal‹ erfuhr auch die Diätetik allgemein. Unter ›Diät‹ (ital. dieta, frz diète,) versteht man landläufig nur (noch) Einschränkung und Verzicht in Hinblick auf Speisen und Getränke. 112 Auch wenn der Verfasser des Eidestextes das Schneiden vehement ablehnt, enthält das CH – namentlich die Epidemienbücher – zahlreiche Beschreibungen operativer Eingriffe, die offenbar von den Mitgliedern des hippokratischen Kollegiums durchgeführt worden sind. Dementsprechend herrscht über die Deutung der Textpassagen des Eides noch Uneinigkeit (Cf. Eid, in: Hippokrates/Schriften/Diller, Anm. 1). Es ist jedoch davon auszugehen, daß chirurgische Eingriffe in jedem Fall als letzter Ausweg betrachtet wurden (Cf. dazu v. Engelhardt, S. 25). Die Ablehnung der Schneidens als Form medizinischer Therapie durch das hippokratische Ärztekollegium mag dann auch der Grund dafür sein, daß Platon im Phaidros die Chirurgie als Möglichkeit ärztlichen Eingreifens unerwähnt läßt: »Es steht doch wohl um die medizinische Kunst genauso wie um die rhetorische. – Wie also? – In beiden Fällen hast du eine Natur zu analysieren, dort eines Körpers, hier einer Seele, sofern du die Absicht hast, nicht bloß auf Grund von Routine und Erfahrung, sondern mit Kunst im einen Fall dem Körper durch Arzneien und Nahrung Gesundheit und Stärke zu verschaffen« (Phaidros, 270b).

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Auch wenn die Chirurgie heutzutage selbstverständlicher Teil der Medizin als wissenschaftliche Disziplin ist, sollte nicht unbeachtet bleiben, daß dies über Jahrhunderte nicht der Fall war. Denn infolge des Praxisverbots, das von der Kirche auf dem IV. Laterankonzil 1215113 in bezug auf operative Eingriffe über die Weltgeistlichkeit verhängt wurde, hielt die Chirurgie zunächst keinen Einzug in die oft genug von kirchlicher Seite unterstützte Universität und wurde als ars mechanica in die Hände von Steinschneidern und Barbieren gelegt.114 Von dieser Regelung ausgenommen waren einige medizinische Schriftsteller, denen es trotz chirurgischer Tätigkeit gelang, im universitären Lehrbetrieb Fuß zu fassen.115 Es sei an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen, daß auch die Stellung der mit ›innerer‹ Medizin befaßten Ärzte innerhalb der neu entstehenden Universitäten Zündstoff für zahlreiche Diskussionen unter den Vertretern der einzelnen Fakultäten lieferte.116

___________ 113 Wohlmuth II: IV. Lateranum, canon 18: (De iudicio sanguinis […] clericis interdicto): »[...] nec illam chirurgiae artem subdiaconus, diaconus vel sacerdos exerceant«. Die seit der Synode von Llerida (546 era/584) immer wieder zitierte Maxime »ecclesia abhorret a sanguine« (J. Orlandis, D. Ramos-Lisson: Die Synoden auf der iberischen Halbinsel bis zum Einbruch des Islam (711), Paderborn e. a. 1981, S. 69) durch die man den Mönchen das Schneiden verbot, führte, über mehrere Etappen immer größerer Einschränkungen, schließlich zur Entscheidung von 1215. Hintergund dieser Maßnahmen war wohl nicht so sehr der vorgetäuschte Respekt vor dem Lebenssaft, sondern eher die Angst, für den eventuellen Tod des Patienten verantwortlich gemacht werden zu können (Cf. dazu Eckart, S. 106/107). 114 Cf. Eckart. S. 114. 115 Einer von ihnen war Henri de Mondeville, der sich in seiner Cyrurgia magna mehrfach auf Galen, Hippokrates Aristoteles oder Avicenna (i. e. Ibn Sīnā, Abū ‘Alī alHusain ibn ‘Abdallāh) beruft und sich somit bewußt von den Mechanikern seines Faches distanziert, aber gleichzeitig auf das Anrecht der literati auf Anerkennung von seiten der Fakultät pocht ((Henri de Mondeville): Die Chirurgie des Heinrich von Mondeville (Hermandoville) nach Berliner, Erfurter und Pariser Codices zum ersten Mal hrsg. von J. L. Pagel. Berlin 1892, Proemium II. 116 Cf. Pollak/Jünger, S. 220. Die Frage, ob medizinische Lehrinhalte im Rahmen der artes behandelt oder aber ein selbständiges, Theologie und Jurisprudenz ebenbürtiges Fachgebiet bilden sollten, blieb lange Zeit ungeklärt. Die Entscheidung hierüber oblag den Verantwortlichen für die einzelnen Ausbildungsstätten, differierte dementsprechend von Ort zu Ort. Zur Entwicklung der Medizin als universitäre Disziplin cf. D. Jacquart: »Die scholastische Medizin«, in: M. D. Grmek (Hrsg.): Die Geschichte des medizinischen Denkens I (Antike und Mittelalter). Unter wiss. Mitarbeit von B. Fantini, ins Dt. übertragen von C. Fiedler e. a. München 1996, S. 216-259, hier S. 228f [Jacquart, in: Grmek].

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Als der römische ›Arzt‹ A. C. Celsus117 im ersten Jahrhundert n. Chr. ein umfangreiches, enzyklopädisch ausgerichtetes Werk verfaßte, in dem er neben Informationen zu anderen Wissensgebieten auch einen Überblick über die Medizin integrierte, ordnete er die acht Bücher – die einzig noch erhalten und unter dem Titel De medicina libri octo bekannt sind – noch ganz selbstverständlich118 in der üblichen Abfolge an: Auf vier Bücher zur Diätetik folgen zwei zur Arzneimittelkunde, den Abschluß bildet die Chirurgie (libri VII/VIII).119 Schon im zweiten Jahrhundert nach Christus nennt hingegen sein ›Kollege‹120 Galenos von Pergamon die drei Möglichkeiten ärztlichen Handelns, ohne dabei eine bestimmte Reihenfolge vorzuschlagen: »In medicina res habet; aliam enim artem chirurgicam dixero, aliam diaeteticam, aliam medicamentariam«121 Da Isidor von Sevilla in De Medicina die Diätetik wieder bewußt an erster Stelle nennt,122 läßt sich vermuten, daß hier trotz allen Rückbezugs auf medizinische Autoritäten auch die persönliche Einstellung des Autors eine Rolle spielt. So wird Isidor, wenn er seine Schrift nicht als medizinisches Lehrbuch, sondern eher als Kompendium für gebildete Laien und Vertreter der Kirche konzipiert123, sicher die Möglichkeit wahrgenommen haben, auch eigene Maßstäbe zu setzen und publik zu machen. ___________ 117 A. C. Celsus verbrachte lange Zeit seines Lebens im kaiserzeitlichen Rom. Sowohl seine genauen Lebensdaten als auch die Frage, ob er nun wirklich Arzt oder aber nur gebildeter Laie gewesen sei, gaben Anlaß zu zahlreichen Fachkontroversen. Beide Probleme scheinen bis dato ungeklärt, weshalb ich mich auf obige vage Angaben beschränken möchte. Die jeweiligen Argumente sowie einen Überblick – soweit es möglich ist, einen solchen zu verfassen – über Leben und Werk geben v. Albrecht, S. 982/983 sowie C. Schulze: Celsus. Hildesheim 2001, S. 10-12 [Schulze]. 118 »Isdemque temporibus in tres partes medicina deducta est, ut una esset quae victu, altera, quae medicamentis, tertia quae mane mederetur« (C. A. Celsus: De Medicina. With an english translation by W. G. Spencer. 3 Bde., Cambridge, London 1971, hier I, Prooemium 9 [De medicina]). 119 Neben der Reihenfolge deutet auch die Aufteilung 4 : 2 : 2 auf die besondere Bedeutung hin, die der Autor der Diätetik beimißt. Er bezeichnet sie dann auch als »difficillima, sed etiam clarissima« (I, Prooemium 12). 120 Auch (?) Galen wirkte als Arzt in Rom und in seiner Heimatstadt Pergamon. Infolge seiner intensiven literarischen Tätigkeit sind von ihm zahlreiche Schriften erhalten. Diese basieren im wesentlichen auf dem Corpus Hippocraticum. Da Galen die überlieferten Lehren aber auch kommentiert und durch eigene Erfahrungen angereichert hat, dokumentieren seine Schriften, ebenso wie vorher De Medicina von Celsus, den Stand der medizinischen Kenntnisse zur Zeit der Abfassung und die Rezeption der griechischen Tradition in Rom in gleicher Weise (Cf. Eckart, S. 70/71). 121 C. Galenus: Galeni ad thrasybulum liber, utrum medicinae sit an gymnastices hygieine, in: C. Galenus Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd.V, Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1823, Hildesheim 1965, S. 806-898, hier S. 848, (cap. XXIV) [Ad thrasybulum liber, in: Galeni Opera omnia V]. 122 Cf. Etymologiarum IV, I, 2; sowie erneut IV, IX, 2, dazu: Schütz, S. 75; 120. 123 Cf. Schütz, S. 58.

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Ohne genaue Analyse des jeweiligen Umfelds lassen sich also keine allgemeingültigen Ausagen treffen. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich jedoch die Sichtweise Galens – dank seiner Autorität, die er spätestens vom 12. Jahrhundert an genoß124 – durchgesetzt. Wie das Beispiel Isidors zeigt, wurden medizinische Fragestellungen nicht nur für ein Fachpublikum geschrieben, sondern auch für Laien. Daß trotz der dargestellten unterschiedlichen Schwerpunktsetzung die Grundlagen der Diätetik dem ›gemeinen Mann‹ geläufiger waren als die anderen Bereiche der Heilkunst, läßt sich wohl schlicht mit der Griffigkeit der Regeln erklären: Sie waren leicht verständlich und für jedermann umsetzbar. K. Bergdolt weist jedoch zu Recht darauf hin, daß es für einen »wohlhabenden Privatmann«125 möglicherweise weitaus einfacher war, sein Leben nach diätetischen Regeln einzurichten als für einen hart arbeitenden Bauern. Da aber sowohl die in Kapitel II erwähnten Befürworter der moderatio als auch die Leser des Decameron – man denke hier vor allem an die »(donne) oziose«126 – über »genügend Zeit und Muße verfügten, um das geforderte Wechselspiel von körperlicher Anstrengung, Ernährung und Ruhe dem Tagesrhythmus anpassen zu können«127, wird auch diese Einschränkung des betroffenen Personenkreises den Erfolg des Buches kaum haben schmälern können. Um Inhalt und Bedeutung der Diätetik, die in bezug auf die Frage nach der Beurteilung von Lachen und Heiterkeit im medizinischen Kontext die Hauptrolle spielt, bewerten zu können, erscheint es zunächst sinnvoll, die Verortung dieser Therapieform im Gesamtgefüge spätmittelalterlicher Heilkunst zu betrachten:

___________ 124

Galen und sein Werk galten den Gelehrten der Scholastik sowie zahlreichen Humanisten als »Höhepunkt und Endpunkt« medizinischer Genialiät (Cf. A. Krug: Heilkunst und Heilkult. Medizin in der Antike. München 1985, S. 213 [Krug]) Obwohl er weder eine Schule begründete noch direkte methodische Nachfolger fand, prägte er die Medizin bis in die Neuzeit (Cf. Krug, S. 213). 125 K. Bergdolt: Leib und Seele. Eine Kulturgeschichte des gesunden Lebens. München, 1999, S. 37 [Bergdolt/Leib und Seele]. Herrn Prof. Dr. Dr. K. Bergdolt vom Institut für Geschichte der Medizin der Universität Köln, der mir in bezug auf das vorliegende Kapitel – insbesondere zur Bedeutung und Verbreitung der Pestschriften (Cf. S. 237f) – eine Fülle wertvoller Hinweise gab, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. 126 Dec. Concl. 20: »offerto alle oziose e non all’ altre«. 127 Bergdolt/Leib und Seele, S. 37. Auf die Tatsache, daß das Leben nach diätetischen Vorschriften manchmal recht zeitaufwendig sein kann, hatte schon Platon hingewiesen: »Drum muß jeder alles Derartige (i. e. die Krankheiten) durch seine Lebensweise, insoweit das seine Zeit ihm gestattet, leiten.« (Platon: Timaios C(), in: Platon: Sämtliche Werke. Bd. 4 (Timaios, Kritias, Minos, Nomoi). Übers. von H. Müller und F. Schleiermacher (Minos), auf der Grundlage der Bearbeitung von W. F. Otto, e. a., neu hrsg. von U. Wolf. Reinbek 1994, S. 11-103, 89c [Timaios].

183

c) Lachen macht gesund MEDICINA THEORICA

PRACTICA

aegritudo

sanitas

materia medica

chirurgia

neutralitas

Regimina sanitatis

(Galen)

DIAETETICA

Res naturales elementa HUMORES IN HARMONIAM

membra

Res contra naturam morbus causa morbi accidens morbi

virtutes

HUMORES

operationes

IN DIS-

spiritus

HARMONIAM

Res non naturales AER CIBUS ET POTUS MOTUS ET QUIES SOMNUS ET VIGILIA INANTIO ET REPLETIO ACCIDENTIA ANIMAE

In der graphischen Darstellung128 wurden die Bereiche hervorgehoben, auf die in Hinblick auf das literarische Projekt Boccaccios, ein Buch gegen die Melancholie zu schreiben, nun näher eingegangen werden soll: Auch wenn Krankheit – aegritudo – und Gesundheit – sanitas – nicht ausschließlich eine Folge von Harmonie oder Disharmonie der Körpersäfte – humores – sind, sondern, wie die Graphik zeigt, noch weitere Faktoren – nämlich die übrigen res natura___________ 128 Der Graphik liegen im wesentlichen die Abbildungen im LexMa, Lemma Medizin (III: Das System der Heilkunde, Fig. I. Schema der Heilkunde) sowie in der Arbeit von H. Schipperges: Heilkunst als Lebenskunde oder die Kunst vernünftig zu leben. Zur Theorie der Lebenskunde und Praxis der Lebensführung. Heidelberg 1990, S. 49 [Schipperges/Heilkunst] zugrunde. Wirkungspfeile und Hervorhebungen von mir. Zur Vernachlässigung der qualitates in obiger Graphik cf. Schipperges/Heilkunst, S. 49/50 sowie S.199, Anm. 191.

184

5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94

les129 – eine Rolle spielen, wurde diesen oft nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen. Über Jahrhunderte waren die Ärzte vorrangig bemüht, das Gleichgewicht unter den Säften (oder Qualitäten) zu bewahren oder wieder herzustellen.130 Qualitäten- und Säftepathologie sowie die Diätetik stehen also im folgenden im Zentrum des Interesses. Ihren Ursprung verdankt die Qualitäten- und Säftelehre der Neugier einiger Naturphilosophen. Geleitet von der Frage nach dem Urgrund alles Seienden 7 ! und dessen allgemeinsten Prinzipien131 entwickelten sie sogenannte Grundstofflehren.132 Auf dieser Basis suchten sie die Vorgänge im und am menschlichen Körper durch das Zusammenspiel der vier Elemente – Feuer, Wasser, Erde, Luft – und der dazugehörigen Elementarqualitäten – warm, feucht, trocken, kalt – zu erklären.133 Bereits diese ersten Theorien lassen sich mit den Namen konkreter Personen in Verbindung bringen.134 Unter diesen tritt Empedokles von Agrigent besonders hervor. Ihm wird allgemein das Verdienst zugeschrieben, die bekannten Grundelemente nicht nur mit der griechischen Götterwelt135 und den Primärqualitäten verbunden, sondern sie darüber hinaus auch mit den Körpersäften – gelbe und schwarze Galle, Schleim und Blut – in Verbindung gebracht zu haben.136 Die von ihm aufgestellte Ordnung, in der auch schon die Bedeutung von Harmonie –   – und Disharmonie – ___________ 129

Auf eine Darstellung der res naturales wird im folgenden verzichtet, da sie in bezug auf die Frage nach der Legitimation von Boccaccios Vorhaben keine Rolle spielen. Hinweise zu den res naturales gibt C. Probst in: »Der Weg des ärztlichen Erkennens bei Heinrich von Mondeville«, in: G. Keil e. a. (Hg.): Fachliteratur des Mittelalters. Festschrift für G. Eis. Stuttgart 1968, S. 333-357, hier S. 334-336 [Probst, in: Keil e. a.]. Der Autor informiert dort gleichermaßen über die Natur der res contra naturam. 130 Die Erklärung von Gesundheit und Krankheit durch ein vorübergehendes Mißverhältnisses der Kardinalsäfte bzw. Primärqualitäten macht die Ablehnung des Schneidens als Therapieform verständlich. Denn diese beseitigt zwar die momentan vorliegende Krankheit, also die Wirkung, nicht aber die Ursache. 131 Cf. Rothschuh, S. 185. 132 Cf. Eckart. S. 51. 133 Cf. E. Schöner: Das Viererschema in der antiken Humoralpathologie. (Beihefte zu Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften) Wiesbaden, 1964, S. 4 [Schöner]. Der Autor weist jedoch darauf hin, daß diese nicht immer alle vier Grundelemente zur Erklärung physiologischer Vorgänge herangezogen wurden. Neben dem Viererschema lassen sich auch Einer-, Zweier-, und Dreier-Modelle nachweisen (Schöner, S. 5-8). 134 Erwähnt seien hier beispielsweise Alkmaion von Kroton oder Anaximandros. Weitere bei Eckart, S. 48f, sowie Schöner, S. 5f. Die Konzepte sind jedoch nur anhand späterer Zeugnisse rekonstruierbar, da die Werke größtenteils nicht erhalten sind. 135 Cf. Eckart, S. 52. Die von ihm vorgenommene Zuordnung Wasser (Nestis), Erde (Hades), Feuer (Zeus), Luft (Hera) verlor jedoch mit dem Aufkommen des Christentums zunehmend an Bedeutung und wurde schließlich teils fallengelassen, teils erneuert. Zu den Veränderungen cf. meine Anmerkungen unten. 136 Cf. LexMa, Lemma Humoralpathologie, ebenso Eckart, S. 52, Schöner, S. 14.

c) Lachen macht gesund

185

  – angelegt ist, bildet die Grundlage des humoral- und qualitätenpathologischen Konzepts, das in den folgenden Jahrhunderten auf mannigfaltige Weise verfeinert und erweitert worden ist.137 Grundlage aller späteren Deutungen und Ergänzungen sind die Aussagen in den Büchern des Corpus Hippocraticum. Da sich die Verfasser der einzelnen Schriften bei der Darstellung bestimmter Themenbereiche immer wieder genötigt sahen, die Grundlage ihres Heilkonzeptes – eben die Prinzipien der Qualitäten- oder Säftelehre – kurz vorzustellen138, enthält das Corpus eine Vielzahl zum Teil differierender Beschreibungen. Die Vierzahl der Säfte oder Elemente war dabei bei weitem nicht vorherrschend.139 Ein eindeutiges Viererschema stellt erst Polybos, der Autor von Die Natur des Menschen, vor und schließt auf diese Weise an die Gedanken Empedokles’ an. Es erscheint deshalb sinnvoll, sie stellvertretend für alle Darlegungen im Corpus hier anzuführen: Denn ich stelle nicht die These auf, daß der Mensch im ganzen Luft oder Feuer oder Wasser oder Erde oder etwas anderes sei, was nicht offensichtlich im Menschen vorhanden ist. [...] Unter den Ärzten sagen die einen, daß der Mensch nur Blut ist, die anderen, er sei Galle, manche aber auch er sei Schleim. Sie sagen nämlich, es gäbe nur Eines, dem jeder von ihnen nach Belieben einen anderen Namen beilegt, und dieses ändere seine Gestalt und seine Kraft unter dem Einfluß der Wärme und der Kälte und werde so süß und bitter, weiß und schwarz [...]. Ich aber sage: wenn der Mensch Eins wäre, würde er niemals Schmerzen haben, denn es gäbe nichts, wodurch er Schmerz empfinden könnte, wenn er Eins wäre. Und wenn er schon Schmerzen hätte,

___________ 137

Da es in Hinblick auf die Frage nach der möglichen Akzeptanz von Boccaccios Buchprojekt weitaus wichtiger ist zu klären, ob und in welcher Form dieses Modell durch die Schriften der Autoritäten ›autorisiert‹ war, als die Veränderungen im einzelnen zu beleuchten, kann auf eine solche Darstellung verzichtet werden. 138 Zahlreiche Hinweise auf die Säftelehre finden sich beispielsweise in den Epidemienbüchern. Da diese mehrheitlich aus kurzen Krankheitsbeschreibungen bestehen, die Wanderärzte in Folge von Patientenkonsultationen angefertigt haben, ist es verständlich, daß hier kein System in extenso vorgestellt wird. Es werden vielmehr nur die jeweils vorliegenden Symptome durch den Einfluß der Säfte erklärt (Cf. Krug, S. 44) Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist der Entwurf einer Typologie der Krankheiten in Die Epidemien III, 14: »[...] langwieriger Durchfall und scharfer und fettiger Stuhl bei den Menschen mit bitterer Galle«; Hippokrates: Epidemien III (  0, in: Hippokrates/Schriften/Diller, S. 49-76, hier S. 64, Édition Littré III, S. 24-148, hier Abschnitt 98 [Epidemien III, in Hippokrates/Schriften/Diller]. Man geht heutzutage davon aus, daß Buch I und III von Hippokrates selbst stammen. Die Verbindung des Humoralkonzepts mit dem Namen des koischen Arztes ist also durchaus gerechtfertigt. 139 Cf. Bergdolt/Leib und Seele, S. 41. Oft wurden nur Schleim und Galle, seltener auch Blut als Körpersäfte erwähnt. Die Frage, ab wann und warum man schwarze und gelbe Galle als zwei gänzlich verschiedene Säfte betrachtete, deren Überschuß im Körper eines Menschen dementsprechend auch unterschiedliche Auswirkungen hatte – man denke an die im Mittelalter zu voller Ausprägung gelangten Vorstellungen vom Typus des Melancholikers einerseits und des Cholerikers andererseits (Cf. S. 198f) – erscheint bis dato ungeklärt. Eine strikte Trennung läßt sich anhand der Schriften des CH nicht ausmachen (Cf. dazu S. 189, Anm. 157. Dort finden sich auch Textbelege aus CH und Corpus Aristotelicum (CA) sowie Schöner, S. 56f).

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müßte doch auch das Heilmittel Eins sein. Nun gibt es aber viele Heilmittel; denn im Körper ist vieles vorhanden, das, wenn es durch gegenseitige Einwirkung wider die Natur erhitzt und abgekühlt und trocken und feucht wird, Krankheiten erzeugt. [...] Der Körper des Menschen hat in sich Blut und Schleim und gelbe und schwarze Galle, und das ist die Natur seines Körpers, und dadurch hat er Schmerzen und ist gesund. Am gesundesten ist er, wenn diese Säfte im richtigen Verhältnis ihrer Kraft und ihrer Quantität zueinander stehen und am besten gemischt sind. Schmerzen hat er, wenn etwas von ihnen zu viel oder zu wenig vorhanden ist.140

Vielfalt nicht Einheit ist der entscheidende Aspekt in Polybos’ Erklärungsmodell von Gesundheit und Krankheit. Daß er dabei den Qualitäten ebensolche Bedeutung zumißt wie den Körpersäften, ist für die weitere Entwicklung der Konzepte von großer Wichtigkeit. Auch wenn in der Folgezeit mal das eine mal das andere Modell in den Vordergrund rückte, weil namhafte Autoren es durch ihre Werke bekannt machten, blieb durch die Autorität des Corpus Hippocraticum die gleichberechtigte Koexistenz beider Ansätze über Jahrhunderte bewahrt.141 Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß sich eine Verbindung beider Konzepte und eine direkte Zuordnung von Elementen, Qualitäten und Säften weder in Die Natur des Menschen noch in anderen Schriften des Corpus findet.142 Eine derartige Verknüpfung leistete erstmals Galen. Corpus, Celsus’ De medicina und die Schriften Galens werden heutzutage einhellig als die drei hauptsächlichen Quellen bezeichnet, aus denen sich modernes Wissen über antike Medizin speist.143 Möchte man also einen Überblick ___________ 140 Hippokrates: Die Natur des Menschen ( + "  7 E), in: Hippokrates/Schriften/Diller, S. 199-209, hier S. 200-204, Édition Littré VI, S. 32-40 [Die Natur des Menschen, in: Hippokrates/Schriften/Diller]. Gelehrte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts haben das Traktat Die Natur des Menschen Polybos, dem Schwiegersohn des Hippokrates, zugeschrieben, eine Annahme, die bis dato nicht revidiert worden ist (Cf. Dihle, S. 182). 141 Cf. Rothschuh, S. 188. 142 Cf. dazu Schöner, S. 20: »Von einer Behauptung, der Körper bestehe aus Wasser, Feuer, Luft und Erde, oder einer direkten Konkordanz dieser vier Elemente mit den Säften, kann ich allerdings nicht finden, weder in Nat. Hom. noch im übrigen CH. Ebenso wenig kann von einer vollkommenen Zuordnung der Elemente zu Qualitäten die Rede sein«. Zu den verschiedenen Viererschemata, die sich auf der Basis der Säfte- oder der Elementenlehre aus den Schriften des CH konstruieren lassen, cf. Schöner, S. 20; 24; 26; 35; 40; 45; 58. 143 Cf. beispielsweise Schulze, S. 21, sowie K. Pollak: Die Heilkunde der Antike. Wiesbaden 1969, S. 191 [Pollak/Heilkunde]. Einen Überblick über die in lateinischer Sprache verfaßte, medizinische Fachliteratur gibt Schulze, S. 21ff, ebenso D. Gourevitch: »Wege der Erkenntnis: Medizin in der römischen Welt«, in: Grmek, S. 114-150, hier S. 117-122. Zu den griechischen Schriften cf. Gourevitch, in: Grmek, S. 122f. Wenn im folgenden Textpassagen aus De Medicina analysiert werden, so geschieht dies – wie bereits in Hinblick auf Poetik, Brutus und Orator erwähnt – aus wirkungsgeschichtlichen Gründen. Das Werk wurde in Antike und Frühmittelalter kaum rezipiert (Cf. Schulze, S. 20). Erst nach der Entdeckung des Codex Tolentanus, 1478, begann man sich mit dem Werk zu beschäftigen, »als wollte man die Jahrhunderte, in denen er vergessen war, wieder aufholen« (Schulze, S. 20).

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über die Entwicklung der Humoral- und Qualitätenpathologie in der Nachfolge des koischen Arztes gewinnen, erscheint eine Lektüre der Schriften Celsus’ und Galens geboten. Dabei wird rasch deutlich, daß die Säftelehre in De medicina nur geringen, die Elementenlehre gar keinen Raum einnimmt. Trotz der augenscheinlichen Orientierung des Autors am hippokratischen Schrifttum144 scheinen die Säfte in bezug auf die Entstehung von Krankheiten quasi irrelevant. Er erwähnt sie fast nur zu Beginn des zweiten Buches. Bei der Auseinandersetzung mit den Einflüssen von Wetter und Jahreszeiten auf die Körperkonstitutionen – ein Abschnitt, der den hippokratischen Aphorismenbüchern145 sehr verpflichtet ist – schreibt er: Vere tamen maxime, quae cum umoris motu novantur, in metu esse consuerunt. Ergo cum lippitudines, pustulae, profusio sanguini, abcessus corporis, quae F! Graeci nominant, bilis altra, quam    appellant, insania morbus comitialis, angina, gravidines, destillationes oriri solent.146

In Anbetracht der Tatsache, daß zu Lebzeiten Celsus’ nicht nur die Schrift Die Natur des Menschen bei den römischen Ärzten als bekannt vorausgesetzt werden kann, sondern daß darüber hinaus die Viersäftelehre bereits zum Inbegriff hippokratischer Physiologie geworden war147, erscheint die Zurückhaltung des Autors erstaunlich. Geht man jedoch davon aus, daß Celsus auch über eigene praktische Erfahrungen verfügt, so läßt sich die Tatsache, daß er sich der Säftelehre als Erklärungsmodell »nicht sonderlich ausführlich bedient«148, als Zeichen eines gewissen Selbstbewußtseins deuten, das sich auch im zeitweili-

___________ 144 Der Autor macht aus seiner Orientierung an Hippokrates keinen Hehl, im Gegenteil: »In quibus explicandis non dubitabo auctoritate antiquorum virorum uti, maximeque Hippocratis«; De medicina II, Prooemium 1. Cf. dazu Schulze S. 40. 145 Cf. dazu Schulze, S. 40. 146 De Medicina, II, 1, 6. Interessant ist hier die Verbindung von    und insania. Diese Verknüpfung findet sich bereits in den Schriften des Corpus, so beispielsweise in  + 0: »Les malades atteints de phrénitis resemblent surtout aux individus en proie à la folie altrabilaire. En effet, c’est quand le sang est gâté par la bile et le phlègme que les mélancoliques sont pris de leur mal et qu’ils délirent« (Hippokrates. Les maladies ( + 0), in: (Hippocrate): Œuvres complètes d’Hippocrate, traduction nouvelle avec le texte grec en regard, accompagnée d’une introduction, éditées par E. Littré. Amsterdam 1962, S. 140-205 ; I, 30). Die Tatsache, daß der Melancholie hier Krankheitssymptome zugeschrieben werden, die über die moderne, lapidare Gleichsetzung dieser Krankheit mit Depression oder Schwermut hinausgeht, deutet darauf hin, daß das Verständnis von Melancholie in der Antike ein anderes war als das heutzutage verbreitete und sich vielleicht in ebensolchem Maße von den gängigen Vorstellungen des 14. Jahrhunderts unterschied. 147 Cf. Dihle, S. 180. 148 Cf. Schulze, S. 73.

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5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94

gen Gebrauch der ersten Person Singular und in verstreuten Autorenkommentaren manifestiert.149 Einen weitaus größeren Beitrag zu Entwicklung und Ausbau des humoralbzw. qualitätenpathologischen Konzepts leistete Galen. Wie Celsus orientierte er sich an den Schriften des Corpus, schenkte aber auch den Aussagen Platons und besonders Aristoteles’ Beachtung.150 Es ist im Nachhinein schwerlich nachvollziehbar, in welchem Maße deren Lehren Galen tatsächlich beeinflußt haben. Fest steht, daß er deren Werke im Rahmen seiner Ausbildung kennengelernt hat.151 Da er darüber hinaus nicht nur an verschiedenen Stellen seines umfangreichen Schrifttums Interesse an philosophischen Fragestellungen zeigt152, sondern auch Kommentare zu den Werken Platons und Aristoteles’ verfaßte, ist davon auszugehen, daß Galen bei der Redaktion seiner Werke die Ausführungen im Timaios sowie in den ›naturwissenschaftlichen‹ Schriften Aristoteles’ und seiner Nachfolger im Peripatos durchaus präsent waren.153 Sie lassen sich gewissermaßen als Etappen der Theoriebildung lesen und sind es deshalb wert, genauer betrachtet zu werden. Die in Form einer Weltschöpfungssage vorgestellte Kosmologie des Timaios154 enthält eine Anthropologie, in deren Rahmen Platon auch das Entstehen von Krankheiten zu erklären sucht: ___________ 149

Cf. z. B. De medicina I, 3, 21. Cf. dazu H. von Staden: »A group of authorical intrusions might be characterised as the ›ego of scientific independence‹. These are firstperson propositions that reflect Celsus’ concern to present himself not as a mere encyclopaedic transmitter of the views of others, but as a writer who […] threads his way through them with independence of thought and with a cautious, case by case consideration.« (H. von Staden: »Author and Authority. Celsus and the Construction of a Scientific Self«, in: M. E. Vásquez Buján (ed.): Tradición e innovación de la medicina latina de la antiguëdad y de la alta edad media. Actas del IV Coloquio Internacional sobre los »textos medicos latinos«. Artículos reunidos y editatos por M. E. Vásquez Buján, Santiago de Compostela 1994, S. 103-117, hier S. 114. Dieses Vorgehen Celsus’ deutet wiederum darauf hin, daß Celsus ausgebildeter Arzt gewesen ist. 150 Cf. Schöner, S. 86. 151 Cf. Gourevitch, in: Grmek, S. 135. 152 Ein solches Interesse manifestiert sich beispielsweise in der Forderung, jeder Arzt müsse auch Philosoph sein, um seine Aufgaben in rechter Weise erfüllen zu können (Cf. (C. Galenus): Galeni quod optimus medicus sit quoque philosophus, in: Galeni Opera omnia I, S. 53-63, hier S. 62/63: »Itaque si hoc impudentiae est, illud hominis non de rebus, sed de nominibus altercantis, certe nos primum studium debemus in philosophiam consumere, si veri Hippocratis aemuli esse volumus«). 153 Cf. Rothschuh, S. 189. Die Nähe der Aussagen Galens zu den Schriften des Stagiriten variert je nach Thema Während er beispielsweise in De Temperamentis (lib. I-III, in: Galeni Opera omnia I, S. 509-694, passim) Aristoteles laufend erwähnt und als Gewährsmann angibt, wird sein Name in vielen anderen Werken gar nicht angeführt. 154 Timaios 27a-64d.

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Woher ferner die Krankheiten entstehen, ist wohl jedem einleuchtend. Da es nämlich vier Gattungen gibt, aus denen der Körper zusammengefügt ist, Erde, Wasser, Feuer und Luft, so ist es der naturwidrige Mangel oder Überfluß derselben sowie die Vertauschung der dem einen zukommenden Stelle mit einer ihm fremden und ferner, da es von Feuer und den übrigen mehr als eine Gattung gibt, die Aufnahme von jeder nicht zuträglichen, und alles derartige, was Zwiespalt und Krankheiten bewirkt.155

Platon erscheint hier eindeutig als Anhänger der Elementenlehre. Dennoch erwähnt er im folgenden die Säfte, die er gleichermaßen an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sieht: So erzeugen sich zwar die meisten Krankheiten wie vorher beschrieben, die schwersten aber treten folgendermaßen sehr heftig ein: [...] Denn wenn das sich auflösende Fleisch seine Auflösung zurück in die Adern ergießt, dann bekommt das mit Luft verbundene reichliche und vielgestaltige Blut in den Adern – bunt versehen mit Farben und Bitterkeiten, dazu mit sauren und salzigen Kräften – Galle, Lymphe und Schleim aller Art. [...] Bei der dritten Gattung von Krankheiten müssen wir annehmen, daß die Art ihres Entstehens eine dreifache sei, teils durch den Atem teils durch Schleim, teils endlich durch Galle.156

Säfte und Elemente werden hier zwar zur Erklärung herangezogen, stehen aber in keiner Beziehung zueinander. Wie Polybos erkennt Platon die Wirkung beider Konzepte an, verknüpft diese aber nicht. Er nennt zudem keine vier, sondern nur zwei der bekannten Säfte, nämlich Schleim und Galle. Auch eine Unterscheidung von gelber und schwarzer Galle liegt (noch) nicht vor.157 Wenn Platon hier eine Hierarchie andeutet, nach der leichtere Erkrankungen durch ein Mißverhältnis der Elemente, schwerere aber auf Störungen der Substanzerneuerung oder Atmung zurückzuführen sind, bei denen dann auch die Säfte eine ___________ 155

Timaios, 82a. Timaios 82c-84d. Zu den aus moderner Sicht ›abenteuerlich‹ anmutenden physiologischen Vorgängen, die Platon hier beschreibt cf. Pollak/Heilkunde, S. 135, sowie Schöner, S. 62f. 157 Sowohl im CH als auch in den Schriften der Peripatetiker finden sich Textpassagen, in denen einmal von Galle allgemein, ein anderes Mal von schwarzer, respektive gelber Galle die Rede ist (Cf. z. B. im CH: Die Natur des Menschen, in: Hippokrates/Schriften/Diller, S. 204: »gelbe und schwarze Galle«; S. 205: »gleicht [...], noch das Blut der Galle«, Édition Littré VI, S. 39; 41/42. Im CA: Parties II, 2; 649a: bile, Parties II, 2, 649b: bile jaune; Problemata XVIII, 1; 916b: schwarze Galle). Cf. dazu Flashar: Melancholie und Melancholiker in den medizinischen Theorien der Antike. Berlin 1966, 40-42 [Flashar] sowie Schöner, S. 55: »Das Problem des vierten Saftes« (i. e. die schwarze Galle) zum CH, zum CA cf. Schöner, S. 66. W. Müri (»Melancholie und schwarze Galle«, in: Museum Helveticum 10 (1953), S. 21-38, hier S. 27-29 [Müri]) bemerkt, daß die Existenz der schwarzen Galle jeder empirischen Grundlage entbehrt und diese ihr Dasein nur der Konzession einiger Verfasser von Schriften des CH an das empedokleische Modell zu verdanken hat – eine interessante Hypothese wenn man bedenkt, wieviel Gedanken man sich im Laufe der Jahrhunderte ausgerechnet um die schwarze Galle gemacht hat! Die Schwankungen innerhalb des CA lassen sich wiederum durch die variierende Zuordnung im CH, an dem sich die Peripatetiker – und auch Platon – weitgehend orientierten, erklären. 156

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Rolle spielen, zeigt er sich von den Lehren Philistions von Lokroi, dem Arzt des Syrakuser Tyrannen Dionysios II., beeinflußt, die jedoch in den Werken späterer Autoren nur geringen Nachhall fanden.158 Während Platon also die bereits vorhandene Koexistenz beider Modelle nur bestätigte und somit an deren Weiterentwicklung nur wenig Anteil hatte, war der Beitrag seines Schülers Aristoteles ungleich höher. Dieser erkannte in seinen ›naturwissenschaftlichen‹ Schriften die Vierzahl der natürlichen Elemente an und verknüpfte diese mit den ebenfalls vier Elementarqualitäten: Now since the elementary qualities are four in number and of these four six couples can be formed, but contraries are not of a nature which permits of their being coupled – for the same thing cannot be hot and cold, or again moist and dry – it is clear that the pairs of elementary qualities will be four in number, hot and dry, hot and moist, and again, cold and moist, and cold and dry. And, according to theory, they have attached themselves to the apparently simple bodies, Fire, Air, Water and Earth; for fire is hot and dry, Air is hot and moist (Air, for example, is vapour), Water is cold and moist, and Earth is cold and dry.159

Obwohl vor ihm bereits zahlreiche Ärzte ähnliche Konkordanzen vorgeschlagen hatten, wird das Verdienst der Verbindung von Elementen und Qualitäten allgemein Aristoteles zugesprochen.160 Grund für diesen Erfolg mag neben der dem System inhärenten Logik, die es von anderen Modellen unterschied, vor allem die Autorität des ›Erfinders‹ sein.161 Diese sowie die damit einhergehende weite Verbreitung seiner Schriften werden dementsprechend auch Galen dazu geführt haben, sich mit dem Modell auseinanderzusetzen und es schließlich zu übernehmen. Trotz des großen Einflusses, den der Stagirite selbst den Qualitäten in Verbindung mit den Elementen zuschreibt162, sollte ___________ 158 Platon hatte Philistion und dessen Ansichten während seines zweiten Aufenthaltes auf Sizilien kennengelernt (Neumann, S. 26 sowie DNP, Lemma Philistion (I)). Der Arzt aus Lokris vertrat eine Elementenlehre, die in Verbindung mit den bekannten Qualitäten für Krankheit und Gesundheit zwar maßgeblich, aber nicht alleinige Ursache war. Darüber hinaus machte er jene Faktoren dafür verantwortlich, die Platon im Timaios erwähnt (Cf. Schöner, S. 62). Da eine solche Hierarchie zudem mit der Lehre Galens nicht vereinbar war, hat spätestens deren allgemeine Anerkennung die Verbreitung dieser Ideen verhindert. 159 Aristotle: On coming-to-be and passing-away (De generatione et corruptione), in: (Aristotle): On sophistical refutations, On coming-to-be and passing-away, On the cosmos. Translated by E. S. Forster, London e. a.1955, S. 162-329, II, 3, 330b [De generatione et corruptione]. 160 Cf. z. B. Schöner, S. 66, Pollak/Heilkunde, S. 138, Rothschuh, S. 186/187. 161 De generatione et corruptione galt zudem immer als ein genuin aristotelisches Werk, was den darin enthaltenen Aussagen zusätzliches Gewicht verlieh (Cf. Introduction von E. S. Forster zu De generatione et corruptione, S. 159-161, hier S. 159). 162 Die ihnen beigemessene Bedeutung zeigt sich z. B. in einer Passage aus De partibus animalium: »Aussi convient-il de ne pas oublier le sens qu’il faut donner, quand on parle de composés naturels, aux mots chaud, froid, sec et humide, puisqu’il est clair que ces qualités semblent bien être presque les seules causes de la mort et de la vie,

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nicht übersehen werden, daß auch die Säfte bei ihm Erwähnung finden. Sie werden jedoch nicht im Rahmen einer ätiologischen Untersuchung angeführt, sondern innerhalb eines Vergleichs der Konstituenten des menschlichen und tierischen Körpers: Parmi les parties homéomères la plus commune est d’abord le sang, chez tous les animaux sanguins, et la partie dans laquelle le sang est contenu naturellement […] ; c’est ensuite les parties analogues à celles-ci, le sérum et les fibres, et ce qui constitue principalement le corps des animaux, c’est à dire la chair et la partie qui lui est analogue en chaque animal ; puis l’os et son analogue comme l’arête et le cartilage ; ensuite la peau, la membrane, les tendons, les poils, les ongles, et leurs homologues ; et enfin, la graisse, le suif, les excrétions, c’est à dire la matière fécale, le phlegme, la bile jaune et la bile noire.163

Auch wenn in dieser Textpassage zumindest drei der vier bekannten Säfte unter dem Begriff  E zusammengefaßt werden und auch der vierte, das Blut, erwähnt wird, läßt sich daraus kaum folgern, daß Aristoteles ein Anhänger der Säftelehre im Sinne Empedokles’ oder Polybos’ gewesen ist. Denn hier wird weder die Bedeutung der Säfte für bestimmte körperliche Vorgänge thematisiert, noch Harmonie gefordert, die ja zur Wiederherstellung und Erhaltung von Gesundheit notwendig ist. Tatsächlich wird an keiner Stelle des Corpus Aristotelicum die Säftelehre ausdrücklich dargelegt oder zum gültigen Prinzip medizinischer Lehre erklärt.164 Daß diese dennoch eine gewisse Rolle spielt, wird anhand einer Passage der Nikomachischen Ethik ersichtlich: Die melancholischen Naturen bedürfen freilich stets eines Heilmittels. Denn ihr Körper ist wegen der Säftemischung stets gereizt, und sie befinden sich stets in heftiger Begierde.165

___________ et aussi du sommeil, de la veille, de la vigueur, de la vieillesse, de la maladie et de la santé : […], les principes des élements naturels sont précisement le chaud, le froid, le sec et l’humide« (Parties, II, 2, 648a). Die Vehemenz, mit der Aristoteles die Bedeutung der Elementarqualitäten herausstreicht, mag kritische Zeitgenossen dann auch von der Richtigkeit der Konkordanzen des Stagiriten überzeugt haben: Seit der Übernahme des Modells durch Galen ist die aristotelische Urheberschaft der Elementen-QualitätenVerknüpfung allgemein in den Hintergrund getreten, was dazu führt, daß intertextuelle Bezüge im Werk des Stagiriten ihre Überzeugungskraft gewissermaßen eingebüßt haben, da sie nur noch selten zu Rate gezogen werden. 163 Aristote: Histoire des animaux (Historia animalium).Texte établi et traduit par P. Louis, Paris 1969, III, 2, 511b. 164 Cf. Pollak/Heilkunde, S. 138. Schöner gibt zudem an, »daß genaue Nachprüfung ergeben hat, daß die einzige Stelle, an der wenigstens drei der vier gewöhnlichen Kardinalsäfte zusammen genannt werden«, die hier zitierte ist (Cf. Schöner, S. 68). Nach einem Blick in den von H. Bonitz erstellten Index Aristotelicus (Darmstadt 1955) ließ sich diese Aussage bestätigen. 165 Eth. Nic.VII, 15; 1154b. Zur Melancholie cf. meine Anmerkungen S. 201ff.

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Qualitäten, Elemente und Säfte lassen sich also durchaus als wichtige Bestandteile peripatetischer Ätiologie fassen. Ihre Systematisierung gelang jedoch erst Galen.166 Bei den Beiträgen Platons, Aristoteles’ und auch Celsus’ zur Elementen- und Säftelehre handelte es sich meist um verstreute Überlegungen. Galens literarische Hinterlassenschaft umfaßt hingegen rund vierhundert Einzelschriften167, von denen ein Großteil medizinischen Themen gewidmet ist. Neben einer Fülle von Kommentaren zu den Schriften seines ›großen Vorbilds Hippokrates‹168 verfaßte der Arzt auch eine Reihe von Werken, in denen er seine Erfahrungen als Gladiatoren- und späterer Leibarzt römischer Kaiser an die Nachwelt weitergibt. Obwohl man davon ausgehen kann, daß zumindest die antiken Schriften alle aus der Feder Galens bzw. seiner Schreiber stammen, trifft man bei deren Lektüre in toto auf zahlreiche Ungereimtheiten.169 Diese lassen sich aus der unglücklichen Mischung aus Hippokratesnachfolge und damit verbundener Übernahme der Widersprüche und Kontroversen, die sich so zahlreich im Corpus Hippocraticum finden, einerseits, und der Entwicklung eigener Ideen, die jedoch einem einheitlichen System verpflichtet sind, andererseits, erklären. Wer die galenische Lehre aus den Schriften des Arztes ›herauslesen‹ möchte, ist also gezwungen, das Werk zunächst im Ganzen zu lesen, um in Anschluß daran die unterschiedlichen Standpunkte gegeneinander aufzuwiegen und den einen schließlich als gültig und folgenreich zu bewerten, den anderen als Irrweg ohne Zukunft abzutun.170 Da diese Arbeit in der Vergangenheit von verschie___________ 166 Selbstverständlich haben neben Platon und Aristoteles noch weitere Philosophen oder Ärzte das Schaffen Galens beeinflußt. Schöner (S. 79) und Pollak (Pollak/Heilkunde, S. 176) betonen übereinstimmend den Einfluß Poseidonios’ von Apameia, der sich als Hauptvertreter der mittleren Stoa eng an das empedokleische ViererModell anlehnte (Cf. DNP, Lemma Poseidonios (3)). Weitere Einflüsse benennt Eckart, S. 60f, ebenso Pollak/Heilkunde, S. 172f. 167 Cf. Rothschuh, S. 188, ebenso Eckart, S. 70/71. Erhalten und in der von C. G. Kühn besorgten gr./lt. Gesamtausgabe zusammengestellt sind davon heutzutage noch knapp die Hälfte. 168 Cf. Schöner, S. 86/87. 169 Auf diese Schwierigkeit wies bereits O. Temkin hin: »Die einzelnen Schriften verweisen in ihrer Vervollkommnung fast ständig aufeinander, nimmt man also das ganze Korpus seines Werkes in eins, so liegt tatsächlich ein systematisch verflochtenes Ganzes vor. Betrachtet man aber die Schriften im einzelnen, so sieht man, daß sie ein immerwährender Versuch sind, sich der Medizin von allen Gebieten und Seiten her zu nähern, unter ständiger Verschiebung der Akzente« (O. Temkin: »Geschichte des Hippokratismus im ausgehenden Altertum«, Kyklos 4, 1932, S. 1-80, hier S. 14. 170 Dies wäre zudem ein medizinhistorischer Forschungsansatz, der in bezug auf das Erkenntnisinteresse der Arbeit deutlich über das Ziel hinaus gehen und deshalb nur sehr begrenzt zu verwertbaren Ergebnissen führen würde.

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denen Personen geleistet wurde, ist es möglich und sinnvoll, hier auf diese zurückzugreifen.171 Als Grundlage für die weitere Analyse bietet sich das Schema R. Herrlingers an. In diesem faßt er das galenische Viererschema sehr übersichtlich in einem Kreisdiagramm zusammen. Da Galen seit der Spätantike als die medizinische Autorität schlechthin galt und somit jeder, der auf diesem Gebiet zu neuen Erkenntnissen gelangte, bestrebt war, diese in das allgemein anerkannte System einzufügen, um so das Fortleben seiner Ideen zu sichern, wuchs das heilkundliche Wissen im Laufe der Jahrhunderte zwar immer mehr an, präsentierte sich jedoch stets als relativ geschlossenes und durchdachtes System auf hippokratisch-galenischer Grundlage.172 Wenn es also darum geht, die zur Abfassungszeit des Decameron geläufigen medizinischen Vorstellungen und deren Verarbeitung durch Boccaccio zu bewerten, ist es unumgänglich, auch die durch die »mittelalterliche Rezeption entstandenen«173 Zusätze zu berücksichtigen, die Herrlinger sinnvoll in sein Modell integriert:

___________ 171 Cf. z. B. die guten Überblicksdarstellungen bei Eckart, S. 70-77 sowie den Artikel Humoralpathologie im LexMa (Hier findet sich auch eine tabellarische Darstellung der Zuordnung von elementum – qualitas – humor – temperamentum – membrum – color – aetas – tempus anni – genus und planeta, in der jedoch nicht explizit zwischen galenischen Erkenntnissen und mittelalterlichen Zusätzen unterschieden wird. Weitere Schemata bei Schöner, S. 102-104. 172 Auch wenn im Laufe der Jahrhunderte die Verantwortung für den Erhalt und die Weitergabe heilkundlichen Wissens immer wieder in neue Hände fiel, hielten alle Institutionen im wesentlichen an den antiken Modellen fest und fügten diesen, je nach ihrem Selbstverständnis mehr oder weniger neue Elemente hinzu. Bis zur Eröffnung der ersten weltlichen Medizinschulen in Salerno und Toledo im 10./11. Jahrhundert (Cf. dazu Eckart, S. 105-109, sowie Pollak/Jünger, S. 195; 202f) oblag die Tradierung medizinischer Kenntnisse – ob auf dem Pergament oder in der Realität – vor allem den Klöstern. Schon im sechsten Jahrhundert übersetzte und vervielfältigte man hippokratische und galenische Schriften (Cf. Eckart, S. 105). Zu einem gewissen ›Stabwechsel‹ kam es erst im Folge der Einrichtung medizinischer Fakultäten an den Universitäten von Bologna, Padua und Paris im 12. Jahrhundert. Medizin wurde hier nach der scholastischen Methode gelehrt, wobei es nicht darum ging, neue Erkenntnisse zu erlangen, sondern lediglich um die Bestätigung der alten Autoritäten (Eckart, S. 111). Anstelle der Originaltexte las man jedoch vor allem die Kommentare, die mehrheitlich der arabisch-byzantinischen Tradition entstammten, ab dem 12. Jahrhundert vor allem den Canon Medicinae des Avicenna (Cf. H. Schipperges: »Die Rezeption arabisch-griechischer Medizin und ihr Einfluß auf die abendländische Heilkunde«, in: P. Weimar (Hrsg.): Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert. München, Zürich 1981, S. 173-196, hier S. 182f). Das bereits erwähnte Praxisverbot für Kleriker bezog sich nur auf die Durchführung chirurgischer Eingriffe. Krankenfürsorge und materia medica verblieben weiterhin in den Händen kirchlicher Vertreter, vor allem der Ordensleute. 173 Eckart, S. 72.

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Abb.: R. Herrlinger: die historische Entwicklung des Viererschemas in der antiken und mittelalterlichen Humorallehre174

Wie aus der Abbildung hervorgeht, sind Elemente und Säfte nun miteinander verknüpft. Auch wenn eine solche Verbindung bereits in den Werken der Peripatetiker latent gegenwärtig war, vollbrachte erst Galen diesen Brückenschlag, was jedoch nicht bedeutet, daß er allen drei Komponenten die gleiche Bedeutung beimißt. Für ihn sind die vier Elementarqualitäten die »eigentlichen

___________ 174 Innerer Kreis: Kenntnisstand des Corpus Hippcraticum, mittlerer Kreis: galenische und pseudogalenische Zusätze, äußerer Kreis: mittelalterliche Ergänzungen. Das Schema Herrlingers fungiert im folgenden gewissermaßen als Textbeleg [Schema Herrlinger] und wird nur durch wörtliche Zitate aus den betreffenden Schriften ergänzt, wenn die genaue Formulierung wichtig ist oder aber – dies gilt besonders für den Bereich der mittelalterlichen Zusätze – Urheber oder Zeitpunkt des Aufkommens eine Rolle spielen.

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Urkräfte«175, die über den Körper des Menschen und damit auch über Gesundheit und Krankheit176 bestimmen: Si primas et elementares alteratrices facultates requiris, hae sunt humiditas, siccitas, calidiras et frigiditas, si vero eas, quae ex his inter se mixtis nascuntur, tot sane omni in animali erunt, quod fuerint in eo sensibilia elementa.177

Auch in der Schrift Von der Heilkunst, die als eine Art Kompendium der theoretischen und praktischen Grundsätze angehenden Ärzten bis ins Renaissancezeitalter als Lehrbuch diente,178 werden die Säfte zwar als Bestandteile des Körpers und äußere Anzeichen für verschiedene Krankheiten erwähnt179, als ausschlaggebend für das körperliche Gleichgewicht bezeichnet der Verfasser jedoch stets die »temperiem quattuor primorum qualitatum«.180 Da Galen aber die aristotelischen Qualitätenpaare übernommen und den Säften zugeord___________ 175

Rothschuh, S. 190, cf. dazu Jacquart, in: Grmek, S. 231. Da Galen von einem dreigliedrigen Modell ausgeht (»Medicina est scientia salubrium, et insalubrium, et neutrorum [...]. Salubre nunc est corpus, quod in praesenti est sanum, est vero hoc, quo tempore sanum existit, et probe temperatum et commoderatum, non optima ac summa et temperie et symmetria, sed sibi propria. […] Insalubre vero nunc est corpus, quod eo tempore, quo tale dicitur, aegrotat. Perspicium antem est, et id, quo tempore aegrum esse dicitur, aut similiaribus partibus intemperatum, aut organicis incommoderatum, aut utrumque esse. […] Quoniam vero et neutrum corpus tripliciter dicebatur; primum quidem, quod neutrius extremarum affectionem, secundum, quod utriusque, tertium, quod nunc huius, nunc illius est particeps: iuxta primum significatum neutrum erit corpus, quod exquistite medium est saluberimi et insaluberimi corporis.« (C. Galenus: Galeni Ars medica, in: Claudii Galeni Opera omnia I, S. 305-412, hier S. 310/311 (cap. II) [Ars medica, in: Claudii Galeni Opera omnia I])) ist hier selbstverständlich die Mittellage zu ergänzen (Cf. dazu Rothschuh, S. 192). Das dreigliedrige Modell fand jedoch kaum Anhänger, was wohl weniger als eine Folge der Abgrenzungsproblematik zu sehen ist, als vielmehr in der relativen ›Sinnlosigkeit‹ der Einteilung begründet liegt. Da man innerhalb des streng teleologisch ausgerichteten Systems Galens in der Unterscheidung eines weiteren Status’ keinen Vorteil gegenüber der althergebrachten Opposition von krank und gesund entdeckte, wurde das Modell zwar weiterhin tradiert, aber nicht ausgebaut. 177 C. Galenus: Galeni De naturalibus facultatibus, lib. I, in: Claudii Galeni Opera omnia II, S. 1-73, hier S. 12 (cap. I) [De naturalibus facultatibus, in: Claudii Galeni Opera omnia II]. 178 Pollak/Heilkunde, S. 200. 179 So nennt der Verfasser z. B. »pituitosa excrementa« als Anzeichen von Erkältungskrankheiten. (Ars medica, in: Claudii Galeni Opera omnia I, S. 350 (cap. XVIII). 180 Ars medica, in: Claudii Galeni Opera omnia I, S. 318-358 (cap. V-XXI), passim. Kasusanpassung von mir. Dies ist nicht nur ein Beispiel für die konstatierten Ungereimtheiten, die aber die Gültigkeit des Gesamtsystems nicht grundsätzlich in Frage stellen, sondern auch für die Schlagkraft der Autorität des antiken Ärztegespanns. Auch wenn die geringe Bedeutung, die den Säften in der Ars parva – wie man das Werk im damaligen Fachjargon ebenfalls nannte (Cf. Bergdolt/Leib und Seele, S. 142/143) – zugeschrieben wird, vielleicht den einen oder anderen zukünftigen Mediziner verwundert hat, regte diese Feststellung nicht zur Überprüfung des herrschenden Modells an: Wissend, daß schon Hippokrates den Säften Aufmerksamkeit schenkte und in Kenntnis des galenischen Grundschemas, wurde den Unregelmäßigkeiten wenig Beachtung zuteil. 176

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net hatte, konnten sich diese dennoch – gewissermaßen über einen Umweg – einen wichtigen Platz im galenischen System erobern und sich dort jahrhundertelang behaupten. Die Idee, die komplexen Verbindungen, die Galen in seinen Werken vorschlägt in einer Graphik darzustellen, ist nicht neu. Wenn man bedenkt, daß ein Arzt im Mittelalter anhand der äußeren Zeichen auf die vorliegende   schließt, um anschließend die entsprechende Therapie einleiten zu können, ist es nur logisch, daß man als Gedächtnisstütze für den Mediziner bildhafte Darstellungen des Viererschemas erstellte. Neben jenen, die aus rein pragmatischen Erwägungen skizziert und nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt waren, entstanden auch kunstvolle Darstellungen des Viererschemas, die ab dem 11. Jahrhundert vermehrt nicht nur Handschriften, sondern vereinzelt auch Kirchenwände schmückten.181 Bis ins Renaissancezeitalter erfuhr es zudem Erweiterungen seitens der Astrologie, Theologie, Philosophie und Musik. Auf diese Weise avancierte es schließlich zu einem umfassenden Erklärungsmodell, das den Menschen Aufschluß über zahlreiche Alltagsphänomene zu geben vermochte.182 Als die Ärzte im 16. und mehr noch im 17. Jahrhundert begannen, das humoral- und qualitätenpathologische Konzept zu hinterfragen und ihm neue pathogenetische Erklärungssysteme entgegenzusetzen,183 verlor auch das Vierer___________ 181

So beispielsweise in der Krypta der Cattedrale di Agnani (Abbildung des Microcosmo in: P. Toesca: Gli affreschi della cattedrale di Agnani. Riedizione del Toesca 1902. Rom 1994, S. 19, Erläuterungen S. 18). Eine der ersten Abbildungen des Viererschemas integrierte Isidor von Sevilla jedoch bereits im siebten Jahrhundert in sein De Natura Rerum liber (um 615) ((Isidor von Sevilla): Isidori Hispalensis de Natura Rerum liber. Recensit Gustavus Becker. Berlin 1857, Abb. V, zu cap. XI, S. 25 (angefügt auf nicht paginiertem Leporello, nach S. 80). 182 Cf. Schema Herrlinger (S. 194) sowie R. Klibansky/E. Panofsky/F. Saxl: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Philosophie und der Kunst. Übersetzt von C. Buschendorf. Frankfurt a. M. 1990, S. 183ff [Klibansky/Panofsky/Saxl]. 183 Nachdem bereits Andreas Vesalius – der seine Erkenntnisse nicht wie Galen anhand von Tiersektionen gewann, (Cf. Eckart, S. 140) – in seinen anatomischen Arbeiten (De humani corporis fabrica libri septem, 1543) zahlreiche Fehler galenischer Anatomie aufgedeckt und berichtigt hatte (Cf. Eckart, S. 140-144, hier auch ein Überblick über weitere Anatomen), kritisierte Paracelsus schließlich die allgegenwärtige Humorallehre und setzte ihr das »selbstgewählte Motto experimenta ac ratio entgegen« (Eckart, S. 157, Hervorhebung im Original; ebenso Rothschuh, S. 264f). Daß es jedoch weder Paracelsus noch seinen Nachfolgern, die das iatrochemische Konzept ihres Vorbilds weiterentwickelten (Cf. Rothschuh, S. 273), gelang, das althergebrachte System in seinen Grundfesten zu erschüttern, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß sich noch der gesellschaftskritische Molière rund ein Jahrhundert später, also bereits nach der Entdeckung des Blutkreislaufs durch W. Harvey, im Malade imaginaire (1673) genötigt sah, Autoritätenhörigkeit und veraltete Therapiemethoden der Ärzte anzuprangern: »clysterium donare, posteia seignare, ensuitta purgare« (Molière: Le Malade imaginaire, in: Molière: Œuvres complètes. Texte établi avec préface, chronologie de la vie de Molière,

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schema mit all seinen Ergänzungen seine grundlegende, ›welterklärende‹ Bedeutung und fristet seitdem ein Dasein in den Lehrbüchern der Medizingeschichte. Einzig den Temperamenten und ihren Bezeichnungen, blieb dieses Schicksal erspart: Einen trägen, zögerlichen Zeitgenossen als phlegmatisch, einen aufbrausenden, jähzornigen Menschen hingegen als cholerisch zu bezeichnen, ist heutzutage wohl ebenso üblich wie die (allerdings stark verkürzende) synonyme Verwendung von Melancholie anstelle von Traurigkeit. Einzig der Begriff Sanguiniker bzw. sanguinisch ist relativ ungebräuchlich. Der anhaltende Erfolg dieser Charakterlehre bis in unsere Zeit mag einerseits in der Inanspruchnahme der Temperamentenlehre für anthropologische Fragestellungen – insbesondere durch die Moralisten – begründet liegen184, andererseits im steten Interesse an der Melancholie, die nach einem ersten Höhepunkt im 15., im 19. Jahrhundert erneut in aller Munde war. 185 Da die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Melancholie immer auch eine Rückkehr zu den Quellen und damit zur Säftelehre implizierte, blieb diese in Temperamentsbezeichnungen bewahrt.186 Es wird jedoch immer wieder betont, daß die Begriffe keinesfalls antiken Ursprungs sind187, sondern erstmals im 12. Jahrhundert in der heutzutage bekannten Viererkonstellation erwähnt werden: ___________ bibliographie, notices, notes, relevés de variantes et lexique par R. Jouanny. Paris 1962, S. 751-852, Intermède III.) Nicht nur das Erwähnen der gängigsten Therapiemethoden, zu denen noch die Urinschau zu ergänzen wäre, sondern auch die verwendete Sprache, ein Gemisch aus Latein und Französisch – sogenanntes Makkaronilatein, das auf der Bühne des komischen Theaters seit jeher Erfolge feierte – kennzeichnen die Medizin und ihre Vertreter in zwar überzeichneter, aber sehr wohl treffender Form. Einen Überblick über die weitere Entwicklung bieten Eckart, S. 213f, sowie Pollak/Jünger, S. 289329. 184 Zu diesem Themenkomplex cf. z. B. L. van Delft: Littérature et anthropologie. Nature humaine et caractère à l’âge classique. Paris 1993, S. 1-15 und passim. 185 Zur Beschäftigung mit der Melancholie im Renaissancezeitalter cf. meine Ausführungen S. 211f sowie Klibansky/Panofsky/Saxl, S. 351ff. In Hinblick auf die Verarbeitung des Konzepts durch Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts sei erneut auf die Publikation Mehnerts verwiesen. 186 Dies erklärt auch die Tatsache, daß die Qualitätenpathologie – historisch inkorrekt – oft zugunsten der Humoralpathologie vernachlässigt oder gar gänzlich unbekannt ist. 187 Cf. z. B. Eckart, S. 72, Schöner, S. 93. Daß die Temperamentsbezeichnungen nicht auf antike Quellen zurückgehen können, sondern eine Erfindung des Mittelalters sind, erklärt J. van Wagenningen allein aufgrund der sprachlichen Form: »Jedenfalls sind diese Namen Melancholici, Phlegmatici, Cholerici und Sanguinici nicht in dieser Weise nebeneinander von Aristoteles, Hippocrates oder Galenus gebraucht worden, da diese Griechen sicher nicht die vierte Kategorie mit einem lateinischen Namen bezeichnet haben würden, während man überdies im Griechischen vergeblich nach einem Aequivalent sucht, als dessen Übersetzung sanguineus zur Bezeichnung eines der Temperamente gelten könnte« (J. van Wagenningen: »Die Namen der vier Temperamente«, in: Janus 23 (1918), S. 48-55, S. 48 [v. Wageningen] Hervorhebungen vom Autor). Die-

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Si vero intendatur calor, et remittator humiditas, dicitur cholericus, id est calidus et siccus, non est sine humiditate tamen. Sin vero in aliquo intensus sit humor, calor vero remissus, dicitur phlegmaticus. Sin autem intensa sit siccitas, remissus calor, melancholicus. Sin vero aequaliter insunt, dicitur sanguineus.188

Guilelmus de Conchis verwendet die bekannten Begriffe hier in substantivischer Form. Cholericus, phlegmaticus, melancholicus und sanguineus werden auf diese Weise zu festen Größen. Noch Johannitius, den Guilelmus als Gewährsmann angibt189, hatte in der Isagoge ad artem parva Galeni190 – einem der wichtigsten medizinischen Lehrbücher des Mittelalters, das zusammen mit dem kommentierten Werk Galens und anderen Grundlagenschriften die vielgelesene Articella191 bildete – Formulierungen wie »infectum sanguineo« und »in-

___________ se Argumentation ist so einfach wie einleuchtend und zeigt einmal mehr, wie sehr im Laufe der Jahrhunderte antike Originaltexte und mittelalterliche Ergänzungen zu einem Gesamtkorpus verwachsen sind. Der Wunsch, Ursprüngliches und nachträglich Hinzugefügtes voneinander abzugrenzen, mag zwar dem historischen wie philologischen Interesse moderner Wissenschaft entsprechen, war der scholastischen Tradition aber fremd. Es sei zudem daran erinnert, daß die Werke Galens nicht auf Griechisch, dessen Kenntnis im Abendland wenig verbreitet war, sondern auf Latein gelesen wurde, die Körpersäfte also als sanguis, bilis atra/nigra, flava und pituita bekannt waren (Cf. v. Wageningen, S. 53). Während   aber direkt als griechisches Äquivalent von pituitam eingeführt wird (Cf. De naturalibus facultatibus, in: Claudii Galeni Opera omnia II, S. 130 (cap. IX): »phlegma (sic!) nominat [...] quod omnes homines pituitam vocant), war G als Pendant zu sanguini unbekannt. 188 Honorius Augustodunensis: De Philosophia mundi libri quattuor, in: Migne, PL, Bd. CLXXII, cc. 39-102, hier lib. IV, cap. XX, c. 93 [Philosophia mundi, in: Migne, PL, Bd. CLXXII]. Warum Migne die Philosophia mundi unter dem Namen Honorius’ herausgibt, bleibt unklar. Dank erneuter Analyse der Handschriften wird heutzutage gemeinhin Guilelmus de Conchis (Wilhelm von Conches) als Autor des Werkes angenommen (Cf. z. B. Kindler, ebenso LexMa, Lemma Wilhelm von Conches). Es ist wohl auf die Stellung der Patrologia graeca/latina als anerkanntes Referenzwerk zurückzuführen, daß in der medizinhistorischen Sekundärliteratur in Verbindung mit der Temperamentenlehre immer wieder auf Honorius verwiesen wird (Cf. z. B. van Wageningen, S. 54 und wohl in dessen Nachfolge Schöner, S. 93). Klibansky/Panofsky/Saxl weisen darüber hinaus auf Zuschreibungen der Philosophia mundi an Beda und Wilhelm von Hirsau hin (Cf. S. 172). 189 »Sed quia hoc Johannicio in Isagogis satis dictum est« (Philosophia mundi, in: Migne, PL, Bd. CLXXII, lib. IV, cap. XX, c. 93). 190 Cf. Bergdolt/Leib und Seele, S. 142/143. Der im Westen als Johannitius bekannte arabische Verfasser der Isagoge heißt mit richtigen Namen Hunnain-Ibn-Issaq. Der ursprünglich arabisch geschriebene Kommentar wurde von Constantinus Africanus ins Lateinische übertragen (Cf. Jacquart, in: Grmek, S. 222; 224f). 191 Eine Auflistung der unter dem Namen Articella zusammengefaßten Schriften bietet Grmek im Quellenverzeichnis, S. 461. Die somit stark galenisch geprägte ArticellaLiteratur bildet auch die Grundlage des von Schipperges errichteten »Hauses der Heilkunst« (Cf. Graphik, S. 183), was dann auch die Vernachlässigung der Qualitäten erklärt.

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fectum melancolico«192 verwendet, was darauf hindeutet, daß hier von vorübergehenden, pathologischen Erscheinungen, nicht aber von Kontititutionstypen die Rede ist. Wenn Gulielmus hingegen im Rahmen seines Entwurfs einer christlichen Kosmologie cholericus, phlegmaticus und melancholicus als Defizienzformen – »quia corrumpitur natura«193 – dem ideal gemischten sanguineus gegenüberstellt, verknüpft er die Begriffe mit bestimmten Eigenschaften, die aus der natürlichen Prävalenz einer der Körpersäfte bzw. der Veranlagung für eine solche resultieren und den jeweiligen typus dauerhaft kennzeichnen: Cholerici namque longe et graciles, longi ex calore et graciles ex siccitate. Sanguinei vero propter calorem longi, pingues propter humiditatem. Phlegmatici vero propter frigiditatem parvi propter humiditatem grossi. Melancholici autem propter siccitatem graciles, propter frigiditatem breves.194

Guilelmus belegt die verschiedenen Typen nur mit äußeren Merkmalen. Da jedoch in den Schriften der Autoritäten zahlreiche Konkordanzen von Qualitäten – die hier wie bei Galen eine ›Mittlerrolle‹ einnehmen – und Säften einerseits und psychische bzw. geistig-seelische Eigenschaften andererseits vorgeprägt waren und gewissermaßen bereit lagen, konnten diese problemlos den jeweiligen Typen zugeordnet werden.195 Basierend auf diesem traditionellen ___________ 192 Johannitius (i. e. Hunain Ibn-Ishaq al Ibad): Liber Hysagoge Ioannici ad Tegni Galeni. Venedig 1502, fol. 2 [Hysagoge]. 193 Philosophia mundi, in: Migne, PL, Bd. CLXXII, lib. IV, cap. XX, c. 93. Zum besseren Verständnis der von Guglielmus vorgenommenen 3 : 1 Gegenüberstellung sei darauf hingewiesen, daß in lib. I, cap. XXIII, c. 55 der Philosophia mundi den   jeweils ein Tier zugeordnet wird. Auf diese Weise grenzt der Autor das Tierreich vom Menschen ab, der durch   gekennzeichnet ist. Flashar weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß sich aus dieser Textstelle herauslesen läßt, daß jede   den Menschen ins Tierische abgleiten und somit weniger wertvoll erscheinen läßt (Flashar, S. 115/116, Anm. 27). 194 Philosophia mundi, in: Migne, PL, Bd. CLXXII, lib. IV, cap. XX, c. 93. 195 Besonders in den Epidemienbüchern sind derartige Zuordnungen latent vorhanden: »sie fühlte sich ständig schläfrig, litt an Appetitlosigkeit; Depressionen und Schlaflosigkeit, Reizbarkeit und schlechter Laune, ihr Geisteszustand war melancholisch« (Epidemien III, in: Hippokrates/Schriften/Diller, 17B, S. 67, Édition Littré, Abschnitt 113). Eine stark verallgemeinernde Aussage, die der späteren Temperamentenlehre inhaltlich sehr nahe kommt, findet sich in der Schrift über Epilepsie: »Die Menschen, die unter Einwirkung des Schleims geisteskrank werden, sind still und schreien und lärmen nicht. Die aber, die unter Einwirkung der Galle stehen, schreien, sind aggressiv und nicht ruhig, sondern tun immer etwas Unpassendes« (Hippokrates: Die heilige Krankheit ( + H  2 in: Hippokrates/Schriften/Diller, S. 161-184, hier Kapitel 15, S. 181, Édition Littré, VI, S. 389). Es sei jedoch daran erinnert, daß die hier beschriebenen Verhaltensweisen als Symptome von Krankheiten gesehen wurden und deshalb nicht zu der Aussage berechtigen, die Temperamentenlehre sei antiken Ursprungs (Cf. dazu Flashar, S. 29, Schöner S. 47). Daß man auch in ›Nicht-Fachkreisen‹ einen Zusammenhang zwischen Säften und geistig-seelischen Eigenschaften herstellte, wird anhand einer Passage der Nikomachischen Ethik deutlich: »Unbeherrscht aus Übereilung sind meist die heftigen und melancholischen Naturen. Die einen warten nicht auf den Verstand aus Raschheit, die andern aus Heftigkeit und weil sie sich von ihren Vorstellungen leiten lassen.«;

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Grundstock wurde die Zeichnung der einzelnen Temperamente im Laufe der Jahrhunderte durch weitere Zusätze immer genauer und die Abgrenzungen exakter.196 Als sich Boccaccio gut zwei Jahrhunderte nach Gulielmus ans Werk machte197, um sein Decameron gegen »alcuna malincolia« zu schreiben, war die Temperamentenlehre also bereits fest etabliert. Auch wenn der Autor diese mit Sicherheit kannte und er von ihr, wenn auch unbewußt, beeinflußt war, spielt diese dennoch für die Konzeption seines Werkes nur eine untergeordnete Rolle.198 Denn die Damen, denen der Autor das Werk vornehmlich dedizierte, wa___________ Eth. Nic. VII, 8; 1150b. Weitere Beispiele, auch aus dem Bereich von Drama und Epos, geben Müri, S. 34/35 und Flashar, S. 37/38. Während sich Celsus darauf beschränkte, einzig tristitia mit der schwarzen Galle in Verbindung zu bringen (»tristitia, quam videtur bilis atra contrahere«; De medicina: III, 18, 17) bietet Galen in De locis affectis eine systematische Darstellung der ihm bekannten Melancholieformen einschließlich ihrer spezifischen Symptome: »Differunt autem inter se melancholici; nam omnes timent, moerent, vitam damnant, odio habent homines«, (C. Galenus: Galeni de locis affectis, lib. III, in: Claudii Galeni Opera omnia VIII, S. 136-215, hier S. 190 (cap. X) [De locis affectis, in: Claudii Galeni Opera omnia VIII]). Auch wenn beide die Melancholie eindeutig als Krankheit verstehen, konnten die angegebenen Symptome im Nachhinein als psychische Eigenarten gedeutet werden. Im Kommentar zu Von der Natur des Menschen verbindet Galen die Körpersäfte eindeutig und in nicht-pathologischem Zusammenhang mit bestimmten geistig-seelischen Eigenschaften: »Itaque hoc statuto acumen animi et solertia ex bilioso humore profiscetur; constantia vero et stabilitas ex melancholico, simplicitas autem et stoliditas, ex sanguine: pituitae vero natura ad mores formandos inutilis« (C. Galenus: Hippocratis De natura hominis liber primus et Galeni in eius commentarius, in: Claudii Galeni Opera omnia XV. S. 1-173, hier S. 97 (cap. XXXVIII). Die Differenzen zu späteren, mittelalterlichen Konkordanzen sind offensichtlich, dennoch kann auch diese Textpassage als ›Stoffreservoir‹ und Ideengeber der Temperamentenlehre gewertet werden. 196 Cf. dazu Schema Herrlinger, S. 194, Eckart, S. 72 sowie detaillierter Klibansky/Panofsky/Saxl, S. 183-199. Die Autoren bieten darüber hinaus auch reichhaltiges Bildmaterial. Interessanterweise wurde jedoch nur der melancholicus bzw. die Melancholie zum Gegenstand medizinischer Betrachtungen (Cf. Flashar, S. 49 sowie insbesondere H. Tellenbach: Melancholie. Zur Problemgeschichte, Typologie, Pathologie und Klinik. Mit einem Geleitwort von V. E. Freiherr von Gebsattel. Berlin e. a. 1961 [Tellenbach]). 197 Die Philosophia mundi entstand um 1130. 198 Der Einfluß der Temperamentenlehre auf das Decameron zeigt sich nicht so sehr auf medizinischem oder ›psychologischen‹ Gebiet, als vielmehr im Bereich christlicher Morallehre. Das Verlassen der pestverseuchten Stadt soll nämlich nicht nur der (vorübergehenden) körperlichen Gesunderhaltung der brigata dienen, sondern auch zur Wiederherstellung der moralischen Ordnung, die ein ben vivere möglich macht (Cf. Flasch, S. 112f, ebenso Arend, S. 121; 131). Diese Intention bringt Pampinea in ihrer Rede in Santa Maria Novella deutlich zum Ausdruck: »E per ciò, acciò che noi, per ischifaltà o per traccutaggine non cadessimo in quello di che noi per avventura per alcuna maniera volendo potremmo scampare no so se a voi quello se ne parrà che a me ne parrebbe: io giudicherei ottimamente fatto che noi [...] di questa terra uscissimo, e fuggendo come la morte i disonesti esempli degli altri onestamente a’ nostri luoghi in contado [...] ce ne andassimo, e quivi quella festa, quella allegrezza, quello piacere che noi potessimo, sen-

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ren nicht notwendig allesamt melancholicae, im Gegenteil: Sowohl für die malincolia der im Proemio erwähnten Damen (und Herren) als auch für die zwar nicht explizit erwähnte, aber dennoch unterschwellig vorhandene malincolia der brigata-Mitglieder,199 nennt Boccaccio konkrete Ursachen: unglückliche Liebe und schreckliche Erlebnisse, die das Verbleiben in der pestverseuchten Stadt mit sich bringt. Auch die Tatsache, daß er die malincolia durch »nuovi ragionamenti« zu heilen gedenkt, deutet darauf hin, daß Boccaccio in ihr vorrangig einen pathologischen, vorübergehenden Zustand, aber keine generelle Veranlagung erkennt. In bezug auf die Frage nach Ursache, Wesensart und Therapie konnte man sich im 14. Jahrhundert im wesentlichen auf die wenigen Aussagen zur Melancholie bei Galen sowie auf ein von Constantinus Africanus200 verfaßtes Werk – De Melancholia libri duo – stützen. Letzteres ist die recht freie Übertragung von Ishāq Ibn ‘Imrans arabischer Abhandlung über die Melancholie201, die ___________ za trapassare in alcuno atto il segno della ragione prendessimo« (Dec. I, Intr. 65/66). Geht man davon aus, daß nach dem Modell Gulielmus’ de Conchis nur der sanguineus über eine ideale Mischung verfügt und somit zu moralisch einwandfreiem Leben fähig ist (Philosophia mundi, in: Migne, PL, Bd. CLXXII, lib. IV, cap. XXIII, c. 56; sowie dazu Klibansky/Panofsky/Saxl, S. 172/173) und bedenkt weiterhin, daß nach mittelalterlicher Vorstellung ein Übermaß an Blut im Körper den Menschen heiter macht (Cf. Schema Herrlinger, S. 194). Diese Ansicht beruht wohl auf Versuchen, das Lachen als ›physiologischen‹ Prozeß zu erklären, cf. Schipperges/Die Kranken, S. 124f sowie meine diesbezüglichen Ausführungen), läßt sich das Decameron auch als »sanguinisches Projekt« (Arend, S. 121) begreifen, das unabhängig von der therapeutischen Funktion des Buches, den Leser eine Weile erfreuen soll. In diesem Sinne dient es dann einmal mehr der recreatio. 199 Diese wird besonders am Ende der Rede Pampineas offenbar: »[…] E se alle nostre case torniamo, non so se a voi così come a me adiviene: io, di molta famiglia, niuna altra persona in quella se non la mia fante trovando, impaurisco e quasi tutti i capelli adosso mi sento arricciare e parmi, dovunque io vado o dimoro per quella, l’ombre di coloro che sono trapassati vedere, e non con quegli visi che io soleva, ma con una vista orribile, non so donde in loro nuovamente venuta spaventarmi«; Dec. I, Intr. 59/60). 200 Constantinus Africanus lebte im 11. Jahrhundert in Nordafrika und Italien. Als Mönch auf Monte Cassino übersetzte er eine Fülle arabischer Schriften für die Salernitaner Ärzteschule. Zu Leben und Schaffen Constantinus’ cf. Jacquart, in: Grmek, S. 221224. 201 Ishāq Ibn ‘Imran: Abhandlung über die Melancholie (Maqāla fī L-Mālīhūliyā) und (Constantinus Africanus) Constantini Africani libri duo de Melancholia. Vergleichende kritisch-arabisch-lateinische Parallelausgabe. Deutsche Übersetzung des arabischen Textes, ausführliche Einleitung und arabischer wie lateinischer drogenkundlicher Apparat von K. Garbers, Hamburg 1977 [Abhandlung/De Melancholia]. Zu inhaltlichen und formalen Übereinstimmungen der beiden Werke cf. die Einleitung von Garbers, S. XXXI. Da dem Abendland die Fassung Constantinus’ bekannt war, wird diese im folgenden zitiert und der arabische Text nur bei inhaltlichen Differenzen zu Rate gezogen. Zu Leben und Werk Ishāq Ibn ‘Imrans cf. Garbers’ Einleitung zu Abhandlung/De Melancholia, S. XIII-XV.

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5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94

wiederum auf einem verlorenen Werk Rufus’ von Ephesos beruht.202 Da auch Galen gleich zu Beginn der Schrift De atra bile konstatiert: »De melancholia a Rufo Ephesio praestantissime admodum scriptum est«203 und auch im Abschnitt über die Melancholie in De locis affectis die Gedanken Rufus wieder aufnimmt204, im Ganzen aber vieles unerwähnt läßt, was von anderen Autoren bereits zum Thema gesagt wurde, kann die Schrift Constantinus Africanus’ im folgenden als Hauptinformationsquelle dienen.205 Zu Beginn der Abhandlung definiert der Verfasser den Untersuchungsgegenstand: Est ergo melancholia cuiuslibet rei malae (non existentis) ut superveniat credulitas. Ex timore enim et angustia suspicantur venire non ventura. […] Fumus enim colera

___________ 202

Rufus wirkte zu Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts in Ephesus und Alexandria. Einen Überblick über das Leben des Arztes sowie dessen umfangreiches medizinisches Werk, das jedoch nur noch rudimentär erhalten ist, bietet J. Ilberg in: Rufus von Ephesos. Ein griechischer Arzt in trajanischer Zeit. Leipzig 1930 [Ilberg], S. 1-6 (Leben); S. 7 (erhaltene Schriften); S. 25 (indirekt erhaltenes), S. 43-45 (Liste indirekt erhaltener Schriften und Fragmente. Unter diesen figuriert auch das Werk über die Melancholie: »Das Buch (kitab) der Melancholie; in zwei Teilen (maqāla); es gehört zu seinen herrlichsten Büchern« (S. 43); S. 47/48: Arbeiten zur Diätetik und Kommentare hippokratischer Werke). Das hohe Ansehen, das Rufus bei Ishāq Ibn ‘Imran genießt, wird gleich zu Beginn des Werkes offenbar: »Bei keinem der Altvorderen habe ich eine befriedigende Schrift über die Melancholie oder ein entschiedenes Wort über diese Krankheit gelesen, es sei denn bei einem Mann aus der Reihe der Vorgänger namens Rufus aus Ephesus. Dieser Mann hat sich, wenn er auch nur eine Schrift von zwei Kapiteln verfaßte, mit der ganzen Kraft seines Geistes auf sie konzentriert und eine sehr gute und schöne Untersuchung über sie, ihre Erscheinungsformen sowie den Weg ihrer Heilung angestellt. [...] Immerhin ist er zu loben und zu preisen, wegen der Leistung, die er mit der Abfassung seiner Schrift vollbrachte.« (Abhandlung, fol. 89b/90a). Die Tatsache, daß Constantinus dieses Lob nicht übernommen hat, bedeutet jedoch nicht, daß er die Leistung Rufus’ nicht anerkannte. Sowohl Ishāq Ibn ‘Imran als auch Constantinus bringen wörtliche Zitate aus Rufus’ Werk oder geben ihn als Referenz an. Zur Abhängigkeit von der Melancholieschrift Rufus‘ cf. Garbers Einleitung zu Abhandlung/De Melancholia, S. XXXII/XXXIII, sowie Flashar, S. 88f. 203 C. Galenus: Galeni de atra bile liber in: Claudii Galeni Opera omnia V, S. 104148, hier S. 105 (cap. I). 204 Cf. De locis affectis, in: Claudii Galeni Opera omnia VIII, S. 173-193 (cap. IX/X). Auch wenn diese Schrift Rufus’ heutzutage nicht mehr zugänglich ist, konnte man deren Inhalt recht gut anhand von Paraphrasierungen und Exzerpten anderer Medizinschriftsteller rekonstruieren (Cf. dazu Flashar, S. 84f, sowie Ilberg, S. 5). 205 Auch das Werk Aetios’ von Amida enthält Abschnitte über die melancholische Krankheit, könnte also ergänzende Informationen enthalten. Da aber eben dieses Werk – zusammen mit Constantinus’ De Melancholia – die Grundlage für die Rekonstruktion der Abhandlung Rufus’ bildete, bietet sie nur wenig zusätzliches Material, auf das jedoch bei Bedarf zurückgegriffen werden kann. Aretaios von Kappadozien äußerte sich in Leiden, Ursache, Behandlung ()2 :a,  ) zur Melancholie, kann also gleichermaßen als Informationsquelle dienen. Die Grundzüge der Schrift finden sich wiederum in Kapitel X von De locis affectis. Zu weiteren Autoren, die der Melancholie eine Ganzschrift oder auch nur ein Kapitel widmeten cf. Flashar, S. 73f; 118f; 126f.

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nigrae cum ad cerebrum saliat & ad locum mentis veniat, lumen eis obscurat, turbat & possundat, prohibens, ne quod comprehendere solebat, sed, quod oportet comprehendat. Unde haec suspicio generatur pessima, ut imaginetur non imaginanda & cor timere faciat terribilia. Quibus passionibus totum corpus afficitur, cum corpus ex necessitate animam sequatur. Patitur ergo vigilias, malitiam, macilentiam, corruptiones virtutum naturalium non secundum quod in sanitate solebant currentium.206

Daran anschließend nennt er eine Reihe von Gründen körperlicher wie seelischer Art, die zu einer Korruption der schwarzen Galle führen. Denn nur wenn diese gegenüber dem Normalzustand in Qualität oder Quantität verändert ist, entsteht jener Dampf, der das Gehirn benebelt und es somit in seiner Funktion beeinträchtigt: causa corporalis I. multitudo cibi & potus. II. negligentia mundificandi corpus. III. ordinatio sex necessariorum neglecta.208 IV. (Jungimus ergo & dicimus), habitantes in regione calidissima & spiccissima vel frigida & sicca vel, quae aerem instabilem sicut autumnalem habeat, nigra abun-dant colera.

causa animae207 I. Videmus enim multos religiosos & in bona vita reverendos209 hanc passionem incidentes ex dei timore & futuri iudicii suspicione & summi boni videndi cupiditate. Quae omnia superant eorum animas. Unde nec cogitant nec investigant, nisi ut solum deum amant & timeant. Inde in passiones incidunt & sicut ebriosi210 fiunt, de nimia solli-citudine & sua quasi vanitate.

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De Melancholia, BD, S. 280 (Abhandlung, fol. 90b). Die Seitenangaben beziehen sich auf die von Garbers verwendeten Basler Druckausgabe von 1536 (BD), zur Orientierung werden darüber hinaus auch die betreffenden Seiten der arabischen Ausgabe angegeben (Textvarianten bleiben weitgehend unberücksichtigt, es sei denn sie tragen zum besseren Verständnis der Passage bei. Das kursive sed ersetzt ein fehlerhaftes secundum der BD.) Obwohl Constantinus sich mit seinem Werk sehr eng an die Schrift Ishāq Ibn ‘Imrans anlehnt, sie über weite Strecken ›wirklich‹ übersetzt, erscheint es dennoch gerechtfertigt, im folgenden von Constantinus als Autor von De Melancholia zu sprechen; nicht nur, weil er sich im zweiten Teil der Schrift von seiner Vorlage löst und das Werk selbständig zu Ende bringt (De Melancholia, BD, S. 3(sic!)93-298), sondern auch weil er als erfahrener Übersetzer medizinischer Schriften durchaus eine eigene Meinung vertritt, den Text also zum Teil ergänzt oder Passagen überspringt. Cf dazu Garbers, Einleitung zu Abhandlung/De Melancholia, S. XXXI: »Alles ihm überflüssig Erscheinende ließ er fort und paßte seine freien Übertragungen den Bedürfnissen der Schüler des lateinischen Abendlandes an«. 207 Im Original. »Quae est secundum animam dicamus«. 208 Die sex necessaria entsprechen den sex res non naturales, zu denen auch cibus und potus gehören und für die grundsätzlich das moderatio Prinzip gilt. Hier liegt also eine inhaltliche Überschneidung vor, die jedoch auch im arabischen Text nachweisbar ist. Zu den sex res non naturales cf. die Graphik, S. 183 sowie S. 220f.

204 V.

5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94 (Et similis sunt his): in regionibus (im)morantes paludosis, lutosis, lacuosis, in vallibus sitis et super magna fulmina. In his enim locis et solutio aufertur et superfluitates corporis non mundificantur, cim aer suffocatus sit & putridus.211

II. Illi vero, qui semper sunt intenti (in) studio, sicut philosophicis libris & alliis huiusmodi, passiones incurrunt.212 […] Huiusmodi melancholiae sunt vicini propter investigationem scientiae & fatigationem suae memoriae & tristitiam de apodixis suae defectione, & et prop-

___________ 209 Die religiosi gehörten aufgrund ihres asketischen Lebensstils, der sie sicher nicht immer genügend essen, trinken und schlafen ließ, sie also die sex res non naturales mißachteten, ohnehin zum gefährdeten Personenkreis. (Cf. causa corporalis, III; VIII). Es ist davon auszugehen, daß Rufus und erneut Constantinus bei den religiosi vor allem erimitisch lebende Mönche vor Augen hatte. Das abendländische Zönobitentum richtete sich im wesentlichen nach der Regula Benedicti – die Constantinus auf Monte Cassino kennengelernt hatte – deren Verfasser die Gesundheit seiner Mönche am Herzen lag (Cf. S. 225f). Aber auch in Gemeinschaft lebende Mönche waren aufgrund ihres gottgefälligen, weltabgewandten Lebens, das sie in steter Sorge um das menschliche Seelenheil gefangen hielt, vor der melancholischen Krankheit nicht gefeit. Auf diese Gefahr hatte bereits Johannes Cassianus, einer der ›Theoretiker‹ des orientalischen Mönchtums, hingewiesen. In der Institutio coenobiorum, die er im fünften Jahrhundert für die Mönche des Abendlandes schrieb (Cf. DNP, Lemma Johannes Cassianus), warnt er auch vor der acedia: »Sextum nobis certamen est, quod Graeci 7 vocant, quam nos taedium sive anxietatum cordis possumus nuncupare. Adfinis haec tristitiae ac solitariis magis experta et in heremo commorantibus infestior hostis ac frequens, maxime circa horam sextam monachum inqietans, ut quaedam febris ingruens tempore praestituto ardentissimos aestus accessionem suarum solitis ac statuis horis animae inferens aegrotanti.« (Jean Cassien: Institution cénobitiques. Texte latin revu, introduction, traduction et notes par J.-C. Guy, SJ, Paris 1965, X, 1 [Inst. coen.]). Johannes verweist hier auf die bereits in der Bibel erwähnte »Seuche, die wütet am Mittag« (Ps. 91, 6). Die acedia wurde dementsprechend im Mittelalter häufig auch als Mönchskrankheit bezeichnet (Cf. LexMa, Lemma acedia), zumal sich die Symptome beider Krankheiten – Traurigkeit, Verzweiflung und Lustlosigkeit – (LexMa., Lemma acedia) sehr ähneln (Auch die von Johannes vorgeschlagene Ablenkungstherapie (Inst. Coen. X, 7) entspricht im wesentlichen den gängigen Vorschlägen zur Melancholiebehandlung. Die acedia zählte jedoch zu den sieben Todsünden, galt somit als moralisches Vergehen, das nach christlicher Lehre auf freier Willensentscheidung, nicht aber auf somatischen Vorgängen beruhte oder gar durch diese entschuldigt werden durfte (Cf. R. Jehl: Melancholie und Acedia. Ein Beitrag zu Anthropologie und Ethik Bonaventuras. Paderborn e. a. 1984, S. 305f). Auch wenn die Vertreter der Kirche es aus ideellen Gründen ablehnten, zwischen beiden Phänomenen eine Verbindung oder gar Übereinstimmung zu sehen, war diese aus mittelalterlich-medizinischer Sicht durchaus gegeben. 210 Garbers deutet die ebreosi metaphorisch-allegorisch als Liebeskranke (Cf. Garbers Anm. 1 zu Abhandlung, fol. 94a.), eine Interpretation, die in Hld, 5, 1b vorgeprägt und deshalb durchaus gerechtfertigt ist. 211 Daß verdorbene Luft krankheitserregend ist, wurde bereits im CH angemerkt: »Hiernach muß ich nun ausführen, daß natürlich aus keiner anderen Ursache die Krankheiten entstehen als durch die Luft, wenn sie überreichlich ist oder durch Krankheitsstoffe verdorben in den Körper hineinkommt.« (Hippokrates: Die Winde (  0 V, in: Hippokrates/Schriften/Diller, S. 210-224, hier S. 215, Edition Littré VI, S. 90-114, hier S. 97). Diese Idee wurde auch von Galen wiederaufgenommen: In Kapitel XIV von De methodo medendi l. IX legt er mögliche negative, aber auch positive Auswirkungen des ambiente aëre auf die Gesundheit dar (C. Galenus: De methodo medendi, l. IX, in:

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ter intentionis suae complementum ac sillogismorum firmamentum VI. haec, inquam, negligentes in corporis suis malos adunant humores. VII. similes bibentes vinum ponticum odore horrendum. VIII. Item alia invenitur causa huius, contraria, unde generatur melancholia. Sunt enim neque multum bibentes neque comedentes, sicut religiosi, ab hominibus reverendi, in die ieiunvantes & nocte vigilantos.213

III.

Labor animae in melancholiam facit cadere IV. Eis, qui amata sua perdiderunt, sicut si filios et carissimos amicos amiserunt vel rem preciosam, quam restaurare non possunt […] Quae mentes percutiunt & ad melancholiam paratas reddunt. 214

Daß sowohl die »oziose donne« als auch die Mitglieder der brigata Gefahr laufen, an Melancholie zu erkranken, erscheint offensichtlich. Als Bewohner von Florenz hatten die brigata-Mitglieder nicht nur infolge der Pestepidemie ___________ Claudii Galeni Opera omnia X, S. 599-660, hier S. 645-649). Daß aer zum Kanon der sex res non naturales gehört, ist also durchaus gerechtfertigt. Verdorbene Luft wurde dementsprechend auch immer wieder für den Ausbruch bzw. das Fortdauern einer Pestepidemie verantwortlich gemacht (Cf. z. B. T. Lucretius C.: De Rerum natura libri sex. Lt./eng., edited with Prolegomena, critical apparatus, translation an commentary by C. Bayley. 2 Bde, Oxford 1963, hier Bd. I, VI, 1117-1118: »inde aliis alius locus est inimicus partibus ac membris:/varius concinnat id aer«; ebenso: Vergil: »subito cum tabida membris corrupto caeli tractu miseriamdaque venit«; (Virgile): Enéide, l. I-VI. Lt./frç., texte établi par H. Goelzer, et traduit par A. Bellesort. Paris 101961, hier: III, 35f; sowie mit direktem Bezug auf die Pestepidemien des 14. Jahrhunderts, F. Petrarca: »accedunt sinistro sidere motus aeri et celi pestilentis afflatus«; Secretum meum. Lt./dt., hrsg., übers. und mit einem Nachwort von G. Regn und B. Huss. Mainz, 2004, I, 20 [Secretum]). Zur Verbreitung der aria corrotta-Theorie cf. K. Bergdolt: Der Schwarze Tod in Europa – die große Pest und das Ende des Mittelalters. München 1994 [Bergdolt/Pest], S. 24). Die Melancholie der brigata-Mitglieder ist also auch auf die ›verpestete‹– im wahrsten Sinne des Wortes – Florentiner Luft zurückführbar. 212 Daß die Angewohnheit eifrig Studierender, ständig zu grübeln und nachzudenken den Ausbruch der ›melancholischen‹ Krankheit begünstigt, hat später besonders Petrarca betont. Wenn er im Secretum Augustinus die Worte in den Mund legt: »Habet te funesta quedam pestis animi quam accidiam moderni veteres egritudinem dixerunt« (Secretum II, 49) wird deutlich, daß der Autor hier nicht nur in moraltheologischen, sondern auch in medizinischen Kategorien denkt, ohne jedoch seinen Zustand explizit als melancholisch zu bezeichnen (Cf. dazu Klibansky/Panofsky/Saxl, S. 360, sowie vor allem A. Chastel: »La Mélancholie de Petrarque«, in: Cahiers du Sud XL, 1946, S. 25-34, insbesondere S. 28f). 213 Alle Textpassagen der causa corporalis Tabelle aus De melancholia, BD, S. 281282/3 (Abhandlung, fol. 91a-93a). 214 Alle Textpassagen der causa animae Tabelle aus De Melancholia BD, S. 283284/5 (Abhandlung, fol. 93b-95b). Das fehlende (in) wurde von mir ergänzt.

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den Verlust geliebter Angehöriger – amata sua perdiderunt – zu beklagen, sondern boten als ebriosi einen ›Nährboden‹ für die Krankheit. Als solche gehören selbstverständlich auch die Adressaten des Decameron zur gefährdeten Personengruppe. Bei Punkt I-III der unter causa corporalis angeführten Aspekte handelt es sich zudem um Bereiche des täglichen Lebens, denen man zu Pestzeiten entweder nur wenig Beachtung schenkte (II/III), oder aber in denen man bewußt über die Stränge schlug (I), weil man die eventuell letzten Tage des Lebens genießen wollte.215 Auch die unter Punkt VI angeführten Gewohnheitsänderungen ließen sich wohl in einer solchen Krisenzeit kaum vermeiden. Betrachtet man zudem die Angabe der Vernachlässigung der ordinatio sex necessariorum – also der sex res non naturales – als den Ausbruch der Krankheit begünstigenden Faktor aus einem anderen, nämlich dem entgegengesetzten Blickwinkel, läßt sich daraus ableiten, daß die Beachtung dieser Regeln die Korruption der schwarzen Galle zu verhindern vermag. Im zweiten Abschnitt von De Melancholia erörtert Constantinus die Gattungen und Arten der Melancholie216:

___________ 215

Von einem derartigen Verhalten der Bürger von Florenz berichtet auch Boccaccio in der Introduzione zum ersten Tag des Decameron: Altri, in contraria opinion tratti, affermavano il bere assai […] esser medicina certissima a tanto male« (Dec. I, Intr. 21). 216 Die Tabelle beruht auf De Melancholia, BD, S. 284-288/9 (Abhandlung, fol. 95a100b).

207

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O R T

in ore stomachi & in hypochondriis

in cerebro

in essentia cerebri

acuta febre (Haec vocantur (propter (phrenesis) leonina), quia vicinatem oris hanc passiostomachi & nem habentes S cordis): insurgunt ut leY tristitiam, ones, & audaM timorem et ces & fortes P mortem sunt sicut leoT suspicionem ut & nes. O amicos & suos M sibi putent esse horrendos & cogitent de re contra quod ratio videtur habere217

Quae

a

toto

corpore

in essentia toto corpore Hanc habentes perfectam & plenariam, nullam suarum qualita – tum vel actionum ostendunt [...] sui vice, apparant autem sibi malum ingenium, astutiam, audaciam & frontositatem, ut castigationem nullam audiant de his, quae peccant. Perdiderunt enim iustitiam propter colerae nigrae funum operentem eorum cerebrum218

___________ 217

Die den im folgenden aufgeführten Symptomen zugrunde liegenden physiologischen Vorgänge erläutert Constantinus in De Melancholia, BD, S. 288-288/9 (Abhandlung, fol. 97a/b). 218 Constantinus weist im Anschluß an die Beschreibung dieser Symptome auf die Schwierigkeiten hin, die sich für den diagnosestellenden Arzt ergeben. Nur wenn dieser den Patienten sehr gut kennt und bereits über einen längeren Zeitraum beobachtet hat,

208

5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94

colera nigra cum U abundat et in R stomachos S descendit A C H E

vertiginem, capitis gravitatem

pigritiam, gravitatem W E I T E R E

solitudinem et obscuritatem amant et ab hominibus remotionem

spatiosa loca amant, lucida, praM tosa, hortos frucÖ tiferos, aquosos G L equitare amant, I diversa musicoC rum genera audiH re, loqui quoque E cum sapientibus vel amabilibus S Y M P T O M E

se soli remanserint, appropinquare videntur morti

colera rubea (ad incen-sionem devenit et nondum nigrescit)

de melancolia est naturali, substantiae cerebri dominanti et complexionem eius mutanti

colera nigra putrefacta, quae cerebrum sicut fex sanguinis videtur – quare ascendit niger chymus vocatur – et est cumque in veram melancholiam mutat. ad

vigilia

facundia huic

excitatio ira

similis

dolor capitis splendor in oculis

vident multa ante se ndividua nigra, etsi non certa, aliaque similia

circumvagatio & mulotiens depressio oculorum

multum comedunt & fortes sunt ad appetitum

allii perdiderunt appetitum et videre horreant cibum & potum & manducare

⇒ timor, tristitia & alia praedicta accidentia non in eis sunt continua, sed potius aliquando intermittentia

nimium somnium

plorant, rident

___________ kann er die Krankheit feststellen, da die von ihr Betroffenen sich oft nur geringfügig, aber dafür dauerhaft verändern (De Melancholia, BD, S. 285 (Abhandlung, fol. 96a).

c) Lachen macht gesund

H E I L U N G S C H A N C E N

(II): non melancholiam habent pessimam. Horum mens & ratio semper prius percutiuntur a fumo quam cor. Unde ad sanandam leviores sunt.

ad sanandum molesta est, & medicandum dura

209

medicandum facilis est, si non invetaverit et vera colera nigra fuerit, dominans cerebro et suae naturali complexioni

Anhand des hier gegebenen Überblicks wird deutlich, daß Boccaccio sein Werk wider die Melancholie auf ein festes, medizinisches Fundament gestellt hat. Er verwendet den Begriff malincolia keinesfalls als Synonym für Traurigkeit, sondern versteht die Krankheit vielmehr als psychosomatisches Leiden219, das jedoch mit den entsprechenden Gegenmitteln leicht zu heilen ist: »sanandam leviores sunt.«220 Auch die Tatsache, daß die brigata-Mitglieder trotz allen erfahrenen Leids Novellen und Scherze (noch) mit Lachen quittieren können, deutet darauf hin, daß diese nur leicht an Melancholie erkrankt und deshalb nicht schwer zu heilen sind. Grund dafür ist nach Constantinus der (noch) gute Zustand des Blutes: Ridentium melancholia non est completa. Corpora enim eorum plena sunt bono sanguine, neque complexiones sunt corruptae.221

___________ 219

Auch Garbers betont in seiner Einleitung zu Abhandlung/De Melancholia, S. XVII, daß »die Melancholie nur als Krankheit angesehen (wird), und zwar als psychosomatische. Einen Konstitutionstypus des Melancholikers zum Unterschied vom Phlegmatiker, Choleriker und Sanguiniker stellt der Verfasser (hier bezogen auf Ishāq Ibn ‘Imran) nicht heraus. [...] Wohl aber kennt er die von der Natur aus gegebene Veranlagung, die Disponiertheit, für die Erkrankung an Melancholie«. 220 De Melancholia, BD, S. 288 (Abhandlung, fol. 100a). 221 De Melancholia, BD, S. 288/288/9 (Abhandlung, fol. 100a/b). Eine ›physiologische‹ Erklärung des Lachens bietet Constantinus in der anschließenden Diffinitio risus: »Risus ergo animae admiratio est de re aliqua, cum comprehendere non valeat. Palladios (Palladios praktizierte als Arzt im sechsten Jahrhundert in Alexandria und verfaßte Kommentare zu hippokratischen und galenischen Schriften, cf. DNP, Lemma Palladios (5)) tamen aliter diffinivit: Risus, inquit, est de re, cuius ratio non potest reddi, & fit ab anima rationali. Instrumentum ipsius est splen, sicut dixit Palladios, vel epar, quod sanguinem discernat & inmixta determinatio locis mittat, sicut coleram nigram & rubeam.

210

5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94

Nicht nur Galen hatte unter Berufung auf Rufus explizit auf die Tatsache hingewiesen222, daß auch Qualität (und Quantität) der anderen Körpersäfte in bezug auf die Art der melancholischen Erkrankung eine Rolle spielen, sondern vor allem Avicenna. Unter Berücksichtigung der galenischen Aussagen hatte dieser im Canon medicinae eine erweiterte Säftelehre vorgestellt: Et dicimus quod cholera nigra faciens melancholiam, cum est cum sanguine est cum gaudio et risu et non concomitatur ipsam tristitia vehemens. Si autem est cum flegmate est cum pigritia et paucitate calitatis et gere. Et si est cum colera, vel ex cholera est cum agitatione et lesione et demonio et esitis maniae. Et si fuerit colera nigra pura, tunc cogitatio in ipsa erit plima et audacia erit minus nisi moveat et rixet et habet. Odius cuius non obliviscitur.223

Auch wenn das gelegentliche Lachen von melancholischer brigata und Leserschaft also durchaus mit den gängigen Konzepten vereinbar und durch die Schriften der Autoritäten hinreichend abgesichert ist, wäre es verfehlt, hier bereits vom typus melancholicus-sanguinicus zu sprechen, wie er uns im pseudohippokratischen Briefroman gegenübertritt. Im Decameron ist das Lachen mögliche Ausdrucksgebärde der Melancholiekranken, aber kein bezeichnendes Merkmal.224 ___________ Alii cor instrumentum risus autumant. Sanguis enim, quem mandat corpori, clarior est eb subtilior atque melior, & cor plus habet spiritus quam sanguis ab epate missus. Item cor fundamentum caloris est naturalis, qui substantia est spiritus vitalis. Materia risus sanguis est clarus per totum corpus divisus. Complementum risus: Animae diffinitio de re unde efficiatur, sive sit iocus sive non iocus«; De Melancholia, BD, S. 288/9/289 (Abhandlung, fol. 100b/101a). Die bereits konstatierte Verbindung von Lachen und (gutem) Blut war also grundsätzlich anerkannt. 222 »Sic et melancholicus humor in substantia non obscuras habet differentias; qui veluti faex sanguinis est, admodum crassus conspicitur, faecibus vinis consimilis; alius vero, quam superior, substantia est multo tenuioris atque vomentibus eum et olfacientibus acidus videtur, qui etiam terram radit, attolit et fermentat, atque ampullas, quales ferventibus jusculis supernatare videmus, excitat; quem verum crassae faeci similem esse dixi, in terram effutus non inducit fermentationem, nisi forte in ardente febre ipsum tunc maximopere praeaffari contingat, neque ulla etiam acida qualitate participat; quamobrem et ipsum nominare consuevi melancholicum succum, aut melancholicum sanguinem, hic enim, meo quidem judicio, non recte adhuc atra bilis appellari potest.« (De locis affectis, in: Claudii Galeni Opera omnia VIII, S. 176/177 (cap. IX)). 223 Avicenna: Liber canonis. Hildesheim 2003 (2. Nachdruck der Ausgabe Venedig 1507), l. III, fen. I, tr. 4, cap. XX (De signis specierum eius) fol. 189r [Liber canonis] (Modernisierte Orthographie). Zu Verbreitung und Erfolg des Canon medicinae von Avicenna im Abendland cf. G. Strohmaier: »Die Rezeption und die Vermittlung: die Medizin in der byzantinischen und in der arabischen Welt«, in: Grmek, S. 151-181, hier S. 178f. 224 Cf. dazu Rütten, S. 100ff. Einen wesentlichen Beitrag zur Ausbildung des typus leistete Philipp Melanchthon in seiner Schrift De anima, in der er Demokrit als Prototyp des sanguinischen Melancholikers kennzeichnete (P. Melanchthon: Liber de Anima. Edidit C. G. Bretschneider (Corpus Reformatorum Bd. XIII), Halberstadt 1846, II, c. 83. Wenn Demokrit zudem über die Torheit der Menschen lacht, so hat dies mit dem un-

c) Lachen macht gesund

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Anhand der in der Tabelle aufgeführten Symptome läßt sich weiterhin ablesen, daß Boccaccio bei der Konzeption seines Werkes wohl die epigastrische Form225 der Melancholie vor Augen hatte, denn fruchtbare Gärten und Wiesen gehören ebenso zum Dekor der Rahmenhandlung wie Gesänge und Gespräche zum Tagesablauf der brigata. Trotz aller bereitstehenden Therapiemöglichkeiten – neben den bereits erwähnten diätetischen Maßnahmen stand zur Melancholiebehandlung eine Vielzahl von Arzneien aller Art und Form zur Verfügung226 – war die Krankheit vor allem negativ konnotiert. Eine gänzlich andere Sichtweise bot hingegen Buch XXX der pseudoaristotelischen Problemata.227 Der Verfasser der Schrift stellt unter der Leitfrage »Warum erweisen sich alle außergewöhnlichen Männer in Philosophie oder Politik oder Dichtung oder in den Künsten als Melancholiker?«228 eine Melancholiekonzeption vor, bei der das Phänomen nicht mehr ausschließlich pathologisch betrachtet wird: Diejenigen aber, bei denen in ihrer Natur eine derartige Mischung besteht, nehmen sogleich die mannigfaltigsten seelischen Haltungen an, verschieden je nach der Art der Mischung. Zum Beispiel werden die, in denen kalte Galle vorhanden ist, schlaff und stumpfsinnig, die aber besonders viele warme besitzen, werden rasend, gutmütig, leibeshungrig, leicht erregbar zu Gemütsbewegungen und Begierden; einige aber werden auch schwatzhafter. Viele aber werden auch, weil diese Wärme nahe dem

___________ schuldigen Lachen der brigata in der heilen, aber vorübergehenden Welt des Decameron-Rahmens wenig gemein. 225 Das Adjektiv epigastrisch zu epigastrium (griech. 1 = auf, darüber, ! I Bauch, Unterleib) wird heutzutage zur Bezeichnung nicht eindeutig lokalisierbarer Schmerzen in der Oberbauchgegend verwendet (Cf. G. Thews/E. Mutscher/P. Vaupel: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen. Stuttgart 51999, S. 383/384), gibt dementsprechend das lateinische »in hypochondriis« sehr genau wieder. Abgeleitet von gr. /  bezeichnet es den unter dem Rippenknorpel liegenden Sitz der Gemütskrankheiten (J. Starobinski: Geschichte der Melancholiebehandlung von den Anfängen bis 1900. Basel 1960, S. 28/29 [Starobinski]) »in ore stomachi« deutet darauf hin, daß es sich vor allem um eine Magenkrankheit handelt. Ishāq Ibn ‘Imran gibt an, Rufus von Ephesos behandle in seinem Werk nur diese Form der Melancholie (Abhandlung, fol. 90a), woraus sich wiederum folgern läßt, daß die hier vorgestellte Gattungslehre, einschließlich der Symptome auf die Beobachtungen und Erfahrungen des Arztes selbst zurückgehen. 226 Sowohl Ishāq Ibn ‘Imran als auch Constantinus stellen im jeweils zweiten Buch ihrer Schrift Rezepte zur Herstellung von Pillen und Tinkturen zur Melancholiebehandlung vor. Die formalen und inhaltlichen Unterschiede beider Sammlungen sind jedoch beträchtlich (Cf. De Melancholia, S. 297-298/1, 15 Rezepte; Abhandlung, fol. 109a120b, 29 Rezepte). 227 Als Verfasser des Abschnitts wird heutzutage allgemein Theophrast angenommen, der sich bereits an anderer Stelle mit dem Phänomen Melancholie auseinandergesetzt hatte (Diogenes Laertios berichtet in seiner Theophrast Vita, der Autor habe ein Werk mit dem Titel Melancholie verfaßt; Vitae, V, 44: »of melancholy, one book«) und hier eine erneute Zusammenfassung dieser ersten Schrift vorlegt (Cf. Müri, S. 21). 228 Problemata XXX – Titel.

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Sitz des Verstandes ist, von Krankheiten der Raserei und der Begeisterung ergriffen woher die Sibyllen und Wahrsager und die Begeisterten alle ihren Ursprung haben, sofern sie nicht Krankheit, sondern durch ihre natürliche Mischung so werden. [...] Diejenigen aber, bei denen (die schwarze Galle) hinsichtlich ihrer allzu großen Wärme auf das Mittelmaß gemildert ist, sind zwar noch Melancholiker, aber vernünftiger und weniger abnorm. In vielen Dingen aber überragen sie die anderen, die einen durch ihre Bildung, die anderen durch künstlerisches Können, andere durch politische Wirksamkeit.229

In Antike und Mittelalter hatte man dieser Deutung von Melancholie als Disposition230 und potentiellem Auslöser von Genialität auf unterschiedlichsten Gebieten nur wenig Beachtung geschenkt.231 Im Renaissancezeitalter faszinierte sie hingegen zahlreiche Gelehrte, wie beispielweise Marsilio Ficino, der auf ihrer Grundlage eine ›Lebensregel für Gelehrte‹ schuf.232 Daß diese neue, positive Sichtweise das ›traditionelle‹ Verständnis von Melancholie als Krankheit nicht gänzlich verdrängte, sondern mit dieser koexistierte233, zeigt sich bei___________ 229

Problemata XXX, 1; 954a/b. Dem neuen Verständnis von Melancholie als Disposition liegt demensprechend auch ein veränderter  6 Begriff zugrunde. Im Sinne der traditionellen Humoralpathologie spricht man von  6 in bezug auf alle vier Säfte. Wenn man hingegen davon ausgeht, daß die Konstitution dauerhaft durch einen Hauptsaft bestimmt wird, liegt auch im Status der Gesundheit keine   und somit   vor (Cf. Müri, S. 38). 231 Galen beruft sich zwar eindeutig auf die Problemata: »Nam Aristoteles in libro suo de quaesitis et causam quaerit ob quam melancholicis libidinosis esse contingat« (C. Galenus: Hippocratis epidemiarum librum VI et Galeni in illum commentarius, lib. III, in: Claudii Galeni Opera omnia XVII/2, S. 1-119, hier S. 29 (cap. VII)). rezipiert diese aber nur im Rahmen seiner Darlegung der erhöhten Libido von Melancholiekranken. Die Idee, Melancholie als Auslöser für Genialität zu betrachten, bleibt hier wie auch in allen anderen Schriften unberücksichtigt. Auch andere Autoren bereichern ihr Melancholieverständnis nicht um diesen Aspekt (Cf. Flashar, S. 68/69). Einzig Rufus von Ephesos und in seiner Nachfolge Constantinus Africanus hatten auf die Melancholie der ›Kopfarbeiter‹ hingewiesen (Cf. S. 205, Anm. 212), dabei jedoch die ›Schwarzgalligkeit‹ nicht als Ursache, sondern als Folge geistiger Arbeit gesehen (Cf. dazu Klibansky/Panofsky/Saxl, S. 102/103). Außerhalb der medizinischen Fachkreise finden sich vereinzelt Bezugnahmen auf die Problemata und die neue positive Sicht der Melancholie, cf. z. B. Cicero: »Aristoteles ait omnes ingeniosos melancholicos esse« (M. T. Cicero: Tusculanes. Texte établi par G. Fohlen et traduit par J. Humbert, Paris 21960, I, XXIII, 80), die jedoch keine Breitenwirkung erzielten. 232 Cf. M. Ficinus: De vita libri tres. Kritischer Apparat, erklärende Anmerkungen, Namenregister und Nachwort von M. Plessner. Nach dem Manuskript ediert von F. Klein-Franke. Nachdruck des Exemplars der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Hildesheim/New York 1978 [De vita libri tres]. Das erste Buch widmet Ficino »(Primus) de vita sana, sive de cura valitudinis eorum, qui incumbunt studio litterarium«. Zu Ficinos Lebenslehre cf. v. Engelhardt, S. 146. 233 Auch Ficino, als ›Verfechter der Genialitätsidee‹ erkennt an, daß es neben der natürlichen, auch eine krankhafte Form der Melancholie gibt: »Melancholia id est atra bilis, est duplex. Altera quidem naturalis a medicis appellatur. Altera vero adustione contingit. Naturalis illa nihil est aliud que densior quaedam sicciorque contingit. Adusta vero in species quattuor distribuitur. Aut enim naturalis melancholiae aut sanguinis 230

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spielsweise in der Rahmenhandlung des Heptaméron, einer französischen Novellensammlung, entstanden um die Mitte des 16. Jahrhunderts: Als den fünf Damen und fünf Herren, die sich nach einer Reihe gefährlicher Zwischenfälle auf der Reise zufällig in einem Kloster in den Pyrenäen zusammengefunden hatten, bewußt wird, daß sie bis zur Fertigstellung der Brücke über den angeschwollenen Fluß an diesem Ort und in dieser Gesellschaft würden warten müssen, entspinnt sich unter den ›Leidensgenossen‹ ein Gespräch: Parlamente […] laquelle n’estoit jamays oisifve ne melencolicque […] dist à l’ancienne dame Oisille : ›Madame, je m’esbahys que vous qui avez tant d’experience et qui maintenant à nous, femmes, tenez lieu de mere, ne regardez quelque passetemps pour adoulcir l’ennuy que nous porterons durant notre longue demeure ; car, si nous n’avons quelque occupation plaisainte et vertueuse, nous sommes en dangier de demeurer malades.‹ La jeune vefve Longarine adjousta à ce propos : ›Mais qui pis est, nous deviendrons fascheuses, qui est une maladie incurable ; car il n’y a nul ne nulle de nous, si regarde à sa perte, qu’il n’ayt occasion d’extreme tristesse. […]‹ ›Toutes foys, je (i. e. Ennasuite) suys bien d’opinion que nous aions quelque plaisant exercise pour passer le temps ; autrement nous serions mortes le lendemain.‹234

Wie im Decameron geht es darum, durch prophylaktische Maßnahmen ein Ausbrechen der Krankheit zu verhindern. Die Grundvorausetzungen sind dabei ähnlich: Wie die Mitglieder der brigata und die externe Leserschaft der italienischen Novellensammlung laufen auch die hier versammelten Damen und Herren – devisants genannt – Gefahr, aufgrund der erlittenen Verluste und infolge des Mangels an ablenkenden Tätigkeiten in Melancholie zu verfallen. ___________ purioris, aut bilis, aut salsae pituitae combustione concipit. Quaecumque adustione nascitur, iudicio et sapientiae nocet.« (De vita libri tres I, cap. V, nicht paginiert, modernisierte Orthographie). Einen Überblick über die ›Erfolgsgeschichte‹ der theophrastischen Konzeption bieten Klibansky/Panofsky/Saxl, S. 350f, sowie Flashar in den Anmerkungen zu Buch XXX, 1 in: Problemata, S. 716-722. Darüber hinaus läßt sich Robert Burtons Anatomy of Melancholy gewissermaßen als Zusammenfassung der antiken wie neuzeitlichen Diskussion (Das Werk erschien 1621) über die Melancholie lesen (Cf. R. Burton: The Anatomy of Melancholy. Vol I, Text. Edited by T. C. Faulkner e. a. With an introduction by J. B. Bamborough. Oxford 1989; insbesondere »Democritus junior to the reader« (Vorrede), S. 1-113, passim). Auch Rütten liefert in seiner Studie zum pseudohippokratischen Briefroman Informationen zur Rezeptionsgschichte beider Texte (Rütten, S. 116f). Interesssant ist hier vor allem die Beobachtung, daß der Briefroman wohl erst in Folge der Verbreitung der neuen Konzeption als Melancholieschrift gedeutet wurde. Im Text findet sich an keiner Stelle ein expliziter Hinweis auf die Diagnose Melancholie (Cf. Rütten, S. 116-118). Zur Bedeutung der neuen, nicht pathologischen Sicht für Neurologie und Psychatrie cf. Tellenbach, S. 44f. 234 Marguerite de Navarre: L’Heptaméron. Texte établi sur les manuscrits avec une introduction, des notes et un index des noms propres par M. François. Paris 1956, Prologue, S. 6/7. Die Sammlung Marguerite de Navarres entstand um 1549. Wie das Werk Boccaccios enthält es eine Rahmenhandlung, in der zehn Personen an sieben Tagen jeweils eine Novelle erzählen. Das Werk blieb ein Fragment, da die Autorin verstarb. Es bricht nach Novelle 72 ab.

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Bevor im folgenden die seit der Antike in zahlreichen medizinischen Fachbüchern vorgeschlagenen therapeutischen Maßnahmen gegen die Melancholie betrachtet werden, erscheint es sinnvoll, genau zu analysieren, welches Krankheitsbild Boccaccio vor Augen hatte, als er schrieb, mit seinem Werk »alcuna malinconia« vertreiben zu wollen. Denn ein allopathisches Heilmittel kann nur dann seine volle Wirkung entfalten, wenn es auf die Diagnose abgestimmt ist. Bereits in seinen Jugendwerken hatte Boccaccio Krankheitszustände, die eindeutig durch problematische Liebesbeziehungen235 hervorgerufen wurden, als melancholisch beschrieben: Venne il chiaro giorno, levossi Florio; [...] non uscì della trista camera […] ma in quella stando, si tornò sopra i pensieri del dì preterito; e in quelli dimorando, il duca […] entro nella camera dicendo: – Florio leva su, non vedi tu il cielo che ride? Andiamo a pigliare le usati diletti – E quasi ancora di parlare non era ristato, che, rimirandolo del viso, il vide palido e nell’aspetto malinconico e pieno di pensieri, e i suoi occhi, tornati per le lagrime rossi. […] Florio, e quale subita mutazione è questa? Quali pensieri t’occupano? Quale accidente t’ha potuto si costringere che tu mostri ne’ sembianti malinconia?236

Ähnliche Bilder verwendet er auch im Filostrato bei der Beschreibung der Auswirkung der Liebe auf den Körper Troiolos: aveagli (i. e. Troiolo) già amore il sonno tolto e minuto il cibo, ed il pensiero multiplicatosi che già nel volto ne dava pallidezza segno vero237

und Penteos/Arcitas in der Teseida E ben che di più cose e’ fosse afflitto e che di viver gli giovasse poco, sopra ogn’altra cosa era trafitto d’amor nel core, e non trovava loco;

___________ 235

Sowohl Florio, Protagonist des Filocolo, als auch Troiolo, Hauptfigur des Filostrato sowie die Ich-Erzählerin der Elegia di Madonna Fiammetta vermissen die von ihnen geliebten Menschen – Bianciflore, Creseida, Panfilo – und sind um dessen Wohlergehen besorgt. Auch Arcita kehrt in der Teseida voller Sehnsucht nach der von ihm geliebten Emilia unter neuem Namen an den Hof Teseus’ zurück. Zu Inhalt und Bedeutung dieser opere giovanili cf. Surdich, S. 18ff. 236 G. Boccaccio: Filocolo. A cura di A. E. Quaglio, in: (G. Boccaccio): Tutte le opere di Giovanni Boccaccio. A cura di V. Branca, Bd. I (Profilo biografico, Caccia di Diana, Filocolo), Mailand 1967, S. 47-675, hier III, 3, 1-3 [Filocolo]. 237 G. Boccaccio: Filostrato. A cura di V. Branca, in: (G. Boccaccio): Tutte le opere di Giovanni Boccaccio. A cura di V. Branca, Bd. II (Filostrato, Teseida delle nozze di Emilia, Comedia delle ninfe fiorentine), Mailand 1964, S. 3-228, I, 47, 1-4 [Filostrato]. Sehr ähnlich ist auch die Darstellung in Filostrato VII, 20, 4/5: »si pallida e smarrita avea la cera/del corpo s’era ogni valor partito«.

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e giorno e notte sanza alcun respitto sospir gittava caldi come foco, e lagrimando sovente doleasi, e ben nel viso il suo dolor pareasi. Egli (i. e. Penteo/Arcita) era tutto quanto divenuto si magro, che assai agevolmente ciascum suo osso si saria veduto238

Die dargestellten äußeren Anzeichen stimmen im wesentlichen mit den Symptomen überein, die in der medizinischen Fachliteratur als Kennzeichen des amor ereos239 angegeben werden und Boccaccio durch eigene Abschrift bekannt waren: Videmus ad sensum corpora illorum in quibus est amor adeo vehemens, et non consecuntur nec adimplent eorum desiderium, arefieri et desiccari et tandem consumi et mori […] et hoc est propter vehementem cogitationem que est in ipso et sollicitudinem circa rem quam amat: nam ex hoc accidit quod virtus distrahitur tota quasi ab operibus nutrimenti, eo quod ipse actus unius virtutis, intenditur valde, actus aliarum virtutem valde remictitur.240

___________ 238 Teseida IV, 26/27 (1-3). Weitere Darstellungen der ›sofferenze d’amore‹ in Teseida III, 36, 2 ; X, 55-57. 239 Cf. dazu B. D. Haage: »›Amor ereos‹ als medizinischer Terminus technicus in der Antike und im Mittelalter«, in: T. Stemmler: Liebe als Krankheit. Vorträge eines internationalen Kolloquiums. Tübingen 1990, S. 31-73, hier S. 37 [Haage, in: Stemmler]. Die in der mittelalterlichen medizinischen Literatur verwendeten Bezeichnungen für die Liebeskrankheit sind zahlreich. Die gängigsten lateinischen Formen sind wohl amor ereos, amor hereos und amor heroicus (Eine Übersicht der wechselnden Bezeichnungen bietet A. Giedke: Die Liebeskrankheit in der Geschichte der Medizin. Düsseldorf, 1983, S. 188-191 [Giedke]. Der Ausdruck amor hereos wurde erstmalig im Viaticum von Constantinus Africanus nachgewiesen und als lateinische Übersetzung des griechischen J  bzw. al-‘isq I sinnliche Liebe interpretiert (Cf. Giedke, S. 52). Die für das lateinische ungewöhnliche Endung auf -eos sowie das oft hinzugefügte h- am Wortanfang sind wohl eine Folge der Übernahme griechischer Begriffe ins (Vulgär)-Lateinische und keine Seltenheit (Cf. J. L. Lowes: »The Loveres Maladye of Hereos«, in: Modern Philology XI (1914), S. 491-545, hier S. 523; 533.). Das h- kann jedoch auch auf lat. herus = Herr zurückgehend gedeutet werden. In diesem Fall macht die Bezeichnung offenbar, daß die Liebe den Liebenden dominiert (Cf. Giedke, S. 48). Im folgenden wird – unabhängig von den in den Quellen verwendeten Bezeichnungen – der Ausdruck amor ereos gebraucht. 240 Scriptum super cantilena Guidonis, cap. 57. Zur Glosse del Garbos cf. Quaglio, S. 340f sowie S. 176, Anm. 106. Sowohl hinsichtlich der äußerlich sichtbaren Folgen der Liebeskrankheit, als auch in bezug auf deren Ursachen unterscheiden sich die Aussagen Dino del Garbos nicht von jenen anderer Autoren, die sich gleichsam mit dem Thema beschäftigten (Cf. dazu: Giedke, S. 40f sowie Haage, in: Stemmler, S. 45-51). Der Text kann also als repräsentatives Beispiel für die gängigen Vorstellungen zur Entstehungszeit des Decameron gelesen werden: »Istud videmus non solum in amore accidere, imo

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Auch die ebenfalls in der Teseida beschriebene Heilung vom Liebesleid durch ein (plötzliches) Wiedersehen der Geliebten241 ist in der medizinischen Literatur vorgebildet: Eine andere Frau war in Melancholie verfallen in Folge der langen Abwesenheit ihres Mannes und gab allen Leuten zornige Antworten [...] Denn als ihr Mann von seiner Reise zurückgekehrt war, trat er, ohne vorher mit jemanden gesprochen zu haben und ohne Zeit zu verlieren, plötzlich zu ihr ins Zimmer und zeigte sich ihr zu. Der ganz unerwartete Anblick, seine Umarmung und die überschwengliche Freude erlöste sie rasch von jeder Furcht, und es trat wieder ihr normaler Zustand ein, so daß sie keiner weiteren Behandlung bedurfte.242

___________ etiam hoc accidit in omni vehementi cogitatione et sollecitudine anime [...] Et hoc est quod vult dicere cum subdit POI NON S’ADORNA DI RIPOSO MAI; […] Amor est sollicitudo melanconica, similis melanconie […] et auctores medicine, qui de egritudinibus et de eorum curis determinant, tractant de hac passione et modo etiam curationis sue. Et vocatur talis passio ›ereos‹ ab auctoribus medicine« (Scriptum super cantilena Guidonis, cap. 57-59, 69; 72. Bei der in Blockschrift gesetzten Passage handelt es sich um Verse aus Donna me prega (V. 45)). Die Nähe zu Schriften wie z. B. De Melancholia ist hier offensichtlich. Zu den gefährdeten Personen rechnet Dino auch die »nobiles und potentes« (Scriptum super cantilena Guidonis, cap. 77), die im Gegensatz zu den »homines [...] populares (qui) sunt [...] dediti cogitationibus que versantur circa opera civilia« (cap. 78) anfälliger für die Liebeskrankheit sind da sie »circa talia opera artium non vacant« (cap. 78). Die Parallele zwischen der Gegenüberstellung von arbeitenden Bürgern und nicht arbeitenden Adligen und Herrschenden bei del Garbo und der Opposition von Männern und Frauen im Decameron tritt hier offen zu Tage. In beiden Fällen wird mangelnde Ablenkung für das Ausbrechen der Krankheit verantwortlich gemacht. Die Entscheidung Boccaccios für die Gegenüberstellung von Männern und Frauen läßt sich schlicht durch den Anspruch des Autors erklären, einen weiten Leserkreis ansprechen zu wollen. Hätte er im Proemio verkündet, die Melancholie der »nobiles et potentes« vertreiben zu wollen, hätte dies das Interesse einiger Leser – besonders in der Handelsstadt Florenz – sicher verringert. Darüber hinaus gehörte ein Schreiben »ad istanzia delle donne« (Teseida, chiose zu VII, 30) gewissermaßen zum literarischen Programm der Werke im volgare (Cf. Note zur Teseida, VII, Anm. 10). 241 Teseida IV, 53: »ch’io veggio (i. e. Arcita/Penteo) il chiaro viso di colei/ (i. e. Emilia) ch’è sommo mio diletto e mio conforto./Fuggan da me e sospiri e gli omei, fugga ‘l disio ch’a veva d’essere morto«. Auf die einzig mögliche Heilung durch den Geliebten selbst, spielt Boccaccio auch in der Elegia di Madonna Fiammetta an: »la medicina utile al mio male non era più che una, la quale (i. e. Panfilo) troppo era lontana a potermi giovare« (G. Boccaccio: Elegia di Madonna Fiammetta. A cura di C. Delcorno, in: (G. Boccaccio): Tutte le opere di Giovanni Boccaccio. A cura di V. Branca, Bd.V, II (Elegia di Madonna Fiammetta, Corbaccio, Consolatoria a Pino de’ Rossi, Buccolicum carmen, Allegoria mitologica), Mailand 1994, S. 3-189, V. 15.). 242 (Alexander von Tralles/Alexander Trallianus): Erstes Buch (-K L  (  +M    0, in: (Alexander von Tralles/Alexander Trallianus): Opera. Originaltext und Übersetzung nebst einer einleitenden Abhandlung. Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin von T. Puschmann. 2 Bde, Amsterdam, 1963, hier Bd. I, S. 606 (cap. 17: Über die Melancholie ( +   H, S. 590-616 [Erstes Buch]). Alexander lebte im sechsten Jahrhundert n. Chr. als Arzt in Lybien. Zu Leben und Schaffen des Arztes cf. die Angaben Puschmanns; S. 75-87, sowie Jacquarts, in: Grmek, S. 218.

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Von einer ähnlichen Heilung hatte bereits Aretaios von Kappadozien berichtet. Allerdings entfällt hier das Überraschungsmoment: Man erzählt sich, dass einer, der für unheilbar gehalten wurde und von den Ärzten aufgegeben war, durch die Liebe zu einem Mädchen geheilt worden sei. Mir scheint die Sache sich so zu verhalten: dieser Mann, der von Anfang an geliebt hatte, war nur niedergeschlagen und mißmutig, weil er das Mädchen für sich für verloren hielt, und wurde deshalb von seiner Umgebung für melancholisch gehalten. Er scheute sich seine Liebe zu bekennen als er aber Gegenliebe gefunden hatte,verschwand Niedergeschlagenheit, Zorn und Traurigkeit und aus dem Missmuthigen wurde ein Fröhlicher. So hatte diesen die Liebe geheilt.243

Während bei Aretäus die Liebeskrankheit bereits als Eigenform der Melancholie betrachtet wird, sieht Galen in diesen beiden Krankheiten dann wieder zwei getrennte Phänomene: Vocatus sum ad mulierem invisendam, quae noctu vigiliis torquebatur et alias in aliam decubitus figuram se transmutabat. Hanc dum febri carentem invenio, robo de singulis particulatim ei obortis, unde vigilias accidere deprehendimus. Ipsa autem vix aut nequabam respondebat, ceu frustra interrogaretur indicans; denique vultu averso vestimentis superiniectis universo corpori, totam se contegit, ac alteri cuipiam exiguo pulvino caput inclinabat, quemadmodum ii, qui somno indigent. Disgressus itaque ego, inde alterutrum ipsam pati existimabam, aut melancholice animo torqueri, aut qua tristitia afficeretur, nolle fateri. […] veni postridie, ac solus cum ancilla multifariam differens cognovi manifesto tristitia quadam affectam, quam casu inveni, ut etiam Erasistrato accidisse puto. Nam cum certus essem nullum in corpore affectum existere, sed animali quadam molestia mulierem torqueri, contigit eodem tempore, quo ipsam invisebam, id confirmari, adventante quodam ex theatro et nuntiante se Pyladem vidisse saltantem: mutatus enim ipsius visus est et faciei color: quod ego contemplatus manu mulieris brachiali iniecta pulsum deprehendi inaequalem, subito ac multis modis agitatum, qui animam turbatam esse indicat: idem igitur et de re quadam contendentibus obvenit. […] ut paulo post adveniens nuntiaret mihi Morphum hodie saltare; id ubi factum est, pulsum nihil offendi mutatum. […] Quarta rem diligenter examinavi nocte; qua observans pulsum, quum Pylades saltare nuntiaretur, turbatum ipsum multifariam ipsum videns, deprehendi ita mulierem Pyladem amare, atque hoc exacte observatum diebus subsequentibus confirmatum est.244

Die anfängliche Unsicherheit des Arztes bezüglich der zu stellenden Diagnose macht jedoch abermals die Nähe der beiden Leiden deutlich. Die Auf___________ 243 Aretaeus von Kappadozien: Von den Ursachen und Kennzeichen chronischer Krankheiten, in: (Aretaeus von Kappadozien): Die auf uns gekommenen Schriften des Kappadocier Aretaeus. Unveränderter Neudruck der Ausgabe von 1858. Aus dem Griechischen übersetzt von A. Mann. Wiesbaden 1969, l. I, cap. V: Von der Melancholie, S. 48-51, hier S. 51. Die zitierte Textpassage wird gemeinhin als erstes Zeugnis für das Verständnis der Liebeskrankheit als Sonderform der Melancholie betrachtet (Vgl. Starobinski, S. 25/26, sowie Flashar, S. 77, Giedke, S. 16). Aretaios lebte wohl im ersten nachchristlichen Jahrhundert vor allem in Syrien. Zu Leben und Schaffen des Arztes Pollak/Heilkunde, S. 177. 244 C. Galenus: De praenotione ad Posthumum, in: Claudi Galeni Opera omnia XIV, S. 599- 673, hier S. 631-633 (cap. VI).

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nahme dieser Episode, die auf eine von Valerius Maximus245 und Plutarch246 berichtete Anekdote zurückgeht – also auch außerhalb medizinischer Fachkreise bekannt war – in den galenischen Kanon hat nicht nur zu einer allgemeinen Anerkennung des Liebesleids als Krankheit geführt, sondern auch den unklaren Abgrenzungen wenn nicht Gleichsetzungen von Liebeskrankheit und Melancholie im allgemeinen Sprachgebrauch sowie im Fachschrifttum Tür und Tor geöffnet. Wenn Boccaccio in Decameron X; 7 Leid und Genesung einer Liebeskranken beschreibt, mag er sich dabei an den von Galen und seinen Nachfolgern überlieferten Berichten orientiert247 haben. Er unterscheidet jedoch deutlich zwei Krankheiten: Per la qual cosa avvenne che, crescendo in lei amor continuamente e una malincolia sopr’altra agiungnendosi, la bella giovane più non potendo infermo, e evidentemente di giorno in giorno come la neve al sole si consumava […] La giovane, sentendosi toccare alle mani di colui il quale ella sopra tutte le cose amava […] pur sentiva tanto piacer nell’animo quanto se fosse in paradiso […] e da migliore speranza aiutata in pochi giorni guerita 248

Während Boccaccio also den Begriff malinconia in seinen Werken durchaus verwendet – wie gezeigt meist im Zusammenhang einer unglücklichen Liebesbeziehung – wird offenkundige Liebeskrankheit nicht in medizinischer Terminologie als amor ereos gefaßt. Dies hat vor allem stilistische Gründe: Als termini technici der Medizin sind beide Begriffe in der hohen Stillage249 inakzeptabel und deshalb zu vermeiden.250 Während jedoch der Begriff amor ereos ___________ 245

Cf. Facta et Dicta V, 7; ext. 1, 40-67 (vol I). Plutarque: »Vie de Démétrios«, in: Plutarque: Vies XIII (Démétrios/Antoine). Gr./frç., texte établi et traduit par R. Flacelière. Paris 1977, S. 20-79, 38, 2-5. Zur weiteren Überlieferung dieser Anekdote cf. Giedke, S. 12f sowie Starobinski, S. 26. Starobinski übersieht jedoch, daß die Antiochus-Episode bereits von Valerius Maximus erwähnt wurde. 247 Boccaccio kannte diese Episode wohl im Original (Cf. S. 167, Anm. 63). 248 Dec. X, 7, 8/9; 34; 36. Eine Anverwandlung der Antiochos-Stratonike-Episode findet sich zudem in Dec. II, 8. Sicheres Anzeichen für die Liebeskrankheit ist hier der beschleunigte Puls: »La quale (i. e. Gianetta) come il giovane vide, senza alcuna parola o atto fare, sentí con più forza nel cuore l’amoroso ardore, perché il polso più forte cominciò a battergli che l’usato […]. Come la Gianetta uscì della camera, e il battimento ristette« (Dec. II, 8, 45/46). 249 Da die verschiedenen Stile – stilus gravis, mediocris, humilis – in Kapitel 7 eingehend behandelt, sowie deren Bedeutung für die Gesamtkonzeption des Decameron herausgestellt wird, kann auf eine Darstellung der Charakteristika der Stile im einzelnen an dieser Stelle verzichtet werden. Einen ersten Überblick bietet Lausberg, §§ 465-469, sowie Faral/Arts poétiques, S. 86/89. 250 Innerhalb der Novellen des Decameron, die ja im größtenteils im stilus mediocris oder humilis gehalten sind, könnten diese jedoch problemlos verwendet werden. Den gleichen stilistischen Richtlinien folgend, verlegt Boccaccio in der Teseida seine Ausführungen zu Qualitäten und Säftelehre mehrheitlich in die als fachsprachlicher Kommentar im stilus humilis geschriebenen chiose. Dort findet sich auch, als einziges Mal im gesamten Epos, das Wort malinconia (Teseida, chiosa zu VII, 50). 246

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immer auch eine medizinische Indikation impliziert, kann Melancholie und melancholisch im 14. Jahrhundert gleichermaßen als Synonym für traurig verwendet werden.251 In dieser Bedeutung hielt es dann auch begrenzt Einzug in die Sprache der hohen Lyrik. Im stilus humilis hingegen, im Bereich komischrealistischer Dichtung, konnten malinconia und malinconico problemlos benutzt werden.252 Wenn Boccaccio also das Decameron wider die malinconia schreibt, so nicht nur aus einer dichterischen Konvention, die ihm für das im stilus gravis gehaltene Proemio den Gebrauch weiterer Fachtermini verbietet, ___________ 251

Im Filocolo verwendet der Autor den Begriff zum Ausdruck der Traurigkeit der Eltern Florios/Filocolos: »Aspro guiderdone porgeva i cieli sopra i parenti di Filocolo per le loro operazioni. Essi, per la sua partita rimasi con dolore inestimabile, spendevano i loro giorni in lagrime e in prieghi: la superflua malinconia di loro medesimi fa loro perdere ogni sollecitudine« (Filocolo, V, 1, 1). Klibansky/Panofsky/Saxl weisen zudem mit Recht darauf hin, daß der Begriff malinconia nicht nur bei Boccaccio, sondern auch bei dessen Zeitgenossen zum Ausdruck eines vorübergehenden Gemützustandes verwendet wurde, was noch im Mittelalter undenkbar gewesen wäre (S. 321f). Einen guten Überblick über Darstellung und Bezeichnung der Liebeskrankheit in literarischen Kontexten in Antike und Mittelalter bietet die Publikation Stemmlers (Cf. S. 215, Anm. 240). 252 Zahlreiche Beispiele aus dem Bereich komisch-realistischer Dichtung bietet A. Lanza in: C. Angiolieri: Le rime. Rom 1990. In La mia malinconia è tanta e tale (Le rime, VII); Con grande malinconia sempre istò (Sonetti di dubbia attribuzione I), Caro mi costa la malinconia, (an Meo dei Tolomei II. Zur Person Meos cf. die Angaben Lanzas, S. 272) steht der Begriff ebenfalls zum Ausdruck des Liebesleids. Im Gegensatz zur hohen Lyrik, in der zumeist eine unerreichbare Dame besungen wurde, ist die Auslöserin der malinconia jedoch oft unmittelbar gegenwärtig. Auch Cavalcanti bedient sich des malincolia-Begriffs nur in seinem Gedicht an Manetto: Guata, Manetto, quella scrignutuzza (G. Cavalcanti: Le rime - Gedichte. Ital./dt. Nach einer Interlinearübersetzung von G. Gabor, in deutsche Reime gebracht von E.-J. Dreyer mit Anmerkungen zu den Gedichten von G. Gabor. Mainz 1991, Nr. LI. Hier finden sich auch Angaben zu Leben und Schaffen Cavalcantis.), ein Sonett, das thematisch und lexikalisch ebenfalls dem stilus humilis angehört. Wie bei einer Vielzahl der Gedichte Ceccos handelt es sich auch hier um eine Parodie stilnovistischen Schreibens. Derartige Werke sind dementsprechend nicht mehr realistisch, sondern fiktional ausgerichtet. Zu Person und Werk Ceccos cf. H. W. Wittschier: Die italienische Literatur des Duecento. Frankfurt a. M. 2000, S. 150-157 [Wittschier]. Einen Überblick über die ›Dichtungslandschaft‹ des 13. und 14. Jahrhunderts vermittelt zudem Friedrich, S. 45f. Auch wenn es in keinem Fall dem sermo iocosus zuzurechnen ist und auch einer parodistischen Ausrichtung entbehrt, sei an dieser Stelle auf das Sonett Dantes Un dì si venne a me Malinconia (Dante Alighieri: Rime, in: Dante Alighieri: Vita nuova, Rime. A cura di D. de Robertis e G. Contini. Bd. I, Teilband. II, Mailand, Neapel 1995, S. 250-546, hier Rime LXXII [Dante/Rime]) hingewiesen. Der Dichter nimmt hier die Thematik von Donna pietosa (Dante Alighieri: Vita nuova, in: Dante Alighieri: Vita nuova, Rime. A cura di D. de Robertis e G. Contini. Bd. I, TeilBd.II, Mailand, Neapel 1995, S. 27-247, hier Vita nuova XXIII) wieder auf – die Ankündigung des nahen Todes von Beatrice – stellt diese aber durch ein Gespräch zwischen dem lyrischen Ich, der Personifikation Amors und einer gleichfalls personifizierten Malinconia dar. Vers 4 »Doloro e Ira per sua compagnia« deutet darauf hin, daß malinconia hier medizinisch verstanden und dementsprechend ein fachsprachlicher Terminus ist, ein möglicher Grund für die Einordnung des Sonetts in die Sammlung der (minder guten) Rime (Cf. Contini, Introduzione zu Dante/Rime LXXII, S. 365).

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sondern auch weil er auf diese Weise sowohl die Liebenden – unter amor ereos Leidenden – anspricht als auch die Leser, die weiteren gefährdeten Personengruppen angehören. Wer nun aber vor dem Hintergrund des dargestellten Panoramas unterschiedlicher Erklärungen für die Vorgänge im menschlichen Körper und die Entstehung von Krankheiten ein ebenso weites Spektrum verschiedener Therapiemöglichkeiten erwartet, täuscht sich gewaltig: Erstaunlicherweise herrscht unter Fachleuten und Laien seit jeher hinsichtlich der Vorbeugungs- und Heilungsmaßnahmen weitgehend Einigkeit.253 War es in bezug auf die Qualitätenund Säftelehre sowie hinsichtlich des Verständnisses von Melancholie (und amor ereos) möglich und notwendig, die unterschiedlichen Konzepte zu analysieren und gegeneinander abzugrenzen, so ist eine solche Betrachtung bezüglich der Therapiemöglichkeiten wenig fruchtbringend, da nicht nur der Kanon der sex res non naturales254, sondern auch die Verquickung der Elemente untereinander spätestens durch die byzantinischen Ärzte des sechsten und frühen siebten nachchristlichen Jahrhunderts festgeschrieben255 und seither kaum verändert wurden.256 Auch wenn die Systematisierung der Diätetik erst in nachgalenischer Zeit erfolgte, lassen sich bereits im Corpus Hippocraticum, bei Celsus und Galen die später üblichen res nachweisen. Der Verfasser der hippokratischen Schrift Über die Lebensweise hatte nicht nur die Wechselwirkung von Ernährung und körperlicher Anstrengung257 herausgestellt und darüber hinaus die Abhängigkeit des Menschen von weiteren Umweltfaktoren betont,258 son___________ 253

Cf. Bergdolt/Leib und Seele, S. 29f. Der Ausdruck wurde wohl von Johannitius (Hysagoge, fol. 8) geprägt (Cf. v. Engelhardt, S. 144, ebenso Olson, S. 44). 255 P. Gil Sotres: »Regeln für eine gesunde Lebensweise«, in: Grmek, S. 312-355, hier: S. 318 [Gil Sotres, in: Grmek]. Zu diesen Ärzten gehörte u. a. auch der bereits erwähnte Aetios von Amida sowie Alexander Trallianus. Zur byzantinischen Medizin cf. Eckart, S. 88f. Viele von ihnen waren nicht nur Praktiker, sondern vor allem eifrige Kompilatoren und Kommentatoren hippokratischen wie galenischen Schrifttums. 256 Cf. Olson, S. 47. 257 »Les aliments et les exercices ont des vertus opposées, qui cependant concourent à l’entretient de la santé : les exercises dépensent, les aliments et les boissons réparent. On voit donc qu’il faut connaître la vertu des exercices tant naturels que forcés, quels disposent les chairs à l’accroissement ; quels à l’atténuation« (Hippokrates: Du régime ( + , in: Littré VI, S. 466-663; I, 2; S. 471 [Du régime, in: Littré VI]. Zu weiteren diätetischen Abhandlungen innerhalb des CH, cf. Diller, Einleitung zu Die Regelung der Lebensweise, in: Hippokrates/Schriften/Diller, S. 270, sowie Gil Sotres, in: Grmek, S. 312/313. 258 »Mais encore la proportion des exercises par rapport à la quantité des aliments, à la nature de l’individu, à l’âge, aux saisons, aux changements des vents, à la situation des lieux où l’on vit et à la constitution de l’année.« (Du régime, in: Littré VI, I, 2; S. 471). Auch Ernährung und Bewegung sind nach antikem Verständnis ›Umweltfaktoren‹, denn das Attribut non naturales verdeutlicht, daß Ernährung, Umwelt usw. im Gegen254

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dern sich auch mit der Wirkung des Badens, Erbrechens und des Beischlafs auf den menschlichen Körper beschäftigt und sich mit der Bedeutung des Schlafens und Wachens auseinandergesetzt.259 Die angesprochenen Themenbereiche entsprechen im wesentlichen den res: Umwelt/Klima (aer), Ernährung (cibus et potus) Ruhe und Bewegung (motus et quies), Entleerung und Übersättigung (inantio et repletio), Schlafen und Wachen (somnus et vigilia).260 Einzig die accidentia animae wird in der ganzen Schrift noch nicht explizit erwähnt. Gleiches gilt auch für die diätetischen Ratschläge des Celsus. In den ersten vier Büchern seiner Abhandlung über die Medizin gibt er Ratschläge zum Gesundwerden und Gesundbleiben.261 Auch hier läßt sich die Grundstruktur der sex res non naturales bereits erkennen: Hunc oportet varium habere vitae: genus modo ruri esse modo in urbe, saepiusque in agro, navigare, venari, quiescere interdum, sed frequentibus se exercere. […] Prodest etiam interdum balneo, interdum aquis frigidis uti; modo ungui, modo id ipsum neglegere; nullum genus cibi fugere, quod populus utatur; interdum in convictu esse, interdum ad eo se intrahere, modo plus iusto, modo non amplius adsumere; bis die potius quam semel cibum capere, et semper plurimum, dummodo hunc concoquat. […] Concubitus vero neque nimis concupiscendus, neque nimis pertimescendus est. Rarus corpus excitat, frequens solvit […] somnus et plenus et non nimis longus.262

Die Vorschläge Celsus’ ähneln also denen im Corpus Hippocraticum. Wie in der Schrift Über die Lebensweise folgt auch in De medicina auf diese recht allgemein gefaßten Regeln eine Fülle von Einzelvorschriften263 – für Städter und Landbewohner, Junge und Alte, für Sommer und Winter –, auf deren Darstellung verzichtet werden kann.264 Daß auch bei Celsus ein Hinweis auf die accidentia animae fehlt, läßt sich möglicherweise mit dessen Orientierung am hippokratischen Schrifttum rechtfertigen. Da jedoch die moderatio allgemein anerkanntes Prinzip der Medizin war und Affektbeherrschung unter dem ___________ satz zu den res naturales nicht im Körper selbst wirksam sind, sondern diesen äußerlich beeinflussen (Cf. Probst, in: Keil e. a., S. 343). 259 Du régime, in: Littré VI, II, 57; S. 571 (Des bains); II, 59; S. 573 (Des vomissements); II, 58, S. 571/573 (Du coït); II, 60, S. 573/575 (Du sommeil, des veilles). 260 Cf. dazu die Graphik, S. 183. Die in Antike und Mittelalter verbreitete Badekultur wurde gemeinhin im Rahmen der inantio et repletio behandelt (Cf. Schipperges/Heilkunst, S. 131). 261 Celsus beginnt das erste Buch seiner Diätetik mit den Worten: »Sanus homo, qui et bene valet et suae spontis est, nullis obligare se legibus debeit, ac neque medico neque iatrolipata egere.« (De medicina, I, 1, 1). Erster Adressat dieser Regel waren also die Gesunden, womit die Ratschläge gewissermaßen den Status einer ars vivendi erhielten, die sich im Renaissancezeitalter großer Beliebtheit erfreuten. 262 De medicina I, 1, 1-4; I, 3, 15. 263 Cf. De medicina I/II; Du régime, in: Littré VI, I/II/III, S. 463-637. 264 Zu den gängigsten Maßnahmen, die im Rahmen diätetischer Traktate für bestimmte Personengruppen, Jahreszeiten usw. vorgeschlagen wurden cf. Schipperges/Heilkunst, S. 125-137, sowie detaillierter Gil Sotres, in: Grmek, S. 333ff.

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Einfluß platonischer wie stoischer Philosophie für ein angenehmes gesellschaftliches Zusammenleben als notwendig erachtet wurde, läßt sich vielmehr vermuten, daß die accidentia animae zunächst noch stillschweigend vorausgesetzt wurde.265 Den kompletten Kanon bietet erstmals Galen: Necessario quidem omnino in ambiente aëre versamur, edimus, bibimus, vigiliamus et dormimus; ensibus vero et feris non necessario objicimus. Unde in priore causarum genere ars versatur, quae corpori tuendo dicata est, non autem in posteriore. His igitur expositis, in singulis eorum, quae necessario corpus immutant, proprium salubrium causarum genus inveniemus. Unum quidem ex ambientis aëris contactu, alterum ex motu et quiete, tum corporis universi, tum ejus partium. Tertium ex somno et vigilia. Quartum ex his, quae assumuntur. Quintum ex his, quae exernuntur et retinentur. Sextum ex animi affectibus. Ab his enim omnibus corpus affici necesse est.266

Auf die Bedeutung der Ars medica für die mittelalterliche Medizin wurde bereits hingewiesen.267 Eine weitere Schrift Galens – De sanitate tuenda –, die gemeinhin als »Quintessenz antiker Gesundheitslehre«268 gilt, wurde schon früh von den Byzantinern kommentiert und übersetzt. Sie lag darüber hinaus seit dem 13. Jahrhundert in volgare vor und war dementsprechend allgemein zugänglich und weit verbreitet.269 Wie Celsus betont auch Galen zu Beginn des Werkes den Vorrang der Gesunderhaltung vor der Krankheitsbekämpfung: Quum vero et dignitate et tempore sanitas morbum praecedat, utique et nos, quemadmodum haec servanda sit, conservare prius opportet.270

___________ 265 Schipperges bezeichnet sie sogar als Basis und Zusammenfassung der anderen res, ohne die ein gesundes und geordnetes Leben unmöglich ist (Cf. Schipperges/Heilkunst, S. 134). Wenn man bedenkt, daß Affektbeherrschung nicht nur bedeutet, ein inneres Gleichgewicht positiver wie negativer Emotionen zu erstreben, sondern auch (Gefühls-)Äußerungen zu zügeln und zu verbergen, so wird die Meinung Schipperges durchaus verständlich. Bei aller körperlichen Gesundheit, die man durch das Beachten der übrigen res erlangen kann, mag das menschliche Zusammenleben unerträglich werden – und damit letztlich ungesund für die Seele – wenn jederman jederzeit seine Emotionen offen legt – hier ist also erneut moderatio gefragt. 266 Ars medica, in: Claudii Galeni Opera omnia I, S. 367/368, (cap. XXII). Wie die Aussagen zur Qualitäten- und Säftelehre, finden sich auch die Vorschläge zu einer gesunden Lebensführung an zahlreichen Stellen innerhalb des umfangreichen galenischen Schrifttums. Geschlossene Abhandlungen bieten vor allem oben genannte Ars medica (cap. XXIIff); Ad thrasybulum liber, in: Galeni Opera omnia V sowie C. Galenus: Galeni De sanitate tuenda, in: Claudii Galeni Opera omnia VI. S. 1-452 [De sanitate tuenda, in: Claudii Galeni Opera omnia VI]. 267 Cf. S. 196. 268 Bergdolt/Leib und Seele, S. 103, dazu Olson, S. 47. 269 Cf. Gil Sotres, in: Grmek, S. 315. 270 De sanitate tuenda, in: Claudii Galeni Opera omnia VI, I, 1, S. 1 (cap. I).

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Diese Haltung spiegelt sich auch in der Gesamtkonzeption der Schrift wider: Nach einer allgemeinen Einführung in Buch I bieten die Bücher II, III und V eine Gesundheitslehre für Menschen bestimmter Altersklassen;271 nur Buch IV und Buch VI sind hingegen Personen von unausgeglichener Konstitution, also Kranken, gewidmet.272 Wohl aufgrund des weiten Themenspektrums ist es dem Autor nicht gelungen, alle ihm wichtigen Aspekte in ausreichendem Maße zu behandeln, so daß er sich genötigt sah, die kargen Aussagen zur Ernährungslehre sowie die sehr vernachlässigten Bemerkungen zum Umgang mit den Leidenschaften in anderen Werken zu behandeln.273 Der Affekthaushalt wird in der kurzen Abhandlung De propriorum animi cuiusque affectuum dignotione et curatione thematisiert: Sunt autem affectus animi, quos omnes norunt, iracundia, ira, metus, moeror, invidia et vehemens cupiditas. Mea quideni sententia quameunque rem amore vehementi aut odio prosequi etiam affectus est. Recte enim dictum esse videtur, moderatum optimum, adeo ut nihil, quod immoderatum est, probe fiat.274

Der positive Affekt Freude – dessen äußeres Zeichen das Lachen ist – wird hier (noch) nicht angeführt. Es sei jedoch bereits an dieser Stelle angemerkt, daß auch spätere Gesundheitslehren Freude und Lachen oft nur als Kontraindikationen erwähnen, die dazu dienen, den negativen Affekten entgegenzuwirken, um Ausgeglichenheit zu erreichen: »moderatum optimum«! In dieser Funktion nehmen sie jedoch in der mittelalterlichen Regiminaliteratur weiten Raum ein.275 Interessant ist zudem die Tatsache, daß amor vehemens hier im Zusammenhang mit den Affekten genannt wird. Dies deutet nämlich darauf hin, daß die vieldiskutierte Liebeskrankheit letztlich nur durch Vernachlässi___________ 271 Dabei folgt er im wesentlichen den aristotelischen Lebensalterstufen (Cf. Rhet. II, 12-14, 1389b-1391a). 272 Zu den in den einzelnen Abschnitten aufgeführten Maßnahmen cf. Gil Sotres, in: Grmek, S. 316-318. 273 Cf. De sanitate tuenda, in: Claudii Galeni Opera omnia, VI, S. 452 (cap. XV): »alio opere agetur«: Die angekündigte Ernährungslehre bietet Galen schließlich in der Schrift De alimentorum facultatibus (Claudii Galeni Opera omnia VI, S. 453-553). 274 C. Galenus: Galeni de propriorum animi cuiusque affectuum dignotione et curatione, in: Claudii Galeni Opera omnia V, S. 1-57, hier S. 7/8 (cap. III). Die genannten Affekte gehen im wesentlichen auf Aristoteles zurück (Ansätze finden sich jedoch bereits im Phaidros, wo Platon von verschiedenen »Seelentypen« spricht (271b)). Einen ausführlichen, fünfzehn menschliche Affekte umfassenden Katalog enthält die Rhetorik (Rhet. II, 2-11; 1378a-1389a), in der Nikomachischen Ethik (Eth. Nic. VII, 1.3; 1145a1146b) werden nur Teilbereiche angesprochen. Die Auseinandersetzung mit den Schriften des Stagiriten (Cf. S. 188f) mag Galen dann auch dazu bewogen haben, im Gegensatz zu Celsus oder den Verfassern der Hippokratischen Schriften die Affektbeherrschung überhaupt zu thematisieren 275 Die im christlichen Abendland allgemein anerkannte Affektenlehre – die den Verfassern von Gesundheitsschriften als Bezugspunkt diente – hatte Aurelius Augustinus in De civitate Dei XIV; 3 festgeschrieben. Thomas von Aquin nahm sie in Sum. theol. I. II, 24 wieder auf (Cf. dazu Hist. Wört der Rhet, Lemma Affektenlehre II).

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gung der in bezug auf die accidentia animae gefragte moderatio entsteht,276 was wiederum die enge Verbindung von Melancholie und amor ereos begreiflich macht. Denn Lachen und Aufheiterung wurden – wie bereits angemerkt – in der Literatur stets im Rahmen der Aussagen zum Affekthaushalt erwähnt. Da also die Vorschläge zur Heilung der einen wie der anderen Krankheit im wesentlichen unter der Rubrik accidentia animae figurieren, wird der Schwerpunkt der Analyse hinsichtlich der Gesundheitslehren auf diesem Bereich liegen. Auch wenn es im Laufe der Jahrhunderte selbstverständlich zu Veränderungen kam, die Autoren in ihren Schriften nicht immer alle Aspekte gleichwertig behandelten, sondern individuelle Schwerpunkte setzten bzw. den einen oder anderen Bereich unerwähnt ließen, bilden die sex res non naturales mit den ihnen zugrunde liegenden Prinzipien von moderatio und Regelmäßigkeit bis ins 16. Jahrhundert eine feste Größe abendländischer Kultur.277 Sie wurden nämlich auch außerhalb medizinischer Fachkreise wie selbstverständlich angeführt bzw. gar in die Tat umgesetzt, wenn es darum ging, menschliches (Zusammen)Leben auf positive Weise zu organisieren. Als Beispiel aus der Frühzeit kann hier erneut das Staatsmodell Platons dienen.278 Im dritten Buch seiner Abhandlung skizziert der Philosoph die für die einzelnen Personengruppen seines Idealstaates beste Erziehung und entwirft in diesem Rahmen auch »die genauen Regeln für den Leib«.279 Diese umfassen Hinweise zur körperlichen Ertüchtigung, zum Essen und Schlafen und kulminieren gewissermaßen in der Feststellung, »daß sie (i. e. die Wettkämpfer) ernstlich und heftig krank werden, wenn sie nur ein wenig von ihrer geordneten Lebensweise abweichen«280 – die Grundprinzipien diätetischer Lebensführung, wie sie schon zu Lebzeiten Platons in den Schriften des hippokratischen Ärztekollegiums festgeschrieben waren, sind hier nicht zu übersehen. Wenn man bedenkt, daß die platonische Idealstaatstheorie – und mit ihr auch die Vorstellungen von einem geregelten Leben im Dienste der Gesundheit – über Jahrhunderte hinweg immer wieder studiert worden ist und eine Fülle von Nachahmern gefunden hat, wird deren allgemeine Anerkennung und positive Bewertung von Seiten der Gelehrten verständlich. Die Gedanken Platons lebten jedoch vor allem in den Köpfen der Gelehrten fort und blieben größtenteils – wenn auch einflußreiche – graue Theorie. Eine praktische Umsetzung erfuhren die diätetischen Lebensregeln hingegen in der ___________ 276

Auf diesen Zusammenhang verwies bereits Haage, in: Stemmler, S. 44/45. Cf. Schipperges/Heilkunde, S. 140f. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sie danach jede Gültigkeit verloren. 278 Cf. dazu S. 30f. 279 Staat III, 13; 404a. 280 Staat III, 13; 404b. 277

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Regula Benedicti.281 Neben dem bereits ausführlich dargelegten moderatioGebot in Hinblick auf Lachen und Ausgelassenheit – das als Aufruf zur Affektbeherrschung mit den bekannten Richtlinien für eine gesunde Lebensführung konform geht – gibt es noch weitere Bereiche mönchischen Zusammenlebens, deren Organisation eine Orientierung an gängigen diätetischen Vorschriften seitens des Ordensgründers vermuten läßt. Hier sind an erster Stelle die Regelungen hinsichtlich der cura corporis zu nennen, also die Angaben zum rechten Maß von Speis und Trank zu den Schlaf und Erholungszeiten sowie zur Körperhygiene (Austreten und Baden).282 Die Nähe zu den in den Gesundheitslehren angeprochenen Themenbereichen ist offensichtlich.283 Wichtiger als die Bestimmungen im einzelnen ist hier der Aufruf zur moderatio. Diese wird bereits im Rahmen der »instrumenta bonorum operum« gefordert: Non vinolentum, non multum edacem,

non somnulentum.284

___________ 281 Zu Benedikt von Nursia und seiner Ordensregel cf. S. 80ff. Da mögliche Vorlagen der Regula sowie ihre Sonderstellung innerhalb der abendländischen Ordenslandschaft in Kapitel 2. b) eingehend dargelegt wurden, bleiben beide Aspekte hier im folgenden weitgehend unberücksichtigt. Die Darstellung beschränkt sich auf die Angaben der Parallelstellen zu den Hauptthemen der cura corporis in der RM. Informationen zur Gesundheitspflege in der Regula Magistri sowie in den Regeln Basilius’, Pachomius’ und anderen bietet G. Zimmermann: Ordensleben und Lebensstandard. Die cura corporis in den Ordensvorschriften des abendländischen Hochmittelalters. Münster 1973, passim [Zimmermann]. 282 Cf. RB XXXIX: De mensura cibus; RB XL: De mensura potus (RM XXVI/XXVII); cf. dazu Zimmermann, S. 38-87 sowie S. Putz: Medizingeschichte der Benediktinerregel. München 1985 [Putz], S. 19-26. Schlaf-und Erholungszeiten sind in RB VIII, 2 (De officiis divinis in noctibus), 2; RB XI (Qualiter diebus dominicis Vigiliae agantur), 1 geregelt (RM XXXIIII). Des weiteren ordnet Benedikt eine Ruhepause an: »Post sextam autem surgentes a mensa pausent in lecta sua cum omni silentio, aut forte qui voluerit legere sibi sic legat, ut alium non inquietet« (RB XLVIII, 5). Diese mittägliche Ruhepause – meridiana requies – entspricht den allgemeinen Gepflogenheiten in warmen Ländern, in der Zeit der größten Hitze nicht zu arbeiten. Zum Baden cf. RB XXXVI, 8: »Balnearum usus infirmis quotiens expedit offeratur, sanis autem et maxime iuvenibus tardius concedatur.« 283 Auch der in den medizinischen Schriften später unter aer gefaßte Bereich (Umwelt/Klima) wird von Benedikt bezüglich der Gesundheit in Betracht gezogen, rät er doch einerseits zum Tragen der Witterung angepaßter Kleidung (RB LV: »Vestimenta fratribus secundum locorum qualitatem ubi habitant vel aerum temperium dentur«), andererseits zur meridiana requies. Die offensichtliche Sorge Benedikts um die Gesundheit der Ordensangehörigen setzt also nicht bei der Krankheitsbekämpfung respektive Gesundheitswiederherstellung an, sondern ist, wie Putz zusammenfassend bemerkt »Präventivmedizin« (Putz, S. 83). Um so erstaunlicher ist es, daß weder Putz noch Zimmermann, der in seiner Studie gleichermaßen die phrophylaktische Seite benediktischer Gesundheitspflege herausstellt (Zimmermann, S. 133 und passim), auf die diätetische Tradition hinweisen und die zwar noch nicht kanonisierten, aber in den Werken des CH sowie bei Galen vorgebildeten sex res non naturales mit keinem Wort erwähnen.

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und zum Teil in den entprechenden Kapiteln wieder aufgenommen: Remota prae omnibus crapula, et ut numquam subripiat monacho indigeries; quia nihil sic contrarium est omni christiano quomodo crapula.285 Quod si aut locis necessitas vel labor aut ardor aestatis amplius poposcerit, in arbitrio prioris consistat, considerans in omnibus ne subrepat satietas aut ebrietas.286

Die letztzitierte Aussage verweist zudem auf die discretio des Ordensgründers. Hatte er bereits im Prologus der Regel den Mönch als Lernenden bezeichnet, den es demzufolge nicht zu überfordern galt, beweist er gerade hinsichtlich der cura corporis eine große Rücksichtnahme auf die örtlichen Gegebenheiten und die Verfassung der Mönche. Wohl wissend, daß der Mensch nur sinnvoll seine Arbeit verrichten kann, wenn er gesund ist, entfernte sich Benedikt von den strengen Forderungen der Asketen und orientierte sich vielmehr an den Gepflogenheiten seiner Zeit.287 Es lohnt sich abschließend erneut auf die von den Mönchen verlangte Affektbeherrschung einzugehen, die Putz treffend als »Psychohygiene«288 bezeichnet. Auffallend ist vor allem die wiederholte Forderung, auf keinen Fall zu murren: Non murmuriosum.289 Sed haec ipsa oboedientia tuns acceptabilis erit deo et dulcis hominibus, si quod iubetur non trepide, non tarde, non tepide, aut cum murmurio vel cum responso nolentis efficiatur.290 Hac ante omnia admonentes, ut abque mumurationibus sint.291

Wissend, daß die ständige Unzufriedenheit einzelner Personen ein Leben in Gemeinschaft unerträglich machen konnte, legte Benedikt wie bereits Klemens von Alexandrien und viele Jahre nach ihm Thomas von Aquin auch dem Ernst Beschränkungen auf, um auf diese Weise ein angenehmes Zusammenleben zu ermöglichen. Der Mönch soll also positive wie negative Gefühle gleichermaßen

___________ 284

RB IV, 35-37. Zu den »instrumenta« cf. S. 83, Anm. 266. RB XXXIX, 7/8. 286 RB XL 5. 287 Cf. Worte, S. 79ff. Diese Rücksichtnahme wurde in späterer Zeit oft mißdeutet und immer großzügiger interpretiert. Weinmißbrauch, Völlerei und Müßiggang (siehe unten) haben dann auch entscheidend zur Verweltlichung der Orden beigetragen. Die Beseitigung derartiger Lebensformen war dementsprechend auch erstes Anliegen der Begründer von Reformorden (Cf. Zimmermann, S. 196f). 288 Putz, S. 33. 289 RB IV, 39. 290 RB V, 14. 291 RB XL, 9 285

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zügeln. Möglichkeiten dazu bieten ihm nicht nur die Selbstanklage vor dem Abt und der Mönchsgemeinschaft, bis Genugtuung geleistet ist292, sondern vor allem das stille, persönliche Gebet, das in bezug auf einen aufgewühlten Affekthaushalt reinigende, befreiende Wirkung hat.293 Die Forderung nach Affektbeherrschung entspringt dementsprechend ebenso sehr medizinischdiätetischer wie geistiger Motivation, wobei jedoch die heilkundliche Perspektive hinter der spirituellen zurücktritt.294 Die zunächst vornehmlich in den Medizinschulen von Toledo und Salerno entwickelten Gesundheitslehren, die seit Beginn des elften Jahrhunderts immer stärkere Verbreitung an den Universitäten und Fürstenhöfen sowie in den Städten des Abendlandes fanden, waren also für viele keine wesentliche Neuerung, sondern boten Althergebrachtes in verändertem Gewand.295 Derartige Schriften wurden in der Anfangsphase noch vornehmlich für Einzelpersonen, Könige und Fürsten, geschrieben. Erst mit Beginn des 14. Jahrhunderts begann man die ursprünglich auf Latein geschriebenen Traktate in die verschiedenen Volkssprachen zu übersetzen und somit einem größeren Publikum zugänglich zu machen – Diätetik für jedermann.296 Sowohl die allgemeinen Gesundheitslehren als auch die Regelwerke für eine bestimmte Altersklasse, soziale Schicht oder Lebenssituation weisen mehrheitlich die sex res non naturales als Ordnungsschema auf.297 Der angedeutete Facettenreichtum der Gattung erlaubt wiederum nur ___________ 292

Cf. RB XLIV- XLVI. Cf. RB LII. 294 Weitere Beispiele unbedingter Anerkennung diätetischer Lebensorganisation von ›theologischer‹ Seite bietet Hildegard von Bingen (Cf. Beate Hildegardis cause et cure. Edidit L. Moulinier, recognovit R. Berndt. Berlin 2003, passim. Ein Blick in die Kapitelübersicht – S. 3-17 der verwendeten Ausgabe – macht die Übernahme bekannter Konzepte – Humoralpathologie und sex res non naturales – offenbar (Cf. dazu die Einführung Mouliniers S. LXXVI-LXXXVII sowie S. CIII/CIV)) sowie Thomas von Aquin. In der Summa theologiae führt er nicht nur die Gesundheit des Leibs als Voraussetzung glücklichen Lebens an (Sum. theol. I-II, q. 4 ar. 6), sondern skizziert darüber hinaus eine diätetisch beeinflußte ordo vitalis (Cf. Sum. theol. I, II, 96, 2, ar. 2). Cf. dazu v. Engelhardt, S. 142, sowie Schipperges/Heilkunst, S. 151. 295 Die Blütezeit dieser Gattung begann in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und dauerte rund 300 Jahre an (Cf. Gil Sotres, in: Grmek, S. 327). Bergdolt weist jedoch darauf hin, daß trotz aller Popularisierung der diätetischen Richtlinien und geleisteter gesundheitlicher Aufklärungssarbeit ein Teil der Bevölkerung – vor allem auf dem Lande – in einem »Netz von Bräuchen und Zyklen eingebunden war« (Bergdolt/Leib und Seele, S. 155), denen sie oft weit mehr Vertrauen entgegenbrachten als den sehr ›bodenständigen‹ Hinweisen der Mediziner. 296 Cf. Gil Sotres, in: Grmek, S. 327. Der Autor bietet auf den Seiten 327-333 einen guten Überblick der hier nur skizzierten Entwicklung. Viele der lateinisch verfaßten Schriften waren jedoch wiederum Übersetzungen aus dem Arabischen. 297 Cf. Bergdolt/Leib und Seele, S. 147. Dies ändert sich erst im 15. Jahrhundert mit dem stärker werdenden Einfluß des Liber canonis. Hatte Avicenna den res die Konstitutionstypen zur Strukturierung seines Werkes vorgezogen, so wurde diese neue Ordnung in der Folgezeit von vielen übernommen (Cf. Olson, S. 44). Lehrer der Medizin und Ge293

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ein exemplarisches Vorgehen. Die oft kurzen Aussagen zur accidentia animae stehen meist am Ende derartiger Schriften und zeichnen sich durch »große Stereotypizität« aus.298 Der Analyseschwerpunkt soll deshalb hinsichtlich der allgemeinen Traktate vor allem auf den Ausnahmen liegen. Das wohl bekannteste Gesundheitstraktat ist das sogenannte Regimen Sanitatis Salernitanum. Ob dieses tatsächlich in der Medizinschule von Salerno entwickelt wurde und somit aus gutem Grund den Zusatz Salernitanum führt oder ob die (unbekannten) Verfasser die Verbindung zur Traditionsstätte mittelalterlicher Medizin nur konstruiert haben, um auf diese Weise die Autorität der Schrift zu fördern, scheint bis dato ungeklärt.299 Einig ist man sich hingegen in bezug auf Verbreitungsgebiet und Adressatenkreis. Zunächst in lateinischer Sprache verfaßt, wurde die Schrift seit Mitte des 14. Jahrhunderts vermehrt in andere Sprachen übertragen. Abgesehen von der grundsätzlich vorhandenen Popularisierungstendenz dieser Zeit, mag hier auch die besondere Form des Regimens eine Rolle gespielt haben. In Versen geschrieben war es leicht memorierbar und konnte dementsprechend auch dem illiteraten Publikum per Vortrag problemlos nahegebracht werden. Inhaltlich bot die Schrift gewissermaßen eine Zusammenfassung der mittelalterlichen Gesundheitslehre. Anglorum Regi scribit schola tota Salerni: Si vis incolumen, si vis te reddere sanum,

___________ sundheitslehre gliederten ihre Schriften zudem in einzelne quaestiones. Zu diesen sogenannten »akademischen Schriften« (Gil Sotres, in: Grmek, S. 328) cf. Gil Sotres, in: Grmek, S. 328f. 298 Arend, S. 121. Einen guten Überblick über die gängigen Formen bieten Olson, S. 52-64 sowie Bergdolt/Leib und Seele, S. 146-148. 299 Während Gil Sotres – sich auf Ergebnisse K. Sudhoffs (s. u.) stützend – einen Zusammenhang mit der Salertiner Schule ablehnt (Gil Sotres, in: Grmek, S. 328, Anm. 31), sieht Bergdolt diese Verbindung als gegeben an und bezeichnet die Schrift als »ältestes autochthon abendländisches Gesundheitstraktat. (Bergdolt/Leib und Seele, S. 143). Olson konstatiert, die Schrift sei »known by a variety of titles but most commonly as Regimen Sanitatis Salernitanum« (Olson, S. 51). Sudhoff hatte in mehreren Beiträgen im Archiv für Geschichte der Medizin [Archiv] betont, daß große Teile der bisher mit der Salertiner Ärzteschule in Verbindung gebrachten Verse »kaum aus der Civitas Hippocratica am Golf von Pesto stammen« (»Zum Regimen Sanitatis Salernitanum I«, in: Archiv VII, 1914, S. 360-362, hier S. 361). An anderer Stelle deutet er an, es habe durchaus Gesundheitsregeln aus Salerno gegeben, die allerdings »in dem Flusse der literarischen Überlieferung des sinkenden Mittelalters wie ein Wellenwirbel (wirkten), der alles, wenn auch nur äußerlich Verwandte in seinen Trichter hineinzog, mochte es nun mit dem Namen eines Autors etikettiert sein oder nicht.« (»Zum Regimen Sanitatis Salernitanum V«, in: Archiv IX, 1916, S. 221-249, hier S. 235). Der Name Regimen Sanitatis Salernitanum fungierte auf diese Weise gewissermaßen als ›Qualitätssiegel‹. Weitere Studien »Zum Regimen Sanitatis Salernitanum«, mit ähnlichem Tenor in: Archiv VIII, 1915, S. 292/293; X, 1917, S. 91- 101, sowie XII, 1920, S. 149-180. Es sei jedoch angemerkt, daß aus den hier zitierten Stellen, auf die sich auch Gil Sotres bezieht (s. o.) ein grundsätzliches Ablehnen jeglicher Verbindung mit Salerno nicht hervorgeht.

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Curas tolle graves, irasci crede profanum, Parco mero, coenato parum, non sit tibi vanum Surgere post epulas, somnum fuge meridianum, Non mictum retine, nec comprime fortiter anum: Haec bene si serves, tu longo tempore vives. Si tibi deficiant medici, medici tibi fiant Haec tria: mens laeta, requies, moderata diaeta.300

Schon diese ersten Zeilen des Regimen beinhalten auf kleinstem Raum das ganze Spektrum diätetischer Therapie, was erneut die Popularität des Lehrgedichts verständlich macht. Denn auch wer nicht die Zeit oder vielmehr die Möglichkeit hatte, die rund vierhundert Verse301 zu lesen, geschweige denn im Gedächtnis zu behalten, erhält in diesem Abschnitt alle wesentlichen Infomationen, die zudem in den beiden letzten Versen der Passage erneut zusammengefaßt sind: »mens laeta, requies, moderata diaeta«. Mens leta und moderata diaeta rufen eindeutig zur moderatio auf – die Wendung mens leta impliziert

___________ 300 Anonym: Die Kunst sich gesund zu halten – Regimen Sanitatis Salernitatum. Deutsche Nachdichtung mit Einleitung und Anmerkungen von R. Schott. Zürich, Stuttgart 1964, Vv. 1-9 [Regimen Sanitatis Salernitatum]. Die Identität des im ersten Vers erwähnten englischen Königs ist nicht eindeutig zu klären. Schott sieht in ihm den Normannen Robert, der sich vom ersten Kreuzzug heimkehrend, im Jahre 1070 (sic!) in Salerno aufhielt, um seine Wunden behandeln zu lassen (Cf. Schott, in: Regimen Sanitatis Salernitatum, S. 42, Anm. 1. Er betont hier allerdings die Unsicherheit seiner Annahme. Im ausgehenden 11. und 12. Jahrhundert hielten sich verschiedene englische Fürsten in Süditalien auf (Cf. University of Cambridge: The encyclopaedia Britannica. A dictionary of Arts, Sciences, Litterature and general information. 29 Bde., Cambridge 111911, Lemmata Robert I. Robert the Strong). Es ist deshalb kaum möglich, anhand der Präsenzzeiten dieser Persönlichkeiten das Entstehungsdatum der Schrift zu erschließen.). Sudhoff geht hingegen davon aus, daß »das Gedicht auch in seinen Anfängen nicht wesentlich älter ist als die Mitte des 13. Jahrhunderts« (Archiv VII, 1914, S. 360), was eine Verbindung mit dem Aufenthalt Roberts in Salerno unmöglich macht. Es ist jedoch durchaus möglich, daß der Hinweis auf den königlichen Adressaten gleichermaßen die Funktion eines Gütezeichens zu erfüllen hat und eines historischen Zusammenhangs entbehrt. 301 Dieser Textumfang wird – unabhängig von der Deutung des Regimen als aus der Schule von Salerno hervorgegangenes Werk oder Schrift anderer Provenienz – übereinstimmend als Kernstück des Gedichts angesehen, dem in den folgenden Jahrhunderten bis zu 900 Verse hinzugefügt wurden (Cf. Sudhoff, Archiv IX, 1916, S. 235/236, sowie M.-L Portmann in: Anonym: Regimen Sanitatis Salernitanum – Gesundheitsregeln von Salerno – L’école de Salerne. Hrsg. von der Erwin Braun Gesellschaft für Präventivmedizin. Mit deutschsprachiger Übersetzung nach I. Düntzer und französischsprachiger Übersetzung nach Ch. Meaux Saint Marc. Basel 1981, S. 11-15, hier S. 14). Auch die Ausgabe Schotts umfaßt 396 Verse.

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sogar direkt die Forderung eines ausgeglichenen Affekthaushaltes.302 Requies ist das Pendant zum bisher nicht erwähnten motus.303 Die unleugbare Schlagkraft dieser Zeilen hat dann auch zu ihrer Verselbständigung geführt, so daß sie Eingang in Sprichwortsammlungen und Florilegien fanden.304 Durch die Verwendung der zweiten Person Singular – die im gesamten Gedicht vorherrschend ist – wird zudem jeder Einzelne in die Verantwortung genommen und persönlich angesprochen, was die Diätetik zu einem Wissens- und Aufgabengebiet nicht nur der Mediziner machte. Während sich die Breitenwirkung des Regimen Sanitatis Salernitanum quasi erst im Laufe der Werkrezeption ergeben hatte, war es dem Verfasser des Tacuinum sanitatis305 schon von Anfang an daran gelegen, ein allgemeinverständliches Werk für ein großes Publikum zu entwerfen. Das Ergebnis seiner Bemühungen sind vierzig Tafeln, auf denen nach dem Ordnungsprinzip von sex res non naturales und humores Regeln für eine gesunde Lebensweise dargeboten werden. Die sehr kurzen Texte werden durch Illustrationen sowie vor allem durch ihre Anordnung im Gesamtgefüge ergänzt und erklärt. Das im 11. Jahrhundert entstandene Werk wurde rund zweihundert Jahre später ins Lateinische, ab dem 15. Jahrhundert auch ins Französische, Italienische und Deutsche übertragen.306 ___________ 302

Mens laeta ist somit eine Ergänzung zu Vers 3: »Curas tolle graves, irasci crede prophanum«. 303 Die Deutung Olsons, der requies als Hinweis auf nötige recreatio interpretiert (Cf. Olson, S. 52), was dem medizinischen Rat eine zusätzliche (moral)philosophische Komponente verleiht, halte ich im Rahmen dieser Verse, die eindeutig nach dem Prinzip der sex res non naturales konzipiert wurden, für unangebracht. 304 Als »Se tibi deficiunt medicina: Hec tria: mens leta, requies et sana diaeta« figuriert es zum Beispiel im Florilegium Gottingense (F. G. 169, 9). 305 Das Werk geht zurück auf Abu l-Hasan al-Muhtār ibn al-Hasan ibn ‘Abdūn ibn Sa’d ibn Būtlan, oder kurz Ibn Būtlan, der als Arzt und christlicher Theologe in Bagdad, Kairo und Konstantinopel wirkte. Tacuinum sanitatis ist die latinisierte Form des arabischen Titels Taqwīm as sihha, was Konsolidierung der Gesundheit oder Tabellarisierung der Gesundheit bedeutet (Cf. B. Wachinger: Erzählen für die Gesundheit. Diätetik und Literatur im Mittelalter. Heidelberg 2001, S. 8/9 [Wachinger]). Im folgenden wird der lateinische Titel verwendet. 306 Ein Beweis für den großen Erfolg des Werkes und dessen weite Verbreitung ist der auch im modernen Italienischen noch gebräuchliche Begriff taccuino zur Bezeichnung eines quadernetto (tascabile) per appunti (Zingarelli, Lemma taccuino), in dem der Stichwortcharakter der Einträge und die Funktion des Ursprungswerks knappe Informationen zu liefern, fortbestehen. Die hier erkennbare ›Volksnähe‹ des Werkes sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die noch erhaltenen Fassungen des Tacuinum zumeist prachtvolle Bilderhandschriften sind, die mit stark reduziertem Textteil und veränderter Aufmachung für vermögende Auftraggeber angefertigt wurden (Cf. Wachinger, S. 9). Einen Abriß der Übersetzungs- und Druckgeschichte sowie FaksimileDarstellungen (S. 49-96) aus dem Pariser- (ms. lat. Nouv. Acq. 1673) und Wiener Tacuinum (Ms. Series Nova 2544) und Schwarzweißabbildungen (S. 98-144) der Tafeln des

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Der gesundheitsfördernde Gleichmut wird im Tacuinum sanitatis jedoch nicht wie üblich unter der Rubrik accidentia animae thematisiert, sondern in Einzelkapiteln, die nach galenischem Vorbild aufeinander folgen.307 Die Bemerkungen zu gaudia und ira Gaudia: Nature: exitus virtus (virtutis) vitalis et caliditas [subcesive et] subcessive. Melius ex eo: quod ducit ad prosperitatem. Infra (Iuvamentum): periclitantibus et tristibus. Nocumentum eo quod multiplicatum (multiplicantur) mortem inducit. Remotio nocumen: cum in(h)abitatione sapientum et discretione.308

Ira: Nature: ebul(l)itio sanguinis in corde. Melius ex eo: Impinguatis (impinguans) colorem transmutatem restituere. Iuvamentum: paralisi[m] et torture oris. Nocumentum: consentientibus illis (illicite) voluntati[s] Remotio nocumenti: re(c)tificando est (cum) curialitate philosofie309

bieten jedoch enttäuschend wenig Neues: Freude wird ganz traditionell als Heilmittel gegen Bedrohung und Traurigkeit empfohlen, jegliches Übermaß ist gesundheitsschädlich und deshalb zu vermeiden: der übliche Aufruf zur moderatio. Interesssant ist hingegen der Rat, bei der Philosophie und den Weisen Hilfe zu suchen, um wieder zur Ausgeglichenheit zurückzufinden. Sowohl das arabische Original des Tacuinum Sanitatis als auch die ersten lateinischen Übersetzungen des Werkes310 hielten nur einige Tafeln weiter das Beispiel eines solchen ›Weisen‹ parat: den confabulator. Im arabischen Kulturkreis war dies oft der Nadīm, ein »Gefährte des Herrschers«311, im christlichen Abendland oft schlicht ein ›Erzähler‹312, der seinem Dienstherrn zum Einschlafen Geschichten ___________ Tacuinum von Lüttich (Bibliothèque de l’Université de Liège, ms. 1041), Rom (Biblioteca Casanatense, ms. 4182) und Rouen (Bibliothèque municipale, ms. Leber 1088) bietet die Publikation von L. Cogliati Arano (Hrsg.): Tacuinum Sanitatis – Das Buch der Gesundheit. Einführung von H. Schipperges und W. Schmitt. München 1976. 307 Cf. (Ibn Būtlan)/C. Opsomer: L’art de vivre en santé. Images et recettes du moyen âge. Le Tacuinum sanitatis (manuscrit 1041) de la Bibliothèque de l’Université de Liège. Paris 1991 [L’art de vivre/Tacuinum sanitatis], fol. 65r : gaudia; fol. 65v : verecondia; fol. 66r : ira und fol. 66v : ebrietas. Cf. entsprechend C. Galenus: De symptomatum causis, l. II, in: Claudi Galeni Opera omnia VII, S. 147-204, hier S. 192/193. 308 L’art de vivre/Tacuinum sanitatis, fol. 65r. Hervorhebungen im Original (rot). Korrekturen von der Herausgeberin. Die in runden Klammern notierten Worte wurden zum besseren Verständnis von Opsomer hinzugefügt, die in eckigen Klammern gefaßten Passagen können entfallen (Cf. dazu die Angaben Opsomers: Un mot enfin sur le texte, S. 26). Die hier vorgestellte Textgestaltung gilt für alle der Ausgabe entnommenen Zitate. 309 L’art de vivre/Tacuinum sanitatis, fol. 66r. 310 Cf. Wachinger, S. 10. 311 Wachinger, S. 10. Weitere Informationen zu den Aufgaben des Nadīm gibt P. O. Scholz: Die Sehnsucht nach Tausendundeiner Nacht. Begegnung von Orient und Okzident. Stuttgart 2002, S. 22 [Scholz]. 312 Die Bezeichnung variert selbstverständlich je nach Landessprache. Im Novellino, einer zwar erst im 15. Jahrhundert zusammengestellten und edierten Novellensammlung, die jedoch das (volkstümliche) Erzählmaterial des ausgehenden 13. Jahrhunderts enthält, wird von einem »novellatore« berichtet, »il quale (Messere Azzolino) facea favollare

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darbot, um auf diese Weise die Gedanken des Tages aus seinem Kopf zu verscheuchen und ihn vor unangenehmen Träumen zu bewahren: Confabulantibus: Nature. Est una causarum somnum (sompni). Melius ex eo: conveniens nature volentis dormire. Iuvamentum: delectantibus in ipsum. Nocumentum: si voluerit [nec] uno confabulationibus uti et sint alii confabulatores. Remotio nocumenti: (non) nisi ab uno singulariter.313

Die accidentia animae wird hier zur Voraussetzung für gesunden bzw. gesundheitsfördernden Schlaf – somnus –, was erneut die enge Verknüpfung der sex res non naturales untereinander verdeutlicht.314 Interessanterweise wurde in den späteren Versionen des Tacuinum Sanitatis der professionelle Geschichtenerzähler oft durch eine (bäuerliche) Erzählrunde ersetzt.315 Da jedoch auch die lateinischen und volksprachlichen Fassungen ___________ quand’erano le notti grandi di verno« (Anonym: Il Novellino – Das Buch der hundert alten Novellen. Ital./dt., übers. und hrsg. von J. Riesz. Stuttgart 1988, XXXI [Novellino].). Zu Entstehung und Bedeutung des Werkes cf. das Nachwort von Riesz (in: Novellino, S. 307-342, insbesondere S. 307-309, sowie meine diesbezüglichen Ausführungen S. 226ff. Da an anderer Stelle den Ausdruck giullare (Novellino IV) verwendet wird, ist anzunehmen, daß es sich bei novellatore und giullare um zwei verschiedene Personen mit unterschiedlichem Aufgabenbereich handelt, was jedoch nicht bedeutet, daß der eine nicht das Amt des anderen zusätzlich übernehmen konnte. 313 L’art de vivre/Tacuinum sanitatis, fol. 68r. 314 Die Straßburger Druckausgabe, die dem arabischen Original näher steht als die Bilderhandschriften und einen ausführlicheren Textteil enthält, bietet sogar eine ›physiologische‹ Erklärung dieser Verbindung: »Et si forte cibus digeri non valeat, sed corrumpitur, vapores calidi ab eo resoluti, cerebrum ascendunt, propter quod vigiliae accidunt. Indiget enim propter hoc confabulationibus, quibus somnus provocetur. Eo quod non dormire corpus desiccat, membris & cerebro nocet, sensus permiscet, acutas aegritudines commovet. [...] Et causa in hoc est, quod confabulationes somnum provocant: eo quod auditus recipit absorb motu naturali qualitates sensibilium, & quia auditus recipit delectabilis ipsum, vel eorum quae audit, & imaginationi transmittit: imaginatio vero rationi; ratio vero admiratur de praesentatis, donec fatigetur ex admiratione praedicta, ita quod ex multiplicata admiratione imaginationem receptorum, quibus intenta est, virtus ipsa audibilis, audibilia non praesentant propter quod quiescit instrumentum auditus ab apprehensione sensibilium cum aliis sensibus: unde provocatur somnus.« ((Ibn Būtlan): Tacuini Sanitatis Elluchasem Elimithar, Medici de Baldath. Argentorati: apud Iohannem Schottum Librarium s. l. (Straßburg) MDXXXI, Canon trecesimustertius ad Tac. 32: De somni operationibus et causis (S. 29) [Tacuinum sanitatis/Straßburger Druckausgabe] Modernisierte Orthographie). Die dem confabulator gewidmete Seite wurde dementsprechend zwischen Somnus und Vigilie platziert. Der im Tacuinum Sanitatis beschriebene Zusammenhang von Verdauung, Schlaf und imaginatio entspricht im wesentlichen den im Mittelalter verbreiteten Vorstellungen (Einen Überblick bietet M. W. Bundy: The theory of imagination in classical and medieval thought. Illinois 1927, insbesondere Kapitel IX (S. 177-198; mit einem Schwerpunkt auf Avicenna und Averroes (i. e. Abul Walid Ibn Ahmad Ibn Ruschd)). 315 Cf. dazu die Abbildungen in L’art de vivre/Tacuinum sanitatis, fol. 68r sowie in der Publikation von Wachinger, S. 4.

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mehrheitlich für wohlhabende Persönlichkeiten angefertigt wurden, wäre es falsch, diese Veränderung mit der Hoffnung von Auftraggeber oder Künstler zu begründen, auf diese Weise die Identifikationsmöglichkeiten mit dem abgebildeten Personal seitens der Bevölkerung zu erhöhen. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß durch die sich entwickelnde Tradition des Reihum-Erzählens an den europäischen Fürstenhöfen, die ja auch durch die Novellensammlungen des 14. Jahrhunderts – namentlich das Decameron – forciert wurde, das Erzählen von Geschichten im allgemeinen Bewußtsein mit einer Gruppe in Verbindung gebracht wurde, was sich mit der Zeit ebenso in den Abbildungen entsprechend niederschlug.316 Auch der zweite Teil des Kommentars zu fol. 68r steht mit dieser Veränderung in direkter Verbindung, denn der Hinweis, seine Aufmerksamkeit auf nur einen Erzähler zu richten, um aus dessen Geschichte Nutzen zu ziehen, macht nur Sinn, wenn andere Möglichkeiten gegeben waren. In diesem Fall tritt der Schlaf jedoch nicht so sehr Dank der Entspannung durch das Zuhören ein, sondern vielmehr in Folge der Ermüdung durch angestrengte Konzentration. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte auch Moses Maimonides (i. e. Rabbenu Mosche Ben Maimon), der lange Zeit als Arzt und persönlicher Berater Sultan Saladins an dessen Hof in Ägypten lebte. Als Al-Afdal, Saladins ältester Sohn, 1193 für kurze Zeit den Thron bestieg, bat er Maimonides um eine Gesundheitsschrift.317 Dieses ursprünglich in arabischer Sprache verfaßte Regimen Sanitatis wurde schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts ins Lateinische übertragen und erfreute sich seither relativer Beliebtheit.318 Die Empfehlung Maimonides’, einen Sänger einzuladen, der Hoheit mit Liedern bis zu zwei Stunden nach dem Essen unterhalte. Dann lege sich Hoheit zur Ruhe, indem man dem Sänger [vorher] die Anweisung gegeben hat, sein Spiel und seinen Vortrag allmählich zu dämpfen bis [Hoheit] fest eingeschlafen sind.319

beruht auf dem gleichen Prinzip wie der Ratschlag im Tacuinum Sanitatis hinsichtlich des Anhörens von Geschichten zum Einschlafen. Nur tritt hier ne___________ 316 Die erwähnten Bilderhandschriften sind mehrheitlich am Ende des 14. Jahrhunderts sowie im Laufe des darauffolgenden entstanden (Cf. dazu die Übersicht Opsomers in: L’art de vivre/Tacuinum sanitatis, S 24/25). 317 Cf. die Einleitung von S. Muntner zu: M. Maimonides: Regimen sanitatis oder Diätetik für die Seele und den Körper. Mit Anhang der Medizinischen Responsen und Ethik des Maimonides. Deutsche Übersetzung und Einleitung von S. Muntner. Frankfurt a. M. 1966, S. 21f [Maimonides/Regimen]). 318 Die Breitenwirkung des Werkes scheint jedoch umstritten. Während Gil Sotres und Bergdolt nur von einer geringen Nachwirkung ausgehen (Cf. Gil Sotres, in: Grmek, S. 327, Bergdolt/Leib und Seele, S. 146), gibt Muntner vollmundig an, Werk und Autor seien zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts in einem Atemzug mit Avicenna und Galen genannt worden (Cf. Muntner, Einleitung zu: Maimonides/Regimen, S. 25). 319 Maimonides/Regimen XXI, c. Zusätze in den Klammern in diesem und allen weiteren Zitaten aus dieser Ausgabe vom Übersetzer.

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ben die inhaltliche Botschaft des Textes, die Lied und Erzählung gemein haben, noch die Melodie sowie eine Instrumentalbegleitung, die dem Einschlafenden zusätzlichen Hörgenuß bieten. Die positive Wirkung der Musik gilt es sich deshalb auch im akuten Krankheitsfall zunutze zu machen: [Man vergesse ferner nicht] die vitalen [geistigen] Kräfte anzuregen, durch Instrumentalmusik, durch Erzählung für den Kranken erfreulicher Geschichten, die seine Seele erfreuen und seine Brust tiefer atmen lassen, durch humoristische Neuigkeiten, [die ihn ablenken], über die er mit der Gesellschaft lache.320

Wenn Maimonides hier für den therapeutischen Einsatz von Musik plädiert, schreibt er sich in einen jahrhundertealten Trend ein, dessen Anfänge wohl in der Zeit der älteren Pythagoreer im sechsten vorchristlichen Jahrhunndert liegen.321 Seitdem Platon im Kratilos die enge Verbindung von Ton- und Heilkunst festgeschrieben hat322, findet sich in der medizinischen Literatur immer wieder der Ratschlag, Patienten, die unter der einen oder anderen Krankheit leiden, durch Musik zu erfreuen und auf diese Weise den Schmerz oder gar die Krankheit zu lindern. Die vorgeschlagenen Maßnahmen machen nicht nur erneut das enge Zusammenspiel von körperlicher und geistiger Gesundheit offenbar, sondern bieten gewissermaßen einen ›Vorgeschmack‹ auf das Decameron. Denn hier wird nicht wie sonst moderatio und lediglich ein heiteres Gemüt verlangt, sondern ___________ 320

Maimonides/Regimen, II, 20. Zu diesem Themenkomplex cf. die detailreiche Arbeit W. F. Kümmels: Musik und Medizin. Ihre Wechselbeziehungen in Theorie und Praxis von 800 bis 1800. Freiburg, München 1977 [Kümmel] sowie J. Schumacher: Die Anfänge der abendländischen Medizin in der griechischen Antike. Stuttgart 1965, S. 42f. Die besondere Stellung der Musik in der pythagoreischen Gemeinschaft betont auch Jamblich: »Auch war er (i. e. Pythagoras) der Auffassung, die Musik trage Wesentliches zur Gesundheit bei, wenn man sie in der rechten Weise betreibe. [...] In die Mitte setzte er einen, der die Leier schlug, und rings um diesen ließen sich die Sänger nieder und sangen so gemeinsam zu seinem Spiel bestimmte Paione, durch die sie [...] frohen Sinnes, harmonisch und rhythmisch wohlgeordnet wurden. [...] Dabei gab es bestimmte Melodien, die auf die Affekte – etwa auf Anfälle von Mutlosigkeit und nagendem Kummer zugeschnitten waren [...]. Andere wieder wirkten auf Zornes – und Gemütswallungen und auf jedes Außersichgeraten der Seele, die dafür anfällig ist.« (Jamblich: Pythagoras: Legende – Lehre – Lebensgestaltung ( +     8 Eingel, übers. und mit interpretierenden Essays versehen von M. v. Albrecht e. a. Darmstadt 2002, XXV, 110/111). Die Verwendung der Musik zur (Wieder)herstellung des affektiven Gleichgewichts, insbesondere zur Bekämpfung großer Traurigkeit – Melancholie – hat also seit langem Tradition. 322 Platon: Kratilos (N  ), in: Platon: Werke Bd. II (Kratilos, der Sophist, der Staatsmann, das Gastmahl). In der Übersetzung von F. D. E. Schleiermacher. Berlin 1986, S. 17-85, 404d/405a: »SO: Ebenso ist es mit dem Apollon wie ich sage; viele sind bange vor dem Namen des Gottes, als deute er auf etwas Furchtbares. Oder hast du das nie bemerkt? [...] Unmöglich könnte sich ein Name besser schicken zu den vier Eigenschaften des Gottes, so daß er auf alle anspielte, und gewissermaßen die Tonkunst und das Weissagen und die Heilkunst und die Kunst des Schützen bezeichnete«. 321

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eine fröhliche Gesellschaft gezeichnet, die den Kranken durch allerlei Geschichten, Klatsch und Tratsch tatsächlich zum Lachen reizen soll. Es ist zudem durchaus möglich, daß die von Maimonides entwickelte Gesundheitslehre gleichsam Melancholieprophylaxe ist: Nach dem Erwachen beschäftige sich Hoheit die übrige Zeit des Tages mit Lektüre, die ihm Freude bereitet oder mit Unterhaltung mit einer Person, die ihm sympathisch ist. Dies, nämlich die gesellschaftliche Unterhaltung mit erwünschten Personen ist eine der wichtigsten Maßnahmen zur Veredelung [der Persönlichkeit], hat die angenehme Wirkung, den Geist zu genaueren Antworten und zu leichterem Denken anzuregen, denn all das erheitert das Gemüt und verscheucht die [sich einschleichenden] trüben Gedanken.323

Die von Maimonides vorgeschlagene Tagesgestaltung deckt sich im wesentlichen mit den Ratschlägen anderer Verfasser, die sich ebenfalls mit Melancholiebehandlung auseinandersetzten. Die besondere Betonung des Erzählens respektive Lesens von Geschichten »die [...] Freude machen« einerseits und der Unterhaltung mit sympathischen Personen andererseits mag in der orientalischen Kultur begründet liegen, in der das Werk geschrieben wurde und der Adressat beheimatet war. Nicht nur die Institution des Nadīm, sondern auch zahlreiche Märchen- und Geschichtensammlungen – von denen Alf Laila wa Laila wohl die bekannteste ist324 –, die in (arabisch)-islamischem Umkreis entstanden sind, zeugen von einer ausgeprägten Erzählkultur, derer sich die Ärzte geschickt zu bedienen wußten und die folglich auch Eingang in die Regiminaliteratur fand. Thematische und konzeptionelle Überschneidungen wie in diesem Fall – ähneln doch die von Maimonides vorgeschlagenen Beschäftigungen sehr ___________ 323 Maimonides/Regimen, XXI, b. Kümmel gibt zudem an, der Adressat des von Maimonides verfaßten Regimen sei depressiv gewesen, was der heutzutage veralteten Diagnose Melancholie entspricht (Kümmel, S. 161). 324 Auch wenn die ›Märchen aus 1001 Nacht‹ in den modernen Ausgaben häufig als Geschichtensammlung ›aus einem Guß‹ präsentiert werden, sollte man nicht übersehen, daß es sich hier tatsächlich um ein Sammelwerk handelt – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn in Alf Laila wa Laila vereinen sich indische, persische und arabische (um nur die wichtigsten zu nennen) Traditionen. Seitdem im 10. Jahrhundert mit dem persischen Hasar Afsanah (1000 Nächte) der Grundstein für die Sammlung gelegt worden war (allerdings mit einer Rahmenhandlung aus Indien), wurden in den folgenden Jahrhunderten stetig weitere Geschichten unterschiedlicher Provenienz integriert (Cf. W. Walther: Tausend und eine Nacht. Eine Einführung. München, Zürich 1987, S. 11-20 [Walther]). Interesssanterweise stammen die zum Lachen reizenden Geschichten wohl mehrheitlich aus Ägypten, wo sie im 11. und 12. Jahrhundert Eingang in die Sammlung fanden (Cf. C. Ott, Nachwort zu Anonym: Tausendundeine Nacht. Nach der ältesten arabischen Handschrift in der Ausgabe von Muhsin Mahdi erstmals ins Deutsche übertragen von C. Ott. München 2004, S. 640-647, hier S. 644). Eine Tradition der Lachen hervorrufenden Kurzerzählung, wie sie Maimonides vorschwebte, war also bereits ausgeprägt. Zu weiteren orientalischen Fabel- und Geschichtensammlungen, die den Erzählern gleichermaßen als ›Stoffreservoir‹ dienten cf. P. Heath: »Arabische Volksliteratur im Mittelalter«, in: W. Heinrichs: Orientalisches Mittelalter – Neues Handbuch zur Literaturwissenschaft. Wiesbaden 1990, S. 424-439, hier S. 428/429; 433.

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denjenigen der brigata-Mitglieder – sind somit nicht so sehr auf direkte Beeinflussung zurückführbar, als vielmehr eine Folge des regen Kulturtransfers von Ost nach West.325 Die Idee diätetisch motivierten (Reihum)-Erzählens erfreulicher Geschichten in angenehmer Gesellschaft gegen akute oder drohende Melancholie war also bereits vorgeprägt. War demzufolge Boccacios literarisches Projekt weitaus weniger problematisch als bisher angenommen, da ein »Erzählen für die Gesundheit«326 – nach der sich bei Veröffentlichung des Decameron ja jeder sehnte – als Therapieform bereits hinreichend bekannt war? Mitnichten! Zunächst ist nämlich von einer Rezeption dieses Gedankens nichts zu spüren. Obwohl manch einer angesichts der zahlreichen Katastrophen, die seit Beginn des 14. Jahrhunderts über Europa hereingebrochen waren327, sicher Ablenkung und Aufheiterung nötig gehabt hätte, enthalten weder die allgemeinen Gesundheitstraktate des 13. und 14. Jahrhunderts, geschweige denn die zahlreichen anläßlich der Epidemie328 von 1348 verfaßten Pestschriften329 den expliziten Ratschlag, Geschichten zu erzählen. ___________ 325

Cf. Scholz, S. 102/103. Orte des Zusammentreffens von Orient und Okzident waren vor allem Sizilien und Süditalien; Scholz spricht gar vom »Kulturtiegel Sizilien« (Scholz, S. 118). Zu den zahlreichen Übernahmen orientalischen Erzählguts durch Boccaccio, der während seines Aufenthalts in Neapel gewissermaßen ›an der Quelle‹ saß cf. Scholz, S. 107, die Untersuchung A. C. Lees: The Decameron. It’s sources and analogues. New York 1972 [Lee] sowie S. 273f. 326 Wachinger, Titel. 327 Neben immer wieder aufflammenden Hungersnöten in Mittel- und Südeuropa als Folge einer kleinen Eiszeit, das heißt einer allgemeinen Abkühlung der Atmosphäre um 3° C, sind hier vor allem verheerende Übeschwemmungen (Florenz, 1333), das Erdbeben in Norditalien (1348) und schließlich die Pest zu nennen, die 1347 von Kaufleuten ins Abendland eingeschleppt wurde (Cf. A. Borst: »Das Erdbeben von 1348. Ein historischer Beitrag zur Katastrophenforschung«, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), S. 529-569, hier S. 540. 328 Die Epidemie von 1348 wird gemeinhin mit dem Schwarzen Tod assoziiert, der sehr gefährlichen Lungenpest, bei der es zu schwärzlich verfärbten Hautblutungen kommt und die bei 80% der Erkrankten letal verläuft. Am Ausgang des Mittelalters verstand man unter pestis in erster Linie die Bubonenpest, die bei richtiger Behandlung – die jedoch im Laufe der Jahrhunderte erst entwickelt werden mußte – nach sechs bis acht Wochen überstanden war. Das lateinische pestis bzw. pestilentia sowie dessen volkssprachliche Derivationen wurde zunächst für jede gefährliche Seuche verwendet und erst mit dem 14. Jahrhundert auf den Schwarzen Tod beschränkt (Cf. Schipperges/Die Kranken, S. 105). Es ist also durchaus möglich, daß es sich sowohl bei der biblischen ›Pest‹ (2. Sam. 24, 1-25; 1. Chr. 21, 12) als auch bei den in der antiken und mittelalterlichen Literatur beschriebenen ›Pest‹gängen ätiologisch nicht um die vom Bazillus Pasteurilla Pestis ausgelöste Pest handelte, sondern vielmehr um verschiedene, von der Menschheit als starke Bedrohung empfundene Krankheiten (Cf. dazu: J. Grimm: Die literarische Darstellung der Pest in der Antike und in der Romania. München 1963, S. 9 und passim [Grimm]). 329 Zu den Pestschriften gehören einerseits die vor allem für ein ilitterates Publikum gestalteten Pestblätter mit Pestlaßmännchen und nur wenigen in Worten gefaßten Ratschlägen zum Verhalten in Seuchenzeiten, andererseits die vornehmlich medizinisch

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Die meist von Medizinern geschriebenen Pesttraktate330 boten neben einer Theorie der Pestursache oft Anweisungen zum Verhalten im Krankheitsfall für den Betroffenen und die ihn pflegenden Personen sowie Vorschläge zur Pestprophylaxe.331 Dabei beschränkten sich die Verfasser meist darauf, die schon aus den allgemeinen Traktaten bekannten Hinweise zur Beachtung der sex res non naturales bzw. der accidentia animae zu geben: •

Frequentetur gaudium et leticia, ut cor et spiritus confortentur. Item pax, bona spes, contemplacio et cultus die, ut mors minus timeatur, et ira sollicitudo, et tristicia magis evitentur. 332



Evitent iram tristitiam; timorem, solicitudinem in summa et adhereant gaudio et laetitia.333

___________ ausgerichteten Pesttraktate. Da diese Schriften im Titel oft das Wort consilium führen, wird der Begriff Pestconsilium gleichermaßen zur Bezeichnung dieser Gattung verwendet (Cf. LexMa, Lemmata Pest (A II); Pestblätter sowie G. Keil im Nachwort zu: K. Bergdolt (Hrsg.): Die Pest in Italien. Fünfzig zeitgenössische Quellen. Übers. von K. Bergdolt. Mit einem Nachwort von G. Keil. Heidelberg 1989, S. 185-194, insbesondere S. 186/187 [Bergdolt/Quellen]. 330 Die mal auf Latein, mal in der Volkssprache verfaßten Schriften von sehr unterschiedlicher Länge wurden oft durch öffentliche Lesung bekannt gegeben oder aber als ›Flugblätter‹ verteilt. Noch im 15. Jahrhundert, als die wiederkehrenden Seuchenzüge schon in gewisser Weise ›an der Tagesordnung‹ waren, gehörten Pesttraktate [...] zu den »meistgelesenen deutschsprachigen Texten des 15. Jahrhunderts« (H. Dormeier: »St. Rochus, die Pest und die Imhoffs in Nürnberg vor und während der Reformation. Ein spätgotischer Altar in seinem religiös-liturgischen, wirtschaftlich-rechtlichen und sozialen Umfeld«, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums. Nürnberg 1985, S. 772, hier S. 33). Da es sich bei der Pest um ein europäisches Phänomen handelt, sich die in den verschiedenen Regionen erhaltenen Schriften inhaltlich und formal sehr ähneln (Einen guten Überblick bieten Bergdolt/Quellen sowie K. Sudhoff, in: »Pestschriften« in Archiv IV-XVII), steht zu vermuten, daß die Traktate in den anderen Ländern ähnlich stark rezipiert wurden. Gesundheitsschriften, in denen das Problem der Pestprophylaxe und -behandlung im Vordergrund stand, wurden darüber hinaus auch auf Anfrage für meist wohlhabende Einzelpersonen gefertigt. 331 Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die von Ärzten, Geistlichen und weltlicher Obrigkeit propagierten Maßnahmen und Verhaltensweisen im einzelnen vorzustellen. Es sei vielmehr auf die umfangreiche Literatur zu diesem Thema verwiesen (Cf. die bibliographischen Angaben unten sowie im sechsten Kapitel, wo einzelne Aspekte, die in der Boccaccios Pestbeschreibung zur Sprache kommen, genauer betrachtet werden). Einen guten Überblick vermittelt der Beitrag von G. Keil: »Pest im Mittelalter: die Pandemie des ›Schwarzen Todes‹ von 1347-1351«, in: W. Buckl (Hrsg.): Das 14. Jahrhundert. Krisenzeit. Regensburg 1995, S. 95-107 sowie Bergdolt/Pest, S. 21-29; 39ff. 332 Anonym: Regimen preservativuum a pestilencia ex purificacione aeris – K. Sudhoff: »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348 [Pestschriften]. Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts XI: entstanden im niederen Deutschland, in: Archiv XI, 1919, S. 44-93 (Nr. 110), hier S. 60/61. 333 (Gentile da Foligno (?)): Consilium magistri gentilis super pestilentiam – »Pestschriften IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Archiv V, 1912, S. 337-339 (Nr. 34), hier S. 339. Gentile da Foligno wirkte als bekannter Arzt in Padua und

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5. Festevolemente viver si vuole? Dec. Intr. 94 •

Omnesque sollicitudines angustiosas et tristes dicit esse vitandas. Delectabiles autem aliquas prosequantur et quaerant ad deviandum mentem a pestis timore.334



Sed quantum ad animae accidentia, sit continue hylaris et iocundus et quia adhaerens accidentibus animae est actus venereus, caveant ab illo, sicut ab inimico.335

Als unmittelbare Reaktion auf diese Hinweise lassen sich die von einigen Städten verhängten Verbote des Läutens der Totenglocken interpretieren.336 Auch der gängigen Praxis, die meist hölzernen Räder des Totenkarrens mit Stoff zu umwickeln, um auf diese Weise die Leichen von der Bevölkerung unbemerkt aus der Stadt zu transportieren, liegt der Gedanke zugrunde, die ohnehin verbreitete Angst nicht noch zu schüren.337 Das Pariser Pestgutachten, »eines der allerwichtigsten, wenn nicht das allerwichtigste literarische Dokument zum schwarzen Tode«338, enthält ebenfalls nur die üblichen Gemeinplätze: De accidentibus vero anime est notandum, quod quia non numquam infirmitas corpus ex accidentibus anime contingere potest, iram caveant et tristititiam nimiamque sollicitudinem.[...] In gaudio vero et leticia, quam plus poterunt, vivant et licet gaudium quandoque corpus humectet, spiritum tamen et cor confortant.339

___________ Florenz. Er starb in Ausübung seines Berufes 1348 an der Pest (Cf. LexMa, Lemma: Gentile da Foligno). Sudhoff zieht allerdings die Urheberschaft des Arztes für die Schrift in Zweifel, da es aber an »Zeichen irgendeiner anderen Provenienz« mangelt und die Schrift »in ihren Ansichten sich doch vielfach mit denen des Fulginaten berührend« zeigt (Sudhoff: Einführung zu Nr. 34, S. 337), kann sie hier als Beispiel für eine Pestschrift anläßlich der Epidemie von 1348 angeführt werden. 334 (Johannes della Penna): Consilium magistri Johannis dela penna contra pestem. – »Pestschriften IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Archiv V, 1912, S. 341-348 (Nr. 35), hier S. 344. Johannes della Penna wirkte als Arzt in Neapel (Cf. Sudhoff: Einführung zu Nr. 35, S. 341). 335 (Anonym): Kurze lateinische Pestregel eines Paduaner Anonymus aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts– »Pestschriften V: Aus Italien (Fortsetzung) und Wien«, S. 313-379, in: Archiv VI, 1913, S. 334-336 (Nr. 47), hier S. 336. Sudhoff gibt an, die Schrift sei wohl sehr bald nach der Pest von 1348 entstanden (Cf. Sudhoff, Einführung, zu Nr. 47). 336 Cf. z. B. Cronaca fiorentina, I, VIII, 140: »[…] sbigottivano li sani, nonché i malati«. 337 Cf. LexMa, Lemma Pest (I). Einen Katalog ähnlicher ›psychologischer‹ Maßnahmen bietet N. Bulst: »Krankheit und Gesellschaft in der Vormoderne. Das Beispiel der Pest.«, in: N. Bulst/R. Delort (Hrsg.): Maladies et société (XIIe-XVIIIe siècles). Actes du Colloque de Bielefeld. Paris 1989. S. 17-37, insbesondere S. 31f). 338 K. Sudhoff, Einführung zu Nr. 263 (Der Pestratschlag der Pariser Medizinischen Fakultät [...]) – »Pestschriften XVIII: Aus Frankreich, Spanien und England«, S. 12-139, in: Archiv XVII, 1925, S. 65-76, hier S. 65. 339 (Pariser Medizinische Fakultät): Compendium de epidemia compilatum Parisius per magistros facultatis medicorum ad instantiam et mandantum Philippe Francorum Regis anno MCCCXLVIII (Auszüge) – »Pestschriften XVIII: Aus Frankreich, Spanien

c) Lachen macht gesund

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Wenn die Ärzte der Pariser medizinischen Fakultät den sex res non naturales in ihrer auf Veranlassung des französischen Königs, Philipp VI, verfaßten Schrift weiten Raum geben – das gesamte erste Traktat der zweiten Summe ist ihnen gewidmet – und diese somit als wesentliche Faktoren der Gesundheitsvorsorge sowie speziell der Pestprophylaxe kennzeichnen, läßt sich dieses als Anerkennung des Kanons seitens der höchsten Autorität in medinischen Fragen im Abendland deuten. Mag vielleicht der Gedanke des Geschichtenerzählens in froher Runde die ersten Leser des Decameron erschreckt haben, weil dieser Brauch in der jüngsten Vergangenheit vernachlässigt worden war, konnte Boccaccio jedoch grundsätzlich auf allgemeine Anerkennung und Akzeptanz seines vergnüglichen Werkes in traurigen Zeiten hoffen.

___________ und England«, S. 12-139, in: Archiv XVII, 1925, S. 65-76 (Nr. 263), hier S. 75 (Summa II, chap. IV).

6. recreatio et moderatio: Ergebnisse für Struktur und Inhalt des Decameron Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits an einigen Stellen auf Affinitäten zwischen den Aussagen der Mediziner und den Resultaten heilkundlicher Forschung einerseits und der Decameron-Fiktion andererseits hingewiesen. Diese thematischen Übereinstimmungen sollen im folgenden näher beleuchtet werden. Dabei wird vor allem zu zeigen sein, inwieweit Boccaccio medizinische Erkenntnisse und gängige Gesundheitsregeln – die zu Pestzeiten ja auch bei der Bevölkerung ›hoch im Kurs‹ standen – zu Strukturmomenten seines Werkes machte und auf diese Weise seinem literarischen Projekt zu Erfolg verhalf.

a) …pervenne la mortifera pestilenza Dec. I, Intr. 8 Hatte Boccaccio im Proemio verheißungsvoll angekündigt »cento novelle, o favole o parabole o istorie […] e alcune canzonette […] cantate al lor diletto« schreiben zu wollen, so freut sich der Leser zunächst vergebens. Es erwarten ihn nämlich keine zum Lachen reizenden Geschichten und schönen Lieder, sondern stattdessen erst einmal »la dolorosa ricordazione della pestifera mortalità trapassata«.1 Boccaccios Begründung für diesen Auftakt: questo orrido cominciamento vi fia non altramenti che a’ camminanti una montagna aspra e erta, presso alla quale un bellissimo piano e dilettevole sia reposto, il quale tanto più viene lor piacevole quanto maggiore è stata del salire e dello smontare la gravezza2

___________ 1 2

Dec. I, Intr. 2. Dec. I, Intr. 4/5.

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6. recreatio et moderatio

mag zwar auf stilistischer Ebene eine Berechtigung haben3, rechtfertigt jedoch in keiner Weise die Wahl des Themas. An Möglichkeiten zur Gestaltung eines »orrido cominciamento« wird es einem geübten Autor wie Boccaccio wohl kaum gemangelt haben. Warum aber wählt er ausdrücklich die Pestepidemie zum Ausgangspunkt? Wenn man bedenkt, daß die Krankheit seit dem ersten verheerenden Sommer 1348 über Jahrhunderte in regelmäßigen Abständen wieder aufflackerte und Stadt und Umland gleichermaßen entvölkerte4 – den Zeitgenossen Boccaccios ebenso wie einem Großteil seiner späteren Leserschaft also auf traurige Weise präsent war – ist leicht vorstellbar, daß die Reaktion auf eine fiktionale Verarbeitung der Geschehnisse eher ein genervtes »nicht schon wieder« als ein erfreutes »ja, so ist es gewesen, das habe ich auch gefühlt« gewesen ist. Kein guter Ausgangspunkt für einen literarischen Erfolg! Boccaccio nimmt diese negativen Stimmen jedoch in Kauf, weil er in der Darstellung der chaotischen Verhältnisse des Florentiner Pestsommers eine Möglichkeit sieht, den in den Novellen immer wieder thematisierten Konflikt von fortuna und umana industria5 auch in der Lebenswelt seiner Zeitgenossen sinnvoll zu verankern. Der pestbedingte Ausnahmezustand, der sich bei Boccaccio vorrangig im Zerbrechen sozialer Beziehungen manifestiert, dient ihm als Grundlage für einen Appell an seine Leser, sich nicht einfach in eine Situation ___________ 3 Es sei an dieser Stelle an die bereits zitierte ›Komödien‹-Definition erinnert. Durch die Ungewißheit, ob die brigata nach ihrer Rückkehr überlebt oder nicht, scheint jedoch das nötige gaudium am Ende zu fehlen. Da die Wendung zum positiven aber bereits während des Landaufenthaltes stattfindet (Cf. dazu Kap. 6. b) – der erfreuliche Ausgang also allenfalls in Frage gestellt wird – ist die Interpretation des Decameron als comedia umana im Gegensatz zur Divina Comedia Dantes durchaus gerechtfertigt (Cf. V. Branca: Boccaccio medievale, Florenz 1956, S. 23 [Branca/Boccaccio] sowie W. Wehle: »Der Tod, das Leben und die Kunst – Boccaccios Decameron oder der Triumph der Sprache«, in: A. Borst e. a. (Hg.): Tod im Mittelalter. Konstanz 21995, S. 221-260, hier S. 228 [Wehle, in: Borst e. a.]. 4 Cf. G. Beckmann: »Europa und die große Pest 1348-1720«, in: C. Keim (Hrsg.): Eine Zeit großer Traurigkeit. Die Pest und ihre Auswirkungen. Marburg 1987, S. 11-72, hier S. 11/12. 5 Besonders die Geschichten des dritten (»si ragiona [...] di qui alcuna cosa molto desiderata con industria acquistasse o la perduta recuperasse«; Dec. III, Intr. 1), sechsten (»si ragiona di chi con alcun leggiadro motto, tentato, si riscotesse, o con pronta risposta o avvedimento fuggì perdita o pericolo o scorno«; Dec. VI, Intr. 1) wie auch des siebten (»si ragiona delle beffe, le quali o per amore o per salvamento di loro le donne hanno già fatte a’i suoi mariti […]«; Dec. VII, Intr. 1) und achten Tages (»si ragiona delle beffe che tutto il giorno o donna a uomo o uomo a donna o l’uno uomo all’altro si fanno«; Dec. VIII, Intr. 1) zeigen die menschliche Fähigkeit, durch persönliches Engagement der fortuna die Stirn zu bieten und durch industria, ingeniosità und abilità, die von Boccaccio synonym verwendet werden (Cf. Branca, Anm. zu Dec. II, Concl. 9), eine Veränderung herbeizuführen. Darüber hinaus steht diese Fähigkeit auch im Mittelpunkt einiger Novellen der Tage mit freier Themenwahl (Cf. z. B. I, 3; I, 6; IX, 1, IX, 3; IX, 5; IX, 8). Zur Bedeutung der umana industria im Gesamtkontext des Werkes cf. Elwert, S. 223; 229, zur fortuna-Konzeption cf. F. Tateo: Boccaccio. Rom, Bari 1998, S. 178f. [Tateo].

a) …pervenne la mortifera pestilenza Dec. I, Intr. 8

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zu fügen, sondern darauf zu reagieren. Der Dichter zeichnet die Pestepidemie folgerichtig in erster Linie als »dramma umano«6: Die Vernachlässigung der Kranken sogar durch ihre Familienmitglieder, die Veränderung und letztendliche Abschaffung der Totenklage und der Beerdigungsriten sowie das rücksichtslose Verhalten einiger Florentiner Bürger, die sich auf Kosten anderer ein ›angenehmes‹ Leben machten7, stehen deshalb im Mittelpunkt seiner Beschreibung. Der Pestursache hingegen widmet Boccaccio nur einige wenige Zeilen: la quale per operazion de’corpi superiori o per le nostre inique opere, da giusta ira di Dio a nostra correzione mandata sopra i mortali.8

Während er hier zunächst noch beide Erklärungsmöglichkeiten unkommentiert nebeneinander stehen läßt, deutet er die Pest an anderer Stelle als göttliches Strafgericht: Non curando d’alcuna cosa se non di sé, assai e uomini e donne abbandonarono la propria città […] e cercarono l’altrui o almeno il lor contado, quasi l’ira di Dio a punire le iniquità degli uomini con quella pistolenza non dovere fossero procedesse, ma solamente a coloro opprimere li quali dentro alle mura della lor città si trovassero.9

Der ironische Unterton dieser Zeilen macht jedoch deutlich, daß es sich hier eher um eine eventuelle Kritik an der Gutgläubigkeit der Menschen als um eine Herzensentscheidung des Autors handelt.10 Wenn dem so wäre, hätte dieser den Aktivitäten von kirchlicher Seite sicher mehr Beachtung geschenkt. Aber christliche Morallehre und Lebensgestaltung nehmen in der Pestbeschreibung Boccaccios einen bemerkenswert geringen Raum ein. Bußprediger und Flagel___________ 6 A. Tenenti: »La rappresentazione della morte di massa nel Decameron«, in: Borst, S. 209-219, hier S. 217 [Tenenti, in: Borst e. a. ]. 7 Cf. Dec. I, Intr. I, 27/28 (Vernachlässigung der Familie – Der Gebrauch des Verbs ›schifare‹ (= disgusto, disprezzo, Zingarelli, Lemma schifare, ebenso Branca, Anm. 4 zu Dec. I, Intr. 27) anstelle des neutralen ›evitare‹ oder ›fuggire‹ macht die negative Bewertung dieses Verhaltens seitens des Autors deutlich); Dec. I, Intr. 32-34 (Beerdigungsriten – Auch hier steht der Zerfall der sozialen Bande im Vordergrund. Zu den ›üblichen‹ Riten, die das Sterben, die Totenwache und schließlich die Beerdigung in geregelte Bahnen lenkten, cf. N. Ohler: Sterben und Tod im Mittelalter. Düsseldorf 32003, insbesondere S. 60ff); Dec. I, Intr. 21/22 (Verhalten der Bürger). 8 Dec. I, Intr. 8. Die von Boccaccio angeführten Pestursachen decken sich ebenso wie die anderen von ihm angesprochenen Themen in Inhalt und Tenor im wesentlichen mit den Aussagen der Autoren anderer Pestberichte in Chroniken und fiktionaler Literatur. Einen Überblick über Differenzen und Gemeinsamkeiten bei Inhalt und Darstellungsmodus bieten Branca/Boccaccio (S. 209-213; Vergleich des Pestberichts von Boccaccio und Paulus Diaconus, dessen Darstellung der sogenannten Justinianischen Pest des sechsten Jahrhunderts in der Historia Langobardorum als Orientierungsvorlage Boccaccios angesehen wird.), Grimm sowie Bergdolt/Quellen (beide passim). 9 Dec. I, Intr. 25. 10 Cf. Tenenti, in: Borst e. a., S. 210.

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6. recreatio et moderatio

lantenzüge11 werden mit keinem Wort erwähnt, und auch die von zahlreichen Chronisten angeprangerte Pflichtvergessenheit der Seelsorger fehlt.12 Als Grund für diese ›Vernachlässigung‹ des kirchlichen Sektors läßt sich kaum mangelnde Kenntnis anführen – die Bemühungen waren zudem wohl kaum zu übersehen – sondern vielmehr die Tatsache, daß die zeittypische, vor allen von den Domenikanern angemahnte Umkehr und Weltverachtung nicht mit der von Boccaccio intendierten Botschaft in Einklang zu bringen war.13 Seinen besten Ausdruck findet diese Unvereinbarkeit im gleichfalls von Mitgliedern des Predigerordens14 in Auftrag gegebenen Trionfo della Morte von Pisa. Das Fresko schmückte vor seiner Zerstörung im 20. Jahrhundert eine Mauer des Camposanto15, wo es an der Stätte des Todes die noch Lebenden zur contemptus mundi mahnte: Hier wie dort eine lieta brigata – heiter sitzen zehn junge Leute beisammen, in beiden Fällen sind es sieben Damen und drei Herren, die miteinander musizieren und scherzen. Jedoch: das Fresko wurde bereits um 1336 von Buonamico di Cristofano, genannt Buffalmacco (?)16 gestaltet und entbehrt ___________ 11

Während die Bußprediger von der Kanzel und auf Marktplätzen die Menschen zur Umkehr mahnten, ihr Ruf aber oft ungehört verhallte, waren die Geißler – Menschen, die den Aufruf zur Buße angenommen hatten – nicht zu übersehen. Die Flagellantenbewegung war bereits im 13. Jahrhundert besonders in Norditalien weit verbreitet, erreichte aber während der Pestepidemie einen ersten Höhepunkt (Cf. Bergdolt/Pest, S. 107). Die Problematik der Geißlerzüge, die in einem Nachvollzug der Passion Christi am eigenen Leib öffentliche und oft grausam anzusehene Bußübungen (Delumeau bezeichnet diese als »hysteriques et sanglantes errances des flagellants«; J. Delumeau: La peur en Occident. (XIVe-XVIIIe siècles) Une cité asssiégée. Paris 1978, S. 139. [Delumeau]) verrichteten, da sie das Weltende nahen sahen, bestand vor allem in der von ihnen heraufbeschworene kollektiven Angst, deren Aufkommen Obrigkeiten und Mediziner gleichermaßen zu unterdrücken suchten. Einen Überblick über die Entwicklung der Flagellantenbewegung und ihre Bedeutung für den Umgang der Menschen mit der Bedrohung durch die Pest bieten Bergdolt/Pest, S. 107-119 sowie Delumeau, S. 139-142. 12 Diesbezügliche Bemerkungen finden sich jedoch in zahlreichen Chroniken italienischer Städte. Während ein Chronist aus Parma nur sehr knapp festhält, daß: »furono [...] da’ Preti e Frati abbandonati gl’Infermi« (Historiae Parmensis Fragmenta ab Anno MCCCI usque ad Annum MCCCLV, auctore Fratre Johanne De Cornazanis, Ordinis Praedicatorum, latine primum, sed heic tantum Italice scripta, cum additamentis usque ad Annum MCCCCLXXIX, in: Muratori, Bd. XII, cc. 729-754, hier c. 746; äußert sich Agnolo di Tura, Chronist in Siena, sehr detailliert: »E così fu vero, che morì tante genti nel mese di Maggio, di Giugno, e di Luglio e d’Agosto, che non si trovava chi li volesse sopellire (sic!) per denari. Parentado, né amistà, ne Prete, ne Fratre andava con essi, né Offizio si diceva« (Chronica Sanense di Andrea Dei continuata da Agnolo di Tura dal Anno 1186 fino al 1352, in: Muratori, Bd. XV, cc. 11-294, hier c. 123). 13 Cf. Battaglia Ricci, S. 147. 14 Cf. Wehle, in: Borst e. a., S. 227. 15 Cf. Battaglia Ricci, Bildunterschrift fig. Ib (nicht paginierter Bildteil – tavole – nach S. 219). 16 Cf. Carini, S. 10, Battaglia Ricci, S. 12 und passim. Der Maler Buffalmacco gehört auch zum Novellenpersonal des Decameron (Cf. Dec. VIII, 3, 6, 9; IX, 3, 5), was darauf hindeutet, daß sich Boccaccio mit Künstler und Werk tatsächlich auseinandergesetzt hat.

a) …pervenne la mortifera pestilenza Dec. I, Intr. 8

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dementsprechend jeden Bezugs zur Pest. Boccaccios Werk entstand bekanntlich rund fünfzehn Jahre später, was bedeutet, daß hier nur eine unilaterale Beeinflussung vorliegen kann.

Was den Dichter dazu bewogen hat, die im Fresko vorgebildete brigata in dieser Weise zu übernehmen, ist wohl das Verhältnis zwischen eben jener Personengruppe und dem Tod, hier dargestellt als schwarz gekleidete, geflügelte Frau mit Sense.17 Auch wenn diese ihre Todespfeile griffbereit hat und damit gerade auf diejenigen zielt, die im irdischen Leben über Reichtum und Ansehen verfügten – allem Anschein nach auch die Damen und Herren im Garten – schenken diese dem drohenden Tod keinerlei Beachtung, da sie damit beschäftigt sind, ihr Leben zu feiern. Dieser Moment des ben vivere wird vom Dichter eingefangen. Was hier als Momentaufnahme erscheint, wird zum Ausgangspunkt18 des Decameron und in der Rahmenfiktion mit Leben gefüllt. Zwar fal___________ 17 Diese Darstellung des personifizierten Todes war im 14. Jahrhundert allgemein verbreitet (Cf. Battaglia Ricci, S. 114 sowie fig. 26-30). 18 Daß die dominikanische Auftragsarbeit tatsächlich als eine der Grundlagen der Novellensammlung fungiert, wird symbolisch durch die Ortswahl Boccaccios für das erste Zusammentreffen und den gemeinsamen Beschluß, die Stadt zu verlassen, verdeut-

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6. recreatio et moderatio

len die Lösungen unterschiedlich aus, dem Künstler des Camposanto und Boccaccio geht es dennoch um dasselbe: die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem (drohenden) Tod.19 Als Antwort des Dichters sei hier beispielhaft der Vorschlag Pampineas zitiert, die pestverseuchte Stadt zu verlassen: Donne mie care, voi potete, cose come io, molte volte avere udito che a niuna persona fa ingiuria chi onestamente usa la sua ragione. Natural ragione è di ciascuno che ci nasce, la sua vita, quando può, ajutare e conservare e difendere.[...] senza offesa d’alcuno, [...] per la conservazione della nostra vita prendere quegli rimedi che poi possiamo. […] E per ciò, acciò che noi, per ischifaltà o per traccutaggine non cadessimo in quello di che noi per avventura per alcuna maniera volendo potremmo scampare no so se a voi quello se ne parrà che a me ne parrebbe: io giudicherei ottimamente fatto che noi [...] di questa terra uscissimo, e fuggendo come la morte i disonesti esempli degli altri onestamente a’ nostri luoghi in contado [...] ce ne andassimo, e quivi quella festa, quella allegrezza, quello piacere che noi potessimo, senza trapassare in alcuno atto il segno della ragione prendessimo.20

Anstatt sich dem Schicksal zu ergeben, das hier in Gestalt des baldigen Pesttodes wohl durchaus vorhersehbar war, treffen die Damen und Herren Vorkehrungen, um diesem zwar nicht zu entrinnen, es aber in ihrem Sinne gefügig zu machen: angewandte industria! Das Verlassen der Stadt war gewiß die sicherste Maßnahme zur Rettung von Leib und Leben. Da jedoch nicht jeder in der Lage war, diese zu ergreifen – oder es vielleicht auch gar nicht wollte – richteten sich die Hoffnungen auf die Fachleute in Sachen Krankheit – denn als solche wurde die Pest bei aller Unsicherheit hinsichtlich ihrer Herkunft und Ursache allgemein verstanden – an die Mediziner. Die Betonung der Ratlosigkeit, mit der die Ärzte dem neuen Phänomen gegenüberstanden, gehört zu den inhaltlichen Konstanten fast aller mit dem Thema Pest befaßter Literatur. Daß die in diesen Aussagen mitschwingende Kritik am allgemein verbreiteten Unwissen einige Berechtigung hat, beweisen nicht nur der Text des bereits erwähnten Pariser Pestgutachtens, sondern auch manch von berühmter Hand geschriebenes Pestconsilium. So verfaßte zum Beispiel Gentile da Foligno – als die Epidemie schon erste Opfer gefordert hatte – für seine Genueser Kollegen einen Pestratschlag: ___________ licht (Cf. Dec. I, Intr. 49), galt Santa Maria Novella zu Lebzeiten Boccaccios doch als Hochburg der Gelehrsamkeit des Predigerordens (Cf. Wehle, in: Borst e. a., S. 232). 19 Cf. Wehle, in: Borst e. a., S. 232. 20 Dec. I, Intr. I, 53-55; 65/66. Zur Rede Pampineas im »segno della ragione«, cf. Surdich, S. 104f. Battaglia Ricci hat auf dieser Grundlage zur prägnanten Formel vom »ragionare nel giardino« gefunden, das sie entsprechend der oben dargelegten Opposition von kirchlicher und weltlicher Weltsicht dem »ragionare nella chiesa« gegenüberstellt (Battaglia Ricci, S. 95). Das ragionare im »segno della ragione« nimmt auch die von Boccaccio versprochenen »nuovi ragionamenti« wieder auf.

a) …pervenne la mortifera pestilenza Dec. I, Intr. 8

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Sed quia in speciali nescimus naturam veneni, credimus tam sanis quam infirmis esse conveniens, quod utantur tiriaca magna, super qua transiverit annus, et quandoque utantur metridato etiam annuali. Dosis tiriace sit a ii usque ad 3 bis aut semel aut ter in septimana21

Unkenntnis und Unsicherheit sprechen hier aus jeder Zeile.22 Verständlich also, daß die Menschen den Ärzten mit der Zeit immer weniger Vertrauen entgegenbrachten und sich auf eigene Erfahrungen stützten. Zu diesen gehörte dann auch die Erkenntnis, daß die Schrecken der Pest weitaus besser zu ertragen waren, wenn man nicht ständig an sie dachte, sondern durch Ablenkung für vorübergehende Heiterkeit und Entspannung sorgte. Auch Boccaccio thematisiert die problematische medizinische Versorgungslage: A cura delle quali infermità né consiglio di medico né virtu di medicina alcuna pareva che valesse o facesse profitto: Anzi, o che la natura del malore nol patisse, o che la ignoranza de’ medicanti (de’ quali, oltre al numero degli scienziati, così di femine come d’uomini senza avere alcuna dottrina di medicina avuta giammai, era il numero divenuto grandissimo) [...] non conoscesse da che si movesse e per conseguente, debito argumento non vi predesse.23

Wenn der Dichter hier die Unheilbarkeit der Krankheit oder die »ignoranza« als möglichen Grund für die ärztliche Hilflosigkeit angibt, spricht er die Mediziner in gewisser Weise vom Vorwurf der Unfähigkeit frei.24 Eine harsche Arztkritik oder Verurteilung der medizinischen ›Wissenschaft‹, wie sie dem Dichter oft unterstellt werden,25 wird dementsprechend im Decameron nicht ___________ 21

(Gentile da Foligno): Consilium primum magistri gentilis de pestilentia. – »Pestschriften IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Archiv V, 1912, S. 332333 (Nr. 31), hier S. 333. 22 Daß es sich hier nicht um ein Anfangsproblem handelt, beweist ein rund zwanzig Jahre später entstandenes Consilium von Giovanni Dondi: »Se fiat commotio in sanguine, fiat flebotomia de vena capitis vel de alia vena. […] Capiat omni die unam pillulam (i. e. pillulae contra pestillentiam) vel duas. […] Et semel in ebdomada capiatur de triaca optima in quantitate unius fabae parva« (Modus vivendi tempore pestilentiali – »Pestschriften IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Archiv V, 1912, S. 351-354 (Nr. 37), hier S. 352/353). Giovanni Dondi lehrte zunächst in Padua und war ab 1349 Leibarzt Karl IV. (Cf. Sudhoff: Einführung zu Nr. 37, S. 351/52). Auch hier wird nicht nur der gefährliche Aderlaß empfohlen, sondern auch das mittelalterliche ›Allheilmittel‹ Theriak (Zu den erwünschten Wirkungsweisen des Theriak cf. LexMa, Lemma Theriak). Die von Dondi vorgeschlagene Dosierung ist noch ebenso ungenau wie die seines älteren Kollegen. 23 Dec. I, Intr. 13. 24 Auch heutzutage würde man keinen Arzt für grundsätzlich unfähig erklären, wenn er eine nach momentanem Stand der Forschung als unheilbar geltende Krankheit nicht heilen kann. 25 Vgl. z. B. Flasch, S. 86-91, Tateo, S. 95 und erneut I. Albers: »Die Sprache des Körpers und die Sprache der Novelle. Boccaccio und Marguerite de Navarre«, in: Poeti-

6. recreatio et moderatio

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formuliert.26 Die nochmalige Wiederaufnahme des Themas ›Fähigkeiten der Ärzte‹ kurz vor Ende der Pestbeschreibung27 mag darauf hindeuten, daß die Fragen der Pesttherapie und Prophylaxe die Menschen trotz aller negativer Prognosen und Ängste stets interessiert hat.28 An dieser Stelle schließt sich der Kreis: Nur wenn die Pest als Krankheit nicht als Strafe Gottes angesehen wird, sondern als Schicksalschlag, gegen den es soweit wie es geht zu rebelllieren gilt, macht es Sinn, ein literarisches Werk auf ein medizinisches Fundament zu stellen. Nicht nur die Darstellung der Pest per se, sondern deren Konzeption als dramma umano ist also eine notwendige Voraussetzung für das dem Decameron inhärente Aufbegehren, das heißt in diesem Fall für den Wunsch nach Gesundheitserhaltung und -wiederherstellung, der das Verhalten der brigata im weiteren Verlauf des Werkes bestimmt.

b) Quella allegrezza e festa prendendo… Dec. I, Intr. 71 Auch wenn das Decameron heutzutage gemeinhin als Novellensammlung aufgefasst wird, der Schwerpunkt also eindeutig auf den Geschichten liegt, sollte man nicht vergessen, daß das Erzählen dieser Geschichten nur eine kurze Zeit des Tages ausfüllt und zudem erst auf Vorschlag Pampineas – allerdings gleich zu Beginn des Landaufenthaltes – als gemeinsamer Zeitvertreib akzeptiert wurde. Die versammelten sieben Damen wollen Florenz verlassen, um nicht länger mit Leid, Tod und amoralischem Verhalten einiger Mitbürger konfrontiert zu werden. Geeint in dem Wunsch »allegrezza e festa« zu suchen, treffen sie vor ihrer Abreise kaum Abmachungen hinsichtlich ihres zukünftigen Zusammenlebens. Einzig Filomena bremst den Eifer29 ihrer Kameradinnen: Ricordivi che noi siamo tutte femine, e non ce n’ha niuna sí fanciulla, che non possa ben conoscere come le femine sien ragionate insieme e senza la provedenza d’alcuno uomo si sappiano regolare. Noi siamo mobili, riottose, sospettose, pusillanime e paurose: per le quali cose io dubito forte, se noi alcuna altra guida non prendiamo che la

___________ ca 36, 2004, S. 72-118, hier S. 79 (mit Bezug auf Flasch). Die gegenteilige Meinung vertritt hingegen Wachinger, S. 19 (Anm. 59). 26 Der Autor stellt lediglich die Quacksalber in Frage. Das Portrait eines solchen zeichnet Boccaccio in Novelle VIII, 9 (Simone da Villa). 27 Dec. I, Intr. 48: »Quanti valorosi uomini, quante belle donne, quanti leggiadri giovani, li quali non che altri, ma Galieno, Ipocrate e Esculapio avrieno giudicati sanissimi, la mattina desinarono co’ lor parenti […] che poi la sera vegnente appresso nell’altro mondo cenaron con li lor passati.« 28 Cf. dazu Olson, S. 200. 29 Boccaccio macht die Begeisterung und den Tatendrang der Damen durch die Formulierung »levandosi da sedere, a mano a mano dovessero entrare in cammino« (Dec. I, Intr. 73) deutlich.

b) Quella allegrezza e festa prendendo… Dec. I, Intr. 71

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nostra, che questa compagnia non si dissolva troppo piú tosto e con meno onor di noi che non ci bisognerebbe: e per ciò è buono a proverderci avanti che cominciamo.30

In den Worten Filomenas schwingt die Angst mit, vom Regen in die Traufe zu kommen. Denn nichts ist anstrengender als gezwungenes Zusammenleben mit Personen, die untereinander zerstritten sind oder sich auf die Dauer schlicht ›auf die Nerven gehen‹. Sowohl ein vorzeitiges Auseinandergehen der Gruppe als auch ständige Querelen, wären jedoch in keiner Weise der Gesundheit zuträglich. Im ersten Fall würde dies nämlich eine Rückkehr nach Florenz bedeuten, wo eventuell die Pestgefahr andauert, im zweiten eine empfindliche Störung des Affekthaushaltes. Während ein verfrühtes Wiedereintreffen in Florenz und die eventuell nicht gebannte Kontagionsgsgefahr vor dem Landaufenthalt noch Besorgnis auslöst, scheint sich diese im Laufe der gemeinsam verlebten Tage zu verflüchtigen. Denn als Panfilo am Ende des zehnten Erzähltages vorschlägt, in die Stadt zurückzukehren, widerspricht ihm niemand (mehr).31 Dies deutet darauf hin, daß die Zeit auf dem Land die brigata nicht nur durch die räumliche Entfernung zu Florenz vor Ansteckung schützt, sondern auch deren innere Einstellung zu Krankheit und Tod verändern wird – ein Aspekt, den es bei der weiteren Betrachtung der brigata-Aktivitäten zu berücksichtigen gilt. Die Sorge Filomenas wird im folgenden von Elissa aufgegriffen. Auch sie ist der Meinung, daß das Leben in einer reinen Frauengemeinschaft problematisch sein kann: »senza l’ordine loro (i. e. degli uomini) rade volte riesce alcuna nostra opera a laudevole fine.«32 Entscheidendes Moment, das schließlich zur Integration der Männer führt, ist ein gefürchteter Mangel an »ordine«. Nicht nur das geäußerte Entsetzen ob der städtischen Ordnungslosigkeit – die ja ein Grund für das Verlassen von Florenz gewesen ist – sondern auch die später eingeführten – wohlgemerkt von einer Frau entwickelten – Regeln für die Dauer des Zusammenlebens der brigata, machen diesen Entschluß verständlich. Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Bewahrung der »ordine« ist das Einrichten des ›Königsamtes‹: Al continuar della nostra letizia, estimo che di necessità sia convenevole esser tra noi alcuno principale, nel quale noi e onoriamo e ubidiamo come maggiore, nel quale ogni pensiero stea di doverci a lietamente vivere disporre.33

Auch diese Idee geht wiederum auf einen Vorschlag Pampineas zurück. Hatte diese bereits den Anstoß zum Verlassen der Stadt gegeben, erweist sie sich auch zu Beginn des Landaufenthaltes als ›theoretischer Kopf‹ des Unterneh-

___________ 30

Dec. I, Intr. 74/75. Dec. X, Concl. 7. 32 Dec. I, Intr. 76. 33 Dec. I, Intr. 95. 31

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6. recreatio et moderatio

mens und wird folgerichtig von der brigata zur ersten reina gewählt.34 Dem König bzw. der Königin obliegt einerseits die Organisation der Dienerschaft35, andererseits die Strukturierung des Tages der zum Müßiggang verdammten brigata. Wenn die von Pampinea vorgeschlagene gemeinsame Tagesgestaltung – die ja keinesfalls notwendig wäre, die einzelnen brigata-Mitglieder könnten schließlich auch unabhängig voneinander in den Tag hineinleben – von allen anderen akzeptiert und später im wesentlichen übernommen wird36, verweist dies erneut auf den hohen Stellenwert der »ordine«. Bei der Präsentation ihrer Herrschaftsvorstellungen – »Acciò che […] la nostra compagnia con ordine e con piacere e senza alcuna vergogna vive e duri quanto a grado ne fia«37 – nennt Pampinea diese dann auch an erster Stelle. Die Verbindung mit dem Prinzip des »piacere« und dessen Herausstellung als weitere Maxime des Gemeinschaftslebens ergibt sich aus der inhärenten Gegenüberstellung von erlebter disordine und damit einhergehendem dispiacere, erfahren als Trauer, Krankheit und Tod. Diesem Prinzip gehorchend verbietet man nicht nur der Dienerschaft, von außen schlechte Nachrichten heranzutragen38, sondern richtet auch das gemeinschaftliche Leben darauf aus, ein größtmögliches Maß an »piacere« zu erreichen. Dabei kommt dem einschränkenden ›größtmöglich‹ eine entscheidende Rolle zu. Da Boccaccio nämlich die brigata-Mitglieder auf fiktionaler Ebene als Damen »di sangue nobile e bella di forma e ornata di costumi e di leggiadra onestà«39 und Herren »assai piacevole e costumato ciascuno«40 kennzeichnete, ___________ 34

Der Vorsitz wechselt jedoch Tag für Tag: »E acciò che ciascun pruovi il peso della sollicitudine insieme col piacere della maggioranza e, per conseguente da una parte d’altra tratti, non possa chi nol pruova invidia avere alcuna, dico che a ciascuno per un giorno s’attribuisca eil peso e l’onore« (Dec. I, Intr. 96) Auf diese Weise wird also Zorn und Mißgunst innerhalb der Gesellschaft vorgebeugt, was medizinisch gesehen der Vermeidung von accidentia animae gleichkommt. 35 Cf. z. B. Dec. I, Intr. 99/100. 36 Cf. Dec. I, Concl. 6-8 (Filomena); Dec. II, Concl. 8 (Neifile); Dec. III, Concl. 9 (Filostrato). An den folgenden Tagen wird das Festhalten an der mittlerweile erprobten Tagesgestaltung nicht mehr explizit erwähnt. Auf die Amtsübergabe durch Aufsetzen des Lorbeerkranzes folgt nur noch ein kurzes Gespräch mit dem zuständigen Diener (siniscalco) und die Verkündung des Erzählthemas für den neuen Tag. Bei einer Gesamtübersicht läßt sich jedoch feststellen, daß Rhythmisierung und Gestaltung der Tage nur wenig Veränderungen erfahren. Dies wird auch durch Formulierungen wie »agli usati diletti si diede« (Dec. IX; Concl. 6/7) oder »nella maniera usata« (Dec. IV, Intr. 45) deutlich. 37 Dec. I, Intr. 98. 38 Cf. Dec. I, Intr. 101. Einen ähnlichen Vorschlag, allerdings bezogen auf die eigenen traurigen Gedanken, hatte bereits Dioneo gemacht (Cf. Dec. I, Intr. 93). 39 Dec. I, Intr. 50. Das Bewahren der ›onestà‹ wird somit zu einer weiteren Maxime des Zusammenlebens der brigata. 40 Dec. I, Intr. 79.

b) Quella allegrezza e festa prendendo… Dec. I, Intr. 71

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wäre ein ›über die Stränge schlagen‹ in Form von unehrenhaftem Verhalten undenkbar und hätte dem Erfolg des Werkes mit Sicherheit geschadet. Die brigata wäre zudem kaum anders gewesen als die Gesellschaften, die der Autor selbst im Rahmen seiner Pestbeschreibung verurteilt hatte: E erano alcuni, li quali avvisavano che il viver moderatamente e il guardarsi d’ogni superfluità avesse molto a così fatto accidente resistere: e fatta lor brigata, da ogni altro separati viveano, e in quelle case ricogliendosi e rachiudendosi, dove niuno infermo fosse da viver meglio, dilicatissimi cibi e ottimi vini temperatissimamente usando e ogni lussuria fuggendo, senza lasciarsi parlare a alcuno o volere di fuori, di morte o d’infermi, alcuna novella sentire, con suoni e con quegli piaceri che aver poteano si dimoravano.41

Was die brigata der Rahmenerzählung von der im Zitat beschriebenen unterscheidet, ist vor allem die Ausgangssituation. Während Pampinea und ihre Gefährten nämlich niemanden in der Stadt zurücklassen42 und letztlich als Verlassene und Leidtragende der Krankheit selbsterhaltende Maßnahmen ergreifen, verbleibt die oben skizzierte Gruppe in der Stadt und verschließt egoistisch Augen und Türen vor dem Leid der anderen – ein Verhalten, das moralisch weitaus weniger zu billigen ist als das vorübergehende Verlassen der Stadt. Davon abgesehen weisen jedoch die Lebensformen beider Gesellschaften bemerkenswert viele Gemeinsamkeiten auf: Neben der Beachtung des moderatio-Prinzips beim Essen und Trinken43 und des Zeitvertreibs durch »suoni« ist hier vor allem die Abschottung gegenüber negativen Nachrichten zu nennen, die im Zeichen der accidentia animae den durch die Pesterfahrung angeschlagenen Affekthaushalt der brigata-Mitglieder wieder ins Gleichgewicht bringen soll. Zwar leben somit die brigate beide nach diätetischen Regeln – was einmal mehr die Selbstverständlichkeit derartiger Lebenweise beweist – Intention und Gestaltung von Landaufenthalt und Zeitvertreib Pampineas und ihrer Gefährten sind jedoch darüber hinaus auch moralisch einwandfrei und können somit Körper und Geist uneingeschränkt Erholung bieten. Moderatio wird hier zum medizinischen wie ethischen Prinzip: Bereits Aristoteles hatte diese als eine der Voraussetzungen von "    heraus-

___________ 41

Dec. I, Intr. 20/21. Von einem derartigen Verhalten einiger Bürger berichtet auch der Florentiner Chronist Matteo Villani: »E essendo cominciata nella nostra città di Firenze, fu biasimata da’ discreti la sperienza veduta di molti, i quali si providono, e rinchiusono in luoghi solitari, e di sana aria forniti e d’ogni buona cosa da vivere, ove non era sospetto di gente infetta.« ((M. Villani): Istorie di Matteo Villani, cittadino fiorentino, che continua quelle di Giovanni suo fratello, in: Muratori, Bd. XIV, cc. 9-728, hier c. 13 [Villani, in: Muratori]). 42 Dec. I, Intr. 69: »Noi non abbandoniam persona«. 43 Cf. z. B. Dec. I, Intr. 106.

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6. recreatio et moderatio

gestellt und innerhalb der recreatio animi verortet.44 Auch wenn die brigataMitglieder vereinzelt schallend lachen – dies jedoch meist als Reaktion auf die erzählten Novellen45 – herrscht im allgemeinen eine stets heitere46, aber niemals aus den Fugen geratene Stimmung vor.47 Dies mag im Rahmen der accidentia animae als Zeichen angewandter Affektbeherrschung zu werten sein, darüber hinaus entspricht es der Atmosphäre, kultivierten Scherzens, die Theoretiker des Lachens von Platon bis Thomas von Aquin für ein angenehmes menschliches Zusammenleben gefordert hatten. Selbstverständlich ist die Beachtung des moderatio-Gedankens nicht die einzige heilkundliche Maxime, die sich im Decameron-Rahmen wiedererkennen läßt. Hatte Pampinea als gewählte Königin des ersten Tages unter aller Zustimmung die gemeinsamen Tage zunächst theoretisch fundiert, wendet sie sich schließlich der praktischen Seite des Unternehmens zu:

___________ 44

Cf. dazu S. 48f. Modern ausgedrückt zeigt sich hier eine »firm distiction between orderly and disorderly pleasure, based ultimately on the ethical separation of proper recreation from improper play« (Olson, S. 179). 45 Cf. Marino, S. 43/44. Einen Überblick der Reaktionen auf die Novellen bietet zudem Arend, S. 183f. Neben dem Lachen ›ridere‹ sind die Verben ›commendare‹ und ›lodare‹ sowie die Wendung la »novella [...] piaciuta« gleichermaßen Indikatoren einer positiven Stimmung. Darüber hinaus sind sie natürlich als auktorialer Kommentar auch eine Verständnishilfe für den Leser. 46 Dies wird auch durch die häufige Verwendung des Adjektivs ›lieto/a‹ – insbesondere in der Verbindung »lieta brigata« – innerhalb des Rahmens unterstrichen. Zur Funktion der heiteren Stimmung als Folie der Novellen cf. Veglia, S. 190/191). Wenn Veglia hier in Anm. 27 (S. 190) jedoch »sorriso« als forma mentis des Decameron nennt, ist dies zumindest mißverständlich. Zwar erwähnt er im Fließtext das lateinische ›subrisus‹ (ebenda, S. 190), was auf ein Verständnis von ›sorriso‹ als ›geringes und deshalb andauerndes Lachen‹ hindeutet, macht diesen Unterschied aber nicht offenbar. Ein auch qualitativ von ›riso‹ unterschiedenes ›sorriso‹ enthält jedoch nichts von der der brigata innewohnenden Lebensfreude und würde dementsprechend die ansonsten schlüssige Interpretation Veglias konterkarieren. 47 Eine Ausnahme bildet hier die Conclusione des fünften Erzähltages (Dec. V, Concl. 8f). Von Elissa aufgefordert, eine »canzone« zu singen, stimmt Dioneo verschiedene Lieder an, wird jedoch nach der ersten Zeile stets gehindert fortzufahren und statt dessen aufgefordert, ein anderes zu singen. Die von Dioneo ausgewählten Texte sind »quelle che a que’ tempi si cantavano in su le feste e veglie a ballo« (Branca, Anm. 1 zu Dec. V, Concl. 8) und werden von den übrigen brigata-Mitglieder mit Lachen quittiert. Grund dieses Lachens ist wohl einerseits das unerwartete Aufblitzen von vergangenem Positiven in die so ganz andere Welt der brigata – das somit auch als Lachen aus Lebensfreude zu werten ist – andererseits die Situation zwischen Dioneo und Elissa, die den phantasievollen Sänger durch ihre ständigen Verbote immer mehr aufzustacheln scheint. Zur besonderen Rolle Dioneos cf. S. 259f.

b) Quella allegrezza e festa prendendo… Dec. I, Intr. 71

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Qui sono giardini, qui sono pratelli, qui altri luoghi dilettevoli assai, per li quali ciascuno a suo piacer sollazzando si vada; e come terza suona, ciascun qui sia, acciò che per lo fresco si mangi.48

In Anbetracht der Schönheit der Umgebung erscheint es der reina hier wohl unnötig, ihren Gefährten konkrete Vorschläge zum Zeitvertreib zu machen. Sie geht schlicht davon aus, daß die anderen – und letztlich auch sie selbst – von den gegebenen Möglichkeiten hinreichend zu profitieren wissen und die zur Verfügung stehende Zeit nicht etwa dazu ›nutzen‹, sich zurück zu ziehen und Trübsal zu blasen. Nimmt man an – und die einschlägige medizinische Literatur legt dies ja nahe –, daß »giardini«, »pratelli« und »altri luoghi dilettevoli« im Gegenteil den Menschen zu positiven Gedanken anregen, läßt sich die Aufforderung Pampienas vielmehr als ein Baustein der intendierten Melancholieund Liebeskrankheit-Therapie fassen. Aufgrund der großen Bedeutung, die blumenreichen Gärten, grüne Wiesen und Wasserläufen, also dem traditionellen Inventar eines locus amoenus, im Rahmen der Heilbehandlung dieser Krankheiten zukommt49, räumt Boccaccio der Beschreibung der Paläste und besonders der verschiedenen Gärten dann auch weiten Raum ein. Die Schönheit der ländlichen Umgebung im Gegensatz zur (pestverseuchten) Stadt wird von Pampinea bereits in Santa Maria Novella heraufbeschworen und als Argument zum Verlassen von Florenz herangezogen: Qui vi s’odono gli uccelletti cantare, veggionvisi verdeggiare i colli e le pianure, e i campi pieni di biade non altramenti ondeggiare che il mare, e d’alberi ben mille maniere e i cielo più apertamente […] l’aere assai più fresco.50

___________ 48 Dec. I, Intr. 102. Nach antiker Zählung, die auch noch zur Zeit Boccaccios im Gebrauch war, hatten Tag und Nacht jeweils zwölf Stunden, die (ungefähre) Uhrzeit wurde in Stunden seit dem Sonnenaufgang angegeben. Da die Sonne jedoch nicht täglich zur gleichen Zeit aufgeht, läßt sich eine exakte Äquivalenz zu den modernen Zeitangaben schwerlich ermitteln. Bei »la terza (ora)« handelt es sich auf jeden Fall um eine frühe Morgenstunde. 49 Cf. z. B. die diesbezüglichen Ausführungen Constantinus Africanus’ in De Melancholia, BD, S. 288 (Abhandlung, fol. 100a). Auch Agilonis empfiehlt Melancholie- und Liebeskranke in einer solchen Umgebung unterzubringen, um auf die Weise die Genesung zu unterstützen: »Tamen est necesse, ut anima eius iocundetur et letificetur, maneat in locus temperatis, humectetur aer domus eus spernendo odorifera, ut folia sacilis, vitis et mirre, rosos, violas (h)odoret« (Summa medicinalis, cap. VII, S. 104 (fol. 44r (a)). Arnald von Villanova, berühmter Arzt aus Montpellier und Verfasser der wohl umfangreichsten Abhandlung über die Liebeskrankheit (M. R. McVaugh, Introduction zu Arnaldi de Villanova: Tractatus de amore heroico. Edidit et praefatione et commentariis anglicis instruxit M. R. McVaugh (Opera medica omnia III) Barcelona 1985, S. 4-39, hier S. 33) betont ebenfalls die positive Wirkung von »viridaria seu prata virentia florum varietate« (Tractatus de amore heroico, cap. IV, S. 53/54 (fol. 106v). Der Herausgeber der Ausgabe gibt in seiner Introduction einen Überblick über Leben und Wirken des Arztes sowie über die medizinische Tradition der Liebeskrankheit. 50 Dec. I, Intr. 66/67.

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6. recreatio et moderatio

Auch hier deuten Vogelgesang und grüne Wiesen einen gesundheitsfördernden locus amoenus an. Die Hervorhebung der »aere assai più fresco« rekurriert auf die Berücksichtigung des aer als einem der sex res non naturales. Auch bei der Beschreibung der Landhäuser und Gärten51 sowie des Valle delle donne52 verwendet der Autor im wesentlichen dieselben Mittel zur Kennzeichnung der Orte als loci amoeni53, die die an Melancholie oder an unglücklicher Liebe leidenden brigata-Mitglieder von ihrer Krankheit genesen lassen. Auf diese Weise macht der Autor nicht nur auf der Ebene der Fiktion Gesundung und heitere Stimmung plausibel, sondern bietet darüber hinaus dem Leser die Möglichkeit, aus der Lektüre der entsprechenden Passagen gleichermaßen Nutzen zu ziehen. Wenn Pampinea nach dem gemeinsamen Mahl ihre Gefährten auffordert, zu den Instrumenten zu greifen, um mit ihnen gemeinsam zu musizieren und zu singen54, gibt sie den Anstoß für einen weiteren therapeutisch sinnvollen Zeitvertreib. Auf die grundsätzlich gesundheitsfördernde Wirkung von Musik wurde bereits hinreichend verwiesen, Arnald von Villanova erwähnt zudem explizit deren positiven Einfluß auf das Gemüt von Liebeskranken.55 Da Boccaccio Pampinea und ihre Gefährten nicht nur jeden Erzähltag mit Tanz und Gesang beschließen56, sondern sie auch darüber hinaus – ob nun mit allen gemeinsam ___________ 51

Cf. Dec. I, Intr. 90/91 (Aufenthaltsort der brigata am ersten und zweiten Erzähltag) sowie Dec. III, Intr. 5f (Quartier der Damen und Herren vom dritten bis sechsten und achten bis zehnten Erzähltag. Den siebten Tag verbringen sie im Valle delle donne.). Die brigata wechselt ihren Aufenthaltsort, um eine Störung der Harmonie und Konflikte durch hinzukommende Personen von vornherein auszuschließen – eine weitere Maßnahme unter dem Vorzeichen der accidentia animae. 52 Dec. VI, Concl. 19f. 53 Die Ausgestaltung dieser Lustorte war immer wieder Gegenstand literaturwissenschaftlicher Analysen. Sowohl Branca/Boccaccio (S. 15f) als auch Marino (S. 79-121) und in neuerer Zeit Surdich (S. 109f) und Wehle (Wehle, in: Borst e. a. S. 241f) betonen zudem, daß die zunehmende Schönheit und Realitätsferne der besuchten Gärten und des valle delle donne die affektive Entfernung der brigata von Florenz und die Veränderung der Einstellung gegenüber Krankheit und Tod symbolisieren. 54 Dec. I, Intr. 107/108. 55 Tractatus de amore heroico, cap. IV, S. 54 (fol. 106v): »etiam musicalium cantuum seu instrumentorum suavitas«. Arnald von Villanova hatte bereits in seinen allgemeiner gehaltenen, an Avicenna orientierten Regeln der Gesundheit (um 1311) auf die positive Wirkung von Vokal- und Instrumentalmusik verwiesen: »Man sol auch gen tzu den besten fruden und do seytenspyl se und da man wol singe, wen seytenspyl brenget/dye freud wyder« (Arnald von Villanova: Regel der Gesundheit, in: P. Strauss: Arnald von Villanova deutsch unter besonderer Berücksichtigung der »Regel der Gesundheit«. Heidelberg 1963, cap. LXXIX, S. 152 (fol. 167r/v). Strauss gibt zudem Hinweise zu Aufbau und Druckgeschichte des Werkes sowie zum (möglichen) Verbleib des lateinischen Originals). 56 Das Singen und Musizieren am Abend kann zudem, wie z. B. von Maimonides und im Tacuinum sanitatis dargelegt, die Vorrausetzung für ruhigen Nachtschlaf schaffen. Die besondere Bedeutung des ›Abendprogramms‹ streicht auch J. Cerquiglini-Toulet heraus: »Les raisons en sont d’ordre hygiéniques: préserver la qualité du sommeil et son

b) Quella allegrezza e festa prendendo… Dec. I, Intr. 71

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oder nur in einer Kleingruppe – immer mal wieder musizieren, tanzen und singen läßt, steht zu vermuten, daß der Dichter von der heilenden Wirkung von Musik überzeugt war und diese im allopathischen Heilmittel Decameron folgerichtig einen hohen Stellenwert einnimmt.57 Das ebenfalls auf Vorschlag der Königin eingeführte Geschichtenerzählen ist dementsprechend nur ein weiterer, wenn auch entscheidender Baustein der Therapie von Melancholie und amor ereos. 58 Nach Musik und Tanz zieht sich die brigata in südländischer Manier zum Mittagsschlaf59 zurück. Das Ende der Ruhepause wird erneut von der reina bestimmt: Non era di molto spazio suonata nona, che la reina levatasi tutte l’altre fece levare e similmente i giovani, affermando esser nocivo il troppo dormire il giorno,60

die den Gefährten im Anschluß daran ihre Vorschläge zur Nachmittagsgestaltung unterbreitet: Come voi vedete, il sole è alto e il caldo è grande […] per che l’andare al presente in alcun luogo sarebbe senza dubbio sciocchezza. Qui è bello è fresco stare, e hacci, come voi vedete, e tavolierie scacchieri, e puote ciascuno, secondo che all’ animo gli è più di piacere, diletto pigliare. Ma se in questo il mio parer si seguisse, non giucando, nel quale l’animo dell’una delle parti convien che si turbi senza troppo piacere dell’altra o di chi sta a vedere, ma novellando (il che può porgere, dicendo uno, a tutta la compagnia che ascolta diletto) questa calda giornata passeremo.61

___________ pouvoir restaurateur.« (J. Cerquiglini-Toulet : »Le loisir et le concept de »récréation« à la fin du Moyen Âge«, in: J.-M. André,. e. a. (Hg.): Les loisirs et l’héritage de la culture classique. Actes du XIIIe Congrès de l’Association Guillaume Budé (Dijon, 27-31 août 1993). Brüssel 1996, S. 503-512, hier S. 506. Cerquiglini-Toulet gewann ihre Ergebnisse vornehmlich durch die Analyse der Werke von Christin de Pizan). 57 Es wäre schließlich ebenso möglich gewesen, die Tätigkeiten der brigata, mit Ausnahme des Novellenerzählens, gar nicht näher zu bestimmen, wie es Boccaccio an manchen Stellen ja auch getan hat (Cf. z. B. Dec. I, Intr. 112: »e potremo dove più a grado vi fia andare prendendo diletto […] ciascuno infino all’ora del vespro quello faccia che più gli piaceva«; Dec. V, Intr. 3: »per lo dilettevole giardino infino all’ora del mangiare si diporatono«). 58 Cf. M. Picone: »Gioco e/o letteratura. Per una lettura ludica del Decameron«, in: Centro Pio Rajna (ed.): Passare il tempo – La letteratura de gioco e dell’intrattenimento dal XII al XVI secolo. Atti del Convegno di Pienza, 10-14 settembre 1991, 2 Bde, Rom 1993, Bd.I, S. 105-127, hier S. 114 [Picone, in: Centro Pio Rajna]. 59 Diese mittägliche Ruhepause wird jedoch nicht immer zum Schlafen, sondern gelegentlich auch zu ruhigem Spiel genutzt (Cf. z. B. Dec. III, Intr. 14). Eine ähnliche Gestaltung der meridiana requies empfahl auch Benedikt. 60 Dec. I, Intr. 109. Wenn Boccaccio hier eine der Standardaussagen mittelalterlicher Regiminaliteratur (Cf. Gil Sotres, in: Grmek, S. 337f) aufnimmt, zeigt sich erneut, wie sehr ihm derlei Maximen tatsächlich präsent waren. 61 Dec. I, Intr. 110-112.

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6. recreatio et moderatio

Pampinea argumentiert hier für das Novellenerzählen und gegen jede Form des Spiels, da sie davon ausgeht, daß durch letzteres der Affekthaushalt von Spieler und Zuschauer durch Freude, Zorn und Neid gestört werden könnte. Die unbeteiligten Betrachter könnten sich zudem langweilen und ihren eigenen – nicht unbedingt positiven – Gedanken nachhängen, was dem seelischen Gleichgewicht ebenfalls schaden würde. Da man sich dieser Problematik auch in medizinischen Fachkreisen bewußt war, wurden die gesundheitlichen Gefahren des Spiels in einschlägiger Literatur thematisiert: Ludus per se immutat corpus speciebus exercitii et accidentibus animi, scilicet delectatione, tristitia, ira, et studio, sicut in ludo scacorum et alearum et omnem quidem ludum quem sequitur amissio seu lucrum concomitatur timor aut spes et sequuntur letitia vel tristitia. Quod si tantummodo ad victoriam fiat in quo rerum amissio non timetur, nihilominus indignatio atque displicentia victum conturbant.62

Wenn sich die brigata-Mitglieder also für das Reihum-Erzählen von Novellen entscheiden, ist dieser Entschluß gewissermaßen diätetisch motiviert, da er sich gegen gesundheitsgefährdende und für gesundheitserhaltene Freizeitgestaltung richtet. Es bleibt jedoch festzuhalten, daß es sich bei der hier erfolgten Ablehnung gemeinsamen Spiels nicht um eine Grundsatzentscheidung handelt, im Gegenteil: die brigata-Mitglieder verbringen ihre Zeit oft mit Spielen63, eine Beschäftigung, die seitens der Theoretiker der recreatio animi ja durchaus anerkannt war. Das Geschichtenerzählen ist vielmehr die bessere, da unproblematische Lösung, von der nicht nur zur selben Zeit alle versammelten Damen und Herren profitieren können, sondern – und das ist für das literarische Projekt Boccaccios entscheidend – auch der zeitgenössische wie moderne Leser. Pampinea leitet ihre Vorstellung des Nachmittagsprogramms mit dem Hinweis auf die Zeit der größten Hitze ein, merkt aber sofort an, daß man am von ihr gewählten Sammlungsort davon kaum etwas bemerken würde. Aufgrund dieser sehr guten klimatischen Bedingungen wäre es der brigata also grundsätzlich möglich, jeder ihrer ohnehin nicht körperlich anstrengenden Aktivitäten nachzugehen. Warum also diese forcierte Gemeinsamkeit am Nachmittag, warum das Bemühen, ausgerechnet zu dieser Tageszeit eine Beschäftigung zu finden, die allen brigata-Mitglieder gleichermaßen ›diletto‹ bietet? Grund dafür ist die im Mittelalter weit verbreitete Meinung, daß die Melancholie am Nach___________ 62 Arnaldi de Villanova: De intentione medicorum. Edidit et praefatione et commentariis anglicis instruxit M. R. McVaugh (Opera medica omnia V), Barcelona 1989, cap. LXXXV, fol. 32. Ludus gehört zum von Arnald entwickelten Kanon sekundärer res non naturales, deren Beachtung wesentlich zur Gesundheitserhaltung und Wiederherstellung beitragen kann (Cf. cap. XIII, fol. 4). Zum Kanon Arnalds und besonders zu dessen Ausführungen in bezug auf die Formen des ludus cf. Olson, S. 42; 180. 63 Cf. z. B. Dec. III, Intr. 15; Dec. VI, Concl. 17. Dabei handelt es sich meist um Brettspiele wie Schach, Dame usw.

b) Quella allegrezza e festa prendendo… Dec. I, Intr. 71

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mittag am stärksten ist.64 Indem Boccaccio das Reihum-Erzählen zu dieser Tageszeit stattfinden läßt, kennzeichnet er das Erzählen als wirksamste therapeutische Maßnahme und rechtfertigt auf diese Weise sein Novellenwerk. Als letzte medizinisch motivierte Betätigung der brigata ist das Baden65 zu nennen: E il sabato appresso usanza è delle donne di lavarsi la testa, di tor via ogni polvere, ogni sucidume che per la fatica di tutta la passata settimana sopravenuta fosse66

Auch wenn hier nur von »lavarsi la testa« die Rede ist, steht zu vermuten, daß man sich an diesem Tag gründlich der Körperpflege widmete,67 eine auch im Kanon der sex res non naturales verankerte gesundheitsfördernde Maßnahme. Ein weiteres Bad nehmen die Damen und Herren der brigata – allerdings nach Geschlechtern getrennt – im valle delle donne. Das Baden der Damen wird detailliert geschildert und steht auch stellvertretend für jenes der Herren68: E comandato alla lor fante che sopra la via per la quale quivi s’entrava dimorasse e guardasse se alcun venisse e loro il facesse sentire, tutte e sette si spogliarono e entrarono in esso, il quale non altramenti li lor corpi candidi nascondeva che farebbe una vermiglia rosa un sottil vetro. Le quali essendo in quello, né per ciò alcuna turbazion d’acqua nascendone, cominciarono come potevano a andare in qua in là di dietro a pesci, i quali male avevan dove nascondersi, e a volerne con esso le mani pigliare. E poi che in cosi fatta festa, avendone preso alcuni […] uscite di quello si rivestirono.69

___________ 64

Cf. Schema Herrlinger, S. 194. Daß Bäder bei der Melancholiebehandlung eingesetzt werden sollten, empfahl bereits Alexander Trallianus: »Wenn irgend etwas, so ist der Gebrauch von SüsswasserBäder (sic!) für die Kranken von Nutzen, weil sich dadurch die Galle einerseits vertheilt, wie es geschehen muß, und andererseits eine Menge Flüssigkeit in sich aufnimmt.« (Erstes Buch S. 602). Arnald von Villanova rät den Liebeskranken ebenfalls ein »balneum temperatum« einzunehmen (Tractatus de amore heroico, cap. IV, S. 53 (fol. 106r). 66 Dec. II, Concl. 6. Diese Sitte ist zusammen mit dem Brauch, am Freitag und Samstag Abstinenz zu halten, Grund genug dafür, an diesem wie auch am folgenden Freitag und Sonnabend (Cf. Dec. VII, Concl. 16) die Tagesgestaltung zu ändern und keine Novellen zu erzählen. Wenn man bedenkt, wie ›gefährlich‹ diese Entscheidung gewesen ist – hatte die brigata an diesen beiden freien Tagen doch alle Möglichkeit, in Traurigkeit zu versinken – so wird einmal mehr deutlich, in welchem Maße der Autor darauf bedacht war, seine Leser nicht zu verärgern, in dem er regionale oder religiöse Gebräuche mißachtete. Ein offensichtliches Ignorieren der Fasttage hätte zudem Kritik von kirchlicher Seite herausgefordert. 67 Die Sitte, den Samstag der Körperpflege und damit auch dem Baden vorzubehalten war im Abendland bis in die Neuzeit weit verbreitet (Cf. G. Stolz: Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur. Folge und Ausdruck historischen Körperverständnisses. Marburg 1992, S. 101/102). 68 Dec. VI, Concl. 37: »E poi che bagnati si furono e rivestiti«. 69 Dec. VI, Concl. 30-32. 65

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6. recreatio et moderatio

Boccaccio inszeniert dieses Bad jedoch nicht in erster Linie aufgrund seiner therapeutischen Funktion. Wichtiger ist hier der symbolische Gehalt. Das Bad der Damen ist ein Zeichen (wiedererwachter) Lebensfreude: Fern von den Blicken der Männer und somit ohne jeden erotischen Hintergedanken70 genießen die Sieben ihren Körper und ihr Mensch-Sein. Die Damen tauchen jedoch nur bis zur Brust, also bis zum Herzen, in den See als Ort des sinnlichen Vergnügens, der Kopf und damit der Sitz der »ragione« bleibt davon unberührt.71 Geringe Tiefe und Klarheit72 des Wassers verdeutlichen symbolisch, daß es sich auch hier um ein ›ehrenhaftes‹ Vergnügen handelt, bei dem sich die Gefährtinnen trotz aller Ausgelassenheit ihrer besonderen Lage bewußt sind. Das bedeutet jedoch nicht, daß diese Situation sie belastet. Im Gegenteil: Die Erfahrung, sich in der Ausnahmesituation des valle delle donne uneingeschränkt des Lebens und der Gemeinschaft gefreut zu haben, trägt die brigata auch in der Folgezeit.73 Die Episode läßt sich somit als weitere Etappe der allmählichen Veränderung der Einstellung der brigata gegenüber Krankheit und Tod lesen. Eine erste Bestätigung der Wirksamkeit des Landaufenthaltes und der getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Melancholie und Liebeskrankheit findet sich zu Beginn des neunten Erzähltages: Emilia levatasi fece le sue compagne e i giovani parimente chiamare; li quali venuti e appresso alli lenti passi della reina avviatisi, infino a un boschetto […] se n’andarono, e per quello entrati, videro gli animali […], quasi sicuri da’cacciatori per la soprastante pistolenzia, non altrimenti aspettargli che se senza tema o dimentichi fossero divenuti. […] Essi eran tutti di frondi di quercia inghirlandati, con le man piene o d’erbe odorifere o di fiori; e chi scontrati gli avesse, niuna altra cosa avrebbe potuto dire se non: ›O costor non saranno dalla morte vinti o ella gli uccidera lieti’74

Novellen, Musik und das Vermeiden jeder Betrübnis und Störung der Harmonie haben ihre Schuldigkeit getan, durch sie gestärkt gehen die Damen und Herren aus dem gemeinsamen Abenteuer siegreich – und deshalb eichenbe___________ 70 Daß der Szene dennoch eine erotische Atmosphäre anhaftet, die jedoch nicht so sehr von den badenden Damen, sondern vielmehr vom Leser erfahren wird, mag vom Autor durchaus intendiert sein. Er erinnert auf diese Weise die »donne racchiuse«, denen das Werk ja vorrangig gewidmet ist, an den positiven Wert ihres Körpers und thematisiert somit eines der in den Novellen mehrfach behandelten Motive – die Natürlichkeit der menschlichen Sexualität – auch in der Rahmenfiktion (Cf. dazu T. Foster Gittes: »Boccaccios ›Valley of Woman‹: Fetishized Foreplay in Decameron VI«, in: Italica 76/II (1999), S. 147-174, hier insbesondere S. 167/168). 71 Cf. Wehle, in: Borst e. a., S. 242. 72 Cf. Dec. VI; Concl. 27. »Ed era questo larghetto non più profondo che sia una statura d’uomo infino al petto lunga; e senza avere in sé mistura alcuna«. 73 Es ist anzunehmen, daß den Männern beim Baden eine ähnliche Erfahrung zuteil wurde. Durch das Zusammenführen der beiden Teilgemeinschaften im valle delle donne am darauffolgenden Tag wird die alte brigata-Gemeinschaft wieder hergestellt. 74 Dec. IX, Intr. 2-4.

c) Rallegrare con alcuna novella da ridere… Dec. I, Concl. 14

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kränzt75 – hervor. Unsicher bleibt, ob die brigata nach der Rückkehr in die eventuell immer noch pestverseuchte Stadt dem Tod wird entrinnen können, sicher hingegen, daß sie durch das »psychohygienisch-psychotherapeutische Unternehmen«76 Landaufenthalt kommenden Schrecknissen furchtlos entgegensehen und damit positiv gestimmt an »loro futura vita«77 glauben können.78 Wenn Boccaccio es hier ›wagt‹, die »pistolenzia« offen anzusprechen und mit den »erbe odorifere« auch ein vielverwendetes Mittel gegen die Krankheit zu erwähnen, verweist dies erneut auf die Doppelbödigkeit des Decameron. Durch die Lektüre des Werkes gleichermaßen gestärkt wie die brigata erscheint die Erinnerung der Leser an die Schrecken der Krankheit dem Autor nun wieder durchaus zumutbar.

c) Rallegrare con alcuna novella da ridere…

Dec. I, Concl. 14

Am Ende des ersten Erzähltages nennt Filomena, gerade von Pampinea zur Königin des zweiten Erzähltages ernannt, das Thema, von dem die Novellen des darauffolgenden Tages zu handeln haben. Während dieser Vorschlag bei den anderen Damen und Herren auf uneingeschränkte Zustimmung stößt, bittet Dioneo um einen Sonderstatus: Ma di spezial grazia vi cheggio un dono, il quale voglio che mi sia confermato per infino a tanto che la nostra compagnia durerà, il quale è questo: ch’io a questa legge non sia costretto di dover dire novella secondo la proposta data, se io non vorrò, ma qual più di dire mi piacerà. E acciò che alcun non creda che io questa grazia voglia sí come uomo che delle novelle non abbia alle mani, infino da ora son contento d’esser sempre l’ultimo che ragioni.79

Eine problematische Anfrage? Grundsätzlich schon, denn besonders die letzte Geschichte des Tages bleibt im Gedächtnis haften und kann somit die Stimmung des weiteren Abends durchaus prägen. Da aber gerade Dioneo als »sollazevole uomo e festevole«80 bekannt ist, läßt sich vermuten, daß die tägliche Erzählrunde durch ihn stets einen positiven, wenn nicht zum Lachen reizenden

___________ 75

Cf. dazu Wehle, in: Borst e. a., S. 246. Wachinger, S. 28. 77 Dec. X, Intr. 3. 78 H.-J. Neuschäfer verkennt diese Entwicklung, wenn er die erzählten Geschichten in Hinblick auf das Problem des Rahmens als »nutzlos« bezeichnet und die Novellen als »zweckfreie Kunst« charakterisiert (Cf. H.-J. Neuschäfer: Boccaccio und der Beginn der Novelle. Strukturen der Kurzerzählung auf der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit. München 1969, S. 129 [Neuschäfer]). 79 Dec. I, Concl. 13. 80 Dec. I, Concl. 14. 76

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6. recreatio et moderatio

Schluß erhält.81 Läßt man Themen und Tenor der Novellen einmal Revue passieren, wird schnell deutlich, daß an manchen Tagen eine angenehme Abschlußgeschichte auch dringend notwendig ist, wenn herrschende Hamonie und piacere nicht gestört werden sollen. Dies gilt besonders für den vierten Tag, an dem re Filostrato verkündet: E per ciò non d’altra materia domane mi piace che si ragioni se non di quello che a’ miei fatti è più conforme, cioè di coloro li cui amori ebbero infelice fine.82

Dieses Tagesthema widerspricht zum einen dem grundsätzlichen Vorsatz, negative Gedanken nicht zuzulassen, zum anderen werden unglücklich Verliebte hier an ihr eigenes Leid erinnert, was dem Prinzip des allopathischen Heilmittels zuwiderläuft. Hier mag man einwenden, daß Liebeskranke auch Geschichten über glückliche Liebe nicht gerne hören, da ihnen auf diese Weise schmerzlich bewußt wird, was sie entbehren müssen.83 Da aber die Mehrzahl derartiger Novellen eine zum Lachen reizende Grundstimmung hat, wiegt diese eventuelle negative Gedanken einzelner auf.84 Da Boccaccio zudem die brigata als harmonische Gemeinschaft konzipiert hat, deren Mitglieder in bezug auf die gewünschte Wirkung des Landaufenthaltes alle ›an einem Strang ziehen‹, wäre er wenig konsequent, würde er die Damen und Herren mehrheitlich traurig stimmende Novellen erzählen lassen. Während also die Mehrzahl der brigataMitglieder Geschichten wählt, deren Tenor sich aus der heiter-positiven Stimmung des gemeinsamen Lebens ergibt, besetzen Filostrato und Dioneo sachlich und rhetorisch notwendige Extrempositionen. Bestrebt, alle Facetten menschlichen Lebens aufzuspüren und exemplarisch in den Novellen greifbar zu machen85, kommt Boccaccio trotz aller Rücksicht auf drohende malinconia nicht umhin, auch negative oder in der Regel von der Gesellschaft negierte Aspekte in seine Sammlung mitaufzunehmen. Filostrato, ___________ 81

Mehr noch: Wenn Boccaccio Filomena in diesem Zusammenhang sogar den Terminus »rallegrare« (Dec. I, Concl. 14) in den Mund legt, spricht er den Geschichten Dioneos damit explizit rekreative Wirkung zu. 82 Dec. III, Concl. 6. Auch die oft sehr langen und handlungsintensiven Novellen des zweiten, dritten und fünften Erzähltages können den Zuhörer oder Leser auf die Dauer anstrengen und ermüden. Ein ›Feuerwerk‹ am Ende läßt dies aber schnell vergessen. 83 Auf diesen Sachverhalt hatte bereits Ovid in den Remedia amoris eindrücklich hingewiesen: »At tanti tibi sit non indulgere theatris/dum bene de vacuo pectore credat amor. […] Eloquar invitus: teneros ne tange poetas/Summoveo dotes ipse meas« (Ovide (i. e. P. Ovidius Naso): Les Remèdes d’amour (Remedia amoris), in: Ovide: Les amours, suivis de L’art d’aimer, Les Remèdes d’amour, De la manière de soigner le visage féminin. Lt./frç. Traduction nouvelle. Introduction, notes et texte établis par E. Ripert, Paris 1957, S. 300-347, Vv. 751/752, 756-758). 84 Cf. Picone, in: Centro Pio Rajna, S. 121. 85 Cf. P. M. Forni: »Realtà/Verità«, in SSB XXII (1994), S. 236-256, hier S. 238 sowie P. M. Forni: »Retorica del reale«, in: SSB XVII (1988), S. 183-202. Der Autor spricht hier treffend von »realismo exemplare« (S. 184).

c) Rallegrare con alcuna novella da ridere… Dec. I, Concl. 14

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bekannt aus dem gleichnamigen Jugendwerk des Autors86, ist als Prototyp des unglücklich Liebenden deutlich stärker individualisiert als die meisten anderen brigata-Mitglieder und vertritt eben jene dunkle Seite der Leidenschaft, wohingegen Dioneo, dessen gleichsam sprechender Name deutlich auf seine Passion verweist87, den Part der erotisch-sinnlichen, aber von der Gesellschaft oft mit Tabus belegten Liebe verficht.88 Rhetorisch gesehen dient die Figur Dioneos vor allem der variatio. Diese manifestiert sich gerade in der disordine, hervorgerufen durch den von ihm gewünschten Sonderstatus, der mit der sonst herrschenden ordine kontrastiert und sie auf diese Weise letztlich bestätigt.89 Da es sich bei der vorliegenden disordine gewissermaßen um eine disordine ordinata handelt, die durch die Regel, stets die letzte Geschichte zu erzählen, Struktur erhält, tritt der Moment des Unerwarteten gegenüber der Verfremdung traditioneller Sachverhalte deutlich zurück. Die Themen der Erzähltage und der einzelnen Novellen sind also keinesfalls zufällig aneinandergefügt, ihre Reihenfolge ergibt sich vielmehr aus dem Zusammenspiel von rhetorischen, medizinischen und sachlichen Überlegungen des Autors. Dabei zeigt sich nicht nur eine Abstimmung der zehn x zehn Geschichten untereinander, sondern auch eine enge Verzahnung mit der Rahmenfiktion. Diese wird besonders durch die Ballung der zum Lachen reizenden Geschichten am siebten bis neunten Erzähltag offenbar; die die bereits konstatierte Veränderung in der Haltung der brigata gegenüber Krankheit und Tod widerspiegelt. Am deutlichsten wird dies in den Erzählungen des neunten Tages, für den die Königin Emilia kein Thema vorgegeben hatte90, die brigatamitglieder aber allesamt von beffe und facetie berichten. Die positive und gleichsam hoffnungsvolle Stimmung des morgendlichen Waldspaziergangs wirkt hier offensichtlich nach. Vorstehende Analyse hat die enge Verzahnung von zeitgenössischem medizinischen Wissen und Boccaccios Novellenwerk offenbart. Auch wenn der Autor mit der Konzeption des cornice einschlägige Hinweise aus Pestconsilia und ___________ 86 Cf. S. 214, Anm. 235, 237. Boccaccio erklärt den Namen Filostrato etymologisch falsch als »vinto e abbatutto d’ amore«, cf. Filostrato, Titelerläuterung des Autors. 87 Dioneo geht auf den Namen Dione, Mutter der Aphrodite/Venus zurück. Cf. dazu Branca, Anm. 7 zu Dec. I, Intr. 79. 88 Diese ›Zuständigkeit‹ Dioneos, aber auch Inhalt und Tenor der von ihm erzählten Novellen, lassen ihn als alter ego des Autors erscheinen (Cf. Surdich, S. 194; Tateo, S. 168). 89 Cf. Neuschäfer, S. 126, ähnlich Arend, S. 135. Da die selbst etablierte ordine nicht von außen aufoktroyiert, sondern selbst gegeben und von allen anerkannt wurde, ist der ›Querschläger‹ Dioneo und mit ihm das Lachen als traditioneller Indikator von Ordnungslosigkeit selbstverständlicher Bestandteil dieser Ordnung, die demzufolge nicht aus den Fugen gerät. 90 Dec. VIII, Concl. 5: »voglio che ciascuno secondo che gli piace ragioni«.

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Regiminaliteratur umzusetzen scheint, wäre die Annahme verfehlt, der Autor habe bei der Abfassung des Werkes derartige Schriften vor Augen gehabt und Punkt für Punkt realisiert. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß das generelle Interesse an heilkundlichen Fragestellungen – wechselseitig bedingt durch den allmählichen Aufschwung der Medizin an den Universitäten und den Ausbruch der Pest – zur Zeit der Abfassung des Decameron in Teilen der Bevölkerung weit verbreitet war und deshalb Boccaccio einen hervorragenden Ausgangspunkt für sein literarisches Projekt bot. Indem er den allgemeinen Trend aufnimmt, schreibt der Autor sein Werk ›in den Augenblick hinein‹ und gibt in Zeiten des mal vivere eine Anleitung zum ben vivere. Wie im folgenden zu zeigen sein wird, formuliert Boccaccio, der von Cicero in De inventione geprägten Maxime folgend, nach der eloquentia und sapientia notwendig zusammengehören,91 diese Lebenslehre in dichterisch geformter Sprache, die den Ansprüchen humanistischer Gelehrsamkeit ebenso entgegenkommt wie dem schlichten Wunsch mancher Leser nach angenehmer, vergnüglicher Unterhaltung.

___________ 91 Cf. De Inv. I, 1: »Sapientiam sine eloquentia parum prodesse civitatitbus, eloquentiam vero sine sapientia nimium obesse plerumque, prodesse numquam«.

7. Das Decameron − zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare Welche Maßnahmen muß man als ambitionierter Autor im 14. Jahrhundert ergreifen, um mit einer Sammlung meist vergnüglicher Geschichten, deren hauptsächliches Ziel die Aufmunterung trauriger Damen ist, zudem noch in volgare geschrieben, erfolgreich zu sein? Welche formalen und inhaltlichen Forderungen sind zu berücksichtigen, um einem Werk bei einer breiten und heterogenen Leserschaft Anerkennung zu verschaffen? Diese oder ähnliche Fragen wird sich wohl auch Boccaccio gestellt haben, als er sich mit dem Gedanken trug, eine Sammlung von Kurzerzählungen herauszugeben. Im Bewußtsein der Problematik, den sehr unterschiedlichen Ansprüchen all seiner potentiellen Leser gleichermaßen gerecht zu werden, stellt er seine Sammlung von Kurzerzählungen in den Dienst zweier menschlicher Grundbedürfnisse – des Lachens und damit verbunden der Gesunderhaltung. Wohl wissend, daß zum Lachen reizende ›Unterhaltungsliteratur‹ in humanistischen Gelehrtenkreisen keinen guten Ruf genießt, konzipiert er sein Werk auf eine Weise, die derart gesinnten Kritikern von vornherein den Wind aus den Segeln nimmt, aber auch dem Laien die Freude an der Lektüre bewahrt.

a) Rhetorische Finessen – antik und zeitgenössisch Wie schon in Hinblick auf das Proemio dargelegt, orientierte sich Boccaccio bei der Abfassung des Decameron an geltenden rhetorischen Richtlinien. Dies wird im Großen – also in der Konstruktion des Gesamtwerks – wie im Kleinen – in Syntax und Lexik – gleichermaßen deutlich. Anhand von Boccaccios Umgang mit Stillehre und cursus zeigt sich beispielhaft, wie der Dichter antike Werke einschließlich moderner volgarizzamenti ebenso rezipiert wie zeitgenössische Poetiken und Briefsteller und sich auf diese Weise als ›moderner‹ fundiert ausgebildeter Dichter mit humanistischem Interesse an den antiken Quelltexten auszeichnet. Es wird bei der Lektüre der Novellensammlung schnell deutlich, daß sich deren einzelne Abschnitte sprachlich voneinander unterscheiden. Proemio und Conclusione, die Rahmenerzählung, die einleitenden Worte der Erzähler zur bevorstehenden Geschichte, aber auch manche Novellen ähneln in ihrer syntaktischen Gestaltung lateinischen Kunstprosatexten: lange Satzperioden mit einer Fülle von Nebensätzen verschiedener Ordnung, Einschübe, Parallelismen und Infinitivsätze nach klassisch lateinischem Muster – die Lektüre dieser Passagen

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7. ... zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare

hat sicher auch manch zeitgenössischem Leser einige Schwierigkeiten bereitet. Und damit nicht genug, auch in bezug auf die Lexik bieten diese Texte eine Fülle von wenig geläufigen Wörtern und Gedankenfiguren, die es zu entschlüsseln gilt. Wie anders dagegen die Sprache der meisten Novellen: Auch hier werden zwar gelegentlich Metaphern eingesetzt, kurze Sätze, Dialoge und Dialektismen rücken die hier verwendete Prosa aber deutlich in die Nähe der allgemein verständlichen Alltagssprache. Rhetorisch gesehen unterscheiden sich die beiden Schreibarten also hinsichtlich des ornatus in verbis singulis und coniunctis. Diese Qualität gedanklicher oder sprachlicher exornatio galt seit der Antike als Stilmerkmal: Sunt [...] tria genera, quae genera nos figuras appellamus, in quibus omnis oratio non vitiosa consumitur: unam gravem, alteram mediocrem, tertiam extenuatam vocamus. Gravis est, quae constat ex verborum gravium magna et ornata constructione; mediocris est, quae constat ex humiliore, neque tamen ex infima et pervulgatissima verborum dignitate; attenuata est, quae demissa est usque ad usitatissimam puri consuetudinem sermonis.1

Im volgarizzamento dieser Textpassage wird jedoch auch die materia als unterscheidendes Merkmal angeführt: E asegnane [i. e. de favella ornamento] i savi tre modi: il primaio è dito grave, il secondo è deto mezano, il terzo è dito minore. Grave è detta quella favella la cu’ materia è di gran fato; e à in sé ornate parole e belle sentenzie, sian proprie o per similitudine dete. Mezana è dita quella favella la cui materia no è così alta, e non à in sé tanti ornamenti. Minore è deta quella favella la cu’ materia è de vil cosa, e dicesi co’ un rasonamento che si fa tra le genti.2

Eine derartige Berücksichtung des Inhalts war im 13. Jahrhundert gang und gäbe, der Verfasser des Fiore paßt seinen Text also gewissermaßen der gängigen Lehrtradition an. Diese hatte – mit Augustinus als Vermittler – auf der Basis der Aussagen Ciceros im Orator und späterhin vor allem anhand der Terminologie der Vergilkommentatoren3 ein System entwickelt, das eine eindeutige Zuordnung von Stil und Erzählstoff vorsah: •

Parisana Poetria: Item sunt tres stili secundum tres status hominum. Pastorali vite convenit stilus humilis, agricolis mediocris, gravis gravibus personis, que presunt pastoribus et agricolis. Pastores divicias inveniunt in animalibus,

___________ 1 Rhet. ad Her. IV, 11. Cf. zu weiteren antiken Aussagen zu den genera dicendi cf. F. Quadlbauer: Die antike Theorie der genera dicendi im lateinischen Mittelalter. Wien 1962, S. 7/8 [Quadlbauer]. 2 Fiore, Redazione , III, 3-6. Der Herausgeber des Fiore di Rettorica weist jedoch darauf hin, daß der Text der Redazione  möglicherweise nicht von Giamboni stammt, gibt aber auch keinen alternativen Verfasser an. Die Fasssung Giambonis entstand wohl zwischen 1258 und 1266, die Redazione  eventuell einige Jahre früher (Cf. Speroni, Introduzione, zu Fiore, S. XV). 3 Hier sind vor allem Donat und in dessen Nachfolge Servius zu nennen. Eine detaillierte Darstellung dieser hier nur grob skizzierten Entwicklung bietet Faral/Arts Poétiques, S. 86ff sowie Quadlbauer, S. 9-17.

a) Rhetorische Finessen – antik und zeitgenössisch

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agricole illas adaugent terram excolendo, principes vero possident eas inferioribus donando. Secundum has tres personas Virgilius tria composuit opera: Bucolica, Georgica, Eneyda.4 • Documentum: Sunt igitur tre styli, humilis, mediocris grandiloquus. Et tales recipiunt appellationes styli ratione personarium vel rerum de quibus fit tractatus. Quando enim de generalibus personis vel rebus tractatur, tunc est stylus grandiloquus, quando de humilibus, humilis, quando de mediocribus, mediocris. Quolibet stylo utitur Virgilius: in Bucolicis humili, in Georgicis mediocri, in Eneyde grandiloquo.5

Die Konzeption der Rahmenfiktion des Decameron, insbesondere die Kennzeichnung der brigata-Mitglieder als »di sangue nobile« und »costumato ciascuno« basiert also nicht nur auf moralischen Überlegungen. Um in sein Werk alle drei Stillagen integrieren zu können und somit den Ansprüchen seiner verschiedenen Zielgruppen an ernstzunehmende bzw. angenehme Lektüre gerecht zu werden, benötigt der Dichter diese materia – die es im stylus gravis zu behandeln galt – als Pendant zu einem Großteil der Novellen, deren Personal und thematische Ausrichtung ein Schreiben im stilus mediocris oder humilis geboten.6 Darüber hinaus gibt es selbstverständlich auch Geschichten – inbesondere die der ersten fünf sowie des zehnten Erzähltages, die gleichermaßen Passagen in hoher Stillage enthalten. Eine strikte stilistische Trennung von Rahmenfiktion und Autorenrede einerseits und Novellen andererseits ist somit nicht gegeben.7 Die alternierenden Wechsel der Stillagen und die Integration von Abschnitten im genus gravis in die Novellentexte unterstützen vielmehr die vom Autor auf inhaltlicher Ebene bereits geleistete enge Verknüpfung beider Ebenen. Bei aller Orientierung an den zeitgenössischen Richtlinien scheint Boccaccio in bezug auf die Dreistillehre aber vor allem der Maxime Ciceros im neuent___________ 4 Parisiana Poetria V, 45-51. De Garlandia stellt dieses Modell der genera dicendi als rota Vergilii auch graphisch dar (Abbildung im Anschluß an die zitierten Verse sowie – in Tabellenform – bei Quadlbauer, S. 114). Zu weiteren Stillehren dieser Art cf. Faral/Arts Poétiques, S. 86ff und passim. 5 Geoffrey de Vinsauf: Documentum de modo et arte versificandi et dictandi, in: Faral/Arts Poétiques, S. 265-320, hier II, 3, 145 [Documentum, in: Faral/Arts Poétiques]. Das Documentum ist ein Prosatraktat, das zwar dem Text der Poetria Nova sehr nahe steht, aber weit weniger verbreitet war als diese. Der Begriff stylus grandiloquus entstand im Rahmen der Bologneser Schultradition, der gängigere Ausdruck stylus gravis/sublime geht hingegen auf die Vergilkommentare zurück (Cf. Quadlbauer, S. 128). 6 Dies gilt insbesondere für Erzählungen, die zum Lachen reizende Elemente bereithalten: So sind hilare und acutum dicendi genus, die durch urbanitas und intellektuelle Verfremdung den Rezipienten zum Nachdenken anregen und ihn somit zum »Gedankenkomplizen« des Autors machen – Verfahren, derer sich Boccaccio insbesondere in den Novellen des sechsten Tages bedient – beispielsweise Variationen des stylus mediocris (Cf. Lausberg, § 166, 5/6). 7 Cf. Elwert, S. 231.

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deckten De oratore zu folgen: »His tribus figuris, insidere quidam venustatis non fuco inlitus, sed sanguine diffusus debet color«8 – keine sklavische Beachtung der Regeln also, sondern virtuoser Umgang mit den sprachlichen Möglichkeiten.9 Gewarnt durch die Reaktion der ersten Leser auf Inhalt und Form mancher bereits im Vorwege publizierter Novellen, eröffnet der Dichter seine Sammlung mit im genus gravis verfaßten Passagen, hoffend, daß auf dieser ›gelehrten‹ Folie Sprache und Inhalt der Novellen eher toleriert, wenn nicht sogar positiv aufgenommen werden. Der Kunst der »ornate parole e belle sentenzie« hatten sich seit dem 13. Jahrhundert auch die Verfasser von Briefstellern und Handbüchern zur ars dictaminis verschrieben.10 Aufgrund der hierarchischen Struktur der Dreistillehre fand diese unter den Autoren derartiger Schriften zahlreiche Anhänger. Zunächst auf die Abfassung von Geschäfts- und Gesellschaftsbriefen zugeschnitten, entwickelte man für Adressaten unterschiedlichen gesellschaftlichen Standes beispielsweise hinsichtlich salutatio und ornatus genaue Vorgaben11, die ___________ 8

De orat. III, 199. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß neben der Dreistillehre noch ein binäres System existierte, in dem sich ornatus facilis und ornatus difficilis gegenüberstanden (Cf dazu Tilliette, S. 120). Kennzeichen des ersten ist der Gebrauch von colores, des zweiten der Einsatz von tropi. Geoffrey de Vinsauf (Cf. Poetria Nova, in: Faral/Arts Poétiques, IV, Vv. 737-1093 (ornatus difficilis); IV; Vv. 1094-1760 (ornatus facilis); Documentum, in: Faral/Arts Poétiques, II, 3, 1-131) stellt es ebenso wie de Garlandia (Cf. Parisiana Poetria II, 44-146 (Ars de difficili ornatu); II, 147-210 (De facili ornatu)) ausführlich vor. Auch wenn die Adjektive facilis und difficilis eine hierarchische Ordnung der beiden Formen suggerieren, waren diese nach mittelalterlichem Verständnis gleichberechtigt. Eine Zuordnung von ornatus difficilis zum stylus gravis sowie von ornatus facilis zum stylus mediocris oder humilis gab es nicht (Cf. Lawler, note zu Parisiana Poetria II, 46: »Complex embellishment seems not to be connected with the high style, the latter is chiefly a function of subject matter and diction, the former of linguistic devices. That is one can deal with low subject, choosing words appropriate to the low style, if the words are tropes, that is ornatus difficilis, but it is low style.«). Die Metapher beispielsweise, die in den Novellen oft zur Umschreibung von Geschlechtsteilen oder des Beischlafs verwendet wird (Cf. z. B. Dec. III, 10; V, 4; VIII, 2; IX; 10), figuriert unter den tropi, gehört also zum ornatus difficilis. 10 Cf. H. M. Schaller: »Dichtungslehren und Briefsteller«, in: Weimar, S. 249-271. Die Kunst des guten Prosastils hatte sich seit dem 13. Jahrhundert durch die notwendig gewordende »Rationalisierung des Schriftverkehrs« (S. 263) in den Universitäts- und Handelsstädten Oberitaliens – namentlich Genua und Bologna – entwickelt. Dort unterrichteten auch die bekanntesten Lehrer auf diesem Gebiet wie z. B. Bene da Firenze (Bene Florentini, Candelabrum, um 1230), Boncompagno da Signa (Rhetorica antiqua, um 1220, Il Boncompagno, 1226), Guido Faba (Guidonis Fabae Dictamina Rhetorica, um 1240) oder Antonio da Tempo (Summa artis Rithmici Vugaris Dictaminis, um 1332). Ihre Werke bestanden meist aus einer kurzen theoretischen Einführung und zahlreichen Musterbriefen. 11 Cf. Quadlbauer, S. 57f. Eine Darstellung der Dreistillehre mit deutlicher Bezugnahme auf die ars dictandi bietet Bene da Firenze im Candelabrum: »Generales ergo figure dictaminum tres dicuntur, que stili etiam nuncupantur, scilicet humilis, mediocris, 9

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gleichermaßen auf Prosatexte anwendbar waren. Als solche konnten sie also auch Boccaccio als Richtschnur dienen. Der Dichter hatte diese im Rahmen seiner rhetorischen Ausbildung in Neapel kennengelernt und bereits in seinen Jugendwerken mehrfach angewandt.12 Besonders deutlich zeigt sich dies im Umgang mit dem cursus, der zu Lebzeiten des Dichters in aller Munde war und dessen Beherrschen gewissermaßen ›zum guten Ton‹ gehörte.13 Als rhythmischer Satzschluß ist der mittelalterliche cursus letztlich eine Vereinfachung der klassisch-lateinischen clausulae14 und wird dementsprechend auch nur in dieser Form in den Werken antiker Autoren thematisiert und verwendet. Tatsächlich war der cursus in seiner damals üblichen Form so stark von den Gepflogenheiten der päpstlichen Kurie und schließlich den Autoren der dictamina-Literatur geprägt und (neu)interpretiert worden,15 daß die Beachtung diesbezüglicher Regeln zwar als Beweis von Kenntnissen zeitgenössischer Rhetorik, nicht aber als Reminiszenz an die Antikenbegeisterung gewertet werden kann.16 In welcher Weise sich der Dichter nun des cursus bediente, wird an den Zeilen des Proemio beispielhaft deutlich: Umana cosa è aver passione ágli aflítti (planus); e come che a ciascuna persona stea bene, a coloro è massimaménte richésto (planus) li quali già hanno di conforto avúto mestíere (planus), e hannol trováto in alcúni (planus): fra quali, se alcuno mai n’ébbe

___________ et sublimis. Humilis est illa que usque ad usitatissimam puri sermonis consuetudinem est demissa, ut in Evangeliis et Sacra Scriptura sepe videmus. At mediocris censetur que constat ex altiore neque tamen ex summa et hornatissima dignitate verborum, ut in epistolis Paulis et elegis Ovidianis. Sublimis ex magna et hornata verborum constructione conficitur, ut in Gregorii Moralibus et Lucano« ((Bene da Firenze): Bene Florentini Candelabrum. A cura di G. C. Alessio, Padua 1983, I, 6, 2-5 [Candelabrum]). Interessanterweise nimmt Bene da Firenze keinerlei Bezug auf die Werke Vergils. Eine Zuordnung von stilus und materia nimmt er – wie an der Exemplifizierung von stilus humilis und mediocris an den Schriften der Bibel ersichtlich – nicht vor. 12 Cf. E. G. Parodi: Lingua e Letteratura. Studi di Teoria Linguistica e di Storia dell’italiano antico. A cura di G. Folena con un saggio introduttivo di Alfredo Schiaffini. Parte II: Lingua, stile e cultura in Dante, Petrarca, Boccaccio. Venedig 1957, S. 474/475 sowie Branca/Boccaccio, S. 30; 127ff. 13 Cf. G. Lindholm: Studien zum mittellateinischen Prosarhythmus. Seine Entwicklung und sein Abklingen in der Briefliteratur Italiens. Stockholm 1963, S. 13ff [Lindholm]. 14 Cf. Lausberg, §§ 461/462, sowie Lindholm, S. 7/8. Bei den clausulae sind die Silbenquantitäten aller Wörter eines Satzes von Bedeutung, beim cursus nur die Wortakzente und Wortgrenzen der letzten beiden Wörter einer Periode. Zu den verschiedenen cursus – velox, planus, tardus (oder ecclesiasticus) sowie di- und trispondiacus – cf. Hist. Wört. der Rhetorik, Lemma cursus (A). 15 Cf. Lindholm, S. 15/16. 16 Bester Beweis für die relative Unbeliebtheit des cursus in Humanistenkreisen ist wohl die Tatsache, daß es im 15. Jahrhundert im Rahmen einer forcierten Beschäftigung mit der Antike und den klassischen Stilidealen zur Wiederentdeckung eben jener ›alten‹ clausulae und zum Bruch mit der cursus-Tradition kam, was zu einem deutlichen Rückgang von dessen Verwendung führte (Cf. Lindholm, S. 200/201).

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bisógno (planus) o gli fu caro o già ne ricevétte piacére (planus), io sono úno di quégli (planus).17

Er schert sich wenig um die Vorlieben der Rhetoriker! Anstatt sein Werk mit einer Periode von cursus velox zu beginnen, der von den Autoren einhellig als elegantester Verssschluß gelobt und empfohlen wurde,18 – was den auf diesem Gebiet versierten Leser von vornherein positiv gestimmt hätte – eröffnet er die Sammlung mit eben jener Passage von Perioden mit cursus planus, weil dieser dem Abschnitt den feierlichen, würdigen Ton verleiht, den Boccaccio für nötig erachtete, um die von ihm intendierte Botschaft anzubringen. Wenn man bedenkt, daß zu Lebzeiten des Autors zudem grundsätzlich mit lauter Stimme gelesen wurde – und es gerade Sinn des cursus ist, einen Text für den Leser bzw. Hörer angenehm(er) zu gestalten19 – wird deutlich, daß es wesentlich von der Wahl des Satzschlusses abhängt, ob Stimmung und Inhalt angemesseen transportiert werden oder nicht. Es ist also nur verständlich, wenn Boccaccio hier der speziellen Situation im Werk Vorrang gegenüber den Bestimmungen einräumt, zumal diese für eine andere Textgattung und Sprache entwickelt wurden.20 Der Dichter hält sich also nicht sklavisch an die geltenden Richtlinien, sondern wägt ab, ob deren Beachtung in der jeweiligen Situation sinnvoll ist oder nicht und findet gegebenenfalls eigene Lösungen. Im Decameron bedient er sich der Vorgaben der dictamina-Literatur nur noch als Handwerkszeug, sie sind »le métier à côté du génie«21, wie es Faral treffend formulierte. Boccaccio erweist sich somit als recht unabhängiger Dichter,22 der sein Werk zwar formal ___________ 17 Dec. Proemio, 2/3. Angaben zum cursus-Gebrauch von mir (Cf. Branca/Boccaccio, S. 33. Branca führt in Kapitel II »Strutture della prosa […]« für eine Fülle weiterer Textpassagen ähnliche Analysen durch.). 18 Cf. Lindholm, S. 20. 19 »Appositio, que dicitur esse artificiosa dictionum structura, ideo a quibusdam cursus vocatur, quia cum artificialiter dictionis locantur, currere sonitu delectabili per aures videntur cum beneplacito auditorum.« (Boncompagno da Signa: Rhetorica antiqua, in: F. Arese. e. a. (Hg.): Le origini. Testi latini, italiani, provenzali e franco-italiani. La letteratura italiana, Storia e testi. Bd. I, Verona 1956, S. 741-759, II, XXIV [Arese]). 20 Daß die ursprünglich für lateinisch geschriebene Texte entwickelten Regeln auch in Werken in volgare Anwendung finden konnten, wurde seit Mitte des 13. Jahrhunderts zum allgemeinen Konsens (Cf. Hist. Wört. der Rhetorik, Lemma cursus (II)). 21 E. Faral: »L’orientation actuelle des études relatives au latin médiéval«, in: Révue des études latines I (1923), S. 20-38, hier S. 26. 22 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch Lindholm bei ihrer Untersuchung von Boccaccios cursus Gebrauch in dessen vor 1350 verfaßten lateinischen Briefen. Auch hier verwendet der Dichter vorrangig den bei den dictatores wenig beliebten cursus tardus und planus, selten hingegen den empfohlenen cursus velox (Lindholm, S. 110-124). Wenn die Autorin daraus jedoch folgert: »Man (könne) bei Boccaccio, was die Bildung rhythmischer Satzschlüsse betrifft, [...] keinen Zusammenhang mit den mittelalterlichen Diktatoren und auch nicht mit vorhergehenden Schriftstellern finden« (Lindholm, S. 120), so erscheint dies grob verallgemeinernd. Denn einerseits deutet bereits der cursusGebrauch per se auf einen grundsätzlichen Einfluß der dictamina-Lehren hin, zum ande-

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

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weitestgehend an die Gepflogenheiten der Zeit anpasst, sich aber von kontextuellen Erfordernissen und – vor allem in bezug auf die Novellen – von einer unleugbaren gioia di narrare leiten läßt. Das bedeutet jedoch nicht, daß er beim Verfassen der Novellen jegliche Sorgfalt außer acht läßt und in dem Bestreben, die Welt so abzubilden wie sie ist, jede Form rhetorischen Schmucks vermeidet. Im Gegenteil: Wie in den bisher betrachteten Passagen bedient sich Boccaccio auch in den Novellen auf virtuose Weise der Sprache – unter anderem zur Konstruktion der zum Lachen reizenden Situation.

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage Edelleute, Mägde und Knechte, Handwerker, Piraten, Ritter und vor allem Kaufleute – sie alle geben sich in den 100 Novellen der Sammlung ein munteres Stelldichein und erheitern – ganz der Intention des Werkes entsprechend – durch ihre Streiche und Mißgeschicke den Leser. Es wäre jedoch weit gefehlt, in den Novellen des Decameron nur eine schlichte Ansammlung von zum Lachen reizenden Geschichten zu sehen. Hatte Boccaccio schon die Erzählreihenfolge der Novellen mit Bedacht festgelegt, so galt sein besonderes Augenmerk dem Thema und der sprachlichen Form der Geschichten. Es ist heutzutage hinlänglich bekannt, daß zahlreiche Protagonisten aus Boccaccios Sammlung – vielfach unter anderem Namen – den damaligen Rezipienten bereits vertraut waren und sich auch manche Anekdote schon anderweitig niedergeschrieben fand. Die Forschungen von Landau23, Lee und zahlreichen anderen haben eindrücklich gezeigt, aus welcher Quellenfundgrube Boccaccio mit vollen Händen hatte schöpfen können. Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, daß bisher nur für knapp die Hälfte der Decameron-Novellen tatsächlich ein eindeutiger Prätext oder auch nur ein einzelnes Basismotiv nachgewiesen werden konnte. Interessanterweise sind besonders für die Geschichten des sechsten bis neunten Tages, mit der höchsten Konzentration an

___________ ren lassen sich durchaus Parallelen zwischen Boccaccios cursus-Gebrauch und dem des von ihm verehrten Dante erkennen. Dieser hatte die verschiedenen rhythmischen Satzschlüsse ebenso wie Boccaccio formal richtig, aber quantitativ nicht den Vorgaben entsprechend eingesetzt. Zahlreiche Beispiele des cursus-Gebrauchs Dantes bietet die Enciclopedia dantesca. Fondata da G. Treccani. 6 Bde., Rom 21984; Lemma cursus, insbesondere S. 293. 23 M. Landau: Die Quellen des ›Decameron‹. Sehr vermehrte und verbesserte Auflage, Stuttgart 21884. Die Arbeit Landaus wurde durch die Publikation Lees von 1979 wesentlich ergänzt. Darüber hinaus bietet die Bibliographie Consolis, die kommentierte Decameron Ausgabe von Branca sowie in den SSB veröffentliche Beiträge zahlreiche Hinweise auf mögliche Quelltexte.

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motti, beffe und facetie, sehr wenig Vorläufer bekannt.24 Der Autor gestaltet also vor allem jene Novellen um oder gänzlich neu, die als Lachen auslösende Geschichten für den Erfolg des Buches als allopathisches Heilmittel entscheidend sind. Wenn Boccaccio also trotz zahlreicher möglicher Vorlagen zur Feder greift und etwas gänzlich Neues verfaßt, steht zu vermuten, daß ihm das vorhandene Material nicht bot, was ihm vorschwebte. Da er keine schenkelschlagende Heiterkeit, sondern langanhaltende (Lebens-)Freude im Hier und Jetzt hervorrufen wollte, verankerte er die Mehrzahl der zum Lachen reizenden Erzählungen in der Erfahrungswelt der brigata sowie des wenig mobilen Lesers vergangener Jahrhunderte. Dies gelingt ihm einerseits, indem er beliebte und in bezug auf die Qualität Lachen hervorrufen zu können, erfolgserprobte topoi aufgreift und sie zu launigen Geschichten oftmals italienischen Ambientes umarbeitet, andererseits durch die Verarbeitung der toskanischen Eigenart des dire onestamente villania – ciceronianische dicacitas in modernem Gewand. Auch wenn, wie bereits angedeutet, die Unterscheidung der genera ridiculi lebensweltlich stets präsent war und dem römischen Redner ›nur‹ die Ehre zuteil wird, diese im De Oratore festgeschrieben zu haben, ist es sicherlich kein Zufall, daß Boccaccio in seiner Sammlung so deutlich auf sie rekurriert.25 Mochte sich der Autor dieser verschiedenen Möglichkeiten, Lachen oder eine positive Stimmung hervorzurufen, sicher bewußt gewesen sein, wurde er durch die eben wiederentdeckte Schrift direkt darauf gestoßen.26 Kein Wunder also, daß er – ___________ 24 Lee und Branca geben übereinstimmend an, für folgende Novellen entweder gar keinen Prätext oder nur die Übernahme eines einzelnen Motivs haben konstatieren können: I, 7, 10 (vages Motiv); II, 2 (vages Motiv), 3, 4, 6; III, 3, 4, 5, 7, 10; IV,1 (Motiv), 3, 4 (umstritten), 5 (Motiv), 6, 7, 8 (Motiv); V, 1, 3, 7, 9; VI, 1 (evt. angeregt von der Metanovelle des Novellino, LXXXIX cf dazu Anm. 165, S. 305), 2, 3, 4 (Motiv), 5, 6, 7, 8, 10; VII, 1, 3, 4, 5 (Motiv, umstritten), 6 (Motiv), 7 (Motiv), 8 (Motiv); VIII, 1 (vages Motiv, umstritten), 2, 3 (einzelne Motive), 5, 6, 7 (einzelne Motive), 8, 9; IX, 1 (Motiv), 3 (einzelne Motive), 4, 5, 7 (Motiv), 8; X; 6. 10. 25 Cf. dazu S. Neumeister: »Die Praxis des Lachens im Decameron«, in: Fietz, e. a., S. 65-81, hier S. 65-67. 26 Da die ›Theorie des ridiculum‹ Ciceros in nur wenig veränderter Form Eingang in die Institutio oratoria Quintilians erhielt, kann Boccaccio selbstverständlich auch durch dieses Werk beeinflußt worden sein, denn das entsprechende Buch VI der Inst. orat war auch in den damals nur fragmentarisch überlieferten Manuskripten enthalten (Die verbreiteten mutili und somit auch das Exemplar Petrarcas beginnen mit Inst. orat. I, 1, 6 und enden bei XII, 10, 63, wodurch das den genera dicendi gewidmete Kapitel X zunächst unvollständig blieb! Cf. C. C. Coulter: »Boccaccios knowledge of Quintilian«, in: Speculum XXXIII (1958), S. 490-496, hier S. 490/491). Da aber aufgrund der Cicero Begeisterung einzelner – vor allem Petrarcas und Colluccio Salutatis – die Schriften des älteren Rhetorikers bald zum stilistischen und thematischen Leitbild wurden, an dem sich Generationen von Humanisten mehr oder weniger stark orientierten (Cf. C. Mouchel: Cicéron et Séneque dans la rhétorique de la Renaissance. Marburg 1990. S. 28 und passim [Mouchel/Cicéron] sowie V. Kapp/H. Weinrich: »Rhetorik« in: LRL, Bd. I, S. 174-195, Abschnitte 2. 3; 2, 4), steht zu vermuten, daß Boccaccio sich vornehmlich nach dem Werk Ciceros richtete. Schließlich hatte eben jener Quintilian die imitatio Ci-

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vielleicht auch auf Empfehlung seines Cicero verehrenden Freundes Petrarca – die Rhetorik-Schrift für sein Werk fruchbar machte, nicht zuletzt, weil zu vermuten stand, daß der deutliche Bezug zur ›Theorie des ridiculum‹ des Römers im Zuge der allgemeinen Begeisterung für dessen Schriften, Werk und Autor zusätzliche ›Sympathiepunkte‹ einbringen würde.

aa) cavillatio – zum Lachen reizende Geschichten von gestern und heute Aufgrund der bereits mehrfach konstatierten Abhängigkeit des Lachens von Ort und Zeit, Stimmung und Vorwissen mag es erstaunen, daß die vor gut sechshundert Jahren geschriebenen Novellen damals wie heute gleichermaßen zum Lachen reizen. Und nicht nur das, macht man einmal die Probe auf’s Exempel und vergleicht die eigene Reaktion auf die Geschichten mit dem auf die Erzählung folgenden auktorialen Kommentar, so stellt man fest, daß man im Großen und Ganzen ähnlich empfindet wie die brigata-Mitglieder. Unterschiede ergeben sich zumeist nicht hinsichtlich der Quantität sondern in bezug auf die Qualität: Die Situierung der Novellen in Florenz und Umgebung, Protagonisten, die den Damen und Herren persönlich bekannt waren oder Situationen, die in der damaligen Welt alltäglich und deshalb nachvollziehbar waren, vermögen das Lachen der Damen und Herren zu verstärken oder abzuschwächen, ändern aber nichts an der Tatsache, ob grundsätzlich gelacht wird oder nicht. Die Novellen des Decameron bewahrten also über Jahrhunderte ihr zum Lachen reizendes Potential und wurden zwar aufgrund der sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse von den jeweiligen Rezipienten unterschiedlich bewertet – aber immer mit Lachen quittiert. Grund für diese Konstanz ist der stete Rückgriff des Autors auf altbewährte Konzepte und damit letztlich auf die ciceronianische Theorie, die – daran sei an dieser Stelle erinnert – im wesentlichen aus einer Fülle von praxiserprobten Vorschlägen zum Hervorrufen von Lachen besteht. Während der Römer jedoch hinsichtlich der von ihm bevorzugten dicacitas eine Fülle von Beispielen bereithält, gibt er zur cavillatio nur wenige Ratschläge. Da aber beispielsweise die von Cicero als entscheidendes Lachen auslösendes Moment angeführte Erwartungsdurchbrechung27 als Grundlage zahlreicher weiterer, gleichermaßen von ihm erwähnter Techniken entlarvt ___________ ceros empfohlen (Inst. orat. II; XII, 1, 20/21). Zu den Prinzipien dieses Ciceronianismus – dessen Anfänge in Spätantike und Mittelalter, allerdings mit anderen Schwerpunkten, liegen – gehörten neben der auch von Boccaccio berücksichtigten Maxime aus De Inv. I, 1 die Vorliebe für einzelne Gattungen (Brief, Dialog) sowie – nach Wiederentdeckung des Orator die Beachtung der Dreistillehre, die hier gegenüber dem De oratore in weiterentwickelter Form vorliegt (Cf. Orator XXIX, 101). Die Orientierung Boccaccios an den genera dicendi konnte also auch noch im Nachhinein positiv bewertet werden. 27 Cf. De orat. II, 255; 284 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in verbis 5; dicacitas in rebus, 57).

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werden konnte, ist es durchaus möglich, daß sich noch andere unter dicacitas aufgeführte Ideen auf den Bereich der cavillatio übertragen lassen.28 Dem Ratschlag Ciceros, Anekdoten auf eine Weise zu erzählen »ut eis qui audiunt, tum geri illa fierique videatur«29, kommt Boccaccio durch die bereits angesprochene Aktualisierung seiner Erzählstoffe nach.30 Selten beschränkt sich der Dichter darauf, die Geschichten im zeitgenössischen Italien zu situieren, sondern nimmt – wenn er bekannte Vorlagen aufgreift – weitere Veränderungen vor, damit sich der Zuhörer oder Leser in einer Geschichte gleich ›zu Hause‹ fühlen und die inhärente Botschaft für sich fruchtbar machen kann. 31 ___________ 28 Vielschichtigkeit und Umfang des Decameron machen im folgenden nur ein exemplarisches Vorgehen möglich. Dabei wird auf eben jene Geschichten ein besonderes Augenmerk gerichtet, in denen der Dichter sein primäres Ziel aus den Augen verloren zu haben scheint, und stattdessen Zeitkritik übt oder ›erotische Geschiche verfaßt‹ – was dann ja auch zu der oftmals negativen Beurteilung des Decameron beigetragen hat (Es sei hier nur an die ›berüchtigte‹ Aussage De Sanctis in seiner Literaturgeschichte sowie an manchen Klappentext von meist fremdsprachlichen Decameron (Teil)-Ausgaben erinnert). 29 Cf. De orat. II, 241 (Tabelle, S. 56, cavillatio in rebus 3). 30 Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß Boccaccio nicht der einzige war, der durch eine solche Aktualisierung das Interesse der Leser zu binden hoffte. So ersetzte bereits Brunetto Latini, dessen Rettorica Boccaccio ja vorlag, die exempla Ciceros stellenweise durch Beispiele aus dem zeitgenössischen Europa: Cicero: »Ut apud quosdam lex erat ne quis Dianae vitulum immolaret. Nautae quidam, cum adversa tempestate in alto iactarentur, voverunt, si eo portu quem conspiciebant polizi essent, ei deo ibi esset se vitulum immolaturos. Casu erat in eo portu fanum Dianae eius qui vitulum immolare non licebat. Imprudentes legis, cum exissent, vitulum immolaverunt.« (Rettorica, Cicero II, XXXI, 95), dazu lo Sponitore 55, 2: »Mercatanti fiorentini passavano in nave per andare oltramare. Sorvenne loro crudel fortuna di tempo che li mise in pericolosa paura, per la quale si botaro ch’elli scampassero e pervennissero a porto ch’elli offerrebboro delle loro cose a quello deo che là fosse, e e’ medesimi l’adorrebbero. Alla fine arrivarono ad uno porto nel quale era adorato Malcometto ed era tenuto deo. Questi mercatanti l’adorarono come idio e feciorli grande offerta. Or furono accusati« Für weitere Beispiele cf. Rettorica, cap. 55-57. 31 Zwar wendet Boccaccio dieselbe Taktik aus diesem Grund auch bei einigen der ernsteren Novellen an, bei den zum Lachen reizenden Geschichten ist die Verankerung in der Lebenswelt hingegen literarisches Programm (Von den 46 Novellen mit eindeutiger Lachreferenz situiert Boccaccio 20 in Florenz, eine im Contado, elf in toskanischen Städten, elf in weiteren Städten der Apenninenhalbinsel und nur 5 außerhalb Italiens. Es ist darüber hinaus durchaus möglich, auch das exemplum, das der Dichter selbst in der Introduzione zum vierten Tag erzählt (Dec. Intr. IV, 12-29), als zum Lachen reizende Novelle zu fassen. Grund für dieses Lachen ist zum einen das Überlegenheitgefühl des Lesers angesichts der Naivität des Sohnes von Filippo Balducci, zum anderen der unerwartete Verbleib innerhalb des semantischen Feldes ›Gans‹: »›Elle si chiamano papere‹ [...] ›vi priego che voi facciate che io abbia una di quelle papere‹ […]›io le darò beccare‹ […] Io non voglio, tu non sai donde egli s’imbeccano!« (Dec. Intr. IV, 23-29). Der Einsatz von Zweideutigkeiten wurde gleichermaßen von Cicero empfohlen (Cf. De orat. II, 254; 280 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in verbis 4; dicacitas in rebus 19)). Die Wahl von Florenz als Ort der Erkenntnis läßt sich im Rahmen der Verteidigung des Dichters als

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Von dieser Vorgehensweise Boccaccios zeugt beispielhaft die beffa-Novelle VII, 8. Die Grundidee dieser Geschichte – die Bestrafung des eifersüchtigen Ehemannes – findet sich in ähnlicher Weise aufbereitet bereits in der indischen Fabelsammlung Kalīla wa-Dimna: Die Frau des Schuhmachers hatte aber einen Liebhaber, und als Unterhändlerin zwischen ihnen diente das Weib eines Barbiers. Das Weib des Schuhmachers schickte nun alsbald, nachdem der Mann (i. e. ihr Ehemann) fortgegangen war, zu der Frau des Barbiers und ließ ihr sagen, daß sie zu ihr kommen und ihrem Liebhaber zu wissen tun möchte, daß sie allein war. [...] Der Liebhaber des Weibes kam sodann und setzte sich, bis daß ihm das Haus geöffnet würde, an die Tür desselben. Da kam der Schuhmacher, betrunken wurde dem Mann gewahr, schöpfte bösen Verdacht, ging voll Zorn zu seiner Frau hinein, schlug dieselbe tüchtig durch und band sie dann an einen Pfeiler im Zimmer. Darauf legte er sich besinnungslos schlafen. [...] Die Schuhmachersfrau entgegnete ihr (i. e. der Unterhändlerin): ›Tu mir doch den Gefallen und binde mich los, und laß dich an meiner Statt anbinden, daß ich zu meinem Liebhaber hinabgehen kann.‹ [...] Die Frau des Barbiers zeigte sich hierzu bereitwillig [...] und ließ sich [...] an den Pfeiler hinbinden. Allein, der Schuhmacher wachte auf, bevor daß seine Frau zurückkam, und rief sie bei ihrem Namen. Die Frau des Barbiers gab keine Antwort, aus Furcht, daß ihre Stimme sie verraten möchte. Der Schuhmacher rief seine Frau zum zweiten Mal, allein, es wurde ihm wieder keine Antwort zuteil. Da wurde er also mit Zorn erfüllt, daß er aufstand, ein Messer nahm und dem Weib die Nase abschnitt, indem er die Worte hinzusetzte: ›Nimm das, und mach damit deinem guten Freund ein Geschenk!‹ [...] Als die Frau des Schuhmachers wiederkam, sah sie, was ihr Mann mit dem Weibe des Barbiers getan, ließ ihr das sehr leid sein und machte sie los, worauf dieselbe, ihrer Nase beraubt, sich nach Hause begab. [...] Die Schuhmachersfrau begann dann Verwünschungen und Flüche auszusprechen, über ihren Mann, der sie so mißhandelt habe, erhob ihre Stimme und rief demselben: ›Du Gottloser, Ungerechter! Steh auf und sieh, wie du an mir getan hast und wie Gott an mir getan hat, wie dieser Erbarmen mit mir gehabt und meine Nase wieder hergestellt hat, so wie sie vorher war.‹ Da erhob sich der Mann [...] und siehe da! Er fand die Nase wieder hergestellt. Nun bat er sie um Verzeihung, bereute sein Verbrechen und flehte auch Gott um Verzeihung an. Die Frau des Barbiers aber [...] besann sich hin und her, was sie wohl ihrem Mann und ihrer Familie als Grund angeben könnte, warum ihr die Nase abgeschnitten worden war, da sie das Geheimnis nicht verraten wollte. [...] sagte der Barbier zu seiner Frau: ›Bring mir mein ganzes Besteck [...].‹ Sie brachte ihm nur das Schermesser. Da sagte er nochmals zu ihr: ›Bring mir doch alle meine Instrumente.‹ Sie brachte ihm aber wieder nur das Schermesser. Da erzürnte er [...] und warf ihr das Schermesser nach. Das Weib aber warf sich auf die Erde, schlug ein Jammergeschrei auf und schrie los: ›Meine Nase, meine Nase.‹ So schrie es, bis die Leute aus dem Haus und die Nachbarn herbeiliefen, und als sie das Weib in solchem Zustand sahen, ergriffen sie den Barbier und schleppten ihn vor den Richter. Dieser fragte [...]: ›Was hat dich dazu getrieben, deiner Frau die Nase abzuschneiden?‹ Da derselbe aber nichts zu seiner Rechtfertigung vorbringen konnte, so verhängte der Richter über ihn, daß er gezüchtigt werden soll-

___________ direkte Aufforderung an seine oftmals Florentinischen Leser deuten, die Schönheit und Faszination des weiblichen Geschlechts ebenso wie der junge Balducci als etwas ganz Natürliches und Entdeckenwertes zu betrachten, ohne dabei erotische Hintergedanken zu hegen.

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te. Indes, gerade als die Züchtigung mit ihm vorgenommen werden sollte, erschien ein Mönch [...] und sprach: ›Nicht länger sollst du in Täuschung bleiben. [...] Ich und diese (i. e. die Frau des Barbiers) wir haben [...] unser Unglück uns selber zuzuschreiben.‹32

Die indische Sammlung erfuhr auch im Abendland, in viele Sprachen übersetzt, weite Verbreitung und erfreute sich allgemeiner Beliebtheit. Dabei wurden die Erzählungen nicht immer im ganzen Korpus überliefert, sondern auch einzeln rezipiert und mündlich weitergegeben. Die Alltäglichkeit des hier behandelten Motivs machte es zudem möglich, die Geschichte in nur gering veränderter Form auch einem abendländischen Publikum nahezubringen.33 Eine Anverwandlung dieser Geschichte bietet das französische Fabliau Des Tresces. Hier schneidet der eifersüchtige Ehemann seiner vermeintlichen Frau nicht die Nase, sondern die Zöpfe ab.34 Das Abtrennen der Nase, in Indien und im Vorderen Orient eine durchaus gängige Strafe, würde im Abendland auf Unverständnis stoßen und wird deshalb durch eine bedeutungsgleiche Maßnahme ersetzt. Den Frauen sollte auf diese Weise ein deutlich sichtbares Zeichen der Schande zugefügt werden, das sie und ihre Mitmenschen allerdings nicht für immer, aber für sehr lange Zeit an ihr Fehlverhalten erinnern sollte.35 ___________ 32 Abdallah ibn al-Muqaffa: Kalila und Dimna. Die Fabeln des Bidpai. Übersetzung aus dem Arabischen von P. Wolff. Nachwort von J. C. Bürgel. Mit 12 Miniaturen, Zürich 1995, Buch I, S. 28-32. Die Fabelsammlung ist Teil des Pañcatantra, eines in Sanskrit geschriebenen Fürstenspiegels, der wohl zu Beginn des vierten nachchristlichen Jahrhunderts in Indien entstand. Auch wenn in der Rahmenhandlung des Werkes VişĦuśarman als Verfasser angegeben wird, gilt die Schrift heutzutage als Werk eines anonymen Verfassers (Cf. W. Haug: Brechungen auf dem Weg zur Individualität. Kleine Schriften zur Literatur des Mittelalters. Tübingen 1995, S. 460ff [Haug/Brechungen]). Kalila und Dimna sind zwei Schakale, die sich in Buch I-III (von insgesamt fünf, Pañcatantra heißt übersetzt ›Die fünf Wege‹) Geschichten, Tierfabeln und exempla erzählen und für die arabische Fassung Eponym wurden. Urheber dieser Version in arabischer Sprache ist Abdallah ibn al-Muqaffa, der die ihm in Pahlavi und Syrisch vorliegende Urfassung durch eigene Zutaten bereicherte (Cf. dazu das Nachwort Bürgels, in: Kalila und Dimna, S. 289-311, hier S. 289/290). 33 Cf. Haug/Brechungen, S. 468. 34 Cf. Anonym: Des Tresces, in: Montaiglon/Raynaud, Bd. IV, S. 67-81 (Manuscript Fr n° 19152, fol 122v à 123r), hier S. 74 [Des Tresces, in: Montaiglon/Raynaud]. Weitere Varianten dieser Geschichte nennt Branca in den Anm. zu Dec. VII, 8, 1. 35 Cf. A. Galmés de Fuentes: »Un cuento árabe, un ›fabliau‹ francés y un relato del ›Decaméron‹«, in: A. Galmés de Fuentes: Romania Arabica II: Narrativa y farsa francesa medieval. Dante y Boccaccio. De Alfonso X el sabio a Góngora. (estudios de literatura comparada árabe y romance), Madrid 2000, S. 136-152, hier S. 140 [Galmés de Fuentes, in: Galmés de Fuentes]. Auf den Brauch, Frauen aufgrund von ehrlosem Verhalten durch das Abschneiden der Haare zu stigmatisieren, hatte schon Tacitus hingewiesen: »abscisis crinibus nudatam uxorem coram propinquis expellit domo maritus« (Tacite: La Germanie. Texte établi et traduit par J. Perret. Paris 21962, XIX, 2, Zur Verbreitung dieser Strafmaßnahme in Europa cf. J. B. Rives, Commentary zu Tacitus Germania XIX, 2 (Oxford 1999) sowie LexMa, Lemma Haartracht).

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Abgesehen von der Substitution – die auch Boccaccio im Decameron vornimmt36 –, folgt die französische Version inhaltlich im wesentlichen der indischen. Den Erfordernissen der Gattung folgend wird jedoch das zum Lachen reizende Potential der Geschichte ausgenutzt. Dies zeigt sich beispielhaft in den Szenen, in denen die Ehefrau ihren Mann zunächst überzeugt, er habe die Prügel und das Abschneiden der Haare nur geträumt, um anschließend von ihrer Person abzulenken und ihren Mann als schlimmen Schürzenjäger hinzustellen, dem derlei Mißgeschicke durchaus zuzutrauen wären.37 Die Schläue der Dame, der es durch geschicktes Taktieren gelingt, von ihrer Schuld abzulenken, um letztlich ungestraft davonzukommen, wird jedoch vom Erzähler des Fabliau nicht belohnt: Par cest fableau poez savoir Qui cil ne fait mie savoir, Qui de nuiz met sa feme hors : S’el fait folie de son cors, Quant el es hors de sa maison, Lors e ele droite achoison qu’ele face son mari honte. Ici vueil definer mon conte.38

Das Verhalten der Frau wird hier nur von der negativen Seite beleuchtet und als ›typisch‹ weiblich abgetan. Nicht sie sondern ihr Ehemann, der die Eigenarten von Frauen nicht einzuschätzen wußte und ihnen deshalb zum Opfer fiel, wird aber zur Lachen auslösenden Figur.39 Beim Vergleich mit der Decameronnovelle zeigen sich eklatante Unterschiede. Zunächst entbehren sowohl die indische als auch die französische Version jeglicher Angaben bezüglich Handlungsort und -zeit. Darüber hinaus sind die männlichen Personen nur durch ihren Beruf, die weiblichen Personen sogar nur als ›Weib des + Berufsbezeichnung‹ gekennzeichnet. Im Französischen werden die Figuren lediglich als chevaliers, feme, seigneur, amie usf. bezeichnet. Ganz anders bei Boccaccio: Dovete dunque sapere che nella nostra città fu già un ricchissimo mercatante chiamato Arriguccio Berlinghieri […] e prese una giovane gentil donna […] il cui nomme fu monna Sismonda.40

___________ 36

Cf. Dec. VII, 8, 19. Des Tresces, in: Montaiglon/Raynaud, S. 77. 38 Des Tresces, in: Montaiglon/Raynaud, S. 81. 39 Zur weiteren Interpretation des Fabliau cf. Galmés de Fuentes, in: Galmés de Fuentes, S. 143f sowie meine folgenden Ausführungen. 40 Dec. VII, 8, 4/5. 37

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Aus den farblosen Gestalten werden gleich zu Beginn der Novelle Individuen, denen man täglich auf der Straße begegnen könnte.41 Diese ›familiäre‹ Atmosphäre ist für die ganze Novelle kennzeichnend: Der lärmende Betrunkende, der die Nachtruhe der Anwohner stört und deshalb von ihnen zur Raison gerufen wird,42 der ›Familienrat‹, der zunächst über die ungeratene Tochter respektive Schwester informiert werden soll,43 schließlich aber, eines besseren belehrt, sich über die mißliche Verbindung mit Arriguccio echauffieren muß44 – dies alles sind Situationen aus der unmittelbaren Erfahrungswelt von brigata und Leserschaft. Wenn der Dichter angibt, daß Arriguccio »scioccamente, si come ancora oggi fanno tutto il di ‘l mercatanti, pensò di volere ingentilire per moglie«45, entschuldigt er auf diese Weise gewissermaßen im Vorwege alle Versuche der Frau, aus dieser unseeligen Verbindung auszubrechen. Auch die Tatsache, daß der Liebhaber lange um die Frau buhlen mußte, obwohl deren Ehemann als Kaufmann nur selten zu Hause war46, wirft schon von Beginn an ein positives Licht auf die Dame und macht sie rasch zur Sympathieträgerin. Obwohl Monna Sismonda ebenso wie die Frauen der anderen Versionen ihre Schläue nur zum eigenen Vorteil nutzt, schlägt sich der Leser auf ihre Seite und hofft mit ihr, daß der Betrug nicht auffällt. Während sich die Frau des Schuhmachers ebenso wie die feme des Fabliau aber ins Bett legt und auf Entdeckung wartet, erweist sich Monna Sismonda deutlich offensiver. Nachdem ihr Mann das Haus verlassen hatte, um die Familie zu informieren, bereitete sie alles für einen gebührenden Empfang vor: Prestamente il letto [...] rifece e quella tutta racconciò e rimise in ordine, come se quella notte niuna persona giaciuta vi fosse, e raccese la lampana e sé rivestí e racconciò, come se ancora a letto non si fosse andata; e accesa una lucerna e presi suoi panni, in cappo della scala si pose a sedere e cominciò a cucire e a aspettare quell a che il fatto dovesse riuscire47

Die genaue Schilderung der einzelnen Schritte wirkt dabei spannungssteigernd, wie die Frau wartet auch der Leser auf die Rückkehr des Mannes, im Stillen darauf vertrauend, daß sich Monna Sismonda auch aus dieser Situation wird herauswinden können. Und man wird nicht enttäuscht. Hatten Brüder und Mutter zunächst den Worten Arriguccios Glauben geschenkt, werden sie als___________ 41 Die Familie Berlinghieri gehörte in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu den anerkanntesten Kaufmannsfamilien von Florenz (Cf. Branca, Anm. zu Dec. VII, 8, 4). 42 Dec. VII, 8, 18. 43 Dec. VII, 8, 24ff. 44 Dec. VII, 8, 45ff. 45 Dec. VII, 8, 4. 46 Cf. Dec. VII, 8, 5. 47 Dec. VII, 8, 23.

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bald von der Schwester bzw. Tochter überzeugt, daß nicht sie, sondern ihr Ehemann einen liederlichen Lebenswandel führte: Questo valente uomo, al qual voi nella mia mala ora per moglie mi deste, che si chiama mercatante e che vuole essere creduto e che dovrebbe esser più temperato che uno religioso e più onesta che una donzella, son poche sere che egli non si vada inebbriando per le taverne or con questa cattiva femina or con quella rimescolando; e a me si fa infino a mezzanotte e talora infino a mattutino aspettare nella maniere che mi trovaste.48

Welch flammende Rede, in der sie ihre Brüder geschickt daran erinnert, daß sie für die mißliche Lage, in der sich ihre Schwester befindet, verantwortlich sind, da sie sich von diesem Mann haben täuschen lassen. Die Wendung »che si chiama mercatante« stellt die Glaubwürdigkeit des Mannes bewußt in Frage und ist nur ein Beispiel für das rhetorische Können Monna Sismondas. Ähnlich gewandt erweist sich auch die Mutter.49 Damit haben die weiblichen Personen die Situation gewissermaßen ›in der Hand‹, die männlichen Personen reagieren nur. Dies wird jedoch nicht negativ beurteilt, im Gegenteil: An die Stelle der mittelalterlichen Misogynie, wie sie noch im Fabliau offenbar wurde, tritt hier das Lob der industria. Anders als bei Kalīla wa-Dimna-Erzählung und Fabliau lacht man hier aber nicht ausschließlich über das Los des Mannes bzw der Männer, die beide der Schläue ihrer Frauen unterlegen sind, sondern auch mit Monna Sismonda, die sich durch überlegtes Vorgehen und mit Hilfe ihrer raffinierten ›Verteidigungsrede‹ für die Zukunft alle Freiheiten gesichert hat. Ein Lachen aus Lebensfreude! Die hier aufgezeigten Transformationen ließen sich in ähnlicher Form an weiteren Erzählungen aufzeigen, die gleichermaßen auf ein oder mehrere deutliche Vorläufer rückführbar sind. Kennzeichnend für die Novellen des Decameron ist dabei zum einen die ausgeprägte Individualisierung der Figuren – was häufig dazu führt, daß einzelne Mitglieder des Personals zu Sympatieträgern werden – zum anderen der hohe Anteil an Figurenrede.50 Während jedoch die genaue Figurenzeichnung vor allem der Sorge um die Rezeption des Werkes ___________ 48

Dec. VII, 8, 42-44. Cf. z. B. Dec. VII, 8, 46 : »se tu devi stare di al fracidume di un mercantuzzo«; Dec. VII, 8, 47: »accionciare in casa i conti Guidi con un pezzo di pane«. Die Verwendung von Parömien innerhalb einer Rede hatte auch Cicero nahegelegt (De orat. II, 258 (Tabelle S. 56f, dicacitas in verbis 10)). 50 So führte z. B. Sanguinetti White für die Novellen Dec. V, 10 (≈ Met. IX, 14-26, Sanguinetti White, S. 52-60) und Dec. VII, 2 (≈ Met. IX, 4-7, Sanguinetti White, S. 6067) eine systematische Analyse derartiger Transformationen mit ähnlichen Ergebnissen in bezug auf Figurenrede und Personenzeichnung durch. Da aber beide Autoren vor allem darauf aus sind, dem Leser Vergnügen zu bereiten (Zu diesen affinità ispirative Boccaccios und Apuleius’, cf. Sanguinetti White, S. 37f), sind die Unterschiede bei weitem nicht so eklatant wie zwischen der oben analysierten Novelle und der didaktischmotivierten Kalīla wa-Dimna-Geschichte. 49

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7. ... zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare

entspringt, erteilt Boccaccio vermehrt seinen Figuren das Wort, um auf diese Weise einmal mehr auf die Eigenkräfte des Menschen hinzuweisen. Darüber hinaus bieten ihm derartige Passagen, ob dialogisch oder monologisch, zahlreiche Möglichkeiten zum Lachen reizende Effekte einzuflechten51 und seine rhetorische Brillanz unter Beweis zu stellen – che goia di narrare! Im folgenden werden zwei ›Glanzstücke‹ derartiger Figurenrede – die Beichte Cepparellos und die Predigt Fratre Cipollas – analysiert, da an ihnen nicht nur die Umsetzung weiterer Hinweise Ciceros exemplifizierbar ist, sondern auch Boccacccios Umgang mit religiösen Riten oder kirchlichen Würdenträgern.52 Hatte Boccaccio sich in Proemio und Introduzione stets bemüht, sein Werk an die Begebenheiten der Zeit anzupassen, um kritische Stimmen zu vermeiden, so scheint er zu Beginn der ersten Novelle alle Vorsicht beiseite zu lassen. Denn mit Krankheit, Beichte und drohendem Tod spricht er Themen an, die nicht nur aufgrund der derzeit wütenden Pest traurige Aktualität besaßen,53 sondern das Leben der Menschen sogar grundsätzlich belasteten. Boccaccio beschränkt sich jedoch nicht nur darauf, die letzten Dinge zu benennen: das unangenehme, aber für das Seelenheil allgemein als notwendig erachtete persönliche Sündenbekenntnis54 wird bei ihm sogar zum Angelpunkt der Geschichte. Der ___________ 51 Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß stilistisch ausgefeilte Figurenrede nicht notwendig an zum Lachen reizende Inhalte gebunden ist. Dies zeigt sich beispielhaft in den Worten Ghismundas, mit denen sie »non come dolente femina o ripresa del suo fallo, ma come non curante e valorosa, con asciutto viso e aperto e di niuna parte turbato« (Dec. IV, 1, 31) die Problematik ihrer Lage schildert, die sie dazu bewogen hat, ihre Liebe zu Guiscardo zu verheimlichen (Cf. Dec. IV, 1, 32-45). 52 Die Literatur zu Novelle I, 1 und VI, 10 sowie zum Verhältnis Boccaccios zu Kirche und Religion ist sehr umfangreich und kann – vor allem aufgrund der Beschränkung auf Beichte und Predigt, hier nur in sehr geringem Maße berücksichtigt werden. Zur Gesamtinterpretation der Novellen sowie zur Analyse anderer als der hier angesprochenen Teilaspekte sei deshalb auf die von Branca zusammengestellten Bibliografie particolari (in Dec., S. LXXXVII; CVIII) verwiesen. 53 Aufgrund des gängigen Verständnisses der Pest als göttliches Strafgericht waren Kleriker wie Laien derzeit gleichermaßen bemüht, Gottes Zorn durch erhöhte Bußfertigkeit zu dämpfen, um auf diese Weise das persönliche Seelenheil zu retten: »In questi tempi della mortale pestilenzia Papa Clemente Sesto fece grande indulgenzia generale della pena di tutti i peccati a coloro che pentuti, e i confessi la domandavano a’ loro Confessori, e morivano: e in quella certa mortalità catuno Christiano credendosi morire si disponea bene, e con molta contrizione e patientia rendeano l’anima a Dio.« (Villani, in: Muratori, c. 14). 54 Sowohl das öffentliche Sündenbekenntnis als auch die im 12./13. Jahrhundert immer öfter praktizierte Privatbeichte nahmen im Leben eines Christen meist einen weitaus größeren Raum ein als in unserer Zeit und wurden als notwendige Maßnahme gelehrt, die eine Teilhabe am göttlichen Heilsgeschehen erst möglich machte (Cf. LThK, Lemma Buße, systhematisch-theologisch (IV)). Es ist dementsprechend davon auszugehen, daß Boccaccios Leserschaft grundsätzlich mit der Beichtsituation vertraut war.

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

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offensichtliche Verstoß gegen das Beichtgeheimnis seitens des Paters und die augenscheinliche Verlogenheit der Beichte Ciappellettos55 haben dazu geführt, daß Boccaccio immer wieder blasphemische Absichten und Mißachtung kirchlicher Autorität unterstellt wurden,56 da ein derartiges Sündenbekenntnis die Institution des Bußsakraments generell in Frage stelle und sich zudem über diejenigen lustig mache, denen das Erlangen der Absolution wichtig ist. Schon die Worte, mit denen der Protagonist seine Wirte auffordert, einen »santo e valente fratre«57 herbeizuholen, da er beichten wolle, machen jedoch deutlich, daß Boccaccio in keiner Weise darauf aus ist, ein Beichtgespräch nachzuahmen: Io non voglio che voi d'alcuna cosa di me dubitiate ne abbitiate paura di recevere di me alcun danno. Io ho inteso ciò che di me ragionato avete e son certissimo che così n’averrebbbe come voi dite, dove così andasse la bisogna come avvisate: ma ella andrà altramenti. Io ho, vivendo, tante ingiurie fatte a Domenedio, che, per farnegli io una ora in su la mia morte, ne per più ne meno ne farà.58

Die dargestellte Motivation schließt eine blasphemische Absicht des Autors von vornherein aus. Nicht der Inhalt des Gesprächs zwischen Ciappellettos und seinem Beichtvater ist wichtig, sondern die rhetorische Konstruktion des Dialogs: Der damaligen Realität entsprechend ist das Beichtgespräch am biblischen Dekalog orientiert, der zu Lebzeiten Boccaccios immer häufiger die sieben Todsünden als Beichtspiegel ablöste.59 Darüber hinaus nimmt das Sündenbekenntnis – letztlich ganz seinem theologischen Sinn gemäß – Punkt für Punkt die im ersten Teil der Novelle enthaltenen Informationen über Ciappellettos Leben auf und gibt diese, nun allerdings stark verzerrt, wieder:

___________ Die von Boccaccio gezeichnete Situation deckt sich im wesentlichen mit den damals üblichen Gepflogenheiten (Cf. Pourrias, Abschnitt III a). 55 Der Protagonist der Novelle heißt ursprünglich ser Cepparello (ser ist gängige Notarsanrede, cf. Flasch, S. 120) und wird, da er »piccolo di persona era e molto assettatuzzo« (Dec. I, 1, 9) von den Franzosen in Paris, wo er eine Weile lebte, Ser Ciappelletto genannt. Unter diesem Namen wurde er auch in Burgund bekannt, wo er erkrankt, die Beichte ablegt und schließlich stirbt. Parallelismus und Klangähnlichkeit der Namen kontrastieren hier mit dem semantischen Gehalt: Kaum etwas liegt erfahrungsgemäß weiter voneinander entfernt als ein Notar vom Schlage Ciappellettos und ein Heiliger (Cf. Flasch, S, 151ff, Tateo, S. 156). 56 Cf. H. Hauvette: Boccace. Paris 1914, S. 156f [Hauvette] ebenso Surdich, S. 123, Flasch, S. 129. 57 Dec. I, 1, 29. 58 Dec. I, 1, 27/28. 59 Cf. LexMa, Lemma Beichtformeln (I).

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7. ... zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare Dekalog60

Vorstellung Ciappellettos61

Non userai in vano il nome del Signore Dio tuo; .perché il Signore non considererà senza colpa colui che avrà usato inutilmente il nome del Signore Dio suo.

Bestemmiatore di Dio e de’ Santi era grandissimo e per ogni piccola cosa, si come colui ché piú che alcuno altro era iracundo.

Fragen und Antworten im Rahmen des Beichtgesprächs62 Come ti se’ tu spesso adirato? Cotesto vi dico [...] ho spesso fatto; chi se ne potrebbe tenere, veggendo [...] gli uomini fare le sconce cose, non servare le comandamenti di Dio, non temere i suoi giudici [...] non visitar le chiese.

Ricordati di santificare il giorno del sabato. Per sei giorni lavorerai, ed attenderai a tutte le tue opere. Ma il settimo giorno è il sabato del Signore Dio tuo, in esso non farai alcun lavoro il tuo figlio, la tua figlia, il tuo servo, la tua ancella […].

Io mi ricordo che io feci al fante mio, un sabato dopo nona, spazzare la casa e non ebbi alla santa domenica quella reverenza che io dovea.

Onora il padre tuo e la madre tua, acciò tu viva lungamente sulla terra che il signore Dio tuo ti darà.

Quando io era piccolino, io bestemmiai una volta la mamma mia.

Non ammazzare

Invitato a uno omicidio [...] volonterosamente v’andava e più volte a fedire e a uccidere uomini

Avrebbeti 1’ira potuto inducere a fare alcuno omicidio? O s’io avessi avuto pure un pensieruzzo di fare

___________ 60

La sacra bibbia: Traduzione di. G. Bonaccorsi e. a. Introduzione e note di G. Ricciotti. Florenz 1958, Ex. 20, 1-17. Um die deutliche Orientierung am Dekalog hervorzuheben, wurden die Bibelpassagen hier in italienischer Übersetzung zitiert. 61 Dec. I, 1, 10-14. 62 Dec. I, 1, 32-74. Die Fragen des Beichtvaters wurden durch Kursivschrift hervorgehoben. Der Text nimmt des weiteren Bezug auf die Todsünde Völlerei (i. e. gulositas): »Ed appresso questo li domandò se nel peccato della gola aveva a Dio dispiaciuto? [...] oltre alli digiuni delle quaresime che nell’ anno si fanno dalle divote persone, ogni settimana almeno tre di fosse uso di digiunare in pane e in acqua […]« (Dec. I, 1, 41), und repliziert damit wiederum eine Passage der Charakterisierung des Beichtkindes: »Gulossissimo e bevitor grande, tanto che alcuna volta scioncamente gli facea noia«. (Dec. I, 1, 14).

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

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con le proprie mani si ritrovò volentieri.

qualunque s’ e [...] credete voi che [...] Idio m’avesse tanto sostenuto?

Non rubare

Imbolato avrebbe e rubato con quella coscienza che un santo uomo offerebbe.

(Hai tu mai) tolte dell'altrui cose senza piacere di colui di cui sono? […] Ingannasti tu mai persona cosí come fanno i mercatanti? Messer si […] uno avendomi recati […], per che, non rivedendo colui e avendogli serbati bene uno anno per rendergliele, io gli diedi per l’amor di Dio.

Non dire falsa testimonianza contro il tuo prossimo

Testimonianze false con sommo diletto diceva. […] Aveva oltre modo piacere, e forte studiava, in commetere tra amici e parenti e qualunque altra persona mali e inimicizie e scandali.

Hai tu mai testimonianza niuna falsa detta contra alcuno? (Ha 1'ira potuto inducere) a dire villania a persona o a fare alcuna altra ingiuria? (Hai tu mai) detto male d'altrui? Ho detto male d'altrui; per ciò che io ebbi già un mio vicino che, [...] non faceva altro che batter la moglie, si che io dissi una volta male di lui alli parenti della moglie.

Non desiderare la casa del prossimo tuo; non desiderare la moglie di lui, né il servo, né l’ancella, né il bove, né l’asino, né cosa alcuna che è sua.

Delle femine era cosi vago come sono i cani de’ bastoni; del contrario più che alcuno altro tristo uomo si dilettava.63

In lussuria con alcuna femina peccato avesse? Io son cosi vergine come io usci' del corpo della mamma mia.

Mag auch die Orientierung an den zehn Geboten manchem modernen Leser verborgen bleiben, da ihm diese nicht mehr so geläufig sind, ist der Antwortcharakter des Sündenbekenntnisses auf die vorhergegangene Vorstellung Ciappellettos eine Struktur, die aufgrund ihrer scheinbaren Zufälligkeit zum Lachen reizt und letztlich erneut auf Erwartungsdurchbrechung beruht. Darüber hinaus ___________ 63 Es wäre jedoch auch durchaus möglich, diese Charakteristik sowie die entsprechende Frage und Antwort als Replik auf das hier nicht aufgeführte Gebot »Non commettere adulterio« (Ex. 20, 14) zu interpretieren.

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enthält der Dialog weitere Finessen – wie beispielsweise Über- bzw. Untertreibung – die erfahrungsgemäß Lachen hervorrufen.64 Neben inhaltlichen und stilistischen Aspekten trägt auch das Personal dieses Dialogs zu seiner Lachen auslösenden Wirkung bei, stehen sich hier doch ein frate antico, di santa e di buona vita e gran maestro in Iscrittura e molto venerabile uomo, nel quale tutti i cittadini grandissima e speziale divozione aveano65

und ein ausgemachtes Schlitzohr gegenüber, dem auch Beichtsituation und drohender Tod keinerlei Respekt einflößen. Die formelhafte Sprache66 und die Besonnenheit des Geistlichen, der dieses Beichtgespräch nach dem gleichen Ritus leitet wie wohl alle anderen vorherigen und nachfolgenden auch, kontrastieren67 mit dem ausführlichen und in blumigen Worten gesprochenen Sündenbekenntnis Ciappellettos.68 Scheinen also im ersten Teil der Beichte Professionalität und ein Höchstmaß an – allerdings geheuchelter – Zerknirschung aufeinanderzutreffen, so ist es um so erstaunlicher, wenn diese Konstellation plötzlich kippt: Disse allora il frate: ›O, altro hai tu fatto?‹ ›Messer, si‹, rispose ser Ciappelletto ›che io, non avvendendomene, sputai una volta nella chiesa di Dio.‹ II frate cominciò a sorridere e disse: ›Figliuol mio, cotesta non e cosa da curarsene: noi, che siamo religiosi, tutto il dì vi sputiamo.‹ Disse allora ser Ciappelletto: ›E voi fate gran villania, per ciò che niuna cosa si convien tener netta come il santo tempio, nel quale si rende sacrificio a Dio.69

Nicht nur die Tatsache, daß Ciapelletto seinem Beichtvater hier gewissermaßen das Wort im Mund herumdreht und eine vom fratre als tröstendes Beispiel

___________ 64 Cf. dazu auch die Empfehlung Ciceros De orat. II, 267 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in rebus 5). 65 Dec. I, 1, 30. Aufgrund dieser Beschreibung des Geistlichen, insbesondere der Bemerkung »gran maestro in Iscrittura« wäre es ebenso falsch, Boccaccio parodistische Absichten zu unterstellen. Denn der Pater wird, wie im folgenden noch weiter ausgeführt, realistisch dargestellt und in keiner Weise überzeichnet, der Moment des »ridentem dicere verum« – etwa über die Einfältigkeit mancher Kleriker – also nicht faßbar (Cf. L. Russo: »Ser Ciappelletto«, in: P. Brockmeier: Boccaccios Decameron. Darmstadt 1974, S. 213-231, hier S. 219). 66 Cf. beispielsweise das wiederkehrende »Hai tu mai...« sowie »Figliuolo mio« oder »Bene hai fatto« (Dec. I, 1, 32-74, passim). 67 Daß der Geistliche hier schlicht dem gewöhnlichen Beichtritus folgt, macht bereits die Eröffnungfrage (hier in indirekter Rede): »Quanto tempo era che egli altra volta confessato si fosse« (Dec. I, 1, 31) deutlich. Auch die Formulierungen »poca fatica avrò d’udire o di domandare« (Dec. I, 1, 33) und »pregare Iddio per te« (Dec. I, 1, 70f) sind im Rahmen einer Beichte durchaus üblich. Auf die Orientierung am gängigen Beichtspiegel wurde bereits verwiesen. 68 Cf. dazu die in der Tabelle angeführten Beispiele. 69 Dec. I, 1, 63/64.

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

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angeführte Gewohnheit der Mönche gegen ihn verwendet70, sondern auch der unerwartete Rollentausch per se reizen hier zum Lachen.71 Letzterer kommt zudem, da in der Realität wohl ausgeschlossen, einer »konventionell unmöglichen Normverletzung« gleich,72 was die zum Lachen reizende Wirkung zusätzlich steigert. »La novella […] fu in parte risa e tutta commendata dalle donne«73 bemerkt der Autor, nachdem Panfilo seine Geschichte beendet hat und deutet damit die von ihm gewünschte Lesart der Erzählung und letztlich auch des Gesamtwerks an: Er möchte es – bei aller Tiefe und philosophischer Reflexion, die ihm zugrunde liegt und die zu Recht den Novellenreigen eröffnet74 – vor allem als Spiel verstanden wissen, als niveauvolles Vergnügen.75 Die Beichte ist das erste Beispiel innerhalb der Sammlung für die Macht des Wortes – aber nicht das letzte. Die gleiche »prontezza e abilità nel far uso della ___________ 70 Zu einem ähnlichen Vorgehen hatte auch Cicero geraten (De orat. II, 255 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in verbis 6)). 71 Daß sich infolge dieses Rollentauschs das Verhältnis zwischen Beichtkind und Geistlichem tatsächlich verändert hat, manifestiert sich zudem im Wechsel der Anredeform. Hatte der Pater Ciappelletto bisher in der zweiten Personal Singular angesprochen, zollt er dem »santissimo uomo« durch die Verwendung des voi Respekt: »Ser Ciappelletto, con l’aiuto di Dio voi sarete tosto sano (Dec. I, 1, 75). Zu diesem grotesken Rollentausch als zum Lachen reizendes Motiv cf. C. van der Voort: »Convergenze e divariazioni tra la prima e la sesta giornata del Decameron«, in: SSB XI (1979), S. 207-241, hier S. 237/238 [van der Voort]. 72 Diese ›Groteske ante litteram‹ wird nach dem Tod des Sünders weitergeführt: Auch wenn ein Beichtvater von der Frömmigkeit seines Schützlings beeindruckt ist, scheint es undenkbar, die im Rahmen einer Beichte genannten Taten zur Nachahmung zu empfehlen. Genau das tut aber der Pater: »Il santo frate, che confessato l'avea, salito in sul pergamo di lui cominciò e della sua vita, de’ suoi digiuni, della sua virginità, della sua simplicità e innocenzia e santità maravigliose cose e predicare [...] quello che ser Ciappelletto per lo suo maggior peccato piangendo gli avea confessato« (Dec. I ,1, 85). Wenn die Reaktion des Volkes auf eine derartige Verletzung des Beichtgeheimnisses nur in der Verwertung der gegebenen Informationen besteht und der ›Hochgelobte‹ von nun an wie ein Heiliger verehrt wird, so reizt dies besonders den modernen Leser zum Lachen. Er wird – mit dem Heiligenkult nicht vertraut – dies als Kritik an der Haltung des Mönchs und an der Leichtgläubigkeit der Bevölkerung betrachten, eine Sichtweise, die, wie bereits angedeutet, vom Dichter nicht vorgesehen ist. Die Zeitgenossen Boccaccios hingegen werden die Situation als notwendige Fortführung der in der Beichte begonnenen Groteske betrachtet und herzlich darüber gelacht haben. 73 Dec. I, 2, 2. Die Reaktion der brigata ist durchaus verständlich, herrscht doch im ersten Teil der Novelle eine recht düstere Atmosphäre, die sich erst mit Beginn des Beichtgesprächs verändert (Cf. dazu Flasch, S. 117). 74 Den Novellen vorgeschaltet sind Überlegungen des ersten Erzählers über den damals üblichen Beginn im Namen Gottes, über dessen Allmacht und Einfluß auf das Leben der Menschen (Cf. Dec. I, 1, 2ff). Cf. dazu Veglia, S. 199f. 75 Cf. Picone, in: Centro Pio Rajna, S. 127: »C’è soprattutto indicato il modo coretto di leggere il Decameron, che è quello giocoso e ludico«.

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parola per ingannare il prossimo«76 wie Ciappelletto weist nämlich beispielsweise auch Fratre Cipolla auf, Protagonist der von Dioneo erzählten Novelle VI, 10. Im Gegensatz zu Ser Ciappelletto erscheint der Pater gleich zu Beginn der Novelle in positivem Licht: Era questo fratre Cipolla di persona piccolo, di pelo rosso e lieto nel viso e il miglior brigante del mondo: e oltre a questo, niuna scienza avendo, si ottimo parlatore e pronto era, che chi conosciuto non l’avesse, non solamente un gran rettorico l’avrebbe estimato, ma avrebbe detto esser Tulio medesimo o forse Quintiliano; e quasi di tutti quegli della contrada era compare o amico o benvogliente77

und als Meister der Rhetorik, dessen Fähigkeiten sogar eines Vergleichs mit dem Können von Cicero und Quintilian würdig ist – eine hohe Auszeichnung angesichts der damals üblichen Wertschätzung dieser Römer! Unter rhetorischem Vorzeichen steht dann auch der Rest der Novelle: Die Ankündigung Fratre Cipollas, den Certaldesern am Nachmittag eine »santissima e bella reliquia« zu zeigen, la quale [...] dalle sante terre d’oltremare (recò): e questa è una delle penne dell’agnol Gabriello, la quale nella camera della Vergine Maria rimase quando egli venne a annunziare in Nazarette78

___________ 76 P. D. Stewart: »La novella di Madonna Oretta e le due parti del Decameron«, in: Yearbook of Italian Studies III, (1976), S. 27-40, hier S. 36 [Stewart]. 77 Cf. Dec. VI, 10, 7. Es sei zudem darauf hingewiesen, daß Fratre Cipolla Antonianerpater war (Cf. Dec VI, 10, 3) und damit einem Orden angehörte, der zu Lebzeiten Boccaccios einerseits hohes Ansehen genoß, da der Ordensgründer als Pestheiliger und Beschützer der Haustiere besonders von der Landbevölkerung verehrt wurde, dessen Mitglieder andererseits aber für die Skrupellosigkeit bekannt waren, die sie an den Tag legten, wenn es darum ging, Almosen einzutreiben (Cf. LThK, Lemma Antonianer, sowie detallierter Bergdolt/Pest, S. 80f). Wie sich im folgenden zeigen wird, vereint Fratre Cipolla beide Aspekte in seiner Person. 78 Cf. Dec. VI, 10, 12. Kasusanpassung von mir. Im Original »io medesimo recai«. Die Thematisierung des Heiligen- und damit verbunden auch des Reliquienkultes lag zu Lebzeiten Boccaccios in Folge der latenten Bedrohung durch Krankheit, Hunger und Tod gewissermaßen in der Luft. Denn da die Menschen es oftmals nicht wagten, sich in ihrer Not direkt an Gott zu wenden, der ihnen mehrheitlich als strafender Richtergott, nicht aber als barmherziger Vater nahegebracht wurde, kam den Heiligen als Interzessoren zwischen Gott und Mensch eine wichtige Rolle zu (Cf. A. Angenendt: Heilige und Reliquien. München 1994, S. 80f [Angenendt]). Heiligenkult und vor allem Reliquienverehrung entspringen dem menschlichen Bedürfnis, die Religion in ihrer Lebenswirklichkeit zu verankern und – im wahrsten Sinne des Wortes – ›begreifbar‹ zu machen. Diesem Wunsch kamen Primär-, aber besonders Sekundärreliquien entgegen. Dank ihrer positiven Aufnahme und steigender Nachfrage entwickelte sich mit der Zeit ein regelrechter Reliquienhandel. Da der Besitz einer wertvollen Reliquie aufgrund des zu erwartenden Pilgerstroms auch Reichtum für die Stadt oder das Bistum bedeutete, gab es unter den Händlern recht bald schwarze Schafe, die den Besitz einer Reliquie allein unter finanziellem Aspekt befürworteten. Auch immer mehr falsche Reliquien kamen in Umlauf (Cf. Angenendt, Seite 162ff). Um die Gläubigen vor Betrug zu schützen, wurde auf

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bringt zwei seiner Freunde auf die Idee, dem Pater einen Streich zu spielen und die vermeintliche Engelsfeder zu entwenden »per vedere come egli di questo fatto poi dovesse al popol dire.«79 Die anschließende Predigt ist also letztlich nur die Antwort auf eine rhetorische Herausforderung. Wie schon in Hinblick auf Novelle I, 1 konstatiert, ist hier erneut nicht der Inhalt entscheidend, sondern die rhetorische Konstruktion. Im Gegensatz zu Ciappelletto, der für den Pater ein ›unbeschriebenes Blatt‹ war und seinen Gesprächspartner erst von seinem lauteren Lebenswandel überzeugen mußte, ist Fratre Cipolla bei seinen Zuhörern von vornherein bekannt und beliebt. Diese Stellung sowie sein Status als Geistlicher verleihen ihm Glaubwürdigkeit und damit eine Ausgangsposition, die es ihm erlaubt, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen und den Gläubigen manch abenteuerliche Geschichte zu berichten. Daß sich dabei Wahrheit und Lüge vermischen, ist nebensächlich80, einziger Zweck der Rede ist die Erklärung der Substitution der versprochenen Feder durch die nun vorhandenen Kohlen. Damit entsprechen Thema und Aufbau der Novelle nicht – wie von Dioneo behauptet – dem Tagesmotto81, im Gegenteil: Der Pater hat im Augenblick des Entdeckens der Substitution von Feder und Kohlen nämlich keineswegs sofort eine (originelle) Erklärung parat. Statt dessen rettet er die Situation mit einem vernehmbaren »O Idio, lodata sia sempre la tua potenzia«.82 Für die wartende Menge setzt diese Wendung lediglich den schon vor Öffnung des Kästchens begonnenen Lobpreis auf die Reliquie fort, dem Pater dient sie im wahrsten Sinne des Wortes als ›Lückenbüßer‹, der ihm die Chance gibt, kurz über den weiteren Verlauf der Predigt nachzudenken. Den gleichen Zweck erfüllt auch die anschließende Beschreibung seiner Reise in die Heilige Stadt.83 Die formelhafte Eröffnung: »Signori e donne, voi dovete sapere che io, essendo ___________ dem IV. Laterankonzil eine obrigkeitliche Überprüfung neu aufgefundener Reliquien beschlossen: »Praesenti decreto statuimus, [...] Inventas autem de novo nemo publice venerari praesumat, nisi prius auctoritate Romani pontificis fuerint approbatae.« (Wohlmuth II: IV. Lateranum, constitutio 62). 79 Cf. Dec. VI, 10, 14. 80 Daß man beim Erzählen von Anekdoten Wahres bzw. Wahrscheinliches und Erlogenes miteinander verbindet, hatte bereits Cicero gebilligt und – solange es mit der Lebenswelt der Zuhörer in Verbindung zu bringen war – als Möglichkeit, Lachen hervorzurufen, empfohlen (cf. De orat. II, 242 (Tabelle, S. 56, cavillatio in rebus 1-3)). 81 Cf. Dec. VI, 10, 3/4: »Vezzose donne, quatunque io abbia per privilegio di poter di quel che più mi piace parlare, oggi io non intendo di volere da quella materia separarmi […] intendo di mostrarvi quando cautamente con subito riparo uno de’ frati di San Antonio fuggisse uno scorno che da due giovani apparechiato gli era.« 82 Cf. Dec. VI, 10, 36. 83 Aufgrund des im 14 Jahrhundert weit verbreiteten Brauches, in die Heilige Stadt zu pilgern – ob in realitas oder nur auf dem Papier wie es beispielsweise Petrarca getan hat (Cf. F. Petrarca: Itinerarium de Iuana usque ad Ierusalem et Terram Sanctam, um 1358) – und anschließend davon zu berichten, läßt sich dieser erste Teil der Predigt auch als Parodie derartiger Texte fassen (Cf. M. Pastore Stocchi: »Dioneo e l’orazione di Fratre Cipolla«, in: SSB X (1977/78), S. 201-215, hier S. 207 [Pastore Stocchi]).

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io ancora molto giovane, io fu mandato dal mio superiore«84, sowie die im folgenden genannten Stationen – die wohl auf keiner Landkarte zu finden gewesen wären – lassen den Eindruck entstehen, der Berichterstatter habe die Fahrt nicht wirklich unternommen: Die Namen der bereisten Länder und die Beobachtungen auf der Reise gehören eindeutig ins Reich von Phantasie und Märchen und reizen durch ihre sprachliche Form oder den Rekurs auf bekannte Motive zum Lachen.85 Wenn Fratre Cipolla zudem ausgerechnet Maso del Saggio, bekannter Narr und Spaßvogel86, als Bürge für die Richtigkeit seiner Aussagen angibt, wird deutlich, daß er tatsächlich nicht verlangt, daß man ihm glaubt, sondern erzählt, um des Erzählens willen – um die Leute bei Laune zu halten. Dies ändert sich auch nicht mit Erreichen des imaginären Ziels seiner Reise. Am Ende der langen Aufzählung von Reliquien87, die ihm der Patriarch von Jerusalem gezeigt und von denen ihm einige als Geschenk überlassen wurden, schließt Fratre Cipolla lapidar: Vera cosa è che io porto la penna dell’agnol Gabriello, acciò che non si guastì, in una cassetta e i carboni co’ quali fu arrostito san Lorenzo in un'altra; le quali son si simiglianti l’una all’ altra, che spesse mi vien l’una per l’altra, e al presente m’è avvenuto.88

Der Rückbezug auf Laurentius, dessen Fest ja unmittelbar bevorstand89, macht die Predigt schließlich zu einem Erfolg. Denn während die anderen Reliquien mehrheitlich der überbordenden Phantasie Fratre Cipollas entsprangen, war der Glaube an die Wundertätigkeit von Kohlen, die man am Laurentiustag fand, im 14. Jahrhundert weit verbreitet, und die vermeintliche Asche, die vom ___________ 84

Cf. Dec. VI, 10, 37. Cf. z. B. die Länder »Truffia e Buffia« (Dec. VI, 10, 39), deren gereimte Namen wohl auf ihre Bewohner – truffatori und buffatori – verweisen (›truffatori‹ = chi truffa, chi inganna, †farsi beffe; ›buffatori‹ wohl in Analogiebildung zu truffatori: buffare = †dire sciocchezze, cf. Zingarelli, Lemmata truffare, truffatore, buffare) oder die Bemerkung »dove tutte acque corono alla ›ngiù« (Dec. VI, 10, 42) als Wiederaufnahme des Verkehrte-Welt-Motivs. Die Verwendung von Reimwörtern oder Versen wurde ebenfalls bereits von Cicero als Möglichkeit, Lachen auszulösen empfohlen (Cf. De orat. II, 257 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in verbis 9)). Zu den einzelnen Etappen der Reise cf. den Anmerkungskatalog Brancas zu Dec. VI, 10, 38-42, ferner Surdich, S. 166 sowie Pastore Stocchi, S. 208ff. 86 Dec. VI, 10, 42. Maso del Saggio war zur Zeit Boccaccios ein stadtbekannter Florentiner Spaßmacher. Der Dichter kennzeichnet ihn in Novelle VIII, 3 als »astuto e avvenevole« (Dec. VIII, 3, 5). 87 Dec. VI, 10, 44-47. Einzig der Schuh von Gherardo da Villemagna wäre tatsächlich als Sekundärreliquie denkbar. Alle anderen Gegenstände rühren entweder von Geistwesen oder Worthülsen her oder bestehen aus nicht konservierbarem Material. Die Kombination realer Elemente mit Metaphyischem kommt einer ›grotesken (ante litteram)‹ Grenzverletzung gleich, die durch die Tatsache, daß es sich um Reliquien – also um etwas Heiliges, Besonderes – handelt, noch verstärkt wird. 88 Dec. VI, 10, 49. 89 Cf. Dec. VI, 10, 51: »La festa di san Lorenzo sia di qui a due di«. 85

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Martyrium des Heiligen übriggeblieben ist, wurde oft als Segensgabe am Ende des Gottesdienstes verteilt.90 Vor diesem Hintergrund konnte der Pater davon ausgehen, daß das Volk, auf dessen Leichtgläubigkeit er ja auch in bezug auf die Feder des Verkündigungsengels gezählt hatte, ein Vertauschen der Kästchen durch göttliche Fügung ohne weiteres akzeptieren würden. Die gesamte Ansprache ist somit ein rhetorisches ›Übungsstück‹, eine Möglichkeit für den Redner, sein Können unter Beweis zu stellen, ohne den Zwang, beim Zuhörer eine Meinungsänderung bewirken zu müssen.91 Innerhalb der Novellenfiktion dient die Predigt allein dazu, die Gläubigen zu beeindrucken und ihre positive Stimmung vom Anfang zu erhalten, damit sie im Anschluß an die Messe großzügig Almosen geben würden. Im Korpus des Decameron ist sie nicht nur ein weiteres Beispiel für die Kraft des Wortes und die Fähigkeit des Menschen, sich ihrer in sinnvoller Weise zu bedienen – insofern hat sie also gleichermaßen exemplum- wie Appellcharakter – sondern auch für die unbedingte Priorität des zum Lachen reizenden Moments vor allen Nebenbelangen. Auch wenn hier, wie in Novelle I, 1, kirchliche Würdenträger und christliche Glaubenswahrheiten zum Gegenstand des Erzählens werden, fungieren sie letztlich nur als Anknüpfungspunkt an die Lebenswelt des zeitgenössischen Zuhörers oder Lesers. Aufgrund der weiten Verbreitung und Anerkennung des Reliquienkults im 14. Jahrhundert bot sich dieser als realistische Folie geradezu an. Da die Thematisierung von auch nur angeblich sakralen Gegenständen in profaner Literatur stets die Gefahr birgt, als Blasphemie verstanden zu werden, versucht Boccaccio diesem Vorwurf zuvorzukommen92, indem er eine Reliquie wie die St. Laurentius Kohlen in den Mittelpunkt stellt, zu deren Verehrung sich zwar im Laufe der Jahrhunderte verschiedenste Riten ausgebildet hatten, diese aber eher im Volksglauben verankert als von offizieller, das heißt kirchlicher Seite gefördert wurden. Das Austeilen eines grotesken (ante litteram) Phylakterions hingegen hätte die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Reliquie per se gelenkt. Vor dem Hintergrund des Kampfes der Kirche gegen die falschen Reliquien vermittelt die Predigt des Paters also eher den Eindruck, als ziehe der Autor mit dem Klerus an einem Strang. Darüber hinaus ist es natürlich mög___________ 90 Cf. LexMa Lemma Laurentius (römischer Diakon und Märtyrer, Festtag: 10. August), (I) und (II). 91 Als solche ist sie also epideiktische Rede (Cf. dazu Lausberg §§ 20ff). Zur Beurteilung des genus demontrativum durch Cicero cf. De orat. II, 30ff, dazu Knape, S. 115. C. Segre grenzt die Predigt Fratre Cipollas dementsprechend sinnvoll als »discorso suggestivo […] nell’illustrare i carboni con cui fu arrostito san Lorenzo« vom »procedimento argometativo« ab, »con cui ser Ciappelletto riesce a convincere il confessore della propria santità« (C. Segre: »La beffa e il comico nella novellistica del due e trecento« in: Centro Pio Rajna, S. 13-28, hier S. 23). 92 Daß diese Vorsichtsmaßnahme vergeblich war, zeigen die Verurteilungen der Novelle seitens zahlreicher Kritiker, insbesondere zur Zeit der Gegenreformation (Cf. Hauvette, S. 46ff).

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lich, diese als Homilienparodie zu interpretieren. Da sich aber seit dem 12. Jahrhundert die Geistlichen vermehrt der Lachen auslösenden Anekdote bedienten, um die christliche Botschaft auf interessante und vor allem angenehme Weise ›an den Mann zu bringen‹93, hätte ein Prediger die Ansprache in der vorliegenden Form theoretisch durchaus halten können – auf diese Weise aber jedes theologische Anliegen gänzlich außer acht gelassen. Qualität und vor allem Quantität der zum Lachen reizenden Elemente innerhalb der Predigt kennzeichnen diese somit als positiven rhetorischen Ausnahmefall und unter dem Aspekt der konstatierten theologischen Sinnlosigkeit als Parodie. Die (Teil)-Interpretation der Ciappelletto- sowie der Fratre Cipolla-Novelle hat gezeigt, daß trotz aller angestrebten Orientierung an den Fragen der Zeit es stets erstes Anliegen des Autors ist, Lachen zu erregen. Diese Tendenz läßt sich desgleichen in Erzählungen konstatieren, die – auch wenn ihre Handlung vom Autor in die Nähe von Florenz und ins ›Hier und Jetzt‹ verlegt wurde – letztlich Gegenstände fortdauernder Aktualität betreffen: Liebe und Sexualität.94 In den meisten Geschichten des Decameron ist die Liebe erwünschtes oder wiederzuerlangendes Gut und – neben Fortuna – wirkmächtige Kraft, die Denken und Handeln der Menschen bestimmt. Darüber hinaus thematisiert Boccaccio sie aber auch in ihrer körperlichen, sexuellen Form. Als solche ist sie natürlicher Teil menschlichen Lebens und wie das Lachen Zeichen der Daseinsfreude. Aufgrund dieser Verbindung ist es wenig verwunderlich, daß der Dichter auf zum Lachen reizende Darstellungsmodi zurückgreift, um Geschlechtsverkehr und Sexualität zur Sprache zu bringen.95 Dabei kommt es dem Autor nicht darauf an, das Liebesspiel zu beschreiben oder durch die Art der Darbietung sexuelle Lust zu erwecken. Da die Novellen bekanntlich von Damen und Herren aus gutem Hause erzählt werden und besonders erstere sehr auf das Bewahren ihrer onestà bedacht sind,96 ist ein Benennen oder gar eine detaillierte Beschreibung von Geschlechtsorganen oder Beischlaf aufgrund des sie umgeben___________ 93

Cf. S. 115ff. Kaum ein anderer Aspekt der Novellensammlung wurde im Laufe der Jahrhunderte so intensiv diskutiert wie die Einstellung Boccaccios zur Sexualität und in Verbindung damit die Frage, inwieweit Ehebruchsgeschichten und scheinbar ›obszöne‹ Szenen der kirchlichen Sexualethik entgegenstehen (Cf. Surdich, S. 141). Von kirchlicher Seite bald verdammt, wurde es in Humanistenkreisen – gerade aufgrund der hier vertretenen Einstellung zur Sexualität – als »Anzeichen für den Beginn der Neuzeit (ge)sehen« (Schnell, in: Schnell, S. 249. Der Autor zeichnet in seinem Beitrag die Debatte um Modernität oder Mittelalterlichkeit des Dichters nach (Schnell, in: Schnell, S. 249-258). 95 Zur weiterführenden Analyse sei erneut auf die gängigen Bibliographien verwiesen. In Hinblick auf die hier nicht berücksichtigte moralische Seite gesellschaftlich nicht gebilligter Liebesbeziehungen cf. insbesondere Schnell, in: Schnell, S. 255f. Zu Novelle III, 10 und V, 4 cf. zudem Arend, S. 275-295 sowie R. Bruno Pagnamenta: Il ›Decameron‹. L’ambiguità come strategia narrativa. Ravenna 1999, S. 87-118. [Bruno Pagnamenta] 96 Cf. z. B. Dec. VI, Concl. 7-16 sowie Concl. dell’autore, 4-10; dazu Veglia, S. 197. 94

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den Tabus nicht möglich, aber auch nicht nötig: Wenn Sexualität selbstverständlich zum Leben dazugehört und bejaht wird, reichen Anspielungen und Metaphern aus,97 um Zuhörer oder Leser die Situation anzudeuten, die den weiteren Fortgang der Geschichte bestimmen wird. Durch die entsprechende Verwendung derartiger Redefiguren wird – wie im folgenden an Novelle V, 4 verdeutlicht – zudem eine Lachen auslösende Wirkung erzielt: (Caterina): ›Quando a mio padre e a voi piacesse, io farei volentier fare un letticello in sul verone che è allato alla sua camera e sopra il suo giardino e quivi mi dormirei: e udendo cantar l’usignolo e avendo il luogo più fresco, molto meglio starei che nella sua camera non fo […].‹ (La madre): ›Ella (i. e. Caterina) non ha in tutta notte trovato luogo di caldo; e oltre a ciò [...] le sia in piacere l'udir cantar l'usignuolo, che è una fanciullina?‹ [...] (Messer Lizio): ›Via, faccialevisi un letto […] e dormavi e oda cantar l'usignuolo a suo senno.‹ [...] E quasi per tutta la notte diletto e piacer presono l'un dell'altro (i. e. Caterina e Ricciardo), molte volte faccendo cantar l'usignuolo. […] (Messer Lizio): ›Lasciami vedere come l'usignuolo ha fatto questa notte dormire la Caterina.‹ [...] e andonne alla camera della sua donna e chiamolla, dicendo: ›Su, tosto, donna, lievati e vieni a vedere che tua figliuola è stata si vaga dell' usignolo, che ella l'ha preso e tienlosi in mano [...].‹ (La madre) poté manifestamente vedere […] come la figliuola avesse preso e tenesse l'usignuolo il quale ella tanto desiderava d'udir cantare [...]. (Messer Lizio): ›[…] si che egli si troverà aver messo l'usignuolo nella gabbia sua e non nell'altrui.‹ [...] Di che la donna racconsolata, veggendo […] e considerando che la figliuola aveva avuto la buona notte e erasi ben riposata e aveva l’usignuol preso, si tacque […]. Mentre queste parole (Caterina) lasciò l’usignuolo, e ricopertasi cominciò fortemente a piangnere […]. (Ricciardo) sposò la giovane […] e poi con lei lungamente in pace e in consolazione uccellò agli usignuoli e di dì e di notte quanto gli piacque.98

Die Worte »usignuolo« und »cantare« werden hier zunächst in ihrer ursprünglichen Bedeutung verwendet. »Usignuolo« deutet aber durch seinen symbolischen Gehalt99 bereits auf den zweiten Teil der Novelle voraus, in der »usignuolo« nun in figurativer Bedeutung verwendet, metaphorisch den Phallus vertritt.100 Das mit »usignuolo« eng verbundene »cantare« erhält durch die Umdeutung von »usignuolo« gleichfalls figurativen Wert. Der zum Lachen reizende Effekt ergibt sich hier durch die konsequente Verwendung derselben Begriffe für unterschiedliche Sachverhalte, wobei – und das ist hier entscheidend – die ursprüngliche Bedeutung auch auf figuraler Ebene stets mitgedacht ___________ 97

Cf. dazu Segre, S. 22. Dec. V, 4, 21-49. Hervorhebungen: kursiv: ursprüngliche Bedeutung, fett/kursiv: ursprüngliche + figurative Bedeutung. 99 Die Nachtigall symbolisiert traditionell nächtliches Liebesspiel. Cf. M. Cazenave (Hrsg.): Encyclopédie des symboles. Paris 1996, Lemma rossignol. Cf. dazu Bruno Pagnamenta, S. 96. 100 Cf. dazu Segre, S. 22. Der hier vorliegende »discorso metaforico« erstreckt sich auf die ganze Novelle und betrifft Figuren- und ›Autoren‹rede (hier Filostrato) gleichermaßen. 98

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wird.101 Da die Begriffe »gabbia« und uccellare (≈ »uccellò«), die sich beide auf die ursprüngliche Bedeutung von »usignuolo« beziehen, zu einem Zeitpunkt eingeführt werden, als »usignuolo« bereits die Ebene gewechselt hat, werden Zuhörer und Leser beide Ausdrücke zugleich mit sexuellen Konnotationen belegen. Das bei der Lektüre der Novelle hervorbrechende Lachen ist ein zweifaches: Zum einen wird es durch Erwartungsdurchbrechung ausgelöst, da hier ein ›Richtungswechsel‹ in Form einer Änderung der Begrifflichkeit nicht stattfindet, obwohl der Textzusammenhang einen solchen vorsieht,102 zum anderen wird hier ein Lachen aus Lebensfreude evoziert. Denn man lacht nicht über das Novellenpersonal, sondern mit ihm103, gleichfalls erfreut, daß der sich anbahnende Konflikt zu allseitiger Zufriedenheit gelöst werden konnte, was letztlich nur durch die Anerkennung der sexuellen Lust als natürliche Disposition des Menschen möglich wurde.104 Die anhand von Novelle V, 4 erarbeiteten Mechanismen lassen sich in weiteren Novellen ähnlicher Thematik nachweisen. Der Dichter arbeitet stets mit Metaphern, greift sogar manchmal auf bereits vorhandene, sexuell konnotierte Bilder zurück, kombiniert diese aber oftmals mit weiteren Lachen auslösenden Elementen, so daß immer wieder neue – unerwartete – Lachmomente entstehen. Bestes Beispiel ist der wiederholte Gebrauch der coda-Metapher. Diese war nicht nur bereits in der klassischen Literatur vorgebildet105, sondern – und das ist hier weitaus entscheidender – damals gängige Bezeichnung für das männliche Glied.106 Während sie jedoch in den Novellen III, 1 und VII, 1107 tatsächlich nur der Umschreibung des Geschlechtsorgans dient, aber keinen Be___________ 101

Cf. dazu entsprechend De orat. II, 261 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in verbis 13) sowie die in Bezug auf den Einsatz von Zweideutigkeiten in Anm. 31 (S. 272) genannten Passagen. 102 Mit Bergson gesprochen ist hier also »du mécanique plaqué sur du vivant« (Le rire, S. 405). 103 Dieses Lachen wird durch »Komik der Heraufsetzung« hervorgerufen, deren Gegenstand ein mit gesellschaftlichen Tabus belegter Bereich menschlichen Daseins ist. 104 Dabei sei jedoch eingeräumt, daß messer Lizio, trotz allen Verständnisses für seine Tochter, gesellschaftliche und kirchliche Wertvorstellungen berücksichtigen wollte (Cf. Dec. V, 4, 37/38). 105 Cf. z. B. Sermones I, 2, 45: »ut quidam testis caudamque salacem, demeterrent ferro«; Sermones II, 7, 49/50: »sub clara nuda lucerna quaecumque exceptit turgentis verbera caudae.« 106 Cf. Branca, Anm. zu Dec. III, 1, 20: »facile e diffuso uso«. 107 Dec. III, 1, 20: »La badessa, che forse stimava che egli così senza coda come senza favella fosse«; Dec. VII, 1, 27: »E la donna cominciò l’orazione e disse: Fantasima, fantasima, che di notte vai, a coda ritta ci venisti, a coda ritta te n’andrai.« Darüber hinaus verwendet Boccaccio die Metapher in Dec. IV, Intr. 33: »E quegli che contro alla mia età parlando vanno, mostra mal che conoscano che, perché il porro abbia il capo bianco, che la coda verde«, bezogen auf seine eigene Person.

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zug zum Inhalt hat und somit austauschbar wäre, erhält coda in Novelle IX, 10, der letzten Geschichte der Sammlung mit entsprechendem Erzählgegenstand, seine ursprüngliche Bedeutung gleichsam zurück: (Donno Gianni): ›Guata ben com’ io farò, e che tu tenghi bene a mente come io dirò; e guardati, quanto tu hai caro di non guastare ogni cosa, che per cosa che tu oda o veggia, tu non dica una parola sola, e priega Iddio che la coda s’appichi bene.‹ Appreso donno Gianni fece spogliare ignudanata commar Gemmata e fecela stare con le mani e co’ piedi in terra a guisa che stanno le cavalle […] e con le mani cominciandole a toccare il viso e la testa cominciò a dire: ›Questi sia bella testa di cavalla‹ […]. E ultimamente, niuna cosa restandogli a fare se non la coda, levata la camiscia e preso il pivuolo col quale egli piantava gli uomini e prestamente nel solco per ciò fatto messolo disse: ›E questa sia bella coda di cavalla.‹ Compar Pietro, che attentamente infino allora aveva ogni cosa guardata, veggendo questa ultima e non parendogli bene disse: ›O donno Gianni, io non vi voglio coda, io non vi voglio coda.‹ […] Era già l’umido radicale per lo quale tutte le piante s’appicano venuto, quando donno Gianni tiratolo indietro disse: ›Oimè, compar Pietro, che hai tu fatto? Non ti diss’io che tu non facessi motto di cosa che tu vedessi? La cavalla era per esser fatta, ma tu favellando hai guasta ogni cosa, né più ci ha modo da poterla rifare oggimai.‹ Compar Pietro disse: ›Bene sta, io non vi voleva quella coda io: perché non diciavate voi a me: Falla tu? e anche l’appiccavate troppo bassa.‹ […] La giovane […]: ›Bestia che tu se’, perché hai tu guasti li tuoi fatti e i miei? Qual cavalla vedestú mai senza coda?‹108

Die unerwartete Reintegration der bekannten Metapher in deren ursprünglichen Sinnzusammenhang und die latente Zweideutigkeit, die wie im Falle der usignuolo-Metapher entsteht, da die figurative Bedeutung weiterhin Gültigkeit behält, reizen hier zum Lachen, obwohl die Situation nicht dem Postulat des non turpiter entspricht.109 Durch die nachträgliche Billigung des erzwungenen Geschlechtsverkehrs wird es Zuhörer und Leser aber ermöglicht, über die unglaubliche Naivität der Eheleute herzlich zu lachen. Es lohnt sich, abschließend noch einen Blick auf Novelle III, 10 zu werfen, deren zum Lachen reizende Wirkung ebenfalls auf dem geschickten Einsatz bildlicher Rede sowie des, hier sogar in zweifacher Hinsicht, mehrwissenden Lesers beruht. Alibech wird von vornherein als »semplicissima«110 beschrieben, und scheint somit gleich zu Beginn der Geschichte zum prädestinierten Opfer eines ›überlegenden‹ Rezipienten zu werden. Bereits die Reaktion des ersten Einsiedlers, den Alibech um Unterweisung im ihr unbekannten christlichen Glauben bittet, deutet den weiteren Fortgang der Novelle an: ___________ 108 Dec. IX, 10, 15-23. Hervorhebungen: kursiv: ursprüngliche Bedeutung, fett/kursiv: ursprüngliche + figurative Bedeutung. Dabei sei jedoch angemerkt, daß die sexuell besetzte Bildebene der Metapher dem Rezipienten auch im ersten Teil der hier zitierten Passage präsent ist, der Inhalt des Textes eine Aktualisierung aber noch nicht nötig macht. 109 Cf. Surdich, S. 186. 110 Dec. III, 10, 6.

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Il valente uomo, veggendola giovane e assai bella, temendo non il dimonio, se egli la ritenesse, lo ‘nganasse [...] le disse: Figliuola mia, non guari di qui è un santo uomo, il quale di ciò che tu vai cercando è molto migliore maestro che io non sono: a lui te ne andrai.111

Aus Angst, dem Sexualtrieb nicht standhalten zu können, schickt der Eremit sie fort. Nach einem erneuten Mißerfolg kommt das Mädchen zu einem dritten Einsiedler: Uno romito giovane, assai divota persona e buona, il cui nome era Rustico [...]. II quale, per volere fare della sua fermezza una gran pruova, non come gli altri la mandò via.112

Die Betonung der Jugend des Eremiten steht im Kontrast zu seinem Vorhaben: Wenn schon die anderen Einsiedler Alibech fortschickten, um nicht ihrer Schönheit zu erliegen, erscheint es höchst zweifelhaft, daß gerade ein junger Mann sich auf Dauer Alibechs Reizen wird widersetzen können.113 Und es kommt wie erwartet: Rustico hält der Versuchung nicht stand, sondern ist statt dessen nur darauf aus, eine Möglichkeit zu finden, sich das Mädchen auf möglichst harmlose Weise und unter dem Vorzeichen des »far grato a Dio«114 gefügig zu machen, damit es mit ihm den Geschlechtsakt vollzieht: Primieramente con molte parole le mostrò quanto il diavolo fosse nemico di Domenedio, e appresso le diede a intendere che quel servigio che piú si poteva far grato a Dio si era rimettere il diavolo in Inferno, nel quale Domenedio l’avea dannato. […]

Die eingeführten Begrifflichkeiten, »diavolo« und »Inferno« stehen hier noch im Zusammenhang christlicher Glaubenslehre, die figurative Bedeutung schwingt aber vor dem Hintergrund der bisherigen Erzählung bereits mit und wird im folgenden aktualisiert: E cominciossi a spogliare […] rimase tutto ignudo, e così si fece la fanciulla, e posesi ginocchione a guisa che adorar vollesse e di rimpetto a sé fece star lei. E così, essendo Rustico più che mai nel suo desiderio acceso per lo vederla cosí bella, venne la resurrezzion della carne; la quale riguardando Alibech e maravigliatasi disse: ›Rustico, quella che cosa è che io ti veggio che cosí si pigne in fuori, e non l’ho io?‹ (Rustico): ›O figliuola mia, […], questo è il diavolo di che io t’ho parlato […].‹ Allora disse la giovane: ›O, lodato sia Iddio, ché io veggio che io sto meglio che non stai tu, ché io non ho costesto diavolo io‹. Disse Rustico: ›Tu di’ vero, ma tu hai un ›altra cosa che non l’ho io […].‹ (Rustico): ›Hai il ninferno’; e dicoti che io mi credo che Idio t’abbia qui mandata per la salute dell’anima mia, per ciò que questo diavolo pur mi darà questa mia noia, ove tu vogli aver di me tanta pietà e sofferire che io in inferno il rimetta, tu mi darai grandissima consolazione e a Dio farai grandis-

___________ 111

Dec. III, 10, 8. Dec. III, 10, 9. 113 Cf. dazu Schnell, in Schnell, S. 260f. Das Alter der anderen Einsiedler ist nicht angegeben, die Betonung des »giovane« läßt aber darauf schließen, daß die anderen eben nicht jung waren. 114 Dec. III, 10, 11. 112

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simo piacere e servigio […].‹ La giovane, che mai più non aveva in inferno messo diavolo alcuno, per la prima volta sentí un poco di noia per che ella disse a Rustico: ›Per certo, padre mio, mala cosa dee essere questo diavolo e veramente nemico di Dio, ché ancora al ninferno, non ché altrui, duole quando egli v’è dentro rimesso.‹115

Die zum Lachen reizende Wirkung dieses Textausschnitts ergibt sich vor allem aus der konsequenten Verwendung des immer gleichen Bildes: »mettere il diavolo in inferno«. Darüber hinaus entsteht durch Rusticos gekonntes Spiel mit ursprünglicher und übertragener Bedeutung der Metaphern einerseits und der Einbindung der naiven Alibech – die den Doppelsinn der diavolo-Metapher mangels Vorwissen nicht durchschauen kann – in die Gesamtsituation andererseits, eine Atmosphäre latenter Zweideutigkeit, die gleichermaßen Lachen hervorruft.116 In diesem Ambiente wird dann auch eine blasphemisch anmutende Wendung wie »la resurrezzion della carne« als Umschreibung für das erigierte Glied verzeihlich, kennzeichnet es doch in prägnanter Weise das wiedererwachte – oder besser wieder zugestandene – sexuelle Verlangen des Eremiten.117 Der unbedingte Wille des Rustico ans Ziel seiner Begierde zu gelangen und die Tatsache, daß Alibech nach den ersten negativen Erfahrungen Gefallen am Geschlechtsverkehr findet, zeigen erneut, wie selbstverständlich sexuelle Lust und Freude am Körper des anderen zum menschlichen Leben dazugehören. Wenn die beiden daraufhin den »diavolo« so oft in »inferno« schicken, daß Rustico »che di radici d’erba e d’acqua vivea«118 sich schließlich entkräftet verweigert, wird nicht nur die naive Alibech Zielscheibe spottenden Gelächters, sondern auch der Einsiedler, dessen männliche Schwäche besonders weiblichen Rezipienten Grund für schadenfrohes Lachen bietet. In bezug auf die ›erotischen‹ Geschichten war es, wie eben gezeigt, durchaus möglich, gängige Techniken des zum Lachen Reizens herauszuarbeiten und auf ___________ 115 Dec. III, 10, 11-22. Hervorhebungen: kursiv: ursprüngliche Bedeutung, fett/kursiv: ursprüngliche + figurative Bedeutung. Die zitierte Textpassage fungiert hier als repräsentatives Beispiel. Der hier gezeigte Umgang mit den Metaphern diavolo und inferno setzt sich bis zum Ende der Novelle fort. Die n-Agglutination in Zeile 9 des Zitats (n-inferno) ist eine übliche volkssprachlicheVariante (Cf. Branca, Anm. zu Dec. III, 3, 39). 116 Durch diese Brechung der Perspektive der Naiven mit der Sichtweise des Wissenden, nämlich Rustico, erfährt zudem das von Neifile gewählte Tagesthema »di qui alcuna cosa molta da lui desiderata con industria acquistasse o la perduta ricoverasse« (Dec. III, Intr. 1) eine überraschende Erweiterung (Cf. V. Kapp: »Der Wandel einer literarischen Form: Boccaccios Decameron und Marguerite de Navarres Heptaméron«, in: Poetica 14, 1982, S. 24-44, hier S. 32 [Kapp/Wandel]). 117 Die Periphrase ist bei Apuleius vorgebildet: »Steterunt et membra, quae iacebant ante« (Met. 2, 7, 5) und Boccaccio verwendet sie erneut in Dec. VIII; 7, 67: »E d’altra parte lo stimolo della carne l’assali subitamente e fece tale in piè levare che si giaceva«. In beiden Fällen entbehrt sie aber der in Dec. III, 13 inhärenten Zusatzbedeutung. 118 Dec. III, 10, 30.

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bekannte Konzepte zurückzuführen. Dennoch bleibt besonders bei Novellen, in denen ein mit gesellschaftlichen Tabus belegtes Thema zum Gegenstand des Lachens wird, oftmals ein ›unerklärlicher‹ Rest, der sich nicht durch die gängigen Modelle der »Komik der Herabsetzung« begründen läßt, sondern dessen Lachen im Gegenteil auf »Komik der Heraufsetzung« – und dies sollte man in Hinblick auf das Decameron durchaus spezifizieren: auf der Freude am menschlichen Dasein – beruht. In Boccaccios Novellensammlung werden nur die Bereiche des Allgemein-Menschlichen angesprochen, die der Intention des Autors, Melancholie zu vertreiben und Lebensfreude zu wecken, nicht nur nicht widersprechen, sondern das literarische Programm des Buches im Gegenteil unterstützen.119 Innerhalb dieses Konzepts der Freude am »materiell Leiblichen« kommt positiven sexuellen Erfahrungen dementsprechend eine entscheidende Rolle zu. Ist es bekanntlich schon sehr schwierig, Lachen infolge getäuschter Erwartung, aus Schadenfreude usw. einem Nicht-Lachenden begreiflich zu machen, so ist dies in bezug auf das Lachen aus Lebensfreude unmöglich: Die Frage nach den Gründen dieses Lachens ist, sieht man von einem ›aus Lust am Leben‹ ab, nicht zu beantworten – und wird deshalb auch nicht gestellt. Die Geschichten von Alibech oder Donno Gianni können nur erzählt werden, weil eine Diskussion der Novellen im Decameron nicht vorgesehen ist. Eine solche würde nämlich zur Verletzung der onestà führen, wenn die Damen (und Herren) außerhalb des Schutzraums der Novellenfiktion zu klären suchten, warum diese oder jene obszöne Anspielung sie berührt und deshalb zum Lachen gebracht hat. Darüber hinaus würde im Rahmen einer Debatte die Frage nach Sinn und Zweck mancher Novelle fallen und auf diese Weise der »aspetto ludico«, das reine »divertimento«, was gerade den Novellen eigen ist, die mit wenig Handlung auskommen und deren Reiz im wesentlichen auf der sprachlichen Gestaltung besteht, geschmälert, wenn nicht zerstört. An dieser Stelle wird ein eklatanter Unterschied zu späteren Novellensammlungen offenbar. Wenn wie beispielsweise im bereits erwähnten Heptaméron die Geschichten nicht mehr wie im Decameron nur durch den Autor kommentiert, sondern zur Diskussion gestellt werden, finden Erzählungen oben beschriebenen Typs keinen ___________ 119 Zu diesem Bereich des Allgemein-Menschlichen gehören neben der Sexualität (und damit verbunden Zeugung und Geburt) auch Tod, Exkretion und Nahrungsaufnahme. Während jedoch letztere grundsätzlich positiv besetzt ist – gehört doch ein gedeckter Tisch damals wie in unserer Zeit zu den Freuden des Lebens – ist Exkretion lediglich ein (physiologisch) notwendiger Vorgang. Im Rahmen des Konzepts der Lebensfreude nimmt das skatologische Element dementsprechend nur einen sehr geringen Raum ein (Cf. Dec. VI, 5; 12 VIII, 9, 99, auch hier bedienen sich die Erzähler bildlicher Rede, um die onestà nicht zu verletzen. Cf. dazu Segre, S. 24). Auch der Tod wird im Decameron nur dann zum Gegenstand des Lachens, wenn im Rahmen grotesker (ante litteram) Grenzverletzung die strikte Trennung zwischen Tod und Leben aufgehoben wird (Cf. Dec. III, 8; IX, l), der Tod also nur ein scheinbarer ist. Zur Thematiserung der Nahrungsaufnahme insbesondere in Verbindung mit weiteren zum Lachen reizenden Motiven, cf. Arend, S. 404ff.

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Raum mehr. In bezug auf Novelle V, 4 hätte vielleicht deren moralische Komponente untersucht werden können, damit wäre zwar manches Interessantes gesagt worden, der wahre ›Sinn‹ der Geschichte – nämlich Vergnügen zu bereiten und Lebensfreude zu vermitteln – aber käme nicht zur Geltung.120 Boccaccio hat sich bei der Gestaltung seiner Novellen deutlich an gängigen Konzepten orientiert. Die bisher analysierten Geschichten weisen zum Lachen reizende Momente »in omne sermone fusum« auf und entsprechen in Aufbau und Atmosphäre ciceronianischer cavillatio. Techniken, die der Römer in bezug auf die dicacitas empfohlen hatte, wendet der Dichter vorrangig an, wenn er die »potenzialità della parola«121 feiert – woraus sich dann auch der vermehrte Rückgriff auf die Hinweise zur dicacitas in verbis erklären läßt. Wurden die diesbezüglichen Techniken hier vorrangig zum originellen Schmuck der Rede angewandt, dienen sie in einigen Novellen des ersten sowie besonders des sechsten Erzähltages einem anderen Zweck.

bb) dicacitas toskanisch: dire onestamente villania Bei der Gestaltung der zum Lachen reizenden Anekdote kann sich ein Autor zwar nicht inhaltlich, wohl aber formal frei entfalten. Ob das Lachen durch – unerwartete – Situationen oder aufgrund des Einsatzes bestimmter sprachlicher Elemente hervorgerufen werden soll, ist einzig die Entscheidung des Autors. Die dicacitas hingegen legt einem Dichter weit mehr Fesseln an. Wer ein leggiadro motto oder eine pronta risposta – wie sie in den rubriche zahlreicher Novellen genannt wird – in den Mittelpunkt einer Geschichte stellt, muß diese strukturell darauf abstimmen. Die ganze Erzählung muß – um die Wirkung der Pointe nicht zu zerstören – auf eben diese ausgerichtet und der behandelte Konflikt durch ein »verbum autem sententia acumine«122 lösbar sein. Was aber hat Boccaccio an dieser Art, die Menschen zum Lachen zu bringen, so gereizt, daß er zahlreiche Geschichten seiner Sammlung diesen strengen Vorgaben entsprechend konzipierte? Unter einem motto versteht und verstand man auch zur Zeit der Abfassung des Decameron ein »detto arguto e spirituoso«.123 Eine pronta risposta läßt sich grundsätzlich als »risposta adatta, calzante, oltre che immediata« fassen.124 Die ___________ 120

Cf. Kapp/Wandel, S. 32. Surdich, S. 123. 122 De orat. II, 244. 123 Cf. Zingarelli, Lemma motto. Dem Eintrag ist der Zusatz (Boc./Dec.) beigefügt. Cf. auch Enciclopedia dantesca, Lemma motto. Motteggiare ist dementsprechend: ›dire motti di spirito‹ (Zingarelli, Lemma motteggiare). 124 Eine solche Antwort kann also auch ein motto sein. 121

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Nähe zum »peracutum et breve« ist hier offensichtlich. Es wird im folgenden zu klären sein, ob es neben der genannten Maxime weitere Konstanten gibt, die für Autor und Werk kennzeichnend sind, so daß man von einer Anverwandlung des ciceronianischen Modells sprechen kann. Erste Hinweise bieten die Vorreden einiger Erzähler zu den von ihnen ausgewählten Novellen: •

(Filomena): Si perché mi piace noi essere entrati a dimostrare con le novelle quanta sia la forza delle belle e pronte risposte.125



(Pampinea): Come ne’ lucidi sereni sono le stelle ornamento del cielo e nella primavera i fiori ne’ verdi prati, così de’ laudevoli costumi e de’ ragionamenti piacevoli sono i leggadri motti. […]E il vero che, cosí come nell’ altre cose, è in questa da riguardare e il tempo e il luogo e con cui si favella […].126



(Lauretta): Vi voglio ricordare essere la natura de’ motti cotale, che essi, come la pecora morde, deono cosí mordere l’uditore e non come ‘l cane: per ciò che, se come il cane mordesse il motto, non sarebbe motto, ma villania. […] È il vero che, se per risposta si dice e i risponditore morda come cane, essendo come da cane prima stato morso, non par da riprender come, se ciò avvenuto non fosse, sarebbe: e per ciò è da guardare e come e quando e con cui e similmente dove si motteggia.127



(Panfilo): Bella cosa è in ogni parte saper ben parlare, ma io la reputo bellissima quivi saperlo fare dove la necessità gli richiede.128

Der Dichter spricht sich hier nicht nur grundsätzlich für den Gebrauch von »leggiadri motti« aus, mit den Worten Pampineas, Laurettas und Panfilos rekurriert er zudem auf das Konzept der urbanitas.129 Auf diese Weise stellt er einen eindeutigen Bezug zu Cicero und Quintilian130 und somit erneut zu den anerkannten Autoritäten her und leistet auf diese Weise einen Beitrag zur jahrhundertealten Diskussion über die richtige Verwendung von Scherzworten. Wenn der Autor Filomena hier ausrufen läßt, sie freue sich »(di) essere entrati a dimostrare con le novelle quanta sia la forza delle belle e pronte risposte«, läßt dies den Bekanntheits- und Beliebheitsgrad dieses Gegenstands erahnen. Dieser Eindruck wird im folgenden durch die Auswahl der Novellen bestätigt: Ohne auf ein bestimmtes Thema festgelegt zu sein, thematisieren die brigata-Mitglieder ›von sich aus‹ in allen Novellen die Kraft des Wortes. Diese ___________ 125 Dec. I, 5, 4. Sehr ähnlich Dec. VI, 6, 3: »un morso dato […] con un motto non meno da ridere che da commendare« 126 Dec. I, 10, 3-7. Die einleitenden Worte Pampineas werden von Filomena zu Beginn des sechsten Erzähltages beinahe wörtlich wieder aufgenommen (Cf. Dec. VI, 1, 1/2). 127 Dec. VI, 3, 3-5. 128 Dec. VI, 7, 3. 129 Cf. De orat. II, 247: »Temporis igitur ratio et ipsius dicacitatis moderatio et temperantia et raritas dictorum distinguent oratorem a scurra.« 130 Buch XI der Institutio oratoria Quintilians ist im wesentlichen dem Konzept der urbanitas gewidmet.

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

297

manifestiert sich entweder in der rhetorisch ausgefeilten Rede, dem geschickt gewählten exemplum,131 oder aber, und das ist hier bemerkenswert, in Form des motto oder der pronta risposta.132 Besonders letztere, originelle Art sich der Sprache zu bedienen, war in der Toskana des 13. und 14. Jahrhundert durchaus üblich. So enthält z. B. ein zu Lebzeiten Boccaccios entstandenes Anstandsbuch, das Libro di buoni costumi, eine Fülle von Maßregeln zum situationsund standesgemäßen Sprechen und unter ihnen auch Aussagen zum mottegiare: •

Nostro Signore Iddio fece a l’uomo due orrecchi e due occhi e due mani e una bocca, e tutto fece a nostro ammaestrammento. E dimostrati che tu devi udire e vedere e toccare due volte la cosa anzi che parlare una, in però che la lingua va in luogo che non vi va il coltello: e però troppo ti guarda di troppo e di vano parlare, se non vuoli ispesso fallare. […]



Cortesia di bocca assai vale e poca costa: e però non dire mai villania a persona, ché meno costa a starsi cheto ch’a dire [villania al] suo vicino o al’amico [o a lo] straniero, e più vale il tacere.133

Wer über »cortesia di bocca« verfügt, sagt zwar, was er denkt, aber er tut dies auf eine so geistreiche Art, daß derjenige, dem diese Antwort gilt, entweder zum Lachen gereizt wird und darüber die ursprüngliche Wut vergißt, oder ___________ 131 Dies ist besonders in Novelle I, 1 der Fall. Darüber hinaus enthält sowohl die dritte als auch die siebte Novelle des ersten Tages eine Parabel, mit deren Hilfe sich die Erzählenden vor einem Angriff ihres Gegenübers schützen. Damit weisen sich die Protagonisten zwar als spirituoso aus, gegen ein motto spricht jedoch einerseits die Länge der Textpassage (womit ein Verstoß gegen die gebotene brevitas vorliegt), anderseits der wenig spontane Redebeginn (Cf. nämlich De orat. II, 220: »[...] in hoc altera dicacitatis [...] cum ante illud facete dictum emissum haerere debeat, quam cogitare potuisse videatur.«). Bergamino konnte sich während des langen Wartens auf eine Reaktion Messer Can Grandes seine Geschichte in aller Ruhe überlegen (Cf. Dec. I, 7, 10f) und auch der Rede des giudeo ist ein retardierendes Moment vorgeschaltet (Cf. Dec. I, 3, 10). Beide Novellen lösen aufgrund der in ihnen behandelten Themen und der Fähigkeiten der Redner eher Staunen, aber kein Lachen aus (Cf. jedoch Stewart (S. 36), die beide Erzählungen als motto-Novellen faßt, sowie Arend, S. 296 (in bezug auf I, 7). Gleiches gilt für Novelle I, 9: Die Idee der Dame aus der Gascogne, den König von Zypern in der vorliegenden – wohlüberlegten Weise – zu verhöhnen (Cf. Dec. I, 9, 6: »propose di voler mordere la miseria del detto re, e andatesene piagnendo davanti a lui, disse« [...]), wird beim Leser vor allem Erstaunen, vielleicht Bewunderung ob ihres Mutes auslösen, aber kein Lachen. Novelle I, 2 kulminiert in einer paradoxen Schlußfolgerung und läßt sich deshalb, ebenso wie Novelle VI, 6 nur begrenzt als motto-Novelle kategorisieren, da nicht der Höhepunkt an sich, sondern die gesamte Struktur der Novelle zum Lachen reizt (Cf. dazu Stewart, S. 36/37 sowie vor allem L. Cuomo: »Sillogizzare mottegiando e mottegiare sillogizzando: Dal Novellino alla VI giornata del Decameron«, in: SSB XIII (1982), S. 217-264, hier S. 261f). 132 Cf. Novelle I, 4; I, 5, I, 6, I, 8 und, als Beispiel für ein mißglücktes mottegiare, Novelle I, 10. 133 Paolo da Certaldo: Libro di buoni costumi. A cura di A. Schiaffini, Florenz 1945, cap. 279, 351. Das Werk entstand wohl in den fünfziger Jahren des 14. Jahrhunderts in Certaldo (Cf. Prefazione, S. 9) und ist somit ein Spiegel der Sitten- und Tugendauffassung zur Zeit der Abfassung des Decameron.

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aber er macht sein Gegenüber mit Witz auf einen Fehler aufmerksam. Auch in diesem Fall wird der Angesprochene die Kritik jedoch nicht übel nehmen, sondern zunächst lachen und dann das Problem zu lösen versuchen.134 Zahlreiche weitere Beispiele für den gängigen Einsatz von derartigem Sprachwitz hält zudem der gleichfalls in Norditalien135 entstandene Novellino bereit: Questo libro tratta d’alquanti fiori di parlare, di belle cortesie e di be’ risposi e di belle valentie e doni, secondo che per lo tempo passato hanno fatti molti valenti uomini.136

Von den heutzutage im Korpus vorhandenen 100 Novellen weisen 15 die oben beschriebene Antwort-Struktur auf,137 in weiteren wird – wie später im ___________ 134

Cf. F. Chiappelli: »L’episodio di Travale e il ›dire onestamente villania‹ nella narrativa dei primi secoli«, in: Studi di filologia italiana, IX (1951), S. 141-153, hier S. 146: »La situazione che piace di più è quella di un sottoposto che con l’aiuto di suo spirito e della sua prontezza riesce a strappare un sorriso al suo superiore, toccando un piano di comità intelletuale, di vaga imponderabile complicità del gusto e ad ottenere così il perdono un premio o una lode«. Als Episodio di Travale ging ein Gerichtsprozeß in die (Sprach-)Geschichte ein, der 1156 im toskanischen Travale stattfand. Anstatt sich wie es sich gehörte – und wohl grundsätzlich vorteilhaft für Leib und Leben war – dem Richter gegenüber respektvoll zu verhalten und lediglich sachlich seine Aussagen zu machen, äußerte einer der Prozeßgegner auf so geschickte und geistreiche Art seinen Unmut, daß ihm keiner ernstlich böse war und ihm diese Entgleisung allemal verziehen wurde. Da der nottaio redattore diese im volgare-Wortlaut in seine lateinisch geschriebenen Aufzeichnungen integrierte, konnte der Zweizeiler »Guaita, guaita male, non mangiai ma mezo pane« zum Prototyp des ›dire onestamente villania‹ werden (Cf. Testimonianze di Travale, testo e note, in: Arese, S. 507-509). 135 Aufgrund der »gallischen Bibliothek« (Wittschier, S. 42) des Werkes geht man heutzutage davon aus, daß der Verfasser ursprünglich im Veneto lebte, damals der Ort des stärksten französischen Einflusses, Teile der Sammlung aber auch in der Toskana verfaßte (Cf. Riecz, Nachwort zu Novellino, S. 308/309). 136 Novellino, I, Proemio der editio princeps von 1525. Die Schrift trägt deshalb in manchen Handschriften auch den Titel: Libro di novelle e di bel parlar gentile. Zu Entstehung und Bedeutung des Werkes cf. S. 232, Anm. 312. Dieser Hinweis ergibt sich aus der Tatsache, daß im 16. Jahrhundert vor allem an den italienischen Fürstenhöfen, aber auch in Frankreich Novellen und motti als notwendige Elemente jeder Konversation erachtet wurden (Cf. dazu meine Ausführungen S. 319ff), Novellensammlungen also vor allem als Ideenfundgrube fungierten: »E chi avrà cuore nobile e intelligenzia sottile sì l[i] potrà simigliare per lo tempo che verra per innanzi, e argomentare e dire e raccontare in quelle partì dove avranno luogo, a prode e a piacere di coloro che non sanno e desiderano di sapere (Novellino, I). 137 Cf. Novellino 27, 31, 35, 39, 40, 43, 44, 47, 55, 57, 58, 77, 80, 87, 89. Der ›Urnovellino‹ umfaßte wohl um 130 Geschichten (Cf. Wittschier, S. 36). Im Gegensatz zu den Erzählungen des Decameron enden die Novellino Erzählungen jedoch meist mit der Pointe, eine Leserlenkung durch die Reaktion der Novellenpersonals findet nicht statt. Eine Aunahme bilden Novelle 70, 80 und 89. Es ist jedoch durchaus möglich, daß die Geschichten erst in Hinblick auf die eventuelle Einbettung in eine Konversation gekürzt wurden, waren sie doch mit einem pointierten Schluß problemlos und zudem auf originellere Art und Weise zu integrieren.

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

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Decameron – die Macht des Wortes gefeiert.138 Diese Geschichten sind zudem mehrheitlich im zeitgenössischen Italien situiert – vor allem in Florenz und in den lombardischen Städten.139 Die von Boccaccio dargebotene sprachliche Situation deckt sich durchaus mit den damaligen Gepflogenheiten – was jedoch nicht bedeutete, daß die angemessene Verwendung von Scherzworten von jedermann beherrscht wurde. Wenn der Autor also den Novellenreigen auf diese Weise eröffnet, macht er damit gleich zu Beginn auf eines seiner Hauptanliegen aufmerksam: Er möchte denjenigen »utile consiglio« an die Hand geben, die die Sprache noch nicht in einer Weise zu handhaben wissen, die ihnen maximalen Nutzen bringt und als solche zum Merkmal der umana industria werden kann. Dies sind, wie Pampinea zum Ende des ersten Erzähltages beklagt, vor allem die Frauen: (Pampinea): Li quali (i. e. i leggadri motti) , per ciò che brievi sono, molto meglio alle donne stanno che agli uomini, in quanto più alle donne che agli uomini il molto parlare e lungo, quando senza esso si possa far, si didice, come che oggi poche o niuna donna rimasa ci sia la quale o ne ‘ntenda alcun leggiadro o a quello, se pur lo ‘ntendesse, sappia rispondere: general vergogna è di noi e di tutte quelle che vivono. […]140

Daß diese Textpassage zu Beginn des vierten Tages beinahe wörtlich zur Einführung der Novelle Filomenas verwendet wird, ist sicher nicht auf die Unachtsamkeit des Autors zurückzuführen, sondern wohl beabsichtigt, wird doch auch auf diese Weise Zuhörern oder Lesern der Grund für die Auswahl des Tagesthemas erneut ins Gedächtnis gerufen.141 Die didaktische Absicht, die Boccaccio mit den Novellen des sechsten Erzähltages und damit implizit auch mit denen des ersten verfolgt, offenbart sich bereits in den Worten Elissas, mit denen sie ihre Wahl des Tagesthemas begründet: Noi abbiamo già molte volte udito che co’ be’ motti o con risposte pronte o con avvedimenti presti molti hanno già saputo con debito morso rintuzzare gli altrui denti o

___________ 138

Cf. z. B. Novellino 22, 31, 73, 96. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß sich der Hinweis »in Lombardia« auf das gesamte Gebiet nördlich der Apeninnen bis hin zu den Alpen bezieht (Cf. Riecz, Anm. zu Novelle XLIII). Zeitgenössisch bedeutet hier: zwischen 1250 und 1300. 140 Dec. I, 10, 4/5. 141 Cf dazu entsprechend die zum Teil wortgleiche Bemerkung Filomenas (Cf. Dec. VI, 1, 3/4). Diese weist zudem explizit darauf hin, an die Gedanken Pampineas anzuknüpfen: »Ma per ciò che già sopra questa materia assai da Pampinea fu detto, più oltre non intendo di dirne« (Dec. VI, 1, 4). Zu Beginn der dritten Geschichte wird zudem Lauretta erneut darauf rekurrieren: »Piacevoli donne, prima Pampinea e ora Filomena assai del vero toccaronno della nostra poca virtù e della bellezza dei motti.« (Dec. VI, 3, 3). 139

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i sopravegnenti pericoli cacciar via, e per ciò che la materia è bella e può essere utile142

Einen ähnlichen Hinweis auf den weiterführenden Nutzen des Erzählens und vor allem Rezipierens von Geschichten gerade des von ihnen ausgewählten Themas bringen lediglich Neifile und Panfilo an: •

(Neifile): che alla brigata esser possa utile o almeno dilettevole143



(Panfilo): queste cose e dicendo e faccendo senza alcun dubbio gli animi vostri ben disposti a valorosamente adoperare accenderà144

Im Gegensatz zu den anderen Manifestationen der industria, wie sie zum Teil in den Novellen des siebten bis neunten Tages offenbar wird145, kommt den »be’ motti«, »risposte pronte« und »avvedimenti presti« eine Sonderrolle zu. Im Rahmen seines ben vivere-Konzepts weist Boccaccio ihnen also ebensolche Bedeutung zu wie dem Versuch, tugendhaft zu handeln. Wollte der Dichter seinen Damen zu Lern- und Nachahmungszwecken eine breit gestreute Palette von Situationen möglichen dicacitas-Einsatzes zur Verfügung stellen und zudem die Zuhörer oder Leser nicht durch eine Folge gleich strukturierter Geschichten langweilen, bedurfte es – allen ›Systemzwang‹ zum Trotz – gewisser variatio. Diesem Prinzip wird Boccaccio auf zweifache Weise gerecht: zum einen, in dem er auch innerhalb des dicacitas Konzepts das Lachen auf unterschiedliche Weise auszulösen sucht, zum anderen, in dem er die motti Protagonisten in den Mund legt, die in Hinblick auf Geschlecht, sozialen Rang und hierarchische Stellung in bezug auf Angreifer oder Anzugreifenden differieren. Da die Position des Senders im Personalgefüge für den Erfolg eines motto entscheidend ist – und deshalb auch bei einer Übertragung in die Lebenswirklichkeit immer berücksichtigt werden muß –, wird sie im Rahmen der folgenden Analyse als Ordnungskriterium dienen:146 ___________ 142

Dec. V, Conc1. 3. f Dec. II, Conc1. 9, cf. dazu das anschließende Tagesthema: »si ragiona [...] di qui alcuna cosa molto desiderata con industria acquistasse o la perduta recuperasse« (Dec. III, Intr. 1). 144 Dec. IX, Conc1. 5, cf entsprechend: »Di chi liberamente o vero magnificamente alcuna cosa operasse intorno a’ fatti d’amore o d’altra cosa« (Dec. X, Intr. 1). 145 Dementsprechend geben die Vorsteher dieser Tage auch keinen weiteren Nutzen der zu erzählenden Novellen an: (Dioneo): »esser piacevole a ragionare« (Dec. VI, Conc1. 6); (Lauretta): »non meno di piacevole ragionare« (Dec. VII, Conc1. 4); (Emilia): »E per ciò quello che domane, seguendo il vostro dilettevole ragionar« (Dec. VIII, Conc1. 4). 146 Die vorgenommene Reduktion der Novellen auf den Moment des motto-Einsatzes ergibt sich aus dem Fokus der Analyse auf die dicacitas. Neben den bereits in Anm. 131 (S. 297) ausgesonderten Geschichten werden auch Novelle VI, 9 und VI, 10 nicht in die Interpretation einbezogen. Novelle VI, 9 beinhaltet zwar ein motto, reizt aber nicht zum Lachen, Novelle VI, 10 ist, wie in Kapitel 7. b) aa) dargestellt, keine motto-Novelle. Für weitere, hier nicht behandelte Aspekte sei, neben den bekannten Bibliographien, auf die 143

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

I, 4

IV, 4

VI, 2

motto/pronta risposta in Form eines motto Il monaco prontissimamente rispose: ›Messere, io non sono ancora tanto all’Ordine di san Benedetto stato, che io possa avere ogni particolarità di questo apparata; e voi ancora non m’amavate mostrato che’ monaci si debban far dalle femine premiere come da’ digiuni e dalle vigilie, ma ora che mostrato m’avete, vi prometto, se questa mi perdonate, [...] anzi farò sempre come io a voi ho veduto fare.‹ Chichibio, quasi sbigottito, non sappiendo egli stesso donde si venisse, rispose: ›Messer si ma voi non gridaste ›ho, ho‹ a quelli di iersera; ché se cosí gridato aveste ella avrebbe così l’altra coscia e l’altro piè fuor mandata, come hanno fatto queste.‹

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Antwort/Reaktion



L’abate, che accorto […] era, prestamente conobbe costui non solamente aver più di lui saputo […] si vergognò di fare al monaco quello che egli, si come lui, aveva meritato. E perdonatogli […].147



A Currado piacque tanto questa risposta, che tutta la sua ira si converti in festa e riso, e disse: ›Chichibio, tu hai ragione, ben lo doveva fare.‹ 148



Il che rapportando il famigliare a messer Geri, subito gli occhi gli s’apersero dello ‘ntelleto e disse al famigliare: ›Laciami vedere che fiasco tu vi porti‹; e vedutol disse: ›Cisti disse vero‹, e dettagli villania gli fece torre un fiasco convenevole.149

Rispose Cisti: ›A Arno‹.

In allen drei Novellen wird das Witzwort zu einer schlagkräftigen Waffe des ›kleinen Mannes‹, mit Hilfe derer er sich den ›Großen‹ gegenüber behaupten, ja sogar über sie triumphieren und eine Handlungsänderung herbeiführen kann. Der Abt hatte sogar schon die Buße für den gefallenen Klosterbruder angeordnet, als ihm dieser durch seine Antwort deutlich machte, daß er die Nachtak___________ detaillierten Analysen von Arend, S. 296-317 und Tateo, S. 180ff sowie auf zahlreiche Beiträge der SSB verwiesen. 147 Dec. I, 4, 21/22. Die Angaben beziehen sich auf die Textpassagen beider Tabellenspalten. Das accorto in der Beschreibung des Abtes kennzeichnet die pronta risposta des Mönches noch im Nachhinein als spirituoso. 148 Dec. VI, 4, 18/19. 149 Dec. VI, 2, 19-26.

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tivitäten seines Vorgesetzten mitbekommen hatte. Durch die Strategie, alles Gesehene im Sinnes der benediktinischen Ordensregel zu interpretieren – woraus sich dann auch die Zweideutigkeit des »premiere« ergibt150 – und dem Abt nicht etwa das Schäferstündchen vorzuwerfen, sondern die mangelnde Einführung in die Regula, nimmt er diesem jedoch gewissermaßen den Wind aus den Segeln. Die Reaktion ist entsprechend: Der Abt bemerkt das Geschick, mit dem der Bruder ihm zu verstehen gibt, daß er Bescheid weiß und bringt es deshalb nicht über’s Herz, ihn einer Strafe auszusetzen, die er gleichermaßen verdient hätte. Hatte den monaco seine »cortesia di bocca« vor Strafe bewahrt, so rettet Chichibio, dem als Bediensteter bei Ungehorsam gegenüber seinem Vorgesetzten wohl ebenso Strafe drohte wie dem Mönch, die – unerwartete – groteske (ante litteram) Grenzverletzung. Anstatt sich in Entschuldigungen zu flüchten, geht er zum Angriff über und wirft ausgerechnet einem Herrn, der als Kenner der Vogelwelt beschrieben wird,151 vor, mit toten Vögeln nicht ebenso verfahren zu haben, wie mit lebendigen. Die Antwort des Koches verdankt ihre zum Lachen reizende Wirkung aber nicht nur der Absurdität der Idee per se, sondern auch der Tatsache, daß sie von einer Figur gegeben wird, die im Laufe der Novelle negativ und alles andere als spirituoso gezeichnet wurde.152 Hauptsächlicher Auslöser des Lachens ist also der Kontrast zwischen Erwartung und eingetretener Realität. Nicht ganz so eng mit dem ›Opfer‹ seines motto verbunden wie Mönch und Koch, aber dennoch in unterlegener Position, ist der Bäcker Cisti. Auch wenn die Antwort durch ihre extreme Kürze der Forderung nach brevitas in bester Weise zu entsprechen scheint, erschließt sich das »A Arno« Cistis nur in Kenntnis der Gesamtnovelle als geistreiche Replik, in der der Florentiner Stadtfluß zur Allegorie für etwas wenig Wertvolles und im Übermaß Vorhandenes wird, das man dementsprechend in großen fiaschi anzubieten pflegt. Mit seiner kurzen Bemerkung klagt Cisti die ihm und seinem Wein zukommende Wertschätzung bei Messer Geri onestamente ein.153 Novellen, deren Protagonisten sozial niederen Ranges gegenüber Höhergestellten motti anbrachten, bot bereits der Novellino. Im Gegensatz zum Decameron war diesem Vorgehen jedoch nur wenig Erfolg beschieden: Die motte ___________ 150

sen. 151

Auf die Zweideutigkeit als Prinzip der dicacitas bei Cicero wurde bereits verwie-

Cf. Dec. VI, 4, 4: »continuamente in cani e in ucelli s’è dilettato.« Die Tatsache, daß Chichibio Venezianer war – die nicht nur im Decameron sondern bei den Florentinern des 14. Jahrhunderts grundsätzlich keinen guten Ruf genossen (Cf. dazu auch Novelle IV, 2 sowie R. C. Mueller: »Boccaccino, Giovanni Boccaccio and Venice«, in: SSB XXV (1997), S. 213-241) – und die Pflichtvergessenheit, die er im Laufe der Novelle gegenüber seinem Vorgesetzten an den Tag legt, werfen auf ihn kein gutes Licht. 153 Cf. entsprechend De orat. II, 282 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in rebus 22), zum allegorischen Sprechen cf. De orat. II, 261 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in verbis 12). 152

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

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giatori wurden zumeist von ihren Vorgesetzten in die Schranken gewiesen,154 eine Struktur, die Boccaccio nicht übernehmen konnte, da sie nicht nur sein Konzept der umana industria, sondern auch die forza delle parole konterkariert. Eine weitere Neuerung gegenüber dem Werk aus dem späten 13. Jahrhundert ist die Tatsache, daß Boccaccio die motti nun auch in den Mund von Frauen legt, die diese an männliche Empfänger richten.155 Grund dafür ist das bereits angesprochene didaktische Interesse des Autors: Es wäre wenig sinnvoll, den Damen, an die das Buch ja zunächst gerichtet war, die vorgeführten Formen des Einsatzes von Scherzworten zur Nachahmung zu empfehlen und als erfolgreiche Verwender dieser motti vorrangig Männer zu präsentieren. Fiammetta stellt in der fünften Erzählung des ersten Tages mit der Marchesana di Monferrato eine weibliche Protagonistin vor, die durch eine geistreiche Antwort den eventuellen Zudringlichkeiten des Königs von Frankreich zuvorkommt:156

I, 5

motto/pronta risposta in Form eines motto (Il re): ›Dama, nascono in questo paese solamente galline senza gallo alcuno? La marchesana, ⇒ che ottimamente la dimanda intese, […] al re domandante baldanzosamente verso lui rivolta rispose: ›Monsignor, no, ma le femine, quantunque in vestimenti e in onori alquanto dall’altre variino, tutte per ciò son fatte qui come altrove‹.

Antwort/Reaktion Il re […] raccolse bene la cagione del convito delle galline e la vertù nascosa nelle parole […]. E senza più motteggiarla, temendo delle sue risposte […].157

___________ 154

Cf. A. Paolella: »Modi e forme del Witz nel Novellino« in: Strumenti critici XII (1978), S. 213-235, hier S. 231. Eine derartige Struktur weisen Novelle 27, 31, 39, 40 und 77 auf, die gegenteilige Erzählung 35, 43, 57, und 87. Personen gleichen Ranges stehen sich in Novelle 44, 47, 55, 58, 80 und 89 gegenüber. Zu den Verhältnissen im Decameron cf. meine Anmerkungen zu den betreffenden Geschichten. 155 Einzig Novelle 57 des Novellino handelt von einer weiblichen mottegiatore, die allerdings das motto gleichermaßen an eine – hierarchisch niedriger stehende – Frau richtet. 156 Wie in den zuerst analysierten Novellen setzt sich auch hier eine rangniedere Person einer Höhergestellten gegenüber zur Wehr. Van der Voort spricht in bezug auf die Novellen des sechsten Erzähltages von einer ars defendendi, hinsichtlich der Geschichten des ersten von einer ars puniendi (Cf. van der Voort, S. 210). Da aber das Erscheinen des Königs bei der marchesana, über das diese sich ja durchaus gewundert und dessen tieferen Sinn sie erraten hatte, auch als Angriff zu interpretieren ist, lassen sich Hennenmahlzeit und anschließendes ›motto‹ auch als Verteidigung deuten. Die von van de Voort entwickelten Kategorien sind also als Orientierungshilfe sinnvoll, aber dennoch von Fall zu Fall zu hinterfragen. 157 Dec. I, 5, 14-16.

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7. ... zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare

Auch wenn die risposta der Dame durchaus Erfolg hat und das beschriebene Verhalten des Königs der gängigen Reaktion auf ein detto spirituoso entspricht, läßt sich diese Novelle nur unter Vorbehalten als motto-Novelle fassen. Da nämlich bereits die Hennenmahlzeit auf die Initiative der Marchesana stattfand, dient die Antwort der Dame nur der Auflösung der vorher eingeführten und gewissermaßen verdinglichten Metapher.158 Das Lachen setzt dementsprechend schon vorher ein und wird durch die risposta der Dame lediglich erneut entfacht. Ein Bild verwendet auch Maestro Alberto, Protagonist von Novelle I, 10. Diese bildet das Pendant zur ersten Geschichte des sechsten Erzähltages.159 War es den Damen – wie von Pampinea trefflich dargelegt – in I, 10 nicht möglich, ein motto passend anzubringen, da sie sich auf ihr Gegenüber nicht genügend eingestellt hatten,160 ist es in Novelle VI, 1 an Madonna Oretta, mit einem motto, das seine Wirkung gleichfalls metaphorischer Rede verdankt, den zum Erzählen unfähigen cavaliere onestamente zurechtzuweisen:

I, 10

motto/pronta risposta in Form eines motto E al fine […], che egli di questa bella donna fosse innamorato, il domandarono, sentendo lei da molti belli gentili e leggiadri ⇒ giovani essere amata. Il maestro, essendosi assai cortesemente pugnere, fece lieto viso e rispose: ›[…] Io sono stato più volte già là dove io ho vedute merendarsi le donne e mangiare lupini e porri, e come che nel porro niuna cosa sia buona, pur men reo e più piacevole alla bocca è il capo di quello, il quale voi generalmente da torto appetito tirate, il capo vi tenete in mano e manicate le frondi, le quali non solamente non sono da cosa alcuna, ma son di malvagio sapore. E che so io, madonna, se nello ellerger degli

Antwort/Reaktion La gentil donna, […] alquanto vergognandosi disse: ›Maestro, assai bene e cortesemente gastigate n’avete della nostra presuntuosa impresa […]‹.161

___________ 158

Auf die Bedeutung metaphorischen Sprechens als möglicher Auslöser des Lachens innerhalb der dicacitas-Konzeption Ciceros wurde bereits verwiesen. 159 Cf. dazu van der Voort, S. 209/210. 160 Cf. Dec. I, 10, 20: »non guardando cui mottegiasse, credendo vincere fu vinta«. 161 Dec. I, 10, 14-19.

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

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voi vi faceste il simigliante? E se voi il faceste, io sarei colui che sarei eletto da voi, e gli altri cacciati via‹. VI, 1

(Madonna Oretta): piacevolmemte disse: Messer, questo vostro cavallo ha troppo duro trotto, per che io vi priego che vi piaccia di pormi a piè.



Il cavaliere, il quale per avventura era molto migliore intenditor che novellatore, inteso il motto e quello in festa e in gabbo preso, mise mano in altre novelle e quella che cominciata aveva e mal seguita senza finita lasciò stare.162

Weil die Damen der letzten Novelle des ersten Erzähltages sich keinerlei Mühe gegeben hatten, ihre unverschämte Frage in irgendeiner Weise freundlich zu ›verpacken‹, weist der Angegriffene sie mit seiner inhaltlich nicht minder garstigen und durch die verwendete Metapher wohl noch treffenderen pronta risposta zurecht. Wie bereits Cicero angedeutet hatte, löst ein derart origineller Umgang mit der Sprache aber eher Bewunderung als Lachen aus.163 Entsprechend reagieren auch die Damen: Beschämt erkennen sie ihren Fehler, ohne jedoch Maestro Alberto zu zürnen.164 Der cavaliere aus Novelle VI, 1 nimmt hingegen den Hinweis Madonna Orettas nicht nur nicht übel, sondern sogar »in festa e in gabbo« und kennzeichnet auf diese Weise die Antwort der Dame als motto par excellence. Dessen zum Lachen reizende Wirkung ergibt sich aus der Anknüpfung und konsequenten Weiterführung der vom cavaliere selbst eingeführten Pferdemetapher165, die nun allerdings gegen ihn gewandt wird166: Sein ___________ 162

Dec. VI, 1, 12. Cf. De. orat. 253 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in verbis 4). 164 Durch die Formulierung »assai bene e cortesemente gastigate n’avete« stellt Boccaccio diese Replik zudem in die Tradition des ›dire onestamente villania‹. 165 Cf. Dec. VI, 1, 8: »Madonna Oretta, quando voi vogliate, io vi porterò, gran parte della via che a andare abbiamo, a cavallo con una delle belle novelle del mondo«. Die von Madonna Oretta angebrachte Kritik an der Art des Erzählens wird gemeinhin als Hinweis auf eine ars narrandi Boccaccios gedeutet (Cf. dazu Stewart, S. 28 sowie den immer noch grundlegenden Aufsatz A. Freedmans: »Il cavallo del Boccaccio: fonte, struttura e funzione della metanovella di Madonna Oretta«, in: SSB IX (1975/1976), S. 225-241,, hier insbesondere S. 227ff). Durch die Bemerkung »la quale (i. e. la novella del cavalier) nel vero da sé era bellissima (Dec. VI, 1, 9) wird nämlich deutlich, daß auch die inhaltlich gute, interessante, vergnügliche usw. Geschichte an Qualität verliert, wenn sie schlecht erzählt wird (Madonna Oretta wird hingegen als »ben parlante« gekennzeichnet Dec. VI, 1, 5/6)). Ansätze einer Kunst des Erzählens bietet auch der Novellino, wo in Novelle LXXXIX (Qui conta d’uno uomo di corte che cominciò una novella che non venia meno) davor gewarnt wird, kein Ende zu finden. Wenn Boccaccio beim diätetisch motivierten Erzählen im Decameron also Wert auf Form und ornatus legt, knüpft er dabei an bestehende Traditionen an. Schon Ibn Būtlan wußte, daß die Wirkung des Erzählten gesteigert zunahm, wenn der confabulator die Kunst des Erzählens verstand. Entsprechend riet er im Tacuinum sanitatis: »Confabulator: Debet recitator fa163

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7. ... zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare

wiederholtes Stocken und Neubeginnen beim Geschichtenerzählen wird metaphorisch durch ein gleichfalls dem semantischen Feld ›Pferd‹ zugehörendes Verb ausgedrückt. Auf diesem Prinzip basiert auch der zum Lachen reizende Effekt der fünften Novelle des sechsten Erzähltages:

VI, 5

motto/pronta risposta in Form eines motto (Messer Forese): ›Giotto, a che ora venendo di qua alla ‘ncontro di noi un forestiere che mai veduto non t’avesse, credi tu che egli credesse che tu fossi il migliore dipintore del mondo, come tu se?‹ A cui Giotto prestamente rispose: ›Messere, credo che egli il crederebbe allora che guardando voi, egli crederebbe che voi sapeste l’abici‹.

Antwort/Reaktion



Il che messer Forese udendo il suo error riconobbe, e videsi di tal moneta pagato, quali erano state le derrate vendute.167

Die parallele Satzstruktur, der Ersatz des »forestiere« durch das entsprechende Pronomen und die Wiederverwendung des Verbs credere, lassen vermuten, daß Giotto die unmittelbar vorhergegangene und recht unverblümt ausgesprochene Frechheit mit gleicher Münze zurückzahlen und ebenfalls die berufliche Ehre Messer Foreses verletzen wird. Giotto geht jedoch einen Schritt weiter und stellt gar die gesamte Kultur des Angreifers in Frage, was nicht nur aufgrund der getäuschten Erwartung, sondern auch durch die unverhältnismäßige Übertreibung zum Lachen reizt.168 Indem der Maler sich in seiner Antwort ___________ bular boni esse intellectus, in scientiis ipsius generis fabularum, in quibus delectai animus, potens abbrevviare et prolongare, cum voluerit, Fabular sermones, ipsos continuare, & ordinare ornare ut convenit. Nec mutet suam effigiem in ipsa confabulatione, nec plixitate sermonum variei confabulatoris intentio. Sit vero confabulator ipse boni modi et bonae curialitas, potes sustinere vigilias, scrutator sermonum, historiar Regum et sermonum delectabilium et risum provocantium et versuum et Rithmor conscius, ut propter ea Rex assumat plenitudine gaudior.« (Tacuinum sanitatis/Straßburger Druckausgabe: Opiniones philosophorum ad tacuinum XXXII (S. 101). modernisierte Orthographie). 166 Auf die Tatsache, daß auch Cicero eine Möglichkeit, Lachen hervorzurufen, darin sah, ein vom Gegner gegebenes Stichwort im weiteren Verlauf der Rede in abgewandelter Form gegen ihn zu verwenden, wurde bereits verwiesen. 167 Dec. VI, 5, 14-16. 168 Auf die Übertreibung als auch von Cicero empfohlene Möglichkeit, Lachen auszulösen, wurde bereits verwiesen. Auf der Idee des ›mit gleicher Münze zurückzahlen‹, die auch in der der Beschreibung der Reaktion Messer Foreses mitschwingt, beruht ebenfalls die Wirkung des motto von Monna Nonna de’ Pulci, Protagonistin von Novelle VI; 3. Indem sie in ihrer pronta risposta (Dec. VI, 3, 10) direkt auf ein Fehlverhalten ihrer ›Angreifer‹ Bezug nimmt, weist sie vescovo und maliscalco onestamente zurecht

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

307

der zweiten Person Plural bedient, obwohl Messer Forese ihm gegenüber vertrauliches »tu« verwendet hatte, schafft er zudem eine Distanz, die dem Angreifer sein Fehlverhalten deutlich macht, zumal das »voi« Giottos in keiner Weise zu seiner Aussage paßt: Der Kontrast zwischen der respektvollen Anrede und der Tatsache, daß er den Angesprochenen gerade als dumm und häßlich abqualifiziert, steigert die Lachen auslösende Wirkung seines motto zusätzlich. Wie anhand der zuletzt analysierten Novellen deutlich wurde, werden motti nicht nur von Personen niederer Herkunft und ebensowenig nur gegen Höhergestellte eingesetzt, sondern finden gleichermaßen unter Menschen desselben – hohen – Standes Verwendung. Dementsprechend wäre gegen den Einsatz von motti seitens der brigata-Mitglieder und der oziose donne auch in Hinblick auf die zu bewahrende onestà nichts einzuwenden. Mit Ausnahme von Madonna Oretta bedienten sich die Protagonisten bisher eines motto, um einen ›Angriff‹ zu parieren oder ihm zuvorzukommen. Unter anderem Vorzeichen steht hingegen dessen Gebrauch in Novelle I, 6; I, 8 und VI, 8:

I, 6

motto/pronta risposta in Form eines motto ›Certo‹, rispose il buono uomo ›di niuna cosa che io udissi dubito […]. Udine io bene alcuna che m’ha fatto e fa avere di voi e degli altri vostri frati grandissima compassione, pensando al mal-vagio stato che voi di là nell’altra vita dovrete avere.‹ […] Il buono uomo rispose: ›Messere, ella fu quella parola dello evangelio la qual dice: Voi riceverete per ognun cento.‹ […] (Il buono uomo): ›ho io ogni dí veduto dar qui di fuori a molta povera gente quando una e quando due grandissime caldaie di broda, la quale a’ frati di questo convento e a voi si toglie, sí come soperchia, davanti; per che, se per ognuna cento ve ne fieno rendute, di là n’avrete tanta, che per voi dentro tutti vi dovrete affogare.‹

Antwort/Reaktion



Come che gli altri […] tutti ridessono, lo ‘nquisitore sentendo traffigere la lor brodaiuola ipo-crisia tutto si turbò; e se non fosse che biasimo portava di quello che fatto avea, un altro processo gli avrebbe adosso fatto, per ciò che con ridevol motto lui e gli altri poltroni aveva morsi. E per bizzarria gli comandò che quello che piú gli piacesse facesse, senza più davanti venirgli.169

___________ und erzielt auf diese Weise sicher eine nachhaltigere Wirkung, als sie mit einem schlichten ›Laß die Finger von mir‹ je erreicht hätte. 169 Dec. I, 6, 15-19.

308 I, 8

VI, 8

7. ... zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare (Guiglielmo): ›[…] io ve ne insegnerò bene una che voi ne credo che vedeste giammai‹ […] A cui Guig lielmo allora prestamente disse: ›Fateci dipignere la Cortesia.‹ (Cesca): ›Io non credo che sia al mondo femina a cui piú sia noioso il vedere gli spiacevoli che è a me, e per non vedergli così tosto me ne son venuta.‹ Alla qual Fresco, a cui li modi fecciosi della nepote dispiacevan fieramente, disse: ›Figliuola, se cosi ti dispiaccion gli spiacevoli come tu di, se tu vuoi viver lieta non ti specchiar giammai.‹





Come messere Ermino udí questa parola, cosi subitamente il prese una vergogna tale, che ella ebbe forza di fargli mutare animo quasi tutto in contrario a quello che infino a quella ora aveva avuto.170 Ma ella, più che una canna vana […] non altramenti che un montone avrebbe fatto intese il vero motto di Fresco, anzi disse che ella si voleva specchiar come l’altre. 171

Sowohl der buono uomo als auch Guglielmo und Fresco weisen mit ihren motti auf grundsätzliche Schwächen hin. Sie ergreifen dabei selbst die Initiative, wobei jedoch in allen Fällen dem Moment des mottegiare ein Ärgernis vorausging, ohne daß dieses jedoch eine pronta risposta unmittelbar herausgefordert hätte. In Novelle I, 6 leitet nämlich der mottegiatore den im motto kulminierenden Wortwechsel selbstständig ein, da er eine Gelegenheit sucht, sich für den anstrengenden – und überflüssigen – Inquisitionsprozess zu rächen. Die zum Lachen reizende Wirkung des motto ergibt sich aus dem scheinbaren Mißverständnis des biblischen »Voi riceverete per ognun cento«172 und der selbstverständlichen Annahme, daß die im Diesseits geltenden Normen auch im Leben nach dem Tod ihre Gültigkeit behalten.173 Indem der »buono uomo« die Schriftpassage nicht im übertragenen Sinne erfaßt, sondern wörtlich nimmt174 und daraufhin, in gespielter Sorge um den »‘nquisitore« und seinesgleichen, das Szenario einer Suppenflut zeichnet, erweist er sich als uomo spirituoso, der sein Gegenüber auf zum Lachen reizende Weise kritisiert. Aus der Reaktion der Menschen bei Tische sowie des Inquisitors selbst wird deutlich, daß der ursprünglich Unterlegende mit seinem motto ›ins Schwarze‹ getroffen hat: Vor ___________ 170

Dec. I, 8, 13-17. Dec. VI, 8, 8-10. 172 Mt. 19, 29: »Und jeder [ ] wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen«. 173 Dies läßt sich – wie in Novelle VI, 4 – erneut als groteske (ante litteram) Grenzverletzung fassen. 174 Auf die zum Lachen reizende Wirkung dieses ›Andersverstehens‹ wies Cicero ebenso hin, wie auf die Möglichkeit, sich dumm zu stellen, obwohl man gewitzt ist (Cf. De. orat. 259; 274 (Tabelle, S. 56f, dicacitas in verbis 11; dicacitas in rebus 11)). 171

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

309

allen bloßgestellt, ist dem Kirchenmann das Interesse an diesem gewitzten Burschen gründlich vergangen. Auf dem Prinzip des Anders- oder Nichtverstehens basiert auch der zum Lachen reizende Effekt der motti in Novelle I, 8 und VI, 8. In beiden Fällen weisen die mottegiatori Personen in ihre Schranken, unter deren Fehlverhalten – hier wie da Aufschneiderei und die Meinung, etwas Besseres zu sein – sie zwar nicht persönlich gelitten haben, das aber nicht zu einem angenehmen Miteinander beiträgt. Die allegorische Bildhaftigkeit des einen und der ironische Unterton175 des anderen motto machen diese zu detti spirituosi, die nur verstehen kann, wer geistreich ist und über eine gewisse urbanitas verfügt. Dem Modell der dicacitas gemäß sprechen die bisher betrachteten mottoNovellen den Intellekt an, ihre zum Lachen reizende Wirkung beruht also auf »Komik der Herabsetzung«. In Hinblick auf die Verwendung bildlicher Rede gilt dies zunächst auch für die siebte Erzählung des sechsten Erzähltages. Die Rede176 Madonna Filippas läßt sich aufgrund ihrer Länge nur begrenzt als motto fassen. Daß sie hier dennoch abschließend interpretiert wird, läßt sich durch ihren Sonderstatus rechtfertigen, denn aufgrund des behandelten Themas ruft sie – trotz der lebensbedrohlichen Situation, in der sich die Protagonistin befindet – bei den Zuhörern ein Lachen unverhohlener Lebensfreude hervor:

VI, 7

motto/pronta risposta in Form eines motto (Madonna Filippa): ›[…] cioè che voi il mio marito domandiate se io ogni volta e quante volte a lui piaceva, senza dir mai di no, io, di me stessa, gli concedeva intera copia o no.› Rinaldo […] che senza alcun dubbio la donna a ogni sua richesta gli aveva di sé ogni suo piacer conceduto. ›Adunque‹ segui prestamente la donna ›domando io voi, messer podestà, se egli ha sempre di me

Antwort/Reaktion ⇒

I pratesi [...], li quali, udendo così piacevol domanda, subitamente, dopo molto risa, quasi a una voce tutti gridarono la donna aver ragione e dire bene: e prima che di quivi si partissono, à cio che confortandogli il podestà, modificarono il crudele statuto […] Rinaldo, rimaso di così matta impresa confuso, si partí dal giudicio.177

___________ 175

Cicero hatte die ironische Sprechweise als Möglichkeit, Lachen zu erregen aufs höchste gelobt und als adäquates Mittel zum Hervorrufen des Lachens dem Redner ebenso empfohlen wie dem Teilnehmer an einer urbanen Plauderei (Tabelle, S. 56f, dicacitas in rebus 7). 176 Cf. Dec. VI, 13-17. Im folgenden wird nur der Höhe- und Schlußpunkt zitiert. 177 Dec. VI, 15-19.

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7. ... zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare preso quello che gli è bisognato e piaciuto, io che doveva fare o debbo di quel che avanza? debbolo io gittare a’ cani? Non è egli molto meglio servirne un gentil uomo che più che sé m’ama, che lasciarlo perdere o guastare.

Etwas Unzählbares, Abstraktes – die weibliche Lust – wird hier wie eine Ware behandelt, die es zu verteilen gilt und die, wenn etwas zurückbleibt, weil kein ›Abnehmer‹ dafür gefunden wurde, anderweitig verwendet werden muß, um nicht zu verderben: Die Übertragung in die kaufmännische Sphäre wird im merkantilen Milieu der Stadt Prato sicher für Erheiterung gesorgt haben. Entscheidender ist jedoch die Thematisierung eines mit gesellschaftlichen Tabus belegten Gegenstands, dem ein Hinweis auf einen Problembereich männlicher Sexualität inhärent ist und der deshalb auch von den maskulinen Machthabern negativ hätte bewertet werden können. Eine Beurteilung von dieser Seite findet jedoch zunächst nicht statt, sondern wird von den versammelten Pratesern übernommen. Vom Statut178 ebenso bedroht wie von der von Madonna Filippa angesprochenen allgemein-menschlichen Erfahrung betroffen, springen diese der mutigen Rednerin bei. Das Lachen ist hier eine Bestätigung der Rede Filippas ›aus dem Bauch heraus‹, das Plessner später als ein Ausweichverhalten kennzeichnete: wenn »wir mit einer Situation nicht fertig werden«, weil sie »anstößig, widersprechend, doppelsinnig ist«179. Nicht die Rede, nicht das ›motto‹ per se, sondern erst die lachende Unterstützung des angesprochenen Sachverhalts durch ein gleichgesinntes Publikum, bewirken die Änderung des lebensfeindlichen Rechtsinstituts.180 Trotz allen Formzwangs ist es Boccaccio also gelungen, das Konzept dicacitas in sehr unterschiedliche Zusammenhänge einzubetten und auf diese Weise dem Rezipienten die große Vielfalt der Gelegenheiten aufzuzeigen, in denen man sich eines motto bedienen kann, um eine Situationsveränderung herbeizuführen. Dabei präsentiert er weibliche und männliche, gleichgestellte und – zumindest innerhalb der geltenden Ständehierarchie – untergebene mottegiatori. Die Tatsache, daß sich nur Fresco di Celatico als höher gestellte mit einem detto spirituoso gegen eine, innerhalb der Familienhierarchie, niedriger gestellte Person wendet, läßt vermuten, daß der Dichter diese Variante nur der Vollständigkeit halber anführte. Denn nur wenn man das motto aus dem Kontext der ___________ 178 Madonna Filippa stand aufgrund eines in Prato geltenden Statuts, nach dem jeder Frau, die Ehebruch begangen hatte, der Tod auf dem Scheiterhaufen drohte, vor Gericht (Cf. Dec. VI, 7, 4). 179 Lachen und Weinen, S. 121. 180 Mit Bachtin gesprochen handelt es sich hier also um karnevalistisches Lachen.

b) Ciceros ›Theorie des ridiculum‹ als Grundlage

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Machtausübung herauslöst und per se wirken läßt, kann es wie die anderen zum Beispiel nachahmenswerter industria werden! Wie in Kapitel sechs gezeigt, rechtfertigt Boccaccio die Herausgabe einer Sammlung vergnüglicher Geschichten in traurigen Zeiten, indem er sie in die Tradition diätetisch motivierten Erzählens einschreibt: Mit der brigata stellt er eine nach den damals üblichen Regeln gesunder Lebensweise – zu der im Sinn der accidentia animae auch das Erzählen Lachen hervorrufender Novellen gehört – handelnde Gemeinschaft vor, die nicht nur Identifikationspotential in sich trägt, sondern auch Vorbildcharakter hat. Im gleichen Maße wie die Florentiner Damen und Herren auf fiktionaler Ebene von der positiven Wirkung der ergriffenen Maßnahmen profitieren, soll auch der Leser – also zunächst die im Proemio erwähnten oziose donne – aus der Lektüre des Decameron gesundheitlichen Nutzen ziehen. Dieser Intention entsprechend gilt Boccaccios besondere Aufmerksamkeit dem Lachen auslösenden Moment. Indem er cavillatio und dicacitas als latente Ordnungskriterien seiner Sammlung wählt und zahlreiche auch von Cicero empfohlene Techniken des Lachen Hervorrufens verwendet, ›nobilitiert‹ er die von Humanisten damals noch wenig geschätzte zum Lachen reizende ›Unterhaltungsliteratur‹, hoffend, der Sammlung auf diese Weise Akzeptanz, wenn nicht positive Aufnahme seitens der Gelehrten zu sichern. Diese Sorge ist aber kaum alleinige Motivation für den steten Rekurs auf ciceronianische oder – wie in Hinblick auf cursus Gebrauch und Beachtung der Dreistillehre gezeigt – andere zeitgenössische rhetorische Konzepte. Die Redekunst ist bekanntlich eine ars bene dicendi et persuadendi. Mag sie im Laufe der Jahrhunderte Transformationen und Ergänzungen erfahren haben, bleibt ihr vorrangiges Ziel die Veränderung der Situation und ihr Medium das wohlgewählte Wort.181 Die gleiche Absicht verfolgt auch Boccaccio im Decameron. Auch er beruft sich dabei auf die forza delle parole. Mit deren Hilfe hatten nicht nur zahlreiche Protagonisten sich aus einer mißlichen Lage befreit oder ihren Gesprächspartner umgestimmt, auch innerhalb der Rahmenfiktion führt die Sprache, hier in Form des Novellenerzählens, den Wandel herbei. An dieser Stelle wird die Inanspruchnahme der Rhetorik und insbesondere der Theorie Ciceros durch Boccaccio begreiflich. Denn ebenso wie die brigata möchte auch der Autor eine Veränderung herbeiführen, eine positive Stimmung vermitteln und durch zum Lachen reizende Geschichten – also mit Hilfe der Sprache – Melancholie und Liebeskrankheit vertreiben. Unter diesem Vorzeichen ist es wenig verwunderlich, daß Boccaccio sich bei der Konstruktion des Lachen auslösenden Moments im gezeigten Maße an die ciceronianische ›Theorie des ri___________ 181 Cf. dazu das Vorwort M. Fumarolis zur der von ihm herausgegebenen : Histoire de la rhétorique dans l’Europe moderne 1450-1950. Paris 1999, S. 1-16 [Fumaroli/Histoire] sowie den Beitrag A. Michels: »La rhétorique, sa vocation et ses problèmes: sources antiques et médiévale«, in: Fumaroli/Histoire, S. 17-44, zu Cicero, S. 22-26.

312

7. ... zwischen literarischem Kalkül und gioia di narrare

diculum‹ anlehnt. Daß die Entscheidung des Autors, das Werk auf ein medizinisches Fundament zu stellen und an den rhetorischen Schriften Ciceros auszurichten, den Erfolg der Sammlung maßgeblich beeinflußt hat, soll abschließend in einem kurzen Ausblick gezeigt werden.

8. Novellenerzählen »…pour leesser et esbaudir les esperitz des hommes« Decameron/ Prologue du translateur1 Als Laurent de Premierfait 1414 nach dreijähriger Arbeit die Feder zur Seite legte, lag vor ihm die erste französische Übersetzung von Boccaccios Decameron.2 Bevor er diese dem Duc de Berry3 zukommen ließ, der sie gewünscht hatte und dem sie auch gewidmet war, fügte Laurent der Schrift ein »Prologue du translateur du Livre des Cent Nouvelles de Jehan Bocace de Certald« an. In diesem erklärt er dem Herzog Inhalt und Aufbau des Werkes und legt ihm dessen Lektüre ans Herz: Chascun liseur ou escouteur pourra rapporter et acquérir trois prouffiz meslez de trois plaisirs honnestes. Premierement vous duc, prince et seigneur d’une grant e notable partie du monde, emploiez vostre corps et engin en haultes et diverses besongnes touchans vous, voz amis et aussi voz subgiez. Chose expediente est oyr ou lire escriptures meslees de choses serieuses ou soulacieuses vos cusançons mondaines. Secondement, selon ordre de Nature, aprez griefves et pesantes besongnes traictees par labour corporel ou par subtillité d’engin, il affiert que chascun home refreschisse ses forces ou par confort de viandes ou par aucune honneste leesse, en quoy l’ame pregne delectacion. Tiercement, puisque vous et autres princes terriens portez la representacion et figure de puissance et magesté divine, je di que, ainsi comme devant Dieu celeste et tout puissant doivent estre chantees ou dictes loanges de cueur joieux et esbaudi, aussi devant les princes licitement peuent estre racomptees nouvelles soubz gracieuses manieres et honnestes paroles pour leesser et esbaudir les esperitz des hommes car pour plusamplement meriter envers Dieu il est permis au

___________ 1 Boccace: Decameron. Traduction (1411-1414) de Laurent de Premierfait par G. di Stefano. Montréal 1998, »Prologue du translateur du Livre des Cent Nouvelles de Jehan Bocace de Certald«, S. 4 [Laurent de Premierfait/Decameron] Laurent Guillot de Premierfait hatte sich im 15. Jahrhundert vor allem als Übersetzer, aber auch als Dichter einen Namen gemacht. Vor dem Decameron hatte er bereits ein anderes Werk Boccaccios, De claribus mulieribus, ins Französische übertragen (Cf. Introduction des Hrsg, S. IX). 2 Da Laurent de Premierfait die »langage flourentin« selbst nicht ausreichend beherrschte, übersetzte »Anthoine de Aresche« (i. e. Antonio d’Arezzo, ein lediglich dem Namen nach bekannter Minderbruder, alle Identifikationsversuche waren bisher erfolglos, cf. Introduction des Hrsg., S. IX) Boccaccios Werk zunächst ins Lateinische. Laurent übertrug diese Fassung schließlich ins Französische (Cf. »Prologue du translateur […]«, in : Laurent de Premierfait/Decameron, S. 4). 3 Jean de France, Duc de Berry (1340-1416) war ein großer Förderer der Kunst und Literaturmäzen.

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8. ... « pour leesser et esbaudir les esperitz des hommes »

princes a tous hommes alongner leurs vies par toutes voies a Dieu et a Nature acompaignee de Raison.4

Der Übersetzer betont hier rund sechzig Jahre nach der Publikation des Decameron vor allem die rekreative Wirkung des Werkes und argumentiert dabei auf ganz ähnliche Weise, wie es Boccaccio selbst in den Genealogie in bezug auf die Wirkung der fabula getan hatte.5 Dies zeigt nicht nur, daß Laurent die Novellensammlung den Vorstellungen des Autors entsprechend verstanden hat, sondern deutet darüber hinaus einen allgemeinen Trend im Umgang mit zum Lachen reizender Literatur – besonders in Form von Kurzerzählungen – an. Wenn Laurent der delectacion zur schlichten Bewahrung der accidentia animae eine weitaus geringere Bedeutung beimißt als der Erheiterung als recreatio, spiegelt dies die Rezeptionsformen der Sammlung im Renaissancezeitalter im wesentlichen wider. Für das ausgehende 14. sowie das 15. Jahrhundert läßt sich durchaus ein gewisser Einfluß des Decameron auf die Regiminaliteratur konstatieren: Ihren deutlichsten Widerhall findet sie wohl im Consilium de modo vivendi in tempore pestilentiae Tommaso del Garbos: Ora è da vedere del modo del prendere letizia e piacer in questo tal tempo di pistolenzia e nell’animo e nella mente tua. E sappi che una delle più perfette cose in questo caso è con ordine prendere allegrezza, nella quale si osservi questo ordine, cioè prima non pensare della morte, overo passione d’alcuno, overo di cosa t’abi a contristare, overo a dolore, ma i pensieri sieno sopra cose dilettevoli e piacevoli. L’usanze sieno con persone liete e gioconde, e fugasi ogni maninconia, e l’usanza sia co(n) non molta nella casa ove tu ai a stare e abitare; e in giardini a tempo loro ove sieno erbe odorifere […]. E vuolsi schifare d’usare con bevitori e con feminacciole co’ mangiatori ingordamente e con ebri, avegna che non si vuole partire la sete, ma bei assai ordinatamente, come detto è di sopra. E usare canzone e giullerie e altre novelle piacevole (sic !) sanza fatica di corpo, e tutte cose dilettevoli che confortino altrui.6

___________ 4

Cf. »Prologue du translateur […]«, in : Laurent de Premierfait/Decameron, S. 3/4. Cf. dazu S. 167, insbesondere Anm. 63. Die hier angedeutete Einordnung in das Konzept der recreatio animi durchzieht den gesamten »Prologue du translateur […]«. Neben dem Hinweis auf Terenz’ Komödien, denen er rekreative Wirkung zuspricht (S. 1) erwähnt er auch den Bogenvergleich, der seit der Antike dazu dient, den Menschen deutlich zu machen, daß sie nicht ununterbrochen erfolgreich arbeiten können, sondern Erholung nötig ist: »Certes engin humain est naturelement comparé a ung arc entezé et tendu: combien qu’il soit bien poly et bien cordé, neantmoins il ne peult continuellement traire ne descocher les flesches, ains le convient destendre e abatre la corde et drecer le fust, afin que par aucun relaiz il retourne en sa premiere force et roideur« (»Prologue du translateur«, S. 4). Einen Überblick der Verwendung der Bogenmetapher bietet Olson, S. 91ff. 6 Tommaso del Garbo: Consilium de modo vivendi in tempore pestilentiae – »Pestschriften IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Archiv V, 1912, S. 348-351 (Nr. 36), hier S. 350 (Das n wurde von mir ergänzt, die modernisierte Orthographie folgt der von P. Ferrato besorgten Ausgabe der Scelta di curiosità letterarie inedite o rare dal secolo XIII al XVII. 74, Bologna 1866, S. 38-42. Die Schrift figuriert hier 5

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Nicht nur die Formulierung »con ordine prendere allegrezza«, sondern auch der explizite Verweis auf die »pensieri […] sopra cose dilettevoli e piacevoli« und die »novelle piacevole« rekurrieren allzu deutlich auf die von Boccaccio entwickelte Ordnung des Landaufenthalts der brigata. Da das Decameron nach seinem Erscheinen bekanntlich sehr rasch Verbreitung und allgemeine Anerkennung erfuhr, war man als Verfasser einer Pestschrift durchaus gut beraten, wenn man sich an Boccaccios Sammlung orientierte, zumal diese ja auf medizinisch korrekter Grundlage beruht.7 Ein Bezug auf das Werk konnte sich auf den Erfolg der eigenen Schrift dementsprechend nur positiv auswirken. Im Gegensatz zu den aus Anlaß der Pest von 1348 geschriebenen Traktaten taucht in den Schriften nach dem Decameron, wie auch schon bei Tommaso das Geschichtenerzählen, gelegentlich im Maßnahmenkatalog der accidentia animae auf: •

Sexto dico, quod ab accidentibus animae, quibus se custodiat, ut sunt timor, ira, tristitia, nimia solicitudo, cogitationes et similia. Et iuxta posse procuret gaudere, laetari audire, cantilenas, ystorias et melodias.8



Besunder soltu kürczweyl pflegen/Mit den, die teglich dir gefalln/Hüt dich vor fremder lewte schalln/Lieb leüt zu sehen pringet freyd/Spil, singen und sünst eugelweyd/Von Künsten, ystorien sagen,/Seytenspyl, vogeln, peyssen, jagen/Und alls, das unmut hifft vertreyben,/Cleinet, gestein und zyr von weyben/Trawrn, forcht, sorg, graw und tiff gedenck/Das als der Mensch vom herczen senck.9



Seite Spil/Singen un schoen froehlich historien lesen ist alles loblich.10

___________ unter dem Titel Ordine e reggimento, che si debbe osservare nel tempo di pistolenza, fatto e composto per lo eccellentissimo Dottore in medicina Maestro Tommaso del Maestro Dino del Garbo, Cittadino di Firenze, massimamente per bene e salute degli uomini, che abitano nella città di Firenze). Tommaso, der Sohn des bereits erwähnten Dino del Garbo, verfaßte die Pestschrift wohl in den sechziger Jahren des 14. Jahrhunderts, in »ruhiger, epidemiefreier Zeit« (Cf. Sudhoff: Einführung zu Nr. 36, S. 351). 7 Aufgrund der konstatierten Gemeinsamkeiten von Decameron und Consilium bleibt unverständlich, warum Olson, obwohl er angibt, daß »Tommaso’s tract undoubtedly postdates the Decameron« (Olson, S. 176), dieses dennoch als Beweis dafür anführt, daß sich Boccaccio bei der Konzeption seines Werkes an den zeitgenössischen medizinischen Traktaten orientierte. 8 Johannis de Noctho: Pestkonsilium (Titel von K. Sudhoff) – »Pestschriften IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Archiv V, 1912, S. 384-390 (Nr. 40), hier S. 390. Johannis stammt aus Sizilien, gibt aber an, seine Schrift 1398 in Bologna verfaßt zu haben (Cf. Sudhoff: Einführung zu Nr. 40, S. 384). 9 H. Folz: Pestregimen in Versen: »Item ein fast köstlicher Spruch von der Pestilenz« (1482), in: H. Folz: Die Reimpaarsprüche. Hrsg. von H. Fischer. München 1961, S. 412428 (Nr. 44), Vv. 125-138. Hans Folz war Dichter und Arzt in Nürnberg. 10 H. Steinhöwel: Büchlein der Ordnung der Pestilenz (1473), in: K. Sudhoff: Die ersten gedruckten Pestschriften A. C. Klebs. München 1926 [Sudhoff/Pestschriften], nicht paginiert, nach S. 210. Das Buch ist nach den sex res non naturales organisiert

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Weder bei Johannis de Noctho noch bei Hans Folz ist eine unmittelbare Inspiration an Boccaccios Sammlung nachweisbar. Bei Steinhöwel hingegen ist sie sehr wahrscheinlich: Da er bis dato bereits verschiedene DecameronNovellen ins Deutsche übertragen hatte,11 steht zu vermuten, daß er mit dem Konzept gesundheitsfördernden Erzählens vertraut war. Zudem hatte er auch Poggio Bracciolinis Facetiae ins Deutsche übersetzt12, ein Werk, das letztlich auf dem gleichen Prinzip beruht.13 Ob Boccaccios Gesamtkonzept, ein Buch als allopathisches Heilmittel gegen Pest, Melancholie und Liebeskrankheit zu konzipieren, gleichermaßen erfolgreich war und von der Bevölkerung tatsächlich bewußt bibliotherapeutisch rezipiert wurde14, läßt sich hingegen aus heutiger Sicht schwerlich beurteilen.15 Als Fundgrube zum Lachen reizender Anekdoten und motti wurde das Decameron zudem nicht nur Vorbild für eine Fülle weiterer Sammlungen von Kurzerzählungen, sondern stand mit der Orientierung am De oratore auch am Anfang einer Tradition, die später durch Pontano und Castiglione fortgesetzt wurde. Daß die gesundheitsfördernde Wirkung des Geschichtenerzählens – und insbesondere die Qualität, dem Geist Erholung zu bieten – dabei nie gänzlich ___________ (hier unter der Rubrik accidentia animae). Steinhöwel wirkte in der ersten Häfte des 15. Jahrhunderts als Arzt und medizinischer Schriftsteller in Ulm. 11 Steinhöwel übersetzte in den Jahren 1470 und 1471 die Novellen III, 9; V, 1 und X, 10 – letztere wohl auf der Grundlage der um 1373 entstandenen lateinischen Übertragung der Geschichte durch Petrarca – sowie De claris mulieribus (1473) (Cf. F. R. Hausmann: Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen von den Anfängen bis 1730. 2 Bde, Tübingen 1992, Ordnungsnr. 0148, 0147, 0145, 0150 (Griseldis) und 0142 [Hausmann/Bibliographie]). Daß Steinhöwel ein Kenner der italienischen Literatur und insbesondere der Werke Boccaccios war, zeigt M. Dallapiazza in »Die Bedeutung Nürnbergs für die frühe deutsche Boccaccio-Rezeption«, in: V. Kapp/F.-R. Hausmann (Hg.): Nürnberg und Italien. Begegnungen, Einflüsse und Ideen. Tübingen 1991, S. 181-193, insbesondere S. 183-185. Es ist also durchaus möglich, daß Steinhöwel Boccaccio mit der Bemerkung im Büchlein der Ordnung der Pestilenz gleichsam ein Denkmal setzen wollte. 12 Hausmann/Bibliographie, Ordnungsnr. 0213 (um 1470). 13 Cf. dazu meine Ausführungen S. 318f. 14 Der Begriff ›Bibliotherapie‹ wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts von S. Mc Chord Crothers geprägt, das Konzept ist jedoch wie gezeigt schon sehr viel älter (Cf. v. Engelhart, S. 165 sowie ausführlich H. Herkommer: »Das Buch als Arznei«, in: H. Herwig e. a. (Hg.): Lesezeichen: Semiotik und Hermeneutik in Raum und Zeit. Festschrift für Peter Rusterholz zum 65. Geburtstag. Tübingen 1999, S. 87-111). 15 Cf. dazu Sudhoff/Pestschriften, S. 137/138. »Boccaccios Decamerone war das erste florentinische Pestbuch und wenn man die liebenswürdige Einleitung des Buches mit seiner Beschreibung des schwarzen Todes von 1348 und mit den Plänen der jungen Leute auf dem Lande, sich durch Geschichten-Erzählen in der traurigen Zeit zu erheitern, liest, kann man sich gar nicht darüber wundern, daß dieses [...] ganz ernstlich von medizinischer Seite als Abwehrmittel gegen die Pest aufgezählt und empfohlen wurden«.

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außer Acht gelassen wurde, mag einerseits an den persönlichen Erfahrungen des Einzelnen gelegen haben, andererseits an der im ersten Teil der Arbeit skizzierten Tradition der recreatio animi, die in der Antike neben anderen bekanntlich von Seneca (d. J.) und Cicero vertreten wurde. Damit sind jedoch erneut die Namen der Persönlichkeiten gefallen, die in den Jahrhunderten nach Erscheinen des Decameron humanistisches Geistesleben entscheidend geprägt haben.16 Hatte Seneca sich in De tranquilitate animi theoretisch zur Erholungsfunktion von Lachen und Spiel geäußert,17 setzte Cicero die Idee im De oratore gewissermaßen ›in die Tat‹ um: Als Caesar Strabo aufgefordert wird, über »toto iocandi genere«18 zu sprechen, willigt er ein, dies soweit er dazu imstande sei, zu tun, des weiteren aber auf die Kenntnisse Antonius’ zu vertrauen, der dementsprechend seine Rede zu ergänzen habe. Dieser, von den Anstrengungen des Tages und den Gesprächen ermüdet, willigt schließlich ein, indem er auf die zu erwartende Erholung verweist: Defessus iam labore atque itinere disputationis meae requiescam in Caesaris (i. e. Caesar Strabo) sermone quasi in aliquo per opportuno deversorio.19

Da sogar die Erörterung der verschiedenen Möglichkeiten Lachen zu erzeugen – allerdings illustriert durch das eine oder andere treffende Beispiel – dem Geist Erholung bieten kann, steht eine vergleichbare Wirkung bei eigens zu diesem Zweck geschriebenen Geschichten wohl außer Frage. Vor diesem Hintergrund ist der deutliche Rekurs Laurents de Premierfait auf dieses Konzept sehr verständlich, denn er legte mit der Übersetzung des Decameron ein zwar beliebtes, aber auch umstrittenes Buch vor. Mit den entsprechenden Autoritäten im Rücken und der zusätzlichen, gleichfalls erbetenen Unterstützung und Verteidigung durch den Duc de Berry20 konnte er jedoch auf Anerkennung hoffen. Aus seiner Bemerkung: Ceste chose j’ay veue et esprouvé es escolles de toutes generales estudes, car les maitres et docteurs ou milieu de leurs leçons racomptent aux escoliers aucunes fables ou nouvelles joyeuses, afin que par interposees paroles de honneste soulaz et esbatement les liseurs et escouteurs resveillent et rafreschissent leurs sens et entendemens a vigoureusement lire et escouter le remenant des leçons ordinaires,21

___________ 16

Cf. Mouchel/Cicéron, S. 32 sowie vor allem M. Fumaroli: L’âge de l’éloquence. Rhétorique et ›res literaria‹ de la Renaissannce au seuil de l’époque classique. Genf 1980, S. 37-62. 17 Cf. S. 47, Anm. 117. 18 De orat. II, 234. 19 De orat. II, 234. Daß er sich tatsächlich erholt habe, bestätigt Antonius am Ende der Ausführungen Caesar Strabos (De orat. II, 290). Cicero nahm dieses Thema zudem in De officiis wieder auf . 20 Cf. »Prologue du translateur […]«, in : Laurent de Premierfait/Decameron, S. 5/6. 21 Cf. »Prologue du translateur […]«, in : Laurent de Premierfait/Decameron, S. 4.

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die ihm zur weiteren Bekräftigung seines Vorhabens dient, läßt sich zudem schließen, daß das Wissen um die rekreative Wirkung reizender intermezzi – wie sie ja auch vermehrt von Predigern eingesetzt wurde – zu seinen Lebzeiten bereits allgemein verbreitetes Bildungsgut war. Kein Wunder also, wenn sich zahlreiche Autoren diese Tatsache zur Rechtfertigung ihrer Werke zu Nutze machten. Als Beispiel sei hier nur der bereits erwähnte Poggio Bracciolini angeführt. In der Praefatio der Facetiae, einer Sammlung von Kurzerzählungen, die aufgrund mancher Obszönität und beißender Kritik am römischen Klerus einen ebenso zweifelhaften Ruf genoß wie das Decameron, führt er an: Honestum est enim ac ferme necessarium, certe quod sapientes laudarunt, mentem nostram variis cogitationibus ac molestiis oppressam recreari quandoque a continuis curis, et eam aliquo iocandi genere ad hilaritam remissionemque converti.22

Der große Erfolg der allerdings weder stilistisch noch inhaltlich den Ansprüchen der »sapientes«23 entsprechenden Sammlung auch in Gelehrtenkreisen beweist einmal mehr die Schlagkraft des recreatio-Arguments.24 Der Erfolg des Decameron hat bekanntlich zahlreiche Autoren dazu angeregt, ihrerseits Novellensammlungen zu verfassen: ob mit oder ohne Rahmenhandlung, mit kanonischer Hundertzahl der Geschichten oder nicht: im 14. und 15. Jahrhundert ergoß sich eine Flut derartiger Werke unterschiedlicher Güte über Europa.25 Daß diese ›Mode‹ der Boccaccio-Nachahmung auch im 16. Jahrhundert nicht abflaute, mag zum Teil in der Wertschätzung Pietro Bembos begründet sein. Dieser hatte 1525 in Prose della volgar lingua die Prosa des Decameron-Autors neben der Lyrik Petrarcas als vorbildlich und nachahmens-

___________ 22 G. F. Bracciolini (genannt Il Poggio): Facezie (Facetiae/Confabulationes). Lt./it., Introduzione, traduzione e note di S. Pittaluga. Mailand 1995, Praefatio, S. 2. Mit dem ursprünglichen Titel der Sammlung Confabulationes stellt sich Il Poggio zudem in die Tradition diätetisch motivierten Erzählens. Zum Lachen reizende, Erholung bietende Geschichten wurden bereits von Ibn Būtlan und erneut von Boccaccio in Buch XIV der GDG als confabulationes bezeichnet. 23 So hatte Cicero beispielsweise das Anbringen von Obszönitäten verurteilt (Cf. De orat. II, 252). 24 Eine Fülle weiterer Beispiele von Autoren, die sich in ähnlicher Weise auf das Konzept der recreatio animi beriefen, bietet T. Leuker: »Tempus recreationis. Das Erholungsbedürfnis des Menschen als Argument zur Rechtfertigung unterhaltsamer Texte und Gespräche in der italienischen und französischen Literatur (1300-1550)«, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 26 (2005), S. 79-104. 25 Als unmittelbar von Boccaccio inspiriert lassen sich G. Sercambis Novelliere (um 1399); Giovannis di Firenze Pecorone (um 1378); F. Sacchettis Trecentonovelle (13921397) und M. Salernitanos Novellino (1476) nennen. Darüber hinaus sei noch die Sammlung G. Basiles Lo cunto de li cunti (1634-1636) erwähnt, die aufgrund ihrer Aufteilung von 50 Geschichten auf fünf Erzähltage à zehn Geschichten Pentamerone genannt wird.

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wert gekennzeichnet.26 Für das Fortleben der Gattung entscheidender war jedoch die Entwicklung neuer Gesprächsformen. Im Zuge der Herausbildung von Konversationsidealen wurden vor allem die zum Lachen reizenden Geschichten notwendiger Bestandteil geistreicher Unterhaltung.27 Einen wesentlichen Beitrag zur Konstitution dieser Kultur leisteten Pontano und Castiglione mit eben jenen Werken, in denen sie die von Boccaccio initiierte Orientierung am cicieronianischen Ordnungssystem wieder aufnehmen: De sermone und Il Cortegiano.28 Pontano schrieb seine Gedanken über die Kunst des urbanen Gesprächs und die notwendige Integration zum Lachen reizender Anekdoten und motti in Form einer theoretischen Abhandlung nieder.29 Castiglione hingegen wählt zur Darstellung seiner diesbezüglichen Vorstellungen den gleichen Rahmen wie sein römisches Vorbild: ein fiktives Gespräch zwischen Männern (bei Castiglione auch Frauen), die sich aufgrund ihres gesellschaftlichen Standes oder ihrer Sachkenntnis zusammengefunden haben.30 Wie Castiglione in der Lettera dedicatoria des Werkes schreibt, ging es im De oratore um die Kennzeichnung des »perfetto Oratore«, wohingegen er selbst bestrebt ist, das Bild eines »perfetto Cortegiano« zu entwerfen.31 Wie Pontano propagiert auch Castiglione die Einbindung von Scherzworten und Lachen auslösender Geschichten in die Konversation und setzt die Empfehlungen auch gleich ›in die Tat‹ um. Da Castiglione zudem Boccaccios Novellen als Muster___________ 26 Cf. P. Bembo: Prose della volgar lingua. Introduzione e note di C. DionisottiCasalone. Con una tavola. Turin 1916, S. 17 und passim. 27 Es ist zudem durchaus bezeichnend, daß der wohl einzige zeitgenössische Versuch, unabhängig von den genannten Veränderungen der Gesprächskultur eine Poetik der Novelle zu entwickeln, gründlich scheitert: Francesco Boncianis Lezione sopra il comporre delle novelle (um 1530), in denen er die Novelle auf der Grundlage der aristotelischen Poetik zu erklären sucht, wurde erstmals im 19. Jahrhundert aus rein literaturhistorischem Interesse gedruckt. Der Vortrag Boncianis ist heutzutage greifbar in B. Weinberg: Trattati de poetica e retorica del Cinquecento, 3 Bde, Bari 1972, hier Bd. III, S. 135174. 28 Cf. dazu A. Pons: »La rhétorique des manières au XVIe siècle en Italie«, in: Fumaroli/Histoire, S. 411/430, hier S. 411/412 [Pons, in: Fumaroli/Histoire]. 29 Das Werk wurde 1499 fertiggestellt, aber erst 1509 erstmals publiziert (Cf. Pons, in: Fumaroli/Histoire, S. 414/415). 30 Cf. De orat. I, 26ff, Cortegiano I, IIff. 31 Cortegiano, Lettera dedicatoria al Reverendo Signor Don Michel de Silva, III, 7, ebenso I, I, 18f. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß die Diskussion bei Cicero tagesfüllend ist, das Gespräch über den Cortegiano aber nur eines der möglichen »giochi« (Cf. Cortegiano I, V,5 und passim) ist, die der Hofgesellschaft als Zeitvertreib zur Verfügung stehen. Auf diese Weise wird den folgenden Aussagen gewissermaßen der Ernst genommen, die vorgebrachten Meinungen und deren Synthese werden als Möglichkeit relativiert. Konversation wird tatsächlich zu einem geistreichen Vergnügen (Cf. K. W. Hempfer: »Rhetorik als Gesellschaftstheorie: Castigliones Il libro del Cortegiano«, in: A. Kablitz/U. Schulz-Buschhaus (Hg.): Literarhistorische Begegnungen. Festschrift zum sechzigsten Geburststag von B. König. Tübingen 1993, S. 103-121, hier S. 105/106).

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beispiele zum Lachen reizender Anekdoten und motti anführt, wird deren Bedeutung für die Konversation im folgenden anhand des Cortegiano erörtert, auf die entsprechenden Aussagen Pontanos wird verwiesen.32 Bei dem Versuch, den »perfetto Cortegiano« zu definieren, behandeln die Gesprächsteilnehmer33 zunächst Themen wie das rechte Verhalten im Krieg, gegenüber Frauen und Fürsten, beim Essen, sie erörtern die Bedeutung der Musik und machen sich Gedanken über angemessene Kleidung. Schließlich kommen sie auch auf die Konversation zu sprechen, stellen aber nach kurzer Zeit fest: Ma troppo lungo e faticoso saria voler discorrer tutti i vizii che possono occorrere nel modo di conversare: però per quello che io desidero nel Cortegiano basti dire, oltre a le cose già dette, ch’el sia tale, che mai non li manchin ragionamenti boni, e commodati a quelli co’ quali parla, e sappia con una certa dolcezza recrear gli animi degli auditori, e con motti piacevoli e facezie discretamente indurgli a festa e riso, di sorte che, senza venir mai a fastidio o pur a saziare, continuamenti diletti.34

Was hier verlangt wird, ist kurzgefaßt urbanitas sowie die Fähigkeit, die Gesprächspartner immer wieder durch »motti piacevoli e facezie« zu erfrischen und Lachen und gute Stimmung hervorzurufen. Die rekreative Wirkung derartiger Geschichten wird bald darauf erneut zur Sprache gebracht. Als messer Federigo aufgefordert wird, über die Verwendung der »be’ detti e facezie«35 zu sprechen, sich aber zu müde dafür fühlt, wird Bernardo Bibiena gebeten, an seiner Statt das Thema zu behandeln, messer Federigo solle im Anschluß nur ergänzen. Eng an die Worte Antonius’ aus De oratore angelehnt, erklärt dieser daraufhin: Non so ciò che più mi avanzi; ma io, a guisa di viandante già stanco dalla fatica del lungo camminare a mezzo giorno, riposerommi nel ragionar di messer Bernardo al suon delle sue parole, come sotto qualche amenissimo ed ombroso albero al mormorar suave di un vivo fonte; poi forse, un poco ristorato, potrò dir qualche altra cosa.36

___________ 32 Eine ausführliche Darstellung der Anverwandlung des ciceronianischen Modells – mit zahlreichen Verweisen auf das Werk Castigliones – bietet E. Walser: Die Theorie des Witzes und der Novelle nach G. Pontano. Straßburg 1908, inbesondere S. 10ff. 33 Castiglione stellt die Gesprächsteilnehmer in Cortegiano I, 3; 5 vor. 34 Cortegiano II, XLI, 18-24. Auf die nötige urbanitas sowie die rekreative Wirkung zum Lachen reizender Geschichten weist auch Pontano gleich zu Anfang seiner Abhandlung hin: »Convertimus ad scribendas eas sive virtutes sive vicia quae in sermone versantur; non autem aut oratorio aut poetico sed qui ad relaxationem animorum pertinet atque at eas quae facetiae dicuntur, id est ad civilem quandam urbanamque consuetudinem domesticosque conventus hominum inter ipsos, non utilitatis tantum gratia convenientum, sed iucunditatis refocillationisque a labore ac molestiis« ((G. Pontano): Ioannis Ioviani Pontani de Sermone libri sex. Ediderunt S. Lupi et A. Risicato. Verona 1954, I, Praefatio [De Sermone]). 35 Cortegiano II, XLIV, 4. 36 Cortegiano II, XLIV, 25-32.

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Bernardo Bibiena erweitert im folgenden den Fokus, indem er nicht mehr nur den Geschichten und motti eine solche Wirkung zuschreibt, sondern auch dem Lachen als Zeichen der Lebensfreude: Questo riso […] è quasi sempre testimonio d’una certa ilarità che dentro si sente nell’animo, il quale da natura è tirato al piacere, ed appetisce il riposo e ‘l ricrearsi.37

Auf diese Weise schreibt sich Castiglione also ebenfalls in die Tradition Erholung bietender Literatur ein, denn die eingestreuten Beispiele mögen auch den Leser da und dort zum Lachen bringen. Aufgrund der besonderen Ausrichtung auf den »perfetto Cortegiano« und die Frage, was sich für ihn schickt38, wird im weiteren Verlauf des Gesprächs, wie auch bei Pontano, der urbanitas und damit verbunden der mediocritas ein besonderer Stellenwert eingeräumt.39 War es Aufgabe Caesar Strabos, die Versammelten grundsätzlich über die Formen des Witzes zu informieren, wird Bibiena beauftragt: Insegnarci come ad usar le facezie delle quali avete or fatta menzione e mostrarci l’arte che s’appartiene a tutta questa sorte di parlar piacevole, per indurre riso e festa con gentil modo, perché in vero a me pare che importi assai, e molti si convenga al Cortegiano.40

Was folgt ist eine Darstellung der ciceronianischen ›Theorie des ridiculum‹, die dem De oratore oft bis in den Wortlaut folgt.41 Zunächst werden jedoch cavillatio und dicacitas gemäß nur zwei Arten der Scherzrede unterschieden: (Signor Prefetto): di due sorti solamente parmi che se ne trovino; delle quai l’una s’estende nel ragionar lungo e continuato […] piacevolemente narrano ed esprimono una cosa che sia loro intervenuta, o veduta o udita l’abbiano […] si poria chiamar

___________ 37 Cortegiano II, XLV, 19-21. Cf. dazu »Principio, quod hominum vita tum corporis tum animi laborum plena est ac molestiarum, iccirco post labores cessatio quaeritur, in qua recreetur animus, atque inter molestias iocus. Natura enim duce, ac requietem trahimur.« (De sermone I, 6, 1). 38 Cf. dazu R. Baillet: »Codes de comportement et communication dans le Cortegiano«, in: A. Montandon (éd.): Traités de savoir-vivre en Italie − I trattati di saper vivere in Italia. Clermont-Ferrand 1993, S. 163-171, hier S. 65 [Baillet, in: Montadon] : »L’adjectif ›conveniente‹ est un des mots-clés du livre, et revient comme un leitmotiv chaque fois qu’il est question de choisir une manière de faire plutôt qu’une autre. [… ] Le bon courtisan est celui qui sait adopter les comportements qui conviennent au lieu où il se trouve, autrement dit, celui qui sait s’adapter aux circonstances.«. 39 Cf. Baillet, in: Montadon, S. 166. Mediocritas ist hier nicht negativ als Mittelmäßigkeit zu fassen, sondern knüpft vielmehr an das Konzept der moderatio an (Cf. De sermone I, 24, zur urbanitas: De sermone, I, VII, VIII, XII). Zur urbanitas im Cortegiano cf. zudem II, XLIII, 3/4: »modestia e gravità, rispetto al tempo ed alle persone con le quai parlano«. 40 Cortegiano II, XLII, 12-16. 41 Cf. dazu O. Zorzi Pugliese: »Humor in Il Libro del Cortegiano« in: Quaderni d’Italianistica 14 (1993), S. 135-142, hier S. 136 [Zorzi Pugliese] sowie Pons, in: Fumaroli/Histoire, S. 421ff.

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festività, ovvero urbanità. L’altra sorte […] è brevissima, e consiste solamente nei detti pronti e acuti […] e dei mordaci; né senza quel poco di puntura par che abbian grazia, e questi presso gli antichi ancor si nominavano detti; adesso alcuni le chiamano arguzie.42

Bernardo Bibiena führt später eine dritte Form, die burla, ein: E parmi che la burla non sia altro, che un inganno amichevole di cose che non offendano, o almeno poco; e si come nelle facezie il dir contra l’aspettazione, così l’aspettazione induce riso. E queste tanto piú piacciono e sono laudate, quanto piú hanno dello ingenioso e modesto, perché chi vol burlar senza rispetto spezzo offende […] Ma i lochi donde cavar si posson le burle son quasi i medesimi delle facezie. Però, per non replicar, dico solamente, che di due sorte burle si trovano, ciascuno delle quali in più partì poi divider si poría. L’una è quando s’inganna ingeniosamente con bel modo e piacevolezza che si sia; l’altra è quando si tende quasi una rete, e mostra un poco d’esca, talché l’omo corre ad ingannarsi da sé stesso.43

Als Beispiele zur burla nennt er einige Novellen des Decameron, vornehmlich die beffe des VII und VIII Tages.44 Diese Differenzierung ergibt sich allein aus der Folge, daß dem Cortegiano zum Hervorufen des Lachens nicht mehr nur das Wort als Medium zur Verfügung steht. Die auch im Text betonte Nähe von burla und festività deutet vielmehr an, daß sich beide nur dahingehend unterscheiden, daß die eine Form berichtet, die andere gelebt wird und somit zum Erzählgegenstand werden kann. Pontano macht diese Unterscheidung nicht, da auch er sich auf den ›Machtbereich‹ des Wortes beschränkt. Wenn Castiglione hier einige Novellen des Decameron als Beispiel für zu integrierende, zum Lachen reizende Geschichten und motti anführt, weist er ihnen den Ort zu, den sie und ihresgleichen in den folgenden Jahrhunderten einnehmen werden. Die Liste der Autoren, die in den trattati di saper vivere des 15. und 16. Jahrhunderts für eine Einbindung zum Lachen reizender Geschichten oder motti in Gespräche plädierten ist lang: Matteo Palmieri, Alessandro Piccolomini, Giovanni della Casa, Stefano Guazzo, um nur einige zu nennen. Sie alle fordern jedoch nicht nur zum Lachen und ›Lachen-Machen‹ auf und rekurrieren dabei immer wieder auf existierende Novellensammlungen – namentlich das Decameron45, sondern mahnen auch stets zu urbanitas und moderatio. Daß ein solcher Rückgriff auf rund zweihundert Jahre ältere, in an___________ 42

Cortegiano II, XLIII, 8-18. Hervorhebungen vom Autor. Im weiteren Verlauf des Gesprächs werden beide Formen des zum Lachen Reizens präsentiert und mit zeitgenössischen Beispielen unterlegt. Wie Boccaccio ist also auch Castiglione bemüht, den Gegenstand durch Aktualisierung näher zu bringen. Pontano kontrastiert im vierten Buch seiner Abhandlung entsprechend fabella narrare und salsum dicere. 43 Cortegiano II, LXXXV, 1-13. Cf. Zorzi Pugliese, S. 136. 44 Cf. Cortegiano II, LXXXVIX, 3: Dec. VII, 7; 8, VIII, 2 sowie die CalandrinoNovellen. 45 Cf. z. B. M. Palmieri: Vita civile. Edizione critica a cura di G. Belloni, Turin 1982, Proemio 10/11.

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derem Kontext entstandene Geschichten möglich ist, läßt sich durch die Orientierung Boccaccios an menschlichen Grundbedürfnissen erklären. Indem er der Konstruktion des zum Lachen reizenden Moments Vorrang gegenüber allen weiteren Belangen einräumte und sich dabei eines Systems bediente, das ebenfalls lebensweltliche Begebenheiten festschrieb, gab er seinen Erzählungen – und implizit auch den an ihnen orientierten – überzeitliche Gültigkeit. Durch die humanistisch geprägte Grundhaltung, die sich in der Ausrichtung an Idealen wie der urbanitas oder dem Prinzip der recreatio animi manifestiert, war ihm zumindest solange Anerkennung sicher, wie diese allgemeines Ansehen genossen. Mögen sich die Wertvorstellungen im Laufe der Jahrhunderte gewandelt und die Novellen Boccaccios eine Fülle unterschiedlicher Lesarten erfahren haben: heute wie damals, können sie, ganz ihrer ursprünglichen Aufgabe entsprechend, »leesser et esbaudir les esperitz des hommes«.

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Literatur

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1821, Hildesheim 1964, S. 1-73. [De naturalibus facultatibus, in: Claudii Galeni Opera omnia II]). – Galeni de propriorum animi cuiusque affectuum dignotione et curatione, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. V, Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1823, Hildesheim 1965, S. 1-57. – Galeni de atra bile liber, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. V, Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1823, Hildesheim 1965, S. 104-148. – Galeni ad Thrasybulum liber, utrum medicinae sit an gymnastices hygieine, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. V, Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1823, Hildesheim 1965, S. 806-898. [Ad Thrasybulum liber, in: Claudii Galeni Opera omnia V] – Galeni De sanitate tuenda, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. VI, Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1823, Hildesheim 1965, S. 1-452. [De sanitate tuenda, in: Claudii Galeni Opera omnia VI] – De symptomatum causis, l. II, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. VII, Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1824, Hildesheim 1965, S. 147-204. – Galeni de locis affectis, lib. III, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. VIII, Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1824, Hildesheim 1965, S. 136-215. [De locis affectis, in: Claudii Galeni Opera omnia VIII] – De methodo medendi, l. IX, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. X, Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1825, Hildesheim 1965, S. 599-660. – De praenotione ad Posthumum, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. XIV. Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1824, Hildesheim 1965, S. 599- 673. – Hippocratis De natura hominis liber primus et Galeni in eius commentarius, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. XV. Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1828, Hildesheim 1965, S. 1-173. – Hippocratis epidemiarum librum VI et Galeni in illum commentarius, lib. III, in: – Claudii Galeni Opera omnia. Gr./lt., editionem curavit C. G. Kühn. Bd. XVII/2. Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1829, Hildesheim 1965, S. 1-119. (Gentile da Foligno): Consilium primum magistri gentilis de pestilentia. – K. Sudhoff: »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348. [Pestschriften] Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin V, 1912, S. 332-333 (Nr. 31). [Archiv] (Gentile da Foligno (?)): Consilium magistri gentilis super pestilentiam – K. Sudhoff: »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348. [Pestschriften] Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin V, 1912, S. 337-339 (Nr. 34). [Archiv] Giovanni Dondi: Modus vivendi tempore pestilentiali – K. Sudhoff: »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348. [Pestschriften] Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin V, 1912, S. 351-354 (Nr. 37). [Archiv]

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Literatur

(Henri de Mondeville): Die Chirurgie des Heinrich von Mondeville (Hermandoville) nach Berliner, Erfurter und Pariser Codices zum ersten Mal hrsg. von J. L. Pagel, Berlin 1892. (Hildegard von Bingen): Beate Hildegardis cause et cure. Edidit L. Moulinier, recognovit R. Berndt, Berlin 2003. Hippocrate: Les maladies, in: – Œuvres complètes d’Hippocrate, traduction nouvelle avec le texte grec en regard, accompagnée d’une introduction, éditées par E. Littré. Bd. VI, Amsterdam 1962, S. 140-205. – Du régime, in: – Œuvres complètes d’Hippocrate, traduction nouvelle avec le texte grec en regard, accompagnée d’une introduction, éditées par E. Littré. Bd. VI, Amsterdam 1962, S. 466-663. [Du régime, in: Littré VI] – Der Eid, in: – Ausgewählte Schriften. Aus dem Griechischen übers. und hrsg. von H. Diller, mit einem bibliographischen Anhang von K.-H. Leven, Stuttgart 1994, S. 7-10. [Eid, in: Hippokrates/Schriften/Diller] – Epidemien III, in: – Ausgewählte Schriften. Aus dem Griechischen übers. und hrsg. von H. Diller, mit einem bibliographischen Anhang von K.-H. Leven, Stuttgart 1994, S. 49-76. [Epidemien III, in: Hippokrates/Schriften/Diller] – Die heilige Krankheit, in: – Ausgewählte Schriften. Aus dem Griechischen übers. und hrsg. von H. Diller, mit einem bibliographischen Anhang von K.-H. Leven, Stuttgart 1994, S. 161-184. – Die Winde, in: – Ausgewählte Schriften. Aus dem Griechischen übers. und hrsg. von H. Diller, mit einem bibliographischen Anhang von K.-H. Leven, Stuttgart 1994, S. 210-224. – Die Natur des Menschen, in: – Ausgewählte Schriften. Aus dem Griechischen übers. und hrsg. von H. Diller, mit einem bibliographischen Anhang von K.-H. Leven, Stuttgart 1994, S. 199-209. [Die Natur des Menschen, in: Hippokrates/Schriften/ Diller] ((Pseudo)-Hippokrates): Die Briefe des Hippokrates. Ergänzungsteil von A. Fingerle, in: – Die Werke des Hippokrates. Die hippokratische Schriftensammlung in neuer deutscher Übersetzung. Hrsg von R. Karpferer, Stuttgart 1938. [Hippokrates/Briefe] (Ibn Butlan): Tacuini Sanitatis Elluchasem Elimithar, Medici de Baldath. Argentorati: apud Iohannem Schottum Librarium, s. l. 1531. [Tacuinum sanitatis/Straßburger Druckausgabe] (Ibn Butlan)/Opsomer, C.: L’art de vivre en santé. Images et recettes du moyen âge. Le Tacuinum sanitatis (manuscrit 1041) de la Bibliothèque de l’Université de Liège, Paris 1991. [L’art de vivre/Tacuinum sanitatis] Ishāq Ibn ‘Imran: Abhandlung über die Melancholie und (Constantinus Africanus): Constantini Africani libri duo de Melancholia. Vergleichende und kritisch-arabischlateinische Parallelausgabe. Deutsche Übersetzung des arabischen Textes, ausführliche Einleitung und arabischer wie lateinischer drogenkundlicher Apparat von K. Garbers, Hamburg 1977. [Abhandlung] Johannes della Penna: Consilium magistri Johannis dela penna contra pestem – K. Sudhoff: »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348. [Pestschriften] Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401), in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin V, 1912, S. 341-348 (Nr. 35). [Archiv] Johannis de Noctho: Pestkonsilium (Titel von K. Sudhoff) – K. Sudhoff: »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348. [Pestschrif-

Literatur

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ten] Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401), in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin V, 1912, S. S. 384-390 (Nr. 40). [Archiv] (Johannitius (i. e. Hunnain-Ibn-Issaq)): Liber Hysagoge Ioannici ad Tegni Galeni, Venedig 1502. [Hysagoge] Maimonides, M.: Regimen sanitatis oder Diätetik für die Seele und den Körper. Mit Anhang der Medizinischen Responsen und Ethik des Maimonides. Deutsche Übersetzung und Einleitung von S. Muntner, Frankfurt a. M. 1966. [Maimonides/Regimen] (Pariser Medizinische Fakultät): Compendium de epidemia compilatum Parisius per magistros facultatis medicorum ad instantiam et mandantum Philippe Francorum Regis anno MCCCXLVIII (Auszüge) – K. Sudhoff: »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348. [Pestschriften] Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts XVIII: Aus Frankreich, Spanien und England«, S. 12-139, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin XVII, 1925, S. 65-76 (Nr. 263). [Archiv] Steinhöwel, H.: Büchlein der Ordnung der Pestilenz, in: Sudhoff, K.: Die ersten gedruckten Pestschriften A. C. Klebs. (nicht paginierter Anhang nach S. 210), München 1926. Tommaso del Garbo: Consilium de modo vivendi in tempore pestilentiae – K. Sudhoff: »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348. [Pestschriften] Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts IV: Italienische des 14. Jahrhunderts«, S. 332-401, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin V, 1912, S. 348-351 (Nr. 36). [Archiv] – Ordine e reggimento, che si debbe osservare nel tempo di pistolenza, fatto e composto per lo eccellentissimo Dottore in medicina Maestro Tommaso del Maestro Dino del Garbo, Cittadino di Firenze, massimamente per bene e salute degli uomini, che abitano nella città di Firenze, in: Ferrato, P.: Scelta di curiosità letterarie inedite o rare dal secolo XIII al XVII. 74, Bologna 1866, S. 38-42. Anonyme medizinhistorische Primärtexte

– Kurze lateinische Pestregel eines Paduaner Anonymus aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts – K. Sudhoff »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348. [Pestschriften] Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts V: Aus Italien (Fortsetzung) und Wien«, S. 313-379, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin VI, 1913, S. 334-336, hier S. 336 (Nr. 47). [Archiv] – Regimen preservativuum a pestilencia ex purificacione aeris – »Pestschriften aus den ersten 150 Jahren nach der Epidemie des ›schwarzen Todes‹ 1348. [Pestschriften] Ausarbeitungen über die Pest vor der Mitte des 15. Jahrhunderts XI: entstanden im niederen Deutschland.«, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin XI (1919), S. 44-93 (Nr. 110). [Archiv] – Die Kunst sich gesund zu halten – Regimen Sanitatis Salernitatum. Deutsche Nachdichtung mit Einleitung und Anmerkungen von R. Schott, Zürich, Stuttgart 1964. Weitere Primärwerke Abdallah ibn al-Muqaffa: Kalila und Dimna. Die Fabeln des Bidpai. Übersetzung aus dem Arabischen von P. Wolff. Nachwort von J. C. Bürgel. Mit 12 Miniaturen, Zürich 1995. [Kalila und Dimna]

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Literatur

Aelianus, C.: Varia historia. Edidit M. R. Dilts, Leipzig 1974. Alanis ab Insulis: Summa de arte praedicatoria, in: Migne, J. P (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series latina, Paris 1855, Bd. CCX, cc. 110-198. Ambrose: De officiis. Lt./eng., edited with an introduction, translation and commentary by I. J. Davidson. Bd. I (Introduction, text, translation), Oxford 2001. (Andrea Dei/Agnolo di Tura): Chronica Sanense di Andrea Dei continuata da Agnolo di Tura dal Anno 1186 fino al 1352, in: Muratori, L. A. (Hrsg.): Rerum italicarum scriptores. Raccolta degli Storici Italiani dal Cinquecento al Millecinquecento. Mailand 1728 (Ristampa anastatica, Forli 1979), [Muratori], Bd. XV, cc. 11-294. Angiolieri, C.: Le rime. A cura di A. Lanza, Rom 1990. Apuleius Madaurensis: Metamorphoseon libri XI − Der goldene Esel. Lt./dt. Hrsg. und übers. von E. Brandt und W. Ehlers. Mit einer Einführung von N. Holzberg, Düsseldorf, Zürich 51998. [Met.] Aristotle: On coming-to-be and passing-away/De generatione et Corruptione, in: – On sophistical refutations, On coming-to-be and passing-away, On the cosmos. Gr./eng., translated by E. S. Forster, London e. a. 1955, S. 162-329. [De generatione et corruptione] – Les parties des animaux. Gr./frç., texte établi et traduit par P. Louis, Paris 1956. [Parties] – De la génération des animaux. Gr./frç., texte établi et traduit par. P. Louis, Paris 1961. – Problemata physica. Übers. von H. Flashar. (Aristoteles Werke in dt. Übersetzung, hrsg. von E. Grumach, Bd. 19), Darmstadt 1962. [Problemata] – Histoire des animaux. Gr./frç., texte établi et traduit par P. Louis, Paris 1969. – Politik. Eingel., übers. und komm. von O. Gigon, Stuttgart, Zürich 21971. [Politik] – Poetik. Gr./dt., übers. und hrsg. von M. Fuhrmann, Stuttgart 1982. [Poetik] – Rhetorik. Übers. und hrsg. von G. Krapinger, Stuttgart 1999. [Rhet.] – Nikomachische Ethik. Gr./dt., übers. von O. Gigon, neu hrsg. von R. Nickel, Düsseldorf, Zürich 2001. [Eth. Nic.] Aurelius Augustinus: De musica libri sex, in: Migne, J. P. (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series latina, Paris 1860, Bd. XXXII, cc. 1082-1194. – Sancti Aurelii Augustini: De civitate Dei. Libri XI-XXII. Curaverunt B. Dombart/A. Kalb. (Aurelii Augustini Opera Pars XIV, 2), Turnhout 41955. [De civitate Dei] – De doctrina christiana libri IV, in: – Sancti Aurelii Augustini: De doctrina christiana, De vera religione. Cura et studio I. Martin. (Aurelii Augustini Opera Pars IV, 1), Turnhout 1963, S. 1-168. Bartholomeo de Pisa (Bartholomaeus de Rinonico): De conformitate vitae Beati Francisci ad vitam Domini Iesu, libri II, Clara Aquas/Quaracchi 1906. [De conformitate] Basilius Caesariensis: Regula fusius tractatae, in: Migne, J. P. (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series graeca, Paris 1860, Bd. XXXI, cc. 890-1302.

Literatur

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Baudelaire, C.: De l’essence du rire et généralement du comique dans les arts plastiques, in: – Œuvres complètes: Quelques-uns de mes curiosités esthétiques. Notice, notes et éclaircissements de J. Crépet, Paris 1923, S. 369-396. [De l’essence] Bechstein, L.: Märchen. Nach der Ausgabe von 1857, textkritisch revidiert und durch Register erschlossen. Hrsg. von H.-J. Uther, München 1997. [Bechstein] Belcari, F.: Rappresentazione di Abramo e Isacco, in: Faccioli, E. (Hrsg.): Il teatro italiano. Dalle origini al Quattrocento I. Turin 1975, S. 133-149. Bembo, P.: Prose della volgar lingua. Introduzione e note di C. Dionisotti-Casalone. Con una tavola. Turin 1916. (Bene da Firenze): Bene Florentini Candelabrum. A cura di G. C. Alessio, Padua 1983. [Candelabrum]. (Benedikt von Nursia): Die Regel St. Benedikts. Eingel., übers. und aus dem alten Mönchtum erklärt von B. Steidle OSB, Beuron 1952. [Regel St. Benedikts] – Die Benediktsregel. Eine Anleitung zu christlichem Leben. Der vollständige Text der Regel lat./dt., übersetzt und erklärt von G. Holzherr, Zürich 41993. [RB] – Worte der Weisung. Die Regel des heiligen Benedikt als Einführung ins geistige Leben. Hrsg. von E. Jungclaussen OSB. Mit einer Einführung von C. Feldmann, Freiburg, 1999. [Worte] Bergson, H.: Das Lachen. Ins Deutsche übertragen von J. Franckenberger und W. Fränzel, Meisenheim am Glan 1948. – Le rire. Essai sur la signification du comique, in: – Œuvres. Textes annotés par A. Robinet. Introduction par H. Gouhier, Paris 1959. [Le rire] (Boethius): Anicii Manlii Severini Boethii: In Isagogen Porphyrii Commenta. Copiis a G. Schepps comparatis suisque usus recensit S. Brandt, Leipzig/Wien 1906. Bonciani, F. Lezione sopra il comporre delle novelle, in: Weinberg, B.: Trattati de poetica e retorica del Cinquecento. Bd. III, Bari 1972, S. 135-174. Boncompagno da Signa: Rhetorica antiqua, in: Arese, F. e. a. (Hg.): Le origini. Testi latini, italiani, provenzali e franco-italiani. (La letteratura italiana, Storia e testi) Bd. I, Verona 1956, S. 741-759. Bracciolini, G. F. (genannt: Il Poggio): Facezie (Facetiae/Confabulationes). Lt./it., introduzione, traduzione e note di S. Pittaluga. Mailand 1995. Brüder Grimm: Kinder und Hausmärchen. Bd. II, Märchen Nr. 61-144. Nach der Großen Ausgabe von 1857, textkritisch revidiert, kommentiert und durch Register erschlossen. Hrsg. von H.-J. Uther, München 1996. Cassien, J.: Institution cénobitiques. Lt./frç., texte latin revu, introduction, traduction et notes par J.-C. Guy, SJ, Paris 1965. [Inst. coen.] (Castiglione, B.): Il Cortegiano del Conte Baldesar Castiglione. Annotato e illustrato da V. Cian, Florenz 31929. [Cortegiano] Cavalcanti, G.: Le rime – Gedichte. Ital./dt. Nach einer Interlinearübersetzung von G. Gabor, in deutsche Reime gebracht von E.-J. Dreyer mit Anmerkungen zu den Gedichten von G. Gabor, Mainz 1991. [Cavalcanti/Rime] Chaucer, G.: Die Canterbury Erzählungen. Mteng./dt., in dt. Prosa übertragen von F. Kemmler, mit Erläuterungen von J. O. Fichte. Bd. I (Fragment I Gruppe A – Fragment IV, Gruppe E), München 1989.

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Literatur

Cicero, M. T.: Oratio pro Archia poeta, in: M. T. Ciceronis Scripta quae mansuerunt omnia (Fasc. 19): Oratio pro P. Sulla iterum recognovit H. Kasten; Oratio pro Archia poeta. Iterum recognovit P. Reis, S. 43-57, Leipzig 1949. – Tusculanes. Lt./frç., texte établi par G. Fohlen et traduit par J. Humbert, Paris 21960. – Orator/De optimo genere oratorium/L’orateur/Du meilleur genre d’orateurs. Lt./frç., texte établi et traduit par A. Yon, Paris 1964. [Orator] – De officiis/Les devoirs (Introduction, Livre I). Lt/frç., texte établi et traduit par M. Testard, Paris 1965. [De off.] – De inventione/De l’invention. Lt./frç., éd. par G. Achard, Paris 1994. [De inv.] – Brutus. Lt/dt., hrsg. und übers. von B. Kytzler, Düsseldorf, Zürich 52000. [De inv.] – De oratore/Über den Redner. Lt/dt., übers. und hrsg. von H. Merklin, Stuttgart 42001. [De orat.] Comici dell’Arte: Corrispondenze. Edizione diretta da S. Ferrone, a cura di C. Buratelli e. a., Florenz 1993. Cortebarbe: Des trois aveugles de compiengne, in: Montaiglon, A. de/Raynaud, G.: Recueil général et complèt des Fabliaux des XIIIe et XIVe siècles (imprimés et inédits). Publiés avec Notes et Variantes d’après les manuscripts. 6 Bde., New York 1965, Bd. I, S. 70-81 (Manuscript F Fr n° 837, fol 73v à 75r et 1593). Dante Alighieri: La Commedia secondo l’antica vulgata III – Purgatorio. A cura di G. Petrocchi, Mailand 1967. – Vita nuova, Rime. A cura di D. de Robertis e G. Contini. Bd. I, TeilBd. II, Mailand, Neapel 1995. [Vita Nuova] [Dante/Rime] Descartes, R.: Les passions de l’âme. Introduction, notes, bibliographie et chronologie par P. d’Arcy, Paris 1996. [Les passions] Diels, H.: Die Fragmente der Vorsokratiker. Hrsg. von W. Kranz, 3 Bde. (Bd. 3 ist Registerband), Berlin 61952. [Diels/Kranz I/II] Dino Del Garbo: Scriptum super cantilena Guidonis de Cavalcantibus, in: Fenzi, E.: La canzone di Guido Cavalcanti e i suoi antichi commenti. Lt./it., Genua 1999, S. 86-133. [Scriptum super cantilena Guidonis] Diogenes Laertius: Vitae philosophorum/Lives of Eminent Philosophers. With an english translation by R. D. Hicks. 2 Bde., London 1958/1959. [Vitae] Eco, U.: Il nome della rosa. Mailand 1980. [Il nome] Ficinus, M.: De vita libri tres. Kritischer Apparat, erklärende Anmerkungen, Namenregister und Nachwort von M. Plessner. Nach dem Manuskript ediert von F. KleinFranke. Nachdruck des Exemplars der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Hildesheim/New York 1978. [De vita libri tres] (Franz von Assisi): Die Schriften des heiligen Franziskus von Assisi. Einführung, Übersetzung, Auswertung. Hrsg. von K. Eßer OFM und L. Hardick. OFM. Franziskanische Quellenschriften. Bd. 1, Werl 1951. [Franziskus/Schriften] – Die Regula non bullata der Minderbrüder, hrsg. von D. E. Flood OFM. Franziskanische Studien 19, Werl 1967. [Regula non bullata] – Écrits. Texte latin de l’édition K. Esser. Introduction, traduction, notes et index par T. Desbonnets e. a. OFM, Paris 1981. [Regula bullata] Freud, S.: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Der Humor. Einleitung von P. Gay, Frankfurt a. M. 72004. [Der Witz] [Der Humor]

Literatur

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Geoffrey de Vinsauf: Poetria Nova, in: Faral, E.: Les Arts poétiques du XIIe et du XIIIe siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du Moyen Âge. Paris 1924, S. 197-262. [Poetria Nova, in: Faral/Arts poétiques] – Documentum de modo et arte versificandi et dictandi, in: Faral, E.: Les Arts poétiques du XIIe et du XIIIe siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du Moyen Âge. Paris 1924, S. 265-320. [Documentum, in: Faral/Arts poétiques] Giamboni, B.: Fiore di Rettorica. Edizione critica a cura di G. B. Speroni, Pavia 1994. [Fiore] Gozzi, C.: Memorie inutili. A cura di D. Bulferetti. 2 Bde, Turin 1928. Guilelmus de Conchis: De Philosophia mundi libri quattuor, in: Migne, J. P (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series latina, Paris 1860, Bd. CLXXII, cc 39-102. [Philosophia mundi, in: Migne, PL, Bd. CLXXII] (Hierokles/Philagrios): Philogelos/Der Lachfreund von Hierokles und Philagrios. Gr./dt. Mit Einleitung und Kommentar, hrsg. von A. Thierfelder, München 1968. [Lachfreund] Homer: Ilias − Odyssee. Deutsch von J. H. Voss, bearb. von H. Rupé/E. R. Weiß, mit Bildern von B. Genelli, Köln 2000. (Honorius Augustodunensis): De Philosophia mundi libri quattuor (fälschlich H. A. zugeschrieben, die Philosophia mundi ist ein Werk Guilelmus’ de Conchis), in: Migne, J. P (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series latina, Paris 1860, Bd. CLXXII, cc 39-102. [Philosophia mundi, in: Migne, PL, Bd. CLXXII] Q. Horatius Flaccus: Briefe. Erkl. von A. Kiessling (Q. Horatius Flaccus, erkl. von A. Kiessling, Bd. III), Berlin 1889. – Carmina, in: – Opera. Edidit D. R. Shackleton Baley. Editio altera, Stuttgart 1991. – Satiren/Briefe; Sermones/Epistulae. Lt./dt., übers. von G. Hermann, hrsg. von G. Fink, Düsseldorf, Zürich 2000. [Sermones/Epistulae] Hugo, V.: Le roi s’amuse, in: Hugo, V.: Théâtre complet I. Préface par R. Purnal, notices et notes par J. J. Thierry et J. Mélèze, Paris 1967, S. 1337-1485. (Isidor von Sevilla): Isidori Hispalensis de Natura Rerum liber. Recensit Gustavus Becker, Berlin 1857. – Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum. Libri XX. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. M. Lindsay, Bd. I (l. I-X), Oxford, 1957. [Etymologiarum] Iuvenalis, D. I.: Saturae sedecim, edidit I. Willis, Stuttgart, Leipzig 1997. Jamblich: Pythagoras: Legende – Lehre – Lebensgestaltung. Eingel, übers. und mit interpretierenden Essays versehen von M. v. Albrecht e. a., Darmstadt 2002. Jean de Joinville: Vie de Saint Louis. afrç./frç. m., texte établi, traduit; présenté et annoté, avec variantes par J. Monfrin, Paris 1995. [Vie de Saint Louis] Joannis Chrysostomus: Homiliae XV de statius, in: Migne, J. P (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series graeca, Paris 1860, Bd. IL, 154-161.

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Literatur

– Homiliae in Matthaeum VI, in: Migne, J. P. (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series graeca, Paris 1860, Bd. LVII, cc. 62-72. [Homiliae in Matthaeum VI, in: Migne, PG, Bd. LVII] – In Epist. Ad Ephes. Cap. V. Homil. XVII, in: Migne, J. P (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series graeca, Paris 1860, Bd. LXII, S. 116-122. [Homiliae In Epistolam ad Hebraeos XV in: Migne, PG, Bd. LXII, cc. 116-122. – Homiliae In Epistolam ad Hebraeos XV, in: Migne, J. P. (Hrsg.): Patrologia cursus completus (seu Biblioteca universalis, integra, uniformis, commoda, oeconomica omnium SS Patrum, Doctorum, Scriptorumque Ecclesiasticorum). Series graeca, Paris 1860, Bd. LXIII, cc. 118-124. [Homiliae In Epistolam ad Hebraeos, in: Migne, PG, Bd. LXIII] (Johanne De Cornazanis): Historiae Parmensis Fragmenta ab Anno MCCCI usque ad Annum MCCCLV, auctore Fratre Johanne De Cornazanis, Ordinis Praedicatorum, latine primum, sed heic tantum Italice scripta, cum additamentis usque ad Annum MCCCCLXXIX, in: Muratori, L. A. (Hrsg.): Rerum italicarum scriptores. Raccolta degli Storici Italiani dal Cinquecento al Millecinquecento. Mailand 1728 (Ristampa anastatica, Forli 1979), [Muratori], Bd. XII, cc. 729-754. (Johannes de Garlandia): The Parisiana Poetria of John of Garland – Parisiana Poetria de Arte Prosayca Metrica et Rithmica. Edited with Introduction, Translation, and Notes by T. Lawler, New Haven, London 1974. [Parisiana Poetria] Joufroi de Poitiers: Roman d’aventures du XIIIe siécle. Édition critique par P. B. Fay et J. L. Grigsby, Genf, Paris, 1972. Kant, I.: Kritik der Urteilskraft. Hrsg. von W. Weischedel. Werkausgabe Bd. X, Frankfurt a. M. 21977. Klemens von Alexandreia: Der Erzieher, in: – Der Erzieher Buch II+III. Welcher Reiche wird gerettet werden? (Bibliothek der Kirchenväter) Aus dem Griechischen übers. von O. Stählin, München 1934. [Erzieher] – Teppiche; Wissenschaftliche Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie. (Bibliothek der Kirchenväter) Buch I-III, aus dem Griechischen übers. von O. Stählin, München 1936. Krüss, J.: Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen. Hamburg 1988. [Timm Thaler] (Latini, B.): La Rettorica italiana di Brunetto Latini. Ed. da F. Maggini, Florenz 1915. [Rettorica] Lavater, J. C.: Abraham und Isaak. Winterthur 1776. T. Lucretius C. De Rerum natura libri sex. Lt./eng., edited with Prolegomena, critical apparatus, translation an commentary by C. Bayley. 2 Bde., Oxford 1963. Lukian von Samosata: Seelenauktion, in: – Lukians von Samosata Sämtliche Werke. Aus dem Griechischen übersetzt von M. Weber, Leipzig 1910, Bd. I, S. 141-160. (Macrobius, A. T.): A. T. Macrobii Commentarii in Somnium Scipionis. Edidit I. Willis accedunt quattuor tabulae, Leipzig 1958. [Somnium] – Saturnalia. Apparatu critico instruxit In somnium Scipionis commentarios. Selecta varietate lectionis ornavit I. Willis, Leipzig 1963. Marchionne di Coppo Stefani: Cronaca fiorentina, in: Muratori, L. A. (Hrsg.): Rerum italicarum scriptores. Raccolta degli Storici Italiani dal Cinquecento al Millecinque-

Literatur

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cento. Nuova edizione ampliata e coretta con la direzione di G. Carducci e V. Fiorini. T. XXX (Cronache toscane), Città di Castello 1903, S. 230-232, i. e. I, VIII, 136-142. [Cronaca fiorentina] Marguerite de Navarre: L’Heptaméron. Texte établi sur les manuscrits avec une introduction, des notes et un index des noms propres par M. François, Paris 1967. Melanchthon, P.: Liber de Anima. Edidit C. G. Bretschneider (Corpus Reformatorum Bd. XIII), Halberstadt 1846. Molière: Le malade imaginaire, in: – Œuvres complètes. Texte établi avec préface, chronologie de la vie de Molière, bibliographie, notices, notes, relevés de variantes et lexique par R. Jouanny, Paris 1962, S. 751-852. Montaigne, M. de: Essais. Éd par V. L. Saulnier et P. Villey. 3 Bde., Paris 21992. [Essais] Ovide : Les Remèdes d’amour (Remedia amoris), in: – Les amours, suivis de L’art d’aimer, Les Remèdes d’amour, De la manière de soigner le visage féminin. Lt./frç. Traduction nouvelle. Introduction, notes et texte établis par E. Ripert, Paris 1957, S. 300-347. Palmieri, M.: Vita civile. Edizione critica a cura di G. Belloni, Turin 1982. Paolo da Certaldo: Libro di buoni costumi. A cura di A. Schiaffini, Florenz 1945. Payen, J. C. (Hrsg.): Les Tristan en vers. Édition comprenant textes, traduction nouvelle, introduction, bibliographie et notes. Paris 21974. Perrault, C.: Histoires ou contes du temps passé. Èdition présentée, annotée et expliquée par D. Couty, Paris 1991. (Petrarca, F.): F. Petrarcae Florentini Epistolarum de Rebus Senilibus Libri XVI, in: – Petrarcae Florentini Opera omnia, Basel 1581, S. 735-968. – Secretum meum. Lt./dt., hrsg., übers. und mit einem Nachwort von G. Regn und B. Huss, Mainz 2004. [Secretum] Petronius: Satyrika. Lt./dt. von K. Müller und W. Ehlers. Mit einem Nachwort von N. Holzberg, Darmstadt 1995. [Satyrika] Pirandello, L.: L’umorismo. Introduzione di S. Guglielmino, Cronologia di S. Costa, Mailand 1992. [L’umorismo] Platon: Kratilos, in: – Werke Bd. II (Kratilos, der Sophist, der Staatsmann, das Gastmahl). In der Übersetzung von F. D. E. Schleiermacher, Berlin 1986, S. 17-85. – Timaios, in: – Sämtliche Werke. Bd. 4 (Timaios, Kritias, Minos, Nomoi). Übers. von H. Müller und F. Schleiermacher (Minos); auf der Grundlage der Bearbeitung von W. F. Otto e. a., neu hrsg. von U. Wolf, Reinbek 1994, S. 11-103. [Timaios] – Gesetze, in: – Sämtliche Werke. Bd. 4 (Timaios, Kritias, Minos, Nomoi). Übers. von H. Müller und F. Schleiermacher (Minos); auf der Grundlage der Bearbeitung von W. F. Otto, E. Grassi, G. Plamböck, neu hrsg. von U. Wolf, Reinbek 1994, S. 143-574. [Gesetze] – Philebos. (– Werke Bd. III 2), Übersetzung und Kommentar von D. Frede, Göttingen 1997. [Philebos] – Phaidros. (– Werke. Bd. III, 4). Übersetzung und Kommentar von E. Heitsch, Göttingen 21997. [Phaidros] – Der Staat. Deutsch von R. Rufener. Mit einer Einleitung von T. A. Szlezák und Erläuterungen von O. Gigon, München 21998. [Staat]

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Literatur

– Protagoras. (– Werke Bd. VI, 2), Übersetzung und Kommentar von B. Manuwald, Göttingen 1999. [Protagoras] Plautus: Stichus, in: – Pseudolus, Rudens, Stichus, t. VI. Lt./frç., texte établi et traduit par A. Ernout. Edition revue et corrigée, Paris 21957, S. 212-261. Plessner, H.: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. Bern, München 31961. [Lachen und Weinen] Plinius d. Jüngere (G. Plini Caecili Secundi): Epistularum libri decem. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit R. A. B. Mynois, Oxford 1963. Plutarque: »Vie de Lycurgue«, in: – Vies I (Thésée-Romulus/Lycurgue-Numa. Gr./frç., texte établi et traduit par R. Flacelière, É. Chambry, M. Juneaux. Revu et corrigé par J. Irigoin. Paris 31993, S. 109-166. [Plutarque/Lycurgue] – »Vie de Cicéron«, in: – Vies XII (Démosthène-Cicéron). Gr./frç., texte établi et traduit par R. Flacelière, Paris 1976, S. 51-124. [Plutarque/Cicéron] – »Vie de Démétrios«, in: – Vies XIII (Démétrios/Antoine). Gr./frç., texte établi et traduit par R. Flacelière, Paris 1977, S. 20-79. (Pontano, G. G.): Ioannis Ioviani Pontani de Sermone libri sex. Ediderunt S. Lupi et A. Risicato. Verona 1956. [De Sermone] (M. F. Quintilianus): M. Fabi Quintiliani Intitutionis oratoriae. Libri duodecim. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit M. Winterbottom, 2 Bde (Bd. I: libri I-VI; Bd. II: libri VII-XII), Oxford 1970, hier Bd. I; V. [Inst. orat. I/II] Rabelais, F.: La vie très horrific du Grand Gargantua/Père de Pantagruel, in: – Œuvres complètes I. Introduction, notes, bibliographie et relevé de variantes par P. Jourda. Paris 21982, S. 3-210. Sénèque, L. A.: De ira, in: – Dialogues I+II. Lt./frç., texte établi et traduit par A. Bourgéry, Paris 1951, S. 1-109. – De tranquilitate animi, in: – Dialoge VII-XII. Lt./dt, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von M. Rosenbach, Darmstadt 1983, S 101-173. [De tran. an.] Sorel, C.: Histoire comique de Francion. Édition de 1633, présentée par F. Garavini, établie par A. Schoysman et annotée par A. L. Franchetti, Paris 1996. Strabo: Geography, books XV/XVI. (Strabo VII) With an english translation by H. L. Jones, (Neudruck der Ausgabe von 1930), Cambridge, London 2000. G. Suetonius T.: Kaiserbiographien/(De Vitae caesarum). Lt./dt. von O. Wittstock. Mit 16 Tabellen, Berlin 1993. Tacite, P. C.: La Germanie. Texte établi et traduit par J. Perret. Paris 21962. – Germania. Translation with introduction and commentary by J. B. Rives, Oxford 1999. – Annales. Lt./dt. Hrsg. von E. Heller. Mit einer Einführung von M. Fuhrmann, Darmstadt 31997. (S) Thomas Aquinatis: Summa theologiae, in: – Opera omnia II. (Summa contra gentiles; autographie deleta; Summa theologiae) Ut sunt in indice thomistico additis 61 scriptis ex altris medii aevi auctoribus curante R. Busa. S. I., Stuttgart, Bad Cannstatt 1980, S. 184-926. [Sum. theol.]

Literatur

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– Sententia libri Ethicorum, in: – Opera omnia IV. (Commentaria in Aristotelem et alios). Ut sunt in indice thomistico additis 61 scriptis ex altris medii aevi auctoribus curante R. Busa. S. I., Stuttgart, Bad Cannstatt 1980, S. 143-234. (Thomas de Celano): S. Francisci Assisiensis Vita et Miracula additis opusculis liturgicis auctore Fr. Thoma de Celano. Hanc editionem novam ad fidem Mss recensuit P. E. Alenconiensis. OFMcap., Rom 1906. [Vita et Miracula] (Valerius Maximus): Valeri Maximi Facta et Dicta memorabilia. Vol. I/II (Vol. I: libri I-VI; Vol. II libri VII-IX.). Iuli paridis epitoma fragmentum de praenominibus, Ianuari Nepotiani epitoma (Vol. II) Edidit J. Briscoe, Stuttgart, Leipzig 1998. [Facta et Dicta] Vasari, G.: Le vite de’ più eccellenti architetti, pittori e scultori italiani da Cimabue insino a’ tempi nostri. Nell edizione per i tipi di Lorenzo Torrentino Firenze 1550. A cura di L. Bellosi e A. Rossi. Presentazione di G. Previtali. 2 Bde., Turin 1991. (Villani, M.): Istorie di Matteo Villani, cittadino fiorentino, che continua quelle di Giovanni suo fratello, in: Muratori, L. A. (Hrsg.): Rerum italicarum scriptores. Raccolta degli Storici Italiani dal Cinquecento al Millecinquecento. Mailand 1728 (Ristampa anastatica, Forli 1979), Bd. XIV, cc. 9-728. [Villani, in: Muratori] Virgile: Enéide, l. I-VI. Lt./frç. Texte établi par H. Goelzer, et traduit par A. Bellesort, Paris 101961. Wittgenstein, L.: Logisch-philosophische Abhandlung/Tractatus logico philosophicus, in: – Tractatus logico philosophicus/Tagebücher 1914-1916/Philosophische Untersuchungen (Werkausgabe Band I), Frankfurt a. M. 1984. Xenophon von Athen: Das Gastmahl. Gr./dt. Übers. und hrsg. von E. Stärk, Stuttgart 1986. [Gastmahl] Anonyma

– Monumenta Pisana. Ab anno MLXXXIX usque Annum MCCCLXXXIX. Deducta et continuato usque ad MCCCCVI, in: Muratori, L. A. (Hrsg.): Rerum italicarum scriptores. Raccolta degli Storici Italiani dal Cinquecento al Millecinquecento. Mailand 1728 (Ristampa anastatica, Forli 1979), [Muratori], Bd XII, cc. 970-1088. – Florilegium Gottingense. Hrsg von E. Voigt, Erlangen 1887. [F. G.] – La folie Tristan de Berne. Publiée avec commentaire par E. Hœpffner. Édition revue et corrigée, Paris 21949. – Testimonianze di Travale, testo e note, in: Arese, F. e. a. (Hg.): Le origini. Testi latini, italiani, provenzali e franco-italiani. (La letteratura italiana, Storia e testi) Bd. I, Verona 1956, S. 507-509. – Le Roman de Renart Iière branche. Édité d’après le manuscrit Cangé par M. Roques, Paris 1957. – Des trois boçus, in: Montaiglon, A. de/Raynaud, G.: Recueil général et complèt des Fabliaux des XIIIe et XIVe siècles (imprimés et inédits). Publiés avec Notes et Variantes d’après les manuscripts. 6 Bde, New York 1965, Bd. I, S. 13-23 (Manuscript F Fr n° 837 fol 234v à 240r). – Des Tresces, in: Montaiglon, A. de/Raynaud, G.: Recueil général et complèt des Fabliaux des XIIIe et XIVe siècles (imprimés et inédits). Publiés avec Notes et Variantes d’après les manuscripts. 6 Bde., New York 1965, Bd. IV, S. 67-81 (Manuscript Fr n° 19152, fol 122v à 123r) [Des Tresces, in: Montaiglon/Raynaud]. – Il Novellino – Das Buch der hundert alten Novellen. Ital./dt., übers. und hrsg. von J. Riesz, Stuttgart 1988. [Novellino]

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Literatur

– Rhétorique à Herennius. Texte établi et traduit par G. Achard, Paris 1989. [Rhet. ad Her.] – Tausendundeine Nacht. Nach der ältesten arabischen Handschrift in der Ausgabe von Muhsin Mahdi erstmals ins Deutsche übertragen von C. Ott, München 2004. Bibelausgaben

Septuaginta – Psalmi cum Odis (Vol. X). Societas Scientiarum Gottingensis auctoritate edidit A. Rahlfs, Göttingen 1931. La sacra bibbia: Traduzione di. G. Bonaccorsi e. a. Introduzione e note di G. Ricciotti. Florenz 1958. Septuaginta (Vetus Testamentum Graecum) – Genesis (Vol I) Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum. Vol I. edidit J. W. Wevers, Göttingen 1974. Nova Vulgata. Bibliorum sacrorum. Editio Sacros. Oecum. Concilii Vaticani II ratio habita iussu Pauli PP VI recognita auctoritate Ioannis Pauli PP II promulgata, Vatican 1979. Novum testamentum Graece et Latine. Testum Graecum post E. Nestle et E. Nestle communiter ediderunt K. Aland e. a. Textus Latinus Novae Vulgatae Bibliorum Sacrorum Editioni debetur. Utriusque textus apparatum criticum recensuerunt et editionem novis curis elaboraverunt K. et B. Aland. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1984. [NTG; NTL] Die Heilige Schrift. Einheitsübersetzung. Hrsg. von der Deutschen Bibelgesellschaft, Stuttgart 41986. Biblia Hebraica Stuttgartensia quae antea cooperationibus A. Alt, e. a ediderat R. Kittel. Edition funditus renovata adjuvantibus H. Bardtke e. a. cooperantibus H. P. Rüger et J. Ziegler ediderunt K. Ellinger et W. Rudolph. Textum Masoreticum curavit H. P. Rüger, Stuttgart 41990. [BHS]

Sekundärliteratur Das Decameron − Boccaccio und Italien im 14. Jahrhundert (Zur Epidemie des ›Schwarzen Todes‹ siehe unter Sekundärwerke zu Medizin und Medizingeschichte) Albers, I.: »Die Sprache des Körpers und die Sprache der Novelle. Boccaccio und Marguerite de Navarre«, in: Poetica 36, 2004, S. 72-118. Arend, E.: Lachen und Komik in Boccaccios ›Decameron‹. Frankfurt a. M. 2004. [Arend] Balduino, A.: »Fortune e sfortune della novella italiana fra tardo trecento e primo cinquecento«, in: Picone, M. e. a. (Hg.): La nouvelle. Formation, codification et rayonnement d’un genre médiéval. Actes du Colloque International de Montréal 1982. Montréal 1983, S. 156-173. Battaglia Ricci, L.: Ragionare nel giardino. Boccaccio e i cicli pittorici del ›Trionfo della morte‹. Rom 1987. [Battaglia Ricci] Borst, A.: »Das Erdbeben von 1348. Ein historischer Beitrag zur Katastrophenforschung«, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), S. 529-569.

Literatur

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Branca, V.: Boccaccio medievale. Florenz 1956. [Branca/Boccaccio] – »Una chiave di lettura per il Decameron«, in: Boccaccio, G.: Decameron. Nuova edizione rivista e aggiornata. A cura di V. Branca. 2 Bde., Turin 82001, S. VII-XXXIX. [Dec/Branca/Chiave] – »La vita e le opere di Giovanni Boccaccio«, in: Boccaccio, G.: Decameron. Nuova edizione rivista e aggiornata. A cura di V. Branca. 2 Bde., Turin 82001, S. XLI-LXVI. [Dec./Branca/Vita] Bruno Pagnamenta, R.: Il ›Decameron‹. L’ambiguità come strategia narrativa. Ravenna 1999. [Bruno Pagnamenta] Carini, E.: »La peste, Boccaccio e il ›Trionfo della morte‹ del Camposanto pisano«, in: Italienisch 42, 1999, S. 2-12. [Carini] Consoli, J. P.: G. B. An Annotated Bibliography. New York 1992. Coulter, C. C.: »Boccaccios knowledge of Quintilian«, in: Speculum XXXIII (1958), S. 490-496. Cuomo, L.: »Sillogizzare mottegiando e mottegiare sillogizzando: Dal Novellino alla VI giornata del Decameron«, in: Studi sul Boccaccio [SSB] XIII (1982), S. 217-264. Elwert, W. T.: Die italienische Literatur des Mittelalters – Dante, Petrarca, Boccaccio. München 1980. [Elwert] Forni, P. M.: »Retorica del reale«, in: Studi sul Boccaccio [SSB] XVII (1988), S. 183202. – »Realtà/Verità«, in: Studi sul Boccaccio [SSB] XXII (1994), S. 236-256. Foster Gittes, T.: »Boccaccios ›Valley of Woman‹: Fetishized Foreplay in Decameron VI«, in: Italica 76/II (1999), S. 147-174. Freedman, A.: »Il cavallo del Boccaccio: fonte, struttura e funzione della metanovella di Madonna Oretta«, in: Studi sul Boccaccio [SSB] IX (1975/76), S. 225-241. Galmés de Fuentes, A.: »Un cuento árabe, un ›fabliau‹ francés y un relato del ›Decaméron‹«, in: – Romania Arabica II: Narrativa y farsa francesa medieval. Dante y Boccaccio. De Alfonso X el sabio a Góngora. (estudios de literatura comparada árabe y romance), Madrid 2000, S. 136-152. [Galmés de Fuentes, in: Galmés de Fuentes] Haug, W.: Brechungen auf dem Weg zur Individualität. Kleine Schriften zur Literatur des Mittelalters. Tübingen 1995. [Haug/Brechungen] Hauvette, H.: Boccace. Paris 1914. [Hauvette] Kapp, V.: »Der Wandel einer literarischen Form: Boccaccios Decameron und Marguerite de Navarres Heptaméron«, in: Poetica 14, 1982, S. 24-44. [Kapp/Wandel] Landau, M.: Die Quellen des ›Decameron‹. Sehr vermehrte und verbesserte Auflage, Stuttgart 21884. Lee, A. C.: The Decameron. It’s sources and analogues. New York 1972. [Lee] Marino, L.: The Decameron ›Cornice‹: Allusion, Allegory, and Iconologie. Ravenna 1979. [Marino] Mazza, A.: »L’inventario della ›parva libreria‹ di Santo Spirito e la biblioteca del Boccaccio«, in: Italia Medioevale e Umanistica IX (1966), S. 1-74. [Mazza] Mueller, R. C.: »Boccaccino, Giovanni Boccaccio and Venice«, in: Studi sul Boccaccio [SSB] XXV (1997), S. 213-241.

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Literatur

Neumeister, S.: »Die Praxis des Lachens im Decameron«, in: Fietz, L./Fichte, J. O./Ludwig, H.-W. (Hg.): Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart. Tübingen 1996, S. 65-81. Neuschäfer, H.-J.: Boccaccio und der Beginn der Novelle. Strukturen der Kurzerzählung auf der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit. München 1969. [Neuschäfer] Parodi, E. G.: Lingua e Letteratura. Studi di Teoria Linguistica e di Storia dell’italiano antico. A cura di G. Folena con un saggio introduttivo di Alfredo Schiaffini. Parte II: Lingua, stile e cultura in Dante, Petrarca, Boccaccio, Venedig 1957. Pastore Stocchi, M.: »Dioneo e l’orazione di Fratre Cipolla«, in: Studi sul Boccaccio [SSB] X (1977/78), S. 201-215. [Pastore Stocchi] Picone, M.: »Gioco e/o letteratura. Per una lettura ludica del Decameron«, in: Centro Pio Rajna (Hrsg.): Passare il tempo – La letteratura de gioco e dell’intrattenimento dal XII al XVI secolo. Atti del Convegno di Pienza, 10-14 settembre 1991, 2 Bde., Rom 1993, Bd. I, S. 105-127. [Picone, in: Centro Pio Rajna] Procacci, G.: Geschichte Italiens und der Italiener. München 21989. Russo, R.: »Ser Ciappelletto«, in: Brockmeier, P.: Boccaccios Decameron. Darmstadt 1974, S. 213-231. Sanguinetti White, L.: Apuleio e Boccaccio. Caratteri differenziali nella struttura narrativa del ›Decameron‹. Bologna 1977. [Sanguinetti White] Schnell, R.: »Mittelalter oder Neuzeit? Medizingeschichte und Literaturtheorie. Apologie weiblicher Sexualität in Boccaccios ›Decameron‹«, in: – (Hrsg.): Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Heinz Rupp zum 70. Geburtstag. Stuttgart, Bern 1989, S. 240-287. [Schnell, in: Schnell] Stewart, P. D.: »La novella di Madonna Oretta e le due parti del Decameron«, in: Yearbook of Italian Studies III (1976), S. 27-40. [Stewart] Surdich, L.: Boccaccio. Bari, Rom 2001. [Surdich] Tateo, F.: »Poesia e favola nella poetica del Boccaccio«, in: Filologia romanza 5, 1958, S. 267-342. [Tateo/»Poesia e favola…«] – Boccaccio. Rom, Bari 1998. [Tateo]. Tenenti, A.: »La rappresentazione della morte di massa nel Decameron«, in: Borst, A. e. a. (Hg.): Tod im Mittelalter. Konstanz 21995, S. 209-219. [Tenenti, in: Borst e. a.] Veglia, M: »La vita lieta«. Una lettura del ›Decameron‹. Ravenna 2000. [Veglia] Voort, C. van der: »Convergenze e divariazioni tra la prima e la sesta giornata del Decameron«, in: Studi sul Boccaccio [SSB] XI (1979), S. 207-241. [van der Voort]. Wehle, W.: »Der Tod, das Leben und die Kunst – Boccaccios Decameron oder der Triumph der Sprache«, in: Borst, A. e. a. (Hg.): Tod im Mittelalter. Konstanz 2 1995, S. 221-260. [Wehle, in: Borst e. a.] Sekundärwerke zu Medizin und Medizingeschichte

Beckmann, G.: »Europa und die große Pest 1348-1720«, in: Keim, C. (Hrsg.): Eine Zeit großer Traurigkeit. Die Pest und ihre Auswirkungen. Marburg 1987, S. 11-72. Bergdolt, K.: Der Schwarze Tod in Europa – die große Pest und das Ende des Mittelalters. München 31995. [Bergdolt/Pest]

Literatur

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Internetseiten http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3789140139/ref=ase_musicalmix/302-659 (Zugriff: 20. September 2005). http://www.who.int/en/ (Zugriff: 20. September 2005).

Bildquellennachweis S. 11: Goscinny, R./Uderzo, A.: Astérix et les Normands. Paris 1967/1993, S. 29. S. 194: Herrlinger, R.: »Die historische Entwicklung des Viererschemas in der antiken und mittelalterlichen Humorallehre«, in: Schöner, E.: Das Viererschema in der antiken Humoralpthologie. (Beihefte zu Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin), Wiesbaden, 1964, Anhang (nicht paginiert). [Schema Herrlinger] S. 245: Buffalmacco (?) : Trionfo della morte (um 1336), Camposanto Pisano, in: Battaglia Ricci, L.: Ragionare nel giardino. Boccaccio e i cicli pittorici del ›Trionfo della morte‹. Rom 1987, Abb. 1b.

Personenregister Abdallah ibn al-Muqaffa 274 Abraham 73 Achard, G. 49, 50, 51 Adam 114, 149 Aelianus (C. Aelianus) 30 Aetios von Armida Agilonis, G. 161, 253 Agnolo di Tura 244 Al-Afdal (Sohn Sultan Saladins) 233 Aland, B. 65 Aland, K. 65 Alanus ab Insulis 121 Alberigo, G. 76 Albers, I. 247 Albertus Magnus 85, 86 Albrecht, M. von 25 Alenconiensis, P. E. OFMcap. 116 Alessio, G. 116, 161, 162, 267 Alexander von Tralles (Alexander Trallianus) 216, 220, 257 Alkibiades 45 Alt, A. 75 Altaner, B. 67, 77, 79-82 Altenburg, D. 100, 122, 126 Ambrosius von Mailand 87 Amyntas III. (König von Makedonien) 47 Anaximandros 184 André, J.-M. 255 Andrea Dei 244 Andreini, G. B. 89 Angenendt, A. 284 Angiolieri, C. 219 Anthoine de Aresche (i. e. Antonio d’Arezzo) 313 Antonio da Tempo 266 Antonius (M. Antonius) 51, 52, 317, 320 Antonius der Eremit 81, 284 Apollo 172, 178, 179, 235 Apuleius 168-171, 277, 293

Arend, E. 133, 201, 228, 252, 261, 288, 294, 297, 300 Arese, F. 268, 298 Aretaios von Kappadozien 203, 217 Aristeides von Milet 170 Aristophanes 78, 112 Aristoteles 29, 37-50, 52, 53, 55, 58, 61, 68, 70, 71, 76, 80, 86, 88, 90, 102, 111, 120, 121, 132, 134, 136, 137, 149, 150, 158, 163, 167, 178, 180, 185, 188-193, 196, 198, 211, 212, 223, 251, 319 Arnald von Villanova (Arnaldi de Villanova) 253, 254, 256, 257 Äsop 163 Asklepsios 172, 178, 179 Auctor ad Herennium 50 Aurelius Augustinus 81, 82, 87, 88, 117, 125, 205, 224, 264 Auty, R. 96 Auzzas, G. 167 Averroes (i. e. Abul Walid Ibn Ahmad Ibn Ruschd) 233 Avicenna (i. e. IBN SīnĀ, Abū ‘Alī alHusain ibn ‘Abdallāh) 180, 193, 210, 228, 233, 234, 254 Ax, W. 103 Bachtin, M. 122-124, 127, 131, 142144, 148, 149, 311 Baconsky, T. 76 Bär, J. A. 69, 70, 115 Baillet, R. 321 Balduino, A. 21 Baltrusch, E. 97, 104 Bamborough, J. B. 213 Barbi, M. 177 Barck, K. 146, 147, 164 Bardtke, H. 75 Bartelmus, R. 74 Bartholomeo de Pisa/Bartholomeo de Rinonico 117

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Personenregister

Basile, G. 318 Basilius von Cesarea/Basilius Caesariensis 81, 82, 225 Battaglia Ricci, L. 155, 244, 245, 246 Battisti, C. 116, 161, 162 Baudelaire, C. 79, 93, 131, 148, 149, 150 Baumgartner, C. SJ 71, 89 Bausinger, H. 108, 109, 110, 125 Bayley, C. 205 Bechstein, L. 16 Becker, G. 96 Becker, J. 62, 63, 64, 65 Beckmann, G. 242 Beda Venerabilis 198 Belcari, F. 74 Bellesort, A. 205 Belloni, G. 323 Bellosi, L. 146 Bembo, P. 318, 319 Bene da Firenze (Bene Fiorentini) 266 Benedikt von Nursia 80-85, 119, 150, 177, 204, 225 Bergdolt, K. 182, 185, 196, 199, 205, 220, 222, 227, 228, 234, 237, 238, 243, 284 Bergson, H. 131, 132, 134-137, 138, 139, 290 Bernhard von Clairvaux 90 Béroul 109 Beumann, C. 97 Bloch, O. 116 Bodmer, M. 49 Boethius (A. M. S. Boethius) 25, 39 Bonaccorsi, G. 279 Bonaventura (i. e. Johannes Fidanza) 118, 205 Bonciani, F. 319 Boncompagno da Signa 266, 268 Bonitz, H. 191 Bono Giamboni 156, 264 Borst, A. 236, 241-246, 254, 258, 259 Bourgéry, A. 27 Bovon, F. 127 Bracciolini, G. F. (genannt Il Poggio) 316, 318 Branca, V. 19-21, 162, 167, 176, 214, 216, 241, 242, 243, 252, 254, 261, 267-270, 274, 276, 278, 286, 290, 293 Brandt, E. 40

Brandt, S. 168 Brednich, R. W. 16 Bremmer, J. 51, 64, 66, 75, 81-83, 88, 94, 102, 105, 115, 123, 125, 151 Bremond, C. 120 Brenk, B. 74 Bretschneider, C. G. 210 Bringmann, K. 63 Briscoe, M. G. 48, 117, 121 Brockmeier, P. 282 Brodersen, K. 51 Bruegel, P. 124 Brunetto Latini 156, 272 Bruno Pagnamenta, R. 288, 289 Buck, A. 28 Buckl, W. 238 Bürgel, J. C. 274 Buffalmacco (i. e. Buonamico di Cristofano) 244 Bulferetti, D. 28 Bulst, N. 100, 239 Bumke, J. 100 Bundy, M. W. 233 Buratelli, C. 90 Burck, E. 168 Burton, R. 213 Busa, R. SJ 50, 89 Buschendorf, C. 197 Cancik, H. 25 Carducci, G. 21 Carini, E. 20, 244 Cassianus, J. 204 Cavalcanti, G. 22, 177, 219 Cazenave, M. 289 Celsus (A. C. Celsus) 180, 181, 186188, 192, 200, 220, 221, 223 Ceriotti, G. 88 Cerquiglini-Toulet, J. 254 Chagall, M. 74 Chambry, É. 37 Chastel, A. 205 Chaucer, G. 171 Cheiron 179 Chiappelli, F. 297 Chrétien de Troyes 164 Christin de Pizan 255 Cian, V. 40 Cicero (M. T. Cicero) 23, 26, 39, 4562, 66, 68, 70, 95, 103, 106, 117, 120, 134-139, 163-165, 212, 262-

Personenregister 265, 269-272, 277-287, 295, 296, 302-306, 309-312, 317-319 Cino da Pistoia 22 Clemens VI. 278 Cogliati Arano, L. 231 Coluche (i. e. Michel Colucci) 19 Consoli, G. B. 20, 269 Constantinus Africanus 199, 202-215, 253 Contini, G. 219 Cortebarbe 114 Costa, S. 131 Coulter, C. C. 270 Couty, D. 17 Cramer, J. A. 55 Crassus (L. L. Crassus) 49, 51 Crépet, J. 79 Cuomo, L. 297 Curtius, E. R. 76, 103 Dahlheim, W. 45, 46, 60, 96 Dallapiazza, M. 316 Dante Alighieri 22, 177, 219, 241, 269 Davidson, I. J. 87 Delcorno, C. 216 Delft, L. van 197 Delort, R. 239 Delumeau, J. 243 Demokrit 25-29, 35, 37, 47, 53, 92, 99, 132, 210, 213 Desbonnets, T. 116 Descartes, R. 34, 132 Diels, H. 25, 29, 44, 99 Diepgen, G. P. 161 Dihle, A. 25, 29-31, 33, 36, 46, 186, 187 Diller, H. 159, 179, 185, 186, 189, 200, 205, 221 Dilts, M. R. 30 Dino del Garbo 177, 215, 314, 315 Diogenes Laertios 27, 30, 211 Dionigi di Borgo San Sepolcro 167 Dionisotti-Casalone, C. 319 Dionysos 111 Doderer, K. 18 Dombart, B. 126 Donatus (A. Donatus) 264 Doni, A. F. 146 Dormeier, H. 21, 237 Dreyer, E.-J. 219 Dröscher, V. B. 12

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Duc de Berry (i. e. Jean de France) 313, 317 Düntzer, I. 230 Düring, I. 38 Duns Scotus, J. 118 Duvignaud, J. 96, 106 Eckart, W. U. 127, 172, 178-184, 192, 193, 197, 198, 200, 220 Eco, U. 41, 79, 131, 149, 150 Ehlers, W. 125, 168 Eibl-Eibesfeldt, I. 12, 13 Ellinger, K. 75 Elwert, W. T. 20, 242, 265 Empedokles von Agrigent 184, 189, 192 Engelhardt, D. von 178 Ennius (Q. Ennius) 98 Ernout, A. 105 Esser, K. 116 Eßer, K. OFM 115 Eustathius von Sebaste 82 Eva 18, 79, 149 Faccioli, E. 74 Fantini, B. 180 Faral, E. 77, 100, 106, 107, 110-114, 155-158, 219, 264-268 Faulkner, T. C. 213 Fay, P. B. 107 Feld, H. 116-121 Feldmann, C. 80 Fenzi, E. 177 Ferrato, P. 314 Ferrone, S. 90 Fichte, J. O. 29, 171 Ficino, M. 212 Fiedler, C. 180 Fietz, L. 29, 40, 47-55, 59, 61, 95, 115, 270 Fingerle, A. 28 Fink, G. 26 Fiorini, V. 21 Fischer, H. 315 Flacelière, R. 37, 51, 218 Flasch, K. 20, 201, 247, 279, 283 Flashar, H. 39, 42, 112, 189, 199-203, 212, 213, 217 Flood, D. E. OFM 116 Fohlen, G. 212 Folena, G. 267

358

Personenregister

Folz, H. 315, 316 Forni, P. M. 260 Forster, E. S. 190 Foster Gittes, T. 258 Fränzel, W. 132 Francesco de’ Bardi 167 Franckenberger, J. 132 François, M. 213 Frank, K. S. 81, 83 Franz von Assisi 115-120 Frede, D. 33 Freedman, A. 306 Frenken, G. 121, 123 Freud, S. 12, 131-139, 152 Friedrich, H. 22, 219 Fuhrmann, M. 41, 43, 125, 145 Fumaroli, M. 312, 317-321 Gabor, G. 219 Gadamer, H. G. 35 Galenos von Pergamon 180, 181, 186226, 231, 234 Galmés de Fuentes, A. 274, 275 Garavini, F. 28 Garbers, K. 202, 203, 205, 209 Garland, R. 43, 112, 265, 266 Gay, P. 12 Gebsattel, V. E. Freiherr von 200 Gelfert, H.-D. 43 Genelli, B. 32 Gennep, A. van 63 Gentile da Foligno 238, 246, 247 Geoffrey de Vinsauf (Galfridus de Vinosalvo) 156, 265, 266 Giamboni, B. 156, 264 Giebel, M. 49, 51, 60 Giedke, A. 215-218 Gigon, O. 30, 38 Gil Sotres, P. 220-223, 227, 228, 234, 255 Giovanni della Casa 322 Giovanni di Firenze 318 Giovanni Dondi 247 Glei, R. F. 103 Goelzer, H. 205 Goetz, H. W. 100 Goldmann, C. 12, 15, 74 Gouhier, H. 131 Gourevitch, D. 186, 188 Gozzi, C. 28 Graf, F. 51

Grassi, E. 30 Gregor I. der Große 267 Greiner, B. 111 Grigsby, J. L. 107 Grimm, J. 237, 243 Grimm, Wilhelm und Jakob 16 Grmek, M. D. 180, 186, 188, 194, 199, 202, 210, 217, 220-223, 227, 228, 234, 255 Grumach, E. 39 Guazzo, S. 322 Guglielmino, S. 131 Guido Faba 266 Gurjewitsch, A. 123, 125 Guy, J.-C. SJ 204 Haage, B. D. 215, 216, 224 Hades 184 Häcker, H. 93 Hahnemann, F. S. 160 Halder, A. 25 Harder, R. 97 Hardick, L. OFM 115 Hartmann, W. E. 13, 33, 38, 41, 48, 53, 72, 115 Hartwig, W.-D. 69, 70, 115 Harvey, W. 197 Haug, W. 95, 115, 274 Hausmann, F.-R. 122, 316 Hauvette, H. 279, 287 Heath, P. 236 Heers, J. 110, 124, 127, 128 Hege, B. 162-165, 169 Heinrichs, W. 236 Heinzmann, R. 40, 67, 86, 119, 125 Heitsch, E. 30 Heller, E. 145 Hempfer, K. W. 319 Henri de Mondeville 180, 184 Hera 184 Heraklit 26-29 Herkommer, H. 316 Hermann, G. 26 Herodes 127 Herrlinger, R. 193, 194, 196, 200, 201, 257 Herwig, H. 316 Hess, R. 147 Hicks, R. D. 27 Hierokles 104 Hildebrandt, H. 92

Personenregister Hildegard von Bingen 90, 227 Hiob 172 Hippokrates 26, 28, 92, 159, 178-181, 185-196, 200, 205, 209-213, 220, 221, 225 Hoenen, M. 86 Hœpffner, E. 109 Hofmann, J. B. 66, 162 Holtus, G. 51 Holzberg, N. 125, 168 Holzherr, G. 81 Homer 32, 98, 102, 164 Honorius III. 116 Honorius von Regensburg/Honorius Augustodunensis 198 Horaz (Q. Horatius F.) 26, 43, 48, 98, 99, 103, 112, 141, 145, 150, 156, 166, 167 Horn, A. 147 Horowitz, J. 76, 80, 116, 121 Hugo, V. 107 Hunger, H. 49, 64, 98 Huss, B. 205 Hygieia 178, 179 Ibn Būtlan (i. e. Abu l-Hasan alMuhtār ibn al-Hasan ibn ‘Abdūn ibn Sa’d ibn Būtlan) 230-233, 306, 318 Ilberg, J. 202, 203 Irigoin, J. 37 Isaak 72, 73 Ishāq Ibn ‘Imran 202, 203, 209, 211 Isidor von Sevilla 162, 177, 181, 182, 196 Jacob von Vitry/Jacques de Vitry 120 Jäkel, S. 25, 27, 42, 43, 61, 112 Jakob 73 Jauß, H. R. 140, 141, 149 Jaye, B. H. 117, 121 Jean de France (Duc de Berry) 313, 317 Jean de Joinville 93 Jean de Meung 164 Jehl, R. 204 Jens, W. 156 Jesus 22, 62-68, 71, 72, 76-80, 84, 115, 117, 120, 127, 163 Jesus Sirach (i. e. Ben Sira) 172, 173, 174

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Johannes Chrysostomus 63, 77-83, 87, 90, 112, 156, 204, 238 Johannes de Garlandia 43, 112, 156, 265, 266 Johannes della Penna 238 Johannes der Täufer 63 Johannis de Noctho 315, 316 Johannitius (i. e. Hunnain-Ibn-Issaq) 199, 220 John of Garland/Johannes de Garlandia 43, 112, 156, 266 Jones, H. L. 29 Jouanny, R. 197 Joufroi de Poitiers 107 Jourda, P. 40 Juneaux, M. 37 Jungclaussen, E. OSB 80, 84, 85, 226 Juvenal (D. J. Juvenal) 98, 99, 113 Kablitz, A. 29, 47, 53, 58, 59, 319 Kaiser, O. 63, 145, 173, 192 Kalb, A. 126 Kant, I. 134, 150 Kapp, V. 5, 270, 293, 294, 316 Karl IV. (dt. König) 247 Karpferer, R. 29 Karpp, H. 74 Kasper, W. 79 Kasten, H. 165 Kayser, W. 147, 148 Keil, G. 184, 221, 237, 238 Keim, C. 21, 242 Kemmler, F. 171 Kerner, M. 150, 151 Kiedaisch, P. 69, 70, 115 Kiessling, A. 26 Kittel, R. 75 Klauck, H.-J. 67 Klauser, T. 64 Klebs, A. C. 316 Klein-Franke, F. 212, Klemens von Alexandrien (i. e. T. F. Clemens) 67-71, 77, 80-83, 89, 227 Klibansky, R. 196-198, 200, 201, 205, 212, 213, 219 Kluxen, W. 86 Knaak, P. 145 Knape, J. 43, 49, 50, 51, 165, 287 Kohelet 72 Kranz, W. 25, 29, 44, 99 Krapinger, G. 41

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Personenregister

Krause, G. 119 Kroll, W. 25, 50 Krüss, J. 17, 18 Krug, A. 181, 185, Kuch, H. 99, 168, 170 Kühn, C. G. 200, 203, 212, 218, 222 Kümmel, W. F. 234, 235 Küster, J. 123, 124, 125, 126 Kytzler, B. 49, 50, 166 Lachmann, R. 122 Landau, M. 269 Latini, B. 156, 272 Laurent Guillot de Premierfait 313318 Laurentius (hl.) 286, 287 Lausberg, H. 158, 219, 265, 267, 287 Lavater, J. C. 74 Lawler, T. 112, 266 Le Goff , J. 64, 75, 81-83, 94, 115, 120 Lee, A. C. 236, 269, 270 Lehmann, P. 121, 123 Leonardo da Vinci 74 Leuker, T. 318 Leupold, G. 122 Leven, K.-H. 160 Limentani, A. 176 Lindholm, G. 267, 268 Lindsay, W. M. 162 Lipps, T. 134 Littré, E. 179, 185, 186, 187, 189, 200, 205, 220-222 Lomazzo, G. P. 146 Lorenz, K. 12, 13 Lorenzo Torrentino 146 Loriot (i. e. Vicco von Bülow) 19 Lotze, D. 31, 45 Louis IX. 93, 94 Louis, P. 38, 41 Lowes, J. L. 215 Lucilius (G. Lucilius) 98 Ludwig, H.-W. 29 Lüthi, M. 17 Lugli, G. 144, 145 Lukian von Samosata 27, 267 Lukrez (T. Lucretius C.) 205 Lupi, S. 320 Lykurg 37, 104 Lysias 59

Macrobius (A. T. Macrobius) 51, 124, 163, 164, 168 Mader, M. 30, 32-36 Maggini, F. 156 Maimonides, M. (i. e. Rabbenu Mosche Ben Maimon) 233-236, 254 Mann, A. 217 Manuwald, B. 103 Marchionne di Coppo Stefani 21 Marguerite de Navarre 213, 247, 293 Marino, L. 162, 252, 254 Marotti, F. 89 Marrou, H.-I. 97, 98 Martin, I. 117 Martin, R. C. 117 Maso del Saggio 286 Matthieu de Vendôme 156 Mazza, A. 156, 167 McChord Crothers, S. 316 McVaugh, M. R. 253, 256 Mehnert, H. 93, 197 Meier, H. 28 Melanchthon, P. 210 Mélèze, J. 108 Menache, S. 76, 80, 116, 121 Menander 98, 112 Menippos von Gadara 29 Meo dei Tolomei II. 219 Merklin, H. 26 Meßner, R. 100 Mezger, W. 108-110, 124-126 Michel, A. 319 Migne, J. P. 77-82, 88, 121, 198-201 Minois, G. 40, 43, 73, 76, 79, 80, 107, 114, 116, 122-125, 127, 128, 144 Möller, G. 119 Molière (i. e. J. B. Poquelin) 197 Monfrin, J. 93 Montada, L. 13 Montaiglon, A. de 110, 113, 114, 274, 275 Montaigne, M. de 28, 146 Montandon, A. 321 Montreynaud, F. 174 Moog-Grünewald, M. 40 Moos, P. von 150, 151 Morel, P. 145, 146 Moser, D.-R. 126 Moses 78 Mouchel, C. 117-119, 270 Moulinier, L. 227

Personenregister Müller, H. 30, 182 Müller, K. 125 Müller, M. 25 Müller, R. 25, 40 Mueller, R. C. 301 Müller-Freienfels, R. 40, 132, 133, 143, 151, 152 Müri, W. 189, 200, 211, 212 Muntner, S. 233, 234 Muratori, L. A. 21, 244, 251, 278 Mutscher, E. 211 Mynois, R. A. B. 48 Neoptolomus von Parion 166 Nero 145 Nestis 184 Nestle, E. 65 Neumann, U. 30-36, 43, 103, 190 Neumeister, S. 270 Neuschäfer, H.-J. 259, 261 Nickel, R. 38 Oerter, R. 13 Ohler, N. 243 Olson, G. 167, 220, 222, 228, 230, 248, 252, 256, 314, 315 Opsomer, C. 231, 233 Orlandis, J. 180 Ott, C. 236 Otto, W. F. 30, 182 Ovid (P. Ovidius Naso) 164, 260, 267 Pachomius 82, 225 Pagel, J. L. 180 Palladios (Arzt in Alexandria) 209 Palmieri, M. 322, 323 Panakeia 178, 179 Panofsky, E. 196-198, 200, 201, 205, 212, 213, 219 Paolella, A. 303 Paolo da Certaldo 297 Paracelsus (i. e. Theophrast von Hohenheim) 160, 197 Parodi, E. G. 267 Pastore Stocchi, M. 285, 286 Paulus 62-65, 69, 71, 243, 267 Paulus Diaconus 243 Payen, J. C. 109 Perikles 45 Perrault, C. 17 Perret, J. 274

361

Persius (A. Persius F.) 98 Petrarca, F. 20, 50, 59, 98, 162, 176, 177, 205, 267, 270, 271, 285, 316, 319 Petrocchi, G. 22 Petronius 99, 125, 168 Petrus Cantor 90 Petrus Venerabilis 90 Philagrios 104 Philipp VI. (König von Frankreich) 239 Philistion von Lokroi 190 Piave, F. M. 108 Piccolomini, A. 322 Picone, M. 21, 255, 260, 283 Pigler, A. 74 Pirandello, L. 131, 150 Pittaluga, S. 318 Pizzolato, L. F. 88 Plamböck, G. 30 Platon 29-37, 41-48, 53, 61, 67, 68, 70, 71, 77, 88, 103, 179, 182, 188192, 222-225, 234, 235, 252 Plautus (T. M. Plautus) 51, 77, 105, 112, 164 Pleines, J.-E. 27 Plessner, H. 131, 137, 138, 139, 310 Plessner, M. 212 Plinius der Jüngere (G. Plinius C. S.) 47, 167 Plutarch 37, 51, 104, 218 Pollak, K. 179, 180, 186, 189-193, 196, 197, 217 Polybos (Schwiegersohn des Hippokrates) 185, 186, 189, 191 Pons, A. 319, 321 Pontano, G. 55, 317, 319-322 Portmann, M. 230 Poseidonios von Apameia 192 Pourrias, J. 172, 279 Preisendanz, W. 131, 133, 134, 135, 140, 141 Previtali, G. 146 Probst, C. 184, 221 Procacci, G. 62 Pseudo-Aristoteles 211 Pseudo-Hippokrates 26, 92, 210, 213 Purnal, R. 108 Puschmann, T. 216 Putz, S. 225, 226 Pythagoras 234

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Personenregister

Quadlbauer, F. 264-266 Quaglio, A. E. 177, 214, 215 Quatember, F. 67, 68, 69 Quintilian (M. F. Quintilianus) 11, 23, 45, 61-98, 120, 131, 270, 284, 296 Rabelais, F. 40, 93, 122, 131 Radermacher, L. 36, 121 Rahlfs, A. 75 Ramos-Lisson, D. 180 Raynaud, G. 110, 113, 114, 274, 275 Regn, G. 205 Reis, P. 165 Rey, A. 15 Rey-Debove, J. 15 Ricciotti, G. 279 Riché, P. 97 Riesz, J. 232 Ripert, E. 260 Risicato, A. 320 Ritter, J. 269 Rives, J. B. 274 Robert the Strong (normannischer Fürst) 228 Robertis, D. de 219 Robinet, A. 131 Rode, A. 168 Röhrich, L. 16, 174 Rötzer, H. G. 16 Romei, G. 89 Roodenburg, H. 51, 64, 66, 75, 81-83, 88, 94, 102, 105, 115, 123, 125, 151 Roques, M. 110 Rosenbach, M. 27 Rossi, A. 146, 216 Rothschuh, K. E. 151, 160, 184-188, 190-194, 197 Rubinstein, H. 14 Rudolph, W. 75 Rüger, H. P. 75 Rütten, T. 26-29, 210, 213 Rufener, R. 30 Rufus von Ephesos 202-204, 210-212 Rupé, H. 32 Russo, R. 282 Sacchetti, F. 318 Saladin (i. e. Salah ad-Din al Aijubi) 233 Salernitano, M. 318

Salutati, C. 98, 270 Sandvoss, E. R. 38, 43, 45-47 Sanguinetti White, L. 170, 277 Sara 73, 77, 82 Saß, H. 92 Saulnier, V. L. 28 Saxl, F. 196-198, 200, 201, 205, 212, 213, 219 Scaevola (Q. M. Scaevola) 49 Schaller, H. M. 266 Schepps, G. 40 Schiaffini, A. 267, 297 Schipperges, H. 171, 175, 183, 193, 199, 201, 221-224, 227, 231, 237 Schleiermacher, F. D. E. 30, 182, 235 Schmidt, R. F. 14 Schmidt, S. H. 133 Schmitt, W. 231 Schmitt-Pantel, P. 104 Schneider, H. 25 Schnell, R. 160, 288, 292 Schönberger, R. 86, 87 Schöner, E. 184-193, 198, 200 Scholl, D. 5, 146, 147, 148 Scholz, P. O. 232, 236 Schomburg, K. 63 Schomburg-Scherff, S. M. 63 Schott, J. 233 Schott, R. 229, 230 Schoysman, A. 28 Schreiner, K. 21 Schütz, H.-A. 178, 181 Schuhmacher, J. 273 Schulz-Buschhaus, U. 319 Schulze, C. 181, 186, 187 Schwennen, J. 73 Sckommodau, H. 28 Seel, O. 61 Segre, C. 287, 288, 289, 294 Seidl, H. 173-175 Seneca der Jüngere (L. A. Seneca) 2628, 47, 69 Sercambi, G. 318 Servius 264 Shackleton Baley, D. R. 48, Shakespeare, W. 42 Sisenna (L. C. Sisenna) 170 Sorel, C. 28 Spencer, W. G. 181 Speroni, G. B. 156, 264 Staden, H. von 188

Personenregister Stählin, O. 67, 68 Stärk, E. 101 Stapf, K. H. 93 Starobinski, J. 211, 217, 218 Stefano, G. di 313 Steidle, B. OSB 84 Steinhöwel, H. 316 Stemmler, T. 215, 216, 224 Stewart, P. D. 283, 297, 305 Stierle, K. 135, 164 Stollmann, R. 13, 76, 122, 144 Stolz, G. 257 Strabo 29 Strauss, P. 254 Strohmaier, G. 210 Stuiber, A. 67, 77, 79-82 Suchomski, J. 40, 70, 77, 87, 89, 99, 112, 115, 117, 120, 121, 166 Sudhoff, K. 228-230, 237-239, 247, 315, 316 Süss, W. 112 Sueton (Suetonius T. G.) 145 Surdich, L. 162, 176, 214, 246, 254, 261, 279, 286-291, 295 Szlezák, T. A. 30 Tacitus (Tacitus, P. C.) 145, 274 Tateo, F. 165, 167, 170, 242, 247, 261, 279, 300 Tellenbach, H. 200, 213 Terenz (P. Terentius A.) 77, 112, 164, 314 Teufel 18, 78, 79, 108, 149 Theophrast 27, 78, 160, 211, 213 Thews, G. 14, 211 Thierry, J. J. 108 Thomas d’Angleterre 109 Thomas de Celano 116 Thomas von Aquin 41, 50, 69, 70, 76, 85, 86, 89, 99, 178, 224, 227, 252 Thukydides 59 Till, D. 43 Tilliette, J.-Y. 156, 157, 266 Timonen, A. 25, 27, 42, 43, 61, 112 Toesca, P. 196 Tommaso del Garbo 314 Totò (i. e. Antonio de Curtis) 19 Trallianus, Alexander 216 Treccani, G. 269 Ueding, G. 25, 47, 55, 61

363

Uther, H.-J. 16 Valerius Maximus 48, 167, 218 Valla, L. 98 Varro (M. T. Varro A.) 98 Vasari, G. 146 Vásquez Buján, M. E. 188 Vaupel, P. 211 Veglia, M. 161, 162, 170, 252, 283, 288 Verdi, G. 108 Verdon, J. 107-109, 114 Vergil (P. Vergilius M.) 164, 205, 267 Vesalius, A. 197 Viljamaa, T. 61 Villani, G. 251 Villani, M. 251, 278 Villey, P. 28 VişĦuśarman 276 Vogüé, A. de 82, 83, 84 Voort, C. van der 282, 303, 304 Voss, J. H. 32 Wachinger, B. 230-233, 236, 247, 259 Wagenningen, J. van 198 Wahrig-Burfeind, R. 15 Walde, A. 66, 162 Walser, E. 320 Walther, W. 236 Wander, K. F. W. 175 Warning, R. 131, 133, 134, 135, 140, 141 Wartburg, W. von 116 Weber, M. 27 Wehle, W. 241, 244-246, 254, 258, 259 Weimar, P. 25, 193, 266 Weinberg, B. 319 Weischedel, W. 134 Weiß, E. R. 32, 160 Wenninger, G. 93 Westermann, C. 73 Wetzel, C. 145 Wevers, J. W. 75 Wilhelm von Conches/Guilelmus de Conchis) 198, 199 Wilhelm von Hirsau 200 Willis, I. 51, 113, 163 Wilpert, G. von 172 Wissowa, G. 25 Wittchen, H. U. 92

364 Wittgenstein, L. 152 Wittschier, H. W. 219, 298 Wittstock, O. 145 Wohlmuth, J. 76, 180, 284 Wolf, U. 30, 48, 182 Wolff, P. 274 Xenophon von Athen 101 Yon, A. 49

Personenregister Zaccaria, V. 162 Zaudig, M. 92 Zeus 101, 184 Ziegler, J. 75 Zijderveld, A. C. 131, 143 Zils, D. 131 Zimmermann, G. 225, 226 Zingarelli, N. 15, 109, 132, 144, 151, 231, 242, 286, 295 Zorzi Pugliese, O. 321, 322