Resonanzen: Neurobiologie, Evolution und Theologie: Evolutionäre Nischenkonstruktion, das ökologische Gehirn und narrativ-relationale Theologie [1 ed.] 9783666570469, 9783525570463

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Resonanzen: Neurobiologie, Evolution und Theologie: Evolutionäre Nischenkonstruktion, das ökologische Gehirn und narrativ-relationale Theologie [1 ed.]
 9783666570469, 9783525570463

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Religion, Theologie und Naturwissenschaft / Religion, Theology, and Natural Science

Herausgegeben von Christina Aus der Au, Celia Deane-Drummond, Agust n Fuentes, Jan-Olav Henriksen, Antje Jackel n, Markus Mühling und Ted Peters Band 30

Vandenhoeck & Ruprecht

Markus Mühling

Resonanzen: Neurobiologie, Evolution und Theologie Evolutionäre Nischenkonstruktion, das ökologische Gehirn und narrativ-relationale Theologie

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 13 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-4581 ISBN 978-3-525-57046-3 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften 1.1 Gewissheiten in den Naturwissenschaften und in der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Naturwissenschaften und Theologie . . . . . . . . . . . . 1.3 Zwei regulative Prinzipien: etsi deus non daretur – etsi mundus non daretur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Der Kern und die Peripherie . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Entheoretisierung und Extheoretisierung . . . . . . . . . 1.6 Der interdisziplinäre Dialog als interreligiöser Dialog . . 1.7 Öffentliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Metaphern, Modelle und Mythen . . . . . . . . . . . . . 1.8.1 Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.2 Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.3 Mythen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.4 Theologische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Erfahrung und Wahrnehmung – Epistemologie in den Neurowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Neurokonstruktivistisch-repräsentationalistischer Dualismus in den Neurowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Repräsentationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Modularität und Modularismus . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Neurokonstruktivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Mythischer, idealistischer Dualismus . . . . . . . . . 2.1.5 Phänomenale Naivität . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6 Kausaler Atomismus und die Externalität von Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.7 Individueller Intellektualismus, die „Theory of Mind“ und die „Social Brain Hypothesis“ . . . . . . . . . . . 2.1.8 Reduktionistischer Naturalismus . . . . . . . . . . . 2.2 Probleme des neurokonstruktivistischen-repräsentationalen Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Aufgabe des Repräsentationalismus . . . . . . . . . . 2.2.1.1 Ökologische Subjektivität . . . . . . . . . . . 2.2.1.2 Bedeutungsexternalismus . . . . . . . . . . . 2.2.1.3 Aktiver Externalismus . . . . . . . . . . . . .

6

Inhalt

2.2.1.4 Begriffliche Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . Aufgabe des Modularismus . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabe des Neurokonstruktivismus . . . . . . . . . . Aufgabe des idealistischen Dualismus . . . . . . . . . . Aufgabe der phänomenalen Naivität – die Bedeutung der Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Aufgabe des Dogmas des kausalen Atomismus, dass alle Relationen extern seien . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Aufgabe des individualistischen Intellektualismus, der „Theory of Mind“ und der „Social Brain Hypothesis“ . 2.2.8 Aufgabe des dogmatistischen reduktionistischen Naturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das ökologische Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Der Leib als Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Ökologische Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Wirkkausalität, Formalkausalität und zirkuläre Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Dynamische Fähigkeiten, offene Schleifen und Bildungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Das Gehirn im Rahmen des vertikalen Funktionskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Das Gehirn im Rahmen des horizontalen Funktionskreises und das ökologische Verständnis von Wahrnehmung und Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . 2.3.7 Das basale Selbst und das personale Selbst . . . . . . . 2.3.8 Implizite Theologie in Fuchs’ Konzeption . . . . . . . .

2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5

2.3

3. Die Erfahrung göttlicher Selbstgabe – theologische Epistemologie 3.1 sola experientia? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Eine basale Frage theologischer Epistemologie . . . . . . . . 3.2.1 Offenbarung und Vernunft? . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Cognitive Sciences of Religion und Neurotheologie . 3.2.3 Die Möglichkeit des Glaubens . . . . . . . . . . . . . 3.3 Offenbarung und Erfahrung – Das Ausgangsmodell . 3.4 Probleme des Ausgangsmodells im Lichte der Neurowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Absichtlichkeit wahrnehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Glaube beschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1 Glaube und semantischer Externalismus . . . . . . . 3.6.2 Glaube und aktiver Externalismus . . . . . . . . . . . 3.6.3 Glaube und ökologische Subjektivität . . . . . . . . . 3.6.4 Glaube als begriffliche Erfahrung . . . . . . . . . . . 3.6.5 Glaube und das basale Selbst . . . . . . . . . . . . . . 3.6.6 Glaube und das personale Selbst . . . . . . . . . . . .

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. 93 . 93 . 98 . 98 . 100 . 105 . 106 . . . . . . . . .

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Inhalt

3.7

Offenbarung und Erfahrung – das Zielmodell . . . . . . . . . 3.7.1 Die Struktur narrativer Identität . . . . . . . . . . . . . 3.7.2 Religiöse Erfahrungen, Erschließungserfahrungen und Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Drei resonierende Geschichten und zwei Arten von Handelnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9 Die Selbstpräsentation des dreieinigen Gottes . . . . . . . . . 3.10 Wahrheit als Resonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.1 Wahrheitsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.2 Problemgeschichte der Wahrheitstheorien . . . . . . . 3.10.3 William James’ Wahrheitsverständnis . . . . . . . . . . 3.10.4 Wahrheit und Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . 3.10.5 Auf dem Weg zu einem theologischen Wahrheitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.6 Eine theologische Resonanztheorie der Wahrheit . . . .

4. Evolution als Niche Construction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Einige Kennzeichen des Neodarwinismus . . . . . . . . . . . . 4.3 Merkmale des Neodarwinismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Probleme des Neodarwinismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Nischenkonstruktion als erweiterte Evolutionstheorie . . . . . 4.5.1 Die Grundidee der Nischenkonstruktion . . . . . . . . 4.5.2 Definitionen, Kategorien und Prinzipien der Nischenkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Modelle der Populationsentwicklung . . . . . . . . . . 4.5.4 Die Entwicklung von Homo und Paranthropus . . . . . 4.5.5 Neodarwinismus als eine Abstraktion einer erweiterten Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Merkmale der Nischenkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Aufgabe des verborgenen Repräsentationalismus . . . . 4.6.2 Aufgabe des verborgenen Dualismus . . . . . . . . . . 4.6.3 Aufgabe lokalisierter Information . . . . . . . . . . . . 4.6.4 Interne Relationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.5 Die Ergänzung um formative Kausalität . . . . . . . . . 4.6.6 Gene als offene Schleifen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.7 Resonanzen anstelle von Adaptionen . . . . . . . . . . 4.6.8 Gibt es semantische Information in der Evolution? . . . 4.6.9 Und die Phänomenologie? . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.10 Gibt es eine Teleologie in der Evolution und warum streitet man sich in der Öffentlichkeit beständig darüber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Implizite Theologie in der Theorie der Nischenkonstruktion .

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Inhalt

5. Das dreieinige Leben, Nischenkonstruktion und Nischenrezeption . 5.1 Die vorausgesetzte Gotteslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Ein narrativer Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Liebesgeschichte Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Die Eigenschaften des relationalen Wesens Gottes . . . 5.2 Die vorausgesetzte Lehre der Beziehung Gottes zur Welt . . . . 5.2.1 Schöpfung und Vollendung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Menschen und andere geschaffene Tiere . . . . . . . . 5.2.3 Inkarnation und der erste Teil der Zurechtrückung . . 5.2.4 Die Konkarnation und der zweite Teil der Versöhnung . 5.2.5 Eigenschaften Gottes in Bezug auf die Welt . . . . . . . 5.3 Theologische Erwartungen an die Biologie . . . . . . . . . . . 5.4 Glaube als Nischenkonstrukteur – Die ekklesiologische Bedeutung der Nischenkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Schöpfung und Vollendung als Nischenkonstruktion . . . . . 5.5.1 Illingworth, Teilhard de Chardin und Theißen als Nutzer evolutionär-theologischer Modelle . . . . . . . 5.5.2 Gegenwärtige und eschatische Realität als Nischenkonstruktion und -rezeption . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . These 1: Der Resonanzbegriff ersetzt den Repräsentationsbegriff. Offenbarung ist Wahrnehmung. . . . . These 2: Religiöse Erfahrung ist keine außergewöhnliche Erfahrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . These 3: Interner Externalismus ist ein wichtiger, epistemologischer Schlüssel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . These 4: Evolutionsbiologisch ersetzt Nischenkonstruktion und -rezeption rein adaptionistische Evolutionsverständnisse.. These 5: Naturphilosophisch ist der Begriff der Wirkkausalität zu erweitern, aber nicht durch Teleologie. . . . . . . . . . . . . These 6: Der dreieinige Gott ist der letztgültige „Nischenkonstrukteur“ und die letztgültige „Umwelt“ der Schöpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . These 7: Der theologische inter- und transdisziplinäre Dialog bringt mindestens sechs Vorteile mit sich. . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

Vorwort Diese deutsche Fassung des ursprünglich in englischer Sprache verfassten Buches beschäftigt sich mit verschiedenen fruchtbaren Resonanzen zwischen Theologie und Biologie und versucht damit die eminente Bedeutung des interdisziplinären Dialogs an thematischen Beispielen aufzuweisen, indem es Themen der Hirnforschung und der Evolutionsbiologie in ihrer Bedeutung für die theologische Epistemologie und für die theologische Systembildung untersucht. Das Hauptanliegen des Buches ist ein theologisches, indem es eine Theorie der Offenbarung als Wahrnehmung der Selbstpräsentation Gottes vorlegt und ein Modell des relational-narrativen Handelns Gottes an der Welt mithilfe evolutionärer Modelle zu beschreiben sucht. Um dies ermöglichen zu können, ist das Buch folgendermaßen aufgebaut: Kapitel 2 beschäftigt sich mit Fragestellungen der Erfahrung im Rahmen der Hirnforschung und zeigt, dass eine repräsentationalistische Sicht von Gehirnprozessen nicht in der Lage ist, zufriedenstellend menschliche Wahrnehmung zu erklären. Vielmehr bedarf es dazu eines ökologischen Modells des Gehirns, das Erfahrung als Resonanz in einem Funktionskreis zwischen Gehirn und Umwelt versteht, ohne dass es zwischen den Relaten scharfe Grenzen gäbe. Kapitel 3 als theologisches Kapitel beschäftigt sich mit Fragestellungen theologischer Epistemologie in Entsprechung zu Kapitel 2. Es wird gezeigt, dass Offenbarung immer im Modus von Erfahrung erkannt wird, die in, mit und unter jeglicher Alltagserfahrung stattfindet und nicht auf spezifische und besondere Orte, Zeiten oder Gemütszustände beschränkt werden kann. Indem nun die Einsichten des phänomenologischen Zugangs zur Hirnforschung auch auf die Glaubenserfahrung angewandt wird, wird gezeigt, dass Glaube keineswegs als Interpretation von etwas zuvor Gegebenen verstanden werden darf, sondern als Wahrnehmung der Selbstpräsentation Gottes aufgefasst werden muss. Im Unterschied zur ursprünglichen englischen Fassung schließt dieses Kapitel mit einer Ergänzung, die sich mit der Wahrheitsfrage befasst (3.10), die im Original nicht behandelt wurde. Während sich die Kapitel 2 und 3 mit epistemologischen Fragestellungen befassen, bilden die Kapitel 4 und 5 den materialen Gehalt eines evolutionären Modells. Kapitel 4 beschäftigt sich dabei mit dem gegenwärtigen Stand der Evolutionstheorie. Es wird gezeigt, dass die Evolutionstheorie als Theorie der biologischen Veränderung der Welt sich nicht auf die klassische „neodarwinistische“ moderne Synthese beschränken darf, wenn sie phänomengemäß sein will, sondern dass es dazu einer erweiterten Evolutionstheorie bedarf.

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Vorwort

Eine solche hat den versteckten Adaptionismus der klassischen Theorie aufzugeben, was mithilfe verschiedener Theorien geschehen kann. Unter diesen fokussiert das Kapitel auf die Theorie der Nischenkonstruktion. Entsprechend dem Wechsel von einer repräsentationalistischen Sichtweise des Gehirns hin zu einem ökologischen Verständnis des Gehirns findet sich auch hier ein Wechsel von einem einseitigen Verhältnis zwischen Population und Umwelt hin zu einem wechselseitigen. In beiden Fällen, d. h. in der Hirnforschung wie in der Evolutionsbiologie, lässt sich somit ein paradigmatischer Wechsel von nur externer oder unwesentlicher Relationalität hin zu konstitutiver oder interner Relationalität beobachten. Kapitel 5 als theologisches Kapitel liefert ein Modell sowohl der Gotteslehre als auch der Beziehung Gottes zur Welt mithilfe dieser neuen Einsichten der Evolutionsbiologie. Kapitel 1 beschäftigt sich mit einigen Grundfragen zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften. Seine Ergänzung stammt direkt aus den Erfahrungen mit den Kolleginnen und Kollegen am Center of Theological Inquiry, Princeton (CTI) aus unterschiedlichen naturwissenschaftlichen und theologischen Disziplinen, die mich überzeugten, dass solche einleitenden Bemerkungen hilfreich sein könnten. Wer sich für diese metadialogischen Fragen weniger und für die materialen Fragestellungen mehr interessiert, dem sei der Einstieg bei Kapitel 2 empfohlen. Mit „Resonanzen“ ist mindestens zweierlei gemeint: Einerseits bezieht sich der Resonanzbegriff auf die resonierenden Relationen der verschiedenen Funktionskreise, die in diesem Buch eine große Rolle spielen. Andererseits bezieht sich der Begriff auch auf die tatsächlich in den Diskussionen zwischen Theologie und Naturwissenschaften erscheinenden Resonanzen, wie ich sie am CTI erleben durfte und die nicht nur die kontinuierliche Fachdiskussion betreffen, sondern auch das gemeinsame Leben während dieser Zeit. Zu dieser Forschergruppe, die sich mit Fragen von „Evolution and Human Nature“ beschäftigt haben, gehörten Jan-Olav Henriksen, Nicola Hoffard-Creegan, Eugene Rogers, Conor Cunningham, Aku Visala und Celia Deane-Drummond sowie Agust n Fuentes, Lee Cronk, Richard Sosis, Hillary Lenfesty und Dominic Johnson. Die optimalen Lebens- und Arbeitsbedingungen wurden vom Direktor des CTI William Storrar sowie vom Forschungsdirektor Robin Lovin bereitgestellt und ihren Mitarbeiterinnen Shirah Brown und Carlee Brand. Dem CTI sei auch für das vorzügliche Houston Witherspoon Fellowship gedankt, mit dem meine Forschung unterstützt wurde. Christiane Tietz, Wolfgang Drechsel, Verena Schlarb und Christoph Schwöbel haben unschätzbare Dienste in der Vorbereitung meines Forschungsaufenthaltes geleistet. Martin Wendte, David Gilland sowie Franziska und Philipp Stoellger waren in unterschiedlicher Hinsicht sehr große Hilfen zu Hause während meiner Abwesenheit von Deutschland. Dank gebührt auch Niels Henrik Gregersen, Wentzel van Huyssteen und Robert W. Jenson, die Teile meiner Forschung mit mir besprochen haben und mich in unterschiedlicher Weise zu Richtungsent-

Vorwort

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scheidungen dieses Forschungsprojekts angeregt haben. Besonderer Dank gebührt aber Agust n Fuentes, dessen eigene Forschung mich zur Integration von Kapitel 4 angeregt hat und der nach Lektüre des Manuskripts in zahlreichen biologischen und philosophischen Fragestellungen unschätzbare Kritik und Verbesserungsvorschläge geleistet hat. Auch Ken Oakes gebührt Dank für substantielle Verbesserungsvorschläge. Charlotte Worreschk, Jaana Valve und Jessica Fleischer sei für die mühsame Arbeit des Korrekturlesens und für die Erstellung des Registers gedankt. Für die wie immer reibungslose Arbeit im Zusammenhang der Veröffentlichung waren Jörg Persch und Moritz Reissing von unschätzbarem Wert. Besonderer Dank jedoch geht an meine Frau Anke, die nicht nur meine Abwesenheit in Princeton akzeptiert, sondern mich in entscheidender Weise zur Arbeit an diesem Forschungsprojekt ermutigt hat. Dezember 2014

Markus Mühling

1. Der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften Was bedeutet Theologie? Und was kennzeichnet die Naturwissenschaften? Wie ist ihr Verhältnis zu bestimmen und in welchem Sinne kann man von einem Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften sprechen? Diese und verwandte Fragen sollen in diesem einleitenden Kapitel besprochen werden.

1.1 Gewissheiten in den Naturwissenschaften und in der Theologie Der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften hat eine lange Tradition. Von Anfang an ist dieser Dialog durch unterschiedliche Ausgangspunkte, unterschiedliche Motivationen und Absichten, unterschiedliche Wissenschaftsgemeinschaften und -institutionen gekennzeichnet. Heute sind nicht nur bestimmte materiale Fragen, die jeweils aus den Naturwissenschaften oder der Theologie stammen, Gegenstand dieses Dialogs, sondern auch die Geschichte dieses Dialogs und metadialogische Fragen, wie der Austausch zu führen ist – also Fragen über die Motivation, die Mittel und die Ziele des Gesprächs sind zum Dialoggegenstand geworden. Teilweise haben dabei diese metadialogischen Fragen interdisziplinärer Epistemologie in einem Maße an Gewicht gewonnen, dass der Dialog mitunter eher als eigene Disziplin erscheint denn als ein Unternehmen, das von verschiedenen Disziplinen geführt wird. Dabei sind einige Tugenden und Laster involviert: Von Vorteil ist, dass es einen hohen Standard an Interdisziplinarität und ein Bewusstsein gibt, dass kein Wissenschaftler die Dialogmittel selbst erfinden müsste. Allerdings bringt diese hohe Spezialisierung auch Gefahren mit sich – die Gefahr, die materialen Themen und Probleme in den Hintergrund zu stellen. Um diese Gefahr zu vermeiden, wird das vorliegende Buch keine Einführung in den hochspezialisierten Dialog, seine Geschichte, Methoden und Folgefragen geben.1 Dieses einführende Kapitel soll lediglich einige methodologische Fragen klären, um die späteren, inhaltlichen Kapitel zu entlasten. Im englischsprachigen und in den letzten Jahren auch zunehmend im deutschsprachigen Kontext hat die von Ian Barbour2 vorgeschlagene Klassifi1 Eine gute Einführung in die Geschichte des Dialogs ist Schwarz, H., 400 Jahre Streit um die Wahrheit; eher thematisch orientiert ist Barbour, I.G., When Science Meets Religion. Detailliert auf Spezialprobleme bezogen ist Losch, A., Jenseits der Konflikte. 2 Vgl. Barbour, I.G., Religion and Science, 77–105.

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Der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften

kation von dialogischen Modellen – die des Konflikts, der Unabhängigkeit, des Dialogs und der Integration – oft den Rang eines standardisierten Ausgangspunkts gewonnen. Allerdings ist auch diese Typologie nicht ohne spezielle materiale Interessen entworfen. Sie ist abhängig von der Auffassung ihres Autors, dass es sich bei Theologie und den Naturwissenschaften um zwei Pole eines Spektrums handelt, in dem es um gemeinsame Methoden der Modellbildung geht, dass die Prozessmetaphysik hilfreich ist und dass die Integration beider Felder das mehr oder weniger erstrebenswerte Ziel darstellt.3 Auf Seiten der deutschsprachigen Tradition wird hingegen in stärkerem Maße die Geschichte einer relativ scharfen Unterscheidung, wenn nicht sogar mitunter Trennung zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften vorausgesetzt. Zwar dürften beide Ausgangspunkte eine particula veri enthalten, keine stellt aber für sich den Königsweg dar. Daher sei hier ein dritter Weg vorgeschlagen, ausgehend von einer phänomenalen Betrachtung des Handlungsbegriffs. Was immer Naturwissenschaftler oder Theologen in ihrer akademischen Arbeit machen mögen, klar ist, dass sie überhaupt etwas tun. Daher ist anzunehmen, dass im Phänomen und Begriff des Handelns ein gemeinsamer Ausgangspunkt für einen Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften gefunden werden kann, der so wichtig ist, dass er den Dialog erfordert. Ohne den Dialog würde Theologie weniger theologisch und mehr obskurantistisch werden. Und ohne den Dialog würden die Naturwissenschaften weniger wissenschaftlich und mehr szientistisch – und damit ebenfalls obskurantistisch – werden. Dennoch möchte ich an dieser Stelle weder eine umfassende Analyse des Phänomens oder des Begriffs des Handelns vorstellen, sondern dafür auf andere Publikationen verweisen.4 Für den Zweck dieses Buches ist es ausreichend zu wissen, dass etwas zu tun – neben anderen Dingen – immer spezifische Arten von Gewissheiten voraussetzt. Gewissheiten sind eine besondere Form praktischen Wissens, eine besondere Form von Überzeugungen oder Glaubensannahmen. Ein Beispiel möge dies verdeutlichen: Um ein Buch schreiben zu können, muss ich neben anderen Dingen wissen, (a) um welchen inhaltlichen Gehalt es sich handelt, der expliziert werden soll, (b) wie man tippt, (c) wie eine Bibliothek zu benutzen ist, (d) wo mein Büro liegt und (e), dass es sinnvoll ist, dieses Buch zu schreiben. Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass es Kennzeichen dieses praktischen Wissens gibt, die oft übersehen werden. Dennoch sind sie wichtig für den Begriff der Gewissheit: Erstens: Keine der Überzeugungen a–e ist infallibel. Wissenschaftler irren sich manchmal hinsichtlich dessen, was als Fakt angenommen wird und hinsichtlich der Erklärungen, die dafür gegeben werden. Autoren mögen sich auch manchmal darüber täuschen, ob ihr Forschungsprojekt tatsächlich sinnvoll ist. 3 Vgl. Barbour, I.G., When Science Meets Religion, 37 f, Barbour, I.G., Religion and Science, 106–136, und zur Analyse vgl. Losch, A., Jenseits der Konflikte, 70–81. 4 Vgl. M hling, M., Ethik, 12–33.

Gewissheiten in den Naturwissenschaften und in der Theologie

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Gewissheiten sind keine Sicherheiten, sondern stets fallibel. Der Begriff der Gewissheit schließt daher den Begriff des Zweifels ein, was nicht für den Begriff der Sicherheit zutrifft. Historisch gesehen ist die phänomenale Unterscheidung zwischen Gewissheiten und Sicherheiten zu einem großen Teil von den Reformatoren erhellt worden.5 Zweitens: Obwohl ich meine Überzeugungen mehr oder weniger anzweifeln kann, handelt es sich nicht um strikte Hypothesen. Der Begriff der Hypothese ist ein technischer Terminus und er setzt eine „Wenn-dann-Struktur“ voraus. Obwohl Hypothesen sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der Theologie eine wichtige Rolle spielen,6 setzt der Kern sowohl der naturwissenschaftlichen als auch der theologischen Arbeit eher Gewissheiten voraus. Der Unterschied besteht dabei im Folgenden: Während Hypothesen nur wahr sind unter bestimmten Bedingungen und daher nur zu möglichen Handlungen führen, besteht das wissenschaftliche Arbeiten ja immer aus aktualen Handlungen. Während Hypothesen den Vorzug besitzen, dass potentielle Handlungen immer nur potentielle Folgen mit sich bringen, für die auch niemand verantwortlich sein kann, beruhen aktuale Handlungen auf Gewissheiten, die zu wirklichen Konsequenzen führen: Sie verändern den Zustand der Welt, in der wir leben – und daher bin ich für meine Handlungen verantwortlich. In dem Moment, in dem ich mich entscheide, eine bestimmte Handlung, die auf einer Gewissheit beruht, auszuführen, habe ich dafür einen Preis zu zahlen. Es könnte der Preis sein, nass zu werden, während ich mit dem Fahrrad in mein Büro fahre, oder dass man mich für das verantwortlich machen kann, was ich geschrieben habe etc. Gewissheiten sind daher immer eine ernstzunehmende Sache, während Hypothesen zwar ernstzunehmend werden können, es aber nicht per se sind. Drittens: Ich mag mir über einige meiner handlungsleitenden Gewissheiten bewusst sein. Das ist immer dann der Fall, wenn ich Gewissheiten anzweifle oder über unterschiedliche Handlungsalternativen nachdenken muss. Aber in jeder Handlung gibt es auch einen bestimmten Gehalt an implizitem Wissen, das in der Regel in Verfahrenswissen besteht. So weiß ich beispielsweise zweifelsohne, wie man tippt, aber ich bin nicht in der Lage, jemand anderem zu erklären, wie das funktioniert. Wahrscheinlich könnte ich nicht einmal die Reihenfolge der Buchstaben auf der Tastatur auswendig aufsagen. Dennoch habe ich keinen Zweifel, dass ich tippend schreiben kann. Es ist also plausibel anzunehmen, dass diese Art von impliziten Gewissheiten für Handeln im Allgemeinen und für wissenschaftliches Arbeiten im Besonderen von eminenter 5 Vgl. Schrimm-Heins, A., Gewissheit und Sicherheit, 186–213; Ebeling, G., Gewißheit und Zweifel, 312–317. 6 Der hypothetische Charakter theologischer Aussagen wurde v. a. betont von Pannenberg, W., Wissenschaftstheorie und Theologie, 302. 334–346. Einen post-fundamentalen Zugang auf der Basis von Nicolas Reschers nichtskeptischen Fallibilismus (vgl. Rescher, N.A., Realistic Pragmatism, 115) bietet van Huyssteen, der die personalen und kontextuellen Aspekte der Rationalität betont, vgl. van Huyssteen, J.W., The Shaping of Rationality, 145.

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Der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften

Bedeutung ist. Diese Art von implizitem Wissen explizit zu machen, ist daher eine wichtige Aufgabe wissenschaftlichen Arbeitens und des interdisziplinären Dialogs.7 Viertens: Gewissheiten sind immer personengebunden. Handlungen werden immer von Personen in Beziehung zu anderen Personen innerhalb kleinerer oder größerer Gemeinschaften einschließlich deren Historie ausgeführt. Daher sind auch Gewissheiten personenbezogen, während dies für Hypothesen oder andere Arten von Wissen nicht gelten muss. Das bedeutet nicht, dass Gewissheiten notwendigerweise unter den Verdacht der Subjektivität fallen müssten. Aber sie sind immer partikular und Teil einer narrativen Tradition. Und das gilt genauso für akademisch-wissenschaftliche Handlungen. Es gibt keine pure Naturwissenschaft unabhängig vom naturwissenschaftlichen Handeln von menschlichen Personen. Im Rahmen von Abstraktionen wird man sicher zwischen Naturwissenschaft und Wissenschaftlern unterscheiden können, wenn man bestimmte pragmatische Absichten verfolgt, z. B. methodologischer Art. Allerdings darf dies nicht zu einer Hypostasierung dieser Distinktion im Sinne eines naiven Platonismus führen, so als wären „die Naturwissenschaft“ oder „die Theologie“ unabhängige Entitäten. Bis jetzt hat sich die Explikation auf diejenigen Kennzeichen beschränkt, die für alle im wissenschaftlichen Arbeiten vorausgesetzten Gewissheiten gelten. Es gibt aber natürlich auch Unterschiede. Eine wichtige Distinktion ist die zwischen empirisch testbaren Gewissheiten und nicht-empirisch testbaren Gewissheiten. In jeder Art von Handlung – also auch in jeder Form wissenschaftlichen Arbeitens – sind immer beide Arten von Gewissheiten vorausgesetzt. Empirisch testbare Gewissheiten im o. a. Beispiel wären b, c und 7 Ein materiales Beispiel für die Aufdeckung verborgener nicht-empirischer Gewissheiten in den Naturwissenschaften findet sich in M hling, M., Einstein und die Religion. Wichtig und innovativ hinsichtlich der Entdeckung verborgener handlungsleitender Gewissheiten war Michael Polanyis Begriff der tacit knowledge, zuerst beschrieben in Polanyi, M., Personal Knowledge, und weiter entwickelt in Polanyi, M., The Tacit Dimension, 8–10: ‘Another variant of this phenomenon was demonstrated by Eriksen and Kuethe in 1958. They exposed a person to a shock whenever he happened to utter associations to certain “shock words”. Presently, the person learned to forestall the shock by avoiding the utterance of such associations, but, on questioning, it appeared that he did not know he was doing this. Here the subject got to know a practical operation, but could not tell how he worked it. […] These experiments show clearly what is meant by saying that one can know more than one can tell. […] Why did this connection remain tacit? […] Here we have the basic definition of the logical relation between the first and the second term of a tacit knowledge. It combines two kinds of knowing. We know the electric shock, forming the second term, by attending to it, and hence the subject is specifiably known. But we know the shock-producing particulars only by relying on our own awareness of them for attending to something else, namely the electric shock, and hence our knowledge of them remains tacit. […] Using the language of anatomy, we may call the first term proximal, and the second term distal. It is the proximal term, then, of which we have a knowledge that we may not be able to tell.’ Obwohl sich Polanyi hier auf empirisches Wissen bezieht, das dem Wissenden verborgen bleibt, können gerade die nicht-empirisch testbaren Überzeugungen ebenso begriffen werden. Eine kurze Einführung in Polanyis Denken bietet Losch, A., Die Bedeutung Michael Polanyis.

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d. Sollte ich mich über die Lage meines Büros irren, etwa weil ich an einem nebligen Tag fahre, kann ich verschiedene Richtungen ausprobieren und meine Überzeugung der Ortslage korrigieren. Wichtig sind hier weniger die Mittel und die Art und Weise, wie bestimmte Überzeugungen getestet werden können – das wäre eine Frage der Methodologie –, sondern nur, dass sie überhaupt testbar sind. Man vergleiche nun mit dieser Art von Gewissheiten etwa die Gewissheit e, dass es sinnvoll ist, Bücher zu schreiben. Natürlich kann auch diese Gewissheit angezweifelt werden, wie wir es etwa von Kohelet kennen („des Büchermachens ist kein Ende“ Koh 12,12). Und natürlich kann ich Gründe anführen, warum ich diese Tätigkeit doch für sinnvoll erachte. Ich könnte etwa sagen, „ich möchte die Wissenschaft voranbringen“ oder „es ist eine Freude, Bücher zu schreiben“ oder „es gehört zu meinen Pflichten als Wissenschaftler“. Aber jeder dieser Gründe kann seinerseits mit der gleichen Frage in Zweifel gezogen werden: „Ist es wirklich sinnvoll, die Wissenschaft voranbringen zu wollen, seiner Freude nachzugehen oder sich akademisch pflichtgemäß zu verhalten?“ Natürlich könnte ich nun wieder Gründe nennen, warum all das sinnvoll sein mag, aber auch diese Gründe können wieder angezweifelt werden. M.a.W.: Dieses Spiel würde nie ein Ende finden, man könnte es unendlich fortsetzen. Würde man aber nicht nach Gründen, sondern nach empirischen Beweisen fragen, die zeigen, dass es sinnvoll ist, Bücher zu schreiben, ist klar, dass es keine Antwort gibt. Kurz gesagt: Man kann zwar unendlich viele Gründe für nicht-empirisch testbare Gewissheiten und Überzeugungen nennen, nicht aber auch nur einen empirischen Test oder eine Methodologie.8 Dennoch ist die Überzeugung, dass es sinnvoll und wichtig ist, Bücher zu schreiben, für die Handlung weder akzidentiell noch epiphänomenal. Denn ohne diese Überzeugung würde die Handlung nicht ausgeführt werden.

1.2 Naturwissenschaften und Theologie Die Naturwissenschaften können als ein Bereich spezifisch institutionalisierter Handlungen gelten, in dem die Absicht besteht, Forschung zu leisten, d. h., es handelt sich um methodologisch geführtes Verhalten auf Grundlage empirisch testbarer Überzeugungen, die in Handlungen vorausgesetzt sind. Vielleicht mag dieser Definitionsversuch überraschen. Man mag einwenden: Die Naturwissenschaften beschäftigen sich mit der Natur und mit Fakten, nicht mit perso8 An dieser Stelle ist äußerste Sorgfalt angebracht. Während es zwar möglich ist, empirische Erklärungen zu geben, warum jemand x als sinnvoll betrachten mag („Du hältst Bücherschreiben für sinnvoll, weil deine Eltern dir das Bücherlesen verboten haben und dich gezwungen haben fernzusehen.“), ist es nicht möglich, eine empirische Erklärung dafür zu liefern, warum x sinnvoll ist, oder was es bedeutet, dass x sinnvoll ist. Die Frage (a) „Warum hält jemand x für y (sinnvoll, sinnlos, abergläubisch, wissenschaftlich, rot, blau etc.)?“ hat nichts mit der Frage zu tun, „Warum ist x y?“.

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nalen Gewissheiten. Es ist gerade entscheidend, dass die Fakten, auf die sich die Naturwissenschaften beziehen, von den Überzeugungen über die Natur unterschieden werden. Gegen diesen Einwand sind aber zwei Gegeneinwände vorzutragen: Erstens schließen diese beiden Definitionen einander nicht aus. Fakten der Natur sind nur in Form von intentionalen Zuständen wie Glaubensannahmen, Überzeugungen und Gewissheiten gegeben. Zweitens schließt diese Überzeugung die Objektivität der Sachverhalte, auf die sich empirisch testbare Gewissheiten beziehen, nicht aus, sondern diese sind auf jene bezogen. Da diese Definition der Naturwissenschaften auf der Unterscheidung zwischen empirisch testbaren und nicht-empirisch testbaren Gewissheiten beruht, ist eine Form von Realismus notwendigerweise eingeschlossen. Die nicht-empirisch testbaren Gewissheiten können auch ontologische Voraussetzungen, religiöse Gewissheiten, quasi-religiöse Gewissheiten etc. genannt werden. Diese verschiedenen Termini sind zwar nicht äquivalent, aber für unsere Zwecke sind die Unterschiede zu vernachlässigen. Theologie nun ist diejenige Wissenschaft, die diese nicht-empirisch testbaren Gewissheiten untersucht, ebenfalls mithilfe von methodisch geführter Arbeit. Natürlich ist es nicht nur die Theologie, die diese nicht-empirischen Gewissheiten zum Gegenstand hat. Aber es ist ausschließlich die Theologie, die diese Art von Gewissheiten von einem spezifischen Standpunkt der Phänomenalität ihrer Gegebenheit aus betrachtet. Denn Theologie verneint nicht nur nicht, dass ihre eigene Tätigkeit ebenfalls auf nicht-empirisch testbaren Gewissheiten beruht, sondern gerade ihre eigenen empirischen Gewissheiten sind der Gegenstand ihrer Arbeit. Daher kann man Theologie im Allgemeinen als die methodisch geführte Selbstexplikation der Wahrheitsansprüche verstehen, die in einer spezifischen Menge von religiösen oder quasi-religiösen Gewissheiten bestimmter partikularer Gemeinschaften von Personen impliziert sind. Nun liegt diese allgemeine Aufgabe selbst wieder nur in partikularen Perspektiven, Gemeinschaften und Traditionen vor. Und daher kann es streng genommen keine Theologie im Allgemeinen geben. Der Versuch, eine sog. „Metatheologie“9 oder „Megatheologie“10 zu etablieren, ist damit eine contradiction in adiecto und daher genauso unmöglich wie der Begriff eines Vielecks ohne Winkel. Theologie bezieht sich also auf das Allgemeine aus einer besonderen Perspektive. Theologie ist immer Theologie einer spezifischen, partikularen und historisch ge-

9 Vgl. Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 64: ‘A metatheology can be understood as an attempt to evaluate the overall principles underlying any and all religions or ultimate belief systems and their theologies. […] Principle XII: Neurotheological scholarship should pursue its potential applicability as a metatheology.’ 10 Vgl. Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 65 f: ‘A megatheology should contain content of such a universal nature that it could be adopted by most, if not all, of the world’s great religions as a basic element without any serious violation of their essential doctrines. […] Principle XIII: Neurotheological scholarship should pursue its potentio applicability as a megatheology.’

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formten Gemeinschaft. Daher lässt sich Theologie nun schon etwas präziser, aber noch immer nicht vollständig, folgendermaßen definieren: (A) Theologie ist die methodisch geführte Selbstexplikation der Praxis christlicher Gemeinschaften hinsichtlich der in dieser Praxis implizierten Gewissheiten und Wahrheitsansprüche. Die nicht-empirisch testbaren Gewissheiten der christlichen Gemeinschaften teilen ein gemeinsames Kennzeichen: Sie werden als unverfügbar verstanden. Was bedeutet dies? Welche spezifischen Überzeugungen auch immer in der christlichen Praxis impliziert sein mögen, auf alle Fälle gehört eine Instantiation dessen, worüber Größeres nicht denkbar ist (id quo maius cogitari nequit)11, dazu. Falls Menschen über solche Sachverhalte Überzeugungen haben können, kann es sich überhaupt nur dann über wirkliches Wissen handeln, wenn es nicht vollständig auf eigenem Bemühen, biologischen oder soziologischen Gegebenheiten beruht. Die einzige Möglichkeit, nicht widersprüchliche Überzeugungen über das, worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist, zu erhalten, ist, wenn sich das, worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist, selbst präsentiert (oder offenbart). Das schließt natürlich nicht aus, dass das, worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist, biologische, soziale oder personale Faktoren in Dienst nehmen könnte, um sich zu erschließen. Ganz im Gegenteil: Das christliche Verständnis von Offenbarung betont gerade die Tatsache, dass Offenbarung nicht in solch einer übernatürlichen Weise verstanden werden könnte, die natürliche Fakten ausschlösse.12 Offenbarung ist immer eine Form der Erfahrung. Wir werden uns mit diesem Offenbarungsverständnis noch später in Kapitel 3 beschäftigen. Hier genügt es zu sagen, dass dieses Offenbarungsverständnis zu einer präziseren Definition des Theologiebegriffs führt: Da das „worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist“ eine minimale und rudimentäre Beschreibung zumindest von einem notwendigen Teil der Bedeutung des Terminus „Gott“ ist, können wir sagen: (B) Theologie ist die methodisch geführte wissenschaftliche Erforschung und das Nach-Denken der gegebenen Selbstpräsentation des dreieinigen (= christlichen) Gottes. Definition A ähnelt ein wenig solchen Bestimmungen des Theologiebegriffs, wie sie in der Tradition von F.D.E. Schleiermacher und anderen stehen,13 die methodisch von menschlicher Erfahrung ausgehen. Definition B hingegen ähnelt Definitionen, wie sie etwa von Karl Barth vorgenommen wurden, die ihren

11 Anselm von Canterbury, Proslogion, Kap. 2, 84. 12 Vgl. Kap. 3 dieses Buchs. 13 Vgl. Schleiermacher, F.D.E., Kurze Darstellung, 1, §1: „Die Theologie in dem Sinne, in welchem das Wort hier immer genommen wird, ist eine positive Wissenschaft, deren Teile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch ihre gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Glaubensweise, d. h. eine bestimmte Gestaltung des Gottesbewußtseins; die der christlichen also durch die Beziehung auf das Christentum.“

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Ausgangspunkt bei der göttlichen Offenbarung nehmen.14 Häufig wurden diese beiden Typen, Theologie zu definieren, als einander ausschließend verstanden. Genau das ist aber nicht der Fall: Beide Definitionen, A und B, sind nichts anderes als Beschreibungen derselben Sache aus unterschiedlichen Perspektiven und beide benötigen jeweils die andere Perspektive, um nicht einseitig zu werden.

1.3 Zwei regulative Prinzipien: etsi deus non daretur – etsi mundus non daretur Beide akademische Arbeitsfelder, Theologie und die Naturwissenschaften, behandeln also unterschiedliche Aspekte des Phänomens menschlichen Handelns. Beide Felder haben dabei Argumente entwickelt, die sicherstellen, dass sich die jeweilige Disziplin auf den jeweiligen Aspekt menschlichen Handelns beschränkt. Im Zusammenhang der Theologie haben wir bereits den Begriff der Präsentationserfahrung oder Offenbarung genannt. Im Falle der Naturwissenschaft sichert Hugo Grotius’ berühmtes Prinzip des methodischen Atheismus – etsi deus non daretur – die Selbstbeschränkung. Dabei muss man sich bewusst machen, dass deus – Gott – nicht ein übernatürliches Sein meint. Soweit wir den Gottesbegriff bisher gebraucht haben, haben wir uns auf Anselms berühmte Minimaldefinition Gottes als das, worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist, bezogen. An dieser Stelle ist es nun wichtig eine andere, aber immer noch minimale Beschreibung Gottes einzuführen: Gott ist das, woran der Mensch sein Herz hängt.15 Diese auf Luther zurückgehende Bestimmung meint mit „Herz“ nicht etwa eine Metapher für die menschliche Affektivität, sondern sie bezieht sich auf diejenige Instanz, die die Gesamtheit unserer nicht-empirischen Gewissheiten organisiert und eint: „Was heist ein Gott haben oder was ist […] Gott? Antwort: Ein Gott heisset das, dazu man sich versehen sol alles guten und zuflucht haben ynn allen noeten. Also das ein Gott haben nichts anders ist denn yhm trawen und gleuben […] das alleine das trawen und gleuben des hertzens machet beide Gott und abeGott. […] Jst der glaube und vertrawen recht, so ist auch dein Gott recht, und wideruemb wo das vertrawen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwey gehoeren zuhauffe, glaube und Gott. Worauff du nu (sage ich) dein hertz hengest und verlessest, das ist eygentlich dein Gott.“16 14 Vgl. Barth, K., CD, Barth, K., KD II/1, §27, 228: „Die Sachlichkeit der Theologie besteht darin, daß sie sich die Auslegung der Offenbarung zu ihrer einzigen Aufgabe macht.“ 15 Vgl. Luther, M., WA 30I, 133. 16 Luther, M., WA 30I, 133.

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Unter den Beispielen für Götter, die Luther nennt, befinden sich Geld und Gut, eigene Fähigkeiten und Kompetenzen, Macht, Gunst und Freundschaft, Ehre und viele andere Bezugspunkte von Vertrauen.17 Keiner der hier als Beipiele genannten Götter kann Anselms Mindestkriterium für Göttlichkeit – id quo maius cogitari nequit – erfüllen; daher handelt es sich um Abgötter. Als solche haben sie aber die gleiche Funktion: Sie stehen im Mittelpunkt der nicht-empirischen Gewissheiten von Personen und organisieren diese. Nun ist dies aber der Gottesbegriff, bei dem es in Hugo Grotius’ Formulierung des methodologischen Atheismus, etsi deus non daretur, geht: Die Naturwissenschaften sollen verfahren, als ob es so etwas wie nicht-empirische Gewissheiten nicht gäbe. Im Handeln ausgeführt ist die Erfüllung dieses methodologischen Prinzips natürlich unmöglich, da Naturwissenschaft immer Handeln bedeutet und der Handlungsbegriff immer nicht-empirische Gewissheiten voraussetzt. Dennoch handelt es sich um ein sinnvolles Prinzip, denn das „als ob“ bezeichnet eine Konzentration, die zumindest eine angestrebte Unterdrückung bestimmter anderer Faktoren erfordert. In einer ähnlichen Weise können wir nun Grotius’ Prinzip für ein methodologisches Prinzip der Theologie abwandeln. Anselms Beschreibung Gottes als id quo maius cogitari nequit kann als ein notwendiges Prinzip der Unterscheidung innerhalb der Klasse der Götter in Abgötter und Götter verstanden werden. Allerdings ist Anselms Prinzip auch recht abstrakt, daher möchte ich es in ein methodologisches Prinzip der Theologie überführen, das darin besteht, zu fordern, dass Theologie in ihrer Arbeit verfahren muss, etsi mundus non daretur, als ob es die Welt nicht gäbe. Ähnlich wie Grotius’ Prinzip des methodologischen Atheismus ist auch dieses Prinzip eines „Amundanismus“ natürlich im wörtlichen Sinne nicht realisierbar. Ohne Welt gäbe es keine Menschen und keine Offenbarung, die es ermöglichen würde, dass Menschen zu und von Gott sprechen könnten. Aber wie eng auch immer man die Beziehung zwischen Gott und Welt sehen mag, nur ein Gott, der prinzipiell unabhängig von der Welt verstanden werden könnte, kann ein Nicht-Abgott sein. Methodologische und kontrafaktische Prinzipien sind keine Prinzipien im eigentlichen Sinne, d. h., ihnen kommt kein basaler Rang in Naturwissenschaft oder Theologie zu. Sie besitzen vielmehr eine regulative Funktion. Diese Prinzipien werden falsch, wenn das „als ob“ übersehen wird oder wenn sie nicht als regulative, sondern als konstitutive Prinzipien verstanden würden. Im Falle der Naturwissenschaften würde dies genau dann geschehen, wenn man die Existenz anderer als empirischer Gewissheiten leugnete. Im Falle der Theologie würde dies geschehen, wenn man behauptete, Offenbarung sei eine reine supranaturale Angelegenheit und hätte nichts mit natürlichen Dingen zu tun. Theologie und Naturwissenschaften sind zwar Handlungsvollzüge, die als Handeln eine bestimmte Abstraktion von der Lebenswelt erfordern. Aber ebenso muss daran erinnert werden, dass Abstraktionen immer einen be17 Vgl. Luther, M., WA 30I, 133 f.

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stimmten Teil der Wirklichkeit ausblenden. Weder ist Naturwissenschaft mit Ontologie gleichzusetzen noch Theologie, aber beide haben einen Bezug zur Ontologie. Die beste Weise, die Verwechselung dieser regulativen Prinzipien mit konstitutiven Prinzipien zu vermeiden – und damit beide Prinzipien gleichsam zu Abgöttern zu machen, die als solche sowohl naturwissenschaftliches als auch theologisches Arbeiten pervertieren würden – ist der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften. Wenn sie in den Dialog eintreten, tun weder Naturwissenschaftler Theologen einfach einen Gefallen noch leisten Theologen Naturwissenschaftlern einfach einen Dienst. Vielmehr gilt: Der Eintritt in den Dialog verbessert die Exzellenz des wissenschaftlichen Standards beider Disziplinen.

1.4 Der Kern und die Peripherie Sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der Theologie lassen sich Kerne von Peripherien unterscheiden. Im Falle der Theologie besteht die primäre Aufgabe in der Rekonstruktion und im Nach-Denken der Selbsterschließung Gottes. Aber dieses Nach-Denken ist immer rückgebunden an einen weiteren Kreis, innerhalb dessen Begriffe genutzt werden, die durch die Naturwissenschaften, die Sozialwissenschaften oder philosophische Systeme geprägt oder beeinflusst sind. Während sich die Kernarbeit des Nach-Denkens der Offenbarung auf die Gotteslehre, die Schöpfungslehre, Christologie, Soteriologie, Eschatologie etc. bezieht – also auf Themen, deren Sinnhaftigkeit nicht bestritten werden kann, wenn man Theologie nicht in etwas völlig anderes verwandeln will – versuchen Theologen diese dort gewonnenen Resultate in einer breiteren, aber auch hypothetischeren oder spekulativeren Weise anzuwenden. Dennoch ist wichtig, dass es sich bei dem Verhältnis der Kernarbeit und der peripheren Arbeit nicht um eine Einbahnstraße handelt. Ein Beispiel: Die Kernarbeit der Theologie beinhaltet eine Schöpfungslehre, aber keine Naturphilosophie. Aber dennoch gibt es christliche, hypothetische Naturphilosophien. Sie gehören zur Peripherie. In den Naturwissenschaften besteht die Kernregion im naturwissenschaftlichen Arbeiten, das Begriffe nur regionaler „Ontologien“ benutzt, ohne tatsächliche ontologische Ansprüche zu stellen. Diese Kernregion ist daher eine ideale. Wissenschaftstheoretische Theorien wie Poppers Falsifikationismus oder wie der Instrumentalismus können am besten so verstanden werden, dass sie sich auf diese Kernregionen beziehen. Innerhalb der Arbeit dieser Kernregionen ist es für den Naturwissenschaftler sinnvoll und wichtig, sich ontologischer Ansprüche zu entäußern, um intellektuell redlich zu bleiben. Ein Beispiel: In der Physik ist der Begriff der Planck-Zeit ein üblicher und gut bestätigter. Er meint, dass es nicht sinnvoll ist, sich auf Zeiten, die kürzer als 10-43 Sekunden sind, zu beziehen. Ein Astrophysiker, gefragt, ob man daraus schließen könne,

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dass Zeit auch eine diskontinuierliche, atomare Struktur habe, mag antworten, dass Physik darüber keine Aussagen machen könne. Denn diese Frage sei eine ontologische und daher müsse man eher Disziplinen wie Philosophie und Theologie fragen. Bestünden nun aber Naturwissenschaften nur aus diesen Kernregionen und hätten keinen Bezug zu Naturphilosophien, wären sie vollständig abstrakt und gemessen an der Lebenswelt auch bedeutungslos. Man wird noch weitergehen müssen: In diesem Falle würden die Naturwissenschaften selbstwidersprüchlich werden: Denn da naturphilosophische Annahmen zu den Gewissheiten menschlichen Handelns gehören, würden sie ja weiterhin naturwissenschaftliches Arbeiten als Teilklasse menschlichen Handelns mitbestimmen. Daher gehören für die Naturwissenschaften Ontologie, Naturphilosophien und implizite Theologien notwendigerweise zur Peripherie. Und auch in diesem Fall ist die Beziehung zwischen dem inneren und dem äußeren Kreis eine reziproke. Die Geschichte des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaft und ebenso die gegenwärtige Praxis dieses Dialogs kann am besten als Arbeit in der Schnittmenge dieser beiden äußeren Zirkel verstanden werden, weniger als Schnittmenge der Kernregionen. Zumindest implizit ist in dieser Schnittmenge der äußeren Zirkel von Theologie und Naturwissenschaft auch eine Überschneidung mit der Philosophie gegeben. Um also einen vorzüglichen Standard des Dialogs zwischen Naturwissenschaft und Theologie zu ermöglichen, ist es wichtig, auch diesen Aspekt zu explizieren: Der Dialog wäre daher tatsächlich als „Trialog“ zu verstehen. Um noch weiterzugehen: Nicht nur philosophische Fragen zeigen sich ja in dieser Schnittmenge der Peripherien, sondern ebenso Fragen der Sozialwissenschaften und der Geisteswissenschaften. Daher ist der Dialog im Prinzip offen für eine nicht beschränkbare Interdisziplinarität und wahrscheinlich auch Transdisziplinarität. Häufig wird angenommen, dass Interdisziplinarität nicht genug ist, um die Phänomene der Lebenswelt verstehen zu können, so dass einige Phänomene der Lebenswelt nur durch transdisziplinäres Arbeiten verstehbar seien. Ohne dass wir uns hier zu sehr in die Debatte zwischen den Verfechtern des Konzepts der Interdisziplinarität und den Verfechtern der Transdisziplinarität einmischen wollen, ist es doch wichtig, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität nicht als Gegensätze zu verstehen. Beide Aspekte sind wichtig. Da die Gegenstände der äußeren Zirkel unabschließbar sind und nicht auf bestimmte Phänomenbestände beschränkt werden können, sondern aus der Wirklichkeit selbst stammen, ist sowohl ein transdisziplinärer als auch ein interdisziplinärer Aspekt gegeben. Einerseits besteht der Grund dafür, dass der Dialog nicht vollständig in Transdisziplinarität aufgehoben werden kann, darin, dass die Gegenstände der Überschneidung nur durch die Mittel und Methoden partikularer Perspektiven betrachtet werden können. Und diese partikularen Perspektiven sind immer an spezifische, nicht-empirische Gewissheiten gebunden. Im Falle des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaft wird nun der Zugang zum Uni-

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versalen durch das Partikulare, durch den inneren Kreis der Theologie repräsentiert. Daher ist es wichtig, den interdisziplinären Aspekt beizubehalten. Dass dieser Aspekt immer an bestimmte, partikulare Perspektiven gebunden ist, bedeutet, dass die Theologie sich in ihrer Arbeit immer auch treu gegenüber den eigenen kritischen Methoden, wie sie im inneren Kreis verwendet werden, verhalten muss. Theologie kann in der Tat zusammen mit den anderen Disziplinen des Dialogs auf kreative Weise und unter der Verwendung neuer Methoden die transdisziplinäre Forschung betreten. Aber sie kann nicht die Vorgängigkeit des inneren Kerns aufgeben. Daher ist auch immer ein interdisziplinärer Aspekt beizubehalten. Ein wahrer Dialog oder „Trialog“ setzt immer bestimmte Ausgangspunkte und verschiedene „Positionen“ voraus. Daher gilt, dass Transdisziplinarität ohne Interdisziplinarität nicht möglich ist. Andererseits sind die bestimmten Ausgangspunkte und Methodologien der beteiligten Wissenschaften keine festen „Positionen“ oder Standpunkte, sondern partikulare Wege und Verfahrensweisen, die gleichsam bildlich um gemeinsame Phänomene kreisen, sich ihnen annähern und sich dabei überschneiden und verändern. Zwar mag der Dialog primär die äußeren Zirkel betreffen, aber da die Grenze zwischen Peripherie und Kernregion jeweils eine unscharfe, durchlässige oder sich verändernde ist, verändern sich auch die partikularen Wissenschaften im gemeinsamen Bearbeiten der Phänomene. Daher ist auch Interdisziplinarität ohne Transdisziplinarität nicht möglich. Dieses Bild hat einen weiteren Vorteil. Wenn der Dialog als eine Überschneidung primär in Fragen der peripheren Zirkel verstanden wird, kann er als ein offener Dialog verstanden werden. Das Ziel ist weder eine Integration beider Disziplinen noch ein Konsens unter ihnen noch die Verkündigung einer neuen, umfassenden Metadisziplin (wie etwa Newbergs sogenannte „Metatheologie“ und „Megatheologie“18). Zuzulassen ist auch die Möglichkeit, dass Konflikte hinsichtlich bestimmter materialer Fragen erscheinen, die sich durch die jeweils zur Verfügung stehenden begrifflichen Mittel nicht lösen lassen. Diese explizit zuzulassende Möglichkeit sollte dabei nicht als Laster, sondern als Tugend verstanden werden, denn damit wird die Fallibilität aller menschlichen Erkenntnisbemühungen anerkannt. Man kann also sagen: Der Dialog zwischen den Disziplinen ist in der Tat ein tatsächliches gemeinsames Abschreiten der Phänomene. Dabei ist die relative Unabhängigkeit der Disziplinen gewahrt, sofern die Kernregionen betroffen sind, aber dennoch kann auch anerkannt werden, dass eine gemeinsame Arbeit an hypothetischen und perspektivischen Integrationen möglich ist. Allerdings sind solche Integrationen aufgrund der perspektivischen Natur religiöser Überzeugungen immer nur im Plural möglich und es handelt sich stets um hypothetische Integrationen. Diese Integrationen werden vor allem die Peripherien betreffen. Ebenso ist die Möglichkeit zugelassen, dass innerhalb des Dialogs Konflikte erscheinen; auch solche, die nicht durch den Dialog 18 Vgl. Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 64–66.

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auflösbar sind. Der Dialog der Peripherien der Disziplinen kann daher die particula veri aller von Barbour19 genannten Typologien wahren; aber er korrigiert das Barbour’sche Schema in entscheidender Weise. Barbours Typen schließen nicht nur einander nicht aus, sondern sie können alle gleichzeitig im Dialog erscheinen. Es handelt sich dabei auch nicht um unterschiedliche Stadien der Verhältnisbestimmung, die einem mehr oder weniger periodischen Wechsel unterliegen, wie vorgeschlagen wurde.20 Vielmehr handelt es sich um unterschiedliche Aspekte, die zur gleichen Zeit erscheinen können, aber nicht müssen. Dieses Verständnis des Dialogs vorwiegend der Peripherien beider Disziplinen erlaubt es ferner, auch die particula veri sowohl der anglophonen als auch der kontinentaleuropäischen Tradition aufzunehmen: Auf der einen Seite, die Kernregionen betreffend, ähnelt die Verhältnisbestimmung eher der kontinentaleuropäischen Tradition mit ihrer schärferen Distinktion zwischen den mit Erklärungen beschäftigten Naturwissenschaften und den mit Verstehen beschäftigten Geisteswissenschaften, während die anglophone Tradition, die Naturwissenschaften und Theologie eher als Pole eines kontinuierlichen Spektrums versteht, hinsichtlich der äußeren Kreise zur Anwendung kommt.

1.5 Entheoretisierung und Extheoretisierung Während der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft für die Theologie nicht fakultativ, sondern verpflichtend ist, weil der christliche Glaube Gott als Schöpfer aller Dinge einschließlich des Reiches der Möglichkeiten versteht, betrifft der Nutzen des Dialogs für die Naturwissenschaften die Explikation von ansonsten verborgenen ontologischen Voraussetzungen, nicht-empirischen Gewissheiten oder impliziten Theologien. Mit Theologinnen und Theologen zu sprechen, kann daher hilfreich sein, um diese Voraussetzungen, Überzeugungen und „Theologien“ explizit zu machen. Ob diese Voraussetzungen nun expliziert werden oder nicht; sie beeinflussen auf alle Fälle die naturwissenschaftliche Arbeit, auch in der Kernregion. Um nun diese gemeinsame Arbeit der Explikation des meist stillschweigenden Verhältnisses zwischen empirischen und nicht-empirischen Gewissheiten in der Arbeit der Naturwissenschaften leisten zu können, muss das Verhältnis der Wechselwirkung zwischen empirisch testbaren und nicht-empirisch testbaren Gewissheiten zunächst einer genaueren Bestimmung zugeführt werden. Einerseits wird man betonen müssen, dass die Unterscheidung dieser zwei Arten von Gewissheiten eine abstrakte und künstliche ist, denn diese Unterscheidung erscheint weder im Alltagsleben an sich noch in der alltäglichen Arbeit der Naturwissenschaften. Nichtsdesto19 Vgl. Barbour, I.G., Religion and Science, 77–105. 20 Vgl. Losch, A., Jenseits der Konflikte, 88 f.

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trotz wird man an der Unterscheidung festhalten müssen, um die Naturwissenschaften als akademische Disziplinen betrachten zu können. Die wahrscheinlich sinnvollste Art, das Verhältnis zwischen empirischen und nichtempirischen Gewissheiten bzw. zwischen dem inneren Kern und dem äußeren Kreis naturwissenschaftlicher Arbeit beschreiben zu können, ist die Bestimmung mittels des Wechselverhältnisses von Extheoretisierung und Entheoretisierung. Der Begriff der Entheoretisierung geht auf Arthur Fine zurück. Er bezeichnet ein Verfahren, dass es erlaubt, ontologische Behauptungen innerhalb der spezifisch regionalen Begrifflichkeiten bestimmter Theorien auszudrücken, ohne diese Theorien zu zerstören. Ein Beispiel hatten wir bereits oben erwähnt: Die Vorstellung, Zeit könnte diskontinuierlich sein, ist keine Frage der Naturwissenschaft, sondern der Naturphilosophie. Dennoch ist es möglich, diese Vorstellung innerhalb physikalischer Theorien erscheinen zu lassen, indem man sagt, dass es nicht sinnvoll ist, von Zeiten kürzer als 10-43 Sekunden zu sprechen. Arthur Fine führte den Begriff der Entheoretisierung ursprünglich folgendermaßen ein: „Ich erfinde das Wort ,Entheoretisierung‘, um die folgende (aus der analytischen Philosophie bekannte) Bewegung zu beschreiben: Wird man gefragt, ob dies oder das der Fall sei, antwortet man, indem man durch Verschiebung stattdessen fragt, ob eine Theorie, in der dies oder das der Fall ist, eine brauchbare Theorie ist.“

Entheoretisieren ist aber weit mehr als eine Strategie, unbequeme Fragen zu beantworten, indem man sie im literalen Sinne gar nicht beantwortet. Man kann damit auch beschreiben, auf welche Weise implizite, nicht naturwissenschaftliche, nicht-empirische und religiöse Gewissheiten genuin naturwissenschaftliche Arbeit mitformen. Entheoretisieren ist dann unvermeidlich. Man verschiebt in diesem Falle die Antwort auf eine außertheoretische Frage auf eine innerhalb einer Theorie sinnvollen Antwort – auch hier ohne die ontologische Frage im eigentlichen Sinne zu beantworten. Entheoretisierungen explizit zu machen, ist eine wichtige Aufgabe der reflexiven Arbeit des Dialogs zwischen Theologie und den Naturwissenschaften. Der Bewegung der Entheoretisierung entspricht nun umgekehrt eine Bewegung, die man Extheoretisierung nennen kann. Damit ist gemeint, dass naturwissenschaftliche Einsichten auch die ontologischen und religiösen Überzeugungen von Personen und Gemeinschaften mitbestimmen, und zwar auch dann, wenn die innertheoretischen naturwissenschaftlichen Sachgehalte zunächst gar keinen ontologischen Anspruch erheben. Dies kann darin bestehen, dass eine gegebene Menge von Überzeugungen nur sanft verändert wird. Es kann aber auch darin bestehen, dass auf diese Weise eine neue PatchworkReligiosität entsteht. Auch die Bewegung der Extheoretisierung dürfte allgemein gegenwärtig sein, wenn auch sie meist stillschweigend vonstatten geht. Genau wie im Falle der Entheoretisierung ist auch die Sichtbarmachung von Extheo-

Öffentliches Interesse

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retisierungen eine wichtige Aufgabe des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften.21

1.6 Der interdisziplinäre Dialog als interreligiöser Dialog Ist es richtig, dass alles Handeln einschließlich naturwissenschaftlichen Handelns eine Verschränkung von empirischen und nicht-empirischen (= religiösen) Gewissheiten voraussetzt, dann ist es für die Naturwissenschaften wichtig, einen Dialog mit der Theologie und nicht einfach mit den Religionswissenschaften zu führen, denn nicht-empirische Gewissheiten liegen immer in Form einer partikularen Perspektive vor. Natürlich sind nicht nur die Überzeugungen partikularer christlicher Konfessionen Gegenstand des Wechselspiels von Entheoretisierungen und Extheoretisierungen, denn es gibt auch Naturwissenschaftler, die anderen religiösen Traditionen verpflichtet sind, und solche, die eher individualisierten oder nur in kleinen Gemeinschaften vorliegenden Überzeugungen anhängen. Man wird diese Tatsache nur bearbeiten können, wenn man anerkennt, dass jeder interdisziplinäre Dialog auch das Implikat eines interreligiösen Dialogs mit sich bringt, was gerne übersehen wird. Die kommunikativen Logiken des interdisziplinären Dialogs und die des interreligiösen Dialogs sind aber keineswegs die gleichen und meist sehr unterschiedlich. Wissenschaftler, die sich um die eine Art des Dialogs bemühen, bemühen sich in der Regel nicht automatisch auch um die andere Art des Dialogs. Diese Trennung bringt auch Vorteile mit sich. Zu nennen wäre hier etwa die separate Institutionalisierung beider Dialoge in zwei verschiedenen theologischen Feldern, was eine Vorbedingung für ein vertieftes Verständnis ist. Dennoch darf die Institutionalisierung zweier separater Dialogfelder nicht als Entschuldigung genutzt werden, die interreligiöse Dimension des interdisziplinären Dialogs zu ignorieren.

1.7 Öffentliches Interesse Die primäre Öffentlichkeit des Dialogs zwischen Theologie und den Naturwissenschaften ist die akademische, aber es gibt noch weitere Öffentlichkeiten, die hier zu nennen sind. Neben den verschiedenen Glaubensgemeinschaften wäre auch das weitere Publikum der Gesellschaft als solches zu nennen. Da die Beziehung von empirischen und nicht-empirischen Überzeugungen im Handeln grundgelegt ist und Handeln immer Interaktion und Kooperation bedeutet, ist zu 21 Ein materiales Beispiel für das Zusammenspiel von Entheoretisierungen und Extheoretisierungen habe ich am Beispiel des Verhältnisses von Einsteins naturwissenschaftlicher Arbeit und seinem Wirklichkeitsverständnis gegeben, vgl. M hling, M., Einstein und die Religion.

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erwarten, dass der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften auch von hohem Wert für die Wohlordnung von demokratischen und toleranten Gesellschaften ist. Obwohl hier viele Aspekte genannt werden könnten, so ist doch die Frage nach der Toleranz von vorzüglichem Interesse. Toleranz bedeutet nicht, kontradiktorische Glaubensüberzeugungen als gleichermaßen wahr wie die eigene Überzeugung anzuerkennen, sondern die widersprechenden Überzeugungen des Anderen als Anderen zu ertragen und mit Respekt und unter Anspruch möglicher gemeinsamer Zielsetzungen auf der Basis unterschiedlicher religiöser Überzeugungen miteinander zu kooperieren. Nicht Konsens ist das wichtigste Prinzip demokratischer Gesellschaften, sondern Toleranz. Die gegenwärtigen nord-westlichen Demokratien mögen an einigen Problemen leiden, wie es Colin Crouch mit seiner Postdemokratiethese betont hat.22 Praktische Zwänge, vor allem ökologische und ökonomische, bestimmen die Politik in weit deutlicherem Maße als zu vergangenen Zeiten. Allerdings stirbt die Demokratie dort, wo es keine öffentlichen Entscheidungen mehr gibt. Und öffentliche Entscheidungen erfordern Toleranz. Sie leben davon, dass auch eine große Minderheit von 49 %, die nur knapp keine Mehrheit ist, die Entscheidungen einer anderen Mehrheit von 51 % als falsch versteht, aber dennoch willens ist, sie als Entscheidungen zu akzeptieren. Demokratie beruht mehr auf Unterschiedlichkeit, Vielfalt und Toleranz denn auf Konsens.23 Auf den Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie angewandt, bedeutet das Toleranzprinzip, dass sowohl die eigenen nicht-empirischen Überzeugungen als auch diejenigen des Anderen als unverfügbar anerkannt werden müssen und nicht die Vorstellung herrschen darf, diese Überzeugungen könnten durch menschliche und empirische Mittel manipulativ erzeugt werden. Wo immer religiöse oder quasi-religiöse Überzeugungen als vollständig lehrbar oder produzierbar angesehen werden, werden Religionen und Wirklichkeitsverständnisse in gefährliche, intolerante Ideologien pervertiert. Diese Gefahr hat stets die Geschichte aller Religionen begleitet – aber ebenso die Geschichte der Naturwissenschaften. Fast zwangsläufig tritt diese Gefahr dort auf den Plan, wo die Realität und das Wechselspiel von Entheoretisierung und Extheoretisierung geleugnet werden. Wann immer Naturwissenschaft zum Szientismus wird, hört Naturwissenschaft nicht nur auf, Naturwissenschaft zu sein und Religion zu werden, sondern wird zu einer intoleranten Gefahr für liberale Gesellschaften. Daher ist es für den Dialog wichtig, ein Instrument zu besitzen, das es erlaubt, diese Gefahr abzuschätzen. An anderer Stelle habe ich zu diesem Zweck die folgende Typologie ontologischer Überzeugungen hinsichtlich ihrer Toleranzfähigkeit vorgeschlagen:

22 Vgl. Crouch, C., Post-Democracy. 23 Vgl. Rescher, N., Pluralism.

Öffentliches Interesse

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Die zweite Reihe von oben in der Grafik stellt die schon bekannte Distinktion zwischen empirischen und nicht-empirischen Gewissheiten dar. In der dritten Reihe finden sich einerseits – technisch gesprochen – „Religionen“, d. h. solche nicht-empirischen Überzeugungen, die anerkennen, dass die Summe aller personalen, sozialen und natürlichen Faktoren nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung zur Konstitution des jeweiligen Wirklichkeitsverständnisses ist. Aus Sicht der Natur- und Sozialwissenschaften bleibt die Konstitution eines solchen Wirklichkeitsverständnisses zumindest immer teilweise kontingent. Auch in ihren Selbstbeschreibungen schließen solche Wirklichkeitsverständnisse Kontingenz nicht aus. Andererseits finden sich hier auch – technisch gesprochen – „Ideologien“ oder Quasi-Religionen, d. h. Wirklichkeitsverständnisse, die in ihrem Selbstverständnis die Summe aller personalen, sozialen und natürlichen Faktoren als hinreichend zur Konstitution des jeweiligen Wirklichkeitsverständnisses ansehen. Während „Religionen“ in diesem technischen Sinne per definitionem toleranzfähig sind, wird die Toleranzfähigkeit den Ideologien meist abgesprochen.24 Allerdings ist es auch möglich, zu behaupten, dass nichts außer natürlichen Faktoren hinreichend zur Konstitution eines Glaubenssystems ist, ohne intolerant zu werden: Nämlich genau dann, wenn zwar die Summe aller personalen, sozialen und natürlichen Parameter als hinreichend für die Konstitution verstanden wird, die Konstitution aber dennoch nicht als Gegenstand möglicher Manipulation betrachtet wird, weil angenommen wird, dass Menschen prinzipiell nie in der Lage sein können, die Summe dieser Parameter angemessen zu beschreiben. In diesem Falle wäre die Bildung des Wirklichkeitsverständnisses immer noch als relativ kontingent 24 Vgl. M hling, M., Einstein und die Religion, 15–22.

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Der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften

verstanden. Daher müssten auch solche Wirklichkeitsverständnisse in der Lage sein, andere zu tolerieren. Man kann daher von „nicht-totalitären Ideologien“ sprechen. Behauptet ein Wirklichkeitsverständnis jedoch, dass die Summe aller personalen, sozialen und natürlichen Parameter eine hinreichende Bedingung zur Konstitution des Wirklichkeitsverständnisses darstellt und dass diese Summe Gegenstand menschlicher Manipulation sein kann, wird die Existenz kontingenter Faktoren geleugnet mit der Folge, dass das in Frage stehende Wirklichkeitsverständnis nicht länger in der Lage ist, andere zu tolerieren. In diesem Falle kann von totalitären Wirklichkeitsverständnissen oder totalitären Ideologien gesprochen werden. Es ist gar keine Frage, dass historische Religionsgemeinschaften sich selbst immer wieder nicht nur in Ideologien, sondern sogar in totalitäre Ideologien pervertiert haben. Aber wo immer dies geschieht, hört eine Religion oder Kirche auf, selbst religiös zu sein. Es ist eine Sache, Mittel zu besitzen, die es erlauben, Toleranzfähigkeit von Intoleranz zu unterscheiden, und eine andere, mit Intoleranz umzugehen. An dieser Stelle können wir nicht alle möglichen Antworten auf diese Frage besprechen, was ein Thema der Sozialethik wäre. Das ist aber auch nicht nötig. Denn für unsere Zwecke ist vor allem eines wichtig: Wenn sich religiöse Überzeugungen in intolerante Ideologien verkehren, geben sie ihre Toleranzfähigkeit und ihren möglichen Status als Theologie auf. Daher können sie kein Partner des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften sein. Umgekehrt: Wenn Naturwissenschaftler behaupten, ihre Arbeit sei frei von allen nicht-empirischen Gewissheiten und empirische Gewissheiten seien alles, was eine Gesellschaft für ihre Wohlordnung benötige, ist Naturwissenschaft nicht einfach in Religion, sondern in eine intolerante Ideologie pervertiert. Daher können auch diese Arten des Szientismus kein sinnvoller Dialogpartner des Dialogs zwischen Theologie und den Naturwissenschaften sein. Dies hat zur Folge, dass wir diejenigen Wirklichkeitsverständnisse, auf die dies zutrifft, in diesem Buch nicht zu berücksichtigen haben. Dies betrifft die sehr ähnlichen Erscheinungen des sogenannten „neuen Atheismus“ (der weder neu noch atheistisch ist) und der bei Licht besehen recht verwandten Erscheinung des sog. „Kreationismus“ (der weder eine Theologie noch eine Schöpfungslehre darstellt). Diese und andere Zweige modernen Denkens in diesem Buch nicht zu behandeln, bedeutet jedoch nicht, dass ich Ignoranz für die beste Strategie halten würde, mit diesen Erscheinungen umzugehen. Den Dialog mit solchem Denken zu verweigern, wäre sicherlich falsch. Aber das wäre – in beiden Fällen – eher ein interreligiöser Dialog und nicht ein Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften.

1.8 Metaphern, Modelle und Mythen Besonders im anglophonen Bereich, aber nicht nur dort, findet sich sowohl in der Theologie als auch in den Naturwissenschaften eine gesteigerte Entwick-

Metaphern, Modelle und Mythen

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lung der Bedeutung von Metaphern und Modellen in der Wissenschaft.25 Es geht hier nicht darum, diese Entwicklung nachzuzeichnen. Es sollen nur einige Punkte erwähnt werden, die zum Verständnis der Vorgehensweise in diesem Buch hilfreich sind.26 1.8.1 Metaphern In der folgenden Theorie theoretischer Modelle ist der wesentlich metaphorische Charakter aller Sprache vorausgesetzt. Metaphern sind weder auf sog. literale Sprache reduzierbar, so dass Metaphern über literale Rede hinaus keinen kognitiven Gehalt aufweisen, noch gibt es eine kategoriale Unterscheidung zwischen Metaphern und literaler Sprache. Metaphern dürfen nicht einfach als Tropen im Rahmen der Rhetorik verstanden werden, sondern das, was wir üblicherweise mit „Metaphern“ bezeichnen, erschließt eine Dimension unseres Sprachgebrauchs und unserer kognitiven Fähigkeiten – und damit eine Dimension von Erfahrung – an sich. Gibt es nun keine kategoriale Unterscheidung zwischen metaphorischer und literaler Sprache, wird man diese Unterscheidung auf eine andere Weise zu verstehen haben. An dieser Stelle stütze ich mich auf Earl R. MacCormacks Einsicht, dass diese Unterscheidung mithilfe der Fuzzy-Logik verstanden werden kann.27

Normalerweise wird die Extension, die der Intension eines Begriffs zugeordnet wird, scharf abgegrenzt von allen Dingen, die nicht zur Extension eines Begriffs gehören. Es gibt dann nur zwei Wahrheitswerte, wahr oder falsch, 1 oder 0: Gegenstände gehören entweder zu einem Begriff oder nicht. Die Aussage „x ist Leben“ ist dann wahr für einige Entitäten x, während sie für andere nicht zutrifft. Gibt man diese traditionelle Sichtweise auf, lässt sich Sprache in folgender Weise verstehen: 25 Vgl. z. B. die Rezeption Blumenbergs durch Stoellger, P., Metapher und Lebenswelt. 26 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 24–44. 27 Vgl. MacCormac, E.R., Metaphor and Fuzzy Sets; MacCormac, E.R., Metaphor and Myth.

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Der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften

Die Beziehung zwischen den zu einem Begriff zählenden extensionalen Gegenständen und denjenigen Gegenständen, die nicht zu dem Begriff zählen, ist nicht eine kategoriale zwischen den beiden Wahrheitswerten 1 und 0, sondern die einer kontinuierlichen Funktion mit einem kontinuierlichen Übergang zwischen 1 und 0, und zwar in einer Weise, dass 1 und 0 Grenzwerte repräsentieren, die nur in der Unendlichkeit erreicht werden. Aus praktischen Gründen kann eine solche Wahrheitswertfunktion unterteilt werden. Teilt man sie in der Mitte, erhält man die traditionellen Wahrheitswerte „wahr“ und „falsch“. Unterteilt man sie dreifach, erhält man die drei Wahrheitswerte „wahr“, „unentschieden“ und „falsch“. Unterteilt man sie vierfach, erhält man „literal“, „epiphorisch“, „diaphorisch“ und „unverstehbar“. Alle diese Unterteilungen sind jedoch Abstraktionen vom wirklichen Sprachgeschehen. Ich behaupte nicht, dass sich tatsächlich eine mathematische Funktion finden lässt, die den Übergang zwischen 1 und 0 für unterschiedliche Begriffe beschreibt, denn die Fuzzy-Logik ist nur ein Modell für Sprache. Strikt erkenntnistheoretisch gilt nämlich, dass auf einem Basislevel auch die FuzzyLogik eine scharfe Unterscheidung zwischen 1 und 0 voraussetzen muss, um zu funktionieren. Daher denke ich, dass die Fuzzy-Logik uns hilft zu verstehen, wie Sprache funktioniert, nicht aber diese erklärt.28 Hilfreich ist auch, sich an die Einsicht des späten Wittgensteins zu erinnern,

28 Das Problem besteht dabei darin, dass die Fuzzy-Logik als eine algebraische Theorie eine zweiwertige Logik voraussetzt, so dass es nur so scheint, als wäre eine zweiwertige Logik in der Anwendung der Fuzzy-Logik auf die Metapherntheorie aufgegeben.

Metaphern, Modelle und Mythen

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dass Semantik nicht von Pragmatik isoliert werden kann.29 Die Beziehung zwischen Semantik und Pragmatik (und Syntaktik) ist eine reziproke, aber keine einfach symmetrische Äquivalenzbeziehung. Daher ist ein realistischer Anspruch nicht ausgeschlossen. Unter dieser Voraussetzung erhält man die folgende Definition einer Metapher, die veranschaulicht, dass jeglicher Sprachgebrauch – einschließlich sog. literaler Sprache und theoretisch-begrifflicher Sprache – letztlich metaphorisch ist: Eine Metapher ist der Gebrauch einer semantischen Einheit x im Rahmen eines pragmatischen Handlungskontextes oder eines narrativen Kontextes A im Zusammenhang mit einer semantischen Einheit y, zu der noch mindestens ein weiterer pragmatischer Handlungskontext oder narrativer Kontext B besteht.30 Mit semantischen Einheiten meine ich dabei Wörter, Aussagen, aber auch ganze Theorien oder Erzählungen.

Diese werden immer in pragmatischen Kontexten, in schon von personalen Interessen geprägten Handlungssituationen verwandt, die sich überschnei29 Vgl. Wittgenstein, L., Philosophische Untersuchungen, Nr. 43, 262. 30 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 30.

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Der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften

den, bzw. sind Gegenstand von narrativen Erfassungen von welthaften Prozesszusammenhängen. Sage ich z. B. „Jesus ist Leben“, wird die semantische Einheit „Jesus“ in der Situation einer spezifischen Praxis, z. B. einer Verkündigungssituation, zusammen mit der semantischen Einheit „Leben“ gebraucht, die im selben Kontext verwendet wird. Wichtig ist nun, dass „Leben“ auch in anderen Kontexten benutzt wird, wie Evolutionstheorien. Ob ein Sprachgebrauch nun als literal, langweilig, überraschend oder unverständlich empfunden wird, hängt davon ab, wie weit bzw. in welchem Maße die beiden Kontexte einander überschneiden. So wird der Satz „Genreproduktion bedeutet Leben“ meist als eine literale Metapher verstanden, wenn die wichtigsten Kontexte, in denen die beiden semantischen Einheiten verwandt werden, biologische sind. Sage ich „Wasser ist Leben“, was ein Slogan eines Werbespots sein könnte, sind beide Kontexte, etwa der Kontext der Werbung eines verantwortlichen Umgangs mit natürlichen Ressourcen und der Kontext der Biologie, nicht allzu weit entfernt. Die Metapher ist daher intuitiv, wenig überraschend oder epiphorisch, aber auch ein wenig langweilig. Im Falle von „Jesus ist Leben“ sind die beiden Kontexte nicht so sehr benachbart – zumindest war das der Fall bei den johanneischen Gemeinden, in denen dieser Sprachgebrauch zuerst erschien. Für sie war daher diese Art von Sprachgebrauch eine innovative, neue Weise, die Welt zu erfahren, was nicht selten zu Missverständnissen führte.31 Sage ich aber „Klebstoff ist Leben“ erscheint diese Aussage unverständlich und bedeutungslos, denn wir können uns kaum einen Kontext vorstellen, in dem die beiden semantischen Einheiten zusammen gebraucht werden. Weil aber Handlungskontexte nie vollständig isoliert sind, sondern narrativ in der prozessualen Welt immer verbunden sind oder zumindest als verbunden gedacht werden können, gibt es nur theoretisch – bzw. in der Unendlichkeit – einen vollständig unverständlichen Sprachgebrauch. Und da es immer mehr als einen pragmatischen oder narrativen Kontext von semantischen Einheiten gibt, gibt es in einem strikten Sinne ebenfalls keine literale Sprache – oder anders ausgedrückt: Eine solche erschiene nur in der Unendlichkeit. Aus praktischen Gründen wählen wir unwillkürlich einen spezifischen Handlungskontext oder narrativen Kontext als den regierenden: Dies ist im Falle des Begriffs der Kontext einer lexikalischen Definition oder der Kontext des Gesprächs in einer Gemeinschaft von Experten. 1.8.2 Modelle Theoretische Modelle sind methodisch geführte Ausarbeitungen einer Metapher oder einer Metaphernmenge, indem neue Regeln der Rekombination und Permutation angewandt werden. Die Metapher als ganze referiert daher auf einen spezifischen Sachverhalt. 31 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 30 f.

Metaphern, Modelle und Mythen

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Verändern wir Modelle, versuchen wir, den in Frage stehenden Sachverhalt besser zu verstehen und damit Aspekte wahrzunehmen, die ohne diese sprachlichen Mittel unsichtbar blieben. Wenn die dabei zugrunde gelegte Metapherntheorie mit ihrer Leugnung der Unterscheidung von „Metaphern“ und „literaler Rede“ zutrifft, gilt das Gleiche auch für die Unterscheidung von „Modellen“ und „Theorien“: Es gibt keine scharfe, sondern höchstens eine unscharfe Unterscheidung. Theorien sind eine spezifische Form von Modellen und Modelle haben nicht einfach die Funktion, Dinge zu illustrieren, die ansonsten in einer besseren Weise gesagt werden könnten. Zwar gibt es auch theoretische Modelle, die zum Zweck der Illustration entworfen sind. Aber auch in diesem Fall geschieht mehr denn pure Illustration: Sie formen unsere Gewissheiten, sowohl die empirischen als auch die nicht-empirischen. Quanten sind weder Wellen noch Partikel, aber diese Bilder bestimmen unser Denken. Gene können nicht egoistisch sein, aber wenn eine entsprechende Sprachverwendung nicht in minimaler Weise verständlich wäre, könnten sie nicht verwandt werden, um die Absatzzahlen von populären Büchern zu steigern. Modelle ähneln in mancher Form der klassischen Theorie der Analogie, in anderer Hinsicht übersteigen sie diese: Wie Mary Hesse betont,32 enthalten Modelle nicht nur positive und negative Analogien, sondern auch neutrale. Und diese Art von Analogie ist es, die Modelle besonders interessant werden lässt. Denn es ist zwar denkbar, dass in zukünftiger Forschung neutrale Analogien in positive oder negative überführt werden könnten, aber keinesfalls ist dies notwendig. Es ist denkbar, dass ein Bestand an neutralen Analogien stets bestehen bleibt, der nicht reduziert werden kann. Ist es richtig, dass sich in unserer Welt nicht nur Sachverhalte verändern, sondern möglicherweise auch die Gesetzmäßigkeiten selbst, nach denen sich diese Prozesse vollziehen – sei es in Geschichte oder Evolution –, was besonders Charles Sanders Peirce betont hat,33 dann mag sich sogar die Distinktion dessen, was negative, positive oder neutrale Analogien sind, innerhalb eines Modells über die Zeit verändern. Mit anderen Worten: Der Vorteil einer Theorie theoretischer Modelle als einer Basisdimension aller Sprache (und im Prinzip aller Zeichenprozesse) gegenüber einer klassischen Analogietheorie ist, dass die Frage, ob ein Modell oder eine Theorie primär epistemologischen oder ontologischen Gehalt hat, offenbleibt, ohne dass Realitätsansprüche aufgegeben werden müssten. Bei theoretischen Modellen geht es daher weniger um Repräsentationsbildung, sondern darum, dass unsere semiotischen Fähigkeiten nichts von der Welt Gesondertes sind. Sie sind der Welt selbst inhärent und resonieren ihr. Aus theologischen Gründen wird man noch weitergehen müssen und sagen, dass unsere Welt als Ganzes ein semiotisches – oder genauer – ein narratives Universum ist. Unter diesen Umständen wird man auch

32 Vgl. Hesse, M.B., Models, 9 ff. 33 Vgl. Peirce, C.S., Collected Papers, 6.267 f, und Kap. 5 dieses Buchs.

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Der Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften

den Begriff der Wahrheit selbst anders verstehen müssen, mithilfe einer Resonanztheorie der Wahrheit.34

1.8.3 Mythen Modelle werden zu Mythen, wenn sie als vollständige, d. h. jegliche kontingente oder neutrale Analogien ausschließende Beschreibungen der Sachverhalte verstanden werden. Da wir uns aber sogar in der wissenschaftlichen Arbeit nicht zu allen Zeiten und in jeder Hinsicht des modellhaften Charakters all unserer Theorien bewusst sind und da wir uns im Alltagsleben nicht zu allen Zeiten und in jeder Hinsicht des metaphorischen Charakters all unserer semiotischen Aktivität bewusst sind, ist die Verwendung, die Neuschöpfung und Erhaltung von Mythen ein alltäglicher Vorgang. Daher ist die Auffassung, dass Mythen durch wissenschaftliche und akademische Arbeit langsam verschwänden, schlicht falsch. Dass Mythen vollständig ausgetrieben werden könnten, ist selbst nichts als ein Mythos, vielleicht ein Teil des Mythos der Modernität. Genauso wenig stimmt es, dass unsere augenblickliche, spätmoderne oder postmoderne Gegenwart das Ende aller Großerzählungen oder Metaerzählungen (Levinas) bedeuten würde. Auch diese These ist nichts anderes als ein Mythos oder eine Metaerzählung, denn es handelt sich ja um nichts anderes als um ein Modell über Modelle oder ein Schlüsselmodell, das benutzt wird, um die Beziehungen zwischen anderen Modellen zu verstehen. Mythos, Modell und Narrative sind nicht identisch, aber Narrative bilden eine bestimmte Art von Modellen, denen besondere Kennzeichen zukommen und die dann ebenso zu narrativen Mythen werden können. Im Prinzip ist an der Mythenproduktion und -erhaltung nichts Falsches, genauso wenig wie an der Produktion und Erhaltung von Modellen, Theorien und Metaphern etwas Falsches wäre. Allerdings ist auf eine entscheidende These dieses Buchs hinzuweisen: Immer wenn von Mythen behauptet wird, sie seien keine Mythen, wird ihr Gebrauch für Gemeinschaften und die Gesellschaft gefährlich. M.a.W.: Immer wenn eine Theorie oder eine Narration nicht die Fähigkeit der Selbstrelativierung besitzt oder gar Anspruch auf eine vollständige Beschreibung der Wirklichkeit erhebt, werden Probleme auftauchen. Das Ziel dieses Abschnittes kann es dann auch nicht sein, Mythen auszutreiben, sondern darauf hinzuweisen, dass es wichtig ist, Mythen als Mythen durchsichtig werden zu lassen, Modelle als Modelle und Metaphern als Metaphern.

34 Vgl. M hling, M., „Voller Gnade und Wahrheit“.

Metaphern, Modelle und Mythen

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1.8.4 Theologische Modelle Theologische Theorien sind nichts anderes als eine Menge begrifflicher Modelle, die in besonderer Weise auf bestimmte narrative Modelle bezogen sind. Hier geht es nicht darum, alle möglichen Kennzeichen theologischer Modelle zu nennen, sondern vielmehr auf einen wichtigen Punkt hinzuweisen: Theologische Modelle sind stets Modelle, die von dem, worauf sie bezogen sind, strikt zu unterscheiden sind. Theologische Modelle sind unterschieden von den narrativen Modellen der christlichen Praxis. Und diese narrativen Modelle und Metaphern der christlichen Praxis, wie eng auch immer sie mit der göttlichen Selbstpräsentation zusammenzudenken sind, müssen immer doch vom Göttlichen und Ultimativen unterschieden, wenn auch nicht separiert gedacht werden. Daher gibt es eine doppelte Selbstrelativierung der Theologie, oder, um es mit anderen Worten zu sagen: Theologische Modelle bleiben stets fallibel und sie enthalten in sich stets Teilmodelle, die erklären, warum sie fallibel bleiben. Das soll mitnichten zu einem Skeptizismus führen, sondern im Gegenteil neue, positive Möglichkeiten erschließen: Denn setzt man nun die Fallibilität theologischer Modelle und den modellhaften Charakter der Theologie voraus, dann ist es möglich, alte theologische Modelle zu reinterpretieren, existierende theologische Modelle weiterzuentwickeln und neue zu erforschen. Und ist man sich der Veränderung (nicht notwendigerweise des Wachstums) all unserer semiotischen Aktivitäten und unseres Verständnisses der Wirklichkeit in allen Disziplinen bewusst, dann ist es nicht nur möglich, alte und neue theologische Modelle zu reinterpretieren, zu entwickeln und zu erforschen, sondern dann handelt es sich dabei um eine notwendige Aktivität – falls Theologie überhaupt kommunikationsfähig sein soll. Mein Vorschlag lautet daher, dass es im Reich des äußeren Kreises der Theologie – zu dem auch die Naturphilosophie gehört – leichter ist, neue Modelle zu bilden, zu erforschen und auch zu finden und zu testen. Die Aufgabe ist leichter zu bewerkstelligen, weil es sich nicht darum handelt, die Kernregion der Theologie zu verändern und damit auf die eine oder andere Weise direkten Einfluss auf die christliche Praxis selbst auszuüben. Ebenso ist es leichter, hier Modelle auf Basis von inter- und transdisziplinärer Arbeit zu gewinnen. In einigen Abschnitten dieses Buches wird es daher darum gehen, theologische Modelle mithilfe der Sprache anderer Disziplinen zu entwickeln. Dieses Vorgehen sollte nicht missverstanden werden. Es ist weder ein konstruktivistisches Vorgehen noch ein irgendwie spekulatives, sondern ein realistisches und erfahrungsorientiertes.

2. Erfahrung und Wahrnehmung – Epistemologie in den Neurowissenschaften Den besten Ansatzpunkt für einen Dialog zwischen Theologie und den Neurowissenschaften stellt die Debatte über unterschiedliche epistemologische Paradigmen der Disziplinen dar, und daher die Frage: Was bedeutet Erkenntnis und Erfahrung? Indem hier schon „Erfahrung“ neben „Erkenntnis“ erwähnt ist, ist bereits eine wichtige Vorentscheidung getroffen: Der Königsweg der Erkenntnis besteht in beiden Disziplinen in einem Begriff oder in Begriffen von „Erfahrung“.

2.1 Neurokonstruktivistisch-repräsentationalistischer Dualismus in den Neurowissenschaften Betrachtet man das am häufigsten genutzte epistemologische Paradigma in verschiedenen Zweigen der Neurowissenschaften zu Beginn der ersten beiden Dekaden des 21. Jh., wird man eine Reihe von Merkmalen identifizieren können, die mehr oder weniger in den Voraussetzungen vieler neurobiologischer Zugänge erscheinen. Dabei handelt es sich um die Merkmale des Repräsentationalismus, des Modularismus, des neurokonstruktivistischen Dualismus sowie, etwas weniger deutlich mit den zuletzt genannten Merkmalen korreliert, die Kennzeichen phänomenologischer Naivität, des kausalen Atomismus und des reduktionistischen Naturalismus. 2.1.1 Repräsentationalismus Es ist keineswegs unvernünftig zu erwarten, dass das Gehirn eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Fragen, auf welche Weise Menschen Zugang zur Realität haben und auf welche Weise sie verschiedene Erfahrungen machen, spielen dürfte. Eine Antwort auf die Frage, auf welche Weise die Realität – im Sinne all dessen, was erfahren werden kann – ein Teil menschlicher Erfahrung sein kann, lautet, dass sie im Gehirn repräsentiert wird. Diese Auffassung soll das repräsentationalistische Paradigma genannt werden. Dabei wird angenommen, dass sowohl Entitäten außerhalb des Körpers als auch Körperzustände wahrgenommen werden als Resultat einer Stimulation verschiedener Sinnesorgane, die durch Nervenbahnen Impulse an das Gehirn weitergeben,

Dualismus in den Neurowissenschaften

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das nun diese Information durch die elektro-chemische Aktivität in den Gehalt des Geistes transformiert. Mit anderen Worten: Die Umwelt oder eigene Körperzustände sind durch Sinneswahrnehmungen repräsentiert, die durch Gehirnaktivität geschaffen oder zumindest (re)konstruiert werden. Gemäß dieser Auffassung bildet das Gehirn die Welt in seiner eigenen Sprache ab und kreiert Landkarten der Welt. Zwar werden diese Bilder nicht als 1:1 Repräsentationen dessen, was es gibt, verstanden. Vielmehr addiert oder subtrahiert das Gehirn unterschiedliche Merkmale – es interpretiert die Sinnesdaten mit dem Effekt, dass der spezifische Inhalt des Geistes, d. h. die Wahrnehmungen, nicht nur durch die puren Sinnesdaten geformt werden, sondern ebenso durch diese Ergänzungen des wahrnehmenden Subjekts. Man spricht dabei von „Repräsentationen“, „Bildern“, „Landkarten“ und „Mustern“, die das Gehirn hervorbringt, in einem metaphorischen Sinne, der aufgrund der visuellen Wahrnehmung gewonnen ist, aber analog auch auf andere Sinneseindrücke angewandt werden kann. Deutlich wird dies bei der folgenden Beschreibung Antonio Damasios: ‘The human brain is a mimic of the irrepressible variety. Whatever sits outside the brain—the body proper […] as well as the world around […]—is mimicked inside the brain’s networks. In other words, the brain has the ability to represent aspects of the structure of nonbrain things and events, which include the actions carried out by our organism and its components […]. How the mapping happens exactly is easier said than done. It is not a mere copy, a passive transfer from the outside of the brain toward its inside. The assembly conjured by the senses involves an active contribution offered from inside the brain […] can block the view of what we are trying to explain.’1 ‘[…] I use the terms image, map, and neural pattern almost interchangeably. On occasion I also blur the line between mind and brain, deliberately […].’2 ‘Looking at a patch of cerebral cortex, it is easy to see why the most detailed maps the brain makes arise here, although other parts of the brain can make them, albeit with a lower resolution. One of the cortical layers, the fourth, is probably responsible for a large part of the detailed maps. Contemplating a patch of cerebral cortex, one also realizes why the idea of brain maps is not a far-fetched metaphor. […] they are, rather, the result of the momentary activity of some neurons and of the inactivity of others.’3

Beachtenswert ist hier zweierlei: Einerseits impliziert diese Sichtweise menschlicher Erkenntnis eine scharfe Distinktion zwischen dem, was dem Gehirn intern ist, und dem, was dem Gehirn extern ist. Andererseits handelt es 1 Damasio, A., Self Comes to Mind, 64. 2 Damasio, A., Self Comes to Mind, 65. 3 Damasio, A., Self Comes to Mind, 66.

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Erfahrung und Wahrnehmung – Epistemologie

sich bei den Repräsentationen, die hier Bilder, Landkarten und neuronale Muster genannt werden, um technische Begriffe. Der Repräsentationalismus ist aber keinesfalls etwas Neues oder etwas, das auf die Neurowissenschaften beschränkt wäre. Er erscheint vielmehr in allen Epochen der Geschichte der Epistemologie. Der wichtigste Unterschied besteht lediglich darin, dass der klassische Terminus „Geist“ durch den des „Gehirns“ ersetzt wird, aber das mag als nur kleine Änderung erscheinen. Man beachte dabei, dass Damasio, obwohl er „Gehirn“ und „Geist“ nicht identifiziert, explizit „Gehirn“ und „Geist“ z. T. austauschbar benutzen kann. Man wird also nicht nur die Neurowissenschaften, sondern vielmehr allgemeine philosophische Argumente miteinbeziehen müssen, wenn man die Sache detaillierter besprechen will.

2.1.2 Modularität und Modularismus Die repräsentationalistische Sicht, nach der das Gehirn das, was ihm gegenwärtig ist, abbildet, führt zu der Frage, auf welche Weise und durch welche Mittel das Gehirn diese neuronalen Muster oder Landkarten der Realität kreiert. Obwohl die Neurowissenschaften gegenwärtig noch weit davon entfernt sind, diese Frage auch nur annähernd vollständig zu beantworten, so bezieht man sich doch oft auf spezifische Areale oder Module des Gehirns als Teil dieses repräsentationalen Geschehens. Die Idee, unterschiedliche Areale des Gehirns mit unterschiedlichen mentalen Aktivitäten und Fähigkeiten zu assoziieren, geht zurück auf Theorien von Paul Broca und Carl Wernicke Ende des 19. Jh. und wird häufig in der Gegenwart vorausgesetzt, wenn Wissenschaftler bildgebende Verfahren wie fMRI, PET, SPECT etc. nutzen. Oft wird dabei offensichtlich diese Sichtweise der Modularität mit ontologischen Wahrheitsansprüchen ausgestattet, anstatt in ihr lediglich eine hypothetische, funktionale Beschreibung zu sehen. Dies hat zwei Implikationen. Einerseits wird angenommen, dass nicht nur das Gehirn, sondern auch das „Bewusstsein […] modular [ist], d. h. in Bausteine gegliedert, organisiert“4. So sind beispielsweise die Broca- und Wernicke-Areale mit Sprachfähigkeit assoziiert, der visuelle Kortex mit dem Sehvermögen, die Amygdala mit Furcht etc. Ein guter Teil neurowissenschaftlicher Arbeit besteht darin, verschiedene Assoziationen zwischen Gehirnmodulen und bewusster oder unbewusster mentaler Aktivität zu identifizieren. Ferner wird angenommen, dass auch Aspekte der Persönlichkeit mit verschiedenen Modulen assoziiert werden können, so die neurotische Persönlichkeit mit der Aktivität eines dACC (dorsal anterior cingulate cortex) genannten Moduls.5 In diesem Zusam4 Roth, G., Fühlen, Denken, Handeln, 198. 5 Vgl. Eisenberger, N.I./Lieberman, M.D./Satpute, A.B., Personality from a Controlled Processing Perspective.

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menhang kann auch die Idee genannt werden, dass das Vertrauen auf einen personalen und anthropomorphen „Gott“ oder „Götter“ mit einem spezifischen „Gottesmodul“ assoziiert werden könnte. Diese Idee wurde ursprünglich von V.S. Ramachandran6 erwähnt, und dann zur Theorie der Existenz eines HADD (hyperactive agency detection device) ausgearbeitet, und als solche erscheint sie häufig in den Bereichen der Cognitive Sciences of Religion (CSR) und der Evolutionary Psychology of Relgion (EPsyR). Das HADD habe dabei die Funktion gemäß evolutionärer Adaption, Menschen dazu zu bringen, wahrgenommene Ereignisse primär mit Handelnden zu verbinden, wobei angenommen wird, dass auch der Glaube an anthropomorphe „Götter“ auf diesem Mechanismus beruhe.7 Einige dieser „Instrumente“ und „Module“ mögen in nichts anderem als in den Extrapolationen der Erwartungen der Wissenschaftler bestehen, die sie verwenden; andere beruhen auf mehr oder weniger gesicherter empirischer Basis. Um all diese Beispiele zusammenzufassen: Das Gehirn – und ebenso das Bewusstsein – erscheint hier mit räumlichen Funktionsaufteilungen. Andererseits ist die zweite Implikation zu erwähnen: Der Modularismus bringt das Problem mit sich, dass niemand seine Bewusstseinszustände als räumlich lokalisierbar oder als Module erfährt. Daher ist derjenige Zweig der Neurowissenschaften, der den Modularismus vertritt, mit dem sog. Bindungsproblem konfrontiert, d. h. der Frage oder den Fragen, auf welche Weise und aufgrund welcher Mechanismen das Gehirn in der Lage ist, einen ungeteilten Bewusstseinszustand aus verschiedenen Modulen zu komponieren. Die radikalste Form dieser Frage besteht in dem Problem, auf welche Weise das Gehirn den Eindruck eines „Ichs“ oder eines „Bewusstseins“ selbst kreieren kann, da es kein „Ich–Modul“ gibt. Wolf Singer illustriert diese Bindungsprobleme auf folgende Weise: „Das Gehirn von Säugetieren ist in hohem Maße distributiv organisiert. Wir zählen beim Menschen etwa 120 verschiedene Hirnareale, und diese arbeiten alle an verschiedenen Aufgaben. […] Unsere Introspektion […] legt nahe, dass es irgendwo in unserem Gehirn ein Zentrum geben müsse, wo alle Informationen zusammenlaufen […]. Die Hirnforschung entwickelt ein völlig anderes Bild von der Verfasstheit des Organs, in dem das Ich sich konstituiert. Wir sehen eine Fülle von Arealen […]. Aber nirgendwo findet sich ein singuläres Zentrum […]. Nirgendwo im Gehirn ist ein singulärer Ort auszumachen, an dem dieses Perzept des bellenden, samtigen, friedfertigen Hundes als ganzes repräsentiert wäre. Die Repräsentation dieses Wahrnehmungseindrucks ist vielmehr ein sehr komplexes raumzeitliches Erregungsmuster, das sich zudem noch in der Zeit verändert und nicht wirklich verortbar ist. […] Es handelt sich um hochdimensionale, dynamische, raumzeitliche Muster, an deren 6 Vgl. Ramachandran, V.S./Hirstein, W.S./Armel, K.C./Tecoma, E., Neural Basis of Religious Experience. 7 Vgl. Boyer, P., Religion Explained, 142–144; Für eine Analyse vgl. Visala, A., Religion and the Human Mind, bes. 121.

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Ausbildung sich jeweils eine sehr große Zahl von räumlich verteilten Neuronen beteiligt.“8

Dieses Zitat zeigt, dass Modularität sowohl von einer repräsentationalistischen Auffassung abhängig ist, als auch Implikationen für eine solche mit sich bringt. Denn einerseits wird das Bindungsproblem durch die basale Idee verursacht, dass bestimmte dem Bewusstsein präsente Dinge in Teilen des Gehirns repräsentiert sein müssen. Andererseits erzwingt das Bindungsproblem auch eine Redefinition des Begriffs der Repräsentation. Während Damasio „Bild“, „Landkarte“ und „Muster“ gleichwertig gebraucht, nutzt Singer nur den Ausdruck „Muster“, wobei aber auch dieser Ausdruck nur mit einer Reihe von Qualifikanten zu gebrauchen ist. Denn während der ursprüngliche und alltägliche Gebrauch eines „Musters“ mit einer sehr lebendigen Vorstellung einhergeht, ist die Rede von einem „hochdimensionalen, dynamischen, raumzeitlichen Muster“ ein sehr hoch qualifiziert metaphorischer und daher abstrakter Begriff.

2.1.3 Neurokonstruktivismus Der Repräsentationalismus ist auch ein notwendiger, wenn auch kein hinreichender Bestandteil dessen, was jüngst Neurokonstruktivismus genannt wurde:9 die Idee, dass jede phänomenale oder begriffliche Wahrnehmung oder Erkenntnis dessen, was es gibt – also der Wirklichkeit – nicht nur durch Gehirnfunktionen repräsentiert ist, sondern durch Gehirnfunktionen mehr oder weniger aktiv konstruiert wird. Auch dieses Merkmal des Neurokonstruktivismus erscheint bei einer Vielzahl von Positionen. Die radikalsten unter diesen behaupten, das Gehirn sei die einzige handelnde Instanz der Realitätskonstruktion. In diesem Fall müssen dem Gehirn unweigerlich personale Eigenschaften zugeschrieben werden. Dies ist beispielsweise bei G. Roth der Fall: „Ich habe davon gesprochen, daß das Gehirn die Wirklichkeit hervorbringt und darin all die Unterscheidungen entwickelt, die unsere Erlebniswelt ausmachen. Wenn ich aber annehme, daß die Wirklichkeit ein Konstrukt des Gehirns ist, bin ich gleichzeitig gezwungen, eine Welt anzunehmen, in der dieses Gehirn, der Konstrukteur, existiert. Diese Welt wird als ,objektive‘, bewußtseinsunabhängige oder transphänomenale Welt bezeichnet. Ich habe sie der Einfachheit halber Realität genannt und sie der Wirklichkeit gegenübergestellt […]. In dieser Welt – so nehmen wir an – gibt es viele Dinge, u. a. auch Organismen, viele Organismen haben Sinnesorgane, auf die physikalische und chemische Reize einwirken, und sie haben Gehirne, in denen aufgrund dieser Einwirkungen und interner Prozesse eine phä8 Singer, W., Ich denke, also bin Ich?, 25–27. 9 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 25.

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nomenale Welt entsteht, eben die Wirklichkeit. […] Die Wirklichkeit wird in der Realität durch das reale Gehirn hervorgebracht. […] Dies ist die höchst plausible Annahme, die wir allerdings innerhalb der Wirklichkeit treffen und die nicht als Aussage über die tatsächliche Beschaffenheit der Realität mißverstanden werden darf.“10

Die Unterscheidung zwischen „Wirklichkeit“ und „Realität“, die Roth hier benutzt, erscheint zunächst reichlich artifiziell. Nehmen wir aber an, sie sei nichtsdestotrotz sinnvoll. In diesem Falle wären alle Annahmen über die „Realität“ – also Wahrnehmungen genauso wie theoretische Konstrukte einschließlich Theorien, Aussagen, angenommenen Entitäten etc. – tatsächlich Konstrukte der „Wirklichkeit“. Die einzig zutreffende Aussage, die über die „Realität“ überhaupt getroffen werden kann, besteht darin, dass Roth sie mit dem „realen Gehirn“ identifiziert. Und obwohl Roth nun alle Sachverhalte auf eine naturalistische Weise erklären will, führt er eine ganze Armada personaler Begriffe ein, wie „Konstrukteur“, „schaffen“ (in unserem Beispiel) oder die Rede von „Entscheidungen“ des Gehirns (an anderer Stelle).11 Abgesehen von der Beobachtung, dass auch Naturalisten damit gezwungen zu sein scheinen, eine implizit teleologische Sprache zu verwenden, ist doch deutlich, dass bei Roth die Wirklichkeit ein Konstrukt des Gehirns allein ist. Das Einzige, was dann aber tatsächlich als real oder als das Ding an sich ausgegeben wird (ohne dass es als solches erscheinen soll), ist das „reale Gehirn“. Weniger radikale Positionen können auf das Gehirn als alleinigen Konstrukteur der wahrgenommenen Wirklichkeit verzichten, indem sie soziale und kulturelle Faktoren zusammen mit dem Gehirn – bzw. das Gehirn beeinflussend – als weitere Konstrukteure der Wirklichkeit anerkennen. Deutlich wird dies in Singers folgenden Ausführungen: „Die Ergebnisse der kognitiven Neurowissenschaften legen nahe, dass ein erstaunlich hohes Maß dessen, was wir objektiv wahrzunehmen glauben, von unseren Gehirnen konstruiert ist und dass sehr vieles von dem, was wir für objektiv halten, lediglich Folge von Interpretationen ist.“12 „Reduziert sich die Frage nach der Herkunft des Wissens also auf die Frage nach den Faktoren, welche die Architektur von Gehirnen bestimmen? Zunächst und vor allem ist dies die Evolution. […] Evolution kann demnach als kognitiver Prozess verstanden werden, über den Lebewesen Wissen über die Welt erworben haben.“13 10 Roth, G., Das Gehirn und seine Wirklichkeit, 324f. Eine kritische Analyse der Position Roths bietet Herms, E., „Das Gehirn und seine Wirklichkeit“. Ähnlich der Position Roths ist auch Wegner, D.M., Precis of The Illusion of Conscious Will. 11 Vgl. z. B. Roth, G., Worüber dürfen Hirnforscher reden, 73. Eine Analyse des stillschweigenden Wechsels von einer naturalistischen Sprache zu einer Sprache der Personalisierung und Teleologisierung bietet Rott, H., Freiheit in den Zeiten neurowissenschaftlichen Fortschritts. 12 Singer, W., Ich denke, also bin Ich?, 17. 13 Singer, W., Ich denke, also bin Ich?, 19.

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„Neben der Evolution gibt es eine zweite Wissensquelle, die in ihrer Bedeutung oft unterschätzt wird […]. Das menschliche Gehirn entwickelt sich von der Geburt bis etwa zum zwanzigsten Lebensjahr. […] Es ist wahrscheinlich, dass frühe kulturspezifische Prägungen implizites Wissen vermitteln, welches genauso wie das evolutionär erworbene Wissen festlegt, wie Menschen die Welt wahrnehmen.“14

In diesem moderateren konstruktivistischen Zugang werden nicht nur die Geschichte der Evolution und die der Kultur als Faktoren der Konstitution der der Realität zugelassen, sondern die Vorgänge, durch welche diese Faktoren die Realität konstituieren, sind schillernd beschrieben zwischen „Konstruktion“ und „Interpretation“. Dennoch bleiben die Probleme im Wesentlichen dieselben, einschließlich der impliziten Einführung der teleologischen Sprache des Handelns. Auch der Neurokonstruktivismus in allen seinen Formen ist nichts Neues, denn konstruktivistische Auffassungen der Realität sind so alt wie die Geschichte der Philosophie selbst. 2.1.4 Mythischer, idealistischer Dualismus Notwendigerweise ist mit dem Neurokonstruktivismus ein weiteres Kennzeichen verbunden, das dessen Protagonisten meist explizit und auf sehr tragische Weise zu verneinen suchen: eine Form des Dualismus. Die meisten Neurowissenschaftler haben das explizite Ziel oder die Voraussetzung, jede Art eines Körper-Geist-Dualismus oder eines Cartesischen Dualismus, der zwischen res cogitans und res extensa unterscheidet, vermeiden zu wollen. Allerdings entpuppt sich der neurokonstruktivistische Repräsentationalismus eher als intrinsisch dualistisch denn als monistisch. Ferner weist er eine weit stärkere Tendenz zum Idealismus als zum Realismus auf. Damit ist hier nicht gemeint, dass auch unter der Voraussetzung einer monistischen Ontologie, die nur materielle Substanzen zulässt, dennoch die Rede von einer Dualität von Aspekten oder ein Aspekt-Dualismus, der dann zwischen dem, was in der 3.Person-Perspektive wahrnehmbar ist, und dem, was in der 1.Person-Perspektive wahrnehmbar ist, angenommen wird. Denn diese Auffassung ist weit verbreitet.15 Vielmehr ist hier eine andere, weit grundlegendere Art von notwendigem Dualismus gemeint: Die konstruktivistische und repräsentationalistische Sicht, wie sie oben vorgestellt worden ist, beruht nämlich auf einer basalen Distinktion zwischen einerseits dem, was in der 1.Person- oder der 3.Person-Perspektive wahrgenommen werden kann, und andererseits zwischen dem, was als wirklich real auf der anderen Seite angenommen wird. Im Beispiel des oben genannten Roth-Zitats sind die Ähnlichkeiten zu Platons Höhlen- bzw. Sonnengleichnis, das als klassische Veranschaulichung eines 14 Singer, W., Ich denke, also bin Ich?, 20f. 15 Vgl. z. B. Damasio, A., Self Comes to Mind, 65.

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basalen Dualismus gelten kann, nur allzu augenfällig: Die Konstrukte des Gehirns, die das Bewusstsein ausmachen, ähneln den Schatten an der Wand. Genauso, wie die Ideen, die tatsächlich die Schatten an der Wand verursachen, hinter uns und außerhalb unserer Sicht liegen und nur durch unterschiedliche Stufen von Transzendierungen erfasst werden können – von den Gestalten zum sie verursachenden Feuer bis hin zur einzig wahren Realität des Lichts der Sonne –,16 so ist für Roth die einzig transzendentale und transzendente Realität die des „realen Gehirns“, das, in Kantischer Terminologie, mit dem „Ding an sich“ identifiziert ist. Um einen strikten Dualismus zu vertreten, ist es überhaupt nicht notwendig, zwei basale Arten von „Substanzen“ zu postulieren. Es genügt, eine Trennung zwischen dem, was gewusst werden kann, und dem, was ist – eine Trennung von Epistemologie und Ontologie – einzuführen, so wie es in Roths Fall geschieht, aber auch in der gemäßigteren Ansicht von Singer. Singer ist dabei nicht nur willens, ein transzendentes Gehirn einzuführen, sondern auch weitere naturalistische Entitäten (physische, chemische, biologische und kulturelle). Das bedeutet aber nicht, dass der Dualismus vermieden wäre. Es bedeutet nur, dass die Linie an einer anderen Stelle gezogen wird, die vielleicht eher an die ebenfalls basal dualistische Unterscheidung Lockes zwischen Primärqualitäten und Sekundärqualitäten erinnert.17 Dabei handelt es sich um die Unterscheidung zwischen Eigenschaften, die die Dinge absolut, auf nicht relative Weise besitzen, und Eigenschaften, die ihnen nur in Bezug auf den Beobachter zugesprochen werden können, die sie also auf relative Weise besitzen. Und diese Unterscheidung Lockes zwischen zwei Arten von nicht-relativen und relativen Eigenschaften ist weit besser geeignet, um zu verstehen, was mit Dualismus gemeint sein kann als die cartesianische Unterscheidung zwischen inkompatiblen „Substanzen“. Damit ist klar: Der neurokonstruktivistische Repräsentationalismus ist intrinsisch dualistisch. Aber ist er auch idealistisch? Man könnte immerhin einwenden, dass weder Locke noch Kant, die im letzten Abschnitt erwähnt wurden, als Idealisten bezeichnet werden müssen, zumindest dann, wenn man einen deutlichen Unterschied zwischen Kant und seinen idealistischen Nachfolgern annimmt. Worin hat dies seinen sachlichen Grund? Kant behauptet, es gäbe ein Noumenon, das Ding an sich, das von Wahrnehmung und Begriff unterschieden und nicht identifizierbar ist. Der Idealismus hingegen geht davon aus, dass in der einen oder der anderen Weise doch eine Identifikation dieses Dinges an sich möglich ist. So sah der frühe Fichte im „Ich“, das nicht mit dem individuellen, empirischen Ich zu verwechseln ist, sondern eher so etwas wie Ichheit meint, das Fundament der konstitutiven Realität.18 Hegel spricht von der Selbstbewegung des absoluten Geistes und auch Schopenhauer, der sicherlich etwas dagegen gehabt hätte, in einem Zug mit Hegel 16 Vgl. Plato, Platonis Opera, Tomus IV, 514–516.517d–525b. 17 Eine Analyse der Unterscheidung bietet Jenson, R.W., On Thinking the Human, 50–58. 18 Vgl. Fichte, J.G., Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, 16. 24.

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genannt zu werden,19 macht nichts anderes als das Ding an sich mit dem nichtintentionalen und blinden Drang des „Willens“ zu identifizieren.20 Diese Identifikationen sind von der gleichen Art wie die im Rahmen des Neurokonstruktivismus: Roth identifiziert das Ding an sich, also die Realität in letzter Instanz, mit dem „realen Gehirn“, während der etwas moderatere Neurokonstruktivismus von Singer das Ding an sich mit den Produkten der Evolution identifiziert. Daher ist es angemessen, diese Art des repräsentationalistischen Neurokonstruktivismus nicht nur als dualistisch zu bezeichnen, sondern auch als idealistisch, wie es Thomas Fuchs in einer sorgfältigen Analyse nachgewiesen hat.21 Fuchs verweist ferner auf die entscheidende Tatsache, dass es sich dabei nicht nur um einen theoretischen Sachverhalt handelt, sondern dass diese Sicht von Erfahrung auch unser Verhalten und Handeln nachhaltig und ungünstig beeinflusst.22 Eilert Herms nun macht deutlich, dass diese Art der Identifikation des transzendental Noumenalen mit einem Teil des phänomenal Bekannten der Kern jeder Produktion von Mythen ist: „Die Struktur derartiger Vorstellungen ist aus den Mythen der Religionen und Weltanschauungen bestens bekannt. Ebenso bekannt ist die grundlegende Kritik aller derartigen Vorstellungen, die in der neuzeitlichen Religionskritik ständig repetiert und dadurch zu Breitenwirkung gelangt ist. Diese Kritik besagt: Die inhaltlichen Bestimmungen der transphänomenalen Sphäre ergeben sich sämtlich daraus, daß die Bestimmungen der phänomenalen Sphäre in ein Jenseits projiziert werden, wobei diese Projektion durch nichts anderes begründet und motiviert ist als durch den auf anderem Wege nicht zu befriedigenden Erklärungswunsch. Es ist nichts anderes als dieser Wunsch, der die gesamte Vorstellung produziert – und zwar unter Inkaufnahme eines manifesten Selbstwiderspruchs: Die Differenz zwischen Phänomenalität und ihrem sie gewährenden und erhaltenden Grund, die es gerade zu verstehen und zu begreifen gilt, wird dadurch ignoriert – übersprungen oder unterlaufen – daß dem konstituierenden Grund umstandslos Züge des Konstituierten beigelegt werden, ja, daß er selbst als im Konstituierten begründet gedacht wird.“23

Schon Karl Heim hat in seiner theologischen Religionskritik eine solche willkürliche Identifikation eines Erfahrungsgegenstands mit der transzendentalen Bedingung der Möglichkeit der gesamten Erfahrungswelt als Ursprung allen Aberglaubens identifiziert: „Wir machen innerhalb der unendlichen Reihen, die sich nach allen Seiten hin in unabsehbare Ferne verlieren, bei einem bestimmten Glied halt und entschließen uns, hinter dieses Glied nicht mehr zurückzufragen. Wir handeln so, als ob dieses Glied 19 20 21 22 23

Vgl. Schopenhauer, A., Parerga und Paralipomena, Bd. 4, 34f. 37. 179. Vgl. Schopenhauer, A., Welt als Wille und Vorstellung DB 2, §25, 283. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 25–30. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 26. Herms, E., „Das Gehirn und seine Wirklichkeit“, 99.

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der Uranfang der Wirklichkeit wäre, und erheben es in den Rang des Höchstwertes, obwohl wir wissen, daß es ein Glied der Reihe ist. Die Bibel nennt das ,Kreaturvergötterung‘, weil dabei etwas Innerweltliches als überweltlich verehrt wird.“24

Die entscheidende Frage, die nun zu stellen ist, lautet: Ist es möglich, der Ähnlichkeit des Neuroidealismus mit Mythologie, wenn nicht sogar Kreaturvergötterung zu entgehen oder handelt es sich dabei um eine unvermeidliche Bewegung? 2.1.5 Phänomenale Naivität Konzeptionell sind die zuvor genannten Kennzeichen mit den nun folgenden nur lose verbunden. Nichtsdestotrotz sind diese erwähnenswert, weil sie im interdisziplinären Dialog beständig mitschwingen. Das erste dieser Kennzeichen möchte ich „phänomenale Naivität“ nennen. Es scheint sich dabei nicht um die beste Bezeichnung zu handeln, da in ihr unweigerlich eine Wertung mitschwingt. Aber andere, eher neutrale Formulierungen wie „Unmittelbarkeit“, die vielleicht auch möglich wären, haben auch eine technische Bedeutung und bezeichnen phänomenologisch etwas ganz anderes – sogar etwas, was das Gegenteil dessen ist, was hier gemeint ist. In vielen neurowissenschaftlichen Arbeiten wie auch in vielen Studien aus dem Bereich der CSR entspringen die Anfangsideen für die empirischen Studien intuitiven Ideen der Wissenschaftler und sie spiegeln oft eher das Wissen und die Bildungsgeschichte der Personen wider als die der infrage stehenden Phänomene. Dieses Problem sei anhand einiger Beispiele illustriert: Es hat sich zu einem Gemeinplatz entwickelt, sich in der Einschätzung der Frage nach der menschlichen Fähigkeit zu „freien“ Entscheidungen und zum Vermögen eines möglichen „freien Willens“ auf die bekannten Libetexperimente zu berufen. Die Probanden wurden im Rahmen dieser Experimente dazu aufgefordert, auf einen „Drang“25 zu warten, ihre Finger zu bewegen. Aufgrund eines „Dranges“ zu handeln, ist allerdings weit von dem entfernt, was wir im Alltag als eine freie oder willentliche Handlung bezeichnen würden. In neueren Experimenten zum freien Willen, die das bildgebende Verfahren fMRI nutzen, taucht dieses Problem in anderer Weise wieder auf. So betonen Haynes und Kollegen: ‘it was specifically emphasized that the subject’s decisions should be unbiased and spontaneous. […] It was ensured that subjects made spontaneous decisions and did not pre-plane them.’26 Den Autoren war hier bewusst, dass eine Handlung auf Basis eines Dranges nicht mit freiwillentlicher Handlung assoziiert werden kann. Allerdings scheinen sie zu übersehen, dass eine 24 Heim, K., Glaube und Denken (6. Aufl. n. der 5. Aufl. 1957), 186. 25 Vgl. Libet, B., Mind Time, 193–199. 26 Haynes, J.-D./Bode, S./Hanxi He, A./Soon, C.S./Trampel, R./Turner, R., Tracking the Unconscious Generation of Free Decisions, 2.

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völlig spontane Handlung ohne Vorausplanung nahezu zu keiner Alltagshandlung passt, auf die wir die Sprache von Wille und Freiheit anwenden. Auf dem Gebiet der neurowissenschaftlichen Erforschung der Religion haben d’Aquili und Newberg ihren Fokus auf „mystische“ Erfahrungen während Meditationen und besonderen Formen des Gebets gelegt. Sie haben also außergewöhnliche Erfahrungen, die sich von der Alltagserfahrung grundlegend unterscheiden, zum Ausgangspunkt genommen. Damit haben sie aber einen Ausgangspunkt für die Erforschung von religiöser Erfahrung gewählt, der von dem, was innerhalb des Selbstverständnisses der unterschiedlichsten religiösen Traditionen selbst als religiöse Erfahrung verstanden wird, grundlegend verschieden ist.27 Sie haben also einen signifikanten Faktor einer partikularen religiösen Tradition isoliert, um ihn als Schlüssel des Verständnisses einer Varietät von unterschiedlichen Phänomenen zu verwenden, und das auf willkürliche Weise. Sie sind der Auffassung, dass apersonale und differenzlose Einheitserfahrungen das Zentrum des Glaubens seien. In nahezu umgekehrter Weise haben verschiedene Studien aus dem Bereich der CSR nun nicht weniger willkürlich ihr Augenmerk gerade auf Offenbarungserfahrungen anthropomorpher, individueller Götter oder übernatürlich Handelnder gelegt.28 Religion wird hier, im Vergleich zu d’Aquili und Newberg, in einer völlig anderen Weise modelliert: Das außergewöhnliche Erfahren von bestimmten, übernatürlichen Individuen wird hier als Schlüsselmodell par excellence verstanden. Die meisten Glaubenden religiöser Traditionen erfahren aber gerade keine individuellen Offenbarungen dieser Art. Ferner entsprechen die Begriffe von Offenbarung, wie sie in den verschiedenen religiösen Traditionen gebraucht werden, keineswegs dieser Art von vorausgesetzter Erfahrung, wie sie CSR benutzt, sondern sie beziehen sich auf sehr unterschiedliche Phänomene. In einigen Fällen sind sogar Experimente entworfen worden, die die phänomenale Basis ihrer Quellen, auf die sie sich beziehen, vollständig verkennen. So gibt es eine Studie, in der die Wissenschaftler erklären wollen, warum Offenbarungen gehäuft auf Bergen stattfänden.29 Diese Studie ist wissenschaftlich vollständig wertlos, weil sie verkennt, dass die Texte, auf die sie sich bezieht, nicht den Anspruch besitzen, historische Ereignisse zu berichten. Berge – genauso wie Wüsten oder 27 Vgl. Newberg, A.B./Alavi, A./Baime, M./Poudehnad, M./Santanna, J./d’Aquili, E., Blood Flow during the Complex Cognitive Task of Meditation; Newberg, A.B./Wintering, N./ Morgan, D./Waldman, M.R., Blood Flow During Glossolalia; Newberg, A.B./Wintering, N./ Waldman, M.R./Amen, D./Khalsa, D.S./Alavi, A., Blood Flow Differences between Longterm Meditators and Non-Meditators. Eine gute Analyse von Newbergs und d’Aquilis Arbeiten bietet Runehov, A.L.C., Sacrad or Neural?, 137–200. Allerdings scheint ihre Beurteilung, ebd., 200, dass es plausibel sei, dass das Gehirn Gott kreiere, nur vor dem Hintergrund einer repräsentationalistischen Sicht plausibel zu sein. 28 Vgl. z. B. Boyer, P., Religious thought as by-product; Boyer, P., Religion Explained; Barrett, J.L./Keil, F.C., Anthropomorphism in God Concepts. Eine gute Einführung in das Gebiet der CSR liefert Visala, A., Naturalism, Theism and the Cognitive Study of Religion. Eine kurze Übersicht bietet Visala, A., Religion and the Human Mind. 29 Vgl. Arzy, S./Idel, M./Landis, T./Blanke, O., Revelations occurred on mountains. Hier fragt man sich in der Tat, warum dieser Artikel ohne jeden wissenschaftlichen Wert überhaupt publiziert wurde.

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wichtige Städte – werden literarisch in einer Serie narrativer Ereignisse genutzt, um auf Höhepunkte der Narration hinzuweisen. In einigen Fällen, wie z. B. im Falle des Berges Zion, handelt es sich einfach um eine Erhöhung auf dem Stadtgebiet ohne signifikante geographische Prominenz oder tatsächliche Höhe. Solche Ortslagen werden gewählt aufgrund ihrer geschichtlichen Bedeutung im Rahmen bestimmter Erzählungen, nicht weil es sich um wirkliche Berge handelt oder weil sich mit der Ortslage ein bestimmter, außergewöhnlicher Erfahrungswert verbinden ließe.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich nicht der Ansicht bin, dass sich ein gesamter Wissenschaftszweig solch simpler Interpretationsfehler schuldig machen würde. Im Bereich der CSR gibt es genügend Studien, die solche Fehler vermeiden, und es gibt andere Experimente aus dem Gebiet der Neurowissenschaften, die die genannten Probleme nicht besitzen. Auch die genannten Studien von Haynes und Kollegen dürften einige brauchbare Einsichten liefern.30 Die entscheidende Frage ist aber die folgende: Worin liegt der Unterschied zwischen jenen Studien, die auf solchen phänomenal naiven Voraussetzungen beruhen, und denen, die das nicht tun? Diese Frage ist wichtig, denn klar ist auch, dass es nicht die Experimente selbst, deren Durchführung oder deren Interpretation sind, die fehlerhaft sind, sondern etwas, das der Arbeit der jeweiligen regionalen Methodologie voraus geht. 2.1.6 Kausaler Atomismus und die Externalität von Relationen Ein weiteres Problem, das in der Regel eher zufällig, aber nichtsdestotrotz häufig mit dem Neurokonstruktivismus einhergeht, kann kausaler Atomismus genannt werden. Damit meine ich die Vorstellung, dass die basalen Entitäten in individuellen Substanzen, individuellen Ereignissen oder individuellen Phänomenen bestünden, die mit anderen individuellen Substanzen, Ereignissen oder Phänomenen durch kausale Relationen – und damit durch externe Relationen – verbunden sind, die nicht die Identität oder die Konstitution dieser individuellen Substanzen, individuellen Ereignisse oder individuellen Phänomene betreffen. Innerhalb des Paradigmas des kausalen Atomismus besteht das Hauptziel der Forschung darin, diese individuellen Substanzen, Ereignisse oder Phänomene und die zwischen ihnen herrschenden Kausalverhältnisse in geeigneter Weise zu identifizieren. Man mag nun fragen, warum dieser kausale Atomismus hier als Problem bezeichnet wird, denn schließlich sehen viele gerade darin ein Hauptkennzeichen wissenschaftlicher Arbeit. Aber auch wenn man sich dieser Meinung nicht anschließen mag, so scheint der kausale Atomismus doch zumindest bequem zu sein, denn er passt oft zu unserem gegenwärtigen Alltagssprachgebrauch. Um 30 Vgl. Haynes, J.-D./Bode, S./Hanxi He, A./Soon, C.S./Trampel, R./Turner, R., Tracking the Unconscious Generation of Free Decisions; Haynes, J.-D./Soon, C.S./Brass, M./Heinze, H.-J., Unconscious Determinants of Free Decisions.

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die Probleme, die sich tatsächlich mit dieser Position verbinden, ans Licht zu bringen, müssen wir detaillierter vorgehen und uns auf eine wichtige philosophische Diskussion beziehen. Bertrand Russell als Naturalist hat versucht, den kausalen Atomismus bzw. die Externalität aller Relationen als die einzig haltbare Position zu verteidigen. Russell präsentierte seine Meinung in virtueller Auseinandersetzung mit dem britischen Philosophen Francis Herbert Bradley, der im späten 19. Jh. zu denjenigen angelsächsischen Philosophen gehörte, die den Hegelianismus in die anglophone Debatte einführten. Bradleys Position zeichnet sich dadurch aus, dass sie gewissermaßen das Gegenteil derjenigen Russells ist. Er führte die Internalitätsthese in die Philosophie ein, d. h. die Auffassung, dass alle denkbaren Relationen intern oder intrinsisch sind: ‘But every relation […] essentially penetrates the being of its terms, and, in this sense, is intrinsical.’31 ‘I do not admit that any relation whatever can be merely external and make no difference to its terms.’32 ‘We have seen […] all relations imply a whole to which the terms contribute and by which the terms are qualified […]. Nothing in the whole and in the end can be external, and everything less than the Universe is an abstraction from the whole, an abstraction more or less empty […].’33 ‘Relations are all intrinsical.’34

Russell wandte nun Bradleys Ausführungen auf eine ganze philosophische Tradition an, von Leibniz über Kant und Hegel bis zu den Idealisten seiner eigenen Zeit: ‘I called this the “doctrine of internal relations”, and I called my view the “doctrine of external relations”. The doctrine of internal relations held that every relation between two terms expresses, primarily, intrinsic properties of the two terms and, in ultimate analysis, a property of the whole which the two compose. […] Suppose that A and B are events, and A is earlier than B. I do not think that this implies anything in A in virtue of which, independently of B, it must have a character which we unaccurately express by mentioning B. Leibniz gives an extreme example. He says that, if a man living in Europe has a wife in India and the wife dies without knowing it, the man undergoes an intrinsic change in the moment of her death.’35

Die Konsequenz der sogenannten Lehre der Internalität der Relationen ist nach Russel ein schroffer Monismus: ‘Further, assuming that we are not to distinguish between a thing and its “nature”, it follows from the axiom that nothing can be considered quite truly except in relation to the whole. For if we consider “A is related to B”, the A and the B are also related to 31 32 33 34 35

Bradley, F.H., Appearance and Reality, 392. Bradley, F.H., Appearance and Reality, 574. Bradley, F.H., Appearance and Reality, 581. Bradley, F.H., Appearance and Reality, 627. Russell, B., Philosophical Development, 54f.

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everything else, and to say what the A and the B are would involve referring to everything else in the universe.’36 ‘Consequently, if the axiom of internal relations is true, it follows that there is no diversity, and that there is only one thing. Thus the axiom of internal relations is equivalent to the assumption of ontological monism and to the denial that there are any relations.’37 ‘Again, the axiom of internal relations is incompatible with all complexity. For this axiom leads […] to a rigid monism. […] In short, the whole conception of “identity in difference is incompatible with the axiom of internal relations; yet without this conception, monism can give no account of the world […].’38

Russells eigene Sicht der Dinge ist hingegen die Lehre der Externalität, d. h. die Vorstellung, dass alle Relationen extern seien. Eine notwendige Implikation dieser Sichtweise ist die Vorstellung eines radikalen Pluralismus: ‘We thus get a world of many things, with relations which are not to be deduced from a supposed “nature” or scholastic essence of the related things. In this world, whatever is complex is composed of related simple things […].’39 ‘I still hold to the doctrine of external relations and to pluralism, which is bound up with it. […] I still hold that any proposition other than a tautology, if it is true, is true in virtue of a relation to a fact, and that facts in general are independent of experience.’40

Hier ist nicht zu fragen, ob Russells Sichtweise der kontinentalen Philosophie, des Idealismus oder Hegels historisch sorgfältig ist (sie ist es nicht). Diejenige Form von pantheistischem Monismus, die er konstruiert, um sie zu demontieren, wäre sicherlich aus den von ihm angeführten Gründen problematisch. Aber auch dann ist seine eigene Sichtweise selbst äußerst problematisch. Denn er argumentiert ja nicht einfach für Komplexität und Pluralität bzw. für eine pluralistische Auffassung im Sinne des gegenwärtigen Sprachgebrauchs. Russells Pluralismus lässt vielmehr den Begriff einer Welt überhaupt nicht mehr zu; vielmehr wird jede individuelle Entität eine Welt für sich. Auf der einen Seite wird behauptet, alle Relationen inklusive der Kausalrelationen seien extern, indem sie die Identität der individuellen Dinge nicht tangieren. Auf der anderen Seite ist dann aber auch jede Aussage der Form „Alle Relationen sind x“ unmöglich. Indem Russell alle Relationen für extern hält, verteidigt er nicht, wie er meint, eine Form des Realismus, sei es ein naiver oder ein anspruchsvollerer, sondern es handelt sich schlicht um einen negativen Idealismus. Pragmatisch gesehen erscheint diese Lösung zunächst bequem zu sein: Jeder Naturwissenschaftler kann sich auf beliebige Experimente beziehen und 36 37 38 39 40

Russell, B., Philosophical Development, 56. Russell, B., Philosophical Development, 57. Russell, B., Philosophical Development, 60. Russell, B., Philosophical Development, 61. Russell, B., Philosophical Development, 63f.

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diese interpretieren. Und abgesehen von der Diagnose kausaler Relationen zwischen Dingen gibt es keine Verbindung zwischen ihnen. Man kann also nicht mehr sagen, dass die Physik die Biologie beeinflussen könnte oder die Biologie die Kultur oder die Evolution menschliches Handeln. Es wird aber noch schlimmer: Denn die Auffassung, dass es nur kausale Relationen von ontischem Wert gibt, ist prinzipiell eine Verletzung des vorausgesetzten Axioms. Daher kann es schlicht nicht stimmen, dass alle Relationen extern sind und folglich ist es falsch, wissenschaftliche Arbeit auf die Identifikation individueller Dinge, einstelliger Prädikate oder Eigenschaften und externe, kausale Beziehungen zu beschränken. 2.1.7 Individueller Intellektualismus, die „Theory of Mind“ und die „Social Brain Hypothesis“ Weitere Merkmale, die nicht notwendigerweise an den neurokonstruktivistischen, idealistischen Dualismus gebunden sind, sich aber oft damit verbinden, können Intellektualismus und Individualismus genannt werden. Sie erscheinen auch unabhängig vom Neurokonstruktivismus und auch unabhängig voneinander. Streng betrachtet wäre Individualismus nichts anderes als eine Unterform des Atomismus, so dass die Probleme, die sich mit dem Atomismus stellen, auch mit dem Individualismus ergeben. Individualismus und Intellektualismus können aber auch zusammen erscheinen. Ein wichtiges Beispiel dafür kann in einem Fall in den Kognitionswissenschaften gefunden werden und dieses Beispiel wird scheinbar durch neurowissenschaftliche Evidenz gestützt: Es handelt sich um die Vorstellungen sogenannter „Theories of Mind“ (ToM). Gemeinsam ist allen ToM’s, dass sie menschliche Sozialität als ein Phänomen begreifen, dass in seinen entscheidenden Merkmalen gegenüber dem menschlichen Individuum nachgängig ist, während dem menschlichen Individuum in dem Sinne eine Priorität zukommt, dass nur die Existenz verschiedener individueller und kognitiver Fähigkeiten ein Zustandekommen sozialer Relationen erlauben. Es wird daher angenommen, dass es für soziales Verhalten notwendig sei, kognitiv zu verstehen, dass auch andere Personen genau solche Personen wie das individuelle Subjekt sind, einschließlich ihrer phänomenalen Subjektivität, Absichten, Geisteszuständen, Gefühlen etc. Kurz gesagt: Um in Sozialbeziehungen eintreten zu können, sei es notwendig, dass jede Person eine ToM ausbilde, d. h. eine Theorie, dass auch andere Menschen Personen wie man selbst sind. Es gibt zwei Ausprägungen von ToM-Theorien: 1. Die Theorie-Theorie nimmt an, dass es der Ausbildung aller intellektuellen Fähigkeiten, die auch die Volkspsychologie kennt, bedarf, um andere Personen auch als Besitzer eines Geistes verstehen zu können. 2. Die Simulationstheorie nimmt an, dass unser Verständnis des Anderen auf einer Simulation dessen Verhaltens beruhe, indem wir uns vorstellen, wie wir uns verhalten,

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fühlen und denken würden, wenn wir in einer ähnlichen Situation wären.41 In beiden Fällen sind es bestimmte geistige Fähigkeiten, die notwendige Voraussetzungen für die Ausbildung einer ToM bilden. Bei diesen geistigen Fähigkeiten geht es insbesondere um verschiedene Stufen von Intensionalität. Diese Form einer völlig individualistischen Auffassung von Intensionalität wird z. B. von R.I.M. Dunbar vertreten: ‘Computers can be said to know things because their memories contain information; however it seems unlikely that they know that they know these things, in that we have no evidence that they can reflect on their states of “mind.” In the jargon of the philosophy of mind, computers are zero-order intensional machines. […] Most vertebrates are probably capable of reflecting on their states of mind, at least in some crude sense: they know that they know. Organisms of this kind are first-order intensional. By extension, second-order intensional organisms know that someone else knows something, and third-order intensional organisms know that someone else knows that someone else knows something. […] in practice, humans rarely engage in more than fourth-order intensionality in everyday life and probably face an upper limit at sixth-order (“Peter knows that Jane believes that Mark thinks that Paula wants Jake to suppose that Amelia intends to do something”). A minimum of fourth-order intensionality is required for literature that goes beyond the merely narrative […].’42

Das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer ToM – also mindestens der Fähigkeit zu einer Intensionalität zweiter Ordnung (oder auch Intensionalitäten höherer Ordnung) kann empirisch getestet werden im Rahmen der kognitiven Entwicklungspsychologie mithilfe einer Reihe sogenannter „false-belief tests“. Diese Experimente zeigen auch, dass die üblichen Theorien einer ToM ein repräsentationalistisches Verständnis der Sozialität voraussetzen: Der Andere und seine theoretisch zugeschriebenen oder simulierten Geisteszustände sind, genauso wie die eigenen Geisteszustände, Repräsentationen im eigenen Geist des erkennenden Subjekts. Um zu veranschaulichen, was konkret gemeint ist, illustrieren wir dies mithilfe der schon erwähnten „false-belief tests“, die auf Wimmer und Perner in den 1980er Jahren zurückgehen: ‘Understanding of another person’s wrong belief requires representation of the wrongness of this person’s belief in relation to one’s own knowledge. Three to nine year old children’s understanding of two sketches was tested. In each sketch subjects observed how a protagonist put an object into a location x and then witnessed that in the absence of the protagonist the object was transferred from x to location y. Since this transfer came as a surprise they had to assume that the protagonist still believed that the object was in x. Subjects had to indicate where the protagonist will look for 41 Vgl. Gallagher, S./Zahavi, D., Phenomenological Mind, 191–195. 42 Dunbar, R.I.M., The Social Brain Hypothesis, 188.

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the object at his return. None of the 3–4 year old, 57 % of the 4–6 year old, and 86 % of the 6–9 year old children pointed correctly to location x in both sketches.’43

Experimente dieser Art scheinen sehr gut die klassischen ToM-Auffassungen zu bestätigen, denn diese Experimente können so gedeutet werden, dass Kinder ab einem bestimmten Alter in der Lage sind, zwischen Fakten der Welt und Vorstellungen des Geistes zu unterscheiden. Robin Dunbar hat nun beobachtet, dass solche Fähigkeiten von der evolutionären Entwicklung des menschlichen Gehirns abhängig sind und er schlug eine Theorie vor, nach der diese intellektuellen Fähigkeiten durch Anpassung aufgrund sozialer Bedürfnisse entstanden seien. Er beobachtete eine Korrelation der Größe des Neokortex verschiedener Primaten und ihrer durchschnittlichen Gruppengröße. Daher schloss er: ‘In summary, parsimony and biological common sense would suggest that it is group size that drives brain size evolution rather than brain size driving group size and that group size itself is a response to an ecological problem (most probably predation risk […]).’44

Diese These wurde die „Social Brain Hypothesis“ oder die These der „Machiavellian intelligence“ genannt, weil dem Begriff des taktischen Betrugs eine entscheidende Rolle für das Individuum zugeschrieben wurde, um mit Sozialität umgehen zu können: ‘These [social] systems can be shown to involve processes such as tactical deception and coalition-formation, which are rare or occur only in simpler forms in other taxonomic groups [than humans]. Because of this, the suggestion was rapidly dubbed the Machiavellian intelligence hypothesis, although there is a growing preference to call it the social brain hypothesis.’45

Diese „Social Brain Hypothesis“ darf nicht falsch verstanden werden. Die Sozialität, von der hier die Rede ist, meint nicht eine Form interner Relationen zwischen den Menschen, sondern sie ist modelliert nach dem Bild externer Relationen der Manipulation und des Handels. Deutlicher wird dies, wenn man sich klar macht, dass die basale Voraussetzung der Erklärung ein ökonomischer Kosten-Nutzen-Kalkül ist, von dem man annimmt, er unterliege allen evolutionären Prozessen. Konkurrierende Hypothesen für die Erklärung der Größe des menschlichen Gehirns wurden von Dunbar verworfen, denn sie ‘suffer from the problem that they ignore a fundamental principle of evolutionary theory, which is that evolution is the outcome of the balance between costs and benefits.’46 43 44 45 46

Wimmer, H./Perner, J., Beliefs about Beliefs., 103. Dunbar, R.I.M., The Social Brain, 169. Dunbar, R.I.M., The Social Brain Hypothesis, 178. Dunbar, R.I.M., The Social Brain Hypothesis, 179.

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Dunbar meint auch, die Fähigkeit des Gehirns des modernen Menschen, mit verschiedenen Gruppengrößen umzugehen, erscheine in Clustern, die ‘pints of stability or clustering in the degrees of familiarity within the broad range of human relationships’ repräsentieren, ‘from the most intimate to the most tenuous.’47

Unter diesen Clustern von 5, 12, 35, 150, 500 und 2000 Personen wird die Größe von 150 mittlerweile „Dunbar’s number“ genannt, die sich auf die extrapolierte, angenommene Gruppengröße bezieht, mit der das menschliche Gehirn und sein Neokortex noch umgehen können.48 Obwohl diese Hypothese hoch spekulativ und wissenschaftlich umstritten ist, haben bereits öffentliche Institutionen begonnen, die Gruppengröße und die Strukturen ihrer Mitarbeiter nach „Dunbar’s number“ zu restrukturieren.49

2.1.8 Reduktionistischer Naturalismus Wie der kausale Atomismus erscheint auch der reduktionistische Naturalismus nicht nur in neurowissenschaftlichen oder evolutionären Ansätzen, sondern es handelt sich eher um einen gemeinsamen Zug recht vieler naturphilosophischer Ansätze, die Naturwissenschaften zu interpretieren. Und ebenso wie der kausale Atomismus und die Lehre von der Externalität aller Relationen ist der reduktionistische Naturalismus nicht notwendigerweise eine Implikation des neurokonstruktivistischen Repräsentationalismus. Allerdings ist der Weg zwischen dem Problem des kausalen Atomismus und der Lehre der Externalität aller Relationen auf der einen Seite und dem reduktionistischen Naturalismus auf der anderen Seite auch nicht sehr weit. Im Gegensatz zu vielen anderen akademischen Büchern sollen hier die endlosen Debatten über die Frage, ob die Naturwissenschaften ontologisch im Rahmen eines reduktionistischen Naturalismus interpretiert werden sollten oder nicht, erst gar nicht betreten werden. Denn diese Debatten haben sich letztlich als fruchtlos erwiesen. Es handelt sich auch eher um Fragen der quasi-religiösen Interpretation von Naturwissenschaft als um selbst naturwissenschaftliche Fragen. Jemand, der wirklich ein Jünger des reduktionistischen Naturalismus ist, wird wohl kaum bis zu dieser Stelle gelesen haben, wenn er dieses Buch überhaupt auch nur aufgeschlagen haben mag. Nichtsdestotrotz: Genauso wenig wie ein reduktionistischer Naturalismus ein gangbarer Weg naturphilosophischer Interpretation naturwissenschaftlicher Arbeit ist, genauso wenig wären Dualismus oder Anti-Reduktionismus gangbare Wege. Die particula veri des naturalistischen Reduktionismus besteht darin, dass die Reformulierung eines Problems einer Theorie A im Rahmen der Begrifflichkeit einer 47 Dunbar, R.I.M., The Social Brain Hypothesis, 187f. 48 Vgl. Dunbar, R.I.M., The Social Brain Hypothesis, 186f. 49 Vgl. Swedish Tax Collectors Organized by Apes.

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Theorie B ein übliches Verfahren in den Naturwissenschaften ist. Damit haben Reduktionen auch einigen Erklärungswert – nicht in sich, aber relativ zu jeweils spezifischen Umständen. Wird jedoch vorgängig dem Verfahren der Reduktion ein Wirklichkeitsstatus zugeschrieben, werden Naturwissenschaften in zu großem Maße abhängig von quasi-religiösen Ideologien. Natürlich bestehen genau diese Probleme recht häufig in den Naturwissenschaften im Allgemeinen und in der Evolutionsbiologie wie in den Neurowissenschaften im Besonderen. Aber diese Probleme können nur gelöst werden, wenn man den relativ positiven Wert von Reduktionen anerkennt, nicht indem man sie pauschal verdammt.

2.2 Probleme des neurokonstruktivistischen-repräsentationalen Dualismus 2.2.1 Aufgabe des Repräsentationalismus In diesem Abschnitt sollen vier Beispiele besprochen werden, die sowohl aus empirischen Studien als auch aus begrifflicher Arbeit stammen, die deutlich zeigen, dass die allgemeine Annahme, dass Erfahrung oder Kognition in Repräsentationen der Welt im Gehirn (oder Geist) bestünde, falsch ist.

2.2.1.1 Ökologische Subjektivität In einer klassischen Studie untersuchten Hein und Held das Aufwachsen neugeborener Katzen, die in einem Apparat aneinander geschirrt waren. Katzen der Gruppe A konnten sich dabei selbständig bewegen, während Katzen der Gruppe P passiv durch die Bewegungen der Katzen A bewegt wurden. Die Katzen der Gruppe A entwickelten ein normales Verhalten in Bezug auf die Wahrnehmung ihrer Umwelt; sie entwickelten ein normales Tastverhalten ihrer Tatzen und die Fähigkeit, Gegenständen im Versuchsraum adäquat auszuweichen. Die Katzen der Gruppe P waren dazu jedoch nicht in der Lage. Hein und Held schlossen daraus, dass die visuellen Stimuli, die bei beiden Gruppen ja identisch waren, nicht hinreichend sind, um eine adäquate Orientierung in der Umgebung zu erhalten. Der Entwicklungsprozess ‘requires for its operation stimulus variation concurrent with and systematically dependent upon self-produced movement.’50 Andere Beispiele ähnlicher Untersuchungen beziehen sich auf Experimente mit blinden Menschen, die ihre Stöcke zur Wahrnehmung gebrauchen. Dabei zeigt sich, dass der Widerstand 50 Held, R./Hein, A., Visually Guided Behavior, 876.

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am Ende des Stockes nicht in der Handfläche, sondern am Ende des Stockes wahrgenommen wird.51 In ähnlicher Weise entwickeln erfahrene Motorradfahrer ein Gespür für die Beschaffenheit der Straße, indem deren Widerständigkeit am Reifen selbst empfunden wird. In diesen Beispielen werden die Instrumente ein Teil des Leibes und die Schnittstelle zwischen Leib und Umwelt verschiebt sich hin zur Grenze von Werkzeug und Umwelt, während die Schnittstelle zwischen Körper und Umwelt auf die menschliche Haut begrenzt bleibt. Die Erfahrung der Schnittstelle des Leibes ist daher nicht identisch mit der Erfahrung der Schnittstelle des Körpers. Das jeweilige Werkzeug, d. h. der Blindenstock oder die Motorradreifen, wurde durch die Erfahrung in das Leibschema der Person integriert – allerdings nur solange, wie sie im Vollzug gebraucht werden.52 Daraus kann man, wie jüngst Thomas Fuchs, schließen, dass „Wahrnehmen […] immer schon [heißt], an der Welt teilzunehmen, sie zu berühren, und von ihr berührt zu werden. Es beruht auf leiblicher Praxis.“53 Bewusste Erfahrung scheint also weniger auf Repräsentationen zu beruhen, sondern sie ist über den ganzen Leib verteilt und sie hat die Fähigkeit, in die Umwelt ausgedehnt zu erscheinen. Natürlich können Neurokonstruktivisten leicht einwenden, dass dieser Eindruck einer holistischen Erfahrung des Leibes und der mit ihm verschränkten Umwelt in nichts anderem als in Gehirnmustern bestehen könnte. Beispiele von Phantomschmerz im Amputationsfall stützen diese repräsentationalistische Interpretation genauso wie Experimente, in denen die Probanden künstliche Gummihände für ihre eigenen hielten.54 Man sagt dann etwa, dass das Bewusstsein des Leibes und das Bewusstsein der Umwelt faktisch im „phenospace“ des Gehirns erschienen. Dabei stellt der Ausdruck „phenospace“ eine Metapher dar, die in Analogie zum Terminus des „cyberspace“ gebildet ist.55 Allerdings scheinen mir diese Einwände nicht stichhaltig zu sein. Sie wären kohärent nur durchführbar, wenn man einen radikalen Solipsismus annähme, in dem es nur ein bewusstes Gehirn gäbe, das dann das eigene sein müsste und über das in der 3.Person-Perspektive nichts bekannt sein könnte. Dagegen spricht aber die Erfahrung, dass ein Patient den Schmerz in der Hand an genau dergleichen spatiotemporalen Lokation wahrnimmt wie der Arzt, der den gleichen Schmerz an der Wunde in der 3.Person-Perspektive diagnostiziert: „Die ,Syntopie‘ oder das Zusammenfallen des Ortes von Schmerz und Verletzung betrifft nämlich jetzt den von Arzt und Patient gemeinsam wahrgenommenen Körper […]. Denn hier kommen die subjektiven Räumlichkeiten beider Personen in einer Weise zur Deckung, die ihre bloße Subjektivität aufhebt. Der von beiden Personen

51 52 53 54 55

Vgl. Merleau-Ponty, M., Phänomenologie der Wahrnehmung, 173. Vgl. Spiegel, B., Die obere Hälfte des Motorrads, 112–141. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 32. Vgl. Botvinick, M./Cohen, J., Rubber hands feel touch that eyes see. Metzinger, T., Subjekt und Selbstmodell, 243.

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übereinstimmend gemeinte Körper kann kein subjektives Scheingebilde mehr sein. Er bindet sich im gemeinsamen, intersubjektiven und insofern objektiven Raum.“56

2.2.1.2 Bedeutungsexternalismus Hier sollen in aller Kürze die klassischen Zwillingserdengedankenexperimente von Hillary Putnam und Tyler Burge, die auf die 1970er Jahre zurückgehen,57 vorgestellt werden. Zwar folge ich Putnam weitgehend, gebe aber den Beispielen eine etwas modernere Gestalt: Man stelle sich eine Zwillingserde vor, auf der die gleichen Sachverhalte wie auf der Erde herrschen, einschließlich der gleichen Geschichte, der gleichen Sprache und den gleichen Personen. Auf der Zwillingserde herrschen also die gleichen Zustände wie auf der Erde, mit einer Ausnahme. Auf der Zwillingserde gibt es kein H2O, sondern eine Substanz XYZ, die „Wasser“ genannt wird. Die Menschen auf der Zwillingserde reagieren auf XYZ so, wie die Erdmenschen auf H2O reagieren. Ferner sei vorausgesetzt, dass XYZ und H2O zumindest oberflächlich die gleichen visuellen und haptischen Eigenschaften besitzen. Man stelle sich nun Oscar1 auf der Erde vor, der H2O sieht und es „Wasser“ nennt. Sein Doppelgänger Oscar2 auf der Zwillingserde wird nun instantan ohne sein Wissen von dieser auf die richtige Erde teleportiert, sieht ein Glas, das H2O enthält und nennt es „Wasser“. Ein Super-fMRI zeigt außerdem, dass im Äußeren dieses Satzes beide, Oscar1 und Oscar2, exakt die gleichen Gehirnmuster aufweisen. Dennoch sind ihre Auffassungen unterschiedlich, weil die Bedeutung abhängig ist von der Referenz auf eine Extension: Wenn Oscar1 den Satz „Das ist Wasser“ äußerst, meint er „Das ist H2O“, während Oscar2 bei der Äußerung des gleichen Satzes glaubt, „Dies ist XYZ“. Selbst dann, wenn keiner der beiden eine besondere Ahnung von Chemie besitzt, sind ihre Auffassungen deutlich unterschieden und die Auffassung von Oscar2 ist einfach falsch, während die von Oscar1 richtig ist. Da nun die Gehirnmuster und geistigen Propositionen in beiden Fällen exakt gleich sind und es dennoch einen gewaltigen Bedeutungsunterschied zwischen dem, was beide glauben, gibt, schließt Putnam: ‘Cut the pie anyway you like, “meanings” just ain’t in the head!’58

2.2.1.3 Aktiver Externalismus Auf Putnams und Tylers Einsichten aufbauend haben Andy Clark und David Chalmers ihre Auffassung des aktiven Externalismus begründet.59 In episte56 57 58 59

Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 34f. Vgl. Putnam, H., Meaning of ‘Meaning’; Burge, T., Individualism and the Mental. Putnam, H., Meaning of ‘Meaning’, 227. Vgl. Clark, A./Chalmers, D.J., The Extended Mind.

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mischen Handlungen, in denen Gegenstände wie Notizbücher genutzt werden, um sich an Dinge erinnern zu können; in denen geometrische Formen auf einem Computerbildschirm gedreht werden wie im Falle des bekannten Spiels „Tetris“; im Arrangieren der Buchstaben bei Brettspielen wie Scrabble oder auch, wenn Wissenschaftler denken, indem sie physisch schreiben, finden wir gekoppelte kognitive Systeme vor, in denen der kognitive Prozess notwendigerweise an die Faktoren, die sich außerhalb des Körpers befinden, gekoppelt ist. Ohne diese äußeren Gegenstände würde der kognitive Prozess nicht ablaufen können. Die Umweltfaktoren sind daher keine akzidentiellen „addons“, sondern sie gehören zum Kern des kognitiven Prozesses dazu. Der aktive Externalismus bedeutet daher erstens, dass man von einer ausgedehnten Erkenntnis sprechen muss. Dabei ist es nicht notwendig, dass alle Relate des Gesamtsystems bewusst sein müssen, damit das gekoppelte kognitive System funktioniert. Denn das gleiche gilt ja auch für die einzelnen Gehirnmodule: Sie haben weder ein Bewusstsein noch sind sie in sonst irgend einer Weise empfindsam. Zweitens beziehen aber Clark und Chalmers den aktiven Externalismus auch auf den ausgedehnten Geist: Ein Alzheimerpatient ist hinsichtlich seiner Auffassung, dass sich das Museum of Modern Art in der 53th Street befindet, nicht auf seine Erinnerung, sondern auf sein Notizbuch angewiesen. Auffassungen sind daher keine Entitäten, die ausschließlich an Gehirne gebunden wären, sondern beinhalten extern gekoppelte Systeme, die einen einzigen, gesamten kognitiven Prozess bilden. Diese gekoppelten Systeme können im Prinzip ebenso andere Personen, soziales Wissen, Sprachen, die Umwelt und die Geschichte miteinbeziehen. Da schon die ursprüngliche Grenze der Haut gefallen ist, kann auch die weitere Grenze zwischen Geist und Umwelt nicht weiter bestehen, zumindest nicht als eine kategoriale Grenze. Die Unterscheidung zwischen Geist und Umwelt wird damit zu einer unscharfen oder graduellen Unterscheidung. Drittens nehmen Clark und Chalmers an, dass der aktive Externalismus auch auf den Begriff des Selbst angewandt werden muss: Der Begriff des ausgedehnten Geistes erfordert es auch, von einem ausgedehnten Selbst zu sprechen. 2.2.1.4 Begriffliche Erfahrung Wie können wir etwas erkennen? Auf der einen Seite haben wir unsere begrifflichen Fähigkeiten wie Kausalität, Raum- und Zeitbegriffe, die Fähigkeit, Prädikate und Aussagen zu verwenden etc. Wir können dies mit W. Sellars und John McDowell unseren begrifflichen Raum (conceptual space) nennen, der normalerweise als identisch mit dem rationalen Raum (space of reason) gedacht ist. Auf der anderen Seite gibt es in kantischer Terminologie das Ding an sich, jenes, was sich außerhalb unserer Begriffe befindet bzw. von diesen als unabhängig zu denken wäre, zumindest, wenn man einen strikten Idealismus vermeiden möchte. Wie aber wäre das Verhältnis zwischen diesen beiden

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Bereichen angemessen zu beschreiben? Nach McDowell ergibt sich bei diesem Versuch ein Dilemma: Entweder ist der rationale Raum (space of reason) weiter als der begriffliche Raum (space of concepts), d. h., innerhalb des rationalen Raums erscheint etwas, das durch die Wirklichkeit selbst gegeben ist und konkret identifizierbar ist. Oder aber es gibt überhaupt keine Verbindung zwischen der Wirklichkeit selbst und unseren Begriffen bzw. nur eine kausale Verbindung. Der erste Fall träfe beispielsweise auf Roths oben aufgeführte Rede vom „realen Gehirn“ zu. Denn das „reale Gehirn“ kann offensichtlich nicht zum begrifflichen Raum gehören. Nichtsdestotrotz wird es „Gehirn“ genannt und nicht etwa „Niarb“ oder dergleichen Unverständliches. Daher ist es richtig, wie wir schon gesehen haben, die Rede vom „realen Gehirn“ als einen Mythos zu bezeichnen, auf den die klassische Religionskritik vollständig anwendbar ist. McDowell nennt diese Art des Lösungsversuchs mit Sellars den „Mythos des Gegebenen“ (myth of the given). Der zweite Fall läuft auf eine rein kohärentistische Lösung hinaus: Der rationale Raum und der begriffliche Raum sind deckungsgleich und in sich abgeschlossen. Es mag zwar kausale Relationen zwischen der Wirklichkeit und diesem begrifflichen Raum geben – falls es in der Realität so etwas wie Kausalität gibt –, aber selbst dann wäre es unmöglich, diese Relation als Kausalität zu identifizieren. Die Konsequenz wäre, dass die Verbindung zwischen der Wirklichkeit und dem begrifflichen Raum dann vollständig ineffabel, unverstehbar und apophatisch wäre.60 Wollten wir aber diese unbekannte Relation tatsächlich zu identifizieren versuchen, etwa mit Kausalität, dann würde eine solche Identifikation einmal mehr auf die andere Seite des Dilemmas fallen und einen neuen Mythos des Gegebenen produzieren: „Kausalität“ hätte dann das „reale Gehirn“ ersetzt. Ferner wäre eine solche Identifikation der Relation mit Kausalität völlig nutzlos für unsere Erkenntnis, denn es müsste dann ja angenommen werden, dass sowohl wahre als auch falsche Überzeugungen innerhalb des begrifflichen Raumes durch die Wirklichkeit kausiert werden, ohne dass sich zwischen ihnen eine sinnvolle Unterscheidung anhand der Wirklichkeitsrelation gewinnen ließe. Es gäbe auch dann kein anderes Wahrheitskriterium als das der innerbegrifflichen Kohärenz. Kohärenz ist zwar ein Wahrheitskriterium, aber stets nur ein notwendiges. Angesichts der Schwere des Problems überrascht McDowells Lösungsvorschlag hinsichtlich seiner Einfachheit: ‘Experiences already have conceptual content […].’61 ‘The view I am recommending is that even though experience is passive, it draws into operation capacities that genuinely belong to spontaneity.’62 ‘A genuine escape would require that we avoid the Myth of the Given without renouncing the claim that experience is a rational constraint on thinking. I have suggested that we can do that if we can recognize that 60 Vgl. McDowell, J., Mind and World, 8. 61 McDowell, J., Mind and World, 10. 62 McDowell, J., Mind and World, 13.

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the world’s impression on our senses are already possessed of conceptual content.’63 ‘I have claimed that we are prone to fall into an intolerable oscillation: in one phase we are drawn to a coherentism that cannot make sense of the bearing of thought on objective reality, and in the other phase we recoil into an appeal to the Given, which turns out to be useless. I have urged that in order to escape the oscillation, we need a conception of experiences as states or occurrences that are passive but reflect conceptual capacities, capacities that belong to spontaneity, in operation.’64

Nach McDowell spielt es nun keine Rolle, ob der begriffliche Gehalt, der der Erfahrung inhärent ist, sich auf die Erfahrung des eigenen Leibes oder auf die Erfahrung der Umwelt bezieht: ‘To give the impression of “inner sense” the right role in justifying judgments, we need to conceive them, like the impressions of “outer sense”, as themselves possessing conceptual content […]. So the impressions of “inner sense” must be, like the impressions of “outer sense”, passive occurrences in which conceptual capacities are drawn into operation.’65

Dieser Vorschlag beinhaltet nun eine Reihe von Implikationen, darunter auch neue Probleme. Eine erste Implikation ist, dass die traditionelle, auf Locke zurückgehende Unterscheidung zwischen primären und sekundären Eigenschaften geändert, wenn nicht aufgegeben werden muss. Alle möglichen Eigenschaften scheinen sich nun so zu verhalten, wie die klassischen sekundären Eigenschaften.66 Für Theologen bedeutet dies keine Überraschung; schon Jonathan Edwards kritisierte Locke in dieser Hinsicht.67 Eine zweite Implikation besteht darin, dass die Vorstellung einer Grenze zwischen dem Begrifflichen und dem Realen selbst aufgegeben werden muss: ‘Although reality is independent of our thinking, it is not to be pictured as outside an outer boundary that encloses the conceptual sphere. That things are thus and so is the conceptual content of an experience, but if the subject of the experience is not misled, that very same thing, that things are thus and so, is also a perceptible fact, an aspect of the perceptible world. […] there is no ontological gap between the sort of thing one can mean, or generally the sort of thing one can think, and the sort of thing that can be the case.’68 ‘But I am trying to describe a way of maintaining that in experience the world exerts a rational influence on our thinking. And that requires us to delete the outer boundary from the picture. The impressions on our senses that keep the dynamic system in motion are already equipped with conceptual content. […] My 63 64 65 66 67 68

McDowell, J., Mind and World, 18. McDowell, J., Mind and World, 23. McDowell, J., Mind and World, 21f. Vgl. McDowell, J., Mind and World, 11f. Vgl. Jenson, R.W., On Thinking the Human, 50–58. McDowell, J., Mind and World, 26f.

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point is to insist that we can effect this deletion of the outer boundary without falling into idealism, without slighting the independence of reality.’69

Die dritte Implikation ist, dass Erfahrung selbst nun als eine Manifestation der Wirklichkeit verstanden werden muss: ‘Conceptual capacities are already operative in the deliverances of sensibility themselves. […] they are about the world, as it appears or makes itself manifest to the experiencing subject […].’70

Viertens schließt dieses Modell von begrifflicher Erfahrung nicht aus, dass es auch Erfahrungen ohne begrifflichen Gehalt geben mag, wie vielleicht im Falle einiger Emotionen. Nicht alle Erfahrung ist begriffliche Erfahrung.71 Fünftens: Wenn begriffliche Erfahrung selbst begriffsgeladen sein kann, dann scheint es der Fall zu sein, dass es keine scharfe Unterscheidung zwischen Menschen und anderen Lebewesen mehr geben kann. McDowell selbst möchte freilich eine solche Unterscheidung aufrechterhalten, indem er betont, dass Menschen im Unterschied zu anderen Tieren die Fähigkeit besitzen, diesen begrifflichen Gehalt, der selbst immer schon in der Welt ist, auch zu beobachten: ‘Instead we can say that we have what mere animals have, perceptual sensitivity to features of our environment, but we have it in a special form. Our perceptual sensitivity to our environment is taken up into the ambit of the faculty of spontaneity, which is what distinguishes us from them.’72

M.E. zeigt sich hier bei McDowell eine sanfte Tendenz, Menschen dadurch von anderen Tieren zu unterscheiden, indem sie unsachgemäß „vergöttlicht“ werden, beispielsweise wenn er die Rede von Marx und Gadamer, dass Menschen nicht nur eine Welt bewohnen, sondern sie auch „besitzen“, aufnimmt.73 Sechstens gibt McDowell durchaus zu, dass seine Position die Gefahr beinhalten könnte, auf ‘a crazily nostalgic attempt to re-enchant the natural world’74 hinauszulaufen. Seine Vorschläge, diese Gefahr zu vermeiden, beziehen sich auf den Einbezug des klassischen aristotelischen Begriffs der zweiten Natur und des Begriffs der Bildung, wie er in der klassischen Tradition bei von Humboldt und anderen75 gefunden werden kann. Dennoch bleibt McDowells Lösungsvorschlag an dieser Stelle ein wenig undurchsichtig: ‘Our nature is largely second nature, and our second nature is the way it is not just because of the potentialities we were born with, but also because of our upbringing, 69 70 71 72 73 74 75

McDowell, J., Mind and World, 34. McDowell, J., Mind and World, 39. Vgl. McDowell, J., Mind and World, 55. McDowell, J., Mind and World, 64. Vgl. McDowell, J., Mind and World, 118. McDowell, J., Mind and World, 72. Vgl. McDowell, J., Mind and World, 84f.

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our Bildung. Given the notion of second nature, we can say that the way our lives are shaped by reason is natural, even while we deny that the structure of the space of reasons can be integrated into the layout of the realm of law. This is the partial reenchantment of nature that I spoke of.’76

Siebtens: McDowells Vorschläge treffen sich m. E. zu einem guten Teil mit Lösungen, wie sie in der phänomenologischen Tradition vorgeschlagen wurden, etwa hinsichtlich des Begriffs der Leiblichkeit.77 McDowell scheint aber, möglicherweise aufgrund bestimmter Vorurteile gegen die phänomenologische Tradition, nicht in diese Richtung weiter zu denken.78 Keine der in diesem Abschnitt genannten Beispiele – die der ökologischen Subjektivität, des Bedeutungsexternalismus, des aktiven Externalismus und der begrifflichen Erfahrung – liefern ein neues epistemologisches System. Allerdings zeigen diese Beispiele auch deutlich – sowohl für sich allein genommen als auch zusammen –, dass der Repräsentationalismus als Theorie mit universaler Gültigkeit falsifiziert ist: Es stimmt schlicht nicht, dass Erfahrung immer nur in Repräsentationen einer Welt in einem Gehirn oder in einem Geist bestünde. Während die Relation zwischen der Welt und ihrer Karte im Gehirn oder im Geist einfach als eine externe Relation verstanden werden konnte, verändert nun der Zusammenbruch des Repräsentationalismus das Gesamtbild. Wenn wir immer verleiblichte Interaktion benötigen, um überhaupt etwas erfahren zu können, wenn Bedeutung nicht einfach im Kopf ist, wenn der aktive Externalismus nur minimal zutrifft und wenn letztlich die Vorstellung der begrifflichen Erfahrung nur einige particula veri enthält, dann müssen Erfahrung und Erkenntnis zumindest teilweise in internen Relationen zwischen Erfahrendem und Erfahrenem bestehen. Um an dieser Stelle Missverständnisse zu vermeiden: Die Termini intern/extern sind in allen Beispielen dieses Kapitels in einem leicht anderen Sinne als in der Unterscheidung zwischen internen und externen Relationen gebraucht: „Intern“ und „extern“ sind keine absoluten Begriffe, sondern relative: Sie sind nur sinnvoll, wenn man angeben kann, in Bezug auf was etwas als intern oder extern verstanden wird. Im Falle der Beispiele dieses Abschnitts besteht dieses Was hinsichtlich des Referenzpunkts von Gehirn, Geist oder Körper. In der Rede von der Klassifikation von Relationen ist dieses Was die Relation selbst, die intern oder extern sein kann. Daher gilt: Wenn Erfahrung selbst eine nichtrepräsentationale Relation ist, in welcher der begriffliche Gehalt in dem Erfahrenen selbst gesehen werden muss, dann ist die Erfahrung selbst extern in Bezug auf den Geist (oder das Gehirn oder den Körper), während sie intern in Bezug auf die Relation zwischen Erfahrendem und Erfahrenem ist (und umgekehrt). 76 McDowell, J., Mind and World, 87f. 77 Vgl. McDowell, J., Mind and World, 111. 78 Vgl. McDowell, J., Mind and World, 94.

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2.2.2 Aufgabe des Modularismus Mit Modularismus soll hier eine dogmatisierte und absolute Interpretation der Modularität verstanden werden. Modularität erkennt an, dass bestimmte Gehirnareale eine notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingungen für die in Frage stehenden Geistesfunktionen sind. Der Modularismus geht von einer Äquivalenz der Summe der Leistungen der Gehirnareale mit dem Geistesleben aus. Der Übergang von der Modularität zum Modularismus beruht auf den folgenden Fehlschlüssen: Erstens ist der mereologische Fehlschluss zu nennen, d. h. die Zuschreibung von psychologischen und personalen Fähigkeiten und Aktivitäten, die sinnvollerweise nur von lebenden menschlichen Personen ausgesagt werden können, an das Gehirn. Dieser mereologische Fehlschluss führt auch zu einer eigentümlichen Sprache, durch die das Gehirn personalisiert wird. Bewusstsein ist beispielsweise überhaupt keine sinnvolle Eigenschaft des Gehirns, das selbst ja gar nicht empfindungsfähig ist. Auch ist Bewusstsein keine räumlich identifizierbare, mentale Substanz, sondern ein aktiver Prozess von lebenden Personen in einer partikularen Umwelt.79 Zweitens ist der lokalistische Fehlschluss anzuführen, d. h. der Versuch, konkrete geistige Aktivitäten zu substantialisieren und im Anschluss mit der neuronalen Aktivität bestimmter Gehirnareale zu identifizieren:80 „Deshalb ist auch die Rede von umschriebenen, ,neuronalen Korrelaten von Bewusstsein‘ nicht angemessen: Sie impliziert nämlich, dass sich Phänomene wie Wahrnehmungen, Gefühle oder Denkvorgänge von der Bewusstseinstätigkeit insgesamt isolieren ließen. Doch diese Phänomene sind keine isolierbaren Zustände, sondern sie setzen ein Subjekt voraus, das wahrnimmt, fühlt, denkt, etc.“81

Drittens erschien die Renaissance des Modularismus im Zuge der Entwicklung der bildgebenden Verfahren in den Neurowissenschaften wie PET, SPECT und fMRI. Aber diese Techniken messen keinesfalls die Neuroaktivität selbst. Die Faszination, die von diesen Verfahren ausgeht, hat jüngst zu einem unbewussten Missbrauch derselben geführt, in einer Form, die man die „Voodoo-Wissenschaft der bildgebenden Verfahren“ genannt hat:82 Vul et al. untersuchten mehr als 55 Studien, die mithilfe von fMRI abgebildete Voxel83 mit verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen in Korrelation setzen wollten. Das Ergebnis war, dass die gefundenen Korrelationen überraschenderweise 79 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 65–68 und Bennett, M.R./Hacker, P., Philosophical Foundations of Neuroscience, 68–108. 80 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 68–76. 81 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 70. 82 Vgl. Begley, S., The ‘Voodoo’ Science of Brain Imaging. 83 Voxel sind dreidimensionale Bildeinheiten verschiedener Größe, die von der Auflösung eines fMRI abhängt und z. B. 1 mm3 betragen kann.

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weit höher waren als man von empirischen Untersuchungen ansonsten erwarten könnte. Sie lieferten im Schnitt eine Korrelationswahrscheinlichkeit von 0,8. Vul et al. interviewten daraufhin die entsprechenden Wissenschaftler und es stellte sich heraus, dass in mehr als der Hälfte der untersuchten Studien eine Methodik benutzt wurde, “that computes separate correlations for individual voxels and reports means of only those voxels exceeding chosen thresholds.”84 Um nun diesen Voodoo-Fehlschluss oder Nicht-Unabhängigkeitsfehlschluss zu illustrieren, gaben Vul et al. ein Beispiel: ‘It may be easier to appreciate the gravity of the nonindependence error by transposing it outside of neuroimaging. We have identified a weather station whose temperature readings predict daily changes in the value of a specific set of stocks with a correlation of r = –0.87. For $50, we will provide the list of stocks to any interested reader. That way, you can buy the stocks every morning when the weather station posts a drop in temperature and sell when the temperature goes up. […] We arrived at –0.87 by separately computing the correlation between the readings of the weather station in Adak Island, AK, with each of the 3,315 financial instruments available for the New York Stock Exchange […] over the 10 days that the market was open between November 18 and December 3, 2008. We then averaged the correlation values of the stocks whose correlation exceeded a high threshold of our choosing […]. Of the 3,315 stocks assessed, some were sure to be correlated with the Adak Island temperature measurements simply by chance—and if we select just those […], there is no doubt we would find a high average correlation. Thus, the final measure (the average correlation of a subset of stocks) was not independent of the selection criteria.’85

Auf die bildgebenden Verfahren angewandt bedeutet der Voodoo-Fehlschluss, dass die Kriterien für die Auswahl der spezifischen Gehirnareale und für die Menge der zu untersuchenden Voxel nicht unabhängig von den in Frage stehenden, endgültigen Experimenten gewonnen wurden. Obwohl es möglich ist, den Nicht-Unabhängigkeitsfehlschluss durchaus abzumildern, ist es dennoch nicht möglich, ihn vollständig zu vermeiden, da bildgebende Verfahren immer auf eine Kalibrierung aufgrund von vorher bekannten oder vermuteten Korrelationen angewiesen sind. Wichtig ist auch, dass diejenigen Wissenschaftler, die von Vul et al. des Nicht-Unabhängigkeitsfehlschlusses überführt wurden, sich ihrer Fehler nicht bewusst waren. Modularismus scheint also eine Art selbsterfüllende Prophezeiung zu werden, wenn sie mit den bildgebenden Verfahren einhergeht. Dennoch möchte ich hier keinesfalls missverstanden werden: An der Modularität an sich ist nichts falsch, solange sie nicht zum Modularismus dogmatisiert wird. Ebenso ist an der Verwendung der bildgebenden Verfahren nichts Falsches – solange sie nicht unter dem quasi-religiösen Bekenntnis zum Modularismus praktiziert werden. 84 Vul, E./Harris, C./Winkielman, P./Pashler, H., Puzzlingly High Correlations, 274. 85 Vul, E./Harris, C./Winkielman, P./Pashler, H., Puzzlingly High Correlations, 279f.

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2.2.3 Aufgabe des Neurokonstruktivismus In Verbindung mit dem Neurokonstruktivismus ist es nicht nötig, auf empirische Befunde zu rekurrieren, die zeigen, dass unter den meisten Umständen Menschen in der Lage sind, wirkliche Einsichten zu gewinnen. Es ist auch nicht nötig darauf hinzuweisen, dass jeglicher möglicher neurokonstruktivistischer Ansatz nur intern kohärent ist, wenn ebenfalls ein Neurosolipsismus vertreten wird, d. h. die Vorstellung, dass es nur ein wahrnehmendes Individuum gibt, etwa das „reale Gehirn“. Dies ist aber selbstverständlich eine unplausible Option. Es genügt vielmehr, den Neurokonstruktivismus durch ein simples, vernünftiges Argument zu widerlegen: Wir sahen schon, dass der Neurokonstruktivismus vom Repräsentationalismus in einer Weise abhängig ist, in der der letztere eine notwendige Bedingung für den ersteren ist. Man kann zwar Repräsentationalist sein, ohne Neurokonstruktivist zu sein. Aber man kann nicht Neurokonstruktivist sein, ohne zugleich Repräsentationalist zu sein. Denn es muss ja etwas geben, das selbst nicht konstruiert ist und von der Repräsentation, die konstruiert wird, unterschieden ist. Verneint man dies, d. h., nimmt man an, dass das Gehirn Muster konstruiere, die allesamt keine Repräsentation der Wirklichkeit sind, würde dies bedeuten, dass das Gehirn und der Geist etwas konstruieren, das keine Entsprechung in der Wirklichkeit hat. Dies aber ist offensichtlich absurd, so dass jeder Konstruktivismus einen Repräsentationalismus voraussetzen muss. In Abschnitt 2.2.1 sahen wir allerdings, dass der Repräsentationalismus letztlich keine haltbare Option darstellt, eben weil das Gehirn keine Muster, Landkarten und Bilder produziert. Da also mit dem Repräsentationalismus die notwendige Bedingung für den Neurokonstruktivismus falsifiziert ist, ist auch der Neurokonstruktivismus selbst nicht haltbar. 2.2.4 Aufgabe des idealistischen Dualismus Es gibt eigentlich keinen prinzipiellen Grund, den Dualismus in jeder seiner Form aufzugeben. Verschiedene Dualismen haben stets die Philosophiegeschichte begleitet – bis heute. Es gibt auch einige theologische Traditionen, die für den Dualismus votieren, vor allem dann, wenn sie sich mehr auf die hellenistische Herkunft des Christentums als auf dessen hebräische oder später lutherische Tradition berufen. Selbst unsere Diagnose, dass viele Neurowissenschaftler sich bei näherer Analyse als Dualisten entpuppen, auch wenn sie dies explizit verneinen und so in einen Selbstwiderspruch geraten, ist kein hinreichender Grund für die Aufgabe des Dualismus. Weder Menschen noch Theorien verhalten sich perfekt kohärent – und das ist nichts wirklich Neues. Dennoch gibt es am Ende mindestens zwei sehr gute Gründe, die für die Aufgabe des Dualismus sprechen. Der erste beruht auf der erst noch zu

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explizierenden Theologie, auf der diese Untersuchung beruht. Es handelt sich dabei um bestimmte Erfordernisse der christlichen Theologie, die eine Aufgabe des Dualismus aus theologischen Gründen nahelegen.86 Der zweite Grund hat mit der Argumentation zu tun, die uns auch dazu führte, den Repräsentationalismus aufzugeben. Hält man die Vorstellungen der begrifflichen Erfahrung und des aktiven Externalismus für valid, dürfte wohl kein Platz mehr für einen idealistischen Dualismus zwischen Geist/Gehirn auf der einen und der materiellen Welt auf der anderen Seite sein. Das bedeutet freilich nicht, dass zugleich auch jede Form von Aspekt-Dualität aufzugeben wäre. Dennoch bleibt ein ernsthaftes Problem bestehen. Wir sahen ja, als wir den neurokonstruktivistischen Repräsentationalismus nicht nur als dualistisch, sondern auch als idealistisch analysierten, dass dort ein Mythos geschaffen wird, der durch die traditionellen Mittel der Religionskritik als solcher entlarvt werden kann. Gibt es allerdings wirklich eine Alternative? Es scheint doch vielmehr so zu sein, dass eine Entmythologisierung bestimmter partikularer Mythen nur um den Preis möglich ist, neue und andere Mythen zu kreieren, was uns die Geschichte der Theologie gelehrt hat.87 Das entscheidende religionskritische Argument bestand ja darin, dass die Gehalte des phänomenal Zugänglichen in das Noumenale transferiert werden, ohne dass es dafür einen sinnvollen Grund gäbe, abgesehen von dem Wunsch, nicht im radikalen Skeptizismus zu enden. Es scheint nun, als gäbe es letztlich etwas Kontingentes und Zufälliges bei diesem Verfahren. Und diese Kontingenz wird einfach ausgeschlossen oder ignoriert durch den simplen Wunsch, es möge eine Erklärung geben. Ist diese Bewegung des Übergehens von Kontingenz wirklich zu vermeiden? Das entscheidende Argument dieser Art von Religionskritik besteht tatsächlich darin, dass es der „bloße Wunsch“ ist, diesen kontingenten Faktor, der Erfahrung mit Realität verbindet, auszuschließen. Wenn es uns also gelänge, eine Theorie der Verbindung von Erfahrung und Realität aufzustellen, die diesen Übergang ohne den Ausschluss des kontingenten Faktors zuließe, dann wäre diese Theorie immun gegen diese Art von Religionskritik. Und tatsächlich möchte ich in späteren Kapiteln eine solche Theorie vorstellen. An dieser Stelle genügt es, darauf hinzuweisen, dass es 86 Theologische Traditionen behandeln dieses Thema unterschiedlich. Allgemein kann man sagen, dass Theologien, die stärker von der biblisch-hebräischen Tradition beeinflusst sind, und solche, die in lutherischer Tradition stehen, eher einen Monismus vertreten, während Theologien, die stärker von der hellenistischen Tradition beeinflusst sind, versuchen, einen Leib-SeeleDualismus aufrechtzuerhalten. Ein umfassenderes Argument für die Begründung der Aufgabe eines Leib-Seele-Dualismus habe ich in M hling, M., Eschatologie, 164–193, gegeben. 87 „Entmythologisierung“ bezeichnet Bultmanns programmatischen Zugang zum Neuen Testament, der stets mit der „existentialen Interpretation“ auf der Basis der Anthropologie Heideggers einhergeht. Vgl. dazu den programmatischen Aufsatz Bultmann, R., Neues Testament und Mythologie. Aus einer modelltheoretischen Perspektive ist aber auch Heideggers Anthropologie nichts anderes als ein Mythos, wenn sie wörtlich verstanden wird. Bultmann unterschätzt auch die Funktion von Mythen, wie schon Blumenberg diagnostizierte, vgl. Bormann, L., Gott in der Sackgasse, 25f.

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wichtig ist anzuerkennen, dass dieses kontingente Element, das das Phänomenale und das Noumenale verbindet, in den Bereich der Theologie oder Philosophie fällt. Man wird noch einen Schritt weitergehen müssen: Wenn es wirklich darum geht, ein kontingentes Element anzuerkennen, dann kann dies immer nur in hypothetischer und fallibler Weise geschehen. Fallibilität anzuerkennen ist daher der Lackmustest jeder ernsthaften Theologie88 – genauso wie jeder ernsthaften Naturwissenschaft.

2.2.5 Aufgabe der phänomenalen Naivität – die Bedeutung der Phänomenologie Die phänomenale Naivität kann durch inter- und transdisziplinäre Arbeit überwunden werden – und indem man die Erkenntnisse der Phänomenologie berücksichtigt, sowohl in methodologischer als auch in materialer Hinsicht. Zu diesen Einsichten gehört die Notwendigkeit einer phänomenologischen Reduktion, von Husserl epoch genannt, die verborgene ontologische Voraussetzungen ans Licht befördern kann,89 der intentionale Charakter aller möglichen Erfahrung, der protentional-retentionale Charakter der bewussten Erfahrung, die Irreduzibilität des Anderen, die Bedeutung des Leibes im Kontrast zu den Abstraktionen von Körper und Geist, die konstitutive Rolle der Leiblichkeit in jeder Erfahrung, die Gebundenheit der Erfahrung an verschiedene Horizonte sowie die Notwendigkeit alle Perspektiven – die der ersten, zweiten und dritten Person, sei es im Singular oder im Plural – zu berücksichtigen. In den letzten Jahren wurde in dieser Hinsicht ein gutes Stück Land aufgeholt, so z. B. durch die Arbeiten von Dan Zahavi und Shaun Gallagher, Francisco Varela, Evan Thompson, Eleanor Reusch90 sowie von Thomas Fuchs und vielen anderen. Es ist daher an dieser Stelle nicht notwendig, eine Einführung in die Phänomenologie und ihre Methoden zu geben. Die methodischen Einsichten der Phänomenologie sind für unsere Zwecke, soweit sie auf die Naturwissenschaften angewandt werden können, weniger von Interesse. Zahavi und Gallagher erwähnen hier verschiedene Ansätze, die es erlauben, phänomenologische Methoden in die naturwissenschaftliche Methodologie einzubeziehen.91 Daher können wir an dieser Stelle den Einbezug der Phänomenologie ruhen lassen, zumal deren Einsichten später noch an anderer Stelle angewandt werden.

88 89 90 91

Vgl. van Huyssteen, J.W., The Shaping of Rationality, 111–178. Vgl. Fçrster-Beuthan, Y., Zeiterfahrung und Ontologie, 33. Vgl. Varela, F.J./Thompson, E.T./Rosch, E., The Embodied Mind. Vgl. Gallagher, S./Zahavi, D., Phenomenological Mind, Kap. 2.

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2.2.6 Aufgabe des Dogmas des kausalen Atomismus, dass alle Relationen extern seien Wir sahen schon, dass Russells Annahme, alle Relationen seien extern, inkohärent ist. Allerdings gibt es auch abgesehen von der internen Inkohärenz von Russells Annahme empirisch beobachtbare Befunde, die zeigen, dass die universale Annahme, dass alle Relationen extern seien, falsch ist. Die experimentelle Bestätigung, dass EPR-Experimente tatsächlich durchführbar sind und dass dabei Bells Theorem verletzt wird, spricht eine deutliche Sprache.92 Denn die Quantenmechanik verhält sich in exakter Analogie zu Russells verworfenem Beispiel von Leibniz. Wenn ein Quantum, das mit einem anderen verschränkt ist (wie in Russells Beispiel die verheirateten Eheleute, von denen sich einer in Europa, ein anderer in Indien aufhält), sich in Europa aufhält, während das andere in Indien ist, und wenn eine Messung an nur einem der beiden vorgenommen wird, kollabiert die Wellenfunktion als ganze, so dass die noch nicht gemessenen Eigenschaften des anderen feststehen. Man könnte hier mit Einstein meinen, es handele sich um eine geisterhafte, sich mit unendlicher Geschwindigkeit ausbreitende Informationsübertragung. Die einfachere Annahme ist aber, dass die Eigenschaften einfach intern relationiert sind. Denn bevor die Wellenfunktion kollabiert, gibt es überhaupt keine aktualen Eigenschaften, sondern nur mögliche Eigenschaften. Reale Möglichkeiten gehören allerdings (im Unterschied zu fiktiven Möglichkeiten) ebenfalls zur Realität. Es mag wahr sein, dass nicht alle Relationen intern sind, aber es gibt mit Sicherheit interne Relationen. Ironischerweise ließ sogar Russell in einem Bereich interne Relationen zu – allerdings nur im Bereich der intentionalen Relationalität der Erfahrung von Fiktivem, wie seine Beispiele zeigen.93 Die einfache Lösung des Problems, die darin besteht, dass weder Russell noch Bradley im Recht sind, sondern dass sich der wahre Sachverhalt so darstellen dürfte, dass einige Relationen intern sind, während andere extern sind, wurde von verschiedenen Philosophen beobachtet, darunter Wittgenstein und Whitehead.94 92 Eine der besten Einführungen in die Quantenphysik nebst einer Diskussion ihrer philosophischen Probleme ist Ijjas, A., Der Alte mit dem Würfel. 93 Vgl. Russell, B., Philosophical Development, 54: ‘With some relations this view is plausible. Take, for example, love or hate. If A loves B, this relation exemplifies itself and may be said to consist in certain states of mind of A. Even an atheist must admit that a man can love God. It follows that love of God is a state oft the man who feels it, and not properly a relational fact.’ 94 Vgl. Wittgenstein, L., Tractatus Logico-Philosophicus (engl.), 46 (1.22): ‘We can speak in a certain sense of formal properties of objects and atomic facts, or of properties of the structure of facts, and in the same sense of formal relations and relations of structures. (Instead of property of the structure I also say “internal property”; instead of relation of structures “internal relation”. I introduce these expressions in order to show the reason for the confusion, very widespread among philosophers, between internal relations and proper (external) relations.) The

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Obwohl diese Lösung zunächst recht offensichtlich erscheint, beinhaltet sie doch weitreichende Implikationen: 1. Naturwissenschaftliche Erklärungen können nicht darauf beschränkt werden, lediglich individuelle Ereignisse und die kausalen Beziehungen zwischen ihnen zu identifizieren. Dennoch bleibt dies nach wie vor eine wichtige Aufgabe – die nun die Funktion gewinnt, zu zeigen, wo und inwieweit externe Relationen am Werk sind und wo und inwieweit nicht. 2. Ein rein instrumentalistisches Verständnis der Naturwissenschaften erscheint ausgeschlossen, da es sich schon bei der Frage um eine ontologische Frage handelt. 3. Da es zumindest einige interne Relationen gibt, die uns vor allem durch intentionale Relationen bekannt sind, können intentionale Erfahrung und Realität nicht getrennt werden. Auch ist es nicht möglich, der Wirklichkeit eine erfahrungsunabhängige Realität zuzuschreiben. 4. Es ist anzunehmen, dass sich spezifische interne Relationen nicht durch die Arbeit einzelner hochspezialisierter Disziplinen aufweisen lassen, sondern eher durch den inter- und transdisziplinären Dialog. 5. Da es bei dieser Frage um die Beziehungshaftigkeit der Welt geht, ist diese Frage immer auch eine Sache einer positionalen Ontologie, die stets eine bestimmte Perspektive voraussetzt. Dies zeigt sich beispielsweise an Whiteheads Problembeschreibung: ‘How can the other actual entities, each with its own formal existence, also enter objectively into the perceptive constitution of the actual entity in question? This is the problem of the solidarity of the universe. The classical doctrines of universals and particulars, of subject and predicate, of individual substances not present in other individual substances, of the externality of relations, alike render this problem incapable of solution.’95 ‘It is by means of “extension” that the bonds between prehensions take on the dual aspect of internal relations, which are yet in a sense external relations. It is evident that if the solidarity of the physical world is to be relevant to the description of its individual actualities, it can only be by reason of the fundamental internality of the relationships in question. On the other hand, if the individual discreteness of the actualities is to have its weight, there must be an aspect in these relationships from which they can be conceived as external, that is, as bonds between divided things.’96 holding of such internal properties and relations cannot, however, be asserted by propositions, but it shows itself in the propositions, which present the atomic facts and treat of the objects in question.’; ebd. (4.125): ‘The existence of an internal relation between possible states of affairs expresses itself in language by an internal relation between the propositions presenting them.’; ebd. (4.1251): ‘Here the disputed question “whether all relations are internal or external” disappears.’ 95 Whitehead, A.N., Process and Reality, 56. 96 Whitehead, A.N., Process and Reality, 309.

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Whiteheads eigene Problemlösung besteht also im Begriff der „prehension“, auf den wir hier nicht weiter einzugehen haben. Denn weit wichtiger als eine Antwort auf die Frage zu entwerfen, indem wir eine präskriptive Ontologie entwerfen, ist die Aufgabe, vorläufige Antworten im inter- und transdisziplinären Dialog zu finden.

2.2.7 Aufgabe des individualistischen Intellektualismus, der „Theory of Mind“ und der „Social Brain Hypothesis“ Da die unterschiedlichen Hypothesen einer Theory of Mind und die sog. Social Brain Hypothesis sowohl einen Repräsentationalismus als auch ein Verständnis der Personen in Gesellschaften als rein externe Relationen voraussetzen, dürfte es nicht überraschen, dass deren Modifikation, wenn nicht gar Aufgabe empfohlen wird. Obwohl klar ist, dass aus der Falschheit des Repräsentationalismus und aus der Falschheit der Theorie, alle Relationen als extern zu verstehen, auch die Falschheit des individualistischen Intellektualismus wahrscheinlich wird, könnte eine solche begriffliche Argumentation zumindest so lange für den Naturwissenschaftler nicht wirklich plausibel erscheinen, wie nicht auch auf empirische Befunde rekurriert werden kann. Und in der Tat gibt es genügend empirische Befunde, die nahelegen, sowohl den Intellektualismus als auch den Individualismus aufzugeben. Der Intellektualismus und sein neurowissenschaftlicher Bruder, der „Zerebrozentrismus“97, scheinen zwar in einigen Zweigen der Kognitionswissenschaften überlebt zu haben, aber die Mehrheit scheint in eine Richtung zu tendieren, die durch Damasios „somatic-marker-hypothesis“ inauguriert wurde. So ist die ‘key idea in the hypothesis is that “marker” signals influence the processes of response to stimuli at multiple levels of operations, some of which occur overtly (consciously, “in mind”) and some of which occur covertly (non-consciously, in a non-minded manner). The marker signals arise in bioregulatory processes, including those, which express themselves in emotions and feelings, but are not necessarily confinded to those alone. This is the reason why the markers are termed somatic: they relate to body-state structure and regulation even when they do not arise in the body proper but rather in the brain’s representation of the body. […] The hypothesis rejects attempts to limit human reasoning and decision making to mechanisms relying, in an exclusive and unrelated manner, on either conditioning alone or cognition alone.’98

In anderen Worten: Der Neokortex mag notwendig für all jene Aktivität sein, die wir als „kognitiv“ bezeichnen, aber keinesfalls hinreichend. Ohne die 97 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 40. 98 Damasio, A., Somatic Marker Hypothesis, 1413.

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evolutionär älteren Gehirnareale wie die Amygdala und das periphere Nervensystem99 und ohne den Leib wäre Nachdenken und Entscheidungsfindung100 nicht möglich. Es gibt keine scharfe biologische Grenze zwischen Affektivität, Vernunft und Wille; vielmehr handelt es sich dabei um begriffliche Unterscheidungen ohne biologische Referenz. Die Übergänge von Vernunft, Wille und Affektivität sind unscharf und die Vernunft ist – genauso wie die Affektivität und der Wille – stets leiblich. Kommen wir nun vom Intellektualismus zum Individualismus. Auch dieser bereitet einige Schwierigkeiten: Der Individualismus der verschiedenen Spielformen einer „Theory of Mind“ und „Social Brain Hypothesis“ kann aufgegeben werden, ohne dass man die empirischen Resultate der „false-belief-experiments“ aufgeben müsste. An den Experimenten selbst ist nichts falsch, an ihrer Interpretation hingegen schon. Um dies sehen zu können, müssen wir zunächst die Begriffe der primären und sekundären Intersubjektivität einführen. Die primäre Intersubjektivität101 entwickelt sich vom Embryo im Uterus 102 an und sie bleibt während des gesamten menschlichen Lebens bestehen. Neugeborene sind eindeutig in der Lage, andere Menschen von unbelebten Gegenständen zu unterscheiden.103 So reagieren Neugeborene mit Unzufriedenheit in „Still-Face-Experiments“, wenn die Mutter absichtlich nicht ihren Gesichtsausdruck für einige Minuten verändert.104 Sie zeigen sich auch nur dann durch Nachahmung responsiv auf die Mutter bezogen, wenn diese selbst aufmerksam bleibt.105 Zwei Monate alte Babys interagieren nur dann mit dem auf einem Bildschirm gezeigten Gesicht der Mutter, wenn diese tatsächlich raumzeitlich gegenwärtig ist und durch eine Kamera sieht, was das Kind macht. Die Handlungen von Mutter und Kind können also nicht separiert und getrennt voneinander verstanden werden.106 Vielmehr sind sie als integrale Teile der Mutter-Kind-Dyade zu verstehen.107 Die primäre Intersubjektivität ist eine sich entwickelnde, nicht-begriffliche Intersubjektivität, die leibliche Intentionalität einschließt, durch die sich geteilte emotionale Zustände entwickeln aufgrund von leiblichen Mitteln, wie der Imitation von Gesten und Mimik. Diese Art der Beziehung zwischen Mutter und Kind setzt kein ko99 Vgl. Bechara, A./Damasio, H./R., D.A., Emotion, Decision Making and the Orbitofrontal Cortex. 100 Vgl. Bechara, A., The Role of Emotion in Decision-making. 101 Vgl. Trevarthen, C., Communication and Cooperation in Early Infancy. 102 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 188f. 103 Vgl. Dornes, M., Der kompetente Säugling, 68. 104 Vgl. Tronick, E.Z., Things Still to be Done on the Still-Face Effect. 105 Vgl. Bermffldez, J.L., Transcentental Arguments and Psychology; Gallagher, S., The Moral Significance of Primitive Self-Consciousness; Gallagher, S./Meltzoff, A.N., The Earliest Sense of Self and Others. 106 Murray, L./Trevarthen, C., Emotional Regulations of Interactions between Two-month-olds and their Mothers. 107 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 198.

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gnitives Verständnis voraus und auch keine Simulation des Anderen im eigenen Ich, denn jedwede Fähigkeit dazu fehlt ja noch. Auch jede Art von Bild oder Repräsentation der Mutter ist nicht vorausgesetzt. Positiv lässt sich das Verhältnis eher als eine mimische Resonanz beschreiben. Der Begriff „primäre Intersubjektivität“, so wie ihn Trevarthen108 gebraucht, ist ein wenig missverständlich. Denn er bedeutet nicht, dass zwei individuelle Subjekte in eine Beziehung eintreten. Vielmehr handelt es sich um ein einzelnes System, das aus zwei Relaten besteht, die durch interleibliche Resonanz verbunden sind.109 Diese interleibliche Bezogenheit ist ein Schritt der Entwicklung der Interaffektivität der Mutter-Kind-Dyade und beruht auf nicht-verbaler Kommunikation affektiver Zustände und Emotionen. Sie ist vollständig entwickelt in einem Alter von neun Monaten.110 Dabei handelt es sich nicht nur um eine zweistellige, sondern um eine dreistellige Beziehung, die sich auch auf die Umwelt und die Situation als drittes Relat bezieht: Durch soziale Interaktion hat das Kind gelernt, die Gefühle und Emotionen, die von anderen ausgedrückt werden, auf die gleichen Situationen zu beziehen. Es gibt daher so etwas wie ein implizites Gedächtnis. Mit Fuchs können wir daher schließen: „Die gegenwärtige soziale Kognitionspsychologie ist auf den Begriff der ,Theory of Mind‘ fokussiert, wonach Kinder erst aus bestimmten Hinweisreizen lernen, anderen Personen ,mentale Zustände‘, also Gefühle, Ideen, Absichten und Ziele zuzuschreiben […]. Doch weder Kinder noch Erwachsene benötigen Theorien mit Annahmen und Schlussfolgerungen, um einander zu verstehen. Die primäre Wahrnehmung des Anderen beruht nicht auf hypothetischen Schlüssen auf eine unsichtbare Innenwelt in ihren Köpfen, sondern auf der zwischenleiblichen Kommunikation und wechselseitigen Empathie verkörperter Subjekte […].“111

Die sekundäre Intersubjektivität kommt zur primären Intersubjektivität hinzu, vom neunten Monat an. Das System von zwei personalen Relaten von Mutter und Kind wird nun geöffnet zum schon genannten System der geteilten Intentionalität in Beziehung auf ein drittes Relat. 18 Monate alte Kinder sind in der Lage, spontan zielgerichtetes Handeln von Erwachsenen, wenn diese an der Verfolgung ihres Ziels gehindert werden, zu vervollständigen, und sie zeigen in diesem Alter auch Frustrationserfahrungen.112 Durch deiktische Handlungen und durch Identifikation mit dem Anderen fangen neun Monate alte Kinder an, den Erwerb ihrer eigenen Intentionalität und andere Personen als intentionale Wesen zu erfahren:113 108 Vgl. Trevarthen, C., The Neurobiology of Early Communication. 109 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 190. Der Ausdruck der Interleiblichkeit oder Zwischenleiblichkeit geht zurück auf Merleau-Ponty, M., Das Auge und der Geist, 256. 263. 110 Vgl. Dornes, M., Der kompetente Säugling, 154. 111 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 192f. 112 Vgl. Meltzoff, A.N., Understanding the Intentions of Others; Meltzoff, A.N./Brooks, R., ‘Like me’ as Building Block for Understanding Other Minds. 113 Vgl. Tomasello, M., Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens, 111.

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„Die Intentionalität der Anderen ist kein privater mentaler Zustand, der erst erschlossen oder simuliert werden muss, sondern sie ist sichtbar in den Sinngestalten ihrer Handlungen und verkörpert in den Gesten ihres Leibes im Kontext der gemeinsamen Situation.“114

Über die nächsten Monate und Jahre wächst dieser leibliche und sozial interaktive Prozess und führt zur Ausbildung von Sprechen, Sprache, symbolischem Zeichengebrauch und abstraktem Denken. Dabei bleibt auch die Fähigkeit zu abstraktem Denken an früher erworbene, erlernte und leibliche Fähigkeiten gebunden.115 Mittlerweile werden auch die neurobiologischen Fähigkeiten, die während dieser Entwicklung vorausgesetzt sind und sich aufgrund dieser Entwicklung bilden, besser verstanden. Das Bindungssystem des Gehirns scheint ganz unterschiedliche Areale zu beinhalten, die alle für die Entwicklung von Intentionalität notwendig sind, wie der Gyrus cinguli und der orbitofrontale Kortex.116 Auch das System der sog. Spiegelneuronen, das in verschiedenen Gehirnarealen anzutreffen ist und das eine Resonanz zwischen Wahrnehmen und Handeln verkörpert, scheint eine wichtige Aufgabe im Zusammenhang mit der Entwicklung von Intentionalität zu besitzen.117 Wichtig ist auch darauf hinzuweisen, dass es zwischen dem Gehirn und der genannten Entwicklung hin zur Intentionalität keine Monokausalität gibt. Vielmehr ist diese reziprok. Das neuronale System inauguriert eine soziale Entwicklung, aber nur, wenn diese soziale Entwicklung auch tatsächlich in spezifischen Weisen geschieht, kann sich das neuronale System selbst auch in einer lebensfähigen Weise weiterentwickeln. Gestützt wird dies durch verschiedene empirische Befunde. So zeigten beispielsweise adoptierte Kinder, die nur ein paar Monate in einem Waisenhaus verbrachten, noch im Alter von sechs Jahren unterentwickelte kognitive und soziale Fähigkeiten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe.118 Um die Rolle des Gehirns in der Entwicklung hin zu höheren mentalen Fähigkeiten wie Sprache und Denken zusammenzufassen, können wir mit Fuchs sagen: „Die Sprache ist für den individuellen Geist, was die Luft für den lebendigen Organismus ist – das Medium der Belebung und Entfaltung. Das Gehirn gleicht der Lunge,

114 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 210. 115 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 210–223. 116 Vgl. Amini, F./Lewis, T./Lannon, R./Louie, A./Baumbacher, G./McGuiness, T./Schiff, E.Z., Affect, Attachment, Memory; auch Schore, A.N., Affect Regulation and the Origin of the Self, liefert eine umfassende Beschreibung. 117 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 197–208.212–216. 118 Vgl. O’Connor, T.G./Rutter, M., Attachment Disorder Behaviour Following Early Severe Deprivation.

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die diese Belebung durch die Luft vermittelt. Mit dem Erwerb des Sprachvermögens wird das Gehirn, ein Organ des Lebens, auch zu einem Organ des Geistes.“119

Dieses Verständnis der Eigenart und der Entwicklung von Intentionalität, in dem die eigene Intentionalität nicht der des Anderen vorgängig ist – dieses Bild der reziproken Abhängigkeit der eigenen Subjektivität und der Subjektivität des Anderen –, passt sehr gut zu Einsichten, die aus der phänomenologischen Tradition stammen. So entwickelte beispielsweise Max Scheler ein Verständnis der Empathie, in dem jeder intentionale Akt der Subjektivität des Anderen dem Selbst präsent ist. Scheler sah sehr deutlich, dass das Argument der Analogie – also die Idee, dass wir Subjektivität anderen zuschreiben, weil wir sie bei uns selbst wahrnehmen – bereits voraussetzt. Was es zeigen will: Wir müssen immer schon eine wahrgenommene Subjektivität besitzen, um eigene Geisteszustände anderen zuzuschreiben oder um die mentalen Zustände anderer in der eigenen Subjektivität zu simulieren.120 Scheler ist auch der Auffassung, dass die Zustände der Intentionalität des Anderen direkt wahrgenommen werden können, denn er nimmt nicht an, dass es so etwas wie einen Dualismus zwischen dem materiellen Körper auf der einen und einem irgendwie verborgenen Geist auf der anderen Seite gibt. Vielmehr geht er von der Priorität des Leibes aus, dem eine Ausdruckseinheit zu eigen ist, die durch eine Wahrnehmung des Anderen konstituiert wird.121 Der naheliegende Einwand, dass die Wahrnehmung der eigenen Intentionalität und die Wahrnehmung der Intentionalität des Anderen dennoch zwei verschiedene Dinge seien, weil nur erstere privat ist, stellt keinen Gegeneinwand dar, wie Dan Zahavi und Shaun Gallagher plausibel zeigen konnten: ‘Second- (and third-)person access to psychological states do differ from first-person access. But we shouldn’t make the mistake of restricting and equating experiential with first-person access. It is possible to experience minds in more than one way. When I experience the facial expressions or meaningful actions of another, I am experiencing another’s subjectivity, and not merely imagining it, simulating it, or theorizing about it. The fact that I can be mistaken and deceived is no argument against the experiential character of the access.’122

Eingangs dieses Kapitels sagten wir, dass wir nicht gegen die Validität der „false-belief experiments“ argumentieren wollen. Und in der Tat widersprechen die hier angeführten Befunde diesen mitnichten; sie widersprechen nur den traditionellen „Theories of Mind“. Der Grund ist ein sehr simpler: Die „false-belief experiments“ sind ein hinreichender Nachweis der Fähigkeit zur Wahrnehmung der Intentionalität anderer, aber sie deuten mitnichten eine notwendige Bedingung an. Mit anderen Worten: Die Experimente verdeutli119 120 121 122

Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 215f. Vgl. Scheler, M., The Nature of Sympathy, 240. 251. Vgl. Scheler, M., The Nature of Sympathy, 220. 261. Gallagher, S./Zahavi, D., Phenomenological Mind, 204f.

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chen einen Terminus ad quem der Entwicklung der Fähigkeit, sich auf andere beziehen zu können. Wenn sie scheitern, folgt daraus nichts. Wenn man tatsächlich die bewusste und kognitive Manipulation vom Anderen zum Kriterium des Verständnisses des Anderen machen will, wie es implizit die „Theories of Mind“ und explizit die „Social Brain Hypothesis“ annehmen, dann wird der fälschliche Eindruck erweckt, als ob die Wahrnehmung von „other minds“ auf diesen bewussten und kognitiven Fähigkeiten beruhe. Allerdings wird das Faktum, dass manipulative, kognitive Fähigkeiten immer der nicht-kognitiven Wahrnehmung anderer einschließlich derer intentionaler Zustände nachgängig und parasitär sind, durch diese Interpretationen verdunkelt. Es ist nicht eine „Theory of Mind“, die Zugang zum Anderen gewährt, sondern schlicht die Fähigkeit, andere wahrzunehmen. Auf die gleiche Weise ist die „Social Brain Hypothesis“ oder die These der „Machiavellian intelligence“ abzulehnen. Ökologische Umwelten und Gemeinschaften sind gegenüber allen Gesellschaften stets vorgängig. Daher sollte man besser vom leiblichen, ökologisch-kommunitären Gehirn sprechen. 2.2.8 Aufgabe des dogmatistischen reduktionistischen Naturalismus In den meisten Fällen handelt es sich bei dem reduktionistischen Naturalismus um eine Menge vorausgesetzter ontologischer Gewissheiten. Diese dürften durch phänomenologische Reduktion aufgewiesen und im Prinzip auch ausgeschlossen werden. Nicht ausgeschlossen wird damit natürlich der naturalistische Reduktionismus als eine mögliche, quasi-religiöse Interpretation naturwissenschaftlichen Arbeitens. In den Abschnitten, in denen die externe Relationalität besprochen wurde, wurde sichtbar, dass der reduktionistische Naturalismus und die Behauptung, es gäbe nur externe Relationen, zusammengehören. Wir sahen auch, dass es entscheidend ist, festzustellen, welche Relationen als extern angenommen werden können und welche nicht. In diesem Zusammenhang lautet mein Vorschlag, dass diese Aufgabe an einen methodologischen und hypothetischen Reduktionismus delegiert werden kann. Um feststellen zu können, wie weit der externe Aspekt der zugrundeliegenden Relationalität reicht, können versuchsweise Reduktionen auf kausale Verbindungen zwischen hypothetischen „individuellen“ Ereignissen hilfreich sein. Um dabei zu verhindern, dass aus dieser Methode ein quasi-religiöser „-ismus“ wird, gilt es, (1) Widersprüche und Schwierigkeiten, die beim Versuch der Reduktion auftreten, nicht zu übergehen, und (2) den Reduktionismus nicht dogmatistisch zu verstehen. Berücksichtigt man diese Regeln, wird man sehen, dass sich die phänomenologische Reduktion und die hypothetische Naturalisierung nicht notwendigerweise ausschließen. Allerdings sahen wir auch im Abschnitt über die partielle Externalität und Internalität von Relationen, dass die zweite wichtige Aufgabe darin besteht, auch mit einer partiellen Internalität von Relationen zu

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rechnen und diese verstehen zu können. Diese Aufgabe ist weit herausfordernder; und für diese Aufgabe trägt ein reduktionistischer Naturalismus per se nichts bei. Hinsichtlich der Methodologie ist es sicher weise, sich zunächst und vorläufig auf klassische kausale Zugänge in den Neurowissenschaften zu beschränken und nicht zu schnell Theorien einzuführen, die mit Quanteneffekten im Gehirn rechnen, da es dafür zur Zeit noch keinen wirklichen Nachweis gibt. Dennoch ist es ein wichtiges Kennzeichen wissenschaftlicher Redlichkeit, mit der Möglichkeit kontingenter neuronaler Prozesse zu rechnen, anstatt dem kausal-deterministischen Credo zu verfallen. Unter den Bedingungen unseres gegenwärtigen Wissens um Gehirnvorgänge ist ein solches Credo ohnehin falsifiziert, denn es gibt deutliche Hinweise auf kontingente Prozesse – zumindest im Sinne stochastischer Wahrscheinlichkeit. So wird die Ausschüttung von Neurotransmittern nur zu 10–20 % vom Aktionspotential der Synapsen beeinflusst, so dass hier mit einiger Wahrscheinlichkeit ein indeterministischer Prozess angenommen werden kann.123

2.3 Das ökologische Gehirn In den letzten beiden Abschnitten 2.1 und 2.2 wurde das neurokonstruktivistische und repräsentationalistische Paradigma der Neurowissenschaften und der Kognitionswissenschaften eingeführt, analysiert und kritisiert. Nun gilt es, eine plausiblere Alternative einzuführen. Es wird dabei nicht überraschen, dass hier an ein Beispiel gedacht wird, das sich auch der phänomenologischen Tradition bedient. Und da wir schon hinsichtlich der Kritik Thomas Fuchs’ Position nutzten, erscheint es nur adäquat, seine Position als einen fruchtbaren Zugang zu den Neurowissenschaften zu wählen.

2.3.1 Der Leib als Subjekt Auf der Basis von Einsichten, die von Husserl, Merleau-Ponty und Waldenfels stammen, nimmt Fuchs an,124 dass zunächst die Erfahrung eines Selbstentzugs gegeben ist, denn unsere Erfahrung des Selbst ist kein Gegenstand der unmittelbaren Wahrnehmung. Wir finden uns nämlich zunächst als hungrig, durstig, müde etc. vor oder als dieses und jenes denkend oder wollend etc. Unsere Spontanität ist uns daher zunächst passiv gegeben: „[…] nicht ich bin es, der mich denken lässt, sowenig ich es bin, der mein Herz schlagen lässt.“125 123 Vgl. Craver, C.F., Explaining the Brain, 22; Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 260f. 124 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 96–99. 125 Merleau-Ponty, M., Das Sichtbare und das Unsichtbare, 281.

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Ferner sind Menschen immer auf etwas ausgerichtet, sei es in ihren bewussten oder unbewussten Aktivitäten. Das Leben geht offensichtlich dem Bewusstsein voraus und es ist stets nur als leibliches Leben gegeben. Das Medium der Aktivität ist dabei der Leib, nicht einfach der physische Körper. Der Leib ist außerdem das natürliche Subjekt der Erfahrung von Fähigkeit wie das Vermögen, tanzen zu können oder sich spontan an etwas erinnern zu können: „Mein Leib ist also nicht der Körper, den ich sehe, berühre oder empfinde, sondern er ist vielmehr mein Vermögen zu sehen, zu berühren und zu empfinden. Er ist kein Gegenstand in der Welt, sondern das Vermögen, das mir die Welt eröffnet.“126

In einem wechselseitig konstitutiven Verhältnis ist der Leib sowohl anderen als auch mir selbst gegeben. Andere nehmen mich als unmittelbar leiblich wahr, einschließlich meiner Haltungen und meiner Gefühlsausdrücke, genauso wie ich andere als unmittelbar leiblich wahrnehme. Die Leiblichkeit ist daher die Basis der Intersubjektivität. Allerdings nehme ich im Verletzungsfalle, wie z. B. im Fall von Krankheit oder Erschöpfung, meinen Leib entfremdet wahr, d. h. dann als Körper. Offensichtlich ist es uns also möglich, zwei Haltungen uns selbst entgegen zu bringen: eine personale Haltung – ein Ausdruck, der auf Husserl zurückgeht127 –, die der Ausgangspunkt für unsere geteilte Lebenswelt ist, und eine naturalistische Haltung, in der mein Leib zum Gegenstand des Körpers wird.128 Der Leib muss daher verstanden werden als das Medium der Personalität. Der Begriff der Person ist nach P.F. Strawson129 ein vorgängiger und primitiver Begriff, nicht ein zusammengesetzter. Indem man nun mittels der beiden Haltungen, die man auf die ganze Person richten kann, sich entweder personal oder naturalistisch sehen kann, erscheinen die von der Person abstrahierten Begriffe des Leibes und des Körpers bzw. manchmal auch die abstrahierte Dualität von Geist und Körper. Dieses Erscheinen unter den spezifischen Haltungen ändert aber nichts daran, dass Leib und Körper (genauso wie der Geist) letztlich immer leiblich sind. Es handelt sich also nicht um unterschiedliche „Substanzen“, sondern höchstens um verschiedene Aspekte. Daher kann Fuchs auch von einer Leib-Körper-Dualität sprechen (nicht aber von einem Dualismus), die den traditionellen Geist-Körper-Dualismus ersetzt.130 Strawson hat seinen Begriff der Person, die nicht als eine Addition zweier Substanzen, einer Substanz des Geistes und einer der Materie, verstanden werden kann, durch ein berühmtes Gedankenexperiment ex contrario veranschaulicht. Man versuche einmal, sich selbst als nicht-leiblich zu verstehen: 126 127 128 129 130

Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 99. Vgl. Husserl, E., Husserliana 3/1, 63. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 99–103. Vgl. Strawson, P.F., Individuals, 103–105. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 103–110.

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‘When I was discussing the concept of a pure individual consciousness, I said that though it could not exist as a primary concept to be used in the explanation of the concept of a person […], yet it might have a logically secondary existence. […] each of us can quite intelligibly conceive of his or her individual survival of bodily death. […] One has simply to think of oneself as having thoughts and memories as at present, […] whilst (a) having no perceptions of a body related to one’s experience as one’s own body is, and (b) having no power of initiating changes in the physical condition of the world, such as one at present does with one’s hands, shoulders, feet and vocal chords. […] Then two consequences follow […]. The first is that the strictly disembodied individual is strictly solitary […]. The other […] is that in order to retain his idea of himself as an individual, he must always think of himself as disembodied, as a former person. […] Since then he has, as it were, no personal life of his own to lead, he must live much in the memories of the personal life he did lead […]. In proportion as the memories fade, […] to that degree his concept of himself as an individual becomes attenuated. At the limit of attenuation there is, from the point of view of his survival as an individual, no difference between the continuance of experience and its cessation. Disembodied survival, on such terms as these, may well seem unattractive. No doubt it is for this reason that the orthodox have wisely insisted on the resurrection of the body.’131

2.3.2 Ökologische Subjektivität Fuchs kombiniert nun diese phänomenologischen Überlegungen mit Einsichten aus der Systemtheorie von Maturana, Varela und Bertalanffys sowie mit Einsichten der ökologischen Biologie v. Uexkülls und philosophischen Einsichten von Plessner und Jonas.132 Auf der einen Seite sind innerorganismische Prozesse autopoietisch, so dass das Gesamtsystem des Organismus eine relative Autonomie erhält. Das System konstituiert sich selbst aufgrund seiner Teile und diese Teile erhalten und regenerieren das System.133 Auf der anderen Seite ist diese relative Autonomie des autopoietischen Systems keinesfalls selbstgenügsam, sondern es beruht auf wechselseitiger Abhängigkeit von seiner Umwelt. Im Falle von Lebewesen sind dabei zwei Prozesse entscheidend: Rezeption und Effekt: „Jedes Tier greift gleichsam mit zwei ,Zangen‘ sein Objekt an – einem Merkorgan (Rezeptor) und einem Wirkorgan (Effektor). Damit entdeckt es am Objekt die dazu 131 Strawson, P.F., Individuals, 115f. Der Film „Perfect Sense“ von 2011 des schottischen Regisseurs David Mackenzie kann als Illustration dieses Gedankenexperiments verstanden werden. 132 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 133–184. 133 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 111f.

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komplementären ,Merkmale‘ und ,Wirkmale‘, oder anders ausgedrückt, es erteilt ihm die Bedeutung von Reiz und Wirkobjekt.“134

Dies ist die basale Idee des Funktionskreises. Um sie zu veranschaulichen, beruft sich Fuchs auf Uexküll: „Jedes Tier ist ein Subjekt, das dank seiner ihm eigentümlichen Bauart aus den allgemeinen Wirkungen der Außenwelt bestimmte Reize auswählt, auf die es in bestimmter Weise antwortet. Diese Antworten bestehen wiederum in bestimmten Wirkungen auf die Außenwelt, und diese beeinflussen ihrerseits die Reize. Dadurch entsteht ein in sich geschlossener Kreislauf, den man den Funktionskreis des Tieres nennen kann.“135

Die Konsequenz ist, dass Außenwelt und Umwelt nicht identisch sind. Die Umwelt ist durch die Interdependenz von lebendem Organismus und der Außenwelt konstituiert, die in einem komplementären Verhältnis stehen. Die Außenwelt gewinnt in diesem Prozess Bedeutung: Füße sind auf Pfade bezogen, der Mund auf Nahrung und Waffen auf Feinde.136 Fuchs fasst dabei die aus der Ökologie gewonnenen Einsichten folgendermaßen zusammen: „Indem das Lebewesen geeignete, förderliche bzw. schädliche Bestandteile seiner Umwelt selektiert und erkennt, werden sie einbezogen in ein übergreifendes Gesamtsystem aus Lebewesen und Umwelt. Dieses lebendige System trägt zugleich subjektiven und objektiven Charakter.“137

Prozesse dieser Art führen zur Entwicklung von Subjektivität. Zur Ausbildung von Subjektivität ist dabei die Unterbrechung von Erinnerung und Effekt bzw. von Stimulus und Reaktion ganz entscheidend. Denn erst diese Unterbrechung konstituiert den Raum und die Zeit des Bewusstseins, und die so entstehende Lücke wird durch die Affektivität, einschließlich der Gefühle und Stimmungen, besetzt. Die Gegenstände der Umwelt, die ja bereits eine Bedeutung besitzen, erhalten so eine zusätzliche Bedeutung des Wertes: Sie erscheinen nun als begehrenswert oder abschreckend.138 Eine notwendige Bedingung für diese Entwicklung ist ein weiteres Unterbrechungsprinzip: Die Bewegungen des Organismus müssen auf eine unmittelbare Weise vom Zentralnervensystem des Lebewesens wahrgenommen werden können, damit eine Unterscheidung zwischen den eigenen Bewegungen und den Bewegungen von Teilen der Umwelt überhaupt möglich ist. Um also eine vollständige Subjektivität entwickeln zu können, ist es notwendig, dass aus dem Funktionskreis, wie Thure von Uexküll139 erläutert, ein Situationskreis wird, 134 135 136 137 138 139

Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 114f. Uexk ll, J.v., Theoretische Biologie, 150. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 116. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 116. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 118. Vgl. Uexk ll, T.v./Wesiack, W., Wissenschaftstheorie und Psychosomatische Medizin.

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„in dem die Prozesse von Wahrnehmung und Bewegung nicht mehr ineinander übergehen, sondern zunächst durch ein ,Probehandeln‘ in der Vorstellung oder Fantasie durchgespielt werden können. […] Abstand zu sich selbst zu gewinnen, heißt zugleich, sich in die Perspektive des Anderen versetzen zu können. Die Exzentrizität des Menschen ist gleichursprünglich mit seiner Sozialität.“140

Fuchs kombiniert nun die Einsichten aus der Phänomenologie mit denen aus der Ökologie: Die Subjektivität ist der Ausgang dieser biologischen Prozesse. Und wie Subjektivität damit notwendigerweise leiblich ist, ist der lebende Körper damit notwendigerweise subjektiv, d. h. ein Leib.141

2.3.3 Wirkkausalität, Formalkausalität und zirkuläre Kausalität Es ist oft beobachtet worden, dass die traditionelle Restriktion der aristotelischen vier Ursachen auf die Wirkursächlichkeit alleine und deren Rekonstruktionen von David Hume an bis heute nicht dem genügen kann, was uns phänomenal vorliegt. Allerdings sind Versuche, wieder eine Teleologie und damit eine causa finalis einzuführen, bis in jüngste Zeit hoch umstritten.142 Obwohl weder Aristoteles selbst noch seine scholastischen Jünger irgendeinen Widerspruch zwischen den vier Ursachen sahen, scheint es doch heute so zu sein, dass jeder Versuch, teleologische Begriffe wieder in die Naturphilosophie oder in die Naturwissenschaften einzuführen, zwangsläufig in einer radikalen Wiederverzauberung der Natur endet. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu sehen, dass Fuchs in seinem Versuch, die Phänomene adäquater zu verstehen, indem man über den einfachen Begriff der Wirkursächlichkeit, in dem eine Ursache A einen Effekt B bewirkt, der wieder Ursache für einen Effekt C ist etc., sich gerade nicht auf die causa finalis beruft, sondern Einsichten in der Tradition der causa formalis reformuliert, wenn er sein Konzept der formalen oder besser formativen Kausalität entwirft, die keinesfalls gegen Wirkursächlichkeit spricht. Lebende Systeme können als eine hierarchische Ordnung beschrieben werden. Der Organismus als ganzer und seine Teile konstituieren sich wechselseitig. Die Teile und die Mikrostrukturen sind dabei wichtig für die höheren Ordnungen und das gesamte System, und zwar in einer Art und Weise, die mithilfe der klassischen Wirkkausalität oder „bottom-up-causality“ beschrieben werden kann. Allerdings beschränken sowohl das Gesamtsystem als auch die höheren Ordnungen des Systems die Möglichkeiten der wirkursächlichen Einflussnahme der niederen Strukturen und der Teile. Diese Art der Restriktion ist also eine Selektion, und sie kann beschrieben werden als 140 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 119. 141 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 121. 142 Vgl. z. B. Thomas Nagels Versuch einer Reteleologisierung in Nagel, T., Mind and Cosmos, und die Kritik bei Orr, H.A., Awaiting a New Darwin.

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formative Kausalität oder als causa formalis.143 Die gemeinsamen Effekte der formativen Kausalität und der Wirkkausalität führen nun zu einer dynamischen Koemergenz, die als zirkuläre Kausalität oder als reziproke Kausalität beschrieben werden kann.144 Der Ausdruck „zirkuläre Kausalität“ ist dabei in Analogie zur Theorie des Funktionskreises gewonnen und jede Assoziation zu anderen Kreisen, wie dem hermeneutischen Kreis, haben strikt zu unterbleiben. Obwohl Fuchs das gemeinsame Wirken von formaler oder formativer Kausalität einerseits und Wirkkausalität andererseits als koemergente Prozesse beschreiben kann,145 verwirft er doch die Idee, dass die zur Jahrtausendwende wieder aufgeblühten Emergenztheorien nützlich sein könnten. Obwohl es eine Reihe äußerst unterschiedlicher Begriffe von Emergenz mit äußerst unterschiedlichen Bedeutungen gibt,146 bezieht sich der Emergenzbegriff doch, zumindest soweit er für die Neurowissenschaften relevant ist, auf die Emergenz höherer Eigenschaften, die zwar auf Teilen des Systems beruhen, aber nicht einfach identisch mit der Summe dieser Teile sind. Daher bleiben Theorien des emergentistischen Monismus147 letztlich immer an eine naturalistische Perspektive gebunden. Fuchs hingegen sieht seine Theorie der integralen Kausalität als kompatibel mit Husserls Vorstellung der beiden Haltungen, einer personalistischen und einer naturalistischen, an. Diese beiden Haltungen sind aber in einer komplementären Weise miteinander verbunden, d. h., die eine kann nicht auf die andere reduziert werden.148 143 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 122–124; Fuchs, T., Neurobiology and Psychotherapy. 144 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 121. 145 Der Ausdruck ist hier mit Referenz auf Thompson, E.T., Mind in Life, 60f, benutzt. 146 Vgl. die Beschreibungen der Geschichte des Emergenzbegriffs bei Clayton, P., Emergenz und Bewusstsein, sowie bei Boost, M., Naturphilosophische Emergenz. 147 Fuchs bezieht sich hier auf Bunge, M., Das Leib-Seele-Problem, 32, und Searle, J.R., Die Wiederentdeckung des Geistes, 29. Während der Kontingenzbegriff im Bereich der Theologie in der ersten Dekade des 21. Jh. weitgehend als attraktiv verstanden wurde, was unter anderem zu solch eindrücklichen Konzeptionen wie denen Claytons (vgl. Clayton, P., Emergenz und Bewusstsein) und zuletzt Boosts (Boost, M., Naturphilosophische Emergenz) führte, wächst in den letzten Jahren doch eher die Kritik. Nicht nur Fuchs wertet Konzeptionen auf Basis des Emergenzbegriffs als gefährlich, weil sie implizit immer einem quasi-religiösen reduktionistischen Naturalismus verhaftet blieben, sondern auch Mutschler, H.D., Von der Form zur Formel, 142f, vertritt diese Kritik und klagt Clayton scharf an: „Wer solche Bücher [wie die Claytons] liest, wird erst einmal verblüfft sein. Der Theologe eliminiert alles Geistige aus der Natur, ja sogar aus dem Menschen und bekennt sich ohne Wenn und Aber zum szientifischen Materialismus!“ Mutschlers Kritik ist – gelinde gesagt – nicht gerade mit der Haltung eines Gentleman vorgetragen und mag übersimplifizierend und polemisch gehalten sein, aber es handelt sich nicht einfach um die Kritik eines primitiven Dualisten, sondern schärft auch den Blick, verborgene Gewissheiten nicht einfach zu übernehmen. Das kann man auch an Boost beobachten, der zwar sehr sorgfältige Analysen liefert, aber letzten Endes doch einem naturalistischen Paradigma verhaftet zu bleiben scheint. Man wird also Fuchs’ kritische Haltung dem Emergenzbegriff gegenüber durchaus als fruchtbar werten können. 148 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 242f.

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Die Kombination der formativen Kausalität und der Wirkkausalität, d. h. die zirkuläre oder integrale Kausalität, arbeitet nun in zwei verschiedenen Hinsichten: Vertikal formt sie die innerorganischen Prozesse zwischen dem Organismus, den Organen, Zellen und den niederen Formen der Materie.149 In diesem Prozess spielt das Gehirn eine wichtige Rolle, denn es fungiert „[…] dabei als ein Transformator für vertikale zirkuläre Kausalität […], [so] dass es also hochstufige (z. B. intentionale, bedeutungshafte) und niederstufige (z. B. neurochemische) Einflüsse auf den Organismus umwandelt und jeweils in die andere hierarchische Ebene übersetzt“.150

Horizontal bestimmt die integrale Kausalität auch einige innerorganische Prozesse. Wichtiger aber noch ist, dass auch die Relationen des Organismus mit seiner Umwelt einschließlich aller Formen des Metabolismus, der Wahrnehmung und der Bewegung mithilfe der zirkulären Kausalität beschrieben werden können.151

2.3.4 Dynamische Fähigkeiten, offene Schleifen und Bildungsgeschichte Beide Arten der Prozessualität, die vertikale wie die horizontale zirkuläre Kausalität, führen nun zur Gewinnung dynamischer Fähigkeiten; ein Konzept, das eine Rekonzeptualisierung der aristotelischen dynamis darstellt. Ein Organismus als ganzer in seiner Beziehung zur Umwelt besitzt dynamische Fähigkeiten, die davon nicht abtrennbar sind. Diese dynamischen Fähigkeiten sind nicht geschlossen, sondern offen für die Umwelt. Eine ihrer wichtigsten Funktionen besteht darin, „offene Schleifen“ als Schnittstellen zwischen Organismus und Umwelt bereit zu stellen: „Vermögen bündeln also Subsysteme und Organe in vertikaler Kausalität zu kooperierenden Einheiten, die zur Realisierung von Leistungen bereitstehen. Sie aktualisieren sich, sobald die dafür geeignete Situation eintritt. […] Sie lassen sich nur relational, im Rahmen einer immer schon bestehenden Beziehung von Organismus und Umwelt beschreiben. Organisch verankerte Wahrnehmungs- und Bewegungsbereitschaften bilden gleichsam ,offene Schleifen‘, die sich mit geeigneten Gegenstücken der Umwelt so zusammenschließen, dass im Moment der Passung die Wahrnehmung oder Handlung realisiert wird. So stellt sich auf der Grundlage bestehender Vermögen immer wieder eine neue situative Kohärenz von Organismus und Umwelt her.“152 149 150 151 152

Vgl. Fuchs, T., Neurobiology and Psychotherapy, 122–125. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 125. Vgl. Fuchs, T., Neurobiology and Psychotherapy, 125f. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 128f.

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Dynamische Fähigkeiten und offene Schleifen restringieren nicht die Möglichkeiten des Organismus, sondern ermöglichen und vertiefen diese. Sie sind unabdingbar für das Verständnis der Phänomene des impliziten Lernens und der impliziten Erinnerung. Implizite Erinnerung ist nicht die Reproduktion von vergangenen Erfahrungen im Medium des Speicherns als Muster, Landkarten oder Bilder, sondern die Reproduktion von Erfahrung in der Form der Dispositionen von Wahrnehmung und Verhalten, ohne dass diese an die ursprüngliche Situation gebunden wären.153 Der Organismus lernt auf diese Weise implizit und erhält so seine Fähigkeiten nicht durch Informationsspeicherung, sondern durch Veränderung seiner organischen Struktur und durch Inauguration eines Bildungsprozesses. Nicht nur die Phänomene des impliziten Lernens – wie z. B. die Fähigkeit, ein Instrument zu spielen – beruhen auf diesen Prozessen, sondern auch unser höheres, biographisches Bewusstsein. Durch diese fortlaufenden Bildungsprozesse wird der zirkuläre Prozess spiral und die Beziehung zwischen Organismus und Umwelt erhält ein Narrativ oder eine Geschichte. In all diesen Prozessen spielt das Gehirn eine entscheidende Rolle: „So gibt es auch im Gehirn weder eine Unterteilung in ,Speicher‘ und ,Prozessor‘ noch in ,Hardware‘ und ,Software‘. Erfahrungen und Vermögen werden vielmehr inkorporiert, also den körperlichen bzw. neuronalen Strukturen selbst eingeprägt. Sogar autobiographische Erinnerungen sind nicht als fixierte ,Informationen‘ abgespeichert, sondern sie existieren nur als das Vermögen, sich an bestimmte Ereignisse zu erinnern, dem seinerseits bestimmte neuronale Aktionsbereitschaften entsprechen. […] Organismus und Umwelt sind in fortwährender Koevolution begriffen, oder mit anderen Worten: Das Gesamtsystem aus Organismus und Umwelt rekonfiguriert sich mit jeder Interaktion, so dass die jeweilige Gegenwart des Lebewesens nicht ohne die Geschichte seiner Erfahrungen vollständig beschrieben werden kann.“154

2.3.5 Das Gehirn im Rahmen des vertikalen Funktionskreises Die primäre Funktion des Gehirns ist die Regulation der inneren vegetativen Bedingungen des Organismus wie immunologische Prozesse, Atmung, Blutkreislauf, Temperatur, Hormonhaushalt, Sauerstoffsättigung etc. Ohne den gesamten Körper könnte das Gehirn diese Aufgabe überhaupt nicht leisten. Dabei gibt es keine scharfe Grenze zwischen dem Gehirn und dem nichtzerebralen Körper.155 Ebenso ist das gesamte Köper-Gehirn-Verhältnis verantwortlich für die höheren Hirnfunktionen. Fuchs bezieht sich hier auf Damasios „somatic marker theory“ und auf seine Auffassung, dass ein Protoselbst, das die Hintergrundempfindung des Bewusstseins bereitet, auf einer 153 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 129. 154 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 129f. 155 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 135.

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gemeinsamen Resonanz und einem Feedback von bestimmten Gehirnarealen und ganz unterschiedlichen Körpersystemen beruht: „Verschiedene Grundemotionen sind dabei mit unterschiedlichen physiologischen Profilen verknüpft. Diese peripheren Reaktionen werden wiederum in somatosensiblen Arealen vorwiegend der rechten Hirnhemisphäre […] registriert und führen schließlich zum bewussten Erleben all dieser koordinierten Reaktionen als Gefühle.“156

Auch höhere Empfindungen beruhen auf diesen Prozessen und aus dem Protoselbst emergiert in unterschiedlichen Stufen das Bewusstsein. Das Gehirn vollführt hierbei die Rolle eines Organs der Regulation und Empfindung des gesamten Organismus. Dessen Homöostase und dessen Beziehung zur Umwelt formen dabei die inneren Zustände: „Die fortwährende ,Resonanz‘ von Gehirn und Organismus ist die Voraussetzung für bewusstes Erleben. Basales Bewusstsein besteht in Befinden und Stimmungen – es bildet ein Integral des jeweiligen Zustands des Organismus selbst, oder mit anderen Worten: es ist eine Manifestation der verkörperten Subjektivität. […] Die phylogenetisch ursprüngliche Form der Wirklichkeitserfassung bestand in der unmittelbaren, affektiv getönten Selbstempfindung des Leibes in den jeweiligen Zuständen der Organismus-Umwelt-Beziehung. Die eigentlichen spezifisch gerichteten Gefühle entwickelten sich erst in Verbindung mit der zunehmend differenzierten Bewertung wahrgenommener Situationen, insbesondere sozialer Beziehungen. Aber auch nach dem Auftreten höherer emotionaler und kognitiver Funktionen blieb das basale affektive Erleben die unabdingbare motivationale Grundlage von Voraussicht, Planung und zielgerichteter Intentionalität.“157

2.3.6 Das Gehirn im Rahmen des horizontalen Funktionskreises und das ökologische Verständnis von Wahrnehmung und Bewusstsein Die Beziehung zwischen Gehirn und Organismus auf der einen Seite und die zwischen Organismus und Umwelt auf der anderen Seite kann nicht als ein einfacher Reiz-Reaktionsmechanismus verstanden werden, der mit einfachen externen Relationen beschreibbar wäre. Wahrnehmung kann nicht ohne Verhalten beschrieben werden, sondern ist ein Resultat der sensomotorischen Verbindung zwischen Gehirn und Umwelt. Fuchs bezieht sich hier auf die enaktive Theorie der Wahrnehmung, wie sie von O’Regan und Noe vorgelegt wurde.158 Gemäß dieser Theorie ist Wahrnehmung von den Bewegungen des Organismus abhängig sowie von dem impliziten Wissen des Organismus von dem, was wahrgenommen ist. Einen Gegenstand wahrzunehmen bedeutet, zu 156 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 139. 157 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 142. 158 Vgl. O’Regan, J.K./Noe, A., A Sensorimotor account of Vision and Visual Consciousness.

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wissen, wie man sich in Relation zu ihm verhält. In diesem interaktiven Prozess fungiert das Gehirn einmal mehr als ein Vermittlungsorgan, indem es offene Schleifen bereitstellt, die durch die passenden Teile der Umwelt zu einem Funktionskreis geschlossen werden können:159

„Das Gehirn stellt durch seine Gedächtnisbildung ein zentrales Teilstück für diese Einheit zur Verfügung, freilich ohne dass sich die Funktion in ihm lokalisieren ließe. […] Für den ,Stromfluss‘ ist aber die gesamte Kreisstruktur erforderlich – der in einer komplementären Umwelt situierte und aktive Organismus.“160

Die Summe aller Gehirnzustände ist also nur ein Fragment des Funktionskreises von Wahrnehmung und Erfahrung. Daher kann Erfahrung auch nicht im Modell von neuronalen Repräsentationen verstanden werden, sondern im Modell der Resonanzen zwischen neuronalen Strukturen, den Strukturen des Leibes und denen der Umwelt. Das Gehirn ist also kein Repräsentationsorgan, sondern ein Resonanzorgan. Während das Modell der Repräsentation ein Modell externer Relationalität zwischen dem Repräsentierenden und dem Repräsentierten ist, sind Resonanzen intern relationiert und können gerade nicht in ein resonans und ein resonatum geschieden werden. Entweder gibt es Resonanzen in Synchronizität oder aber es ist überhaupt keine Resonanz vorhanden.161 Eine wichtige Konsequenz für das Verständnis des Bewusstseins besteht nun darin, dass Bewusstsein nicht im Gehirn lokalisiert werden kann. Es emergiert vielmehr aus dem Gesamtsystem selbst, denn ohne die komplementären Teile der Umwelt würde es auch kein Bewusstsein geben. Das Gehirn ist dabei insofern wichtig, als es das Organ ist, in dem all diese Prozesse des Funktionskreises kombiniert werden. Daher wird man nicht zu viel sagen, 159 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 147. 160 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 148. 161 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 149. 180f.

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wenn wir hier feststellen, dass Fuchs eine operationable Theorie liefert, die naturwissenschaftlich erklären kann, warum die Einsichten der Externalität von Bedeutung (Putnam, s. o.) und die Einsichten des aktiven Externalismus der Extended-Mind Theory (s. o.) richtig sind. Fuchs bezieht sich auch auf McCulloch,162 der diese Ideen mithilfe eines einfachen Syllogismus kombiniert: ‘a) Meanings just ain’t in the head (in accounting for meanings, we must advert to factors in the agent’s environment). b) Meanings are in the Mind (meanings, and grasping meanings are conscious phenomena). c) The mind just ain’t in the head (an adequate characterization of an agent’s consciousness must advert to factors in the agent’s environment).’163 Gedankenexperimente, die von einem isolierten Gehirn in einem Tank ausgehen, würden also nur funktionieren, wenn die Welt außerhalb des Gehirns, aber innerhalb des Tanks einschließlich des Körpers und der Umweltstrukturen und -prozesse ebenfalls modelliert werden würde. Eine solche Modellbildung wäre aber überhaupt nicht mehr das Modell eines isolierten Gehirns im Tank, sondern es wäre nichts anderes als eine Verdoppelung der ganzen Welt.164 Ohne die Zustände des Leibes und die Zustände der Umwelt verlören die Gehirnzustände gänzlich an Bedeutung. Daher gibt es auch keine neuronalen Korrelate zu etwas, das „außerhalb“ ist, sondern nur Resonanzen von verschiedenen Teilen des ganzen Systems zueinander. Bewusstsein und Erfahrung sind daher immer leibliche Erfahrung und nicht etwa Eigenschaften von etwas, das keine Empfindungsfähigkeit besitzt. Sie sind nur vom Leib aussagbar, d. h. vom Körper-in-Beziehung. Eine Voraussetzung der Fähigkeit des Gehirns, offene Schleifen für die leibliche Interaktion mit der Umwelt bereitstellen zu können, ist seine Neuroplastizität; d. h. die Fähigkeit, durch die die neuronalen Strukturen durch Interaktionsprozesse geformt und umgeformt werden können. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die unterschiedlichen höheren Gehirnfunktionen offene Schleifen bereitstellen, also passende Muster, Fähigkeiten der Resonanz und Kohärenz, der Transformation und der Transparenz.165 Wollte man ein Prinzip hinter diesen Prozessen postulieren, dann wäre dies nicht Passendheit oder fitness im Sinne einer Tendenz, etwas zu den geringsten Kosten abzubilden oder zu repräsentieren, sondern es wäre eher das Prinzip einer optimalen Passung im Sinne einer optimalen Kohärenz, in dem vorausgesetzt ist, dass offene Schleifen geschlossen oder neu gebildet 162 163 164 165

Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 174. McCulloch, G., The Life of the Mind, 11f. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 152f. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 165.

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werden können. Neuroplastizität ist ein Medium dafür. Das Resultat dieser Tendenz zur optimalen Kohärenz ist eine Transparenz zwischen Umwelt, Leib, Gehirn und Bewusstsein: Der Leib ist transparent für die Welt und umgekehrt. Wahrnehmung und Erfahrung sind daher keinesfalls Konstrukte des Gehirns. Sie repräsentieren auch nicht die Welt als wäre diese nicht immer Umwelt. Vielmehr ermöglicht das Gehirn eine „vermittelte Unmittelbarkeit“ – um einen von Plessner geprägten hegelianisierenden Terminus zu verwenden166. Dabei bleibt das Gehirn selbst unsichtbar.167 Da nun andere höhere Tiere und Menschen immer so zu einer Umwelt von höheren Tieren und Menschen gehören, setzt jeder Prozess der Wahrnehmung und Erfahrung ebenso eine implizite Intersubjektivität168 voraus und ein Gegebensein des Anderen. In philosophischer Terminologie ausgedrückt beschreibt Fuchs seinen Realismus weder als naiven Realismus noch als Konstruktivismus, sondern als lebensweltlichen Realismus.169

2.3.7 Das basale Selbst und das personale Selbst Auf neurobiologische, entwicklungspsychologische und phänomenologische Erkenntnisse zurückgreifend, entwirft Fuchs die folgende Theorie des Selbst, die ein basales Selbst und ein personales Selbst unterscheidet:170 1) Das basale oder leibliche Selbst meint diejenige Selbsterfahrung, die jedem möglichen Bewusstseinsprozess inhärent ist. Es kann in drei Aspekte oder Dimensionen aufgeteilt werden: a) Die implizite, präreflexive Selbstbewusstheit ist das allgemeine Mittel jeder Erfahrung. Es ist stets vorhanden ohne jegliche Introspektion und es bedeutet, mit Referenz auf Th. Nagel171, „what it is like to be.“ Es besitzt daher eine transzendentale Funktion und kann mit Michel Henry Ipseität172 genannt werden. Nichtsdestotrotz ist diese leiblich und schließt ein primäres Leibempfinden, Affektivität und die protentional-retentionale Struktur der Daseinserfahrung ein. Auch im Falle gravierender Hirnverletzungen wie Amnesie oder Demenz bleibt es vorhanden. b) Das ökologische Selbst meint diejenige Dimension des basalen Selbst in seiner dynamischen Bezogenheit auf die Umwelt. Entwicklungsgeschichtlich erscheint es vorgeburtlich, und es liefert eine sensomotorische Selbstkohärenz und die Erfahrung der Selbstautorschaft. 166 167 168 169 170 171 172

Vgl. Plessner, H., Die Stufen des Organischen und der Mensch, 169. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 161. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 184. Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 184. Vgl. Fuchs, T., Selbst und Schizophrenie, 888–891. Vgl. Nagel, T., What is it like to be a Bat? Vgl. Henry, M., L’essence de la manifestation.

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c) Das soziale Selbst173 entwickelt sich von Geburt an und bezieht sich auf die Fähigkeit des Neugeborenen, den Leib von anderen als ähnlich dem eigenen wahrzunehmen. Es ist Teil der Mutter-Kind-Dyade und Gegenstand von Protokonversationen. In seiner Interleiblichkeit werden hier Fähigkeiten wie Empathie und andere Formen des impliziten Beziehungswissens wahrgenommen. 2) Das personale oder reflexive Selbst wird vom neunten Monat an entwickelt, einschließlich der Fähigkeit, sich selbst im Spiegel zu erkennen und sich selbst in temporaler Kontinuität wahrzunehmen. Das implizite Bewusstsein zwischen dem Anderen und dem Selbst wird nun explizit. Es ist die Quelle gemeinsamer Aufmerksamkeit und gemeinsamer Intentionalität. Das Ergebnis ist die Fähigkeit, andere Perspektiven zu teilen, und zwar sowohl durch affektive Prozesse (Scham, Verlegenheit, Schuldempfindung, Stolz etc.) als auch durch kognitive Aktivität. Das reflexive Selbst enthält die folgenden Aspekte oder Dimensionen: a) Das intentionale Selbst bezieht sich auf die Fähigkeit der bewussten Wahrnehmung anderer Personen als intentionale Handelnde. b) Das reflexive Selbstbewusstsein bezieht sich auf die höheren Fähigkeiten, seine eigenen Gefühle und Erfahrungen von Ereignissen einer Reflexion zu unterziehen. c) Die narrative Identität bezieht sich auf die Fähigkeit, Erfahrungen zu kohärenten Narrativen zu verbinden. d) Das autobiographische Selbst bezieht sich auf die Fähigkeit, Geschichten, in die man selbst involviert ist, zu reflektieren und diese zu größeren Sequenzen und Geschichten zu verbinden sowie diese mit Selbstkonzeption und Namen abzukürzen, Identitätsansprüche zu stellen und Identitätserwartungen an andere heranzutragen. 2.3.8 Implizite Theologie in Fuchs’ Konzeption Es überrascht nicht, dass sich in einer Theorie des Gehirns, die von einem Psychiater und Philosophen vorgelegt wird, auch einige nicht-empirische Gewissheiten finden lassen, die aus theologischer Perspektive kritisierungsbedürftig sind. Der große Vorteil von Fuchs’ Entwurf ist dabei, dass er keine Anstrengungen unternimmt, diese Aspekte zu verbergen. Er macht diese im Gegenteil explizit. Erwähnungsbedürftig sind mindestens drei Aspekte, die aus theologischer Perspektive zu kritisieren sind: 1. Indem Fuchs sein Modell des Funktionskreises ausweitet und auf die offenen Schleifen zwischen den leiblichen Fähigkeiten des Organismus und der Umwelt ausdehnt, tendiert er dazu, den Begriff der Kohärenz überzustrapazieren. Wenn er sich mit der voluntativen Fähigkeit beschäftigt, betont 173 Vgl. Neisser, U., Five Kinds of Self-Knowledge.

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Fuchs, dass Freiheit diejenige Fähigkeit der Person sei, „im Entschluss zu einer inneren Kohärenz oder Stimmigkeit zu gelangen.“174 Gegen Aussagen wie diese lassen sich drei Einwände aufführen. Erstens: Wenn es stimmt, dass Kohärenz etwas ist, das durch die ökologische Leiblichkeit des Gehirns entsteht, scheint es nicht angemessen zu sein, die personale Kohärenz auf dem Begriff der Entscheidung basieren zu lassen. Zweitens: Eine Person mag nun einen starken Charakter – im Sinne eines Willens zur Kohärenz – besitzen oder nicht, in den meisten Fällen wird ihre narrative Biographie zwar angefüllt mit in sich kohärent erscheinenden Ereignissen, Handlungen und Episoden sein, die sich aber dennoch nicht in einer kohärenten Weise kombinieren lassen. Man müsste mindestens den Begriff der Kohärenz abwandeln zum Begriff der dramatischen Kohärenz (s. u.), damit Spannungen und Fragmente von Geschichten inkorporiert werden können. Drittens: In theologischer Perspektive ist es gerade nicht Freiheit, was das Fundament des Willens ausmacht, sondern dessen basale Gebundenheit.175 2. Mit der Tendenz, die volitionale Kohärenz überzubetonen, geht eine Tendenz einher, die menschliche Person zu etwas Ursprünglichem, Letztgültigem, Sakralem oder Heiligem zu machen. In einer Art Fazit schreibt Fuchs über menschliche Personen: „Sie leben nicht nur, sondern sie führen ihr Leben, und damit formen sie sich selbst. […] Personen sind das Ur-Phänomen: das, was sich zeigt, und was in seinem Erscheinen selbst anwesend ist.“176

Aus theologischer Perspektive wird zwar in der Tat niemand ernsthaft bestreiten wollen, dass menschliche Personen einen wichtigen Einfluss auf die Geschichte ihres eigenen Lebens ausüben. Allerdings wird man auch sagen müssen, dass menschliche Personen – mitsamt ihrer sozialen und ökologischen Eingebundenheit – höchstens Koautoren ihrer eigenen Biographien und ihres Lebens sein können. Weder die konkrete Form der Erzählung ihrer Leben noch die Wertung, ob es insgesamt als positiv oder negativ bewertet wird, obliegt ihnen. Neben den anderen welthaften Faktoren, vor allem kommunitären, ist hier hauptsächlich an das Handeln des dreieinigen Gottes zu denken. Menschlichen Personen selbst eine derart primär konstitutive Rolle ihrer eigenen Geschichte zuzuschreiben, kommt Idolatrie sehr nahe. 3. Fuchs’ Wirklichkeitsverständnis scheint ein immanentistisches zu sein. Menschliche Personen haben, der christologischen Zwei-Naturen Lehre nicht unähnlich, eine Doppelnatur: „Die leibliche Natur, die wir sind, und die körperliche Natur, die wir haben, lassen sich nie vollständig miteinander versöhnen, und ihr Konflikt endet schließlich im 174 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 259. 175 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 291–300. 176 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 310f.

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Tod. Die Ambiguität der Person widersetzt sich allen Versuchen zu ihrer Auflösung in eine homogene Einheit.“177

Innerhalb dieser Doppelnatur von Leib und Körper scheinen nun das letztgültige Geschick und das Ziel der menschlichen Person in einer letztgültigen oder eschatischen178 Dekohärenz und im Konflikt zu bestehen. Auf der einen Seite überstrapaziert Fuchs die voluntativen Fähigkeiten des Menschen in dessen Kohärenzproduktion und gelangt so an den Rand der Sakralisierung der menschlichen Person. Auf der anderen Seite führt er so etwas wie eine eschatische Dekohärenz ein. Dieser doppelte Zug seines Wirklichkeitsverständnisses scheint nun entweder auf einen blanken Widerspruch und damit auf eine Inkohärenz seines Wirklichkeitsverständnisses hinauszulaufen oder aber mindestens ein massiv tragisches Element zu beinhalten. Man mag fragen: Was ist das mögliche Ergebnis eines menschlichen Selbstbildes? Was ist die letztgültige Verheißung für den Menschen? Dabei scheint nur eine Antwort möglich zu sein: Da ultimative Dekohärenz nicht besiegt werden kann und da der letztgültige ethische Imperativ an die menschliche Person darin besteht, dass sie Kohärenz voluntativ herstellen soll, ist menschliches Sein tragisch durch und durch. Obwohl Fuchs Heidegger und Camus nicht explizit erwähnt, fühlt man sich hier doch daran erinnert, dass die Geschichte auf den Tod zuläuft, oder an Camus’ Mythos von Sisyphus (auch wenn man sich den als glücklichen Menschen vorstellen mag).179 An dieser Stelle wird man aus theologischer Sicht über Fuchs hinausgehen müssen. Aus der phänomenalen Wahrnehmung heraus erscheint der Konflikt zwischen Kohärenz und Inkohärenz zunächst plausibel. Allerdings wird man auch sehen müssen, dass viele Religionen und philosophische Wirklichkeitsverständnisse diesen Konflikt mit anderen Mitteln bearbeiten und Antworten anzubieten haben, die nicht in einer Tragik enden. Denn auch Schopenhauers Pessimismus erscheint ja noch gegen Fuchs’ Tragik geradezu optimistisch. Zwar ist auch Schopenhauers Wirklichkeitsverständnis eine Art von Tragödie. Das Ziel, depersonalisiert zu werden, ist tragisch, weil der nichtbewusste Wille immer wieder ins Leben strömt. Allerdings ist genau dieser Wille bei Schopenhauer ja gerade nicht-personal und die Person selbst ist nicht heilig. Aus christlicher Sicht wäre hier zu antworten, dass der Konflikt, den Fuchs beschreibt, nur erscheint, weil die menschliche Person als ihr eigener Autor verstanden wird, so dass das Ergebnis darin besteht, dass der konfligierende Zustand (der christlich Sünde genannt würde), als des Menschen wahre und ursprüngliche Natur gesehen wird. Aus christlicher Perspektive bildet das Tragische aber nicht die Natur des Menschen, sondern die Sünde ist nur deren 177 Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 300. 178 Der Ausdruck „eschatisch“ bezieht sich auf das Letztgültige, während der Ausdruck „eschatologisch“ sich auf die Reflexion über das Letztgültige bezieht, vgl. M hling, M., Eschatologie, 46f. 179 Vgl. Camus, A., The Myth of Sisyphus, 1–138.

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Erfahrung und Wahrnehmung – Epistemologie

gegenwärtiger und damit quasi-natürlicher Zustand. Sie kann zwar nicht vermieden werden, aber durchaus überwunden. Passiv sich auf Christus zu verlassen und zurechtgebracht zu werden in aller Fragmentarizität und gerechtfertigt in allen fruchtlosen Versuchen, selbst durch eigene Mittel Kohärenz zu erschaffen, liefert eine andere Botschaft, die eben kein Appell und Imperativ ist, sondern als Verheißung des Evangeliums lautet: „Gegen allen Anschein und gegen jede Extrapolation der Lebenserfahrung, Du wirst passiv kohärent gemacht werden, genauso wie Deine ganze Existenz Dir passiv gegeben ist!“ Fuchs’ Beschreibung der menschlichen Natur als Doppelnatur ähnelt, wie wir schon erwähnten, klassischen christologischen Aussagen. Wenn es hier erlaubt ist, diese Analogie ein wenig auszumalen, so kann man sagen, dass Fuchs die Menschheit an die Stelle Christi setzt. Und indem er die beiden Naturen so zusammenbindet, dass letztlich ein unlösbarer Konflikt entsteht, ähnelt seine Auffassung den Häresien einer streng antiochenischen Trennungschristologie. So wie eine Trennungschristologie zwar die Integrität der beiden Naturen Christi zu wahren vermag, aber die Einheit der Person verliert, so läuft Fuchs Gefahr, in die Mühlen einer Trennungsanthropologie zu geraten, die die Einheit des Begriffs der menschlichen Person allen Beteuerungen zum Trotze doch verliert. Die Theologie bejaht die Inkohärenz der beiden „Naturen“ im Tode. Aber sie hält eine andere Antwort bereit. Das Versprechen der Kohärenz kann nicht erreicht werden, ohne den Tod zu durchlaufen. Dabei spricht der christliche Glaube aber nicht nur vom Tod Christi (als wahrer Mensch und als wahrer Gott!), sondern auch vom Tod des Todes Christi180 – und damit nicht von abstrakter, sondern von dramatischer Kohärenz.

180 Vgl. Luther, M., WA 39/I,427,6–8: „Sed statim exclamat Christus: Mors mortis, infernus inferni, diabolus diaboli ergo sum, noli timere, fili mi, ego vici“.

3. Die Erfahrung göttlicher Selbstgabe – theologische Epistemologie 3.1 sola experientia? „Sola […] experientia facit theologum“.1

Dieses Lutherzitat illustriert sehr gut die zentrale Bedeutung des Erfahrungsbegriffs für die Theologie. Dennoch mag den einen oder die andere diese Aussage überraschen, zählen doch Lehrbücher normalerweise zwar ein solo Christo, ein solo Verbo, ein sola scriptura, ein sola fide und ein sola gratia als bedeutsam auf, seltener jedoch ein sola experientia.2 Zunächst mag es allerdings schon ein wenig befremdlich erscheinen, überhaupt von einer Vielzahl von sola zu sprechen. Das ist letztlich auch nicht der Fall, denn die Rede von sola im Plural referiert keineswegs auf eine Vielzahl, sondern beschreibt die reformatorische Entdeckung aus verschiedenen Perspektiven: So bedeutet sola scriptura keineswegs, dass die reformatorische Theologie zu einem biblischen Literalismus tendieren würde, sondern das sola scriptura ist vom solo Verbo abgeleitet und bezieht sich darauf, dass Glaube nur durch das Wort (solo Verbo) konstituiert wird. Dieses „Wort“ allerdings referiert nicht auf eine Kombination von Buchstaben oder Phonemen, sondern auf Jesus Christus als die zweite Person der Trinität, eben der Logos Gottes. Das sola scriptura ist also vom solo Verbo abgeleitet, welches wiederum vom solo Christo abgeleitet ist. Der einzige Ursprung, der Theologie ins Leben ruft, ist daher Christus als die zweite Person der Trinität. Die einzige Aktivität auf Seiten dessen, der Christus empfängt, ist nur der Glaube, d. h. personales Vertrauen (sola fide). Und die einzige Art und Weise, auf die dieses personale Vertrauen zustande kommt, ist durch Gnade allein (sola gratia). Der Glaube ist also kein Produkt der kognitiven, voluntativen oder affektiven Fähigkeiten des vertrauenden Subjekts, sondern von Christus selbst. Die traditionellen sola der Reformation können also auf diese sich gegenseitig bestimmende Weise verstanden werden. Dabei gilt diese Verhältnisbestimmung nicht einfach für eine bestimmte partikulare Konfession, sondern sie kann als Basis des christlichen Glaubens selbst verstanden werden. Zusammenfassend gesagt: Es ist nicht wirklich der Fall, von einer Vielzahl von sola zu sprechen. Damit verschärft sich aber nur die Frage: Was ist dann mit dem sola experientia? In der Tat taucht der Erfahrungsbegriff nahezu überall als ein repräsenta1 Sola […] experientia facit theologum, Luther, M., WA TR 1; 16,13 (1531). 2 Vgl. z. B. Allen, R.M., Reformed Theology, 77.

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Die Erfahrung göttlicher Selbstgabe – theologische Epistemologie

tiver Begriff der christlichen Tradition auf, aber nur in einigen Traditionen, wie in der reformatorischen, wird er wirklich als ein zentrales Konzept angesehen.3 Um das sehen zu können, müssen wir noch einmal auf das Verhältnis zwischen Christus und Wort zurückkommen. Auf der einen Seite ist Christus das Wort. Die Worte der Schrift sind keine Fundamente christlicher Theologie; sie bezeugen vielmehr das einzige Fundament Christus. Es ist aber auch nicht die Heilige Schrift als ein Dokument, das Christus bezeugt, sondern die viva vox evangelii, die lebendige Stimme des Evangeliums.4 Die Lebendigkeit dieser Stimme bezieht sich darauf, dass das Zeugnis der Schrift zu aktualisieren ist in Akten der reziproken Kommunikation der Verheißung. Und diese Aktualisierung ist nur möglich unter zwei Bedingungen: Dann, wenn diejenige oder derjenige, die oder der es aktualisiert, es auf ihre oder seine gesamte Geschichte der Erfahrung bezogen hat, und dann, wenn der, an den das Zeugnis ergeht, ebenso fähig ist, es auch auf seine Geschichte der Erfahrung zu beziehen. Da jedoch auch gleichzeitig das sola gratia auszusagen ist, ist der einzige Umstand, unter dem die christliche Theologie nicht falsifiziert ist, nur dann gegeben, wenn die gesamte Geschichte der Erfahrung derer, die den Glauben kommunizieren, keinen geschlossenen Sachverhalt darstellt, sondern wenn der Heilige Geist, der Christus präsentiert, eine aktive Rolle in dieser Erfahrungsgeschichte spielt. Daher geht es im christlichen Glauben letztlich allein um Erfahrung. Diese Art von Erfahrung ist nun aber keinesfalls eine spezifische. Es geht nicht um ein lokalisierbares Ereignis oder Erlebnis (experimentum), sondern es handelt sich um Erfahrung in dem Sinne, dass alles, was eine menschliche Person erfahren kann – also ihre Lebenserfahrung –, durch das Licht der Geschichte der Verheißung des Evangeliums aufgeklärt wird, bzw. umgekehrt in dem Sinne, dass die Geschichte der Verheißung des Evangeliums in der konkreten Lebenserfahrung derer, die den Glauben kommunizieren, konkret wird. Diese entscheidende Einsicht der Reformatoren, die in dieser Sichtweise zum harten Kern des Christentums gehört, impliziert, dass es keine „heiligen“ Orte, Zeiten, Ereignisse, Ämter etc. geben kann. Mit anderen Worten: Es gibt im Christentum keine Distinktion zwischen heilig und profan. Darin ist wiederum impliziert, dass es keine Trennung von „heiliger“ oder „religiöser“ Erfahrung auf der einen Seite und „profaner“ Erfahrung auf der anderen Seite geben kann.5 Genau diese theologische Diagnose wird nun durch anthropologische Studien bestätigt, denn diese Unterscheidung ist keineswegs allgemein menschlich, sondern sie erscheint nur in einem kleinen Abschnitt der westlichen Geistesgeschichte.6 Jede mögliche Erfahrung jedes möglichen Ereignisses kann im Licht der Verheißung des Evangeliums erfahren werden 3 4 5 6

Zur Geschichte des Erfahrungsbegriffs vgl. Ebeling, G., Klage über das Erfahrungsdefizit. Vgl. Asendorf, U., ‘Viva vox evangelii’. A Necessary Course Correction. Vgl. M hling, M., Art. Profanität; Hunsinger, G., Art. Heilig und profan. V. Dogmatisch. Vgl. Paden, W.E., Art. Heilig und profan. I. Religionswissenschaftlich.

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(dann als gerechtfertigt) oder aber nicht (und dann würde sie als sündhaft bezeichnet werden). Indem nun die Trennung von heilig und profan aufgegeben wird, sakralisiert die reformatorische Theologie weder die gesamte Welt, noch profanisiert sie alles. Vielmehr betrachtet sie nun das Ganze der erfahrbaren Realität als unter der Gnaden-Sünden-Distinktion stehend, entweder in Resonanz mit dem göttlichen Anspruch und Zuspruch zu stehen – dann ist sie gerechtfertigt – oder aber nicht in Resonanz mit dem göttlichen Anspruch und Zuspruch zu stehen – dann gilt sie als Sünde. Gerhard Ebeling fasst eine entsprechende Sichtweise zusammen, wenn er der Auffassung ist, dass der Gegenstand und die Aufgabe der Theologie nichts als Erfahrung ist, dass aber dabei diese Erfahrung beschrieben werden muss als eine Erfahrung mit Erfahrung oder aber auch als eine Erfahrung mit der Alltagserfahrung – und damit auch als eine Erfahrung mit der vermeintlichen Profanität.7 Ebelings ursprüngliche Absicht bestand dabei darin, auf verschiedene Beschwerden über die Erfahrungsvergessenheit der Theologie, wie sie in den 1970er Jahren vorgebracht wurden, eine Antwort zu geben. Dabei vertritt er die These, dass die Theologie keinen Erfahrungsbegriff importieren kann, der aus anderen Quellen als der Glaubenserfahrung selbst stammt. Allerdings gab er keine wirkliche Definition von Erfahrung, sondern beschrieb eher einige Grunderfordernisse, einige Leitlinien, die für einen theologischen Erfahrungsbegriff wichtig sind. So benötigt jedes sinnvolle Erfahrungskonzept einen Lebensbezug, einen Geschichtsbezug (einschließlich der Geschichte des eigenen Lebens und der Gemeinschaft), einen Wahrnehmungsbezug und einen Wirklichkeitsbezug.8 In Bezug auf all diese Beziehungen wird jede Reflexion von Erfahrung spezifische Probleme zu lösen haben. Zur Illustration werden wir nur die beiden folgenden Polaritäten aufführen, die als konstitutiv für den Erfahrungsbegriff gelten können: die Polarität zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen der Erfahrung und die Polarität zwischen „innerer“ und „äußerer“ Erfahrung: „Erkenntnistheoretisch stellt sich dann aber das Problem, was die Erfahrung von einem bloßen Aggregat von Wahrnehmungen unterscheidet, und in methodischer Hinsicht, ob und, wenn ja, unter welchen Bedingungen von ihr aus durch Induktion der Weg zum Allgemeinen führt. […] Die Ausrichtung auf das Einzelne impliziert die Orientierung am umgreifenden Sinnzusammenhang: durch Kategorien, mittels derer etwas allererst als etwas erfahrbar und sagbar wird, sowie durch die Theorie, in der es seine Ortsbestimmung erhält.“9

7 Vgl. Ebeling, G., Klage über das Erfahrungsdefizit, 22 f. 25 f; J ngel, E., Gott als Geheimnis der Welt, 40 f; J ngel, E., Unterwegs zur Sache, 8 sowie J ngel, E., Erfahrungen mit der Erfahrung, 9 f. 8 Vgl. Ebeling, G., Klage über das Erfahrungsdefizit, 17–20. 9 Ebeling, G., Klage über das Erfahrungsdefizit, 19.

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Die Erfahrung göttlicher Selbstgabe – theologische Epistemologie

Ebeling setzt hier die Unterscheidung zwischen bloßer Wahrnehmung, die partikular ist, und Erfahrung voraus, die sich darauf bezieht, dass partikulare Wahrnehmungen in einen größeren Bedeutungsrahmen eingebettet sind. Wollte man diese Beschreibung von Erfahrung mit dem Kontext der Neurowissenschaften vergleichen, müsste man sagen, dass sie der Unterscheidung von Stimuli und Repräsentation ähnelt. Diese Polarität des Partikularen und Allgemeinen, die durch die Polarität von Wahrnehmung und Erfahrung instantiiert wird, ist mit einem zweiten Problem verbunden: „Andererseits wird man nur dann den Gegenbegriff der inneren Erfahrung aufgreifen dürfen, wenn man damit nicht eine Beziehungslosigkeit zur äußeren Erfahrung statuiert. Sinnvoll und notwendig ist diese Ausdrucksweise, wenn das Verhältnis so bestimmt wird, dass jede äußere Erfahrung zu innerer Erfahrung werden und keine innere Erfahrung ohne den Kontext äußerer Erfahrung zustande kommen kann. […] Für eine gründliche Ausarbeitung des Erfahrungsphänomens käme man nicht daran vorbei, auf das ontologische Problem einzugehen, um im Blick auf Leben die Distinktion von ,außen‘ und ,innen‘ zu klären und gerade auch in bezug auf das sogenannte Innenleben […] die Externrelation als maßgebend zu bestimmen. Die Schwierigkeit, daß sich innere Erfahrung im Unterschied zur äußeren der exakten Feststellbarkeit entzieht und darum vor erhebliche Probleme der Kommunikation und deren Verifikation stellt, berechtigt angesichts einer nicht bestreitbaren Mitteilbarkeit und Zumutbarkeit solcher Erfahrung keineswegs dazu, den Begriff der Erfahrung dafür überhaupt preiszugeben.“10

In diesem Abschnitt behauptet Ebeling, dass die Unterscheidung zwischen einer irgendwie „inneren“ Erfahrung und einer irgendwie „äußeren“ Erfahrung für den Erfahrungsbegriff selbst konstitutiv sei. Er behauptet weiterhin, dass dabei der „äußeren“ Erfahrung die Führungsrolle zukäme. Es scheint so, als könne das, was Ebenling als „innere“ Erfahrung bezeichnet, mit der 1. Person-Perspektive gedeutet werden, während sich die „äußere“ Erfahrung auf die Perspektive der 3. Person bezieht. Dies wird besonders dadurch plausibel, dass er der äußeren Erfahrung eine bestimmte Art von Objektivität zuschreibt, die der inneren Erfahrung abgeht. Vergleicht man dieses Konzept mit unseren Reflexionen über die Neurowissenschaften, erscheint Ebelings theologisches Problem der Distinktion zwischen Innen und Außen vergleichbar mit dem dualistischen Problem der Neurowissenschaften. Ebeling gewinnt nun seinen Erfahrungsbegriff aus der Erfahrung des christlichen Glaubens, wie er in der reformatorischen Theologie reflektiert wird. Die Anmerkung, der christliche Glaube sei eine Erfahrung mit Erfahrung, ist dabei sinnvoll als eine Beschreibung der Einsicht der Reformatoren, dass es keine Separation zwischen heilig und profan,11 zwischen dem Religiösen und dem Alltäglichen geben kann. Allerdings bedeutet das Nichtbe10 Ebeling, G., Klage über das Erfahrungsdefizit, 19 f. 11 Vgl. M hling, M., Art. Profanität.

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stehen einer Trennung noch nicht notwendigerweise auch das Nichtbestehen einer Unterscheidung. Ohne jede Distinktion würden das Religiöse und der Begriff der Erfahrung an sich koinzidieren und der Ausdruck der „Erfahrung mit Erfahrung“ wäre nur eine Tautologie. Man muss also fragen: Gibt es einen Weg, diese Distinktion ohne Separation aufrechtzuerhalten und dabei ein Verständnis zu verwenden, das nicht allein auf Inhalten des explizit christlichen Glaubens beruht? Eberhard Jüngel nun versuchte die Auffassung, dass religiöse Erfahrung in einem solchen Sinne als Erfahrung mit Erfahrung zu verstehen sei, zu deuten. In jeder Erfahrung erfahren wir ein intentionales Objekt und uns selbst, oder kurz: etwas. Mit Schelling mag man nun fragen, warum überhaupt etwas und nicht nichts ist. Offensichtlich ist es also nicht notwendig, dass etwas erfahren wird. Und bei diesem Problem handelt es sich keineswegs um ein Spezialproblem philosophischer Reflexion, sondern um ein im Alltag erscheinendes Problem. Außerdem wird dieses Problem nicht einfach als Frage erfahren, sondern als schon immer vorläufig beantwortete Frage. Und diese Art der Erfahrung mit Erfahrung ist nun die spezifisch religiöse Erfahrung im Unterschied zu anderen Arten der Erfahrung: „[…] mit der Frage nach dem Grund des Nicht-Nichtseins des Seienden [kommt] das Nichtsein als eine Möglichkeit vor den Menschen […], die ihn gegenüber den Erfahrungen des Seienden eine qualitativ neue Erfahrung machen läßt, in der alle bisherigen Erfahrungen unter dem Aspekt ihrer Nichtigkeit noch einmal erfahren werden. Die neue Qualität dieser Erfahrung verwehrt es, sie mit anderen Erfahrungen in eine Reihe zu bringen. Auf die Erfahrungen, von denen sie sich unterscheidet, bezieht sie sich vielmehr so, daß ,Altes neu wird‘. Das menschliche Dasein selbst erfährt sich angesichts der Möglichkeit, auch nicht zu sein, qualitativ anders als in den Erfahrungen, die es mit sich im Zusammenhang des Seienden macht. Angesichts der Möglichkeit des Nichtseins macht der Mensch mit seinem Sein eine qualitativ neue Erfahrung. Ich nenne sie eine Erfahrung mit der Erfahrung, weil in ihr nicht nur jede gemachte Erfahrung, sondern vor allem das Erfahren selbst noch einmal neu erfahren wird.“12

Unser Interesse besteht momentan nicht in der Frage, ob es sich bei dieser Definition material um eine gute handelt. Es genügt für das Erste, im Auge zu behalten, dass auch Jüngel die spezifisch religiöse Erfahrung als eine Erfahrung mit Erfahrung beschreibt, also als eine Art Erfahrung zweiter oder höherer Ordnung. Damit wird nun deutlich, ob diese Erfahrung zweiter Ordnung eine unmittelbare Erfahrung ist oder ob es sich eher um eine Art Interpretation von vorangegangenen, unmittelbaren Erfahrungen in einer reflexiven Art handelt. Im Rahmen einer repräsentationalistischen Erfahrungstheorie wäre nun nur das Letztere möglich, während im Rahmen einer Theorie des ökologischen Gehirns auch das Erstere eine sinnvolle Option sein kann. Die Implikationen sind an dieser Stelle entscheidend: Wenn Erfahrung mit Er12 J ngel, E., Gott als Geheimnis der Welt, 40.

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fahrung eher eine reflexive Interpretation wäre, dann wäre es nicht notwendig, diese Erfahrung zu machen. Wenn allerdings Erfahrung mit Erfahrung selbst eine unmittelbare, nicht-repräsentationale Erfahrung ist, sind zwei weitere Implikationen ganz entscheidend: Erstens, es wäre möglich, dass diese Erfahrung eine allgemeine wäre, die durch den Erfahrungsbegriff selbst gegeben ist. Zweitens, ob diese Art von Erfahrung mit Erfahrung nun eine allgemeine ist oder nicht, es müsste sich unter allen Umständen um eine nicht-willentliche Erfahrung handeln, um ein passives Erscheinen, das kein Gegenstand irgendeiner Art der Entscheidung von denjenigen Menschen ist, die sie erfahren. Ebeling und Jüngel liefern einige Leitlinien für ein solches Verständnis, aber insbesondere Ebeling versucht nicht explizit eine präzise theologische Erfahrungsdefinition zu liefern. Allerdings sind in der Zwischenzeit eine Menge gerade solcher Versuche unternommen worden. Bevor einer dieser Versuche vorgestellt werden soll, muss noch gefragt werden, ob es nicht noch andere Begriffe gibt, die mit der Rolle, die der Erfahrung in theologischer Epistemologie zugeschrieben wird, konkurrieren oder zu konkurrieren scheinen. Und hier mag man natürlich an einen sehr basalen Begriff denken: den der Offenbarung.

3.2 Eine basale Frage theologischer Epistemologie 3.2.1 Offenbarung und Vernunft? Ein außerhalb theologischer Diskussionszusammenhänge häufig anzutreffendes Missverständnis besteht darin, anzunehmen, dass Offenbarung als primärer theologischer Erkenntnisweg etwas supernaturales oder unverstehbares wäre. Zumindest zu einem gewissen Teil mag die Theologie selbst für dieses Missverständnis mitverantwortlich sein, da der Offenbarungsbegriff häufig im Rahmen der Polarität von Vernunft und Offenbarung rekonstruiert wurde – obwohl andererseits sogar diejenigen theologischen Traditionen, die sich auf eine natürliche Gotteserkenntnis berufen, diese als Offenbarung beschrieben haben.13 Dennoch kann man kaum leugnen, dass die protestantische Theologie der ersten Hälfte des 20. Jh. oft zu jener polaren Sichtweise zwischen Vernunft und Offenbarung neigte. An diese Polarität anknüpfend, stellte jüngst George Hunsinger eine umfassende Typologie vor. Er unterschied fünf Typen dieser Verhältnisbestimmung:14 1. Reduktionistisch: Die Vernunft ist selbstgenügsam. Offenbarung kann, 13 Die altprotestantische Orthodoxie unterschied zwischen revelatio generalis/naturalis und revelatio specialis/supernaturalis, vgl. Schmid, H., Dogmatik, 8–10. 14 Vgl. Hunsinger, G., Uncreated Light, 235.

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wenn überhaupt, nur innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft beschrieben werden. Der Glaube hat nur eine symbolische Bedeutung. Dieser klassische rationalistische Zugang kann beispielsweise in Aufklärungstheologien gefunden werden, so bei Lessing oder Kant.15 2. Ergänzend: Die Vernunft ist von Offenbarung unabhängig, aber sie bereitet die Offenbarung vor, so dass die Offenbarung die Vernunft vervollständigt und perfektioniert. Dies ist der klassische thomistische Zugang.16 3. Korrelationistisch: Vernunft und Offenbarung befinden sich in einer Art kreativer Spannung. Sie können wie die zwei Mittelpunkte einer Ellipse gesehen werden oder aber wie zwei sich nicht überschneidende Kreise. Klassische Beispiele dieses Verständnisses mag man in den Theologien von Albrecht Ritschl oder Paul Tillich sehen.17 4. Kohärentistisch: Dieses Modell ist gewissermaßen die Umkehrung des ersten Modells. Die Vernunft ist ein der Offenbarung inhärentes Kennzeichen und gleichzeitig abhängig von Offenbarung. Hunsinger bezieht sich auf dieses Modell dann auch als „reason within the limits of revelation alone“18. Von Barth beeinflusste Theologien wie die von T.F. Torrance mögen dazu gezählt werden.19 5. Fideistisch: Offenbarung wird als nichtkognitiv, außervernünftig oder inkommensurabel mit Vernunft verstanden, aber dennoch als einziger Weg, Wissen für die Theologie zu erhalten. Offenbarung beruht auf einer inneren Erfahrung und ist nur verständlich im Rahmen von bestimmten religiösen Lebensformen. Man mag hier als Beispiel an D.Z. Phillips’ an Wittgenstein anknüpfendes Verständnis denken.20 Obwohl diese Typologie unbestreitbar dazu genutzt werden kann, einige Offenbarungsverständnisse zu erfassen, zu unterscheiden und zu klassifizieren, stellt sich doch die Frage, ob sie für diesen Zweck das beste Instrument darstellt. Ihr Vorteil ist, dass sie an die Polarität von Vernunft und Offenbarung, die für das 20. Jh. so entscheidend war, anschließen kann.21 Aber auch ihr Problem besteht genau darin: Dass sie die Polarität von Vernunft und Offenbarung als Schlüsselbeziehung voraussetzt, um begreifen zu können, was Offenbarung sein kann. Dies ist ein Problem aus den zwei folgenden Gründen: Erstens: Falls die Polarität von Vernunft und Offenbarung vorausgesetzt werden muss, um den Offenbarungsbegriff verstehen zu können, gerät die 15 Vgl. Steiger, J.A., Art Rationalismus II–IV. 16 Vgl. Bçhner, P./Gilson, E., Christliche Philosophie, 514–526. 17 Zu einer Analyse von Ritschls Theologie vgl. M hling, M., Versöhnendes Handeln, 45–127 und zu Tillich vgl. Grube, D.-M., Unbegründbarkeit Gottes?, 16–87. 18 Vgl. Hunsinger, G., Uncreated Light, 235. 19 Zu einer kurzen Einführung in die Theologie von T.F. Torrance vgl. Molnar, P.D., Torrance. 20 Vgl. Phillips, D.Z., Glaubensansichten und Sprachspiele. 21 Üblicherweise mag man hier an den berühmten Konflikt zwischen K. Barth und Emil Brunner denken. Faktisch sind diese beiden Positionen aber nicht so weit auseinander, wie man vermuten kann. Vgl. Gilland, D., Law and Gospel.

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Offenbarung in Abhängigkeit von der Vernunft – zwar in einer negativen Art und Weise, die aber nichtsdestotrotz eine determinative ist. Zweitens: Innerhalb dieser Typologie erscheint der Begriff der Erfahrung nur einmal – und zwar im Rahmen des fideistischen Modells. Und auch hier referiert „Erfahrung“ nur auf die außergewöhnlichen Erfahrungen, die sich gerade nicht auf die Alltagserfahrung beziehen. Auf diese Weise wird die Distinktion zwischen Offenbarung und Vernunft überschätzt und es entsteht eine sublime Tendenz, sowohl die Offenbarung selbst als auch den Begriff der Erfahrung zu unterschätzen, eben indem der letztere für sehr spezielle und außergewöhnliche Erfahrungen reserviert wird. Dennoch wird man sagen müssen, dass Hunsingers Art und Weise die Erkenntnisfrage zu strukturieren, repräsentativ sein mag – und zwar auch für nicht-theologische Zugänge zu religiösen Phänomenen. Dies wird besonders deutlich anhand zweier Beispiele, die aus dem Bereich der „cognitive sciences of religion“ (CSR) und der sog. „Neurotheologie“ stammen. Beide Zugänge scheinen gegenwärtig das repräsentationalistisch-dualistische Paradigma der Neurowissenschaften zu teilen, das wir in Kapitel 2 dieses Buches analysierten und letztendlich verwarfen. Auf der Basis dieses Ergebnisses lohnt sich daher eine genauere Analyse dieser Forschungszweige weniger; sie seien hier nur als Beispiele genannt.

3.2.2 Cognitive Sciences of Religion und Neurotheologie Die Cognitive Sciences of Religion nehmen an, dass religiöse Erfahrungen eine besondere oder außergewöhnliche Art von Erfahrungen darstellen, die sich auf die Erfahrung eines personalen Gegenübers beziehen, ohne dass eine wirkliche menschliche Person als Gegenstand erfahren würde. Eigenschaften von menschlich Handelnden werden in diesen Erfahrungen zugeschrieben, wobei aber zur gleichen Zeit spezifische Eigenschaften menschlich Handelnder – ihre raumzeitliche Lokalisation, der Besitz nur beschränkter Fähigkeiten an Wissen und Macht etc. – verneint werden. Als neurobiologische Basis wurde ein HADD, ein „hypersensitive agency detecting device“ im Sinne einer evolutionär gewachsenen Hirnfunktion postuliert.22 M.a.W.: Eine Art übernatürliches menschliches Individuum wurde zum Prototyp für die Modellierung des Gottesbildes angenommen und als Schlüssel, um Religion verstehen zu können.23 Eine weitere Analyse dieses Modells ist unnötig, da dies in der Vergangenheit schon in präziser Weise geschehen ist.24 22 Der Begriff des HADD wurde benutzt von Barrett, J.L., Why would anyone believe in God?, 31–44 und ebenso von Boyer, P., Religion Explained, 142–144. Vgl. auch Visala, A., Naturalism, Theism and the Cognitive Study of Religion, 66 f. 23 Vgl. Visala, A., Naturalism, Theism and the Cognitive Study of Religion. 24 Vgl. Visala, A., Naturalism, Theism and the Cognitive Study of Religion.

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Auch in der sog. Neurotheologie fokussieren D’Aquily und Newberg auf besondere Formen der Erfahrung; aber nun auf Erfahrungen, die geradezu in einer gegensätzlichen Weise im Vergleich zu den Cognitive Sciences of Religion modelliert werden. Das Paradigma bildet hier die mystische Erfahrung, womit hier eine Erfahrung gemeint ist, in der keine distinkten Entitäten und keine Unterscheidung zwischen Welt und Selbst wahrgenommen werden. Dabei wird auch eine Hypothese über die neuronale Bedingung der Möglichkeit solcher Erfahrungen aufgestellt. So unterscheidet Newberg unterschiedliche modi operandi des Gehirns während der Erfahrung. Drei dieser Modi beziehen sich auf die „baseline reality“, die „refers to the primary epistemic state in which there is the perception of discrete objects with regular relationships“25. Eine Zwischenebene der Erfahrung bezieht sich auf die nächsten drei Zustände, die „are associated with the perception of discrete objects, but contain irregular relationships between the objects in that sense of reality“26. „The final three states involve the perception of unitary reality in which everything is regarded as a singular oneness. One can see that the categories of unitary reality perceived as having either regular or irregular relationships need to be omitted. Relationships can only be considered to exist between discrete, independent objects.“27 Innerhalb jeder dieser drei Erfahrungsarten unterscheidet Newberg drei mögliche affektive Zustände: positiv gefärbte, neutral gefärbte und negativ gefärbte. Der Modus des Gehirns, mit dessen Hilfe die „unitary reality“ erfahren wird, ist nun allerdings nur ein bloßes Postulat und kann keinesfalls naturwissenschaftlich aufgewiesen werden.28 Dennoch stellt Newberg nun seine entscheidende epistemologische Frage: „How can we know what is really real?“29 Als Antwort scheint er vorzuziehen, dass in der Tat die Erfahrung der „unitary reality“ besser zur Realität passt als die Alltagserfahrung: „This raises another fascinating problem particular to the unitary state – since there is no self, there can be no perceiving self. Thus, the state is experienced without there being a perceived experiencer. There is no self, no mind, and no brain that is experienced. […] But these characteristics may be crucial to our neurotheological investigations since we have considered before that to try to avoid the uncertainty principle and to ascertain what is the true nature of reality, we must somehow get outside of the brain and outside of the self. This appears to be commensurate with the primary epistemic state of absolute unity.“30 Letztendlich bekennt er: „Neurotheology must look at all of these possible epistemic states and attempt to help evaluate them both from the experience of baseline reality as well as from unitary reality. Thus, neurotheology might help better determine which perspective on reality provides the most accurate information. In such an exercise one can see that 25 26 27 28 29 30

Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 256. Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 257. Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 258. Vgl. Runehov, A.L.C., Sacred or Neural?, 174–191. Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 262. Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 259.

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there is no question that the absolute unitary state takes priority as being ,more real‘.“31 Newberg offenbart dabei, dass er Relationen nur als externe Relationen versteht und dass er ein Verständnis der Realität vorzieht, in dem alle Relationen verschwinden. Alles in allem scheint damit Newbergs Position, wie er sie in seinem jüngst publizierten „Principles of Neurotheology“ vorstellt, eher an den Gründungsversuch einer neuen Religion zu erinnern als an eine wissenschaftliche Analyse der Religionen.

In beiden Fällen, sowohl dem der Cognitive Sciences of Religion als auch in der Neurotheologie, werden die exemplarischen religiösen Erfahrungen als separierbar von anderen Erfahrungen in Raum und Zeit verstanden. Dies bringt die Implikation mit sich, dass auch die religiösen Erfahrungen an spezifischen Orten und spezifischen Zeiten der Selbstbeschreibung von bestimmten Menschen identifiziert werden können und nur deshalb auch möglicherweise mit identifizierbaren Gehirnzuständen korreliert werden können. Natürlich sind dabei sowohl die Arten der identifizierbaren Erfahrungen als auch die mit ihnen assoziierten Gehirnzustände äußerst unterschiedlich. Während in den Cognitive Sciences of Religion die menschlich-personale Interaktion das Schlüsselmodell für religiöse Erfahrung liefert, ist es in der Neurotheologie gerade der Ausschluss dieser zwischenmenschlichen Erfahrung und der Kollaps von Zeit, Raum, dem Indiviuellen, Besonderen und Allgemeinen. Also werden vollständig unterschiedliche Erfahrungsphänomene zum Paradigma des Religiösen erklärt und natürlich kann keines der beiden Modelle das jeweils andere als dem Phänomen der Religion adäquat akzeptieren. Diese Beschreibung des Sachverhalts steht nun im Gegensatz zur Beschreibung des Sachverhalts innerhalb der meisten praktizierten Religionen, insbesondere des Christentums. Denn hier können wir beispielsweise recht unterschiedliche Formen religiöser Praxis finden, einige, die vielleicht in der Tat an die Phänomene erinnern, die die Cognitive Sciences of Religion im Sinne haben, einige die in Newbergs Richtung tendieren, vor allem aber auch zahlreiche mehr, die von keinem der beiden Zugänge erfasst werden – und all diese religiösen Erfahrungen bestehen im Bereich der tatsächlichen Religionen weitestgehend ohne Spannungen. Unabhängig von der Tatsache, dass sich die Cognitive Sciences of Religion und die Neurotheologie also auf unterschiedliche phänomenale Gegenstände beziehen, teilen beide doch ein entscheidendes Kennzeichen: Die phänomenalen Gegenstände, auf die sie sich beziehen, müssen in Raum und Zeit identifizierbare Erfahrungen darstellen und das heißt zu allererst, dass sie von anderen speziellen Erfahrungen separierbar sein müssen. Genau diese Behauptung selbst – dass religiöse Erfahrung von anderen Erfahrungsarten separierbar sei und dass religiöse Erfahrung damit eigentlich nur in der fünften, fideistischen Kategorie Hunsingers zu beschreiben sei, so 31 Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 264 f.

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dass auch die zugrundeliegende Vernunft-Offenbarungs-Dichotomie als grundlegend angenommen werden muss – ist nun aber inadäquat, sowohl gemessen am Phänomen des Glaubens als auch gemessen an theologischer Epistemologie. Sowohl die Cognitive Sciences of Religion als auch die Neurotheologie führen also, indem sie sich mit angeblich „religiösen“ Phänomenen beschäftigen, die Unterscheidung von heilig und profan wieder ein, die die Reformatoren aufgegeben hatten. Und dies geschieht interessanterweise weder durch ihre Forschungsergebnisse noch durch die Interpretation ihrer Experimente und Ergebnisse, sondern dadurch, dass bevor überhaupt irgendein naturwissenschaftliches Experiment entworfen wird, willkürlich festgelegt wird, was als „religiös“ gelten kann und was nicht. Das Problem, das dadurch für die Diskussion sowohl mit der Theologie als auch mit der religiösen Praxis entsteht, besteht also nicht darin, dass hier empirische Methoden angewandt werden sollen, sondern es besteht einfach darin, dass diese Forschungszweige, um überhaupt arbeiten zu können, etwas als „religiös“ annehmen müssen, das in der Selbstinterpretation des Christentums eben gerade nicht als das spezifisch Religiöse angesehen werden kann. Damit entsteht nun aber ein Konflikt über die Definitionsmacht und das Definitionsrecht: Welche Gemeinschaft hat das Recht und die Fähigkeit, die in Frage stehenden Begriffe zu definieren? – Die kirchliche Gemeinschaft und ihre wissenschaftliche Selbstinterpretation in der Theologie oder die naturwissenschaftliche Gemeinschaft (wenn es sich denn bei den Cognitive Sciences of Religion und der Neurotheologie um Naturwissenschaften handelt)? Für die Theologie selbst mag diese Frage letzten Endes gar nicht so entscheidend sein, denn der Begriff der „Religion“ ist kein theologisch entscheidender im Vergleich mit anderen Begriffen. Allerdings ist der Erfahrungsbegriff entscheidend. Die Kommunikation zwischen der Theologie einerseits und den Cognitive Sciences of Religion und der Neurotheologie andererseits ist daher alles andere als ohne Probleme. In den 1970er Jahren hatte Ebeling andere Adressaten im Sinne, aber seine Worte scheinen nichtsdestotrotz geradezu perfekt auf die Verwendung des Terminus „religiöse Erfahrung“ in den Cognitive Sciences of Religion und der Neurotheologie zu passen, wenn er der Meinung ist, dass es guten Grund gibt „[…] zur Kritik an schlechter Theologie, die den Erfahrungsbezug deshalb verfehlt, weil sie ihn theologisch unsachgemäß ins Spiel bringt. So wird gegebenenfalls gerade durch eine betonte Berufung auf Erfahrung verdeckt und zugleich offenkundig, daß man davon, wie Erfahrung in der Theologie in Betracht kommen muß, keine Ahnung hat.“32

Man könnte nun meinen, eine Aktualisierung dieses Einwandes treffe nur die Neurotheologie, die ja explizit Meta- und Megatheologie sein will, nicht aber 32 Ebeling, G., Klage über das Erfahrungsdefizit, 15.

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die Cognitive Sciences of Religion, denen jeder theologische Anspruch in der Regel fehlt. Das allerdings ist nicht ganz richtig. Denn wenn diese Art von Definitionsmacht über das, was als „religiöse Erfahrung“ zählen kann, in Anspruch genommen wird, produziert es, unabhängig vom expliziten theologischen Anspruch, die gleichen Effekte, die schon von Ebeling deutlich gesehen wurden: „Unter dem imponierenden Eindruck der Macht empirischer Wissenschaft verliert somit die Gotteserfahrung den Bezug auf die Welterfahrung und wird auf eine isolierte innere Erfahrung abgedrängt. Dadurch scheint sie aber auch eines wirklichen Gegenübers verlustig zu gehen und deshalb zugleich den Erfahrungscharakter einzubüßen. So wird Religion selbst nicht nur in ihren Äußerungen, sondern auch in ihrer Wirklichkeit Gegenstand empirisch erklärender Untersuchung, die dann notwendig den Charakter von Religionskritik annimmt. Dieser Prozeß der Schrumpfung und Auflösung religiöser Erfahrung läßt einen dann auch im Umgang mit religiöser Überlieferung nur noch die Erfahrung von Entfremdung und Nichtverstehen machen.“33

Das Problem besteht dabei nicht darin, dass überhaupt eine Religionskritik entstünde. Dies ist letztlich überhaupt kein Problem, denn Religionskritik kann ein sehr fruchtbares Unternehmen sein und Religionskritik ist ein lebendiger und notwendiger Bestandteil der Theologie selbst.34 Das entscheidende Problem besteht vielmehr darin, dass diejenigen Phänomene, die nach Inanspruchnahme der vermeintlichen Definitionsmacht nicht mehr als „religiöse Erfahrung“ benannt werden, natürlich als Phänomene nicht verschwinden. Sie werden nur nicht länger als „religiöse Erfahrung“ bezeichnet: Damit aber sind sie nun nicht nur unexpliziert, sondern werden sogar unexplizierbar. Als tatsächlich religiöse Phänomene bleiben sie bestehen. Und auch wenn sie nicht mehr länger als Phänomene religiöser Erfahrung bekannt sind, üben sie nicht nur weiter ihren Einfluss auf das Leben von Personen und Gesellschaften aus, sondern sie tun dies nun in einer Art und Weise, die reflexionsresistent und kritikimmun wird. Auch darüber war sich Ebeling schon im Klaren: „Die Erfahrung, daß Profanität im Lebensvollzug Züge von Kryptoreligiosität annimmt, warnt davor, dies dem Wildwuchs zu überlassen. Daß in, mit und unter der profanen Erfahrung die religiöse Erfahrung zur Geltung kommt, ist ein Vorgang, der nur von bestimmter, geschichtlich geformter Religion ausgehen kann.“35

Dass im Falle des Christentums „religiöse Erfahrung“ sich nicht auf das Außergewöhnliche, sondern sich im Gegenteil auf das Gewöhnliche und Alltägliche bezieht, kann leicht gezeigt werden. Ein Tischgebet zu sprechen, ein 33 Ebeling, G., Klage über das Erfahrungsdefizit, 22. 34 Vgl. Barth, K., KD I/2, §17, 304–397. 35 Ebeling, G., Klage über das Erfahrungsdefizit, 24.

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Abendgebet zu sprechen, sich mit Mitchristen über deren Alltagsprobleme zu unterhalten, aufmerksam oder auch unaufmerksam an einem Gottesdienst zu partizipieren, ein mystisches Gebet oder eine Meditation zu vollziehen, all dass sind Akte von religiöser Praxis und religiöser Erfahrung und all diese Erfahrungen sind von exakt dem gleichen religiösen Wert – falls es so etwas wie „religiösen Wert“ überhaupt gibt. 3.2.3 Die Möglichkeit des Glaubens Beispiele wie diese illustrieren die Tatsache, dass die Frage, wie Glaube konstituiert wird, nicht durch Verweis auf separierbare und identifizierbare Einzelerfahrungen oder Erlebnisse beantwortet werden kann. Diese Frage kann auch nicht durch Verweis auf die Vernunft beantwortet werden. Nichtsdestotrotz ist klar, dass der Begriff der Offenbarung und der Begriff der Erfahrung nicht aufgegeben werden können, wenn nicht alle Arten von Glauben a priori als falsch verstanden werden sollen; wenn wir also auch nur annehmen wollen, dass die Möglichkeit des Glaubens oder Vertrauens in die Wirklichkeit bzw. in das Leben bestehen kann. Der Grund besteht darin, dass Glaube oder Vertrauen in die Wirklichkeit oder das Leben nicht nur die vertrauende Person zur Wirklichkeit oder dem Leben positiv relationiert, sondern ebenso die vertrauende Person von der Wirklichkeit oder dem Leben unterscheidet: Die Realität oder das Leben müssen zwar nicht notwendigerweise als göttlich oder als letztgültig in dem Sinne verstanden werden, dass man sie als das id quo maius cogitari nequit verstünde. Allerdings wird man sie doch als vom Selbst unterschieden und als etwas Anderes verstehen müssen, als etwas, das, zumindest nicht vollständig, durch die eigenen Fähigkeiten ergriffen werden kann. Das Leben oder die Wirklichkeit muss also letztlich als etwas verstanden werden, das sich erschließen oder offenbaren muss, um sich dazu zu verhalten, weil es zwar nicht als das gedacht werden muss, worüber Größeres nicht denkbar ist, aber mindestens als das, was in vielerlei Hinsicht größer und anders als das erfahrende Subjekt ist. Ein weiteres Fazit ist hier zu ziehen: Wie nützlich Distinktionsschemata zwischen Vernunft und Offenbarung, wie das von Hunsinger vorgestellte, für didaktische Zwecke auch sein mögen, die Unterscheidung von Vernunft und Offenbarung kann offensichtlich, falls die genannten Argumente valid sind, nicht die Basis für ein Offenbarungsverständnis sein. Denn offensichtlich ist die Vernunft ja nicht einfach eine Gegebenheit, sondern, phänomenologisch gesprochen, erfahren wir Vernunft – oder besser – Strukturen und Phänomene, von denen wir lernen, sie als „Vernunft“ zu bezeichnen. Daher gilt zumindest phänomenologisch (nicht notwendigerweise auch ontologisch), dass Erfahrung gegenüber Vernunft vorgängig ist.36 Die entscheidende Frage 36 An dieser Stelle soll nicht die Debatte zwischen Rationalismus und Empirismus aufgerollt

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theologischer Epistemologie lautet daher: Gibt es eine Bestimmung der Relation zwischen Offenbarung und Erfahrung, die als Basis theologischer Epistemologie dienen kann? 3.3 Offenbarung und Erfahrung – Das Ausgangsmodell Seit den 1980er Jahren sind in der deutschsprachigen protestantischen Theologie eine Reihe von neuen Ansätzen entstanden, die Begriffe von Offenbarung und Erfahrung zu relationieren. Als Beispiel seien im Folgenden die aufeinander bezogenen Ansätze von Eilert Herms und Christoph Schwöbel genannt. Wir beziehen uns auf sie als das „Ausgangsmodell“, da sie eben den Ausgangspunkt für eine später zu entwickelnde theologische Epistemologie darstellen. Im vorliegenden Abschnitt sollen nun die Grundlagen dieses Modells beschrieben werden. Herms beobachtet, dass moderne Vorbehalte gegen den Offenbarungsbegriff zu einem großen Teil auf einem Offenbarungsverständnis beruhen, das Offenbarung als etwas versteht, das in außergewöhnlichen Situationen an besondere Menschen kommuniziert wird; als etwas, das nicht nachweisbar ist, sondern auf Autorität hin geglaubt werden muss; und letztlich auch als etwas, das den Empfänger mit einer unverletzbaren sozialen Position ausstattet. Religionskritiken, die sich gegen diese Art von Offenbarungsbegriff richten, werden von Herms als sinnvoll begrüßt. Herms stellt aber auch fest, dass der Offenbarungsbergriff der Alltagssprache noch eine andere Bedeutung hat, nämlich dann, wenn er nicht in einem speziell religiösen Sinne verwandt wird. Wir nutzen Ausrufe wie „Welch eine Offenbarung“ oder „Das war aber eine Offenbarung für mich“.37 Herms ist nun der Meinung, dass dieser zweite Gebrauch des Wortes Offenbarung auch einen geeigneten Zugang für ein theologisches Offenbarungsverständnis darstellt. Ich möchte dies mit einem kleinen Beispiel illustrieren: Man stelle sich einen jungen Mann – Albert – vor, der sich von der jungen Frau Victoria angezogen fühlt, aber zu schüchtern ist, dies auch in seinem Verhalten erkennen zu lassen. Er erwartet und fürchtet, dass Victoria ihn unattraktiv finden könnte. Während beide nun bei einem Sonnenuntergang in den Bergen nebeneinander sitzen, sagt Victoria „Ich liebe Dich“, was Albert nun als Offenbarung versteht. Indem Herms solche Alltagsbeispiele des Offenbarungsbegriffs analysiert, beschreibt er Offenbarung als eine Erschließungserfahrung38: Erschließungswerden. Die Tatsache, dass phänomenologisch Erfahrung vorgängig ist, determiniert keineswegs die Antwort auf die Frage, ob Erfahrung auch ontologisch gegenüber der Vernunft vorgängig ist. Man stelle sich nur eine Welt ohne jedes empfindungsfähige Lebewesen vor. In einer solchen Welt gibt es sicherlich keine Erfahrung. Dennoch kann es sich um eine geordnete und strukturierte Welt handeln – und dies mag man durchaus Vernunft nennen. 37 Vgl. Herms, E., Offenbarung, 172 f. 175. 38 Vgl. Herms, E., Offenbarung, 176 f.

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erfahrungen sind charakterisiert durch (1) einen spezifischen Inhalt (in unserem Beispiel „zu lieben“, was immer das heißen mag), (2) einen spezifischen Autor (Victoria), (3) einen spezifischen Empfänger (Albert), (4) eine spezifische Situation (Sonnenuntergang in den Bergen) und (5) eine leibliche Reaktion von Albert (Freude, Anstieg des Blutdrucks, Rotwerden und unter Aufspringen plötzliches „Ich auch!“ ausrufen). Daran anknüpfend hat Christoph Schwöbel diesen Offenbarungsbegriff mithilfe einer relationalen Analyse ausgedrückt: „A erschließt in der Situation B den Gehalt C für den Empfänger D mit dem Resultat E.“39

Herms beobachtet nun, dass es ein wichtiges Kennzeichen von Erschließungserfahrungen ist, dass der Empfänger hinsichtlich des Zustandekommens der Erfahrung vollständig passiv ist. Er ist zwar aktiv in die Erfahrung involviert, aber er kann nichts tun, um sie zu inaugurieren. So kann Albert in unserem Beispiel Victoria nicht zu einem solchen Liebesbekenntnis drängen, ohne dessen Aufrichtigkeit zu kompromittieren. Weiterhin ist festzustellen, dass Erschließungserfahrungen unseren Erwartungshorizont verändern und erweitern.40 Albert erwartete alles, nur nicht, dass Victoria von ihm angezogen sein könnte. Die unerwartete Offenbarung nun wird zum Horizont und zum Grund von Alberts neuem Handeln. Natürlich sind Erschließungsereignisse dieser Art nicht notwendig religiös, wie unser Beispiel zeigt. Herms definiert nun Religion folgendermaßen: „Religion ist das Innewerden und der Umgang des Menschen mit der Tatsache, dass seine Macht, etwas in der Welt zu bewirken, nur existiert als eine ihm gewährte, von ihm völlig passiv empfangene Anteilhabe an der uns schlechthin überlegenen weltschöpferischen Macht über alle Wirklichkeit.“41

Diese Definition hat verschiedene Konsequenzen: Nur Erschließungserfahrungen, deren Inhalt die Erschließung der Konstitution der Wirklichkeit ist, und nur Erschließungserfahrungen, deren Autor identisch mit ihrem Inhalt (als der Grund der Wirklichkeit) sind, können als religiöse Offenbarungen verstanden werden.42 Religiöse Offenbarung ist daher immer Selbstoffenbarung, nicht Erschließung von etwas vom Autor unterschiedenem (zukünftige Geschichtsereignisse etc.).43 Im Falle der christlichen Offenbarung erklärt Schwöbel, dass die Relate der Formel, „A erschließt in der Situation B den Gehalt C für den Empfänger D mit 39 Schwçbel, C., Offenbarung und Erfahrung, 59. Man beachte, dass Herms’ fünftes Kennzeichen hier fehlt bzw. hier kombiniert mit Herms’ sechsten Kennzeichen unter E erscheint. 40 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 460–470. 41 Herms, E., Offenbarung, 180. 42 Vgl. Herms, E., Offenbarung, 181. 43 Die Einsicht, dass Offenbarung immer als Selbstoffenbarung verstanden werden muss, wurde besonders von Hegel betont und kann seitdem als Gemeingut protestantischer Theologie gelten.

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dem Resultat E“, in einer besonderen Weise instantiiert sind: Bei dem Autor A handelt es sich um den dreieinigen Gott, die Situation B kann irgendeine historische Situation sein, in der es einen konstitutiven Bezug zur ursprünglichen Offenbarungssituation des Christusereignisses gibt. Der Inhalt C ist das sich selbst hingebende Handeln des Autors als Konstitution, Versöhnung und Vollendung jeder anderen denkbaren Realität als der des Autors. Der Empfänger D erscheint durch die Erschließungserfahrung in einem spezifischen Licht innerhalb dieser erschlossenen Spannung von Schöpfung, Versöhnung und Vollendung: Sie oder er erfährt sich selbst als geschaffen, ihre oder seine eigene Fähigkeit der relativen Freiheit missbrauchend, durch Christus versöhnt zu sein und in Hoffnung auf Vollendung zu leben. Das Resultat E dieser Selbsterschließung ist das Zustandekommen von christlichem Glauben.44 Entscheidend ist nun, dass diese Art religiöser Offenbarung bzw. im genannten Fall von christlicher Offenbarung als ein Erschließungserlebnis auch in einer bestimmten Weise auf Erfahrung bezogen ist, die einschließt, dass (1) Offenbarung immer Erfahrung ist und dass (2) Offenbarung eine Erfahrung ist, die Erfahrung selbst konstituiert. ad (1): Das erste Kennzeichen, dass Offenbarung selbst Erfahrung ist, kann durch eine formalisierte Beschreibung Schwöbels veranschaulicht werden: „(A erfährt:) A erfährt x als y, indem x durch die Prädikation als y in den Interpretationsrahmen I eingeordnet wird, der dabei zu I* modifiziert wird.“45

Das erfahrende Subjekt A erfährt hier ein Objekt x. Nur dies zu sagen, wäre jedoch unvollständig, denn nach Schwöbel bedeutet Erfahrung stets einen Prädikationsakt: „In diesem Vorgang, der Erfassung von ,etwas, als etwas‘, wird die als besonderes Wahrnehmungsobjekt ausgegrenzte Menge von Sinnesdaten durch die Anwendung allgemeiner Prädikatoren zum Erfahrungsgegenstand konstituiert. Klassisches Beispiel solcher eher synthetischen Prädikationshandlungen ist die Klassifikation, in der das Wahrnehmungsobjekt x als Element der Klasse y zugeordnet wird und damit für die Erfahrung seine Gegenständlichkeit gewinnt. Formal betrachtet vollzieht sich diese Synthesis der Besonderheit des Wahrnehmungsobjektes mit der Allgemeinheit von Prädikatoren nach bestimmten Regeln, deren Operationsmodus z. B. in einem Kategorienschema ausgelegt werden kann. Material gesehen handelt es sich bei dieser Synthesis um einen Vorgang der Interpretation, der durch die Integration von x als y in einen Interpretationsrahmen vollzogen wird. Der Prädikator y ist im Gegensatz zum Wahrnehmungsobjekt x nichts Partikulares und Individuelles, sondern ein Allgemeinbegriff. In der Prädikationshandlung wird damit das bezeichenbare Wahrnehmungsobjekt bezeichnet, jedoch nicht, indem es benannt wird, sondern indem es einem Allgemeinbegriff zugeordnet wird. Durch die Verbindung von 44 Vgl. Schwçbel, C., Offenbarung und Erfahrung, 59–83. 45 Schwçbel, C., Offenbarung und Erfahrung, 91.

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Wahrnehmung und Allgemeinbegriff kann die Erfahrung selbst in einer propositionalen Form ausgedrückt werden, die der logischen Form f(x) entspricht, wenn gilt: f=y: Dieses x ist ein y.“46

Man kann also nicht etwas in purer Weise erfahren als x, sondern nur indem dieses als y attribuiert wird. Prädikate wie y sind Teile des interpretativen, semiotischen Rahmens I. Im Unterschied zu anderen Arten von Erfahrungen verändern oder erweitern Erschließungserfahrungen unseren Erwartungshorizont, d. h. unseren semiotischen, interpretativen Rahmen. Daher wird durch das Erfahren der vorgängige interpretative Rahmen I zum neuen interpretativen Rahmen I* umgestaltet. Dieses äußerst wichtige Merkmal erscheint nur in der überarbeiteten deutschsprachigen Version von Schwöbels diesbezüglicher Schrift.47 Gleichzeitig erscheint auch ein rekursives Element. A erfährt nicht nur y, sondern sie oder er erfährt auch, dass sie y erfährt. M.a.W.: Indem man etwas anderes als sich selbst erfährt, indem man etwas von sich Unterschiedenes erfährt, erfährt man sich gleichzeitig selbst. Daher wird der Teil, der in runden Klammern am Anfang steht, zur Formel hinzugefügt. Aber auch in dieser Art und Weise ist die Analyse von Erfahrung noch nicht vollständig, denn Erfahrung vollzieht sich immer im Rahmen einer sozialen Praxis bzw. setzt eine solche immer voraus (auch wenn man sich auf einem Alleingang im Gebirge befinden mag). Es ist nicht nur nicht möglich, irgendetwas von sich Unterschiedenes zu erfahren, ohne sich selbst zu erfahren, sondern unter diesen von sich unterschiedenen Objekten werden auch stets solche als Subjekte erfahren, die in gleicher Weise erfahrungsfähig sind. Schwöbel veranschaulicht dies am Beispiel der personalen Erfahrung, d. h. am Beispiel, dass eine spezifische andere Person (A erfährt B) erfahren wird. Dies erfordert nun eine sehr erweiterte Strukturformel personaler Erfahrung: „A erfährt B impliziert darum (A erfährt:) A erfährt x als y, indem x durch die Prädikation als y in den Interpretationsrahmen I integriert wird, der dabei zu I* modifiziert wird, und präsupponiert (B erfährt:) B erfährt x als y, indem x durch die Prädikation als y in den Interpretationsrahmen I integriert wird, der dabei zu I* modifiziert wird, so daß gilt A [= (A erfährt:) A erfährt x als y, indem x durch die Prädikation als y in den Interpretationsrahmen I integriert wird, der dabei zu I* modifiziert wird] erfährt B [= (B erfährt:) B erfährt x als y, indem x durch die Prädikation als y in den Interpretationsrahmen I integriert wird, der dabei zu I* modifiziert wird].“48

46 Schwçbel, C., Offenbarung und Erfahrung, 87 f. 47 Schwçbel, C., Offenbarung und Erfahrung, 91. 48 Schwçbel, C., Offenbarung und Erfahrung, 94. Die Klammern [ ] erscheinen im Originaltext.

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Für unsere Zwecke reicht jedoch die o. a. einfachere Beschreibung von Erfahrung als „(A erfährt:) A erfährt x als y, indem x durch die Prädikation als y in den Interpretationsrahmen I eingeordnet wird, der dabei zu I* modifiziert wird.“ Hier ist offensichtlich, dass Offenbarung und Erschließungs-Erfahrung koextensiv und austauschbar sind. Beide Begriffe beschreiben also denselben Sachverhalt, nur aus jeweils anderer Perspektive. Aus dem Empfänger D der Offenbarung wurde nun das Erfahrungssubjekt A; der Inhalt der Offenbarung C wurde nun die Attribution von x als y und das Resultat E der Offenbarung wird nun mithilfe der Modifikation von I zu I* ausgedrückt. Die einzigen Relate, die nicht explizit wiedererscheinen, sind die Offenbarungssituation B und der Autor der Offenbarung A. Wir sahen jedoch, dass in Bezug auf religiöse Erfahrung Autor und Inhalt der Offenbarung identisch sind. Daher gilt auch für religiöse Erfahrung, dass die Prädikation von x als y, d. h. der Erfahrungsinhalt, gleichzeitig als der Autor der passiv gewonnenen Erfahrung gedacht werden muss. Natürlich muss der Autor nicht notwendigerweise in einer personalen Instanz bestehen. So nimmt beispielsweise in Einsteins unpersönlicher, kosmischer Religiosität die Welt als ganze diesen Platz ein. Hinsichtlich des Christentums nun aber wird der Autor als dreipersonal erfahren. Dennoch ist immer noch nicht die Situation B von Herms’ Offenbarungsstrukturformel in der Erfahrungsformel explizit gemacht worden, was allerdings nicht wirklich ein Defizit darstellen dürfte, da sie sich leicht ergänzen ließe. Das Ergebnis besteht also darin, dass Offenbarung eine spezifische Art von Erfahrung ist, d. h. eine Erschließungserfahrung, und umgekehrt, dass jede Erschließungserfahrung als Offenbarung verstanden werden muss. Natürlich ist dabei nicht jede Offenbarung auch eine religiöse Offenbarung. Nur Offenbarungen, die Selbstoffenbarungen49 sind, d. h. Erschließungserfahrungen, in denen die Prädikation von x als y Informationen über denjenigen oder dasjenige, was die Erfahrung inauguriert, enthält (= den Autor der Offenbarung), kann als religiöse Erfahrung oder religiöse Offenbarung verstanden werden. Ferner muss ein zweites Kriterium erfüllt sein: Nicht irgendein spezifischer, partikularer und beschränkter Interpretationsrahmen I wird durch die Erfahrung verändert, wenn es sich um religiöse Erfahrung handelt, sondern der umfassende letzte Interpretationsrahmen oder Erwartungshorizont, den eine Person besitzt (= Glaube), der alle anderen partikularen Interpretationsrahmen, die einem Subjekt zur Verfügung stehen, mit einschließt oder zumindest auf diese bezogen ist, muss modifiziert werden, wenn es sich um religiöse Erfahrung handeln soll. ad (2): Als zweites Kennzeichen ist hervorzuheben, dass nicht nur behauptet wird, dass es keine Offenbarung gibt, die nicht zur gleichen Zeit auch Erfahrung wäre, sondern es wird auch behauptet, dass die Offenbarung eine solche Art von Erfahrung ist, die die Erfahrung als solche konstituiert, d. h., sie 49 Zur weiteren Explikation vgl. Herms, E., Offenbarung V.

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ist eine Art von Erfahrung, die selbst die Bedingung der Möglichkeit des Erfahrens ist. In Schwöbels Fall kann dieses Kennzeichen nur material durch Bezug auf die spezifisch christliche Erfahrung beschrieben werden, indem auf den gesamten Kontext der Offenbarung Gottes als Schöpfer, Versöhner und Vollender in Jesus Christus durch den Geist Bezug genommen wird: „Dieses in der Christusprädikation zum Ausdruck gebrachte Erfahrungsurteil schließt ein neues Selbstverständnis des Menschen ein, der sein Handeln nicht mehr als Schaffung einer von Gott anzuerkennenden Gerechtigkeit versteht, sondern als Gehorsam gegenüber dem Gerechtigkeit und Heil realisierenden Willen Gottes. […] Gottes Handeln in Schöpfung, Versöhnung und Erlösung ist so, wie es als Selbsterschließung Gottes in der Christuserfahrung deutlich wird, der Grund der Möglichkeit geschöpflicher Freiheit für das menschliche Handeln, das in der Deutung und Gestaltung der Welt ihrer Verfassung und der Bestimmung des Menschen in ihr durch den Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes entsprechen und dadurch in der Wahrheit existieren kann. Die Besonderheit der Christuserfahrung liegt also gerade darin, daß in ihr die Selbsterschließung Gottes als Grund der Möglichkeit aller Erfahrung gewiß wird, insofern die Konstitution dieser Gewißheit die Wahrheit ihres Inhalts erweist. Die Christuserfahrung hat diesen besonderen Status, weil im Christusgeschehen das Handeln Gottes als die Bedingung aller menschlichen Erfahrung in der geschöpflichen Erfahrungswirklichkeit erschlossen wird. Menschliche Erfahrung wird darum im Gewißwerden der Christusbotschaft mit ihrer Wahrheit konfrontiert, d. h. mit der Entsprechung zwischen dem Bestimmtsein der Wirklichkeit durch den Willen Gottes und ihrer Bestimmung in den Deutungs- und Gestaltungsakten menschlicher Erfahrung. […] Die Erfahrbarkeit der Wirklichkeit ist, sowohl was den Erfahrungsgegenstand als auch was das Erfahrungssubjekt angeht, keine dem Gegenstand von Erfahrung oder dem Erfahrungssubjekt unabhängig von Gottes Offenbarung zukommende Eigenschaft, sondern ist in Gottes Handeln als dem Grund ihrer Möglichkeit konstituiert. Auf der Basis der Christuserfahrung wird somit das Verhältnis von Offenbarung und Erfahrung einsichtig als das Verhältnis zwischen der Konstitution der Existenz einer deutbaren, gestaltbaren und zur Erfüllung ihres Sinns bestimmten Wirklichkeit und ihrer aktiven Deutung und Gestaltung durch menschliche Erfahrungssubjekte. Offenbarung ist also kein besonderer Bereich neben oder über der Erfahrung, sondern ist der Grund ihrer Möglichkeit und die Bedingung der Möglichkeit ihrer Wahrheit.“50

M.a.W.: Da die Erfahrung des Christusereignisses eine religiöse Erfahrung ist, die gleichzeitig als den Autor der Erfahrung den dreieinigen Grund der Konstitution der ganzen Wirklichkeit erschließt, und da Erfahrung selbst ein Teil der Realität ist, muss der Inhalt der christlichen Erschließungserfahrung, d. h. der dreieinige Gott, also auch als die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung selbst verstanden werden. Andernfalls wäre der Inhalt der christ50 Schwçbel, C., Offenbarung und Erfahrung, 109 f.

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lichen Erschließungserfahrung inkohärent oder zumindest überhaupt keine religiöse Erfahrung. Eilert Herms drückt diesen Sachverhalt so aus: „Vielmehr lebt die Vorstellung immer wieder auf, als erschließe Offenbarung eine Zusatz- oder Alternativwirklichkeit zu derjenigen, die Inhalt von Erfahrung ist. Aber diese Meinung ist irrig. Denn Erfarhung und Offenbarung sind nur zwei Aspekte ein und derselben Wirklichkeit. Folglich gilt: Das Offenbarungswerk Gottes hat (zur Gänze und in allen seinen wesentlichen Momenten) denselben Inahlt wie die Erfahrung, nämlich die geschöpfliche Existenz leibhafter Handlungssubjekte coram Deo.“51 „Und dies beides zusammen: – daß Gottes Offenbarung die Regelmäßigkeit der Erfahrungswelt nicht sprengt, weil sie diese vielmehr konstituiert, und – daß sie ihren Inhalt nicht überbietet, weil sie ihn vielmehr unüberbietbar konkretisiert, heißt ipso facto: Gottes Offenbarung entwertet die Erfahrung nicht. Die Wirklichkeit der Offenbarung weist der Wirklichkeit der Erfahrung nicht den minderen Rang einer uneigentlichen, bloß vorläufigen Wirklichkeit zu, sondern genau ihren eigenen Rang eigentlicher, definitiver Wirklichkeit.“52

Wir können nun die beiden Pointen der Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Erfahrung, wie sie im Ausgangsmodell gegeben sind, folgendermaßen zusammenfassen: 1. Offenbarung und Erfahrung schließen einander nicht aus. Offenbarung ist eine Art von Erfahrung – eine Erschließungserfahrung. Dies lässt sich durch formale Analysen der beiden Begriffe leicht sehen. 2. Offenbarung ist ebenso die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung. Diese Pointe ist eine Implikation der spezifisch christlichen Offenbarung und des Christusereignisses, welches „Gott“ als den Autor, Versöhner und Vollender aller Wirklichkeit, einschließlich derer dieser Erfahrung, versteht. Die erste Pointe beinhaltet einen universalen Anspruch in der Form, dass sie selbst durch vernünftigen Vergleich einsehbar ist. Auch die zweite Pointe hat einen universalen Geltungsanspruch; allerdings kann dessen Validität nur aus der partikularen Perspektive des christlichen Glaubens eingesehen werden, d. h. aus der Perspektive derjenigen Personen, die selbst Erfahrungen machen, die im Sinne der christlichen Erschließungserfahrung beschrieben werden können. Diese Partikularität bedeutet jedoch keine Schwäche, im Gegenteil: Die Partikularität der Einsicht in die Universalität der Struktur aller Erfahrung als in Offenbarung gründend ist eine notwendige Bedingung ihrer eigenen Kohärenz: Da der Inhalt der christlichen Offenbarung die Offenbarung der Einsicht ist, dass keine partikulare Entität die in möglichen Erfahrungen gegeben sein kann, selbst die hinreichende Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung sein kann, würde jeder Anspruch auf eine epistemische Uni51 Herms, E., Offenbarung und Erfahrung, 267. 52 Herms, E., Offenbarung und Erfahrung, 267 f.

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versalität bestreiten, dass Erfahrung als solche unverfügbar wäre, d. h., bestreiten, dass die Konstitution der Erfahrung nicht dem Menschen selbst inaugurierbar ist. Im Rahmen dieses Ausgangsmodells kann nun auch gefragt werden, ob nicht auch außergewöhnliche Erfahrungen in korrekter Weise zu verorten und zu bewerten sind. Die Wahrheit einer Offenbarung kann dabei jedenfalls nicht an ihrer emotionalen Intensität, an ihrer Außergewöhnlichkeit oder an ihrer Separierbarkeit von anderern Erfahrungen liegen – also an etwas, das sich unterscheidend in spezifischen Gehirnarealen, die in der entsprechenden Erfahrung involviert sind oder in ihren Bildern, zeigen könnte. Das einzige Kriterium kann nur der Inhalt der Offenbarung bzw. Erfahrung sein. Jede Erfahrung oder jede Menge von Erfahrungen, deren Ergebnis ein Wirklichkeitsverständnis und ein Selbstveständnis in Resonanz zum Christusereignis darstellt, muss als eine genuine From von Offenbarung verstanden werden. Schwöbel drückt dies folgendermaßen aus: „In analoger Weise läßt sich das Verhältnis von ,Erfahrung‘ und besonderer ,religiöser Erfahrung‘ oder ,Glaubenserfahrung‘ bestimmen. Alle Erfahrung verweist aufgrund ihrer Struktur darauf, daß sie die von ihr nicht selbst konstituierte Erschlossenheit von Wirklichkeit für die Reflexions- und Interpretationsakte der Erfahrungssynthesis als den ihr vorgegebenen Grund ihrer Möglichkeit voraussetzt. In der religiösen Erfahrung wird nun keineswegs ein besonderer Erfahrungsgegenstand zugänglich, der in einem eigenen Erfahrungsbereich neben oder über der allgemeinen Erfahrungswirklichkeit existierte. Vielmehr wird in ihr das Handeln Gottes als die Bedingung der Möglichkeit aller menschlichen Erfahrung in seinem Zusammenhang zu den Vollzügen menschlicher Erfahrung selbst thematisch. Aufgrund der in der besonderen Erfahrung des Christusgeschehens gegebenen Einsicht in die Ermöglichung allen menschlichen Handelns durch das Handeln Gottes und das Konstituiertsein aller menschlichen Erfahrung durch die Offenbarung Gottes ist darum alle Erfahrung offen für die Einsicht in die Möglichkeit ihres Vollzugs. Es gibt insofern keine besondere epistemologische Privilegierung bestimmter Formen und Typen von Erfahrung gegenüber anderen, die dadurch in ihrer Signifikanz entwertet würden.“53

Eilert Herms beschreibt den Sachverhalt mit diesen Worten: „Aber in seiner […] konkreten Gestalt schließt der Begriff der ,Erfahrung‘ diesen dogmatischen Empirismus und den ihm entsprechenden abstrakten Rationalismus gerade aus und nur eine zuverlässige Geregeltheit des Weltgeschehens ein. Diese aber schließt ihrerseits wiederum Unverfügbarkeit nicht aus, sondern ein; auch die Unverfügbarkeit von Offenbarung. Offenbarung zerreißt nicht diejenige Uniformität von Erfahrung […]. Diese negative Aussage muß aber auch positiv gewendet werden. Dann besagt sie: Offenbarung geschieht – nota bene: unverfügbar – in, mit und unter 53 Schwçbel, C., Offenbarung und Erfahrung, 110 f.

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Erfahrung in ihrer ganzen Normativität und Regelmäßigkeit. Ihr Geschehen ist nicht auf besondere Feier- und Festbezirke unseres Lebens beschränkt, sondern es ist die ,Chance des Alltags‘. Zwar nicht eines beliebigen Alltags, sondern nur eines bestimmten, nämlich des – seit der Zeit der Erzväter – jeweils durch bestimmte Erinnerungen und Traditionen an kontingente Offenbarungsereignisse geprägten Alltags.“54

3.4 Probleme des Ausgangsmodells im Lichte der Neurowissenschaften Das zuletzt beschriebene Ausgangsmodell kann als eine entfaltete Antwort auf Ebelings und Jüngels Forderung nach einer erfahrungsbasierten Theologie verstanden werden. Gleichzeitig erlaubt es, den Offenbarungsbegriff in einer konsistenten und intelligiblen Weise zu denken, in der Offenbarung in Erfahrung und Erfahrung in Offenbarung begründet ist. Damit transzendiert dieses Modell bereits Typologien, die den Offenbarungsbegriff mithilfe der Polarität von Offenbarung und Vernunft verstehen wollen. Beispielsweise kann dies mithilfe von Hunsingers Typologie gezeigt werden, die wir in Abschnitt 3.2 vorgestellt haben: Offenbarung als Erfahrung erschien lediglich in Hunsingers fünften Typus. Allerdings sind in diesem fünften Typus Offenbarung und Erfahrung auf nicht-kognitive Sachverhalte beschränkt, die die Alltagserfahrung transzendieren. Man könnte auch daran denken, den Vernunftbegriff aus Hunsingers vierten Typus durch den Erfahrungsbegriff zu ersetzen. Damit würde man dann ausdrücken können, dass Offenbarung als Basis von Erfahrung gesehen werden kann. Dennoch ist es im Rahmen von Hunsingers Typologie nicht möglich, den Vernunftbegriff vollständig durch den Erfahrungsbegriff zu ersetzen. Damit ist gezeigt, dass das Ausgangsmodell nicht mithilfe der Offenbarung-Vernunft-Typologie zu erfassen ist. Und dies ist als Vorteil zu werten. Ein weiterer Vorteil des Ausgangsmodells besteht darin, dass es jede besondere religiöse Dignität von spatio-temporal lokalisier- und separierbaren Erfahrungen – wie die außergewöhnlichen Erfahrungen, mit denen sich die Cognitive Sciences of Religion und die Neurotheologie zu beschäftigen versuchen – bestreitet. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Kommunikabilität zwischen dem Erfahrungsbegriff des Ausgangsmodells auf der einen Seite und dem Begriff religiöser Erfahrung in den Naturwissenschaften auf der anderen Seite geben könnte. Allerdings sind es weder die Cognitive Sciences of Religion noch die Neurotheologie, die den adäquaten Gesprächspartner für die Theologie hinsichtlich des Erfahrungsbegriffs darstellen, sondern es handelt sich um diejenigen Wissenschaften, die sich mit der Erfahrung selbst beschäftigen – also beispielsweise Zugänge, die sich mit den basalen Fragen 54 Herms, E., Offenbarung und Erfahrung, 266. Mit dem Ausdruck „Chance des Alltags“ bezieht sich Herms auf einen Buchtitel von Ernst Lange.

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der Neurowissenschaften beschäftigen, wie wir sie in Kapitel 2 besprochen haben. Nun entsteht eine wichtige Frage: Ist das Ausgangsmodell kompatibel mit dem repräsentationalistischen Modell und/oder mit dem ökologischen Modell? Auf den ersten Blick scheint es, als wäre das Ausgangsmodell eher mit dem repräsentationalistischen Modell kompatibel. Das trifft letztlich auch zu, aber nur auf einige seiner Kennzeichen. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Ausgangsmodell im Verhältnis zum ökologischen Modell. Auch hier erscheinen sowohl Kompatibilitäten als auch Inkompatibilitäten. Dies ist nun detaillierter zu beschreiben: 1. Das Ausgangsmodell unterscheidet explizit zwischen Wahrnehmung und Erfahrung, so dass Erfahrung als eine Prädikation einer zugrundeliegenden Wahrnehmung mithilfe von aus einem Interpretationsrahmen stammenden Prädikaten verstanden wird. Dieser Zug scheint mit einem repräsentationalistischen Erfahrungsmodell kompatibel zu sein, nicht jedoch mit einem ökologischen Modell. Vielleicht mag man auch innerhalb des Ausgangsmodells so etwas wie die Möglichkeit einer bloßen Wahrnehmung ohne jegliche Interpretation verneinen,55 aber nichtsdestotrotz wird hier die Sprache der Interpretation von etwas Vorgegebenem verwandt. Die Folge davon wäre, dass Glaube als eine Art Repräsentation der Realität verstanden werden müsste. Wir können aber bezweifeln, ob dies tatsächlich sachgemäß ist. 2. Indem Offenbarung als eine Erschließungserfahrung verstanden wird und indem eine Erschließungserfahrung als eine interpretative Aktivität mithilfe von aus Interpretationsrahmen stammenden Prädikaten verstanden wird, erscheint auch das Problem, dass eben auch Offenbarung als eine Sache der Interpretation missverstanden werden könnte. Dieses Missverständnis wird sogar unvermeidlich, wenn das Ausgangsmodell mit dem repräsentationalistischen Modell kombiniert wird. 3. Wenn nun diese Art der Erfahrung von Prädikation abhängig ist, kann sie als primär kognitive Funktion missverstanden werden, die von höheren Gehirnfunktionen und Fähigkeiten, die ontogenetisch relativ spät erscheinen, abhängig wäre. In diesem Falle würde das Modell zu Dunbars Behauptung passen, Religion setze die Fähigkeiten zu höheren Stufen der Intentionalität voraus56 und damit ebenso den Besitz einer Theory of Mind (ToM). In all 55 Vgl. Schwçbel, C., Offenbarung und Erfahrung, 85–87. 56 Vgl. Dunbar, R.I.M., The Social Brain, 177 f: ‘For a supernatural-based religion to have any force in making us toe the social line, I have to believe that you suppose that there are supernatural beings who can be made to understand that you and I desire that things should happen in a particular way. This involves four levels of intentionality (marked by the italicized words). Making religion a social as opposed to individual phenomenon thus adds significantly to the cognitive load needed to underpin it. Without working at this level, we will be unable to ensure that our actions are coordinated (as in the performance of rituals) or that we can agree that infringements of the social mores are to be discouraged (i. e., to accept adherence to social norms without the need for punishment). In contrast, conventional interpersonal attempts to

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diesen Hinsichten kann das Ausgangsmodell als mit dem repräsentationalistischen Modell kompatibel verstanden werden. Man hätte dann aber einen hohen Preis zu zahlen: Menschen, die nicht zu den in einer Theory of Mind vorausgesetzten, höheren kognitiven Funktionen fähig wären, oder solche, die sie noch nicht entwickelt haben, könnten dann nicht glaubensfähig sein. 4. Das Ausgangsmodell ist aber auch in der Lage, Sozialität mithilfe des Begriffs personaler Erfahrung einzuholen. Allerdings bestimmt es personale Erfahrung als einen Spezialfall von Erfahrung im Allgemeinen. Damit aber wäre der Begriff der Erfahrung selbst unabhängig von Sozialität und personaler Alterität entworfen. Es scheint ferner so, als trage das Ausgangsmodell die Last eines impliziten Individualismus mit sich. Im Rahmen des repräsentationalistischen Modells würde dies als Vorteil gewertet werden können, aber im Rahmen des ökologischen Modells – und ebenso im Lichte des spezifisch christlichen Inhalts der Offenbarung – als Nachteil. 5. Hinsichtlich der Frage nach der Vereinbarkeit des Ausgangsmodells mit Modularität und Modularismus lässt sich diagnostizieren, dass es zwar mit Modularität, nicht aber mit Modularismus kompatibel ist: Da das Ausgangsmodell verneint, dass es spezifische Phänomene gibt, die als „religiös“ oder als „Offenbarung“ im eigentlichen Sinne angesehen werden könnten, wäre im Rahmen des Ausgangsmodells der Versuch, neuronale Korrelate finden zu wollen, von Anfang an fehlgeleitet. Das Modell ist aber mit Modularität kompatibel, da jedes beliebige Gehirnareal in Offenbarungen als Erschließungserfahrungen involviert sein kann. 6. Die Frage, ob das Ausgangsmodell nicht nur implizit repräsentationalistische, sondern auch dualistische oder idealistische Züge besitzt, muss hier offen bleiben. Das Modell an sich scheint hier weitestgehend indifferent zu sein. Verbindet man das Modell aber mit einem neurowissenschaftlichen Repräsentationalismus, dann würde es auf alle Fälle auch dessen impliziten Dualismus erben. 7. Vielleicht erscheint die Kompatibilität des Ausgangsmodells mit dem repräsentationalistischen Modell auch nur auf den ersten Blick. Denn es gibt einen entscheidenden Punkt, wo zwischen beiden eine deutliche Inkohärenz erscheint: Das Ausgangsmodell ist entschieden nicht-konstruktivistisch. Es verneint zwar nicht, dass konstruktive menschliche Fähigkeiten etwas zur insist that you adhere to a social norm require only three levels of intentionality (I intend that you believe that you must behave in the way that the rest of us want). It is the reference to an external supernatural world that cannot be immediately apprehended that adds the key extra layer of intentionality that pushes the cognitive demand to the limits of normal human capacity at level 4. For the individual that conceives all this as a good idea, there is an additional level that he/she needs to aspire to: I believe that I can persuade you to believe that there are some supernatural beings who will understand what it is that we all want. Kinderman […] found that, although level 4 intentionality was the typical level achieved by normal adult humans, a small proportion of individuals can achieve higher levels as a matter of course. It is these individuals that presumably act as the cultural leaders of the societies they live in.’

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Erfahrung beitragen können, aber es bestreitet entschieden, dass Erfahrung in ihrer Basis als Gehirnkonstrukt erscheinen könnte. Die einzige Möglichkeit, das Ausgangsmodell mit diesem radikalsten Zug des Repräsentationalismus verbinden zu können, bestünde darin, den Autor der Erfahrung mit dem von Roth so genannten „realen Gehirn“ zu identifizieren. M.a.W.: Eine kohärente Kombination beider Modelle impliziert eine Vergöttlichung des „realen Gehirns“. Dann wäre es aber selbstwidersprüchlich, wenn Erfahrung im christlichen Sinne immer die Erschließungserfahrung einschließen würde, dass keine spatio-temporal lokalisierbare Entität der alleinige Ursprung der Erschließungserfahrung sein kann. Es könnte auch sein, dass Roths „reales Gehirn“ (vgl. Kap. 2) nicht nur als transzendentale, sondern auch als transzendente Entität gewertet werden müsste. Aber selbst dann könnte diese Vorstellung nicht mit dem Ausgangsmodell der Offenbarung kombiniert werden, weil das göttliche, „reale Gehirn“ nicht kompatibel mit dem göttlichen dreieinigen Gott des Christentums ist. 8. Falls das Ausgangsmodell mit dem repräsentationalistischen Modell kombiniert würde, müssten Offenbarung und religiöse Erfahrung im Modell externer Relationen verstanden werden, also im Sinne von Relationen, die weder konstitutiv für das erfahrende Objekt – den göttlichen Autor selbst – noch für das erfahrende Subjekt und den Erfahrungsbegriff selbst sein könnten. Während einige Strömungen christlicher Theologie manchmal dem ersten Punkt – der Unabhängigkeit des Offenbarungsautors von der Erfahrung – zustimmen, wird doch im Allgemeinen bestritten, der Offenbarungsempfänger und die Erfahrung selbst könnten als vom Autor unabhängig gedacht werden. Auch hier erscheint eine Kontradiktion. Offenbarung als Erschließungserfahrung muss in einem Erfahrungsmodell verstanden werden, in dem die Beziehung zwischen dem, was erfahren wird, und dem oder der, der oder die erfährt, zumindest teilweise als interne Relation verstanden werden müsste. Andernfalls könnte die entscheidende Behauptung, dass Erschließungserfahrungen für Erfahrung selbst konstitutiv wären, nicht aufrecht erhalten werden. Das Ergebnis unserer Analyse lautet also, dass das Ausgangsmodell mit dem repräsentationalistischen Modell in keiner sinnvollen Weise kombiniert werden kann. Es wäre zwar an sich möglich, beide Modelle zu kombinieren, aber nur, wenn der spezifisch christliche Gehalt des Ausgangsmodells aufgegeben werden würde – was theologisch ein inakzeptabler Preis wäre. Würde sich in der Zukunft erschließen, dass das repräsentationalistische Modell der Neurowissenschaften korrekt wäre, wäre das Ausgangsmodell und die Möglichkeit der Offenbarung im Sinne der christlichen Theologie notwendigerweise falsifiziert. Jegliche dialogische Kommunikation zwischen den Vertretern des repräsentationalistischen Modells und den theologischen Vertretern eines Offenbarungsmodells im Sinne des Ausgangsmodells kann also letztlich nur auf einen Konflikt zulaufen. Dabei ist zu beachten, dass wir in unserer Analyse keinen Gebrauch vom Kennzeichen des Reduktionismus des reprä-

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sentationalistischen Modells gemacht haben. Daher ist der erscheinende Konflikt auch unabhängig von der Frage, ob man das repräsentationalistische Modell naturalistisch oder nicht naturalistisch verstehen mag. Eine Konsequenz dieser Diagnose besteht darin, dass die Versicherung einiger Naturwissenschaftler – derjenigen, die religiöse Phänomene als ihren Untersuchungsgegenstand gewählt haben und gleichzeitig das repräsentationalistische Modell teilen –, dass ihre Arbeit nicht die Frage nach der Wahrheit der analysierten Phänomene tangiere, nicht stimmen kann.57 Dieses Ergebnis kommt sicher nicht als Überraschung. Das repräsentationalistische Modell wurde von uns ja schon aufgrund nicht-theologischer Aspekte kritisiert und schließlich zugunsten des ökologischen Modells verworfen. Damit erscheint nun die Frage, ob das Ausgangsmodell, Offenbarung als Erfahrung zu verstehen, mit dem ökologischen Modell kompatibel ist. Unglücklicherweise zeigt sich, dass diese Frage nicht positiv beantwortet werden kann: Einige Charakteristika des Ausgangsmodells – insbesondere die Distinktion zwischen Wahrnehmung und Erfahrung sowie das Verständnis von Erfahrung als prädikative Aktivität – sind zu eng mit dem repräsentationalistischen Modell verbunden. Daher muss die bleibende Aufgabe durch folgende Frage ausgedrückt werden: Ist es möglich, einen theologischen Zugang zu Offenbarung und Erfahrung zu finden, der die Vorteile des Ausgangsmodells wahren kann, aber gleichzeitig dennoch mit dem ökologischen Modell kompatibel ist?

3.5 Absichtlichkeit wahrnehmen? Als wichtige Elemente der ökologischen Sicht haben wir Putnams semantischen Externalismus und McDowells Theorie der begrifflichen Erfahrung bzw. des offenen Geistes genutzt. Nun hat jüngst der schwedische römische Katholik Mats Wahlberg eine theologische Epistemologie auf Basis dieser Theorien vorgelegt. Er kombinierte Einsichten Putnams und McDowells mit Plantingas Gottesaufweis, der auf dem Other-Mind-Problem – der Frage, ob es neben dem eigenen wirklich andere Bewusstseine geben kann –, beruht.58 Wahlberg selbst beabsichtigt aber keinesfalls einen Beweis zu liefern. Auch lehnt er den Gedanken, es handele sich um Interpretationen, strikt ab: 57 Die Versicherung, die Arbeit der CSR oder der Neurotheologie würde religiöse Wahrheitsansprüche nicht tangieren, stellt einen beliebten und hochproblematischen cantus firmus dar, weil damit die Problematik der verborgenen, quasireligiösen oder religiösen Voraussetzungen dieser Arbeitszweige übergangen wird. Eine der seltenen expliziten Thematisierungen dieser Problematik findet sich in Newberg, A.B., Principles of Neurotheology, 62. 58 Vgl. Plantinga, A., God and Other Minds.

Absichtlichkeit wahrnehmen?

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‘We have found nothing that suggests that it would be doxastically irresponsible for a well-educated, intellectually sophisticated person to take herself to be able to perceive that biological structures have been created. This allows us to draw the conclusion that, possibly, there exist people who know that biological structures are expressive of the intent and intelligence of a creator, and because they take their experiences seriously—that is, as revelatory of how things really are. Other people also see that biological structures are […] expressive of intent and intelligence, but they take their experiences to be illusionary.’59

Um diese Auffassung erreichen zu können, folgt Wahlberg McDowell in der Auffasssung, dass der Geist nicht geschlossen sein kann und Wahrnehmung offensichtlich schon eine intelligible Struktur voraussetzt. Wahlbergs vorzüglichstes Anliegen besteht darin, aufzuweisen, dass die Natur als Schöpfung wahrgenommen, nicht aber als Schöpfung durch Ableitung oder Interpretation bezeichnet wird. Zweitens bedeutet es, wenn Putnam damit recht hat, dass „meanings ain’t just in the head“ diese Art der Wahrnehmung auch den Gewinn eines spezifischen Wissens bedeutet. Gemäß McDowell and Putnam kann der Begriff des Wissens nämlich nicht einfach als justified true belief bezeichnet werden, zumindest dann nicht, wenn belief eine Art Repräsentation bezeichnen würde. Die Wahrnehmung einer Eigenschaft kann zutreffen oder nicht zutreffen. So kann man beispielsweise die Farbe eines T-Shirts in einem bestimmten Licht als blau wahrnehmen. In diesem Falle ist die Bestimmung der Farbe als blau weder eine Ableitung noch eine Interpretation, sondern eine Wahrnehmung von etwas, das eine wirkliche Eigenschaft des wahrgenommenen Gegenstands ist. Natürlich ist dadurch nicht ausgeschlossen, dass unter anderen Lichtverhältnissen das gleiche T-Shirt tatsächlich als grün erschlossen werden kann. Falls das T-Shirt als blau wahrgenommen wird und es tatsächlich blau ist, dann handelt es sich bei der Wahrnehmung auch gleichzeitig um Wissen. Das Gleiche gilt auch für die Wahrnehmung der Natur als Schöpfung: ‘If you think that the possibility of a bad case is incompatible with my claim that I now (in the case I am actually in) know that I see that nature is created, this is because you assume that one must always be in a position to know what one’s evidence is. The perspective advocated in this book entails, however, that this assumption is false. If the assumption is false, then it is possible that if I am in the good case, I am in a position to know that I am in the good case […] while if I am in the bad case I am not in a position to know that I am not in the good case. Hence, if I am in the good case right now, my claim to know that I see that nature is creation could be true.’60

Wahlberg illustriert seine Vorstellung der Wahrnehmung der Natur als Schöpfung mit dem Beispiel der Wahrnehmung von Artefakten als auf intentionalem Handeln beruhend. Seine basale Vorstellung besteht darin, dass 59 Wahlberg, M., Reshaping Natural Theology, 194. 60 Wahlberg, M., Reshaping Natural Theology, 197.

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die Theorie des offenen Geistes, falls Putnam und McDowell recht haben, gleichzeitig erklären kann, (1) warum Menschen aller Zeiten immer versucht sind teleologische Argumente zu entwickeln, die bei einer intentionalen und göttlichen Instanz enden, und (2) warum diese Argumentationen, wenn man sie als rationale Beweise versteht, falsch sind: ‘If the suggestion that we can directly perceive natural structures as expressive of intent and intelligence is correct, then there is a good explanation for why the project of inferring divine design from the (non-expressive) properties of biological nature has been, and still is, so popular – even though it has turned out to be so difficult. People have, if the suggestion is correct, always seen biological structures as created. […] What I have suggested in this book is that a clear and certain knowledge of nature’s createdness might be available from observations of biological organism, even though there is no cogent inference from the existence of biological organisms to the existence of a creator. […] People have, however, usually assumed that if complex biological structures “testify” to a creator […], then it must be because knowledge of a creator is inferentially available from observations of those structures. The insight that it can be true both that biological structures testify to a creator and that the design-inference project is doomed, has been lacking.’61

Wahlberg votiert letztlich für eine nicht-apologetische Theologie, die weder der postliberalen Forderung nach einem Vermeiden von Apologetik noch dem revisionistischen Anspruch, dass Apologetik als rationale Beweisführung entscheidend für jede Art von öffentlicher Theologie ist, nachkommt.62 Wahlbergs Vorschlag kann als eine Möglichkeit unter anderen verstanden werden, wie McDowells Position auf die Theologie angewandt werden kann. Wichtig an Wahlbergs Position ist, dass er die Wahrnehmung auf die Schöpfung beschränkt und dass er „Schöpfung“ lediglich mit „beabsichtigt sein“ gleichsetzt. Explizit verneint er, dass andere Elemente des Glaubens in gleicher Weise als Wahrnehmung verstanden werden könnten. Er verneint auch, dass die Wahrnehmung der Welt als geschaffen auch gleichzeitig die Annahme einer theistischen Gottheit impliziere.63 Er ist eher der Ansicht, dass ein solches wahrgenommenes und erfahrenes Wissen den Glauben an einen Schöpfergott „unterstütze“,64 derart, dass eine solche theistische Gottheit in unterschiedlichen Religionen wie Christentum, Judentum und Islam gefunden werden könnte. Wahlberg lässt also Ableitungen und Interpretationen auf einer zweiten Stufe zu, die auf der ersten der Wahrnehmung basieren. Sein gesamter Vorschlag ähnelt der neo-thomistischen Auffassung des Vaticanum I, nach der Gottes unsichtbares Wesen certe durch die Werke der Schöpfung 61 62 63 64

Wahlberg, M., Reshaping Natural Theology, 164 f. Vgl. Wahlberg, M., Reshaping Natural Theology, 195–206. Vgl. Wahlberg, M., Reshaping Natural Theology, 198. Vgl. Wahlberg, M., Reshaping Natural Theology, 198.

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erkannt werden kann.65 Auch scheint die klassische thomistische Distinktion zwischen einer praeambula fidei und der Offenbarung der Gnade vorausgesetzt zu sein. Während die praeambula fidei auf Vernunft beruht, basiert Wahlbergs modifizierte Form auf Wahrnehmung. Letztendlich erweist sich Wahlbergs Zugang damit als nicht wirklich weiterführend, denn die entscheidenden Fragen sind gar nicht betroffen. Der Inhalt dessen, worauf Christen ihr glaubendes Vertrauen richten, bleibt von Wahlbergs Theorie unaffiziert. Man wird aber noch einen Schritt weitergehen müssen. Auch der Begriff der Schöpfung wird von Wahlberg gar nicht in einem theologischen Sinne genutzt. „Schöpfung“ bedeutet nämlich keineswegs „von einem x beabsichtigt“, sondern gemäß Röm 4,17 können Schöpfung und Rechtfertigung nicht getrennt werden. Darauf zu vertrauen, dass Gott ohne jegliche welthafte Voraussetzungen schöpferisch tätig ist, impliziert ebenso, glaubendes Vertrauen auf einen Gott zu haben, der Gerechtigkeit aus Sünde ohne jegliche weitere Voraussetzung schafft, und es impliziert ebenso, Hoffnung auf denjenigen Gott zu richten, der die Toten in das Leben spricht – und jeweils umgekehrt. Dass aber biologische Strukturen „beabsichtigt“ seien, ist weder eine Aussage noch eine Überzeugung der lebendigen Praxis des Glaubens. Damit Wahlbergs Argumentation funktioniert, muss er auch „Zeugnisgabe“ mit „Wahrnehmung“ interpretieren. Abschließend wird man sagen können: Wahlberg schlägt zwar einen an sich fruchtbaren Weg vor, aber er füllt ihn mit dem falschen, weil abstrakten Inhalt. Indem er McDowell folgt, scheint er sich zwar vom Repräsentationalismus zu lösen, allerdings nur auf einer Seite: Die Erfahrung der Schöpfung (= die Erfahrung der Natur als beabsichtigt) wird nicht mehr im Modell externer Relationen erfahren, in dem etwas Gegebenes (die biologischen Strukturen) als eine repräsentative Interpretation im erfahrenden Subjekt verstanden würde, aber nichtsdestotrotz repräsentieren auch bei ihm die biologischen Strukturen etwas: die Absicht eines göttlichen Urhebers. Wahlberg bezieht sich auf McDowell und Putnam, aber nicht auf die ganze Theorie des ökologischen Erfahrungsmodells, das auch die Auffassung des ökologischen Gehirns mit einschließen müsste. Vielleicht sind in diesem sehr beschränkten Ausgangspunkt die Probleme seiner Position begründet.

3.6 Glaube beschreiben Wenn es richtig ist, dass die christliche Erfahrung keine außergewöhnliche Art von Erfahrung ist, sondern eher eine Art von Erfahrung mit Erfahrung; und 65 Vgl. Denzinger, H./H nermann, P., DH/DS 3004: Eadem sancta mater Ecclesia tenet et docet, Deum, rerum omnium principium et finem, naturali humanae rationis lumine e rebus creatis certo cognosci posse.

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wenn es richtig ist, dass menschliche Erfahrung unter dem Modell des ökologischen Gehirns angemessener rekonstruiert werden kann als unter den Bedingungen der repräsentationalistisch-dualistischen Auffassung, dann kann der christliche Glaube mithilfe des Modells der ökologischen Sicht von Erfahrung auf Basis des Modells des ökologischen Gehirns beschrieben werden. Dieser Aufgabe detailliert nachzugehen, ist Gegenstand dieses Kapitels. 3.6.1 Glaube und semantischer Externalismus Der christliche Glaube (fiducia, faith), insofern er auch Überzeugungen beinhaltet (notitia, belief) und hinsichtlich seines Glaubensgegenstands als fides quae creditur zu bezeichnen ist, ist auf angemessene Weise nur im Paradigma des semantischen Externalismus verstehbar. Dies lässt sich leicht mit einer Anwendung von Putnams Zwillingserdenexperiment auf den christlichen Glauben zeigen. Man stelle sich Szenario A vor: Der auf der Erde lebende Christ Albert vertraut darauf, dass seine Lebensgeschichte mit dem Leben und Geschick Jesu Christi, ihren Maßstab findet. Jesus Christus hat tatsächlich gelebt, ist gestorben und sein Tod hat tatsächlich eine soteriologische Funktion. Man stelle sich Szenario B vor: Der auf der Zwillingserde lebende Christ Balbert hat die gleiche Überzeugung wie Albert. Die Zwillingserde gleicht in jeder Hinsicht der Erde, nur mit dem Unterschied, dass Jesus nie gelebt hat (und daher auch nicht gestorben ist). Man stelle sich Szenario C vor: Der auf der Drillingserde lebende Christ Calbert hat ebenfalls die gleiche Überzeugung wie Albert. Die Drillingserde gleicht in jeder Hinsicht der Erde, nur mit dem Unterschied, dass Jesu Tod, obwohl er gelebt hat und gestorben ist, keine soteriologische Relevanz hat. Hinsichtlich ihrer Überzeugungen und hinsichtlich ihrer eigenen partikularen Lebensgeschichte unterscheiden sich Albert, Balbert und Calbert in keiner Weise; auch ein angenommenes Super-fMRI, das ihre Gehirnzustände während jeder Sekunde ihres Lebens aufzeichnet, liefert drei identische Ergebnisse in Form dreier identischer Sequenzen von Bildern. Dennoch sind ihre Überzeugungen unterschiedlich und dennoch haben ihre Überzeugungen einen unterschiedlichen epistemischen Status. Nur Alberts Überzeugung ist auch ein Wissen, während die Überzeugungen von Balbert und Calbert kein Wissen, sondern schlicht falsche Überzeugungen sind. Aber auch die Bedeutung ihrer Überzeugungen sind unterschiedlich. Man stelle sich nun vor, Balbert sei ohne sein Wissen heimlich auf die Erde transferiert worden. Auch jetzt wandelt sich seine Überzeugung nicht in Wissen, denn seine Überzeugung bezieht sich immer noch auf die Geschichte der Zwillingserde, nicht auf die Geschichte der Erde. Auch wenn er seine Überzeugung testen könnte, indem er sich mit einer Zeitmaschine mit Jesus zusammenbrächte, wäre seine Überzeugung immer noch nicht gerechtfertigt. Er würde nur meinen, dass

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seine Überzeugung nun gerechtfertigt wäre, da er immer noch überzeugt davon wäre, dass er sich auf der Zwillingserde befände. Würde er sich aber bewusst werden, dass er sich nicht länger auf der Zwillingserde befindet, würde er erkennen, dass sein Zeitmaschinentest bedeutungslos wäre, insbesondere wenn er das Ergebnis des Tests nicht reproduzieren könnte, nachdem er auf die Zwillingserde zurückgekehrt ist. Man sieht also deutlich an diesem Gedankenexperiment, dass der christliche Glaube Gegenstand des semantischen Externalismus ist und dass die faktischen Sachverhalte der Geschichte den Bezug und die Bedeutung des Glaubens im Sinne von notitia (belief) bestimmen. Der Bezug und die Bedeutung des christlichen Glaubens sind also abhängig von historischen Ereignissen. Man stelle sich nun das gleiche Szenario mit Calbert anstelle von Balbert vor. Calbert würde entdecken, dass Jesus tatsächlich gelebt hat und zwar sowohl auf der Erde als auch auf der Drillingserde. Dennoch würde es sich bei Alberts und Calberts Überzeugungen um unterschiedliche handeln. Denn Albert bezieht sich auf einen Sachverhalt, in dem die wirkliche Geschichte Jesu von soteriologischer Relevanz ist, während Calbert sich auf einen Sachverhalt bezieht, der keine soteriologische Relevanz besitzt. Allerdings hat Calbert keine Möglichkeit, auch herausfinden zu können, dass er nicht die gleiche Überzeugung wie Albert hat, da die Tatsache „ist gestorben für unsere Sünde“ in keiner Weise historisch testbar ist. Die Überzeugungen von Christen sind daher nicht nur von historischen Fakten als notwendigen Wahrheits- und Bedeutungsbedingungen abhängig, sondern ebenfalls von ihrer narrativen oder dogmatischen Angemessenheit. Während in Alberts Welt sich die Überzeugung auf einen Sachverhalt bezieht, der narrativ stimmig ist, bezieht sich Calberts Überzeugung nicht auf einen faktischen Sachverhalt. Natürlich wäre eine interessante Frage: Ist unser eigener Fall der von Albert oder der von Calbert? Wenn wir uns in Alberts Fall befänden, wäre der christliche Glaube faktisches Wissen von realen Sachverhalten; wenn wir uns aber in Calberts Fall befänden, würde der christliche Glaube auf falschen Annahmen beruhen. Es gibt allerdings keinen Test dafür, ob wir uns in Alberts oder Calberts Fall befinden. Fazit: Der christliche Glaube kann nur unter Voraussetzung des semantischen Externalismus angemessen verstanden werden. 3.6.2 Glaube und aktiver Externalismus Andy Clark und Thomas Chalmers haben festgestellt, dass Putnams semantischer Externalismus nur eine historische Bedeutung hat, und sie versuchen aufzuzeigen, dass es auch einen aktiven Externalismus gibt, einschließlich ausgedehnter kognitiver Fähigkeiten, eines ausgedehnten Geistes und einer ausgedehnten Personalität. Der christliche Glaube setzt auch einen solchen aktiven Externalismus voraus. Im letzten Abschnitt bezogen wir uns nur auf den Inhalt des christlichen Glaubens. Aber christlicher Glaube ist im primären

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Sinne nicht eine Summe von Überzeugungen, sondern personales Vertrauen. Er ist abhängig von der viva vox evangelii, d. h. der Evangeliumskommunikation in der christlichen Praxis. Gemäß des Inhalts des christlichen Glaubens handelt es sich bei diesem personalen Vertrauen aber nicht um eine Eigenschaft, die dem Glaubenden akzidentiell zuzusprechen wäre. Denn während Teile des Inhalts des Vertrauens, wie die Überzeugung, dass Jesus Christus für unsere Sünde gestorben ist, möglicherweise unabhängig von der Glaubenskommunikation gewusst werden könnten, ist der Glaube als Vertrauen keineswegs identisch mit dieser Überzeugung, sondern bedeutet, dass dieses Vertrauen die Handlungen des Glaubens durch den Modus der Gewissheit (certitudo, nicht securitas) im Handeln orientiert. Glaube bedeutet also Vertrauen darauf, dass die Verheißung des Evangeliums – dass Gott am Vertrauenden handeln wird, wie er an Christus gehandelt hat – wahrhaft ist. Glaube als Vertrauen schließt damit Zweifel, Anfechtung und Versuchung in der Sequenz unterschiedlicher Ereignisse der eigenen Lebensgeschichte ein. Als vertrauenswürdiges Versprechen muss die Verheißung des Evangeliums aber kommuniziert werden: Niemand kann sich selbst die Verheißung des Evangliums zusagen. Daraus folgt, dass der Glaubensakt – die fides qua – nur unter dem aktiven Externalismus angemessen verstanden werden kann, weil das Vertrauen von anderen Handelnden in der Welt abhängig ist, von Mitchristen, die Schwestern und Brüder genannt werden. Ohne diese würde es überhaupt keinen Glauben geben. Ein Christ ist kein Christ. Folglich ist also der christliche Glaube nur als Angelegenheit des menschlichen Geistes, des menschlichen Bewusstseins oder der mit ihm möglicherweise korrelierten Gehirnzustände zu verstehen, wenn dieser Geist als ausgedehnter Geist verstanden wird, der die Aktivität anderer Personen einschließt. Ein notwendiger Konstitutionsfaktor des Glaubens wird traditionellerweise verbum externum66 genannt, d. h. alle Bildungsaktivitäten der Gemeinschaft der Glaubenden, sowohl in ihrer historischen als auch in ihrer synchronen Dimension. Die Vorstellung des verbum externum setzt die Vorstellung des ausgedehnten Geistes voraus, lange bevor diese Theorie so genannt wurde. Theologisch wird man aber noch einen Schritt weitergehen müssen. Gemessen an der christlichen Anthropologie und des darin implizierten Personverständnisses, gemäß dem geschaffene Personen als partikulare Füreinander-und-Voneinander-Werdende verstanden werden, d. h. als existentiae,67 muss ebenso eine ausgedehne Personalität angenommen werden, da andere Personen genauso notwendig für die eigene Identität und das eigene Sein sind wie die eigene Identität und das eigene Sein.

66 Vgl. Schwçbel, C., God: Action and Revelation, 24. 67 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 281–284.

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3.6.3 Glaube und ökologische Subjektivität Glaube ist immer leiblicher Glaube und beobachtbar in Syntopie aus der Perspektive der vertrauenden 1.Person wie auch aus der Perspektive der 3.Person von allen anderen. Ausdrücke des Glaubens wie Akte der Liebe oder bestimmte Verhaltensweisen unter Umständen der Bedrängnis (Anfechtung) sind keine Ergänzungen zu einem rein intentional verstandenen Glauben, sondern ein integraler Bestandteil des Glaubens selbst. Historisch haben die Reformatoren die mittelalterliche Auffassung, der Glaube müsse durch Handlungen der Liebe (fides caritate formata) erst geformt werden, um aktual zu werden, verworfen.68 Glaube ist vielmehr überhaupt nur dann Glaube, wenn die Handlungen von Menschen bereits durch den Glauben geformt sind. Die genaue Unterscheidung zwischen den beiden in Frage stehenden Möglichkeiten ist die Folgende: Während die aristotelisch-mittelalterliche Tradition die Beziehung zwischen dem Glauben und den Werken als eine externe Relation versteht, verstehen die Reformatoren diese Beziehung als eine interne Relation. Daher impliziert der Glaube immer die Wirklichkeit der Werke. Dabei ist eine wichtige Qualifikation vorzunehmen: Diese Beziehung gilt nicht nur für das aktive Verhalten der „Werke“, sondern auch für das passive Verhalten, wie etwa in conformitas Christi zu leiden, etwa im Fall der Verfolgung. Man stelle sich eine solche Verfolgungssituation vor: Die Christin Angela beschreibt bestimmte Ereignisse als Gelegenheit, ihren Glauben im Leiden zu praktizieren, als passiv mit dem Bild Christi gleichgestaltet zu sein o. ä. Ein Beobachter würde ihr Verhalten aber beschreiben, indem er sagt, dass sie gewaltfreien Widerstand leistet. Nichtsdestotrotz nimmt der Beobachter Angela wahr als dem Bilde Christi gleichgestaltet, auch wenn er diesen Zustand nicht mit diesen Worten beschreiben kann, solange er nicht mit Angela gesprochen hat. Angelas Beschreibung in der 1.Person „Ich bin dem Bilde Christi gleichgestaltet“ und des Beobachters Beschreibung in der 3.PersonPerspektive „Angela praktiziert gewaltfreien Widerstand“ beziehen sich beide in Syntopie auf das gleiche spatio-temporale Ereignis. Ihre Beschreibungen mögen differieren, aber diese Differenz erklärt sich aus den unterschiedlichen phänomenalen Perspektiven. Es besteht aber nicht nur eine Syntopie zwischen der Wahrnehmung des Glaubens in der 1.Person-Perspektive und der 3.Person-Perspektive, sondern es besteht auch eine Notwendigkeit den Glauben als leiblich und verkörpert in der Welt zu leben. Luthers Auffassung, dass es die Erfahrung ist, die den Theologen ausmacht, bezieht sich auf die Erfahrung der Anfechtungssituation im täglichen Leben. Glaube ist damit nichts, was in irgendeiner Weise von den Alltagserfahrungen separiert gelernt werden könnte, sondern er kann nur in, mit und unter diesen Alltagserfahrungen geformt werden. Dabei ist die Be68 Vgl. Lohse, B., Theologie Luthers, 220.

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ziehung zwischen dem Glauben und den Alltagserfahrungen keine externe oder irgendwie separierbare Relation, sondern eine interne. Glaube ist daher immer leiblicher Glaube und er setzt sowohl den Glauben und das Verhalten der Schwestern und Brüder voraus als auch Gegenstand des Glaubens anderer Personen zu sein. Vielleicht mag es stimmen, Glauben primär als eine subjektive Wirklichkeit zu beschreiben. Aber diese Bestimmung ist nur dann korrekt, wenn Subjektivität selbst als ökologische und kommunitäre Subjektivität bestimmt wird. Man kann dies in der Terminologie Schleiermachers69 – ohne dessen Pneumatologie übernehmen zu müssen – ausdrücken, indem man sagt, dass es kein Bewusstsein einer schlechthinnigen Abhängigkeit ohne den Gemeingeist der Kirche geben kann.

3.6.4 Glaube als begriffliche Erfahrung McDowell beschreibt Wahrnehmung selbst als eine Art von begrifflicher Erfahrung. Auch diese epistemologische Argumentationsfigur kann auf die Erfahrung des christlichen Glaubens angewandt werden. Indem die Welt wahrgenommen wird, nimmt man nicht irgendwelche Sachverhalte mit verborgenen Qualitäten wahr, die erst sekundär als Schöpfung interpretiert würde, sondern die Glaubenden nehmen die Welt als Schöpfung wahr, die gefallen, gerettet und auf Vollendung ausgerichtet ist. Dies ist nicht identisch mit dem, was Wahlberg meint, d. h., dass wahrgenommen würde, dass die Welt von irgendwem intendiert sei. Vielmehr ist schon die Wahrnehmung der Welt durch die Narration des Evangliums bestimmt, die die Gläubigen als die Wahrheit der Geschichte ihres eigenen Lebens und ihrer Lebenswelt anerkannt haben. In diesem Sinne beruht die Wahrnehmung der Schöpfung, die Wahrnehmung der Gefallenheit, die Wahrnehmung der Gnade und die Wahrnehmung der eschatischen Hoffnung auf dem, was McDowell mit dem aristotelischen Terminus der „zweiten Natur“ benannt hat.70 Wahrnehmung ist daher in der Tat von Prozessen der personalen Bildung abhängig. Daher verändert sich auch die Wahrnehmung mit den unterschiedlichen Stadien personaler Entwicklung. Was sich in diesen Bildungsprozessen entwickelt und dazugewonnen wird, ist aber nicht primär die Fähigkeit, etwas als etwas zu interpretieren. Glaube ist vielmehr eine Schule der Wahrnehmung. Eine Christin oder ein Christ nimmt nicht irgendeinen Menschen als sich in einer misslichen Lage befindend wahr und interpretiert diesen Menschen dann als hilfsbedürftig, sondern sie oder er nimmt sie schlicht als gefallene Schwester oder Bruder wahr, die oder der der Gnade Gottes und der geschwisterlichen, 69 Vgl. Schleiermacher, F., Glaubenslehre 2, §121, 248–254; §123, 259–264. 70 Obwohl ,second nature‘ in McDowells Interpretation als fruchtbarer Begriff erscheint, ist doch darauf hinzuweisen, dass damit keine Übernahme des ursprünglichen aristotelischen Rahmens dieses Begriffs verbunden sein muss.

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menschlichen Liebe bedürftig ist. Falls „eine gefallene Schwester, bedürftig der Gnade Gottes und der geschwisterlichen Liebe“ ein Prädikat wäre, das durch interpretative Prädikationsakte erst einer vorgängigen Wahrnehmung zugeschrieben werden müsste, wäre es eine externe Beziehung zwischen einer Überzeugung und etwas davon unabhängig Wahrgenommenen, nicht aber eine interne Beziehung zwischen dem Glauben und der Wahrnehmung. Im Beispielsfalle würde sich dann die Wahrnehmung der Situation nicht sofort verändern, der Beobachter würde keine Handlungsorientierung erhalten und damit keine ethische Orientierung. Wer erst einen Menschen in einer wahrgenommenen Situation als hilfsbedürftig reflektierend interpretieren muss, hilft entweder gar nicht oder zu spät. Die Tatsache, dass sich schon unsere Wahrnehmung mithilfe von Bildungsprozessen unserer zweiten Natur während unseres Lebens entwickelt, bedeutet nicht, dass es keine wirkliche Wahrnehmung wäre. Die Fähigkeiten, die in diesen Prozessen personaler Bildung gewonnen werden, beruhen auf der Entwicklung des leiblichen und ökologischen Gehirns. Diese Fähigkeiten stellen offene Schleifen zur Verfügung, die die Wahrnehmung des begrifflichen Gehalts ermöglichen, also beispielsweise die Wahrnehmung des begrifflichen Gehalts, „aus Gnade geschaffen und der weiteren Gnade bedürftig zu sein“. Diese Arten von begrifflichen Gehalten müssen also als Strukturen des Wahrgenommenen oder als Eigenschaften der Wechselbeziehung zwischen Wahrgenommenem und Wahrnehmendem verstanden werden. Es mag sein, dass es sich bei solchen begrifflichen Wahrnehmungen um Fehlwahrnehmungen handelt. Es kann aber nicht sein, dass es sich dabei um eine Art reflexive Interpretation handelt. Denn dann würde ein Selbstwiderspruch von Anfang an entstehen. Christliche geschwisterliche Liebe beruht nicht auf der Ausbildung der Fähigkeit zu einer Theory of Mind im Sinne der Simulationstheorie: Christen übertragen eben nicht einfach ihre eigenen Bedürfnisse auf den oder die Andere. Die goldene Regel ist nicht identisch mit der Doppelregel der Liebe. Vielmehr ist die goldene Regel nur eine regulative Regel, keine konstitutive.71 Daher ist die Entwicklung von Empathie während der ersten Jahre der Entwicklung wesentlich entscheidender für die spätere Praxis der Liebe als die Entwicklung von Überzeugungen über „other minds“ in späteren Stadien der Entwicklung. Der christliche Glaube in allen seinen Dimensionen einschließlich seiner Struktur der ökologischen Subjektivität – d. h. einschließlich der leiblichen Dimension, ihrer internen Relationiertheit und ihrer Kopräsenz mit anderen Personen, Gemeinschaften und Geschichten – ist ein Mittel der Wahrnehmung von Wirklichkeit. Der Glaube ähnelt daher mehr anderen leiblichen Medien des ausgedehnten Geistes wie Notizbüchern, Brillen, Blindenstöcken, Augen und Ohren, als dass er mit philosophischen Überzeugungssystemen vergleichbar wäre. Glaube ist keine Theorie. Im Glauben werden nicht Eigenschaften zu etwas zugeschrieben, sondern der Vertrauende nimmt schlicht die 71 Vgl. M hling, M., Ethik, 133 f.

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begrifflichen Eigenschaften der gefallenen und zur Vollendung bestimmten Schöpfung wahr. 3.6.5 Glaube und das basale Selbst Christlicher Glaube stellt ein Mittel der Wahrnehmung dar und ist selbst Erfahrung im Sinne einer Erfahrung, die alle Arten der Alltagserfahrung formt. Daher kann das, was hinsichtlich der Strukturen der Alltagserfahrung gültig ist, nicht durch die Erfahrung des Glaubens negiert werden. Und da die Alltagserfahrung von den Fähigkeiten und Strukturen des Selbst abhängen – im Sinne sowohl des basalen Selbst als auch des personalen Selbst – bestimmen diese Strukturen auch mit, was christliche Erfahrung als eine Art von religiöser Erfahrung sein kann. Dies ist zunächst anzuwenden auf das basale Selbst. Das basale oder leibliche Selbst ist in all seinen Dimensionen entscheidend für die Entwicklung des Glaubens: In die vorreflexive Selbstbewusstheit ist die Gewissheit eingeschlossen, ein Leib zu sein, die unmittelbare Wahrnehmung „what it is like to be“ und die leibliche, protentional-retentionale Struktur der Alltagserfahrung sowie die Erfahrung partikularer räumlicher Perspektiven der Wahrnehmung. Daher können außergewöhnliche und exzeptionelle Erfahrungen, die beanspruchen, dass genuine religiöse Erfahrungen nicht auf diesen fundamentalen Strukturen der Erfahrung beruhen würden, selbst nicht als genuin religiös verstanden werden. Auch die Dimension des ökologischen Selbst gehört zum basalen Selbst – d. h., die Erfahrung von Selbsttätigkeit oder selbst der Autor von leiblichen Bewegungen zu sein und die Erfahrung, Gegenstand der Bewegung anderer Entitäten der Umwelt zu sein. Daher ist es auch der Fall, dass die Erfahrung der Beziehung zwischen dem Anderen und dem Selbst sowie die Erfahrung von Intentionalität zu jeder genuin religiösen Erfahrung gehört. Auch das soziale Selbst einschließlich seiner Fähigkeiten der Empathie und anderen Formen der interleiblichen Entwicklung, wie nicht explizites Wissen von anderen Personen, gehört zur Grundlage des Erfahrens und damit auch zur Grundlage religiösen Erfahrens. Jede Behauptung, diese Merkmale würden nicht auf irreduzible Weise zum christlichen Glauben als eine Form religiöser Erfahrung gehören, müssen daher strikt zurückgewiesen werden. Es verhält sich aber nicht nur so, dass diese Dimensionen des basalen Selbst entscheidend für religiöse Erfahrung sind. Schon im Erscheinen von Erfahrung auf der Ebene des vorreflexiven leiblichen Selbst ist religiöse Erfahrung als Basis von Erfahrung an sich gegenwärtig, da in dieser Art von Erfahrung eine vor-linguistische Distinktion erscheint. Es gibt immer schon eine vorreflexive Wahrnehmung passiven Bezogenseins zu etwas, einschließlich der passiven Wahrnehmung einer Situation als einer Herausforderung zur Reaktion. Das Bewusstsein ist damit immer schon Teil des Wirklichkeitsprozesses. Das Bewusstsein, dass man selbst herausgefordert ist, auf etwas An-

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deres, Unterschiedenes reagieren zu müssen, impliziert die Endlichkeit sowohl des Selbst als auch der Summe aller Relate des vorreflexiven Bezogenseins. Daher ist die Distinktion zwischen Welt (Selbstbewusstsein und Bewusstsein anderer Relate) und ihrem Möglichkeitsgrund etwas, das gegeben ist und unwillkürlich erscheint, wenn auch nur implizit. Indem Christoph Seibert die Einsichten der Pragmatisten William James und John Dewey analysiert, erklärt er diesen Sachverhalt folgendermaßen: „Liegt der in jedem Gewahrwerden beschlossene Sinn also darin, Verhaltensvollzüge zu provozieren, so impliziert das […], dass das Ausgerichtetsein des Verhaltens selbst schon sinnhafte Strukturen leibhaft verkörpert, ob ausdrücklich thematisch gemacht oder nicht. In diesem Zusammenhang besteht eine der stärksten Seiten pragmatistischer Theoriebildung gewiss darin, jene Sinndimensionen als notwendige Aspekte des Weltbezugs menschlichen Strebens zu begreifen. Sie sind dem situativ verwurzelten Verhaltensvollzug inhärent, der stets darauf aus ist, aus der Fülle gegebener Möglichkeiten auszuwählen, um im Zuge ihrer Realisierung zu bestimmungsreicheren Realitätslagen zu gelangen. Und das heißt: Sinn ist stets Implikat leibhafter Praxis.“72

Dass Bedeutung immer etwas ist, das schon durch leibliche Praxis impliziert ist, kann natürlich nur aus der Perspektive des reflexiven Selbst diagnostiziert werden. Dennoch besitzt das leibliche oder vorreflexive Selbst tatsächlich die Fähigkeit zur Wahrnehmung und zum Verhalten, auch wenn diese Aspekte der leiblichen Praxis nicht selbst bewusst sind. Aber auch, wenn das reflexive Selbst die Fähigkeiten, über diese Fähigkeiten retrospektiv zu reflektieren, erworben hat, bleiben die Strukturen des leiblichen Selbst bestehen. Das leibliche Selbst ist nichts, das durch Reflexion verlassen werden könnte. Daher bleiben auch die Bedingungen seines Erscheinens beständing. Dabei ist nicht die Unterschiedenheit und interne Relationiertheit von passiver Erfahrung und Aktivität als zweier basaler Teile von Praxis das entscheidende Kennzeichen dieses Erscheinens, sondern dieses entscheidende Kennzeichen des Erscheinens besteht vielmehr darin, dass der Ursprung von beidem – passivem Erfahren und Reaktivität – immer schon in einer kontingenten und daher unterdeterminierten Passivität besteht, die nicht vollständig entkontingentisiert werden kann. M.a.W.: Das vorreflexive Selbst ist passiv auf etwas bezogen, aber diese Bezogenheit ist nicht intentional in dem Sinne, dass es Absichten gäbe. Diese Struktur bleibt beständig auch für das reflexive Selbst. Zwar antwortet das reflexive Selbst intentional in seinem Erfahren und Handeln, aber das „Woher“ dieser Antworten bleibt stets kontingent und unterdeterminiert. Philipp Stoellger drückt diesen Sachverhalt folgendermaßen aus:

72 Seibert, C., William James, 391 f.

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„Dieses Pathos evoziert Ethos und Logos, das heißt: Ein Ereignis widerfährt einem nichtintentional und evoziert die eigene intentionale Antwort, weil oder sofern man darauf nicht nicht antworten kann.“73

In diesem Zitat beziehen sich ethos und logos auf Fähigkeiten der Erfahrung und des Verhaltens und dieser logos ist nicht vorschnell mit dem theologischen Gebrauch des Wortes logos gleichzusetzen. Stoellger bezieht sich hier auf Waldenfels und seine Auffassung, dass in diesem pathos das passive Element eine Herausforderung hervorbringt, die nicht vollständig durch die Antwort gestillt werden kann. Es ist vielmehr so, dass die Antwort ihrerseits eine neue Herausforderung hervorbringt. Das in diesem Sinne erscheinende Ereignis ist also nicht nur vorgängig, sondern es ist auch fremd und bleibt fremd, auch in aller resonierenden Responsivität. Nichtsdestotrotz ist die Beziehung zwischen dem fremden Ereignis, das erscheint, und dem Selbst eine interne Beziehung, insoweit ein Selbst nicht ohne das Erscheinen des Fremden verstanden werden kann. Indem Stoellger ein Waldenfelszitat interpretiert, bestimmt er dieses responsive, sich aktiv in Beziehung auf der Basis dieser Bezogenheit Gestaltende als das Herz von Erfahrung: „,,Erfahrungen machen‘ heißt etwas durchmachen und nicht etwas herstellen‘. Daher geht es auch nicht um eine empiristische oder naturalistische Reduktion des Selbst auf ein marginales Epiphänomen […], sondern um dessen Weitung zum leibhaftigen, ,inkarnierten‘ Selbst, das nicht als Prinzip, sondern als ,Effekt‘ gelten kann (das seinerseits Wirkungen zeitigt). Effekt allerdings nicht im kausalen oder konditionalen Sinn, sondern als Antwort, evoziert durch einen Widerfahrnis- bzw. Ereigniszusammenhang, der den Übergang vom Wem etwas widerfährt zum Wer der Antwort darauf verständlich werden läßt.“74

3.6.6 Glaube und das personale Selbst Das personale oder reflexive Selbst ist ebenso entscheidend für die Struktur des christlichen Glaubens als eine Art auf Erfahrung bezogener Erfahrung. Die Dimension des intentionalen Selbst bezieht sich darauf, dass andere Handelnde explizit als intentional wahrgenommen werden. Die Dimension des reflexiven Selbstbewusstseins bezieht sich auf die Fähigkeit über die eigenen Zustände des leiblichen Selbst wie auch über die bei anderen wahrgenommenen leiblichen intentionalen Zustände reflektieren zu können. Was immer also christliche Erfahrung bedeuten mag, diese Merkmale sind im Begriff christlicher Erfahrung eingeschlossen. Die entscheidende Dimension jeder christlichen Erfahrung und jeder re73 Stoellger, P., Passivität aus Passion, 350. 74 Stoellger, P., Passivität aus Passion, 397. Das Zitat-im-Zitat bezieht sich auf Waldenfels, B., Topographie des Fremden I, 19.

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ligiösen Erfahrung im Allgemeinen ist allerdings die Dimension der narrativen Identität und des autobiographischen Selbst. Christliche Erfahrung ist jede Erfahrung, in der die eigene personale Existenz im Rahmen von mehr oder weniger kohärenten Geschichten wahrgenommen wird, die in die Geschichte des Evangeliums inkorporiert erlebt und durch diese Geschichte gemessen erlebt werden. Das Leben als in die Geschichte des Evangeliums inkorporiert wahrzunehmen, d. h., wahrzunehmen, dass die eigenen autobiographischen Rekonstruktionen und die darauf beruhenden begrifflichen Identitätsansprüche im Lichte der Narration des Evangeliums wahrgenommen werden, ist das einzige Kennzeichen, dass christliche Erfahrung und Wahrnehmung von anderen Arten religiöser Erfahrung unterscheidet. Wenn Thomas Fuchs recht hat, dass es kein personales Selbst ohne narrative Identität und ohne autobiographisches Selbst geben kann, dann ist auch klar, dass die Selbsterzählung einer Person, wenn sie nicht durch die Erzählung des Evangeliums bestimmt wird, immer durch irgendeine andere oder mehrere andere Mengen von Erzählungen bestimmt wird. Die Erzählung oder die Menge der Erzählungen – sie mögen kohärent zueinander passen oder sie mögen als Fragmente mit hoher Spannung kombiniert sein, die eine Metaerzählung bilden, innerhalb derer sich Erfahrung immer vollzieht, kann die Religion einer Person genannt werden. Es mag der Fall sein, dass diese Erzählung oder diese Menge von Erzählungen mit demjenigen kulturellen Bereich zusammenfällt, der eine institutionalisierte Religion bildet. Es mag auch der Fall sein, dass diese Erzählung oder diese Menge von Erzählungen nicht mit dem zusammenfällt, was üblicherweise eine institutionalisierte Religion ausmacht. Im zweiten Falle, in dem es keine partikulare religiöse Institution von theologischer Bedeutung für die in Frage stehende Person gibt, ist dennoch die Menge der Erzählungen, die faktisch die Metaerzählung für die Gestaltung der narrativen Identität und das autobiographische Selbst bilden, von hoher theologischer Signifikanz. Und eben auf diese theologisch signifikanten Erzählungen hat sich der interreligiöse Dialog zu richten. Man muss aber noch einen Schritt weitergehen: Wenn die Theorie des personalen Selbst einschließlich seiner unhintergehbaren Dimensionen des narrativen Selbst und des autobiographischen Selbst richtig ist, dann gibt es keine Religionslosigkeit, auch dann nicht, wenn diese Erzählungen nicht das Etikett des „Religiösen“ erhalten. Allgemein gesprochen: Die sozialen Prozesse der normalen menschlichen Entwicklung schließen das Potential für die Entwicklung religiöser Überzeugungen ein, die allerdings stets auf die eine oder andere Weise konkret aktualisiert werden müssen. Auf der einen Seite gibt es keine pure Religion, nur Religionen im Plural, die durch partikulare Erzählungen geformt werden. Auf der anderen Seite kann aber dieses Potential, durch partikulares Erzählen in der eigenen Selbsterzählung geformt und gebunden zu werden, „Religion“ genannt werden. In diesem zweiten Wortgebrauch ist „Religion“ nichts anderes als eine offene Schleife, d. h. das Bedürfnis des leiblichen Selbst, seine Erfahrungen in Erzählungen und Meta-

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erzählungen zu kombinieren. Diese offene Schleife wird extern geschlossen durch unterschiedliche Erzählungen, z. B. durch die Erzählungen partikularer religiöser Traditionen. Es ist offensichtlich, dass es dabei Erzählungen gibt, die diese offenen Schleifen ausfüllen und die unserem Eingebundensein in die Prozesse der Lebenswelt mehr oder weniger angemessen sein können. Es muss allerdings nicht notwendigerweise eine partikulare Erzählung sein, die diese Rolle exklusiv übernehmen kann. Im Unterschied zu Theorien sind Erzählungen weit offener, andere Erzählungen in sich aufzunehmen und verschiedene Erzählungen zu Metanarrativen zu kombinieren. Der Grund dafür besteht darin, dass Theorien auf strenger Kohärenz im Sinne logischer, zeitloser Nichtwider–sprüchlichkeit beruhen, während Erzählungen einige (aber nicht alle!) Widersprüche als Spannungen in dramatischer Kohärenz aufnehmen können.

3.7 Offenbarung und Erfahrung – das Zielmodell 3.7.1 Die Struktur narrativer Identität Es gibt eine Reihe von unterschiedlichen Möglichkeiten, personale narrative Identität zu beschreiben. Für unsere Zwecke genügt es allerdings einige Aspekte zu erwähnen, die von einem der ältesten Zugänge, dem von Aristoteles, inspiriert sind. 1. Narrative Identität ist nicht einfach historische Identität. Menschen erzählen ihre Identitäten nicht einfach als unveränderliche Fakten der Vergangenheit, sondern als Reflexionen der protentional-retentionalen Struktur ihrer Erfahrung. Narrative Identität als Erfahrungsreflexion bezieht daher die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft mit ein. Alle diese Zeiten, nicht nur die Zukunft, sind dabei im Modus der Möglichkeit relationiert: Es ist offensichtlich, dass über zukünftige Aspekte unserer eigenen Geschichte nur unter der Modalität der Möglichkeit gesprochen werden kann. Aber auch über die Gegenwart und die Vergangenheit wird eher im Modus von Möglichkeiten denn im Modus von unveränderlichen Fakten gesprochen. Die Erzählung der narrativen Identität ist kein fixierter Text, der in irgendeiner Weise im Gehirn gleich einem Codex gespeichert wäre. Vielmehr muss die Erzählung stets extern aktualisiert werden: Sie wird erzählt, verändert und wiedererzählt in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation, den Kommunikationspartnern und den zahlreichen anderen Geschichten, mit denen Personen konfrontiert sind. Die narrative Identität gehört damit zur ausgedehnten Person und zur sozialen Person. Ohne Kommunikation und ohne die Gegenwart Anderer gäbe es keine Selbstnarration. Personale Identität lässt sich daher besser als narrative Identität denn als historische Identität beschreiben. Dieser Befund passt

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zu Aristoteles, der die Narrativität von der Modalität der Möglichkeit her bestimmt, die damit offen ist: „Nicht das, was geschehen ist, zu erzählen, ist die Aufgabe des Erzählers, sondern was geschehen kann und das was möglich ist nach Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit. Der Erzähler und der Historiker unterscheiden sich nicht dadurch, dass der eine mithilfe von Poetik und der andere mithilfe von Prosa erzählen würde. […] Sie sind vielmehr dadurch unterschieden, dass der eine das erzählt, was geschehen ist, während der andere das erzählt, was geschehen kann oder hätte geschehen können.“75

2. Die Erzählungen, um die es bei personaler Identität geht, sind dramatische Erzählungen, die in einem Prozess durch die Resonanzen unterschiedlicher Handelnder gebildet werden. Nicht das Selbst ist Autor der narrativen Identität, sondern die Autoren sind die unterschiedlichen „Handelnden“ – personale wie nicht-personale –, die durch Erfahrung immer schon zusammen mit dem Selbst wahrgenommen werden. Daher kann das Selbst nur ein Koautor seiner eigenen narrativen Identität sein. Im Selbsterzählen erzähle ich nicht nur unwillkürlich unterschiedliche Geschichten unterschiedlichen Kommunikationspartnern, sondern ich drücke dabei auch unterschiedliche Identitätsansprüche aus und reagiere auf unterschiedliche Identitätserwartungen Anderer.76 Die reflexive dramatische Identität oder narrative Identität ist einerseits eine Resonanz von Erfahrungen, andererseits bildet und formt sie Erfahrung. Daher ist die narrative Identität auf Erfahrung und auf die Wirklichkeit nicht als eine Repräsentation bezogen, sondern jede narrative Episode ist eine Resonanz von Erfahrung und stellt offene Schleifen für weitere Erfahrungsmöglichkeiten zur Verfügung. An diesem Punkt muss das aristotelische Verständnis zurückgewiesen oder zumindest modifiziert werden. Aristoteles versteht die Poesie als eine Art mimesis von Handlungen.77 Der griechische Ausdruck mimesis bedeutet allerdings nicht einfach Nachahmung oder Repräsentation. Daher erscheint mir der Ausdruck der Resonanz hier angemessener zu sein, um narrative Identität zu charakterisieren. Dies passt dann auch wieder zu Aristoteles’ Auffassung, dass Arten der rhytmischen Künste, wie etwa der Tanz, ebenfalls Arten von mimesis und Narrativität sind. Dennoch soll hier gar nicht bestritten werden, dass Aristoteles selbst höchstwahrscheinlich eher repräsentationalistisch dachte. Sollte das der Fall sein, dann wäre seine Position einfach zu verwerfen. Auch ein zweiter Sachverhalt ist wichtig: Wenn Aristoteles davon spricht, dass eine mimesis sich immer auf 75 Aristoteles, Peri Poietikes, 1451a, (Kap. 9, 1): oq t¹ t± cem|lema k]ceim, toOto poigtoO 5qcom 1st_m, !kkû oXa #m c]moito ja· t± dumat± jat± t¹ eQj¹r C t¹ !macja?om. b c±q Rstoqij¹r ja· b poigtµr oq t` C 5lletqa k]ceim C %letqa diav]qousim […]. !kk± to}t\ diav]qei, t` t¹m l³m t± cem|lema k]ceim, t¹m d³ oXa #m c]moito. 76 Vgl. Vate, D.v.d.j., Romantic Love, 16–27; M hling, M., Gott ist Liebe, 273. 77 Vgl. Aristoteles, Aristoteles Poetik (dt.), Kap. 1, 66; Kap. 9, 98 f.

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Handlungen bezieht, bezieht er sich nicht nur auf andere personale Handelnde, sondern auch auf nicht-personale Entitäten und Ereignisse.78 Die beste Zusammenfassung mag daher darin bestehen, zu sagen, dass narrative dramatische Identitäten eine Art reflexiver Resonanz der Erfahrungen der Prozesse und Ereignisse sind, von denen partikulare Personen jeweils Teile bilden. 3. Reflexive narrative Identität ist nicht einfach nur eine Resonanz von Erfahrung, sie selbst inauguriert und bildet Erfahrungen des basalen Selbst auf den Stufen von Stimmungen, Gefühlen und überhaupt der Affektivität. „What it is like to be“ in einem spezifischen Kontext, die unmittelbar erfahrene Stimmung, hängt von der Erfahrung des Anderen ab, aber auch von der partikularen Geschichte, die in dieser Begegnung erzählt wird bzw. sich ereignet. Aristoteles drückt das aus, wenn er sich auf die griechische Tragödie bezieht: „Die narrative Mimesis bezieht sich nicht allein auf einen zielgerichteten und vollendeten Handlungszusammenhang, sondern sie soll auch Zurückweisung (Furcht erregende) und Identifikation auslösende Sequenzen (Mitgefühl erregende) enthalten.“79

4. Als eine reflexive Aktivität des personalen Selbst beruht narrative Identität notwendigerweise auf der semiotischen Fähigkeit, Zeichen benutzen zu können, einschließlich aller dazu nötigen weiteren Fähigkeiten, also pragmatische, semantische und syntaktische Fähigkeiten. Auch wenn wir den Eindruck haben mögen, dass diese Fähigkeiten in den meisten Fällen durch verbale Ausdrücke aktualisiert werden, ist die Fähigkeit zu sprechen keine notwendige Bedingung für den Gebrauch semiotischer Fähigkeiten. So konnte schon Aristoteles auch Musik, Rhythmus und Tanz in seine Theorie der Poesie einbeziehen. Die narrative Identität besteht also in Kontinuität mit den Fähigkeiten des basalen Selbst. Obwohl sie eine Aktivität darstellt, in der Erfahrung resoniert wird, ist sie nicht notwendigerweise an Sprache gebunden. Auch die Fähigkeit, ein narratives Selbst auszubilden, hängt nicht an der Entwicklung einer Theory of Mind, sondern einfach an der Fähigkeit, unterschiedliche Rollen in unterschiedlichen Situationen auf die eine oder andere Weise ausfüllen zu können, d. h., es handelt sich um Regeln folgende, semiotische Handlungen. 5. Kaum zu unterschätzen für Narrative ist das, was ich als dramatische Kohärenz bezeichnen möchte. Dramatische oder narrative Kohärenz ist nicht einfach eine Art Nicht-Widersprüchlichkeit. Sie bezieht sich vielmehr darauf, dass Ereignisse in Sequenzen resoniert werden, die so miteinander verbunden werden, dass sie gleichzeitig Kontingenz und Notwendigkeit in der Folge enthalten. So schreibt Aristoteles beispielsweise, dass die Fähigkeit des Dra78 Vgl. Aristoteles, Aristoteles Poetik (dt.), Kap. 2–3, 70–76. 79 Aristoteles, Peri Poietikes, 1452a, (Kap. 9, 9): 1pe· d³ oq l|mom teke_ar 1st· pq\neyr B l_lgsir !kk± ja· vobeq_m ja· 1keeim_m. [Übers. v. Verf.].

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mas, Stimmungen und Gefühle resonieren zu können, auf dieser Art von dramatischer Kohärenz beruht: „Dies geschieht aber immer dann, wenn die Sequenzen wider Erwarten (gegen den Schein, als Überraschung), aber doch im Nachhinein in logischer Folge (dem inneren Zusammenhang folgend) geschehen. Der wunderbare Effekt wird dabei eher eintreten, als wenn die Ereignisse automatisch folgen oder rein zufällig geordnet sind, da ja auch diese kontingent eintretenden Ereignisse wunderbarer erscheinen, wenn sie erscheinen als wären sie beabsichtigt ohne dies tatsächlich zu sein.“80

Wir nennen dies die Regel oder das Gesetz dramatischer Kohärenz. In ihm ist impliziert, dass zukünftige Ereignisse oder Sequenzen sich nicht einfach aus der Summe aller vorhergehenden Ereignisse oder Sequenzen ergeben. Die Summe aller vorhergehenden Sequenzen ist also nicht hinreichend, um die folgende Sequenz zu beschreiben. Daher werden folgende Ereignisse immer mit besonderen Arten und mit mehr oder weniger Überraschung und Erwartung erfahren. Nachdem ein Ereignis allerdings erschienen ist, kann es als Folge der anderen Ereignisse verstanden werden. Dramatische Kohärenz ist emergent in dem Sinne, dass alle bekannten oder unbekannten Ereignisse der Vergangenheit und ihre Effekte nur eine notwendige Bedingung für folgende Ereignisse darstellen. Die Ereignisse der Vergangenheit determinieren den zukünftigen Kurs einer Erzählung also nur in seiner Potentialität, indem sie mitbestimmen, welche Möglichkeiten reale Möglichkeiten sind – d. h. die Menge aller zukünftigen Ereignisse, die kontingent aktualisiert werden können –, und welche irreale Möglichkeiten sind – d. h. die Menge der Ereignisse, die auch in Zukunft nicht aktualisiert werden können. Dabei ist es ein entscheidendes Kennzeichen, dass eine in eine (gute) Erzählung involvierte Person selbst nicht zu jeder Zeit zwischen den faktischen Möglichkeiten und den irrealen Möglichkeiten unterscheiden kann. Da narrative Identität immer dramatische Identität in dem Sinne ist, dass es mehr als eine Möglichkeit für zukünftige Erzählwege gibt, ist die Menge zukünftiger Möglichkeiten stets größer als die Menge der Erwartungen eines Selbst. 6. Ein weiteres wichtiges Kennzeichen von dramatischer Kohärenz ist, dass sie nicht nur Kontingenz und Regeln einschließt, sondern ebenso Spannungen, die im Rahmen von prädikativen Theorien als Kontradiktionen gewertet werden müssten. Prädikative Theorien gehören zur Logik und Logik ist in den meisten ihrer formalisierten Varianten als zeitlos verstanden. Daher können die Propositionen p und nicht-p in der gleichen Hinsicht in die gleiche Theorie als gleicherweise wahr inkorporiert werden. Narrative hingegen besitzen eine irreduzibel temporale oder sequenzielle Struktur, innerhalb derer 80 Aristoteles, Peri Poietikes, 1452a, (Kap. 9, 9): taOta d³ c_metai ja· l\kista [ja· l÷kkom] ftam . c]mgtai paq± tµm d|nam diû %kkgka t c±q haulast m ovty¬ 6nei l÷kkom C eQ !p¹ toO aqtol\tou ja· t/¬ t}wg¬, 1pe· ja· t_m !p¹ t}wgr taOta haulasi~tata doje? fsa ¦speq 1p_tgder va_metai cecom]mai. [Übers. v. Verf.].

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Ereignisse denkbar sind, die zu verschiedenen Sequenzzeiten die Behauptungen p und nicht-p gleichzeitig beinhalten und innerhalb derer auch eine Sequenz erscheinen mag, die behauptet, dass p und nicht-p zugleich erscheinen. All dies ist unter dramatischer Kohärenz möglich, solange die einzige Bedingung für dramatische Kohärenz erfüllt ist, solange spätere Sequenzen fähig sind, frühere aufzuheben. Es scheint so, als hätte Aristoteles selbst dieses wichtige Merkmal des Dramas nicht beobachtet. Seine Poetik tendiert dazu, Kontingenz in Notwendigkeit aufzulösen. Eine bessere Bedeutung und eine bessere Beschreibung dieses Kennzeichens dramatischer Kohärenz findet sich wahrscheinlich in einer Theorie, die selbst gar nicht beansprucht, Narrative zu beschreiben, sondern das Begriffliche: Hegels Dialektik einschließlich ihres Moments der Aufhebung.81 Dabei behaupten wir allerdings, dass Hegels Begriff nur im Bereich des Narrativen, nicht aber in dem des Begrifflichen wirklich funktioniert. 7. Da die Narrative personaler, narrativer Identität niemals vollständig sein können, bringen sie auf jeder Ebene der Erfahrung Erwartungshorizonte hervor. Da die zugrundeliegenden Narrative nicht im Gehirn gespeichert sind, sondern im aktualen, kommunikativen Zeichenbenutzen relational aktualisiert werden, sind die Narrationen, die unsere Erfahrungen resonieren, in den meisten Fällen implizit. Dennoch ist der Erwartungshorizont ein beständiger Effekt dieser Geschichten. In dem Moment, in dem auf Basis des basalen Selbst das personale Selbst entwickelt wird – einschließlich seiner narrativen Identität – sind die Erwartungshorizonte immer sofort mit vorhanden. Daher geschieht jede menschliche Erfahrung und Handlung immer unter spezifischen Horizonten der Erwartung und Antizipation. Diese Erwartungshorizonte können durch zwei Distinktionen strukturiert werden, durch eine rationale und durch eine affektive Distinktion. Die affekive Distinktion bedeutet, dass die im Erwartungshorizont als Erwartungen gegenwärtigen Möglichkeiten sich immer als Hoffen und Befürchten zeigen und daher auf den Erfahrungen des basalen Selbst beruhen. Die menschliche Affektivität formt also den Erwartungshorizont genauso wie menschliche Vernunft. Im Sinne einer rationalen Distinktion wird der Erwartungshorizont durch vier unterschiedliche Modi der Erwartung strukturiert, die sich aus den Resonanzen zwischen der Erfahrung und der narrativen Identität ergeben:82 81 Vgl. Hegel, G.W.F., Enzyklopädie, Teil 1, Werke 8, §96, 204 f: „Es ist hierbei an die gedoppelte Bedeutung unseres deutschen Ausdrucks aufheben zu erinnern. Unter aufheben verstehen wir einmal soviel als hinwegräumen, negieren, und sagen demgemäß z. B., ein Gesetz, eine Einrichtung usw. seien aufgehoben. Weiter heißt dann aber auch aufheben soviel als aufbewahren, und wir sprechen in diesem Sinn davon, daß etwas wohl aufgehoben sei. Dieser sprachgebräuchliche Doppelsinn, wonach dasselbe Wort eine negative und eine positive Bedeutung hat, darf nicht als zufällig angesehen noch etwa gar der Sprache zum Vorwurf gemacht werden, als zu Verwirrung Veranlassung gebend, sondern es ist darin der über das bloß verständige EntwederOder hinausschreitende spekulative Geist unserer Sprache zu erkennen.“ 82 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 41–48 und M hling, M., Eschatical Perfection.

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a) Das Nichtüberraschende: Es gibt Ereignisse, die wir einfach mit mehr oder weniger Gewissheit erwarten: dass eine Vorlesung enden wird, dass Dienstag auf Montag folgt etc. Wir haben eine bestimmte Evidenz innerhalb unseres Erwartungshorizonts erfahren, dass diese Ereignisse passieren werden. Sie sind daher nahe des Zentrums des Erwartungshorizonts angesiedelt. b) Das prospektiv Überraschende: Einige Ereignisse mögen unwahrscheinlich sein, aber wir sind in der Lage uns vorzustellen, dass sie in Zukunft geschehen könnten. Es mag sehr unwahrscheinlich sein, dass der Präsident der USA im Verlagshaus dieses Buches erscheint und aus Dankbarkeit für die Einsichten, die er aus der Lektüre gewonnen haben mag, den Autor zum neuen Philosophieminister benennt. (Tatsächlich erwarte ich, dass der Präsident niemals auch nur von diesem Buch erfährt). Aber, wie unwahrscheinlich diese Möglichkeit auch sein mag: Die Tatsache, dass ich mir vorstellen kann, dass sie passieren könnte, führt dazu, dass sie, wenn sie doch einträte, „nur“ als prospektiv Überraschendes zu klassifizieren ist. Ereignisse dieser Art liegen innerhalb unseres Erwartungshorizonts, aber sie sind eher am Rand lokalisiert. c) Das absolut retrospektiv Überraschende: Einige Ereignisse sind absolut überraschend. Dies sind Ereignisse, die vollständig jenseits unseres Erwartungshorizonts liegen. Ich kann kein Beispiel für ein solches zukünftiges Ereignis geben. Könnte ich es, hätte es unter einem der anderen Arten der Überraschung klassifiziert werden müssen, nicht aber unter dem absolut retrospektiv Überraschenden. Damit seien also Ereignisse bezeichnet, die nur nachdem sie geschehen sind, also in der Retrospektive, als Überraschung identifiziert werden können. Nichtsdestotrotz können wir natürlich erwarten, in absolut retrospektiver Weise überrascht zu werden. Und diese Erwartung ist essentiell menschlich. Absolut retrospektive Überraschungen erweitern unseren Erfahrungs- und Erwartungshorizont und damit sind sie notwendige Bestandteile der Lebenserfahrung. Aus der Gegenwart betrachtet bleibt das absolut retrospektiv Überraschende aber immer jenseits unseres Erwartungshorizonts. d) Das relativ retrospektiv Überraschende: Es gibt noch eine vierte Art, mit der wir zukünftige Ereignisse unseres Lebens erwarten, die eine Schlüsselrolle im Konzept der narrativen Identität spielen und die aus einer Kombination der ersten und der dritten Art bestehen: Wir erwarten, von bestimmten zukünftigen Ereignissen in retrospektiver Weise überrascht zu werden, ohne im Geringsten zu wissen, worin diese Überraschung besteht. Gute Geburtstagsgeschenke gehören zu dieser Sorte von Ereignissen: Ich erwarte ein zukünftiges Ereignis des ersten Typus des Nichtüberraschenden, also im Beispiel meinen nächsten Geburtstag. Damit erwarte ich auch, Geschenke zu bekommen und durch diese überrascht zu werden. Aber ich habe keine Ahnung, wodurch. Damit gehören sie ins Reich des relativ retrospektiv Überraschenden. Da wir nun unterschiedliche Erzählungen benutzen, um unsere narrative

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Identität auszudrücken, besitzen wir auch unterschiedliche Erwartungshorizonte, die von unserem Involviertsein in unterschiedliche Gemeinschaften, unterschiedliche Beziehungen zu anderen Personen, unterschiedliche Traditionen und unterschiedliche Handlungssituationen abhängen. Aber da die narrative Identität immer aufgehoben ist in das autobiographische Selbst und seine Metanarrationen, gibt es so etwas wie einen umfassenden Erwartungshorizont. Dieser alles umfassende Erwartungshorizont kann als ultimativer, letztgültiger, eschatischer oder religiöser Erwartungshorizont bezeichnet werden. Während all unsere partikularen Erwartungshorizonte durch zukünftige Erfahrung erweitert werden können, kann dies bei unserem eschatischen Erwartungshorizont nicht bzw. nur in besonderer Form geschehen: Zwar kann unser Erwartungshorizont durch zukünftige Ereignisse und Erfahrungen verändert werden, aber dies ist dann weniger als eine Erweiterung denn als eine Konversion zu bezeichnen. Dies liegt daran, dass partikulare Erwartungshorizonte von Sequenzen oder Erzählungen abhängen, die durch den Rahmen einer Metaerzählung miteinander verbunden sind, während die Metaerzählung selbst nicht wieder in eine andere Metaerzählung inkorporiert ist. In diesem Fall wird die Metaerzählung selbst einfach verändert. Einige dieser „Konversionen“ mögen im Alltagsleben nicht als „Konversionen“ benannt werden, beispielsweise wenn Angehörige einer religiösen Gemeinschaft nur wahrnehmen, dass eine bestimmte Person ihre religiöse Praxis verändert hat, während andere Arten von „Konversionen“ als solche erkannt werden, beispielsweise dann, wenn eine bestimmte Person eine bestimmte Gemeinschaft verlässt. Erwartungshorizonte sind keine Menge von Begriffen oder Prädikaten. Sie bestehen eher als mögliche Folgen von Geschichten, Ereignissen oder Sequenzen. Aber selbst diese Beschreibung ist nicht ganz adäquat, denn eine konkrete Sequenzmenge lässt sich ja gar nicht identifizieren. Dies liegt vor allem daran, dass Erwartungshorizonte nicht zu einem individuellen bestimmten, fest umschreibbaren Subjekt oder einem Geist gehören würden, sondern dass sie zum ausgedehnten Geist, der in Gemeinschaften und in der Natur verleiblicht ist, gehören. Der einzige Weg, die Existenz von Erwartungshorizonten zu entdecken, besteht darin, zu leben und dabei wahrzunehmen, dass das Leben immer überraschend ist. 8. Während in der deutschsprachigen systematischen Theologie narrative Theologien immer noch die Ausnahme bilden, sind sie im anglophonen Bereich nicht nur weit verbreitet und in vielfältigen Ausprägungen vorhanden, sondern wurden jüngst auch aus verschiedenen Gründen83 kritisiert. Unter diesen Kritiken ist m. E. besonders die von Celia Deane-Drummond für unsere Zwecke berücksichtigenswert. Indem sie sich auf Hans Urs von Balthasar und Aristoteles bezieht, führt Deane-Drummond eine Grundunterscheidung zwischen Narrativen und Dramen ein. Narrative zeichnen sich demnach durch 83 Vgl. z. B. Murphy, F., God is not a Story.

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ihren epischen Charakter aus, d. h., sie sind geschlossen, beruhen auf einem mehr oder weniger notwendigen Chrarakter und sind von einer objektiven Perspektive aus erzählt. Das Drama hingegen bezieht höhere Freiheitsmöglichkeiten für die Akteure ein. Diese Grunddistinktion schließt auch klassische begriffliche Theorien und Modelle ein, die dann entweder einen epischnarrativen oder einen dramatisch-narrativen Charakter besitzen können. Diese Kritik verbindet Deane-Drummond nun mit der postmodernen Rede vom Ende der Großerzählungen. Dabei ist ihre Absicht nicht, einer postmodernen Beliebigkeit das Wort zu reden, sondern sie sieht unter einem epischnarrativen Paradigma die Orientierungsleistung gefährdet, da der Glaubende dann zu einem Fatalismus neige und die Ereignisse der Welt als unumgänglich, entkontingentisiert und nicht mehr im Prinzip offen wahrnehme. Eine angemessene Theologie habe sich daher von Balthasars Begriff des Theodramas zu bedienen. Während geschöpfliche Entitäten, einschließlich nichtmenschlicher Tiere und vorpersonaler Kreaturen zu den Akteuren gehören, kommt Gott die Rolle des Regisseurs zu. Deane-Drummond betont dabei, dass auch der theodramatische Ansatz nicht vollständig ohne narrative Elemente auskommen kann.84 Ich halte Deane-Drummonds Kritik für äußerst beachtenswert, denke aber, dass die eigentliche Grunddistinktion an einer anderen Stelle verläuft: zwischen Mythen, die als solche nicht durchschaut werden, was meist bei begifflichen Theorien der Fall ist, und zwischen narrativen Ansätzen an sich, die als solche immer kontingente Ansätze und Möglichkeiten einschließen. Ein narrativer Ansatz, der nicht offen wäre und von einer Abgeschlossenheit der Erzählung ausginge, verliert m. E. in der Tat seinen narrativen Charakter selbst. Obwohl damit die Unterschiede des sich auf von Balthasar berufenden theodramatischen Ansatzes und des hier vorgelegten Ansatzes einer dramatisch-narrativen Ontologie im Wesentlichen terminologischer Natur sein dürften und in ihren Grundkritiken konvergieren, möchte ich doch auf einige wichtige Unterschiede hinweisen: Erstens: Für personal Handelnde, auch wenn sie sich als Akteure eines Dramas oder Theodramas verstehen, ist aufgrund ihres autobiographischen Selbst eine Lebensdeutung ihrer vergangenen Lebensgeschichte und eine Lebensdeutung ihrer Zukunft und damit ein Ausloten ihrer Handlungsmöglichkeiten unter größeren, hypothetisch angenommenen Handlungs- und Narrationszusammenhängen unumgänglich. Diese angenommenen größeren Narrationszusammenhänge sind immer Metaerzählungen, aber keine Großerzählungen in Deane-Drummonds Sprachgebrauch, weil ihnen der Charakter des Kontingenten und des Vorläufig-Falliblen nicht abgehen muss. Zweitens: Der pauschalen These des Endes der Großerzählungen stehe ich daher eher skeptisch gegenüber, denn sie birgt die Gefahr, den Verzicht auf Fragmentarizität übergreifende Elemente zum Credo zu erheben. Dies aber wäre gefährlich, da dann die faktischen narrativen Elemente, die notwendig zur Strukturierung 84 Vgl. Deane-Drummond, C., Christ and Evolution, bes. 48–53.

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der Lebenswahrnehmung und -deutung herangezogen werden müssen, nicht mehr als solche erkannt werden würden, aber nichtsdestotrotz ihre Wirkung entfalten würden. Damit verbindet sich eine logische Kritik: Wenn man tatsächlich das Ende aller Großerzählungen propagiert, hat man schon selbst eine Großerzählung geschaffen, die alle Elemente dessen, was die These eigentlich kritisieren will, selbst beinhaltet.85 Drittens: Auch der aristotelische Ansatz von Dramatizität beinhaltet ein noch zu hohes Maß an Notwendigkeit, wie oben zu sehen war. Wir haben daher, um den Begriff dramatischer Kohärenz gewinnen zu können, Hegels Begriff der Aufhebung aufnehmen müssen. Um hier Missverständnissen vorzubeugen: Damit ist keine Übernahme des die Alterität und Kontingenz im Prinzip vollständig ausschließenden hegelianischen Rahmens intendiert, sondern es ist nur auf Hegels Erklärung der in diesem Falle sehr positiv zu wertenden Mehrdeutigkeit des Begriffs (als Negation, Bewahrung, Transformation und weiterer Offenheit) rekurriert. Auf diese Weise ermöglicht der Gedanke der dramatischen Kohärenz den Gedanken von Metanarrativen des Dramatischen, die gerade nicht die Gefahr der Geschlossenheit und Entkontingentisierung mit sich bringen.

3.7.2 Religiöse Erfahrungen, Erschließungserfahrungen und Offenbarung Auf der Basis der Überlegungen des letzten Abschnitts können wir nun den Erfahrungsbegriff und den Begriff der Offenbarung, wie sie im Ausgangsmodell, das in Abschnitt 3.2 beschrieben wurde, modifizieren. Alles was dazu zu tun ist, ist im Prinzip die dort vorausgesetzte Prädikation durch Wahrnehmung zu ersetzen und ebenso den dort vorausgesetzten Interpretationsrahmen durch den narrativ konstituierten Erwartungshorizont. Zunächst sind wir so in der Lage, beschreiben zu können, was „religiöse Erfahrung“ bedeutet: (1) Religiöse Erfahrung: A nimmt aus der Perspektive der leiblichen Situation B ein Ereignis C im Rahmen ihres/seines letztgültigen Erwartungshorizonts D wahr, der aus der gemeinschaftlich konstituierten, dramatischen Metaerzählung ihrer/seiner Identität stammt, mit dem Effekt E. Religiöse Erfahrungen sind nicht notwendigerweise Erschließungserfahrungen. Sie sind einfach Erfahrungen wie jede gegebene Alltagserfahrung, allerdings mit dem Unterschied, dass der implizierte Erwartungshorizont nicht einer der partikularen Erwartungshorizonte ist, sondern derjenige, der den kanonischen Rahmen für die narrative Identität des Erfahrungssubjekts A bildet. Offensichtlich kann dabei dasselbe Ereignis in der 85 Die These des Endes aller großen Erzählungen rekurriert gewöhnlich auf Lyotards scharfsinnige Analyse in Lyotard, J.-F., Postmodern Condition, 9–16. Dabei sehe ich Lyotards These selbst nicht der Gefahr erliegen, selbst eine neue Großerzählung darzustellen.

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gleichen leiblichen Situation von derselben Person A im Lichte unterschiedlicher Erzählungen wahrgenommen werden. So kann das Ereignis, das darin besteht, dass der Steuerberater Albert Victorias Steuererstattung berechnet, im Lichte von Alberts täglicher Arbeitsroutine wahrgenommen werden. In diesem Falle wird Victoria einfach als Klientin wahrgenommen und der Effekt könnte darin bestehen, bei den Berechnungen Zeit zu sparen, damit Albert die Zahl der Klienten, die er übernehmen kann, maximieren kann. Dasselbe Ereignis kann aber auch im Lichte des Evangeliums wahrgenommen werden. In diesem Fall wird Albert Victoria als eine Schwester in Christus wahrnehmen und die Arbeit seiner Steuererstattungsberechnung erscheint ihm als eine Pflicht, mit der er seinen Schwestern und Brüdern in Christus hilft, mit den Plagen der Bürokratie zurechtzukommen. Entsprechend kann der Effekt E dann ein vollständig anderer sein. Er könnte darin bestehen, dass Albert die Berechnung besonders sorgfältig ausführt und dass er sich bewusst Zeit für Victoria nimmt, ohne dass diese Zeit ein Mittel zu einem davon unterschiedenem Zweck wäre. Wird ein Ereignis im Lichte derjenigen Erzählung wahrgenommen, die die narrative Identität einer Person bestimmt und damit im Lichte eines letztgültigen Erwartungshorizonts, kann jede Erfahrung eine religiöse oder eine Erfahrung der Frömmigkeit sein. Da aber die Effekte kontingent gegenüber der Erzählung sind, die den narrativen Rahmen darstellt, verändert sich das Ereignis selbst. Dabei ist die Ereignisidentität abhängig von den verschiedenen Erzählungen unterschiedlicher Personen, die in das Ereignis involviert sind. Nicht jede religiöse Erfahrung ist auch eine religiöse Erschließungserfahrung. Erschließungserfahrungen sind Erfahrungen, in denen ein absolut retrospektiv Überraschendes oder zumindest ein relativ retrospektiv Überraschendes (relativ zum jeweiligen Erwartungshorizont und dessen ihn konstituierende Geschichte) wahrgenommen wird. Dabei ist der Effekt E nicht ein beliebiger, sondern inhärent mit dem Erwartungshorizont selbst verbunden: Der Effekt besteht in der Erweiterung oder Veränderung des Erwartungshorizonts und daher in der Veränderung und Neuerzählung der damit verbundenen Hintergrundgeschichte: Erschließungserfahrungen in diesem Sinne sind nicht notwendigerweise auch religiöse Erfahrungen. Nur wenn der Erwartungshorizont dabei der letztgültige Erwartungshorizont ist und seine Hintergrundgeschichte in der Metaerzählung der Identität einer Person besteht, kann man von religiösen Erschließungserfahrungen sprechen: (B) Religiöse Erschließungserfahrungen: A nimmt aus der Perspektive der leiblichen Situation B ein Ereignis C wahr, das den Rahmen ihres/seines letztgültigen Erwartungshorizonts D übersteigt, wobei D auf einer gemeinschaftlich konstituierten, dramatischen Metaerzählung ihrer/seiner Identität beruht, mit der Implikation, dass ihr/sein letztgültiger Erwartungshorizont zu D* modifiziert wird, basierend auf der nun auch verändert forterzählten, gemeinschaftlich konstituierten, dramatischen Metaerzählung ihrer/seiner Identität.

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Die leibliche Situation B kann eine mehr oder weniger geschlossene Situation sein. Es kann sich dabei um ein spezifisches, spatio-temporal lokalisierbares Ereignis handeln, z. B. Pauli Begegnung mit dem auferstandenen Christus, aber es kann sich dabei auch um einen größeren sequenziellen Ereigniszusammenhang der Lebensgeschichte von A handeln, die sich über eine längere Zeit, wie Tage, Monate oder gar Jahre, erstreckt. Ein entscheidender Test, ob eine Erschließungserfahrung dabei tatsächlich eine religiöse Erschließungserfahrung ist, besteht darin, dass sie auch in der Perspektive einer Offenbarung beschrieben können werden muss. Daher kann die Struktur von (B) auch ausgedrückt werden als religiöse Offenbarung: (C) Religiöse Offenbarung: X liefert in der Perspektive der leiblichen Situation B ein Ereignis C für A, das deren/dessen letztgültigen Erwartungshorizont D übersteigt, der aus der gemeinschaftlich konstituierten, dramatischen Metaerzählung aus A’s Identität stammt, wodurch X gleichzeitig die gemeinschaftlich konstituierte, dramatische Metaerzählung verändert und damit auch den auf ihr beruhenden letztgültigen Erwartungshorizont zu D* modifiziert. Während „Erfahrung“ aus der Perspektive dessen beschrieben wird, der die Erfahrung wahrnimmt, wird „Offenbarung“ aus einer anderen Perspektive beschrieben, die letztlich der Standpunkt derjenigen Entität ist, die für die Offenbarung verantwortlich ist. In unserer Strukturformel haben wir diese Entität X genannt. In nicht-religiösen Offenbarungen kann X jede/jeder oder alles sein, mit Ausnahme derjenigen oder desjenigen, der oder die die Erfahrung selbst wahrnimmt. Obwohl dabei auch derjenige, der die Offenbarung wahrnimmt darin auch aktiv ist, indem er offene Schleifen für die Offenbarung zur Verfügung stellt, muss doch die für die Offenbarung verantwortliche Instanz von der wahrnehmenden Instanz unterschieden sein, da Wahrnehmung bedeutet, einen impliziten begrifflichen Gehalt wahrzunehmen, der immer schon ein Teil der objektiven Welt ist, gemäß der Bildungsgeschichte der zweiten Natur der erfahrenden Person. Im Falle der religiösen Erfahrung kann die verantwortliche Instanz X weder eine vollständig spatio-temporal lokalisierbare Instanz sein, d. h. ein Teil der Ereignisstruktur der Welt, noch eine Menge unterschiedlicher Teile oder Ereignisse der Welt. Würde man nämlich diese Instanz X mit einem Menschen oder einem natürlichen Mechanismus identifizieren, dann wäre diese Instanz ja per definitionem immer schon Teil eines schon bestehenden, partikularen Erwartungshorizonts und damit nicht fähig, dessen Veränderung oder Erweiterung zu bewirken.86 Daher kann die Instanz X der religiösen Offenbarung mit klassischen Minimalbeschreibungen Gottes identifiziert werden, wie „die alles bestimmende Wirklichkeit“, „das, was die Zeit zusammenhält“, das, „was jede mögliche Erfahrung zusammenhält“ oder das, „worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden 86 Diese Argumentation kann als Reformulierung von Schleiermachers Argumentation in Schleiermacher, F., Glaubenslehre 1, §4, 23–30 gelesen werden.

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kann“. M.a.W.: Die Instanz X der religiösen Offenbarung ist eine transzendentale Instanz, d. h., sie muss mit der Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung selbst identifiziert werden. Dabei kann diese transzendentale Instanz X als eine vollständig transzendente verstanden werden. In diesem Falle wäre es allerdings keine wirkliche Offenbarung, denn die Erfahrung bliebe dann vollständig unterdeterminiert und unverstehbar. Religiöse Erfahrungen der apophatischen, mystischen Tradition gehören zu dieser Art. Die tranzendentale Instanz X kann aber auch mit der Gesamtheit der Welt selbst identifiziert werden. In diesem Falle wäre die religiöse Erfahrung eine pantheistische. Oder aber die transzendentale Instanz X wird als teilweise immanent hinsichtlich des Reiches der Erfahrung identifiziert, aber doch dieses gleichzeitig transzendierend. Dies ist der Fall der meisten Arten der klassischen religiösen Traditionen und insbesondere des Christentums.

3.8 Drei resonierende Geschichten und zwei Arten von Handelnden Christen erleben ihre Alltagserfahrungen in Resonanz mit der Geschichte des Evangeliums. Ihre Wahrnehmungen, ihr Verhalten und ihr Handeln werden durch diese Geschichte geformt, d. h., sie leben in Resonanz mit dieser Geschichte. Wahrnehmungen und Handlungen sind Teil der Praxis und wenn wir den Einsichten folgen, die wir aus den Neurowissenschaften gewonnen haben, dann wird man sagen müssen, dass diese Praxis immer eine leibliche Praxis ist – und als solche ist sie sowohl stets eine gemeinschaftliche Praxis als auch unhintergehbar in die natürliche Welt eingebunden. Man kann daher die christliche Praxis als eine Wahrnehmung der Welt beschreiben im Rahmen einer Verschränkung dreier Geschichten, die alle entscheidende Faktoren der Bildung der narrativen Identität einer Person sind: (1) die Geschichte des Evangeliums, (2) die Geschichte der Gemeinschaften, d. h. die Geschichte der sozialen Nischen, die wir bewohnen, und die Geschichte der Natur, d. h. die Geschichte der natürlichen Nischen, die wir bewohnen, sowie (3) die Geschichte unseres fragmentarischen und prozessartigen autobiographischen Bewusstseins, das auf dem basalen Selbst ruht. All diese Geschichten liefern wichtige und notwendige Bedingungen christlicher Erfahrung und christlichen Verhaltens und keine dieser Geschichten dürfte fehlen. Die Akteure in all diesen Geschichten und ihre andauernde Kommunikation beeinflussen sowohl das Zum-Glauben-kommen als auch den Erhalt des Glaubens. Daher kann das Zustandekommen und der Erhalt von Glauben nicht auf eine einzige dieser drei Geschichten reduziert werden. Da aber in der Verschränkung dieser Geschichten die Geschichte des Evangeliums denjenigen Faktor darstellt, der den letztgültigen Erwartungshorizont bestimmt (und damit den christlichen Charakter der Erfahrung), ist

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die Geschichte des Evangeliums gegenüber den anderen beiden Geschichten in einem ganz spezifischen Sinne vorgängig: Die Verschränkung der Geschichten untereinander muss in einer Weise resonieren, die dramatische Inkohärenz mit der Geschichte des Evangeliums ausschließt. Fragen wir nun, wie diese Geschichten resonieren bzw. wer nun der Autor der narrativen Identität im Ganzen ist, kann die Antwort nur lauten, dass unbeschadet der formativen Wichtigkeit aller weltlichen Akteure und Koautoren der entscheidende oder konstitutive Autor letztlich diejenige Instanz ist, die „die Zeit zusammen hält“ oder „über diejenige hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“ – also die göttliche Instanz – und zwar in derjenigen Weise, wie sie in der Geschichte des Evangeliums erschlossen ist. Die entscheidende Frage ist damit: Gibt es eine gemeinsame Struktur oder einen gemeinsamen Inhalt des Evangeliums? Bevor wir versuchen, eine Antwort auf diese Frage zu geben, sollen in einem Fazit noch einmal die Ergebnisse dieses Abschnitts zusammengefasst werden: Christliche Erfahrung und christliches Verhalten, d. h. christliche Praxis, ist (1) konstituiert und wird erhalten durch die gemeinsame Resonanz zwischen den Akteuren der personalen und vorpersonalen Geschichten als notwendige Bedingungen. In klassischer theologischer Sprache können wir dies in reformatorischer Tradition das verbum externum oder das leibliche Wort nennen.87 (2) Der letztgültige Ursprung der Geschichte des Evangeliums ist notwendige Quelle der Glaubenskonstitution und der Glaubenserhaltung. Wir können dies in reformatorischer Tradition und insbesondere mit Calvin das testimonium internum nennen.88 Klassisch bedeutet das testimonium internum die innere Erfahrung von Evidenz der Wahrheit des verbum externum in den Herzen der Glaubenden, hervorgerufen vom Heiligen Geist. Und vielleicht kann man hier – wenn von einer inneren Erfahrung die Rede ist – tatsächlich ein Relikt von Calvins dualistischer Weltsicht sehen. Glücklicherweise kann dieses dualistische Relikt ohne Schwierigkeiten über Bord geworfen werden. Dazu müssen wir nur darauf hinweisen, dass Evidenzerfahrungen immer leibliche Erfahrungen sind.

87 Vgl. CA 5, BSLK, BSLK 58, 12 f. Die deutsche Fassung des lateinischen ,verbum externum‘ ist dabei signifikanter Weise ,leibliches Wort‘; Vgl. BSLK 453, 18 f. 88 Vgl. Luther, M., WA 17/II, 459,35–460,6. Der Ausdruck ,testimonium internum‘ wurde von Calvin geprägt, vgl. Essler, H.H., Die Lehre vom „testomonium Spiritus Sancti internum“ bei Calvin.

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3.9 Die Selbstpräsentation des dreieinigen Gottes Wenn hier die Rede von der „Erzählung des Evangeliums“ ist, beziehen wir uns nicht auf das Evangelium als eine Art von Text. Das Evangelium ist vielmehr die viva vox, die lebendige Stimme des Evangeliums, d. h. die aktuale Kommunikation der Verheißung, die das Zeugnis der Schrift aktualisiert. Die Schrift jedoch besteht nicht aus einer einzigen Geschichte, sondern aus mannigfachen. Was diese Geschichten für Christen zur „Schrift“ macht, ist einfach die Tatsache, dass diese Geschichten selbst Zeugnisse der Verheißung Gottes in Christus durch den Heiligen Geist sind. Daher gibt es keine basale oder kategoriale Unterscheidung zwischen Schrift und Tradition. Diese Unterscheidung ist vielmehr zuallererst eine historisch kontingente Unterscheidung. Es kann keine abschließende Antwort auf die Frage geben, warum diese bestimmten Texte zur „Schrift“ wurden und andere nicht, abgesehen von historischen Argumenten. Überraschenderweise hat nun aber Karl Barth darauf hingewiesen, dass die historische Kontingenz der Schrift kein Ausdruck dafür ist, dass der Kanon ein Werk der Kirche ist. Vielmehr stellt er die Anerkennung von etwas dar, das vorgängig und kontingent gegeben ist.89 Die historische Kontingenz der Schrift resoniert also mit der historischen Kontingenz der göttlichen Selbstpräsentation in Christus. Linguistisch gesehen enthalten die Texte der Schrift nicht nur narrative Geschichten, sondern Geschichten vieler unterschiedlicher Art, einschließlich von Rechtstexten im AT oder Briefen für bestimmte Situationen im NT. Allerdings bilden all diese Geschichten und Texte eine Metanarration; und diese Metageschichte kann beschrieben werden als eine dreifache Erzählung der Erfahrung und als eine dreifache Erzählung der selbstidentifizierenden Selbstpräsentation des Göttlichen. Die dreifache Erzählung christlicher Erfahrung besteht (1) in der Erfahrung, dass Erfahren selbst etwas vorgängig Gegebenes ist und notwendig nicht durch Menschen im Verbund mit vorpersonalem Seienden konstruiert wird. Es handelt sich also um die Erfahrung, dass etwas ist und nicht nichts. M.a.W.: Es ist die Erfahrung des Geschaffenseins. Sie kann als Erfahrung der creatio ex nihilo beschrieben werden, d. h. als Erfahrung der Tatsache, dass die Erfahrung des Selbst als eines Erfahrenden, und der Möglichkeit, jeden intensionalen Gehalt von Erfahrung durch eine göttliche Entität inauguriert ist, ohne dass es dazu welthafter Voraussetzungen bedürfte. Schöpfung bezieht sich daher vorzüglich nicht auf das Faktische, sondern auf das Mögliche!90 89 Vgl. Luther, M., WA 17/II, 459,35–460,6. 90 Vgl. Dalferth, I.U., Die Wirklichkeit des Möglichen. Hermeneutische Religionsphilosophie, 139–141. Dalferth bestimmt hier den Begriff einer Welt als den Horizont der Möglichkeiten von Aktualitäten.

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(2) Erwähnt werden muss auch die Tatsache, dass man sich das Leben besser vorstellen kann, als es tatsächlich ist. Dabei ist jede mögliche Form eines guten Lebens, nicht nur eine, die besser als die aktuale ist, sondern sie ist auch eine solche, die als ebenso passiv konstituiert durch diese göttliche Instanz zu denken ist. Es handelt sich dabei um die Erfahrung, sola gratia gerettet zu sein, ohne jede welthafte Voraussetzung und dem Fehlgeleitetsein durch eigene Anstrengung zum Trotz. Diese Versöhnung führt (3) zur Erfahrung eines Lebens in Hoffnung – und nicht Furcht – auf die Vollendung der Welt. Auch diese Art der Vollendung teilt das Charakteristikum einer Gabeerfahrung sola gratia, d. h., die Hoffnung richtet sich auf etwas, das nicht vorhersagbar ist oder Gegenstand einer Extrapolation auf Basis natürlicher oder sozialer Prozesse sein könnte. Die dreifache Erzählung der Selbstidentifikation des Göttlichen kann mithilfe von Gedanken Robert W. Jensons und Christoph Schwöbels beschrieben werden.91 Man kann nämlich eine dreifach narrative Struktur der Geschichte des Evangeliums identifizieren: 1. Jesus Christus wird gesehen als letztgültige personale Erschließung des Göttlichen. Er ist der vorzügliche Akteur der Geschichte und zwar durch die impliziten Ansprüche, selbst das Reich Gottes zu sein, sowohl in persona als auch in seinem Handeln. 2. Das Reich Gottes, das Jesus verkündigt und verwirklicht, ist das Reich des Gottes Israels, d. h. desjenigen Gottes, den Jesus als Vater anspricht und der der Schöpfer der Welt ist. 3. Das Resultat von Jesu Identitätsanspruch ist sein Kreuzestod, der vordergründig auf das Scheitern dieses Identitätsanspruchs hinweist. Allerdings bezeugen Christen nun, dass Jesus auferweckt wurde, wodurch sie seinen Identitätsanspruch anerkennen. Fragt man Christen nun nach dem Grund für diese Überzeugung, antworten sie mit dem Hinweis auf das Handeln Gottes, das erschließt, dass Christus lebt (Gal 1,15 f). Da dieses Handeln Gottes an den Glaubenden nicht zu einem Ende gekommen ist, sondern andauert, um vertrauenden Glauben in lebenden Menschen auch heute zu bewirken, werden die Lebensgeschichten der heute lebenden Menschen mit der ihnen erzählten Geschichte verschränkt, die wiederum resonierend mit der Geschichte des Evangeliums selbst verschränkt ist. Diese dreifache narrative Struktur des Evangeliums kann nun als Identitätsbeschreibung des christlichen Gottes verstanden werden, die mit Eigennamen abgekürzt werden kann und so als Geschichte des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes verstanden wird. In der Geschichte der Theologie hat eine theoretische Reflexion auf diese selbstidentifizierende Geschichte zu der Begrifflichkeit der klassischen Trinitätslehre geführt. Kurz gesagt werden hier die Identitäten des Vaters, des Sohnes und des Geistes als konstitutiv wechselseitig relationiert verstanden, 91 Vgl. Braaten, C.E./Jenson, R.W., Christian Dogmatics, Bd. 1, 79–191; Schwçbel, C., Rahmentheorie

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wobei diese Relationen in der christlichen Tradition mit unterschiedlichen Termini beschrieben werden. Die östliche Tradition spricht von zwei Beziehungen der gennesis und ekporeusis, die westliche Tradition seit spätestens Richard von St. Victor neigte dazu, eine einzige Relation der processio anzunehmen, die die notwendigen Personalproprietäten mithilfe des filioque ausdrückt.92 Man könnte nun darüber streiten, welche der beiden Sprachregelungen dem Sachverhalt angemessener ist. Man könnte auch darüber streiten, ob man neue oder andere terminologische Beschreibungen dieses ultimativen und letztgültigen Beziehungsgefüges hinzufügen muss.93 Allerdings wollen wir uns an dieser Stelle damit begnügen, das Augenmerk auf die logische Strukur der Beschreibungen dieses Beziehungsgefüges zu legen, und zwar unabhängig von dessen semantischen Gehalt und unabhängig von ontologischen Ansprüchen: 1. Die Geschichte des Vaters ist nicht die Geschichte Christi oder des Heiligen Geistes. Die Geschichte Christi ist nicht die Geschichte des Vaters oder des Heiligen Geistes. Das Gleiche gilt für die Geschichte des Heiligen Geistes. Folglich ist die Beziehung zwischen den Geschichten oder Identitäten eine asymmetrische (aber dennoch reziproke) Relation. 2. Der Vater ist in einer Weise auf den Sohn und den Geist bezogen, in der er nicht auf sich selbst bezogen ist. Auch der Sohn ist in einer Weise auf den Vater und den Geist bezogen, in der er nicht auf sich selbst bezogen ist. Das Gleiche gilt für die Beziehung des Geistes zu Vater und Sohn. Folglich ist die letztgültige Beziehung eine irreflexive Beziehung. 3. a) Zum-Glauben-kommen bedeutet, das Handeln des Heiligen Geistes zu erfahren. Das im christlichen Diskurs kommunizierte Evangelium erzählt uns nun aber, dass der Heilige Geist auf Jesus Christus bezogen ist. Also impliziert die Aktivität des Heiligen Geistes zu erfahren auch die Erfahrung der Aktivität Jesu Christi. Aus diesem Grund haben auch die Hauptkonfessionen des Christentums jeden Versuch der Beschreibung des Handelns des Heiligen Geistes als unabhängig von Christus zurückgewiesen. b) Da die Geschichte Christi die Geschichte des Gottes Israels als Schöpfer impliziert, bedeutet die Erfahrung der Aktivität Christi auch die Erfahrung der Aktivität des Gottes Israels. Daher hat die Kirche auch jede marcionitische Sichtweise, nach der der christliche Glaube ohne positiven Bezug zum Gott Israels verstanden werden könnte, zurückgewiesen. Aus a) und b) folgt nun, dass die Erfahrung der Aktivität des Geistes auch die Erfahrung der Aktivität Christi bedeutet, und dass, da die Erfahrung der Aktivität Christi auch die Erfahrung der Aktivität des Vaters bedeuet, auch die Erfahrung der Aktivität des Heiligen Geistes die 92 Vgl. Richard von St.Victor, De Trinitate, 5,13, 336; Zur Interpretation vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 164. 93 So hat z. B. Robert Jenson Relationen der Befreiung zu den klassischen Ursprungsrelationen ergänzt und Jürgen Moltmann unterscheidet zwischen einer Konstitutionsebene und einer Ausführungsebene innerhalb der innertrinitarischen Relationen. Vgl. Jenson, R.W., ST I , 156, 158, 161 und Moltmann, J., Trinität und Reich Gottes, 194, 199–201.

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Erfahrung der Aktivität des Vaters bedeutet. M.a.W.: Die Beziehung zwischen Vater, Sohn und Geist ist eine transitive Beziehung. Die logische Struktur der göttlichen Identitäten der göttlichen Metaerzählung ist damit die Struktur einer asymmetrischen, irreflexiven und transitiven Relation. Ich muss zugeben, verglichen mit vielen Beschreibungen Gottes aus der christlichen Tradition wie „Leben“ oder „Liebe“ ist diese Art, von Gott zu sprechen, nicht besonders lebendig und illustrativ. Aber wir werden zu einer lebendigeren Rede von Gott in späteren Kapiteln dieses Buches kommen. Der Vorteil der hier genutzten, sehr formalen Beschreibung ist, dass sie sehr viele und lebendige Beschreibungen Gottes aus der Sprache der Glaubenspraxis und der Theologie aufnehmen kann, weil sie gerade jede semantische Konkretion vermeidet und sich auf syntaktische Beschreibungen beschränkt. Aus Gründen, die wir später zu erörtern haben, kann noch ein weiteres formales Kennzeichen ergänzt werden: Diese letztgültige Beziehung der drei Identitäten kann auch als offenes Ereignis bestimmt werden:94 Die Geschichte des Evangeliums schließt weder mit den letzten Seiten der Schrift noch mit dem gegenwärtigen Zustand der Menschen und ihrer Entwicklung. Wenn nun in der dreifachen Erzählung der christlichen Erfahrung Menschen sich als nicht selbst-geschaffen, als nicht durch sich selbst versöhnt und nicht selbst-vollendet erfahren und wenn der dreifache Grund der Erfahrung als Vater, Sohn und Geist identifiziert werden kann, dann können wir schließen, dass der göttliche Grund nicht vollständig erfahrungstranszendent sein kann. Die Tradition hat diese Einsicht mithilfe des Begriffs göttlicher Inkarnation ausgedrückt: Sie spricht vom verleiblichten Gott in der Krippe, am Kreuz, zwischen Krippe und Kreuz und danach in der Gegenwart Christi. Damit bestimmt diese Art der Leiblichkeit Gottes auch die anderen Arten von Gottes Handeln, nicht nur Gottes Heilshandeln. Daher haben die Reformatoren auch die Beziehung zwischen der dreifachen Erzählung der Erfahrung und der dreifachen Identifikation Gottes als dreifache Geschichte des Handelns Gottes beschrieben. Der entscheidende Punkt ist dabei, dass es sich um eine dreifache Geschichte der Leiblichkeit handelt, denn es ist eine dreifache Geschichte des Handelns als göttliche Selbstgabe: „Denn durch diese Erkenntnis kriegen wir Lust und Liebe zu allen Gepoten Gottes, weil wir hie sehen [Kursivierung vom Verf.], wie sich Gott ganz und gar mit allem, das er hat und vermag, uns gibt zu Hülfe und Steuer, die zehen Gepot zu halten: der Vater alle Kreaturn, Christus alle sein Werk, der heilige Geist alle seine Gaben.“95

Dieses Zitat findet sich am Ende von Luthers Erklärung des Apostolikums als Zusammenfassung des Glaubens. Ähnlich wie wir innerhalb des Rahmens des Modells des ökologischen Gehirns gesehen hatten, dass Erfahrung, Handeln und Affektivität nicht voneinander getrennt werden können, so spricht auch 94 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 276. 308–315. 95 Luther: BSLK, 661, 35–42.

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Luther analog von der Erkenntnis oder Erfahrung, die uns Lust und Liebe beschert – hier verstanden als affektive Zustände –, die sich auf die Gebote, d. h. auf unser ethisches Handeln beziehen. Die Basis für diese Kombination von Erfahrung, Handlung und einer spezifisch ausgeprägten Affektivität ist dabei die Wahrnehmung: in Luthers Worten die Tatsache, dass wir etwas „sehen“. Und der Gegenstand der Wahrnehmung der Glaubenden ist die vollständige Selbstgabe Gottes in seiner dreieinigen Identität als Vater, Sohn und Geist. Die Konsequenz dieses Begriffs des Handelns Gottes als Selbstgabe besteht darin, dass die Identifikation Gottes als Selbstidentifikation gesehen werden muss. Und da diese Selbstidentifikation nicht einfach eine Selbstidentifikation im Rahmen der Geschichte des Evangeliums allein ist, sondern eine Selbstidentifikation in der Verschränkung der dreifachen Geschichten des Evangeliums mit der Geschichte der Natur, der Geschichte der Gemeinschaften und des autobiographischen Selbst ist, muss diese Selbstidentifikation auch als eine Selbstpräsentation in, mit und unter allen Formen der Erfahrung verstanden werden. Gottes Offenbarung ist daher als Selbstpräsentation oder Selbstgabe zu verstehen. Daher geschieht es in, mit und unter Erfahrung, dass Gott wahrgenommen wird. Offenbarung ist daher keine neue Quelle der Information für einen in sich abgeschlossenen menschlichen Geist über irgendetwas, das einfach nur jeder Alltagserfahrung transzendent wäre. Offenbarung ist auch keine Interpretation. Gottes Selbstpräsentation wird wahrgenommen – und zwar unmittelbar von den Glaubenden. Es ist dabei nicht notwendig, Theorien über den dreieinigen Gott zu kennen, damit man Gott als dreieinig wahrnehmen kann. Wie es nicht notwendig ist, eine Theory of Mind ausgebildet zu haben, um empathisch auf andere bezogen sein zu können, so ist es auch nicht nötig mit der Trinitätslehre vertraut zu sein. Allerdings haben Menschen als Kreaturen auch kognitive Bedürfnisse. Daher ist das Betreiben von begrifflicher Theologie eine wichtige Tätigkeit – wenn auch keine basale. Denn sie beruht auf Erfahrung und Praxis. Wir sind nun in der Lage, unsere Explikationen des Begriffs religiöser Erfahrung, religiöser Erschließungserfahrungen und religiöser Offenbarung, wie wir sie in Abschnitt 3.7 expliziert haben, auch auf einen Begriff göttlicher Selbstpräsentation anzuwenden: (A) Christliche Erfahrung: A nimmt in der Perspektive der leiblichen Situation B ein Ereignis C als geschaffen, der Versöhnung und Vollendung bedürftig wahr, im Rahmen ihres/ seines Hoffnungshorizonts D, der aus der verschränkten dramatischen Geschichte des Evangeliums (als Metaerzählung ihrer/seiner Identität) stammt, mit dem Effekt E. (B) Erschließungserfahrungen in christlicher Perspektive: A nimmt in der Perspektive der leiblichen Situation B ein Ereignis C als geschaffen, versöhnungs- und erlösungsbedürftig wahr, indem ihr/sein letztgültiger Erwartungshorizont D, der aus der gemeinschaftlich konstituierten,

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dramatischen Metaerzählung ihrer/seiner Identität stammt, verändert wird zum letztgültigen Hoffnungshorizont D*, der auf der Verschränkung der dramatischen Erzählung des Evangeliums als neuer Metanarration ihrer/seiner Identität beruht. (C) Offenbarung als göttliche Selbstpräsentation: Vater, Sohn und Heiliger Geist erschließen in der Perspektive der leiblichen Situation B sich selbst der geschaffenen Person A als Gott, wodurch deren letztgültiger Erwartungshorizont D, der aus der gemeinschaftlich konstituierten dramatischen Metaerzählung von As Identität stammt, zum letztgültigen Hoffnungshorizont D* modifiziert wird, der nun aus der neuen Geschichte des Evangeliums stammt. In diesem Kapitel haben wir uns mit den phänomenalen Fragen befasst, „Was ist christliche Erfahrung?“ und „Wer ist der Gott, der in der Erfahrung präsent ist?“. Eine der entscheidenden theoretischen und mehr kognitiven Fragen der Theologie ist aber: „Was ist das Wesen dieses Gottes, der sich selbst identifiziert und sich in seiner Identität in der resonierenden Verschränkung dieser Geschichten präsentiert?“ Man könnte darauf einfach antworten – was Stanley Hauerwas getan hat –, dass es ein „storied God“96 ist. Obwohl diese Antwort richtig ist, ist sie doch ein wenig abbreviativ und unbefriedigend, denn diese Frage ist ja eine ontologische Frage, während die Antwort nicht als ontologische Antwort erscheint. Am Ende dieses Buches werden wir versuchen eine vorläufige Antwort auf diese ontologische Frage zu geben, indem wir uns eines Modells bedienen und so zu einer vorläufigen, falliblen Ontologie gelangen. An dieser Stelle erscheint nun allerdings eine weitere wichtige Frage: Zwar konnte gezeigt werden, dass Glaube immer auf Wahrnehmung beruht und im basalen Sinne keine Interpretation von etwas vorgängig Gegebenem darstellt. Da aber Wahrnehmungen bei aller vermittelten Unmittelbarkeit auch falsch sein können, stellt sich nun die Frage nach dem Wahrheitsverständnis des christlichen Glaubens.

3.10 Wahrheit als Resonanz 3.10.1 Wahrheitsprobleme Die christliche Tradition beschäftigt sich in vielfältigem Sinne mit der Wahrheitsfrage. Symptomatisch und paradigmatisch ist der johanneische Wortwechsel zwischen Jesus und Pilatus geworden. Auf Jesu Zeugnis, „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß [sic] ich für die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme“ (Joh 18,37), 96 Vgl. Hauerwas, S., Community of Character, 91.

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antwortet Pilatus bekanntlich skeptisch „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38) – ohne eine Antwort hören zu wollen. Die Pilatusfrage zeigt vielmehr, dass er „nicht aus der Wahrheit ist“. Wahrheit wird johanneisch offensichtlich primär personal verstanden. Davon zeugt nicht nur das Missverständnis erregende Ich-bin-Wort in Joh 14,6 „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“, sondern auch die berühmten Worte des Johannesprologs, die die Wahrheitsproblematik zusammenfassen: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14; vgl. Joh 1,17). Wahrheit ist hier offensichtlich ein Terminus der verleiblicht, inkarniert in einer Person sein und mit Gnade zusammengedacht werden kann. Dabei handelt es sich nicht, wie so oft in der johanneischen Tradition, um den Sondergebrauch einer in-group-language, sondern diese Sprachverwendung findet sich auch im deuteropaulinischen Sprachgebrauch (Kol 1,6) und geht letztlich auf die hebräische Tradtition zurück (Ps 89,1 f.14.24.33; 92,2 f; 100,5; 108,4; 115,1; 117,2). Die Problematik verstärkt sich durch diesen Hintergrund noch. Denn im Gebrauch der Psalmen wird hier die Stilfigur eines Parallelismus Membrorum verwandt, die andeutet, dass derselbe Sachverhalt zweimal mit nur unterschiedlichen Termini wiedergegeben wird: Gnade und Wahrheit konnten also als synonym erscheinen. Fazit: Christlich gehören Wahrheit und Gnade zusammen, beide können personal und verleiblicht erscheinen und haben doch, davon zeugen die Psalmen (Ps 117,2), Ewigkeitsrelevanz. Die christliche Theologie des Westens übernahm freilich mit der aristotelischen Philosophie auch deren Wahrheitsverständnis. Das zeigt sich exemplarisch bei Thomas von Aquin: „veritas consistit in adaequatione intellectus et rei […] Sed quando intellectus est regula vel mensura rerum, veritas consistit in hoc, quod res adaequantur intellectui, sicut dicitur artifex facere verum opus, quando concordat arti“.97

Hier liegt eine klassische Formulierung der heute so genannten Korrespondenztheorie der Wahrheit vor, die Wahrheit als eine intensionale, externe Relation zweier Relate definiert: Vernunft, bzw. heute oft Sprache, bzw. innerhalb der Sprache propositionsfähige Aussagen einerseits, und die Wirklichkeit andererseits. Abgesehen von der eigenen Problematik der Wahrheitstheorien, die damit inauguriert ist, stellt sich das grundsätzliche Problem, ob und ggf. wie der leiblich-personale Gnadenwahrheitsbegriff der christlichen Tradition mit dem propositional-intensionalen Wahrheitsverständnis vermittelt werden kann, oder ob nicht von ganz unterschiedlichen Sachverhalten 97 Thomas von Aquin, s.th. I, q21, a2. („Wahrheit besteht in der Übereinstimmung von Intellekt und Res […] Wenn aber der Intellekt Richtschnur und Maß der Res ist, besteht Wahrheit in der Übereinstimmung der Res mit dem Intellekt; so wird vom Künstler gesagt, er mache ein wahres Werk, wenn es in Konkordanz mit der Kunst steht.“).

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die Rede ist. Einfach wäre die Annahme, das propositionale Wahrheitsverständnis und der Gnadenwahrheitsbegriff würden schlicht auf unterschiedliche Sachverhalte referieren und seien nicht vermittelbar. Das allerdings kostet einen hohen Preis; denn der Schritt zu einer nicht mehr zu vermittelnden Auffassung des Auseinanderbrechens der Wirklichkeit in zwei Bereiche – einen propositionalen Bereich, der für die naturwissenschaftliche Weltkenntnis eine Rolle spielen mag, und in einen existentiellen Bereich – ist dann nicht mehr groß. Diese Aufteilung verbietet sich aus schöpfungstheologischer Sicht, wenn es richtig ist, dass Gott der Schöpfer einer gesamten Wirklichkeit ist.

3.10.2 Problemgeschichte der Wahrheitstheorien Die Geschichte der Wahrheitstheorien der Neuzeit kann als Modifikationsgeschichte des klassischen, aristotelisch-thomistischen Wahrheitsbegriffs der Wahrheit als adaequatio rei et intellectus gelesen werden: Eine Übereinstimmungsrelation von zwei Relaten kann nur gegeben sein, wenn beide Relate von gleicher Art sind. Deutet man die Adäquanz als Kongruenz, dann kann man von der Kongruenz zweier geometrischer Figuren sprechen, vielleicht auch noch im Bereich der bildenden Kunst von der Übereinstimmung eines Kunstwerks mit der es abbildenden Wirklichkeit. Der Vorteil wäre, dass man den Wahrheitsbegriff dann zur Sicherstellung eines Realismus nutzen könnte. Aber man sieht sofort, dass Abbildtheorien versagen. Das gilt schon im Bereich der Kunst, und auch Thomas war dies bewusst: Da jegliches Kunstwerk, selbst wenn man es als Abbildung versteht, nicht mit dem Abgebildeten identisch sein kann, ist nicht die abgebildete Wirklichkeit Maßstab und Richtschnur der Übereinstimmungsrelation, sondern eben die Kunst und deren Regeln. Auf kognitive Bereiche übertragen kann man sagen: Die Korrespondenztheorie kommt zwar unserer Intuition entgegen, dass dasjenige wahr ist, „was der Fall ist“98, wie der junge Wittgenstein sagt. Aber weil jeder kognitive Gehalt notwendig in sprachlicher Gestalt vorliegt und innerhalb derer als wahrheitsfähig allgemein nur propositionale Aussagen angenommen werden, müsste eine Abbildtheorie der Wirklichkeit verwendet werden. Sprachliche Aussagen bilden aber nichts ab und daher ist es schwierig von einer Übereinstimmung solch ungleicher Relate wie (propositionale) Sprache und Wirklichkeit zu sprechen. Die semantische Wahrheitstheorie Tarskis löst dieses Problem, indem die Relate nun angeglichen werden: Es handelt sich in beiden Fällen um Sprache, nur um Sprache auf verschiedenen Ebenen: Der Satz „Schnee ist weiß“ in einer Metasprache gesprochen ist genau dann wahr, wenn „Schnee tatsächlich weiß 98 Vgl. Wittgenstein, L., Tractatus, 4.024, 28.

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ist“ – nun auf der Objektsprache gesprochen.99 Diese semantische Wahrheitstheorie ist ohne Zweifel kohärent; aber sie setzt voraus, dass sich überhaupt mehrere Sprachebenen unterscheiden lassen. Im Bereich der naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorie wäre diese Lösung nur sinnvoll, wenn sich etwa Beobachtungen eins zu eins in Protokollsätzen widerspiegeln würden,100 die dann auf der Metaebene einer Theorie bearbeitet werden würden. Dieses Verständnis fand sich zwar z. T. im Neopositivismus, ist aber letztlich kaum haltbar und wird daher heute kaum noch vertreten. Während semantische Wahrheitstheorien die Relate aneinander angleichen, aber die Relation der Übereinstimmung beibehalten, modifizieren Kohärenztheorien101 zusätzlich noch diese Relation, kommen aber ohne die Annahme einer Hierarchie von Fundamentalem und Abgeleitetem aus: Wahr sein können nur zwei propositionale Relate, die in einer Nicht-Widerspruchsrelation stehen. Auch diese Annahme ist ohne Zweifel richtig. Hier wird aber nur ein notwendiges Wahrheitskriterium geliefert. In der Praxis ist dies zwar sehr hilfreich, weil zumindest eine von zwei einander widersprechenden Aussagen als falsch ausgeschlossen werden kann. Aber es handelt sich eigentlich nicht um eine ontische Theorie der Wahrheit, sondern um eine funktionale; denn was Wahrheit ist, sagt uns die Kohärenztheorie letztlich nicht. Auch die Konsensustheorie der Wahrheit modifiziert die Relate und Relation der klassischen Korrespondenztheorie,102 aber in einer Weise dass auch die pragmatische Dimension berücksichtigt ist: Sprache wird hier nicht einfach als eine abstrakte Menge semantischer, propositionaler Aussagen verstanden, sondern die pragmatische Dimension der Sprachbenutzer wird berücksichtigt. Wahr ist dann das, was in einer idealen Situation nach den Regeln eines idealen Diskurses (widerspruchsfrei, herrschaftsfrei, etc.) als Konsens gefunden würde.103 Obwohl sich die Konsenstheorie bewusst ist, dass nicht jeglicher Konsens Wahrheitsfähigkeit bezeugt, sondern nur der nach den Regeln einer idealen Kommunikation geschehene,104 wird deutlich, dass sich hier eine grundsätzliche weltanschauliche, letztlich sogar eschatologische 99 Vgl. Tarski, A., Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen. 100 Vgl. z. B. Carnap, R., Universalsprache, 438: „Unter ,Protokollsätzen‘ wollen wir jetzt immer die Sätze ursprünglicher Protokolle verstehen. Die Sprache, der diese Sätze angehören, wollen wir die ,Protokollsprache‘ nennen. […] Die Frage nach der genaueren Charakterisierung dieser Sprache […] läßt [sic] sich […] noch nicht beantworten.“ 101 Vgl. Rescher, N., The Coherence Theory of Truth. 102 Vgl. Habermas, J., Wahrheitstheorien, 218: „Wahrheit nennen wir den Geltungsanspruch, den wir mit konstativen Sprechakten verbinden. Eine Aussage ist wahr, wenn der Geltungsanspruch der Sprechakte, mit denen wir, unter Verwendung von Sätzen, jene Aussage behaupten, berechtigt ist.“ 103 Vgl. Habermas, J., Wahrheitstheorien, 255 f. 104 Vgl. Habermas, J., Wahrheitstheorien, 257: „Ein vernünftiger Konsensus kann von einem trügerischen in letzter Instanz allein durch Bezugnahme auf eine ideale Sprechsituation unterschieden werden.“

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Frage stellt: Denn einerseits kann über die Regeln einer idealen Kommunikation offensichtlich gestritten werden. Vorausgesetzt ist eine Ontologie der idealen Kommunikation, und man kann zurecht fragen, ob ein Entwurf einer Ontologie der idealen Kommunikation nicht bereits den Wahrheitsbegriff voraussetzen muss. Andererseits ist deutlich, dass wir gegenwärtig offensichtlich nicht in einer solchen idealen Kommunikationssituation leben, so dass ein prozessual-geschichtlicher, wenn nicht gar ideal-eschatologischer Aspekt eine nicht zu hintergehende Rolle spielt. Pragmatische Wahrheitstheorien beziehen ebenfalls die pragmatische Dimension der Zeichenbenutzer mit ein und machen diese auch explizit. Ausgangspunkt ist hier die Beobachtung, dass Sprache eine Untergattung von Handlungen darstellt und daher diejenigen sprachlichen Ausdrücke wahr sind, die letztlich zu einer erfolgreichen Praxis führen; schon Bedeutung ist eine Funktion des Handelns, und Wahrheit ebenso.

3.10.3 William James’ Wahrheitsverständnis Als Beispiel einer pragmatischen Wahrheitstheorie sei die von William James ausführlicher besprochen. James geht davon aus, dass wahre beliefs „invaluable instruments of action“105 sind. Dabei gilt: „Truth happens to an idea, it becomes true, is made true by events.“106 Wie ist dies zu verstehen? William James versteht sein Wahrheitsverständnis ausdrücklich als Reformulierung der klassischen Korrespondenztheorie.107 Das eine, klassisch mit intellectus bezeichnete Relat, wird bei James nicht auf propositionale Aussagen eingeengt, sondern jegliche Art von menschlicher Bezugnahme, einschließlich ideas und beliefs, sind wahrheitsfähig, und sogar als solche erfahrbar in der Praxissituation konkreter Welthabe.108 Da diese Praxissituation aber von einer „dramtatic richness of the concrete world“109 gekennzeichnet ist, sieht James ausformulierte Wahrheitsdefinitionen als problematisch an. Diese Dramatik der Praxissituation besteht dabei darin, dass sie ein dauernder prozessualer Übergang von gegenwärtig ausstehendem Bestimmungsbedürftigen in gegenwärtig Bestimmtes durch Selektionsakte ist. Diese Selektionsakte geschehen aber als Handlungen kontingent, nicht notwendig und sind insofern orientierungsbedürftig.110 Orientierung in dieser Praxissitutation ist aber nur möglich, wenn Überzeu105 106 107 108 109 110

James, W., Pragmatism, 97. James, W., Pragmatism, 97. Vgl. Seibert, C., William James, 333. Vgl. Seibert, C., William James, 334. James, W., Will to Believe, 62. Vgl. Seibert, C., William James, 336.

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gungen vorhanden sind, und wenn zudem wahre Überzeugungen die Handlung leiten.111 Die Wahrheitsrelation: Diese wahren Überzeugungen sind zugleich gute Überzeugungen, so dass James klassisch von einer Identität des Wahren und des Guten ausgeht, dabei aber die Güte von der Nützlichkeit her als „profitable to our lives“112 bestimmt. Diese profitable Nützlichkeit darf aber nicht merkantilistisch missverstanden werden. Zudem ist anzumerken, dass die Nützlichkeit oder der Befriedigungswert der Wahrheit nur notwendige, keine hinreichende Bedingungen für sie sind und nicht in Konkurrenz zu ihrem Wirklichkeitsbezug stehen. Vielmehr geht James davon aus, dass Nützlichkeit und Befriedigungswert Wirklichkeitsbezug voraussetzen, nicht umgekehrt. Ein agreement von Überzeugungen und Wirklichkeit ist damit letztlich das, was die Wahrheitsrelation ausmacht.113 Das zweite Relat (das der Wirklichkeit) ist daher nach James so beschaffen, dass es nicht vom Handelnden geschaffen, sondern diesem vorgegeben, aber auch nicht von diesem unabhänging ist. Als zu bestimmende Realität erscheint diese immer nur in ihrerseits schon bestimmten Handlungssituationen und Praxen und ist daher semantisch nicht ohne den Handelnden zu denken. Dennoch ist der Handelnde nicht der Grund des Realen, sondern dieses zeigt sich in der Handlungssituation als zu Bestimmendes.114 Das nicht selbst geschaffene, aber durch die jeweils persönliche narrative Situation bedingte personale Interesse und der jeweilige Erwartungshorizont des Handelnden bestimmt dabei schon auf vorsprachlicher Ebene, welche Aspekte des zu bestimmenden Realen hervortreten. Wahrheit ist damit als operationable immer schon perspektivisch vor jedem prädikativem Akt narrativ und perspektivisch bestimmt. Als Grenzbegriff kann James eine absolute Wahrheit theoretisch denken, die allerdings erfordert, dass alle möglichen Bestimmungslagen aller möglichen Handlungssituationen erfasst werden würden; d. h. also in dem eine Bestimmungslage als Folie aller denkbar möglichen Interessen – und daher auch aller denkbar möglichen narrativen Biographien – erschiene.115 Dies kann nur ein theoretischer Begriff sein. Aufgrund der evolutionär-narrativen Wirklichkeitssicht zeigt sich zudem, dass eine als wahr bewährte Überzeugung in einer Handlungssituation immer nur vorläufig als solche bewährt werden kann. Die geschichtliche Dimension der Wahrheitsrelation besteht dabei darin, dass einerseits Manifestationen vergangener wahrer Überzeugungen einen Erwartungshorizont für zukünftige bilden, dass aber erst von der Zukunft her eine tatsächliche Übereinstimmung mit der Wirklichkeit verstanden werden kann. Eine ideale Wahrheit 111 112 113 114 115

Vgl. Seibert, C., William James, 337. James, W., Pragmatism, 42. Vgl. Seibert, C., William James, 342. Vgl. Seibert, C., William James, 345–352. Vgl. Seibert, C., William James, 353–356.

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als Übereinstimmung von Überzeugung und Wirklichkeit wäre damit nicht nur von dem synchronen Aspekt des Einbezugs aller möglichen personalen Interessen abhängig, sondern ebenso von einer nicht mehr zu überschreitenden Zukunft.116 Das Gesagte sei am Beispiel eines in der Wildnis verirrten Wanderers verdeutlicht: “If I am lost in the woods and starved, and find what looks like a cow-path, it is of the utmost importance that I should think of a human habitation at the end of it, for if I do so and follow it, I save myself. The true thought is useful here because the house which is its object is useful.”117

Die zu bestimmende Wirklichkeit als das eine Relat der Wahrheitssituation ist hier nicht unabhängig vom Handelnden, aber dennoch dem Handelnden vorgegeben, denn aufgrund der vorgegebenen biographisch-narrativen Elemente des Verirrt- und Hungrigseins kommt ein personales Interesse zustande, das die Aufmerksamkeit unwillkürlich so lenkt, dass aus der Wildnis nicht irgendetwas, das wie Bäume, Berge, Büsche oder der blaue Himmel erscheit, sondern etwas, das wie ein Kulturtierpfad erscheint, zutage tritt. Dass dieses freilich erscheinen kann, ist dem Handelnden vorgegeben. Die Überzeugung als das zweite Relat besteht nun darin, dass dieser vermeintliche Kuhpfad als Zeichen für Häuser der Zivilisation als Stätten der Abhilfe von Hunger und als Ausgangspunkt für weitere Orientierungen zur Kulturwelt verstanden werden. Ob diese Überzeugung eine wahre sein kann, ist einerseits durch das Erscheinen oder die Manifestation der Wahrheit selbst abhängig, d. h. dem Wanderer drängt sich der Pfad eben als Kulturtierpfad, nicht aber als Wildtierpfad auf. Folgt er ihm, mag sich die Wahrheit erst in Zukunft weiter bewähren, etwa wenn er im Verlauf des weiteren Weges Tränken, Gatter und schließlich das erhoffte Haus finden mag, das eine, wenn auch nur vorläufig, endgültige Zukunft repräsentiert.

3.10.4 Wahrheit und Wahrnehmung Betrachtet man insgesamt die verschiedenen Wahrheitstheorien – und andere hätten ebenfalls noch genannt werden können – können diese als Modifikationen der klassischen Korrespondenztheorie gelesen werden. Dabei fällt auf: Die meisten dieser Modifikationen verändern entweder die Klasse einer oder beider Relate und/oder die Relation, ohne aber den Grundcharakter einer zweistelligen externen Relation aufzugeben, d. h. einer Relation, in der die beiden Relate (Sprache und Wirklichkeit) voneinander unabhängig bestehen. Dabei wird offensichtlich ein Repräsentationalismus in einem weiten Sinne 116 Vgl. Seibert, C., William James, 356–361. 117 James, W., Pragmatism, 98.

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vertreten, denn der Gehalt der Welt soll in irgendeinem Sinne durch den Gehalt der Sprache oder des Geistes repräsentiert werden, und zwar in einer angemessenen Weise, die dann als „wahr“ bezeichnet wird. Mindestens im Falle der pragmatistischen Wahrheitstheorie von William James wird aber diese Grundstruktur durchbrochen: Hier gehen in die Bestimmung des personalen Relats Bestimmungen der zu bestimmenden Situation ein und umgekehrt: Damit aber verändert sich auch die Wahrheitsrelation: Sie ist weit mehr als eine externe Relation, sondern wird in Richtung einer internen Relation, d. h. einer Relation, in der beide Relate füreinander konstitutiv sind, verändert. Damit erübrigt sich auch der Charakter des Repräsentationalismus: Obwohl James noch von einem agreement sprechen kann, dürfte dies nicht mehr in einer angemessenen Repräsentation bestehen. Vielmehr ist James’ Wahrheitsverständnis kompatibel mit unseren Vorstellungen des passiven und aktiven Externalismus und der Theorie der begrifflichen Erfahrung. Sie passt sehr gut zur Theorie des Erfahrens als Wahrnehmen. Unter diesen Paradigmen verändert sich auch die Wahrheitsproblematik. Wahrheit kann nicht mehr einfach unter der Disjunktion von einer Korrespondenz bzw. fehlenden Korrespondenz zwischen begrifflichen Überzeugungen und Fakten aufgefasst werden, sondern steht nun unter der Disjunktion von richtigem und falschem Wahrnehmen, von angemessenen und nicht-angemessenen Erfahrungen. Wahrheit ist keine Korrespondenz, sondern eine Resonanz. Das pragmatistische Wahrheitskonzept, wie es an William James’ Verständnis exemplifiziert wurde, kann unter diesen Bedingungen u. U. vielversprechend weiterentwickelt werden. Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes wäre, dass er auch zu Einsichten der phänomenologischen Tradition passt. Wichtig für unsere Zwecke ist nur, dass ein solcher Ansatz es erlaubt, auch Resonanzen zum theologischen Wahrheitsbegriff zu sehen. 3.10.5 Auf dem Weg zu einem theologischen Wahrheitsverständnis Christlicher Glaube bedeutet, so wurde diagnostiziert, Vertrauen, dass die Wahrheit der Erzählung des Evangeliums als viva vox, als lebendige Stimme der guten Nachricht, die Wahrheit über die Biographie des eigenen Lebens darstellt. „Wahrheit“ ist also nicht nur ein durch die biblischen Zeugnisse gegebener partikularer Inhalt, sondern gehört zum Grundvollzug des Lebens im Glauben insistierbar dazu. Daher ist erwartbar, dass eine Explikation dieses Glaubens auch zu einer Erhellung des Wahrheitsbegriffs führen kann. Erstens: Wir sahen, dass christlicher Glaube als Vertrauen die Struktur eines aktiven Externalismus besitzt, indem es immer von der narrativen Evangeliumskommunikation der Glaubenden untereinander abhängig ist. Da das Vertrauen aber die eigene personale Identität bestimmt, gilt, dass die andere

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Person konstitutiv für die eigene Person ist118. Wir sahen schon, dass die geschaffene Person sich selbst, die personale und die apersonale Welt als passiv konstituiert, d. h. als geschaffen von derjenigen Instanz wahrnimmt, die sich in der Konstitution des Vertrauens selbst präsentiert. Das als geschaffen oder geschenkt wahrgenommene Vertrauen ist somit eine Schule der Wahrnehmung, genauer der Wahrnehmung der Welt als Schöpfung. Zweitens: Indem der Vertrauende sein eigenes Leben im Lichte des Evangeliums wahrnimmt, nimmt er eigenes und fremdes Leid, eigene und fremde Schuld als Ausdruck der Sünde wahr, wie er eigenes und fremdes gelungenes Leben als zurechtgebrachtes und gerechtfertigtes Leben wahrnimmt. Auf diese Weise ist das glaubende Vertrauen ebenfalls eine Schule der Wahrnehmung, genauer, der Wahrnehmung der Welt als gefallen und zurechtgebracht in Christus. Drittens: Christen nehmen wahr, dass die Wahrnehmung von sich selbst und der Welt als geschaffen, gefallen und zurechtgebracht keine trügerische, sondern eine tragfähige Wahrnehmung ist, weil auch diese Gewissheit nicht selbst konstituiert ist. Damit aber entsteht aus dem Vertrauen auch die Hoffnung auf die eschatische Vollendung der Welt. Das glaubende Vertrauen ist damit drittens ebenso eine Schule der Wahrnehmung, diesmal der Wahrnehmung der Hoffnung auf Vollendung. Handelt es sich bei dieser Wahrnehmung im glaubenden Vertrauen aber um keine trügerische Wahrnehmung – oder anders ausgedrückt: Handelt es sich bei dieser dreifachen Selbstpräsentation Gottes nicht um einen Trug –, dann ist Gott in seinem Sein, so können wir schon hier Kapitel 5 vorwegnehmend diagnostizieren, in Ewigkeit – auch ohne dass es die Welt gäbe, wie er sich zeigt: Gottes Sein selbst ist eine trinitarische, narrative Liebeskommunikation oder Liebesgeschichte, dann ist Gottes Sein selbst das Werden einer Geschichte. Oder anders ausgedrückt: Gottes Sein ist narratives Sein. Dies qualifiziert aber das Sein aller welthafter Entitäten als Geschöpfe selbst: Eine christliche Ontologie der Welt sieht in der Welt nichts anderes als ein Sprechhandeln des dreieinigen Gottes. Nicht weil in der Welt gesprochen wird, wird Gott der Sohn abgeleitet als Wort bezeichnet und die Schöpfung als Sprechhandeln beschrieben. Sondern weil Gott selbst Kommunikation ist, wird die Schöpfung als Sprechhandeln geschaffen und ist Sprache innerhalb der Schöpfung möglich. Nicht weil Menschen sich die Geschichte des Evangeliums erzählen, ist Gott eine Liebesgeschichte, sondern weil Gott eine Liebesgeschichte ist, können Menschen die Geschichte des Evangeliums erzählen. Nicht weil die Welt prozessual-geschichtlich ist, ist auch Gott als verdoppelte Welt prozessual-geschichtlich zu denken, sondern weil Gott selbst prozessualgeschichtlich ist, ist die Welt als evolutionäre Geschichte geschaffen. Nicht weil Menschen Liebe erfahren, nennen sie Gott liebend, sondern weil Gott Liebe ist, ist auch Liebe zwischen den Geschöpfen erfahrbar. 118 Zum hier verwandten Personbegriff s. u., Kap. 5.

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3.10.6 Eine theologische Resonanztheorie der Wahrheit Vor dem Hintergrund der in diesem Kapitel entfalteten theologischen Epistemologie und im Vorgriff auf die in Kapitel 5 zu enfaltende theologische Ontologie ergeben sich nun Präzisionen des Wahrheitsverständnisses: 1. Die trinitarische Relation zwischen den Narrationen der Personen von Vater, Sohn und Geist ist eine kommunikative Relation in Liebe und Übereinstimmung. Daher kann Gottes Sein selbst als Wahrheit verstanden werden, nämlich als Übereinstimmung zwischen Vater, Sohn und Geist. 2. Im Rahmen einer christlichen Ereignisontologie narrativ semiotischer Kommunikation, die eine Kooperation zwischen göttlichem und menschlichem Handeln annimmt, lassen sich Einsichten der klassischen Korrespondenztheorie aufrechterhalten und gleichzeitig ihre Schwierigkeiten vermeiden, indem nun eine Resonanztheorie entworfen wird.119 Denn nun gehören die beiden Relate, also menschliche Sprache und Realität, zur gleichen Klasse von Gegenständen: Beides sind Ereignisse von narrativen Sprachhandlungen: Realität ist die Klasse der Ereignisse des göttlichen dramatischen Erzählhandelns (in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung) und menschliche Sprache und menschliches Handeln überhaupt ist die Klasse menschlichen Miterzählhandelns, d. h. der Antwort des Menschen in relativer Abhängigkeit und Unabhängigkeit zum vorgängigen Sich-Ereignens göttlicher, auf die Welt bezogener Kommunikation. Mit Colin Gunton können wir daher sagen: „Die Welt ist eine solche Art von Gegenstand, dass sie in Sprache interpretiert werden kann. Sie ist selbst, oder hat selbst, metaphorisch!, eine Art von Sprache.“120

Es gibt daher, um mit Jüngel zu sprechen, „ein Wechselspiel von Mensch und Welt, in welchem der Mensch sich kosmomorph und die Welt anthropomorph versteht“121. Daher könnten beide in einer Beziehung der Korrespondenz oder Übereinstimmung stehen; da sich aber menschliches Handeln immer nur als geschaffen dem göttlichen verdankt und göttliches Handeln sich in, mit und unter dem leiblichen Handeln seiner Kreaturen vollzieht, ist eher von einer Resonanz denn einer Korrespondenz zu sprechen. Beachten wir den kategorialen Unterschied zwischen menschlichem und göttlichem Handeln, zwischen actio Dei und actio hominum, können wir Wahrheit folgendermaßen definieren: Wahrheit ist die Resonanz in dramatischer Kohärenz zwischen kreatürlichpersonalem (Erzähl)Handeln und göttlichem (Erzähl)Handeln und dessen ereignishaften Effekten. Diese Wahrheitsdefinition ist aus einer christlichen Binnenperspektive 119 Vgl. zu diesem Abschnitt auch M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 36 f. 120 Gunton, C.E., Actuality of Atonement, 37. 121 J ngel, E./Ricoeur, P., Thesen zur Metaphorologie, 63.

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heraus gewonnen. Diese Theorie liefert aber nicht nur eine Definition von Wahrheit, sondern sie erlaubt es auch zu erklären, warum der einzige operationable Nachweis von Wahrheit in pragmatischer Bewährung besteht. Diese Theorie liefert eine ontologische Beschreibung von verschiedenen Relationen zwischen verschiedenen Arten des Handelns und daher ist sie auch direkt ethisch relevant. Als solche hat sie zu berücksichtigen, dass menschliches Handeln einschließlich menschlichen Sprech- oder Erzählhandelns immer dramatisch in der Perspektive des Falles der Schöpfung und ihrer Versöhnung zu betrachten ist, also unter der Perspektive von Sünde und Zurechtbringung. Die menschliche Suche nach Wahrheit und deren Entdeckung in allen Bereichen menschlicher Erkenntnisbemühung und Wissenschaft hängt also nicht allein vom schöpferischen, sondern auch vom versöhnenden und vollendenden Handeln von Vater, Sohn und Heiligem Geist ab. 3. Im letzten Abschnitt wurde als Wahrheitsrelation lediglich eine passende Resonanz als Nichtwidersprüchlichkeit vertreten. Soll es zu einer vollständigen passenden Resonanz, d. h. einer harmonischen Resonanz von menschlichem und göttlichem Erzählen kommen, setzt dies voraus, dass die gesamte Geschichte, die Gott ist, und die gesamte Geschichte, die die Welt ist, in Beziehung gesetzt werden. Dies setzt offensichtlich, mit Pannenberg gesprochen, das Ende der Geschichte der Welt voraus. Allerdings gibt es innerhalb der Welt eine biographische Narration – die des inkarnierten Sohnes Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch – die diese Bedingung erfüllt. Daher ist der inkarnierte Logos in der Tat in leiblicher Form Wahrheit. Vorausgesetzt ist freilich, dass dessen narrative Biographie nicht nur zwischen Inkarnation und Auferstehung besteht, sondern dass der Christus praesens mit zu dieser identitätsbildenden Geschichte gehört. 4. Der Christus praesens wird aber nicht anders vergegenwärtigt als durch den Geist, der der Geist der Wahrheit (Joh 14,17; 16,13) ist. Wahrheit erscheint hier als eine doppelte Relationierung: Die leibliche Narration Jesu Christi, die die Resonanz von menschlichem und göttlichem Erzählhandeln ist, wird in der Gemeinschaft den Menschen durch den Geist vergegenwärtigt, so dass sie in diese Wahrheitsrelation mit einbezogen werden – wenn auch unter geschichtlichen Bedingungen nur bruchstückhaft und in Hoffnung auf Vollendung als endgültigen Einbezug in die innertrinitarische Kommunikation. Wenn der Anspruch der christlichen Narration nicht trügerisch ist, ist auch die menschliche Vernunft und Erkenntnis erlösungsbedürftig. Und daher steht die menschliche Suche nach der Wahrheit unter einem eschatologischen Vorbehalt. Nichtsdestotrotz: eine Folge dieser Wahrheitstheorie ist, dass Wahrheit nun ein Gegenstand der Ethik wird: Sind unsere Erzählhandlungen mit dem Handeln Gottes in dramatischer Kohärenz harmonisch resonierend vereinbar, sind sie wahr. Und das können durchaus verschiedene sprachliche Antworten in der Kommunikation mit Gottes Erzählhandeln sein. Passen sie nicht, indem sie disharmonisch resonieren, sind sie falsch. Welche das sind, bleibt abzuwarten, bis wir nicht mittelbar, sondern unmittelbar, von Ange-

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sicht zu Angesicht, in die Liebesgeschichte einbezogen sind, die Gott ist. Das heißt aber nichts anderes als: Was im Einzelnen wirklich wahr ist, hängt davon ab, ob es zur gesamten, noch unvollendeten narrativen Geschichte zwischen Gott und Welt passt. Und das, was von Seiten menschlicher Kommunikation sich als „wahr“ erweisen kann, kann sich nur als wahr erweisen, weil nicht menschliche Geschöpfe alleine ihre Sprechhandlungen ausführen, sondern dem Beistand des Heiligen Geistes ausgesetzt sind. 5. Wahrheit ist damit keine Sache der Gemeinschaft der Glaubenden allein. Denn das wahrheitspräsentierende Handeln des Geistes ist nicht auf die Kirche beschränkt. Wo immer Menschen etwas als „wahr“ erkennen – auch im vermeintlich völlig nicht-religiösen Zusammenhang, ist der Heilige Geist als Urheber der Wahrheitserkenntnis zu denken. Das bedeutet, dass auch in anderen Religionen, sofern hier auch nur ein Teil der Wahrheit erkannt wird, aus christlicher Perspektive der Geist am Werk gesehen werden muss. Es bedeutet aber auch, dass im Rahmen unserer naturwissenschaftlichen Welterkenntnis das wahrheitspräsentierende Wirken des Geistes am Werk gesehen werden muss, und zwar vollständig unabhängig vom vertrauenden Glauben der jeweiligen Naturwissenschaftler. Das bedeutet aber, dass aus christlicher Perspektive der methodische Atheismus der Naturwissenschaften gerade aufgrund dieses methodischen Atheismus zumindest vorläufige Wahrheiten erkennt, die aufgrund des Beistands des Geistes als erkannt gelten müssen. 6. Strukturell passt diese theologisch-ethische Wahrheitstheorie zum pragmatistischen Wahrheitsverständnis: Wie bei James sind die Relate nicht rein sprachlich, sondern das eine Relat sind menschliche, handlungsleitende Überzeugungen. Wie bei James ist das andere Relat nicht einfach ein begriffsloses Faktum, sondern die immer schon leiblich-narrativ, perspektivisch auf Handlungssituationen erscheinende Welt. Wie bei James ist der Wahrheitserkennende zwar auch aktiv, aber Wahrheit ist keine Konstruktion, sondern zeigt sich oder erscheint als Resonanz. Der Unterschied zu James besteht freilich darin, dass als Urheber dieser Resonaz das Handeln des Geistes identifiziert wird – und das ist etwas, das sich außertheologisch nicht sagen lässt. Wie bei James ist Wahrheit im Laufe welthafter Prozesse der Welt nicht endgültig erkennbar, sondern auf die Verifikation durch die weitere Geschichte angewiesen. Im Unterschied zu James kann freilich ein konkretes Eschaton benannt werden, das hier hoffnungsleitend ist. Erklärbar ist daher sowohl vor dem Hintergrund von James als auch vor dem hier vorgestellten christlichen Wahrheitsverständnis, warum eine Gewissheitsasymmetrie zwischen Wahrheit und Falschheit besteht: Falsifikation einer Überzeugung und Bewährung einer Überzeugung bewirken beide handlungsleitende Gewissheiten. Allerdings sind Falsifikationen – unter dem Einschluss von dramatischer Kohärenz – immer schon zum jeweils jetzigen Zeitpunkt der Narration der Welt vollständig, während Bewährungen auf die Zukunft hin offen für Revisionen sind. Dies erklärt auch den Unterschied zwischen demjenigen Wahrheitsbereich, der von den Naturwissenschaften erfasst wird und dem

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christlichen Glauben: Da Glauben immer Vertrauen ist, das seinerseits nicht ohne die Hoffnungsdimension denkbar ist, bleibt er stets für Revisionen offen. Ein Unterschied zu James bleibt allerdings bestehen: Während hinsichtlich des synchronen Moments James Wahrheit abstrakt bestimmen muss als theoretisches Integral des Erscheinens von Wahrheit angesichts aller denkbaren Handlungssituationen, die auf dem Integral aller denkbaren persönlichen Interessen beruhen, ist der christliche Vollbegriff der Wahrheit konkret (und damit auch partikular) nicht das Integral aller möglichen Geschichten, sondern ist mit der Geschichte Jesu Christi gegeben. Eine letzte Gemeinsamkeit sei schließlich noch benannt: Wie bei James sind die beiden in der Wahrheitsrelation relationierten Relate nicht unabhängig voneinander: Sowohl der Erkennende als auch dessen Vertrauen besteht nur aufgrund der schöpferischen Fakten, des Handelns Gottes, zu dem die Wahrheitsrelation besteht. Wie bei James ist die Wahrheitsrelation hier eher eine interne Relation, d. h. eine Relation, die für das Bestehen der Relate konstitutiv ist. Eben dies soll durch den Terminus der Resonanz ausgedrückt werden. 7. Dieses christliche Wahrheitsverständnis bleibt einerseits notwendig partikular: Es kann nur von denjenigen vertreten werden, denen die Wahrheit des Evangeliums als Wahrheit des Lebens erschlossen worden ist. Andererseits hat dieses christliche Wahrheitsverständnis einen universalen Aspekt: Wahrheit, wo immer sie erscheint, ist gemäß dieser Wahrheitstheorie zu verstehen. Während der Anspruch also universal ist, bleibt die Einsehbarkeit in die Gültigkeit dieses Wahrheitsverständnisses notwendig partikular. Daher sind konkurrierende Wahrheitsverständnisse und -theorien explizit zugelassen. Allerdings würde christlicherseits behauptet werden, dass auch solche Wahrheitsverständnisse an der Struktur der universalen Gültigkeit bei partikularer Einsehbarkeit partizipieren. Wahrheit beinhaltet immer ein passives Element: Sie stellt sich ein, zeigt sich, wird manifest – oder christlich gesprochen: Sie beruht auf der gnadenhaften Vergegenwärtigung Christi durch den Geist. Und daher wird diejenige und derjenige, dem die Wahrheit des Evangeliums als über das eigene Leben im Zusammenhang mit allen welthaften Prozessen der Welt gewiss geworden ist, auch stets bekennen: Wir sehen seine Herrlichkeit, voller Gnade und Wahrheit. Voraussetzung dieses Wahrheitsverständnisses ist allerdings nicht nur, dass man die Perspketive des christlichen Glaubens teilt, sondern auch, dass die nicht-personalen Ereignissequenzen der Welt, also die natürliche Welt, sich tatsächlich als eine Erzählung in dramatischer Kohärenz verstehen lässt. Diese Voraussetzung wurde implizit auch schon in Kap. 3.8 und 3.9 gemacht, als wir über Gottes Selbstpräsentation sprachen. Denn da sich Gott selbst identifiziert innerhalb der Verschränkung derjenigen identitätsbildenden Geschichten, zu denen auch die Geschichte der Natur gehört, ist es nun nötig, einen genaueren Blick auf diejenigen Geschichten dieser resonierenden Verschränkung zu werfen, die nicht das Evangelium sind. Wir werden uns dabei nur auf eine

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dieser Teilgeschichten konzentrieren: auf die Geschichte der Natur, insoweit sie das Vorpersonale und Personale betrifft, d. h., wir haben über Evolution zu sprechen.

4. Evolution als Niche Construction 4.1 Einleitung In Kapitel 2 war zu sehen, dass das Gehirn als leiblich zu verstehen ist und dass der Leib in zumindest teilweise internen oder konstitutiven Beziehungen zur Umwelt relationiert ist. Daher bedeutet, über das Gehirn zu sprechen, immer auch, über die Umwelt zu sprechen: Das Gehirn ist in grundlegender Weise das ökologische Gehirn. Es kann weder unabhängig von der Geschichte der Person noch unabhängig von der Umwelt der Person verstanden werden. Die Geschichte aber ist ein Prozess und bedeutet immer Veränderung. Seit dem Beginn der Neuzeit scheint man mehr als in anderen Zeiten zu versuchen, die verborgenen Gesetze und Regeln, durch die die Veränderungen und Prozesse konstituiert sind, die unsere Lebenswelt ausmachen, zu finden. Möglicherweise hat dieses Interesse mit einer spezifisch modernen Haltung oder einem modernen Lebensgefühl zu tun, das ich an anderer Stelle1 als eine apokalyptische Haltung beschrieben habe: die Einstellung, durch Veränderungen in die Zukunft zu schreiten und nicht einfach passive Veränderungen aus der Zukunft zu erfahren. Diese Haltung kann „apokalyptisch“ genannt werden, da ein wichtiges, wenn nicht gar das entscheidende, Kennzeichen der Apokalyptik nicht das Bewusstsein ist, am Ende einer spezifischen Geschichte zu leben – dies müsste man Imminentismus oder Naherwartung nennen –, sondern das Bewusstsein des Besitzes einer Offenbarung oder Erschlossenheit über die verborgenen Gesetze der Geschichte.2 Allerdings wird man zugeben müssen, dass das Unternehmen, diese verborgenen Regeln der Veränderung zu finden, in Hinsicht auf das, was normalerweise Geschichte genannt wird – also die Erzählungen über die Veränderungen unserer Gesellschaften seit es schriftliche oder archäologische Zeugnisse gibt –, nicht sehr erfolgreich war. Lessing und andere paradigmatische Denker der Moderne vermuteten, diese Regel bestehe im konstanten Progress hin zum Guten. Hegel dachte an eine Dialektik zwischen dem, was seine Schüler These, Synthese und Antithese genannt hatten, während Oswald Spengler umgekehrt an einen Aufstieg und Niedergang von Gesellschaften analog zur Entwicklung des partikularen Körpers dachte.3 Obwohl es niemals einen Konsens oder eine allgemein akzeptierte Menge von Fakten gab, die andeuten könnten, dass die Geschichte sich nach solchen – in sich sehr diversen und oft einander ausschließenden – Gesetz1 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 198–220. 2 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 199–203. 3 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 206.

Einleitung

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mäßigkeiten entwickeln mag, erlangten die Überzeugungen über die Gültigkeit solcher Gesetzmäßigkeiten oft den Rang von Gewissheiten und oft auch Sicherheiten – also den Rang von intoleranten Ideologien – für einzelne Menschen, Gemeinschaften und ganze Kulturen. Der Effekt dieses allgemein verbreiteten Glaubens bewirkte einen grausamen Charakterzug der Moderne: Versuche, diejenigen Elemente der Gesellschaft, die sich in ihrem Handeln nicht von diesen vermeintlich identifizierten Regeln der Geschichte leiten lassen, abzuschaffen oder auszurotten.4 Allerdings sind nicht alle Prozesse und Ereignisse, denen wir ausgesetzt sind, einfach nur kulturelle. Als leibliche Personen sind wir ein Leib einschließlich einer natürlichen Geschichte. Und ebenso sind unsere Gemeinschaften und Gesellschaften immer leibliche Gemeinschaften und Gesellschaften, die ebenso immer auch eine natürliche Geschichte besitzen. Wenn man nun diese natürliche Geschichte verstehen könnte, würde dies zwar keinesfalls bedeuten, die Frage nach der Natur oder den Naturen des Menschen zu beantworten, aber was immer wir auch sein mögen, wir haben auf alle Fälle immer auch eine natürliche Geschichte. Während sich der Versuch, Einsicht in die Regeln der kulturellen Veränderung zu erlangen, als gescheitertes Projekt der Moderne entpuppt hat, war der Versuch, Einsicht in die Regeln der natürlichen Geschichte und die natürliche Veränderung zu erlangen, überraschend erfolgreich. Seit der Zeit Darwins entwickelte sich die Evolutionstheorie. Diese Entwicklung war selbst keine einlinige, ohne Sackgassen und Irrgärten, aber im Großen und Ganzen kann man doch diagnostizieren, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft Ende des 20. Jh. in zufriedenstellender Weise mit einer Evolutionstheorie arbeiten konnte, die oft Neodarwinismus oder moderne Synthese genannt wird. Dabei begrüßte von Anfang an auch die Theologie diese Entwicklung der Evolutionstheorie;5 ja, sie nutzte sogar Evolutionstheorien, um selbst neue theologische Theorien zu entwerfen – oftmals sehr kreative, oftmals aber auch äußerst problematische.6 Die heute in der medialen Öffentlichkeit verbreitete Meinung, es hätte immer einen Konflikt zwischen der Evolutionstheorie und der Theologie gegeben, ist nichts als ein Mythos – ein beständiger zwar, aber nichtsdestotrotz ein grundfalscher Mythos, dessen historische Entwicklung gut erforscht ist.7

4 5 6 7

Vgl. M hling, M., Eschatologie, 203. Vgl. Schwarz, H., 400 Jahre Streit um die Wahrheit, 56–110. Für Bsp. vgl. Kap. 5.5.1. Vgl. Losch, A., Jenseits der Konflikte, 21–41.

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Evolution als Niche Construction

4.2 Einige Kennzeichen des Neodarwinismus Obwohl die Kenntnis der Evolutionstheorie zur Allgemeinbildung zumindest der Kulturen der nördlichen Hemisphäre gehört, ist es nützlich, sich zu Beginn dieses Kapitels einige wichtige Kennzeichen der Evolutionstheorie zu vergegenwärtigen. Dies sind die Kennzeichen der Mutation, des Genflusses, der Gendrift sowie der natürlichen Selektion. 1. Mutation bezieht sich auf die chemische Veränderung der DNS. Die meisten dieser Veränderungen sind neutral, d. h. ohne Auswirkungen, aber machmal gibt es auch für den Phänotyp schädliche, mitunter auch positive Auswirkungen. Mutation ist wichtig, da sie der einzige uns bekannte Mechanismus ist, um neues genetisches Material und damit Variation zu erhalten.8 Die Ursachen für alle Mutationen sind unabhängig von anderen Kennzeichen der Evolutionstheorie und daher zumindest relativ kontingent. Allerdings bedeutet Kontingenz relativ zur Evolutionstheorie nicht notwendigerweise, dass solche Mutationen auch an sich kontingent sein müssen. Theoretisch könnten sie auch das Ergebnis von anderen Ursachen (chemischen, physikalischen etc.) sein, so dass die gängige Evolutionstheorie auch kompatibel mit einem deterministischen Wirklichkeitsverständnis sein kann. Allerdings sind auf molekularer Ebene heute einige Mechanismen bekannt – wie lokale Sequenzveränderungen, innergenomische Veränderungen von DNS-Segmenten und der Erwerb von Segmenten fremder DNS –, die ohne wirklichen Zufall und faktische Kontingenz höchstwahrscheinlich nicht erklärbar sind, was Werner Arber betont: ‘In the DNA acquisition strategy, contingency is clearly seen in the randomness of encounter of donor DNA with a recipient cell, in the chance of integration of the invading genetic information into the genome, and in the functional characteristics of the resulting hybrid. […] A philosophical conceptual aspect of the actual scientific knowledge on genetic variation is the rather unexpected conclusion of a duality of the genome. Besides a majority of genes serving to each individual organism to fulfil its own life, the genome also carries genes enabling populations of organisms to undergo biological evolution. This can be seen as the basis for the expansion of forms of life, that is, for biodiversity. [… W]e can conclude here that contingency is widely present in the natural generation of genetic variants and that it thus influences to a large extent the course of biological evolution of the living world.’9

Arber ist auch der Meinung, dass einige dieser Mechanismen tatsächlich Vertreter einer Art ontologischer Kontingenz sein könnten.10 Sollte diese Auffassung stimmen, dann gäbe es auch im Bereich der Biologie Beispiele 8 Vgl. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 50. 9 Arber, W., Molecular Darwinism, 1091 f. 10 Vgl. Arber, W., Lebensverständnis der Biologie.

Einige Kennzeichen des Neodarwinismus

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nicht nur für epistemische Kontingenz, sondern, ähnlich der Quantenmechanik, auch für irreduzible Kontingenz. 2. Genfluss bezieht sich auf eine räumliche Veränderung der Allele in Populationen. Durch diesen Migrationsmechanismus der Population können Allelhäufigkeiten verändert werden.11 3. Gendrift bezieht sich auf eine Veränderung der Allelhäufigkeiten innerhalb einer Population in Bezug auf (relativ zur Evolutionstheorie) zufällige oder stochastische Prozesse. Die Übergabe der Gene einer Generation auf die folgende ist nie eine vollständige Kopie, sondern beruht auf einer stochastischen Auswahl aus dem Genpool.12 4. Natürliche Selektion ist ein Begriff, der eng mit dem Begriff der Adaption verbunden ist. Agustin Fuentes beschreibt die natürliche Selektion folgendermaßen: ‘1. There is biological variation in living forms. 2. Some of this variation can be passed from one generation to the next. 3. Within any given environment some variants help the organism to leave more offspring than others (on average). 4. Those variants that help organisms do better, if they are heritable, will over time become more common […]. 5. Those variants that become more common in a population are seen as adaptions to the particular environmental contexts.’13

Die Folge besteht nun darin, dass die natürliche Selektion kein zufälliger Prozess mehr ist, der gleichzeitig mit dem Mechanismus der Gendrift wirkt. Die natürliche Selektion wirkt nicht auf der Ebene der Gene selbst, sondern sie ist durch die Phänotypen vermittelt. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass in der Evolutionstheorie selbst die Gene nur notwendige Bedingungen für die Resultate, die sich in den Phänotypen zeigen, sind. Gene und ihre Allele haben polygenetische (unterschiedliche Gene können einen einzelnen Effekt bewirken) und pleiotropische (ein einzelnes Gen kann zu unterschiedlichen Effekten führen) Effekte.14 Genaugenommen ist daher die Sprache, die Phänotypen für Ausdrücke oder Repräsentationen von Genen hält, missverständlich. Theorien, die die Phänomene der Phänotypen auf ihre Gene oder deren Allele reduzieren, oder Theorien, wie die sogenannte „Soziobiologie“, die gar soziales Verhalten auf Gene reduzieren wollen oder die neue Entitäten wie „Meme“15 einführen, gehören weder zur modernen Synthese noch zu einer deren möglichen Erweiterungen, sondern hier handelt es sich eher um In-

11 12 13 14 15

Vgl. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 51. Vgl. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 51 f. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 52. Vgl. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 47. Vgl. Dawkins, R., The Selfish Gene. 30th Anniversary Edition, 189–201.

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Evolution als Niche Construction

terpretationen der Evolutionstheorie auf der Ebene der Naturphilosophie und der Quasireligion.

4.3 Merkmale des Neodarwinismus Verglichen mit vielen anderen naturwissenschaftlichen Theorien wird man diagnostizieren können, dass der Neodarwinismus gut bestätigt ist. Es handelt sich um eine einfache Theorie, die die meisten Fakten biologischer Veränderung erklären kann. Zwar mag für strenge Fallibilisten la Popper der wissenschaftliche Status des Neodarwinismus fragwürdig erscheinen, weil der Neodarwinismus keine Prognosen hinsichtlich einer zukünftigen biologischen Veränderung machen kann, die falsifizierbar wären. Allerdings kann man einwenden, dass unter der Voraussetzung des Neodarwinismus der Begriff der Prognose anders verstanden werden könnte, nämlich im Sinne von Prognosen über zukünftige Entdeckungen hinsichtlich der vergangenen Entwicklung (etwa durch prognostizierte Fossilienfunde), so dass das Falsifikationskriterium auf dieser Ebene anzuwenden wäre – falls es sich dabei überhaupt um ein sinnvolles Wissenschaftskriterium handeln mag.16 Nichtsdestotrotz beinhaltet der Neodarwinismus auch Probleme mit wichtigen philosophischen Implikationen. Werfen wir darauf einen genaueren Blick. Verglichen mit dem repräsentationalistisch-dualistischen Paradigma der Neurowissenschaften zeigt sich, dass auch im klassischen Neodarwinismus viele Merkmale in veränderter Form wieder erscheinen: 1. Der Neodarwinismus ähnelt insofern der repräsentationalistischen Sicht, als auch die Phänotypen zumindest bis zu einem gewissen Grad als Repräsentationen der Gene verstanden werden können – oder umgekehrt. Um von einer Repräsentation sprechen zu können, ist es nämlich nicht notwendig, dass nur das eine Relat eine notwendige Bedingung für das andere ist. Auch in den Neurowissenschaften wird ja nur behauptet, dass die vorausgesetzten Repräsentationen des Gehirns mit der „Außenwelt“ durch „Korrelationen“ verbunden sind. 2. Obwohl Gene sich keinesfalls von anderen Entitäten der materiellen Welt unterscheiden – es handelt sich ja um chemische Moleküle – erscheint dennoch auch hier eine Form des Dualismus: der Dualismus von Phänotyp und Genotyp. Daher kann auch der Neodarwinismus als eine Abwandlung des Platonismus verstanden werden. Denn im klassischen Platonismus ist die Vielfalt der Ideen verantwortlich für die Phänomene, aber auch hier sind die Phänomene nicht hinreichend durch die Ideen gebildet, sondern es handelt sich eher um Schatten der Ideen.17 In struktureller Ähnlichkeit kann man 16 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 22, 171. 17 Vgl. Plato, Platonis Opera, Tomus IV, 514–516.517d–525b.

Probleme des Neodarwinismus

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diagnostizieren, dass im Rahmen der Evolutionstheorie die Vielfalt der Gene verantwortlich für die Phänotypen ist, dass aber gleichzeitig die Phänotypen nicht hinreichend durch die Allele der Gene gebildet werden. 3. Die Beziehung zwischen Genotyp und Phänotyp ist eine externe Relation, d. h., die Genotypen können als Teil der Ursachen der Phänotypen aufgefasst werden. 4. Bei der externen Relation zwischen Genotyp und Phänotyp handelt es sich um eine asymmetrische Relation, um eine Einbahnstraße. Es gibt keine erworbenen Eigenschaften individueller Phänotypen, die umgekehrt die Genotypen verändern könnten. Diese Einsicht der Evolutionstheorie war nicht ohne große Opfer möglich.18 5. Der klassische Neodarwinismus scheint außerdem inhärent individualistisch zu sein. Denn da die Beziehung zwischen Genotyp und Phänotyp den Beziehungen innerhalb einer Population vorgängig ist, gibt es keinen Raum für Begriffe wie den Gemeinschaftsbegriff, nur für Gruppen und Populationen. Zwar mag die Frage nach der Gruppenselektion eine gegenwärtig wachsende Subdisziplin darstellen, aber das Vorverständnis eines nur kompositionellen – und daher individualistischen – Charakters von Gesellschaften wird dadurch gerade nicht verändert. M.a.W.: Die Beziehung zwischen den Individuen wird als ausschließlich externe Relation verstanden. 6. Die Evolution hat kein Ziel und keinen Zweck. Die Evolutionstheorie beschreibt einen Prozess ohne Teleologie und ohne eine notwendige Entwicklung zu „höheren“ Lebensformen. Obwohl die Ablehnung der Teleologie durch die Evolutionstheorie sehr bekannt ist, ist erstaunlicherweise weniger bewusst, dass die moderne Synthese keine hierarchische Ordnung von Lebensformen beschreibt. Wenn man Hierarchien zwischen den Lebensformen beschreibt, dann handelt es sich dabei nicht um ein notwendiges Phänomen, sondern um eines, das relativ zum Neodarwinismus immer eine kontingente Tatsache darstellt. 7. Auch die Beziehung zwischen der Umwelt und den Organismen ist eine unidirektionale, externe Beziehung. Gemäß des Mechanismus der natürlichen Selektion müssen Veränderungen der Organismen als Adaptionen an die Umwelt verstanden werden.

4.4 Probleme des Neodarwinismus Die genannten philosophischen Implikationen der Kennzeichen des Neodarwinismus, die im letzten Abschnitt genannt wurden, mögen nicht besonders angenehm für theologische Beurteilungen sein. Besonders die Abwesenheit interner Relationalität erweist sich theologisch als problematisch. 18 Vgl. Bowler, P.J., The Eclipse of Darwinism, bes. 58–106 zum Lamarckianismus.

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Evolution als Niche Construction

Allerdings sind die im letzten Abschnitt genannten philosophischen Implikationen der Evolutionstheorie keine solchen, die auf einer beliebigen philosophischen Interpretation beruhen würden, sondern es handelt sich um echte Implikationen aus der Theorie. Daher kann die Unbequemheit für die Theologie kein Kriterium darstellen, diese Implikationen in Frage zu stellen. Allerdings sind die genannten sieben Implikationen nicht voneinander getrennt und sie kulminieren im siebenten Kennzeichen: in dem, was jüngst Adaptionismus genannt wurde.19 Und dieser Adaptionismus ist nun – ganz unabhängig von theologischen Interessen – äußerst fragwürdig. Was aber ist falsch am Adaptionismus, wenn er einfach die Implikation einer recht gut bestätigten Theorie ist? Fangen wir mit der Beobachtung an, dass die Beziehung zwischen Lebensformen und ihrer Umwelt keineswegs eine unidirektionale ist. Lebensformen verändern ihre Umwelt und diese Veränderungen der Umwelt können durchaus selbst wieder zu Veränderungen der Organismen führen. Diese Tatsache alleine ist eigentlich kein Problem für die moderne Synthese, da die Evolutionstheorie ja keine Aussagen über die Veränderungen der Umwelt beinhaltet. Umweltveränderungen sind einfach kontingente Fakten, gemessen relativ zur modernen Synthese. Sie sind einfach gegeben. Es mag Veränderungen in der Umwelt geben, aber deren Ursachen können nicht beschrieben werden, da sie nicht zur regionalen Ontologie des Neodarwinismus gehören. Zwar ist dies für die interne Kohärenz der neodarwinistischen Theorie kein Problem, aber es verändert den Status der Theorie radikal: Die Theorie abstrahiert deutlich von den Phänomenen, die sie untersucht, und damit entfernt sie sich doch deutlich vom Phänomen der biologischen Veränderung, d. h. von der Evolution selbst. M.a.W.: Die moderne Synthese besitzt einen blinden Fleck in Bezug auf seinen ureigenen Gegenstand, die Evolution. Infolgedessen haben Naturwissenschaftler versucht, den klassischen Neodarwinismus in unterschiedlicher Weise zu reinterpretieren. Schneckenhäuser gehören sicherlich zum Phänotyp, aber Biberdämme werden normalerweise nicht dazu gezählt. Aber gibt es wirklich eine entscheidende Differenz zwischen Schneckenhäusern und Biberdämmen? Vielleicht nur die, dass die Wirkung der Biberdämme auf ihre Umwelt höher ist als die Wirkung von Schneckenhäusern. In den 1980er Jahren versuchte Richard Dawkins das Problem mit einer einfachen Antwort zu lösen: Er veränderte einfach den Begriff des Phänotyps und sprach von Biberdämmen, Spinnennetzen etc. als erweiterten oder ausgedehnten Phänotypen.20 Diese Lösung hat einen Vorteil und einige Nachteile. Der Vorteil besteht darin, dass der Anschein erweckt wird, dass die moderne Synthese durch diesen Sprachwechsel an sich nicht betroffen sei, weil nur eine einzige Entität, die des ausgedehnten Phänotyps, neu eingeführt wird. Aber 19 Vgl. Lewontin, R.C., Adaption, und zur Diskussion Godfrey-Smith, P., Adaptationism and the Power of Selection. 20 Vgl. Dawkins, R., The Extended Phenotype.

Probleme des Neodarwinismus

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dieser scheinbare Vorteil wird durch die Nachteile bei weitem aufgewogen: Denn die Ergänzung um den Begriff des ausgedehnten Phänotyps verändert den Begriff des Phänotyps selbst, weil nun überhaupt nicht mehr klar ist, wo die Grenze zu ziehen ist. Denn rein prinzipiell wird nun jeder Ausdruck des Phänotyps in seiner Umwelt selbst zum Phänotyp. Die letzte Konsequenz wäre dann, dass der Begriff der Umwelt zusammenbrechen würde, d. h., dass die Umwelt selbst der Phänotyp wäre. Dann aber wäre die Evolutionstheorie vollständig zusammengebrochen. In seiner quasireligiösen Interpretation des Neodarwinismus scheint sich Dawkins dieser Tatsache wohl bewusst zu sein, denn hier liefert er eine Lösung, die mit den philosophischen Implikationen des Neodarwinismus in Einklang ist, aber diesen bei weitem übersteigt: Diese Lösung besteht darin, dass die Beziehung zwischen Genotyp und Phänotyp als viel enger beschrieben werden muss, als es im Rahmen des Neodarwinismus selbst angenommen wird: Phänotypen sind nichts als „Vehikel“21 der Genotypen, so dass der wichtigste Faktor für die Gestalt des Phänotyps im Genotyp besteht. Am bequemsten wäre, wenn gezeigt werden könnte, dass Phänotypen insgesamt auf Ausdrücke oder Repräsentationen von Genotypen reduzierbar wären, d. h., dass Genotypen Ursachen im Sinne hinreichender Bedingungen für Phänotypen (einschließlich ausgedehnter Phänotypen) wären. Diese Auffassung wird aber ganz klar durch die Fakten falsifiziert.22 Daher wird man nach anderen Lösungen zu suchen haben. Ebenfalls in den 1980er Jahren lieferte Richard Lewontin eine exzellente Analyse des Problems.23 Zunächst lieferte er ein – mittlerweile klassisch gewordenes – Beispiel für einen Sachverhalt, in dem der Adaptionismus keine sinnvolle Erklärung liefern kann: ‘[…] the earthworm has no business living in soil […]. Earthworms are structurally very poorly adapted to cope with physiological problems such as water and salt balance on land, and they would seem to be better suited to a freshwater habitat. They can survive in a terrestrial environment only by constructing a more suitable niche through activities such as tunnelling, exuding mucus, eliminating calcite, and dragging leaf litter below ground. Earthworms co-opt the soils that they inhabit and the tunnels they build to serve as accessory kidneys that compensate for their poor structural adaption. For instance, by producing well-aggregated soils, the worms weaken matrix potentials and make it easier for them to draw water into their bodies […]. In the process, earthworms dramatically change their environment. […] The results of earthworm activity highlight a problem with the concept of “adaptation”. In

21 Vgl. Dawkins, R., The Extended Phenotype, 82: “Genes are replicators; organisms and groups of organisms are best not regarded as replicators; they are vehicles in which replicators travel about”. 22 Vgl. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 45–47. 23 Vgl. Gould, S.J./Lewontin, R.C., The Spandrels of San Marco; Lewontin, R.C., Gene, Organism, and Environment.

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Evolution als Niche Construction

this case it is the soil that does the changing, rather than the worm, to meet the demands of the worm’s freshwater physiology. So what is adapting to what?’24

4.5 Nischenkonstruktion als erweiterte Evolutionstheorie 4.5.1 Die Grundidee der Nischenkonstruktion Lewontin lieferte nicht nur Beispiele, in denen die Erklärungsleistung des Adaptionismus versagte – und es lassen sich ungleich mehr Beispiele dafür finden, als man noch in den 1980er Jahren vermutete.25 Lewontin analysierte auch den Kern des Problems.26 Die klassische Evolutionstheorie kann mithilfe zweier Differentialgleichungen beschrieben werden, die beide zur gleichen Zeit gültig sind: dO ¼ f ðO; EÞ dt dE ¼ gðEÞ (2) dt (1)

In Gleichung (1) meint dO die Veränderung der Organismen (O), dt die Veränderung der Zeit (t), während f(O,E) eine Funktion zwischen den Organismen und der Umwelt bedeutet. Ausgedrückt wird also, dass die Veränderung der Organismen durch die Zeit (dO/dt) sowohl vom Zustand der Organismen als auch vom Zustand und der Veränderung der Unwelt abhängt. Diese Veränderung der Umwelt (dE) durch die Zeit (dE/dt) ist nun aber gemäß Gleichung (2) lediglich eine Funktion g(E), die vom Zustand der Umwelt abhängig ist. ‘The crucial point is that these two equations are separable. Adapted organisms are not supposed to cause any of the environmental changes that subsequently select for adapted organisms. Hence, the evolution of organisms is generally assumed to be directed exclusively by independent natural selection pressures in environments, and not at all by the niche-constructing activities of organisms.’27

Lewontin schlug daher vor, dass ein Paar miteinander verschränkter Differentialgleichungen nötig sei, um beschreiben zu können, was in der Natur geschehe: 24 Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 374 f. 25 Vgl. Lewontin, R.C., Gene, Organism, and Environment. 26 Vgl. Lewontin, R.C., Gene, Organism, and Environment; Lewontin, R.C., The Triple Helix, 101. 27 Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 18.

Nischenkonstruktion als erweiterte Evolutionstheorie

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dO ¼ f ðO; EÞ dt dE ¼ gðO; EÞ (2*) dt

(1)

Gleichung (1) bleibt dabei unverändert. Aber in Gleichung (2*) ist nun die Veränderung der Umwelt durch die Zeit (dE/dt) ebenfalls eine Funktion der Veränderung des Zustands der Umwelt in Beziehung zum Zustand der Organismen. Damit beschreiben diese Gleichungen die Koevolution von Organismen und Umwelt. Beide fungieren hier sowohl als Ursachen als auch als Effekte, so dass der unidirektionale Charakter der klassischen Evolutionstheorie aufgegeben ist. Diese scheinbar nur geringfügige Änderung ändert aber tatsächlich so gut wie alles. Auf Basis der Analysen von Lewontin haben nun John Odling-Smee, Kevin Laland und Marcus Feldman vorgeschlagen, die klassische Evolutionstheorie so zu erweitern, dass sie den neuen Erfordernissen, die sich aus Lewontins Analyse ergeben, genügen kann. Dies aber ist nur möglich, wenn Nischenkonstruktion nicht als ein gegebenes Faktum der Natur angesehen wird, das mithilfe des klassischen Neodarwinismus erklärbar wäre, sondern nur, wenn Nischenkonstruktion selbst als ein zusätzlicher evolutionärer Mechanismus verstanden wird, der in der Evolution auf der gleichen basalen Ebene tätig ist wie die natürliche Selektion. Dabei hat die Theorie der Nischenkonstruktion die folgenden Kennzeichen:

4.5.2 Definitionen, Kategorien und Prinzipien der Nischenkonstruktion 1. Um eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, um was es bei der Theorie der Nischenkonstruktion geht, müssen zunächst grundlegende Begriffe eingeführt werden. Der erste Begriff ist dabei der der Nische selbst: ‘We will treat the niche of any population as the sum of all the natural selection pressures to which a population is exposed. […] It differs only [from another definition] in that the fundamental niche is now treated as a set of “n” natural selection pressures relative to its occupant […]. Our evolutionary niche has a duality. It refers to natural selection pressures relating to “lifestyles” of organisms […]. It also refers to the real habitats of organisms in real space and time’.28

2. Damit sind wir nun in der Lage, auch den Begriff der Nischenkonstruktion zu definieren: ‘Niche construction occurs when an organism modifies the feature-factor relationship between itself and its environment by actively changing one or more of the 28 Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 40.

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Evolution als Niche Construction

factors in its environment, either by physically perturbating factors at its current location in space and time, or by relocating to a different space time address, thereby exposing itself to different factors.’29

Nischenkonstruktion in diesem Sinne erfordert temporale Beständigkeit, um den Selektionsdruck zu verändern. Die Veränderung der Selektionsdrücke kann sich dabei in Beziehung zur betrachteten Population, zu anderen Populationen, die die gleiche Nische bevölkern, oder zu beiden erfolgen. 3. Dabei handelt es sich nicht nur um Definitionen, sondern ebenso um einen neuen Mechanismus, der den der natürlichen Selektion ergänzt. Damit aber erweitert die Nischenkonstruktion den Neodarwinismus auch in einer anderen Hinsicht. Der klassische Neodarwinismus kennt nur ein Vererbungssystem – das genetische. Lediglich der Genpool spielt hier die Rolle eines Systems, das Informationen über die Zeit weitergibt. Die Nischenkonstruktion hat nun zur Konsequenz, dass Information nun auch auf einem vollkommen anderen, zusätzlichen Weg weitergegeben werden kann: durch Veränderungen der Umwelt, d. h. durch die Information, die den biotischen und abiotischen Entitäten sowie den Artefakten der Umwelt inhärent ist. Daher führten Odling-Smee et al. den Begriff der ökologischen Vererbung ein: ‘We define ecological inheritance as any case in which organisms encounter a modified feature-factor relationship between themselves and their environment where the change in the selective pressures is a consequence of the prior niche construction by parents or other ancestral organisms.’30

Die Autoren stellten auch eine Nischenfunktion N(t)=h(O,E) auf, in der N(t) die Nische einer Population von Organismen (O) zu einer spezifischen Zeit (t) meint, die von einer verschränkten Funktion der Zustände der Organismen mit den Zuständen der Umwelt h(O,E) abhängig ist. Im Prinzip vereint diese verschränkte Nischenfunktion die beiden oben genannten Gleichungen (1) und (2*).31 4. Die Autoren schlugen auch 2x2=4 Kategorien vor, die orthogonal miteinander kombiniert werden können: Nischenkonstruktion kann durch Perturbation geschehen, d. h. durch aktive Veränderung der physikalischen Bedingungen der Umwelt zu bestimmten Zeiten und Orten. Sie kann auch durch Relokation geschehen, d. h. durch Wanderung der Organismen im Raum zu bestimmten Zeiten. In beiden Fällen kann die Nischenkonstruktion dabei inzeptiv oder beginnend sein, wenn es sich um den Beginn der Veränderung der Selektionsdrücke der Umwelt durch Perturbation oder Relokation handelt. Nischenkonstruktion kann aber auch konteraktiv oder reaktiv geschehen, womit die Veränderungen der Umwelt durch Organismen als Perturba29 Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 41. 30 Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 42. 31 Vgl. Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 42–44.

Nischenkonstruktion als erweiterte Evolutionstheorie

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tion oder Relokation gemeint ist, die als Reaktion auf vorhergehende Umweltfaktoren erfolgt. 5. Nischenkonstruktion kann positive Effekte besitzen, d. h. Effekte, die die Passung oder fitness der Organismen relativ zu ihrer Umwelt erhöht; sie kann aber auch negative Effekte besitzen, d. h. solche, die die entsprechende Passung oder fitness reduzieren.32 6. Nischenkonstruktion erweitert aber nicht nur die Mechanismen und die Vererbungssysteme, so dass natürliche Selektion und Nischenkonstruktion die beiden entscheidenden Mechanismen der Evolution sind und das genetische und das ökologische Vererbungssystem die beiden entscheidenden Faktoren darstellen, Information durch die Zeit zu übertragen. Beide Aspekte können auch kombiniert werden, so dass man sowohl den Fluss von Materie, Energie und Information zu jeder gegebenen Zeit durch den Raum beschreiben kann. Dieser ökologische Aspekt führte die Autoren dazu, die theoretischen Entitäten der environmentally mediated genotypic associations (EMGAs) zu postulieren, die hier allerdings nicht näher vorgestellt werden können. Es mag genügen, darauf hinzuweisen, dass diese Ideen in Kombination mit der Entwicklungsbiologie zu interessanten Vorschlägen führen kann. Schlichting und Pigliucci führten dabei in die Entwicklungsbiologie die Idee einer developmental reaction norm ein. Deren Grundidee besteht darin, dass sie ‘leads us to eliminate the dichotomy between internal and external environments. In fact, we view the developmental process itself as a reaction norm. Gene expression may be constitutive of determined by the cellular environments to which the genes are exposed. The ensuing phenotypes will be dependent on these patterns gene expression as well as on the interactions of the gene products mediated by the other features of the environment.’33

Schlichting und Pigliucci schlagen damit letztlich vor, die Distinktion zwischen innerer und äußerer Umwelt aufzugeben. Dabei handelt es sich nicht um eine notwendige Konsequenz der Theorie der Nischenkonstruktion, aber um eine mit ihr kompatible Sicht. 7. Ein der Nischenkonstruktion als Evolutionsmechanismus inhärentes Kennzeichen gerade im Unterschied zu anderen evolutionären Mechanismen, besteht darin, dass sie in gewissem Sinne eine Gerichtetheit des evolutionären Prozesses zulässt.34 Diese Form der Gerichtetheit, die die Nischenkonstruktion einführt, ist freilich keine teleologische Form der Gerichtetheit, sondern es geht um eine Art von Information, die einem bestimmten Zweck dient und daher um „semantische Information“: 32 Vgl. Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 44–47. 33 Schlichting, C.D./Pigliucci, M., Phenotypic Evolution, 333. 34 Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 33.

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Evolution als Niche Construction

‘By semantic information we mean information that relates to the fitness of specific organisms, about their requirements, about their local environments, and about how to operate in their local environments in ways that satisfy their requirements, and that is, in this sense, “meaningful” to organisms in their local environments. […] Finally, because the niche-constructing acts of organisms must be selected in advance of their expression, it follows that the niche-constructing activities of organisms must either suffice, for example, because they arose for other reasons, or be oriented a priori toward targeted future outcomes of organism-environment interactions on the basis of at least rudimentary and semantically informed search plans. Therefore, in this limited and, in most species, entirely noncognitive sense, niche construction must be preparative of predictive in character.’35

8. Das letzte entscheidende Kennzeichen der Nischenkonstruktion besteht darin, dass sie die Rolle der Kooperation im Prozess der Evolution enorm aufwertet. Faktisch sind die Vorstellung, der evolutionäre Prozess selbst sei „egoistisch“, oder die Vorstellung, Kriege seien der evolutionären Natur des Menschen inhärent, nichts als Mythen, dazu noch falsche und widerlegbare, da sie nicht zu den Phänomenen passen.36 Richtig ist vielmehr, dass im Rahmen der traditionellen Evolutionsbiologie sowohl die Begriffe der Kooperation als auch die Begriffe des Egoismus keine sinnvolle Bedeutung besitzen; es gibt sie als theoretische Begriffe überhaupt nicht. Da wir gesehen haben, dass der klassische Neodarwinismus in der Tat philosophische Implikationen besitzt und diese in einer ontologischen Vorrangigkeit des Individualismus bestehen, ist auch zu erwarten, dass der Neodarwinismus in Bezug auf die Frage, ob die Evolution durch Kooperation und/oder Egoismus vorangetrieben wird, schweigt. Denn Selbstbezogenheit und Egoismus setzen eine bestimmte Form der Abhängigkeit vom Anderen voraus, weshalb es sich immer nur um einen parasitären Begriff handeln kann. Vielmehr geht es hier um etwas anderes. Selbstverständlich setzten die Effekte der Nischenkonstruktion einer Population nicht notwendigerweise den Begriff der Kooperation in konstitutiver Weise voraus. Das mag man am Beispiel der nischenkonstruktiven Wirkung der Tätigkeit der Regenwürmer sehen. Da aber die Information des ökologischen Vererbungssystems auch Artefakte einschließt, und da die Artefakte höherer Organismen, insbesondere der Menschen, nur unter der Voraussetzung der Kultur entstehen können – in dem Sinne, dass Kooperation nun eine zumindest notwendige Bedingung für die Hervorbringung von Artefakten ist –, beeinflussen die Kultur und die Kooperation notwendigerweise die Prozesse der Evolution. Dies geschieht dabei präzise in der Weise, dass die nischenkonstruktive Tätigkeit gesteigert wird. Dabei gibt es auch eine einfache Regel: Je größer das Maß an Kooperation, desto größer ist auch das Maß der nischenkonstruktiven Veränderung. Odling-Smee et al. 35 Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 177 f. 36 Vgl. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 129–131.

Nischenkonstruktion als erweiterte Evolutionstheorie

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bezeichnen Menschen daher auch als die „ultimate niche constructors“37. Falls es eine particula veri dieser Aussage gibt, dann beruht sie auf der einfachen Regel, dass Kooperation eine Steigerung der Nischenkonstruktion bewirkt: ‘It is likely that the type and complexity of cooperation—on a level beyond that found in other primates and the other hominins—combined with rapid behavioural plasticity and innovation—both facilitated by cooperation and social coordination— is what allowed us to successfully construct our niche and evolve with it.’38

Für Menschen können biologische Anthropologen nachweisen, dass es sich bei Kooperation um ein allgemeingültiges Kennzeichen handelt, das überall zu finden ist: ‘This prevalence of cooperation does not mean that individuals do not act selfishly on occasion or that some might use aggression to take from others. It means, contrary to some perspectives, that a primarily selfish orientation (sometimes referred to as Homo economicus) is not characteristic of most people in most societies. The basic notion of Homo economicus is that humans as individuals will make decisions based on what is best for themselves. This turns out not really to be the case. In a study of fifteen societies, the research team led by Joseph Henrich and colleagues demonstrated unequivocally that the central axiom of Homo economicus (humans will behave selfishly in economic situations) is refuted. In fact, selfishness as a primary pattern was not found in any of the societies studied. Rather, patterns of cooperation and social reciprocity were dominant, with much variation in details across societies, based on integration into world markets as well as demographic and other social variables. This does not mean that humans are all egalitarian or that we are selfless. It simply reflects the reality that human societies are based on extensive and extremely complex systems of cooperation and mutual inter-reliance on one another, such that a consistently selfish behavioural strategy will not be sustainable in human groups.’39

Zwischenzeitlich gibt es nicht nur eine Menge von Beispielen, die besser durch die Mechanismen der Nischenkonstruktion als im Rahmen der klassischen Evolutionstheorie erklärt werden können, sondern die Theorie der Nischenkonstruktion liefert auch theoretische Modelle für die Populationsentwicklung. Und da in diesen Modellen von Anfang an ein feedback zwischen Organismen und Umwelt inkorporiert ist, unterscheiden sich diese Modelle immens von den Modellen, die im Rahmen der klassischen Theorie möglich sind.40

37 38 39 40

Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 28. Fuentes, A., It’s Not All Sex and Violence, 716. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 151. Vgl. Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 116–166.

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Evolution als Niche Construction

4.5.3 Modelle der Populationsentwicklung41 Um den Erklärungswert der Theorie der Nischenkonstruktion zu veranschaulichen, ziehe ich im Folgenden ein Beispiel aus der biologischen Anthropologie heran. Zuvor sind allerdings unterschiedliche Modelle der Populationsentwicklung vorzustellen. a) Das exponentielle Modell beschreibt das Wachstum der Größe einer Population durch die Zeit als ein Produkt der Größe der Population h und der Wachstumsrate R: dH/dt = rH. Mit zunehmender Zeit wächst also die Population. Ein wichtiges Kennzeichen der klassischen Evolutionstheorie – dass die Ressourcen begrenzt sind und daher Populationen nur innerhalb der Grenzen dieser Ressourcen wachsen können – wird von diesem Modell nicht berücksichtigt. Daher ist ein anderes Modell notwendig: b) Das logistische Modell führt den Parameter K ein, der sich auf die Aufnahmefähigkeit partikularer Ökosysteme bezieht. Nach diesem Modell wachsen kleine Populationen über die Zeit bis zu einem bestimmten Punkt, während große Populationen bis zu diesem Punkt abnehmen. Das logistische Modell genügt den Anforderungen des klassischen Neodarwinismus, aber es berücksichtigt noch nicht den Mechanismus der Nischenkonstruktion. c) Das Kooperationsmodell einer einzelnen Spezies berücksichtigt einige Erfordernisse der Nischenkonstruktion: Die Nischenkonstruktion verändert diejenigen Parameter einer Umwelt, die die Selektionsdrücke für eine Spezies darstellen, in einer nicht-linearen Weise. Die Stärke der Kooperation kann mithilfe des Parameters S ausgedrückt werden, der aus dem Quadrat der Populationsgröße abgeleitet und auf den Parameter der Aufnahmekapazität K bezogen werden muss. Daraus kann dann der Kooperationsparameter b (b=SK2) gebildet werden. Der Effekt dieses nicht-linearen Parameters besteht nun einerseits darin, dass größere Populationen Kooperationsraten besitzen, die exponentiell steigen im Vergleich zu kleineren Populationen. Eine Ausgangspopulation, deren Größe kleiner als eine bestimmte kritische Größe (M) ist – und die daher nur einen geringen Grad an Kooperation besitzt –, wird eine Wachstumsrate erfahren, die derjenigen ähnelt, wie sie auch vom logistischen Modell vorausgesagt wird. Ist jedoch die Ausgangspopulation größer als eine andere spezifisch kritische Größe (N) – was gleichzeitig eine höhere Kooperationsrate der Population ausdrückt –, wird sie ohne Grenze wachsen, was in der Voraussage dem exponentiellen Modell ähnelt. Obwohl das Kooperationsmodell einer einzelnen Spezies Nischenkonstruktion und Kooperation berücksichtigt, abstrahiert es doch von der Tatsache, dass Nischen immer geteilte Nischen von unterschiedlichen Populationen sind. Es ist al-

41 Vgl. Fuentes, A./Wyczalkowski, M.A./MacKinnon, K.C., Niche Costruction through Cooperation.

Nischenkonstruktion als erweiterte Evolutionstheorie

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lerdings auch möglich, Modelle zu entwerfen, die andere Populationen berücksichtigen.

d) Das Kooperationsmodell zweier Spezies ist die einfachste Form eines solchen Modells. Um die Funktionsweise eines solchen Modells vorzustellen, soll es im Folgenden so einfach wie möglich gehalten werden. Nehmen wir an, es gibt zwei Populationen H und P, die ihre je eigene Populationsgröße und ihre je eigenen anderen Parameter besitzen. ‘[…] the population of one species is given by H and of the other by P. […] The growth rates of the two species are like that for the single-species cooperation model, with the exception that the benefits of cooperation in one species result in an equivalent detriment in the other. Specifically, cooperation in H results in an increased rate of growth of H given by SH x H2; in turn, the rate of growth of P is decreased by the same amount, and vice versa. This coupling of the rate of growth of the species then models the transfer of, for example, predation pressure from the more cooperative species to the less cooperative one. Note that aside from sharing predation pressure there is no direct competition for resources in this model […]. Introducing a second species complicates the analysis somewhat, in part because visualizing all possible solutions is more difficult. For the discussion that follows, we will assume that the cooperation of species P is fixed at some intermediate value, for example, bP = 1/8. [… The corresponding figure] shows how populations of H and P change with bH while bP remains fixed. With bH less than 1/4, both species coexist. Small changes in bH not near the critical value of 1/4 result in only small changes to the equilibrium populations, analogous to small changes in the carrying capacity for the logistic

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Evolution als Niche Construction

model. As bH increases past the value of 1/4, however, this system undergoes a fundamental shift: the equilibrium solution disappears. Now, the H[…] population will explode, while P […] will decline to extinction. Such a bifurcation causes the system to change rapidly and fundamentally with only small changes to the parameter bH, a phenomenon that does not occur in linear models. As a result, models with the feedback that is inherent in niche construction can behave in ways fundamentally different, and not predictable, from simpler models where such feedback is ignored.’42

4.5.4 Die Entwicklung von Homo und Paranthropus Der letzte Abschnitt lieferte interessante Beispiele, die zeigen, dass die Theorie der Nischenkonstruktion die verfügbaren Modelle und ihre Konsequenzen für die Beschreibung der Evolution in einem erstaunlich hohen Maß verändert. Wir haben dabei diese Modelle als rein theoretische Modelle eingeführt. Sie sind allerdings weit mehr als dies. Denn sie können erfolgreich auf unterschiedliche Beispiele der menschlichen (Vor-)Geschichte angewandt werden. So haben beispielsweise Fuentes et al. vorgeschlagen, dass ein bestimmtes, bisher unlösbares Problem durch Anwendung der Theorie der Nischenkonstruktion nun lösbar wird:43 Im südlichen Afrika lebten zwischen 2,5 und 1 Millionen Jahren zwei Arten von Hominiden, das Genus Homo, damals vertreten durch beispielsweise Homo erectus und Homo ergaster (die nicht genau unterschieden werden können) sowie das Genus Paranthropus. Bei Paranthropus handelt es sich dabei höchstwahrscheinlich um Nachfahren von Australopitheci, die durch Australopithecus afarensis und des 1974 gefundenen und „Lucy“ getauften Skelettfundes (< 3 Mill. Jahren)44 bekannt wurden. Bei Homo erectus/ergaster handelt es sich höchstwahrscheinlich um die Vorfahren des modernen Menschen. Während der genannten Zeit gab es an dem genannten Ort dramatische Klimaveränderungen und Veränderungen in der Struktur der Spezies. Dabei starb das Genus Paranthropus ca. 1 Million Jahre v. Chr. aus, während Homo überlebte. Zwar war es im Rahmen der klassischen Evolutionstheorie möglich, einige nicht monokausale Erklärungen für das Überleben von Homo zu nennen, jedoch blieb das Aussterben von Paranthropus ein Geheimnis, da beispielsweise eine Hypothese, die sich auf eine andere Art der Ernährung stütze, mittlerweile durch Fossilienfunde widerlegt wurde. Fuentes et al. haben nun eine Hypothese vorgelegt, die Verfolgung durch Raubtiere als entscheidenden Selektionsdruckfaktor annimmt, dabei aber von unterschiedlichen 42 Fuentes, A./Wyczalkowski, M.A./MacKinnon, K.C., Niche Costruction through Cooperation, 439. 43 Fuentes, A./Wyczalkowski, M.A./MacKinnon, K.C., Niche Costruction through Cooperation, 435–436.439–442. 44 Vgl. Johanson, D./Edey, M., Lucy; Walter, R.C., Age of Lucy and the First Family.

Nischenkonstruktion als erweiterte Evolutionstheorie

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Kooperationsfähigkeiten der beiden Spezies ausgeht. Wendet man nun das Kooperationsmodell zweier Spezies an, wie wir es im letzten Abschnitt vorgestellt haben, erhält man eine Erklärung, was vor einer Million Jahren geschah: Man lese nur für die Abkürzung H im letzten Abschnitt Homo und für die Abkürzung P im letzten Abschnitt Paranthropus, und man sieht sofort die Lösung des Rätsels! Für unsere Zwecke sehen wir an dem Beispiel des Aussterbens von Paranthropus und dem Überleben von Homo, wie die Theorie der Nischenkonstruktion einschließlich des besonderen Wertes der Kooperation Sachverhalte erklären kann, die ohne Anwendung von Nischenkonstruktion völlig rätselhaft blieben. Ereignisse, die vor 1 Million Jahren in unserer Vorgeschichte geschahen, bestätigen also die Theorie der Nischenkonstruktion.

4.5.5 Neodarwinismus als eine Abstraktion einer erweiterten Theorie Die Erweiterung des klassischen Neodarwinismus durch den evolutionären Mechanismus der Nischenkonstruktion ist nicht der einzige Vorschlag für eine erweiterte evolutionäre Theorie. In den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es auch Vorschläge für Erweiterungen anderer Art. Beispielsweise haben Eva Jablonka und Marion Lamb die Theorie multipler Vererbungssysteme vorgeschlagen.45 In deren Rahmen liefert nicht nur das genetische Vererbungssystem Information, die weitergegeben und verändert werden kann im Rahmen der biologischen Geschichte, sondern sie schlugen auch ein epiphänomenales Vererbungssystem vor, ein behaviorales Vererbungssystem und ein symbolisches Vererbungssystem. Alle diese Systeme tragen zu den Ursachen bei, die nur zusammen die biologischen Prozesse beeinflussen, ohne dass die Information eines Systems auf die eines anderen zu reduzieren wäre.46 Ein anderes Beispiel ist Susan Oyamas Vorschlag einer Entwicklungssystemtheorie.47 Hier wird zunächst die Dichotomie von biologischer und kultureller Vererbung verworfen – und damit ebenso ein Interaktionismus von Kultur und Natur, ebenso die Annahme rein monokausaler Relationen der klassischen Theorie. Positiv ausgedrückt stellt die Theorie folgende Menge von Prinzipien auf: a) Determination muss als von multiplen Ursachen inauguriert gedacht werden. b) Die Kontexte der evolutionären Entwicklung müssen berücksichtigt werden, und das bedeutet im Falle des Menschen einen Einschluss von Kultur und Kontingenz. c) Vererbung muss erweitert verstanden werden, da sie auch die Erinnerung und Erfahrung von Gruppenangehörigen einschließt. d) Die Evolution kann nicht mithilfe einer dualistischen Theorie über die Entitäten der Organismen oder Populationen einerseits, die nur ex45 Jablonka, E./Lamb, M., Evolution in Four Dimensions. 46 Vgl. Fuentes, A., A New Synthesis, 12 f. 47 Oyama, S., Evolution’s Eye; Oyama, S./Griffiths, P.E./Gray, R.D., Cycles of Contingency.

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Evolution als Niche Construction

tern zu ihrer Umwelt andererseits relationiert sind, beschrieben werden, sondern eine angemessene Evolutionstheorie muss als eine Theorie über vollständige Organismus-Umwelt-Systeme und ihre Veränderung durch die Zeit verstanden werden.48 Diese beiden Theorien teilen mit der Theorie der Nischenkonstruktion einige Kennzeichen und betonen oft ähnliche Punkte. Der Grund, warum wir uns in diesem Kapitel weitgehend auf die Theorie der Nischenkonstruktion beschränken, besteht darin, dass sie das Beispiel einer erweiterten evolutionären Theorie darstellt, die durch eine Vielzahl empirischer Befunde in partikularen Studien gestützt wird. Die Theorie der Nischenkonstruktion und die anderen genannten Theorien haben als weiteres gemeinsames Kennzeichen: Im Gegensatz zu einer quasireligiösen Überhöhung der klassischen Theorie oder im Gegensatz zu Theorien, die rein postulierte „Meme“ idolisieren (Soziobiologie), sowie im Gegensatz zu atheistischen Theorien, die die klassische Theorie überwinden wollen zugunsten einer Wiedereinführung verborgener natürlicher Gesetze der Teleologie,49 zerstört die Theorie der Nischenkonstruktion nicht die klassische Theorie, sondern kann als eine Erweiterung verstanden werden. Daher verhält sich der klassische Neodarwinismus zu einer solchen erweiterten Theorie wie sich die Newtonsche Mechanik zur Physik des 20. Jh. verhält: Sie ist ein Spezialfall einer solchen erweiterten Theorie. Oder anders ausgedrückt: Gegenwärtig erleben wir das Entstehen von etwas, das die gleiche Rolle für die Biologie spielen wird, wie es die Relativitätstheorien und die Quantenmechanik Anfang des 20. Jh. für die Physik taten. Und es ist gut möglich, dass die Theorie der Nischenkonstruktion eine Schlüsselrolle in diesem Prozess spielt. Natürlich wird diese Wertung der Nischenkonstruktion in der Gegenwart diskutiert, während die Phänomene, auf die sie sich beruft, kaum infrage gestellt werden.50 Vergleicht man nun die Entwicklung des klassischen Neodarwinismus zu einer erweiterten Theorie einschließlich des Mechanismus der Nischenkonstruktion mit den beiden Paradigmen, die wir im Abschnitt über die Neurobiologie untersucht hatten, wird ein deutlicher Unterschied sichtbar: Während die Nischenkonstruktion eine Erweiterung darstellt, ist die Theorie des ökologischen Gehirns als eine Alternative zum dualistischen Repräsentationalismus zu verstehen. Wissenschaftstheoretisch kann man daher die Vorgänge in den Neurowissenschaften eher als Paradigmenwechsel beschreiben, die Vorgänge in der Evolutionstheorie aber als Erweiterung einer älteren Theorie.

48 Vgl. Fuentes, A., A New Synthesis, 14. 49 Vgl. Nagel, T., Mind and Cosmos, 7; Vgl. für Nagel auch Orr, H.A., Awaiting a New Darwin. 50 Vgl. Laland, K.N./Uller, T./Feldman, M./Sterelny, K./M ller, G.B./Moczek, A./Jablonka, E./Odling-Smee, F.J./Wray, G.A./Hoekstra, H.E./TFutuyama, D.J./Lenski, R.E./ Mackay, T.F.C./Schluter, D./Strassmann, J.E., Does Evolutionary Theory Need a Rethink?.

Merkmale der Nischenkonstruktion

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4.6 Merkmale der Nischenkonstruktion Obwohl beide Theorien in der Geschichte ihrer jeweiligen Disziplinen eine unterschiedliche Rolle spielen, hat eine um das Konzept der Nischenkonstruktion erweiterte Evolutionstheorie ähnliche philosophische Konsequenzen wie die Theorie des ökologischen Gehirns. 4.6.1 Aufgabe des verborgenen Repräsentationalismus Indem explizit der Adaptionismus aufgegeben wird, wird auch der implizite Repräsentationalismus der klassischen Theorie aufgegeben. Weder die Phänotypen noch Sachverhalte der Umwelt können als „erweiterte Phänotypen“ betrachtet werden. Die Evolutionstheorie ist damit keine Theorie über Organismen in einer Umwelt, sondern über die Veränderung vollständiger Organismus-Umwelt-Systeme. Die Organismen bzw. Populationen werden dabei als in reziproken, wenn auch nicht notwendig symmetrischen Relationen zu ihrer Umwelt stehend verstanden. Es handelt sich dabei um interne Relationen. 4.6.2 Aufgabe des verborgenen Dualismus Auch der versteckte Dualismus der klassischen Theorie ist aufgegeben. Es sind nicht mehr einfach die Gene, die die Information tragen und die kausal die Organismen und die Umwelt bestimmen. Indem ein ökologisches Vererbungssystem hinzugenommen wird, entsteht eine Rückkopplung, die die Verwendung linearer oder monokausaler Modelle ausschließt. 4.6.3 Aufgabe lokalisierter Information Die neue Theorie besitzt mehr Implikationen, als man auf den ersten Blick vermuten mag: Das ökologische Vererbungssystem besteht aus biotischen, abiotischen und artifiziellen Bestandteilen als Träger evolutionär effektiver Information. Dabei handelt es sich aber nicht einfach um die Addition von biotischen, abiotischen und artifiziellen Entitäten, die in ihrer Summe diese Information enthalten würden, sondern es handelt sich um eine komplexe (emergente) Relation zwischen diesen, die die Information trägt. Man stelle sich eine Population vor, die in die zwei Subpopulationen A und B an unterschiedlichen Orten a und b zerfällt, ohne dass beide bisher eine (nennenswerte) gemeinsame evolutive Geschichte besessen hätten. Beide Populationen sind dabei bedeutende Nischenkonstrukteure an ihren Orten a und b, aber nach einer Weile stirbt B aus und A dehnt sich daraufhin in Szenario 1 un-

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Evolution als Niche Construction

mittelbar auf b aus. Durch diese Relokation erbt also A die Nische von B einschließlich bedeutender Teile von Bs ökologischem Vererbungssystem. Man stelle sich nun in Szenario 2 vor, es seien mehrere Jahrhunderte zwischen dem Aussterben von B und der Relokation von A vergangen. In der Zwischenzeit verändert sich also auch die biologische Nische von B aufgrund anderer Lebewesen und kontingenter Faktoren am Ort b. Man stelle sich dabei vor, dass in diesem Prozess die Effekte von Bs Nischenkonstruktion verschwinden, mit Ausnahme eines einzigen Artefakts, z. B. ein einzelnes Gebäude. In diesem Fall wird dieses einzelne Gebäude nicht (notwendig) die Evolution von Averändern. Das Gebäude als einzelnes gehört damit nicht zum ökologischen Vererbungssystem von B. Selbstverständlich gehört dieses Gebäude immer noch zum kulturellen Erbe von B und kann als solches auch in das kulturelle Erbe von A eingehen, falls A Fähigkeiten wie Archäologie und Geschichtswissenschaft entwickelt hat. Der Grund dafür, dass ein einzelner Teil des kulturellen Erbes von B nicht notwendigerweise evolutionäre Effekte in Szenario 2 zeigt, besteht darin, dass es sich um eine einzelne Entität handelt. Damit zeigt aber dieses Gedankenexperiment, dass es weder die einzelnen biotischen, abiotischen und artifiziellen Entitäten noch deren Summe sind, die als Träger ökologischer Vererbung betrachtet werden müssen, sondern deren nicht auf ihre Bestandteile zu reduzierende Relation. Die Information des ökologischen Vererbungssystems, die evolutionsrelevant ist, kann dabei nicht lokalisiert werden. In diesem Zusammenhang wäre es aber auch widersinnig, verborgene Entitäten postulieren zu wollen, die als Informationsträger für den Prozess fungieren sollten. Dabei ist es nicht nur das ökologische Vererbungssystem, das als im vollständigen System „verleiblicht“ verstanden werden muss, sondern dies gilt letztlich für alle evolutionär relevanten Informationen: Die Information des genetischen Vererbungssystems mag mehr oder weniger lokalisierbar sein (in der DNS), aber sie ist nur effektiv in Kombination mit dem reziproken, interaktiven ökologischen Vererbungssystem. Daraus folgt, dass die effektiv die Evolution informierende Information als ganze nicht lokalisierbar ist, denn es handelt sich dabei um eine über die Zeit erscheinende emergente Eigenschaft des vollständigen Systems. In Analogie zur „extended mind“-These kann man also nicht von einem ausgedehnten Phänotyp sprechen, sondern es verhält sich umgekehrt. Man müsste von ausgedehnter evolutionärer Information sprechen oder – um es so deutlich wie möglich auszudrücken – von einem ausgedehnten Genotyp! Eine andere, vielleicht noch präzisere Möglichkeit, die interne Relationalität auszudrücken, bestünde darin, dass man die Unterscheidung einfach aufgibt. Z.T. geschieht genau dies, wenn man von einem Phänogenotyp51 spricht.

51 Vgl. Fuentes, A., Blurring the Biological and Social, 50.

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4.6.4 Interne Relationalität Das im letzten Abschnitt gegebene Beispiel veranschaulicht nicht nur die Illokalität der evolutionär effektiven Information, sondern auch die Tatsache, dass das gesamte System ein hohes Maß an internen Relationen besitzt, also an Relationen, die wechselseitig konstitutiv füreinander sind: Erstens müssen die Beziehungen zwischen den biotischen, abiotischen und artifiziellen Relaten zumindest zum Teil als interne Relationen verstanden werden, wie es das Gedankenexperiment ausgedrückt hat. Zweitens kann die Beziehung zwischen den Organismen und der Umwelt nicht durch die Addition zweier Mengen von Relationen ausgedrückt werden, sondern nur durch eine einzige Relation, die wechselseitig konstitutiv (aber nicht notwendigerweise auch symmetrisch) ist. Nischenkonstruktion ist daher eine teilweise interne Relation. 4.6.5 Die Ergänzung um formative Kausalität Da die Beziehung zwischen Genotyp und Phänotyp nun als eine Partialrelation verstanden werden kann, die ihrerseits in eine größere, ausgedehnte Relation eingebettet ist, kann sie selbst nicht mehr als externe Relation verstanden werden. Eine Konsequenz daraus ist, dass Wirkursächlichkeit alleine keine befriedigende philosophische Erklärung mehr darstellt. Aber es gibt brauchbare Alternativen. In gleicher Weise, wie Thomas Fuchs seinen Begriff der integralen Kausalität unter Rückgriff auf J. v. Uexkülls und V. v. Weizsäckers Gestaltkreistheorie entworfen und auf die Neurowissenschaften angewandt hat, können wir eine ähnliche integrale Kausalität in der Nischenkonstruktion am Werke sehen. Die integrale Kausalität besteht in einer Integration von zwei Arten von Kausalität: Der traditionellen Wirkursächlichkeit und der formalen, bzw. konkreter formativen Kausalität. Diese formative Kausalität restringiert die Wirkursächlichkeit, indem sie determiniert, welche Gestalten in einer gegebenen Situation möglich sind. Dabei scheint es mir, dass die ökologische Vererbung präzise diese Funktion besitzt: Die ökologische Vererbung selegiert die selektive Aktivität natürlicher Selektion selbst. Während natürliche Selektion in wirkursächlichen Termini beschrieben werden können mag, kommt der ökologischen Vererbung dabei die Rolle der formativen Kausalität zu. Und nur in ihrer gleichzeitigen Wirkweise kann sie als integrale Kausalität verstanden werden. Man beachte dabei zweierlei: Die Relation zwischen Wirkursächlichkeit und formativer Ursächlichkeit selbst muss als interne Relation verstanden werden, denn keines der beiden Relate ist ohne das andere denkbar. Das ist unmittelbar einsichtig im Falle der formativen Kausalität, die letztlich beschränkend auf die Wirkursächlichkeit einwirkt. Aber auch in der anderen Richtung ist die Aussage zutreffend. Man erinnere sich daran, dass, obwohl der Effekt des Genotyps auf den Phänotyp in Analogie zur Wirkursächlichkeit verstanden werden kann, der Genotyp dennoch nur eine notwendige

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Bedingung, nicht aber eine hinreichende für die im Phänotyp sichtbaren Effekte darstellt. Eine isolierte DNS-Portion in einem Reagenzglas verursacht zunächst einmal gar nichts. Daher kann die dem Genotyp zugeschriebene wirkkausale Rolle nur in Beziehung zur formativen Kausalität der Effekte der ökologischen Vererbung als wirksam verstanden werden. Die integrale Kausalität ist daher nicht nur eine teilweise interne Relation zwischen Wirkursächlichkeit und formativer Kausalität, sondern selbst eine interne Relation: Ohne eines ihrer beiden Relate gäbe es das jeweils andere Relat nicht. Gene sind keine pure DNS. Die DNS ist nur der Stoff, in dem die Gene verleiblicht sind. Gene sind damit immer leibliche Gene. Ein Leib in diesem Sinne, also ein Organismus, ist nur verstehbar in zumindest teilweise internen Relationen zur Umwelt. Daher ist auch die Leiblichkeit der Gene nur möglich, wenn sie ökologisch „ensystemisch“ oder „inkarniert“ sind. Der Begriff des leiblichen Gens ist also nur sinnvoll, wenn man gleichzeitig vom „ensystemischen“ Gen spricht. 4.6.6 Gene als offene Schleifen Um noch einen Schritt weiter zu gehen, im Versuch aus der Theorie des ökologischen Gehirns Einsichten für das Verständnis der Nischenkonstruktion zu gewinnen, möchte ich vorschlagen, die Rolle der Gene so zu verstehen, dass sie offene Schleifen für die Evolution bereitstellen. Wie die neuronale Aktivität offene Schleifen für andere Körperfunktionen bereitstellt, die ihrerseits wieder offene Schleifen bilden, die nur durch die Umwelt geschlossen werden können, so stellt auch der Genotyp offene Schleifen zur Verfügung, die letztlich nur durch Nischenkonstruktion geschlossen werden können. Damit ist aber das Verhältnis zwischen natürlicher Selektion und Nischenkonstruktion in einen Funktionskreis eingebettet, innerhalb dessen der Genotyp offene Schleifen für Resonanzen des Phänotyps zur Verfügung stellt, der wiederum offene Schleifen für die Resonanzen der Umwelt liefert.

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4.6.7 Resonanzen anstelle von Adaptionen Nischenkonstruktion mithilfe dieser philosophischen Einsichten zu verstehen, bedeutet eine Erweiterung des klassischen Neodarwinismus, aber es bedeutet auch, den Adaptionismus vollständig aufzugeben. Dies erscheint als eine auf den ersten Blick befremdliche Behauptung. Denn wenn wir uns auf denjenigen Teil der erweiterten Theorie fokussieren, der in der natürlichen Selektion besteht, scheint es doch so, als müssten wir hier den Begriff der Adaption verwenden. Begrifflich wäre dies aber nicht korrekt: Wir dürfen nicht von Adaption sprechen, sondern wir müssen nur über das Phänomen sprechen, was die alte Theorie als „Adaption“ bezeichnet hat! Was damals als Adaption bezeichnet wurde, könnte nun als Koadaption bezeichnet werden. Aber da der ganze Begriff der Adaption auf dem letztlich dualistischen Rahmen der alten Theorie beruht, ist es besser, die Sprache der Adaption oder Anpassung vollständig aufzugeben und sie zu ersetzen: Und zwar in Analogie zur Theorie des ökologischen Gehirns durch den Terminus der Resonanz. Ein Organismus passt sich also seiner Umwelt nicht durch natürliche Selektion an, genauso wenig wie sich die Umwelt den Organismen durch Nischenkonstruktion anpasst. Ein Organismus resoniert vielmehr mit seiner Umwelt durch die natürliche Selektion wie auch die Umwelt mit den Organismen durch Nischenkonstruktion resoniert. Die Sprache der Resonanz, ursprünglich der Akustik und Musik entliehen, drückt den zu bezeichnenden Sachverhalt weit besser aus, und zwar aus mehr als nur einem Grund. Der Begriff der Resonanz passt hervorragend zur Sprache der „Rückkopplung“, die bereits in den Veröffentlichungen zur Nischenkonstruktion weit verbreitet ist. Resonanzen beschreiben aber auch nicht lokalisierbare Phänomene und drücken daher die inhärente interne Relationalität gut aus. Resonanzen beschreiben außerdem Beziehungen, die notwendigerweise reziprok sind: Es ist nicht möglich, dass nur ein Relat resoniert, während sein korreliertes Relat stumm bleibt. Resonanzen müssen ferner nicht notwendigerweise personal sein, da sie nicht per se die Sprache von Handelnden voraussetzen, aber ebenso schließen sie die personale Sprache von Akteuren auch nicht aus. Letztlich ist es sogar so, dass die Sprache der Adaption oder Anpassung viel anthropomorpher oder stärker durch die Sprache von personalen Akteuren beeinflusst ist: Vor dem Erscheinen der Evolutionstheorie sprach man nur in Bezug auf personale Akteure von Anpassungsfähigkeit. 4.6.8 Gibt es semantische Information in der Evolution? Odling-Smee et al. erwähnen, dass die Theorie der Nischenkonstruktion eine Art von Gerichtetheit in die Evolutionstheorie einführe. Dabei sei diese Art von Gerichtetheit ein unterscheidendes Merkmal im Vergleich zur an sich

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„blinden“ natürlichen Selektion als des anderen Evolutionsmechanismus. Dennoch bedeute Gerichtetheit nicht, dass es einen Plan für den Verlauf der Evolution gäbe oder dass der evolutive Prozess als solcher zielgerichtet zu verstehen sei. Diese Gerichtetheit bestehe vielmehr in einer Art semantischer Information, während die in der natürlichen Selektion wirksame Information, wenn sie abstrakt für sich selbst verstanden wird, eine nicht-semantische Information sei (s. o.). M.a.W.: Nischenkonstruktion sei nur denkbar unter der Annahme einer semantischen, d. h. sinnvoll miteinander verbundenen Informationskommunikation zwischen den Organismen und der Umwelt, zumindest im Falle sogenannter höherer Lebensformen. Nun passt aber der Terminus des Semantischen, wie er von Odling-Smee et al. benutzt wird, nicht zum Gebrauch des Semantischen im Rahmen der Semiotik. Dort bezeichnet Semantik ja diejenige Teilrelation der Zeichenrelation, die nur im Verband mit den beiden anderen Relationen der Semiose, d. h. der Relationen des Pragmatischen und Syntaktischen, vollständig beschrieben werden kann.52 M.a.W.: Auch Semantik, Pragmatik und Syntaktik bilden zusammen eine interne Relation. Wenn es also eine Semantik gibt, dann muss es auch eine Pragmatik und eine Syntaktik geben. Verwendet man nun den Terminus des Semantischen im Bereich der Nischenkonstruktion im selben Sinne, dann führt er unweigerlich zur Idee eines semiotischen Universums und einer semantisch geschlossenen Welt. Und obwohl ich diese Vorstellung aus verschiedenen anderen Gründen durchaus für begrüßenswert halte,53 wäre es doch sinnvoll, an dieser Stelle etwas behutsamer vorzugehen. Ist es wirklich notwendig, von semantischer Information zu sprechen, um beschreiben zu können, wie Nischenkonstruktion funktioniert? Oder gehört dieses Kennzeichen nicht doch eher bereits zur philosophischen Interpretation der Nischenkonstruktion? Ohne nun entscheiden zu wollen, welche der Alternativen dabei zutreffend ist, scheint doch das, was Odling-Smee et al. als Gerichtetheit oder semantische Information beschreiben, bereits und besser durch die Dimension der formativen Kausalität, wie sie oben beschrieben wurde, abgedeckt zu sein. Der Vorteil besteht nicht nur darin, dass hier die gleiche Referenz vorgenommen wird, sondern dass damit eher das Missverständnis einer Teleologie vermieden wird, denn der Terminus der Gerichtetheit scheint mir unvermeidbar in teleologische Sprache zu führen und daher offen für mehrere Missverständnisse zu sein.

4.6.9 Und die Phänomenologie? Im Unterschied zu unserem Zugang zu den Neurowissenschaften wurde in diesem Kapitel bis jetzt kein Gebrauch von der Phänomenologie gemacht. Der 52 Vgl. Morris, C.W., Foundations of the Theory of Signs, 6–13. 53 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 31 f.

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Grund dafür ist sehr einfach: Während die Erfahrung von Gefühlen, Affekten, Stimmungen, Gedanken, Träumen etc. inhärent wahrnehmbar in der alltäglichen Lebenswelt ist, trifft dies auf das Faktum der Evolution nicht zu. Während intentionale Sachverhalte für jeden und jede jederzeit wahrnehmbar sind, ist die Evolution selbst kein direkt beobachtbares Phänomen. Was wir phänomenal wahrnehmen, ist Geschichte und Veränderung, es sind die narrativen Strukturen unseres Lebens in Gemeinschaft einschließlich der Veränderung im Bereich des Präpersonalen. Dennoch ist die Evolution im Alltag dabei nicht wahrnehmbar, weil sie es mit weit größeren Zeitspannen zu tun hat, als wir sie bei Alltagsereignissen wahrnehmen. Der mögliche Einwand, dass zumindest einige evolutionäre Ereignisse – etwa die Veränderung der Färbung des Birkenspanners aufgrund industrieller Einflüsse – durchaus in direkt beobachtbaren Zeitspannen stattfinden mögen, ist letztlich nicht gravierend. Denn in Fällen wie diesem bedarf es doch der exklusiven und gerichteten Aufmerksamkeit der Forschung, um das entsprechende Faktum wahrnehmen zu können. Die Evolution ist zwar ein wahrnehmbares Faktum, aber nur eines, das durch bestimmte Mittel wahrgenommen werden kann. M.a.W.: Wir sind uns zwar phänomenal der Prozesse der kulturellen und ontogenetischen Veränderung bewusst, aber wir können uns auf die Evolution selbst nur in der Sprache der 3.Person-Perspektive beziehen. Bedeutet dies aber auch, dass es in der Evolutionstheorie überhaupt keinen Raum für die Phänomenologie gibt? Nein, auch das ist nicht der Fall. Evolutionäre Prozesse mögen zwar als solche nicht im Alltagsleben beobachtbar sein aufgrund ihrer langen Dauer, aber wenn Evolution ein Faktum ist, dann ist es eines, das immer gegenwärtig, aber auch gewissermaßen „verborgen“ gegenwärtig ist. Daher ist zu vermuten, dass die Phänomenologie zumindest ein wenig zur Evolutionsbiologie beitragen kann. Man kann vermuten, dass dies eher den theoretischen Status und die philosophischen Implikationen der Evolution betrifft als das Design einer phänomengerechten Evolutionstheorie selbst. Auch dieser kleine Beitrag löst ein entscheidendes Problem. Wie wir in 2.3.1 gesehen haben, unterscheidet Husserl zwei mögliche Haltungen, mit der wir an die Welt herangehen können: eine personalistische Haltung und eine naturalistische Haltung. Beide Haltungen sind dabei komplementär zu verstehen, so dass sie nicht aufeinander reduzibel, aber auch nicht voneinander separierbar sind – in dem Sinne, dass man die eine Haltung ohne die andere verfolgen könnte. Daraus folgt, dass wir immer auch eine personalistische Haltung gegenüber der Evolution und der Evolutionstheorie einnehmen müssen. Wir erfahren, lebendig zu sein, wir erfahren den Anderen – womit in diesem Kontext die oder der personal Andere und die präpersonale Umwelt gemeint ist – als uns konstitutiv beeinflussend. Wir erfahren auch Veränderung, wir erfahren die protentional-retentionale Struktur in jedem Erfahrungsakt. Wir erfahren das Verschwinden der Gegenwart in die Vergangenheit und Erinnerung, während die Zukunft Gegenstand von Hoffnung und Erwartung ist. Was machen wir in der Erfahrung von all dem, wenn nicht die

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Erfahrung der Evolution? Es ist allerdings nicht nur offensichtlich, dass wir mithilfe unserer personalistischen Haltung etwas erfahren, das man „Evolution“ nennen mag, wenn man in die naturalistische Haltung wechselt, sondern es ist auch klar, dass wir die Evolution nur im Horizont dessen, was sie für uns bedeutet oder bedeuten mag, erfahren können. Daraus folgt aber, dass es letztlich keinen wertneutralen, sondern immer schon einen evaluativen Zugang zur „Evolution“ gibt. Ja, mehr noch: Wir sind von Anfang an in die Narrationen des Lebens leiblich eingebunden, deren biologische Aspekte „Evolution“ genannt werden können. Nur für praktische Zwecke und aufgrund von Bildungsprozessen können wir dabei zwischen diesen beiden Haltungen unterscheiden, und doch bleibt diese Unterscheidung eine Abstraktion. Daher mag man durchaus erwarten, dass es aus diesen Überlegungen heraus Einsichten für die Evolutionstheorie oder unseren Umgang mit ihr gibt, und über einen bestimmten Aspekt unseres Umgangs mit ihr soll im Folgenden gesprochen werden: 4.6.10 Gibt es eine Teleologie in der Evolution und warum streitet man sich in der Öffentlichkeit beständig darüber? Die personalistische Haltung ist nichts, das man wählen könnte einzunehmen oder nicht einzunehmen. Sie ist für uns einfach gegeben. Und die personalistische Haltung ist nur eine personalistische Haltung, weil Erfahrung immer auch bedeutet, sich selbst als ein Interaktionssubjekt (und nicht nur als Gegenstand irgendeiner Wechselwirkung) wahrzunehmen. Wir nehmen eben nicht wahr, teilweise Gegenstand von „naturalen“ interkausalen Beziehungen und teilweise Gegenstand von interpersonalen Beziehungen zu sein. Wir können beide Dimensionen nur auseinanderhalten, wenn etwas in unserer Beziehungshaftigkeit schief läuft oder wir physischen Schmerz erfahren. In diesen Fällen fällt es uns leicht, zwischen beiden Haltungen zu unterscheiden. Allerdings können wir auch dann nur zwischen diesen Haltungen unterscheiden, sie aber nicht separieren. Die Wahrnehmung der Unterbrechung des Schmerzes offenbart zweifelsohne diese Inseparabilität. Nachdem man aber gelernt hat, zwischen der personalistischen und der naturalistischen Haltung zu unterscheiden und nachdem man gelernt hat, dass einige der relationalen Prozesse, in denen wir stehen, präpersonale Prozesse sind, können wir mehr oder weniger exklusive Aufmerksamkeit der einen oder der anderen Haltung für bestimmte Zwecke widmen. Genau dies ist es, was Wissenschaftler im Verfolgen ihrer Forschung tun, sei es im Bereich der Naturwissenschaften oder im Bereich der Theologie. Während aber die personalistische Haltung in dem Sinne „natürlich“ ist, insofern sie vom ersten Erscheinen des basalen Selbst gebildet wird, erscheint die naturalistische Haltung erst später. Fortgeschrittenere geistige Fähigkeiten oder eine „Theory of Mind“ sind nicht notwendig, um die oder den Anderen als Person wahrzunehmen, aber fort-

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geschrittenere geistige Fähigkeiten sind nötig, um den, die oder das Andere auch als Ursache im Rahmen einer Kausalitätstheorie zu verstehen. Dazu bedarf es einer elaborierten Bildungsgeschichte. Die personalistische Haltung ist also nichts, das wir verlieren könnten (außer im Tod). Irreduzibel zur personalistischen Haltung gehört nun aber auch das Verfolgen von Plänen, Absichten, Gerichtetheiten, Werten, Normen etc. M.a.W.: Wenn wir das entscheidende Kennzeichen der personalistischen Haltung aus der Perspektive der naturalistischen Haltung heraus betrachten, dann können wir nur zu einem Schluss kommen: Wir selbst sind unhintergehbar teleologische Wesen. Indem wir hoffen, erwarten, befürchten und planen, nehmen wir uns selbst als Gegenstände von Hoffnung, von Erwartung, von Furcht, von Plänen etc. wahr. Diese Art der phänomenal gegebenen Teleologie ist nicht notwendig eine personale oder eine positiv zu wertende Teleologie. Sie kann auch so modelliert werden, wie es etwa Heidegger getan hat, als auf einer vorgängigen Angst hinsichtlich zukünftigen Nicht-Seins gerichtet beruhend.54 Dennoch ist Heideggers Analyse des Nicht-Seins ein auf ein Gerichtetsein rekurrierendes Konzept. Die entscheidende Frage ist dabei nicht, ob Heideggers Analyse phänomenologisch korrekt ist.55 Die Pointe besteht vielmehr darin, dass Heideggers Zukunft in all ihrer Sinnlosigkeit und Unverstehbarkeit dennoch als Ergebnis eines gerichteten Prozesses erscheint, wenn auch eines negativen. Heidegger verdient hier nur deswegen Erwähnung, weil man an seinem Beispiel zeigen kann, dass wir im Rahmen unserer personalistischen Haltung unhintergehbar teleologisch denken, selbst wenn es sich dabei nicht um das handeln mag, was man sich gewöhnlich unter Teleologie vorstellen mag. Gehen wir noch einen Schritt weiter: Wenn unsere personalistische Haltung notwendigerweise teleologiegetränkt ist, dann wäre es schlicht selbstwidersprüchlich, wenn wir jegliche Teleologie ausschließen wollten, wenn wir zur naturalistischen Haltung wechseln. Wenn wir also ein Kunstwerk, wie etwa einen Roman, wissenschaftlich analysieren, ist die teleologische Frage nach Absichten und Zielen des Autors gerechtfertigt. Zwar mag diese Frage in Bezug auf einige (post)moderne Literatur nicht zu besonders interessanten Ergebnissen führen und vielleicht handelt es sich dabei auch nicht um die interessantesten Fragen der Literaturwissenschaften. Das ändert nichts an der Tatsache, dass teleologische Fragestellungen im Bereich der Literaturwissenschaften an sich berechtigt sind. Die Literaturwissenschaften beruhen aber – wie jegliche Wissenschaft – auf der naturalistischen Haltung. Der Ausdruck „naturalistisch“ in „naturalistische Haltung“ bezieht sich also nicht auf Definitionen von Naturalismus, wie sie von einigen naturalistischen 54 Vgl. Heidegger, M., Sein und Zeit, 252–301; zur Diskussion vgl. Jenson, R.W., On Thinking the Human, 1–15. 55 Ein Vergleich der unterschiedlichen Einsichten Heideggers und Merleau-Pontys zur Zeiterfahrung im Bezug zur Tradition der analytischen Philosophie liefert Fçrster-Beuthan, Y., Zeiterfahrung und Ontologie.

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Philosophen im Sinne eines Kausalreduktionismus gegeben werden. Wenn nun aber Teleologie stets Teil unserer personalistischen Haltung ist und wir prinzipiell berechtigt sind, teleologische Begriffe auch in solchen Unternehmungen zu gebrauchen, die primär auf der naturalistischen Haltung beruhen, dann lautet die entscheidende Frage einfach: In welchen wissenschaftlichen Bereichen, Disziplinen oder Theorien sollten wir in welchem Umfang teleologische Begriffe verwenden und in welchem Umfang nicht? Diese einfache Frage besitzt natürlich keine einfachen Antworten. Aber man kann ein Verfahren vorschlagen, das zumindest zu vorläufigen Antworten führen mag: Wenn man das Prinzip des methodologischen Atheismus so anwendet, dass es auch eine methodologische Ateleologie beinhaltet – wenn wir uns also des Reduktionismus als eines methodologischen Prinzips bedienen –, dann könnten wir dabei entdecken, in Bezug auf welche wissenschaftlichen Unternehmungen inwieweit dieser Zugang fruchtbar ist und inwieweit nicht. Am Prinzip von Ockhams Rasiermesser gemessen, erscheint der klassische Neodarwinismus gegenüber der um die Nischenkonstruktion erweiterten Evolutionstheorie als einfacher, aber er ist eben auch nicht hinreichend, um die Phänomene zu erklären. Daher ist es nötig, diese Phänomene unter einer um Nischenkonstruktion erweiterten Evolutionstheorie zu verstehen. Analog zu diesem Verfahren kann man daher vorschlagen, dabei zunächst eine erweiterte Evolutionstheorie zu verwenden, die auf teleologische Konzepte (zugunsten einer Wirkkausalität und formative Kausalität beinhaltenden integralen Kausalität) verzichtet, um dann zu sehen, ob dies genügt. Fassen wir diese Bemerkungen zusammen: Die Phänomenologie hilft uns zu verstehen, warum Menschen einen Hang haben, teleologische Begriffe in die Evolutionstheorie einzutragen, seit es diese gibt. Der Grund besteht einfach darin, dass eine Teleologie im Rahmen unserer personalistischen Haltung stets präsent ist und wir daher auch stets versucht sind, Teleologie auch im Rahmen einer naturalistischen Haltung anzuwenden. Daran ist im Prinzip solange nichts verkehrt, wie man nicht versucht, von einer Allgegenwart einer Teleologie zu sprechen. Denn im Unterschied zu unserer personalistischen Haltung haben wir im Bereich der naturalistischen Haltung die Wahl, teleologische Konzepte anzuwenden oder nicht anzuwenden. Ich selbst bin dabei der Auffassung, dass Teleologie kein Konzept einer evolutionären Theorie als Naturwissenschaft sein sollte. Dabei ist zu beachten, dass damit noch keine Aussage über die Teleologie im Rahmen einer Naturphilosophie oder der Theologie getroffen ist. Es mag sich so verhalten, dass ein Blick auf die Evolution aus Sicht der Naturwissenschaften Teleologie ausschließt, während der interpretative Blick auf die Evolution aus der Perspektive der Naturphilosophie sie einschließen kann.

Implizite Theologie in der Theorie der Nischenkonstruktion

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4.7 Implizite Theologie in der Theorie der Nischenkonstruktion In Bezug auf den Menschen behaupten Odling-Smee et al. von der Evolutionstheorie: ‘Our niche-construction framework may provide such a bridge because it emphasizes the active role that organisms play in the evolutionary process. Humans are not just passive vehicles for genes, they actively modify sources of natural selection in environments. They are the ultimate niche constructors.’56

Obwohl das vorliegende Buch Gründe für die Behauptung liefert, dass Nischenkonstruktion von hohem Wert für die inter- und transdisziplinäre Forschung ist, und trotz unseres Wissens, dass Menschen in einem solchen Maße dazu in der Lage sind, ihre Umwelt zu verändern, dass man mit Eugene Stoermer und Paul Crutzen57 unsere gegenwärtige geologische Epoche als „Anthropozän“ bezeichnen kann, bedarf dieses Zitat dringender Korrektur. 1. Im Rahmen der Theorie der Nischenkonstruktion sind es nie die Organismen in einem ultimativen Sinne, die für die Konstruktion von Nischen verantwortlich sind, sondern immer das gesamte System, unter Einschluss von Organismen und Umwelt. Nun die Menschen in die Rolle zu setzen, selbst die Konstrukteure zu sein, widerspräche der Theorie selbst und würde sie zu einer Spielart des Konstruktivismus degenerieren lassen – was eine Eigenschaft darstellt, die der Theorie selbst nicht inhärent ist. 2. Ferner beinhaltet dieses Zitat einen impliziten Anthropozentrismus. Wirklich zu behaupten, Menschen wären die ultimativen Nischenkonstrukteure, fügt nicht nur eine Wertung und einen Wert in die Nischenkonstruktionstheorie ein, sondern verneint implizit die faktische Möglichkeit, dass in Zukunft Menschen von anderen Spezies in ihrer Nischenkonstruktionstätigkeit übertroffen werden könnten. Damit verneint dieser Satz zumindest implizit auch, dass die Evolution weitergeht und Menschen sich weiterentwickeln oder durch andere Spezies abgelöst werden könnten. In Bezug auf einen räumlichen Aspekt verneint diese Behauptung sogar, es könne gleichwertige oder höherwertige Nischenkonstrukteure an anderen Orten des Universums geben. Man könnte gegen meinen Einwand einwenden, dass Menschen zumindest als relativ ultimative Nischenkonstrukteure angesehen werden könnten, nämlich relativ zur uns bekannten Geschichte der Evolution. Aber auch dieser Gegeneinwand ist nicht stichhaltig. Ein Vergleich mag dies erhellen: Anfang des 20. Jh. behauptete Ernst Troeltsch, das Christentum könne zwar nicht als Instantiation der absoluten Religion verstanden werden, sondern man müsse diese Absolutheit historisch relativieren. Dennoch behauptete auch Troeltsch, dass das Christentum zumindest relativ zur uns be56 Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 27 f. 57 Vgl. Crutzen, P.J./Stoermer, E.F., The ‘Anthropocene’.

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kannten Religionsgeschichte als höchste Instantiation von Religion verstanden werden könne.58 Aber auch um solch eine Aussage treffen zu können, bedarf es einer Kriteriologie, eines Kanons, der es erlaubt, unterschiedliche Religionen – oder in unserem Fall Nischenkonstrukteure – in einer Werthierarchie zu ordnen. Im Falle von Troeltsch mag diese Ordnung durch eine Kombination von Historismus und seiner eigenen theologischen Position zustande gekommen und daher zumindest transparent sein. Was aber ist die Werteordnung, die Odling-Smee et al. voraussetzen, um eine solche Behauptung begründen zu können? Sie erscheint nirgendwo expliziert. 3. Von ultimativen Dingen zu sprechen, macht Theologen stets misstrauisch. Die Attribution von Ultimativität bedeutet immer auch die Attribution von Göttlichkeit. Streng betrachtet kann Ultimativität daher immer nur eine Eigenschaft dessen sein, id quo maius cogitari nequit, also dessen, worüber hinaus Größeres nicht denkbar ist. Unter dieser Perspektive fügt die Attribution des Menschen als ultimativen Nischenkonstrukteur der Theorie nicht nur einen Anthropozentrismus hinzu, sondern führt auch zu einer Idolisierung des Menschen. Obwohl dies nicht die Absicht der Autoren sein dürfte, gerät die Theorie der Nischenkonstruktion damit doch eher in Gefahr, entsprechend missverstanden zu werden. 4. Dabei handelt es sich nicht einfach nur um eine theoretische Frage. Dies sei hier mit einem anderen Beispiel illustriert: Als die christlichen Kirchen Europas bei der Wende zu den 1980er Jahren auf die erscheinende ökologische Krise reagierten, führten sie den Slogan von der Bewahrung der Schöpfung im Munde.59 Aber diese Rede von der Bewahrung der Schöpfung ist theologisch äußerst missverständlich. Denn im eigentlichen Sinne ist die Erhaltung oder Bewahrung der Schöpfung theologisch betrachtet ein göttliches Werk – Erhaltung und Bewahrung sind Ausdrücke im Rahmen der Lehre der creatio continuata – kein menschliches oder menschenmögliches. Denn von der Bewahrung oder Erhaltung der Schöpfung zu sprechen, setzt voraus, dass das entsprechende Subjekt alle Fähigkeiten besitzt, die dafür notwendig sind, und es setzt voraus, dass das Subjekt der Erhaltung die einzige verantwortliche Instanz für den Fall ist, dass die Erhaltung misslingt. Die Rede von der Bewahrung der Schöpfung illustriert daher nicht nur das veränderte ökologische Bewusstsein, das mit den 1980er Jahren auf den Plan trat, sondern es bestätigt auch die titanische Haltung des self-made-man – die Haltung des homo faber, die die hyperoptimistische Technologiegläubigkeit der 1950er bis 1970er Jahre bestimmt hat und die weiterhin fortbestand, wenn auch mit verändertem Ziel: Bewahrung anstelle von Perfektionierung. Jedes mögliche Missverständnis wäre ausgeschlossen gewesen, hätte man stattdessen von der Kooperation 58 Vgl. Troeltsch, E., Absolutheit des Christentums, 125–129. 59 Dieser Begriff wurde beispielsweise auf der 6. Vollversammlung des ÖRK in Vancouver 1983 genutzt und inaugurierte einen konziliaren Prozess, vgl. M ller-Rçmheld, W. (Hg.), Bericht aus Vancouver 1983.

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oder Mitarbeit an der Bewahrung der Schöpfung gesprochen. Denn dann wäre explizit gewesen, dass jegliche menschliche Anstrengung in Bezug auf eine ultimative, „göttliche“ Entität, die jedenfalls nicht vollständig dem Menschen verfügbar ist, relativiert gewesen wäre. Dieses Argument lässt sich nun auch auf die Nischenkonstruktion anwenden: Wenn Menschen als „ultimative“ Nischenkonstrukteure bezeichnet werden, dann mag dies zu einer ähnlichen, die menschlichen Fähigkeiten überschätzenden Haltung führen. Was immer Menschen auch sein mögen oder sein werden: Sie bleiben höchstens vorletzte Nischenkonstrukteure und sie bleiben immer nur Kooperatoren der anderen Relate des gesamten Systems. Nischenkonstruktion schließt Kontingenz nicht aus. Im Gegenteil, da Kontingenz ein entscheidender Sachverhalt unserer Welt ist und daher auch der Evolution, wie Werner Arber vorschlug,60 stellt sie die entscheidende Instanz dar, die verhindert, dass Nischenkonstruktion dem Menschen verfügbar wird. Die Theorie der Nischenkonstruktion mag schon jetzt verhindern, dass Menschen ihre ethisch-orientierenden Selbstbilder im Modell des homo oeconomicus entwerfen. Sie sollte uns aber auch nicht in das Fahrwasser des homo faber führen. 5. Sowohl aus theologischer Sicht als auch aus Sicht der Theorie der Nischenkonstruktion selbst ist zu fragen, ob der Terminus „Nischenkonstruktion“ überhaupt adäquat ist. Denn dieser Terminus suggeriert eine Art basaler Aktivität und er suggeriert, dass nicht Organismus-Umweltsysteme, sondern die Organismen selbst Subjekte der nischenkonstruktiven Tätigkeit wären. Aber Nischenkonstruktion ist in ihren Grundlagen alles andere als eine pure Aktivität. In ihrer Grundlage ist Nischenkonstruktion vielmehr passiv oder ein pathos. Denn es ist Organismen oder Populationen ja nicht möglich, nicht nischenkonstruktiv tätig zu sein. Nischenkonstruktion ist daher immer gegeben. Tatsächlich ist Nischenkonstruktion daher immer auch Nischenrezeption.61 Theologisch kann dieser Aspekt der Nischenrezeption als Ausdruck der Kreatürlichkeit der Nischenkonstruktionstätigkeit verstanden werden.

60 Vgl. Kap. 4.2 und Arber, W., Molecular Darwinism, 1091 f. 61 Dabei danke ich Ken Oakes, diesen Ausdruck vorgeschlagen zu haben.

5. Das dreieinige Leben, Nischenkonstruktion und Nischenrezeption In Kapitel 3 wandten wir die Theorie des ökologischen Gehirns auf die theologische Epistemologie an, mit dem Ergebnis, dass in Übereinstimmung mit reformatorischer Theologie Glaube als auf einer leiblichen Wahrnehmung der dreieinigen Geschichte des Evangeliums basierend verstanden werden kann, die mit den Geschichten der Welt verschränkt ist. Die Reformatoren bezeichneten diesen Sachverhalt als die dreieinige, vollständige Selbstgabe Gottes. Im Glauben sich bewusst zu sein, in dieser dreieinigen Geschichte zu leben, bedeutet nun aber noch nicht, dass man sich auch theologischer Begriffe, einschließlich des Begriffs der Trinität, bewusst sein muss. Denn das Bewusstsein über theologische Lehren gehört zur Theologie als einer Reflexion der zweiten Ordnung über den Glauben, während die Glaubenskommunikation erster Ordnung zu den partikularen Leben der Glaubenden und ihrer Gemeinschaften gehört. Auch die erste Stufe beinhaltet Reflexion, aber sie beschäftigt sich mit den Arten der Verschränkung der unterschiedlichen Geschichten und mit deren dramatischer Kohärenz. Theologie als ein Diskurs zweiter Ordnung hingegen kann mithilfe der Metapher der „Grammatik“1 dieses narrativen Glaubens verstanden werden oder aber als die methodisch geführte Selbstexplikation der Wahrheitsansprüche, die in dieser Verschränkung der Narrationen impliziert ist. Obwohl nun auch diese Stufe der Glaubensreflexion an die verschränkten Geschichten und deren dramatische Kohärenz gebunden ist, würde doch das bloße Geschichtenerzählen, -erweitern und -modifizieren nicht genügen. Da es um die Explikation der Wahrheitsansprüche geht, ist eine begriffliche Untersuchung erforderlich. Und weil Begriffe eine spezifische Unterart von kontrollierter Metaphernverwendung sind, wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, und weil Metaphern ferner die Basis für Modelle bilden, ist die beste Art und Weise, den Erfordernissen der zweiten Reflexionsebene der Theologie zu genügen, theologische Modelle auf Basis bestimmter Schlüsselmetaphern zu entwerfen. Dabei beruht die Schlüsselmetapher eines Modells auf den verschiedenen semantischen Einheiten, aus

1 Die Sichtweise von Theologie als Grammatik des christlichen Glaubens wurde vor allem popularisiert durch die postliberale Theologie Lindbeck, G.A., Nature of Doctrine, bes. 84. Obwohl Linbecks Theologieverständnis im Sinne einer regulativen Idee wertzuschätzen ist, darf er nicht als Alternative zu kognitiven oder begrifflichen Verständnissen von Theologie verstanden werden.

Die vorausgesetzte Gotteslehre

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denen die Metapher besteht.2 Im vorliegenden Kapitel wollen wir zwei semantische Einheiten kombinieren, die des (dreieinigen) Gottes und die der Nischenkonstruktion, um zu untersuchen, welche Implikationen diese Art und Weise von Gott zu sprechen beinhaltet, welche nicht, und ob dieses Modell des Verständnisses Gottes ein sinnvolles Modell für das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens darstellt. Eines der Relate des Modells, die Nischenkonstruktion, wurde im letzten Kapitel bereits separat expliziert. Bevor wir nun mit der Modellbildung anfangen können, ist das erste Relat, die Rede vom dreieinigen Gott, unabhängig vom Relat der Nischenkonstruktion zu explizieren. Die dabei auftretenden Beschreibungen sind natürlich nicht unabhängig von anderen Metaphern und Modellen. Die Aufgabe dieser von der Nischenkonstruktion zunächst unabhängigen Beschreibung besteht darin, Qualifikanten für das Modell auf Basis der Schlüsselmetapher aus den Relaten „Gott“ und „Nischen–konstruktion“ zu finden. Da die Basis des christlichen Gottesverständnisses auf der Verschränkung der verschiedenen Geschichten beruht, gilt es nicht nur einige grundlegende Sachverhalte der Gotteslehre vorzustellen, sondern auch das Verhältnis von Gottes Beziehung zu anderen Handelnden der Narration, d. h. der Welt und besonders der Menschen, zu besprechen.

5.1 Die vorausgesetzte Gotteslehre 5.1.1 Ein narrativer Gott Gott als das, id quo maius cogitari nequit,3 kann nur aufgrund von Selbstpräsentation verständlich sein. Diese Selbstpräsentation ereignet sich gleichzeitig in der Erfahrung der Verschränkung der Geschichte des Evangeliums und der Geschichten der Glaubenden. Daher besteht eine notwendige Wahrheitsbedingung des christlichen Glaubens darin, dass Gott in seinem Sein begriffen werden muss, wie Gott erfahren wird. Und da Gott in dramatischen Narrationen erfahren wird, kann der Begriff der dramatischen Erzählung dem Sein Gottes nicht extern sein. Nun muss Gott aber, zumindest hypothetisch, auch verstanden werden etsi mundus non daretur, wie wir in Kapitel 1 gesehen haben. Dann aber können bestimmte, entscheidende Elemente der Erzählung nicht einfach nur zur Welt gehören, sondern ebenso zu Gott als unabhängig von der Welt verstanden. Die Begriffe des Ereignisses, der Kommunikation zwischen verschiedenen Handelnden, der dramatischen Kohärenz und auch eine bestimmte Auffassung „zeitlicher“ Folge kann nicht nur zur Schöpfung 2 Zum Thema der Metaphern- und Modelltheorie vgl. Kap. 1 und M hling, M., Gott ist Liebe, 24–44. 3 Vgl. Anselm von Canterbury, Proslogion, 84 (Kap. 2).

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Das dreieinige Leben, Nischenkonstruktion und Nischenrezeption

gehören, sondern ebenso zu Gott. Daher lässt sich Gott als eine ewige und daher offene, ereignishafte Beziehung der drei Handelnden oder Identitäten Vater, Sohn und Heiliger Geist verstehen.4 Das Sein selbst – oder, um einen traditionellen Terminus zu gebrauchen –, das göttliche Wesen ist eine Beziehung und zwar eine Beziehung, die Sequenzen, Ereignisse und eine der Zeit zumindest ähnelnde Struktur beinhaltet. Diese Sequenz, Ewigkeit genannt, muss nun gemäß der Lehre von der Einfachheit Gottes, identisch mit dem Wesen Gottes sein. Ewigkeit ist das Wesen Gottes und diese Ewigkeit besteht weder in augustinischer Zeitlosigkeit noch in boethianischer Gleichzeitigkeit.5 Robert W. Jenson hat den Gottesbegriff beschrieben als „what brackets time“6, aber auch wenn es eine particula veri in dieser Auffassung geben mag, da andernfalls die Zeit der Welt ein Teil Gottes wäre und damit die Welt selbst göttlich würde, darf sich diese Aussage nicht auf das Wesen Gottes beziehen. Die Lösung kann also nur darin bestehen, dass die göttliche Ewigkeit teilweise analog mit der Zeit und teilweise von ihr unterschieden verstanden werden muss. Die göttliche Ewigkeit ähnelt dabei der Zeit darin, dass sie – um einen Terminus von Swinburne zu borgen – eine Topologie7 besitzt, d. h. eine Ereignisstruktur, aber im Unterschied zur Zeit keine Metrik, keinen Anfang und kein Ende. Mit der Aussage, dass die Ewigkeit keine Metrik besitzt, ist gemeint, dass die Sequenzen der Ewigkeit nicht durch externe Regeln und Prozesse determiniert werden, sondern nur durch Gott selbst. Wir sahen schon, dass die Beziehung zwischen den drei göttlichen Identitäten oder göttlichen Handelnden, Vater, Sohn und Geist, eine interne Relation darstellt, die irreflexiv, asymmetrisch (aber reziprok) und transitiv ist. Diese formalen Eigenschaften der Irreflexivität, Asymmetrie und Transitivität können nun aber auch in der geschaffenen Zeit beobachtet werden. 2016 folgt auf 2015, nie aber folgt 2015 auf 2016; daher ist die Zeit irreflexiv. 2016 folgt auf 2015, aber nie folgt 2015 auf 2015; daher ist die Zeit asymmetrisch. Wenn 2016 auf 2015 folgt und 2015 auf 2014, dann folgt auch 2016 auf 2014; daher ist die Zeit transitiv. Dabei ist zu beachten, dass wir überhaupt keine Kenntnisse über das Wesen oder die Natur von Zeit benötigen, um zu diesen formalen Bestimmungen zu gelangen. Wenn aber nun das göttliche Wesen und die geschaffene Zeit die gleichen formalen Attribute teilen, dann können wir metaphorisch davon sprechen, dass sich die Ewigkeit analog zur Topologie der Zeit verhält, und

4 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 330–332. 5 Zu unterschiedlichen Arten des Verständnisses von Ewigkeit im Verhältnis zur geschaffenen Zeit vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 215–257. 6 Vgl. Jenson, R.W., ST I, 54f: ‘gods are eternities of a certain sort […]. Just so also our actions and with them our lives threaten to fall or be torn between past and future, to become fantastic or empty, unplotted sequences of occurrence that merely happen to befall certain otherwise constituted entities. Human life is possible only if past and future are bracketed by reality that reconciles them in present meaning.’ 7 Vgl. Swinburne, R., Christian God, 72.

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zwar auch dann, wenn es keine geschaffene Welt und keine geschaffene Zeit gäbe. Wenn nun Gott eine Geschichte in diesem ontologischen Sinne ist, ohne geschaffene Handelnde, dann muss das Ereignis, das Gott ist, und dann müssen alle möglichen „Sequenzen“ im Leben Gottes als offenes Ereignis verstanden werden, denn ein entscheidend unterscheidendes Merkmal zwischen dem Göttlichen und der Schöpfung besteht darin, dass die Schöpfung endlich, Gott aber unendlich ist.8 Gottes narratives Sein ist also, auch unabhängig von der Welt gedacht, stets Gottes Werden. Eine entscheidende Frage besteht dann aber darin, ob auch das Kennzeichen der dramatischen Kohärenz auf das offene und relationale Ereignis, das Gott ist, angewandt werden muss. Dramatische Kohärenz setzt voraus, dass die Handelnden der Narration in deren weiteren Sequenzhaftigkeit überrascht werden können. Kann Gott überrascht werden? Kann Gott überrascht werden, auch wenn es nicht einmal irgendeine geschaffene Welt gäbe? Die Antwort, die ich vorschlagen möchte, besteht darin, anzuerkennen, dass Gott dann in der Tat überrascht werden kann, aber durch nichts, was von Gott verschieden wäre.9 Gott kann also überrascht werden, aber nur durch Gott selbst. Überraschung impliziert Kontingenz und Unvorhersehbarkeit, zumindest in einem bestimmten Maße. Und nun erscheint an diesem Punkt unserer Untersuchung das Problem, dass das Göttliche normalerweise als ens necessarium, als das einzige in sich selbst notwendige Sein beschrieben wird. Nun wissen wir aus der Modallogik, dass das Kontingente definiert ist als das, was nicht notwendig ist. Eine Proposition p ist notwendig (Np), genau dann wenn sie nicht kontingent ist, d. h. genau dann, wenn es nicht möglich ist, dass sie ist oder/ und wenn es nicht möglich ist, dass sie nicht ist: Eine Aussage p wird kontingent (K) genannt (Kp), wenn sie möglich (M) ist oder wenn es möglich ist, dass sie nicht ist: Kp = Mp ^ M p.10 Notwendigkeit (N) ist nun aber definiert als das, von dem es nicht möglich ist, dass es nicht ist: Np = M p.11 Wenn es nun einen kontradiktorischen Widerspruch zwischen Kontingenz und Notwendigkeit gibt, können dann beide Behauptungen in Bezug auf Gott aufrecht erhalten werden oder müssen wir nicht eine der beiden Aussagen aufgeben? Die einfachste Lösung dieses Problems bestünde in der traditionellen Antwort, d. h. darin, zwar die Kontingenz in Gott aufzugeben, nicht aber die Notwendigkeit. Wenn das allerdings stimmen würde, dann könnte die Gen n

n

8 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 307. 9 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 155–157. 10 Diese Art von Kontingenzdefinition suggeriert fälschlicherweise, dass es eine feste gegebene Menge von Sachverhalten p gäbe, die möglich oder nicht möglich sind. Dieser Eindruck kommt durch die vermeintliche Sequenz- bzw. Zeitlosigkeit der Modallogik zustande. Tatsächlich ist es so, dass das Kontingente stets vorgängig ist und die Definition von Mp ^ M p stets nur retrospektiv getroffen werden kann. 11 Eine immer noch gute Einführung in die Modallogik bieten Hughes, G.E./Cresswell, M.J., New Introduction to Modal Logic. n

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schichte, wie wir sie erfahren, keine Selbstpräsentation Gottes sein. Folglich gäbe es keinen religiösen Wert der Verschränkung der Geschichten, keinen der Geschichte des Evangeliums und keinen unserer Lebensgeschichten, abgesehen davon, dass es sich dann um Religion im sündhaft-hybriden Versuch der Selbstüberhebung des Menschen handeln würde. Wenn wir aber den anderen Weg gehen, indem wir die Kontingenz in Gott behalten, aber die Notwendigkeit aufgeben, dann würde dieser Gott mehr einer zweiten Hinterwelt ähneln denn dem id quo maius cogitari nequit. Allerdings gibt es Wege, dieses Dilemma zu lösen: 1. Nicolai Hartmann lieferte eine Analyse der Notwendigkeit. Notwendigkeit sei keine absolute Eigenschaft, sondern eine relative. Etwas kann nur notwendig für etwas anderes sein.12 Und in diesem Sinne wurde der Notwendigkeitsbegriff in der Theologiegeschichte ja auch von Gott ausgesagt: Gott ist notwendig für das, was nicht Gott ist, d. h. für die Welt. In diesem Sinne ist die göttliche Eigenschaft der Notwendigkeit keine Eigenschaft des Wesens Gottes, auch dann wenn es keine Schöpfung gäbe, sondern es handelt sich um eine Eigenschaft der Beziehung zwischen Gott und Welt. 2. Aber auch in Hinsicht auf das göttliche Wesen gibt es eine Bedeutung, nach der Gott als notwendig bezeichnet werden kann, nämlich dann, wenn wir Gott – und dabei einen Ausdruck Eberhard Jüngels in einer bestimmten Interpretation aufnehmend – als etwas, das „mehr als notwendig“13 ist, bezeichnen. Wenn Gott nicht einfach notwendig ist, sondern „mehr als notwendig“ sein soll, dann kann dies bedeuten, dass Kontingenz in die Notwendigkeit aufgenommen werden kann. Auf den ersten Blick scheint diese Redeweise nun die ganze Semantik und Syntaktik der Sprache der Notwendigkeit und der Kontingenz zu zerstören. Allerdings gibt es auch hier eine Lösung: In der Modallogik sind Kontingenz, Möglichkeit und Notwendigkeit Modalausdrücke: K, M, N. Sie haben keine inhärente Bedeutung ohne eine Proposition p, auf die sie sich beziehen. Aber wenn wir nun einen Modalausdruck wie M mit einer Proposition p (z. B. „nicht-menschliche Tiere sind Personen“) zu Mp („Es ist möglich, dass nicht-menschliche Tiere Personen sind“) verbinden, dann ist Mp selbst wieder eine Proposition, die wir nun q nennen können. Und selbstverständlich ist es möglich, dass diese neue Proposition q nun selbst wieder eine Modalität wie Notwendigkeit, Kontingenz oder Möglichkeit besitzt, z. B. Pq, was dann dasselbe wäre wie PPp. Nun gibt es mehrere Modalkalküle. In einigen von diesen können Modalitäten höherer Stufen auf Modalitäten erster Stufe nach bestimmten Regeln reduziert werden, in anderen Kalkülen ist dies nicht möglich.14 Ich möchte nun vorschlagen, dass es sich bei der Aussage der göttlichen Kontingenz und der Aussage der gött12 Vgl. Hartmann, N., Möglichkeit und Wirklichkeit, 94f sowie zur Interpretation M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 140. 13 J ngel, E., Gott als Geheimnis der Welt, 30. 14 Vgl. Hughes, G.E./Cresswell, M.J., New Introduction to Modal Logic, Kap. 3., 51ff.

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lichen Notwendigkeit in Bezug auf das Wesen Gottes um Attribute unterschiedlicher Stufen handelt. Wenn man also sagt, „das göttliche Wesen beinhaltet Kontingenz“, dann ist dies eine Proposition q. Diese Proposition ist selbst notwendig (Nq): „Es ist notwendig, dass das göttliche Wesen als Narration Kontingenz beinhaltet“. Nun ist es möglich, den Modalbegriff der Kontingenz aus q auszuklammern. Dann erhalten wir: NKp. M.a.W.: Die Tatsache, dass das göttliche Wesen Kontingenz einschließt, ist selbst keine kontingente, sondern eine notwendige Aussage. Wenn Gott nun tatsächlich überrascht werden kann – aber durch nichts anderes als Gott selbst –, dann kann man fragen, ob Gott nicht auch metaphorisch als Abenteuer beschrieben werden kann. Obwohl es sich dabei nicht direkt um einen biblischen Terminus handelt und obwohl dieser Terminus zur Zeit der Reformation vor allem für solche Narrationen verwandt wurde, die schädliche Resultate zeitigen oder für unglaubwürdige Geschichten,15 so hat sich zwischenzeitlich die Bedeutung von „Abenteuer“ ins Positive verändert. Allerdings wäre die Frage, ob Gott metaphorisch als Abenteuer bezeichnet werden kann, eine Frage, die einer separaten und ausführlichen Untersuchung bedürfte. Da das offene Ereignis des Wesens Gottes relational konstituiert ist durch die Relate von Vater, Sohn und Geist, kann sie auch als eine dramatische Geschichte verstanden werden. Im Unterschied zu einem Drama aus dem Bereich der Kunst ist es allerdings ein Drama, in dem die Rollen und die Personen zusammenfallen. M.a.W.: Die Personen der Trinität sind nichts außer ihren „Rollen“ und diese „Rollen“ sind mit den Personen identisch. Daher ist der dreieinige Gott nicht nur ewig, sondern auch unwiederholbar. Ein anderes klassisches Attribut Gottes der westlichen Metaphysik ist Impassibilität oder Unveränderlichkeit. Natürlich erscheint nun ein narrativer Gott, der ein offenes Ereignis ist, veränderlich zu sein. Und Veränderlichkeit scheint Unveränderlichkeit auszuschließen. Müssen wir also die traditionelle Eigenschaft der Unveränderlichkeit aufgeben? Wenn wir das täten, dann wäre dies alles andere als ungewöhnlich. Denn seit dem 20. Jh. haben die meisten Theologien, v. a. in protestantischer Tradition, die Unveränderlichkeit Gottes aufgegeben. So hat beispielsweise Wolfhart Pannenberg diagnostiziert, dass es nicht das hellenistische Attribut der Unveränderlichkeit ist, sondern das hebräische der Treue, das sinnvoll auf Gott anzuwenden ist.16 Und in der Tat ist Treue ein viel wichtigeres Prädikat als Unveränderlichkeit. Im Kontrast zur Unveränderlichkeit ist Treue mit dem Begriff der dramatischen Kohärenz vereinbar. Es gibt allerdings immer noch eine Hinsicht, unter der der Begriff der Unveränderlichkeit auch im Paradigma der narrativen Ontologie auf Gott angewandt werden kann. Wenn es stimmt, dass das göttliche Wesen als offenes 15 Vgl. Grimm, J./Grimm, W., Art. Abenteuer. 16 Vgl. Pannenberg, W., ST, Bd. 1, 466–477 und zur Interpretation M hling, M., Gott ist Liebe, 231.

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Das dreieinige Leben, Nischenkonstruktion und Nischenrezeption

Ereignis zu verstehen ist, dann ist dieses Ereignis oder diese offene Geschichte selbst, wenn sie auch im Werden ist, unveränderlich, wie auch geschaffene Ereignisse immer unveränderlich sind.17 Das Ereignis „Zwölf Wissenschaftler trafen sich 2013 am CTI in Princeton, um den Zusammenhang von Evolution und menschlicher Natur zu erforschen“ ist unveränderlich, auch und gerade wenn die Wissenschaftler und ihr Denken Gegenstand der Veränderung während dieser Zeitperiode waren. Ereignisse sind Relationen und Relationen beinhalten abstrahiert Relate. Während die Relate eines Ereignisses der Veränderung unterliegen, gilt das für das Ereignis selbst nicht. Und dies gilt auch für offene Ereignisse. Streng betrachtet ist allerdings das Wesen Gottes das einzige wirklich offene Ereignis, das wir kennen. Folglich wird man das Prädikat der Unveränderlichkeit dann auf Gott anwenden können, wenn es von der gesamten göttlichen Essenz ausgesagt wird – also von der göttlichen Geschichte oder dem göttlichen Ereignis –, aber nicht von den Relaten der Geschichte und deren „Sequenzen“.

5.1.2 Liebesgeschichte Gott Die biblische Aussage, „Gott ist Liebe“ (1.Joh 4,8.16) wird zu Recht als eine Wesensaussage Gottes verstanden. Allerdings geht es bei dem biblischen Kontext dieser Aussage nicht um eine Explikation derselben. Hier findet sich vielmehr nur die unexplizierte Aussage, die ihrerseits als Basis für die ethische Praxis der Christen dient. Ist es also möglich, die Essenz Gottes als Liebe zu bezeichnen? Natürlich sprudelt die Theologiegeschichte geradezu über von unterschiedlichen und vielfältigen Theorien, worin die Bedeutung des Satzes, „Gott ist Liebe“, bestehe.18 Wir können uns hier auf diese Geschichte nicht detailliert beziehen, aber es ist angemessen, offenzulegen, in welcher Weise wir hier das Wesen Gottes als Liebe bezeichnen. Und das erste, was zu tun ist, wenn man über Gott als Liebe spricht, ist, dass man angeben muss, was dieser Satz nicht bedeuten kann. 1. Gott als Liebe mag zwar durchaus implizieren, dass Gott auch liebend ist, aber die Aussage „Gott ist der Liebende“19 ist keine adäquate Erklärung der Liebe, die Gott ist. In den meisten Fällen, in denen diese Aussage benutzt wird, wird Gott einfach als theistischer Gott verstanden, d. h. als supranaturales, allwissendes und allmächtiges Individuum.20 Auch wenn noch im 20. Jh. einige Anstrengungen unternommen wurden, ein solches Gottesverständnis zu verteidigen, z. B. von Swinburne,21 so passt ein solches Gottesverständnis ganz 17 18 19 20 21

Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 306f. Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 68–268. Vgl. Barth, K., KD II/1, 288.318f.366.393; KD IV/2, 857. Vgl. Swinburne, R., Existence of God, 93–106.282–291. Vgl. z. B. Swinburne, R., Existence of God; Swinburne, R., The Coherence of Theism etc.

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und gar nicht zur christlichen Erfahrung, wie sie in Kap. 3 rekonstruiert wurde. Es mag sich sogar so verhalten, dass sogar Christen – trotz ihrer Erfahrung des Evangeliums – manchmal ein solch theistisches Gottesverständnis aufweisen mögen. Aus historischer Perspektive gilt jedoch, dass ein solches Verständnis zuerst in der frühen Moderne des Westens erschien, als man in der Frühaufklärung versuchte, eine Blaupause für einen Konsens der Konfessionen oder Religionen zu konstruieren, indem man die Lehren von der Trinität, der Christologie, der Gnade u.v.a.m. auszuschließen trachtete.22 Die Realität bestand jedoch nicht darin, einen Konsens zu finden, sondern einfach darin, eine neue Gotteslehre zu erfinden – und zwar eine, die der menschlichen Neigung zur Selbstidolisierung entsprach und Gott im Bild des individuellen Menschen modellierte. 2. Auch wenn man diese Art des Theismus vermeidet, wird die Aussage, Gott sei Liebe, manchmal dennoch so erklärt, als sei Gott vornehmlich ein liebendes Subjekt. So wird z. B. in der Theologie Karl Barths Gott als der in Freiheit Liebende verstanden.23 Hier sind göttliche Liebe und göttliche Freiheit notwendige Komplemente, die sich gegenseitig ausbalancieren. Allerdings kann es sich dabei nicht wirklich um eine Erklärung der Aussage „Gott ist Liebe“ als Wesensaussage handeln, denn eine Wesensaussage würde bedeuten, dass in der Liebe Gottes alle anderen Eigenschaften implikativ enthalten sind – auch die Freiheit. Zwar kommt Barth oft einem angemessenen Verständnis Gottes als Liebe nahe, aber indem er die Dyade von Liebe und Freiheit als regierende Aussage seiner Gotteslehre verwendet, missversteht er den Begriff der Liebe als Gottes Wesen letztlich. 3. Die Erklärung, das göttliche Wesen sei Liebe, bringt auch die Gefahr mit sich, implizit unsere eigene Liebe zu idolisieren und damit falsche Liebesverständnisse, die nichts anderes als Ausdruck des menschlichen Narzissmus sind, an die Stelle Gottes zu setzen. Dies geschieht vor allem, wenn die göttliche Liebe als zornausschließend verstanden wird oder als andere Eigenschaften ausschließend, die wir als unangenehm empfinden mögen. Die Besessenheit der Moderne mit dem Theodizeeproblem kann beispielsweise als Ausdruck dieses entfremdeten Verlangens verstanden werden. Wenn das Göttliche einfach der perfekt Liebende ist und wenn Liebe alles Schmerzhafte ausschließt, dann könnte man meinen, wir hätten ein exklusives Recht, ständig angenehme Momente zu erfahren und dass die göttliche Instanz der Garant dieses Wunsches sein müsse. Faktisch wird dann allerdings unser bloßer Wunsch, der sich aus unseren leiblichen Bedürfnissen hinreichend ergibt, zum determinierenden Faktor unseres Wirklichkeitsverständnisses und dessen, was als göttlich bezeichnet wird. Dieses Beispiel zeigt damit sehr deutlich, dass der Glaube an Gott als Liebenden auch ein Ausdruck der Idolatrie sein kann. 4. Liebe wird manchmal exklusiv als Gefühl oder Emotion verstanden. Auch 22 Vgl. Dalferth, I.U., Roots of Theism. 23 Vgl. Barth, K., KD II/1, 288.

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wenn menschliche Liebe unleugbar Affektivität und daher Emotionen mit einschließt, handelt es sich schon bei menschlicher Liebe nicht einfach um eine Ausprägung der Affektivität. Selbst im Falle des romantischen Verliebtseins ist Liebe nicht einfach ein Gefühl. Vielmehr sind dann mannigfache Gefühle – Aufregung in Gegenwart des Anderen, Freude, Verlangen etc. – mit eingeschlossen, aber es gibt nicht „das“ einfache Gefühl der Liebe.24 5. Manchmal wird Liebe auch als Haltung verstanden, so wie die Haltung des Begehrens, des Wohlwollens, der Förderung, der exklusiven Aufmerksamkeit etc.25 Obwohl nun Haltungen immer bestimmte Gefühle beinhalten und obwohl bestimmte Haltungen wie Begehren oder Wohlwollen in Liebe enthalten sein mögen, sind sie nicht selbst Liebe. Dieses Missverständnis verbindet sich gern mit dem Verständnis Gottes als Liebenden anstelle Gottes Seins als Liebe: Wenn Gott als der Liebende verstanden wird, dann wird die Liebe als Haltung verstanden, meist als die des Wohlwollens. 6. In Bezug auf menschliche Liebe kann Liebe am besten als eine Art geregelter Interaktions- und Kooperationsbeziehung verstanden werden. Das von anderen Arten menschlicher Beziehungen unterscheidende gemeinsame Merkmal aller Liebesbeziehungen ist, dass das Ziel oder der Zweck dieser Interaktion und Kooperation nichts außer der Identität der involvierten Personen ist. Während in ökonomischen oder merkantilen Beziehungen das Kommunikationsgut nicht in den Partnern selbst besteht – mit der Konsequenz, dass die Partner einander als Mittel zum Erreichen anderer Ziele (Lust, Sicherheit, Wohlstand etc.) dienen –, ist das kommunizierte Gut in Liebesbeziehungen nicht von der Identität der Partner ablösbar. Während in manipulativen Liebesbeziehungen nur einer der Partner für die Beziehung verantwortlich ist, sind in der Liebe alle Partner verantwortlich.26 Menschliche Liebe kann am besten modellhaft verstanden werden als Beziehung zwischen zwei Partnern, die reziprok, aber nicht notwendigerweise symmetrisch aufeinander bezogen sind, geregelt durch Treue, Wahrhaftigkeit und Vertrauen, wobei beide auf ein drittes Relat bezogen sind, das gemeinsame Mitgeliebte: ein offenes, auf Zukunft gerichtetes Projekt oder Abenteuer. Die Art des gemeinsam Mitgeliebten bestimmt nun die Art der Liebe, um die es sich handelt: Im Falle der Freundschaft zwischen Kollegen mag das gemeinsame Dritte einfach im gemeinsamen Interesse und in der gemeinsamen Begeisterung für die Wissenschaft bestehen. Treue, Wahrhaftigkeit und Vertrauen sind selbst ein und dasselbe Phänomen, das nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet wird: Ich kann Dir nur vertrauen, wenn Du treu bist, und umgekehrt. Und ich bin nur wahrhaftig, d. h. mir selbst treu, wenn ich auch in Bezug zu Dir treu bin. Daher kann ich auch nicht untreu werden, ohne mich selbst zu verletzen, indem ich mir selbst untreu werde. Da in Liebesbeziehungen die 24 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 272; Vate, D.v.d.j., Romantic Love, 18–36. 25 Vgl. Br mmer, V., Model of Love, 39–56; M hling, M., Gott ist Liebe, 279–284. 26 Vgl. Br mmer, V., Model of Love, 149–181.

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Identitätskommunikation der Partner der unterscheidende Faktor ist, kann ich Dich nicht verletzen, ohne mich zu verletzen. Diese eine Regel der Treue, der Wahrhaftigkeit und des Vertrauens ist das unterscheidende Kennzeichen aller Arten der Liebe, dabei sind aber Treue, Wahrhaftigkeit und Vertrauen Regeln zweiter Ordnung: Sie müssen auf Regeln erster Ordnung angewandt werden. Während bei allen Arten der Liebe diese Regeln zweiter Ordnung identisch sind, unterscheiden sich die Regeln erster Ordnung je nach der Art des dritten, mitgeliebten Relats. Wenn beispielsweise unser gemeinsames Projekt Sexualität oder den Erwerb gemeinsamen Eigentums einschließt, dann würde ich meine eigene Identität beschädigen, wenn ich Dich betrügen würde oder wenn ich Eigentum ohne Dein Wissen erwerben oder veräußern würde.27 Liebe als Beziehung der geregelten Interaktion und Kooperation schließt unterschiedliche Haltungen und Gefühle mit ein, die man manchmal missverständlicherweise selbst als Liebe bezeichnen mag. Aber diese Haltungen und Gefühle können phänomenal nur deswegen als Liebe bezeichnet werden, weil sie zu diesen realen Beziehungen der Liebe gehören. Beziehungen der Liebe können phänomenal in unterschiedliche Arten unterschieden werden, wie Freundschaftsbeziehungen, d. h. Beziehungen, die die symmetrische Kommunikation eines Guts beinhalten, filiale Beziehungen und geschwisterliche Beziehungen. Freundschaftsbeziehungen wiederum können unterschieden werden in das, was im Alltag als „Freundschaft“ bezeichnet wird, in sexuelle Freundschaft, Lebenspartnerschaften, Ehe etc. Neben Liebe als Freundschaftsbeziehungen gehören auch filiale Beziehungen und geschwisterliche Beziehungen zur Liebe als realer Beziehung. Im Falle der filialen Liebe gibt es einen hohen Grad an Asymmetrie: Die Kommunikation des Guts fließt von einem Partner, Elter genannt, zum anderen, Kind genannt. Was immer dabei das gemeinsame Dritte inkludieren mag, die zukünftige Veränderung der Beziehung der filialen Liebe hin zu einer stärker reziproken Beziehung der Liebe ist miteingeschlossen. Während die Konstitution von Freundschaftsbeziehungen sich als kontingent erweisen mag – sie kann einfach durch die Entdeckung gemeinsamer Interessen entstehen – ist geschwisterliche Liebe durch die Tatsache konstituiert, dass beide Partner die gleiche filiale Beziehung zum selben Elter teilen.28 Diese Art der phänomenologischen Analyse menschlicher Liebe ist geeignet, sich auf dieselben Phänomene zu beziehen, welche die philosophische und theologische Begriffsgeschichte ebenfalls versucht hat zu beschreiben. Daher sind auch in unserer phänomenalen Analyse klassische Konzepte wie schenkende Liebe (agape), begehrende Liebe (eros), gegenseitige Liebe (phi-

27 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 290. 28 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 291–293.

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lia) oder Zugewandtsein (storge)29 eingeschlossen, aber ohne die Übersimplifikationen und falschen Ausschlüsse, die sich mit diesen klassischen Schemata oft verbinden. Ein weiteres interessantes Kennzeichen besteht darin, dass Liebe als Beziehung immer eine leibliche Basis hat, die biologische Sachverhalte wie die der Paarbindung30 oder die der Mutter-Kind-Dyade voraussetzt.31 7. Diese Art der Liebe als realer Relation der Freundschaft ist nun in der Lage, als Modell für die Liebe, die das Wesen Gottes ist, zu dienen. Wir sahen schon, dass Gott als offenes Ereignis, als Beziehung und dramatische Narration zu verstehen ist. Nun sieht man auch, dass Gott Liebe ist – etsi mundus non daretur, als ob es keine Welt gäbe – und dass diese Liebe, als Beziehung der „Freundschaft“ zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist in Treue, Wahrhaftigkeit und Vertrauen verstanden werden kann. Natürlich gibt es zwischen der menschlichen Liebe und der göttlichen Liebe ganz entscheidende negative Analogien: Erstens: Während menschliche Identität nicht nur auf Liebesbeziehungen, sondern auf allen Beziehungen, in denen wir stehen, beruht, ist die göttliche Identität durch diese Liebe, die die göttliche Essenz ist, selbst konstituiert. Zweitens: Während es in menschlichen Liebesbeziehungen die Identität der Partner ist, die kommuniziert wird, ist der Gegenstand der Kommunikation göttlicher Liebe das Sein als Werden selbst. Drittens: Während die Einheit der menschlichen Liebe in einer Verschränkung der Identitäten besteht, handelt es sich bei der göttlichen Liebe um eine Einheit des Werdens. Viertens: Im Falle der menschlichen Liebe sind zwei der drei Relate einfach partikulare Menschen. Die entscheidende Frage bei göttlicher Liebe lautet: Was sind ihre Relate, abgesehen von ihren Namen Vater, Sohn und Heiliger Geist? Eine klassische Antwort der trinitarischen Theologie lautet, dass diese Relate als hypostaseis oder personae, d. h. als Personen bezeichnet werden können. „Person“ in diesem theologischen Sinne ist nichts, was zunächst bei Menschen beobachtet werden würde, um dann sekundär oder metaphorisch auf Gott angewandt zu werden. Person ist hier zunächst einmal ein technischer Terminus. Im Prinzip bedeutet „Person“ ein Relat der Beziehung der göttlichen Liebe – oder ein Relat der Beziehung der göttlichen narrativen Essenz. Durch die ganze Theologiegeschichte hindurch finden wir mannigfache Versuche, den Personbegriff weiter zu bestimmen oder zu definieren. Am erfolgversprechendsten erweist sich dabei der Vorschlag Richard von St. Vic-

29 Die bekanntesten Schemata, die diese Begriffe nutzen sind Nygren, A., Eros und Agape I; Scholz, H., Eros und Caritas, Lewis, C.S., Four Loves. 30 Vgl. Fuentes, A., Patterns and Trends in Primate Pair Bonds; Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 185–192. 204–206. 31 Vgl. Fuchs, T., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 198.

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tors, weil er keine Substanzontologie voraussetzt: Eine göttliche Person ist eine in–communicabilis ex-sistentia:32 Richard nutzt dabei den lateinischen Terminus existentia, um Personalität zu definieren. Existentia bedeutet nun aber nicht Existenz im umgangssprachlichen Sinne. Vielmehr kombiniert der Ausdruck existentia zwei Aspekte in einer Entität: Den Aspekt der sistentia und den Aspekt des ex. Mit sistentia ist dabei gemeint, dass eine Person immer ein Relat ist. Mit ex ist gemeint, dass dieses Relat auf andere immer in einer zweifachen Weise bezogen ist: passiv als Sein von anderem Sein, und aktiv als Sein hin zu anderem Sein. Die beste Übersetzung für existentia wäre daher Von-und-FüreinanderWerden. Auch Gottes Sein ist kein statisches, sondern ein prozessuales. Auch der Ausdruck incommunicabilis hat eine doppelte Bedeutung: Auf der einen Seite bezeichnet er die Tatsache, dass in diesem Von-und-Füreinander-Werden der Personen etwas entsteht, das nicht kommuniziert werden kann. Dies sind die klassischen Personalproprietäten, die eine Person zu dieser partikularen Person machen. Auf der anderen Seite bezieht sich der Ausdruck darauf, dass diese Partikularität oder Besonderheit nichts ist, was ein Eigentum der Person darstellt, sondern es ist eine Eigenschaft, die nur in der Kommunikation der Personen emergiert. Kommunikation meint also nicht einfach den Informationsaustausch, sondern damit ist, gemäß dem klassischen Gebrauch, ein Austausch in einem weiteren Sinne gemeint. Wir können, Richard folgend, also eine göttliche Person als ein partikular kommunikatives Von-und-Füreinander-Werden bezeichnen – oder einfach als ein Relat der göttlichen Liebe. Obwohl die göttlichen Personen also tatsächlich distinkt sind, sind sie nichtsdestotrotz in einer Einheit verbunden – einer Art von Einheit, die das Maß der Einheit, wie man es im geschaffenen Leben findet, bei weitem übersteigt. Das Sein der Person des Vaters ist durch die Beziehung zu Sohn und Geist konstituiert. Ohne den Sohn und den Geist gäbe es den Vater nicht. Das Gleiche gilt auch für die anderen Personen. Man kann daher sagen: In Gott sind höchste Einheit und höchste Differenz ohne Spannung kombiniert. Die Tatsache, dass diese Beziehungen als reziprok konstitutiv verstanden werden müssen, bedeutet nun nichts anderes, als dass es sich bei den Beziehungen zwischen den Personen um interne Beziehungen handelt. Die Trinität ist damit das Paradigma interner Relationalität – und historisch ist die Trinitätslehre auch der erste Kontext, innerhalb dessen interne Relationalität entdeckt wurde.33 Im Unterschied zu anderen trinitarischen Konzeptionen, wie der Jürgen Moltmanns oder Cornelius Plantingas,34 machen wir also alles 32 Richard von St.Victor, De Trinitate 4,18 (268); zur Interpretaion vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 161–164. 33 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 95–99; Zizioulas, J., Cappadocian Contribution. 34 Vgl. Moltmann, J., Trinität und Reich Gottes; Moltmann, J., In der Geschichte; Plantinga, C.j., Social Trinity and Tritheism. Zur Interpretation von Moltmanns Trinitätslehre vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 180–199 und Deane-Drummond, C., Ecology in Jürgen Moltmann’s Theology.

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andere, als ein soziales Modell der Trinität zu entwerfen. Das soziale Modell der Trinität betrachtet menschliche Sozialität und nutzt diese als Metapher, um Gott zu modellieren. Wir aber berufen uns nur auf die erfahrene, narrative Selbstpräsentation Gottes und nutzen abgesehen von dieser Geschichte nichts für unsere Modellbildung. Lediglich in einem zweiten Schritt mag es sinnvoll erscheinen, dass man mitnichten Gott im Modell menschlicher Sozialität begreift, sondern umgekehrt menschliche Sozialität im Lichte der Kommunikation der Liebe, die Gott ist, versteht. Kombinieren wir nun diese beiden Aspekte des Wesens Gottes – dass Gott ein offenes Ereignis ist oder dass Gott selbst eine dramatische Narration ist sowie dass Gott Liebe ist –, dann können wir auch sagen, dass das göttliche Wesen eine Geschichte ist, die Liebe ist, oder Liebe, die eine Geschichte ist – oder auch, in einem speziellen Sinne, der nicht mit dem Alltagsgebrauch dieses Ausdrucks zu verwechseln ist: Gott ist Liebesgeschichte.35

5.1.3 Die Eigenschaften des relationalen Wesens Gottes In der Theologiegeschichte finden sich ganz unterschiedliche Schemata, die dazu dienen, die Eigenschaften Gottes zu erfassen. So sprach man z. B. innerhalb der altprotestantischen Orthodoxie von proprietates, d. h. den Personalproprietäten der trinitarischen Personen, den praedicata, d. h. den Eigenschaften Gottes in Bezug auf die Welt, und den attributa, d. h. den Eigenschaften des Wesens Gottes. Da Gott einfach ist, bezeichnen die verschiedenen Attribute in Gott keine unterschiedlichen Dinge, sondern das Gleiche: das eine relationale Wesen. Klassisch würde man sagen, dass zwischen diesen Attributen keine distinctio realis besteht. Die Unterschiede der Attribute ergeben sich so aus Unterschieden der menschlichen Sprache, nicht aus unterschiedlichen Sachverhalten. Damit beziehen sich die Unterschiede auf die menschlichen Fähigkeiten und man könnte in der Tradition der Spätscholastik sagen, dass es sich um eine distinctio nominalis handelt, oder mit der Tradition der Hochscholastik und der protestantischen Orthodoxie selbst, dass hier eine distinctio formalis am Werk ist, wobei ein Ausdruck benutzt wird, der auf Johannes Duns Scotus am Ende der Hochscholastik zurückgeht und der bedeutet, dass es sich um eine Unterscheidung des menschlichen Geistes handelt, die aber immerhin durch externe Sachverhalte veranlasst ist.36 Oft unterscheidet man in der Eigenschaftslehre zwischen absoluten Eigenschaften und Eigenschaften, die Gott in Bezug auf die Welt zugesprochen werden. Obwohl diese Schemata schon im Bereich der altprotestantischen Orthodoxie variieren,37 wird man doch sagen müssen, dass wir 35 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 29–35. 36 Vgl. Beuttler, U., Gott und Raum, 35–37. 37 Vgl. Schmid, H., Dogmatik, 82–91.

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uns dem Thema in einer anderen Weise nähern müssen. Interessanterweise lieferte Gottfried Thomasius Ende des 19. Jh. einen Zugang, der besser zu unserem Ansatz passt. In Bezug auf die sogenannten immanenten Attribute Gottes schreibt er: „Andrerseits aber müssen von ihnen diejenigen ausgeschieden werden, welche blos Beziehungen Gottes zur Welt ausdrücken; denn außerdem würde man nicht nur in den oben angedeuteten Fehler zurückfallen und Gott von der Welt abhängig machen, sondern man würde auch die Welt als nothwendig setzen. So z. B. drücken die Attribute Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit, Strafgerechtigkeit ohne Zweifel Beziehungen Gottes zur Welt aus, sie lassen sich ohne Hinzunahme des Weltbegriffs gar nicht verstehen. Wären sie nur wesentliche Eigenschaften, so müßte auch die Welt sein, damit Gott sein könne, was er wesentlich ist; sie erschiene als nothwendig zu seiner Selbstverwirklichung. […] Nach unserer Anschauung sind beide [immanente und transeunte Eigenschaften] scharf auseinanderzuhalten und ist die erstere Klasse bei der Lehre von Gott, die andere bei der Lehre von der Welt zu behandeln […].“38

Die klassischen theistischen Eigenschaften, die gemäß zeitgenössischen Reformulierungen des Theismus39 wesentlich zu einem theistischen Gotteskonzept gehören, gehören also nicht zu den Eigenschaften Gottes in unserer christlichen Perspektive. Allwissenheit, Allmacht etc. gehören damit nicht in die Gotteslehre und es handelt sich auch nicht um Wesenseigenschaften Gottes. Die einzigen Eigenschaften, die wesentlich sind, sind die Eigenschaften der Liebe, die Gott ist. Einerseits sind dies die Eigenschaften der ereignishaften Relation, die Gott ist, andererseits sind dies die nicht kommunizierbaren Eigenschaften, die innerhalb dieser Relation erscheinen und die die Besonderheit der göttlichen Relate der Liebe (der Personen) ausmachen. Die ersteren kann man als Eigenschaften des relationalen Wesens Gottes als perfekte, narrative Liebe bezeichnen. Wie an anderer Stelle vorgeschlagen, gehören zu ihnen perfekte Hingabe, perfekte Treue, perfektes Vertrauen, perfekte Wahrhaftigkeit, Freiheit, Gerechtigkeit (im Unterschied zu Thomasius), Verlässlichkeit, Handlungsfähigkeit (Macht, aber nicht Allmacht), Intentionalität und Bewusstheit (der Relate).40 Etwas formaler betrachtet können wir auch die Beschreibungen aus 5.1 wie Ewigkeit, eine ereignishafte Struktur seiend, eine Narration seiend, perfekte Liebe seiend, personal seiend, Kontingenz beinhaltend, eine Liebesgeschichte seiend etc. hier ergänzen. Alles was bisher in 5.1 gesagt wurde, ist dabei aber das Ergebnis unserer theologischen Reflexion als Reflexion zweiter Ordnung. Es gehört, metaphorisch gesprochen, zur Grammatik des christlichen Glaubens, d. h., es muss in der Glaubenskommunikation nicht selbst explizit erscheinen, zumindest 38 Thomasius, G., Christi Person und Werk. Erster Theil, 44f. 39 Vgl. Swinburne, R., The Coherence of Theism, 129–217. 40 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 75.

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nicht, solange diese Glaubenskommunikation nicht selbst Probleme aufwirft. Solche Probleme bestehen in der Gefahr, dass die Glaubenskommunikation nicht mehr das Evangelium, sondern Formen von Idolatrie verkündet. Zu beachten ist auch, dass die Ausführungen aus 5.1 zur christlichen Gotteslehre unter bewusster Ausklammerung des Verhältnisses Gottes zur Welt gehören. Daher ist alles hier Gesagte nicht nur in dem Sinne, dass es sich um eine fallible Modellbildung handelt, vorläufig, sondern es handelt sich auch notwendigerweise um abstrahierte Aussagen, weniger um konkrete Beschreibungen. Dennoch sind damit notwendige Voraussetzungen benannt, um sich im Folgenden der Beziehung zwischen Gott und Welt zuwenden zu können.

5.2 Die vorausgesetzte Lehre der Beziehung Gottes zur Welt 5.2.1 Schöpfung und Vollendung Im Rahmen eines christlichen Verständnisses der Schöpfung sind vor allem die folgenden Sachverhalte entscheidend: a) Creatio ex nihilo:41 Auf die Lehre von der creatio ex nihilo wird biblisch vor allem in 2.Makk 7,14.28 und Röm 4,17 angespielt. In beiden Fällen erscheint sie ohne Explikation als Erklärung für andere Sachverhalte, d. h. die Auferstehung der Toten und die Rechtfertigung sola gratia. Ihre Bedeutung besteht nicht darin, dass es etwas gegeben habe, dass das „Nichts“ genannt werden könnte, das als eine Art vorgegebenes Material für die Schöpfung dienen würde. Ebenso ist damit abgelehnt, dass es sich bei der Schöpfung um den Ausfluss einer göttlichen Emanation handeln würde. Gemeint ist also nicht etwas, sondern die Abwesenheit von jeder Voraussetzung der Schöpfung auf welthafter Seite. Damit aber bezieht sich die Schöpfungslehre nicht primär auf das Faktische, sondern auf das Mögliche. Reine Möglichkeiten, die Unterscheidung zwischen realen und fiktiven Möglichkeiten, logische Regeln etc. müssen damit als geschaffen verstanden werden. Damit aber ist die Welt kontingent in einem radikalen Sinne: Es gibt keinen hinreichenden Grund, warum die Welt existieren sollte. Die Beziehung der Welt zu Gott ist damit eine konstitutive Beziehung, aber zugleich eine asymmetrische: Während die göttlichen Prozesse notwendig sind, damit es eine Welt geben kann, sind welthafte Prozesse nicht notwendig dafür, dass Gott Gott sein kann. Dennoch bedeutet die creatio ex nihilo nicht, dass es überhaupt keine Voraussetzungen für die Schöpfung geben würde, sondern nur, dass es auf Seiten der Welt keine Voraussetzungen gibt, während es durchaus bestimmte und wichtige Voraussetzungen innerhalb der spezifischen Gestalt des relationalen Wesens 41 Eine sehr gute Explikation des Begriffs der creatio ex nihilo findet sich in Wçlfel, E., Welt als Schöpfung.

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Gottes gibt. Kurz gesagt, die creatio ex nihilo bedeutet formal, dass das Handeln des dreieinigen Gottes, insoweit es auf die Welt gerichtet ist, eine hinreichende Bedingung für die Existenz der Welt ist.42 In diesem Sinne beschreibt creatio ex nihilo eine logische Beziehung, keine temporale. Vielmehr ist die Zeit selbst, ob man sie nun endlich oder endlos versteht, als geschaffen zu verstehen. b) creatio continuata: Die Idee der creatio continuata ist eine notwendige Ergänzung zum Konzept der creatio ex nihilo. Sie bezeichnet die Auffassung, dass das Handeln des dreieinigen Gottes, insofern es auf die Welt gerichtet ist, auch eine notwendige Bedingung für jedes Ereignis und jede Sequenz von Ereignissen des Weltlaufs darstellt.43 Daher kann es keine vollständige Gottlosigkeit in der Welt oder einzelner welthafter Ereignisse geben. c) imago dilectionis dei: Gott ist zwar nicht an irgendwelche vorgängigen Bedingungen in der Welt gebunden, um eine Welt zu schaffen, aber Gott ist natürlich an sein eigenes Wesen gebunden. Da nun das göttliche Wesen perfekte relationale und prozessuale Liebe ist, ist es notwendig, dass, falls Gott überhaupt eine Welt schafft, diese Welt in Resonanz zu seinem Wesen erschaffen wird. Daher kann die Welt als Ganze als eine Resonanz der göttlichen Liebe verstanden werden: Zeit und Raum sind geschaffene Resonanzen der innergöttlichen Relationalität, was daran ersichtlich ist, dass sie die gleiche logische Struktur teilen. Da die Welt ferner weder eine Emanation Gottes ist noch von Gott unabhängig ist, ist die Welt keine Gegebenheit, sondern eine Gabe. Konkret bedeutet das: Die Kreaturen sind einander von Gott gegebene Geschenke und, wie wir in der reformatorischen Theologie bereits gesehen haben, durch den gleichen Akt gibt sich auch Gott selbst den Geschöpfen als Gabe. Theologisch gesprochen gibt es eine Regel der Liebe, die als Basisregel aller welthaften Prozesse zu verstehen ist. Luther beschreibt diese Regel in seiner Auslegung zu Ps 1,2–3: „Keine Kreatur lebt für sich selbst oder dient sich selbst […]. Die Sonne scheint nicht für sich selbst, Wasser fließt nicht für sich selbst, etc. Auf diese Weise unterstehen alle Kreaturen der Regel der Liebe und ihr ganzes Wesen ist durch das Gesetz des Herrn konstituiert.“44

Diese Liebesregel ist auch gültig für das nicht-personale Werden, aber sie ist als solche nicht notwendigerweise außerhalb der christlichen Erzählung verständlich oder beobachtbar. Allerdings sollten wir daran denken, dass nur in der Moderne Liebe auf den personalen Bereich restringiert wird. Selbst im 19. 42 Vgl. Wçlfel, E., Welt als Schöpfung, 26–35. 43 Der Ausdruck continuata wird anstelle von continua genutzt, um zu zeigen, dass der Begriff einer creatio ex nihilo nicht ausgeschlossen, sondern vorausgesetzt ist. 44 Luther, M., WA 5,38,14–16: nulla creatura sibi vivit aut servit […]. Sol non sibi lucet, aqua non sibi fluit &c. Ita omnis creatura servat legem charitatis, et tota substantia sua est in lege domini […].

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Jh. konnte C.S. Peirce noch Liebe als Prinzip hinter der Evolution verstehen.45 Im Mittelalter und der Renaissance war es selbstverständlich, Liebe als kosmologisches Prinzip anzusehen.46 In diesem vormodernen, weiten Sinne bedeutet geschaffene Liebe nichts anderes als eine Art von interner Relationalität der Welt, die mit der internen Relationalität Gottes resoniert. Sie bezeichnet die Interdependenz der Entitäten, Sequenzen, Ereignisse und Handelnder in der Welt, wobei diese Interdependenz nicht nur eine Abhängigkeit von Gott, sondern auch voneinander bedeutet. Sprachliche Mittel zu finden, die diese Einsicht auch heute kommunizierbar machen, insbesondere im Dialog mit den Naturwissenschaften, ist eine entscheidende und nicht zu unterschätzende Aufgabe der Glaubenskommunikation. Eine entscheidende Implikation des Charakters der Welt als geregelt durch geschaffene Liebe in Resonanz mit göttlicher Liebe besteht darin, dass die Welt als Ganze keine Gegebenheit, sondern eine Gabe ist – und daher besteht die angemessene Haltung geschaffener Personen, die selbst ein Teil der Erzählung, die die Welt ist, sind, in antwortender Dankbarkeit. d) Kokreativität: Ein weiteres entscheidendes Kennzeichen der Schöpfungslehre, das im 20. Jh. v. a. von Michael Welker und mit anderer Note von Philip Hefner betont wurde,47 das aber schon im biblischen Zeugnis selbst erscheint, ist die Kokreativität der Welt in der Schöpfung. Innerweltlich Handelnde und Ereignisse sind kokreativ, aber immer nur in einem relativen Sinne. Es handelt sich nicht um eine absolute Kreativität wie im Falle göttlichen Handelns. Die innerweltliche Kreativität ist daher nicht mit Mitteln der creatio ex nihilo ausdrückbar, aber sie kooperiert dennoch mit der vorgängigen göttlichen Kreativität. Es handelt sich um eine cooperatio. e) intendierte Vollendung: Als eine beabsichtigte Gabe ist die Welt als Ganze nichts statisches, sondern ein Prozess, der zur Vollendung bestimmt ist und daher eine Erzählung. Während diese beabsichtigte Vollendung zwar auf Regeln beruhen mag, sind diese doch ganz prinzipiell für die Kreaturen nicht erkennbar. Denn eine Erzählung zu sein oder Teil einer Erzählung zu sein, bedeutet, dass die nächsten Sequenzen nicht bekannt sind und man als Teil der Geschichte daher immer Gegenstand dramatischer Kohärenz ist. Religiöse Behauptungen über die Einsicht in diejenigen Regeln, die die Geschichte leiten – eine Haltung, die man Apokalyptik nennen kann48 –, stehen daher nicht in

45 Vgl. Peirce, C.S., Evolutionary Love. 46 Sehr schön kann dies illustriert werden durch Dante Alighieri, Die göttliche Komödie, Paradies, 33, 143–145: „Doch schon war Wunsch und Wille mir gelenkt, gleich einem Rad gleichmäßig umgeschwungen, durch Liebe, welche Sonn’ und Sterne lenkt.“ Liebe erscheint hier zunächst als ein kosmisches Prinzip, das die unbelebte Welt bewegt, während der menschliche Wille nur in seinem Vollendungszustand der Liebesregel folgt. 47 Vgl. z. B. Welker, M., What is the ‘Spiritual Body’?, 352; Welker, M., Was ist „Schöpfung“? Gen 1 und 2 neu gelesen; Hefner, P., Biocultural Evolution and the Created Co–Creator. 48 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 199; M hling, M., Eschatical Perfection, 207.

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Einklang mit der christlichen Schöpfungslehre. Dieser Begriff der Intentionalität der Schöpfung beinhaltet zwei weitere Charakteristika: Erstens: Die Welt ist als eine gute Welt geschaffen, nicht als eine vollendete Welt. Auch ohne den Fall würde die Welt notwendigerweise narrative Prozesse durchlaufen und wäre vollendungsbedürftig. Zweitens: Das Ziel kann nicht als ein Resultat natürlicher Prozesse verstanden werden, d. h. es kann nicht als Ergebnis rein immanenter Prozesse, Regeln und Gesetze verstanden werden. Der vollendete Zustand der Welt ist damit nicht selbst ein Teil der Welt. Die Welt ist limitiert, der vollendete Zustand der Welt nicht. Während die unvollendete Welt als eine Narration im Rahmen der Individuation von geschaffenem Raum und geschaffener Zeit zu verstehen ist, muss die Vollendung der Welt als eine Vollendung im Rahmen der Individuation durch die immanent göttlichen Beziehungen verstanden werden: Das Ziel der Welt besteht dabei darin, in das Leben und die Liebe des dreieinigen Gottes aufgehoben zu werden – oder traditionell ausgedrückt: Das Ziel der Welt ist die Theosis sola gratia oder ex nihilo, ohne dass damit Schöpfer und Kreatur vermischt würden.49 f) Die Möglichkeit des Falls: Als eingeschlossen in die Schöpfung gedacht werden muss auch die Möglichkeit ihres Falls, d. h. die Möglichkeit, dass im Verlauf der Narration der Welt Geschöpfe sich nicht in Resonanz mit dem intendierten Ziel verhalten. Diese Möglichkeit ist faktisch aktualisiert und wird als Fall bezeichnet. g) Vollendung durch spezifische Kooperation: Da das Ziel der Welt deren vollendeter Zustand im Rahmen der dreieinigen Beziehungen ist und da dieses Ziel von Gott in einer supralapsarischen Weise intendiert ist sowie durch eine Kooperation zwischen Gott und Welt erreicht wird, kann diese Kooperation in einer detaillierteren Art und Weise beschrieben werden. Das ethische Ergebnis, d. h. die Gewissheit, dass die perfekte Welt in nichts als Güte besteht, liegt ausschließlich in der Verantwortlichkeit des dreieinigen Gottes. Die ästhetische Gestalt liegt jedoch in den Prozessen der Schöpfung selbst. In Bezug auf die Menschen bezeichnet dabei die Lehre vom Gericht die durch Gott bewirkte Transformation aller ethischen Differenzen der Welt in ästhetische Differenzen der vollendeten Welt.50

49 Obwohl es keinen einheitlichen Theosisbegriff in der Orthodoxie gibt, ist es doch wichtig zu betonen, dass die meisten Traditionen unter Theosis keine Transformation der menschlichen Natur in die göttliche Natur verstehen, sondern eine gnadenhafte Einbindung des Menschen in das innertrinitarische Beziehungsgefüge eben aus Gnade. Vgl. die Ablehnung der Vermischung von Schöpfer und Geschöpf bzgl. der Theosis bei Anastasius vom Sinai, A.v., Wegweiser, PG 89, 36. 50 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 282f; M hling, M., Why does the risen Christ have Scars?

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5.2.2 Menschen und andere geschaffene Tiere Wenn die Schöpfung ihrem Ursprung in göttlicher Liebe in ihrer ontischen Struktur resoniert, wie christlicherseits anzunehmen ist, dann sind auch diese geschaffenen Strukturen Bilder – oder besser Resonanzen – der göttlichen Liebe. Das Verständnis der konkreten imago dei hängt dabei vom konkreten Gottesverständnis ab. Die Minimalbedingungen der Gotteslehre, insofern sie aus der Religionsphilosophie stammen, können hier nicht genügen. Es sind die unterschiedlichen, konkreten Gottesverständnisse, die das Verständnis des Menschen bestimmen. Wäre der christliche Gott ein theistischer Gott, ein unkörperliches, allmächtiges und allwissendes Individuum,51 das alles tun kann, was es will, außer dem logisch Unmöglichen, das dann über die geschaffene Welt hierarchisch regiert, dann müsste unser Menschenverständnis irgendwie zu diesem Gottesverständnis passen, indem man den Menschen entweder als Manipulationsobjekt des göttlichen Despoten verstünde oder indem man sich als Stellvertreter dieser göttlichen Allmacht und Willkür verstünde. Da der theistische Voluntarismus vermutlich in der Frühmoderne entstanden ist, war und ist das Bild des Menschen als Bildnis eines despotischen, göttlichen Individuums weit verbreitet – sogar dann, wenn die Existenz einer solchen Gottheit geleugnet wird: In vielen Fällen haben Menschen einfach dessen Stellung geerbt und das Bild der Menschheit wurde nach dessen Bild geformt. Wenn man also die Existenz einer solchen Gottheit bestreitet, sind die Effekte für die Anthropologie und Ethik die Gleichen, vielleicht nur in einem höheren Ausmaße, da jede ehemals als göttlich verstandene Eigenschaft nun direkt auf die Menschheit übertragen werden kann. Nietzsches Übermensch kann beispielsweise als Instantiation dieser Bewegung verstanden werden. Es ist auch keine Frage, dass die Lehre von der imago dei zusammen mit der Lehre vom dominium terrae missbraucht wurde, um fälschlicherweise die Herrschaft von Adeligen oder bestimmten „Klassen“ und Rassen zu rechtfertigen, um fälschlicherweise die Superiorität von Männern über Frauen oder auch die von Menschen über nicht-menschliche Tiere zu rechtfertigen. Heute ist zwar deutlich, dass es sich dabei um Fehler handelte. Dennoch wirkt das Bildnis der theistischen Willkür weiter. Eine Variation des Themas erscheint oft folgendermaßen: Anstelle nur einige Menschen in die Rolle des göttlichen Herrschers zu setzen und andere auszuschließen, wird jetzt jedes menschliche Individuum in dieser Rolle verstanden. Die individualistische Idee, dass jede soziale Regel letztlich eine Sache der Übereinkunft von Individuen, eine Sache des sozialen Kontrakts sei,52 die hedonistische Idee, dass jeder als ein Individuum das Recht auf vollständiges Glück habe, die relativistische Idee, dass 51 Vgl. Swinburne, R., Christian God, 160–163. 52 Vgl. M hling, M., Ethik, 208–213.

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jeder für sich selbst zu definieren habe, was als gut oder/und wahr zu verstehen sei, und das Missverständnis, dass die Evolution das Überleben des stärkeren Individuums zum Gegenstand habe – all diese Ideen passen sehr gut zu dieser Version, Menschen nach dem Bild eines theistischen Gottes zu zeichnen. Obwohl es schwierig sein dürfte, tatsächlich historisch valide Evidenzen für diese Traditionslinien zu finden, beruht diese Schwierigkeit vermutlich doch nicht darauf, dass es dafür zu wenig Belege gäbe, sondern eher auf deren Überfülle. Neben dem theistischen Gottesverständnis gibt es noch eine zweite Art des Gottesverständnisses, das aus der Moderne stammt, das unser Menschenbild bis heute bestimmt: Die Vorstellung eines apersonalen, pantheistischen Gottes. Gott – oder die Perfektion – wird hier mit der Gesamtheit der Welt identifiziert, oder mit deren (mehr oder weniger) rationalen Struktur, die entweder mechanistisch oder ökonomisch interpretiert werden kann. Auch in diesem Falle resoniert das Menschenverständnis dem Göttlichen: Die Resonanz besteht in diesem Paradigma darin, den Menschen als Teil einer Maschine zu verstehen: Wir sehen uns selbst dann eher als Körper denn als Leib, wir versuchen das Natürliche und Körperliche vom Residuum der Seele zu trennen, wir versuchen uns selbst als homo oeconomicus zu verstehen oder wir versuchen dieses funktionalistische Menschenverständnis auf alle Bereiche auszudehnen. Die repräsentionalistische Idee, dass alle Lebensformen, einschließlich des Menschen, nur Vehikel ihrer Gene seien, die nur durch die Beschränkungen einer mechanistischen Umwelt geformt würden,53 kann als Ausdruck dieses Paradigmas gesehen werden, ebenso dessen Ausweitung auf den kulturellen Bereich in der sogenannten „Soziobiologie“ und ebenso die gegenwärtige postdemokratische54 Tendenz zur Technokratie: Entscheidungen von Gemeinschaften und Gesellschaften, die eigentlich gemäß ihres expliziten Selbstverständnisses demokratisch sein sollten, zeigen in vielen Fällen und in wachsendem Maße eine bedenkliche Anpassung an externe Faktoren, indem ökonomischer oder naturwissenschaftlicher Rationalität die Bestimmung der Sozialität überlassen wird. Die Expansion regionaler Märkte hin zum globalen Markt, einschließlich der Überzeugung vieler Politiker, sie würden ihre Entscheidungen nach dem Alternativlosigkeitsprinzip fällen,55 sind deutliche Ausdrücke dieser Haltung. Interessanterweise sind das theistische und das mechanistische Bild der 53 Vgl. Dawkins, R., Selfish Gene, 254. 54 Die Postdemokratiehypothese wurde popularisiert durch Crouch, C., Post-Democracy, und ist gegenwärtig hochdiskutiert, vgl. dazu die Artikel in Postdemokratie? Aus Politik und Zeitgeschichte sowie M hling, M., Post-democracy, Ecclesial Niche Construction, and Theology’s Public Concern. 55 Das TINA-Prinzip wurde vor allem von Margaret Thatcher in den 1980er Jahren genutzt, vgl. Jay, A.H., The Oxford Dictionary of Political Quotations, 361. Es erschien an prominenter Stelle wieder während der ökonomischen Krise 2010 in der Rhetorik Angela Merkels, vgl. Kçnig, J., Das Totschlagargument. „Alternativlos“ ist Unwort des Jahres 2010.

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Menschheit gleichzeitig gegenwärtig, obwohl sie logisch inkommensurabel sind. Gemäß Peter L. Bergers Analyse56 aus den 1980er Jahren zwingt uns die Moderne einschließlich der Postmoderne, uns im Bildnis eines voluntaristischen Gottes zu verstehen, indem wir in unserer realen Lebenswelt in immer mehr Bereichen Entscheidungen zu fällen haben: Wir müssen entscheiden, ob und wen wir heiraten, welchen Beruf wir ergreifen wollen, über den Ort, an dem wir leben wollen, und wir haben zu entscheiden, welche politischen, religiösen, ethischen und sogar sexuellen Präferenzen wir einnehmen wollen. Während wir damit aber gleichzeitig in den voluntaristischen Individualismus gezwungen scheinen, verhindert es der mechanistische Kollektivismus des globalen Markts oder die technokratischen Beschränkungen der ökologischen Krise effektiv, dass tatsächlich Raum für individuelle Entscheidungen bleibt. Dabei beruht die Ökonomie des unbeschränkten Markts auf beiden an sich inkompatiblen Bildern des Menschen gleichzeitig: Als Teile der Arbeitsumgebung und als Arbeitnehmer sind wir Teile von Kollektiven, so dass wir dem kollektivistischen Mechanismen zu folgen haben, also den Mechanismen der Firmen oder Institutionen, die uns Arbeit bereitstellen. Dabei sind wir gezwungen, uns selbst als Asketen zu verstehen, die möglichst viel Kraft zu den geringsten Kosten für das Wohl des spezifischen Kollektivs in dessen Konkurrenzsituation aufbringen. Gleichzeitig, im Bereich des Privatlebens und unserer Freizeit, sind wir aufgerufen uns als Individuen zu verstehen, die frei sind und über (finanzielle) Macht verfügen können, so dass wir uns selbst und unsere Individualität ausdrücken und aktualisieren können, wer wir sein wollen oder worin wir individuelle Erfüllung erhalten wollen, indem wir ein hedonistisches Konsumverhalten entwickeln. Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass es das konkrete Gottesbild ist, dem das Menschenbild in ganz entscheidender Weise resoniert. Natürlich sind die beiden genannten Beispiele, den Menschen im Bilde des theistischen Individuums oder/und im Bilde der kollektivistisch-mechanistischen Gottheit zu verstehen, nicht die einzigen existierenden Bilder – und keines von beiden passt zum christlichen Gottes- und Menschenverständnis. Da die gesamte Schöpfung der Regel der Liebe resoniert, sind auch Menschen tatsächlich im Bild dieser Liebe geformt – sie sind Resonanzen göttlicher Liebe. Die imago dei ist daher primär imago trinitatis und daher imago dilectionis und als solche gleichzeitig imago personalitatis. Menschen sind geschaffene Bilder göttlicher Relationalität. Dieses Kennzeichen unterscheidet nun aber Menschen nicht von anderen Kreaturen. Was unterscheidend wirkt, scheint mehr unsere Fähigkeit zu sein, diese Regel der geschaffenen Liebe zurückweisen zu können. Dies kommt zum Ausdruck, wenn wir die bereits erwähnte Passage aus Luthers Auslegung zu Ps 1 über die Regel geschöpflicher Liebe nun vollständig zitieren: 56 Vgl. Berger, P.L., The Heretical Imperative.

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„Keine Kreatur lebt für sich selbst oder dient sich selbst – außer Mensch und Teufel. Die Sonne scheint nicht für sich selbst, Wasser fließt nicht für sich selbst, etc. Auf diese Weise unterstehen alle Kreaturen der Regel der Liebe und ihr ganzes Wesen ist durch das Gesetz des Herrn konstituiert.“57

Nichtsdestotrotz bedeutet dies nicht, dass man das unterscheidende Kennzeichen des Menschen im Faktum des Falls verstehen dürfte. Mensch zu sein bedeutet nicht essentiell, gefallen zu sein, denn dann wären Menschen nicht fähig, gerettet, gerechtfertigt und vollendet zu werden – ohne dass sie aufhörten, Menschen zu sein. Gemäß der christlichen Überzeugung ist es auch nicht die Menschheit alleine, die am Fall partizipiert. Auch die nichtmenschliche Schöpfung partizipiert an der konkreten Gestalt des Falls, aber ohne Eigenverantwortlichkeit (Röm 8,19–23). Aus der Perspektive unserer gegenwärtigen Naturphilosophie ist es nicht leicht, diese Behauptungen zu verstehen: Wie kann beispielsweise die Tatsache, dass es Raubtiere gibt, als Folge menschlicher Sünde verstanden werden, wo es doch Raubtiere gab, lange bevor der Mensch erschien? Wie ist es möglich, sich vorzustellen, dass Leben, das doch immer Leben auf Kosten anderen Lebens zu sein scheint, eschatisch aufgegeben werden kann?58 Hier müssen wir uns zweier Einsichten erinnern: Erstens: Der Fall betrifft nicht nur unsere moralischen Fähigkeiten, sondern auch unsere rationalen und affektiven. Gemäß der reformatorischen Anthropologie partizipiert der ganze Mensch (totus homo) als leiblicher Mensch am Fall. Daher sind sowohl unsere Fähigkeiten, Erfahrungen zu machen, als auch unsere Fähigkeiten, rational über diese Erfahrungen reflektieren zu können, Gegenstand des Falls. Aus einer christlichen Perspektive kann es daher nicht die Aufgabe der Arbeit der Naturwissenschaften sein, die wahren, quasi platonischen und ewigen Gesetze der Naturwissenschaft zu finden, die unabhängig von unserem Verstehen eine Realität hätten. Vielmehr sind auch unsere naturwissenschaftlichen Aktivitäten immer fallibel – und zwar zu jedem Zeitpunkt der Narration der geschaffenen Welt. Zweitens: Die Vollendung der Welt wird als von Gott intendiert verstanden und gleichzeitig als Ergebnis der Kooperation von Geschöpfen und dem Schöpfer. Dabei ist die Vollendung der Welt nichts, das der Welt oder der Natur inhärent wäre. Wenn dieses Ziel aber der Welt nicht inhärent ist, dann kann es auch nicht allgemeingültig einsehbar für irgendeine Art von empirischer Beobachtung sein. Wenn Menschen mittels der Perspektive der Naturwissenschaften – beispielsweise indem sie ihre naturalistische Haltung nutzen und den Erfahrungsbegriff auf die 3.Person-Perspektive restringieren – fähig wären, die göttlich intendierte Teleologie wahrzunehmen, dann würde es sich 57 Luther, M., WA 5,38,14–16: nulla creatura sibi vivit aut servit praeter hominem et diabolum. Sol non sibi lucet, aqua non sibi fluit &c. Ita omnis creatura servat legem charitatis, et tota substantia sua est in lege domini […]. 58 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 188–194.

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um einen Selbstwiderspruch im christlichen Verständnis von Gott, Schöpfung und Mensch handeln. Nichtsdestotrotz kann die Vollendung der Welt theologisch verstanden werden mithilfe des Modells der Nischenkonstruktion, wie wir später sehen werden. Die entscheidende christliche Einsicht, dass Menschen Gott resonieren, ist keinesfalls eine Überzeugung, die auf dem Unterschied des Menschen von anderen Tieren beruhen würde. Nichtsdestotrotz handelt es sich dabei um eine wichtige Einsicht – eine, die wahrscheinlich wichtiger ist, als wenn wir uns auf das Unterscheidende konzentrieren würden. Welche Implikationen bringt diese Einsicht mit sich? Als eine Resonanz göttlicher Liebe ist Liebe auch entscheidend für Menschen. Wir können erwarten, dass Liebe immer leiblich ist, dass es eine natürliche Basis für Liebe gibt und dass unsere Liebesbeziehungen uns bilden. Als Bild göttlicher Liebe gibt es aber auch entscheidende Unterschiede zur göttlichen Liebe: Während Gottes Liebe Gottes Sein konstituiert, konstituieren unsere Liebesbeziehungen nur unsere Identitäten, und das auch nur teilweise. Als Resonanzen der göttlichen Narration sind wir auch narrative Wesen, unser Leben besteht aus Prozessen und Sequenzen, die in dramatischer Kohärenz zusammengefügt werden können. Letztlich leben wir in der göttlichen Lebens- und Liebesgeschichte59 – sowohl gegenwärtig als auch in der eschatischen Realität. Als Resonanzen göttlicher Personalität sind auch wir Personen – in einem abgeleiteten und imperfekten Sinne. Von einem personalen Gott zu sprechen bedeutet in christlicher Perspektive also nicht, sich einer anthropomorphen Redeweise zu bedienen, sondern Menschen und möglicherweise andere nichtmenschliche geschaffene Personen theomorph zu verstehen. Konkret besitzt der Begriff der geschaffenen Person die folgenden Kennzeichen: Eine geschaffene Person ist ein partikulares und narratives Voneinanderund-Füreinander-Werdendes, das durch das Gericht konstituiert wird, gegenwärtig entweder im Vertrauen oder Misstrauen auf die Verheißung des Evangeliums lebt und dabei ein reflexives Selbstbewusstsein in einer entweder selbsterschlossenen oder selbstverschlossenen Weise besitzt. (1) Wenn geschaffene Personen als Voneinander-und-Füreinander-Werdende (existentiae60) bezeichnet werden, so ist damit gemeint, dass eine aktuale individuelle Person nicht denkbar ist. Personal zu sein bedeutet immer in konstitutiven Relationen zu Anderen (und zu sich selbst) zu stehen. Sowohl in Beziehung zur eigenen Identität als auch zur ontischen Konstitution ist daher personale Relationalität nicht akzidentiell, sondern gehört zum menschlichen Sein wesentlich dazu. Daher sind individualistische Menschenverständnisse, nach denen reziproke Sozialität als sekundär oder nur

59 Diesen Ausdruck verdanke ich Drechsel, W., Lebensgeschichte, 365. 60 Vgl. Richard von St.Victor, De Trinitate, 4,12.

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zufällig menschlich erscheint, wie sie z. B. in den unterschiedlichen Spielarten von sozialen Vertragstheorien vertreten werden,61 illusionär. (2) Geschaffene Personen sind narrative oder ereignishafte Entitäten. Sie sind nicht statisch, sondern besitzen irreduzibel narrative Prozesse und Geschichten. Personen sind nur narrativ62 zu verstehen. Nach einem Vorschlag von Tim Ingold kann diese Tatsache am besten dadurch ausgedrückt werden, dass man vom Menschen im Englischen nicht als human being, sondern als human becoming spricht, bzw. dass man „menschen“ primär als Verb, nicht als Substantiv versteht63 (ich werde von x für y gemenscht und mensche, du wirst von x für y gemenscht und menschst, er/sie/es wird von x für y gemenscht und menscht, wir werden von x für y gemenscht und menschen, ihr werdet von x für y gemenscht und menscht, sie werden von x für y gemenscht und menschen). Dieses „menschen von x für y“ bezeichnet eine Aktivität auf Grundlage gegebener Rezeptivität. Insoweit dieses Aktivität evozierende, passive Eingebundensein in narrative Geschichten aus einer multiplen Serie von ineinander verschränkten Ereignissen besteht, die in einer spatio-temporalen Welt stattfinden, gehört auch das apersonale oder vorpersonale Reich konstitutiv zum geschaffenen Personsein dazu. Eine geschaffene Person existiert also apriori innerhalb von gegebenen Relationen zur präpersonalen Welt. Sie sind Teil einer Geschichte, die gleichzeitig die Geschichte der Natur ist. Geschaffene Personen sind immer leiblich. Auch geschaffene Personen sind also nicht einfach Seiende, sondern Werdende, wenn auch in anderem Sinne als die göttlichen Personen. Die Bezeichnung der geschaffenen Person als Voneinander-und-Füreinander-Werdendes resoniert dabei mit gegenwärtigen Erkenntnissen, sowohl aus der biologischen Anthropologie als auch aus der Sozialanthroplogie, wo die Rede von Menschen als human becomings der von human beings vorgezogen wird.64 (3) Geschaffene Personen sind immer auch auf sich selbst bezogen durch ihre Selbstbewusstheit. Es ist nicht nur der Fall, dass geschaffene Personen ihre Geschichte in einer Weise erleben, die konstitutiv in das präpersonale Reich eingebunden ist, sie erfahren auch ihre eigene Erfahrung ihrer Geschichte. Daher sind geschaffene Personen immer reflexiv selbstrelationiert. (4) Personen sind partikular. In der Geschichte des Personbegriffs wird die Frage, was eine bestimmte Person in ihrer Unterschiedenheit zu anderen Personen ausmacht, die Frage nach dem Problem der Individuation genannt. Für unsere Zwecke mag es hier genügen, dass diese Unterschiedenheit, Partikularität oder Individualität nicht vorausgesetzt werden kann als ein Aspekt, der dem Voneinander-und-Füreinander-Werden der Person vorgänging ist. 61 Zum Individualismus und zur Sozialkontrakttheorie vgl. M hling, M., Ethik, 208–213. 62 Hauerwas, S., Community of Character, 91. 63 Vgl. Ingold, T., Becoming Persons; Ingold, T., To Human is a Verb; Fuentes, A., Blurring the Biological and Social. 64 Vgl. Fuentes, A., Blurring the Biological and Social; Ingold, T., Becoming Persons; Ingold, T., To Human is a Verb; Ingold, T./Palsson, G. (Hg.), Biosocial Becomings.

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Vielmehr ist die Besonderheit der Person exakt durch und in diesem Voneinander-und-Füreinander-Werden65 konstituiert. Individualität ist also nicht eine subsistente Eigenschaft personalen Seins, sondern wird im Akt ihres narrativen Seins konstituiert. (5) Insofern menschliche Personen Geschöpfe sind, sind drei Arten von Relationen konstitutiv für menschliches Personsein: Die Selbstbeziehung, die Beziehung zum Präpersonalen und die Beziehung zu anderen Personen. Diese Beziehungen sind nicht primär aktiv, sondern sie müssen zunächst im Sinne von passiver Bezogenheit oder Gegebenheit verstanden werden. Während es zwar möglich ist, zu bestreiten, dass man durch diese Relationen konstituiert ist, kann die aktuale, reziprok konstitutive Existenz dieser Relationen nicht bestritten werden. Dieses Beziehungsgeflecht als ganzes ist ferner seinerseits abhängig: Es muss eine hinreichende Bedingung für seine Existenz geben und es muss eine notwendige Bedingung für seinen Erhalt bestehen.66 Insofern dieses Verständnis des Personseins göttliches Schaffen voraussetzt, können also die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für seine Existenz und Andauer nicht als ausschließlich in diesem Relationsgefüge selbst begründet verstanden oder mit diesem identifiziert gedacht werden. (6) Wäre eine geschaffene Person sich vollständig bewusst, dass ihre Abhängigkeit vom dreifachen reziproken Relationsgefüge vollständig konstitutiv für ihre personale Selbsterschlossenheit wäre, dann wäre diese Person, hypothetisch gesprochen, schon im Zustand vollendeter Perfektion. Faktisch können Personen im Hier-und-Jetzt aber immer diese Beziehungen, die konstitutiv für ihre Existenz sind, bestreiten und faktisch tun sie genau dies. Vorletztgültige personale Selbsterschlossenheit muss daher immer unter der Bedingung von Selbstverschlossenheit verstanden werden, womit eine Beschreibung dessen gemeint ist, was sich sonst Sünde nennt. Geschaffene Personen sind daher in Bezug zu ihrem tatsächlichen relationalen Beziehungsgefüge ver-rückt: Ver-rückt in Bezug auf sich selbst, in Bezug zur präpersonalen Umwelt und zu anderen Personen. Die Heilung von diesem Zustand sündhafter Selbstverschlossenheit hin zu einem Zustand von Selbsterschlossenheit, die gleichzeitig die Zurechtrückung des Beziehungsgefüges als Ganzem bedeutet, kann nur durch die selbsterschließende Gegenwart der Bedingung der Möglichkeit wahren geschaffenen Personseins erfolgen. M.a.W.: Es ist Gottes wirksame Selbstpräsentation in Jesus Christus und die Gegenwart des Heiligen Geistes, die die Zurechtrückung des verrückten Beziehungsgefüges bedeutet und damit die Rückkehr der geschaffenen Person an den sie konstituierenden Platz innerhalb dieses Beziehungsgefüges. Die inkarnatorische Aktivität Christi und die konkarnierende Aktivität des Heiligen Geistes inaugurieren dabei eine Geschichte, in der sowohl zurechtgerückte Selbsterschlossenheit als auch sündhafte Selbstverschlos65 Vgl. für eine intensivere Besprechung des Personbegriffs M hling, M., Ethik, 236–261. 66 Vgl. Wçlfel, E., Welt als Schöpfung, 26–35.

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senheit verschränkt sind. Daher ist eine geschaffene Person immer als simul iustus et peccator zu verstehen, so dass sie letztlich als in ihrer Relationalität vollständig konstituiert nur retrospektiv aus der Perspektive der eschatischen Vollendung verstanden werden kann.67 Diese Vollendung schließt sowohl die konkrete Geschichte der Identität einer Person ein wie auch die Überwindung der innergeschichtlichen Mehrdeutigkeiten. Daher gehört die Erzählung der Schöpfung, Erlösung und Vollendung als Ganze irreduzibel zum Begriff geschaffenen Personseins. (7) Als Ergebnis mag man sagen: Geschaffenes Personsein ist immer Personsein im Werden und nur insofern es auf dem Weg der Vollendung ist, die selbst nicht als Endpunkt eines Prozesses zu verstehen ist, sondern selbst als neuer, aber unzweideutiger Prozess zu verstehen ist. M.a.W.: Geschaffene Personen sind immer retrospektiv durch das Gericht konstituiert und sie erhalten ihre eigentliche Selbsterschlossenheit passiv. (8) Wie Luther vorschlägt, erhalten geschaffene Personen ihre Personalität während des Verlaufs der Narration ihrer Leben, indem sie auf das treue Versprechen des Evangeliums vertrauen, das nichts anderes als der Zuspruch des Urteils des Gerichts ist, das hier als Vollendung desjenigen Prozesses verstanden werden kann, der durch den dreieinigen Gott inauguriert ist und der geschaffenes Personsein konstituiert.68 In diesem Versprechen menschlichen Personseins präsentiert sich der Autor menschlicher Personalität gleichzeitig selbst als der dreieinige Gott. Die göttlichen Personen sind Relate dieser Relation der Liebe und daher selbst partikulare, selbst-erschlossene Voneinander-und-Füreinander-Werdende. M.a.W.: Die Relate Gottes sind selbst Personen. Folglich ist Personsein nicht etwas, das man sowohl Menschen als auch Gott zuschreiben könnte, sondern Personsein ist ursprünglich und wesentlich göttlich; nur abgeleiteter Weise kann es auch Menschen zugesprochen werden.69 Freilich vollzieht sich das göttliche Voneinander-und-Füreinander-Werden in perfekter Liebe, d. h. ohne die geschöpflichen Zweideutigkeiten und der Verfehlungsmöglichkeiten. Es ist also nicht so, dass Menschen Gott personal denken, weil sie selbst Personen sind, sondern weil Gott dreieinige Liebe ist – etsi mundus non daretur –, können auch Menschen imagines personalitatis, Bilder Gottes und daher Bilder göttlicher Personalität sein. Die Bedingung der Möglichkeit, eine menschliche Person zu sein, ist daher das dreieinige relationale Werden Gottes. 67 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 282–286. 68 So Luther, M., WA 56, 371,1–6: Quia philosophi oculum ita in presentiam rerum immergunt, vt solum quidditates et qualitates earum speculentur, Apostolus autem oculos nostros reuocat ab intuitu rerum praesentium, ab essentia et accidentibus earum, et dirigit in eas, secundum quod futurae sunt; und WA 39/I, 177,3–5: Quare homo huius vitae est pura materia Dei ad futurae formae suae vitam. Sicut et tota creatura, nunc subiecta vanitati, materia Deo est ad gloriosam futuram suam formam. 69 Herms, E., Personbegriff, 410.

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Sünde kann nun ebenfalls relational beschrieben werden als ein Defekt der menschlichen Resonanz der göttlichen Liebe, der göttlichen Narration und der göttlichen Personalität. Sünde betrifft, wie wir schon diagnostizierten, den totus homo, die ganze Person; und da Menschen relational konstituiert sind, ist auch Sünde ein relationales Faktum. Sündhaft zu sein bedeutet grundlegend innerhalb des geschaffenen Beziehungsgefüges ver-rückt zu sein. Sünde muss daher von Schuld unterschieden werden, da jede Erfahrung des Verrücktseins sündig ist – auch die des Opfers. In Bezug zur Liebe und zum Personsein drückt sich das Ver-rücktsein selbst als eine falsche Form des Liebens aus. Das Lutherzitat einige Seiten früher ist also nicht so zu verstehen, als würde es sich auf eine Abwesenheit des Liebens beziehen. Die Ver-rücktheit äußerst sich vielmehr in Funktionalisierung, wenn andere Personen als Nicht-Personen behandelt werden, d. h. als Mittel zu anderen Zwecken, und in Pseudopersonalisierung, wenn nicht-personale Entitäten als Personen behandelt werden, d. h. als Ziele um ihrer selbst willen.70 Eine große Herausforderung für die christliche Hamartiologie stellt dabei die Frage dar, wie nicht-menschliche Tiere zu verstehen sind. Tiere sind mit Sicherheit keine Nicht-Personen, d. h. Gegenstände. Aber es ist auch nicht sehr üblich, Tiere als Personen zu verstehen. Die kommunikative Relationalität, die Personsein konstituiert, kann nun nicht auf sprachliche Kommunikation eingeschränkt werden. Vielleicht ist es sinnvoller, sie im Sinne eines leibhaften Informationsaustauschs zu verstehen. Die meisten höheren Säugetiere besitzen eine 1.Person-Perspektive und ein basales Selbst, wie wir es in Kap. 2.3.8 und 3.6.5 beschrieben haben. Vermeidet man ferner den Fehler, Personalität durch den Besitz von Eigenschaften zu definieren, scheint es mir nicht sinnvoll, die Personalität von Tieren generell zu bestreiten. Auch die biblische Tradition spricht von Tieren als Zwecke in sich selbst in den Augen Gottes und ohne Nutzen für den Menschen (Ps 104,2671). Andererseits erzählt uns aber eine biblische Geschichte, dass Gottes Experiment, dass der Mensch einen reziprok-konstitutiven Partner für sich unter den Tieren finden soll, scheiterte (Gen 2,20b72). Nicht-menschliche Tiere können deutlich als Präpersonen 70 Vgl. M hling, M., Gott ist Liebe, 287f. 71 In diesem Psalm wird der Leviathan, der als Repräsentant nicht-menschlicher Tiere verstanden werden kann, nicht länger als Feind der Menschheit betrachtet wie in der mesopotamischen Mythologie, sondern sein Zweck und Ziel ist das Spiel – der paradigmatische Selbstzweck – und die Freude Gottes. 72 Man beachte zwei oft übersehene Pointen in Gen 2–3: Erstens: Gott experimentiert, wenn er den Menschen schafft. Es handelt sich um eine narrative Beschreibung, in der der Mensch erst nach diversen Episoden vollständig ist. Zweitens: Verglichen mit Platos Mythos der Entstehung des Menschen im Symposion ist die menschliche Relationalität der perfekte, nicht der imperfekte Zustand des Menschen: Bei Plato besteht der perfekte Zustand in der individuellen Einheit des Kugelmenschen. Weil der Mensch als solcher zu mächtig ist und die Götter infolgedessen Angst bekommen, wird der Mensch depotenziert, indem die menschliche Relationalität als Defizit dazuerschaffen wird. In Gen 2–3 hingegen wird mit einem individuellen Protomenschen begonnen, der durch Relationalität erst vollständig zum Menschen wird. Dabei genügen die zu-

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verstanden werden, aber auch Pflanzen und unbelebte Entitäten sind Präpersonen. Daher ist die Beschreibung von nicht-menschlichen Tieren als Präpersonen zwar richtig, aber nicht genügend. Wahrscheinlich kann man annehmen, dass der Übergang von geschaffenen Präpersonen zu geschaffenen Personen ein weicher und kontinuierlicher Übergang ist. Daher lautet die beste Lösung an dieser Stelle, die Frage nach dem personalen Status nichtmenschlicher Tiere vorläufig offen zu halten. In Beziehung der Resonanz zur Geschichte Gottes sind viele Ausdrücke menschlicher Sünde denkbar. Im Prinzip sind all jene Narrative, die der Selbstinterpretation menschlicher Personen, Gemeinschaften und Gesellschaften dienen, die nicht durch dramatische Kohärenz in die Metageschichte des dreieinigen Lebens inkorporiert werden können und die damit beanspruchen, selbst solche Metageschichten zu sein, Ausdruck dieser Verrücktheit. Ein ganz entscheidendes Kennzeichen einer narrativen Ontologie besteht darin, dass die Leugnung der Existenz von Kontingenz als Ausdruck dieser Ver-rücktheit gesehen werden muss. Daher kann Entkontingentisierung als eine weitere Grundform von Sünde angesehen werden.73 In traditioneller Terminologie besteht die Konsequenz der Sünde im Verlust der Heiligkeit, d. h. darin, nicht mehr angemessen orientiert zu sein, sowie im Verlust der Integrität, d. h. nun exklusiv Gegenstand mechanistischer Naturgesetze zu sein.74 Die biblischen Erzählungen beschreiben Sünde als den erfolglosen Versuch des Menschen, selbst und exklusiv der Standard und Kanon dessen zu sein, was das Gute konstituiert (Gen 3,575). Das Ergebnis dieses erfolglosen Versuchs besteht darin, dass Menschen nun in ihren Handlungen und in ihrem Verhalten sich nur darauf stützen können, was ihnen gut scheint, während Einsicht in das geschaffene Gute verloren gegangen ist. Im Bezug zur Liebe als wechselseitiger Freundschaft kann dies leicht eingesehen werden und dieser Punkt führt auch oft zu Konflikten: Denn ein wichtiges Kennzeichen von wechselseitiger Freundschaft besteht darin, dass die in sie involvierten Personen Selbstzwecke sind, die bereit sind, das, was in ihrer Verfügungsgewalt steht, als Mittel für die tatsächlichen Zwecke oder das tatsächliche Gut des Anderen zur Verfügung zu stellen. Wenn man nicht bereit ist, sich selbst dem nächst geschaffenen präpersonalen Kreaturen nicht der nötigen menschlich relationalen Resonanz, so dass andere Menschen nötig sind. 73 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 152–159. 293–296. 74 Vgl. M hling, M., Versöhnendes Handeln, 316–321. 75 Das hebräische Wort yadah bedeutet nicht nur „kennen“, sondern auch „intim bekannt sein mit“, „zeugen“, „hervorbringen“. Die traditionelle deutsche Übersetzung des Kennens oder Wissens des Unterschieds zwischen Gut und Böse befördert also ein intellektualistisches Missverständnis, wenn sie nicht schon auf einem solchen beruht. Eine weit bessere Übersetzung des Versprechens der Schlange lautet „und ihr werdet sein wie Gott, indem ihr selbst den Unterschied zwischen Gut und Böse hervorbringen können werdet.“ Erst in der Tradition wird die Schlange mit dem Satan identifiziert, während sie in der Geschichte selbst die Repräsentantin der präpersonalen Natur ist.

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Anderen in diesem Sinne hinzugeben, dann ist auch dies Ausdruck der Verrücktheit. Aber auch dann, wenn man hingabebereit ist, kann man die Verrücktheit dieser Hingabe nicht ausschließen, denn Hingabe bedeutet nicht, sich dem Willen des Anderen zu unterwerfen. Da der Wille auch von der Sünde affiziert ist und da die Zwecke, die eine Person verfolgt, nicht notwendigerweise identisch mit den tatsächlichen Zwecken einer Person sein müssen, entsteht das folgende Problem: Habe ich mich den Zwecken des Anderen hinzugeben, so wie er sie bestimmt? Oder habe ich mich den Zwecken des Anderen hinzugeben, so wie ich sie bestimme? Oder habe ich mich den Zwecken des Anderen hinzugeben, wie eine dritte Instanz sie versteht? Unter den Bedingungen des Falls bleibt dieses Trilemma unlösbar. Die entscheidende Konsequenz besteht dabei darin, dass es keine Strategie dafür gibt, Sünde oder Ver-rückt-zu-sein zu überwinden. Ver-rückt-zu-sein ist offensichtlich etwas, dass ver-rückte Kreaturen nicht selbst ändern können. Daher kann man mit Augustin sagen, dass es nach dem Fall notwendig ist, zu sündigen. 5.2.3 Inkarnation und der erste Teil der Zurechtrückung Gemäß des christlichen Glaubens wurde die zweite Person der Trinität, d. h. Gott der Sohn oder der Logos, Mensch in Jesus von Nazareth. Gott der Sohn ist damit auch ein Mensch. Menschheit und Gottheit sind eine Person in Christus. Im Gegensatz zu einer sogenannten Trennungschristologie muss dabei die Identität des ewigen Sohnes und des Menschen Jesus Christus in einer Person als Grundannahme der Christologie verstanden werden, d. h. als eine Grundannahme von der Lehre, die die Frage behandelt, wie es möglich ist, dass der ewige Sohn gleichzeitig Mensch sein kann. Damit ist die Inkarnation die epistemische Begründung des Verständnisses von Gottheit und Menschheit, nicht umgekehrt. Die Inkarnation kann also nicht als eine Art göttliches Krisenmanagement, als Antwort auf die Gefallenheit des Menschen verstanden werden, sondern sie ist supralapsarisch eine entscheidende Sequenz der Geschichte von Schöpfung zur Vollendung in Gott. „Hena tes hagias triados peponthenai sarki – einer der Heiligen Trinität hat im Fleisch gelitten.“76 An dieser Stelle ist weder eine Einführung in die verschiedenen Probleme der Christologie noch in deren Lösungsmöglichkeiten möglich. Vielmehr werden wir uns auf einige allgemeine Bemerkungen beschränken müssen. Dabei soll eine Reformulierung der klassischen Zwei-Naturenlehre im Rahmen einer relationalen und narrativen Ontologie geboten werden, die sowohl die Vorzüge der klassischen Lehre bewahrt als auch deren Nachteile vermeiden kann. Erstens muss Jesus von Nazareth und der Sohn als exakt die gleiche identische Person – im Sinne einer göttlichen Person als in-kommunikables Voneinander-und-Füreinander-Werden – verstanden werden. An76 Vgl. Beyschlag, K., Dogmengeschichte II/1, 149f.

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statt nun aber von zwei „Naturen“ zu sprechen, nehmen wir zwei Mengen oder Rahmen von narrativen Beziehungen an: die eine göttliche ewige Beziehung des Wesens Gottes, das die Trinität ist, und die Geschichte des Menschen in der Schöpfung. Was bedeutet es, Gott zu sein? Es bedeutet, ein Teil der ewigen Narration, die Gott ist, zu sein. Was bedeutet es, Mensch zu sein? Es bedeutet, ein Teil der geschaffenen Narration zu sein, in der der Mensch Teil der Welt ist. An zwei Geschichten zu partizipieren, ist möglich, wenn beide Narrationen in dramatischer Kohärenz kombiniert werden können. Daher erscheint hier kein Widerspruch. Indem der ewige Sohn Mensch wird, betritt er keineswegs ein fremdes Land des Seins, sondern er kommt in das ihm Eigene und Gemäße (Joh 1,1), denn der Sohn ist ja schon immer auf den individuierenden Rahmen der Story der Schöpfung bezogen – als Ganzes. Was sich mit der Inkarnation ändert, ist „nur“ die Perspektive: Der Sohn ist nun nicht einfach zur Schöpfung als Ganzer relationiert, sondern an einem spezifischen Ort zu einer spezifischen Zeit in der Geschichte.77 Dabei ist es nicht nötig, die Eigenschaften und Attribute der Gottheit zu verändern. Denn wie wir in Kapitel 5.1.3 sahen, sind die Wesenseigenschaften Gottes Eigenschaften wie perfekte Hingabe, perfekte Treue, perfektes Vertrauen, perfekte Wahrhaftigkeit, Freiheit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit etc. Keine dieser Eigenschaften steht dabei in einer Kontradiktion zum Sein einer geschaffenen Person im Rahmen der Narration der Schöpfung. Da nun aber die Narration der Schöpfung einschließlich aller partikularen Beziehungen Jesu Christi zu dessen personaler Identität gehört und damit auch zu seinem göttlichen Beziehungsgefüge, und da diese göttlichen Beziehungen ebenfalls interne Beziehungen sind, kann die Geschichte der Schöpfung in einem spezifischen Sinne nicht extern sein und nicht einfach nur konstitutiv für die Person des Sohnes, sondern ebenso für die Personen des Vaters und des Geistes. Zunächst erscheint dies wie ein Widerspruch: Denn einerseits muss, wie wir gesehen haben, Gott unabhängig von der Schöpfung verstanden werden, damit die Schöpfung eine kontingente Gabe des Schöpfers sein kann. Schließlich haben wir explizit das Prinzip etsi mundus non daretur als ein heuristisches Prinzip der Theologie benutzt. Allerdings ist es genau dies und nicht mehr und nicht weniger: Ein heuristisches und regulatives Prinzip. Als solches ist es auch ein abstraktes. Das entscheidende Wort an diesem Prinzip ist das etsi, das „als ob“. Gott hätte auch eine Story ohne diese und ohne jede andere Welt, aber genau das ist nicht der Fall. Gott transzendiert tatsächlich die Welt, aber ist zugleich auch in, mit und unter den natürlichen und sozialen Prozessen der Welt. Die Inkarnation bedeutet also, dass der konkrete Gott immer ein leiblicher oder inkarnierter Gott ist. Die Inkarnation ist also eher eine dramatische Regel der gesamten faktischen Lebensgeschichte Gottes und weniger eine temporale Sequenz innerhalb der Narration. Die Inkarnation zeigt also, dass das christliche Wirklichkeitsverständnis ein 77 Vgl. M hling, M., Versöhnendes Handeln, 330.

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panentheistisches ist, aber es handelt sich dabei um eine spezifische Art des Panentheismus – um einen Panentheismus der Gnade und Liebe: Gott hätte Leben, Liebe und dramatische Erzählung auch ohne jede Welt sein können; aber da Gott entschieden hat, eine Welt zu schaffen, schuf er eine Welt in Resonanz zu seinem Sein als Liebe. Daher ist die Welt nun faktisch auch entscheidend für göttliches Sein. Die Narration der Welt ist ein Teil der Narration Gottes von der Schöpfung an. Aber diese Tatsache ist natürlich nur im Lichte des inkarnierten und leiblichen Sohnes wahrnehmbar. Weder die logische Struktur der Zeit noch Kontingenz noch dramatische Kohärenz etc. können damit dem relationalen Sein Gottes fremd sein. Und da Teil einer geschaffenen Geschichte zu sein, immer auch bedeutet, leiblich zu sein, ist auch Leiblichkeit dem Schöpfer nicht fremd. Letzten Endes muss also auch die Eigenschaft der Leiblichkeit konsequent auf Gott angewandt werden. An dieser Stelle ist es nun entscheidend, scharf zwischen Leib und Körper zu unterscheiden. Unter Berufung auf die phänomenologische Tradition sahen wir bereits, dass die Begriffe des Leibes und des Körpers nicht einfach identisch sind, sondern dass der Begriff des Leibes den des Körpers umfasst, nicht aber umgekehrt. So sahen wir, dass ein Leib zu sein bedeutet, in Beziehungen zu stehen, an der protentional-retentionalen Struktur der Erfahrung zu partizipieren und damit an unterschiedlichen Perspektiven der Erfahrung. Alle diese Dinge bleiben auch im christologischen Verständnis des Leibes gültig. Allerdings wird man nun auch mehr sagen müssen: Die Definition des Leibes in einem christologischen Sinne besteht darin, dass ein Leib einfach das Medium des kommunikativ-relationalen Füreinanderwerdens einer Person ist.78 Ein solches Medium von Kommunikation, Austausch und Prozessen kann auf der Materie-Energie-Äquivalenz der Quantenphysik beruhen, so wie es ja auch in allen Teilen der Prozesse der Narration der natürlichen Welt der Fall ist. Allerdings ist es nicht das Bestehen in der Form von quantenphysikalischer Materie-Energie-Äquivalenz, die Leiblichkeit definiert, sondern Leiblichkeit ist nur dadurch definiert, ein Medium kommunikativen In-Beziehung-Seins und -werdens zu sein. Diese christologische Definition des Leibes passt nun hervorragend zu Peter F. Strawsons philosophischer Beobachtung, die wir am Ende von Kap. 2.3.1 bereits zitiert haben, nach der Körper und Seele nichts als Abstraktionen vom Sein als Person sind. Ferner kann auch Strawsons berühmtes Gedankenexperiment mitsamt seinem Ergebnis, dass eine leiblose Seele unfähig zu jeglicher Kommunikation wäre, als Bestätigung der Definition des Leibes als Medium kommunikativen Beieinanderseins verstanden werden. Die Lehre von der Person Christi einschließlich der Lehre der beiden narrativen Beziehungsgefüge von Relationen und einschließlich der Lehre der Inkarnation oder Leiblichkeit sind aber keine unabhängigen Lehren. Sie sind 78 Vgl. M hling, M., Eschatologie, 259–262.

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vielmehr Teil der Soteriologie, Teil des Werks Christi. Auch hier haben wir uns auf einige kurze Kommentare zu beschränken.79 Im soteriologischen Werk Christi sind zwei Aspekte verbunden: Die Vollendung der Welt in einer einzigen narrativen Sequenz und die Überwindung der Ver-rücktheit. Der erste Aspekt ist zwar entscheidend, aber er kann nicht vom zweiten separiert werden. Auf welche Art und Weise die Inkarnation und das soteriologische Handeln Christi stattgefunden hätten, wenn Menschen nicht Gegenstand sündigen Ver-rücktseins wären, ist schlicht unbekannt. Nichtsdestotrotz ist es wichtig anzuerkennen, dass es eine Tatsache ist, dass die Vollendung der Welt als solche entscheidend für die Geschichte der Schöpfung ist. Die Welt ist als gute geschaffen, aber nicht als vollendete. In dieser Hinsicht behandelt die Christologie also ein kosmisches Ereignis: Die Vollendung der Schöpfung während des Verlaufs der Narration.80 Der zweite Aspekt der Überwindung der Sünde war vor allem in der westlichen Tradition vorherrschend. Dabei zeigte sich, dass es entscheidend ist, Leben und Tod Christi nicht zu separieren. Prinzipiell kann man die Soteriologie im Modell des Opfers verstehen, oder präziser: als dramatische Narration der Hingabe in zweifacher Weise.81 Als Teil der innergöttlichen Beziehungsgeschichte ist der inkarnierte Sohn der einzige, der das wahre Ziel jeglichen Geschöpfes kennt. Daher ist er auch der Einzige innerhalb des kreatürlichen Beziehungsgefüges und der kreatürlichen Narration, der wahre Hingabe und wahre Liebe praktizieren kann. Ja noch mehr: Man kann nur etwas hingeben, über das man auch tatsächlich verfügt. Aber keine geschaffene Person verfügt über ihre eigene Personalität, sondern erhält diese kontinuierlich als Gabe Gottes. Folglich ist es geschaffenen Wesen nicht möglich, eine nicht ver-rückte Hingabe in Bezug auf ihre eigene Person auszuüben. Christus aber, als göttliche Person, ist zur perfekten Hingabe fähig, da auch Vater und Sohn beistimmen. Innerhalb der ver-rückten Geschichte der Schöpfung ist Christus der einzige Handelnde, der die wahren Ziele der Geschöpfe kennt und der gleichzeitig der einzige ist, der perfekte Hingabe üben kann. Da er nun der einzige ist, der die wahren Ziele der anderen verfolgen kann, nicht aber diese selbst, kommt er dramatisch notwendigerweise in Konflikt mit diesen Anderen, die nicht ihre wahren Ziele im Handeln innerhalb der Narration verfolgen, sondern nur, was ihnen als ihre vermeintlich wahren Ziele erscheint. Der deutlichste Ausdruck dieser Hingabe ist Christi Tod am Kreuz. Er muss als Tod der Person, d. h. als Beziehungslosigkeit der Person des inkarnierten Sohnes verstanden werden und daher als die größt79 Eine umfassende Versöhnungslehre habe ich vorgelegt in M hling, M., Versöhnendes Handeln, 292–346. 80 Im Prinzip bedient sich auch Pannenberg dieser Argumentationsfigur, wenn er die Auferstehung als die Prolepse der eschatischen Vollendung versteht, vgl. Pannenberg, W., Dogmatische Thesen – Offenbarung als Geschichte, bes. These 4, 103–106. 81 Vgl. M hling, M., Versöhnendes Handeln, 325–334.

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mögliche Form des Ver-rücktseins. Der Karfreitag symbolisiert damit nicht nur den Beziehungsbruch zwischen Christus und seinen Mitkreaturen, sondern ebenso die Auflösung oder versuchte Auflösung der Beziehung zwischen Christus als Sohn und dem Vater und Geist in ihren internen Beziehungen. Der Tod des Sohnes bedeutet eine Verletzung des Seins des relationalen Wesens Gottes, eine Auflösung der Geschichte und ihrer Handelnden. Da die dramatischen Beziehungen zwischen Sohn, Geist und Vater interne Beziehungen sind, bedeutet der Tod des Sohnes eine Verletzung des relationalen Wesens Gottes selbst. An Karfreitag und Karsamstag steht damit die Existenz Gottes auf dem Spiel. Die einzige Möglichkeit, diese Konsequenz zu vermeiden, besteht darin, dass sich der Geist nun dem toten Sohn hingibt, indem er diesen auferweckt. M.a.W.: Der Geist bezieht sich aufs Neue auf den unrelationierten Sohn und rekonstituiert damit das göttlich relationale Wesen. Da aber die Identität des Sohnes genauso von seinen göttlichen Beziehungen abhängt wie von seinen geschaffenen Beziehungen, ist die einzige Möglichkeit für den Geist, sich zu Christus zu relationieren, sich auch zu dessen Mitgeschöpfen zu relationieren. Die Hingabe des Geistes an Christus ist daher an seine Hingabe an das Ganze der Schöpfung gebunden. Das Opfer oder die Hingabe Christi ist daher nur der erste Teil oder nur eine Sequenz des Erlösungsdramas und der Überwindung der Sünde. Die Hingabe oder das Opfer des Geistes an Christus und an seine Mitgeschöpfe ist der zweite, entscheidende Teil des Opfers.

5.2.4 Die Konkarnation und der zweite Teil der Versöhnung Das Handeln des Geistes in Bezug auf die Menschen wird normalerweise als „Inspiration“ bezeichnet, was ein unglücklicher Terminus ist, denn „Inspiration“ besitzt entleiblichte, „spirituelle“ und dualistische Konnotationen. Ich möchte daher vorschlagen, den Terminus der Konkarnation zu verwenden, weil er einen besseren und vollständigeren Zugang zum Handeln des Geistes ermöglicht.82 Damit ist der Sachverhalt bezeichnet, dass des Geistes Aktivität immer an die Leiblichkeit des Sohnes gebunden ist und an die Leiblichkeit der Geschöpfe. Während Inkarnation bedeutet, an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit lokalisierbar zu sein und so auch anderen Personen verfügbar zu sein, bezeichnet der Terminus der Konkarnation, dass der Geist nicht selbst inkarniert ist, sondern handelt ubi et quando visum est deo, ohne dabei aber willkürlich zu werden. Der Terminus Konkarnation hat aber noch einen weiteren Vorteil: Er zeigt an, dass die Rolle des Geistes in der Geschichte der Welt seiner Rolle innerhalb der Geschichte der Trinität selbst entspricht und resoniert. Nach Richard von St. Victor ist der Geist keineswegs das Band zwischen Vater und Sohn, wie bei Augustin, sondern der condilectus83, der 82 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 372–390. 83 Vgl. Richard von St.Victor, De Trinitate, 3,11 (192).

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Mitgeliebte der wechselseitigen Liebe von Vater und Sohn. Wir hatten schon gesehen, dass Liebe nicht als Beziehung zwischen zweien verstanden werden kann, sondern als Beziehung zwischen dreien. Die Liebe zwischen Liebendem und Geliebtem ist nur möglich, wenn es ein drittes Relat, ein gemeinsames Projekt gibt, das die Liebe und damit die Geschichte erhält und voranbringt. Im Falle des Wesens Gottes ist dieses dritte Relat selbst ein personales Relat – der Heilige Geist. Daher bezeichnet Konkarnation auch die Tatsache, dass des Geistes Rolle in der Schöpfung seiner Rolle innerhalb des relationalen Wesens Gottes entspricht. Des Geistes Handeln ad extra resoniert also seiner Personalproprietät und seinem Handeln ad intra. Des Geistes konkarnierendes Handeln in Bezug auf die Schöpfung ist dabei ein dreifaches: Erstens kopräsentiert der Geist Christus den Sequenzen und Ereignissen der Geschichten der Glaubenden. Die Wirkung besteht darin, dass die Glaubenden nun in der Lage sind, die Schöpfung im Lichte der Narration des Evangeliums wahrzunehmen. Nach Thomas Erskine of Linlathen verändert der Heilige Geist dabei die personalen Fähigkeiten der Affektivität nicht direkt, wie ein Psychopharmakon den Gehirnstoffwechsel beeinflusst. Vielmehr ist das Handeln des Geistes mit der Gegenwart und Autorität eines Freundes zu vergleichen: Wahrnehmungen und Argumente werden wichtig und erkennbar in der Gegenwart des Geistes, die unter seiner Abwesenheit übersehen werden würden.84 Der Geist wird daher zu Recht auch der Geist der Wahrheit genannt: Wo immer Wahrheit gesehen und wahrgenommen wird, muss sie als auf dem Handeln des Heiligen Geistes beruhend verstanden werden. Dies gilt in Bezug auf die Zurechtrückung der ver-rückten Personen in ihren Beziehungsgefügen in dem Sinne, dass die entsprechenden Personen nun in der Lage sind, die Geschichte des Evangeliums als die Wahrheit über ihre eigenen Lebensgeschichten anzuerkennen. Der Heilige Geist ermöglicht, dass Entfremdung nun tatsächlich als Sünde wahrgenommen werden kann, und indem er die Personen innerhalb ihres Beziehungsgefüges wieder am Guten ausrichtet, schafft er auch die Gemeinschaft der Glaubenden. Diese Gemeinschaft, die Kirche genannt wird, ist die Gemeinschaft der Kommunikation der Narration des Evangeliums. Der Heilige Geist handelt an Personen nicht unabhängig von dieser Gemeinschaft. Der Heilige Geist ist eine Person, kein Individuum. Der Heilige Geist handelt auch nicht an Individuen. Der Geist ist auch nicht inkarniert, so dass das, was im Lichte des Evangeliums wahrnehmbar ist, außerhalb nicht wahrnehmbar sein mag. Zweitens ist aber das Handeln des Geistes nicht auf die Gemeinschaft der Glaubenden beschränkt. Wo immer und wann immer Menschen in der Lage sind, wahrzunehmen, was wirklich wahr ist – auch im Bereich der Naturwissenschaften – ist der Heilige Geist als gegenwärtig zu sehen. Im Bereich der Naturwissenschaften scheint das Handeln des Geistes mehr einer Inkarnation zu ähneln, da es so scheint, als würde der Heilige Geist einfach die ewigen 84 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 383.

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Gesetze der Natur, den Schöpfungslogos, präsentieren. Während die 3.PersonPerspektive der Naturwissenschaften aber tatsächlich Nachprüfbarkeit ermöglicht, sollten die Naturgesetze besser nicht als Inkarnationen des Heiligen Geistes verstanden werden, sondern es handelt sich ja um Metaphern und Abstraktionen: „Gesetz“ und „Regel“ stammen primär aus der Sprache der sozialen Welt. Des Geistes Konkarnation ermöglicht uns, hier Regelmäßigkeiten zu entdecken, aber der Geist erlaubt uns nicht, zu entscheiden, ob diese Regelmäßigkeiten nun auf ewigen, quasi-platonischen Gesetzen beruhen oder ob es sich dabei um Ausdrücke des treuen, regelmäßigen Handelns göttlicher Erhaltung handelt, die sich im Prinzip in Zukunft ändern könnten. Auch in dieser Hinsicht passt der Begriff der Konkarnation also besser als der Begriff der Inkarnation. Drittens nehmen Christen noch eine weitere Form konkarnatorischen Handelns des Geistes an – in Bezug auf die vorpersonale Welt: Wo immer die vorpersonale, natürliche Welt nicht ver-rückt ist und wo immer relationale Integrität gefunden werden kann, kommen diese Beziehungen für die Wahrnehmung des Glaubens aufgrund der relationierenden Tätigkeit des Geistes zustande. Obwohl es sich dabei um ein wirkliches Handeln des Geistes handelt, bezieht es sich auch auf Beziehungen, wenn sie vom Menschen nicht wahrgenommen werden. Damit konstituiert der Heilige Geist auch die Distinktion zwischen realen und fiktiven Möglichkeiten. Mithilfe dieser dreier Arten konkarnierenden Handelns erhält der Geist nicht nur die Welt entgegen aller Effekte der Sünde und richtet nicht nur die Wahrnehmung der Menschen auf, sondern der Heilige Geist hat dabei auch eine eschatische Funktion: Indem der Geist Christus den Glaubenden präsentiert, inkorporiert der Geist auch gleichzeitig geschaffene Personen in die Geschichte, die Gott ist – wenn auch in einer vermittelnd-vermittelten und indirekten Art und Weise. Nur der Zustand der dramatischen Erzählung, in dem die Beziehungen zwischen den Geschöpfen untereinander einerseits und zum dreieinigen Gott andererseits nicht vermittelt ist, sondern in direkter Weise gelebt wird, – also die Wahrnehmung von Angesicht zu Angesicht (1Kor 12,13) – kann als die eschatische Vollendung der Welt verstanden werden. Diese Vollendung beruht allerdings nicht auf natürlichen Mechanismen oder Strukturen, sondern sie ist selbst ein konkarnatorischer Effekt: Außerhalb der Wahrnehmung im Lichte des Evangeliums bleibt dieses Ziel oder Telos notwendigerweise unsichtbar, wenn die These, dass es so etwas wie dramatische Kohärenz gibt, richtig ist. 5.2.5 Eigenschaften Gottes in Bezug auf die Welt Mit der Beschreibung der konkarnatorischen Aktivität des Geistes ist unsere tour de force durch die Schöpfung in Bezug auf Gott zu Ende. In Kap. 5.1 sahen wir, dass Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart keine Wesenseigen-

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schaften Gottes sind, sondern dass diese Attribute Gottes die Schöpfung bereits voraussetzen. Daher ist es nun am Ende dieses Kapitels Zeit, ein paar Worte über deren sachgemäße Konzeptionalisierung zu verlieren. Allwissenheit bedeutet die Kenntnis aller vergangenen und gegenwärtigen Sachverhalte der Schöpfung sowie aller Möglichkeiten der Zukunft. Gott kennt daher die Zukunft als Zukunft, d. h. als Reich aller Möglichkeiten, und ist fähig, durch Aktualisierungen überrascht zu werden – auch von seinen Geschöpfen. Welche Möglichkeiten diese aber immer zur Aktualisierung auswählen mögen, Gott kann angemessen reagieren, da Gottes Schöpfungshandeln ja der Ursprung aller Möglichkeiten ist. Peter Geach hat das Bild des Schachgroßmeisters in diesem Zusammenhang benutzt: Dieser kennt zwar nicht den nächsten Zug, wenn er mit einem Anfänger spielt, aber er weiß, dass er das Spiel gewinnen wird.85 Gott weiß daher, dass das Ergebnis der Geschichte der Welt die Vollendung der Welt sein wird. Aber diese Vollendung ist nicht den geschaffenen und natürlichen Regelmäßigkeiten der Welt inhärent. Es gibt also eine radikale Distinktion und Transformation zwischen der Welt in ihrem gegenwärtigen Zustand und in ihrem vollendeten Zustand. Diese Transformation wird traditionell mit dem Gerichtsterminus benannt. Das Gericht kann daher als Aufhebung einiger Kennzeichen, Ereignisse und Sequenzen der geschaffenen Geschichte in die ewige Geschichte verstanden werden sowie als die Transformation anderer Kennzeichen, Ereignisse und Sequenzen der geschaffenen Narration. Die ethischen Differenzen, d. h. die Differenzen zwischen Gut und Böse, die während des Laufes der Erzählung der Welt erscheinen, werden dabei in ästhetische Differenzen transformiert. Gott weiß daher in seiner schöpfungsbezogenen Allwissenheit, dass das Ergebnis der Welt in ethischer Hinsicht gut und nichts anderes als gut sein wird, aber Gott kennt noch nicht die Aktualität der ästhetischen Gestalt, in der diese vollendete Welt existieren wird. Das beste Bild dafür ist das Bild des auferstandenen Christus:86 Die Wunden des Kreuzes, d. h. die Konsequenzen der Sünde, sind besiegt – allerdings nicht, indem sie einfach ausradiert wären, sondern sie sind in die Narben des Auferstandenen als Zeichen dessen Schönheit transformiert. Im Vergleich zu einem theistischen Verständnis der Allwissenheit Gottes erweist sich der Begriff der Allwissenheit, der in der Theologie dieses Buches verwandt wird, als außerordentlich konkret. Konkret zu sein bedeutet aber immer auch, eine Einschränkung zu erfahren. Und dieser Faktor, der die Allwissenheit konkret werden lässt, besteht in der Tatsache, dass ein narrativer Gott eine narrative Schöpfung geschaffen hat. Aber es gibt noch einen zweiten Faktor, und dieser hat mit Liebe und Leiblichkeit zu tun: Personen können nur Personen sein, wenn sie gegenseitig konstitutiv füreinander sind und wenn es eine spezifische Inkommunikabilität gibt, mindestens die Inkommunikabilität der 1.Person-Perspektive. Weiterhin gilt, 85 Vgl. Geach, P.T., Providence and Evil, 57f. 86 Vgl. M hling, M., Why does the risen Christ have Scars?

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dass Liebe nur Liebe sein kann, wenn die personale Partikularität und Transzendenz der Partner anerkannt sind. Da Gott aber wesentlich perfekte Liebe ist, auch in Bezug zu seiner Schöpfung, ist es Gott nicht möglich gegen seine Liebe zu handeln. Daher ist es folgerichtig, dass Gott die personal-leiblichen Perspektiven seiner Geschöpfe respektiert. Daraus folgt auch, dass Gott nicht die 1.Person-Perspektive einer geschaffenen Person kennt, solange diese Person dies nicht bewusst zulässt. Da aber nun der Geist einer geschaffenen Person nicht auf deren 1.Person-Perspektive reduziert werden darf, sondern als ausgedehnt verstanden werden muss, gehört letztlich auch die Beziehung einer geschaffenen Person zu ihrem Schöpfer zu ihrem ausgedehnten Geist. Eine Theologie des Gebets müsste diese Voraussetzungen der konkreten Allwissenheit Gottes berücksichtigen. Allmacht kann ebenfalls nicht in einer voluntaristischen Weise abstrakt verstanden werden als die Fähigkeit, alles außer das logisch Unmögliche tun zu können. Innerhalb eines radikal voluntaristischen Rahmens würde das logisch Unmögliche zu Gottes potentia ordinata gehören, nicht aber zu seiner potentia absoluta. Allerdings wird man die Unterscheidung zwischen einer potentia absoluta und einer potentia ordinata zurückweisen müssen. Damit ist gezeigt, dass es keinen Grund dafür gibt, eine spezifische Gestalt geordneter Macht anzunehmen außerhalb des puren göttlichen Willens ohne jede Vernunft. Der voluntaristische Gott wäre daher nicht nur der Wahl fähig, eine bestimmte Welt mit bestimmten Gesetzen auszuwählen – ohne dass man auf einen Grund dieser Wahl in Gottes eigener Perspektive rekurrieren müsste –, sondern er wäre auch der Wahl fähig, welche Art von Gott Gott sein will. Ein solch voluntaristischer Gott wäre aber ein Gott der Willkür und ein Gott der puren Kontingenz. Es würde sich eher um einen Despoten denn um einen Gott der Freiheit handeln. Daher muss jede Rede von Allmacht und Macht in Gott als Rede von der Macht der Liebe verstanden werden. Dies klingt natürlich in der heutigen Zeit attraktiv, weil die Popkultur der Liebe Ausdrücke wie diese liebt. Allerdings meint „Liebe“ in dem genannten Satz nicht das, was unsere unmittelbare Intuition damit assoziieren mag, denn auch unsere Vorstellungskraft ist ver-rückt, sündhaft und besteht in unordentlicher Liebe. Die Macht der Liebe und daher der definierende Rahmen der Liebe kann nichts sein, außer der Narration Gottes selbst, insoweit sie wahrgenommen werden kann in unseren Narrationen im Lichte der Narration des Evangeliums. M.a.W.: Es gibt keine Allmacht ohne Liebe, keine Liebe ohne die Liebesgeschichte, die Gott ist, und ohne die geschaffene Welt – und daher gibt es letztlich auch keine Allmacht ohne Krise, dramatische Kohärenz, Tod und Auferstehung. Gott handelt nicht wie ein deus ex machina und die Macht der Liebe meint mit Sicherheit nicht, dass Gott ein Automat zur Stillung unserer narzisstischen Wünsche wäre. Eine Theologie des Gebets hätte auch diese Überlegungen zu einer konkreten Allmacht zu berücksichtigen. Allgegenwart kann in einer zweifachen Weise verstanden werden: Einerseits

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ist Allgegenwart identisch mit der Tatsache, dass Gott die Zeit umgreift:87 Die Narration der Welt ist umschlossen durch die Narration Gottes. Damit ist Gott allgegenwärtig. Andererseits können aber die Personen des göttlichen Wesens ihren Geschöpfen nicht in einer Weise gegenwärtig sein, die deren Wahrnehmungsfähigkeit und Christi Leiblichkeit widerspricht. Allgegenwart ist daher immer die konkrete Allgegenwart des Inkarnierten und Leiblichen, die unserer Wahrnehmung durch den Konkarnierten präsentiert wird. Eine Konsequenz davon ist, dass man sagen muss, dass es kein Ereignis (auch nicht eines der schrecklichen) gibt, in dem Gott wirklich abwesend sein könnte. Allerdings gibt es auch kein Ereignis, in dem Gottes Präsenz ohne unsere leibliche und zurechtgerückte Perspektive wahrgenommen werden könnte. M.a.W.: Es kann kein Ereignis der Welt geben, in dem Gottes Gegenwart durch die natürlichen Mittel der 3.Person-Perspektive allein und ihrer naturalistischen Haltung wahrgenommen werden könnte.

5.3 Theologische Erwartungen an die Biologie Karl Barth wird häufig als Beispiel eines Theologen verstanden, der keine Notwendigkeit für einen Dialog mit den Naturwissenschaften sah. Diese Sicht Barths kann durch die folgende Aussage gestützt werden: „Das Wort Gottes handelt von Gott und vom Menschen. Es enthält darum zweifellos eine Ontologie des Menschen und eben mit ihr werden wir es in der theologischen Lehre vom Geschöpf zu tun bekommen: mit der Ontologie des Menschen unter dem Himmel auf der Erde. Das Wort Gottes enthält aber keine Ontologie des Himmels und der Erde.“88

Allerdings muss dieses Zitat nicht einfach so interpretiert werden, als sei es ein Ausdruck der Skepsis gegenüber jedem interdisziplinären Dialog, sondern es kann auch so verstanden werden, dass es eine particula veri der Vorzüglichkeiten eines solchen Dialogs beschreibt: Sicherlich wird man Barth zu korrigieren haben in der Auffassung, die Anthropologie sei der wichtigste Gegenstand einer Schöpfungslehre. Allerdings ist es auch richtig, dass Mensch und Natur nicht Gegenstände einer Schöpfungslehre in Abstraktion von ihrer Beziehung zu Gott sein können. Wenn man methodologisch die Beziehung der Schöpfung zu Gott ausklammert, wenn man also arbeitet etsi deus non daretur, dann arbeitet man innerhalb des Gebiets der Naturwissenschaften. Beide Gebiete, das der Schöpfungslehre und das der Naturwissenschaften, beziehen sich aber letztlich auf die gleiche Wirklichkeit als Schöpfung. Wenn es auch wahr ist, dass es nicht möglich ist, dass ein Theologe Aussagen über Mensch 87 Vgl. Jenson, R.W., ST I, 54f. 88 Barth, K., KD III/2, §43, 5.

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oder Natur unabhängig von deren Beziehung zu Gott trifft, so ist es dennoch möglich, Aussagen darüber zu treffen, was ein Theologe von den Naturwissenschaften und insbesondere von der Physik und Biologie auf dem Hintergrund seines Schöpfungsverständnisses erwartet: Wenn die Gotteslehre, wie sie in Kap. 5.1 vorgestellt wurde, und die Schöpfungslehre, wie sie in Kap. 5.2 vorgestellt wurde, sachgemäß sind, ist zu fragen: Welche Aussagen kann man dann von den Naturwissenschaften über die Natur erwarten? M.a.W.: Wenn der christliche Glaube sinnvoll ist, was kann man dann von den Erkenntnisbemühungen der Naturwissenschaften über die Welt erwarten? Diese Frage darf natürlich nicht die Arbeit der Naturwissenschaften beeinflussen oder gar ihre Antworten beeinflussen. Aber diese Frage ist entscheidend, wenn man Einsichten der Theologie mit Einsichten der Naturwissenschaften in Beziehung setzen will. Ebenso wichtig ist sie für die weitergehende Frage, ob es Kompatibilitäten oder Inkompatibilitäten zwischen den Bereichen gibt. Die Frage ist also entscheidend, weil ihre Antwort die Art und Weise, wie man den Dialog führt, verändern kann. Was also wird man von der Natur, wie sie in der Biologie erforscht wird, aus der Perspektive des Evangeliums erwarten? 1. Da Gott ein relationales Sein ist und eine Schöpfung als relationale Schöpfung geschaffen hat, wird man erwarten, dass man auch die Natur in relationalen Begriffen beschreiben kann. 2. Da Gott ein narrativer Gott ist und eine Schöpfung als narrative Schöpfung geschaffen hat, wird man erwarten, dass die Natur keine fixierte Entität ist, sondern ein Rahmen von Relationen, der der Veränderung unterliegt. 3. Da die primäre Regel einer Narration in dramatischer Kohärenz besteht, in der sowohl Regularität als auch Kontingenz verbunden sind, wird man auch erwarten können, dass die Veränderung in der Natur bestimmten Regeln folgt. 4. Da dramatische Narrationen immer Kontingenz beinhalten, wird man erwarten, dass auch die natürliche Welt nicht deterministisch geschlossen ist. 5. Da die Geschichte der Menschen in Bezug auf Gott nicht ohne die Geschichte der Menschen in Bezug auf die Geschichte der ganzen Schöpfung verstanden werden kann, wird man erwarten, dass der Mensch nicht als kategoriale Ausnahme von anderen Lebewesen verstanden werden kann. 6. Da Gott als letztgültig erschlossen in Christus verstanden wird und daher als leiblich und inkarniert, und da die Person Christi definiert, was als wahrhaft menschlich verstanden werden kann, wird man ebenso erwarten, dass Mensch und Natur immer nur leiblich verstanden werden, d. h. in einer Art und Weise, die strikt jeden Geist-Materie-Dualismus ausschließt. Wie wir sehen, erfüllt die klassische, neodarwinistische Beschreibung der Evolution als Lehre von der Veränderung in der Natur vollständig diese theologischen Erwartungen. Natürlich wäre die neodarwinistische Theorie nicht die einzige Theorie, die diese Erwartungen erfüllen kann. Genauso gibt es aber auch (pseudo-)naturwissenschaftliche Erklärungen der Natur, die diese Erwartungen nicht erfüllen können. Dazu würden Auffassungen gehö-

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ren, nach denen es gar keine Veränderung gibt, die pseudo-theologische und ebenso pseudo-naturwissenschaftliche Auffassung, dass die Entitäten der Natur genau so wären, wie sie von Anbeginn der Welt an gewesen sind, ohne jede Veränderung, oder die Auffassung, dass Geist und Materie als basal verstanden werden müssen, d. h. die Auffassung, dass sie unabhängig voneinander sind. Während also diese ersten sechs Erwartungen sehr gut zur klassischen Evolutionstheorie passen, so erscheinen im Lichte des Evangeliums jedoch noch weitere Erwartungen: 7. Da Gott und die Schöpfung nicht nur als Narrationen, sondern auch als Narrationen der Liebe verstanden werden, kann erwartet werden, dass diese Art der Liebe auch in biologischen Zugängen zum Leben Resonanz findet. Gott ist nicht nur relationales Sein, sondern ein Sein, das in internen Relationen der Liebe besteht. Daher wird man auch erwarten können, dass zumindest zu einem bestimmten Anteil interne Relationalität auch in und durch die natürliche Welt resoniert wird. 8. Da die Liebe der Schöpfung selbst nur im Lichte der Wahrheit des Evangeliums wahrgenommen werden kann, wird man gleichzeitig erwarten, dass eine Biologie, die sich exklusiv auf eine naturalistische Perspektive reduziert, kein Anzeichen der Liebe in der Evolution selbst finden wird. Erwartung 7 drückt ein Kernproblem des Dialogs zwischen Theologie und Evolutionsbiologie aus. Während es im Mittelalter normal erschien, Liebe als ein kosmologisches Prinzip zu verstehen, und während Liebe noch in der Theologie der Reformatoren eine Regel allen geschaffenen Seins bezeichnete, so stellt sich seit der Entdeckung der Evolutionsbiologie doch die Frage, ob diese Erwartung in einer sinnvollen Art und Weise erfüllt werden kann. 1889 analysierte Charles Sanders Peirce das Problem in einer Art und Weise, die auch heute noch äußerst hilfreich ist. Peirce, ein ungewöhnlicher Monist, der das Geistige als Basis und das Materielle als Ableitung verstand, erklärte sein Verständnis der Liebe mit Berufung auf das Liebesgebot der christlichen Ethik folgendermaßen: ‘Sacrifice your own perfection to the perfection of your neighbour. […] Love is not directed to abstractions but to persons; […] “Our neighbour” […] is one whom we live near, not locally perhaps but in life and feeling.’89

Liebe ist bei Peirce aber nicht nur ein ethisches Prinzip, sondern auch eine Regel der Entwicklung: ‘Everybody can see that the statement of St. John is the formula of an evolutionary philosophy, which teaches that growth comes only from love, from I will not say selfsacrifice, but from the ardent impulse to fulfill another’s highest impulse. […] The philosophy we draw from John’s gospel is that this is the way mind develops; […] 89 Peirce, C.S., Evolutionary Love, CP 6.288.

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Love, recognizing germs of loveliness in the hateful, gradually warms it into life, and makes it lovely.’90

In dieser Aussage hat Liebe eine kreative Funktion, die an Luthers berühmte Erklärung der Unterscheidung zwischen der Liebe Gottes und der Liebe der Menschen in der 28. These der Heidelberger Disputation erinnert: Amor dei non invenit, sed creat suum diligibile; amor hominis fit a suum diligibile.91

Allerdings gibt es zwischen Peirce und Luther hier auch einen entscheidenden Unterschied: Das, was Luther allein Gott zuschreibt, die kreative Liebe, wird bei Peirce zu einem kreativen Prinzip der Liebe in der Evolution. Diese Art der Evolution wird „Agapismus“ genannt und ihr Prinzip, das Peirce in Übereinstimmung mit dem Evangelium versteht, ist das Folgende: ‘The gospel of Christ says that progress comes from every individual merging his individuality in sympathy with his neighbors. […] Yet the strong feeling is in itself, I think, an argument of some weight in favor of the agapastic theory of evolution […]. Certainly, if it were possible to believe in agapasm without believing it warmly, that fact would be an argument against the truth of the doctrine.’92

Man kann nun dieses Zitat so interpretieren, dass das evolutive Prinzip eine Art interne, narrative Relationalität darstellt, innerhalb derer Opfer oder Hingabe des Partikularen in Sympathie etwas Neues hervorbringt. Was weiter interessant ist, ist, dass Peirce an anderer Stelle auch eine „sentimentale“93 Haltung hinsichtlich seiner Position anerkennen kann. Dies kann nun so verstanden werden, dass Peirce sich im Prinzip für eine personalistische Haltung ausspricht und eine Restriktion naturwissenschaftlicher Arbeit auf die naturalistische Perspektive allein ablehnt. Peirce argumentiert also für etwas, was später ein phänomenologischer Zugang genannt werden wird. Es ist nun wichtig, Peirce’ Position nicht misszuverstehen. Agapismus ist keine biologische Theorie, sondern eine philosophische Theorie der Evolution. Neben dem Agapismus gibt es gemäß Peirce, nur zwei weitere Arten philosophischer Sichtweisen der Evolution, die tychastische und die anankastische, die degenerierte Versionen der agapistischen Betrachtungsweise seien: ‘Three modes of evolution have thus been brought before us: evolution by fortuitous variation, evolution by mechanical necessity, and evolution by creative love. We may term them tychastic evolution, or tychasm, anacastic evolution, or anancasm, and agapastic evolution, or agapasm. The doctrines which represent these as severally of principa importance we may term tychasticism, anancasticism, and agapasticism. 90 91 92 93

Peirce, C.S., Evolutionary Love, CP 6.289. Luther, M., WA I, 365. Peirce, C.S., Evolutionary Love, 6.294–6.295. Vgl. Peirce, C.S., Evolutionary Love, 6.292.

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On the other hand the mere propositions that absolute chance, mechanical necessity, and the law of love are severally operative in the cosmos may receive the names of tychism, anancism, and agapism. All three modes of evolution are composed of the same general elements. Agapasm exhibits them the most clearly. The good result is here brought to pass, first, by the bestowal of spontaneous energy by the parent upon the offspring, and, second, by the disposition of the latter to catch the general idea of those about it and thus to subserve the general purpose. […] tychasm and anancasm are degenerate forms of agapasm.’94

Peirce’ Theorie der Möglichkeit von Evolutionstheorien setzt ein Verständnis der Entwicklung und Evolution voraus, in dem die Werte „gut“ und „besser“ eingeschlossen sind. Fortschritt vom Status A zum besseren Status B kann inauguriert werden durch – Kontingenz allein (Tychasmus) oder durch – zielgerichtete Regelgeleitetheit allein (Anankasmus) oder durch – eine Kombination aus Kontingenz und Regelgeleitetheit. Indem nun Peirce diese Begriffe zweiter Ordnung benutzt, um verschiedene Evolutionstheorien bewerten zu können, wertet Peirce das darwinistische Evolutionsverständnis als eine Form des Tychasmus, während er naturalistische Theorien, die die Evolution auf kausaldeterministischen Mechanismen allein beruhend sehen wollten und ebenso hegelianische Theorien des Fortschritts, die auf einer bestimmten Art logischer Gesetzmäßigkeit95 beruhen, als eine Form des Anankasmus betrachtet. Peirce dachte noch, der Agapismus wäre am besten durch den Lamarckismus instantiiert, der damals noch nicht falsifiziert war. Allerdings darf der Agapismus nicht so verstanden werden, als wäre er exklusiv an den Lamarckismus gebunden. Peirce hat sich auch explizit mit Positionen beschäftigt, die versuchen, das darwinistische Evolutionsverständnis als eine Form des Agapismus zu verstehen, und er ist der Meinung, dass jede Form des Tychasmus eine Ableitung des Agapismus darstellt, wenn auch keine genuine.96 Ebenso verhält es sich nach Peirce mit einigen anankastischen Systemen, speziell dem Hegelianischen, das zwar explizit agapistisch sein will, das aber dennoch keine Kontingenz einschließen kann.97 Letztlich scheint es so, dass Peirce der Ansicht ist, dass es einen kontinuierlichen oder unscharfen Übergang zwischen den drei philosophischen Typen, Evolution zu verstehen, geben dürfte.98 Was klar ist, ist, dass Peirce den Agapismus als philosophische Theorie versteht, während er die Frage, welche 94 Peirce, C.S., Evolutionary Love, 6.302–6.303. 95 Vgl. Peirce, C.S., Evolutionary Love, 6.313: ‘That from given premisses only one conclusion can logically be drawn is one of the false notions which have come from logicians’ confining their attention to that Nantucket of thought, the logic of non-relative terms. In the logic of relatives, it does not hold good.’ 96 Vgl. Peirce, C.S., Evolutionary Love, 6.304. 97 Vgl. Peirce, C.S., Evolutionary Love, 6.305. 98 Vgl. Peirce, C.S., Evolutionary Love, 6.306.

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konkrete Theorie der Entwicklung erster Ordnung – sei sie nun biologisch oder philosophisch – am besten zu den Phänomenen passen mag, der zukünftigen Forschung überlässt. M.a.W.: Die Frage, ob der Agapismus eine phänomenologisch-empirische Theorie der Wirklichkeit sein kann oder nicht, ist offen: ‘I do not wish to be very strenuous. If thinkers will only be persuaded to lay aside their prejudices and apply themselves to studying the evidences of this doctrine, I shall be fully content to await the final decision.’99

Die Tatsache, dass Peirce sich irrte, wenn er den Lamarckismus bevorzugte, bedeutet noch nicht, dass sein Verständnis des Agapismus ebenso falsch sein müsste. Denn weder Tychasmus noch Anankasmus sind Kontradiktionen des Agapismus. Daher ist die folgende Frage wichtig: Gegen welche Art von Theorie argumentiert Peirce eigentlich? Und die Antwort ist bei Peirce klar: Es handelt sich um die ökonomische Perversion der Liebe, d. h. er argumentiert gegen die Auffassung, dass die Entwicklung durch Selbstliebe angetrieben würde, gegen die Auffassung, Liebe ließe sich auf eine beschränkte Klasse mit gemeinsamen Interessen reduzieren, oder gegen ein speziesistisches Verständnis der Liebe, das auf eine einzige Art von Spezies, hier der Mensch, beschränkt werden könne100 M.a.W.: Peirce wendet sich gegen eine ökonomistische Interpretation der Evolution – und damit gegen einen Charakterzug, den er in der ursprünglichen Theorie Darwins nicht enthalten sieht. Nun hat aber die Geschichte des Neodarwinismus im 20. Jh. gezeigt, dass dieser das Credo zum homo oeconomicus sehr oft enthält. Man erinnere sich beispielsweise nur an Robin Dunbars Behauptung, dass es ein ‘fundamental principle of evolutionary theory […] is that evolution is the outcome of the balance between costs and benefits’.101 Die wichtige Frage für unser eigenes konzeptionelles Projekt in diesem Buch lautet daher: Ist es möglich, Peirce’ Frage nach der Möglichkeit und Aktualität des Agapismus in der Evolution so zu modifizieren, dass sie den gegenwärtigen Erkenntnissen entsprechen kann? Damit dies geschehen kann, müssen einige der Voraussetzungen, die Peirce noch hatte, verändert werden: Wie Peirce gilt es einen Geist-Körper-Dualismus zu vermeiden, aber es kann gegen Peirce nicht darum gehen, den Geist zur zugrundeliegenden substanzhaften Essenz zu deklarieren, sondern darum, Geist und Materie als Abstraktionen einer phänomenal leiblichen Wirklichkeit zu verstehen. Wie Peirce wird man in der Tat die Notwendigkeit einer internen und prozessualen Relationalität als notwendig ansehen müssen. Und wie Peirce sind wir der Ansicht, dass diese Art von interner Relationalität in christlicher Perspektive als Opfer oder Hingabe verstanden werden muss und nicht als die Viktimi99 Peirce, C.S., Evolutionary Love, 6.317. 100 Vgl. Peirce, C.S., Evolutionary Love, 6.291. 101 Dunbar, R.I.M., The Social Brain Hypothesis, 179.

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sierung eines „Fressens und Gefressenwerdens“. Ebenso wie bei Peirce soll hier vorgeschlagen werden, dass eine Kombination von Zufall und Regelmäßigkeit notwendig ist, damit man den Liebesbegriff in irgendeiner Weise auf die Evolution anwenden kann. Im Unterschied zu Peirce wird man aber annehmen müssen, dass der Agapismus eigentlich keine Möglichkeit der gefallenen Kreaturen, sondern der zurechtgebrachten Geschöpfe ist. Daher setzt allein die Möglichkeit, Liebe in der Evolution am Werke zu sehen, eine personalistische Haltung voraus und es handelt sich mitnichten um eine Möglichkeit, die unter der naturalistischen Haltung einsehbar wäre. Dabei ist aber jede personalistische Haltung stets gemeinschaftlich und kulturell gebildet. Wie Peirce sind wir auch der Auffassung, dass es in der Tat eine Form von Wert selbst in der Evolution gibt, aber im Unterschied zu ihm wird man sagen müssen, dass diese Form des Wertes nicht unter den Beschränkungen der naturalistischen Haltung wahrnehmbar sein kann. Daher ist nicht nur die Erwartung 7 entscheidend –, dass Liebe in irgendeiner Form in der Evolution am Werke ist –, sondern auch Erwartung 8 ist wichtig –, dass unter der naturalistischen Haltung Liebe selbst nicht wahrnehmbar sein kann, sondern nur irgendetwas, das metaphorisch als Liebe bezeichnet werden kann oder das kompatibel mit einer Art von Liebe ist. Und genau an diesem Punkt sind wir der Ansicht, dass der klassische Neodarwinismus diese Erwartungen nicht erfüllen kann, dass aber eine erweiterte Evolutionstheorie und die Theorie der Nischenkonstruktion dazu in der Lage sein könnten. Eine vorsichtig veränderte und revidierte Form des Agapismus ist kompatibel mit der Theorie der Nischenkonstruktion: Liebe ist eine interne Beziehung einschließlich der Wechselseitigkeit, aber nicht notwendigerweise einschließlich der Symmetrie. Auch die Theorie der Nischenkonstruktion beschreibt Beziehungen zwischen Spezies und Umwelt (einschließlich anderer Spezies), die als interne Relationen verstanden werden müssen. Auch der Begriff der Kooperation verändert und verbessert die Modelle des evolutionären Geschehens in einer entscheidenden Weise – und auch dies ist etwas, was man im Lichte der Narration des Evangeliums erwarten wird. Man wird auch erwarten, dass nicht nur verschiedene Spezies, sondern auch partikulare Lebewesen in einer Art und Weise miteinander verbunden sind, die dem resoniert, was theologisch Liebe genannt werden muss. Die neue Einsicht, wie wichtig Paarbindungen in der biologischen Anthropologie und Primatologie sind,102 erfüllt diese Erwartungen sehr deutlich. Gleichzeitig zeigt der empirische Befund, der anhand der Studie von kleinen und archaischen Gesellschaften gewonnen wurde, dass sich Menschen natürlicherweise keineswegs im Modell des homo oeconomicus verhalten,103 sondern dass Menschen viel eher als Hyperkooperatoren be-

102 Vgl. Fuentes, A., Patterns and Trends in Primate Pair Bonds. 103 Vgl. Henrich, J./Boyd, R./Bowles, S./Camerer, C./Fehr, E./Gintis, H., Foundations of Human Sociality.

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schrieben werden müssen.104 Auch diese Ergebnisse der empirischen Forschung treffen die theologischen Erwartungen. Gleichzeitig wird man aber nicht erwarten können, dass es der Begriff der Liebe selbst ist, der durch die biologische Anthropologie erfüllt wird.105 Kurz gesagt: Die Erwartungen 7 und 8 werden durch die Biologie erfüllt – allerdings nicht durch den klassischen Neodarwinismus, sondern eher von der gerade im Entstehen begriffenen erweiterten Evolutionstheorie einschließlich des Mechanismus der Nischenkonstruktion. Kommen wir damit zurück zu den theologischen Erwartungen, deren zwei weitere hier zu äußern sind: 9. Da Gott die Welt zu einem spezifischen Ziel geschaffen hat – ihrer Vollendung –, das von Gott als Schöpfer und Vollender abhängig ist, wird man erwarten, dass diese Art von Intentionalität der Schöpfung der naturwissenschaftlichen Beschreibung nicht widersprechend ist. 10. Da die Schöpfung sowohl als gefallen als auch als im Werk Christi zurechtgebracht und im Prozess der Vollendung begriffen verstanden wird, wird man auch erwarten, dass es etwas wie dramatische Kohärenz auf dem Weg zu diesem Ziel gibt. Man wird allerdings gleichzeitig erwarten, dass diese Art der personalen Intentionalität auf dem Weg zur Vollendung nicht in Form eines Mechanismus inkarniert ist: Man wird also theologisch erwarten, dass man naturwissenschaftlich keine Form von Teleologie wahrnehmen kann! Vielleicht mag man aus der alternativen Perspektive eines abstrakten Theismus diese Erwartung an die Naturwissenschaften stellen. Aber wenn es richtig ist, dass das Verständnis Gottes als Trinität, die Gefallenheit der Schöpfung und ihr Bedürfnis erlöst und vollendet zu werden, nicht einfach akzidentielle Bestandteile des christlichen Glaubens sind, sondern wesentliche, kann die Schlussfolgerung nur lauten, dass man eben nicht erwarten wird, Teleologie in der Schöpfung zu finden, sondern nur Strukturen und Regelmäßigkeiten, die Intentionalität nicht ausschließen. In gleicher Weise wird man nicht erwarten, den Begriff der dramatischen Kohärenz selbst in den Strukturen einer Theorie der biologischen Veränderung vorzufinden, sondern nur einige Kennzeichen, die dramatische Kohärenz nicht ausschließen. Auch die Erwartungen 9 und 10 werden von einigen gegenwärtigen biologischen Theorien erfüllt. Es gibt zwar kein Teleologieprinzip, aber es dürfte doch der Fall sein, dass eine Form von Intentionalität und Gerichtetheit nicht vollständig ausgeschlossen ist, besonders innerhalb der Theorie der Nischenkonstruktion, wie wir schon sahen. Es ist eher das Gegenteil der Fall: Es scheint so, als müsste die Theologie hier die Wächterrolle einnehmen, stellvertretend für die naturalistische Haltung der Biologie. Odling-Smee et al. scheinen in ihrer Beschreibung der Gerichtetheit von Nischenkonstruktionen106 (vgl. Kap. 4.6.8) zu weit gegangen zu sein. Es scheint so, als ob diese 104 Vgl. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 150. 105 Vgl. Fuentes, A., Race, Monogamy, and Other Lies They Told You, 187. 106 Vgl. Odling-Smee, F.J./Laland, K.N./Feldman, M.W., Niche Construction, 177f.

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Erklärungen eher auf den naturphilosophischen Überzeugungen der Autoren als auf deren naturwissenschaftlicher Arbeit beruhen. Die Tatsache, dass biologische Beschreibungen der Evolution einschließlich der Nischenkonstruktion nicht von einer Hierarchie in der Evolution sprechen können, und die Tatsache, dass sie nicht einfach eine Form des Wertes in den Phänomenen entdecken können, genauso wie die Tatsache, dass zukünftige Entwicklungen nicht voraussehbar sind, und die Tatsache, dass zukünftige Veränderungen als retrospektiv sinnvoll und verstehbar erscheinen, passt hervorragend zu der Erwartung, dass eine Struktur gibt, die der dramatischen Kohärenz zwar ähnelt, nicht selbst aber dramatische Kohärenz ist (die selbst ein personales Konzept bleiben muss). Ein anderer Begriff, der dem der dramatischen Kohärenz ähnelt, ist der Begriff der Emergenz. Wenn man allerdings die Evolution in der Begrifflichkeit der Emergenz beschreibt, handelt es sich dabei immer um eine Interpretation der Naturwissenschaften im Lichte spezifisch naturphilosophischer Überzeugungen. Obwohl es nicht einen Emergenzbegriff gibt, sondern deren verschiedene,107 und obwohl der Emergenzbegriff eine neue Hochzeit in den letzten zwanzig Jahren erlebt hat – auch in der Theologie –,108 soll hier die Überzeugung vertreten werden, dass es nicht notwendig ist, vom Emergenzbegriff Gebrauch zu machen. Wird „Emergenz“ nur in dem minimalen, weiten Sinne gebraucht, dass die Eigenschaften der gesamten Relation die Summe der Eigenschaften ihrer Relate übersteigen,109 dann ist zwar gegen die Verwendung des Emergenzbegriffs an sich nichts einzuwenden. Aber in diesem Fall ist „Emergenz“ auch nichts anderes als ein Synonym für „interne Relationalität“. „Emergenz“ wird aber nun oft noch anders gebraucht, nämlich als ein Begriff, der es erlauben soll, im Rahmen einer reduktionistischen Ontologie die Entstehung des Mentalen aus dem Materiellen zu erklären. Fazit: Zwar kann der Terminus der Emergenz in einigen seiner begrifflichen Bedeutungen in der Naturphilosophie verwandt werden und mag dort auch zur Kommunikabilität mit der Theologie beitragen, aber gleichzeitig führt dieser Terminus auch wegen weiterer begrifflicher Gehalte zu einer Reihe von Missverständnissen, die seine positive Verwendung besser ausschließt. 107 Vgl. Boost, M., Naturphilosophische Emergenz, 25–130. 108 Vgl. Clayton, P., Mind and Emergence; Clayton, P., The Re-Emergence of Emergence. Eine radikale Verwerfung des Ansatzes von Clayton bietet Mutschler, H.D., Von der Form zur Formel, 142f. 109 Dieses Minimalverständnis von Emergenz verbindet sich vor allem mit Broad, C.D., The Mind and its Place in Nature, 87: ‘Put in abstract terms the emergent theory asserts that there are certain wholes, composed (say) of constituents A, B, and C in a relation R to each other; that all wholes composed of constituents of the same kind as A, B, and C in relations of the same kind as R have certain characteristic properties; that A, B, and C are capable of occurring in other kinds of complex where the relation is not of the same kind as R; and that the characteristic properties of the whole R(A,B,C) cannot, even in theory, be deduced from the most complete knowledge of the properties of A,B, and C in isolation or in other wholes which are not of the form R(A,B,C).’ Zur Interpretation vgl. Boost, M., Naturphilosophische Emergenz, 44–62.

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In Kap. 4.5.5 erwähnten wir, dass die Veränderungen, die wir gegenwärtig in der Evolutionstheorie hin zu einer neuen, erweiterten Theorie beobachten, den Umbrüchen der Physik zu Beginn des 20. Jh. ähneln, als die Quantenphysik eine neue Stufe der Naturwissenschaft einleitete. Damals bedeutete die Aufgabe des Kausaldeterminismus des 19. Jh. durch die Quantenphysik eine Befreiung für die Theologie. Die Möglichkeiten für einen Dialog und für eine Interaktion von Physik und Naturphilosophie haben sich seitdem sehr verbessert.110 Wenn es stimmt, dass die Veränderungen innerhalb der Evolutionstheorie einschließlich der Nischenkonstruktion nun zu Beginn des 21. Jh. sich als genauso wichtig erweisen werden wie die Veränderungen in der Physik zu Beginn des 20. Jh., dann kann man sich davon eine weitere Stufe der Befreiung für die Theologie erwarten, da das Dialogpotential zwischen Biologie und Naturphilosophie sich ebenso dramatisch steigern dürfte. Es ist sogar möglich, dass der Autor dieses Buches und seine Gesprächspartner am CTI einen kleinen Teil dieser Entwicklung während ihrer inter- und transdisziplinären Forschungszeit in Princeton miterleben konnten. Es wäre nun leicht, dieses Buch mit einer Prognose über den Aufgang eines neuen und gesteigerten Dialogs zwischen Theologie und Evolutionsbiologie zu schließen, der durch die neuesten Veränderungen in der Evolutionstheorie einschließlich der Theorie der Nischenkonstruktion inauguriert wurde. Verglichen mit dem Neodarwinismus des 20. Jh. haben sich die Bedingungen drastisch verändert. Die zehn oben genannten Erwartungen und die vorgeschlagenen Wege, wie die Theologie der Biologie in neuer Weise begegnen kann, ist dabei sicherlich ein wichtiges Ergebnis der hier vorliegenden Forschung. Es wäre auch leicht – und ebenso wichtig – hinsichtlich der biologischen und theologischen Anthropologie weiter ins Detail zu gehen. Allerdings wollen wir einige Schritte weiter gehen, indem wir abschließend ein theologisches Modell auf der Basis der Schlüsselmetapher der Nischenkonstruktion vorstellen. Es mag sich dabei um ein riskantes Unternehmen handeln, aber auch um ein vielversprechendes. Bevor wir uns aber dieser Aufgabe widmen, ist es zunächst nötig, einige Anmerkungen zu einer einfacheren Überlegung anzustellen: zur ekklesiologischen Bedeutung eines Modells der Nischenkonstruktion.

5.4 Glaube als Nischenkonstrukteur – Die ekklesiologische Bedeutung der Nischenkonstruktion Christlicher Glaube ist keine individualistische Sache, sondern eine personale und daher immer auch eine kommunitäre. Im strikten Verständnis ist dabei 110 Eine kurze Einführung in die Geschichte des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften bietet Schwarz, H., 400 Jahre Streit um die Wahrheit.

Glaube als Nischenkonstrukteur

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die Kirche die Gemeinschaft der Glaubenden, d. h. die Gemeinschaft derjenigen Personen, die sola gratia in Hoffnung auf Vollendung restituiert sind. Es handelt sich also um eine Gemeinschaft der Heiligen – denn jeder Getaufte ist ein Heiliger –, die zwar zurechtgebracht, aber noch nicht vollendet ist: Auch die Kirche ist simul iusta et peccatrix, zugleich Gerechte und doch Sünderin. Die sichtbaren Institutionen der Kirche sind dabei Institutionen der Kommunikation des Evangeliums, d. h. es handelt sich um Institutionen der Kommunikation des Glaubens, nicht um Institutionen des Glaubens selbst. „Wahrhaft zu glauben“ kann daher kein sinnvolles Kriterium der Kirchenzugehörigkeit sein, zumal niemand, nicht einmal der partikular Glaubende selbst, richtend darüber entscheiden kann, ob und in welcher Weise er selbst glaubt. Das sichtbare Zeichen, ob eine Gemeinschaft eine Kirche ist oder nicht, kann daher weder im Lehrstatus noch im ethischen Status ihrer Mitglieder bestehen, sondern lediglich in der Tatsache, dass Glaubenskommunikation geschieht. Die Kirche ist eine Gemeinschaft der Kommunikation des Evangeliums und als solche eine Bildungsgemeinschaft111 und eine Orientierungsgemeinschaft. Nun sind aber christliche Kirchen nicht die einzigen sichtbaren Gemeinschaften, in denen Charakterbildung geschieht, und sie sind nicht die einzigen Gemeinschaften, die Orientierung in der postmodernen Lebenswelt bereitstellen. Christliche Kirchen sind immer auch Teil eines religiösen Systems einer gegebenen Gesellschaft und natürlich auch Teil der Gesellschaft selbst. Die weitere Gesellschaft kann damit als die Umwelt bezeichnet werden, in der die Lebensform der Kirche sich entwickelt. Eine entscheidende Frage lautet dabei: Wie und durch welche begrifflichen Mittel sollen wir die Beziehung zwischen den Kirchengemeinschaften und der weiteren Gesellschaft verstehen? Nun sind sowohl die begrifflichen Mittel als auch die Antworten selbst auf diese Frage im Kontext der Ekklesiologie vielfältig. Man kann allerdings einige radikale Antworttypen finden: Auf der einen Seite des Spektrums gibt es die Auffassung, die empirische Gemeinschaft der Kirche sollte ihrer dogmatischen Bedeutung möglichst deutlich entsprechen. In diesem Fall verstehen sich die Mitglieder der empirischen Kirchen, um die es geht, als einen besseren Teil der Gemeinschaft oder der Gesellschaft. Die Kirche hat dann nicht die Aufgabe sich der weiteren Gesellschaft anzupassen oder diese Gesellschaft als Ganze zu verbessern. Eher wird die Kirche dann, in der Regel in postliberaler Begrifflichkeit ausgedrückt, als Kontrastgesellschaft112 verstanden. Auf der anderen Seite des Spektrums findet sich die Meinung, dass jede Gesellschaft aus verschiedenen Subsystemen besteht, die Leistungen für die Gesellschaft als Ganze erbringen. Zu diesen Subsystemen gehört das politische System, die Ökonomie, der akademische Bereich des Erwerbs und der 111 Für einen detaillierteren Entwurf zur Ekklesiologie vgl. Schwçbel, C., Kirche als communio. 112 Vgl. z. B. Hauerwas, S., Community of Character, 128.

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Verteilung von Wissen und das religiöse System, das Handlungsorientierung sowohl für individuelles als auch soziales Handeln kommuniziert.113 Aus dieser Sicht lebt die Kirche nicht für sich selbst, sondern für eine weitere Gesellschaft, indem sie Mittel zum Verständnis des Lebens in der konfessionellen Pluralität im Diskurs mit anderen Religionen und Quasireligionen bereitstellt. Aber nicht nur Theologen beschäftigen sich mit Ekklesiologie, sondern auch Wissenschaftler, die im Bereich der sogenannten Cognitive Sciences of Religion arbeiten, stellen Fragen, die einen engen Bezug zur Ekklesiologie haben, meist, indem sie einen evolutionären Interpretationsrahmen voraussetzen. Die Fragen, ob und in welchem Sinne zu glauben, Teil einer institutionalisierten Kirche zu sein oder in welcher Weise konfessionelle Differenzen einen Beitrag zur evolutionären fitness einer Religion oder einer Gesellschaft leisten, sind typischerweise solche Fragen, die hier im Mittelpunkt stehen. Die unterschiedlichen Arten und Weisen, die Kirche mit der Gesellschaft in Beziehung zu setzen, wie sie im Bereich der Theologie geschehen, müssen dabei nicht notwendigerweise mit diesen evolutionären Fragestellungen der CSR in Konflikt geraten. Wenn aber z. B. der evolutionäre Zugang von einer sog. Soziobiologie la Wilson114 getrieben wird, ist ein Konflikt zwischen den theologischen und den evolutionären Zugängen das einzig mögliche Resultat, da die Soziobiologie, indem sie Mechanismen des klassischen Neodarwinismus als Paradigmen für Gesetze der Gesellschaft, der Ethik und der Religion ausgibt, selbst eine Quasireligion ist, die Wahrheitsansprüche über die Natur, den Ursprung und das Geschick des Menschen beinhaltet. Viele Kennzeichen, die diese konfligierenden Probleme verursachen, beruhen dabei aber nicht nur auf den spezifischen Kennzeichen der Soziobiologie, die ja als Quasireligion nicht als Wissenschaft bezeichnet werden kann – wie z. B. Dawkins’ Meme-Theorie –, sondern ergeben sich tatsächlich aus dem klassischen Neodarwinismus und Adaptionismus. Falls es gerechtfertigt ist, biologische Mechanismen auf soziologische Realitäten zu übertragen, und falls die Evolutionstheorie tatsächlich auf einem einzigen Vererbungssystem beruhen würde, und falls Veränderungen auf lange Sicht nur verstehbar wären als monokausale Adaptionen, dann wäre jedes mögliche theologische Selbstverständnis der Kirche, mit dessen Hilfe sie sich auf die Gesellschaft bezieht, notwendigerweise falsch. Nun ist der Neodarwinismus gegenwärtig aber auf dem Weg, in eine erweiterte Evolutionstheorie einschließlich Nischenkonstruktion transformiert zu werden. Und damit ergeben sich neue Wege, das Verhältnis zwischen der weiteren Gesellschaft und der Kirche zu verstehen. Wege, die nicht nur neue Einsichten gewähren mögen, sondern die auch für das ekklesiologische Selbstverständnis der Kirche genutzt werden können. 113 Diese Weise der Gesellschaftsdistinktion wird v. a. von Eilert Herms genutzt, z. B. in Herms, E., Kirche in der Zeit. 114 Vgl. Wilson, E.O., Sociobiology.

Glaube als Nischenkonstrukteur

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Wenn die kommunitäre Lebensform des Glaubens – die Kirche – nicht nur ihre eigenen Medien des kulturellen Vokabulars zur Kommunikation des Evangeliums hervorbringt – wie Gottesdienste, Kirchenmusik, religiöse Kunst etc. – und wenn diese sozialen Ausdrücke des Glaubens nicht nur bei der Konstruktion von Gemeinschaften eine Rolle spielen, die den adaptionellen Bedürfnissen einer Gesellschaft entsprechen, dann kann auch der Glaube so verstanden werden, dass er seine eigene Nische konstruiert – eben indem er die Gesellschaft als Ganze mehr oder weniger verändert, selbst wenn das nicht intendiert sein mag. Was sind also die Konsequenzen, wenn man Nischenkonstruktion als ein Modell des Verständnisses der Beziehung zwischen Kirche und ihrer sozialen Umwelt versteht? 1. Evolutionäre Zugänge und ekklesiologische Zugänge würden nicht mehr notwendigerweise in Konflikt geraten, da die Theorie der Nischenkonstruktion offener ist und nicht so sehr auf ihre primären Begriffe restringiert ist. Nischenkonstruktion ist eine Naturwissenschaft, die durch Einsichten der Naturphilosophie geformt ist, während die sogenannte Soziobiologie selbst eine Naturphilosophie ist, die stark von quasireligiösen Voraussetzungen konditioniert ist. 2. Innerekklesiologische Konflikte verschwinden in diesem Falle: Durch die Mittel der Nischenkonstruktion stehen die Absichten einiger postliberaler Theologen, die Aufgabe der Kirche so zu verstehen, dass sie zu einer eigenen Lebensform einen Beitrag in Konkordanz zur Geschichte des Evangeliums leistet, nicht länger in antagonistischer Spannung mit den Absichten einer öffentlichen Theologie, die die Kirche in einer positiven Beziehung mit anderen funktionalen Bereichen der Gesellschaft sieht: Indem sie eine strukturierte und institutionalisierte Lebensform für ihre Mitglieder bereitstellt, ändert die Kirche auch immer die Umwelt und damit andere soziale Systeme. 3. Wissenschaftler, die im Bereich der CSR arbeiten, erhalten neue Fragestellungen. Die Hauptfrage kann nicht länger in der Frage nach der adaptionalen Funktion einer besonderen Art des Glaubens bestehen, sondern hier wäre zu fragen, auf welche Weise besondere Glaubensgemeinschaften ihre Umwelt, d. h. ihre weitere Gesellschaft, verändern. 4. Für die kirchengeschichtliche und kybernetische Arbeit ergibt sich ein neues Interpretationswerkzeug. Kirchen, die bessere Nischenkonstrukteure sind, haben bessere Voraussetzungen, lebendig zu sein. Ein Beispiel: Nach dem ersten Verfassungszusatz der USA erscheint Religion als eine höchst individualistische Angelegenheit, zumindest auf den ersten Blick. Es gibt keinen öffentlichen Vertrag, durch den der Staat als Dienstleistung für die Kirche die Mitgliedsbeiträge der Kirchen erheben würde, so dass die Kirchen ihre eigenen Finanzsysteme hervorbringen müssen. Nun zeigt sich aber, dass in vielen Fällen gerade dieser individualistische Zug der Gesellschaft als Ganzer zu einem hohen Grad an Nischenkonstruktion geführt hat, der nicht individualistische, sondern kommunitäre Züge gefördert hat: Das Leben einer Gemeinde beschränkt sich etwa nicht nur auf den Gottesdienstbesuch, son-

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Das dreieinige Leben, Nischenkonstruktion und Nischenrezeption

dern schließt ein weiteres Feld sozialer Aktivitäten mit ein. In Deutschland jedoch gibt es Staatskirchenverträge, die die Möglichkeit einschließen, dass die Kirchen ihre Finanzen durch Inanspruchnahme der Dienstleistung des öffentlichen Steuersystems organisieren. Damit ist die Religionsfreiheit keinesfalls reduziert, sondern es handelt sich nur um eine andere Form der Ausgestaltung der Religionsfreiheit, in einer zumindest formell oder nominell mehr kommunitären Art und Weise, da nicht jede partikulare Kirchengemeinde ihr eigenes Finanzsystem hervorbringen muss. Erstaunlicherweise haben aber die Effekte oft zu einer reduzierten Nischenkonstruktion geführt: Partikulare Kirchen sind nicht gezwungen, kreative Gelegenheiten für soziale Kommunikation hervorzubringen. Oft wird dabei die zweimalige Teilnahme an einem Gottesdienst pro Jahr – oder auch nur die Inanspruchnahme von Kasualien – zur Regelform der sozialen Gestalt der Kirchenmitgliedschaft. Der Effekt besteht also in einer Tendenz zu einem individualistischeren Verständnis des Glaubens, das sogar dazu führt, dass viele sich am kirchlichen Finanzsystem durch Zahlung von Mitgliedsbeiträgen beteiligen, ohne eine explizite christliche Identität zu beanspruchen. 5. Modelliert man das kirchliche Leben mithilfe der Schlüsselmetapher der Nischenkonstruktion, kommen normative theologische und deskriptiv-empirische Fragen mitnichten in einen Konflikt: Kirchen, die bessere Nischenkonstrukteure sind, sind nicht auch automatisch bessere Institutionen zur Evangeliumskommunikation. Eine erfolgreiche Nischenkonstruktion kann auch mit dem Verfall der Ausführung der genuinen Aufgabe der Kirche einhergehen. 6. Hinsichtlich der Missionswissenschaft kann Nischenkonstruktion helfen, bestimmte Missverständnisse zu verhindern. Tatsächlich zeigt die Geschichte der sichtbaren Kirchen, dass eine erfolgreiche Nischenkonstruktion nur allzu oft mit einem Verlust der christlichen Identität einhergeht. Die Folge davon war, dass der Ausdruck „Mission“ heute oft in einem kolonialistischen Rahmen missverstanden wird: als aktive Anstrengung, Fremde zu Kirchenmitgliedern zu machen. Theologisch ist dies jedoch keine menschenmögliche Handlung, weder für partikulare Personen noch für Kirchen. Da die Kirche nichts anderes ist als die Gemeinschaft, die Vertrauen auf die Verheißung kommuniziert, und da das Zustandekommen dieses Vertrauens auf einer Kooperation von Menschen und Heiligem Geist beruht, kann keine menschliche Institution in der Lage sein, Glaube zu produzieren. „Mission“ im eigentlichen Sinne meint daher, Zeugnis über die eigenen Gewissheiten durch unterschiedliche Kommunikationsformen abzugeben, einschließlich der Form der Kommunikation durch non-verbales Handeln und Verhalten, ohne den Erfolg dieses Zeugnisses zu suchen. Diese eigentliche Bedeutung von „Mission“ einschließlich ihres (nur) scheinbar paradoxen Effekts, dass Glaube gerade dort erscheint, wo das Zeugnis nicht intentional den Glauben von anderen hervorbringen will, kann mithilfe der Nischenkonstruktion verstanden werden.

Schöpfung und Vollendung als Nischenkonstruktion

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Diese kurzen Anmerkungen zum ekklesiologischen Horizont der Nischenkonstruktion mögen an diesem Punkt genügen. Wir kommen nun zu unserer letzten Aufgabe:

5.5 Schöpfung und Vollendung als Nischenkonstruktion 5.5.1 Illingworth, Teilhard de Chardin und Theißen als Nutzer evolutionär-theologischer Modelle Ist es möglich, die Beziehung zwischen Gott und Welt in ihrer prozedierenden, narrativen Weise als eine Art von Nischenkonstruktion zu verstehen? Kann die Heilsgeschichte als Nischenkonstruktion und -rezeption modelliert werden? Um noch einen Schritt weiter zu gehen: Können Schöpfung und Vollendung als Nischenkonstruktion und -rezeption verstanden werden? Auf den ersten Blick scheinen Fragen wie diese spekulativ zu sein oder den Unterschied von Naturwissenschaft und Theologie zu verwischen. Nun zeigt aber die Geschichte des Dialogs zwischen Evolutionsbiologie und Theologie, dass genau dies ein Vorurteil sein dürfte. Um dies zu zeigen, wählen wir drei Beispiele für evolutionäre Modelle innerhalb der Theologie aus drei unterschiedlichen Epochen: dem Ende des 19. Jh., der ersten Hälfte des 20. Jh. und aus den 1980er Jahren zur Hochzeit des Neodarwinismus. a) Die anglikanischen lux-mundi-Theologen, besonders John Illingworth, versuchten bereits 1895 evolutionäre Begriffe für die Theologie fruchtbar zu machen, z. B. im Rahmen des Verständnisses der Inkarnation des Sohnes: ‘Now in scientific language, the Incarnation may be said to have introduced a new species into the world—a Divine man transcending past humanity, as humanity transcended the rest of the animal creation, and communicating His vital energy by a spiritual process to subsequent generations of men.’115

Illingworths Modellbildung der Christologie mithilfe evolutionärer Begrifflichkeit war vom Verständnis der Evolution seiner Zeit gespeist. Dabei handelt es sich um ein Verständnis von Evolution, das nicht mehr das der Gegenwart ist. So besteht eine seiner Grundannahmen darin, dass erfolgreiche Entwicklungen in der Evolution beständig sind – was tatsächlich nicht der Fall sein muss. Dennoch ist Illingworths Beispiel signifikant, denn es ist ein Beispiel eines eindeutig theologischen Gebrauchs evolutionärer Metaphern – und ebenfalls ein Beispiel für die inhärente Fallibilität aller Modellbildung. b) Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel für ein theologisches Schlüsselmodell auf Basis evolutionärer Begrifflichkeiten dürfte in der Theologie Pierre Teilhard de Chardins bestehen. Teilhards Grundgedanke besteht darin, 115 Illingworth, J.R., Incarnation and Development, 151f.

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dass Evolution als ein emergenter Prozess gesehen wird und dass die Offenbarungsgeschichte als Ganze durch diesen hierarchischen Prozess gesteuert wird: Der Prozess der Evolution ist die Heilsgeschichte. Die Biosphäre erschien aus der abiotischen Materie, aus der Biosphäre erschien die Noosphäre und die finale evolutionäre Stufe besteht in der Christosphäre. Diese wurde zum ersten Mal in der historischen Person Jesu Christi verwirklicht, aber es ist die Bestimmung der ganzen Schöpfung, vollendet zu werden, und dies bedeutet die Transformation in Christus. Das Ende der Evolution ist somit die Christogenese der ganzen Schöpfung. Dabei handelt es sich um eine Anwendung des Transsubstantiationsgedankens auf die gesamte Schöpfung durch evolutionäre Mittel: ‘“Consider, still from the Catholic-Christian point of view, what happens when we go to communion. […] All the communions of our life are, in fact, only successive instants or episodes in one single communion—in one and the same process of Christification. Even this is not the whole story. […] To put it briefly, to adhere to Christ in the eucharist is inevitably and ipso facto to incorporate ourselves a little more fully on each occasion in a Christogenesis, which itself (and it is in this […] that the essence of Christian faith consists) is no other than the soul of universal cosmogenesis.”116 “Objections have […] been raised […] to this final identification of cosmogenesis with a Christogenesis. It has been said that all this may well mean that the human reality of Jesus Christ is lost in the super-human and vanishes in the cosmic. Nothing, I believe, is more baseless that such doubts. The more, indeed, we think about the profound laws of evolution, the more convinced we must be that the universal Christ could not appear at the end of time at the peak of the world, if he had not previously entered it during its development, through the medium of birth, in the form of an element. If it is indeed true, that it is through Christ-Omega that the universe in movement holds together, then, correspondingly, it is his concrete germ, the Man of Nazareth, that Christ-Omega […] derives his whole consistence, as a hard experiential fact.”117 “[…] Supposing […] the universal-Christ assumes the place and fulfils the function of Omega Point: we shall then find that a warm light spreads from top to bottom and over the whole cross section of the cosmic layers, rising up from the nethermost depths of things. With cosmogenesis being transformed […] into Christogenesis, it is the stuff, the main stream, the very being for the world which is now being personalized. Someone, and no longer something, is in gestation in the universe. To believe and to serve was not enough: we now find that it is becoming not only possible but imperative literally to love evolution. […] love of evolution is not a mere extension of love of God to one further object. It corresponds to a radical reinterpretation […] of the notion of charity. “Thou shalt love God.” “Thou shalt love thy neighbour for the love of God.” In its new form, “Thou shalt love God in and

116 Teilhard de Chardin, P., Christianity and Evolution, 166. 117 Teilhard de Chardin, P., Christianity and Evolution, 181.

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through the genesis of the universe and of mankind”, this twofold gospel commandment is synthesized into a single meaningful act […].”’118

Diese Art der hierarchischen Entwicklung ist nichts, das man mit den Mitteln der Evolutionstheorie zu Teilhards Zeiten hätte behaupten können. Dennoch liefert Teilhard ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Theologie, Philosophie und Evolutionstheorie Modelle für ontologische Denksysteme liefern können. c) Gut ein Jahrhundert nach Lux mundi nutzte der deutsche, protestantische Neutestamentler Gerd Theißen die klassische neodarwinistische Theorie zur Modellierung der Christologie. Interessant am Beispiel Theißens ist dabei nicht nur, dass evolutionäre Sprache verwandt wird, um christologische Einsichten ausdrücken zu können, sondern auch, dass sich Theißen bewusst ist, dass diese theologischen Einsichten mit dem neodarwinistischen Zugang konfligieren. Er nutzt daher die evolutionäre Terminologie nicht einfach, um die Christologie zu verstehen, sondern auch um zeigen zu können, wie der christliche Glaube ein Protest gegen das auf natürliche Weise Offensichtliche ist, so dass Christus und die Glaubenden den Neodarwinismus als eine angemessene Erklärung der Wirklichkeit transzendieren. Er versteht Christus metaphorisch als eine „Mutation“, die einen Protest gegen den Selektionsdruck als ein universales Gesetz der Wirklichkeit darstellt: „Menschliche Geschichte ist eine Kette von ,Mutationen‘, von Neuanfängen, Innovationen und Varianten, von denen nur wenige Stabilität und geschichtliche Wirksamkeit erlangen. Das Problem besteht nicht darin, zu zeigen, daß Jesus eine Art ,Mutation‘ ist, sondern darin, daß diese Auffassung von Jesus die Möglichkeit zuläßt, in ihm das Erscheinen von etwas bleibend Gültigem zu sehen.“119 „Die christologische Mutationsmetaphorik integriert alle drei Elemente eines kritischen modernen Bewußtseins: Relativismus, Bedingtheit und Immanenz – und schließt doch gleichzeitig die Möglichkeit einer das Leben fördernden, unableitbaren und offenbarenden ,Mutation‘ nicht aus, ohne diese allgemeine Möglichkeit als Wirklichkeit behaupten zu können oder zu wollen. Eben das tut das Neue Testament. Es geht über das hinaus, was wir als allgemeine Möglichkeit ahnen und vermuten können. Es behauptet, daß tatsächlich eine entscheidende ,Mutation‘ eingetreten sei, mit der eine neue Welt begonnen hat.“120 „Nach neutestamentlicher Überzeugung geschah in Jesus nicht nur ein Neuansatz neben anderen, sondern die entscheidende Wende von einer unheilvollen Welt zu einer neuen Schöpfung. Hier muß die christologische Mutationsmetapher an ihre Grenzen stoßen. Mutationen geschehen immer wieder. Es scheint Willkür zu sein, einer von ihnen einen entscheidenden Platz einzuräumen – es sei denn, man hat eindeutige Kriterien für ihre Sonderstellung. Solche Kriterien können sich nur aus dem Inhalt dessen ergeben, was Jesus vertreten hat. Der Inhalt der Verkündigung Jesu stimmt mit der Tendenz überein, die in der ganzen kulturellen 118 Teilhard de Chardin, P., Christianity and Evolution, 184. 119 Theissen, G., Evolutionäre Sicht, 136. 120 Theissen, G., Evolutionäre Sicht, 143.

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Evolution zu beobachten ist, einer Tendenz zur Selektionsminderung, die in der biblischen Religion zum Protest gegen die Härte des Selektionsprinzips gesteigert wird – im Glauben, daß man nur so der zentralen Wirklichkeit gerecht wird. In Jesus offenbart sich dieselbe zentrale Wirklichkeit. Ihr Widerspruch gegen das Selektionsprinzip nimmt schroffe Formen an.“121 „Jesus zielt somit auf eine größere Freiheit gegenüber dem natürlichen und sozialen Selektionsdruck. Er spricht auch den Menschen Lebensmöglichkeiten zu, die physisch und sozial verringerte Lebenschancen haben. Seine Verkündigung ist ein Protest gegen das Selektionsprinzip.“122 „Urchristlicher Glaube bringt dagegen seinen antiselektionistischen Protest am klarsten im Glauben an die Auferstehung des Gekreuzigten zum Ausdruck. Hier wird der Ohnmächtige als Weltenherr proklamiert, das Opfer als Priester, der Verurteilte als Richter, der Ausgestoßene als Mitte der Gemeinschaft. Was in der Selektion durch den Tod als dysfunktional ausgeschieden wäre –, hier wird es zum Ansatzpunkt einer neuen Entwicklung und zur Grundlage unbedingter Motivation zum Leben.“123

Diese drei unterschiedlichen Modelle illustrieren nicht nur die Tatsache, dass es zumindest möglich ist, evolutionäre Modelle in der Theologie zu gebrauchen. Sie illustrieren ferner auch, dass bei dieser Modellbildung drei Dinge geschehen: 1. Werden evolutionäre Modelle in der Theologie benutzt, ändern sich dadurch sowohl theologische als auch evolutionäre Einsichten. 2. Evolutionäre Modelle sind fallibel und abhängig vom jeweiligen Stand der Evolutionsbiologie. 3. Die drei Modelle sind ebenso von theologischen Entscheidungen ihrer Autoren abhängig, die weder von der traditionellen Theologie noch von der Evolutionsbiologie getragen sind, sondern von eigenen konzeptionellen Entscheidungen. Gerade hinsichtlich dieses dritten Punktes ist es faszinierend zu sehen, dass diese drei Modelle vollständig unterschiedliche Behauptungen ausdrücken. Illingworth benutzt das Modell zur Erklärung der Inkarnation in einer Art und Weise, die sein Interesse an der Unterscheidung der Menschen von anderen Tieren zum Ausdruck bringt, und um eine Art immanenter Transzendenz Christi ausdrücken zu können. Während das letztere ein genuin christliches Interesse darstellt, ist ersteres eine nicht-empirische Überzeugung Illingworths, die mehr an seine Zeit als an Erfordernisse der christlichen Theologie gebunden ist. Teilhard nutzt den Begriff der Evolution in einer sehr optimistischen Weise. Die Evolution wird hier nicht nur als ein Teil der Natur oder Schöpfung verstanden, sondern sie ist ein sakramentales Heilsmittel, das zu einer spezifischen Form von Ethik einschließlich einer kreativen Interpretation des Doppelgebots der Liebe führt. An eine optimistische Weltentwicklung zu glauben, ist jedoch kein Erfordernis des christlichen Glaubens. Dies wird vollends klar, wenn man sieht, wie Theißen im Gegensatz zu Teilhard neodarwinistische Begrifflichkeiten nutzt. Er zieht keine Analogie zwischen der Evolution und der Heilsgeschichte, 121 Theissen, G., Evolutionäre Sicht, 143f. 122 Theissen, G., Evolutionäre Sicht, 148. 123 Theissen, G., Evolutionäre Sicht, 151.

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sondern eine Analogie zwischen der Evolution und der menschlichen Gefallenheit einschließlich des Gesetzesverständnisses in protestantischer Tradition. Das Ergebnis ist, dass Christus zwar als Mutation modelliert werden kann, aber als eine, die die Gesetzmäßigkeiten des Neodarwinismus in einer konfligierenden Weise überschreitet, ähnlich wie das Evangelium von einigen Theologen als mit dem Gesetz konfligierend verstanden wurde. Diese eher pessimistische Sicht auf das neodarwinistische Evolutionsverständnis – Selektion kann kein Mittel der Erlösung sein – wird von einem eher optimistischen Verständnis des Protests gegen den Selektionsdruck übertroffen. Aber auch hier zeigt sich im historischen Abstand von einigen Dekaden, dass die erlösende Funktion des Protests besser zum öffentlichen Zeitbewusstsein in Deutschland zwischen 1969 und den 1980ern passt als zu traditionellen christlichen Interessen. Dabei entsteht noch ein anderes Problem: Was geschieht, wenn sich die modellspendende Metapher verändert? Das, was Theißen nur der kulturellen Evolution, nicht aber der biologischen Evolution zuschreibt – eine Veränderung und manchmal auch Abschwächung des Selektionsdrucks –, wird heute als Teil der biologischen Evolution selbst gesehen, beispielsweise in Gestalt der Theorie der Nischenkonstruktion. Faktisch ist Theißens Modell abhängig von einer aus der heutigen Sicht als unvollständig zu bezeichnenden Evolutionstheorie – zumindest, wenn man sie an einer erweiterten Theorie misst. Unter den neuen Bedingungen verliert aber die Rekonstruktion der traditionellen Dialektik von Gesetz und Evangelium mithilfe der Evolutionstheorie ein wenig an Plausibilität. Wir können nun für unsere eigene Modellbildung aus diesen Versuchen der Vergangenheit das Folgende lernen: 1. Modelle sind immer fallibel, denn sie nutzen naturwissenschaftliche Begriffe, die nicht notwendigerweise beständig sind. Wenn wir eine evolutionäre Theorie wie die der Nischenkonstruktion verwenden wollen, gilt es dieser Gefahr – und Herausforderung – immer eingedenk zu sein. Diese Fallibilität hat dabei einen zweifachen Charakter. Einerseits handelt es sich um eine epistemische Fallibilität: Gegenwärtige Einsichten in die Naturgesetze sind Rekonstruktionen und es ist nicht notwendig, dass diese mit den „wirklichen Naturgesetzen“ in Resonanz stehen. Andererseits ist eben dieser Ausdruck – der der „Naturgesetze“ – selbst problematisch: Die Rede von „Gesetzen“ gehört primär in den sozialen Bereich. Wird der Terminus auf den Bereich der Naturwissenschaften appliziert, dann handelt es sich um eine Metapher. Ist die Welt wirklich mit den ihr inhärenten, permanenten „Gesetzen“ von Anfang an geschaffen? Ist es beispielsweise sinnvoll, von Gesetzen oder Regeln der biologischen Evolution zu sprechen in Bezug auf Zeiten, zu denen es noch keine Organismen auf Planeten gab? M.E. ist diese Frage zu verneinen. Eine Alternative zu einem essentialistischen Verständnis der Naturgesetze ist ein statistisches Verständnis: „Gesetze“ der Natur und Regelmäßigkeiten sind statistische Abstraktionen von Wahrnehmungen und Beobachtungen, die die Wirklichkeit höchstens in einer asymptotischen Weise

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erfassen können.124 Sollte es nicht eher der Fall sein, dass diese Regularitäten und Regeln, die den Zufall in der Natur strukturieren – einschließlich der Gesetzmäßigkeiten nicht der Evolutionstheorie, sondern der Evolution selbst –, selbst Gegenstand der Entwicklung und Veränderung sein dürften, was schon C.S. Peirce vorschlug?125 Sollte dies stimmen, dann wären Einsichten einer bestimmten Evolutionstheorie nur passend zur Wirklichkeit zu einer bestimmten Zeit, während sie nicht notwendigerweise zur Realität in zukünftigen Zeiten passen müssen. Man kann noch einen Schritt weitergehen: Wenn es stimmt, dass die Naturgesetze in der Evolution selbst erscheinen und sich entwickeln, dann kann man sie auch als Gegenstand von Nischenkonstruktion sehen. Dann würde es sich bei der Theorie der Nischenkonstruktion um eine rekursive Theorie handeln. Da eine solche Entwicklung der basalen Regeln genauso wenig von den Naturwissenschaften studiert werden kann wie Behauptungen über den Status von Naturgesetzen nicht in den Bereich der Naturwissenschaften, sondern in den der Philosophie fallen, hat dieser Gedanke für uns mehr die Funktion einer regulativen Regel: Selbst wenn es keine epistemische Fallibilität im menschlichen Erkenntnisbemühen gäbe, kann es immer noch eine Art ontischer Fallibilität oder Revidierbarkeit geben, in dem Sinne, dass in einer radikal narrativen Welt auch die basalen Regeln der Veränderung Gegenstand der Veränderung sein können. Man wird also sagen müssen, dass die Verwendung evolutionärer Metaphern in der Theologie immer ein vorläufiges und rekursives Unternehmen bleibt. Im gegenwärtigen Dialog zwischen Theologie und den Naturwissenschaften wird der Gedanke der Veränderung der Naturgesetze selbst von einer spezifischen, charismatischen Gestalt der Theologie vertreten, um eine starke Form des speziellen Handelns Gottes ausdrücken zu können, besonders des Handelns des Heiligen Geistes.126 Aus theologischer Perspektive kann man nichts gegen die Vorstellung vorbringen, dass das Handeln des Geistes auch die Regularitäten der Welt verändern könnte und dass daher sehr viel mehr möglich sein kann, als man erwarten mag, solange diese Vorstellung nicht der dramatischen Kohärenz der Geschichte Gottes widerspricht, d. h. 124 Vgl. Polkinghorne, J., The Laws of Nature and the Laws of Physics, 439–431. 125 Peirce’ Begriff des Naturgesetzes ist Teil seiner Ontologie. Er versteht die Naturgesetzte ähnlich den Gewohnheiten als aus Kontingenz emergierend: ‘diversification is the vestige of chance spontaneity; and wherever diversity is increasing, there chance must be operative. On the other hand, wherever uniformity is increasing, habit must be operative […] laws are nothing but acquired habits, like all the regularities of mind, including the tendency to take habits; […] this action of habit is nothing but generalization’ (Peirce, C.S., Collected Papers, 6.267f.). ‘conformity with law is a fact requiring to be explained; and since law in general cannot be explained by any law in particular, the explanation must consist in showing how law is developed out of pure chance, irregularity and indeterminacy’ (Peirce, C.S., Collected Papers, 6.46). ‘Now the only possible way of accounting for the laws of nature and for uniformity in general is to suppose them results of evolution. It makes an element of indeterminacy, spontaneity, of absolute chance in nature’ (Peirce, C.S., Collected Papers, 6.13). Eine gute Einleitung in die Ontologie von Peirce bietet Mayorga, R.M.P.-T., From Realism to ‘Realicism’. 126 Vgl. Yong, A., Spirit of Creation, 102–132.

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solange Gottes Treue in Bezug auf sich selbst, die eine Implikation der Liebe ist, die Gott ist, gewahrt wird. Dies schließt allerdings nicht ein, dass spezifische Arten von Ereignissen, die man als Irregularitäten sehen mag, wie Wunder, Heilungen, vermeintliche Psi-Phänomene etc. mit dieser Art des befreienden Handelns des Geistes identifiziert werden könnten.127 Nur Dinge, die leiblich oder inkarniert sind, d. h. zu einer spezifischen Zeit an einem spezifischen Ort lokalisiert sind, können identifiziert werden. Der Geist ist aber nicht inkarniert, sondern konkarniert.128 Daher ist die automatische oder willkürliche Identifikation außergewöhnlicher Umstände und Ereignisse mit dem Handeln des Heiligen Geistes ein theologischer und religiöser Fehler, da eine falsche Identifikation des speziellen Handelns Gottes in der Welt nicht nur falsch, sondern auch sündhaft ist, so dass sie eine Form der Idolatrie darstellt.

2. Das Modell wird, sofern es nicht einfach in einer nicht kognitiven, illustrativen Art und Weise genutzt wird, mit gegenwärtigen Theologien, die sich in traditionellen Bahnen bewegen, konfligieren, wie es auch das, was von einem naturwissenschaftlichen Standpunkt allein gesagt werden kann, übertrifft. 3. Das Modell wird notwendigerweise ein konstruktives sein, d. h., es wird die besondere Theologie seines Autors reflektieren und nicht einfach eine „Natur“ oder ein „Wesen“ des Christentums – falls es so etwas geben mag. Wenn es aber stimmt, dass Theorien immer auf Modellen und Metaphern beruhen, dann kann es prinzipiell keinen universalen Konsens über die begriffliche, zweite Ebene des Theologiediskurses geben, mit Ausnahme, dass man auch hier darüber übereinkommen wird, dass es eine Notwendigkeit ist, dass die Geschichte des Evangeliums kommuniziert werden muss. Nun wird man aber zugeben müssen, dass keine dieser drei Einsichten einen Einwand gegen den Versuch der Modellbildung bedeutet. Viel eher illustrieren diese drei Punkte den faszinierenden Charakter der Modellbildung.

5.5.2 Gegenwärtige und eschatische Realität als Nischenkonstruktion und -rezeption Im 17. Jh. hatte der orthodoxe Lutheraner Johann Gerhard zwar eine sehr mutige Idee, die aber alles andere als „orthodox“ zu sein schien. Er verstand die eschatische Vollendung der Welt darin, dass Gott zur unmittelbaren Umwelt des Menschen würde. Allerdings verstand er nicht gleichzeitig auch die nichtmenschliche Schöpfung als wertvoll für Gott, unabhängig von ihrer präeschatischen Funktion für den Menschen. Konsequenterweise lehrte er die letztgültige Annihilation der Schöpfung, ohne dass allerdings das personale 127 Vgl. Yong, A., Spirit of Creation, 173–228. 128 Vgl. M hling, M., Liebesgeschichte Gott, 387–391.

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Sein (d. h. für Gerhard Menschen und Engel) davon betroffen wären. Konrad Stock beschreibt Gerhards Idee folgendermaßen: „In und mit der Vernichtung der Welt begründet Gott die Stetigkeit des menschlichen Heils; Gott selbst ersetzt die Welt für den Menschen. Im Bilde gesprochen: wie das himmlische Jerusalem ohne Tempel und Gebäude zu denken ist, und wie die Bewohner der heiligen Stadt Sonne und Mond entbehren können […], so wird für den eschatologisch identischen Menschen Gott selbst an die Stelle der Welt treten. Es tritt Gottes Ewigkeit an die Stelle welthafter Zeit; es tritt das Schauen Gottes an die Stelle andeutender und mittelbarer Erkenntnis; es tritt Heimat an die Stelle der Fremde; es tritt das Gegenwärtighaben Gottes an die Stelle der Verheißung. Gott selbst wird, indem er die Welt vernichtet, die Welt des Menschen. Er wird, indem er den Raum und die Zeit menschlichen Existierens aufhebt, selbst der Raum und die Zeit menschlichen Seins. Das ist der Sinn des eschatologischen Heils.“129

Gerhards Idee ist ambivalent. Einerseits geht er davon aus, dass es für Menschen möglich wäre, eine nichtleibliche Identität zu besitzen und er konnte den nichtmenschlichen und nichtengelischen Geschöpfen keinen eschatischen Wert zubilligen. In diesen Hinsichten wird man Gerhards Idee besser verwerfen. Andererseits schlug Gerhard gleichzeitig auch vor, dass Gott die letztgültige Umwelt der Geschöpfe sei, so dass seine Einsicht hier Inspiration für unser Modell der Nischenkonstruktion liefert. Obwohl eben diese Idee, dass Gott die letztgültige Umwelt für geschaffenes Sein darstellt, keine orthodoxe Einsicht auszudrücken schien, hat sie ihre Wurzeln doch in der Theologie der Reformatoren: „Ich gedenck im offt nach, sed non possum assequi illius obiectum, wo mit wir doch die zeith werden zupringen quia ibi nulla mutatio, nihil laboris […] cibi, potus et negotiorum. Jch halt aber, wir werden obiecta genug in Deo haben. […] Domine, ostende nobis Patrem, et sufficit nobis. Das wirdt vnser obiectum sein dulcissimum.“130

Gott als Umwelt seiner personalen Geschöpfe! Eben diese Perspektive, die Beziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung zu verstehen, kann mithilfe des Modells der Nischenkonstruktion ausgedrückt werden. Wie in der biologischen Nischenkonstruktion liefert die Umwelt offene Schleifen für die Entwicklung der Spezies. Das spezielle Handeln Gottes in der Schöpfung ist dann so zu verstehen, dass es offene Schleifen für geschaffene Kausalität, geschaffene Kontingenz und geschaffenes Handeln bereitstellt. Wie in der biologischen Nischenkonstruktion kann das Handeln Gottes – sein intentionales Handeln, wie es in der Perspektive des Glaubens wahrgenommen wird – als eine Art formative Kausalität verstanden werden. Da offene Schleifen durch geschaffene Aktivität geschlossen werden müssen, kann jedes 129 Stock, K., Annihilatio Mundi, 122f. 130 Luther, M., WA TR 3,695,15–21.

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Ereignis als Kooperation zwischen Schöpfer und Geschöpf verstanden werden. Wie in der narrativen Ontologie die Geschichte, die Gott selbst ist, den Rahmen für die verschiedenen Geschichten der Schöpfung darstellt und unser Ko-Autor-Sein der Geschichte zwischen Gott und Welt ermöglicht und beschränkt, so ermöglicht und beschränkt Gott als die letztgültige Umwelt der Schöpfung weltliche Möglichkeiten. Aber in der gleichen Weise, in der die göttliche Geschichte nicht unverändert durch die Schöpfung bleibt, sondern narrative Rezeptivität in sich selbst inkorporiert, illustriert die Metapher der Nischenkonstruktion die Tatsache, dass die göttliche Geschichte als Rahmen oder Umwelt unserer Geschichten und Prozesse rezeptiv ist und in einer spezifischen Weise verändert wird. Die mutige und vielleicht ein wenig abenteuerliche Idee des Modells der Nischenkonstruktion besteht darin, dass Gott nicht nur rein aktiv ohne jede Möglichkeit der Rezeptivität ist – wie im hellenistischen Theismus –, sondern dass in einem ganz spezifischen Maße die Geschöpfe auch durch ihre eigene Entwicklung die Identität, wenn nicht das Leben und Sein ihrer göttlichen Umwelt – also Gottes selbst – verändern. Ideen wie diese passen hervorragend zur theopaschitischen Einsicht, dass es einer aus der Heiligen Trinität ist, der leiblich am Kreuz gelitten hat.131 Sie passen auch zu Vorstellungen, die man aus der Prozessmetaphysik gewinnen mag und die darin bestehen, Gott als rezeptiv in seiner Folgenatur zu betrachten, die gleichzeitig eine Entwicklung hin zur Perfektion durchmacht.132 Die Vorstellung der Prozessmetaphysik, dass kein welthaftes Ereignis verloren geht, weil es im Gedächtnis Gottes erhalten bleibt,133 findet ihre Entsprechung in der Idee eines ökologischen Vererbungssystems der Nischenkonstruktion. Auch Pannenbergs Gedanke, dass die Wirklichkeit Gottes während der Geschichte ontisch strittig ist, weil das Sein Gottes nicht ohne die Herrschaft Gottes über die Geschichte zu denken ist, aber gleichzeitig die göttliche Autorität durch die Schöpfung bestritten wird (denn nicht jeder akzeptiert die Herrschaft des dreieinigen Gottes), passt zu der Vorstellung, dass Gott in seinem Sein und Werden durch die Prozesse der Welt affiziert ist wie die Umwelt durch die Spezies. Spätestens an diesem Punkt mag nun der erste ernste Einwand erscheinen: Impliziert dies nicht eine Form des Pantheismus? Vermischt dieses Modell nicht Schöpfer und Schöpfung? Die Antwort besteht darin, dass das Modell der Nischenkonstruktion in einer Weise entwickelt werden kann, die diese Gefahren vollständig vermeidet. Um dies zu zeigen, sind zunächst negative Analogien zwischen biologischer 131 Vgl. Beyschlag, K., Dogmengeschichte II/1, 149f. 132 Vgl. Whitehead, A.N., Process and Reality, 345: ‘The other side originates with physical experience derived from the temporal world, and then acquires integration with the primordial side. It is determined, incomplete, consequent, “everlasting”, fully actual, and conscious. […] The perfection of God’s subjective aim, derived from the completeness of his primordial nature, issues into the character of his consequent nature.’ 133 Vgl. Guntons Urteil in Gunton, C.E., Process Theology’s Concept of God, 294.

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Nischenkonstruktion und dem Gedanken Gottes als Umwelt der Geschöpfe zu nennen: Während biologische Nischenkonstruktion anfänglich oder inzeptiv sein kann, kann der kreatürliche Einfluss auf Gott nur reaktiv, rezeptiv oder folgend sein. Mithilfe dieser begrifflichen Mittel kann nun die klassische Schöpfer-Geschöpf-Distinktion modelliert werden. Auch hier ist ein Vergleich mit der Prozessmetaphysik hilfreich, gerade weil es dieser nicht gelingt, die Vermischung von Schöpfer und Schöpfung zu vermeiden: Die Urnatur Gottes ist hier pure, nicht-intentionale Kausalität.134 Gott ist dort zwar auch rezeptiv gedacht, aber nur hinsichtlich seiner Folgenatur, und auch nur in einer Weise, in der die Folgenatur als das Produkt der Nischenkonstruktion der Schöpfung verstanden werden könnte, denn es handelt sich im Falle des Prozessdenkens auch um eine inzeptive, anfängliche Nischenkonstruktion: Gott wird personal nur insofern sich personale Geschöpfe in der Schöpfung entwickeln, denn die Folgenatur ergibt sich aus der Multiplizität welthafter Ereignisse.135 Die Folgenatur ist also im Prinzip ein Effekt der Aufhebung der Welt in das Göttliche, weiter nichts. Ganz anders verhält es sich nun mit einer christlichen, narrativrelationalen Ontologie. Hier ist es umgekehrt: Nicht weil sich Personen in der Schöpfung entwickeln, wird Gott personal, sondern nur weil Gott in Ewigkeit dreipersonal ist, ist es auch möglich, dass sich in der Schöpfung personale Geschöpfe entwickeln. Der Unterschied kann auch auf andere Weise ausgedrückt werden: Der Gott des Prozessdenkens kann mit dem Modell der Nischenkonstruktion in einer invertierten Weise dargestellt werden: Anstelle die Geschöpfe mit den Organismen und die Umwelt mit Gott zu parallelisieren, kann man dort auch eine Analogie zwischen Gott und den Organismen einerseits und zwischen der Welt und der Umwelt andererseits ziehen: In der Prozessmetaphysik benötigt Gott die Welt, um Gott sein zu können. Die Welt ist notwendig und daher spielt sie die Rolle einer für Gott notwendigen Umwelt. In der trinitarisch narrativrelationalen Ontologie hingegen ist zwar Gott faktisch nicht ohne die Welt. Aber es wäre für Gott möglich gewesen, nicht irgendetwas zu schaffen, denn – hypothetisch gesprochen – Gott wäre auch eine Liebesgeschichte ohne die Welt. Wenn man diese Einsicht mithilfe der Nischenkonstruktion ausdrücken will, dann wird man sagen müssen, dass es der dreieinige Gott ist, der der ultimative Nischenkonstrukteur ist: Die trinitarischen Personen leben ihre eigenen Beziehungen, d. h. das göttliche Wesen der Liebe. Und dieses göttliche Wesen als Beziehungsgefüge kann als göttliche Umwelt selbst verstanden werden. M.a.W.: Gott kann präzise deswegen als ultimativer Nischenkon134 Vgl. Whitehead, A.N., Process and Reality, 345: ‘One side of God’s nature is constituted by his conceptual experience. This experience is the primordial fact in the world, limited by no actuality which it presupposes. It is therefore infinite, devoid of all negative prehensions. This side of his nature is free, complete, primordial, eternal, actually deficient, and unconscious.’ 135 Vgl. Whitehead, A.N., Process and Reality, 349.

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strukteur bezeichnet werden, weil es nur Gott selbst ist, bei dem sich die Unterscheidung zwischen Nischenkonstrukteur und Umwelt egalisiert: Gott ist seine eigene Umwelt. Da in der Biologie eine Nische definiert ist als Summe der selektiven Einflüsse, kann im theologischen Modell der Nischenkonstruktion eine Nische definiert werden als die Summe der wesentlichen Einflüsse von anderen Relaten. Dann gilt: Im Falle der Prozessmetaphysik wäre die Welt tatsächlich die notwendige Nische des Göttlichen, während es in der relational-narrativen Theologie keine Zwänge außer dem göttlichen Leben der Liebe gibt: Gott ist seine eigene „Nische“. Fassen wir diese Argumente zusammen: Die Distinktion zwischen Schöpfer und Geschöpf kann im Modell der Nischenkonstruktion bewahrt werden. Es gibt keine Vermischung von Schöpfer und Geschöpf, aber eine Interaktion ist möglich. Insofern es nun aber tatsächlich eine konkrete Schöpfung gibt, kann das Modell der Nischenkonstruktion in einer noch fruchtbareren Weise angewandt werden: – Da die Inkarnation Christi bezeichnet, dass die Identität der Schöpfung die Identität des Göttlichen affiziert, – und da Christi Inkarnation eine Wirklichkeit in der Welt seit Anbeginn der Schöpfung ist (denn in Jesus von Nazareth ist der logos der Schöpfung – die Regel, in der die Schöpfung ursprünglich gemacht ist – sichtbar), – wird Gott durch die Nischenkonstruktion seiner Kreaturen affiziert. Dennoch ist auch hier die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf erhalten: Auch in dieser Hinsicht gibt es keine inzeptive oder anfängliche Nischenkonstruktion von geschaffenen Handelnden. Genauso wie biologische Nischenkonstruktion nicht notwendigerweise immer fruchtbar sein muss, sondern auch zu Konsequenzen führen kann, die das vollständige System zwischen Umwelt und Organismus stören oder zerstören, können die personalen Geschöpfe sowohl ihre geschaffene Nische und sich selbst stören oder zerstören. Der Begriff der geschaffenen Nische meint, dass ein Relat zum Rest der Schöpfung relationiert ist; letzteres ist dann die geschaffene Nische. Auch Geschöpfe sind Nischenkonstrukteure, aber nur in einer Weise, die der ultimativen Nischenkonstruktion des dreieinigen Gottes dergestalt resoniert, dass im Falle der Geschöpfe Nischenkonstruktion immer an vorgängige Nischenrezeption gebunden ist. Drückt man die klassische Lehre von der imago dei in diesem Modell aus, dann wird man sagen müssen, dass zum Bilde Gottes geschaffen zu sein, sich mitnichten auf eine Repräsentationsbeziehung bezieht, sondern auf eine Resonanzbeziehung: Menschen resonieren Gott, indem sie ihre eigenen Nischen erhalten und gestalten. Gleichzeitig hat aber die resonierende Nischenkonstruktion Effekte für das Erhalten und Gestalten der geschaffenen Nischen anderer Geschöpfe und sie hat ebenfalls eine resonierende Rückkoppelung für die göttliche Nischenkonstruktion. Versteht man die imago dei auf diese Weise, bedeutet dies, die

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imago in einer nicht unterscheidenden Weise zu verstehen: Die imago dei als eine Resonanz göttlicher Nischenkonstruktion in der Schöpfung drückt aus, was für den Menschen „wesentlich“, d. h. notwendig, ist. Aber dieses „Wesen“ unterscheidet den Menschen nicht von anderen Spezies. Da eine geschaffene Nische immer Geschöpflichkeit voraussetzt, gibt es im theologischen Sinne keine inzeptive oder anfängliche Nischenkonstruktion und jede geschaffene Nische ist in Bezug auf die göttliche Umwelt reaktiv. Nischenrezeption kommt vor Nischenkonstruktion. Das theologische Modell der Nischenkonstruktion ist damit ein nicht-konstruktivistisches Modell in dem Sinne, dass die Realität immer vorgängig ist. Dann gilt auch: Die Zurückweisung der eigenen Rolle als eines nur reaktiven Nischenkonstrukteurs und der Versuch, ein inzeptiver Nischenkonstrukteur in Bezug auf die geschaffene Nische als Ganze sein zu wollen, kann als Sünde verstanden werden – im gleichen Sinne, nach dem das Versprechen der Schlange nicht einfach in einem epistemischen Wissen über die Unterscheidung von „gut“ und „böse“ besteht, sondern die Fähigkeit zur Konstitution dieser Unterscheidung verspricht (Gen 3,5). Die Folge besteht dann darin, dass die geschaffene Nische gestört und die darin lebenden Geschöpfe ver-rückt werden. Das Christusereignis erschließt nun, dass die geschaffene Nische nicht von der göttlichen Nische separiert ist: Karfreitag und Karsamstag sind Symbole für die Tatsache, dass die Sünde nicht nur die Schöpfung affiziert, sondern die göttliche Geschichte selbst: Da Gottes wesentliche Nische ein Beziehungsgefüge der Liebe ist, identifiziert sich Gott selbst mit den Nischen seiner Schöpfung. Allerdings ist diese Identifikation der Nische, die Gott selbst ist, mit der geschaffenen Nische nicht ein Ausdruck für eine Art von Krisenmanagement angesichts der Sünde. Denn da die Welt als eine Geschichte in dramatischer Kohärenz geschaffen ist, ist sie auch geschaffen, um vollendet zu werden – selbst dann, wenn es keine Perturbationen der geschaffenen Nische gäbe. Insoweit existiert die Verschränkung zwischen der Nische, die das göttliche Beziehungsgefüge selbst ist, und der geschaffenen Nische von der Schöpfung an. Das letztgültige, eschatische Ziel der Verschränkung der göttlichen Geschichte mit den geschaffenen Geschichten – also das letztgültige Ziel der göttlichen Nischenkonstruktion und der Nischenrezeption und -konstruktion der Geschöpfe – besteht nicht einfach in der Verschränkung der Geschichten oder Nischen, sondern in der Aufhebung der geschaffenen Geschichten in die göttliche Geschichte bzw. der Aufhebung der geschaffenen Nischen in die göttliche Nische. Dabei meint „Aufhebung“ in diesem Zusammenhang nicht, dass wie in einem epischen Narrativ das Ziel determiniert ist, sondern es geht darum, dass auch hier dramatische Kohärenz gewahrt bleibt. Diese Art der letztgültigen verschränkten Nischenkonstruktion kann in der Terminologie der orthodoxen Tradition als Theosis136 bezeichnet werden. In dieser Hinsicht ist es jedoch wichtig, dass einige entscheidende Modulationen an diesem 136 Vgl. Anastasius vom Sinai, A.v., Wegweiser, PG 89, 36.

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Modell angebracht werden, die sich aus der Geschichte Christi ergeben: In der gleichen Weise, wie es keine Auferstehung ohne das Kreuz Christi gibt, gibt es auch keine Kontinuität zwischen der Geschichte der Welt und der eschatischen Realität: Die Weltgeschichte ist zwar ein Teil der ultimativen göttlichen Geschichte, aber aus der Perspektive der Historizität – d. h., wenn Historie nicht im Lichte des Vertrauens in Kreuz und Auferweckung wahrgenommen wird – kann es keine Erwartung geben, dass diese Geschichte eine Fortsetzung findet. Ein Ausdruck für die Ver-rücktheit der Schöpfung besteht dabei darin, dass Evolution und Historie fälschlicherweise als die ganze Geschichte angesehen werden. Wendet man diese Denkfigur auf das Modell der Nischenkonstruktion an, bedeutet dies, dass die letztgültige Nische der eschatischen Realität – also das vollendete Leben und Lieben der Welt in Gott – kein unmittelbares Produkt der geschaffenen Nischenkonstruktion in Evolution und Historie ist. Zwar muss die eschatische Realität als eine Art von Nischenkonstruktion und -rezeption zwischen Gott und Schöpfung verstanden werden. Aber göttliche und kreatürliche Handelnde haben unterschiedliche Rollen und in dramatischer Kohärenz ist der Prozess der eschatischen Nischenkonstruktion unterbrochen durch den Tod als Abbruch aller aktiven Beziehungsgestaltungsmöglichkeiten – und letztlich durch die transformierenden Effekte, die traditionell mit dem Endgericht benannt werden. Diese Wirkungen des Gerichts sind aus der Perspektive von Evolution und Historie transformierende Effekte: Während einige Ereignisse in die letztgültige Beziehung oder Nische, die Gott selbst ist, aufgehoben werden können, ist dies bei anderen nicht möglich. Verglichen mit der Prozessmetaphysik ist dies ein großer Vorteil: Während dort auch die schädlichen Ereignisse in der göttlichen Folgenatur aufgehen, werden im Rahmen der trinitarischen Ontologie diese Ereignisse transformiert: Ethische Differenzen werden in ästhetische Differenzen überführt. Daher wird die Nische der eschatischen Realität in ethischer Hinsicht gut und nichts als gut sein. Dies ist auch dem Wissen der drei göttlichen Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist gegeben. Die konkrete ästhetische Gestalt der eschatischen Nische bleibt jedoch offen und mag auch eine Überraschung für den dreieinigen Gott darstellen. Es ist also die konkrete ästhetische Gestalt der ultimativen Nische, die unsere Nischenkonstruktionstätigkeit von geschaffenen Nischen direkt beeinflusst. Nichtsdestotrotz kann die Vollendung der Schöpfung in der Aufhebung der geschaffenen Nischen in die letztgültige Nische der göttlichen Ewigkeit nicht als ein absolutes Ende im Sinne der Auflösung jeglicher Narrativität verstanden werden. Die göttliche Narration – nun mit der geschaffenen so vereinigt, dass eine direkte, unmittelbare Kommunikation besteht – ist eine ewige. Daher wird auch die göttlich-kreatürliche Nischenkonstruktion andauern – aber in einer Weise, die in jeder Hinsicht für die göttlichen und kreatürlichen „Bewohner“ fruchtbar sein wird. „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“ (Joh 14,2) Diese Aussage bezieht sich nicht auf Orte und Schubladen, um tote Leiber und Erinnerungen zu lagern, sondern sie bezieht sich auf das fruchtbare Leben einer

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Das dreieinige Leben, Nischenkonstruktion und Nischenrezeption

Pluralität von geschaffenen Nischen in der letztgültig göttlichen Nische. Man wird auch sagen müssen, dass sich diese Integration der geschaffenen Nischen in die letztgültige Nische nicht auf ein entleiblichtes, rein spirituelles Geschehen bezieht: Es handelt sich immer um ein leibliches Geschehen, in dem Sinne, in dem Leiber Medien der Kommunikation sind. An diesem Punkt unterbrechen wir nun die Entwicklung unseres theologischen Modells der Nischenkonstruktion. Die Leserin und der Leser mögen zu entdecken suchen, ob und in welcher Weise es weitere theologische Themen gibt, die mithilfe der Metapher der Nischenkonstruktion ausgedrückt werden können. Unser Fazit besteht also nicht in einer permanent fixierten Theorie, sondern soll eher in einer Anregung und Unterstützung für weitere kreative Bemühungen bestehen. Nischenkonstruktion als ein Modell für göttliche und kreatürliche Interaktion mag ungewöhnlich erscheinen. Es gibt immer eine große Menge negativer Analogien und notwendiger Qualifikanten. Zu nennen wären hier, – dass es beispielsweise kein genetisches Vererbungssystem in Gott gibt, – dass es keine Prognose über göttliche Nischenkonstruktion auf der Basis mathematischer Modelle geben kann, – dass die drei göttlichen Personen keine „Population“ bilden, – dass in jeglicher kreatürlichen Nischenkonstruktion Nischenrezeption stets vorgängig ist – und dergleichen mehr. Aber genau die Qualifiziertheit durch negative und neutrale Analogien kennzeichnet ja ein Modell. Im Prinzip können zwei beliebige Begriffe als Basismetapher für Modellbildungen genutzt werden. Modelle können aber nur dann von kognitivem Interesse sein, wenn die neutralen und positiven Analogien ein größeres Gewicht als die negativen Analogien besitzen. Ist dies der Fall im theologischen Modell der Nischenkonstruktion? Das Urteil darüber sei der Leserin und dem Leser überlassen. Allerdings wird man diagnostizieren können, dass die Menge der positiven und neutralen Analogien auf Basis der Metapher der Nischenkonstruktion weit größer ist, wenn man dieses Modell mit traditionellen Modellen vergleicht, wie etwa dem aristotelischen des „unbewegt Bewegenden“. Daher erscheint das Abenteuer der Entdeckung der Verheißung eines theologischen Modells auf der Basis der Schlüsselmetapher des ursprünglich evolutionären Begriffs der Nischenkonstruktion als ein sinnvolles und fruchtbares Unternehmen. Das geschaffene Leben – d. h. unser Leben in Evolution und Historie sowie unser zukünftiges Leben in der eschatischen Realität – als Nischenrezeption und -konstruktion zu verstehen, kann ein bekanntes biblisches Zitat von seinen essentialistisch hellenistischen Fallstricken befreien und dessen Einsicht aufs Neue aktualisieren: „Gott hat gemacht, dass sie den HERRN suchen sollten, ob sie doch ihn fühlen und finden möchten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“ (Apg 17, 26–28a).

Anhang Schlussthesen Hinsichtlich der Behandlung aller drei in diesem Buch behandelten Disziplinen – Neurobiologie, Evolutionstheorie und Theologie – wurde eine Wende hin zu einer inhärent relationalen Form der Begrifflichkeit durchgeführt in Kombination mit materialen Einsichten, um eine angemessene Basis für einen inter- und transdisziplinären Dialog zu ermöglichen.

These 1: Der Resonanzbegriff ersetzt den Repräsentationsbegriff. Offenbarung ist Wahrnehmung. Im Bereich der Neurobiologie kann das Gehirn nicht primär als Repräsentationsorgan gesehen werden, sondern als ein Organ, das sich mit Resonanzen zwischen der Umwelt und dem Leib beschäftigt, indem das neuronale System offene Schleifen für Leib und Umwelt bereitstellt, die auf diese Weise intern relationiert werden. Entsprechend darf im Bereich der Theologie Offenbarung nicht als eine Form der Interpretation etwas zuvor unabhängig Gegebenen verstanden werden, sondern als eine Art der Wahrnehmungserfahrung, die mit der lebensweltlichen Erfahrung resoniert.

These 2: Religiöse Erfahrung ist keine außergewöhnliche Erfahrung. Offenbarung als Wahrnehmung bezieht sich nicht auf besondere, raumzeitlich von anderen unterschiedene und identifizierbare Ereignisse, sondern auf alltägliche narrative Erfahrung selbst, insofern es um die Konstitution der Bedingung der Möglichkeit von Wahrnehmung und Erfahrung geht. Zugänge zu sog. „religiöser“ Erfahrung aus den Bereichen der Naturwissenschaften wie der „Cognitive Sciences of Religion“ oder der „Neurotheology“, die individuelle, besondere und außergewöhnliche Erfahrungen, die sich raumzeitlich von anderen Erfahrungen unterscheiden lassen, untersuchen, behandeln nicht den gleichen Gegenstand wie die theologische Epistemologie, sondern etwas, das im Lichte einer theologischen Perspektive per se nicht als Glaube, sondern als Aberglaube anzusprechen ist.

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These 3: Interner Externalismus ist ein wichtiger, epistemologischer Schlüssel. Sowohl die theologische als auch die neurobiologische Epistemologie kann ihre eigene Qualität verbessern, indem philosophische Einsichten berücksichtigt werden wie insbesondere phänomenologische Theorien der ökologischen Subjektivität, der „Extended Mind Theory“, bzw. des aktiven Externalismus und der Theorie der konzeptionellen Erfahrung.

These 4: Evolutionsbiologisch ersetzt Nischenkonstruktion und -rezeption rein adaptionistische Evolutionsverständnisse. Auf die gleiche Weise, wie das Gehirn nicht länger als ein Repräsentationsorgan, sondern als ein Resonanzorgan zu verstehen ist, kann auch Evolution nicht länger in einem adaptionistischen Paradigma verstanden werden. Auf ähnliche Weise, in der das neuronale System als komplexes System eines Funktionskreises verstanden werden muss, innerhalb dessen der Leib und seine Umwelt in teilweise internen Relationen verbunden sind, bildet auch die Relation zwischen Population und Umwelt ein komplexes System in einem Funktionskreis. Während in der klassischen modernen Synthese lediglich die Organismen fähig sind, sich relativ zur Evolutionstheorie kontingent verhaltenden Veränderungen der Umwelt anzupassen, öffnet die Theorie der Nischenkonstruktion das Veständnis von Evolution indem Rückkoppelungseffekte zwischen Umwelt und Organismus anerkannt werden. Dies schließt ein, dass sich die Evolutionsbiologie nun mit zwei Vererbungssystemen beschäftigt, einem genetischen und einem „kulturellen“. Die auf Nischenkonstruktion beruhenden Effekte der Organismen können nicht mehr als „ausgedehnte Phänotypen“ verstanden werden, sondern eher als ausgedehnte Genotypen, bzw. als Phänogenotypen, da beide dieselbe Funktion der Übermittlung von Information für biologische Veränderung besitzen.

These 5: Naturphilosophisch ist der Begriff der Wirkkausalität zu erweitern, aber nicht durch Teleologie. Wendet man den genuin philosophischen Begriff der Kausalität auf die Naturwissenschaften an, geschieht dies am besten, indem das klassische Konzept der Wirkkausalität durch den Begriff der formalen, bzw. formativen, d. h. bildenden Kausalität erweitert wird. Diese lenkt die Bahnen, in der die Wirkkausalität wirkt, ohne aber eine Teleologie einzuführen. Wirkkausalität und formative Kausalität können im Begriff der integralen Kausalität verbunden gedacht werden. Der Begriff der integralen Kausalität stammt dabei aus dem phänomenologischen Paradigma der Hirnforschung und kann in fruchtbarer Weise auf eine erweiterte Evolutionstheorie übertragen werden: Die auf Nischenkonstruktion beruhende Aktivität der Orga-

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nismen liefert formativ kausale Bedingungen, in deren Rahmen wirkkausale Effekte der Umwelt auftreten können. Im Rahmen von philosophischen oder theologischen Interpretationen zweiter Ordnung kann der Begriff der integralen Kausalität erweitert werden durch teleologische Konzepte, falls das jeweilige partikulare Wirklichkeitsverständnis, vor dessen Hintergrund sich diese Interpretation zweiter Ordnung vollzieht, dies für notwendig erachtet. Diese Erweiterungsmöglichkeit ist aber nur dann gegeben, wenn diese teleologischen Konzepte der genuin naturwissenschaftlichen Arbeit nicht aufgenötigt werden sollen. Der Grund für diese Beschränkung ist dabei durch genuin theologische Interessen motiviert: Denn falls Teleologie als ein genuin naturwissenschaftliches Konzept ausgegeben würde, würde dies nicht länger zu einem Verständnis der Offenbarung als Wahrnehmung passen. Der Grund besteht darin, dass jedes Verständnis von Erfahrung, das von den Naturwissenschaften allein bearbeitet werden könnte, höchstens offene Schleifen für das selbstgebende Handeln des dreieinigen Gottes liefern kann, die dem Wahrnehmenden dauernd unverfügbar und entzogen bleiben.

These 6: Der dreieinige Gott ist der letztgültige „Nischenkonstrukteur“ und die letztgültige „Umwelt“ der Schöpfung. Die theologischen Erfordenisse und Erwartungen an die Naturwissenschaft, was diese über die natürliche Veränderung sagen kann, können vom Neodarwinismus nicht vollständig befriedigt werden, aber sie können mithilfe einer erweiterten Form der Evolutionstheorie und der Theorie der Nischenkonstruktion befriedigt werden. Darüber hinaus kann die Metapher der Nischenkonstruktion als eine fruchtbare Schlüsselmetapher für das Verständnis der Beziehung des dreieinigen Gottes zur Welt verwandt werden. Der dreieinige Gott kann dann als letztgültiger Nischenkonstrukteur modelliert werden, weil Leben und Umwelt als miteinander identisch in Gottes relationalem und narrativem Wesen verstanden werden können. Aus der Perspektive der Schöpfung kann dann Gott als letztgültige oder eschatische Umwelt seiner Schöpfung verstanden werden. Das Modell der Nischenkonstruktion ist dabei geeignet, sowohl die notwendige Asymmetrie als auch die notwendige Reziprozität der Gott-Welt Beziehung aufrecht zu erhalten. Dabei ist es durchaus möglich, Gottes Beziehung zur Welt in Schöpfung, Erlösung und Vollendung mithilfe evolutionärer Begriffe zu beschreiben. Darüber hinaus kann auf diese Weise ein tieferes theologisches Verständnis der Basis der Wahrnehmung kreatürlichen Lebens im Lichte des Evangeliums gewonnen werden. Unterschiedliche Theologien des 20. Jh. haben versucht, nicht nur die Aktivität, sondern auch die Rezeptivität Gottes, einschließlich einer Anwendung des Kontingenzbegriffs auf Gott, auszusagen, konnten dabei oft aber nicht gleichzeitig die notwendige kategoriale Differenz zwischen Schöpfer und Schöpfung aufrechterhalten. An dieser Stelle leistet nun das theologische Modell der Nischenkonstruktion eine große Hilfe, weil es sowohl diese Differenz aufrechterhalten kann als es auch die Möglichkeit bietet, unser Verständnis von Asymmetrie und Reziprozität zwichen Gott und Welt zu schärfen. Jede kreatürliche Nischen-

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konstruktion erweist sich dann als Nischenrezeption im Sinne einer Gabe des Schöpfers. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Eschatologie, wenn das Handeln des dreieinigen Gottes die ethische Güte der eschatischen Realität sicherstellt, während die nischenkonstruktive Aktivität von Gottes Geschöpfen (einschließlich der Wirkungen von menschlichen und nichtmenschlichen Tieren, menschlichen und möglicherweise nichtmenschlichen Personen sowie von geschaffener Kontingenz) zur ästhetischen und überraschenden Gestalt der eschatischen Realität beiträgt. Das theologische Modell der Nischenkonstruktion passt dabei zu einer spezifischen Gestalt dramtischer Theologie, und zwar einer solchen, die präzise begriffliche Arbeit an einer relational-narrativen Ontologie, zentriert um den Schlüsselbegriff dramatischer Kohärenz, einschließt. Dabei kann die Beziehung zwischen Gott und seinen Geschöpfen zusätzlich verstanden werden im Modell eines Funktionskreises: Gott stellt offene Schleifen für die Resonanzen seiner Geschöpfe zur Verfügung.

These 7: Der theologische inter- und transdisziplinäre Dialog bringt mindestens sechs Vorteile mit sich. Die Vorteile des Dialogs für die Theologie bestehen nicht einfach in einer vertieften Kommunikabilität mit den Naturwissenschaften – wodurch gleichzeitig das Erfordernis des Glaubens gestillt wird, nach dem der dreieinige Gott als Schöpfer sowohl des Reiches personalen Vertrauens als auch des Reiches naturwissenschaftlicher Unternehmungen wahrgenommen wird –, sondern diese Vorteile bestehen auch darin, dass genuine theologische Einsichten auf der Basis kreativen Denkens gewonnen werden können. Während aber die Vorteile des Dialogs für die Theologie deutlich sein dürften, wird mitunter bezweifelt, ob diese inter- und transdisziplinäre Arbeit auch Vorteile für die Gesprächspartner im Bereich der Naturwissenschaften mit sich bringt. Daher seien sechs solcher Vorteile explizit genannt: 1. In beiden Bereichen der Naturwissenschaften, die in diesem Buch besprochen wurden – die Neurowissenschaften und die Evolutionsbiologie – besteht der Schlüssel, ein mögliches antagonistisches Verhältnis zur Theologie zu überwinden in der Verwendung von Begriffen der internen Relationalität (d. h. von Relationen, die konstitutiv für die Relate sind) für Beziehungen zwischen scheinbar externen, raumzeitlich geschiedenen Dingen. Dieser Begriff der konstitutiven Relationalität kann historisch auf die Trinitätslehre zurückgeführt werden und besitzt eine lange theologische Geschichte. 2. Jede Art von naturwissenschaftlichem Handeln beruht u. a. auf ontologischen Voraussetzungen, die nicht empirisch testbar sind. Da schon der Begriff der Wahrnehmung solche Gewissheiten impliziert, kann die Bedeutung von Wirklichkeitsverständnissen und Glaubensformen nicht auf die Interpretation der Resultate naturwissenschaftlichen Arbeitens beschränkt werden, sondern ist diesem inhärent von Anfang an. Der Dialog mit der Theologie kann das Bewusstsein dafür schärfen

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sowie Mittel zur hermeneutischen Offenlegung dieser Voraussetzungen liefern. Vielleicht können die Naturwissenschaften auch von der Theologie lernen, dass wissenschaftliche Exzellenz nicht im Ignorieren oder im Ausschluss solcher Gewissheiten bestehen kann, sondern darin, mit diesen bewusst umzugehen und sie explizit zu machen. 3. Die Naturwissenschaften und die Theologie können nur dann einen fruchtbaren Dialog führen, wenn die Philosophie und insbesondere die Naturphilosophie in den Dialog einbezogen wird. Es kann daher keinen Dialog ohne einen „Trialog“ geben. 4. Die Naturwissenschaften und die Theologie können nur dann einen fruchtbaren Dialog führen, wenn konkrete Themen Gegenstand dieses Dialogs sind, die von materialem wissenschaftlichem Interesse in den beteiligten Disziplinen sind. In diesem Buch wurden die Lehre von der Offenbarung und ein narratives Trinitätsverständnis einerseits und epistemologiesche Fragen der Neurowissenschaften und die biologische Theorie der Nischenkonstruktion andererseits ausgewählt, um diesem Erfordernis nachzukommen. Maximal kann ein solcher Dialog zu einer transdisziplinären Reflexion über die in Frage stehenden Themen führen, minimal zu einem besseren Verständnis der je eigenen Gegenstände mit der Hilfe von Modellen, die aus den Gesprächsdisziplinen stammen mögen. 5. Geschärfte Aufmerksamkeit und Sorgfalt kann dabei helfen, eine andere, extrem gefährliche Gefahr, die häufig von den öffentlichen Medien forciert wird, zu vermeiden: der Konflikt zwischen fundamentalistischen Ausprägungen des Christentums und naturalistischer Quasireligiosität. Denn diese Debatte reflektiert in keiner Weise, was Sache der Theologie und was Sache der Naturwissenschaften im Sinne legitimer akademischer Arbeit sein kann. Eher gehören diese Dispute zwischen verschiedenen Arten von Fundamentalismen in den Bereich des interreligiösen Dialogs als in den Bereich legitimen interdisziplinären Dialogs. Es ist allerdings auch nicht auszuschließen, dass die Aufmerksamkeit, die diese Debatten zwischen Fundamentalismen auf sich ziehen, eher die Manipulationsmöglichkeit der öffentlichen Meinung zugunsten monitärer Interessen spiegelt. 6. Die vorliegende Studie hat gezeigt, dass es eine Reihe von Begriffen und Strukturen gibt, die von relationaler Theologie, der Theorie der Nischenkonstruktion und der Theorie des ökologischen Gehirns geteilt werden. Zu diesen Begriffen gehört nicht nur der Begriff interner Relationalität sondern auch der Begriff des Funktionskreises, der Begriff der Resonanz zwischen verschiedenen, intern relationierten aber nichtsdestotrotz distinkten Entitäten sowie der Begriff dramatischer Kohärenz. Der interdisziplinäre Dialog deckt somit nicht nur faktische Resonanzen zwischen den Disziplinen auf und vertieft diese, sondern er korrespondiert realistisch mit der resonierenden Natur der Wirklichkeit selbst.

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Abkürzungen

Abkürzungen CSR

Cognitive Science of Religion

EPsyR Evolutionary Psychologie of Religion EPR

Einstein–Podolsky–Rosen Experiment/Papier

fMRI

functional Magnetic Resonance Imaging

PET

Positron Emission Tomography

SPECT Single Photon Emission Computed Tomography ToM

Theory of Mind

PO

Perceiving Others

TINA

‘There-is-no-alternative’ Principle

HADD Hypersensitive Agency Detecting Device EECB

Embodied Ecological Communitarian Brain

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Register Personen Alavi, A. 48 Allen, R.M. 93 Amen, D. 48 Amini, F. 74 Anastasius vom Sinai 213, 258 Anselm von Canterbury 19–21, 197 Arber, W. 166, 195 Aristoteles 81, 132–6, 138 Armel, K.C. 41 Arzy, S. 48 Asendorf, U. 94 Augustinus 224, 228 Baime, M. 48 Balthasar, H.U. v. 138 Barbour, I.G. 13f, 25 Barrett, J.L. 48, 100 Barth, K. 19f, 99, 104, 145, 202f, 233 Baumbacher, G. 74 Begley, S. 64 Bennett, M.R. 64 Berger, P.L. 216 Bermffldez, J.L. 72 Beuttler, U. 208 Beyschlag, K. 224, 255 Blanke, O. 48 Blumenberg, H. 31, 67 Bode, S. 47, 49 Böhner, P. 99 Boormann, L. 67 Boost, M. 82, 241 Botvinick, M. 57 Bowler, P.J. 169 Bowles, S. 239 Boyd, R. 239 Boyer, P. 41, 48, 100 Braaten, C.E. 146 Bradley, F.H. 50, 69

Brass, M. 49 Broad, C.D. 241 Brooks, R. 73 Brümmer, V. 204 Bultmann, R. 67 Bunge, M. 82 Burge, T. 58 Calvin, J. 144 Camerer, C. 239 Camus, A. 91 Chalmers, D.J. 58, 123 Clark, A. 58, 123 Clayton, P. 82, 241 Cohen, J. 57 Craver, C.F. 77 Cresswell, M. 199f Cronk, L. 10 Crouch, C. 28, 215 Crutzen, P.J. 193 Cunningham, C. 10 Dalferth, I.U. 145, 203 Damasio, A. 39f Dante Alighieri 212 Darwin, C. 81, 182 Dawkins, R. 167, 170f, 215, 244 Deane-Drummond, C. 10, 138f, 207 Denzinger, H. 121 Dornes, M. 72f Drechsel, W. 10, 218 Dunbar, R.I.M. 53–55, 115, 238 Ebeling, G. 15, 94–6, 98, 103f, 114 Edey, M. 180 Edwards, J. 61 Einstein, A. 16, 27, 29, 69, 110 Eisenberger, N. 40

279

Register Erskine of Linlathen, T. Eßler, H.H. 144

229

Fehr, E. 239 Feldman, M.W. 172–7, 182, 193, 240 Fichte, J.G. 45 Förster, Y. 68, 191 Fuchs, T. 42, 46, 57f, 64, 68, 71–5, 77–92, 131, 185, 206 Fuentes, A. 10, 166f, 171, 176–8, 180–2, 184, 206, 219, 239f Gallagher, S. 53, 68, 72, 75 Geach, P.T. 231 Gilland, D.A. 10, 99 Gilson, E. 99 Gintis, H. 239 Godfrey-Smith, P. 170 Gould, Steven J. 171 Gray, R.D. 181 Griffiths, P.E. 181 Grimm, J. 201 Grimm, W. 201 Grube, D.-M. 99 Gunton, C.E. 159, 255 Hacker, P. 64 Hanxi He, A. 47, 49 Harris, C. 65 Hartmann, N. 200 Hauerwas, S. 150, 219, 243 Haynes, J.D. 47, 49 Hegel, G.W.F. 45, 50, 107, 136, 164 Heidegger, M. 91, 191 Heim, K. 46f Hein, A. 56 Heinze, H.-J. 49 Held, R 56. Henrich, J. 177, 239 Henriksen, J.-O. 10 Herms, E. 43, 46, 106f, 110, 112–4, 221, 244 Hesse, M.B. 35 Hirstein, W.S. 41 Hughes, G.E. 199f Hünermann, P. 121 Hunsinger, G. 94, 98f, 105

Husserl, E. 68, 77f, 189 Huyssteen, W.v. 15 Idel, M. 48 Ijjas, A. 69 Illingworth, J.R. Ingold, T. 219

247, 250

Jablonka, E. 181f Jay, A. 215 Jenson, R.W. 10, 45, 61, 146f, 191, 198, 233 Johanson, D. 180 Jüngel, E. 95, 97f, 159, 200 Khalsa, D.S. 48 König, J. 215 Laland, K. 172–7, 182, 193, 240 Lamb, M. 181 Landis, T. 48 Lannon, R. 74 Lewis, C.S. 74, 206 Lewis, T. 74 Lewontin, R.C. 170–3 Libet, B. 47 Lieberman, M. 40 Lindbeck, G.A. 196 Lohse, B. 125 Losch, A. 13f, 16, 25, 165 Louie, A. 74 Luther, M. 20f, 92f, 144f, 148f, 211, 217, 221, 236, 254 MacCormac, E.R. 31 MacKinnon, K. 178, 180 Mayorga, R.M.P.-T. 252 McCulloch, G. 87 McDowell, J. 59–63, 119–21, 126 McGuinness, T. 74 Meltzoff, A.N. 72f Merleau-Ponty, M. 57, 73, 77 Metzinger, T. 57 Molnar, P.D. 99 Moltmann, J. 147, 207 Morgan, D. 48 Morris, C.W. 188 Müller-Römheld, W. 194 Murphy, N. 138

280 Murray, L. 72 Mutschler, H.D.

Register

82, 241

Nagel, T. 81, 88, 182 Neisser, U. 89 Newberg, A.B. 18, 24, 48, 101f, 118 Noe, A. 85 Nygren, A. 206 Oakes, K. 11, 195 Odling-Smee, F.J. 172–7, 182, 187f, 193f, 240 Orr, H.A. 81, 182 Oyama, S. 181 Paden, W.E. 94 Pannenberg, W. 15, 160, 201, 227 Pashler, H. 65 Peirce, C.S. 35, 212, 235–8, 252 Perner, J. 53f Phillips, D.Z. 99 Pigliucci, M. 175 Plantinga, C. jr. 207 Platon 16, 45, 168, 222 Plessner, H. 79, 88 Polanyi, M. 16 Polkinghorne, J.R. 252 Poudehnad, M. 48 Putnam, H. 58, 87, 119–21 Ramachandran, V.S. 41 Rescher, N. 15, 28, 153 Richard v. St. Victor 147, 207, 218, 228 Rosch, E. 68 Roth, G. 40, 42f, 45f, 117 Rott, H. 43 Runehov, A. 48, 101 Rutter, M. 74 Satpute, A. 40 Scheler, M. 75 Schiff, E.Z. 74 Schlarb, V. 10 Schleiermacher, F.D.E. 19, 126, 142 Schlichting, C.D. 175 Schmid, H. 98, 208 Scholz, H. 206 Schopenhauer, A. 45f, 91

Schore, A.N. 74 Schrimm-Heins, A. 15 Schwarz, H. 13, 165, 242 Schwöbel, C. 10, 106–109, 111, 113, 115, 124, 146, 243 Searle, J.E. 82 Seibert, C. 129, 154–6 Singer, W. 41–6 Spiegel, B. 57, 89 Steiger, J.A. 99 Stock, K. 65, 254 Stoellger, P. 10, 31, 129f Stoellger, F. 10 Stoermer, E.F. 193 Strawson, P.F. 78f Swinburne, R. 198, 202, 209, 214 Tecoma, E. 41 Teilhard de Chardin, P. 247–50 Theißen, G. 247, 249f Thomas von Aquin 151 Thomasius, G. 209 Thompson, E.T. 68, 82 Tomasello, M. 73 Trampel, R. 47, 49 Trevarthen, C. 72f Troeltsch, E. 193f Tronick, E.Z. 72 Turner, R. 47, 49 Uexküll, J.v. 80 Uexküll, T.v. 80 van Huyssteen, J.W. 10, 15, 68 Varela, F.J. 68, 79 Vate, D.v.d. jr. 133, 204 Visala, A. 10, 41, 48, 100 Vul, E. 64f Wahlberg, M. 118–21, 126 Waldenfels, B. 77, 130 Waldman, M. 48 Wegner, D.M. 43 Welker, M. 212 Wesiack, W. 80 Whitehead, A.N. 69f, 255f Wilson, E.O. 244

281

Register Wimmer, H. 53f Winkielman, P. 65 Wintering, N. 48 Wittgenstein, L. 33, 69, 99, 152 Wölfel, E. 210f, 220 Wyczalkowski, M. 178, 180

Yong, A.

252f

Zahavi, D. 53, 68, 75 Zizioulas, J. 207

Sachen Abbildung 152 Abenteuer 201, 204, 260 Aberglaube/Abgötter 21f, 46, 261 Absolutheit 137, 193f Adaptionen/Anpassung/Adaptionismus 10, 41, 54, 167, 169–72, 183, 187, 215, 244f, 262 Affekte/Affektivität 9, 20, 52, 62, 64, 71–3, 78, 80, 85, 88f, 93, 101, 113, 134–6, 148, 189, 203–5, 217, 229 Agapismus 205f, 236–8 Aktualität 231, 238 Allgegenwart 192, 209, 230, 232 Allmacht 202, 209, 214, 230, 232 Alltagserfahrung 9, 25, 36, 42, 48, 95f, 100f, 104, 114, 125, 128, 138, 140, 143, 149, 189, 261 Alltagssprache 49, 106 Allwissen 202, 209, 214, 230f Alterität/Andersheit (s.a. Fremdheit) 116, 140 amor s. Liebe Amundanismus 21 Anankasmus 236–8 Anfechtung 124f annihilatio 253f Anthropologie 67, 94, 124, 177f, 214, 217, 219, 233, 239, 242 Anthropomorphie 41, 48, 159, 187, 218 Anthropozentrismus 193f Anthropozän 193 Apokalyptik 164, 212 Apologetik 120 Artefakte 119, 174, 176, 184 Aspekt-Dualismus/Dualität 44, 67 Atheismus 20f, 30, 161, 182, 192

Atomismus 38, 49f, 52, 55, 69 Auferstehung/Auferweckung 142, 146, 160, 210, 227f, 231f, 250, 259 Aufhebung 136, 140, 231, 256, 258f Ausgedehntheit 57, 59, 123, 127, 132, 138, 170, 184f, 232, 262 Australopithecus 180 Autobiographie 84, 89, 131, 138f, 143, 149 Begehren 204f Bewusstsein 13, 40–2, 45, 57, 59, 64, 78, 80, 82, 84–9, 118, 124, 126, 128, 143, 164, 194, 196, 209, 249, 264 Beziehung (s.a. Relation/Relationalität) 10, 16, 19, 21, 23, 27, 32f, 36, 52, 70, 72f, 83–5, 89, 95, 117, 125–8, 130, 138, 147f, 159f, 164, 169–71, 173f, 185, 187, 190, 197f, 200, 204–7, 209f, 213, 218, 220, 222f, 225–7, 229f, 232f, 239, 243–5, 247, 254, 256, 258f, 263f Beziehungslosigkeit 96, 227 Beziehungsorgan 42, 46, 57f, 64, 71–5, 77–88, 90f, 206 Biberdämme 170 Bildung 29, 47, 62f, 83f, 124, 126, 142f, 190f, 243 Bindung/Bindungsproblem 41f, 74 Biographie 84, 90, 155–7, 160 Birkenspanner 189 caritas s. Liebe caus.a. finalis 81 Charakter 15, 31, 37, 68, 80, 90, 104, 139, 144, 157, 173, 243, 251, 253 Christogenese 248 Christologie 22, 90, 92–4, 108, 111–3, 122,

282

Register

124, 141f, 145–8, 158, 160, 203, 220, 224, 226f, 229–31, 234, 247–9, 251, 258 creatio ex nihilo 145, 210–3 creatio/creator/creatura (s.a. Schöpfung) 119f, 145, 194, 210–2, 247, 252f Darwinismus 166, 169, 195, 237 Definitionsmacht 103f Demenz 88 Demokratie 28, 215 Dilemma 60, 200 DNS 166, 184, 186 dominium terrae 214 Drama 90, 92, 132–5, 138, 140–4, 149f 154, 159–62, 171, 180, 196f, 199, 201, 206, 208, 212, 218, 223, 225, 227, 230, 232, 234, 240–2, 252, 258, 264f Dreieinigkeit (s.a. Trinität) 19, 90, 108, 110f, 117, 145, 149, 158, 196, 201, 211 213, 221, 223, 230, 255–7, 259, 263f Dualismus 38, 44f, 52, 55f, 66f, 75, 78, 82, 96, 116, 144, 168, 181–3, 187, 228, 234, 238 Dualität 44, 78, 166, 173 Effektor/Rezeptor 79 Egoismus 35, 176 Eigenschaftslehre 208 Einfachheit 42, 48, 60, 198 Ekklesiologie 242–5, 247 ekporeusis 147 Embryo 72 Emergenz 82, 85f, 135, 183f, 207, 241, 248 Empathie 73, 75, 89, 127f, 149 Empfindungen 64, 85, 87 Empirismus 105, 113 Endlichkeit 129 Entdeckungen 16, 93, 160, 168, 205, 235, 260 Entfremdung 78, 104, 203, 229 Entheoretisierung 25–8 Entkontingentisierung 129, 139, 223 Entmythologisierung 67 Epiphänomene 17, 130, 181 Episoden 90, 133, 222, 248 Epistemologie 9, 13, 32, 35, 38, 40, 45, 59,

63, 93, 95, 98, 101, 103, 106, 112f, 118, 122, 126, 153, 159, 167, 196, 224, 251, 258, 261f, 265 epoch 68 EPR-Experimente 69 Ereignis 41, 48f, 70, 76, 84, 89f, 94, 123–5, 130, 134–42, 148f, 159, 162, 165, 181, 189, 197, 199, 201, 206, 208f, 211f, 219, 227, 229, 231, 233, 253, 255f, 259, 261 Erfahrung 9f, 19, 31, 34, 37f, 46, 48, 51, 56f, 59–63, 67–70, 73, 75, 77, 79, 84, 86–9, 93–121, 125f, 128–38, 140–50, 154, 157f, 164, 178, 181, 189f, 197, 200, 203, 208, 217, 219, 222, 226, 231, 248, 255f, 261–3 Erhaltung 36, 194, 230 Erinnerung 59, 80, 84, 114, 181, 189, 259 eritis sicut deus 151 Erkenntnis 24, 38f, 42, 59f, 63, 68, 88, 98, 100, 148f, 160, 219, 234, 238, 252, 254 Erleben 10, 42, 85, 94, 105, 143, 182, 219 Erlösung 111, 149, 160, 221, 228, 251, 263 Erscheinen 10, 13, 24–6, 30, 34, 38, 40–3, 51f, 55, 57, 60, 70f, 77f, 80, 88, 90f, 93f, 96–98, 100, 107–9, 115–8, 126, 128–30, 133, 135–7, 141, 150f, 155f, 160–2, 168, 184, 187, 190, 194, 199, 201, 208–10, 212, 214, 219, 225, 227, 231, 235, 241, 245f, 249, 252, 255, 260 Erschließung 74, 106–13, 115–7, 119, 140–2, 144, 146, 149, 162, 164, 234 Erschöpfung 78 Erwartungen 41, 135–7, 189, 191, 233–5, 239f, 242, 259, 263 Erwartungshorizont 107, 109f, 136–8, 140–2, 144, 149f, 155 Eschaton/Eschatologie 22, 67, 91, 126, 136, 138, 153, 158, 160f, 164f, 209, 212f, 217f, 221, 226f, 230, 253f, 258–60, 263 Essenz/Essentialismus 50f, 88, 137, 217, 248, 251, 260 Ethik 14, 91, 127, 149, 160, 195, 202, 206, 213f, 216, 219f, 231, 235, 238, 243f, 250, 259, 264 ethos 130 Evangelium 92, 94, 99, 124, 126, 131, 141,

Register 143–50, 157f, 162, 196f, 200, 203, 210, 218, 221, 229f, 232, 234–6, 239, 243, 245f, 249, 251, 253, 263 Evidenz 52, 137, 144, 215 Evolution 9f, 34f, 41, 43f, 46, 52, 54f, 72, 100, 139, 155, 158, 163–7, 169–73, 175–8, 180–7, 189f, 192f, 195, 202, 212, 215, 234–8, 241f, 244f, 247–52, 259–64, 266 Ewigkeit 158, 198, 209, 254, 256, 259 Existenz 21, 30, 41, 52, 92, 111f, 131, 138, 207, 211, 214, 220, 223, 228 extended mind 87 Externalismus 58, 63, 67, 87, 118, 122f, 157, 262 Externalität 49–51, 55, 76, 87 Extheoretisierung 25–8 Extrapolation 41, 55, 92, 146 Exzentrizität 81 Fall 19, 99, 117, 119, 126, 177, 213, 217, 224, 240, 244, 251 Fallibilität 15, 24, 37, 68, 150, 168, 210, 217, 247, 250f false-belief-experiments 53, 72, 75 Falsifikation 22, 63, 66, 77, 94, 117, 161, 168, 171, 237 fiducia 122 filioque 147 fMRI 40, 47, 64, 266 Folgenatur Gottes 255f, 259 Fragment/Fragmentarizität 86, 90, 92, 131, 139, 143 Fremdheit (s.a. Alterität/Andersheit) 130, 158, 166, 225f, 246, 254 Freundschaft 21, 204–6, 223, 229 Fundamentalismen 265 Furcht 40, 134, 146, 191 Fuzzy-Logik 31f Gabe 146, 148, 211f, 225, 227, 264 Gebet 48, 105, 232 Gebundenheit 23, 52, 59, 68, 74, 82, 84, 90, 131, 134, 196, 211, 228, 237, 250, 257 Gedächtnis 73, 86, 255

283

Gedankenexperimente 78, 87, 123, 184f, 226 Gegenwart 9, 23, 26, 28, 36, 40, 49, 51, 72f, 77, 84, 92, 100, 128, 132, 136f, 148, 154, 169, 182, 189, 193, 204, 215–20, 229, 231, 233, 238, 240, 242, 244, 247, 251–4 Gehirn 9f, 38–46, 48, 54, 56–60, 63f, 66f, 71–91, 97, 101f, 115, 117, 121f, 124, 127, 132, 136, 148, 164, 168, 182f, 186f, 196, 206, 229, 261f, 265 Gehirnareale 64f, 72, 74, 85, 113, 116 Gehirnmodule 40, 59 Gehirnmuster 57f Geist 39–41, 44, 47f, 52f, 56, 58f, 60–3, 66–69, 71–5, 78, 81f, 87, 94, 101, 111, 115, 118f, 124, 127, 134, 136, 138, 144f, 147–9, 159–62, 182, 184, 190, 198, 201, 206f, 228–30, 232, 235, 238, 241, 246, 252f, 262, 266 Geisteswissenschaften 14, 23, 25 Gemeinschaft 16, 18f, 26f, 34, 36, 76, 95, 103, 124, 127, 138, 140–3, 149f, 160f, 165, 169, 189, 196, 215, 223, 229, 239, 243, 245f, 250 Gendrift 166f Gene 34f, 167f, 171f, 174f, 183, 186, 215 Genetik 166, 174f, 181, 184, 260, 262 Genotyp 168f, 171, 175, 184–6, 262 Gerechtigkeit 111, 121, 209, 225 Gericht 85, 189, 191, 211, 213, 218, 221, 231, 259 Gesamtsystem 59, 79–81, 84, 86 Geschichte (Historie) s. Historie Geschichte(n), story 13f, 23, 28, 35, 40, 44, 49, 58f, 67, 82, 84, 89–91, 94f, 104, 107, 122f, 126f, 131–4, 136, 138, 141, 143–50, 152, 155, 158, 160–2, 164f, 180f, 183f, 189, 193, 196f, 199–202, 207f, 212, 219f, 222–5, 227–31, 234, 238, 242, 245–7, 249, 252f, 255, 258, 264 Geschöpf 111f, 139, 158, 161, 211, 213, 216f, 220f, 227f, 230f, 233, 239, 254–8, 264 Gesetz 135f, 164, 182, 211, 213, 217, 230, 232, 244, 249, 251 Gesicht 72

284

Register

Gewissheit 13–16, 18–21, 23, 25–7, 29f, 35, 76, 82, 89, 111, 124, 128, 137, 158, 161, 165, 213, 246, 264 Glaube 9, 14, 18, 20, 25, 27, 29, 41, 43, 47f, 58, 92–6, 99, 103, 105, 108, 110, 112f, 115f, 120–3, 125–8, 130, 139, 143f, 146–50, 157f, 161f, 165, 196f, 203, 209, 212, 224, 229f, 234, 240, 242, 244–6, 249f, 254, 261, 264 Gnade 36, 93, 95, 121, 126, 151, 162, 203, 213, 226 Gott 9f, 19–22, 25, 31, 33f, 41, 48, 67, 90, 92f, 95, 97, 99f, 107f, 111–3, 117f, 120f, 124, 126, 133, 139, 142, 145–50, 152, 158–60, 162, 168, 188, 196–218, 220–5, 227–36, 240, 247, 252–60, 263f Gott der Sohn (s.a. Jesus Christus) 146–51, 158–60, 198, 201, 206f, 224f, 227f, 247, 259 Gott der Vater 146–51, 159f, 198, 201, 206f, 225, 227f, 259 Götter 21, 41, 48, 222 Gottesdienst 105, 245 Gotteserfahrung 104 Gotteserkenntnis 98 Gotteslehre 10, 22, 197, 203, 209f, 214, 234 Gottesmodul 41 Gottesverständnis 197, 202, 214f Göttlichkeit 20f, 37, 93, 95, 117, 120f, 144–6, 148f, 159f, 194, 198–201, 203, 206–22, 224f, 227, 230, 232f, 255–60 Großerzählungen 36, 139f HADD 41, 100, 266 Haltungen 78, 82, 164, 189f, 192, 194, 204f, 212, 215, 217, 233, 236, 239f Hamartiologie 222 Handeln 9, 14–7, 20f, 23, 27, 33, 40f, 44, 46–8, 52, 54, 59, 72–4, 83, 89f, 99f, 107f, 111–113, 119, 124f, 129f, 133f, 136, 138f, 143, 146–9, 154–6, 159–61, 165, 187, 197, 199, 209, 211f, 223, 225, 227–30, 244, 246, 252, 254, 257, 259, 263f Handlungsorientierung 127, 244 Hedonismus 214

Hegelianismus 45, 50, 88, 107, 136, 140, 164, 216, 237 Heil 111, 254 Heiliger Geist 150, 198, 206, 259 Heiligkeit 91, 94, 96, 103, 223 Heilsgeschichte 148, 247f, 250 Heilsmittel 250 Herrschaft 28, 49, 58, 153, 214, 255 Himmel 156, 233, 254 Hingabe 108, 209, 224f, 227, 236, 238 Historie 15f, 18, 30, 48, 51, 108, 123, 125, 132f, 145, 165, 193, 203, 207, 215, 248, 251, 259f, 264 Historismus 194 Hoffnung 108, 121, 126, 136, 146, 158, 160f, 189, 191, 243 Hoffnungshorizont s. Erwartungshorizont Hominiden 177, 180 homo erectus 180 homo ergaster 180 homo faber 194 homo oeconomicus 177, 195, 215, 238f Horizont 68, 83, 85, 107, 136, 145, 190, 247 Idealismus 44f, 50–2, 59, 66f, 116 Identifikation 38, 40, 43, 45f, 49, 52, 60, 64f, 70, 73, 102, 105, 117, 134, 137f, 142, 146, 148–50, 161f, 165, 215, 220, 223, 248, 253, 258, 261 Identität 49, 51, 89, 124, 131–8, 140–50, 155, 157, 160, 162, 198, 204–6, 218, 221, 224f, 228, 246, 254f, 257 Identitätsansprüche/-erwartungen 89, 131, 133, 146 Identitätskommunikation 205 Ideologie 28–30, 56, 165 Idolatrie 90, 182, 194, 203, 210, 253 Illokalität 185 Illusion 43, 119, 219 imago 211, 214, 216, 257 Imitation 72 Immanenz 249 Imminentismus 164 Impassibilität 201

Register incommunicabilis existentia 151, 207, 218 Individualismus 52f, 58, 71f, 116, 169, 176, 214, 216, 218f, 242, 245 Individualität 216, 219 Individuation 213, 219, 225 Individuum 48, 52, 54, 66, 78f, 100, 116, 169, 177, 202, 214, 216, 229, 236 Information 39, 41, 53, 69, 84, 101, 110, 149, 166, 174–6, 181, 183–5, 187f, 207, 222, 262 Inkarnation 130, 148, 151, 160, 186, 220, 224–9, 233f, 240, 247, 250, 253, 257 Inkommunikabilität 224, 231 Inspiration 228, 254 Integrität 92, 223, 230 Intellektualismus 52, 71f Intentionalität 18, 68–70, 72–5, 83, 85, 89, 97, 115, 119, 125, 128–30, 189, 209, 213, 240, 246, 254 Interaffektivität 73 Interleiblichkeit 73, 89, 128 Internalität von Relationen 50, 76 Interpretation 9, 39, 43f, 49, 52, 55, 57, 64, 67, 72, 76, 97, 103, 108–10, 113, 115, 119–21, 126, 130, 140, 147, 149f, 159, 168, 170f, 188, 192, 200f, 207, 215, 233, 236, 238, 241, 244f, 250, 261, 263f Interreligiosität 27, 30, 131, 265 Introspektion 41, 88 Intuition 34, 152, 232 Ipseität 88 Jesus Christus (s.a. Gott der Sohn) 34, 93, 111, 122–4, 146f, 150, 160, 162, 220, 224f, 248f, 257 Kanon 140, 145, 194, 223 Kappadozier 207 Karfreitag/Karsamstag 228, 258 Kausaldeterminismus 77, 192, 237, 242 Kausalität 38, 49–52, 55, 59, 69f, 76f, 81–3, 130, 183, 185, 188, 191, 254, 256, 262 Kausalität, formative 81–3, 144, 185, 188, 192, 254, 262

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Kernregionen 22–5, 37 Kirche 30, 126, 145, 147, 161, 194, 229, 243–6 Koautor 90, 133, 144, 255 Koemergenz 82 Koevolution 84, 173 Kognition 31, 43, 52f, 56, 59, 71, 73f, 76f, 85, 89, 93, 115, 123, 149f, 152, 196, 253, 260 Kohärenz 60, 83, 87, 89–92, 99, 112, 132, 134–6, 140, 153, 170, 196f, 199, 201, 223, 226, 230, 232, 240f, 252, 258 Kohärenz, dramatische 92, 132, 135, 140, 159–62, 196, 212, 218, 225, 234, 258f, 264f Kokreativität 212 Kommunikation 27, 37, 73, 94, 96, 103, 106, 114, 117, 124, 132f, 136, 143, 145, 147, 153, 158–60, 197, 204–7, 212, 222, 226, 229, 241, 243–6, 253, 259, 264 Konfession 27, 93, 203, 244 Konflikt 13f, 24f, 90–2, 99, 103, 117, 165, 223, 227, 244–6, 265 Konkarnation 220, 228, 230, 233, 253 Konsens 153 Konstruktivismus 37, 44, 66, 88, 193 Kontingenz (s.a. Zufall) 29, 36, 67, 77, 114, 129, 134f, 139, 141, 145, 154, 166, 169f, 181, 184, 195, 199f, 205, 209f, 223, 225, 232, 234, 237, 241, 252, 254, 262f Kontrastgesellschaft 243 Konversion 138 Kooperation 27, 83, 159, 176–81, 194, 204f, 212f, 217, 239, 246, 255 Kopräsenz 127, 229 Körper 38, 44, 57, 59, 63, 68, 75, 78, 81, 84, 87, 90f, 164, 186, 215, 226 Korrelation 38, 54, 64f, 87, 99, 102, 116, 124, 168, 187 Korrespondenz 151–4, 156f, 159 Kosmologie 248 Kreatur (s.a. creatur; s.a. Schöpfung) 139, 148f, 159, 211–3, 216f, 223f, 239, 257 Kreationimus 30 Kreaturvergötterung 47

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Register

Kreuz 146, 148, 227, 231, 255, 259 Kultur 43–5, 52, 73, 131, 156, 165f, 176, 181, 184, 189, 215, 239, 245, 249, 251, 262 Lamarckismus 237f Leben 10, 31, 34, 72, 75, 78, 90f, 93, 95f, 104f, 114, 121f, 125f, 131, 137f, 146, 148, 151, 157f, 162, 189f, 196, 199, 207, 213, 217f, 221, 223, 226f, 235, 244–6, 249, 255, 257, 259f, 263 Lebenserfahrung 92, 94, 137 Lebensformen 99, 169f, 188, 215, 243, 245 Lebensgeschichte 122, 124, 139, 142, 146, 200, 218, 225, 229 Lebenswelt 21, 23, 31, 78, 88, 126, 132, 164, 189, 216, 243, 261 Lebewesen 43, 62, 79f, 84, 106, 184, 234, 239 Leib 57, 61, 68, 72, 74f, 77f, 81, 85–9, 91, 112, 128–30, 164f, 186, 215, 222, 226, 259, 261f Leib-Körper-Dualität 78 Leibempfinden 88 Leiblichkeit 57, 63, 68, 72, 74, 76, 78, 81, 87–90, 107, 125, 127–31, 138, 140–4, 148–51, 159–61, 164f, 184, 186, 190, 196, 203, 206, 210f, 217–9, 225f, 228, 231, 233f, 238, 253, 255, 260, 266 Leibschema 57 Libetexperimente 47 Liebe, amor, caritas, eros 31, 33f, 69, 106f, 125, 127, 133, 147–149, 158f, 197–9, 201–9, 211–4, 216–23, 226f, 229, 231f, 235–9, 248, 250, 253, 256, 258f Liebesgeschichte 90, 107, 124, 158f, 161, 168, 188, 198–200, 202, 207–9, 218, 223, 228f, 232, 253, 256 Logik 27, 32, 109, 132, 135, 140, 147f, 210f, 214, 216, 226, 232, 237 logos 93, 130, 160, 224, 257 Lux mundi 247, 249

Meditation 48, 105 Megatheologie 18, 24, 103 Mem-Spekulation 167, 182, 244 Mensch 19–21, 29, 38, 41, 44, 52, 54, 56, 58, 62, 66, 72, 78, 81f, 88, 91f, 94, 97f, 100, 102, 106f, 111, 113, 116, 120, 125f, 132, 137, 142, 145f, 148f, 158–61, 165, 176f, 180f, 192–5, 197, 200, 203, 206, 213–9, 221–5, 227–30, 233f, 236, 238f, 244, 246, 250, 253f, 257 „menschen“ als Verb 219 Menschheit 92, 214, 216f, 222, 224 Mereologischer Fehlschluss 64 Merkmal/Wirkmal 38f, 42, 52, 80, 109, 128, 130, 136, 168, 183, 187, 199, 204 Merkorgan 79 Metanarration 36, 131f, 138f, 140–142, 145, 148–50, 223 Metapher 20, 30–4, 36f, 39, 42, 57, 159, 196–8, 201, 206, 208f, 230, 239, 247, 249, 251, 253, 255, 260, 263 Metatheologie 18, 24 Metrik 198 mimesis 133f Mitgeliebte/r/s 204, 229 Mitgeschöpfe 228 Modalitäten 132, 199f Modell 9f, 14, 30–7, 48, 54, 62, 86f, 89, 99–102, 106, 114–8, 121f, 139, 148, 150, 177–80, 183, 191, 195f, 203f, 206, 208, 210, 218, 227, 239, 242, 245–7, 249–51, 253–60, 263, 265 Modularismus 38, 40f, 64f, 116 Modularität 40, 42, 64f, 116 Module 40f Monismus 44, 50f, 67, 82, 235 Monokausalität 74, 180f, 183, 244 Mutation 166, 249, 251 Mutter-Kind-Dyade 72, 89, 206 Mythen 30f, 36, 44, 46, 60, 67, 91, 139, 165, 176, 222 Mythologie 47, 67, 222

Machiavellian intelligence 54, 76 Manipulation 28f, 54, 76, 204, 214, 265 Materie 78, 83, 175, 226, 235, 238, 248

Nachahmung 72, 133 Naherwartung 164 Narration/Narrativ/Erzählung/Geschichte

Register (s.a. Geschichte[n]) 16, 33–7, 49, 53, 84, 89f, 123, 126, 131–8, 140f, 143–50, 155, 157–62, 164, 189f, 196f, 199, 201, 206, 208f, 211–3, 217–27, 229–36, 239, 247, 252, 255f, 258f, 261, 263, 265 Narrative, epische 139, 258 Narzissmus 203, 232 Naturalismus 43, 45, 48, 50, 55, 76, 78, 82, 100, 118, 130, 189f, 192, 217, 233, 235–7, 239f, 265 Naturalismus 38, 78 Naturgesetze 223, 230, 251f Naturphilosophie 22f, 26, 37, 55, 81, 168, 192, 217, 241f, 245, 262, 265 Neodarwinismus 9, 165f, 168–71, 173f, 176, 178, 181f, 187, 192, 234, 238f, 242, 244, 247, 249f, 263 Neokortex 54f, 71 Neopositivismus 153 Neurobiologie 38, 73f, 82f, 88, 100, 182, 261f Neuroidealismus 47 Neuroimaging 65 Neurokonstruktivismus 38, 42, 44f, 49, 52, 55–7, 66f, 77 Neuronen 39, 42 Neuroplastizität 87f Neurosolipsismus 66 Neurotheologie 18, 24, 100–3, 114, 118, 261 Neurowissenschaften 38, 40f, 43f, 47–9, 52, 55, 64, 66, 71, 77, 82, 96, 100f, 114–7, 143, 168, 182, 185, 188, 264f Neuschöpfung 36 Nicht 137 Nicht-Personen 222 Nischenfunktion 174 Nischenkonstruktion 10, 172–8, 180–3, 185–8, 192–7, 218, 239f, 242, 244–7, 251, 253–60, 262f, 265 Nischenkonstruktion, inzeptive 174, 256–8 Nischenkonstruktion, reaktive 129, 174, 256, 258 Nischenrezeption 195f, 257f, 260, 264 Noosphäre 248

287

Notwendigkeit 68, 125, 133f, 136, 140, 199f, 233, 238, 253 Noumenon 45f, 67 Offenbarung 9, 19–22, 48, 98–100, 102, 105–18, 121, 124, 132, 140, 142, 149f, 164, 190, 227, 248, 250, 261, 263, 265 Offenbarung-Vernunft-Typologie 114 Ökologie 9f, 28, 54, 56, 63, 76f, 79–81, 85, 88, 90, 97, 115f, 118, 121f, 125–8, 148, 164, 174–6, 182–7, 194, 196, 207, 216, 255, 262, 265f Opfer 169, 222, 227, 235f, 238, 250 Organismen 39, 42, 53, 74, 79–81, 83–6, 89, 120, 166f, 169–77, 181, 183, 185–8, 193, 195, 251, 256f, 262f Organismusumweltsysteme 85, 182f, 195 Paarbindung 206, 239 Panentheismus 226 Pantheismus 51, 143, 215, 255 Paradigma 10, 38, 49, 77, 82, 100–2, 122, 139, 150, 157, 164, 168, 182, 201, 207, 215, 222, 244, 262 paranthropus 180f Partikularität 16, 18, 23f, 27, 48, 64, 67, 93, 96, 108, 110, 112, 122, 124, 128, 131, 134, 138, 140, 142, 157, 162, 164, 178, 182, 196, 206f, 218–21, 225, 232, 236, 239, 243, 246, 263 Partizipation 105, 162, 217, 225f Passion/Passivität/Pathos 39, 56, 60f, 77, 92, 98, 107, 110, 125, 128–30, 146, 157f, 162, 164, 193, 195, 207, 219–21 Passung 83, 87, 175 Person/Personalität 15f, 18f, 21, 26, 29, 33, 40–4, 47, 52f, 55, 57–9, 64, 68, 71, 73, 75, 78f, 82, 88–94, 96, 100, 104f, 109f, 112, 116, 119, 123–8, 130–6, 138f, 141–4, 146, 150f, 155–7, 159, 163–5, 187, 189f, 192, 200f, 204, 206–9, 211f, 216, 218–31, 233–6, 239–42, 246, 248, 253f, 256f, 259f, 264 Personalproprietäten 147, 207f, 229 Personbegriff 158, 206, 219–21 Personen als Voneinander-und-füreinan-

288

Register

der Werdende 52, 72, 124, 148, 156f, 162, 170, 185, 207, 212, 218f, 221, 224, 226, 231, 235 Persönlichkeit 40, 64 Phänogenotyp 184, 262 Phänomene 9, 14–6, 18, 20, 23f, 42f, 46–9, 52, 64, 67f, 81, 84, 91, 100, 102–5, 115f, 118, 125, 150, 167–70, 176, 180, 182, 187, 189, 191, 204f, 238, 241 Phänomenologie 9, 38, 47, 53, 57, 63, 68, 75–7, 79, 81, 88, 105f, 157, 188f, 191f, 205, 226, 236, 238, 262 Phänotyp 166–71, 175, 183–6, 262 Phantomschmerz 57 Physik 22, 26, 42, 52, 166, 174, 182, 234, 242, 252 Platonismus 16, 168, 217 Pleiotropische Effekte 167 Pluralismus 28, 51 Pluralität 51, 244, 260 Pneumatologie 126 Poetik 133f, 136 Polarität 95f, 98f, 114 Polygenetische Effekte 167 Population 10, 166f, 169, 173f, 176–9, 181, 183, 195, 260, 262 Postdemokratie 28, 215 Postliberalismus 120, 243, 245 Postmoderne 36, 139f, 216, 243 Potential 131, 171 Potentialität 62, 135 Prädikation 108–10, 115, 127, 140 Pragmatik 33, 188 Pragmatismus 15, 129, 154–7, 161 Präpersonen 189f, 219f, 222f Präsentation 19f, 42, 50, 94, 150, 158, 221, 230, 233 Präsenz 233 Praxis 19, 23, 34, 37, 57, 102f, 105, 109, 121, 124, 127, 129, 138, 143f, 149, 153–5, 202 Primaten/Primatologie 54, 177, 239 Profanität 94–6, 103f protentional-retentionale Struktur 68, 88, 128, 132, 189, 226 Protoselbst 84f

Prozess 34f, 42f, 54, 59, 64, 74, 77, 79–87, 89, 126, 131, 133f, 143, 146, 154, 158, 161f, 164f, 167, 169, 175f, 181, 184, 188–90, 194, 198, 207, 210–3, 218f, 221, 225, 238, 240, 248, 255f, 259 Prozessmetaphysik 14, 255f, 259 Quanten 35, 69, 77, 167, 182, 226, 242 Quasireligion 18, 28f, 55, 65, 76, 82, 118, 168, 171, 182, 244f, 265 Raum 58f, 80, 102, 169, 174f, 189, 208, 211, 213, 216, 254 Raumzeitlichkeit 41f, 57, 72, 100, 114, 117, 125, 142, 219, 261, 264 Realismus 15, 18, 44, 51, 88, 152, 252 Realität 28, 38, 40, 42–5, 60f, 66f, 69f, 95, 101, 105, 108, 111, 115, 117, 123, 135, 155, 159, 173, 203, 205f, 210, 216–8, 230, 244, 252f, 258–60, 264 Rechtfertigung 92, 95, 121f, 158, 191, 210, 214, 217, 244 Reduktion/Reduktionismus 31, 35, 43, 55, 68, 76, 82, 98, 117, 130, 143, 167, 171, 175, 181, 184, 189, 192, 200, 232, 235, 238, 241, 246 Reformation 93, 201 Reformatoren 15, 93f, 96, 103, 125, 144, 148, 196, 211, 217, 235, 254 Regel 15, 27, 34, 49, 76, 104, 108, 112, 114, 127, 134f, 152f, 164f, 176, 198, 200, 205, 210–4, 216f, 225, 230f, 234f, 237, 239f, 243, 246, 251, 257 Regenwurm 171, 176 Regisseur 79, 139 Relationen/Relate/Relationalität (s.a. Beziehung) 9f, 16, 49–55, 59f, 63, 69–71, 73, 76, 83, 85f, 101, 105–7, 110, 117, 121, 125–7, 129, 132, 136, 146–8, 151–7, 159–61, 164, 168f, 173f, 181, 183–5, 187f, 190, 195, 197–9, 201f, 204, 206–12, 216, 218–22, 224, 226, 228–30, 234–6, 238, 241, 257, 261–5 Relativismus 249 Relativitätstheorie 182, 214 Religion 13f, 16, 25, 27–30, 41, 46, 48, 91,

Register 100–4, 107, 114f, 120, 131, 161, 193, 200, 203, 244f, 250, 261, 266 Religionsfreiheit 246 Religionsgemeinschaften 30 Religionsgeschichte 194 Religionskritik 46, 60, 67, 104, 106 Religionslosigkeit 131 Religionsphilosophie 145, 214 Religionswissenschaft 27, 94 Religiosität 18, 24, 26–8, 30, 41, 48, 94, 96f, 99f, 102–4, 106–8, 110f, 113f, 116–8, 128, 131, 138, 140–2, 149, 200, 212, 216, 243–5, 253, 261 Repräsentation 24, 32, 35, 38, 40–2, 53, 55–7, 63, 66, 71, 73, 86f, 94, 96, 100, 115, 119, 121, 133, 156f, 167f, 171, 215, 257, 261f Repräsentationalismus 9f, 38, 40, 42, 44f, 48, 53, 55–7, 63, 66f, 71, 77, 97, 115–8, 121f, 133, 156f, 168, 182f Resonanz 9f, 35, 73f, 85–7, 95, 113, 130, 133f, 136, 143–6, 150, 157, 159–62, 186f, 211–6, 218f, 222f, 226, 228, 235, 239, 251, 257, 261f, 264–6 Responsivität 39, 54, 71f, 130 Rezeption 31, 79, 219, 247, 253, 255f, 262f Rezeptor 79 Reziprozität 23, 33, 74f, 82, 94, 147, 183f, 187, 198, 204f, 207, 218, 220, 222, 263 Rolle 10, 15, 38, 54, 61, 68, 74, 83–5, 90, 94, 98, 132, 134, 139, 152, 154, 174, 176, 182f, 185f, 193, 201, 214, 228, 245, 256, 258f Sakralisierung 91 Säugetiere 41, 222 Schleifen, offene 83f, 86f, 89, 127, 131, 133, 142, 186, 254, 261, 263f Schlüsselmetapher 196, 242, 246, 260, 263 Schlüsselmodell 36, 48, 102, 247 Schmerz 57, 190 Schneckenhäuser 170 Schönheit 231 Schöpfer/Geschöpf/Schöpfung 22, 25, 30, 39, 67, 108, 111, 119–21, 124, 126–8, 140, 145–7, 149f, 152, 155, 158–60, 162, 194,

289

197–200, 202, 207, 210–4, 216–35, 240, 247–51, 253–60, 263f Seele 248 Selbstbewusstsein 88f, 128–30, 218f Selbstbeziehung 176, 220 Selbstbild 91, 195 Selbstempfindung 85 Selbstentzug 77 Selbsterfahrung 88 Selbsterschließung 22, 108, 111, 218, 220f Selbsterzählung 131, 133 Selbstexplikation 18f, 196 Selbstgabe 93, 148f, 196, 263 Selbstidentifikation 145f, 149 Selbstidolisierung 203 Selbstinterpretation 103, 223 Selbstnarration 132 Selbstoffenbarung 107, 110 Selbstpräsentation 9, 19, 37, 145, 149f, 158, 162, 197, 200, 208, 220 Selbstverschlossenheit 220, 218 Selektion 65, 80f, 154, 166f, 169f, 172–5, 178, 180, 185–8, 193, 249–51, 257 Semantik 33f, 118, 122f, 134, 147f, 152f, 155, 175, 187f, 196 Semiose/Semiotik 35–7, 109, 134, 159, 188 Sequenz 89, 122, 124, 134f, 138, 142, 166, 198f, 202, 211, 212, 218, 224f, 227–9, 231 Sicherheit 15, 69, 165, 204, 222, 232 Simulation 52f, 73–5, 127 Sinneswahrnehmung 38f, 42, 74, 108 Situationskreis 80 Skepsis 37, 67, 139, 151, 233 sola fide 93 somatic-marker-hypothesis 71 Sonnengleichnis 44 Soteriologie 22, 122f, 227 Sozialanthroplogie 219 Sozialität 52–4, 81, 116, 208, 215, 218 Sozialwissenschaften 22f, 29 Soziobiologie 244 Soziologie 19, 167, 182, 215, 244f Spannung 90, 99, 102, 108, 131f, 135, 207, 245 Spezies 178f, 180, 193, 238f, 254f, 258

290

Register

Speziesismus 238 Spiegelneuronen 74 Spontaneität 47, 60, 62, 73, 77, 237, 252 still-face-experiments 72 Stimmungen 80, 85, 134f, 189 story (s.a. Narration; s.a. Geschichte[n]) 138, 150, 225, 248 Substanz 11, 44, 49, 58, 64, 70, 78, 207, 238 Sünde 91, 95, 121, 123f, 158, 160, 200, 217, 220, 222–4, 227, 229–32, 243, 253 Supralapsarianismus 213, 224 Sympathie 75, 236 Syntopie 57, 125 Szientismus 14, 28, 30 Technokratie 215 Teleologie 43f, 81, 120, 169, 175, 182, 188, 190–2, 217, 240, 262 telos 230 testimonium internum 144 Theismus 48, 100, 120, 202f, 209, 214–6, 231, 240, 255 Theodizeeproblem 203 Theodrama 139 theopaschitische Formel 224, 255 Theosis 213, 258 ToM-Theorien 52, 54 Transitivität 148, 198 Transsubstantiation 248 Trennungsanthropologie 92 Trennungschristologie 92, 224 Trinität/Trinitätslehre (s.a. Dreieinigkeit) 93, 146f, 149, 158f, 196, 201, 203, 206–8, 216, 218, 224f, 228, 240, 255f, 259, 264f Tugend 13, 24 Tychasmus 236–38

Übereinstimmung 151–3, 155, 159, 196, 236 Übermensch 214 Überraschung 17, 34, 60f, 71, 77, 89, 93, 118, 135, 137f, 141, 165, 199, 201, 231, 259, 264 Überzeugung 14–17, 19, 24–30, 60, 122–4, 127, 131, 155, 157, 161, 165, 241

Umwelt 9f, 39, 56, 59, 61f, 64, 73, 76, 79f, 83–9, 128, 164, 167, 169–78, 182f, 185–9, 193, 215, 220, 239, 243, 245, 253–8, 261–3 Unendlichkeit 17, 32, 34, 46, 69, 199 Unerwartetes 107, 166 Unterbrechung 80, 190, 259 Unverfügbarkeit 19, 28, 113, 263 Ursächlichkeit 81, 166, 169–71, 173, 181, 185 Vehikel 171, 193, 215 Ver-rücktheit (s.a. Sünde) 220, 222–4, 227, 229f, 232, 258f Verantwortlichkeit 15, 34, 84, 142, 168, 193f, 204, 213 verbum externum 124, 144 Vererbung 174–6, 181, 183–5, 244, 255, 260, 262 Verfügungsgewalt 223 Vergangenheit 28, 84, 100, 132, 135, 139, 155, 168, 184, 189, 231, 251 Vergegenwärtigung 160, 162, 166 Vergöttlichung 62, 117 Verheißung 91f, 94, 124, 145, 218, 246, 254, 260 Verkündigung 24, 34, 86, 146, 249 Verschränkung 27, 57, 69, 143, 146, 149f, 162, 172, 174, 196f, 200, 206, 219, 221, 258 Versöhnung 90, 99, 108, 111f, 146, 148f, 159f, 223, 225, 227f Vertrauen 20f, 41, 93, 105, 121f, 124f, 127, 146, 149, 157f, 161f, 204, 206, 209, 218, 221, 225, 246, 259, 264 Viktimisierung 239 Voluntarismus 214, 216, 232 Voodoo-Fehlschluss 64f Vorpersonalität 139, 144f, 163, 219, 230 Wahrhaftigkeit 124, 204, 206, 209, 225, 234, 243 Wahrheit 9, 13, 18f, 36, 40, 60, 111, 113, 118, 123, 126, 144, 150–7, 159–62, 165, 196f, 229, 235, 242, 244 Wahrheitstheorien 150–4, 156f, 159–62

Register Wahrheitswerte 31f Wahrnehmung 9, 38, 41–5, 56f, 64, 66, 73–5, 77f, 80f, 83–6, 88f, 91, 95f, 101, 108, 115, 118–21, 125–31, 133, 138–43, 149f, 156–8, 189f, 196, 226, 229f, 232f, 235, 239, 251, 254, 259, 261, 263f Wechselwirkung 25, 190 Wellenfunktion 69 Welt 9f, 15, 21, 34f, 39, 42–4, 46, 51, 54, 56f, 62f, 67, 70, 78, 87f, 90, 95, 97, 101, 104, 106f, 110f, 113, 120f, 123–6, 129, 139, 142–6, 150, 152, 154, 157–62, 168, 188f, 195–7, 199f, 206, 208–15, 217, 219f, 225, 227f, 230–5, 240, 247, 249–59, 263 Widerfahrnis 130 Widerständigkeit 56, 125 Wiederverzauberung 62f, 81 Wille 46f, 72, 90f, 111, 212, 224, 232 Willkür 46, 48, 103, 214, 228, 232, 249, 253 Wirkkausalität 81–3, 185, 192, 262 Wirklichkeit 22f, 36f, 42f, 46f, 60, 62, 66, 70, 85, 95, 104f, 107, 111–3, 125–8, 133, 142, 145, 151f, 155f, 200, 233, 238, 249, 251, 255, 257, 265

291

Wirkmal 80 Wohlwollen 204 Zeichen 35, 74, 134, 136, 154, 156, 188, 231, 243 Zeit 9f, 22, 25f, 28, 35f, 41, 43, 50, 59, 77, 80f, 94, 100, 102, 110, 114, 120, 132, 135, 141f, 144, 164f, 172–5, 178, 180, 182, 184, 191, 198, 201, 211, 213, 225f, 228, 231–3, 244, 247, 249–51, 253f Zeiterfahrung 68, 191, 251 Zeitlosigkeit 132, 135, 198f Zerebrozentrismus 71 Zeugnis 94, 121, 145, 150, 157, 164, 212, 246 Zufall 49, 67, 135f, 166f, 219, 239, 252 Zukunft 35, 107, 117, 132, 135, 137–9, 155f, 161, 164, 168, 189, 191, 193, 204f, 230f, 238, 241, 252, 260 Zurechtbringung 92, 158, 160, 220, 224, 229, 233, 239f, 243 Zwei-Naturenlehre 90, 224 Zweifel 15, 17, 124, 153, 209 Zwillingserde 58, 122