Redner und Rhetorik: Studie zur Begriffs- und Ideengeschichte des Rednerideals 9783787318346, 9783787333714

In der modernen Rhetorikforschung, die sich vor allem auf die Redetechnik konzentriert, gehört das Rednerideal nach wie

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Redner und Rhetorik: Studie zur Begriffs- und Ideengeschichte des Rednerideals
 9783787318346, 9783787333714

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Archiv für Begriffsgeschichte · Sonderheft 5

Archiv für Be griffsgeschich te Begründet von ERICH RüTHACKER

herausgegeben von CHRISTIAN BERMES, ULRICH DTERSE UND CHRISTOF RAPP

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Franz-Hubert Robling

Redner und Rhetorik Studie zur Begriffs- und Ideengeschichte des Rednerideals

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1834-6

ISSN 0003-8946 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2007. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

INHALT

Vorwort.„„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„......

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Einleitung 1. Rednertheorie als Problem der Rhetorikforschung „„„„„„„„„„„„„„ II. Begriffs- und Ideengeschichte als Untersuchungsmethode„„„„„„„„ III. Inhalt und Aufbau der Arbeit „„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„

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TEILA. DER REDNER ALS FACHMANN DER REDE: DAS ANTIKE GRUNDMODELL

1. Definitionen ..... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„......

1. Technikerstatus„„ .... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... 2. Öffentlichkeit als Ort..„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„ 3. Medium der Öffentlichkeit a) Sprecher- und Autorenrolle „„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„. b) Verhältnis zum Schauspieler „„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„.

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II. Rhetorische Technikerkonzepte 1. Sophistik: Fachkenntnis als Merkmal des Redners

technites) „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... 2. Aristoteles: Philosophische Präzisierung des Technitenbegriffs „„ 3. Quintilian: Der Redner als artifex „„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„.

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III. Die Aufgabe des Redners „„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„

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(tEXVLtT]i;,

IV Subjektivität als Bedingung des rhetorischen Kunstgebrauchs 1. Zum Begriff der rhetorischen Subjektivität..„„„„„„„„„„„„„„„„„. 2. Odysseus: Die Trennung von Ich und Welt..„„„„„„„„„„„„„„„„„„. 3. Protagoras: Die perspektivische Natur des Wirklichen„„„„„„„„„. 4. Gorgias: Die technische Instrumentalisierung des rhetorischen Scheins ..... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... 5. Aristoteles: Aufgabe und Einstellung des rednerischen Denkens a) Das Erkennen der persuasiven Merkmale einer Sache „„„„„„„. b) Die Orientierung in der Welt „„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„. c) Die Deutung der Redesituation„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„.

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V. Die rednerbezogenen Öffentlichkeitstypen 1. Der horizontal strukturierte Typus von Demokratie

und Republik „„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„......

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6

Inhalt

a) Athen.............................................................................................. b) Rom .............................................................................................. 2. Der vertikal strukturierte Typus von Monarchie und Kirche a) Römisches Kaisertum.................................................................... b) Spätantikes Christentum................................................................ VI. Der Redner als Techniker: die Basis des Rednerkonzepts der schulrhetorischen Tradition (Begriffsgeschichte) ..................................

60 63 66 68 70

TEIL B. BILDUNG UND KULTUR

1. Das Rednerideal als kulturelles Konzept...............................................

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II. Bildung, Erziehung und Ethos, die Merkmale einer rhetorischen Kulturtheorie............................................................................................

75

111. Die Elemente rhetorischer Bildung in der Antike 1. Kultur als Voraussetzung der Bildung.............................................. 2. Versittlichung als Effekt der Rede.................................................... 3. Rhetorische Erziehung aufgrund von Naturanlage und Kunstlehre, Übung und Nachahmung.............................................. a) Protagoras und die hellenistische Rhetorik.................................. b) Das Fortwirken des Protagoreischen Erziehungsgedankens in der rhetorischen Tradition (begriffsgeschichtlicher Überblick).. IV. Rednerideal als Idealtypus 1. Zum Problem des rhetorischen Typus.............................................. a) Rednertypus als geschichtliche Repräsentanz.............................. b) Rednertypus zwischen Einheit und Vielfalt.................................. 2. Idealtypische Formen des Rednerkonzepts ........... ............ .............. a) Klassische Antike........................................................................... Platon: Ethik und Dialektik als Kennzeichen des >guten< Redners........................................................................................... Aristoteles: Pragmatische Begrenzung idealer Ansprüche an den Redner ................................................................................ Isokrates: Lebenspraxis und soziokulturelle Bildung................ Cicero: Bildung auf allen Wissensgebieten als eklektisches Konstrukt........................................................................................ Exkurs 1: Die Kennzeichen des großen Redners im literarischen Porträt....................................................................... Quintilian: Ciceronianismus und Moralität ................................ b) Christliche Spätantike Augustinus: Klerikale Bildung, Demut, Einfachheit..................

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89 89 91 96 96 96 100 104 109 115 120

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Inhalt

c) Hochmittelalter:.............................................................................. Robert von Basevorn: Augustinusnachfolge unter scholastischen Vorzeichen............................................................. d) Renaissancehumanismus ............................................................... Petrarca: Moralphilosophie, Ästhetik, Geschichte..................... Soarez: Die rhetorische Kanonisierung von Petrarcas Impuls . Exkurs 2: Rednerideal und Frauenbildung................................. e) Barock............................................................................................. Keckermann: Konzentration auf die Affekterregung................ f) Aufklärung ..................................................................................... Gottsched: Rationalismus und Klassizismus............................... g) Vom Klassizismus zum Historismus............................................ Heinze, Abbt und Herder: Historisch-literaturästhetische Kritik am Klassizismus.................................................................. Westermann, Volkmann: Aspekte des philologischen Historismus ....................................................................................

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TEIL C. ANTHROPOLOGIE: PSYCHISCHE KOMPONENTEN DER WIRKUNGSABSICHT

I. Die Körperlichkeit des Redners als anthropologisches Thema............ 161 II. Rhetorische statt philosophischer Anthropologie.................................. 161

III. Der Rednerwille als Instanz der Persuasion 1. Zur anthropologischen Struktur des Willens................................... 2. Die »Redegewalt« als Ort des persuasiven Willens in der Antike............................................................................................ 3. Rednerwillen und Affektenlehre von der Renaissance bis zur Aufklärung........................................................................................... 4. Die Bindung des Rednerwillens an das ingenium in der Genieästhetik ...................................................................................... a) Pseudo-Longinos und die Lehre vom Erhabenen als Voraussetzung ................................................................................ b) Das Zerbrechen der rationalistischen Anthropologie im Streit zwischen Gottsched und den Schweizern.......................... c) Die Aufwertung des ingenium als Naturkraft in Sulzers Konzept des genialen Redners .......................................................

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IV Natürlichkeit: eine Form des rednerischen 1}6oc;, &hos 1. ethos -Komponenten der Natürlichkeit in der Antike .................... 182 2. Naturausdruck im Wandel von der Kunstverbergung zur Kunstlosigkeit im 17. und 18. Jahrhundert ........................................ 186

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Inhalt

TEILD. ETHIK: WERTORIENTIERUNGEN REDNERISCHEN HANDELNS

1. Ethik und rednerisches Handeln............................................................ 193

II. Zur methodischen Grundlegung der rhetorisch-ethischen Analyse ..... 1. Die Unterscheidung von Strebens- und Sollensethik ..................... 2. Das strebensethische Prinzip der Persuasion: die parteiliche Sicht des Guten................................................................................... 3. Die rhetorische Deutung des Guten als Nutzen der Rede............. III. Rhetorische Ethik und Lebenswelt in der Antike.................................. 1. Die Lebensformenlehre nach Platon und Aristoteles: der Ort des Redners in der Gemeinschaft .............. ............. ............ .............. 2. Das Gelingen des rhetorischen Handelns in der Gemeinschaft: der rechte Augenblick der Rede (xmQ6c.;, kair6s) als Maßstab...... 3. Gemeinwohl und Gemeinsinn als ethische Normen des rednerischen Handelns bei Cicero ............. ............. ............ ............ .. Exkurs 1: Der sensus communis nach Valla und Landino ......... 4. Sozialethische Typen des Redners: Vir bonus und Demagoge a) Cato: Die Entstehung des vir bonus-Ideals aus dem römischen Patronat.................................................................. b) Cicero: Der Gegensatz von vir bonus und Demagoge.......... Exkurs 2: Ramus und Vossius: Der Bruch mit der vir bonus-Tradition im neuzeitlichen Rationalismus................. IV Strebensethische Eigenschaften des Redners in der Sicht der Antike und des 17. bzw.18. Jahrhunderts.............................................. 1. Glaubwürdigkeit als Resultat vorteilhafter Selbstpräsentation (i'jttoc.;, iithos) ........................................................................................ a) Aristoteles: Die ethische Funktion des ~thos................................ b) Redneriithos und populäre Moralität in griechischen Reden des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. ........... ............. ............ .............. c) Cicero: Der orator perfectus zwischen ethischer Selbstpräsentation und Moralität............................................................ 2. Klugheit als rednerische Tugend a) Klugheit, Eigennutz und Gemeinwohl in der antiken Rhetorik............................................................................. a) Aristoteles: Individuelle und soziale Dimensionen der Klugheit.................................................................................... ß) Cicero: Die strebens- und sollensethische Eingrenzung der Klugheit durch das decorum ............................................ Exkurs 3: Ambrosius: Mäßigung der Klugheit und christliches decorum ................................................................

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Inhalt

y) Quintilian: Rednerische Klugheit im Spannungsfeld von ehrenhaftem und unehrenhaftem Verhalten .„ ........ „.„. b) Klugheit und Privatinteresse im rhetorischen Prudentismus des 17. und 18. Jahrhunderts „„ „ „„„„„ „ „„„„„ „ „ „„„„ „ „ „„„„„ „ „ a) Der strebensethische Aspekt der politischen Klugheit nach Ansicht der Forschung „„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„. ß) Gracian: Die Konzentration der Klugheit auf den privaten Nutzen „ ..... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... y) Weise: Die Verbindung von Klugheit und christlicher Tugendhaftigkeit „„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„„ ö) Thomasius: Die sollensethische Beschränkung der politischen Klugheit.„„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„......

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V. Die Verwerfung des ethischen Anspruchs im Handeln des

Redners bei Kant„„„ .... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... 1. Diffamierung des strebensethischen Motivs der Rhetorik „„„„„„. 2. Sollensethisch begründete Degradierung der Klugheit „„„„„„„„„ 3. Die Vernachlässigung der lebensweltlichen Sittlichkeit in Kants Moralitätsauffassung...........................................................................

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Fazit und Ausblick„„ ..... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... Abkürzungs- und Übersetzungsverzeichnis ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... Literaturverzeichnis „ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... Lexika .................................................................................................................. Quellenschriften................................................................................................. Forschungsliteratur ... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... Personenregister „„„ ..... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„...... Begriffsregister .. „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„ ..... „„„„ .... „„„„......

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VORWORT

Sollte man auch als Erwachsener das Stehen noch lernen? Das habe ich mich verblüfft gefragt, als ich bei einer Aufführung von Brechts Drama »Arturo Ui« das erste Mal die Anweisungen des alten Schauspielers für den werdenden Redner Hitler sah. »Zuerst das Gehen«, dann »das Stehen. Vor Leuten.«, schließlich sogar das Sitzen als Unterrichtsthema: »Das Sitzen ist beinahe das Schwerste, Herr Ui«, hieß es. Bei meiner späteren Beschäftigung mit der Rhetorik wurde mir dann klar, dass der Mensch sozusagen aus dem Geist der Redekunst wiedergeboren werden muss, um ein Redner zu werden, dass hier gar nichts selbstverständlich ist, dass beim öffentlichen Reden der natürlichste Aspekt der künstlichste sein kann. Früheren Generationen, deren Bildungsgang noch von der Rhetorik mitbestimmt wurde, war das selbstverständlicher als uns Heutigen, die wir durch mehr als zweihundert Jahre kritischer Ablehnung der Rhetorik geprägt sind. Die vorliegende Untersuchung, die im Rahmen des DFG-Projekts »Historisches Wörterbuch der Rhetorik« entstanden ist, will in einer begriffs- und ideengeschichtlichen Analyse historischen Materials von der Antike bis zum Ende des 18. Jh.'s zeigen, was nach Auffassung der Rhetorik zum Idealbild des Redners gehörte. Historische und systematische Betrachtungsweise gehen dabei ineinander über. Sicher ist es im Zeitalter des Spezialistentums ein Wagnis, einen Begriff wie »Redner« in dieser umfassenden Perspektive darzustellen. Doch bringt die Analyse des geschichtlichen Details Erkenntnis erst beim synthetisierenden Blick aufs Ganze der Tradition, von der zwar vieles bekannt, aber in seinen Strukturen und Implikaten oft nicht erkannt ist. Außerdem belegt die Geschichte des Rednerkonzepts, dass die Redekunst sich nicht in der Persuasionstechnik erschöpft.

EINLEITUNG

I. Rednertheorie als Problem der Rhetorikforschung Jeder Blick auf die rhetorische Literatur heute zeigt, dass es weit mehr Untersuchungen über die Rhetorik als über den Redner gibt. Der Grund liegt darin, dass die rhetorische Kunstlehre schon in der Antike und auch in der späteren Schultradition detaillierter als die Rednertheorie ausgearbeitet wurde. Die existierenden Rednerkonzepte reichten - wie etwa Ciceros wirkungsmächtige Auffassungen vom orator perfectus - meist weit über den engeren Bereich der Rhetorik hinaus in andere Disziplinen wie Pädagogik oder Philosophie. Das erschwert heute systematische Erörterungen, da bei all dem, was den Redner betrifft, ein Forschungsfeld vorliegt, auf dem die Fachgebiete sich überschneiden und Resultate schwieriger zu erhalten sind. Vielleicht ist es daher verständlich, dass Bücher wie Heinrich F. Pletts Sammelband »Rhetorik. Kritische Positionen zum Stand der Forschung« (1977)1 oder Gert Uedings Tagungsband »Rhetorik zwischen den Wissenschaften. Geschichte, System, Praxis als Probleme des »Historischen Wörterbuchs der Rhetorik« (1991) keine Beiträge über das Rednerideal enthalten.2 Der gleiche Befund gilt für die zweibändige Dokumentation »Rhetorik« (1990/91), die Josef Kopperschmidt herausgegeben und der rhetorischen Texttheorie und Wirkungsgeschichte gewidmet hat. Auch Heinrich Lausbergs »auf das Mittelalter und die Neuzeit hin geöffnete Darstellung« der antiken Redekunst3 behandelt das Rednerideal stiefmütterlich, denn sie geht nur am Anfang und am Schluss kurz darauf ein. Die schulrhetorischen Bestimmungen werden allerdings aufgezählt. Der orator erscheint als artifex, d.h. als Anwender der ars und Produzent des rhetorischen opus, der Rede. Er sollte ein vir bonus sein und ist dem poeta verwandt. Seine Ausbildung vollzieht sich im Spannungsfeld von Naturanlage und Kunsterwerb (natura-ars-Bezug), wobei exercitatio und imitatio eine große Bedeutung für die praktische Aneignung des Gelernten haben. Meisterschaft im Kunstgebrauch zählt zu den virtutes des Redners, so dass es neben der ethisch-moralischen Tugendhaftigkeit des vir bonus dicendi peritus auch diejenige des artifex als vollkommenen Techniten gibt.4 Lausberg erklärt, auf eine nähere Ausführung des Teils »de oratore« seines Handbuchs verzieh-

H. F. Plett: Rhetorik. Krit. Positionen zum Stand der Forschung (München 1977). G. Ueding (Hg.): Rhet. zwischen den Wiss. Gesch„ System, Praxis als Probleme des »Historischen Wörterbuchs der Rhet.« (Tübingen 1991). 3 H. Lausberg: Hb. der lit. Rhet. (München 1960, 31990) Vorwort S. 7. 4 Ebd. §§ 1-10, 253, 275a, 115lf. 1

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ten zu wollen, »um Wiederholungen zu vermeiden«.5 Das leuchtet ein, da er sich auf die Textrhetorik beschränken will, ist aber auch bedauerlich, da die genannten zentralen Rednerbestimmungen sich nicht im Theorierahmen der textbezogenen ars erschöpfen. Das vir bonus-Konzept mit den komplexen Beziehungen zwischen Ethik und Moral des Redners etwa reicht in die Philosophie hinein, und die naturaars-Beziehung umfasst nicht bloß einen äußeren, pädagogischen, sondern auch einen inneren, vermögenstheoretischen Aspekt und zwar mit der Frage nach der >Natur< der natura, etwa nach dem Körper des Redners als Ausdrucksmedium oder nach seinem ingenium bzw. der Beschaffenheit seines Talents. Doch es gibt auch Bestimmungen der Kunstlehre selbst, die erst mit Blick auf die Eigenschaften des Redners voll verständlich werden. Ein Beispiel ist der Begriff vis oratoris (Kraft des Redners) bzw. vis dicendi (Kraft des Redens). Lausberg zählt die stilistischen und wirkungsorientierten Bedeutungen auf, führt Belegstellen an und erwähnt auch die verwandten Wörter ÖEtvoi:ric;, dein6tes und ödvwmc;, deinösis, ohne die Begriffe jedoch über ihre Textfunktion hinaus auf die rednerische Aktivität zu beziehen und das rhetorisch-anthropologische Bedeutungsspektrum dieses Ausdrucks genauer zu analysieren.6 Die Bearbeitung dieser Probleme erfordert also ein Überschreiten der rhetorischen Kunstlehre, genauer eine systematische Verbindung von rhetorischer Theorie und wissenschaftlichen Theorien anderer Disziplinen nach Maßgabe der vorgegebenen Fragestellung. Ein synthetischer Entwurf aus traditionellen rhetorischen Theoremen und verwandten Wissenschaften ist die »Allgemeine Rhetorik« von Kopperschmidt (1973, 21976), allerdings wiederum ohne jede Rednertheorie, obwohl implizit rednerisches Handeln überall thematisiert wird. Kopperschmidt beschäftigt sich mit wichtigen Fragen wie dem Verhältnis von Sprache und Handeln, dem persuasiven Sprechakt und der persuasiven Strategie, auch der »Idealität« von Sprechsituation und Lebensform oder der Didaktik der persuasiven Kommunikation.7 »Persuasion« und »Strategie« setzen ein Wirkungs- bzw. Intentionalitätsverständnis voraus, das Teil einer rhetorischen Subjekttheorie sein und aus dem Rednerbegriff abgeleitet werden müsste. Kopperschmidt versteht und gebraucht diese Begriffe aber nur auf der Basis eines intersubjektiven Konzepts: der Diskurstheorie von Jürgen Habermas.8 Die zentrale rhetorische Kategorie des »Strittigen« erscheint daher allein unter dem Aspekt der Herstellung eines möglichen Konsensus der Diskursteilnehmer, aber nicht mehr in der Perspektive der für ihre Sicht der Dinge Werbenden9, was s Ebd. § 1151. Ebd. § 840f., 852f. J. Kopperschmidt: Allgemeine Rhet. Einf. in die Theorie der persuasiven Kommunikation (Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1973, 21976) Kap. 2, 4, 5, 7, 8. 8 Ebd. S.42ff.; zu Habermas' Subjekttheorie vgl. M. Frank: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philos. der Subjektivität (Stuttgart 1991) Kap. III. 9 Kopperschmidt [7] S.42, 83, 96ff. Den Begriff »strategisches Handeln«, bei dem »einer auf den anderen empirisch [ ... ] einwirkt«, verwirft Habermas im »Begründungsprogramm« seiner »Diskursethik« und ersetzt ihn durch den Terminus »kommunikatives Handeln«. (Vgl. J. Haber6 7

Einleitung

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doch für die Rhetorik als Lehre von der Wirksamkeit einer Äußerung zentral ist. Die »Idealität« von Sprechsituation und Lebensform als Zielvorstellung bezieht sich nur auf die »herrschaftsfreie Kommunikation« (Habermas)Iü, also auf ein ethisches Verhalten; sie tangiert nicht mehr auch die technische Qualität rednerischen Handelns im Rahmen persuasiver Bemühung, wie es die rhetorische Tradition wollte. Der gleiche Gedanke leitet Kopperschmidt in seiner Perelman-Interpretation. So schreibt er im »Vorwort des Herausgebers« zu dessen Hauptwerk: »Modem ist dieses [d.h. das Perelmansche F.H.R.] Geltungsprinzip, weil es Subjekte als Quelle praktischer Normen dadurch ernst nimmt, dass es deren Geltung allein von ihrer Zustimmungsfähigkeit abhängig macht, die sich der Überzeugungskraft von Argumenten verdankt.« (Ch. Perelman, L. Olbrechts-Tyteca: Die neue Rhetorik. Eine Abhandlung über das Argumentieren, hg. von J. Kopperschmidt, 2 Bde. (2004) S. IX f.) Die Subjekte werden eben nur geltungstheoretisch, nicht auch intentional und technisch-praktisch konzipiert. Dabei sind doch Intention und Technik die erste Quelle der Überzeugungskraft von Argumenten. Außerdem stellt sich die Frage, ob denn rednerische Ethik nur durch die Marginalisierung oder gar Eliminierung der Wirkungsintention zu definieren ist, wie es die Diskursethik annimmt11, oder ob es nicht ein genuin ethisches Motiv rednerischen Handelns gibt. Mit Persuasion und Strategie beschäftigt sich auch die von Peter Ptassek, Birgit Sandkaulen-Bock, Jochen Wagner und Georg Zenkert vorgelegte Studie: »Macht und Meinung. Die rhetorische Konstitution der politischen Welt« (1992). Sie unternimmt es, im Gang von der Antike bis zur Gegenwart die wechselvolle Beziehung von Meinen und Wissen zu analysieren, und zwar als Gestaltungsfaktoren politischöffentlicher Machtausübung. Das Thema berührt Fragestellungen der empirischen Sozialwissenschaften, wird aber im Rahmen von Überlegungen zur praktischen Philosophie erörtert und durch die Interpretation von Auffassungen der Sophistik, von Platon und Aristoteles, Cicero und des Humanismus, Descartes, Hobbes und Kant, um bloß die wichtigsten Autoren zu nennen, illustriert. Die Arbeit geht von der Rhetorik als Handlungstheorie aus12, allerdings wiederum unter Vernachlässigung des Rednerideals. Beim Humanismus führt das zu der fragwürdigen These, aufgrund der »folgenreichen Umdeutung der Rhetorik zum Bildungsbegriff« durch Cicero würde »das rhetorisch angeleitete Politische mehr und mehr durch eine sich

mas: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt/M. 1983, S.68f.) Auch Kopperschmidt verwendet später in seinem Buch »Methodik der Argumentationsanalyse« (Stuttgart-Bad Cannstatt 1989) den Begriff nur noch negativ und konnotiert ihn mit der »Überredung«. (S.45, 116 ff.) Die persuasive Intention eines Sprechers wird jetzt mit dem technischen Einsatz von rhetorischen Mitteln identifiziert und negativ bewertet (S.116). 10 Ebd. S.108. 11 Zur Kritik der Diskursethik siehe F.-H. Robling: Prolegomena zu einer Theorie der rhet. Ethik. In: W. Koller, K.Töchterle (Hg.): Pontes III. Die antike Rhet. in der europäischen Geistesgesch. (Innsbruck, Wien, Bozen 2005) S.32-34. 12 P. Ptassek, B. Sandkaulen-Bock, J. Wagner. G. Zenkert: Macht und Meinung. Die rhet. Konstitution der politischen Welt (Göttingen 1992), s. das Vorwort von R. Bubner S.Vf.

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von Zeiten und Kontexten emanzipierende Humanität ersetzt«.13 Die ausdrücklich auf das »Politische« ausgerichtete Hofmannsrhetorik, die im selben Buch behandelt wirdt4, belegt jedoch das Gegenteil. Mit dieser These hatte man wohl zu sehr das Gelehrtenideal als allein geschichtsmächtige Version des neuzeitlichen Redners vor Augen. Bei der Rekonstruktion der sophistischen Handlungsrationalität haben Ptassek und Mitautoren bloß den Aristotelischen Praxisbegriff vor Augen. »[Die praxisimmanente Vermittlungsleistung] der Rhetorik erschließt sich freilich nicht im neuzeitlichen Ausgang vom Subjekt«, heißt es dazu im Kapitel »Ethos und politische Rhetorik«, »sondern nur vom Handlungsbegriff aus: Praxis ist abstrakt gesprochen ein immer schon vorgefundener Orientierungsrahmen, der nur von einer Gemeinschaft von Handelnden aufgespannt werden kann. Allein in diesem Rahmen ist die Kontinuität von Handlungsvollzügen gewährleistet. Das gilt für das Handeln einzelner wie auch von politischen Gemeinschaften.«15 Diese Feststellung resümiert sicher einen zutreffenden Einwand des Aristoteles gegenüber der sophistischen Idee unumschränkter Handlungsmächtigkeit der rhetorischen Persuasion. Doch wird mit dem kritischen Verweis auf das neuzeitliche Subjekt als alleinigen Bezugspunkt jeder Gedanke an eine rhetorische Subjektivität schon in der Antike, wie sie sich im sophistischen Perspektivismus als Wirkungselement der Persuasion äußert, abgewiesen. Möglicherweise hat diese Einstellung auch eine Auseinandersetzung mit Kants Ablehnung der Rhetorik in der »Kritik der Urteilskraft« verhindert. Ptassek und seine Kollegen beschäftigen sich nur kurz mit dessen Auffassung vom Geschmacksurteil im Zusammenhang mit dem Meinungsbegriff16, reflektieren aber nicht die Beziehung von Macht und Meinung zugleich als Frage nach der rhetorischen Ethik. Kants Denunziation der Rhetorik als »hinterlistiger Kunst« ist speziell von seiner Rednerauffassung, seinem Moralitätsverständnis und dem Abweis rhetorischer Subjektivität her begründet. Seine Etikettierung der Rhetorik als einer moralisch minderwertigen Kunst hat ja die auf der Persuasion beruhende rhetorische Ethik überhaupt als eigene Form kommunikativen Handelns diskreditiert. Auch für sie gilt, was Hans Krämer generell für eine am Strebensbegriff und nicht an der Moralität orientierte Ethik feststellt, dass sie nämlich an der (im Sammelband von Riedel dokumentierten) »Rehabilitierung der praktischen Philosophie« seit den siebziger Jahren des 20. Jh.'s nicht teilgenommen hat.17 Wie in den beiden zuletzt besprochenen Büchern ein vom Rednerideal hergeleitetes Konzept der rhetorischen Subjektivität fehlt, so lassen die nun folgenden zwei Werke von Dockhorn und Oesterreich einen aus der Rednertheorie entwickelten rhetorischen Anthropologiebegriff vermissen. Klaus Dockhorn hat sich in den unter dem Titel »Macht und Wirkung der Rhetorik« publizierten »Vier Aufsätze[n] Ebd. S. 76. Ebd. S.130f. 1s Ebd. S.61. 16 Ebd. S.137. 17 H. Krämer: Integrative Ethik (Frankfurt/M.1995) S.35; vgl. M. Riede! (Hg.): Rehabilitierung der praktischen Philos., 2 Bde. (Freiburg 1972, 1974). 13

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zur Ideengeschichte der Vormoderne« (1968) mit den Quellen der rhetorischen Persuasion befasst. Er sieht sie vor allem im Bereich der Affekte lokalisiert. Ausgangspunkt ist für ihn die Feststellung, dass die Forschung, die sich zu seiner Zeit mit der Ästhetik und Poetik des 18. und 19. Jh.'s beschäftigte, nur den Einfluss der Philosophie und allenfalls noch der Mystik wahrnahm, aber die Rolle der Rhetorik übersah. Deren ästhetisches System gehe aber »nicht vom Wahrscheinlichkeitsbegriff, sondern vom pragmatisch-humanistischen Begriff der Wirkung« aus. Damit repräsentiere sie den Gegensatz zur Philosophie im Sinne einer »irrationalistischen Anthropologie« und stütze sich vor allem auf Mittel der Gefühlserregung anstelle der Verstandesargumentation zur »Glaubhaftmachung« (persuasio ).18 Dockhorn belegt seine Auffassung detailliert in Auseinandersetzung mit Schriftstellern der Klassik und Romantik, insbesondere mit Wordsworth, und greift immer wieder auf die Systemelemente der antiken Rhetorik zurück, in denen sich affektive Wirkungsstrategie zeigt, wie etwa im Schema der drei Wirkungspflichten des Redners (probare, conciliare, movere) und der darauf bezogenen Dreistillehre.19 Zweifellos sieht Dockhorn die Mängel der rhetorischen Forschung früherer Jahre richtig, reduziert aber auch die Theorie der Redekunst auf die affektische Beeinflussung als das, »was an der antiken Rhetorik exemplarisch ist und wo sie in ihrer Wirkungsgeschichte exemplarisch geworden ist.«20 Für ihn repräsentiert also die spontane, lebendige und sich in Gefühlswirkungen äußernde Kraft der Rhetorik zugleich deren Wesen.21 Doch er begreift diese »Macht« nur einseitig, da er bloß ihre Effekte auf die Zuhörer, nicht auch ihren >Motor< thematisiert: den Persuasionswillen des Redners. Dockhorns Verweis auf Luther zeigt das deutlich. Dessen Verständnis des Glaubensvorgangs bezeichnet er als »innerliches Gehorchen des Willens gegenüber einem Ratgeber«, also Gott, wobei es ihm wie Luther nur um den rezeptiven Willen des Glaubenden, nicht um das aktivierende Wollen des »Ratgebers« geht.22 Als Beleg für die Kontinuität dieser Auffassung mit derjenigen der Antike zitiert er Quintilian, für den erst die Mobilisierung der Gefühle im Gerichtsverfahren den Willen der Richter in die vom Redner gewünschte Richtung bewegen kann.23 Dockhorn beruft sich an anderer Stelle auf Ciceros Formel »vis et contentio«24 als 1x K. Dockhorn: Macht und Wirkung der Rhet. Vier Aufsätze zur ldeengesch. der Vormoderne (Bad Homburg v. d. H., Berlin, Zürich 1968) S.46-49. 67f., 96. 19 Ebd. S.49-57. 20 So die Formulierung in Dockhorns Rezension von H. Lausberg: Hb. der lit. Rhet., in: Göttingische Gelehrte Anzeigen. Jg. 214 (1962). Nr. 3-4. S.182. D. Till kritisiert außerdem mit Recht an Dockhorn, dass er eine zu simple Vorstellung von der rhetorischen Wirkungsgeschichte hat, als ob die antike Rhetorik immer unverändert in der Neuzeit wiederentstehe. Vgl. D. Till: Transformationen der Rhet. Untersuchungen zum Wandel der Rhetoriktheorie im 17. und 18. Jh. (Tübingen 2004) S.14ff. 21 Vgl. dazu Dockhorns Kritik an Lausbergs Konzentration auf die rhetorischen Dispositionsschemata in dessen Handbuch [20] S.183 f. 22 Dockhorn [18] S.90. 23 Ebd. 24 Ebd. S.60f.

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Losung für die geforderte Gefühlswirkung der Rede, ohne auch hier die Quelle der rednerischen Kraft genauer zu bestimmen. Die Antike hat, soweit ersichtlich, den Rednerwillen nicht eigens zum Thema rhetorischer Reflexion gemacht.25 Dockhorn hätte sich in seinen Überlegungen zur rhetorischen Wirkung der Affekte davon aber nicht einschränken lassen dürfen. Vom Naturbegriff der Rhetorik her, zu dem notwendigerweise Gefühl und Willen von Publikum und Redner gehören, ist sein Konzept anthropologisch gesehen unzureichend.26 Auch Peter L. Oesterreichs Buch »Fundamentalrhetorik. Untersuchungen zu Person und Rede in der Öffentlichkeit« (1990) lässt in anthropologischer Hinsicht zu wünschen übrig. Es enthält eine rhetorische Beschreibung der Grundelemente, die die öffentliche Existenz des Menschen bestimmen. Oesterreich geht von Heideggers Analyse der menschlichen Situation mithilfe der Aristotelischen pathos-Lehre in »Sein und Zeit« aus, um danach - auch in Auseinandersetzung mit Gadamer und Apel- sein Programm einer »Fundamentalrhetorik«, d.h. einer Aufklärung der Kunstrhetorik »über ihre anthropologischen und ontologischen Voraussetzungen«, zu entwerfen.27 Zur Realisierung dieses Programms greift Oesterreich teilweise auf die Kategorien der klassischen Rhetorik zurück. Der dritte Teil des Buches bietet eine Anthropologie des zwischen der Faktizität der Lebenswelt und den intentionalen Gehalten der Lebensweltbilder stehenden homo rhetoricus, des Menschen, der die Rhetorik einsetzt und zu dessen Lebensvollzug sie gehört. Oesterreich hat zwar mit dem homo rhetoricus-Konzept einen zentralen Ansatz für die rhetorische Anthropologie entwickelt, diesen aber philosophisch-abstrakt und nicht konkret vom Redner her formuliert28, denn der Ausgang von Heideggers Existenzialontologie führt zu unhistorischen Verallgemeinerungen. So werden die geschichtlich je verschieden konzipierten Arbeitsaufgaben des Redners (officia oratoris) zu fixen Eigenschaften des homo rhetoricus umgedeutet.29 Oesterreich konstruiert außerdem einen Gegensatz zwischen Kunst- und Alltagsrhetorik (»inartifizielle Eloquenz«, »relativ-natürliches Redenkönnen«30), als ob die Grenze zwischen beiden nicht fließend wäre, durch den Stand der Bildung bedingt und insofern wiederum geschichtlich bestimmt. Überhaupt sind in Oesterreichs Ansatz Natur bzw. Natürlichkeit und Kunst bzw. Kultur kategorial nicht vermittelt, da er sie nicht vom klassischen Rednerideal ableitet. Dieses taugt nach seiner Ansicht

S. dazu unten S.169 f. Vgl. dazu allgemein F.-H. Robling: Was ist rhet. Anthropologie? Versuch einer disziplinärcn Definition. In: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch 23 (2004) S. l ff. 27 P. L. Oesterreich: Fundamentalrhetorik. Untersuchung zu Perscm und Rede in der Öffentlichkeit (Hamburg 1990). 2s Das Gleiche gilt für die rhetorische Anthropologie H. Blumenbergs. Zur kritischen Auseinandersetzung mit diesem siehe die Bemerkungen unten S.162ff. 29 Vgl. dazu F.-H. Robling: Hypostasierte Anthropologie. Fünf kritische Thesen zum Homo rhetoricus Oesterreichs. In: J. Kopperschmidt (Hg.): Rhet. Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus (München 2000) S.371 f. 30 Oesterreich [27] S.91, 131. 25

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nur bedingt für das Konzept des homo rhetoricus, gehört es doch ebenfalls zum Bereich der Kunstrhetorik.31 Dazu kommt, dass Oesterreich infolge einer Anleihe bei Kant den homo rhetoricus zu intellektualistisch sieht. Er bezeichnet ihn als Menschen der »gesellschaftlich reflektierenden Urteilskraft«32, weshalb der Wille des Redners zur Persuasion, der mit seiner Affektivität zu tun hat, keinen Platz in Oesterreichs Analysen findet. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Redner und Rednerin müssten in einem anthropologischen Modell der Rhetorik ebenfalls beschrieben und erklärt werden. Aber auch diese wichtige Frage, die natur-, kulturund subjektivitätsbezogene Untersuchungen im Rahmen von Geschlechterstudien erfordert, lässt sich mit Österreichs Ansatz nicht beantworten. Ein rhetorischer Anthropologiebegriff ist also, wie diese letzte Erörterung belegt, ohne ein am Redner anzusetzendes Kulturkonzept nicht denkbar. Der Grund liegt im natura-ars-Prinzip der rhetorischen Erziehung, nach dem jeder Unterricht in der Redekunst von den natürlichen Anlagen des Schülers ausgehen muss, um sie zu bilden bzw. zu kultivieren.33 Daraus folgt, dass menschliche Kultur ohne Redefähigkeit (was mehr ist als die bloße Sprachfähigkeit) nicht möglich ist. Doch die Rednertheorie spielt in Büchern über Kultur und Bildung bisher keine Rolle. Ein Beispiel ist Georg Bollenbecks Arbeit »Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters«(1994). Der Autor untersucht Entstehung und Funktion beider Begriffe für das Selbstverständnis des deutschen Bildungsbürgertums vom 18. Jh. bis zur Gegenwart. In der Darstellung der Vorgeschichte kommen Rhetorik und Redner nicht vor. Cicero figuriert nur als Urheber des philosophisch inspirierten Kulturbegriffs; auch bei den Ausführungen zur Renaissance fehlt außer einer kurzen Erwähnung der »literarischen Studien« jede nähere Behandlung der rhetorischen Spracherziehung.34 Neben der Philosophie war die Rhetorik bekanntlich die prägende Bildungsmacht der europäischen Geschichte bis ins 18. Jh. hinein, auch in Deutschland. Freilich muss man dabei außer der Redekunst auch den Redner einbeziehen, denn erst dieser als der »Anwender der Kunst« konnte mit seiner Tätigkeit dem abstrakten Korpus der Regeln und Postulate Leben einhauchen und sein Werk - sei es Rede oder Schrift - zu einer Manifestation von Kultiviertheit machen. Manfred Fuhrmann berücksichtigt in seinem Buch »Der europäische Bildungskanon« (22004) wenigstens die Rhetorik. Im Kapitel »Das Gymnasium, die humanistische Bildung« beschreibt er jedoch nur das Ende Rhetorikunterrichts an der Wende vom 18. zum 19. Jh., geht aber nicht näher auf die Bedeutung des

31 Vgl. die Darlegungen ebd. S.26ff. Das Natur-Kultur Verhältnis entwickelt Oesterreich auch nicht in seinem späteren Aufsatz »Homo rhctoricus (corruptus). Sieben Gesichtspunkte fundamentalrhet. Anthropologie«, in: Kopperschmidt [29] S.353-370. Erst in seinem Buch in »Philos. der Rhet.« (Bamberg 2003) geht er darauf ein. (S.27, 32, 48). 32 Ebd. S.104. 33 Zur Definition von Bildung und Kultur siehe unten S. 75 ff. 34 G. Bollenbeck: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. (Frankfurt/M., Leipzig 1994) S.38, 40-43.

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Ciceronianismus bzw. das Leitbild des orator perfectus für die Aneignung der humanistischen Bildung ein.35 Die historische Kommunikationsforschung zeigt, worin kulturelle Merkmale des Redenkönnens bestehen. Dort sollte man daher die Berücksichtigung des Rednerideals neben der Rhetorik erwarten können. In Karl-Heinz Götterts Buch »Kommunikationsideale: Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie« (1988) ist das allerdings nicht der Fall. Diese Untersuchung weist nach, dass der Kommunikationsbegriff nach modernem Verständnis erst im 18. Jh. geprägt wurde. Dessen Vorläufer war die Gesprächskunst (ars conversationis), die zwar schon in der Antike rhetorisch beeinflusst, ihre Vollendung aber erst in der frühen Neuzeit durch die Verschmelzung von Rhetorik und Anstands- bzw. Klugheitslehren erhielt. Ein pädagogisches Grundmotiv der verschiedenen Gesprächskunstversionen war die Formulierung von Idealen wie denen der Anmut, Klugheit, Höflichkeit und Offenheit.36 Unverständlich bleibt, warum Göttert feststellt, dass dieses Grundmotiv »weder in der Antike noch in der Modeme eine Parallele« habe: »Gegenüber Ciceros und Quintilians >gutem< Redner ist es das je Spezifische des Ideals [... ],das das Neue ausmacht und über die durchaus erkennbaren rhetorischen Wurzeln der Begriffe hinausgeht.«37 Abgesehen davon, dass die Formulierung >»guter< Redner« ungenau bleibt (ist der ethisch ausgerichtete vir bonus oder ein technisch versierter orator perfectus gemeint?), muss man Göttert daran erinnern, dass zur frühneuzeitlichen Gesprächskunst gerade das Hofmannsideal gehört. Der Hofmann ist sicher nicht einfach als Redner aufzufassen, aber wiederum ohne Bezug auf das Rednerideal auch nicht angemessen zu verstehen. Göttert hebt bei der Behandlung Gracians das Proteushafte hervor, das dieser vom taktisch klugen, jeder Situation gewachsenen und sich anverwandelnden Höfling fordert.38 Hintergrund der Gracianschen Maxime ist die Lehre von der Nutzung des rechten Augenblicks (xm96c:;, kair6s) und der Wahrscheinlichkeit (dx6c:;, eik6s), die auf das Rednerideal der Sophistik zurückgeht. Ohne Beachtung dieser Vorgeschichte lassen sich weder die Hofmannslehren noch die Kommunikationsideale richtig verstehen. Nach dieser Darstellung der Defizite eines Rhetorikbegriffs ohne Rednerkonzept stellt sich die Frage, wie das Rednerideal angemessen rekonstruiert39 werden kann und welche Ansätze es dazu in der Forschung bisher gibt. Eine geeignete Basis bildet die kommunikationstheoretisch orientierte Orator-Theorie von Joachim Knape in seinem Buch »Was ist Rhetorik?« (2000). Ausgangspunkt ist seine Auffassung, dass die »allgemeine Rhetorik [ ... ] ihre Position im gegenwärtigen Wissenssystem neu konturieren« muss, und zwar unter folgender Prämisse:

M. Fuhrmann: Der europäische Bildungskanon (Frankfurt/M. 22004) S.64f., vgl. auch S.50ff. K.-H. Göttert: Kommunikationsideale. Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie (München 1988) S.9f., 13ff., 16. 37 Ebd. S.16. 38 Ebd. S.51 ff. 39 zum Begriff der Rekonstruktion siehe unten S.25 f. 35

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»Wenn man die Rhetorik befragt, wo ihr ureigener Ansatzpunkt gegenüber anderen mit Sprache und Kommunikation befassten Disziplinen ist, dann kann die Antwort nur lauten: bei dem als Orator handelnden Menschen. Der Orator, den man auch den strategischen Kommunikator nennen könnte, ist der archimedische Punkt der Rhetoriktheorie.«40 Knape plaziert seinen Entwurf im Umfeld von Kasual-, Medial- sowie Textrhetorik und zeigt damit die kommunikativen Bezüge des Redners.41 Den Orator selbst bestimmt er aus dem Blickwinkel der rhetorischen Praxis und philosophisch von Subjekt- bzw. Lebensweltphilosophie, Pragmatismus und Anthropologie her, wobei er in der Analyse einzelner Phänomene (z. B. des kommunikativen Widerstandspotentials) auch Systemtheorie und Konstruktivismus mit einbezieht.42 Knapes Buch enthält sehr interessante, zum Verständnis besonders empirischer Kommunikationsvorgänge wichtige Einsichten, wobei es den Redner auch im Zusammenhang von Vor-, Mit- und Nachsprecher43 sieht. Aber es lässt zugleich zentrale Fragen offen, da es den Oratorbegriff voraussetzt und nicht geschichtlich herleitet, um so eine Distanz zum zeitgenössischen Wissenschaftsbegriff zu gewinnen. Denn wenn richtig ist, wie Knape in seiner »Allgemeinen Rhetorik« (2000) feststellt, dass »[ ... ] man heute immer wieder die historisch entstandene rhetoriktheoretische Metasprache auf ihre aktuelle Tauglichkeit prüfen [muss ]«44, dann gilt für eine angemessene Rekonstruktion rhetorischer Theorie auch der Umkehrschluss, dass zentrale Einsichten der Tradition nicht vom aktuellen Systematisierungsinteresse her verdrängt werden dürfen. Am deutlichsten zeigt sich das wohl an der falschen Identifizierung von Ethik und Moralität. »Üb eine vom Orator als Zertum vertretene »Maxime« ethisch akzeptabel ist oder nicht, ob sie sich sachlich halten lässt oder nicht«, erklärt Knape, »sind im strikten Sinn jedoch philosophisch, politisch oder anderweitig fachlich, nicht aber rhetoriktheoretisch zu beurteilende Fragen.«45 Das stimmt wohl vom Inhalts-, aber nicht vom Wirkungsaspekt dieser Fragen und fällt insofern doch in die Zuständigkeit der Rhetorik, denn auch die Ethik ist ein persuasionsrelevanter Faktor. Knape deutet den Persuasionsvorgang zwar nur technisch und psychologisch4°, aber schon Aristoteles bezeugt, dass die Rede durch die im ~ttoi:;, ~thos erscheinende Selbstpräsentation des Redners auch »ethisch akzeptabel« sein muss, um zu wirken. Freilich braucht der Redner dazu nicht selbst moralisch integer zu sein, aber seine Ansprache muss

J. Knape: Was ist Rhet.? (Stuttgart 2000) S.10, 33. 41 Ebd. Kap. 5-7. Kasualrhetorik bezieht sich auf die konkreten rhetorischen Handlungsbedingungen. 42 Vgl. Kap. 2-4. Der anthropologische Aspekt wird im Kapitel »Fundamentalrhetorik« behandelt. 43 Ebd. S.81 44 J. Knape: Allgemeine Rhet. Stationen der Theoriegesch. (Stuttgart 2000) S.8 45 Knape [40] S.81. 46 Vgl. S.34, 96. 40

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in das Gefüge des sozialen Ethos passen, was auch Ptassek und Mitautoren betont haben.47 Knape folgt mit seiner primär technisch bestimmten Auffassung der Persuasion der neuzeitlichen Trennung von Technik und Ethik.48 Dabei thematisierte die Antike jegliches Handeln immer primär unter ethischem Aspekt. Doch nicht nur der Stellenwert der Ethik in Knapes Orator-Konzept bedarf weiterer Klärung, auch die nur vage Verbindung von Orator und »europäischem Subjektbegriff« ist noch unbefriedigend. Sicher hatte die Rhetoriktheorie »wesentlichen Einfluss auf die Ausfaltung des europäischen Subjektbegriffs«49, aber die Frage ist doch, wo sich »strategischer Kommunikator« und Subjekt treffen. Das kann wohl nicht einfach im Rahmen der Philosophie geschehen, wenn man daran denkt, dass es auch eine Opposition zwischen Philosophie und Rhetorik gibt, sondern dabei muss man am Ort der Trennung beider Disziplinen ansetzen: in der Sophistik. Die Subjektivität des Orators wäre dann erst als rhetorische zu bestimmen. Ein Einwand gegen Knapes Orator-Begriff erhebt sich auch von der Behandlung der Kulturfrage her. »Lernen wir also die Rhetorik [ ... ] als einen der großen Bewegungsfaktoren der Kultur schätzen«, heißt es an einer Stelle. Der Orator wird dort als »Impulsgeber und Auslöser jeder Art kulturellen Wandels« bezeichnet.SO Dem ist ohne weiteres zuzustimmen. Man wünschte sich aber auch den Rückbezug des Kulturfaktors auf den Orator selbst. Sein Handeln ist doch durch die Bildung und Erziehung, die er genossen hat, bestimmt. Von daher wird beispielsweise erst sein Auftreten in der Lebenswelt (»Die Welt in meiner Reichweite«, A. Schütz) sozial konkret dechiffrierbar.51 Knapes systematischer Entwurf einer Orator-Theorie müsste also durch eine Systematisierung auch historischer Merkmale des Rednerideals ergänzt werden. Erste Schritte in diese Richtung sind Gert Ueding und Bernd Steinbrink im historischen Teil ihres »Grundrisses der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode« (zuerst 1976, überarbeitet und erweitert 31994) gegangen. Sie informieren im Rahmen ihrer knappen Darstellung der Rhetorikgeschichte über die Rednerkonzepte der ersten und zweiten Sophistik, die Rednerauffassungen von Platon und Aristoteles, Cicero und Quintilian, Augustinus, Gregor dem Großen und Gottsched, wobei auch die vir-bonus-Formel, die Beziehung von Redner und Dichter und der Hofmann behandelt werden.52 Doch in diesem Buch ist das Rednerideal nur ein Thema unter vielen, ohne dass der Anspruch auf erschöpfende Behandlung gestellt würde. Die Analyse des Transformationsprozesses, den die Vorstellung vom Red-

Ptassek u.a. [12] S.60ff. 48 Siehe dazu unten S.216ff. zu Ramus und Vossius. Ein Indiz dafür ist, dass Knape einen Zentralbegriff der Aristotelischen Ethik, die :rr(_loa[(lEmc; (NE III, 4), nur technisch. nicht ethisch deutet. (Knape [40] S.125) 49 Knape [40] S.39f. so Ebd. S. 82. 51 Ebd. S.40 f., Zitat Schütz S.42. 52 G. Ueding, B. Steinbrink: Grundriß der Rhet. Gesch .. Technik, Methode (Stuttgart 31994) S.16, 19f„ 25, 32, 37, 41, 52, 71, 85ff„ 116. 47

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ner mit dem allmählichen Verfall der antik-humanistischen Schulrhetorik seit der Mitte des 18. Jh.'s durchmacht, fehlt beispielsweise ganz. Eine systematischen Ansprüchen genügende historische Rekonstruktion des Rednerideals muss sich also auf ein erneutes Quellenstudium stützen und die Befunde der einschlägigen historischen Spezialliteratur einarbeiten. Freilich bietet die Forschung zu den Rednerkonzepten wichtiger Autoren oder einzelner Epochen nicht immer Ergebnisse, die nach den oben bei Lausberg genannten schulrhetorisch-typologischen Ordnungsgesichtspunkten gewonnen wurden. Oft finden sich statt dessen Arbeiten mit literarischen, historisch-biographischen, politischsoziologischen oder moralphilosophischen Informationen53, die erst in ein neues Gesamtkonzept eingearbeitet werden müssen. Der Rednerbegriff der schulrhetorischen Tradition54 wird damit als eine Synthese aus technischen, kulturellen, anthropologischen und ethischen Bestimmungen zu rekonstruieren sein, und zwar mithilfe von systematisch geordneten begriffs- und ideengeschichtlichen Längsschnitten durch das ausgewählte Quellenmaterial.55 Der Zeitraum von Untersuchung und Darstellung reicht von der Antike bis zum Ende des 18. Jh.'s, dem Ende der Schulrhetorik. Im Zentrum der Darlegung stehen die auf den Redner selbst, seine Gestalt und sein Handeln bezogenen Aussagen der herangezogenen Quellen, nicht aber etwa Ausführungen zu seinem Umfeld oder zum Publikum. Faktisch gesehen bewegt sich der Redner natürlich in einem Geflecht vielfältiger Motive und Interessen, die sein Handeln beeinflussen. Dennoch ist eine isolierende Betrachtungsweise in dieser Arbeit aus ökonomischen und thematischen Gründen notwendig.

II. Begriffs- und Ideengeschichte als Untersuchungsmethode Wie die kritische Sichtung der Forschungsliteratur gezeigt hat, ist die historische Perspektive bei der Ermittlung des Rednerkonzepts und seiner Komponenten unverzichtbar. Erst der Blick auf das Ganze der geschichtlichen Überlieferung

53 Beispiele für Monographien mit wichtigen Einzelaspekten des Rednerideals finden sich in den Werken der Sekundärliteratur, die zur Interpretation der in dieser Arbeit untersuchten Autoren herangezogen werden. 54 Unter »Schulrhetorik« wird hier die fünfgliedrige Aufteilung des rhetorischen Systems nach den Arbeitsstadien des Redners verstanden, welches im Hellenismus entstand. Es nahm das frühere rhetorische Gliederungsprinzip des dreiteiligen Redeaufbaus nach Einleitung, Hauptteil und Schluss sowie die wichtigsten Bestimmungen zum Redner in sich auf. (Vgl. dazu R. Volkmann: Die Rhet. der Griechen und Römer in systematischer Übersicht (Leipzig 21985, ND Hildesheim, Zürich, New York 1987), Einleitung, bes. S.12 sowie K. Barwick: Die Gliederung der rhet. cEXVll und die horazische Epistula ad Pisones. In: Hermes 57 (1922) S.1-62. ss Was die Autopsie der Quellen angeht, habe ich mich bemüht, alle benutzten Texte im Original einzusetzen und zu zitieren. Nur die mir nicht zugänglichen Quellen habe ich nach der Sekundärliteratur angegeben.

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vermag den Umfang dieses zentralen Begriffs der Rhetorik wirklich bewusst zu machen, wenn auch die moderne Kommunikationstheorie das Orator-Konzept im technischen und psychologischen Detail viel genauer fassen kann. Geschichtliche Besinnung vermeidet außerdem die Hypostasierung von Begriffen als vorgeblich fundamental, indem sie deren Realitätsgehalt nur als Setzung aufgrund von aktuellen Erkenntnisinteressen durchschaubar macht. Nun kann sich auch die historische Forschung ihres Gegenstandes nie in reiner Gestalt bemächtigen, sondern ist ihrerseits auf eine gewisse Hypostasierung der Begriffe angewiesen, da sie selbst bloß ein Moment im Forschungsprozess ist und schon bald durch die nächste Untersuchung zum Thema korrigiert werden kann. Dennoch bleibt die Distanz des historischen Blicks auf den Gegenstand in den Geistes- und Kulturwissenschaften ein notwendiges Postulat, damit man im Dienst der Sache dem Druck der aktuellen Interessen widerstehen kann. Unter diesem Aspekt darf gerade heute der Historismus trotz aller gegen ihn zurecht vorgetragenen Kritik 1 nicht beiseitegeschoben werden. Andernfalls fällt man Verkürzungen zum Opfer, die im Falle der Rednertheorie auf eine Isolierung von technischen, kulturellen, ethischen und anthropologischen Elementen hinauslaufen, obwohl sie doch zusammenhängen. Natürlich kann die historische Forschung nicht das für ein Thema wichtige Material zur Gänze erfassen und präsentieren, sondern sie muss exemplarisch vorgehen. Das will auch die vorliegende Untersuchung, und zwar deshalb, weil sie ihre Analyse in systematischer Absicht betreibt. Sie will den Begriff »Redner« nach seiner geschichtlichen Bedeutung und nach seiner Beziehung zur rhetorischen Theorie rekonstruieren, wobei die ausgewählten Beispiele die Bausteine des Rekonstruktionsprozesses liefern. »Begriff« wird in dieser Arbeit nicht nur als Wort, sondern auch als rhetorisches Konzept (Vorstellung, Idee) verstanden2, das in der Tradition als pädagogisches Anweisungsmuster bzw. als theoretisches Konstrukt für die rhetorische Praxis (als »Ideal«) entwickelt wurde. Die Untersuchung verbindet semasiologische und onomasiologische Verfahrensweisen, indem sie die Wandlungen des Begriffs» Redner« darstellt, aber dabei auch die Bedeutung einzelner wichtiger Bezeichnungen klärt. Begriffs- und ideengeschichtliche Forschung3 konzentriert

1 Kritisch zum Historismus äußert sich H. G. Gadamer in: Hermeneutik Bd.l: Wahrheit und Methode (Tübingen 1986) S.222f.; positiv angesichts des Problems der Eingrenzung hermeneutischen Vorgehens H. Krämer: Thesen zur philos. Hermeneutik. In: Internationale Zeitschrift für Philos .. H. l (1993) S.178 ff. 2 Zu »Konzept« (Vorstellung) vgl. W. Raible: Ein!. in: H. Stimm, W. Raible (Hg.): Zur Semantik des Französischen. Beiträge zum Regensburger Romanistentag 1981. In: Zeitschrift für Französische Sprache und Lit .. Beiheft NF, H. 9 (Stuttgart 1983) S.5, K. Heger: Die methodologischen Voraussetzungen von Onomasiologie und begrifflicher Gliederung. In: Zs. für Romanische Philologie 80 (1964) S.486 ff. sowie P. Koch: Der Beitrag der Prototypentheorie zur Historischen Semantik. Eine kritische Bestandsaufnahme. In: Romanistisches Jahrbuch Bd.46 (1995) S.28ff. 3 Vgl. dazu F.-H. Robling: Probleme begriffsgesch. Forschung beim »Historischen Wörterbuch der Rhet.« In: Archiv für Begriffsgesch. Bd.XXXVIll (1995) S.12ff. (Begriff und Bedeutung), R. Koselleck: Begriffsgesch. und Sozialgesch. In: ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik gesch. Zei-

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sich auf die Rekonstruktion4 ästhetischer, philosophischer und überhaupt kultureller Konzepte sowie auf deren Bezeichnungen in vergangenen Epochen, wobei es darum geht, Kontinuität und Wandel in der Entwicklung darzustellen.s Gerade die Nichtidentität von Bezeichnung und Begriff kann in diesem Verfahren zum Hinweis auf historische Veränderungen werden. Der Rednerbegriff wird jedoch nicht isoliert untersucht, sondern - wie es »Historische Semantik« und »Diskursanalyse« fordern6 - in seinem Kontext interpretiert. In der Rekonstruktion geht es dabei um eine Kombination von logisch-systematischen und historisch-kontingenten Merkmalen des Rednerkonzepts von Autoren oder Epochen.7 Das sprachliche Umfeld eines Begriffs, etwa die Frage, ob er in einer Rede, einem Dialog oder einer Abhandlung, also in welcher Textgattung er vorkommt, ist für die Begriffsanalyse natürlich ebenfalls wichtig. Dieses Problem kann in der Darstellung aber nur begrenzt berücksichtigt werden, denn das historische Material ist zu umfangreich, und die Untersuchung müsste sich dann zu sehr auf Details einlassen.8 Es besteht ten (Frankfurt/M. 1989) S.121 sowie H. E. Bödecker: Concept - Meaning - Discourse. »Begriffsgeschichte« rcconsidcrcd. In: I. Hampsher-Monk, K. Tilmans. F. van Vree (Hg.): History of Concepts. Comparative Perspectives (Amsterdam 1998) S.51-64. 4 Zur Rekonstruktion vgl. Rohling [3] S.21 f. s Kontinuität und Wandel des untersuchten Konzepts führen in der begriffsgeschichtlichen Forschung oft zu entgegengesetzten Positionen, die in der Darstellung der Ergebnisse entweder Homogenität bzw. Gleichartigkeit oder Heterogenität bzw. Varietät des geschichtlichen Phänomens propagieren. In D. Tills Untersuchung »Transformationen der Rhet.« (Tübingen 2004) wird dieser Streit auch in der rhetorischen Forschung dokumentiert und die Position der Heterogenität favorisiert. (Vgl. S.19-32) Mit E. Cassirer aber, der sich dabei auf Kant beruft, ist zu betonen, dass beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander stehen, da sie keine ontologische Differenz ausdrücken. Sie repräsentieren vielmehr ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandes, das einerseits Identität, andererseits Mannigfaltigkeit postuliert und erst in dieser Kombination wirkliche Erkenntnis erreicht. (Vgl. E. Cassirer: Vom Mythus des Staates (Hamburg 2002) S.12f.) Das wichtigste Resultat begriffsgeschichtlicher Forschung liegt wohl weniger in einem abschließenden Urteil über Kontinuitäten und Diskontinuitäten als im Aufweis von Strukturen des Untersuchungsgegenstandes. die erst im historischen Vergleich und in der typologischen bzw. systematischen Reflexion zugänglich werden. 6 Zur »Historischen Semantik« vgl. den Überblick von R. Konersmann, in: HWPh Bd.IX, Sp. 593 ff. Zur Diskursanalyse siehe K. Stierlc: Historische Semantik und die Geschichtlichkeit der Bedeutung. In: R. Koselleck (Hg.): Historische Semantik und Begriffsgesch. (Stuttgart 1979) S.162ff., 170-179. 7 Eine »systematische Rekonstruktion« im Bereich der tradierten, aus der Antike stammenden Schulrhetorik kann niemals die Stringenz beanspruchen, welche die neuzeitlichen wissenschaftlich-philosophischen Systeme eines Descartes, Leibniz und Wolff, Kant oder Fichte kennzeichnet. Sind diese aus Grundsätzen deduziert, ist das schulrhetorische System größtenteils additiv entstanden und nicht erkenntnistheoretisch begründet, sondern pädagogisch motiviert und zu manchen Zeiten wie etwa im Barock enzyklopädisch zusammengesetzt. Es ist eine mit Blick auf praktische Erfordernisse formulierte »Technologie« (siehe dazu Anm. 11). Eine historische Rekonstruktion rhetorischer Phänomene kann sich daher nur in den so vorgezeichneten Grenzen bewegen, weshalb sie sich von modernen rhetorischen Wissenschaftskonzepten unterscheidet. Vgl. dazu F.-H. Rohling: Handbuch oder Lexikon - wirklich eine Alternative? In: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch Bd.17 (1998) S.154 f. R R. Reichardt macht darauf aufmerksam, dass die Diskursanalyse bei der Bearbeitung großer

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aus Rhetoriken, Reden und Dialogen, Abhandlungen, Vorworten bzw. Einleitungen, aus historischen Lexikon-Artikeln und Biographien. In seiner Heterogenität entspricht es der Spannweite des Begriffs, der untersucht wird. Erzeugnisse der rednerischen Praxis werden neben den nur theoretischen Schriften herangezogen, soweit sie den Befunden in ihrem Umfeld historische Plastizität geben. Die Auswahl der Quellen ist natürlich nicht vollständig; sie beschränkt sich auf das durch die Forschung als kanonisch und repräsentativ Erwiesene9, und zwar auf das zur griechisch-römischen Schulrhetorik bis zu deren Auslaufen im 18. Jh. Gehörige, wobei von der frühen Neuzeit an die deutsche Tradition im Mittelpunkt steht. Angesichts der Heterogenität des Materials und des durchweg bedeutenden zeitlichen Abstands der ausgewählten Texte zu unserer Gegenwart muss die Rekonstruktion des Rednerbegriffs und seiner technischen, kulturellen, anthropologischen und ethischen Implikate als hermeneutisches Verfahren betrieben werden.10 Es gilt, die Tradierung, jeweils unterschiedliche Kombination und auch Änderung der Vorstellungen in der Vergangenheit aufzusuchen, sie mit Hilfe der rhetorischen Terminologie als zum Redner gehörig zu identifizieren und dabei auch auf Widersprüche und Ungereimtheiten einzugehen. Damit ergibt sich ein kohärentes Verständnis der Vorstellungen vom Redner erst im Horizont eines gegenwartsbezogenen Erkenntnisinteresses, das wiederum auf die Interpretation der Befunde anwendbar ist. Forschung und Darstellung können so ineinander greifen. Dem Interpreten, der zu ermitteln sucht, was wozu geworden ist, bereitet das Verstehen und Beschreiben des geschichtlichen Wandels solcher Vorstellungen oft nicht geringe Schwierigkeiten. Klar ist jedenfalls, dass ein Begriff wie »Redner« nicht als fest definierter Terminus eines abstrakten schulrhetorischen Systems aufgefasst werden darf. Da die konkreten Gegenstandsmerkmale bzw. die Bedeutung des Begriffs sich in jeder Epoche verändern, muss seine rhetorische Kohärenz jedesmal rekonstruiert werden. Es gibt allerdings bei allem Wandel der Konzepte eine Gewähr für historische Kontinuität, auf die die begriffs- und ideengeschichtliche Forschung zurückgreifen kann: die als normativ geltende Terminologie der schulrheto-

Quellenmassen nur eingeschränkt zu verwenden ist, da sie intensive Arbeit am Einzeltext voraussetzt. Siehe ders.: Ein!. zu: Hb. politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich: 1680-1820, hg. von R. Reichardt und E. Schmitt in Verbindung mit G. van den Hcuvcl und A. Höfer. Bd.1/2 (München 1985) S.62. Auf die Beziehung von Textgattung und Begriffsbildung verweist P. L. Schmidt in seinem Aufsatz: Zur Rezeption von Ciceros politischer Rhet. im frühen Humanismus. In: H. F. Plett (Hg.): Rcnaissance-Rhet. =Renaissance Rhetoric (Berlin, New York 1993) S.23 ff. Begriffsanalyse im Kontext darf auch die Metaphorik nicht vernachlässigen (vgl. dazu unten S.116 Rednerporträt). Allerdings kann dieser Aspekt in der vorliegenden Arbeit nicht weiter verfolgt werden. Vgl. zum Problem H. Blumenberg: Ausblick auf eine Theorie der U nbegrifflichkeit. In: ders., Schiffbruch mit Zuschauer (Frankfurt/M.1979) S.75-93. 9 Zur schwierigen Beziehung von rhetorischer Theoriebildung und Quellenforschung am Beispiel der Renaissance-Rhetorik vgl. J. J. Murphy: One Thousand Neglccted Authors: The Scope and Importance of Renaissance Rhetoric. In: ders. (Ed.): Renaissance Eloquence (Berkeley, Los Angeles. London 1983) S.20-36. 10 Vgl. dazu Robling [3] S.15.

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rischen Tradition, wie sie in den Lehrbüchern niedergelegt war. Dort wurde durch die Jahrhunderte hin als Erziehungsmaxime definiert und wiederholt, was ein Redner nach natura, ars und exercitatio werden konnte bzw. zu sein hatte. Diese Terminologie war nach griechisch-römischem Verständnis eine tcxvo/..oy(a, technologfa, d. h. Fachsprache, die sich auf Darstellung, Lehre und Gebrauch der Redekunst bezogll, wobei es nicht bloß um die Interpretation, sondern auch um das Verfertigen einer Rede ging. J. Chr. G. Ernesti bediente sich des Begriffs im 18. Jh. erneut als Titel für seine Lexika der griechischen und lateinischen Rhetorik.12 Die historischen Erscheinungsformen des Rednerbegriffs sind dabei nicht einfach als Realisationen dieser schulrhetorischen bzw. technologischen Definitionen zu verstehen. Die rhetorische Praxis war nie nur direkte Umsetzung der Theorie (doctrina bzw. praecepta), d.h. hier des Rednerideals, sondern immer auch vermittelt durch die lernende Nachahmung (imitatio) der Vorbilder (exempla ), sei es des Verhaltens der Lehrer oder der Schriften der kanonischen Autoren. Das Nachahmungspostulat brachte also ein spannungsvolles Nebeneinander von Theorie und Praxis hervor; die klassischen Muster wurden dadurch angeeignet, aber als Vorlagen auch fortgebildet, wobei der Schüler den Meister zu übertreffen suchte. Dieser Prozess hatte wiederum Rückwirkungen auf die (neue, veränderte) Formulierung der Theorie.13 Das gilt für die sprachlich-literarische Arbeit des Verfertigens von Reden bzw. Texten und auch für die Entwicklung von Rednerkonzepten einer Epoche. Die

11 Vgl. Cicero in einem Brief an Atticus, wo er erwähnt, dass Buch II und III von »De oratore« »die Handwerkers< ein, der wie alle Anwender einer techne ein 'tEXvli:11c:;, technites ist, wenn er seine Kunst versteht. Sein Tun wird gelenkt vom Wirkungsziel; die methodische, durch die Beachtung von Regeln gesteuerte Handlung will den Zufall ausschalten.IO Sein Vorgehen beruht auf Erfahrung (Eµ:rtELpla, empeirfa).11 Das Produkt des rhetorischen >Handwerkers< ist immateriell: die :rtELfko, peitho, die Überredung bzw. Überzeugung. Das Verb :rtElfüLv, pefthein heißt eigentlich: jemanden zu etwas bringen.12 Dass die peith6 im Bewusstsein der Zeit

7 Dissoi 16goi 8, 1, in: H. Diels, W. Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd.2 (Berlin 101960) S.415. s Vgl. Platon, Phaidros 266d, e sowie M. Fuhrmann: Das systematische Lehrbuch (Göttingen 1960) S. 7 ff., 123 ff.; außerdem L. Radermacher (Hg.): Artium scriptores (Reste der voraristotelischen Rhet.) SB Österr. Akademie der Wiss., Philos.-historische Klasse, 227. Bd.,3. Abh. (Wien 1951) S.llff. mit Zeugnissen über die verschiedenen Begründer der Kunstrhetorik. 9 Die erste Definition stammt möglicherweise aus der sizilianischen Rhetorik, die zweite von Gorgias. Vgl. dazu Nestle [1] S.311, 315. Siehe auch Fuhrmann [8] S.126 Anm. 6. -A. Hellwig, die eine umfassende Untersuchung des Rhetorikbegriffs von Platon und Aristoteles vorgelegt hat, ist der Auffassung, dass die Formel 'lj!uxaywy[a n; ÖL&. 'A6ywv nicht von Gorgias, sondern von Platon stammt. Vgl. dies.: Untersuchungen zur Theorie der Rhet. bei Platon und Aristoteles (Göttingen 1973) S.24-27. 10 H. G. Liddell, R. Scott: A Greek-English Lexicon (Oxford 91940, with a supplement 1996) unter ö11µLüupy6i:;, "tEXVLi:YJi:;. Vgl. Arist. Rhet. 1354 a 11 f., 1397 b 23; außerdem K. Barteis: Der Begriff »Techne« bei Aristoteles. In: K. Flashar, K. Gaiser (Hg.): Synusia. FS für W. Schadewaldt zum 65. Geb. (Pfullingen 1965) S.277, 279f., sowie H. Wilms:Techne und Paideia bei Xenophon und Isokrates (Stuttgart. Leipzig 1995) S.19 ff., 27, 30. 11 Vgl. Platon, Gorgias 4665 a, freilich kritisch gemeint. 12 Vgl. dazu Th. Buchheim: Die Sophistik als Avantgarde normalen Lebens (Hamburg 1986) S.23.

II. Rhetorische Technikerkonzepte

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eine Macht war, zeigt der Bericht Herodots, Themistokles habe den Bewohnern der belagerten Insel Andros die Botschaft geschickt, die Athener brächten zwei gewaltige Götter mit, Überredung (peithÖ) und Zwang (avay1·n1, ananke), so dass jene unbedingt Tribut zahlen müssten.13

2. Aristoteles: Philosophische Präzisierung des Technitenbegriffs Die früheste erhaltene griechische Rhetorik, die des Anaximenes von Lampsakos, enthält keine Ausführungen zum Redner als Techniker der Rede. Genaueres dazu findet sich erst bei Aristoteles. Dieser übernimmt von der rhetorischen Theorie seiner Zeit das tEXVltric;-, technftes-Konzept, bemüht sich aber, die Defizite der sophistischen Vorstellungen zu korrigieren und den Rigorismus Platons zu vermeiden. Dieser hatte den Rednern und Sophisten vorgeworfen, mit ihrer Form der Redekunst gar keine Technik, sondern nur eine bloße Geschicklichkeit und Routine im Reden zu betreiben.1 Aristoteles rehabilitiert und präzisiert demgegenüber die Vorstellung vom Redner als >Techniker< des Redens. Ansatz für ihn ist die praktische Philosophie, die zwischen Theorie und Praxis, zwischen Kritik und vorrefiexivem Wissen vermittelt und Rhetorik, Ethik und Politik als verwandte Disziplinen sieht.2 Seine Auffassung vom» Künstler« bzw.» Techniten« zeigt sich besonders deutlich in der »Nikomachischen Ethik«, wo er das sittliche Verhalten des Menschen nach dem Modell des technischen Handelns in der Polis beschreibt. Beim Techniten gilt als »gut[ ... ], was der eigentümlichen Tugend oder Tüchtigkeit des Tätigen gemäß ausgeführt wird«, wie auch das sittliche, auf die Realisierung des Guten gerichtete Handeln des Menschen »der Tugend gemäße Tätigkeit der Seele« ist.3 Das Gute, das der Technit realisiert, ist also das immanente Ziel seiner Kunst, womit noch nicht etwas ethisch Gutes gemeint sein muss. Vorausgesetzt ist jeweils zugleich die »Verrichtung des Menschen in vernünftiger oder der Vernunft nicht entbehrender Tätigkeit der Seele«, denn dadurch unterscheidet er sich von Pflanze und Tier.4 Ein wahrer Technit ist also nach Aristoteles ein tüchtiger Fachmann, doch nicht nur dies, sondern er ist auch - wie die »Metaphysik« erklärt - »weiser als die Erfahrenen«, »weil die einen [die Künstler] die Ursache kennen, die anderen nicht«. Und er ergänzt: »[D]arum sehen wir die Kunst mehr für Wissenschaft an als die Erfahrung; denn die Künstler können lehren, die Erfahrenen aber nicht«.5 Herodot Vlll, 111; vgl. dazu Buchheim [12] S.1 ff. Zu Platons Rcdncrkritik siehe unten S. 96 ff. 2 Aristoteles, Nikomachische Ethik. Auf der Grundlage der Übers. von E. Rolfes hg. von G. Bien (Hamburg 51985), S.XXXVlf. sowie NE 1, 1, 1024a28ff. Der Begriff TEXvli:11s kommt auch in der »Rhetorik« vor (etwa 1397 b 25), wird dort aber nicht direkt auf den Redner bezogen. 3 Arist. NE 1098 a 15 ff. 4 Ebd. 1098 a 6 und die Sätze davor. s Aristoteles, Metaphysik, 1, 1, 981 a 25-30, 981 b 8f. Übers. v. H. Bonitz, in: Aristoteles, Meta13

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Teil A · Der Redner als Fachmann der Rede: das antike Grundmodell

Die Tätigkeit des Techniten erschließt sich vom Begriff der Kunst her. Jede Kunst zielt auf ein zu Erzeugendes ab. Aristoteles unterteilt die Künste nach den Zielen in herstellende (poietische) und handelnde (praktische). Die Rhetorik gehört zu beiden Kunstformen. Herstellend ist sie, insofern sie ein Produkt (l:'.pyov, ergon) hervorbringt, und zwar das an jeder Sache möglicherweise Überzeugende; handelnd ist sie, insofern ihr Ziel die Anwendung selbst ist, wie etwa in der Politik.6 Jede Kunst hat zwei Aspekte: den des )ehrbaren Systems von festen Regeln und den der subjektiven Fähigkeit des Techniten, das System auf den Einzelfall anzuwenden bzw. umgekehrt im Einzelfall systematische zusammenhänge wiederzufinden und auf das Ganze zurückzuführen.7 Die Überredung als Ziel (tEAOI:;, telos) der Rhetorik steht dabei am Anfang der technischen Überlegung. Ein Ziel wird in der Kunst als gegeben hingenommen und nicht weiter erörtert. Die Reflexion der Kunstziele ist Aufgabe anderer Wissenschaften, im Falle der Rhetorik etwa der Politik als »leitender Wissenschaft«.s In der Ausführung einer Kunst gibt es Qualitätsunterschiede, so dass zur Leistung überhaupt noch das Merkmal großer Tüchtigkeit hinzugefügt werden kann, heißt es in der »Nikomachischen Ethik«.9 In diesem Sinne ist der Technit nicht bloß ein Könner, sondern gegebenenfalls sogar ein hervorragender Vertreter seines Faches, was ebenso auf den Redner zu übertragen ist. Die Kunst des Techniten als Redner ist das Thema der »Rhetorik« des Aristoteles, die sich bemüht, die wissenschaftliche Analyse ihres Gegenstandes mit praktischen Anweisungen zur Ausübung der Kunst zu verbinden. Danach umfasst das Können dieses Techniten eine Kombination verschiedener Fähigkeiten: das Sachwissen, die logische Argumentation, den Gebrauch psychologischer Einsichten für die Erzeugung der Glaubwürdigkeit einer Sache bei den Zuhörern, die Kunst, Fehler in den Schlussfolgerungen eines Gegners aufzudecken mit dem Ziel, diesen zu widerlegen, sowie die Kenntnis von Stilmitteln und des Aufbaus der Rede.

physik. Neubearbeitung der Übers. v. H. Bonitz, hg. von H. Seid!, 1. Halbbd., Bücher I (A) - VI (E) (Hamburg 31989). 6 Vgl. Arist. Rhet. 1355 a 3, 1359 b 9ff., NE 1140 a 4, vgl.1168 a 9. Es gibt also kunstimmanente und kunstexterne Ziele. Vgl. außerdem K: Barteis: Der Begriff »Techne« bei Aristoteles. In: H. Flashar, K. Gaiser (Hg.): Synusia. FS für W. Schadewaldt zum 65. Geb. (Pfullingen 1965) S.276f.; E. M. Cope: An Introduction to Aristotle's Rhet. with Analysis, Notesand Apendices (1867, ND Hildesheim, New York 1970) S.18. 7 Cope [6] S.15 ff. R Vgl. Arist. NE 1094 a 27f. sowie Chr. Rapp: Aristoteles, Rhet., 2. Halbbd.: Kommentar (Darmstadt 2002) S.154 ff. 9 Vgl. Arist. NE 1098 a 10.

III. Die Aufgabe des Redners

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3. Quintilian: Der Redner als artifex Die griechische Auffassung vom Redner als Techniten findet sich auch in der lateinischen Schulrhetorik wieder, und zwar vermittelt über den Hellenismus. Kronzeuge ist hier Quintilian. Seine »lnstitutiones oratoriae libri XII«, eine pädagogische Anleitung für den Lehrer der Rhetorik, bieten eine Begriffsbestimmung des Redners im Rahmen der Schuldisziplin, und zwar dem der artes liberales, welche die Römer vom hellenistischen Unterrichtswesen übernommen hatten und in denen die Rhetorik eines der Lehrfächer war.1 Er referiert folgende Definition: »Die Rhetorik also[ ... ] läßt sich[ ... ] am besten gliedern, wenn man von der Kunst (ars), dem Künstler (artifex) sowie dem Kunstwerk (opus) handelt. Kunst soll dabei so viel heißen wie Lehrfach, das heißt also: sie ist die Lehre von der guten Rede. Der Künstler ist der Mann, der diese Lehre empfangen hat, das heißt also der Redner, dessen Ziel es ist, gut zu reden. Das Werk ist das, was von dem Künstler hervorgebracht wird, das heißt also die gute Rede.«2 Der Redner ist hier wie im Griechischen nach der Kunst benannt, die er ausübt. Woher Quintilians Definition genau stammt, ob sie möglicherweise ein Gliederungsprinzip von hellenistischen Schriften zur Einführung in die verschiedenen pädagogischen Disziplinen darstellt - immerhin unterteilt auch Horaz seine »Ars poetica« nach ars, artifex und opus - ist nicht mehr sicher auszumachen.3 Die Tatsache, dass Quintilian den Redner hier von der Kunst her sieht, führt ihn noch zu einer Erweiterung der Definitionen: »[E]twas, was der auf ein Erzeugnis gerichteten Kunst entspricht, wird der Redner durch die schriftliche Veröffentlichung seiner Reden oder seiner Geschichtsdarstellung, eine Leistung, die wir ebenfalls mit Recht zum Bereich des Redners rechnen, erreichen.«4 Nicht mehr nur die Persuasion gilt für Quintilian als Produkt der Kunst, sondern auch das sprachliche Werk selbst, die schriftliche Form der Rede. Mit dieser Definition aus dem römischen Schulbetrieb sind die Technitenkonzepte der antiken Rhetorik vorgestellt. Sie enthalten eine Sammlung zentraler Bestimmungen, die später für die verschiedensten Gebrauchszusammenhänge adaptiert wurden.

III. Die Aufgabe des Redners Bestimmungen dessen, was der Redner mit seiner Kunst tun soll, sind in der antiken Redelehre vielfach mit der Aufgabe der Rhetorik identisch. Schon die erwähnten Auffassungen der Sophistik parallelisieren Redner und Rhetorik in dieser Hinsicht. Der ÖT]µtou9y6i;, demiurg6s) (aus der Definition JtEtfroili; ÖT]µtou9y6i;, peithÜs

J. Dolch: Lehrplan des Abendlandes (Darmstadt 41971) § 8. Quintilian II, 14. 5. 3 Vgl. M. Fuhrmann: Die Dichtungstheorie der Antike. Aristoteles - Horaz - >LonginlistenreichePatron< der Soldaten), des Konsuls, Volkstribunen und Oberpriesters; er hatte auch den Vorsitz im Senat inne. Der Kaiser wurde damit der oberste Repräsentant von Staat und Gesellschaft, eine Tatsache, die das Zentrum der Macht auch in einen nichtstaatlichen, halbprivaten Bereich verlegte: den Hof und vor allem die Familie des Kaisers.3

2s Ebd. S. 86 ff. 1 J. Bleicken: Verfassungs- und Sozialgesch. des Röm. Kaiserreiches, Bd.1 (Paderborn u. a. 31989) S.12, 23 ff., 27 ff., 60 ff., 72. 2 Bleicken Bd.l [1] S.24, 41ff.,61f., 77f.; ders.: Verfassungs- und Sozialgesch. des Röm. Kaiserreiches, Bd.2 (Paderborn u.a. 21981) S.lüf. 3 BleickenBd.l [l] S.27-35,44ff.

V. Die rednerbezogenen Öffentlichkeitstypen

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Der Kaiser äußerte sich öffentlich bei vielen Gelegenheiten, z.B. in seinen Ansprachen bei Festlichkeiten oder als Feldherr vor der Schlacht, aber auch etwa vor dem Senat.4 Er selbst war Adressat zahlreicher öffentlicher Äußerungen, unter denen die Ehrungen vorherrschten. Wichtig waren die Zurufe der Menge (Akklamationen), die jetzt nicht mehr auf dem Forum erschallten wie noch zu Zeiten der Republik, wenn es galt, einen siegreichen Feldherrn zu ehren, sondern dem kaiserlichen Imperator beim Einzug in die Stadt oder bei Abhaltung der Spiele entgegentönten. Diese Akklamationen waren meist ehrende Zurufe, doch sie konnten auch aus Wünschen oder Kritik bestehen und boten dem Volk die einzige Möglichkeit zur öffentlichen Willensbekundung. Akklamationen kennzeichneten später auch das Verhalten des Senats, sie ersetzten die Reden seiner Mitglieder als Form der Willensäußerung. s Wie schon im monarchisch geprägten Hellenismus, dessen Königsauffassung und Herrscherverehrung von den Kaisern in vielem übernommen wurde6, erhielt auch in Rom die Redekunst nach dem Ende der Republik neue Aufgaben. Die politische Rede, deren Ort noch anfangs der Senat in Rom, später auch in Konstantinopel oder überhaupt die Versammlung in den städtischen Rathäusern war, zielte nicht mehr auf eine Konsensbildung, die aus dem Kampf der Meinungen hervorging. Ihre Rolle bestand jetzt darin, die Absichten des Kaisers bzw. seiner Beamten zu unterstützen. Auch die Gerichte waren kein Schauplatz spektakulärer politischer Prozesse mehr wie zu Zeiten der Republik. Da das Prozesswesen inzwischen durch eine besondere Fachsprache und die Entscheidung spezieller Verfahrensweisen zur Rechtsfindung sehr kompliziert geworden war, auch ein Teil der Abläufe nur noch in schriftlicher Form vonstatten ging, war die Vertretung eines Bürgers vor Gericht mehr und mehr zu einer Angelegenheit von Spezialisten geworden, wobei die Rhetorik eine untergeordnete Rolle spielte.7 Der akklamatorische Charakter der Öffentlichkeit und der dominierende Zweck der Kaiserehrung mit ihren zahlreichen Anlässen wie Geburtstagen, Hochzeiten, Begräbnissen, Gesandtschaften, Danksagungen, Spielen, Regierungsjubiläen und siegreichen Feldzügen begünstigte die epideiktische Redegattung und prägte auch den kaiserzeitlichen Rednertypus. Ein schönes Beispiel liefert die kurze Selbstdarstellung, die der jüngere Plinius am Anfang seiner Dankrede an Kaiser Trajan gibt. Wer

Ebd. S.34f., vgl. auch B. Hambsch: Art. »Feldherrenrede«, in: HWRh Ed.III, Sp. 229. Blcickcn Bd. l [ l] S. 94ff.; A. Alföldi: Die monarchische Repräsentation im röm. Kaiserreich (Darmstadt 1970) S.79ff. 6 Bleicken Bd.1 [1] 92f., 94ff.;Alföldi [5] Abschnitt II, II. Teil. 7 G.A. Kennedy: Greck Rhet. undcr Christian Emperors (Princcton,N.J.1983) S.6ff, 19ff. Trotz genereller Orientierung am kaiserlichen Willen in der Öffentlichkeit gab es natürlich weiterhin Auseinandersetzungen über Einzelfragen. Zur Situation der Rede in den Provinzen (vor allem des griechischen Ostens) siehe P. Brown: Macht und Rhct. in der Spätantike (München 1995): zur Gerichtsrede M. Hose: Die Krise der Rhetoren. Über den Bedeutungsverlust der institutionellen Rhet. im 4. Jh. und die Reaktion ihrer Vertreter. In: Chr. Neumeister, W. Raeck (Hg.): Rede und Redner (Möhnsee 2000) S.289ff. 4

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Teil A · Der Redner als Fachmann der Rede: das antike Grundmodell

soll den Brauch, jede wichtige Handlung und jede Rede mit einem Gebet zu eröffnen, »eher übernehmen als der Konsul«, fragt er, »wenn wir auf das Geheiß des Senats und nach dem Willen des gesamten Volkes aufgerufen sind, dem besten Princeps Dank abzustatten?«8 Er spricht hier als einer der Konsuln vor dem Kaiser. Für Plinius hat »die ehrlichste und willkommenste Form der Danksagung jene spontanen Zurufe zum Vorbild[ ... ], die vorher auszudenken die Zeit gar nicht zuläßt«, die also aus dem Herzen kommen. Er will sich bemühen abzuwägen, »welches Lob seinen [des Princeps] Leistungen gebührt und welches Lob seine Ohren ertragen können«9, um so den richtigen Ton zwischen >Zuwenig< und >Zuviel< zu treffen und glaubwürdig zu bleiben. Der Redner spricht damit nicht mehr primär zu seinesgleichen im Senat, sondern wendet sich vor allem an einen Höheren. Er fügt sich so in eine hierarchische Ordnung ein, und zwar als Mittler zwischen dem Kaiser sowie Senat und Volk.

b) Spätantikes Christentum

Das bezeichnendste Beispiel für die Veränderung der Öffentlichkeit in Rom unter dem Einfluss des Christentums ist wohl der Streit um den Victoria-Altar im Jahr 384. Kaiser Gratian hatte den Altar der Göttin aus der Curia, dem Versammlungsort des römischen Senats, entfernen lassen, weil er es als Beschützer der christlichen Religion nicht duldete, dass den christlichen Senatoren weiterhin Götzenopfer zugemutet wurden. Eine erste Gesandtschaft unter Führung des hochangesehenen Redners Symmachus war vergeblich an den kaiserlichen Hof nach Mailand gereist, um eine Rücknahme dieser Maßnahme und die Wiedergewährung der den Priestern entzogenen Privilegien zu erreichen. Zwei Jahre später versuchte man es wieder bei dem dreizehnjährigen Kaiser Valentinian, einem Bruder des vorherigen, und seinen Beratern. Symmachus trug sein Anliegen erneut vor; doch er traf nicht nur auf die heidnischen Ratgeber des Kaisers, sondern auch auf den Mailänder Bischof Ambrosius. Dieser gehörte ebenfalls zur kaiserlichen Umgebung, lehnte allerdings im Namen der Religion jede Wiederherstellung des früheren Zustands ab. Symmachus konnte sich ihm gegenüber nicht durchsetzen und musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.10 Die Kernpunkte der für Redner und Öffentlichkeit wichtigen Auseinandersetzung finden sich in der dritten Relatio (Rede bzw. Bittschrift) des Symmachus sowie in zwei darauf Bezug nehmenden Briefen des Ambrosius. Symmachus führt sich gegenüber dem Kaiser als vir bonus ein: »Ich erfülle[ ... ] eine doppelte Pflicht: als Euer Präfekt [in der Stadt Rom] führe ich einen öffentlichen Auftrag aus, als

x Plinius der Jüngere: Panegyrikus 1, 2. Übers. v. W. Kühn. in: Plinius der Jüngere. Panegyrikus. Lobrede auf Kaiser Trajan. Lat.-dt. (Darmstadt 1985). 9 A. a. 0. 3, 1.2. 10 Vgl. M. Fuhrmann: Rom in der Spätantike. (München, Zürich 1994) S.59ff.

V. Die rednerbezogenen Öffentlichkeitstypen

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Abgesandter der Bürger empfehle ich Euch deren Wünsche.«11 (Symmachus war für eine an altrömische Maßstäbe erinnernde Pflichtauffassung bekannt. So lehnte er eine Prunkkarosse, die Kaiser Theodosius für ihn als Stadtpräfekten angeordnet hatte, mit dem Hinweis auf die traditionelle Empfindlichkeit der Römer gegen despotische Prachtentfaltung ab.12) Nach der Einleitung bittet Symmachus in eleganter, gewählter Sprache und unter Verwendung der dem Kaiser geschuldeten epideiktischen Formeln um die Wiedereinsetzung der alten Religion und die Rückführung des Altars.13 Ambrosius antwortet später auf dieses Bittgesuch in schriftlicher Form, da er selbst beim Auftritt des Symmachus nicht anwesend war, und zwar in zwei Briefen an Valentinian. Zu Anfang des ersten Schreibens hebt er hervor, dass der Kaiser »selbst dem allmächtigen Gott und dem heiligen Glauben« dient, also Gott untertan ist. »Als Priester Christi spreche ich Deinen Glauben an«, sagt Ambrosius selbst von sich und bittet den Herrscher, nicht in heidnische Verhaltensweisen zurückzufallen, sondern das Gesuch abzulehnen.14 Außerdem rückt Ambrosius die Dinge nach seiner Sicht zurecht. Er weist darauf hin, dass etwa ein Krieger seine Meinung zu kriegerischen Fragen sagen solle; wenn es aber um die Religion gehe, müsse man »sich auf Gott besinnen«, d.h. auf den hören, der in seinem Namen spricht. Damit beansprucht er das Recht, für die Religion überhaupt zu reden, denn die heidnische gilt ihm gar nicht mehr als solche.15 »Wenn es um einen zivilen Streitfall ginge«, schreibt Ambrosius außerdem, »so erhielte auch die andere Seite das Recht zu antworten. Da es aber um die Religion geht, spreche ich Dich als Bischof an.«1° Er setzt sich also bewusst von der prozessualen Redesituation vor Gericht ab, um zu zeigen, dass hier nicht weltliche, sondern geistliche Fragen thematisiert werden, in denen nach Rangordnung und Legitimitätsgraden entschieden wird. Für Ambrosius stand der Bischof in theologischen Fragen sogar noch über dem Kaiser. Der Konflikt zwischen dem Senator als Vertreter der alten und dem Bischof als dem einer neuen Zeit illustriert, dass die kirchliche Öffentlichkeit der Spätantike vertikal strukturiert war und der Redner damit in einem Autoritätsverhältnis stand. Sie verband sich mit den Öffentlichkeitsformen des Kaisertums, die ja ebenfalls autoritative Prägung hatten, und stellte sich bewusst gegen die horizontale bzw. - in ständischen Grenzen - >demokratische< Situation eines Redewettstreits, wie er an den Gerichten oder in den politischen Gremien herrschte. Dass hinter der kirch-

11 Symmachi relatio III, 2, in: Der Streit um den Victoria-Altar. Die dritte Rclatio des Symmachus und die Briefe 17, 18 und 57 des Mailänder Bischofs Ambrosius. Eingef., übers. u. erläut. v. R. Klein (Darmstadt 1972) S. 99, vgl. auch S.18ff. 12 Vgl. Symmachi rclatio IV. Ausgabe: Q. Aurelii Symmachi quae supersunt. In: Monumenta Germaniae Historica Ed.VI, 1, hg. v. 0. Seeck (Berlin 1883, ND 1961) S.284. 13 Relatio III, 3 ff., zum Stil vgl. Klein [11] S.33 ff. Formell geht die Anrede an Valentinian und seine beiden Mitkaiser. 14 Ambrosii epistula XVII, 1.3.6.10. is Ebd. 7.13. t6 Ebd.

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Teil A · Der Redner als Fachmann der Rede: das antike Grundmodell

liehen Öffentlichkeit nicht nur politische Ambitionen, sondern auch dogmatische Überzeugungen standen, zeigt Augustinus im Dialog »De ordine«: »Die Autorität ist teils göttlich, teils menschlich, aber die wahre, unumstößliche und höchste ist die, die wir die göttliche nennen.[ ... ] [In der Religion] wird[ ... ] das Leben der Guten [ ... ] durch die Autorität der heiligen Überlieferung geheiligt, und nicht durch die Ungewißheit, die Erörterungen (disputationes) über philosophische Meinungen anhaftet.«17 Augustinus unterscheidet wie Ambrosius deutlich den religiös-geistlichen Bereich vom weltlichen, wobei er sich implizit ebenfalls auf die Rhetorik bezieht. In der Praxis ließen sich weltliche und geistliche Öffentlichkeitsformen natürlich nicht immer so sauber trennen. Das belegt etwa das Beispiel der christlichen Konzilien in der Spätantike, in denen bei vielen Diskussionen um die dogmatische Gestalt des neuen Glaubens gerungen wurde. Von daher sind die hier beschriebenen antiken Öffentlichkeitsformen Idealtypen, die es erlauben, Rednerkonzepte in ihrem kommunikativen Umfeld funktional genauer zu bestimmen. Bei einer Analyse der Verhältnisse in den späteren Epochen muss allerdings immer auch die Verschiedenheit und Komplexität der historischen Erscheinungsformen berücksichtigt werden. Am deutlichsten zeigt das die allmähliche Veränderung der neuzeitlichen Öffentlichkeit durch die Erfindung des Buchdrucks und die Entwicklung der Medien.18

VI. Der Redner als Techniker: die Basis des Rednerkonzepts der schulrhetorischen Tradition (Begriffsgeschichte) Die antike Auffassung, dass der Redner ein Techniker sein müsse, bleibt auch in der weiteren Geschichte der Rhetorik bis zum Ende des 18. Jh.'s bestimmend. Neben den allgemeinen Begriffen n:xvln1c;, technftes bzw. artifex gab es für den Redner ((l~TWQ, rhetör; orator) natürlich spezielle Bezeichnungen seiner verschiedenen öffentlichen Tätigkeitsfelder vor Gericht (z.B. »Anwalt«, »Verteidiger«), in der Politik oder im kirchlichen Dienst.1 Das Wort rhetor selbst machte im Lateinischen eine Bedeutungswandlung durch. Es bezeichnete jetzt nicht mehr den Redner, sondern den Lehrer der Redekunst.2 Ähnlich erging es dem sophistes bzw.

17 Augustinus, De ordine II, 2, 27, übers. v. Mühlenberg, in: Augustinus: Philos. Frühdialoge. Eingel., übers. und erläut. v. B. R. Voss, J. Schwarz-Kirchenbauer und E. Mühlcnberg (Zürich, München 1972). Dass in der Spätantike immer stärker das Dogma statt des Disputs die kirchliche Meinungsbildung bestimmte, zeigt R. Lim in seiner Untersuchung: Public Disputation, Power and Social Order in Late Antiquity (Berkeley. Los Angeles, London 1991). 1s Siehe dazu oben S.30ff. Eine Analyse der für den Redner relevanten späteren Öffentlichkeitsformen enthält der Artikel »Redner, Rednerideal« in HWRh Ed.VII. 1 Vgl. dazu die Belege bei F.-H. Rohling: Art. »Redner, Rcdncrideal«, in: HWRh Ed.VIII, Sp. 869f., 896f., 910, 923, 959. 2 W. Neuhauser: Patronus und Orator. Eine Gesch. der Begriffe von ihren Anfängen bis in die augusteische Zeit (Innsbruck 1922) S.156, 162f.

VI. Der Redner als Techniker

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sophista: dieser Begriff erfuhr während der römischen Kaiserzeit im Rahmen der sog. »zweiten Sophistik« eine Bedeutungserweiterung. Er umfasste jetzt den »Redner«, den »Deklamator«, auch den »Lehrer« (so dass »Redner« und »Lehrer« hier beinahe identisch waren) sowie den »(Popular-) Philosophen«.3 Der Sophist war also damals für alle Formen öffentlicher Rede zuständig. Die Technikertradition zeigt sich in der Spätantike am klarsten bei Boethius. In seiner Schrift »De differentiis topicis«, die einen Abschnitt über die Rhetorik enthält, bestimmt er den Redner als den, der die Redefähigkeit praktiziert (huius facultatis effector). Seine Pflicht ist dabei, alle fünf rednerischen Arbeitsaufgaben zu bewältigen, sonst hat er die Redefähigkeit nur unvollkommen eingesetzt.4 Dieses praktische Postulat einer Umsetzung der Vorgaben macht Boethius zum Angelpunkt seiner Definition.5 Daher verwendet er verschiedene Begriffe, um jeweils den Aspekt der Realisierung zu bezeichnen, etwa »actor« von der actio (hier »Handlung, Tätigkeit«) her, »artifex« von der ars, der Kunst her -wozu auch das schon genannte »effector« (Hervorbringer eines Produktes) passen würde - und sogar »architectus« (Baumeister), womit der handwerkliche Aspekt noch unterstrichen wird.6 Im Mittelalter nimmt Notker der Deutsche diese Bindung des Rednerbegriffs an die Kunstausübung wieder auf. In den althochdeutschen Exkursen zur rhetorischen Terminologie, die er seiner Übersetzung von Boethius' Schrift »De consolatione« beigegeben hat, schreibt er zum Redner: »der den strit [Streitsache] mit redo [Rede] uerzeren [auflösen] chan. linde er daz in rhetorica gelfrnet habet. ter fst orator.«7 Auch wörtlich lässt sich im Mittelalter die Übernahme der antiken artifex-Bedeutung für den Redner nachweisen, und zwar im Cicero-Kommentar des Thierry von Chartres. In seinen Bemerkungen zu »De inventione« bietet er die bekannten Definitionen zum Redner, z.B. dass dieser ein »Könner« bzw. »Kenner« (artifex) in der Rede und der rhetor der »Lehrer in der Kunst« (doctor artis) sei, dass der orator diese aber perfekt in allen privaten und staatlichen Angelegenheiten »nach der Kunst« gebrauchen könne. Im Kommentar zur» Rhetorik an Herennius« erläutert Thierry das summ um artificium als »vollkommene Könnerschaft« im Kunstgebrauch.8 Das artifex-Verständnis ba-

Neuhauser [1] S.205. S.auch G. Anderson: The pepaideumenos in Action: Sophists and Their Outlook in the Early Roman Empire. In: W. Haase (Hg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Teil II: Prineipat, Bd.33,1 (Berlin, New York 1989) S.87f„ 118-23: vgl. Philostratus, Vitae Sophistarum 489, 573; dazu W. G. Wright: Glossary of Rhetorical Terms, in: Philostratus and Eunapius: The Lives of the Sophists. With an English Translation by W. G. Wright (Cambridge/Mass., London 51989) S.574: außerdem Th. Schmitz: Bildung und Macht. Zur sozialen und politischen Funktion der zweiten Sophistik in der griech. Welt der Kaiserzeit (Wiesbaden 1989) S.33ff„ 46ff. 4 A. M. Boethius: De differentiis topicis IV. In: PL Bd.64 Sp. 1208 A, D. s Vgl.1211D. 6 Ebd. 1208 D, 1211 C, D. Cicero spricht in De or. 1, 23 vom dicendi artifex und A. Gellius in 17, 5, 9 vom artifex rhetoricus. 7 Notker der Deutsche: Bocthius, De consolatione philosophiae Buch 1/11. Hg. v. P. W. Tax (Tübingen 1986) S.55, Z. 6-8. 8 K. M. Fredborg (Ed.): The Latin Rhetorical Commentaries by Thierry of Chartres (Toronto 1988) S.54, 315. Allgemein zur Kommentarlit. vgl. J. 0. Ward: From Antiquity to the Renaissance: 3

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Teil A · Der Redner als Fachmann der Rede: das antike Grundmodell

sierte im Mittelalter wie in der Antike darauf, dass der »Künstler« seine Werke nach Vorschriften und auf der Basis eines rationalen, technischen Wissens hervorbrachte.9 Dieselbe Auffassung bestimmt die rhetorische Technikervorstellung des Humanismus. Das zeigen beispielhaft die »Elementa rhetorices« Melanchthons, in denen dieser gleich anfangs die ars (Kunstlehre) der Rhetorik als Anleitung für die »mit Reden befaßten Fachleute« (artifices in dicendo) bezeichnet.10 Auch der Barockrhetor Vossius spricht in seinem »Commentariorum rhetoricorum sive oratoriarum institutionum libri sex« vom orator als artifex.ll Die »Philosophische Redekunst« der Aufklärungszeit hielt an diesem Verständnis insoweit fest, als sie die Rhetorik weiterhin als Kunst auffasste, die nach festen Regeln verfährt. Gottsched vermied allerdings die Bezeichnung »Künstler« für »Redner« in seiner »Allgemeinen Redekunst«, wogegen Sulzer sie in seiner »Allgemeinen Theorie der schönen Künste« noch verwendete.12 Am Ende des 18. Jh.'s geriet der »Redner« auch in Opposition zum »Künstler«, so bei Goethe, der von Kants Abneigung gegen die Rhetorik beeinflusst wurde.13 Kant hatte der Redekunst beim Vergleich des ästhetischen Werts der schönen Künste den niedrigsten Rang zugesprochen.14 Vorangegangen war ein Wandel in der Auffassung des Systems der Künste seit dem Humanismus, wo die tradierten artes liberales zunächst erweitert, dann seit dem 17. Jh. von dem neuen System der sog. »schönen« Künste abgelöst worden war.15 Adelung notierte denn auch: »In engerer Bedeutung legt man diesen Nahmen [des Künstlers] denjenigen bey, welche die schönen Künste üben, wie den Mahlern, Baumeistern, Tanzmeistern, u.s.f. Nur von Dichtern und Rednern ist es ungewöhnlich.«16 »Künstler« ist der Redner jetzt nur noch als Vortragender, der

Glosscs and Commcntarics on Cicero's »Rhetorica«. In: J. J. Murphy (Ed.): Medieval Eloquence (Berkeley, Los Angeles, London 1978) S.31. 9 Vgl. dazu U. Eco: Kunst und Schönheit im MA (München 1991). 10 Ph. Melanehthon: Elementa rhetorices (1531). in: Corpus Reformatorum Ed.XIII, hg. von C.G. Bretschneider (Halle 1846) Sp. 417. 11 G. I. Vossius: Commentariorum rhetoricorum sive oratoriarum institutionum libri VI (Leiden 1620; ND Kronberg 1974) S.2. 12 Vgl. J.G. Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste (Leipzig 21792 ff„ ND Hildesheim 1967) Art. »Redner«, Bd.4, S.69. Gottsched spricht in seiner »Ausführlichen Redekunst« (1739) auch im Kapitel über den Redner nur von »Künsten und Wissenschaften«. in: Ausgewählte Werke. hg. von P. M. Mitchell, Ed.VII, 1 (Berlin, New York 1975) S.106, vgl. auch S. 97. 13 Vgl. Goethes Zweizeiler: »Bilde Künstler! Rede nicht!/ Nur ein Hauch sei dein Gedicht.« In: Goethes Werke Bd.l (Hamburg 71964) S.325. Sonst siehe Goethes Brief an Zelter vom 29.1.1830. in: Goethes Briefe; Goethes Werke, Weimarer Ausgabe IV. Abtheilung, 46 Bd. (Weimar 1908) S. 222 sowie J.P. Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens (1836 und 1848, ND München 31976) S.248. 14 I. Kant: Kritik der Urteilskraft (21793) Ausg.: Werke Bd.8 der Studienausg., hg. von W. Weischedel (Darmstadt 1983) B 215, vgl. auch B 61, B 206, B 218 Anm. 15 Vgl. P. 0. Kristeller: Das moderne System der Künste. In: ders„ Humanismus und Renaissance, Ed.II: Philos., Bildung und Kunst (München 1976) S.188f. 16 J. Chr. Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart Bd.4 (Wien 1808) Sp. 1834.

VI. Der Redner als Techniker

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sich vor allem auf die actio konzentriert. »Je vollkommener aber unsere Kunst [d.i. Vortragskunst] sich bei Jemandem entwickelt hat«, schreibt Falkmann, »mit desto mehr Vergnügen und Erfolg wird er im geselligen Leben, mit desto mehr Ansehn und Wirksamkeit im Amte, mit desto mehr Glück als Redekünstler auf der Bühne auftreten.«17 Dahinter steht das Verständnis von Redekunst als »schöner Kunst«, wie es in der Deklamatorik als einer der aus der alten Schulrhetorik entstandenen Teildisziplinen entwickelt wurde. In der Folgezeit verblasste auch diese Bedeutung und machte erneut der Auffassung vom Redner als Techniker der Rede Platz.18 Die begriffsgeschichtliche Forschung belegt damit die Kontinuität der Technikervorstellung als Basis des Rednerkonzepts in den verschiedenen nachantiken Epochen.

17 Chr. F. Falkmann: Declamatorik oder vollständiges Lehrbuch der deutschen Vortragskunst. Erster oder theoretischer Teil, 2. Abt von: Practische Rhet. oder vollständiges Lehrbuch der deutschen Redekunst für die obcrn Classcn der Schulen und zum Selbstunterrichte (Hannover 1836) S.12. 18 Vgl. dazu Robling [1] Sp.102lff.

TEIL B. BILDUNG UND KULTUR

I. Das Rednerideal als kulturelles Konzept Wurden im vorherigen Abschnitt die technischen Aspekte des Redners erörtert, wie sie sich in der Antike als Grundlage der rhetorischen Tradition darstellten, soll nun das Rednerideal als eine über die bloße Technikervorstellung hinausgehende Konzeption der Rhetorik behandelt werden. Zwar liegt dem Entwurf eines Idealbildes vom Redner immer ein Technikerkonzept zugrunde. Doch jedes auf ein Rednerideal hin entworfene Bildungsprogramm zielt weiter: auf den »kulturellen Überschuss« rednerischen Handelns, das über die Erfüllung technischer Vorschriften hinausgeht und dem Rednerkonzept die exemplarischen Züge einer großen Persönlichkeit oder die charakteristischen Merkmale einer geistigen, kulturellen oder sozialen Bewegung verleiht. Sicherlich sind schon die elementaren Bestimmungen des antiken Technikermodells eine Manifestation geistig-kultureller Strömungen, weil Technik immer Ausdruck von Kultur ist. Insofern sind die Grenzen zwischen dem Techniker und dem idealen Redner fließend. Doch da nicht jedes Rednerideal ein bloßes Technikerideal ist, muss hier eine Unterscheidung im erwähnten Sinne getroffen werden. Das leuchtet sofort ein, wenn man - um noch einmal zwei schon öfter bemühte Beispiele heranzuziehen - an Catos vir bonus dicendi peritus und an Ciceros orator perfectus denkt. Gerade Cicero unterscheidet ja den vollendeten Redner vom guten Forumsredner (disertus): wo dieser nur ein erfolgreicher Techniker ist, zeigt jener darüber hinaus große Kunstbeherrschung zusammen mit universaler Bildung.1

II. Bildung, Erziehung und Ethos, die Merkmale einer rhetorischen Kulturtheorie »Kultur« und »Bildung« sind Begriffe, die sich in den europäischen Sprachen vielfach überschneiden, die vor allem in Deutschland neben Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede aufweisen.1 Das deutsche Wort »Kultur« wurde am Ende des 17. Jh.'s aus lat. cultura entlehnt und seitdem im materiellen wie auch geistigen Sinn Siehe dazu unten S.110. G. Bollenbeck hat den semantischen Gehalt der beiden Begriffe ausführlich untersucht und als Merkmale eines Sonderweges in der kulturellen Geschichte Deutschland beschrieben. (Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. (Frankfurt/M. 1996). Siehe zu »Bildung« auch M. Fuhrmann: Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters (Frankfurt/M., Leipzig 1999) Kap. 2. l

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Teil B · Bildung und Kultur

als allgemeiner Ausdruck für die Lebensäußerungen des Menschen gebraucht.2 Im 18. Jh. gewinnt »Kultur« durch den Fortschritts- bzw. Entwicklungsgedanken außerdem einen normativen Aspekt. Der Begriff verbindet sich im Deutschen jetzt mit »Bildung«, einer Wortprägung von ursprünglich mystisch-pietistischer Herkunft, die zunächst die Formung des Menschen nach dem Bilde Gottes durch religiöse Erziehung, später - säkularisiert - durch ästhetisch-literarische Erziehung bezeichnet.3 Fuhrmann hat Kultur und Bildung so abgegrenzt, dass erstere den generell orientierten »Inbegriff von menschlichen Errungenschaften«, letztere den individuellen »Prozess des Sich-Bildens und [den] erreichte[n] Zustand des Gebildetseins« umfasst.4 »Kultur« und »Bildung« werden der Sache nach auch in der römischen Antike unterschieden, da es den beide Aspekte vereinigenden Kulturbegriff der europäischen Tradition damals noch nicht gab, und im Lateinischen mit cultura, cultus sowie mit educatio bezeichnet. Cultura bzw. cultus bedeutet zunächst »Bebauung (des Ackers)«, dann auch »physische und geistige Pflege«, »Schmücken, Putzen«, educatio das »Aufziehen eines Kindes«.s Griechisch rrmöda, paidefa heißt vor allem »Erziehung«, bezeichnet dann im weiteren Sinne auch deren Resultat: die geistige und körperliche »Bildung«.6 »Kultur« darf nun nicht einfach mit paideia identifiziert werden, wie es bei Jaeger geschieht. Dieser versteht lat. cultura bzw. Kultur als Resultat der von den Sophisten begründeten paideia und deutet sie als Prozess, der »vom Bildungsvorgang zur Bezeichnung des Gebildetseins und dann zum Bildungsinhalt wird und schließlich die ganze geistige Bildungswelt umschließt [ ... ].Der geschichtliche Aufbau dieser Bildungswelt gipfelt im Bewußtwerden der Bildungsidee.«7 Jaegers Bildungsbegriff, der seinem Versuch einer Neubegründung des Humanismus aus dem antiken Griechentum zugrundeliegt8, schreitet vom subjektiven Prozess des Bildens zum objektiven Gehalt der Bildungsvorstellungen fort. »Kultur« besteht für ihn vor allem in diesen Bildungsideen, womit er das geistige Element daran in den Vordergrund rückt, den natürlichen Aspekt aber vernachlässigt, denn cultura umfasst von der Ursprungsbedeutung her immer auch die durch Arbeit aufgehobene, verwandelte Natur. Die moderne Auffassung von »Kultur« übersieht oder degradiert häufig die-

2 Vgl. die Belege dazu in F.-H. Robling: Rhet. Begriffsgeschichte und Kulturforschung beim »Historischen Wörterbuch der Rhet.«. In G. Scholtz (Hg.): Die Interdisziplinarität der Begriffsgesch. (Hamburg 2000) S.44f. 3 Bollcnbcck [l] Kap. I, 2. 4 M. Fuhrmann: Bildung. Europas kulturelle Identität (Stuttgart 2002) S.37. 5 H. J. Marrou: Der Begriff culture und der lat. Wortschatz. In: ders., Augustinus und das Ende der antiken Bildung (Paderborn u.a.1982) S.456. 458. Eruditio heißt eigentlich »Unterricht«. Siehe außerdem H. Georges: Ausführliches lat.-dt. Handwörterbuch Bd. l (Hannover 81913, ND Darmstadt 1992) unter cultura, cultus. 6 Marrou [5] S.457. 7 W. Jaeger: Paideia. Die Formung des griech. Menschen. (Ausg. in einem Bd., Berlin, New York 21989) S.384. Hervorhebungen vom Verfasser. s Ebd. S.380.

II. Bildung, Erziehung und Ethos

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sen Gesichtspunkt.9 Eine richtig verstandene Bildungsvorstellung muss aber am Naturmoment der Kultivation festhaltenlü wie gerade das Rednerideal zeigt, denn erst die körperliche Erscheinungsform des Redners im Vortrag realisiert den geistigen Gehalt dessen, was er sagt. Hier berührt sich die rhetorische Kulturtheorie mit der rhetorischen Anthropologie.11 Der antike Kulturbegriff hat aber darüber hinaus noch eine ethische Seite, auf die Seneca mit einer speziell die Rhetorik betreffenden Sentenz hinweist. »Üratio cultus animi« (die Rede ist der Schmuck der Seele), schreibt er in einem der Briefe an Lucilius.12 Animus repräsentiert das geistige Lebensprinzip im Gegensatz zum physischen (anima), steht auch oft als pars pro toto für den ganzen Menschen und umfasst so »Denk- und Handlungsweise«, »Sinnesart«.13 Die Rede erscheint hier als physisch-geistiger (kultivierter) Ausdruck der sittlich entwickelten Persönlichkeit, um deren Erziehung sich die Lucilius-Briefe bemühen. Diese ethische Dimension der Kultur, auf die Seneca und die ganze Antike soviel Wert gelegt haben, ist für das heutige Kulturverständnis ebenfalls kein integraler Bestandteil von Kultiviertheit mehr. Bollenbeck erwähnt die Ethik nur als historisches Merkmal der Kultur, wie sie etwa zum Bildungsverständnis der Goethezeit bzw. des deutschen Idealismus oder auch zu den Formen »verweltlichter Frömmigkeit« gehört, so in der von Max Weber beschriebenen protestantischen Gesinnungsethik.14 »Kultur« drückt aber nicht nur ein Ensemble von Fähigkeiten aus, sondern auch den von

9 Der Naturaspekt der Kultivation wird bei Fuhrmann nicht behandelt. - K. P. Hansen kritisiert, dass die Kulturwissenschaften lange Zeit durch einen Naturbegriff eingeengt wurden, der als konzeptives Fundament den Inhalt dessen, was Kultur sein konnte, gewissermaßen deterministisch vorwegnahm. Dem ist gewiss zuzustimmen, aber falsch ist es auch wiederum, an die Stelle der Natur die Gesellschaft („Kollektivität, sie sich in Standardisierungen ausdrückt«) als Determinante zu setzen und das Naturmoment im Kulturbegriff einfach zu unterschlagen. Die Vorstellung von »Kultur« verliert dadurch eigentlich ihren Sinn. (K. P. Hansen: Ein!., in: dcrs (Hg.): Kulturbegriff und Methode (Tübingen 1993) S.7, 11. 10 Bekannte und vielbenutzte Werke zur Bildungsgeschichte von Antike und Humanismus wie die von Dolch. Marrou. Böhme und Buck haben die rhetorische Bildung nur als Erziehungsgeschichte behandelt, wie sie sich im Rahmen von 1'yxux1'101; rrmi5Ela, artes liberales und studia humanitatis darstellt, ohne auch den Kultivationsprozess des Menschen zu einzubeziehen. Dabei muss man beide Momente genetisch unterscheiden, um dann in der Analyse ihr Zusammenwirken zu zeigen, denn nur so bleiben die geistigen und natürlichen Elemente der rhetorischen Erziehung verständlich. Siehe J. Dolch: Lehrplan des Abendlandes (Ratingen u.a. 31971, ND Darmstadt 1982), H. I. Marrou: Gesch. der Erziehung im klass. Altertum (Freiburg, München 1957), G. Böhme: Bildungsgesch. des frühen Humanismus (Darmstadt 1984),A. Buck: Humanismus. Seine europäische Entwicklung in Dokumenten und Darstellungen (Freiburg, München 1987). Auch ein Buch wie der von A. Gonzalcz und D. V. Tanna herausgegebene Sammelband: Rhet. in Intcrcultural Contexts (Thousand Oaks u.a. 2000) berücksichtigt in den Ausführungen über Kulturkonzepte nicht die spezifisch rhetorische Kulturgenese. 11 Siehe dazu unten S.161. 12 Seneca, Epistulae ad Lucilium 115, 2. 13 Siehe Georges [5] unter anima, animus. 14 Vgl. Bollenbeck [ l] S.126 ff., 222.

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Teil B · Bildung und Kultur

Fuhrmann erwähnten »Zustand des Gebildetseins«, mithin eine Haltung (Ethos), ethisch im Sinne eines durch Bildungsprozesse erstrebten und erlangten Gutes.15 Fuhrmann benutzt die von ihm gebrauchte Formel allerdings bloß im historischen Sinne zur Bezeichnung des Bildungsideals von Goethezeit und Neuhumanismus. Sie ist für ihn wohl kein Element von Kultur mehr, da er Kulturprobleme der Gegenwart primär als Fragen des Besitzes oder Verlustes von Bildungsgut erörtert und implizierten ethischen Fragen nicht weiter nachgeht.16 Das kulturelle Ethos ist jedoch für eine Theorie des Redners wichtig, weil es mehr als nur die knappe Formel vom vir bonus dicendi peritus umfasst. Das soll nun zunächst wieder anhand der antiken Rhetorik gezeigt werden.

III. Die Elemente rhetorischer Bildung in der Antike 1. Kultur als Voraussetzung der Bildung »[W]eil wir von Natur aus die Gabe besitzen, einander überreden und uns unsere jeweiligen Wünsche mitteilen zu können, haben wir uns nicht nur davon entfernt, ein Leben wie Tiere zu führen, sondern wir haben uns zusammengetan, Poleis gegründet, uns Gesetze gegeben, die Künste erfunden, ja bei fast allen unseren Erfindungen und Einrichtungen hat uns unsere Fähigkeit zu sprechen geholfen.« Diese Worte des Isokrates aus der »Rede des Nikokles«l enthalten die Kernthese der rhetorischen Kulturtheorie, dass es Sprachfähigkeit und Sprachgebrauch gewesen sind, die den Menschen aus dem Naturzusammenhang herausgeführt und zum Kulturwesen gemacht haben. Isokrates nennt zwar neben der Gründung von Städten und der Entwicklung der Künste noch weitere Kultivationsmerkmale wie etwa die Bebauung des Ackers2, doch die Sprach- oder genauer die Redefähigkeit des Menschen sind für ihn die wichtigsten Kennzeichen. Denn der Gebrauch der Rede fungiert für ihn als die entscheidende Vermittlungsinstanz bei allen kulturellen Handlungen. Dieser Gedanke scheint noch der Auffassung des Aristoteles am Anfang seiner »Rhetorik« zugrunde zu liegen, Rede- und Gesprächskunsthandelten »von solchen Dingen, die zu erkennen auf gewisse Weise allen gemeinsam und nicht Sache einer begrenzten Wissenschaft ist«.3 Isokrates gibt hier eine KulturSiehe dazu genauer das weiter unten entwickelte Konzept der rhetorischen Ethik ab S.193. Auch in seinem Buch über den Kanon der europäischen Bildung fehlt dieser Aspekt. Vgl. M. Fuhrmann: Der europäische Bildungskanon (Frankfurt 22004) 2. Kap. 1 Isokrates, Rede des Nikokles oder Rede an die Zyprioten 6, übers. von Chr. Ley-Hutton: Isokratcs, Sämtliche Werke Bd.I: Reden I-VIII (Stuttgart 1993). 2 Vgl. Chr. Eucken: Isokrates (Berlin, New York 1983) S.165 ff. Schon die Sophistik hatte sich Gedanken über die Entstehung der Kultur gemacht und vor allem im Kunstgebrauch den Unterschied zwischen Mensch und Tier gesehen. Vgl. H. Wilms: Tcchnc und Paidcia bei Xcnophon und Isokrates (Stuttgart, Leipzig 1995) S.29ff. 3 Arist. Rhet. 1354 a 1 (Rapp). Aristoteles denkt hier an die zu Wissenschaften entwickelten Künste. 15

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III. Die Elemente rhetorischer Bildung in der Antike

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entstehungslehre wieder, die von der Annahme eines ursprünglich primitiven, den Tieren ähnlichen Lebens ausgeht und mit dem Aufstieg zur Kultur der Gegenwart endet. Diese Theorie ist sophistischen Ursprungs. Sie betont den Fortschrittsgedanken und unterscheidet sich von anderen griechischen Auffassungen, die in einem gottähnlichen oder naturnahen Anfangszustand die glücklichste Zeit für die Menschen sahen und alle weitere Entwicklung nur als Verschlechterung bzw. Rückschritt verstanden.4 Isokrates beschreibt die Kulturentstehung ausdrücklich als Effekt des Gebrauchs der Rede. Die kulturanthropologische Begründung liefert wieder Aristoteles, wenn er in der »Politik« den Menschen im Vergleich zum Tier als Wesen bezeichnet, das Vernunft bzw. Sprache (/-.6yoi:;, 16gos) hat, und wenn er in der »Rhetorik« konstatiert, dass für den Menschen »die vernünftige Rede« »doch in höherem Maße eine Eigentümlichkeit [... ]ist als der Gebrauch des Körpers«, also die Betätigung seiner bloß natürlichen Fähigkeiten.5 Dass Isokrates den Akzent auf die Rede speziell und nicht auf die Sprache im Allgemeinen legt, erhellt an einem Vergleich mit der Kulturentstehungslehre des Demokrit. Auch dieser versteht die menschliche Kultivation als Überwindung eines den Tieren ähnelnden Lebens, wobei die Entstehung der Sprache eine Rolle spielt. Die Menschen hätten aus zunächst undeutlichen Lauten Worte geformt, miteinander Bezeichnungen für jedes Ding festgesetzt und sich so Verständigung ermöglicht.6 Im Hintergrund steht hier eine Spekulation über den Ursprung der Sprache überhaupt als Kulturmedium durch Konvention?, wogegen der Aspekt des konkreten Sprachgebrauchs in der Rede ganz nebensächlich bleibt. Dieser ist aber für die Rhetorik zentral. Man kann daher sagen, dass Isokrates seine Kulturentstehungslehre von der Tätigkeit des Redners herleitet. Er hat hier einen anderen Aspekt der Rhetorik im Blick als Protagoras, für den der Ursprung der Kultur das Resultat der Erfindung von Künsten ist. Dazu zählt auch die politische Kunst einschließlich der Redekunst, womit eine Teilhabe aller am Staatswesen gegeben und ein friedliches Zusammenleben erst möglich wird.8

R. Bees: Das Feuer des Prometheus. Mythos des Fortschritts und des Verfalls. In: E. Pankow, G. Peters (Hg.): Prometheus. Mythos der Kultur (München 1999) S.43. s Aristoteles. Politik 1253 a 9 f. sowie Rhetorik 1355 b 1 (Rapp). Auch für Isokratcs besteht der "A6yos aus Sprache und Vernunft (vgl. Nikokles [l] 8). Bien nennt »Vernunft und Sprache« Teile des Aüyos und bezeichnet beide als die den Menschen in der Sicht des Aristoteles vor allen anderen Lebewesen auszeichnenden Merkmale. (G. Bien: Die Grundlegung der politischen Philos. bei Aristoteles. Freiburg, München 1973 S.120). Das ist jedoch ungenau. Heidegger weist auf die ursprünglich rhetorische Bedeutung von "A6yo; hin: »Die Griechen haben kein Wort für Sprache, sie verstanden dieses Phänomen »zunächst« als Rede.« Und: »Der Mensch zeigt sich als Seiendes. das redet.« (M. Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 111967, S.165). 6 Demokrit, Frg. zur Kulturphilos. ln: W. Capelle (Hg.): Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte (Stuttgart 41953) S.466f. 7 Vgl. Capelle [6] S.470 Anm. l. Andere Theorien behaupteten, die Sprache sei von Natur, d.h. ohne bewusstes Zutun der Menschen, entstanden. s Vgl. Platon, Protagoras 322 b-d. 4

Teil B · Bildung und Kultur

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Durch die Überwindung seines ursprünglichen Zustands, als Naturkraft, die sich gegen die Natur wendet9, wird der Mensch also zum Kulturwesen. Dabei greifen im Zeichen der Redefähigkeit, die ihn auszeichnet, menschliche Kultivation als Gattungsprozess und individuelle Bildung ineinander. »Wissende und unwissende Menschen unterscheiden sich am meisten durch ihre Reden«, stellt Isokrates im »Panegyrikos« fest und fährt fort: »Dies aber ist das zuverlässigste Indiz für die Bildung eines jeden von uns [ ... ].«to Cicero setzt in seiner Kulturentstehungslehre am Bildungsgedanken an, wobei offen bleiben muss, ob er von Isokrates beeinflusst wurde.11 Er leitet die kulturstiftende Handlung von der sozialen Tätigkeit des großen Redners ab. In »De inventione« wird zunächst die tierähnliche Situation der im Naturzustand lebenden Menschen beschrieben. Damals, so sagt Cicero, erkannte »ein offenbar bedeutender und weiser Mann« die kulturellen Anlagen der Menschen, brachte sie »nach einem bestimmten Plan an einem bestimmten Ort zusammen und vereinigte sie zu einer Gemeinschaft.« Wieder spielt die vernunftgeleitete Beredsamkeit die entscheidende Rolle, denn dieser Mann überwand den anfänglichen Widerstand der Menschen, indem er »Vernunftgründe vorbrachte und gewandt sprach«.12 Cicero führt den Kultivationsakt also auf die Tat eines einzelnen zurück, während Isokrates unbestimmt von »wir« spricht und die Kultivation als gemeinsame, kollektive Handlung versteht. In »De oratore« nimmt Cicero den individualisierenden Aspekt der Kulturschöpfung wieder auf und vertieft ihn. »Was ist denn so bewundernswert, wie wenn aus einer unermeßlich großen Zahl von Menschen ein einzelner hervortritt, der etwas, das von Natur allen verliehen ist, alleine oder mit ganz wenigen auch zu verwirklichen vermag?«13 Hier ist die historische Darstellung vom Wirken des großen Redners aus »De inventione« ins Gegenwärtige gewendet. Die kultivierende Tat vom Beginn der Zivilisation setzt sich in jeder seiner Reden fort, da »sich auf das Walten und die Klugheit des wahren Redners [ ... ] das Wohl der meisten Privatpersonen und des gesamten Staats entscheidend gründet.«14 Aber die Befähigung zu dieser Tat ist für den Redner an

Vgl. die Formulierung bei K. Marx: Das Kapital Bd.l (Berlin 1969. Marx-Engels-Werke Bd.23) S.192. 10 Isokrates, Panegyrikos 49, übers. von Chr. Ley-Hutton: Isokrates, Sämtliche Werke Bd.1 [1 ]. 11 Barwick vermutet, dass Cicero in den kulturgcnctischcn Ausführungen am Anfang von »De inventione« nicht von Isokrates abhängt, sondern von der lateinischen Bearbeitung einer unbekannten griechischen Rhetorik, die stark von Isokrates geprägt war. Vgl. K. Barwick: Das rednerische Bildungsideal Ciccros (Berlin 1953) S.23ff. H. K. Schulte ist der Ansicht. dass die Grundzüge der ciceronianischen Darstellung auf Poseidonios zurückzuführen sind. (Orator. Untersuchungen über das ciceronianische Bildungsideal. Frankfurt/M. 1935, S.130); C. Levy sieht dagegen eher akademischen Einfluss (Philon von Larissa) am Werk. (Lc mythc de la naissancc de la civilisation chcz Ciceron. In: Mathesis e Philia. Studi in onore di M. Gigante (Neapel 1995) S.161). Kritisch gegenüber einer Position wie der von Schulte argumentiert R. Bees: Die Kulturentstehungslehre des Poscidonios. Wege zu ihrer Rekonstruktion. In: Antike und Abendland Bd. LI (2005) S.13-29. 12 Cic. De inv. I, 32 (Nüßlein). 13 Cic. De or 1, 31 (Merklin). 14 Ebd. I, 34. 9

III. Die Elemente rhetorischer Bildung in der Antike

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eine Bedingung geknüpft: an die herausragende Ausbildung der eigenen Naturanlagen, um in dem »Punkt, in dem die Menschen einen wesentlichen Vorzug vor den Tieren haben, die Menschen selbst zu übertreffen.«15 In diesen Passagen aus den einleitenden Paragraphen von »De oratore« skizziert Cicero schon sein Ideal des orator perfectus: Die Beherrschung der Redekunst ist jetzt nicht mehr nur ein Mittel, um die Mitmenschen zu kultivieren, sondern auch, um selbst als kultiviert zu erscheinen. Individuelle Kultur ist sogar zum Unterscheidungsmerkmal des einzelnen gegenüber den anderen geworden. Nicht bloß die Beredsamkeit, auch die Poesie galt in der Antike als kulturstiftende Macht. Der Mythos reflektiert das in der Wirkung, die er den Sängern Orpheus und Amphion zuschreibt. Beide konnten durch Gesang und Leierspiel die Naturgesetze aufheben: Orpheus brachte Steine und Bäume in Bewegung und zähmte die wilden Tiere, dass sie seiner Musik lauschten; Amphion ließ kraft seiner Leier die Mauem von Theben erstehen.16 Diese mythischen Erzählungen hat sich die Rhetorik für ihr kulturelles Programm angeeignet. Der wichtigste Beleg ist wohl die Rede, die Cicero zur Verteidigung des Dichters A. Licinius Archias gehalten hat. Im Zentrum seiner Argumentation steht die Notwendigkeit der Bildung. Seine eigene Redegabe sei, sagt Cicero, »durch die Anregung und Unterweisung dieses Mannes ausgebildet« worden. Obwohl Archias ein anderes Talent als er selbst habe, sei er zu ihm in die Schule gegangen, da alle Künste und Wissenschaften, die für die menschliche Bildung wichtig sind, untereinander verbunden seien.17 Schließlich beschwört er die Richter, den »Namen >Dichter«Longinguten< Redners Kulturelle Versittlichung und Erziehung des Individuums als Funktionen des Rednerideals seien jetzt zuerst anhand von Platons Rednerkonzept dargestellt, das aus der Kritik an den Sophisten entstand. Im 4. Jh. v. Chr. erwuchs der Sophistik in der Philosophie ein ernsthafter Gegner, der das ethisch-pädagogische Selbstverständnis und die Ziele der Rhetorik in Frage stellte.1 »Diese Männer produzieren sich vor der unwissenden Menge >in vielerlei »GestaltDer Sophist< sagen, »manchem scheinen sie reine Nichtsnutze, anderen höchster Ehren wert zu sein; manchmal treten sie als Politiker auf, manchmal als Sophisten [ ... ].«2 Die Frage danach, was den Politiker, was den Sophisten und davon unterschieden den Philosophen ausmacht, hat Platon ein Leben lang beschäftigt. Dem Thema >Politiker< und >Sophist< hat er zwei Dialoge gewidmet; ein möglicherweise geplantes Gespräch über den Philosophen kam allerdings nicht zustande.3 Politiker und Sophist werden von Platon zuerst im >Gorgias< auf ihr Selbstverständnis hin geprüft. Die sophistische Redekunst, heißt es dort, sei entgegen ihrem Anspruch gar keine richtige Technik, sondern nur eine »Geschicklichkeit, weil sie keine Einsicht hat von dem, was sie anwendet«; sie sei gar eine Schmeichelei, bestimmt, der Menge nach dem Munde zu reden, und setze auf Glauben (:rdow:;, pfstis), nicht auf Wissen (!omm:~µrJ, epist~me).4 Die Defizite der Technik offenba-

1 Genaueres zur sophistischen Ethik in rhetorischer Hinsicht enthält der Abschnitt »Ethik«: siehe unten S.197 ff. 2 Sophistes 216 c, d unter Verwendung eines Homerzitats. Übers. v. H. Meinhardt, in: Platon, Der Sophist. Griech.-dt. (1990) 3 Vgl. den Kommentar von Meinhardt [2] S.202,Anm. 7 4 Platon, Gorgias 454 d, 459 a, 463 a, b. 464 b - 465 b. Übers. v. K. Hildebrandt in: Platon, Gorgias oder über die Beredsamkeit (Stuttgart 1983). Die rrloni:; der Menge kommt vom mfüxvov (dem

IV. Rednerideal als Idealtypus

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ren die Mängel dessen, der sie gebraucht. Der Redner versteht zwar, »gegen alle und über alles so zu reden, daß er den meisten Glauben beim Volk findet«, wie Gorgias sagt, doch Sokrates bringt ihn zum Zugeständnis, dass der Redner »von der Sache selbst nicht weiß, was gut oder übel, schön oder unschön, gerecht oder ungerecht ist«. Der »Lehrer der Redekunst« (6 Tfjc; ö11To9nd']c; fööaoxaA.oc;, ho tes rhetoric~s didaskalos) will also den Schüler nur dahin bringen, »daß er der Menge auch dieses zu wissen scheine (öoxEi:v döEvm, dokefn eidenai) ohne es zu wissen, und gut zu sein scheine, ohne es zu sein [ ... ].«5 Die sophistische Auffassung vom Ansehen des Redners (ö6~a wil A.Eyovwc;, d6xa tü legontos) wird hier kritisch aufgegriffen, falscher Schein der Sache und bloße Meinung der unwissenden Zuhörer über den Redner ineinsgesetzt. Die ethische Fragwürdigkeit dieser Rhetorik, die Gorgias als >Kampfart< (aywvla, agönfa) bezeichnet6, demonstriert Platon später daran, dass sie zu einem Mittel zur Durchsetzung des Rechts des Stärkeren werden kann und überdies den athenischen Staatsmännern, darunter auch so berühmten wie Themistokles und Perikles, als Werkzeug zur Lenkung des Demos diente, ohne freilich dessen Gier zu zügeln oder Ungerechtigkeiten zu verhindern.7 Aufgrund seiner Kritik an den Politikern entwirft Platon im >Gorgiasbesonnene Seele< und der >besonnene Mannguten< Rhetors, tritt wohl kaum vor der Menge als Volksredner auf, da er viel zu sehr differenziert, auch die belehrende Rede favorisiert und den Einsatz emotionaler Mittel ablehnt. Sein Metier ist eigentlich das Gespräch mit dem einzelnen, den er durch Argumente zu überzeugen sucht, wie Sokrates es tat, Platons philosophischer Lehrer, dessen Wirken ja in den Dialogen auf die verschiedenste Art und Weise demonstriert wird.20

Platon. Protagoras 313 c, übers. v. H.-W. Krautz in: Platon, Protagoras. Griech.-dt. (1987) Platon, Sophistes 268 b, c auch 254 a, übers. v. Meinhardt [2]. Vgl. dazu H. Niehues-Pröbsting: Überredung zur Einsicht. Der Zusammenhang von Philos. und Rhet. bei Platon und in der Phänomenologie (1987) 131.138 18 Platon, Phaidros 273 d (Zitate), 269 d, 270 eff., übers. v. K. Hildebrandt in: Platon, Phaidros oder: Vom Schönen (Stuttgart 31982) 19 Vgl. Phaidros 266 b, Sophistes 235 c, d, Politikos 305e. 20 Vgl. Phaidros 260a, 276e, 267b-269d (Kunstmittel der Rede), auch Politikos 304d. Platons Ablehnung emotionalisierender Mittel in der Rede ist nur aus dem Zusammenhang seiner Kritik an der Volksrede zu verstehen, stellt im übrigen aber ein nicht einfach zu rekonstruierendes Problem seiner Psychologie dar. Vgl. dazu Hellwig [13] S.35, 222ff. Wie sehr dem platonischen Redner das Gespräch angemessen ist, zeigt die Auseinandersetzung zwischen Sokrates und Protagoras über lange und kurze Reden im gleichnamigen Dialog 333 d - 338 e. 16

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Aristoteles: Pragmatische Begrenzung idealer Ansprüche an den Redner Aristoteles übernimmt von der Rhetorik seiner Zeit die Auffassung, dass der Redner ein >guter< Techniker zu sein hat, wie oben schon dargestellt wurde.1 Doch in der Bestimmung dieses >Guten< setzt auch seine Auseinandersetzung mit den Vorgängern ein und das Bemühen, die Defizite der sophistischen Vorstellungen zu korrigieren, den Rigorismus Platons aber zu vermeiden. Mit der 111l-oc;-, ethosLehre hat Aristoteles eine Theorie über das rhetorische Wirkungspotential des Redners als sittliche Persönlichkeit formuliert. Danach ist das ethos des Redners (~ll-oc; toiJ Ai:'.yovtoc;, ethos tü legontos) die Grundlage von dessen Glaubwürdigkeit. Aristoteles sagt: »Weil es aber in der Rhetorik um ein Urteil geht[ ... ], muss man notwendigerweise nicht nur auf das Argument sehen, auf dass es beweisend und glaubhaft sein wird, sondern auch darauf, als was für ein Mensch man selbst erscheint (rrm6v uva q:m(vrnll-m i:ov AEyovi:a), sowie darauf, denjenigen, der die Entscheidung trifft, vorzubereiten; denn es bedeutet einen großen Unterschied für die Überzeugung [ ... ], dass der Redner eine bestimmte Art von Mensch zu sein scheint und dass [die Hörer] annehmen, er sei ihnen gegenüber auf eine bestimmte Weise eingestellt [ ... ].«2 Das ethos wird also auf den äußeren Anschein der Glaubwürdigkeit gegründet.3 Als Bild des Charakters ist es neben der Rede selbst (!c6yoc;, 16gos) und den Gefühlen (rrall-ri, pathe) der Zuhörer eines der drei entechnischen Überzeugungsmittel und besteht aus Klugheit ( i:pp6v11cnc;, phr6nesis ), Tugend (apEi:11, arete) und Wohlwollen (Eiivma, eunoia) gegenüber den Hörern.4 Das Aristotelische ethos wird durch die Rede als ganze erzeugt. So müssen die Taten des Redners und die ihnen zugrundeliegenden sittlichen Entscheidungen genannt sowie Zeugenaussagen für seine Anständigkeit herangezogen werden. Eingestreute Bemerkungen sollen ein gutes Licht auf seine eigene Person (und ein schlechtes auf die des Gegners) werfen. Bei den einzelnen Redegattungen hat das ethos unterschiedliches Gewicht. In der epideiktischen Rede ist die Darstellung der anderen Person wichtiger als die der eigenen; in der gerichtlichen Rede ist das ethos ein möglicher Wirkungsfaktor neben weiteren; in der Beratungsrede ist es dagegen entscheidend. Hier kann es die sogenannten »anerkannten Meinungen« (evöo~a, endoxa) verstärken, die in der Öffentlichkeit kursieren.5 Zum ethischen Erscheinungsbild des Redners gehört bei Aristoteles auch die Forderung nach maßvollem, der Situation angepasstem Verhalten in Sprache und Gestik, da sonst

Siehe dazu S.39f. 2 Arist. Rh et. 1377 b 23 ff. (Rapp). 3 Zur Erörterung des ethischen Charakters des cthos, das trotz seines technischen Charakters als persuasiver Wert nicht neutral ist, vgl. das Kap. »Aristoteles: die ethische Funktion des tithos« im Teil D: Ethik unten S.219 ff. 4 Ebd. 1377 b 21 ff., 1378 a 6 ff. 5 A. Hellwig: Untersuchungen zur Theorie der Rhet. bei Platon und Aristoteles (Göttingen 1973) S.257f.. 260ff. Zu den »Endoxa« vgl. den gleichnamigen Artikel von P. Ptassek im HWRh Bd.II, Sp.1134ff. l

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der Verdacht der Täuschung aufkommen kann. Der Redner darf also nicht agieren wie ein Schauspieler, sondern muss seine Kunst verbergen.6 Dieser Hinweis zeigt, dass Aristoteles keine Persuasion um jeden Preis will, sondern dass er auch ethisch-moralische Maßstäbe ansetzt. Denn für ihn hat die Persuasion sachbezogen zu sein, und daher sollte sich der Redner vom Wahren und dem, was dem Wahren ähnlich ist, bestimmen lassen sowie dessen Überzeugungskraft ausnutzen. Ein derartiges Vorgehen konzentriert sich vor allem auf den Gebrauch von Beweisen. Der Redner muss allerdings dann von der sachbezogenen Überzeugungsmethode abweichen, wenn es zur Durchsetzung eines gerechten oder des vernünftigen Standpunktes nötig ist. »Nützlich aber ist die Rhetorik«, heißt es daher, »weil das, was wahr und gerecht ist, von Natur aus stärker ist als die Gegenteile [davon] [ ... ]. [... ] Auch muss man vom Gegenteil überzeugen können [ ... ],nicht damit wir beides tun - man soll nämlich nicht zum Schlechten überreden -, sondern damit uns nicht verborgen bleibt, wie es sich verhält, und damit wir, wenn ein anderer die Argumente nicht gerecht gebraucht, selbst in der Lage sind, sie zu entkräften.«7 Eine rhetorische Praxis, die von der Sache ablenkt, ist etwa der Einsatz des iithos, das die Aufmerksamkeit der Zuhörer an die Person des Redners fesselt:» Wenn man also über Beweise verfügt, muss man sowohl charaktervoll [d.h. mit Einsatz des iithos] als auch beweisend reden, wenn du aber über keine Enthymeme verfügst, dann charaktervoll; es passt zum Tugendhaften mehr, anständig zu erscheinen als genau in der Argumentation.«8 Andere Verfahren dieser Art sind Überzeugungsmittel wie scheinbare Enthymeme, die das Publikum täuschen, oder die Erregung von Emotionen, die sein Urteil verdunkeln.9 Der Grund für diese pessimistische Einschätzung der Reichweite einer sachgerechten Redekunst liegt darin, dass Aristoteles keine Illusionen über die psychische Verfassung der Zuhörer hegt. Das zeigt seine Bewertung der Vortragskunst, die bei vielen Rednern zur Schauspielerei wird. Wer sie etwa durch Stirnmodulation aufgrund von Lautstärke, Tonhöhe und Rhythmus emotional aufreizend einzusetzen weiß, hat Erfolg beim Publikum: »[Die Vortragskünstler] streichen fast immer die Preise aus den Wettbewerben ein; und wie dort inzwischen die Vortragskünstler mehr bewirken können als die Dichter, so verhält es sich auch beim politischen Wettstreit wegen des schlechten Zustands der Verfassungen.«10 Die schlechten Redner bewirken jedenfalls mehr als die um die Wahrheit bemühten. Aristoteles sieht den Grund dafür in der Beschaffenheit der athenischen Demokratie, wie die Anspielung auf die Verfassungen zeigt. Dem entspricht die Schlechtigkeit der an diese Zustände

Arist. Rhet.1403b31ff.,1404 b 17ff., dazu Hellwig [5] S.272f. Arist. Rhet. 1355 a 21 ff. (Rapp) 8 Arist. Rhct. 1418 a 37 ff. (Rapp); vgl. zum Ganzen Chr. Rapp: Rhct. und Philos. in Aristoteles' »Rhetorik«. In: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch, Bd.18 ( 1999) S.102 ff. 9 Rapp [8] ebd. 10 Arist. Rhet.1403 b 27-34 (Rapp) 6

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gewöhnten Zuhörer.11 Im »Staat der Athener« führt Aristoteles den Demagogen Kleon als Vertreter der emotionsgeladenen anstelle der vernünftigen Redekunst an, da er »das Volk am meisten durch seine leidenschaftlichen Ausbrüche verdorben zu haben scheint.«12 Doch Aristoteles hat sich nicht nur mit den technischen und ethischen Qualitäten des Redners beschäftigt, sondern auch dessen Tätigkeitsbereiche in »Rhetorik« und »Topik« typologisch genauer erörtert. Zur Verdeutlichung des Gemeinten grenzt er Redner und Dialektiker vom Sophisten ab. Der Anfang der »Rhetorik« stellt fest, dass die Rhetorik das Gegenstück zur Dialektik ist, und konstatiert etwas später, es sei Sache der Rhetorik, »das Überzeugende und das nur scheinbar Überzeugende zu sehen, wie auch bei der Dialektik die Deduktion und die nur scheinbare Deduktion: die Sophistik liegt nämlich nicht in der Befähigung, sondern in der Absicht. Hier wird indessen der eine gemäß dem Wissen Redner, der andere gemäß seiner Absicht, dort aber Sophist gemäß seiner Absicht, Dialektiker aber wird man nicht gemäß einer Absicht, sondern gemäß der Befähigung.«13 Diese etwas dunkle Stelle versteht man wohl am besten, wenn man die Analogien nachkonstruiert und dabei vom Redner ausgeht. Aristoteles unterscheidet den wissenden, d.h. im Kunstgebrauch versierten Redner von demjenigen, der nur seiner Absicht nach, nicht aber auch tatsächlich die Redekunst zu gebrauchen weiß. Ähnlich verhält es sich mit dem Dialektiker und dem Sophisten: der Dialektiker beherrscht die Deduktion und gebraucht sie richtig; der Sophist gebraucht sie nur der Absicht nach, also bloß scheinbar und folglich unrichtig.14 In den »Sophistischen Widerlegungen« hat Aristoteles den Unterschied zwischen Dialektiker und Sophisten noch näher ausgeführt. Der Sophist ist ein Mensch, heißt es dort, »der mit scheinbarer, nicht wirklicher Weisheit Geschäfte macht [ ... ].«15 Diese Bestimmung nimmt die Kritik Platons auf, der im »Gorgias«-Dialog dem »Lehrer der Redekunst« Scheinwissen attestierte.16 Dem Sophisten ähnelt nach Aristoteles der Eristik er ( e9wnx6~, eristik6s, der Streitliebende ), wobei dieser zum Zweck des Siegs so verfährt, jener aber wegen des gewinnbringenden Ansehens. Beide haben dieselben Beweise, aber nicht mit denselben Absichten.17 Der Dialektiker ist der Mann der richtigen Deduktionen, der »die allgemeinen Gründe sachgemäß [d. h. im Licht des speziellen Falles] ins Auge faßt«. Diese Definition geht nicht soweit wie diejenige Platons, der ihn mit dem Philosophen gleichsetzt,

Ebd.1404 a 7. Aristoteles, Der Staat der Athener 28, 3; übers. und hg. von P. Dams (Stuttgart 1970). 13 Arist. Rhet. 1355 b 16-23 (Rapp). 14 Vgl. auch Chr. Rapp: Aristoteles, Rhct., 2. Halbbd.: Kommentar (Darmstadt 2002) S.100 zu der Stelle sowie E. Garver: Aristotle ·s Rhet. An Art of Character (Chicago, London 1994) S.207 ff., 214ff. 1s Aristoteles, Sophistische Widerlegungen 165 a 23f., übers. v. E. Rolfcs (Hamburg 21922. ND 1968). 16 Platon, Gorgias 457 a, b; 459 d, e. t 7 Aristoteles [15] l 71 b 25 ff. 11

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denn der Dialektiker beschäftigt sich bei Aristoteles nur mit Meinungen. Sein Verhältnis zum Sophisten besteht darin, »daß er selbst in dem, was er weiß, den Trug meide und den, der ihm verfällt, bloßstellen könne; und von diesen Dingen besteht das eine darin, daß man Rechenschaft geben, das andere darin, daß man sie wirksam fordern kann.«18 Zwischen Dialektiker und Redner gibt es trotz aller Unterschiede auch Gemeinsamkeiten, und zwar von der überzeugungsorientierten Wirkungsabsicht her, die eben rhetorisch ist. »Dialektiker ist, wer etwas aufzustellen und zu beanstanden weiß«, heißt es in der aristotelischen »Topik«. Seine Aufgabe liegt nicht in der langen monologischen Rede, sondern in der Anlage der Fragestellung bzw. der Erörterung im Disput. Diese hat ihre »Bedeutung lediglich dem andern [dem Gegner] gegenüber [ ... ]«19 und zeigt darin die Kraft rhetorischer Subjektivität, das Glaubenerweckende an den Dingen zu erkennen und als von vornherein perspektivisch gestaltete Wirklichkeit beim Opponenten geltend zu machen. Der Philosoph dagegen, »der ja für sich selbst forscht«, kümmert sich nicht um Probleme der effektvollen Anordnung der Argumentation, sondern nur um die Schlussfolgerungen aus der Sache selbst.20 Insbesondere das achte Buch der »Topik«, das die Disputationstechnik lehrt, sieht den Dialektiker als erfolgsorientierten Redner.21 Bei der Darlegung des Nach-zwei-Seiten-Argumentierens heißt es, für die Wahl des Richtigen und das Vermeiden des Falschen bedürfe man einer »guten Naturanlage« (Evrpula, euphyia).Auch die Stichworte »Können« (Mvavi::m rtOLELV, dynantai poiein) sowie »Übung« und »Gewandtheit« (yuµvama xaL µEAEt:T], gymnasia kai meletti) fallen, die aus der pädagogischen Rednertheorie der Sophistik stammen. »Übung« und »Gewandtheit« werden als Postulate an den Lernenden genannt, ebenso »Klugheit« (rp96vrimi;, phr6nesis), die freilich an Erkenntnis (yv&mi;, gnÖsis) und Philosophie gebunden wird. Außerdem soll der Lernende sich Prinzipien und Prämissen ins Gedächtnis einprägen, um sie beim Disputieren leicht parat zu haben.22

Ebd.171b7L 165 a 25ff. (Rolfes). Topik 164b,155 b lüff. (Rolfes). 20 Aristoteles, Topik 155 b lOff.; vgl. auch 158 a 16 (Rolfes). Hier ist schon auf die unterschiedlichen Lebensformen von Redner/Dialektiker und Philosoph angespielt. Vgl. dazu Metaphysik 1004 b 22f. sowie unten S.204. 21 Rapp konstatiert im Einleitungsteil zu seiner Aristoteles-Übersetzung: »In der Dialektik bleiben nicht-argumentative und rein strategische Methoden weitgehend außer Acht; zumindest sind die strategischen Anleitungen (insbesondere Fragen der Anordnung, wie sie zu Beginn von »Topik« VIII ausgeführt werden) der Dialektik nicht wesentlich.« Und: »Das Ziel der Dialektik ist die wahrheitsbezogene Überprüfung von Thesen«. meist in Frage-Antwort-Form. gegebenenfalls aber auch monologisch, wogegen die Rhetorik »überhaupt nicht ohne einen Adressaten denkbar [ist], der vom Redner verschieden ist.« (Aristoteles, Rhet., 1. Halbbd.: Übersetzung, Darmstadt 2002, S.276) Vom disziplinären Aspekt einer Unterscheidung der Künste ist diese Feststellung sicher richtig. Vom performativen Aspekt der Erzielung von Wirkung bzw. Persuasion, wie der Redner bzw. Dialektiker sie will, greifen beide Künste aber ineinander. 22 Ebd. 163 a 29ff., 163 b 9-34 (Rolfes). 1s

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Der Disput selbst wird wie in der Sophistik als Zweikampf aufgefasst, in dem der eine den anderen in die Knie zu zwingen, d.h. zum Aufgeben der Behauptung zu bringen sucht: »Wie es die Aufgabe des Fragenden ist, die Rede so zu lenken, dass er den Antwortenden nötigt, von dem, was aus der These notwendig folgt, das Unwahrscheinlichste einzuräumen, so ist es an dem Antwortenden, dafür zu sorgen, dass die Unmöglichkeiten oder Paradoxien als Folgerungen nicht auf seine Rechnung, sondern auf Rechnung der These zu kommen scheinen.« Überhaupt ist für beide Seiten die Beachtung des Eindrucks wichtig, den sie hervorrufen, denn »der fragende Teil [muß] den Schein erwecken, daß er den Gegner in die Enge treibt, der antwortende Teil hinwieder [den], daß ihm solches nicht widerfährt.«23 Argumentation und rhetorische Psychagogie gehen hier ineinander über. Das zeigen gerade die taktischen Hinweise aufs Verschleiern, Ausfragen, gespielte Ruhe statt Eifer Zeigen, Bluffen, auf die Positionierung von Einwänden und Eingeständnissen sowie von argumenta ad personam.24 Auch wird (nach Art der Zuhörertypologie in der »Rhetorik«, die etwa Jugend und Alter,Adel und Besitz als Merkmale anführt,25) hier im Ansatz eine Gegnertypologie geliefert, z.B. von jungen und geübten, rechthaberischen (eristischen), anmaßenden oder nicht ernstzunehmenden Opponenten. Schließlich wird das Ganze durch Bemerkungen über den, der die Disputierkunst erst erlernt, noch ergänzt.26 Die philosophischen Erörterungen von Platon und Aristoteles belegen, wie differenziert die Theorie des Redners inzwischen ausgearbeitet worden war. Ein ähnlicher Prozess spielte sich auch im pädagogischen Bereich ab, wie jetzt an Isokrates zu zeigen ist.

Isokrates: Lebenspraxis und soziokulturelle Bildung Isokrates, der Gründer der berühmtesten und einflussreichsten griechischen Rednerschule des Hellenismus, hat Bildung und Kultur nie als Selbstzweck, sondern immer von der konkreten Lebenswirklichkeit her gesehen. Er war ein Schüler des Gorgias, dem er viele Einsichten über Gestalt und Wirkung der rednerischen Schmuckmittel verdankte, und auch von Sokrates beeinflusst, den er kannte und von dem er die Distanz zur athenischen Demokratie, die Ablehnung der Demagogen und die Kritik an der sophistischen Pädagogik übernahm.! Den Lehrern der

Ebd. 159 a 18 ff. (Rolfes). Verschleiern: z.B. 156 a 7 ff.: ausfragen: 156 b 10 ff.; Eifer verbergen: 156 b 24 ff.; bluffen: 156 b 18ff., 157 a lff., 161a24ff.; Einwände und Eingeständnisse positionieren: z.B.156 b 26, Kap. VIII, 13 u. 14: argumenta ad personam: 161a21 ff. 2s Arist. Rh et. II, 3. 26 Gegnertypologie: 156 b 35, 161b2ff., 164a12ff.,164 b 9; der Lernende: Kap. VIII, 5 und 14. 1 Vgl. G. Norlin: General lntroduction to: lsocrates. Works in Three Volumes, translated by G. Norlin and L. van Hook, vol. I (Cambridge, Mass., London 51980) S.XIIIf., XVIf. 23

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politischen und gerichtlichen Rede, den Erben der alten Sophistik, wirft er in der Rede »Gegen die Sophisten« einen rein technizistisch orientierten, auf den Gebrauch von Regeln und Vorschriften fixierten Unterricht vor. Die Schüler des Sokrates und ihre auf systematisch gesicherte Erkenntnis setzende Erziehung lehnt er ebenfalls ab. Sie sind für ihn in erster Linie »Eristiker«, also Lehrer der Dialektik, die durch Diskussion die Wahrheit zu finden hoffen sowie ein sicheres, allgemeingültiges und jederzeit verfügbares Wissen versprechen, das der dynamischen Verfassung des Lebens nicht gerecht werde. Ihre Lehre wie auch die der Redelehrer versage bei der praktischen Bewältigung konkreter Situationen. Sein eigenes Erziehungskonzept nennt Isokrates »Philosophie«, wobei er damit aber etwas anderes als Platon und Aristoteles im Sinn hat. Auch Isokrates will die wahrheitsgemäße Erkenntnis der Wirklichkeit, aber nicht aufgrund von wissenschaftlicher Einsicht, sondern von lebenspraktischer Erfahrung.2 Von Isokrates ist keine Kunstlehre (i:Exv11, techne) überliefert; er scheint wohl auch keine verfasst zu haben, obwohl es in seinen Reden verstreute technische Hinweise wie etwa zu Arten und Einteilungen der Rede gibt. Deutlich äußert er seine Ablehnung des Lernens nach Lehrbuchregeln in der Kritik an der sophistischen Pädagogik.3 Hierin ist ihm später der Betrieb der griechisch-römischen Schulrhetorik, die ihm soviel verdankte, nicht gefolgt, wie die bleibende Hochschätzung von Lehrbuch- und Regelwesen in der Folgezeit zeigt. Ziel des Isokrates ist es, seine Schüler zu guten Rednern vor Gericht und in politischen Versammlungen sowie zu guten Prosaisten zu machen. Sein Unterricht gehört wie der der Philosophen zur höheren Bildung, die der heranwachsende junge Mann bei ihm erwerben kann, nachdem er den vorbereitenden Elementarunterricht der'EyxuxALoi:; nmöEla, Enkyklios paidefa durchlaufen hat.4 Im pädagogischen Ansatz geht er von Protagoras aus, favorisiert aber vor allem die natürliche Anlage. »Denn Meisterschaft im Reden und in jedem anderen Gebiet stellt sich bei den von Natur aus Begabten und durch Erfahrung Geübten ein«, erklärt Isokrates

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Belege bei: W. Stcidlc: Redekunst und Bildung bei Isokratcs. In: Hermes 80 (1952) S.259-

264. 3 lsokrates, Gegen die Sophisten 9 f., 19, vgl. auch 12. Siehe dazu ebenfalls K. Barwick: Das Problem der isokrateischcn Tcchne (1963). In: F. Scck (Hg.): Isokratcs (Darmstadt 1976) S.275-95 sowie F. Blass: Die attische Beredsamkeit, 2. Abt.: Isokrates und Isaios (Leipzig 31892; ND Hildesheim 1962) S.107-16. H. Wilms: Techne und Paideia bei Xenophon und Isokrates (Stuttgart, Leipzig 1995) S.208ff. kommt zu dem Schluss, dass das isokratcische tpLA0009[a-Konzept eine Technik der Lebensführung beschreibt, freilich nicht in wissenschaftlicher Strenge wie bei Platon und Aristoteles, sondern in einem handlungspragmatischen Sinn wie bei Xenophon und im Corpus der hippokratischen Schriften. Wilms überdehnt hier aber den Technik-Begriff. Gewiss steht Isokrates in einer Tradition technisch orientierten Redens und Handelns, aber er vermeidet nicht ohne Grund für seine Lehre den einengenden Gebrauch der Begriffe TEXVll und vor allem TEXvln1s. auf die Wilms seine ganze Untersuchung stützt. 4 Steidle [2] S.263 sowie J. Dolch: Lehrplan des Abendlandes (Ratingen u.a. 31971, ND Darmstadt 1982) S.27 und H.l. Marrou: Gesch. der Erziehung im klass. Altertum (Freiburg, München 1957) S.126 ff.

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in der Rede »Gegen die Sophisten«. »Ausbildung macht diese Menschengeschickter und fähiger, etwas herauszufinden [ ... ].Alle aber, die weniger Talent haben, wird diese Ausbildung vermutlich nicht zu guten Rednern (aywvwtal, agönistaf) oder Verfassern von Reden (A6ywv JtOLf)tal, 16gön poietaf) machen [... ].«5 Die Vereinigung von Naturanlage und Ausbildung aber führt zum vollendeten Redner: »Wenn nämlich einer die geistigen Voraussetzungen mitbringt«, heißt es in der »Antidosis«-Rede, »die ihn zur Stoffindung, zum Lernen, sich Abmühen und Memorieren befähigen, ferner eine solche Stimme und eine so klare Aussprache, daß er seine Zuhörer nicht nur durch den Inhalt seiner Worte, sondern auch durch den Wohlklang seiner Rede überzeugen kann, ferner Selbstsicherheit (t6/cµa, t6lma) und zwar nicht die, die Zeichen von Überheblichkeit ist, sondern die - gepaart mit Bescheidenheit - die Seele so stärkt, daß einer genauso selbstsicher auftritt, wenn er vor allen Bürgern redet, wie wenn er nur für sich selbst Überlegungen anstellt - wer wüßte nicht, daß dann ein solcher Mensch ein Redner wäre, wie es ihn vielleicht noch nie unter den Griechen gegeben hat[ ... ] ?«6 Damit ist ein Leitbild entworfen, das alle Merkmale der von Isokrates propagierten Kultiviertheit enthält. Interessant ist die Hervorhebung der »Selbstsicherheit«, die in den Bereich der persuasiven Willensdisposition des Redners gehört.7 Praktische Erfahrung und Übung sind so wichtige Eigenschaften, dass man damit sogar Konkurrenten mit großem Talent, aber Unerfahrenheit überflügeln kann.8 Dabei muss den Redner sein Sinn für das Angemessene (npEnov, prepon) in einer Situation leiten, womit zugleich der Blick auf das Nützliche (auµtpEpov, sympheron) und den eigenen Vorteil gerichtet sein soll. Erfahrungswissen und Klugheit ( q:ip6v11mi:;, phr6nesis) entfalten ihre Wirkung aber erst, wenn sie im richtigen, entscheidenden Moment (xmpoi:;, kair6s) zum Tragen kommen.9 Isokrates hat die kair6s-Lehre von der Sophistik übernommen und ausgebaut. Sie gehört zu den Handlungselementen rhetorischer Subjektivität, die ebenfalls auf die Sophistik zurückgeht und deren Spur sich in der von ihm hervorgehobenen gestalterischen Kraft der Rede zeigt, kleine Dinge groß und große klein, Altes neu und Neues alt erscheinen zu lassen.lü Geistig-seelische und körperliche Vorzüge machen also den großen Redner aus. Dazu zählt ein ästhetisches Moment von besonderer Wichtigkeit: der »Wohlklang der Rede«. Isokrates formuliert in der Sophistenrede als Ziel seines Unterrichts, die Schüler müssten lernen, »die Rede insgesamt mit guten Gedanken angemes-

s Gegen die Sophisten 14f. Übers. v. Chr. Ley-Hutton: Isokrates, Sämtliche Werke Ed.II: Reden IX-XXI, Briefe, Fragmente (Stuttgart 1997). 6 Antidosis 189-190, übers. v. Lcy-Hutton [5] Die Formulierung »ein Redner[ ... ], wie es ihn vielleicht noch nie [ ... ] gegeben hat«, lässt an die beinahe wörtliche Entsprechung in Cic. Or. 7 denken. 7 Siehe dazu die Ausführungen zum Rcdncrwillcn im Anthropologicabschnitt unten S.165 ff. s Antidosis 191. 9 Steidle [2] S.260f„ 268ff., 272, 283 sowie unten S.204ff. (xmp6c;). 10 Ebd. S.273ff., vgl. Antidosis 46f„ Panegyrikos 8.

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sen auszustatten und der Sprache durch die Wörter einen schönen Rhythmus und Wohlklang zu verleihen [ ... ].«11 An anderer Stelle vergleicht er die Wirkung der wohlgeformten Rede, und zwar der Lobrede, mit derjenigen der Dichtung.12 Isokrates sah die Unterweisung in der epideiktischen Rede als eine seiner Hauptaufgaben an, denn gerade durch die großen Prunkreden zu politisch-kulturellen Themen und von Lobreden auf bedeutende Persönlichkeiten genoß er großes Ansehen.13 Dass zur Kultur des Redners nicht nur Erziehung und Ästhetik, sondern auch die Ethik gehört - und hier erweitert sich die rhetorische zur sozialen Perspektive-, legt Isokrates im »Panathenaikos« dar, wenn er den in seiner Sicht wirklich »Gebildeten« (m:nmÖEvµevo~, pepaideumenos) charakterisiert.14 Dieser ist ein Mann von Urteilskraft; jemand, der »einen angenehmen und netten Umgang mit allen Leuten pflegt«, auch deren Launen erträgt, der maßvoll in der Freude, tapfer im Leid ist und seine Grenzen kennt. »Wer aber seine Seele so gebildet hat, daß sie [ ... ] in allen [Punkten] vortrefflich ist, der ist [ ... ] ein verständiger ( i:ppovtµo~, phr6nimos ), vollkommener (TEAELO~, teleios) Mensch und im Besitz aller Tugenden (apEtal, aretai).«15 Zu dieser Haltung zählt auch das Wohlwollen gegenüber den Mitmenschen, wie Isokrates an anderer Stelle am Beispiel seines Lieblingsschülers Timotheus, eines berühmten, doch später von den Athenern zu Unrecht verbannten Generals, darlegt. Er lobt ihn zwar wegen seiner militärischen Erfolge, seiner Milde im Krieg sowie wegen seiner Gradheit und Ehrlichkeit, Eigenschaften, die ihn zu einem guten Strategen gemacht haben, doch tadelt er ihn auch wegen seines Stolzes und fehlender Liebenswürdigkeit bzw. Leutseligkeit in der Öffentlichkeit: »Wenn du [ ... ] deinen Mitbürgern hier gefällst, dann werden sie, was immer du tust, nicht an der Wahrheit messen, sondern zu deinem Vorteil beurteilen [ ... ].Wohlwollen (EUVOLa, eunoia) führt nämlich bei allen zu einer derartigen Einstellung.«16

Gegen die Sophisten 16. Isokrates, Euagoras 11; vgl. dazu W. Jaeger: Paideia. 3 Bde.,Ausg. in einem Bd. (zuerst 1933 ff., ND Berlin, New York 21989) S. 997. 13 Vgl. dazu V. Buchheit: Untersuchungen zur Theorie des Genos epideiktikon von Gorgias bis Aristoteles (München 1960) S.42ff, 76 ff. und S. U sener: Isokrates, Platon und ihr Publikum. Hörer und Leser von Literatur im 4. Jh. v. Chr. (Tübingen 1994). Am Anfang des Panegyrikos (4) heißt es: »Ich habe ferner diejenigen Reden als die besten beurteilt, die die bedeutendsten Gegenstände zum Thema haben sowie die Qualität der Redner am deutlichsten hervortreten lassen und den Zuhörern am meisten nützen.« (Übers. v. Chr. Ley-Hutton: Isokrates, Sämtliche Werke Bd.I: Reden I-VIII (Stuttgart 1993). 14 Den nmmÖEuµEvos als Bildungstypus, der im Hellenismus das agonistische, vornehmlich auf körperliche Ertüchtigung ausgerichtete Erziehungsideal des 6. bis 3. Jh.'s ablöste und große Anziehungskraft für die damaligen Eliten hatte, beschreibt P. Scholz in: Zur Bedeutung von Rede und Rhet. in der hellenistischen Paideia und Politik. In: Chr. Neumeister, W. Raeck (Hg.): Rede und Redner (Möhnsee 2000) S.104ff., llOff. 15 Panathenaikos 30-32, übers. v. Ley-Hutton [5]. 16 Vgl. Antidosis 127-134, Zitat 134, übers. v. Ley-Hutton [5]; zur Timotheus-Charakterisierung vgl. auch Jaeger [12] S.1083 ff. 11

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Gut handeln und als gut erscheinen gehören also zusammen: »Je stärker [ ... ] bei jemandem der Wunsch ausgeprägt ist, seine Zuhörer zu überzeugen«, heißt es in der »Antidosis«, »umso mehr wird er sich darin üben, vortrefflich zu sein und bei seinen Mitbürgern in gutem Ruf zu stehen.«17 Über die enge Verflechtung von Ethos und Ethik in der Rhetorik wird noch zu sprechen sein.18 Ein wichtiges Element der am Gemeinschaftsleben orientierten Ethik ist für Isokrates die Nachahmung der mythischen und geschichtlichen Vorfahren, die den jetzt Lebenden ein sittliches Vorbild bieten. Vor allem die Lobreden zeigen solche Männer. Als ein Beispiel der vollendeten Verbindung von Denken, Reden und Handeln porträtiert er so den verstorbenen König Euagoras von Zypern. Zugleich ermahnt er dessen Sohn Nikokles, dem Vater nachzueifern.19 In seinen späten Reden hat Isokrates auch die berühmten Männer der Geschichte Athens mit in die Reihe der nachahmenswerten Vorbilder einbezogen, und zwar gerade diejenigen, die hervorragende Redner waren und »[unserer] Polis die größten Verdienste erworben haben« wie Kleisthenes, Themistokles und Perikles. Isokrates beginnt in seiner» Antidosis«-Rede die Reihe der illustren und nachahmenswerten Vorfahren schon mit Solon. Jedem der vier rühmt er nach, gerade durch die Beredsamkeit seine Erfolge errungen zu haben, Solon als Schiedsrichter und Gesetzgeber, Kleisthenes als Überwinder der Tyrannis und Begründer der Demokratie, Themistokles als Seele des Widerstands gegen die Perser und Begründer der politischen Machtstellung seiner Vaterstadt sowie Perikles als treibende Kraft bei der Verschönerung Athens durch Bauten.20 In den Kontext der rhetorischen Gesellschaftsethik gehört auch die Stadt Athen, in der Isokrates lebt, als ein Ort kultureller Erziehung. Sie »gilt für alle, die selbst fähige Redner sind oder andere dazu ausbilden können, als Lehrmeisterin [ ... ],«hat Wettbewerbe im Reden mit hohen Preisen ausgesetzt und bietet viele Übungsmöglichkeiten. Außerdem ist man in Griechenland inzwischen der Meinung, »die allgemeine Verbreitung unserer Sprache, die Ausgewogenheit derselben sowie unsere sonstige geistige Beweglichkeit und unsere Liebe für die Sprache würden keinen geringen Beitrag zur Ausbildung der Redekunst leisten.«21 Redner in Athen wird man also nicht mehr nur als Schüler eines einzelnen, sondern gleichsam als Zögling der ganzen Stadt und ihrer Lebensart.22

17 Antidosis 278, übers. v. Ley-Hutton [5] sowie Nikoklcs oder die Zyprioten 7. Siehe dazu Steidle [2] S.267, 272 und J. de Romilly: Eunoia bei Isokrates oder die polit. Bedeutung von Wohlwollen. In: Seck [3] S.261 f. 18 Siehe dazu unten S.219ff. 19 Euagoras 76-81. 20 Antidosis 231, übers. v. Ley-Hutton [5], vgl. auch den Panathenaikos. Zu diesem Aspekt der Nachahmung vgl. K. Jost: Das Beispiel und Vorbild der Vorfahren bei den attischen Rednern und Geschichtsschreibern bis Demosthenes (Paderborn 1936) S.119ff. Staatsmänner und Redner werden bei Platon nicht als Vorbilder genannt, sondern kritisiert, wie Gorgias 503 b f. zeigt. 21 Antidosis 296, übers. v. Lcy-Hutton [5]. 22 Vgl. dazu Chr. Eucken: Tsokrates. Seine Positionen in der Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Philosophen (Berlin. New York 1983) S.165 ff.

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Isokrates hat die Nachahmung auch zum Prinzip seines Rhetorikunterrichts gemacht. Grundlage war die persönliche Beziehung zwischen ihm und seinen Schülern, die ihm die Rolle des Vorbild zuwies: »Die Lehrenden müssen ihren Schülern gewissenhaft Anweisungen geben, die Schüler aber mit Selbstdisziplin bei den ihnen aufgetragenen Aufgaben bleiben«, heißt es in der »Antidosis«.23 Allerdings gab er seinen Schülern wahrscheinlich keine Musterstücke zum Auswendiglernen wie Gorgias und die älteren Lehrer der Rhetorik, da er eine das Reden, Denken und Tun insgesamt umfassende Art der Ausbildung bevorzugte. Doch ging er wohl von realen oder fingierten Situationen des privaten und öffentlichen Lebens aus, um so richtiges Verhalten und Reden einzuüben.24 Die Nachahmungspraxis der von Isokrates und der Sophistik betriebenen Rhetorikausbildung führte im Hellenismus schließlich zur Erstellung der schon erwähnten Listen kanonischer Autoren, die als Muster gelten konnten und aus deren Texten man das für den Unterricht Passende auswählte.

Cicero: Bildung auf allen Wissensgebieten als eklektisches Konstrukt Ciceros Konzeption des idealen Redners muss als Versuch einer eigenständigen Synthetisierung von Technikbeherrschung und Bildungserwerb angesehen werden, die ihm die hellenistische Rhetoriktradition als Vorgaben bot. Seine Idee hat er vor allem in »De oratore« ausgeführt, einem Dialog zwischen mehreren Partnern, die von unterschiedlichen Ausgangspunkten ihr Thema, den orator perfectus oder summus, verus, auch omni laude cumulatusl, beleuchten. Immer wieder wird betont, dass es um die Suche nach diesem Redner geht, der also eigentlich ein unerreichbares Vorbild repräsentiert. Von daher ergänzen, aber auch relativieren sich die angeführten Bestimmungen gegenseitig ständig.2 Vor allem die Positionen von Antonius und Crassus, die in der Generation vor Cicero selber zu den größten Rednern Roms zählten, ringen miteinander. Antonius favorisiert den in praktischen Dingen erfahrenen Mann, der die ihm auf dem Forum gestellten Aufgaben zu lösen weiß (gedacht ist übrigens im ganzen Dialog in erster Linie an

23 Antidosis 188, übers. von Ley-Hutton [5]; vgl. Gegen die Sophisten 18 und Norlin [1] S.XXIX. 24 Stcidlc [2] S.264f.,271L275,282. 1 orator perfectus: Cic. De or. I, 34. 197; II, 33. 298; III, 71; 80; vgl. auch Brut. 120, Or. 55. 61; summus orator: De or. III, 84. 85; verus orator: De or. III, 20, 54; omni laude cumulatus orator: De or. L 20. 118. 2 Zur Suche: De or. I, 118. 202. Zum summus orator als (Platonisches) Ideal vgl. Or. 7-10. Den Gehalt von »De oratore« als Gedankenentwicklung beschreibt M. Fuhrmann in: Die antike Rhet. Eine Einf. (München, Zürich 1984) S. 53 ff. - Cicero orientiert sich übrigens nicht am kontrovcrsdialektischen Modell der Dialoge Platons, sondern am Lehrdialog des Aristoteles, und zwar der Variante des Herakleides Pontikos. Das gilt es trotz platonisierender Reminiszenzen in »De oratore« zu beachten. (Dazu Fuhrmann: Die antike Rhet. S.52f.).

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die forensische, d.h. gerichtliche und politische, kaum jedoch an die epideiktische Redekunst3). »Bei der Ausbildung [des] Redners werde ich[ ... ] so verfahren: Ich mache mir zuvor ein Bild von seiner Leistungsfähigkeit; ich möchte nämlich, daß er ein gewisses Maß an wissenschaftlicher Bildung besitzt, daß er etwas gehört, gelesen und sogar von den [ ... ] Regeln Kenntnis hat. Ich werde prüfen, wie es um sein Stilgefühl bestellt ist, was er mit seiner Stimme, seinem Körper, seinem Atem und seiner Zunge leisten kann. Wenn ich dabei erkenne, daß er zur Meisterschaft gelangen kann, so will ich ihn nicht nur ermahnen, sondern gar beschwören, wenn ich den Eindruck habe, daß er auch ein Ehrenmann (vir bonus) ist. So hoch achte ich die Zierde, die ein hervorragender Redner, der zugleich ein Ehrenmann ist, für den ganzen Staat bedeutet.«4 Dieser Redner ist der disertus; an anderer Stelle wird er auch vulgaris orator (gewöhnlicher, alltäglicher Redner) genannt.5 Antonius zählt also die körperlichen und geistigen Mindestanforderungen auf. Bezeichnend für diese Haltung des Suchens ist die Reserve, mit der er von der möglichen Meisterschaft und der dazu nötigen Anstrengung spricht. Er berührt auch das Problem der Ehrenhaftigkeit, aber zurückhaltend, als ob er sich bewusst ist, dass sie nicht einfach formelhaft vorauszusetzen sei, sondern erst durch Prüfung zu ermitteln ist. Diese Stelle deutet an, dass Ciceros Rednerideal zwar in einem ethischen Bezug steht, aber nicht einfach mit Catos vir bonus gleichzusetzen ist. Obwohl es in die römische vir bonus-Tradition gehört, repräsentiert es mit seiner Integration von persönlicher Moralität und sozialem Ansehen als Kennzeichen des honestum einen bestimmten Typus der Rednerethik, über den noch zu sprechen ist.6 Crassus liefert die Definition des vollkommenen Redners. Das ist derjenige, »der über jedes Thema, das in Worten zu entwickeln ist, sachkundig, wohlgegliedert, wirkungsvoll, aus dem Gedächtnis und mit angemessener Würde des Vortrags reden kann.«7 Hinter diesen Anforderungen steht das Schema der fünf Arbeitsaufgaben des Redners; dabei liegt die Betonung auf der Umsetzung ins Reden selbst. Das zeigt der Vergleich mit dem gewöhnlichen Forumsredner, denn der summus orator wird auch bei gleichen Wissensvoraussetzungen besser reden als jener.8 Doch den »Gipfel des Ruhms« wird unser Redner nicht erreichen, »ohne sämtliche bedeutenden Gebiete und Disziplinen zu beherrschen; denn aus dem Wissen um die Sache muß die Rede in Glanz und Fülle des Ausdrucks erwachsen.«9 Die vollendete Redekunst in diesem Sinne ist also kein sophistisches Virtuosentum,

Vgl. De or. II, 43. 341. De or. IL 85 (Merklin). 5 De or. 1, 94; III, 79; vgl. K. Barwick: Das rednerische Bildungsideal Ciceros (Abh. der sächs. Akad. der Wiss. zu Leipzig, phil.-hist. Kl. Bd.54, H.3, Berlin 1963) Kap. II. 6 Siehe dazu unten S.226ff. 7 De or. 1, 64. 8Vgl.L65. 9 1, 20f. Zu den Wissensvoraussetzungen gehören auch die artes liberales, vgl. 1, 72. 3 4

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wie es etwa in der Ankündigung des Gorgias liegt, über jedes gestellte Thema reden zu können.lü Diese Redekunst stellt zugleich eine der höchsten »Tüchtigkeiten« (virtutes) dar, eine »Kraft« (vis), durch Worte »die Hörer in jede Richtung, zu der man neigt, zu treiben«, weshalb sie auch mit Rechtschaffenheit (probitas) und Klugheit (prudentia) zu verbinden ist.11 Der Umfang der Kenntnisse, die vom idealen Redner erwartet werden, geht daher über die gewöhnliche Allgemeinbildung, wie sie die artes liberales mit ihrem Sprach- und Fachunterricht anboten, weit hinaus und umfasst zusätzlich Philosophie, Geschichte und Recht.12 Daher muss man von einem Redner »dialektischen Scharfsinn verlangen, philosophische Gedanken und eine schon fast dichterische Ausdrucksweise, das Gedächtnis von Juristen, die Stimme von Tragöden und die Gebärdensprache fast der besten unter den Schauspielern.«13 Die Integration aller Wissensgebiete bis zur Vollkommenheit gelingt dem Redner nicht ohne intensives Lernen und Üben, ohne harte Arbeit an sich selbst. Crassus betont daher die Rolle des studium in der Ausbildung. Allerdings ist die natürliche Anlage des künftigen Redners (ingenium) noch wichtiger; sie ist die Bedingung für alles.14 Mit diesen Ansichten bleibt Cicero im Rahmen der Schulrhetorik. Die Orientierung am Regelsystem der ars hält er dagegen für zweitrangig. Deren Kenntnis gehört zwar für ihn zu einer guten Ausbildung; die Vorschriften zeigen jedoch eine gewisse Feme von der Praxis der rednerischen Aufgaben, denen die rhetorische Systematik oft gar nicht gerecht werden kann. Das ingenium ist also nicht nur natürliche Voraussetzung der ars, sondern steht auch als sozusagen ingeniöse Instanz, als Talent zur Kombination und Anwendung der Regeln über dem Schulwissen. Es geht ihr, wie Cicero erklärt, auch genetisch voraus, denn »nicht die Beredsamkeit [ist] aus einem theoretischen System, sondern das theoretische System aus der Beredsamkeit entstanden.«15 Cicero selbst hat seine eigenen Reden nur in der Frühzeit nach den Lehren der Schulrhetorik verfasst, später aber das Schema nach seinen Bedürfnissen abgewandelt.16 Der Vorrang des ingenium vor der ars zeigt einen weiteren Aspekt rhetorischer Subjektivität neben den schon von der griechischen Rhetorik beschriebenen Merkmalen. Die Forderung nach souveräner Verfügung über die Kunstvorschriften berührt sich mit der Ansicht des Aristoteles, den guten

10 Vgl. I, 102ff.; siehe dazu oben S.43 sowie A. D. Leeman, H. Pinkster: Kommentar zu M. T. Cicero: De oratore libri III, Bd. l (Heidelberg 1981) S. 58 f. 11 III, 55. 12 Dazu Leeman, Pinkster [10] S.37-41. Zum Verhältnis von Recht und Rhetorik bei Cicero vgl. M. Fuhrmann: Redekunst am Beispiel Ciceros. Voraussetzungen, Mittel, Ziele (Stuttgart 1997) Kap. III, IV. 13 De or. l, 128. 14 Studium: L 134; ingenium: I, 113ff.; exercitatio: I, 148ff. Vgl. dazu auch Barwick [5] S.8f. is De or I, 146. 16 1, 108f.114ff.137.146; III, 52ff. Vgl. dazu Barwick [5] ebd.: Leeman. Pinkster [10] S.38f. sowie M. L. Clarke: Rhet. at Rome.A Historical Survey (London 21962) Kap. VI.

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Redner zeichne es aus, das Überzeugende an jeder Sache herauszufinden, und mit der Bedeutung des Rednerwillens im Persuasionsprozess.17 Das Bild der Suche nach dem idealen Redner, die in »De oratore« immer wieder beschworen wird, zeigt die Bemühung der Dialogpartner im Umgang mit ihrem Gegenstand und liefert zugleich den Schlüssel zum Verständnis dieses Ideals als eines eklektischen Konstrukts. Der Eklektizismus selbst ist eine Suchbewegung, und der junge Cicero hat sie in »De inventione« charakterisiert und legitimiert: »Da es ja auch mein Wille war, ein Lehrbuch der Rhetorik zu schreiben«, heißt es zu Anfang des 2. Buches, »habe ich nicht irgendein einzelnes beispielhaftes Werk vorgeführt [ ... ], sondern ich brachte alle Schriftsteller an einem Ort zusammen, und was ein jeder am zweckmäßigsten vorzuschreiben schien, habe ich herausgenommen und aus vielen Geistern das jeweils Vorzüglichste entlehnt.«18 Dabei geht Cicero, wie er selbst sagt, sehr überlegt ans Werk, in »zweifelnder Prüfung«, um bei seinem Ziel der »zweckmäßigen Darstellung« nichts ohne Überlegung zu übernehmen.19 Prüfung bzw. Beurteilung und Darstellung sind auch Schlüsselbegriffe20 bei der Integration aller Wissensgebiete für die Zwecke des vollkommenen Redners. Die Beurteilung zielt auf die Auswahl des Geeigneten, die Darstellung auf die Darstellbarkeit für die Zwecke rhetorischer Wirkung. Schon im normalen Betrieb des Forums muss man sich, um überzeugend zu sein, in der Rede »auf das beschränken, was in der allgemeinen Praxis der Politik und der Gerichte eine Rolle spielt [ ... ]«21, und auch in der Philosophie, die ja vor allem zum Bild des summus orator gehört, geht es nur um Kenntnisse für die rhetorischen Bildungs- und Handlungsziele, nicht etwa um den Studienaufwand und das vollständige Wissen von einem Sachbereich, den der beruflich praktizierende Philosoph benötigt. Antonius ist der Auffassung, der Redner müsse die praktischen Bedürfnisse der Bürger und die menschlichen Gepflogenheiten kennen, »wenn schon nicht in der Weise, daß er wie die Philosophen im einzelnen darüber Auskunft gibt, so doch wenigstens in dem Umfang, daß er es vernünftig in die Behandlung seines Falles einflechten kann.« Und Crassus sagt: »Ich suche aber nun nicht die Philosophie, die der Wahrheit am nächsten kommt, sondern die, die dem Redner am nächsten steht.«22 Vor diesem

Siehe dazu oben S.55f. und unten S.167f. Cie. De inv. II, 4 (Nüßlein). 19 Ebd. II, 10. 20 Zu Prüfung und Beurteilung als Schlüsselbegriffen des Eklektizismus vgl. G. Hartung: Art. »Eklektizismus«, in: HWRh Bd.II, insbes. Sp. 986,989. Zum Eklektizismus in Ciceros »De inventione« und »De oratore« vgl. J. Manfal: Untersuchungen zum Begriff der Philos. bei M. Tullius Cicero (München 1982) S.23ff., 184ff., 189ff. 21 De or. I, 260. 22 Ebd. II, 68; III, 64. Dazu passt auch die positive Wertung der Meinungen der Zuhörer und die Abgrenzung gegen das philosophische Verlangen nach wissenschaftlich genauer Definition (I, 222f.; II, 30). In dieser Auffassung von der Philosophie spiegelt sich Ciceros eigene Position, welche die vielfachen Annäherungen zwischen Rhetorik und Philosophie im Hellenismus mitvollzog. sich aber für einen maßvollen philosophischen Skeptizismus entschied und aus den Systemen das 17

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Hintergrund bezeichnet der vollkommene Redner als Idee im Sinne Platons, von dem Cicero im »Orator« spricht23, wirklich nur ein fast nicht erreichbares Leitbild, aber kein »Urbild« im strengen, prinzipiellen Sinne, das von der realen Welt getrennt ist.24 Platonische Philosophie ist keine eklektische, sondern systematisch entwickelnde Wissenschaft.25 Ciceros Philosophiebegriff verweist dagegen auf die Sophisten, die nach Cassirer sich von verschiedenen Richtungen die gedanklichen Hilfsmittel aneigneten, welche sie benötigten, und die deshalb Bestandteile aus den Theorien insbesondere von Heraklit, Parmenides und Empedokles für ihre Zwecke auswählten.26 Auch Cicero ist bei der Konzeption seines Rednerideals eklektisch verfahren, indem er nach eigenem Bekunden Einflüsse von Aristoteles und Isokrates aufnahm. Aristotelisch ist die Argumentationslehre in »De oratore«, doch ohne dass Cicero den rein technischen Charakter der Rhetorik von Aristoteles übernommen hätte, isokrateisch der Bildungsgedanke und die Forderung nach politisch-praktischer Bewährung der Redekunst. In Ciceros Rednerideal sind eigentlich Redner und Dialektiker verbunden, wenn man daran denkt, dass er vom Redner auch das »Nach-zwei-Seiten-Argumentieren« fordert27, wiederum ein Beleg für die sophistischen Ursprünge seines Entwurfs. Eklektisches Verhalten prägt nach Ciceros Meinung ebenfalls das ästhetische Verfahren des Redners, sein Spezialgebiet: »eine wirkungsvolle, schöne, dem Geschmack und dem Empfinden des Menschen angepaßte Sprache.«28 Diese kann nur durch eine der jeweiligen Situation und dem Wirkungsziel entsprechende Mischung der Redestile entstehen, wie Cicero in seiner Kritik an den Attizisten betont. »Der ist jener [gesuchte ideale] Redner«, schreibt er im »Orator«, »der das

auswählte. was in ihr eigenes Konzept passte. Vgl. dazu 0. Gigon: Cicero und die griech. Philos. In: H. Temporini (Hg.): Aufstieg und Niedergang der röm. Welt Bd.I, 4 (Berlin, New York 1973) S.233, 237, 241 sowie G. Gawlik, W. Görler: Cicero, in: Grundriß der Gesch. der Philos., begründet v. F. Ueberweg. Die Philos. der Antike, Bd.4: Die hellenistische Philos„ hg. v. H. Flashar (Basel 1994) S.1095ff. und »De officiis« I, 6. Im Dialog »Lucullus« sagt Cicero von sich (66): »Ich für meine Person bin allerdings ein großer Meinender [magnus opinator] (ich bin nämlich kein Weiser),[ ... ], ich richte mich nach Überlegungen, die großräumiger vorgehen, und nicht nach solchen, die genau ausgearbeitet sind.« (M. T. Cicero: Hortensius, Lucullus, Academici libri. Lat.-dt., hg., übers. u. komm. v. L. Straume-Zimmermann, F. Broemser und 0. Gigon (Darmstadt 1990). 23 Cic. Or. 10, vg. 7 ff„ 101. 24 Zu Cicero und Platon vgl. Leeman, Pinkster [10] S.65ff. 25 Gigon [22] bezeichnet Platons Philosophie als dogmatisch und aporetisch (S.232). Das schließt den Eklektizismus aus. 26 E. Cassirer: Die Philos. der Griechen von den Anfängen bis Platon. In: M. Dessoir (Hg.): Lehrbuch der Philos. Bd.1: Die Gesch. der Philos. (Berlin 1925) S. 77. 27 Vgl. Cicero, Ad familiares I, 9. 23: dazu Leeman. Pinkster [10] Bd. l S.42 und 60-65; Barwick [5] S.35-42 sowie H.M. Hubbeil: The Infiuence of Isocrates on Cicero, Dionysius and Aristides (New Haven, London 1914). Cicero hat wahrscheinlich die Rhetorik des Aristoteles gekannt und vieles davon direkt übernommen. Das »nach zwei Seiten Argumentieren« hat er in der Akademie gelernt. Vgl. A. D. Leeman, H. Pinkster: Kommentar zu M. T. Cicero, De oratore libri III, Bd.l (Heidelberg 1981) S.124. 28 De or I, 54.

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Gewöhnliche einfach, das Erhabene großartig und das in der Mitte Liegende in rechter Mischung zu formulieren vermag.« »Entschieden abzulehnen« dagegen ist der, welcher sich, wie die Attizisten fordern, nur in einer einzigen Stillage bewegt und »seine Fülle nicht durch jene beiden anderen Stilarten nuanciert [ ... ].«29 Für die Nachahmung der Musterautoren bedeutet das: zum Wissen um die rechte Mischung muss die Auswahl unter den Besten kommen. Dabei entsteht für Cicero das Problem der Priorität: Wie soll man sich zu den griechischen Lehrmeistern verhalten, obwohl es doch auch große römische Redner gibt?30 Da es ihm um den Nachweis der Gleichwertigkeit von Griechen und Römern geht, entscheidet er sich für eine doppelte stilistische Ahnenreihe. Als Muster gelten ihm in »De oratore« von den Griechen unter anderem Perikles, Lysias, Isokrates, Demosthenes und Aischines.31 Im etwas später entstanden »Brutus«, seiner Geschichte der römischen Beredsamkeit, präsentiert Cicero eine weitere Auswahl von griechischen Rednern, um diesen dann die römischen Redner, besonders die herausragenden, gegenüberzustellen, darunter Cato, Servius Galba, die beiden Gracchen, Caius Carbo und vor allem Antonius und Crassus, die Hauptfiguren von »De oratore«, »denen es zum ersten Mal gelungen ist, daß die Fülle der lateinischen Sprache dem Ruhm der Griechen gleichkam.«32 Cicero bietet mit diesen beiden Gruppen vorbildlicher Redner keinen festen Kanon, sondern so etwas wie eine erste literaturhistorische Behandlung griechischer und römischer Redekunst.33 Dennoch waren ihm sicher von der rhetorischen Ausbildung her die hellenistischen Kanonlisten vertraut. Die ersten überlieferten Listen tauchten im griechischen und römischen Schrifttum aber erst in der Zeit nach Cicero auf.34 Synthetisierung als wichtiges Merkmal eklektischen Verhaltens kennzeichnet überhaupt die kulturelle Dimension von Ciceros Rednerideal, und es ist gerade die Trennung wichtiger Faktoren, die er kritisiert. Schon der oben dargestellte menschliche Kultivationsvorgang, in dem die zivilisierende Rede die wichtigste Rolle spielt, zeigt das. Scaevola erhebt gegen Crassus, der die These von der kultur-

Cic. Or. 99 f. 30 De or. 1, 23; vgl. Brut. 26. Das Problem der Gleichwertigkeit von Griechen und Römern erörtert Cicero besonders in den Einleitungen seiner philosophischen Schriften, die nach den rhetorischen entstanden sind, so in »De finibus«, »Tusculanae disputationes« und »De officiis«. In »De officiis« kommt er auch auf die Redekunst zu sprechen. Zum ganzen Problem vgl. M. Fuhrmann: Die röm. Lit. In: dcrs. (Hg.): Röm. Lit., Bd.3 des Neuen Hb. der Litcraturwiss., hg. v. K. von Sec (Frankfurt/M.1974) S.12ff. sowie B. Bauer: Art. »Aemulatio« in: HWRh Bd.I, Sp.144-149. 31 De or. II, 93 ff. 32 Brut.138. Zum iudicium hier vgl. Nachwort von Kytzlcr in: Cicero, Orator, lat.-dt. übers. und komm. von B. Kytzler (Darmstadt 21980) S.227. 33 Vgl. K. Heldmann: Antike Theorien über Entwicklung und Verfall der Redekunst (München 1982) S.132f. 34 Heldmann [33] S.137, 143f.; vgl. auch E. A. Schmidt: Historische Typologie der Orientierungsfunktionen von Kanon in der griech. und röm. Lit. In: A. u. J. Assmann (Hg.): Kanon und Zensur. Archäologie der lit. Kommunikation, Ed.II (München 1987) S.247 ff. 29

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stiftenden Funktion der Rede vorträgt, den Einwand, nicht das gesprochene Wort, sondern der »Rat kluger Männer« hätte die Menschen aus Bergen und Wäldern gelockt und in Städten versammelt.35 Doch die Pointe von Crassus' Argument besteht gerade darin, dass kluge Gedanken nicht genügen, sondern die Rede dazu kommen muss, um ihnen Wirkung zu verleihen. Bezogen auf das Rednerideal heißt das: Weisheit kann ohne Beredsamkeit nicht wirken, sapientia und eloquentia gehören zusammen; diese verhilft jener zur Realisierung, jene begrenzt diese in ihrem Wirkungsanspruch und verhindert den persuasiven Missbrauch zum persönlichen Machtgewinn. Erst die Verbindung von beidem bringt die ethische Dimension der menschlichen Kultur hervor, ein Aspekt, dessen Wichtigkeit Cicero ausführlich in der langen Erörterung der Konsequenzen darlegt, die sich aus der falschen Trennung von Philosophie und Rhetorik seit Sokrates ergeben haben.36 Die Eklektik gehört also zu den Verfahrensweisen des Ciceronischen Kulturbegriffs; sie erst führt Erziehung, Ethik und Ästhetik im Leitbild des idealen Redners zusammen. Die »Kultur des Redners« lässt sich in diesem Sinne als humanitas verstehen, als »allseitige menschliche Bildung«, wie es in »De oratore« heißt.37 Durch das umgreifende Kulturmoment ist hier »Bildung« also mehr als »Erziehung«, sie ist Formung der Menschennatur, die verschiedene Dimensionen vereinigt. Dieser integrative Aspekt der Ciceronischen Kultivationslehre ist bei Bittner nicht berücksichtigt. Ciceros Bildungstheorie erscheint bei ihm eher als Summe von Erziehungsmaßnahmen, die in der humanitas kulminieren, ohne dass diese auf die Kulturlehre als einheitlichen Boden von Ethik, Ästhetik und Erziehung gegründet würde. Der Begriff der Menschlichkeit bleibt bei Bittner so in gewisser Hinsicht leer, da die Natur nicht als kultivierte wiederkehrt.38

Exkurs 1: Die Kennzeichen des großen Redners im literarischen Porträt Redner, die als kanonisch galten oder überhaupt berühmt waren, konnten im Altertum auch Gegenstand literarischer Darstellung werden, eine Tatsache, die die Vorstellung von dem, was einen vollkommenen Redner ausmachte, nicht nur in der Schultradition, sondern auch in der gebildeten Öffentlichkeit wachhielt. Die Rednerdarstellung in der Form der Charakterschilderung (Ethopoiie) war ein beliebtes Mittel der Rede selbst zur Kennzeichnung von Freund und Feind; man denke nur an das Bild, das Demosthenes und Aischines gegenseitig von sich und dem Gegner entwarfen. Die Ethopoiie mit ihrer affektischen Wirkung zählte zu den Vor-

De or 1, 35f. Ebd. IIL 59 ff. 31 Ebd. L 71. 38 Vgl. S. Bittner: Ciceros Rhet. - Eine Bildungstheorie (Frechen 1999) Kap. 2. Der Bildungsbegriff wird schon in der Einleitung nicht mit dem der Kultur in Verbindung gebracht (vgl. S.54ff.). 35

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übungen (Progymnasmata) des rhetorischen Unterrichts.1 Rednerporträts hatte es schon in der griechischen Literatur gegeben2, etwa in der Geschichtsschreibung bei Herodot (Themistokles z.B.) oder Thukydides (Perikles) oder auch in der Philosophie (z.B. Schilderungen der Sophisten Protagoras und Gorgias und ihres Gegners Sokrates in den Dialogen Platons). Die römischen Geschichtsschreiber ließen in ihren Werken ebenfalls Redner auftreten und charakterisierten sie direkt oder indirekt (z.B. Tacitus). Seneca der Ältere lieferte Rednerporträts in den Vorworten seiner »Controversiae«, der jüngere Plinius in den Personenschilderungen seiner Briefe. Die Ansprachen großer Redner dienten in der historischen Literatur zur Illustration oder auch Interpretation des Geschehens; die Reden konnten als Belege der Geschichtsmächtigkeit ihres Handelns gelten. Das strategisch angelegte, persuasive Agieren des Redners zur Bewältigung der Situation fand ihren (emphatisch gesteigerten) Ausdruck in einer militärischen Darstellungsmetaphorik. Gorgias bezeichnete bei Platon die Redekunst als Kampfart.3 Cicero sprach vom Forum als »offener Feldschlacht« und von der wirksamen Rede als »energischem, tüchtigem Feldherrn (imperator), der »nicht nur den Wankenden vollends gewinnen oder den Stehenden ins Wanken bringen kann, sondern auch den Ablehnenden und Widerstrebenden [ ... ] zu bezwingen weiß.«4 Für Quintilian war die Kunst das »Rüstzeug« (instrumenta), das der Redner »als Waffen zur Hand haben [muß], mit ihrer Kenntnis gegürtet«, denn die Tüchtigkeit des Redners ist wie »die des Feldherrn im Kampf (imperatoria virtus), der seine Streitkräfte teils für den Fall, daß es zum Schlagen kommt, bei sich behält, teils sie zur Verteidigung auf die Kastelle oder zur Garnison in die Städte, zur Beschaffung des Nachschubs, zur Sicherung der Marschwege und schließlich auf Wasser und Land verteilt.«5 Die militärische Konnotation bei der Vorstellung des rednerischen Handelns blieb bis in die allegorische Darstellung der Redekunst erhalten. Der spätantike Autor Martianus Capella charakterisiert in seinem Werk »De nuptiis Philologiae et Mercurii«, aus dem das Mittelalter seine Kenntnisse über die antiken sieben freien Künste (artes liberales) bezog, die Rhetorica als eine Frau von imponierender Größe, starkem Selbstvertrauen und außerordentlicher Schönheit. »[S]ie trug einen Helm[ ... ], die Waffen in der Hand, mit denen sie gewohnt war, sich entweder selbst zu verteidigen oder ihre Feinde zu verwunden. Die Waffen glänzten in einem Feuer von Blitzen.« 0

1 Vgl. G. Naschcrt:Art. »Ethopocia« in HWRh Bd.II. Im übrigen waren Porträt und Charakterschilderung natürlich vor allem Aufgabe der Lobrede. 2 Vgl. I. Bruns: Das lit. Portrait der Griechen im 5. und 4. Jh. v. Christi Geburt (Berlin 1896). Bruns erwähnt auch die Alte Komödie als Quelle von Rednerportraits etwa durch die Darstellung von Politikern (z.B. Kleon). 3 Platon, Gorgias 455c. 4 Cic. De or I, 147; II, 187. Auch Tacitus spricht im »Dialogus de oratoribus« (32) vom Redner. der sich auf das Forum begibt wie in die »Schlacht«. 5 Quintilian XII, 5. l; VII, 10, 13. auch etwa XII, 3, 5. 9, 2. 6 Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii, Buch V: De rhetorica 426,15 f.

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Porträts großer Redner liefert vor allem Cicero in seinem »Brutus«, einer Geschichte der römischen Redekunst, die bei ihm selbst als Höhepunkt endet.7 Biographisches referiert er darin bloß als Anschauungsmaterial für Fragen der rednerischen Qualität. Was ihn interessiert, hat er in »De optimo genere oratorum«, der Einleitung zu einer nicht fertiggestellten Übersetzung von Demosthenes' und Aischines' Reden zum Streit über die Kranzverleihung, so beschrieben: »In der Sache der Kunst nämlich sucht man, was das Beste sein könnte, beim Menschen sagt man, was tatsächlich da ist.«8 Behandelt werden gute wie schlechte Redner, die noch wie Cato in Zeiten vor der Einführung einer technisch ausgereiften Redekunst lebten. Qualitätskriterium ist der Publikumserfolg, bei der Darstellung der artifiziellen Beredsamkeit auch die Erfüllung der drei Wirkungspflichten docere, delectare und movere, die Beachtung der fünf rednerischen Arbeitsaufgaben (insbesondere von elocutio und actio) sowie der Grad von ingenium, exercitatio und der Beherrschung der ars.9 Medium der Darstellung sind rhetorische Kritik und Urteil (iudicium, existimatio ). Diese Mittel muss der Redner - wie Cicero im »Orator«, einer nach dem Brutus verfassten stiltheoretischen Abhandlung, betont - zunächst einmal zur Kontrolle des eigenen rhetorischen Handelns gebrauchen, will er den rednerischen Erfolg wirklich erreichen. Doch zugleich lässt sich die Kritik nach außen einsetzen, wenn es gilt, die hervorragendsten unter den Rednern zu finden. »Der Redner nämlich, der so spricht, daß er der Menge gefällt«, sagt Cicero im »Brutus«, »muß notwendigerweise auch den Fachleuten gefallen.« Dabei bemerken die meisten Hörer nur die Wirkung, der Fachmann aber auch deren Ursachen.lü Das wichtigste Kriterium rednerischer Qualität ist der Publikumserfolg durch den Vortrag. Cicero schildert den Auftritt des großen Redner auf dem Forum wie auf einer Bühne: »Das aber ist es, was ich meinem Redner wünsche: Wenn man hört, er werde sprechen, dann wird der Platz auf den Bänken im voraus besetzt, [ ... ] der Kreis der Interessierten ist bunt und vielfältig, der Richter gespannt. Wenn jener sich erhebt und zu sprechen ansetzt, gibt man sich im Kreis Zeichen zur Stille.

7 Zu Ciceros - übrigens auch politisch begründeten - Motiven vgl. C. Rathofer: Ciceros »Brutus« als lit. Paradigma eines Auctoritas-Verhältnisses (Frankfurt/M. 1986); zur Frage der Vollständigkeit der geschichtlichen Darstellung W. Suerbaum: Fehlende Redner in Ciceros »Brutus« ? In: B. Czapla, T. Lehmann. S.Liell (Hg.): Vir bonus dicendi peritus. FS für A. Weische (Wiesbaden 1997) S.406-419. Die verschiedenen politisch-gesellschaftlichen Facetten des von Cicero selbst repräsentierten Rednerideals zeigt M. Fuhrmann in: Cicero und die röm. Republik. Eine Biographie (München, Zürich 1989). 8 Cicero, De optimo genere oratorum I, 2. 9 Rathofer [7] S.179ff., 184ff. Die Beachtung der imitatio hat dabei nur wenig Gewicht (S.189f.). 10 Vgl. Brut., 183f, 188 Kytzler hier wie im Folgenden. Ebd. 200, 252: existumator; Or. 3: iudicare; 112: existimator; 117: iudex; 237: iudicium; alles im literaturkritischen Sinn gebraucht. S. auch B. Kytzlcr, Nachwort zu: Cicero. Orator. lat.-dt., übers. u. komm. v. B. Kytzlcr (Darmstadt 21980) S.227. Vgl. auch Or. 70 f. Literarische Kritik von Dichtwerken scheint als erster der Sophist Protagoras betrieben zu haben; vgl. Platon. Protagoras 339 a. Siehe auch P. Shorey: umc:;, MEAEein Ehrenmann, der reden kann< - unbedingt jedoch das, was in Catos Definition am Anfang steht und auch seinem Wesen nach das Wichtigere und Größere ist: ein Ehrenmann.«20 Quintilian plädiert mit seiner Vorstellung vom vir bonus dicendi peritus für eine Verschmelzung von catonischem und ciceronischem Rednerideal, wobei der Hinweis auf Cato die Vorstellung von altrömischer Tugendhaftigkeit wachruft, von der virtus, gravitas und auctoritas des patronus, eines Mannes »von echtem Bürgersinn und Eignung für die gemeinsamen und persönlichen Verwaltungsaufgaben, der die Städte durch sein Wort im Rat lenken, durch die Gesetzgebung begründen, durch seine Entscheidungen vor Gericht verbessern kann [ ... ].«21 Dieses Leitbild entspricht allerdings dem Redner der republikanischen Zeit, der im Senat, in der Volksversammlung und vor Gericht auftrat. Die Erziehung des idealen Forumsredners ist auch das Ziel der »lnstitutio«22, wieder ein Zeichen für

S.194f. Zum eloquens siehe W. Neuhauser: Patronus und Orator (Innsbruck 1958). Zur Gräzisierung der römischen Rhetorik vgl. R. L. Enos: Roman Rhet. Revolution and the Greek lnfluence (Prospcct Hcights. Ill. 1995). 18 Zur römischen Deklamation vgl. G. A. Kennedy:The Art of Rhet. in the Roman World (Princeton, N.J. 1972) S.312ff. 19 Quintilian L pracf. 9; II.15, 2. 20 XII, 1, 1. 21 I, praef. 10. Zum patronus siehe unten S.211 ff. Auch stoische Elemente wirken in Quintilians Rcdncridcal nach. Vgl. A. Walzer: Quintilian's vir bonus and thc Stoic Wisc Man. In: Rhctoric Society Quarterly 33 (2003) S.24-41. 22 IV, praef. 6: XII. 6, 6. Quintilian vergisst jedoch auch nicht die Lob- und Beratungsrede, vgl. III, 7f.

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Teil B · Bildung und Kultur

Quintilians Traditionalismus, denn die reale Valenz dieses Rednerideals hat mit der Wirklichkeit der Kaiserzeit, als Quintilian lebte und als der politische Handlungsspielraum des Individuums stark eingeschränkt war, kaum noch etwas gemein. Der moralische Anspruch, den er darin zum Ausdruck bringt, richtet sich wahrscheinlich gegen das Treiben der delatores zu seiner Zeit. Viele Redner sahen damals die Chance, durch Denunziation und Anklagen zu Macht und Reichtum zu gelangen, was ihrem öffentlichen Ansehen sehr schadete und die Rhetorik zu einem bloßen Instrument für eigennützige Zwecke herabwürdigte.23 Interessanterweise beruft sich Quintilian nicht wie Cicero - etwa am Anfang von »De inventione«24 - auf eine konkrete Persönlichkeit der Vorfahren als sittliches Gegenbild, sondern auf eine tradierte altrömische Lebensform, über die noch genauer im Ethik-Abschnitt (zum vir bonus) gehandelt wird. Diese Lebensform ist für seine pädagogisch-praktischen Ziele wohl auch greifbarer als der bei Cicero in ethischen Fragen fast stets zu findende Hinweis auf die Philosophie. Zwar zählt für Quintilian die Kenntnis der Philosophie (Ethik, Dialektik, Physik) ebenfalls zu den Merkmalen der Perfektion, denn sie bietet dem Redner das Fundament für eine sittliche Lebensführung und gewährleistet die Verbindung von Weisheit und Redekunst im Sinne Ciceros. Allerdings muss die Philosophie mit dem praktischen Leben verbunden bleiben. Eine rein kontemplative Beschäftigung mit philosophischen Fragen, wie Cicero sie in späteren Lebensjahren betrieb, lehnt Quintilian für den Redner ab; sie widerspricht seiner typisch römischen, an der Wirklichkeitsbewältigung orientierten Lebensauffassung. Dazu passt auch seine Kritik an der verstiegenen und weltfremden Debattiersucht der Philosophenschulen, ein Reflex der alten Rivalität zwischen Rednern und Philosophen im Kampf um die Jugendbildung.25

b) Christliche Spätantike

Augustinus: Klerikale Bildung, Demut, Einfachheit Die spätantike Umprägung des klassischen, auf der Nachahmung der Schulautoren beruhenden Rednerideals für die Zwecke der christlichen Verkündigung zeigt sich am deutlichsten bei Augustinus. Es geht ihm nicht mehr um das universale Bildungsideal Ciceronischer Provenienz, das in der römischen Kaiserzeit allmählich auch die Rednerschulen bestimmt hatte, sondern um eine sich auf die Bibel stützende christliche Bildung. Der kaiserzeitliche Redner orientierte sich damals zwar noch an der Ciceronischen Bildungsvorstellung, agierte aber längst nicht mehr als

23 Siehe dazu M. Winterbottom: Quintilian and the »Vir bonus«. In: Journal of Roman Studies. vol. 54 (1964) S.90-97. 24 Vgl. in 1, 5 Cato. Laelius, Scipio Africanus. 2s XII, 2, 6ff., dazu Rahn [6] S.822ff.

IV. Rednerideal als Idealtypus

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Forumsredner wie in den Zeiten der Republik, sondern betätigte sich in der politischen Öffentlichkeit vor allem als Lob- und Prunkredner, da die Lenkung der Staatsgeschäfte allein in der Hand des Kaisers lag.1 Die epideiktische Zielrichtung hatte die Rede zudem stark literarisiert, was zu einem dominierenden Einfluss schriftlicher Gestaltungsformen führte. Für den Redner ging es damit nicht nur um Beredsamkeit im Sinne der Sprachkunst, sondern auch um Kenntnisse, die er sich aneignen musste, um dem herrschenden Geschmack seiner Zeit zu entsprechen. Eloquenz und auf Bildung beruhende Gelehrsamkeit charakterisierten vor allem die Redner der zweiten Sophistik.2 Bis zu seiner Bekehrung zum Christentum war Augustinus selber ein Vertreter dieses Rednertypus gewesen. Danach hatte er sich zunächst von der Redekunst abgewandt, schließlich aber infolge der Übernahme des Bischofsamtes, in dem er auch predigen musste, seine Meinung geändert. Er sah ein, dass die Rhetorik ein wichtiges Mittel zur Verkündigung des Evangeliums war und auch eine Hilfe zur Ausbildung von Predigern bot.3 Dazu wertete er, wie insbesondere das vierte Buch der »Doctrina christiana« zeigt, das tradierte Rednerideal um, indem er die literarische Bildung der Schulrhetorik ablehnte, die philosophische Ausrichtung des Ciceronianismus aber unter christlichen Vorzeichen übernahm und um Kenntnisse aus dem Bereich des weltlichen und geistlichen Wissens (scientia) ergänzte. Dieses Wissen umfasste alles, was dem Prediger zur Bewältigung seiner Aufgabe nützlich war, vor allem die Vertrautheit mit der Bibel, dann auch mit der kirchlichen Tradition und dem, was den gesamten Bereich der kirchlichen Tätigkeit anging.4 Die Bibelkenntnis und -auslegung als Basis der öffentlichen Tätigkeit des Predigers veranlasst Augustinus dazu, ihn eher »Erklärer« (tractator) und »Lehrer« (doctor) zu nennen als »Redner« (orator) im traditionellen Sinne.s »Aufgabe des Erklärers und Lehrers der [heiligen] Schriften«, heißt es in der »Doctrina«, »des Verteidigers des rechten Glaubens und des Bekämpfers des Irrtums ist es, das Gute zu lehren und vor dem Bösen zu warnen. Da dies der Zweck seiner Rede ist, so muß er die Gegner gewinnen, die Schlaffen aufrütteln und den Unwissenden einschärfen, worum es sich handelt und was sie erwarten sollen.«6 Seine Aufgabe erlernt der christliche Redner am schnellsten durch Nachahmung der Reden und Schrif-

l H.-I. Marrou: Augustinus und das Ende der antiken Bildung (Paderborn u.a. 1982) S. 78. 2 Marrou [1] S.78ff., 93;Th. Schmitz: Bildung und Macht. Zur sozialen und politischen Funktion der zweiten Sophistik in der griech. Welt der Kaiserzeit. (München 1997) S.39ff. 3 Vgl. Aug. Doctr. IV, 2, 3. 4 Marrou [1] S.292, 296, 318ff. s Orator bedeutet in der »Doctrina christiana« jetzt auch »Beter«. Siehe dazu B. Herrmann O.S.B: Zur Wortbedeutung von orator im Frühma. In: Studien und Mitteilungen zur Gesch. des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, Neue Folge Bd.16, der ganzen Reihe Bd.47 (1929) S.367 (Beleg: Doctr. IV.15, 32) sowie K. Pollmann: Doctrina christiana (Freiburg, Schweiz 1996) S.230. 6 Doctr. IV, 4, 6. Dt. Übers. der »Doctrina christiana« hier wie auch sonst: Vier Bücher über die christliche Lehre aus dem Lat. übers. u. eingel. v. Pater S. Mitterer (München 21925) S.165. Mitterer verdeutscht tractator mit »Erforscher«, ich habe hier »Erklärer« übersetzt.

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ten »beredter Männer«, insbesondere der biblischen Autoren. Eine schulgerechte Ausbildung in der rhetorischen Kunstlehre ist dazu nicht unbedingt nötig, denn die wichtigste Voraussetzung ist überhaupt die natürliche Anlage zur Beredsamkeit.7 Da es für den Prediger primär um Schrifterklärung und -auslegung geht, spielt er faktisch die Rolle des grammaticus im römischen Schulunterricht, des Erklärers der kanonischen Schriften, wogegen die tradierte Aufgabe des Redners, überzeugend mit den ihm zur Verfügung stehenden rednerischen Mitteln zu sprechen, nur noch in reduzierter Form aufgenommen wird.S Seine Aufgabe, »das Gute zu lehren und vor dem Bösen zu warnen«, vermag er zwar am besten mit einem untadeligen und vorbildlichen Lebenswandel zu lösen, aber er muss nicht unbedingt ein vir bonus sein. Denn: es »kann auch die Wahrheit mit Unwahrheit verkündet, das heißt mit einem verkehrten und falschen Herzen das Rechte und Wahre verkündet werden.«9 Der christliche Redner wird damit im Dienst der Verkündigung mediatisiert. Als artifex ist er gewissermaßen ein Kunstmittel in der Hand Gottes und seines sogar den Widerstand des Bösen überwindenden Heilsweges; Lebensführung und guter Charakter als Merkmale des vir bonus werden für den Redner unter diesem Aspekt in der Tat sekundär.! o Zugleich wird die schon in der griechischen und römischen Kulturtheorie bekannte sittliche Wirkung des gesprochenen Worts im Rahmen der religiösen Verkündigung aufgenommen und noch verstärkt.11 In dieser Konzentration des Predigers auf biblische und klerikale Belange ist für einen Eklektizismus Ciceronischer Prägung, der sich aus verschiedenen Denkrichtungen das Passende mit dem Ziel universaler Bildung und größtmöglicher Kunststeigerung zusammensucht, kein Platz. In die gleiche Richtung weist die Beschäftigung mit der Philosophie, die Augustinus vor allem den Christen, die eine höhere Bildung genossen haben, empfiehlt. Philosophie ist ihm jene Weisheit (sapientia), die nach Erkenntnis der Wahrheit strebt, um in den Besitz des Wissens zu gelangen, das zur Glückseligkeit und damit zum Glauben führt. Hilfreich ist dabei das Studium Platons und Platins, wie er in einem Brief an einen jungen Griechen darlegt; alles andere zieht nur den Irrtum nach sich.12

Doctr. IV, 3, 4 und 6, 9. Vgl. dazu Chr. Steffen: Augustinus' Sehr. »De doctrina christiana«. Unters. zum Aufbau, zum Begriffsgehalt und zur Bedeutung der Beredsamkeit (Phil. Diss. Kiel 1964) S.158ff. 8 Marrou [1] S.440f. 9 Doctr. IV, 27, 59. 10 Vgl. Doctr. IV. 29, 62 zu den Predigtworten als Gottes Eigentum. - Die hier genannte Konsequenz übersieht Pollmann [5] in ihrer Untersuchung auf S.230, wo sie darauf verweist, dass bei Augustinus »mangelnde Eloquenz durch gute Lebenspraxis ersetzt werden kann«, da diese ebensogut als Persuasion fungiert. Zwar wird die Kunstrhetorik durch die Betonung des guten Lebenswandels entwertet, andererseits die >autopoietische< Kraft des verkündeten Worts durch die Mediatisierung des Predigers aber auch wieder erhöht. 11 Dass sie im Christentum auch die Basis einer theologischen Spekulation werden kann, zeigt der Anfang des Johannes-Evangeliums. 12 Marrou [1] S.306-311, 320, 322ff. Zu scientia und sapientia vgl. auch Steffen [7] S.22ff„131 ff.. 178ff. 7

IV. Rednerideal als Idealtypus

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Gesellschaftsethisch gesehen fordert Augustinus vom Prediger eine besondere Haltung für die Erfüllung seiner Aufgabe: die Demut, das Gegenteil des Stolzes. Schon die »Bekenntnisse« betonen häufig diesen Aspekt des angemessenen Verhaltens gegenüber Gott und dem Nächsten als Bruder in Christus. So zeigte auch der berühmte Redner M. Victorinus bei seiner Bekehrung Demut.13 In der »Doctrina Christiana« ist die hier geforderte Einstellung des Predigers überall spürbar. Sie wird zwar nirgendwo explizit erläutert, prägt aber den Habitus der biblischen Autoren, deren Beredsamkeit ja Vorbild des Predigers sein soll und die, »je niedriger sie anderen zu sein scheint, um so höher[ ... ] in Wirklichkeit [emporragt] nicht an Aufgeblasenheit, sondern an fester Kraft.«14 Augustinus setzt sich hier von Haltung und Redestil der zweiten Sophistik ab, von der seine Zeit geprägt wurde und die die große Geste liebte.15 Zugleich nimmt er gegenüber der tradierten Schulrhetorik eine Umwertung vor. Diese kannte die Demut nur als taktisches Verhalten, um etwa die Schwere einer Anklage abzumildern oder um Mitleid zu erregen bzw. einer Verurteilung zu entgehen. Das Selbstgefühl eines Redners dagegen brauchte niemals von Demut geprägt zu sein.16 Doch die christliche Demut als bewusste rednerische Gesinnung verändert Sicht- und Darstellungsweise des Predigers: »In unseren [kirchlichen] Reden ist[ ... ] alles, was wir sagen, groß; müssen wir ja doch alles [ ... ] nicht auf das zeitliche, sondern auf das ewige Heil der Menschen beziehen [ ... ].«17 Sogar das Geringfügige kann deshalb als erhaben erscheinen, da auch Christus selbst sich gedemütigt hat. Die Demut als notwendige Haltung für den Prediger hat Konsequenzen für die Rolle der Nachahmung in seinem Ausbildungsgang. Augustinus hält die imitatio von Reden und Schriften der biblischen Schriftsteller für das Wichtigste, denn ihre Texte enthalten viel Rhetorisches, wie er an den Briefen des Paulus und den Weissagungen des Propheten Arnos erläutert.18 Die Verfasser der Bibel fungieren hier als exempla einer imitatio auctorum, doch gerade Paulus kann auch als Beispiel für eine christliche imitatio morum gelten, welche den antiken Sinn der rhetorischen imitatio aufgrund der geforderten Demut verändert, ein Aspekt, den Marrou und Steffen in ihren Ausführungen zur Nachahmung übersehen haben. Paulus ist nach eigener Aussage ein »Apostel - nicht von Menschen gesandt, auch nicht

Augustinus, Confessiones VIII, 2, 3, vgl. etwa auch VI, 6, 9; ebenfalls Doctr. IV, 31, 64. Doctr. IV, 6, 9; vgl. IV, 7, 21. (Mitterer). Auch Augustinus' Ansicht, dass der Prediger »zuvor ein Beter sein müsse. bevor er ein Redner wird« (Doctr. IV, 15, 32), passt in den Kontext der geforderten Demut. Denn »ein verständiges, williges und gehorsames Herz« der Zuhörer lässt sich eher durch frommes Gebet als durch gewandtes Reden erreichen, so dass der Prediger auch hier von der Gnade Gottes abhängig ist. 15 Vgl. Marrou [l] S.438. 16 S. etwa Cic. De inv. I, 22 und 109 oder Pseudo-Longinos, Vom Erhabenen 9, 3. Vgl. zu Cicero die Confessiones III. 5, 9. Zu den Veränderungen von »Demut« in der Spätantike s. A. Dihle: Art. »Demut«, in: RAC Ed.III, bes. Sp. 736-43. 11 Doctr. IV, 18, 35. 18 Doctr. IV, 3, 4; 6, 9; 7, 11ff.;7, 16. 13

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durch einen Menschen eingesetzt, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater [ ... ].«19 Er strebt nach dem Vorbild Jesu, der Knechtsgestalt annahm, sich selbst erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod.20 Da Gott »erwählt« hat, »was in der Welt als töricht gilt,[ ... ] um die Weisen zu beschämen«, ist auch Paulus, wie er an die Korinther schreibt, »nicht mit überragender Redegewalt und Weisheit aufgetreten«, um das Geheimnis Gottes zu verkünden, denn »Gottes Geist und Kraft sollten sich vielmehr selbst erweisen.«21 Die imitatio Christi führt den Prediger nach Ansicht des Paulus also nicht zur Erhöhung und Gleichheit mit dem Vorbild, sondern zur Selbsterniedrigung. Der Grund liegt darin, dass Jesu Autorität absolut ist, denn nicht die Jünger haben ihn als ihren Lehrer ausgesucht, wie es Brauch war in griechisch-römischen Philosophenkreisen. »Nicht ihr habt mich erwählt«, heißt es im Johannes-Evangelium, »sondern ich habe euch erwählt[ ... ].« Dasselbe erzählen die Berichte von der Berufung der AposteJ.22 Daher wird von ihm gesagt: »[E]r lehrte sie in göttlicher Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten«, d.h. autoritativ und nicht bloß durch das Wort.23 Jeder Wetteifer mit Jesus wäre absurd; der Gedanke an eine aemulatio mit dem Vorbild verführt nur zu Hochmut und Stolz, damit zur Sünde.24 Nachahmung heißt ethisch gesehen jetzt also N achfolge25, und zwar in der Lebenshaltung wie in der Redeweise. Hier ergeben sich allerdings Unterschiede: wo Augustinus an der Berechtigung einer auf die homiletischen Ansprüche zugeschnittenen Rhetorik festhält, lehnt Paulus sie ab.26 Und auch Jesus scheint sie nicht für notwendig zu halten: »Wenn sie euch aber in die Synagogen, vor Machthaber und Behörden bringen«, rät er seinen Jüngern, »so sorgt nicht, wie

19 Gal.1, 1, vgl.1. Tim. 2, 7: KllPU~, &rc6cn:oA.o~. i51i5a0KaA.o~. Die Übers. hier und auch unten aus: Das Neue Testament, übers. und komm. v. U. Wilkens (Zürich, Gütersloh 51977). Die hier angeführten Selbstbezeichnungen stehen allerdings in einem der sog. deuteropaulinischen Briefe, die Paulus nur zugeschrieben werden, aber nicht wirklich von ihm sind. Vgl. H. Conzelmann, A. Lindemann: Arbeitsbuch zum Neuen Testament (Tübingen 111995) S. 305 f. Zu griech. Kl")pUCTOEt v: verkündigen bezogen auf Jesus siehe J. J. Murphy: Rhetoric in the Middle Ages (Berkeley, Los Angeles, London 1974) S.277. 20 Phil.l, 29 f.; 2, 7 f. 21 1. Kor. 1, 27; 2, 1.4. 22 Joh. 15, 16. Vgl. J. Hahn: Der Philosoph und die Gesellschaft. (Stuttgart 1989) S.69-71, 73, 83f. 23 Mk.1,22. 24 Vgl. Phil. 2, 2-11. 25 Vgl. dazu D. De Rentiis: Die Zeit der Nachfolge: zur Interdependenz von »imitatio Christi« und »imitatio auctorum« im 12.-16. Jh. (Tübingen 1996) S.33ff., 38ff. Auch De Rentiis beachtet nicht den spezifischen Unterschied zwischen heidnisch-antiker und christlicher imitatio. 26 Der Prediger Paulus jedenfalls beherrschte die Rhetorik. Er muss eine hellenistische Schulbildung genossen haben, die über die zweite Stufe des Grammatikunterrichts (Erklärung der Musterautoren) hinaus auch die Anfänge des Rhetorikstudiums mit einschloss. Er gehörte nicht zu denjenigen aus dem Kreis der Apostel, die ungebildet waren, brach aber mit der ausgefeilten Kunstrhetorik, die der antike Schulunterricht als Bildungsziel anstrebte. Vgl. dazu D. Dormeyer: Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgesch. Eine Einf. (Darmstadt 1993) S.42f.. 62f.

IV. Rednerideal als Idealtypus

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oder womit ihr euch verteidigen oder was ihr sagen könnt: Denn der Heilige Geist wird euch in jener Stunde lehren, was ihr zu sagen habt.«27 Die kulturspezifischen Züge der Umprägung, die Augustinus am tradierten Rednerideal vornimmt, zeigen sich insbesondere an seiner Haltung gegenüber der Redeästhetik. Er degradiert nicht nur die Kunstlehre in ihrem Wert gegenüber der Nachahmung, sondern auch als Ausweis des rhetorischen Könnens, das sich im Redeschmuck äußert. Augustinus tadelt den Gegensatz von Inhalt und Form der Rede etwa bei Cyprian, der in einer Predigt blumige Wendungen gebraucht und so nur von der Wahrheit der Verkündigung abgelenkt habe. Damit ergebe sich eine Haltung, die selbst Schandtaten in einer Rede goutiere, »nicht zwar, um ihnen zuzustimmen, sondern nur, um sich daran zu ergötzen.«28Augustinus unterscheidet sich hier deutlich von Cicero, einem der »Fürsten der römischen Beredsamkeit«, von denen die »Doctrina christiana« spricht29 und für den die ästhetische Ausgestaltung der Rede ein wichtiger Garant ihrer Wirkung war.30 Der Verkündigung der Wahrheit wird nach Augustinus nur mit größtmöglicher Klarheit der Darstellung gedient, wovon Zugeständnisse ans Vergnügen bloß ablenkten.31 Andererseits muss er einräumen, dass auch eine klare Sprache nicht ohne Anmut auskommen kann, damit die Hörer gewillt bleiben, dem Gesagten zu folgen.32 Um das zu erreichen, übernimmt Augustinus die antike Stillehre in modifizierter Form, indem er anders als Cicero nicht mehr das movere, sondern das docere an die erste Stelle der Wirkungsaufgaben des Redners setzt, denn die Belehrung ist am besten geeignet, die stilistischen Erfordernisse von Klarheit der Diktion und Einfachheit des Ausdrucks, welcher der Haltung der Demut entspricht, zu erfüllen.33 Außerdem gibt er die mimetisch orientierte Bindung von Stilform und Redegegenstand auf, wie sie die tradierte Dreistillehre postulierte, nach der Niedriges im einfachen und Hohes in erhabenem Stil darzustellen sei. Die Stilhöhe wird zu einem rein psychologischen Mittel der Hörerbeeinflussung, gebunden an die seelsorgerlichen Erfordernisse der Situation, wobei es jetzt auf den abwechslungsreichen Einsatz der drei Stilebenen ankommt.34 Damit greift Augustinus zur Verkündigung der christlichen Botschaft, die durch die Umwertung von Hoch und Niedrig die tradierten Größen der antiken Seins- und Weltordnung außer Kraft setzt, zugleich wieder auf eine Grundeinsicht rhetorischer Subjektivität, die aus der Sophistik

Lk. 12, llf.: vgl. 21, 14ff. Doctr. IV, 14, 30 f. 29 Ebd. IV, 3, 4. 30 Vgl. P. Prestcl: Die Rezeption der ciceronischen Rhet. durch Augustinus in »De doctrina christiana« (Frankfurt/M. u.a. 1992) Kap. VI, 2 u. VII. 31 Doctr. IV, 8, 22. 32 Ebd. IV, 11, 26. 33 Ebd. IV, 12, 27ff.: dazu Prestel [30] S.215ff., 238-242. 34 E. Auerbach: Sermo humilis. In: ders.: Literatursprache und Publikum in der lat. Spätantike und im MA (Bern 1958) S.29ff.; Steffen [7] S.212-17. Vgl. Doctr. IV, 17, 34; 18, 35; 22, 51. 21

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stammt, zurück: dass die Perspektive des Redners bzw. der Rede die Sicht der Dinge für den Zuhörer modelliert und nicht einfach abbildet. Trotz aller Umprägung hat sein Rednerideal damit wichtige Elemente der klassischen Tradition bewahrt.

c)

Hochmittelalter

Robert von Basevorn: Augustinusnachfolge unter scholastischen Vorzeichen Der Prediger ist im Mittelalter zweifellos der wichtigste und häufigste Rednertypus gewesen.! Dabei blieb der Einfluss des augustinischen Rednerideals dominant, denn die »Doctrina christiana« beherrschte die nachantike Predigttheorie bis ins 13. Jh. hinein.2 Unter dem Einfluss der Scholastik entstand dann eine neue Variante von Predigtlehren, die gleichwohl im Kern dem augustinischen Predigerideal verpflichtet blieb, wie insbesondere die »Forma praedicandi« (verfasst 1322) des Robert von Basevorn belegt. Die standardisierte Textgattung des modus oder der forma praedicandi enthielt Anweisungen für inventio und dispositio der Predigt, logische und psychologische Darlegungen zu Predigtthemen und eine Reihe von praktischen Hinweisen zur sprachlichen Form.3 Im klaren Aufbau der Texte, den sauberen Einteilungen und detaillierenden Erklärungen spiegelte sich der Geist der Scholastik, der seit dem 11. Jh. Philosophie, Theologie und das Bildungswesen durchdrungen hatte.4 Die forma praedicandi gehörte zur sog. artes-Literatur, die seit dem 11. Jh. entstanden war und praktische Anweisungen nicht nur zum Predigen, sondern auch zum Briefeschreiben und Dichten bot.5 Der Praktiker der artes wurde wiederum nach antikem Vorbild als Techniker verstanden, der seine Texte nach bestimmten Vor-

Der Grund für die repräsentative Rolle des Predigers in der mittelalterlichen Öffentlichkeit liegt in der kirchlich geprägten Struktur des Lebens. Der Prediger nahm nicht nur geistliche, sondern auch politische Aufgaben wahr, denn Kirche und feudaler Staat waren eng miteinander verbunden. Genaueres dazu bei F.-H. Rohling: Art. »Redner, Rcdncridcal«, in: HWRh Bd.VIL Sp. 934 f. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass es zur Beschaffenheit der Rednertypologie im Mittelalter noch manche offene Frage gibt, vor allem was die weltlichen Bereiche der mündlichen lateinischen Rede angeht. Hayc zeigt, dass die Verbreitung der an Cicero und Quintilian geschulten mündlichen Rede größer war als bisher angenommen. Th. Haye: Rhet. Lehrbücher und oratorische Praxis. Einige Bemerkungen zu den lat. Reden des hohen MA. In: Das Mittelalter 3 (1998) S.47f. 2 Murphy unterscheidet drei Phasen mittelalterlicher Predigttheorie: zuerst die von Christen und Paulus geprägte Periode, dann vom 5. Jh. n. Chr. an die von Augustinus dominierte und schließlich vom 13. Jh. an die Zeit der scholastischen Traktate. Vgl. J. J. Murphy: Rhctoric in thc Middlc Ages (Berkeley, Los Angeles, London 61990) S.275. 3 Ebd. S.275 f.. 310. 4 Ebd. S.310 I

IV. Rednerideal als Idealtypus

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schriften verfasste. In den Predigtlehren war es der praedicator. Roberts »Forma praedicandi« kann nach Murphy als ein repräsentativer und einflussreicher Text der ganzen Gattung gelten.6 Robert eröffnet seinen Traktat mit dem Hinweis auf die Meinung des Aristoteles (»des Philosophen«), dass man ohne Kenntnis der Logik nicht richtig denken könne. Daher solle jemand, der sich mit dem Gotteswort beschäftige, sicherstellen, dass er ein methodisches Vorgehen befolge.7 Aristoteles war die wichtigste intellektuelle Autorität für die Scholastiker. Das will also auch Robert beherzigen und bietet folglich die Definition des Predigers in einer Reihe von genauen Distinktionen. So unterscheidet er ihn vom Gerichtsredner (narrator8), der ein »guter Mann, erfahren im Reden« ist (Anspielung auf Cato) und vom politischen Redner (concionator), der »öffentlich viele überredet, um unerschrocken zu kämpfen, indem er die Tapferen ermutigt und die Feigen verächtlich macht« (Anspielung auf Cicero).9 Beide bezwecken nämlich die Erhaltung des Staates, wogegen der Prediger mit seiner persuasio auf ein rechtschaffenes Leben der Menschen zielt, »wie wir jetzt von dem Verdienst sprechen, das sich auf das ewige Leben bezieht.«10 Die weltliche Ethik der tradierten Formel Catos vom vir bonus dicendi peritus wird also abgelehnt. Statt dessen fordert Robert in augustinischem Geist vom Prediger »Reinheit des Lebens« »ohne Gewissensbisse über irgend etwas Schlimmes«, denn sonst sündigt der Prediger schwer. Dazu müssen kompetentes Wissen über die Glaubensartikel, die zehn Gebote und die Unterscheidung zwischen Sünde und Nicht-Sünde kommen sowie die Autorität der Sendung des Predigers von der Kirche. Denn kein Laie, es sei denn er ist beauftragt vom Bischof oder dem Papst, und auch keine Frau dürfen predigen.11 Robert unterscheidet Prediger qua Amt wie den Papst, die Kardinäle und Bischöfe sowie solche aufgrund eines Auftrags.12 Wichtig ist für ihn auch, dass der Prediger eine gute Absicht mit seiner Predigt verbindet wie den Preis Gottes, der Heiligen oder die Erbauung seines Nächsten. Die Sucht nach Gewinn ist dagegen auf jeden Fall verwerflich.13 Der körperliche Gestus des Predigers muss nach Auffassung Roberts ebenfalls ein der Verkündigung angemessenes Ethos zeigen. Die Bewegungen beim Sprechen sollen maßvoll sein;

s Vgl. dazu Robling [1] Sp. 942ff. 6 Murphy [2] S.332f. 7 Textbeleg in: J. J. Murphy (Ed.):Three Medieval Rhetorical Arts (Berkeley, Los Angeles, London 1971) S.114, daraus der ins Engl. übers. Text von L. Krul 0. S. B.: Robert of Basevorn: The Form of Preaching, S.109-215. x Zum narrator als Anwalts. J. F. Niermeyer: Mediae Latinitatis Lexicon Minus (Leiden 1976) s.v. 9 Vgl. Cic. De or. II, 35 10 Robert [7] Kap. l, S.120. Zu den lat. Begriffen vgl. den Originaltext bei T. M. Charland (Ed.): Artes praedicandi: Contribution a l'histoire de Ja rhctorique au moyen äge (Paris 1936) S.238. 11 Robert [7] Kap IV, S.123 f. 12 Ebd. Kap. II, S.121 f. 13 Kap. V, S.125 f.

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Übertreibungen nach Art der Schauspieler, die Eindruck machen wollen, sind auf jeden Fall verfehlt.14 Dahinter stehen die schon von Augustinus artikulierten Vorbehalte gegen eine emotionalisierende, auch ästhetisch ansprechende Form und Präsentationsweise der Rede, die dem Prediger und nicht dem religiösen Thema Aufmerksamkeit garantiert.15 Die Ausführungen Roberts zur erforderlichen Form der Predigt verweisen auf die Wichtigkeit der imitatio und die Leitfunktion der kirchlichen Vorbilder. Zunächst wird jede Neuerungssucht beim Predigen zurückgewiesen, da es ein Zeichen falschen Stolzes sei, Gutes, das von anderen gesagt worden ist, nicht zu wiederholen.16 Die Muster für seine Verkündigung sollte der Prediger zunächst in Christus und Paulus sehen, dann auch in kirchlichen Lehrern wie Augustinus, Gregor dem Großen und Bernhard von Clairvaux.17 Augustinus nimmt nach Ausweis der »Forma« dabei den wichtigsten Platz ein, vor allem wegen seiner gelehrten Schrifterklärungen. Außerdem habe er sich, soweit wie er konnte, auf rationale Gründe verlassen.1s Charakteristisch für den geistlichen Habitus Roberts ist der Schluss seines Textes. »Fünfzig Kapitel außer dem Prolog wurden hier fertiggestellt«, schreibt er. »Und damit ich ein [einund]fünfzigstes Kapitel mit Schweigen dem hinzufüge, sagt mir der Geist bereits, daß ich mit dieser Arbeit aufhöre [ ... J.«19 Das heißt: nach dem Reden soll der Prediger sich im Gebet der Stille zuwenden und auf das Wort Gottes hören.

d) Renaissancehumanismus Petrarca: Moralphilosophie, Ästhetik, Geschichte Eine idealtypische Darstellung der Merkmale des humanistischen Redners muss bei Petrarca beginnen, dessen Haltung zur >heidnischen< Antike und ihrer Rhetorik einen anderen Akzent als Augustinus setzte. Dieser hatte die Elemente der klassischen Rhetorik zur Schaffung einer neuen, christlichen Beredsamkeit benutzt. Vorausgesetzt war dabei eine Einstellung gegenüber der Antike, die diese aufgrund eines linearen, heilsgeschichtlichen Verständnisses als Vorstufe der eigenen Zeit und ihr insofern als untergeordnet ansah.1 Petrarca gewann jedoch aufgrund seines persönlichen Verhältnisses zu den Autoren des Altertums, insbesondere zu Cicero,

Kap. L, S.212 Vgl. H. Caplan: Classical Rhctoric and thc Mcdiacval Thcory of Prcaching. In: dcrs.: Of Eloquence (Ithaca, London 1970) S.119f. 16 Robert [7] Kap. VI, S.127 11 Ebd. is Kap. X, S.130 19 Kap. L. S.213 l Vgl. N. Kaminski: Art. »Imitatio«, in: HWRh Bd.IV, Sp. 246f. 14 15

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und infolge seiner Aufwertung der ästhetischen Sprachform2 eine neue Sicht der Antike, die auch seine Auffassung des Rednerideals bestimmte. Allerdings gibt es keine Schrift von ihm, in der dessen Merkmale lehrbuchartig zusammengestellt wären, sondern er bezieht sich in verschiedenen Passagen seiner Werke darauf wie auf selbstverständliche Bestandteile der von ihm immer wieder bemühten antiken Bildungstradition, aus der ihm natürlich auch die Werke der Rhetorik bekannt waren.3 Petrarcas Rednerideal kann daher nur als Konstrukt nachgezeichnet werden, wobei die Rekonstruktion aus dem Zusammenhang der jeweiligen Schriften4 zugleich Hinweise auf die neue, gegenüber der Tradition veränderte Konstellation geben, in der die Merkmale dieses Ideals jetzt auftauchen. Die humanistischen Rhetoriken werden aufgrund von Petrarcas Auffassungen später neue Schwerpunkte für ihr Rednerkonzept setzen, wie beispielhaft anhand des Lehrbuchs von Soarez gezeigt werden soll. Petrarcas Rednerauffassung ist, wie schon gesagt, zunächst von der klassischen Antike bestimmt. Ein Beleg ist das Kapitel »De eloquentia« seiner Schrift »De remediis utriusque fortunae«, die in Dialogform den Kampf des Menschen um das Glück beschreibt, dabei aber zugleich Heilmittel gegen das Unglücklichsein anbietet. Der Dialog führt diesen Kampf als innere Auseinandersetzung des Bewusstseins mit sich selbst vor, als Ringen zwischen Gefühl und Vernunft. Im »eloquentia«-Kapitel behauptet die Freude von sich, ihre Beredsamkeit sei glanzvoll. Dagegen führt die Vernunft ins Feld, ein wirklicher Redner müsse nicht nur gut reden können, sondern auch ein guter Mensch sein. Sie beruft sich dabei auf das Zeugnis Catos, der die Formel vom vir bonus dicendi peritus geprägt, und auf Cicero, der die Beredsamkeit als »wortreich sprechende Weisheit« (eloquentia [ ... ] copiose loquens sapientia) bezeichnet habe und erläutert dann, »dass als das Wesen von Redner und Beredsamkeit die Rechtschaffenheit (bonitas) und Weisheit (sapientia) bestimmt werden, was jedoch nicht ausreicht, wenn nicht Erfahrung (peritia) und Wortfülle (copia) dazukommen.« Die Vernunft betont, keines der genannten Merkmale allein, sondern erst alle gemeinsam machten den vollendeten Redner aus (perficiant oratorem eiusque artificium).5 Auf diese Weise dämpft und 2 Zur neuen Qualität von Petrarcas Humanismus gegenüber humanistischen Bestrebungen des Mittelalters vgl. G. Böhme: Bildungsgesch. des frühen Humanismus (Darmstadt 1984) S.59ff. 3 In einem späten Brief über seine erste Beschäftigung mit Cicero erwähnt Petrarca »Ciceros Rhetorik«, d.h. dessen Jugendwerk »De inventione« sowie die damals noch Cicero zugeschriebene »Rhctorica ad Hercnnium«. (W. Rüegg: Cicero und der Humanismus. Pctrarca. In: K. Büchner (Hg.): Das neue Cicero-Bild (Darmstadt 1971) S.69, 72).Außerdem erwähnt Petrarca im Verzeichnis seiner Lieblingsbücher auch die Schrift »De oratore« (Vgl. H. Rüdiger: Die Wiederentdeckung der antiken Lit. im Zeitalter der Renaissance. In: H. Hunger u.a.: Die Textüberlieferung der antiken Lit. und der Bibel (München 1975) S.531). 4 Rüegg [3] weist auf den vorherrschend dialogischen Charakter von Petrarcas Prosaschriften einschließlich der Traktate hin. (S.101, 119). 5 F. Petrarca: De remediis utriusque fortunae libri II, Buch I, Kap. 9, S.60 (1613, o.O.) Das Cicero-Zitat stammt aus den »Partitiones oratoriae« XXIII. 79. Vgl. dazu J. v. Stackelberg: Über ein Lieblingsthema Petrarcas. In: Romanische Forschungen 76 (1964) S.194-201.

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korrigiert sie den naiven Stolz der Freude, die sich zu selbstbewusst auf den äußeren Glanz ihrer Redekunst berufen hatte. Die Beredsamkeit steht also für Petrarca in Beziehung zur moralisch verstandenen Philosophie (sapientia), und von dieser Relation her deutet er auch die Aufgabe des Redners. »Die Pflege des menschlichen Geistes (animi cura) erfordert den Philosophen, die Bildung der Sprache (eruditio lingue) aber ist eigentliche Aufgabe des Redners. Weder das eine noch das andere dürfen wir vernachlässigen [ ... ]«,heißt es im Brief an Tommaso Caloria aus Messina.6 Die »Pflege des Geistes« versteht Petrarca sittlich, denn dadurch ordnen sich Leben und Verhalten, wogegen die »Bildung der Sprache« dazu verhilft, Wörter und Sätze richtig zu gebrauchen. Beides hängt voneinander ab: »Der Geist ist im Herzen verborgen, die Sprache tritt an die Öffentlichkeit. Der Geist begleitet das gesprochene Wort, er formt es nach seinem Willen; das gesprochene Wort gibt kund, wie der Geist beschaffen ist, der es formt.« Das Verhältnis ist also moralisch bestimmt, aber auch ästhetisch: »Für beide[ ... ] ist Sorge zu tragen, damit der Geist maßvoll und streng gegenüber der Sprache sei und die Sprache ihm gegenüber in wahrhaftiger Weise schön.«7 Philosoph und Redner gehören für Petrarca zusammen; so erst lassen sich Moralität, Bildung und Ästhetik verbinden. Gerade die Beredsamkeit leistet dabei viel »in der Unterweisung zu einem wahrhaft menschlichen Leben«, da sie auf den Ungebildeten kultivierend einwirkt. Um das zu zeigen, beruft sich Petrarca auf den Anfang von Ciceros »De inventione«, aber auch auf das Beispiel der mythischen Sänger und Dichter Orpheus und Amphion: »Im Vertrauen auf sie [Gesang und Redekunst], so glaubt man, habe der erste gierige, grimmige und dem Wesen stumpfsinniger Tiere ähnelnde Gemüter, der zweite ungeschlachte, steinharte und unbeugsame Herzen mit freundlicher und unumschränkt geduldiger Gesinnung beseelt.«8 Kultur ist das Resultat von Sprachwirkung und Sprachästhetik. Dass nicht nur die Rhetorik, sondern auch die Philosophie als Führerin zur Kultiviertheit gelten kann, deutet Petrarcas Formulierung »cura animi« (Pflege des Geistes) an, die wie ein Echo auf das ciceronische »cultura animi« als Resultat philosophischer Bemühung klingt.9 Die Reichweite der gerade durch das rhetorische Wort vermittelten Kulturleistung für die menschliche Bildung zeigt Petrarcas Auseinandersetzung mit zwei möglichen Gegenargumenten seines Briefpartners. Man brauche die Rhetorik nicht unbedingt für die genannten Erziehungsziele, ließe sich einwenden, da das lebendige Beispiel einer vorbildlichen Tat wesentlich effektiver sei als mahnende

6 F. Petrarea: Familiarcs I, 8, 1 ff., Bd.I hg. von V. Rossi (Florenz 1968) Dt. Übers. von St. Otto. in: ders. (Hg.): Renaissance und frühe Neuzeit. Bd.3 von R. Bubner (Hg.): Geseh. der Philos. in Text und Darstellung (Stuttgart 1986) S.100. Ottos Übers. »Rhetor« für lat. »Orator« wurde durch das eindeutigere »Redner« ersetzt. 7 Ebd. 8 Ebd. S.102. 9 Zu Ciceros Formel siehe oben S.84.

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Worte. Außerdem sei alles, was man zum richtigen Handeln benötige, schon viel besser durch die großen Autoren der Vergangenheit formuliert worden und müsse nicht noch einmal gesagt zu werden.10 Beide Argumente aber sehen, wie Kessler gezeigt hat, den Menschen in einem geschichtslosen Raum: das erste im räumlich und zeitlich unmittelbaren Augenblick, das zweite in der Ungeschichtlichkeit einer einmal formulierten und immer gültigen Wahrheit. Petrarca antwortet darauf, dass die Rede jede räumliche Gebundenheit überwinden könne, indem sie die verbale Vermittlung von Erfahrung an viele Menschen ermögliche und diese auch noch an entfernten Orten zu erreichen vermöge. Außerdem könnten auch gültige Wahrheiten nie erschöpft, sondern müssten immer wieder neu angeeignet werden.11 Petrarca denkt dabei außer an die mündliche Rede auch an das geschriebene Wort und seine sittliche, in die Zukunft reichende Wirkung:» Wieviel wir so der Nachwelt überliefern werden, das können wir am besten ermessen, wenn wir uns erinnern, was wir den Entdeckungen unserer Vorfahren verdanken.«12 Zum Redner gehört für Petrarca der Schriftsteller, denn das geschriebene Wort erst begründet Überlieferung und Geschichte, wie Otto anmerkt13, in denen die Menschen miteinander kommunizieren und sich selbst verstehen. Damit wird der Ciceronische humanitas-Begriff erweitert: Menschlichkeit wird nicht nur durch Wissen und Sprachbeherrschung gebildet, sondern auch durch die studia humanitatis, durch gelehrtes Bemühen um das Schrifttum der Überlieferung.14 Petrarca stellt sich durch sein enges Verhältnis zu Cicero selbst in den Zusammenhang der Überlieferung.15 »Du Cicero hast[ ... ] wie ein Mensch gelebt, wie ein Redner geredet, wie ein Philosoph geschrieben. Deine Haltung im Leben habe ich getadelt, nicht Deine hohen Gaben und Deine Sprache [ ... ]«, heißt es im zweiten der fiktiven Briefe an den großen Römer. »Ich beglückwünsche Dich wegen Deines Ingeniums und Deiner Redegewalt.[ ... ] wir alle danken Dir, alle, die wir uns mit den Blüten der lateinischen Sprachen schmücken.[ ... ] von Deinem Urteil werden wir gestützt, von Deinem Licht erleuchtet. Unter Deinen Auspizien [ ... ]sind wir schließlich zu der Fähigkeit, mag sie auch noch so gering sein, ja nur zu dem Vorsatz gelangt, überhaupt zu schreiben.«16 Die Nachahmung Ciceros, die Orientierung an seiner Redekunst, seinem ingenium und Urteil sowie an der Schönheit

Ebd. S.102 f. Ebd. S.103 sowie E. Kessler: Petrarca und die Gesch. Geschichtsschreibung, Rhet., Philos. im Übergang vom MA zur Neuzeit (München 1978) S.193 f. 12 Petrarca, Brief [6] S.103. 13 Otto [6] S.106. 14 Seltsamerweise will Kölmel diese Bedeutung von humanitas erst für Salutati, nicht aber für Petrarca gelten lassen. Vgl. W. Kölmel: Aspekte des Humanismus (Münster 1981) S.29. 15 Die persönliche Färbung dieses Verhältnisses führte bei Petrarca zum Formerlebnis beim Studium der Schriften Ciceros. worin Rüegg das Spezifische von Petrarcas Humanismus im Vergleich zu früheren humanistischen Bestrebungen im Mittelalter sieht. Vgl. Rüegg [3] S.66, 69, 85. 16 Le Familiari XXIV, 4, 2; Ed.IV der Ausg. von Rossi [6]; Übers. von H. Heintze. in: F. Petrarca: An M. T. Cicero. In: ders., Dichtung und Prosa, hg. und übers. von H. Heintze (Berlin 1968) S. 283 f. 10 11

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seiner Sprache haben Petrarca also selbst zum Schriftsteller werden lassen. Doch er nennt noch einen »anderen Führer«: »Einen mußte es geben, dem wir in den freien und einen, dem wir in den gebundenen Schritten der Rede folgen, einen, den wir im Sprechen, und einen, den wir im Gesang bewundern könnten. Denn [... ] keiner hätte für beides genügt.«17 Gemeint ist Vergil, der große römische Dichter. Cicero genügt Petrarca nicht als Vorbild, zum Muster in der Prosa muss noch eines in der Poesie kommen. Beide sind aber für ihn vereint im meisterlichen Gebrauch der Rede, wenn auch der eine in der ungebundenen, der andere in der gebundenen Form. So unterschied und verknüpfte schon Gorgias Rede- und Dichtkunst.18 Petrarca wählt hier also den Redner und den Dichter als Stilvorbilder. Freilich orientiert er sich in seinem eigenen Werk nicht nur an Cicero und Vergil, sondern auch an anderen antiken Autoren wie Seneca, Ovid und Augustinus. Die richtige imitatio auctorum kann für ihn nur in einer eklektischen Mischung der Stile bestehen, so dass aus dem Vorgefundenen das Eigene entsteht.19 Was die imitatio morum angeht, so distanziert Petrarca sich allerdings von Cicero. Dieser habe zwar wie ein Philosoph geschrieben, aber nicht wie ein solcher gelebt. Der erste der fiktiven Briefe erwähnt »ganz und gar nutzlose Streitigkeiten« und die Verführung durch »falschen Ruhmesglanz«, die bei Cicero zu einem Widerspruch zwischen Lebensführung und Preis der Tugend geführt hätten: »[ ... ] was hilft es denn, andere zu lehren, was nützt es, mit ausgeschmücktesten Worten über die Tugenden zu reden, wenn Du Dich zwischendurch nicht selber hörst?« Cicero habe einen Tod gehabt, der eines Philosophen unwürdig sei.20 Die Schlussformel des Briefes »im Jahre [1345] nach der Geburt jenes Gottes, den Du nicht gekannt hast«, zeigt die Gründe für Petrarcas Vorbehalte: christliches Gedankengut gehört für ihn inzwischen ebenso zur moralischen Haltung, was für Cicero natürlich noch nicht in Frage kommen konnte. Neben diesem übte daher besonders Augustinus großen Einfluss auf Petrarcas Moralvorstellungen aus. Hier liegt wohl auch der Grund, warum Petrarca nicht als Redner angesehen werden wollte. Die Redner gehörten für ihn zum öffentlichen Leben; ihr Talent zeigt sich eigentlich erst im Kontakt mit der städtischen Menge. Doch diese ist für ihn auch das Symbol für Irrtum und Schwäche, Eigenschaften, die dem Redner gefährlich werden können, da sie ihn den Bedürfnissen der Menge auch ausliefern. Augustinus fragt Petrarca im »Seereturn«, einem Dialog über Nutzen und Nachteil des Ruhms: »Welche Rolle spielt es, daß deine Zuhörer vielleicht dem zustimmen, was du sagst, wenn du selbst als Richter es verdammst?«21 Seine moralische Würde bewahrt der Mensch daher

Ebd. S.284. Gorgias, Lobpreis der Helena 9. 19 Das erläutert Petrarca vor allem mit dem von Seneca übernommenen Bienengleichnis. Vgl. Le Familiari I, 8, 2 und 23; übers. von E. Kessler, in: E. Garin (Hg.): Geseh. und Dokumente zur abendländischen Pädagogik Bd.2 (Reinbek bei Hamburg 1966) S. 98, 105 f. 20 Siehe Heintze [16] S.280f. 21 Petrarca, Seereturn II. In: ders., Prose, hg. v. G. Martellotti u.a. (Mailand, Neapel 1955) S.72. 11

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am besten bei einem Leben in Zurückgezogenheit, wie Petrarca selbst es für sich immer wieder suchte. Trotz aller Hochschätzung der Rhetorik gab er der vita contemplativa also den Vorzug gegenüber dem tätigen Leben des öffentlichen Redners. Petrarca hat zwar selbst einige Male öffentlich geredet, wie die Ansprache zu seiner Dichterkrönung in Rom 1341 belegt, aber er scheint sich nicht als »Redner« (orator) bezeichnet zu haben. Überliefert sind wahrscheinlich von ihm angeregte Titulierungen in offiziellen Dokumenten, und zwar »magnus poeta et historicus«, »praeclarus magister«, »philosophus moralis et poeta«. Sie stammen aus der Urkunde zu seiner Dichterkrönung und aus einem Brief der Stadt Venedig, der sich auf sein Vorhaben bezieht, der Republik seine Bibliothek zu schenken.22 Danach war für Petrarca sein Dichtertum besonders wichtig, was durch die große Anzahl seiner lateinischen und volkssprachlichen Gedichte, darunter der berühmte »Canzoniere«, auch plausibel ist. Durch sein Studium an der Universität war er berechtigt, sich »magister« zu nennen, also Lehrer der artes liberales; das Lehramt hat er später aber nie ausgeübt, da er jeder festen Anstellung das unabhängige Leben dessen vorzog, der seinen gelehrten Beschäftigungen und literarischen Neigungen nachgehen konnte.23 Wie hoch Petrarca die Titulierung als Moralphilosoph schätzte, zeigt seine Schrift »De sui ipsius et multorum ignorantia«. Diese Abhandlung ist eine Antwort auf die ihm hinterbrachte Schmähung von Freunden, er sei »ein guter Mensch ohne Bildung« (sine literis bonus), obwohl er ein durchaus überzeugender Redner sei. »Was Sache der Kunst ist«, bemerkt Petrarca dazu, »schreiben sie dem Glück zu und führen jenes gängige Wort an:» Viel Beredsamkeit, wenig Weisheit«; dabei beachten sie nicht Catos bekannte Definition des Redners, die einer solchen boshaften Kritik widerspricht.« Das Kostbarste, die Tugendhaftigkeit, billigten sie ihm also ohne weiteres zu, seine intellektuellen Fähigkeiten, den Fleiß, die Gelehrsamkeit und das wissenschaftliche Werk sprächen sie ihm aber ab, obwohl andere Gebildete ihm dafür Anerkennung gezollt hätten.24 Im Gegenangriff - und das ist typisch für seine wie auch des Humanismus Haltung zur mittelalterlichen Universität25 - kritisiert Petrarca das Wissenschaftsverständnis dieser Denunzianten. Als Scholastiker und Aristoteles-Anhänger suchten sie nur nach dem Wissen um seiner selbst willen, verachteten aber jede moralisch-praktische Betätigung dieses

Siehe dazu J. E. Seige!: Rhet. and Philosophy in Renaissance Humanism. Tue Union of Eloquence and Wisdom. Petrarch to Valla (Princeton N. J. 1968) S.44. Petrarca verabscheute deshalb auch übertriebenen rhetorischen Schmuck (Seige! S.45). 22 E. H. Wilkins: Die Krönung Petrarcas. In: A. Buck (Hg.): Petrarca (Darmstadt 1976) S.151, Seige! [21] S. 36. 23 G. Müller: Bildung und Erziehung im Humanismus der italienischen Renaissance (Wiesbaden 1969) S.1 ff. 24 P. 0. Kristcllcr: Petrarca, der Humanismus und die Scholastik. In: Buck [22] S.263ff. 2s F. Petrarca: De sui ipsius et multorum ignorantia. Über seine und vieler anderer Unwissenheit. Lat.-dt. Ausg., übers. von K. Kubusch. hg. und eingel. von A. Buck (Hamburg 1993) S.17, 27. 30, 33.

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Wissens, das auch schon wegen der fehlenden Beredsamkeit keine Philosophie sei und bloß kindlich zu stammeln vermöge.26 Auch als historicus hat Petrarca eine besondere Beziehung zur Rhetorik, wie die Schrift »De viris illustribus« zeigt, eine Darstellung von Leben und Taten berühmter Römer. Geschichtsschreibung hat für ihn nicht die Aufgabe heutiger Geschichtswissenschaft, den Ablauf vergangener Ereignisse quellenkritisch zu sichern und darstellerisch nachzuvollziehen bzw. zu deuten. Kessler hat in einer Analyse der beiden Vorworte zu »De viris illustribus« herausgearbeitet, dass Petrarca die Frage, wie man Geschichte schreiben solle, durch diejenige nach dem »Wozu« ersetzt. Petrarca geht es um Tugenden und Laster der geschichtlichen Akteure als Orientierungsmarken für gegenwärtiges Handeln. Das Operieren mit der rhetorischen Wahrscheinlichkeit erlaubt ihm dabei, anhand großer Gestalten der römischen Geschichte auf das praktische bonum hinzuweisen. Der vir illustris zeigt durch vorbildliches Handeln und den daraus sich ergebenden Ruhm exemplarisches Verhalten in exemplarischen Situationen; er kann wahrhaft als Beispiel für die richtige imitatio morum gelten.27 So wird Scipio charakterisiert durch Pflichtgefühl, Liebe zum Vaterland und zu den Seinen, Kühnheit, Milde, Schamhaftigkeit, wirkungsvolle Beredsamkeit und gewinnendes Äußeres. Seine Ruhmbegier war ohne schlechten Ehrgeiz; er ehrte und liebte die Dichter seiner Zeit.28 Hinter Petrarcas Darstellung steht eine kritische Position: er tadelt die Vernachlässigung der vita contemplativa in seiner Epoche, die sich viel zu sehr der vita activa hingegeben hat. Erst die vita contemplativa gewährt eine Besinnung auf das wahre Ziel menschlichen Lebens, die Tugendhaftigkeit.29 Auch in seiner Tätigkeit als historicus also zeigt sich Petrarcas moralphilosophische Haltung. Vermittelt freilich ist diese wiederum durch die Rhetorik, die ihm die spezifischen Wirkungsmittel zur Propagierung seiner Einstellung an die Hand gibt und ihn so als schreibenden vir bonus dicendi peritus erscheinen lässt.

Soarez: Die rhetorische Kanonisierung von Petrarcas Impuls Das Werk »De arte rhetorica libri III« des Jesuiten Cyprianus Soarez, das eine mit eigenen Akzenten versehene Kompilation von rhetorischen Zitaten vor allem aus Aristoteles, dem Auctor ad Herennium, Cicero sowie Quintilian darstellt, kann als Beispiel für die humanistische Konzeption des Rednerideals nach den von Petrarca ausgehenden Anregungen gelten. Soarez' Lehrbuch war lange Zeit die am meisten verbreitete Rhetorik der Societas Jesul und repräsentiert somit eine der

Buck [22] Ein!. S.XII-XIY. Kessler [11] S.20, 28-32, 40. 2s Die Belege zu Scipio aus »De viris illustribus« bei Heintze [16] S.449-453. 29 Kessler [11] S. 63 f. l W. Barner: Barockrhet. (Tübingen 1970) S.336. 26 27

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wirkungsmächtigsten humanistischen Adaptionen des Rednerideals.2 Nicht ohne Grund entschied Soarez sich für eine Zusammenstellung der einschlägigen Zitate aus den Schriften der rhetorischen Musterautoren. Auf diese Weise konnte er die hohen Anforderungen der antiken Lehrbücher umgehen und die rhetorischen Vorschriften dem Unterricht an den Jesuitengymnasien anpassen, der von den bescheidenen Sprachkenntnissen der Schüler ausgehen und ihr jugendliches Alter berücksichtigen musste. Außerdem vermochte er so, wie er im ersten Vorwort seines Lehrbuchs bemerkt, am besten der humanistischen Praxis zu entsprechen, nur den originalen Autorenwortlaut zu zitieren und allein den Regeln der Alten zu folgen.3 Bauer hat in einem Vergleich mit dem »Speculum maius« des Vinzenz von Beauvais (erste Hälfte des 13. Jh.'s) gezeigt, dass sich die Verfasser mittelalterlicher Kompendien und Stoffsammlungen viel auf die Neuheit und Virtuosität ihrer Materialanordnung zugute hielten. Soarez' Eigenleistung dagegen beschränkte sich auf die möglichst nahtlose Verbindung der Zitate und die Auswahl der Beispiele, wobei er auch den Aufbau seines Werkes nach dem Schema der Arbeitsaufgaben des Redners von den antiken Autoritäten übernahm.4 Dass sich Aneignung und Gebrauch der Redekunst primär an den Werken der antiken Redner, Dichter und Philosophen zu orientieren hatten, verstand sich für Soarez von selbst. Im Unterschied zu anderen Humanisten5 verzichtet er daher auf die Wiedergabe von Kanonlisten der Musterautoren. Die Darlegung der rednerischen Pflichten zu Anfang des Kapitels über die Kunst zeigt, dass Soarez der Sicht der antiken Tradition folgt. »Die Aufgabe des Redners«, heißt es da, »besteht darin, bei der Beratung über wichtige Anliegen mit Würde seine Meinung darzulegen. Er versteht das Volk in seiner Trägheit mitzureißen und seine Zügellosigkeit zu mäßigen. Seine Befähigung bringt Schurken das Verderben und Unschuldigen die Rettung.«6 Die Passage zitiert Sätze aus Ciceros »De oratore«.7 Soarez versteht den Redner also von seiner öffentlichen Rolle her, wobei die ethische Aufgabe betont wird. Er erläutert im zweiten Vorwort seines

2 Soarez bleibt dem klassischen Rcdncrideal stärker verpflichtet als Melanchthon, da er seine Schrift über die Rhetorik tatsächlich als Anleitung für den humanistischen Prediger verstand. Melanchthon dagegen sah den Schwerpunkt seiner »Elementa rhetorices« in ihrer Brauchbarkeit für die Schriftauslegung. (vgl. dazu F.-H. Robling: Art. »Redner, Rednerideal«, in: HWRh Bd.VIL Sp. 96lf.) Im humanistischen Grundansatz gibt es allerdings viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Konfessionelle Unterschiede in der Rhetorikauffassung finden sich daher kaum, wenn man nicht Mclanchthons Konzentration auf die Schriftauslegung als Differenzkriterium zwischen Protestantismus und Katholizismus ansehen will. Vgl. auch dazu unten Anm. 8. 3 B. Bauer: Jesuitische »ars rhetorica« im Zeitalter der Glaubenskämpfe (Frankfurt/M. u.a. 1986) S.147f. 4 Ebd. S.208. 5 Ausführliche Kanonlisten antiker und auch guter zeitgenössischer Autoren als Grundlage des Unterrichts bietet etwa J. L. Vives in »De tradendis disciplinis«. Vgl. dazu J. L. Vives' Pädagogische Schriften, übers. und hg. von F. Kayser (Freiburg i. Br. 1896) S.253 ff. 6 C. Soarez: De arte rhetorica libri lll (zuerst um 1560, Ausg. Köln 1577) 1, 2. S.2. 7 Vgl. Cic. De or. II, 35 (Merklin) sowie Bauer [3] S.155.

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Werks, dass heidnische Antike und Christentum allerdings unterschiedliche Auffassungen in der Frage der Ethik hätten. Die antiken Theoretiker erlaubten nach Soarez dem Redner, von der Wahrheit abzuweichen. Cicero und Demosthenes hätten sich vor Verleumdungen nicht gescheut; griechische wie römische Redner hätten ihre Zuhörer auch getäuscht. Soarez warnt vor dieser Art von Missbrauch der Redekunst, klammert jedoch die Frage aus, ob persuasive Techniken der antiken Rhetorik auch in aktuellen Glaubenskontroversen mit den Reformatoren gebraucht werden dürften.S Kennzeichnend für seine humanistische Ausrichtung sind Soarez' Ausführungen über den Redner als eloquens: »Dass der Redner sich [im sprachlichen Ausdruck der Gedanken] auszeichnet, während die übrigen Fähigkeiten in ihm verborgen liegen, deutet schon der Name [orator] selbst an: Denn weder »Erfinder« (inventor) noch »Verfasser« (compositor) noch »Darsteller« (actor) umfasst dies alles, sondern im Griechischen wird er [der Redner] vom »etwas ausdrücken« (eloqui) >rhetor< und im Lateinischen >beredt< (eloquens) genannt. Von den übrigen Fähigkeiten, über die der Redner verfügt, kann jeder andere einen Teil für sich beanspruchen, die Sprachgewalt aber, d.h. die höchste Kraft, etwas auszudrücken (eloquendi maxima vis), wird ihm allein zugestanden.«9 Soarez zitiert hier wörtlich eine Passage aus Ciceros »Orator« und beruft sich danach auf dessen bekannte Definition, dass erst derjenige »beredt« sei, der die drei Wirkungsweisen der Rede für seine Zwecke einzusetzen wisse.lü Soarez leitet mit dem genannten Zitat das dritte Buch seiner Schrift ein, das der elocutio gewidmet ist. Arrangement und Emphase der Textpassage können als Beleg für die Bedeutung gelten, die der Humanismus getreu dem Vorbild Petrarcas der ästhetisch ausgeschmückten Sprachform der Rede zuschrieb. Sprache und Ausdruck gelten hier also noch mehr als die von Demosthenes in der bekannten Anekdote dreimal hervorgehobene Vortragsweisell, denn der »Darsteller« (actor) tritt hinter dem »Beredten« bzw. »Redegewandten« (eloquens) zurück. Soarez behandelt daher auch actio und pronuntiatio nur in den zwei kurzen Schlusskapiteln seines Werks, wogegen er dem für die elocutio wichtigen Prosarhythmus mehr als zehn Kapitel widmet.12 Ästhetische und ethische Aspekte des Rednerideals gehören auch für Soarez zu den kulturellen Merkmalen des Menschen. Das belegt die Bemerkung im zweiten Vorwort seines Werks, die Rede (oratio) sei »Schmuck« sowie »Zier« der Vernunft (ratio) und diese wiederum das »Licht« des Lebens. Ratio und oratio sind nach Ausweis der antiken Tradition die Kennzeichen, durch die sich der Mensch vor allen anderen Lebewesen auszeichnet.13 x Soarez [6] 2. Vorwort gegen Schluss; Bauer [3] S.152f., 165. Soarez [6] S. 78. 10 Cic., Or. 61. 69. 11 Belegt etwa in Cic. De or. lll, 213. 12 Vgl. Bauer [3] S.177. Immerhin hält Soarez für seine Rhetorik am Ziel eines öffentlichen Vortrags der Predigt fest, wogegen Melanchthon mit den »Elementa rhetorices« keine Redner mehr ausbilden wollte. 13 Vgl. Bauer [3] S.151 mit Hinweis auf Cicero als Beleg. 9

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Exkurs 2: Rednerideal und Frauenbildung Die Vorstellungen vom Redner sind eine wichtige Bedingung der Konstruktion von Weiblichkeit in der Rhetorik, wie die Analyse von Konzepten zur rhetorischen Bildung von Frauen im Renaissance-Humanismus beispielhaft zeigt. Die Dominanz männlicher Vorstellungen in diesem Bereich teilt die Epoche mit vorhergehenden und nachfolgenden; das hat die Forschung zur Geschichte der Frauen in der Rhetorik belegt.1 Soziale und politische Grundlage dieser Dominanz war die Tatsache, dass von der Antike bis in die Neuzeit Frauen kein Rederecht in den tradierten Feldern öffentlicher Beredsamkeit hatten, wenn auch außergewöhnliche Situationen wie Kriege oder soziopolitische Umwälzungen (Aufstände, Revolutionen) hier Ausnahmen gestatteten.2 Das unbeschränkte Recht, öffentlich zu sprechen, erhielten sie eigentlich erst durch die politische Emanzipation mit Wahlrecht im 20. Jh., obwohl Olympe de Gouges schon während der Französischen Revolution das von ihr öffentlich geforderte Recht der Frauen auf freie Meinungsäußerung mit den Menschenrechten auf eine Stufe gestellt hatte.3 Dass die Dominanz männlicher Vorstellungen oft genug mit einer Diskriminierung weiblicher Redeweise verbunden war, zeigt etwa Quintilians Einschätzung der von ihm als »verderbt« eingestuften deklamatorischen Beredsamkeit. »Jedoch soll dieser Schmuck [der Rede] [ ... ]männlich, kräftig und rein sein und nach weibischer Leichtfertigkeit und durch Schminke vorgetäuschter Farbenpracht kein Verlangen haben«, heißt es einmal in der »lnstitutio«. Die denunziatorische Note dieses Urteils wird noch dadurch verstärkt, dass die bloß auf Unterhaltung ausgerichteten Deklamationen der Kaiserzeit mit dem Verhalten von Kastraten verglichen und als Zerrbild männlich kräftiger Rede bezeichnet werden.4 Anders sieht es jedoch mit der weiblichen Redeweise im Privatbereich aus, bei der Erziehung der Kinder. Quintilian bemerkt:»[ ... ] zur Redegabe der Gracchen hat ja bekanntlich ihre Mutter Cornelia viel beigetragen, deren hochgebildete Sprache der Nachwelt

1 Dabei hat das Rcdncridcal und seine Bedeutung für die rhetorische Konstruktion von Weiblichkeit bisher aber keine Beachtung gefunden. Vgl. dazu A. A. Lunsford (Ed.): Reclaiming Rhetorica. Warnen in the Rhetorical Tradition (Pittsburgh, London 1995) sowie Chr. Mason-Sutherland, R. J. Sutcliffc (Ed.): Tue Changing Tradition: Warnen in thc History of Rhctoric (Calgary 1999). 2 J. Bleicken: Die athenische Demokratie (Paderborn u.a. 21988) S.77f.; J. F. Gardner: Frauen im antiken Rom (München 1995) S.263, 18ff; M. H. Dettenhofer: Frauen in politischen Krisen. Zwischen Republik und Prinzipat. In: dies. (Hg.), Reine Männersache? Frauen in Männerdomänen der antiken Welt (Köln u.a. 1994) S.133ff.; P. Bizzel, B. Herzberg (Ed.): The Rhetorical Tradition. Readings from Classical Times to the Present (Boston 1990) S.483. Im klassischen Latein scheint es keine direkte Bezeichnung für »Rednerin« gegeben zu haben. Die oratrix (feminine Bildung zu orator) taucht anscheinend nur bei Quintilian (II, 14, 1) als (metaphorische?) Übersetzung für griech. rhetorice: »Redekunst« auf. (vgl. Thesaurus Linguae Latinae, Bd. 9, 2: 0 (Leipzig 1968-1981) s.v. oratrix, Sp. 900f.). 3 P. Noack: Olympe de Gouges (1743-1793). Kurtisane und Kämpferin für die Rechte der Frau (München 1992) S.107ff., 167. 4 Quintilian VIII, 3, 6; V, 12, 17.

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auch in ihren Briefen erhalten ist [ ... ].«5 Als Mütter und Erzieherinnern waren die römischen Frauen also für die Rhetorik hochgeschätzt.6 Dasselbe Muster einer gegenteiligen Bewertung der Rednerrolle für Frauen im privaten und öffentlichen Bereich zeigt auch der Renaissance-Humanismus. Ein Beispiel ist Leonardo Brunis Brief »De studiis et litteris« an die Fürstentochter Battista de Malatestis. Ziel der Frauenbildung ist für ihn eine umfassende Kenntnis der Literatur und der Wissenschaften, die einander befruchten sollen. 7 Der Erwerb dieser Kenntnisse fordert ganz nach den Vorgaben der Tradition Begabung, Belehrung, Sorgfalt und Mühe. Zunächst geht es für Bruni um die Beherrschung der Sprache, wobei er seiner Briefpartnerin erklärt, dass der Grammatiker die Regeln, der Rhetoriklehrer die Feinheiten des Stils mit dem Figurenschmuck vermittelt. Er fordert sie auf, sich auch selbst um einen schönen, eleganten Stil zu bemühen. Vollkommenheit in diesen Fertigkeiten entstehe erst, wenn man viele Schriften der Philosophen, Dichter, Redner und Historiker gelesen habe, darunter vor allem Cicero, aber auch die anderen großen lateinischen und griechischen Schriftsteller. Empfehlenswert sind für Bruni vor allem die Werke der Alten, von den Modernen nur die Guten. Er versäumt nicht, Battista auf bedeutende Frauen der Antike wie Cornelia (Briefe), Sappho (Prosa und Lyrik) und Aspasia (Gelehrsamkeit) als Vorbilder hinzuweisen. Als Studiengebiete empfiehlt er rhetorische Theorie, Beredsamkeit und Dichtung, Theologie und biblische Texte, Moralphilosophie und Geschichte.8 »Eine Frau, die auch beim Lesen ihr Heil im Auge hat, wird besondere Freude an theologischen Büchern haben[ ... ]«, erklärt er, und:»[ ... ] außerordentlich wichtig scheinen mir die Bemühungen um Religion und das rechte Leben zu sein [ ... ].«9 Die Studien sollen deshalb wie »Werkzeuge« einen ethischen Zweck erfüllen. Bei der Rhetorik, die sonst unverzichtbarer Bestandteil des Studienplans für jeden Humanisten ist, macht Bruni eine Einschränkung. »Ungern erwähne ich diese letztere,« schreibt er, obwohl er dieser Kunst sehr zugetan sei. »Aber ich [ ... ]muß vor allem darauf achten, wem dieser Brief gilt«, fährt er fort. »Denn was sollen die Feinheiten [ ... ] in dieser Kunst eine Frau belasten, die niemals öffentlich auftreten wird? Der kunstvolle Vortrag [... ]kann niemals von einer Frau erlernt werden, weil diese, bräche sie gestikulierend in heftiges Geschrei aus, für wahnsinnig und zügellos gehalten würde.« Er tröstet sie mit dem Hinweis, die ganzen Streitigkeiten in der Öffentlichkeit seien nichts für Frauen, die Rauheit des Forums sei

s Quintilian 1, 1, 6. Quintilian erwähnt hier ebenfalls Laclia, wie Cic. Brut. 211 auf Cornelia verweist. 6 »[E]s ist von großer Bedeutung, wen jemand zu Hause tagtäglich hört«, stellt Cicero fest, »mit wem er von Kindheit an redet, auf welche Weise sich Vater, Erzieher, auch die Mutter ausdrücken.« Er erwähnt hier als herausragendes Beispiel die Sprechweise Laelias, der Schwiegermutter des Crassus, eines der Dialogpartner in »De oratore«. (Cic. Brut. 211, vgl. De or. III, 45). 7 L. Bruni Aretino: De studiis et litteris liber. In: E. Garin: Gesch. und Dokumente der abendländischen Pädagogik, Bd.11: Humanismus (Reinbek bei Hamburg 1966) S.190. 8 Ebd. S.169, 176f., 178f., 180ff. 9 Ebd. S.172, 191; Übers. v. M. Gleiss.

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Sache der Männer. IO Rhetorik hat für Battista also nur einen privaten Wert; für die Öffentlichkeit taugt sie nichts, da die Frauen dort die Rednerrolle angeblich nicht wahrnehmen können. Das Rednerideal beschreibt in Brunis Augen für eine Frau nur Wege und Ziele des Bildungserwerbs, nicht auch eine praktische öffentliche Tätigkeit, da sie sich nach Art der Frauen beim Vortrag nur unangemessen verhalten würde. Die weibliche Natur Battistas liefert beide Male die Begründung für Brunis Argumentation: als »außerordentliche Begabung« (singulare ingenium) 11 für die Ratschläge des Bildungsplanes und als »wahnsinniger« bzw. »zügelloser« Habitus, der den öffentlichen Auftritt von vornherein verbietet. »Natura«, die Basis rhetorischer Erziehung und rhetorischen Verhaltens, erscheint hier nicht nur als Anlage, sondern zugleich als »Geschlecht«, das in seiner biologischen Disposition so kulturspezifisch gedeutet und festgelegt wirdl2, und zwar vom Öffentlichkeitsaspekt her zum Nachteil der Frauen. Denn diese »natura« hat für die Frau in einer männlich dominierten Welt die fatale Konsequenz, dass - in den Worten von Laura Cereta, einer italienischen Humanistin des 15. Jh.'s und Kritikerin männlichen Dominanzverhaltens - »absolut alles, was in uns und was außerhalb von uns ist, in Verbindung mit [unserem] Geschlecht schwach gemacht wird.«13 Die weibliche »Natur«-Eigenschaft erweist sich damit als künstliche, künstlich hergestellte. Im Zusammenspiel von natura und ars ist rhetorische Anthropologie, wie die Frage der Frauenbildung im Humanismus zeigt, also primär Kulturanthropologie.14 Doch zurück zu Bruni. Seine Bewertung des potentiellen öffentlichen Auftretens von Frauen zeigt nicht nur die soziokulturelle Schranke des Denkens in einer patriarchalischen Gesellschaft, sondern auch die persönliche Voreingenommenheit dessen, der nur männliche Verhaltensformen in der Öffentlichkeit für akzeptabel hält. Damit stand er nicht allein; diese Einstellung war weit verbreitet und zwar bei Männern wie bei Frauen. Selbst gegenüber der Frage der weiblichen Bildung schwankte die allgemeine Haltung zwischen Zustimmung und Ablehnung. Bildungsempfehlungen wie die von Bruni wurden aufgrund der herrschenden Verhältnisse nur von wenigen Frauen vor allem aus begüterten Familien realisiert, zumal sich für die meisten von ihnen die Bildungsphase auf die Jugendzeit bis zur Ehe-

Ebd.S.177f. Ebd. S.169. 12 Die feministische Frauenforschung bezeichnet das kulturelle Geschlecht als gender im Unterschied zum biologischen (sex). Vgl. dazu R. Hof: Die Entwicklung der »Gcndcr Studics«. In: H. Bußmann, R. Hof (Hg.): Genus - zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwiss. (Stuttgart 1995) S.14-18. u L. Ccrcta: [Brief an Bibulus Scmpronius.] In: M. L. King. A. Rabil Jr. (Ed.): Her Immaculatc Hand: Selected Works By and About the Woman Humanists of Quattrocento ltaly (Binghamton, New York 1983) S.84. lm Originaltext steht: »mit meinem Geschlecht«. 14 Die Rolle von Rcdncrideal und Rhetorik wird in der Forschung zur humanistischen Frauenbildung bisher gar nicht analysiert. Vgl. etwa K. Fietze: Frauenbildungskonzepte im RenaissanceHumanismus. ln: E. Kleinau, C. Opitz (Hg.): Gesch. der Mädchen- und Frauenbildung Bd.l: Vom MA bis zur Aufklärung (Frankfurt, New York 1996) S.123 zu Bruni. 10

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schließung beschränkte. Danach hatten sie sich mit Fragen des Familienlebens und der Kindererziehung zu beschäftigen; erst als Witwen konnten sie sich erneut um ihre Bildung kümmern.15 Dennoch hat es im Renaissance-Zeitalter eine beachtliche Zahl von Frauen gegeben, die man wegen ihrer Bildung und Gelehrsamkeit als »Humanistinnen« bezeichnen kann16, darunter Cassandra Fedele, eine Venezianerin. Sie verneinte in einer der seltenen Reden, die von Frauen - hier auf besondere Einladung in der Universität von Padua - gehalten wurden, noch den praktischen Wert der Bildung für ihre Geschlechtsgenossinnen: »Ausgerüstet mit Spinnrocken und Nadel - den Waffen der Frauen - fahre ich fort, den Glauben zu verteidigen, daß obwohl das Studium der [schönen] Wissenschaften keinen Lohn und keine Würde für die Frauen verspricht und bietet, jede Frau diese Studien doch suchen und ergreifen sollte für das Vergnügen und die Freude, die von ihnen kommen«.17 Was den tatsächlichen Wert der Bildung für die Frauen angeht, so erkannten diese bald immer mehr, welche Bedeutung Kenntnisse in Wissenschaften und Künsten für eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Situation hatten.18 Des kultivierenden Werts der Studien aber war sich Fedele schon zu ihrer Zeit bewusst, wenn sie die Bemühung um Bildung als das entscheidende Merkmal bezeichnete, das den Menschen vom Tier und den Zivilisierten vom Barbaren unterscheidet.19 Die den Humanistinnen auferlegte Trennung zwischen privater und öffentlicher Tätigkeit auf dem Felde der Rhetorik gab es für die Hofdame zwar nicht. Sie konnte auch in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen, wobei ihr die Aneignung der Redekunst bei ihrer Hauptaufgabe half, für eine angenehme Unterhaltung der Mitglieder der Hofgesellschaft zu sorgen. Castigliones »Buch vom Hofmann« enthält ein Kapitel über die Hofdame und all die Vorzüge, die sie - nach Ansicht des Verfassers und in Analogie zum Hofmann - zu einer vollkommenen Vertreterin ihres Geschlechts und Standes machen. Die patriarchalische Beschränkung dieses Frauenideals liegt freilich darin, dass es nur von männlichen Interessen und Wünschen her konzipiert ist und anders als etwa die Schriften der Venezianierin Moderata Fonte keinen Entwurf eines weiblichen Selbstbildes enthält.20 Dennoch geht es bei Castigliones Hofdame nicht nur um die tradierten Frauentugenden. Belächelt wird im Gespräch der Hofgesellschaft, die sich im Buch mit diesem Thema

Bizzel, Herzberg [2] S.484 U. Bejick: Deutsche Humanistinnen. In: Kleinau, Opitz [14] S.150ff.; B. Becker-Cantarino: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Lit. (1500-1800) (Stuttgart 1987) S.86ff. 17 C. Fedele: [Lobrede auf die Künste.] In: King, Rabil Jr. [13] S.77. 1x Dazu Becker-Cantarino [16]. 19 Fcdclc [17] S.75f. 20 Moderata Fante, eine gebildete Patrizierin aus Venedig, die des Lateinischen mächtig und umfassend gebildet war, verfasste einen Dialog mit dem Titel »II merito delle donne« (Der Wert der Frauen). der die Vorurteile gegen die Frauen widerlegen wollte und ihre intcllcktucllc Ebenbürtigkeit mit den Männern zu beweisen suchte. Vgl. dazu B. Guthmüller: Nicht länger schweigen. M. Fantes Dialog »II merito delle donne«. In: P. G. Schmidt (Hg.): Die Frau in der Renaissance (Wiesbaden 1994) bes. S.175 ff. 15

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beschäftigt, die Ansicht dessen, der »uns eine Hofdame vorführt, die nichts anderes als zu kochen und zu spinnen versteht«. Wie der Hofmann soll sie dagegen eine »natürliche Anmut« mit »guten Sitten« verbinden, gut gekleidet sein, Kenntnisse in Literatur, Musik und Malerei haben, zu tanzen und singen verstehen und ein Musikinstrument spielen können. Ihr »Hauptberuf« aber besteht darin, mit »gefälliger Freundlichkeit« »jede Art von Menschen durch angenehme und ehrenhafte Gespräche höflich zu unterhalten [ ... ],passend zu Zeit und Ort und Eigenschaft jener Person, mit der sie spricht.« Allgemeinbildung und Orientierung an der geltenden Sittlichkeit zeigen den Einfluss des Ciceronischen Rednerideals, desgleichen die Betonung der Urteilsfähigkeit, um die richtigen Gesprächsthemen auszuwählen und den Gesprächspartner richtig einzuschätzen.21 Frauen können bei allem die gleiche Vollkommenheit erreichen wie die Männer, nur sollten sie mehr Zurückhaltung zeigen und auch die nicht zu ihnen passenden körperlichen Übungen oder Tätigkeiten wie etwa das Kriegshandwerk meiden.22 Nach Meinung eines der Gesprächsteilnehmer »ist ihr aber die Schönheit notwendiger als dem Hofmann; denn der Dame, der die Schönheit fehlt, fehlt wahrlich viel. Sie muß auch vorsichtiger sein und mehr achthaben, keinen Anlaß zu geben, daß man schlecht über sie rede, und sich so benehmen, daß sie nicht nur nicht von Schuld, sondern auch nicht einmal von Verdacht befleckt sei, weil die Frau nicht so viele Mittel wie der Mann hat, sich gegen Verleumdungen zu verteidigen.«23 Die entscheidenden sozialen Unterschiede zwischen Mann und Frau in der Welt des Hofes liegen also auf ästhetischem und ethischem Feld. Sie bestimmen auch das rednerische Verhalten von beiden. So darf die Hofdame in der Unterhaltung nicht so freizügig sein wie der Hofmann, da sie strengen Anstandsregeln unterworfen ist.24 Vom Rednerideal her gesehen entsprechen diesen Unterschieden verschiedene Wirkungsintentionen, so dass dessen gemeinsame kulturelle Merkmale mal aus weiblicher, mal aus männlicher Perspektive codiert werden. Erst die rednerische Subjektivität also bestimmt die entscheidende Differenz von männlicher und weiblicher Rhetorik. Das ist wohl die wichtigste Konsequenz, die sich aus der Analyse der Funktion des Rednerideals für die Frage nach einer spezifisch weiblichen Rhetorik ergibt. Man hat weibliche Redeweisen zwar vielfach auf bestimmte Formen von Sprachgebrauch und Stil festlegen wollen25, konnte jedoch

21 B. Castiglione: Das Buch vom Hofmann (1528). Übers. u. crl. von F. Baumgart (München 1986) S.234, 245 ff., 251 f. 22 Ebd. S.245, 247, 249ff., 255 ff. Genauer gesagt: das Thema der weiblichen Vollkommenheit wird in langen Disputen auch bezweifelt, wobei interessante Vergleiche zwischen der Natur von Mann und Frau angestellt werden. Doch eine kulturanthropologische Analyse dieser Argumente geht über den Bereich der Rhetorik und damit das Thema unserer Untersuchung weit hinaus. n Ebd. S.245. 24 Vgl. etwa S.247. 25 Vgl. M. Heuser (Hg.): Frauen-Sprache-Lit. (Paderborn u. a. 1982); G. Schoenthal: Art. »Feministische Rhet.«, in: HWRh Ed.III, Sp. 238ff.

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die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass auch Männer in vergleichbaren sozialen Situationen als »weiblich« apostrophierte Sprachformen verwenden. Sprachliche bzw. rhetorische Mittel sind als Techniken immer neutral. Erst der Faktor der Subjektivität - oder der der »kommunikativen Kompetenz«26 -macht sie zu Elementen einer männlichen oder weiblichen Beredsamkeit.

e) Barock Keckermann: Konzentration auf die Affekterregung Die Fixierung des humanistischen Rednerideals auf die Redeästhetik zieht im Barock die Konzentration auf die Affekterregung als wichtigste rednerische Aufgabe nach sich. Cicero und Quintilian wussten zwar, dass die Mobilisierung der Gefühle (movere) das stärkste Persuasionsmittel des Redners ist, hatten es aber der Belehrung (docere) nicht grundsätzlich vorgezogen, sondern den Gebrauch der beiden Einwirkungsmöglichkeiten von Situation und Redeziel abhängig gemacht.1 Deshalb hatten die klassisch orientierten Rhetoriken eines Soarez und Melanchthon für die enge Verbindung von Rhetorik und Dialektik plädiert, da die letztere zur Stärkung der rhetorischen inventio beitrug. Melanchthon sah überhaupt im Belehren die wichtigste rhetorische Aufgabe, wogegen Soarez schon deutlich die im geschickten Gebrauch der elocutio gelegenen psychagogischen Möglichkeiten des Redners bevorzugt.2 Die verschiedene Gewichtung der rednerischen Aufgaben hat dann bei Ramus zu der bekannten Aufteilung des rhetorischen Systems geführt, indem er inventio bzw. dispositio überhaupt der Dialektik zuschlug, die Rhetorik auf elocutio sowie actio beschränkte und der Redekunst die Affekterregung zuwies.3 Die ramistische Trennung wurde zwar nicht überall nachvollzogen, aber auch in Barockrhetoriken, die gemäß klassisch-humanistischer Tradition dem fünfteiligen Aufbauschema treu blieben, verschob sich die Hauptaufgabe des Redners dahin, die Gefühle der Zuhörer zu mobilisieren. Dies kann erneut als Beleg dafür gelten, wie eine Epoche mit dem Rednerideal in der Realisierung der Kunstvorgaben eigene historisch-kulturelle Akzente setzt.4 Ein gerade in der prägnanten

26 Vgl. M. Heuser: Mädchen-Jungen: Nachdenken über sich, auch im Deutschunterricht. In: Heuser [25] S.138. 1 Vgl. etwa Cic. Or. 69, 97-101; Quintilian III, 5, 2; VI, 2. 2 H. J. Lange: Aemulatio veterum sive de optimo genere dicendi. Die Entstehung des Barockstils im XVI. Jh. durch eine Geschmacksverschiebung in Richtung der Stile des manieristischen Typs (Phil. Diss. Frankfurt/M. 1973) S.38f. 3 Lange [2] S. 40. Auch die memoria wurde von Ramus der Dialektik zugeordnet. Vgl. J. J. Murphy: Introduction of: Argument in Rhetoric against Quintilian. Translation and Text of P. Ramus's »Rhetoricae distinctiones in Quintilianum« (1549) (De Kalb/111.1986) S.27. 4 Lange sieht in dieser Neuakzentuierung der rednerischen Aufgabe den Grund für die Entstehung des Manierismus (S.38). Die anthropologischen Hintergründe für die Aufwertung der redne-

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Konzeptualisierung typisches Beispiel für die barocke Rednerauffassung ist das »Systema rhetoricae« des Bartholomäus Keckermann. Das docere ist für ihn nur noch eine »weniger wichtige« Pflicht des Redners, da derjenige, der belehrt, »mehr durch die Logik als die Rhetorik unterstützt wird«. Statt dessen gilt: »Das wichtigste Ziel der Beredsamkeit sind der Wille (voluntas) und die Gemütsbewegung (affectus) des Menschen. Vor allem nämlich zielt der Redner auf das Herz ab, damit er es rühre (commovere) und durch verschiedenartige Gemütsverfassung aufrege«, erklärt Keckermann. Der Redner versuche, den Affekt anzustacheln, aufzuregen, zu besänftigen oder auch wegzunehmen, wenn er [der Affekt] schlecht ist. »Da aber die Affekte im Zuhörer sitzen und im Zuhörer bewegt werden müssen«, heißt es weiter, »ist der Zuhörer auch das Objekt des Redners [ ... ].«5 Die Affekte werden zum einen in Willen (voluntas), Begehren (appetitus) und Bewegungsantrieb (locomotiva) eingeteilt, zum anderen in allgemeine und spezielle, wobei die speziellen nur den Menschen im Unterschied zum Tier auszeichnen und noch einmal in gute (z.B. Barmherzigkeit, Scham) bzw. schlechte (z.B. Neid, Eifer für das Böse) unterteilt werden.6 Der Redner muss allerdings darauf achten, dass er die guten Emotionen erregt, womit er auf das Leitbild des vir bonus verpflichtet und ausdrücklich vom vir malus abgegrenzt wird.7 Als Mittel zur Mobilisierung der Emotionen offeriert Keckermann vor allem den amplifizierenden Gebrauch des Redeschmucks und den Vortrag. Darin repräsentiert er die allgemeine Tendenz der Barockrhetorik, die im ornatus keine bloß schmückende Zutat der Rede, sondern in Tropen und Figuren das wichtigste Agens der Persuasionswirkung sah.8 Es versteht sich, dass das Ganze im Rahmen einer imitatio der klassischen Muster gedacht war. Cicero nahm einen herausragenden Platz in Keckermanns sprachpädagogischen Vorstellungen ein, da die Schüler vor allem durch die Werke dieses Römers die Beredsamkeit in Wort und Schrift kennenlernen konnten.Y

rischcn Affektivität in der frühen Neuzeit durch eine jetzt veränderte Sicht des Pcrsuasionswillens berücksichtigt er aber nicht. Siehe dazu unten S.172 ff. 5 B. Keckermann: Systema rhetoricae (1608). In: Opera omnia quae extant. Bd.2 (La Rochesur-Foron 1614) S.11f.,14, übers. von Lange [2] S.163 Anm. 20. Zur affektischen Rhetorik Keckermanns vgl. auch Th. Conley: Rhet. in the European Tradition (New York, London 1990) S.157 ff. 6 Keckermann [5] S.13. 7 Ebd. 8 Conley [5] S.159. Zur Rolle des barocken ornatus als Mittel rhetorischer Wirkung siehe J. Dyck: Ticht-Kunst (Tübingen 31991) S. 76, 83 ff. 9 J.S. Freedmann: Cicero in Sixteenth- and Scvcntecnth-Century Rhetoric Instruction. In: Rhetorica vol. 4, no. 3 (1986) S.235f. Auf barocke bzw. manieristische Änderungen im Kanon und ihre Auswirkungen bei Keckermann wird hier jetzt nicht eingegangen. Vgl. dazu W. Barner: Barockrhet. (Tübingen 1970) S.274.

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f) Aufklärung Gottsched: Rationalismus und Klassizismus Die »philosophische Redekunst«, deren wohl einflussreichster Vertreter Johann Christoph Gottsched wurde, setzte gegenüber dem Barock unter rationalistischen Vorzeichen erneut bei der klassischen Rhetorik an, um danach ihr Rednerideal zu entwerfen. Insbesondere die Rolle der inventio wurde neu bestimmt. An die Stelle der topischen Auffindung von meist autoritativ gestützten Argumenten traten die in gründlicher wissenschaftlicher »Meditation« (Hallbauer) durch Analyse der Sachverhalte ermittelten Beweisgründe. Das von der Barockrhetorik favorisierte äußere, primär wirkungsbezogene aptum wurde vom inneren aptum der Sachhaltigkeit der Rede abgelöst. In dieser Neukonzeption der Rhetorik machte sich der vor allem von Leibniz und Wolff in der Nachfolge von Descartes formulierte aufklärerische Anspruch gelten, alle Disziplinen der Wissenschaften und schönen Künste - darunter auch die Redekunst - logisch zu durchdringen und systematisch zu ordnen.! Für Gottsched ging es dabei um »den rechten Weg einer vernünftigen und ungekünstelten Beredsamkeit«, wie er im »Vorbericht der Ausgabe von 1739« seiner »Ausführlichen Redekunst« formulierte.2 Am Anfang des Kapitels »Von dem Charactere eines Redners« heißt es dort: »Durch einen Redner verstehe ich einen gelehrten und rechtschaffenen Mann, der die wahre Beredsamkeit besitzet.«3 Basis dieser Gelehrsamkeit ist umfassendes Wissen gepaart mit der Kenntnis von Logik und Philosophie. Gottsched betont, dass kein Ungelehrter ein Redner sein könne, und knüpft damit an das Ciceronische Ideal umfassender Bildung an.4 Zugleich lehnt er jede trockene Gelehrsamkeit ab und hält an lebenspraktischer Orientierung aufgrund von Anpassungsfähigkeit, rascher Auffassungsgabe, dazu »große[r] Scharfsinnigkeit«, »starke[r] Einbildungskraft« und »lebhafte[m] Witz« fest.5 Freilich werden »Scharfsinnigkeit« und »Witz« jetzt nicht mehr nach Art der barocken argutia-Technik als geist- und anspielungsreiche, primär auf verbaler Ebene spielende Redeweise verstanden, sondern als analytisch auf die Realienebene zielende, oft pointiert oder auch spitzfindig verfahrende Diktion (acumen) aufgefasst. »Witz« steht hier für »Verstand«, »Talent« und ist noch nicht auf die spätere Bedeutung »spaßhafte Bemerkung« reduziert.6

1 G. E. Grimm: Von der >politischen< Oratorie zur >philos.< Redekunst. Wandlungen der deutschen Rhet. in der Frühaufklärung. In: Rhetorik. Ein internationales Jb., Nr. 3 (1983) S.67, 79ff., 88f. 2 J. Chr. Gottsched: Ausführliche Redekunst. Nach Anleitung der alten Griechen und Römer wie auch der neuem Ausländer [... ].Erster, allgemeiner Theil. In: ders., Ausgewählte Werke Bd. VII, 1, hg. von P. M. Mitchell (Berlin, New York 1975) S.12. 3 Ebd. S.102. 4 Ebd. S.103, 106f. 5 Ebd. S.103, 105f., llüf., 118f. 6 Vgl. dazu H. Stauffer: Erfindung und Kritik. Rhet. im Zeichen der Frühaufklärung bei Gott-

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Moralisch gesehen muss der Redner ein vir bonus sein, »und dieses geht auf seinen Willen, oder auf seine Sitten«, wie Gottsched sagt. Auch in ethischer Hinsicht orientiert Gottsched sich also bei der Formulierung des Rednerkonzepts an der Tradition. Allerdings reduziert sich der philosophische Aspekt des Redners in der Aufklärung nicht mehr nur auf die Moralität wie im Humanismus, sondern dazu kommt der rationalistische Anspruch auf die führende Rolle der Vernunft beim Gebrauch der Rede.7 »Wahre Beredsamkeit« hat ein Redner deshalb, wenn er fundierte Beweisgründe gebraucht, wobei Gottsched genauer solche, die aus ersten Prinzipien deduziert sind und der (überzeugenden) »Ueberführung« dienen, von den auf Wahrscheinlichkeit basierenden und die »Ueberredung« bezweckenden unterscheidet. Die letztere ist in seinen Augen nichts Schlechtes, nützt sie doch dem populären Vortrag vor durchschnittlichen Zuhörern.8 Tadelnswert ist dagegen die »falsche Beredsamkeit«, die auf »Scheingründen« beruht. Gottsched illustriert diese Art der Redekunst durch Rekurs auf die antiken Gerichtsredner, die »nicht minder die bösen als die guten Sachen vertheidigen« mussten und sich auf »Kunstgriffe« verlegten, um »auch den ungerechtesten Handlungen ihrer Clienten eine Farbe zu geben.« Als weitere Beispiele führt er die Sophisten an, die »sich mit ihrer Unwissenheit, Unverschämtheit und pralerhaften Windmacherey« insbesondere durch die dialektischen Disputierkünste sowie die rhetorische Topik »verhaßt machten«.9 Zeitgenössische Beispiele dieser »falschen« Beredsamkeit sieht Gottsched in unwahrhaftigen Reden, z.B. unverdienten Lobreden oder Predigten zur Verteidigung »ungegründeter« theologischer Lehren.10 Sophisten und »Schwätzer« im beschriebenen Sinne schließt er damit aus dem Begriff des Redners aus, ebenfalls »bloße Stilisten«, die nur die Kunst des schönen Ausdrucks (»Wohlredenheit«) beherrschten und sonst nichts von der Beredsamkeit wüssten.11 Wenn sie nicht als Selbstzweck erscheint, gehört eine »gute Schreibart« jedoch ebenfalls zum Redner. »Weil aber die Schreibart ein Ausdruck der Gedanken ist«, heißt es im Kapitel von der Ausarbeitung der Rede, »SO müssen sich auch die kritischen Regeln, auf die logischen Lehren von dem Unterschiede der Gedanken gründen«, die in einer Rede vorkommen.12 Also auch im sprachästhetischen Bereich wendet Gottsched die kritische Methode rationalistischer Prüfung der Vorschriften an, eine Prozedur,

sched und seinen Zeitgenossen (Frankfurt/M. u. a.) S.172 und J. Schmidt: Die Gesch. des Geniegedankens in der deutschen Lit., Philos. und Politik 1750-1945, Bd.1 (Darmstadt 21988) S. 32 ff. 7 Gottsched [2] S.107ff. Vgl. dazu auch Gottscheds »Akademische Rede, Daß ein Redner ein ehrlicher Mann seyn muß«. In: J. Chr. Gottsched: Ausgew. Werke, hg. von P. M. Mitchell, Bd. IX, 2. Teil (Berlin, New York 1976) S.509-518. G. P Müller bezeichnet sich in diesem Sinne als »ein wahrer/bescheidener und vernünfftiger Philosophus und Redner«. Vgl. ders.: Abriß einer gründlichen Oratorie [ ... ](Leipzig 1722) S.4r. x Gottsched [2] S. 92-95. 9 Ebd. S. 94, 102. 10 Ebd. S. 94. II Ebd. S.102f. 12 Ebd. S.297.

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die ihn zu detaillierter Unterscheidung der Erscheinungsformen von »guter« und »schlechter«, fehlerhafter »Schreibart« führt.13 Der Rahmen, in dem Gottsched sein Rednerkonzept abhandelt und in dem sein rhetorischer Klassizismus am besten deutlich wird, zeigt sich im historischen Abriss einer Geschichte der Beredsamkeit zu Anfang seiner »Redekunst« und am »Gespräch von Rednern« des Tacitus, das Gottsched der zweiten Auflage seines Werks von 1739 in eigener Übersetzung voran geschickt hat.14 Wie sein »Vorbericht« ausführt, wollte er damit dem zu seiner Zeit verbreiteten »Vorurtheil« entgegentreten, die neueren Redner seien den alten vorzuziehen. Eine ähnliche Absicht verfolgte Tacitus in seinem »Dialogus de oratoribus«, wobei dieser nicht nur die These vertrat, die Redner aus der Zeit der Republik seien besser als die der Kaiserzeit, sondern die Ära der großen Redner sei überhaupt vorbei.15 Tacitus argumentiert im »Dialogus« klassizistisch, wie die Berufung auf das als Norm gesetzte Vorbild Ciceros belegt16, aber auch historisch-relativierend, indem er die Zeit der großen Redner auf die Epoche der römischen Republik beschränkt. Sein Fazit ist pessimistisch: Große Redner wird es nicht mehr geben. Das sieht Gottsched für seine Gegenwart und vor allem die Zukunft jedoch anders, wie seine »Historische Einleitung« zur »Allgemeinen Redekunst« deutlich macht. Die Beredsamkeit habe etwa seit Anfang des 18. Jh.'s ein besseres Ansehen als vorher gewonnen, heißt es am Ende des geschichtlichen Überblicks, da »Redner und Scribenten« hervorgetreten seien, »die so wohl in der philosophischen als oratorischen und historischen Schreibart uns rechte Meisterstücke gewiesen.« Dazu hätten nicht wenig die durch Wolff gereinigte Philosophie und »mancherley wöchentliche Schriften« (wohl aus Gottscheds eigener Feder) beigetragen.17 In diesem Urteil spiegelt sich Gottscheds pädagogisch-aufklärerischer Optimismus. Der Klassizismus dient beim Gang durch die Geschichte dem Zweck, die Normen des guten Geschmacks an überzeitlich gültigen Leitbildern aus der Geschichte und auch an zeitgenössischen Autoren festzumachen, die diesen Leitbildern entsprechen. Schon in der griechischen Beredsamkeit zeigt sich der Ablauf von Aufstieg, Höhepunkt und Verfall als Darstellungs- und Bewertungsmuster, wobei die bekannten Namen des griechisch-römischen Literaturkanons wieder auftauchen. Die Redekunst setzt ein mit Homer und den Dichtern, findet vorzügliche Vertreter auch unter Philosophen und Geschichtsschreibern, kulminiert dann in Isokrates und Demosthenes (»höchste[r] Gipfel einer ernsthaften,

Ebd. Allg. Theil Kap. XV f. Der »Vorbericht« ist abgedruckt bei Mitchell [2] S.12. 15 Zu Tacitus vgl. auch G. Münkel: Redner und Redekunst in den historischen Schriften des Tacitus (Phil. Diss. Würzburg 1959) 16 Zum Klassizismus des Tacitus vgl. A.D. Lecman: Orationis ratio. Tue Stylistic Thcorics and Practice of the Roman Orators, Historians and Philosophers (Amsterdam 1963) Kap. XIII f. 17 Gottsched, Ausführliche Redekunst [2] S.85. Zu Gottscheds Rolle vgl. »Ausführliche Redekunst« in Mitchells Edition Bd.VII, 4 S.34. 13

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nachdrücklichen und pathetischen Beredsamkeit«), um unter Demetrius Phalereus dem allmählichen »Verfall« entgegenzugehen, der sich in den folgenden Zeiten bis zum »Verderben der wahren Beredsamkeit« auswirkt.18 Nach demselben Schema wird die römische Rhetorik mit Cicero als Gipfelpunkt beschrieben.19 Gerade die Kaiserzeit gilt dabei als Verfallszeit par exellence, in der der Niedergang der Beredsamkeit („ein schwülstiges und ungesundes Wesen in Gedanken und Ausdrükkungen«20) vom schlechten Zustand der Gelehrsamkeit und freien Künste sowie dem Schwinden der guten Sitten begleitet wird. Dieselben Gefahren bedrohen die Entwicklung der Rhetorik in den folgenden Jahrhunderten, auch in Deutschland. Klare Orientierungspunkte lassen aber auch hier keinen Zweifel über die Wertigkeiten aufkommen. »Von den Neuern hat niemand die Redekunst besser beschrieben als [ ... ] Melanchthon«, stellt Gottsched fest und begründet sein Urteil damit, dass dieser »seine Schüler auf die Regeln und Exempel der alten Griechen und Lateiner [führte]«, die ja vermittelt durch die französische Rhetorik auch zu Gottscheds eigenen Vorbildern wurden.21 Der Barockrhetor Weise dagegen sei »mehr vor einen Verderber als einen Beförderer der Beredsamkeit zu halten [ ... ],da es ihm an Kenntniß der Alten fehlete [ ... ].«22 Gegen Ende seiner »Einleitung« nennt Gottsched dann einige Schriftsteller seiner eigenen Zeit wie etwa Thomasius, die einen guten Geschmack hätten und durchaus als Vorbilder gelten könnten.23 Gottscheds normativer, rationalistisch abgesicherter Klassizismus stellt zugleich die Basis seines Kulturverständnisses dar. »Dasjenige, was den Menschen zur Beredsamkeit geschickt und fähig macht«, heißt es zu Beginn der »Historischen Einleitung«, »das ist die Gabe, die er vor allen Thieren besitzet, seine Empfindungen, Gedanken und Gemüthsbewegungen mit deutlichen und vernehmlichen Wörtern auszudrücken.«24 Gottsched variiert hier den tradierten Topos von der Kulturentstehung, indem er schon die Sprache, nicht erst die Beredsamkeit (den Sprachgebrauch) zum Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier macht. Die Beredsamkeit wird zu einer solchen durch die Schönheit der Sprache („wohlgesetzte Rede«25). Beredsamkeit ist zwar schon bei den Hebräern des Alten Testaments vorhanden, wird aber erst bei den »einzigen Griechen« »nebst den meisten andern

Redekunst [2] S.63-68. Ebd. S.69-74. 20 Ebd. S. 73. 21 Ebd. S.78. Zur Rolle der französischen Rhetorik für Gottscheds Klassizismus vgl. Stauffer [6] S.40ff., 85. 22 Ebd. S.80f. Nur nebenbei sei hier allerdings erwähnt, dass Gottscheds Kritik an Weise dessen Bedeutung für die Entwicklung einer deutschsprachigen Rhetorik nicht gerecht wird. Gottsched selbst profitierte in seinen pädagogischen Bemühungen z.B. insofern davon, als er jetzt seine »Redekunst« auf Deutsch statt Latein schreiben konnte. 23 Ebd. S.80. 24 Redekunst [2] S.59. 2s Ebd. S.60. 18

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Künsten und Wissenschaften« zur »Vollkommenheit« gebracht.26 Der kulturelle Rang einer menschlichen Fähigkeit wie Sprachbeherrschung bzw. Beredsamkeit hängt für Gottsched also vom Stand der Kunstentwicklung ab. Durch die Kunst, d.h. die ars, entsteht die Kultur. Das wird bestätigt durch zwei Cicero-Zitate, die Gottsched seinem Werk »Erste Gründe der gesammten Weltweisheit« als Motto vorangestellt hat. In dem ersten, aus »De officiis« entnommenen, wird die (rhetorische) Frage gestellt, »welche Unterhaltung [victus] und Gestaltung [cultus] des Lebens [es gäbe], wenn nicht so viele Künste [artes] uns die Gegenstände, durch die das Leben der Menschen verschönert ist und sich so sehr von der Unterhaltung und Lebensgestaltung der Tiere unterscheidet, zur Hand gäben?«27 Lebensunterhalt und -gestaltung sind hier der Ausdruck der Kultur. Das zweite Zitat, das aus »De oratore« stammt, bezeichnet die Vernunft (ratio) als das gemeinsame Band, das »die ganze Lehre dieser höheren und menschlichen Künste [artes]« zusammenhält.28 Kultur und Künste beruhen also auf dem Rationalitätsprinzip; dieses ist zugleich die Basis eines Klassizismus, der im zyklischen Ablauf von Aufstieg, Höhepunkt und Verfall immer wieder in seiner Geltung bestätigt wird: »Wo nun keine gesunde Vernunft mehr im Sehwange geht, und wo keine Wissenschaften mehr blühen; da muß nothwendig auch die Beredsamkeit in Verfall gerathen«, heißt es resümierend in der »Historischen Einleitung« zur »Allgemeinen Redekunst«.29

g) Vom Klassizismus zum Historismus Heinze, Abbt und Herder: Historisch-literaturästhetische Kritik am Klassizismus Gottscheds Rednerideal war der Versuch gewesen, in klassizistischem Geist die Frage nach einer zeitgenössischen Redekunst zu beantworten. Die Geltung der antik-humanistischen Tradition stand seit der Renaissance immer dann auf der Tagesordnung, wenn es um die Reform der Rhetorik ging. Beim Rednerideal betraf das vor allem den Streit um die ästhetische Normativität von Ciceros Stil in der sog. »Ciceronianismus«-Debatte sowie die Auseinandersetzung um die Verbindlichkeit des von Quintilian propagierten vir bonus-Ideals. Der Streit um Quintilian wird

Ebd. S. 62 f. J. Chr. Gottsched: Erste Gründe der gesammten Weltweisheit (Theoretischer Th eil). In: ders., Ausgewählte Werke Bd.V, 1 (Berlin, New York 1983) S.17. Das lateinische Zitat stammt aus Cicero, De officiis II. 15, hier in der Übersetzung von H. Guncrmann aus: Cicero, De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lat.-dt. (Stuttgart 31987). Abweichend von Gunermann wurde artes durch »Künste« wiedergegeben. 28 Weltweisheit [27] S.18, vgl. Cic. De or. III, 21. In diesen Zusammenhang passt, dass Gottschcd die Tiere als »keiner Vernunft fähig« bezeichnet (Weltweisheit S.594) und die Künste als ein Gesamt von Regeln versteht (Weltweisheit. Praktischer Theil. Mitchell-Ausg. Bd. V, 2. S. 321 ff.). 29 Redekunst [2] S.74. 26

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weiter unten im Ethik-Abschnitt behandelt werden.1 Die »Ciceronianismus«-Debatte entstand aus der Forderung von Humanisten der Generation nach Petrarca, Ciceros Stil bis in die Wortwahl hinein nachzuahmen. Erasmus versuchte in seinem »Ciceronianus«-Dialog dagegen, den Streit wieder auf einen realistischen, an der Wirklichkeit des Redners bzw. Autors orientierten Kern zurückzuführen.2 Vor dem Hintergrund der schon von Quintilian getroffenen Unterscheidung zwischen sklavischer und freier Nachahmung3 stellt Erasmus fest, dass Cicero zwar »der unübertroffene Meister des Stils« ist. Doch er fragt: »[S]o nützlich Ciceronische Beredsamkeit in früheren Zeiten war, wo hat sie heute noch einen praktischen Wert?« Er zählt die aus der Schulrhetorik bekannten drei Redegenera auf und kommt zu dem Schluss, dass gegenwärtig wohl die epideiktische, aber nicht mehr die politische und gerichtliche Rede wie in der Antike gebraucht würden. Gerade das ästhetische Element eines an Cicero ausgerichteten Stils sei nur noch von wenigen Kennern nachvollziehbar. Man solle daher nicht Wortschatz und äußere Form der Rede, sondern Inhalt bzw. Aussage (res, sententiae), Scharfsinn (ingenium) und Urteilskraft ( consilium) Ciceros - allerdings in christlichem Geist - nachahmen und sich selbst um einen eigenen Stil bemühen.4 Obwohl Erasmus kein bestimmtes Stilmuster, sondern die Persönlichkeit Ciceros ins Zentrum des imitatio-Postulats rückte, blieb dieser selbst das wichtigste Stilvorbild des humanistischen Klassizismus. Der Rang Ciceros und die Nachahmung antiker Autoren stand auch im Barock nicht in Frage, obwohl in der neulateinischen Dichtung des Späthumanismus wichtige Autoren der silbernen Latinität (vor allem Ovid, Lucan, Statius und Claudian) aufgewertet und zu Vorbildern einer vom Klassizismus abweichenden, manieristischen Dichtung gemacht wurden.s Auch die philosophische Redekunst der Frühaufklärung - mit Ausnahme Hallbauers - hielt an der Geltung der antiken Autoritäten fest.6 Erst in der Zeit nach Gottsched entwickelte sich ein Bewusstsein für die historische Verschiedenheit von Epochen und Kulturen, das geeignet war, den Klassizismus zu durchbrechen und die Verbindlichkeit des tradierten Rednerideals geschichtlich zu relativieren. Bezeichnend für eine apologetische Haltung gegenüber dem klassischen Muster und seinem pädagogischen Nutzen ist die Cicero-Verehrung Johann Michael Heinzes. Dieser war kein Schüler Gottscheds, sondern des klassischen Philologen

Siehe unten S.216ff. Th. Payr: Ein!. zu: Erasmus von Rotterdam: Dialogus cui titulus Ciceronianus sive de optimo dicendi genere. Der Ciceronianer oder der beste Stil. Ein Dialog. In: Erasmus von Rotterdam. Ausgew. Sehr., hg. v. W. Welzig (lat.-dt.) Ed.VII, übers., eingel. und hg. v. Th. Payr (Darmstadt 1972) S.XXXVff. 3 Vgl. Quintilian X, 2. 4 Erasmus [2] S.347,207-211,353,355. s Vgl. W. Barncr: Barockrhct. (Tübingen 1970) S.62. 6 G. E. Grimm: Von der >politischen< Oratorie zur >philos.< Redekunst. Wandlungen der deutschen Rhet. in der Frühaufklärung. In: Rhetorik. Ein internationales Jb., Nr. 3 (1983) S.75-77. 88-93. 1

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Gesner, der zwar ebenfalls um eine Reform der überkommenen Rhetorik bemüht war, allerdings unbeirrt an der normativen Geltung des antiken Rednerideals festhielt.7 Heinze legt seine Ansichten im Vorwort zu seiner Übersetzung von »De oratore« dar und erklärt, die Beredsamkeit in Deutschland stehe noch nicht auf der Höhe der Dichtkunst, die inzwischen durch mehrere vorbildliche Autoren »von classischem Ansehen« vertreten sei. Die Ursache sieht er »in dem Mangel des Geschmackes, und folglich in der Verabsäumung der rechten Regeln der Beredsamkeit [ ... ].«8 »Dieser Mangel kann aber wirklich nicht besser ersetzt werden, als aus den Schriften der Alten«, heißt es weiter. »Denn so gewiß es ist, daß keine größern Redner sind als dieselben: so gewiß ist es auch, daß niemand besser davon geschrieben hat.«9 Heinze weist das Argument, die Alten seien doch unzeitgemäß, zurück: »Man wendet zwar ein, daß sich ihre Lehren für unsere Zeit nicht schickten, weil Cicero und Demosthenes keine Bischöffe gewesen, Aristoteles und Quintilian auch für keine geistlichen Kandidaten geschrieben hätten. Aber das ist wunderlich. Eine Periode, eine Metaphore [ ... ] ist im Mosheim nichts anders als im Demosthenes: die Gnade der Erlösung wird eben so erhoben, als die Gnade des Cäsar gegen den Marcellus: und die Thaten Gottes vergrößert man wie die Thaten des Pompejus oder eines andern Helden.«10 Das rhetorische Verfahren der Alten und Neuen wird also parallelisiert. Selbst in den Ansprachen J. L. von Mosheims, eines der bedeutendsten deutschen Prediger im 18. Jh., vermag Heinze keine anderen Kunstgriffe als in Ciceros (politischen!) Reden für Cäsar und Pompeius zu entdecken. »So gewiß also Cicero der größte Prediger wäre, wenn er unter uns lebte, und unsere Religion bekennete«, lautet das Fazit, »so gewiß können seine Regeln und Beispiele die besten Prediger bilden [ ... ].«11 An dieser These entzündete sich lebhafter Widerspruch. In seiner Rezension des Heinzeschen Buches antwortete ihm Thomas Abbt: »Ü wahrhaftig! Cicero könnte wohl vielleicht der beste Kanzelredner unter uns sein, aber ein Cicero würde er nicht sein.«12 Abbt führt in seinem Beitrag aus, dass die Deutschen zwar die Wohlredenheit im Sinne von epideiktischer Gelegenheitsrhetorik, aber keine politische und gerichtliche Beredsamkeit hätten, da ihre Staatsverfassungen und ihr öffentliches Leben ganz anders organisiert seien als es in der Antike der Fall war. Gerade

7 J. M. Gesner: Institutiones rei scholasticae (Jena 1715) §XVIII, S.124f. Vgl. dazu U. Schindel: J. M. Gesner, Professor der Poesie und Beredsamkeit 1734-1761. In: C. J. Classen (Hg.): Die klass.

Altcrtumswiss. an der Georg-August-Universität Göttingen (Göttingen 1989) S.12. s J. M. Heinze: M. T. Ciceronis Drey Gespräche von dem Redner. Aus dem Lat. übers. und mit Anm. erleutert (Helmstaedt 1762) Vorwort S.Xf., XII. Den Hinweis auf Heinze verdanke ich B. Hambsch. 9 Ebd. S.XXI. 10 Ebd. S.XXII. 11 Ebd. S. XXIII. 12 Mitgeteilt in: J. G. Herder: Haben wir Deutsche Ciceronen? In: Über die neuere Deutsche Lit. Fragmente, als Beilagen zu den Briefen, die neueste Lit. betreffend. 3. Sammlung, 3. Teil. (1767) In: Herders Sämmtl. Werke, hg. von B. Suphan, Bd. l (Berlin 1877) S.502. Hervorhebung vom Verf.

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bei den Kanzelreden übrigens stelle sich der Unterschied noch deutlicher dar, da etwa die Gerichtsreden in weit stärkerem Maße von Affekten Gebrauch machten, andere Beweise benützten und auch ganz andere Materien behandeln würden.13 Johann Gottfried Herder hat Abbts kritische Ausführungen zu Heinze weitgehend als Zitat in seine eigenen »Fragmente über die neuere deutsche Literatur« aufgenommen und die historische Relativierung genauer begründet. Schon das Publikum der antiken und zeitgenössischen Redner sei ganz verschieden: »[ ... ] selbst das Volk ist nicht mehr dasselbe. Dort war dieser Name ehrwürdig[ ... ]«, da er alle Bürger umfasste; heutzutage sei das Volk soviel als »Pöbel und Canaille«. »Dort waren alle Bürger gleich [ ... ],heut zu Tage sondert man Ackerbau, und Soldatenstand, ja gemeiniglich auch die Regierung vom Bürgerstande ab: man sezzt Kaufmann und Handwerker dagegen.«14 Herder kontrastiert hier griechische Demokratie und römische Republik mit der Ständegesellschaft seiner Zeit. Daher hätten die Redner inzwischen auch andere Zuhörer vor sich als damals: »Denn wo keimten die Demosthene und Ciceronen? Auf dem Rathause! Und wo ist das? Wo sind die versammelten Stämme, und Fürsten, die Bürger und Patrizier, die Curulischen Stühle und die Augurstäbe? Wo redet ein Redner heut zu Tage vor das Leben und Tod [... ]? «15 Spätestens bei einem Vergleich der verschiedenen politischen Wirkungsmöglichkeiten muss der Unterschied der Redner also in die Augen fallen. Das gilt nicht nur für den politischen, sondern auch den geistlichen Redner: »Seine Sache, sein Vortrag, sein Redestand ist zu ehrwürdig, als daß er zu der Schminke, und den Kunstgriffen der alten Redner flüchten müßte [ ... ].«Außerdem »ist durchaus sein Zweck nicht blas zu gefallen, sondern zu erbauen [ ... ].«Als Fazit bleibt: »[ ... ]nie kann ein geistlicher Cicero aufstehen, weil ihm das Publikum des Cicero fehlt.«16 Doch Herder geht in seiner historischen Relativierung, die letztlich die Destruktion des Klassizismus bezweckt, noch weiter und stellt selbst die bedingungslose Geltung Ciceros als Muster in Frage. »Sollen wir Ciceronen auf den Kanzeln haben?« fragt er in einem anderen Artikel der »Fragmente« und spitzt seine kritischen Einwände zu auf das Vorhaben, er wolle »nur das ungeheure Vorurteil bestürmen: Cicero ist ein Muster der Beredsamkeit, schlechthin und ohne Einschränkung; ihn nachahmen heißt Original sein!« Schon Cicero und Demosthenes seien einander sehr unähnlich: der erstere sei mehr affektisch, der letztere mehr verstandesmäßig

Ebd. S.497-500. Heinze hat übrigens seine Thesen gegenüber seinen Kritikern verteidigt im: »Anhang Dreyer Briefe über die Beurtheilung der übersetzten Gespräche vom Redner im XIII. Thcilc der Briefe über die neueste Lit.«. abgedruckt in: J. M. Heinze: M. T. Ciceronis XIV auserlesene Reden nebst einer Zugabe Livianischer Reden (Lemgo 1767). 14 Vgl. Herders Aufsatz »Haben wir noch jetzt das Publikum und Vaterland der Alten9« (1765). In: Sämmtl. Werke, Bd. l S.18 sowie eine ähnliche Argumentation in: »Haben wir noch das Publicum und Vaterland der Alten?« (1795). In: Sämmtl. Werke, Bd.17 (Berlin 1881) S.284-319. 15 Ebd. t6 Ebd. S.19f. 13

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in seiner Rede orientiert.17 Außerdem relativiert Herder Cicero als Muster selbst für antike Autoren: »Ich frage [ ... ]:Haben denn die Alten - haben selbst die Römer - haben sie selbst in der politischen Beredsamkeit ihren Cicero als solch ein erhabenes Muster angesehen[ ... ]?« Danach referiert er eine Passage aus dem »Dialogus« des Tacitus, die die unterschiedliche Wirkung von rhetorischen Stilmitteln in den Jahren ihrer Einführung zeigt und in einer Zeit, die sie längst kennt, aber davon nicht mehr beeindruckt wird.18 Der Ruhm der Mustergültigkeit existiert also nicht »schlechterdings«, sondern es muss heißen:»[ ... ] so hätte Horaz, Cicero, Lukrez, Livius geschrieben, wenn sie über diesen Vorfall, auf dieser Stuffe der Cultur, zu der Zeit, zu diesen Zwecken, für die Denkart dieses Volks, in dieser Sprache geschrieben hätten. Das letzte heißt: einen Alten nachbilden und ihm nacheifern; das erste ihn kopiren, und ihm nachahmen.«19 Herder greift hier die antike Unterscheidung von freier und sklavischer Nachahmung auf, wobei er die Differenz durch die Wortwahl »nachbilden« noch erweitert und den Akzent mit dem »bilden« auf die Selbsttätigkeit legt. Die folgenden Sätze verdeutlichen den Kontext seiner Argumentation: die Genieästhetik. Das »Nachbilden« sei leider sehr selten, fährt er fort, »weil man dabei das beiderseitige Genie zweier Sprachen, Denkarten und Zeiten kennen, vergleichen, und so brauchen muß, daß keinem Zwang geschieht. Diese Kunst ist bildend für das Genie [ ... ].«20 Erst mit dieser Art von »nachbildender« Selbsttätigkeit vermag es sich zu entfalten. Der »Zwang«, der dabei nur hinderlich ist, kann als Chiffre für die Regeln der Rhetorik bzw. der rhetorisch dominierten Regelpoetik gelten, die ab Mitte des 18. Jh.'s zunehmend der literaturästhetischen Kritik verfielen und bei Kant zu der These führten, die schöpferische Arbeit des Genies sei dem »Nachahmungsgeiste gänzlich entgegen«.21 Kant hat aus diesen und anderen, ethisch fundierten Gründen die Rhetorik bekanntlich überhaupt abgelehnt. Herder geht jedoch nicht so weit, wie er in seiner kritischen Rezension von Kants »Kritik der Urteilskraft« darlegt, sondern hält an der humanen und sogar vernunftgebotenen Notwendigkeit von Rede und Rhetorik fest.22 Aber Herders Verdikt trifft »Gottscheds wohlweise Dicht- und Redekunst«. »[E]in Classisches Buch?« fragt er ironisch an anderer Stelle und führt als Grund seines Vorbehalts

17 J. G. Herder: Sollen wir Ciccroncn auf den Kanzeln haben? (1766/67) In: Sämmtl. Werke Bd.l [12] S.502ff.,51lf. 1x Ebd. S.511 f. Hervorhebungen vom Verf. Vgl. dazu Tacitus, Dialogus 19. 19 J. G. Hcrder: Über die neuere Deutsche Lit. (1767). In: Sämmtl. Werke Bd. l [12] S.383. 20 Ebd. 21 Für Kant ist das »Genie [ ... ] das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt«, und es »ist dem Nachahmungsgcistc gänzlich entgegen«. Er unterscheidet sich allerdings von den Stürmern und Drängern, die dem Genie eine schrankenlose Souveränität bei der ästhetischen Produktivität zubilligten, und versteht es als ein Vermögen, das sich selbst Regeln setzt und insofern begrenzt. Vgl. I. Kant: Kritik der Urteilskraft (21793) Ausg.: Werke Bd.8 der Studicnausg .. hg. von W. Weischedel (Darmstadt 1983) B 181, 184, 201. 22 J. G. Herder: Kalligone 2. Bd., 2. Theil: Von Kunst und Kunstrichterei (1800). In: Sämmtl. Werke Bd.22 (Berlin 1880) S.159f., 167.

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an, »daß man mit dem Ehrenwort: Classisch so schülermäßig spielet.« Er wendet sich dagegen, »den Kern desselben aus Grammatik und Schuloratorie herauszuklauben« und besteht statt dessen auf der genauen Differenzierung mit der Frage: »Classisch für wen? Classisch in welcher Materie?«23 Herders Unterscheidungen gründen in seinem Sinn für die historischen Ungleichheiten der Situation, in der jeweils antike und moderne Redner agieren. »Kultur« selbst fasst er nicht mehr als eine bestimmte, im Sinne des humanistischen Klassizismus vorgegebene Norm auf, wie seine »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« belegen, sondern als Ergebnis historisch entstandener Leistungen der Völker. Der dynamische Charakter des Rednerideals, der Bildung als Ergebnis von Bemühung und als Formung eines Vorgegeben versteht, hat auch auf Herders Kulturtheorie eingewirkt. Der Mensch wird als solcher nicht geboren, sondern »nur durch eine lebenslange Übung zur Menschheit gebildet[ ... ],« heißt es in den »ldeen«.24 Da der Mensch in eine geschichtlich vorgegebene Lebensweise hineinwächst, vollzieht sich seine Bildung »durch Nachahmung und Übung«.25 Das genetische Wesen der menschlichen Kultur entspricht also dem kulturellen Werden des Redners, auch im Ausgang von einer naturgegebenen Basis. Körperorgane und Sinne hat der Mensch mit den Tieren gemeinsam, obwohl es auch Unterschiede zwischen ihnen gibt, z.B. den aufrechten Gang, den der Mensch allein praktiziert, und die Fähigkeit zur Vernunft. Aber es ist eine »Triebfeder« nötig, welche Organe und Sinne zur spezifisch menschlichen Tätigkeit in Bewegung setzt: »Nur durch die Rede wird die schlummernde Vernunft geweckt, oder vielmehr die nackte Fähigkeit, die durch sich selbst ewig tot geblieben wäre, wird durch die Sprache lebendige Kraft und Wirkung.«26 Herder identifiziert hier in rhetorischer Tradition die Sprache mit der Rede insofern, als die Vernunft nicht abstrakt an die Sprache gebunden, sondern im konkreten Sprachgebrauch oder in der diskursiven Rede erst »geweckt«, also >gebildet< wird.27 »Von der Sprache also fängt seine [des Menschen] Vernunft und Kultur an[ ... ]«, heißt es an anderer Stelle.28 Die Verbindung der menschlichen Naturanlage mit Vernunft und Sprache zum Zweck der Kultiva-

23 J. G. Herder: Über die neuere deutsche Lit. Fragmente. Erste Sammlung (1768). In: Sämmtl. Werke Bd.2(Berlin1877) S.55, Hervorhebung vom Verf.An dieser Stelle zeigt sich, dass der Klassizismus eigentlich den Historismus schon voraussetzt, insofern er durch Annahme eines >klassischen< Ideals erst dem distanzierten historischen Denken als solcher erscheint. Vgl. dazu G. Haj6s: Klassizismus und Historismus: Epochen oder Gesinnungen? In: Österreichische Zs. für Kunst und Denkmalpflege, Jg. XXXII (1978) H.3/4, S. 98-109. 24 J. G. Herder: Ideen zur Philos. der Gesch. der Menschheit (1784 und 1791 ). In: Sämmtl. Werke, Bd.13 (Berlin 1887) S.345. 2s Ebd. S.347. 26 Ebd. S.72ff., 115, 138, 144f. 27 Herders Sprachphilosophie basiert auf seiner Anthropologie. Er kennt daher auch keine »reine Vernunft« wie Kant, der nicht anthropologisch, sondern transzendental argumentiert. Vgl. dazu Chr. Grawe: Herders Kulturanthropologie (Bonn 1967) S. 78 f. 28 Herder [24] S.141.

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tion bei Herder entspricht der rhetorischen Tradition. Neu ist aber die Erweiterung dieses Ansatzes zu einer kulturanthropologischen Theorie.29 Die tradierten Merkmale der (rhetorischen) Kultur werden bei ihm mit biologischen, ethnologischen, geographischen und historischen Charakteristiken der Gattung »Mensch« in Beziehung gesetzt und als Moment einer einzigen Entwicklung hin zur Humanität gedeutet.3ü Herder repräsentiert mit diesem Entwurf eine spezielle Variante des Humanitätsgedankens der Aufklärung. Dabei hat er in seinen kulturanthropologischen Ansatz wesentliche Elemente der rhetorischen Kulturauffassung übernommen, ein Konzept, in dem ihm beispielsweise Kant in seiner »Anthropologie« nicht gefolgt ist.31

Westermann, Volkmann: Aspekte des philologischen Historismus Die kanonische Geltung des klassischen Rednerideals schwand ab Mitte des 18. Jh.'s nicht nur aufgrund einer historisch orientierten literaturästhetischen Kritik wie derjenigen von Abbt und Herder. Sie wurde auch geschwächt vom Auseinanderbrechen des schulrhetorischen Systems, dem Rückgang der aktiven Beherrschung des Lateins und der Nationalisierung der Bildung, die in Deutschland mit der neuhumanistischen Spaltung der antik-humanistischen Tradition und der Bevorzugung des Griechentums einherging.l Begleitet wurde diese Entwicklung vom entstehenden Historismus der Altphilologie, obwohl der Latein- und Griechischunterricht an Schulen und Universitäten zunächst noch ein Hort der traditionellen Rhetorik blieb.2 Initiiert hatte diese neue Sicht der Dinge der Philologe Friedrich August Wolf mit der von ihm begründeten historisch-kritischen Methode. Seine »Prolegomena ad Homerum« (1795), entstanden aus dem Bemühen, eine philologisch gesicherte Gestalt der Homerischen Texte herzustellen, kamen zu dem Schluss,

29 Herder selbst hat aber die Bezeichnung »Anthropologie« für seine kulturgeschichtlich ansetzenden »Ideen« vermieden. Vgl. Grawe [27] S.114ff. 30 Vgl. dazu M. Wenzel: Die Anthropologie J. G. Herders und das klass. Humanitätsideal. In: G. Mann, F. Dumont (Hg.): Die Natur des Menschen (Stuttgart, New York 1990) S.141, 151 ff. 31 Die Natur des Menschen bleibt auch für Kant eine, die »durch Kunst und Wissenschaften« kultiviert werden muss, die es »ZU zivilisieren und zu moralisieren« gilt. Diese Annahme teilt er mit der rhetorischen Kulturanthropologie. (I. Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (21800) In: Werke Bd. [7] (Darmstadt 1983) B319). Doch seine moralphilosophische Orientierung führt ihn von der Rhetorik als einer kultivierenden Kunst weg, da diese nach seiner Ansicht nur dazu taugt, sich der menschlichen Schwächen zu seinen Absichten zu bedienen, wie er in der »Kritik der Urteilskraft« erklärt. Siehe dazu unten Teil D: Ethik, Kap. V. l G. Ueding, B. Steinbrink: Grundriß der Rhet. (Stuttgart 31994) S.134f.; M. Fuhrmann: Rhet. und öffentliche Rede. Über die Ursachen des Verfalls der Rhet. im ausgehenden 18. Jh. (Konstanz 1983) S.17ff.; M. Landtester: Art. »Neuhumanismus«, in: HWRh Bd.VI, Sp. 223ff.; G. Jäger: Schule und lit. Kultur (Stuttgart 1981) S. 29 ff., 114 ff. 2 Belege zur Situation der Altphilologie bei B. Bauer: Art. »Aemulatio«, in: HWRh Bd.l, Sp. 466ff.

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mehrere Dichter bzw. Rhapsoden und nicht ein einziger Autor hätten »Ilias« und »Odyssee« geschrieben. Damit war die klassische Norm gesprengt, Homer nicht mehr Schöpfer eines Kunstwerks, das wie aus einem Guss erschien, sondern bei näherem Hinsehen Unregelmäßigkeiten und sogar Widersprüche enthielt.3 Anton Westermann griff diese Bestrebungen in seiner »Geschichte der Beredtsamkeit in Griechenland und Rom« auf. Er wollte darin soweit als möglich »die äußeren und inneren Zustände der griechischen Beredtsamkeit [die römische folgt im zweiten Teilband] durch das Mittelglied der Geschichte zu einem lebendigen Ganzen[ ... ] verbinden[ ... ].« »Die Darstellung selbst ist aus den Quellen geschöpft[ ... ]«, heißt es im Vorwort zum ersten Teilband. Die Einleitung präzisiert dann, dass es nur um die Beredsamkeit im engeren Sinne, also die mündliche Rede und deren Vertreter, aber nicht um Dichter, Philosophen und Historiker gehe, die, »wenn auch in ihrem Fache beredt, doch darum noch nicht Redner« seien.4 Damit ist die Sichtweise des humanistischen Klassizismus verlassen, der die verschiedenen Spielarten von Dichtung und Prosa noch als Resultat gemeinsamer rhetorischer Bemühungen auffasste und die Tätigkeit der Autoren vom Redner her begriff.5 Westermann benutzt dabei »ein kritisches Verfahren« der Quellenbearbeitung, um Lücken zu füllen, Widersprüche zu klären und Fehler zu berichtigen.6 Seine Zielsetzung ist, wie sich zeigt, ganz vom Geist einer Untersuchungs- und Darstellungsweise bestimmt, die ehedem Zusammengehöriges trennt, durch die Tradition Überliefertes neu sichtet und anders gewichtet. Von einer normativ orientierten Behandlung der Geschichte der Beredsamkeit, wie Gottsched sie seiner »Allgemeinen Redekunst« voranstellte, ist diese Darstellung inzwischen weit entfernt.7 Geprägt von der historisch-kritischen Methode ist auch Richard Volkmann, Autor des Standardwerks »Die Rhetorik der Griechen und Römer«.8 Er bekennt im Vorwort, wie mühsam er den »erwünschten Ariadnefaden in dem krausen Gewirre rhetorischer Begriffe und Kunstausdrücke« suchen musste, um zu einer Rekonstruktion des Systems der antiken Schulrhetorik zu gelangen. Leitfaden dieser

Vgl. M. Fuhrmann: F.A. Wolf. Zur 200. Wiederkehr seines Geb. am 15. Februar 1959. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwiss. und Geistesgesch. Bd. 33 ( 1959) S. 217, 224 ff. 4 A. Westermann: Gesch. der Beredtsamkeit in Griechenland und Rom. 2 Theilc in 1 Bd. (Leipzig 1833) Griech. Teil S.VIII, 1, 3; vgl. auch Röm. Teil S.2. Ein Indiz für die Entstehung des rhetorischen Historismus ist die Bemerkung E. J. Kochs in seinem »Lit. Magazin für Buchhändler und Schriftsteller[ ... ]« (Berlin 1793), dass eine Geschichte der deutschen Beredsamkeit. die das Ganze der Entwicklung zu erfassen suchte, bisher noch nicht existiere. (S.21 f.) Koch war der Lehrer des Romantikers W. H. Wackenroder. s Siehe dazu oben S. 91 ff. 6 Westermann [4] S.Vlllf., 3. 7 Auch Westermann spricht von Aufstieg, Höhepunkt und Verfall, aber aufgrund einer organologisch-deskriptiven, nicht exemplarischen Sicht der Geschichte. Vgl. zu diesem Problem: R. Koselleck: Historia magistra vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Gesch. ln: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik gesch. Zeiten (Frankfurt/M. 1989) S.38-66. s Volkmann hatte sich intensiv mit F. A. Wolf beschäftigt. Vgl. Fuhrmann [3] S. 207 Anm. 3

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Teil B · Bildung und Kultur

Suche, die sich von der bereits von ihm beobachteten mangelnden Kenntnis und Verachtung der antiken Rhetorik unter seinen Fachkollegen absetzt, war für ihn Quintilians » Institutio oratoria«, die ihm die Theorien der Redner und rhetorischen Fachschriftsteller erschloß.9 Obwohl die Grundlage des Quintilianschen Werks das von Cato übernommene vir bonus-Ideal des Redners ist, erwähnt Volkmann die ethische Problematik der Rhetorik nur ganz kurz zusammen mit der sophistischen Auffassung von der Redekunst, ohne sich auf eine weitere Erörterung von Details einzulassen.lü Die natürlichen, kunst- und studienbedingten Voraussetzungen des Redners behandelt er allerdings, erwähnt dazu die Nachahmungll und präsentiert im übrigen das System der antiken Rhetorik nach dem fünfteiligen Schema der Arbeitsaufgaben des Redners. Sein Werk ist damit zum historischen Lehrbuch geworden. Ein verbindliches Rednerideal, zusammengehalten durch den Anspruch auf Allgemeinbildung, Sprachbeherrschung und den ethisch begrenzten Einsatz der persuasiven Mittel, kennt er jedoch nicht mehr. Der Abschied von der vir bonusDoktrin als ethischer Basis des Rednerideals ist allerdings nicht nur im Ende eines verbindlichen Stilklassizismus begründet, sondern auch von der moralischen Kritik an der Rhetorik im 18. Jh., insbesondere durch Kant, motiviert. Darüber wird im Ethik-Abschnitt noch zu sprechen sein.

9 R. Volkmann: Die Rhet. der Griechen und Römer in systematischer Übersicht (Leipzig 21885; ND Hildesheim, Zürich, New York 1987) Vorrede S.Vf. 10 Ebd. S.5f. 11 Ebd. S. 30 f., 273 f., 573 ff.

TEIL C. ANTHROPOLOGIE: PSYCHISCHE KOMPONENTEN DER WIRKUNGSABSICHT

I. Die Körperlichkeit des Redners als anthropologisches Thema Wie der vorhergehende Abschnitt dieser Untersuchung gezeigt hat, spielt sich der kulturelle Bildungsprozess des Redners auf zwei Ebenen ab: der natürlichen und der geistigen. Beide sind in den genetischen Anlagen des Menschen als >Rohmaterial< vorgegeben und werden im Erziehungsprozess aktiviert. Damit setzt die rhetorische Pädagogik eine anthropologische Hypothese voraus, und zwar - wie schon anhand der Erziehungslehre des Protagoras demonstriertl - die Annahme eines Zusammenwirkens von Natur und Geist in der körperlichen Entwicklung des Menschen. Allerdings geht es bei den folgenden Erörterungen nicht um eine vollständige Morphologie des menschlichen Körpers wie etwa in der Medizin, sondern nur um die für die Persuasion wichtigen Körperinstanzen des Redners, genauer: um sein psychisches Vermögen und seinen Habitus. Auch hier muss man wieder von der rhetorischen Subjektivität ausgehen. Standen oben bei der Analyse des rhetorischen Technikergebrauchs Perspektivität der Rede und Wirklichkeitskonstitution in der Rede im Zentrum2, so beschäftigen sich die folgenden Überlegungen aus anthropologisch-psychologischer Sicht mit dem Willen und den Vorstellungen von der »Natürlichkeit« des Redners. Zuerst allerdings muss ein für unsere Untersuchung passender Anthropologiebegriff hergeleitet werden.

II. Rhetorische statt philosophischer Anthropologie Ein für das Rednerkonzept geeigneter Anthropologiebegriff muss an der Doppelnatur des Menschen als geistig-körperliches Wesen ansetzen, wie er die im 18. Jh. entstandene Disziplin der Anthropologie als Wissenschaft bestimmte und sie auch noch heute kennzeichnet.1 Ausgangspunkt ist die Definition des Humanisten Otto Casmann, der in seiner »Psychologia anthropologica« schrieb: »Die menschliche Natur ist ein Wesen, das an der zweifachen Natur der Welt, der geistigen und der

Siehe dazu oben S.85. Siehe S.44 ff. 1 Vgl. M. Linden: Untersuchungen zum Anthropologicbcgriff des 18. Jh.'s (Frankfurt/M. 1976) S.6ff.; W. Schulz: Philos. in der veränderten Welt (Pfullingen 21974) S.429ff. sowie F.-H. Rohling: Was ist rhet. Anthropologie? Versuch einer disziplinären Definition. In: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch, Bd.23 (2004) S.1-10. l

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Teil C · Anthropologie: Psychische Komponenten der Wirkungsabsicht

körperlichen, die in ihr zur Einheit verbunden sind, teilhat.«2 Auch Gottfried Polycarp Müller, der wohl als erster ein Anthropologiekolleg an einer deutschen Universität hielt, schrieb im Passus »De anthropologiae necessitate« seiner Vorlesungsankündigung über Philosophie und Rhetorik von der Natur des Menschen, dass sie »aus Geist und tierischem Körper besteht und durch ein magisches Band bzw. durch Übereinstimmung und Entgegensetzung zusammengehalten wird«.3 Der damit skizzierte Ansatz ist keineswegs Gemeingut der rhetorischen Forschung.4 Meist geht man von Fragestellungen der philosophischen Anthropologie aus, um dann einzelne rhetorische Themen in dieser Perspektive zu erörtern, anstatt das natura-ars-Konzept der Schulrhetorik zugrundezulegen. Gerl-Falkovitz etwa beschreibt in ihrem Buch »Die zweite Schöpfung der Welt« ingenium und imitatio als Kennzeichen der Renaissance-Anthropologie nur im Rahmen der philosophischen Kulturtheorie des Humanismus, ohne hier auch das Naturmoment eigens zu entwickeln.5 Oesterreich plädiert in seiner an Heidegger orientierten »Fundamentalrhetorik« dafür, das »relativ-natürliche Redenkönnen inmitten der Lebenswelt« als eigenes, existenziell wichtiges Feld rhetorischer Aktion zu begreifen, ohne mit »Rhetorik« immer gleich die durch die tradierten Redetechniken elaborierte Kunstrhetorik zu meinen.6 Doch eine Untersuchung der Merkmale des »relativnatürlichen Redenkönnens« wird auf eine genaue Bestimmung der darin enthaltenen Kulturelemente nicht verzichten können, will sie wirklich die konkrete Gestalt der Alltagsrede in unserer von differierenden Bildungsgraden und verschiedenen Zivilisationseinfiüssen geformten Welt verstehen.7 Kritische Vorbehalte sind auch gegenüber Blumenbergs Aufsatz »Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik« angebracht. Ausgangspunkt ist für ihn die Ansicht des platonischen Sokrates, Tugend sei Wissen, wodurch

2 0. Cassmann: Psychologia anthropologica (Hannover 1594) Kap. 1, S. L zit. und übers. bei Linden [l] S.2. 3 G. P. Müller: Lectiones suas philosophicas et oratorias indicat et de anthropologiae necessitate disserit (Leipzig 1719), unpag., zit. und übers. bei Linden [l] S.18 f. 4 H. Niehues-Pröbsting erklärt beispielsweise: »Die Rhetorik hat es im Verlauf ihrer Geschichte versäumt, ihre anthropologischen Grundlagen und Implikationen zu klären, und das um so mehr, je mehr sie den spekulativen Geist ihrer sophistischen Begründung, ihrer platonischen Kritik und ihrer theoretischen Durchdringung bei Aristoteles zugunsten der Ausdifferenzierung ihres Regelsystems preisgegeben hat.« (so in dem Aufsatz: Ethos. Zur Rückgewinnung einer anthropologischen Fundamentalkategorie. In: J. Koppcrschmidt (Hg.): Rhct. Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus (München 2000) S.340.) Die Rhetorik hat zwar keinen weiteren Beitrag zu einer philosophisch motivierten Anthropologie geliefert. Seit dem Hellenismus hat sie jedoch eine eigene Kulturanthropologie entwickelt, die bis in die Aufklärung bestand. Vgl. dazu F.-H. Robling: Anthropologie des Redners. In: St. Metzger, W. Rapp (Hg.): homo inveniens. Heuristik und Anthropologie am Modell der Rhet. (Tübingen 2003) S.75-86. s H.B. Gerl-Falkovitz: Die zweite Schöpfung der Welt: Sprache, Erkenntnis, Anthropologie in der Renaissance (Mainz 1994) Kap. IX, XII. 6 P. L. Oesterreich: Fundamentalrhet. (Hamburg 1990) etwa S. 91. 7 Vgl. dazu die detaillierte Kritik an Oesterreichs Ansatz in der Einleitung oben S.18 ff.

Die Körperlichkeit des Redners als anthropologisches Thema

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die Evidenz anstelle der Institution zur Norm des Verhaltens werde. Die Rhetorik dagegen und der wirkungsorientierte Sprachgebrauch seien Ergebnisse einer spezifischen Verlegenheit des Menschen: »des Mangels an vorgegebenen, präparierten Einpassungsstrukturen und Regulationen für einen Zusammenhang, der »Kosmos« zu heißen verdiente[ ... ].« Der Schluss daraus ist: »Eine Ethik, die von der Evidenz des Guten ausgeht, läßt keinen Raum für die Rhetorik als Theorie und Praxis der Beeinflussung von Verhalten unter der Voraussetzung, daß Evidenz des Guten nicht verfügbar ist. [ ... ] Rhetorik ist die angestrengte Herstellung derjenigen Übereinstimmungen, die anstelle des »substantiellen« Fundus an Regulationen treten müssen, damit Handeln möglich wird.«8 Blumenberg geht bei seiner anthropologischen These also von der Ethik als der Theorie des richtigen Handelns aus. Im Hintergrund steht die Lebensformenlehre Platons, welche die sozialen Existenzweisen von Redner und Philosoph in ihrem Wert verschieden beurteilt. Die Staatsmänner haben danach das Volk von Athen durch ihre Redekunst moralisch korrumpiert, indem sie die Stadt zu großer Macht führten und so Habgier und Ungerechtigkeit förderten, anstatt diese Auswüchse zu zähmen bzw. zu verhindern, wie es die Philosophen gemacht hätten.9 Und die Gerichtsredner, abhängig von der knappen Zeit im Prozessverfahren, seien in ihrer Denkweise von den Themen der Gegner bestimmt, daher engstirnig und der Lüge zugeneigt. Demgegenüber seien die Philosophen wirklich freie Männer: sie wählten ihre Themen nach eigenem Gutdünken und gönnten sich die Zeit, die sie zur Erkenntnis der Dinge benötigten.10 Vor diesem ethischen Hintergrund erweist sich Blumenbergs Anthropologie der Rhetorik als Spielart der philosophischen Anthropologie, die von Gehlens Theorie des Mängelwesens Mensch geprägt ist.11 Ihre Vorläufer hatte sie, wie sich zeigt, schon in der Antike, und zwar nicht nur in der Kulturentstehungslehre des Protagoras, der ebenfalls den Menschen als bedürftiges Wesen beschrieb12, sondern auch im anthropologischen Interesse der Philosophie, die sich noch vor der Entstehung der Anthropologie als Disziplin im 18. Jh. etwa in der Ethik mit Fragen des menschlichen Selbstverständnisses beschäftigte. Blumenberg reflektiert diesen ethischen Grundriss seines Ansatzes nicht weiter mit der Folge, dass er sich in seinen Überlegungen zur Rhetorik nur in den von der philosophischen Ethik gezogenen Grenzen bewegt. Er benutzt die Rhetorik zur Klärung seines philoso-

s H. Blumenberg: Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhct. In: dcrs.: Wirklichkeiten, in denen wir leben (Stuttgart 1981) S.106-108. 9 Platon, Gorgias 500c, 515c-517d. 10 Platon, Thcaitetos l 72d-173c. Siehe zur Lebensformenlehre auch unten S. 202 ff. 11 Blumenberg [8] S.104, 115. Blumenberg spricht in seinem Aufsatz übrigens immer von »der« Philosophie, meint aber in seiner Kritik diejenige Platons. Dabei hat Aristoteles in seiner praktischen Philosophie Rhetorik und Politik neben und nicht gegen die Ethik gestellt, womit sich der Verdacht der Philosophie gegenüber der Rhetorik gar nicht so absolut darstellt, wie Blumenberg glauben macht. 12 Vgl. Platon, Protagoras 320dff.

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Teil C · Anthropologie: Psychische Komponenten der Wirkungsabsicht

phischen Problems, ohne sie selbst anthropologisch näher zu befragen.13 Daher lenken Blumenbergs Thesen von einem genuin rhetorischen Menschenbild auch ab. Das zeigt vor allem sein Konzept der menschlichen Natur. »[D]ie anthropologischen Zugänge zur Rhetorik«, heißt es gegen Ende seines Essays, »[konvergieren] auf eine zentrale deskriptive Feststellung: der Mensch hat zu sich selbst kein unmittelbares, kein rein »innerliches« Verhältnis. Sein Selbstverständnis hat die Struktur der »Selbstäußerlichkeit«. [ ... ] Der Substantialismus der Identität ist zerstört; Identität muß realisiert werden, wird zu einer Art Leistung[ ... ]. Die Anthropologie hat nur noch eine »menschliche Natur« zum Thema, die niemals Natur gewesen ist und nie sein wird.«14 Also: die menschliche Natur existiert eigentlich nicht, weil es keine innere Substanz des Individuums mehr gibt, nur noch äußerliche Selbstbeziehung als Identitätsleistung. Diese »Selbstäußerlichkeit« mag vielleicht keine Substanz haben, aber ist sie auch ohne Substrat? Sie ist doch Produkt des menschlichen Erscheinungsbildes, vielleicht der »Selbstüberredung«, wie man zugespitzt gesagt hat15, und also rhetorisch hervorgebracht. Rhetorik aber fußt immer auf der Natur des Menschen als Ansatz für ihr Wirkungsziel, sei es, dass sie diese aufgrund des Bedürfnispotentials der Affekte instrumentalisiert, sei es, dass sie pädagogisch um die Ausbildung der natürlichen Anlage bemüht ist, da auch der Redner, der sich und andere überredet, erst zu einem solchen erzogen werden muss. Die Frage, wie die rhetorisch relevante Natur des Menschen beschaffen sei und wie sie sich zu den anderen Elementen einer rhetorischen Anthropologie verhalte, findet bei Blumenberg keine Antwort. Auch der Begriff der Kultur, die Natur und Kunst in historisch je anderer Konstellation vermittelt, kommt in seinem Essay nicht vor. Da die ethischen Implikationen von Blumenbergs Ansatz in seinen Ausführungen nur mitgetragen, aber nicht weiter entwickelt sind, lässt sich von hier aus analytisch auch keine Verbindung zu einem rhetorischen Phänomen wie »Natürlichkeit« ziehen, das kulturanthropologisch jedoch auch ethisch bedingt ist. Diese Argumente unterstreichen Bornscheuers Kritik, Blumenberg habe die Rhetorik zu einer ab-

Eine ausführliche Interpretation von Blumenbergs anthropologisch-philosophischem Ansatz, jedoch ebenfalls ohne besondere Berücksichtigung seines ethischen Grundzuges, bietet J. Koppcrschmidt in: Was weiß die Rhet. vom Menschen? In: ders. [4] S.8 sowie im Teil »Anthropologie« des Artikels »Philos.« in: HWRH Ed.VI, Sp. 1067 ff. 14 Blumenberg [8] S.134. 15 Vgl. etwa E. Meuthen: Selbstüberredung. Rhet. und Roman im 18. Jh. (Freiburg 1994). Meuthen übernimmt Blumenbergs These (S.18ff.), führt aber das Naturmoment nicht weiter aus, obwohl er von der »Sprachzentriertheit der menschlichen Natur« redet (S.26.). Meuthen zeigt in seinem Buch sehr überzeugend die künstlerischen Techniken der Selbstüberredung in Romanen der Spätaufklärung. Das Naturmoment, d.h. hier die affektische Disposition der Autoren wird aber als Erklärungsmoment für ihre künstlerischen Leistungen nicht mit herangezogen. Das ist jedoch erforderlich. wenn als Basis für eine künstlerische Darstellungsform ein psychologisches Prinzip angesetzt wird. Dass hier eine Beziehung besteht, zeigt etwa im Falle von Goethes »Werther«, den Meuthen ausführlich behandelt, K.R. Eislers Buch: Goethe. Eine psychoanalytische Studie 1775-1786,Bd.l (München 1987) S.126ff. 13

Die Körperlichkeit des Redners als anthropologisches Thema

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soluten Metapher der conditio humana stilisiert.16 Eine direkte Übertragung der weitgehend von der Antike geprägten »alten Rhetorik« auf die Situation des modernen Individuums, das seit dem 18. Jh. parallel zum Niedergang der Redelehre selbst eine Veränderung in seiner Subjektivität durchgemacht habe und die Rhetorik daher nicht mehr im tradierten Sinne einsetze, sei falsch. Statt dessen müsse die Rhetorik immer in ihrem bildungs- und sozialgeschichtlichen Kontext gesehen werdent7, wobei für den anthropologischen Aspekt zu ergänzen ist: auch in ihrem kulturellen und ethischen.

III. Der Rednerwille als Instanz der Persuasion

1. Zur anthropologischen Struktur des Willens Der Rednerwille ist der psychologische Ausdruck rhetorischer Subjektivität. Subjektivität überhaupt ist immer an ein Subjekt gebunden, wie Walter Schulz in seinen Analysen dieses Zentralbegriffs der europäischen Philosophie ausführt.1 Sie schwebt nicht im leeren Raum, sondern benötigt gewisse Instanzen der Person, um den Bezug des Subjekts zu sich selbst und zur Welt zu verwirklichen. Die klassische philosophische Tradition hat die gestalterischen Möglichkeiten der Subjektivität unter dem Aspekt der Vermögenstheorie behandelt. Vorausgesetzt ist die Unterscheidung von Geist, Seele und Körper im Menschen. Der Körper gehört zur unteren, Geist und Seele gehören zur oberen Welt, die auch die höheren menschlichen Vermögen wie Fühlen, Wollen und Denken umfasst.2 Der Begriff des Willens, der uns hier interessiert, ist einer der facettenreichsten der Philosophiegeschichte.3 Die antiken Denker kannten keinen Willen als vom Subjekt ausgehende, reine Spontaneität, denn dieses war in seinem Handeln auf die vorgegebene Ordnung, sei sie nun innerweltlich oder metaphysisch, verwiesen. Entscheidungen waren immer, wie Dihle erläutert, mit Willenseinsatz und gegebener oder fehlender Einsicht in die Seinsordnung verbunden, so dass ein Abweichen vom Richtigen stets dem Mangel an Wissen angelastet wurde.4 16 L. Bornschcuer: Anthropologisches Argumentieren. Eine Replik auf H. Blumenbergs »Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhet.«. In: J. Kopperschmidt, H. Schanze (Hg.): Argumente -Argumentation (München 1985) S.123. 11 Ebd. S.125-130. 1 W. Schulz: Ich und Welt. Philos. der Subjektivität (Pfullingen 1979) sowie: Subjektivität im nachmetaphysischen Zeitalter (Pfullingen 1992). Noch genauer wird die ganze Thematik in dem Werk »Philos. in der veränderten Welt« (Pfullingen 21974) dargestellt, vor allem im 2. und 3. Kapitel (»Verinnerlichung« sowie »Vergeistigung und Verleiblichung«). 2 Schulz, Subjektivität [1] S.285; Ich und Welt [1] S.111. 3 Einen Überblick über die Begriffsgeschichte bietet H. Hcimsoeth: Die sechs großen Themen der abendländischen Metaphysik und der Ausgang des MA (Darmstadt 71981), Kap. VI: Verstand und Wille. 4 A. Dihle: Die Vorstellung vom Willen in der Antike (Göttingen 1985) S. 48 ff.

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Erst mit dem Christentum trat hier ein Wandel ein. Der Wille wurde neu bestimmt. Er war nicht mehr an die Erkenntnis des Seienden gebunden, sondern jetzt durch sich selbst als freier Wille definiert. Im Hintergrund stand die Lehre von der Sünde. Nach Augustinus hat der Mensch eine Neigung zum Guten wie zum Bösen und zugleich die Wahlmöglichkeit zwischen beidem. Wendet er sich zum Unteren, zu den Begierden und Trieben, so kehrt er sich von Gott ab und dem Bösen zu. Der Wille schwankt also zwischen dem Gebot Gottes und der Anziehungskraft des Bösen; aber er enthält doch eine von der Erkenntnis unabhängige Quelle seiner Freiheit.5 In der neuzeitlichen Philosophie gehörte der Wille später zusammen mit der Vernunft zu den maßgebenden Kräften der Subjektivität. Kant setzte Willen, praktische Vernunft, Freiheit und Autonomie als identische Bestimmungen an, wobei der Wille das Prinzip der Freiheit war. In dieser Denktradition war er von den Trieben geschieden und gegen sie abgehoben. Man fasste sie als minderwertige Merkmale des Menschen im Vergleich zum Intellekt auf und sah den Willen ethisch als die Macht, welche die Triebe zügelte. Eine Wendung in der Willensinterpretation vollzog dann Schelling. Er verstand die Freiheit nicht mehr formal wie Kant und auch Fichte als Selbstbestimmung und Autonomie, sondern als Merkmal des Lebens selbst, insofern es wie das Sein überhaupt durch das Wollen bestimmt sei. Der Wille wurde so zum dunklen Drang und zur blinden Kraft, also zu Begierde und Trieb, die durch den Verstand geformt werden müssen. Diese Auffassung setzte sich im 19. Jh. durch und prägte vor allem das Denken Schopenhauers und Nietzsches. Sie übte ihren Einfluss noch bis ins 20. Jh„ bis zu Freud und Gehlen aus.6 Die klassische Vermögenstheorie kann heute keine unbestrittene Geltung mehr beanspruchen, vor allem, da die Psychologie den Menschen inzwischen primär von seiner Beziehung zur Außenwelt her sieht. Nach Schulz bleibt sie aber für eine Theorie der Subjektivität dadurch interessant, dass die Vermögen nicht mehr einfach substantiell gegebene, sondern dialektisch aufeinander bezogene Kunstituentien des Subjekts und seines Selbst- bzw. Weltverhältnisses sind, und zwar in widersprüchlicher Einheit. Damit ermöglichen sie eine konkrete Erkenntnis der Subjektivität unter inhaltlichen Gesichtspunkten.7 Für das Verständnis der rhetorischen Persuasion ist dabei wichtig, dass der Wille nicht im Gegensatz zur Reflexion steht, sondern mit ihr ursprünglich verbunden ist.8 Sach- und Selbstreflexion sind

Schulz, Subjektivität [l] S.286f.,Dihle [4] Kap.6. 6 Schulz, Subjektivität [1] S.288-291. 7 Dcrs„ Subjektivität [l] S.290, 298; Ich und Welt [l] S.111. 8 Unter diesem Gesichtspunkt ist das »Zertum« als »innere Gewissheit« des Sprechers (J. Knape: Was ist Rhet.? (Stuttgart 2000) S.76) nicht mit dem Persuasionswillen gleichzusetzen. Es ist entweder dessen Voraussetzung aus der Entscheidung (iudicium) über die Gegebenheit eines Sachverhalts oder dessen Folge aus der Absicht (consilium) heraus, ein Vorhaben auch handelnd zu verwirklichen. Das certum bei Quintilian ist daher die Grundlage für die Beweisführung einer Rede (vgl. V, 10, 12f., 29, auch VI, 5, 3.). 5

Die Körperlichkeit des Redners als anthropologisches Thema

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Teile der Willensreflexion selbst, wie auch Wille, Vorsatz und Wahl zusammengehören, wobei zu beachten ist, dass das Wollen immer das Verändernwollen eines Zustands ist. Triebe sind für die Subjektivität von daher nie nur Begierden im tierischen Sinn, sondern gehören als Motive zum »Unter«- wie »Überbau« des Menschen. Sie stehen also ebenfalls in Beziehung zum Willen.9 Von diesem Ansatz her lässt sich die rhetorische Auffassung von den Affekten und ihrer Wirkung, wie sie in der Forderung an den Redner, zu belehren (docere), zu unterhalten (delectare) und leidenschaftlich zu erregen (movere ), formuliert worden istlü, mit der Willenstheorie in Verbindung setzen. Die einzelnen Geschichtsepochen haben dabei allerdings, wie sich zeigen wird, unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass es hier nur um eine anthropologisch-psychologische Erörterung des Rednerwillens geht. Dadurch wird dieser zwangsläufig in einer isolierenden Sichtweise behandelt. Soziologisch gesehen ist der Redner natürlich vielfältigen Motiven und Interessen ausgesetzt, die seine Willensentscheidungen von innen und außen her beeinflussen und mit diesen also auch in Beziehung setzen. Vor allem die Abhängigkeit einer gelingenden Persuasion von der Angemessenheit der Rede und des Verhaltens (decorum) verbietet ein voluntaristisches Verständnis von Rednerhandeln und Rednererfolg, das hier keineswegs propagiert werden soll.11

2. Die »Redegewalt« als Ort des persuasiven Willens in der Antike »Wie aber der Wille der Gegenstand ist, den die Beredsamkeit bearbeitet, so geht sie auch aus dem Willen hervor«, schreibt Franz Theremin, ein Rhetoriker der Romantik, im Kapitel »Erste Grundzüge zur Skizze des Redners« seines Buches »Die Beredsamkeit eine Tugend«. Der Affekt ist für ihn der »Ring«, »der in der Kette menschlicher Thätigkeit Wollen mit Vollbringen verbindet.«l So deutlich hat die Antike nicht vom persuasiven Willen des Redners gesprochen. Sie thematisierte ihn meist im Rahmen der Affektenlehre bzw. unter den mehrdeutigen Begriffen der »Redegewalt« ( ÖELVOTf)i:;, dein6tes, ÖElvwmi:;, defnösis) und» Kraft des Redners« bzw. »der Rede« ( vis oratoris, orationis, dicendi).2 Ursprünglich charakterisierte er wohl die Wirkung, die von den Sophisten ausging wie bei Antiphon, der nach Thukydides »der Menge unheimlich [blieb] wegen der ihm nachgesagten Redege-

Schulz, Ich und Welt [1] S.123-126. Vgl. etwa Cic., Or. 69 unter den Begriffen pro bare. delectare,flectere. 11 Vgl. P. Ptassek, B. Sandkaulen-Bock, J. Wagner, G. Zenkert: Macht und Meinung (Göttingen 1992) Kap. III, 1 und 2. 1 F. Thcrcmin: Die Beredsamkeit eine Tugend oder Grundlinien einer systematischen Rhet. (Berlin 21837) S.92, 114. Das zweite Zitat stammt aus dem Kapitel: »Dass es Pflicht des Redners sey, mit Affekt zu sprechen. und Affekt zu erregen.« 2 Siehe dazu den Überblick bei I. Rutherford:Art. »Deinotes«, in: HWRh Ed.II, Sp. 467ff. 9

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Teil C · Anthropologie: Psychische Komponenten der Wirkungsabsicht

walt«.3 Die griechische Rhetorik, etwa Demetrios, Dionysios von Halikarnassos und Hermogenes, nahm dein6tes bzw. defnösis in ihre Stillehre auf und bezeichnete damit außerordentliches rednerisches Können insbesondere im sprachlichen Ausdruck und in der Affekterregung. Dein6tes wurde vor allem Demosthenes zugeschrieben.4 Ähnliche Bedeutungen lassen sich in der lateinischen Rhetorik feststellen. Cicero konzentriert die vis oratoris zum einen auf den affektischen Bereich, wenn er in »De oratore« konstatiert, sie habe sich »in der Besänftigung oder Erregung der Zuhörer zu erweisen«, zum anderen auf den universalen Anspruch des Redners, »über jedwedes Thema, das sich stellen mag, wortreich und wirkungsvoll zu reden«.s Wenig später bringt er die »Rednerkraft« mit der Beherrschung der fünf Arbeitsaufgaben in Verbindung (omnis oratoris vis ac facultas in quinque partes distributa).6 Im »Orator« identifiziert er sie (vis maxima) mit dem Gebrauch des gemischten Stils, wie ihn der vollkommene Redner praktiziert, wenn er niedrige, mittlere und hohe Stillage verbindet.7 Quintilian verwendet vis oratoris und orationis in gleichem Sinne wie Cicero, wobei er auch das Adjektiv vehemens zur Kennzeichnung der rednerischen Kraft gebraucht.8 Doch gibt es nicht nur vis oratoris und dein6tes zur Bezeichnung der Kraft des persuasiven Willens in der Antike, sondern auch noch andere Ausdrücke für dieses rhetorisch wichtige Bedeutungsfeld. Dazu gehört etwa das griech. Wort toAµa, t6lma (Mut, Kühnheit), das Isokrates verwendet, wenn er in der» Antidosis«-Rede zu den Voraussetzungen des idealen Redners die »Selbstsicherheit« zählt, >>Und zwar nicht die, die Zeichen von Überheblichkeit ist, sondern - gepaart mit Bescheidenheit - die Seele so stärkt, daß einer genauso selbstsicher auftritt, wenn er vor allen Bürgern redet, wie wenn er nur für sich selbst Überlegungen anstellt [ ... ].«9 In eine ähnliche Richtung weist Quintilians Beschreibung der »Rüstung« (instrumenta) des Redners, die über die rhetorischen Mittel hinausgehen und in seiner Person liegen: »Jedoch am meisten bedeutet bei dieser Ausrüstung die Überlegenheit des Geistes (animi praestantia), die keine Furcht brechen, kein Zuruf schrecken, noch das Ansehen der Zuhörer über die schuldige Ehrerbietung hinaus

Thukydides VIII, 68; vgl. Th. Buchheim: Die Sophistik als Avantgarde des normalen Lebens (Hamburg 1986) S. lOf. 4 Rutherford [2] Sp. 468 ff. 5 Cic., De or. I, 17.21 (Merklin). 6 Ebd. 1, 142. 7 Cic. Or. 97. 8 Quintilian IV, 2, 104; V, 14, 29; IX, 4, 13. Vehemens auch bei Cicero, z.B. De or. III, 80. In II, 15,3 identifiziert Quintilian die vis persuadendi mit öuvaµLS und leitet diese Bezeichnung von dem (nicht erhaltenen) Lehrbuch des Isokrates her, ohne Aristoteles oder auch die ÖEtvcn:ris zu erwähnen. Die Stelle zeigt, wie umfassend und auch vage das Begriffsfeld von »Redegewalt« in der Antike ist. 9 Isokratcs.Antidosis 190. übers. von Chr. Ley-Hutton: Isokratcs. Sämtliche Werke Ed.II: Rede IX-XXI, Briefe, Fragmente (Stuttgart 1997). Griech. To1'.µa bedeutet in Platons Apologie 38d bezeichnenderweise »Dreistigkeit«. Vgl. auch A. Dihle: Die Vorstellung vom Willen in der Antike (Göttingen 1985) S.33. 3

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schrecken soll.«IO Betont Isokrates das psychische Element der Willensleistung des Redners, so hebt Quintilian ihr geistiges Moment hervor. Mal ist sie auf die Konstitution des Redners selbst bezogen, mal als feste Haltung gegenüber den Zuhörern aufgefasst. »Unser Inneres ist es nämlich, was beredt macht, und die geistige Kraft in uns« (pectus est enim, quod disertos facit, et vis mentis), fasst Quintilian seine Auffassung in einer berühmt gewordenen Sentenz zusammen.lt Pectus, eigentlich »Brust«, dann »Sitz der Affekte, Herz, Sinn, Verstand« umschließt metaphorisch den ganzen Bereich, um den es beim Willen zur Persuasion geht.12 Der Wille des Redners erscheint also in der antiken Rhetorik nur zusammen mit geistiger oder affektiver Kraft. In Verbindung mit der rednerischen Überwältigungsstrategie aber geht es in erster Linie um die affektische Seite des Willens. »Wo es[ ... ] gilt, dem Gefühl der Richter Gewalt [vis] anzutun und den Geist selbst von dem Blick auf die Wahrheit abzubringen, da liegt die eigentliche Aufgabe des Redners«, heißt es bei Quintilian. »Denn Beweise bringen es ja freilich zustande, daß die Richter unsere Sache für die bessere halten [putent], die Gefühlswirkungen leisten es, daß sie das auch wollen [velint ]; doch das, was sie wollen, glauben sie auch.«13 Das belehrende Element der Rede kann die Richter also überzeugen; zum Urteil im Sinne des Redners werden sie jedoch durch die Wirkung auf ihre Gefühle getrieben. Das Wollen der Richter setzt dabei den Rednerwillen voraus; von diesem wird freilich nur indirekt gesprochen. Voluntas bezieht sich in der Schulrhetorik terminologisch nicht auf den Persuasionswillen, sondern nur auf den Täterwillen, und zwar in der Statuslehre, die zur Gerichtsrhetorik gehört. (Der zweite status (coniecturae) fragt nach der Tatsächlichkeit des Geschehens, ob der Täter die Tat getan bzw. gewollt hat.)14 Bei der Rede aber verbirgt sich der persuasive Wille hinter den Gefühlen, die der Sprechende zunächst in sich selbst evozieren muss. »[U]nsere Rede sollte aus einer Gemütsstimmung hervorgehen, wie wir sie auch bei dem Richter zu erzeugen wünschen«, sagt Quintilian und fordert, dass »wir uns selbst ergreifen lassen, ehe wir Ergriffenheit zu erregen versuchen.«15 Das

Quintilian II, 5, l (Rahn hier wie auch unten). X, 7, 15. Zitiert wird diese Sentenz z.B. bei J.A. Ernesti: Oratio professionis rhetoricae adeundae caussa dicta. In: ders., Opuscula oratoria, orationes, prolusiones et elogia (Leiden 1756) S.23; J.G. Sulzcr: Art. »Rede«. in: Allgemeine Theorie der schönen Künste (Leipzig 1792ff.) Bd.4. S.24; A. Mallinckrodt: Über Beredsamkeit überhaupt und über geistliche, Staats- und gerichtliche Beredsamkeit insbesondere (Schwelm 1821) S. 92. 12 Vgl. dazu H. Georges: Ausführliches lat.-dt. Handwtb. Bd.2 (Hannover 81918, ND Darmstadt 1992) Sp. 1528. Dyck hat gezeigt, dass dt. »Gemüt« im 17. Jh. anders als heute eine ähnlich umfassende Bedeutung besaß. J. Dyck: Ticht-Kunst (Tübingen 31991) S.176ff. Die Redegewalt muss übrigens nicht nur überwältigend sein, sie kann auch durch Sanftheit unwiderstehlich wirken, wie Ueding durch Hinweis auf die Nähe der Göttin Peitho zu den Charitinnen zeigt. Vgl. G. Ueding: Ethos und Charisma des Redners. In: J. Häusermann (Hg.): Inszeniertes Charisma (Tübingen 2001) S.72f. 13 Quintilian VI, 2, 5. 14 Vgl. dazu H. Lausberg: Hb. der lit. Rhet (München 31990) ~ 155. ts Quintilian VI, 2, 27f. 10

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Mittel dazu sind die Vorstellungsbilder (rpavi:aotm, phantasfai) von Dingen oder Zuständen, die der Redner bewusst in sich erzeugen muss, damit dadurch die nicht dem eigenen Willen gehorchenden Gefühle entstehen, welche die affektive Brücke zum Zuhörer schlagen und ihn in den zur Debatte stehenden Fragen günstig stimmen sollen.16 Schon Cicero hatte betont, dass der Redner die von ihm aktivierten Emotionen auch wirklich empfinden müsse, weil dadurch die Persuasion wirksamer sei.17 Die Gründe der bloß indirekten Thematisierung des Rednerwillens in der römischen Rhetorik liegen darin, dass die Antike, wie mit Schulz dargelegt, keine Vorstellung vom Willen als unabhängiger, eigener Wahl- und Entscheidungsgröße hatte. Allerdings muss man diese Auffassung vom Aspekt der sophistischen Rhetorik auch relativieren. Das Verhältnis von Redner- und Zuhörerwillen wurde schon von Gorgias nach dem Schema »Aktion - Reaktion« gedeutet, und zwar in der »Helena«-Rede. Er bezeichnet die Gattin des Menelaos und Geliebte des Paris als eigentlich schuldlos, da sie entweder nach dem »Willen des Geschicks«, den »Ratschlüssen der Götter«, der »Abstimmung der Notwendigkeit« handelte, also sich passiv verhielt, oder aber »mit Gewalt geraubt oder mit Reden bekehrt« wurde.18 Die Rede gehört für Gorgias dagegen zu den aktiven Kräften, denn sie ist »ein großer Bewirker«.19 Dieses ihr Merkmal erscheint noch halbmythisch in unpersönlicher Aktionsform20 und nicht als subjektive Tat des Redners. Man kann bei Gorgias trotzdem die Anfänge der rhetorischen Willenslehre sehen. Eine indirekte, jedoch negative Anerkennung des rednerischen Willens als unabhängiger Größe gab es von Seiten der Philosophie in der Auseinandersetzung mit der Sophistik. Gorgias sagt bei Platon im Gespräch mit Sokrates, der Redner verstehe, »gegen alle und über alles so zu reden, daß er den meisten Glauben beim Volk findet [ ... ],worüber er nur will.« Beide sprechen über die Frage der ethischen Neutralität der Redekunst, die Sokrates in Zweifel zieht, sein Gegner aber verteidigt mit dem Hinweis, man könne sich ihrer zum Gerechten oder Ungerechten bedienen.21 Die sophistische Auffassung von der Rhetorik setzt also nach Platon 16 Vgl. zu diesem Mechanismus R. Campe: Affizieren und Selbstaffizieren. Rhetorisch-anthropologische Näherung ausgehend von Quintilian, Institutio oratoria VI. 1-2. In: J. Kopperschmidt (Hg.): Rhet. Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus (München 2000) S.135 ff. 17 Vgl. Cic. De or. II, 189ff. Aristoteles spricht in seiner i'p'to;-Theorie anlässlich des Wohlwollens ( Euvma) gegenüber den Zuhörern allerdings nur vom gezeigten, nicht auch vom wirklich empfundenen Gefühl des Redners (Rhet. II, 1, 5ff.). Die Schauspieltheorie hat diesen Unterschied später herausgestellt. F. Riccoboni, ein Theoretiker des 18. Jh.'s, war der Auffassung, dass ein Schauspieler die Affekte, die er zeige und hervorrufen wolle, nicht wirklich auch empfinden müsse. (vgl. B. Steinbrink:Art. »Actio«, in: HWRh Bd.I, Sp. 63). 1x Gorgias, Helena 6, übers. von Th. Buchheim. In: Gorgias: Reden, Fragmente, Testimonien (Hamburg 1989). 19 Ebd. 8. 20 Siehe dazu oben S.54. 21 Platon, Gorgias 457a, 460d, übers. von K. Hildebrandt, in: Platon: Gorgias oder über die Be-

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offenbar die rednerische Willens- als Wahlfreiheit voraus, ohne dass dort die Handlungsantriebe so genau analysiert worden wären wie in der Philosophie oder gar zu einer begrifflichen Fassung des Willens geführt hätten. Auch Aristoteles kommt an einer Stelle seiner »Rhetorik« dem autonomen Willensbegriff sehr nahe, und zwar dort, wo er vom »Unrechttun« sagt, dass es Schlechtes nicht nur »freiwillig«, sondern aus »überlegter Entscheidung« heraus begehe. Diese Entscheidung geht vom Willen aus, für den das Ziel erst Objekt der Wahl wird. Die »Nikomachische Ethik« dagegen setzt nicht am Begriff des Willens, sondern des Strebens an, das sich auf ein vorgegebenes und durch intellektuelle Einsicht als das Beste erwiesenes Ziel, das Glück, richtet. Doch Aristoteles zieht keine Konsequenz aus seiner Analyse des Unrechttuns; das Glücksprinzip wird noch nicht zugunsten des Prinzips der Willensautonomie relativiert.22 Eine auch terminologisch explizite philosophischtheologische Willenstheorie entwarf erst Augustinus.23

3. Rednerwillen und Affektenlehre von der Renaissance bis zur Aufklärung

Hatte die Antike die Willensfreiheit vor allem mit der Frage nach der intellektuellen Einsicht verbunden und das Mittelalter dieses Problem in Auseinandersetzung mit Augustinus noch vertieft, ohne freilich zu einer - wohl auch nicht möglichen - abschließenden Klärung zu gelangen I, so sah es der Renaissancehumanismus in einer neuen Perspektive: der des erwachenden Individualismus. Der Wille des Menschen galt als die Quelle seiner Freiheit und Verantwortlichkeit, die er als handelndes Wesen bewähren musste. Petrarca und Salutati gingen in ihrer Kritik am scholastischen Denken soweit, zu behaupten, dass es besser sei, das Gute zu wollen als die Wahrheit zu kennen.2 Kennzeichnend für die Renaissancepsychologie und -rhetorik war die starke Bindung des Willens an die Affekte, Ausdruck einer neuen Auffassung von den Emotionen im 16. Jh. Der Humanismus hatte sich aus seinem Interesse am Menschen besonders mit dessen Seelenregungen beschäftigt. Die Folge war, dass man einen neuen, positiv gerichteten Sinn für den »Lebenswert« (Dilthey) der Affekte und insbesondere der Leidenschaften gewann, weil sie nun

redsamkeit (Stuttgart 21983); vgl. auch 466c, d (Polos): Die Redner töten wie die Tyrannen, wen sie wollen; berauben und weisen Mitbürger aus der Stadt. 22 Arist. Rhet 1368b6 ff., vgl. dazu 0. Höffe: Aristoteles (München 1996) S.208-211 sowie Dihle [9]. In der römischen Rechtstheorie wurde nach Dihle allerdings ein autonomer Wille angenommen (S.159). 23 Dazu Dihle [9] S.138ff. 1 Vgl. H. Heimsoeth: Die sechs großen Themen der abendländischen Metaphysik und der Ausgang des MA (Darmstadt 71981) S.214ff„ 227. 2 Vgl. B. Yickers: In Defense of Rhet. (Oxford 1988) S.276ff.; St. Otto (Hg.): Renaissance und frühe Neuzeit, Bd.3 der Gesch. der Philos. in Text und Darstellung, hg. v. R. Bubner (Stuttgart 21986) S. 75.

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einmal zu den menschlichen Lebensvollzügen gehörten. Dilthey sieht darin eines der wichtigsten Merkmale der neuzeitlichen Anthropologie gegenüber Antike und Mittelalter3, ein Zeichen dafür, dass auch das Naturelement im Zusammenspiel von Natur und Kultur beim Menschen nicht invariant aufzufassen ist, sondern immer in geschichtlicher Modifikation verstanden werden muss. Nach den Gewohnheiten der Zeit wurden die Gefühle noch nicht empirisch beschrieben, sondern auch bei rhetorischen Erörterungen in Begriffen der überlieferten Moralphilosophie reflektiert. Dabei lebte die alte Auseinandersetzung zwischen Stoikern und Aristotelikern zur Haltung gegenüber den Passionen wieder auf, und zwar anhand der Frage, ob man sie in seinem Innern tilgen oder aber mäßigen und beherrschen sollte.4 Vives betonte den Wert der Affekte als Anreize für die Seele, das Gute zu tun; Vossius war der Auffassung, dass ihre Ausrottung kein Werk der Tugend sei, da diese sich gerade an ihrer Beherrschung zu bewähren habe. Beide Autoren polemisierten daher gegen die Affektabwertung der Stoa bzw. ihrer zeitgenössischen Vertreter. Sie befürworteten wie Aristoteles eine Mäßigung der Leidenschaften, damit diese beherrschbar blieben. Descartes und Melanchthon unterschieden die Gefühle nach Nutzen oder Schaden für den Menschen. Besonders interessiert war man auch am Verhältnis der Affekte zueinander, und der Gedanke vom Sieg des stärksten Affekts über die anderen begegnet in den Anweisungen des 17. Jh.'s zur Affektbeherrschung und -lenkung immer wieder.5 Die Beziehung von Wille und Affekt lässt sich gut bei Vives und Melanchthon studieren. Juan Luis Vives erklärt - bezeichnenderweise unter Bezugnahme auf die Redekunst- in »De tradendis disciplinis«: »Beim Menschen liegt die größte Macht im Willen. Vernunft und Urteil sind gleichsam als Berater beigegeben, sowie die Affekte als Flammen. Nun werden aber die Affekte der Seele durch die Funken der Rede entzündet, und die Vernunft wird durch die angeregt. Daher kommt es, daß die Rede eine so gewaltige Macht über den Menschen gewinnt [ ... ].«6 Vives scheint hier von der Freiheit des Willens auszugehen, wogegen Philipp Melanchthon die gegenteilige Ansicht vertritt, ein Reflex der Tatsache, dass in der Reformation die Frage nach der Beschaffenheit des Willens eine theologische Dimension bekam, wie Erasmus und Luther in ihrem Streit über die Freiheit bzw. Unfreiheit des Willens demonstrierten.7 Melanchthon schreibt in den »Loci communes rerum

3 W. Dilthey: Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation. In: ders., Ges. Sehr. 2. Bd.(Stuttgart, Göttingen 71964) S.417, 422ff. 4 Vgl. E. Rotermund:Affekt und Artistik (München 1971) S.13-17; J. Kraye: Moral Philosophy. In: Ch. B. Schmitt (Ed.): Tue Cambridge History of Renaissance Philosophy (Cambridge 1988) insbes. S.364. 5 Rothermund [4] S.14-20. 6 J. L. Vives: De tradendis disciplinis, Buch IV. Kap. 3; dt. Übers. aus: J. L. Vives' pädagogische Sehr. Ein!., Charakteristik, Übers. und Erläuterungen von F. Kayser (Freiburg i. Br. 1896) S.286. 7 Vgl. U. Schulz: Erasmus von Rotterdam. Der Fürst der Humanisten. Ein biographisches Lesebuch (München 1998) Kap. XXI f.

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theologicarum«: »[D]ie inneren Bewegungen stehen nicht in unserer Macht. Wir wissen aus Erfahrung und Gewohnheit, daß der Wille nicht aus sich selbst Liebe, Haß oder ähnliche Affekte schafft, sondern der Affekt wird durch den Affekt gefesselt, so wie du, weil du von jemandem, den du liebtest, verletzt wirst, aufhörst, ihn zu lieben. [... ] Was anders ist denn der Wille als die Quelle der Affekte?«8 Melanchthon versteht den Willen also von vornherein als abhängige psychische Größe, weil er agierend-reagierend in das Gesamt der menschlichen Gefühlswelt verwoben ist. Ausgangspunkt ist dabei für ihn die von Luther formulierte theologische Auffassung, dass der Mensch sich bei seinen Willensentscheidungen zum Guten oder Bösen nur im Rahmen der von Gottes Allmacht bestimmten Grenzen bewegen kann, ja sogar der Ablauf seiner Handlungen von dort vorherbestimmt ist. »Ich werde[ ... ] nicht auf die Sophisten [die Erasmianer, F.H.R.] hören«, fährt Melanchthon fort, »wenn sie leugnen, daß die menschlichen Affekte, Liebe, Haß, Trauer, Neid, Ehrgeiz u.ä. auf den Willen wirken. [ ... ] Es irren die Schulen [der Philosophen, F.H.R.], wenn sie vortäuschen, daß der Wille seinem Wesen nach den Affekten entgegengesetzt sei oder einen Affekt hervorbringen könne, sooft der Intellekt dies fordert oder rät.«9 Diese Auffassung folgt genau der schulrhetorischen Affektenlehre, wie sie Quintilian formuliert, wenn er sagt, dass die Redekunst erst durch den Appell an die Emotionen die Richter zum gewünschten Urteil bringen könne. Melanchthon konzipiert dabei allerdings das Wirken des Willens nach der passiven Perspektive des Zuschauers, nicht nach der aktiven des Redners. Diesen Unterschied hat Dockhorn, der zuerst den Einfluss Quintilians auf die protestantische Affektenrhetorik beschrieb und dabei den Willen ins Spiel brachte, nicht gesehen.to Die grundsätzliche Gefühlsbindung allen Wollens hindert Melanchthon freilich nicht daran, dem menschlichen Willen eine relative Freiheit für den Fall zuzugestehen, dass er sich zusammen mit der Vernunft mäßigend gegenüber den Emotionen im Handeln durchsetzt.11 Wendet man nach dieser Erörterung der Beziehung von Affektivität und Willen im Humanismus den Blick wieder zur Rhetorik, zeigt sich, dass die anthropologische Aufwertung der menschlichen Emotionalität in der frühen Neuzeit einer immer stärkeren Identifizierung der Redekunst mit der Mobilisierung der Affekte

8 Ph. Melanchthon: Loci communes rerum theologicarum seu Hypotyposes theologicae (1521). In: R. Stupperich (Hg.): Melanchthons Werke in Auswahl Bd.2, Teil 1 (Gütersloh 1952) S.27, übers. von K. Dockhorn. In: dcrs.. Rhctorica movet. Protestantischer Humanismus und karolingische Renaissance. In: H. Schanze (Hg.): Rhetorik. Beitr. zu ihrer Gesch. in Deutschland vom 16.-20. Jh. (Frankfurt/M. 1974) S.30 9 Ebd. Melanchthon kritisiert auch Augustinus. der die Lehre von der Willensfreiheit vertrat. ebd. S.21f. 10 Dockhorn [8] S.31. 11 Vgl. G.R. Schmidt (Hg.): Ph. Mclanchthon. Glaube und Bildung. Texte zum christlichen Humanismus. Lat.-dt. (Stuttgart 1989) S.21, 93. Melanchthon scheint in den »Loci praecipue theologici« von 1559 eine etwas gemäßigtere Position in der Frage der Willensfreiheit eingenommen zu haben.

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entsprach. Diese Tendenz manifestierte sich in Luthers Wort »Dialectica docet, rhetorica movet.«12 Die Erregung der Leidenschaften zur endgültigen Gewinnung der Adressaten war immer schon das wichtigste Persuasionsmittel der Rhetorik gewesen. Darüberhinaus hatte die Fixierung des Humanismus auf die Sprachästhetik zu einer Konzentration auf die elocutio und zu einer deutlichen Bevorzugung der affektiven Wirkungsaufgabe (movere) des Redners geführt, wie schon anhand von Keckermann gezeigt wurde.13 Der Redner sollte daher vor allem auf das Herz der Zuhörer, den Sitz der Affekte, zielen. Nach Johann Heinrich Alsted beachtet die Rhetorik dabei »in erster Linie den Willen, nämlich daß er angeregt und zum Tugendhaften angetrieben werde[ ... ]. Auf die Affekte ist sie gerichtet als auf die Töchter des Willens und hat sich zum Ziel gesetzt, daß der angeregte und ergriffene Wille ebenso auch die Affekte gleichsam einfärbt und durchtränkt.«14 Zu beachten ist, dass Alsted hier in seiner »Encyclopaedia« nur vom Willen der Zuhörer redet; der Persuasionswille des Redners ist wie in der antiken Rhetorik bei ihm vorausgesetzt. Die Redelehre der Aufklärung rückte später von der starken Fixierung des Redners auf die Erregung der Leidenschaften wieder ab und bemühte sich zunächst, Verstand und Willen gleichermaßen anzusprechen. Beide gehören nach Johann Christoph Gottscheds »Ausführlicher Redekunst« zur »unveränderliche[n] Natur des Menschen«, mit der es der Redner zu tun hat. Ein guter Redner »muß [ ... ] sonderlich sich selbst, und sodann auch andre Menschen aus dem Grunde kennen«, denn »[d]ie Zuhörer sind allezeit Menschen, die Verstand und Sinne, einen Willen und Begierden haben«, und Verstand wie Willen seines Publikums muss der Redner »auf die gehörige Art anzugreifen wissen. Jener soll überredet, dieser aber gelenket werden [ ... ]«.15 Die Regeln der Redekunst leiten sich zum einen aus der menschlichen Natur her: der mit Gründen und Beweisen arbeitenden Verstandestätigkeit und den auf den Willen einwirkenden motivischen »Bewegungsgründen«. Zum anderen kommen diese Regeln aus der »Absicht« des Redners, also seiner persuasiven Intention, die sich »geistliche und weltliche, theoretische und practische, dogmatische und historische Wahrheiten« zunutze macht.16 Damit sind die Merkmale der rationalistischen Phase rhetorischer Anthropologie in der Aufklärung bezeichnet. Die Menschennatur wird als unveränderlich aufgefasst, denn sie funktioniert als ein Regelwerk: dem des Verstandes und dem der Affekte. Auch die

M. Luthers Werke, Kritische Gesamtausg.: Tischreden Bd.2 (Weimar 1967) S.360. 13 Siehe dazu oben S.146ff. 14 J.H. Alsted: Encyclopaedia Bd. l (Herborn 1630, ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1989) S.373. 15 J. Chr. Gottsched: Ausführliche Redekunst. In: Ausgew. Werke, hg. v. Ph. M. Mitchell Bd. VII, 1 (Berlin, New York 1975) S. 97 f., 104, 225. Die Annahme einer statisch gegebenen, nicht historisch wandelbaren Natur des Menschen war ein allgemeines Kennzeichen der rationalistischen Anthropologie im 18. Jh. Vgl. dazu M. Linden: Untersuchungen zum Anthropologiebegriff des 18. Jh.'s (Frankfurt, Bern 1976) S.12. 16 Ebd. S.42. 12

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»Bewegungsgründe« gehorchen nach der auf Descartes und Wolff zurückgehenden naturwissenschaftlichen Seelenlehre einem klaren psychologischen Gesetz: dem von Attraktion oder Repulsion: sie sind »entweder angenehm oder verdrueßlich «,müssen also entweder erregt oder gedämpft werden, indem man das Gute bzw. Böse an einer Sache zeigt.17 Diesem Regelwerk korrespondieren die schulrhetorischen Vorschriften, die den persuasiven Erfolg bringen. So fügen sich nach Gottscheds Ansicht die Natureigenschaften der Menschen und die Wirkungsabsicht des Redners zusammen, wobei auch der Rednerwille eigens erwähnt wird.18 Gottscheds Definition des Willens bestätigt diese rationalistische Auffassung, denn man kann denselben nach Ausweis seiner »Ersten Gründe der gesammten Weltweisheit« »eine vernünftige Begierde nach einer gutscheinenden Sache nennen.« Den Vorgang der Zügelung der Affekte erklärt er nach dem gleichen Muster: Da die sinnlichen und unvernünftigen Begierden in der nur undeutlichen Erkenntnis des Guten entstehen, der Wille dagegen aus der deutlichen Erkenntnis des Guten entspringt, wird jede Gemütsbewegung verschwinden oder sich doch vermindern, wenn man die irrige Erkenntnis im Verstand berichtigt, so dass der Wille sich wieder klar für das Gute entscheiden kann.19 Den Vorgang der Persuasion beschreibt Gottsched dabei folgendermaßen: »Man bemerket aber, auf den Fall, wenn beyde übereinstimmen, daß die eine vermittelst der andern sehr verstärket werden kann. Die sinnliche Begierde nimmt an Heftigkeit zu, wenn sie durch allerley deutliche Vorstellungen des Guten unterstützet wird: und die vernünftige wird gleichfalls eifriger, wenn dasjenige, was dem Verstande als gut vorkömmt, auch von den Sinnen dafür erkläret wird. Dieses ist der Grund zur Lenkung der Gemüther, dessen sich sonderlich geschickte Redner bedienen, wenn sie ihre Zuhörer bereden wollen, etwas zu thun oder zu lassen.«20 Neben Gottscheds rationalistischer, um den Ausgleich von Verstand und Willen bemühter Position finden sich jedoch in der Aufklärung auch andere Stimmen, die erneut auf die irrationalen Kräfte des Redners setzen, aber diesmal mit anderer Akzentuierung als im Barock. Das »erste und wichtigste Stück« der Redekunst bzw. des Redners ist für Friedrich Andreas Hallbauer eine »gewisse Hoheit des Geistes, die uns von Sachen glücklich dencken lehret«, und als zweites ein »pathetische[ s] Wesen«, worunter er »[den] enthusiasmum und die natürliche Gewalt, welche die Gemüther der Menschen zugleich beweget und rühret«, versteht. »Was diese zwey ersten Stücke anbelanget«, heißt es in seiner »Anweisung zur verbesserten teutschen Oratorie«, so sind »solche [ ... ]fast ganz und gar der Natur beyzumes-

17 Ebd. S.164f.; vgl. dazu H. Stauffer: Erfindung und Kritik. Rhct. im Zeichen der Frühaufklärung bei Gottsched und seinen Zeitgenossen (Frankfurt/M. u.a.1997) S.77, 162f. 1x Gottsched [ 15] S.107, 109. 19 J. Chr. Gottschcd: Erste Gründe der gesammten Weltweisheit [ „. ]. Theoretischer und Praktischer Teil (Leipzig 1762), hg. von Ph. M. Mitchell, Ed.V, 1 und 2 (Berlin, New York 1983) S.546 (Theoret. Teil) und S.336f. (Prakt. Teil), vgl. »Redekunst« S.227. 20 Weltweisheit, Theoretischer Teil [19] S.548f.

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sen: denn sie müssen mit uns geboren werden; an Statt daß die andern zum Theil von der Kunst herkommen.«21 Enthusiasmus und Natur als Quellen der Redegewalt verweisen auf Pseudo-Longin, dessen Einfluss in Rhetorik und Ästhetik sich allmählich geltend macht. Johann August Ernesti sieht sogar Quintilians Sentenz »Pectus est, quod disertos facit« in dieser neuen Optik. In der Brust (pectus) als Sitz von Herz und Gemüt, dem Sitz der Leidenschaften, entspringe die Kraft der Beredsamkeit (vis eloquentiae), wie Ernesti in seiner »Üratio professionis rhetoricae adeundae caussa dicta« anhand von Demosthenes und Cicero, aber auch dem Apostel Paulus darlegt.22 Aus der Größe der rednerischen Gesinnung (magnitudo animi) komme das Erhabene (sublimitas); so lehre Longinus, »der großen und erhabenen Rede vortrefflicher Meister« (magnae et sublimis orationis magister praeclarus ).23 Wo Quintilian in der »lnstitutio« auf die Stegreifredner (diserti, nicht eloquentes!) und ihre besondere Fähigkeit, die Zuhörer mitzureißen, abhebt, zugleich aber auch vor dem Unberechenbaren dabei warnt, setzt Ernesti allein auf das irrationale Moment der Redegewalt. Er überhöht es durch Verbindung mit der pseudo-longinischen Tradition des Erhabenen als Moment rednerischer Größe, verlässt dabei aber die ciceronisch bestimmte Basis des christlichen Humanismus noch nicht.24 Dennoch sind seine Überlegungen schon als Reflex der genieästhetischen Strömung seiner Zeit zu verstehen, über deren Einfluss auf die rhetorische Anthropologie es im folgenden gehen soll.

4. Die Bindung des Rednerwillens an das ingenium in der Genieästhetik a) Pseudo-Longinos und die Lehre vom Erhabenen als Voraussetzung Die rationalistische Phase der rhetorischen Anthropologie, wie sie vor allem Gottsched repräsentierte, hatte in der Aufklärung keinen dauerhaften Stand. Gottscheds Konzept war gerade in seiner Stimmigkeit auch Ausdruck der Krise, in die die Rhetorik im 17. und 18. Jh. geraten war.1 Es ersetzte die fragwürdig gewordene barock-humanistische Redetheorie durch eine andere, die versuchte, mit logischen Prinzipien die alte Tradition abzusichern. Doch die spätere Aufklärung rückte

21 F.A. Hallbaucr: Anweisung zur verbesserten teutschcn Oratorie (Jena 1725, ND Kronberg/ Ts. 1974) S.218. 22 Abgedruckt in: J.A. Ernesti: Oratio professionis rhetoricae adeundae caussa dicta. In: ders„ Opuscula oratoria, orationes. prolusiones et clogia (Leiden 1756) S.21-25. Vgl. dazu Quintilian X. 7, 15. 23 Ebd. S.26. 24 Ernesti beruft sich dafür auf Melanchthon und Camerarius als Gewährsmänner. Vgl. ebd. S.29ff. I Vgl. dazu R. Grimminger: Ein!. zu ders. (Hg.), Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680-1789. Bd. 3 von Hansers Sozialgesch. der deutschen Lit. (München 21984) S. 44 f.

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immer stärker vom bloßen Rationalismus der Frühphase ab und nahm auch irrationale Strömungen auf, die insbesondere durch die Genieästhetik Rhetorik und Rednerideal beeinflussten. Das Erreichen des Wirkungszieles blieb zwar weiterhin die Aufgabe der Rhetorik; der persuasive Wille des Redners wurde aber in einer neuen, emphatischen Weise an das ingenium gebunden, wie es die Antike nicht kannte. Die griechisch-römische Schulrhetorik hatte im ingenium den Sitz der natürlichen Anlagen, der Talente des Redners gesehen, die sich besonders bei der Konzeption einer Rede bewähren. Deshalb hatte man es auch als Teil der inventioLehre definiert, wobei Cicero und Quintilian es noch vom iudicium und der argutia unterschieden.2 Letzterer hatte den Begriff des ingenium zwecks Ablehnung der sklavischen Nachahmung mit anderen Vorzügen in Zusammenhang gebracht: »[D]as, was beim Redner das Wichtigste ist«, betont er, »[ist] nicht nachahmbar [ ... ]:Talent (ingenium ), Erfindungsgabe (inventio ), Kraft des Ausdrucks ( vis ), Gewandtheit (jacilitas) und alles, was sich nicht im Lehrbuch lernen läßt.«3 Quintilian geht es vor allem um die Souveränität des Redners, der gegenüber seinen Vorbildern und Mustern selbständig sein soll. Doch kann man hier noch nicht vom »Genie« eines Redners sprechen. Dazu bedarf es der Unterstützung des Talents durch die Kraft einer großen Natur, wie sie zuerst in der anonymen Schrift »Vom Erhabenen« dargestellt wurde. Die große Natur eines Redners zeigt sich nach Ansicht des Anonymus in der Seelengröße, der Voraussetzung zur Wirkung des Erhabenen in und durch die Rede. Dabei werden Ekstase (ihwi:ami;, ekstasis) und Überzeugung bzw. Überredung (:rtELil-w, peithÖ) unterschieden: »Das Übergewaltige nämlich führt die Hörer nicht zur Überzeugung, sondern zur Extase; überall wirkt, was uns erstaunt und erschüttert, jederzeit stärker als das Überredende und Gefällige, denn ob wir uns überzeugen lassen, hängt meist von uns selber ab, jenes aber übt eine unwiderstehliche Macht und Gewalt auf jeden Zuhörer aus und beherrscht ihn vollkommen.«4 Das Überwältigende der Persuasion erklärt die Schrift nach der tradierten Auffassung der Schulrhetorik vom Redner: »[D]ie Natur [pflegt] im Leidenschaftlichen und Gehobenen meist nach eigenem Gesetz, aber trotzdem nicht ziellos und ganz ohne Regeln zu verfahren [ ... ].«Wirkung ist also nicht bloß etwas sich spontan Einstellendes; sie ist auch Ergebnis eines Kalküls, welches »vermag, das rechte Maß und den jeweils günstigen Augenblick festzulegen und überdies eine ganz sichere Schulung und Anwendung der Stilmittel zu schaffen [ ... ].«5 Das Erhabene hat für den Anonymus also zwei Quellen: Natur und Kunst, wobei die Natur die Kraft zur gedanklichen Konzeption sowie das »begeisterte« Pathos, die Kunst die Beherrschung der Stilmittel beisteuern. Die Natur »läßt sich durch Lernen nicht

J. Engels: Art. »Ingenium«, in: HWRh Ed.IV, Sp. 382f. Quintilian X, 2, 12. 4 Ps.-Longinos: Vom Erhabenen, griech.-dt., übers. v. R. Brandt (Darmstadt 1966) 1,4. s Ebd.2,2.

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erwerben; dafür gibt es nur eine Vorschrift: mit ihr geboren zu sein.«6 Sie übt den größeren Einfluss aus, denn »das Erhabene ist der Widerhall einer großen Seele.«7 Mit den tradierten rhetorisch-stilistischen Kategorien kann man es nicht völlig erfassen, da es nicht dasselbe ist wie das Pathos, denn dieses kennt auch nicht-erhabene, niedrige Formen wie Jammer, Schmerz und Furcht.8 Der Anonymus versucht, es in Metaphern und Bildern nicht bloß als technisch erzeugtes, sondern als anthropologisches Phänomen, als einen Zustand zu beschreiben, der im großen Redner, aber auch im Zuhörer angelegt ist und im Moment des Hervorbrechens Körper und Geist von beiden unter dem Eindruck der großen Wirkung umgreift. Besonders in der die Dinge vergegenwärtigenden geistigen Vorstellung ( cpavraola, phantasfa) des Redners zeigt sich die Kraft des Erhabenen, »wenn man - fortgerissen von Begeisterung ( i':v1to11maoµ6c;, enthüsiasm6s) und Leidenschaft ( mi1toc;, pathos) - das zu erblicken scheint, was man schildert, und es vor die Augen der Zuhörer stellt.«9 Der Anonymus greift hier das aus der Schulrhetorik bekannte Darstellungsmittel der Evidenz auf, um die Möglichkeit des großen Redners zur Modellierung der Wirklichkeitssicht durch die intellektuell-affektive Erzeugung von Illusion zu demonstrieren. Gesteigert wird diese Möglichkeit noch durch die Verbergung der Kunst, die zum Anschein des Natürlichen beiträgt.10 Die Enthusiasmuslehre Pseudo-Longins ist also eine produktions- und wirkungsästhetische Theorie. Seine Idee von rednerischer Größe ist allein psychologisch-ästhetischer Natur, gekennzeichnet von einer »in ethischer Hinsicht weithin indifferenzierte[n] psychische[ n] Befindlichkeit; sie hat etwas von einer beziehungslosen, leeren Gebärde; sie steht für sich in abstrakter, unberührbarer Idealität.« (Fuhrmann)ll Das stellt sich für den großen Redner Ciceros und Quintilians anders dar: bei jenem gründet sich die Größe letztlich auf philosophische Dignität, bei diesem auf altrömische Tugendhaftigkeit. Inhaltlich bleiben die Bestimmungen rednerischer Größe bei dem Anonymus also leer. Sie basieren nur auf dem rezeptionsästhetischen Faktum der Bewunderung, ohne doch etwas >Edles< oder >Hoheitsvolles< zu enthalten, wie es beispielsweise in der ethischen Auffassung von der Seelengröße eines Menschen bei Aristoteles vorausgesetzt ist.12 Rhetorik und Poetik haben zu Longinos' Konzeption des Erhabenen beigetragen: erstere durch die Affektenlehre, speziell die Theorie von der Wirkung der leidenschaftlichen Gefühlserregung, letztere durch die dichterische Inspirationslehre, wie der Hinweis auf das »begeisterte« (i':v1to11maonx6v, enthüsiastik6n) Pathos zeigt.

Ebd. 2, l; 8, 1. 7 Ebd. 9, 1. s Ebd. 8.2. 9 Ebd. 15, 1; auch 15, 9. 10 Ebd. 17, lf.; 18, 2; 22, 1. Zur Evidenz vgl. M. Fuhrmann: Die Dichtungstheorie der Antike. Aristoteles - Horaz - >Longingelehrten< Rhetorikauffassung der Tradition ab und bewegt sich auf den schon von der »philosophischen Oratorie« vorgezeichneten Bahnen der Aufwertung des rednerischen ingeniums. Siehe dazu genauer Till [2] S. 529 ff. 10 Art. »Genie«, Bd.2, S.364f. 11 »Erhaben« S.108. 12 »Redner« S.70.

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den Rede13, muss gezügelt werden, damit für den Redner das Wirkungskalkül aufgeht. Denn als »Hauptmaxime« für ihn gilt: »Er muß an nichts, als an seine Materie und an die Würkung, die sie auf den Zuhörer haben soll, denken, sich selbst aber und alle Nebenabsichten völlig aus dem Sinn schlagen.«14 Sulzer hält also daran fest, dass auch der geniale Redner den Willen zur Persuasion braucht. Neu ist aber, dass dieser Wille als eine Synthese aus aktiven und passiven Elementen aufgefasst wird: Intentionalität und psychische Reizbarkeit als besondere Empfänglichkeit für die Beschaffenheit seiner Gegenstände müssen zusammenkommen. Daher resultiert weiterhin ein spezielles Verhältnis des Redners zur Kunst. Die tradierten Forderungen an die Kunstbeherrschung muss auch Sulzers Redner erfüllen, wobei sein Künstlertum aber mehr ist als das bloße Können des »Handwerksmanns«.15 Sulzer betont, dass der geniale Künstler das Erhabene nicht nur fühlen, sondern auch durch den Gebrauch entsprechender technischer Mittel ausdrücken muss.16 Dessen Genie ist also zugleich auf erworbene, nicht nur angeborene Fähigkeiten angewiesen. Vergleicht man Sulzers Rednerauffassung mit derjenigen Gottscheds, zeigt sich, dass er mit seinem Entwurf eine Synthese von geniebetonter Autor- und publikumsbezogener Wirkungsästhetik versucht hat. Allerdings hatte der Sulzersche Idealtypus des Redners nicht die Resonanz wie das Baumgartensche Modell des »Ästhetikers«17, denn er wurde schließlich vom Dichterideal verdrängt. Zugleich wird an Sulzer deutlich, wieviel Spielraum die rhetorische Anthropologie mit ihrer Konzeptualisierung des Wirkungsgefüges von Rednerabsicht und Zuhörerreaktion bot. Gottscheds angeblich »unveränderliche Natur des Menschen«, die dem Redner und seinem Handeln vorgegeben ist, wird in der gleichen Epoche zur Quelle von rationalistischen und irrationalistischen Theoremen über die Ästhetik.

TV Natürlichkeit: eine Form des rednerischen ~1Jo~, erhos 1. ethos-Komponenten der Natürlichkeit in der Antike Natürlichkeit im Verhalten des Redners wird in der Forschung bisher nur vom Aspekt der Kunstverbergung her als rhetorisch induziert betrachtet. Den von der Aufklärung in kritischer Wendung gegen die schulrhetorische Tradition propagierten Verzicht auf »Künstelei« dagegen versteht man als neues anthropologisches

u Die Phantasie wird auch mit Berufung auf Pscudo-Longinos erwähnt, vgl. Art. »Erhaben«

S.99.

»Rede« S.24, vgl. Art. »Künstler« Bd.3, S.103. »Künstler« S.104. 16 »Erhaben« S.105. 17 Zu Baumgartens »Ästhetiker« und dessen rednerischen Komponenten vgl. Robling [4] Sp. lOOlf. 14

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Die Körperlichkeit des Redners als anthropologisches Thema

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Paradigma 1, anstatt auch hier eine (erneuerte) Rhetorisierungsstrategie am Werk zu sehen. Das lässt sich am besten anhand der Bedeutung des ~'froi:;, ethos für den Vortrag zeigen. Schon die antike Rhetorik thematisierte die Natürlichkeit rednerischen Verhaltens als eine Qualität des ethos. Aristoteles bemerkt, man müsse die Rede im Gegensatz zur Dichtung »unmerklich komponieren und nicht den Anschein des gekünstelten, sondern des natürlichen Redens erwecken - diese nämlich ist überzeugend, jenes aber das Gegenteil, denn [die Zuhörer] lehnen es ab, wie gegenüber jemandem, der etwas im Schilde führt [ ... ].«2 Die Künstelei liegt vor allem in einer poetisierenden oder allzu hochtrabenden Wortwahl und in einer exaltierten Stimmführung beim Vortrag, die übertrieben wirken und deshalb unglaubwürdig sind.3 Den Zuhörern könnte nämlich der Verdacht kommen, sie sollten getäuscht werden. Gegenüber solch einem Verhalten empfiehlt Aristoteles dem Redner ein natürliches und also maßvolles Verhalten, damit seine Rede nicht emotional aufreizend wirkt und kein Widerspruch zu den in seiner Charakterdarstellung ( ethos) präsentierten Eigenschaften von Tugendhaftigkeit, Klugheit und Wohlwollen gegenüber dem Publikum entsteht.4 Die ethos-Merkmale rednerischer Natürlichkeit kehren in der römischen Rhetorik wieder, so vor allem bei Quintilians Vortragstheorie. Ansatz ist der Unterschied von Redner und Schauspieler. Quintilian konzediert zwar, dass der künftige Redner mit der Bühnenkunst vertraut sein müsse, schränkt aber ein: »Auch Gebärdenspiel und Bewegung ist nicht allein der Komödie abzulernen. Wenn nämlich auch der Redner beides in gewissem Umfang beherrschen muß, so bleibt er doch weit entfernt von der Art der Bühne, bleibt ohne die Übertreibungen im Mienenspiel, die Gestikulationen und Veränderungen des Standortes; denn wenn es hierfür bei den Redenden einer Kunst bedarf, so vor allem der, nicht als Kunst zu erscheinen! «5Ein maßvolles und natürliches, ungekünsteltes Verhalten gehört also zum Redner, womit er einen Eindruck hervorruft, der zum ethos passt, jener sanften Gefühlshaltung, die ein liebenswürdiges, gefälliges Wesen zeigt und die Zuhörer für den Redner einnimmt.6 War die sanfte Emotion im Aristotelischen ethos-Verständnis nur angedeutet, da er die Selbstpräsentation des Redners primär als Beweisform auffasste, so versteht Quintilian sie in erster Linie als Affektstufe.7 Zugleich bindet er das ethos an eine tatsächlich vorhandene, nicht nur (wie bei Aristoteles) demon-

1 So U. Geitner: Die Sprache der Verstellung (Tübingen 1992) und M. Beetz: Die Körpersprache im Wandel der deutschen Rhet. vom 17. zum 18. Jh. In: J. Kopperschmidt (Hg.): Rhet. Anthropologie (München 2000) S.56ff. 2 Arist. Rhet. 1404 b 17 ff. (Rapp). 3 Vgl. ebd.1403 b 27ff. 4 Vgl. Chr. Rapp: Aristoteles, Rhet., 2. Halbbd.: Kommentar (Darmstadt 2002) S.810ff., 833 sowie die Ausführungen des Aristoteles zum cthos des Redners oben S.100. 5 Quintilian I, 11, 3 (Rahn). 6 Ebd. VI, 2, 13. 7 Vgl. VI, 2, 8ff.

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strierte Moralität im Charakter des Redners. Dieser sollte nach Catos Wort ein vir bonus dicendi peritus sein: »[ ... ] die sittliche Haltung des Redners soll durch seine Worte hindurchleuchten und sich so bemerkbar machen«, kurz: untadelig sein und es auch nach außen hin scheinen8, wobei Quintilian sich nicht scheut, aus Gründen der Wirkung auch bis zur »Verstellung« (simulatio) in der Kunstverbergung zu gehen.9 Setzte Aristoteles nur das in der Rede selbst Geäußerte als Quelle des gegenüber dem Zuhörer gezeigten ethos an, so fügt Quintilian also noch die Forderung nach tatsächlicher Moralität hinzu. Mit Cicero kann man von seiner Auffassung sagen: »Der Vortrag ist ja gleichsam die Sprache [sermo, eigentlich: Rede] unseres Körpers, und um so mehr muß er dem Geist entsprechen.«10 Äußeres und Inneres, Natürlichkeit, Kunstverbergung und ethos gehören also zusammen, wenn der Vortrag des Redners glaubwürdig sein soll.11 Doch bei alledem gilt: die rednerische Natürlichkeit ist für Quintilian und die antike Rhetorik überhaupt ein Resultat hoher Kunstbeherrschung.12 Alles andere ist bloß ein Ausdruck von roher, ungebildeter Naturhaftigkeit, die das Richtige und Angemessene nur zufällig trifft und im übrigen von der Barbarei nicht weit entfernt ist.13

2. Naturausdruck im Wandel von der Kunstverbergung zur Kunstlosigkeit im 17. und 18. Jahrhundert

Auch die Neuzeit hält die Forderung an den Redner, sich natürlich zu geben, aufrecht, kommt dabei aber in der Kritik am Hofmannstypus, der vor allem das Postulat der Kunstverbergung zu beachten hatte, zu neuen Wertsetzungen. Schon im »Libro del Cortegiano« Baldesar Castigliones spielt die Natürlichkeit des Habitus eine große Rolle. Im Umgang mit seinesgleichen und mit dem Fürsten muss der cortegiano vor allem die Kunst der Gesprächsführung beherrschen. »[E]ine gute Stimme [ ... ],tönend, klar, ruhig und wohlgefügt, mit gewandter Aussprache und von schicklichen Haltungen und Gebärden begleitet«, als eine ästhetisch ansprechende Synthese von actio und äußerem aptum, sind entscheidend für ihn und seinen Erfolg bei Hofe. Seine Körperbewegungen sind dabei »weder gekünstelt noch heftig, sondern durch ein gelassenes Antlitz und durch Blicke gemäßigt[ ... ], die Anmut verleihen und mit den Worten übereinstimmen [ ... ].«14 Bei all dem ist »eine gewisse Art von Lässigkeit anzuwenden, die die Kunst verbirgt und bezeigt,

VI, 2, 8; V, 12, 9. 9 IV, 1, 9. 10 Cic. De or. III. 222 (Mcrklin). 11 Sollte der Redner das Pathos gebrauchen, müsste die Erzielung von Glaubwürdigkeit noch anders rekonstruiert werden. 12 Vgl. dazu Gcitncr [1] S.56ff. 13 S. dazu etwa Quintilian II, 19; XI, 3, 10. 14 B. Castiglione: Das Buch vom Hofmann. Übers. und erläut. von F. Baumgart (München 1986) S.66. 8

Die Körperlichkeit des Redners als anthropologisches Thema

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daß das, was man tut oder sagt, anscheinend mühelos und fast ohne Nachdenken zustandegekommen ist.«15 Anmut (grazia) und Lässigkeit (sprezzatura) sind also die zentralen Leitwerte dieses Verhaltens.16 Sie basieren auf der Forderung der antiken Rhetorik an den Redner, seine Kunst in der Rede und beim Vortrag nicht sichtbar werden zu lassen, da er sonst seine Glaubwürdigkeit verliert. Die Hochschätzung der Natürlichkeit findet sich bei Castiglione wieder im Lob der »Einfachheit der Unschuld, die alles so erscheinen lässt, als ob die Natürlich selbst spräche.«17 Allerdings ist er davon überzeugt, dass »natürlich erscheinen« nicht »von selbst erscheinen« heißen kann, sondern dass immer Kunst vonnöten ist, wenn etwas zur Erscheinung kommen soll.18 Mit der Zielsetzung von »Anmut« und »Lässigkeit« hat das rhetorische Postulat der Kunstverbergung eine kulturanthropologisch konkrete Gestalt bekommen, die sich weiterhin im Umkreis des rednerischen ethos bewegt.19 Der Schwerpunkt liegt jedoch im ästhetischen Bereich, denn Castiglione geht es bei seinem Hofmannsideal primär um eine Kunst der Selbstinszenierung.20 Die moralische Problematik, dass der erzeugte Schein der Natürlichkeit in Gegensatz zur Realität geraten und zum falschen Schein werden, dass also möglicherweise ein Konflikt zwischen simulatio (Vortäuschung) und dissimulatio (Verheimlichung) entstehen kann, behandelt Castiglione nur am Rande. Ihn interessiert vor allem die ästhetisch-technische Seite des Hofmannsverhaltens.21 Virulent wird die moralische Frage erst im 17. Jh. mit der Entwicklung des Hofmannsideals zum sozialen Typus des »Politicus« durch den Einfluss der Klugheitslehre Gracians, für den die Verstellung als Verbergung der eigenen Absichten zur Täuschung des Gegenübers die wichtigste Handlungsmaxime darstellt. Doch sei die moralische Seite dieses Problems, welches das Handeln des Redners überhaupt betrifft, noch nicht hier, sondern erst unten im Ethik-Abschnitt erörtert, denn dazu muss zunächst die Natur der rhetorischen Ethik geklärt werden.22 Für den vorliegenden Zusammenhang, in dem es um die rhetorische Funktion der Natürlichkeit geht, ist wichtig, dass die Verstellung, wie von Gracian gefordert23, eine der Hauptbedingungen für den natürlichen Habitus des »Politicus« war, hervorgerufen durch rhetorische Kunst.24 Gegen diese Art von »Natürlichkeit« wandte sich nun ein Teil

Ebd. S.53. Vgl. dazu M. Hinz: Rhet. Strategien des Hofmanns (Stuttgart 1992) Kap. II, 3. 17 Castiglionc [14] S.67. 18 Siehe dazu genauer K.H. Göttert: Kommunikationsideale (München 1988) S.27. 19 Zum Zusammenhang von Anmut und ethos vgl. etwa G. Ueding: Schillers Rhet. (Tübingen 1971) S.53ff. 20 Vgl. Göttert [18] S.27f. 21 Ebd. S.29ff. 22 Zu Gracian siehe unten S.242ff. 23 Vgl. etwa den Aphorismus Nr. 123 in B. Gracian: Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647). Übers. von A. Schopenhauer, hg. von A. Hübscher (Stuttgart 21990). 24 Vgl. Geitner [l] S.24ff.,28ff.,49f. 15

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der Aufklärungsrhetorik, wie insbesondere an Hallbauer deutlich wird. »Ein von Natur munterer Kopf wird wol durch eigenes Nachsinnen und anhaltende Ubung zur Beredsamkeit gelangen; aber nicht, wenn er abgeschmackten Regeln folget«, heißt es in der »Anweisung zur verbesserten teutschen Oratorie.«25 Die Naturanlage ist also das Wichtigste für den Redner, wie Hallbauer schon unter dem Einfluss der Enthusiasmus-Lehre Pseudo-Longins anmerkt.26 Die Pointe seiner Ausführungen ist: anders als in der tradierten schulrhetorischen Erziehung lässt sich dasselbe Resultat auch ohne die Erlernung von Regeln erlangen. Denn die »gemeine Schul-Oratorie«, »voll von unnützen Grillen«, »führete« nach Ansicht Hallbauers »mehr auf eine affektirte, als natürliche Beredsamkeit.«27 Der Redestil wirkt affektiert, »wenn man sich an gewisse Schul-Chrien und überhaupt an rhetorische Regeln bindet;[ ... ] wenn man zu sehr mit Worten spielet[ ... ]; wenn man zu viel Complimenten macht, und alles mit gar zu mercklichen Schmeicheleyen und Lob-Sprüchen anfüllet [ ... ].«2s Beim Vortrag ist es »eine große Schwachheit, wenn man Anfängern weisen will, wie sie die Hand bewegen, erheben, ausstrecken, [ ... ] wie sie die Finger halten, wie sie den Kopf, die Augen [ ... ] richten sollen. Daraus wird nichts als ein affektirtes Wesen entstehen. Jeder folge seiner Natur, und affektire in nichts, so wird er eine gute und angenehme Action haben.«29 »Affektion« ist also anders als das unwillkürliche und natürliche Ausdrucksgebaren ein gekünsteltes und erzwungenes Benehmen, das keine Glaubwürdigkeit besitzt.30 Hallbauers Auffassung deutet auf einen fundamentalen Wandel in der Bewertung der Rhetorik vom 17. zum 18. Jh hin. Artifizialität ist inzwischen verdächtig geworden; die Redeweise des natürlichen Menschen gilt jetzt mehr als der von der Hofmannskunst geprägte Redner. Anstelle der Affektion, die nur Indiz einer unglaubwürdigen Rhetorik ist, soll der Redner sich der »Sprache des Herzens« befleißigen.31 Rhetorische Natürlichkeit, für den Kavalier einst das Ergebnis vollendeter Kunstbeherrschung bzw. Kunstverbergung, figuriert nur noch als Verstellung bzw. Schauspielerei. Die neue Auffassung glaubt an die Fiktion, im natürlichen Verhalten zeige sich der Mensch, wie er wesenhaft ist, ohne sich zu verstecken. »[D]as natürliche Betragen [ ... ] gefällt durch die bloße Wahrhaftigkeit in Äußerungen«, erklärt Kant denn auch in seiner »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht«; wolle dagegen jemand »repräsentieren«, so »erkünstelt [er] einen Schein von sei-

F.A. Hallbauer: Anweisung zur verbesserten teutschen Oratorie (Jena 1725, ND Kronberg/ Ts. 1974) S.229. Siehe zum folgenden auch Geitner [1] S.171 ff. 26 Siehe dazu oben S.175 f. 21 Hallbauer [25] S.229. 2x Ebd. S.508. 29 Ebd. S.562. 30 Dazu Geitner [1] S.171. 31 Vgl. Geitner [1] S.179, 182. Dieser Begriff kommt bei Hallbauer nicht vor. kennzeichnet aber sein Stilideal. 2s

Die Körperlichkeit des Redners als anthropologisches Thema

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ner eigenen Person [... ].«32 Jede Wirkungsabsicht deutet also auf Unaufrichtigkeit und durchkreuzt ihre eigene Intention; die Natürlichkeit dagegen »gefällt« durch Ehrlichkeit und kann deshalb absichtslos Wirkung entfalten. Der moralische Hintergrund dieser neuen Sicht von Natürlichkeit wird durch Kants Definition des aufrichtigen Menschen als Gegenbild zur Verstellungskunst des »Politicus« noch deutlicher: des »Mann[es] von Grundsätzen« und »Charakter« voll »Wahrhaftigkeit im Inneren des Geständnisses vor sich selbst und zugleich im Betragen gegen jeden anderen«, wobei »die Gründung eines Charakters[ ... ] absolute Einheit des innern Prinzips des Lebenswandels überhaupt« ist. Die Handlungsmaximen dieses Charakters sind: »Nicht vorsätzlich unwahr zu reden [ ... ], [n]icht heucheln«, kein Versprechen brechen, sich nicht mit schlechtdenkenden Menschen einlassen, sich nicht um üble Nachrede kehren.33 Kants Auffassung ist von einer anthropologischen Theorie beeinflusst, welche die Rhetorik in ganz andere, und zwar negative, Zusammenhänge rückt, als die humanistische Tradition es tat: derjenigen Rousseaus. Natürlichkeit als moralisches Ideal wird von diesem dem verderbten Zustand der Gesellschaft entgegengehalten, denn die bestehende Kultur verneint die menschliche Natur. Im natürlichen Zustand ist der Mensch unschuldig und gut, wie Rousseau erklärt, wobei er Wesensdefinition und Spekulation über die Anfänge der Menschheit verbindet. Der Mensch lebt unmittelbar im Umkreis der Welt, die ihm seine Sinne darbieten. Doch wie das Kind allmählich heranwächst, muss auch er, veranlasst durch den notwendigen Kampf gegen die Hindernisse seines Naturzustands, diesen Status verlassen. Arbeit und Reflexion fangen an, sein Leben zu verändern, wodurch sich Distanzen zwischen ihn und die umgebende Natur, aber auch ihn und die anderen Menschen schieben. Der natürliche Zustand verschwindet, und die Gesellschaft entsteht mit all ihren Zumutungen für das Individuum, das sich nun behaupten muss und vor allem eins lernt: die Eigenliebe und die Verstellung.34 Die Entwicklung der Sprache nimmt nach Rousseau an dem skizzierten Prozess teil. Anfangs bestimmte nur der »cri de! Ja nature« die Verständigung der Menschen untereinander. Doch mit dem Ausgang aus dem Naturzustand treten Wörter und Gestik an dessen Stelle. Die Sprache wird selbst zum Instrument der Distanzierung zwischen Mensch und Mensch bzw. Mensch und Natur. Diese Entwicklung ist so notwendig wie verderblich, denn sie ermöglicht dem Individuum das Überleben, zwingt es aber auch zum Gebrauch all der sprachlichen und insbesondere rhetorischen Verstellungskünste, die der soziale Schein erfordert und die eigentlich nicht der Natur entsprechen. In Gesellschaft muss der Mensch sich danach vornehmlich als Schauspieler benehmen. Dennoch ist die Situation für Rousseau nicht ausweglos: ein natürliches Verhalten, das sich an der

32 I. Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (21800). In: Werke Bd.10, hg. von W. Weischedel (Darmstadt 1983) BA 12. 33 Ebd. B 253, 268 f. 34 J. Starobinski: Rousseau. Eine Welt von Widerständen (Frankfurt 1993) S.39-49.

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Teil C · Anthropologie: Psychische Komponenten der Wirkungsabsicht

Authentizität der eigenen Regungen orientiert, vermag zur wahren Menschlichkeit zurückzufinden.35 Die sich schon bei Hallbauer in der Frühaufklärung noch vor Rousseau zeigende Dichotomie von (kunstloser) Natürlichkeit und Rhetorik als Verstellungskunst hat Geitner dazu verleitet, hier einen Paradigmenwechsel und eine Abkehr von der Rhetorik zu konstatieren. Hallbauer wollte nach ihrer Ansicht die »Schul-Oratorie« von Mängeln befreien und setzte deshalb auf die anthropologischen Konzepte »Natur« und »Natürlichkeit«. »Natur und Charakter, Individualität und Ausdruck, Identität und Spontaneität sind die von Hallbauer aufgerufenen anthropologischen Leitbegriffe«, schreibt Geitner, »welche die rhetorischen Konzepte des situativen aptum, der Lehren, Vorschriften und Vorbilder, der Übung und Imitation dementieren.«36 Dahinter steckt sicher ein »Relevanzverlust institutionalisierter Rhetorik«, der mit dem Ende des 18. Jh.'s zum Abschluss kommt, wie sie meint. Dieser hinterlässt aber nicht nur »ein Vakuum«, in das die Anthropologie eintritt37; er führt auch zu einer Erneuerung der rhetorischen Strategie, die nun auf die kunstlose Natürlichkeit als Wirkungsmittel setzt. Hallbauer will nämlich keinen Verzicht auf Wirkung wie Kant38, sondern mehr Glaubwürdigkeit und dadurch bessere Wirkung. (Das erklärt zugleich die von Geitner erwähnte paradoxe Tatsache, dass Hallbauer zwar die Funktion von rhetorischen Regeln in Frage stellt, aber dennoch weiterhin solche anbietet, z.B. für einen guten Vortrag.39) Das Wirkungspotential der kunstlosen Natürlichkeit liegt in ihrer Funktion als rhetorisches ~thos. Geitner spricht den Zusammenhang von Kunstverbergung und &hos nur am Anfang ihrer Untersuchung an, verfolgt ihn dann aber nicht weiter bis in die Aufklärung hinein.40 Dabei rät Hallbauer - ob bewusst oder unbewusst - mit der Vermeidung von Affektion in Sprachgebung und Vortragsweise zur Aktivierung eines wichtigen &hos-Elements, das den Redner empfiehlt und das Aristoteles beschreibt: der Tugendhaftigkeit, die das Gegenteil der durch Künstelei hervorgerufenen Täuschungsabsicht ist. Vom Wirkungsaspekt her ist es unwesentlich, ob dieser Ausdruck von Tugend vorgespiegelt ist wie in der Hofmannskunst, wo auch der »Politicus« auf seinen guten Ruf als vir bonus zu achten hatte, oder ob er als tatsächliche Charaktereigenschaft gefordert wird wie in der bürgerlichen Aufklärung. Geitner scheint letzteres unter dem Einfluss des Aristoteles, dem es um die demonstrierte Tugendhaftigkeit geht, nicht mehr als &hos-Phänomen wahrgenommen zu haben. Dabei gibt es jedoch auch an-

35 Starobinski [34] Kap. 2 sowie S.450-479, Geitner [l] S.214-233. Rousseau selbst zeigte in seiner Sicht diese Rückkehr zur Natürlichkeit durch sein soziales Verhalten und seine Schriften. 36 Geitner [1] S.177. 37 Ebd. S.178, vgl. auch Beetz [1] S. 56 ff. Beetz äußert sich nicht so entschieden wie Geitner zum Abschied von der Rhetorik. 38 Siehe dazu die Kant-Interpretation unten S.251. 39 Geitner [l] S.177 40 Ebd. S.61ff. Vielleicht wurde Geitner auch an einer weiteren Untersuchung durch die richtige Feststellung gehindert. dass rhetorisches tithos und moderner Charakterbegriff nicht deckungsgleich sind (S.61).

Die Körperlichkeit des Redners als anthropologisches Thema

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dere ithos-Theorien wie etwa diejenige Quintilians, welche die reale Tugendhaftigkeit ebenfalls in das rhetorische Wirkungskalkül einbeziehen.41 Als Resumee lässt sich festhalten, dass das &hos der Natürlichkeit auch in der neuen Anthropologie weiterhin das Moment der Rhetorik und ihres verborgenen Fortlebens nach dem Ende der Schuldoktrin vertritt. Zugleich wird die »Natürlichkeit« zum Ausdruck einer historisch je unterschiedlichen kulturellen Disposition des Redners und bildet so das Bindeglied zwischen rhetorischer Anthropologie und Ethik.

41 Dasselbe sagt eine von Geitner (S.85) zitierte Cicero-Passage. In »De oratore« heißt es, dass die »Vorzüge« eines rechtschaffenen Redners »leichter wirkungsvoll hervorzuheben [sind], wenn sie vorhanden sind, als zu erfinden. wenn sie nicht vorhanden sind.« (II. 182, Merklin). Wirkungsvoll bleibt die Rechtschaffenheit also immer, ob tatsächlich vorhanden oder nur fingiert.

TEIL D. ETHIK: WERTORTENTTERUNGEN REDNERISCHEN HANDELNS

I. Ethik und rednerisches Handeln Wie vor allem der Abschnitt »Bildung und Kultur« der vorliegenden Untersuchung gezeigt hat, ist die Ethik ein integraler Bestandteil aller Aspekte des Rednerideals. Bisher allerdings ging es nur um die Ethik als ein Merkmal des Rednerhandelns neben anderen. Jetzt soll die Beschaffenheit der rednerischen Ethik als Handlungsform geklärt werden. »Handeln« wird hier nicht im neutral beschreibenden Sinne der soziologischen Handlungstheorie verstanden 1 und auch nicht bloß technischfunktional als reines Kommunikationshandeln aufgefasst, dessen Elemente im Falle der Rhetorik die Bedingungen für eine erfolgreiche Persuasion sind. Rhetorisches Handeln als ethisches Handeln fragt dagegen in selbstkritischer Besinnung nach der Relation von Mitteln und Zielen im Verhalten des Redners sowie nach den ihn leitenden Werten und Normen. Systematisch gesehen gibt es mit dem teleologisch und dem deontologisch orientierten Ethiktypus zwei Ansätze, von denen eine Analyse rednerischer Wertsetzungen ausgehen kann. Ein teleologischer, d.h. vom erstrebten Handlungsziel her konzipierter Ethikansatz ist am besten geeignet, die Rednerethik zu rekonstruieren, ohne dass man dabei die deontologische, d. h. am normativ Geforderten ausgerichtete Komponente aufgeben muss. Allerdings existiert so etwas wie eine rhetorische Ethik nach Art der philosophischen Ethik bisher nicht.2 Es gibt wohl einzelne ethische Vorschriften der Schultradition, die sich auf den Gebrauch der Persuasion beziehen und teils aus der vorphilosophischen populären Moral, teils aus Sophistik und Philosophie stammen. In dieser Situation können ethische Bestimmungen des Rednerideals als topologischer Leitfaden dienen, um zentrale Aspekte einer rhetorischen Ethik als präskriptiver Ethik aus der Tradition zu erschließen. Da die Wertorientierung rednerischen Handelns mit der persuasiven Wirkungsabsicht zusammenhängt, muss die Untersuchung auch hier die rhetorische Subjektivität einbeziehen.

Siehe dazu Th. Luckmann: Theorie des sozialen Handelns (Berlin, New York 1922) S. 9.15. Die Diskurs- oder Konsensethik kann nur mit Einschränkungen als rhetorische Ethik bezeichnet werden, da sie die Rhetorik nicht als konstitutives Merkmal anerkennt bzw. sie sogar ausschließt. Zur rhetorischen Kritik an der Diskursethik und zu den Gründen für eine fehlende rhetorische Ethik heute vgl. F.-H. Rohling: Prolegomena zu einer Theorie der rhetorischen Ethik. In: W. Koller, K. Töchterle (Hg.): Pontes lll. Die antike Rhet. in der europäischen Geistesgesch. (Innsbruck, Wien, Bozen 2005) S.31-34 1

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Teil D · Ethik: Wertorientierungen rednerischen Handelns

II. Zur methodischen Grundlegung der

rhetorisch-ethischen Analyse 1. Die Unterscheidung von Strebens- und Sollensethik Heute versteht man nach Annemarie Pieper unter der philosophischen Disziplin der Ethik meist »die Wissenschaft vom moralischen Handeln«, welche die »menschliche Praxis im Hinblick auf die Bedingungen ihrer Moralität untersucht« und beabsichtigt, »den Begriff der Moralität zu begründen«.1 »Moralität« ist also nicht nur ein Begriff zur Charakterisierung des Verhaltens, sondern auch ein Prinzipien begriff, insofern er den Sinnhaftigkeitsanspruch moralischer Setzungen fundiert. »Moral« ist demgegenüber ein Ordnungsbegriff, der das Gefüge der teils naturwüchsig, teils durch Konvention entstandenen, sich geschichtlich wandelnden Normen umfasst.2 Hans Krämer hat dagegen das Konzept einer »Integrativen Ethik« entwickelt - und zwar im Rahmen einer philosophischen Subjekttheorie und Anthropologie-, das quer zum geläufigen Verständnis von Ethik steht, da diese vielfach mit Moralphilosophie gleichgesetzt wird. Deontologische und teleologische Handlungsorientierungen werden von ihm nicht nur als verschieden Ethiken gesehen, sondern auch als geschichtlich gewordene Ethikformen in Beziehung gesetzt. Moralphilosophie gibt es laut Krämer strenggenommen erst seit dem 18. Jh. mit der am weitesten reichenden Zäsur durch Kant. Dabei hatte die Profanethik der frühen Neuzeit bis ins 18. Jh. hinein vorwiegend die Grundposition der antiken und mittelalterlichen Ethiken tradiert. Sie ist keine Ethik der unbedingten Verpflichtung und des kategorialen Sollens gewesen, sondern Strebensethik wie die ganze ältere philosophische Ethik auch, wobei allerdings sollensethische Elemente schon von der spätantiken Patristik an in die Theologie eingedrungen waren, ohne deren strebensethischen Rahmen zu sprengen. 3 In der Gegenwart dagegen dominiert die Moralphilosophie die Ethik weltweit, eine Situation, die für strebensethische Ansätze nicht viel Raum lässt. 4 Strebensethik ist die Theorie der richtigen Lebensführung. Als prä1 A. Pieper: Ethik und Moral. Eine Einf. in die praktische Philos. (München 1985) S.13. »Ethik« liegt immer dann schon vor, wenn sich feste Formen des »Ethos«. also Grundhaltungen bzw. Verhaltens- oder Handlungsdispositionen, in der Lebensführung abzeichnen, aus denen heraus gehandelt wird. Ethik hat daher die Merkmale der Handlung, des Handlungsziels und des Ethos. H. Krämer: Integrative Ethik (Frankfurt/M.1995) S. 76. 2 Vgl. Pieper [1] S.3lf. 3 Krämer [1] S. 9, 10. In der Rhetorik weist jedoch schon die antike Ethik des decorum sollensethischc Züge auf. (Siehe dazu unten S.232) - Man kann übrigens auch Strebens- und Sollcnsethik als zwei Handlungstypen unverbunden nebeneinanderstellen, wie es Höffe tut. Dabei ordnet er den ersteren Aristoteles, den letzteren Kant zu. (Siehe 0. Höfte: Aristoteles (München 1996) S.194) Höftes ethischer Ansatz führt allerdings zu keiner Subjekttheorie oder Anthropologie wie bei Krämer, was für unsere Untersuchung zentral ist. 4 Strebensethische Impulse hat inzwischen die moderne Ethik der Lebenskunst aufgenommen. Vgl. W. Schmid: Philos. der Lebenskunst (Frankfurt/M.1998).

II. Zur methodischen Grundlegung der rhetorisch-ethischen Analyse

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skriptiver und normativ gerichteter Ethik kommt ihr wie der Moralphilosophie die Aufgabe zu, praxisregulierend und -klärend zu wirken. Während jedoch diese an das Verantwortungs- und Pflichtgefühl appelliert und vielfach Weisungen gibt, versucht jene nicht verbindlich, sondern anratend über Handlungsziele aufzuklären und das richtige Verhalten in Gang zu setzen oder zu verbessem.s Die Strebensethik will einen Lernprozess zum Lebenkönnen ein- und anleiten; die Moralphilosophie dagegen ist nicht für das eigene Wollen oder Können zuständig, sondern hält statt dessen an zur kritischen Aufmerksamkeit auf die Forderungen, die die jeweils anderen an uns stellen. In der Strebensethik ist das Gute als Handlungsziel gut für den Akteur selbst und gleichbedeutend mit dem Gewollten und Erstrebten; in der Moralphilosophie ist es gut für die anderen und daher synonym mit dem Gesollten (Sollensethik). Die Angebote der Strebensethik haben nicht den Status von Weisungen wie bei der Moralphilosophie, sondern nur von Rat- und Vorschlägen sowie Empfehlungen, die auch verworfen werden können. Die Strebensethik ist daher flexibler als die Sollensethik. Beide lassen sich übrigens nicht aufeinander reduzieren, sondern ergänzen sich gegenseitig. In Krämers Ansatz werden sie zur »Integrativen Ethik« vereint, die dem Individuum gerade unter den Vorzeichen von Modeme und Postmoderne Handlungsansätze ohne Lebensfremdheit, aber auch ohne subjektive Beliebigkeit anbietet.6 Der synthetische Charakter von Krämers Ansatz und vor allem die strebensethische Prägung macht ihn besonders geeignet zur Rekonstruktion rhetorischer als rednerischer Ethik. Berührungspunkte zwischen »Integrativer Ethik« und Rhetorik ergeben sich in verschiedener Hinsicht, wie die antike Rhetoriktheorie zeigt. Schon in der Definition der rhetorischen Kunst selbst zeigt sich das Zusammenspiel von Strebens- und Sollensethik. Die sophistische Bestimmung »Schöpferin der Überredung« (JtEL'froü~ 61iµwu9y6~, peithus demiürg6s)7 trägt eindeutig strebensethische Züge, denn hier ist ein bestimmtes Ergebnis der Kunst angezielt, und zwar das Gut der erfolgten Persuasion. In dieselbe Richtung geht die Definition des Hermagoras, der die rhetorische Kunst auf das Werk (Epyov, ergon) des Redners bezieht und sie in der vollendeten Ausführung des Resultats sieht.8 Die römische Rhetorik verändert jedoch den Akzent; sie spricht jetzt von »Pflicht« und rückt damit den sollensethischen Aspekt in den Vordergrund. »Aufgabe des Redners (oratoris officium) ist es«, so definiert die »Rhetorik an Herennius«, »über Krämer [3] S.76f. Ebd. S. 75, 78-80. 85 f., 88, 127 ff. Krämers Entwurf einer zeitgenössischen Ethik kann hier nur angedeutet, aber nicht weiter dargestellt werden. 7 Zum Verhältnis von Strebens- und Sollensethik beim Überreden und Überzeugen vgl. F.-H. Robling: Prolegomena zu einer Theorie der rhetorischen Ethik. In: W. Kofier, K. Töchterlc (Hg.): Pontes III. Die antike Rhet. in der europäischen Geistesgesch. (Innsbruck, Wien, Bozen 2005) S.35 f. Die strebensethische Perspektive bietet die Möglichkeit, das wirkungsorientierte Rednerhandeln ethisch positiv und nicht einfach nur negativ als Manipulation zu werten. Manipulativ wird es erst bei Verletzung sollensethischer Maßstäbe. 8 Zu den Belegen siehe die Angaben im Kapitel »Die Aufgabe des Redners in der Sicht der antiken Rhetorik« oben S.4lf. 5 6

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die Angelegenheiten sprechen zu können, welche um der Wohlfahrt der Bürger willen durch Sitten und Gesetze festgelegt sind, und zwar mit der Zustimmung der Zuhörer, soweit diese erlangt werden kann.«9 Der Inhalt der Pflicht im Sinne der sozialen Nötigung wird hier durch die Beachtung der Bürgerwohlfahrt und die geforderte Zustimmung der Zuhörer bezeichnet. Der junge Cicero hat den Unterschied von strebens- und sollensethischer Sicht in der Rednerdefinition selber reflektiert. »Aufgabe ( officium) aber dieser [der rednerischen] Fähigkeit«, schreibt er in »De inventione«, »scheint es zu sein, geeignet zu sprechen, um zu überzeugen; das Ziel (finis) ist die Überredung durch den rednerischen Vortrag. Zwischen Aufgabe und Ziel besteht folgender Unterschied: Bei der Aufgabe betrachtet man, was getan werden soll, beim Ziel, was erreicht werden soll.«10 Das Ziel repräsentiert trotz sollensethischer Akzentuierung doch primär das durch die Persuasion zu erstrebende Gut; die Aufgabe nennt die Verpflichtung das Handelnden, aber nicht im Sinne einer Pflicht gegen sich selbst, sondern gegenüber dem Gemeinwesen. Denn die Redekunst ist nach Cicero Teil der praktischen Wissenschaft, die dem Staat zu dienen hat.11 Noch deutlicher sollensethisch bestimmt erscheint die Aufgabe des Redners bei Augustinus. Die »Doctrina christiana« umschreibt sie als Belehrung über das Gute und Warnung vor dem Bösen.12 Hier gründet die rednerische Pflicht in der Beachtung der biblischen Vorschriften bzw. der christlichen Morallehre.

2. Das strebensethische Prinzip der Persuasion: die parteiliche Sicht des Guten

Obwohl die rhetorische Ethik als ganze aus strebens- und sollensethischen Elementen besteht, ist rednerisches Handeln aufgrund seiner persuasiven Wirkungsabsicht doch primär strebensethisch orientiert. Das Gute als Ziel der Aktion ist hier gut für den Handelnden selbst; es entspricht seinen Wünschenl, wobei das nicht nur die individuellen Bedürfnisse des Redenden sein müssen, sondern auch die seiner Klienten bzw. seiner Partei sein können. Die philosophische Strebensethik reflektiert die subjektiven Ziele des Individuums; die rhetorische Ethik nimmt nicht immer die individuellen Ziele des Redners auf - hier liegt also ein Unterschied-, aber sie nimmt immer einen subjektiven Blickwinkel ein. »Aus der Grundperspektive des Selbst- und Eigeninteresses, des Betroffen- und Involviertseins«, schreibt Krämer, »lassen sich zunächst das (emotive) Sichbefinden und alle Bewertungstypen (gut, schlecht, böse, besser[ ... ]) samt der modalen Differenz zwischen Ist- und kontrafaktischen Soll-Zuständen ableiten, sodann die (volitiven) Motivationsmomente

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Rhet. ad Her. l, 2 (Nüßlein). Cic. De inv. I, 6 (Nüßlcin) Ebd., vgl. auch I, 1. Aug. Doctr. IV, 4. 6. H. Krämer: Integrative Ethik (Frankfurt/M. 1995) S. 79.

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des Strebens, Wollens samt ihrer Normierung durch eine fundierende Bedürfnisstruktur [ ... ].«2 Von der Strebensethik aus eröffnet sich damit der Zugang zur rhetorischen Subjektivität mit Wirkungsabsicht und Persuasionswillen als Grundlage der rhetorischen Ethik. Dazu kommt der für die Zwecke des Redners so wichtige Begriff des »Könnens«, der »dem Verfügbaren [korrespondiert], dem Disponsiblen der Güterwelt, das gekonnt wird [„.], aber auch in allen Könnensweisen praktischer und technischer Art [ „. ]« vorhanden ist.3 Subjektivität und rhetorisch-technisches Können konstituieren ethisch gesehen die Gegebenheit des Guten für den Redner, insofern sie es in Relation zu ihm setzen und seinen persuasiven Fähigkeiten zugänglich machen. Dafür kann wieder Protagoras als Kronzeuge gelten. In Platons dem >Protosophisten< gewidmeten Dialog stellt Sokrates die Frage, »ob die Tüchtigkeit zwar eine Einheit ist, aber ihre Teile die Gerechtigkeit und Besonnenheit und Frömmigkeit sind, oder jene [„.] sämtlich Namen sind derselben Sache als einer seienden Einheit.«4 Das Gespräch dreht sich um das Problem der Lehrbarkeit der Tüchtigkeit ( apET~, aret~), die Protagoras seinen Schülern als ein erstrebenswertes Gut vermitteln will. Er bejaht, dass die Teile der Tüchtigkeit eine Einheit sind, muss freilich nach längerer Diskussion aber zugeben, das Gute sei »etwas dermaßen Schillerndes [„.] und Vielgestaltiges«, dass etwa das Öl beim Menschen ganz verschieden wirke je nachdem, ob es als Heilmittel zum Einreiben oder als Essensbeigabe verwandt werde.5 Kurz vorher hatte Protagoras auf die Frage, ob das, was gut ist, den Menschen auch nützlich sei, eingeschränkt: »Sogar einiges, [ ... ] auch wenn es den Menschen nicht nützlich ist, nenne zumindest ich gut.«6 Der Relationscharakter des Guten wird in Platons Dialog »Theaitetos« noch genauer mit der Perspektivität der menschlichen Erkenntnisweisen begründet. »[D]en nenne ich weise«, erklärt Protagoras, »der einen von uns, dem Schlechtes erscheint und ist, umwandelt und so erreicht, daß ihm Gutes erscheint und ist.«7 Zur Erklärung zieht er die Tätigkeit des Arztes und des Sophisten heran und vergleicht die Veränderung im Zustand eines Kranken und eines Lernenden. Wer den, der Schmerzen leidet, heilt, versetzt ihn in einen besseren Zustand genau wie derjenige, der einen anderen erzieht. »Während jedoch der Arzt diesen Wandel durch Arznei erreicht, macht es der Sophist durch Reden.«8 Protagoras weist aber die Auffassung zurück, man könne jemanden, der Falsches meint, dazu bringen, später Richtiges zu meinen. Absolute Wertsetzungen wie richtig oder falsch, wahr und

Ebd. S.226. Ebd. S.158. 4 Platon, Protagoras 329 c, d, übers. von H. W. Krautz, in: Platon, Protagoras. Griech.-dt. (Stuttgart 1987). s Ebd. 318 a, 334 b, c. 6 Ebd. 333 d, e. 7 Platon, Theaitetos 166d, übers. E. Martens in: Platon, Theätet. Griech.-dt. (Stuttgart 1981). s Ebd.167 a. 2

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unwahr lehnt er ab, für ihn gibt es nur Besseres oder Schlechteres.9 Dann bezieht er auch die Redner in seine Überlegungen mit ein: »Die weisen und guten Redner aber bewirken, daß den Städten das Gute anstelle des Lästigen gerecht zu sein scheint. Denn was einer jeden Polis gerecht und gut erscheint, das ist es auch für sie, solange sie es glaubt.« Wie die Redner handeln die Sophisten: sie bewirken wie die Weisen, dass anstelle des »Lästigen« das erscheint, was gut ist, und sind deshalb auch selbst weise.10 Zu beachten ist, dass Protagoras hier nicht von einer Seins-, sondern einer Erscheinungsart des Guten spricht, wobei er die Beziehung zu dem von den Menschen Geglaubten im Sinne der Glaubwürdigkeit des Gesagten hervorhebt. All das unterstreicht den relativen Charakter des Guten gemäß dem homo-mensura-Satz, nach dem eine Sache nur perspektivisch gegeben ist. »Du aber mußt es dir wohl oder übel gefallen lassen, Maßstab (µfa9ov, metron) zu sein«, sagt Protagoras abschließend zu seinem Gesprächspartner.11 Sokrates bzw. Platon bemühen sich im Gegenzug, nachzuweisen, dass das Gute eine unteilbare, keine relative Einheit ist, nur dem Wissen erkennbar, deren Teile aber nicht schon durch praktische Klugheit zu einem Ganzen verbunden werden können.12 Aristoteles hält anders als Platon an der parteilichen Sicht des Guten fest. Wo Platon das Gute überhaupt als Ziel des Strebens ansetzt, bringt Aristoteles es wie die Sophistik in Relation zum jeweiligen Subjekt: »[S]oll man [ ... ] nicht sagen«, heißt es in der »Nikomachischen Ethik«, »schlechthin und in Wahrheit sei das Gute Gegenstand des Wollens, für den Einzelnen aber das ihm Gut Scheinende?«13 Ein außerhalb des Subjekts liegendes Kriterium des Guten wie bei Platon die Idee umgeht er damit, denn es heißt weiter: »Für den Tugendhaften also ist es das in Wahrheit Gute, für den Schlechten aber jedes Beliebige [ ... ].«14 Diese strebensethisch verfasste Relativität des Guten erklärt auch, warum der Dialektiker - nicht der Eristik er! 15 - in der Verteidigung seiner argumentativen Position nach Aristoteles durchaus ethisch verfährt. »[V]on den Streitenden aber muß der fragende Teil unter allen Umständen den Schein erwecken«, heißt es in der »Topik«, »daß er den Gegner in die Enge treibt, der antwortende Teil hinwieder muß den Schein

Ebd. 167 a, b. Ebd. 167 c. 11 Ebd. 167 d, zum homo-mensura-Satz siehe oben S.49 12 Vgl. den Kommentar von Krautz [4] S.185, 206ff., 217. Ein Missverständnis wäre es allerdings, die Lehre des Protagoras vom Charakter des Guten als ethischen Relativismus aufzufassen. Er plädiert nicht für die Beliebigkeit der Wertsetzungen, sondern für eine Anerkennung von Normen, ohne sie jedoch absolut zu nehmen. Vgl. dazu F.-H. Robling: Prolegomena zu einer Theorie der rhetorischen Ethik. In: W. Koller, K. Töchterle (Hg.): Pontes III. Die antike Rhet. in der europäischen Gcistcsgcsch. (Innsbruck, Wien. Bozcn 2005) S.41 13 Arist. NE 1113 a 23ff. (Rolfes). Vgl. dazu auch Bien, Ein!. S.XXXI, in: Aristoteles, Nikomachische Ethik. Auf der Grundlage der Übers. von E. Rolfes, hg. von G. Bien (Hamburg 51985) 14 Ebd. 15 »Wer nun die allgemeinen Gründe sachgemäß ins Auge faßt, ist ein Dialektiker, wer es bloß scheinbar tut, ein Sophist«, heißt es in den »Sophistischen Widerlegungen« 171 b, übers. von E. Rolf es, in: Aristoteles: Sophistische Widerlegungen (Hamburg 21922, ND 1968). Vgl. auch Topik 161 b. 9

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hervorrufen, daß ihm solches nicht widerfährt.«16 Das Gut, um das es hier geht, ist der Sieg in der Disputation17; dazu dienen alle Ratschläge in Form von Argumentationsregeln und auch Tricks, die Aristoteles dem Lernenden im achten Buch der »Topik« anbietet. Auch die Dialektik, die ja der Rhetorik verschwistert ist, wie Aristoteles am Anfang der »Rhetorik« ausführt, hat also vom Handeln des Disputierenden her eine ethische Valenz.18 Spätere, moralisch denkende Philosophen wie Kant sehen allerdings hier nur Lug und Trug am Werk.19 Aus der parteilichen Sicht des Guten folgt für Aristoteles die Notwendigkeit für den Handelnden, sich zu entscheiden. »Der Ursprung des Handelns - die bewegende, nicht die Zweckursache - ist die Entscheidung [rtpoa(pEmc;, prohafresis] [zwischen mehreren Möglichkeiten]«, erklärt die »Nikomachische Ethik«. Der Ursprung der Entscheidung ist das Streben und eine Reflexion, die den Zweck aufzeigt. Daher gibt es keine Entscheidung ohne Verstand und Denken auf der einen Seite, ohne feste charakterliche Grundhaltung auf der anderen Seite.«20 Das besondere Merkmal der Entscheidung besteht darin, dass sie etwas vor anderem auswählt. Daraus folgt ihr ethischer Rang: »Denn je nachdem wir das Gute oder das Böse wählen, haben wir eine bestimmte sittliche Qualität, aber nicht nach unseren Meinungen.«21 Die sittliche Entscheidung hat zwei Elemente: ein voluntatives (»Streben«) und ein kognitives (»Reflexion«), womit sie nach Aristoteles anthropologisch fundiert ist, denn Streben und Denken sind im Menschen verbunden.22 Das voluntative Element besteht darin, dass die Entscheidung nicht aus Zwang oder Unwissenheit, sondern freiwillig erfolgt. Damit ist der, der sich entscheidet, auch Urheber seines Entschlusses und für ihn verantwortlich.23 Das kognitive Element umfasst eine besondere Form von Überlegung, die aufgrund von Abwägen und Planen zu einem Urteil führt. Sie betrifft die Analyse der Situation und der Mittel bzw. Wege, die zum Ziel führen. Die Befragung des Endziels selbst liegt nach Aristoteles außerhalb dieser Ebene der Reflexion, denn ein Arzt weiß von vornherein, dass er heilen und ein Redner, dass er überzeugen muss.24

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Aristoteles, Topik 159 a, übers. von E. Rolfes, in: Aristoteles, Topik (Hamburg 21922, ND

1968). Vgl. ebd. 161 a. ln der Rhetorik wird der Gegenstand des Streits als Gut bestimmt (1363 a 9). Da die Dialektik der Rhetorik verwandt ist und mit ihr die Diskursivität teilt, liegt im Dialektischen der Rhetorik der Unterschied zur Propaganda. Deshalb ist Propaganda trotz der Verwendung rhetorischer Mittel vom ethischen Aspekt der Kommunikation her mit der Rhetorik nicht gleichzusetzen. Vgl. dazu W. Jens: Rhet. und Propaganda. In: dcrs.: Von deutscher Rede (München 41985) S.llff. 19 Siehe dazu unten S. 231. 20 Arist. NE 1139 a 32, übers. von F. Dirlmcier: Aristoteles, Nikomachischc Ethik (Stuttgart 31983) 21 Arist. NE 1112 a 2 und 16f. (Rolfes). 22 Ebd. 1139 b 5. 23 Vgl. Chr. Rapp: Freiwilligkeit, Entscheidung und Verantwortlichkeit (III 1-7). In: 0. Höffe (Hg.): Aristoteles, Die Nikomachische Ethik (Berlin 1995) S.109-133. 24 Vgl. 0. Höffe: Aristoteles (München 1996) S.196-199. 17

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Diese Analyse der Elemente einer sittlichen Entscheidung lässt sich auch auf das Handeln des Redners übertragen. Im Akt der Entscheidung für eine bestimmte Form der Persuasion zeigt sich seine Subjektivität, und zwar unter drei Aspekten: als kognitiv-perspektivische, die an jeder Sache das Überzeugende herausfindet25, als voluntativ-ethische, die sich auf die Wahl der Mittel zur Erreichung des Redeziels richtet, und als voluntativ-psychologische, die das erstrebte Gut will.26

3. Die rhetorische Deutung des Guten als Nutzen der Rede Die relative Natur des Guten erscheint in der pragmatischen Reflexion der Rhetorik als Nutzen 1 der Rede. Kronzeuge ist wieder Aristoteles. Er interpretiert die Redekunst als Mittel zur Erlangung von Gütern, und zwar bei der Beschreibung der Ziele der drei Redegattungen. Ziel der beratenden Rede ist das Nützliche und Schädliche (»[ ... ] der Zuratende empfiehlt es [das Gut] als Besseres, der Abratende rät als von einem Schlechteren ab [ ... ]«);Ziel der gerichtlichen Rede ist das Gerechte und Ungerechte, Ziel der lobenden bzw. tadelnden ist das Schöne bzw. Schändliche.2 Wenn das Ziel der beratenden Rede das Nützliche ist, wobei Aristoteles klarstellt, dass man genaugenommen nicht über das Ziel, sondern die Mittel zum Ziel als Gegenstände des Handelns berät, dann ist das Nützliche ein Gut. »Gut sei als dasjenige bestimmt, was um seiner selbst willen gewählt wird, und als das, um dessentwillen wir anderes wählen, und als das, wonach alles strebt[ ... ]«, heißt es weiter.3 Aristoteles zählt hier die möglichen Aspekte des Guten auf.4 Das Merkmal der Wählbarkeit und des Erstrebenswerten zeigt, dass Aristoteles jetzt die subjektive Perspektive des Redners ins Spiel bringt, denn dessen Intention ist es, die den Gebrauch der Rede bestimmt. Dabei gibt es »für so gut wie jeden Einzelnen und für alle gemeinschaftlich ein Ziel, auf das gerichtet man Dinge wählt oder

Siehe dazu oben S. 55 f. Volition und Kognition gehören bei Aristoteles anders als in späteren rhetorisch-anthropologischen Theorien jedoch zusammen. Vgl. dazu oben S.166 (Wille) sowie F.-H. Robling: Art. »Redner, Rcdncridcal«. In: HWRh Ed.VII, Sp. 1022f. - Eggs hat in seiner Analyse der Aristotelischen »Rhetorik« diese Konvergenz von Erkenntnis und Wollen zwar gesehen, aber nicht im weiteren Rahmen von praktischer Subjektivität und Anthropologie thematisiert. Vgl. E. Eggs: Die Rhet. des Aristoteles (Frankfurt/M. 1984) S. 96 ff., 101 ff. 1 Für die rhetorische Ethik fallen das Gute und das Nützliche zusammen. Die philosophische Ethik dagegen unterscheidet sehr wohl zwischen dem Guten und dem Nützlichen. Vgl. dazu G. Jüsscn: Art. »Nutzen, Nützlichkeit: Antike, MA«, in: HWRh Ed.VI zu Platon und Aristoteles. Sp. 992-1001. 2 Arist. Rhet. 1358 b 20 (Rapp). In 1357 a 1 ff. heißt es, die Rhetorik beschäftige sich überhaupt mit Gegenständen, über die man berate. 3 Ebd.1362 a 17ff. (Rapp) 4 Er erwähnt noch weitere Arten von Gütern und behandelt auch einzelne Aspekte. die aber für unseren Zusammenhang nicht weiter wichtig sind. 25

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ablehnt« - sozusagen ein höchstes Ziel, »und dies ist[ ... ] das Glück und die Teile davon.«5 Hier geht Aristoteles zu ethischen Reflexionen über, die den Begriff des Glücks näher ausleuchten und in die Gebiete der populären und philosophischen Ethik überleiten. Diese und die Rhetorik gehören für ihn von der Eudaimonielehre her trotz vieler Unterschiede zusammen. Die Theorie vom Glücksverlangen des Einzelnen ist allerdings kein Wesensmerkmal rhetorischer, sondern Bestandteil populärer Ethik, die Aristoteles in seine rhetorischen und philosophischen Überlegungen aufgenommen hat.6 Außerdem hat die Eudaimonielehre eine eigene Geschichte innerhalb der philosophischen Ethik. Als proprium der rhetorischen Ethik kann man jedoch die Nutzensorientierung bezeichnen, der die Persuasion zu dienen hat. »Alle werden nämlich durch das überzeugt, was Nutzen hat«, erklärt die »Rhetorik«.7 Das gilt nicht nur für die Beratungsrede, sondern im weiteren Sinne für Gerichts- und Lob- bzw. Tadelrede, denn die Behandlung des Gerechten und Ungerechten sowie des Schönen und Schändlichen sind ebenfalls Güter für den Redner und die Zuhörer. Dabei kann man nach Aristotelischer Denkweise den Nutzen der Redekunst in ihrem Gebrauchswert (als externes Ziel) sehen und den Persuasionserfolg als Ergebnis der Kunstanwendung (internes Ziel) auffassen.S Externes und internes Ziel sind natürlich strebensethisch gesehen beides Güter. Die Nutzensorientierung der Rede für den, der sie hält bzw. in dessen Interesse sie gehalten wird, verleiht der Redekunst so utilitaristische Züge, ohne dass sie darum als Ganze schon zur Ethik des Utilitarismus gehört. Dieser gründet sein Moralprinzip9 sollensethisch auf die Harmonie des eigenen mit dem fremden Nutzen.lü Die Rhetorik aber bleibt in allen drei Redegenera beim Prinzip der subjektiven »Parteilichkeit« (Lausberg)ll und gründet darauf ihre Brauchbarkeit.

s Ebd.1360 b 4 (Rapp). 6 Vgl. ebd. 1359 b 10 ff. sowie Arist. NE 1, 1. Siehe dazu die detaillierten Darlegungen bei Chr. Rapp: Aristoteles, Rhet. 2. Halbbd. (Kommentar) (Darmstadt 2002) S.325, 329 ff. 7 1365 b 25 (Rapp) s Vgl.Rapp [6] S.126. 9 Ein Moralprinzip ist ein ethischer Grundsatz, der als normative, praktische Basis eines ethischen Systems gelten kann. Vgl. dazu P. Lorenzen, 0. Schwcmmcr: Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie (Mannheim, Wien, Zürich 21975) S.165 ff. Das Moralprinzip der Rhetorik ist die parteiliche Sicht des Guten, die der Redner persuasiv vertreten muss. 10 Siehe dazu E. Tugcndhat: Vorlesungen über Ethik (Frankfurt/M. 21994) S.322 sowie F.-H. Robling: Utilitarianism and Morality of the Orator in Quintilian. In: L. Calboli Montefusco (Ed.): Papers on Rhetoric VII (Rom 2006) S.227-234 11 H. Lausberg: Handbuch der lit. Rhet. (München 31990) § 63.

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III. Rhetorische Ethik und Lebenswelt in der Antike 1. Die Lebensformenlehre nach Platon und Aristoteles: der Ort des Redners in der Gemeinschaft Wie schon zu Beginn des Kulturabschnitts gezeigt wurde, galt in der rhetorischen Theorie der Antike die Stiftung der menschlichen Gemeinschaft durch die Rede nicht nur als kultivierender, sondern auch als ethischer Akt. Isokrates und Cicero sahen den ethischen Nutzen der Beredsamkeit für die Menschen in der Schaffung der sozialen Institutionen und in der Zivilisierung der menschlichen Natur. Rednerische Ethik hat damit neben dem parteilichen einen der Gemeinschaft zugewandten Aspekt. Der Ort des rednerischen Handelns dort, die Öffentlichkeit, wurde im Altertum vor allem von der philosophischen Lebensformenlehre thematisiert.! Ihr Zweck lag darin, die Lebensweise der Philosophen von derjenigen der anderen Polisbürger zu unterscheiden und insbesondere von derjenigen der Redner abzugrenzen. Die Lehre von den Lebensformen gehörte zur Ethik, weil man sie als Teil der Frage nach dem richtigen Leben auffasste, dessen Ziel im Erreichen der Glückseligkeit (Eudaimonie) lag. Vom Eudaimoniegedanken her standen auch Lebensformen- und Staatslehre in enger Verbindung, denn es galt als Ziel des Staats, den Bürgern ein glückliches Leben zu ermöglichen.2 Die Verschiedenheit der Lebensformen, an denen »man das Gute und die Glückseligkeit [ ... ] [ablesen]« kann3, ist für Aristoteles in die Kulturentwicklung eingebettet, womit von seiten der Philosophie vermittelt über den Begriff des »Guten« bzw. des »Gutes« die Brücke zwischen Kultur und Ethik geschlagen ist. »[A]ls so ziemlich alles zur Annehmlichkeit und [höheren] Lebensführung Nötige vorhanden war, da begann man diese Art der Einsicht zu suchen«, bemerkt Aristoteles zur Entstehung der Philosophie.4 Die Philosophie als theoretische Weisheit und Wissenschaft setzt also die schon durch praktische Wissenschaft und Kunst erschlossene Welt voraus.s In der Lebensformenlehre Platons wird ex negativo deutlich, dass sich die rednerische Ethik auf das Gemeinschaftsleben bezieht. Platon plädiert für eine strikte Trennung der Lebensweise von Rednern und Philosophen. Im »Gorgias«

1 Zur Entstehung der Lebensformenlehre vgl. F. Wehrli: Ethik und Medizin. Zur Vorgesch. der aristotelischen Mcsonlchre. In: Museum Helveticum 8. Jg. (1951) S.36-38, 44ff; G. Müller: Probleme der aristotelischen Eudaimonielehre. In: F. P. Hager (Hg.): Ethik und Politik des Aristoteles (Darmstadt 1972) S.369-383. 2 Vgl. dazu G. Bien: Bemerkungen zum Aristotelischen Politikbegriff und zu den Grundsätzen der Aristotelischen Staatsphilos. Ein!. zu: Aristoteles, Politik. Übers. v. E. Rolfes (Hamburg 4 1981) S.XIII-LXI. 3 Arist. NE 1095 b 14f.. übers. von 0. Gigon (München 41981). 4 Metaphysik 982 b 22f. (Bonitz). 5 J. Ritter: Die Lehre vom Ursprung und Sinn der Theorie bei Aristoteles. In: ders., Metaphysik und Politik (Frankfurt/M. 1977) S. 241 f.

III. Rhetorische Ethik und Lebenswelt in der Antike

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sagt Sokrates zu Kallikles, dass es für jeden Menschen, »der nur ein wenig Vernunft hat«, keine ernsthaftere Frage gibt als diejenige, »auf welche Weise er leben soll«, ob »im Volke auftreten, die Redekunst ausüben und den Staat verwalten« das Beste sei oder »ob er sich zu jener Lebensweise halten solle in der Philosophie [„.]«. Für Sokrates ist es aufgrund der Art, wie der athenische Staat gelenkt wird, keine Frage, dass er der Philosophie den Vorzug gibt, denn sie ermöglicht die Erkenntnis dessen, was für den Menschen wirklich gut ist. Nach seiner Auffassung haben die gegenwärtigen Staatsmänner und deren große Vorgänger wie Miltiades, Themistokles und Perikles Athen gerade dadurch, dass sie es groß machten, auch zu Unrechttun und Habgier verleitet und so verdorben.6 Im »Theaitetos« weitet Sokrates den Vergleich auf den Gerichtsredner aus. Diese erscheinen ihm wie Knechte, die den Zwängen ihrer Tätigkeit unterworfen sind: der Knappheit der Zeit im Prozessverfahren, den von der Auseinandersetzung mit dem Gegner bestimmten Themen, der Gnade der Richter und oft genug dem Kampf auf Leben und Tod. Dies alles hat auch ihren Charakter gebeugt: »Sie sind engstirnig und haben kein Rückgrat«, flüchten sich daher zur Lüge und zum gegenseitigen Unrechttun. Demgegenüber sind für Sokrates die Philosophen, zu denen er auch sich rechnet, freie Männer, »nicht Knechte der Reden, sondern die Reden [sind] gleichsam unsere Diener [„.].« Diejenigen, die Philosophie treiben, suchen die Themen für ihre Gespräche nur nach eigenem Gutdünken aus und verweilen bei ihnen so lange, bis ihr Erkenntnisdrang befriedigt ist.7 Sokrates macht sich aber über das geringe öffentliche Ansehen der Philosophen keine Illusionen. Hatte Kallikles im »Gorgias« die Philosophie als eine eigentlich unmännliche, nur für Jünglinge und Männer ohne bürgerlichen Ehrgeiz taugende Sache beschrieben, so radikalisiert und ironisiert Sokrates diese Ablehnung im »Theaitetos«, indem er die Philosophen als Weltfremde schildert. Sie kennen sich weder in den Dingen des täglichen Lebens noch in der Politik noch auch im Gerichtswesen aus. Sie sind lächerlich für die Außenstehenden wie Thales, der bei der Betrachtung der Sterne in einen Brunnen fiel und daraufhin von einer thrakischen Magd verspottet wurde. Doch die Philosophen lachen ihrerseits über diejenigen, die nur taktieren, aber nicht wirklich Rede und Antwort stehen können über das, was sie tun.8 Der platonische Sokrates bevorzugt die Philosophie also, weil sie Erkenntnis ermöglicht, womit er die kontemplative Lebensform als höherwertig gegenüber der praktischen einstuft. Weltfremdheit war für Platon allerdings nicht die einzig mögliche Haltung des Philosophen; dieser konnte ja auch, wie die Dialoge über den »Staat« und den »Staatsmann« zeigen, im Interesse eines gerechten und wohlgeordneten Gemeinwesens die Regierung selbst in die Hand nehmen. Dass jedoch die Philosophen in

6 Platon, Gorgias 500 c, 515 c-517 c. Übers. v. K. Hildebrandt: Platon, Gorgias oder über die Beredsamkeit (Stuttgart 1983). 7 Platon, Theaitetos 172 d-173 e. Übers. v. E. Martens: Platon, Theätet. Griech.-dt. (Stuttgart 1981). s Gorgias 484 c-485 d, Theaitetos 174 a, 175 b-d.

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Teil D · Ethik: Wertorientierungen rednerischen Handelns

der Öffentlichkeit nicht bloß lächerlich wirkten, sondern von der Welt des Nutzens und der Interessen auch als bedrohlich empfunden wurden, belegt der Prozess des Sokrates, in dem der Redner und seine Glaubwürdigkeit im Mittelpunkt standen. Aristoteles nimmt in der Frage nach dem Wert der Lebensformen eine vermittelnde Stellung ein. In der »Nikomachischen Ethik« unterscheidet er drei Formen der Lebensführung: das genießende Leben (ßloc:; &noA.auoux6c:;, bios apolaustik6s), welches die Menge schätzt, das politische (ßloc:; noA.rnx6c:;, bios politik6s) mit dem Ziel der Ehre und vor allem der Tüchtigkeit und schließlich das betrachtende Leben (ßloc:; ih:wprrnx6c:;, bios theöretik6s), das der Erkenntnis und damit der Philosophie gewidmet ist.9 Der Redner ist nach Aristoteles der politischen Lebensform zuzurechnen, denn die Redekunst zählt für ihn zu den der politischen Wissenschaft untergeordneten Fähigkeiten.IO Der ethische Rang eines Menschen bestimmt sich nicht nach der jeweils gewählten Lebensform, sondern nach seiner Entscheidung für Gutes oder Schlechtes. Aber die Lebensformen sind in ihrem ethischen Wert nicht gleich. Die niedrigste ist die genießende, dann folgt die politische, doch am höchsten gilt für Aristoteles die betrachtende, denn sie gewährt dem Menschen am meisten Glückseligkeit. Zur letzteren gehören die Philosophie, die das Wissen um seiner selbst willen sucht, und der Weise, der »das Erkennen um seiner selbst willen wählt [ ... ].«11 Aristoteles billigt jedoch der theoretischen wie der praktischen Lebensform trotz aller Rangunterschiede einen je eigenen Wert zu. Der Philosoph kann nach seiner Auffassung dem politisch tätigen Bürger sogar nützlich werden, indem er ihn berät: ihn aufklärt über Wesen und Ziele richtigen Handelns oder eine Theorie der Gesetzgebung aufstellt.12 Die Sphären der theoretischen Erkenntnis und des praktischen Nutzens, die Platon negativ konfrontiert, werden bei Aristoteles also nicht nur in ihrem ethischen Eigenwert anerkannt. Er begreift sie auch in ihrem notwendigen Zusammenhang, der die Verschiedenheit des Lebens der entwickelten Polisgemeinschaft als Ausdruck kultureller Differenzierung akzeptiert.

2. Das Gelingen des rhetorischen Handelns in der Gemeinschaft: der rechte Augenblick der Rede ( xmp6c:;, kair6s) als Maßstab

Für das Handeln des Redners in der ihm entsprechenden öffentlichen Sphäre hat die antike Rhetorik die kair6s-Lehre entwickelt, in der technische und ethische Elemente sich vereinigen. Schon die frühgriechische Epoche war der Auffassung,

9 Arist. NE 1095 b 14-1096 a 5; Buch X, Kap. 7.8. 10NE1094 b lf. 11 Metaphysik 982 a 3-b 7, vgl. NE 1141a1-20. Zitat: Metaphysik 982 a 32, übers. v. H. Bonitz, neubearb. v. H. Seid!. Bd.l (Hamburg 31989). 12 Vgl. P. Scholz: Der Philosoph und die Politik (Stuttgart 1998) S.137-146.

III. Rhetorische Ethik und Lebenswelt in der Antike

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dass alles Geschehen einer schicksalhaften Ordnung unterliegt, dass das Glücken einer Handlung an die ihr von den Göttern oder der Natur zugewiesene ausgezeichnete Stelle in Raum und Zeit gebunden ist.1 Dieses mythisch-religiöse Verständnis des rechten Augenblicks ersetzt die Sophistik durch ein pragmatisches Konzept von der Instrumentalisierbarkeit des kair6s für die Zwecke der rhetorischen Persuasion und für die Lösung ethischer Probleme. Gorgias gilt als Erfinder einer TEXVll, techne des kair6s, die aber nicht erhalten ist.2 Möglicherweise war sie eine Anleitung zum Gebrauch passender rhetorischer Mittel für Situationen, in denen der Redner gefordert war. Nestle erwähnt die Technik, Altes »auf neue Weise«, d.h. unter neuen Gesichtspunkten, oder Neues »in alter Weise«, d. h. unter Anknüpfung an das Geläufige, darzustellen, um so die Zuhörer für ein Thema zu interessieren. Auch die jeweils zweckmäßige stilistische Form rechnete Gorgias zu den Mitteln, den kair6s zu nutzen.3 Untersteiner bemerkt, dass der gorgianische Redner beim Ergreifen des richtigen Augenblicks für die Rede nicht nur bestimmte Vorschriften beachtete, sondern auch besondere Fähigkeiten zeigte. Als Beispiel nennt er die Kunst des Gorgias, aus dem Stegreif eine passende Rede über jedes gestellte Thema in einer gegebenen Situation zu halten.4 Gorgias soll auch vom Redner gefordert haben, die Beziehung des richtigen Zeitpunkts zum Passenden bzw. Angemessenen (rrpfoov, prepon) der Situation zu beachten, da der Gebrauch von Kunstmitteln der Sprache und die Anordnung der Redeteile nach dem Harmonieprinzip erfolgen müsse.5 Mit der Beziehung von richtigem Augenblick und Angemessenheit ist ein Aspekt der kair6s-Lehre angesprochen, der die Ethik tangiert. Da die sophistische Auffassung von der relativen Natur des Guten sich gegen die Annahme eines absoluten Geltungskriteriums sperrt6, das wie in der Philosophie Platons ein festes Urteil über gut oder schlecht erlauben würde7, avanciert der kair6s und seine Wirkung auf die Gestaltung einer Situation zum ethischen Maßstab. »[„.] nicht alle hegen dieselben Ansichten«, erklärt der anonyme Autor der »Dissof 16goi« und beschreibt die Relativität des Schicklichen und Schändlichen, indem er die oft entgegengesetzte Wertigkeit der Sitten verschiedener Völker aufzählt.8 Er resümiert mit dem Zitat eines Dichterworts: »Nichts ist allenthalben schicklich,/nichts

1 Siehe dazu M. Kerkhoff: Zum antiken Begriff des Kairos. In: Zeitschrift für philos. Forschung Bd.27 (1973) S.256ff. 2 Gorgias von Leontinoi: Reden, Fragmente und Testimonien, hg. und übers. von Th. Buchheim (Hamburg 1989) S.83 (Frg. 13 Diels, Kranz) 3 W. Nestle: Vom Mythos zum Logos (ND Stuttgart 1975) S.316f. mit Belegen 4 M. Untersteiner:The Sophists (Oxford 1954) S.197. s Ebd. S.198 6 Zur ethischen Theorie des Protagoras und Gorgias siehe Untcrstcincr [4] S.82f., 176ff. 7 Vgl. Kerkhoff [l] S.265f. 8 Dissoi logoi 2, in: Th. Schirren, Th. Zinsmaier (Hg. und Übers.): Die Sophisten. Ausgewählte Texte, griech.-dt. (Stuttgart 2003) S.297 ff.

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schimpflich, sondern Ort und Zeit [kair6s] machen dieselben Dinge/in launischem Wandel schimpflich und wieder schicklich.«9 In der Pädagogik des Isokrates wird der kair6s später zu einem grundlegenden individualethischen Lehrbegriff, der neben verwandte Bezeichnungen wie fü':ov, deon, JtQEJtOV, prepon, a9µcn:TOV, harm6tton oder µE1QLOV, metrion trittlü und ein ganzes Bildungssystem darstellt. Im Zentrum steht hier die Bemühung um eine Rednererziehung, die den Erfolg im öffentlichen Leben der Polisgemeinschaft mit dem individuellen Nutzen verbindet, das Gute also auf typisch rhetorische Weise in utilitaristischer Perspektive sieht.11 Die strebensethische Natur des kair6s-Gedankens tritt am deutlichsten bei Aristoteles hervor. Sowohl die »Rhetorik« wie auch die »Nikomachische Ethik« beschäftigen sich mit der kair6s-Thematik. »Die Frage des Gebrauchs zum richtigen und zum falschen Zeitpunkt ist eine Gemeinsamkeit aller Arten«, heißt es knapp bei der Behandlung der Angemessenheit (prepon) von den Redegattungen in der »Rhetorik«.12 Die Aspekte dieses Gebrauchs erläutert die »Ethik«. Zunächst definiert Aristoteles den rechten Moment als das Gute in der Kategorie der Zeit, womit es als Gutes und Nützliches im Sinne eines »gut zu ... « oder »gut für etwas« erscheint, eine Bestimmung, die sich gegen das holistische Konzept des Guten bei Platon wendet und die relative Sicht der Sophistik aufnimmt.13 Da jede Handlung, die ein Gut erstrebt, auf dieses auch als ihr 1EAoc;, telos abzielt, wird der Aspekt des Nützlichen und Rechtzeitigen beim kair6s durch den des Vollendenden und Erfüllenden ergänzt.14 Das teleologische Moment jeder Handlung, das sich sowohl auf das Ende wie auch auf die Anfang und Ende verbindende Mitte und damit den Höhepunkt einer Aktion bezieht, verleiht dem kair6s eine doppelte Perspektive: einmal die der alles gut machenden, vollendenden Zeit (finitiv), dann die des zu etwas guten und geeigneten Moments (inzeptiv).15 Allerdings behält auch bei Aristoteles der kair6s seine unberechenbare, spontane Natur, wie ihn schon der Autor der »Dissof 16goi« mit seinem Dichterzitat beschrieb. Für die Wahl des richtigen Augenblicks kann der Handelnde also nicht mit einem festen System von Regeln und Vorschriften rechnen, da die Welt sich ihm immer wieder anders darstellt. »Hier muß vielmehr der Handelnde selbst wissen, was dem gegebenen Fall entspricht [ ... ].«16 Als ethische Richtschnur ergibt sich für Aristoteles höchstens

9 Dissoi logoi 19, ebd. S.301 10 Vgl. W. Steidlc: Redekunst und Bildung bei Isokrates. In: Hermes 80 (1952) S.270f., vgl. auch S.260f., 270ff. 11 Ebd. S.268 f., siehe dazu auch oben S.106. 12 Arist. Rhet.1408 b 1 (Rapp). Vgl. dazu Chr. Rapp: Aristoteles. Rhet., 2. Halbbd.: Kommentar (Darmstadt 2002) S.864f. 13 Vgl. Arist. NE 1096 a 11-29 14 Siehe dazu die Interpretation bei Kerkhoff [1] S.267 is Ebd. 16 Arist. NE 1104 a 5ff., übers. von E. Rolfes, in: Aristoteles, Nikomachische Ethik, hg. von G. Bien (Hamburg 41985)

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die Wahl des Mittelwegs zwischen den Extremen: »Denn Mäßigkeit und Starkmut werden durch das Zuviel und Zuwenig aufgehoben, durch die rechte Mitte aber erhalten.«17 Erkennen wird diese Mitte der Kluge, der aus dem, was »zuträglich« ist, das Richtige auswählt.18 Blickt man von hier aus zurück auf den kair6s der Redegattungen, den die »Rhetorik« erwähnt, wird klar: will der Redner für seine Worte den rechten Augenblick bei den Zuhörern treffen, muss er auf seine Weise das ihm »Zuträgliche« erkennen. Er darf aber auch das Angemessene und für die richtige Situation Erforderliche nicht übersehen, soll der kair6s seine Wirkung entfalten. Die rhetorische kair6s-Lehre zeigt damit außer dem strebensethischen auch ein sollensethisches Moment.19

3. Gemeinwohl und Gemeinsinn als ethische Normen des rednerischen Handelns bei Cicero Zeigt die griechische Lebensformenlehre die Verschiedenheit der öffentlichen Lebensweisen im Staatswesen und den von der Ethik vorgesehenen Ort des Redners darin, so betont die römische Vorstellung von Gemeinwohl und Gemeinsinn, wie sie sich bei Cicero darstellt, das ethische Ziel des politischen bzw. staatlichen Lebens in seiner Bedeutung für die Rhetorik. Das Gemeinwohl als Ziel teilt die römische mit der griechischen Staatstheoriel; den Gemeinsinn als appellative Instanz der öffentlichen Rhetorik scheint aber erst das römische Staatsdenken hervorgebracht zu haben.2 Vor allem Cicero kann hierfür als Gewährsmann gelten. In »De oratore« stellt er fest, »daß sich auf das Walten und die Klugheit des wahren Redners nicht nur sein eigener Rang, sondern auch das Wohl der meisten Privatpersonen und des gesamten Staats entscheidend gründet.«3 Vom Gemeinwohl als ethischem Postulat leitet er die Notwendigkeit des Gemeinsinns (sensus communis) ab. Ausgangspunkt ist für Cicero die Tatsache, dass wir Menschen, wie er in »De officiis« schreibt, »nicht nur für uns selbst geboren sind, sondern einen Teil unseres Daseins die Vaterstadt beansprucht, einen Teil die Freunde [ ... ],die Menschen aber um ihrer Mitmenschen willen gezeugt sind, damit sie, einer dem andern, von sich aus sich gegenseitig nützen können [ ... ].«4 Daher muss der Redner nach »De oratore« all das beherrschen, was die praktischen Bedürfnisse der Bürger sowie ihre VerEbd. 1104 a 25 Vgl. 1107 a 1.1141a25 19 Zum sollensethischen Charakter des Angemessenheits-Postulats siehe unten S.232ff. 1 Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. vgl. V. Pöschl: Röm. Staat und griech. Staatsdenken bei Cicero (Berlin 1936, ND Darmstadt 1976). 2 So jedenfalls sieht es Th. Leinkauf im Artikel »Sensus communis«, in: HWPh Ed.IX, Sp. 629-631. 3 Cic., De or. I, 34 (Merklin). 4 Cicero, De officiis 1, 22, übers. v. H. Gunermann, in: M. T. Cicero: De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lat.-dt. (Stuttgart 21984). 11

1s

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haltensweisen im Alltagsleben, in Politik und Gesellschaft angeht und was sich auf den Gemeinsinn sowie auf die menschliche Natur und Gesittung bezieht. Es ist folglich ein schwerer Fehler, beim Reden »gegen die übliche Ausdrucksweise und die Gewohnheit des allgemeinen Empfindens zu verstoßen.«5 In der »Rede für P. Sestius« hat Cicero ein politisches Programm formuliert, das seine Auffassung von der Gestalt des Gemeinwohls unmissverständlich darlegt. Die Grundlagen des römischen Staates sind für ihn »die religiösen Einrichtungen, die Auspizien, die Machtbefugnis der Beamten, die Autorität des Senats, die Gesetze und das Herkommen, die Rechtsprechung in Straf- und Zivilprozessen, Treu und Glauben, Provinzen und Bundesgenossen, der gute Ruf unserer Herrschaft, Kriegs- und Finanzwesen.«6 Politischer Bestand und öffentliches Gedeihen dieser Institutionen sind nach Cicero aber nur gesichert, wenn die Bürger ein Verhalten praktizieren, das sich mit der Formel »cum dignitate otium« beschreiben lässt. Die dignitas (etwa »Würde«) umfasst dabei den öffentlichen, otium (etwa »Muße«) den privaten Bereich.7 Beide konstituieren das staatliche Leben Roms so sehr, dass sie, wie Fuhrmann gezeigt hat, für Cicero mit der res publica identisch sind. In seiner staatstheoretischen Schrift »De re publica« werden sie später mit ius und utilitas communis, Recht und gemeiner Wohlfahrt, gleichgesetzt.8 Doch Gemeinwohl und Gemeinsinn basieren auch auf dem immer wieder artikulierten Konsens der Bürger in den politischen Fragen des Gemeinwesens wie etwa bei der Wahl der Staatsbeamten.9 Darin geht es allerdings um nur zeitweise gegebene Mehrheiten, die jeweils von einer Minderheit anerkannt werden müssen. Gemeinwohl und Gemeinsinn sind also keine konstanten Güter jenseits von politischen Parteiungen. Das wird sich zeigen bei den Merkmalen, die nach Cicero den demagogischen Redner kennzeichnen.lü

s Cic., De or. II, 68; 1, 12 (Merklin). H. G. Gadamer weist auf die Verwandtschaft des sensus communis mit dem Wahrscheinlichen hin, das ja von der Sophistik als eines der wichtigsten Medien rhetorischer Subjektivität entwickelt worden ist. Siehe dazu oben S.51 f. (H. G. Gadamer: Hermeneutik Bd. l: Wahrheit und Methode (Tübingen 1986) S.26ff.) 6 Cicero, Rede für P. Sestius 98, übers. v. G. Krüger, in: M. T. Cicero: Rede für P. Sestius. Lat.-dt. (Stuttgart 1980). 7 Cicero [6] ebd., vgl. dazu M. Fuhrmann: Cum dignitate otium. Politisches Programm und Staatstheorie bei Cicero. In: Gymnasium Bd.67 (1960) S.486-89, 495. s Fuhrmann [7] S.492, 497. 9 Vgl. Cicero, Pro Milane 25: [Milonem] porro summa consensu populi Romani consulem fieri videbat. 10 Siehe dazu unten S.214ff.

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Exkurs 1: Der sensus communis nach Valla und Landino Vor allem der Humanismus hat die Prinzipien des Gemeinschaftslebens ausführlich in rhetorischer Akzentuierung erörtert. Darin berühren sich drei Aspekte, die für die soziale Tätigkeit des Redners wesentlich sind: die Auffassung vom sensus communis als gemeinsame Wahrnehmungsform und als soziales Gedankengut, das sich von partikularen und abgesonderten, bloß individuellen Meinungen abhebt 11; der Sinn für das gemeinsame Wohl, dem die öffentlichen Handlungen geltenl2, und die Bevorzugung des tätigen vor dem kontemplativen Leben, da jenes der Gemeinschaft am besten dient.13 Definitorisch lassen sich die drei Aspekte sicher unterscheiden. Begriffsgeschichtliche Untersuchungen betonen jedoch die Diffusität gerade der »Gemeinsinn-« und »Gemeinwohl«-Konzepte.14 Im ethischen Handeln des Redners lassen sie sich daher kaum streng voneinander trennen, sondern konvergieren, wie schon die Ausführungen Ciceros zeigten und nun auch die Überlegungen Vallas und Landinos als Beispiel für das Fortwirken rhetorischer Ethik im Humanismus belegen sollen.15 Lorenzo Valla charakterisiert den Gemeinsinn, wie Gerl gezeigt hat, »als ethisches, erkenntnistheoretisches und evidentes Prinzip«, d.h. der Gemeinsinn wird »als die konkrete Erfahrung und praktische Bewältigung der im Prinzip guten Realität vor der Abstraktion behauptet«.16 Valla entwickelt seine Ansichten im Dialog »De voluptate«, wo Antonio, ein Redner, und Leonardo, ein Philosoph, um das richtige Verständnis der Wirklichkeit streiten. Es handelt sich dabei zwar um eine philosophische Debatte, doch spiegelt sie die antiken Auseinandersetzungen zwischen Rhetorik und Philosophie. Antonio sieht sich denn auch in der Nachfolge Ciceros.17 Interessant an diesem Dialog ist Antonios (bzw. Vallas) These, dass die philosophische Abstraktion die Wirklichkeit verfehlt, ein auf praktische Konkretion gerichtetes Verstehen diese aber erschließt, da es sie nicht reduziert, sondern in ihrer vollen Realität als ein Gut bejaht.18 Ausdruck und Richtschnur dieses Verstehens ist der sensus communis, der sich auf »ein unmittelbares, allgemeines Verständnis des Lebens« stützt und auf die gewöhnliche Übereinstimmung der Menschen in Bezug auf allgemein anerkannte Güter des Körpers und Geistes, die ein lustvolles Leben gewähren. Das Argument mit der

Vgl. Th. Leinkauf u. a.: Artikel »Sensus communis«, in: HWPh Bd. IX, Sp. 622 ff. 12 Vgl. E. Vollrath: Artikel »Gemeinwohl«, in: HWRh Ed.III, Sp. 689ff. u Vgl. Ch. Trottmann: Artikel »Vita activa, vita contcmplativa«, in: HWPh Bd. XI. Sp. 1071 ff. 14 Siehe Leinkauf [11] Sp. 629f., Vollrath [12] Sp. 689. 15 A. von der Lühe berücksichtigt in dem von ihm geschriebenen Abschnitt des Artikels »Sensus communis« [11] seltsamerweise den Humanismus kaum. (vgl. Sp. 639). 16 H.-B. Ger!: Rhet. als Philos. Lorenzo Valla (München 1974) S.126. 11 Ebd. S.125. 18 Ebd. S.137 ff. 11

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Lust ist bedeutungsvoll für Vallas Position, da so die Verbindung der Menschen zur praktischen Gegebenheit der Dinge hergestellt und die Sinne als Basis dieser Beziehung angesetzt werden können. Folglich schätzt Antonio das auf einer Kultur der Sinne aufbauende urbane Leben höher ein als das wenig Zivilisierte und Ungeschlachte der bäurischen Lebensweise. Doch der Gemeinsinn zeigt diesem lustbetonten Verhältnis zur Wirklichkeit auch die Grenzen, und zwar überall da, wo etwas von der Meinung des Volkes als anstößig empfunden werden könnte.19 Auch von daher also definiert der Gemeinsinn das Gute und das Wahre. Er wird deshalb zum selbstverständlichen, evidenten Prinzip, das mehr ist als eine Quantität von Meinungen und, da es unmittelbar gilt, keiner weiteren Begründung mehr bedarf.20 Dass der Sinn für die Gemeinschaft direkte Folgen für das Gemeinwohl hat, geht aus Cristofero Landinos »Disputationes Camaldulenses« hervor. Wieder wird der Gedankengang in einem Streitgespräch entwickelt, und zwar zwischen Lorenzo als dem Befürworter des tätigen und Battista als dem des betrachtenden Lebens. Interessant für unser Thema ist vor allem Lorenzos Auffassung. Da der Mensch aus Seele und Körper besteht, verdient nach seiner Meinung die Lebensart den Vorzug, die beiden Seiten gerecht wird, nämlich die tätige. Die Natur hat uns »Zur regen Teilnahme am geselligen Verkehr und zur Wahrung der menschlichen Gemeinschaft hervorgebracht«; daher können wir diese Bestimmung nur dann erfüllen, »wenn wir uns zu einem Gemeinwesen zusammenschließen«.21 Gerade die Sorge um »das Wohl des Ganzen« verpflichtet dazu, ein »der Gemeinschaft dienendes Leben« tugendhaft zu führen. Der Unterschied zwischen der vita activa und der vita contemplativa wird nach Lorenzos Ansicht besonders deutlich, wenn man sich den Nutzen der einzelnen Berufe für eine neu zu erbauende Stadt vor Augen führt. »Kluge Ratgeber«, »gewaltige Redner«, »gerechte Richter«, »Ärzte«, »Baumeister« und andere Handwerker seien alle willkommen, aber wozu brauche man Philosophen, die in Einsamkeit forschten und damit sich nicht nur von der Gemeinschaft zurückzögen, sondern ihr auch noch wertvolle Talente vorenthielten? Der Disput läuft schließlich darauf hinaus, dass vita activa und vita contemplativa zu einer Einheit finden müssten.22 Doch das Resultat von Landinos Dialog ist für unsere Themenstellung unwichtig. Er sollte wie derjenige Vallas nur zeigen, worin die ethische Struktur der von der Rhetorik geformten, auf dem Gemeinsinn basierenden sozialen Praxis besteht. Systematisch gesehen bestimmt Landino den Gemeinsinn primär sollensethisch, Valla dagegen primär strebensethisch.

Ebd. S.139, 143-45. Ebd. S.146-49. 21 C. Landino: Disputationes Camaldulenses. In: St. Otto (Hg.): Renaissance und frühe Neuzeit. Bd.3 von R. Bubner (Hg.): Gesch. der Philos. in Text und Darstellung (Stuttgart 21986) S.350f. 22 Ebd. S.352-54, 357. 19

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4. Sozialethische Typen des Redners: Vir bonus und Demagoge

a) Cato: Die Entstehung des vir bonus-Ideals aus dem römischen Patronat Die Ethik der öffentlichen, d.h. politischen Lebensform hat in der Antike zwei gegensätzliche Rednertypen hervorgebracht: den des »rechtschaffenen Mannes« und den des »Volksverführers«. Schon in der athenischen Politik traten beide Typen auf. Seit dem Ende des 5. Jh.'s v. Chr. wurde der Redner - meist ein Adliger-, der für die Menge sprach, öriµaywy6i:;, demagög6s, d.h. »Volksführer«, genannt, was zunächst durchaus neutral gemeint war. Aufgrund des wachsenden Mißtrauens gegen den Adel während des Peloponnesischen Krieges kam vor 411 ein neuer Typ zu Ehren. Diese Redner, meist vermögende Handwerker mit eigenem Betrieb, erwarben Ansehen dadurch, dass sie die Volksstimmung sicher erkannten und als ihre eigene Meinung ausgaben. Sie trugen zum pejorativen Beigeschmack des »Demagogen« bei, der nun zum »Volksverführer« wurde, da er viele der politischen Entscheidungen mit zu verantworten hatte, die zur Niederlage Athens in diesem Krieg führten.1 Platon zeigte in der Auseinandersetzung mit der Sophistik um die öffentliche Aufgabe der Redekunst, dass ein für die Belange der Polis nützlicher Redner ein untadeliger Mann (aym'}oi:; av119, agath6s an~r) sein musste; und auch Isokrates betonte, nur ein Mensch mit gutem Charakter könne die Redekunst wirklich beherrschen.2 Cato umschrieb dann für die römische Rhetorik das Konzept des »rechtschaffenen Mannes« mit der wirkungsmächtigen Formel vom vir bonus dicendi peritus. Deren ethisches Potential entstand ursprünglich aus der Beziehung zwischen orator und patronus. Die römische Öffentlichkeit der Republik und in abgewandelter Form später auch die des Kaiserreichs war so organisiert, dass Personen mit großem Sozialprestige solche mit geringerem Ansehen unter ihren Schutz nahmen. Diejenigen, die diesen Schutz ausübten, hießen Patrone (patroni), die von ihnen Abhängigen Klienten (clientes). Klienten waren freie Bauern oder Handwerker, auch ganze Dörfer oder Städte, sogar Fürsten. Das Klientelwesen war ein personales Verhältnis; es beruhte auf persönlichem Kontakt, jedoch nicht in erster Linie oder allein auf der wirtschaftlichen Macht des Patrons. Die Pflichten zwischen Patron und Klient waren nicht genau abgegrenzt; sie bestanden für den Patron darin, dafür zu sorgen, dass der Klient leben konnte und gegen Existenzbedrohungen sowie gegen Ungerechtigkeit gesichert war. Er vertrat seine Klienten in der Volksversammlung, im Senat sowie als Anwalt vor Gericht, denn gerade hier

1 Vgl. W. Pilz: Der Redner im attischen Staat (Phil. Diss. Leipzig 1934) S. 9; J. Bleicken: Die athcnischc Demokratie (Paderborn u.a. 21988) S.45, 138-144; J. Arthurs: The Term »Rhetor« in Fifth- and Fourth-Century B. C. E. Greek Texts. In: Rhetorica vol. 23, No. 3/4 ( 1993) S.3. 2 Platon, Gorgias 503 c. 507 c, vgl. 460 af.; Isokrates,Antidosis 278f.

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standen soziale Stellung und Lebensunterhalt der Abhängigen auf dem Spiel. In der republikanischen Ära verschmolz daher das Bild des Patrons mit dem des Redners überhaupt, so dass orator praktisch patronus bedeutete. Erst mit Beginn der Kaiserzeit, als sich die Funktion der Rhetorik änderte, traten beide Begriffe wieder auseinander.3 Das moralische Gewicht des Patrons in der Öffentlichkeit resultierte aus seinem Verhältnis zur Klientel, wobei es nicht um strenge Regelungen ging, sondern um eine sittliche Verhaltensweise, die von seiten des Klienten Ergebenheit und Treue, von seiten des Patrons Verantwortlichkeit und Glaubwürdigkeit erforderte. Die lateinische Bezeichnung für dieses Verhältnis, das keine Entsprechung in der griechischen Gesellschaft hatte,istfides.4 Darauf beruhten Ansehen und moralisches Gewicht des Patrons in der Öffentlichkeit. Sie zeigten sich in seiner Autorität (auctoritas), dem Ergebnis auch von Leistungen, die eine beständige Anerkennung von seiten der Mitbürger voraussetzten und sich immer wieder bewähren mussten. Daraus ergab sich die führende Rolle des Patrons, seine Position, der man sich freiwillig unterordnete.5 Die römische Rhetorik hatte viel Sinn für diese persönlich-moralische Qualität. Quintilian hebt bei der Behandlung der Erzählung in der Rede (narratio) hervor, »wieviel Vertrauen [der Zuhörer,fides] zur Darstellung das persönliche Ansehen [auctoritas] [ ... ] verleiht.« Cicero nennt einen solchen Redner »gravis persona« und sieht seine Aufgabe vom rhetorische Standpunkt aus darin, in der Volksversammlung »Würde« (dignitas) zu zeigen, im Senat sich aber - »mit kleinerem Aufwand« - als »weise« (sapiens), »ehrenhaft« (honestus) und »wortgewandt« (disertus) darzustellen.6 Vergil schildert, welche Wirkung von ihm ausgeht, wenn »im Volksgewühle erhebt sich/ Aufruhr, wütend rast im Zorn der niedere Pöbel;/ Fackeln fliegen und Steine; die Wut schafft Waffen: doch wenn sie/ dann einen Mann, gewichtig (gravis) durch frommen Sinn und Verdienste,/ zufällig sehen, dann schweigen und stehn sie und recken die Ohren./ Er aber lenkt die Erregten durchs Wort, stimmt friedlich die Herzen.«7 Das Treueverhältnis von Patron und Klient war Ausdruck der Staatsethik bzw. der meist ungeschriebenen Normen, der Sittlichkeit (mores), welcher sich der Römer verpflichtet fühlte. Sie war vor allem bestimmt von der Forderung nach Eingliederung des Individuums in das Ganze und seiner Unterordnung unter das Gemeinwohl. Ruhm und Ehre ergaben sich aus den Verdiensten, die sich der Einzelne in seinen Leistungen für die res publica erworben hatte. In der Öffentlichkeit zu wirken und darin eine Rolle zu spielen war daher auch fast das alleinige Ziel eines

3 J. Bleicken: Die Verfassung der röm. Republik (Paderborn u.a. 51989) S.20-25; W. Neuhauser: Patronus und Orator (Insbruck 1958) S.12, 166, 172. 4 Blcickcn [3] S.23. 5 E. Meyer: Röm. Staat und Staatsgedanke (Zürich 21961) S.262f.; vgl. J. Adamietz: Artikel »Fides«, in: HWRh Ed.III, Sp. 270. 6 Quintilian IV, 2.125; Cic. De. or. II, 333 f. Zu Cicero vgl. auch 0. Hiltbrunncr: Vir gravis. In: H. Oppermann (Hg.): Röm. Wertbegriffe (Darmstadt 31983) S.402-419. 7 Vergil. Aeneis I. 148ff., übers. v. J. Götte, in: Vergil: Aeneis. Lat.-dt. (Düsseldorf, Zürich 91997).

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Mannes der führenden Schicht, wobei persönlicher Ehrgeiz und öffentliches Interesse sich gegenseitig bedingten und belohnten. Dazu gehörte der Anspruch, es den großen Vorfahren gleichzutun, die etwa in den feierlichen Leichenreden immer wieder genannt wurden. Sie lebten als dauernde Vorbilder im Gedächtnis weiter; ihr Verhalten (mos maiorum) blieb Richtschnur des Handelns.8 Cato der Ältere brachte die Überzeugung, dass die ethische Dimension der Redekunst eng mit dem Staatswohl verbunden war, in eine prägnante Formel. »Orator est, Marce fili, vir bonus dicendi peritus«, notierte er in seinem Buch über die Redekunst.9 Es gehörte zu einer Enzyklopädie mit Werken über die verschiedensten Aspekte des bürgerlichen Lebens in Rom wie Ackerbau, Heil- und Redekunst sowie Militärtechnik, die dem Unterricht des Sohnes dienten. Catos Auffassung von Rechtschaffenheit lässt sich ganz gut rekonstruieren. Ein Fragment aus dem Umkreis seiner Schrift »De agricultura« lautet:»[ ... ] ein rechtschaffener Mann (vir bonus), mein Sohn Marcus, [ist der,] der den Feldbau versteht und dessen Eisenwerkzeuge glänzen.«10 Im 2. Kapitel dieses Buches stellt Cato den vir bonus als pflichtbewussten pater familias dar, »der den Hausgott verehrt« und sich auf seinem Landgut persönlich um alles kümmert.1 I Plutarch berichtet, dass Cato auch seinen eigenen Vater als »einen rechtschaffenen Mann ( ayaitoc; av119, agath6s an~r) und guten Soldaten« gerühmt habe. Cato hatte Kenntnisse in griechischer Philosophie; möglicherweise ist sein vir-bonus-Konzept von der stoischen Tugendlehre beeinfiusst.12 - Das Leitbild für den vir bonus in dieser Zeit, der 1. Hälfte des 2. Jh.'s v. Chr., ist also der römische Grundbesitzer, der seine privaten Pflichten ernst nimmt und seine Aufgaben gegenüber dem Staat erfüllt (einschließlich Militärdienst). Er hat virtus (mannhafte Tugend), die sich in harter Arbeit und steter Tätigkeit bewährt, die standhaft alle Mühen erträgt und überwindet. Bequemlichkeit und Lebensgenuss gelten als Verweichlichung und Schlaffheit, die eines Römers unwürdig sind.13 Zur virtus des Grundherrn gehörten auch die Pflichten als Redner, denn mit dem Landbesitz war das Patronat über die Klientel von Bauern, Handwerkern oder auch ganzen Dörfern und Städten verbunden. Der Patron vertrat, wie schon erwähnt, politisch und gerichtlich die von ihm Abhängigen. Cato selbst wirkte als Patron für seine Klienten. Er war ein ausgezeichneter Redner und stand in zahlreichen Prozessen vor Gericht. Das Patronat hielt er, wie eines der von

s Meyer [5] S.265-269; Blcickcn [3] S.55.

Frg. 370, in: M. P. Cato: Vom Landbau. Fragmente (Alle erhaltenen Schriften) Lat.-dt. hg. u. übers. v. 0. Schönberger (München 1980), Übers. leicht abgewandelt. 10 Frg. 362 bei Schönbcrgcr [9], vgl. auch »De agricultura« pracf. 2. 11 Ebd. II, lff. 12 Plutarch, Cato maior 1,Frg. 462 bei Schönberger [9]. Vgl. dazu die Diskussion zwischen L. Radcrmachcr und F. Schöll, in: Rheinisches Museum 54 (1899) S. 285-292 und 57 ( 1902) S.312-314 sowie A. Walzer: Quintilian ·s vir bonus and the Stoic Wise Man. In: Rhetoric Society Quarterly 33 (2003) S.24-41 13 Meyer [5] S.272, vgl. auch K. Meister: Die Tugenden der Römer. In: Oppermann [6] S. l-22. 9

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ihm erhaltenen Fragmente belegt, sehr hoch.14 Seine Formel vom vir bonus dicendi peritus wurde später zu einer topisch gebrauchten Bezeichnung für die ethische Orientierung des römischen Rednerideals, die allgemein gelten sollte und nicht nur für den Bereich der politischen Rede.15

b) Cicero: Der Gegensatz von vir bonus und Demagoge Cicero hat herausgearbeitet, wo der Redner in seinem öffentlichen Handeln die Gemeinwohlorientierung verlässt, die den patronus nach römischem Verständnis auszeichnet. Wer sich als Redner wie ein vir bonus verhalte und außerdem noch das Ideal des orator perfectus verkörpere16, den müsse man, wie es in »De oratore« heißt, »als führenden Staatsmann und als maßgeblichen Politiker betrachten.« Seine ethische Aufgabe bestehe darin, das Volk mitzureißen und zu mäßigen, Schurken das Verderben und Unschuldigen die Rettung zu bringen, zur Bewährung zu mahnen, zur Abkehr von Verfehlungen aufzurufen, als Ankläger die Begierde zu zügeln und die Betrübten zu trösten.17 Der Redner als Staatsmann muss selbst eine Moralität haben, wie schon die Jugendschrift »De inventione« anhand von großen Römern wie Cato, Laelius und Scipio Africanus feststellt: »Diese Männer besaßen die höchste Tugend (virtus) und eine Autorität (auctoritas), die von ihrer großen Tugend bestärkt wurde, und auch Beredsamkeit, um diese Vorzüge zu schmücken und den Staat zu schützen.«18 In »De re publica« heißt es später, der führende Staatsmann müsse »der überlegenste und gebildetste Mann (summus vir et doctissimus) sein, derart, daß er weise sei, gerecht, maßvoll und beredt, damit er leicht in fließender Rede die geheimen Gedanken der Seele, um das Volk zu lenken, ausdrücken könne.«19 Moralische und rednerische Qualitäten müssen also vereinigt sein, denn »diesem führenden Manne des Gemeinwesens [ist] das glückliche Leben der Bürger zum Ziel gesetzt [ ... ]«.20 Moralität und Redekunst werden hier - nach dem Ideal des orator perfectus - durch umfassende Bildung ergänzt.

14 Vgl. dazu D. Kienast: Cato der Zensor. Seine Persönlichkeit und seine Zeit (Darmstadt 1979) S.32, 37f. 15 Vgl. dazu F. H. Robling: Topik und Bcgriffsgesch. am Beispiel des vir bonus-Ideals. In: Th. Schirren, G. Ueding (Hg.): Rhet. und Topik (Tübingen 2000) S.67ff. 16 Zum Problem der Beziehung von orator perfectus und vir bonus siehe unten S.226ff. 17 De or. I. 211 (Merklin); II, 35. 18 De inv. I, 5 (Nüßlein). 19 Cicero: Der Staat V, 1,1. Lat.-dt., hg. und übers. von K. Büchner (München, Zürich 41987).A. Arweilcr hat die Verbindung von Redekunst, Gelchrtentum und Politik bei Cicero genauer untersucht in seinem Buch: Cicero rhetor. Die »Partitiones oratoriae« und das Konzept des gelehrten Politikers (Berlin. New York 2003). 20 Ebd. V, 6,8. Das Vorbild ist hier wieder der jüngere Scipio Africanus.

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Vom Bild des idealen Redners und Staatsmannes hebt Cicero die Merkmale des Demagogen ab, des »Volksredners« und »Aufwieglers« (contionator), der die Beredsamkeit zum Verderben des Staats einsetzt und die Partikularität der Interessen nicht mehr dem Gemeinwohl und Gemeinsinn unterordnet.21 Cicero bezeichnet so Leute vom Schlage Catilinas. »Unverschämtheit« (impudentia) und »Dreistigkeit« (audacia) sind daher die Kennzeichen des Demagogen im römischen Verständnis.22 Jeder Versuch der Volkstribunen, die Rechte der Plebejer nicht nur zu verteidigen, sondern auch auszudehnen und das Recht zur Gesetzesinitiative mit dem Ziel sozialer Veränderung wahrzunehmen, wurde jedoch von der Nobilität ebenfalls als Demagogie empfunden, was beweist, dass das vir bonus-Ideal in concreto nach dem jeweiligen Interesse modelliert und der »Aufwiegler« entsprechend parteiisch gezeichnet wurde. Cicero gibt dafür in »De officiis« ein Beispiel. Den Griechen Arat aus Sikyon porträtiert er als Mann des Ausgleichs und Bewahrer des Bestehenden.23 »Leute aber, die sich als Volksfreunde (populares) ausgeben«, schreibt er dann, »und aus diesem Grunde entweder die Agrarreform in Angriff nehmen [ ... ] oder glauben, es müßten Schuldbeträge den Schuldnern erlassen werden, erschüttern die Grundlage des Gemeinwesens [ ... ].«24 Die Voraussetzung zu dieser Sicht liegt in der politisch gefärbten Auffassung von der Gestalt des Gemeinwohls, das je nach Aspekt primär strebens- oder sollensethisch verstanden wird, wobei die negative Beurteilung des Demagogen vor allem sollensethisch motiviert ist. In der »Rede für Sestius« unterscheidet Cicero »Populare« (»diejenigen, die mit Worten und Taten der Masse gefällig sein wollten«) und »Optimaten« (»die sich [ ... ] so verhielten, daß sie sich für ihre Pläne die Zustimmung aller Guten wünschten«). Erstere sind »Schädlinge«, »von Natur aus bösartig veranlagt«, »blindwütige Fanatiker« und »in zerrüttete Verhältnisse verstrickt«; aus ihren Reihen kommen die Aufwiegler.25 Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidungen zeigt sich, dass auch Ciceros Begriff des Gemeinwohls in sich parteilich ist, denn er umfasst dreierlei: den Staat, die politische Elite und die Politik dieser Elite, die eine der Nobilität ist, zu der er selbst gehört.26 Das Bild des Demagogen verbindet sich für ihn deshalb

Vgl. De inv. I, 4f., De or. III, 55. 22 Vgl. H. Georges: Ausführliches lat.-dt. Handwörterbuch. Bd.l (Hannover Xl 913, ND Darmstadt 1992) Sp. 1625: Cicero, 4. Rede gegen Catilina 9 sowie De or. III, 93 f.: vgl. auch 55 (»Rasende«). Siehe dazu P. L. Schmidt: Die Anfänge der institutionellen Rhet. in Rom. In: E. Lefävre (Hg.): Monumentum Chilonense. Stud. zur augusteischen Zeit. FS E. Burck zum 70. Geb. (Amsterdam 1975) S.204-211. 23 De officiis II, 83 (bonus civis). 24 Cicero, De officiis II, 78, vgl. auch II, 73. Übers. aus: M. T. Cicero: De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lat.-dt .. hg. und übers. von H. Gunermann (Stuttgart 21984). (Die Übers. von II. 78 wurde korrigiert.) 25 Cicero: Rede für P. Sestius 96f. ln 97 erfolgt die Kennzeichnung der Demagogen in negativer Abgrenzung von den Optimaten. Übers. von G. Krüger, in: M. T. Cicero: Rede für P. Sestius. Lat. -dt. (Stuttgart 1980). 26 Vgl. M. Fuhrmann: Cum dignitate otium. Politisches Programm und Staatstheorie bei Cicero. In: Gymnasium 67 (1960) S.491f. 21

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Teil D · Ethik: Wertorientierungen rednerischen Handelns

vor allem mit der Gestalt der beiden Gracchen, die den römischen Staat zugunsten der Armen und Besitzlosen verändern wollten. »Glaube mir, Brutus: nie war jemand zum Reden umfassender oder reicher gerüstet!«, urteilt Cicero über Gaius Gracchus. »Hätte er sich nur bereit gefunden, nicht so sehr dem [im Betreiben der Landreform vorangehenden] Bruder als dem Vaterland seine Pietät zu beweisen!«27 Exkurs 2: Ramus und Vossius: Der Bruch mit der vir bonus-Tradition im neuzeitlichen Rationalismus Vor allem durch den Einfluss Ciceros und Quintilians gewann die Identifizierung des Redners mit dem vir bonus dicendi peritus große Macht in der rhetorischen Tradition, wie die Darstellung der rednerischen Idealtypen im Kulturabschnitt unserer Untersuchung gezeigt hat.28 Allerdings stieß diese Auffassung schon im Humanismus auf Widerspruch. Vives meinte in »De causis corruptarum artium«, die Aufgabe des Redners und seine Charakterhaltung seien verschiedene Dinge. Die Vermischung von beiden sei nur ein Missverständnis über die wirkliche Natur der Rhetorik und ein Beleg für den Verfall der Künste.29 Auch Georg von Trapezunt kritisierte das moralische Rednerkonzept. Mit ihm setzte eine Debatte über die vir bonus-Formel ein, die sich vor allem als Auseinandersetzung über Quintilians Propagierung dieses Ideals gestaltete.30 Großen Einfluss in dieser Frage gewann Petrus Ramus, der versuchte, den umfangreich und unübersichtlich gewordenen humanistischen Lehrplan zu vereinfachen. Er unterwarf den historischen Stoff einer einheitlichen Methode und Systematik und trennte zu diesem Zweck Rhetorik und Dialektik.31 Ramus bemühte sich um eine Reform der Dialektik durch Revision der tradierten Kategorien, indem er die logischen Schriften des Aristoteles kritisch überprüfte. Der »Topik« und hier insbesondere dem achten Buch, das über den Dialektiker handelt, warf er vor, voll von Unklarheiten zu sein und Sophistereien zu produzieren. Ausgangspunkt seiner Kritik war die These, dass Aristoteles die Künste untereinander vermischt und ihre Geltungsbereiche nicht sorgfältig genug getrennt habe.32 Ramus suchte

Cic. Brut. 125f., vgl. De officiis TI, 72 und Pro Sestio 101. Eine Übersicht bietet Rohling [15] S.67ff. 29 J. L. Vives: Über die Gründe des Verfalls der Künste (De causis corruptarum artium). Lat.dt., hg. von E. Hidalgo-Serna, übers. von W. Sendner (München 1990) S.421, 425. 30 J. Monfasani: Episodes of Anti-Quintilianism in the Italian Renaissance: Quarrels on the Orator as a vir bonus and Rhet. as the scientia bene dicendi. In: Rhetorica vol. X (1992) no. 2, S.123ff. 31 J. Dolch: Lehrplan des Abendlandes (Ratingen 31971, ND Darmstadt 1982) S.233f.; W. Schmidt-Biggemann: Topica universalis. Eine Modellgesch. humanistischer und barocker Wiss. (Hamburg 1983) S.39ff. 32 J. J. Murphy: lntroduction. in: Arguments in Rhct. against Quintilian. Translation and Text 27 28

III. Rhetorische Ethik und Lebenswelt in der Antike

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aber nicht nur dem Dialektiker ein gereinigtes logisches Instrumentarium an die Hand zu geben, er wollte auch den Redner nur von seinen rein technischen Aufgaben her verstanden wissen. »Die Vollkommenheit des Redners [ ... ]beruht auf der sprachlichen Ausgestaltung und dem Vortrag«, erklärt er in den »Scholae rhetoricae«, dem Teil seiner Vorlesungen über die artes liberales, die der Redekunst gewidmet sind und sich ausführlich mit Cicero und Quintilian auseinandersetzen.33 Ramus, der in Stilfragen an Cicero als dem unerreichten Vorbild festhieJt34, übt dennoch in dieser Schrift, die er als fingierten Brief an das Vorbild aller humanistischen Beredsamkeit gestaltet (»Was für ein Dialektiker [= Logiker] bist du nur, M. Tullius?«35), vehemente Kritik an Cicero wiederum aufgrund des Postulats einer strengen Trennung der Künste. Er wirft ihm eine logisch unzulässige Kombination des Redner-Begriffs mit der Philosophie vor. Nicht der Redner brauche die Philosophie, sondern der Philosoph die Beredsamkeit. Auch weite Cicero fälschlich den ars-Begriff aus, wenn er den vollkommenen Redner als aller Künste mächtig bezeichne. Daraus folge nur einen Reduktion der Künste auf eine einzige, die Rhetorik. Die Identifizierung von perfektem Redner und vollkommenem Bürger (civis) sei ebenfalls falsch, da dieser ein vollendeter Staatsmann mit allen dazu nötigen Vorzügen, jener aber bloß »kindische«, d.h. zum Knabenalter passende Übungen und Lehrsätze beherrsche.36 Quintilian macht sich nach Ramus ähnlicher logischer Fehler schuldig. In den »Scholae rhetoricae« kritisiert er die Gleichsetzung des Redners mit dem vir bonus: Der orator sei ein artifex und »nur aus der Kunst zu definieren«. Die Tugenden aber fielen nicht in die Zuständigkeit der Rhetorik, sondern darüber würden »die Ethiker philosophieren« (Ethici philosophantur).37 Die »Rhetoricae distinctiones in Quintilianum« ergänzen, im Gebrauch sollten die Künste verbunden werden, nicht in ihren Prinzipien.38 Die Tugendfrage bezieht sich nach Ramus also auf die Anwendung der Kunst, sie hat mit dieser selbst nichts zu tun. Der Grund für die Konfusion liege wiederum bei Aristoteles. Dieser »behauptet, daß die Rhetorik aufgrund der Gefühle und Leidenschaften in gewissem Sinne Teil der Moralphilosophie (philosophia moralis) sei [ ... ]«.39 Ramus bezieht sich hier auf die Tatsache, of P. Ramus's »Rhetoricae distinctiones in Quintilianum« (1549), Translation by C. Newlands (DeKalb. Illinois 1986) S. 7, 12-17, 20, 39ff. 33 P. Ramus: Scholarum rhetoricarum in Ciceronis oratorem. In: ders.: Scholae in Liberales Artes [1569], ed. by W. J. Ong (ND Hildesheim, New York 1970) Sp. 243, dt. von Lange, S.163,Anm. 13, vgl. auch S.40. Siehe H. J. Lange: Aemulatio veterum sive de optimo genere dicendi. Die Entstehung des Barockstils im XVI. Jh. durch eine Geschmacksverschiebung in Richtung der Stile des manieristischen Typs (Phil. Diss. Frankfurt/M. 1973). 34 Vgl. K. Meerhof: Rhctorique et poctique au XVIe siede en France. Du Bellay, Ramus et lcs autres (Leiden 1986) S.34ff. 35 Ramus [33] Sp. 242; vgl. auch Sp. 233, 238. Siehe dazu Murphy [32] S.20. 36 Ramus [33] Sp.242f.;zupuerilisLange [33] S.165,Anm.24. 37 Ramus [33] Sp. 319ff. 38 Ramus, Rhetoricae distinctiones [32] S.86f. 39 Ebd. S.125 bzw. 200.

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Teil D · Ethik: Wertorientierungen rednerischen Handelns

dass für Aristoteles die Rhetorik die Emotionen anspricht, diese aber gute oder böse Folgen für das menschliche Handeln haben können und deshalb zur Ethik gehören.40 Er klassifiziert die Disziplinen jedoch anders als Aristoteles. Außerdem hat er kein Verständnis mehr für den strebensethischen Ansatz des Verfassers der »Nikomachischen Ethik«, in dessen Sicht die Rhetorik mit der Persuasion ein Gut realisiert und die Tugenden zur Beherrschung der Gefühle wie auch die Lüste mit dem Gefühlsgenuss Güter sind und sogar die vollkommene Beherrschung einer Kunst ein Gut darstellt.41 Der strebens- bzw. güterethische Aspekt ist für Aristoteles der alles verbindende Gesichtspunkt, weil Rhetorik und Ethik letztlich dem Eudaimonieziel des Staates dienen, weshalb sie auch der Politik untergeordnet sind.42 Ramus dagegen scheint die Ethik nur moralphilosophisch, d. h. sollensethisch als Urteilsinstanz für das Gebotene zu verstehen, was seine isolierend-klassifizierende Konzeption der Künste bzw. Techniken unterstützt, ihm aber auch jeden Sinn für das persuasive Potential der Ethik nimmt. Der Enzyklopädist Gerardus Ioannes Vossius vertrat in bezug auf den Redner ähnlich Auffassungen wie Ramus, aber mit anderen Begründungen. Zwar trennte er nicht inventio und dispositio von der Rhetorik, war aber der Meinung, dass diese rein psychagogische Aufgaben habe, dass also die rhetorische Topik in erster Linie zur Erregung der Affekte diene, wogegen die dialektische belehren und beweisen wolle.43 Den Redner definierte er zunächst technisch von der Rhetorik her: »Das letzte Ziel (finis) des Redners ist es, zu überreden (persuadere )«, heißt es in den »Rhetorices contractae«.44 Ciceronisch ist seine Forderung nach umfassender Bildung des Redners.45 Anders als der Römer sieht Vossius im Redner aber nicht auch zugleich den Staatsmann, denn Rede- und Staatskunst seien verschiedene Metiers: die eine beschäftige sich mit der Überredung, die andere mit dem öffentlichen Wohl und dem Zusammenleben der Menschen. Die letztere fällt also in den Bereich der Philosophie bzw. Ethik.46 In der Auffassung von der moralischen Aufgabe des Redners liegt Vossius auf der Linie Quintilians, wobei er jedoch nicht Redekunst und Moralität identifiziert, sondern - hier das Bemühen von Ramus um logische Differenzierung fortsetzend - rednerische Fähigkeit und moralische Anwendung trennt. »Gewiß, der Redner wird sträflich handeln, wenn er sie [die Redekunst] nicht zu dem Ziele gebraucht, zu dem sie von Gott bestimmt ist«, bemerkt Vossius. »Aber er wird indessen nicht aufhören, ein Redner zu sein, weil er diesen Namen nicht vom richtigen oder falschen Gebrauch der Kunst erhält, sondern aufgrund jener Fähig-

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42 43 44

Vgl.Arist. Rhet. I, 4-7 u. 11 sowie II, 2-11 und NE II, 4-5. Ebd. 1362 b 2 ff., 1366 b 1 ff., auch NE 1, 6. Vgl. Arist. NE 1094 a 27 ff. Lange [33] S.45. G. 1. Vossius: Rhetorices contractae sive partitionum oratoriarum libri V (Leipzig 1660) § 4,

S.3. Ebd. ~ 7, S.5. So die Schrift »De logices et rhetoricae natura ac constitutione libri II« (Den Haag 1658): vgl. Lange [33] S.46. 45

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IV. Strebensethische Eigenschaften des Redners

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keit, mit der er begabt ist.«47 Das Ziel des Redners sei nach Aristoteles nun nicht nur das Überreden, sondern auch »das Überreden zum Gerechten und Guten«. Auf das »Verhalten des Willens« (ratio voluntatis) komme es an, der sich das Gute zum Ziel setzen müsse.48 Die Moralität gehört also nicht zwangsläufig zum Redner, sondern kommt als frei gewählte Haltung zum technischen Kunstgebrauch hinzu und entspringt einer philosophischen Einstellung. Die Auffassungen von Ramus und Vossius sind bezeichnend für den Rationalismus, der noch im Humanismus entstand, eine Methode für die wissenschaftliche Erkenntnis suchte und daher auf Definitionen, Prinzipien und Analysen setzte.49 Doch vermochte das Bemühen um klare Unterscheidungen in der Auffassung vom Redner auch in Zukunft nicht das vir bonus-Konzept Quintilianischer Provenienz zu verdrängen; es begegnet uns weiterhin in den Rednerdefinitionen von Barock und Aufklärung. Die Positionen von Ramus und Yossius bereiten schon den Cartesianismus in der Rhetorik vor, der dann vor allem im aufklärerischen Rationalismus seine Wirkung entfaltete.so

IV Strebensethische Eigenschaften des Redners in der Sicht der Antike und des 17. bzw. 18. Jahrhunderts. 1. Glaubwürdigkeit als Resultat vorteilhafter Selbstpräsentation (1'jil-oc:;, ~thos) a) Aristoteles: Die ethische Funktion des ethos In der gegenwärtigen Rhetorikforschung versteht man unter dem rhetorischen ethos meist nur das in und mit der Rede erzeugte Charakterbild des Redners als technisches Instrument der Persuasion, ohne hier noch einen Bezug zur Ethik zu sehen. Dabei hat sich die rhetorische Überlieferung nie nur auf dieses technischneutrale Konzept beschränkt, sondern das ethos als charakterliche Haltung immer

47 Vossius jetzt nach »De logices et rhetoricae natura« [46] S.13 f., übers. von Lange [33] S.165, Anm 29. vgl. S.46. 48 G. 1. Vossius: Commentariorum rhetoricorum sive oratoriarum institutionum libri VI (Leiden 1620; ND Kronberg 1974) S.2f. Hier ist gegenüber Lange zu differenzieren, der sagt, Vossius habe das vir bonus-Postulat für den Redner ganz fallengelassen. Die Beziehung zwischen beiden wird nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenheiten logisch neu begründet. Vgl. Lange [33] S.45f. 49 Vgl. St. Otto (Hg.): Renaissance und frühe Neuzeit. Bd.3 von R. Bubner (Hg.): Gesch. der Philos. in Text und Darstellung (Stuttgart 1986) S.54 ff„ 172ff. 50 Vgl. A. Michel: De G. Vossius au P. Bernard Lamy: Rhetorique et Cartesianisme au XVIIe siede. In: Ars rhetorica. Antica e nuova (Genf 1983) S.121; Th. Conlcy: Rhet. in the European Tradition (New York, London 1990) Kap. 5, 6; G. E. Grimm: Von der >politischen< Oratorie zur >philos.< Redekunst. Wandlungen der deutschen Rhet. in der Frühaufklärung. In: Rhetorik. Ein internationales Jb„ Nr. 3 (1983) S. 79ff.

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Teil D · Ethik: Wertorientierungen rednerischen Handelns

auch zur Ethik als Lehre vom gelingenden Leben und zur Moralität als individueller Tugendhaftigkeit in Beziehung gesetzt.1 Erst von daher und nicht bloß vom technischen Aspekt aus wird die tatsächliche Tragweite des rhetorischen ethos für die Glaubwürdigkeit des Redners und damit für die Persuasion verstehbar. Aristoteles gilt als Kronzeuge für die rein technische Auffassung des ethos, und der Wortlaut seiner Ausführungen scheint das auch zunächst zu bestätigen. »Durch den Charakter also [erfolgt die Überzeugung]«, heißt es in der »Rhetorik«, »wenn die Rede so gehalten wird, dass sie den Redner glaubwürdig macht; denn wir glauben den Tugendhaften in höherem Maße und schneller - und zwar im Allgemeinen bei jeder Sache, vollends aber bei solchen Fällen, in denen es nichts Genaues, sondern geteilte Meinungen gibt. Dies muss sich aber durch die Rede ergeben und nicht durch eine vorab bestehende Meinung darüber, was für ein Mensch der Redner ist.«2 Das Rednererhos ist also nach Aristoteles nicht mit dem schon bestehenden Ansehen des Redenden in der Öffentlichkeit gleichzusetzen und daher auch nicht etwa als vir bonus-Qualität aufgrund tatsächlicher Moralität zu verstehen, da es sich nur in der Rede ausdrückt und allein für die Zuhörer akzeptabel sein soll.3 Dennoch ist es strebensethisch gesehen ein Gut und hat etwas Gutes an sich. Das zeigt die zweifache Bedeutung von griech. ethos: Gewohnheit, Sitte und Haltung, Charakter. Beides demonstriert einen Aspekt des Guten: einmal das Nicht-Anstößige, sozial Akzeptierte, dann die aus der sittlichen Gewohnheit entstandene Tugendhaftigkeit.4 Doch wo der (individuelle) Charakter in der Rede nur als gut erscheinen kann, sind die gezeigten Attribute von (allgemeiner) Gewohnheit und Brauchtum tatsächliche Güter: als Leistungen des geordneten Gemeinwesens, der kulturell und institutionell entfalteten Sittlichkeit der Polis, die das Leben erst lebenswert und damit menschlich macht.5 Den Güterstand des rhetorischen ethos bezeichnet Aristoteles denn auch als einen der Persuasionsfaktoren: »Weil aber die Überzeugung nicht nur mittels der beweisenden Rede, sondern auch mittels der charaktervollen Rede erfolgt - denn wir glauben dem Redenden, wenn er sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten scheint, dies aber ist der Fall, wenn er als gut oder wohlwollend oder beides erscheint - müssten wir Kenntnis von den einer je-

1 Vgl. dazu F.-H. Robling: Art. »Redner, Rednerideal« etwa zu Alkuin und Gottsched. In: HWRh Ed.VII, Sp. 939, 993 sowie den Artikel »Ethos« in HWRh Ed.II, Sp.1516ff. 2 Arist. Rhet. 1356 a 5-10 (Rapp) 3 Vgl. M. H. Wörner: Selbstpräsentation im »Ethos des Redners«. In: Zs. f. Sprachwiss. Bd.3 (1984) S.47. sowie Chr. Rapp: Aristoteles, Rhet„ 2. Halbbd. (Kommentar) (Darmstadt 2002) S.143f. 4 Vgl. J. Ritter: »Politik« und »Ethik« in der praktischen Philos. des Aristoteles. In: ders., Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel (Frankfurt/M. 1977) S.llOff.; E. Eggs: Die Rhet. des Aristoteles (1984) S. 92ff. Ethos hat im Griechischen außerdem noch eine dritte Bedeutung, und zwar »Ürt des Wohnens« (Ei'toc;), woraus »die dem Orte je eigentümliche Gewohnheit« entsteht. (Ritter S.110) Von hier ergibt sich die Verbindung zur Ethik als Lehre von den Lebensformen. s Vgl. Ritter [4] S.129 sowie Aristoteles, Politik 1253 a 1 ff.

IV. Strebensethische Eigenschaften des Redners

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den Verfassungsart eigentümlichen Charakterzügen haben; denn der jeder einzelnen [Verfassungsart] eigentümliche Charakter muss im Hinblick auf jede am überzeugendsten sein.«6 Die persuasive Kraft des &hos enthüllt sich in der Parallelität der Güter: dem Guten des Staates als sittlichem Lebensraum und dem Guten des Redners, welches neben der gezeigten (und möglicherweise auch existierenden) Tugendhaftigkeit das vorhandene Gut( e) des staatlichen Lebens reflektiert. Die These des Aristoteles, das ethos trage stärker und schneller, besonders in Zweifelsfällen, zur Glaubwürdigkeit bei, resultiert aus der Tatsache, dass die Tugendhaftigkeit selbst gewissermaßen stellvertretend die Glaublichkeit des vom Redner behandelten Sachverhalts >setztLonginLonginpolitischen< Oratorie zur >philosophischen< Redekunst. Wandlungen der deutschen Rhetorik in der Frühaufklärung. In: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch 3 (1983) S.65ff. Grimminger, Rolf: Einleitung zu ders. (Hg.): Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680-1789. Bd.3 von Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, hg. von R. Grimminger (München 21984) S.15 ff. Guthmüller, Bodo: Nicht länger schweigen. Moderata Fantes Dialog »II merito delle donne«. In: Paul Gerhard Schmidt (Hg.): Die Frau in der Renaissance (Wiesbaden 1994) S.157 ff. Habermas, Jürgen: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln (Frankfurt/M. 1983) S.53ff. - Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (Frankfurt/M. 21990). - Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu? In: ders., Erläuterungen zur Diskursethik (Frankfurt/M. 21992) S. 9ff. Hahn, Johannes: Der Philosoph und die Gesellschaft. Selbstverständnis, öffentliches Auftreten und populäre Erwartungen in der hohen Kaiserzeit (Stuttgart 1989) Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien Bd.7. Haj6s, Geza: Klassizismus und Historismus - Epochen oder Gesinnungen? In: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege Jg. XXXII (1978) H. 3/4, s. 98ff. Hambsch, Björn: Art. »Feldherrnrede«, in: HWRh III (1996) Sp. 225 ff. Hansen, Klaus P. (Hg.): Kulturbegriff und Methode. Der stille Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften (Tübingen 1993).

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PERSONENREGISTER

Abbt, Th. 152, 154f., 158 Adamietz, J. 212, 239 Adelung, J. Chr. 72 Adorno, Th. W. 47, 89-91, 94 Agricola, R. 91 Aischines 86, 114f., 117,224f. Alkibiades 223 f. Alkuin 87, 220 Alsted, J. H. 88, 174 Ambrosius 68-70, 234-236 Anaxagoras 232 Anaximenes von Lampsakos 39, 53, 63 Antiphon 46, 52, 62, 85f., 167, 223 Antisthenes 48f. Aristoteles 15 f., 21f.,30, 38-40, 42f., 52f., 55-61, 78f., 82f., 87, 91, 100-105, 109,111,113,122,131,137f.,154, 162f., 168, 170-172, 178, 181, 185f., 190, 194, 198-202,204,206,216-222, 226, 229-234, 236f., 241, 244, 248, 253-256,259,261 Arweiler,A. 214, 233 Auctor ad Herennium 27, 42f., 71, 87, 133,138,195 Augustinus 22, 47, 70, 87, 93, 124-132, 136,166,171,173,196,229,245,249, 260 Barner, W. 27, 86, 95, 240 Bartsch, E. 90 Baumgarten, A. 92, 184 Benjamin, W. 47 Bien, G. 79, 231 Bittner, S. 115 Blumenberg,H. 18,26,162-165,242 Bodmer, J. J. 180, 182 Boethius 71

Bollenbeck, G. 19, 75, 77 Bornscheuer, L. 164 Brecht, B. 11 Breitinger,J.J. 180-182 Brinton, A. 239 Bruni, L. 92f., 142f. Buchheim, Th. 51, 55 Caecilius von Kaleakte 86 Capperonnerius, C. 27 Cassirer, E. 25, 48-50, 54f., 113 Castiglione, B. 95, 144, 186f., 239f., 243f. Catilina 215 Cato d. Ä. 28, 30, 75, 110, 114, 117f., 123,131,133,137,160,186,211,213f., 227f., 261 Cereta, L. 143 Cicero 13, 15, 17, 19f.,22,26-32,35f., 42f.,64,71,75,80-84,87,92,95,109121, 123-126, 129-136, 138-140,142, 145-148,150-156,168,170,176-179, 181, 186, 191, 196,202,207-209,212, 214-218,226-229,232-237,239,241, 244,247-248,250,261 Classen, C. J. 226-228 Demosthenes 61, 63, 86, 114f., 117, 119f., 140, 150, 154 f., 168, 176, 224 f., 248 Descartes, R. 15, 25, 47, 56, 60, 148, 172, 175 Dilthey, W. 171 f. Dissof 16goi 37, 205f. Dockhorn, K. 16-18, 173 Eggs, E. 200, 221

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Personenregister

Erasmus 88, 153, 172 Ernesti, J. A. 88, 169, 176, 183 Ernesti, J. Chr. G. 27 Falkmann, Chr. F. 35, 73, 88 Fantham, E. 122 Fedele, C. 144 Fichte, J. G. 25, 34, 166, 262 Fuhrmann,l\1. 19,27,42,64,75-78, 109, 111,114,117,178,208,228 Gadamer, H. G. 18, 24, 59f., 208 Geitner, U. 185, 188, 190f.,241-243, 246 Georg von Trapezunt 216 Gerl-Falkovitz, H.-B. 162 Gesner, J. M. 88, 154 Goethe, J. W. v. 72, 77 f., 164 Gomperz, H. 50f. Gorgias 30, 37f., 43, 48, 52-55, 61, 96-98, 102, 104, 108f., 111, 116, 136, 170,202f.,205,225,243,259 Göttert, K. H. 20, 31, 187, 240-243, 247 Gottsched, J. Chr. 22, 72, 88, 91, 93, 148-153,156,159,174-176,179-182, 184,220,260 Gracchus, T. und G. 114, 141, 216 Gracian, B. 20, 187, 240, 242-245 Habermas, J. 14 f., 254 Hallbauer, F. A. 148, 153, 175, 188, 190 Harsdörffer, G. Ph. 91 Hegel, G. W. F. 50, 90, 254-256 Heidegger, M. 18, 79, 162 Heinze, J. M. 152-155 Hellwig, A. 38, 221 f. Heraklit 49, 113 Herder, J. G. 88, 152, 155-158 Hermagoras von Temnos 42f., 59, 195 Herodot 39, 116 Höffe, 0. 194, 229, 254

Homer 44-47, 150, 158f. Horaz 41, 81f.,91, 156, 181 Horkheimer, l\1. 47 Hugo von St. Victor 87 Hyperius, A. 93 Isokrates 63, 78-80, 82f., 86, 104-109, 113f.,119f.,150,168f.,202,206,211 Jaeger, W. 76 Jens, W. 199 Jesus 128 Johannes von Salisbury 91 Kant, 1. 15f., 19, 25, 28, 72, 95, 156-158, 160,166,182,188-190,194,199,229, 231, 241, 249-257, 261f. Keckermann, B. 88, 146f., 174 Kennedy, G. A. 123, 239 Kirchner, A. 221 Kleon 62, 102, 116, 224 Knape, J. 20-22, 27, 166 Koch, E. J. 159 Kopperschmidt, J. 13-15, 19, 164 Krämer, H. 16, 24, 194-196, 254, 257, 261 Landino, C. 209f. Lange, H. J. 146, 219 Lassalle, F. 262 Lausberg, H. 13 f., 17, 23, 27, 201 Leeman, A. D. 42, 150, 227 Lindner, J. G. 88, 183 Luther,M. 17,88,93f.,172-174 Lysias 86, 114, 118, 223 Mallinckrodt, A. 88 Martianus Capella 116 Melanchthon, Ph. 32, 72, 88, 93, 139f., 146,151,172f.,176 l\1euthen, E. 164 Morhof, D. G. 93

Personenregister

Müller, A. 33, 35 Müller, G. P. 149, 162 Neoptolemos 44 Niehues-Pröbsting, H. 58, 162 Nietzsche, F. 166, 241, 262 Notker der Deutsche 71 Odysseus 45-48, 50, 81 Oesterreich, P. L. 16, 18f., 162 Otto, St. 90, 135 Parmenides 48, 113 Paulus 127 f„ 130, 132, 176 Perelman, Ch. 15 Perikles 54, 97, 108, 114, 116, 203, 223f., 232 Petrarca 92, 95, 132-138, 140, 153, 171 Philodem 44 Platon 15, 22, 30f., 37-39, 48, 51, 53, 57 f., 63, 87' 96-100, 102, 104f., 108 f., 113,116,120,126,162f.,168,170,179, 197f., 202-206, 211, 222, 229, 232, 249, 255f., 261 Plett, H. F. 13 Plinius d. J. 67 f., 116 Plutarch 44, 119,213 Pollmann, K. 126 Protagoras 37,48-53,58,79,84-86,89, 99, 105, 116f., 123, 161, 163, 197 f., 205, 259 Ps.-Longinos 87, 119, 176, 178f., 181184, 188 Ptassek, P. 15 f., 22, 60, 100 Quintilian 17, 20, 22, 27 f., 31f., 36, 41--43, 87, 91f., 116, 119-124, 130, 138, 141f., 146, 152-154, 160, 166, 168-170,173,176-178,181,183, 185 f., 191, 212, 216-219, 226, 229, 237-239,248,261

299

Rahn, H. 121, 239 Ramus, P. 22, 146, 216-219 Rapp,Chr. 103,231 Reichardt, R. 25 f. Romilly, J. de 55 Rousseau, J.-J. 189f. Scaliger, J. C. 91 Schleiermacher, F. D. E. 59f. Schopenhauer, A. 166, 262 Schottländer, R. 228 Scipio 138, 214, 227 Seel, 0. 239 Seneca d. Ä. 116 Seneca d. J. 77, 120, 136, 229, 239, 244 Soarez, C. 88, 133, 138-140, 146 Sokrates 30, 48, 51f.,62, 97-99, 104f., 115f., 162, 170, 178, 197 f., 203 f., 242, 255 Solon 108, 225 Sophistik, Sophist 15 f„ 20, 22, 33, 36-39, 41-43, 45, 48-51, 53, 55 f., 58, 62f., 70f„ 76, 78f., 84f„ 89, 92, 94-100, 102-106, 109f., 113, 116f., 121, 123, 125, 127, 129, 149, 160, 162, 167, 170, 173, 179, 193, 195, 197 f., 205 f., 208, 211, 216, 222, 224 f„ 238, 243, 249, 251f.,256, 259, 261 Sprute, J. 221 Sulzer, J. G. 29, 72, 88, 182-184, 260 Symmachus 68 f. Tacitus 116, 150, 156, 244 Thales 203, 232 Theremin, F. 167 Thierry von Chartres 71, 87 Thomasius, Chr. 88, 95, 151, 246-249 Thukydides 46, 116, 167, 222-224 Till, D. 17, 25, 182 Ueding, G. 13, 22, 169, 187

300

Personenregister

Valla, L. 209 f. Varwig, F. R. 27, 122 Vergil 136, 212 Vico, G. B. 94 Vives,J. L. 139, 172,216 Volkmann, R. 158-160 Vollhardt, F. 242, 245f. Vossius, G. 1. 22, 72, 88, 172, 216, 218f.

Weise, Chr. 29, 88, 95, 151, 242, 245 f., 247 Welsch, W. 47 Westermann, A. 158 f. Wieland, Chr. M. 88, 179f., 182 Wilms, H. 105 Wolf, F. A. 158 f. Wolff, Chr. 25, 148, 150, 175, 256 Wörner, M. H. 222

Weber, M. 77, 89

Zedler, J. H. 243

BEGRIFFSREGISTER

actio 35, 71, 73, 88, 117, 140, 146, 186, 188,248 Affekte, Affekt 17-19, 56, 60, 115, 146f., 155, 178, 180f., 183, 185, 188, 190,218,222,226,236,247,252, 260 -, und Anthropologie 164 -, und decorum 234 -, und Kultivation 81 -, und Perspektive 57f. -, und Täuschung 250 -, undWillen 167-175,244 Anthropologie 16-19,21,28,45, 77, 89, 106, 143, 157f„ 161-164, 172, 174, 176,179f.,182,184,188,190f.,194, 200,242,244,250,252,260-262 aret~ 37, 84f., 100, 107, 197 ars 13f„ 20, 27, 31, 41, 71f„ 81, 87, 91, 111, 117, 121f.,143, 152, 217, 252 artifex 13, 41, 43, 70-72, 126, 217, 259 Ästhetik, ästhetisch 17, 25, 72, 76, 91 f., 106f., 113, 115, 120, 123, 129, 132134, 140, 145f., 149, 152f., 156, 158, 174, 176, 178, 180, 182-184, 186f„ 249-251,256 Aufgabe des Redners 28, 32, 37, 41f., 44,55, 125f., 134, 139, 146, 169, 195f., 216,218,247,259 Autorität, auctoritas 36, 50, 66, 69f., 117,123,128,131,139,148,153,208, 212,214,226 Barbarei 121, 186 Bildung 18-20, 22, 30, 36, 62, 75-78, 80f„ 84, 88, 90, 95, 104f„ 109f„ 115, 124-126, 134, 137, 141, 143f„ 148, 157f., 214, 218, 228, 234, 259, 261

Ciceronianismus 20, 28, 120, 125, 152f. consilium 121, 153, 166, 237 Darstellungsmetaphorik 116 decorum 31, 167, 194,232-236,238, 241,247 dein6tes 14, 167f.,224 Deklamation, Deklamatorik 35f., 71, 73,121,123,141 Demagoge, demagogisch 62, 211, 214, 224 Dialektik, Dialektiker 29f„ 44, 91, 96, 99, 102f„ 105, 113, 124, 146, 198f„ 216f„ 251f. Dichter 22, 29f., 44, 72, 81f., 86, 91f„ 95, 101,136-139,142,150,159,179-184, 205f. disertus 75, 110, 212, 228 dissimulatio 187, 241, 246 Disziplin, disziplinär 13 f., 21f.,30, 36, 38f.,41,73,103,110,148,161,163, 194,218,230f.,248,256 eik6s 20, 51, 53 Eklektizismus, eklektisch 109, 112-115, 126, 136, 183 eloquens 122f., 140 Enthusiasmus 175 f„ 178, 183, 188 Entscheidung 57, 67, 100, 123, 165-167, 170f„ 173, 199f„ 204, 211, 231, 233 Entwicklung und Begriffsgeschichte 25, 27f. Eristiker 99, 102, 105, 198 Erscheinen, Erscheinung 49, 51, 58, 61, 88,90,99,106,108,121,138,164,185, 187,198,226,231,234,236,243,251

302

Begriffsregister

Erziehung 19, 22, 36f., 76f., 84f., 96, 105, 107f„ 115, 123, 141, 143, 179, 188, 260 Ethik 14-16, 21f.,28, 31, 39, 44f., 53, 56f.,83,96,100,110,115,124, 131, 140,153,160,187,191,259-261 - und Anthropologie 163, 191 - und decorum 234 - und Handeln 193-198 - und Kultur 77f., 107f., 202 - und Moralität 21 f.,227f. - und Persuasion 21, 30, 220f. ethos 16, 21 f., 30, 53, 75, 78, 98, 100, 108,131,185,194,219-222,224,226, 229,234,236 Eudaimonielehre 201f.,218 Geisteswissenschaften 90 Geistes- und Kulturwissenschaften 24, 77 Gelehrter, Gelehrsamkeit 16, 32, 93, 95,125,137,142,144,148,151,214, 243,256,262 Gemeinschaft 16, 36, 80, 83, 108, 200, 202, 204, 206, 209f., 231-233, 238, 244,247,255,261 Gemeinschaftsleben 108, 202, 209, 231 Gemeinsinn 207-210, 215, 256, 261 Gemeinwohl 207-210, 212, 214f., 227, 229,261 Genie 156, 177, 179-180, 182-184 Genieästhetik 29, 156, 176f., 260 Gerechtigkeit, gerecht 97, 101, 197f., 214, 232f., 235, 245, 247 Geschichtsschreiber 91 f., 95, 116, 150, 179 Gespräch 20, 31, 37, 46, 59, 61f., 78, 83, 92, 96f., 99, 144f., 150, 170, 186, 197f., 203,210,234,240,260 Glauben 17,69f., 96f., 103, 125f., 131, 140,144,170,208,221,235 Glaubwürdigkeit 28, 35, 40, 52, 59, 100,

186-188,190,198,204,212,219-221, 226,229,261 Grammatiker, grammaticus 44, 126, 142 Gut, Gutes; Gute, das 39, 70, 78, 81-83, 97f., 100, 108, 125f., 132, 142, 163, 166, 171-173, 175, 195-202,204-206, 208-210, 215, 218-222, 229f., 232, 235-238, 241, 246-248, 252, 255f., 259 Handeln, Handlung, Handlungsbegriff 14-16, 21-23, 38 f., 71, 83, 89, 98, 105f.,108, 116f., 124, 135,138,149,163,165,171,173,187, 189, 193-196, 199f., 202, 204f., 209, 221,233,237f.,252-256 -, und Kultur 75 -, und Natur 184 -, und Subjektivität 44-46, 48, 51, 53, 56f., 59 Hermeneutik, hermeneutisch 24, 26, 59f. Historiker 92, 142, 159 Historismus 24, 152, 157-159, 259 Hofdame 144f., 260 Höflichkeit 246 Hofmann 16, 20, 22, 29, 32, 95f., 144f., 186-188, 190, 239 f., 243 f., 260 f. humanitas 115, 135 imitatio 13, 27, 86f., 89, 117f., 122, 127f., 132,136,138,147,153,162,190 iudicium 114, 117, 121, 166, 177, 237 irrationalistisch 17, 182, 184, 260 kair6s 20, 106, 204-207 Kanon, kanonisch 19, 26-28, 78, 85 f., 109, 114f., 119f., 126, 138f., 147, 150, 158,259 Kardinaltugenden 229, 232f., 236, 253 Klassizismus, klassizistisch 36, 86, 121, 148, 150-153, 155, 157, 159f., 162

Begriffsregister

Klugheit 20, 28, 46, 80, 100, 103, 106, lll,185,187,198,207,224,226f., 229-248,252-254,261 Kommunikation, Kommunikationsforschung 14f., 20f., 33-36, 60, 63, 92f., 199 Kompetenz 36, 56, 95, 146, 228, 254, 259 Komplimente 246 Können 30,36,40,47, 103, 119, 129, 168,184,195,197,244,260 Körpersprache 36 Kultivation 77-80, 82, 84f„ 114f„ 121f„ 259 Kultur 18f., 22, 75-85, 89-91, 121-123, 126,151-153,157,172,189,210,216, 228 - als Soziokultur 94-96, 104, 143 - und Anthropologie 162-164 - und Ästhetik 107, 115, 134 - und Ethik 77f„ 107, 115, 193, 202 Kulturanthropologie 143, 158, 162 Kulturentstehungslehre 79f„ 89, 151, 163,202 Kunst 16, 18f„ 30, 38-43, 53, 55f„ 59, 71-73, 79, 87, 98f„ 101, 116f„ 121f„ 152,164,176-178,183-187,195,202, 217 f„ 242 f„ 249-251, 259 f. kunstextern, kunstintern 30, 91 Künstler 29,39,41, 72, 182-184 Lebenswelt, lebensweltlich 18, 21f.,28, 162, (202), 254 Lehrer 27, 32, 38, 41, 51, 70f„ 83, 85, 94f.,97,99,102,104f.,109,118,125, 128,132,137,142,181,242 Literatur 13, 50, 81, 107, 116, 130, 142, 145,155 Lüge 53, 163, 203, 229, 230f„ 237-239, 246, 253f. Manipulation 195

303

Meisterschaft im Kunstgebrauch 13, 43,71,102 Moral 14, 193f.,221,241,244,249,252, 254 Moralität 16,21,82, 110, 120, 149, 186, 214,218,239,246,252,255-257,261 -, und Ästhetik 134 -, und iithos 219-222, 226-228 Moralphilosophie 132, 142, 172, 194 f„ 197,231,254 Moralprinzip 201, 228 f., 255, 260 Mündlichkeit, mündlich 32-34, 60, 63, 130, 135, 159 Mythos, mythisch 45, 47, 50, 54f„ 81 f„ 108,134,170,205 Nachahmung, Nachahmungspostulat 27, 34, 48, 84-87, 91, 95, 108f„ 114, 118, 124, 127-129, 135, 153, 156f„ 160, 177, 181,183,259 Nachahmung zwischen Kunst und Naturtrieb 122, 125 f. Natur 14, 18 f„ 48, 54, 76-82, 85, 98, 101, 105,115,121f.,145,158,161f.,164, 172, 174-181, 183f., 187-190,200, 202, 208, 210, 215 f„ 246 f. natura 14, 27, 87f., 122, 143 natura-ars 13f„ 19, 27, 87, 143, 162 Naturanlage 13, 81, 84-86, 89, 91f„103, 106, 121f„157, 188, 259 Natürlichkeit 18,28,33, 121, 161, 164, 184-191,241,260 Nutzen, Nützlichkeit, Nützliches 59, 82f„ 97, 136, 153, 172, 200-202, 204, 206, 210, 223, 228, 230, 232f„ 237-239, 241f„245 oratrix 141 Patron, patronus 66, 123, 211-214, 227f.

304

Begriffsregister

peith6 38f., 41, 54, 169, 177, 195 Performanz, performativ 30, 103 Perspektivität, perspektivisch 16, 45, 48,58,103,161,197f.,200,259 Persuasion 11, 14-17, 19, 21f.,28, 30, 41, 43f., 52-54, 59, 82, 93, 101, 103, 112, 126, 146f., 161, 165-167, 169f., 175, 177, 184, 193, 195 f., 200f., 205, 218-220, 226, 232, 247, 259, 261 f. Pflicht, Pflichten 42f., 63, 68, 71, 139, 147, 167, 195f.,211,213,231-233, 235 f., 252f., 255, 259 phantasia 178 Philosoph 44, 84, 92-95, 103, 112, 134136, 163, 204, 209, 217, 250f., 256 poeta 13, 93, 137, 262 praecepta 27 Prediger 88,93,125-128,130-132,139, 154 prudentia 111, 227, 237, 240, 249 Psychologie 45, 89f., 99, 166, 181, 260 Quellenmaterial 23-26, 38, 90, 117, 259 ratio und oratio 77, 83, 140, 152 Rationalismus, rationalistisch 60, 148f., 151,174-177,179-181,184,216,219, 260 Rationalität 45, 47f. Rednerrollen 31, 35, 63, 142f. Rekonstruktion 16, 21, 23-26, 133, 159, 195 rhetor 70f, 140, 228 Rhetorikbegriff, integrativer 30 Schauspieler 11, 35 f., 101, 111, 132, 170, 185,188f.,225f.,243 Schein 52f., 61, 97, 99, 102, 104, 149, 187-189, 198, 222, 243, 248f., 251, 254,259 Schriftlichkeit, schriftlich 32-34, 41, 63, 67,69,125

Schulrhetorik, schulrhetorisch 13, 23, 25-27' 32, 36, 41-44, 64, 70, 73, 86 f., 89, 93f., 105, 111, 118, 125, 127, 153, 158f., 162, 169, 173, 175, 177f., 180, 184, 188, 232 Sittlichkeit 64, 145, 212, 220f., 227f., 236,252,254-256,261 Sollensethik 194f., 261 Strategie, strategisch 14f., 17, 21 f., 28, 45,59,103,116,169,185,190,233,240 Strebensethik 194-197, 242, 245 Subjektivität 16, 22, 28, 44f., 47f., 50f., 53-56, 59f., 90, 103, 106, 111, 129, 145f.,161,165-167,193,197,200, 208,238,250-252,255,259 Synkrisis 118 Täuschung 53, 98, 101, 187, 223, 228, 234, 237-239, 242f., 251 Technik, Techniker 15, 22, 27, 28, 29f., 36, 37, 39, 42, 44, 52f., 70, 71f., 73, 75, 91,96,97, 100, 105, 109, 130, 140, 146, 148,161,180,205,218,221,237,241f., 259,262 technit~s 36, 39, 70, 259 technologia 27 Tüchtigkeit 37, 39f., 84, 116, 197, 204 Tugend, Tugendhaftigkeit 13, 28, 39, 44, 46,92,97f.,100f.,107,118,123,l36138,162, 167,172,174,178,185, 190f., 198, 213 f., 217 f., 220 f., 225-227' 229-233, 235 f., 238, 241-245, 248 f., 252-254 Überredung, überreden 13, 38-40, 43, 55,78,101,131,164,174,177,179, 195f.,218f.,223,249f. Überzeugung, überzeugen 15, 38, 40, 42f., 52, 55, 57 f., 70, (91), 98-102, 106, 108,112,123,126,137,149,169,177, 185, 187, 195f., 199-201, 213, 220f., 223,249,259

Begriffsregister

Unterricht 19, 38, 50, 56, 76, 85 f., 105, 109, 122, 139, 213 utile 233, 235f., 241 Utilitarismus, utilitaristisch 84, 201, 206,241 Veränderung, Verwandlung 57 f., 243 Vernunft 39, 47, 79, 82f., 98, 133, 140, 152, 157, 166, 172f., 180f., 183,203, 222,229,233,249-253,257,260 Verstand 148, 166, 169, 174f., 182f., 199,229,231,243,250,256 vir bonus 13 f., 20, 22, 28, 30, 68, 75, 78, 110, 123f., 126, 131, 133, 138, 147,

305

149,152,160,186,190,211,213-217, 219f., 226-229, 239, 261 f. virtus, virtutes 13, 111, 116, 123, 213 f. vis dicendi 14 vis oratoris 14, 167 voluntas 147, 169 Wahrscheinlichkeit 20, 51-53, 149 Wille, Wollen 17-19, 28, 50, 57, 66-68, 106,112,134,147,149,161,165-175, 177, 182, 195,200,229,235,244,252, 255,260 Wirklichkeitskonstitution 45, 161