Rekonstruktion in Deutschland: Positionen zu einem umstrittenen Thema 9783034609043

Ein aktuelles Thema auf den Punkt gebracht   Ein zentrales Thema der Architektur im konzentrierten Überblick Beiträg

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Rekonstruktion in Deutschland: Positionen zu einem umstrittenen Thema
 9783034609043

Table of contents :
Editorial
Beispiel Potsdam
An der Seite von P. – Rekonstruktion eines Potsdam-Spaziergangs
Vom Werden einer Stadt – Zur Baugeschichte der Potsdamer Mitte
Die Mitte verhandeln – Ausschnitte aus dem Podiumsgespräch
Pressestimmen
Rekonstruktion
Sehnsucht nach Geschichte – Neu und Alt in Architektur und Städtebau
Trauerarbeit an Ruinen – Kategorien des Wiederaufbaus nach 1945
Facetten einer Begriffsgeschichte – Rekonstruktion
Willkür, Pluralismus, Toleranz – Wie lassen sich Rekonstruktionen erklären und bewerten?
Autoren
Bildnachweis

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Rekonstruktion in Deutschland

BAUKULTUR_VOR_ORT_________ Potsdam

Michael Braum, Ursula Baus (Hg.)

Rekonstruktion in Deutschland Positionen zu einem umstrittenen Thema

Birkhäuser Basel • Boston • Berlin

bauKULTUR B U N D E S ST I F T U N G

Die Bundesstiftung Baukultur wird vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung finanziell gefördert. Layout, Satz und Umschlaggestaltung: forst für Gestaltung_Hamburg_Berlin Umschlagabbildung: e27_Berlin Lithographie: Einsatz Creative Production_Hamburg Druck: fgb.freiburger grafische betriebe_Freiburg

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Inhalt

Editorial

__ 6

Beispiel Potsdam An der Seite von P. – Rekonstruktion eines Potsdam-Spaziergangs

__ 8

Christian Thomas

Vom Werden einer Stadt – Zur Baugeschichte der Potsdamer Mitte

__ 22

Michael Braum

Die Mitte verhandeln – Ausschnitte aus dem Podiumsgespräch

__ 34

Positionen

Pressestimmen

__ 42

Rekonstruktion Sehnsucht nach Geschichte – Neu und Alt in Architektur und Städtebau

__ 46

Wolfgang Pehnt

Trauerarbeit an Ruinen – Kategorien des Wiederaufbaus nach 1945

__ 60

Michael S. Falser

Facetten einer Begriffsgeschichte – Rekonstruktion

__ 98

Ursula Baus

Willkür, Pluralismus, Toleranz – Wie lassen sich Rekonstruktionen erklären und bewerten? Im Gespräch mit Ullrich Schwarz

Autoren

__ 110

Bildnachweis

__ 111

__ 106

6

Michael Braum

Editorial

Die Bundesstiftung Baukultur ist beauftragt, die Öffentlichkeit für baukulturelle Themen zu interessieren und dabei den Dialog zwischen der Fachöffentlichkeit und der breiten Öffentlichkeit zu intensivieren. In diesem gesellschaftlichen Diskurs geht es darum, Baukultur als ein ständiges Ringen um Qualität zu verankern, wobei die gebaute Umwelt in ihrer Gesamtheit in die Betrachtung einbezogen werden muss. Das heißt, dass neben der qualitativen Bewertung der baukulturellen Ergebnisse – wie die Gestalt und Nutzbarkeit der Häuser, Parks und öffentlichen Räume – auch die baukulturellen Prozesse, also die Verfahrensund Entscheidungswege hinterfragt werden. Eine zeitgemäße Baukultur sollte selbstverständlich eine fachlich zu verantwortende und demokratisch legitimierte Planungskultur einbeziehen. Mit dieser Publikation beginnt die Bundesstiftung Baukultur ihre Veröffentlichungen zu baukulturellen Fragen. Sie schließt an die erste BAUKULTUR_VOR_ORT- Veranstaltung im Juli 2008 in Potsdam an. Zwei Themen stehen im Brennpunkt des baukulturellen Interesses: zum einen die geplante Teilrekonstruktion des Potsdamer Stadtschlosses und deren Tauglichkeit als Landtagsneubau und zum anderen das dabei gewählte Realisierungsverfahren in Form eines Public-Private-Partnership-Modells. Somit werden beide oben beschriebenen Facetten des baukulturellen Diskurses beleuchtet.

Ausgehend vom Beispiel des Potsdamer Projektes möchten wir aktuelle Beiträge und Ansichten zum Stellenwert von Rekonstruktionen in Städtebau und Architektur in Deutschland zur Diskussion stellen – in einer feuilletonistischen Annäherung, mit einem Blick in die Geschichte der Rekonstruktion in Deutschland, außerdem mit Positionen, architekturgeschichtlichen Vergleichen und kulturwissenschaftlichen Überlegungen. Die Bedeutung einer baukulturellen Standortbestimmung scheint gerade beim Thema Rekonstruktion von großem Interesse zu sein. Das Thema polarisiert. In der breiten Öffentlichkeit wird der Ruf nach Rekonstruktionen lauter, und wachsende Teile der Fachöffentlichkeit wenden sich der Argumentation der Rekonstruktionsbefürworter zu – vorerst, um verschiedene Rekonstruktionstypen voneinander zu unterscheiden. Vor diesem Hintergrund drängt es sich auf, den Gründen nachzuspüren, die zu der wachsenden Beachtung von Rekonstruktionen gleich welcher Art führen. Schließlich sind dies auch Gründe dafür, dass baukulturelle Vorstellungen zwischen der breiten Öffentlichkeit und Teilen der Fachöffentlichkeit auseinanderdriften. Welche Sehnsucht löst den Wunsch nach vertrauten Bildern für unsere Städte aus? Warum sucht die Öffentlichkeit bei den kulturgeschichtlichen Zeugnissen in der Regel die Authentizität, weniger aber bei Städtebau und Architektur? Wieso würde eine Mona Lisa im Falle ihres totalen Verlustes voraussichtlich nicht „rekonstruiert“ werden – weder von Gerhard Richter noch von Anselm Kiefer? Aber Stadtschlösser schon? Hier schließt sich die Überlegung an, wie sich das Verhältnis zwischen Kunst- und Architekturgeschichte verändert.

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Die anhaltenden Diskussionen um Rekonstruktionen in Berlin, Dresden, Frankfurt am Main, Hannover, Potsdam und anderswo stehen stellvertretend für diese „Verlustdebatte“. Zum Rekonstruktionsthema gehört auch die Renaissance historisierender Entwürfe für ganze Stadtteile, wie sie beispielsweise innerhalb des Council for European Urbanism (CEU) propagiert wird. Es gibt augenscheinlich einen Trend, den Schein, und sei er noch so weit weg vom Original oder verfälsche er dieses sogar, auf eine Stufe mit dem Authentischen zu stellen. Wir haben dies eindrücklich im Rahmen eines vom Bundesministerium für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung eingeladenen Symposiums zum Thema „Rekonstruktion“ im November des vergangenen Jahres in Berlin veranschaulicht bekommen. Den Verlust der Authentizität beschreibt Walter Benjamin in seinem 1936 erschienenen Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Hier konstatiert er für die Reproduktion den Verlust der Einzigartigkeit. Authentizität jedoch sei, so Walter Benjamin, der Inbegriff all dessen, was von der materiellen Dauer bis zur Geschichtlichkeit reiche. Übertragen wir dies auf die aktuelle Rekonstruktionsdebatte und die mit ihr einhergehende Kritik an der Moderne sowie der zeitgenössischen Architektur, stellen sich folgende Fragen: Welchen Wert nimmt Authentizität überhaupt noch in den aktuellen Architektur- und Städtebaudebatten ein? Und inwieweit kann man sich auf Rekonstruktionsthemen in der Gegenwartsdebatte um Baukultur wirklich einlassen? Gleichzeitig müssen wir uns jedoch auch fragen, wieso die Öffentlichkeit den Architekten und Ingenieuren so selten zutraut, zeitgemäße Antworten auf gestalterische und funktionale Anforderungen zu finden. Antworten, die nicht nur die Identifizierbarkeit mit einem Ort schaffen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit seiner Geschichte bezeugen. Das sind unbestritten Qualitäten, mit denen der Wunsch nach Rekonstruktion wesentlich gerechtfertigt wird.

Die Bundesstiftung Baukultur wird dazu beitragen, die Diskussion um den Stellenwert von Rekonstruktionen zu versachlichen, wobei sie das Vertrauen in eine zeitgenössische Architektur in Deutschland stärken möchte. Dies erfordert notwendigerweise eine kritische Auseinandersetzung mit der Moderne im Städtebau und in der Architektur, die sich nicht davor scheut, Fehler konsequent zu korrigieren. Plädiert wird jedoch für eine zeitgemäße Haltung zum Weiterbauen unserer Städte. Ein derartiges Verständnis davon, wie das Bestehende besser zu entwickeln sei als bisher, wird bei der Beantwortung der Frage nach dem grundsätzlichen Stellenwert von Rekonstruktionen helfen. Wenn sich Rekonstruktion nicht als modischer, zeitgeist- und marktkonformer Nachbau, sondern im Sinne einer sich stets ändernden Vergewisserung der Vergangenheit im Prozess des Bauens begreifen ließe, sollte sich die Debatte entspannen. Abenteuerliche Legitimationen der Rekonstruktion als zeitgeistigem Retrotrend müssten sich damit erübrigen und einer unbefangenen, sachlichen Auseinandersetzung mit der Rolle der Geschichte in der Architektur und im Städtebau der Weg freigemacht werden.

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Christian Thomas

An der Seite von P. oder: Rekonstruktion eines Potsdam-Spaziergangs

Schau mich nicht so an, schaute er sie gleich am Morgen an. Und wenn Männer wie er, P., sich etwas in den Kopf gesetzt hatten, vielleicht sogar über Nacht, waren sie davon kaum noch abzubringen, zumal der Plan ausbaufähig war. Er wollte, da er sie schon nach Potsdam entführt hatte, ihr auch die Stadt zeigen. Das war viel besser, als mit zwei Knöpfen im Ohr durch die Straßen zu laufen, nein, zu flanieren, genau: zu flanieren. Allein die Vorstellung, sich mit zugeklebten Ohren durch die Stadt zu bewegen, links und rechts die erste und zweite Barockerweiterung, war peinlich. Am Vorabend hatte er sich ihn, diesen Potsdam-Führer, einige Minuten lang im zwölften Stock des Hotels Mercure angehört. Diesen Audio-Guide, immerhin seine Einleitung: Die Stadt Potsdam wuchs im Laufe ihrer tausendjährigen Geschichte aus einem unbedeutenden Marktflecken zu einer lebendigen Stadt. Von den Hotelhöhen hinab fiel der Blick auf eine gewaltige Baugrube, direkt an der Langen Brücke. Der Blick wanderte über die Freundschaftsinsel, die Havel, Alte Fahrt, Neue Fahrt, im Hintergrund lagen die Reste der ältesten Stadtmauer.

Vom Mercure ( Er: Als du noch neundreiviertel warst, hieß es noch Interhotel ) konnte man am Morgen weit sehen. Der Blick, den die DDRHinterlassenschaft erlaubte, fand Halt am Alten Markt. In der Woche, Anfang Dezember, war die Stadt an dem Ort, an dem das königliche Schloss einst existiert hatte und wo jetzt das Fortunaportal stand, als Replik, als Spende und zum Ansporn, eine Baugrube. Aus der Zeitung ging hervor, dass der Stadtschlossneubau, der Wiederaufbau genannt wurde, beschlossen war, und der der Garnisonkirche auch. Unter P.s Kunsthistorikerkollegen gab es dieses Kalauerabkommen, das aber bloß ein Stillhalteabkommen war: Na, ja, wenn’s der Wahrheitsfindung dienlich ist, dann im Namen des Heiligen Geistes von Potsdam. In einem Spiegel-Essay hatte er, P., geschrieben: In Potsdam will wohl jeder nach seiner Facon rekonstruktionsselig werden. Nun, in diesen Dezembertagen konnte man in Potsdams Zeitungen lesen, wie die Neubaubebauung an der Alten Fahrt in Bürgerversammlungen unglaublich erhitzt diskutiert wurde. Potsdams Wühlarbeiten, erfreute er sich an seiner Hotelentscheidung, lagen ihm vom Mercure aus zu Füßen.

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Kaum standen sie auf der Breiten Straße, die keine Straße mehr war, sondern eine einzige Umleitung, konnten sie zusehen, wie eine monströse Verkehrsführung perfekt gemacht werden sollte. Ein Straßenarbeiter hielt ein Thermometer in den Teer, entsetzlich fluchend. Von P. befragt, entfuhr es ihm, was für’n Sch… das alles ist, wenn sich der ganze Brei so knapp über null nicht mehr verteilt. Am Marstall längsseitig vorbei, keine Zeit für das Filmmuseum und die Bauplastik ( und was für bewegte Bilder boten allein die aus dem Stein gehauenen Rosse und deren Bändiger), stand man schneller als erwartet auf dem Neuen Markt. Hier, hörte er sie sagen, darf ich den Flaneur auf die Ratswaage aufmerksam machen, so dass er, also P., die Stirn runzelte, spöttisch, so kannte sie ihn doch hoffentlich. Du darfst es mir glauben, das ist so sicher wie der Klassizismus des Bauwerks, mit flachem Satteldach und der Fassadengliederung durch Pilaster in toskanischer Manier. Du hast noch etwas vergessen, so er. Die Farbe, aber klar doch, und sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn, wie diese eine bestimmte VIVA-Moderatorin. Nein, so er, nicht das Blassrosa, ich dachte an den quadratischen Grundriss. An den annähernd quadratischen Grundriss, wenn schon, denn schon, sagte sie. Sie sahen sich um. Das ehemalige Kabinettshaus, der Fassadenschmuck, die Attika. Ja, was denn nun, sollen wir reingehen? Er: So kommen wir kaum einen Schritt weiter, dafür haben wir zu viel vor. Also sagten sie sich, dass all die wissenschaftlichen Institutionen schon wissen werden, warum sie, schräg gegenüber, in den von Georg Christian Unger gebauten Stadthäusern residieren. Und wie gefällt dir das? Aber geht es darum? fragte er zurück, als sie vor der Hausnummer 5 standen, wo der Kontrast zu den Nachbarhäusern mit Rustika und Monumentalordnung ins Auge stach, dass es regelrecht schmerzte. Aber wir reden doch von Palladio, sagte sie eifrig. Einem Palladio-Remake in Potsdam, so er. Einer Palladio-Nachbildung, also gut, so sie, und das ausgerechnet auf dem am besten erhaltenen Platzensemble des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, schon seltsam, meinte sie, aber zur Baugeschichte gehört nun mal das Remake-Denken, auf jeden Fall orientierte sich Johann Gottfried Büring an Palladios Palazzo Thiene, Mitte des achtzehnten Jahrhunderts an einem zweihundert Jahre alten Muster, und so kommt eins zum anderen, eine

Architektur, der sie vor ein paar Jahren eine Fassade vor die Fassade gestellt haben. Man hat halt wie mit Zwiebelschalen gearbeitet, die historisierende Palladiofassade vor die Glasfassade gestellt, wir wollen es vielleicht nicht das Nonplusultra nennen, aber Rekonstruktionsroutine sieht doch wohl anders aus. Jedenfalls, sagte sie, so kann man’s machen, man kann schließlich nicht jeden Tag einen Gedanken neu erfinden. Wirklich? schaute er sie bloß an. Ich weiß, ich weiß, weil es dir im Grunde zu geschwätzig ist, ich kenn doch meinen P., sagte sie, das mit der vorgestellten Fassade ist ihm buchstäblich zu vordergründig, nicht durchdrungen genug. Das glaubst du von mir? Im Prinzip jedenfalls, aber lass uns da drüben hinlaufen. Da drüben, das war die Toreinfahrt, da ging’s hinein und dabei hatten sie unterm Portal die Quadriga ( Kutscher, Stallburschen, keine Könige, keine Götter ) mit jedem Schritt über sich herziehen lassen. Bereits durch ein Fenster konnten sie ein preußisches Utensil ausmachen, denn hinter der Scheibe des Hauses der BrandenburgischPreußischen Geschichte, das aus dem Stall für die königlichen Kutschpferde hervorgegangen war, das nach 45 als Autoreparaturwerkstatt gedient hatte, hinter der Scheibe also, wie gesagt in der Durchfahrt, sahen sie nicht etwa eine Tabakspfeife oder eine Querflöte, auch keine Kutsche oder seine Krücke oder eine seiner Invaliden. Aus Rekonstruktionsgründen bekam man ein einbalsamiertes Maschinengewehr zu sehen. Hier kriegt mich nicht mal eine friderizianische Quadriga rein, bestimmte sie, nicht ganz sicher, was er, P., vorhatte. Sei keine militärhistorische Memme, meinte er, aber gut, und machte sein Spitzbubengesicht. Lassen wir das, um unseren Potsdam-Spaziergang zu bestehen, müssen wir Preußens Gloria ja nicht auch noch zum historischen Nonplusultra erklären, aber wie gesagt, lassen wir das, winkte er ab, und konzentrieren uns auf unsere Architekturmission. Ohne jede Heldenannexion, ließ P. nicht locker. Es sei denn, wir sprechen von de Bodt, Boumann, Knobelsdorff, wer noch? Unger, klar, Persius. Schinkel falle ihr ein, natürlich, oder Gontard nicht zu vergessen, allein schon wegen des Brockeschen Hauses, nur wenige Schritte entfernt. Und schon standen sie an der Yorckstraße, wo es seit der Wende verrottete, mit seiner ganzen spätbarocken Monumentalordnung, weil der Investor nicht so wie die Stadt wollte, und die Stadt nicht so wie der Investor.

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Potsdam

01 __ Vom Mercure Hotel aus gelangten sie auf die Breite Straße, die keine Straße mehr war, sondern eine einzige Umleitung.

02 __ Der Blick fand Halt am Alten Markt, an dem Ort, an dem das königliche Schloss einst existiert hatte und wo jetzt das Fortunaportal stand.

03 __ Hier, hörte er sie sagen, darf ich den Flaneur auf die Ratswaage aufmerksam machen – mit flachem Satteldach und Fassadengliederung durch Pilaster in toskanischer Manier.

An der Seite von P.

04 __ Bei dem Gebäude Am Neuen Markt 5 hat man halt wie mit Zwiebelschalen gearbeitet, die historisierende Palladiofassade vor die Glasfassade gestellt.

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05 __ Sie standen am Stadtkanal, der im Zuge einer Bundesgartenschau wiederhergestellt worden war, und in dem, bei aller Liebesmüh’, dennoch kein Wasser wirklich fließt.

06 __ Als sie dann auf dem Bassinplatz standen, der auf der einen Seite als Markt diente und auf der anderen als Busbahnhof, waren sie beide tief enttäuscht, beziehungsweise, sie waren sich einig.

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Potsdam

07__ Was er im Holländischen Viertel sah, war ein Kleinkosmos aus Gaube oder geschweiftem Giebel, eine rhythmisierte Häuserreihenfolge aus Traufständigkeit und Giebelständigkeit.

08__ In der Friedrich-Ebert-Straße suchte er ein Mittagstischchen aus, wie im Schaufenster, so gefiel es ihm.

09 __ Die Brandenburger Straße möchte man als Sichtachse genießen, ohne Uriges und Stinkiges, oben, vom Brandenburger Tor, bis hinunter zu St. Peter und Paul.

An der Seite von P.

10 __ Wie oft waren diese Sichtachsen und Blickverbindungen, wie sie in der Brandenburger Straße zu erleben sind, gefährdet, sobald irgendein Schuft oder gar Schurke mit Geld auftauchte!

11__ Sie schlenderten weiter, in die Gutenbergstraße, und liefen auf die Wohnhäuser zu, Plattenbauten – auch die DDR hatte in den achtziger Jahren Anstalten unternommen, das Erbe aufzugreifen.

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Potsdam

Machen wir an dieser Stelle einen Sprung, denn eben noch standen sie am Stadtkanal, der im Zuge einer BUGA, einer Bundesgartenschau, wiederhergestellt wurde, dessen Kanaluferbebauung mit Geländer nach alter Art geradezu aufgeforstet wurde und in dem, bei aller Liebesmüh’ mit einem Kanal, dennoch kein Wasser wirklich fließt, so dass sie, als sie für einen Moment auf einer Brücke standen, sagte, dieser Kanal tue bloß so wie ein Kanal. Kurz, hier standen sie, und von hier machen wir einen Sprung zum Bassinplatz, P. hatte ihn noch in Erinnerung, von St. Peter und Paul, der neoromanischen Basilika mittig geteilt, im Hintergrund begrenzt von der Französischen Kirche (dem Elefantenklo, so konnte P. sich an böse Zungen erinnern ). Als sie dann auf dem Platz standen, der auf der einen Seite als Markt diente und auf der anderen als Busbahnhof, waren sie beide tief enttäuscht, beziehungsweise, sie waren sich einig. Die plane Fläche, die ebene Weite, alles erschien ihnen wie erstarrt und aufgereiht und monoton, trotz der Randbebauung so fade. Und all das wurde auch nicht besser durch eine Skaterpiste, rückwärtig, zum Park hin, irgendwie in Friedhofsverlängerung. Ganz rasch verdrückten sie sich, hier, sagten sie sich, haben wir nicht viel verloren, denn zum Exerzieren sind wir ja nicht gekommen, sagte er. Darauf beide, wie mit einer Stimme: ein regelrecht heroischer Entschluss. Wir sollten uns also nicht wundern, wenn sie, schneller, als sie es sich vorgenommen hatten, ins Holländische Viertel gerieten, wo sie, kaum eingetroffen, sagte: Sag’ jetzt nichts, ich weiß: Tourismusterritorium. Aber lass uns einfach mal stehen bleiben. Und hinsehen. Er erinnerte sich an einen schier unglaublichen Exkurs in einer Hauptseminararbeit: Potsdams Holländisches Viertel als Mutterbauch bürgerlichen Barocklebens und Urhöhle der Rekonstruktion. Aber er konnte dem freudianischen Feminismus nichts abgewinnen. Was er allerdings sah, war ein Kleinkosmos, einer aus Gaube oder geschweiftem Giebel, eine rhythmisierte Häuserreihenfolge aus Traufständigkeit und Giebelständigkeit, die nach einem strengen Schema hinterlassen worden war, einem, das sich buchstabieren ließ, A-BBB-A-BBB-A. Sei einfach mal ehrlich, es hört dir ja keiner zu, sagte sie. Gut, sagte er:

Das Holländische Viertel ist eine Welt, in der die Augenweide des Aufgeräumten herrscht, mit ihr wurde der rote Backsteinton als warmer Abglanz einer Ferne herübergerettet in eine Gegenwart, die man daran erkennt, dass in dem einen oder anderen schneeweiß gerahmten Fensterchen das Schild „Totalausverkauf“ hängt. P. hob die Arme wie zur Kapitulation: Ich find’s ja auch schön, aber ich darf doch wohl mehr sagen als: begehbares Denkmal oder der Stein gewordene Beweis für die Toleranz Preußens oder Klein-Amsterdam. Vielleicht darf man es so sehen, dass hier alles wirke wie nach einem Kleinkosmoshausputz. Ziselierter hätte es der Spötter nicht sagen können, lachte sie. Und deshalb kam es dazu, dass es anschließend wieder nur hieß: Schau mal. Oder auch: Wart’ mal kurz. Sicher, vor dem Haus in der Mittelstraße 3, hinter dessen Schwelle der Trödel lockte und in dessen Schummer sich der Schuster Wilhelm Voigt mit einer Uniform eingedeckt hatte, um in Preußen als Hauptmann von Köpenick durchzugehen, jedenfalls hier musste man auf den Gedanken kommen, dass Potsdam mit seiner Rekonstruktion eben auch eine kolossale Konstruktion sei. Dennoch hieß es weiterhin: Schau mal, wart’ mal, hier, die nur zwei Finger breiten Kämpfer. Gern hätte er sie jetzt vielleicht mal umarmt, aber sie ließ sich nur zusehen. Sogar die Gauben, wenn alte nicht mehr da waren, hatten sie nicht auf Alt nachgemacht und als Fälschungen in die Walmdächer gedübelt. Sie schweiften von Straße zu Straße und schwankten, denn es war ja noch ein echtes Trottoir, so dass sie gelegentlich auch wegen der Bepflasterung stolperten. Dann passten sie für ein paar Schritte besser auf, waren aber bald schon wieder mit ihren Augen oben, hatten also, weil sie wegen einer Einzelheit an der Traufe die Hälse lang machten, Glück, dass sie nicht umknickten, denn das wär’ was gewesen, das hätte ihre Trottoirtoleranz zweifellos auf eine harte Probe gestellt. Pause, hörte er sie seufzen, und sah sie eine Unterarmbewegung wie mit einer Zielflagge machen. Ob sie vielleicht nasse Füße haben könnte, dachte er, wegen der Schneeflecken. In der Friedrich-Ebert-Straße, und die Friedrich-Ebert-Straße ist in dieser Hinsicht unglaublich großzügig, suchte er ein Mittagstischchen aus, wie im Schaufenster, so gefiel es ihm. Er versuchte sich ein genaueres Bild von ihr zu machen, aber das gelang ihm plötzlich nicht,

An der Seite von P.

auch wenn sie sich eine Spinatquiche bestellte. Er schwieg einige Minuten, schaute auf die Straße, bis ihr mit einem Male die zerlesene Zeitung auf dem Tischchen gar nicht recht war, dass sie sie schon fortpfeffern wollte. Das war sein Stichwort! Aber lass doch mal, sagte er. Der Artikel machte den Eindruck, dass es in Potsdam ein Riesenproblem war, Denkmalbehörde zu sein. Der Artikel sprach von Selbstherrlichkeiten, aber auch von Denkmalschutzquerdenkern, von einem Gutachten und von einer Clearingstelle, damit alle Beteiligten, Bürger und Verwaltung, Rat und Investoren in Zukunft verträglicher zusammenarbeiteten. Wohl gar nicht so einfach, es dem Auge schön zu machen, meinte sie. Komm, sagte er. Sie: Wieso? Dem geschulten Auge, denn schau dir die Pflasterung an, schau dir die Laternen an, die gestalterischen Bemühungen gelten einem Gesamtbild. Die Beschäftigung mit dem Erbe gilt einem Ensemble, und wenn nicht dieser Weihnachtsmarkt wäre, der mit seinen Buden die Brandenburger Straße verstellt, könnten wir die barocke Straße vollständig genießen, und zwar als Sichtachse genießen, ohne Uriges und Stinkiges, oben, vom Brandenburger Tor bis hinunter zu St. Peter und Paul. Wie oft sind diese Sichtachsen und Blickverbindungen in und rund um Potsdam gerühmt worden. Wie oft ist das beschworen worden, im Großen wie im Kleinen, wie oft ist das immer wieder gefährdet gewesen, sobald irgendein Schuft oder gar Schurke mit Geld auftauchte und den Rat köderte. Um mit dem Alten Fritz zu sprechen: Wenn irgendeine Canaille auftauchte, lächelte er. Weißt du eigentlich, dass es Zeiten nach der Wende gab, in denen sie die Spekulanten Canaillen nannten, jedenfalls war das in Babelsberg so. Man kennt schließlich das geradezu klassische Absterben von Innenstädten, sobald ein Immobiliengangster am Stadtrand auftaucht. Sie: Ich erkenne meinen Prof. kaum wieder! Aber es war ihm ( sollte sie sich sicher sein! ) Ernst, ja, das war kein Fake, wenn er so wetterte, der Zorn nahm ihn regelrecht ins Gebet, denn sonst hätte er nicht, urplötzlich, so pathetisch betont, dass das Karstadt-Kaufhaus, also gut, das Stadtpalais Potsdam, sie sollte ihn jetzt nicht unterbrechen, im heutigen Erscheinungsbild immerhin dem Ehemaligen nachempfunden sei, mit einigen Veränderungen, gut. Ohne Fassadendekor, auch zugestanden, aber mit dem Jugendstil-Lichthof so schlecht nun auch nicht war. Oder etwa nicht gefällt?

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Also gut, einigermaßen gefällt, so kann man es wohl sagen, denn sie sage ja gar nichts dagegen, dass das Gebäude immerhin geschickt in die Blockstruktur eingliedert wurde, dass die Reliefdecke aus der alten Kaufhauskantine ins Foyer gestemmt wurde, sie gebe sogar zu, dass die Fassade mit ihren Pfeilern und Pilastern ganz gut dastehe. Aber, schaute sie ihn pfiffig an, sie wollten doch nicht übertreiben. Es gehe nicht um Pingeligkeiten, aber von den Warenhausarchitekturen eines gewissen Alfred Messel, von denen das Jugendstilgebäude 1913 abgeschaut wurde, sei trotz Betonung der Vertikalen in einem ziemlich breit gelagerten Warenhaus gar so viel vielleicht doch nicht übrig geblieben, jedenfalls nicht wirklich. Dann, als sie erneut auf der Brandenburger Straße standen, hieß es: Schau nur, nein hier, das Eckgebäude, es ist aus derselben Zeit, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, hier waren es Risalit und Pilaster, mit denen Gontards Bürgerpalais zitiert wurde. Bloß noch behauptet wurde? Und das findest du schön? Wir wollen, erwiderte sie, nicht übertreiben. Geht es um zeitlose Schönheit oder um zeittypische Sinnfälligkeit, wenn wir über Rekonstruktion reden. Sie stapften die Straße weiter, dann die Lindenstraße hoch, und sie ärgerte sich, dass P., was ihn ganz offensichtlich freute, sie in eine Rolle drängte, nämlich ausgerechnet in eine Fremdenführerinnenfunktion, das gefiel ihm! Als repräsentatives Stadtpalais des Kommandanten der Königlichen Leibgarde, hörte er sie sagen, ließ Friedrich Wilhelm I. das neunachsige, traufständige Große Holländische Haus mit Mansarddach errichten. Es ist das erste backsteinsichtige Bauwerk innerhalb Potsdams, nein, Moment, sagte sie, hier steht: vermutlich. Ab 1820 wurde es als Amtsgericht genutzt, unter den Nazis als sogenanntes Erbgesundheitsgericht missbraucht, zwischen 1953 und 1989 als StasiGefängnis. P. schaute sie an. Und? 1990 wurde eine Gedenkstätte eingerichtet. Nein, lachte er in sich hinein, ich dachte jetzt an den schön geschweiften, wie nennt man das noch? Mansarddachgiebel, richtig, kam er ihr zuvor.

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Potsdam

12 __ Sie erreichten die Wilhelm-Staab-Straße, und auf diese (das hatte er sich gedacht !) hatte sie sich besonders gefreut.

13 __ Sie querten den Kanal: Nun ging’s rasch dorthin, wo einst die Garnisonkirche gestanden hatte.

An der Seite von P.

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14 __ Datenverarbeitungszentrum oder so etwas Ähnliches stand auf dem fünfgeschossigen Bauwerk, dort, wo einst die Garnisonkirche gestanden hatte.

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Potsdam

Auch dachte er schon die ganze Zeit: Erinnerten sie sich? Weil sie schon mal hier waren, beide schon einmal. Er: Sagen wir jeweils lange her, jeweils zu einer anderen Zeit. Ja, sie noch an der Hand ihrer Eltern. Er mit Helen, zuletzt vor der Jahrtausendwende. Sie beide kabbelten und zankten sich bei jeder Gelegenheit, über den Barock, den Klassizismus, das typisch Friderizianische, den Geist von Potsdam. Schau, und er meinte die Sanierung des Monopteros mit der goldenen Caritas über den Firsten, den Giebeln und Gauben. Monopteros? Ja, sagte er sich, sie konnte noch viel von ihrem Prof., ihrem P. lernen. Wie also ein griechisches Rundtempelchen, dort oben, die Sichtachse der Dortustraße beherrschte. Jedenfalls habe sich, sagte er, nach dem letzten Besuch mit Helen unendlich viel getan. Da aber hörte er ganz deutlich, wie sie sagte: Okay, das mit der Sanierung mochte okay sein, aber die Reminiszenz an seine Ehe ( oder gar der Versuch ihrer Rekonstruktion?) war es ganz und gar nicht. Die nächsten Schritte, viele Schritte, gab es also kein Links, kein Rechts für sie, das ging erst wieder, nachdem er sich gesagt hatte, ach je: Meine Liebe. Und sich durchrang zu sprechen: Sorry. Er lachte, und Johanna Arens hätte ihm, weil er dazu sein Schuftgesicht machte, vor Wut beinahe vor die Brust getrommelt, du Schurke, du! Johanna Arens: Immer das Gleiche mit P. Aber ich will ihm glauben, denn sein Sorry hat ja fast schon Sammlerwert. Also ( seht Euch das an! ) schlenderten sie weiter, schwenkten in die Gutenbergstraße, und liefen auf die Wohnhäuser zu, Plattenbauten. Ja, aber wart’ doch mal, wenigstens kurz, denn auch die DDR hat Anstalten unternommen, um in den achtziger Jahren das Erbe aufzugreifen. Am Anfang war der Abriss, zugestanden. Aber was auch immer aus Vorgefertigtem und Standardisiertem hier errichtet wurde, war der Versuch, mit Zitaten etwas Ortstypisches entstehen zu lassen. Pragmatisch gesagt, meinte er. Also gut, ich seh’ schon, kein Sinn für die Zwerchgiebel. Sie: Zwerggiebel? Zwerchgiebel, Zwerch, mit ch, über den Eingangsachsen, allein das Anspielungen auf die barocke Typologie. Aber wie sagte schon Goethe, man sieht eben nur das, was man kennt. Ah, schlug sie sich an den Kopf, Name und Anschrift in Weimar bekannt. Nicht wahr! Sie lachten. Wieder schwenkten sie ab, erneut schweiften sie durchs Stadtbild, stritten, zankten weiterhin ein bisschen, ich seh’ das nun mal so, ich aber nicht, denn der Disput

würde ihm helfen, der kam seinen Plänen entgegen. Sie erreichten die Wilhelm-Staab-Straße, und auf sie (das hatte er sich gedacht! ) hatte sie sich besonders gefreut. Gefreut auf Einzelheiten wie Gesims und Girlanden, nein, nicht um P. mit einem blöden Stabreim zu nerven. Sie hatte den Blick über die stilistische Geschlossenheit schweifen lassen, die Fassaden entlang, die Lisenen entlang, die Fensterverdachungen entlang, sie hatte mit dem Finger auf Details des friderizianischen Barocks aufmerksam gemacht, den reichen Dekor, Blumengehänge, Medaillons mit männlichen und weiblichen Köpfen, Reliefs, okay, okay, mit Waffenschmuck, aber auch Puttenreliefs mit Kindern, die die vier Elemente repräsentierten, dazu Festons unter Fensterbrüstungen und neben Durchfahrten. Gemeinsam hatten sie sogar in einen Hof geschaut, um sich zu überzeugen, nein, um sicher zu sein, dass hinter dem geschlossenen Ganzen überhaupt nichts Friderizianisches mehr war, weil bereits die DDR nach all den Kriegszerstörungen darangegangen war, alles nachkriegsneu zu machen, und weil das so war, und weil sie sich geschworen hatten, dass sie sich nur an die Fassaden halten wollten ( Er: Kein Blick hinter die Kulissen! ), standen sie wieder auf der Straße, um sich erneut dem Gesamtbild zuzuwenden. Schwer fiel das ja nicht, den Blick schweifen zu lassen, den Fassadenschmuck entlang, die Verdachungen rauf, die Verdachungen runter, das Spiel war sogar mit Herzklopfen verbunden, denn es war ein Anblick von Schönheit, und Schönheit ist ja keine Kleinigkeit. Da aber sagte sie sich im nächsten Moment, plötzlich, aber nicht unerwartet, nun lach nicht, wenn ich sage, dass es einen Aspekt gibt, den ich dir bisher verschwiegen habe. Und da sagte sie, dass es ihr mit diesen Straßen, auf denen sie sich aufgehoben fühle, ja heimisch, ja vielleicht nicht heimisch, aber fast, dass es ihr jedenfalls mit diesen Straßen so gehe, dass sie diese Geschlossenheit auch befremde, so sei es ja nicht. Dass es diese Ausgewogenheit sei, die auch etwas Trügerisches habe, dass man bei dieser Milde auch ein mulmiges Gefühl kriege, eben wegen der Anmut der Fassaden. Sag doch einfach Idylle, schlug er vor. Wenn es das nur wäre, sagte sie, denn ich meine wirklich diese Milde mittels Fassaden, obwohl diese friderizianische Stadt eine solche Milde ja wohl kaum hatte, aber gut, sagte sie, sie sah ja seine Reaktion. Ich will ganz brav sein, keine Preußenmemme sein und nicht historisch argumentieren, sondern weiter-

An der Seite von P.

hin architektonisch und barocksaumselig, gehört doch zur architektonischen Rekonstruktion wohl auch die historische Reduktion. Da sagte er: Moment, das muss ich mir aufschreiben. Und als er es tatsächlich getan hatte, sagte er: ein gutes Stichwort. Deshalb ging’s rasch dorthin, wo einst die Garnisonkirche gestanden hatte, dem Militärwaisenhaus direkt gegenüber, mit dem restaurierten Monopteros. (Sie: genau! ) Sie querten den Kanal, sahen zum Glockenspiel, dem Mahnmal auf, schon war die Ecke Dortustraße/ Breite Straße erreicht. Datenverarbeitungszentrum oder etwas Ähnliches stand an dem fünfgeschossigen Bauwerk, dort, wo einst die Garnisonkirche gestanden hatte, deutlich sprang der Kubus von der Straßenflucht zurück. Man stand in einer anderen Welt. Richtig mies, sagte sich P., sie haben in der Stadt der Durchblicke nicht einmal Sinn für die Baufluchtlinien gehabt, sie haben Achsen in die Stadt hineingehauen, ohne Sinn und Verstand für Sichtachsen, sie waren beides, sie waren borniert und sie waren blind, sagte er sich, mal ganz unabhängig davon, dass die DDR-Hinterlassenschaft, also gut die Arbeit des Kollektivs Sepp Weber, korrigierte er sich, in einem scheußlichen Zustand war, auch das Mosaik, ja, auch das Mosaik, auf dem Menschen in den Weltraum vorstießen. Konsterniert stand die Kapazität P. vor dem Bauwerk, den Wandfeldern. Ob wohl die Denkmalpflege auch hier, fragte er sich, tätig wird, nicht wegen ideologischer Kraftmeierei, sondern aus architekturhistorischer Räson, unabhängig von Rachegelüsten? Das weitläufige Foyer war trist beleuchtet, er konnte Spolien ausmachen, Säulentrommeln, schwarzverkohlte Kapitelle, er sah Schautafeln aufgehängt mit historischen Fotos. Die verschlierten Schaufenster entlang war ein Ziegelsteinsaum aufgeschichtet: Aha, Ziegelsteinspenden, mit Namen versehen. Stein für Stein, dann wird ihr Kirchlein schon fertig sein! Jedenfalls das Foyer, sagte er sich, diente als Ausstellungsraum, als Gedenkraum, natürlich auch als Showroom. Und P. sagt dir noch etwas: Dieser Gedenkraum ist natürlich auch so etwas wie eine Keimzelle. Er ist sozusagen der mentale Munitionsraum, um dieses Gebäude, mit dem SED-Willkür über die Garnisonkirchenreste hinwegging, von innen zu sprengen. Auf abgeräumten Fundamenten soll ein Wahrzeichen Preußens wiederauferstehen. Hat das was mit Preußen zu tun?

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Komm, sagte er, wir haben höchstens noch eine halbe Stunde Zeit, müssen das letzte Tageslicht nutzen. Er: So viel darf man wohl sagen, dass in der Architekturgeschichte zur Rekonstruktion immer wieder der Revanchismus gehörte, zur Reminiszenz immer auch das Tilgen von Erinnerung. Hach, ist es nicht grotesk, natürlich will kein Mensch das „Heiligtum Preußens“ wiederauferstehen lassen, kein Mensch, jedenfalls kein vernünftiger, das „Gotteshaus der Langen Kerls“, keiner die „Gedenkstätte zur Anbetung der Hohenzollern“. Er: Kein Mensch will den „Geist der preußischen Garnison“ reanimieren, und kein vernünftiger Mensch den verheerenden „Geist von Potsdam“, den Schulterschluss von Deutschnationalen und Nazis. Ein solches Spekulationsobjekt dürfte diese Immobilie ja wohl nicht mehr sein, aber was, sagte er, wollen all diese durch und durch vernünftigen und bürgerlich denkenden und nicht mehr borussisch fixierten Menschen dann? Bloß eine Hülle, und was für eine monumentale, seufzte er, etwas so wie hier, schau dir das noch kurz an. Sie waren einige Schritte über das Schaufenster hinausgegangen, standen vor einer Treppe, auf deren Absatz ein Gitter stand. Nein, sagte er, das Torgitter ist eine Garnisonkirchenreminiszenz, ich meine die Fassade, dahinter. Einige Meter zurückversetzt stand ein Bauwerk, erneut eine Palladio-Reminiszenz, sie war eine von Unger, so wusste er. Das Bauwerk war zweierlei, Zitat der Loggia der Villa von Valmarana in Vicenza, aber eben auch Auftragswerk Friedrich II. Oder was glaubst denn du, wo dieses ganze Bilderprogramm herkommt, mit Reliefs und Statuen, Trophäen, Kriegergruppen. P. machte eine Pause. Das Schönste aber kommt noch: Es ist eine reine Schaufassade, so massiv wie monumental. Das Schönste? Wie man eben so sagt, murmelte er vor sich hin, wenn man sich gehen lässt und sagt: das Schönste, doch in Wahrheit meint man ja: Es ist einfach nur absurd. Es ist eine Floskel, so wie diese Fassade eine ist, reine Schauarchitektur war für einen Stall dahinter, nein, Moment, jetzt hab’ ich das Wort, das ich die ganze Zeit suche: Furnierarchitektur. Und ums monumentale Furnieren geht’s auch beim Neuaufbau der Garnisonkirche, jetzt hatte er es, so dass er auch wieder Augen für seine Begleiterin hatte, so dass sie etwas sagte, und deshalb hörte er, wie sie meinte, dass auch sie ganz und gar nicht garnisonkirchenbedürftig sei, wirklich nicht.

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Potsdam

15 __ Fadengenau über der Replik der Fortuna stand das Mercure, das Hotelhochhaus aus DDR-Zeiten – mehr Geschichte, sagte sie, geht nicht, jedenfalls aus einer bestimmten Perspektive.

An der Seite von P.

War sie stadtschlossbedürftig? Da standen sie auf dem Alten Markt, vor sich das Fortunaportal. Die Replik war für viel Geld zustande gekommen, durch die Spende eines TV-Helden. Komm, sagte er, noch einen Schritt weiter zur Seite. Da stand fadengenau über der Replik der Fortuna das Mercure, das Hotelhochhaus aus DDR-Zeiten. Mehr Geschichte, sagte sie, geht nicht, jedenfalls aus einer bestimmten Perspektive. Komm, sagte er, aber wir brauchen, um etwas lesen zu können, ein wenig Licht. Und so standen sie im Arkadengang der Fachhochschule, alles an dem Kubus aus DDR-Zeiten wirkte ruinös, die vertikalen Betonlamellen schrundig, die Fassade schorfig. Doch das Flurlicht aus dem Foyer ließ sich noch vor der Tür nutzen, so dass er sagte, lies du, du siehst besser. Und er sah, wie sie las, an der Seite von P.: Stadtschloß. Zeitweilig Winterresidenz der preußischen Könige. 1945 ausgebrannt, die Ruine 1960 / 61 beseitigt. – Unter König Friedrich I. seit den 90er Jahren des 17. Jh. das Schloß zu einer repräsentativen, von französischen Vorbildern beeinflußten Dreiflügelanlage umgestaltet. Aus dieser Bauperiode das den Ehrenhof an der Stadtseite abschließende Fortunaportal 1701 von Jean de Bodt und die dekorative Ausgestaltung des Hauptsaales zwischen 1694 und 1706 durch Andreas Schlüter. Umfassender Um- und Ausbau des Schlosses und der Nebengebäude 1744 – 52 als Residenz Friedrich II. unter der künstlerischen Oberleitung von Wenzeslaus v. Knobelsdorff, durch des Königs Wünsche beeinflußt. Sie: Darum geht es? Er: Darum geht es. Er steckte seinen Dehio wieder ein, es war eine berühmte Ausgabe, die historische von ’93. Man könnte es also auch anders ausdrücken, meinte sie. Zweifellos, sagte er. Er hatte den Eindruck, dass er sie aber unsicher gemacht hatte. Komm, sagte er, weil sie bestimmt fror und es für Schinkels Nicolaikirche oder Knobelsdorffs Rathaus zu spät war, zu dunkel. Im Übrigen waren die Wahrzeichen eingerüstet bis unter ihre Spitzen. Wollte er sich das antun, Preußen im Zustand des Provisoriums? Eine Viertelstunde später stand P. im zwölften Stock am Fenster des Mercure und schaute hinaus, über die Freundschaftsinsel, in das Loch, die gewaltige Grube. Er hatte die Ohrstöpsel im Ohr und hörte: Am Ende können Sie einen filigran ummantelten Turm mit einer Metallspitze erkennen. Dieser Turm markiert die Stelle der Heiliggeistkirche, die der Soldatenkönig 1726 bis 1728 dort

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errichten ließ. Die Heiliggeistkirche ist 1945 den Bomben zum Opfer gefallen. Im Neubau einer Seniorenresidenz wurde ihr Turmkörper jedoch wieder aufgegriffen. Sein Blick wanderte, die enorme Baugrube und die Freundschaftsinsel lagen, so kurz nach sechs an diesem Dezembertag, im Dunkel. Am Ende der Insel konnte er den Turm erkennen. Aber was sah er? Der postmoderne Quark war nur fahl beleuchtet, zum Glück, anders als am Morgen dieser ganze Quark, sagte er sich, denn als Kunsthistoriker war er dafür bekannt, dass seine Toleranz bei der Postmoderne aufhörte, in aller Regel jedenfalls. Er warf seinen Koffer auf das schmale Bett. Für seine beiden Kinder, Peter und Paul, hatte er an der Hotelrezeption zwei Zertifikate erstanden. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich daran glaube, an diesen Stadtschlossklimbim, aber zum Generationenvertrag gehört, dass ich meinen Jungs, ich weiß, für Mädchen wär’ das nie was, diese Wertpapiere vermache. P. strich spöttisch über den Schriftzug, der einen Stadtschlosskredit versprach. Alles an den Papieren wirkte absichtlich übertrieben, wie gemacht. Lustig, sagte P., diese Klugschwätzer tun alles, damit wir diesen unglaublichen Anachronismus durchschauen. Dann verstaute er, P., ebenso vorsichtig (Ist sie nicht schön!) und sorgfältig (Moment, nein, so rum ist besser!) Teetasse und Untertasse, das Geschenk für Helen, das er in einem Lädchen in der Gutenbergstraße gefunden hatte. Für den Abend hatte er sich an der Hotelrezeption die allerletzte Karte für ein Konzert im Nicolaisaal besorgt, im berühmten, aber vielleicht auch berüchtigten Nicolaisaal, jedenfalls war die Sache undurchsichtig wegen der geballten Postmoderne, die ihn erwartete. Vordergründig? Geschwätzig? Banal? Quarkarchitektur? Nein, nein, vorgreifen wollte er nicht. P. legte sich auf das französische Bett, stellte den Wecker zur Sicherheit auf halb sieben, noch zwei Viertelstündchen, und ließ den Tag Revue passieren. Für seine Vorlesung hatte er genug Material zusammengetragen. P., sagte sich Peter-Paul Ponnier, zur Rekonstruktion reicht es. Während er so dahinschlummerte ( Das tut gut! ), nahm er sich vor (Was das gut tut!), im kommenden Semester für eine überschaubare Gruppe eine Potsdam-Exkursion anzubieten. Schau, dachte er, weil ihm Johanna Arens aus seinem Oberseminar durch den Kopf ging.

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Michael Braum

Vom Werden einer Stadt Zur Baugeschichte der Potsdamer Mitte

01 __ Potsdam und Umgebung im siebzehnten und am Ende des achtzehnten Jahrhunderts: überzeugendes Zusammenwirken von Landschaft und Stadt.

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Die heutige brandenburgische Landeshauptstadt Potsdam entwickelte sich im ausgehenden sechzehnten Jahrhundert zur Residenz- und Garnisonstadt; Kurfürst Joachim II. ließ hier seiner Gattin Katharina ein Renaissanceschloss bauen. Ein halbes Jahrhundert später beauftragte Friedrich Wilhelm (1640 –1688), der Große Kurfürst, Johann Gregor Memhardt und Dietrich de Langelaer damit, der Residenz eine gebührende Gestalt zu verleihen. Memhardt entwarf im Rahmen dieses Auftrags den Neubau des Stadtschlosses, das die mittelalterliche Burganlage ersetzen sollte, de Langelaer gestaltete den dazu gehörenden Lustgarten. Im Zuge der Planung wurden auf das Schloss ausgerichtete Alleen angelegt, die sich bis heute im Stadtgrundriss wiederfinden. Die Potsdamer Mitte wurde zu dieser Zeit als prägender Bestandteil des sie umgebenden Landschaftraums inszeniert; ihre Gestaltqualität erhielt sie aus dem überzeugenden Zusammenwirken von Landschaft und Stadt.

wachsender Bedeutung. Bis 1740 entstanden mehr als neunhundert Wohngebäude; die Bevölkerung wuchs auf knapp zwölftausend Zivilbewohner sowie etwa viertausenddreihundert Soldaten an. Friedrich Wilhelm I. legte weniger Wert auf Repräsentation – er kümmerte sich vielmehr um den Bau der Typenhäuser, welche die erste und zweite barocke Stadterweiterung 1722 und 1733 prägten. Während Friedrich Wilhelms Regentschaft entstanden auch repräsentative Gebäude, wie die von Philipp Gerlach entworfene Garnisonkirche 1732, deren Rekonstruktion heute vorgesehen ist, und die ebenfalls nach Gerlachs Entwürfen renovierte Nikolaikirche – außerdem die am Standort der alten Slawenburg 1726 von Pierre de Gayette entworfene Heiliggeistkirche. Im Krieg wurde die Kirche zerstört, ihr Turmstumpf 1974 gesprengt. In einer sehr freien Nachempfindung des Kirchenbaukörpers entstand in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein Seniorenstift.

Zweite Residenz der Könige in Preußen Friedrich I. (1657–1713) legte den Schwerpunkt seiner städtebaulichen Ambitionen auf das bedeutendere Berlin; für ihn entwarfen unter anderem Andreas Schlüter den barocken Neubau des Berliner Schlosses und Johann Arnold Nehring den des Charlottenburger Schlosses. Friedrich I. ließ es sich dennoch nicht nehmen, nach seiner Krönung zum König von Preußen im Jahr 1701, das von Jean de Bodt entworfene Fortunaportal am Potsdamer Stadtschloss zu errichten, um es mit jener Königskrone auszuschmücken, die er so lang ersehnt hatte. Darüber hinaus beauftragte er Johann Arnold Nehring mit dem Entwurf der Orangerie, die als nördliche Fassung des Lustgartens entstand. Sie ist das einzige heute erhaltene Gebäude, das zum historischen Stadtschloss gehörte – inzwischen wird sie als Filmmuseum genutzt. Friedrich WilheIm I. (1688 –1740), der Nachfolger Friedrich I., sollte als der Soldatenkönig in die Geschichte eingehen. Er übernahm mit der Residenz Potsdam ein repräsentatives Schloss, das von gerade einmal zweihundert Häusern mit etwa eintausendfünfhundert Einwohnern umgeben war. Der Soldatenkönig entwickelte aus der bescheidenen Residenz eine Garnisonstadt mit

02 __ Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm ließ das Potsdamer Stadtschloss im siebzehnten Jahrhundert errichten, Friedrich I. erweiterte es um das Fortunaportal.

03 __ Ebenfalls von Friedrich I. in Auftrag gegeben: die heute als Filmmuseum genutzte Orangerie.

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Potsdam

04 __ Wohnviertel statt Repräsentationsbauten: die beiden barocken Stadterweiterungen von 1722 und 1733 unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I.

05 __ Ein Seniorenstift nimmt heute den Platz der Heiliggeistkirche ein – den Baukörper des sakralen Vorgängers empfindet der Neubau frei nach.

06 __ Nach dem Umbau durch Wenzeslaus von Knobelsdorff: das Potsdamer Stadtschloss unter Friedrich dem Großen.

Vom Werden einer Stadt

07 __ Wie sich die Nikolaikirche mit der neu geschaffenen Knobelsdorffschen Front ausnahm, hielt Johann Friedrich Meyer auf seinem Gemälde von 1771 fest.

09 __ Potsdam im Jahr 1850: Die Entwicklung der Stadt verlagerte sich mehr und mehr nach Osten.

08 __ Die Fotografie von 1912 zeigt den alten Markt von Westen, eingerahmt von Altem Rathaus und Fortunaportal, im Hintergrund der Palast Barberini.

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Potsdam

10 __ Noch ohne Kuppel zeigt sich der Entwurf von Friedrich Schinkel für den Wiederaufbau der Nikolaikirche zur Zeit Friedrich Wilhelm III.

Den Alten Markt ließ Friedrich der Große im Umfeld des Stadtschlosses zu einer Platzanlage in Anlehnung an die römische Antike umgestalten – die Vorbilder dazu hatte er selbst ausgewählt. Johann Boumann und Carl Ludwig Hildebrandt beauftragte er mit der Fassadengestaltung des Alten Rathauses als Reminiszenz an einen nie ausgeführten Entwurf von Andrea Palladio für den Palazzo Angarano in Bassano. Von Knobelsdorff setzte eine Barockfassade vor die Nikolaikirche, die gestalterisch die Front von Ferdinando Fugas Santa Maria Maggiore in Rom (1743) aufnahm. Am Alten Markt entstand schließlich neben dem Abbild von Palladios Palazzo Montano Barbarano der von Carl von Gontard und Georg Christian Unger entworfene Palast Barberini (Humboldtstraße 5/6) nach dem Vorbild des Palazzo Barberini in Rom.

Missachtung der Mitte

11__ Von der Humboldtstraße aus gesehen: das Alte Rathaus auf einer Fotografie von 1912.

Den Lustgarten ließ der Soldatenkönig zum Exerzierplatz umwandeln, auch die Orangerie verlor ihre einstige Funktion und wurde fortan als Marstall genutzt. Friedrich Wilhelms Sohn, Friedrich der Große (1740 –1786), konzentrierte sich in der Tradition seines Großvaters wieder auf die auf Repräsentation ausgelegte, architektonische Gestaltung Potsdams. Er beauftragte Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff mit dem Umbau des Stadtschlosses sowie mit dem Neubau von Schloss Sanssouci.

Unbeschadet dieser repräsentativen Aufwertung leitete Friedrich II. die kontinuierliche funktionale „Aushöhlung“ der Potsdamer Mitte ein. So ließ er unweit von Schloss Sanssouci nach Entwürfen von Johann Gottfried Büring, Heinrich Ludwig Manger, Carl von Gontard und Jean Laurent Legeay das Neue Palais erbauen. Unter Friedrich Wilhelm II. bis Wilhelm Friedrich IV. ( II. 1786 –1797, III. 1797–1840, IV. 1840–1861) verlagerte sich die städtebauliche Entwicklung nach Osten. Damit zeichnete sich eine Tendenz ab, die sich mit dem Wachstum Berlins im Zuge der Industrialisierung verstetigte. 1795 beauftragte Friedrich Wilhelm III. Karl Friedrich Schinkel mit einem klassizistischen Neubau der niedergebrannten Nikolaikirche. Der von Schinkel geplante Entwurf wurde nach dessen Tod durch Ludwig Persius und Friedrich August Stüler im Auftrag von Friedrich Wilhelm IV. fertig gestellt. Neben dem Architekten Karl Friedrich Schinkel avancierte Peter Joseph Lenné zum Landschaftsarchitekten der Könige.

Vom Werden einer Stadt

Die staatstragende Beamtenstadt Die Erneuerung des preußischen Staates bescherte nach den napoleonischen Kriegen dem alten Zentrum den Hauch einer neuen Bedeutung. Im Zuge dessen verlegte die bürgerliche Stadtregierung ihren Sitz ins Alte Rathaus. Potsdam wurde dennoch keine Stadt des aufstrebenden Bürgertums, vielmehr blieb es eine staatstragende Beamtenstadt, deren stadtentwicklungspolitischen Geschicke weiterhin vom Hof bestimmt wurden. Die auf Repräsentation ausgelegten „Grands Projets“, wie der Bau des Marmorpalais (Carl von Gontard und Carl Gotthard Langhans), der Neue Garten (Johann August Eyserbeck) sowie das Schloss Babelsberg (Karl Friedrich Schinkel und Ludwig Persius sowie Peter Joseph Lenné und

12 __ Potsdam im Jahr 1865: „Grands Projets“ prägen die Ränder der Stadt.

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Fürst Pückler-Muskau), prägten neben zahlreichen Kasernenbauten das Bild der Residenz- und Garnisonstadt an ihren Rändern. Sein vorläufiges Ende fand der Bau von Schlössern mit dem Cecilienhof, der unter Kaiser Wilhelm II. von Paul Schultze-Naumburg entworfen und 1915 fertiggestellt wurde. Als der Deutsche Kaiser 1918 abdankte, verlor das Potsdamer Stadtschloss vollends seine Funktion und Potsdam die treibenden Akteure der Stadtentwicklung. Zuletzt als Verwaltungssitz sowie von kulturellen Einrichtungen genutzt, brannte das Schloss im April 1945, durch einen Bombenangriff schwer zerstört, bis auf die Grundmauern nieder. Im Zuge des Wiederaufbaus nach 1945, der das tradierte Raumgerüst der Stadt ignorierte, wurden die Reste des Stadtschlosses gesprengt.

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13 __ Das Potsdamer Stadtschloss brannte im April 1945 bis auf die Grundmauern nieder; seine Reste wurden auf Anweisung der DDR-Führung 1959/60 gesprengt.

14 __ Hinter dem im Jahr 2001 rekonstruierten Fortunaportal ist das in den sechziger Jahren errichtete Mercure Hotel (vormals Interhotel) zu erkennen.

15 __ Der historische Stadtgrundriss wurde zu DDR-Zeiten von den Idealen des real existierenden Sozialismus überlagert: Die Fotografie zeigt die in den siebziger Jahren entstandene Bibliothek.

Vom Werden einer Stadt

16 __ Fassadengestaltung der Bibliothek: An die Stelle der Herrschaftsarchitektur der Hohenzollern trat die Nachkriegsmoderne.

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Potsdam

17 __ Der Plan zeigt die städtebaulichen Umgestaltungen der DDR-Zeit.

18 __ Blick von Südwesten auf das damalige Interhotel, die Freundschaftsinsel und den Alten Markt im Jahr 1987.

Konzentrierte sich die funktionale und gestalterische Neukodierung der Potsdamer Mitte zunächst auf den Bau des Ernst-Thälmann-Stadions im Lustgarten, folgte 1967 bis 1969 der Neubau des Interhotels, des heutigen Mercure (Sepp Weber, Helmut Töpfer, Herbert Gödicke). Im Zuge des Neubaus der Bibliothek (Sepp Weber, Hartwig Ebert, Peter Mylo, Fritz Neuendorf ), des Lehrerbildungszentrums (Sepp Weber, Wolfgang Merz, Dieter Leitz, Herbert Gödicke) und der Wohnbauten (Hartwig Ebert, Peter Mylo, Fritz Neuendorf ) wurde in den siebziger Jahren der historische Stadtgrundriss im Geiste der Nachkriegsmoderne und des real existierenden Sozialismus überplant. Anstelle der Herrschaftsarchitektur der Hohenzollern sollte die „Neue Potsdamer Mitte“ entstehen, die als zeitgemäßer Höhepunkt der Stadtkomposition die zentralen Einrichtungen der Stadt aufnehmen sollte. „Der bauliche Ausdruck von Kommunikationsbeziehungen der Bewohner und Gäste manifestiert sich in der harmonischen Verbindung historischer und neugebauter Komplexe. Das Stadtzentrum, in dem sich ein Hauptteil des politischen und geistig-kulturellen Lebens vollzieht, ist auch künftig als Höhepunkt der bau- und bildkünstlerischen Gestaltung der Stadt so zu entwickeln, dass es den unverwechselbaren Charakter in hervorragendem Maße prägt.“ 1 Abgesehen von dem Pathos drückte sich in der Realität eine städtebauliche Haltung aus, welche die Großmaßstäblichkeit in Synergie mit einer aufdringlichen Leere brachte. An die Stelle differenzierter Raumfolgen traten Verkehrsknoten und halböffentliches Abstandsgrün in Verbindung mit zu großen Gebäuden. „Den Potsdamer Bürgern und den vielen Millionen jährlichen Besuchern zeigt sich das neue Stadtzentrum um den Verkehrsknoten an der Langen Brücke als attraktives Ensemble mit vielfältigen Funktionen – wie Kulturhaus, Filmmuseum, Hotel, Bibliothek, Bildungseinrichtungen, Verkaufseinrichtungen, Gedenkstätten, Klubs und Wohnhäusern in restaurierten historischen und neu gebauten Gebäuden – die gleichzeitig Spiegelbild widersprüchlicher Entwicklungen in Städtebau und Architektur sind.“ 2

1. __ Büro beim Stadtarchitekten (Hg.): Städtebaulich-architektonische Entwicklung der Bezirksstadt Potsdam, Potsdam 1989, S. 12. 2. __ Ebenda.

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19 __ Den Rohbau des Theaters am Alten Markt ließ die Stadtverordnetenversammlung im Jahr 1991 abreißen.

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20 __ Erst im Jahr 2006 erhielt das Theaterensemble mit dem Neubau des von Gottfried Böhm entworfenen Hans Otto Theaters eine eigene Spielstätte.

Die Leere sollte ein Theaterneubau füllen, dessen Eröffnung für das Jahr 1993 geplant war. Entworfen wurde er unter anderem von Günter Franke, einem jener Architekten, die für den Bau des Berliner Fernsehturms am Alexanderplatz verantwortlich zeichneten. 1991 beschloss die Stadtverordnetenversammlung jedoch, das im Rohbau fertige Haus abzureißen. Das Theater fand mit dem Neubau des Hans Otto Theaters in der Schiffbauergasse, entworfen von Gottfried Böhm (2006), seine neue Spielstätte. Im Rahmen der Bundesgartenschau 2001 wurde der Lustgarten als zeitgenössische Interpretation des historischen Motivs nach einem Entwurf von Albert Dietz und Anne-Maud Joppien angelegt, und auch die berühmten Staudenanlagen von Karl Foerster auf der Freundschaftsinsel konnten wiederhergestellt werden. In Verbindung mit dem rekonstruierten Fortunaportal wurde der Alte Markt 2005 in seiner Oberfläche teilweise neu gestaltet.

Auf der Suche nach der neuen Mitte Zur endgültigen Neuordnung der Potsdamer Mitte führte die Stadt Potsdam 2005 bis 2006 ein kooperatives städtebauliches Gutachterverfahren unter Beteiligung von sieben ausgewählten Entwurfsteams durch. Auf der Grundlage des Gutachterverfahrens entstand eine „Zusammenzeichnung“ der wesentlichen Werkstattergebnisse für die Potsdamer Mitte, verbunden mit verbalen, obergutachterlichen Empfehlungen, die die zukünftige städtebauliche Grundlage der Entwicklung beschreiben. Der Masterplan empfiehlt, die Fachhochschule durch eine dem Standort maßstäblich entsprechende Bebauung zu ersetzen, das Bibliotheksgebäude jedoch zu erhalten. Dabei soll das historisch vorhandene Raumgerüst wiederhergestellt werden. Dies erfordert auch, das Gebäude nördlich der Nikolaikirche abzureißen und durch eine kleinteilige Gebäudestruktur zu ersetzen. Mit dem 2005 beschlossenen Umzug des Brandenburgischen Landtags vom Brauhausberg in den Neubau des alten Stadtschlosses verbindet sich die Chance, der Potsdamer Mitte einen Teil ihrer auch gesellschaftlichen Bedeutung zurückzugeben.

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21 __ Neuordnung der Potsdamer Mitte: Ergebnis eines kooperativen städtebaulichen Gutachterverfahrens in den Jahren 2005 bis 2006.

Für den Landtagsneubau wurde 2005 eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, aus der sich unter anderem folgende Vorgaben für das anstehende Verfahren, das im Rahmen eines Public-Private-Partnership-Modells umgesetzt wird, herauskristallisiert haben: Die äußeren Grundstückskanten des zerstörten Stadtschlosses sollen aufgenommen sowie die historischen Traufen respektiert werden, der Innenhof soll weitgehend in seinen historischen Proportionen wiederhergestellt werden, und es soll ein offenes und bürgerfreundliches Haus entstehen, das neben den Landtagsfunktionen öffentliche Nutzungen zulässt. Im Juli 2007 begann das Vergabeverfahren für den Landtagsneubau. Ausgenommen die Nordfassade, die das wiederhergestellte Fortunaportal rahmt, zwang das Verfahren zunächst nicht zur Rekonstruktion des Gebäudes.

Ein international besetztes Bewertungsgremium aus Architekten, Politikern und Denkmalpflegern, dem unter anderem Marc Angélil, David Chipperfield und Kaspar Kraemer angehörten, begutachtete im November 2007 das Ergebnis des Vergabeverfahrens, das aufgrund einer im Herbst 2007 eingegangenen privaten Spende, deren Bereitstellung an die Rekonstruktion aller Außenfassaden gebunden war, unterbrochen werden musste. Auf der Grundlage einer überarbeiteten Aufgabenstellung wurde das Verfahren nach einem erneuten Landtagsbeschluss im April 2008 fortgesetzt. Essenz des Beschlusses war der ausdrückliche Wille des Brandenburgischen Landtags, den Neubau in den historischen äußeren Um- und Aufrissen des ehemaligen Stadtschlosses zu errichten. Daraufhin wurden die beteiligten Konsortien aufgefordert, die Entwürfe in diesem Sinne zu überarbeiten. Einige ließen sich nicht darauf ein und sprangen ab oder versuchten vergebens, juristisch gegen den Verfahrensablauf vorzugehen. Am Ende verblieben drei Anbieter, deren fünf Konzepte im Januar 2009 erneut von dem Bewertungsgremium beurteilt wurden. Die Empfehlung dieses Gremiums ging angesichts der überar-

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beiteten Konzepte noch über den Landtagsbeschluss, die Rekonstruktion auf die Außenfassaden zu beschränken, hinaus. Potsdam soll so viel wie möglich von seinem Stadtschloss zurückerhalten. Nicht nur außen mit der historischen Fassade des Knobelsdorffschen Gebäudes, sondern auch im Innenhof. Mit den verbliebenen Bietern wird nunmehr – Stand Januar 2009 – weiterverhandelt, wobei die Empfehlungen des Bewertungsgremiums berücksichtigt werden. Die Bieter werden ihre Entwürfe entsprechend überarbeiten, und im Sommer 2009 soll der Bevölkerung dann endlich der Entwurf ihres Landtags im historischen Gewand vorgestellt werden.

Zeitgenössisches Bauen in Potsdam Inwieweit dies als ein der Aufgabe angemessener Beitrag zu einer zeitgemäßen Baukultur gewertet werden kann, werden die nachfolgenden Generationen entscheiden. Lässt sich unbestritten die Suche nach der verlorenen Identität der alten Residenzstadt verstehen, die man im wiederaufgebauten Stadtschloss zu finden hofft, stellt sich doch die Frage, was das rekonstruierte Stadtschloss zu welcher Identität beitragen kann. Sicherlich ist das Public-Private-PartnershipVerfahren nicht transparent genug, um demokratischen Ansprüchen an die Baukultur zu genügen. Können sich die offensichtlich juristisch bedingten Zwänge im Rahmen eines solchen Verfahrens für den Bau des vielleicht „öffentlichsten“ Gebäudes des Landes Brandenburg überhaupt eignen? Wo bleibt hier die „Demokratie als Bauherr“? Der Landtagsneubau ist zwar der Kern, aber nicht das alleinige Projekt im Rahmen der Neugestaltung der Potsdamer Mitte. Wie die Ergebnisse des 2006 abgeschlossenen kooperativen Gutachterverfahrens zeigen, werden verschiedene, die Mitte zukünftig maßgeblich prägende Flächen in ihrem Zusammenspiel letztlich die städtebaulichen Qualitäten der neuen Mitte Potsdams bestimmen. Dazu gehört unter anderem, das Havelufer an der Alten Fahrt zu bebauen. Hier wiederholt sich der ideologische Grundsatzstreit zum Thema der Rekonstruktion des ursprünglich von Carl von Gontard entworfenen Palastes Barberini. Außerdem soll der ehemalige Fachhochschulstandort neu bebaut werden, was in der Stadtgesellschaft noch immer kontrovers erörtert wird. Es gibt

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durchaus Stimmen, die den Erhalt dieser städtebaulichen Großform in Erinnerung an den kriegsbedingten Wiederaufbau Potsdams befürworten. Schließlich soll das Alte Rathaus umgebaut werden, damit es in Zukunft vom Potsdam Museum genutzt werden kann. Dazu gehört aber auch der östlich anschließende Stadtraum, der in seinem Erscheinungsbild heute durch vorstädtisch anmutende Zeilenbauten geprägt ist. Ihre Kohärenz erhalten die einzelnen Projekte und Orte durch den öffentlichen Raum, wobei die historischen Raum- und Platzfolgen wiederhergestellt werden müssten. Möchte man also der Potsdamer Mitte langfristig eine identitätstiftende Stärke geben, müssen die sie begrenzenden Gebiete einbezogen werden. Denn zu beklagenswert ist der Zustand der Stadträume, die in ihrer vorstädtisch anmutenden Willkür wenig überzeugen. Diese Stadträume reichen vom Umfeld der ursprünglich von Knobelsdorff entworfenen und von Schinkel erstmals sanierten Französischen Kirche, die gegenwärtig an der südöstlichen Ecke des Bassinplatzes im städtischen Niemandsland ihr Dasein fristet, bis hin zur Seniorenresidenz, die Augusto Romano Burelli in den alten Konturen der Heiliggeistkirche, aber in einer neuen Formensprache in den siebziger Jahren baute (siehe Seite 24). Die große Herausforderung der städtebaulichen Entwicklung Potsdams liegt weniger im Grundsatzstreit über das Für und Wider von Rekonstruktionen, wie er sich zurzeit am Landtagsneubau, an der Garnisonkirche und am Palast Barberini entzündet. Sie liegt auch weniger in dem vermeintlichen Gegensatz zwischen sozialem und luxuriösem Bauen, wie er in der Politik häufig artikuliert wird. Sie liegt vielmehr darin, von der beliebigen Aneinanderreihung einzelner Projekte abzurücken und wieder ein sinnfälliges Stadtgefüge zu schaffen, in dem Menschen eine Bereicherung ihres Alltags erkennen. Den nachfolgenden Generationen sollte sich das Weiterbauen der Mitte Potsdams in einem nachvollziehbaren Zusammenspiel des historischen, des vermeintlich historischen sowie des zeitgemäßen Bauens erschließen.

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Positionen

Die Mitte verhandeln Ausschnitte aus dem Podiumsgespräch im Sommer 2008

01 __ Die erste BAUKULTUR_VOR_ORT-Veranstaltung der Bundesstiftung Baukultur war bestens besucht. Im Publikum verfolgten keineswegs nur Fachleute, sondern Laien, Potsdamer und von weit her Angereiste, welche Argumente für die unterschiedlichen Positionen zum Thema Rekonstruktion angeführt werden.

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Die erste BAUKULTUR_VOR_ORT-Veranstaltung der Bundesstiftung Baukultur begann mit einem einleitenden Vortrag von Wolfgang Pehnt in die Thematik Rekonstruktion (siehe Seite 46), dem ein Podiumsgespräch zur konkreten Situation in Potsdam folgte. Die wesentlichen Argumente und Positionen, die hier benannt wurden, sind im Folgenden zusammengefasst. Unter der Moderation von Michael Braum ( Bundesstiftung Baukultur) diskutierten Roger Diener (Architekt und Hochschullehrer), Rainer Speer (Finanzminister des Landes Brandenburg), Jann Jakobs (Oberbürgermeister von Potsdam, Soziologe), Heinz Kleger (Philosoph und Sozialwissenschaftler), Gerd Unger (Architekt, Bauherr), Detlef Karg ( Landeskonservator von Brandenburg, Landschaftsarchitekt ) und der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt.

einander. In Potsdam stehen Rekonstruktionen in einer langen Tradition – beauftragten doch die Kurfürsten, Könige und Kaiser, die in Potsdam residierten, seit je Architekten mit Kopien berühmter Bauten. Es gehört womöglich zur Geschichte Potsdams, das Nachgebildete auf eine wie auch immer geartete Stufe mit dem Original zu stellen. Lässt sich diese Tradition aber noch einfach bedienen? Wächst sie zu einer speziellen Form der Authentizität? Im Verständnis einer historischen Authentizität, wie wir sie bei Wolfgang Pehnt herausgehört haben? Warum trauen zumindest Teile der Öffentlichkeit den Architekten nicht mehr zu, ansprechende Lösungen für die Gegenwart zu finden? Kann sich angesichts der Skepsis gegenüber dem Jetzt überhaupt eine gestalterische Kraft der Architektur von heute artikulieren?“ Zu diesen Fragen wurde auf dem Podium Stellung bezogen.

02 __ Michael Braum, Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, moderierte das Podium.

03 __ Roger Diener ist Partner im Büro Diener & Diener Architekten in Basel. Seit 1985 unterrichtet er Entwurf und Architekturtheorie in der Schweiz, im europäischen Ausland und in den USA, seit 1999 führt er mit den Schweizer Architekten Jacques Herzog, Pierre de Meuron und Marcel Meili das Studio Basel, Institut Stadt der Gegenwart. Seit 2005 ist er Mitglied im Landesdenkmalrat für Berlin.

Zunächst erläuterte Michael Braum: „Der Vortrag von Wolfgang Pehnt hat uns eindrücklich die Verantwortung aufgezeigt, mit der die Debatte um Rekonstruktionen und zeitgenössische Architektur geführt werden muss. Am Beispiel dieses Themas wird eine wesentliche Aufgabe der Bundesstiftung Baukultur deutlich: Sie möchte dazu beitragen, dass baukulturelle Vorstellungen der breiten Öffentlichkeit und der Fachöffentlichkeit nicht zu weit auseinanderdriften. Rekonstruktionswünsche in Architektur und Städtebau resultieren unbestritten auch aus dem radikalen Stadtumbau der Moderne, in dem zu selten Rücksicht auf historische Zeitschichten, gewachsene Identitäten, gemischt genutzte Strukturen und stadträumliche Qualitäten genommen wurde. Rekonstruktionsdebatten in Berlin, Dresden, Frankfurt am Main, Hannover und hier in Potsdam unterscheiden sich jedoch deutlich von-

Angesprochen auf den Unterschied zwischen Kunst- und Architekturwahrnehmung betonte der Schweizer Architekt Roger Diener, dass Architektur einer anderen Wahrnehmung ausgesetzt sei als jede freie Kunst. „Ich verfolge jedes Jahr, welche Werke das Basler Kunstmuseum ankauft. Trotz der Finanzierung der Ankäufe aus zum Teil privaten Fonds würde ich diese nicht einer öffentlichen Beurteilung aussetzen wollen. Wahrnehmung ist also nicht nur für Architektur schwierig geworden. In der Architektur gibt es jedoch so etwas wie reale Defizite. Wir erleben diese Defizite augenfällig mit großer Unzufriedenheit, und jeder

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irgendwie Betroffene bildet sich seine eigene Meinung dazu. Ich habe hier im Stadtforum Potsdam zum Beispiel gehört, dass jemand mit fünf Rekonstruktionen in Potsdams Stadtmitte – die er aufzählte – das Problem gelöst sehen will. So einfach liegen die Dinge meines Erachtens nicht. [... ] Wir als Architekten bestehen auf anspruchsvollen und damit schwierigen Wegen, auf Diskussionen in einer breiten Öffentlichkeit, die auch die künstlerische Leistung, die hinter jedem Architekturentwurf steckt, nicht ausblenden darf.“ Es gebe ausgesprochen überzeugende Projekte zeitgenössischer Architektur im Zusammenspiel mit historischer, in denen „Rekonstruktion“ immer wieder neu interpretiert werden konnte – Roger Diener benannte die Reichstagskuppel, an der sich der Unterschied zwischen bloßer Reparatur und reizvoller Interpretation erkennen lasse. „Ich denke, es ist die Energie aus dem Verlust der tradierten Qualität, aus dem Verlust eines Kahlschlags, dessen Verantwortung unbestritten der Moderne anzulasten ist, die sich entladen muss. [... ] Zweifellos ist das Modell des Stadtforums, das im Eingang steht, von grandioser Schönheit, und wir alle wünschen uns auch, wieder mal an so einem Ort zu sein. Umgekehrt wissen wir alle: So wird es nicht mehr werden können. Und dann stellt sich tatsächlich die Frage: Stellen Sie sich einfach die rekonstruierte Kuppel auf dem Reichstag oder eben jene Fassung vor, wie wir sie heute sehen, die auch diese Spuren der Geschichte in sich trägt, die auch die Möglichkeiten einer zeitgenössischen Wahrnehmung, auch eines zeitgenössischen Gebrauchs dieses Ortes in sich trägt, und die damit aktueller, faszinierender und interessanter geworden ist. Es müsste also möglich sein, entweder diesen Begriff der Rekonstruktion sehr, sehr weit zu fassen oder aber Rekonstruktion in diesem wörtlichen Sinn als Votum und Bedürfnis einer Öffentlichkeit zu verstehen, das eigentlich für etwas anderes, auch nicht so präzise Formuliertes steht.“

04 __ Gerd Unger ist Architekt und Bauherr, arbeitete zunächst in der Berliner Niederlassung eines privaten Wohnungsbauunternehmens und gehört seit 1992 als technischer Geschäftsführer der Groth-Gruppe an. Die Groth-Gruppe zeichnet als Projektentwickler und Investor unter anderem verantwortlich für das Kirchsteigfeld in Potsdam, die Vorstadt Karow in Berlin und das Tiergartenund das Köbis-Dreieck ebenfalls in Berlin.

Als Architekt und als Bauherrenvertreter meinte Gerd Unger, der am Tiergarten-Dreieck und am Köbis-Dreieck in Berlin mit Rekonstruktionen bereits Erfahrungen gesammelt hat: „Es kommt immer darauf an, mit welchen Architekten man sich umgibt und welche Qualitäten diese Architekten haben. Eine gewisse Sehnsucht nach Rekonstruktionen lässt sich gerade in dem hochwertigen Segment des Eigentumswohnungsbaus erkennen – wohl weniger im Kirchsteigfeld in Potsdam als vielmehr im Köbis-Dreieck am Tiergarten in Berlin. Denn Menschen, die sehr viel Geld haben, wünschen sich in der ‚Hülle‘ ein bisschen ‚Stuck‘. Ich kann als ‚Hersteller‘ bestätigen, dass es vorzugsweise innen modern zugehen soll; die Hightech-Küche ist genauso gewünscht wie das hervorragende Bad, das die ganze Haustechnik schon fast zusammenbrechen lässt. Die Sehnsucht nach ein bisschen Stuck und Mief und einer Raumhöhe von wenigstens drei Metern in Verbindung mit hohen Sockelleisten kann ich nur bestätigen. Nun zum Kirchsteigfeld in Potsdam. Die Siedlung entstand zu Zeiten des öffentlich geförderten Wohnungsbaus. In kürzester Zeit sollten zehntausend Wohnungen entstehen. Zur Entwicklung des städtebaulichen Konzepts führten wir gemeinsam mit der Stadt ein diskursives Verfahren unter Beteiligung von sieben international anerkannten Büros durch, von denen wir wussten, dass sie eine „starke städtebauliche Haltung“ beziehen. Im Ergebnis entstand eine Wohnkultur, die noch heute von den Bewohnern geschätzt wird. Hierfür spricht nicht zuletzt die geringe Mieterfluktuationsrate von etwa drei Prozent.“

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05 __ Nach dem Studium der Garten- und Landschaftsarchitektur arbeitete Detlef Karg bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Potsdam-Sanssouci. Zunächst Oberkonservator, leitete er seit 1987 die Abt. Historische Garten- und Parkanlagen im Institut für Denkmalpflege der DDR und wurde 1991 Landeskonservator und Direktor des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege. Seit 1999 leitet er das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und das Archäologische Landesmuseum, außerdem unterrichtet er an verschiedenen Hochschulen.

Der Landeskonservator Detlef Karg bezeichnete die Rekonstruktion des verloren gegangenen Stadtschlosses als „zweite Zerstörung“ und differenzierte: „Wir müssen uns fragen, was Rekonstruktion im architektonischen Sinne bedeutet und sie nicht mit philosophischen oder historischen Darstellungen verwechseln, die vielleicht zu einem Erkenntnisgewinn führen. In der Architektur, vielmehr in der Denkmalpflege ist das Werk – das vorhandene, das überkommene – der Gegenstand, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Ich habe heute im Stadtforum von einem Ordinarius für Architektur der Fachhochschule Potsdam erfahren dürfen, dass er das nicht mehr vorhandene Palais Barberini ‚originalgetreu‘ wiederaufgebaut, rekonstruiert wissen will. Das Ergebnis dieser Bemühungen erwarte ich mit unverhohlener Spannung. Sollte dieses Palais tatsächlich den Versuchungen einer Wiederholung unterliegen, dann könnten wir – bei wohlwollender Betrachtung – vielleicht von einem Versuch eines Gleichklanges im Gebauten sprechen. Doch keineswegs von einem verlorenen und dann wiedererstandenen Original. Ein Original ist einmalig und lässt sich nicht wiederholen. Das gilt auch für die Werke der Baukunst, ob für ein einzelnes Gebäude, für ein Ensemble oder für Stadtteile.

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Was auch immer in Potsdam entsteht, wird keineswegs das sein, wovon die immer wieder bemühten historischen Abbildungen, die als ‚schön‘ klassifizierten Bilder künden. Entstehen wird etwas ganz anderes. Viele werden auch von dem ‚Schloss‘ enttäuscht sein, dessen bin ich mir sicher. Denn mit dem ehemaligen Stadtschloss hat das, was dort entstehen wird, nicht viel zu tun. Ich habe vor etwa einem Dreivierteljahr – das erste Mal, doch immerhin – aus dem Mund des Oberbürgermeisters klar und unmissverständlich auf einer Podiumsdiskussion gehört: ‚Es ist nicht das Schloss, was sich viele Menschen vielleicht aus der Erinnerung oder aus Bildern noch erarbeiten und in ihren bildlichen Vorstellungen vorantragen‘. Dem kann ich nur zustimmen. Wir zerstören also ein zweites Mal das eigentliche Werk, indem wir unsere Vorstellungen über das Verlorene, das Vergangene einem Surrogat anheimstellen. Auch eine Kopie – davon können wir aber bei diesem Bauvorhaben nicht sprechen – wird den Qualitäten, der Wahrhaftigkeit, dem also, was Denkmalpflege seit nahezu zwei Jahrhunderten zum Gegenstand hat und auch wir vertreten, nicht annähernd gerecht. Kein Geringerer als der erste preußische Konservator Ferdinand von Quast äußerte schon in seiner Denkschrift aus dem Jahre 1836 zum Umgang mit vorhandener und neuer Architektur derartige Gedanken. Wir sind also auf dem Weg, ein Werk der Baukunst ein weiteres Mal zu zerstören, denn es ist gleich der Geschichte nicht reproduzierbar. Insofern erschließt es sich mir auch nicht, wenn wir heute [ im Stadtforum, Anm. d. Red.] hören mussten, dass die Zeit nach 1945 mit ihren Erscheinungen im Gebauten aus der ( Architektur-)Geschichte grundsätzlich ausgeblendet werden soll. Was ist das für ein Verständnis von Geschichte?! Welche Erwartungen an die Baukultur der Gegenwart und Zukunft können wir haben, wenn sogar eine derartige Auffassung als Lehrmeinung bei der Ausbildung angehender Architekten vertreten wird? Wolfgang Pehnt hat es doch nachvollziehbar erklärt: Die Altersspuren, die subjektive Empfindsamkeit des Umganges mit dem eigentlichen Werk, was uns im Überlieferten, Überkommenen immer wieder entgegenspringt – all das wird bei der Rekonstruktion nicht annähernd erreicht. Es ist etwas Neues, was aus unseren Vorstellungen, aus unseren hypothetischen Annahmen zum Alten herauskommen wird.“

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06 __ Seine Haltung zum Thema Rekonstruktion macht dieser Besucher der Diskussion unmissverständlich klar.

Detlef Karg erinnerte an die Goldene Pforte in Freiberg, an die monumentale Jugendstilarchitektur für den Schutzbau von 1902, den Cornelius Gurlitt vehement vertrat und zur Ausführung verhalf, und schlug analog für Potsdam vor: „Wir müssen an die großartigen Traditionen Potsdamer Baukultur anknüpfen, die sich dadurch auszeichnete, dass die Bauaufgaben von den besten Architekten in der Formensprache ihrer Zeit bewältigt wurden. Was wäre Potsdam ohne Schinkel, Stüler, Persius, Arnim oder Hesse? Ich schließe auch nicht die friderizianische Architektur aus, wenngleich ich aus heutiger Sicht, aus unserem durch die Aufklärung geprägten Geschichtsverständnis ein wenig skeptisch auf die Kopierfreudigkeit nach Knobelsdorff blicke, denn Erscheinungen nach seinem Tode nähern sich erstaunlicherweise einer Ereignispflege. Anders zu beurteilen haben wir die Zeit nach den Stein-Hardenbergschen Reformen. Sie bilden ohne Zweifel auch den Hintergrund für die Bauaufgabe für St. Nikolai. Es entstand ein hochklassizistischer Bau als Glied in einer von barockem Ideengut geprägten Platzanlage – also kein Nachbau des Nachbaus von St. Maria Maggiore in Rom. Warum soll Potsdam sich einer so bedeutenden Tradition versagen? Statt von Rekonstruktionen und Surrogaten sollten wir uns über Adaptionen, über die Korrespondenz von Vorhandenem

und Neuem verständigen. Der erste Entwurf Schinkels für St. Nikolai antwortete mit einer feinsinnigen, gut proportionierten Gestalt auf den Raum und stand in einer qualitätvollen Korrespondenz zu den vorhandenen barocken Gebäuden. Auch der entstandene Zentralbau versagte sich nicht der Korrespondenz zu dem Vorhandenen. Schinkel adaptierte Formen und führte sie zu einer neuen Gestaltqualität. Lehrstücke waren und sind die Bauakademie, die Friedrichswerdersche Kirche oder das Alte Museum in Berlin. Insofern sollten wir uns verstärkt über das Adaptieren von historischen Formen für die Moderne verständigen, uns darauf einlassen. Einen Konflikt zwischen Denkmalpflege und Moderne – ein immer wieder bemühtes Szenarium – gibt es schon aus dem Selbstverständnis der Denkmalpflege nicht.“

07 __ Als Soziologe und Politikwissenschaftler engagierte sich Jann Jakobs zunächst in der Jugend- und Sozialarbeit in Berlin, unterrichtete dann einige Jahre an Universitäten und Hochschulen, bis er 1993 als Leiter des Jugendamtes nach Potsdam wechselte. Als Mitglied der SPD wurde Jann Jakobs im März 1999 Bürgermeister und Beigeordneter im Geschäftsbereich Soziales, Jugend, Gesundheit, Ordnung und Umweltschutz der Landeshauptstadt Potsdam, im November 2002 ihr Oberbürgermeister.

Michael Braum fragte in diesem Zusammenhang den Potsdamer Oberbürgermeister Jakobs, wieso eine Wiederannäherung an den historischen Grundriss Potsdams mit den Platzfolgen, eingefasst von neuen bürgerlichen Bauten, die sich typologisch an den historischen Vorbildern orientieren, ein Leitbild für die Wiedergewinnung der Mitte sein solle. Jann Jakobs wehrte sich zunächst gegen eine Unterstellung: Wer die Auffassung vertrete, es solle etwas rekonstruiert werden, glaube eben nicht, dass er etwas „Originales“ bekomme. Wer Rekonstruktionen fordere, wisse, dass es keine Originale seien. „Und ich glaube, man kann Rekonstruktionsbefürwortern auch nicht durchweg unterstellen, dass sie nur Sehnsucht nach Vergangenem oder gar Sehnsucht

Die Mitte verhandeln

nach Disneyland hätten; sondern ich bin überzeugt davon, dass man sich viel tiefer gehend mit dem Phänomen auseinandersetzen muss. Was findet denn eigentlich statt in dieser Gesellschaft? Es wird versucht, die Vergangenheit wiederherzustellen – oder was man dafür hält. Mir ist dabei eines klar geworden: In Potsdam wurde etwas historisch Gewachsenes brutal beseitigt. Und diese brutale Beseitigung ist von einem Großteil der heute noch Lebenden nicht verarbeitet. Ob es die Sprengung der Garnisonkirche 1968 gewesen ist, das Beseitigen des Stadtschlosses 1960 oder das Zuschütten des Stadtkanals. Und wenn in der Folge versucht wird, das mit Ästhetik oder Ausdruck hochwertiger Architektur, die danach gekommen ist, gleichzusetzen, begehen wir – glaube ich – einen riesigen Fehler, indem wir etwas unhistorisch betrachten. Das heißt: Dahinter steckt auch das Wissen darum, wie diese Stadt einmal ausgesehen hat. Und ich denke, der Wunsch danach, Potsdam wieder nach historischem Vorbild herzustellen, ist ein unmittelbarer Reflex auf das Geschehene. Die Ablehnung oder die Skepsis gegenüber moderner Architektur hat auch etwas damit zu tun, dass diese Architektur als unproportional empfunden wird, als wenig sensibel. Wir tun gut daran, uns diese Kritik anzuhören und uns mit ihr ernsthaft auseinanderzusetzen. Das heißt für mich nicht, dass das Palais Barberini wieder original entstehen muss oder das Palasthotel oder ähnliche Dinge mehr. Aber ich glaube, wir müssen darauf achten, dass diese Proportionalität wieder entsteht, und wir müssen Verfahren und auch Ideen entwickeln, damit uns dies gelingt. Immer dann, wenn es uns nicht gelingt, wenn wir versagt haben, kommt der unkritische Rückgriff auf historische Vorbilder. Wir müssen uns fragen, inwiefern wir eine solche Diskussion mit verursacht haben. In diesem Dialog kann man nur aus diesem Verständnis heraus versuchen, auch etwas Neues zu gestalten. Wir haben ja nichts gegen moderne Architektur in Potsdam, wenn sie denn eine gelungene Architektur ist.“

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08 __ Der gebürtige Berliner Rainer Speer studierte nach dem Abitur in Falkensee an der Offiziershochschule in Löbau, wurde dort jedoch 1980 wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ exmatrikuliert. Bis zur politischen Wende arbeitete er in verschiedenen Kultur- und Jugendprojekten in Potsdam und als Restaurator. Seit 1989 baute er die SPD im ehemaligen Bezirk Potsdam auf und arbeitet seit 1990 in der Staatskanzlei. Im Oktober 1994 wurde Speer Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung, von 1999 bis 2004 leitete er die Staatskanzlei Brandenburg.

Nach dem Oberbürgermeister kam der Landespolitiker Rainer Speer zu Wort, der als Bauherr des neuen Landtags hinter rekonstruierten Fassaden mit dem Thema Rekonstruktion konfrontiert ist. Die Frage von Michael Braum, wie in solcher Architektur ein „demokratischer Geist“ einziehen könne, treffe das Kernproblem nicht. „Es gibt größere Probleme, wenn man über den Begriff der ‚Moderne‘ nachdenkt. Die Architekturgeschichte ist seit je voll von dem Begriff Neo: Neoklassizismus, Neogotik, und selbst die klassische Moderne des Bauhauses hat mindestens die erste Renaissance hinter sich. Demzufolge sollte man sich vor ‚Moden‘ überhaupt nicht fürchten. Die Leute kleiden sich, wie es modern ist. Und hier ist die Frage: Was ist die Moderne? Dazu haben wir alle wahrscheinlich unterschiedliche Vorstellungen und die größten Probleme, den Begriff im Konsens zu definieren. Ich glaube, dass der Wunsch nachvollziehbar ist, etwas Vorstellbares dem Unvorstellbaren vorzuziehen. Etwas Neues kann nur entstehen, wenn man Mut hat. Der Mut fehlt, bei der Neuerrichtung des Landtags etwas zu versuchen. Die Gestalt dieses Hauses wird Knobelsdorff bestimmt haben. Welche Idee auch immer er damit hatte und welche Schwierigkeiten diese mit sich brachte, kann ich nicht abschließend beantworten. Die Diskussion über die Übereinstimmungen von Inhalt und Form findet nicht mehr statt. Mit Sicherheit hat Knobelsdorff zuallerletzt daran gedacht,

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in seinem Schloss einen Landtag unterzubringen. Hieraus resultiert unter anderem die Schwierigkeit, aus drei Etagen mehr zu machen als drei und den neuen Grundriss den Bedürfnissen des Landtags anzupassen. Es ist nicht zumutbar, in Räumen zu arbeiten, die 3,60 mal 2,70 Meter im Grundriss und 5,60 Meter hoch sind. Diese Raumkubatur ist weder aus arbeitsästhetischen noch aus ökologischen Gründen zumutbar. Ungeachtet dessen wird sich der Landtag in Brandenburg nicht durch seine äußere Einengung in seinem demokratischen Grundgefüge beeinflussen lassen.“ Michael Braum sprach daraufhin die Planungsprozesse an: „Demokratie ist eine plebiszitäre Entscheidung. Sie bildet einen Wunsch ab, und diesem Wunsch kommt der Landtag nach. Das ist sicherlich eine große Herausforderung. Demokratische Meinungsbildungsprozesse sind ein tragender Wesenzug unseres politischen Systems, und das ist auch gut so. Zugleich merken wir gerade in unserer Profession, dass wir mit demokratischen Verfahren auch hin und wieder an unsere Grenzen stoßen, weil offensichtlich irgendetwas gemacht wird, wovon wir, die Vertreter der Fachöffentlichkeit, alles andere als überzeugt sind. Beispielsweise in Potsdam die Rekonstruktion des Schlosses, um als Landtagsgebäude zu dienen.“ Den Philosophen und Sozialwissenschaftler Heinz Kleger fragte er: „Wie restaurativ ist denn unsere Gesellschaft?“ „Ich kann nicht die Stadtgesellschaft in ihrer Gesamtheit vertreten, auch nicht theoretisch. Die Stadtgesellschaft gibt es ebensowenig wie die Wirtschaft, die Gesellschaft oder die Politik. Auch die Politiker hätten es gern, sie könnten das Politische monopolisieren. So ist es zum Glück nicht, weil seit 1989 die Stadtgesellschaft wieder erwacht ist, auch in Potsdam, eine plurale und polarisierte Stadtgesellschaft als Bürgergesellschaft. Die Städte waren nicht zufällig die Orte der demokratischen Revolution. Es gibt Kontroversen, und ich finde, diese Kontroversen sind ein Gewinn. Immerhin hat Potsdam ein Stadtforum – das hat nicht jede Stadt. Es ist zu überlegen, dieses Stadtforum gerade bei der Diskussion über die Mitte – und diese bezieht die gesamte Innenstadt ein – zu einem Forum der Stadt zu machen. Das ist immer einfacher gesagt als getan, aber man könnte sich

09 __ Der aus der Schweiz stammende Philosoph und Sozialwissenschaftler Heinz Kleger lehrt seit 1993 Politische Theorie an der Universität Potsdam. Zuvor unterrichtete er an den Universitäten Zürich und Konstanz.

dazu Dialogtische in verschiedenen Stadtteilen vorstellen. Ich garantiere Ihnen, die Bürger in den verschiedenen Stadtteilen würden kommen. Man muss sie zu erreichen versuchen, und man erreicht sie nicht mit einer Forsa-Umfrage. Man muss schon in die Stadt hineingehen. Es gibt sie nicht, die Stadtgesellschaft. Es gibt unterschiedliche Formen moderner Bürgerschaften in Verbindung jeweils mit der Stadt, die sich – ebenso wie die Gesellschaft – ständig verändert. Dadurch verändern sich auch die Ideale der Stadt. Und wir finden auch in Potsdam verschiedene Ideale von Stadt: Die Großsiedlungen der Nachkriegsmoderne gehören ebenso dazu wie die alte Neue Mitte. Auch die Brandenburger sind interessiert an der Debatte zur Neugestaltung ihrer Landeshauptstadt: Sie möchten ihre repräsentative Demokratie in Potsdams Mitte angemessen repräsentiert sehen. Die Stadt wird sich also unterschiedlich angeeignet, sie wird unterschiedlich in Besitz genommen, sowohl ökonomisch wie politisch, kulturell, auch im Alltag. In dem daraus resultierenden Gefühl der Zugehörigkeit zur Mitte spielt der Gegensatz zwischen Historismus und Moderne nicht die Hauptrolle (der Historismus gehört ohnehin zur Moderne), eher geht es um Altes und Neues sowie eine intelligente Kombination von beidem. Dabei muss man auch etwas Neues wagen – nicht nur ein weiteres Museum und ein weiteres Hotel, sondern Orte, die unsere Jugendlichen und Studenten interessieren. Bei ihnen liegt die Zukunft der Stadt – das ist das neue Potsdam.

Die Mitte verhandeln

Immerhin hat Potsdam drei Hochschulen mit insgesamt dreißigtausend Studierenden. Dies muss gerade in der Mitte spürbar werden. So sollten beispielsweise Universitäts- und Wissenschaftsbibliothek hier untergebracht werden. Die Frage, die sich stellt, lautet: Wohin will die Stadt? Hier muss man das Gespräch in seiner gesamten Breite suchen. Die Politik als Vertretung der Öffentlichkeit kann nicht so einfach Fakten schaffen wie private Personen, die öffentlichkeitswirksam sind und Geld haben. Aber auch diese geben das Geld nur, weil Bürgervereine wie ‚Mitteschön’ unter anderem aktiv geworden sind. Dies akzeptierend, haben wir in Potsdam tatsächlich ein neues Bürgertum, das Teil einer neuen Bürgerschaft ist, es ist aber nicht die gesamte Bürgerschaft. Wir müssen zu einem gemeinsamen Verständnis von Bürgerschaft bei aller Verschiedenheit kommen. Wir neigen dazu, Bürgerschaft mit Bürgertum oder Bürgerlichkeit gleichzusetzen. Zur Bürgerschaft gehören auch die Menschen in den Großsiedlungen. Gerade bei der Diskussion über die Mitte hat Potsdam eine Chance, sich als ganze Stadt zu definieren, wenn es gelingt, das Stadtforum zu einem Forum der Stadt zu machen. Das braucht Zeit und Kraft. Es wären Anfänge einer wirklichen Stadt der Bürgerschaft.“

10 __ Wolfgang Pehnt, Hauptredner der Veranstaltung, bezog auch auf dem Podium Stellung zur Rekonstruktion.

Nach den vielfachen Stimmen pro Rekonstruktion bekam auch Wolfgang Pehnt noch einmal die Gelegenheit, seine Position zu verdeutlichen: „In der Diskussion bin ich als Gegner jeglicher Rekonstruktionen dargestellt worden. Das ist falsch. Nach 1945 ist viel rekonstruiert worden, und unsere Städte wären ärmer ohne den Wiederaufbau zahlreicher ihrer Baudokumente.

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Mir wäre es beispielsweise unvorstellbar, wenn in meiner Heimatstadt Köln die zwölf romanischen Stiftskirchen nicht wiederhergestellt worden wären. Was aber nötig wäre, sind Kriterien für die Beurteilung der unterschiedlichen Fälle. Es kann nicht alles und jedes wieder zurückbeschworen werden, was gerade das Gefallen der Bürger oder eines Mäzens erweckt. Als solche Kriterien schlage ich vor: Erstens: Es muss zuverlässiges und ausreichendes Planmaterial zum Originalzustand vorhanden sein. Zweitens: Der Bauplatz muss derselbe sein, denn der Ort ist eine der wichtigsten Aussagen des historischen Dokuments. Drittens: Über den Bauplatz darf die Geschichte nicht mit anderer Architektur hinweggegangen sein. Bei der Dresdner Frauenkirche etwa lagen die Trümmer unberührt bis zum Beginn des Wiederaufbaus, dort stand in der Zwischenzeit kein Palast der Republik wie beim Berliner Schloss. Viertens: Im aufgehenden Mauerwerk müssen genügend authentische Bauteile erhalten sein, die den Glaubwürdigkeitsbeweis für eine Rekonstruktion geben. Und schließlich fünftens: Die vorgesehene Nutzung muss mit dem rekonstruierten Bauwerk verträglich sein, nach Art wie Umfang der Nutzung. Diese Bedingung finde ich bei den realisierten oder geplanten Schloss-Rekonstruktionen in Braunschweig, Berlin oder – mit einem aus allen Nähten platzenden Landtag – in Potsdam nicht gegeben.”

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Pressestimmen

Berliner Morgenpost, 10.07.2008

Stadtplanung | Architekturstreit um Potsdams Mitte Die noch junge Bundesstiftung Baukultur mit Sitz in Potsdam steht vor einer ersten Bewährungsprobe: Bei der Premiere ihrer öffentlichen Veranstaltungsreihe „Baukultur vor Ort“ am Freitag im Alten Rathaus wollen die Anhänger einer historischen Rekonstruktion der Potsdamer Mitte massiv in die Debatte eingreifen – notfalls bis zum Eklat. – „Da kann es ruhig auch mal ein bisschen lauter zugehen“, empfahl der Chef des Potsdamer Stadtschloss-Vereins, Hans-Joachim Kuke, potenziellen Besuchern. Dies schrieb Kuke unter anderem in einem „Brandbrief“ an Mitstreiter und Medien. Kuke wirft der Stiftung „Manipulation“ vor. Sie wolle mit der zweiteiligen Veranstaltung zusammen mit dem so genannten Stadtforum Potsdam eine Bresche für moderne Architektur im alten Stadtzentrum schlagen. Unter den Titeln „Potsdam – Die Mitte verhandeln“ und „Der Alte Markt und seine Umgebung“ werden am Freitag gleich zwei Podiumsdiskussionen hintereinander geboten. „Hinter der Veranstaltung verbirgt sich ein Großangriff auf die historische Konzeption“, warnte Kuke. Auf dem Expertenpodium säßen nur „hervorragende, aber militante Verfechter moderner Konzepte“. Sie beziehen sich damit vor allem auf den Baseler Architekten Roger Diener und auf seinen deutschen Kollegen Peter Kulka mit Sitz in Köln und Dresden. Kulka ist laut Bundesstiftung auch bei der Rekonstruktion des Schlosses in der sächsischen Landeshauptstadt tätig. Entgegen einer vorgeblichen Zusage sei kein Vertreter der Bürgerinitiative „Mitteschön“ dabei. Diese habe in den vergangenen Monaten eine breite Öffentlichkeit für einen Landtag mit historischer Knobelsdorff-Fassade mobilisiert. Der Chef der Bundesstiftung Baukultur, Michael Braum, wies den Vorwurf zurück, er wolle das Land als Bauherren des „Landtagsschlosses“ und die Öffentlichkeit auf eine moderne Mitte einschwören. „Da sind die aber schlecht informiert. Ich möchte über ein ausgewogenes Zusammenspiel moderner

und historischer Elemente diskutieren“, sagt Braum. Es müsse darüber geredet werden, warum die Bürger den „Glauben an die Architekten verloren“ hätten. […] Am Ende gehe es darum, sich über ein optimales Planungsvorgehen für das Herz von Potsdam als einer der sechzehn Landeshauptstädte zu verständigen. „Wenn der beste Architekt aus Potsdam käme und planen darf, wäre das gut. Käme er aber aus Ungarn, sollte er die Mitte planen“, sagte Braum. Stadtschloss-Vereinschef Kuke dagegen glaubt nicht an fachliche Debatten auf Augenhöhe. Er rechnet damit, dass die Anhänger der Moderne „mit beißender Polemik alle Argumente pro historisches Schloss und pro historische Hoffassaden mit Füßen niedertrampeln“ werden. Seine Zielmarke für die eigenen Debattenredner in Sachen historische Rekonstruktion von „Landtagsschloss“ und Stadtmitte hat Kuke klar gesetzt: „Nur wenn die Politiker mit dem Gefühl rausgehen, da stürzt mir mein ganzer Laden ein, wenn ich diesen Wünschen der Potsdamer nicht stattgebe, ist das Projekt in trockene Tücher zu bringen“, bekräftigte Kuke den Willen der Initiativen zur historischen Rekonstruktion. Was die Podiumsgäste angeht, wollte Stiftungschef Braum nur Vorgespräche mit den StadtmitteVereinen und -Initiativen bestätigen. Am Ende habe sich die Stiftung für das Stadtforum als Partner entschieden, weil es hohe Sachkompetenz habe und dennoch „eine Art Nichtregierungsorganisation“ in Potsdam sei. Er habe das Podium des Stadtforums ausdrücklich ermuntert, Argumente der Bürgerinitiativen gründlich zu sammeln, damit sie bei der eigenen Veranstaltung kurz danach in die Debatten einfließen könnten. „Alles andere wäre zu emotional geworden“, erklärt Braum seine Entscheidung. Das Stadtforum richtet regelmäßig Debatten zur Stadtentwicklung aus. In der „Kerngruppe“ sind Mitglieder aus der Kommunalpolitik und der Kommunalverwaltung aktiv. Sven Rosig

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Potsdamer Neueste Nachrichten, 14.07.2008

Bundesstiftung Baukultur mischt sich ein | Kontroverse um Rekonstruktion der Mitte Gegen die Rekonstruktion historischer Bauten hat sich Landesdenkmalpfleger Detlef Karg ausgesprochen. „Wir zerstören ein zweites Mal dieses Werk“, sagte er zum Stadtschloss-Wiederaufbau auf einer Veranstaltung der Bundesstiftung Baukultur am Samstag im Alten Rathaus. Stiftungs-Vorstand Michael Braum hatte mit dem Referenten Wolfgang Pehnt ebenfalls einen Rekonstruktionsgegner engagiert, so dass zwischen Podium und Zuhörern eine kontroverse Stimmung aufbrach. Das Interesse an der Veranstaltung im Rathaus-Theatersaal war so groß, dass die Türen offen gehalten werden mussten, damit die draußen Stehenden noch etwas mithören konnten. „Man wird enttäuscht sein“ sieht Karg das Ergebnis der Rekonstruktion voraus, denn es werde etwas Neues und nicht annähernd das entstehen, was dort mal gestanden hat. Nach Meinung des Denkmalexperten gehöre es zur Geschichtlichkeit, die Zeit nach 1945 nicht zu vergessen. Karg erwähnt, dass er für das zum Abriss vorgesehene Gebäude der Fachhochschule sogar Anträge auf Denkmalschutz auf dem Tisch habe. Oberbürgermeister Jann Jakobs widersprach, denn niemand sei der Auffassung mit dem Landtagsschloss etwas Originales zu kriegen. Vielmehr hätte ein Großteil der heute noch Lebenden die „brutale Beseitigung“ der historischen Bauten nicht verarbeitet. Der Skeptizismus gegenüber moderner Architektur habe unter anderem damit zu tun, dass diese oft unproportional sei. Finanzminister Rainer Speer bekräftigte vom Podium aus, dass die Knobelsdorff-Gestalt des neuen Landtages kommen wird. Zu dieser Entscheidung habe allerdings die Furcht beigetragen „etwas Unvorstellbares“ zu kriegen. „Der Mut fehlt“, so der Politiker. Der jetzt er-

reichte Konsens bereite erhebliche Schwierigkeiten, „denn die Funktionen hat Knobelsdorff nicht konzipiert.“ Der Architekt Roger Diener spricht daher von „hoch anspruchsvollen und schwierigen Prozessen“ und Gerd Unger von der Groth-Gruppe von einer „Gratwanderung“. Außen Barock und innen Hightech, das stelle hohe Anforderungen an die Qualität der Architekten. Es gehe nicht um ein Disney-Land, hieß es aus dem Publikum, sondern um die Annäherung an ein historisches Ensemble. Von diesem seien die Nikolaikirche, das Alte Rathaus und das KnobelsdorffHaus erhalten. Dieses Ensemble gelte es durch das Stadtschloss und durch ein originalgetreues Palais Barberini zu komplettieren. „Das müssen Sie erstmal vormachen“, bezweifelt Karg letztere Möglichkeit. „Nicht überall ist es richtig zu rekonstruieren“, sagt Stadtverordnete Saskia Hüneke, aber für den Zusammenhalt in der Stadt sei das Ensemble des Alten Marktes unverzichtbar. Es gebe hervorragende Dokumente und Hunderte, ja Tausende, von Skulpturen und Fragmenten. „Wenn wir an dieser Stelle nicht rekonstruieren, zerstören wir die historische Mitte ein zweites Mal“, setzte die Kunsthistorikerin den Kontrapunkt zur Kargschen These. Es sei ein Glücksfall, dass der Landtag ins wieder aufgebaute Schloss einziehe, meint Gerd Unger entgegen allen Vorwürfen, dass ein demokratisches Parlament in ein monarchistisches Haus ziehe. „Genauso wie Hasso Plattner Geld für die historische Fassade nachgeschoben hat, werden andere kommen, um sich hier am Alten Markt zu engagieren“, äußerte Unger optimistisch zur weiteren Investorenaktivität in der Potsdamer Mitte. Günter Schenke

Märkische Allgemeine, 14.07.2008

Heftige Sehnsucht nach Geschichte | Bundesstiftung Baukultur diskutierte den Wiederaufbau der Potsdamer Mitte Im März hat die Bundesstiftung Baukultur ihren Sitz in Potsdam bezogen. Jetzt griff sie erstmals ein lokales Thema auf: die Neugestaltung der Potsdamer Mitte. Ins Alte Rathaus hatte Vorsitzender Michael Braum geladen, um ein Gespräch über Für und Wider der Rekonstruktion anzustiften. Im übervollen Saal

geriet es zum Stich ins Wespennest. Waren sich Podium und Publikum des vorangegangenen Stadtforums noch einig über die Strategie, auch die Umgebung des Stadtschlosses auf historischer Grundlage wieder herzustellen, rumorte es beim Vortrag des Architekturhistorikers Wolfgang Pehnt im Auditorium.

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Pehnt stellte eine ausgeprägte Sehnsucht nach Geschichte fest, die neben dem Fortschrittsstreben in der Gesellschaft existiere. Als Gründe der Retrobewegung nannte er das Verlangen nach Schönheit und Identität sowie den Verdruss über die Moderne. „Nur die Bilder kehren wieder“, so Pehnt. Wie im „second life“ seien makellose Repliken unbeleckt von den Spuren der Geschichte. Sie konkurrierten mit den echten Denkmalen, die vielerorts in ihrer Substanz bedroht sind. Trotzdem lehnte Pehnt Rekonstruktion nicht grundsätzlich ab. Köln sei ohne den Wiederaufbau der kriegszerstörten Kirchen nicht vorstellbar. Es müsse aber Grenzen geben, sagte er und nannte Bedingungen: zuverlässiges Planmaterial, ein unbebauter Ort, authentische Zeugnisse und eine adäquate Nutzung. Unter Hinweis darauf, dass gute Architektur immer eine Umformung und Weiterentwicklung des Bestehenden darstellt, plädierte Pehnt für den „dosierten Einsatz“ des Neuen. Die Reichstagskuppel in Berlin sei beispielhaft. Auf dem Podium fand Pehnt Unterstützung bei Denkmalpfleger Detlef Karg, der Rekonstruktion als „zweite Zerstörung“ bezeichnete. „Man wird enttäuscht sein vom wieder errichteten Stadtschloss“,

weil es nicht dem Bild in den Köpfen entspräche. Finanzminister Rainer Speer bedauerte den fehlenden Mut, Neues zu schaffen. Investor Gerd Unger bestätigte, dass derzeit „außen Stuck und innen Hightech-Küche“ gefragt sei. Der Basler Architekt Roger Diener könnte Rekonstruktion akzeptieren, wenn sie als Neuschöpfung lesbar sei. Nur Oberbürgermeister Jann Jakobs verteidigte den Wunsch vieler Potsdamer nach Rekonstruktion. Historisch Gewachsenes wurde hier brutal beseitigt. Das sei von vielen Menschen nicht verarbeitet. Zugleich dämpfte er Erwartungen, dass über jedes Baufeld diskutiert würde. „Wir haben in Potsdam nichts gegen moderne Architektur – wenn sie gelungen ist.“ Nur in Jakobs’ Worten fand sich der Teil der Zuhörer wieder, der sich mit scharfer Kritik gegen Pehnt und das Podium wandte. Politologe Heinz Kleger, Autor des Toleranzedikts, sah in der Kontroverse einen Gewinn für die Stadtgesellschaft. Wenn die Diskussion zu einem konstruktiven Ergebnis führen soll, müssten die Beteiligten aufeinander zugehen. Die Bundesstiftung hat hier einen wichtigen Anstoß gegeben.

Der Tagesspiegel, 15.07.2008

Märkische Allgemeine, 11.08.2008

„Mitteschön“ | Stiftung Baukultur nicht zeitgemäß

Der Barbar der Baukultur | Michael Braum von der Bundesstiftung als Kulturbanause 2008 geehrt

Kritik an der neuen Bundesstiftung Baukultur: Die Bürgerinitiative „Mitteschön“ und der Potsdamer Stadtschloss-Verein erklärten gestern verwundert, dass die Besetzung der Stiftung „offenbar in keiner Weise ausgewogen und zeitgemäß ist“. Bei der ersten öffentlichen Diskussion am Freitag habe im Podium ein Vertreter der wichtigen zeitgenössischen Architekturrichtung gefehlt. „Wir appellieren daher an die Verantwortlichen, die Besetzung der Stiftung Baukultur zu überdenken und den aktuellen architektonischen Entwicklungen in Deutschland und Europa anzupassen“, hieß es. PNN

Peter Neideck

Der Goldene Barbar 2008 ging an Michael Braum, Vorsitzender der in Potsdam ansässigen Bundesstiftung Baukultur – in Abwesenheit. Bei der Verleihung des vom Verein „300 Jahre Preußen“ gestifteten Preises am Freitagabend im Kabarett Obelisk hieß es zur Begründung, der Stiftung sei es gelungen, Steuergelder für reinste Lobbyarbeit zu generieren und die Interessen einer Architekten-Elite auch noch als demokratische Einflussnahme zu verkaufen. Besonders preisverdächtiges Verhalten zeigte die Stiftung laut Laudator Markus Wilhelmy vom Preußen-Verein bei ihrem Forum um das Für und Wider einer Stadtschlossrekonstruktion, als man schulmeisternd den Bürgerwillen zur Wiederherstellung der historischen Mitte als unzeitgemäß und nostalgisch abqualifizierte. Wilhelmy zeigte Verständnis für Braums Abwesenheit und unkte, der Preisträger sei wohl zurzeit mit Plänen zum Abriss des Kölner Doms und anschließender Neubebauung überlastet. […] Lothar Krone

Pressestimmen

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Der Tagesspiegel, 11.08.2008

Wollte Potsdam vor sein Schloss bewahren | Der Goldene Barbar für Michael Braum Der Lange Kerl am Entree zum rauch-freien Kabarett Obelisk mochte ja in seiner Uniform noch Staffage gewesen sein, aber Rudi van der Meer, angeblich seit vier Generationen Schuhputzer in Preußen? Er schrubbte und cremte am Freitag die Fußbekleidung der Ankommenden voller Eifer. „Wissen Sie eigentlich, was die Reinigung einer solchen Kultureinrichtung kostet?“, fragte indes Markus Wilhelmy mit Zwirbelbart und Gehrock die Ankommenden. Mehr jedenfalls, als es Mühe machte, jedem Billett-Besitzer einzeln die Treter zu bürsten. Man ahnte schnell, dass diese Veranstaltung bei Programmbeteiligung von Gretel Schulte, Andreas Zieger und Helmut Fensch im Prolog nicht ganz so ernst gemeint sein konnte. Es ging schließlich um die Verleihung eines Sonderpreises für extreme Untaten in Sachen Kultur, „Goldener Barbar“ genannt. Verantwortlich für Zugriff, Prüfung und Begründung war wieder der Verein „300 Jahre Preußen“, welcher zugleich sein Sommerfest in diesen satyrischen Hallen feierte. Die dem „Oscar vergleichbare, nur nicht so bekannte Auszeichnung“ kann erringen, wer sich ganz offenbar der Idee des Weltkulturerbes in Potsdam widersetzt, wer „mit anderer Leute Geld Blödsinn macht, ohne dass es Sinn ergibt“, wer Theater baut und dann das Ensemble nicht mehr bezahlen kann oder sich Schlösser auf Kosten kleiner Kultureinrichtungen erkauft. „Wir

müssen Zeichen setzen, vor dem Tun nachdenken“, sagte Vereins- Chef Wilhelmy, doch einer gewinnt den „Goldenen Barbaren“ ja immer. […] Jürgen Rohne wurde ob seines Einsatzes zur Säuberung des Schafgrabens gewürdigt, Jann Jakobs für die „Pflege zweitrangiger Kulturgüter“, nichts sei ihm zu teuer, einen Graben zu sichern oder Sichtachsen durch „Brachen“ zu schlagen, von den verfehlten Millionen für das „Spaßbad“ zu schweigen. Peter Schultheiß wurde aufgefordert, von den römischsenatorischen Traditionen endlich zu den preußischen zu wechseln, ein ungenannter Minister hingegen für Fairness, Sparsamkeit und Bescheidenheit rund ums Schloss gelobt, er habe das Zeug zum Staatsmann. Man glaubte fast, Herr Speer sei gemeint. Den „ganz kleinen Oskar“ gewannen nicht sie, sondern Michael Braum. Der Vorstandsmann von der Bundesstiftung Baukultur habe es nicht nur geschafft, „Lobbyziele zum Gesetz zu erheben“ und damit Steuergelder gegen unseren Stadtentwurf einzusetzen, er versuchte am 11. Juli in einer Massen-Veranstaltung auch ganz barbarisch, die Potsdamer vor ihrem Schloss zu bewahren, so die Begründung. Na, herzlichen Glückwunsch. Gerold Paul

Märkische Allgemeine, 23.08.2008

Lothar Krone über den barbarischen Umgang mit einem Schlosskritiker | Entwertet Dass Potsdams Mitte schon im Stadium der Baugrube erregt, ist ja nicht das schlechteste Vorzeichen für ihre am Ende hoffentlich gelungene Wiederherstellung. Die Preisverleihung des „Goldenen Barbaren“ zeigt aber auch an, dass Voraussetzung für eine sachgerechte Bewertung der Kontroversen ein scheuklappenfreier Umgang miteinander ist. Keiner sollte sich einen vermeintlichen Gegner schlecht reden und, wie geschehen, als eingeschnappten Engstirnler abstempeln. Den Vorsitzenden der Bundesstiftung für Baukultur, Braum, mag eine für viele Potsdamer fatale Unterschätzung dessen auszeichnen, was die Rückgewinnung der historischen Mitte

für die Stadt bedeutet – ein offener, redebereiter und am Dialog interessierter Mann ist Braum aber auch. Und man darf ihm so viel Humor zutrauen, dass er sich gern in eine Reihe mit Schlössergeneraldirektor Dorgerloh stellt, der den Preis als erster erobert hatte. Ohne Not, um nicht zu sagen mit unlauterer Absicht hat der Auslober der güldenen Kulturbarbarentrophäe, Markus Wilhelmy, seinen Ironie-Preisträger zum Muffel gestempelt. Hat vor der Presse behauptet, der Mann drücke sich vor der Preisübergabe, obwohl der gestrige Termin längst ausgemacht war. Das entwertet den Preis.

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Wolfgang Pehnt

Sehnsucht nach Geschichte Neu und Alt in Architektur und Städtebau

01 __ Eine schmale Fuge trennt David Chipperfields Galeriegebäude am Berliner Kupfergraben von einem älteren Wohngebäude. Der Trennstrich zwischen Alt und Neu wird längst nicht immer so klar gezogen.

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Man möchte glauben, wir lebten in Zeiten, die von leidenschaftlicher Neigung zur Geschichte erfüllt wären. Von „Altgier“ statt „Neugier“ hat Nietzsche gesprochen.1 Verdiente Historiker werden von den Verlagen bestürmt, sich auf populäre, auflagenträchtige Darstellungen einzulassen. In der Vereinsszene haben sich neben Schützengesellschaften oder Freiwilliger Feuerwehr Gruppen herausgebildet, die Wikinger, Kreuzritter oder Indianerstämme nachspielen und sich – wo ein höherer Grad an historischer Treue erstrebt ist – „re-enactors“ nennen, „Wiederaufführer“. Einem Zeitungsbericht entnehme ich, dass bei ihnen „Authentizität“ als hohes Gut gilt, aber wegen der schwierigen Aussprache des Begriffs kurz das „A-Wort“ genannt wird.2 Und kaum vergeht ein Fernsehabend, ohne dass Dokumentationen über die jüngst vermutete Lage von Troja unterrichteten oder über pazifische Seeschlachten zwischen Amerikanern und Japanern im letzten Weltkrieg. „Man sammelt wieder Altes und nur Altes, statt der neuen Mode mit neuen Gegenständen kam die neueste mit alten Gegenständen“, schrieb Adalbert Stifter 1857 im Nachsommer.3 Aber das ist nicht unsere Situation, sondern es war die des Historismus im neunzehnten Jahrhundert. Im gegenwärtigen Meinungspluralismus herrscht die „neue Mode mit neuen Gegenständen“ (das wären die spektakulären Erfindungen der Stararchitekten, die sogenannten signature buildings, die dem Bedürfnis nach Markenbranding Genüge tun), und es herrscht gleichzeitig die „Mode mit alten Gegenständen“. Dazwischen liegt natürlich die unermesslich große Menge des banal Alltäglichen, das weder durch Novität noch durch Erinnerungsversuche noch durch Qualität auf sich aufmerksam macht.

Die Frage ist, ob und wie die „Mode mit neuen Gegenständen“ und die „Mode mit alten Gegenständen“ zusammenhängen. In der Argumentation der Rekonstruktionsfreunde spielt bei architektonischen wie bei städtebaulichen Themen jedenfalls immer der Hinweis mit, die Moderne habe ihre Chance reichlich erhalten, habe sie auch noch in weiten Bereichen der Städte. Nun sei der Augenblick gekommen, der Historie wenigstens in den ehemals alten Innenstädten ihre Rechte einzuräumen.

Warum rekonstruieren? Welche guten Gründe kann es für die „re-enactors“, die „Wiederaufführer“ geben? Ein Grund wäre die lehrhafte Veranschaulichung dessen, wie es gewesen ist. Im großen Maßstab ist diese Praxis mit ihren illustrativen oder pädagogischen Zwecken seit den Weltausstellungen des neunzehnten Jahrhunderts angewendet worden. Diese zukunftsträchtigen Musterschauen besaßen immer ein historisierendes Anhängsel. Nach der Besichtigung der aktuellsten Sensationen spazierte man durch Oud-Antwerpen, Old Chicago, Vieux Paris, La Belgique Joyeuse, Vieux Québec, je nachdem, wo die Weltausstellungen stattfanden, und genoss die optische Illusion, auch wenn sie nur aus Stuck und Leinwand bestand.

02 __ Las Vegas des letzten Jahrhunderts: Eine zeitgenössische Postkarte zeigt den Themenpark „Le Vieux Paris“ auf der Weltausstellung 1900 in Paris.

1. __ Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben. In: Kritische Studienausgabe KSA I. Berlin, 1988, S. 268.

2. __ Sebastian Glubrecht: Uaaaaaaaaaaaaah! In: Magazin der Süddeutschen Zeitung 20, 2008, S. 22. 3. __ Adalbert Stifter: Der Nachsommer. München, 1977, S. 258.

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Rekonstruktion

03 __ Die Überreste der römischen Colonia Ulpia Traiana in Xanten ergänzt der Landschaftsverband Rheinland seit 1977 mit rekonstruierten Bauten wie der hier gezeigten Herberge zum archäologischen Park.

Es waren temporäre Nachbildungen von Bauten, deren Originale oft gerade ein paar Kilometer weiter abgerissen wurden. Ein Zusammenhang zwischen radikaler Modernisierung und nostalgischer Reproduktion existierte schon damals. Höheren Ansprüchen an archäologische Zuverlässigkeit genügten und genügen die rekonstruierten Wehranlagen am Limes, die Pfahlbausiedlungen am Bodensee oder die römische Legionärsstadt in Xanten. Manche Rekonstruktionen der siebziger, achtziger und neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gehören zu diesen anspruchsvolleren Nachbildungen: das Knochenhaueramtshaus in Hildesheim, errichtet in herkömmlicher Zimmermannstechnik, die Alte Waage in Braunschweig (aber gewiss nicht das Braunschweiger Schloss), die Frauenkirche in Dresden. Anders als bei vielen Wiederaufbauten der ersten Nachkriegsjahre, die den Denkmälerbestand interpretierten statt ihn wörtlich zu wiederholen, war bei diesen Beispielen der zweiten Rekonstruktionswelle Treue zum vormaligen Raum- und Erscheinungs04 __ Ein Kind der neunziger Jahre: Die Alte Waage in Braunschweig zählt zu den anspruchsvolleren Nachbildungen des zwanzigsten Jahrhunderts.

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bild das Ziel. Ob das Berliner und das Potsdamer Schloss in diese Kategorie fallen werden, bleibt zu bezweifeln. Was hier zählt, ist die Vedute, der sofort einleuchtende Augeneindruck, nicht der im Durchschreiten zu erlebende Bauorganismus. Ich glaube auch nicht, dass der „kognitive Wert“, die anschauliche Illustration dessen, wie es gewesen ist, ein zentrales Motiv des Rekonstruktionswesens bildet. Sonst würde man vom Berliner Schloss nicht oder nicht nur die glanzvollen Barockfronten wieder herbeizaubern wollen, sondern auch die historisch viel aufschlussreichere Ostseite an der Spree mit ihren spätmittelalterlichen und Renaissance-Teilen. Auch sie, der Kapellenturm, der Grüne Hut, der Herzogin-Bau, der Apothekenflügel, standen schwer beschädigt noch bis zu Walter Ulbrichts Vandalentat, der Sprengung des Schlosses. Über das schwierige Verhältnis von Stadt und Stadtherrschaft hätten sie mehr zu sagen als die drei so viel repräsentativeren, barocken Seiten. Aber ich habe nur selten jemanden gehört, der auch sie zurückholen wollte. Nie darf man vergessen, dass der posthum produzierte Schein nur ein blasses Abziehbild der historischen Realität ist. Schon über die anderen sinnlichen Qualitäten dieser vergangenen Welten erfahren wir nichts: von welchen Geräuschen sie widerhallten, wie es in ihnen gerochen oder viel öfter wohl gestunken hat, mit welchen Ereignissen die Straßen, Plätze und Räume gefüllt waren, wie sie benutzt, bewohnt, belebt wurden, in welchen zeitlichen Rhythmen – Tag, Monat, Jahr, Festtage, Katastrophenzeiten – diese Welt jeweils erwachte und wieder in Ruhe versank. Alles, was nachträglich geliefert werden kann, ist eine Abstraktion ausschließlich für die Sehnerven, eine blasse Teilwahrheit, ein Abziehbild. Eher als der historische Erkenntniswert scheinen mir drei andere Motive zugunsten dieser Retrowelt wirksam zu sein: der Wunsch nach malerischer Schönheit, das Verlangen nach Identität und der Verdruss über die lebensweltlichen Zumutungen der Moderne, die immer auch eine Moderne der

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gravierenden Verluste gewesen ist. Als Architekturmoderne wird sie deshalb für alles Ungenügen der Gesamtmoderne verantwortlich gemacht. Die Vielgestaltigkeit und Kleinteiligkeit der alten Stadt, ihr pittoresker Reiz, aber gelegentlich auch der Ausbruch in die autoritative Gebärde der Machtinstanzen, der Stadt- und der Landesöffentlichkeit, der Kirchen, Schlösser, Rathäuser, Tuchhallen, Speichergebäude, Torhäuser – das können die zeitgenössische Architektur und der zeitgenössische Städtebau schon deshalb nicht bieten, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse in ganz andere und abstraktere Größenordnungen hineingewachsen sind. Im achtzehnten Jahrhundert genügte in Berlin noch ein einziges Behördenhaus an der Lindenstraße – allerdings auch, weil viele Verwaltungsstellen noch im Stadtschloss untergebracht waren.

05 __ Nur der Barock zählt: Auf die Rekonstruktion der historisch aufschlussreichen Ostseite des Berliner Stadtschlosses wird bewusst verzichtet.

06 __ Das Kollegiengebäude von Johann Philipp Gerlach in der Berliner Lindenstraße ist das einzige Behördenhaus, das Berlin im siebzehnten Jahrhundert besaß.

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Rekonstruktion

Alles drängt heute aufs große Maß. Jeder von uns, der Massenhaftigkeit und Globalismus beklagt, produziert sie zugleich in seiner Eigenschaft als Konsument, als Verkehrsteilnehmer, als verwalteter Staatsbürger, als Tourist oder als Auftraggeber oder Bauherr, der nicht bereit ist, den Zoll für verloren gegangene Schönheit zu zahlen – nämlich mit einem individuellen, anspruchsvollen Entwurf, mit dem Engagement, das Schönheit auch vom Bauherrn verlangt, und mit den zusätzlichen Kosten, die sie möglicherweise erfordert. Das Verlangen nach Identität, nach Unverwechselbarkeit, nach Selbstsein liegt tief in jedem Einzelnen, in jedem als Ich und in jedem als Teilhaber seiner Lebenswelt. Aber Unverwechselbarkeit bieten die Groß- und Megastädte dieser Erde nicht mehr, abgesehen von den Restbeständen ihrer historischen Kerne, die nur noch einen winzigen Prozentsatz jeder städtischen Agglomeration ausmachen. Metropolen der Dritten Welt kennen auch diese imagebildenden Reste des Alten oft nicht mehr. Die dicht gedrängten Hochhausscheiben vor der Grundstücksbrache – stehen sie in Shanghai, Hongkong oder São Paolo? Der Kosmopolitismus der Moderne, der ja einst ihr Programm war, ist für viele außerhalb des Jetset zum Horror geworden. Und selbst die flottierenden Wanderarbeiter des Kapitals treibt ein Drang zum charakteristischen Ort, wenn sie ihren Ferien- oder Alterssitz zu wählen haben. Alltags Manhattan, feiertags Cape Cod, werktags die Frankfurter Börse, nach der Pensionierung Miltenberg oder Büdingen. Die Verunsicherungen durch den Veränderungsdruck, dem wir allenthalben ausgesetzt sind, stellen einen weiteren Grund für die Flucht in die Geschichte dar. Von globalen Entwicklungen sind wir abhängig, ohne sie über unsere politischen Vertretungen steuern zu können. Konjunkturen wandern, wie sie wollen. Arbeitslöhne, Warenkosten und Energiepreise entwickeln sich aufgrund von Faktoren, die anderswo auftreten. Umweltveränderungen lassen sich mit lokaler, regionaler oder auch nationaler Politik allenfalls beeinflussen, nicht aber grundlegend ändern. In immer kürzeren Abständen muss das eigene Verhalten justiert werden. Dagegen werden die

Altbestände organisiert. Nur: Hier ist rückwärtsgewandte Architektur erst recht überfordert. Die historisierenden Kulissen am Wegrand, diese hilflosen Geborgenheitsversprechen und anrührenden „Verortungsgesten“ – wie ein Kollege sie genannt hat – erlösen nicht von den Zumutungen der Zeit, sie verstellen sie allenfalls. Danach treten die kurzfristig verdrängten Überforderungen umso unerbittlicher wieder hervor. Aus diesen verschiedenen, untereinander zusammenhängenden Gründen erklärt sich der Rückgriff auf die alten Bau- und Stadtpläne. Doch fast immer gelingt dieser Versuch nur dann, und auch nur partiell, sofern er sich am realen, noch vorhandenen Denkmälerbestand abarbeitet. Schon heute sehen sich die rekonstruierten Altund Neumärkte verzweifelt ähnlich. Wenn allerorten die emsigen Vereine fürs Historische Stadtbild und Gesellschaften Pro Altstadt ihren Willen durchgesetzt haben, werden sie es erst recht tun. Das liegt nicht daran, dass die Retrokünstler niedersächsisches von fränkischem Fachwerk nicht zu unterscheiden wüssten oder sächsische von bayerischen Putzfassaden, sondern es liegt an den Bedingungen des Second Life. Alle diese wieder herbeibeschworenen Quartiere entstehen zur gleichen Zeit. Sie alle werden mit demselben Anspruch auf Makellosigkeit hergestellt. Bei keinem von ihnen findet sich eine Spur der vergangenen Zeit, eine Verletzung, ein Riss, der einen Blick auf die Realitäten des Einst zuließe. Keines von ihnen ist noch mit dem Leben erfüllt, für das die Originale gebaut worden waren – und das war immer ein gemischtes, turbulentes, keineswegs funktional geordnetes Leben. Heute präsentiert sich in prosperierenden Städten alles, was als alt notiert ist, neu wie am ersten Tage. Daher schlussfolgern Bürger und Tourist paradoxerweise: Nur das, was makellos erscheint, ist alt, sonst wäre es ja renoviert worden.

Sehnsucht nach Geschichte

07 __ Shanghai, Hongkong oder São Paulo? Die neuere Architektur der Groß- und Megastädte verrät kaum mehr etwas über den Ort und die Kultur, der sie zuzuordnen ist.

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Rekonstruktion

08 __ Der Landschaftspark am Heidelberger Schloss gilt als Inspiration der deutschen Romantik – dennoch gibt es Verfechter einer Wiederherstellung des barocken Hortus Palatinus.

Bilder des Historischen

09 __ Ebenfalls eine Rekonstruktion wert? Der früh zugrunde gegangene Münzturm von Andreas Schlüter am Berliner Schloss, hier im ersten Entwurf von 1702.

So fällt auf alles, auch auf die tatsächlich überlieferten, noch erhaltenen Geschichtszeugnisse das Zwielicht des Zweifels. In dieser Retrowelt ist nichts mehr, was es scheint. „Mitten unter die ehrliche Wirklichkeit Masken und Gespenster sich mischen zu sehen, erfüllt mit Grauen“, meinte Georg Dehio,4 den ein Bürger des einundzwanzigsten Jahrhunderts natürlich nicht zitieren darf, ohne als hoffnungslos rückständig zu gelten. Otto Bartning – darf man ihn wenigstens noch zitieren? – pointierte: Je echter die Rekonstruktionen wirkten, desto schlimmer. Er meinte damit: Von der Neuerfindung nicht mehr vorhandener Denkmäler geht eine latente Gefahr für noch vorhandene Denkmäler aus. Unter Masken wird

auch der, der sich nicht verkleidet, zur Maske. In unseren Tagen dagegen halten manche Bauhistoriker die Gefahr, das Original mit seinem „historischen Bild“ zu verwechseln, keineswegs mehr für ein Unglück.5 Das Paradoxe ist: Während die Gesellschaft die Laterna magica ihrer Reproduktionen aufpoliert, verkommen anderwärts die real überlieferten Bauzeugnisse. Die Innenstädte werden von Bauzeugnissen der fünfziger bis siebziger Jahre gereinigt. Für die Rettung alter Stadtkerne wie Quedlinburg ist guter Rat noch immer teuer. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern verfallen Dutzende gefährdeter Dorfkirchen. In der gesamten Bundesrepublik sind Hunderte und Aberhunderte Sakralbauten beider Amtskirchen aus dem neunzehnten und zwanzigsten

4. __ Georg Dehio: Denkmalschutz und Denkmalpflege im neunzehnten Jahrhundert. Festrede 1905. Zit. nach: Georg Dehio, Alois Riegl: Konservieren, nicht restaurieren. Bauwelt Fundamente 80. Braunschweig, 1988, S. 97.

5. __ Jürgen Paul, 2003. Zit. in: Arnold Bartetzky: Gebaute Geschichtsfiktionen. In: Paul Sigel, Bruno Klein (Hg.): Konstruktionen urbaner Identität. Berlin, 2006, S. 82.

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Jahrhundert in Gefahr – darunter solche von den großen Architekten der Epoche. Die Mittel sind begrenzt, heute mehr denn je. Was in die rekonstruierende Imageproduktion geht, kann nicht in legitime Rettungsaktionen gehen, auch wenn die jeweiligen Subventionstöpfe andere sind. Letzten Endes sind es immer wir Steuerzahler, die zahlen. Und eine andere Gefahr geht vom derzeit praktizierten Replikenwesen aus. Das eine, die Rekonstruktion, ist die Kehrseite eines anderen, der Dekonstruktion. Was dem Altern und der Vergänglichkeit enthoben ist, steht jenseits der Zeit, ist gespeichert, kann abgerufen werden. Was kommt es also auf sein physisches Ende an? Reißt es ab, es ist ja wiederholbar. Die Produkte der Vergangenheit werden als ein Vorrat jederzeit wieder aktualisierbarer Bilder betrachtet, der unumkehrbaren Realzeit enthoben, auf den digitalen Halden und in den Archiven gespeichert und unserer freien Verfügung übergeben, im Abräumen wie im Wiedererrichten. Reale, am Ort erhaltene Zeugnisse der Geschichte dagegen vermitteln eine Erfahrung, die man existentiell nennen darf. Diese geschichteten oder gewölbten Steine, diese dem Verfall entkommenen Fachwerkgerüste zählen, wo sie sind und wie sie sind, mehr Jahre als wir. Sie haben mehr gesehen als unsere eigenen Augen. Sie konfrontieren uns mit dem, was älter ist als wir selbst. Sie geben uns ein Gefühl von Dauer, das keine neu erfundene Geschichtskulisse liefern kann. Sie vermitteln den Trost, dass es Dinge gibt, die länger bleiben, als es uns vergönnt ist – den Trost oder die Einsicht in die Hinfälligkeit des eigenen Lebens, auf jeden Fall eine metaphysische Erfahrung. Diesen Trost spenden sie nur so lange, wie ihre authentische Substanz nicht durch die grassierende Faksimile-Kultur entwertet worden ist – nur so lange, wie die Unwiederholbarkeit von geschichtlich Gewordenem noch eine Erfahrung ist, nur so lange, wie das „A-Wort“ Authentizität noch gilt. Historisierende Fiktionalisierung nimmt nicht die Moderne zurück. Sie ist selbst Ausdruck der Modernisierung, in der Willkür ihrer Wahlakte und

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Vorlieben, in dem Herrengestus, mit dem beliebige Bauzeugen über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg zurückkommandiert werden, in der Machbarkeit von allem und jedem. Ein Blick in die schönen alten Stichwerke, in Braun/Hogenberg oder Matthäus Merian, und die Begehrlichkeiten sind geweckt. Der pfalzgräfliche Heidelberger Schlossgarten in seiner malerischen, nachbarocken Gestalt hat die deutsche Romantik inspiriert, hat Hölderlin und Goethe gesehen. Aber was hilft diese Erinnerung, wenn ein reicher Mäzen – vergleichbar dem Mäzen des Potsdamer Schlosses – bei Merian eine Abbildung des Hortus Palatinus aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert entdeckt hat und dessen Neuherstellung betreibt? Und wenn schon das Berliner Schloss, warum nicht auch den riesigen Münzturm, nur etwas besser fundamentiert als bei Schlüter, unter dessen Händen er im Schlick der Spree versank? Oder das reizende Schlösschen Monrepos am Spreeknie oder Schlüters anmutiges Landhaus Kamecke? Es sollte schon einmal, noch in DDRZeiten, an anderer Stelle, an der Friedrichstraße rekonstruiert werden, als Empfangspavillon für einen Hotelneubau. An demselben Ort wie einst müssen diese Wiedergänger ja nicht mehr stehen, das haben wir uns längst abgewöhnt.

10 __ Auch Schlüters Landhaus Kamecke böte sich – ganz oder in Teilen – zur Wiederherstellung an.

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11 __ Entwurf von Charles Rennie Mackintosh und seiner Frau Margaret MacDonald für das „Haus eines Kunstfreundes“ auf einer Lithographie von 1901/02.

12 __ Neunzig Jahre später wurde Mackintoshs Entwurf im Bellahouston Park in Glasgow verwirklicht.

13 __ Neuinterpretation statt Rekonstruktion: Norman Fosters gläserne Kuppel des Reichstagsgebäudes in Berlin zieht die Besucher nach wie vor in Strömen an.

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14 __ Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts als Wahrzeichen eines ganzen Kontinents: Jørn Utzons Opernhaus in Sydney.

15 __ Architektur, die sich durch ihre Einprägsamkeit selbst vor Verstümmelung schützt: die Zeltdächer im Münchener Olympiapark.

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16 __ Le Corbusiers Entwurf (1942) für die Wohnanlage Peyrissac in Cherchell (Sahelzone).

Kennzeichen des Originalen Gern wird von Rekonstruktionsfreunden das Argument benutzt, in der Architektur sei nicht der physische Körper des Bauwerks das Original, sondern sein Plan, wie die Partitur in der Musik. So könne man auch Bauwerke neu aufführen wie ein Konzertstück und sie beiseite legen bis zur nächsten Aufführung oder gar das seinerzeit nie Realisierte nachträglich realisieren. Aber man täusche sich nicht: Es kehren nur die Bilder wieder, nicht die Sachen selbst. Es sind Reproduktionen ohne durchlebte Existenz. Wenn die Gesellschaft diese Fiktionalisierung wirklich will, sollte sie zumindest deutlich sagen, wo die Grenzen gezogen sein sollen, bis zu denen sie in der Entmaterialisierung der Geschichtsbelege gehen will. Oder ist alles erlaubt, was gefällt? Zweifellos würde sich bei entsprechender Fragestellung eine große Mehrheit der Bevölkerung für fast jede Wieder-Holung des Vergangenen aussprechen. Diese Ausflüge ins Vergangenheitsland muss man ernst nehmen. Die Mehrheit muss nicht recht haben, nur weil sie die Mehrheit ist; Kunstfragen sind nicht abstimmungsfähig. Aber gewiss gibt es Gründe, auch in der Architektur manchmal nicht alles zu wollen, was eine fachkundige Minderheit der Mehrheit empfiehlt.

Darüber darf das Gespräch nicht abbrechen. Was hat das gegenwärtige Bauen verweigert, das einer Vielzahl von Menschen unentbehrlich scheint, und wie kann die zeitgenössische Architektur deren Ansprüche erfüllen, ohne ihre eigenen Qualitätskriterien in Frage zu stellen? Von Fall zu Fall war die Moderne sehr wohl in der Lage, die Erwartungen an ein die Sinne befriedigendes, erinnerungsfähiges Bauen zu erfüllen. Über demselben Parlament, das sich für die Rückkehr des Hohenzollernschlosses entschieden hat, wölbt sich die neue Kuppel Norman Fosters, die nach wie vor täglich Hundertschaften von Besuchern anzieht. Jørn Utzons Oper in Sydney hat es zum Nationalsymbol eines ganzen Kontinents geschafft. Günter Behnischs und Frei Ottos Zelte im Münchener Olympiapark haben sich so sehr dem kollektiven Bewusstsein eingeprägt, dass sie bisher jedem Attentatsversuch durch Developer, Stadtrat und sogar durch die eigenen Architekten widerstanden haben. Solche Beispiele haben durchaus allgemein akzeptierte Zeichen gesetzt. Sie haben Typologien weitergeführt – etwa die der Kuppel –, vorhandene Ortslagen akzentuiert, wie das Brachland eines ehemaligen Straßenbahndepots in Sydney, oder neue geschaffen, wie die aus Trümmern modellierte Stadtlandschaft am Oberwiesenfeld. Nicht minder wichtig sind die vielen gelungenen Interventionen, die das Vorhandene aufnehmen, ohne das Neue zu verleugnen, in wechselnden Graden der Selbstbehauptung oder Einordnung: kleine Eingriffe, mit großem Takt vorgenommen. Häuser, die Beziehungen aufspüren oder neue begründen. Bauten, in denen die Nachbarschaft historischer Architektur verarbeitet wird. Gebäude, die mit der Erinnerung ans Vergangene ein dialektisches Spiel treiben.

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17 __ Bei genauerem Hinsehen lässt auch die Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe in Berlin – entstanden von 1965 bis 1968 – das verwandelte Urbild eines antiken Tempels erkennen.

Brach die Moderne mit allem? In den meisten Epochen der Baugeschichte suchten die Künstler Tradition und Neuerung miteinander zu vermitteln, bei wechselnden Anteilen beider Pole. Viele bedeutende Künstler haben sich für ein funktionierendes Verhältnis zwischen Innovation und Tradition ausgesprochen. Was der britische Architekt und Theoretiker William R. Lethaby am Ende des neunzehnten Jahrhunderts vermutete und mit einem Zitat des Malers Joshua Reynolds belegte, war die Überzeugung vieler: „Erfindung ist genau genommen wenig mehr als die neue Kombination jener Bilder, die zuvor im Gedächtnis gespeichert worden sind: Nichts kann von nichts kommen.“6 Brüche in der Geschichte sind selten.

6. __ W. R. Lethaby: Architecture, Mysticism and Myth. London, 1891, Repr. 1974, S. 1.

Hat die heroische Moderne wirklich den radikalen Bruch mit der Geschichte bedeutet, von dem ihre Protagonisten manchmal und ihre Gegner immer sprachen? Gewiss war der Historismus des neunzehnten Jahrhunderts ein Feindbild der Modernen. Aber Vorbilder aus der Geschichte haben auch sie herangezogen. Meist waren sie nicht aus den jüngeren Phasen historisch überschaubarer Baukunst genommen, sondern aus älteren oder damals exotisch wirkenden Kulturen, die den Europäern alternative Lernerfahrungen versprachen, wie die Lehmarchitektur Schwarzafrikas oder der Pueblo-Indianer, die wohlorganisierten Labyrinthe islamischer Kashbahs, die Terrassenarchitektur der Azteken. Wo Meister ihres Faches am Werke waren, ging es um Verarbeitung, Umformung, Neubildung, nicht um Zitate des einstmals Gewesenen.

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Vorträge, wie sie Le Corbusier, Mies van der Rohe oder Erich Mendelsohn gehalten haben, stecken voller Entdeckungen aus Vergangenheit und Vorvergangenheit, die diese Architekten für die Gegenwart nutzten. Mies hat sich für germanische Haufendörfer interessiert. Hannes Meyer, der radikale Funktionalist, stellte sämtliche Grundrisse Palladios auf dreißig Normenblättern in einheitlichem Maßstab dar.7 Hans Poelzig, der zumindest in Phasen seines Lebens als Avantgardist galt, bekannte, er hasse die Historie, soweit sie ihn einzwängen wolle, aber er liebe die Vergangenheit, soweit sie künstlerische Instinkte in ihm wecke.8 Oft waren Gewöhnungsprozesse zu absolvieren, bis man auch in einem Bau Mies van der Rohes ein verwandeltes Urbild, das des antiken Tempels, erkannte – plus der zusätzlichen Komplexität, die neue Materialien und Konstruktionsweisen beitrugen. Die Qualitätsmoderne hat sehr wohl gewusst, was sie an der Geschichte hatte. Nur die Spekulantenmoderne hat sich für nichts als den kommerziellen Profit interessiert. Warum sollte die Geschichte nicht auch weiterhin als Lehrmeister dienen, als Anstoß zur Bildung wiedererkennbarer Orte? Freilich nicht als Asservatenkammer, aus der man sich von Fall zu Fall bedient – wie es die Postmoderne zu tun liebte und auf ihre Weise die Fraktion der Rekonstrukteure. Es werden Prozesse mit offenem Ausgang sein müssen, bei denen die Ansprüche jeweils neu verhandelt werden: einerseits der Ausdruck gegenwärtigen Lebensgefühls, aktueller Bauprogramme, zeitgenössischer Techniken, Konzepte der Nachhaltigkeit; andererseits die Verträglichkeit mit dem, was da ist, an Baubestand, an erinnerter Vergangenheit, wie sie im kollektiven Gedächtnis und, konkreter, im Muster des Stadtplans niedergelegt sind. Der Stadtplan ist in der Regel ein guter Begleiter aus dem Einst ins Demnächst. Er enthält die zuverlässigsten Informationen über das, was war, und erlaubt Freiheiten in der Überbauung.

Kompromiss darf nicht das Ergebnis dieser Verhandlungen sein. In manchen Situationen bedarf es der neuen Zeichen, auch wenn sie Bruch mit dem Vorhandenen bedeuten. Denn Identität knüpft sich nicht nur an taktvolles Weiterspinnen des Gegebenen, sondern auch an den neu gewagten Einsatz. Nicht nur die grandiose Grand Opéra des Charles Garnier mit ihrer barocken allure trug zum unverlierbaren Stadtbild von Paris bei, sondern ebenso die damals unerhörte Verletzung aller städtebaulichen Traditionen, der Eiffelturm. Auch für Utzons aufeinandergeschichtete Schalen gab es in Sydney nichts, was auf sie vorbereitet hätte. Sie gehorchten keiner Tradition, sondern begründeten eine neue. Der dosierte Einsatz des nie zuvor Gesehenen gehört zu den Regeln des Spiels, ebenso wie die überlegte Fortführung des Vorhandenen, seine variierende Weiterbildung, die etwas anderes ist als blinde Kopie. Darüber lohnt es sich zu streiten. Nietzsche, noch einmal, hielt die Frage, bis zu welchem Grade das Leben den Dienst der Geschichte brauche, für „eine der höchsten Fragen und Sorgen in Betreff der Gesundheit eines Menschen, eines Volkes, einer Cultur.“ 9

7. __ Ludwig Mies van der Rohe, Vortrag,1926. In: Fritz Neumeyer: Mies van der Rohe. Das kunstlose Wort. Berlin, 1986, S. 313. Hannes Meyer: „Wie ich arbeite“. In: Lena Meyer-Bergner (Hg.): Hannes Meyer. Bauen und Gesellschaft. Dresden, 1980, S. 103.

8. __ Hans Poelzig: Festspielhaus in Salzburg. In: Das Kunstblatt 5 (1921) 3, S. 81. 9. __ Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen. Vom Nutzen und Nachtheil … In: Kritische Studienausgabe KSA I, S. 257.

Vortrag am 11. Juli 2008 in Potsdam

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18 __ Kompromiss ist nicht immer die beste Lösung: Die Bedeutung von Gustave Eiffels berühmtem Turm liegt auch darin begründet, dass er mit allen städtebaulichen Traditionen brach.

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Michael S. Falser 1

Trauerarbeit an Ruinen Kategorien des Wiederaufbaus nach 1945

Der Begriff Rekonstruktion spielte nach 1945 und in der frühen Bildungsphase beider deutscher Teilstaaten eine untergeordnete Rolle – von Stadtplanern, Architekten und Denkmalpflegern wurde mehrheitlich der Begriff Wiederaufbau gebraucht. 2 Das im Detail keinesfalls einheitliche Konzept des Wiederaufbaus zielte – nicht zuletzt aus städtebaurechtlichen, finanziellen und ideologischen Gründen – weder darauf ab, die stark zerstörten Stadtstrukturen genau wiederherzustellen, noch die verlorenen oder teilbeschädigten Baudenkmäler exakt wiederzuerrichten. Es brachte vielmehr eine beachtliche Bandbreite von Aneignungs- und Kompromissformen zwischen beiden Extrempositionen hervor. Während aber

die deutschen Wiederaufbaustrategien der Nachkriegszeit seit den 1980er Jahren im Zentrum der Forschung stehen, wird einer Typologie des Wiederaufbaus teilzerstörter Baudenkmäler als Denkmalkategorie sui generis – über Bemühungen einer Gesamtbilanzierung und Inventarisierung hinaus – nur selten Aufmerksamkeit geschenkt. 3 Dies überrascht insofern, als eben diese Bauten für die gesamtdeutsche Kulturgeschichte eine elementare Aussagekraft für die geistige, soziale und materiale Situation unmittelbar nach der epochalen Zeitmarke 1945 besitzen. Aus der Sicht der Denkmalpflege bilden sie eine höchst schützenswerte Bausubstanz, und aus diesem Grund müssten sie auch in der Allge-

1. __ Zum Dank für wertvolle Hinweise bin ich verpflichtet: Thomas Steigenberger, Sigrid Brandt (beide Berlin), Dorothee Heinzelmann und Melanie Langewort (beide Zürich), Wolfgang Voigt (Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main) und Prof. Hans-Rudolf Meier (Bauhaus-Universität Weimar). Besonderer Dank geht an Julia Huemer (Wien) für ihre Hinweise zur psychiatrischen Begrifflichkeit der Traumaverarbeitung und Trauerarbeit.

2. __ Zur übergeordneten Verbindung zwischen nationaler Identitätskonstruktion und dem Umgang mit Baudenkmälern. In: Michael S. Falser: Zwischen Identität und Authentizität. Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland. Dresden, 2008. In der vergleichenden Darstellung von sechs Fallbeispielen zwischen 1800 und 2000 bezieht sich ein Kapitel auf die unmittelbare Nachkriegszeit. Im Zentrum der Dissertation steht jedoch der Transformationsprozess von baulichem Erbe im Berliner Stadtzentrum nach der deutschen Wiedervereinigung. 3. __ Eine herausragende Ausnahme dazu die Habilitationsschrift von Kai Kappel, die sich mit mehr als 55 (leider nur westdeutschen) Fallbeispielen der Erforschung des nachkriegszeitlichen Ringens um den Erhalt teilzerstörter Kirchenruinen widmete. In: Kai Kappel: Memento 1945? Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und in der Bundesrepublik Deutschland. München, 2008.

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meinheit als ‚erlebte‘ Erinnerungsstücke wertgeschätzt sein. Das Gegenteil ist der Fall: Knapp vor und erst recht nach der Wiedervereinigung 1990 zeichnete sich ein Rekonstruktionstrend zu einer Idealerscheinung ab, die sich ausschließlich an der Vorkriegszeit orientiert, bar jeglicher Kriegsspuren. Dabei werden gerade jene Baudenkmäler zu einem Großteil zerstört, die nach 1945 – zum Teil stark beschädigt – entweder als Ruinen im Stadtraum überlebt hatten oder – zeitgenössisch angeeignet – mit originaler Substanz wiederaufgebaut worden waren. Als Zeugnisse der gesamtdeutschen Wiederaufbauzeit nach 1945 lassen sie sich dann in der Regel nicht mehr befragen. Dieser Beitrag verfolgt zwei vorrangige Ziele: Erstens möchte er auf die zeitgeschichtliche Aussagequalität der nach 1945 wiederaufgebauten Baudenkmäler hinweisen, die eine einzigartige, weil systemübergreifende Denkmalgattung gesamtdeutscher Architekturgeschichte bilden. Dazu wird zur Sensibilisierung für den Begriff Wiederaufbau ein Ausschnitt theoretischer Diskussionsbeiträge von Architekten und Denkmalpflegern vor der deutschen Teilung 1949 geliefert, bevor anhand von Beispielen eine „wert“schätzende Kategoriebildung der Wiederaufbaustrategien versucht und die Bedeutung dieser Denkmalgattung zur Diskussion gestellt wird. Zweitens wird auf die Geschwindigkeit hingewiesen, mit der diese Baudenkmäler derzeit zerstört werden – dabei geht es um die konkreten Fälle, die im ersten Teil vorgestellt werden. Als Klammer für beide Teile dient das aus der Psychiatrie entlehnte Begriffsfeld von Verlusterfahrung und Trauerarbeit.

Wiederaufbau von Ruinen? Diskurse nach 1945 „Vor uns liegt die Aufgabe einer neuen Ordnung […] Nichts wird erreicht sein, wenn wir mit jeder Ruine, die wir aufräumen, mit jeder Straße, die wir ebnen, mit jeder Notbehausung, die wir zustande bringen, nicht gleichzeitig auch den inneren Schutt beseitigen, die seelischen und geistigen Wege bahnen und die Wohnungen der Tugenden und des Verstandes wiedererrichten […] Wir brauchen ‚Aufräumtrupps und Baukolonnen‘ in allen drei Ruinenfeldern: in den Trümmern der Stadt, den Trümmern der Seele und den Trümmern des Geistes.“ 4 Hans Schwippert: Theorie und Praxis (1947)

„Diese beiden Welten, die des Wiederaufbaus des Zerstörten und die des entschiedenen Neubaus, scheinen unvereinbar zu sein. Oder sollten sich doch die beiden diametral erscheinenden Richtungen auf höherer Ebene zur Einheit zusammenbiegen lassen? Wären sie die polaren Erscheinungsformen eines Zukunftsbildes, das sich erst abklären muss? Oder, in einem anderen Bild, liegt das Wesen beider Anschauungen nicht so sehr in den Extremen, dass beide Anschauungen sich unterhalb dieser Extreme verbinden ließen?“ 5 Walther Schmidt: Welten der Träumer (1947)

Einen der frühesten Leitgedanken zum Wiederaufbau zerstörter Städte und ihrer Einzelgebäude formulierte Philipp Rappaport 1946. Mit dem Bekenntnis, dass „Städte und Dörfer im allgemeinen an den alten Stellen wiederaufzubauen“ seien und ihr Wiederaufbau „trotz der gebotenen Eile und trotz der erforderlichen Einfachheit einen endgültigen Charakter haben“ solle, müssten schon allein aus pragmatischen Gründen über alle utopischen Stadtvisionen hinweg „große Teile des vorhandenen Straßennetzes sowie der vorhandenen Versorgungsanlagen wieder benutzt werden“.6 Weil es Vorrang hatte, die unterirdischen Leitungssysteme und oberirdischen Wegeführungen wieder benutzbar zu machen, blieben städtebauliche Korrekturen weitestgehend be-

4. __ Hans Schwippert: Theorie und Praxis. In: Bauwerk und Werkform. Erstes Heft (Ein Querschnitt), 1947, S. 17 – 18. 5. __ Walther Schmidt: Welten der Träumer. In: Ders.: Ein Architekt geht über Land. Ravensburg, 1947, S. 115 – 121, hier S. 116. 6. __ Philipp Rappaport: Der Wiederaufbau der deutschen Städte. Leitgedanken. Essen, 1946, S. 3 – 5.

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Rekonstruktion

grenzt. Wo er die „Zusammenlegung des Grundbesitzes“ 7 forderte, spielte Rappaport – einen „Gesamtplan für den Wiederaufbau der Stadt“ im Sinn – auf das Leitbild einer organisch gegliederten und aufgelockerten Stadt an. Zumindest im späteren Westdeutschland ließ es sich wegen der veränderungsresistenten innerstädtischen Privatbesitzstruktur und eines föderalistisch ausgerichteten Bauwesens nur selten stringent durchsetzen. Im Gegensatz dazu stand die zentralistisch und zwangskollektiv konzipierte Baupolitik der späteren DDR, die sich aber mit den 1950 erlassenen 16 Grundsätzen des Städtebaus ebenfalls zur historischen Stadt bekannte. In Denkmalwerte ging Rappaport auf den „Wiederaufbau von Gebäuden mit Denkmalwert“ ein und wies „die Instandsetzung und Benutzung historisch wertvoller Bauten [als] die beste Denkmalpflege“ aus. Als absolute Ausnahmefälle nannte er die „Wiederherstellung völlig zerstörter Bauwerke“ und das „Bestehenlassen der Ruinen als Erinnerungsdenkmal“, was er relativierte: „In unseren Städten zerstörte Baudenkmäler nur deshalb bestehen zu lassen, um späteren Zeiten eine Erinnerung an Deutschlands Zerstörung zu überliefern, erscheint nicht richtig. Wir wollen Deutschland neu bauen, wollen aber kein Bild der Vergangenheit gestalten […] Wir dürfen künftige Geschlechter nicht mit einer Überfülle von Ruinen an eine nun einmal tiefernste Zeit belasten.“ 8 Elf Monate nach der totalen Niederlage Deutschlands meldete sich der Werkbund-Architekt Otto Bartning zu Wort. In seinem Beitrag Ketzerische Gedanken am Rande der Trümmerhaufen erläuterte er den Begriff „Wiederaufbau“ als eine moralische Angelegenheit, die sich der Versuchung einer Vollrekonstruktion repräsentativer Prachtbauten zu widersetzen habe: „Wiederaufbau? Schon das Wörtchen ‚wieder‘ gefällt mir nicht. Es klingt wie Wiederholen, wieder herbeiholen… […] Wiederaufbau? Tech-

nisch, geldlich nicht möglich, sage ich Ihnen; was sage ich? – seelisch unmöglich! Aber schlichte Räume lassen sich auf den bestehenden Grundmauern und aus den brauchbaren Trümmerstoffen errichten.“ 9 Die aktuelle Baugesinnung machte Bartning, wie sein Kollege Hans Schwippert (vgl. das einleitende Zitat dieses Abschnitts), von der gegenwärtigen Notlage abhängig: „An unseren Bauten sollen sie uns erkennen, in unserer Einfalt, […] in unserer Einsicht, […] unserer Ehrenhaftigkeit und unserer Scham. […] Und nicht zu vergessen, in unserer Armut.“ 10 Der Leiter der bayerischen Denkmalpflege, Georg Lill, meldete sich ebenfalls 1946 zum Wiederaufbau zu Wort. Obwohl er, wie übrigens viele andere auch, die „vielerörterte Frage der Schuld an dieser namenlosen Vernichtung der höchsten Güter“ über die unmittelbare Mitverantwortung hinweg an die „unheilvoll führende Schicht der Deutschen“ delegierte, war auch für ihn der Totalverlust raumkünstlerischer Baudenkmäler – wie die Residenzen in München und Würzburg – zu akzeptieren und der „problemerfüllte Weg“ ihres Wiederaufbaus „mit zeitgemäßer Kunst“ und „ganz anderen Bedürfnissen“ an Repräsentation und Raum zu meistern. Im Hinblick auf den Wiederaufbau ganzer Stadtstrukturen als „seelisches Monument“ und „Gesamtkunstwerk“ bekannte er sich zum „herausgeschälten“, inselartigen Erhalt überkommener Baudenkmäler, um „von diesen Kristallisationspunkten aus die Lücken zu füllen, in denen alles zermalmt wurde, und zwar so, dass das Neue zum Alten gestimmt wird in Maßstab und Materialechtheit, in Handwerkstüchtigkeit und architektonischem Können, nicht äußerlich, sondern im Geiste des Wesentlichen“.11 Lill gab 1946 auch die Kunstpflege heraus, in der wesentliche Meinungsführer zum Wiederaufbau zu Wort kamen; darin auch der Altmeister deutscher Denkmalpflege, der rheinische Provinzialkonservator Paul Clemen. Dieser

7. __ Rappaport 1946, S. 10. 8. __ In: Rappaport 1946, S. 26 – 28. Dazu nochmals 1949 in: Philipp Rappaport: Wünsche und Wirklichkeit des deutschen Wiederaufbaus, Heft 4, Frankfurt am Main, 1949, S. 13. 9. __ Otto Bartning: Ketzerische Gedanken am Rande der Trümmerhaufen. In: Frankfurter Hefte, 1. Jg., Heft 1, 1946, S. 63 – 72, hier S. 64.

10. __ In: Bartning 1946, S. 72. Zum Begriff der Armut auch der Herausgeber der Zeitschrift Baumeister: „Unser politischer Zustand heißt Trümmer und Hilflosigkeit, unser wirtschaftlicher Zustand heißt Trümmer und Armut, unser moralischer Zustand heißt Trümmer und Chaos. Das ist das Erbe […] Am Anfang aller unserer Planungen steht das Wort: Armut!“ In: Rudolf Pfister: Unsere Aufgabe. In: Baumeister, 43. Jg., Heft 1, 1946, S. 1. Und: Ders.: Wiederaufbau der deutschen Städte. In: Baumeister, 43. Jg., Heft 3, 1946, S. 105. 11. __ Georg Lill: Um Bayerns Kulturbauten. Zerstörung und Wiederaufbau. München, 1946, S. 5, 17 – 21, 28 – 30. Lill kritisierte 1948 in „Situation der deutschen Denkmalpflege“ das hochgezüchtete Dauerthema „Wiederaufbau oder Neuaufbau als Dilemma“. In: Kunstchronik, 1. Jg., 1948, Heft 4/5, S. 1 – 3.

Trauerarbeit an Ruinen

bekannte sich zu einem Wiederaufbau als „Anschluss an den Baueindruck, die Gestalt der einzelnen Denkmäler, des Gesamtortsbildes von gestern […] auch in einer selbstständigen künstlerischen Weiterführung des Baugedankens“, der „lebende und tote Denkmäler wieder zum Sprechen bringen“ 12 müsse. Noch in seinem Todesjahr 1947 bestärkte Clemen die Übertragung seiner Doktrin des „allseitig lebendig Erhaltens eines Denkmals“, die er schon in seinem denkmalpflegerischen Hauptwerk Deutsche Kunst und Denkmalpflege 1933 ausgebreitet hatte, auf den gegenwartsorientierten „Wiederaufbau der sichtbaren Sinnbilder“.13 Beachtenswert war, dass sich Clemen zwar zur „Verehrung für die Zeugnisse einer großen Vergangenheit“ bekannte, ebendiese oftmals übertriebene Verehrung aber auch als „unzweifelhafte Hemmung in Bezug auf das freie voraussetzungslose Schaffen“ der Gegenwart auswies und folgerichtig auch „große Künstlerbegabungen von heute“ 14 zur Mitarbeit am Wiederaufbau aufrief. Und in der Tat erschien im selben Jahr ein Beitrag des Architekten Rudolf Schwarz, der seinerseits Denkmalpfleger und Architekten für einen lebendigen Wiederaufbau der Denkmäler in die Pflicht nahm: „Hege des geschichtlichen Fortwuchses ist jede Denkmalpflege […] die Überlieferung, die einmal zerschnitten ist, wächst nicht nach. Sie bewahrt sich in ihren Spuren und zergeht ins Nichts. Darum muss die Denkmalpflege die Geschichte keimkräftig halten in der Pflege der Male, denn das Frühere bewahrt sich in den Spuren. Das Wort Denkmal besagt schon, dass es sich um ein Mal des Denkens handelt, einen Ort also von geistigem Vorgang […] einmal werden die geschichtlichen Male wieder Orte begangener Geschichte sein […] Der kluge Planer […] nistet sein Werk in Ruinen ein und freut sich ihres reichen Vorrats an Zeit. Arglos entnimmt er den Resten den Stoff seines Baus, doch er umgeht die Spuren der ehrwürdigen Taten und Schicksale, weil er in ihnen die hohe Erinnerung lebt, und lauscht ihrem alten Bericht.“ 15

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Ganz im Sinne dieser symbiotischen Arbeitsweise zwischen Architekten und Denkmalpflegern widmete sich das zweite Heft von Baukunst und Werkform dem zugespitzten Gegeneinander von „Tradition und Wiederaufbau“, die der Architekt Franz Meunier als „unglückliche Polarität“ bezeichnete, in der „sich der Wiederaufbau nicht noch länger und weiter zu einer Tragödie der Verantwortungsscheu entwickeln“ dürfe.16 Zum Thema Verantwortung und Zeitgenossenschaft bezog 1946 Gerhard Strauß Stellung, der später für die DDR-Denkmalpflege als Kultur- beziehungsweise Denkmalpolitiker erheblichen Einfluss gewann. Er forderte mit der Überwindung der Ruinen auch jene ihrer Ursachen und beanstandete, dass sich gerade die Denkmalpflege für „den Anspruch der Macht“ und für „imperialistische Zwecke“ hatte gewinnen lassen und dass gerade die Ruinen die „tiefnotwendige Folge einer Unordnung unseres gesamten Daseins [waren], an der sich die Denkmalpflege mitverantwortlich“ 17 gemacht habe. 1947 vereinnahmte Strauß diese „erneuerte Denkmalpflege“ zur „ideologischen Erziehungsarbeit“ für eine „neue Ordnung“ und ein „neues Geschichtsbild“. „Verlorenes [musste] verloren gegeben“ werden, Wiederaufbau war bei substanziellem Erhalt und „Rekonstruktion“ nur dann zu rechtfertigen, wenn „an den Ort gebundene Konventionswerte selbst bei Totalverlust einen Wiederaufbau nahelegen“ würden.18 Werner Bornheim gen. Schilling, Landeskonservator von Rheinland-Pfalz, meldete sich 1948 mit dem Exkurs Ruinen, Denkmäler und Gegenwart zu Wort. Bemerkenswerterweise zählte er – gerade einmal drei Jahre nach der schlimmsten Zerstörung Deutschlands – die „Drastik der Ruinen […] zu den ältesten Erfahrungen und Urerinnerungen des Menschen“ 19 und bemerkte geradezu unbeschwert: „Wie es sich als notwendig erweist, die Ruine als ein Element der europäischen Kulturbildung seit 2000 Jahren zu begreifen, so kann die jüngst vergangene Katastrophe mit ihrer kaum absehbaren Hinterlassenschaft an Ruinen

Rudolf Schwarz: Das Unplanbare (1947)

12. __ Paul Clemen: Zum Geleit. In: Georg Lill: Die Kunstpflege. Beiträge zur Geschichte und Pflege deutscher Architektur und Kunst. Erste Folge, 1946, S. 10 – 11. Clemen zu seinem Zuständigkeitsbereich: Paul Clemen: Rheinische Baudenkmäler und ihr Schicksal – Ein Aufruf an die Rheinländer. Düsseldorf, 1946. 13. __ Paul Clemen: Aufgaben der Denkmalpflege von heute und morgen. In: Zeitschrift für Kunst, 1. Jg., 1947, Heft 1, S. 36 – 44, hier S. 36, 37. 14. __ Ebenda, S. 41, 42.

15. __ Rudolf Schwarz: Das Unplanbare. In: Baukunst und Werkform. Erstes Heft, 1947, S. 80 – 92. 16. __ Franz Meunier: Anmerkungen. In: Baukunst und Werkform. Zweites Heft, 1947, S. 4 – 15, hier S. 4, 7. 17. __ Gerhard Strauß: Denkmalpflege in der Ostzone. In: Lill 1946, S. 79 – 86, hier S. 80. 18. __ Gerhard Strauß: Erneuerte Denkmalpflege. In: Zeitschrift für Kunst, 1. Jg., 1947, Heft 1, S. 44 – 48. 19. __ Werner Bornheim gen. Schilling: Ruinen, Denkmäler und Gegenwart. Trier, 1948, S. 8.

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Rekonstruktion

nicht als geschichtlicher Einzelfall betrachtet werden.“ 20 Mit dem epochalen Begriff „Wiederaufbau“ wies Bornheim der Denkmalpflege im „Aufbau der Ruinen“ die ethische Aufgabe der „tätigen Hand des Zeitgewissens“ zu. In der „die Trauer um die verlorene Vergangenheit verdrängenden Hoffnung auf eine bessere Zukunft“ müsse die – eine Generation zu Recht bedrückende – Überfülle der Ruinen „wieder zum Leben erweckt werden“. Einer theoretischen und von Fall zu Fall zu sortierenden „Vielfalt an Möglichkeiten“ ordnete Bornheim als einer der Ersten „drei Grundkategorien“ des Wiederaufbaus zu: „Formgetreue Wiederherstellung nach dem Vorbild des zerstörten Originals“, „Verschmelzung des Alten mit dem Neuen“ und „vollständiger Neubau nach neuen Ideen“. Auf Paul Clemen bezogen folgerte Bornheim: „Die zweite Form des Wiederaufbaus in der schöpferischen Verbindung von Überkommenem und Neuentworfenem gibt die Hoffnung einer großen Zukunft. Die Wechselwirkung schöpferischer Kräfte von Einst und Jetzt erhält eine heute großartige Bewährungsprobe.“ Zu einer „schlichten, kargen“ und in der „Hilfestellung von Not und Armut […] schonungslos und gewaltsam“ wirkenden, aber gerade deshalb dem überkommenen Baudenkmal „entgegenkommenden Ehrlichkeit […] in tiefer Verbindung mit der lebenden Kunst“ könne und müsse sich demnach auch die Denkmalpflege in ihrer Aufgabe der „Überwindung der Ruinen“ als „echtem Wiederaufbau“ bekennen. 21 Der zeitgleiche Beitrag Ruinenschönheit 22 des Dresdner Kunsthistorikers Eberhard Hempel bewertete das Phänomen der Ruine als Element von jetzt sogar weltweiter Kulturbildung, sprach sich aber (in Bezug auf Dresden) für die selektive Erhaltung von Ruinen als innerstädtisches Memento mori aus. Hempel nannte schon zu Beginn jenes Charakteristikum, das in der Tat die bedeutendsten Architekturprojekte der Nachkriegszeit im Umgang mit Ruinen beeinflusste: die kreative Auseinandersetzung mit dem „niederdrückenden Gefühl des unersetzlich Verlorenen“ und mit jener „Schönheit“, die – durch Zerstörung des Originals von „dekoriertem Bewurf und vielen unwesentlichen Einzelheiten“ entledigt – sich im „Hervortreten des Kernbaus“ zeige. Diese „male-

rische Wirkung [historischer, Anm. M.F.] Ruinen“ war es, die auch „den Besucher veranlasse, den Inhalt sich zu ergänzen und dadurch stärker anzueignen, als wenn sich dieser sofort klar und vollständig gezeigt hätte“. Diese Aneignung der Ruine motiviere vor allem aber auch den „nachsinnenden Verstand“, über geschichtliche Vorgänge „in schonungsloser Offenheit“ nachzudenken und im Falle der aktuellen Kriegsruinen den „äußeren Verfall nur [als] das am Schluss sichtbar hervortretende Zeichen eines inneren Zerfalls, der sich meist lange vorher angekündigt hatte“ klarzumachen. 23 Nach einem Diskurs über Roms Ruinenentwicklung kehrte Hempel zur Gegenwart zurück und nahm damit das tatsächlich seltene Nachleben innerstädtischer Ruinen in Deutschland vorweg: Der komplette Wiederaufbau historischer Stadtkerne sei neben wirtschaftlichen und künstlerischen Absichten zuletzt auch „aus Ideen rein geistiger Art“ nicht möglich: „Die Zeugen der Vergangenheit dürfen unser Leben nicht beherrschen, aber sie müssen doch hineinwirken, da in ihnen das Fundament, auf dem auch unsere Gegenwart ruht, sichtbar wird […] Manche Teile unserer Innenstädte werden dem Forum Romanum gleichen. Pietätvoll gehütete Ruinen […].“ 24 Der Marburger Kunsthistoriker Adolf Bernt legte 1948 seine Untersuchung zu Varianten des Wiederaufbaus vor, in der er den Umgang mit Ruinen von deren Bedeutung („Symbol, Zeugnis der Geschichte oder der Baukunst/Kunstwerk, Objekt der Bauforschung“) und ihrer weiteren Verwendung („Urbenutzung, Neuverwendung und das reine Denkmal“) abhängig machte. Zum kriegszerstörten Baukunstwerk, das aufgrund des nicht wieder herstellbaren (künstlerischen, gesellschaftlichen, politischen und religiösen) Entstehungszusammenhangs unwiederbringlich verloren sei, brachte Bernt den Konflikt zwischen Verlust und Realität auf einen fast psychologischen Punkt: „Von einem verlorenen Kunstwerke soll man sich, wie von einem Toten, endgültig trennen. Die Sehnsucht, das Entschwundene dennoch wiederzuerlangen, will sich mit dem tatsächlichen Verluste nicht abfinden. Wunsch und Wirklichkeit erzeugen somit ein Problem,

20. __ Bornheim 1948, S. 25. 21. __ Bornheim 1948, S. 66 – 69. 22. __ Eberhard Hempel: Ruinenschönheit. In: Zeitschrift für Kunst, 1. Jg., 1948, Heft 2, S. 76 – 91.

23. __ Alle Zitate in: Hempel 1948, S. 76. 24. __ Hempel 1948, S. 90, 91. 25. __ Adolf Bernt: Baudenkmale und Wiederaufbau. Versuch einer Ordnung. Aufbau-Sonderhefte, Heft 5. Stuttgart, 1948, S. 5.

Trauerarbeit an Ruinen

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01 __ Das Schicksal der innerstädtischen Ruine aus der Sicht von Walther Schmidt: „hoher Realismus“ statt Naivität und Sentimentalität.

zu dem Stellung genommen werden muss.“ 25 Bernt wies mit sieben Varianten einen der differenziertesten „Maßnahmen-Kataloge“ der frühen deutschen Nachkriegszeit für ruinöse Baudenkmäler aus: „Erweiterung, Schutz (durch Bestandssicherung), Instandsetzung (durch technische Eingriffe), passive Wiederherstellung (durch unterordnende Teilersetzungen v. a. künstlerischer Architekturteile), Vollendung (durch originalgetreuen Fertig- oder ergänzenden Neubau), Umbau, aktive Wiederherstellung (durch künstlerisch motivierte Veränderungen) und Abbruch“.26 Totalzerstörte Altstädte hätten nach Bernt stellenweise in einen Park verwandelt werden können. Die 1949 erschienene Publikation Bauen mit Ruinen. Gestaltungsfragen bei der Einbeziehung von Ruinen kriegszerstörter bedeutender alter Bauwerke in neue Bauzusammenhänge des Architekten und späteren Stadtbaurats von Augsburg, Walther Schmidt, darf als die erstaunlichste Abhandlung eines Architekten jener Zeit zur zeitgemäßen Aneignung kriegsbeschädigter Baudenkmäler gelten. Mit der Forderung eines „hohen Realismus“, fern von „Naivität und Sentimentalität“, diskutierte Schmidt vier Möglichkeiten des Umgangs mit Ruinen: „Beseitigung, Annäherung an Altbestand, Ruinenerhalt und Einbeziehung in neue Bauzusammenhänge“. Die letzte Option favorisierte er: „Die Wirklichkeit wird dafür sorgen, dass nur Wiederherstellbares und selbst von diesem nur das Wichtigste wiederhergestellt wird. Manches ehrwürdige Mauerstück, manches allein erhalten gebliebene Portal, dem zuliebe man nicht noch einmal das alte Haus bauen könnte, wird in neuen Bauzusammenhängen

26. __ Bernt 1948, S. 17f. 27. __ Walther Schmidt: Bauen mit Ruinen. Gestaltungsfragen bei der Einbeziehung von Ruinen kriegszerstörter bedeutender alter Bauwerke in neue Bauzusammenhänge. Ravensburg, 1949,

02 __ Die von Schmidt favorisierte Option im Umgang mit Ruinen: Integration teilzerstörter Bauteile in eine neue Architektur.

fortleben können.“ 27 Bemerkenswert ist auch bei ihm die psychologisierende Einschränkung, wo es darum geht, innerstädtische Ruinen zu erhalten: „Zerstörte Bauwerke, die wirksam als Ruinen fortbestehen sollen, müssen auch in ihren Resten in einer Form in Erscheinung treten, die noch Form ist. Wie dies im einzelnen Falle ohne verkrampftes Bemühen zu erreichen ist, ist das Problem. In den meisten Fällen werden Ruinen nur im landschaftlichen Rahmen, im Zusammenhang mit der Vegetation, auf Dauer erträglich wirken.“ Den Anblick einer „Art [innerstädtischen] Pompeji“ lehnte Schmidt jedoch aufgrund des zu geringen zeitlichen Abstandes zum Zerstörungszeitpunkt als „unerträglich“ ab. Einer Ruine sicherte er nur in ihrem „sofortigen Einbezug in einen lebendigen Bauzusammenhang […] als Teile neuer Bauten“ ein dauerhaftes Nachleben zu, in dem nur eine zeitgemäß-moderne Formensprache das Überkommene zur „Einstimmung“ und zum „Zusammenklingen“ 28 bringen könne.

S. 2 – 4. Eine Polarisierung zwischen Wiederaufbau und Neubau lehnte auch Schmidt ab, siehe das Einleitungszitat auf Seite 61. 28. __ Schmidt 1949, S. 11, 12, 14, 15.

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Im Diskurs führender deutscher Architekten und Denkmalpfleger unmittelbar nach 1945 fallen also vor allem drei Argumente auf: Erstens wurde die allgegenwärtige Ruinenlandschaft als Bild eines epochalen Geschichtsabschnittes und Metapher einer notwendigen geistigen Erneuerung interpretiert. Zweitens blieben Vollrekonstruktionen zerstörter Baudenkmäler und ganzer Stadtlandschaften weitestgehend ausgeschlossen, nicht zuletzt, weil die Zeit drängte und Baumaterial, Fachpersonal und Geld fehlten – aber es spielten auch moralische und künstlerische Beweggründe eine Rolle. Und drittens wurde ein ‚gegenwartsabbildender‘ Wiederaufbau selektiver, identitätstiftender Leitbauten über einem punktuell zu korrigierenden Stadtgrundriss befürwortet. Die bis heute kolportierte städtebauliche wie denkmalpflegerische Nachkriegskonfrontation zwischen Vollrekonstruktion und Neubau beschäftigte also die Mehrheit führender Denkmalpfleger und Architekten jener Zeit nicht.

Eine der frühesten Auflistungen im Zweiten Weltkrieg zerstörter beziehungsweise beschädigter Bauten erschien in der Kunstpflege 1948. Genau zehn Jahre später wurde sie für Westdeutschland aktualisiert.29 1978 folgte die erste Schadensbilanzierung der DDR in zwei großformatigen Bänden: Ludwig Deiters, der Generalkonservator des Instituts für Denkmalpflege der DDR, instrumentalisierte im Geleitwort das Studium der aufgelisteten Kriegsverluste mit der damit einhergehenden „Betroffenheit über das Ausmaß des unwiederbringlich Verlorenen [für die] weitere Stärkung des Kampfes um den Frieden“ 30, legte aber auch keine übergreifende Wiederaufbau-

Systematik der frühen Nachkriegszeit vor. Niels Gutschow wies 1985 erstmals auf die eigenständige Denkmalwürdigkeit von „Stadträumen des Wiederaufbaus“ hin und differenzierte anhand der vier (westdeutschen) Beispielstädte Münster, Hannover, Darmstadt und Freudenstadt die Varianten „Rückgewinnung des historischen Straßenraums, Neubau unter Beibehaltung des historischen Blockrahmens, repräsentativer Straßenraum in Anknüpfung historischer Grundstruktur und einheitlich neue Gestalt auf historischem Stadtgrundriss“.31 In der ersten systemvergleichenden Darstellung des Wiederaufbaus in beiden deutschen Staaten wies der Historiker Klaus von Beyme 1987 darauf hin, dass die Wiederaufbaustrategien in beiden, „diametral inszenierten Politsystemen“ 32 keineswegs vollkommen unterschiedlich waren, sondern dass sie nach dem Prinzip „kommunizierender Röhren“ auf das jeweils andere Deutschland Bezug nahmen. Seine Differenzierung der objektgebundenen Aufbaustrategien zwischen „rekonstruktivem Wiederaufbau, Neubau und traditionellem Anpassungsneubau“ 33 blieb jedoch eher konventionell. 1988 erschien dann der von Niels Gutschow und Werner Durth herausgegebene zweibändige Gesamtkatalog Träume in Trümmern, dessen Fokus auf westdeutsche Städte mit einer Publikation von 1992 auf Gesamtdeutschland erweitert wurde.34 Die (geo)graphische Aufweitung des Themas folgte 1993.35 Die bisher ausführlichste Dokumentation von Kriegsschicksalen einzelner, allerdings nur westdeutscher Baudenkmäler erschien 1988 von Hartwig Beseler und Niels Gutschow. Dort bezog sich Beseler auf „Grundmuster des Wiederaufbaus“ 36 (teil)zerstörter Baudenkmäler und nannte neben dem bloßen Ruinenerhalt vier Möglichkeiten des Umgangs: „naive Wiederherstellung“ als Normalfall einer

29. __ Die Kunstpflege. 1. Folge 1948, S. 87 – 146. Und: Heinrich Neu: Die Verluste an Kulturgut in Deutschland durch den Zweiten Weltkrieg. In: Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hg.): Dokumente deutscher Kriegsschäden. Bd. 1, Bonn, 1958, S. 373 – 437. 30. __ Ludwig Deiters, in: Götz Eckardt (Hg.): Schicksale deutscher Baudenkmale im zweiten Weltkrieg: Eine Dokumentation der Schäden und Totalverluste auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. 2 Bde., Berlin (Ost), 1978, ohne Seite. 31. __ Niels Gutschow: Stadträume des Wiederaufbaus – Objekte der Denkmalpflege? In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 43. Jg., 1985, S. 9 – 19. 32. __ Klaus von Beyme: Der Wiederaufbau. Architektur und Städtebaupolitik in beiden deutschen Staaten. München, 1987, S. 338 – 339. 33. __Ebenda, S. 175 – 176.

34. __ Werner Durth, Niels Gutschow: Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940 – 1950. 2 Bde., Braunschweig, 1988. Die gesamtdeutsche Erweiterung in: Klaus von Beyme et al.: Neue Städte aus Ruinen. Deutscher Städtebau der Nachkriegszeit. München, 1992. 35. __ Josef Nipper, Manfred Nutz (Hg.): Kriegszerstörung und Wiederaufbau deutscher Städte. Geographische Studien zu Schadensausmaß und Bevölkerungsschutz im Zweiten Weltkrieg, zu Wiederaufbauideen und Aufbaurealität. Kölner geographische Arbeiten, Heft 57, Köln, 1993. 36. __ Hartwig Beseler: Baudenkmale – Zeugnisse architektonischer Überlieferung im Umbruch. In: Hartwig Beseler, Niels Gutschow: Kriegsschicksale deutscher Architektur. Verlust – Schäden – Wiederaufbau. Eine Dokumentation für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Neumünster, 1988, S. IX–XLI.

Kategorien des Wiederaufbaus nach 1945

Trauerarbeit an Ruinen

03 __ Das um 1950 entstandene Aufbaumodell zeigt den geplanten Umgang mit den drei Kriegsruinen Stadtschloss, Staatsoper und Neues Museum in Berlin.

Wiederherstellung der äußeren Erscheinung bei moderner Anpassung des Inneren, „archäologische Rekonstruktion“ als Wiederherstellung älterer, bauhistorisch zu erschließender Zustände bei gleichzeitiger Abnahme späterer historischer Schichten, „Purismus“ mit der künstlerischen Überhöhung der zerstörungsbedingt hervortretenden Raumform und „Einbeziehung der Moderne“ mit zeitgenössischen Ergänzungen. Wenn im Folgenden sieben Kategorien des Umgangs mit Ruinen aufgelistet sind, dann mit der Absicht, die Umgangsformen mit (teil-) zerstörten Baudenkmälern stärker zu differenzieren und ihnen einen höheren Wert beizumessen. Außerdem sind die Beispiele (ihre Einordnung bezieht sich auf ihr Schicksal vor der deutschen Wiedervereinigung) so gewählt, dass die gesamtdeutsche Dimension dieser Denkmalgattung deutlich wird. Den Kategorien 1 und 7 (Abriss und Vollrekonstruktion) soll hier weniger Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil sie sich einer zeitgeschichtlich-kommentierenden Aneignung vollkommen verweigern. Vielmehr sind die fünf Kategorien zwischen diesen beiden Extrempositionen hier von Interesse. Die Beispiele dafür finden sich in den ostdeutschen Städten Berlin (Ost), Dresden und Leipzig und in den westdeutschen Städten Berlin (West), Duisburg, Frankfurt am Main, Köln und München. Gesamtstädtebauliche Fragen des Wiederaufbaus in diesen Städten werden angedeutet, sofern sie für die Darstellung der Einzelfälle relevant erscheinen. Sieben Kategorien des Wiederaufbaus teilzerstörter Baudenkmäler sollen im Folgenden im Zusammenhang mit Ruinen unterschieden werden:

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1. Abriss der Ruine mit oder ohne Folgebau (Stadtschloss in Berlin-Ost) 2. Die liegen gebliebene, innerstädtische Ruine (Neues Museum in Berlin-Ost, Bayerisches Armeemuseum in München, Frauenkirche in Dresden) 3. Ruinenerhalt und kommentierender Gegenbau (Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in BerlinWest, Gürzenich/St.Alban in Köln) 4. Die zeitgenössische Integration der sichtbar bleibenden Ruine (Alte Pinakothek in München, St. Kolumba/Madonna in den Trümmern in Köln, St. Josef in Duisburg) 5. Die zeitgenössische Aneignung der formalen Qualitäten der Ruine (Paulskirche in Frankfurt am Main, Glyptothek in München, Prinzipalmarkt in Münster) 6. Teilrekonstruktion von erhaltener Originalsubstanz mit neuen Ergänzungen (Staatsoper Unter den Linden in Berlin-Ost, Gemäldegalerie in Dresden, Alte Börse in Leipzig) 7. (Vermeintliche) Vollrekonstruktion nach Teiloder Totalverlust (Goethehaus in Frankfurt am Main, Zwinger in Dresden) Berlin: Ruinen für eine geteilte Stadt? Der komplementäre, sich aufeinander beziehende Umgang mit kriegszerstörten Stadt- und Baufragmenten in Ost und West bildete sich in keiner deutschen Stadt so dramatisch ab wie im gerade erst geteilten Berlin. Die Staatsoper Unter den Linden, das Neue Museum und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche bilden so gesehen eine inhaltliche wie zeitliche Klammer, die sich von der politischen Trennung der Stadt 1949 über den Mauerbau von 1961 bis zum Mauerfall 1989 zieht. Mit der Gründung zweier deutscher Staaten 1949 mutierte die stark zerstörte Stadtmitte Berlins zum beplanten Zentrum der neuen Hauptstadt der DDR. Im Kontext der jungen Staatsgründung und den 1950 publizierten 16 Grundsätzen des Städtebaus war ein neuer Kernbereich sozialistischer Zentralität im Umfeld der Spreeinsel zu entwickeln, wobei dann die Maxime galt, die historische Stadt zu berücksichtigen und zugleich ihre Mängel zu beheben. Das Aufbaumodell des Architekten Richard Paulick deutete 1950 an, was für die drei Kriegsruinen Stadtschloss, Staatsoper Unter den Linden und

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Neues Museum entscheidend war. Die Ruine des kriegszerstörten, aber wieder aufbaubaren Stadtschlosses wurde um 1950 aus vor allem ideologischen Gründen abgerissen, was in der vorgeschlagenen Typologie der Kategorie 1 entspricht. An Stelle des Schlosses wurde zunächst eine Ehrentribüne errichtet und im direkten Umfeld ein zentrales Volks- beziehungsweise Regierungshochhaus geplant. Während Paulick 1950 die erste Visualisierung einer monumentalen, 120 Meter hohen Stadtkrone nach Moskauer Vorbild vorlegte, leitete er gleichzeitig als Chefplaner den Wiederaufbau der unmittelbar westlich anschließenden Prachtstraße Unter den Linden, deren historisch überlieferte Proportionalität mit dem 1949 erneuerten Lindenstatut mit einer Traufhöhe von 18 Metern verbindlich vorgeschrieben wurde. Eine zentrale Bauaufgabe war hier die Wiederherstellung der Deutschen Staatsoper Unter den Linden, die in ihrem Endergebnis als Teilrekonstruktion von erhaltener Originalsubstanz mit interpretierenden Ergänzungen beurteilt werden kann – also zur Kategorie 6 der Typologie gehört. Die Oper, die bis 1743 von Knobelsdorff als reines Logentheater erbaut und nach einem

Brand 1843 von Langhans wiedererrichtet, in der Zwischenkriegszeit vor allem aus bühnentechnischen Gründen modifiziert und im Zweiten Weltkrieg zweimal zerstört wurde, war 1950 höchstens noch in ihrer inneren Raumfolge mit dem Ursprungsbau vergleichbar. Ganz im Sinne der 16 Grundsätze verwahrte sich Paulick jeglicher Deutung, „als stelle der Wiederaufbau eine einfache denkmalpflegerische Rekonstruktion des Knobelsdorffschen Baus dar“ 37. Der Dichter und Kulturbundpräsident Johannes R. Becher nannte zur Operneröffnung 1955 das Ergebnis „eine lebendige Rekonstruktion […], um Zeugnis abzulegen von der Zeit, die wir sind, und der Zeit […] auch bewusst und unmittelbar Gestalt zu geben.“ 38 Tatsächlich war die neue Fassung eine nach umfassenden Studien des Knobelsdorffschen Œuvres historisch fundierte und gleichzeitig schöpferisch-interpretative Ergänzung. Im Außenbereich bezog Paulick die Neugestaltung der umgebenden Freifläche mit ein, bereinigte die Außenkubatur des Opernhauses historisierend von (angeblich) unproportionierten Auf- und Zubauten und verbesserte – wobei gleichzeitig eine unterirdische Garderobenhalle und Konditorei dazukamen – die historische Dreierstaffelung der Innenraumfolge: Den Bühnenraum modifizierte er nach modernsten technischen Anforderungen, und den Zuschauerraum führte er in die ursprünglich dreirangige Struktur, natürlich ohne die ursprünglich spätabsolutistisch standesorientierte Logeneinteilung und mit besserer Sichtführung, zurück. Hauptaugenmerk legte er auf die Neuinterpretation des Apollo-Saales als ernstem und monumentalem Staats- und Bankettsaal „eines Opernhauses mit einem eminent fortschrittlichen Inhalt und einer neuen Form zugleich“ 39. Dessen Dekor gestaltete Paulick, entgegen der (angeblich) „fälschlicherweise Knobelsdorff zugeschriebenen“ Rokoko-Fassung nach Vorlagen aus Schloss Sanssouci in eine mattere Farbigkeit des „frühesten Klassizismus […] der anklingen-

37. __ Richard Paulick: Über die Innenarchitektur der Deutschen Staatsoper Berlin. In: Deutsche Architektur, hrsg. von Deutsche Bauakademie zu Berlin, Bund der Architekten der DDR, Bd. 10, Berlin, 1955, S. 436 – 445, hier S. 436. 38. __ Adalbert Behr: Richard Paulick 1903 – 1979. In: Bauakademie der DDR (Hg.): Große Baumeister. Berlin (Ost), 1990, S. 297 – 339, hier 325. Oder wie es 1972 offiziell formuliert wurde: „Der 1955 vollendete Neubau ist vielmehr eine schöpferische Inbesitznahme des Erbes, die unter kritischer Prüfung des historisch Gewachsenen Neues hinzufügte.“ In: Volker Frank: Die deutsche Staatsoper zu Berlin. Leipzig, 1972.

39. __ Richard Paulick: Die künstlerischen Probleme des Wiederaufbaus der Deutschen Staatsoper Unter den Linden. In: Deutsche Architektur. Bd. 1, Berlin, 1952, S. 30 – 39, hier S. 32. Paulick hatte sich schon in Heft 6/1953 zur „Innenarchitektur der Deutschen Staatsoper“ zu Wort gemeldet (S. 265 – 270). 40. __ Paulick 1955, S. 438.

04 __ Der Zuschauerraum der Berliner Staatsoper Unter den Linden nach der Wiederherstellung durch Richard Paulick.

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den, fortschrittlich rationalistischen Ideen“ 40 um und eignete somit den gesamten Kulturbau dem fortschrittlich-sozialistisch angelegten Staat der jungen DDR an.41 Wenige Meter entfernt standen Berlins berühmte Museumsbauten in zum Teil starkem Kriegsschaden. Als nördliches Drittel der Spreeinsel waren sie seit 1828 in rund hundert Jahren zu einem einzigartigen Komplex preußisch-deutscher Kunstpolitik unter dem Namen Museumsinsel zusammengewachsen. Das klassizistische Alte Museum (1824 – 1828) von Schinkel riegelte als erstes Gebäude und mit seiner Orientierung zum Stadtschloss hin die nördlich anschließenden Folgebauten der Museumsgebäude zum Schlossplatz hin ab. In Verbindung mit dem Neuen Museum (1843 – 1866) von Schinkels Schüler Stüler war unter der Regierung von Friedrich Wilhelm IV. das Ensemble als „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ konzipiert worden. 1866 bis 1876 folgten die Nationalgalerie, unter Kaiser Wilhelm II. das neobarocke Kaiser-FriedrichMuseum (Bode-Museum) an der Nordspitze der Insel und zwischen 1909 und 1930 das Pergamon-Museum. Doch während vier der Museumsbauten noch zu DDR-Zeiten nutzbar gemacht

05 __ Das Treppenhaus des Neuen Museums, Berlin, in der Originalfassung von Karl Friedrich Schinkel.

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wurden, blieb das Neue Museum bis zur Deutschen Wiedervereinigung eine innerstädtische Kriegsruine – darf also zur Kategorie 2 gezählt werden. 1843 als Inkunabel industrialisierter Konstruktionskunst begonnen und 1866 komplett ausgemalt, beherbergte das dreigeschossige Neue Museum unter anderem das Ägyptische Museum, die Papyrussammlung, das Kupferstichkabinett und eine Gipsabguss-Sammlung. Am Kriegsende 1945 waren das südliche, freskengeschmückte Treppenhaus, unter anderem der Ägyptische Hof im nordwestlichen Gebäudeteil und der südöstliche Eckrisalit bis auf die Grundmauern zerstört und lange Jahre der Witterung ausgesetzt. Mit der Spaltung der Berliner Museumslandschaft nach 1949 wurde die Museumsinsel dem DDR-Kulturministerium unterstellt und ihr Wiederaufbau beschlossen: Die Nationalgalerie eröffnete 1949 und wurde 1955 fertiggestellt, der Wiederaufbau des Alten Museums dauerte bis 1966. Die ersten Gelder für die Instandsetzung des Neuen Museums, das vom prominenten Staatsforum aus im öffentlichen Sichtschatten hinter dem Alten Museum lag und vielleicht auch deshalb für die DDR weniger prestigewürdig als der Wiederaufbau der

06 __ Die Überreste des im Krieg stark beschädigten Neuen Museums im Jahr 1980.

41. __ Dazu: Uwe Schwartz: Der ‚rote Knobelsdorff‘. Richard Paulick und der Wiederaufbau der Staatsoper unter den Linden. In: Wolfgang Thöner, Peter Müller (Hg.): BauhausTradition und DDR-Moderne. Der Architekt Richard Paulick. München, Berlin, 2006, S. 106 – 123.

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07 __ Die Berliner Museumsinsel mit der innerstädtischen Ruine des Neuen Museums auf einer Luftbild-Skizze von 1984.

08 __ Memorialbau zum Ruhm der hohenzollernschen Herrscherdynastie: die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Berlin, im Jahr 1935.

42. __ Günter Schade: Bemerkungen zu Geschichte und Problemen des Wiederaufbau des Neuen Museums. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Bd. 27 (1990). Berlin, 1991, S. 163 – 198, hier S. 170.

Staatsoper Unter den Linden war, wurden erst Anfang der 1960er Jahre bewilligt. Doch der hohe Zerstörungsgrad des architektonisch und dekorativ überreich ausgestatteten Gebäudes, die statischen Probleme infolge des instabilen Baugrundes und der Abzug von Personal führten dazu, dass das Neue Museum immer wieder an das Ende des Wiederaufbaus der Museumsinsel gestellt wurde. Als nun die Eröffnung des Palastes der Republik 1976 bevorstand, schien auch der letzte „Ruinenanblick nicht mehr zu ertragen“ 42 zu sein; 1976 beschloss die SED die Wiederherstellung der gesamten Museumsinsel. Das Institut für Denkmalpflege erstellte 1976 einen internen Bericht, der sich stellenweise auch für die mögliche Wiederherstellung der „raumbildenden Architekturglieder unter Weglassung der verloren gegangenen Ausmalung und zur reduzierten Rekonstruktion, d.h. den Neubau von Räumen mit modernen Mitteln in den ursprünglichen architektonischen Grundformen“ 43 aussprach. Wie eine Luftbild-Zeichnung der Museumsinsel aus dem Jahre 1984 beweist, war der Ruinenstatus des Neuen Museums auch in einer offiziellen Publikation des DDR-Instituts für Denkmalpflege kein Tabu mehr – im dazu abgefassten Text zum Neuen Museum hieß es aber ohne weiteren Hinweis: „1945 zerstört, Rekonstruktion vorgesehen.“ 44 Für eine zwischen 1986 und 1990 anvisierte „Generalrekonstruktion“ des Neuen Museums fehlte der DDR das Geld: Die Grundsteinlegung und die Einbringung des ersten Pfahls der Ersatzgründung am 1. September 1989 war zum fünfzigsten Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs inszeniert, fand aber beinahe zeitgleich mit der Maueröffnung am 9. November 1989 statt. Während man erst mit dem Mauerfall 1989 damit begann, die Ruine des Neuen Museums wirklich wiederaufzubauen, markierte der Mauerbau 1961 symbolisch die schon vorher anvisierte Aneignung einer anderen Kriegsruine im westberlinischen Charlottenburg. Als die DDR noch die Hauptstadtplanung im historischen Zentrum vorantrieb, entwickelte sich im Westteil der Stadt

43. __ Peter Goralczyk: Denkmalpflegerische Aufgabenstellung zum Wiederaufbau des Neuen Museums. Maschinenschriftliches Manuskript, 1976, S. 5f. Zitiert in: Günter Schade: Die Berliner Museumsinsel. Zerstörung, Rettung, Wiederaufbau. Berlin (Ost), 1986, S. 148. 44. __ Institut für Denkmalpflege (Hg.): Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR. Hauptstadt Berlin I. Berlin (Ost), 1984, S. 118. Vergleichbar auch in: Renate Petras: Die Bauten der Berliner Museumsinsel. Berlin (Ost), 1987, S. 201f.

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eine kommerziell und kulturell geprägte WestCity zwischen Kurfürstendamm und Ernst-ReuterPlatz. Beide Entwicklungen blendeten zugunsten einer gesamtdeutschen Hauptstadtoption noch öffentlich aus, dass hier wie da bereits die Entwicklung getrennter Stadtzentren vorangetrieben wurde. Damit gingen auch die Wettbewerbe in der zukünftigen City-West, zu der auch der zentrale Auguste-Viktoria-Platz (nach dem Krieg umgetauft in Breitscheidplatz) mit der stark kriegszerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gehörte, vorerst von privatwirtschaftlichen beziehungsweise nicht staatspolitisch dominierten Interessengruppen aus. Die ursprünglich im spätromanischen Stil von Franz Schwechten erbaute Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche war am Sedantag 1891 zum Gedenken an Kaiser Wilhelm I. eingeweiht und bis 1906 in der Pracht eines Memorialbaus zum Ruhm der Hohenzollernschen Herrscherdynastie ausgestaltet worden. 1943 im Kampf um Berlin stark zerstört, wurde ihr Wiederaufbau vom Kuratorium der gleichnamigen Stiftung 1947 beschlossen, die Art und Weise jedoch bis Ende der 1950er Jahre kontrovers diskutiert. Der Architekturkritiker Ulrich Conrads nahm den Kriegsstumpf der Kirche 1952 zum Anlass, die angeblich „neue Ruinenbegeisterung“ zu kommentieren: Eine zeitgenössisch verortete Aneignung von bedeutenden Kriegsruinen würdigte Conrads, zusammen mit dem gerade erst abgeschlossenen Wiederaufbau der Frankfurter Paulskirche (siehe Seite 72), als gesundes Zeichen „auf dem Weg vom neuen Bauen zur neuen Baukunst“.45 Mit der Eröffnung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche von Egon Eiermann 1961 wurde eine der bedeutendsten Ruinenaneignungen der deutschen Nachkriegszeit der Öffentlichkeit zugänglich. Im Sinne dieser Analyse kann das Projekt als Beispiel für die Kategorie 3 der Typologie bezeichnet werden: Ruinenerhalt mit kommentierendem Gegenbau. Dabei wollte der Architekt Egon Eiermann

keineswegs von Anfang an die Ruine erhalten. Im 1956 ausgelobten, beschränkten, zweistufigen Wettbewerb war vorgesehen, den Neubau der ehemals geosteten Kirche in den Westen des Platzes zu verlegen – die Entscheidung, ob die gesicherte Turmruine abgerissen oder erhalten werden sollte, war offengelassen worden. In seinen beiden Wettbewerbsbeiträgen eliminierte Eiermann die Turmruine zugunsten eines kompletten Neubaus. Aber weder die evangelische Kirche als Auftraggeber noch der prämierte Architekt hatten mit dem Proteststurm der Westberliner Bewohnerschaft gegen den Abriss des Turms als „Herz Berlins“ gerechnet, der den Erhalt des Turms bewirkte und vielleicht als die „erste bewegte öffentlich geführte Auseinandersetzung im Rahmen des [Berliner] Wiederaufbaues“ 46 bezeichnet werden kann. Eiermann musste auch auf die Platzrahmung der Nachkriegsmoderne reagieren, die bereits geplant und teilweise gebaut wurde.47 Als Resultat entstand eine Art Kirchenbezirk, der sich wenige Stufen erhöht auf einer leicht abgesetzten Plattform vom umlaufenden Stadtverkehr absetzte. Die Neubauten – ein oktogonaler Kirchenraum mit vorge-

45. __ Ulrich Conrads: Das Gefallen am Zufälligen. Gedanken zu alter Ruinenromantik und neuer Ruinenbegeisterung. In: Baukunst und Werkform, Heft 11, 1952, S. 23 – 27, hier S. 27. 46. __ Wolfgang Schäche: Zur baulichen Entwicklung Berlins. In: Martin Wörner et al. (Hg.): Architekturführer Berlin. Berlin, 2001. 47. __ Während die Südseite des Breitscheidplatzes im historischen Stadtgrundriss überlebte, entstand zwischen 1955 und 1957 an der Nordseite das sog. Zentrum am Zoo als neues Geschäftszentrum West-Berlins von den Architekten Schwe-

bes/Schoszberger. Damit wurde die Nordseite des Breitscheidplatzes mit dem sog. Bikinihaus als fünfgeschossiger, über 200 Meter langer Bau mit Erdgeschoss-Kolonnaden gerahmt, während die Westseite des Platzes mit der neungeschossigen Kantstraßen-Überbauung (das sog. Schimmelpfeng-Haus) der Architekten Sobotka/Müller erst zwischen 1957 bis 1960 fertiggestellt wurde. Die Ostseite des Platzes, ehemals mit dem von Schwechten um 1895 erbauten Romanischen Haus besetzt und als Ruine abgerissen, war bis zur Einweihung des Eiermannschen Entwurfs noch unbebaut und stieg erst Mitte der 1960er Jahre mit dem Hochhaus des Europa-Centers mit Mercedes-Stern zum Symbol der City West auf.

09 __ Das Modell von 1958 zeigt die geplante Platzgestaltung für den Bereich nördlich der bereinigten Ruine der KaiserWilhelm-Gedächtniskirche.

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10 __ Egon Eiermanns in den 1960er Jahren geschaffene Neubauten rahmen die Ruine der Gedächtniskirche.

lagerter, flach gehaltener Sakristei, sechseckigem Glockenturm und rechteckigem, verglastem Kapellenraum – kommentierten die Turmruine, die als Gedächtnisraum umgestaltet war: „[…] das Neue nimmt das Zerstörte in die Mitte auf, stützt es ab und lässt es in hoffnungsloser Vereinsamung zurück.“ 48 Die schlichten Stahlbetonskelettbauten Eiermanns mit „dem hohlen Zahn“ der steinernen Turmruine entwickelten sich, direkt vergleichbar mit der von Deutschen im Weltkrieg zerstörten und ähnlich angeeigneten Kirchenruine im englischen Coventry, zu einer Stadt- und landesweiten Ikone und zum „Zeichen für eine verlorene Mitte“ 49, das in dieser in die Stadtlandschaft gesetzten Radikalität deutschlandweite Ausnahme blieb: „Was der Architekturmoderne selten widerfuhr, hier geschah es: Sie wurde populär. Die neu-alte Gedächtniskirche avanciert zu einem Symbol des westlichen Berlin […] jedenfalls solange, wie die Baudenkmäler der historischen, von der DDR reklamierten City dem Westen nicht als Stadtsymbole zur Verfügung standen.“ 50 In den 1950er Jahren noch im Kontext einer gesamtdeutschen Hauptstadt Berlin reflektiert, wurde die Kirche am 17. Dezember 1961 eingeweiht; sie stieg zum Symbol vom Berlin des „Freien Westens“ auf: Als am 13. August 1961 mit dem Mauerbau begonnen wurde, war die Teilung Berlins im wahrsten Sinne des Wortes zementiert. Frankfurt am Main: Ruinen für die neue Hauptstadt?

11 __ Die von den Deutschen im Krieg zerstörte Coventry Cathedral erhielt ebenfalls einen modernen Erweiterungsbau.

48. __ Egon Eiermann 1970 zur Kirche, zitiert in: Kristin Feireiss: Egon Eiermann. Die Kaiser-Wilhelm-GedächtnisKirche. Berlin, 1994, S. 10. Einen ähnlichen Entwurf hatte Eiermann 1953 für die kriegsbeschädigte St.-NikolaiKirche in Hamburg unternommen.

Während die Ruine einer ehemals monarchischen Kirche als „Turm- qua Geschichtsstumpf“ inmitten eines radikalen Gegenbaus die ernüchternde Realität der Berliner 1950er Jahre überlebte, sollte der Ruinentorso der Frankfurter Paulskirche mitsamt seiner historischen Symbolhaftigkeit in gegenwartsorientierter Formensprache, aber ohne Abbildung wundenhafter Spuren, als Zeichen einer neuen Demokratie wiederaufgebaut werden. Die Innenstadt Frankfurts zählte zu den meistzerstörten in Deutschland. 1947 wurde mit dem „Ideenwettbewerb für die Neuordnung des Hauptstraßenverkehrs“ der Start-

49. __ Ulrich Conrads: Die neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. In: Bauwelt, Heft 4, 1962, S. 95 – 98, hier S. 95. 50. __ Wolfgang Pehnt: Die Grenzen der Regeln. In: Feireiss 1994, S. 7 – 15, hier S. 7.

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12 __ Die neue Stadt auf den Ruinen der alten: zwei Vorschläge für den Wiederaufbau von Frankfurt am Main.

13 __ Zustand der Frankfurter Paulskirche – Symbol eines ersten Demokratieversuchs – im Jahre 1947.

schuss zum städtebaulichen Wiederaufbau gegeben, der sich weit über die magische Jahreszahl 1949 hinzog, als Frankfurt im Rennen um die deutsche Hauptstadt bereits ausgeschieden war.51 Zwei Extreme umschrieben die Positionen zum städtebaulichen Wiederaufbau des historischen Zentrums: Baudirektor Werner Hebebrand deutete die Totalzerstörung der alten Stadt als Chance, um den Stadtorganismus neu zu gestalten; aber obwohl der Stadtgrundriss dabei weitgehend neu strukturiert werden sollte, hätten unzerstört gebliebene Untergeschosse ganzer Häuserreihen als bauliches und die Stadtperspektive vorgebendes Fundament für moderne Neubauten dienen können. Dagegen war der Wiederaufbauplan von H. K. Zimmermann als Vertreter der Hessischen Denkmalpflege quasi eine Eins-zu-eins-Rekonstruktion des Stadtzentrums. Konsensfähige Grundlage des folgenden Altstadtstreits war auch in Frankfurt letztlich nur, dass man die Stadtdominanten im Stadtbild wieder aufbauen wollte, horizontal als Stadtplatz und Hauptstraße und vertikal als Stadtsilhouette und Perspektivführung. Eine dieser Stadtdominanten war die Frankfurter Paulskirche, die, 1789

als Gotteshaus begonnen, nach 1848 als Ort der Nationalversammlung und seither Symbol eines ersten Demokratieversuchs, 1944 bis auf ihre Grundform ausbrannte. In einer deutlichen Absage an den „Berliner Zentralismus“ 52 wurde jetzt Frankfurt, Sitz der amerikanischen Alliierten, als bürgerlich geprägte Idealstadt eines zukünftigen Föderalstaates auserkoren. Dazu sollte die Paulskirchen-Ruine in Rekordzeit zum hundertjährigen Gedenken an die Nationalversammlung 1948 als Sitz des Bundesparlaments und „Denkmal europäischer Geisteshaltung und Größe“ ohne jegliche Bescheidenheitsgeste der ruinösen Erscheinung wieder auferstehen – „koste es, was es wolle“.53 Die Spenden dafür kamen aus ganz Deutschland, Schalungsholz kam zum Beispiel aus dem sowjetisch besetzten Thüringen. Aus der ersten Wettbewerbsphase wurde die ‚Planungsgemeinschaft Paulskirche‘ mit Gottlob Schaupp, Johannes Krahn und Rudolf Schwarz gegründet. Schwarz fasste das Konzept einer zeitgenössischen Aneignung formaler Qualitäten der Ruine – als Beispiel für Kategorie 5 – zusammen: „Die Flamme hatte unter oberflächlichen Verzierungen und Stuckaturen einen Raum bloßgelegt, der

51. __ Die Wettbewerbe sind nachgezeichnet in: Durth/ Gutschow 1988, Bd. 2, S. 465 – 540. 52. __ Egon Kogon: Berliner Zentralismus oder Frankfurter Bundesregierung? In: Frankfurter Hefte, 1. Jg., April 1946, Heft 1, S. 5f.

53. __ Ebenda, S. 5f. Dazu Oberbürgermeister Kolb 1947: „Wiederaufbau auf bessere Zeiten vertagen, bescheiden in Ruinen zur 100 Jahre-Feier versammeln? Nein! Und nochmals nein! Ein großes Volk schafft nicht nur Dach und Brot für jeden einzelnen Bürger: es braucht auch ein Haus für sich selbst! Wie unsere Väter […] so muss auch unser werdender neuer Staat sich im Symbol neu erbauen […] Für Deutschland wollen wir gemeinsam die Paulskirche wieder aufbauen, uns allen zum Trost, uns allen zur Hoffnung“. In: Dieter Bartetzko: Die Paulskirche in Frankfurt am Main. Königstein/Taunus, 1998, S. 40.

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14 __ Der wiederhergestellte Innenraum der Frankfurter Paulskirche: demonstrative Bescheidenheit als Zumutung?

15 __ Die Fotografie von 1945 zeigt die Überreste des Frankfurter Goethehauses.

bereit war, herrlich zu werden […] das Unglück hatte uns hier eine neue große Form geschenkt. Sie war unerwartet in bitterster Stunde hervorgetreten“ – in einem Brief an Mies van der Rohe sprach Schwarz sogar von der „römischen Größe“ der ausgebrannten Ruine.54 Es gelang tatsächlich, die Ruine termingerecht aus- und umzubauen. Der Besucher kam nun über enge und tunnelartige Gänge in das Foyer, das einen zentralen, fensterlosen Besprechungs- oder Sakristeiraum mit vierzehn Säulen umgab; über zwei monumentale und symmetrisch zueinander angeordnete Treppenfluchten trat er dann aus dem niederen Dunklen der Eingangsebene in den lichtdurchfluteten Vortrags- und Kirchensaal mit glatt in die Rundfassade eingeschnittenen Rundbogenfenstern, radial strukturierter Holzdecke, amphitheatrisch angeordneten Sitzbänken und orgelgekröntem Rednerpult. Während Anhänger des vorher propagierten Armutspathos das Resultat 1948 als stolzen, von Zerstörungsspuren gereinigten Bau feierten, kritisierten die Gegner die „demonstrative Bescheidenheit als Zumutung“, als „staatlichen Machtwillen und persönlichen Gestaltungsdrang weniger beamteter Baumeister“.55 Bescheidenheit und Verarbeitung geschichtlicher Kausalität zwischen Krieg und Vernichtung kennzeichneten jedoch auch nicht das komplett entgegengesetzte Wiederaufbaukonzept zum

nahe gelegenen Goethehaus. Dessen vermeintliche Vollrekonstruktion (Kategorie 7) hatte deutschlandweit eine vergleichbare Anhängerund Gegnerschaft und stand unter ähnlichem Zeitdruck: Die Zweihundertjahrfeier von Goethes Geburtstag stand 1949 an. Obwohl gefordert wurde, die vor der Totalzerstörung ausgelagerten Einzelstücke behutsam wiederzuverwenden, und obwohl der Sachverständige Otto Bartning den Architekten Heinrich Tessenow vorgeschlagen hatte, übergab Bürgermeister Kolb den Plan zur Vollrekonstruktion an das Freie Deutsche Hochstift mit seinem Direktor Ernst Beutler. Zwei bis heute viel zitierte Meinungen verdeutlichten am Goethehaus, dass die polarisierenden Positionen im Detail zwar verständlich waren, aber eine kompromissbildende Aneignung unmöglich machten. In Mut zum Abschied 56 machte der Mitherausgeber der Frankfurter Hefte, Walter Dirks, klar, dass man zwar in diesem Ausnahmefall mit vorher genau ausgeführten Objektstudien und einer noch „lebendigen Erinnerung“ an den Verlust „rekonstruieren“ könne. Aber man könne schon aufgrund des rein zwangsläufig gegenwartsverhafteten „Geist und Sinn des Bauens selbst […] unweigerlich nur eine schlechte Nachahmung oder peinliche Fälschung“ herstellen, die als Ergebnis nur den „endgültigen Verlust des Goethehauses, den geistigen Verlust [und] die Verfäl-

54. __ Rudolf Schwarz: Die neue Paulskirche. In: Die Neue Stadt, 2. Jg., Heft 3, März 1948, S. 101f. Und zitiert in: Bartetzko 1998, S. 40.

55. __ Fried Lübbecke: Baudiktatur und Baudemokratie. In: Frankfurter Rundschau vom 5.8.1948. 56. __ Walter Dirks: Mut zum Abschied. Zur Wiederherstellung des Frankfurter Goethehauses. In: Frankfurter Hefte, 2. Jg., August 1947, Heft 8, S. 819 – 828.

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schung des letzten, was in Wahrheit noch davon geblieben [wäre, nämlich die] an den Ort gebundene Erinnerung“ bedeute. Während bei Teilzerstörungen noch „taktvolle Ergänzungen“ möglich seien, bedürfe ein Totalverlust zwangsläufig eines angemessenen Neubaus. Beim Goethehaus leitete sich das Rekonstruktionsverbot für Dirks von zwei Seiten ab: Die Wiederherstellung sei nur durch „ein kritisches Verhältnis zu Goethe“ möglich, weil das Haus am Hirschgraben „nicht zufällig“, sondern durch eine vom deutschen Volk mit verursachte „Kausalkette“ verloren gegangen sei und sich das deutsche Volk damit von Goethes Wesen abgespalten habe: „Die große Vernichtung steht folgerichtig am Ende des Weges, der von Goethe weggeführt hat.“ Nur die Anerkennung des Verlustes und zukunftsorientierte Aneignung der „Sprache des Symbols“ des untergegangenen Goethehauses biete einen Ausweg: „Nur eines ist hier angemessen und groß: den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig. […] Dem Mut zur Zukunft entspricht die Entschlossenheit, Abschied zu nehmen von dem, was unwiderruflich vorbei ist.“ Während Dirks also die symbolhaft-mahnende Bedeutung des Ortes zugunsten eines geschichtskritischen Neubaus in den Vordergrund stellte, ließ Georg Hartmann bei der Einweihung des Goethehauses keinen Zweifel daran, dass der eingeforderte „Mut zur Treue“ 57 (nicht der „Mut zum Abschied“) einzig und allein in der vollen Wiederherstellung der materialen Kontinuität möglich gewesen war. Dass in diese Wiederherstellung (wie übrigens schon im Wiederaufbau des brandgeschädigten Gebäudes 1931) Stahlträger in die angeblich original-„getreue“ Rekonstruktion eingebaut werden mussten,58 störte die Traditionsanhänger allerdings wenig und machte eines deutlich: Ein gemäßigter Wiederaufbau mit originalen Fragmenten am originalen Ort in einer die Proportionen aufnehmenden, in Form und Material aber modernen Lösung hätte beide Positionen vielleicht vereinen können.

57. __ Georg Hartmann: Mut zur Treue. Rede zur Eröffnung des Goethehauses (1951), neu abgedruckt in: Norbert Huse (Hg.): Denkmalpflege – Deutsche Texte aus 3 Jahrhunderten. München, 1996, S. 203f. 58. __ Die Polemik der Gegner blieb nicht aus, die die sog. Rekonstruktion als „Versuchsstrecke Hirschgraben“ ironisierten: „Die gut erkenntlichen Stahlträger, die wohl seinerzeit Goethes Vater aus oberitalienischen Walzwerken mitbrachte,

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München: bewährte Kontinuität? Während Berlin mit dem Abschied der gesamtdeutschen Hauptstadtfunktion rang und Frankfurt letztlich vergeblich eine neue Hauptstadttradition begründen wollte, setzte die bayerische Landeshauptstadt München bei ihrem Wiederaufbau zusammenfassend auf „bewährte Kontinuität“ 59. Diese orientierte sich noch an den Höhenbegrenzungs- und Verdichtungsrichtlinien aus der Zeit um 1900. Außerdem verband sie das Bekenntnis zum Stadtbilderhalt und zum Image einer Kunst(gewerbe)- und Fremdenverkehrsstadt mit dem nach 1945 bestimmenden Planungsleitbild: Die Altstadtsubstanz sollte wieder aufgebaut, zugleich aber neu erschlossen und infrastrukturell durch einen Altstadtring verdichtet werden. Drei Bauten mit unterschiedlichem Wiederaufbauresultat stehen hier im Blickfeld der Diskussion: die Alte Pinakothek, die Glyptothek und das Bayerische Armeemuseum. Zehn Jahre

16 __ Vollrekonstruktion mit Stahlträgern: das Goethehaus im Prozess seiner Wiederherstellung.

sind uns dank einem gütigen Geschick erhalten geblieben. Man ist, wie unsere Bilder beweisen, auch darin gutem altem Handwerksbrauch gefolgt, dass man mutig die Stahlprofile auf das Holzwerk legte, innen wie außen. So wird bekanntlich ein besonders elastisches Auflager erzielt.“ In: H. Mäkler: Anmerkungen zur Zeit. In: Baukunst und Werkform. Zweites Heft, 1949, S. 14. Eine Abbildung der Stahlträger ebenda. 59. __ Winfried Nerdinger: München: Bewährte Kontinuität. In: Beyme 1992, S. 334 – 348.

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Rekonstruktion

17 __ Die Nordfassade der Alten Pinakothek in München: Hans Döllgast ließ den Bau mit Trümmerziegeln ergänzen.

18 __ Auf der Südseite schuf Döllgast sieben schlanke Stahlrohrstützen, auf denen das neue Dach auflagert.

60. __ Erich Altenhöfer: Die Alte Pinakothek. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Aufbauzeit. Planen und Bauen München 1945 – 1950. München, 1984, S. 63 – 76. Erweitert in: Hans Döllgast und die Alte Pinakothek. In: TU München, BDA (Hg.): Hans Döllgast 1891 – 1974. München, 1987, S. 45 – 91.

lang setzte sich der Münchener Architekt und Professor an der Technischen Hochschule München, Hans Döllgast, für den Wiederaufbau der Alten Pinakothek ein. Vorweg: Ohne ihn wäre die Kriegsruine der Alten Pinakothek abgerissen worden, die Rettung des Baus ist unbestritten sein Verdienst – wie immer man über ihre Umsetzung denken mag. Das Resultat darf als deutschlandweit vielleicht bedeutendster Wiederaufbau gelten, in dem zeitgenössische Architektur und sichtbar bleibende Kriegsruine integriert sind – in der vorgeschlagenen Typologie die Kategorie 4.60 Die Alte Pinakothek war unter König Ludwig I. vom Architekten Klenze auf einem 150 Meter langen, H-förmigen Grundriss als dreistöckiger, klassizistischer Ziegelbau errichtet und 1836 als Galerie der Wittelsbacher Gemäldesammlung eröffnet worden. Im Krieg brannte das Museum zum großen Teil aus, die Nordfassade wurde bis zur Höhe des unteren Geschosses und die der Stadt zugewandte Südfassade im mittleren Teil komplett zerstört. Während über Abriss, Neubau, Verlegung und die Einheit von Sammlung und Gebäude hitzig debattiert wurde, präsentierte Döllgast 1951 zusammen mit seinen Hochschulkollegen Zenns, Krauß und Stois eine Lösung, die aus eigener Motivation und langjährigen Studien hervorgegangen war: Mit einfachsten Mitteln sollte der Ruinenrohbau so ergänzt werden, dass späterer Ausbau möglich blieb; der Originalbestand sollte gesichert und gebrauchsfähig gemacht werden, was mit Kosten von je 830.000 Mark (gegenüber der Schätzung der Staatlichen Bauverwaltung von 15 Millionen!) veranschlagt wurde. Dieses Konzept überzeugte 1952 schließlich die Stadt, die vergleichsweise alternativlosen Kritiker und letztlich auch den Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags. Die Meinungen über Döllgasts Projekt schwankten: Einerseits wurde es als „ehrliches Bekenntnis zur heutigen Notlage“ 61 begrüßt, dagegen nannte ausgerechnet der Autor des Buches Bauen mit Ruinen, Walther Schmidt, die Ruinenästhetik eine „Unerträglichkeit und Misshandlung“ 62. Wo er kulturlose Abrisse von Kriegsruinen im Osten und Westen Deutschlands miteinander verglich, wies

61. __ A. Ress: Zur Frage der Alten Pinakothek. In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, Heft 1, 1952, S. 138 f., hier S. 139. 62. __ Walther Schmidt: Von der Wiederherstellbarkeit klassizistischer Bauten. Anlässlich eines Vorschlags zur Ergänzung des Pinakothekbaus. In: Bauen und Wohnen, Heft 4, 1952, S. 167f.

Trauerarbeit an Ruinen

19 __ Die Ruine der Loggia in der von Leo von Klenze geschaffenen Alten Pinakothek.

20 __ An ebendieser Stelle ausgeführter „provisorischer“ Treppenlauf von Hans Döllgast aus dem Jahr 1954.

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21 __ Die von Döllgast nach den Vorschriften der Museumskommission korrigierte Fassung des Treppenlaufs von 1957.

Pfister immerhin auf Döllgasts Verdienst, die Pinakothek gerettet zu haben, hin: „Die Preisgabe der Münchener Pinakothek würde der Sprengung des Berliner Schlosses als ‚Kulturleistung‘ in nichts nachstehen.“ 63 Richtfest wurde 1953 gefeiert, die Südfassade wurde 1955 geschlossen und die Pinakothek dann am 7. Juni 1957 wiedereröffnet. Die zwei Ausbauphasen zusammenfassend, verlegte Döllgast die zentrale Treppenerschließung durch zwei Treppenläufe in den zerstörten Südbereich der Fassade, ermöglichte mit neuen Satteldächern eine neue Belichtung, vergrößerte auf Wunsch der Museumsleitung die innere Hängefläche, indem er Fenster zumauern ließ. Die Kriegswunden der Fassaden schloss er mit gleichfarbigen Trümmerziegeln zu unverputzten Wandflächen, die um die Dekorschicht zurückgesetzt waren – und das im Rhythmus der Klenzeschen Gliederung. Das neue Dachtragwerk stützte er mit sieben schlanken Stahlrohrstützen im Achsrhythmus der ehemaligen Loggia. Was die dialektische Einheit von Alt und Neu im Außenbau versprach, konnte Döllgast im Inneren allerdings nicht dauerhaft einlösen. So musste er zum Beispiel seine konstruktiv wie ästhetisch provisorisch gehaltenen, von der Außenfassade mit Zwischenstegen abgesetzten Treppen schrittweise vereinheitlichen, weil es die Vorschriften der

Museumskommission so forderten. Ihm, Döllgast, trug dies den Vorwurf der Monumentalisierung ein. Das Spurenhafte im dialogischen Umgang mit Ruinen begleitete Döllgast sein ganzes Leben, was er nicht mit Ruinenromantik verwechselt sehen wollte: „Ruinenzauber – was für ein bitteres Wort, erfunden, um Schicksal abzuleugnen, Werden und Vergehen“ 64. Er argumentierte nicht mit dem ideellen, sondern materiellen Wert der Ruinen: Auch bei anderen Münchener Projekten – wie der Basilika St. Bonifaz, der AllerheiligenHofkirche, der Aussegnungshalle im Ostfriedhof und an Mauern und Gebäuden des Alten Süd- beziehungsweise Nordfriedhofs – ging es Döllgast pragmatisch um Substanzerhalt und darum, Bauten wieder nutzbar zu machen. Das sei schlichtweg die billigere Lösung als Abbruch und Neubau. Schließlich ging es, wie es sein Schüler Josef Wiedemann ausdrückte, „um das gute Vernarben der Wunde“ 65. Rückblickend war Döllgasts „kreativer Umgang mit der Zeit“ 66 eine in Deutschland beispiellos gebliebene „architektonische Trauerarbeit“ 67.

63. __ Rudolf Pfister: Die Wahrheit um die Alte Pinakothek in München. In: Baumeister, 49/1952, S. 52. 64. __ Döllgast zitiert in: Franz Peter, Franz Wimmer: Von den Spuren. Interpretierender Wiederaufbau im Werk von Hans Döllgast. Salzburg, München, 1998, S. 12.

65. __ Wiedemann zitiert in: TU München 1987, S. 223. 66. __ Georg Mörsch: Hans Döllgast – Der kreative Umgang mit der Zeit. In: Bauwelt 85, 1994, Nr. 8, S. 372 – 375. 67. __ Norbert Huse: Kleine Kunstgeschichte Münchens. München, 1990, S. 222.

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Rekonstruktion

Josef Wiedemann erhielt seinerseits die Chance, seine Vorstellung von Wiederaufbau an der Münchener Glyptothek unter Beweis zu stellen. Vorbedingungen und Ergebnis seiner zeitgenössischen Aneignung der formalen Qualitäten der Ruine (Typologie 5) waren jedoch von ganz anderer Natur als bei Döllgasts Projekt. Den originalen, klassizistischen, erdgeschossigen und quadratisch angelegten Prunkbau mit Innenhof hatte von Klenze für die Kunstschätze von König Ludwig I. gebaut – nach dem Krieg war er eine Ruine: Die Innenausstattung war fast gänzlich zerstört, das Gewölbe eingestürzt oder in fragilem Zustand, der Dachstuhl vollständig niedergebrannt, die Mauersubstanz jedoch im Wesentlichen erhalten. Schon unmittelbar nach der Zerstörung 1944 beschäftigte sich Hans Döllgast mit Analysen der Ruine. Wiedemann engagierte man erst ab 1964 für den Umbau, der 1972 der Öffentlichkeit übergeben wurde. Zwischen der Zerstörung und Wiedemanns Engagement lagen, und das wird von Kritikern der Wiedemannschen Wiederherstellung bis heute ausgeblendet, also ganze zwanzig Jahre, in denen es dem Bayerischen Landbauamt,

dem Landesbaukunstausschuss, dem Denkmalamt und der Museumsleitung nicht gelang, über die notdürftige Wiederherstellung des Rohbaus unter einem Notdach hinaus die Innenraumfassung zu rekonstruieren (Typologie 7). Sie umfasste verschiedene Mustersäle, die jedoch in ihrer ästhetischen Wirkung mehrheitlich von der Denkmalpflege selbst als unbefriedigend bewertet wurden. Bemerkenswert ist, dass Wiedemann das Projekt weder als Rekonstruktion noch als Denkmalpflege, sondern als „fortschreitende Bauaufgabe verortete, die das Vorhandene in das notwendig Neue mit einbezog“; er erkannte einen historischen Zustand an, „der nicht aus persönlicher Neigung oder Auffassung [gekommen war], sondern den eine Katastrophe gebracht [hatte].“68 Wiedemann konnte das Gebäude als Einheit erhalten, indem er es in einen „nüchternen und werkgerechten Zustand“ brachte: „Also alles Mauerwerk als Körper zu belassen und so weit zu ergänzen, zu korrigieren und auszuwechseln, dass es ruhige Wand- und Gewölbeflächen gibt und zum Schlämmen geeignete, handwerklich saubere Oberflächen. Die klare, konstruktive

22 __ Die Originalfassung des Saals der Ägineten in der Münchener Glyptothek, geschaffen von Leo von Klenze.

23 __ Der von Josef Wiedemann wiederaufgebaute DiomedesSaal (vormals Saal der Ägineten) in den 1970er Jahren.

68. __ „Selten hat die Restaurierung eines Bauwerks einen so komplizierten Verlauf genommen, wie die Instandsetzung der Glyptothek. Sie ist eine Wiederholung ihrer Entstehungsgeschichte, nur mit einem anderen Ausgang. Als interessanter Abschnitt in der Baugeschichte dieses Hauses soll sie in ihrer Entwicklung und Durchführung festgehalten werden, aber nicht als ein Fall der Denkmalpflege. Die Spezialisierung einer Bauaufgabe auf den Begriff Denkmalpflege hin halte ich für keine günstige Entwicklung. Die jetzt oft missverstandene Handhabung dieses unglücklichen Begriffes ließen Maßnahmen, wie ich sie damals noch durchführen konnte, heute kaum mehr

zu. Der Ausbau der Glyptothek nach der Zerstörung war eine Bauaufgabe. Das Vorhandene sinnvoll in das notwendig Neue einzubeziehen war dabei die wesentliche Forderung.“ In: Josef Wiedemann: Der Innenausbau der Glyptothek nach der Zerstörung. In: Klaus Vierneisel, Gottlieb Leinz: Glyptothek München 1830 – 1980. München, 1980, S. 386 – 402, hier S. 386, 389. Dabei weist der Architekt im Hinblick auf seine purifizierende Lösung auf den schon für den Gründungsbau relevanten Konflikt zwischen Klenzes Anspruch eines hochdekorativen Gesamtkunstwerks und dem letztlich erfolglosen Standpunkt des Antikenkenners, Bildhauers und Architekten Martin von Wagner hin, der für die Aufstellung der Skulpturen eine dekorund formreduzierte Innenraumschale befürwortete.

Trauerarbeit an Ruinen

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Raumidee bleibt damit ebenso erhalten, wie die handwerkliche Durchbildung.“ 69 Im Vergleich zu Döllgast also, der bei der Alten Pinakothek die Kriegswunde konstruktiv wie ästhetisch abbildete, benutzte Wiedemann die auf die Grundform reduzierte Kriegs- und Sanierungsruine für seine puristisch-nüchterne Idee des Wiederaufbaus. Dabei griff er durchaus in die Originalsubstanz ein; zwar diente ihm die Geschichtlichkeit der Kriegszerstörung als Ausgangspunkt, jede zunächst sichtbare Spur der Vernichtung verschwand jedoch hinter einer, der modernen Ausstellungsästhetik verpflichteten weißen Schlämme (vgl. Schwarz’ Projekt der Frankfurter Paulskirche von 1949). Gleichzeitig zu Döllgasts und Wiedemanns Projekten blieb das Bayerische Armeemuseum vorerst eine innerstädtische Kriegsruine – es darf als Beispiel für die Kategorie 2 gelten.70 An der Ostseite des Hofgartens gelegen, wurde es 1898 vom damaligen Kriegsministerium in Auftrag gegeben und von Oberbaurat Mellinger als lang gestreckter Dreirisalitbau mit zentraler Ruhmeshalle unter einer zylindrisch überhöhten Kuppel im Stile der oberitalienischen Renaissance erbaut und 1905 eröffnet. Vor seiner schlicht verputzten Rückseite zum Hofgarten wurde 1925/26 ein Kriegerdenkmal errichtet. Im Krieg wurde es stark zerstört, die Ausstellungsstücke verlegte man in die heeresgeschichtliche Sammlung nach Ingolstadt und plante an seiner Stelle einen Bau für den Bayerischen Rundfunk – 1951 scheiterte diese Planung. Das einstige Museum blieb eine dem Verfall und schrittweisen Teilabbrüchen der Seitenglieder ausgesetzte, wenig beachtete Kriegsruine, bis sich der Ministerrat 1962 für den Bau der Staatskanzlei und ein Haus für Bayerische Geschichte aussprach und 1968 einen vorerst folgenlosen Wettbewerb auslobte.71 Wieder schlug Hans Döllgast eine wiederherstellende Sicherung vor. Weil seit den späten 1960er Jahren der neue Altstadtring direkt vor seiner Hauptfassade vorbeiführte, war die Kriegsruine ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Weitere Projektvorschläge scheiterten nicht zuletzt daran, dass der historisch sensible Ort in der Nähe der

Residenz lag. Die Bürgerinitiative „Rettet den Hofgarten“ und eine Debatte über die angeblich undemokratisch verordnete Planungspraxis der Regierung erregten die Gemüter. 1982 gewannen die Architekten Siegert/Gansser den Realisierungswettbewerb, mussten vor Baubeginn jedoch den Kuppelbau komplett restaurieren und ihren Entwurf 1989 nochmals korrigieren. In den 1980er Jahren mehrten sich auch prominente Stimmen, dass die Kriegsruine erhalten werden

69. __ Ebenda, S. 391. 70. __ Manfred F. Fischer: Die Hofgartenfrage und der Bau des Armeemuseums in München. Zur Geschichte der städtebaulichen Situation. In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 30. Jg., 1972, Heft 1, S. 25 – 42.

71. __ Heinrich Habel: Das Bayerische Armeemuseum in München. Entstehungsgeschichte und Bedeutung des Gebäudes am Hofgarten. Arbeitsheft 10 des Bayer. Landesamtes für Denkmalpflege. München, 1982. Ders.: Das Armeemuseum am Münchener Hofgarten. In: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege: Denkmäler am Münchner Hofgarten. Arbeitsheft 41. München, 1988, S. 146 – 178.

24 __ Das auf der Ostseite des Münchener Hofgartens gelegene Heeresgeschichtliche Museum (Armeemuseum) im Jahr 1905.

25 __ Der Um- und Ausbau zur Bayerischen Staatskanzlei sollte noch eine Weile auf sich warten lassen: die Ruine des Armeemuseums im Jahr 1978.

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Rekonstruktion

solle und als „sinnfälliges Mahnmal gegen Krieg und Gewalt“ 72 zu begreifen sei – darunter der ironisch skizzierte Vorschlag des Architekten Gustav Peichl, im wahrsten Sinne des Wortes Gras beziehungsweise Efeu über der Kriegsruine wachsen zu lassen. Dresden und Leipzig: Mahnmal oder Fortschritt?

26 __ Mit seiner Skizze aus den frühen 1980er Jahren schlägt Gustav Peichl vor, die Ruine des Armeemuseums, München, von der Natur zurückerobern zu lassen.

27 __ Bis auf wenige Mauerteile zerstört: die Dresdner Frauenkirche im Jahr 1952.

Ein vergleichbares Schicksal lässt sich mit der bis 1990 vielleicht prominentesten liegen gebliebenen Kriegsruine Deutschlands als Beispiel für die Kategorie 2 aufzeigen: die Frauenkirche in Dresden – mit einem ganz wesentlichen Unterschied. Während der Antikriegs-Charakter beim Bayerischen Armeemuseum in München erst im Kontext eines Neubaus in den 1980er Jahren breiter thematisiert wurde, war es bei der Frauenkirche in Dresden ganz anders: Als Kriegsruine wurden die Reste der Frauenkirche Ende der 1950er Jahre als staatliches Mahnmal inszeniert und – auch dank des Engagements der Denkmalpflege und der Bevölkerung – erhalten. Die Dresdner Innenstadt war 1945 ein komplettes Ruinenfeld. Die berühmte Frauenkirche, zwischen 1726 und 1743 nach Plänen des Ratszimmermeisters George Bähr als monumentaler, protestantischer Zentralbau errichtet, war bis auf wenige Mauerteile zerstört. Baudirektor Herbert Conert bezog am 22. November 1945 als einer der Ersten im Vorfeld des städtebaulichen Wettbewerbs Das neue Dresden und der Große Dresdner Aufbauplan (beide 1946) zur Zukunft der Stadt Stellung: „Der Neuaufbau Dresdens, denn ein solcher ist es, und kein Wiederaufbau, ist eine Aufgabe, wie sie noch nie gestellt war […] Sie ist einmalig […] Wir wollen einem Baustil unserer Zeit die Wege ebnen.“ 73 Dabei sprach sich Conert für die „Wahrung der barocken Haltung im Stadtinneren“, des Stadtgrundrisses und für den Wiederaufbau der Bauten aus, die die Silhouette Dresdens dominierten. Die Frauenkirche nahm er explizit aus, denn auch sie sollte mit ihrer Neumarktbebauung neuer und „schöner“ werden.74 Und während schon 1947 langfristig ein Neubau der Kirche gefordert wurde, sollte ihre

72. __ Peter Bode: Bayerns Gloria – Anmerkungen zum Armeemuseum im Hofgarten. In: Adrian von Buttlar, Traudl Bierler-Rolly (Hg.): Der Münchener Hofgarten. Beiträge zur Spurensicherung. München, 1988, S. 122 – 127, hier S. 127. 73. __ Herbert Conert: Gedanken über den Wiederaufbau Dresdens. Dresden, 1947, S. 7.

Trauerarbeit an Ruinen

Ruine vorerst stehen bleiben, „als Zeuge einer großartigen Bauidee und zur Mahnung an Schuld und Sühne unseres Volkes.“ 75 Zeitgleich spielte Eberhard Hempel im erwähnten Aufsatz Ruinenschönheit mit dem Gedanken, das innerstädtische Ruinenfeld zwischen einer neuen „Stätte der geistigen Erholung“ 76 zur Wirkung zu bringen. Walter Weidauer, SED-Mitglied und langjähriger Bürgermeister von Dresden, prägte maßgeblich den Wiederaufbauplan von Dresden, der in den Planungsgrundlagen beziehungsweise 12 Grundprinzipien für die Neuplanung Dresdens des Stadtplanungsamtes unter Kurt Leucht um 1950 aufging. Wie es sich im Umfeld der zeitgleichen 16 Grundsätze des Städtebaus abzeichnete, war auch in Dresden geplant, die Stadtmitte mit Ost-West-Magistrale und zentralem Forum am historischen Altmarkt politisch zu besetzen. Nach Berichten von Hans Nadler, ab 1949 Sächsischer Landeskonservator und von 1952 bis 1982 Chefkonservator am Institut für Denkmalpflege, setzten sich die amtliche Denkmalpflege sowie der Architekt Kiesling ständig für den geschützten Verbleib der Trümmer vor Ort ein.77 In den Wettbewerbsbeiträgen zwischen 1953 und dem Plan für den modernen, aber maßstabsgerechten Wiederaufbau des Neumarktes von 1957 wurde der Wiederaufbau der Frauenkirche noch mehrheitlich eingefordert, ihr historischer Baumeister George Bähr sogar der sozialistischen Volksideologie einverleibt.78 In der antifaschistischen Schrift Die unbesiegbare Stadt. Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden des Politikers Max Seydewitz erschienen 1955 die gegenseitigen Bekennungsschreiben der Bürgermeister von Dresden, Coventry und Hiroshima – sie belegen, dass sich die SED-Führung zu diesem Zeitpunkt des ideologischen Mahnmalcharakters der Kirchenruine bewusst war – hatten doch die Deutschen ihrerseits die Kirche von Coventry bombardiert und die Amerikaner eine Atombombe auf Hiroshima geworfen. Als das sozialistische

74. __ Ebenda, S. 29f. Ein Überblick zur Stadtplanung in Dresden nach 1945 in: Werner Durth, Jörn Düwel, Niels Gutschow: Architektur und Städtebau der DDR. Bd. 1, Frankfurt am Main/New York, 1998, S. 194 – 227. 75. __ Stephan Hirzel: Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. In: Zeitschrift für Kunst, 1. Jg., 1947, Heft 1, S. 48 – 50, hier S. 50. 76. __ Hempel 1948, S. 91.

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Forum am ehemaligen Altmarkt Ende der 1950er Jahre mit Punkthochhaus und Haus der sozialistischen Kultur konkret wurde, trat der zunehmend frei geräumte Neumarkt in dessen rückwärtigen Schatten, die Frauenkirchenruine wurde als Kontrapunkt zum Kulturpalast gesehen. 1959 wies der Siebenjahresplan die Ruine der Frauenkirche offiziell als Mahnmal gegen den Krieg aus .79 1963 setzte sich die Denkmalpflege dafür ein, den Trümmerberg mit Rosenhecken vor Vandalismus zu schützen, zumal die Ruine nicht mehr standsicher war. Spätestens als die Stadtpolitik 1967 anlässlich der Arbeiterfestspiele vorschrieb, die Frauenkirche als antifaschistisches Mahnmal zu inszenieren, und dafür unter anderem

28 __ Das Modell von 1960 zeigt den Dresdner Altmarkt mit dem neuen sozialistischen Forum und der Ruine der Frauenkirche im Hintergrund.

29 __ Die Frauenkirche als antifaschistisches Mahnmal: politische Inszenierung anlässlich der Arbeiterfestspiele 1967.

77. __ Hans Nadler: Der Erhalt der Ruine der Frauenkirche nach 1945. In: Ludwig Güttler (Hg.): Der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Regensburg, 2006, S. 77 – 89. 78. __ Kurt Röthig: Um die städtebauliche Gestaltung des Neumarktes in Dresden. In: Deutsche Architektur, 6. Jg., 1957, Heft 11, S. 618f. Und: Oswin Hempel: Die städtebauliche Gestaltung des Dresdner Neumarktes und seiner Umgebung. In: Deutsche Architektur, 6. Jg., 1957, Heft 12, S. 718 f., hier S. 719. 79. __ Hans Hunger: Der Aufbau des Zentrums der Stadt Dresden im Siebenjahresplan. In: Deutsche Architektur, 8. Jg., 1959, S. 596 f.

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Rekonstruktion

30 __ Äußerlich rekonstruiert, im Inneren dezent modernisiert: die Leipziger Börse im Jahr 1959.

eine Gedenktafel an Treppenturm E anbrachte, stieg die Silhouette der Kriegsruine mit dem wiederaufgestellten Denkmal Luthers im Vordergrund zum endgültigen Bestandteil der Stadtplanung und zu einem deutschland-, ja sogar weltweiten Symbol gegen Krieg und Gewalt auf.80 Während eine Bronzetafel mit der Inschrift „Ihre Ruine erinnert an Zehntausende Tote und mahnt die Lebenden zum Kampf gegen die imperialistische Barbarei“ 81 die staatsöffentliche Seite veranschaulichte, avancierte die Ruine in den 1980er Jahren mit Kerzengedenken am 13. Februar, dem Zerstörungstag, und dem Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“ zum Symbol der Gedankenfreiheit und des Aufbegehrens gegen die Staatsobrigkeit. Auch von hier aus begannen die DDR-weiten Bürgerproteste, die zum Fall des SED-Regimes führten. Während unter anderem der Zwinger vollrekonstruiert wurde (Kategorie 7), gestaltete sich der Wiederaufbau von Gottfried Sempers bis 1855 fertiggestellter Gemäldegalerie, deren Flügel im Krieg stark zerstört worden waren, weitaus

80. __ In Reiseführern der DDR hieß es dazu: „1945 zerstört, Ruine als Mahnmal erhalten.“ In: Walter May, Werner Pampel, Hans Konrad: Architekturführer DDR. Bezirk Dresden. Berlin (Ost), 1979, S. 33. 81. __ Zitiert in: Matthias Gretzschel: Die Dresdner Frauenkirche. Hamburg, 1994, S. 139.

komplizierter.82 Nadler sprach sich eindeutig gegen eine provisorische Wiederherstellung und zugunsten einer Totalrekonstruktion des Äußeren mit Verbesserungen im Inneren aus (Kategorie 6) – was in etwa Paulicks Strategie bei der Staatsoper Unter den Linden in Berlin entsprach. Hier wurde, ideologisch unterfüttert, die „Überlegenheit des sozialistischen Systems“ 83 demonstriert. Von der provisorisch-kriegsspurenhaften Lösung an der Alten Pinakothek im westdeutschen München von Hans Döllgast (er nahm übrigens nachweisbar auch zum Wiederaufbau der Dresdner Gemäldegalerie Stellung) wollte man sich demonstrativ absetzen. Exemplarisch zeigt sich hier der komplementäre Charakter der gesamtdeutschen Wiederaufbaustrategien. 1955 entschied die DDR-Denkmalpflege – eigentlich vergleichbar zu Döllgast in München –, die herkömmliche Treppenstruktur der Gemäldegalerie zugunsten eines neuen Erschließungssystems aufzugeben und die Kuppel- bzw. Oberlichtstruktur zu modifizieren. Als vergleichbare Wiederaufbaulösung (Kategorie 6) kann auch die ursprünglich im siebzehnten Jahrhundert erbaute Leipziger Börse genannt werden, die zu einem Kulturbau umgewidmet und im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört worden war. Nadler ließ zwar die äußere Gestalt rekonstruieren, das Innere aber nach alten Proportionen dezent modernisieren.84 1959 wurde der Wiederaufbau der Leipziger Börse in die zehnjährige Leistungsschau der DDR-Denkmalpflege einbezogen.85 Köln und Duisburg: Ikonen der Bescheidenheit? Während Dresdens Kirchenruine erst Ende der 1950er Jahre zum Mahnmal aufstieg, baute man in Köln – dem kulturellen und religiösen Zentrum deutscher Geschichte – mit größtem Eifer das Stadtbild und die die Stadtidentität stark prägenden Kirchen wieder auf. Die Resultate gehören heute zu den eindrucksvollsten Leistungen des Wiederaufbaus in Deutschland. Die Altstadt Kölns

82. __ Die folgenden Informationen aus: Sigrid Brandt: Geschichte der Denkmalpflege in der SBZ/DDR. Berlin, 2003, S. 177 – 193. 83. __ Brandt 2003, S. 186f. 84. __ Hans Nadler: Die alte Handelsbörse in Leipzig und ihr Wiederaufbau. In: Jahrbuch zur Pflege der Künste. Dresden, 1957, S. 185 – 197, hier S. 194, zitiert in: Brandt 2003, S. 172. 85. __ Leopold Achilles (Hg.): Zehn Jahre Denkmalpflege in der Deutschen Demokratischen Republik. Leipzig, 1959, S. 217.

Trauerarbeit an Ruinen

war bis zu neunzig Prozent zerstört. Karl Band, Architekt und Altstadtsanierungsexperte von Köln, legte bereits 1947 einen Plan vor, der den historischen Stadtgrundriss, die Position der Kirchen darin und die Reste der ehemaligen Römerstadt berücksichtigte. Für Rudolf Schwarz als Kirchenbaumeister und Generalplaner von Köln hing die Neuordnung der neuen Stadträume von der Verkehrserschließung ab, die er aus der halbkreisförmig am Rhein gelegenen Stadtstruktur der ehemaligen Römerstadt ableitete. In dem 1946 bis 1948 erarbeiteten Generalplan und in Gedanken zum Wiederaufbau von Köln von 1947 legte Schwarz sein Konzept zum Stadtinneren als „Hochstadt“ mit zu erhaltenden „Dominanten“ über einem historischen, aber modernisierten Stadtgrundriss dar. Die alten Kirchen sollten „nicht rekonstruiert“, sondern „um des Gottesdienstes willen und als heilige Werke erneuert“ werden.86 Schwarz bezog sich auf die Diskussions- und Vortragsreihe Was wird aus den Kölner Kirchen?, in der 1946 bis 1947 Geistliche, Denkmalpfleger (darunter der Leiter der Rheinischen Denkmalpflege, Graf Wolff Metternich), Philosophen, Künstler, (Kunst-)Historiker, Architekten, Städtebauer, Journalisten und Politiker zur zeitgenössischen Verantwortung des Kirchenwiederaufbaus Stellung bezogen hatten. Als glücklicher Umstand war zu werten, dass Domund Diözesanbaumeister Willy Weyres und Kardinal Frings zeitgenössische Kirchenbaukunst förderten.87 Mit Gürzenich /St. Alban lag 1945 eines der prominentesten Bauensembles Kölns in Trümmern. Der Gürzenich, ab 1441 als bürgerlicher Repräsentationsbau mit Lager, Kaufhaus und Veranstaltungssaal begonnen, war als gute Stube von Kölns Karnevalssitzungen vor allem im neunzehnten Jahrhundert durch den Stadtbaumeister Julius Raschdorff stark umgebaut und mit einem Mittelbau zwischen Gürzenich und der neogotisierten St.-Alban-Kirche erweitert worden. Alle drei Gebäudeteile des Ensembles brannten im Zweiten Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern aus.88 Im Wettbewerb, der das Schicksal

86. __ Rudolf Schwarz: Gedanken zum Wiederaufbau von Köln a. Rh. In: Gottlieb Binder (Hg.): Grundfragen des Aufbaus in Stadt und Land, Aufbau-Sonderheft 2, Köln, 1947, S. 8 – 27, hier v.a. S. 20. 87. __ Die Resultate in: Willy Weyres: Neue Kirchen im Erzbistum Köln 1945 – 1956. Düsseldorf, 1957. Dazu: Landschafts-

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31 __ Der von Rudolf Schwarz in den Jahren 1946 bis 1948 erarbeitete Generalplan zum Wiederaufbau der Kölner Altstadt.

32 __ Die Aufnahme von 1943 zeigt den mittelalterlichen Gürzenich (rechts) in Köln, der über einen neogotischen Zwischenbau (links) mit der Kirche St. Alban verbunden war.

verband Rheinland, Landeskonservator Rheinland, Christoph Machat (Hg.): Der Wiederaufbau der Kölner Kirchen. Arbeitsheft 40. Köln, 1987. 88. __ Die Darstellung der Baugeschichte: Angela Pfotenhauer: Köln. Der Gürzenich und Alt St. Alban. In: Stadtspuren – Denkmäler in Köln, hrsg. von der Stadt Köln, Bd. 22, Köln, 1993. Eine Analyse des „Bauens in Ruinen“ von Schwarz u.a. mit dem Gürzenich-Projekt in: Wolfgang Pehnt: Rudolf Schwarz 1897 – 1961. Ostfildern-Ruit, 1997, S. 126 – 137 und 163f.

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Rekonstruktion

33 __ Das Ensemble Gürzenich /St. Alban nach dem Wiederaufbau durch Rudolf Schwarz und Karl Band.

34 __ Über einen neuen Mittelbau bezogen die Architekten die Ruine von St. Alban integral in die Planung mit ein.

von St. Alban vorerst offenließ, wurden 1949 zwei zweite Preise an die Architektenteams Schwarz/Bernard und Band/Schilling vergeben, die beide eine zeitgenössische Aneignung des Komplexes ohne St. Alban vorschlugen. Die Stadt hatte die Kirchenruine von der umgezogenen Kirchengemeinde unter der Bedingung erwerben können, den weihevollen Charakter des Ortes zu bewahren. Schwarz/Band wurden beauftragt, sie bezogen die Kirchenruine integral, sogar elementar in das Planungskonzept des Neubaus ein. Der Gürzenich ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Kategorie 3, Ruinenerhalt und kommentierender Gegenbau. Das dreiteilige Gesamtkunstwerk von 1955 beinhaltete, auf Kosten der Raschdorffschen Planung, einen kunsthandwerklich beeindruckend ausgeführten Mittelbau. Mit dem zum neuen Versammlungssaal überleitenden Treppenaufgang wurde dort der Blick in den mit Skulpturen umstellten Ruinenhof der Kirche gelenkt und damit die karnevalesken Realitätsebenen von Tod und Leben miteinander verschränkt. Oder wie es Rudolf Schwarz selber in der Differenzierung von „konservierendem“ (Ruinenerhalt), „restaurierendem“ (Rekonstruktion) und „interpretierendem“ Wiederaufbau ausdrückte:

„Diese Treppenhalle ist um die Ruine von St. Alban gewunden, die altersdunklen Außenmauern der Kirche wurden zu Innenwänden der Halle, deren oberes Geschoß zurückweicht […] Wir haben erreicht, daß diese Kirche nicht wiederhergestellt wurde und fanden dabei die Zustimmung des Erzbischofs, denn diese Altstadtkirche war schon lange entvölkert. Was hätten wir wieder herstellen sollen? […] Wir ließen den Raum kahl und zerstört. Er mahnt an die unerforschbare Bosheit des menschlichen Herzens. So steht er neben dem Festhaus. Die Feste des Lebens werden vor den Hintergrund des Todes gestellt. Diese Ruine ist sinnlos, und das trostlose Elternpaar der Käthe Kollwitz kauert ganz klein und verloren in der leeren Ödnis. Jemand schrieb, so etwas ginge wohl nur in Köln, denn nur die Kölner hätten die innere Kraft, solche Spannungen zu ertragen und darüber fröhlich zu bleiben.“ 89 Rudolf Schwarz: Kirchenbau. Welt vor der Schwelle (1960)

Die Ruine von St. Alban ist bis heute „einer der wenigen gebauten Einsprüche gegen die lückenlose Beseitigung der Kriegswunden der Altstadt“ 90 und darin der Kaiser-WilhelmGedächtniskirche in Berlin verwandt.

89. __ Rudolf Schwarz: Kirchenbau. Welt vor der Schwelle. Heidelberg, 1960, S. 93 und 113 – 120. 90. __ Pfotenhauer 1993, S. 92.

Trauerarbeit an Ruinen

In der Nähe des Gürzenich baute Gottfried Böhm etwa zur gleichen Zeit das Ensemble „Madonna in den Trümmern“, das die Ruine von St. Kolumba als sichtbar integrierte Ausgangsbasis des Neubaus auswies – ein Beispiel für die Kategorie 4. St. Kolumba wuchs zwischen dem zehnten und fünfzehnten Jahrhundert zu einer fünfschiffigen Basilika, die noch bis ins neunzehnte Jahrhundert durch Restaurierungen verändert wurde. Im Krieg blieb neben Teilen der spätmittelalterlichen Außenmauern und dem Turmstumpf wie durch ein Wunder eine Madonnenstatue mit Kind aus dem fünfzehnten Jahrhundert am nördlichen Chorpfeiler in situ erhalten. Sie wurde nach 1945 sogleich zum Symbol des (Über-)Lebens und gab als „Madonna in den Trümmern“ dem Wiederaufbauprojekt seinen Namen. Sowohl Oberpfarrer Geller als auch von Weyres sahen hier eine bescheidene Trauer- und Gedenkstätte und „völligen Neubau unter Verwendung der Überreste“ vor. 91 Nachdem Rudolf Schwarz und Dominikus Böhm der Einladung zum Wiederaufbau nicht nachkamen, erhielt dessen 27-jähriger Sohn, Gottfried Böhm, Schüler von Döllgast und Mitarbeiter von Schwarz, seine Chance. Der erhaltene Madonnenpfeiler wurde letztlich Ausgangspunkt seines Entwurfs, dessen anfangs geplanter, oval umschließender Saalbau dem tatsächlich ausgeführten, schlichteren Kapellenbau mit zeltartiger Deckenstruktur inmitten der ehemaligen Kirchenruine mit Prozessionsweg wich. Böhms Wunsch, den Pfeiler zu versetzen, folgte Provinzialkonservator Metternich nicht. So kam die moderne Kapelle auf den Grundmauern des erhaltenen Turmstumpfes zu stehen. Gellers Konzept der zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung mit dem Ort war realisiert.92 Zwischen 1951 und 1956 wurde das benachbarte, ruinöse Pfarrhaus abgebrochen, Böhm schloss die Straßenlücke mit einer Sakraments- und Beichtkapelle und später einem Kloster-Neubau. Die Gesamtruine zu erhalten, schien in den 1960er Jahren als zu kostspielig; Teile wurden rückgebaut und, als dabei mittelalterliche Gewölbegräber entdeckt wurden,

91. __ Willy Weyres zu St. Kolumba, in: Wilhelm Neuss (Hg.): Krieg und Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen. Mönchengladbach, 1948. Dazu: Stefan Kraus: Madonna in den Trümmern. Das Kolumbagelände nach 1945. In: Erzbischöfliches Diözesanmuseum Köln (Hg.): Kolumba. Ein Architekturwettbewerb in Köln 1997. Köln, 1997, S. 51. Weiteres in: Wolfgang Pehnt: Gottfried Böhm. Basel, Bern, Boston, 1999, S. 44f.

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35 __ Blick aus dem neu geschaffenen Mittelbau in die Ruine der Kirche St. Alban im Jahr 1960.

36 __ Die Kapelle „Madonna in den Trümmern“ schuf Gottfried Böhm im Jahr 1951.

37 __ Der Bau der Kapelle wurde auf den Grundmauern des Turms der im Krieg zerstörten Kirche St. Kolumba errichtet.

92. __ An Rudolf Schwarz bemerkte Geller 1947: „Und wir haben wieder wahre und echte Kunst in unseren Kirchenräumen, dann werden die Menschen auch wiederkommen und allmählich nachdenken und in der Kirche nicht nur etwas Rückständiges, sondern etwas Fortschrittliches finden. […] Die Besucher sollen nicht verwirrt, wohl aber aufgewühlt werden, jedoch nicht zum Widerspruch, sondern zur Auseinandersetzung und Anknüpfung“. In: Katharina Ley: Der Neubau von Sankt Kolumba in Köln durch Gottfried Böhm. Magisterarbeit, Köln, 1987, S. 55.

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Rekonstruktion

weiter reduziert. Böhms Entwurf für ein auf die Ruine aufsetzendes „Kolumba-Institut“ blieb unverwirklicht. „Madonna in den Trümmern“ überlebte vorerst den Veränderungsdruck der Boomjahre als transitorische Nachkriegsgeste der Bescheidenheit. Als Vergleich der Integration einer Kriegsruine an beziehungsweise in einen Neubau (Kategorie 4 beziehungsweise 3) im Œuvre von Gottfrieds Vater ist Dominikus Böhms radikales Projekt zur Pfarrkirche St. Josef in Duisburg interessant: Dort integrierte er die den Krieg überlebende Hälfte der neogotischen Hallenkirche in einen die Gesamtstruktur umspielenden Neubau: ein „geschichtsdidaktischer, denkmalpflegerischer Ansatz, bei dem das Alte wie eine Spolie mit Mahnmalcharakter erhalten“ 93 blieb. Münster: Wiederaufbau im Geiste Nun soll noch auf einen bedeutenden Sonderfall eingegangen werden, der sich zwischen objektund ensembleorientiertem Wiederaufbau bewegte: Wilhelm Rave, Westfälischer Landeskonservator, beschrieb 1951 treffend den geschichtsund traditionsbewussten, aber zeitgenössischen Wiederaufbau des Prinzipalmarktes in Münster, der sich zwischen zeitgenössischer Aneignung der formalen Ruinenqualität (Kategorie 5) und Teilrekonstruktion von erhaltener Originalsubstanz

mit neuen Ergänzungen (Kategorie 6) einordnen lässt. Rave akzeptierte den kausalen, „tieferen Sinn“ der Zerstörung als „heilsame Prüfung“ und die „in den Staub getretene Ehre“ des deutschen Volkes ebenso wie den stadtkollektiven „bitteren Schmerz“ der Münsteraner über den Verlust ihres Stadtsymbols. Aber gerade deshalb waren die Bauten des Prinzipalmarkts „nicht als Kopien“, sondern als lebendige Neubauzitate wiederaufzubauen: „Die historischen Straßenzüge sollen mit nur geringen Korrekturen beibehalten werden. Und auf diesen Straßen erhebt sich nun das neue Münster. Oder ist es das alte Münster? Nicht nur der vitale Aufbauwille, auch der hohe Rang der Neubauten finden allenthalben Bewunderung. Ein hervorstechender Zug des Westfalen, sein treues Festhalten am Hergebrachten, ist entscheidend an der Formung beteiligt. Auf solche Weise entsteht das eigentümliche Lebensbild dieser Stadt aufs neue, was einen klugen Beobachter zu der Prägung verleitete: eine Stadt, die vernichtet wurde und doch unberührt blieb!“ 94 Wilhelm Rave: Westfalens Kunststätten im Untergang und Wiederaufbau (1951)

38 __ Die katholische Pfarrkirche St. Josef in Duisburg nach dem Umbau durch Dominikus Böhm.

39 __ Münster auf einem Luftbild von 1945: Mit der Zerstörung des Prinzipalmarkts ging auch ein Stadtsymbol verloren.

93. __ In: Wolfgang Voigt, Ingeborg Flagge (Hg.): Dominikus Böhm 1880 – 1955. Tübingen, Berlin, 2005, S. 164.

94. __ Wilhelm Rave: Westfalens Kunststätten im Untergang und Wiederaufbau. Münster, 1951, S. 5.

Trauerarbeit an Ruinen

40 __ Die Skizze von John Ruskin zeigt den Zustand des Prinzipalmarkts um 1860.

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41 __ Der Prinzipalmarkt im Jahr 1962: die „städtebauliche Dimension des Straßenraums“ als Ausgangspunkt des Wiederaufbaus.

42 __ Die Fassadenstudie lässt einen Vergleich zwischen der originalen und der wiederaufgebauten Giebellinie des Prinzipalmarkts zu.

In Münster sprachen sich politische Gremien und wichtige Persönlichkeiten geschlossen für die zeitgenössische Anlehnung an das „im Geiste“ präsent gebliebene historische Stadtbild aus. Die atmosphärische Qualität des Wiederaufbaus wurde hauptsächlich – zulasten einer detailgenauen Rekonstruktion – durch die Wiederherstellung der „städtebaulichen Dimension des Straßenraums“ 95 ermöglicht: Dazu zählten die proportionale Beibehaltung von Straßenquerschnitt, Parzellenteilung, Raumqualität der Bogengänge, Giebelrhythmus und sogar die Topographie des leichten Bodenanstiegs vor Ort. Der vereinheitlichende Wiederaufbau der einzelnen Vorgängerbauten reagiert in einer „Hierarchie der Historizität“ 96 auf deren jeweilige Vorgeschichte, ihren Denkmalwert und den Grad ihrer Zerstörung. Die Anlehnung an den Originalbestand traf auf identitätsprägende beziehungsweise geschichtsträchtige und architekturgeschichtlich herausragende Einzelbauten wie das Rathaus

95. __ Niels Gutschow, Regine Stiemer (Hg.): Dokumentation Wiederaufbau der Stadt Münster 1945 – 1961. Münster, 1982, S. 182.

(hier wurde immerhin der Westfälische Frieden unterzeichnet) und das Stadtweinhaus zu. Die Fassaden der innen durchwegs modernen Giebelhäuser ließen dagegen vielfältige Lösungen in nachkriegszeitlicher Formensprache zu. Die Symbiose von ensemblehaft-städtebaulichem und objektspezifischem Wiederaufbau war an keinem deutschen Fall so schlüssig wie am Prinzipalmarkt in Münster.

„Das Schöpferische in der Trauer“ 97 Wiederaufbau als Denkmalgattung In der unglaublichen Vielfalt der Wiederaufbauformen teilzerstörter Baudenkmäler in Deutschland nach 1945 zeigt sich also eine elementare Aussagekraft, die aus der geistigen, gesellschaftlichen und materiellen Situation im nachkriegszeitlichen Deutschland erwachsen ist. Während sich die zwei Extrempositionen von Abriss und Vollrekon-

96. __ Die Detailanalyse in: Roswitha Rosinski: Der Umgang mit der Geschichte beim Wiederaufbau des Prinzipalmarktes in Münster/Westfalen nach dem 2. Weltkrieg. Bonn, 1987, S. 94. 97. __ Eva Gösken: Die Hüterin der Verwandlungen. Über das Schöpferische in der Trauer. Oberhausen, 2003.

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Rekonstruktion

struktion einer konstruktiven Auseinandersetzung mehr oder weniger strikt verweigerten, lässt sich in den Positionen zwischen diesen Extremen eine „schöpferische Trauerarbeit“ erkennen, für die eingangs fünf Kategorien vorgeschlagen wurden. Diesen unterschiedlichen Wiederaufbauformen kann heute ein einzigartiger, geistes- und architekturgeschichtlicher Denkmalwert einer Art architektonischen Trauerarbeit zugesprochen werden. Dieser These soll aus der Sicht der Psychologie, die bisher nur selten in Bezug auf Architekturgeschichte behandelt wurde ,98 kurz nachgegangen werden. Menschliche Trauer kann als natürliche, lebensfördernde und zugleich kreative Reaktion auf den Verlust einer nahestehenden Person oder eines individuelle und kollektive Identität konstituierenden materiellen Objekts beschrieben werden.99 Trauer beinhaltet die notwendige, mit Trauerschmerzen verbundene, erinnernde Durcharbeitung 100 verlustreicher Vergangenheit. Trauerarbeit, ein von Freud eingeführter Ausdruck „zum Verständnis des psychiatrischen Phänomens, dass mit jeder Trauer die Tendenz auf Milderung des Schmerzes (im Verlust) einhergeht“, ist als „intrapsychischer Vorgang [zu verstehen], der auf den Verlust eines Beziehungsobjektes folgt und wodurch es dem Subjekt gelingt, sich progressiv von diesem abzulösen“.101 Übersteigt eine plötzlich und mit großer Wucht eintretende Verlusterfahrung die natürliche Verarbeitungsfähigkeit des Menschen, führt sie zu einer Traumatisierung (Trauma als Wunde, Verletzung und Bruch in der Eigenidentität) als nachhaltige Störung des seelischen Gleichgewichts. Eine Reihe von „Abwehrmechanismen“ 102 (Trauervermeidungsstrategien) – wie Verdrängung (Unterdrückung von Erinnerungsprozessen), Leugnung und

Derealisation – blockieren die „Praktiken der gesunden Trauer“ 103. Der Weg der Trauer führt nach Kübler-Ross durch verschiedene Phasen,104 an deren Ende die Akzeptanz des Verlustes stehen muss. Damit führt das Verharren in einer der Phasen oder in einer permanenten Abwehr zur pathologisch verlängerten oder ausgestalteten Trauer. Freud selbst thematisierte in seinem Essay Vergänglichkeit (1916) die Überwindung der Trauer mit dem Ersatz kriegszerstörter Bauten des Ersten Weltkriegs durch „möglichst gleich kostbare[n] oder kostbarere[n] neue[n] Objekte[n]“ 105. Freud konnte zwei Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs jedoch kaum die beispiellose Zerstörungskraft des Zweiten Weltkriegs vorhersehen. Dass deutsche Städte total zerstört wurden, löste eine kollektive Traumatisierung der Bevölkerung aus, die ihrerseits zur Verdrängung der Realität führte:

98. __ Der Frage, wie sich psychologische Vorgänge und Architektur einander durchdringen, wurde bisher nachgegangen in: James Anderson, Elisabeth Danze, Jerome Winer (Hg.): Psychoanalysis and architecture. The Annual of Psychoanalysis, vol. XXXIII. New York, 2005. 99. __ Margarethe Mitscherlich-Nielsen: Die Notwendigkeit zu trauern. In: Psyche 33, 1979, S. 981 – 990. 100. __ Vgl. dazu den Aufsatz „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“, den Freud 1914 in der Internationalen Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse erstmals publizierte. 101. __ Dorsch psychologisches Wörterbuch. Bern, 1998, S. 888. 102. __ Alexander Friedmann, Kenneth Thau (Hg.): Leitfaden der Psychiatrie. Wien, München, Bern, 1992, S. 250f. 103. __ John Bowlby: Verlust. Trauer und Depression. Frankfurt am Main, 1983, S. 243.

104. __ Elisabeth Kübler-Ross: Über den Tod und das Leben danach (Originaltitel: On Death And Dying, erschienen 1969). Güllesheim, 2002. 105. __ „Überwindung der Trauer […] Es steht zu hoffen, dass es mit den Verlusten dieses Krieges nicht anders gehen wird. Wenn erst die Trauer überwunden ist, wird es sich zeigen, dass unsere Hochschätzung der Kulturgüter unter der Erfahrung von ihrer Gebrechlichkeit nicht gelitten hat. Wir werden alles wieder aufbauen, was der Krieg zerstört hat, vielleicht auf festerem Grund und dauerhafter als zuvor.“ In: Sigmund Freud: Vergänglichkeit (1916). In: Alexander Mitscherlich et al. (Hg.): Sigmund Freud. Studienausgabe, Bd. 10, Frankfurt am Main, S. 223 – 227, hier S. 227. 106. __ Hans Erich Nossack: Der Untergang – Hamburg 1943 (1948). In: Ders.: Interview mit dem Tode. Frankfurt am Main, 1963, S. 200, 252.

„Für mich ging die ganze Stadt als ein Ganzes unter, und meine Gefahr bestand darin, schauend und wissend durch Erleiden des Gesamtschicksals überwältigt zu werden. […] Ja, ich habe, wie ich jetzt weiß, immer gewusst, dass es sich bei dem Schicksal der Stadt um mein Schicksal handeln würde. Und wenn es so ist, dass ich das Schicksal der Stadt herbeigerufen habe, um mein eigenes Schicksal zur Entscheidung zu zwingen, so habe ich auch aufzustehen und mich am Untergang der Stadt schuldig zu bekennen. […] Die Menschen bemühen sich [jedoch, Anm. M. F.] so zu tun, als lebten sie wie vorher […] sie wissen, dass es nur Schein ist. Sie glauben nicht daran. Die Kulisse fehlt, die Illusion der Wirklichkeit.“ 106 Hans Erich Nossak: Der Untergang – Hamburg 1943 (1948)

Trauerarbeit an Ruinen

In Analysen wie Die Unfähigkeit zu trauern 107 (1967) ist darauf hingewiesen worden, dass speziell die deutsche Gesellschaft kollektive wie individuelle Trauer, Scham, Mitschuld im hektischen Wiederaufbau und Gründeraktionismus der 1950er Jahre abwehrte. Die deutsche Teilung entlastete das verlorene Selbst sogar, weil das jeweils Verhasste im Eigenen an den anderen (deutschen) Ort verschoben (substituiert) werden konnte. So prangerte die ostdeutsche Denkmalpflege zum Beispiel 1952 in Tragödie der westdeutschen Architektur 108 den selbstbewussten Wiederaufbau in Westdeutschland als Denkmalzerstörung an – dabei hatte die DDR gerade die Ruine des Berliner Stadtschlosses gesprengt und war ihrerseits dafür aus dem Westen der Kulturbarbarei bezichtigt worden. Man beschuldigte sich gegenseitig also auch vorschneller Abrisse von Ruinen (Kategorie 1), aber auch das andere Extrem – angebliche Vollrekonstruktion nach Totalverlust (Kategorie 7) – erregte deutschlandweit die Gemüter. Der berühmte Fall des Frankfurter Goethehauses ist vielleicht das prominenteste Nachkriegsbeispiel für eine unterlassene Konfrontation mit der Realität traumatischer Verlusterfahrung durch die Verdrängungsstrategie der Vollrekonstruktion: Die Veröffentlichungen Mut zum Abschied (Walter Dirks, 1947) und Mut zur Treue (Georg Hartmann, 1951) lieferten die Schlagworte. Eine (zu) starke, unerwartete und damit traumatisierende Erfahrung eines Objektverlustes kann aus psychiatrischer Sicht zu einer krankhaften Objektbeziehung 109 führen, die sich direkt mit dem Phänomen von baulicher Rekonstruktion vergleichen lässt. Übermäßige „Treue“ zum Verlorenen zeigt sich als eine Art narzisstische Bindung, die sich mit der Etablierung eines Surrogats gegen die trauernde Aufgabe des realen Objekts richtet: Die Totalrekonstruktion des Goethehauses machte demnach einen notwendigen Trauerprozess unmöglich, der den „Mut zum Abschied“ des realen Hauses hätte

107. __ Alexander und Margarethe Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern: Grundlagen kollektiven Verhaltens. München, 1967. 108. __ Kurt Magritz: Die Tragödie der westdeutschen Architektur. In: Deutsche Architektur, Heft 2, 1952, S. 57 – 65. 109. __ Dazu im rein psychiatrischen Kontext: Michael Balint: Trauma und Objektbeziehung. In: Psyche. Bd. 24, 1979, S. 346 – 358. 110. __ Vgl. dazu Freuds Aufsatz „Trauer und Melancholie“ aus dem Jahre 1917.

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beinhalten müssen. Ganz im Gegenteil führte der Zustand einer melancholischen Überidentifikation 110 mit dem verlorenen Objekt dazu, dass das letztlich gänzlich rekonstruierte Goethehaus als Ersatz der Verlustwirklichkeit und als Surrogat 111 ohne Referenz zur unmittelbaren Vergangenheit (Vernichtungsspuren) und Gegenwart (zeitgenössische Formensprache) wiederauferstand. Das mahnend und irritierend Ruinenhafte aus dem Blick der Wiederaufbaugesellschaft der frühen 1950er verschwinden zu lassen, wurde schon damals als „Neon-Biedermeier“ 112 kritisiert: „Hinter dem aus Fleiß, Behagen und Betrieb gewebten Vorhang des Lärms verbirgt sich die Stille, die über Westdeutschland liegt […] es vermischen sich das Alte und das Neue bis zur Unkenntlichkeit […] haargenau wurden die vernichteten Bauten restauriert, bis sie wieder dastanden – abgesehen von den sie allseits umgebenden Ruinen –, ‚als ob nichts gewesen wäre‘. Mit einiger Phantasie – oder genau genommen, ohne Phantasie – könnte man glauben, der junge Johann Wolfgang habe auf diesen Fußböden gespielt und die deutschen Kaiser seien durch diese Portale zur Krönung geschritten. Den Sinn der Katastrophe, die zur Vernichtung des Alten geführt hatte, haben nur wenige zu begreifen gesucht […] Ruinen sind das Riesenmahnmal eines Alpdrucks, der noch nicht einmal ganz Vergangenheit ist und den man schon vergessen möchte; sie erinnern an vieles, was das Gefühl der Sicherheit bedroht und was man deshalb nicht wahrhaben will. Das Trauma wird, weder geklärt noch geheilt, da sein Ursprung ja nicht bewusst geworden ist, in das Unterbewusste abgedrängt […] Ruinen helfen wenigstens noch der Erinnerung nach, wie alles ausschaute bevor sie Ruinen waren; die Neubauten aber löschen alles Erinnern aus, die Formen eine fremde Stadt.“ Norbert Muhlen: Das Land der Großen Mitte. Notizen aus dem Neon-Biedermeier (1953)

111. __ „Spontan antwortet Trauer auf die Erfahrung des Verlustes des Anderen mit dem Versuch, sich psychisch über ihn hinwegzutäuschen. […] Sie sucht gleichsam die Existenz des Anderen mit psychischen [und materiellen, Anm. M. F.] Surrogaten fortzusetzen – um den Preis einer Verleugnung der schieren Realität.“ In: Burkhard Liebsch: Trauer als Gewissen der Geschichte? In: Burkhard Liebsch, Jörn Rüsen (Hg.): Trauer und Geschichte. Köln, Weimar, Wien, 2001, S. 33f. 112. __ Norbert Muhlen: Das Land der Großen Mitte. Notizen aus dem Neon-Biedermeier. In: Der Monat, Heft 63, 1953, S. 237 – 244.

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Progressive Architekten und Denkmalpfleger hingegen begriffen die zeitgenössische Aneignung von Ruinen als kreative und lebensbejahende Begegnung, die das Fragmentarische und die materiellen Verluste am teilzerstörten Denkmal als Faktum akzeptieren musste: Der schöpferische Zugang architektonischer Trauerarbeit mit Ruinen nach 1945 oszillierte zwischen der Auseinandersetzung mit dem Raum des Dazwischen (Kategorie 3: Ruinenerhalt und kommentierender Gegenbau, siehe Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin), dem bewussten „Kontakt mit der Leerstelle“ 113 (Kategorie 4: zeitgenössische Integration der sichtbar bleibenden Ruine, siehe Alte Pinakothek in München; aber auch Kategorie 2: Aneignung der innerstädtischen Ruine als Mahnmal, siehe Frauenkirche vor 1990) und der purifizierenden beziehungsweise ergänzenden Aneignung des untergegangen Symbols (Kategorie 5: zeitgenössische Aneignung der formalen Qualitäten der Ruine, siehe Frankfurter Paulskirche, beziehungsweise Kategorie 6: Teilrekonstruktion von erhaltener Originalsubstanz mit neuen Ergänzungen, siehe Staatsoper Unter den Linden in Berlin). Heute sind diese angeeigneten Kriegsruinen als historische „Trauerräume“ 114 der Nachkriegszeit zu verstehen, in denen Verlust, Trauer und ambivalente Gefühle der Mitschuld und Scham nicht tabuisiert wurden. Wo diese „Trauerarbeit“ heute weitgehend abgeschlossen scheint, verwandeln sich diese ehemaligen Trauerräume in „Erinnerungsräume“ 115. Als hochwertige Denkmäler bieten sie heute im Speziellen die Chancen, die überkommene Baudenkmäler – im Gegensatz zu Rekonstruktionen! – generell offenbaren: Sie bergen vielfältige, facettenreiche und immer wieder neu konfigurierbare Erinnerungspotenziale – hier eben an Verlusterfahrung der unmittelbaren Nachkriegszeit und bestimmte Formen der Trauerund „Erinnerungsarbeit“ 116. Diese Bauten in Ost und West bilden in ihrer Gesamtheit auch des-

113. __ H. P. Dreitzel: Emotionales Gewahrsein. Psychologische und gesellschaftliche Perspektiven in der Gestalttherapie. München, 1998, S. 167. 114. __ Maria Pasiziel: Trauerräume. Trauer, Ritual und Musik. Berlin, 2006. 115. __ Zum Begriff der „traumatischen Orte“ in: Aleida Assmann: Erinnerungsorte. München, 2003, S. 328f.

halb eine einzigartige Denkmalgattung, weil sie in der innerdeutschen Systemkonkurrenz zwischen 1949 und 1990 als „dialektische Einheit“ 117 zweideutscher Architekturgeschichte bedeutsam sind.

Die Demontage einer singulären Denkmalgattung „Ein Paar Ereignisse gibt es auch jetzt noch, die nicht gedoubelt werden können. Geburt, Krankheit und Tod, die Augenblicke der Lust und die des äußersten Leides erlebt jeder noch für sich. Aber nichts in der Welt bereitet uns, die Mitspieler der Truman-Story, noch auf solche Ereignisse vor.“ 118 Wolfgang Pehnt: Das Bauwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 2000

Aus der Analyse der oben genannten Schicksale nachkriegszeitlicher Baudenkmäler bietet sich heute eine ambivalente Perspektive: Viele der diskutierten Beispiele sind bereits verändert oder zerstört worden. Viele sind auch bis heute einem Veränderungsdruck ausgesetzt, dem sie ohne entschlossenen Denkmalschutz auf Dauer nicht standhalten werden. Mit anderen Worten: Die nachkriegszeitliche Denkmalgattung des frühen Ruinen-Wiederaufbaus gehört, im kausalen Zusammenhang mit dem allgegenwärtigen Rekonstruktionstrend, zu den am meisten gefährdeten Kulturgütern in Deutschland. Schon vor der deutschen Wiedervereinigung zeichnete sich ab, dass sie mehr und mehr „weg geräumt“ werden sollen, nach 1990 verstärkte sich dieser Trend. Bemerkenswert ist zum Beispiel, dass historisierende Vollrekonstruktionen der unmittelbaren Nachkriegszeit wie jene des Frankfurter Goethehauses von Theo Kellner (1949) einem Modernisierungsdruck leichter standhalten als tatsächlich historisch überkommene Baudenkmäler. Daneben haben wiederaufgebaute Ruinen aus der Nachkriegszeit oft nur deshalb überlebt, weil die Bevölkerung und Experten sich engagierten, weitere Um- oder Rückbauten abzuwenden

116. __ Margarethe Mitscherlich: Erinnerungsarbeit. Zur Psychoanalyse der Unfähigkeit zu trauern. Frankfurt am Main, 1987. 117. __ Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945 – 1955. Göttingen, 1982, S. 303. 118. __ Wolfgang Pehnt: Das Bauwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Wilhelm von Boddien, Helmut Engel (Hg.): Die Berliner Schlossdebatte – Pro und Contra. Berlin, 2000, S. 85 – 88, hier S. 88.

Trauerarbeit an Ruinen

43 __ In den 1970er Jahren stand ihre Rückführung in den Originalzustand erneut zur Diskussion: die Alte Pinakothek in München.

44 __ Den Modernisierungswünschen des Kongressbetreibers hat das Kölner Gürzenich /St. Alban-Ensemble bisher weitgehend unbeschadet standgehalten.

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Rekonstruktion

45 __ Simulation der im Jahr 2008 geplanten Neu- und Umbauten rund um die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

46 __ Gottfried Böhms Kapelle verschwand im Inneren des 2007 fertiggestellten Kolumba-Diözesanmuseum von Peter Zumthor.

wussten. Zum Teil mit erheblichen Eingriffen in ihre Gesamtästhetik der 1950er/60er Jahre überlebten immerhin die Münchener Alte Pinakothek 119 von Hans Döllgast, die Frankfurter Paulskirche 120 der Planungsgemeinschaft Schaupp/Krahn/Schwarz und das Bauensemble Gürzenich/St. Alban 121 von Schwarz/Band. Wie neuere Aufnahmen belegen, faszinieren diese Bauten in ihrer ästhetischen Erscheinung bis heute außerordentlich. Auch die Kaiser-WilhelmGedächtniskirche von Egon Eiermann hat überlebt, doch sobald Teile der Platzrandbebauung am Breitscheidplatz abgerissen und ersetzt werden (Beschlüsse dazu sind tatsächlich hochaktuell), droht die Gedächtniskirche an Wirkung zu

verlieren. Der Aufruf zur Spendenkampagne Rettet den Turm – der Turmstumpf muss saniert werden – gibt Anlass zur Besorgnis: Wie so oft könnten Kritiker der bisher unbezweifelten Qualität des nachkriegszeitlichen Gesamtensembles an Boden gewinnen und sich einmal mehr mit der Beseitigung eines nachkriegszeitlichen „Schandflecks“ durchsetzen. Auch die Wiederaufbauprojekte der ehemaligen DDR stehen unter Druck: Die Dresdener Gemäldegalerie wurde bereits teilweise „zurückrekonstruiert“; dass die Paulicksche Fassung der Staatsoper Unter den Linden in Berlin vollkommen verschwindet, konnte (vorerst) mit dem Protest des Berliner Denkmalbeirats gerade noch abgewendet werden.122

119. __ Hans Döllgast wurde 1971 die künstlerische Oberleitung zur Rückführung in den Originalzustand angetragen, worauf er antwortete: „Ich kann nicht, ich darf nicht und ich mag nicht.“ Die Senatsbauverwaltung ließ daraufhin nach einem Gutachten die originale Ornamentik probeweise wiederherstellen, was, von der Expertenschaft als „Zuckerbäckerstil“ verlacht, zwangsläufig zur Anerkennung der Döllgastschen Fassung führte. Die Dachform wurde stark rückgeführt, Verblechungen gegen Verfall haben die Fassade verändert. Auch andere Werke Döllgasts wurden schrittweise „zurückverschönert“. In: Bayerische Akademie der Schönen Künste, Architektursammlung der TU München: Süddeutsche Bautradition im 20. Jahrhundert. Architekten der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. München, 1985, S. 260f. 120. __ Ein rekonstruierender Rückbau der Paulskirche infolge der Platzumgestaltung konnte gerade noch abgewendet werden. 1988 fand die Sanierung und Vollendung des Wiederaufbaus statt, in dem der Foyerbereich eindrucksvoll ausgemalt wurde. In: Bartetzko 1998, S. 60f.

121. __ Der Umbau des Ensembles 1996/97 wurde durch die Stadtkonservatorin betreut, ein nach Protesten von Experten letztlich nur extern angestellter Aufzugsturm konnte den Modernisierungsdruck vom Gebäude abhalten, nachdem 1988 ein Wettbewerb und eine Sanierung stattgefunden und ein neuer Kongressbetreiber ab 1994 deutliche Veränderungen eingefordert hatte. In: Marion Grams-Thieme: Der Kölner Gürzenich – Die Umbaumaßnahmen der neunziger Jahre. In: Achim Hubel, Hermann Wirth (Hg.): Wiederaufgebaute und neugebaute Architektur der 1950er Jahre – Tendenzen ihrer ‚Anpassung‘ an unsere Gegenwart. Dokumentation der Jahrestagung 1996 in Köln. Weimar, 1997 (= Thesis, Wiss. Ztschr. der BauhausUniversität Weimar, 43. Jg., Heft 5/1997), S. 98 – 103. 122. __ Adrian von Buttlar, Landesdenkmalbeirat Berlin: Umbau im Kopf. Presseerklärung zum Opernstreit (1.7.2008). Unter: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/ landesdenkmalrat/de/pressemitteilungen/download/ pe_opernstreit_01_07_08.pdf (Zugriff 1.2009).

Trauerarbeit an Ruinen

Mit am radikalsten wurde Gottfried Böhms Kapelle „Maria in den Trümmern“ in Köln verändert: Der an sich beeindruckende Neubau des Architekten Zumthor für das neue Diözesanmuseum verleibte sich zwar die aufgedeckten archäologischen Ausgrabungen ein, und seine Außenfassaden sitzen direkt auf den ruinösen Mauerresten der frühen Kolumba-Kirche auf. Er schluckte damit aber auch die vormals freistehende Böhmsche Kapelle, die – inzwischen zur „Inkunabel der Wiederaufbauarchitektur“ 123 aufgestiegen – damit ihre bescheidene Erscheinung komplett einbüßte. Am meisten wird seit Jahren über die Rekonstruktion des 1950 abgerissenen Berliner Stadtschlosses gestritten – hier bestätigt sich, dass jede Rekonstruktion zerstörerische Vor-, Parallelund Nachwirkungen mit sich bringt.124 Zwar sieht es so aus, als dürften die Schlossbefürworter mit dem Jubelschrei „Wir sind am Ziel“ einen zeitgenössischen Architekten zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts ein „Berliner Schloss“ (wieder einmal) „originalgetreu in handwerklicher Kunst wie vor 300 Jahren“ 125 aufbauen lassen. Doch erinnert sei an die Vorgeschichte: Parallel zur fast zwanzig Jahre andauernden Meinungsschlacht musste erst das Politforum der DDR unter dem Scheinbegriff (Deckmäntelchen) des „selektiven Rückbaus“ zerstört werden. Und das, obwohl sich auch angesehene Architekten der Zeit wie Rem Koolhaas für die zeitgenössische Aneignung des transitorischen, ungewissen und „zwiespältigen Zustands“ 126 der asbestsanierten Ruine des ehemaligen Palastes der Republik eingesetzt hatten. Zugleich fielen und fallen bis heute die letzten innerstädtischen Ruinen der deutschen Nachkriegszeit – mit durchaus unterschiedlichen Resultaten. Die spät zum Mahnmal aufgestiegene Kriegsruine des Bayerischen Armeemuseums in München wurde 1993 als kriegsspurgereinigte und damit referenzlose

123. __ Hubertus Adam: Reduktion und Sinnlichkeit. Peter Zumthor: Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln. In: archithese, 1.2008, S. 22 – 25, hier S. 22. Zum Wettbewerb: Erzbischöfliches Diözesanmuseum Köln 1999. 124. __ Eine aktuelle Gesamtsicht zur Berliner Schlossdebatte. In: Falser 2008, S. 253 – 290. 125. __ Wilhelm von Boddien: Ein großer Entwurf. In: Berliner Extrablatt. Neueste und gründliche Informationen zur Wiedererrichtung des Schlosses – Bau des HumboldtForums. Sonderausgabe Schloss-Architekturwettbewerb, Dezember 2008, S. 1.

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47 __ Titelseite des Berliner Extrablatts im Dezember 2008: Jubel über den Wettbewerbssieg des Entwurfs von Franco Stella.

48 __ Zerstörung als „selektiver Rückbau“: Blick auf die Ruine des Palastes der Republik im November 2008.

126. __ „Noch immer bin ich erschrocken über die geradezu aggressive Auslöschung ostdeutscher Bauten, besonders, wenn sie im Namen der Geschichte geschieht […] Für mich war es gleichwohl ein Verbrechen, den Palast der Republik nicht zu retten. Den Palast der Republik jetzt wieder aufbauen zu wollen, wäre ebenso absurd wie die Pläne, das Schloss zu rekonstruieren […] sein derzeitiger zwiespältiger Zustand ist doch auch interessant. Der Palast ist eine Konstruktion mit ungewissem Status, die noch immer große Möglichkeiten bietet. Man sollte sich jetzt darauf konzentrieren, wie er sofort zu nutzen wäre.“ Grußwort von Architekt Rem Koolhaas. In: ZwischenPalastNutzung: Volkspalast. Palast der Republik. Programmheft. Berlin, 2004, o. S.

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Rekonstruktion

Architektur zum neuen Mittelbau der gläsern ansetzenden Bayerischen Staatskanzlei.127 In Abschied von einer Ruine 128 schrieb der Archäologe Zanker – vergleichbar dem Statement von 1953 zum „Neon-Biedermeier“ – zur „Ruinenverdrängung“: „Vor vierzig Jahren war München eine Trümmerstadt, heute sieht man nichts mehr davon […] Kostbare Zeugen einer im Elend humanen Zeit. Die Kriegsruinen sind vollständig verdrängt, München leuchtet wie nie zuvor. Und alles ist so frisch gestrichen, dass selbst die wirklich alten Mauern wie neu aussehen. Warum dieser Waschzwang, dieser nimmermüde Kampf gegen jede Art von Patina, gegen jede Spur von gelebtem Leben und Geschick? – wie dankbar bin ich für Döllgasts beschädigte Alte Pinakothek und für das halbruinierte Siegestor. So sind wenigsten zwei Wunden sichtbar geblieben […] Bald wird nun mit dem Armeemuseum die letzte Ruine Münchens verschwinden, renoviert, eingebaut und bis zur Unkenntlichkeit verschönert. Was für ein Bild geht da dahin! Sie hätte ein bayerisches Nationaldenkmal sein können. Was sage ich ‚hätte‘, es war seit Jahren ein einzigartiges Denk- und Mahnmal. […] Gehen Sie hin, zeigen Sie Ihren Kindern eine wahre Ruine. Sagen Sie ihnen, warum sie schön ist, was sie bedeutet. Nehmen Sie ihr Bild in sich auf […] Sie hätte Geschichte eindringlicher vergegenwärtigen können als alle Schulbücher – als ein noch so erfolgreiches Haus der Geschichte. Wie nötig hätten wir ein solches Mahnmal gehabt. Es geht bei der Ruinenverdrängung wahrhaftig nicht nur um Ästhetik.“ Paul Zanker: Abschied von der Ruine (1987)

Mit dem als „archäologische Rekonstruktion“ betitelten Wiederaufbau der Kriegsruine der Dresdner Frauenkirche (2005) setzte sich die zerstörerische Rekonstruktionspraxis fort. Der Versuch, die erhaltenen, von Kriegszerstörung und Witterungseinfluss inzwischen schwarz

127. __ Heinrich Habel, Lothar Altmann: Die Bayerische Staatskanzlei. Regensburg, 2000. 128. __ Paul Zanker: Abschied von einer Ruine (NZZ am 13.3.1987), neu abgedruckt in: Buttlar 1988, S. 142 – 145.

verfärbten Steine als zeitgeschichtliche Referenz in die rekonstruierte Gesamtfassade mit einzubeziehen, ist dabei zumindest ein ernst zu nehmender Versuch, Zeitgeschichte in einer Vollrekonstruktion zu berücksichtigen. In Anbetracht der katastrophalen baulichen wie denkmalpflegerischen Neben- und Folgewirkungen kann diese Lösung jedoch kaum überzeugen. Erstens wird in dem Rekonstruktionsvorhaben, das über einer angeblichen „zweiten Stunde Null“ (nach 1945 nun 1990) liegen geblieben war, ignoriert, dass der Ruine inzwischen eine weitere semantische Bedeutung zugewachsen ist: als antifaschistisches Mahnmal im Kalten Krieg und als Ausgangspunkt der friedlichen DDR-Revolution. Zweitens wurde eine hochdestruktive Kettenreaktion ausgelöst: Zugunsten einer neu-alten Perspektivführung auf die Kirche wurde der Platzrand des Neumarktes auf historisch simuliertem Parzellengrundriss mit drittklassig historisierenden Fassaden wieder aufgebaut, hinter denen sich vor allem kommerziell genutzte, historisch unproportional gegliederte Innenräume befinden; die barocken Kellergewölbe (als einzige wirklich original erhaltene Relikte vor Ort) wurden zugunsten von Parkgaragen ebenso zerstört wie die komplette an dieser Stelle entstandene DDR-Architektur – eine Kettenreaktion, die mit der schrittweisen Demontage der nahen Prager Straße, ihrerseits ein Denkmal der DDR-Moderne, ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Die dritte große Nachkriegsruine, das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel, traf ein anderes Schicksal. Grundlage für die bestandsorientierte Aneignung des Neuen Museums war, parallel zum ersten Wettbewerb zur Museumsinsel, das „denkmalpflegerische Plädoyer zur ergänzenden Wiederherstellung“ von 1994, in dem sich ausgewiesene Fachleute für die Bewahrung der historischen Substanz, der originalen äußeren Erscheinung und inneren Raumstruktur aussprachen. Für die komplett zerstörte Treppenhalle war „wegen der unwiederholbaren künstlerisch-handschriftlichen Qualität ihrer Teile eine Rekonstruktion auszuschließen“ und die modernen Ergänzungen im „Dialog mit den originalen

Trauerarbeit an Ruinen

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49 __ Alle Kriegsspuren beseitigt: die restaurierte Ruine des Armeemuseums im Zentrum der gläsernen Bayerischen Staatskanzlei.

50 __ Authentizitätscollage mit originalen und ergänzten Steinfragmenten für den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche.

51 __ Auslöser einer Kettenreaktion: die Vollrekonstruktion der Dresdner Frauenkirche.

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Rekonstruktion

52 __ Zeitgenössische Interpretation einer sichtbar bleibenden Kriegsruine: das Treppenhaus des Berliner Neuen Museums im Entwurf von David Chipperfield.

53 __ Ein Flyer der Gesellschaft Historisches Berlin aus dem Jahr 2005 fordert eine „denkmalgerechte Rekonstruktion“ des Neuen Museums.

Trauerarbeit an Ruinen

Resten“ 129 auszuführen. Der aus den Wettbewerben und dem Gutachterverfahren zwischen 1993 und 1997 letztlich siegreich hervorgegangene englische Architekt David Chipperfield legte zusammen mit Julian Harrap ein Konzept vor, das die gänzlich verlorenen Teile am Südost-Risalit und den Nordost-Flügel in ihrer Form und historischen Raumfolge in moderner Formensprache wiederherstellte. Nach außen hin ist die Kubatur komplettiert, die notwendige Infrastruktur in einen vorgestellten Neubau auslagert und das gesamte Gebäude im Rahmen des Museumsinsel-Masterplans an die neue, unterirdisch alle Gebäude verbindende „archäologische Promenade“ angeschlossen. Chipperfields Wiederaufbau-Konzept ist eine zeitgenössische Integration einer sichtbar bleibenden Kriegsruine (Kategorie 4), die tatsächlich seit 1945 einfach liegen geblieben war und keinesfalls mit dem akkumulierten und heute mit der Vollrekonstruktion zerstörten Mahnmalcharakter der Frauenkirche vergleichbar ist. Das Konzept Chipperfields thematisiert den über sechzig Jahre lang bestehenden Ruinenstatus des Gebäudes als eigene Denkmalschicht 130 und konfrontiert die erhaltenen, bautechnisch wie dekorativ hochwertigen Originalfragmente als nach innen und außen ablesbar belassene Verlustspuren mit dem ergänzenden Neubau. Dieses Projekt dürfte mit der geplanten Eröffnung 2009/10 wohl die einzige zeitgenössisch interpretierende, zugleich denkmalpflegerisch konservierende Aneignung einer Kriegs- und Nachkriegsruine in Deutschland und der Welt bleiben, die das Thema der geschichtskausalen Wunde 131 inmitten eines 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten GebäudeEnsembles aufgreift. Dass sich dieses Wagnis gerade in der Hochzeit des deutschlandweiten Rekonstruktionstrends und noch dazu wenige

129. __ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz (Hg.): Das Neue Museum in Berlin. Ein denkmalpflegerisches Plädoyer zur ergänzenden Wiederherstellung. Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Heft 1. Berlin, 1994, S. 21 – 26. Diese Sicht wurde vom Landeskonservator von Berlin mitgetragen: Jörg Haspel: Zur Zukunft des Neuen Museums. Erhaltung und Wiederaufbau als denkmalpflegerische Notwendigkeit. In: Zentralinstitut für Kunstgeschichte München (Hg.): Berlins Museen. Geschichte und Zukunft. München, Berlin, 1994, S. 139 – 144.

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hundert Meter neben dem womöglich in den Fassaden rekonstruierten Stadtschloss fach- und begriffsunkundiger Kritik ausgesetzt sieht, darf man im Sinne lebendiger Streitkultur positiv werten. Denn dem Trend, Erinnerungspotenziale an einen selbstverschuldeten Krieg und die daraus resultierende Teilung und den Wiederaufbau des Landes zu vernichten, setzt Chipperfield eine verantwortungsbewusste, intelligent ausgearbeitete Position entgegen. Vielleicht ermöglicht zumindest dieses Projekt jene Erinnerungs- und Trauerarbeit an Ruinen, die seit der Wiedervereinigung vorerst aufgegeben wurde: zugunsten einer vielerorts grassierenden Rekonstruktionslust, die jetzt – Ironie des Schicksals? – ihrerseits den Mahnmalcharakter von überkommenen Ruinen für sich instrumentalisiert.132

130. __ „Die lange Zeit der Vernachlässigung hat es mit sich gebracht, dass nun ein Gebäude wieder hergestellt werden muss, das in erster Linie als Ruine im Gedächtnis haftet. Es ist ein Gebäude, das die Eigenschaften einer Ruine über die Jahre dermaßen verkörpert hat, dass es unmöglich ist, dies unbeachtet zu lassen.“ David Chipperfield: Das Neue Museum. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Bd. 40, 2003. 131. __ Jörg Haspel: Heile die Wunde – zeige die Wunde: Rebuilding Neues Museum. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Bd. 43, 2006, S. 189 – 210. 132. __ Interessantes Beispiel für die begrifflich verunklärende Motivation einer Totalrekonstruktion unter dem Slogan „Wiederaufbau als Mahnung“, die ihrerseits wiederum zuerst die inzwischen entstandenen Folgebauten vor Ort zerstört, in: Reinhard Appel, Andreas Kitschke (Hg.): Der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche. Köln, 2006, S. 22.

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Ursula Baus

Facetten einer Begriffsgeschichte Rekonstruktion

Kopie, neuer Glanz, Lüge, Kulisse, Attrappe, Falsifikat, Surrogat, Disneyland, Potemkinsches Dorf, Maskerade, Retrolook-Produkt, schöner Schein – wo Befürworter und Gegner jedwelcher (Architektur-) Rekonstruktionen aufeinandertreffen, fliegen die Wortfetzen. Welche Überlegungen auch immer ins Feld geführt werden: Mit der Argumentation geht eine Wortwahl einher, die Absichten offenbart und zugleich in der Sache mehr oder weniger unklar bleibt. Architektur wird – so ist es nun einmal – von mehr oder weniger schlimmen Schicksalen heimgesucht, denn jede gebaute Architektur altert mit vielfältigen Begleiterscheinungen: Sie verfällt, geht in Flammen auf, stürzt ein, ist Opfer des Zahns der Zeit; oder sie wird mutwillig zerstört – geschleift, zerbombt, gesprengt, angezündet, abgerissen, rückgebaut. Es wird rekonstruiert, wiederaufgebaut, instandgehalten, renoviert, saniert, modernisiert, erneuert, restauriert, konserviert, musealisiert, spekulativ vollendet, fiktiv ergänzt, korrigiert, kopiert, transloziert und sogar vervielfältigt.

All diese Begriffe, die auf die Vielfalt dessen hinweisen, was gebauter und unvollendeter Architektur widerfahren kann, laufen derzeit im Dunstkreis des Begriffs „Rekonstruktion“, der die Gesellschaft – ein Mal mehr – in aberwitzig falschen Gegensätzen polarisiert. Wie bizarr, aber keineswegs überraschend der alltägliche Sprachgebrauch solche Gegensätze aufhebt, zeigt sich im ganz und gar positiv besetzten Begriff des „modernisierten Altbaus“: Kein Altbau kann genutzt, als Wohnort akzeptiert oder irgendwie vermarktet werden, wenn er nicht modernisiert ist – in der Modernisierung steckt jedoch der Wortkern Moderne, der just als Erzfeind der wie weit auch immer zurückliegenden, guten alten Baukunst ausgemacht wird. In dieser Polarisierung haben Begriffe wie Tradition und Kontinuität derzeit wenig echte, von brillanten Ideen und vernünftigem Baualltag begleitete Chancen.

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Im Folgenden geht es um etymologische, architektur- und kulturgeschichtliche Aspekte des Begriffs Rekonstruktion.1 Rekonstruktion gewinnt zunächst nicht etwa in der Architekturgeschichte, sondern in der Erkenntnistheorie eine überragende Bedeutung. Selbstverständlich spielt Rekonstruktion dann in der Geschichte der Architektur eine Rolle, die allerdings viel jünger und anders geartet ist als derzeit gemeinhin bewusst. Im Selbstverständnis der vergleichsweise jungen Disziplin der Denkmalpflege rührt Rekonstruktion an ihrer – der Denkmalpflege – Daseinsberechtigung. Und in der Gegenwartsarchitektur erschüttert Rekonstruktion das Selbstverständnis des Architekten als einfallsreichem, kreativem Baukünstler. Die Begriffsgeschichte der Rekonstruktion offenbart einen disziplinären wie inhaltlichen Reichtum, der in der derzeitigen Architekturdebatte nirgends durchscheint.

Philosophie und Erkenntnistheorie Bemerkenswert ist, dass der Begriff reconstructio im klassischen wie im humanistischen Latein nicht bekannt ist und erst seit dem achtzehnten Jahrhundert mit der Philosophie der Aufklärung an Bedeutung gewinnt. Antike und Renaissance kennen die renovatio und die restitutio – Erstere bezeichnet eine tatsächliche Erneuerung, Letztere bezieht sich auf Werte, nicht auf Objekte.2 Selten ist das Verb reconstruere belegt. Reconstructio wurde wohl spontan im Zusammenhang mit der Konstruktion im Deutschen Idealismus geprägt; in den deutschen Konversationslexika taucht sie erst am Ende des „restaurierenden und rekonstruierenden ‚historischen‘ [ neunzehnten] Jahrhunderts“ auf.3 In den Wissenschaften, die sich gern der Metaphern aus dem Bauwesen bedienen, ist

1. __ Andreas Tönnesmann und Uta Hassler gilt mein besonderer Dank dafür, dass ich Einsicht in die demnächst erscheinende Publikation zum Symposium „Das Prinzip Rekonstruktion“ an der ETH Zürich am 24. und 25. Januar 2008 nehmen und am Symposium teilnehmen durfte. Dazu: Ursula Baus: Das Prinzip Rekonstruktion. Eine Tagung an der ETH Zürich. In: Bauwelt, 7, 2008, S. 2; Roman Hillmann: Das Prinzip Rekonstruktion. In: Kunsttexte, 1, 2008, PDF unter www.kunsttexte.de; Jürgen Tietz: Geliebte Fälschung. Rekonstruktionen historischer Bauten in Deutschland. In: Neue Zürcher Zeitung, 15.1.2008.

Rekonstruktion eine Methode, mit der man sich bestimmten Sachverhalten – hypothetisch erklärend – annähert. Und in der Philosophie wurde Rekonstruktion sogar als „die philosophische Methode schlechthin“ bezeichnet, die von den Begriffen Interpretation und Verstehen unterschieden wird.4 Rekonstruktion bedeutet zunächst ein nachdenkendes, nachfindendes Begreifen – etwa bei Hegel und Fichte – und „scheint sich zuerst in der Hermeneutik und Historik einen festen Platz erobert“ zu haben. Rekonstruktion meint dabei die „Konstruktion eines Begriffs bzw. eines begrifflichen Zusammenhangs durch bzw. über die Analyse seiner (historischen) Genese“.5 Ein Werk in seiner Struktur zu verstehen, so präzisiert Schleiermacher, heiße, es als Ergebnis einer bestimmten Arbeit des Gedankens aufzufassen, nach- oder „Reconstruiren“ bedeute also so viel wie „nachbilden“. Rekonstruktion und Konstruktion werden damit teilweise sogar synonym, denn „ich verstehe nichts was ich nicht als nothwendig einsehe und construieren kann“.6 Das Verdienst, mit der Rekonstruktion das Komplementärverhältnis von Philosophie und Philologie zu verdeutlichen, kommt dem Philologen und Altertumsforscher August Boeckh (1785 –1867) zu, der als Ziel der Rekonstruktion „Wiedererkenntnis und Darstellung des ganzen vorhandenen menschlichen Wissens“ im Sinne der Philologie ausmacht, während die Philosophie an Ideen orientiert und deshalb produktiv sei. „Jene erkenne, diese erkenne wieder; deshalb sei jene konstruktiv tätig, diese ‚reconstructiv‘“.7

2. __ Tönnesmann, siehe Anm. 1. 3. __ Gunter Scholtz: Rekonstruktion. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8. Basel, 1992, Sp. 570. 4. __ Ebenda. 5. __ Jürgen Mittelstraß: Rekonstruktion. In: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3. Stuttgart, Weimar, 1995, S. 550. 6. __ Friedrich Schleiermacher: Hermeneutik, zitiert nach Scholtz 1992, Sp. 571. 7. __ Zitiert nach Scholtz 1992, Sp. 571.

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Rekonstruktion

Zwangsläufig avanciert im neunzehnten Jahrhundert die Rekonstruktion in den – jungen – historischen Wissenschaften zu einem Kernbegriff. Der Geschichtstheoretiker Johann Gustav Droysen (1808–1884) zieht eine erstaunliche Parallele zu den mathematischen Wissenschaften: Wie der Mathematiker aus einem Teil eines Kreisbogens den Mittelpunkt und dann den ganzen Kreis rekonstruiere, so rekonstruiere der Historiker „hypothetisch“ aus den überlieferten „Resten“ sowohl die in der Geschichte wirksamen Ideen wie den historischen Zusammenhang; erst dadurch seien die Tatsachen verständlich und gebe es nicht nur Richtigkeiten, sondern historische Wahrheit. Auch unsere Gegenwart zeige sich in ihrem Sinn nur und werde erst begreiflich, wenn wir „forschend das Gewordene rekonstruieren“, und zwar zu einem „Nacheinander“, zu einem „genetischen Bild“ im „Kontext der ethischen Welt“.8 Dass geschichtliche Faktizität und Fiktionalität im christlichen Abendland von der Religion als „Offenbarung“ gewertet sein wollten, Rekonstruktion und Konstruktion also in einen intentionalen Zusammenhang gebettet sind, sei hier nur am Rande erwähnt.9 Allerdings, und das muss im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Rekonstruktionstendenzen in der Architektur berücksichtigt werden, bleibt Rekonstruktion im neunzehnten Jahrhundert eben nicht nur das Metier der Historiker. Sie beschreibt auch die Intentionen der handelnden Politik. Geschichte und Tagespolitik gehen eine explizite Beziehung miteinander ein: Der Historiker Leopold von Ranke (1795 –1886) widmet sich 1875 der politischen Lage in den USA und befasst sich dann mit der „Rekonstruktion von Europa“ nach den Freiheitskriegen. Er meint damit den Prozess der Reorganisation, Wiederherstellung und die „Restauration“ der USA nach dem Bürgerkrieg. Rekonstruktion bedeutet

8. __ Johann Gustav Droysen, Historik I, 1857. Zitiert nach Scholtz 1992, Sp. 572.

hier also bei weitem nicht mehr nur die durch „Nachdenken“ zustande gekommene Erkenntnis, sondern die faktische Wiederherstellung eines historisch zurückliegenden Zustandes. Um 1900 taucht der Begriff auch in der – wiederum jungen – Psychologie auf: Dort steht sie – beispielsweise bei Dilthey und Natorp – dafür, dass in der Psyche das Seelenleben rekonstruiert werden müsse, um verstanden zu werden: Die Psychologie geht zurück „zu noch nicht erkannten Fundamenten“ – Baumethapher und hypothetisches Vorgehen treffen hier zusammen, denn die Suche gilt einem vorsprachlichen, vorreflexiven, unmittelbaren „Strom des Erlebens“. Während also Rekonstruktion zuvor als wissenschaftlich objektivierende Erkenntnis ausgearbeitet wird, dient sie hier dem Gegenteil: Als ob sie das Gegebene seien, rekonstruiert die Psychologie die Erscheinungen.10 Im Sinne einer strengen, erkenntnisorientierten Philosophie etabliert schließlich Rudolf Carnap (1891–1970) die Rekonstruktion zu einem Zentralbegriff, an dem sich auch Karl Popper orientiert. Rekonstruktion dient hier als Aufbau eines logischen Systems der Gegenstände und Begriffe – ist also keineswegs nur mehr die Methode eines Erkenntnisprozesses. Vielmehr deckt sie den logischen Aufbau der Wissenschaft als solchen auf. Ein solches Modell funktioniert allerdings nur, so lange ein gemeinsames „Rationalitätsideal“ aller Wissenschaften aufrechterhalten werden kann. Größere Klarheit in der Begriffskomplexität strebte Jürgen Habermas an, indem er rekonstruktive Verfahren als Charakteristika für Wissenschaften anerkannte, „die vortheoretisches Wissen systematisch nachkonstruieren“.11 In einer stringenten wissenschaftstheoretischen Sprache heißt das: „Eine Rekonstruktion liegt vor bzw. gilt als gelungen, d.h. als adäquat, wenn eine Konstruktion K’, für einen gegebenen begrifflichen Zusammenhang K substituiert, K nicht nur

9. __ Ulrich H. J. Körtner (Hg.): Geschichte und Vergangenheit. Rekonstruktion, Deutung, Fiktion. Neukirchen-Vluyn, 2007, S. 3. 10. __ Scholtz 1992, Sp. 573. 11. __ Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. 1981, Bd. 1, S. 16f. Zitiert nach Scholtz 1992, Sp. 576.

Facetten einer Begriffsgeschichte

in allen wesentlichen Teilen korrekt wiedergibt, sondern zugleich diejenigen Intentionen, die K zu erfüllen sucht, besser – zumindest nicht schlechter – erfüllt als K.“12 Ließe sich hier K spaßeshalber durch A ( = Architektur) ersetzen? In dieser Begriffsrückschau zeigt sich, dass Rekonstruktion in einem fast inflationären Sinne all das bezeichnet, was dem Nachdenken in erkennender Absicht geschuldet oder zu danken ist. Über alle Wendungen in der Begriffsgeschichte hat sich die unbedingte Nähe, bisweilen Gleichartigkeit zum Begriff „Konstruktion“ erhalten – je nachdem, wie sicher die Basis angesehen wurde, auf der sich Vergangenes, Gegenwärtiges und Zeitloses in einer „Wahrheit“, in überzeitlich gültigem Wissen zusammendenken lassen sollten.

Rekonstruktion in Kunst- und Architekturgeschichte In der Theorie der Kunst dominieren die Begriffe Imitatio und Mimesis – und ihr Verhältnis zueinander. Scheinen die beiden Begriffe der Rekonstruktion verwandt, so täuscht dies: Imitatio ( Nachahmung) als gültiges Prinzip der Kunst bis zum achtzehnten Jahrhundert setzt die Vorbildhaftigkeit der griechisch-römischen Antike voraus – ist aber nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Mimesis im aristotelischen Sinne, die auf die Darstellung des Möglichen und Wahrscheinlichen abzielt, aber nicht dessen, ‚was geschehen ist‘ oder bereits vorlag. Die Verwirrung der Begriffe seit der Renaissance wird erst im achtzehnten Jahrhundert geklärt: Als Ergänzung zu Sulzers Allgemeiner Theorie der Schönen Künste (1771) heißt es bei Christian Friedrich von Blankenburg: „[...] dass dem griechischen Worte mimesis ein ganz anderer Begriff, als der, welchen wir mit den Worten Imitation und Nachahmung verbinden, zum Grunde liegt, und durch den Gebrauch dieser Worte ist in die Grundsätze unserer ganzen

12. __ Jürgen Mittelstraß: Forschung, Begründung, Rekonstruktion. Wege aus dem Begründungsstreit. 1982, Neudruck in: Der Flug der Eule. Von der Vernunft der Wissenschaft und der Aufgabe der Philosophie. Frankfurt am Main, 1989, S. 272. 13. __ Zitiert nach Martin Fontius: Mimesis. Der Verschmelzungsprozeß seit der Renaissance. In: Karlheinz Barck et al. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar, 2004, Bd. 4, S. 87.

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Schönheits- und Geschmackslehre nicht wenig Schiefes und Schwankendes gebracht worden.“13 Das Vollkommene oder Schöne sei für die Nachahmungstheorie beispielsweise in einer bestimmten Periode der europäischen Vergangenheit geschaffen worden, das Prinzip der Mimesis ziele dagegen auf ein in der Gegenwart herzustellendes Verhältnis zur gegebenen Natur.14 Etwa zur gleichen Zeit wird jedoch auch die Imagination rehabilitiert, das Subjektive im Begriff des Genies anerkannt und damit der Bedeutungsverlust der Nachahmung eingeläutet: „Entweder stand das Genie fortan im Dienst der Autonomie der Kunst, oder es löste sich im Hegelschen ‚Zeitgeist‘ auf.“15 Erweist sich also Rekonstruktion als ausgesprochen weicher, dehnbarer und anpassungsfähiger Begriff in der abendländischen Geistesgeschichte, spielt er in der Theorie der Kunst neben Imitatio und Mimesis keine Rolle. In der Architekturgeschichte ist der Begriff der Rekonstruktion im engeren Sinne dementsprechend kurz. Zerstörung, Wiederauf- und Neubau mit allen kurzweiligen Begleitereignissen lassen in ihrer Selbstverständlichkeit über die Jahrhunderte gar keinen anderen Schluss zu, als dass eins ins andere übergehe und das Interessanteste an den Übergängen deren Unwägbarkeiten werden. Die Baugeschichte von St. Peter in Rom ist ein großartiges Beispiel dafür, wie facettenreich sich das Nach- und Miteinander von Zerstörung und Erneuerung abspielen kann, ohne dass Rekonstruktion irgendeine Rolle spielen würde.16

14. __ Ebenda. 15. __ Luiz Costa Lima: Mimesis neu denken. In: Karlheinz Barck et al. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar, 2004, Bd. 4, S. 97. 16. __ Horst Bredekamp: Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung. Die Baugeschichte von Bramante bis Bernini. Berlin, 2000.

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Rekonstruktion

Die Begriffsvielfalt vor der Rekonstruktion Architektur, seit sie überhaupt gebaut wird, verschwindet auch wieder. Dieses Verschwinden darf als Alltagsthema gelten, ohne dass Rekonstruktion als kritisch zu reflektierende Entwurfsidee in den Vordergrund gerückt wäre. Eine „Geschichte der Rekonstruktion in der Architektur“ ist allerdings noch nicht geschrieben, nicht zuletzt, weil das Thema erst mit den Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts durch ungeheure Kriegs- und Nachkriegszerstörungen an Brisanz gewonnen hat – jener emotionsgeladenen Brisanz, die uns heute beschäftigt. Wichtige Ansätze liegen allerdings vor.17 Bereits aus der Antike ist überliefert, dass nach Kriegen beraten wurde, wie zum Beispiel mit zerstörten Tempeln zu verfahren sei. Perikles rief zu einem panhellenischen Kongress, wo der Wiederaufbau der von den Persern zerstörten Tempel beraten wurde. Tempelruinen sollten aber auch zur Mahnung an die Gottlosigkeit der Barbaren liegen gelassen werden.18 Rekonstruktionen sind für das antike Rom nicht nachgewiesen – Substanz wurde erhalten, restauratio und renovatio waren bekannt. Diese Architekturgeschichtsepochen, in denen Erneuerung und Wiederaufbau an den Zeitgeschmack angepasst und in besserer Bautechnik ausgeführt werden, sind von schlichter Kontinuität begleitet. Es wird mal in Stein statt Holz gebaut. Über die Jahrhunderte wird hier etwas verschlankt, dort etwas verjüngt, ein Ornament hier noch feiner ausgebildet, ein Umfang dort in den Proportionen geändert. Nichts ist identisch mit dem Vorangegangenen, vieles ist ihm aber ähnlich. So reizvoll es sein mag: Der Unterschied zwischen Kontinuität und Tradition in der Architektur sei andernorts debattiert. Festzuhalten bleibt, dass Rekonstruktion nicht ansteht, wo Tradition und offene Kontinuität den Fortgang der Architekturgeschichte bestimmen und im Übrigen ein Bewusstsein für Geschichte, aber nicht für Geschichtlichkeit existiert.

17. __ Wolfgang Götz: Beiträge zur Vorgeschichte der Denkmalpflege. Diss., Leipzig, 1956 (überarbeitete Fassung ETH Zürich, Bd. 20, 1999); Manfred F. Fischer: Rekonstruktionen. Ein geschichtlicher Rückblick. In: Rekonstruktion in der Denkmalpflege. Überlegungen, Definitionen, Erfahrungsberichte. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Bd. 57. Bonn, 1998 (1: 1997), S. 7–15; weitere Literatur bei Michael S. Falser, siehe S. 60 – 97.

Könnte man nun vermuten, dass die Renaissance eine Epoche der Rekonstruktionen sei, zeigt sich, dass sie in unserem heute geläufigen Sinne keine Rolle gespielt haben. Das Interesse an den baukulturellen Leistungen der Antike lief – etwa bei Giuliano und Antonio da Sangallo oder Brunelleschi darauf hinaus, dass antike Bauten neu interpretiert, gelegentlich zitiert, aber nicht im einfachen Sinne ohne eigene Überlegungen und Gestaltungsideen nachgebaut wurden. Ad exemplum oder similitudo, restitutio, renovatio, restauratio – der Begriffe sind viele, die eine unglaubliche Vielfalt im Umgang mit den Zeugnissen der Baugeschichte umschreiben.19 Entwurfsgedanken und Baumotive sind seit jeher „auf Wanderschaft“ und werden immer wieder variiert – vom sogenannten Palladio-Motiv, das eigentlich von Serlio stammt, bis zum legendären „Schiffsmotiv“ in der Baukunst des zwanzigsten Jahrhunderts. Der historistische Stilpluralismus des späten neunzehnten Jahrhunderts darf in diesem Sinne einer Nachahmungsrichtung zugeordnet werden, keiner Rekonstruktion. Das Bürgertum als Träger von Historismus und Eklektizismus schließt mit dem Adel auf, es erfindet sich mit der Architektur nicht grundsätzlich neu, sondern orientiert sich frei an Vorbildern der Architekturgeschichte, die ihm auch Ausdruck nationaler Identität zu sein scheinen.

18. __ Alexander Demandt: Restitutio in integrum. Wiederaufbau in der Antike, Vortrag an der ETH Zürich am 25.1.2008, siehe Anm. 1. 19. __ Tönnesmann, siehe Anm. 1.

Facetten einer Begriffsgeschichte

Denkmalpflege – romantischer und rationaler Blick auf die Geschichte Bereits im achtzehnten Jahrhundert zeichnet sich zwar vor dem Hintergrund eines neuen Geschichtsbewusstseins ab, dass auch der Architektur vergangener Epochen eine neue Rolle zugewiesen werden kann und muss. Aber erst im neunzehnten Jahrhundert werden deren Erhalt, Erinnerungswert und Vorbildfunktion systematisch problematisiert, auch wenn es eine vormoderne Erinnerungskultur gibt.20 Das vorangehende, revolutionäre Jahrhundert war auch als Jahrhundert der Zerstörungswut im Gedächtnis geblieben, dem ein romantischer Ruinenkult gefolgt war – und zudem eine Wertschätzung des Denkmals als national-patriotisches Symbol zuteil wurde.21 Mit den Stiltheorien wird in der – wiederum jungen – Kunstgeschichte immerhin das Bewusstsein dafür geschärft, dass Baukunst als Ausdruck einer Zeit, als ein sprechendes Zeugnis einer Kultur auch schützenswert ist. Karl Friedrich Schinkel22 vertrat die Ansicht, die Baudenkmale seien zunächst von den jeweiligen Baubehörden zu betreuen – nicht etwa sei eine eigene Behörde zu gründen. Der Staat solle nur mit „Räten“ unterstützen, allerdings solle ein Verzeichnis der zu hütenden Denkmäler erstellt werden.23 Am 22. Juli 1843 erhält Ferdinand von Quast seine Bestallungsurkunde als erster preußischer Konservator der Kunstdenkmäler – vom Ruinenkult wird seitdem die Aufmerksamkeit auf die geschichtlichen Veränderungen und deren Zeugnisse gelenkt.24 Denkmalschutz wird aber erst nach der Reichsverfassung von 1871 als staatliche Aufgabe benannt – und dann in die Verantwortung der Länder gelegt. Wo es um die Präzisierung ihrer Aufgaben geht, sah sich die Denkmalpflege seit Georg Dehios Diktum

20. __ Götz 1956. 21. __ Detlef Karg: Karl Friedrich Schinkel und Ferdinand von Quast. Die Anfänge der staatlichen Denkmalpflege in Brandenburg-Preußen. In: Zeitschichten. Erkennen und Erhalten. Denkmalpflege in Deutschland. München, Berlin, 2005, S. 242f.

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„Konservieren, nicht restaurieren“ (1905), Alois Riegl und der Charta von Venedig (1964) immer wieder genötigt, ihre Ansichten im Umgang mit alter, verfallender, zerstörter Architektur zu überprüfen. Spaltet Rekonstruktion die Denkmalpflege? Nun sei hier nicht die Geschichte der Denkmalpflege aufgedröselt, sondern nur noch einmal an das Denkmalschutzjahr 1975 erinnert, denn im Beitrag von Michael S. Falser (siehe Seite 60 – 97) sind die Fragen, die man sich nach den Weltkriegen stellte, in ihrer Vielschichtigkeit weitreichend angesprochen. Als nun Mitte der sechziger Jahre die Unwirtlichkeit unserer Städte beklagt wurde, schien daraufhin der Postmoderne ein ironisierender, teilweise poppiger, aber doch ausgeprägter Bezug zur Vergangenheit zu gelingen. Auch die Denkmalpflege profitierte – wie wir heute wissen: vorübergehend von einer breiten Wertschätzung alter Architektur und historischer Stadtbilder. Für die gesamte Nachkriegszeit gilt indes, dass bei nahezu allen ambitionierten Architekten ein anerkennender Bezug zur Vergangenheit eine wichtige Rolle spielte und vielfältig in ihrer Architektur abzulesen ist. Zu kurz geschlossen wird bis heute, wenn die gesamte Architekturentwicklung im Westen einem grassierenden Bauwirtschaftsfunktionalismus gleichgesetzt wird, im Osten einer sozialistischen Mono(bau-)kultur. Nur so lässt sich erklären, dass Rekonstruktion derzeit für die einfältigsten Attacken auf die Moderne schlechthin und die Gegenwartsarchitektur im Besonderen instrumentalisiert wird – zugleich aber die Denkmalpflege Stück um Stück von der Politik praktisch entmachtet wird. „Wer hätte im Überschwang der Aufbruchzeit vor dreißig Jahren – eine fast hundertprozentige Zustimmung der Bevölkerung zu den Zielen der Denkmalpflege, neue Gesetze allenthalben, eine ganz neue Personalausstattung von Fach- und Vollzugsbehörden – vorhergesagt, dass nach wenigen

22. __ Unterzeichner der Denkschrift „Über die Erhaltung aller Denkmäler und Alterthümer unseres Landes“ vom 17. August 1815. 23. __ Karg 2005, S. 244. 24. __ Ebenda, S. 245.

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Rekonstruktion

Jahrzehnten die deutsche Denkmalpflege in einer Situation zwischen Marginalisierung und völligem Missverständnis ihrer Gegenstände und ihrer Aufgaben zu sein scheint.“ 25 Hier interessiert alte Bausubstanz nicht wirklich, sondern lediglich ihr Bild als Hintergrund regionalen oder nationalen, politischen Einflusses. Denkmalpflege hat es in Zeiten marktgerechter Rekonstruktionstendenzen schwerer und schwerer, ihrer kulturbewahrenden Aufgabe nachzukommen, die mit ökonomischen Pfeilen und ideologischen Geschossen angegriffen wird. Die Konjunktur der Rekonstruktionstendenzen seit den 1990er Jahren verpflichtete die Denkmalpflege zu einer klaren Stellungnahme, weil auf zwei Arten in ihrem Metier gewildert wird: Zum einen geht der Rekonstruktion heute in der Regel eine Zerstörung voraus, die von der Denkmalpflege klar abgelehnt werden kann. Zwei Beispiele dazu: Vor der Rekonstruktion der Dresdener Frauenkirche wurde ihre längst als Denkmal anerkannte Ruine zerstört, die als weit über die Grenzen bekanntes Mahnmal gegen den Krieg bekannt war. Und dem Vorhaben, das Berliner Schloss irgendwie zur rekonstruieren, ging der Abriss des Palastes der Republik voraus – eine in erster Linie politisch motivierte Entscheidung, die gegen den Willen weiter Teile der Bevölkerung und noch weiterer Teile der Denkmalpfleger und Architekten durchgesetzt wurde.26 Zum anderen gehört es schlichtweg zum Alltag der denkmalpflegerischen Praxis, dies oder jenes nach bestem Wissen und Gewissen zu rekonstruieren – was sie jetzt zu rechtfertigen hat. Rekonstruktion gilt in der Denkmalpflege als ein nur „in wenigen herausragenden Einzelfällen angewandtes Verfahren, das zunächst besonders für archäologische oder vor- und frühgeschichtliche Zusammenhänge – und da aus didaktischen Gründen – praktiziert wurde.“ 27 Auch ein Jahrhundert nach Georg Dehios legendärem Postulat

„Konservieren, nicht restaurieren“ gibt es keine generelle Befürwortung oder Ablehnung der Rekonstruktion. Allmählich werden jedoch die Kriterien für eine von der Denkmalpflege akzeptierte Rekonstruktion deutlicher. An Quellenlage, Bautechnik und -material werden Ansprüche gestellt, die in eine differenzierte Rekonstruktionstypologie aus Sicht der Denkmalpflege geflossen sind: exakte Rekonstruktion, partielle Rekonstruktion, optische oder abbildende Wiederholung, wiederholende Rekonstruktion, Rückrestaurierung oder -rekonstruktion und Installation.28 Gleichwohl ist innerhalb der Denkmalpflege noch kein Konsens gefunden, und Denkmalpfleger geraten untereinander beim Thema Rekonstruktion immer noch in Harnisch. Hatte Michael Petzet versucht, Rekonstruktion salonfähig zu machen, widersprach Jürgen Tietz ihm sogleich und befürchtete, dass der „vandalisme restaurateur des 19. Jahrhunderts seine Widerauferstehung als vandalisme reconstructeur“ finde.29 Das weit gefasste Verständnis von und für Rekonstruktion lässt sich nur dadurch erklären, dass die Denkmalpflege bereits auf die Tendenzen der Gegenwartsarchitektur reagieren musste, in der die Rekonstruktion als ernst zu nehmende Gestaltungsidee propagiert wird.30 Die Schönheit des Denkmals spielt dabei zum Beispiel eine Rolle, die seine geschichtliche Bedeutung einem ästhetischen Urteil zu unterwerfen scheint.31

25. __ Georg Mörsch: Fremd, vertraut oder entbehrlich. Die Denkmale in der modernen Gesellschaft. In: Zeitschichten. Erkennen und Erhalten. Denkmalpflege in Deutschland. München, Berlin, 2005, S. 29. 26. __ Siehe Kunstchronik, 45, 1992, mit Beiträgen von Jörg Traeger, Georg Mörsch u. a.; Jörg Traeger: Ruine und Rekonstruktion in der Denkmalpflege. Grundsätzliches zum Fall der Dresdner Frauenkirche. In: Michael Jansen, Klaus Winands (Hg.): Architektur und Kunst im Abendland. Festschrift zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Günter Urban. Rom, 1992, S. 217–232; Derselbe: Ruine und Rekonstruktion oder Theorie und Praxis. In: Kunstchronik, 47, 1994, S. 288–296; Hanno

Walter Kruft: Rekonstruktion als Restauration? Zum Wiederaufbau zerstörter Architektur. In: Kunstchronik, 46, 1993, S. 589– 604; Bauwelt, 85, 1994; Achim Hubel: Denkmalpflege zwischen Restaurieren und Rekonstruieren. In: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung, 7, 1993, S. 134 –154. 27. __ Enno Burmeister: Gedanken zum Begriff Rekonstruktion. In: Rekonstruktion in der Denkmalpflege, siehe Anm. 17, S. 16. 28. __ Ebenda, S. 17. 29. __ Michael Petzet: Rekonstruktion als denkmalpflegerische Aufgabe. In: Bundesamt für Bauwesen und Raum ( Hg.): Jahrbuch Bau und Raum 2007/2008. Berlin, 2008; Jürgen Tietz: Vandalisme reconstructeur. In: Bauwelt, 27, 2008, S. 6f.

Facetten einer Begriffsgeschichte

Damit verlöre die Denkmalpflege ihren eigentlichen Gegenstand: das authentische, alte, gelegentlich hässliche Denkmal als Bausubstanz, das in der Gesellschaft – vor allem in der Politik – scheinbar niemand mehr will.32 Welche bizarren Folgen sich daraus ergeben, zeigt ein Gutachten, dass Dieter Hoffmann-Axthelm zum Thema Denkmalschutz erstellt hatte und dem 12 Thesen zum Denkmalschutz der Bundestagsabgeordneten Antje Vollmer folgten.33 Hoffmann-Axthelm forderte nicht weniger als die Abschaffung der Denkmalpflege als „Lumpensammlerei“. Sie solle privatisiert und der Denkmalschutz auf jene öffentlichen Gebäude beschränkt werden, die vor 1840 erbaut wurden und dem „unmittelbaren Maß für Denkmalwert“ entsprechen – der Schönheit. Abgesehen davon, dass es einen Konsens darüber, was denn schön sei, weit und breit nicht gibt, liefe dieses Prozedere auf die „Rekonstruktion“ des Landes als Ruhmeshalle der deutschen Baugeschichte hinaus – eine unerträgliche Vorstellung.34 An diesem Punkt, wo die Abschaffung der Denkmalpflege gefordert wird, steckt man mittendrin in den Debatten über Rekonstruktion in der Gegenwart.

Rekonstruktion in der Gegenwartsarchitektur Es dürfte deutlich geworden sein, dass der Begriff Rekonstruktion keine eindeutige Beschreibung eines Bauprozesses oder -ergebnisses bezeichnet, sondern noch bedeutend mehr Differenzierungen beinhaltet, als die – wichtigen – Typologieansätze bei Fischer und Falser ahnen lassen. Der Philosoph Günther Abel erinnerte bei der Züricher Tagung 35 daran, dass Rekonstruktion als „Werk“ von ihrer Unbestimmtheit abhängt – idealerweise sei sie homophon,

30. __ Jan Friedrich Hanselmann (Hg.): Rekonstruktion in der Denkmalpflege. Texte aus Geschichte und Gegenwart. Stuttgart, 2005. 31. __ Clemens Kieser: Die Geheimnisästhetik der Denkmalpflege: Kulturdenkmale als Findung und Erfindung. Vortrag zum Symposium „Nachdenken über Denkmalpflege“, Teil 5, Schöne Geschichte? Ästhetische Urteile in der Denkmalpflege, gehalten am 1. April 2006 in Essen. In: Kunsttexte, 2, 2006. In: www.kunsttexte.de.

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könne dies aber gar nicht sein. Weiß man beispielsweise um die Rekonstruktion, ändert sich die ästhetische Wahrnehmung eines Werks sofort. Sie endet in jener Enttäuschung, die bei Walter Benjamins „Verlust der Aura“ mitschwingt. In den meisten Rekonstruktionen der Gegenwart gleitet die geschichtliche Aussagekraft eines Bauwerks klammheimlich oder pompös begleitet in eine bloße Bildkultur ab. Rekonstruktion als Begriff verliert dabei ihren hypothetischen Charakter, den die Denkmalpflege anerkennt, ihn aber zugleich als Teil der historischen Wissenschaften mit allen zur Verfügung stehenden Quellen als Herausforderung begreift. Was aber heute landläufig als „Rekonstruktion“ gebaut wird, unternimmt nicht einmal mehr den Versuch, einem Originalbauwerk nahe zu kommen. Insofern unterscheidet sich die Kombination aus Museum und HumboldtForum, die hinter den teilweise rekonstruierten Fassaden des Berliner Schlosses gebaut werden soll, nicht vom Kaufhaus hinter den rekonstruierten Fassaden des Braunschweiger Schlosses. Tatsächlich wird in den allermeisten Fällen nur nach einem Erscheinungsbild gerufen – und nicht nach einem historischen Raumgefüge, einer historischen Funktion oder allem zusammen in einer Spurensuche über die Zeiten hinweg. Dem Begriff „Rekonstruktion“ eignet damit in den derzeitigen Architekturdebatten nichts mehr von seiner ursprünglich aus der Philosophie stammenden, suchenden und erkennenden Funktion.

32. __ Ulrich Kerkhoff: Einleitung zum Symposium „Nachdenken über Denkmalpflege“, Teil 6, Denkmale nach unserem Bild? Zu Theorie und Kritik von Rekonstruktion, gehalten am 31. März 2007 in Dessau. In: Kunsttexte, 3, 2007. In: www.kunsttexte.de. 33. __ Das Gutachten entstand im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen, die 12 Thesen wurden im Mai 2000 veröffentlicht. 34. __ Hanno Rauterberg: Ballast abwerfen. Warum Antje Vollmer, die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, den Denkmalschutz auflösen möchte. In: Die Zeit, 19.1.2000. 35. __ Siehe Anm. 1.

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Im Gespräch mit Ullrich Schwarz

Willkür, Pluralismus, Toleranz Wie lassen sich Rekonstruktionen erklären und bewerten? Herr Schwarz, Sie haben sich in der Januarausgabe 2009 des Deutschen Architektenblattes, das sich des Berliner Schlosswettbewerbs annahm, zum Thema Rekonstruktion geäußert. Sie schwenken zwar nicht auf die Rekonstruktionsbefürwortung ein, glauben aber, dass man Rekonstruktionen im weitesten Sinne im Pluralismus unterbringen – und im Einzelfall debattieren könne. Das halte ich für eine etwas zu schlichte Darstellung meines Standpunktes. Auf den Pluralismus kommt es mir gar nicht so sehr an. Ich glaube allerdings, dass wir aus dieser polarisierenden Diskussion, die derzeit geführt wird, herauskommen müssen – als ob man nur und ausschließlich für oder gegen Rekonstruktion, für oder gegen das Zeitgenössische plädieren könne. Und nun habe ich versucht, diese Polarisierung zu unterlaufen. Neutral bin ich persönlich keineswegs. Nur glaube ich, dass wir Rekonstruktion nicht als isolierte Strategie betrachten sollten, sondern wie bei den Alternativen als vermeintlich besseren Varianten die breiten gesellschaftlichen, kulturellen Grundlagen berücksichtigen müssen. Dann ließe sich gewiss ausgewogener diskutieren.

Schwingt hier eine leise Kritik an der Gegenwartsarchitektur mit? Nein. Das hat nichts mit der Kritik an der Gegenwartsarchitektur zu tun – jedenfalls ist das nicht meine Position. Es geht einfach darum, die Voraussetzungen sichtbar zu machen, von denen Befürworter und Gegner von Rekonstruktionen ausgehen. Sinnvoll wäre sicher, wenn man das Thema etwas breiter fasste und beispielsweise auch traditionalistisches Bauen insgesamt einbezöge. An der Stelle des Berliner Schlosses hätte auch eine erkennbar zeitgenössische, couragierte Architektur die Stadtreparatur geleistet? Ja. Dass eine zeitgenössische Architektur dieses nicht leisten könne, ist überhaupt nicht meine Position. Mir geht es vielmehr um die Implikationen der Streitparteien. Wie nehmen Sie denn die Argumentationen der Rekonstruktionsbefürworter wahr? Die allgemeine Diskussion verläuft so zugespitzt, so akademisch-abstrakt, dass sie die Menschen eigentlich nicht erreicht. Die Öffentlichkeit bewegen eher die Fragen: Was machen wir in Berlin? Was machen wir in Potsdam? Was in Hannover? Schauen wir uns nur mal das gewiss prominenteste Beispiel, das Berliner Schloss, an. Die Gruppe der Rekonstruktionsbefürworter ist sicherlich nicht homogen und

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agiert mit unterschiedlichen Motiven. Einigen geht es um den Städtebau – mit dem Argument, dass hier ein großer Baukörper im historischen Sinne hingehöre. Misstrauen gegenüber der Leistungsfähigkeit zeitgenössischer Architektur spielt hier sicher eine Rolle – aber gerade die Einzelheiten der Architektur interessieren diese Befürworter gar nicht. Es kommt nur darauf an, dass der Baukörper städtebaulich „ins Bild“ passt. Dann gibt es auch eine „Hardcore-Fraktion“, die tatsächlich Anschluss an eine reale oder auch fiktive Vergangenheit Berlins oder auch Deutschlands, heißt: Preußen, finden möchte. Das kann nicht funktionieren, weil jedermann weiß, dass noch so genau rekonstruierte Architektur dies nicht leisten kann. Hier macht sich ein Wahrnehmungsphänomen bemerkbar: Das Wissen um etwas verändert die ästhetische Wahrnehmung – schaut man also ein Bauwerk an und erfährt dann, dass es rekonstruiert ist, lässt sich in der Reaktion stets eine „Ent-täuschung“ beobachten. Das stimmt. Auch wenn Patina heute bereits künstlich erzeugt werden kann. Aber es kann ja eigentlich niemandem entgehen, dass es Rekonstruktionen sind, die entstehen sollen. Die meisten Passanten, die an der „Schwangeren Auster“ in Berlin vorbeigehen oder mit Wohlgefallen an der Piazza San Marco in Venedig auf den Kampanile schauen, wissen nicht, dass es Rekonstruktionen sind. Wir werden diese Projekte nicht mehr ändern können. Aber wenn wir jetzt über anstehende Projekte reden, plädiere ich dafür, dass nicht der „Schein des Alten“ erweckt wird. Das kann auch gar nicht gelingen, weil Nutzung und Bautechnik, auch die Diskrepanz zwischen Hülle und Inhalt jegliche Illusionen brechen. Blicken wir zurück in die letzten Jahrzehnte, taucht der Begriff Rekonstruktion zunächst im Zusammenhang mit der IBA Berlin auf. Mit dem Begriff „Kritische Rekonstruktion“, der sich auf die Wiederherstellung städtischer Räume bezog, wurden (historischer) Baukörper und (moderne) Fassade bereits auseinanderdividiert. Leistete der Begriff womöglich Vorschub dafür, dass die Fassadengestalt – ein Mal zur Disposition gestellt – nun in die Rekonstruktion einbezogen wird? Mit welchen Funktionen auch immer dahinter?

Das könnte man so sehen, aber natürlich nicht so linear. Rekonstruktion im engeren Sinn bezieht sich auf etwas, was einmal existierte. Bei der IBARekonstruktion lag die Motivation im Städtebau. Geht es der derzeitigen Rekonstruktionsbefürwortung zunehmend um die konkreten, alten Bilder? Für Berlin gilt dies sicher, und teilweise wird dort mit einer Aggressivität darauf gepocht, die es andernorts so nicht gibt. Übers Ziel hinausgeschossen? So kann man es vielleicht sagen. Aber man kann es verstehen, denn Anfang der neunziger Jahre ging es ja erst einmal im Sinne der Kritischen Rekonstruktion um eine Disziplinierung der Investorenambitionen – was sicher berechtigt war. In Berlin gab es dennoch immer eine Tendenz, tatsächlich zurück zu etwas zu wollen – und das halte ich prinzipiell für fragwürdig. An die Kritische Rekonstruktion sind kaum Bilder geknüpft, die jetzige Rekonstruktionswelle bricht sich aber am meisten mit Bildern Bahn. Entwertet diese Bildinstrumentalisierung Architektur als Bedeutungsträgerin? Als Bauherr ist man auf der sicheren Seite, wenn man sich eine historische Fassade sucht, von der man weiß, sie gefällt den Leuten – egal, was sie ursprünglich kommunizierte. Es ist nicht per se schlecht, etwas zu bauen, was den Leuten gefällt. Deswegen bin ich vorsichtig, diese Instrumentalisierung zu verteufeln. Ich bin auch skeptisch, ob der Bildbegriff hier angemessen ist, weil er das Motiv nicht erfasst, warum manche Menschen „alte“ Architektur mögen. Es geht um Konnotationen, um ... Anmutung? ... ja, aber auch um eine Bedeutungsebene, die im architektonischen Diskurs nicht vorkommt. Das wäre? Nichts Architektonisches im engeren Sinne. Es ist eine Art Versprechen eines bestimmten Lebenszusammenhanges. Etwas Vertrautes? Auch, aber nicht im Sinne des Stilechten oder des korrekten Nachbauens – auf Fehler, die Kunsthistoriker in Rekonstruktionen finden,

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Rekonstruktion

Doch sicher. Denn an den meisten Orten, wo rekonstruiert wird, gab es vorher etwas anderes, eine andere Architektur, der jetzt keine Zeit mehr vergönnt ist. So gesehen: ja. Und dann muss natürlich auch überlegt werden, was nach der Rekonstruktion folgen darf. In der Regel wird bei der Rekonstruktion ein fiktives Aussehen eingefroren, an dem sich nichts mehr ändern darf. Das erinnert mich an bestimmte Strategien im Naturschutz, wo eine fiktive Idealsituation mit großem Aufwand hergestellt und dann konserviert wird – gegen jegliche natürliche Entwicklungschancen.

01 __ Ullrich Schwarz lebt in einem hundert Jahre alten Haus. Wenn es abbrennen würde, käme eine Rekonstruktion nicht in Frage – er ginge dann auf die Suche nach einem anderen alten Haus.

kommt es doch gar nicht an. Es geht um kulturelle Muster, um Emotionales, um unbewusste Wünsche und Hoffnungen. Hier äußert sich mindestens implizit das Bewusstsein eines Mangels in der heutigen Kultur. Das muss man aufarbeiten und nicht sofort als rückwärtsgewandt verteufeln. Könnten zeitgenössische Architektur und Rekonstruktion im Dekor, im Ornament gemeinsame Themen finden? Vielleicht. Die zeitgenössische Architektur gefällt vielen Menschen, und auf das historische Repertoire kann sie durchaus verzichten. Man kann „alte“ nicht mehr gegen „neue“ Architektur in Stellung bringen, weil sich die Moderne ständig weiterentwickelt hat – unter anderem, weil sie selbstkritisch war und ist. Haben bestimmte Entwurfskonzepte – Materialehrlichkeit, Entsprechung von Innen und Außen, Kenntlichmachen der Funktion – ausgedient? Teilweise schon. Weder Raum noch Bild noch Funktion genügen heute als Entwurfsparameter. Architektur ist komplexer. Es kommen Rezeptionsaspekte dazu – und dann vor allem die Zeit. Architektur und Stadt „leben“, sie ändern sich mit der Zeit und mit den Nutzern, entwickeln eine Wirkungsgeschichte. Was aber kaum etwas mit der Rekonstruktion zu tun haben mag.

Zurück zum Thema Zeit. Bei einer Veranstaltung des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung zum Thema Rekonstruktion vertrat Peter Bürger unter anderem die These, dass Rekonstruktion eine Reaktion der (zerstörungs-)traumatisierten Generation sei – die Traumatisierung übertrage sich auch in die nachfolgende Generation. Glauben Sie das? Besonders glaubwürdig finde ich diese These nicht. Ich halte zudem die Wiederherstellung von Identität und Heimat für eine Illusion. Ich bin, wie gesagt, kein dezidierter Gegner der Wiederaufnahme traditioneller Bauformen, nur darf man nicht glauben, man könne einen verlorenen Zustand wiederherstellen – das ist die blanke Illusion. Bleiben wir bei der Identität. Rekonstruktionen werden konservativen politischen Kreisen zugeordnet, scheinen in einer – parteiübergreifend – konservativen Atmosphäre wie in Berlin glimpflich über die Bühne zu gehen. Gibt es da einen Zusammenhang? Für Menschen außerhalb Berlins ist der Streit um das Schloss nicht leicht nachvollziehbar. Ich gönne der Stadt ihr Schloss, auch wenn ich es für ein völlig überflüssiges, absurdes Projekt halte. Es werden auch Staatsgelder verschwendet, aber einen kulturellen, gesellschaftlichen Schaden wird es nicht anrichten. Nun zeugt die Rekonstruktion aber nicht gerade von Mut zum Risiko, denn es wird auf das scheinbar Bewährte gesetzt. Das, meine ich, kann man konservativ nennen. Durchaus. Man kann darin natürlich auch ein Misstrauen gegenüber der zeitgenössischen Architektur sehen – nur muss man sich klarma-

Willkür, Pluralismus, Toleranz

chen, dass auch eine Rekonstruktion wie jetzt beim Berliner Schloss grandios schiefgehen kann. Sie ist also auch riskant. Im Januar veranstaltete die Hochschule für Gestaltung Karlsruhe ein kleines Symposium zum Thema „Rekonstruktivismus“. Damit wird ein einfaches Phänomen in der Architektur zum „Stil“ geadelt – und prompt hieß es auch, dass man über das Berliner Schloss reden könne, ohne den Abriss des Palastes der Republik zu thematisieren. Ich sehe nicht, dass man hier eine neue „Richtung“ ausmachen kann. Man muss sich auch vor Augen halten, dass es so viele rekonstruierbare und gleichzeitig finanzierbare Projekte nicht geben wird. Rekonstruktionen – zumindest hierzulande – werden Ausnahmeprojekte bleiben. Zum einen sind unsere Städte weitgehend bebaut, zum zweiten: Wer soll diese Rekonstruktionen denn bezahlen? Außerdem müssen wir uns auch überlegen, was wir alles als Rekonstruktion anerkennen wollen – und was nicht. Das Braunschweiger Projekt mit ECE-Kaufhaus würde ich gar nicht zu den Rekonstruktionen im engeren Sinne zählen. Es wird nicht funktionieren, dass sich Architekten „Rekonstruktion“ als neues Geschäftsmodell auf die Fahnen schreiben. Dann kämen Sie auch rasch in eine gefährliche Situation, in der Sie an den Hochschulen Rekonstruktion als Neubau-Entwurfsaufgabe ausgeben müssten. Dann gleitet Rekonstruktion in die totale Beliebigkeit ab – von der sie ohnehin bedroht ist. Müssen wir uns davor hüten, alles, was neu ist, aber ein bisschen alt aussieht, „Rekonstruktion“ zu nennen? Unbedingt. Bedroht der inflationäre Umgang mit dem Begriff Rekonstruktion unsere landläufigen Vorstellungen vom „zeitgemäßen Bauen“? Winfried Nerdinger deutete vor kurzem in der Zeitschrift aviso (Zeitschrift für Wissenschaft & Kunst in Bayern) an, es könne höhere Werte als eine kaum zu definierende Zeitgemäßheit geben. Da würde ich ihm sofort recht geben. Und welche wären das? Das „zeitgemäße Bauen“ enthält für sich gesehen gar keinen Wert. Es ist heute unglaublich schwer, formal höchst unterschiedliche

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zeitgenössische Bauten generell zu „bewerten“. Diese oder jene Architekturrichtung lässt sich nicht mehr in die Lager der Guten und der Bösen schieben. Man muss versuchen, eine gesellschaftlich kulturelle Definition für das, was in Architektur und Städtebau gemacht wird, zu finden. Mir geht es gar nicht so sehr um Toleranz und Pluralismus, sondern darum, gesellschaftliche Ziele klarer zu setzen. Dann wird man, glaube ich, finden, was am besten passt. Genau das würde ich als „zeitgemäßes Bauen“ bezeichnen – nichts Formales. Insofern sagt mir der Begriff „zeitgemäß“ ganz gut zu. Wenn man den Begriff nicht als Qualität eines formalen Ausdrucks versteht – einverstanden. Auch wenn Gut und Böse nicht die passenden Kategorien sein mögen, müssen wir beim Bauen doch von Werten reden. Manches kann man den Mitmenschen zumuten, anderes nicht. Manches ist richtig, manches falsch – unabhängig davon, wie es „aussieht“. Wer vertritt denn eine solche Position? Zum Beispiel die Architekturkritik, die sich nicht von irgendeiner Architekturrichtung vereinnahmen lässt. Das tut sie viel zu wenig. Bedenken wir zudem, dass Architektur auch vom Markt abhängt, der sich in allen Richtungen diversifiziert und viele unterschiedliche Subkulturen bedient. Im Städtebau und in der Architektur müssen wir im Einzelfall genau überlegen, was wo „passt“. Eine Zaha Hadid passt an manchen Stellen so wenig wie an anderen eine Rekonstruktion. Aspekte, die hier eine Rolle spielen, gehören zur Wirkungsgeschichte, die in unserer Architekturbewertung beziehungsweise Architekturkritik viel zu kurz kommt. Man müsste Gebäude oder städtebauliche Situationen nach zehn Jahren erneut unter die Lupe nehmen. Uns fehlt diese Dimension der Architekturbewertung. Auch daran kann es liegen, dass wir uns jetzt mit dem Phänomen Rekonstruktion befassen müssen.

Mit Ullrich Schwarz sprach Ursula Baus

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Autoren

Ursula Baus Jahrgang 1959. Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Klassischen Archäologie in Saarbrücken. Architekturstudium in Stuttgart und Paris. Promotion. 1987– 2004 Redakteurin der db deutsche bauzeitung. 1989 Gastredakteurin in Paris. Korrespondenz für L’architecture d’aujourd’hui und A10 magazine. 2004 Mitbegründerin von frei04 publizistik, Stuttgart. Freie Architekturkritikerin und -wissenschaftlerin. Seit 2004 Lehraufträge für Architekturtheorie und -kritik an der Universität Stuttgart und der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Kuratorium der Erich Schelling Architekturstiftung, seit 2008 im Beirat der Bundesstiftung Baukultur. Bücher, Vorträge, Jurys.

Michael Braum Jahrgang 1953. Studium der Stadt- und Regionalplanung sowie der Architektur an der TU Berlin. Mitarbeiter in der Freien Planungsgruppe Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin. 1996 Gründung des Büros Conradi, Braum & Bockhorst, 2006 Gründung des Büros Michael Braum + Partner, StadtArchitekturLandschaft, Berlin. Seit 1998 Professor am Institut für Städtebau und Entwerfen an der Leibniz Universität Hannover. Mitglied der DASL, des BDA, der SRL und des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL), Hannover. Seit 2008 Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Veröffentlichungen zum Städtebau und zur Stadtentwicklung.

Michael S. Falser Jahrgang 1973. Studium der Architektur und Kunstgeschichte in Wien und Paris. 2002 –2005 DFG-Stipendiat im Graduiertenkolleg „Bauforschung – Kunstwissenschaft – Denkmalpflege“, TU Berlin. 2008 Promotion zum Thema „Zwischen Identität und Authentizität. Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland“. Mitarbeit in einem Denkmalpflege-Büro in den USA; Gutachter bei der Österreichischen UNESCO-Kommission. Freier Architekturhistoriker in Wien und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH Zürich. Publikationen zur Denkmalpflege und zur Architektur der Moderne.

Wolfgang Pehnt Jahrgang 1931. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Marburg, München und Frankfurt am Main; Promotion. 1957–1963 Lektor im Verlag Gerd Hatje, Stuttgart. 1963 –1995 Redakteur, 1974 –1995 Leiter der Abteilung Literatur und Kunst im Deutschlandfunk (DeutschlandRadio), Köln. Seit 1995 Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Publikationen zur Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts; Vorträge im In- und Ausland; Kurator mehrerer Ausstellungen. Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München; Ehrenmitglied des Deutschen Werkbund NRW; a.o. Mitglied des BDA. Auszeichnungen u. a.: Kritikerpreis des BDA (1988), Erich-SchellingPreis für Architekturgeschichte und -theorie (1994), Fritz-Schumacher-Preis für Architektur (2001), Ehrenpreis des Verbandes der deutschen Kritiker für ein Lebenswerk (2006).

Ullrich Schwarz Jahrgang 1950. Studium der Germanistik und Soziologie. Lehraufträge an der Universität Hamburg; freier Lektor und Übersetzer. Seit 1984 Geschäftsführer der Hamburgischen Architektenkammer. 1992 –1998 Gastprofessor für Theorie der Architektur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Seit 1993 Mitbegründer und organisatorischer Leiter des Hamburger Architektur Sommers. Mitherausgeber der Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs. Seit 1989 verantwortlicher Redakteur des Jahrbuches Architektur in Hamburg. Zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen, vor allem zur Architekturtheorie. 2003 und 2004 Vorsitzender des Fördervereins Bundesstiftung Baukultur. 2004–2008 Leiter des Instituts für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften an der TU Graz, seit 2008 Professor für Architekturtheorie an der HCU Hamburg.

Christian Thomas Jahrgang 1955. Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Münster. Seit 1993 Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Rundschau, verantwortlich für Architektur und Städtebau; seit 2003 stellvertretender Ressortleiter. Mitglied in verschiedenen Architekturpreis-Jurys. Zahlreiche Aufsätze in Architekturfachzeitschriften, Ausstellungskatalogen und Büchern.

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Bildnachweis

Seite 8 – 21__Wiebke Dürholt, Potsdam; Seite 22 – 33__ (1): Archiv Friedrich Mielke; (2): Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Plansammlung des Bereichs Untere Denkmalschutzbehörde (ehem. Amt für Denkmalpflege); (3, 5, 14, 15, 16, 20): Wiebke Dürholt, Potsdam; (4, 9, 10, 17) Waltraud Volk: Potsdam. Historische Straßen und Plätze heute. Verlag für Bauwesen, Berlin, 1993 (1: 1988); (6, 7): Volk 1993, Stiftung Schlösser und Gärten Potsdam – Sanssouci; (8, 11): Volk 1993, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege, Messbildarchiv (Berlin); (12): Harri Günther, Sibylle Harksen: Peter Joseph Lenné, (SPSG). Wasmuth-Verlag, Tübingen, 1993; (13): Volk, 1993, Stadtgeschichtliches Museum Potsdam; (18): Lothar Willmann, Berlin; (19): Karl Johaentges, Hannover; (21): Karte/Montage/ Zeichnung: A-ST Grafik, November 2007; Sanierungsträger Potsdam GmbH (Kartengrundlage: Pdm-Stadtkarten M 1:500/ Einzelprojekt der Architekten/historische Linien nach Deutscher Städteatlas - Potsdam, Tafel 3); Seite 34 – 41__Till Budde, Berlin; Seite 46 – 59__ (1, 3, 4, 6, 7, 8, 12, 13, 17): Wolfgang Pehnt, Köln; (2) zeitgenössische Postkarte; (5, 10): Janos Frecot, Helmut Geisert: Berlin. Frühe Photographien. Schirmer/Mosel, München, 1984, Landesarchiv Berlin; (9): Goerd Peschken, Hans-Werner Klünner: Das Berliner Schloß. Propyläen/Ullstein, Frankfurt, Wien, Berlin, 1982; (11): Jackie Cooper (Hg.): Mackintosh Architecture. Academy Editions, London, New York, 1977; (14): Archiv Pehnt; (15): sbp, Stuttgart; (16): Editions Girsberger (Hg.): Le Corbusier, Œuvre complète. Zürich, 1960; (18): Henri Loyrette: Gustave Eiffel. DVA, Stuttgart, 1985; Seite 60 – 97__ (1, 2): Walther Schmidt: Bauen mit Ruinen. Schriftenreihe Bauen und Wohnen. Ravensburg, 1949; (3): Wolfgang Thöner, Peter Müller (Hg.): Bauhaus-Tradition und DDR-Moderne. Der Architekt Richard Paulick. Deutscher Kunstverlag, München, Berlin, 2006; (4): Deutsche Architektur, Heft 10, 1955; (5): Götz Eckardt (Hg.): Schicksale deutscher Baudenkmale im zweiten Weltkrieg: eine Dokumentation der Schäden und Totalverluste auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Henschelverlag, 2 Bde., Berlin (Ost), 1978; (6): Institut für Denkmalpflege der DDR, um 1980; (7): Institut für Denkmalpflege (Hg.): Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR. Hauptstadt Berlin I. Berlin (Ost), 1984; (8, 10): Kristin Feireiss (Hg.): Egon Eiermann. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Ernst & Sohn, Berlin, 1994; (9): Bauwelt, 49. Jg., 8/1958; (11): Basil Spence, Henk Snoek: Out of the ashes. Geoffrey Bles, London, 1963; (12, 31, 42): Werner Durth, Niels Gutschow: Träume in Trümmern. Vieweg Friedr. + Sohn, Braunschweig, Wiesbaden, 1988; (13, 15): Dieter Bartetzko: Die Paulskirche in Frankfurt am Main. Langewiesche, Königstein/Taunus, 1998; (14): Hochbauamt Frankfurt/Main (Hg.): Die Paulskirche in Frankfurt am Main. Frankfurt/Main, 1988; (16): Hermann Glaser (Hg.): So viel Anfang war nie: deutsche Städte 1945 –1949. Siedler, Berlin, 1989; (17): Franz Wimmer, München; (18, 19, 21): TU München, BDA (Hg.): Hans Döllgast 1891–1974. München, 1987; (20): Archiv Franz Kießling; (22, 23): Glyptothek München; (24): Stadtarchiv München; (25): Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Eberhard Lantz; (26): Gustav Peichl, Ironimus; (27, 28): Matthias Gretzschel: Die Dresdner Frauenkirche. Ellert & Richter, Hamburg, 1994; (29): Reinhard Delau: Die Dresdner Frauenkirche. Dresdner Druck- u. Verlagshaus, Dresden, 2005 (Umschlag hinten); (30): Leopold Achilles (Hg.): Zehn Jahre Denkmalpflege in der Deutschen Demokratischen Republik. VEB Seemann Verlag, Leipzig,

1959; (32, 34): Stadtkonservator Köln; (33): Schmölz-Huth in Köln; (35): Rudolf Schwarz: Kirchenbau. Welt vor der Schwelle. Kerle, Heidelberg, 1960; (36): LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland; (37): Willy Weyres: Neue Kirchen im Erzbistum Köln 1945-1956. Schwann, Düsseldorf, 1957; (38): Wolfgang Voigt, Ingeborg Flagge (Hg.): Dominikus Böhm 1880 –1955. Wasmuth Verlag, Tübingen/Berlin, 2005; (39): Wilhelm Rave: Westfalens Kunststätten im Untergang und Wiederaufbau. Mnstr. Aschendorff, Münster, 1951; (40): Roswitha Rosinski: Der Umgang mit der Geschichte beim Wiederaufbau des Prinzipalmarktes in Münster/Westfalen nach dem 2. Weltkrieg. Habelt, Bonn, 1987; (41): Niels Gutschow, Regine Stiemer: Dokumentation Wiederaufbau der Stadt Münster 1945 –1961. Münster, 1982; (43): Michael Heinrich, München; (44): Stadtkonservator Köln, Dorothea Heiermann; (45): http://upload. wikimedia.org/wikipedia/de/4/4f/SchimmelpfengHochh%C3 %A4userKombi.jpg (Zugriff 1.2009) – (Simulation im Auftrag von Adrian von Buttlar und Gabi Dolff-Bonekämper von der Arbeitsgruppe Nachkriegsmoderne der TU Berlin: Ausführung Peter Fischer von der Abt. Technische Architekturdarstellung (TAD) der TU Berlin aufgrund der freundlichen Bereitschaft von Mathias Hirche. Initiative, Photogrundlage & Text Roman Hillmann, 2008); (46): Hélène Binet, London; (47): Förderverein Berliner-Schloss e.V.; (48, 50, 51): Michael S. Falser, Zürich; (49): Roman von Götz, Regensburg; (52): David Chipperfield Architects, London, 2008; (53): Gesellschaft Historisches Berlin, 2005

Die Bundesstiftung Baukultur dankt den Verlagen für die freundlichen Nachdruckgenehmigungen. Jeder mögliche Versuch ist unternommen worden, die Besitzer von Bildrechten ausfindig zu machen. Wo dies nicht möglich war, bitten wir die Urheber, sich mit den Herausgebern in Verbindung zu setzen.