Reisen in das Orientalische Indien: Wissen über fremde Welten um 1600 9783412218874, 9783412225124

137 59 20MB

German Pages [292] Year 2016

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Reisen in das Orientalische Indien: Wissen über fremde Welten um 1600
 9783412218874, 9783412225124

Citation preview

Dorothee Schmidt

Reisen in das Orientalische Indien Wissen über fremde Welten um 1600

2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: /  / portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Werkstatt de Bry: Begrüßung des Königs von Matacalo (1606)

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Rainer Landvogt, Hanau Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-22512-4

INHALT Dank .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion . . . . . . . . . . . .

27

2

Der Handel und die Rolle des Wissens Zur Produktion und Konstruktion von Handelsräumen . . . . . . . . . .

61

2.1 Der Aufstieg Amsterdams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

2.2 Mediale Expansionen .

69

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.3 Exkurs: Die Handelswelt im Indischen Ozean .

. . . . . . . . . . . . .

74

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

2.5 Bild und Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

3 Körperwissen Sexualität und Geschlechterordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

2.4 Die Macht der Bilder .

4

3.1 Weibliche Begierde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116

3.2 Weibermacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122

3.3 Marginalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

3.4 Enthaltsamkeit und männliche Stärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134

3.5 Weibliche Stärke und männliche Schwäche . . . . . . . . . . . . . . . .

139

Mehr als eine Grenze Das Meer als Wissensraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

4.1 Die See schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

4.2 Das Meer im Bild .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160

4.3 Exkurs: Die Kartenproduktion in den Niederlanden . . . . . . . . . . .

169

4.4 Das Meer kartieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

INHALT  |

5

5

6

Das Wissen von der anderen Welt Glaube und Unglaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

5.1 Gottes Wunderwerck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

5.2 Konfessionelle Positionierungen .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192

5.3 Der böse Feind, der leydige Teuffel, der immer suchet vnd nimmer auff höret … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

5.4 Teufelsbilder .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

202

Zirkulationen und Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217

6.1 Der König von Tuban .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217

6.2 Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

223

6.3 Die „Hottentotten“ .

227

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.4 „Sie werfen den Kindern ihre langen Brüste über den Achseln zu …“ . Zusammenfassung und Fazit .

236

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

Bibliografien und Lexika .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261

Ausstellungskataloge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261

Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262

Abbildungsnachweis .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285

6 |  INHALT

DANK Meinen herzlichsten Dank richte ich an erster Stelle an meine Betreuerin Prof. Dr. Susanna Burghartz, sie hat meine Arbeit von Beginn an mit außergewöhnlichem Engagement und großem Interesse begleitet und unterstützt und vielfältige Anregungen und Denkanstöße geliefert. Ermöglicht wurde die Dissertation durch die finanzielle Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds, der mir zwischen 2008 und 2010 ein Stipendium gewährte und durch den Forschungsfonds der Universität Basel, der den Abschluss der Arbeit im Jahr 2011 finanzierte. Der rege wissenschaftliche Austausch am Historischen Seminar der Universität Basel, vor allem auch innerhalb der Basel Graduate School of History befruchtete und förderte meine Arbeit maßgeblich. Hier möchte ich vor allem Maike Christadler, Anja Rathmann-Lutz, Kim Siebenhühner, Tina Asmussen, Kirstin Bentley und Sundar Henny von Herzen danken. Robert Felfe hat sich immer wieder die Zeit genommen, mit mir über die de Bryschen Kupferstiche zu diskutieren und hat wertvolle Tipps geliefert, auch ihm sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Außerdem danke ich Esther Saner für Rat und Tat in allen Lebenslagen. Gewidmet ist die Arbeit meiner Familie und insbesondere meinen Eltern, ohne deren vielfältige Hilfe, nie versiegende Unterstützung, ohne ihr Interesse und ihren Beistand ich diese Arbeit nicht hätte schreiben können.»

DANK  |

7

EINLEITUNG Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden in Europa große Reisesammlungen, die von unterschiedlichen Standpunkten aus einen globalen Imaginationsraum für die Wahrnehmung außereuropäischer Welten organisierten. Diese Sammlungen können als Orte der Wissensproduktion und -zirkulation und zugleich als Wissensspeicher der europäischen Kultur in dieser Zeit gelten. Diejenigen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts sind jedoch anders als die Sammlungen des 18. Jahrhunderts noch kaum auf eine Systematisierung von Wissen, sondern – und dies ist für sie charakteristisch – auf Vielfalt und damit zugleich auf Mehrdeutigkeit angelegt. Im Zentrum der vorliegenden Analyse steht der Ostindienteil der beiden kostbar und aufwendig edierten und illustrierten Reisesammlungen ins „occidentalische“ und „orientalische Indien“ (1590–1630) aus dem Frankfurter Verlagshaus de Bry. Theodor de Bry und seine Söhne Johann Theodor und Johann Israel, die aus dem flämischen Antwerpen nach Frankfurt emigrierten Calvinisten, stellten Unterhaltung und Erbauung eines kaufkräftigen europäischen Publikums ins Zentrum ihrer Reiseeditionen und hatten damit nachhaltigen Erfolg. Bis in die Gegenwart werden die Kupferstiche der Verleger de Bry in fast jeder Publikation zur frühen europäischen Expansion, aber auch in zahlreichen Publikationen zur außereuropäischen Geschichte der Frühen Neuzeit als Illustrationen verwendet.1 Ende der 80er-Jahre des 16. Jahrhunderts war Theodor de Bry (1527/1528–1598) über die Zwischenstationen Straßburg, Antwerpen und London nach Frankfurt am Main gekommen. De Bry war ausgebildeter Goldschmied und Kupferstecher; in der Verlagsstadt Frankfurt wurde er als Kupferstecher und Buchverleger tätig und gründete ein Familienunternehmen, das über drei Generationen hinweg florieren sollte. Bekannt wurde sein Verlag dabei vor allem für die prachtvollen Kupferstichwerke.2 Als erstes Buch überhaupt veröffentlichte Theodor de Bry 1590 Band I der America-Serie, der Reisen in das „occidentalische Indien“, die später als Grands Voyages betitelt wurden.3 Die Serie wurde schnell ein großer Erfolg, sodass zahlreiche Bände in der Folge mehrere Auflagen erlebten. Schon 1597 veröffentlichten Theodors Söhne, Johann Theodor (1561–1623) und Johann Israel (ca. 1565–1509), den ersten Band einer 1 2 3

Siehe dazu auch das Kapitel 6. Siehe dazu ausführlich das Kapitel 1. Im Folgenden zit. als de Bry, Grands Voyages.

EINLEITUNG  |

9

zweiten Serie von Reisen ins „orientalische Indien“, die wegen ihres etwas kleineren Formats als Petits Voyages bezeichnet worden sind:4 Es war die Übersetzung des bereits 1591 in Rom erschienenen Reiseberichts Filippo Pigafettas, der auf den Erzählungen des Portugiesen Eduardo Lopez basiert. Ab dem Jahre 1598 erschien einer der einflussreichsten und bekanntesten Afrika- und Indienberichte der damaligen Zeit, der des Niederländers Jan Huygen van Linschoten, in drei Fortsetzungen (1598, 1599, 1600). Im Folgenden wurden innerhalb kürzester Zeit (von 1601–1613) sechs weitere Berichte – die meisten von Angestellten der Niederländischen Ostindien-Kompanie – publiziert. 1618 folgte nach einigen Jahren Unterbrechung der elfte Band, 1628 wurde die Serie mit dem dreizehnten Band abgeschlossen. Alle Bände der Reisesammlungen bestehen aus einem von den de Brys gestalteten Titelkupfer, dem Vorwort, einem Haupttext mit am Rande ergänzenden und erklärenden Zusammenfassungen und einer angehängten Kupferstichserie; je ein Kupferstich ist auf einer Seite platziert, umrahmt von einem Titel und der dazugehörigen Subscriptio. Wie bereits erwähnt, werden die Kupferstiche der Verleger de Bry bis in die Gegenwart in zahlreichen wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationen als Illustrationen verwendet. Trotz der intensiven Nutzung dieses Bildspeichers und der Bedeutung der de Bry’schen Kollektionen für die Schaffung eines europäischen Bildraumes zu den außereuropäischen Welten liegen vergleichsweise wenige Forschungen vor, die sich explizit mit den beiden Reiseserien und ihren Verlegern beschäftigen. Wenn überhaupt, dann hat sich die neuere Forschung mit der Amerika-Serie oder mit Teilen dieser Sammlung intensiver befasst. Die Reisen nach Osten sind von der Forschung dagegen fast vollständig vernachlässigt worden. In der historischen Forschung ist man sich weitgehend darüber einig, dass die beiden im Verlag der de Brys erschienenen Reisesammlungen nach Ost- und West-Indien das Bild der gebildeten Europäer und spezifischer auch das Wissen der deutschsprachigen Leser über außereuropäische Kulturen beeinflusst und auf lange Sicht geprägt haben.5 Für die Amerika-Reisen hat Bernadette Bucher in ihrer Dissertation La sauvage aux seins pendants von 1977 die werkimmanente Struktur der Kupferstiche aus strukturalistischer Sicht analysiert und eine Gesamtdeutung der Sammlung vorgeschlagen.6 Anhand des Leitmotivs der Frau mit den hängenden Brüsten konstatiert sie im neunten Band der Serie einen fundamentalen Bedeutungsumschwung: die endgültige, geradezu apokalyptische Verworfenheit der Indigenen, die religiös überhöht als natürlicher Degenerationsprozess gedeutet werde. Auch die Beiträge in Michèle Duchets Sammelband L’Amérique de Thédore de Bry (1987) lasen die Grands Voyages und insbesondere deren Kannibalismus-Darstellungen als

4 5

6

Im Folgenden zit. als de Bry, Petits Voyages. Vgl. u.a. Gita Dharampal-Frick, Indien im Spiegel deutscher Quellen der Frühen Neuzeit (1500–1750). Studien zu einer interkulturellen Konstellation, Tübingen 1994, S. 50, Friedemann Berger (Hg.), De Bry. India Orientalis, 2 Bde., Leipzig und Weimar 1979–1981, hier: Bd. I, S. 38, und Michiel van Groesen, The Representations of the Overseas World in the De Bry Collection of Voyages (1590–1634), Leiden & Boston 2008. Bernadette Bucher, La sauvage aux seins pendants, Paris 1977.

10 |  Einleitung

Selbstverständigung der protestantischen europäischen Nationen über ihre eigene heilsgeschichtliche Auserwähltheit.7 2001 hat der niederländische Historiker und Literaturwissenschaftler Michiel van Groesen die interessante These vertreten, dass die Reisesammlungen der de Brys der Gattung der Emblemata zuzuordnen seien.8 Dies erlaubt es, ihnen sowohl heilsgeschichtlich-didaktische Qualitäten zuzuschreiben als auch nochmals den populär-unterhaltenden Charakter der Sammlungen, die ein breites Publikum erreichen sollten, zu unterstreichen – eine Einordnung, die van Groesen aufgrund der Modifikationen bestätigt sieht, die die de Brys z.B. bei der Bearbeitung des berühmten Reiseberichts Jan Huyghen van Linschotens vorgenommen haben. Für einen Vergleich der beiden Serien aufschlussreich ist auch der Aufsatz von Henry Keazor, „Charting the autobiographical, selfregarding subject?“ Theodor de Brys Selbstbildnis,9 der das Selbstportrait von Theodor de Bry, dem Initiator der America-Serie, und dessen deutlich artikuliertes Selbstverständnis als Künstler, Gelehrter und Verleger mit demjenigen seines Sohnes Johann Theodor vergleicht, der sich in seinem Porträt explizit und nahezu ausschließlich als stolzer Verleger der berühmten Reisesammlungen präsentiert.10 In ihrem Aufsatz Die Sammlung zur Schau gestellt: die Titelblätter der America-Serie untersucht die Kunsthistorikern Maike Christadler die Titelkupfer der Grands Voyages (und vereinzelt auch der Petits Voyages), die sie als „Schaufenster der Sammlung“ bezeichnet.11 Hier betont sie vor allem die Entwicklung, das Fortschreiten der Sammlung, deren Verleger und Kupferstecher mit der Gestaltung der Titel auf die sich rasch wandelnde europäische Expansion reagierten. Sie folgten der Aktualität der Entdeckungen „in enger Anbindung an den niederländischen Publikationsmarkt und an die niederländische Kolonisierung.“12 In verschiedenen Beiträgen hat sich die Kunsthistorikerin Anna Greve mit der visuellen Repräsentation Amerikas in den Grands Voyages auseinandergesetzt. In ihrer 2004 erschienenen Dissertation13 geht sie von der These aus, dass die Kupferstiche der Familie de Bry einer gut situierten Leserschaft als Ersatz für die eigene Reise dienen sollten und ein Superioritätsgefühl gegenüber der indigenen Bevölkerung Amerikas vermittelten. Greve stellt die Mitglieder und die Werkstatt der Familie de Bry vor und kommt in ihrer Analyse der Kupferstiche der ersten sechs Teile der Grands Voyages, die alle zu Lebzeiten Theodor de Brys entstanden 7 8 9

10 11 12 13

Michèle Duchet (Hg.), L’Amérique de Théodore de Bry. Une collection de voyages protestante du XVIe siècle, Paris 1987. Michiel van Groesen, A First Popularisation of Travel Literature. On the Methods and Intentions of the De Bry Travel Collection (1590–1634), in: Dutch Crossing 25,1 (2001), S. 103–131. Henry Keazor, „Charting the autobiographical, selfregarding subject?“ Theodor de Brys Selbstbildnis, in: Susanna Burghartz, Maike Christadler, Dorothea Nolde (Hg.), Berichten, Erzählen, Beherrschen. Wahrnehmung und Repräsentation in der frühen Kolonialgeschichte Europas, (= Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 7, Nr. 2/3), Frankfurt/Main 2003, S. 395–428. Siehe dazu auch das Kapitel 1. Maike Christadler, Die Sammlung zur Schau gestellt: die Titelblätter der America-Serie, in: Susanna Burghartz (Hg.), Inszenierte Welten. Die west- und ostindischen Reisen der Verleger de Bry, 1590–1630, Basel 2004, S. 47–93. Christadler, 2004, S. 87 Anna Greve, Die Konstruktion Amerikas: Bilderpolitik in den Grands Voyages aus der Werkstatt de Bry, Köln 2004.

Einleitung  |

11

sind, zu dem Ergebnis, dass die Stiche eine eigene Bilderzählung vorlegen, die unabhängig von den dazugehörenden Texten Amerika als Erweiterung des europäischen Herrschaftsgebietes visuell greifbar machen. Auch der Kunsthistoriker Michael Gaudio sieht die de Bry’schen Illustrationen als Teil einer holländischen, protestantisch geprägten Sicht auf die Welt. Darüber hinaus bietet er jedoch mit seiner 2008 erschienenen Studie Engraving the Savage. The New World and Techniques of Civilization einen ganz neuen Blick auf die Kupferstiche aus der Frankfurter Werkstatt.14 In seiner Analyse zum ersten Band der Grands Voyages legt er den Fokus auf die Materialität des Mediums Kupferstich und fragt, was es bedeutet, das Fremde zu gravieren. Gaudio erforscht also die Wechselwirkungen von Kunst und ihrer Perzeption. Er sieht die Stiche als Teil eines Repräsentationssystems, durch das das frühmoderne Europa versuchte, Ansprüche auf ein unbekanntes Land zu erheben, es Linie für Linie nachzuziehen und zu erobern. Dabei geht es ihm jedoch auch um die Grenzen des Mediums: Es sei wichtig, sich zu vergegenwärtigen, „that the cultural work of engraving the New World – the work of assimilating it line by line to the system of representation – was not only a matter of rendering that world visible, but also of marking the limits of visibility.“15 Waren die bisher genannten Untersuchungen in erster Linie auf die Kupferstiche der de Brys und auf die internen Dynamiken der Sammlung fokussiert, so hat Susanna Burghartz in zwei Aufsätzen von 200416 Zirkulationsprozesse im entstehenden kolonialen Diskurs Nordwesteuropas und insbesondere der Niederlande herausgearbeitet. Ausgehend vom Konzept des mimetischen Kapitals, das Stephen Greenblatt in seiner immer noch wegweisenden Studie Marvelous Possessions (1991) vorgeschlagen hat, kann sie exemplarisch zeigen, wie die Produktion und Verbreitung kolonialer Bilder und „Versatzstücke“ im sich neu formierenden Informationsmarkt der Niederlande zu neuen, ausgesprochen flexiblen Repräsentationsformen der außereuropäischen Welten in miteinander interagierenden Texten, Bildern und Karten geführt hat. Hier schließt ein weiterer Aufsatz Michiel van Groesens aus dem Jahr 2006 an. In Interchanging representations: Dutch publishers and the De Bry collection of voyages (1596–1610) untersucht er die wechselseitigen Beziehungen und Beeinflussungen zwischen den de Brys in Frankfurt und niederländischen Verlegern und Künstlern in Amsterdam.17 Dabei stellt er fest, dass die de Brys nicht nur von niederländischen Publikationen profitierten, sondern dass auch niederländische Stecher die dynamischeren und neuartigen Produkte aus der de Bry’schen Werkstatt verwendeten und ihrerseits Kopien publizierten. So zeigt sich, dass viele 14 15 16

17

Michael Gaudio, Engraving the Savage. The New World and Techniques of Civilization, Minneapolis/London 2008. Ebd., S. 72. Susanna Burghartz, Mimetisches Kapital und die Aneignung Neuer Welten. Zur europäischen Repräsentationspraxis um 1600, in: WerkstattGeschichte 37 (2004), S. 24–48, und dies., Aneignungen des Fremden: Staunen, Stereotype und Zirkulation um 1600, in: Elke Huwiler & Nicole Wachter (Hg.), Integrationen des Widerläufigen. Ein Streifzug durch geistes- und kulturwissenschaftliche Forschungsfelder, Münster 2004, S. 109–137. Michiel van Groesen, Interchanging representations: Dutch publishers and the De Bry collection of voyages (1596–1610), in: Dutch Crossing 30,2 (2006), S. 229–242.

12 |  Einleitung

der niederländischen Stiche, die fremde Welten abbildeten und traditionell als Früchte der eigenen Übersee-Erfahrung angesehen wurden, tatsächlich in der Werkstatt einer „cleveren“ (van Groesen) Verlegerfamilie in Deutschland entstanden sind. Schon 2004 hatte Michiel van Groesen in seinem Aufsatz De Bry and Antwerp, 1577–1585. A formative period18 erstmals die enge Verbindung von Theodor de Bry zu Antwerpen nachweisen können. Antwerpen war damals der zentrale europäische Waren- und Informationsmarkt für Überseeprodukte und zugleich der innovativste Platz für moderne Repräsentationstechniken und insbesondere für die Weiterentwicklung von Kupferstichen zur Buchillustration – eine eigene Kultur, die sich etwa im Umfeld von Verlagshäusern wie Plantijn ansiedeln und entwickeln konnte.19 Aufgrund von neuem Archivmaterial kann van Groesen zeigen, dass Theodor de Bry die Zeit zwischen 1577 und 1585 nicht wie bisher angenommen in Straßburg, sondern in Antwerpen verbrachte – eine Phase, die ihn maßgeblich geprägt hat: In Antwerpen perfektionierte er seinen Stil als Kupferstecher und legte so den Grundstein zu seiner Karriere. Als Mitglied in der Antwerpener Goldschmiedegilde und in der angesehenen Künstlergilde von St. Lukas baute er ein Netzwerk von Freunden, Künstlern und Förderern auf, das auch nach seiner Emigration nach Frankfurt/Main bestehen bleiben und ihm auch dort von Nutzen sein sollte. 2008 hat van Groesen in seiner Dissertation The Representations of the Overseas World in the De Bry Collection of Voyages (1590–1634)20 zum einen die Familien- und Verlagsgeschichte der de Brys, zum anderen deren privates und geschäftliches Netzwerk recherchiert und so weitere Ansatzpunkte für die Einordnung der Frankfurter Kupferstecherfamilie in ihren intellektuellen und gesellschaftlichen Kontext geliefert. Seine Einordnung des Vaters und der Söhne de Bry als geschäftstüchtige Verleger und Geschäftsmänner und deren extreme Marktorientierung widerlegt die These von der streng konfessionellen Ausrichtung der de Bry’schen Reisesammlung. Zentrale These der Dissertation van Groesens ist die von den de Brys vorgenommene Verwilderung und Homogenisierung der Anderen, seiner Analyse zufolge betonen die de Brys gerade das Monströse und Exotische fremder Welten. Einen ganz anderen Zugang wählt Susanna Burghartz wiederum in einem Aufsatz von 2008. In Transformation und Polysemie. Zur Dynamik zwischen Bild, Text und Kontext in den Americae der de Bry betont sie die Heterogenität der Reisesammlung.21 Exemplarisch untersucht sie den zweiten Band der de Bry’schen Amerika-Reihe, geht dabei vor allem auf die Brüchigkeit von Text- und Bilderzählung ein und verweist auf die vielfältigen Bedeutungstransformationen innerhalb der Grands Voyages. Gerade in der Polysemie sieht sie eine

18 Michiel van Groesen, De Bry and Antwerp, 1577–1585. A formative period, in: Susanna Burghartz (Hg.), 2004, S. 19–46. 19 Siehe dazu auch das Kapitel 1. 20 Van Groesen, 2008. 21 Susanna Burghartz, Transformation und Polysemie. Zur Dynamik zwischen Bild, Text und Kontext in den Americae der de Bry, in: Ulrike Ilg (Hg.), Text und Bild in Reiseberichten des 16. Jahrhunderts. Westliche Zeugnisse über Amerika und das Osmanische Reich, Venedig 2008, S. 233–268.

Einleitung  |

13

„besondere Chance dieser Art von Reisesammlung: Ihr kann es gelingen, Stereotypisierung in den Bildern und Interpretationen des Fremden mit einer spezifischen Uneindeutigkeit und Vielfalt im Einzelnen zu verbinden. Eine solche Form von Heterogenität produziert diejenige Geschmeidigkeit, die notwendig ist, 22

um eine Sammlung als imaginäres Archiv langfristig nutzbar zu halten.“

Die neuen Forschungen von van Groesen und Burghartz zeigen Theodor de Bry und seine Söhne an der Schnittstelle unterschiedlicher Kulturen (deutsch, flämisch, englisch, französisch, niederländisch) und zugleich über ihre calvinistischen Beziehungen und künstlerischen und verlegerischen Interessen eingebunden in europäische Netzwerke, deren Mittelpunkte sich im Laufe ihrer Tätigkeit zunehmend verschoben und durch den neu aufkommenden gesamteuropäisch ausgerichteten niederländischen Buch- und Druckmarkt wesentlich mitgeprägt wurden. Die auf die Niederlande zielende Ausrichtung seit der Wende zum 17. Jahrhundert ist vor allem für die Petits Voyages von zentraler Bedeutung, begleitete doch dieses Projekt des Verlagshauses de Bry die niederländische Expansionspolitik nach Übersee von Anfang an. Allerdings haben die Petits Voyages, wie bereits festgestellt, in der Forschung bisher noch weniger Aufmerksamkeit erfahren als die bekannteren Grands Voyages. Friedemann Berger, der zwischen 1979 und 1981 alle Kupferstiche der Grands und der Petits Voyages in einer vierbändigen Ausgabe neu herausgegeben hat, sieht in seiner umfangreichen Einleitung zu den Petits Voyages von 1981 das de Bry’sche Sammlungsunternehmen als typisches Projekt des „militantmerkantilen Zeitalters“. Er weist, zu Recht, auf dessen spezifische politische und ökonomische Entstehungsbedingungen hin und positioniert die Sammlung an einer historischen Wende. Zum einen interpretiert er die west- und ostindischen Reisen der de Brys als Ausdruck der Tatsache, dass „die erste Etappe der neuzeitlichen Entdeckungen und ihrer verlegerischen Widerspiegelung endgültig zu Ende“ gegangen sei, betont aber zum anderen auch, dass gerade die charakteristischen Kupfertafeln dieses Werkes „auf die völkerkundlichen Bestrebungen des 18. und 19. Jahrhunderts“ vorauswiesen.23 In ihrer Habilitationsschrift von 1994 Indien im Spiegel deutscher Quellen der Frühen Neuzeit (1500–1750). Studien zu einer interkulturellen Konstellation untersucht Gita Dharampal-Frick die Entwicklungen und Veränderungen des Indienbildes im frühneuzeitlichen deutschen Sprachraum.24 Allerdings geht sie auf das de Bry’sche Editionswerk nur am Rande ein, weil sie sich in ihrer Analyse überwiegend auf im Original deutschsprachige Quellen bezieht. Auch sie konstatiert als Folge „des verstärkten Engagements der Holländer und Engländer in Seehandel und kolonialer Expansion“ ein wachsendes „kulturelles Interesse an der außereuropäischen Welt.“ Und in diesen Zusammenhang stellt sie auch die de Bry’schen Editionen von Reiseberichten aus West- und Ostindien und betont die didaktisch geschickte Wirkung der

22 Burghartz, 2008, S. 268. 23 Friedemann Berger, 1981, Bd. II, S. 31 ff. 24 S. Anm. 1.

14 |  Einleitung

großformatigen Kupfertafeln, die einem an Unterhaltung interessierten Publikum Anschauungsmaterial zum exotisch-fernen indischen Subkontinent lieferten.25 2003 publizierte Ernst van den Boogaart unter dem Titel: Heathendom and civility in the Historia Indiae Orientalis. The adaptation by Johan Theodor and Johan Israel de Bry of the edifying series of plates from Linschoten’s Itinerario eine erste interessante Detailuntersuchung zu den Bänden II bis IV der Petits Voyages.26 Van den Boogaart zeigt, dass die Abfolge der in Jan Huygen van Linschotens editio princeps abgedruckten Kupferstiche (aus der Amsterdamer Werkstatt van Doetecum) eine ethnische Hierarchisierung der asiatischen Gesellschaften darstellt – beginnend mit dem wohlhabenden und einflussreichen China, endend mit Malabar als Beispiel einer armen, verdorbenen und schwachen Gesellschaft. Es ist der Verfall zum Barbarentum, der damit skizziert wird.27 Die Brüder de Bry übernahmen die Idee der ethnischen Hierarchisierung zwar, kehrten sie aber um: Ihre Kupferstiche präsentieren die Gesellschaften Asiens von den „barbarischen“ zu den „zivilisierten“, wobei das portugiesisch dominierte Goa die Spitze bildet und damit auch das von Linschoten geachtete China an „Zivilisiertheit“ überragt. Die de Brys orientierten sich jedoch auch an den geografischen Realitäten und ermöglichten dem Leser/Betrachter dadurch eine imaginäre Reise von West nach Ost, von Schwarzafrika nach China. Dabei wollten sie nach Auffassung van den Boogaarts zeigen, dass europäische Reisende in Asien mit vielen barbarischen und manchen zivilen Regionen und allen Facetten heidnischer Rituale und Bräuche konfrontiert werden. Die Untersuchungen van den Boogaarts weisen darauf hin, dass die de Brys Linschotens Vorlagen und die Originale aus der niederländischen Werkstatt bewusst und mit System modifiziert haben. Ein weiterer Aufsatz von Ernst van den Boogaart aus dem Jahr 2004 macht deutlich, dass in den Grands und vor allem in den Petits Voyages neben einem Amerika- und einem Asienbild auch ein Afrikabild für das europäische Publikum konstruiert wurde. In De Brys’ Africa28 untersucht van den Boogaart die Kupferstiche der Petits Voyages zum Kongo, zu Mozambique, Südafrika, der Goldküste, Benin, Kap Lopez und Gabun. Er fragt nach dem in den Illustrationen vermittelten Afrikabild und konstatiert, dass diese keine wirklichkeitsgetreuen Repräsentationen darstellen; vielmehr dienten sie den Rezipienten als Anleitung zur systematischen Sammlung und Ordnung der in den Texten enthaltenen ethnografischen Informationen. Zudem regten sie die Betrachter dazu an, die vorgestellten afrikanischen Gesellschaften nach dem Grad ihrer Zivilisation zu vergleichen und zu bewerten.

25 Dharampal-Frick, 1994, S. 50 f. 26 Ernst van den Boogaart, Heathendom and civility in the Historia Indiae Orientalis. The adaptation by Johan Theodor and Johan Israel de Bry of the edifying series of plates from Linschoten’s Itinerario, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 53,1 (2002), S. 71–106. 27 Siehe dazu auch Ernst van den Boogaart, Jan Huygen van Linschoten and the Moral Map of Asia: The Plates and Text of the Itinerario and Icones, London 1999, und ders., Civil and Corrupt Asia. Image and Text in the Itinerario and the Icones of Jan Huygen van Linschoten, London 2003. 28 Ernst van den Boogaart, De Brys’ Africa, in: Susanna Burghartz (Hg.), 2004, S. 95–156.

Einleitung  |

15

In ihrem Aufsatz Ethnographische Illustrationen zwischen Propaganda und Unterhaltung. Ein Vergleich der Reisesammlungen von de Bry und Hulsius29 setzt sich die Ethnologin Jutta Steffen-Schrade mit der Frage nach dem ethnografischen Wert der Illustrationen bei den de Brys auseinander und zieht für diesen Vergleich erstmals die zur gleichen Zeit ebenfalls in Frankfurt erscheinende Reisesammlung von Levinus Hulsius hinzu, die weitgehend auf die gleichen Texte zurückgreift wie die Sammlung der de Brys.30 Steffen-Schrade kann feststellen, dass sich die beiden Sammlungen, trotz einiger Gemeinsamkeiten, vor allem in der Illustrierung unterscheiden. Einen Grund für diese Differenzen sieht sie in den unterschiedlichen Ausrichtungen der Herausgeber: Theodor de Bry war in erster Linie Künstler und Kupferstecher, der Wert auf die künstlerisch-ästhetische Gestaltung seiner Werke legte, während Levinus Hulsius sich als vielseitig interessierter Autor und Verleger sah, der das Wissen in der Welt mehren wollte und dessen Illustrationen daher in erster Linie eine veranschaulichende, unterstützende Funktion erfüllen. Zudem sprachen beide Reisesammlungen unterschiedliche Rezipientenkreise an: Während die de Brys die zahlungskräftigere Oberschicht mit kostbaren Foliobänden versorgen wollten, zielte Hulsius mit seinen kleineren, weniger aufwendigen und daher billigeren Büchern eher auf ein breiteres Lesepublikum. Der 2006 in den Wolfenbütteler Barock-Nachrichten erschienene Aufsatz Die Fremde mit der man(n) rechnen muß … Afrika und Asien in den Petits Voyages (1597–1618) aus der Werkstatt de Bry von Anna Greve31 fragt nach dem in den Illustrationen der Petits Voyages vermittelten Afrikabild und erstmals auch nach dem Indienbild. Die Autorin vergleicht die Nachdrucke der Petits Voyages mit den – meist – niederländischen Originalen, berücksichtigt dabei allerdings nur die ersten sechs Teile der Sammlung. Nach der Analyse dieser Kupferstiche konstatiert sie, dass auch in den Petits Voyages keine Rückreiseszenen abgebildet wurden, und schließt, wie schon in ihrer Untersuchung zur Amerika-Serie, auch hier auf einen, durch die Stiche vermittelten, europäischen Anspruch auf die bereisten Gebiete. Sie liest die Petits Voyages als „eine Anleitung zur interkulturellen Begegnung in einem multiethnischen Geflecht“32; dabei seien Toleranz und Respekt jedoch ausgeschlossen gewesen, das Kennenlernen des Anderen sei – bedingt durch die kaufmännischen Interessen der Reisenden – „schlicht notwendig“ gewesen.33 Greve schließt mit der (unbeantworteten) Frage, warum die Petits Voyages in der Forschung bisher so viel weniger Beachtung fanden als die Grands Voyages. 29 Jutta Steffen-Schrade, Ethnographische Illustrationen zwischen Propaganda und Unterhaltung. Ein Vergleich der Reisesammlungen von De Bry und Hulsius, in: Susanna Burghartz (Hg.), 2004, S. 157–195. Obwohl Steffen-Schrade auch die Petits Voyages zu einer Untersuchung heranzieht, liegt der Schwerpunkt ihrer Analyse auf den Bildern der Grands Voyages (insbesondere auf dem Amerikareisebericht Ulrich Schmidels), die sie vergleichend den entsprechenden Berichten und Illustrationen der Schiffahrten von Levinus Hulsius gegenüberstellt. 30 Levinus Hulsius (1546–1606) begründete eine Sammlung von 26 Schiffahrten der Holländer und Seeländer nach Ost- und West-Indien, wie auch nach Norden (Nürnberg/Oppenheim/Hanau 1598–1660); im Folgenden: Hulsius, Schiffahrten. Zu Hulsius und seiner Sammlung vgl. auch das Kapitel 1. 31 Anna Greve, Die Fremde mit der man(n) rechnen muß … Afrika und Asien in den Petits Voyages (1597–1618) aus der Werkstatt de Bry, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 33,1 (2006), S. 1–28. 32 Greve, 2006, S. 24. 33 Ebd.

16 |  Einleitung

Zusammenfassend lässt sich zum Forschungsstand festhalten, dass nach wie vor erstaunlich wenige Forschungsarbeiten, vor allem wenig monografische, zu den beiden de Bry’schen Reiseserien vorliegen. Während die Literatur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts die kritiklose Zusammenstellung der Berichte durch die Werkstatt de Bry, die häufig fehlerhafte Übersetzung der Originaltexte und die Beifügung sachlich falscher Informationen bemängelte und deren mangelnde Wissenschaftlichkeit konstatierte,34 wurde den Kupferstichen vor allem des Vaters Theodor de Bry schon früh ein zumindest künstlerischer Wert beigemessen. Auch wenn die Kritik am angeblich geringen Informationswert der Sammlungen neueren Ansätzen aus der Wissenschaftsgeschichte bzw. der Geschichte des Wissens wie auch neueren sammlungsgeschichtlichen Überlegungen nicht mehr standhalten würde, hat doch auch die jüngere und jüngste De-Bry-Forschung die Texte der beiden Reise-Serien weitgehend ignoriert und sich auf die Analyse der Kupferstiche der Grands und jüngst auch der Petits Voyages konzentriert.35 Dabei lag bis jetzt der Schwerpunkt der Forschung ganz eindeutig auf der Amerika-Reihe. Mit ihrer Indien-Reihe begleiteten die de Brys die niederländische Expansion nach Asien, wie bereits erwähnt, von Anfang an. Sie waren Teil eines weitverzweigten Netzwerks niederländischer Verleger, Drucker, Kartografen und Kupferstecher, die sich vornehmlich in den Zentren London, Antwerpen, Amsterdam und Frankfurt bewegten. Innerhalb dieses Netzwerks wurden Texte, Bilder, Karten und einzelne Text-/Bildelemente intensiv und mit einer bemerkenswerten Aktualität verbreitet, transformiert und in neuen Bedeutungszusammenhängen verarbeitet. Dabei wurden Bedeutungsverschiebungen und Umwertungen, aber auch Fixierungen und dominante Stereotypisierungen vorgenommen, die das Wissen der Europäer über Außereuropa auf lange Sicht prägten. Wie aber haben die de Brys den Bild- und Wissensspeicher der Zeit zu fremden Welten genutzt und zugleich auch beliefert, erweitert und gestaltet? Welches Wissen also wird in den Texten und Bildern erzeugt? Diesen Fragen widmet sich die vorliegende Arbeit. Anhand der Analyse spezifischer europäischer Muster, Narrative und Vorstellungen wird dabei vor allem auch die Konzeption und Konstruktion der eigenen Wirklichkeit in den Blick genommen.36 Es soll in der vorliegenden Arbeit also vor allem darum gehen, zu erkunden, was die Reflexion und das Schreiben über fremde Welten im Umkehrschluss über die eigene Welt auszusagen vermögen.

34 Jacques Charles Brunet, Manuel du libraire et de l’amateur de livres, Paris, Nachdruck: Berlin 1922, oder Max Böhme, Die grossen Reisesammlungen des 16. Jahrhunderts und ihre Bedeutung, Straßburg 1904. 35 S. Boogaart, 2004, Greve, 2006, und van Groesen, 2001, 2006 und 2008. 36 Vgl. Achim Landwehr, Das Sichtbare sichtbar machen. Annäherungen an ,Wissen‘ als Kategorie historischer Forschung, in: ders. (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens, Augsburg 2002. S. 61–89, sowie Peter L. Berger & Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt/Main 1969.

Einleitung  |

17

Der Arbeit liegt ein weitgefasster, an den Erkenntnissen der neueren Kulturwissenschaften orientierter Wissensbegriff zugrunde.37 Aufbauend auf den Überlegungen Karl Mannheims38 werden Wissen und Gesellschaft danach als reziprok aufeinander bezogen betrachtet. Wissen bezieht sich auf die Wirklichkeit und erhebt den Anspruch auf Wahrheit. Sowohl das Wissen als auch die Wirklichkeit, auf die es sich bezieht, sind sozial konstruiert – also wird auch das, was wahr ist, gesellschaftlich produziert. „Die Wirklichkeit, in der wir uns bewegen, erscheint uns als real, weil sie sich aus Wissensbeständen speist, die sie mit Bedeutung erfüllen.“39 In der historischen Erforschung des Wissens einer Gesellschaft steht also die Frage im Mittelpunkt, „wie Gesellschaften ihre Wirklichkeit mit Bedeutungen belegen und symbolisch aufladen, diese Wirklichkeit in Form von Wissensbeständen hervorbringen und akzeptieren.“40 Wenn Wissen als gesellschaftliches Phänomen verstanden wird, dann gibt es keine Form des Wissens, die man von einer historischen oder soziologischen Untersuchung ausschließen könnte; dieser weite Wissensbegriff schließt Ideen und Ideologien, Rechts- und Moralvorstellungen, Glaube und Magie, Techniken, Philosophien, das sogenannte Alltagswissen u.v.m. mit ein. Wenn so viele Bereiche innerhalb einer Kultur als Wissen begriffen werden, ist es wichtig, die Bedeutung von Kategorisierungen zu betonen. Mithilfe von Kategorien werden Aus- und Einschlüsse, Gliederungen, Grenzziehungen und Klassifizierungen vorgenommen, sie stellen grundlegende Unterscheidungsraster zur Verfügung, mittels derer die Menschen einer Gesellschaft die sie umgebende Welt mit Sinn belegen. „Gesammeltes materiales Wissen über Dinge und Begriffe wird mit Hilfe von Kategorien eingeteilt, miteinander in Beziehung gesetzt, voneinander abgegrenzt – und damit überhaupt erst zu Wissen gemacht!“41 Die hier untersuchten Wissensfelder, denen sich die einzelnen, in sich abgeschlossenen Kapitel der Arbeit widmen werden, beziehen sich allesamt auf Welten, die als von der eigenen abgegrenzt begriffen werden: die fremden überseeischen Gebiete und ihre Bewohner, das sexuell Andere des männlichen Beobachters, Autors, Verlegers und Lesers, das Transzendente und das dem Land entgegengesetzte Meer. Die Sammlung wird dabei nach Stephen Greenblatt als eine unbeständige, offene, kollektive Textproduktion verstanden, in der sich Bilder und Repräsentationen wie auf einem Konto anhäufen, die nicht nur als Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet werden können, sondern darüber hinaus auch selbst ein gesellschaftliches Verhältnis darstellen, das mit sozialen Hierarchien, Konflikten und Strukturen in anderen Bereichen der Kultur

37 Vgl. u.a. E. Doyle McCarthy, Knowledge as Culture. The new sociology of knowledge, London/New York 1996; Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner, Bettina Wahrig-Schmidt, Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, in: dies. (Hg.), Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, Berlin 1997, S. 7–21. 38 Karl Mannheim gilt als Begründer der modernen Wissenssoziologie, vgl. dazu Berger & Luckmann, 1969, S. 9 ff. 39 Landwehr, 2002, S. 71. 40 Ebd., S. 72. 41 Ebd., S. 68.

18 |  Einleitung

verknüpft ist42 – diese Repräsentationen sind, so drückt es Greenblatt aus, „nicht nur Produkte, sondern auch Produzenten“ und können „insofern die Bedingungen, denen sie ihre Existenz verdanken, entscheidend verändern“.43 Die Repräsentationen der Petits Voyages werden also nicht als realitätsgetreue Wiedergaben verstanden, sondern als diskursive Inszenierungen, die mit herrschenden Diskursen verknüpft, von ihnen beeinflusst sind und auf diese zurückwirken.44 Die Texte und Bilder sind selbst – wie Hildegard Frübis es formuliert hat – „ein Konstituens im Fadenkreuz verschiedener Diskurse“45, sie sind Konstruktionen, die Machtverhältnisse (re)produzieren. In der Analyse dieser Konstruktionen geht es jedoch weniger um einen rezeptionsgeschichtlichen denn um einen rezeptionsästhetischen Ansatz; also nicht darum, die Übersetzungen der de Brys mit den Originalen zu vergleichen und die von ihnen vorgenommenen Modifizierungen zu analysieren, vielmehr stehen das Fortschreiten der Sammlung, die Frage nach den Wirkungen der Texte und der Bilder, die Untersuchung der verschiedenen Angebote, die für den Leser/Betrachter zur Verfügung gestellt werden, als methodischer Zugang im Zentrum. Die Petits Voyages werden als vielschichtiger Wissensraum begriffen, der ganz unterschiedliche Konstruktionen fremder Wirklichkeiten in sich vereinigt, die wiederum Rückschlüsse auf die Konstruktion der eigenen Wirklichkeit zulassen; dabei soll es jedoch nicht vorrangig um die Intentionen der Verleger, Kupferstecher und Herausgeber gehen, sondern es sollen die möglichen Effekte und Wirkungen der Wissens- und Wirklichkeitskonstruktionen herausgearbeitet werden. Diese spezifischen Effekte der Serie werden sowohl in der Analyse der einzelnen Kupferstiche, der Subscriptiones, der Paratexte, des Bild-/Textverhältnisses als auch in der Bildfolge fassbar.46 Erst durch die Einbeziehung der verschiedenen Ebenen werden Bedeutungsverschiebungen und Umwertungen erkennbar, werden verschiedene Erzählstrategien und Ambivalenzen sichtbar. Die spezifische Zusammenstellung der Bilder, Textfragmente und der Haupttexte erzeugt ein Spannungsverhältnis, das unterschiedliche Deutungsangebote kombinierbar macht, aber auch zueinander in Konkurrenz treten lässt. Gerade das Text-/Bildverhältnis ist dabei von besonderem Interesse. Die Beziehung zwischen Wort und Bild ist in der Kunstgeschichte der vergangenen Jahrzehnte kontrovers diskutiert worden.47 Und auch in historischen Darstellungen der letzten Jahre sind Bilder als Quellen immer beliebter geworden. Diese Hinwendung zum Bild reiht sich ein in den iconic 42 Stephen Greenblatt, Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker, Berlin 1994, S. 16. 43 Ebd. 44 S. dazu auch Christian Kiening, Das wilde Subjekt. Kleine Poetik der Neuen Welt, Göttingen 2006. 45 Hildegard Frübis, Die Wirklichkeit des Fremden. Die Darstellung der Neuen Welt im 16. Jahrhundert, Berlin 1995, S. 12. 46 Vgl. Burghartz, 2008. 47 Zum kunsthistorischen Methodenstreit vgl. Daniela Hammer-Tugendhat, Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 232 ff.

Einleitung  |

19

turn, bei dem es jedoch um mehr geht als den bloßen Einbezug von Bildern als Quellen. Der Verlagerung des Interesses von der Realität auf die Sprache im linguistic turn folgt die Betonung des ikonischen Logos: Bilder können sprachunabhängige Bedeutungen produzieren und transportieren, sie bieten eine eigene nichtsprachliche Erkenntnisweise.48 Dabei geriet vor allem auch die Frühe Neuzeit stärker in den Blick. In jüngeren Arbeiten zu Bildlichkeit und Bildtheorien wurde sie als besonders visuelles Zeitalter bezeichnet. So sieht Carsten-Peter Warncke die Frühe Neuzeit als „Epoche einer einzigartigen, sich in der Fülle neuer Formen manifestierenden und auch theoretisch breitest fundierten Hochschätzung des Bildes“.49 Noch unvermindert gültig in dieser Zeit war der bekannte Grundsatz von Horaz für die generelle Parität und Übersetzbarkeit von Bild und Text: ut pictura poesis – wie in der Malerei so in der Dichtung. Bereits die Rhetorik der Antike hatte sich mit der evidentia beschäftigt, mit dem Vor-Augen-Führen (pro ommaton poiein) als wirkungsvollem Stilmittel und der Frage, wie man Dinge mit sprachlichen Mitteln lebendig werden lässt, wie man also den Leser zum Augenzeugen macht. Und unter dem Stichwort Ekphrasis wurde noch bis ins 18. Jahrhundert diskutiert, wie man Kunstwerke in Sprache übersetzen könne.50 Auch hier wird eine grundsätzliche Vergleichbarkeit von Text und Bild vorausgesetzt. Durch die Medienrevolutionen des 15. Jahrhunderts (Buchdruck, Kupferstich) erlangten Bilder und Texte nicht nur völlig neue Reichweiten und Wirkungskreise, es entstanden außerdem neue Text-Bild-Medien (illustrierte Flugblätter) und bimediale Gattungen wie die illustrierten Reiseberichte.51 Die traditionelle symbolische Bildauffassung hatte das Bild vor allem als Zeichen gesehen, als etwas, das sinnbildlich für etwas anderes steht und entsprechend zu deuten ist. Mit der Entdeckung der Zentralperspektive und einer mit ihr einhergehenden zunehmend realistischeren Malweise entstand jedoch neben der symbolischen Auffassung auch „eine neue, mimetische Bildauffassung, die im Bild kein Zeichen, sondern ein Abbild, die realistische Wiedergabe der Wirklichkeit sah. Mimesis, das Nachahmungsprinzip, die Abbildhaftigkeit des Dargestellten – das wurde zum Paradigma der frühneuzeitlichen Künste.“52 Klaus Niehr hat für die Frühe Neuzeit denn auch einen neuen Konkurrenzkampf von Bild und Schrift ausgemacht: „Bilder werden zu absolut vertrauenswürdigen Zeugen hochgestuft; sie werden in den Rang des Wahren erhoben. Die dadurch vermittelte Botschaft ist klar: Wahre Bilder sind perfekte Wiedergaben einer wie 48 Zu den verschiedenen turns in den Kulturwissenschaften vgl. Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 2006. Zum iconic turn vgl. u.a. den Sammelband von Hans Belting (Hg.), Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München 2007. 49 Carsten-Peter Warncke, Symbol, Emblem, Allegorie. Die zweite Sprache der Bilder, Köln 2005, S. 7. 50 S. Birgit Emich, Bildlichkeit und Intermedialität in der Frühen Neuzeit. Eine interdisziplinäre Spurensuche, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), S. 31–56. Vgl. dazu auch die Sammelbände von Gabriele Wimböck (Hg.), Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Berlin/Münster 2007, und Silke Horstkotte (Hg.), Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text, Köln/Weimar/Wien 2006. 51 Vgl. dazu Birgit Emich, 2008, S. 51. Zum Bild-/Textverhältnis in frühneuzeitlichen Reiseberichten vgl. auch den Sammelband von Ulrike Ilg, 2008. 52 Emich, 2008, S. 53.

20 |  Einleitung

auch immer gearteten Vorlage; sie geben weder Zuviel noch Zuwenig, sondern halten das rechte Maß; 53

Erfindung und Phantasie bleiben in engen Grenzen, wenn sie nicht sogar ganz ausgeschlossen sind.“

In der Tat galt der Sehsinn als der wichtigste aller Sinne für die Erkenntnis und das Auge als Zugang zur Seele, wie auch ein Blick in die zeitgenössischen Sehtheorien zeigt: So räumt der Polyhistor Hippolitus Guarinonius (1571–1654) dem Sehsinn Vorrangigkeit vor allen anderen Sinnen ein und begründet dies mit der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung.54 Der große Vorteil der Bilder liegt nach Guarinonius einerseits in der Imitation, mit der „der natur formb unnd weiß nach“ „jene sachen vor augen in ihrer gestalt fürgestellet werden, als wann sie selbsten allda zugegen stünden“, vor allem jedoch in der Fähigkeit, dem Betrachter die Welt wie durch ein Brennglas zu bündeln und darzubieten, ohne dass dieser sein Haus verlassen müsse. Ein Bild könne so die ganze Welt vor Augen stellen, „wann in einem engen Hauß, Zimmer, oder an einer schmalen Wandt, nicht nur ein Stadt, ein Gegend, ein Landtschafft, sondern die gantz Welt vor augen dargestelt wird, darin das Menschlich Gemüt, ohn all bereittschaft, gefahr, mühe zörung, ohne faren reitten, schöffen, allenthalben, wo es ihm gefällig einkehren […] und bey oder hinder dem warmen Kachelofen durch Italien / Hispanien / Franckreich / Türckey / ec. Reysen mag.“

Besonders wirkten nach Auffassung des Polyhistors Kupferstiche oder Gemälde auf Geist und Sinne. So legten Kupferstiche dem Geist die ganze Welt zu Füßen, lenkten ihn „balt gen Himmel, bald durch wilde Bürg, durch Wälder, durch umb auff dem Feld, über ein kleins in Kriegswesen“ und enthüllten und präsentierten darüber hinaus das gesamte Spektrum an Historien, Wundern und Erscheinungen der Natur. Bilder also, so fasst Gabriele Wimböck die Beobachtungen des Guarinonius zusammen, „vermögen die Welt in komprimierter Form einzufangen und dies auf eine ungleich eindringliche Weise, der sich der Mensch nicht entziehen und der er nicht entgehen kann“55. Und so wächst die Zahl der „wahrhaftigen Darstellungen“, „wahren Bilder“ und der Bilder „nach dem Leben“ bis um 1600 stetig an. Gerade für die Gattung der Reiseberichte ist Augenzeugenschaft das entscheidende Kriterium für eine verlässliche und glaubwürdige Schilderung. Immer wieder wird daher die Bedeutung des Sehens für die Präsentation exotischer Dinge und merkwürdiger Begebenheiten betont.56

53 Klaus Niehr, Verae imagines – Über eine Abbildqualität in der frühen Neuzeit, in: Frank Büttner & Gabriele Wimböck (Hg.), Das Bild als Autorität. Die normierende Kraft des Bildes, Münster 2004, S. 261–302, hier: S. 271. 54 Siehe dazu Gabriele Wimböck, Die Autorität des Bildes – Perspektiven für eine Geschichte vom Bild in der Frühen Neuzeit, in: Frank Büttner & Gabriele Wimböck (Hg.), 2004, S. 9–42, hier: S. 10. Die folgenden Zitate des Hippolitus Guarinonius sind zitiert nach Wimböck, 2004, S. 10 f. 55 Wimböck, 2004, S. 11. 56 Zur Rhetorik der Augenzeugenschaft als Strategie frühneuzeitlicher Reiseberichte vgl. Wolfgang Neuber, Fremde Welt im europäischen Horizont: Zur Topik der deutschen Amerika-Reiseberichte der frühen Neuzeit, (= Philologische Studien und Quellen, 121), Berlin 19912.

Einleitung  |

21

Auch die de Brys preisen in einem ihrer Vorworte den Vorzug ihrer reich bebilderten Reisesammlung und machen diesen gerade an der spezifischen Bild-/Textkombination fest: „Dann in diesen Historien kann einer in seinem Bett oder in seiner Schreibstuben gleichsam als in Indien herumb spatzieren / sintemalen er nicht allein die vollkommene Beschreibung lesen / sondern auch die Stätte / Inseln / und alles was daselbst zusehen gleichsam leibhafftig und lebendig abgemahlet und zuge57

gen haben.“

Dem Leser wird durch die Texte eine „vollkommene Beschreibung“ geliefert, aber erst durch die Leibhaftigkeit der Bilder hat er alles wirklich „zugegen“. Die Stiche sollen das Ungesehene sichtbar machen. Die Kupferstecher betonen hier zwar die Einheit von Bild und Text, deuten aber bereits auch die in ihren Augen bestehende Überlegenheit der Bilder an.58 Deutlicher noch wird dies in einem weiteren Vorwort ihrer Reisesammlung: „Es hat aber Gott der Herr den Menschen unter andern / auch die Kunst des Malens / Kunststechens / Reyssens / vnd deren verwanten Künsten geoffenbaret dadurch seine Wunderwerck / desto rühmlicher vnnd ansehnlicher zumachen / sintemal hiedurch könen für Augen gestellet werden solche Dinge / die vber viel tausend Meilen zusehen / sich zugetragen vnd geschehen seynd / welche uns sonst wol verborgen blieben / dann ob wol dieselben / etlicher massen auch durch den Truck der Schrifft können offenbar gemacht werden so bleiben sie doch gleichsam Tod oder verfinstert / wann sie nicht durch diese Kunst illumineret vnd gleichsam lebendig gemacht werden / sintemahl durch die figürliche Fürbildung vns alles dermaßen für Augen gestellet werden kann / als wann wir an den Orten selbst zugegen weren / vnd alles 59

Persönlich mit unsern Augen selber sehen.“

Die Texte können das „Wunderwerk“ fremder Welten offenbaren, erst durch das Bild aber werden sie „erleuchtet“. Die Bilder illuminieren den Text, sie machen das Erzählte lebendig. Durch das Bild wird der Text, aber auch das Abgebildete, zugänglicher und wahrhaftiger – „als wann wir an den Orten selbst zugegen weren“. Das Bild bezieht den Betrachter mit ein; durch das Bild wird er zum Augenzeugen und bestätigt durch seine Augenzeugenschaft wiederum die Wahrhaftigkeit der Abbildung, da er alles persönlich mit seinen Augen sehen kann. Damit kann nicht nur eine Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Medien konstatiert werden, sondern auch eine zwischen Medium und Rezipient. Die Bilder beziehen den Betrachter – nach Auffassung der de Brys – jedoch stärker ein als der Text den Leser. Den de Brys geht es hier um eine Vergegenständlichung von Handlungen oder Erlebnissen, dabei räumen sie den kunstvollen Bildern eine höhere Bedeutung ein, da sie im Gegensatz zum Text unmittelbarer und sinnlicher wahrgenommen werden. Damit gehen die de Brys nicht mehr von einer Gleichwertigkeit von Bild und Text aus, sondern betonen die Überlegenheit 57 Petits Voyages, Bd. IX, S. 2. 58 Vgl. dazu auch Burghartz, 2008. 59 De Bry, Petits Voyages, Bd. IV, S. 2.

22 |  Einleitung

der Bilder; durch sie erfährt der Betrachter die wahre Beschreibung, durch sie werden die toten und verfinsterten Erzählungen der Texte erst lebendig. Es sollte deutlich geworden sein, dass es einer solchen frühneuzeitlichen Sammlung nicht gerecht werden kann, Bild und Text getrennt voneinander zu betrachten, war man doch in dieser Zeit von der Wechselwirkung der verschiedenen Medien überzeugt. Das Verhältnis von Bild und Text wird auch von den de Brys mehrfach thematisiert und problematisiert; das intermediale Zusammenspiel kann als ein herausragendes Merkmal der Frankfurter Reisesammlung betrachtet werden und so ziehen sich Fragen danach durch alle Kapitel der vorliegenden Arbeit. Das Kapitel 1 stellt als Erweiterung der Einleitung, aufbauend auf den Forschungen Greves und van Groesens, die Kupferstecher- und Verlegerfamilie de Bry, ihr Opus magnum und den Verlagsort Frankfurt am Main vor. Dank der Frankfurter Messe hat sich die Stadt im Verlauf des 16. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Zentren des Handels, der Wissensvermittlung und des geistigen Austauschs entwickelt. Vater und Söhne de Bry werden als einflussreiche Bürger Frankfurts präsentiert, die vielfältige Kontakte zu Diamant- und Seidenhändlern, Malern, Gelehrten, Verlegern und Kartenmachern pflegten und in einem weitverzweigten europäischen Netzwerk interagierten. Das zweite Kapitel widmet sich dem eigentlichen und vorrangigen Motiv der europäischen Seereisen nach Indien und Südostasien: dem Handel. Hier rücken die frühen Indienfahrten der Niederländer und deren Repräsentationen in den Blickpunkt. Die de Brys hatten ein eigenes (ökonomisches) Interesse am Fortschreiten der niederländischen Expansion; sie waren in einem hohen Maße abhängig von den Geschäftsbeziehungen nach Antwerpen und Amsterdam und daran interessiert, dass der Zufluss neuer Bilder und Schriften über die überseeischen Unternehmungen nicht versiegte. Das Kapitel 2 beschäftigt sich mit den Verflechtungen von Wissen, Ökonomie und Macht. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie die Informationen aus Indien und Südostasien in Europa um 1600 gelesen, verarbeitet und modifiziert wurden und wie und auf welche Weise das Wissen über diese ersten Handelsfahrten und vor allem über die Handelsbedingungen vor Ort instrumentalisiert wurde. Im Spannungsfeld von Bild, Text und Kontext soll am Beispiel der frühen Berichte der de Bry’schen Reisesammlung gezeigt werden, wie in ihnen um die eigene Vormachtstellung und Dominanz gerungen, wie Superiorität inszeniert und konstruiert wurde. Dabei ist außerdem die Frage von Interesse, ob und inwiefern sich Rückwirkungen dieser Inszenierungen auf die wirtschaftlichen Prozesse im Zuge der niederländischen Expansion und der Entwicklung eines (früh)kapitalistischen Buchmarkts konstatieren lassen. Das Kapitel 3 wirft einen Blick auf die Funktionen der Zuschreibung sexueller Differenz. Das Thema wird in der Forschungsliteratur zu Asien- bzw. Indienberichten allenfalls am Rande behandelt60 – Analysen der Geschlechterkonstruktionen und damit der Machtverhältnisse 60 So etwa Michiel van Groesen, 2008; Joan-Pau Rubiés, Travel and Ethnology in the Renaissance. South India through European Eyes, 1250–1625, Cambridge 2001; ders., Travellers and Cosmographers. Studies in the History of Early Modern Travel and Ethnology, Aldershot 2007; Sven Trakulhun, Siam und Europa. Das Königreich Ayutthaya in westlichen

Einleitung  |

23

fehlen bisher. In diesem Kapitel sollen daher Strukturen, Modalitäten und Logiken, aber auch Brüche im europäischen Diskurs über das kulturell und sexuell „Andere“ herausgearbeitet werden. Wie wird sexuelle Alterität konstruiert? Wie werden Männlichkeit und Weiblichkeit inszeniert? Wie werden Geschlechterbeziehungen und Sexualität funktionalisiert? Wie und in welcher Weise werden weibliche und männliche „Körper“ zu einem Ort, an dem die Diskurse um Macht und Herrschaft ausgetragen wurden? Das Meer galt im Europa der Frühen Neuzeit als gänzlich fremde Welt, es war das dem Land Entgegengesetzte, das ganz Andere – bis in das 18. Jahrhundert hinein war das Meer ein Raum der Angst. Um zu den Reichtümern Amerikas, Indiens und Südostasiens zu gelangen, mussten sich die Menschen jedoch in die Weiten der Ozeane wagen. Sowohl Schiffe als auch nautische Instrumente und Karten können als Medien begriffen werden, mit deren Hilfe die Meere überwunden und beherrscht werden sollen. Das Kapitel 4 widmet sich vor allem den in den Petits Voyages abgebildeten Karten sowie den Schiffs- und Meeresdarstellungen: Wie schlägt sich der Wunsch nach Beherrschbarkeit in den unterschiedlichen Repräsentationen der de Bry’schen Reisesammlung nieder? Welche maritimen Räume werden entworfen, welche diskursiven Strategien zur Kontrolle dieser Räume entwickelt? In einem Großteil der bisherigen Forschungen zu den de Bry’schen Reisesammlungen wurden diese als calvinistische Propagandainstrumente gelesen; in jüngerer Zeit haben Anna Greve und Michiel van Groesen darauf hingewiesen, dass sowohl die Grands als auch die Petits Voyages für ein europäisches Publikum konzipiert worden waren und religiöse Diffamierungen – vor allem in den lateinischen Ausgaben – daher aus ökonomischen Interessen häufig gestrichen wurden. Sowohl die starke These von der streng konfessionellen Ausrichtung mit ihrer Fokussierung auf konfessionelle Dichotomien als auch die von der extremen Marktorientierung der Familie de Bry verstellt den Blick auf die Ambivalenzen und Zwischentöne einer Reisesammlung, die kurz vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges, in einer Zeit großer religiöser Verunsicherungen, entstanden ist. Das Kapitel 5 fragt danach, wie sich die Texte, Bilder und Paratexte der Reisesammlung mit dem Thema Glauben befassen. Wie stand man zum Übersinnlichen und Übernatürlichen, zur sogenannten anderen Welt? Wie beurteilte man den fremden Glauben daran und welche Rückwirkungen der Konfrontationen mit fremden Glaubensformen lassen sich konstatieren? Dabei sollen vor allem die Brüche und Widersprüche im konfessionellen und kolonialen Diskurs um 1600 herausgearbeitet werden. Nachdem in den vorherigen Kapiteln nach den spezifischen Effekten der Texte und Bilder der Petits Voyages gefragt wurde, beschäftigt sich das letzte Kapitel mit ihrer – auch längerfristigen – Wirkmacht. Es verfolgt die Zirkulations- und Transformationsprozesse innerhalb der Petits Voyages und über die Reisesammlung hinaus und zeichnet anhand einzelner Bilder, Berichten 1500–1670, Hannover-Laatzen 2006, oder Jürgen Osterhammel, Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998 – die beiden Letztgenannten mit stark deskriptivem Charakter. Für die Amerikaforschung immer noch wegweisend: Louis Montrose, The Work of Gender in the Discourse of Discovery, in: Representations 9,33 (1991), Special Issue: The New World, S. 1–41.

24 |  Einleitung

Bildelemente und ihrer Wirkungen nach, wie diese konkret funktionierten, wie durch sie das Andere als das Fremde fixiert und im weiteren Verlauf in den europäischen Wissenskanon integriert wurde.

Einleitung  |

25

1 DIE WERK STAT T DE BRY AL S ORT DER WISSENSPRODUK TION

Der spätere Verlagsgründer Theodor de Bry wurde 1527 oder 1528 (das genaue Datum ist unbekannt) in Lüttich als Sohn von Theodor de Bry d. J., einem Goldschmied, und Agnès geb. de Herve geboren. Nach Joseph Brassinne war der Vater zudem Abgeordneter im Stadtrat von Lüttich und ein prominentes Mitglied der Lütticher Goldschmiedezunft,61 offenbar hatte die Familie eine gehobene soziale Position inne und konnte demnach auch politisch und gesellschaftlich Einfluss geltend machen. Der Sohn Theodor de Bry geht im Vorwort einer seiner Publikationen aus den 1590er-Jahren kurz auf seine Herkunft ein: „quod vel meo ipsius exemplo edocuisse non mihi pudori sit, quippe qui, & parentibus honesto loco natis progeneratus, & opibus affluens, atque adeò inter honorationes Leodii vel primarius fuerim.“62 Vater de Bry hatte um 1550 einige Goldschmiedearbeiten für die St.-Lambert-Kathedrale angefertigt; vom Sohn sind keine Arbeiten aus dieser Zeit bekannt. Womöglich ist Theodor de Bry der Goldschmiedezunft nicht als Meister beigetreten und hat bis zu seiner Abreise aus Lüttich für seinen Vater gearbeitet.63 Noch vor 1560 emigrierte Theodor de Bry nach Straßburg, das genaue Datum ist unbekannt, doch taucht sein Name 1560 in den Registern der Goldschmiedezunft Straßburg und im Traubuch der Stadt auf.64 Die ältere De-Bry-Forschung hat die Flucht aus Lüttich als ausschließlich religiös motiviert interpretiert und mit den zunehmenden Spannungen in den burgundischen Gebieten begründet.65 Doch spielten sicherlich auch kommerzielle Motive eine Rolle für die Emigration; nach eigener Aussage

61 Joseph Brassinne, Les trois Thiry de Bry, in: Chronique archéologique du pays de Liège 1,1 (1906), S. 13–17. 62 Das Zitat stammt aus der Vorrede im ersten Band des Porträtwerks von Jean-Jacques Boissard, Icones quinquaginta virorum illustrium doctrina & eruditione praestantium ad vivum effictae, cum eorum vitis descriptis, Frankfurt/ Main 1597. Eine englische Übersetzung findet sich bei M. S. Giuseppi, The Work of Theodore de Bry and his Sons, Engravers, in: Proceedings of the Huguenot Society of London XI,2 (1916), S. 204–226, hier: S. 204. 63 Van Groesen, 2008, S. 52. 64 Van Groesen, 2008, S. 52 f. 65 Nach seiner Amtsübernahme 1555 hatte der neue spanische König Philipp II. die antiprotestantische Politik seines Vaters Karl V. in den burgundischen Besitzungen mit unverminderter Härte fortgesetzt. Religiöse Spannungen waren die Folge. In Lüttich hatte sich die Lage für Protestanten nach der Ernennung von Robert de Berghes (1557–1564) zum Bischof nochmals zusätzlich verschärft.

DIE WERKSTATT DE BRY ALS ORT DER WISSENSPRODUKTION   |

27

jedenfalls verlor Theodor de Bry sowohl sein Vermögen als auch seine soziale Stellung durch einige unverschuldete Schicksalsschläge, geblieben sei ihm nur sein künstlerisches Geschick: „… fortunae tamen casibus, imposturis, malis nominibus & latronum insidiis omnibus iis ornamentis exutus, adeo adversam aleam expertus sum, ut nisi ex arte mea mihi prospicere potuissem, vel littus, quod aiunt, rerum omnium egeno arandum fuisset. Ars sola mihi post tam amplam à parentibus relictam rem 66

remanserat, quam nec latrones nec furum manus rapaces invadere potuerant.“

Ob diese (angeblichen) Schicksalsschläge tatsächlich in einem Zusammenhang mit den antiprotestantischen Restriktionen standen, muss offen bleiben,67 sicher ist jedoch, dass Theodor de Bry keine (berufliche) Zukunft mehr in Lüttich sah und Straßburg eine naheliegende Wahl darstellte. Die lutherische Stadt hatte nach dem Frieden von Augsburg zahlreiche Glaubensflüchtlinge angezogen und diesen kommerziell attraktive Bedingungen geboten. Obwohl sich die Situation für Calvinisten in den 1560er-Jahren verschlechterte – so wurden 1563 z.B. öffentliche Gottesdienste in der St.-Andreas-Kirche verboten68 – konnten Calvinisten weiterhin das Bürgerrecht erwerben und ihren Berufen nachgehen. Theodor de Bry selbst hatte das Bürgerrecht schon vor seiner Heirat mit der Straßburger Bürgerstochter Katharina Esslinger erhalten – die genauen Umstände sind unklar. Mit der Aufnahme in die Straßburger Goldschmiedezunft lässt sich schon ein Erfolg gegenüber den Lütticher Zeiten verzeichnen, da er dort kein eigenständiges Mitglied der Zunft gewesen war und er – obwohl schon in seinen Dreißigern – vermutlich ausschließlich für seinen Vater gearbeitet hatte. In Straßburg gelang es ihm nun, eine eigene Existenz aufzubauen: Kurz hintereinander wurden die vier Kinder der de Brys geboren – Ottilia (1562), Johann Theodor (1563), Johann Israel (1565) und Johann Jakob (1566) – und die Familie zog in die Straßburger Kesselgasse. Obgleich sich Theodor de Bry in einem Brief über die beengten Verhältnisse beschwerte, ist ein beeindruckender Aufstieg vom – nach eigener Aussage – mittellosen Flüchtling zum Bürger, Familienvater und Hausbesitzer zu konstatieren; immerhin war es ihm sogar möglich, 1569 eine hugenottische Flüchtlingsfamilie in seinem Haus aufzunehmen. Vermutlich kurz vor 1570 starb Theodor de Brys erste Frau, und der Witwer heiratete am 28. Februar 1570 die zehn Jahre jüngere Bürgerstochter Katharina Rölinger, Tochter des Frankfurter Goldschmieds Hans Rölinger69 – de Brys erste archivalisch dokumentierte Verbindung zu Frankfurt. Es ist zu vermuten, dass Theodor de Bry schon vorher Beziehungen

66 Boissard, 1597, Vorrede. Zur englischen Übersetzung siehe ebenfalls Giuseppi, 1916, S. 204–206. 67 Michiel van Groesen macht darauf aufmerksam, dass die Politik Robert de Berghes’ keine größeren Verfolgungen der Protestanten beinhaltete. Vgl. van Groesen, 2008, S. 54. 68 Theodor de Bry reichte zusammen mit 26 Mitstreitern eine Petition ein, mit der der Magistrat gebeten werden sollte, die Kirche wieder zu eröffnen. Die Eingabe wurde abgelehnt; private calvinistische Gottesdienste waren jedoch weiterhin gestattet. Vgl. dazu van Groesen, 2008, S. 54. 69 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Kirchenbücher auf Mikrofiche, Traubuch 1533–1573, Fiche 8, 28. Februar 1570.

28 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

zu Frankfurt und zur Goldschmiedefamilie Rölinger pflegte70 – was indes nicht zu belegen ist. Walther Karl Zülch zufolge besuchte er in den 1570er-Jahren die Frankfurter Messen und legte 1571 Beschwerde gegen den Kaufmann Johan Schütz aus Deventer ein;71 das Dokument, auf das sich Zülch bezieht, ist im Frankfurter Stadtarchiv leider nicht (mehr) auffindbar. In dieser Zeit konzentrierten sich die geschäftlichen Beziehungen Theodor de Brys jedoch vermutlich noch größtenteils auf die Niederlande;72 zudem pflegten Theodor de Bry und seine Söhne Johann Theodor und Johann Israel enge Beziehungen zu dem bekannten Pariser Kupferstecher und Hugenotten Étienne Delaune (1518–1595), der 1573 als Glaubensflüchtling nach Straßburg gekommen war und dem ein gewisser Einfluss auf die ornamentalen Illustrationen der de Brys nachgesagt wird.73 In den 1570er-Jahren nahm die religiöse Intoleranz auch in Straßburg zu; 1577 wurden selbst die privaten calvinistischen Gottesdienste verboten und die Calvinisten begannen in immer größerer Zahl die Stadt zu verlassen. Unter ihnen Delaune, der 1576 nach Augsburg auswanderte, und auch die Familie de Bry entschied sich wiederum für die Emigration. Ihr Ziel war – wie Michiel van Groesen erstmals belegen konnte – Antwerpen.74 Obwohl die reformierte Kirche dort erst 1578 offiziell anerkannt wurde, zogen schon ab 1576 (nach der Genter Pazifikation) zahlreiche Calvinisten in die Stadt an der Schelde; in den 1580er-Jahren stellten sie sogar gut ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Theodor de Bry lebte zunächst ohne seine Familie in Antwerpen, und van Groesen vermutet, dass seine zweite Frau mit seinen Kindern übergangsweise nach Frankfurt gezogen ist. De Bry gelang es, sowohl in die Zunft der Goldschmiede als auch in die berühmte Antwerpener St.-Lukas-Gilde aufgenommen zu werden – eine Zunft für Künstler, Verleger und Kunsthandwerker, der später auch Peter Paul Rubens, Pieter Bruegel d. J. und Jan van Kessel angehörten. Die Aufnahme in diese Zunft ist der erste Beleg für den erweiterten Arbeitsradius de Brys und die beginnende Neuorientierung hin zum Verleger und Kupferstecher. 1581 stellte Katharina einen Antrag an den Magistrat der Stadt, in dem sie um die Wiederzusammenführung der Familie bat. Nur kurze Zeit nachdem der Antrag bewilligt worden war, wurde Johann Theodor als Lehrling seines Vaters in die St.-Lukas-Gilde aufgenommen; 1582 folgte auch Johann Israel. Der Vater stellte zudem drei weitere Lehrlinge ein. Wirtschaftlich waren die de Brys also offenbar gut gestellt, und so zog die Familie in ein „ansehnliches“75 Haus in der Hydevetterstraat in der Nähe des Großen Marktes und lebte dort bis 1584. 70 Pol Pierre Gossiaux, Hiérarchie du monde sauvage et eschatologie protestante selon l’iconographie des Grands Voyages des de Bry, in: Protestantisme aux frontières. La réforme dans le duché de Limbourg es dans la principauté de Liège (XVIe–XIXe siècles), Aubel 1985, S. 99–169, hier: S. 115. 71 Walther Karl Zülch, Frankfurter Künstler 1223–1700, Frankfurt/Main 1935, S. 365. 72 Vgl. dazu van Groesen, 2008, S. 56. 73 Zu Delaunes Einfluss auf das künstlerische Schaffen de Brys s. van Groesen, 2004, S. 28. Vgl. außerdem Gloria Deák, Discovering America’s Southeast: A Sixteenth-Century View Based on the Mannerist Engravings of Theodore de Bry, Birmingham/Ala. 1992, S. 49; Bernadette Bucher, 1977, S. 7, und Carsten-Peter Warncke, Die ornamentale Groteske in Deutschland 1500–1650, 2 Bde., Berlin 1979, Bd. 1, S. 36. 74 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf van Groesen, 2008, S. 57–64. 75 Van Groesen, 2008, S. 58.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

29

Die Zeit in Antwerpen war prägend für Theodor de Bry, bedeutete sie doch u.a. eine Wandlung seiner beruflichen Tätigkeit: Sind für die Jahre vor Antwerpen keine de Bry’schen Illustrationen, dafür aber Goldschmiedearbeiten bekannt, verhält es sich für die Antwerpener Zeit umgekehrt. Die St.-Lukas-Gilde hatte zur Zeit Theodor de Brys so berühmte Mitglieder wie den Kartografen, Kupferstecher und Verleger Gerard de Jode (der enge Geschäftsbeziehungen zu der Amsterdamer Kupferstecherfamilie van Doetecum pflegte), den Maler Maarten de Vos und den Kupferstecher und Verleger Philipp Galle,76 die Theodor de Bry sicherlich beruflich und künstlerisch beeinflusst haben.77 Auch andere Verbindungen zu bedeutenden Personen gehen auf die Antwerpener Zeit der de Brys zurück, die sich ein tragfähiges und weitgespanntes Netzwerk aufbauen konnten, zu dem u.a. Franciscus Raphelengius – Schwiegersohn des Druckers und Verlegers Christoph Plantin –, der Maler Quentin Massys d. J., die Maler- und Kupferstecherfamilie Hoefnagel (Joris Hoefnagel war zudem ein enger Freund des Kartografen und Geografen Abraham Ortelius) und die Familie des Pelzwarengroßhändlers Marsilius van der Heyden, des späteren Schwiegervaters Johann Theodors und Johann Israels, gehörten.78 Bis zur Belagerung und Einnahme Antwerpens 1585 war die Stadt das Druckzentrum und Drehkreuz des Buchhandels im nördlichen Europa.79 Zwischen 1570 und 1585 arbeiteten 70 aktive Drucker und Verleger in der Handelsmetropole. Das in Antwerpen ansässige künstlerische und verlegerische Milieu mit seinen Bildfindungen, kartografischen Produkten und den technischen Innovationen, gerade im Bereich der Buchkunst, das vor allem auch die (nord)europäische Expansion nach Übersee von Beginn an medial begleitet hat, muss die Familie stark beeinflusst haben. Eine herausragende Figur der Antwerpener Druckerszene war der Verleger Christoph Plantin.80 Der aus Frankreich stammende Plantin war 1549 nach Antwerpen gekommen; seit 1550 war er Antwerpener Bürger und wurde im selben Jahr in die Innung der Buchdrucker aufgenommen. Plantin verstand es, sich mit gelehrten und fähigen Korrektoren und Mitarbeitern zu umgeben und so innerhalb weniger Jahre ein florierendes Unternehmen aufzubauen. 1565 betrieb Plantin bereits sieben Druckerpressen, 1575 waren es 15 und 1576 sogar zwischenzeitlich 22 Pressen; die Zahl der Druckwerke pro Jahr schwankte zwischen 30 und 50. Einer seiner wichtigsten Mitarbeiter war seit 1560 sein späterer Schwiegersohn Franciscus Raphelengius, der griechische und orientalische Sprache studiert hatte, seit 1587 sogar den Leidener Lehrstuhl für Hebräisch innehatte und die dortige Plantin’sche Druckerei leitete, die er schnell auch übernahm. 76 Zu den berühmten Stechern und Stichen Antwerpens in dieser Zeit vgl. auch Jan van der Stock, Printing Images in Antwerp: The Introduction of Printmaking in a City: Fifteenth Century to 1585, Rotterdam 1998. 77 S. dazu van Groesen, 2008, S. 60 f. 78 Zu diesem Netzwerk s. weiter unten S. 41 ff. dieser Arbeit. 79 Vgl. dazu auch das Kapitel 2. 80 Allgemeine Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, 56 Bde., Leipzig 1875–1912 (im Folgenden ADB abgekürzt), hier: Bd. 26 (1888), S. 237–241, und Léon Voet, The Golden Compasses. A History and Evaluation of the Printing and Publishing Activities of the Officina Plantiniana at Antwerp, 2 Bde., Amsterdam 1972.

30 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

Die Offizin Plantin war für ihren Anspruch und ihre Akribie bekannt: Die Texte wurden eingehend geprüft, die Titelkupfer reich verziert, vor allem die hochwertigen und teuren Bücher bestanden nur aus sorgfältig ausgewähltem Papier. Das Verlagsprogramm war vielseitig und schloss Werke aus den Gebieten der Theologie, Philologie, Jurisprudenz und Geschichte mit ein; Plantin druckte aber auch griechische und hebräische Werke, Musikkompositionen und umfangreiche Kupferstichbände. Christoph Plantin kommt das große Verdienst zu, die Kupferstichtechnik für den Buchdruck nutzbar gemacht zu haben, er war der erste Drucker, der erstmals im großen Stil gewöhnliche Holzschnitte durch Kupferstiche ersetzte. Beim Kupferstich wird ein Tiefdruckverfahren angewendet, Typendruck und Holzschnitt jedoch werden im Hochdruckverfahren hergestellt. Beim Hochdruck werden die erhabenen Bereiche der Form abgedruckt, beim Tiefdruck die eingeschnittenen Bereiche. Text und Stiche müssen beim Tiefdruck demzufolge in separaten Arbeitsgängen und in zwei Pressen gedruckt werden. Schon in der Frühdruckzeit hat es Versuche gegeben, die Kupferstichtechnik in der Buchillustration anzuwenden: In Brügge ließ der Buchhändler und Schreiber Colard Mansion für seine Boccaccio-Ausgabe von 1476 Kupferstiche drucken, die nachträglich in dafür frei gehaltene Stellen eingeklebt wurden, und schon 1473 hatte der Drucker Konrad Swynheim in Florenz versucht, Dantes Divina Commedia mit 100 Kupferstichen auszustatten, die er direkt in den Text eindrucken wollte. Die Ausgabe erschien schließlich 1481 – versehen mit 19 Stichen.81 Christoph Plantin gelang es schließlich nicht nur, durch ein neues Verfahren zahlreiche Kupferstiche direkt in seine Bücher zu integrieren, sondern er fertigte in seiner Werkstatt auch künstlerisch besonders wertvolle Stiche an. Da Kupferstichbände durch das aufwendige Herstellungsverfahren ausgesprochen teuer waren, ließ Plantin häufig zwei Fassungen derselben Publikation herstellen: eine preiswerte Ausgabe, die mit Holzschnitten versehen war, und eine teure mit sorgfältig gestalteten Kupferstichen. Viele Antwerpener Drucker übernahmen die Neuerungen und so waren Kupferstiche seit Mitte der 1570er-Jahre das dominierende Illustrationsmittel in Antwerpen. Theodor de Bry, dessen Tätigkeitsfeld sich just in dieser Zeit vom Goldschmied zum Kupferstecher zu wandeln begann, hat diese Innovationen im Bereich der Buchillustration aufmerksam verfolgen können, schließlich war er nicht nur mit Plantins Schwiegersohn Raphelengius kollegial verbunden; er war ferner mit dem bekannten Kupferstecher, Kupferstichhändler und Verleger Philip Galle (1537–1612) befreundet, der nicht nur eine eigene Werkstatt hatte, sondern auch für Plantin Stiche anfertigte und ebenfalls Mitglied der St.-Lukas-Gilde war. Michiel van Groesen hält es für möglich, dass Theodor de Bry in seinen frühen Jahren als Kupferstecher für ihn gearbeitet hat, da einige Illustrationen aus Philip Galles Imagines L vivorum doctorum … von 1587 an spätere de Bry’sche Stiche erinnerten.82

81

Vgl. Marion Janzin & Joachim Güntner (Hg.), Das Buch vom Buch. 5000 Jahre Buchgeschichte, Hannover 2007, S. 209. 82 Van Groesen, 2004, S. 35.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

31

Den guten Beziehungen zum Trotz plante Theodor de Bry schon 1584, Antwerpen wieder zu verlassen – seine Auftragslage hatte sich offenbar deutlich verschlechtert: Nach 1582 sind für die Werkstatt de Bry keine weiteren Lehrlinge mehr verzeichnet und Theodor selbst hat für eine andere Goldschmiedewerkstatt arbeiten müssen. Vermutlich war die Werkstatt de Bry vom generellen ökonomischen Niedergang Antwerpens betroffen.83 Bereits in den letzten Jahren seines Antwerpener Aufenthalts waren Arbeiten für zahlungskräftige englische Auftrageber zur Haupteinnahmequelle der de Bry’schen Werkstatt geworden, was Michiel van Groesen einerseits ganz allgemein mit der Entdeckung des Tiefdruckverfahrens für die Buchillustration, die auf Antwerpener Künstler zurückgeht, begründet und andererseits im Speziellen auf den modernen und lebendigen Stil der niederländischen Kupferstecher zurückführt.84 Die bisherigen Aufträge aus England mögen Theodor de Bry in seinem Entschluss, nach London zu gehen, bestärkt haben; zudem bot sich ihm nun die Möglichkeit der Mitarbeit an der englischen Übersetzung des bekannten Werks Spieghel der Zeevaert des niederländischen Seefahrers und Kartografen Lucas Waghenaer, das 1584 erstmals bei Christoph Plantin in Antwerpen erschienen und von der Werkstatt van Doetecum illustriert worden war. Die Übersetzung war vom Lord Chancellor Sir Christopher Hatton in Auftrag gegeben und von Anthony Ashley (Clerk of the Privy Council) ausgeführt worden. Um an den Erfolg der niederländischen Ausgabe anknüpfen zu können, benötigte Ashley erfahrene und technisch versierte Stecher aus Antwerpen, die in der Lage waren, die berühmten Stiche der van Doetecums zu imitieren. Theodor de Bry, der zehn der vierzehn Stiche dieser englischen Ausgabe anfertigte, wurde zum Hauptillustrator ernannt; außerdem wirkten Jodocus Hondius, Augustine Ryther und Johannes Rutlinger an dem Prestigeprojekt mit. Die weiteren Umstände ihres Londoner Aufenthalts sind unbekannt, offenbar hat die Familie um die drei Jahre – von Beginn des Jahres 1585 bis zum Jahr 1588 – dort verbracht.85 Von Theodors Söhnen Johann Theodor und Johann Israel sind keine eigenständigen Arbeiten aus der Londoner Zeit überliefert, was sich mit dem Umzug nach Frankfurt am Main im September 1588 ändern sollte. Am 29. Oktober 1588 beantragte Theodor de Bry als „Bürger zu Straßburg“ das Frankfurter Bürgerrecht. Der Frankfurter Rat informierte de Bry darüber, dass ihm das Bürgerrecht gewährt würde, sobald er sein Straßburger Bürgerrecht aufgegeben hätte. Ab 1588 zahlte Theodor de Bry Steuern in Frankfurt, sein Vermögen wurde in den Schatzungsbüchern der Stadt mit 200 Gulden angegeben (ein Betrag, den seine Witwe später in ihrem Testament ihrer Magd vermachen sollte).86 Was war das für eine Stadt, die der Familie und ihrem Unternehmen in den nächsten 21 Jahren als Wohn- und Geschäftssitz dienen sollte?

83 84 85 86

Zu Antwerpen siehe auch das Kapitel 2. S. van Groesen, 2008, S. 61. S. van Groesen, 2008, S. 62 f. S. Zülch, 1935, S. 365.

32 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

Im 16. Jahrhundert war Frankfurt eine bedeutende Reichsstadt: Hier fanden die Kaiserkrönungen statt und hier wurden zweimal im Jahr die berühmten Frankfurter Messen veranstaltet. Dadurch war die Stadt das „mit Abstand wichtigste Wirtschaftszentrum im Rhein-Main-Gebiet und in der Wetterau.“87 Abgesehen von den Messen war Frankfurt jedoch weiterhin eher handwerklich und ackerbürgerlich strukturiert und blieb im 16. Jahrhundert mit seinen 10.000 Einwohnern (noch) deutlich hinter den Reichsstädten Augsburg, Nürnberg, Straßburg und Köln zurück.88 Durch seine geografische Lage am Knotenpunkt wichtiger Handelsrouten war Frankfurt wie geschaffen dafür, sich zu einer prosperierenden Handelsstadt zu entwickeln. So wichtige Fernstraßen wie die in das südliche Niedersachsen, nach Thüringen, in den deutschen Südosten und damit auch nach Oberitalien und dem Balkanraum führten durch Frankfurt, zudem verband der Main durch seinen Übergang in den Rhein die großen Wirtschaftsräume Oberdeutschlands mit denen der norddeutschen Hanse. Damit hatte die Stadt eine „einzigartige Position im Gefüge des Reiches“89 inne. Bereits im Mittelalter hatten in Frankfurt die ersten Messen stattgefunden. Nachdem Kaiser Friedrich II. die Messe 1240 unter den Schutz des Reiches gestellt hatte, erlebte der Handel dort einen beträchtlichen Aufschwung, sodass ab dem Jahr 1330 die Erlaubnis für eine weitere, im Frühjahr – zur Fastenzeit – stattfindende, Messe erteilt wurde. Zu den zahlreichen gehandelten Waren gehörten neben Seidenstoffen, Tuchen, Leder, Manufakturwaren, Juwelen, Gold und Silber auch Bücher. Denn schon lange vor der (Wieder-)Erfindung des Buchdrucks wurden auf der Messe Handschriften aller Art verkauft. Gebet- und Stundenbücher, Streitschriften und Dissertationen, antike Klassiker, Bibeln und Erbauungsbücher gingen über den Ladentisch. Die Messe zog so schnell alle Gewerbetreibenden an, die mit der Produktion von Büchern zu tun hatten: Buchbinder, Papier- und Stempelmacher, Goldund Silberschmiede, Zeichner, Holzschneider und Farbenhändler, später natürlich auch Schriftgießer und Kupferstecher. Darüber hinaus wurden zahlreiche Gaukler und Spielleute von dem Treiben am Römerberg angelockt, Bettler hofften auf milde Gaben der Betuchten, Prostituierte boten ihre Dienste an. (Abb. 1) Einen gewaltigen Aufschwung erfuhr die Messe nach Erfindung des Buchdrucks und bereits um 1500 hatte sie eine immense Bedeutung für alle, die mit Büchern zu tun hatten, wie erhaltene Briefe des bekannten Nürnberger Druckers Anton Koberger an seine Basler Kollegen Hans Amerbach und Johann Petri belegen: Das Geschäft des Jahres hänge, so schreibt er, vom Ausgang der Messe ab.90 Und auch diverse weitere Quellen, die Fried Lübbecke in seinem 1948 erschienenen Buch Fünfhundert Jahre Buch und Druck in Frankfurt am Main zitiert, geben einen Einblick darin, wie sehr die Messe die Geschäfte rund um das Buch bestimmte: 87 Anton Schindling, Kommerz und Konfession. Die Reichs- und Messestadt Frankfurt am Main zwischen Reformation und paritätischem Altem Reich, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 68 (2005), S. 573–587, hier: S. 573. 88 Vgl. ebd. 89 Ebd. 90 Vgl. Fried Lübbecke, Fünfhundert Jahre Buch und Druck in Frankfurt am Main, Frankfurt/Main 1948, S. 42.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

33

Abb. 1 Peter Schöffer, Flugblatt von der Frankfurter Messe (nach 1509)

„Der Korrektor des Straßburger Verlegers Johan Pruß bat 1505 die Leser des neu erscheinenden Werkes ‚Epitome rerum Germanicarum‘, Druckfehler zu verzeihen. Wegen der bevorstehenden Frankfurter Messe wäre man gezwungen gewesen, das Buch in kürzester Zeit zu drucken. Sogar die Übertretung des Fastengebotes mußte die Frankfurter Buchmesse entschuldigen. Der Verleger Christoph Froschauer in Zürich erklärte 1522 dem Rat seiner Stadt, er müsse es übertreten, weil seine Pressen in den letzten Monaten unaufhörlich arbeiteten, um das Werk der Episteln Pauli für die Frankfurter Messe noch rechtzeitig fertigzustellen. Ulrich 91

Zwingli unterstützte diese Rechtfertigung: Froschauer dürfte in Frankfurt nicht fehlen.“

Auf der Messe waren alle großen deutschen Drucker und Verleger (zunächst in Personal­ union, später trennte sich der Lohndruck vom Verlag) vertreten, der Großteil stammt aus dem Südwesten des Reiches, aber sie kamen auch aus Antwerpen, Paris, Lyon, Genf, Lausanne, Turin und Venedig. Die Messhändlerliste der Bücherkommission des Rats der Stadt Frankfurt verzeichnet im Jahr 1579 70 Drucker und Verleger aus 36 Städten sowie 30 Buchführer, also Händler, die nicht an der eigentlichen Buchproduktion beteiligt waren.92 Der Einfluss der Messe auf das kulturelle, literarische und geistige Leben der Stadt war immens,93 als „Gelehrtenmesse“ bildete sie im 16. Jahrhundert den „Treffpunkt für das gesamte geistige

91 Ebd. 92 Vgl. Wolfgang Brückner, Eine Messhändlerliste von 1579 und Beiträge zur Geschichte der Bücherkommission, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 3 (1961), Sp. 1629–1648, hier: Sp. 1638. 93 Vgl. Tina Terrahe, Frankfurts Aufstieg zur Druckmetropole des 16. Jahrhunderts. Christian Egenolff, Sigmund Feyerabend und die Frankfurter Buchmesse, in: Robert Seidel & Regina Toepfer (Hg.), Frankfurt im Schnittpunkt der Diskurse. Strategien und Institutionen literarischer Kommunikation im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, (= Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 7, Nr. 2/3), Frankfurt/Main 2010, S. 177–194.

34 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

Europa.“94 Professoren und Bibliothekare, Dichter, Archivare, Mathematiker und Geistliche strömten zu den Messezeiten nach Frankfurt „um die ,Novitates‘ der Buchmesse zu prüfen und zu erwerben, […] um mit ihren Verlegern zu abzurechnen, neue Werke unterzubringen und [sich] mit den Fachgenossen […] zu besprechen.“95 Auch die Gelehrten der Zeit richteten ihr Schaffen oftmals nach den halbjährlich stattfindenden Messen aus, so schreibt Erasmus von Rotterdam 1530 in einem Brief aus Basel: „Wenn es auf die Frankfurter Messe zugeht, bin ich immer erschlagen, teils wegen der Arbeitslast, da die Druckerpresse dann am meisten lärmen […]; teils wegen der Berge von Briefen, die aus aller Welt herbeif96

liegen und die ich bisweilen beantworten muß. […] Niemals bin ich mehr belastet als in dieser Zeit.“

Wie wichtig die Messe als Treffpunkt war und wie sehr die Besucher von Frankfurt als einem Wissens-, Informations- und Kommunikationszentrum profitierten, veranschaulicht ein geradezu hymnischer Auszug aus Henri Estiennes Francofordiense Emporium aus dem Jahr 1574: „Ich komme zu der zweiten Messe […], der Messe der Musen […]. Rufen doch die Musen ihre Buchdrucker und Buchhändler alle gleichzeitig zu der Messe nach Frankfurt und weisen sie an, die Dichter, Redner, Geschichtsschreiber und Philosophen mitzubringen […]. Wenn diese alle dort zusammen gekommen sind, so kann man wirklich meinen, man befinde sich nicht in Deutschland an dem Ort, der den Namen Frankfurt trägt, sondern in jener Stadt, die dereinst der blühendste und durch ihr wissenschaftliches Leben berühmteste von ganz Griechenland gewesen ist. Freilich mag jedermann geneigt sein, den dem literarischen Verkehr gewidmeten Stadtbezirk, den die Buchdrucker und Buchhändler innehaben, als das Frankfurter Athen zu bezeichnen […]. Man täuscht sich nämlich, wenn man glaubt, daß in diesem Stadtbezirk […] nicht die Schriftsteller selbst, sondern nur ihre Schriften auf der Messe vertreten wären. […] Denn hier kann jedermann der lebendigen Stimme vieler Lehrer lauschen, die von den verschiedenen Akademien an diesem Ort zusammenströmen; hier kann man gar manche von ihnen in den Buchhändlerläden selbst nicht weniger ernst philosophieren hören, als man einst in den Räumen des Lykeion in Athen einen Sok97

rates und einen Plato hören konnte.“

Der Drucker, Verleger und Philologe Estienne preist hier die Möglichkeiten des intellektuellen Austauschs, der in Frankfurt offenbar nicht nur über Bücher und Schriften stattfinden konnte, sondern auch über das persönliche Gespräch, über Debatten und philosophische Vorträge der anwesenden Autoren. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurde die Messe auch zu einem Ort des Austauschs von Nachrichten aller Art; 1561 erschienen erstmals die von Konrad Lauterbach herausgegebenen 94 Lübbecke, 1948, S. 43. 95 Ebd. 96 Zitiert nach Terrahe, 2010, S. 180. Tina Terrahe zitiert Erasmus nach Johannes Fried (Hg.), Die Frankfurter Messe. Besucher und Bewunderer. Literarische Zeugnisse aus ihren ersten acht Jahrhunderten, Frankfurt/Main 1990, S. 47. 97 Die Stelle findet sich bei Terrahe, 2010, S. 181; sie zitiert Estienne in der Übersetzung von Hans Widmann (Hg.), Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. 1, Hamburg 1965, S. 36.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

35

Messrelationen, die Neuigkeiten aus Wissenschaft und Technik verkündeten und über die politischen, militärischen und gesellschaftlichen Ereignisse seit der letzten Messe berichteten; sie gelten als Vorläufer der modernen Zeitschriften. Die Messkataloge, die seit 1564 von Georg Willer publiziert und seit 1567 auch in Frankfurt gedruckt wurden, informierten über die auf der Messe angebotenen oder die demnächst erscheinenden Novitäten. Ab dem Jahr 1597 übernahm der Rat der Stadt die Herstellung der Kataloge, um einen besseren Überblick und größere Kontrollmöglichkeiten zu erhalten; so konnte der Rat die Abgabe von Pflichtexemplaren überprüfen und umstrittene Werke auf den kaiserlichen Index setzen.98 Darüber hinaus gaben viele der größeren Verleger, Drucker und Händler eigene Kataloge zu ihren Neuerscheinungen heraus, die natürlich ebenfalls der Zensur unterlagen. Die Vertreter der Branche erkannten zunehmend die Vorteile des Standortes und so hatten sich die ersten schon um 1530 dauerhaft in Frankfurt niedergelassen;99 zwar konnte die Stadt in dieser Zeit noch nicht mit berühmten Druckerstädten wie Basel, Straßburg, Augsburg und Köln konkurrieren, erlebte allerdings zwischen 1530 und 1600 einen enormen Aufschwung der eigenen Druckerzeugnisse: Wurden 1530 noch 254 in Frankfurt produzierte Drucke verzeichnet, waren es im Jahr 1600 bereits 1479;100 die Zahl der Drucke hatte sich also fast versechsfacht. Das Druckergewerbe war zwar nicht in einer Zunft organisiert, unterlag aber dennoch strengen Vorschriften; der Frankfurter Rat erließ 1573, 1588 und 1598 eigene „Buchdruckerordnungen“, die die Zahl der Druckereien auf acht beschränkten, sie legten die vierjährige Ausbildung der Lehrlinge, die Besoldung und die Arbeitszeit fest, regelten die Zahl der Feiertage, die exklusive der 52 Sonntage auf 29 festgesetzt wurde, und die Krankenkassenbeiträge der Gesellen.101 Die Branche konzentrierte sich in Frankfurt auf ein eigenes Stadtviertel: Der Großteil der Drucker, Stecher und Verleger, der Buchbinder und -händler arbeitete zwischen dem Römerberg und der Mainzer Pforte längs des Mains, hier waren die meisten Druckereien ansässig, hier hatten die Verlage ihre Gewölbe und hier stiegen auch die auswärtigen „Druckerherren“ ab, wenn sie die Messe besuchten. „Billig war das Quartier keineswegs; es spricht für den Wohlstand und die Selbstachtung der Verleger und Buchhändler, daß sie das beste Viertel in Frankfurt bewohnten.“102 Für die Frankfurter Patrizier stellten die vielen auswärtigen Händler im Gegenzug eine lukrative Einnahmequelle dar: Ihr Reichtum gründete sich u.a. darauf, dass sie während der zweimal 98 Zu Zensur und Restriktionen in Frankfurt im Besonderen und im frühneuzeitlichen Europa im Allgemeinen vgl. van Groesen, 2008, S. 281 ff. Vgl. außerdem Terrahe, 2010, S. 193. 99 Der erste und einflussreichste Drucker war Christian Egenolff aus Straßburg. Zu Egenolff s. Lübbecke, 1948, S. 60 ff. 100 Vgl. Terrahe, 2010, S. 183. Tina Terrahe legt für ihre Berechnungen die Zahlen des Verzeichnisses der im deutschen Sprachraum erschienen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16) zugrunde; da dieses Verzeichnis nicht vollständig ist, können an ihm nur Tendenzen abgelesen werden. 101 Vgl. Lübbecke, 1948, S. 48. 102 Lübbecke, 1948, S. 51.

36 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

Abb. 2 Ausschnitt aus Matthäus Merians Plan der „Kaiserlichen Wahl-, Krönungs- und Messestadt Frankfurt am Main, der weltberühmten Hochburg des Handels von Deutschland, ja von ganz Europa“ (1628)

im Jahr stattfindenden Messen sowohl Lagerräume und Verkaufsflächen als auch Wohnquartiere für viel Geld an die auswärtigen Händler vermieteten.103 Während der Messe herrschte im sogenannten Buchhändlerviertel ausgesprochen reger Betrieb, „hunderte Zentner“ Druckbögen, die in der Regel in großen Fässern transportiert wurden, kamen nach Angaben Fried Lübbeckes entweder mit sechs- bis zehnspännigen Planwagen oder per Schiff über den Main bei den Kränen vor St. Leonhard, der Kirche des Quartiers, an.104 Der überwiegende Teil der Bücher wurde ungebunden oder broschiert zum Kauf angeboten, der Käufer ließ das Buch später vom eigenen Buchbinder nach persönlichen Vorstellungen binden. Auch aufgrund der Messe wurde Frankfurt im 16. Jahrhundert zur „Drehscheibe des deutschen Buchhandels“ (Wolf ), die Stadt garantierte der Branche zumindest bis zum Ende des Jahrhunderts zudem eine gewisse Unabhängigkeit und Freiheit.105 Ein weiterer wichtiger Grund für den Aufstieg der Stadt zum Druckzentrum war der Geschäftssinn und das gute Gespür der dort ansässigen Drucker und Verleger: Diese hatten es vermocht, rasch auf die Bedürfnisse des Publikums zu reagieren, und hatten seit der Mitte des Jahrhunderts 103 Vgl. Klaus Wolf, Frankfurts literarisches Lebens im ausgehenden Mittelalter. Zwischen Frömmigkeitstheologie und patrizischer Repräsentation, in: Robert Seidel & Regina Toepfer (Hg.), 2010, S. 41–53, hier: S. 51. 104 Lübbecke, 1948, S. 52. 105 Vgl. Terrahe, 2010, S. 191.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

37

überwiegend deutschsprachige Schriften gedruckt;106 auch die aufwendigen Illustrationen, mit denen viele der Frankfurter Bücher ausgestattet waren, trugen zur Beliebtheit derselben und damit zum Aufstieg der Stadt bei.107 Dank seiner Messen also hatte sich Frankfurt um 1600 zu einem „Zentrum mit europäischer Bedeutung für Kommunikation, Wissensvermittlung und geistigen Austausch“ entwickelt.108 Durch ihr Bekenntnis zum Protestantismus – wobei man als Ort der Kaiserkrönung jedoch auch auf gute Kontakte zu den katholischen Reichsteilen bedacht sein musste – bot sich die Stadt ferner als Zielort für zahlreiche Glaubensflüchtlinge an. Der Einfluss der religiösen Flüchtlinge gerade auch aus den Niederlanden sorgte für weiteren ökonomischen und geistigen Fortschritt der Stadt, insbesondere im Bereich des Buchhandels. So betont Kurt Wettengl, dass gerade die „einwandernden flämischen Stecher und Buchdrucker an der Entwicklung Frankfurts zu einem wichtigen Ort des Verlagsbuchhandels in der Blütezeit um 1600 wesentlich beteiligt [waren]. Das Netzwerk von verwandtschaftlichen, freundschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen innerhalb der Französisch und Niederländisch sprechenden Einwanderer bewährte sich erkennbar auch im Frankfurter 109

Verlagswesen.“

Vor allem die Einwanderer aus Antwerpen mit ihrem technischen und wirtschaftlichen Knowhow sorgten geradezu für einen Innovationssprung, kamen doch neben den Buchhändlern, Verlegern und Kupferstechern u.a. auch Maler, Seidenfabrikanten und andere Textilienhändler, Juweliere und Diamanthändler in die Stadt. Gerade mit der zweiten Einwanderungswelle aus den Niederlanden in den 1580er-Jahren zog eine lutherische Kaufmannselite nach Frankfurt, der es zu verdanken ist, „dass die Stadt an den Weltmarkt fand, bzw. den Status behielt, den sie im vorigen Handelssystem mit Venedig als europäischem Zentrum innehatte, und handelstechnische Innovationen aus der Antwerpener Praxis hier Usus wurden. Ihre verwandtschaftlichen Beziehungen und geschäftlichen Verbindungen etablierten ein weitreichendes Netz mit Frankfurt als Mittelpunkt, das die traditionellen Handelsverbindungen 110

Frankfurts zu Osteuropa und Venedig effizient erweiterte.“

Die infrastrukturellen Voraussetzungen waren durch die Tradition als Messestadt mit einem funktionierenden Kommunikations- und Informationssystem bereits gegeben, sodass sich

106 Zur Bedeutung der deutschsprachigen Drucke vgl. Wolfgang Neuber, 19912. 107 Federführend war hier der Frankfurter Drucker und Verleger Sigmund Feyerabend; zu Feyerabend siehe weiter unten S. 42f. 108 Kurt Wettengl, Druck, in: Frank Berger (Hg.), Glaube Macht Kunst. Antwerpen – Frankfurt um 1600, Frankfurt/ Main 2005, S. 137–150, hier: S. 137. 109 Ebd., S. 139. 110 Gabriele Marcussen-Gwiazda, Gold und Diamanten, in: Frank Berger (Hg.), 2005, S. 89–106, hier: S. 90.

38 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

die Handelsaktivitäten im Folgenden bis nach Ostindien ausdehnten; in den Frankfurter Messrelationen wurden sogar regelmäßig die Ankünfte der Flotten aus Ostindien gemeldet.111 In diese vor allem zu Messezeiten lebhafte und prosperierende Stadt mit ihrem florierenden Verlagswesen zog es also auch die Familie de Bry. 1591 erhielt Theodor de Bry das Frankfurter Bürgerrecht, drei Jahre nach seinem Antrag und noch mit der Berufsangabe „Goldschmied“; als Dank vermachte er dem Frankfurter Rat ein mit Kupferstichen illustriertes und in Pergament gebundenes Buch. Im selben Jahr trat Theodor de Bry eine Erbschaft aus der Familie seiner Frau an und kaufte für 750 Gulden das Eckhaus zum Birnbaum in der Schüppengasse, das die Familie noch 1591 bezog.112 Ganz offensichtlich gehörten die de Brys schon in ihren Frankfurter Anfangsjahren zu den besser gestellten Immigranten der Stadt, bewohnten doch die weniger gut betuchten Flüchtlinge mehrheitlich die kleineren und ärmlicheren Häuser im Stadtteil Sachsenhausen auf der anderen Mainseite.113 Innerhalb der nächsten drei Jahre sollte das zu versteuernde Vermögen der de Brys sogar auf 1150 Gulden ansteigen.114 In Frankfurt vollzog sich Theodor de Brys endgültige berufliche Wandlung vom Goldschmied zum Kupferstecher: Er bezeichnete sich selbst zwar noch als Kupferstecher und Goldschmied, fertigte nach 1590 aber offenbar nur noch wenige Goldschmiedearbeiten an und wurde von Geschäftspartnern und auch von den Frankfurter Zensoren in den 1590er-Jahren als „Kupferstecher“ geführt.115 Über Theodor de Brys berufliches Selbstverständnis gibt ein Selbstporträt aus dem Jahre 1597 – ein Jahr vor seinem Tod – Auskunft, das im ersten Teil der Topographia Antiquae Urbis Romae des Antiquars und Dichters Jean-Jacques Boissard (ca. 1528–1602) zu finden ist, die de Bry mit Kupferstichen versehen hat.116 Das Porträt zeigt den Künstler laut Rahmenumschrift im Alter von 69 Jahren, in einen mit Pelzen besetzten Mantel gehüllt und eine Halskrause tragend; es folgt direkt auf ein Porträt Boissards, das ebenfalls von de Bry gestochen wurde. In der rechten Hand hält de Bry einen Zirkel, die linke Hand ruht auf einem großen Totenschädel, der durch die lateinische Beischrift als Memento mori ausgewiesen wird und auf die Vergänglichkeit des Menschen verweist.117 Theodor de Bry präsentiert sich als selbstbewusster Bürger, im Habitus eines Gelehrten, mit den dafür typischen Kennzeichen, dem Zirkel, den eingefügten Sinnsprüchen118 und der vornehmen Kleidung. Dass sich Theodor de Bry in dieser Tradition sieht, wird durch die direkte Folge auf Boissards Bildnis zusätzlich unterstrichen. Henry Keazor zeigt jedoch, dass das Bild 111 112 113 114 115 116 117

Vgl. ebd. Zülch, 1935, S. 366. Almut Junker (Hg.), Frankfurt um 1600. Alltagsleben in der Stadt, Ausstellungskatalog, Frankfurt/Main 1976, S. 8. Zülch, 1935, S. 367. Vgl. van Groesen, 2008, S. 68 f. Zur Konstruktion von Identität in Bezug auf das de Bry’sche Selbstbildnis vgl. Keazor, 2003. Mehrere Dokumente und Briefe betonen den schlechten Gesundheitszustand des Verlegers, der offenbar von Gicht geplagt wurde. 118 Dabei handelt es sich zum einen um das Motto des de Bry’schen Verlags (Nul sans soucy / De Bry), zum anderen um die Beischrift des Schädels: Domine – doce me ita reliquos vitae mea dies transigere ut in vera pietate vitram & moriar (Herr, lehre mich anhand dieser Überreste des Lebens, meine Tage darauf zu verwenden, in wahrer Frömmigkeit zu leben und zu sterben).

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

39

Abb. 3 Selbstporträt Theodor de Bry

über eine reine Gelehrtenikonografie hinausgeht, und macht in seinem Aufsatz „Charting the autobiographical, selfregarding subject?“ Theodor de Brys Selbstbildnis darauf aufmerksam, dass sich das de Bry’sche Selbstbildnis in eine bestehende Tradition von Buchdrucker- und Verlegerporträts einreiht. So zeigt sich auch der bedeutendste Frankfurter Buchhändler und Verleger Sigmund Feyerabend in einem Kupferstich-Porträt Jakob Sadelers mit Halskrause und schweren Pelzen. Der Zirkel wiederum tauchte 1579 schon in einem Verlagsplakat des berühmten Christoph Plantin als Signet auf. Hier fungiert der „Gulden Passer“, der goldene Zirkel, als Symbol für Vollkommenheit und das schöpferische Wirken;119 zudem wird er bei Plantin mit „Labore et Constancia“ überschrieben, steht also explizit für Mühe und Beharrlichkeit – Plantin betont damit ebenso wie de Bry die Tugend des fleißigen Arbeitens, die wiederum sein eigenes Verlagsmotto durch die Darstellung emsiger Ameisen anschaulich machte.120 Auch Vanitas-Motive tauchten bereits in Buchdrucker- und Verlegerporträts auf: Das Bildnis des Ingolstädter Buchdruckers David Sartorius z.B. zeigt diesen in schwerer 119 S. dazu Keazor, 2003, S. 408 ff. Vgl. auch Greve, 2004, S. 46. 120 Vgl. Keazor, 2003, S. 408 f.

40 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

Pelzkleidung, neben sich ein Stundenglas, auf dem ein kleiner Totenkopf sitzt.121 Theodor de Bry reiht sich bewusst in diese Tradition ein und präsentiert sich dem Betrachter als gestandener Verleger und fleißiger Arbeiter, als ein ebenso reicher wie erfolgreicher Bürger (dessen Ausbildung als Goldschmied dabei offensichtlich nicht mehr relevant ist). Bei der Etablierung seines Verlagshauses und der Kupferstichwerkstatt konnte Theodor de Bry auf sein schon zu Antwerpener Zeiten gesponnenes Netzwerk zurückgreifen. So schickte Philip Galle kurz nach ihrer Ankunft in Frankfurt ein Päckchen an die Familie, dessen Inhalt zwar unbekannt ist, es sei aber durchaus plausibel, wie van Groesen ausführt, „that Galle sent de Bry designs for copper engravings, as the Frankfurt family regulary relied on Galle’s drawings in the 1590s. De Bry was the first to bring the required technique for including engravings to the German book market, a key element to the success of his publishing firm in Frankfurt.“122 1589 wird Theodor de Bry zusammen mit dem Juwelier David van Brüssel als Testamentsvollstrecker des in Frankfurt verstorbenen Malers Quentin Massys d. J. geführt, mit dem er offenbar eng befreundet gewesen war.123 Ferner ist eine Zusammenarbeit der de Brys mit den Gebrüdern Hoefnagel zwischen 1592 und 1596 nachgewiesen.124 Eines seiner ersten Bücher widmete Theodor de Bry den einflussreichen Wollhändlern Daniel und Simon Soreau, die ebenfalls aus Antwerpen stammten.125 Theodor de Bry bezieht sich in seiner Widmung auf die langjährige Freundschaft zu den beiden Brüdern. Die Soreaus wiederum waren mit dem reichen Seidenkaufmann Balthasar van der Hoijken verwandt – ein weiterer einflussreicher Bekannter der Familie de Bry.126 Zudem arrangierte Theodor de Bry eine lukrative Doppelhochzeit: Am 11. April 1594 heirateten seine Söhne Johann Theodor und Johann Israel zwei Töchter des Pelzwarengroßhändlers Marsilius van der Heyden, dessen Vermögen sich 1570 nach Alexander Dietz auf 50.000 Gulden beziffert hatte.127 Auch van der Heyden stammte aus Antwerpen, er hatte in Frankfurt die Hamburgerin Maria de König geheiratet, ihr Vater vertrat van der Heyden bei seinen Geschäften in Hamburg als Faktor (Agent), der Bruder war für Leipzig, Lissabon und Venedig zuständig; die Töchter Margaretha und Elisabeth waren Frankfurter Bürgertöchter. Offenbar planten die de Brys und die van der Heydens ein großes und opulentes Hochzeitsfest, schließlich stellten die Väter 1594 einen Antrag an den Rat der Stadt, in dem sie um die Erlaubnis baten, mehr Hochzeitsgäste als üblicherweise genehmigt einladen zu dürfen.128 Die de Brys waren augenscheinlich nicht nur in Frankfurt „angekom121 Ebd. 122 Ebd., S. 36. 123 Van Groesen, 2004, S. 37 f. 124 Van Groesen, 2008, S. 66. Van Groesen bezieht sich auf die Angaben bei Thea Vignau-Wilberg (Hg.), Archetypa studiaque patris Georgii Hoefnagelii 1592. Nature, poetry and science in art around 1600, München 1994, S. 12 f. und 46 f. 125 Zu den Soreaus s. Gerhard Bott, Der Stillebenmaler Daniel Soreau und seine Schule, in: Kurt Wettengl (Hg.), Georg Flegel (1566–1638), Stilleben, Stuttgart 1993, S. 234–240. 126 Vgl. van Groesen, 2008, S. 66. 127 S. Alexander Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 2, Frankfurt/Main 1921, S. 44. 128 Zülch, 1935, S. 366.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

41

men“, sie hatte auch eine gehobene Stellung innerhalb der Frankfurter Bürgerschaft inne. Ein Großteil der einflussreichen Kontakte der Familie gehörte der calvinistischen Gemeinde an, die meisten hatten ihre Wurzeln in Antwerpen, und sie haben sicherlich keinen geringen Anteil daran, dass den de Brys die Eingliederung in das Frankfurter Wirtschafts- und Bürgerleben so schnell und vergleichsweise reibungslos gelingen konnte. Zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Frankfurt druckte die Familie bereits ihre ersten Bücher und schon früh arbeitete Theodor de Bry mit Sigmund Feyerabend zusammen, was eine gemeinsame Eingabe der beiden an den Rat der Stadt aus dem Jahr 1589 belegt, in der sie um den Verbleib des Druckers Jakob Kempener bitten, bis dieser die von ihnen in Auftrag gegebenen Werke fertiggestellt habe.129 Sigmund Feyerabend (ca. 1528–1590) war einer der bekanntesten Frankfurter Drucker und Verleger des 16. Jahrhunderts.130 Feyerabend stammte aus Heidelberg, hatte den Beruf des Formenschneiders erlernt und 1559 die reiche Frankfurter Patriziertocher Magdalena Berkheimer geheiratet. Im selben Jahr erhielt er das Frankfurter Bürgerrecht. Anfangs arbeitete er als Holzschneider mit den Druckern David Zöpfel und Johann Rasch zusammen, mit denen er zunächst eine prächtig illustrierte Bibel herausbrachte; im Folgenden fungierte er als Verleger ihrer Druckwerke. Aufgrund seines „großen Unternehmergeistes“ und des „rücksichtslosen Geschäftsgebarens“ (Benzing) entwickelte sich der Verlag zu einem der größten im deutschsprachigen Raum. Feyerabend verpflichtete prominente Künstler wie Virgil Solis und Jost Amman, die hochwertige Holzschnitte für ihn anfertigten, und ging 1560 mit anderen bekannten Frankfurter Druckern (Georg Rab und die Erben des Weigand Han) eine – Companei genannte – Geschäftsverbindung ein; bis 1570 brachte man zusammen 60 reich illustrierte Werke heraus. Feyerabend verlegte vorwiegend volkstümlich-historische und theologisch-scholastische Werke sowie Bücher der Jurisprudenz. Er hat jedoch auch so bekannte Reiseliteratur wie die auf Sebastian Francks Weltbuch basierende Wahrhafftige Beschreibung aller theil der welt (1567) und das Reysbuch des heyligen Lands (1584) publiziert. „Den durch Chr. Egenolff begründeten Ruf Frankfurts als führende Druckerstadt Deutschlands weitete er zu dem eines der größten Buchzentren Europas aus.“131 Allerdings war Feyerabend in den frühen 1580er-Jahren in finanzielle Schwierigkeiten geraten, sein erst 1577–1582 erbautes prachtvolles Haus neben der Liebfrauenkirche in Frankfurt musste er bereits 1584 wieder verkaufen. Es ist gut möglich, dass er sich von einer Zusammenarbeit mit den de Brys neue Impulse für sein Unternehmen versprach, schließlich kommt Theodor de Bry das Verdienst zu, die neue Antwerpener Illustrationstechnik nach Frankfurt gebracht zu haben. Die de Brys wiederum erhofften sich vermutlich von diesem erfolgreichen und cleveren Verleger einen leichteren Einstieg in das Verlagsgeschäft. Auf den Titelblättern der ersten drei Bände der Grands Voyages wird darauf hingewiesen, dass diese im Laden des Sigmund Feyerabend 129 Sondheim geht davon aus, dass es dabei um die Kupferstiche für den ersten Band der Grands Voyages gegangen sei. Moriz Sondheim, Die De Bryschen Grossen Reisen, in: Het Boek 24 (1936/37), S. 331–364, hier: S. 334. 130 Zu Feyerabend s. Josef Benzing, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18 (1977), Sp. 1077–1322, hier: Sp. 1129 f. 131 Benzing, 1977, Sp. 1130.

42 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

käuflich zu erwerben seien; Zülch vermutet denn auch, dass Theodor de Bry die gesamte Reisesammlung bei Feyerabend erscheinen lassen wollte.132 Die wie auch immer geartete Kooperation der beiden Verleger war jedoch nur von kurzer Dauer, Sigmund Feyerabend starb 1590 – die Druckerei wurde zunächst von seinen Erben übernommen, schließlich aber verkauft – und Theodor de Bry sollte im Folgenden seinen Platz als bedeutendster Verleger der Stadt einnehmen. Die ersten Bücher, die er publizierte, waren die verschiedensprachigen Ausgaben (Latein, Deutsch, Englisch, Französisch) des ersten Teils der Grands Voyages, die alle 1590 erschienen. Es war der Bericht des englischen Naturwissenschaftlers und Mathematikers Thomas Harriot,133 der mit Richard Hakluyt und Sir Walter Raleigh bekannt war und 1585 in Diensten des Letzteren nach Virginia ging und dort als Berichterstatter der zweiten Nordamerika-Expedition fungierte.134 Richard Hakluyt d. J. (ca. 1552–1616) war einer der führenden Geografen des späten 16. Jahrhunderts, der die englischen Siedlungsversuche in Übersee forcierte. Zeitweilig lehrte er Kosmografie in Oxford und arbeitete am englischen Königshof.135 In den 1580er-Jahren konzentrierte er sein kolonialpolitisches Engagement auf das englisch besetzte Gebiet von Roanoke Island im heutigen North Carolina und versuchte u.a. mit seinem Buch Discourse of Western Planting (1584) seine Landsleute zu motivieren, nach Nordamerika zu gehen und weitere Landesteile zu kolonisieren. 1589 veröffentlichte er seine Reisesammlung Principall Navigations – eine Auswahl von Reiseberichten, die der Formulierung und Legitimierung nationaler englischer Kolonialinteressen diente. Der von Harriot verfasste „Werbetext“ (Burghartz) über die erste englische Koloniegründung sollte – so der Wunsch Hakluyts – in möglichst viele Sprachen übersetzt werden, und so war er es, der Theodor de Bry nach dessen eigener Aussage ermutigt hatte, das Werk erneut zu veröffentlichen (Hakluyt selbst hatte es bereits in seinen Principall Navigations publiziert).136 De Bry hatte Hakluyt in London kennengelernt, und vermutlich hat ihm Hakluyt auch die Aquarelle John Whites, die als Bildvorlagen der de Bry’schen Stiche dienen sollten, zur Verfügung gestellt.137 Des Wei132 Zülch, 1935, S. 367. 133 Zu Thomas Harriot s. John W. Shirley (Hg.), Thomas Harriot: Renaissance Scientist, Oxford 1974. 134 Zu diesem ersten Band der Grands Voyages s. Susanna Burghartz, Mehrdeutigkeit und Superioritätsanspruch. Inszenierte Welten im kolonialen Diskurs um 1600, in: zeitenblicke 7, Nr. 2 (01.10.20081), URL: http://www.zeitenblicke.de/2008/2/burghartz/index_html (02.09.2015). Vgl. auch die Ausführungen bei Greve, 2004, S. 82 ff. Zum Verhältnis von John White, der die Vorlagen für die de Bry’schen Kupferstiche lieferte, und Theodor de Bry vgl. den Beitrag von Ute Kuhlemann, Between Reproduction, Invention and Propaganda: Theodor de Bry’s Engravings after John White’s Watercolours, in: Kim Sloan (Hg.), A New World. England’s first view of America, London 2007, S. 79–92. Zur englischen Kolonialpolitik vgl. Joyce E. Chaplin, Roanoke ‚Counterfeited According to the Truth‘, in: Sloan (Hg.), 2007, S. 51–63. 135 Zu Hakluyt s. D. B. Quinn (Hg.), The Hakluyt Handbook, 2 Bde., London 1974. 136 Im Vorwort zur englischen Ausgabe des Berichts schreibt Theodor de Bry, dass Hakluyt „first Incouraged me to publish the Worke“, Grands Voyages, Bd. I, Vorrede. 137 John White hatte den Auftrag, die Expedition bildlich zu dokumentieren. „Noch heute gelten die Bilder von John White, dem englischen Kolonisten und Maler der vor Ort in North Carolina in der später als ‚lost colony‘ bezeichneten Siedlung Roanoke gezeichnet hatte, als protoethnographische Darstellungen. Sie fehlen entsprechend

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

43

teren übersetzte Hakluyt persönlich die Bildunterschriften für die englische Version der de Bry’schen Ausgabe – Richard Hakluyt war also die treibende Kraft, die dafür sorgte, dass Theodor de Bry diesen ersten Band seiner Grands Voyages publizierte; Hakluyt selbst war auch an der Konzeption beteiligt.138 Ob das Unternehmen von Anfang an als Serienedition geplant war, ist nicht überliefert. Jedoch erschienen im Folgenden innerhalb kürzester Zeit acht weitere Bände. Mit dem Bericht von Thomas Harriot war die Amerika-Serie mit den damals aktuellsten Bildern und Texten zu (Nord-)Amerika gestartet; im Folgenden sollten vor allem besonders dramatische und spektakuläre, teilweise reißerische Bände die Sammlung bestimmen: Schon 1591 erschien der zweite Band, mit einem Text des Franzosen René de Laudonnière und den später berühmt gewordenen Illustrationen nach Jacques Le Moyne, die Theodor de Bry ebenfalls aus London mitgebracht hatte. Der Text berichtet über das sogenannte Floridamassaker, das die Spanier bereits 1564 an 200–250 Franzosen in deren erster Kolonie in Nordamerika verübt hatten und das zum Untergang der Kolonie führte. Es folgten der berühmte Text Hans Stadens über dessen Gefangenschaft bei den Tupinamba im heutigen Brasilien und der des Hugenotten Jean Léry, der ebenfalls den „Menschenfressern“ in Brasilien gewidmet war. Dem antispanischen Propagandabericht Girolamo Benzonis über die Gräueltaten der Conquista in Südamerika wurden die Bände V bis VII gewidmet; am sechsten Band hat vermutlich auch Plantins Schwiegersohn Raphelengius mitgearbeitet, wie einer der wenigen erhaltenen Briefe Theodor de Brys aus dem Jahr 1595 belegt. Darin fragt de Bry an, ob Raphelengius Bildunterschriften für die lateinische Ausgabe des sechsten Bandes der Grands Voyages anfertigen könne, die 1596 erscheinen solle. Aus dem Brief wird durch eine Anspielung de Brys deutlich, dass sich Raphelengius schon früher für diese Arbeit zur Verfügung gestellt hat.139 Die Bände VIII und IX der Grands Voyages beinhalteten nochmals aktuelle Texte: zum einen einen Bericht über den englischen Kaperkrieg unter Francis Drake, zum anderen die Historia natural des spanischen Jesuiten und Missionars José de Acosta, der erstmals umfassende Theorien zum Ursprung der Bevölkerung Südamerikas und zu deren gesellschaftlichen Strukturen aufstellte. Wie bereits erwähnt, erschien der erste Band der Sammlung noch in vier Sprachen (vielleicht auf das besondere Betreiben Hakluyts), die weiteren Bände vermutlich aus Kostengründen nur auf Deutsch und Latein. Alle Bände der Reisesammlung wurden im stattlichen Folioformat produziert und waren reich mit künstlerisch ansprechenden und aufwendigen Kupferstichen versehen, dementsprechend teuer waren sie. Aufgrund von Vergleichsdaten in keiner der Veröffentlichungen zur frühen amerikanischen Geschichte und prägen unser Bild von den ‚ersten Nordamerikanern‘ bis in die Gegenwart.“ Burghartz, 20081, S. 7. 138 Zum Einfluss Hakluyts und anderer Engländer um Sir Walter Raleigh vgl. van Groesen, 2008, S. 116 f. 139 S. van Groesen, 2004 S. 38. Ein Faksimile des auf Französisch verfassten Briefes ist abgedruckt in Heinrich Lempertz, Bilder-Hefte zur Geschichte des Bücherhandels und der mit demselben verwandten Künste und Gewerbe, Köln 1853–1865, Nr. 15. Eine englische Übersetzung des Briefes findet sich bei Giuseppi, 1916, S. 220 f. Dass es sich bei dem Adressaten des Briefes um Raphelengius handelt, ist eine Behauptung Lempertz’, die nicht überprüft werden kann, da das Original nicht mehr auffindbar ist.

44 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

schätzt Anna Greve in ihrer Dissertation, dass um 1600 die Preise für einen Band der Grands Voyages zwischen 1 und 3 Gulden betrugen – abhängig von Umfang und Zahl der eingefügten Kupferstiche.140 Der Wochenlohn eines Setzers betrug je nach Schriftgattung und Zahl der Formen zwischen ½ bis 1 Gulden und 13 ½ Batzen.141 Kaufen konnten solche Bücher nur Begüterte. Dass die Familie vor allem auch auf einen adeligen Käuferkreis zielte, zeigen die zahlreichen Widmungen an diverse Kurfürsten der Zeit. Ganz offensichtlich waren die Berichte nicht nur für Gelehrte und Literaten konzipiert: Die Illustrationen garantierten einen gewissen Unterhaltungscharakter und boten sogar dem nicht lesefähigen Publikum die Chance, die Reisen mental zu erleben. Die am Rande eines jeden Bandes angefügten Zusammenfassungen des Geschehens vereinfachten das Verständnis des Textes und ermöglichten es auch denjenigen, die des Lesens nur unzureichend mächtig waren, den Eckpunkten der Erzählung zu folgen. Zudem ließen sich die Illustrationen auch gänzlich unabhängig von den Texten betrachten; die Bilder unterbrechen nicht die Texte, sondern sind diesen jeweils am Ende beigefügt, sodass sie es vermögen, eigene Geschichten zu erzählen.142 Über die Auflagenhöhe der einzelnen Bände lässt sich nur spekulieren. Anfang des 17. Jahrhunderts betrug die übliche Auflagenhöhe eines Buches zwischen 1500 und 2000 Exemplaren; so kostenaufwendige Werke wie die de Bry’schen Reisesammlungen allerdings wurden in sehr viel niedrigerer Auflagenhöhe angefertigt. Es ist Anna Greve zuzustimmen, wenn sie davon ausgeht, dass ein Buch dieser Reihe in einer Auflage von ca. 500 Exemplaren produziert wurde. Von Matthäus Merian, dem Schwiegersohn Johann Theodor de Brys, ist die Verhandlungskorrespondenz über die Produktion des Gesellschaftsbuchs der Fruchtbringenden Gesellschaft (1646) erhalten; aufgrund der darin enthaltenen zahlreichen Kupferstiche geht Greve für dieses Werk und für Teile der Grands Voyages von vergleichbaren Produktionskosten und einer damit zusammenhängenden ähnlichen Auflagenhöhe aus. Die Auflagenhöhe des Gesellschaftsbuches betrug 500 Exemplare.143 Auch die Produktion der Prachtbände war entsprechend kostspielig: Für einen Druckbogen des Gesellschaftsbuchs hat Matthäus Merian 2 Taler veranschlagt, hinzu kamen die Berechnung von Zeichnungen, die als Vorlagen dienten, und Spesen, sodass Merian auf 1200 Taler für 400 Kupferstiche kommt.144 Der Verleger konnte seine Kosten dadurch senken, dass er die Kupferplatten in seinem Besitz beließ und er so über die im Vorfeld bestellten Exemplare hinaus weitere Stiche vertreiben konnte, oder er verkaufte die Kupferplatten an andere Drucker oder Verleger und steigerte so (einmalig) seinen Umsatz. Die de Brys jedoch beließen die Kupferplatten für ihre Reisesammlung im Familienbesitz.145 140 141 142 143 144

Vgl. Greve, 2004, S. 69. Vgl. Lübbecke, 1948, S. 48. Siehe dazu und zu den verschiedenen Rezeptionsmöglichkeiten das Kapitel 2. Vgl. Greve, 2004, S. 67 f. Ebd. Die Angaben bei Greve stammen von Martin Bircher: Martin Bircher, Matthäus Merian d. Ä. und die Fruchtbringende Gesellschaft. Der Briefwechsel über Entstehung und Drucklegung des Gesellschaftsbuchs von 1646, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18 (1977), Sp. 677–730. 145 Siehe dazu auch das Kapitel 6.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

45

Auch während der Arbeit an ihrer Reisesammlung bemühte sich die Familie weiter um den Ausbau ihres Netzwerks; vor allem suchten sie nun den Kontakt zu den Gebildeten und Kreativen, und so wandten sie sich mit Erfolg drei Humanisten von europäischem Rang zu: Der Botaniker Carolus Clusius (1526–1609) und der Altertumsforscher und Dichter Jean-Jacques Boissard (1528–1602) unterstützten die Familie in den 90er-Jahren des 16. Jahrhunderts mannigfach bei der Etablierung ihres Verlagshauses. Und auch zu dem Autor Janus Gruterus (1560–1627) lassen sich vielfältige (Arbeits-)Beziehungen nachweisen. Boissard erhielt eine humanistische Ausbildung, reiste jahrelang (u.a. mit seinem Onkel, dem Gelehrten Hugo Babelus) durch Europa und sammelte römische Artefakte. Er arbeitete als Privatlehrer für verschiedene junge Adelige und heiratete 1587 Marie Aubry, die Tochter seines bisherigen Druckers Jean Aubry. In den 1590er-Jahren ließ er all seine illustrierten Bücher bei de Bry stechen und drucken und machte die Familie zudem mit weiteren bedeutenden Gelehrten der Zeit bekannt.146 Vor allem hat er mit ihnen die schon erwähnten 100 Gelehrtenporträts herausgegeben, die ab 1597 unter dem Titel Icones quinquaginta virorum illustrium doctrina et eruditione praestantium ad vivum effictae cum eorum vitis in Frankfurt erschienen sind;147 die Texte hierzu entwarf der Frankfurter Literat Hans Adam Lonicer, der später auch an Band III der Grands Voyages mitgearbeitet hat. Die Sammlung wuchs innerhalb eines halben Jahrhunderts durch Johann Theodor und Johann Israel, deren Nachfolger und andere Kupferstecher unter dem Namen Bibliotheca chalcographica auf 438 Porträts an. Offenbar hat Boissard außerdem selbst an gut einem Viertel der de Bry’schen Werke, die in der letzten Dekade des 16. Jahrhunderts erschienen sind, mitgearbeitet; darüber hinaus hat er verschiedene Lobgedichte und Vorreden für die Familie verfasst. Die Kooperation war für beide Seiten fruchtbar, doch zeitweise auch spannungsgeladen. Dazu hat Michiel van Groesen bei seinen Archivrecherchen einen aufschlussreichen Brief von Boissard an Clusius und Janus Gruterus ausfindig machen können, der ein äußerst bezeichnendes Licht auf die Beziehung zwischen Humanisten und ihren Verlegern wirft. In dem Schreiben beklagt sich Boissard über Theodor de Bry und seine Söhne; sie waren entgegen seinem Wunsch in den Besitz eines seiner Manuskripte über alte römische Inschriften gelangt und planten, das Werk nicht in Gänze, sondern in kleinen Teilen als Serie zu publizieren – der Autor war strikt dagegen und beschwerte sich bei seinen Kollegen über die Unkenntnis und die Unwissenheit seiner Verleger, die das Werk nicht verstanden hätten und es mit ihren Plänen zur Separation zu zerstören drohten.148 Der Brief zeigt einerseits die Abhängigkeit der Autoren und die Freiheiten der Verleger, die sich noch nicht um Urheberrechte kümmern mussten, und macht andererseits deutlich, dass Boissard die de Brys als notwendiges Übel betrachtete: Er brauchte sie, um seine Schriften publik machen zu können, aber er äußerte sich über sie 146 Michiel van Groesen nennt Denis Lebey de Batilly, Julius Roscius, Petrus Lepidus und Benito Arias Montano. S. van Groesen, 2008, S. 73. 147 Vgl. dazu und zu anderen Porträtbüchern der Zeit Milan Pelc, Illustrium Imagines. Das Porträtbuch der Renaissance, Leiden/Boston/Köln 2002. 148 Vgl. Michiel van Groesen, Boissard, Clusius, De Bry and the making of Antiquitates Romanae, 1597–1602, in: Lias 29 (2002), S. 195–213.

46 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

auch – wegen ihrer fehlenden Bildung und wegen ihres Profitdenkens – leicht abschätzig. Dass viele Bücher in der Werkstatt de Bry mit heißer Nadel gestrickt wurden und dabei der Qualitätsanspruch der Autoren auf der Strecke bleiben konnte, diesen Eindruck vermittelt auch ein Abschnitt aus der Vorrede eines Werks des Militärschriftstellers Johann Jakob von Wallhausen (Kriegskunst zu Fuß), das 1615 bei de Bry erschien. Der Autor gibt dem Leser entschuldigend zu bedenken, „daß dies Erste Buch, so die Kriegskunst zu Fuß in sich hält, etwas in der eyl, beydes mit dem trucken, wie auch mit kupferstücken zu verfewrtigen, ist ins Werck gesetzt worden, also daß die Materia nit […] wie ich gern wollte haben, gerichtet.“149 Auch andere Gebildete im de Bry’schen Umfeld betrachteten die Verleger nicht als ihresgleichen, sondern äußerten sich oftmals mit despektierlichem Unterton über die „businessmen“, zu denen auch Carolus Clusius sie zählte, der sich über die mangelnden Lateinkenntnisse der de Brys lustig machte und in dessen Briefen deutlich wird, dass sie in den intellektuellen Kreisen nur eine Randposition innehatten.150 Dennoch war Clusius ein wichtiger Geschäftspartner und guter Freund der Familie, der zudem enge Kontakte zur Druckerei Plantin-Moretus und auch zu Jean Aubry pflegte und der durch sein Wissen, seine emsige Mitarbeit und seine Kontakte zu Humanisten in ganz Europa für das in Frankfurt entstehende Verlagshaus eine bedeutende Rolle spielte. Clusius wurde in Arras im heutigen Flandern geboren und studierte Jurisprudenz, Medizin und Philosophie an verschiedenen europäischen Universitäten. Der Naturforscher Guillaume Rondelet begeisterte ihn für die Botanik. 1573 wurde er Hofbotaniker bei Maximilian II. in Wien; als dessen Sohn Rudolf II. 1576 alle Reformierten des Hofes verwies, gelangte Clusius 1587 über verschiedene Stationen in Österreich nach Frankfurt. Obwohl er ab 1593 eine Professur für Botanik in Leiden innehatte, hielt er den Kontakt zur Familie de Bry in Frankfurt. Clusius übersetzte und bearbeitete u.a. die ersten drei Teile der Grands Voyages und machte die de Brys mit weiteren Humanisten, so z.B. mit dem Arzt und Botaniker Joachim Camerarius d. J. (1534–1598), bekannt. Einen engen Kontakt hatten die de Brys offenbar auch zu dem Schriftsteller und Polyhistor Janus Gruterus (1560–1627), der Theodor de Bry in sein Album amicorum aufgenommen und später ein Lobgedicht auf Johann Theodor verfasst hat, in dem er sich auf ihre langjährige Freundschaft bezieht und ihm seine Bewunderung ausspricht.151 Der gebürtige Antwerpener Gruterus war während des niederländischen Befreiungskrieges nach Großbritannien geflohen und hatte in Cambridge studiert; nach Zwischenstationen in Leiden, Rostock und Wittenberg wurde er von Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz nach Heidelberg berufen, wo er als Professor für Geschichte lehrte und ab 1603 die Bibliotheca Palatina leitete. Clusius, Boissard und Gruterus waren jedoch die einzigen Gelehrten von europäischem Rang, die so eng mit der Familie zusammenarbeiteten. Die meisten der de Bry’schen Autoren (mit Ausnahme von Boissard und dem Baseler Botaniker und Mediziner Caspar Bauhin) 149 Johann Jakob von Wallhausen, Kriegskunst zu Fuß, Frankfurt/Main 1615, Vorrede. 150 Vgl. van Groesen, 2008, S. 65 ff. 151 Van Groesen, 2008, S. 76. Van Groesen bezieht sich auf die Angaben bei Chris L. Heesakkers, Das Stammbuch des Janus Gruterus, in: Bibliothek und Wissenschaft 21 (1987), S. 68–113, hier: S. 86.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

47

gehörten nicht zur ersten Garde der Humanisten des frühen 17. Jahrhunderts; vielmehr verlegten die de Brys Bücher des Juristen und Bibliophilen Melchior Goldast, der Mediziner Johann Georg Schenck von Grafenberg und Wilhelm Fabry, des Juristen Marquard Freher (Rat des Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz), des Frankfurter Literaten Johann Adam Lonicer, der Architekten Jacques Perret und Daniel Meyer, des Alchemisten Franz Kessler und des Polyhistors Gotthard Arthus. Ferner stachen sie die Illustrationen zu prachtvollen Kostüm- und Blumenbüchern und zu ihrem berühmten Emblembuch Emblemata Secularia.152 Das Hauptwerk der Familie blieb aber die Reisesammlung. Die de Brys waren Verleger und Kupferstecher, die ihre Werke nicht selbst druckten, sondern verschiedene Frankfurter Lohndruckereien beauftragten. Zum Ende des 16. Jahrhunderts hatten sich aus Verlegern und Druckern zwei getrennte Berufszweige entwickelt, während es in den ersten Jahrzehnten nach Einführung des Buchdrucks in Europa noch überwiegend Verlagsdrucker gegeben hatte. In der Regel wurden auf den Titelblättern Drucker und Verleger nebeneinander angegeben, was auf eine Gleichwertigkeit beider im Produktionsprozess schließen lässt. Die de Brys arbeiteten überwiegend mit den großen Druckerwerkstätten Frankfurts zusammen: Feyerabend, Wechel, Richter, Kempffer, Becker und Galler. Der gesundheitlich angeschlagene Vater wurde in Frankfurt von Beginn an von seinen Söhnen Johann Theodor und Johann Israel unterstützt; so heißt es im Vorwort zum ersten Teil der Grands Voyages aus dem Jahr 1590: „Zu London habe ich sie alle beyde [die Illustrationen von John White und Jacques Le Moyne, D.S.] bekommen, und hierher gen Franckfurt gebracht, alda ich mit meynen zweyen Sönen, auffs aller fleissigste die Figuren in Kupffer gestochen hab.“ Allerdings hat diese Zusammenarbeit wohl nicht immer reibungslos funktioniert, so beschwert sich Theodor de Bry in dem bereits erwähnten Brief an Raphelengius über die mangelhafte Mitarbeit seiner beiden Söhne.153 Vor allem aber berichtet er ihm, dass die Söhne eine eigene Abteilung innerhalb der Werkstatt gegründet hätten – bereits im selben Jahr erschienen die ersten Bücher unter ihrem Namen. 1598 starb Theodor de Bry und seine beiden Söhne übernahmen zusammen mit seiner zweiten Frau Katharina (1542–1610) die väterlichen Geschäfte.154 Bereits ein Jahr vor seinem Tod hatten die Söhne – vielleicht vom Erfolg der Amerika-Serie bestätigt – den ersten Band einer zweiten Serie von Reisen in das „Orientalische Indien“ veröffentlicht, die wegen ihres etwas kleineren Formats später als Petits Voyages bezeichnet worden sind: Es war die Übersetzung des bereits 1591 in Rom erschienenen Reiseberichts Filippo Pigafettas, der auf den Erzählungen des Portugiesen Eduardo Lopez basiert, der 1578 das partiell christianisierte Königreich Kongo bereist hatte. Ab dem Jahre 1598 erschien einer der einflussreichsten Afrika- und Indienberichte der damaligen Zeit, der des Niederländers Jan Huygen van Linschoten, in drei Fortsetzungen (1598, 1599, 1600). Im Folgenden wurden innerhalb kürzester Zeit (1601–1613) sechs weitere Berichte – die meisten von Angestellten der Niederländischen 152 Siehe zu den von de Bry verlegten Büchern den Anhang bei van Groesen, 2008, S. 390–507. 153 Dieser Brief findet sich als Faksimile in Lempertz, 1853–1865, Nr. 15. 154 Vgl. Greve, 2004, S. 32.

48 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

Ostindien-Kompanie – publiziert. 1618 folgte nach einigen Jahren Unterbrechung der elfte Band, 1628 – fünf Jahre nach dem Tod Johann Theodors und 20 Jahre nach Johann Israels Ableben – wurde die Serie von einem Schwiegersohn Johann Theodors, William Fitzer, mit dem zwölften und dem dreizehnten Band abgeschlossen. Mit ihren Petits Voyages dokumentierten und begleiteten die de Brys die Anfänge der niederländischen Expansion gewissermaßen in Echtzeit – zwischen 1599 bis 1606 starteten in jedem Jahr niederländische Flotten in Richtung Indien und Südostasien und bereits wenige Monate nach ihrer Rückkehr wurde die Reise von den de Brys medial aufbereitet.155 Nach dem Tod Theodor de Brys arbeiteten die Brüder gemeinsam im väterlichen Verlag und teilten sich die Zuständigkeiten: Johann Theodor war für den künstlerischen Bereich verantwortlich, Johann Israel für das Finanzielle und das Rechtliche. Offenbar arbeiteten sie äußerst eng zusammen: Alle Drucke sind mit ihrer beider Namen gezeichnet und auch alle von ihnen verfassten Briefe trugen beide Unterschriften.156 Um 1600 zogen die Brüder an die Frankfurter Zeil, nördlich des Buchhändlerviertels, wie viele andere, die im Buchhandel arbeiteten: die Verleger Johann Theobald Schönwetter; die Drucker Wolfgang Richter (der zwischen 1601 und 1608 einen Großteil der de Bry’schen Bücher druckte) und Erasmus Kempffer sowie Jean Aubry, bevor er nach Hanau wechselte; der Kupferstecher Hans Eckenthaler, der auch für die de Brys arbeitete, die Autoren Johann Adam Lonicer und Gotthard Arthus u.a.m.157 Die Zeit um 1600 war die Blütezeit des Verlags und auch die Arbeit an seinem Prestigeobjekt, der kostbaren Reisesammlung, erreichte in diesen Jahren ihren Höhepunkt. Zwischen 1597 und 1606 erschienen in jedem Jahr neue Bände mit prachtvollen und aufwendigen Kupferstichen und (teilweise) in Deutschland erstmals veröffentlichten Texten. Für die Gestaltung eines neuen Bandes benötigte die Werkstatt ein ganzes Jahr, gerechnet von dem Zeitpunkt, an dem sie einen neuen Text erhalten hatte, bis zur Publikation: Der Text musste sowohl ins Deutsche als auch ins Lateinische übersetzt und/oder redigiert werden und die Illustrationen mussten entworfen, gezeichnet und schließlich gestochen werden; dabei musste entschieden werden, ob vorhandene Illustrationen kopiert, modifiziert oder neu kombiniert werden sollten, wie viele eigene Bilder hinzugefügt werden und wie diese gestaltet werden sollten. Gut 55 % der Stiche beider Teile der Reisesammlung wurden von der Frankfurter Werkstatt gegenüber dem Original deutlich verändert bzw. gänzlich neu gestaltet.158 „Many of these constructions were based on familiar sixteenth-century iconography. The de Brys routinely copied elements from other prints and paintings, and relocated these artistically attractive scenes to the

155 Siehe dazu auch das Kapitel 2. 156 Vgl. van Groesen, 2008, S. 72. 157 S. Wilhelm Bingsohn, Matthaeus Merian, sein soziales Umfeld und die Geschichte der Stadt Frankfurt a.M. 1590–1650, in: Matthaeus Merian der Aeltere. Catalog zu Ausstellungen im Museum für Kunsthandwerk Franckfurt am Mayn und im Kunstmuseum Basel, Frankfurt/Main 1993, S. 19–27, hier: S. 21. 158 S. van Groesen, 2008, S. 124.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

49

Orient or to the New World. This technique was common practice in the early modern period, and may 159

have helped readers to understand the illustrations.“

Die Übersetzungen und die Arbeiten in der Kupferstichwerkstatt liefen parallel; offenbar haben die Kupferstecher dabei eng mit den Übersetzern und Korrektoren zusammengearbeitet; die Kupferstiche der einzelnen Bände legen diesen Schluss nahe, da sie von einer detaillierten Kenntnis auch der Texte zeugen, die zuvor nicht bzw. ohne Illustrationen publiziert worden waren. Der Großteil der Stiche wurde von den de Brys selbst gestochen, doch beschäftigte die Familie für den ein oder den anderen Band auch externe Stecher.160 Nach welchen Kriterien die de Brys die Texte für ihre beiden Reiseeditionen auswählten, lässt sich heute kaum mehr rekonstruieren, zu unterschiedlich waren die Vorlagen: bereits gedruckte Bücher und Manuskripte, illustrierte und nichtillustrierte Werke, aktuelle Texte und solche, die schon mehrere Jahre, manchmal gar Jahrzehnte, auf dem Buchmarkt zirkulierten, bereits erfolgreiche Berichte und gänzlich unbekannte, sehr lange und äußerst kurze Texte, (wenige) Texte von Katholiken und solche von Protestanten, niederländische, spanische, deutsche, englische, italienische und französische Texte. Sicherlich achteten die de Brys auf die Absetzbarkeit der von ihnen publizierten Werke, waren sie doch clevere Geschäftsleute und ausgesprochen marktorientiert. In der älteren De-Bry-Forschung hat man vor allem die streng konfessionelle Ausrichtung des Verlags betont, die durch Vertreibung, Flucht und religiöse Intoleranz geprägte Biografie der de Brys habe sich auch auf deren berufliche Tätigkeit ausgewirkt; vor allem die Grands Voyages wurden zur Untermauerung dieser These herangezogen. Tatsächlich aber zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass die Familie zwischen Beruflichem und Privatem – ihrem Glauben – zu trennen wusste. Anders ist nicht zu erklären, dass die de Brys mit zahlreichen Lutheranern, Katholiken und Juden geschäftlich kooperierten – und dies auch, wenn es förderlich war, explizit betonten – und dass sie ihre Bücher auf die unterschiedlichen Absatzmärkte auszurichten wussten: So haben sie die lateinischen Ausgaben der Grands Voyages, also die Bücher, die für einen erweiterten europäischen – auch katholischen – Markt bestimmt waren, gegenüber den deutschen Versionen so modifiziert, dass sie besonders kritische, antikatholische Passagen gestrichen bzw. relativiert haben. Die Familie hatte ihr Lesepublikum also stets im Blick und stellte Marktfähigkeit über Ideologie.161 Ein weiteres wichtiges Kriterium war natürlich die generelle Verfügbarkeit der Texte. Die de Brys erhielten die Textvorlagen auf zwei Wegen: Zum einen hatten sie die Möglichkeit, auf ihr weitgespanntes Netzwerk zurückzugreifen und Texte und Bildmaterial von einem ihrer vielen Kontakte zu erhalten. So war der niederländische Wissenschaftler und Künstler Bernardus Paludanus (1550–1633) ein wichtiger Lieferant für Reisebeschreibungen. Paludanus

159 Van Groesen, 2008, S. 124. 160 Vgl. Greve, 2004, S. 55 f. 161 Vgl. dazu erstmals van Groesen, 2008.

50 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

erlangte vor allem durch sein Raritätenkabinett Berühmtheit.162 Er war eng mit Carolus Clusius befreundet und hatte als Freund und Nachbar Jan Huyghen van Linschotens an dessen berühmtem Reisebericht mitgearbeitet.163 Vermutlich war Paludanus daran interessiert, eine breite, auch internationale Leserschaft für den Bericht zu gewinnen. Johann Theodor und Johann Israel bezeichnen ihn in ihrem Vorwort zum dritten Band der Petits Voyages als ihren „Förderer“.164 Paludanus hat sich um 1598 in Frankfurt aufgehalten165 und für die de Brys die Berichte drei und vier der Petits Voyages übersetzt. Ein weiterer wichtiger Mitarbeiter in ähnlicher Funktion war der Frankfurter Lehrer und Autor Gotthard Arthus von Dantzig, den die Brüder de Bry im Jahre 1601 beauftragten, die Texte nicht nur zu übersetzen, sondern auch zu bearbeiten. Gotthard Arthus verfasste zudem zahlreiche eigene Bücher und Abhandlungen; laut Krollmann war er „einer der fleißigsten Mitarbeiter der Frankfurter Historiographie jener Zeit.“166 Am meisten Bedeutung erlangte er durch die Fortsetzung des viel gelesenen mehrbändigen Werkes von Jansonius Mercurius Gallo – Belgicus: Arthus hat die Teile 3–15 geschrieben, welche die Zeitgeschichte von 1603 bis 1629 umfassen. Gotthard Arthus von Dantzig fand in der De-Bry-Forschung bisher kaum Erwähnung, obwohl er nicht nur ein im Frankfurt der damaligen Zeit bekannter Historiker, sondern auch einer der ersten deutschen Indologen und Asienforscher war – ein typischer Vertreter der sogenannten Lehnstuhlgelehrten –, der bereits im Jahr 1600 eine umfangreiche Geschichte Ostindiens herausgegeben hatte und später (1612) ein malaiisch-lateinisches Wörterbuch folgen ließ, das in Band IX der Petits Voyages abgedruckt wurde (das deutsch-malaiische Äquivalent erschien im XI. Band der Schiffahrten von Hulsius). Der Lutheraner Gotthard Arthus hatte großen Anteil an den gedruckten Fassungen der Reiseberichte der Petits Voyages: Er übersetzte die Bände V bis IX (1601, 1604, 1605, 1606, 1612/13) und redigierte sie auch hinsichtlich des Stils und des Inhalts; neben dieser Tätigkeit als Übersetzer und Korrektor wirkte Arthus an der Entstehung des zehnten Teils mit, der ebenfalls 1613 erschien. Er enthält eine Sammlung mehrerer kurzer Berichte über die Suche nach einer Durchfahrt zu den ostasiatischen Ländern. Alle Textfassungen wurden von Arthus selbst erstellt. Auch die Texte zum achten Band der Petits Voyages hat Arthus – der „großgünstige[ ] Herr und Gönner“ – nicht nur übersetzt, sondern auch selbst beschafft und den de Brys übersandt, wie sie selbst im Vorwort zu diesem Band schreiben.167 Gotthard Arthus von Dantzig spielte eine zentrale Rolle bei Konzeption und Gestaltung der verschiedenen Berichte. So hat eine Detailanalyse des neunten Bandes der Petits Voyages gezeigt, dass der als Herausgeber fungierende Gotthard Arthus den ursprünglich äußerst 162 Zu Paludanus s. Roelof van Gelder, Paradijsvogels in Enkhuizen. De relatie tussen Van Linschoten en Bernardus Paludanus, in: ders., Jan Parmentier, Vibeke Roeper (Hg.), Souffrir pour parvenir. De wereld van Jan Huygen van Linschoten, Haarlem 1998, S. 30–50. 163 Petits Voyages, Bd. III, 1599, Vorrede. 164 Ebd. 165 Ebd. 166 ADB, Bd. 1 (1875), S. 217. 167 Petits Voyages, Bd. VIII, 1606, Vorrede.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

51

nüchternen und lakonischen Reisebericht Johann Verkens, der als Angestellter der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) nach Südostasien und zu den Gewürzinseln gereist war, mit landeskundlichen Informationen und farbigen Sittengemälden aus den fremden Ländern angereichert und so für das potenzielle Zielpublikum des Verlages attraktiver und interessanter gestaltet hat. Dazu standen ihm bereits in den Petits Voyages publizierte Reiseberichte zur Verfügung. Insbesondere fügte Arthus dem Bericht Informationen zu fremdartigen und bedrohlichen Ritualen hinzu, die die exotische Alterität der bereisten Länder unterstreichen sollten. Dieser neunte Band ist ein gutes Beispiel für die intertextuellen Bezüge der verschiedenen Bände und die Re-Zirkulationen innerhalb der Reisesammlung. Der zweite Weg, um an Textvorlagen zu gelangen, führte über andere Verleger und Buchhändler; vor allem zu dem bekannten Amsterdamer Verleger Cornelis Claesz pflegten die de Brys enge wirtschaftliche Beziehungen, ein Großteil des Materials für die Petits Voyages stammt von ihm. Insgesamt zehn Texte der de Bry’schen Reisesammlungen wurden vorher in Amsterdam bei Cornelis Claesz publiziert.168 Besonders eng arbeitete die Familie offenbar auch mit dem Frankfurter Verleger Levinus Hulsius zusammen, der seit 1598 ebenfalls eine umfangreiche Reisesammlung, die Schiffahrten, herausgegeben hatte. Hulsius wurde 1546 in eine wohlhabende Brauerfamilie in Gent geboren;169 ob er an verschiedenen Universitäten seines Landes Sprachen und Mathematik studierte, wie Adolf Asher vermutet,170 oder ob er ebenso wie sein Vater den Beruf des Brauers erlernte, wie Ernst Merkel behauptet,171 konnte bislang nicht zweifelsfrei geklärt werden. Sicher ist, dass der überzeugte Calvinist Hulsius Gent – vermutlich wegen der religiösen Unruhen gegen die spanische Herrschaft – im Jahre 1584 verließ. Über Bremen kam er nach Frankenthal/Pfalz, wo er als Französischlehrer arbeitete; bereits 1586 erlangte er das Bürgerrecht. Spätestens 1591 siedelte er nach Nürnberg über, wo er wiederum als Schulmeister und Notar tätig war; hier begann er auch seinen Buchhandel aufzubauen. Den ersten Höhepunkt erreichte seine Buchproduktion wohl in den Jahren 1596/97; seit dieser Zeit existierten auch erste Kontakte nach Frankfurt. 1601 beantragte er das Frankfurter Bürgerrecht, das er 1602 auch tatsächlich erhielt. Levinus Hulsius war ein vielseitig interessierter Gelehrter; sein besonderes Interesse galt Mathematik, Astronomie, Kartografie und Sprachen. So veröffentlichte er u.a. ein eigenes „Geometriebüchlein“, Schriften über Kompass und Sonnenuhr, eine unbekannte Anzahl von Landkarten und ein überaus erfolgreiches deutsch-französisches Wörterbuch. Einem solchen Interessenprofil entsprach die Übersetzung, Bearbeitung und Publikation von 168 Zu Claesz siehe ausführlicher die Kapitel 2 und 4. Zum Austausch der beiden Verlagshäuser siehe das Kapitel 6. 169 Zu Hulsius siehe A[dolf ]. Asher, Bibliographical Essay on the Collection of Voyages and Travels, edited and published by Levinus Hulsius and his successors at Nuremberg and Francfort from anno 1598 to 1660, London/Berlin 1839; Josef Benzing, Levinus Hulsius, Schriftsteller und Verleger, in: Mitteilungen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 7,2 (1958), S. 3–7; ders., Johann Theodor de Bry, Levinus Hulsius Witwe und Hieronymus Galler als Verleger und Drucker zu Oppenheim (1610–1620), in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 9 (1969), Sp. 589–642; Ernst Merkel, Der Buchhändler Levinus Hulsius, gest. 1606 zu Frankfurt am Main, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 57 (1980), S. 7–18, und Jutta Steffen-Schrade, 2004. 170 S. Asher, 1839, S. 12 f. 171 S. Merkel, 1980, S. 9.

52 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

Reiseberichten aus Übersee in geradezu idealer Weise. So brachte Hulsius 1598 den ersten Band der Sammlung von Sechs und zwanzig Schiffahrten der Holländer und Seeländer nach Ost- und Westindien, wie auch nach Norden auf den Markt, dem bis 1650 25 weitere Bände folgen sollten, die nach seinem Tod 1606 von Hulsius’ Erben publiziert wurden. Offensichtlich bestanden mehr oder weniger enge Beziehungen zwischen den de Brys und dem Familienunternehmen von Hulsius: Sowohl Johann Theodor de Bry als auch Hulsius’ Familie verlegten ihren Wohnsitz 1609 nach Oppenheim (s.u.), Hulsius’ Sohn Esaias war Goldarbeiter bei de Bry172 und Gotthard Arthus hat nicht nur bei den de Brys, sondern mindestens auch an einer Schiffahrt von Levinus Hulsius mitgearbeitet. Für die enge Zusammenarbeit der beiden Verlagshäuser sprechen nach den Archivrecherchen Michiel van Groesens verschiedene Einträge in den Frankfurter Ratsbüchern: So kooperierten die beiden Familien bei der Publikation der 1596 von den de Brys veröffentlichten Historia chronologica Pannoniae. Hulsius’ Name erschien zwar nicht auf dem Titelblatt der Erstausgabe, doch findet sich in Theodor de Brys Bitte um Publikationserlaubnis, die er im selben Jahr an den Frankfurter Rat stellte, der Zusatz, diese Historia sei von Levinus Hulsius zusammengestellt. Das Werk wurde zur Ostermesse veröffentlicht, im September des Jahres 1596 erschien zudem ein von Hulsius herausgegebenes analoges Werk unter dem Titel Chronologica Pannonia.173 Entgegen der Annahme der älteren Forschung, die die beiden Häuser als erbitterte Konkurrenten sah, kann man heute von einer engen Kooperation der beiden Verlagshäuser auch in Bezug auf die Reisesammlungen ausgehen; es ist anzunehmen, dass es die de Brys mit ihrer aggressiven Marktstrategie gar nicht zugelassen hätten, dass sich ein Konkurrenzunternehmen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft etablierte.174 Viele der bei de Bry innerhalb der Grands und der Petits Voyages publizierten Texte erschienen auch bei Hulsius – in leicht abgewandelter Form, mit künstlerisch weniger anspruchsvollen Kupferstichen und im Quartformat für einen weniger exklusiven Käuferkreis konzipiert175 – und waren ausgesprochen erfolgreich: Die ersten acht Bände erschienen in mindestens zwei Auflagen, Neuausgaben wurden bis 1630 publiziert. Die de Bry’sche Reiseedition war ganz offensichtlich eine Unternehmung, an der zahlreiche Mitarbeiter, Kollegen und Hilfskräfte beteiligt waren, und stellte keinesfalls eine Einzelleistung der Familie dar. Das gut ausgebildete de Bry’sche Netzwerk trug wesentlich zum Erfolg der Serie bei. Wie sehr diese im Laufe der Jahre zum Herzstück des Verlags und zum

172 Vgl. Merkel, 1980, S. 14. 173 Siehe van Groesen, 2008, S. 347. Van Groesen führt noch ein weiteres gewichtiges Argument für die Kooperation der beiden Häuser an: Er verweist darauf, dass Hulsius seine Leser in einem Vorwort zur achten Schiffahrt, Frankfurt/Main 1608, auf die Reisesammlung der de Brys hinwies: „Was einem von seinen Schiffen den Holländischen Zaun genennet, begenet, […] hat Johan Herman von Bree […] fleissig beschrieben, unnd ist von den Herrn de Bry in Truck gegeben und bei ihnen zu finden.“ Zit. nach van Groesen, 2008, S. 350. 174 S. dazu erstmals van Groesen, 2008, S. 349. 175 Michiel van Groesen spricht daher auch von einer Taschenbuchausgabe aus dem Hause Hulsius, s. van Groesen, 2008, S. 352.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

53

Abb. 4 Selbstporträt Johann Theodor de Bry

Identifikationsprojekt ihrer Verleger geworden war, veranschaulicht ein Selbstporträt Johann Theodor de Brys aus dem Jahr 1615. Es zeigt diesen als 52-jährigen Bürger mit Halskrause, in hochwertiger Kleidung, jedoch – im Gegensatz zum Vater – ohne Pelz. Stolz blickt er den Betrachter an, in der rechten Hand hält er einen Grabstichel, der ihn eindeutig als Kupferstecher ausweist; mit diesem positioniert er sich, anders als sein Vater mit dem Zirkel, eher im reproduzierenden Gewerbe als in einer schöpferischen Tätigkeit. Neben seiner rechten Hand mit dem Stichel ist das de Bry’sche Familienmotto Nul sans soucy de Bry zu lesen, auf dem Tisch oder der Ablage vor ihm liegt ein Blatt mit Bibelversen: zum einen ein Zitat aus dem Johannesevangelium 8,51: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit. Außerdem die Verse 21 f. aus Psalm 139: Ich hasse ja, HERR, die dich hassen, und es verdrießt mich an ihnen, daß sie sich wider dich setzen. Ich hasse sie im rechten Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden. Diesen Psalmausschnitt hat Calvin als Argumentationsgrundlage genutzt, um die Bedeutung des Hasses in der theologischen Auseinandersetzung zu betonen.176 Durch 176 Vgl. van Groesen, 2008, S. 107.

54 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

Zufügung der Bibelstellen positioniert sich de Bry im theologischen Diskurs und gibt sich explizit als Calvinist zu erkennen. In der linken Hand hält Johann Theodor einen Kupferstich, auf dem ein an eine Putte erinnernder Junge zu sehen ist, der mit Seifenblasen spielt und auf einem Totenschädel sitzt. Auch hier werden also Memento-mori-Symbole verwendet. Doch können diese vielleicht auch als letzte Reminiszenz an den Vater gewertet werden, denn ansonsten verbleibt Johann Theodor im Hier und Jetzt, mit einem expliziten Fokus auf sein verlegerisches Schaffen bzw. auf das Aushängeschild des Familienunternehmens: Neben dem Blatt mit den Bibelversen liegen zwei Stapel mit Druckbögen, die als India Orientalis und India Occidentalis ausgewiesen sind. Ganz offensichtlich verstand sich der Erbe Theodor de Brys weniger als Künstler denn als Buchhändler. Die Identifikation mit dem Opus magnum des Verlags ging sogar noch weiter: So wurde eines der zwei Häuser in Frankfurt, nachdem es in Johann Theodors Besitz gelangt war, umbenannt und hieß fortan „Zum Indianischen König“.177 Trotz der guten Vernetzung innerhalb der Frankfurter Bürgerschaft entschied sich Johann Theodor de Bry 1608 – im Todesjahr seines Bruders Johann Israel –, Frankfurt zu verlassen. Die Gründe für eine erneute Emigration waren vielfältig: Zum einen sind sicherlich religiöse Motive zu nennen; es wurde für die Calvinisten in Frankfurt immer schwieriger, ihren Glauben frei auszuüben. Die Situation verschärfte sich, als im Juli 1608 die calvinistische Kirche in Bockenheim (einem kleinen Dorf vor Frankfurt) in Flammen aufging und der Magistrat der Stadt beschloss, sie nicht wieder aufzubauen und reformierte Gottesdienste im Folgenden zu verbieten.178 Eine Vielzahl der Reformierten beschloss daraufhin, die Stadt zu verlassen, und Johann Theodor entschied sich dafür, sich ihnen anzuschließen. Zusammen mit zwei engen Freunden beabsichtigte er, seinen Wohnsitz in die kleine pfälzische Stadt Oppenheim zu verlegen, und so stellte er einen Antrag an den Rat der Stadt Frankfurt, in dem er – zur „Ausübung seiner Religion und zum Wohl seiner Kinder“ – um die Erlaubnis zum Umzug bat.179 Oppenheim, das unter der Regentschaft des reformierten Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz stand, war eines der Zentren des niederländischen und englischen Protestantismus und sorgte für gute wirtschaftliche Bedingungen für seine (protestantischen) Immigranten,180 zudem herrschte in der Stadt eine liberale intellektuelle Atmosphäre. Offenbar planten die de Brys, so vermutet es Michiel van Groesen, in Oppenheim eine Zweigstelle ihres Verlags zu gründen, während der Hauptsitz – unter der Leitung Johann Israels – in Frankfurt verbleiben sollte. Johann Israels überraschender Tod im Dezember 1609 machte die Pläne zunichte und brachte seinen älteren Bruder in eine schwierige Lage: Ein Rückzug nach Frankfurt war ausgeschlossen und die Filiale in Oppenheim hatte ihre Arbeit noch nicht aufgenommen. So brachte Johann Theodor de Bry in den Jahren 1610 und 1611 nur zwei neue Titel auf den 177 178 179 180

Vgl. van Groesen, 2008, S. 108, und Bingsohn, 1993, S. 21. Vgl. van Groesen, 2008, S. 88; vgl. außerdem Bingsohn, 1993, ebd. Greve, 2004, S. 36. Den Händlern aus Frankfurt wurden u.a. Steuererleichterungen gewährt, vgl. van Groesen, 2008, S. 88. Die folgenden Angaben beziehen sich auf van Groesen, 2008, S. 88 ff.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

55

Markt und auch seine Verkäufe nach Antwerpen, zur Druckerei Moretus, wurden unterbrochen. Doch ab dem Jahr 1612 ging es wieder aufwärts mit dem Verlag, was zum einen den guten Bedingungen in Oppenheim und der Unterstützung durch den Kurfürsten, zum anderen dem Geschäftssinn Johann Theodors zu verdanken ist. Oppenheim war innerhalb des Kurfürstentums ein wichtiges Zentrum alchemistischer und okkulter Literatur, und so kam der Verlag mit bedeutenden alchemistischen Forschern und Autoren in Kontakt, deren vieldiskutierte Werke die de Brys in ihr Verlagsprogramm aufnehmen konnten.181 Zudem arbeitete Johann Theodor eng mit der Witwe von Levinus Hulsius, die ebenfalls nach Oppenheim ausgewandert war, und mit den Druckern Hans Eckenthaler und Hieronymus Galler zusammen.182 Außerdem konnte er mit talentierter künstlerischer Unterstützung rechnen: Lucas Jennis d. J., der Stiefsohn Johann Israels, arbeitete vermutlich seit der Heirat seiner Mutter mit Johann Israel im Jahr 1607 – da war Jennis 17 Jahre alt – im Verlag seines Stiefvaters und Stiefonkels und entwickelte sich zu einem anerkannten und begabten Kupferstecher, der einen engen Kontakt zu Moretus nach Antwerpen pflegte und sich innerhalb des de Bry’schen Verlagshauses vor allem mit der Illustration alchemistischer Werke beschäftigte. Um 1616 ging Jennis zurück nach Frankfurt, wo er seinen eigenen Verlag gründete, aber dennoch weiterhin eng mit Johann Theodor und Matthäus Merian zusammenarbeitete.183 Der ausgebildete Kupferstecher Merian (geboren 1593 in Basel) war 1616 nach Aufenthalten in Straßburg, Nancy und Paris nach Oppenheim zu den de Brys gekommen; im Februar 1617 heiratete er Johann Theodors älteste Tochter Maria Magdalena. Seit 1616 arbeitete er also in der Werkstatt de Bry, führte daneben jedoch auch eigene Arbeiten unter seinem Namen aus.184 Johann Theodor de Bry pflegte weiterhin enge Beziehungen zu Frankfurt. Nicht nur besuchte er die zweimal im Jahr stattfindenden Messen, er ließ auch zwischen 1612 und 1619 ungefähr die Hälfte seiner Titel in Frankfurt publizieren. Von großer Bedeutung und hohem ökonomischen Wert waren nach wie vor die vielfältigen Kontakte in die Niederlande, deren Buchhändler spätestens nach dem Friedensabkommen mit Spanien 1609 zu den ökonomisch erfolgreichsten in Europa aufgestiegen waren. Der de Bry’sche Verlag partizipierte mannigfach an diesem Aufschwung: Durch die gestiegene Kaufkraft der niederländischen Drucker, Verleger und Buchhändler besuchten mehr von ihnen die Frankfurter Messen und kauften in höherem Maße die dort angebotenen Drucke. Dass sich auch gerade die de Bry’schen Produkte gut verkauften, zeigt ein Blick in die Bücher der Familie Moretus: Während Jan 181 Siehe dazu auch das Kapitel 5. 182 „Galler and Eckenthaler thus created the ideal, stable conditions for a continuous flow of illustrated books.“ Michiel van Groesen, 2008, S. 92. 183 Der 1590 in Frankfurt geborene Lucas Jennis war der Sohn von Lucas Jennis d. Ä. (1575–1606), einem wohlhabenden Goldschmied, Juwelier und Kupferstecher aus Brüssel, der – vermutlich ebenfalls aus religiösen Gründen – nach Frankfurt ausgewandert war. Zu Lucas Jennis d. J. vgl. Edith Trenczak, Lucas Jennis als Verleger alchimistischer Bildertraktate, in: Gutenberg-Jahrbuch 1965, S. 324–337. 184 Matthäus Merian ist heute vermutlich der bekannteste Kupferstecher seiner Zeit, der vor allem für seine zahlreichen Stadtansichten berühmt wurde, jedoch auch als Universalgelehrter gelten kann. Zu seinem Leben und Werk erschienen diverse Monografien, s. hier vor allem die jüngst erschienene umfangreiche Biografie von Lucas Heinrich Wüthrich, Matthäus Merian d. Ä. Eine Biographie, Hamburg 2007.

56 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

Moretus in den knapp 20 Jahren zwischen 1590 und 1609 875 Gulden für de Bry’schen Druckwerke ausgegeben hatte, zahlten seine Söhne Balthasar und Jan II. in der zweiten Dekade des 17. Jahrhunderts allein insgesamt 925 Gulden.185 Ebenfalls lukrativ für den Verlag war die Möglichkeit, sich die Kosten für bestimmte Publikationen mit niederländischen Kollegen zu teilen, so kam es zu Kooperationen mit den Amsterdamer Verlegern Dirck Petersz Pers und Hendrick Laurensz, deren Publikationen auch in Frankfurt bei de Bry erschienen.186 Die zweite wirtschaftliche Blütezeit des Verlags hielt jedoch nicht lange an: Nachdem Friedrich V. von der Pfalz 1618 in Böhmen einmarschiert war und sich die konfessionellen Spannungen im Reich verschärften,187 stellte Johann Theodor an den Rat der Stadt Frankfurt ein Rückkehrgesuch, das ihm jedoch erst im Juli 1619 – nach dreimaliger offizieller Anfrage – gewährt wurde. 1620 fiel Oppenheim an Ambrosio Spinolas Armee. Die Stadt, in die Johann Theodor zurückkehrte, war mit der wirtschaftlich und intellektuell florierenden Metropole, in die sein Vater Ende der 1580er-Jahre gezogen war, nicht mehr zu vergleichen: Nach dem Fettmilch-Aufstand und der darauf folgenden Auflösung der Zünfte hatten sich die Konditionen für die in Frankfurt ansässigen Handwerker und Künstler deutlich verschlechtert und auch die interreligiösen Konflikte hatten sich nach den judenfeindlichen Exzessen und am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges weiter verschärft. Dies hatte selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Buchproduktion: Die Zahl der Messe-Neuerscheinungen sank von 1669 im Jahr 1619 auf 972 im Jahr 1622.188 Und auch der de Bry’sche Verlag hatte mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen: Zwischen 1621 und 1623 erschienen nur acht neue Titel, drei davon stammten von dem Alchemisten Robert Fludd und sind wohl noch auf die Zeit in der Pfalz zurückzuführen. In diesen letzten Jahren wurde der schon altersschwache und kranke Johann Theodor von einem weiteren Schwiegersohn – Johan Ammon – in der Verlagsarbeit unterstützt, doch an die früheren Erfolge konnten sie auch gemeinsam nicht mehr anknüpfen. Johann Theodor starb am 8. August 1623 in dem Kurort Bad Schwalbach im Taunus. Nach seinem Tod bat seine Witwe Matthäus Merian um Hilfe. Nach einer Zeit der Pendelns zwischen Basel und Frankfurt gründete dieser 1625 zusammen mit dem dritten Schwiegersohn – William Fitzer, der Johann Theodor vermutlich nie kennengelernt hat, da er dessen Tochter erst 1625 geheiratet hatte – die „Officina Bryana“. Schon 1626 gingen die zwei Schwiegersöhne jedoch wieder getrennte Wege und teilten den Verlag unter sich auf; beide erhielten jeweils die Hälfte der Bücher, der Kupferplatten und

185 S. van Groesen, 2008, S. 97. 186 S. van Groesen, 2008, S. 98. 187 Zu Friedrich V. vgl. den Ausstellungskatalog vom Haus der Bayrischen Geschichte: Peter Wolf (Hg.), Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2003. Vgl. außerdem Magnus Rüde, England und Kurpfalz im werdenden Mächteeuropa (1608–1632). Konfession – Dynastie – kulturelle Ausdrucksformen, Stuttgart 2007. 188 Zu den Zahlen s. Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick, München 1991, S. 76.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

57

der sonstigen Ausstattung. Diverse Erb- und Rechtsstreitigkeiten zwischen ihnen, der Witwe und Johann Ammon waren die Folge.189 William Fitzer war ein einfacher Buchhändler und für die Illustrationen seiner Publikationen auf Matthäus Merian, andere Kupferstecher wie Paul de Zetter oder die Kupferplatten der de Brys angewiesen. Fitzer ließ auf preiswertem Papier drucken, stattete seine Publikationen häufig mit minderwertigen Kupferstichen aus und so muss man auch seinen Neuauflagen einzelner Teile der Petits Voyages eine deutlich geschmälerte Qualität bescheinigen. In den 30er-Jahren des 16. Jahrhunderts siedelte Fitzer nach Heidelberg über, blieb dabei aber Eigentümer seiner an Johan Beyer vermieteten Buchhandlung in der Mainzer Gasse in Frankfurt. Nach einem Brand im Karmeliterkloster in Frankfurt, das Lagerräume an Buchhändler verpachtete und in dem auch Fitzer Räume gemietet hatte, verlor er einen Großteil seiner Buchvorräte und Kupferplatten. Schon im Jahr darauf geriet er in Zahlungsschwierigkeiten und musste Konkurs anmelden; Gläubiger war u.a. sein Schwager Johan Ammon. Im Gegensatz zu Fitzer hat Merian ein äußerst erfolgreiches Verlags- und Kupferstichunternehmen aufgebaut.190 Schon zu Johann Theodors Lebzeiten war er ausgesprochen produktiv und hat auch an den Grands Voyages mitgewirkt: Ca. 20 Radierungen hat er für eine Zusammenfassung der Grands Voyages beigesteuert, die 1617 erschienen war, und er hat danach auch am zehnten und elften Teil der Amerika-Serie mitgearbeitet. Nachdem Merian die Hälfte des Familienbetriebs übernommen hatte, legte er die ersten vier Teile und den neunten Teil der Grands Voyages neu auf und tauschte einige Kupferstiche durch eigene Kreationen aus. Unter seinem eigenen Namen veröffentlichte er außerdem den zwölften und den dreizehnten Teil der Serie, die er 1628 in einem Band herausbrachte. 1631 schließlich veranlasste er die Publikation einer Zusammenfassung aller Amerikabände, die 1655 von seinen Erben neu aufgelegt wurde – für dieses Werk wurden die de Bry’schen Kupferplatten ein letztes Mal verwendet.191 Wie die Analyse der biografischen, gesellschaftlichen und geschäftlichen Hintergründe der de Brys gezeigt hat, war die Familie de Bry in ein breites Netzwerk eingebunden, das sich von Antwerpen nach London, von Amsterdam192 nach Frankfurt und Oppenheim spannte. Es beeinflusste sie sowohl künstlerisch als auch kaufmännisch in hohem Maße und trug wesentlich zu Aufstieg und Erfolg der Familie und des Verlagsunternehmens bei. Das Netzwerk umfasste insbesondere Drucker, Verleger, Kupferstecher und Maler, aber auch Wissenschaftler und Intellektuelle, reiche und einflussreiche Geschäftsmänner – u.a. Seidenfabrikanten, Diamanthändler und Juweliere – und Adelige, dabei vor allem protestantische Kurfürsten. Viele der de Bry’schen Kollegen, Gefährten und Förderer waren direkt oder indirekt sowohl an der Entstehung als auch an der Ausgestaltung der kostbaren und aufwendigen Reisesammlungen beteiligt und leisteten auch zu ihrem Gelingen einen essenziellen Beitrag. Die 189 190 191 192

Vgl. Sondheim, 1933, S. 14. Zu Merian s. ausführlich Wütherich, 2007. Vgl. Greve, 2004, S. 41. Zu Amsterdam siehe auch Kapitel 2.

58 |   Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion

vielen verschiedenen Mitwirkenden mit ihren unterschiedlichen Interessen, Motiven und Hintergründen schufen zusammen mit der Familie de Bry eine ausgesprochen heterogene Reisesammlung – ein Gemeinschaftsprojekt, in dem sich die unterschiedlichen Vorlieben und Motivationen sowohl der Autoren, Herausgeber und Mitarbeiter als auch des anvisierten Publikums spiegeln.

Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion   |

59

2 DER HANDEL UND DIE ROLLE DES WISSENS Zur Produktion und Konstruktion von Handelsräumen Im vorherigen Kapitel wurden die vielfältigen Kontakte der de Brys in die Niederlande, insbesondere nach Antwerpen, beleuchtet. Doch auch Amsterdam, das bisher nur am Rande, im Zuge der wichtigen Beziehungen zu Cornelis Claesz erwähnt wurde, spielte – vor allem nach dem Fall Antwerpens – für die niederländische Expansion, den Buchhandel im Allgemeinen und die Werkstatt de Bry im Besonderen eine zunehmend bedeutende Rolle. Die ersten Flotten nach Ostindien wurden von Kaufleuten aus Amsterdam ausgestattet, die ersten Berichte über diese Unternehmungen wurden dort veröffentlicht und den de Brys zur Übersetzung und erneuten Publikation angeboten. Diese Stränge und Linien zwischen Amsterdam, dem Indischen Ozean und Frankfurt sollen im Folgenden nachvollzogen werden. Anhand der ersten niederländischen Ostindienreisen sollen zudem die spezifischen medialen Strukturen und Dynamiken dieser frühen und – wie sich herausstellen wird – besonders wichtigen und wirkmächtigen Berichte untersucht werden. Dabei gilt es insbesondere, das Disparate zwischen den tatsächlichen Handelsbedingungen vor Ort in Indien und Südostasien und der Bild- und Textproduktion herauszuarbeiten.

2.1 Der Aufstieg Amsterdams Der Aufstieg Amsterdams begann in den letzten Dekaden des 16. Jahrhunderts. Lange Zeit galt die Stadt vor allem als Zentrum des Handels und der Schifffahrt in den baltischen Raum, aber seit Ende des 16. Jahrhunderts stand sie im Bann der „Neuen Reisen“ und die Amsterdamer Kaufleute knüpften Kontakte mit Gebieten, die bisher außerhalb ihres Vorstellungsvermögens gelegen hatten – bis 1615 war Amsterdam mit allen Regionen, die zu dieser Zeit in Europa bekannt waren, kommerziell verbunden. Die Ursachen dieses Phänomens sind in der Forschung jedoch nach wie vor umstritten. Zeitgenossen verbanden den rapiden Anstieg des Amsterdamer Handels mit der Revolte gegen Spanien und der Abspaltung der nördlichen Niederlande. Demnach profitierte Amsterdam nach der Belagerung und der Einnahme Antwerpens 1585 durch den Herzog von Parma von der Blockade und der darauf folgenden Umlenkung des Warenflusses und dem Zustrom von Flüchtlingen aus den südlichen Niederlanden. Auch die niederländischen Historiker J. G. C. A. Briels und J. A. van Der Aufstieg Amsterdams   |

61

Houtte betonten die Bedeutung der Migranten aus den südlichen Niederlanden;193 während hingegen J. G. van Dillen, Fernand Braudel, Jan de Vries und Ad van der Woude vor allem endogene Gründe für den Aufschwung Amsterdams ausgemacht haben; insbesondere verwiesen sie einerseits auf die Ansammlung von Kapital und andererseits auf die Zunahme und Akkumulation von kommerzieller Erfahrung in eher traditionellen Handelszweigen wie dem Ostseehandel.194 Vor allem van Dillen verwies auf die Zunahme und den Wandel des internationalen Güterverkehrs, die Grenzen des Antwerpener Handels, der – auch unabhängig von der Belagerung – mit den neuesten Entwicklungen nicht mithalten konnte, und die internen Dynamiken Hollands. In jüngeren Forschungen indessen wird wieder verstärkt die Bedeutung des Falls Antwerpens für den Aufstieg Amsterdams akzentuiert. Für Jonathan I. Israel ist der Reichtum der Republik auf die Probleme im Süden und der Abspaltung der nördlichen Niederlande zurückzuführen.195 Und vor allem Clé Lesger betont in seiner Studie von 2006: „The Revolt and the devision of the Low Countries […] certainly contributed enormously to the commercial prosperity of Amsterdam, but not exclusively because of the arrival of the Southern Netherlanders in 196

the city, and not because of the shift of the so-called ‚rich-trades‘ to the city either.“

Der Amsterdamer Wirtschaftshistoriker sieht den kommerziellen Erfolg Amsterdams vielmehr als Ausdruck und Resultat der Art und Weise, in der nach der Revolte und der Teilung des Landes die Stadt als Knotenpunkt des Warenverkehrs umfunktioniert wurde. Für Lesger war es damit vor allem der exogene Schock des niederländischen Aufstands, der den entscheidenden Impuls für die kommerzielle Schwerpunktverlagerung von Antwerpen nach Amsterdam gab. Mitte des 16. Jahrhunderts war die niederländische Wirtschaft durch einen intensiven Güteraustausch in den Kernregionen Holland, Flandern, Seeland und Brabant geprägt und zeichnete sich durch eine hoch entwickelte räumliche Integration aus.197 Kontakte mit der Außenwelt bestanden auf verschiedenen Wegen, deren übergeordnetes hierachisches System Lesger als „gateway system“ charakterisiert. Gateways (hier vermutlich am besten mit „Schnittstellen“ zu übersetzen) sind für ihn Hafen- und Handelsstädte, die den Warenaustausch zwischen ihrem jeweiligen Hinterland und weiter entfernten Regionen organisierten. 193 J. G. C. A. Briels, De Zuidnederlandse immigratie 1572–1630, Haarlem 1978; J. A. van Houtte, Economische en sociale geschiedenis van de Lage Landen, Zeist/Antwerpen 1964, und ders., Economic Development of Belgium and the Netherlands from the Beginning of the Modern Era. An Essay on Compared History, in: The Journal of European Economic History 1 (1972), S. 100–120. 194 J. G. van Dillen, Van rijkdom en regenten. Handboek tot de economische en sociale geschiedenis van Nederland tijdens de Republiek, Den Haag 1970; Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15.–18. Jahrhunderts, Bd. 3. Aufbruch zur Weltwirtschaft, München 1986; Jan de Vries & Ad van der Woude, The First Modern Economy: Success, Failure, and Perseverance of the Dutch Economy, 1500–1815, Cambridge 1997. 195 Vgl. Jonathan I. Israel, Dutch Primacy in World Trade, 1585–1740, Oxford 1989. 196 Clé Lesger, The Rise of the Amsterdam Market and Information Exchange. Merchants, Commercial Expansion and Change in the Spatial Economy of the Low Countries, c. 1550–1630, Aldershot 2006, S. 6. 197 Zu den folgenden Ausführungen vgl. Lesger, 2006, S. 15 ff.

62 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Innerhalb dieses Systems, an dessen Spitze um 1550 das Handelszentrum Antwerpen stand, fungierte Amsterdam als Bindeglied zwischen dem niederländischen Handel mit Norwegen und den Ostseehäfen. Amsterdams Händler agierten zu dieser Zeit – und bis in die 1580er-Jahre hinein – primär als Vermittler zwischen auswärtigen Kaufleuten und Schiffern und dem Hinterland ihrer Stadt. Aus europäischer Perspektive erschienen die Niederlande als technologisch hoch entwickelte und urbanisierte Region, doch gab es innerhalb des Landes große Unterschiede in der ökonomischen Entwicklung; die meisten und größten Städte befanden sich im Westen, in den Regionen Holland, Seeland, Brabant und Flandern. Diese Zentren waren industriell geprägt, die Peripherie eher agrarisch. Besondere Bedeutung kam der Textilindustrie (Wolle, Leinen, Seide, Flachs), der Heringsfischerei und der Hopfen- und Getreideproduktion zu. Hohe Import- und Exportwerte zeigen, dass die Wirtschaft der Niederlande außerdem in hohem Maß vom Güteraustausch mit anderen Ländern abhängig war;198 auch Amsterdam exportierte schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts eine Vielzahl unterschiedlicher Güter: Amsterdams „central role in exports to the northeast is evident from the volume and composition of the city’s export. They include not only very large quantities of butter, cheese, herring, but also cloth from many production centres. […] Finally we find recorded in Amsterdam’s exports products that were not made in the Low Countries but had not arrived in Amsterdam directly from their place od production either: figs, western 199

wines, Capri wine, spices, alum and Brazil wood.“

Große Bedeutung im Amsterdam der 1580er-Jahre hatte zudem der portugiesische Handel mit Getreide aus dem Baltikum (auch Antwerpener Händler mussten ihre Bestände teilweise in Amsterdam auffüllen) und der Salzhandel. Die Bedeutung Amsterdams im baltischen Handel zog selbstverständlich auch Geschäftsleute aus dem Ausland an, die für den Handel der Stadt eine wichtige Rolle spielten.200 Nach der Besetzung Antwerpens kamen zahlreiche Migranten aus den südlichen Niederlanden als Pioniere nach Amsterdam. Viele von ihnen waren erfahrene Kaufleute, die zu 198 Vgl. dazu auch Ulrich Ufer, Welthandelszentrum Amsterdam. Globale Dynamik und modernes Leben im 17. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2008. 199 Lesger, 2006, S. 37. 200 Nach Lesger ist die bisherige Annahme der Forschung, Amsterdamer Händler seien besonders dominant gewesen und hätten eine bedeutende Rolle in ihrer Heimatstadt gespielt, nicht haltbar: Häufig seien die baltischen Produkte von hanseatischen Händlern und Schiffskompanien gehandelt worden und die Amsterdamer Händler hätten überwiegend Vermittlerrollen übernommen: „There is ne reason to minimize the importance of trade and shipping in Amsterdam, but it has become clear that the old views need to be modified. Amsterdam was unique in the extent of its commercial relations with eastern and northern Europe, but in the 1580s the city still owed that uniqueness to its specialized and limited role as the northern gateway to ther larger whole of the Low Countries port system. Information on the activities of the importers and exporters who were operating in Amsterdam confirms this view. Above all, they were middlemen between the extensive and highly developed hinterland and the world overseas.“ Lesger, 2006, S. 84.

Der Aufstieg Amsterdams   |

63

ihren Antwerpener Zeiten im etablierten und intensiven Handel zwischen Antwerpen und Venedig engagiert waren und die nach ihrer Flucht nun in den Amsterdamer Levantehandel investierten. Der Zuckerhandel mit Brasilien wurde durch die Ankunft der portugiesischen Conversos – Portugals „neuer Christen“ – in Amsterdam stimuliert, die gute Kontakte sowohl nach Brasilien als auch zur Iberischen Halbinsel hatten und die große Mengen Zucker zur Weiterbearbeitung nach Amsterdam importierten. In den 1580er-Jahren war das Raffinieren von Zucker in Amsterdam noch unbekannt gewesen, 1594 wurden dann die ersten Raffinerien errichtet und in den 20er-Jahren des 17. Jahrhunderts gab es nicht weniger als 25 dieser Raffinerien. Durch den Brasilienhandel inspiriert, begannen Amsterdamer Kaufleute auch mit der Expansion in die Karibik und stiegen dort in den Salzhandel ein. Nachdem ein Embargo der Spanier niederländischen Kaufleuten 1598 den Handel mit den traditionellen Salzproduktionsstätten in Spanien und Portugal verboten hatte,201 bot der Karibikhandel eine lohnende Alternative, und so konnten 1605 bereits 768 niederländische Schiffe gezählt werden, die an der Küste Venezuelas ankerten. Neben Salz wurden dort außerdem Felle, Metalle und Tabak eingekauft, zudem bot die karibische Welt einen Absatzmarkt für Textilien (Leinen und Wolle), Eisenwaren, Papier und Weine.202 Von den neuen Handelsmöglichkeiten inspiriert, starteten in den 1590er-Jahren Amsterdamer Kaufleute auch die ersten Versuche, in den Afrikahandel einzusteigen – hier ging die Initiative zunächst von einigen wenigen Amsterdamern aus, die am Handel mit dem Baltikum wenig Interesse zeigten und die gute Beziehungen nach Süd- und Westeuropa hatten.203 1593 fand die erste Reise nach Guinea statt, deren Erfolg weitere Investoren animierte, und so segelten in den folgenden 15 Jahren mehr als 200 Schiffe an die Westküste Afrikas, von denen aus mit Elfenbein, Fellen, Harz, Zucker, Pfeffer und Gold Handel getrieben wurde. Ende des 16. Jahrhunderts war das Angebot an Gewürzen in Europa hinter der Nachfrage zurückgeblieben; die Portugiesen, die führenden europäischen Gewürzhändler, hatten Schwierigkeiten, ihre Fracht pünktlich von Asien nach Lissabon zu schicken, da sie (u.a.) das Problem der englischen Kaperfahrten nicht in den Griff bekamen.204 Ferner fehlten ihnen Kapital und Bevölkerungsreserven, um die Gebiete in Indien und Südostasien dauerhaft zu kontrollieren,205 demzufolge waren die Preise gestiegen und damit auch die Motivation der

201 Zum 80-jährigen Krieg der Niederlande gegen Spanien vgl. u.a. Anton van der Lem, Opstand! Der Aufstand in den Niederlanden. Egmonts und Oraniens Opposition, die Gründung der Republik und der Weg zum Westfälischen Frieden, Berlin 1996, und Michael North, Geschichte der Niederlande, München 1997. 202 Zum Karibikhandel s. Israel, 1989, S. 62 ff., und Lesger, 2006, S. 88. 203 Vgl. Israel, 1989, S. 60 ff. 204 Vgl. Femme S. Gaastra, Die Vereinigte Ostindische Compagnie der Niederlande – ein Abriß ihrer Geschichte, in: Eberhard Schmitt, Thomas Schleich, Thomas Beck (Hg.): Kaufleute als Kolonialherren. Die Handelswelt der Niederländer vom Kap der Guten Hoffnung bis Nagasaki 1600–1800, Bamberg 1988, S. 1–89, hier: S. 4. 205 Vgl. Christoph Driessen, Die kritischen Beobachter der Ostindischen Compagnie. Das Unternehmen der „Pfeffersäcke“ im Spiegel der niederländischen Presse und Reiseliteratur des 17. Jahrhunderts, Bochum 1996, S. 19. Zu weiteren Gründen für den Wunsch der Holländer, am Asienhandel teilzunehmen, siehe auch Gaastra, 1988, S. 3 f.

64 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

aufstrebenden Amsterdamer Kaufleute, ebenfalls am indischen Gewürzhandel zu partizipieren.206 1594 gründete ein Konsortium von neun von ihnen mit dem berühmten Botaniker Petrus Plancius die Compagnie van Verre (Kompanie für die Ferne), die 1595 eine kleine Flotte nach Indien ausrichtete.207 Die Initiative ging dabei von gebürtigen Amsterdamern bzw. Holländern aus.208 Der bekannteste von ihnen war Reinier Pauw (1564–1636) – Sohn eines Amsterdamer Bürgermeisters und seinerseits in der Stadtpolitik engagiert –, der zunächst sehr erfolgreich in den Handel mit dem Baltikum eingestiegen war, dann aber seine Interessen auf die kapitalintensiveren Geschäfte mit der Karibik, Brasilien und schließlich Ostindien verlagerte. Auch andere Teilnehmer wie Hendrik Hudde (Politiker wie Pauw), Pieter Hasseler (1554–1616), Arent ten Grootenhuis (1570–1615) und Dirk van Os hatten bereits Erfahrung im Karibikhandel bzw. im Handel mit Russland und dem Baltikum gesammelt. Ausgestattet war die Gruppe sowohl mit politischem Einfluss als auch mit Kapital – sie investierte einen Betrag von 290.000 Gulden, genug, um zu der Zeit 70 große Häuser in Amsterdam zu kaufen.209 Die Handelsstrukturen Amsterdams änderten sich also innerhalb einer nur kurzen Zeitspanne radikal: „In […] 15 years […] the port of Amsterdam had aquired an entirely different function. No longer were its imports and exports confined to the old familiar goods and regions. Around the turn of the century, trade to the nearby coast and the Baltic was still very important, but now ships were also arriving on the Ij from 210

the White Sea, the Mediterranean, Brazil, the Caribbean, west Africa and the Indies.“

Diese rasante Veränderung und Ausdehnung des kommerziellen Sektors muss jedoch im Kontext der Entwicklungen der gesamten Niederlande betrachtet werden: Der Süden wurde durch die Auseinandersetzungen mit den Spaniern in eine tiefe Krise gestürzt, die Produktion sowohl der Luxusgüter als auch der relativ preiswerten Exportgüter brach ein, Stadt und Land wurden durch den Krieg verwüstet und die Getreidepreise schossen in die Höhe. In Holland hingegen waren die Löhne nach den gewalttätigen 1570er-Jahren zwar niedrig, aber der Import von Getreide drückte die Lebenshaltungskosten und die ökonomischen Perspektiven waren durchaus vielversprechend. Zehntausende Flüchtlinge aus den südlichen Niederlanden verließen ihre Heimat und emigrierten nach Holland und Seeland, wo sie die bereits existierende Industrie stützten und neue Techniken und Produkte einführten; 206 Älteren Forschungen zufolge bemühten sich die Niederländer verstärkt um die Aufnahme der direkten Verbindungen mit ostindischen Erzeugern, nachdem Philipp II. von Spanien 1580 auch König von Portugal geworden war und die Niederländer danach einem Embargo und Handelsbeschränkungen unterwarf; die Bedingungen für die Partizipation an Portugals Profiten am asiatischen Gewürzhandel seien dadurch schlechter geworden. Femme S. Gaastra macht aber darauf aufmerksam, dass die Handelsverbindungen zwischen Portugal und den Niederlanden bestehen blieben, da es sich keiner der Beteiligten leisten konnte, auf diese Beziehungen zu verzichten. Vgl. Gaastra, 1988, S. 3. 207 Siehe dazu ausführlich weiter unten S. 69 ff. dieser Arbeit. 208 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Israel, 1989, S. 67 ff. 209 Israel, 1989, S. 67. 210 Lesger, 2006, S. 90.

Der Aufstieg Amsterdams   |

65

Belebung und Aufschwung erfuhren u.a. die Agrarindustrie, die Fischerei und die Schifffahrt. Die wachsende Population im Norden ließ die Nachfrage nach Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Endprodukten rapide anschwellen, die Import-, aber auch die Exportraten stiegen kräftig. Durch die Blockade Antwerpens war die Stadt zwar nicht komplett von der Außenwelt abgeschnitten, aber sie konnte ihre traditionelle Rolle im Handel mit dem südlichen Europa und den portugiesischen und spanischen Überseegebieten nicht mehr erfüllen. Manche Kaufleute und Konsortien in Holland und Seeland versuchten daher fieberhaft, den Handel mit fernen und weniger fernen Ländern zu öffnen. Die alten Strukturen und Kanäle konnten dafür jedoch nicht genutzt werden: „As the old structures crumbled, however, this opened up possibilities for many people to develop or take part in branches of trade that had formerly been almost closed to them; for within the Habsburg state system, it had been unthinkable for Netherlanders to trade directly with the overseas parts of the empire. When the tie with the central government was broken, that trade became possible. Indeed, the breakthrough was 211

welcomed from that time as a justified weapon of economic war against a foreign and despotic ruler.“

Clé Lesger betont, dass die Migranten aus den südlichen Niederlanden an diesen Neustrukturierungsprozessen entscheidenden Anteil hatten. Obwohl sich auch einige alteingesessene Amsterdamer Kaufleute an der Erschließung neuer Märkte und Handelsrouten beteiligten (s.o.), waren die Flüchtlinge aus dem Süden im Fernhandel innovativer und erfolgreicher. Die etablierte politische Elite Amsterdams profitierte von der ökonomischen Expansion der Stadt in erster Linie, indem sie ihre privilegierte Stellung zu Grundstücksspekulationen und anderen lukrativen Geschäften nutzte. Allerdings fungierte Amsterdam um 1600 nicht als zentraler Stapelmarkt für den europäischen Warenhandel, sondern stellte tatsächlich nur für bestimmte Güter (wie asiatische Gewürze) ein Distributionszentrum dar, während viele andere Waren über andere Häfen innerhalb des niederländischen Handelssystems umgeschlagen wurden.

Amsterdam als Zentrum des Wissens Wie Clé Lesger überzeugend herausarbeitet hat, war für Amsterdam und den Aufstieg der Stadt jedoch vor allem deren Rolle als Informationszentrum entscheidend.212 Reisende Kaufleute, Handelskorrespondenten, einfache Seefahrer und Abenteurer, spezialisierte Makler und die Börse machten die Stadt zu einem Knotenpunkt für die Sammlung, Aufbereitung und Verbreitung nicht nur kommerziell relevanter Nachrichten.213 Wenn die ersehnten Informationen in Amsterdam nicht erhältlich waren, wurden Agenten ausgesandt, sie aufzuspüren. So 211 Lesger, 2006, S. 35. 212 Vgl. dazu außerdem das Kapitel 4. 213 Vgl. Lesger, 2006, S. 214 ff.

66 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

wurden die Brüder Cornelis und Frederick de Houtman 1592 von der Compagnie van Verre nach Lissabon geschickt, um geheime Informationen über den Asienhandel und portugiesische Präsenzen in Indien und Südostasien zusammenzutragen.214 Dass auch der Informationsaustausch zwischen den nördlichen Niederlanden und den südeuropäischen Konkurrenten bei allen Rivalitäten und Feindschaften auf unterschiedlichen – mehr oder weniger offiziellen – Kanälen funktionierte und wie bedeutend er war, zeigt sich auch dadurch, dass die bekannten Amsterdamer Kartografen Petrus Plancius und Cornelis Claesz (ca. 1551–1609)215 im Besitz von 25 Karten des portugiesischen Kartografen De Lasso waren.216 Überhaupt standen sowohl die Kartografen als auch die Kaufleute in regem Briefkontakt mit zahlreichen Korrespondenten. So hatte ein mittelgroßer Unternehmer wie der Antwerpener Jan van Immerseele Briefkontakt mit 120 Partnern in den Niederlanden und darüber hinaus; ein bedeutenderer Kaufmann wie Daniel van der Meulen (1554–1600)217 kam zwischen 1584 und 1600 auf ca. 300 Korrespondenten in ganz Europa.218 Der großen Bedeutung des Wissens für den Handel und der Macht, die dieses Wissen mit sich brachte, waren sich auch die Zeitgenossen bewusst: Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts trafen sich die Amsterdamer unter freiem Himmel, um Informationen auszutauschen und Geschäfte zu machen (ab 1586 fanden die Treffen bei schlechtem Wetter in einer Kirche statt) – nach Lesger hatten diese Zusammenkünfte durchaus den Charakter einer (Wissens-)Börse.219 Auch andere europäische Zeitgenossen erkannten die Bedeutung von Wissen und Information gerade in Bezug auf Handels- und Fernreisen. So schätzt Levinus Hulsius die neuen Reisen der europäischen Nachbarn aufgrund ihres Wissensüberschusses höher ein als die Reisen der Alten: „Vnd obwohl diese Reysen alle zu loben / so seynd doch die zu vnsern zeiten dahin verrichtete Schiffarth vielmehr zu erheben vnd zu achten. Dann die Alten haben darvon wenig gewusst / vnd was sie gewusst / ist zweiffelhaftig gewesen / wir aber zu vnsern Zeiten haben darvon vollkommenen Bericht / kennen die

214 Vgl. Vibeke Roeper & Diederick Wildeman (Hg.), Om de Zuid. De eerste schipvaart naar Oost-Indië onder Cornelis de Houtman, 1595–1597, opgetekend door Willem Lodewycksz, Nimwegen 1997, und Kees Zandvliet, Mapping for Money. Maps, plans and topographic paintings and their role in Dutch overseas expansion during the 16th and 17th centuries, Amsterdam 2002. 215 Cornelis Claesz war einer der bedeutendsten Drucker, Buchhändler und Kartografen der nördlichen Niederlande um 1600. Seine Verlagsarbeit konzentrierte er auf die Hauptgebiete Schifffahrt, Geografie und Reisen. Er war Mitherausgeber des Mercator-Atlas und in ein weitverzweigtes europäisches Verlegernetzwerk eingebunden. Zu Claesz siehe immer noch C. P. Burger, De Amsterdamse uitgever Cornelis Claesz (1578–1609), in: Handelingen van het eerste Wetenschappelijk Vlaamsch Congres voor Boek- en Bibliotheekwezen, Antwerpen 1931, S. 54–64. Zu Claesz s. auch die Kapitel 4 und 6 dieser Arbeit. 216 Zandvliet, 2002, S. 43. Zur Bedeutung der Kartografie in dieser Zeit s. das Kapitel 4. 217 Zu van der Meulen vgl. Ruth Kohlndorfer-Fries, Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacques Bongars (1554–1612), Tübingen 2009. 218 Vgl. Lesger, 2006, S. 220. 219 Ebd., S. 222 f.

Der Aufstieg Amsterdams   |

67

Städte / Flüß vnd Schiffhafen / handthieren mit den fremden Völckern / also / daß sie die ganze Welt / 220

welche in so viel vnterschiedene Nationen zertheilt ist / durch die Kauffhandel wider bekandt wird.“

Hulsius akzentuiert hier nicht nur das verbindende Element des Handels und der Handelsfahrten, sondern betont auch die Vorteile, die ein Mehr an Informationen mit sich bringt, und die Dominanz und Überlegenheit, die durch Wissen – gerade im Umgang mit dem Fremden – erreicht werden kann. Eines der bekanntesten Werke eines niederländischen Informationslieferanten ist das Itinerario Jan Huyghen van Linschotens (ca.1563–1611).221 Linschoten war 1581, in portugiesischen Diensten stehend, nach Goa gereist und hatte dort sechs Jahre als Sekretär des Erzbischofs von Goa – Frei Vicente da Fonseca – gearbeitet. Sein über diese Zeit verfasstes Buch ist ein Hybride aus Reisebericht und einer Art Handbuch und vermittelt neben ethnografischem Wissen auch Informationen zum maritimen Handel in Indien, zu Klima, Wetter und Windverhältnissen und zu der – bis dahin nur den Portugiesen bekannten – Reiseroute. 1595 bei Claesz erschienen, wurde das Itinerario in den folgenden Jahren ins Englische, Deutsche (Teil II, III und IV der Petits Voyages), Französische und Lateinische übersetzt und erlebte zahlreiche Auflagen. Im Fall der niederländischen Erstausgabe besteht sogar ein direkter Zusammenhang zwischen dem gedruckten Buch, dem darin vermittelten Wissen und der ersten Reise der Niederländer nach Indien und Südostasien: Cornelis Claesz gab die Bögen mit den Instruktionen zur Route über das Kap der Guten Hoffnung und den Segelanleitungen in großer Eile bereits 1595 in Druck, um sie der Flotte unter Cornelis de Houtman (s.u.) mit an Bord zu geben; den Rest des Buches druckte er im Jahr darauf.222 Obwohl das Werk sicherlich nicht als direkte Aufforderung, das portugiesische Handelszentrum zu attackieren, oder als Appell, ein konkurrierendes Handelsnetzwerk in Asien aufzubauen, konzipiert worden und entstanden ist, stimulierte es die niederländischen Indienunternehmungen – ebenso wie die zuvor bereits von den Houtman-Brüdern zusammengetragenen Informationen – doch unmittelbar. Der Zugang zu Wissen – sei es kartografischer, landeskundlicher oder navigatorischer Art –, die Möglichkeit, dieses einordnen und verarbeiten zu können, hatte also offensichtlich eine immense Bedeutung für den Beginn der frühen Expansion nach Indien und Südostasien. Im Folgenden soll untersucht werden, wie der Umgang mit Information genau funktionierte. Wie wurden die Informationen verarbeitet? Was zirkulierte und welche Transformationen fanden statt? Inwiefern lieferten die Informationen und das in Europa zirkulierende Wissen einen Beitrag zum späteren Erfolg der niederländischen Expansion? Diese Fragen sollen anhand der frühen Berichte von den ersten Reisen der Niederländer, die als dritter und fünfter Teil der Petits Voyages in Frankfurt erschienen sind, exemplarisch beleuchtet werden.

220 Levinus Hulsius, Schiffahrten, Bd. I, Vorwort, S. 4. 221 Zu Linschoten siehe Ernst van den Boogaart, 1999 und 2003. 222 Vgl. van den Boogaart, 2003, S. 1.

68 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

2.2 Mediale Expansionen Anfang April 1595 richtete die Compagnie van Verre also die erste Reise der Niederländer nach Ostindien aus. Cornelis de Houtman wurde als kaufmännischer Leiter damit beauftragt, über das Kap der Guten Hoffnung einen Weg nach Indien zu suchen. Das Ziel waren die sogenannten Gewürzinseln, da der portugiesische Einfluss dort – wie Linschoten berichtet hatte – nur gering war und die Niederländer hoffen konnten, dass sie die Portugiesen aus dieser Gegend am ehesten würden verdrängen können. Am 2. April 1595 stach Houtman mit einer Flotte von vier Schiffen von Texel aus in See. Die Fahrt ging über die brasilianische Seite des Atlantiks, um das Kap der Guten Hoffnung herum nach Madagaskar und von dort aus zur Sundastraße. Nach einem längeren Aufenthalt vor Banten (dem heutigen Semarang auf der Insel Java) segelte man an der javanischen Nordküste entlang, ankerte vor Madura und Bali und kehrte schließlich im Sommer 1597 über St. Helena nach Texel zurück. Die literarische Verwertung dieser Reise erwies sich schnell als überaus erfolgreich: Innerhalb kürzester Zeit zirkulierten zahlreiche Berichte in verschiedenen Versionen und Übersetzungen in ganz Europa. Noch 1597, kurz nach der Rückkehr der Flotte, veröffentlichte der Middelburger Buchhändler Barent Langenes das Verhael van de Reyse by de Hollandsche Schepen gedaen naer Oost Indiën, das auf dem anonymen Bericht eines Besatzungsmitglieds basiert. Anonym blieb der Verfasser, da die Besatzungsmitglieder bei der Kompanie den Eid hatten ablegen müssen, alle Informationen zur Reise geheim zu halten – ein weiterer Hinweis auf das zeitgenössische Bewusstsein von der Bedeutung von Wissen und Information. In den folgenden anderthalb Jahren wurden eine verbesserte niederländische Version – von Langenes selbst herausgegeben – und englische, lateinische, französische und deutsche Übersetzungen veröffentlicht. Diese deutsche Übersetzung wurde von Levinus Hulsius als erster Teil seiner Reisesammlung publiziert. Auch Cornelis Claesz erkannte das Potenzial dieser Reise und so druckte er 1598 den Bericht eines jungen Unterkaufmanns des Schiffs Amsterdam, den Bericht Willem Lodewycksz’. Er erschien zunächst ebenfalls anonym, wurde in alle großen Volkssprachen und ins Lateinische übersetzt, erfuhr zahlreiche Auflagen und war damit noch erfolgreicher als sein Vorgänger aus Middelburg. Die deutsche Übersetzung wurde von den de Brys in Auftrag gegeben und kam, mit zahlreichen Kupferstichen versehen, bereits 1599 – ein Jahr nach Erscheinen der Erstausgabe – als dritter Band ihrer Petits Voyages auf den Markt.

Der dritte Teil der Petits Voyages: Text, Paratext, Kontext Im Vorwort zu diesem dritten Band preisen die Verleger die Errungenschaften der Niederländer: Ihre Fahrten und Entdeckungen führten zur Erweiterung des Reiches Gottes, und man sei nun in der Lage, den Herrn „biß an aller welt ende“ zu loben, zu preisen und zu ehren und überall auf der Welt Gotteshäuser zu errichten. Vor allem aber betonen die Verleger, dass die Niederländer „ihr Heil und Wohlfahrt schon allbereit so fern versucht, dass Mediale Expansionen   |

69

gute Hoffnung erscheinet, solchs mit der Zeit vollkömmlich ins Werk zu richten, dannenher nit allein dieser Nation den Holländern, sondern der ganzen Christenheit ein ewiger Ruhm und unermesslicher Nutzen entstehen würde“.223 Die de Brys akzentuieren hier deutlich die Einheit der gesamten Christenheit und sehen diese von den Niederländern jüngst unternommene Reise als hoffnungsvollen Auftakt, der erwartungsfroh und gespannt in eine glanzvolle Zukunft blicken lässt. Doch gab die Fahrt tatsächlich Anlass zu dieser Hoffnung? Bereits ein erster Blick in den Text lässt Zweifel aufkommen, gibt er doch einen Eindruck von der komplizierten Handelswelt im Indischen Ozean und den erkennbar mühsamen Verhandlungen mit den einheimischen Kaufleuten und Obersten. Schon die Überfahrt nach Indien, bei der die Niederländer durch Hunger und Gefechte bereits zahlreiche Tote und Verletzte zu beklagen haben, gestaltet sich ausgesprochen schwierig: Erst am 22. Juni 1596, nach 15 langen Monaten, erreichen sie das in der Meerpforte von Sunda gelegene Banten224 (in den Texten der Petits Voyages noch als „Bantam“ bezeichnet) – „eine sehr grosse Volckreiche Statt“ (III, 118)225 und die erste längere Station in „Ostindien“. Der erste Kontakt vor Ort beginnt recht hoffnungsvoll: Kurze Zeit nachdem die Niederländer vor Banten kreuzten, werden sie von sechs Portugiesen im Namen des Statthalters begrüßt und gefragt, was ihr Begehr sei, „denn der Gubernator / wie auch alle Eynwohner / sich für uns fürchteten“ (III, 119).226 Die Niederländer jedoch beteuern ihre friedlichen Absichten, sie seien gekommen, „mit ihnen in Freundtschafft zuhandeln / vnnd vnsere Kauffmanns Waaren gegen jrer Specerey zuvertauschen.“ (ebd.) Die Portugiesen erzeigen ihnen „grosse Freundschafft“, geben den Niederländern bereitwillig Auskunft über die Gepflogenheiten vor Ort und warnen sie vor den Javanern und den Engländern. Der Text macht jedoch schnell deutlich, dass die Portugiesen falsches Spiel mit den Niederländern treiben und dass sie diejenigen sind, denen nicht zu trauen ist.227 In den folgenden Tagen kommen sowohl Delegationen des Statthalters als auch Delegationen des „Königs“ von Banten zu den Schiffen, „bieten erfrischende Ding“ und beteuern wiederum „ihre Freundschaft“. Auch Vertreter anderer Völker statten den Niederländern einen Besuch auf ihren Schiffen ab:

223 Petits Voyages, Bd. III, Vorrede. 224 Zu Banten siehe auch Johan Talens, Een feodale samenleving in koloniaal vaarwater. Staatsvorming, koloniale expansie en economische onderontwikkeling in Banten, West-Java (1600–1750), Hilversum 1999, und Peter Carey, Civilization on Loan: The Making of an Upstart Polity: Mataram and its Successors, 1600–1830, in: Modern Asian Studies 31 (1997), S. 711–734. Siehe dazu auch weiter unten S. 72 ff. dieser Arbeit. 225 Diese Zitierweise wird im Folgenden in der Textanalyse der Petits Voyages für kürzere Zitatausschnitte verwendet (die römische Zahl bezieht sich auf den Band, die lateinische auf die Seitenzahl). 226 Der Topos der flüchtenden und sich fürchtenden Indigenen ist ein beliebtes (Bild-)Motiv vor allem der Amerikaund Afrikaberichte und schon im Bordbuch Christoph Kolumbus’ zu finden. Vgl. dazu u.a. Stephen Greenblatt, 1994. 227 „Wir liessen dem Gubernator unsere Dienst vnd Freundschafft durch die Portugaleser anbieten / welche / als sie vom Boot fuhren / sich grosser Freuden doch fälschlich / annammen / fuhren also nach der Statt vnd erzehleten dem Gubernator / was sie gehöret“ (Petits Voyages, Bd. III, S. 119).

70 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

„Es kam auch solche menge Javaner / Türcken / Chineser / Bengaler / Araber / Persianer / Guzaraten vnd andere Nationen / daß man sich kaum kondte wenden / die wurden alle mit Spanischem Wein frölich 228

gemacht / vnd / da sie am Abendt von Boort fuhren / zween ehren Schüß gethan.“

Der Text entwirft zu Beginn das Bild einer multikulturellen Handelswelt, deren außereuropäische Vertreter voller Freude und ohne Argwohn und Konkurrenzangst die neuen Akteure auf den Weltmeeren willkommen heißen und jeweils hoffen, die Niederländer für den Kampf gegen die als brutal und unberechenbar dargestellten Portugiesen gewinnen zu können. Und so werden die Niederländer – folgt man dem Text – von den einzelnen Vertretern der verschiedenen Volksgruppen geradezu umschwärmt und mit Getränken und „Essensspeis“ versorgt.229 Ob und wie die Niederländer diese angebotenen Erfrischungen bezahlten, mit welchen Waren sie tauschten, wird nicht erwähnt. Hier erinnert der Bericht noch vage an die Paradiesassoziationen in mittelalterlichen Indienberichten, in denen Indien als das Land, in dem Milch und Honig fließen, präsentiert wird; als ein Land, in dem man ohne große Anstrengungen zu Reichtum kommen kann.230 Vor allem jedoch wird der erste Kontakt der Niederlande mit den außereuropäischen Handelsvertretern als Gegenentwurf zum Auftreten und Gebaren der Portugiesen entworfen, immer wieder werden der freundliche, geradezu euphorische Empfang durch die Indigenen und die Friedfertigkeit und der Friedenswillen der Niederländer betont und bekräftigt. So lehnen die Niederländer die verschiedenen Angebote zur Kooperation gegen die Portugiesen auch mit dem wiederholten Verweis auf ihre guten und hehren Absichten ab.231 Trotz dieses begeisterten Empfangs gestalten sich die Verhandlungen mit dem Statthalter Bantens als schwierig. Erst nach mehrmaligem Bitten der Niederländer werden sie überhaupt aufgenommen, einige Versprechen werden gegeben,232

228 Petits Voyages, Bd. III, S. 119. Die Vertreter aller Ethnien wiederholen dabei die Warnungen vor den Portugiesen: „Am volgenden Tag […] kamen vnterschiedliche Nationen an vnser Schiff / mit denen wir in aller Freundtschafft handelten / sie begehrten auch / wir solten den Portugalesern nicht trauwen / Wir zeigten jnen etliche Kauffgüter / welche jnen sehr wol gefielen“ (Petits Voyages, Bd. III, S. 120). 229 „Es kamen viel Herrn in vnsere Schiff / wie auch Kauffleut aus Persia / Garacone / vnnd viel andere / die vns mit köstlichen Zimmerrindenwasser / vnd Brandtwein verehreten. Es wurden auch viel Früchte feyl gebracht / als Rettich / Zwibel / Knoblauch / etc. Allda lagen viel Indianische Schiffe / die sie Juncos nennen / vnd kamen noch täglich von allen örtern mehr. Sudost von vns sahen wir ein Flüßlein / da viel Paraos aus vnd eyn lieffen / vnd allerlei Essenspeis brachten“ (Petits Voyages, Bd. III, S. 121). 230 Zu diesem europäischen Imaginaire vgl. Gita Dharampal-Frick, 1994, S. 123 ff. 231 „Welches wir der gestalt abgeschlagen / daß wir nicht kommen Krieg zuführen / sondern zuhandeln“ (Petits Voyages, Bd. III, S. 121). 232 So lässt sich der Statthalter das Versprechen abringen, dass „Niemand solte einige Specerey kauffen oder außführen / ehe dann wir vnsere Ladung vnnd genügen bekommen“ (Petits Voyages, Bd. III, S. 122). Auch ein von den Portugiesen „Kaiser“ genannter Herrscher (vermutlich handelt es sich hier um Panembahan Senapati [1584–1601], den Herrscher des mächtigen Sultanats Mataram, der 1597 versuchte, Bantam zu erobern) stattete der holländischen Flotte einen Besuch ab, inspizierte die Schiffe und versprach den Holländern „grosse Ding“ (ebd.). Fasziniert wird die Kleidung der Besucher beschrieben und auf die Pracht und den Reichtum dieses „grossen Herrn“ (ebd.) verwiesen. Zu konkreten Verhandlungen kommt es jedoch auch mit ihm nicht.

Mediale Expansionen   |

71

unverbindliche Abmachungen getroffen,233 aber auf konkrete Zusagen oder gar einen Handelsvertrag warten die Niederländer vergeblich. Stattdessen werden sie von verschiedenen Seiten vor möglichen Anschlägen gewarnt, in der Stadt sei „ein gross gemürmel“ ausgebrochen, „etliche wollten vns angreiffen / etliche aber dareyn nicht willigen“ (ebd.). Nach den mehrfachen Betonungen des euphorischen Empfangs kommen diese Ankündigungen für den Leser durchaus überraschend, erklärt oder begründet werden sie nicht. Die Hoffnung der Niederländer, sich mit dem Statthalter Bantens einigen zu können, schwindet zunehmend: Inzwischen ankern sie ohne nennenswerte Ergebnisse und Erfolge seit über einem Monat vor der Küste, die Verunsicherung nimmt zu, und es mehren sich die Anzeichen, dass sie unverrichteter Dinge Banten werden verlassen müssen. Ihr Versuch, direkt am südostasiatischen Gewürzhandel teilzunehmen, droht – so suggeriert es der Bericht – an der Unzuverlässigkeit der Javaner und den Sabotageversuchen der Portugiesen zu scheitern.234 Die zunehmende Hilflosigkeit und Enttäuschung über die nicht eingehaltenen Zusagen des Statthalters lässt die Niederländer den Entschluss fassen, Banten zu beschießen ( III, 127). Nach einem ersten Beschuss versucht Cornelis Houtman ein letztes Mal, mit dem Statthalter zu reden, obwohl ihm von diesem der Landgang verboten wurde. Nachdem Houtman gefangen genommen wurde – da er sich „mit worten verlauffen“ (ebd.) hatte –, erkennt die restliche Besatzung, dass er zu weit gegangen ist: „Als nun die / so auff den Schiffen waren / sahen / daß der Nachen nicht wider kam / vnnd es auffm Land vermacht war / wurden sie darüber vnter einander vneins / dann man wol abnemmen kundte / daß solche Herrn in jrem eignen Landt von vns / so frembd aus fernem Landt vnd wenig waren / solche dräuwort 235

nicht dulden oder hingehen lassen würden.“

Erstmals wird hier die eigene Inferiorität und Fremdheit explizit thematisiert, wird das eigene Auftreten in der Fremde problematisiert. Das Nachdenken über den eigenen Status jedoch hat in der akuten Situation keine Konsequenzen und so eskaliert das Geschehen im Folgenden. Die beiden Parteien liefern sich weitere Gefechte, beide Seiten nehmen Geiseln und 233 Zum Ende der Verhandlungen werden „etliche Attickel entworfen / welche von dem Gubernator vnterzeichnet / vn mit dem Endt bestätigt worden / deren Inhalt dass sie einander treuw sollten bleiben / vnd so jemands jrer einen vberfiele / sie sämptlich dem gemeinen Feind sollten widerstehen / vnd jhn abtreiben“ (Petits Voyages, Bd. III, S. 123). 234 „Der Gubernator hatte einen theil Goldts vnd Güter gekaufft / vnd solches mit Pfeffer zubezahlen zugesagt / wie er dann offtmals mit vnsern Obersten geredet / mit jhnen des preys halben des Pfeffers eins zu werden / vnnd hat zuletzt 5 Seck Pfeffer vmb einen Cate zu liefern sich erbotten / an abkürzung der Schuld / mal solte die Seck in sein Haus bringen. Solche Lieferung zu thun / ließ er von den Chinesern allen Pfeffer kauffen. 6. Seck vmb einen Cate / vnd 11. Seck vmb 2. Cates. Da aber vnser Obersten solch erbieten nich annamen / vnd die Portugaleser mit jhrem verleumbden nicht feyreten / auch etliche der fürnembsten Herrn zu Bantam von vns abgewendet / vnd jhnen viel zugesagt / ist die lieferung nicht ervolgt / sondern auffgeschoben worden: Unsere Obersten schöpfften auch den argwohn / man wollte sie daselbs uffhalten / biß daß sie sich selbst / ohne einige verrichtung / auffzehreten“ (Petits Voyages, Bd. III, S. 125). 235 Petits Voyages, Bd. III, S. 127.

72 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

haben Tote und Verletzte zu beklagen (III, 128 ff.); auch Schusswechsel mit den Portugiesen sind die Folge (III, 132). Der Statthalter Bantens lässt sich von den Drohgebärden der Niederländer nicht einschüchtern und geht auf ihre Forderungen, die Gefangenen unverzüglich und ohne Bedingungen freizulassen, nicht ein: Die niederländischen Geiseln werden erst nach Zahlung einer hohen Lösegeldsumme freigegeben. An Handel ist nun nicht mehr zu denken, und so beschließen die Niederländer, am 6. November 1596 die Anker zu lichten – „nach dem wir keinen Handel zu Bantam mehr kondten bekommen“ (III, 152) – und Kurs auf Jakarta zu nehmen. Auch in Jakarta werden sie freundlich empfangen, beschließen aber dennoch, in östlicher Richtung weiterzusegeln – „da gleichwohl kein Nutz für uns zuschaffen“ (III, 154) – und Kurs auf die Molukken zu nehmen, „um zu besehen / ob man daselbst hette können Handel treiben“ (ebd.). Die Besatzung würde lieber nach Sumatra segeln, der Unmut und die Ratlosigkeit auf den Schiffen wächst (III, 155). Schließlich wird beschlossen, vor Sedaju den Anker zu werfen. Die Hoffnung auf erfolgreichen Handel aber währt auch hier nicht lange: Während der laufenden Verhandlungen werden die Niederländer überfallen. Obwohl es ihnen durch „tapfere“ Gegenwehr (III, 157) gelingt, den Angriff abzuwehren, haben sie zwölf Tote zu beklagen; 150 sind es nach Angaben des Textes gar aufseiten der Javaner. Der Anschlag wird als Gottes Strafe interpretiert, der glimpfliche Ausgang Gottes Hilfe zugeschrieben: „Doch hat vns der Allmächtige Gott von allem diesem erlöst / vnangesehen / wir dermassen verblendet gewesen / daß wir vns nit fürsahen / Aber vmb vnser Sünde willen / hat der Herr diese Straff vber vns lassen kommen“ (ebd.). Die Niederländer erkennen trotz der (angeblich) hohen Verluste, die die Javaner zu beklagen haben, die eigene Unterlegenheit und die Ausweglosigkeit ihrer Situation an: „Als wir sahen die Mörderey so daselbst geschehen / wodurch der Handel mit den Einwohnern aus war / vnd daß wir vns an denselbigen nicht kundten rechen / wiewol wir die Statt mit grossen steinern Wallen vnnd Brüstwehr sahen ligen / dann vnser Zahl vnd Macht war zu gering / vnd vnser Schiff mit dem Schie236

ßen auf die Statt sehr geschwecht worden / haben wir vnser Anker gelücht“

und Kurs auf Madura genommen. Die Geschehnisse vor der Küste Maduras verdeutlichen die noch weiter zunehmende Verunsicherung und Anspannung der Seefahrer. Auf den Schiffen herrscht inzwischen „Unruhe vnnd unwil“ (III, 158), und als sich der Flotte Boote aus Madura nähern, eskaliert die Situation: Das nur noch schwach besetzte Schiff Amsterdam, dessen Besatzung „sich des vorigen Elendts“ erinnerte (ebd.), eröffnet grundlos das Feuer, erschießt den „König“ Maduras und nimmt dessen Sohn und weitere Insassen gefangen. Die Feinde sind dabei „so hartnäckig vnd starck […] daß ob sie schon mit einer halben Lanzen oder Rappier durchstochen waren / sie dennoch / wenn das Herz nicht getroffen / hart durch die Wehr auf ihren Feind trungen / denselbigen

236 Petits Voyages, Bd. III, S. 158.

Mediale Expansionen   |

73

wanns müglich gewesen / zuerwürgen / vnd ob sie schon im Wasser lagen / so wehreten sie sich so tapffer mit 237

jhren Chrissen / daß sie die stärckeste vnser Leut hetten vmbracht / wenn jhnen keine Hülff geschehen.“

Ob die Niederländer selbst in diesem Gefecht Tote zu beklagen haben, wird nicht erwähnt, jedoch sind sie inzwischen „zu schwach an Volck“ (III, 160), um alle vier Schiffe wieder heil in den heimatlichen Hafen zu bringen; die Flotte zählt nur noch 94 Überlebende, „darunter begriffen Krancken / Krüppel / vnd Lamen“ (ebd.). Die Besatzung dringt nun darauf, die Heimreise anzutreten: „Am selbigen Tag ist Jan Mullenaer plötzlich gestorben darüber ein groß gemurmel / vnd das gemein Volck so entrüst wardt / daß diejenige / so bevor begert hatten die Reiß vnd Glück weiter zu versuchen / mit einhelliger Stimm rieffen / es were mehr dann Zeit heymwerts zu segeln / ehe noch mehr von diesen 238

gifftigen Lüfften angestossen würden.“

Am 11. Januar 1597 wird die Amsterdam wegen fehlender Besatzung verbrannt, die restliche Flotte tritt über Bali die Heimreise an. Die drei Schiffe erreichen am 14. August 1597, nach langen 27 Monaten, beladen mit wenigen Säcken Pfeffer, den heimatlichen Hafen. Nur 87 der ursprünglich 249 Männer hatten die anstrengende Expedition überlebt – finanziell und menschlich war die Reise ein Desaster.

2.3 Exkurs: Die Handelswelt im Indischen Ozean Für Seefahrer gliederte sich der südostasiatische Kontinent geografisch in mehrere Welten, die über ein jeweils eigenes Gepräge und eigene Beziehungen verfügten und so eigene maritime Räume bildeten.239 Verbunden wurden diese Räume durch enge Seestraßen; an diesen 237 Petits Voyages, Bd. III, S. 159. 238 Petits Voyages, Bd. III, S. 160. 239 Im Zuge der jüngeren Forschungen zur transnationalen Geschichte und zur „entangled history“ ist auch der Indische Ozean zunehmend in den Fokus des Interesses gerückt. Zum Indischen Ozean als Handelsraum existiert inzwischen eine umfangreiche, kaum mehr zu überschauende Forschungsliteratur. Vgl. u.a. Sushil Chaudhury & Michel Morineau (Hg.), Merchants, Companies and Trade. Europe and Asia in the Early Modern Era, Cambridge 1999; Anthony Disney & Emily Booth (Hg.), Vasco da Gama and the Linking of Europe and Asia, Oxford 2000; Ashin Das Gupta & M. N. Pearson (Hg.), India and the Indian Ocean, 1500–1800, Kalkutta 1987; Sanjay Subrahmanyam (Hg.), Merchants, Markets and the State in Early Modern India, Oxford 1990; ders., Explorations In Connected History. From the Tagus to the Ganges, Oxford 2005; K. N. Chaudhuri, Asia before Europe. Economy and Civilisation of the Indian Ocean from the Rise of Islam to 1750, Cambridge 1990; ders., Trade and Civilisation in the Indian Ocean. An Economic History from the Rise of Islam to 1750, Cambridge/London 1985; Om Prakash, European Commercial Enterprise in Pre-Colonial India, Cambridge 1998; Anthony Reid, Southeast Asia in the Age of Commerce, 1450–1680. Volume One: The Lands below the Winds, New Haven 1988; ders., Southeast Asia in the Age of Commerce, 1450–1680. Volume Two: Expansion and Crisis, New Haven 1993; M. N. Pearson (Hg.), Spices in the Indian Ocean World, Aldershot 1996; ders., The Indian Ocean, New York 2003; Ashin Das Gupta, The World of the Indian Ocean Merchant 1500–1800. Collected Essays, Oxford 2001.

74 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Meerengen hatten sich urbane Stapelplätze wie Hormuz, Malakka und Banten etabliert, die den Schiffsverkehr kontrollierten und die sich durch die Abgaben der passierenden Schiffe zu bedeutenden und reichen Handelszentren entwickelt hatten. Die Schifffahrt im Indischen Ozean und insbesondere im Malaiischen Archipel folgte den Gesetzen des Monsuns. Seine starken Südwestwinde zwischen Mai und Oktober und die Nordostströmungen in den Monaten Dezember bis März bestimmten ihren jahreszeitlichen Rhythmus. „Große Häfen im Westen des Malaiischen Archipels wie Aceh und Malakka dienten ganzen Flotten über Monate als Ankerplatz, wenn ihre Kapitäne auf den für sie günstigen Monsun warteten. Im Winter hatten Schiffe, die den Archipel von West nach Ost durchquerten, den West-Monsun im Rücken. Im Sommer hingegen hätte ihnen der Ost-Monsun entgegen geblasen, so daß viele Seefahrer eine Wartezeit dem mühseligen Kreuzen gegen den Wind vorzogen. Reisen, die Indien mit China verbanden, konnten nicht in einer Saison zurückgelegt werden; am Südende der Chinesischen See musste zunächst der Wechsel der 240

Windrichtung abgewartet werden.“

Nach Jürgen Nagel lässt sich der asiatische Handel in vier Ebenen aufteilen.241 Die Ebene des interkontinentalen Handels war vor dem Erscheinen der Niederländer und Engländer in Indien und Südostasien vom Handel der Langstreckenkarawanen (u.a. in die Levante)242 bestimmt, weit entfernte Wirtschaftsräume wurden so miteinander verknüpft. Die Ebene des überregionalen Handels verband den ganzen asiatischen Kontinent: „Sowohl die arabische Welt wie der indische Subkontinent, das chinesische Reich und das maritime Südostasien brachten Kaufleute hervor, die in verschiedenen Handelssektoren und auf vielfältigen Wegen den asiatischen Kontinent kommerziell integrierten.“243 Auf der Ebene des regionalen Handels hingegen wurden überschaubarere Räume miteinander in Beziehung gesetzt, diese Ebene nahm dabei eine „Scharnierfunktion“ zwischen den Ebenen des kontinentalen Handels und des lokalen Markthandels ein. Auf zentralen Marktplätzen wurden Güter gesammelt und dem überregionalen Handel verfügbar gemacht. Auch Waren aus dem Fernhandel trafen hier ein, um dann wiederum auf die einzelnen lokalen Märkte, mit ihren konkreten Austauschbeziehungen und Versorgungsfunktionen, verteilt zu werden. Die Handelswelt des Indischen Ozeans war ausgesprochen vielfältig, Luxusgüter (u.a. Gold und Gewürze) machten dabei nur einen geringen Teil des Güterverkehrs aus.244 Geprägt wurde der Alltag des Warenhandels von Massengütern und hier vor allem von

240 Jürgen G. Nagel, Der Schlüssel zu den Molukken. Makassar und die Handelsstrukturen des Malaiischen Archipels im 17. und 18. Jahrhundert. Eine exemplarische Studie, Bd. 1, Hamburg 2003, S. 119 f. 241 Vgl. dazu Jürgen G. Nagel, Abenteuer Fernhandel. Die Ostindienkompanien, Darmstadt 2007, S. 12 ff. 242 Zum Levantehandel vgl. Frederic C. Lane, The Mediterranean Spice Trade: Further Evidence of its Revival in the Sixteenth Century, in: M. N. Pearson (Hg.), 1996, S. 111–120, und C. H. H. Wake, The Changing Pattern of Europe’s Pepper and Spice Imports, ca. 1400–1700, in: M. N. Pearson (Hg.), 1996, S. 141–183. 243 Nagel, 2007, S. 13. 244 Vgl. Anthony Reid, 1993, S. 2.

Exkurs: Die Handelswelt im Indischen Ozean   |

75

Grund­nahrungsmitteln wie Getreide, Salz, Obst, Gemüse und Fisch.245 Reis, der sich spätestens ab dem 15. Jahrhundert fast überall in Asien durchgesetzt hatte, nahm dabei als besondere und besonders preiswerte Handelsware – auch im Malaiischen Archipel – eine Sonderrolle ein, da er lange gelagert werden konnte und so ausgesprochen stark nachgefragt wurde. Die Intensivierung des Reisanbaus führte zu einer großen Vielfalt und brachte einen spezialisierten Handel hervor, sodass sich einige Händler ganz auf den Import und Export verschiedener Reisvarianten festlegten. Aber auch Textilien spielten eine wichtige Rolle im asiatischen Handel und darüber hinaus und stellten die zweite große Produktgruppe: Indien produzierte feine Woll- und Baumwolltuche, China Seide für den nationalen und internationalen Markt, Teppiche kamen aus Zentralasien, und auch im Malaiischen Archipel wurden Stoffe hergestellt, wobei im 16. Jahrhundert vermutlich hauptsächlich Ostjava, Bali und Sumbawa die Hauptexporteure von Textilien waren. Eine hochwertige Kattunweberei war besonders in Selayar und Süd-Sulawesi entstanden, sie konnte sich auf den exportorientierten Baumwollanbau Javas, Balis und Lomboks stützen. Besondere Bedeutung hatte in der südostasiatischen Inselwelt außerdem die Metallverarbeitung, die sich durch reiche Eisen-, Kupfer- und Zinnvorkommen entwickelt hatte. Hergestellt wurden Waffen (u.a. Schwerter, Kanonen) und Gebrauchsgegenstände (u.a. Kessel, Lampen, Gongs), sowohl für den Eigenbedarf als auch für Verkauf und Export – Krisdolche und Schwerter z.B. wurden bis nach Persien ausgeführt. In den großen Städten des Archipels entwickelte sich ferner ein spezialisiertes Kunsthandwerk zu Herstellung und Export von Gold- und Silberschmuck und Weihegaben. Aus China stammte hochwertige Handelskeramik in großer Diversität, die auch die weitere Umgebung beeinflusste, sodass in Vietnam, in Thailand und im östlichen Indonesien ebenfalls eigene Stilrichtungen in der Keramikproduktion entwickelt wurden. Des Weiteren waren auf den asiatischen Märkten verschiedene Farbstoffe, Gummi aus den tropischen Gefilden Südostasiens, Edelhölzer sowie Rausch- und Genussmittel (Betel, Opium) präsent.246 Die von den Europäern so begehrten Gewürze und Edelmetalle stellten vor dem Hintergrund dieser breiten Warenpalette der asiatischen Handelswelt nur einen sehr geringen Bestandteil dar. Der seit der Antike in Europa bekannte Pfeffer, einer der wichtigsten Gründe für die Portugiesen und später die Niederländer und Engländer, selbst den Weg nach Indien zu suchen, stammte vor allem aus Südindien, Sumatra und Borneo. Unter den sogenannten molukkischen Gewürzen, auf die sich die Niederländer in den folgenden Jahren konzentrieren sollten – da die Portugiesen wie bereits erwähnt auf den Molukken kaum Präsenz zeigten –, wurden hauptsächlich die Muskatpflanze (Banda) und Gewürznelken (Ambon, nördliche Molukken) verstanden. Zimt hingegen stammte aus Ceylon und von der Südwestküste Indiens. Diese unterschiedlichen Gewürze waren bereits auf den asiatischen

245 Zu den folgenden Ausführungen bezüglich der Handelswaren in Südostasien s. Reid, 1993, S. 23 ff. 246 Zu Mengen- und Preisangaben siehe David Bulbeck, Anthony Reid, Lay Cheng Tan, Yiqi Wu (Hg.), Southeast Asian Exports since the 14th Century. Cloves, Pepper, Coffee, and Sugar, Singapur 1998.

76 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Märkten präsent, und es bedurfte nicht der europäischen Nachfrage, um daraus Exportprodukte entstehen zu lassen: „Im 16. Jahrhundert, als die Portugiesen die Produktion entscheidend angeregt haben sollen, wurde lediglich ein Viertel bis ein Drittel der aus Südostasien exportierten Nelken nach Europa verschifft. Abnehmer waren mehrheitlich Asiaten einschließlich der Araber, die auch Ostafrika belieferten. An der geschätzten 247

Gesamtproduktion war der europäische Anteil extrem niedrig.“

Inzwischen ist sich die Forschung weitgehend einig, dass der portugiesische Einfluss in der Region im 16. Jahrhundert insgesamt nur marginal war.248 Zwar war es den Portugiesen 1511 gelungen, Malakka zu erobern, wodurch es zu Verschiebungen und Umorientierungen innerhalb des Handelssystems kam – so wurde Malakka als Handelszentrum von anderen Städten abgelöst –, das System selbst wurde dadurch jedoch auf lange Sicht kaum erschüttert: „The Portuguese intervention at first disrupted for a short period the old Javanese and Malay trade with the region. The Javanese fleet was partly destroyed through direct encounter with the Portuguese in the Straits of Malacca soon after 1511. Yet the vitality of Javanese inter-island trade was such that it soon revived and recaptured much of the lost ground. The Portuguese settlements in Ternate, Tidore, Amboina, Solor and Timor did not, in the long run, enable them to acquire a dominant position in the spice and sandalwood 249

trade of eastern Indonesia.“

Aufgrund ihrer exzellenten Lage an der Hauptroute zu den Gewürzinseln und der hoch entwickelten Ausstattung waren und blieben die Javaner im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts also die dominierenden Akteure in Handel und Schifffahrt der Region. Sie waren exzellente Navigatoren und als solche im Indischen Ozean bekannt.250 „Every year about 40 Javanese junks (of about 60 tons each) arrived in the spice islands with the western winds. They pulled up their junks on dry land and set up temporary booths. There they spread out their merchandise which included along with those already mentioned iron swords from Celebes, axes from Billiton, Indian cloth and beads, gold and silver jewellery and small coins from China. For sandalwood and wax the Javanese went to Timor. Spices and sandalwood were carried everywhere within the archipelago, 251

and after 1400 especially to the international port of Malacca.“

247 Nagel, 2007, S. 19. 248 Vgl. u.a. Om Prakash, Restrictive Trading Regimes: VOC and the Asian Spice Trade in the Seventeenth Century, in: M. N. Pearson (Hg.), 1996, S. 323–327, hier: S. 317; Michael N. Pearson, India and the Indian Ocean in the Sixteenth Century, in: Ashin Das Gupta & M. N. Pearson (Hg.), 1987, S. 71–93; Arun Das Gupta, The Maritime Trade of Indonesia, 1500–1800, in: Ashin Das Gupta & M. N. Pearson (Hg.), 1987, S. 240–275; Tilman Frasch, Muslime und Christen, Gewürze und Kanonen. Südostasien im 16. Jahrhundert, in: Peter Feldbauer & Jean-Paul Lehners (Hg.), Die Welt im 16. Jahrhundert, Wien 2008, S. 265–289. 249 Arun Das Gupta, 1987, S. 252. Vgl. zu den Folgen der Eroberung im Einzelnen ebd., S. 250 ff. 250 Vgl. Reid, 1993, S. 36 ff. 251 Vgl. Arun Das Gupta, 1987, S. 243.

Exkurs: Die Handelswelt im Indischen Ozean   |

77

Vor allem fungierte Java als zentraler Umschlagplatz für Reis, der von dort nach Westen exportiert wurde, um Malakka zu versorgen, und nach Osten, um den Bedarf der Gewürzinseln zu decken.252 Der niederländische Wirtschaftshistoriker Job C. van Leur hat in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die These vom asiatischen „peddling trade“ aufgestellt, worauf Niels Steensgaard in seiner einflussreichen Dissertation Carracks, Caravans and Companies: The structural crisis in the European-Asian trade in the early 17th Century253 von 1973 aufbaute. Danach begleiteten Kaufleute in Asien ihre Waren immer selbst und verkauften sie auf Handels- und Umschlagplätzen, deren Konditionen ihnen nicht bekannt waren und auf die sie sich dementsprechend stets neu einstellen mussten; daher seien sie nicht in der Lage gewesen, sich gegen die europäischen Kompanien zu behaupten. In neueren Fallstudien hingegen ist inzwischen mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die asiatische Handelswelt wesentlich differenzierter und mannigfaltiger war und sowohl sogenannte peddlars als auch komplexere Handelsbeziehungen, die Kreditsysteme, Handelsniederlassungen und große Transportflotten umfassen konnten, nebeneinander existierten.254 Das „Zeitalter des Handels“, also nach Anthony Reid die Zeit zwischen 1450 und 1680, war in Südostasien geprägt durch eine anhaltende Phase der Urbanisierung.255 Die an den Meerengen gelegenen Stapelplätze, die das Bild im Malaiischen Archipel bestimmten, hatten zentrale Positionen im Warenhandel inne. Sie stellten sowohl die Machtzentren des Archipels als auch die Zentren gewerblicher Produktion und religiöser und wissenschaftlicher Gelehrsamkeit dar.256 Charakteristika der Küstenstädte waren ethnische Vielfalt und Kommerz. Eines der wichtigsten dieser Zentren im südostasiatischen Raum des 15. Jahrhunderts war Malakka, das geradezu als Paradebeispiel für eine multiethnische und auf Kommerz ausgerichtete Metropole in der Region gelten kann.257 Ende des 15. Jahrhunderts hatte die Stadt zwischen 120.000 und 200.000 Einwohner und galt wegen ihrer idealen Lage am Seeweg zwischen dem Roten Meer und dem Chinesischen Meer als Anziehungspunkt für Kaufleute aus zahlreichen Ländern. Das Stadtbild war von den Aktivitäten dieser unterschiedlichen Ethnien bestimmt, die von der Stadt nicht nur geduldet, sondern bewusst gefördert wurden. So arbeiteten in Malakka vier Hafenmeister (die sogenannten Syahbandar oder Sahbandar), 252 Ebd., S. 262. 253 Niels Steensgaard, Carracks, Caravans and Companies: The structural crisis in the European-Asian trade in the early 17th century, Kopenhagen 1973. 254 Vgl. Nagel, 2007, S. 22. 255 Vgl. Reid, 1993, S. 26. Reids Versuch, dem Boom des 16. Jahrhunderts in Südostasien eine Krise des 17. Jahrhunderts entgegenzustellen, ist in der Forschung breit diskutiert worden. Vor allem seine Fokussierung auf europäische Quellen und seine Vernachlässigung Chinas und des chinesischen Handels wurden kritisiert; zudem lassen sich seine Thesen nur auf die Inselwelt Südostasiens beziehen. Kritisch zu Reid: Victor Lieberman, Strange Parallels. Southeast Asia in Global Context, c. 800–1830, 2 Bde., Cambridge 2003–2009. 256 Reid, 1993, S. 62 ff. 257 Zu Malakka s. Arun Das Gupta, 1987, S. 246 ff.; Luis Filipe F. R. Thomaz, Melaka and Its Merchant Communities at the Turn of the Sixteenth Century, in: Denys Lombard & Jean Aubin (Hg.), Asian Merchants and Businessmen in the Indian Ocean and the China Sea, Neu-Delhi 2000, S. 25–48, hier: S. 25 ff., und Nagel, 2003.

78 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

die jeweils dafür verantwortlich waren, die Händler ihrer Region willkommen zu heißen, sie dem Schatzmeister des Sultanats vorzustellen und Unterkünfte für sie und Handelshäuser für ihre Waren zu finden.258 In Malakka gab es einen Hafenmeister, der für die Gruppe der Gujaraten zuständig war, ein anderer kümmerte sich um die Belange der Händler aus Java, Sumatra und dem östlichen indonesischen Archipel, der dritte um die Händler aus Bengalen, Pegu und Pasai und der vierte schließlich um die Kaufleute aus China und Indochina.259 Die Gujaraten, Muslime aus Indien, stellten die mächtigste Gruppe der Händler in Ma­lakka. Um die tausend von ihnen lebten dort im 15. Jahrhundert und drei- bis viertausend segelten regelmäßig zwischen Cambay und Südostasien. „Their commercial representatives were stationed in all the major ports of southeast Asia. Ships sailing regularly from Gujarat, Coromandel and Bengal to Malacca also carried merchants from other regions. Thus Turk, Armenian, Arab, Persian and Abyssinian merchants joined the annual Gujarati convoy sailing 260

out to Malacca.“

Die Gujaraten selbst waren jedoch vor allem auf den Handel mit dem mameluckischen Ägypten spezialisiert, sie sandten Drogen, Gewürze und Edelhölzer aus Südostasien zu den Mamelucken und erhielten dafür Opium, Rosenwasser, Tuche und Farbstoffe.261 Ein weiteres urbanes Wirtschaftszentrum war Banten, das im Laufe des 16. Jahrhunderts – ebenso wie auch Aceh, Patani und Johor – von den innerasiatischen Auseinandersetzungen in der Straße von Malakka und den Kontrollbemühungen der Portugiesen profitierte und in der Sundastraße für alle diejenigen günstig gelegen war, die eine Alternative zur Straße von Malakka suchten.262 Auch hier war der multiethnische Handel politisch gewollt.263 Banten lag geografisch und strategisch günstig an der Verbindung nach China, das im 16. Jahrhundert zu den großen Pfefferimporteuren gehörte, und so wurde der Hafen von Banten zu einem der großen Pfefferexporthäfen der Region. Die Chinesen stellten demzufolge auch die größte Handelsgruppe der Stadt. Drei von vier Dschunken, die dort ankerten, kamen aus China, brachten Porzellan, Seide und Münzen in die Stadt und erhielten im Gegenzug Pfeffer, Gewürze, Sandelholz und ab dem 16. Jahrhundert auch europäische Silbermünzen. Die Gujaraten und andere indische Händler kauften gegen indische Textilien Pfeffer, Gewürze und chinesische Waren in Banten ein. Das Sultanat von Banten selbst besaß eine große Handelsmarine, die sowohl am Handel zwischen den Inseln als auch am internationalen Handel beteiligt war. Es wurden Reis und Salz von anderen javanischen Häfen importiert und im 258 259 260 261 262

Vgl. Thomaz, 2000, S. 28. S. Arun Das Gupta, 1987, S. 249, und Thomaz, 2000. Arun Das Gupta, 1987, S. 247. Vgl. Reid, 1993, S. 29. Vgl. Reid, 1993, S. 65. Zur Straße von Malakka als Seehandelsstraße vgl. Donald F. Freeman, The Straits of Malacca: Gateway or Gauntlet?, Montreal u.a. 2003, zu den Bemühungen der Portugiesen s. insbesondere S. 79–97; vgl. außerdem Arun Das Gupta, 1987, S. 250 ff., und Tilman Frasch, 2008. 263 Anthony Reid, 1993, S. 77 f.

Exkurs: Die Handelswelt im Indischen Ozean   |

79

16. Jahrhundert stieg die Stadt auch in die Zuckerproduktion ein. In Banten existierten drei große Märkte, die jeden Tag geöffnet waren, durch die Stadt floss zudem ein großer Fluss, sodass Galeeren und Dschunken mit schweren Frachten bis ins Zentrum fahren konnten, und so herrschten dort optimale Handelsbedingungen.264 Die Niederländer trafen in Südostasien also auf eine komplexe und hoch entwickelte Handelswelt mit eigenen Märkten, Akteuren und Strukturen, die zudem noch ausgesprochen heterogen und für Neuankömmlinge und Außenstehende schwer zu durchschauen war, da zwischen den einzelnen Gebieten ein vielschichtiges Geflecht aus Beziehungen und Abhängigkeiten existierte.265 Der Blick auf den Indischen Ozean um 1600 macht deutlich, dass diese erste Reise einer Amsterdamer Flotte noch keinen Anlass für die – von den de Brys im Vorwort formulierte – Hoffnung auf zukünftige Erfolge der Niederländer lieferte. Zwar erzählt der Text zunächst beeindruckt von der Macht und dem Reichtum der einheimischen Herrscher, von der Fruchtbarkeit und Fülle der Natur, der Vielfalt der dort handelnden Ethnien und der Wehrhaftigkeit und der technischen Ausstattung der Inselbewohner. Doch schnell müssen die Niederländer erkennen, dass sie in diesem gut funktionierenden, jahrhundertelang erprobten Handelssystem in Asien nur ein Handelspartner unter vielen sind, dass sie keine Privilegien zu erwarten haben und dass ihre Tauschgüter nicht sehr hoch geschätzt werden. Tatsächlich erschienen sie vor Java, Bali und Sumatra eher als Bittsteller, die tagelang vor den Inseln ankerten und darauf warteten – zwischen Hoffen und Bangen schwankend –, dass ihnen die einheimischen Bevollmächtigen die Erlaubnis zum Handel erteilen würden. Immer wieder glaubten sie, dass sich einer der Herrscher bereit erklären würde, mit ihnen Verträge abzuschließen, immer wieder zerschlugen sich diese Hoffnungen, und die einheimischen Handelsvertreter zogen ihr Angebot zurück. Auch die Resultate dieser ersten Expedition, die großen menschlichen und finanziellen Verluste, zeigen, dass mit der Reise allein die Möglichkeit bestätigt wurde, eine solche Unternehmung überhaupt zu einem Abschluss zu bringen. Die Situation vor Ort jedoch war zu unübersichtlich, prekär und diffizil, als dass sich daraus Hoffnungen für die Zukunft ableiten ließen. Und so erzählt der Text – trotz der Versuche, sich der eigenen Überlegenheit immer wieder neu zu versichern – auch deutlich vom Scheitern, von Ängsten, Unsicherheiten und Zweifeln. Superiorität wird in den deskriptiven Passagen inszeniert, in denen die Indigenen größtenteils – auch entgegen den Aussagen in den narrativen Teilen – als barbarisch und inferior deklassiert werden. Vor allem jedoch wird das Überleben der gefahrvollen Reise, das als Beweis des Auserwähltseins durch Gott interpretiert wird, zu Bestätigung und Bekräftigung der eigenen Überlegenheit und Stärke genutzt.266 So schließt der Lodewycksz’sche Bericht denn auch mit den Worten: Die „beschwerliche Reis [ist] 264 S. Arun Das Gupta, 1987, S. 259 f. 265 Vgl. Arun Das Gupta, 1987, S. 240 ff.; John Bastin, The Changing Balance of the Southeast Asian Pepper Trade, in: M. N. Pearson (Hg.), 1996, S. 289–291; Om Prakash, 1996, S. 323–327. 266 Siehe dazu auch das Kapitel 4. Siehe außerdem Susanna Burghartz, Erfolg durch Scheitern? Zur Konstruktion von Überlegenheit im kolonialen Diskurs um 1600, in: Renate Dürr, Gisela Engel, Johannes Süßmann (Hg.), Expansionen in der Frühen Neuzeit, (= Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 34), Berlin 2005, S. 307–324.

80 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

vollbracht / auss welcher der Allmächtige Gott vns aus vielen vnd mancherley gefahr erlöst hat […] nach viel leyds vnd gefahr […] dafür jhm Lob / Preis / vnd Ehr“ (172). Die von den de Brys in ihrem Vorwort propagierte Einheit der Christenheit und ein daraus resultierendes gemeinschaftliches Auftreten aller in den Gewässern Indiens und Südostasiens agierenden Christen existierte nur als Wunschvorstellung.267 Vielmehr lässt der Text auf ständig wechselnde, flexible Gruppenbildungen und Allianzen zwischen Javanern, Portugiesen, Niederländern, Engländern, Persern und Chinesen schließen und erlaubt keine eindeutigen Zuweisungen bezüglich Wir und der Anderen.268 Vor allem die europäischen Konkurrenzen lassen keine eindeutigen Dichotomien zu; hier findet also kein einfaches Spiel der Differenz zwischen Europäern und Nichteuropäern statt, vielmehr lassen die ständig wechselnden Positionierungen und situativen Festlegungen dessen, was als das Eigene, das Andere und als das Feindliche zu bezeichnen ist, diese binären Logiken, wie sie noch das Vorwort aufgestellt hat, hinter sich.269 Im Spannungsfeld von Text, Paratext und Kontext wird deutlich, wie in diesen frühen Indienberichten um die eigene Vormachtstellung und Dominanz gerungen, wie – bei allen temporären Ängsten und Gefährdungen – versucht wurde, Superiorität und Erfolg zu inszenieren und zu konstruieren. Gerade im de Bry’schen Vorwort wurden diese Unsicherheiten, Gefährdungen und Ängste der niederländischen Indienreisenden, ihre Inferiorität gegenüber den Kaufleuten vor Ort und vor allem das Potenzial des Scheiterns jedoch ignoriert. Lässt sich diese Tendenz auch in den Kupferstichen beobachten?

2.4 Die Macht der Bilder Bereits ein erster Blick auf die Illustrationen des Textes zeigt, dass sie eine ganz eigene Geschichte erzählen: Die ersten fünf Stiche des dritten Teils visualisieren das Scheitern der Portugiesen. Sie scheitern am Unvermögen der eigenen Steuermänner, an den Naturgewalten, an Erdbeben und Stürmen, werden von Seeräubern und den Türken angegriffen und müssen zahlreiche schmerzhafte Verluste hinnehmen. (Abb. 5)

267 Zu nationalen und kolonialen Konkurrenzen im frühen Amerika-Diskurs vgl. Thomas Scanlan, Colonial Writing and the New World, 1583–1671. Allegories of Desire, Cambridge 1999, Kap. 1, und Benjamin Schmidt, Innocence Abroad. The Dutch Imagination and the New World, 1570–1670, Cambridge 2001. S. außerdem Susanna Burghartz, die erstmals die Bedeutung der europäischen Konkurrenzsituation für die „Konstruktion einer Identität der Überlegenheit“ (Burghartz, 2005, S. 321) in den Texten der Grands Voyages betont hat. 268 In den postkolonialen Diskussionen der letzten Jahre wurden gerade diese binären Schemata betont, vgl. u.a. Robert Weimann (Hg.), Ränder der Moderne. Repräsentation und Alterität im (post)kolonialen Diskurs, Frankfurt/ Main 1997. 269 Siehe dazu auch das Kapitel 5.

Die Macht der Bilder   |

81

Abb. 5 Werkstatt de Bry, Das nautische Unvermögen der Portugiesen (1599)

Abb. 6 Werkstatt de Bry, Landvolk auf Sumatra (1599)

Die de Brys imaginieren damit den Untergang der Portugiesen in einer Zeit, die durch wachsende europäische Konkurrenzen geprägt ist und in der der Kampf um eine mögliche Vorherrschaft in den außereuropäischen Gebieten noch lange nicht entschieden ist. Von nun an tauchen die Portugiesen in den Bildern nicht mehr auf. Die beiden folgenden Stiche zeigen Passagen der Wildheit, die durchschritten werden müssen, um zu den Reichtümern Indiens zu gelangen. Dabei positioniert der erste Stich die Niederländer deutlich als überlegene Protagonisten in einer von Wildheit geprägten Fremde:270 Die de Brys visualisierten eine von Lodewycksz erzählte Anekdote über die Khoikhoi am Kap der Guten Hoffnung und die Schlachtung eines Ochsen. Der Stich konfrontiert den Betrachter mit einem halb nackten, nur spärlich mit Fellen bekleideten „Wilden“, der

270 Siehe den Stich Abb. 79.

82 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Abb. 7 Werkstatt de Bry, Musikinstrumente zu Banten (1599)

Abb. 8 Werkstatt de Bry, Bauern und Sklaven auf Java (1599)

die Niederländer um fleischliche Abfälle, die Gedärme des Ochsen, anbettelt und Letztere roh verzehrt. Nach dieser friedlichen, wenn auch – nach Darstellung der zugehörigen Subscriptio – befremdlichen Begegnung werden die Niederländer mit der Unberechenbarkeit und der Brutalität der Fremde konfrontiert: Auch der folgende Stich visualisiert eine kurze Anekdote; sie erzählt von den Versuchen dreier Niederländer, mit den Indigenen auf der Insel Mauritius Kontakt aufzunehmen und von ihnen „erfrischende ding“ (III, 93) für die auf den Schiffen wartende Besatzung zu erhandeln.271 Schon die Überfahrt zu der Insel mit einem von den Indigenen geliehenen Boot gerät für die drei Niederländer zum kläglichen Versuch, sich den Begebenheiten vor Ort anzupassen und auf das fremde Land einzulassen: Sie kentern und Einheimische müssen ihnen an Land helfen. Nach einer zunächst friedlichen Begegnung 271 Siehe den Stich Abb. 39.

Die Macht der Bilder   |

83

Abb. 9 Werkstatt de Bry, Marktszene in Banten (1599)

schlägt die Stimmung plötzlich um und es kommt zu einem Kampf, bei dem die Niederländer ihrer Kleidung und ihrer Waffen beraubt und mit Steinen beworfen werden und „sehr müd / verbrannt vnd krafftlos“ (III, 93) zurück zu den wartenden Schiffen fliehen. Die dazugehörige Subscriptio stellt mit dem Verweis auf das Fehlen jeglicher polizeilicher Ordnung die spezifische Wildheit der Indigenen heraus. Hier gerät die Annäherung der Kulturen zum Desaster und zur Bedrohung der eigenen Identitäts- und Zivilisationsvorstellungen. Die fremde Parze im Bildvordergrund verweist zusätzlich auf die Schicksalhaftigkeit der Begegnung der Kulturen und ihren ungewissen Ausgang.272 Haben die Reisenden und die Betrachter diese Passagen der Wildheit jedoch erfolgreich durchschritten, erwarten sie Länder voller Reichtum und Schönheit. Die Bewohner des indonesischen Archipels erscheinen in den nun folgenden Stichen in einem ausgesprochen positiven Licht, das die Hoffnung auf friedliches Handeln nährt. Die Einheimischen werden als „sittsames“ Volk präsentiert (Abb. 6), das sich wohl zu kleiden versteht, dessen Herrscher freundlich und mächtig, dessen Frauen hübsch anzusehen und kunstvoll frisiert sind und dessen Musik zu lauschen „eine Lust ist“ (Abb. 7). Die dort lebenden Bauern und Sklaven 272 S. zu diesem Stich ausführlich das Kapitel 3.

84 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Abb. 10 Werkstatt de Bry, Oberste und Edelleute auf Java (1599)

Abb. 11 Werkstatt de Bry, Kriegsleute auf Banten (1599)

sind zwar „schlicht“ und „einfältig“, aber sie führen ein „rechtes philosophisches Leben“, da sie keusch sind und sich „still und mäßig“ verhalten; ferner sind sie offensichtlich – wie der Hintergrund des Stiches vermuten lässt – gute und fleißige Arbeiter, die Regeln und Ordnung akzeptieren und sich „ihren Herren“ gegenüber „sehr untertänig“ zeigen – wie es in der zugehörigen Subscriptio heißt (Abb. 8). Der Reichtum dieser Inseln und das dadurch bestehende Handelspotenzial werden dem Betrachter durch eine lebendige, große Marktszene vermittelt. (Abb. 9) Um einen besseren Eindruck von der Vielzahl der angebotenen Waren zu geben, wurden die einzelnen Stände mit Buchstaben versehen, die in der Subscriptio erläutert werden. Zusätzlich wurden auch bereits die Niederländer – mal mehr, mal weniger versteckt – mit ins Bild genommen. Sie bewegen sich ganz selbstverständlich zwischen den einheimischen Händlern, handeln mit ihnen, machen Konversation und zeigen insgesamt Präsenz. Damit Die Macht der Bilder   |

85

Abb. 12 Cornelis Claesz, Kriegsleute auf Banten (1598)

wird der Anspruch der Niederländer, als eigenständige Akteure am globalen Gewürzhandel zu partizipieren, deutlich zum Ausdruck gebracht – ein Status, von dem sie zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt sind. Der Macht der „Obersten und Edelleute“ werden gleich drei Stiche gewidmet, Erstere beeindrucken vor allem durch ihre Autorität, durch den Gehorsam ihrer Untertanen und ihre allzeit kampfbereiten Waffen, die jedoch auch einen Hinweis liefern auf das Gefährdungspotenzial interkultureller Begegnungen (Abb. 10). Das wiederum wird schon im folgenden Kupferstich entkräftet: Zwar verfügen die Javaner über Schwerter, Dolche, Speere und Schilde, aber zum Umgang mit den niederländischen Gewehren und Waffen sind sie nicht fähig – eine Tatsache, die ebenfalls hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt, schließlich beteuert der – im Umgang mit dem Gewehr so ungeschickte – Javaner, dass er ein solches nicht „mehr anzurühren begehrte.“ (Abb. 11) Gestützt wird diese Auslegung auch durch einen Vergleich mit dem niederländischen Original, das noch fünf stolze Javaner gezeigt hatte, die selbstbewusst und würdevoll sowohl ihre Waffen als auch die der Niederländer präsentieren. (Abb. 12) Die de Brys verwandelten diese stolzen Indigenen in Karikaturen ihrer selbst, deren Rückständigkeit sowohl durch den unsachgemäßen Gebrauch der niederländischen Waffe als auch durch ihre tumben Gesichtsausdrücke verdeutlicht wird.

86 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Gefechte zwischen Niederländern und Javanern werden in den Kupferstichen dieses dritten Bandes zwar ebenfalls abgebildet, doch gehen aus ihnen die Niederländer immer als Sieger – mit nur wenigen Verlusten – hervor.273 Die de Brys stellten durch ihre Illustrationen dieses dritten Bandes die durch den Text zerstörte oder gestörte imaginäre Ordnung wieder her und inszenierten in ihnen die frühe niederländische Expansion als Erfolgsgeschichte, als Teil einer göttlichen Heilsgeschichte, in der die niederländischen Reisenden nach einer Zeit der Prüfungen und Entbehrungen, der Konfrontation mit dem Wilden und Unberechenbaren zu den Reichtümern Indiens gelangen und in fruchtbaren Handel mit der dortigen, weitgehend friedlichen, auf jeden Fall aber berechenbaren Bevölkerung treten. Die Verleger de Bry gestalteten damit einen Werbeprospekt für die niederländische Expansion, der es vermochte, Triumph und Erfolg zu überhöhen, Niederlagen zu marginalisieren, Abb. 13 Werkstatt de Bry, Ankunft der Niederländer in Guinea (1598) den Anspruch der Niederländer auf eine Rolle im Spiel der Mächte zu bekräftigen und ihren Wunsch, als neue und ernst zu nehmende Akteure auf den Weltmeeren wahrgenommen zu werden, zu akzentuieren. Eine solche Strategie verfolgten die de Brys – bewusst oder unbewusst – auch in anderen frühen Bänden ihrer Petits Voyages: Bereits im zweiten Teil – in ihren Illustrationen zu Jan Huyghen van Linschotens Bericht – visualisierten sie die Ambitionen und Ziele der Niederländer. Mit den ersten beiden Stichen (die sie selbst gestaltet und nicht aus dem Originalbericht übernommen hatten) unterstrichen die de Brys die niederländischen Ansprüche auf die überseeischen Gebiete und nährten Hoffnungen auf freundliche und herzliche Begegnungen und erfolgreichen Handel mit den Fremden.274 Der erste Stich zeigt die Ankunft der Niederländer in Guinea. (Abb. 13) 273 Siehe z.B. Tafel XVI des dritten Bandes der Petits Voyages. 274 Vgl. zu diesen beiden Stichen auch das Kapitel 6.

Die Macht der Bilder   |

87

Die Ankunft selbst ist im Bilderhintergrund abgebildet, im Bildvordergrund ist eine Rundhütte zu sehen, auf deren Boden am Eingang zwei Niederländer knien. Der rechte der beiden wird von einem Indigenen auf den einheimischen Herrscher im Inneren der Hütte aufmerksam gemacht, der linke hat diesen bereits entdeckt und zollt ihm mit erhobenen Armen Respekt, obwohl dieser, wie die Subscriptio erläutert, „scheußlich anzusehen“ ist, da er mit „vielen knöchernen Ringen und Ketten geziert war“, an seinem „abgesonderten Ort schier unbeweglich wie ein geschnitztes Bild saß“ und zu seinen Füßen zudem ein nacktes hässliches „Weib“ lag, das ihm Luft zufächerte und die Fliegen abwehrte. Trotz dieser Furcht einflößenden Szenerie und der zahlreichen bewaffneten, nackten und mit Abb. 14 Werkstatt de Bry, Ankunft der Niederländer in Guinea II (1598) langen Ohrringen geschmückten „Mohren“ gelingt es den Niederländern, sich auf diese Situation – „nach Gewohnheit des Lands“ – einzustellen und sich nach der Überreichung etlicher königlicher Präsente – des Beweises erfolgreicher Annäherung der Kulturen – in Freundschaft zu verabschieden. Wie erfolgreich diese Annäherung verlaufen ist, demonstriert direkt im Anschluss auch der zweite Stich. Auch dieser visualisiert eine Ankunftsszene: (Abb.14) Die Szenerie ist leicht verlagert, die Rundhütte ist an den linken Bildrand gerückt, der Blick wird auf die ankommenden Niederländer gelenkt. Zwei von ihnen werden zum einheimischen Herrscher und seinen Frauen geführt. Dieser heißt die niederländischen Reisenden mit ausgebreiteten Armen willkommen. Seitlich hinter ihm sitzt seine nackte Frau, deren linke Hand eine einladende Geste macht, hinter ihr tanzen weitere Frauen, die die Niederländer ebenfalls freundlich begrüßen. Diese werden von den Einheimischen darüber aufgeklärt, dass die Gebärden „Friede und Freundschaft“ bedeuten und dass sie „willkommen wären“. Auch hier werden zusätzlich Tauschgeschäfte als Zeichen der beiderseitigen Freundschaft vollzogen. Der Stich inszeniert die Begegnung der Kulturen als Einladung und Verführung, der die Niederländer nur noch nachkommen müssen, um die Freuden des fremden Landes zu genießen. Die Rollen sind dabei klar verteilt: auf der einen Seite die bekleideten, offensichtlich bedächtigen, vernünftigen – also zivilisierten – Niederländer, auf der anderen Seite die nackten und

88 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Abb. 15 Werkstatt de Bry, Schreckliche große Krebse (1600)

Abb. 16 Werkstatt de Bry, Übergroße Schildkröten auf Mauritius (1600)

vertrauensseligen – also insgesamt inferioren – Indigenen, die die neuen Akteure auf den Weltmeeren euphorisch und begeistert begrüßen.275 Obwohl die beiden Stiche als Einleitung zu den Illustrationen des Linschoten-Berichts abgedruckt sind, illustrieren sie nicht dessen Reise, sondern gehören zur ersten niederländischen Schiffsreise an die westafrikanische Küste von 1593 – wie die de Brys selbst im letzten Satz ihrer Subscriptio bestätigen: „Allhie ist zu bemerken, dass diese zwei ersten Figuren nicht von Jan Hyghen van Linschoten wie die folgenden, sondern von anderer Holländer Reise handeln.“ Der Bericht über diese Reise jedoch wird von den de Brys nicht publiziert. Sie suggerieren mit diesen Illustrationen eine generelle niederländische Präsenz in den überseeischen Gebieten – zu einem Zeitpunkt, zu dem die Niederländer sich erstmals in 275 Siehe zu diesem Stich auch das Kapitel 3.

Die Macht der Bilder   |

89

die afrikanischen Gewässer vorwagten und dabei über das Kap der Guten Hoffnung noch nicht hinausgekommen sind.276 Eine solche Strategie setzt sich auch im vierten und fünften Teil der Petits Voyages fort; bereits in Band IV ist ein kurzer Bericht der Reise Wybrant Warwicks enthalten (IV, 114– 121),277 die in Band V erneut – und nun deutlich ausführlicher – beschrieben wird. Der Leser kann hier leicht den Eindruck gewinnen, es handele sich um zwei unterschiedliche Reisen der Niederländer. Auch die Reise Cornelis Houtmans wird kurz erwähnt; deren unglücklicher Verlauf sei für die Niederländer Anlass gewesen, ihr Glück erneut zu versuchen, eine wesentlich stattlichere Flotte auszurüsten und nach Ostindien zu schicken (IV, 114). Für diesen vierten Band, der sich ansonsten hauptsächlich der Flora Indiens widmet, gestalteten die de Brys zudem zwei Stiche, die die Gefahren der Fremde und deren furiose Bewältigung durch die Niederländer besonders anschaulich machen: Die fruchtbare, aber eben auch riesenhafte und wilde, daher oft Furcht einflößende und „erschreckliche“ Natur (Abb. 15) konfrontiert die niederländischen Reisenden offensichtlich mit gewaltigen Herausforderungen, die sie jedoch meistern und aus denen sie wiederum gestärkt (Abb. 16) und selbstbewusst hervorgehen. Diese Strategie der Inszenierung niederländischer Präsenz und ihrer Dominanz im Indischen Ozean und vor den Küsten Afrikas, das regelrechte Erschreiben von Erfolg, Macht und Legitimität lässt sich auch anhand des fünften Bandes noch einmal besonders deutlich nachvollziehen:

Der fünfte Teil der Petits Voyages: Text, Paratext, Kontext Im Vorwort zum fünften Band versuchen die Verleger zunächst, die Vorzüge Indiens und vor allem die ihrer eigenen Sammlung ganz explizit herauszustreichen und die Rezipienten zu einer Reise zu animieren: „Wie dann auch diese Reisen sehr nütz vnnd fürderlich seyn / denen so noch Jung seyn / und etwan inen fürnemmen möchten die Länder dermals eins selber zubesuchen / denn dieselben finden in diesen Büchern genugsame Instruction / wie vnnd auff was Weise sie ihre Reysen sollen angreiffen / wie sie sich in denne Ländern verhalten und handeln sollen / und was dergleichen / so in solchen Reysen zu wissen / mehr von nöten ist. Uber das so achten wir nit geringen Gefallen / denen mit diesen Wercken zuthun / so vorhin die America oder Occidentalische Indien / so unser Vatter seeliger / mit schwerem kosten angefangen / vnnd

276 Auffällig ist, dass diese beiden Ankunftsstiche für einen längeren Zeitraum die einzigen der Petits Voyages bleiben werden; in den Bänden, in denen die ersten Ankünfte der Holländer thematisiert werden (III, IV und V), werden keine Ankunftsszenen abgebildet. Erst in späteren Bänden, die die Etablierung der Holländer in Indien und Südostasien thematisieren, werden wieder Ankunftsszenen gezeigt. 277 Siehe dazu weiter unten S. 91 dieser Arbeit.

90 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

wir nach ihme continuiert, und an Tag gegeben / gekauffet haben / damit sie die gantze Indien bey einander haben / unnd eben so wol den Schatz der Specerey und Edelgestein / als den Gold Schatz haben mögen.“

278

Hier werden also die Berichte nicht mehr als Ersatz einer Reise gepriesen. Es geht nicht mehr nur darum, sich mithilfe der Texte und Illustrationen die Wunderwerke Gottes „vor Augen zu stellen“, vielmehr können die Bände nun auch als Anleitung und „Instruktion“ zu einer solchen Reise dienen. Erstmals während der Arbeit an ihrer Serienedition werben die de Brys damit ausdrücklich für eine derartige Unternehmung und betonen auch den praktischen Nutzen ihrer Werke. Allerdings wenden sie sich hier außerdem an einen weiteren, besonders kaufkräftigen Rezipientenkreis, der durch den Kauf beider Serien die Schätze der „gantze(n) Indien bey einander haben“ mag, damit betonen sie auch den Charakter der Bände als Sammlungsobjekte. Besonders geschickt wird dabei auch auf Eduardo Lopes und Jan Huygen van Linschoten, den berühmtesten Autor der Sammlung, hingewiesen (V, 1); zudem werden die bereits erschienenen Texte kurz vorgestellt, sodass man einen knappen Überblick über die Sammlung erhält (V, 2). Obwohl der Leser schon umfassend über die Begebenheiten in Afrika und Indien informiert sei, sollen nun zur „Ergänzung vnd Complierung“ weitere Berichte folgen: „Dieweil aber täglich noch mehr Reysen in gemelte Indien / von vnterschiedlichen Völckern / sonderlich aber von den weitberümpten vnd wol erfahrnen Holländern fürgenommen / vnd verrichtet werden / von welche noch täglich neuwe Landtschafften vnd Völcker beschrieben vnd abgebildet werden / als haben wir für eine Notturfft eracht / zu Ergänzung vnd Complierung vnsers Wercks / dasjenige so hiervon an Tag 279

kompt / wie gemelt / zu den vorigen Wercken zufügen.“

Der Vielzahl der Reisen folgt nach Auffassung der Verleger ganz selbstverständlich eine Fülle von Berichten, der realen Expansion folgt die mediale. Wie bereits erwähnt, werden im Text des fünften Teils der Petits Voyages verschiedene Erfahrungsberichte miteinander verwoben; Kapiteleinteilungen fehlen, sodass der Charakter von Schiffstagebüchern erhalten bleibt. Die narrativen Passagen werden von Landesbeschreibungen mit eigenen Überschriften und besonderem Bezug zu den Kupferstichen unterbrochen. Am 13. März 1598 – ein gutes halbes Jahr nach der Rückkehr der ramponierten Flotte Cornelis Houtmans – verlässt ein Geschwader, bestehend aus acht Schiffen mit ungefähr 160 Mann Besatzung, unter dem Kommando des Admirals Jacob van Neck und des Vizeadmirals Wybrant Warwijck den Amsterdamer Hafen und sticht am 1. Mai von Texel aus in See. Nach einer anfangs ruhigen Fahrt und der unspektakulären Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung wird van Necks Flotte im August in Sturm und Gewitter getrennt. Die Erzählung folgt zunächst den fünf Schiffen unter dem Kommando Wybrant Warwijcks. Nachdem sie durch den Sturm „grosse Gefahr“ (V, 3) erlitten hatten, die Besatzung Hunger 278 Petits Voyages, Bd. V, Vorrede. 279 Petits Voyages, Bd. V, S. 3.

Die Macht der Bilder   |

91

und Durst leiden musste und sich Krankheiten ausgebreitet hatten, erreichen sie am 17. September Mauritius und danken „dem Allmächtigen Gott / daß er vns an ein Orth gebracht hatte / das wir vns möchten erfirschen“ (V, 4). Es folgt eine recht ausführliche Beschreibung der Insel, die teilweise wörtlich aus dem vierten Band der Petits Voyages übernommen wurde. Die Erzählung wechselt nun unvermittelt zu den anderen drei Schiffen, „derhalben wir kürzlich melden müssen was diesen drey Schiffen […] begegnet vnd widerfahren sey“ (V, 9). Diese erreichen den Hafen von Banten am 26. Dezember 1598 und werden dort mit großer Skepsis begrüßt, „denn sie meynten, daß wir die jenigen weren / die das vorige Jahr von dannen gescheiden waren / vnnd hetten etwan so lang vns in der See auffgehalten / sagten derhalben wir weren Meer Räuber / in massen sie von den Portugalesern waren beredt worden. Aber die auff den Schiffen haben dasselbe genugsam widerlegt vnd verantwortet / denn sie auch den Abdol, welchen sie mit genommen hatten / auffs Land sandten / welcher in jhrer Sprach mit jnen redet / vnd so viel zuwegen bracht / daß sie den vnsern gehör gaben / welche jhr Geschencke dem König Praesentiereten / weil aber derselb noch ein Kind war / hat der Oberste Statthalter des Königs / Cephare, welcher die königliche Macht damals hatte die Geschencke von wege des Königs / mit grosser Dankbarkeit angenommen / welches waren ein vergülter Becher / sampt etlichen Stücken Sammet vn Seydengewand / desgleichen schöne Gläser vn vergülte Spiegel / darneben waren auch Briefe […] von den Herren Staten […] welche mit grosser Ehrerbietung / auff der Erde krie280

chende / empfangen vnd angenommen worden.“

Damit wird die Schande des Houtman’schen Misserfolgs medial getilgt, nicht nur haben die Neuankömmlinge die Skepsis und das Misstrauen in der Sprache der Einheimischen „genugsam widerlegt vnd verantwortet“, sie haben auch erreicht, dass der indigene Machthaber ihre Geschenke „mit grosser Danckbarkeit“, gar auf der Erde kriechend, annimmt. Das Scheitern der Houtman’schen Expedition wird so schon vorzeitig zum Erfolg der aktuellen Reise uminterpretiert. Im Folgenden entwickelt sich ein intensiver Handelskontakt – obwohl den Javanern „unser Wahren nicht so angenehm“ (ebd.) sind. Kurz darauf erreicht auch der zweite Teil der Flotte Banten. Eines dieser Schiffe wird ebenfalls mit Gewürzen beladen und tritt dann mit drei weiteren die Heimreise an – sie erreichen Texel am 19. Juli 1599 „bey guter Zeit ohn einig Unglück“ (V, 12). „Darfür Gott gelobet sey / welchem wir nicht genugsam dancken können / für diese glückselige Reyse / denn so lange als Hollande gestanden / seyn keine so wol geladene Schiffe daselbst ankommen / denn sie gehabt haben vierhundert Last Pfeffer / hundert Last Neglein / item Muscatblumen vnnd Muscatnüsse / wie auch Zimmet ein zimlichen hauffen / sie haben aber diese lange Reyse verrichtet innerhalb fünffze281

hen Monden.“

280 Petits Voyages, Bd. V, S. 11. 281 Petits Voyages, Bd. V, S. 12.

92 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Nach Verkündung dieses großen Erfolgs, der alle bisherigen in den Schatten stellt, und des triumphalen Empfangs in der Heimat kehrt die Erzählung zu den fünf Schiffen der Flotte zurück, die am Kap der Guten Hoffnung in diesem Verbund zusammengeblieben sind, und schildert im Folgenden die Erlebnisse aus der Perspektive dieser Besatzungsmitglieder bis zur ihrer Ankunft in Banten, das sie nach einer stürmischen und gefahrvollen Überfahrt, jedoch ohne große Verluste, am 31. Dezember 1598 erreichen. Kurz vor der Küste kommt ihnen ein Nachen entgegen „mit vier Personen von den andern dreyen Schiffen / welche vns die Zeitung brachten / daß der Admiral vnd das Schiff „Hollandia“, sampt dem kleinen Jagdschiff daselbst vorhanden weren / vnd daß sie mehrenteils schon geladen hetten / sintemal sie daselbst ein Monat vnd vier Tage vor uns gewesen wehren / 282

welches ein grosse Freudt vnter dem Volck erweckete.“

In den folgenden Tagen werden die Niederländer von den Einheimischen mit vielen Speisen und Erfrischungen versorgt, ehe Admiral van Neck beschließt, die jüngst erst wieder zusammengeführte Flotte erneut zu teilen; vier Schiffe sollten heimwärts segeln, die restlichen vier Schiffe Kurs auf die Molukken nehmen. Der Heimreise des einen Teils der Flotte ist der Leser bereits gefolgt, nun begibt er sich mit der restlichen Flotte, unter dem Kommando van Warwicks und van Heemskercks, auf die Reise zu den sagenhaften Gewürzinseln (V, 16). In Tuban werden 19 Säcke Pfeffer geladen und es folgt eine begeisterte und geradezu ehrfürchtige und respektvolle Beschreibung der Begebenheiten vor Ort.283 Im Februar 1599 wird Madura angesteuert, wo unvermittelt 40 Mann der Besatzung gefangen genommen werden; es werden ihnen „Wehren abgegürdet“ und die „Kleyder ausgezogen“ (V, 23).284 Erste Verhandlungen und ein darauf folgender Befreiungsversuch schlagen fehl.285 Zahlreiche Niederländer sterben dabei, weitere Gefangennahmen folgen. Schlussendlich jedoch einigen sich beide Parteien auf ein Lösegeld und die Niederländer segeln weiter. Auch hier wird, wie im Bericht zur Reise Cornelis de Houtmans, die eigene 282 Petits Voyages, Bd. V, S. 15. 283 „Tuban ist ein sehr lustige Handelsstatt“ (Petits Voyages, Bd. V, S. 18) und „also […] ein sehr guter bequemer Ort sich zu erfrischen“ (V, 20), das Volck dort ist „gar fein auff jhre weise geputzet“ (V, 17), die Edelleute sind „sehr reich / […] treiben ein grossen Handel mit Pfeffer“ (ebd.) und „haben einen guten Verstand auf Pferde“ (V, 19), der König ist „sehr mächtig […] denn er innerhalb 24. Stunden / wann er ins Feld ziehen will / wohl tausent Mann / zu Feld bringen kann / so wol zu Ross als zu Fuß. Er helt sich sehr Prechtig vnd Stattlich / mit vielen Edelleuten / führet ein sehr köstlichen Standt / vnd hat ein Königlichen Hoff / der wol werth zusehen ist“ (V, 18). 284 Auch dies ist ein immer wiederkehrender Topos (s.o.) in den Berichten zu außereuropäischen Reisen, in dem sich sich die Angst, das Eigene, die eigene Identität zu verlieren, „nackt“, also „fremd“ gemacht zu werden, spiegelt. 285 „Den 1. Februar seynt wir vber Madura kommen / zu vnserm Admiral / vnd hatten bey vns den Renegaer von Tuban, welcher vns verhieß sein bestes zuthun / damit wir vnser Volck möchten los bekommen / daß doch nicht hat seyn können / dieweil der König des Orts / gar zu grosse Ablösung forderte / dadurch wir denn verursacht worden / ein Anschlag zu machen / wie wir vnser Volck mit Gewalt möchten entledigen / welches vns aber nicht zum besten gerahten“ (Petits Voyages, Bd. V, S. 21).

Die Macht der Bilder   |

93

Unzulänglichkeit zugegeben und thematisiert, doch wieder gelingt es den Niederländern, durch Mut, Tapferkeit, Hartnäckigkeit und durch Gottes Hilfe sich aus der schier ausweglosen Situation zu befreien und ihr zu entkommen. Das nächste angesteuerte Ziel der Reise ist Ambon, eine der Gewürzinseln. Die Menschen dort „seynd sehr schlechte Leuthe“, doch gaben sie „allerly Anzeigung jrer Freude“ über die Ankunft der Niederländer. Trotz dieser negativen, nicht näher begründeten Charakterisierungen folgen friedliche Verhandlungen, in deren Zuge den Niederländern sogar gestattet wird, eine Handelsniederlassung zu beziehen. Da die Handelsgüter Ambons nicht für alle vier Schiffe ausreichen, wird beschlossen, die Flotte erneut zu teilen und zwei Schiffe nach Banda zu schicken. Die Erzählung folgt nun den Schiffen nach Banda, „auff daß also der Leser die volkommene Beschreibung der History von den 8 Schiffen haben vnd vernemmen mag“ (V, 30). Auch in Banda werden nach freundlichen Begrüßungen Verhandlungen aufgenommen, der Handel auf Ambon hingegen kommt – wie der Leser durch die Informationen der Kundschafterboote erfährt – trotz des eigenen Handelshauses nicht gut voran. Auf Banda wird den Niederländern in der Zwischenzeit erstmals überhaupt die Gründung einer festen Handelsniederlassung gestattet. Nach einem deskriptiven Einschub über den natürlichen Reichtum der Gewürzinseln und die Wehrhaftigkeit ihrer Bewohner, deren Rachgier, Gewaltbereitschaft und Brutalität, die Konflikte und Kriege, den innerasiatischen Handel, den Frauenkauf, die Religion und die schlechten Essgewohnheiten wird der Leser zu den Geschehnissen auf den Gewürzinseln zurückgeführt und begleitet im Folgenden die Flotte auf dem Rückweg nach Banten. Dort trifft diese auf zwei weitere niederländische Schiffe, mit ihrer stark dezimierten Besatzung, die ihnen von der „gelegenheit jrer Schiffe (erzehlte) / vnd zeigten vns an / daß wol 36. Personen auff jhren Schiffen gestorben waren / also daß sie ihre Schiffe kaum vermöchten fort zubringen“ (V, 41). Zwei der Schiffe van Warwijcks lichten bereits kurz nach ihrer Ankunft in Banten wieder die Anker und treten über Madagaskar, das Kap der Guten Hoffnung und St. Helena die Heimreise an. Nach zahlreichen Unwettern und Stürmen und mit vielen Kranken an Bord erreichen sie schließlich am 21. April 1600 die niederländische Küste, sie sind „mit Freuden zu Texel ankommen / vnnd haben abgeladen / endtlich zu Amsterdam die Muskatnüsse / bey grossen zulauff des Volcks / in Säcke gefasset / vnd in die Kaufhäuser gebracht / welche Muskaten in der warheit so frisch waren / daß man Oele darau pressen kondte / welches so gut war / daß man nicht 286

desgleichen aus Lissabon gebracht hat.“

Glaubt man dem Text, haben die Niederländer die Leistungen der Portugiesen nun übertroffen, ihr Status als neuer, ernst zu nehmender Konkurrent im Kampf um die Vorherrschaft im Gewürzhandel wird dadurch bestätigt und bekräftigt. Nach diesem neuerlichen Erfolg, einer weiteren triumphalen Ankunft in der Heimat, kehrt die Erzählung zu den beiden vor

286 Petits Voyages, Bd. V, S. 46.

94 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Ambon ankernden Schiffen zurück.287 Da auf Ambon weiterhin die Schwierigkeit besteht, genügend Waren zu laden, wird beschlossen, weiter nach Ternate zu segeln. Obwohl sich die Handelspartner zunächst nicht einig werden – Gesandte des Königs von Ternate sind mit den Tauschangeboten der Niederländer unzufrieden –, kommt es doch nach einigen Verhandlungen zum Handel mit Nelken (V, 48 f.). Nachdem die Niederländer mit dem König vereinbart haben, dass sie sechs ihrer Männer auf Ternate zurücklassen dürfen, um dort eine Faktorei zu errichten, rüsten sie sich im August 1599 für die Heimreise. Am 19. November 1599 erreichen sie Banten, wo immer noch die beiden Schiffe aus Seeland liegen, von denen dem Leser bereits berichtet wurde. Inzwischen hat sich deren Situation weiter deutlich verschlechtert: „Sie hatten alles vertauschet / also daß sie auch zuletzt / durch mangel deß Geldts die Pfeiffen der Quartiermeister vertauscheten / hatten also nicht viel ausgericht / denn sie nicht mehr als 60 Last Pfeffer vnd Negelein geladen hatten / vnd hatte wol 55. Mann verlohren“ (V, 57). Die Schiffe unter dem Kommando van Warwijcks hingegen sind in Banten „sehr willkommen vnd angenehm“ und einer ihrer Gesandten kann „daselbst seinen ersten Pfeffer“ (ebd.) einkaufen; außerdem werden Muskatnüsse und Nelken erworben. Nach diesem neuerlichen Triumph verabschiedet sich van Warwijcks Flotte „in Freundtschafft“ von „den Herren von Bantam“ (ebd.), tritt nun endgültig die Heimreise an und erreicht Texel nach einer stürmischen, viermonatigen Fahrt im April 1600: „Endtlich nach vieler Mühe / vnd Gefahr die vnd mehrentheils durch Manger der Speise vnd anderm zu handen gangen / seyndt diese zwei Schiffe in Texel […] ankommen / mit grosser Frewde deren / den darann gelegenwar / wie denn wohl zuerachten / weil jetzunder alle acht Schiffe […] mit grossem Nutz / vnd behaltener Reise wider glücklich heym kommen waren / darfür dem Allmächtigen Gott / der sie so wun288

derbalich auff dem vngestümmen Meer erhalten hat / herzlich Lob vnd Dank gesaget sey.“

Die Reise wird in diesem Bericht als fast uneingeschränkter Erfolg präsentiert, Gefährdungen, Unsicherheiten und singuläre Probleme werden durch den hohen Gewinn überdeckt. Auch die Zeitgenossen empfanden die Kürze der Reise und die hohen Renditen als einzigartig, feierten den Erfolg und trugen ihn über die Niederlande hinaus in das restliche Europa, wie dieses Zitat eines Agenten der Fugger vom 24. Juli 1599 belegt: „Von den acht holländischen Schiffen, die vor vierzehneinhalb Monaten von hier nach Indien um Specerei ausgefahren, sind diese Woche vier Schiffe angekommen. Sie sind sehr reich beladen. Ihre größte Ladung ist Pfeffer an dreihundert Lasten, was über viertausend Ballen sein soll. Der Rest sind andere Specereien wie Gewürznägel, Massis, Muscat, Zimt usw. Die Schiffe haben 225, 215, 70 und 40 Lasten Fassung. Die anderen vier Schiffe mit Kriegsvolk haben sie in Banca [gemeint ist hier wohl Banten, D.S.] gelassen. Die sind nach den Moluccen gefahren und sollen in etlichen Monaten folgen. Man hält dies hier für

287 „Demnach wir nun diese beyden Schiffe […] mit jhrer Wahre glücklich heim gebracht haben / müssen wir widerumb kommen zu den andern beyden Schiffen“ (Petits Voyages, Bd. V, S. 46). 288 Petits Voyages, Bd. V, S. 61.

Die Macht der Bilder   |

95

eine große Zeitung und wundert sich, daß diese Schiffe eine so kurze Reise gemacht haben. Sie sind sieben Monate nach Ostindien gefahren und in Banca zwei Monate stillgelegen. Dort haben sie ihre ganze Ladung bekommen und sind in fünfeinhalb Monaten wieder zurückgekommen. Eine solche Reise ist von den Portugiesen nie gemacht worden. Die Indianer von Banca haben mit ihnen in aller Freundschaft gehandelt, und die Holländer haben den Schaden, den sie vor drei Jahren denen von Banca getan, bezahlt. […] Weil nun diesem Volck diese Schiffahrt so geglückt ist, werden sie weitere vornehmen, und wenn der König von Spanien sich nicht vorsieht, diese Schiffahrt zu verhindern, könnte mit der Zeit dem Königreich Portugal und den Venetianern großer 289

Schaden entstehen.“

So erfolgreich die Reise unter dem Oberkommando Jacob van Necks verlaufen sein mag,290 so unübersichtlich gestaltete sich auch nach ihr noch die Gesamtsituation für den niederländischen Handel im Indischen Ozean: Die Konkurrenzen hatten sich erweitert und erweiterten sich weiterhin, neben den englischen, französischen und portugiesischen Kontrahenten hatten auch niederländischen Konkurrenten die indische und südostasiatische Handelsbühne betreten. Die Rivalität der niederländischen Handelsgesellschaften hatte sich verschärft: 14 weitere Schiffe, verteilt auf drei Flotten – ausgerüstet von den verschiedenen Vorkompanien der VOC –, hatten sich ungefähr zur gleichen Zeit wie van Necks Flotte auf unterschiedlichen Routen nach Ostindien begeben. Selbst Cornelis Houtman, der nach seiner Rückkehr scharf kritisiert und des Mordes angeklagt worden war, stach erneut in See und steuerte die Molukken an; allerdings wurde er auf Sumatra gefangen genommen und starb dort in Gefangenschaft. Von der gestiegenen Nachfrage profitierten zunächst vor allem die asiatischen Lieferanten; das Angebot an Gewürzen auf den europäischen und vor allem auf den niederländischen Märkten nahm stark zu, die Preise sanken im Folgenden.291 Auch das Handelshaus in Banten war kein Erfolgsmodell: Nach zähen Verhandlungen hatte der Herrscher Bantens den Niederländern gestattet, dieses steinerne Kontor zu erbauen, allerdings unter der Auflage, dass es nicht höher sein dürfe als sein Palast, was zur Folge hatte, dass die Waren auf dem Boden gelagert werden mussten, wo sie der Feuchtigkeit und den Ratten zum Opfer fielen.292 Ganz offensichtlich hatten die Niederländer in Ostindien – anders, als der Text vermuten lässt – keine Handelsprivilegien und nur wenige Rechte zu erwarten. Durch den Text lassen sich diese Probleme nicht erschließen, vielmehr schafft er durch die Zusammenstellung der verschiedenen Textfragmente eine den Leser erfassende und ihn in das Geschehen einbindende Dynamik. Durch die multiperspektivischen Einsichten und 289 Zit. nach Friedemann Berger, 1979, S. 170 f. 290 Zeitgenossen sprachen von einer Gewinnspanne von 300 %, teilweise sogar von 400 %; die Zahlen lassen sich jedoch nicht verifizieren. Vgl. Nagel, 2007, S. 102. 291 Vgl. Nagel, 2007, S. 102. Vgl. ferner K. N. Chaudhuri, The Economic and Monetary Problem of European Trade with Asia during the Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: The Journal of European Economic History 4 (1975), S. 323–358. 292 Vgl. Friedemann Berger, Bd. II, Einführung, S. 9.

96 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

die daraus folgende erhöhte Glaubwürdigkeit kann dieser direkter an den Ereignissen im Indischen Ozean teilhaben; er gerät in einen Strudel des Verlierens und Wiederfindens der verschiedenen niederländischen Schiffe und nimmt dadurch die Perspektive der betroffenen Seefahrer ein – er verliert Orientierung, gewinnt sie wieder und kann so die Erfahrungen der Seereisenden regelrecht nachempfinden. Zudem werden durch die vielen glorreichen Ankünfte in der Heimat und die begeisterten Empfänge in der Fremde die triumphalen Begegnungen vervielfacht und damit zusätzlich bekräftigt und überhöht. Gerade die Bewegung der immer wiederkehrenden freundlichen Begrüßungen der Indigenen täuscht eine uneingeschränkte Begeisterung über das plötzliche Auftreten der neuen Akteure auf den Weltmeeren vor. Durch die spezifische Zusammenstellung der tagebuchartigen Berichte einzelner Flottenteilnehmer dieser Schifffahrt, die sich verloren und wiederfanden, suggeriert der Gesamttext des Weiteren eine massive Präsenz der Niederländer im Indischen Ozean: Sie scheinen überall zu sein. Der Indische Ozean als Handelsraum erscheint durch diese medialen Prozesse überschaubarer und verdichtet sich. Potenzielle Handelsräume, die in der Realität in Zukunft erst noch erschlossen werden müssen, werden so zunächst als solche inszeniert und medial produziert.293 Dass man mit geschriebenen oder gesprochenen Worten etwas tun, etwas bewirken kann, ist spätestens seit John Austins Sprechakttheorie unbestritten.294 Austin selbst ging dabei jedoch von den bewussten Intentionen des Sprechenden (oder Schreibenden) aus. Seine Kritiker haben sich daher nachfolgend auch mit den ungewollten Wirkungen von Sprechakten beschäftigt und Kommunikation als Handeln im Sinne einer kooperativen Interaktion betrachtet; auf die Intentionen des Sprechenden wird durch die erzielte Wirkung rückgeschlossen. Kommunikation ist damit immer als kontextabhängig zu verstehen.295 In ihrer Auseinandersetzung mit Sprechhandlungs- und Sprechakttheorie weist Judith Butler jedoch zu Recht darauf hin, dass es nicht genügt, „den entsprechenden Kontext für den fraglichen Sprechakt festzustellen, um seine Effekte einschätzen zu können. Die Sprechsituation ist keine bloße Spielart des Kontextes, der einfach durch sprachliche und zeitliche Grenzen zu definieren wäre.“296 Butlers These ist hingegen, dass „das Sprechen sich stets in gewissem Sinne unserer Kontrolle entzieht“297, und auch John Austin erkennt an, dass „Handlungen im allgemeinen (nicht immer), zum Beispiel unter Zwang oder versehentlich oder auf Grund eines Fehlers oder in anderer Weise ohne Absicht getan werden können.“ In bestimmten Fällen sei der Sprechakt sogar vom Subjekt abgekoppelt: „In vielen derartigen Fällen werden wir auf keinen Fall

293 S. dazu auch weiter unten S. 99 ff. dieser Arbeit. 294 Einen verständlichen und gut strukturierten Überblick über Austins Theorien liefern Margot Heinemann & Wolfgang Heinemann, Grundlagen der Textlinguistik. Interaktion – Text – Diskurs, Tübingen 2002. 295 Vgl. u.a. die einschlägigen Publikationen von Erving Goffman, Forms of Talk, Pennsylvania 1995; Paul Grice, Studies in the Way of Words, Cambridge/Mass. 1989; Harvey Sacks, Lectures on Conversation, Oxford 1998. 296 Judith Butler, Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Frankfurt/Main 2006, S. 13. 297 Ebd., S. 31.

Die Macht der Bilder   |

97

sagen, daß der Mensch das und das ‚getan‘ habe.“298 Sprechakt und souveränes Subjekt sind also voneinander abgelöst, die Sprache konstituiert das Subjekt. Die Handlungsmacht liegt damit auf der Seite des Textes.299 Daraus lässt sich folgern, dass sprachlicher Ausdruck nicht nur im Moment des Agierens als Handlung bezeichnet werden kann, sondern dass auch Texte selbst – auch unabhängig von den möglichen Intentionen des Sprechers/Verfassers – als Handelnde und als Handlungen begriffen werden und analysiert werden können.300 Durch ihre je eigenen Effekte und Wirkungen können sie daher im engeren Sinn als „handelnde Texte“ verstanden werden – das souveräne Subjekt tut im Sinne Austins nicht nur etwas mit Worten, sondern die Texte selbst tun und bewirken etwas. Die Frage, ob die Wirkung der Texte auch den Intentionen der Verfasser entspricht, ist dabei nicht von Belang. In diesem Sinne stellt sich auch nicht die Frage, ob die de Brys mit ihren Ausgaben zu den ersten niederländischen Ostindienreisen tatsächlich und bewusst für die Expansion der Niederländer agitiert haben (obwohl die oben angefügten Zitate aus ihrem Vorwort dies durchaus vermuten lassen), vielmehr sind die (auch längerfristigen) Nachwirkungen ihrer Publikationen von Interesse. Die frühen Bände der Petits Voyages waren Teil einer gewaltigen Medienmaschinerie: Es zirkulierten zahlreiche Texte, Bilder, Karten und einzelne Text-/Bildfragmente zu diesen ersten Fahrten der Niederländer,301 die die eigene Stärke immer wieder neu bekräftigten, indem sie auf je eigene Weise koloniale Superiorität behaupteten, die (zu der Zeit) faktisch weder gegenüber den Indigenen noch gegenüber den Portugiesen existierte. Im Folgenden wurden Flotten gerüstet, bevor die Bilanzen der Vorunternehmungen bekannt waren302 – der erschriebene Erfolg und die sich daraus entwickelnde Dynamik und Begeisterung für die Überseeprojekte der Niederländer trugen damit zu den (späteren) realen nautischen, politischen, militärischen und vor allem auch ökonomischen Erfolgen in Südostasien bei.303 Die 298 John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte. Zweite Vorlesung, in: Uwe Wirth (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/Main 2002, S. 63–71, hier: S. 43. 299 Vgl. hierzu erneut Butler, 2006. 300 Vgl. dazu auch Monika Mommertz, „Ich, Lisa Thielen“. Text als Handlung und als sprachliche Struktur – ein methodischer Vorschlag, in: Historische Anthropologie 4 (1996), S. 303–329. 301 Für einen Überblick über das vorhandene Karten- und Textmaterial s. die umfangreiche Sammlung von Günter Schilder (Hg.), Monumenta Cartographica Neerlandica, 8 Bde., Alphen am Rhein 1986–2007. Zu den nachfolgenden Zirkulationen vgl. vor allem die Kapitel 4 und 6. 302 Friedemann Berger schreibt dazu: „gerade über die erste Fahrt der Holländer nach Ostindien [existieren] die unterschiedlichsten Bildquellen“, zum Teil basierten auch „bereits die Lodewycksz-Ausgaben auf Zitaten ihres anonymen Vorgängers.“ (Berger, Bd. I, S. 217 f.). Vgl. außerdem Günter Schilder & Hans Kok, Sailing for the East. History and Catalogue of Manuscript Charts on vellum of the Dutch East India Company (VOC) 1602–1799, Houten 2010. 303 Nach den ersten Berichten über die triumphalen Handelserfolge in Übersee statteten die Niederländer weitere Flotten aus; bis zur Gründung der VOC (1602) segelten alles in allem 15 Flotten mit insgesamt 65 Schiffen in den Malaiischen Archipel. Nach der Gründung der VOC konzentrierten sich die Aktivitäten auf den Kampf gegen die portugiesischen Konkurrenten, die tatsächlich bereits 1605 mit Fort Victoria auf Ambon ihre erste Niederlassung kampflos aufgaben. Von Anfang an trachteten die Niederländer bei ihren Verhandlungen mit den Herrschern vor Ort danach, durch ihre Verträge Lieferungen an andere auszuschließen. Auf Ambon griffen die Niederländer zunächst in den Handel mit Gewürznelken ein; zwar blieb der Zugriff auf den Anbau dieser kostbaren Gewürze zunächst nicht uneingeschränkt – die Einheimischen vermochten es immer wieder, die Exklusivverträge mit den Niederländern zu umgehen –, doch aufgrund zahlreicher militärischer Aktionen gelang es

98 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Texte befeuerten den Glauben an die eigene Stärke und führten insgesamt zu einem Narrativ, mit dessen Hilfe die imaginierte und inszenierte Superiorität zunächst diskursiv akzentuiert und später anhaltend und effektiv durchgesetzt wurde.304

2.5 Bild und Raum In der Analyse der Texte des fünften Bandes der Petits Voyages wurde die These aufgestellt, dass durch die spezifische Zusammenstellung der einzelnen Textteile nicht nur Präsenz suggeriert und Dominanz inszeniert wurde, sondern auch, durch die Anwesenheit der scheinbar zahlreichen niederländischen Schiffe im südostasiatischen Raum, die sich fast im Wochentakt zu begegnen schienen, der Indische Ozean überschaubarer erschien und damit auch eine medial konstruierte Verdichtung des (Handels-)Raumes einherging.305 Tatsächlich nehmen auch die zugehörigen Kupferstiche den (fremden) Raum sukzessive ins Visier: Obwohl der Erfolg dieser Reise im Haupttext vor allem durch die spezifische Zusammenstellung der einzelnen Erfahrungsberichte und des daraus entstandenen vervielfachten Triumphs besonders herausgehoben und akzentuiert wird, wird er in den Illustrationen nicht zusätzlich betont, vielmehr bilden die Stiche eine Form von Normalität ab, die ebenfalls im starken Kontrast zur unsicheren Situation der Niederlande in Südostasien um 1600 steht. Damit gehen die Stiche noch über den Text hinaus und weisen deutlich in die Zukunft. Anders als in vielen anderen Bänden der Reisesammlung lassen die de Brys ihre Illustrationen zu diesem fünften Band nicht mit einem für sie typischen Ankunftsstich beginnen. Stattdessen zeigen sie eine Karte von Mauritius, in deren Zentrum, prominent in den Niederländern, bis 1655 weitgehend diesen zu kontrollieren. Mit der Zeit hatten sie auch ihre europäischen Konkurrenten aus zahlreichen Gebieten verdrängt: Seit 1656 kontrollierten sie das gesamte Küstengebiet Ceylons – und damit den Zimtanbau – , anschließend eroberten sie die Malabarküste und nach und nach weitere portugiesische Stützpunkte, bis sie ihre südeuropäischen Gegner 1662 endgültig vertrieben hatten. Damit war die portugiesische Seeherrschaft abgelöst. Auf Ternate und in Banten gingen die Niederländer ähnlich vor wie auf der Insel Ambon, bis es ihnen 1684 gelang, die beiden Sultanate zu unterwerfen. Vor allem im Handel mit Muskatnüssen und Mazis zeigten sich die Niederländer ausgesprochen unnachgiebig und gingen radikal gegen die indigene Bevölkerung auf Banda (dem Hauptanbaugebiet dieser beiden Gewürze) vor: 1621 folterten und ermordeten sie 47 bandanesische Führungspersönlichkeiten und verschifften 800 Bandanesen nach Java; zahlreiche Einheimische flohen ins Landesinnere, um der Sklaverei zu entkommen, und verhungerten. Die VOC konfiszierte das fruchtbare Land und bewirtschaftete den Muskatanbau im Folgenden mit importierten Sklaven. In den 80er-Jahren des 17. Jahrhunderts befand sich die niederländische Machtentfaltung in Südostasien schließlich auf ihrem Höhepunkt, die Niederländer hatten sich tatsächlich als eine der führenden Mächte im internationalen Handel etabliert. Für einen Gesamtüberblick über die Geschichte der VOC vgl. die englische Übersetzung des Standardwerks von Femme S. Gaastra, The Dutch East India Company: expansion and decline, Zutphen 2003; vgl. außerdem Harm Stevens, Dutch Enterprise and the VOC, 1602–1799, Zutphen 1998. Für die Ursachen des Untergangs der VOC Ende des 18. Jahrhunderts s. Ingrid G. Dillo, De nadagen van de Verenigde Oostindische Compagnie 1783–1795. Schepen en zeevarenden, Amsterdam 1992. 304 Vgl. dazu Susanna Burghartz, 2005. 305 Vgl. dazu auch das Kapitel 4.

Bild und Raum   |

99

Abb. 17 Werkstatt de Bry, Die Niederländer auf Mauritius (1601)

Abb. 18 Werkstatt de Bry, Versammlung mit den Indigenen auf Banda (1601)

Szene gesetzt, fünf große niederländische Schiffe abgebildet sind, die so auf eindrückliche Weise Präsenz zeigen. Der zweite Stich demonstriert im Folgenden den Gestaltungswillen der Niederländer, ihre Fähigkeiten, sich fremden Gegebenheiten anzupassen (Abb. 17). Durch einige riesenhafte Tiere und wunderbare Bäume wird hier die Fremde als bizarr und anders kenntlich gemacht. Im Zentrum dieses Stichs ist das Wappen von Holland, Seeland und Amsterdam – angebracht an einem „wilden Baum“ – ebenso prominent in Szene gesetzt wie die fünf niederländischen Schiffe des vorherigen Stichs. Um den Baum mit den Wappen herum verrichten die Niederländer ihre Arbeit, sie fischen, schmieden, bauen ein Boot, beschlagen Fässer, machen ein Feuer und besuchen den Gottesdienst. Sie gehen also ihren Alltagsgeschäften nach, okkupieren die Fremde, machen sie sich nutzbar, gestalten und domestizieren sie – und das auf eine friedliche und unaufgeregte Art und Weise, ohne

100 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Abb. 19 Werkstatt de Bry, Reiterspiele zu Tuban (1601)

Abb. 20 Werkstatt de Bry, Gefecht vor Madura (1601)

Kämpfe und Zusammenstöße mit den Indigenen.306 Der Stich zeigt damit auch: Die Niederländer sind „schon da“, sie müssen nicht mehr ankommen, sie haben ihren Platz in den außereuropäischen Gebieten bereits gefunden. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist auch der siebte Stich dieses fünften Bandes: (Abb.18) Die Subscriptio des Stichs verweist darauf, dass es sich hier um das Eintreffen der Niederländer auf Banda handelt, wo sie „freundlich und mit großer Ehrerbietung“ empfangen wurden. Zu sehen aber ist nicht Ankunft und Empfang, sondern bereits eine Versammlung des Vizeadmirals der Flotte mit Vertretern der Insel. Die wehrhaften Spieße der Einheimischen lehnen am Rand an einem Balken, die niederländischen Kanonen stehen zwar an der anderen Seite des Stichs ebenso am Rand, durch den Rauch um sie herum wird aber ihre 306 Tatsächlich war Mauritius zu der Zeit unbewohnt; unter dem Kommando van Warwijcks wurde die Insel in Besitz genommen und nach Moritz von Oranien (niederl. Maurits) benannt.

Bild und Raum   |

101

Abb. 21

Werkstatt de Bry, Ambon und seine Bewohner (1601)

Abb. 22 Werkstatt de Bry, Das niederländische Handelshaus auf Banda (1601)

Einsatzbereitschaft demonstriert. Die Niederländer befinden sich – so zeigt der Stich – mitten in den Verhandlungen, sie werden als Vertragspartner wahr- und angenommen, sind dabei jedoch nicht so naiv, dem Frieden gänzlich zu trauen, sich der Fremde hinzugeben, vielmehr bleiben sie wachsam und zum Angriff bereit. Noch ein zweiter Stich bildet die Ankunft der Niederländer ab, diesmal ist es der „König“ von Tuban, „welcher fast der vornehmste unter den Königen der molukkischen Inseln ist“, der die Niederländer „ganz freundlich“ empfängt, nachdem sie ihm „die königliche Ehre bezeuget“ haben.307 An dieser Stelle korrigiert die Subscriptio den Haupttext, sei in diesem doch behauptet worden, der „König“ könne innerhalb eines Tages tausend Mann zum Kampf aufbringen, tatsächlich müsse es aber „etliche tausend“ heißen. Hier folgt die Subscriptio der Strategie des Haupttextes, die Stärke und Superiorität der Niederländer wird durch den freundschaftlichen Empfang, der ihnen durch 307 Siehe den dazugehörigen Stich Abb. 65.

102 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

einen mächtigen Herrscher zuteilwird, akzentuiert. Der Stich allerdings ist weniger eindeutig, als es die Bildunterschrift suggeriert, denn es sind die Niederländer, die, in der rechten Bildseite stehend, den auf einem Elefanten sitzenden Herrscher Tubans und sein Gefolge vor den Stadtmauern mit Fanfarenstößen willkommen heißen.308 Weitere Stiche dieses Bandes unterstreichen die oben angesprochene demonstrative Normalität eindrücklich: Auf dem dritten Stich sind Reiterspiele zu sehen, die von den Bewohnern Tubans zu Ehren der Niederländer abgehalten werden, auch hier wird Alterität nur durch die aus Palmen bestehende Bepflanzung am Rande des großen Platzes, auf dem diese Spiele abgehalten werden, transportiert. (Abb. 19) Der nächste Stich zeigt zwar ein Gefecht, bei dem auch Niederländer ums Leben kamen, wie der Subscriptio entnommen werden kann, aber besonders auffällig sind auch hier wieder die großen, Präsenz demonstrierenden niederländischen Schiffe im Bildvordergrund. (Abb. 20) Im nachfolgenden Stich sind in der Bildmitte wiederum die mächtigen Schiffe der Niederländer abgebildet sowie – im Vordergrund – sieben Bewohner Ambons. Die Konzeption des Stichs erinnert daher an zeitgenössische Kostümbücher und Karten, die häufig von typischen Bewohnern der abgebildeten Landschaften umrahmt sind. Doch auch hier konzentrieren sich die Kupferstecher auf Alltagsgestalten: Zu sehen sind ein „Bauersmann mit einem breiten Messer in der Hand, wie er im Wald seiner Arbeit nachgehet“, ein „Bürgersmann mit einem langen Spießlein“, mit welchem er „gar behend zu schießen“ weiß, „eine Frau, wie sie zu Markte gehet, ihre Waren zu verkaufen“, und „der Admiral des Meers, wie er gehet mit seinen Dienern“. (Abb. 21) Die nachstehenden Stiche zeigen neben weiteren Karten nochmals eine Versammlung der Einheimischen, die Bewohner Bandas beim Ballspiel309 und Fechter auf den Molukken, deren „Springen“ anzusehen eine „lustige Kurzweil“ ist. Ein einziger Stich widmet sich explizit dem Thema „Handel“ und wieder dominiert der Eindruck von Normalität und Alltag; gezeigt wird das Handelshaus der Niederländer auf Banda. (Abb. 22) Am rechten Bildrand gehen mehrere Niederländer und ein Einheimischer – jeweils durch ihre Kleidung kenntlich gemacht – mit geöffneten, Einigkeit demonstrierenden Armen aufeinander und die in ihrer Mitte stehende, mit Gewürzen beladene Waage zu. In ihrem Hintergrund wird diese Einigkeit zusätzlich bekräftigt: Ein Einheimischer und ein Niederländer reichen sich die Hand, besiegeln ihre Einigung. Auf der Veranda des Handelshauses sitzen dicht gedrängt neun Einheimische und begutachten die Waren der niederländischen Kaufleute, die ein Arm aus dem Inneren des Hauses herausreicht. Diese Waren sind also augenscheinlich so gefragt, dass die Veranda mit Interessenten und potenziellen Käufern voll besetzt ist. Einen Hinweis auf die Unmoral und die Abgründe der Fremde liefert nur eine halb nackte Frau mit hängenden Brüsten, die jedoch in der Subscriptio als arm und so als 308 Vgl. ebd. 309 Die beiden Krieger am linken und am rechten Bildrand liefern einen Hinweis auf die Wehrhaftigkeit der Indigenen und das Gefährdungspotenzial interkultureller Begegnungen. Sie fehlen in den Originalillustrationen und wurden von den de Brys ergänzt.

Bild und Raum   |

103

Abb. 23 Werkstatt de Bry, Der Palast des „Königs“ von Tuban (1601)

Abb. 24 Werkstatt de Bry, Die Stadt Vintane auf Ceylon (1605)

außerhalb der Gesellschaft stehend deklassiert wird.310 Die Niederländer selbst fügen sich ohne nennenswerte Spannungen ganz selbstverständlich in dieses bekannte und augenscheinlich nur wenig exotische Handelssystem ein.311 Die letzten drei Stiche sind dem Palast des „Königs“ von Tuban gewidmet, auf allen dreien sieht man, wie die Niederländer mit dem „König“ durch die Gemächer wandeln. Von besonderem Interesse ist der letzte Stich, der den Harem des Herrschers zeigt, zu dem vier Hauptfrauen und 300 Nebenfrauen gehören. In den Vordergrund wurde der überdachte Teich mit „besonderen Wasservögeln“ gesetzt – in der zeitgenössischen Malerei und Grafik stehen besondere und exotische Vögel häufig für das Sexuelle, diese „Wasservögel“ liefern 310 Zu den Geschlechterverhältnissen in den Petits Voyages vgl. das Kapitel 3. 311 Wie es auch schon weiter oben in der Beschreibung der großen Marktszene im dritten Teil der Petits Voyages gezeigt wurde.

104 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

also einen dezenten Hinweis auf ein mögliches Geschehen im Inneren des Palastes.312 Die im Titel des Stichs erwähnten zahlreichen Frauen sitzen in Reih und Glied zwischen nicht überdachten Mauern im Bildhintergrund – als Frauen aber sind sie durch die Perspektive kaum zu identifizieren. Vor den Frauen stehen die Niederländer und der König – auch sie sind kaum zu erkennen. Die vier Hauptfrauen des Königs sind in einem Haus untergebracht, das mit A gekennzeichnet ist. Durch die Subscriptio erfährt der Betrachter, dass es sich um das Gemach des Königs und seiner vier Ehefrauen handelt, einsehen kann er es jedoch nicht. Im Gegensatz zu späteren Indienberichten finden sich hier keine weiteren Spekulationen über das Innere eines Harems, vielmehr ist der Stich vergleichsweise diskret. (Abb. 23) Besonders auffällig ist die betont grafische Gestaltung der Stiche; die Illustrationen zeichnen sich in diesem Bericht insgesamt durch eine starre Ordnung und Regelmäßigkeit aus. Sie schaffen damit eine Ordnung, die der in den Texten bestehenden Unordnung – hervorgerufen sowohl durch die verwirrenden Beschreibungen des Verlierens und Wiederfindens der verschiedenen Schiffe als auch durch die Auseinandersetzungen mit den Einheimischen und deren aus Sicht der Niederländer unkalkulierbares Verhalten – entgegensteht; die Alterität der besuchten Länder und ihrer Bewohner wird durch diese Ordnungsmuster ein Stück weit negiert. Insgesamt werden ethnografische Informationen in den Illustrationen dieser ersten niederländischen Indienberichte zunehmend durch Raumperspektiven verdrängt; neben den Illustrationen zum „Königspalast“ von Tuban dominieren vor allem Karten und Stadtansichten die Kupferstiche des fünften und vor allem auch des siebten Bandes; dies unterstreicht die (vorübergehende) Zweitrangigkeit ethnografischer Informationen und enthüllt die diskursive räumliche Aneignung der indischen und südostasiatischen Gebiete. Die abgebildeten Städte dienen den – auffallend großen – Menschen darin als Bühne, die – auch von den neuen Akteuren – bespielt werden kann. (Abb. 24) Die Anwesenheit und Allgegenwart der im Raum agierenden Menschen macht deutlich, dass dieser Raum beansprucht, besetzt und gefüllt werden kann; die Städte und Landschaften werden somit als Lebens- und damit auch als mögliche Handlungs- und Handelsräume (re)präsentiert und inszeniert.313 Wie die Analyse gezeigt hat, illuminieren die Kupferstiche nicht die Texte, sie verstärken nicht nur die Effekte, wie von den de Brys in ihren Vorworten behauptet und in der Einleitung bereits zitiert, sondern nehmen eindeutige Akzentverschiebungen vor. Durch Formulierungen 312 Ich danke Maike Christadler für den Hinweis. 313 Zur kulturellen Konstruktion und Produktion von Raum vgl. u.a. Trevor J. Barnes & James S. Duncan (Hg.), Writing Worlds. Discourse, text and metaphor in the representation of landscape, London/New York 1992; Jörg Dünne, Hermann Doetsch, Roger Lüdeke (Hg.), Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive, Würzburg 2004; Robert Stockhammer (Hg.), TopoGraphien der Moderne. Medien zur Repräsentation und Konstruktion von Räumen, München 2005. In den letzten Jahren lässt sich für die Geschichtswissenschaften eine Hinwendung zum Raum konstatieren, einen Überblick zum sogenannten spatial turn liefert Doris Bachmann-Medick, 2006, S. 284–328. Vgl. außerdem Karl Schlögel, Kartenlesen, Augenarbeit. Über die Fälligkeit des spatial turn in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, in: Heinz Dieter Kittsteiner (Hg.), Was sind Kulturwissenschaften? 13 Antworten, München 2004, S. 261–283.

Bild und Raum   |

105

wie „Eygenttliche“314 oder „Wahrhafftige Contrafeytung“315 beanspruchen die Bilderzählungen für sich, die wahren Geschichten zu erzählen und den Haupttexten damit anders gelagerte Wahrheiten entgegenzustellen.316 Die unmittelbarere Wirkung, die den Bildern zugeschrieben wird, wird benutzt, um die Geschichten umzuschreiben und neue Wirklichkeiten zu produzieren. So stellen die de Brys durch ihre Illustrationen des dritten Bandes die durch den Text zerstörte oder gestörte imaginäre Ordnung wieder her und inszenieren in ihnen die frühe niederländische Expansion als weitgehend uneingeschränkte Erfolgsgeschichte; die Probleme und Ungewissheiten ignorierend, gestalteten sie damit eine bildgewaltige Werbebroschüre für die niederländischen Unternehmungen, mit der die Überlegenheit der neuen Akteure auf den Weltmeeren erst produziert wird.317 Die Inszenierung von Superiorität funktioniert in den Illustrationen des Reiseberichts dabei weniger über die Konstruktion von Alterität der indigenen Bevölkerung als über das Meistern nahezu auswegloser Situationen, über die demonstrative Beherrschung der als fremd und bedrohlich empfundenen Natur und über die Abgrenzung von den europäischen Konkurrenten. Im fünften Band der Petits Voyages wird durch die spezifische Zusammenstellung der verschiedenen ineinander verschachtelten und sich ergänzenden und bestätigenden Texte eine massive Präsenz der Niederländer in den indischen und südostasiatischen Gebieten suggeriert. Damit erscheint der Indische Ozean überschaubar, seine Weiten übersichtlicher und kalkulierbarer. Der daraus entstehende Raum eröffnet seinerseits den Raum für weitere Unternehmungen und stärkt die Gewissheit in Bezug auf zukünftigen erfolgreichen Handel. Auch die zugehörigen Stiche des fünften Bandes befassen sich mit den zu erkundenden Räumen: Durch Stadt- und Landschaftsansichten, durch die Karten und andere Raumperspektiven in den Illustrationen dieses fünften (und auch des siebten) Bandes wird der (fremde) Raum geordnet, organisiert und diskursiv in Besitz genommen.318 Zudem nehmen die Stiche des fünften Bandes Geschehnisse vorweg und wirken damit präskriptiv – sie bilden nicht die Gegenwart ab, sondern zeigen die Zukunft, wie sie sein könnte:319 Folgt man den Illustrationen, haben sich die Niederländer in Südostasien bereits etabliert; die Stiche arrangieren eine Atmosphäre entspannter Normalität, die die Wirrungen und die Unberechenbarkeiten, wie sie die verschiedenen Texte des Haupttextes schildern, konterkariert. Durch die nachfolgende Zirkulation der de Bry’schen Stiche und einzelner Bildfragmente wurde die in Frankfurt entworfene Erfolgsgeschichte und die eigene Superiorität weiter diskursiv verfestigt. Die Bilder aus der Werkstatt de Bry waren so Teil einer wirkmächtigen 314 Petits Voyages, Bd. III, Tafel XIV, XXIII, XXXIII. 315 Petits Voyages, Bd. III, Tafel VIII. 316 Zu „wahren Bildern“ und „Bildern nach dem Leben“ siehe Claudia Swan, Ad vivum, naer het leven, from the live: defining a mode of representation, in: Word & Image 11 (1995), S. 353–372. 317 Vgl. zur Eigenaktivität von Bildern, die Geschichte nicht nur illustrieren, sondern auch hervorbringen können, Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Berlin 2010. 318 S. dazu auch das Kapitel 4. 319 Zu präskriptiven Bildern vgl. ebenfalls Bredekamp, 2010.

106 |   Der Handel und die Rolle des Wissens

Dynamik, die sich auch auf die reale Expansion auswirkte. Die reale und die mediale Expansion waren somit miteinander verflochten und bedingten sich gegenseitig.

Bild und Raum   |

107

3 KÖRPERWISSEN Sexualität und Geschlechterordnungen In den Texten der Petits Voyages nehmen Berichte über sexuelle Praktiken und „Perversionen“, absonderliche Initiationsriten, Polygamie, Sodomie und Inzucht breiten Raum ein320 – in allen Textberichten finden sich eingestreute Anekdoten über die Lüsternheit und Triebhaftigkeit der Anderen, die die Geschichten der Fahrten unterbrechen und unvermittelt und übergangslos von dem fremden und befremdlichen Umgang mit Körperlichkeit, Sexualität und Geschlechterordnungen erzählen. Bei der Beschreibung einer ersten Begegnung mit dem Fremden ist es häufig zunächst das äußere Erscheinungsbild, das thematisiert wird; der Blick richtet sich auf die Körper und ihre Bekleidung.321 Dabei stößt vor allem das Fehlen von Kleidung – immer noch, nach nunmehr 100 Jahren europäischer Expansion – auf Staunen und Verwunderung. Jedoch wird in den Textberichten der Petits Voyages nicht Nacktheit mit Unschuld assoziiert,322 die nackten Körper erinnern nicht an Adam und Eva vor dem Sündenfall, sondern verweisen – im Gegenteil – auf Kulturlosigkeit und Animalität: „Diese Leut seind etwas kleiner gestalt / dann in vnseren Landen / braun / rötlicht von Angesicht / doch ist einer brauner denn der ander / gehen nacket / haben ein Ochsenhaut / wie ein mantel rundt gemacht / vnd wenden die rauwe Seiten inwerts gegen dem Leib / vmb jhre mitte haben sie einen breiten gürtel von derselbigen haut vmb / vnd henget das eine ende für jhre Scham / jhrer etliche hatten kleine bretter vnder den füssen an statt der Schuhe: Jr Schmuck ist Arm ringe von [H]Elffenbein vnd rot kupffer polierte Schilff / vnd etliche güldene ringlein an jhren Fingern / runde kügelein von bein oder holz / brandten auff

320 Die ungezügelte Erotik des Orients gehörte bereits im späten Mittelalter zu einem feststehenden Topos in der europäischen Literatur. Vgl. Cornelia Kleinlogel, Exotik – Erotik. Zur Geschichte des Türkenbildes in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit (1453–1800), (= Bochumer Schriften zur deutschen Literatur, 8), Frankfurt/Main 1989, S. 23. 321 Zu Wahrnehmung und Darstellung fremder Körper in mittelalterlichen Reiseberichten vgl. Ralf Mitsch, Körper als Zeichenträger kultureller Alterität. Zur Wahrnehmung und Darstellung fremder Kulturen in mittelalterlichen Quellen, in: Burkhardt Krause (Hg.), Fremdkörper – fremde Körper – Körperfremde. Kultur- und literaturgeschichtliche Studien zum Körperthema, Stuttgart 1992, S. 73–109. 322 Siehe dazu die frühen Amerikaberichte.

Sexualität und Geschlechterordnungen   |

109

jhre Leiber vnderschiedliche Mahlzeichen / Sie stuncken aber stets vbel / denn sie sich alwegen mit fett 323

vnd vnschlit schmieren.“

Im Europa der Frühen Neuzeit kommt den Themen Kleidung und Nacktheit große Bedeutung zu;324 die Europäer waren gewohnt, Rang und Einfluss einer Person an deren Äußerem abzulesen.325 Kleidung zeigt sowohl das Geschlecht als auch die soziale Herkunft an und wirkt somit ordnend, die Zugehörigkeit einer Person zur Gesellschaft wird nicht zuletzt über ihre Kleidung definiert. Kleiderlosigkeit hingegen wird zur Metapher für Kulturlosigkeit: „Die Erwähnung der Nacktheit der Indianer ist typisch; für eine herrschende Klasse, die von der Kleidersymbolik besessen war, war die physische Erscheinung der Indianer ein Zeichen kultureller Leere. In den Augen der Europäer waren die Indianer kulturell nackt.“326 In den Petits Voyages aber wird die Nacktheit der Menschen vor allem mit sexueller Zügellosigkeit assoziiert: „Das Weibsvolck gehet bey nahe gar nackent / hat nur ein klein Tüchlein vor der Scham / welches sich im gehen von einander thut / vnnd sie halb / oder etwan gar entblößet / ist nur darum also angeordnet / daß es den Männer einen lusten machen solt / vnd sie an die Weiber verreiße / damit das abschewliche Laster 327

der Sodomie

328

vermitten werde.“

Die Frauen sind nackt, um die Männer zu verführen, Nacktheit wird damit mit Unmoral gleichgesetzt.329 Die Scham über öffentliche Nacktheit gilt als naturgegeben, im Zuge der Adoleszenz fangen die Menschen an, „allgemach zur Schamhafftigkeit / vnd zum Erkanntnuß der Schande zu kommen“ (V, 21), bleiben die Frauen dennoch nackt oder spärlich bekleidet, ist es entweder ihrer eigenen Wollust oder ihrer Pflicht zur Verführung der Männer geschuldet. 323 Petits Voyages, Bd. II, S. 90. 324 Deutlich wird dies auch an den zahlreichen überaus beliebten Kostüm- oder Trachtenbüchern, die in der Zeit auf dem Markt zirkulierten; auch die de Brys hatten diese in ihrem Programm. Zu Kostümbüchern des 16. Jahrhunderts s. Valentin Groebner, Die Kleider des Körpers des Kaufmanns. Zum „Trachtenbuch“ eines Augsburger Bürgers im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 25 (1998), S. 323–358. 325 Vgl. Martin Dinges, Von der „Lesbarkeit der Welt“ zum universalierten Wandel durch individuelle Strategien. Die soziale Funktion der Kleidung in der höfischen Gesellschaft, in: Neithard Bulst & Robert Jütte (Hg.), Zwischen Sein und Schein. Kleidung und Identität in der ständischen Gesellschaft, (= Saeculum 44,1), Freiburg im Breisgau 1993, S. 90–112. 326 Greenblatt, 1994, S. 17. 327 Als „Sodomie“ wurden in der Frühen Neuzeit alle Formen außerehelicher Sexualität bezeichnet; hier ist Homosexualität gemeint, s. dazu auch Anm. 345. 328 Petits Voyages, Bd. II, S. 48. Dieses Argument wird im Europa der Zeit für die Verteidigung der Prostitution angeführt. 329 Die frühneuzeitlichen europäischen Assoziationen zwischen Nacktheit und Unmoral, aber auch zwischen Nacktheit und Unschuld wurden in der Forschung bereits mehrfach thematisiert, vgl. stellvertretend Robert Jütte, Der anstößige Körper. Anmerkungen zu einer Semiotik der Nacktheit, in: Klaus Schreiner & Norbert Schnitzler (Hg.), Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1992, S. 109–129; zu geschlechtsspezifischen Besonderheiten s. insbesondere S. 116 ff.

110 |  Körperwissen

Im Europa der Frühen Neuzeit war öffentliche Nacktheit verpönt,330 galt als unschicklich und vulgär.331 Im Verlauf des 16. Jahrhunderts hatten neue Einstellungen zum Körper zu einer extremen Aufwertung der Sittsamkeit geführt. Schon im Mittelalter war es zwar zu ersten Ausformulierungen einer sexuellen Ethik gekommen, die auf Sinnenfeindlichkeit und die Pflicht der Fortpflanzung abzielte, aber erst ab dem 16. Jahrhundert verschärften sich die Kampagnen gegen alle Formen der Nacktheit und gegen außerehelichen Geschlechtsverkehr.332 Die neu gewonnenen Erkenntnisse über ansteckende Krankheiten führten neben rigiden Hygienevorschriften zu einer zunehmenden Tabuisierung der Sexualität, zahlreiche Traktate und Vorschriften belegten die Lust mit Einschränkungen und Verboten. Aus Angst vor Pest, Syphilis – die als irdische Bestrafung für die Sünden der Libido galt333 – und anderen Geschlechtskrankheiten wurden zudem die meisten öffentlichen Bäder geschlossen. Wasser galt als gefährlicher Überträger ansteckender Krankheiten und wurde zunehmend als Reinigungsmittel abgelehnt; man beschränkte sich auf ein trockenes Abreiben und anschließendes Parfümieren. „Die Sitte, entweder in öffentlichen Einrichtungen oder im eigenen Haus ein Bad zu nehmen, verschwand im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts nahezu gänzlich.“334 Anstelle des Waschens des Körpers mit Wasser trat weiße Kleidung, die zum sichtbaren Kennzeichen der Reinheit stilisiert wurde. Doch es waren nicht nur die Angst vor dem Wasser und die zunehmende Ablehnung öffentlicher Nacktheit, die im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts zur gezielten Schließung der Bäder führten, es waren vor allem auch die weiteren von ihnen angebotenen Dienstleistungen, die den Obrigkeiten ein Dorn im Auge waren: An die meisten 330 Vgl. zu den gesellschaftlichen Implikationen von Nacktheit und Scham die Analyse von Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Frankfurt/Main 1976. Kritisch dazu Hans Peter Duerr, Nacktheit und Scham. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß, Bd. 1, Frankfurt/Main 1994. 331 Die Haltung zum Körper war jedoch durchaus ambivalent, brachte doch die Renaissance auch die Wiederentdeckung der Nacktheit; italienische Künstler und Gelehrte verbreiteten die Ideale körperlicher Schönheit und Vollkommenheit in ganz Europa. 332 Dass der Umgang mit Sexualität dabei durchaus auch von Pragmatismus geprägt war, dokumentieren die frühneuzeitlichen Strafrechtsbestimmungen, in denen vor allem jene Sexualkontakte unter Strafe gestellt wurden, die bestehende Ehen gefährdeten. „Hier wird deutlich, daß keinesfalls nur moralische, sondern vielmehr ordnungspolitische Vorstellungen hinter den Verordnungen standen. Unter dem Schutz des Rates standen Verlöbnisse und Ehen als Institutionen, die die Beziehungen zwischen den Geschlechtern ordneten und ihnen eine ökonomische Grundlage gaben. Konfliktsituationen, wie die Auflösung der Vertrauensbasis durch Ehebruch, konnten die zentrale wirtschaftliche Funktion dieser wirtschaftlichen Mikroeinheit zerstören.“ Silke Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen. Zur sozialen und wirtschaftlichen Stellung von Frauen im frühneuzeitlichen Hildesheim, (= Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim, 23), Hildesheim 1994, S. 136 f. Zum Ehediskurs in der Frühen Neuzeit vgl. auch Susanna Burghartz, Zeiten der Reinheit – Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der Frühen Neuzeit, Paderborn 1999; siehe dazu auch weiter unten S. 112 ff. dieser Arbeit. 333 Vgl. Évelyne Berriot-Salvadore, Der medizinische und andere wissenschaftliche Diskurse, in: Georges Duby & Michelle Perrot (Hg.), Geschichte der Frauen, Band 3: Frühe Neuzeit, herausgegeben von Arlette Farge & Natalie Zemon Davis, Frankfurt/Main & New York 1994, S. 367–413. 334 Sara F. Matthews Grieco, Körper, äußere Erscheinung und Sexualität, in: Georges Duby & Michelle Perrot (Hg.), 1994, S. 61–101, hier: S. 62.

Sexualität und Geschlechterordnungen   |

111

Bäder waren Bordelle angeschlossen, die nach Auffassung der Behörden und vor allem auch der Kleriker die sittliche Ordnung gefährdeten.335 Zunehmend wurde im Verlauf des 16. Jahrhunderts im theologischen Diskurs – und vor allem im reformatorischen – auch eheliche Unordnung als gesellschaftliche Unordnung thematisiert.336 „Zum zentralen Diskursgegenstand wurde die Ehe in den Auseinandersetzungen der Reformatoren über die Natur des Menschen und den Zwangszölibat, in ihren Diskussionen über die Bedeutung der Unzucht und in ihren Versuchen, Unzucht dem kirchenpolitischen Gegner zuzuweisen und damit die eigene Überlegenheit über die ‚Papisten‘ zu sichern. Unbestritten ist in der Reformationsforschung mittlerweile die Aufwertung, die die Ehe durch diese theologischen Kampfpositionen erfuhr, galt sie doch nun zumindest 337

den Protestanten als einzig legitime Lebensform.“

Nachdem sich der Zölibat und die Keuschheit als „Orte der Reinheit“ (Burghartz) für die Reformatoren als nicht tragfähig erwiesen hatten, musste nun die Ehe sexuelle und gesellschaftliche Reinheit garantieren, was Konsequenzen für die Konzeption der ehelichen Sexualität und eine schärfere Abgrenzung von Ehe und Nichtehe und allen Formen der Unreinheit zur Folge hatte. Die Ordnung von Ehe diente sowohl der Herstellung von sexueller Ordnung als auch der Kontrolle über die menschliche Reproduktion und hatte damit auch ökonomischen Charakter.338 Geschlechterverhältnisse, Ehe und Sexualität bildeten im 16. Jahrhundert „ein eng verwobenes Feld für gesellschaftliche Auseinandersetzungen.“339 Die Institution der Ehe gilt auch in den Petits Voyages als eines der wichtigsten Elemente zur Beschreibung anderer Gesellschaften: „Gleich wie der allmächtige Gott anfänglich also baldt nach der Schöpffung Himmels vnd der Erden / nicht allein allerley Thiere / Fische vnd Früchte / sondern auch den Menschen geschaffen / als einen Herrn / der solches alles bewohnen vnd gebrauchen sollte / jhme auch / damit er nicht allein were / sondern ein Gehülffen hette / vnd das menschliche Geschlecht vermehren würde / eine Gesellin oder Gehülffin / die Evam zugefüget vnd vertrawet hat / Also achte ich nicht vnrathsam seyn / daß ich diese meine Arbeit anfange / von der Ehe oder Verheurathung Manns vnd Weibs / als die zuvor in der Welt hat seyn müssen / ehe dann die Herrschafft / Besitzung / vnd Gebrauch der Erden vnd Creaturen in der Welt / von Gott dem 340

Menschen vntergeben / hat können geübet vnd practicieret werden.“

335 Vgl. Grieco, 1994. 336 Vgl. dazu Beate Schuster, Die freien Frauen. Dirnen und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert, Frankfurt/Main & New York 1995. 337 Burghartz, 1999, S. 9. 338 Vgl. auch hierzu Burghartz, 1999. 339 Burghartz, 1999, S. 9 340 Petits Voyages, Bd. VI, S. 11.

112 |  Körperwissen

Die von Gott gewollte – monogame – Ehe garantiert also die Erhaltung des Menschengeschlechts und steht am Anfang allen menschlichen Lebens. Obwohl die polygyne Lebensweise nicht Gottes Willen entspricht, erfährt sie jedoch – anders als die angeblich so ausgeprägte Libido der afrikanischen und asiatischen Frauen (s.u.) – in den Berichten der de Bry’schen Reisesammlung keine deutliche Ablehnung: „Wenn der Mann mercket / daß sein erstes Weib alt wird / vnd jhre Complexion nicht mehr so sehr geneygt ist zur Beywohnung des Mannes / so füget er sich also baldt zu der jüngsten Frauwen / der Wollust am meisten mit jhr zu pflegen / dieselbe helt er als dann für die liebste / vnd in grossen Würden / die Alte aber lesset er die Hausarbeit verrichten / vnd gibt ihr / solange sie lebet / jhre Auffenthaltung / Er verstösset sie zwar nicht von sich / oder aus seinem Hause / aber sie muss der jüngsten Frawen dienen / vnd zu sehen / daß dieselbe wol gehalten vnd versehen werde mit Essen vnd Trincken / damit sie jhrem Mann wol gefalle / 341

vnd muß dem Mann in allem gehorsam seyn was er befiehlet.“

Die Polygynie wird konstatiert, aber nicht kommentiert.342 Vielmehr übertreffen sich die Berichte gegenseitig mit Spekulationen über die Größe der Harems;343 der König von Ternate soll 300 Frauen gehabt haben (V), der von Benin gar 600 (VI, 142), und es ist zudem „allda gar gebräuchlich / daß ein Mann viel Weiber hat / dann die Edelleut haben offtmals in die 80. oder 90. ja auch wohl mehr Weiber / vnd ist kein Manns Person so arm oder gering / der nicht etwan auff wenigste in die 10. oder 12. Weiber haben sollte“ (VI, 142). In den Texten herrscht Einigkeit darüber, dass die Männer so viele Frauen haben können, wie sie wollen, und sogar die Chinesen, die in der Regel nur eine Frau ihre Ehefrau nennen dürfen, mögen „der andern so viel haben / als viel sie deren ernehren können“ (II, 66). In Ansätzen wird bereits darauf hingewiesen, dass es den Männern in polygynen Beziehungen nicht möglich sei, all ihre Frauen mit gleicher Intensität zu lieben.344 341 Petits Voyages, Bd. VI, S. 13. 342 Die Polygynie galt „im 16. Jahrhundert allgemein vor allem als juristisches Problem, dessen moralische Komponente sich in der Differenz zwischen Naturrecht und gesellschaftlicher Ordnung manifestierte. Die Vielweiberei lief nach Thomas von Aquin (um 1225–1274), dem die meisten Theologen und Kanonisten folgten, nicht dem primären Naturrecht zuwider, da mit dem Erzeugen und Erziehen von Nachkommenschaft der erste Ehezweck bei ihr nicht aufgeschlossen sei. Dem göttlichen Heilsplan widersprach die Polygynie jedoch, da in ihr der sekundäre Zweck der Ehe, die vollendete christliche Gemeinschaft der Ehegatten, zu größeren Teilen vereitelt schien. Die Vielweiberei wurde deshalb aus moralischen Gründen abgelehnt, da sie jedoch nicht gegen das Naturrecht verstieß, erschien sie als eine aus staatsrechtlicher Sicht akzeptable Form des gesellschaftlichen Miteinanders.“ Nils Büttner, Die „Turckische Frawe“ und ihr Bad. Wahrheit und Fiktion eines topischen Elements europäischer Orientreiseberichte, in: Ulrike Ilg (Hg.), 2008, S. 95–133, hier: S. 107. 343 In den Petits Voyages wurde das „Weg- und Einsperren“ der Frauen noch nicht thematisiert und problematisiert, anders als im 18. Jahrhundert, als sich um den „Harem“ ein Diskurs um Sexualität und Macht, Öffentlichkeit und Geheimnis rankte, vgl. dazu Jürgen Osterhammel, 1998, S. 351 ff.; Leila Ahmed, Western Ethnocentrism and Perceptions of the Harem, in: Feminist Studies 8 (1982), S. 521–534, und Piya Pal-Lapinsky, The Exotic Woman in the Nineteenth-Century British Fiction and Culture. A Reconsideration, Durham 2005. 344 „Ob sie wol aber in geringer Liebe bey einander leben / als die da offtmals jre Weiber verstossen / vnd wider andere kauffen / auch bißweilen wol 3. Oder 4. Weiber auff ein mal haben / welches dann nicht Zeichen der

Sexualität und Geschlechterordnungen   |

113

Die Sodomie345 hingegen erfährt eine deutliche Ablehnung und wird als ein weitverbreitetes Laster der afrikanischen und asiatischen Männer dargestellt: „Viel in Pegu tragen vornen an ihrem Quoniam eine Schellen / auch etliche zwo zugleich / die da so groß / als ein welche Nuß / welche also zwischen Fell und Fleisch hangen. Dieser art Schelle kann man bei Doctore Paludanu zu sehen bekommen / welche ich mit mir aus Indien bracht / vnd jhm verehrt hab / es geben diese Schellen einen sehr lieblichen Klang / vn ist derhalbe also bey jhnen auffkommen / dieweil die 346

Peguser grosse Sodomiter

347

waren / damit sie auss solche weiß von gemelten laster abgehalten würden.“

Notorischer homosexueller Neigungen wurden nicht nur die Völker Asiens, Afrikas und der Türkei bezichtigt,348 sondern auch die amerikanischen;349 eine solche Unterstellung war gängiges Mittel zur Diffamierung und Barbarisierung der Fremden. Die Fremde wird als ein Land der Zügellosigkeit und der Perversionen, aber auch der Verlockungen präsentiert, profitierten doch auch Händler und andere Reisende von der angeblichen Freigiebigkeit und Freizügigkeit der afrikanischen und asiatischen Gastgeber: „wen einer ins Land kompt Kramerschafft zu treiben / er sey auch welcher Nation er wolle / so wird er anfangs gefragt / wie lang er da im Land bleiben vnd verharren wollte / so presentieren sie jhm viel junge Töchter / als denn macht er mit derjenige Eltern oder Freunde / welche jm am besten stehet eine contract / daß er sie bey sich habe / so lang als er im Land bleibt / wenn solches geschehen ist / so behelt er sie zu haus / vnd sie jhm bey tag vnd nacht gedient / wo zu er sie nur brauchen will / gleich es seine Magd 350

oder Hausfraw were.“

Sexuelle Ausschweifungen und „perverse“ Praktiken werden jedoch nicht nur notiert, sondern oftmals ausführlich beschrieben. So wird im dritten Band der Petits Voyages von einem

345

346 347 348 349 350

Liebe seyn / sintemal ein Mann zu vielen Weibern nit gleich Liebe tragen kann / sondern je besser gewogen ist / als der andern: So ist es doch gleichwol wahr / daß sie einander nicht gern verlieren“ (Petits Voyages, Bd. VI, S. 105). Unter Sodomie verstand man im 16/17. Jahrhundert alle heterosexuellen und homosexuellen Kontakte, die nicht der Zeugung dienten. S. dazu den Eintrag „Sodomie“ in: Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, 64 Bde., Halle/Leipzig 1732–1754, hier: Bd. 38, S. 0177–0181. Zum terminologischen Wandel von der „Sammelkategorie“ Sodomie zu einer Verfestigung des Begriffs und damit zur konkreten Bezeichnung für Homosexualität vgl. Helmut Puff, Sodomy in Reformation Germany and Switzerland, 1400–1600, Chicago/London 2003. Die Politik der Repression gegen alle außerehelichen Formen der Sexualität wurde im 16./17. Jahrhundert deutlich verschärft. Vgl. dazu neben Puff, 2003, auch Burghartz, 1999. Hier ist wohl Homosexualität gemeint. Auch im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts war die männliche Homosexualität verbreitet und galt als eines der größten gesellschaftlichen Übel dieser Zeit. Vgl. Puff, 2003. Petits Voyages, Bd. II, S. 48. Beschreibungen dieses Brauchs kursierten in Europa in allen möglichen Varianten und Erklärungen. Vgl. Sven Trakulhun, 2006, S. 169. Vgl. dazu auch Sabine Schülting, Wilde Frauen, fremde Welten. Kolonialisierungsgeschichten in Amerika, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 165. Petits Voyages, Bd. II, S. 47.

114 |  Körperwissen

Brauch berichtet, der auf die christlichen Leser mit ihrem Ideal der weiblichen Jungfräulichkeit351 besonders abstoßend wirken musste: „Sie haben auch einen Gebrauch / daß wenn jhrer Töchter eine Braut ist / vnd sie jhrem Pagodo darmit so grosse Ehre anthun wollen / dem Breutigam zu sonderlichem Ruhm / so bringen sie die Braut mit grossem Triumph / vnd allerley Instrumenten vnd Seitenspiel jrem gewöhnlichem Gebrauch nach / vor dem Pagode oder Abgott / welcher einen Schwanz hat von Elffenbein / Also verfüge sich die nächsten Freunde dahin zu jm mit der Braut / vn nehmen jr damit mit Gewalt jhre Jungfrawschafft / also bis das Blut an dem Abgott zu einem Warzeichen hangen bleibt / Wen sie demnach andere teufflische Abgötterey vnd Ceremonien mit jrem Opffer vollbracht haben / so bringen sie die Braut widerumb nach Haus / alsda sie dem Breutigam überantwortet wirt / welcher sich dessen höchlich erfrewet / vnnd es für eine grosse Wolthat helt / 352

daß jhm der Pagode so viel Ehre hat angethan / vnn jhn so grosser Mühe vnd Arbeit vberhaben hat.“

Im neunten Band wird das gleiche Ritual bereits deutlich detaillierter ausgemalt, der Begriff der Ehre fehlt, auch von einer gewaltsamen Entjungferung ist nicht mehr explizit die Rede, dennoch erscheint der Vorgang plastischer und gewaltvoller, noch besser geeignet, die Fantasien der Leser anzuregen: „Wann einer ein Weib nimmet / er der Braut die Jungfrawschafft nicht nimmet / sondern sie haben in jhren Mosquen oder Tempeln / ein groß von Erz gegossen oder sonst irgends woraus gemachtes Bildt / welches sie als jhren Abgott verehren vnd anbeten / dasselbe Bildt hat vorne am Leib ein lang spitzig Horn / vnd wann dann der bestimpte Hochzeit Tag kommet / so wird die Braut von jhren vnd deß Bräutigams nechsten Freunden / mit mancherley Syten und Schnarrenspiel in dem Tempel geführet / vnd allda für den Abgott gebracht / da wird jhr dann die Scham entblößet / vnd wird sie gegen den Abgott / welchen sie vmbhälsen muß / so hart und steiff getrucket / daß ihr das Horn tieff in den Leib hinein gehet / vnd 353

sie weit genug gemacht / vnd jhrer Jungfrawschafft beraubet wirdt.“

Die Texte entwerfen – wie Sabine Schülting bereits für die Amerikareiseberichte herausgearbeitet hat – sexuelle Gegenwelten und eröffnen vielfache Assoziations- und Imaginationsmöglichkeiten. In ihrer Konzentration auf Geschlechterordnungen, sexuelle Ausschweifungen und Perversionen sind die besuchten Länder austauschbar, die Anekdoten, Geschichten und Gerüchte ähneln sich und lassen die indischen und südostasiatischen Länder als ein „Archiv 351 Im Europa des 16./17. Jahrhunderts war die Ehre einer Frau ausschließlich an deren Jungfernschaft gebunden. Vgl. Ilja M. Veldman, Lessons for ladies: a selection of sixteenth and seventeenth-century Dutch prints, in: Simiolus 16 (1986), S. 113–127, hier: S. 119. 352 Petits Voyages, Bd. III, S. 102 f. 353 Petits Voyages, Bd. IX, S. 24. Andere Passagen erzählen davon, dass es den Brahmanen oder auch einem Fremden – manche sprechen explizit von einem Weißen – gegen hohe Bezahlung überlassen wird, der Braut die Jungfräulichkeit zu nehmen, dass es aber nur den Reichen vergönnt sei, sich dieser „grossen Mühe“ und „sauwerer Arbeit“ zu entledigen – was diese für „eine grosse ehre vnd herrligkeit“ (Petits Voyages, Bd. III, S. 48) halten würden. Was „aber das gemeine Volck anlanget / dieselben halten diesen Gebrauch ganz nicht / sondern können sich der Mühe wol selbst vnterstehen / vnd das Gelt verdienen“ (Petits Voyages, Bd. IX, S. 30).

Sexualität und Geschlechterordnungen   |

115

der Lüste“354 erscheinen.355 Die Berichte schaffen Räume, die Foucault als „wirksame Orte“ bezeichnen würde. Orte, „die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplazierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb der Orte, wiewohl sie tatsächlich 356

geortet werden können.“

Der Entwurf dieser Heterotopien357 eröffnet den Raum für eine tabuisierte Sexualität und gibt ihr einen Ort, in den eigene unterdrückte Triebregungen und Ängste projiziert werden konnten.358 Doch geht es nicht allein um tiefenpsychologische Projektionen und Spiegelungen von (Männer-)Wünschen und (Männer-)Ängsten, sondern darum, dass diese Ängste in den Texten immer wieder neu produziert und Konturen „perverser“ Praktiken als kulturelle Zuschreibungen diskursiv verfestigt werden.359 Damit werden über den Körper und den Umgang mit Körperlichkeit äußerste kulturelle Differenzen festgeschrieben, werden Fragen von Macht und Superiorität verhandelt. Noch deutlicher wird dies, wirft man einen Blick auf die Inszenierung des kulturell und sexuell Anderen, auf die Frage, wie sexuelle Differenz in den Textberichten der Petits Voyages diskursiv erzeugt wird und welche Funktionen diese Produktionen erfüllen.

3.1 Weibliche Begierde Weibliche Sexualität spielt bei den Beschreibungen von Körper und Körperlichkeit in den Textberichten der Petits Voyages eine herausragende Rolle. Frauen werden überwiegend als schamlos und frivol beschrieben; unersättlich in ihrer sexuellen Gier, bestimmt ihre Sucht nach Befriedigung ihr ganzes Streben: Das „Weibsvolck ist sehr hürisch / wiewohl solches Laster in ganz India ihr täglich Brod ist / niemand ausgeschlossen“ (II, 46). Mancherorts bedecken die Frauen ihre Scham zwar mit Tüchern, aber sie sind dennoch „über die massen sehr Unkeusch“, und „je grösser Hur eine ist / je mehr sie dessen ein Ehr hat für de and’n / ja sie düncke sich deßwegen gar gut seyn / vnd tragen jhren Rhum darauff / wann eine länger als die andern ein Hur gewesen“ (IX, 30). Viele der in Afrika und Asien zu beobachtenden 354 Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Frankfurt/Main 1983, S. 82. 355 S. dazu Schülting, 1997, S. 238 ff. Vgl. zur Auffassung des Orients als sexuell enthemmte Gegenwelt im 18. und 19. Jahrhundert Jürgen Osterhammel, 1998, S. 351 ff. 356 Michel Foucault, Andere Räume, in: Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Stefan Richter (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1993, S. 34–46, hier: S. 39. 357 Foucault nennt als Beispiele für Heterotopien u.a. Schiffe, Bordelle und Kolonien; vgl. ebd. 358 Dazu erstmals Schülting, 1997, S. 241. 359 Zur diskursiven Produktion von Ängsten in der frühneuzeitlichen Reiseliteratur vgl. auch Christian Kiening, 2006, S. 111 ff.

116 |  Körperwissen

Besonderheiten werden mit dieser ins Absurde gesteigerten Libido der Frauen erklärt, so auch u.a. die Sitte der Chinesinnen, das Wachstum ihrer Füße zu stoppen, „welchen Brauch vnnd Fundt die Männer haben aufbracht / damit sie jhnen das viel hin vnd wider lauffen mehreten vnd erleideten / dann sind sie sehr eyfferig vnd vber die massen geil vnd vnkeusch“ (II, 64). Auch wenn hier nicht wie oben sexuelle Unmoral mit Nacktheit gleichgesetzt werden kann (ist doch das „Weibsvolck“ in China „sehr köstlich“ gekleidet), unterscheiden sich die Chinesinnen nicht von ihren Geschlechtsgenossinnen. Betont wird vor allem die aggressive Aktivität der Frauen auf ihrer Suche nach geeigneten Partnern, „dann all jhr Lichten vnnd Trachten stehet Tag vnnd Nacht dahin / vnnd all jhre Practicken werden darauff gemacht“ (II, 97), man findet bei ihnen „wenig Maydlein […] vber sieben oder acht Jaren […] welche jre jungfrawschafft noch haben. Machen sich auch leichtlich mit jeden gemein / vnd lassen sich williglich gebrauchen / vmd einen geringen Pfen360

nig / halten es für keine sondere Schande.“

Unverheiratete junge Frauen werden so als potenzielle Prostituierte präsentiert, die den Männern aus freien Stücken jederzeit zur Verfügung steht. Doch auch nach ihrer Heirat stellt der Großteil der Frauen das Streben nach sexueller Befriedigung nicht ein: „[Es] ist das Weibsvolck auß der massen vnkeusch vnnd geyl / vnd man findet deren sehr wenig / welche ob sie wol Ehemänner haben / nicht auch einen oder zween ledige Gesellen vber das in Bestallung hetten / darmit sie buhleten / sie suchen all List vnd Renck / bey Nacht vnd in geheim dieselbige durch jhre Mägde vnd Kuplerinnen zu beschicken vnd eynzulassen / vber Mawren / Hecken / vnd vber Tach / ob sie 361

gleich allenthalben verwahret seyn.“

Die Frauen gelten jedoch nicht nur als unkeusch und gierig, sondern auch als listig und verlogen, im Kollektiv handelnde, sich gegen die Männer verbündende Wesen. Die einheimischen Männer sind dabei die zum Narren gehaltenen Opfer, den Kräuterkenntnissen und Tricksereien der Frauen hilflos ausgeliefert.362 Diese Kräuterkenntnisse werden von den Frauen vor allem benutzt, um sich unliebsamer Ehemänner zu entledigen:

360 Petits Voyages, Bd. II, S. 125. 361 Petits Voyages, Bd. II, S. 95. 362 Die Frauen verfügen über „ein Kraut / genannt Dutroa, so einen Samen trägt / denselbigen Samen drucken sie aus vnd geben den Saft ihren Männern zu essen oder zu trincken / so baldt wirdt dem Mann / gleich als ob er halb von Sinnen were / wirdt vnempfindlich / oder gar zum Narren / lecht stettigs oder schläft etwan / vnd liegt eben als ob er ganz vnd gar todt were / In summa / wann sie jhn also hat zugerichtet / so mag sie in seiner Gegenwart thun was sie will / sich mit ihrem Buhlen erlustieren / vnd der Mann wird es im geringsten nicht gewar: Es wäret also auff 24. Stunde mit jhm / jedoch / wann sie jhm seine Füsse mit kaltem Wasser wäschet / so kompt er wiederumb zu sich selbst / vnd weiß von nichts / sondern vermeinet / daß er geschlaffen habe“ (Petits Voyages, Bd. II, S. 95 f.).

Weibliche Begierde   |

117

„Auch wirdt manchem Mann von seiner Frauwen vergeben / nur darumb / daß sie sein müdt wirdt / dann sie können ein Gifft zubereiten / welches die Person / deren sie es eyngeben / ehe nicht tödtet / als eben zu der Stund / welche sie darzu bestimt haben. Sie können es so zurichten / daß es sich um 6. ganzer Jahr im Leib auffhelt / ohne einige Beschädigung / wan nun die Stund herzu kompt / welche sie bestimpt haben / so operiert es ehe dann ein halbe Stund fürüber gehet. Sie pflegen es auff ein / zwey / oder drey Jahr / Monat oder Tage zu praeparieren / nach dem es jhnen in den Sinn kompt / wie ich dessen dann viel 363

gesehen habe / vnnd sehr gemein bei jhnen ist.“

Männer – so suggeriert diese Passage – können jederzeit Opfer weiblicher Intrigen werden. Es liegt nahe, dass frühneuzeitliche Leser hier die Erzählungen über fremde Frauen leicht mit den einheimischen Hexen in Verbindung bringen konnten, schließlich war die Magie in Verbindung mit Kräuterkenntnissen – das „Giftmischen“ – etwas, das besonders den Frauen angelastet wurde.364 Die Hexenverfolgungen in Europa erreichten im 16./17. Jahrhundert ihren Höhepunkt365 und stellten ein ganzes Geschlecht unter Generalverdacht.366 Schon im sogenannten Hexenhammer von 1486367 wurde die Verführbarkeit und Verführungskraft der Frauen betont, durch ihre Schwäche seien sie für die Versuchungen des Teufels besonders empfänglich. 368 Der Hexenhammer geht von einer grundsätzlichen Verderbtheit des weiblichen Geschlechts aus,369 dessen Unersättlichkeit nach Meinung der Autoren nur durch satanische Mächte zu stillen 363 Petits Voyages, Bd. II, S. 96. 364 Vgl. Richard A. Horsley, Who Were the Witches? The Social Roles of the Accused in the European Witch Trials, in: The Journal of Interdisciplinary History 9 (1979), S. 689–715, hier: S. 700 ff. Zur magischen Weltsicht in der Frühen Neuzeit s. auch Kapitel 5. 365 Der Höhepunkt der Hexenverfolgungen ereignete sich zwischen 1560 und 1630, vgl. dazu Wolfgang Behringer, Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München 1998. Siehe zum Vergleich der Indien-Reiseberichte mit dem Phänomen der Hexenverfolgung Pompa Banerjee, Burning Women. Widows, Witches, and Early Modern European Travelers in India, New York 2003. 366 Zu der Frage der geschlechtsspezifischen Dimension der Hexenverfolgung siehe Claudia Opitz (Hg.), Der Hexenstreit. Frauen in der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung, Freiburg im Breisgau 1995. Zu regionalen und zeitlichen Unterschieden bei der Frage nach der Bedeutung der Kategorie Geschlecht vgl. Burghartz, 1999. Vgl. außerdem Helmut Brackert, Zur Sexualisierung des Hexenmusters in der Frühen Neuzeit, in: Hans-Jürgen Bachorski (Hg.), Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Trier 1991, S. 337–358. 367 Heinrich Institoris/Jacob Sprenger, Malleus Maleficarum, Speyer 1486. Siehe den Nachdruck von 1991: André Schnyder (Hg.), Malleus Maleficarum von Heinrich Institoris (alias Kramer) unter Mithilfe Jakob Sprengers aufgrund der dämonologischen Tradition zusammengestellt. Wiedergabe des Erstdrucks von 1487 (Hain 9238), Göppingen 1991 (im Folgenden zit. als Institoris/Sprenger). 368 Zum Teufelsglauben s. auch das Kapitel 5. 369 „Ihr Name ist Tod. Denn mag auch der Teufel Eva zur Sünde verführt haben, so hat doch Eva Adam verleitet. […] Nochmals bitterer als der Tod, weil dieser natürlich ist und nur den Leib vernichtet; aber die Sünde, vom Weibe begonnen, tötet die Seele durch Beraubung der Gnade und ebenso den Leib zur Strafe der Sünde. Nochmals bitterer als der Tod, weil der Tod des Körpers ein offener schrecklicher Feind ist; das Weib aber ein heimlicher, schmeichelnder Feind. […] Schließen wir: Alles geschieht aus fleischlicher Begierde, die bei ihnen unersättlich ist.“ (Institoris/Sprenger, S. 105 f.)

118 |  Körperwissen

sei – eine Verbindung, die zu einer Gefahr für die natürliche und gesellschaftliche Ordnung werden kann.370 Seine Argumentation zur weiblichen Inferiorität stützt der Hexenhammer auf die Aufzählung von Geschichten und Legenden, in denen Frauen ihre Männer hintergehen, verspotten, töten und dadurch sogar ganze Imperien untergehen lassen.371 Auch in den Texten der Petits Voyages wird die Gefährdung der gesellschaftlichen Ordnung durch die Lüsternheit der Frauen wiederholt thematisiert. In verschiedenen Gebieten habe die Ermordung der Männer durch ihre Frauen so stark zugenommen, dass die Herrscher Gefahr liefen, „durch der Weiber Boßheit“ ihre „fürnembste Herren / jtem die Obersten und Soldaten / mit welchen sie ihren Standt vnnd das Königreich erhalten und beschirmen müssen“ (II, 113), zu verlieren. Sie hätten eingreifen müssen, um ihre Soldaten vor der Niedertracht der Frauen zu schützen und ihr Volk vor dem Untergang zu bewahren, so sei der von den Europäern sogenannte Brauch der Witwenverbrennung372 eingeführt worden.373 Diese Form der „rituellen Totenfolge“ (Jörg Fisch) war in Europa seit Alexanders Indienfeldzug bekannt und lässt sich seitdem in nahezu allen Indienberichten finden. Schönheit und Tod, Liebe und Leiden, Jenseitsglaube und Vergänglichkeit verleihen als Grundelemente der Szenerie dem Ritus der Witwenverbrennung offensichtlich ihre Spannung und Faszination.374 Auch in den Petits Voyages wird der Brauch 370 Vgl. dazu Brackert, 1991. 371 Institoris/Sprenger, S. 103 ff. Auch wenn in den Hexenverfolgungen in Europa noch andere Mechanismen griffen, ist die Angst der Männer vor der weiblichen Verführungskunst und ihrer eigenen Willensschwäche im Hexendiskurs stets präsent und so kann sie auch als Mittel zur Sanktionierung weiblicher Sexualität verstanden werden. Andere Diskurse des 16. und 17. Jahrhunderts griffen das Thema der Willensschwäche der Frauen ebenfalls auf. So erklärte der medizinische Diskurs die sexuelle Erfüllung für die Frauen zur biologischen Notwendigkeit. Ihre „gierigen“ Gebärmütter lechzten geradezu danach, gefüllt zu werden, andernfalls drohten nicht nur Sterilität, sondern auch zahlreiche andere Gebrechen. So war man u.a. der Auffassung, die Hysterie (auch „Atemnot der Gebärmutter“ oder „Gebärmutteraufruhr“) habe ihren Ursprung im Uterus und sei verantwortlich für Wahnvorstellungen teuflischer Besessenheit und andere Geisteskrankheiten. S. Grieco, 1994, S. 81. Frauen galten als von ihren Geschlechtsorganen unterworfene Wesen, die Heftigkeit ihrer Lust und ihres Begehrens wurde als eine Art Kompensation für die Schmerzen der Geburt angesehen. Vgl. Berriot-Salvadore, 1994, S. 391. 372 Neben dem Begriff der Witwenverbrennung hat sich in Europa auch der der „sati“ eingebürgert, was auf Sanskrit „gute und tugendhafte Ehefrau“ bedeutet – schließlich wurde die Frau durch ihre Tat mit Blick auf ihre Vereinigung mit ihrem Mann im Jenseits gerade nicht zur Witwe. Die zeitgenössischen Berichte jedoch sprechen alle noch von „Witwenverbrennung“. 373 „Sie [hier die Bewohner Pulo Rossas, einer Insel östlich von Bali, D.S.] sind Heyden / wie die von Bali / vnd ist noch die böse gewohnheit darinnen / daß wenn die Männer gestorben / viele Weiber mit dem todten Leichnam verbrennet werden / man geusset viel Öl ins Feuwer / wirfft auch Sandelholz darein / halten die Weiber / so sich mit ihren Männern nicht lassen verbrennen / nicht für eheliche Weiber / die jre Männen lieben / welchen sie auch in der anderen Welt werden bey wohnen / Vnnd daselbst mit jnen haushalten / wie sie in Indien gethan / Dieser brauch ist erstlich vom König darumb eyngesetzt / daß die Weiber vmb geringer ursach willen / jhren Männern auff tausenderley weise Gifft bey brächten / wann sie denen müdt werden / vnnd einen anderen begerten / Da nun obermelter König sahe / daß er durch der Weiber List den meisten theil seines Volcks verlor / hat er dies Gesätz auffgerichtet“ (Petits Voyages, Bd. III, S. 168). 374 S. Jörg Fisch, Jenseitsglaube, Ungleichheit und Tod. Zu einigen Aspekten der Totenfolge, in: Saeculum 44 (1993), S. 265–299, hier: S. 267. Dass es sich dabei um ein „ausgesprochenes Ausnahmephänomen“ (ebd., S. 268) handelte (vorsichtigen Schätzungen zufolge verbrannte sich in der Präsidentschaft Bengalens im Zeitraum zwischen 1815 und 1828 eine von 400 Witwen), lässt sich den Texten hingegen nicht entnehmen. Über Ursprung, Funktion

Weibliche Begierde   |

119

Abb. 25

intensiv thematisiert, dabei lässt sich keine eindeutige Haltung zur Beantwortung der Frage nach der Freiwilligkeit der Frauen feststellen. Während in einigen Berichten einerseits auf die Notwendigkeit, ja die Unerlässlichkeit der Einführung des Rituals verwiesen wird, um die lüsternen und gattenmörderischen Frauen zu disziplinieren, und andererseits vor allem die Todesbereitschaft und Ergebenheit der Witwen akzentuiert wird, wird in anderen das Gewaltsame des Aktes, das Wehklagen der Frauen und ihr Flehen um Gnade betont. Nur ganz selten geschehe es, dass eine Witwe sich erfolgreich der Verbrennung verweigere, träte dieser seltene Fall jedoch ein, „so schneid man jhr das Haar auff den Grund ab / vnd sie darff jhr Lebenlang keine Geschmeide mehr an jhrem Leib tragen / sie wirt auch hinfürter verstossen / vnnd von allen Männern veracht / gleich als ein unehrliches Weib“ (II, 113). Obwohl auch hier die Assoziation brennender indischer Frauen mit einheimischen Hexen naheliegt (gerade in dem Fall der Deutung des Todes auf dem Scheiterhaufen als Strafe), fehlt in den Texten jede Bezugnahme zu den Hexenverbrennungen in Europa. Auch in den Werkstatt de Bry, Witwenverbrennung (1598) beiden identischen Kupferstichen, die eine „Witwenverbrennung“ abbilden (in Band II und Band IX), fehlt diese Verknüpfung, doch nehmen sie in Bezug auf die Einordnung des Rituals eindeutig Stellung. Der jüngere der beiden Stiche ist mit der Zeile „Liebe der Weiber in Calicut gegen ihre verstorbene Männer“ überschrieben, während die Überschrift des älteren noch vergleichsweise neutral gehalten ist („Wie die verstorbene Brahmanes verbrandt werden / vnd jhre Weiber sich lebendig zugleich mit verbrennen lassen“). Die Stiche zeigen die auffallend junge und schöne, mit reichhaltigem Schmuck ausgestattete Witwe, die mit ergebenem, nahezu entrücktem Gesichtsausdruck und weit ausgebreiteten Armen von einem und Verbreitung der „Witwenverbrennung“ ist nur wenig bekannt. Der älteste erhaltene Bericht über den Vollzug einer solchen Sitte stammt aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert und bezieht sich auf das Jahr 317 v. Chr. Jörg Fisch vermutet, dass dieses Ritual vor allem in den gebildeten Kreisen Indiens populär, jedoch zu keiner Zeit zur religiösen Pflicht, sondern „bestenfalls zu einem besonders verdienstvollen Akt erklärt“ (ebd., S. 269) wurde. Vgl. zum Phänomen der „Witwenverbrennung“ Jörg Fisch, 1993, und ders., Tödliche Rituale. Die indische Witwenverbrennung und andere Formen der Totenfolge, Frankfurt/Main & New York 1998.

120 |  Körperwissen

kleinen Felsvorsprung zu ihrem Mann in die Flammen springt. Die Subtexte erklären die Tat zum Liebesbeweis, betonen die aufopfernde Treue der zum Tod bereiten Frauen gegenüber ihren Männern und lenken die Aufmerksamkeit der Leser und Betrachter vor allem auf den Jenseitscharakter des Rituals: Schließlich sprängen die Frauen mit Freuden zu ihrem Mann ins Feuer, um „mit jhm in der andern Welt fröhlich zu leben“ – ein Aspekt, den die Texte weitgehend vernachlässigen. (Abb. 25) Erstaunlicherweise gehören gerade diese Stiche, die die Opferbereitschaft der Frauen betonen, zu den wenigen innerhalb der de Bry’schen Sammlung, in denen Frauen als aktiv handelnde Personen dargestellt werden. Die „Witwenverbrennung“ wird in den beiden Stichen zum Opfertod stilisiert, das Narrativ der sexuell unersättlichen, männermordenden Giftmischerin, das noch in den Texten so deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, wird gebrochen und durch das Bild einer ihrem Gatten treu ergebenen Ehefrau ersetzt, die Tat wird zur Liebestat überhöht. Hier kommt ein dichotomes Weiblichkeitsmuster zum Tragen, das die Frau einerseits als „Heilige“ idealisiert, sie andererseits als „Hure“ stigmatisiert. Folgt man den Texten der Petits Voyages, wurde der Brauch der Witwenverbrennung hauptsächlich eingeführt (und tausendfach angewendet), um die Frauen zu disziplinieren; immer wieder wird jedoch auf die Wirkungslosigkeit dieser Maßnahmen verwiesen. Häufig würden die Männer selbst aktiv und brächten ihre Frauen aus Eifersucht um, „welches doch alles nicht hilfft / das Weibsvolck forchtsam zu machen / daß sie jhrer Vnkeuschheit abbrecht möchten / obwol jährlichs ohnzehlich viel von jren eigenen Männern also werden vmbs Leben bracht / auch ist es so gemein / daß man sich dessen gänzlich nicht verwundert / dieweil man es gewohnet ist“ (II, 96). Das Christentum vermag die Frauen unter Umständen zu Sittlichkeit und Moral anzuhalten; zu beobachten ist das im Königreich Kongo, dessen Bewohner in Keuschheit leben, „allda sie ein Christliches Leben führen“ (I, 20). Vielerorts aber sind es wiederum gerade die Frauen, die sich der Konvertierung zum Christentum widersetzen, da sie es für eine „grosse Schande vnd Schmach“ halten, „durch die Schärpffe deß Christlichen Gesätzes von jhren Männern vnd Herrn geschieden“ zu werden (I, 42). Niemals aber würden sie sich auf ein Leben als Nonne einlassen, denn „man kann das Weibsvolck nicht so weit bringen / daß sie sich wollte eynsperren lassen / vnnd der Göttin Veneri absagen / mit welcher sie dann viel ehe Leib und Leben wagen vnnd verlieren / wie sie dann das 375

Leben gering achten / wann sie jhre Lusten nur büssen mögen.“

Auch das Christentum kann die Frauen also nicht oder nicht immer von ihrem wollüstigen Leben abhalten und so neigen auch die portugiesischen Ehefrauen und die Frauen der indischen Christen zu Unzucht und Unmoral: „Die meisten haben jhre Hülff vnd Unterhaltung von den Eheweibern der andern Portugesen und Mestizen, wie auch von den Indianischen

375 Petits Voyages, Bd. II, S. 82.

Weibliche Begierde   |

121

Christen / welche alle Zeit gute Zahlung vnd Geschenk geben / damit sie nur jhre böse Lusten vnd vnkeusche Begierden ersättigen mögen“ (II, 93). Die Männer haben den Verführungskünsten der Frauen nichts entgegenzusetzen, deren Nacktheit und Wollust führen sie in Versuchungen, denen sie nicht widerstehen können, und so leiden sie unter den in Afrika und Asien zahlreich kursierenden Geschlechtskrankheiten, „dieweil sie auch sehr zu der Unzucht mit dem Weibern geneigt sind / denn die Gelegenheit vnnd Landart sie fast darzu reißet […] Denn wenngleich die Männer von Eysen und Staal weren gemacht / so wer doch der Weiber Unkeuschheit vnd vnersättliche Begierden genug sie außzumergeln vnnd auffzureiben / 376

welches manchen guten Hals kostet.“

Männliche Unmoral ist der Verführbarkeit der Frauen geschuldet, ihrem Pakt mit Sünde und Teufel können die Männer nicht widerstehen; sie gelten damit als Opfer weiblicher Laszivität und müssen für die Sünden der Frauen büßen.

3.2 Weibermacht Im Weiblichkeitsdiskurs des 16. Jahrhunderts wurde weibliches Begehren stets negativ bewertet. In der Konzeption von Weiblichkeit wurden Frauen als passiv und keusch entworfen; Männer bedürften – so heißt es z.B. in dem einflussreichen und in alle großen europäischen Sprachen übersetzten Traktat De institutione feminae christianae von 1524 (eine deutsche Übersetzung erschien erstmals 1544 in Augsburg) des spanischen Humanisten, Philosophen und Lehrers Juan Luis Vives (1492–1540) – vieler Tugenden, u.a. hätten sie weise zu sein, eloquent, kräftig und mutig, gerecht, barmherzig und großzügig, eine Frau hingegen müsse nur eines sein: keusch.377 Neben zahlreichen weiteren Traktaten und Benimmbüchern, in denen sich Forderungen nach weiblicher Keuschheit und Passivität finden und die dazu dienten, Frauen zu disziplinieren und die weibliche Lust mit Verboten und Zwängen zu belegen, gab es auch eine reichhaltige didaktische Grafik, die weibliche Tugendkonzeptionen propagierte.378 In der satirischen Literatur des 15., 16. und 17. Jahrhunderts, in den Fasnachtsspielen, Volksschwänken und Mären war weibliche Lüsternheit ebenfalls ein beliebtes und unerschöpfliches Thema, wurde verspottet und verlacht – und die Männer, die Frauen nicht zu disziplinieren vermochten, galten als Narren. Besonders häufig wurde das literarische Klischee des „Minnetoren“ bedient, also des unglücklichen Liebhabers, der unter der Macht der Frauen leidet. „Zu diesem Klischee gehört, dass männliches Fehlverhalten durch die Sinnlichkeit der Frauen provoziert wird, während weibliches – meist sexuelles – Fehlverhalten 376 Petits Voyages, Bd. II, S. 108. 377 Vgl. Veldman, 1986. 378 Vgl. dazu Yvonne Bleyerveld, Chaste, obedient and devout: biblical women as patterns of female virtue in Netherlandish and German graphic art, ca. 1500–1750, in: Simiolus 28 (2000), S. 219–250.

122 |  Körperwissen

seinen Grund in sich selbst hat; es gilt […] mindestens als latent vorhanden.“379 Die besonderen Befähigungen der Frauen zu Verführung, Manipulation und Betrug waren in den Mären und Fasnachtsspielen „geläufige Aspekte der Weiblichkeitskonstruktion“380. Die sexuellen Bedürfnisse der Frauen wurden dabei als außerordentlich bedrohlich imaginiert.381 Sowohl in den Schwänken und Fasnachtsspielen als auch in den Reiseberichten der Petits Voyages wurde mithilfe des Stereotyps der permanent begehrenden Frau eine verkehrte Welt entworfen. Durch die Darstellung einer solchermaßen verkehrten Welt werden die Regeln der eigenen kulturellen Ordnung sichtbar gemacht, werden Maßstäbe des Eigenen und Vertrauten erschlossen, aber auch Wünsche, Bedürfnisse und Ängste reflektiert. Darüber hinaus wird jedoch vor allem auch sexuelle Differenz, ein bestimmtes Bild von Weiblichkeit, immer wieder neu produziert, die Texte sind in den herrschenden Diskurs eingebettet und gleichzeitig selbst an diesem beteiligt.382 Die Frauen werden mit Natur und Lüsternheit assoziiert, Männer mit Verstand und regulierter Triebhaftigkeit. „Die verstärkte Triebsublimierung und Internalisierung von Fremdzwängen ging einher mit einer Verschärfung der Geschlechterdifferenz. Die Konstituierung des männlichen Subjekts der Renaissancegesellschaft bedeutete zugleich die Abspaltung der niederen Triebe, der Natur und Sexualität vom männlichen Subjekt und deren Projektion auf den weiblichen Körper. Diese Tendenz ist in der Kunst etwa ab dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts abzulesen und verstärkte sich im Laufe des Jahrhunderts bzw. in den 383

folgenden Jahrhunderten.“

Die geradezu exzessive Erwähnung der Wollust und der Macht der Frauen verweist aber auch auf die offensichtliche Notwendigkeit zu ihrer Diffamierung und lässt Rückschlüsse zu auf den Aufwand, dessen es bedurfte, um die Inferiorität der Frauen immer wieder neu zu beweisen und festzuschreiben.384 Dass Frauen in den Kampf der Männer um (imaginierte) Stärke und Herrschaft involviert sind, veranschaulicht die folgende Schilderung eines Kriegsrituals im zweiten Band der Petits Voyages: 379 Ute von Bloh, Die Sexualität, das Recht und der Körper. Kontrollierte Anarchie in vier mittelalterlichen Mären, in: Ulrike Gaebel & Erika Kartschoke (Hg.), Böse Frauen – gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Trier 2001, S. 75–88, hier: S. 78. 380 Ebd., S. 73. 381 Vgl. dazu Hans-Jürgen Bachorski, Ein Diskurs von Begehren und Versagen. Sexualität, Erotik und Obszönität in den Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts, in: Helga Sciurie & Hans-Jürgen Bachorski (Hg.), Eros – Macht – Askese. Geschlechterspannungen als Dialogstruktur in Kunst und Literatur, Trier 1996, S. 305–341. 382 Zur Vielfalt der Diskurse, zu Brüchen und Unordnungen vgl. Daniela Hammer-Tugendhat, 2009, und Maria-Theresia Leuker, „De last van’t huys, de wil des mans …“ Frauenbilder und Ehekonzepte im niederländischen Lustspiel des 17. Jahrhunderts, (= Niederlande-Studien, 2), Münster 1992. 383 Daniela Hammer-Tugendhat, Erotik und Geschlechterdifferenz. Aspekte zur Aktmalerei Tizians, in: Daniela Erlach, Markus Reisenleitner, Karl Vocelka (Hg.), Privatisierung der Triebe? Sexualität in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/ Main 1994, S. 376–446, hier: S. 401. 384 Vgl. dazu auch Bachorski, 1996, S. 329.

Weibermacht  |

123

„Sie haben einen Gebrauch bey jnen / daß / wann sie ausziehen wider jhre Feinde zu kriegen / vnd die Schlacht gewinnen oder jemandt vmbringen / vnnd wer als denn die meisten fängt oder vmbringt / derselbige ist vnter jnen der größte geacht vnd der ehrlichst / also daß er für andern in grossem Ansehen ist / Damit sie nun dessen Zeugnuß haben / wann sie für jhren König kommen / so schneiden sie so vielen / als sie gefangen oder vmbracht haben / jhr Männliches Glied aus / die Gefangenen lassen sie wiederumb lauffen: Solches geschieht / auff daß sie fürbaß nicht mehr Kinder zeugen mögen / welche jhre Feinde seyen / vnd jnen Schaden zufügten: Dasselbige Glied lassen sie wol dürr werden / damit es sich halte / vnnd nicht stinckendt werde. Wann es dann dürre ist / kommen sie für den König mit sonderer Reverenz / in Gegenwart der Fürnembsten vnd Obersten in demselbigen Dorff / nemmen eines nach dem andern in den Mundt / speyen es wiederumb aus auff den Boden für des Königs Füsse / welches der König mit einer grossen Dancksagung auffnimpt / Und damit er jhnen jhre Mannheit vnd Dapfferkeit widerumb mit einer besonderen Verehrung vergelte / so lasset er all dieselbigen ausgespeyten Ouoniam widerumb auffraffen von der Erden / gibet sie wiederumb dem / der sie hat praesentiert / jhm für ein Präsenz vnd sonderlichen Ehrentitel / dessen er sich zu erheben hab / vnd fürter für eine Ritterliche Person zu halten sey. Darauff nimbt er all dieselbige Quoniam, welche jhm der König also hat verehret / reyet sie zusammen an eine Schnur / machet daraus ein Pater noster, wann sie dann etwa Hochzeit oder sonsten ein Fest haben / so kommen die Bräute vnd Eheweiber desselbigen Ritters hinzu / haben diese Pater noster mit allen denselbigen Quoniam vmd den Hals hangen / welches bey jhnen so eine grosse Ehre ist / als bey vns das gülden Fließ / oder das Garthier aus Engellandt / zu tragen. Wann nun gemeldet Ritters Bräut oder Eheweiber solche stattliche Pater noster anhaben / bedüncken sie sich so 385

groß vnd hoch zu seyn / daß sie bey nahe meynen sie seyen Königinnen der ganzen Welt.“

Die Schwäche des Unterlegenen führt zum Verlust seiner Männlichkeit. Das Abschneiden der männlichen Glieder steht für die radikalste Form, einen anderen Mann zu besiegen; bei dem hier beschriebenen Ritual wird durch den verlorenen Kampf jedoch nicht nur die Männlichkeit des Verlierers vernichtet, vielmehr macht sich der Sieger diese zu eigen, um sie – und damit geht die Erzählung noch einen Schritt weiter – den Frauen zu überreichen. Somit hat der Kampf der Männer auch Auswirkungen auf die Frauen, der Verlust der Männlichkeit wertet die Frauen auf, die sich mithilfe der geraubten und inzwischen verdorrten Männlichkeit „bedüncken […] groß vnd hoch zu seyn / daß sie bey nahe meynen sie seyen Königinnen der ganzen Welt“. Männliche Schwäche und weibliche Stärke sind so miteinander verwoben und aufeinander bezogen. Eine Fülle von Texten und Bildern aus Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Medizin befasste sich seit dem späten Mittelalter und verstärkt seit dem 15. Jahrhundert mit Fragen der ‚Natur‘ (der Würde) von Mann und Frau, der Hierarchie der Geschlechter und ihrer gesellschaftlichen Rollen. Die Debatte war ein europaweites Phänomen – mit Brennpunkten in Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und England – und wurde – auch unter Beteiligung einiger Frauen – leidenschaftlich geführt.386 Als Kristallisationspunkt gilt heute 385 Petits Voyages, Bd. II, S. 123. 386 Für das 15. und 16. Jahrhundert spricht Gisela Bock von Tausenden solcher Schriften, vgl. Gisela Bock, Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2000, S. 17.

124 |  Körperwissen

die Replik der französischen Schriftstellerin Christine de Pizan auf den Rosenroman des Jean de Meung, mit der sie sich 1399 gegen die frauen- und liebesfeindlichen Äußerungen de Meungs zur Wehr setzte.387 Der „Streit um die Frauen“ fand im Folgenden in Romanen, Novellen, Essays, Traktaten und Dialogen sowie in Grafiken und Malereien statt; er zeichnet sich also durch eine hohe Intertextualität und Intermedialität aus. Auf misogyne Reden folgten frauenapologetische Gegenreden, die „Postulierung und Abwehr weiblicher Minderwertigkeit, Behaupten und Bestreiten weiblicher Überlegenheit, mindestens aber weiblicher Gleichwertigkeit findet auf drei Schlachtfeldern statt: ihre leiblich-körperliche Disposition im Vergleich zu Physis, Biologie und Anatomie des Mannes; ihre Sittlichkeit und Moral im Vergleich zur Seele des Mannes; ihre Verstandeskräfte im Vergleich zum Intellekt des Mannes.“388 Diese seit der vorletzten Jahrhundertwende als Querelles des Femmes oder von der neueren Forschung als Querelles des Sexes bezeichnete Geschlechterdebatte zeigt, dass Geschlechterbeziehungen in der Frühen Neuzeit kontrovers diskutiert wurden, dass es ein Bewusstsein für Geschlechterdifferenz gab, dass es sich dabei also nicht um moderne, ahistorische Übertragungen handelt.389 In Bezug auf die frühneuzeitliche Geschlechterdebatte und auch in der bisherigen Analyse war stets von den Männern die Rede, wurde von einheitlichen Männlichkeitskonstruktionen ausgegangen. Bei genauerem Hinsehen wird dies den untersuchten Texte der Petits Voyages nicht gerecht: Die Reiseberichte liefern keinerlei Beispiele für unzüchtig handelnde niederländische Reisende. Die Niederländer unterliegen nicht den Verführungskünsten der Frauen, sie sind diszipliniert und (trieb)kontrolliert; ihre Stärke wird somit im Kontrast zur Schwäche der Anderen offenbar gemacht. Dadurch erscheinen die niederländischen Männer als unbeteiligte Beobachter und Chronisten der Sünden und Laster dieser Anderen. Der Unzuchtsvorwurf fungiert damit als Mittel zur Diffamierung sowohl der Frauen als auch der männlichen Fremden und der europäischen Konkurrenten, die den Frauen nicht zu widerstehen wissen und sie nicht zu disziplinieren vermögen. Im Gegensatz zu den kraftstrotzenden Amerikaberichten der spanischen Konquistadoren, in denen es von virilen und potenten Anekdoten wimmelt, galt es hier, nicht ein Land und seine Frauen diskursiv und realiter zu erobern, sondern Konkurrenten im Gewürzhandel zu diskreditieren und sich der eigenen Überlegenheit zu versichern. Die fremden Männer – und auch die europäischen Konkurrenten – vermögen die Frauen nicht zu disziplinieren und zu beherrschen und können somit die eigene Ordnung nicht aufrechterhalten. „Die ‚böse Frau’ [also die unkeusche, die unzüchtige Frau, D.S.] agiert ordnungsstörend und normverletzend, wenn der Mann sie nicht zu erziehen und zu 387 Georges Duby, Der Rosenroman. Sozialgeschichtliche Hintergründe eines höfischen Traums, in: ders., Wirklichkeit und höfischer Traum. Zur Kultur des Mittelalters, Berlin 1986, S. 65–102. 388 Friederike Hassauer, Der Streit um die Frauen: Elf Fragen und Antworten, in: Heide Wunder & Gisela Engel (Hg.), Geschlechterperspektiven. Forschungen zur Frühen Neuzeit, Königstein/Taunus 1998, S. 255–261, hier: S. 257. 389 Vgl. u.a. Joan Kelly, Early Feminist Theory and the Querelle des Femmes, 1400–1789, in: Signs 8 (1982/83), S. 4–28; Gisela Bock & Margarete Zimmermann (Hg.), Die europäische Querelle des Femmes. Geschlechterdebatten seit dem 15. Jahrhundert, Stuttgart & Weimar 1997; Gisela Engel, Friederike Hassauer, Brita Rang, Heide Wunder (Hg.), Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne. Die Querelles des Femmes, Königstein/Taunus 2004.

Weibermacht  |

125

lenken, ihre legitimen Ansprüche nicht zu befriedigen oder sich selbst nicht zu beherrschen vermag.“390 Robert W. Connell hat in seinem Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ darauf hingewiesen, dass es eine Vielfalt von Männlichkeiten gibt und dass sich hegemoniale Männlichkeit nicht nur durch die Abgrenzung von Weiblichkeit konstituiert, sondern auch durch die Ausgrenzung anderer Männlichkeiten – jener niederer Klassen, anderer sexueller Ausrichtung oder fremder Ethnien.391 Die mangelnde Durchsetzungskraft der anderen Männer in den Petits Voyages zeugt von fehlender Männlichkeit und ihr entsprechender Inferiorität gegenüber den triebregulierten und beherrschten Niederländern.392 Die Stärke der niederländischen Reisenden wird in den Petits Voyages also durch ihre Enthaltsamkeit akzentuiert. Es existiert in der de Bry’schen Reisesammlung eine in aller Ausführlichkeit erzählte Anekdote – die einzige, in der ein Niederländer als Opfer weiblicher Unmoral präsentiert wird –, die explizit vor den von den fremden Frauen und der portugiesisch-indischen Mischgesellschaft ausgehenden Gefahren warnt und die einen Hinweis darauf liefert, dass für diese Gefährdungen ein Bewusstsein vorhanden war. Es handelt sich um einen „grausamen vnd wunderbarlichen Mord“, von dem berichtet werden soll, „auff daß man bey diesem Exempel vnnd beyspiel sehen vnd abmercken möge / die vnverschämpte vnkeuschheit der Indianischen Weiber“ (III, 23). Der niederländische Diamantschleifer Franz König war über Venedig nach Goa gereist und hatte dort die Tochter einer Inderin und eines Franzosen geheiratet, die ihn jahrelang mit seinem besten Freund, einem Portugiesen, betrog – wozu ihre bösartige Mutter sie überredet hatte. Nach zahlreichen Listen, Lügen und Betrügereien seitens der Ehefrau und ihres Liebhabers wird Franz König schließlich von diesen im Schlaf erstochen – nachdem seine Frau ihm das berüchtigte Gift „Dutroa“ eingeflößt hatte, das ihm „die Sinne raubte“ (III, 27). Auch ein zugehöriger Kupferstich illustriert die Demütigungen und den Mord, und schon im Vorwort wird auf die Anekdote hingewiesen, die damit besonders akzentuiert, deren Bedeutung zusätzlich unterstrichen wird. Indem die Verleger betonen, dass der betroffene Niederländer ein „naher Verwandter vnd Freundt gewesen“ sei und auch der Gelehrte Paludanus ihn gut gekannt habe,393 wird sowohl die Glaubwürdigkeit des Erzählten als auch die Betroffenheit des Lesers erhöht; die Episode erhält eine persönliche Dimension, Authentizität wird suggeriert. Die Geschichte reiht sich deutlich in die Tradition frühneuzeitlicher Mären mit ihren Stereotypen der ständig begehrenden, hinterlistigen Frau und des zum Narren gehaltenen Ehemanns ein. Ihre Wirkmacht entfaltet sie durch die dreifache Verwertung in Vorwort, Kupferstich und Subscriptio und durch den persönlichen Bezug.

390 Ulrike Gaebel & Erika Kartschoke, Einleitung, in: dies. (Hg.), 2001, S. 9–14, hier: S. 9. 391 Robert W. Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2006. Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Thesen von Connell vgl. Martin Dinges (Hg.), Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, Frankfurt/Main & New York 2005. 392 Die Disziplinierung der Sinne und mit dem Ziel der Triebsublimierung und Affektkontrolle ist ein zentrales Thema im 16. Jahrhundert, vgl. Daniela Hammer-Tugendhat, 1994. 393 Petits Voyages, Bd. III, Vorrede, S. 4.

126 |  Körperwissen

Abb. 26 Werkstatt de Bry, Frauen (1603)

Abb. 27 Werkstatt de Bry, Hochzeitszeremonie I (1598)

3.3 Marginalisierung In den de Bry’schen Illustrationen sind Frauen vor allem in den deskriptiven Stichen zu finden, in denen alle Facetten der Weiblichkeit abgebildet werden. Sie zeigen junge und alte, schöne und hässliche, unzüchtige und keusche Frauen, Mütter und Jungfrauen. (Abb. 26) Häufig erscheinen die Frauen dabei nur scheinbar bekleidet, sowohl ihre Scham als auch ihre Brüste werden oft nur unzureichend – mit durchsichtigen Tüchern und Gewändern – bedeckt. Der Blick wird damit bewusst auf das gelenkt, was angeblich nicht betrachtet werden soll; es wird enthüllt, was verhüllt sein sollte.394 394 Durch einen Vergleich mit Lucas Cranachs Lucretia (1533) und seiner Venus (1532) wird dieser Effekt besonders deutlich. S. dazu Hammer-Tugendhat, 2009, S. 69. Vgl. auch Mila Horký, „Anna, die Anmutige, werde ich genannt“ – Eros und Virtus in den weiblichen Porträts von Lucas Cranach d. Ä., in: Simone Roggendorf & Sigrid

Marginalisierung  |

127

Die wenigsten der narrativen Stiche hingegen bilden überhaupt Frauen ab; selbst jene Illustrationen, auf denen Hochzeitszeremonien o.Ä. präsentiert werden, zeigen keine Frauen bzw. machen sie zu Randfiguren. Exemplarisch sei dies anhand zweier Stiche zu Hochzeitsbräuchen gezeigt, die im zweiten Teil der Petits Voyages nacheinander abgebildet sind. Der erste Stich stellt einen Hochzeitszug dar, der von sieben Männern mit Instrumenten angeführt wird. (Abb. 27) Am linken Bildrand folgt an achter Stelle die junge Braut, mit nur spärlichem Schmuck, die Brüste entblößt. Ihr folgen ein weiterer Mann und drei tugendhaft in lange Mäntel gehüllte Frauen. Wie die Subscriptio des Stichs erläutert, handelt es sich bei der hier gezeigten Zeremonie um eine derjenigen, bei der der Braut durch den „spitzen Schwanz“ eines „Abgottes“ die Jungfräulichkeit genommen wird; sie wird daraufhin ihrem Bräutigam übergeben, der ob der Tatsache, dass ihm der „Abgott so grosse ehr erzeigt / vnd einer schweren Bürde entladen / sich höchlich erfreuwet vnd gutes muths ist“ (Bd. II, Tafel X). Gerade im Vergleich zu den Texten, die das Grausame dieses Rituals betonen und denen ein gewisser voyeuristischer Charakter nicht abgesprochen werden kann (s.o.), erscheint der Stich besonders zurückhaltend. Im zweiten Stich (Bd. II, Tafel XI) fehlen die Frauen ganz – obwohl auch dieser eine Hochzeit zeigt –, illustriert wird nur die männliche Seite des Rituals.395 Die Trennung der beiden Sphären ist typisch für die de Bry’schen Stiche: Die meisten separieren klar die weibliche Welt von der männlichen und zeigen nur selten eine Überschreitung. Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Stiche aus dem zweiten und aus dem sechsten Teil der Petits Voyages, die beide die Ankunft der Niederländer in Afrika thematisieren.396 Der spätere Stich stellt eine Kopie des ersten mit einigen Modifikationen dar.397 In beiden Stichen ist eine Hütte abgebildet, in der der „abscheulich“ (Subscriptio, Bd. II, Tafel I) anzusehende einheimische Herrscher im hinteren Teil, auf einem erhöhten Stuhl sitzend, die ehrfürchtig am Eingang knienden Gäste begrüßt. Zu seinen Füßen liegt jeweils ein „altes schwarzes Weib“ mit strähnigen Haaren, das ihm mit einem Wedel Luft zufächert und die Fliegen vertreibt. Im früheren Stich muss einer der Niederländer noch von einem „Untertanen“ auf den „Obersten der Insel“ im Halbdunkel aufmerksam gemacht werden, im späteren ist das nicht mehr erforderlich, die Niederländer kennen die „Gewohnheit des Landts“ und sind mit den Einheimischen ins Gespräch vertieft. Zudem hat sich die Perspektive verlagert, die Hütte ist an den rechten Bildrand gerückt und gibt den Blick frei auf eine weitere Szenerie: (Abb. 28) Neben die männlich dominierte Welt der Politik, in der das offizielle Zusammentreffen der „grossen Herren“ mit den Einheimischen thematisiert wird, tritt nun die weibliche. Es sind mehrere Frauen abgebildet, die verschiedene Arbeiten verrichten, eine webt – mit ihrem Kind am Rockzipfel – einen Teppich, über einem offenen Feuer wird auf einem Rost Essen zubereitet, eine weitere Frau stillt ihr Baby, hinter ihr steht ein bekleideter und insofern nicht Ruby (Hg.), (En)gendered. Frühneuzeitlicher Kunstdiskurs und weibliche Porträtkultur nördlich der Alpen, Marburg 2004, S. 38–53. 395 Siehe den Stich Abb. 64. 396 Siehe zu diesem ersten Stich auch das Kapitel 2. 397 Der frühere der beiden Stiche ist im Kapitel 2 (Abb. 14) abgedruckt.

128 |  Körperwissen

Abb. 28 Werkstatt de Bry, Ankunft der Niederländer am Kap Lopez (1603)

Abb. 29 Hans Baldung Grien, Drei Hexen (1514)

als Einheimischer zu identifizierender Mann und fasst ihr an die Brust – eine der wenigen Anspielungen auf die in der Fremde wartenden Verlockungen. Diese Repräsentationen menschlichen Soziallebens konstruieren Vorstellungen von der anderen Gesellschaft und schreiben in sie eigene Werte, Bedeutungen und Imaginationen ein. Während die Frauen aus den Arbeitsbereichen der Männer ausgeschlossen sind, können sich die Männer im Wirkungskreis der Frau frei bewegen.398 Nur der unfruchtbaren Alten, die die Funktion ihres Geschlechts überschreitet und sich damit gegen die von Gott gegebene Ordnung vergeht, ist es gestattet, die Grenze zur männlichen Welt zu übertreten.399 398 Zur Trennung von öffentlichen und privaten, männlich und weiblich markierten Räumen in Mittelalter und Früher Neuzeit vgl. Martha C. Howell, Women, Production, and Patriarchy in Late Medieval Cities, Chicago 1986; Merry E. Wiesner, Working Women in Renaissance Germany, New Brunswick 1986. 399 Zum alten Weib als Allegorie der Laster, des Ungehorsams und der Widernatürlichkeit in der rhetorischen und ikonografischen Tradition der Frühen Neuzeit vgl. Marina Warner, Altes Weib und alte Vettel: Allegorien der Laster, in: Sigrid Schade, Monika Wagner, Sigrid Weigel (Hg.), Allegorien und Geschlechterdifferenz, Köln 1994, S. 51–63.

Marginalisierung  |

129

Abb. 30

In den Stichen sind Frauen nicht vollkommen abwesend, werden aber als Marginalisierte einer männlich dominierten Welt dargestellt. Damit wird eine symbolische Geschlechterordnung produziert, die die Omnipräsenz der aktiven und bedrohlichen Frauen in den Texten konterkariert. Durch die spezifische Kombination der deskriptiven – also statischen – Stiche mit den Marginalisierungen in den narrativen Stichen erscheinen die Frauen als zur Untätigkeit verurteilte – häufig nackte – Objekte männlicher Inszenierungen. Während die Texte von überbordender Sexualität erzählen, von tödlichen Gefahren und Ängsten, aber auch den Wünschen der Männer, von weiblicher Raffinesse und Gier, Unterdrückung, Eroberung und Mord, während Frauen auffallend präsent sind und vor allem negative Weiblichkeitskonzepte überwiegen, widmen sich also die Kupferstiche der Reisesammlung im Vergleich zu den Texten dem Thema der (weiblichen) Sexualität auf überraschend zurückhaltende Weise. Um das Beobachtete besser einordnen zu können, müssen an dieser Stelle einige Hans Baldung Grien, Phyllis und Aristoteles (1513) Überlegungen zur Tradition erotischer Grafiken und Bilder in der Frühen Neuzeit angestellt werden. Wie wurden Verführung, Sexualität und (weibliche) Begierde in Europa um 1600 dargestellt? Dieser kurze kursorische Überblick erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr sollen Tendenzen und Strukturen anhand einiger Beispiele aufgezeigt werden: Zu den bekanntesten Darstellungen erotischer Frauenakte gehören die Hexenbilder des Hans Baldung Grien. Für die vorliegende Analyse besonders aufschlussreich ist eine Federzeichnung aus dem Jahr 1514. Sie zeigt drei Frauen, deren nackte Körper miteinander verschränkt und aufeinander bezogen sind, das dampfende Gefäß in der Hand der rechts platzierten weist sie als Hexen aus. Alle drei werden in provozierenden Stellungen präsentiert, die vordere streckt dem Betrachter ihr nacktes Gesäß entgegen, die mittlere scheint sich mit ihrer Scham am Fuß der hinter ihr stehenden zu reiben, während diese ihre linke

130 |  Körperwissen

Abb. 31

Rembrandt, Joseph und Potiphars Weib (1634)

Hand an die Innenseite ihres rechten Oberschenkels und an ihre Scham führt.400 (Abb. 29) Die Zeichnung zeigt damit sehr drastisch den bedrohlichen Charakter weiblicher Nacktheit und Sexualität. Eine besondere Brisanz erhält sie durch die Widmung „DER COR CAPEN EIN GUT JAR“ – sie ist einem Klerikerfreund Baldung Griens zugeeignet, der mit diesem Neujahrsblatt auf die zeitgenössische Kritik am unkeuschen Leben der Mönche anspielte.401 Auch dem Thema der Weibermacht widmete sich Hans Baldung Grien, in seinem Holzschnitt Phyllis und Aristoteles von 1513 zeigt er den alternden, liebestollen Philosophen, der sich von seiner nackten und mit einer Peitsche bewaffneten Angebeteten auf allen vieren reiten, durch den Garten treiben und damit der Lächerlichkeit preisgeben lässt.402 (Abb. 30) 400 Für eine ausführliche Interpretation siehe Sigrid Schade, Schadenzauber und die Magie des Körpers. Hexenbilder der frühen Neuzeit, Worms 1983. 401 Zum Spiel Baldung Griens mit den voyeuristischen Blicken des Betrachters vgl. Sigrid Schade, Zur Genese des voyeuristischen Blicks. Das Erotische in den Hexenbildern Hans Baldung Griens, in: Cordula Bischoff et al. (Hg.), FrauenKunstGeschichte. Zur Korrektur des herrschenden Blicks, Gießen 1984, S. 98–110. 402 Zu zahlreichen weiteren Grafiken, die sich der „Weibermacht“ und dem „Kampf um die Hose“ widmen, siehe u.a. Birgit Franke, Artikel Weiberregiment, Weibermacht, Weiberlisten, in: Lexikon der Kunst, Bd. 7, Leipzig 1994, S. 739 f., und Sigrid Metken, Der Kampf um die Hose. Geschlechterstreit und die Macht im Haus. Die Geschichte eines Symbols, Frankfurt/Main & New York 1996.

Marginalisierung  |

131

Aggressive weibliche Sexualität und Dominanz waren also – wie schon diese beiden Beispiele zeigen – im deutschsprachigen Raum des 16. Jahrhunderts durchaus darstellbar. Ein beliebtes Bildmotiv des 16. Jahrhunderts war auch die versuchte Verführung Josephs durch Potiphars Frau, wie sie im Alten Testament geschildert wird. Potiphar war der Chef der Leibgarde des Pharaos, der den jungen Joseph zum Verwalter seines Hauses ernannt hatte. Potiphars Frau fand Gefallen an Joseph und forderte ihn mehrfach auf, mit ihr zu schlafen, doch Joseph weigerte sich. Nachdem die Frau ihm eines Tages in ihrem Begehren den Mantel zerrissen und er ihn ihr überlassen hatte und geflohen war, bezichtigte sie ihn aus Wut über die Zurückweisung der Vergewaltigung, und Joseph wurde ins Gefängnis geworfen. Die Geschichte wurde in unzähligen Bildern zur Darstellung gebracht, so hat sie Lucas Cranach d. Ä. in seine Serie zu den Zehn Geboten aufgenommen – sie illustriert bei ihm paradoxerweise das zehnte Gebot (Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Hab und Gut). Auch Hans Sebald Beham (1544), Antonio Tempesta (um 1600), Paolo Abb. 32 Heinrich Aldegrever, Mönch und Nonne (Anfang des 16. Jhds.) Finoglio (1622/23) und Rembrandt (1634) haben – neben zahlreichen weiteren Künstlern des 16. und 17. Jahrhunderts – das Drama um Potiphars Frau und Joseph thematisiert. All diese Bilder widmen sich den Themen der weiblichen Verführung und der männlichen Enthaltsamkeit bzw. des Kampfes gegen das eigene Begehren. Der überwiegende Teil der Bilder zeigt eine (halb) entblößte und aggressiv drängende – namenlose – Frau und einen – mal fliehenden, mal sich gegen die Frau und ihr Verlangen stemmenden – Joseph. Vor allem Rembrandt hat in seiner Radierung von 1634 – wie Daniela Hammer-Tugendhat überzeugend herausgearbeitet hat – auch den inneren Kampf des Joseph „zwischen Widerstehen und Begehren inszeniert.“403 (Abb. 31) Auch der sexuelle Akt selbst wurde – wenn auch äußerst selten und wenn, dann vor allem in Grafiken – dargestellt. Am bekanntesten ist sicherlich der Kupferstichzyklus des Marc­ antonio Raimondi, I Modi, den dieser nach Zeichnungen von Guilio Romano angefertigt 403 Hammer-Tugendhat, 2009, S. 105.

132 |  Körperwissen

Abb. 33 Rembrandt, Der Mönch im Kornfeld (um 1646)

hat. Die 16 Blätter zeigen verschiedene Stellungen beim Geschlechtsakt und verursachten einen Skandal. Die Platten wurden zerstört, die Serie wurde verboten, der Kupferstecher ins Gefängnis geworfen. Eine Holzschnittfolge jedoch, eine Kopie der originalen Stiche, überlebte – versehen mit Versen von Aretino – die Zensur. Gefährlich waren die Modi – wie Hammer-Tugendhat ausführt –, weil sie als Werk der Grafik in viele Hände gelangen konnten,404 der Geschlechtsakt ohne mythologische Überhöhung gezeigt wurde, der männliche Protagonist vollständig entkleidet war und „in der sexuellen Handlung sichtbar“405 wurde.406 Sehr viel weniger Anstoß erregte offenbar der Stich von Heinrich Aldegrever aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der Mönch und Nonne im Freien beim Geschlechtsakt zeigt. (Abb. 32)

404 Vgl. Hammer-Tugendhat, 2009, und Carlo Ginzburg, Tizian, Ovid und die erotischen Bilder im Cinquecento, in: ders., Spurensicherung. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis, München 1988, S. 234–258. Ginzburg hat in seinem Aufsatz darauf hingewiesen, dass im 16. Jahrhundert eine Debatte um die Macht und die Gefährlichkeit der Bilder entbrannt war, und hat auch auf Unterschiede in den verschiedenen Medien (Tafelbilder vs. Grafiken) aufmerksam gemacht (öffentlicher Raum vs. privater Raum). Vgl. außerdem Lynn Hunt (Hg.), Die Erfindung der Pornographie. Obszönität und die Ursprünge der Moderne, Frankfurt/Main 1994. 405 Hammer-Tugendhat, 2009, S. 145. 406 Zum Verschwinden des Mannes im sexuellen Akt in der Kunst der Frühen Neuzeit vgl. Hammer-Tugendhat, 2009, passim.

Marginalisierung  |

133

Beide Protagonisten sind weitestgehend bekleidet, der Betrachter kann nur die nackten Knie der Frau erkennen. (Abb. 33) Der Stich wurde mehrfach kopiert und variiert – u.a. von Rembrandt – und gehört in die Tradition der reformatorischen Grafik, die die sexuellen Verstöße und Ausschweifungen des katholischen Klerus anprangerte und der Lächerlichkeit preisgab – zu ihren Vorläufern zählt der bereits vorgestellte Holzschnitt des Hans Baldung Grien. Gerade diese beiden Bilder zeigen: Das Darstellen sexueller Handlungen zum Zweck der Diffamierung eines Antagonisten war im 16. Jahrhundert möglich und nicht unüblich, das Anprangern sexueller Zügellosigkeit war ein wirksames Mittel, um den Anderen zu diskreditieren. In den Stichen der Petits Voyages wird es jedoch nicht angewendet, die in den Texten der Petits Voyages (über) betonte weibliche sexuelle Aggression wird in ihnen – genauso wie die männliche – nicht gezeigt. Hier wird sexuelle Differenz und Ausgrenzung eher über das Unsichtbar-Machen denn über Diffamierung konstruiert, die fremden Frauen und ihre bedrohlichen Begierden kommen nicht ins Bild, sie ,existieren‘ nicht.407

3.4 Enthaltsamkeit und männliche Stärke Bei genauerem Hinsehen wird weibliche Macht und die Gefahr, die von den Frauen und ihren Verführungskünsten ausgeht, auch in den Stichen der Petits Voyages – zumindest unterschwellig – thematisiert, wird weibliche Verführung und männliches Begehren durchaus imaginiert. Der dritte Stich des zweiten Bandes – der bereits im Kapitel 2 vorgestellt wurde – visualisiert eine erste Begegnung der Niederländer mit den Bewohnern des Dorfes Cermentyn in Guinea. (Abb. 34) Der Bildhintergrund zeigt die Ankunft der Niederländer, im Bildvordergrund werden zwei von ihnen, von einheimischen Männern flankiert, von zweien gar an den Armen untergehakt, zum einheimischen Herrscher und den erwartungsvollen Frauen geführt. Der mit Federn, Perlen und Ringen geschmückte „Oberste des Orts“ – dessen auf den ersten Blick ideale Nacktheit durch diesen Alterität erzeugenden Schmuck ethnografisch verortet wird – heißt die Niederländer mit ausgebreiteten Armen willkommen. Seitlich hinter ihm sitzt seine nackte Frau, ein Tuch verhüllt ihren Schoß nur unzureichend, die rechte Hand bedeckt die nackte Brust, ihre linke Hand macht eine einladende Geste. Hinter ihr, aus dem Eingang einer Rundhütte heraus, tanzen weitere, gänzlich nackte „Weiber“, die weit ausgreifenden Handbewegungen wiederholend.408 Der Stich inszeniert – wie im vorherigen Kapitel bereits 407 Zu Strategien der Ausgrenzung und zur Konstruktion von Differenz (auch) durch Unsichtbarmachung vgl. Hammer-Tugendhat, 2009, die sich in ihrer Studie u.a. mit der Analyse „des Abwesenden“ in Rembrandts Œuvre beschäftigt hat. 408 Diese einladende Handbewegung der nackten Frauen erinnert an den berühmten Akt Jan van der Straets, der die Begegnung Amerigo Vespuccis mit dem jungfräulichen Amerika, verkörpert durch eine nackte „Wilde“, imaginiert; der Stich wird in der Forschung einhellig als Inszenierung der Kolonisierung mithilfe der Metaphern von Geschlechterdifferenz und Begehren interpretiert. Vgl. dazu u.a. Michel de Certeau, Das Schreiben der Geschichte,

134 |  Körperwissen

herausgearbeitet – die Begegnung der Kulturen auf den ersten Blick als Einladung und Verführung, der die Niederländer nur noch nachkommen müssen, um die (Sinnen-)Freuden des fremden Landes zu genießen; die hinter den Rücken der unbewaffneten Niederländer geschwungenen Messer und Speere machen jedoch auch auf das Risiko, das die interkulturelle Begegnung mit sich bringen kann, aufmerksam. Und so wird bei genauerer Betrachtung der Niederländer klar, dass diese dem Angebot der Frauen nicht folgen werden. Zwar sind ihre Blicke nicht frei von Begehren, doch die abwehrende Geste des rechten Niederländers – anhand der Kleidung als ranghöher zu identifizieren – signalisiert Verzicht und Entsagung. Noch deutlicher wird dies im Vergleich mit einem Stich aus den Grands Voyages, der die Ankunft Amerigo Vespuccis und seines Gefolges in Amerika zeigt. (Abb. 35) Den Portugiesen werden die einheimischen Frauen zur Begrüßung und als Zeichen der Gastfreundschaft „zum Gebrauch“ angeboten – ein Ritual, das – glaubt man den Texten der Petits Voyages – auch in Afrika und 34 Werkstatt de Bry, Ankunft der Niederländer in Guinea Asien weitverbreitet war. Sie reagieren auf die- Abb. (1598) ses Angebot mit grimmigem Verlangen im Blick und weit geöffneten, Zustimmung signalisierenden Armen. Vespucci selbst scheint seine Gefolgsleute gerade zu aufzufordern, sich eine der Frauen auszusuchen. Der im Bildhintergrund lauernde Tod (dargestellt durch Begräbniszeremonien) – die Folge der männlichen Schwäche – wird von den Portugiesen offensichtlich ignoriert. Diese Folgen weiblicher Verführungskraft und fehlender männlicher Stärke werden im ersten Stich des elften Teils der Petits Voyages noch deutlich drastischer visualisiert. (Abb. 36) Der Stich geht zurück auf den berühmten Holzschnitt eines Unbekannten, der innerhalb des – fälschlicherweise Amerigo Vespucci zugeschriebenen – Textes „Von der neuen Welt“ Frankfurt/Main 1991; Sabine Schülting, 1997; Louis Montrose, 1991, insbesondere S. 20–24; Viktoria Schmidt-Linsenhoff, Amerigo erfindet America, in: Heide Wunder & Gisela Engel (Hg.), 1998, S. 372–394. Zur immer wiederkehrenden Reproduktion des Stiches in den postcolonial studies s. Maike Christadler, Giovanni Stradanos America-Allegorie als Ikone der Postcolonial Studies, in: Kunst und Politik 3 (2001), S. 17–33.

Enthaltsamkeit und männliche Stärke   |

135

Abb. 35 Werkstatt de Bry, Ankunft Amerigo Vespuccis in Amerika (1618)

1509 in Straßburg publiziert wurde.409 Gezeigt wird ein portugiesischer „Jüngling“, der von nackten Frauen umringt wird und es entzückt genießt, von ihnen umworben zu werden. Weibliche Unmoral wird dabei durch einen Griff einer der Frauen zwischen seine Beine recht emphatisch pointiert. In seiner Erregung bemerkt der junge Mann nicht die hässliche Alte, die sich hinter seinem Rücken anschleicht und ihn mit einem „Prügel“ erschlägt. Woraufhin die Frauen ihn auf einen Berg schleppen, ihn ausziehen, „schlachten, braten und fressen“. Die Illustration greift deutlich die Ikonografie einheimischer Hexen und Furien auf. 410 In 409 Vgl. zu diesem Stich, dem dazugehörenden Text und der entscheidenden Rolle beider für die Prägung der europäischen Vorstellungen über die „Neue Welt“ u.a. Schülting, 1997, insbesondere S. 91 ff., und Schmidt-Linsenhoff, 1998, S. 381. 410 Der Kupferstich erinnert an Darstellungen von Hexenversammlungen und Hexensabbat; zudem wurden nackte Frauen in der Frühen Neuzeit generell schnell mit Hexen assoziiert: Die „Präsenz von Hexenanteilen in Aktdarstellungen, die sich für den Betrachter ergeben, dem Baldungs Hexendarstellungen bekannt sind, läßt sich bereits für Baldung selbst und zeitgenössische Künstler feststellen. Diese Wendung führt zum Beginn einer

136 |  Körperwissen

Abb. 36 Werkstatt de Bry, Ein portugiesischer Jüngling gerät in einen Hinterhalt (1618)

der Subscriptio wird die Szene zudem irreführend nach Ostindien verlagert, sie wird ihrer geografischen Verortung enthoben und kombiniert damit universal gültige aggressive weibliche Sexualität und Kannibalismus. Die de Brys lassen keinen Zweifel daran, dass die Niederländer die Fehler der Portugiesen nicht wiederholen werden, dass sie den Verführungsmächten und sexuellen Verlockungen der Frauen zu widerstehen wissen. Ersichtlich wird dies auch noch einmal im neunten Stich des achten Bandes der Petits Voyages, der die Gastfreundschaft des Prinzen von Atschin zeigt, der „nichts denn Weiber um sich her hat, die ihm dieneten“. (Abb. 37) Die Niederländer nähern sich dem „Palast“, indem sie die Augen mit den Händen verdecken. Obwohl diese Art der Begrüßung dem Landesbrauch entspricht, wie die Subscriptio erklärt, erlaubt der Kupferstich auch die folgende Interpretation: Das Verschließen der Rezeptionsgeschichte, in der die Interpretation des nackten Frauenkörpers immer wieder mit dem Begriff der Hexe verbunden wird.“ Schade, 1983, S. 124.

Enthaltsamkeit und männliche Stärke   |

137

Augen lässt sich als symbolisierte Absichtserklärung lesen, als der Entschluss der Niederländer, sich nicht auf die Reize der nackten, dienenden Frauen einzulassen.411 Ihre Willensstärke und Enthaltsamkeit beweisen sie, indem sie diszipliniert und beherrscht sitzen bleiben, während die Frauen das ihnen zugedachte Essen in gebührendem Abstand vor ihnen auf den Boden stellen. Sie genießen die nackten Frauen mit den Augen, aber sie werden sie nicht berühren.412 Die hier vorgestellten Illustrationen inszenieren männliche Enthaltsamkeit und erzählen weniger von der Macht und den Gefahren weiblicher Verführungskraft als von der im Verzicht liegenden Rettung.413 Die in den Sexualität thematisierenden Textstellen weitgehend unerwähnten niederländischen Männer, deren Stärke durch ihre Abwesenheit und ihre dadurch suggerierte sexuelle Inaktivität eher unterschwellig bekundet wird, werden in den Kupferstichen als dominante Akteure, die sich und ihre Triebe im Griff haben und so die Szenerien beherrschen, sichtbar gemacht. Abb. 37 Werkstatt de Bry, Gastfreundschaft des „Prinzen“ von Achin (1606)

411 Das Auge spielt bei dem Prozess zur Selbstkontrolle eine wesentliche Rolle, vgl. Thomas Kleinspehn, Der flüchtige Blick. Sehen und Identität in der Kultur der Neuzeit, Reinbek bei Hamburg 1989. Vor allem zahlreiche protestantische Texte des 16. Jahrhunderts beschäftigen sich mit Mäßigung, Affektkontrolle und Selbstbeherrschung, vgl. ebd. Auch Daniela Hammer-Tugendhat sieht die „Disziplinierung der Sinne mit dem Ziel der Triebsublimierung“ und der Affektkontrolle als zentrales Thema des 16. Jahrhunderts, s. Daniela Hammer-Tugendhat, 1994, S. 380. 412 Vgl. zur Entstehung und Entwicklung des voyeuristischen Blicks und der erotischen Aktmalerei Hammer-Tugendhat, 1994, und Sigrid Schade & Silke Wenk, Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdifferenz, in: Hadumod Bußmann & Renate Hof (Hg.), Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 1995, S. 340–407. 413 Vgl. dazu auch den Aufsatz von Schmidt-Linsenhoff, 1998.

138 |  Körperwissen

3.5 Weibliche Stärke und männliche Schwäche Doch in den de Bry’schen Stichen lassen sich auch unterschwellige Verweise, Bezugnahmen und Anspielungen auf Geschlechterfragen und -ordnungen, deren Funktionen und Konstruktionen erkennen, die die Brüchigkeit in der Inszenierung von Männlichkeit aufzeigen und die Aufschluss geben über die Instabilität und Fragilität der männlichen Herrschaft und Selbstherrschaft um 1600.414 Bereits der erste Stich, der Frauen in Aktion zeigt415 (er ist zugleich der letzte des ersten Teils), imaginiert die symbolische Gefahr, die von (fremden) Frauen ausgeht: (Abb. 38) Eine große Gruppe nackter, langhaariger „Weiber“ stürmt, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, auf eine kleinere Gruppe einheimischer Männer zu und drängt diese aus dem Bild. Einer der Männer ist bereits zu Boden gegangen, während die Frauen unverletzt bleiben. In der Bildmitte schaben zwei Frauen einer dritten die linke Brust ab, „damit sie sie am schießen nicht hindert“. Das Ergebnis sieht man am rechten Bildrand: Eine schlanke, nackte Frau mit nur einer Brust, wiederum bewaffnet mit Pfeil und Bogen, präsentiert sich frontal dem Bildbetrachter. Das Fehlen der Brust offenbart die Differenz zwischen Abb. 38 Werkstatt de Bry, Amazonen (1597) den eigenen und den fremden Frauen und erlaubt die selten so deutliche, unverhüllte Zurschaustellung ihrer Nacktheit. Die Subscriptio erläutert, dass die abgebildeten Frauen dem Kaiser Monomotapas unterstehen und zu 414 S. Schmidt-Linsenhoff, 1998. 415 Der erste Stich dieses Bandes, auf dem Frauen abgebildet sind, zeigt drei Frauen in unterschiedlichen „Trachten“. Die linke wird als die „vornehmste“ bezeichnet, sie ist am aufwendigsten gekleidet; die rechte wird den „Leibeigenen“ oder „Niedrigen“ zugerechnet, sie trägt keine Schuhe und ihr Oberkörper ist entblößt. Die de Brys schaffen mit dieser für sie typischen Aufstellung eine imaginäre soziale Hierarchie der besuchten Gesellschaft. Bei der Beurteilung fremder Gesellschaften galt der Blick der Europäer häufig zunächst dem äußeren Erscheinungsbild, ihre Faszination für Bekleidung liegt vermutlich daran, dass man in Europa die gesellschaftliche Stellung einer Person am äußeren Erscheinungsbild ablas. Kleidung fungierte als Medium der sozialen Abgrenzung. Vgl. Dinges, 1993.

Weibliche Stärke und männliche Schwäche   |

139

seinen besten Legionen gehören, sie leben in ihren eigenen Gebieten und gesellen sich nur zu bestimmten Zeiten zu den Männern, ,,welche sie nach Gefallen aussuchen“, um mit ihnen Kinder zu zeugen. Die Töchter aus diesen Verbindungen behalten sie, die Söhne schicken sie zurück.416 Der Stich kann nur als Teil eines Ensembles und im Kontext der in diesem ersten Band der Petits Voyages erzählten und dargestellten portugiesischen Missionierungsgeschichte im Kongo interpretiert und eingeordnet werden.417 Die in der narratio präsentierte Erfolgsgeschichte der Portugiesen wird bereits in den ersten Kupferstichen und einzelnen Textteilen der Subscriptio gebrochen.418 Nachdem die Kongolesen zum christlichen Glauben übergetreten waren, zeigt der erste Stich sie und die Portugiesen bei Anbetung und Verehrung der Heiligen Dreifaltigkeit – dargestellt wird damit die Ablösung einer polytheistischen Religion durch eine andere polytheistische Religion.419 Auch die Subscriptio zum zweiten Stich legt die Annahme nahe, dass nach Auffassung der de Brys mit der Konvertierung zum katholischen Glauben nur ein heidnischer Glaube durch den anderen ersetzt wurde. Sie verweisen auf den vorgenommenen Bildertausch: Die Götzenbilder der Heiden wurden verbrannt, aber die Portugiesen bringen bereits neue „Kirchen- und Messgewänder, Kruzifixe und Bilder“ nach Afrika. Auch diese von den Portugiesen angeordnete Zerstörung ihrer Gottheiten (zu sehen im elften Stich) wird von den de Brys konterkariert. Der elfte Stich zeigt bei genauerem Hinsehen die Wirkungslosigkeit der portugiesischen Bemühungen: Während im Vordergrund die heidnischen Götzenbilder verbrannt werden, beten die Kongolesen im Hintergrund weiter ihre „Abgötter“, ihre „Teufels-, Drachen-, Schlangen- und andere Bilder“ an. Auch im Text der narratio gerät die Zivilisierung der Kongolesen ins Stocken, sie droht vor allem an der zügellosen Sexualität der Afrikaner zu scheitern: „Es begab sich daß aus mangel der Bischoff / in den Herzen deß Königs / der Herren und deß gemeinen Pöbels / der Christliche Glaub sehr erkaltet / vnnd sich die Fleischliche Lüste sehr liessen vberwinden / sonderlich aber der König beneben andern Jünglingen die mit ihm erzogen / eins alters waren / vn täglich mit jhm conversierten / fürnemblich von einem der jhm verwandt […] war: Dieser dieweil er allenthalben fornen dran war / von wegen seines hohen Standts / hat sich in diesem Fall von der Christlichen Lehr vnd Underrichtung entschlagen / vnd offentlich verlauten lassen / daß es ein eytel vnd vergeblich Ding were / daß einer sich zu einem Weib allein hielte / were derhalben besser / man liesse den alten Brauch 420

wider auffkommen.“

416 Seit dem Mittelalter wurde in Reiseberichten auf den Amazonenmythos zurückgegriffen, wurden in Afrika und Asien kriegerische Frauenvölker mit amputierten Brüsten vermutet. Zum Amazonenmythos vgl. Schülting, 1997. Zu Amazonenbildern in der mittelalterlichen Literatur vgl. Helmut Brackert, Androgyne Idealität. Zum Amazonenbild in Rudolfs von Ems ‚Alexander‘, in: Ludger Grenzmann (Hg.), Philologie als Kulturwissenschaft. Studien zur Literatur und Geschichte des Mittelalters. Festschrift für Karl Stackmann zum 65. Geburtstag, Göttingen 1987, S. 164–178. 417 Vgl. dazu auch das Kapitel 5. 418 Vgl. dazu auch van den Boogaart, 2004, bes. S. 99 ff. 419 Ich folge hier der Argumentation van den Boogaarts, 2003; s. außerdem ders., 2004, S. 103. 420 Petits Voyages, Bd. I, S. 153.

140 |  Körperwissen

Die Kongolesen werden außerdem von ihren „wilden“ Nachbarn bedroht, deren Angriffe archaische Zustände hervorrufen: „Es war alle ding so theuwr / […] / das der Vatter vor grossem Hunger den Sohn / vnd ein Bruder den andern gezwungen war zuverkauffen / vnd ein jeder mit allerley Sünde / Schande vnd Laster sich muste sehe zuernehren“ (I, 54). Doch während sich die Kongolesen im Text wieder auf die christlichen Werte besinnen, zum wahren Glauben zurückfinden und Buße tun (I, 55), liefern die angehängten Kupferstiche eine solch positive Auflösung nicht. Im Gegenteil, die de Brys beenden den vermeintlichen Triumph der portugiesischen Missionierung mit dem Entwurf sexueller und kultureller Gegenwelten. Die in den letzten drei Kupferstichen dargestellten Völker verletzen die Basisregeln zivilen Lebens: Es sind Menschenfresser, die – Gipfel des Barbarentums – nicht nur ihre Feinde, sondern auch Freunde und Familienmitglieder töten und essen, ja sich sogar selbst umbringen, um in den zweifelhaften Genuss zu kommen, verspeist zu werden,421 Menschen, die keine Ordnung und „Policey“ kennen und wie die Tiere hausen,422 und eben die Frauen, die Heirat und männliche Autorität missachten und die wie Männer agieren. Die „Wilden“ und die Frauen lauern so als ständige Bedrohung sowohl der kulturellen Hegemonie als auch der Geschlechtsidentität der (christlichen) Männer an den Rändern der zivilisierten, der eigenen, Welt.423 Das kann einerseits als Kritik an den Missionierungsbestrebungen der Portugiesen gelesen werden, funktioniert andererseits aber auch als generelle Kritik an den europäischen Zivilisationsbemühungen, deren Instabilität damit beleuchtet wird, was die Frage nach der Vergeblichkeit dieser Bemühungen aufwirft. Im zehnten Stich des dritten Bandes der Petits Voyages wird die Gefährdung der eigenen zivilisatorischen Ordnung sehr konkret. Dieser visualisiert – wie im vorherigen Kapitel bereits ausgeführt – eine kurze Anekdote des zweiten Teils dieses dritten Berichts, der auf den

421 „Über dem Königreich Loango wohnen die Völcker Anziques gennenet / deren Historia hernach soll gesetzt werden / so selzam und schier Unglaublich / von wegen jhres unmenschlichen vdn greuwlichen Gebrauchs / den sie haben / einander zutreffen / also daß auch der nächsten Freunden nicht verschonet wirdt. […] Und das noch selzamer vnd wunderlicher zu erzehle ist / find man etliche die ihres Lebens müd / oder sonst für Männlich und herzhaftig wollen gehalten seyn / dieweil sie vermeinen / das es ein rühmliche That sey / wenn einer seins Leben nicht acht / geben sie sich also freywillig dem Meziger vnder die Hand / sonderlich der Herrn Underthanen / die sich bisweilen jhnen grosse Dienst hiermit zu erzeigen / zur Schlachtbank vnd Fresserei selbst auffopfferen: wie sie denn auch jhre Leibeigne mesten / vnd die feisten nach einander schlachten vnd fressen. Es seind zwar andere barbarische Nationen mehr / die Menschenfleisch zur Speise wenden / als in Orientalischen Indien / Brasilien und anderen Orten / aber dasselbige thun sie an jhren Feinden / an Freundten aber Verwandten vnd Lehensleuten / ist kein Exempel als vey diesen Anziqueren allein“ (Petits Voyages, Bd. I, S. 13 f.). 422 Interessant ist, dass diese an den Rändern Kongos lebenden Völker mit den physiognomischen Stereotypen ausgestattet werden, die gemeinhin im Verlauf des 16. Jahrhunderts mit Schwarzafrika assoziiert wurden, während die „zivilisierten“ Kongolesen in ihrer Physiognomie – ohne „negroide“ Merkmale – eher an altgriechische Statuen erinnern. Die de Brys nutzten offensichtlich die Physiognomie als Unterscheidungsmarker, um die „zivilisierte“ Welt von der „unzivilisierten“ abzugrenzen. Vgl. dazu auch van den Boogaart, 2004, S. 106. 423 Dass die de Brys mit der Aufnahme dieser Bilder in ihre Reisesammlung die Bedrohung auch von den Rändern der zivilisierten Welt ins Zentrum des Bewusstseins zu holen vermochten und welche Macht diesen Bildern damit offenbar zugesprochen wurde, vermag das Kapitel 6 zu zeigen, s. insbesondere S. 225f.

Weibliche Stärke und männliche Schwäche   |

141

niederländischen Seefahrer Willem Lodewycksz zurückgeht.424 Die Anekdote erzählt von den Versuchen dreier Niederländer, mit den Indigenen auf der Insel Mauritius Kontakt aufzunehmen und von ihnen „erfrischende ding“ (III , 93) für die auf den Schiffen wartende Besatzung zu erhandeln. Schon die Überfahrt zu der Insel mit einem von den Indigenen geliehenen Boot gerät für die drei Reisenden zum kläglichen Versuch, sich den Begebenheiten vor Ort anzupassen und auf das fremde Land einzulassen: Sie kentern – denn sie sind „unerfahren / vnd nicht gewohnet mit solchen kleinen Nachen zu fahren“ (III , 92) – und kommen „schwimmendt aus dem Wasser“ (ebd.). Nach einem zunächst spielerisch anmutenden ersten Kontakt, der die Abhängigkeit der Niederländer deutlich macht – sie sind sowohl auf die Ortskenntnisse der Indigenen als auch auf deren Fischereikünste angewiesen –, schlägt die Stimmung plötzlich um. Die Niederländer werden ob der wiederholten Beratung der Anderen misstrauisch und beschließen, die Einheimischen zu überwältigen. Doch der Überraschungsangriff schlägt fehl, sie werden mit Steinen beworfen, ihrer Abb. 39 Werkstatt de Bry, Was den Niederländern auf Kleidung und ihrer „Wehren“ beraubt und Madagaskar geschah (1598) fliehen „sehr müd / verbrannt vnd krafftlos“ (III, 93) zurück zu den wartenden Schiffen. Der dazugehörige Stich zeigt alle Stationen des niederländischen Martyriums: das orientierungslose Umherirren, das Schwimmen im Fluss, die ihre Netze trocknenden einheimischen Fischer und schließlich den Verlust der Kleidung und die Flucht. (Abb. 39) Die Subscriptio stellt die spezifische Wildheit der Indigenen heraus, indem sie betont, dass diese „weder Religion noch Policeyordnung“ haben, „nur allein das, was ihnen die Natur offenbaret“. Andererseits jedoch wird ihre Geschicklichkeit im Umgang mit Pfeil und Bogen und die Gleichwertigkeit, die ihren Waffen im Vergleich mit denen der Niederländer zukommt, akzentuiert: Denn sie können mit ihnen „so hurtig und sicher schießen, dass sie sechsmal nacheinander auf einen Taler treffen können so kräftig, dass alles, was mit 424 Der Stich geht nicht auf das niederländische Original zurück, sondern wurde von den de Brys extra für den dritten Band angefertigt. Zum Bericht Lodewycksz’ siehe auch das Kapitel 2.

142 |  Körperwissen

Büchsen mag durchschossen werden, auch vor diesen Pfeilen nicht bestehen kann“. Der den Konflikt auslösende Vorstoß der Niederländer bleibt in der Subscriptio unerwähnt, vielmehr wird die Hinterlist der Einheimischen hervorgehoben, die die arglosen Besucher grundlos und mit solchem „Ungestüm“ angreifen, „dass sie sich letztlich ergeben müssen“. Zusätzlich versucht die Subscriptio mit dem Verweis auf das Fehlen jeglicher Ordnung die Inferiorität der Anderen herauszustreichen. Doch narratio und pictura demonstrieren die Hilflosigkeit der Niederländer, ihre Verwundbarkeit lässt den Superioritätsdiskurs bröckeln, der Wildheit der Anderen haben sie nichts entgegenzusetzen, die erste Annäherung der Kulturen gerät zum Desaster und zur Bedrohung der europäischen Identitäts- und Zivilisationsvorstellungen. Sie werden nackt – also fremd – gemacht, anschließend bleibt ihnen nur die unwürdige Flucht; verzweifelt versuchen sie dabei, ihre Scham zu bedecken, sich einen Teil ihrer Zivilisation zu bewahren. Die Einheimischen sind den Niederländern dabei aus zweierlei Gründen überlegen: Sie erscheinen einerseits als die körperlich Stärkeren, denen es gelingt, die Fremden aus ihrem Gebiet zu vertreiben. Doch sie setzen dabei nicht ihre Pfeile – die den niederländischen „Wehren“ gleichwertigen Waffen – ein und töten die Eindringlinge, sondern sie greifen zu einfachen Steinen und berauben die Niederländer ihrer Kleidung. Damit haben die Indigenen die Besucher durchschaut, haben ihre Werte, ihre Wertvorstellungen erkannt, dieses Wissen eingesetzt und ihnen ihre Würde genommen. Sie haben sie getroffen, wo sie am verletzlichsten sind, ohne ihnen körperlichen Schaden zuzufügen. Betrachtet man die flüchtenden Niederländer, ihre nach vorn gestreckten linken Arme, die rechten Hände, die die Scham verzweifelt zu bedecken versuchen, dann eröffnet sich dem Betrachter eine weitere semantische Struktur. Hier wird nicht nur eine konkrete Geschichte erzählt, sondern auch an die Ikonografie der christlichen Heilsgeschichte angeknüpft. Der Stich imaginiert (auch) die Vertreibung aus dem Paradies, den darauf folgenden Verlust der Unschuld, das Erkennen der eigenen Nacktheit sowie die Konsequenz der Vertreibung, die Notwendigkeit lebenslanger Arbeit. Diese wird verkörpert durch die von den de Brys zusätzlich an den linken vorderen Bildrand platzierte spinnende (einheimische) Frau. Als Einzige bekleidet, mit der Spindel in der Hand, zwei spielende Kinder neben sich, symbolisiert sie Häuslichkeit und Mütterlichkeit und bildet damit auch den Gegenpart zum kriegerischen Geschehen am rechten Bildrand. Insofern wird nicht nur an die Ursünde gemahnt, sondern auch eine positive Entwicklung der Menschheitsgeschichte imaginiert; die sorgende Mutter steht am Anfang aller Zivilisation.425 Die Christen erzählen damit jedoch nicht nur ihre eigene Geschichte (Vertreibung, Verlust, Arbeit, Zivilisation), sondern beziehen auch die Fremden in diese Geschichte mit ein und gestehen ihnen zumindest die Option der Partizipation an zivilisatorischer Entwicklung zu. Dabei erscheint es auch möglich, dass der Stich auf unterschiedlichen Zeitebenen spielt und mit der Abbildung der spinnenden einheimischen Frau suggeriert wird, dass der Zusammenstoß der Männer nicht geschehen wäre, wären die „Wilden“ bereits zivilisiert. Damit gibt er den Blick frei in eine gar nicht mehr ferne, friedlichere Zukunft. 425 Vgl. dazu auch das Kapitel 6.

Weibliche Stärke und männliche Schwäche   |

143

Abb. 40 (1598)

Seit der Antike wird durch das Spinnen jedoch auch die unkontrollierbare Macht der Frauen symbolisiert; in der Bildkunst des 16. Jahrhunderts wird der Spinnrocken daher häufig als negativ besetztes Zeichen der weiblichen Herrschaft über den Mann eingesetzt.426 Und so taugt auch die hier dargestellte Frauenfigur mit ihren männlichen Gesichtszügen nicht uneingeschränkt zur positiven Identifikationsfigur und Verkörperung mütterlicher Tugenden. Gemäß dem konkreten Bezug wird sie – ebenso wie die madagassischen Frauen im zwölften Stich – mit kurzen Haaren dargestellt, doch ein genauerer Vergleich der Figuren offenbart Differenzen. Die Frau mit der Spindel erscheint mit ihren großen Füßen, den muskulösen Waden und Armen und dem maskulinen Gesicht deutlich männlicher als die Frauen im darauf folgenden Stich. Zudem ist ihr Oberkörper – im Unterschied zu denen der anderen – bedeckt und sie trägt auffällige Armreifen und ein großes Perlen- oder Juwelenhalsband. Die Frauen des folgenden Stichs sind barbusig, um ihre Unterleiber haben sie Tücher geschlungen, deren Falten in der Scham dreieckig zusamWerkstatt de Bry, Wie das Volk auf Madagaskar tanzt menlaufen und so den Eindruck vollständiger Nacktheit vermitteln (selbst ihre Bauchnabel drücken sich durch die dünnen Tücher) – sie tragen ihre „Haare kurz wie die Männer“ und lassen eine Gruppe Männer nach ihrem Takt und mit „süßem Gesang“ tanzen – „waren der Männer Spielleute“ –, „welches denn ein seltsam Treiben anzusehen war“. (Abb. 40) Hier wird sie sichtbar gemacht, die Verführungskraft der Frauen, die die Männer nach ihrer Pfeife tanzen und sie „seltsame Sprünge“ machen lassen. Die Männer werden dabei mit „bösen Pferden“ verglichen, die eine Gefahr für andere Männer darstellen. Der Stich weckt Assoziationen zu dem im 15. und 16. Jahrhundert außerordentlich beliebten Moriskentanz.427 426 Vgl. Cordula Bischoff, Die Schwäche des starken Geschlechts: Herkules und Omphale und die Liebe in bildlichen Darstellungen des 16. bis 18. Jahrhunderts, in: Martin Dinges (Hg.), Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 1998, S. 153–186. 427 Vgl. dazu Werner Röcke, Literarische Gegenwelten. Fastnachtsspiele und karnevaleske Festkultur, in: ders. & Marina Münkler (Hg.), Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Band 1:

144 |  Körperwissen

Die älteste choreografische Form, bei der zwei Reihen Tänzer (eine Gruppe der Tänzer mit schwarz bemalten Gesichtern) eine kriegerische Konfrontation in Szene setzen, ist aus dem mittelalterlichen Spanien überliefert und hat ihren historischen Ursprung in den Auseinandersetzungen mit den Mauren. Diese frühe Form, die die Erinnerung an den Kampf der Christen gegen die Heiden bewahrte, wurde im weiteren Verlauf der Geschichte modifiziert, was im 15./16. Jahrhundert zu gänzlich neuen Choreografien führte, bei welchen eine Gruppe Männer sich mit möglichst grotesken Verrenkungen um eine zentrale weibliche Figur bewegt. An die Stelle des ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs des Tanzes, die Vergegenwärtigung der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Christen und Mauren, trat nun die Figuration sexuellen Begehrens. Diese rituelle Inszenierung körperlichen Verlangens wurde auch in frühneuzeitlichen Fastnachtsspielen rezipiert, u.a. im „Morischgentanz“ des Nürnbergers Hans Folz. Dieser lässt darin verschiedene Narren auftreten: „Die in ir pulschaft sein ertruncken Und in das hiern ist hin gesuncken; Dardurch sie worden sein zu toren Darumb sie tragen esels oren, Gauchsfedern und die narren kappen. 428

Als ir sie wol all seht umb trappen.“

Auch hier wird – ebenso wie in diesem zwölften Stich des dritten Bandes der Petits Voyages – eine verkehrte Welt entworfen und als Narren gelten abermals „all jene, die in ihrer blinden Gier nach sexueller Befriedigung alle Regeln des Anstands und der Vernunft verlassen, sich höchst gewaltförmigen Wünschen ihrer ‚freulein‘ unterwerfen und auf diese Weise lächerlich machen.“429 In diesem Kontext der verkehrten Welt erscheint auch die Frau mit der Spindel noch einmal in einem anderen Licht: Als unbeteiligte, überlegene Figur beobachtet sie den Kampf der Männer aus der Distanz und wird Zeugin der unmännlichen Schwäche der Niederländer, die sie durch ihre Dominanz und ihre männlichen, harten Gesichtszüge noch deutlicher hervortreten lässt. Die Frau erscheint als das starke Geschlecht, das den „Kampf um die Hose“430 nur noch beobachtet. Auch wenn hier vielleicht nicht explizit auf den in der frühneuzeitlichen Bildkunst beliebten Herkules-und-Omphale-Mythos zurückgegriffen werden sollte, spielt dieser Stich (bewusst oder unbewusst) mit Elementen daraus, mit den in diesem Mythos verhandelten Geschlechterfragen und mit spezifischen männlichen und weiblichen Attributen. Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, München/Wien 2004, S. 420–445. 428 Hans Folz, zit. nach Röcke, 2004, S. 431. 429 Röcke, 2004, S. 431. 430 Der „Kampf um die Hose“ steht als Sinnbild für den Machtkampf zwischen den Geschlechtern und den Kulturen. Vgl. zum Kampf der Geschlechter um die relative Macht im Haus Bachorski, 1996, und ders., Das aggressive Geschlecht. Verlachte Männlichkeit in Mären aus dem 15. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Germanistik N.F. 8 (1998), S. 263–281.

Weibliche Stärke und männliche Schwäche   |

145

Wie das Kapitel zeigen konnte, werden über den Körper und den Umgang mit Körperlichkeit äußerste kulturelle Differenzen festgeschrieben, werden Fragen von Macht und Superiorität verhandelt. Die niederländischen Reisenden werden als enthaltsam und beherrscht inszeniert; sie haben sich und ihre Triebe im Griff, vermögen den Verlockungen und Versuchungen der Fremde zu widerstehen und erscheinen auf diese Weise als überlegen – sowohl gegenüber den europäischen als auch gegenüber den nichteuropäischen männlichen Konkurrenten. Den Themen weiblicher Verführungskraft und Sexualität widmen sich die Texte und Kupferstiche der Petits Voyages dabei auf je eigene Weise. Über den Unzuchtsvorwurf diffamieren die Texte sowohl die Frauen als auch die männlichen Konkurrenten, die Illustrationen hingegen marginalisieren die Frauen, machen sie unsichtbar, ihre bedrohlichen Begierden kommen nichts ins Bild. Die Kupferstiche der Petits Voyages dienen – entgegen dem ersten Eindruck – als konsequente Verstärkung der Texte: Die Texte schildern die Verlockungen und Gefahren der Fremde, die Stiche reagieren darauf und betonen die Optionen der Rettung und des Widerstands durch Verzicht und Entsagung.

146 |  Körperwissen

4 MEHR AL S EINE GRENZE Das Meer als Wissensraum Die in den Petits Voyages dokumentierten Reisen spielten sich zum überwiegenden Teil auf hoher See ab; monatelang waren die Flotten unterwegs, wochenlang sahen die Seefahrer kein Land. Das Meer spielte sowohl in ihrem Erlebnishorizont als auch in den medialen Verarbeitungen eine zentrale Rolle. Es diente dabei – wie Hannah Baader es formuliert hat – als Reservoir für Analogien und Metaphern,431 das mit zahlreichen – oft auch gegensätzlichen – Zuschreibungen gefüllt werden konnte. Diese unterschiedlichen Zuschreibungen lassen sich auf je eigene Weise in den verschiedenen Repräsentationen finden. Im Folgenden sollen unter Einbeziehung der Titelblätter, der Haupttexte, der Kupferstiche und der Karten der Petits Voyages sowie der zeitgenössischen Bilder und Literatur diese mannigfachen Konzeptionen des Meeres nachvollzogen werden. Wie Michiel van Groesen in seiner 2008 erschienenen Dissertation über die Reisesammlung der de Brys herausgearbeitet hat, zeigte sich das Frankfurter Unternehmen ausgesprochen marktorientiert; van Groesen charakterisiert sowohl Vater als auch Söhne überzeugend als geschäftstüchtige Verleger und auf die Rentabilität ihres Unternehmens bedachte Kaufmänner.432 Von besonderem Interesse für die Vermarktung literarischer Werke gelten ab der Mitte des 16. Jahrhunderts die Titelblätter, die als Blickfang für potenzielle Käufer fungierten und damit als Form vormoderner Werbung zu betrachten sind – dienten sie auf den Messen doch als Werbeplakate, die an den Verkaufsständen ausgehängt wurden und die die Neugierde der Betrachter zu wecken suchten, sie gar zu „verlocken“ versuchten, wie Wolfgang Harms es ausdrückt.433 Auch verweisen die Frontispize zunehmend auf den Inhalt des von ihnen illustrierten Buches, indem sie diesen entweder bereits symbolisch zusammenfassen oder auf ihn verweisen, indem auf ihnen Teile des Bildmaterials, einzelne Bildfiguren aus 431 S. zum Meer als Reservoir, das zu unterschiedlichen Zeiten jeweils mit Sinn belegt werden kann, Hannah Baader, Gischt. Zu einer Geschichte des Meeres, in: dies. & Gerhard Wolf (Hg.), Das Meer, der Tausch und die Grenzen der Repräsentation, Zürich & Berlin 2010, S. 15–40. 432 S. van Groesen, 2008. 433 Siehe zu den Funktionen der Titelblätter Wolfgang Harms, Zwischen Werk und Leser. Naturkundliche illustrierte Titelblätter des 16. Jahrhunderts als Ort der Vermittlung von Autor- und Lesererwartungen, in: Ludger Grenzmann & Karl Stackmann (Hg.), Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981, Stuttgart 1984, S. 427–461; vgl. außerdem Maike Christadler, 2004.

Das Meer als Wissensraum   |

147

dem Werk selbst verwendet wurden; damit stand das Titelblatt exemplarisch für das Ganze. Schon 1560 hat Enea Vico in seinem Buch Augustrarum imagines eine Art Leseanleitung für Titelblätter geschrieben; darin vergleicht er die Einfassungen der Titelblätter mit Portalen und bezeichnet sie als eine Art Tor, durch das man in das Innere des Buches eintreten könne.434 Die de Brys orientierten sich bei der Aufmachung ihrer Reisesammlung an dieser und an anderen Anleitungen und gestalteten auf der Mehrzahl ihrer Titelblätter reich ornamentierte Portalarchitekturen, die sich jeweils durch einen ähnlichen Aufbau auszeichnen und die vielfältige Assoziationsfelder aufrufen: Die Portale umrahmen große Texttafeln, auf denen die langen Titel abgedruckt sind, die den Inhalt des Bandes bereits textlich zusammenfassen. An den Seiten werden indigene Figuren platziert, die auch in den Illustrationen des Bandes abgebildet sind, Figuren, die den Betrachter aufgrund ihres fremdartigen und exotischen Aussehens auf die zu erwartenden „Wunder“ und „Merckwürdigkeiten“ vorbereiten und die seine Neugierde wecken sollen. Dieser Aufbau verweist – wie Maike Christadler in ihrem Aufsatz zu den Titelblättern der Amerikareihe herausgearbeitet hat – auf Altarretabeln, die ebenfalls ein hierarchisches Ordnungssystem von oben nach unten herstellen. Anstelle der Heiligen sind hier jedoch die Indigenen platziert, die ebenso wie ihre christlichen Modelle mit entsprechenden charakteristischen Attributen ausgestattet sind – häufig sind dies Speere und Schutzschilde.435 Anstatt des Gesprenges sind Anbetungsszenen oder exotische und „wunderbarliche“ Tiere und Pflanzen abgebildet. Der untere Teil des Portalmotivs gewährt einen Einblick in Szenen hinter der Architektur, also in das Innere des Buches; hier sind wiederholt narrative Szenen dargestellt, die charakteristische Geschehnisse aus dem Inhalt vorwegnehmen.436 Die Architekturmotive erinnern außerdem an die ephemeren Triumphbögen, die anlässlich festlicher Herrschereinzüge errichtet wurden und die häufig mit Erdteilallegorien verziert waren. „Diese – meist weiblichen – Personifikationen waren neben oder über dem Durchgang platziert und huldigten so dem vorbeiziehenden Herrscher. Aus der antiken imperialen Ikonographie entstammend, signifizieren die Erdteilallegorien auch Tributleistungen der unterworfenen Völker, was den ökonomischen 437

Aspekt der Kolonisierung thematisiert.“

Ein sehr bekanntes Buch-Beispiel, das diese Tradition ebenfalls aufnimmt, ist das Theatrum Orbis Terrarum des Abraham Ortelius. Offenbar haben sich die Verleger also an bedeutenden kartografischen Werken ihrer Zeit orientiert. Gerade vor diesem Hintergrund werden 434 Vgl. Christadler, 2004, S. 48. 435 Maike Christadler macht in ihrem Aufsatz zu den Titelblättern der Grands Voyages darauf aufmerksam, dass die Beigaben für die christlichen Heiligen auf die Art ihres Martertodes hinweisen, die Indigenen hier jedoch mit Waffen ausgestattet sind, die sie selbst benutzen, siehe Christadler, 2004, S. 51. 436 So geben die Titelblätter des zweiten und dritten Teils der Amerika-Serie Einblicke in das kannibalische Treiben der Indigenen Amerikas. 437 Christadler, 2004, S. 51.

148 |  Mehr als eine Grenze

die von den Brys dargestellten den jeweiligen Kontexten enthobenen Indigenen deutlich zu Repräsentanten ihrer „Völker“.438 Wie offenkundig die Titelblätter die wichtigsten Aussagen der nachfolgenden de Bry’schen Illustrationen zusammenfassen, zeigen bereits die Titelkupfer der ersten zwei Bände der Petits Voyages: Wie im Kapitel 3 bereits herausgearbeitet, wird im ersten Band die portugiesische Missionierungsgeschichte im Kongo erzählt und illustriert. Die in der narratio präsentierte Erfolgsgeschichte der Portugiesen439 wird in den ersten Kupferstichen und einzelnen Textteilen der Subscriptio gebrochen. Und auch der Titelkupfer lässt Zweifel am Erfolg der Missionierungsbestrebungen der katholischen Portugiesen aufkommen und kann als Kritik am portugiesischen Unternehmen gelesen werden. (Abb. 41) Die stattliche und reich ornamentierte Portalarchitektur wird links und rechts von zwei Kongolesen geschmückt. Die rechte Figur taucht innerhalb des Bandes auf Tafel IV als „vornehmste Person“ in ebenso kriegerischer Ausstattung wieder auf. Auf dem Kopf trägt sie einen stattlichen Federschmuck, um 41 Werkstatt de Bry, Titelkupfer des 1. Bandes der Petits ihren Leib sind Ketten gegürtet und an ihrem Abb. Voyages (1597) Gürtel trägt sie große Schellen. Bewaffnet ist dieser muskulöse kongolesische Krieger mit Pfeil und Bogen. Der Federschmuck und die Ketten unterstreichen den exotischen, fremdartigen und Furcht einflößenden Eindruck, Pfeil und Bogen demonstrieren die Wehrhaftigkeit des Kriegers und das ihm eigene Gefahrenpotenzial. Die linke Figur sucht man in dieser Ausstattung in den Illustrationen des Bandes vergeblich, doch es zeigt sich, dass sie einen Hybriden aus portugiesischer und kongolesischer Tracht darstellen soll. Tafel III zeigt zwei kongolesische Männer – der rechte in der Tracht der Einheimischen, der linke im portugiesischen Gewand. Auffällig ist hierbei, dass der portugiesisch gekleidete Kongolese nackter 438 Ein weiterer Kontext der de Bry’schen Frontispize sind die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ausgesprochen beliebten Kostüm- und Trachtenbücher, die sich mit nationalen, konfessionellen und ständischen Identitäten auseinandersetzten. 439 Zum Christentum im Kongo im 16. Jahrhundert vgl. John Thornton: The Origins and Early History of the Kingdom of Kongo, c. 1350–1550, in: The International Journal of African Historical Studies 34 (2001), S. 89–120.

Das Meer als Wissensraum   |

149

erscheint als der in ein traditionelles Gewand gehüllte, er trägt den Oberkörper frei und im Kontrast dazu einen runden Hut auf dem Kopf. Der Kongolese in traditioneller Tracht trägt hingegen ein „viereckiges Barettlein […], das mehr zu Zierde als zur Beschützung vor der Sonne und den Winden“ dient. Und über seinen Schultern hängt „zartes Pelzwerk von Zobeln, Mardern, Bisamkatzen, jungen Tigertieren etc.“ Auf der bloßen Haut trägt er „eine Art reinen und subtilen Gewands, aus Palmen bereitet und gewebt“, seine „Kniestiefeln, [sind] ebenfalls aus Palmentuch gemacht, nach der alten römischen Manier angetan“. Und so wirkt dieser Kongolese insgesamt wie ein stolzer antiker Krieger, bewaffnet mit einem kostbaren und kunstvollen Schwert, gekleidet in feinsten Pelz. Der Kongolese auf dem Frontispiz ist in eine ebensolche traditionelle Tracht gekleidet, allerdings trägt er außerdem einen runden portugiesischen Hut, der damit auf den Mischcharakter in der kongolesischen Kultur und den Einfluss der Portugiesen verweist. Dass dieser Einfluss jedoch nicht stark ausgeprägt ist, demonstriert die Anbetungsszene im oberen Teil der Portalarchitektur: Zwei Kongolesen beten Sonne und Mond an und verweisen damit auf die Vergeblichkeit der portugiesischen Missionierungsbestrebungen. Zwischen ihnen prangt eine Texttafel mit der Aufschrift „Regnum Congo hoc est“, die das Unternehmen der Portugiesen ironisch kommentiert. Der zweite Titelkupfer der Petits Voyages enthält gegenüber dem ersten einige Variationen; auch ihn schmückt zwar eine ornamentierte Portalarchitektur, doch ist hier die Texttafel nicht zwischen den Säulen des Portals angebracht, sondern wird von drei nackten „Wilden“ getragen. (Abb. 42) Die rechte Figur trägt große Nasen- und Ohrringe und einen Federhut auf dem Kopf, ihre Nacktheit wird durch eine Schleife um den Penis zusätzlich betont. Sie entpuppt sich als afrikanischer König, der sich – abgebildet auf Tafel XVIII des dritten Bandes – von seinen siegreichen Kriegern die abgeschnittenen Penisse der im Kampf Unterlegenen vor die Füße spucken lässt. Die gebückte, die Texttafel zentral tragende Figur findet sich auf Tafel XXXII als „König von Cochin“ wieder, die Figur links von ihr ist ein Adeliger seines Gefolges; beide werden – ebenso wie der grausame afrikanische König – trotz ihrer adeligen Herkunft nur als Träger des Titels benötigt. Auf der mittleren Geschossstufe sind zwei Personen aus Malakka abgebildet, die in der Subscriptio zu Tafel XXXIV als „ziemlich“ bekleidet und höflich charakterisiert werden. Das obere Geschoss zieren drei – eine mehrköpfige Figur anbetende – Chinesen, sie werden im Text – und auch in den folgenden Bildtafeln – als besonders zivilisiert und allen anderen außereuropäischen Kulturen überlegen dargestellt – ihre heidnischen Götzenanbetungen demonstrieren jedoch ihre Inferiorität gegenüber dem Christentum, entsprechend kann ihre Überhöhung auch als satirischer Kommentar zu ihrer Gottesferne gelesen werden.440 Offenkundig wird in diesem Titelkupfer eine ethnische Hierarchisierung geschaffen,441 die ihre Entsprechung in der Kupferstichfolge dieses zweiten Bandes hat. Mithilfe der Illustrationen zu diesem Band wird ebenfalls eine zivilisatorische Rangfolge erstellt, die sich von den „Wilden“ zu den „Zivilisierten“ aufbaut.442 440 Siehe dazu Christadler, 2004, S. 59. 441 Ich folge damit der Argumentation von Christadler, ebd. 442 Vgl. dazu auch van den Boogaart, 2003.

150 |  Mehr als eine Grenze

Abb. 42 Werkstatt de Bry, Titelkupfer des 2. Bandes der Petits Voyages (1598)

Abb. 43 Werkstatt de Bry, Titelkupfer des 3. Bandes der Petits Voyages (1599)

Dass sich auch die nachfolgenden Titelblätter nach dem Inhalt der Texte und ihrer Illustrationen richten, sich an den Hauptaussagen der von den de Brys bearbeiteten Illustrationen orientieren, dabei jedoch auch nochmals eigene Schwerpunkte zu setzen vermögen, zeigt auch das Frontispiz zum dritten Band der Petits Voyages. (Abb. 43) Links von der Portalarchitektur ist der König von Madagaskar platziert, rechts ein Bewohner der Insel Atongil – beide sind auch in den Illustrationen des Bandes auf einer Tafel abgebildet (Tafel LXIII). Im oberen Geschoss sind zwei Götzen anbetende „Samojeden“ dargestellt, die im Text zunächst als „Wilde“, aber nach intensiverem Kontakt als „sittsam“ und „ehrerbietig“ charakterisiert werden. Damit wird auf dem Titelblatt auch auf den dritten Teil dieses dritten Bandes verwiesen, der die Suche der Holländer nach der Nordostpassage beschreibt und der auf den Bericht Gerrit de Weers zurückgeht. Obwohl in diesem Band außerdem die erste Fahrt der Holländer nach Indien unter dem Kommando Cornelis de Das Meer als Wissensraum   |

151

Houtmans abgedruckt ist und der Handel vor Ort vor allem auch in den de Bry’schen Illustrationen eine herausragende Rolle spielt,443 verzichten die Kupferstecher hier auf Abbildungen asiatischer Handelswaren und auf die Zurschaustellung einzelner Vertreter indischer und südostasiatischer Ethnien. Stattdessen wird ein anderer Schwerpunkt gesetzt: Der untere Teil der Portalarchitektur gibt den Blick frei auf eine stürmische See und ein kenterndes Schiff. Dieses entpuppt sich bei näherem Hinsehen als portugiesisches Admiralsschiff, das auf Tafel II dieses Bandes erneut zu sehen ist.444 Sein Kentern ist dem Hochmut des portugiesischen Steuermannes geschuldet, der, nachdem er das Kap der Guten Hoffnung umschifft hatte, vermeinte, „aller Gefahr entkommen zu sein (und) derhalben (gebot), alle Segel aufzuspannen, ohne darauf zu achten, daß es ihm seine Gesellen widerrieten.“ Das Schiff läuft auf einem Korallenriff auf und geht „zu Trümmern“, 410 Personen sterben, nur 90 kommen mit dem Leben davon. Der Steuermann hat sich – so erzählt es auch der Haupttext in aller Ausführlichkeit und Dramatik, obwohl sich das Unglück bereits 1585 ereignet haben soll – den Ratschlägen seiner Crew, die sich auf Karten und astronomische Instrumente berief, widersetzt und ist so ins Verderben geführt worden.445 Ebenfalls im dritten Band wird auch ein spanisches Schiffsunglück, das sich in der Nähe der Azoreninsel Terceira zugetragen haben soll, detailliert beschrieben. Plötzlich – so erzählt es der Bericht – habe sich ein solcher Sturm und ein solches Unwetter erhoben, „als wenn das Meer die Insel […] wollte verschlingen“ (III, 79). Acht Tage lang habe der Sturm getobt, „dass es schrecklich war anzuhören die auff dem Land / ich geschweig wie denen seye zu Mut gewesen / die auff dem Meer waren“ (ebd.). Zahlreiche Schiffe seien gekentert, „dass man wol 20. Tag nach diesem Sturm nichts anders thete denn todte Mensche fischen / die an die Klippen vn das Meer ausgeworffen wurden“ (ebd.). In diesen Sturm war auch das englische Schiff Revenge geraten, das zuvor von den Spaniern gekapert worden war, 70 Mann – darunter auch etliche englische Gefangene – seien ertrunken. Der Bericht über den Verlauf des Unglücks stammt von einem überlebenden Engländer, der schildert, dass auch der „englische Hauptmann [von den Spaniern, D.S.] übermannt war“, „daß er mit den seinigen ganz und gar nichts auff dem Schiff hette zu gebieten“ und dass er „auff dem Meer hin und her auf Gottes Gnade“ angewiesen war – auf Gottes Gnade und auf die Gunst und die maritimen Kenntnisse der Spanier, die planten, die Insel Terceira anzusteuern, obwohl ein erfahrener Schiffsmann den spanischen Hauptmann aufgrund der vielen unter Wasser liegenden Felsen und Klippen davor zu warnen versucht hatte. Der Hauptmann aber schlug die Warnungen in den Wind, „schalt jhn einen Trunckenbolz / vnd schlug jhn mit einem Stecken / daß er thun sollte was er jm befehl“ (III, 80). Als sie sich nun der felsigen Küste Terceiras näherten, versuchte der alte Schiffsmann, zumindest seinen Sohn zu retten, und gab ihm Ratschläge, wie er sich im Falle eines Kenterns verhalten solle. Diese persönliche Komponente lässt die 443 Siehe dazu auch das Kapitel 2. 444 Siehe zum ersehnten und herbeigeschriebenen „Untergang“ des portugiesischen Konkurrenten und zur europäischen Konkurrenzsituation um 1600 ebenfalls das Kapitel 2. 445 Petits Voyages, Bd. III, S. 9 ff.

152 |  Mehr als eine Grenze

Episode noch tragischer und dramatischer erscheinen – „wem solte nun das Herz nicht bluten von solcher jämmerlichen vnd trauwrigen Geschicht vnd anblick“ (ebd.). Tatsächlich war „das Meer so ungestüm vnd wildt“, dass das Schiff kenterte und mehr als 100 Mann „ersoffen“ (ebd.) – wegen der „Unmenschlickeit vnd vnverstandt der Hispanier“ (ebd.). In Terceira munkelte man nach diesem Unglück, dass Gott die Spanier für ihre Untaten strafen wollte, dass Gott sie „ganz und gar vertilgen vnd ausrotten wolt / vnnd daß er den Ketzern vnnd Lutheranern beystündt / Auch sagten sie / nach dem sie den todten Leichnam des Richard Greenvills

446

in das Meer geworfen hetten / daß

sie gentzlich glaubten / daß weil er einen Teufflischen Glauben gehabt […] er von stund an seye gesuncken in den Abgrundt des Meers vnd der Helle / vnnd daß er da zur rechung seines Todes habe erweckt alle die Teufel / daß sie allein diese Stürm vnd vngewitter gemacht hetten wider die Hispanier / dieweil sie 447

der Catholischen Römischen Kirchen zugethan weren vnd sie beschützeten.“

Obwohl diese Schilderungen im Text sogleich als „Gotteslästerungen“ und Wahnvorstellungen gedeutet werden, fassen die de Brys diese Textstelle am Rand mit den Worten „Gott straft die Spanier / stehet den Lutheranern bey“ zusammen (ebd.). Auch die folgenden fünf Titelblätter geben in den unteren Teilen der Portale den Blick auf Meeresszenen frei. Es sind diejenigen Bände, die den Eintritt der Niederländer in die europäische Expansion direkt begleiten. Offensichtlich wird dem Meer und der Seefahrt größte Bedeutung im Kampf um die außereuropäischen Gebiete zugemessen.

4.1 Die See schreiben448 Über die Schilderungen des Untergangs der Konkurrenten, die durch Hochmut oder Gotteslästerungen zu Fall gebracht wurden, hinaus, lenken die oben vorgestellten Episoden und ihre Abbildungen den Blick auf zwei wichtige Komponenten der europäischen Expansionsgeschichte: auf die Bedeutung von Kartografie und Astronomie und auf die Gefahren, die die Überquerungen der Ozeane mit sich bringen. Schilderungen von Schiffbrüchen, Stürmen und Unwettern, von grausamen und riesenhaften Meerestieren, von Todesängsten und Gefahren durchziehen alle Texte der Petits Voyages und machen einen Großteil der narrativen Textteile aus. Gerade die unbegreifliche Tiefe wurde mit Höllenschlünden (Grenville sank – wie oben zitiert – in den Abgrund des Meeres und der Hölle) und Furcht einflößenden Gegenwelten assoziiert.

446 Zu dem englischen Seefahrer und Entdeckungsreisenden Richard Grenville (1542–1591) s. Peter Earle, The Last Fight of the Revenge, London 2004. 447 Petits Voyages, Bd. III, S. 81. 448 Die Formulierung stammt von Michel de Certeau, s. ders., Die See schreiben, in: Robert Stockhammer (Hg.), 2005, S. 127–144.

Die See schreiben   |

153

Es waren vor allem die Interpretationen der Bibel, die im christlichen Abendland die Vorstellungen vom Meer nachhaltig geprägt haben.449 Schon zu Beginn der Schöpfungsgeschichte wird eine Vision der „großen Tiefe“, voller unergründlicher Geheimnisse, heraufbeschworen, werden Bilder des Unendlichen und Finsteren entworfen: „Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.“450 In der Schöpfungsgeschichte werden nur die Geschöpfe der Erde und der Lüfte aufgezählt, die in den Tiefen der Ozeane lebenden Lebewesen können nicht benannt werden und entziehen sich folglich der menschlichen Herrschaft.451 Das Meer erscheint als Gegenentwurf zum Land und Gott schafft – darauf verweisen auch weitere Bibelstellen – eine eindeutig gezogene Grenze zwischen beiden.452 Noch deutlicher als in der Schöpfungsgeschichte wird das Bedrohliche des Wassers in der Geschichte von der Sintflut heraufbeschworen. Gott schickt seine Wassermassen, um die Menschen für ihre Sünden zu bestrafen, mithilfe des Wassers soll alles Leben auf Erden vernichtet werden. Die Wucht und die Kraft des Wassers und der Ozeane und die Hilflosigkeit der Menschen angesichts dieses unbeherrschbaren, wilden Elements werden hier zum Ausdruck gebracht: „Und die Wasser nahmen überhand und wuchsen so sehr auf Erden, daß alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden […] Da ging alles Fleisch unter, das sich auf Erden regte, an Vögeln, an Vieh, an wildem Getier und an allem, was da wimmelte auf Erden, und alle Menschen […] Und die Was453

ser wuchsen gewaltig auf Erden hundertfünfzig Tage.“

Das Regenwasser fungiert als Instrument der Strafe und die Meere der Welt werden nach christlichem Glauben in der Frühen Neuzeit als Überrest der Katastrophe betrachtet. Das Brausen und Toben des Meeres, „die tosenden Ausbrüche seines Zorns können immer aufs neue als Erinnerung an die Sündhaftigkeit der ersten Menschen verstanden werden, die in den Fluten untergehen mussten, und sein Rauschen als ewige Einladung zur Reue.“454 In den Reiseberichten der Petits Voyages ist vor allem die Angst vor den verschlingenden Tiefen der Ozeane greifbar, dabei werden Kraft und Gewalt des Wassers immer wieder als übernatürlich und unmenschlich beschrieben: Schiffe werden „von der grossen unmenschlichen macht und gewalt deß Meers“ zerschmettert und „von dem Meer verschlungen […] mit allem Volck und Reichthumb.“455 Wasser vermag den Menschen zu vernichten, mit allem, was er sich aufgebaut hat, allen materiellen und auch zivilisatorischen Errungenschaften: 449 450 451 452

Vgl. dazu auch Alain Corbin, Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste 1750–1840, Berlin 1990. 1. Mose 1,2. Siehe dazu auch Corbin, 1990, S. 14. Siehe z.B Spr 8,29–30. Vgl. dazu Angelo Cattaneo, Venedig, 1450. Ozean – Meer – Seefahrt – Welthandelsrouten – Schiffbrüche, in: Hannah Baader & Gerhard Wolf (Hg.), 2010, S. 263–292, hier: S. 290. 453 1. Mose 7,19–24. 454 Corbin, 1990, S. 15. 455 Petits Voyages, Bd. II, S. 39.

154 |  Mehr als eine Grenze

„Es hat aber das Ungewitter den 8. 9. und 10. angehalten / mit so grossem Ungestüm / von Regen und Windt / daß niemand im Schiff war / der dergleichen jemals gesehen oder erfahren hette / wiewol etliche vorhanden / die in 20. und 25. Jahr stättigs aneinander auff dem Meer gefahren hatten / denn es sehr schrecklich und grausam zu sehen war / mit was Gewalt und Ungestüm der Regen drey ganzer Tage aneinander von obenherab gefallen / der denn dem Volck so hefftig ins Gesicht / vnd vmb die Knie / da sie nackendt waren / geschlagen / daß sie anzusehen / als weren sie mit Ruhten gestrichen und zergeisselt worden: zu dem war es auch grausam und sorglich anzusehen / mit was für Wellen und Flühten das Wasser sich erhaben / welches mit dem Windt so ein grossen Schall und Geräusch gemacht / daß niemandt den andern auff dem Schiffe / wiewol sie hart beysammen gestanden / hat verstehen können / so schlugen auch die Wellen mit solcher Ungestüm zum Schiff hineyn / daß sie Tag und Nacht an den Bomben arbeyten / vnnd das Was456

ser ausziehen müssen / damit sie das Schiff vor dem Untergang und Versenckung erhalten möchten“.

Mitten im Ozean, weitab von allem Land zählt nur der Kampf des nackten, auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen gegen die Naturgewalten. Das Wüten der Wassermassen und des Regens ist dabei so grausam, ungestüm und erschreckend, dass die Kommunikation untereinander nicht mehr möglich ist und der Einzelne „Tag und Nacht“ arbeiten muss, um sich vor dem Versinken zu retten. Der unbezähmbare Ozean erscheint als Element, dessen Brausen und Brüllen zwar als unmenschlich charakterisiert wird, das in seinem Zorn und seinem Wüten jedoch fast personalisierte, teuflische Züge annimmt und das sich zusammen mit den Winden und Stürmen erhebt, um die Menschen zu geißeln, zu bestrafen und schlimmstenfalls zu vernichten. Das Meer wird dem Reich der Finsternis und der unnatürlichen Mächte zugeordnet und als eine dem Land entgegengesetzte, fremde und unergründliche Welt imaginiert. In ihren geheimnisvollen Tiefen, die also solche bezeichnet, aber nie näher beschrieben werden, leben „Meerwunder“, Ungeheuer und riesige Wale und andere Fische, die badende Schiffsleute jederzeit anzugreifen, zu zerreißen, zu verschlingen oder in den Abgrund zu ziehen vermögen.457 Das Leben auf den Schiffen erscheint so als ein ständiger Kampf gegen die Elemente und die in ihnen lebenden fremden Geschöpfe.458 Diese Unberechenbarkeiten machen die Überfahrten so riskant: „Sie [sind] mit widerwertige Wind in die 6. oder 7. Wochen lang bald ins Westen / bald gegen Osten gefahren / vnd also hin 456 Petits Voyages, Bd. VII, S. 13. 457 Haie „synd grosse lange Fische mit breyten Köpffen / vnd einer dicken schwarzen Haut / vnter dem Bauch aber ganz weißlecht / dieser Fisch ist den Leuthen sehr schädlich / dann die Botzleuthe offtmals / wann sie in dem Meer baden / von diesen Fischen ganz zerrissen vnd verschlungen werden“, Petits Voyages, Bd. IX, S. 7. 458 „Den 29. haben jhrer etliche von den Schiffen gebadet / da dann in geschwinder Eyll ein sehr grosser Hay vnder dem Schiff herfür geschossen / und einem Botzgesellen […] erhaschet / vnd jhm das ganze lincke Bein mit der halben Seyte und dem Gemächt abgerissen / ist aber gleichwohl von den andern / so mit im Wasser gewesen / dem Fisch noch lebendig auß dem Rachen gerissen / und in ein Nachen / so am Schiff gestanden gebracht worden / da er dann noch wol ein halbe Stunde gelebt / ehe er seinen Geist aufgegeben / hat aber wenig geredt / dann jhm das Gedärm […] zum Leib ausgehangen / Den Fisch haben die Holländer noch bey seinem Leben / mit einem grossen eysern Hacken / daran sie ein groß Stück Fleisch gehangen / gefangen / und als sei jhm bekommen / haben sie jhm den Schwanz und den Kopff abgehawen / und darnach den Leib auffgeschnitten / da sie dann dasjenige / so er dem Menschen abgerissen / noch alles gefunden“, Petits Voyages, Bd. IX, S. 39 f.

Die See schreiben   |

155

vnd wider getrieben worden.“459 Immer wieder sind die Schiffsleute zur Untätigkeit verurteilt, müssen darauf hoffen, dass sich das Wetter beruhigt, dass ihnen besserer Wind beschert wird und sie wieder in die richtige Richtung getrieben werden. Die großen, stolzen Schiffe erscheinen so nur noch als auf dem Meer treibende Nussschalen, dem Spiel der Elemente hilflos ausgeliefert. Trotz der großen Fortschritte der Kartografie und Astronomie im Verlauf des 16. Jahrhunderts460 werden Steuermänner und Besatzungen immer wieder von Stürmen überrascht, erweisen sich ihre Berechnungen als falsch oder zumindest unzureichend: „Das muß nun wol ein gewaltiger starcker Wind gewesen seyn / der sie so weit vber jhre Rechnung vnd Vermuhtung getrieben hatte.“461 Die Besatzungsmitglieder werden ob dieser widrigen Bedingungen auf den Ozeanen als unerschrockene und tollkühne Helden inszeniert, die Gefahren überstehen müssen, denen kaum ein Mensch zuvor je ausgesetzt gewesen war.462 Damit reihen sich die Berichte in eine lange literarische Tradition ein: Als klassisches Narrativ haben die Irrfahrten des Odysseus die Literatur des Abendlandes seit der Antike geprägt und das Schicksal der Schiffbrüchigen literarisch bearbeitet und überhöht. Die Reisenden, die dem Leser in den Petits Voyages begegnen, können leicht mit dem antiken Helden und seinen Abenteuern assoziiert werden – ebenso wie dieser haben sie sich todesmutig in die reißenden und vielerlei Gefahren bergenden Fluten gestürzt, ebenso wie er vermögen sie den Kräften der Natur zu trotzen. Doch stoßen sie auf ihren Fahrten wiederholt an die Grenzen ihrer Fähigkeiten. Der hohe Wellengang, Regen, Sturm und Gewitter, dazu nicht selten Hunger, Durst, lebensgefährliche Krankheiten und der ungewisse Ausgang der Reisen zerren an den Nerven der Seefahrer und lassen sie wiederholt am Sinn ihrer Unternehmungen zweifeln. Dazu erweisen sich die Berechnungen der Astronomen und Kartografen häufig als falsch, immer wieder muss neu auf bisher Unvorhergesehenes reagiert werden. Die „Macht der Meerwellen“ ist oftmals so stark, dass selbst die Schiffe der Niederländer – der Stolz der noch jungen Republik463 – ihnen nicht zu trotzen vermögen. Damit stoßen die Seefahrer auch schnell an die Grenzen ihrer technischen Möglichkeiten: „[…] dieweil wir die gewalt der Meerwellen vnnd das immerwährende Ungewitter nicht kondten erdulden […] Denn wir befunden uns nicht starck genug daß wir können pagriren / vnd ohne auffgezogene Segel schweben / wie denn die Schiff gemeinlich im brauch haben / vnnd auch zum offtermal ursach jhres Undergangs ist / wie man wohl erachten kann / von wegen der grossen macht der der Meerwellen die sich

Petits Voyages, Bd. VIII, S. 2. S. dazu weiter unten S. 169 ff. dieser Arbeit. Petits Voyages, Bd. VIII, S. 2. „Wann nit Gott der Allmächtige sie sonderlich an diesen Ort gebracht hätte / sie in einen erbärmlichen Zustand würde gerahten seyn / als hiebevor jemahls einiges Volck auff dem Meer erfahren.“ Petits Voyages, Bd. VIII, S. 2. 463 Siehe z.B. die Gedichte des berühmten niederländischen Dichters und Dramatikers Joost van den Vondel (1587– 1679); s. vor allem Hymnus ofte Lofgesangh over de wijdberoemde scheepvaert der Vereenigde Nederlanden (1613) und Het lof der zeevaert (1623).

459 460 461 462

156 |  Mehr als eine Grenze

da auffwurffen / daß es scheinet unmüglich zu seyn / daß ein Schiff könne erdulden einen solchen Gewalt / 464

were es schon ganz Eyseren / müsste es doch brechen.“

Es wird einerseits auf die Leistungsfähigkeit der eigenen Ausrüstung verwiesen, andererseits wird so die Macht der Natur explizit akzentuiert: Trotz der Stärke ihrer Schiffe gerieten die Seefahrer in existenzielle Gefahren, zerbarsten ihre starken Galeeren in den Fluten.465 Dabei wird immer wieder deutlich gemacht, dass dem Wüten der Elemente auch das stärkste Schiff nicht standhalten würde. Die Berichte sind von zahlreichen dramatischen und detailreichen Szenen durchzogen, die den Kampf gegen diese Elemente plastisch erfahrbar machen und den Leser in ihren Bann zu ziehen vermögen; so heißt es z.B. in Band III der Petits Voyages auf Seite 43 weiter: „dann wiewol wir Nordwindt abliessen / hatten wir gefahr genug auszustehen / denn die Wellen kamen von hinden auff das Schiff vnd bedeckten die ganz vberdeck / vnd wir mussten unsere Mastbäum / Hauptseil / und das ganze Schiff mit grossen starcken Seilen zusammen ziehen vnnd gürten / damit es dem großen Gewalt nicht sollte noch kündte weichen vnnd nachgeben / wir mussten Nacht und Tag pumpen […] Es stunden 10. oder 12. Männer an dem Ruder und die Schiffknecht auf dem vberlauff den grossen Segel zu regieren / Wenn die Wellen kamen und das Schiff bedeckten / so rieff der Understeuermann dem Steuermann zu / und der Steuermann denen am Ruder / und befohle die Seile der Fockrollen auff diese oder jene seiten zu ziehen / deßgleichen die Bootsgesellen […] / denn hetten uns die Wellen eynmal auf eine Seite und vberzwerch uberkommen / so were es mit uns gewesen. […] dadurch wir alle sehr mat elendt unnd ärmlich waren / und den mut fast gar verloren geben hatten. Denn wir stets auf unserer Hut mussten stehen / vnd Handt anschlagen / niemands ausgenommen / daß wir nicht Zeit hatten zu schlaffen / zu 466

ruhen oder zu essen. […] Aber Gott verhütet es / daß kein anderern Schad geschahe.“

Die Schilderungen der Gefahren auf den Weltmeeren erweisen sich als die wenigen narrativen Szenen in den Reiseberichten der Petits Voyages, in denen Gefühle, Todesängste und Zweifel deutlich und explizit und für den Leser nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht werden. Hier wird der Kampf Mensch gegen Natur so drastisch geschildert, dass dem Leser die Nichtigkeit und Geringfügigkeit der menschlichen Existenz angesichts der Naturgewalten stets vor Augen geführt wird. Die Wellen der Ozeane erscheinen als die größte und fundamentalste Gefahr, die dem Überseeabenteuer der Reisenden entgegensteht und es zu verhindern vermag. Errettung aus diesen Gefahren und vor den Unberechenbarkeiten der Natur bietet nur Gott. Nur mit Gottes Hilfe sind Stürme und Unwetter zu überstehen, nur er vermag den tosenden Wind zu beruhigen, das Meer zu glätten und die Seefahrer vor weiteren Unwettern zu bewahren: 464 Petits Voyages, Bd. III, S. 43. 465 „Das Meer aber war so hoch mit Wellen erhaben / daß jr forderster kleiner Mastbaum vnter das Wasser kam / also daß man jhn nicht sehen kunde / welches dann zwar ein vnglaublich Ding seyn scheinet / jhre starcke Galee ward durch die Fluten des Meers zerschmissen.“ Petits Voyages, Bd. VIII, S. 23. 466 Petits Voyages, Bd. III, S. 43 f.

Die See schreiben   |

157

„Als sie aber auff die Höhe von 17. Graden kommen waren / erhub sich ein so gewaltig Ungewitter / daß sie es für ein sonderliche Gnade von Gott zuachte / daß sie nit alle darauff giengen / sintemal keiner in 467

den Schiffen war / dergleichen jemals gesehen hatte.“

In den Berichten der Reisesammlung finden sich unzählige dieser Textstellen, in denen immer wieder auf Gottes Hilfe und Beistand in den höchsten Gefahren verwiesen wird. Auch diese Textstellen finden ihre Entsprechung in der Bibel; so heißt es z.B. in Psalm 107: „Die mit Schiffen auf den Meeren fuhren und trieben ihren Handel auf großen Wassern, die des Herrn Werke erfahren haben und seine Wunder auf dem Meer, wenn er sprach und einen Sturmwind erregte, der die Wellen erhob, und sie gen Himmel fuhren und in den Abgrund sanken, dass ihre Seele vor Angst verzagte, dass sie taumelten und wankten wie ein Trunkener und wussten keinen Rat mehr. Die dann zum Herrn schrien in ihrer Not, und er führte sie aus ihren Ängsten und stillte das Ungewitter, dass die Wellen sich legten. Und dass sie froh wurden, dass es still geworden war und er sie zum gewünschten Land 468

brachte […].“

Auf dem Meer erfahren die Menschen die Wunder des Herrn, seine Macht und seinen Zorn – aber auch seine Güte. Gott kann mit einem Wink, einem Wort Stürme sich erheben lassen und kann sie auch ebenso schnell wieder beruhigen. Gott steht den frommen und gottesfürchtigen Seefahrern bei, die ihn anrufen und ihr Schicksal in seine Hände legen – sie führt er zum gewünschten Land, zum Ziel ihrer Reise. Damit sind nur diejenigen Seefahrer erfolgreich, die von Gott auserwählt wurden und die sich seiner Unterstützung als würdig erwiesen haben. Auch in den Reiseberichten der Petits Voyages wird zum einen wiederholt darauf verwiesen, dass Gott die Reisenden aus Gefahren errettet habe und dass die Reisenden ihr Überleben nur seinem Eingreifen zu verdanken haben, zum anderen werden die Schiffbrüche der Konkurrenten detailreich beschrieben, es wird die Lasterhaftigkeit der Letzteren hervorgehoben und ihr Untergang damit mit ihrem sündhaften Leben assoziiert. Eine erfolgreiche Überquerung der Ozeane ist nur dann möglich, wenn Gott seine schützende Hand über das Unternehmen hält und die Reisenden vor dem Wüten der Elemente bewahrt. Unwetter und Stürme galten als Strafe und Prüfung Gottes,469 das erfolgreiche Bestehen dieser Prüfungen und das Überwinden von Gefahren galt als Beweis des Auserwähltseins durch Gott. In den Texten der Petits Voyages werden die Ozeane ausschließlich über die herrschenden Witterungen beschrieben und charakterisiert; erst durch das Wetter werden sie sichtbar gemacht. Damit wird das Meer nicht als Landschaft im eigentlichen Sinne repräsentiert – seine Erscheinung, seine Beschaffenheit sind nur von Belang, wenn es den Interessen der Reisenden im Wege steht, wenn es das Fortkommen behindert, gefährdet oder gar unmöglich

467 Petits Voyages, Bd. VIII, S. 5. 468 Ps 107,23–30. 469 Vgl. dazu auch Corbin, 1990.

158 |  Mehr als eine Grenze

macht. Damit erscheint das Meer eher als überdimensionales Hindernis denn als Raum.470 Vor allem aber wird es als fremdes Element präsentiert, als das gänzlich dem Land entgegensetzte Andere, „unmenschlich“, geradezu teuflisch, nicht zu greifen und nicht zu beherrschen.

Das Meer in der frühneuzeitlichen Literatur Das Meer und der Kampf mit und auf ihm spielte auch in der zeitgenössischen, vor allem aber in der niederländischen, Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle. Nach Simon Schama hatten die Niederlande des 17. Jahrhunderts „eine ausgeprägte Neigung zur Schilderung unheilvoller Ereignisse“471, und so wurden dort zahlreiche dramatische Seemannsgeschichten, in denen die Helden haarsträubende Abenteuer zu bewältigen hatten, deren Gefahren sie immer nur knapp entkommen konnten, publiziert und mit mannigfachen, häufig schaurigen Illustrationen versehen.472 Die Geschichten waren voller Meeresungeheuer, halbmenschlicher, riesenhafter Fische, in ihnen tobten Stürme, mannshohe Wellen und heftiger Regen. Im Vergleich zu vielen zeitgenössischen Reiseberichten und Erzählungen erscheinen die Berichte der Petits Voyages sogar vergleichsweise nüchtern. Ebenso wie die de Brys betonten viele niederländische Verleger die Dramatik des Meeresgeschehens zusätzlich und zeigten schon auf ihren Titelblättern Schiffskatastrophen und Meeresungeheuer. So war die Erstausgabe von Jan Huyghen van Linschotens Reisebericht mit einem Titelblatt versehen, das die Schlachten eines spanischen Generals verherrlichte, aus dem dann ein gedruckter niederländischer Held wurde.473 Zusätzlich wurden aus den Berichten einzelne Blätter mit Kupferstichen oder Holzschnitten von Schiffen in fernen Welten, vom arktischen Eis eingeschlossen oder von Stürmen gebeutelt, ausgekoppelt und als Einblattdrucke auf den Markt gebracht. Für Simon Schama, der den Niederlanden des 16. und 17. Jahrhunderts ein „tiefes Verlangen nach Unglücksgeschichten“474 attestiert, handelt es sich bei diesen Geschichten um „Neulandliteratur, vergleichbar den Wildwestgeschichten, die das Verständnis einer anderen jungen Republik für Mut, Sünde und Tugend nährten.“ Entstanden sei dieses Verlangen aus

470 Achim Landwehr hat in seiner Untersuchung zur Produktion und Konstitution politischer Räume in Venedig um 1600 darauf aufmerksam gemacht, dass Raumvorstellungen in der Frühen Neuzeit nicht flächig, sondern eher punktuell geprägt waren; in den Reiseberichten waren die Landschaften, die die Reisenden durchquerten, keiner Erwähnung wert. S. Achim Landwehr, Raumgestalter: Die Konstitution politischer Räume in Venedig um 1600, in: Jürgen Martschukat & Steffen Patzold (Hg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 161–184, hier: S. 179. 471 Simon Schama, Überfluß und schöner Schein. Zur Kultur der Niederlande im Goldenen Zeitalter, München 1988, S. 41. 472 Vgl. ebd., S. 41 ff. 473 Vgl. ebd., S. 43. 474 Ebd., S. 44.

Die See schreiben   |

159

den Erfahrungen im Kampf gegen das habsburgische Reich, genährt durch das „Bedürfnis nach bürgerlichen Helden in einer jungen Republik.“475 Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein war das Meer in Europa ein Raum der Angst. Die Sehnsucht nach Meeresbrisen, entspannte und erholsame Strandspaziergänge, das ausgelassene Spiel des Badenden mit den Wellen sind Konstruktionen des 19. Jahrhunderts. In allen europäischen Ländern lassen sich bis ins 19. Jahrhundert Sprichwörter finden, die die Menschen vor den Gefahren der Seefahrt und vor dem offenen Meer warnen. Auch in den Niederlanden hieß es: „Lieber in der Heide mit einem alten Karren als auf dem Meer mit einem neuen Schiff.“ Und in seinem Dialog vom Naufragium (Schiffbruch) lässt Erasmus einen der Beteiligten ausrufen: „O die Toren, die sich dem Meer anvertrauen!“476 „Das unbezähmbare Element zeigt die Unvollendetheit der Schöpfung. Das Meer ist ein Überbleibsel jenes undifferenzierten Urstoffes, dem, um erschaffene Natur zu werden, eine Form gegeben werden mußte. Die Herrschaft des Unvollendeten, eine flimmernde und ungewisse Fortsetzung des Chaos, symbolisiert 477

die Unordnung im Vorstadium der Zivilisation.“

Dass die Überwindung dieses Chaos durch die Befreiung der Erde von den Meeren vollzogen werden kann, bzw. durch sie symbolisiert wird, zeigt wiederum ein Zitat aus der Apokalypse des Johannes, das den Zustand der Welt nach dem Jüngsten Gericht beschreibt: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr.478

4.2 Das Meer im Bild Die Faszination, die das Meer ausübte, und die Angst, die damit verbunden war, schlugen sich auch in Grafik und Malerei nieder. Im Laufe des 16. Jahrhunderts kamen in den Niederlanden verstärkt Bilder auf, die Gewitterstürme und dramatische Schiffbrüche zeigten. Sicherlich hat es Bilder der See, von Unwettern und kenternden Schiffen schon früher gegeben,479 doch, wie Lawrence Goedde in seiner Untersuchung Tempest and Shipwreck in Dutch and Flemish Art 475 Schama, 1988, S. 44 f. Schama fährt fort: „Das überreich beladene Frachtschiff wurde zu einem Sinnbild für das Vaterland selbst, frei übernommen aus einem früheren symbolischen Repertoire. Der mittelalterliche Gemeinplatz von der Mutterkirche als Schiff, die allegorische Parabel vom Narrenschiff und die humanistische Vorstellung des Staatsschiffes wurden gebündelt zu einer vielschichtigen Metapher für die holländische Gemeinschaft, die auf dem »großen historischen Ozean« […] umhergetrieben wird.“ Ebd. 476 Die Sprichwörter und Zitate finden sich bei Jean Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 49. 477 Corbin, 1990, S. 14. 478 Offb 21,1. 479 Zu früheren Meeresdarstellungen s. Hannah Baader, 2010, und Alessandro Nova, Kirche, Nation, Individuum. Das stürmische Meer als Allegorie, Metapher und Seelenzustand, in: Hannah Baader & Gerhard Wolf (Hg.), 2010, S. 67–94.

160 |  Mehr als eine Grenze

herausgearbeitet hat, wird der Betrachter ab dem 16. Jahrhundert in neuer Weise emotional einbezogen und es kam in den Niederlanden vermehrt zu „reinen“ Meeresdarstellungen, also zu Bildern ohne einen biblischen oder historischen Deckmantel.480 Dieser „rhetorische Naturalismus“ (Goedde) in der niederländischen Malerei war durch die literarisch-theoretische Tradition der venezianischen Schule von Leonardo bis Giovanni Paolo Lomazzo beeinflusst,481 die zu einer neuen formalen und thematischen Offenheit und Dynamik der Bilder von Meer und Sturm führte. Pieter Bruegel d. Ä. war einer der ersten niederländischen Maler, die vor allem das expressive Potenzial der Sturmbilder erkannten und umzusetzen wussten: „Bruegel gave the storm a visually compelling role in his art as an imaginative vehicle for his distinctive, skeptical view of human nature, society and the world. Dramatizing the storm, he transformed earlier iconographic and metaphorical traditions to create images whose narrative and expressive power permit essentially the same kinds of emotional projection and thematic resonance that animate literary storms.“

482

In Bruegels Werken und denen seiner Nachfolger rücken die narrativen Elemente, rückt der Mensch in den Hintergrund, das sturmbewegte Meer wird zum eigenständigen Protagonisten und gewinnt damit zunehmend an Bedeutung. „Zwar ist der Mensch noch präsent, erscheint aber winzig angesichts der Unermesslichkeit der Elemente. Die Schiffe sind fast die einzigen bildinternen Zeichen, durch die sich der Betrachter mit dem durch eine 483

oftmals sehr bedrohliche Natur verursachten Schrecken noch identifizieren kann.“

Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung ist eine Federzeichnung Pieter Bruegels d. Ä. aus dem Jahr 1565, die eine Stadtansicht Antwerpens zeigt. (Abb. 44) Über zwei Drittel der Zeichnung werden von einem sturmgepeitschten Meer ausgefüllt, weit hinten am Horizont ist das nur noch schemenhaft erkennbare Antwerpen abgebildet. Mehrere größere und kleine Schiffe werden von Sturm und Regen gepeitscht; angesichts des riesigen unermesslichen Meeres erscheinen sie winzig und dem Toben der Elemente hilflos ausgeliefert. Ein kleines Boot im Vordergrund (dasjenige, das dem Betrachter am nächsten steht und doch erst im hinteren Drittel der Komposition platziert ist) hat die Segel so gehisst, dass es direkt und auf dem schnellsten Weg auf die Stadt zusteuern kann, während ein größeres Schiff, links von ihm, versucht, den Fluten zu trotzen und sich dem Meer und dem Sturm entgegenzustellen. Dass der Zeichnung auch ein tieferer allegorischer Sinn innewohnt, obwohl sie auf den ersten Blick wie ein Ausschnitt aus dem realen Leben erscheint, zeigt die kleine Insel mit Galgen, die auf den Tod verweist, die Nichtigkeit der menschlichen Existenz aufzeigt und Hinweise auf ihr Verderben liefert. Stadt und Hafen dagegen symbolisieren die 480 Vgl. Lawrence Otto Goedde, Tempest and Shipwreck in Dutch and Flemish Art. Convention, Rhetoric, and Interpretation, London 1989. 481 Vgl. Goedde, 1989, S. 52 ff. Vgl. außerdem Nova, 2010, S. 74 ff. 482 Goedde, 1989, S. 47 f. 483 Nova, 2010, S. 78.

Das Meer im Bild   |

161

Abb. 44 Pieter Bruegel, Antwerpen (um 1565)

Abb. 45 Joos de Momper, Seesturm (um 1580?)

162 |  Mehr als eine Grenze

Hoffnung, sie sind Orte der Beständigkeit und des Schutzes.484 Eine ähnliche Botschaft vermittelt ein Ölgemälde, das zunächst ebenfalls Pieter Bruegel zugeschrieben wurde, das aber wohl von Joos de Momper stammt und mit Seesturm überschrieben ist.485 (Abb. 45) Es ist noch düsterer als die Zeichnung von Bruegel, die See noch unruhiger; und auch hier bietet der untere Teil dem Betrachter keinen Halt, sodass er geradezu in das Bild hineingezogen wird und sich direkt mit dem Geschehen identifizieren kann. Mehrere Schiffe kämpfen mit den Fluten, Sturm und Regen peitschen die See auf, Möwen kreisen über der Szenerie und der Himmel erscheint – ebenso wie das Meer – düster und bedrohlich. Ein riesiger Wal mit weit geöffnetem Maul verkörpert zusätzlich die Gefahren, die dem Meer innewohnen und all diejenigen bedrohen, die es zu befahren versuchen.486 Das Schiff rechts des Tieres versucht dem Monster mit weit aufgeblähten Segeln zu entkommen. Ein Lichtstrahl im hinteren linken Drittel der Komposition durchbricht die Dunkelheit und erhellt einen Kirchturm in der Ferne – Symbol der Rettung und der Hoffnung. Düsternis und Tumult im Vordergrund werden mit Ruhe und Licht in der Ferne kontrastiert. Durch die Finsternis kommt einerseits dieses Zuversicht weckende Licht stärker zur Geltung, andererseits erscheint es marginal angesichts der fast alles überdeckenden Dunkelheit. Das Bild spielt so mit unterschiedlichen Stimmungen und changiert zwischen Dunkelheit und Licht, Tod und Schutz, Sturm und Ruhe, Nähe und Distanz, Untergang und Rettung. Das sturmbewegte Meer stellt dabei den Schauplatz für all die widerstreitenden, in unauflösbaren Spannungen verharrenden Gegensätze. Und so kann das Bild als Meditation über die Grenzen und Möglichkeiten menschlicher Existenz in Zeiten der Unruhe und des Aufruhrs gelesen werden.487 Gänzlich ohne Zuversicht und Hoffnung erscheint ein Stich von Peter Kaerius (Pieter van den Keere, 1570–1630), den dieser nach einer Vorlage von Hendrick Cornelisz. Vroom (ca. 1563–1640) gestochen hat: (Abb. 46) Vroom gilt neben Jan Bruegel d. Ä. als eine der Schlüsselfiguren des „rhetorischen Naturalismus“, die die niederländische Marinemalerei als eigenes Genre etablierten.488 Der Stich von Kaerius zeigt vier Schiffe mit weit aufgeblähten Segeln in aufgepeitschter See. Auch hier nimmt das Meer über zwei Drittel des Bildes ein, den Hintergrund bildet ein düsterer Himmel mit tief hängenden Wolken. Land und damit Hoffnung auf Rettung aus der Gefahr ist nicht in Sicht. Auf dem größten der Schiffe, das zentral in der Bildmitte zu sehen ist, sind winzige Menschen zu erkennen, die verzweifelt versuchen, ihr Schiff unter Kontrolle zu bringen; der Kampf des Menschen gegen die Natur nimmt hier heroische Züge an und zieht den Betrachter, dessen Blick angesichts des Fehlens von Land keinen Halt erfährt, in seinen Bann. Losgerissene Taue verweisen auf den zu erwartenden Kontrollverlust, die Mühsal, aber auch die drohende Vergeblichkeit menschlichen Bemühens angesichts der tobenden Naturgewalten. 484 Siehe dazu auch Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt/Main 1997. 485 Vgl. Nova, 2010, S. 79. S. außerdem Goedde, 1989, S. 70 ff. 486 Assoziationen zur biblischen Geschichte von Jona im Walfisch liegen hier nahe. 487 Zu den verschiedenen Lesarten vgl. Goedde, 1989, S. 75 f. 488 Zu Vroom s. Goedde, 1989, S. 84 ff.

Das Meer im Bild   |

163

Abb. 46 Petrus Kaerius, Schiffe im Sturm (nach 1600)

Dass die Zeitgenossen mit den verschiedenen maritimen Metaphern vertraut waren, zeigen auch zahlreiche Embleme der Zeit. Spätestens seit dem berühmten Emblematum liber des Andrea Alciato (1492–1550), das 1531 erstmals in Augsburg gedruckt wurde und im 16. Jahrhundert weite Verbreitung fand, wurde das Motiv des von Sturm und riesigen Wellen bedrohten Schiffs in der Emblematik immer wieder als Metapher genutzt. Alciato selbst hat das Schiff auf hoher See mit dem Staatsschiff assoziiert, das sich den Gefahren in seiner Umgebung stellen muss.489 Bei allen metaphorischen, allegorischen und emblematischen Implikationen der Darstellungen von Seestürmen schwingen in ihnen jedoch auch immer die realen Gefahren mit, denen diejenigen ausgesetzt sind, die sich auf die Ozeane hinauswagen. Das tosende und tobende Meer steht für die Unberechenbarkeit und Unbeherrschbarkeit der Natur, es zeigt die Grenzen der menschlichen Macht und die Nichtigkeit der menschlichen Existenz auf. Obwohl bei der Betrachtung von Meeresdarstellungen sicherlich zwischen Seefahrergesellschaften und Nichtseefahrergesellschaften unterschieden werden muss und in den verschiedenen Nationen unterschiedliche Rezeptionserwartungen konstatiert werden können,490 lassen sich auch in der deutschsprachigen Emblematik Meeresdarstellungen und Metaphern des Schiffsbruchs nachweisen: So findet sich z.B. in dem bekannten Werk Emblematum Ethico-Politicorum Centuria des Julius Wilhelm Zincgreff (1591–1635), das 1619 bei de Bry erschien, das Emblem Tempestate probatur, auf dem ein Schiff mit stark aufgeblähten Segeln hart am Wind fährt. Das dem Stich beigefügte vierzeilige Epigramm erläutert, dass 489 Diese politischen Bedeutungen der Schiffbruchmetapher sind gerade für die Bildtraditionen der nördlichen Niederlande von Interesse; häufig sind sie zunächst Ausdruck des Kampfes gegen das habsburgische Reich, später – im Verlauf des 17. Jahrhunderts – drückt sich darin der Stolz eines Landes aus, das sich den Bedrohungen feindlicher Mächte gestellt hat und durch seine kühnen Überseefahrten zu Reichtum gekommen ist. Vgl. dazu Schama, 1988. 490 Auf diese unterschiedlichen Rezeptionserwartungen kann an dieser Stelle leider nicht eingegangen werden.

164 |  Mehr als eine Grenze

die Stärke und die Tugend eines Mannes erst dann zum Vorschein kommen, wenn er sich in Not befindet – vergleichbar mit dem Steuermann eines Schiffes, dessen Kunst und Talent sich auch erst im Sturm entfalten kann. Dabei lässt Zincgreff auch die Möglichkeit zu, ähnlich wie schon bei Alciato das Schiff mit dem Staatsschiff zu assoziieren und den Steuermann mit dem Herrscher, der seinen Staat ruhig und sicher durch unruhige Zeiten führen muss. Das gleiche Emblem taucht einige Jahre später erneut auf: In dem Emblembuch Emblemata Sacra des Bartholomäus Hulsius – eines Sohns von Levinus Hulsius –, das 1631 von Matthäus Merian herausgegeben und auch von ihm selbst gestochen wurde. Hier wurde das Bild unter Bezugnahme auf Psalm 107 benutzt, um eine Allegorie zum christlichen Glauben herzustellen, der im Laufe der Zeiten zahlreichen Prüfungen ausgesetzt ist. Im 15. und 16. Jahrhundert war die Allegorie der Fortuna in Europa zu großer Beliebtheit gelangt; zahlreiche Embleme, Grafiken und Gemälde beschäftigten sich mit der Göttin des Glücks und ihrer willkürlichen Herrschaft. Dabei korrelierte ihr Aufstieg mit einem bemerkenswerten ikonografischen Wandel: Wurde sie zunächst als Rad drehende Göttin gezeigt, wird sie in späteren Darstellungen vermehrt im Meer platziert. Häufig nimmt sie dabei den Platz eines Schiffsmastes ein, mit einem vom Wind geblähten Segel in der Hand.491 Auch Theodor de Bry hatte in einem Emblem von 1592 das dichte Nebeneinander von Glück und Unglück anhand einer im Meer balancierenden Fortuna dargestellt. Auch de Brys Fortuna trägt ein aufgeblähtes Segel in den Händen, sie steht in einer Muschel auf einem Rad oder Ball (dem Erdball?) und trennt zwei Szenerien voneinander: Auf der einen Seite eine ruhige See, Sonnenschein und in den sicheren Hafen zurückkehrende Boote, auf der anderen Seite Sturm, bewegte See, ein kenterndes Schiff, ein Ertrinkender, der die Fortuna um Hilfe anfleht, und im Hintergrund eine brennende, dem Untergang geweihte Stadt. Das Emblem macht deutlich, wie nah Glück und Unglück, Scheitern und Erfolg beieinander liegen und dass das unberechenbare Meer einen besonders geeigneten Schauplatz darstellt, um dieses enge Nebeneinander und die damit verbundenen Unsicherheiten anschaulich zu machen. Auch in den Kupferstichen der Petits Voyages spielt das Meer eine wichtige Rolle. Auffällig ist hier zunächst, dass in ihnen die terrestrischen und maritimen Gebiete klar und nachdrücklich voneinander getrennt werden. In vielen Stichen wird eine Kante zwischen Land und Meer dargestellt, die deutlich macht, dass hier zwei gänzlich unterschiedliche Welten aufeinandertreffen. (Abb. 47) Dabei wird das Gestade – der Bereich zwischen den Welten – häufig als Ort des Kulturkontakts inszeniert. Das Ufer wird damit zum Sinnbild und zur Metapher der Begegnung unterschiedlicher Welten. Besonders deutlich wird dies im achten Stich des achten Bandes. Er zeigt die Ankunft des Admirals Spilbergen in Matacalo (dem heutigen Batticaloa auf Sri Lanka). (Abb. 48) 491 Vgl. dazu Ulrich Kinzel, Orientierung als Paradigma der maritimen Moderne, in: Bernhard Klein & Gesa Macken­ thun (Hg.), Das Meer als kulturelle Kontaktzone. Räume, Reisende, Repräsentationen, Konstanz 2003, S. 73–94, hier: S. 86 ff. Zur Allegorie der Fortuna vgl. Klaus Reichert, Fortuna oder die Beständigkeit des Wechsels, Frankfurt/ Main 1985.

Das Meer im Bild   |

165

Abb. 47 Werkstatt de Bry, Land und Meer (1606)

Abb. 48 Werkstatt de Bry, Begrüßung des „Königs“ von Matacalo (1606)

Im Hintergrund sind die drei Schiffe der Niederländer mit weit aufgeblähten Segeln abgebildet; sie feuern trotz des offensichtlich freundlichen Empfangs im Bildvordergrund Kanonenschüsse ab; zwei Beiboote legen am Ufer an und bringen weitere Niederländer an Land, während der Admiral, der – sich verbeugend – ehrfurchtsvoll seinen Hut lüftet, bereits vom König von Matacalo willkommen geheißen wird. Der „König“ ist in Baumwolle und Seide gekleidet, so erläutert es die Subscriptio, doch seine Ohren hängen „lang offen herab […] bis nahe auff die Schuldern“,492 damit wird das Fremde und Befremdende seines Auftritts betont. Befremdlich erscheint außerdem der Zauberer, den der König im Gefolge hat. Auch ihm hängen die Ohren bis auf die Schultern, an seinem Hals sind viereckige Kupferplatten befestigt, in die „Teufelsbilder“ gestochen wurden, und um seinen Leib hat er Eisenketten 492 Petits Voyages, Bd. VIII, Tafel VIII, Subscriptio.

166 |  Mehr als eine Grenze

geschlungen.493 Der Zauberer rast mit großem Geschrei um die Gruppe der Holländer und Indigenen herum und demonstriert ihnen seine geradezu übersinnlichen Kräfte: Mit einem Messer sticht er sich in den linken Oberschenkel und zieht eine der Eisenketten durch diesen hindurch. In der Figur des Zauberers werden einige Bedrohungen der Fremde – wie unkalkulierbare Stärke und Superiorität, heidnischer Glaube und Unberechenbarkeit – verkörpert. Nicht zufällig wird dieser erste, nicht selten verstörende Kontakt von den Kupferstechern in die Uferzonen verlegt. Das Ufer fungiert hier als ein Zwischenraum, als Raum zwischen Land und Meer, zwischen Eigenem und Fremdem. Hier lassen sich „Praktiken der Annäherung, der Überschreitung, der Ein- und Ausgrenzung, der Kontrolle und Inblicknahme, Gesten des Abschieds“494 und der Ankunft vollziehen. Die Ufer der Petits Voyages sind austauschbar und weisen keinerlei charakteristische Merkmale auf. In einem Großteil der Ankunftsstiche zeigen die Kupferstecher eine flache, leicht zum Meer abfallende, vegetationsarme Landschaft. Eine noch leere Landschaft, ein leerer Raum, der als Imaginationsarsenal dienen, mit Wünschen und Ängsten besetzt und mit Bedeutung gefüllt werden kann. Im Unterschied zu den zeitgenössischen (niederländischen) Seestücken erscheint das offene Meer in den Stichen der Petits Voyages keineswegs als Protagonist, sondern lediglich als Nebendarsteller. Auffällig ist dabei allerdings seine Allgegenwart: Auf einem Großteil der Stiche ist das Meer im Hintergrund abgebildet. Damit wird der Überseecharakter der Unternehmungen akzentuiert und die Bedeutung des Maritimen für die Reisen unterstrichen. Die zahlreichen Unwetter und Stürme aus den Texten der Reisesammlung werden in den Stichen nicht visualisiert,495 die Ängste und Zweifel der Seefahrer kommen nicht ins Bild. Dem Meer wird keine dominierende Rolle zugesprochen; ein Großteil der Abbildungen zeigt eine ruhige See mit kleinen Wellen, die nichts mit dem wütenden und tobenden Element in den Texten gemein hat. Auffällig sind die zahlreichen Schiffe, die in den Stichen gezeigt werden; zwei Darstellungsarten sind dabei zu unterscheiden. Zum einen werden sowohl die niederländischen als auch die einheimischen Schiffe als Hauptthema präsentiert, häufig sind sie sogar das einzige Motiv dieser Stiche und werden in den Subscriptiones ausführlich beschrieben. Dabei werden auch die fremden Schiffe durchaus gewürdigt. So stellen Tafel XXVII und Tafel XXVIII des zweiten Bandes fünf unterschiedliche Schiffstypen aus Banten auf Java vor, die für verschiedene Aufgaben und Herausforderungen konzipiert worden sind. Es sind mehrere große Zweimaster zu sehen: Kriegsschiffe, die mit Kanonen ausgestattet sind und die zusätzlich zu den großen Segeln Rudervorrichtungen haben, „fast wie auff unsern Galeen“. Etwas kleinere Ein- oder Zweimaster werden als Handelsschiffe präsentiert, mit denen die Javaner „die Wahren von einem ort zum andern führen“. Die kleinsten der abgebildeten Schiffe sind Fischerboote, „damit sie so geschwind fort segeln / als flögen sie dahin / derhalben wir sie die fliegende zu 493 Vgl. zu diesem Stich auch das Kapitel 5. 494 Thorsten Feldbusch, Zwischen Land und Meer. Schreiben auf den Grenzen, Würzburg 2003, S. 29. 495 Eine Ausnahme bildet die Visualisierung des Untergangs eines portugiesischen Schiffes im dritten Teil der Petits Voyages, Tafel II.

Das Meer im Bild   |

167

Abb. 49 Werkstatt de Bry, Ein Bankett des „Königs“ von Ternate (1606)

Abb. 50 Werkstatt de Bry, Contrafeytung eines „Königs“ auf Madagaskar (1599)

nennen pflegten“.496 Die Schiffe der Javaner werden mit Achtung beschrieben und als den Schiffen der Niederländer ebenbürtig eingestuft; sie sind optimal an die Begebenheiten vor Ort und die Herausforderungen auf den Ozeanen angepasst. In der zweiten Gruppe der Stiche, auf denen Schiffe abgebildet sind, sind diese weniger prominent in Szene gesetzt und erscheinen häufig im Bildhintergrund. (Abb. 49 & 50) Auffällig ist hier vor allem ihre stetige Präsenz: Auf einem Großteil der Kupferstiche sind Schiffe abgebildet, obwohl Themen verhandelt werden, die mit dem maritimen Geschehen nichts oder nur wenig zu tun haben. Schiffe sind damit in den Illustrationen der Petits Voyages – mal mehr, mal weniger explizit – allgegenwärtig. Die Stiche präsentieren nicht mehr die hilflosen „Nussschalen“ aus den Texten, sondern starke und stolze, kampferprobte und -bereite 496 Petits Voyages, Bd. II, Tafeln XXVII und XXVIII, Subscriptiones.

168 |  Mehr als eine Grenze

Schiffe, die sich Gefahren, Stürmen und feindlichen Angriffen entgegenzustellen vermögen. Über die Demonstration von Präsenz, über ein Zeichen der Heimat in der Fremde hinaus wird hier das Medium „gefeiert“, mit dessen Hilfe der unbezwingbar scheinende Ozean doch bezwungen werden kann. Damit werden erste Möglichkeiten der Überwindung aufgezeigt. Der stürmischen See erfolgreich getrotzt habend, erscheinen die Schiffe als demonstrative Symbole zur Beherrschung oder zumindest zur Nutzbarmachung der Natur. Hier bricht sich eine Begeisterung über die technischen Errungenschaften der Zeit Bahn, die sich auch durch zahlreiche Gedichte und Oden auf die Kunst der Schifffahrt ausdrückt497 und die ebenfalls in den Texten der Petits Voyages wiederholt zum Ausdruck gebracht wird: „Man kann mit der Warheit wol sagen / daß die Kunst der See und Schiffahrten / jhrer größten Nutzbarkeit halben / alle andere Kunst weit vbertreffe“.498 Ohne Schiffe stellt sich das Meer als absolute, kaum zu überwindende Grenze dar, erst mittels der Schiffe wird es bezwingbar und kann als bezwingbar imaginiert werden. Schiffe sind Vehikel zur Überwindung von Grenzen; durch sie erscheint das Meer nicht mehr ausschließlich als Hindernis, sondern als hilfreiches Element, das die Schiffe an ihr Ziel und die Seeleute zu potenziellem Reichtum führt und ihnen neue Welten eröffnet. Schiffe zeugen damit nicht nur, wie Michel Foucault es formuliert hat, von der Möglichkeit, alle anderen Räume infrage zu stellen,499 sondern ebenso von der Option, neue Räume zu schaffen. Schiffe machen die Ufer und das, was jenseits der Ufer liegt,500 vor allem aber auch das Meer selbst erst kartierbar. Eine weitere wichtige Gruppe von Bildern, in denen das Meer eine bedeutende Rolle spielt, wird daher auch von den zahlreichen den einzelnen Bänden der Petits Voyages angehängten Karten gebildet. Bevor diese Karten einer eingehenderen Analyse unterzogen werden, gilt es zunächst, einen Blick auf die Kartenproduktion in den Niederlanden zu werfen, um die Bedeutung und den Einfluss von Karten um 1600 erfassen zu können. Der Blick richtet sich dabei insbesondere nach Amsterdam, dem Zentrum der Kartografie um 1600, aus dem auch die de Brys einen Großteil ihrer Karten bezogen.

4.3 Exkurs: Die Kartenproduktion in den Niederlanden Seit der Zeit, als die Niederländer ihr Engagement an der afrikanischen Westküste verstärkten, stieg auch der Bedarf an kartografischen und nautischen (Er-)Kenntnissen;501 die Niederländer waren dabei in dieser frühen Phase der Expansion noch auf das geografische und hydrografische Wissen der Portugiesen und Spanier angewiesen. Die treibende Kraft 497 Vgl. Schama, 1988. 498 Petits Voyages, Bd. III, S. 173. 499 Michel Foucault, 1993, S. 46. Zu Schiffen nicht nur als Instrumenten wirtschaftlicher Entwicklung, sondern auch als Reservoiren der Fantasie vgl. Foucault, ebd. 500 Baader, 2010, S. 34. 501 Vgl. zur niederländischen Kartenproduktion auch den Aufsatz von Susanna Burghartz, Mimetisches Kapital und die Aneignung Neuer Welten. Zur europäischen Repräsentationspraxis um 1600, Burghartz, 2004, S. 35 ff.

Exkurs: Die Kartenproduktion in den Niederlanden   |

169

hinter der Entwicklung und Ausbildung der Kartografie war der Amsterdamer Theologe, Astronom und Kartograf Petrus Plancius.502 Der als Pieter Platevoet 1552 in Dranouter geborene Plancius hatte Mathematik, Astronomie, Geografie, Geschichte, Theologie und Fremdsprachen studiert und war zunächst als Prediger durchs Land gezogen, nachdem er sich 1576 der reformierten Kirche angeschlossen hatte. 1585 floh Plancius – wie viele gelehrte Reformierte – nach Amsterdam, wo er sich verstärkt den Naturwissenschaften, der Navigation und der Kartografie zuwandte; 1590 stieg er selbst in die Kartenproduktion ein. 1592 entwarf er eine große Wand-Weltkarte und – in Zusammenarbeit mit Cornelis Claesz – diverse kleinere nautische Karten, die auf kartografischem Material der Iberischen Halbinsel basierten und von Claesz selbst herausgegeben wurden.503 Petrus Plancius kommt nach Auffassung Kees Zandvliets eine entscheidende Rolle für die niederländische Expansion zu: „[He] lived to see the foundation of both the VOC and the WIC [West-Indische Compagnie, D.S.], and his maps and charts were important to both these companies as well as in the early years before Dutch expansion was institutionalized.“504 So lieferte Plancius von 1595 an Karten an die Flotten, die von Holland aus nach Übersee segelten, auch die Flotten von van Neck und van Warwijck hatten Plancius’ Karten an Bord. Petrus Plancius besaß von den Generalstaaten mehrere Kartenmonopole und war damit so etwas wie der „nationale Kosmograph“ (Zandvliet) der nördlichen Niederlande. Zunächst kopierte, übersetzte und publizierte er, zusammen mit Jan Huyghen van Linschoten, oft auch in Kooperation mit Cornelis Claesz, spanische und portugiesische Bordbücher, Segelrouten und Karten. Später – als die ersten niederländischen Flotten in die heimatlichen Häfen zurückgekehrt waren – erhielt er von den Seefahrern die Logbücher und Karten, mit deren Hilfe sie ihre Routen berechnet hatten. Kees Zandvliet betont die Bedeutung Plancius’ für die niederländische Kartenproduktion ausdrücklich: „Producers of instruments, charts and globes can be seen as subcontractors, working under the supervision of Plancius. These producers must have paid considerable sums to Plancius for his management efforts.“505 Dass enge Verbindungen zwischen spanischen, portugiesischen und niederländischen Kartografen bestanden, zeigt auch der Atlas von Abraham Ortelius, in dessen Ergänzungsband zwei Karten der Azoren und Japans abgedruckt sind, die von dem portugiesischen Kartografen Luis Teixeira stammen. Der einzige erhaltene Brief aus der Korrespondenz der beiden Kartografen zeigt, dass sie einander über die konfessionellen Grenzen hinweg als Geschäftspartner und wissenschaftliche Kollegen betrachteten.506 Obwohl in Spanien und Portugal nach wie vor eine strenge Geheimhaltungspolitik bestand, die zu unterbinden suchte, dass kartografische Informationen und Informationen zur Expansionspolitik im Allgemeinen in die Öffentlichkeiten und vor allem in nichtportugiesische und nichtspanische Hände

502 503 504 505 506

Zu Plancius siehe Johannes Keuning, Petrus Plancius, Theoloog en Geograaf, 1552–1622, Amsterdam 1946. Vgl. Günter Schilder & Hans Kok, 2010, S. 14. Zandvliet, 2002, S. 37. Zandvliet, 2002, S. 40. Der Brief ist abgedruckt in Zandvliet, 2002, S. 25.

170 |  Mehr als eine Grenze

Abb. 51 Willem Jansz. Blaeu, Licht der Zeevaert (1608)

gelangten, kam es doch zu einem regen Austausch an kartografischen Informationen auch über Ländergrenzen hinweg. Auch Gerhard Mercator gehörte zu einem Kreis von Wissenschaftlern, die sich intensiv zu wissenschaftlichen Fragen und Problemen austauschten; ihm gehörten neben Mercator auch Abraham Ortelius, der Kartograf des Kaisers Karl V., Peter Apian, der Botaniker und Geograf Carolus Clusius, der englische Astrologe und Geograf John Dee und der französische Mathematiker Oronce Fine an. Die international agierenden Kaufleute erkannten den Wert von Karten ebenfalls und planten mit ihrer Hilfe ihre zukünftigen Unternehmungen. So stimulierte Gillis Hooftman – einer der reichsten Kaufleute Antwerpens – seinen Freund Abraham Ortelius zur Produktion stattlicher Übersichtskarten der ganzen bekannten Welt, wie der folgende Brief aus dem Jahr 1603 zeigt: Hooftman, so schreibt es einer seiner Angestellten (in der Übersetzung von Robert W. Karrow),

Exkurs: Die Kartenproduktion in den Niederlanden   |

171

„brought all the geographical maps that be had for the sake not only of calculating from the distances the freight of merchandise and the dangers they exposed to but (also) estimate the daily reports regarding the European Wars. But as the unrolling of the large maps of that time proved to be very inconvenient, I suggested to obviate this difficulty by binding as many small maps as could be had together in a book which easily be handled. Hence the task was entrusted to me, and through me to Ortelius, of obtaining from Italy and France as many maps as could be found printed on one sheet of paper. In this way originated a volume of about thirty maps which is still in the possession of Hooftman’s heirs, and its use proved to be so convenient that it induced our friend Abraham to extend its benefit to scholars in general, and to collect 507

the maps of the best authors in a volume of uniform size.“

Der Verleger Cornelis Claesz war ein wichtiger Partner von Petrus Plancius und wurde mit diesem zusammen von den Generalstaaten mit Monopolen für die Herstellung von Karten ausgestattet. Als einer der führenden Verleger für Reiseliteratur um 1600 publizierte Claesz aktuelle Reiseberichte und hochwertige Land- und Seekarten und war außerdem ein enger Geschäftspartner der de Brys – zehn Reiseberichte aus ihren beiden Sammlungen waren vorher bei ihm erschienen. Leider haben sich keine Informationen zu den Beziehungen der beiden Verlegerfamilien erhalten. Es ist aber nach Auffassung Michiel van Groesens davon auszugehen, dass ihr Verhältnis ambivalent war.508 Zum einen können sie als professionelle Geschäftspartner gelten: Claesz war ein regelmäßiger Besucher der Frankfurter Buchmesse und seine Bestände enthielten zahlreiche Kupferplatten und Drucke der de Brys, zudem übernahm er für spätere Auflagen einzelner Reiseberichte auch Stiche aus der Frankfurter Werkstatt.509 Und auch noch Claesz’ Erben, Dirck Pietersz. Pers und Hendrick Laurensz, arbeiteten 1610 für einige Publikationen mit Johann Theodor de Bry zusammen. Auf der anderen Seite zeichnete sich die Beziehung der beiden Verlage vermutlich auch durch eine gewisse Rivalität aus, präsentierten beide doch häufig identische Arbeiten zur selben Zeit auf der Frankfurter Buchmesse, so z.B. 1599 die lateinische Übersetzung von van Linschotens Itinerario. Es waren vor allem diese auf ein internationales Publikum abzielenden lateinischen Versionen der Reiseberichte aus dem Hause de Bry, die für Claesz’ Produkte eine Konkurrenz darstellten. Die Intensität der Beziehungen und die Abhängigkeit des Frankfurter Verlagshauses von den Amsterdamern wird besonders deutlich, wenn man die Entwicklungen nach dem Tod des Cornelis Claesz 1609 betrachtet: Nicht nur kam die Publikation von Reiseberichten auf dem niederländischen Markt zu einem abrupten Ende, auch neue

507 Zitiert nach Zandvliet, 2002, S. 30. Die Übersetzung stammt von Robert W. Karrow, Mapmakers of the Sixteenth Century and Their Maps. Bio-Bibliography of the Cartographers of Abraham Ortelius, 1570, Chicago 1993, S. 4. Der Originalbrief ist abgedruckt bei Joannes Henricus Hessels (Hg.), Abrahami Ortelii (geographi Antverpiensis) et virorum eruditorum ad eundem et at Jacobum Colium Ortelianum (Abrahami Ortelii sororis filium) epistulae, Cambridge 1887, Neuauflage Osnabrück 1969, S. 772–779. 508 Zum Folgenden siehe van Groesen, 2008, S. 120 f. 509 Vgl. zu den Zirkulationsprozessen zwischen Antwerpen und Frankfurt auch das Kapitel 6.

172 |  Mehr als eine Grenze

Bände der Reisesammlung der de Brys ließen nun auf sich warten;510 der nächste Band – es war der Bericht des Deutschen Johann Verken – erschien erst wieder 1612. Wie ein Blick in die Kataloge des Cornelis Claesz zeigt, konnten sowohl Kauf- als auch Seeleute und interessierte Laien dort alle zu dieser Zeit wichtigen Bücher, Mappen und Pläne erwerben, die für Überseefahrten relevant waren.511 Dass sowohl Reisejournale als auch Karten Handelsgüter von großem wirtschaftlichen Interesse waren, zeigen seine Preislisten. So kostete das Itinerario des Jan Huygen van Linschoten 7 Gulden, Karten von West- und Ostindien, die mit Drucken und Karten von Linschoten in einem Buch zusammen gebunden waren, 8 Gulden und die Weltkarte von Petrus Plancius immerhin noch 2 Gulden.512 Zum Vergleich: Das Jahresgehalt eines Seemanns betrug ebenfalls 8 Gulden.513 Cornelis Claesz war ausgesprochen gut vernetzt und arbeitete u.a. mit Willem Janszoon Blaeu (1571–1638)514 – dem späteren kaartenmaker van de republiek und Verleger des berühmten Licht der Zeevaert von 1608 – und mit Jodocius Hondius (1563–1612),515 dessen Globen später auf den Werken Der Astronom und Der Geograph Jan Vermeers verewigt wurden, zusammen. Zudem unterhielt Claesz Kontakte in die südlichen Niederlande, so u.a. nach Antwerpen zu Christoph Plantin.516 Mit Petrus Plancius kooperierte Claesz zwischen 1592 und 1609 – also bis zu seinem Tod; gemeinsam können sie als die wichtigsten Zulieferer geografischen und kartografischen Materials für Kaufleute und Kompanien gelten. Dass Claesz dabei die Ambition hatte, gute Kontakte auch zu den reichsten Kaufleuten zu pflegen, zeigt eines seiner Bücher von 1598, das die Expeditionen von Thomas Cavendish (1586–1588) und Francis Drake (1595) enthält. Das Buch ist dem Reeder und Kaufmann Balthasar de Moucheron517 und dem Kaufmann Dierck van Os – den beiden „Großkaufmännern des Offenen Meeres“ – gewidmet.518 Dass Moucheron und van Os erbitterte Konkurrenten waren, ignorierte Claesz, er war offensichtlich an guten Geschäftsbeziehungen zu allen Großhandelskaufleuten interessiert, die alle vermutlich hohe Summen für Atlanten, Globen, Reisebücher und Karten gezahlt haben. Cornelis Claesz’ Buchhandlung – für die der Verleger 1604 zudem den gesamten Plattenbestand Gerhard Mercators aufgekauft hatte – hatte sich um 1600 zu 510 Vgl. van Groesen, 2008, S. 120 f., und Bert van Selm, „Een menighte treffelijcke Boecken“. Nederlandse boekhandelscatalogi in het begin van de zeventiende eeuw, Utrecht 1987. 511 Auszüge aus einem Katalog von 1609 sind abgedruckt in Zandvliet, 2002, S. 44. 512 Die Preislisten sind abgedruckt in Zandvliet, 2002, S. 44. 513 Ebd. 514 Zu Blaeu vgl. Johannes Keuning, Willem Janszoon Blaeu: A Biography and History of his Work as a Cartographer and Publisher, herausgegeben von Marijke Donkersloot-de Vrij, Amsterdam 1973. 515 Zu Hondius vgl. Antoine de Smet, Jodocus Hondius, continuateur de Mercator, in: Industrie [Brüssel] 17 (1963), S. 768–778. 516 Zu Cornelis Claesz als gut vernetztem Kaufmann vgl. Bert van Selm, 1987, S. 175 ff. 517 Balthasar de Moucheron war an einem direkten Handel mit den asiatischen Staaten interessiert, favorisierte dabei zunächst – zusammen mit Petrus Plancius – die Suche nach der nördlichen Route nach China und finanzierte dafür die Expedition von Willem Barentsz (1594) mit. Nach deren Scheitern beteiligte er sich finanziell an der Flotte, die von Cornelis de Houtman befehligt wurde (1595). Auch Joris van Spilbergen stand in Moucherons Diensten. 518 Die Widmung ist abgedruckt in Zandvliet, 2002, S. 46.

Exkurs: Die Kartenproduktion in den Niederlanden   |

173

dem Amsterdamer Zentrum für alle an Kartografie, Navigation und Seefahrt Interessierten entwickelt.519 Obwohl die frühen Fahrten der Niederländer nicht als Entdeckungsfahrten im eigentlichen Sinn bezeichnet werden können (baute man doch auf dem geografischen Wissen der Spanier und Portugiesen auf ), sollte doch deutlich geworden sein, wie wichtig Karten und kartografisches Material für einen erfolgreichen Überseehandel waren. Dessen waren sich auch die Zeitgenossen bewusst: Karten galten als „Spiegel der Welt“, als „Schatztruhen“, die eine Fülle an Informationen und gloriosen Beschreibungen der göttlichen Schöpfung offenbarten.520 Das kartografische Material war – auch als Wanddekoration – außerordentlich beliebt, und die Kartografen waren eifrig darauf bedacht, die Bedürfnisse der Konsumenten zu befriedigen.521 Manchmal äußerten sich die Kartenmacher auch zu dem Wie und Warum ihrer Karten. Ein Gedicht auf einer Karte zur Handelszone zwischen der Goldküste Afrikas und Japan (gestochen von Gijsbertsz, 1599) z.B. betont den pädagogischen und aufklärerischen Charakter der Karten: Not least among the many decorative and ingenious arts Is the drawing of charts Through which the art of navigation Can be more swiftly taught to the student 522

Who whishes to sail to strange and distant lands

Wie oben bereits herausgearbeitet, waren das Meer und die Schifffahrt, jedoch auch die Beziehung zwischen Nautik und Kartografie in den frühen Dekaden des 17. Jahrhunderts ein populäres Thema in der Poesie (z.B. bei Vondel und Roemer Visscher) genauso wie in Drucken und auf Karten. Floris Balthasar, ein Kupferstecher und Kartenmacher, der eng mit Hugo de Groot (Grotius) und Moritz von Nassau zusammenarbeitete und bei dem auch der Bericht Joris van Spilbergens erschien, macht den Vorteil von Karten auch für die Daheimgebliebenen vor allem auch am spezifischen Komfort, den Karten bieten, fest: Mit Karten könne man verreisen, ohne Staub, Hitze und Kälte aushalten zu müssen.523 Das Zitat zeigt den Stellenwert, der Karten um 1600 zugeschrieben wurde: Mit ihnen kann man reisen, fast so, als wäre man tatsächlich unterwegs. Eine Karte galt als wahr und als Abbild der Wirklichkeit.524 519 520 521 522

Vgl. ebd. Vgl. Zandvliet, 2002, S. 63. Zu den dekorativen Wandkarten der Zeit vgl. auch das Kapitel 6. Die Übersetzung stammt von Zandvliet. Das Originalgedicht ist abgedruckt in Günter Schilder, De Noordhollandse cartografenschool, in: Lucas Jansz. Waghenaer van Enckhuysen: De maritieme cartografie in de Nederlanden in de zestiende en het begin van de zeventiende eeuw (Ausstellungskatalog Zuiderzeemuseum, Enkhuizen), Enkhuizen 1984, S. 47–72, hier: S. 47. 523 Vgl. Zandvliet, 2002, S. 64. 524 Karten waren auch in den Petits Voyages häufig mit „wahrhafftige“ oder „eygentliche Contrafeytung“ überschrieben und wurden auch dadurch zusätzlich in den Stand des Wahren erhoben. Zu „wahren Bildern“ und „Bildern

174 |  Mehr als eine Grenze

Abb. 52 Petrus Plancius, Weltkarte (1594)

Mit Karten konnten also eigene Wirklichkeiten produziert werden. Karten stellten auch in der Frühen Neuzeit schon wichtige Propagandainstrumente dar,525 mit deren Hilfe Informationen lanciert und Standpunkte vertreten bzw. verteidigt werden konnten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Weltkarte von Petrus Plancius von 1594 (die auch im dritten Teil der Petits Voyages abgedruckt ist). (Abb. 52) Sie zeigt die vier möglichen Seerouten zu den lukrativen Märkten Südostasiens. Damit macht die Karte deutlich, dass die aufstrebenden Niederlande begannen, einen Platz auf der Weltbühne der europäischen Expansion einzufordern, dass sie die Aufteilung der Welt nach dem Leben“ siehe Swan, 1995. 525 In der neueren Kartografiegeschichte wird verstärkt der Manipulationscharakter von Karten herausgearbeitet, werden Karten als Machtinstrumente, die die Welt nicht nur abbilden, sondern auch schaffen und produzieren können, untersucht. Wegweisend hierfür waren vor allem Arbeiten aus dem angelsächsischen Raum, u.a. von Norman J. W. Thrower und J. B. Harley. Vgl. u.a. Norman J. W. Thrower, Maps and Civilisation. Cartography in Culture and Society. Third Edition, Chicago 2008; J. B. Harley, The New Nature of Maps. Essays in the History of Cartography, herausgegeben von Paul Laxton, Baltimore 2001. Vgl. außerdem Zandvliet, 2002; Ute Schneider, Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2004. Im Zuge des sogenannten spatial turn rückten Karten auch in Deutschland in den Blickpunkt, vgl. Jürg Glauser & Christian Kiening (Hg.), Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne, Freiburg im Breisgau/Berlin/Wien 2007, und Ingrid Baumgärtner & Martina Stercken (Hg.), Herrschaft verorten. Politische Kartographie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Zürich 2012.

Exkurs: Die Kartenproduktion in den Niederlanden   |

175

durch die Portugiesen und Spanier im Vertrag von Tordesillas (1494) anzweifelten und dass sie die Hegemonie der führenden Kolonialmächte anzugreifen gedachten.526 Die Karte war also nicht (nur) publiziert worden, um das Interesse reicher Kaufleute an der Kartografie zu befriedigen oder ihnen eine attraktive und gleichzeitig lehrreiche Dekoration für ihre Häuser zu liefern,527 sondern kann als ein Teilaspekt in einer Reihe von Unternehmungen betrachtet werden, die zum Ziel hatten, die niederländische Überseeexpansion zu fördern. Durch sie wird nicht nur ein bestimmtes Wissen vermittelt, sondern es werden auch (macht)politische Standpunkte vertreten. Bei der Produktion dieser Karte spielten sogar persönliche Vorlieben eine Rolle: Plancius favorisierte die nördliche Route nach Indien, die auf dieser Karte gut möglich erscheint.528 Viele derjenigen Karten, die für ein größeres Publikum gestochen worden waren, wurden bewusst als Propagandainstrumente erstellt. Auf ihnen wurde Siege im europäischen Konkurrenzkampf um die überseeischen Gebiete festgehalten, wurden Grenzen gezogen, Gebiete verteidigt und von den großen Taten der Zeitgenossen berichtet. Auch der europäische Konkurrenzkampf um die Reichtümer der überseeischen Gebiete fand seinen Niederschlag in den Karten der Zeit.529 Doch auch innerniederländische Konflikte und Ränkespiele wurden mithilfe neuer Karten ausgetragen: Nachdem Admiral Steven van der Haghen 1605 die Molukkeninsel Amboina eingenommen hatte (Petits Voyages, Bd. IX) und 1606 in die Niederlande zurückgekehrt war, schlug ihm heftige Kritik vonseiten der Direktoren der VOC entgegen. Van der Haghen galt als zu tolerant, ihm wurden katholische Sympathien unterstellt und vor allem hatte er die Insel im Namen der Generalstaaten und nicht im Namen der VOC eingenommen. Auf der Karte, die nach van der Haghens Reise von Amboina gestochen, erstmals in Rotterdam verkauft und auch im neunten Band der Petits Voyages abgedruckt wurde, wird nun erklärt, dass die Eroberung auf die persönlichen Verdienste van der Haghens zurückgeht, obwohl dies nicht den offiziellen Äußerungen der VOC entsprach. Die Produzenten der Karte müssen Sympathien für den umstrittenen Admiral gehegt haben, evtl. haben sie ihn mit dieser Karte unterstützen wollen. Ironischerweise widmeten die Kartenmacher ihre Karte dennoch den Direktoren der VOC, deren Reaktion darauf den Verdruss der Kompanie zeigt: „The decided to pay the bookkeepers 50 Flemish pounds (300 guilders) for the map dedicated to them and Van der Haghen, but they also instructed the bookkeepers not to do this again.“530 Für eine Vielzahl von Menschen – gerade in den Regierungsapparaten, aber auch im kaufmännischen Bereich – dienten (und dienen) Karten also einer Fülle von Zwecken, befriedigten sie grundlegende (geopolitische) Bedürfnisse: Mit ihnen konnte man Expeditionen und Niederlassungen planen, Strategien entwerfen, Informationen über die abgebildeten Gebiete zur Verfügung stellen und den (machtpolitischen) Status einer Organisation – wie 526 Vgl. Schilder & Kok, 2010, S. 13. 527 Vgl. auch Zandvliet, 2002, S. 37 ff. 528 Ebd. 529 S. Zandvliet, 2002, S. 64 ff. 530 Zandvliet, 2002, S. 71.

176 |  Mehr als eine Grenze

den der VOC – bzw. eines Einzelnen akzentuieren. Karten waren Medien und Instrumente der Macht, mit ihrer Hilfe konnten Interessen lanciert und Wirklichkeiten produziert werden.

4.4 Das Meer kartieren Die frühen Meereskarten der Petits Voyages sind zunächst noch durchzogen mit Bildern von Wunderwesen, Monstern und riesenhaften Fischen, die nach den Vorstellungswelten des 16. Jahrhundert die Ozeane der Welt bevölkerten. Die Karten lassen Raum für Fantasien und zeigen, dass unter den scheinbar glatten Oberflächen fremde Welten mit eigenen Gesetzen und unkalkulierbaren Gefahren lauern. Schon die erste Karte der Reisesammlung, die aus Band I stammt und das Königreich Kongo abbildet, zeigt im linken unteren Teil den Atlantischen Ozean, der fast vollständig von einer Texttafel überdeckt wird, die dem Betrachter von einem aus den Fluten emporgestiegenen Wassermann und einer Wasserfrau entgegengehalten wird. Obwohl die Karte die Landmassen Afrikas, insbesondere des Kongos, abbilden soll, wird damit der Blick auf das Unbekannte in den unfassbaren Tiefen der Ozeane gelenkt. Einige der in den Petits Voyages abgedruckten Karten zeigen die Seerouten der verschiedenen Reisen. Die Karte, auf der die verschlungene Route der Expedition von Willem Barentsz auf der Suche nach der Nordostpassage anhand einer gepunkteten Linie nachvollzogen werden kann, bildet zwar keine Ungeheuer und Monster ab, jedoch sind auf ihr zahlreiche riesenhafte und seltsam anzusehende Fische dargestellt, die die Fantasie der Betrachter ebenfalls zu beflügeln vermögen. (Abb. 53) Die Karte war von Willem Barentsz selbst entworfen worden, Cornelis Claesz hatte sie 1598 erstmals publiziert und die de Brys haben sie 1599 unverändert in den dritten Band ihrer Petits Voyages übernommen – im Unterschied zu einer Karte, auf der die indonesische Inselwelt (Sumatra, Java, Borneo, die malaiische Halbinsel) und der Indische Ozean zu sehen sind und die auf eine Zeichnung Willem Lodewycksz’ zurückgeht; sie wurde von Baptista van Doetecum gestochen und von Cornelis Claesz 1598 erstmals veröffentlicht. Bei dieser Karte nahmen die de Brys eine entscheidende Veränderung vor, ehe sie sie 1601 in den fünften Band ihrer Reisesammlung integrierten. Sie ersetzten – vielleicht aus organisatorischen, vielleicht aus Kostengründen – die von van Doetecum gestochenen, einzelne Gebiete Südostasiens repräsentierenden Figuren durch erklärende Texttafeln und lenkten so – ob gewollt oder ungewollt – den Blick weg von den Bewohnern der abgebildeten Gebiete hin zu den geografischen Gegebenheiten vor Ort und zu den niederländischen Schiffen, die die Reise bis nach Südostasien so erfolgreich unternommen haben. (Abb. 54) Eine Überblickskarte, auf der Europa, Afrika, Asien, die sagenumwobene Terra Australis incognita und große Teile des Atlantiks und des Indischen Ozeans zu sehen sind, zeigt die vollständige Route der Reise Cornelis de Houtmans von 1595. 531 (Abb. 55)

531 Siehe zu dieser Reise auch das Kapitel 2.

Das Meer kartieren   |

177

Abb. 53 Werkstatt de Bry, Suche nach der Nordostpassage (1599)

Auch auf dieser Karte fehlen Abbildungen von großen Fischen und anderen Seeungeheuern, wie sie häufig auf den Meereskarten der Zeit und auch noch auf den frühen Karten der Petits Voyages zu sehen sind.532 Und auch hier ist die Route durch eine gepunktete Linie, auf der mehrmals die Schiffe der Flotte abgebildet sind, gekennzeichnet. Sogar der Verlust eines der Schiffe wurde vermerkt: Während der Hinfahrt sind vier Schiffe zu sehen, bei Rückfahrt und Ankunft im heimatlichen Hafen nur noch drei. Damit wird eine unverfälschte und den Tatsachen entsprechende Wiedergabe der Reise suggeriert – unterstützt durch die Inschrift der Karte, die deren Wahrheitsgehalt zusätzlich betont, indem sie darauf hinweist, dass hiermit die „Eygentliche und Ausführliche Mappa de Orientalischen Indien“ vorliegt und zudem „mit punkten angezeichnet“ das „Hin und Wider der Reise der Holländer“. Der Betrachter vermag die Reise anhand der Karte nachzuvollziehen, ja er kann sie sogar mit dem Finger nachfahren und sie damit selbst noch einmal er-fahren – ohne jedoch die Ängste, Furcht und Gefährdungen erleben zu müssen. Damit beginnt der Ozean seinen Schrecken 532 Vgl. dazu u.a. Christian Heitzmann, Europas Weltbild in alten Karten. Globalisierung im Zeitalter der Entdeckungen, Ausstellungskatalog, Wolfenbüttel 2006, bes. S. 43–105. Zur „Verselbständigung“ der Karten und ihrem „Sieg“ über die „narrativen Figuren“ im Verlauf des 17. Jahrhunderts vgl. Michel de Certeau, Praktiken im Raum, in: ders., Kunst des Handelns, Berlin 1988, S. 179–238.

178 |  Mehr als eine Grenze

Abb. 54 Werkstatt de Bry, Karte der Indonesischen Inselwelt (1599)

Abb. 55 Werkstatt de Bry, Karte der Reise des Cornelis Houtman (1599)

Das Meer kartieren   |

179

zu verlieren. Das Meer erscheint als ein von den Punkten der Route und den Linien der verschiedenen Kompassrosen durchzogener Raum, der nichts von dem Entsetzen und der Furcht, die in den Texten geschildert werden, erkennen lässt. Dabei liegen hier zwei unterschiedliche Ebenen der „Einkerbung“ (Deleuze/Guattari) vor, die nicht zusammen zu lesen sind: Die gepunktete Linie der Schiffsroute liegt wie eine Perlenkette auf einer Struktur. Die Kompasslinien suggerieren eine Form von Sicherheit, die Schiffe scheinen auf ihnen wie auf einem sicheren Netz navigieren zu können und bewegen sich nicht hilflos und verlassen in einem leeren, schier unermesslichen Raum. Besonders deutlich wird die Wirkung, wenn man sich diese Kompassrosen wegdenkt. Mit den Punkten und Linien wird der Versuch unternommen, das Meer und damit den Raum zu gravieren, ihm Orientierungslinien einzuzeichnen, ihn einzuteilen und ihn damit domestizierbar zu machen. Mithilfe der Karten wird die in den Wogen der Meere verloren gegangene Kontrolle wiedererlangt, wird das Meer beherrschbar gemacht. Die ans Ende der Bände angehängten Karten zeigen diese Möglichkeiten der Kontrolle auf, sie bieten Anstöße, den in den Texten vermittelten Schrecken und der Hilflosigkeit zu entkommen. Erst durch die Karten erscheint das Meer als Raum, der befahren und damit überwunden werden kann. „Raum ist, solange er nicht vermessen ist, ungeheuer wild, undiszipliniert, ungebändigt, leer unermesslich. Erst der vermessene Raum ist gebändigt, erschlossen, diszipliniert, zur Vernunft gekommen, zur Vernunft 533

gebracht. Erst der territorialisierte Raum ist beherrschbarer und beherrschter Raum.“

Für Gilles Deleuze und Félix Guattari steht das Meer, stehen Ozeane geradezu exemplarisch für Räume, die sie „glatte Räume“ nennen, für Räume, die erst durch bestimmte Operationen der „Einkerbung“ beschreibbar und beherrschbar würden; durch Inbesitznahme, Vermessen und Kartografieren wird dabei das Glatte zum Gekerbten.534 Bereits 1969 hat Pierre Chaunu auf die Bedeutung der fortschreitenden Beherrschung des Meeres für die europäische Expansion hingewiesen; er geht dabei von einem langen Zeitraum aus, in dem die Einkerbung der Ozeane immer weiter voranschritt. Die Beobachtungen in den Petits Voyages, vor allem die Gegenüberstellung von Text, Bild und Karte und die Analyse der Wechselwirkung zwischen diesen drei Medien weisen darauf hin, wie wichtig im Verlauf der Entdeckungen und in ihrer medialen Bewältigung Prozesse der Einkerbung waren. Die Texte zeigen, wie groß die Angst vor dem offenen Meer um 1600 war, die Bilder und Karten stellen als Antwort auf die Texte Versuche dar, das Meer selbst und die Angst davor zu domestizieren. Texte und Karten bedienen dabei unterschiedliche Bedürfnisse: Die Texte befriedigen die Abenteuerlust der Leser, mit ihnen können sie 533 Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München 2003, S. 167. 534 Gilles Deleuze & Félix Guattari, 1440 – Das Glatte und das Gekerbte, in: Jörg Dünne & Stephan Günzel (Hg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/Main 2006, S. 434–444, hier: S. 438 f.

180 |  Mehr als eine Grenze

sich – sicher und geschützt zu Hause sitzend – vor den Gefahren und Schrecken einer Seefahrt gruseln; die Bilder und Karten zeigen Möglichkeiten der Beherrschung auf, Schrecken und Ängste sind mit ihnen leichter zu ertragen, da sie deutlich machen, dass das wütende und tobende Meer gebändigt werden kann, dass man es sich zunutze machen und auf ihm, mit seiner Hilfe, zu den Reichtümern der überseeischen Welten gelangen kann. Durch Vermessen, Einteilen und Kontrolle kann der Raum beherrscht werden – von dieser Hoffnung zeugen die Karten und Bilder der Petits Voyages. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist ein Gedicht, das dem zwölften Band der Petits Voyages vorangestellt ist und das der Schweizer Theologe und Pfarrer der Kirche St. Leonhard in Basel, Johannes Grossius (1600–1624), verfasst hat. Dieser zwölfte Band erschien 1628 und wurde von William Fitzer herausgegeben. Seit den Anfängen der niederländischen Expansion waren über 30 Jahre vergangen – das Gedicht zeigt eine interessante Entwicklung gerade in Bezug auf die Perzeption des Meeres: Das Meer erscheint hier nicht mehr als reale, allenfalls noch als potenzielle Gefahr, da es bereits – bedingt durch jahrzehntelange Expansionsgeschichte – domestiziert und in seine Schranken verwiesen wurde: „Daß er [Gott, D.S.] der Erden größten Theil Ins Wasser gsezt / zu vnsrem heil: In dem das Wasser vns nicht schadt / Weil es in seinen Schranken staht.“

Der Autor geht sogar noch weiter und lobt und preist die Stärke und Gerechtigkeit Gottes gegenüber dem „Menschengeschlecht“, die er gerade daran festmacht, dass der Schöpfer den Menschen die Ozeane, die sie nun in der Lage seien zu überschiffen, zu ihrem „Heil“ geschenkt habe: „Wer kann sich auch verwundern gnug / Daß der Mensch kann zu seinem fug Jez Schiffen baldt in solche Land / Die vns zuvor gar vnbekandt? Und anderst nicht sind zu erfahren / Dann auff dem Wasser dahin gfahren“

Hier wird einerseits an das Lob der Schifffahrt und der technischen Entwicklungen angeschlossen, vor allem aber wird die Unterstützung Gottes betont, da es der Mensch nur mit dessen Hilfe und Beistand vermag, sich den Ozeanen auszusetzen: „Ist das nicht auch des Herren güt / Daß auff dem Meer der Mensch Wird b’hüt?

Das Meer kartieren   |

181

Da sonst der Tod ist nur so weit Von ihm / als eines Messers breit“

Mit Gottes Hilfe und durch Fortschritt und Technik ist es den seefahrenden Nationen gelungen, „auff dem Wasser“ zu fahren. Das Meer ist hier nun endgültig zum Medium geworden, das die Seefahrer zu „Gold und Gut“ zu führen vermag. Es wird nun also als ein Raum des Wissens konzipiert, den man kraft dieses Wissens zu beherrschen vermag.

182 |  Mehr als eine Grenze

5 DA S WISSEN VON DER ANDEREN WELT Glaube und Unglaube Bereits in den vorherigen Kapiteln hat sich angedeutet, welche bedeutende Rolle den Themen Glaube und Religion offenbar innerhalb der Petits Voyages zukommt. Dabei ist auch deutlich geworden, dass sich die konfessionellen Auseinandersetzungen in Europa immer wieder in den Texten und Bildern der Petits Voyages niederschlagen. Ein besonders deutliches Beispiel für die konfessionelle Aufladung der de Bry’schen Reisesammlungen liefert die textliche und bildhafte Schilderung der Missionierungsgeschichte im Kongo, die bereits in den Kapiteln 3 und 4 zur Sprache gekommen ist. Zur Erinnerung: Die in der narratio des ersten Bandes der Petits Voyages präsentierte Erfolgsgeschichte der portugiesischen Mission (aus der Feder des Eduardo Lopes535) wird in den ersten Kupferstichen und einzelnen Textteilen der Subscriptiones wieder gebrochen. Nachdem die Kongolesen zum christlichen Glauben übergetreten waren, zeigt der erste Stich sie und die Portugiesen bei Anbetung und Verehrung der Heiligen Dreifaltigkeit – dargestellt wird damit die Ablösung einer polytheistischen Religion durch eine andere polytheistische Religion.536 (Abb. 56) Auch die Subscriptio zum zweiten Stich legt die Annahme nahe, dass nach Auffassung der de Brys mit der Konvertierung zum katholischen Glauben nur ein heidnischer Glaube durch den anderen ersetzt wurde. Sie verweisen auf den vorgenommenen Bildertausch: Die Götzenbilder der Heiden wurden verbrannt, aber die Portugiesen bringen bereits neue „Kirchen- und Messgewänder, Kruzifixe und Bilder“ nach Afrika. Auch diese von den Portugiesen angeordnete Zerstörung ihrer Gottheiten wird von den de Brys konterkariert. Der elfte Stich zeigt bei genauerem Hinsehen die Wirkungslosigkeit der portugiesischen Bemühungen: Während im Vordergrund die heidnischen Götzenbilder verbrannt werden, beten die Kongolesen im Hintergrund weiter ihre „Abgötter“, ihre „Teufels-, Drachen-, Schlangen- und andere Bilder“ an. (Abb. 57) Auch im Text der narratio gerät die Zivilisierung der Kongolesen ins Stocken und droht dabei vor allem an der zügellosen Sexualität der Afrikaner zu scheitern.537 Doch während sich 535 Wie bereits erwähnt, stammt der Bericht von dem italienischen Historiker und Entdeckungsreisenden Antonio Pigafetta (1480–1534) und geht zurück auf die Reisen des Portugiesen Eduardo Lopez. Zur portugiesischen Missionierung im Kongo vgl. John Thornton, 2001. 536 Zum konfessionellen Bilderstreit s. weiter unten S. 193 f. dieser Arbeit. 537 Vgl. dazu S. 114 ff. dieser Arbeit.

Glaube und Unglaube   |

183

Abb. 56 Werkstatt de Bry, Die Ankunft der Portugiesen im „Königreich“ Kongo (1597)

Abb. 57 Werkstatt de Bry, Verbrennung der Teufelsbilder (1597)

die Kongolesen im Text wieder auf die christlichen Werte besinnen, zum wahren Glauben zurückfinden und Buße tun,538 liefern die angehängten Kupferstiche eine solch positive Auflösung nicht: Im Gegenteil, die de Brys beenden – wie bereits ausgeführt – den vermeintlichen Triumph der portugiesischen Missionierung mit dem Entwurf sexueller und kultureller Gegenwelten, der die Frage nach der Vergeblichkeit der Missionierungsbestrebungen aufwirft. Die ältere De-Bry-Forschung hat die Reisesammlungen der Frankfurter Verlegerfamilie, vor allem natürlich die Grands Voyages, denn auch als eindeutig antikatholisches

538 Vgl. ebd.

184 |   Das Wissen von der anderen Welt

Propagandainstrument gelesen und interpretiert.539 Auch Wolfang Neuber und Kirsten Mahlke haben sich in ihren Studien zur Amerikareiseliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts auf die Differenzen im konfessionellen Schreiben konzentriert; dabei haben sie mit ihren Untersuchungen zum Topischen in katholischen und reformierten Berichten (Neuber540) und den Fragen nach dem dezidiert protestantischen und den theologisch-propagandistischen Aspekten in der französischen Reiseliteratur der Frühen Neuzeit (Mahlke541) wichtige Erkenntnisse erzielt (beide beziehen sich dabei auch auf Texte aus den Grands Voyages); doch lässt eine recht einseitige Fokussierung auf konfessionelle Differenzen eine Analyse der Zwischentöne und derjenigen Phänomene innerhalb der Texte und Bilder, die mit einem als eindeutig „katholisch“ oder einem als eindeutig „reformiert“ identifizierten Glauben nicht zu greifen sind, nicht zu. Michiel van Groesen hat in seiner Dissertation von 2008 die Fragen nach der protestantischen Aufladung der de Bry’schen Reisesammlungen vernachlässigt und stattdessen – wie bereits angesprochen – vor allem die extreme Marktorientiertheit der de Brys hervorgehoben, der sich die konfessionelle Ausrichtung der Sammlungen untergeordnet habe. So konnte van Groesen durch einen Vergleich der lateinischen und deutschen Versionen herausarbeiten, dass die lateinischen Bände für einen europäischen – also durchaus auch katholischen – Markt konzipiert und produziert worden waren und dass dabei katholische Ressentiments gestrichen bzw. entschärft wurden. Auch die deutschen Fassungen seien, so van Groesen, in der antikatholischen Propaganda zurückhaltender als manch anderer protestantischer Reisebericht dieser Zeit.542 Allerdings lassen sich in den Texten und Bildern der Petits Voyages einerseits durchaus konfessionelle Besonderheiten und Zuspitzungen (wie die Episode über die katholische Mission im Kongo gezeigt hat), aber eben auch Antagonismen und scheinbare Unvereinbarkeiten erkennen und so verstellt auch diese starke These mit ihrer Betonung der ausschließlichen Konzentration der Frankfurter Verlegerfamilie auf die Absatzfähigkeit ihrer Produkte den Blick auf die Brüche und Widersprüche der Reisesammlung selbst und auf die Ambivalenzen und Unstimmigkeiten im kolonialen und konfessionellen Diskurs um 1600 insgesamt. Dieser Beobachtung soll im Folgenden Rechnung getragen werden: Es soll herausgearbeitet 539 Siehe u.a. Max Böhme, 1904; Friedemann Berger, Reiseberichte als historische Quelle für die Geschichte des Kolonialismus: Eine Darstellung der wichtigsten Reiseliteratur des 16. Jahrhunderts und ihres Funktionswandels im Kampf der nordwesteuropäischen Nationalstaaten gegen das portugiesisch-spanische Kolonialreich unter besonderer Berücksichtigung der „Sammlung von Reisen in das östliche und westliche Indien (Collectiones peregrinationum in Indiam orientalem et Indiam occidentalem)“ der Kupferstecherfamilie de Bry (1590–1634), Magdeburg 1983; Neuber, 19912; Michael Harbsmeier, Wilde Völkerkunde. Andere Welten in deutschen Reiseberichten der Frühen Neuzeit, Frankfurt/ Main & New York 1994. 540 Wolfgang Neuber erklärt seinen Ansatz wie folgt: „Die vorliegende Studie will […] am historischen Material aufweisen, dass die Konstituierung eines Texts der Frühen Neuzeit nicht von den je individuellen Erlebnissen des Autors und seinem subjektiven Formwillen abhängt, sondern das Resultat von Bedingungen ist, die als topische zu beschreiben sind und als solche dem genieästhetischen Originalitätsdenken entziehen.“ Neuber, 19912, S. 26 f. 541 Kirsten Mahlke, Offenbarung im Westen. Frühe Berichte aus der Neuen Welt, Frankfurt/Main 2005. 542 Vgl. van Groesen, 2008, S. 219 ff.

Glaube und Unglaube   |

185

werden, wie und auf welche Weise sich die Texte, Bilder und Paratexte der Petits Voyages mit dem Thema Glauben befassen. Wie stand man zum Übernatürlichen, zum Unsichtbaren? Welche Bilder machte man sich von der anderen Welt?543 Wie beurteilte man den fremden Glauben an das Übernatürliche und welche Rückwirkung hatte die Konfrontation mit anderen Glaubensarten?

5.1 Gottes Wunderwerck Dass ihr eigener Glaube, der Glaube an den christlichen Gott, für die de Brys offenbar eine große Rolle spielte, zeigt bereits ein Blick auf ihre Vorreden zu den einzelnen Bänden. In ihnen wird immer wieder der Auffassung Ausdruck verliehen, dass sich gerade Reiseberichte aus den fernen Gegenden dieser Welt besonders gut eigneten, um Gottes Schöpferkraft zu erfahren, zu beschreiben und zu loben: „Dieweil / guenstiger Leser / wir von Gott der Allmechtigen / zu dem end fürnemlichen vernuenfftige Menschen erschaffen / vnd in diese Welt gesetzt seind / auff daß wir seine grosse vielfaltige vnd vnaussprechliche Werck nicht allein ansehen / sondern vielmehr betrachten / vnd mit verwunderung rühmen / auch den Allweisesten Schöpffer deroselben immerdar preisen / loben / vnd ehren: Vnd aber nicht genug ist / daß ein jeder ab sonderlich vnnd vor sich selbste solches thue / sonder wir allesampt als getrewe Knecht / mit dem vns vertrawten Talent zu wucheren schuldig seind / dero gestalt / daß ein jeder jhme obgelegen sein lasse / Gottes Wunderwerck weit auszubreiten / vnd menniglichen bekand zu machen / damit auf diese Weis vielen / ja alle Menschen zu wahrer dancksagung vnd forcht Gottes / so auß dem erkantnuß seiner 544

Wunder herfleußt anleitung vnd vrsach gegeben werde.“

Gerade die fremden, die kuriosen Phänomene und Erscheinungen, die Erstaunen, ja Verwunderung hervorrufen, sind dazu geeignet, Gottes Allmacht zu bestätigen und seine vielfältige, geradezu „unaussprechliche“ Schöpfung in ihrer ganzen Größe zu begreifen.545 Im Gegenzug hat der Mensch die Pflicht, „Gottes Wunderwerck weit auszubreiten“, mithilfe der Sprache, der Schrift oder der Kunst – ganz nach dem jeweiligen Talent.546 Dabei greift Gott auch immer wieder selbst in das Weltgeschehen ein, führt die Reisenden zu den Reichtümern Indiens und Südostasiens und errettet sie aus zahlreichen Nöten und Gefahren.547 Damit wird in den Petits Voyages an ein protestantisches Gotteskonzept angeknüpft, das Gott einerseits als Schöpfer sieht und andererseits als einen auch noch nach dem Schöpfungsprozess aktiven 543 544 545 546

Vgl. Landwehr, 2002. Petits Voyages, Bd. II, Vorrede. Siehe auch die Vorreden zu Bd. I, III, V, IX. Über das Phänomen der „Verwunderung“ im kolonialen Diskurs vgl. Greenblatt, 1994. „Es hat aber Gott der Herr den Menschen untern andern / auch die Kunst des Malens / Kunststechens / Reyssens / vnd deren verwanten Künsten geoffenbaret dadurch seine Wunderwerck / desto rühmlicher vnd ansehnlicher zu machen“ (Petits Voyages, Bd. IV, Vorrede). 547 Vgl. dazu auch das Kapitel 4.

186 |   Das Wissen von der anderen Welt

und tätigen Weltenlenker, dessen Macht, Weisheit und Gnade sich durch sein wirksames Eingreifen in das Weltgeschehen zeigen.548 Das Reisen wird dementsprechend als Akt einer tätigen Kenntnisnahme der Allmacht Gottes gesehen. Doch soll die Allmacht Gottes nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern eben auch bekannt gemacht und verbreitet werden.549 So formuliert es auch Levinus Hulsius in seinem Vorwort zu Ulrich Schmidels Warhafftigen Historien, doch bezieht er auch den Leser und Betrachter der Reiseberichte in den Akt der Kenntnisnahme mit ein: „Die Historien und Relation der newen Länder vnnd Völcker / seind meines Erachtens / nit allein lustig / Sondern auch den Christen zu lesen nötig: Dann so wir wöllen die unermessliche wunderbahre Werck Gottes betrachten / vnd seine vnaussprechliche Barmhertzigkeit / die er vns armen vnwürdigen Christen vielfältig bewiesen / zugemüht führen / indem er vns nicht allein seine Erkenntnuß gegeben / sonder auch 550

mit so köstlichen Rantzion / da wir in Adam verlohren waren / vns wider erlöset hat“.

Damit erweist sich die Gnade Gottes nicht nur den Reisenden, sondern auch den Lesern der Historien, die in der Betrachtung des „wunderbahren Werck“ Gottes nicht nur dessen Macht, sondern auch seine Barmherzigkeit zu erkennen vermögen – ein durch die Lektüre vermitteltes Bewusstsein der Gnade und der Errettung durch Erlösung. Auch die de Brys sprechen von der Gnade Gottes, der sich den Christen offenbart und sie damit zum ewigen Heil geführt habe. Dabei wird auch die Rolle, die den fremden Kulturen zukommt, deutlich: „Sonderlichen wenn du betrachten wirst / wie vns der Allmechtige Gott so vnaussprechliche grosse Gnad vnd Barmherzigkeit erzeiget / indem er vns die erkantnuß seiner Majestät / seiner Vätterlichen liebe / seines Göttlichen willens / vnd endlichen mittel vnd weg vnsers ewigen heyls vnd seligkeit / gnediglichen offenbahrt vnd zu erkennen geben / vnd vns vor so manche vnd gewaltige Völckern erwehlet hat / welche doch sonsten in vielen Weltlichen Sachen / in Spitzfündigkeit / in wercken vnd hanthierungen / in

548 Das Wirken des katholischen Schöpfergottes hingegen bezieht sich eher auf die Vergangenheit, in der er die Erde erschaffen hat; das Konzept eines immer noch tätigen Weltenlenkers liegt den katholischen Gelehrten und Reisenden fern und so blieb „die wissenschaftliche Geographie der Katholiken bis ins 17. Jahrhundert hinein im wesentlichen Schöpfungsexegese“ (Wolfgang Neuber, Die Drucke der im Original deutschen Amerikareiseberichte bis 1715. Synopse, Bibliographie und marktgeschichtlicher Kommentar, in: Frühneuzeit-Info 2,2 (19911), S. 12–34, hier: S. 25). 549 Ganz ähnliche Gedanken lassen sich auch in einem Vorwort der lutherischen Theologischen Fakultät der Universität Marburg zu Johannes Rauws (? –1600) Cosmographia von 1597 finden: „Es hat Gott der HERR den Menschen in diese Welt an ein schönes und lustiges Theatrum gesetzt / vnd mit Sinn vnd Verstand begabt / nicht daß er wie ein vnvernuenfftig Vieh strack fuer sich hin leben / vnd nur seinen Bauch mit Guetern der Welt fuellen soll / sondern vielmehr / daß er vmb sich schauwen / vnd den Himmel / Lufft / Meer / Wasser vnd Erden / durchwandern / vnnd auß den Wercken die vnermeßliche grosse Macht / Weißheit vnd Guetigkeit deß Schoepffers vnd Erhalters aller ding erkennen / ehren vnd preisen solle.“ Zitiert nach Neuber, 19912, S. 52. Zur Theologisierung des geografischen Erfahrungswissens im Zuge der Reformation vgl. Neuber, 19912, S. 50 ff. 550 Hulsius, Schiffahrten, Bd. IV, Vorrede.

Gottes Wunderwerck  

| 187

herzlichkeit vnd reichtumb den Christen weit obliegen: wie an den Chinesen zu sehen / so doch von der rechten erkanntnuß Gottes vnd vnsers Herrn Jesu Christ also weit seyn als einige Völcker unter der Sonnen / vnnd an statt Gottes den Teufel vnd dergleichen bildern / anruffen / dannenher auch heilige Apostel 551

Paulus rechts gesagt / es liegt nicht an jemands wollen / oder lauffen / sondern an Gottes erbarmen“.

Durch die Konfrontation mit fremden – in „Weltlichen Sachen“ durchaus überlegenen – Kulturen offenbart sich den Christen also die Gnade Gottes in der Erkenntnis ihres ewigen Seelenheils. Welterkenntnis ist somit auch Gotteserkenntnis.552 Dadurch, dass sie als Gottes auserwähltes Volk gelten, zeigt sich wiederum ihre eigene Superiorität. Damit dient das Fremde vor allem als Gegenstand der Dankbarkeit dafür, dass man selbst anders ist.553 Doch die Vorrangstellung der Christen birgt auch Gefahren; so verweisen die de Brys wiederholt darauf, dass jene von Gott auch wieder entzogen werden könne – wie es z.B. den Juden geschehen sei.554 Obwohl es nicht „an jemands wollen“, sondern allein „an Gottes erbarmen“ liege, müsse man ihn dennoch durch Worte und durch Taten loben, preisen und ehren und – auch darauf weisen die Brüder immer wieder hin – vom sündigen und üppigen Leben ablassen.555 Das impliziert, dass die Verweigerung der göttlichen Gnade immer auf menschliches Versagen zurückzuführen ist. Die Vorrangstellung muss durch ein tätiges christliches, also rechtschaffenes und sündenfreies Leben stets neu bewiesen und legitimiert werden. Insofern erscheinen die Berichte über das Fremde nicht nur als Ausdruck der Dankbarkeit, sondern vor allem auch als Warnung. Damit begründen die Verleger auch die Schilderungen sündigen Verhaltens: „Wo etwan in diesen vnd vorigen Historien vnter andern auch vnhöfliche Gebräuche erzehlet werden / daß solche von den Auctorn nicht dero Meinung uffgezeichnet / daß sie etwan ein Wolgefallen daran tragen / sondern vielmehr / daß wir Christen einen grossen Vortheil gegen diesen armen Leuthen haben in Erkannt556

niß dessen / was gut vnd bös / was erbar vnd schändlich / ja was Gottselige vnd Teufflische Werk sind.“

Die Konfrontation mit der Sünde in der Fremde soll die (christlichen) Leser der Texte und Betrachter der Bilder zur Umkehr führen. Durch sie vermögen sie sündhaftes Verhalten von tugendhaftem zu unterscheiden und den Weg zu Gott zu finden. Das Lesen der Reiseberichte fungiert somit selbst als frommer, als gottesfürchtiger Akt. Auch in einigen Kupferstichen lassen sich unterschwellige und subtile Verweise auf die Beziehung zwischen falschem Glauben und sündhaftem Verhalten finden. Tafel XV des zweiten Bandes der Petits Voyages z.B. zeigt vier Vertreter der „Malabaren“, unter ihnen zwei „Mahometisten“, die auf der rechten Seite abgebildet sind. (Abb. 58) 551 552 553 554 555 556

Petits Voyages, Bd. II, Vorrede. Siehe Neuber, 19912, S. 50. Siehe dazu auch Neuber, 19911, S. 26. Petits Voyages, Bd. II, Vorrede. S. z.B. Petits Voyages, Bd. IV, Vorrede, und Petits Voyages, Bd. II, Vorrede. Petits Voyages, Bd. VIII, Vorrede.

188 |   Das Wissen von der anderen Welt

Einer von ihnen ist nur von hinten zu sehen, wodurch der Blick auf seinen nackten Hintern freigegeben wird – ein Hinweis auf den von Moslems angeblich praktizierten Analverkehr,557 also auf Homosexualität, eine der als besonders verwerflich geltenden Sünden in der Frühen Neuzeit.558 Unmoral und falscher Glaube werden hier, wie auch im nachfolgenden Stich, miteinander in Verbindung gebracht. Auch diese folgende Tafel desselben Bandes (Bd. II, Tafel XVI) spielt auf die große Sündenlast der Inder an. Der Stich ist überschrieben mit „Indische Dörfer und Hütten“, im Vordergrund sind Frauen bei der Körperreinigung zu sehen. Die Subscriptio erläutert, dass die indischen Dörfer „immer einen Sumpf oder Pfuhl voll unflätigen stinkenden grünen Wassers haben, das von ihren Brahmanen mit besonderer Superstition geweihet und gesegnet ist.“ Mit diesem Wasser, „welches einen solchen Gestank von sich gibt, daß niemand ohne Zuhaltung der Nase vorübergehen kann“, versuchen die indischen Frauen „alle ihre Sünden abzuwaschen“.559 Vergegenwärtigt man sich die herrschende ablehnende Haltung der Zeit gegen58 Werkstatt de Bry, Abbildung der Mahometischen über öffentlichem Baden und Waschen mit Abb. Mohren (1598) ihren Assoziationen zu Unmoral und Unreinheit,560 wird die Wirkung des von den Brahmanen geweihten, schmutzigen Wassers, das voller Sünde ist, noch verstärkt. Immer wieder ist in den Vorreden von den Heiden die Rede. Was im 16., 17. Jahrhundert und auch noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter dem Begriff Heidentum verstanden wurde, verdeutlichen die Ausführungen des protestantischen Missionars Bartholomäus Ziegenbalg, der in seinem Werk Ausführliche Beschreibung des Malabarischen Heidenthums zur religiösen Zusammensetzung der Welt schreibt:

557 558 559 560

Vgl. van den Boogaart, 2003, S. 83. Siehe dazu auch das Kapitel 3. Petits Voyages, Bd. II, Tafel XVI, Subscriptio. Siehe auch dazu das Kapitel 3.

Gottes Wunderwerck  

| 189

„Alle Einwohner des ganzen Erdbodens werden sonderlich in 4 haupt Religionen eingetheilet, als da sind Juden, Christen, Mahometaner und heiden. Die Juden sind das kleinste Volck und gehen allenthalben in der Welt zerstreuet herum. Die Christen sind etwas mehrere und haben nicht nur allein ganz Europa erfüllet, sondern sich auch in allen andren drey Theilen der Welt zerstreuet. Die Mahometaner sidn ein sehr groszes Volck und haben sich fast drey Theile der Welt unterthänig gemacht, und allenthalben sich 561

ausgebreitet. Die heiden machen das gröste Volck aus, und bewohnen dasz meiste Theil des Erdkreises.“

Das Heidentum wurde also als eigenständige Religion begriffen, die sogar die meisten Anhänger in der Welt hatte. Die Christen gehören einer Minderheit an, deren Superiorität durch ihre Vorrangstellung, dadurch, dass sie von Gott auserwählt wurden, generiert wird. Trotz des Bewusstseins dieser eigenen Superiorität, hervorgerufen durch das Wissen, dem wahren Glauben anzugehören, vermag die Begegnung mit dem Reichtum und dem technischen Fortschritt der anderen Kulturen jedoch auch Unsicherheiten hervorzurufen.562 Und so stellen die de Brys in ihren Vorreden wiederholt Überlegungen darüber an, warum die besuchten Länder in Indien und Südostasien so viel fruchtbarer und reicher ausgestattet seien als die Länder der Christen, warum ihre Flora so „herrlich vnd köstlich“ sei, „daß sie auch der Christen gewächse weit vbertreffen wie Männiglich bekennen muß.“563 Sofort aber verwerfen sie solche Gedanken wieder und verbieten sich Fragen nach den Gründen: „Möchte aber jemand hie nicht unbillich fragen / wie es doch keme / daß der Allmechtige Schöpffer / diesen wilden vnd barbarischen Nationen / solche herrliche Gewächse gegeben / vnnd vns Christen derselben beraubet / da wir doch deren / in diesen Landen mehr bedürfftig seynd / vnd auch besser gebrauchen / dann diese Völcker / bey welchen sie wachsen / vnd von welchen sie für nichts geachtet werden? […] were 564

nit allein Vnchristlich / sondern auch Gotteslesterlich zureden“.

Gottes Weisheit und seine Allmacht seien genauso groß, wie sein Tun unergründlich sei, und es stehe den Menschen nicht zu, Gott, der die gesamte Erde geschaffen habe, zu hinterfragen. Zudem sei Gott „so gut […] / daß er eben so wol seine liebe Sonne scheinen lässet / vber die Bösen / als vber die Frommen / vnnd seinen reichen Segen austheilet / eben so wol vnter die so jhn nicht kennen / als vber die so seinen herrlichen Namen anruffen vnd ehren.“565 Obwohl die de Brys Fragen nach dem Warum als gotteslästerlich verurteilen, begeben sie sich dennoch selbst auf die Suche nach Antworten. Insbesondere sehen sie im sündigen Leben 561 Bartholomäus Ziegenbalg, zit. nach Gita Dharampal-Frick, 1994, S. 308 f. Ziegenbalg hielt sich zwischen 1706 und 1719 als Missionar in der dänischen Kolonie Tranquebar (heute: Tharangambadi im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu) auf und verfasste zahlreiche Berichte und Briefe über sein Wirken in Indien. Seine Schriften über Religion und Sitten der Tamilen wurden erst im 20. Jahrhundert herausgegeben: S. W. Caland (Hg.), Ziegenbalg’s Malabarisches Heidenthum, Amsterdam 1926, und ders. (Hg.), Nidi wunpa oder malabarische Sitten-Lehre, in: ders. (Hg.), B. Ziegenbalg’s Kleinere Schriften, Amsterdam 1930. 562 Siehe dazu auch das Kapitel 2. 563 Petits Voyages, Bd. IV, Vorrede. 564 Siehe ebd. 565 Ebd.

190 |   Das Wissen von der anderen Welt

der Christen den Anlass für die nur scheinbare Ungerechtigkeit des göttlichen Handelns, hätten diese doch den Blick für die Wunder der göttlichen Schöpfung verloren, „derhalben vns dann Gott der Herr / gleichsam auß dem Schlaff aufwecken / mit der Nasen hin vnnd wider durch die welt führen / vnd vnsere Augen vns auffthun muß / seine grosse Wunderwerck zusehen vnnd zuerkennen / auf daß wir durch dieselben bewegt werden / seinen heiligen Großmechtigen Namen so viel 566

desto mehr anzuruffen / vnnd jhn für den Allmechtigen Gott zuhalten vnd zuerkennen.“

So sehen die Frankfurter Verleger in den maritimen Erkundungsfahrten göttliche Führung, die Expansion der christlichen Völker folgt dem Willen Gottes, der sie aus dem Schlaf erweckt hat, um ihnen seine Schöpfungskraft zu demonstrieren; die Pracht der fremden Landschaften fällt so überwältigend aus, damit die reisenden, berichtenden und rezipierenden Christen Gottes wunderbare Schöpfung neu zu würdigen wissen. Zudem seien die Christen so „aufgeblasen“ gewesen, zu meinen, „wir bedürfen andere Leute nicht / oder wir können dieser und dergleichen Völcker wol entperen“.567 Damit betonen die de Brys die Abhängigkeiten und Interdependenzen der verschiedenen Völker und liefern zugleich geschickt ein gewichtiges Argument für den Fernhandel – schließlich habe Gott gewollt, dass die Völker der Welt im Austausch stehen.568 Doch zeigt sich in den Augen der Verleger auch hier die Superiorität der Anhänger des christlichen Glaubens: Sie seien diejenigen gewesen, die sich unter großer Gefahr für Leib und Leben aufgemacht hätten, um in Kontakt und Handel mit „weit abgelegene Landen“ zu treten, wohingegen die Bewohner Letzterer sich nicht „im geringsten […] bemühet“ hätten, „jhre Länder zuverlassen / vnd etwas in den vnsern zu suchen“. Die Christen aber seien nun „gezwungen eine Politische Societet vnd Correspondentz mit denen Völckern zuhalten“.569 Die Verleger schaffen deutlich eine Binarität zwischen den Christen auf der einen und den anderen Völkern auf der anderen Seite. Wie bereits in dem Kapitel 2 angedeutet, beschwören sie in ihren Vorworten mehrfach die Einheit der gesamten Christenheit. Dabei preisen sie die Errungenschaften der Niederländer; ihre Fahrten und Entdeckungen führten zur Erweiterung des Reiches Gottes, dank ihrer sei man nun in der Lage, den Herrn „biß an aller welt ende“ zu loben, zu preisen und zu ehren und überall auf der Welt Gotteshäuser zu errichten.570 Vor allem aber betonen die Verleger, dass die Niederländer

566 Ebd. 567 Ebd. 568 Ganz ähnlich hat es bereits der zum Protestantismus konvertierte Sebastian Münster in seiner Cosmographia von 1544 formuliert; Münster hat dabei jedoch noch die Gerechtigkeit Gottes betont, der die Güter der Welt gleichmäßig verteilt habe (während die de Brys die Privilegien der asiatischen Länder hervorheben): „Also wöllen wir kein land onersucht lassen / do mit wir erkennen was Gott vor seltzame vnd wunderbarliche ding auff dem weiten ertrich erschaffen hat / vnnd je einem land etwas geben / das in dem andern nitt gefunden wirt / vnd seine gaben also wunderbarlich auß getheilt / das wir darbey lerneten / das ein mensch vnd ein land deß andern allwegen bedarff / vnd keins alle ding über ein haufen empfangen hat.“ Zitiert nach Neuber, 19912, S. 50. 569 Petits Voyages, Bd. IV, Vorrede. 570 Petits Voyages, Bd. III, Vorrede.

Gottes Wunderwerck  

| 191

„ihr Heil und Wohlfahrt schon allbereit so fern versucht, dass gute Hoffnung erscheinet, solchs mit der Zeit vollkömmlich ins Werk zu richten, dannenher nit allein dieser Nation den Holländern, sondern der 571

ganzen Christenheit ein ewiger Ruhm und unermesslicher Nutzen entstehen würde.“

Die um 1600 unterschwellig gärenden Konflikte und die tatsächlich ausgetragenen Kämpfe und Kriege zwischen Protestanten und Katholiken werden hier ebenso ignoriert wie die innereuropäischen Auseinandersetzungen und Gefechte in Übersee.572 Stattdessen wird die Einigkeit und Zusammengehörigkeit der gesamten Christenheit heraufbeschworen, werden die jüngst unternommenen Reisen der Niederländer zum hoffnungsvollen Auftakt für eine glanzvolle Zukunft für alle Christen umgedeutet.

5.2 Konfessionelle Positionierungen Ein Blick auf die Haupttexte und die Kupferstiche zeigt jedoch, dass diese scheinbar eindeutigen Dichotomien zwischen den Christen und den Anderen aufgelöst, dass weder die christlichen Konfessionen noch die heidnischen Religionen als einheitlich dargestellt werden und dass auch die Bewertungen der einzelnen Glaubensformen höchst unterschiedlich ausfallen können. Die religiöse Heterogenität in Indien und Südostasien wird mehrfach beschrieben;573 dabei wird auch die religiöse Toleranz in den einzelnen Ländern und Regionen betont: „Diese drey Nationen [der Muslimen, Juden und Brahmanen, D.S.] hat jede jhren besonderen Glauben für sich / vnd leben doch einig vnder einander / sie halten gute Policey Ordnung und Justitien / vnnd diese 574

Nationen werde alle drey in den Rath deß Königs [von Calicut, D.S.] angenommen.“

Diese in Calicut und in mehreren anderen indischen Herrschaftsgebieten bestehende religiöse ‚Toleranz‘ wird in den Petits Voyages wiederholt thematisiert und bereits seit dem frühen 16. Jahrhundert in ganz Europa – z.B. in Bezug auf die Herrschaft des sagenhaften christlichen

571 Ebd. 572 Siehe zu den innereuropäischen Konflikten in Indien und Südostasien auch das Kapitel 2. 573 „Obgedachte drey Nationen oder Geschlechte seyn auch sehr vnterscheiden / was den Glauben oder Religion belanget / dann die von China vnnd Sian seynd alle Heiden / die zwar alle den Abgöttern dienen / aber doch nicht einerley Meynung oder Gestallt / sondern sie seyn in mancherley Secten vnterschieden. Sie haben jhre Kirchen daselbst in der Statt gezieret mit vielen güldenen Götzen / denen sie Ehre anthun / vnnd opffern auff vnterschiedliche Weise oder Manir. Sie haben auch eine grosse Mänge von Pfaffen“, Petits Voyages, Bd. VII, S. 34. 574 Petits Voyages, Bd. II, S. 37.

192 |   Das Wissen von der anderen Welt

Priesterkönigs Johannes575 –breit rezipiert.576 Hier würde ein Vergleich mit den konfliktgeladenen Verhältnissen in den europäischen Gebieten naheliegen, der jedoch weder in dieser Textstelle noch in einer anderen erfolgt. Die Diskussionen zwischen Protestanten und Katholiken jedoch werden mehrfach in die Überseeregionen verlagert, z.B. indem den Andersgläubigen Einschätzungen und Bewertungen in den Mund gelegt werden, die die Positionen der Protestanten universeller und damit zugleich wahrer erscheinen lassen: „Da fragte jhn [den Moslem, D.S.] der Portugaleser wo jhr Gott vnd jre Heiligen weren / welch sie anbeten / dieweil er es in der Kirchen / wie gesagt ist / ganz lehr sahe / darauff antwortet jhm der Mohr / sie beteten kein Holz noch Stein an / nur allein den lebendigen Gott / welcher im Himmel ist / sagt auch / jhr Leut / nemlich jhr Portugesische Christen vnnd Heyden seyt durch aus gleich / denn jr betet die gemachte Bilder 577

an / vnnd gebet jhnen die Ehre welche allein dem ewigen allmechtigen Gott gebühret.“

Von dieser Aussage dürften sich viele Calvinisten der Zeit angesprochen fühlen. Hier wird der Bilderstreit zwischen Katholiken und Protestanten nach Indien verlegt; 578 die Anmerkungen und Einwände des Muslims entsprechen den Einstellungen vieler Reformierter in Europa um 1600.579 575 Seit dem Mittelalter war Indien in der Wahrnehmung der Europäer das Reich des sagenhaften Priesters Johannes. Um dieses Reich rankte sich „eine der größten geographischen Legenden“ (Börner) des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Die ersten Nachrichten darüber stammten von dem Chronisten Otto von Freising, der 1145 berichtete, ein syrischer Bischof habe ihm in Italien von Johannes erzählt. Er sei fromm wie ein Apostel und reich wie Krösus. Zu einer Zeit, in der die Macht der Türken beständig anwuchs und die Christen zahlreiche Niederlagen gegen die Muslime einstecken mussten, verbanden sich große Erwartungen mit einem mächtigen christlichen Fürsten, der weit weg im Orient herrschte und auf dem Weg nach Westen war, um zusammen mit den Christen Jerusalem aus den Händen der „Ungläubigen“ zu befreien. Zur Legende des Priesterkönig vgl. Wilhelm Baum, Die Verwandlungen des Mythos vom Reich des Priesterkönigs Johannes. Rom, Byzanz und die Christen des Orients im Mittelalter, Klagenfurt 1999, und Klaus H. Börner, Auf der Suche nach dem irdischen Paradies. Zur Ikonographie der geographischen Utopie, Frankfurt/Main 1984. Auch viele Weltkarten verzeichneten das Reich des sakralen Königs noch im 16. Jahrhundert in Indien, vgl. dazu Heitzmann, 2006, S. 185–187 (Der Mythos lebt. Das Reich des Priesterkönigs Johannes). In den Petits Voyages jedoch wird der sagenhafte Priester nur an einer Stelle erwähnt, sein Reich wird dort in Äthiopien verortet. 576 Vgl. dazu auch Antje Flüchter, Priesterkönig, Teufelsanbeter und Synkretismus in Indien? Verflechtung von Religion und Politik in der deutschsprachigen Indienwahrnehmung, in: Comparativ 18,3-4 (2008), S. 133–155, hier: S. 135. 577 Petits Voyages, Bd. II, S. 129. Solche theologischen Gespräche und auch „philosophischen“ Auseinandersetzungen über den wahren Glauben lassen sich in den Texten der Petits Voyages mehrfach finden; vgl. z.B. auch Petits Voyages, Bd. VII, S. 27 f. 578 Zum konfessionellen Bilderstreit vgl. u.a. Robert W. Scribner (Hg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, (= Wolfenbütteler Forschungen, 46), Wiesbaden 1990; Norbert Schnitzler, Ikonoklasmus – Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln während des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1996; Peter Blickle, André Holenstein, Heinrich Richard Schmidt, Franz-Josef Sladeczek (Hg.), Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, München 2002. 579 Zur Bilderfrage in den kontroverstheologischen Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten siehe Thomas Kaufmann, Die Bilderfrage im frühneuzeitlichen Luthertum, in: Peter Blickle, André Holenstein,

Konfessionelle Positionierungen   |

193

Die Bilderfeindlichkeit des Calvinismus ist auf das zweite Gebot zurückzuführen; Calvin selbst hat seine Bilderlehre wie folgt formuliert: „Nun hat aber der rohe Unsinn die ganze Welt ergriffen; daß man eine sichtbare Gestalt Gottes haben will und sich deshalb aus Holz, Stein, Gold, Silber oder sonstigem totem und vergänglichem Stoff Götter bildet; darum wollen wir als Grundsatz festhalten: Gottes Ehre wird in frevlerischem Betrug angegriffen, wo man ihm irgendwelche äußere Gestalt andichtet. Nachdem sich deshalb Gott im Gesetz die Ehre der Gottheit allein zugesprochen, fügt er, um zu zeigen, welche Art der Verehrung er billigt und welche er verwirft, gleich hinzu ‚Du sollst Dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen …‘ (Ex 20, 4). Damit hält er unsere Frechheit im Zaum und verbietet uns jeden Versuch, ihn in irgendeinem sichtbaren Bilde darzustellen. […] Aber Gott macht unter der Bildern keinen Unterschied […], sondern verwirft ohne Ausnahme alle Götzenstandbilder, alle gemalten Idole und alle anderen Zeichen, unter denen der Aberglaube 580

Gottes Nähe zu besitzen wähnt.“

Johannes Calvin legt das zweite Gebot Gottes also äußerst streng aus und bezeichnet jegliches Heiligenbild als „Götzenstandbild“ und als Zeichen des „Aberglaubens“. Martin Luther ist in der Frage weniger drakonisch gewesen, für ihn zählten Bilder zu denjenigen Kirchengebräuchen, die in Gottes Wort weder geboten noch verboten waren; er selbst war sogar der Überzeugung, dass menschliches Erkennen auf Bilder angewiesen sei: Für Luther war „die Macht der Bilder durch das Wort prinzipiell gebrochen“ und so „konnten und sollten sie auf Menschen wirken, denn der Mensch bedurfte […] der Bilder und der menschliche Gott redet zum Menschen in einer ihm gemäßen Weise.“581 Für die Calvinisten hingegen bringen die Bilder – so z.B. der Genfer Reformator Theodor von Beza – „mehr schaden […] dann nutzen.“ „Das lutherische Konzept, den Aberglauben durch die Predigt ‚den Menschen aus den Herzen‘ ‚reißen‘ zu wollen, rechtfertige keineswegs, die ‚kranckheit solches schandtlichen aberglaubens‘ […] zu dulden.“582 Die Bilderfrage war also im 16. Jahrhundert nicht nur zwischen Katholiken und Protestanten umstritten, sondern auch innerhalb der verschiedenen protestantischen Strömungen. Mit der Aussage des Muslims wird in den Petits Voyages einerseits Stellung bezogen; mit dem Hinweis, dass es die „Portugiesische[n] Christen vnnd Heyden“ seien, die die „gemachte[n] Bilder“ anbeten, wird bewusst eine Trennlinie innerhalb der christlichen Gemeinde gezogen. Die Anbetung heiliger Bilder wird – ganz im Sinne der Reformierten – als Götzendienst und Aberglaube diffamiert. Doch damit erscheint auch der Moslem dem Calvinisten näher als einer seiner ihm scheinbar so nahestehenden Glaubensbrüder. Diese inszenierte Nähe zwischen Moslems und Calvinisten wird – auch wenn sie vermutlich nicht bewusst Heinrich Richard Schmidt, Franz-Josef Sladeczek (Hg.), 2002, S. 407–454, hier: S. 424 ff. 580 Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion – Institutio Christianae Religionis, nach der letzten Ausgabe von 1559 übers. und bearb. von Otto Weber, bearb. und neu herausgegeben von Matthias Freudenberg, Neukirchen-Vluyn 2008 (11. Kapitel). 581 Kaufmann, 2002, S. 450. 582 Theodor von Beza, zit. nach Kaufmann, 2002, S. 426.

194 |   Das Wissen von der anderen Welt

hergestellt wird – augenscheinlich auch in Kauf genommen. Um innerhalb der konfessionellen Diskussion Stellung zu beziehen, wird versucht, neue Allianzen zu schaffen, können sogar traditionelle Feindbilder ignoriert werden.583 Zu diesem eindeutigen Schluss könnte man zumindest kommen, wenn man eine Beurteilung des Islam im selben Bericht einige Seiten vor dieser Textstelle ignoriert; dort findet sich eine der wenigen dezidiert negativen Aburteilungen des islamischen Glaubens innerhalb der Reisesammlung: „Daher noch alle Orientalischen Grenzen / nemlich dahin die Mahometisten gehandthieret haben / mit derselbigen Teuffelischen Secten beschmeißt sind / vnd jr Gifft ist vberal ausgesprengt / welches die fürnembste Vrsach vnd Verhinderungsgift gewesen / daß das Evangelium so wenig bey jhnen verfangen hat / sintemal dieses Pestilenzisch Seuche die Mahometische Abgötterey in jnen ganz vnd gar eyngewurzelt war / 584

vnd den ganzen Leib verdorben hatte.“

Von neuen Allianzen kann angesichts solcher Überzeugungen und Verurteilungen keine Rede sein, dennoch liefern die beiden kurzen Passagen Hinweise auf die tiefe Spaltung im konfessionellen Diskurs. So lassen sich in den Petits Voyages zahlreiche Textstellen finden, die sich nur vordergründig allein auf nichtchristliche Rituale beziehen: „Es ist aber das Land gar voller allerley Greweln / vnd haben sie zu Candy viel Bildtnussen der verstorbenen Menschen / sonderlich aber jhrer grossen Herren / da sihet man denn ein Grewel wenn sie kranck seyn / so lauffen sie strack zu den Bildtnussen / wie zu einem Teuffel / dem sie opfern / zu welchem Ende sie allzeit einen Korbt in jhren Heusern haben / darinn sie das jenige versamlen was sie dem Teuffel opfern / 585

verhoffende Hülffe bey demselben zuverlangen.“

Auch hier liegen Assoziationen mit katholischen Glaubenspraktiken – mit der Heiligenverehrung, mit der Tradition der Votivgaben – nahe; doch werden zu explizite Analogien vermieden. Diese offenen Formulierungen bieten dem Leser (wie so oft in der de Bry’schen Reisesammlung) eigene Interpretations- und Deutungsoptionen – je nach Hintergrund und Standpunkt kann er sie jeweils für seine Ansichten und Argumentationsstrategien nutzbar machen. Erstaunlich deutlich erscheint eine Passage ebenfalls aus Band VII, in der heidnische Ursprünge des Katholizismus vermutet werden und die die Götzen der Heiden direkt mit den Marienbildern der Katholiken in Verbindung bringt: „Wer diese Ceremonien der Mönche / Klöster vnnd Prozessionen wohl ansihet / kann sich nicht anders gedencken oder vrtheilen / als daß vnsere Mönche den meisten theil jhrer Ceremonien von diesen heydnischen

583 Zum zeitgenössischen Türkendiskurs vgl. Almut Höfert, Den Feind beschreiben. „Türkengefahr“ und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450–1600, Frankfurt/Main & New York 2003. 584 Petits Voyages, Bd. II, S. 122. 585 Petits Voyages, Bd. VII, S. 37.

Konfessionelle Positionierungen   |

195

München gelernt haben / denn sie auch die Weiß halten / daß sie jhre Götzen mit Blumen verehren / welche sie allenthalben an den Weg / vnd theils an die Bäume stellen / in massen im Babsthumb das Marienbildt 586

allenthalben aufgestellet wirdt.“

Hier geht es nicht mehr um Deutungsspielräume und verschiedene Assoziationsmöglichkeiten, hier wird der Katholizismus unmissverständlich diskreditiert, werden Beschreibungen heidnischer Praktiken benutzt, um im konfessionellen Diskurs Stellung zu beziehen. Diffamierungsversuche gegenüber den Katholiken durchziehen somit die gesamte Reisesammlung; sie werden jedoch (anders als die zuletzt zitierte Textstelle vermuten lässt) vorwiegend eher subtil formuliert – sei es um die potenzielle katholische Leserschaft nicht zu verärgern oder um der katholischen Zensur zu entgegen;587 erkennbar bleiben sie dennoch.

5.3 Der böse Feind, der leydige Teuffel, der immer suchet vnd nimmer auff höret … Mehrfach werden in den Petits Voyages heidnische Glaubensvorstellungen und -praktiken als abergläubisch bezeichnet; in zahlreichen – auch aktuellen – Forschungen zur Wahrnehmung und Darstellung außereuropäischer Religionen wird dies als Produktion eindeutiger Dichotomien zwischen Christen und Nichtchristen gelesen. Der fremde Glaube werde als abergläubisch diskreditiert und damit als mit dem eigenen religiösen Vorstellungssystem gänzlich unvereinbar begriffen.588 Doch nicht nur der heidnische, auch der katholische Glaube wird in den Petits Voyages als Aberglaube charakterisiert. Was also verstand man um 1600 unter der Bezeichnung Aberglaube? Laut Enzyklopädie der Neuzeit wurde der Begriff bis ins 18. Jahrhundert als deutsche Übersetzung des lateinischen superstitio verwendet (ein Begriff, der auch in den Petits Voyages wiederholt auftaucht); als Übersetzung bezeichne er den sogenannten falschen Glauben, also „die Abweichung vom christlichen Glauben, wie ihn die einheitliche abendländische Kirche 586 Petits Voyages, Bd. VII, S. 25. 587 Vgl. dazu van Groesen, 2008, passim. 588 So schreibt Flemming Schock in seiner 2011 erschienenen Dissertation: „Vor dem Hintergrund des christlichen Absolutheitsanspruchs erwecken sie [die vielfältigen Glaubensanschauungen, D.S.] vielmehr den Eindruck einer grundlegenden Zweiteilung der Welt: in den ordo der Christenheit, dem die ‚Verwirrung und Unruhe‘ der vom Teufel regierten ‚Nationen‘ gegenübersteht. Anders gewendet: Das Ausmaß der spirituellen Rationalität, das man bei sich selbst zu erkennen vermeint, wird erst durch die Irrationalität ‚der‘ Anderen besonders sichtbar.“ Flemming Schock, Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der „Relationes Curiosae“ von E. W. Happel, Köln, Weimar, Wien 2011, S. 231; auch Michiel van Groesen geht in seiner Dissertation auf die breite Auseinandersetzung mit dem Thema Heidentum in den de Bry’schen Reisesammlungen ein und begründet die Allgegenwart heidnischer Rituale wie folgt: „[…] stressing the heathendom of the aboriginal populace abroad, therefore, provided comfort in trouble times. It allowed the Old world to agree on overseas immorality and assimilate unfamiliar societies into their universal order, in which versions of heathendom were already an established category.“ Michiel van Groesen, 2008, S. 220.

196 |   Das Wissen von der anderen Welt

durch ihre dogmatische und kirchenrechtliche Tradition normierte.“589 Allerdings könne er in den konfessionellen Debatten außerdem als polemischer Kampfbegriff verwendet werden, „wobei auch die Reformation in vielerlei Hinsicht in das Glaubenssystem des Mittelalters und seiner Lehre von Dämonen eingebunden blieb.“590 Knapp 100 Jahre nach Luthers Thesenanschlag und dem Beginn der Reformation und am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges kann von einer einheitlichen abendländischen Kirche sicherlich nicht die Rede sein. Wie oben bereits herausgearbeitet, waren sowohl die Konfessionen als auch die verschiedenen konfessionellen Strömungen um 1600 tief gespalten. Im Umkehrschluss ist es überaus problematisch, bestimmte Rituale und Glaubensvorstellungen jeweils den Normen des christlichen Glaubens resp. den Abweichungen zuzuordnen, herrschte doch gerade über diese Normen keine Einigkeit. Die Enzyklopädie der Neuzeit verweist hier auf die Lehren von Dämonen, der auch die Reformierten verhaftet geblieben seien. Dem soll im Folgenden nachgegangen werden. Anhand der Figur des Teufels soll gezeigt werden, wie ausgesprochen schwierig es sich für die Zeit um 1600 gestaltet, eindeutige Trennlinien zwischen den heidnischen und den christlichen Glaubensvorstellungen, zwischen Glauben und Unglauben zu ziehen. Die Figur des Teufels verdeutlicht die Variabilität, Vielschichtigkeit und Differenziertheit vormoderner Glaubensformen und zeigt die Schwierigkeiten und Unschärfen im Umgang mit dem fremden Glauben auf. Mehrfach unterstreichen die de Brys in ihren Vorreden, dass alle Menschen ihren Ursprung in Adam haben, also Brüder sind591 – damit erscheinen die heidnischen, die ungläubigen oder eben „abergläubischen“ Anderen zunächst als vom wahren Glauben Abgefallene, die sich im Zustand der Sünde befinden: Wenn alle Menschen Brüder sind, so haben alle die gleichen Voraussetzungen und wären durch eigene Vernunft oder Offenbarung in der Lage, zur Gotteserkenntnis zu kommen. Zwar betonen die Verleger in ihrer Vorrede zu Band IV der Petits Voyages, dass Gotteserkenntnis nicht auf den Willen eines Menschen zurückzuführen ist, sondern auf die Gnade Gottes, doch machen sie gleichzeitig deutlich, dass die Verweigerung Gottes, Barmherzigkeit zu gewähren und den Menschen seine Existenz zu offenbaren, auf das Unvermögen und die Schuld der Betroffenen zurückzuführen ist. Auch Martin Luther ging von der Vermutung aus, dass der christliche Glaube durch die Apostel bereits überall in der Welt verbreitet wurde; diejenigen, die den Weg zu Gott nicht gefunden bzw. wieder verloren haben, machen sich damit schuldig. Entsprechende Bezugspunkte für diese Ansichten lassen sich in der Bibel finden, dort heißt es z.B. in Römer 1,18–21:

589 Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1: Abendland–Beleuchtung, Stuttgart/Weimar 2005, Artikel Aberglaube (Hanns Christof Brennecke), Sp. 6–11, hier: Sp. 7. 590 Ebd., Sp. 8. 591 Das oben (S. 190 f.) bereits verwendete Zitat aus der Vorrede des vierten Bandes geht wie folgt weiter: Die Christen seien nun „gezwungen eine Politische Societet vnd Correspondentz mit denen Völckern zuhalten / vnd sie dem Fleisch nach auch für vnsere Brüder zu erkennen“, Petits Voyages, Bd. IV, Vorrede; vgl. auch Petits Voyages, Bd. II, Vorrede.

Der böse Feind, der leydige Teuffel   |

197

„Der Zorn Gottes wird vom Himmel herab offenbart wider alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. Denn was man von Gott erkennen kann, ist ihnen offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird eine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar. Denn sie haben Gott erkannt, ihn aber nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt.“

Damit ist von Natur aus erkennbar, dass es Gott gibt, auch wenn sein Wirken nur durch Offenbarung zugänglich ist. Während Martin Luther in Anlehnung an diese Bibelstelle die vom rechten Glauben Abgefallenen als für immer verlorene Sünder brandmarkt, beziehen sich die Calvinisten auf die natürliche Vernunft, wenn sie die göttliche Offenbarung nicht als an Christus, sondern als an eine vernunftgemäße Wahrheit gebunden verstehen, die von der Sünde nicht ausgelöscht, nur verdunkelt werden könne.592 Für die heidnischen Völker besteht demnach noch die Möglichkeit der Errettung durch Erkenntnis.593 Auch in den Petits Voyages kommt diese Sichtweise zum Ausdruck: „Daraus wir abnemen können / wie höchlich wir Gott dem allmächtigen zu dancken vnd jhn zu loben haben / daß er vns mit seinem heiligen Evangelio vnd der warheit im glauben erleuchtet hat / vnd daß er vns nit vnder diese […] vom Satan verblendten Heiden vnd Völckern hat lassen geboren werden / welche denn der ewige barmherzige gütige Gott mit der erkantnuß seiner warheit / welches der einige warhafftige trost vn Heilant ist / auch erleuchten woll / darfür wir alle sampt einhellig zu beten schuldig seind / dann sie seind vnsere Neheste / auch Ebenbilder vnnd Geschöpff Gottes / welcher sie aus solcher verblendung Vätterlich erretten wolle / vnd beyde jhnen vnd vns allen geben wasn vns an Leib vnd Seel zeitlich vnd 594

ewig nütz vnd gut seyn möge.“

Die Ungläubigen sind vom Teufel „verblendet“ und verführt worden, doch sind sie nicht vollständig verloren, und so ist es möglich, für ihre Erleuchtung zu beten. Mission wird an dieser Stelle jedoch nicht in Betracht gezogen.595

592 Vgl. Neuber, 19912, S. 54 f. 593 Zu den theologischen Diskussionen, die in Europa nach der „Entdeckung“ der „Neuen Welt“ zum „Heidentum“ der amerikanischen Indigenen geführt wurden, und zu den Herausforderungen, die diese „Entdeckungen“ in Bezug auf die Interpretationen der Bibel und die europäische Geistesgeschichte mit sich brachten, vgl. u.a. Neuber, 19912, Mahlke, 2005, Hinrich Fink-Eitel, Die Philosophie und die Wilden. Über die Bedeutung des Fremden für die europäische Geistesgeschichte, Hamburg 1994. Siehe außerdem Band 67 des Journal of the History of Ideas, Nummer 4 (Oktober 2006), darin insbesondere: Jonathan Sheehan, Introduction: Thinking about Idols in Early Modern Europe, S. 561–570, Joan-Pau Rubiés, Theology, Ethnography, and the Historicization of Idolatry, S. 571–596, Carina L. Johnson, Idolatrous Cultures and the Practice of Religion, S. 597–622, und Jonathan Sheehan, The Altars of the Idols: Religion, Sacrifice, and the Early Modern Polity, S. 649–674. 594 Petits Voyages, Bd. II, S. 134. 595 Aufrufe zur Missionierung finden sich in den Petits Voyages dennoch selten; vielmehr wird die katholische Mission scharf kritisiert (siehe u.a. Petits Voyages, Bd. II, S. 77 und 105) und auch eine der wenigen direkten Forderungen

198 |   Das Wissen von der anderen Welt

Wiederholt wird in den Petits Voyages auf den tätigen Einfluss des Teufels in den Ländern Indiens und Südostasiens hingewiesen, dessen Verführungskraft sogar so weit geht, dass die „Ungläubigen“ ihm selbst Opfer bringen. So lässt sich die oben bereits zitierte Textstelle, die als subtile Kritik an den Glaubenspraktiken der Katholiken gelesen wurde, auch als Kritik an der Schwäche und Verführbarkeit der Inder lesen: „Es ist aber das Land gar voll allerley Greweln / vnd haben sie zu Candy viel Bildtnussen der verstorbenen Menschen / sonderlich aber jhrer grossen Herren / da sihet man denn ein Grewel wenn sie kranck seyn / so laufen sie strack zu den Bildtnussen / wie zu einem Teuffel / dem sie opfern / zu welchem Ende sie allzeit einen Korbt in jhren Heusern haben / darinn sie dasjenige versamlen was sie dem Teuffel opfern / 596

verhoffende Hülffe bey demselben zuverlangen.“

Die Chinesen hingegen galten in ihren religiösen Ritualen weniger als verführt und verblendet denn als besonders berechnend – beteten sie doch den Teufel an, obwohl sie an die Existenz Gottes glaubten: „Wann wir sie frageten / warumb sie den Teufel anbeten / vnnd jhm dieses opffer theten vnd nicht dem Allmächtigen Gott / antworteten sie / es were vnnöthen / dem Allmächtigen Gott eine Versühnung zuthun / dann der were gut / vnd thu nichts böses / daß sie aber dem Teuffel also opfferten / vnnd jhne anbetten / 597

geschehe darumb / auff daß er / als böser Geist / jhnen nichts vbels zu füge“.

Der Teufel, der von Gott erschaffen wurde, um Sünde und Unmoral sichtbar zu machen, war im frühneuzeitlichen Europa das personifizierte Böse.598 Der Glaube an den Teufel und seine untergebenen Dämonen – die Engel, die sich gegen Gott erhoben hatten und in die Hölle gestürzt waren599 – geht zurück auf das Alte Testament;600 er wurde von Gott in die Welt gesandt, um die Menschen und die Beständigkeit und Stärke ihres Glaubens zu prüfen. Damit erscheint er als Gegner des Menschen.601 Im Neuen Testament hingegen wurde er als Widersacher Gottes bzw. als Gegenspieler Jesu präsentiert,602 der sein Unwesen in der Welt treibt, um die Menschen von Gott zu lösen und an sich selbst zu binden. „Der Teufel repräsentierte und verursachte geistliche, moralische, soziale und materielle Unordnung in der natürlichen Welt“, so fasst Robert Scribner die Funktion des Teufels in

596 597 598 599 600 601 602

nach Verbreitung des christlichen Glaubens wird mit erneuter Kritik an der portugiesischen Mission verbunden, Petits Voyages, Bd. VII, S. 37. Petits Voyages, Bd. VII, S. 37. Petits Voyages, Bd. III, S. 146. Vgl. Stuart Clark, Thinking with Demons. The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe, Oxford 1997, S. 80–93. Offb 12,7–9. Vgl. etwa Hiob 1,6–2,7. Vgl. Johannes Dillinger, Hexen und Magie. Eine historische Einführung, Frankfurt/Main & New York 2007, S. 43. Vgl. u.a. Matth 4,1–11.

Der böse Feind, der leydige Teuffel   |

199

Mittelalter und Früher Neuzeit zusammen.603 Nicht nur in den Texten der Petits Voyages, auch in den theologischen Diskursen und im Volksglauben604 war er allgegenwärtig – was sich auch am Erfolg der protestantischen Teufelsbücher ablesen lässt, die sich im deutschsprachigen Raum vor allem ab Mitte des 16. Jahrhunderts ausgesprochen großer Beliebtheit erfreuten.605 Es handelt sich dabei um Moraltraktate, die der Gattung der Spiegelliteratur zuzurechnen sind, die also dem Leser einen Spiegel über seine Schwächen und Laster vorhalten und ihn damit zur Umkehr, zu einem sündenfreien, gottesfürchtigen Leben bewegen wollten. Die Schriften stellen eine Mischung aus gelehrter Abhandlung und Satire dar, sollten der Glaubensreinheit dienen und die Wahrheit der Bibel gegenüber vielfältigen Auslegungen akzentuieren. Schon die überaus beliebte Narrenliteratur hatte seit dem 15. Jahrhundert Fehlverhalten zur Darstellung gebracht; doch während dort mithilfe der Narren menschliche Fehler und Schwächen der Lächerlichkeit preisgegeben wurden, haftete schon der frühen Teufelsliteratur „die furchtbar bedrückende, bohrende metaphysische Auffassung [an], daß ,niemand seiner Sünden Straff entfliehe‘“.606 Die Teufelsliteratur trug so zur Schärfung des Sündenbewusstseins bei und war dabei sowohl von der reformatorischen Rechtfertigungslehre als auch von Martin Luthers immer wieder geäußerter Auffassung von der Allgegenwart des Teufels beeinflusst.607 Danach befindet sich der Mensch in ständiger Auseinandersetzung mit dem Teufel, der ihn zu verführen sucht. Luther glaubte, dass der Mensch entweder der Gewalt Gottes oder der Gewalt des Teufels angehört, und verglich ihn mit einem „Reittier“, das von einem der beiden geritten werde.608 Eines der ersten Bücher der Teufelsliteratur war der „Hofteufel“ des Johann Chryseus, der 1545 publiziert wurde; schon 1551 folgte der „Saufteufel“ von Matthäus Friderich. In den folgenden Jahren erschienen nun von orthodoxen lutherischen Pfarrern zahlreiche Teufelsbücher „zu allen nur denkbaren Fehlern der Menschheit.“609 Schon der sogenannte Hexenhammer hatte die Angst vor dem Satan und den Ausgeburten der Hölle verbreitet;610 Jean Delumeau geht davon aus, dass zwischen 1486 und 1669 30.000 bis 50.000 Exemplare dieser Schrift in ganz Europa zirkulierten. 1569 erschien dann die erste Ausgabe des berühmten 603 Robert W. Scribner, Religion und Kultur in Deutschland 1400–1800, Göttingen 2002, S. 381. 604 „Unter Volksglauben wird die Gesamtheit dessen, was die Mehrheit der Bevölkerung über eine Welt jenseits der Alltagserfahrung imaginiert, verstanden. Der Volksglauben umfasst religiösen Glauben im modernen Sinn, ebenso wie Schicksalsglauben, Geisterglauben, Glauben an die Wirksamkeit von Magie.“ Dillinger, 2007, S. 18. 605 Vgl. Heinrich Grimm, Die deutschen Teufelsbücher des 16. Jahrhunderts, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 2 (1960), Sp. 513–570; Bernhard Ohse, Die Teufelliteratur zwischen Brant und Luther. Ein Beitrag zur näheren Bestimmung der Abkunft und des geistigen Ortes der Teufelsbrüder, besonders im Hinblick auf ihre Ansichten über das Böse, Diss., Berlin 1961; Keith L. Roos, The Devil in the 16th Century German Literature: The Teufelsbücher, Bern & Frankfurt/Main 1972; Renate Dürr, Mägde in der Stadt. Das Beispiel Schwäbisch Hall in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/Main & New York 1995, darin das Kapitel Die Gesindeteufelliteratur im 16. und 17. Jahrhundert. 606 Grimm, 1960, Sp. 515. 607 In vielen katholischen Gebieten wurden Teufelsbücher aus Angst vor einer zu großen Faszination mehrfach verboten; vgl. Dürr, 1995, S. 77. 608 Vgl. Ohse, 1961, S. 39. 609 Dürr, 1995, S. 76. 610 Siehe zum Hexenhammer auch S. 118 f. dieser Arbeit.

200 |   Das Wissen von der anderen Welt

Theatrum Diabolorum – eines Teufelsbuch-Sammelbands aus dem Verlag Sigmund Feyerabends, der bis 1587/88 drei Auflagen erlebte und Mitte der 90er-Jahre des 16. Jahrhunderts bereits vergriffen war. Das Werk war eine Sammlung von zunächst 20 (1569), dann 24 (1575) und zuletzt 33 Büchern (1587) über die Dämonologie.611 Insgesamt war der buchhändlerische Erfolg der Teufelsliteratur enorm: Nach Heinrich Grimm erschienen allein in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 38 verschiedene Teufelsbücher von 31 Autoren in insgesamt 105 Auflagen bis zum Ende des Jahrhunderts. 1220 Exemplare wurden allein auf der Frankfurter Buchmesse von 1568 verkauft.612 Andreas Musculus, der Verfasser der erfolgreichen Unterrichtung von des Teufels Tyranney, Macht und Gewalt schrieb darin 1561: „In keinem Lande treibe der Teufel eine Tyrannei so gewaltig als in Deutschland.“613 Vielleicht war es dieser Erfolg, der Feyerabend zur Herausgabe seines Sammelbandes veranlasste. Dessen ausführlicher Titel gibt einen guten Einblick in das Programm der Teufelsliteratur und in das Bild des Teufels, das diese Schriften vermittelten; er soll deshalb hier in seiner gesamten Länge zitiert werden: „Theatrum Diabolorum, Das ist: Wahrhaffte eigentliche und kurtze Beschreibung / Allerley grewlicher / schrecklicher und abscheulicher Laster / So in diesen letzten / schweren und bösen Zeiten / an allen orten und enden fast bräuchlich / auch grausamlich in schwang gehen / Darauß ein jeder frommer Christ sonderlich zu sehen und fleissig zu lernen / wie daß wir in disem elenden und mühseligen Leben / nit mit Keysern / Königen / Fürsten und Herrn / oder andern hohen / gewaltigen Potentaten / sondern mit dem allermächtigsten und stärcksten Fürsten diser Welt / dem Teuffel / zu kämpfen und zu streiten / Welcher aller List und heimlicher Tück gantz voll / Schleichend (als S. Petrus sagt) umbhergehet / wie ein wütender / brüllender Löwe / uns zu verschlingen / Also daß er uns täglich und allen augenblick ohn aufhören auff der Fußsohlen nachtritt / damit er uns ja zufall bringen / in allerley Sünd / Schand und Laster / eynführen / und endlich mit Leib und Seel in Abgrund der Hellen stürtzen müge. Und derwegen seine grausame Tyranney und Wüterey recht lernen erkennen / Gott umb hülff und beystandt seiner Göttlichen Gnaden und heiligen Geistes von hertzen anruffen / alle gifftige Pfeil / tödtliche Geschoß / genugsam auffzufahen / außzuschlahen / und in Christo Jesu / unserm einigen Heylandt / uberwinden / Victoriam und das Feldt behalten. Allen Treuwhertzigen / denen jrer Seelen Heyl und Seeligkeit angelegen / mit ganzen Ernst und höchstem Fleiß zu betrachten.“

Die lutherische Auffassung, dass der Mensch den Verführungsversuchen des Teufels fortwährend ausgesetzt sei, kommt hier in aller Deutlichkeit und in all ihrer Bedrohlichkeit zum Ausdruck – „täglich und allen augenblick ohn aufhören“ versucht der Teufel „wie ein wütender / brüllender Löwe / uns zu verschlingen“. Alle Sünden und Laster gelten als Verführungen des Teufels, denen man sich durch Widerstandskraft und Tugendhaftigkeit und nur mit Gottes Hilfe entgegenzustellen vermag.

611 Vgl. Delumeau, 1985, S. 368. 612 Grimm, 1960, Sp. 518 ff. 613 Musculus, zit. nach Delumeau, 1985, S. 369.

Der böse Feind, der leydige Teuffel   |

201

Die Bewohner Afrikas und Asiens, so suggerieren es die Texte der Petits Voyages, haben weder diese Widerstandskraft aufgebracht noch sich Gottes Gnade verdient, sie haben sich – sei es aus Berechnung (wie z.B. die Chinesen), sei es aus Schwäche – den Verführungen des Teufels hingegeben. Die Götter der Anderen werden also nicht einfach als „falsche“ und damit auch machtlose Götzen verunglimpft, sondern werden mit dem mächtigen Teufel assoziiert; ihr „Götzendienst“ wird als Teufelsdienst interpretiert.614 Heidnische Rituale werden damit nicht als mit der eigenen religiösen Vorstellungswelt gänzlich unvereinbar begriffen und dargestellt, vielmehr werden sie durch die Figur des Teufels in die eigene Gedankenwelt integriert. Religiöse Rituale und Bräuche in anderen Teilen der Welt bestätigen und verstärken den Einfluss und die Macht des Teufels. Erfolgreiche teuflische Verführung galt jedoch als schuldhaft, da jeder Mensch zur natürlichen Gotteserkenntnis in der Lage und auch zu ihr verpflichtet ist (s.o.). Die Christen sind den „Verführten“ daher einerseits überlegen, andererseits werden sie selbst in der Fremde immer wieder mit den Verlockungen des dort herrschenden Teufels konfrontiert. Durch die Reisen in dessen Herrschaftsbereich werden sie den Prüfungen ihrer eigenen Verführbarkeit ausgesetzt;615 ihre Stärke beweisen sie durch jede erfolgreiche und widerständige Rückkehr, die sie medial immer wieder neu festschreiben.616 Der Teufel repräsentiert also nicht nur Unordnung in der materiellen Welt, wie Robert Scribner betont hat (s.o.), sondern er fungiert darüber hinaus auch als Instrument, um die Unordnung (fremder Welten) wieder in (die eigene) Ordnung zu überführen. Die Figur des Teufels als Widerpart schafft Möglichkeiten des Vergleichs und der Kategorisierung, der Aus-, aber auch der Eingrenzung.

5.4 Teufelsbilder Die Allgegenwart des Teufels zeigt sich auch in zahlreichen Kupferstichen der Petits Voyages, die sich ihm und den Anbetungen durch die „Verführten“ widmen. Dabei fällt jedoch auf, dass die Bildnisse des Teufels häufig nicht prominent in Szene gesetzt werden, sondern eher versteckt im Hintergrund erscheinen.

614 In Amerika wurden die indigenen Götterdarstellungen von den Spaniern und Portugiesen ebenfalls als Abbilder des Teufels gedeutet. Vgl. dazu u.a. Iris Gareis (Hg.), Entidades maléficas y conceptos del mal en las religiones latinoamericanas. Evil Entities and Concepts of Evil in Latin American Religions, Aachen 2008; dies., Wie Engel und Teufel in die Neue Welt kamen. Imaginationen von Gut und Böse im kolonialen Amerika, in: Paideuma 45 (1999), S. 257–273. Zur Einführung des Teufels in Mexiko vgl. Fernando Cervantes, The Devil in the New World. The Impact of Diabolism in New Spain, New Haven & London 1994. Die Berichte über die fremden Götter stehen damit in einer langen Tradition: Schon der Kirchenvater Augustinus hat die heidnischen Gottheiten den Dämonen zugeordnet; er hat damit den Kern der Idee vom Teufelspakt entwickelt, vgl. dazu Almut Neumann, Verträge und Pakte mit dem Teufel. Antike und mittelalterliche Vorstellungen im „Malleus maleficarum“, St. Ingbert 1997. 615 Vgl. dazu auch das Kapitel 3. 616 Vgl. dazu auch die Kapitel 2.

202 |   Das Wissen von der anderen Welt

Abb. 59 Werkstatt de Bry, Indianischer Abgott (1598)

Abb. 60 Werkstatt de Bry, Abgötterei und Götzendienst der Chinesen (1599)

Ein besonders bekanntes Beispiel für das Abbild einer asiatischen Gottheit, die mit dem Teufel assoziiert wurde, ist Tafel XXI im zweiten Band der Petits Voyages, die den „indischen Abgott“ zeigt. Zudem wird die „Blindheit der armen Teufelsdiener“ vor Augen gestellt, „welche an allen Wegen und Stegen solche Götzen […] in Felsen gehauen stehen haben.“617 Der Teufel oder „Abgott“ ist auf der rechten Seite in der oberen Hälfte des Stichs zu sehen. Die Figur steht auf einem in den Felsen gehauenen Sockel; sie ist zwar im Vergleich zu den vor ihr betenden Menschen sehr groß (ca. doppelt so groß wie die zwei knienden Menschen), ihre tatsächliche Größe im Bild aber umfasst nur zweieinhalb Zentimeter. Ihr Kopf hat vier Hörner, die Unterarme sind lang beharrt, die Füße bestehen aus Tierklauen und vor dem Schritt trägt sie einen Tierkopf – eine Mischung aus Ziege und Löwe, ebenfalls mit Hörnern versehen. (Abb. 59) 617 Petits Voyages, Bd. II, Tafel XXI, Subscriptio.

Teufelsbilder  |

203

Abb. 61 Jörg Breu d. Ältere, Dienst am Götzen in Calicut (1554)

Auf Tafel XXIV des dritten Bandes ist diese Figur erneut abgebildet; diesmal wird sie von den Chinesen in Bantam angebetet und wird somit vom indischen in den chinesischen Kontext übertragen. (Abb. 60) Diese Teufelsfigur ist die größte und auffälligste innerhalb der Petits Voyages. Die Subscriptio erläutert den „Götzendienst“ der Chinesen: Sie beteten „ein Bild in Gestalt eines Teufels an“, opferten ihm Früchte und hofften auf seinen Segen. „Alsdann richten sie sich wiederum auf, tragen die Früchte nach Hause, essen mit Freuden davon in der Hoffnung, daß der Abgott werde ihnen fürderhin kein Ungemach, sondern vielmehr alles Heil und Wohlfahrt widerfahren lassen.“618 Ob diese Hoffnung trügerisch ist, wird nicht thematisiert. Vermutlich gehen diese Darstellungen asiatischer Gottheiten ursprünglich auf eine Illustration von Jörg Breu d. Ä. zurück, die der deutschen Ausgabe des Varthema-Berichts von 1515 beigefügt wurde und die im Laufe des 16. Jahrhunderts in verschiedenen Modifikationen in ganz Europa zirkulierte.619 Auch die Assoziation der „Heiden“ oder „Ungläubigen“ mit „Teufelsanbetern“ geht vermutlich auf den Bericht Ludovicos Varthemas zurück,620 dieser geht davon aus (und mit ihm Sebastian Franck, der den Bericht in seinem Weltbuch abdruckte), dass die Inder durchaus wüssten, dass Gott die Welt erschaffen habe, ihm sei jedoch die Verwaltung derselben zu anstrengend gewesen, sodass er seinem Knecht, dem Teufel, diese Aufgabe übertragen habe: „Derhalben thu er sollichs seinen knecht / darumb hab er vns disen geyst den teüfel gesandt / inn die welt mitt vollem gewalt die Götlich gerechtigkeyt zu

618 Petits Voyages, Bd. III, Tafel XXIV, Subscriptio. 619 Vgl. Paola von Wyss-Giacosa, Religionsbilder der frühen Aufklärung. Bernhard Picarts Tafeln für die „Cérémonies et Coutumes religieuses de tous les Peuples du Monde“, Wabern 2006, S. 201–207. 620 Vgl. J.-P. Rubiés, 2001, S. 155–163, und Antje Flüchter, 2008. Zu Varthema siehe die neue Übersetzung seines Berichts mit Erläuterungen von Folker Reichert, Ludovico de Varthema: Reisen im Orient, (= Fremde Kulturen in alten Berichten, 2), Sigmaringen 1996.

204 |   Das Wissen von der anderen Welt

üben / den gerechten wol zu thun / den bösen zu straffen.“621 Beschrieben wird der Teufel mit den folgenden Worten: er „hat ein kron uff de kopff gleych wie ein bapstliche hohe kron mt dreyen kronen, hatt vier hoerner uff dem kopff, und vier gross zen mit eine ungestalten weiter offen maul. Die nass und auge greülichen an zu 622

sehe. Seine hend gemacht gleych wie die hacken, un die fuess wie eines hane fuss.“

In dem Bericht Varthemas heißt es außerdem in einer besonders eindrücklichen Formulierung, die seitdem ebenfalls vielfach rezipiert wurde: „der gemelt teüfel mit seiner gerechten helt ein seel in seim maul / mit der andern greifft er nach einer andern seel“.623 Diese Formulierung findet in der Illustration Breus ihre Entsprechung: Zu sehen ist dort eine übergroße Figur mit vier Hörnern, einem langen Bart und einem kronenartigen Hut, die auf gefiederten Beinen und Vogelkrallen steht und zwischen ihren Beinen einen langen Phallus erkennen lässt. Zu den Füßen sind ihr nur bis zu den Knien reichende, sie anbetende Menschen zu erkennen; mit ihrer rechten Hand am stark behaarten Unterarm stopft sie sich einen dieser Menschen in den Mund, mit der anderen Hand greift sie bereits nach dem nächsten. (Abb. 61) Auch Sebastian Münster nahm das Bild eines indischen „Götzen“ in seine Cosmographia universalis von 1544 auf, die sich stark an den Illustrationen von Jörg Breu orientiert. In der niederländischen Ausgabe von Linschotens Itinerario (Amsterdam 1596) lebte diese visuelle Tradition, die im Folgenden von den de Brys übernommen wurde, fort. Auch Linschoten zeigte eine monsterhafte Gottheit mit vier Hörnern und einer hohen Kopfbedeckung; neu ist hier gegenüber Breu, dass die Figur statt des überlangen Phallus ein zweites Gesicht unterhalb des Bauches trägt. Im Vergleich zu der drastischen Darstellung von Jörg Breu d. Ä. wirken die Stiche Linschotens und der de Brys auffallend zurückhaltend, zumal bei ihnen die negativen Folgen der Teufelsanbetung nicht ins Bild gesetzt werden. Diese und ähnliche Teufelsfiguren tauchen vor allem in den ersten Bänden der Petits Voyages mehrfach auf, doch sind sie in der Regel überraschend klein (die auffälligsten Versionen sind die hier vorgestellten), oft im Bildhintergrund postiert und erst bei genauerem Hinsehen zu erkennen; in den späteren Bänden der Sammlung erscheinen sie schließlich nur noch ganz vereinzelt. So ist auf Tafel XXXI des zweiten Bandes im linken Bildhintergrund eine Sterbeszene abgebildet, bei der dem Sterbenden ein „abscheuliches Teufelsbild vor das Bett gebracht“ wird; dieser Teufel hält in der linken Hand eine Sonne, in der rechten Hand einen Dolch. Der Sterbende wird angehalten, das Bild „scharf anzusehen, damit es in jener Welt sein Freund sei und ihm kein Leid zufüge. Denn sie glauben auch [sic!] an die Unsterblichkeit der Seelen.“624 621 Franck, Weltbuch, S. 198, zit. nach Flüchter, 2008, S. 142. 622 Ludovico Varthema, zit. nach Paola von Wyss-Giacosa, 2006, S. 201. 623 Sebastian Franck, Weltbuch: spiegel vnd bildtnisz des gantzen erdbodens […] in vier bücher / nemlich in Asiam / Aphricam / Europam / vnd Americam / gestelt vnd abteilt […], Tübingen 1534, S. 198. Zit. nach Flüchter, 2008, S. 142. 624 Petits Voyages, Bd. II, Tafel XXXI, Subscriptio.

Teufelsbilder  |

205

Abb. 62 Werkstatt de Bry, Wie die Chinesen die Sterbenden trösten (1598)

Abb. 63 Werkstatt de Bry, Ein Fest der Buße (1605)

Von der „Abscheulichkeit“ des Teufels ist hier nichts zu erkennen, die Figur ist so klein, dass der Betrachter schon sehr genau hinsehen muss, um sie überhaupt zu erfassen.(Abb. 62) Stattdessen wird an dieser Stelle auch eine Gemeinsamkeit der Religionen betont: Die Chinesen glauben – ebenso wie die Christen – an die Unsterblichkeit der Seelen, doch sie bitten an verschiedenen Stellen um Beistand und Trost. 625 Die Chinesen versuchen den Teufel zu besänftigen, die Christen wenden sich an die Barmherzigkeit Gottes. Die de Brys haben 14 eigene Teufelsillustrationen kreiert;626 diese Eigenkreationen weisen darauf hin, dass das Thema in der Zeit von großer Bedeutung war und das Interesse der Leser und Betrachter zu wecken vermochte; die Minimierung und der Versuch, die Teufelsfiguren 625 Petits Voyages, Bd. III, Tafel XXXI, Titel. 626 Van Groesen, 2008, S. 238 ff.

206 |   Das Wissen von der anderen Welt

an den Rand zu drängen, können jedoch auch Hinweise auf den Glauben an die Wirkmacht sowohl der Bilder bzw. Abbilder als auch der fremden Teufel selbst liefern. Zwei Kupferstiche aus Band VII (1605) und Band VIII (1606) stützen diese Sicht: Der erste Stich (Tafel XIV des siebten Bandes) zeigt ein „besonderes Fest der Buße.“627 An seinem linken Bildrand, fast aus dem Bild verschwindend (der rechte Arm ist nicht mehr zu sehen), ist ein „Pagode“628 oder „Abgott“ abgebildet, der jedoch von den bisher vorgestellten Figuren abweicht. Auch diese Figur ist mit einem Bart ausgestattet, hat zwei Hörner und klauenartige Füße; ansonsten handelt es sich aber um den Körper einer Frau mit hängenden Brüsten, an deren Rücken zwei fledermausartige Flügel wachsen und die mit grimmigem Blick auf einem Thron sitzt. Vor ihr wird ein nur mit einer kurzen Hose bekleideter Mann mithilfe einer kranartigen Vorrichtung von zwei Priestern – so erläutert es die Subscriptio – in die Höhe gezogen. Er hängt an einem Seil, das mit zwei Haken in seinen nackten Schultern befestigt wurde.629 Dieser „Bußfertige“ muss von dort oben „den Abgott dreimal anbeten und sich dreimal auf die Brust schlagen, und nach weiteren Zeremonien lassen sie ihn wieder herab“.630 Im Hintergrund des Stiches ist eine Witwenverbrennung zu sehen, und so legt die Komposition des Bildes nahe, dass hier die Gottlosigkeit und Grausamkeit der Inder und ihrer Götter thematisiert werden sollte. (Abb. 63) Doch, wie bereits im Kapitel 3 herausgearbeitet, erscheint die Einschätzung des sati-Rituals in den Petits Voyages ambivalent; die Tat wurde – gerade in den de Bry’schen Kupferstichen – auch als Liebesbeweis überhöht und die zum Tod bereiten Frauen wurden wegen ihres Muts und ihrer Leidensfähigkeit durchaus bewundert.631 Auch aufgrund dieser Beobachtung eröffnet sich innerhalb des hier analysierten Stiches zum „Fest der Buße“ ein weiteres semantisches Feld: Die Subscriptio des Stichs macht aus dem Kranken des Haupttextes – der sich von den Göttern Heilung verspricht und diese auch, „wenn es möglich“632 ist, erhoffen kann – einen Büßer und Märtyrer, der Übermenschliches zu erleiden imstande ist und der diese übersinnlichen Kräfte, so kann der Betrachter zumindest schlussfolgern, seinen „Abgöttern“ resp. dem Teufel zu verdanken hat. So geht die Subscriptio auch nicht auf die Schmerzen des Büßers oder das evtl. vergossene Blut ein und vermeidet damit jede grausame Überhöhung des Rituals.633 627 Petits Voyages, Bd. VII, Tafel XIV, Subscriptio. 628 Nach Gita Dharampal-Frick bezeichnete der Begriff Pagode dreierlei: ein Idol, einen Tempel oder eine Münzart; etymologisch handelt es sich wohl um eine Verfremdung von Bhagavat oder Bhagavati – ein Titel, der für mehrere indische Gottheiten verwendet wird, vgl. Dharampal-Frick, 1994, S. 329. 629 Das sogenannte „Hakenschwingen“ erschien den Missionaren im Folgenden – vor allem aber im 18. und 19. Jahrhundert – als besonders verabscheuungswürdiger Götzendienst, der breit diskutiert wurde. Vgl. dazu Andreas Nehring, Orientalismus und Mission. Die Repräsentation der tamilischen Gesellschaft und Religion durch Leipziger Missionare 1840–1940, Wiesbaden 2003, S. 286 ff. 630 Petits Voyages, Bd. VII, Tafel XIV, Subscriptio. 631 Siehe dazu S. 120 f. dieser Arbeit. 632 Petits Voyages, Bd. VII, S. 67. 633 Zum Märtyrerdiskurs im Europa der Frühen Neuzeit und zum Martyrium als „Medium kollektiver Leidenserfahrung, kollektiver Erinnerung und kollektiver Selbstvergewisserung“ im Europa der Frühen Neuzeit s. Peter

Teufelsbilder  |

207

Deutlicher noch wird die Wirkungsmacht, die den fremden Teufeln und ihren Abbildern zugesprochen wird, in dem – bereits erwähnten – Stich aus dem achten Band, der einen „Zauberer“ zeigt, „welcher eine viereckige Platte von Kupfer an seinem Hals hängen hatte“, in die „etliche Teufelsbilder“634 gestochen waren, von der jedoch nur die Rückseite zu sehen ist (Abb.).635 Die Kraft der den Betrachtern verborgenen Teufelsbilder – so kann der Stich verstanden werden – ermöglicht es dem „Zauberer“,636 sich mit einem spitzen Messer, das am Ende einer Kette hängt, in den Oberschenkel zu stechen, die Kette „durch die Dicke seiner Schenkel“ zu ziehen und auf und davon zu laufen.637 Eine weitere Teufelsfigur, die im Zuge einer Hochzeitszeremonie abgebildet ist, ist ebenfalls nur sehr undeutlich zu erkennen: Der zentral in der Bildmitte platzierte Bräutigam stellt sich für den Eid der Ehe in einen „von Asche gezeichneten Kreis“ und schwört bei „ihrem Pagoden“ auf dasjenige, was er bezeugen soll; dabei glaubt er, dass es „sich alsdann gewisslich also verhält“638 – so wird die Zeremonie in der Subscriptio erläutert. Dieser Glaube wird Abb. 64 Werkstatt de Bry, Wie die Anwohner in Balagere hier jedoch weder bewertet noch hinterfragt. ihren Eid leisten (1598) Der „Pagode“, auf den der Eid geschworen wird, ist im dazugehörigen Kupferstich abgebildet; es handelt sich um eine stark verkleinerte Variation der Teufelsfigur aus Tafel XV des zweiten Bandes, die oben bereits vorgestellt wurde. Sie hat ebenfalls behaarte Arme, Hörner, einen Bart und einen ziegenähnlichen Kopf, ist aber so klein, dass sie von einem bei der Hochzeitszeremonie beteiligten Zeugen auf einem Stab transportiert werden kann. (Abb. 64)

Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004. 634 Petits Voyages, Bd. VIII, Tafel VIII, Subscriptio. Vgl. zu diesem Stich auch S. 128 dieser Arbeit. 635 Siehe Abb. 48. 636 Zur Figur des Zauberers oder Magus s. Anthony Grafton & Moshe Idel (Hg.), Der Magus. Seine Ursprünge und seine Geschichte in verschiedenen Kulturen, Berlin 2001. 637 Petits Voyages, Bd. VIII, Tafel VIII, Subscriptio. 638 Petits Voyages, Bd. II, Tafel XI, Subscriptio.

208 |   Das Wissen von der anderen Welt

Nicht nur sollte der Bräutigam einen Eid schwören, auch die Teilnehmer der Zeremonie sollten – so erläutert es die Subscriptio – ihren Beitrag leisten und sieben Mal um ein Feuer herumgehen, um die Ehe zu ratifizieren. Der Stich wurde von den de Brys selbst entworfen und den bereits bestehenden Illustrationen des Originalsberichts aus der Werkstatt van Doetecum zugefügt. In der Forschung wurde dies bisher als pointierte Betonung paganer Praktiken in Indien gelesen, da der Aschekreis einen Hinweis auf – verwerfliche – magische Praktiken liefere.639 Angesichts eines weitverbreiteten magischen Denkens auch im Europa der Frühen Neuzeit scheint diese einseitige Sicht zumindest fragwürdig. Nicht nur glaubten die meisten Menschen an die Macht des Teufels (s.o.), sondern es zweifelte auch kaum jemand an der Möglichkeit, anderen durch Zauber Schaden zufügen oder auch Gutes bewirken zu können.640 Ein Großteil der Menschen in Europa ging davon aus, dass es einen Raum außerhalb der erlebbaren Welt gäbe, einen Raum, der von Geistern641 bewohnt ist; die Magie bildete die Möglichkeit, eine Verbindung zwischen den beiden Welten zu schaffen.642 Das magische Denken der Frühen Neuzeit entstammte keinem in sich geschlossenen, kohärenten System der Sicht auf die Welt und ihre Interpretation. Es konkurrierte nicht mit Wissenschaft und Religion, sondern ließ sich vielmehr in die Bereiche der gelehrten Magie (der später sogenannten magia naturalis, benannt nach einem Werk von Giambattista della Porta aus dem Jahre 1558) und der Volksmagie aufspalten, die jeweils nur bedingt miteinander zu tun hatten.643 Die Volksmagie gehörte für die Mehrheit der Menschen in der Frühen Neuzeit zum Alltag; sie schließt den Glauben an übersinnliche Mächte in der Welt ein; Mächte, die sowohl Gutes als auch Böses bewirken und – vom Menschen beeinflusst – gesteuert und manipuliert oder auch exkommuniziert werden können. Magische Vorstellungen und 639 Vgl. u.a. van Groesen, 2008, S. 235. 640 „Während des europäischen Mittelalters gab es […] eine Reihe von Glaubensvorstellungen und kulturellen Praktiken, die man besser als ‚magisch‘ bezeichnen sollte und denen gegenüber die Amtskirche zumindest in der Theorie unzweideutig feindlich eingestellt war. Dazu gehören Devination, Astrologie, Heil- und Liebeszauber, das Beschwören von Dämonen und der Toten und andere Formen der ‚Zauberkünste‘.“ (Scribner, 2002, S. 383) Siehe zum Glauben an den Schadenszauber auch das Kapitel 3. 641 Der Geisterglauben (der Glaube an Natur-, Haus- und Totengeister) und auch der Glaube an Dämonen – der Glaube an den Teufel und an die mit ihm gestürzten und von Gott verbannten Engel, als deren Anführer der Teufel galt – war ein wesentlicher Bereich der frühneuzeitlichen Glaubensvorstellungen. Vgl. zum Metaphysischen in der Frühen Neuzeit Bernd Roeck, Die Verzauberung des Fremden. Metaphysik und Außenseitertum in der frühen Neuzeit, in: Hartmut Lehmann & Anne-Charlott Trepp (Hg.), Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1999, S. 319–336. 642 Über das richtige Verständnis von Magie gibt es unter Historikerinnen und Historikern nach wie vor keinen Konsens; zu dieser Diskussion siehe Kaspar von Greyerz, Grenzen zwischen Religion, Magie und Konfession aus der Sicht der frühneuzeitlichen Mentalitätsgeschichte, in: Guy P. Marchal (Hg.), Grenzen und Raumvorstellungen (11.–20. Jh.), Zürich 1996, S. 329–343; s. außerdem Dillinger, 2007. Dillinger schlägt die folgende Definition vor: „Unter Magie wird jedes System von Vorstellungen und Verhaltensweisen verstanden, das darauf abzielt, die sichtbare, im Alltag erlebbare Welt mit einem Raum außerhalb dieser Welt in Beziehung zu setzen. Dieses System wird von Einzelnen oder informellen Kleingruppen getragen, die jeweiligen Vorstellungen und Verhaltensweisen sind weder institutionalisiert noch unterliegen sie allgemeinen fixen Regeln oder Dogmen.“ Dillinger, 2007, S. 13. 643 Vgl. dazu Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung. 16.–18. Jahrhundert, München 1994, S. 79 ff.

Teufelsbilder  |

209

Praktiken lassen sich in der Frühen Neuzeit in allen alltäglichen Lebensbereichen finden: im familiären Zusammenleben, im dörflichen Brauchtum, in der Herrschaftspraxis, in der Volksmedizin, in juristischen Bereichen und in kirchlich-religiösen Zusammenhängen; bei Initiations- und Beerdigungsriten, bei Erntefesten und Strafsanktionen. Magische Handlungen wurden nicht im Verborgenen praktiziert und vollzogen sich auch nicht außerhalb der christlichen Kirchen, sondern waren – auch noch nach der Reformation – vielfach und mannigfaltig mit diesen verwoben. Dementsprechend vielschichtig war die Volksmagie, für jeden Anlass und jedes Anliegen gab es entsprechende Zauberhandlungen.644 Die gelehrte Magie der Zeit ging von der Welt als einem organischen Ganzen aus. Dies impliziert die Vorstellung einer Entsprechung von Mensch und Universum: Der Mensch ist im Kleinen, was der Kosmos im Großen ist, beide sind aufeinander bezogen und wirken wechselseitig aufeinander. Diese wechselseitige Wirkung vollzieht sich jedoch nicht im Chaos, sondern in einer gewissen Ordnung, die nach Wirkzusammenhängen entsprechend dem sogenannten Sympathiedenken konstituiert ist. Der Sympathiegedanke gründet sich auf den Glauben, dass nur bestimmte Dinge in Beziehung zueinander stehen und aufeinander einwirken. Die Vertreter der Gelehrtenmagie hatten ein umfassendes Verständnis von der Natur, inklusive der verborgenen Wirkungen und Eigenschaften natürlicher Gegenstände, deren Beziehungen und Zusammenhänge der Magier kannte, wodurch er die Natur zu manipulieren vermochte. Die bedeutenden Magier der Zeit (zu den berühmtesten zählen sicherlich Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola) sahen ihre Magie nicht im Gegensatz zu den offiziellen Vorgaben der christlichen Kirchen; ihre Lehre ist jedoch auch nicht scharf von der Geister- und Dämonenbeschwörung zu trennen, da die Magier mithilfe ihrer Zauberkünste versuchten, Macht über die Dämonen auszuüben. Sowohl die Astrologie (die Lehre vom Einfluss des Kosmos und der Sterne auf menschliche Schicksale) als auch die Alchemie (die Suche nach einer allgemeingültigen Medizin und die Lehre der Umwandlung von Substanzen) kann der Gelehrtenmagie zugerechnet werden.645 Auch die de Brys verkehrten mit bekannten Alchemisten der Zeit und verlegten etliche ihrer Schriften. Zu den bedeutendsten gehörten Michael Maier (ca. 1568–1622) und Robert Fludd (1574–1637). Maier studierte Philosophie und Medizin in Rostock und Frankfurt/Oder; nach einem Italienaufenthalt promovierte er 1596 in Basel bei dem Mediziner und Botaniker Caspar Bauhin – einem der wenigen humanistischen Autoren der de Brys von europäischem Rang. Bis 1608 arbeitete er als fahrender Arzt zunächst im norddeutschen Raum, später in Danzig und Königsberg. Anschließend ging er nach Prag, wo er eigenen Angaben zufolge 1609 an den Hof Kaiser Rudolphs II. kam, für den er ehrenamtlich als Leibarzt arbeitete. Ausschlaggebend für seine Einstellung war, so Ulrich Neumann in der Neuen Deutschen Biographie, das gemeinsame Interesse der beiden an den hermetischen Wissenschaften.646 Seine 644 Vgl. Eva Labouvie, Verbotene Künste. Volksmagie und ländlicher Aberglaube in den Dorfgemeinden des Saarraumes (16.–19. Jahrhundert), St. Ingbert 1992. 645 Vgl. Dillinger, 2007, S. 25. 646 Neue Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 25 Bde., Berlin 1953–2013, hier: Bd. 15, 1987, S. 703 f.

210 |   Das Wissen von der anderen Welt

ersten Abhandlungen stammten aus dieser Zeit. 1611 verließ er den Hof, reiste nach Amsterdam und nach England und wurde an den Hof Jacobs I. berufen. In England pflegte er seine Kontakte zu namhaften Gelehrten der Zeit und publizierte weitere Schriften. 1616 ging Maier wohl nach Frankfurt bzw. Oppenheim, wo er bei Johann Theodor de Bry bzw. Johann Israels Stiefsohn Lucas Jennis d. J. in rascher Folge seine alchemistischen Bücher publizierte. 1618 wurde Michael Maier von Landgraf Moritz von Hessen-Kassel – der für sein Interesse an der Alchemie bekannt war – zum „Medicus und Chymicus von Haus aus“ ernannt. Maier war ebenso wie Robert Fludd ein glühender Verteidiger der Rosenkreuzer-Bewegung,647 der er weitere Schriften widmete, die zum Teil ebenfalls bei de Bry erschienen. Fludd wurde 1574 in Bearsted (Grafschaft Kent) geboren, er studierte Medizin in Oxford, beschäftige sich mit Philosophie und Theosophie, bereiste ausgiebig den Kontinent und arbeitete nach seinem Abschluss 1605 zunächst als Arzt in London. Er entwickelte sein System der Mosaicall Philosophy, die zum Ziel hatte, das Christentum mit der heidnischen Philosophie und den vorchristlichen Weisheitstraditionen zu versöhnen.648 Inspiriert wurde Fludd dabei von den ersten beiden Manifesten der Rosenkreuzer, der Fama Fraternitatis (1614) und der Confessio (1615); mit den Rosenkreuzern forderte er die „Erneuerung der geistigen Welt“, da er ebenso wie sie abgeneigt war „gegen den blinden Glauben an die überlieferten Autoritäten Aristoteles und Galen und ihre Überzeugung [teilte], durch eine neue und intensivere Zuwendung zu den, teilweise verborgenen, Weisheiten des Christentums und der erleuchteten Tradition der Menschheit eben jene letzte erschließen zu können, welcher 649

sie so dringend bedurfte.“

Fludd stand den Kabbalisten nahe und vertrat ebenso wie Maier eine magisch-hermetische Weltsicht in der Tradition Ficinos, Picos und Reuchlins; im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts war er einer der Hauptakteure einer intensiven wissenschaftlichen Debatte zwischen den Vertretern seiner Weltanschauung und denen einer eher mechanistischen (und anscheinend oder scheinbar rationaleren) Denkweise nach Francis Bacon.650

647 „Die rosenkreuzerische Phase im rein geschichtlichen Sinn ist eine Periode der europäischen Kultur, die zwischen der Renaissance und der sogenannten wissenschaftlichen Revolution des siebzehnten Jahrhunderts liegt. Sie ist ein Abschnitt der Geschichte, der die hermetisch-kabbalistische Tradition der Renaissance und den Einfluß einer anderen hermetischen Tradition, nämlich den der Alchemie aufnahm. Die Manifeste der Rosenkreuzer sind Ausdruck dieser kulturhistorischen Phase, da sie eine Kombination von Magia, Cabbala und Alchemyia darstellen und durch diese Verbindung eine neue Erhellung der Erkenntnis herbeiführen wollen.“ Frances A. Yates, Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes, Stuttgart 1975, S. 7 f. 648 Vgl. Karsten Kenklies, Artikel Fludd, Robert (10.10.2008), in: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, herausgegeben von Gudrun Gersmann, Katrin Moeller, Jürgen-Michael Schmidt, URL: http://www.historicum. net/no_cache/persistent/artikel/6103/ (02.11.2012). 649 Ebd. 650 Zu dieser Debatte s. Johannes Rösche, Robert Fludd. Der Versuch einer hermetischen Alternative zur neuzeitlichen Naturwissenschaft, Göttingen 2008.

Teufelsbilder  |

211

Bei de Bry erschienen Teile seiner Geschichte des Makro- und des Mikrokosmos,651 in der Fludd seine (ausgesprochen komplexe) Philosophie erläuterte und eine eigene Schöpfungserzählung entwickelte, die hier nur äußerst knapp zusammengefasst werden kann:652 Danach hat Gott eine stufenweise aufgebaute Welt geformt, deren Kern – die Erde – gottesfern ist, während sich die äußeren Schichten durch Gottesnähe auszeichnen. Der Zwischenraum dieser Sphären beherbergt Lebewesen in einer hierarchischen Ordnung: Engel, Geister und Dämonen, aber auch Menschen, Tiere und Pflanzen. Nach der Veröffentlichung des Werks wurde Fludd der Häresie beschuldigt und bei König James I. angeklagt. Er würde sich – so lautete der Vorwurf seiner Gegner – mit den dunklen Künsten beschäftigen, hätte der Schwarzen Magie und der Hexerei gehuldigt und stünde den (ebenfalls als häretisch eingestuften) Rosenkreuzern nahe. In seiner Stellungsnahme verteidigte sich Fludd als überzeugter Anhänger der reformierten Kirche, der – ebenso wie die Rosenkreuzer – „das Erkennen der Welt auf eine richtige, das heißt theologisch-biblische Grundlage“653 stellen wolle. Entschieden trat Fludd dem Vorwurf entgegen, er betreibe Teufelswerk. Gleichwohl glaubte er an die Existenz okkulter Kräfte, die jedoch ursprünglich ebenfalls göttliche Kräfte seien, da das Göttliche in allem Sein wirke. Insofern gehörten „der Teufel und seine dämonischen Heerscharen kategorial den Engeln an, welche wiederum nicht der einfachen, göttlichen Substanz gleichen, sondern zusammengesetzt sind aus dem allem Lebendigen einwohnenden Geist und dem materiellen Prinzip, welches durch den Geist belebt wird und […] so subtil ist, dass es unsichtbar bleibt […] Während in den guten Engeln jedoch die göttliche Substanz im Vordergrund steht, neigen der dunkle Fürst und seine Diener mehr der materiellen Seite zu. In dieser Gestalt ist es ihnen auch möglich, sich irdischen Lebens, Menschen und Tieren etwa, zu bedienen, um ihre dämoni654

schen Handlungen zu vollziehen […]“

Schon der hier nur knapp zusammengefasste Inhalt der bei de Bry erschienenen Geschichte des Makrokosmos Robert Fludds und die nur in Ansätzen wiedergegebene Debatte um das Werk zeigen noch einmal deutlich, dass das 16. und 17. Jahrhundert in Europa und im deutschsprachigen Raum von einer intensiven Frömmigkeit geprägt war, einer Frömmigkeit, die sich jedoch nicht ausschließlich auf die christliche Lehre und auf die offiziellen Vorgaben der Kirchen bezog. Fragen nach dem „richtigen“, dem „wahren“ Glauben spielten eine bedeutende Rolle;655 dabei ging es jedoch nicht nur um die dichotomischen Auseinandersetzungen und Diskussionen zwischen Reformierten und Katholiken, sondern auch um vermeintlich 651 Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris Metaphysica, physica atque technica Historia, (Metaphysik und Natur- und Kunstgeschichte beider Welten, nämlich des Makro- und des Mikrokosmos), 2 Bde., Oppenheim & Frankfurt/Main 1617. 652 Zu Fludds Schöpfungsgeschichte vgl. ausführlich Karsten Kenklies, Wissenschaft als Ethisches Programm. Robert Fludd und die Reform der Bildung im 17. Jahrhundert, Jena 2005. 653 Kenklies, 2008. 654 Ebd. 655 Vgl. u.a. van Dülmen, 1994.

212 |   Das Wissen von der anderen Welt

widersprüchliche und gegenläufige Positionen. Die neuere Konfessionalisierungsforschung hat denn auch auf die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ (Reinhart Koselleck) und auf das Phänomen des religiösen Synkretismus in der Frühen Neuzeit aufmerksam gemacht,656 hat Unterschiede zwischen dem Konfessionalismus der Geistlichen und der Laien herausgearbeitet657 und auf weitverbreitete „abergläubische“ und „magische“ Denkweisen und Praktiken hingewiesen, die sich noch bis ins 18. Jahrhundert und darüber hinaus erhalten haben.658 Auch verschiedene mikrohistorische Studien haben in den letzten Jahren den analytischen Wert der historiografischen Kategorie „Aberglaube“ zur Charakterisierung bestimmter frühneuzeitlicher Glaubensvorstellungen infrage gestellt.659 So ist mehr als zweifelhaft, ob z.B. Astrologie und Magie von einer großen Anzahl der Laien um 1600 bewusst als offener Gegensatz zu christlichen Vorstellungen empfunden worden sind. Vielmehr belegen die tätige Präsenz und Popularität von Hexen, Zauberern und Teufeln „die Existenz einer in manchen Fällen aktivierbaren Geisteshaltung, die gewissermaßen ‚unterhalb‘ des christlich-konfessionellen Denkens vorhanden war und sich […] auf schwer unterscheidbare Weise damit verband.“660 Der Dualismus von Religion und Magie lässt sich also für die Zeit um 1600 nicht aufrechterhalten und geht wohl eher auf eine Tradition des 19. Jahrhunderts zurück, in der Glaubensinhalte, die außerhalb der Orthodoxie lagen, mit Aberglauben gleichgesetzt wurden.661 Gerade in der Gestalt des Teufels und im Umgang mit ihm verwischte die Scheidelinie zwischen Magie und Religion. Dem Gegenspieler Gottes versuchte man mithilfe magischer Praktiken Einhalt zu gebieten, „das sakramentale System war vorrangig […] darauf ausgerichtet, die Auswirkungen seines Handels rückgängig zu machen und für die Zukunft Schutz vor ihnen zu bieten.“662 Auch die Reformation hatte es nicht vermocht – wie Robert Scrib656 So betont Kaspar von Greyerz, „dass religiöser Synkretismus im weitesten Sinne, wobei auch das Verhältnis von kirchlich approbierter Religion und Magieglauben bzw. magischer Praktiken in den Blick gerät, nur in Ausnahmefällen von Zeitgenossen tatsächlich als solcher empfunden wurde. Es lässt sich […] der Schluss ziehen, dass sich Religion und Magie als zwei auf die Lebenswelt bezogene Kategorien mit Blick auf die voraufklärerische Zeit kaum mit befriedigender Trennschärfe voneinander unterscheiden lassen.“ Kaspar von Greyerz, Religion und Kultur. Europa 1500–1800, Göttingen 2000, S. 26. Vgl. ebenso Robert W. Scribner, 2002, bes. die Kapitel Magie und die Entstehung einer protestantischen Volkskultur, S. 353–377, und Reformation, Volksmagie und die Entzauberung der Welt, S. 378–398; s. außerdem Kaspar von Greyerz, Manfred Jakubowski-Tiessen, Thomas Kaufmann, Hartmut Lehmann (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, Gütersloh 2003. 657 S. dazu die wunderbare Studie von Carlo Ginzburg, Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Frankfurt/Main 1979. 658 Vgl. u.a. E. W. Monter, Ritual, Myth and Magic in Early Modern Europe, Brighton 1983; Richard van Dülmen, 1994. 659 S. z.B. Ginzburg, 1979, oder Bernd Roeck, Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität, 2 Bde., Göttingen 1989. 660 Bernd Roeck, 1989, hier: Bd. I, S. 108. Zum Glauben an Geister in der Frühen Neuzeit s. Wolfgang Neuber, Die Theologie der Geister in der Frühen Neuzeit, in: Moritz Baßler, Bettina Gruber, Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.), Gespenster. Erscheinungen – Medien – Theorien, Würzburg 2005, S. 25–38. 661 Vgl. Anne-Charlott Trepp, Religion, Magie und Naturphilosophie: Alchemie im 16. und 17. Jahrhundert, in: Hartmut Lehmann & Anne-Charlott Trepp (Hg.), 1999, S. 473–493, hier: S. 473. 662 Scribner, 2002, S. 382.

Teufelsbilder  |

213

ner betont –, eine „antirituelle Form der Religion“ zu schaffen; sowohl Luther als auch nach ihm Calvin „waren weit davon entfernt, die Welt weiter zu entsakralisieren, sie verstärkten vielmehr noch den kosmischen Kampf zwischen dem Göttlichen und dem Teuflischen.“663 Die Texte und Bilder der Petits Voyages, die sich mit dem Teufel und Teufelsanbetungen beschäftigen, zeigen eindrücklich, dass auch in Bezug auf die Darstellung fremder Welten eine einfache Gegenüberstellung von Christentum und Heidentum, von Glaube und Unglaube, zu kurz greift: Es ging in einem Großteil der Berichte und Illustrationen zwar darum, die Heiden aufgrund ihres falschen Glaubens zu verurteilen, als inferior zu deklassieren und von der eigenen Gemeinschaft – die als solche zumindest imaginiert wurde – auszugrenzen und sich damit selbst zu überhöhen. Mit der Dämonisierung der heidnischen Götter als Diener des Teufels oder als personifizierte Teufel wird dabei einerseits eine – wie Robert Scribner es formuliert hat – Zurückweisungsstrategie verfolgt.664 Andererseits findet neben dieser Dämonisierung jedoch auch der Versuch einer Entdämonisierung statt, indem die fremden Teufel geschrumpft und marginalisiert und schließlich fast vollständig zum Verschwinden gebracht werden – diese Entdämonisierung liefert Hinweise auf die in Europa herrschende Angst vor dem Teufel und den Glauben an ihn. Die Heiden erscheinen daher aufgrund ihres Glaubens an den Teufel nicht einfach und ausschließlich als unterlegen, vielmehr stellen sie außerdem eine massive Gefahr dar, demonstriert und betont ihr Glaube doch die Macht des Teufels und seine Allgegenwart zusätzlich. Die schreibenden und illustrierenden Christen nehmen damit keine reine Beobachterposition ein, vielmehr stehen sie innerhalb eines Glaubenssystems, das sie anprangern:665 Sie verurteilen den Glauben der Heiden an den Teufel, doch glauben sie selbst ebenfalls an dessen Wirkmächtigkeit und Verführungskraft. Im Bezug auf den Umgang mit dem eigenen und dem fremden Glauben ist die de Bry’sche Sammlung durchzogen vom Ringen um eine Haltung; was wahrer christlicher Glauben, was falscher Glauben war, musste immer wieder neu verhandelt werden. Gegebenfalls müssten die Ergebnisse des vorliegenden Kapitels nach der Analyse katholischer Reiseberichte über die Religionen Indiens und Südostasiens und deren Umgang mit dem Teufel revidiert werden. Je nach Blickwinkel verstand man in der Frühen Neuzeit unter 663 Scribner, 2002, S. 386. Zur protestantischen Magie des Wortes siehe Kaspar von Greyerz, 1996, S. 335. Zum Umgang mit dem Teufel im Protestantismus vgl. jetzt die Studie von Miriam Rieger, Der Teufel im Pfarrhaus. Gespenster, Geisterglaube und Besessenheit im Luthertum der Frühen Neuzeit, (= Friedenstein-Forschungen, 9), Stuttgart 2011. 664 „Eine Zurückweisungsstrategie, die im Kampf gegen nichtchristliche Religionen gut funktioniert hat, war die Dämonisierung: Heidnische Götter wurden beschuldigt, sie seien nur [eigene Hervorhebung, D.S.] Diener des Teufels, des großen Unruhestifters in der Welt. Seit dem fünften Jahrhundert wurde diese Strategie von Johannes Cassianus auf die Magie angewandt, indem er die Wirkungen und die Wirkungskraft der Magie Dämonen zuschrieb, die nach alttestamentarischen Quellen (Jesaja 14: 12) als die mit Luzifer gefallenen rebellischen Engel identifiziert wurden. Die Christen wurden vor die Wahl zwischen Heiligkeit und Magie gestellt. Die erstere befähigte sie, böse Dämonen zu unterwerfen, die letztere sie zu beschwören und folglich mit Dämonen zu paktieren. Damit verschwand jede Unterscheidung zwischen Magie zu guten und zu bösen Zwecken, und alle Zauberkunst schloß die Unterwerfung unter den Teufel ein.“ (Scribner, 2002, S. 384). 665 Vgl. Jeanne Favret-Saada, Die Wörter, der Zauber, der Tod. Der Hexenglaube im Hainland von Westfrankreich, Frankfurt/Main 1979.

214 |   Das Wissen von der anderen Welt

dem Begriff „Aberglaube“ etwas anderes und auch das Christ-Sein wurde individuell definiert. So ist es naheliegend, dass auch das Heidentum – allerdings auch über konfessionelle Grenzen hinweg – jeweils unterschiedlich eingeordnet wurde. Da um 1600 in Europa keine einheitliche christliche Kirche existierte, kann auch nicht von einem einheitlichen Umgang mit anderen Glaubensformen ausgegangen werden. Die vorliegende Analyse nimmt zwar auf zeitgenössische protestantische Diskurse und Referenztexte Bezug und konnte auch signifikante reformierte Standpunkte herausarbeiten, trotzdem galt es nicht primär, das dezidiert Protestantische der Reisesammlung zu pointieren. So konnte gezeigt werden, dass die Angst vor dem Teufel und der Glaube an Geister im frühneuzeitlichen Europa bei einem Großteil der Menschen – trotz möglicher konfessioneller Differenzen – allgegenwärtig war666 und dass die fremden Gottheiten mit dem christlichen Teufel assoziiert wurden. Dies bedeutet jedoch keine reine Verunglimpfung dieser fremden Götter, sondern impliziert einen Glauben an deren machtvolles Wirken. Wird dieser Glaube mit seinen magischen, nach Lesart des 19. Jahrhunderts auch abergläubischen Implikationen verkannt und als mit den christlichen Vorstellungen unvereinbar begriffen, werden Sichtweisen auf den sogenannten Aberglauben aus dem 19. Jahrhundert übernommen und auf die Frühe Neuzeit übertragen. Damit werden dieser Zeit anachronistische Begrifflichkeiten übergestülpt. Der Dualismus zwischen den angeblich irrationalen, den Teufel anbetenden und magische Rituale praktizierenden Heiden und den angeblich rationalen Christen wird weiter fortgeschrieben.

666 Zum Teufelsglauben in Spanien um 1600 vgl. Iris Gareis, Feind oder Freund? Der Teufel in Spanien und in der Neuen Welt im 16.–18. Jahrhundert, in: @KIH-eSkript. Interdisziplinäre Hexenforschung online 3,1 (2011), Sp. 77–84, URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/9107/ (02.11.2012).

Teufelsbilder  |

215

6 ZIRKUL ATIONEN UND TR ANSFOR M ATIONEN Die Reisesammlungen aus der Werkstatt de Bry waren einzigartig im deutschsprachigen Raum des 17. Jahrhunderts. Allein der Frankfurter Verleger Levinus Hulsius publizierte mit seinen Schiffahrten eine ähnlich erfolgreiche, jedoch weniger aufwendig gestaltete Sammlung von Reiseberichten, in die er auch zahlreiche Illustrationen aus den Petits Voyages aufgenommen hat. Die Schiffahrten aus dem Hause Hulsius bilden ein ganz frühes und prominentes Beispiel für das Zirkulieren de Bry’scher Bild- und Textvorlagen.667 Doch zogen diese noch deutlich weitere Kreise:668 Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits mehrfach angedeutet, wurden innerhalb des weitverzweigten Netzwerks deutscher und niederländischer Verleger, Drucker, Kartografen und Kupferstecher, zu dem auch die de Brys und Hulsius gehörten, zahlreiche Texte, Bilder, Karten und einzelne Text-/Bildelemente intensiv und ausgesprochen schnell verbreitet, transformiert und in neuen (medialen) Kontexten verarbeitet. Wie diese Verarbeitungen und Transformationen konkret funktionierten, gilt es nun näher zu beleuchten.

6.1 Der König von Tuban Ein prägnantes Beispiel für die Zirkulationsprozesse im kolonialen Diskurs um 1600 ist der König von Tuban, der im fünften Band der Petits Voyages abgebildet ist. (Abb. 65) Dieser „König“, so klärt die de Bry’sche Subscriptio die Leser auf, ist „fast der vornehmste unter den Königen der molukkischen Inseln“, der die Niederländer „ganz freundlich“ empfangen hat. Dieser vornehme und mächtige König ist erstmals auf dem Titelblatt der Erstausgabe über die zweite Reise der Niederländer nach Afrika, Indien und Südostasien (1598–1600) abgebildet, die im Jahr 1600 von Cornelis Claesz herausgegeben worden war. (Abb. 66) 667 Zu medialen Zirkulationen im frühen kolonialen Diskurs vgl. auch Susanna Burghartz, 20041 und Benjamin Schmidt, Inventing Exoticism. The Project of Dutch Geography and the Marketing of the World, circa 1700, in: Pamela H. Smith & Paula Findlen (Hg.), Merchants and Marvels. Commerce, Science, and Art in Early Modern Europe, New York/London 2002, S. 347–369. 668 So spricht der Frankfurter Kunsthistoriker Ludwig Döry von zahlreichen Motivübernahmen aus den verschiedenen de Bry’schen Sammelwerken, nennt aber leider keine Beispiele, vgl. Ludwig Döry, Exoten (Nachtrag), in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Hg. vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte München, 10 Bde., München 1937–2012, Bd. 6, 1973, Sp. 1491–1512, hier: Sp. 1495.

Der König von Tuban  

| 217

Abb. 65 Werkstatt de Bry, Begrüßung des „Königs“ von Tuban (1601)

Er entspricht der de Bry’schen Version, die ihn jedoch spiegelverkehrt zeigt, da die Frankfurter Werkstatt vermutlich nicht über die Kupferplatten von Cornelis Claesz verfügte. Der Stich betont Macht, Luxus und Exotik des javanischen Herrschers gleichermaßen – jeweils symbolisiert durch den Ritt auf seinem eigenen prächtigen Elefanten. Wie Stephan Oettermann in seiner originellen Elephantographia curiosa herausgearbeitet hat, war Elefantenbesitz im Europa des 17. Jahrhunderts eng an Macht und Herrschaft gebunden. Elefanten waren bis in die 30er-Jahre des Jahrhunderts, als das erste Tier auf den europäischen Jahrmärkten auftauchte, immer „Staatselefanten, die nur deshalb den Maharadschas, Khanen, Sultanen und Königen gehörten, weil diese Fürsten der personifizierte Staat waren.“669 Die ersten Elefanten gelangten als Geschenke islamischer Machthaber nach Europa, die ihrerseits von indischen oder nordafrikanischen Herrschern beschenkt worden waren – sowohl Karl der Große, Kaiser Friedrich II. als auch Ludwig der Heilige hatten sich über einen solchen Dickhäuter freuen können.670 Nach dem Ende der Kreuzzüge kamen für längere Zeit keine Elefanten mehr nach Europa; sie wurden erst Ende des 15. Jahrhundert wieder von den Portugiesen importiert:

„Die portugiesischen Könige […] griffen die orientalische Idee des Elefantengeschenks auf, und versuchten wie die ursprünglichen Besitzer der Tiere vor ihnen, Politik zu machen, indem sie die kostbaren, nie zuvor gesehenen Ungetüme aus dem Osten an Freunde und Parteigänger […] weiterverschenkten. So gelangten zahlreiche Tiere […] an die verschiedenen Kaiser, den Papst und einflußreiche Fürstenhöfe in ganz Europa, wobei man sich erhoffte, die Beschenkten geneigter für die Interessen Portugals zu machen […]. Elefanten wurden zu Spielmarken der Politik. […] Die Portugiesen […] waren so geschickt in ihrer

669 Stephan Oettermann, Die Schaulust am Elefanten. Eine Elephantographia curiosa, Frankfurt/Main 1982, S. 33. 670 Zum Folgenden siehe Oettermann, 1982, S. 29 ff.

218 |  Zirkulationen und Transformationen

Abb. 66 Cornelis Claesz, Titelkupfer der Zweiten Reise der Niederländer (1598)

Elefantenpolitik, daß der Dickhäuter zum Wappentier des Diplomaten avancierte. So jedenfalls erscheint 671

er auf dem Porträt des portugiesischen Gesandten Tristan da Cunha.“

Elefanten also galten um 1600 als (macht)politische Spielmarken, deren Erscheinen hohen Symbolwert hatte. Im Fall der hier analysierten Illustration strahlen die Macht und der Pomp des Königs von Tuban auch auf die Niederländer ab. Das wird besonders deutlich, wenn man den Stich im Kontext der niederländischen Expansionsgeschichte betrachtet: Die erste Reise der Niederländer, die Reise von Cornelis de Houtman, stellte – wie in dem Kapitel 2 bereits herausgearbeitet – ein wirtschaftliches und menschliches Desaster dar, das vor allem auch von den Auseinandersetzungen Houtmans mit den Machthabern vor Ort geprägt und bestimmt war. Der folgende Bericht einer zweiten Reise, eines zweiten Vorstoßes nach Indien und Südostasien nun wurde mit dem triumphalen Empfang eines überaus mächtigen javanischen Herrschers eröffnet; die Schmach der ersten Reise wurde damit medial getilgt. Die Bedeutung des Stichs und sein hoher Symbolwert werden auch durch dessen intensive Zirkulation zu Beginn des 17. Jahrhunderts weiter bestätigt: Nachdem Cornelis Claesz mit 671 Oettermann, 1982, S. 30 f.

Der König von Tuban  

| 219

Abb. 67 Levinus Hulsius, Titelkupfer des 2. Bandes der Schiffahrten

Abb. 68 Levinus Hulsius, Der „König“ von Tuban

ihm das Titelblatt der Erstausgabe gestaltet hatte, wanderte der König mit dem Elefanten also in den fünften Band der Petits Voyages und von dort auf das Titelblatt der Zweiten Schiffahrt von Levinus Hulsius (1602). (Abb. 67) Außerdem zeigte Hulsius den König mit seinem Elefanten in einer Illustration innerhalb dieses Bandes. Dabei fasste er zwei Stiche von Claesz und den de Brys zusammen: (Abb. 68) Im Vordergrund seines Stiches zeigt er das bereits bekannte Aufeinandertreffen von Javanern und Niederländern, im Hintergrund ist der Palast des Königs abgebildet. Zu sehen sind verschiedene Stallungen, in denen weitere Elefanten untergebracht sind, darunter auch ein Elefant, „der grosse Teuffel genant“, der „überaus bös / vn zum Krieg abgerichtet“ ist, den der König aber dennoch reiten kann – eine zusätzliche Betonung seiner Macht und seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten.672 Auch die de Brys hatten diesen Elefanten in einem eigenen Stich gezeigt, seine Bösartigkeit erwähnt und – ebenso wie Hulsius – betont, dass der König auch auf einem solchen großen und gefährlichen Elefanten zu reiten vermag.673 Hulsius jedoch geht in seiner Beschreibung der Fähigkeiten und des Einflusses des Königs noch einen Schritt weiter und beschreibt im Haupttext und in der Bilddarstellung, wie ein Elefant zum 672 Hulsius, Schiffahrten, Bd. II, S. 32. 673 Petits Voyages, Bd. V, Tafel XVIII, Subscriptio.

220 |  Zirkulationen und Transformationen

Abb. 69 Benjamin Wright, Übersichtskarte (1600)

Abb. 70 Cornelis Claesz, Wandkarte von Asien (1602)

Der König von Tuban  

| 221

König gekommen und „auff seine Knie niedergefallen [ist] vnd seinen Rusel auff deß Königs Schoß gelegt“ hat.674 Hier wird sich der ein oder andere zeitgenössische Betrachter vermutlich an die berühmte Anekdote erinnert haben, die sich 1514 zugetragen haben soll: Eine portugiesische Gesandtschaft unter Tristan da Cunha erwies Papst Leo X. ihre Reverenz, indem sie ihm neben weiteren spektakulären Geschenken den Elefanten Hanno überbrachte. In einem langen Zug wurde dieser zum Papst geführt, vor dem er demütig niederkniete – allen weiteren Würdenträgern soll er diese Ehrbezeugung jedoch verweigert haben. Die Geschichte erhält zusätzliches Gewicht dadurch, dass man im Europa des 16. Jahrhunderts glaubte, ein Elefant habe keine Kniegelenke, die Huldigung erscheint damit umso eindringlicher. Hier unterwarf sich der indische Subkontinent dem Christentum.675 Mit der Version nach Hulsius wird die Macht des Königs von Tuban, in dessen Glanz und Licht sich auch die Niederländer sonnen können, weiter überhöht. Noch im Erscheinungsjahr der Erstausgabe hatte Cornelis Claesz selbst das Motiv in einer Übersichtskarte, die die Route der zweiten Reise der Niederländer zeigt, verwendet. Der König von Tuban und sein Elefant reiten darauf jedoch nicht durch Indien oder Südostasien, sondern über die sagenhafte Terra Australis incognita; flankiert werden sie dabei weiterhin von den Niederländern. (Abb. 69) Damit kann der König auch als Symbol der Zukunft gedeutet werden: Nach dessen verheißungsvollem Empfang können sich die Niederländer aufmachen, auch noch völlig fremde, bisher gänzlich unerforschte Gebiete zu erobern. 1602 schmückte Claesz mit dem König und seinen ständigen Begleitern außerdem eine seiner großen Wandkarten (106 x 148 Zentimeter) von Asien. 676 (Abb. 70) Der König von Tuban und die ihn flankierenden Niederländer wurden so zu einem wichtigen Symbol für die erfolgreiche, vielversprechende und in die Zukunft weisende zweite Reise der Niederländer.677 Mit der Visualisierung des triumphalen Empfangs durch den javanischen Herrscher wurden sie als ernst zu nehmende neue Figuren im Welthandelssystem, die mit den Großen und Mächtigen kooperieren, wirkungsvoll in Szene gesetzt. Die weniger glückliche erste Reise wurde vom Erfolg der zweiten Reise überstrahlt und in den Hintergrund gerückt. Der König von Tuban macht deutlich, wie schnell, aktuell und intensiv einzelne Bildelemente um 1600 zirkulierten, wie sie in nur wenigen Jahren mit Bedeutung aufgeladen wurden, um dann ebenso schnell wieder durch andere Motive abgelöst zu werden. Nachdem der König innerhalb einer kurzen Zeitspanne von nur einigen Jahren durch Reiseberichte und Karten gewandert war, taucht er im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts nicht mehr auf.

674 Hulsius, Schiffahrten, Bd. II, S. 32. 675 Siehe zu dieser Anekdote Oettermann, 1982, S. 32. 676 Zu den berühmten niederländischen Wandkarten s. weiter unten S. 224 ff. dieser Arbeit. 677 Siehe dazu auch das Kapitel 2.

222 |  Zirkulationen und Transformationen

Abb. 71 Werkstatt de Bry, Begrüßungsszenen (1598)

6.2 Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“ Im Falle des Königs von Tuban war Cornelis Claesz für die Bildkreationen verantwortlich, die die Frankfurter Verleger de Bry und Hulsius im Anschluss von ihm übernahmen. Im Gegenzug verwendete Claesz jedoch auch Kreationen von den de Brys; u.a. die in der Frankfurter Werkstatt entworfenen und gestochenen Szenen, die die Ankunft der Niederländer an der Westküste Afrikas abbilden. Johann Theodor und Johann Israel de Bry hatten diese ihrer Übersetzung des Berichts Jan Huyghen van Linschotens vorangestellt und damit sowohl die Begeisterung der Indigenen über die Ankunft der neuen Akteure auf den Weltmeeren als auch (wie bereits im Kapitel 3 herausgearbeitet) deren weise, bedächtige und kontrollierte Zurückhaltung visualisiert.678 (Abb. 71) Claesz nun schmückte mit diesen Szenen eine große und dekorative Wandkarte, auf der Amerika und die Westküste Afrikas abgebildet sind und die er spätestens 1609 mit dem Titel Hydrographica, planéque Nova Indiae Occidentalis, Guineae, Regni Congo, Angole, &c. Delineatio 678 Vgl. S. 88 f. und die Seiten 134–138 dieser Arbeit.

Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“  

| 223

auf den Markt brachte.679 Die Karte mit einer Größe von 104 x 128 Zentimetern ist mit einem ausführlichen Textband umrahmt, das die amerikanischen Gebiete beschreibt. Auf dieser Karte verdecken die de Bry’schen Bildschöpfungen ganz Osteuropa und das nordöstliche Afrika. Damit gingen sie in ein Medium über, das zu Repräsentationszwecken bestimmt war und die Wände reicher niederländischer Bürger und Kaufleute verschönern sollte. Gerade Wandkarten spielten im sozialen Leben des gehobenen Bürgertums eine bedeutende Rolle, wie auch zahlreiche Kunstwerke des 17. Jahrhunderts – u.a. die berühmten Gemälde Jan Vermeers – beweisen. Mit der niederländischen Interieurmalerei hatte sich ein eigenes Genre entwickelt, in dem bürgerliche Wohnräume gezeigt werden, deren Wände auffallend oft mit kunstvollen und teuren Wandkarten der Niederlande und der Welt geschmückt sind.680 Die Mitglieder des aufstrebenden Bürgertums erwarben Atlanten und Karten, um ihren Bildungsanspruch und ihre Weltläufigkeit zu untermauern, ihren Wohlstand zu demonstrieren, und das ein oder andere Mal wohl auch, um zu zeigen, dass der Besitzer am Handel der Provinzen oder sogar am Welthandel partizipierte. Hohen Symbolwert hatten die kostbaren Wandkarten in den Räumen der VOC und der WIC – dort wurden sie installiert, um Besucher zu beeindrucken und Machtansprüche zu formulieren.681 Auch der prächtige Paleis op de Dam, der zwischen 1648 und 1665 in Amsterdam als Rathaus errichtet und 1655 erstmals genutzt wurde, ist mit zahlreichen Wandmalereien ausgestattet. Den Außenbereich des Hauptgiebelfeldes ziert eine Allegorie auf Amsterdam als Herrscherin der Meere und auf dem Boden des zentral gelegenen tonnengewölbten Bürgersaals finden sich zwei in Marmor eingearbeitete Karten der westlichen und östlichen Hemisphäre, die auf einer 1648 von Joan Blaeu erstmals publizierten Weltkarte basieren. Ausschnitte dieser Karte hingen außerdem in zahlreichen Büros und Konferenzräumen und sogar in manchen Hausfluren mit dem Hinweis „Burgerzaal world map“.682 Selbstverständlich reagierten die Kartografen auf die hohe Nachfrage und bewarben ihre Produkte entsprechend mit dem Hinweis, diese seien präzise gezeichnet und eigneten sich hervorragend, um sie rahmen zu lassen und an die Wand zu hängen.683 Die Beliebtheit dieser repräsentativen kartografischen Produkte schlug sich auch im Preis nieder, der mit denen von Gemälden vergleichbar war; teilweise waren sie sogar teurer. Karten, die sich bereits auf dem Markt befanden, kosteten in der Regel zwischen 5 und 12 Gulden. Auftragsarbeiten waren natürlich kostspieliger: 679 Vgl. Zandvliet, 2002, S. 47. Günter Schilder erwähnt diese Version aus der Werkstatt von Claesz im siebten Band seiner Monumenta Cartographica Neerlandica nicht; s. Schilder (Hg.), Monumenta Cartographica Neerlandica, Vol. VII: Cornelis Claesz (c. 1551–1609): Stimulator and driving force of Dutch cartography, 2 Teilbde., Alphen am Rhein 2003. 680 Zu Wandkarten in der niederländischen Genremalerei vgl. Bärbel Hedinger, Karten in Bildern. Zur Ikonographie der Wandkarte in holländischen Interieurgemälden des 17. Jahrhunderts, Hildesheim 1986. 681 Vgl. Zandvliet, 2002, S. 210 ff. 682 Vgl. Zandvliet, 2002, S. 211. 683 So lautet z.B. der Hinweis in einem Katalog des Verlagshauses Janssonius aus dem Jahr 1688. Der Wortlaut der Marginalie findet sich bei Zandvliet, 2002, S. 212.

224 |  Zirkulationen und Transformationen

„The hand-drawn, framed map of the Mediterranean, which Johannes Vingboons supplied for the meeting room of the Directors of the Levantine Trade in the Amsterdam city hall in 1662, was an unusual case, having cost 675 guilders. Commissioned paintings, such as those ordered by the City of Delft, cost 684

between 150 and 400 guilders.“

Durch Cornelis Claesz und seine Kollegen fanden nun also auch zahlreiche Kreationen aus der Werkstatt de Bry Aufnahme in dieses exklusive Medium und in das kartografische Wissen ihrer Zeit. Mit der medialen Wanderung werden die de Bry’schen Ankunftsszenen dem Exemplarischen enthoben und erhalten allgemeinere Geltung. Sowohl die Präsenz der Niederländer in den überseeischen Gebieten als auch die angebliche Begeisterung der Indigenen über deren Auftauchen auf der Welthandelsbühne wird damit zusätzlich bekräftigt und weiter festgeschrieben. Die Begegnung der Kulturen mit ihren spezifischen Zuweisungen – Rationalität, Klugheit und Verständigkeit aufseiten der Niederländer, wilde Begeisterung, Irrationalität und Nacktheit aufseiten der scheinbar so unkritischen Afrikaner – wird zu einem der Sinnbilder und Symbole für den afrikanischen Kontinent. Sogar die exotischen Tiere, die ebenfalls auf dem Kontinent abgebildet sind – Löwe, Schlange, Elefant und Gürteltier –, treten dahinter zurück. Die auf die Landmassen gedruckten Bilder funktionieren wie Fenster, die Einblicke in fremde überseeische Gebiete und Kulturen zulassen. Durch die Möglichkeit, sich diese in die eigenen Wohnräume zu holen, dort nach Belieben zu betrachten und sich mit ihnen zu schmücken, wird einerseits eine Sehnsucht nach der fremden Ferne befriedigt, andererseits wird damit auch das Kontrollgefühl verstärkt und die Beherrschbarkeit dieser Fremde suggeriert. Die euphorischen Afrikaner werden zu Dekorationsobjekten, die sowohl das Volk der Niederländer im Allgemeinen als auch den Besitzer der Karte und seine Räumlichkeiten aufwerten; schließlich lenkt die Tatsache, dass solche Karten auch als Statussymbole fungierten, den Blick zusätzlich auf die damit einhergehende Formulierung spezifischer europäischer Machtansprüche. Dass dabei jedoch auch das Begehrenswerte der Fremde negiert werden konnte, zeigt eine weitere Übernahme aus den de Bry’schen Motivkatalogen: In das Textband der Wandkarte von Claesz wurde das Amazonenbild aus Band I der Petits Voyages eingearbeitet685 – allerdings wurde dabei eine interessante Modifizierung vorgenommen: Die stolze Amazone mit ihrem direkten, dem Betrachter zugewandten Blick, den wallenden – immer auch erotisch konnotierten – Locken, die sich ihre Selbstsicherheit offensichtlich trotz des schmerzhaften Verlusts ihrer linken Brust bewahrt hat und die den Vordergrund des de Bry’schen Stiches ziert, wurde aus dem Bild entfernt. Mit ihr wurde eine geheimnisvolle Wildheit beseitigt, die den Betrachter durchaus auch anzuziehen und zu faszinieren vermag. Zurück bleiben nur die Grausamkeiten und Gewaltexzesse der wilden Frauen. Mit der Transformation in ein neues Medium verliert das Bild seine Ambivalenz. (Abb. 72) 684 Zandvliet, 2002, S. 212. 685 Siehe dazu auch S. 139 f. dieser Arbeit.

Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“  

| 225

Abb. 72 Michiel Colijn, Wandkarte von Amerika und der Westküste Afrikas (ca. 1610)

Abb. 73 Begrüßungsszene aus den Petits Voyages, abgedruckt bei Bitterli (1991)

226 |  Zirkulationen und Transformationen

Die Karte wurde bereits 1610 von dem Amsterdamer Verleger und Kupferstecher Michiel Colijn686 nachgedruckt687 und noch 1665 von dem prominenten Kunsthändler und Kupferstecher Clement de Jonghe (ca. 1624–1677) – der heute noch durch ein Porträt Rembrandts von 1651 bekannt ist688 – unverändert reproduziert. Bemerkenswerterweise entfalteten diese Szenen mit ihren kontrastierenden Gegenüberstellungen von Afrikanern auf der einen und Europäern auf der anderen Seite bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ihre Wirkmacht. So druckte Urs Bitterli in seiner einflussreichen und tendenziell eher reflektierten und kritisch angelegten Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung eine der Ankunftsszenen aus den Petits Voyages ab und schrieb damit die Geschichte der ungleichen Begegnung fort. (Abb. 73) Zwar liest er die Gesichtsausdrücke der europäischen Seefahrer als „Unsicherheit“ und Skepsis infolge einer ersten „Kulturberührung“, die Inszenierung ihrer scheinbaren rationalen Überlegenheit stellt er damit jedoch nicht infrage. Die Formulierung des Empfangs mit „freudenreichem Getös“ übernimmt Bitterli aus der de Bry’schen Subscriptio, ohne diese zu problematisieren, wie er insgesamt den tendenziösen Charakter der Darstellung nicht näher analysiert.689

6.3 Die „Hottentotten“ Mit den Berichten über die erste Reise der Niederländer nach Indien und Südostasien unter der Leitung Cornelis de Houtmans kehrten auch die später als „Hottentotten“ bezeichneten Khoikhoi – ein Volk am Kap der Guten Hoffnung – zurück ins europäische Bewusstsein. Das Kap markiert die südlichste Spitze der Reise nach Indien, die Route wurde nach ihm benannt und es galt den Niederländern als Tor zu den Reichtümern und Gewürzen Indiens; die Schiffe konnten dort anlegen und sich mit Wasser und Lebensmitteln versorgen.

686 Colijn brachte später auch eine eigene Reisesammlung heraus: Michiel Colijn (Hg.), Oost-Indische ende West-Indische Voyagien, Amsterdam 1619. 687 Nach Günter Schilder gibt es auch Versionen von Colijn aus den 1620er-Jahren. Vgl. Schilder, 2003, Bd. VII (Textband), S. 304–309. 688 Zu Clement de Jonghe vgl. Frans Laurentius, Clement de Jonghe (ca. 1624–1677), Kunstverkoper in de Gouden Eeuw, Houten 2010. 689 Vgl. Urs Bitterli, Die ‚Wilden‘ und die ‚Zivilisierten‘. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 1991 (Erstauflage 1976, 3. Auflage 2004), S. 83. Bitterlis Studie wird mit einem Titelbild ausgestattet, auf dem zu sehen ist, wie die Spanier amerikanische Einheimische gegen die Franzosen aufstacheln. Es handelt sich dabei um einen kolorierten Nachdruck von Tafel IX des fünften Bandes der Grands Voyages. Es gibt zahlreiche Beispiele für die unsachgemäße und unkritische Reproduktion de Bry’scher Bildvorlagen – auch im Bereich der post colonial studies. So wird der Einband der exzellenten Studie Stephen Greenblatts (Marvelous Possessions. The Wonder of the New World, Chicago 1992, deutsch: Greenblatt, 1994) mit einem de Bry’schen Stich geschmückt: Er zeigt den Empfang Walter Raleighs durch Indigene (Grands Voyages, Bd.  VIII). Damit werden die ungleichen Begegnungen zwischen Europäern und Nichteuropäern bis in die Gegenwart festgeschrieben; dass es sich dabei um europäische Konstruktionen handelt, wird nicht thematisiert.

Die „Hottentotten“  

| 227

Bereits 1508 hatte der Deutsche Balthasar Springer dieses Volk in seinem Merfart genannten Bericht beschrieben. 690 (Abb. 74) Im Text werden sie als „halb wild volck“, das ganz „nacket“ ist, charakterisiert; nur „die Scham bedecken sie mit hultzen oder lederen scheiden.“ Doch Springer stellt fest, dass „etlich […] auch von fellen der thyre kleidung umb sich hangen [haben] gleicher gestaldt wie mann in unsern landen kurtz mäntel trägt.“691 Die Nacktheit mancher Menschen an der Südspitze Afrikas wird damit zwar einerseits ausdrücklich erwähnt, aber da viele von ihnen auch Kleidungsstücke tragen, kommt Springer schnell auf etwas zu sprechen, das ihn als Kaufmann besonders verwundert: Es ist zwar möglich, mit den Menschen dort Kontakt aufzunehmen und mit ihnen zu tauschen, denn sie geben Abb. 74 Hans Burgkmair d.Ä., In Allago (um 1508) „dir wol ein Ochsen oder Schaf umb ein […] messer“, aber sie nehmen „kein gelt“. Wohl auch deshalb erscheinen sie Springer als „seltzam“ und „wunderlich“.692 Im dazugehörenden Holzschnitt von Hans Burgkmair d. Ä. werden vier Vertreter dieses Volkes als „wilde“ Familie inszeniert, sie sind mit Fellen bekleidet, ihre Scham ist bedeckt und der Mann reicht der Frau – im Ideal des ernährenden Familienvaters – einige Wurzeln. Das Bild dieser Familie ist an die Ikonografie der christlichen Heilsgeschichte angelehnt; sie befindet sich in Analogie zu Adam und Eva vor dem Sündenfall noch in einem glückseligen Urzustand, der damit einerseits, wie Maike Christadler es ausdrückt, „eine segensreiche Zivilisationsgeschichte verspricht, wie andererseits die Drohung eines chaotischen Beginns der wilden Zeiten, in den die Zivilisation stets zurückfallen kann“,693 beinhaltet.

690 S. Balthasar Springers Indienfahrt 1505/06: wissenschaftliche Würdigung der Reiseberichte Springers zur Einführung in den Neudruck seiner „Meerfahrt“ vom Jahre 1509, (in der Reihe Drucke und Holzschnitte des 15. und 16. Jahrhunderts in getreuer Nachbildung, 8) hrsg. von Franz Schulze, Straßburg 1902 (im Folgenden: Springer, Merfart). 691 Springer, Merfart, S. 201. 692 Springer, Merfart, S. 202. 693 Maike Christadler, Mutter und Kind. Eine Bildchiffre im (post)kolonialen Diskurs, in: Graduiertenkolleg Identität und Differenz (Hg.): Ethnizität und Geschlecht. (Post)koloniale Verhandlungen in Geschichte, Kunst und Medien, Köln/Wien/Weimar 2005, S. 21–34, hier: S. 24. Zur Beliebtheit dieses Motivs im frühen Entdeckungsdiskurs vgl. ebd. Zur „wilden Familie“ vgl. außerdem Hildegard Frübis, Conflicting Images. Die Bilder aus der Neuen Welt im Prozess der Konfessionalisierung, in: Susanna Burghartz, Maike Christadler, Dorothea Nolde (Hg.), 2003, S. 334–360.

228 |  Zirkulationen und Transformationen

Abb. 75 Ein „wilder Mann“ vom Kap der Guten Hoffnung und von der Insel Madagaskar (1597)

Nach Erscheinen der erfolgreichen Merfart gerieten die Khoikhoi für knapp 100 Jahre nahezu in Vergessenheit, ehe sie im frühesten Bericht über die erste Reise der Niederländer nach Indien und Südostasien wieder auftauchten. In diesem Bericht, der 1597 in Middelburg unter dem Titel Verhael van de Reyse by de Hollandsche Schepen gedaen naer Oost Indiën erschienen ist und von dem Buchhändler Barent Langenes veröffentlicht worden war, wurde nun der Kapbewohner – wahrscheinlich, um Platz zu sparen – neben einem Bewohner Madagaskars in ein und demselben Bild dargestellt. Er ist muskulös, gut gebaut und mit einem Tierfell, das seine Scham bedeckt, bekleidet; sein Blick geht merkwürdig unbeteiligt ins Leere. In der rechten Hand hält er einen Speer, auf den er sich stützt. Dadurch, dass Vertreter ver- Abb. 76 Levinus Hulsius, Ein „wilder Mann vom Kap der Guten Hoffnung (1598) schiedener Kulturen auf einem Bild vereint sind, dient die im Hintergrund abgebildete Landschaft wohl eher als Staffage denn als Information zu der in Afrika vorzufindenden Natur. (Abb. 75) Die erste deutsche Übersetzung der Middelburger Version dieser Reise erschien 1599 bei Hulsius in Nürnberg. Hulsius übernahm die Figur des „wilden Mannes“ am Kap der Guten Hoffnung aus der Middelburger Ausgabe und verortete sie vor einem kartografischen Hintergrund. (Abb. 76)

Die „Hottentotten“  

| 229

Dem Stich wurden so viele Informationen wie möglich beigefügt: Neben der vorgenommenen Verortung des Indigenen werden nicht nur dessen Bekleidung und sein Schmuck gezeigt, es werden außerdem sowohl Nutztiere als auch wilde Tiere abgebildet. Im Hintergrund ist sogar noch die erste Begegnung zwischen Niederländern und Einheimischen zu erkennen. Auffällig ist auch hier der traurige Blick des abgebildeten Kapbewohners, dessen wehrhafter Speer dazu und zur Untätigkeit der Figur im deutlichen Kontrast steht. Die Subscriptio des Stiches erläutert diesen, geht aber noch über ihn hinaus: „Diese Leut seind kurz und schwarz, lauffen nacket, ausgenommen einer Tierhaut über den Hals; ihre Scham ist mit einem Fuchsschwanz zu gedeckt; unter ihre Sohlen ist eine Tierhaut gebunden, darauf sie gehen. Gaben den Holländern umb ein Messer einen Ochsen, die hohe Buckel haben. Ihre Schaffe haben 694

dicke lange Schwänze. Sind auch viel Fische, so Meerwölfe genannt, alda, welche sie mit Handen fangen.“

Die Afrikaner am Kap erscheinen so als einfache und friedliche Viehzüchter mit denen man handeln kann. Im Fließtext wird zwar eingeräumt, dass die Einwohner„ernstlich und tyrannisch“ anzusehen waren, doch haben die Niederländer „nur Freundlichkeit von ihnen empfangen“ – obwohl sie „viehisch seind / dann sie das Fleisch / wie es geschlachtet / vnd das Eingeweide ungewaschen gessen / rochen auch gewaltig übel / dass man ihren Gestank wohl ein Klafter weit riechen konnte.“695 Auch in dem berühmten Bericht des Willem Lodewycksz, der 1598 bei Cornelis Claesz erschienen war,696 wurden die Figuren aus der Middelburger Ausgabe übernommen. (Abb. 77) Der „Wilde“ aus dieser Ausgabe ist gespiegelt und hat einen Gefährten erhalten, der in seiner stolzen Haltung und mit dem dynamischen Schritt dem Mann von der Atongil-Bucht (im heutigen Madagaskar), ebenfalls aus der Middelburger Ausgabe, nachempfunden ist. Im Gegensatz zu dem Speer seines untätigen Partners mit dem traurigen Blick erhält hier der Speer seine Funktion als Waffe zurück: Der Indigene hat ein Schaf erlegt und ihm die Eingeweide entnommen, die er nun mit leicht triumphierendem, befriedigtem Gesichtsausdruck in der Hand hält. Beide Indigenen sind wohlgestalt und muskulös; der rechte ist außerdem mit breiten Armreifen geschmückt. Sie werden als Viehzüchter und Jäger positioniert und bewegen sich ganz selbstverständlich in einer fruchtbaren und tierreichen Landschaft. Sie sind in der Lage, Feuer zu machen, sich also mit gekochter Nahrung zu versorgen – wie im Bildhintergrund zu sehen –, und so werden sie als unabhängige Beherrscher der sie umgebenden Natur präsentiert. Die Eingeweide, die der rechte Indigene in den Händen hält, erscheinen zwar zentral in der Bildmitte, werden aber nicht zusätzlich betont. Im Text werden die Bewohner des Kaps der Guten Hoffnung – ähnlich wie im Hulsius-Bericht – als zurückhaltende und harmlose Menschen, mit denen die Niederländer handeln können, beschrieben. Sie sind vergleichsweise klein, schwarz und tragen auffälligen Schmuck. Eher beiläufig wird 694 Hulsius, Schiffahrten, Bd. I, S. 12. 695 Ebd., S. 13. 696 Siehe zu diesem Bericht das Kapitel 2.

230 |  Zirkulationen und Transformationen

Abb. 77 Cornelis Claesz, „Wilde Leute“ am Kap der Guten Hoffnung (1598)

erwähnt, dass sie getrocknetes Fleisch um den Hals tragen – „Ook dragen ze stukjes gedroogd vlees en beentjes om hun hals“697 –, eine Eigenart, die im Bild nicht visualisiert wird. Eine einzige Anekdote weiß Lodewycksz von der Begegnung mit den Indigenen zu berichten: Als die Europäer einen Ochsen schlachteten, fragten die Kapländer sie, ob sie die Eingeweide zum Essen bekommen könnten, sie aßen sie roh und entfernten nur den gröbsten Dreck. In einem Teil der Haut, die sie auf vier Stöcken über das Feuer spannten, machten sie die Därme ein wenig warm, wie man in den Niederlanden den Speck kocht. Trotz eines gewissen Befremdens wird diese Ernährungspraxis nicht näher kommentiert und wird sogar mit Formen der Essenszubereitung in der Heimat verglichen.698 Auch im Bild wird sie – durch die Eingeweide in der Hand des Indigenen – nur angedeutet. Dieser stolze Jäger ist auch auf einer Wandkarte von Petrus Plancius aus dem Jahr 1598, die die Route der Houtman’schen Reise zeigt, abgebildet. Der Jäger fungiert hier als Repräsentant der Bewohner am Kap der Guten Hoffnung und findet so ebenfalls Eingang in das kartografische Wissen seiner Zeit. (Abb. 78) 697 Willem Lodewycksz, D’eerste boeck. Historie van Indien, waer inne verhaelt is de avontueren die de Hollandtsche schepen bejeghent zijn: Oock een particulier verhael der Conditien, Religien, Manieren ende huijshoudinge der volckeren die zy beseijlt hebben: wat Gelt, Specereye, Drogues ende Coopmanschappen by haer ghevonden wordt, met den prijs van dien; Daer by ghevoecht de Opdoenighen ende streckinghen vande Eylanden, ende Zee-custen, als oock de conterfeytsels der Inwoonderen, met veel Caertjens verciert; Voor alle Zee-varende ende curieuse lief-hebbers seer ghenuechlijck om lesen, Amsterdam 1598, S. 6. 698 Vgl. ebd.

Die „Hottentotten“  

| 231

Abb. 78 Petrus Plancius, Wandkarte von Afrika (1598)

Abb. 79 Werkstatt de Bry, Die Schlachtung eines Ochsen (1599)

232 |  Zirkulationen und Transformationen

Wie bereits im Kapitel 2 ausgeführt, erschien 1599 die deutsche Übersetzung des Reiseberichts Willem Lodewycksz’ im dritten Band der Petits Voyages. Die Frankfurter Kupferstecher beschlossen, eine tiefgreifende Veränderung des vorhandenen Bildmaterials vorzunehmen: (Abb. 79) Sie visualisierten und interpretierten die von Lodewycksz erzählte Anekdote über die Schlachtung des Ochsen und setzten dabei auch die Niederländer mit ins Bild. Diese erscheinen nun rechts in der Darstellung als eine Gruppe von drei Männern, die den Ochsen ausnehmen. Die am weitesten links platzierte Figur reicht dem Indigenen eine Schüssel mit Gedärmen, die er anscheinend gierig und noch roh verzehrt. Der Indigene hat seinen Schmuck, seinen Speer und seine Würde verloren und ist nun abhängig von den Gaben der Niederländer. Das mit einer wohlwollenden Geste gereichte Fleisch ergreift der „Wilde“ mit einer leicht vorgebeugten, demütigen Haltung. Die kurze Anekdote, die man im Originalbericht leicht überlesen kann, wird hier nun zum zentralen Element der Charakterisierung der anderen Gesellschaft. Durch sie wird Alterität transportiert und die kulturelle Superiorität der Niederländer bekräftigt.699 Im linken Bildhintergrund ist eine Gruppe von vier Indigenen zu erkennen, die eine Tierhaut über ein offenes Feuer gespannt hat und die geschenkten Innereien dort erwärmt (wie es auch im Text heißt). Damit erhält der Stich eine gewisse Ambivalenz: Das Wilde des Bildvordergrundes erscheint nun etwas weniger wild, da die Indigenen in der Lage sind, ein Feuer zu entzünden und das Essen nicht im rohen Zustand zu sich zu nehmen. Eine Figur der Indigenengruppe hält einen seiner Funktion beraubten Speer in der Hand, der als verbindendes Element der beiden Gruppen fungiert, die „Wilden“ sind damit (wieder) in die Menschheit integriert. Der Stich ist ein Resultat aus Profitstreben und künstlerischem Sendungsbewusstsein: Die Visualisierung der einzigen Anekdote des Textes zeigt die Klasse des Kupferstechers und hebt den Reisebericht von seinen Vorgängern ab. Zugunsten einer gewissen Effekthascherei verzichteten die de Brys auf (zusätzliche) Informationen: Weder verorteten sie die Bewohner des Kaps der Guten Hoffnung geografisch, noch präsentierten sie sie als Jäger und Viehzüchter. Im Unterschied zu den drei Stichen der früheren Ausgaben entschieden sie sich für eine narrative Visualisierung der Begegnung der Kulturen. Neben der auf den ersten Blick offensichtlichen Barbarisierung des „Wilden“ und der damit einhergehenden Produktion von Alterität wird hier nun eine weitere Lesart des Stiches möglich: Durch die Entscheidung der Frankfurter Kupferstecher, die Niederländer mit ins Bild zu nehmen, positionieren sie diese, stellen sie in Beziehung zu den Indigenen und schaffen so Vergleichsmöglichkeiten: Von rechts nach links, also in das Bild hinein, verlieren die drei Niederländer ihre Statussymbole: Der Mann rechts außen trägt drei unterschiedliche Waffen und eine 699 Im kolonialen Diskurs existieren unzählige Geschichten über Essgewohnheiten in der Fremde – man denke nur an die prominenten Erzählungen über Kannibalismus. Der Transport von Stereotypen und Mustern über die Nahrung fungiert so als Mittel zur Bestätigung europäischer Superiorität. Vgl. dazu Dorothea Nolde, Die Assimilation des Fremden. Nahrung und Kulturkontakt in De Brys „America“, in: Historische Anthropologie 12 (2004), S. 355–372; Frank Lestringant, Cannibals. The discovery and representation of the cannibal from Columbus to Jules Verne, Los Angeles 1997.

Die „Hottentotten“  

| 233

prächtige Rüstung. Dem Geschehen wohnt er nur als Beobachter bei – ob er mit der linken Hand einen Hautlappen des Ochsen zur Seite zieht oder eine einladende Bewegung macht, ist nicht zu erkennen. Der Niederländer in der Mitte ist in eine weniger prachtvolle Uniform gekleidet, er trägt nur eine Waffe – ein Messer, mit dem er die Eingeweide des geschlachteten Tieres entfernt. Besonders auffällig an ihm ist der große, mit Federn geschmückte Hut. Der ganz links Positionierte steht dem „Wilden“ am nächsten, er ist barhäuptig, das Messer, das auch er als Schlachtermesser benutzt, trägt er im Mund. Es ist Abb. 80 Detail aus Willem Jansz. Blaeu, Africae nova der Älteste der Truppe und er ist descriptio (1617) am ärmlichsten gekleidet, sein Hemd ist leicht geöffnet, die Ärmel sind hochgekrempelt. Die de Brys zeigen hier nicht nur die Unterschiede zwischen den Kulturen, sie gestalten darüber hinaus auch eine gesellschaftliche Hierarchie, in die die Bewohner des Kaps der Guten Hoffnung eingeordnet und in der sie am unteren Ende verortet werden. Die soziale Rangordnung wird damit um eine kulturelle Komponente erweitert. Damit integrieren die de Brys den „wilden Mann“ vom Kap der Guten Hoffnung in ihre Wirklichkeit. Sie bilden nicht nur ab, sondern produzieren neues Wissen, indem sie die in Text und Bild des Reiseberichts transportierte Information verarbeiten, interpretieren und in eine europäische Wissenssystematik einordnen. Der hier analysierte Stich zirkulierte in den folgenden Jahren in zahlreichen europäischen Indienberichten, sogar in die späteren Auflagen des bei Cornelis Claesz erschienenen niederländischen Originalberichts wurde er übernommen. Auch der wohl berühmteste Indienbericht des frühen 17. Jahrhunderts, der Bericht Jan Huyghen van Linschotens (1596), wurde in späteren Auflagen mit diesem Stich ausgestattet. Innerhalb weniger Jahre wurde aus dem aufrechten, stolzen Jäger eine gebrochene, um fleischliche Abfälle bittende, tierähnliche Kreatur. Wie wenige Jahre zuvor der Jäger fand sie nun Eingang in das kartografische Wissen und verdrängte jenen auch hier. In den repräsentativen Karten der Niederländer erfuhr der Kapbewohner seine weitere Stereotypisierung und die Reduzierung auf seine fast vollständige

234 |  Zirkulationen und Transformationen

Abb. 81 Stich aus der Morgenländischen Reisebeschreibung von Johann Albrecht von Mandelslo (1658)

Nacktheit und die – als besonders unzivilisiert geltende – Vorliebe, rohe (tierische) Därme zu essen. 700 (Abb. 80) Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden die Khoikhoi auch in der Reiseliteratur zunehmend als besonders „viehisch“, „barbarisch“ und „wild“ beschrieben. Die Bewohner des Kaps der Guten Hoffnung scheinen im weiteren Verlauf der europäischen Expansion eine Art Grenze zu verkörpern, die die Reisenden überschreiten müssen, um zu den Reichtümern Indiens bzw. wieder nach Hause zu gelangen.701 Der Stich der de Brys bildet einen der Ausgangspunkte für die Fixierung der Kapbewohner als die inferioren ganz Anderen der europäischen Kultur.

700 Die Wandkarte von Willem J. Blaeu erfuhr zahlreiche Auflagen und Reproduktionen. Heute kann man Tassen, Frühstücksbrettchen etc. damit bedrucken lassen; zahlreiche Vintage-Foto-Shops bieten diesen Service im Internet an. 701 Vgl. Michael Harbsmeier, 1994, S. 209 ff.

Die „Hottentotten“  

| 235

Die hier skizzierte Entwicklung soll abschließend an einem Kupferstich aus der Mitte des 17. Jahrhunderts demonstriert werden: 1658 tauchte der de Bry’sche Stich im Reisebericht des Deutschen Johann Albrecht von Mandelslo in einer gespiegelten Version wieder auf. (Abb. 81) Erscheinen im de Bry’schen Stich noch zwei Bildbedeutungen möglich, verlagert sich hier der Fokus und nimmt die extreme Wildheit der Kapbewohner in den Blick. Alles Verbindende ist verloren gegangen. Die kochenden Indigenen wurden aus dem Bild verdrängt, damit verharren die verbleibenden Einheimischen in einem Zustand ultimativer Unzivilisiertheit, die durch den ins Bild tretenden Indigenen mit dem Speer eine zusätzliche aggressive Konnotation erhält – ohne eine Verortung als Jäger und Tierzüchter erscheint der Speer als Waffe, die auch gegen Menschen gerichtet werden kann, was durch die Ausrichtung des Speers hin zu der Gruppe der Niederländer zumindest angedeutet wird. Das Beispiel der später als „Hottentotten“ bezeichneten Bewohner der Südspitze Afrikas zeigt, wie in der Frühen Neuzeit Informationen mit Bedeutungen versehen wurden, sich diese Bedeutungen durch Zirkulation verschoben, von den ursprünglichen Erfahrungen und Eindrücken der Reisenden entfernten, somit verselbständigen und verfestigen konnten. Besonders eindrücklich lässt sich dies auch nochmals anhand einer Reihe von Stichen zeigen, auf denen Frauen mit langen Brüsten dargestellt sind, die ihre Kinder über der Schulter stillen.

6.4. „Sie werfen den Kindern ihre langen Brüste über den Achseln zu …“ Diese stillende Mutter taucht erstmals in einer Darstellung des zweiten Bandes der Petits Voyages auf. Die Beschreibung der überlangen Brüste „wilder“ Frauen aber geht auf eine lange Tradition zurück;702 schon Plinius d. Ä. (Historia naturalis) und Herodot (Historien) hatten von barbarischen Frauen berichtet, deren Monstrosität u.a. durch ihre hängenden Brüste gekennzeichnet war.703 Die Darstellung einer Afrikanerin mit nacktem Oberkörper, die ihr Kind über der Schulter stillt, übernahmen die de Brys aus der Erstausgabe des Linschoten-Berichts, die aus der Werkstatt von van Doetecum stammt. (Abb. 82) Diese Art des Stillens wird in der Subscriptio der de Brys (noch) nicht kommentiert und findet auch im Haupttext keine Erwähnung. Die de Brys und vor ihnen die Werkstatt van Doetecum nahmen mit dieser Visualisierung die im 16. Jahrhundert zirkulierenden schriftlichen Ausführungen zu den wilden Frauen mit den hängenden Brüsten auf. Die Themen Schwangerschaft, Geburt und Säuglingsernährung spielten im Europa der Frühen Neuzeit – verstärkt seit Mitte des 16. Jahrhunderts – eine wichtige Rolle. Zahlreiche medizinische Bücher beschäftigten sich mit Geburtshilfe und Säuglingspflege und dienten als 702 Vgl. zu dieser Tradition immer noch die strukturalistische Arbeit von Bernadette Bucher, 1977. 703 Vgl. Jennifer L. Morgan, Laboring Women: Reproduction and Gender in New World Slavery, Philadelphia 2004, S. 16. Dem mittelalterlichen Volksglauben nach sollen auch in Skandinavien, im Alpenraum und in den Höhlen der Eifel Frauen mit überlangen Brüsten gehaust haben; diejenigen in der Eifel sollen sogar allen Menschen, den sie begegneten, angeboten haben, aus diesen Brüsten zu trinken. Vgl. Carl Jung, Kaross und Kimono. „Hottentotten“ und Japaner im Spiegel des Reiseberichts von Carl Peter Thunberg (1743–1828), Stuttgart 2002, S. 108.

236 |  Zirkulationen und Transformationen

Anleitung sowohl der Hebammen als auch der lesekundigen, gebildeten Frauen – mit dieser direkt angesprochenen weiblichen Zielgruppe bilden sie nach Manuel Simon eine Neuheit auf dem deutschsprachigen Druckmarkt.704 „Bereits im Zuge der Reformation war Mutterschaft (gegen das katholische Virginitätsideal) nicht nur verstärkt thematisiert, sondern auch erheblich aufgewertet worden. Nach einer Art Uterozentrismus sollte nun durch eine neue Wertigkeit der Mutterschaft diese als einzigartiger Beruf eingeführt werden. Ziel auch der gelehrten und oftmals bebilderten Traktate war, den weiblichen Pflichtenkanon neu zusammenzustellen und 705

bei den Frauen mit der Zeit zu internalisieren.“

Eine der frühesten medizinischen Schriften zu Schwangerschaft und Geburt ist das Büchlein Der Swangern frawen und Hebammen Rosengarten von Eucharius Roesslin aus dem Jahr 1513. Weitere bekannte Werke stammen von dem Zürcher Mediziner Jakob Rüff (Ein schön lustig Trostbüchle von den empfengknussen und geburten der menschen … aus dem Jahr 1554), von Johann Wittich, lutherischer Stadtarzt in Arnstadt (Tröstlicher Unterricht für Schwangere Abb. 82 Werkstatt de Bry, „Mohren“ auf Mozambique und geberende Weiber von 1597), von Johann Hildebrand, einem katholischen Stadtarzt aus Passau (Nutzliche Underweisung für die Hebammen und schwangeren Frauen …, 1601 in zweiter Auflage erschienen) und von dem Lübecker Stadtphysikus David Herlitz (De curationibus gravidarum. Newe Frawenzimmer / oder Gründtliche Unterrichtung / von den Schwangern und Kindelbetterinnen …). Dieses letzte erfuhr 1610 sogar seine vierte Auflage. Vor allem das Stillen wurde in den einschlägigen Werken breit thematisiert.706 Der Muttermilch wurde eine enge Verbindung mit dem (unreinen) Menstruationsblut nachgesagt, da sie nach Auffassung der Mediziner ebenfalls aus dem 704 Siehe Manuel Simon, Heilige Hexe Mutter. Der Wandel des Frauenbildes durch die Medizin im 16. Jahrhundert, Berlin 1993, S. 76. 705 Martina Sitt, „In meinen Armen, in meinem Schoß“. Zur Darstellung der Mutterfigur in der Genremalerei des 17. und 19. Jahrhunderts, in: Renate Möhrmann (Hg.), Verklärt, verkitscht, vergessen. Die Mutter als ästhetische Figur, Stuttgart & Weimar 1996, S. 145–169, hier: S. 157. 706 Zum Folgenden siehe Simon, 1993, S. 91 ff.

Die „Hottentotten“  

| 237

überschüssigen Blut der Frauen gebildet wird. Die Vorstellung, dass der Säugling auch nach der Geburt durch das Blut der Mutter versorgt wird, führte zu weitreichenden Konsequenzen für die Frauen, die mit zahlreichen Verhaltensregeln für die immerhin zweijährige Stillzeit belegt wurden: Eucharius Roesslin war mit seinen Vorgaben und Regeln noch vergleichsweise zurückhaltend, die Verpflichtung zum Selbst-Stillen (der Einsatz einer – natürlich nur tugendhaften – Amme wird von ihm ausschließlich bei Krankheit der Mutter befürwortet) begründet er medizinisch, nicht moralisch. Jakob Rüff ging in seinen Ansichten bereits deutlich weiter und betonte die „natürliche“ Liebe der Mütter zu ihren Kindern, die die Liebe des Vaters zwangsläufig übertreffe und mit zahlreichen Verpflichtungen (u.a. dem Stillen) einhergehe. Rüffs Trostbüchle wurde 1580 von Sigmund Feyerabend neu herausgegeben und um einen zweiten Teil, dessen Autor unbekannt ist, erweitert – nach Manuel Simon handelt es sich wohl um eine Kompilation früherer Werke zur Kinderpflege, da auf etliche nicht näher benannte „Doctores“ verwiesen wird. In diesem zweiten Teil werden vor allem Regeln für die Stillzeit aufgestellt: Natürlich solle die Mutter über zwei Jahre selbst stillen, in der Zeit solle sie strenge Diät halten, sie solle ruhig und züchtig sein, „nicht springen / gumpen / lauffen und ungestümmiglich tantzen: Nicht schwer lüpffen / heben / trucken / hart reuthen / […] aber viel und offt schlafen“ und sich vor „unzimlicher Unkeuschheit“ hüten.707 Die Pflege eines Säuglings wird also zum Ende des 16. Jahrhunderts zahlreichen Vorschriften unterworfen und streng reglementiert, ein natürlicher, von der Intuition der Mutter geleiteter Umgang wird abgelehnt. Vor dem Hintergrund dieser offensichtlich erfolgreichen Schriften erhält auch das Bild der stillenden Afrikanerin noch eine gewisse Ambivalenz: Die Frau beweist ihre Fürsorge und Mütterlichkeit, indem sie ihr Kind – wenn auch in einer ungewöhnlichen Position – selbst stillt. Der von ihr auf dem Kopf getragene Krug demonstriert Fleiß und hausfrauliche Tätigkeit – damit verstößt sie allerdings auch gegen die in den einschlägigen Traktaten formulierte Forderung an die gute Mutter, nicht zu arbeiten und nicht schwer zu heben. Auffällig sind aber vor allem die hängenden Brüste der Mutter, die sogar so lang sind, dass es möglich ist, das Kind über der Schulter zu stillen. In Zeiten, in denen es üblich war, dass Frauen sich schnürten, verweisen diese langen Brüste auf einen Bruch mit ästhetischen Normen, streichen die ‚Unzivilisiertheit‘ der Figur heraus und wecken Assoziationen an die tradierten Bilder wilder und bestialischer Frauen. In der Frühen Neuzeit galten große Brüste als Attribut von alten Frauen und Hexen, darüber hinaus wurden sie mit unmäßiger Libido assoziiert; weibliche Teufel mit hängenden Brüsten stehen in der Ikonografie für Gefahr und Monstrosität.708 Dass mit ihnen Bestialität und Wildheit markiert werden sollte, zeigt auch ein Blick auf die frühen Kupferstiche der Grands Voyages; hier wurden die Ureinwohnerinnen Amerikas noch idealisierend und dem klassischen Schönheitsideal entsprechend mit festen Brüsten abgebildet, während die späteren Stiche, wie Bernadette Bucher in ihrer Studie herausgearbeitet hat, zunehmend die Wildheit der Indigenen transportieren sollten 707 Zit. nach Simon, 1993, S. 93. 708 Vgl. Morgan, 2004, passim.

238 |  Zirkulationen und Transformationen

und damit auch die Frauen häufiger mit langen Brüsten dargestellt wurden.709 Die Mutter, die ihr Kind über der Brust stillt, scheint also zwei scheinbar nicht zu vereinbarende Motivstränge zu vereinen: Hier werden Bilder der wilden und lasterhaften Frau mit Bildern der liebenden, sich um ihr Kind sorgenden Mutter verwoben. Bilder von Müttern mit Säuglingen sind auf eine traditionelle christliche Ikonografie zurückzuführen, in der die sorgende Mutter als Zeichen des Beginns von ‚Zivilisation‘ begriffen und eine positive Entwicklung der Menschheitsgeschichte imaginiert und symbolisiert wird. Wie Maike Christadler in ihrem Aufsatz Mutter und Kind. Eine Bildchiffre im (post)kolonialen Diskurs feststellt, stellt die Mutter-Kind-Dichotomie für das europäische Christentum einen der Gründungsmythen dar:

Abb. 83 Jan van Eyck, Die Lucca-Madonna (um 1437/38)

„Die Fleischwerdung Gottes bedient sich – ganz aristotelisch – des Frauenkörpers als ‚Gefäß‘, es ist das Wort Gottes, das den Frauenkörper befruchtet, denn dieser ist ‚leer‘, bevor es zur ‚Zeugung‘ kommt, ein unbeschriebenes Blatt, in das die Erlösungsgeschichte eingeschrieben werden kann. Die Genealogie ist über die Ureltern-Geschichte gewährleistet, die Maria als neue Eva konstruiert, sie jedoch als Jungfrau empfangen und damit den Sündenfall überwinden lässt. Die Mutter-Kind-Figuration enthält im christlichen 710

Kontext in nucleo die gesamte Heilsgeschichte und symbolisiert den Beginn der Erlösung im Glauben.“

Im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa existierten und zirkulierten zahlreiche Darstellungen der Jungfrau Maria, die dem Sohn Gottes die Brust gibt. Diese Bilder der liebenden, dem Kind zugewandten und es nicht aus den Augen lassenden Maria lactans haben 709 S. Bucher, 1977, passim. 710 Christadler, 2005, S. 24. Zu Formulierungen dieses Bildes der Urfamilie in den Grands Voyages s. ebd., S. 24 f.

Die „Hottentotten“  

| 239

Abb. 84

den europäischen Imaginaire nachhaltig geprägt.711 (Abb. 83) Gerade im 16. Jahrhundert erfreute sich das Motiv zunehmender Beliebtheit und so lässt sich im deutschen Sprachraum ein deutlicher Anstieg der Bilder verzeichnen.712 Ein Großteil der Darstellungen zeigt Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß – dem sie die linke, näher am Herzen liegende Brust gibt – in liebevoller Eintracht. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Darstellungen vorwiegend reformierter Künstler, die die Stillende in die heilige Familie integrieren und damit christliche, familiäre Werte betonen und überhöhen. Gerade aber die häufig idealisierte Maria steht für Nächstenliebe und mütterliche Aufopferung. Ein besonders bekanntes Beispiel der Marienbilder ist das Werk Madonna mit den Papageien (1533) von Hans Baldung Grien. 713 Grien zeigt Maria mit gesenktem Kopf, ihre rechte Hand streicht über die linke Brust um den Milchfluss anzuregen – auch ein Zeichen ihrer bedingungslosen ErgebenHans Baldung Grien, Madonna mit den Papageien (1533) heit und Frömmigkeit. (Abb. 84) Das Bild der Mutter, die ihr Kind auf dem Rücken trägt und es in dieser Position stillt, bricht ganz offensichtlich mit diesen Konventionen und mit den Sehgewohnheiten des europäischen Betrachters: Die Mutter wendet sich ihrem Kind nicht zu, blickt vielmehr unbeteiligt in die Ferne und so sucht man den liebevollen Blick der Maria lactans bei ihr vergeblich. Maike Christadler hat in ihrem oben bereits erwähnten Aufsatz koloniale Bildszenen analysiert, in denen stillende Mütter in das Sozialleben indigener Gemeinschaften integriert sind. Viele dieser Bilder zeichnen sich Christadler zufolge durch eine doppelte Semantisierung aus: Einerseits ist die Frau die 711 Zu Darstellungen der Maria lactans vgl. Franz Groiß, Birgit Streiter, Christian Vielhaber, Hubert Philipp Weber (Hg.), Maria lactans. Die Stillende in Kunst und Alltag, Wien 2010. 712 Vgl. Franz Groiß, Maria lactans – die stillende Madonna, in: ders., Birgit Streiter, Christian Vielhaber, Hubert Philipp Weber (Hg.), 2010, S. 13–80, hier: S. 47. 713 Zu den Marienbildern Hans Baldung Griens vgl. Sibylle Weber am Bach, Hans Baldung Grien (1484/85–1545). Marienbilder in der Reformation, Regensburg 2006.

240 |  Zirkulationen und Transformationen

Abb. 85 Cornelis Claesz, Beschryvinge ende Historische verhael, Titelkupfer (1602)

„Urzelle der menschlichen Familie“ und steht als Zeichen für den Beginn von Zivilisation, andererseits ist sie aufgrund ihrer biologischen Reproduktionsfähigkeit mit der Natur verbunden; zudem wird Frauen im Allgemeinen einen ihnen innewohnende sexuelle Triebhaftigkeit unterstellt, womit „sie Anteile einer tierischen Wildheit“ verkörpern.714 Die de Brys jedoch verzichten in den Petits Voyages – im Unterschied zu den Grands Voyages – auf die Integrierung der stillenden Mutter in das gesellschaftliche Leben. Vielmehr steht diese in einer ersten Darstellung am Rande einer Gruppe halb nackter „Mohren“, mit „stumpfen Nasen und dicken Lippen, über und unter welchen sie ein Knöchlein oder etwas anderes stecken. Ihren Leib samt dem Angesicht haben sie gemeiniglich mit heißen Eisen gleich wie getrockneter Damast zerpieket und bemalet; ansonsten gehen sie ganz nacket und ohne jede Scham.“715 Allein in einem Bild wird der Visualisierung häuslicher weiblicher Tätigkeiten auch eine Stillende hinzugefügt. Bemerkenswerterweise wird dabei jedoch gleichzeitig die Verletzung eines gesellschaftlichen Tabus visualisiert. Auf Tafel XIX des sechsten Bandes, in der schon bekannten Ankunftsszene,716 die klar die männliche Sphäre von der weiblichen trennt, ist ganz rechts im Bild eine Frau mit nacktem Oberkörper zu sehen, die einen Säugling auf dem Schoß hält und ihm die Brust gibt. Ihre Position ist dem europäischen Betrachter vertraut, 714 Christadler, 2005, S. 24. Vgl. zur angeblich grundsätzlichen Triebhaftigkeit der Frauen auch das Kapitel 3. 715 Petits Voyages, Bd. II, Tafel III, Subscriptio. 716 S. Abb. 28.

Die „Hottentotten“  

| 241

Abb. 86 Werkstatt de Bry, Von den Weibern und ihrer Kleidung (1603)

Abb. 87 Werkstatt de Bry, Titelkupfer des 7. Bandes der Petits Voyages (1603)

doch der hinter ihr stehende Mann, der ihr während des Stillens an die freie Brust fasst und dem sich die Frau zuwendet, offenbart die gravierende Unmoral der Indigenen. Das einzige Bild der Petits Voyages, auf dem die stillende Mutter in das soziale Leben integriert wird, inszeniert gleichzeitig den Bruch mit (den eigenen) gesellschaftlichen Normen; gerade die Re-Inszenierung der traditionellen christlichen Ikonografie lässt diesen Bruch dabei besonders hervortreten. Die Bilder deuten darauf hin, dass über die Mutter sowohl ethnische und als auch geschlechtliche Differenz festgeschrieben werden konnte und sollte. Gerade die über der Schulter stillende Frau zirkulierte intensiv und markierte in der Zirkulation zunehmend äußerste Wildheit und Bestialität: Schon 1602 erschien sie auf dem Titelblatt des Guinea-Berichts von Pieter de Marees, den Cornelis Claesz herausgegeben hat; hier ist sie mit einem weiteren – nur

242 |  Zirkulationen und Transformationen

mit einem Netzhemd bekleideten – Kind abgebildet,717 das auf die halb nackte, auf einem Alligator reitende Frau in der Mitte des Titelblattes zeigt, die einen Papagei auf ihrer Hand trägt. Die beiden Tiere stehen für die exotische Andersheit der besuchten Welten und vor allem der Papagei symbolisiert mit seiner üppigen Pracht und der irritierenden Schönheit sexuelles Begehren und Verführung.718 Das Kind fungiert mit seiner hinweisenden Gestik als Zeichenträger für die Sexualität der Frau. (Abb. 85) Auch in der deutschen Übersetzung des Berichts, den die de Brys 1603 als den sechsten Teil der Abb. 88 Levinus Hulsius, Weibsvolk (1603) Petits Voyages publizierten, taucht die Stillende auf dem Titelblatt und auf Tafel III wieder auf; dort wird sie innerhalb einer weiblichen Vierergruppe von Frauen aus Guinea gezeigt, die alle ihr Kopfhaar „gar kurz […] wie die Mannspersonen“ tragen. Die Mutter selbst erscheint als „gewöhnliches Weib“, die „ihre Kinder hinten auf den Achseln“ trägt und „ihre lange Brüste denselben über die Achseln“ zuwirft, damit sie trinken mögen. Zusätzlich sind diese Frauen „ganz seltsam zerschnitten und gerissen und im Angesicht mit Farbe angestrichen“.719 (Abb. 86) Die stillende Frau wird also im Zuge der Imaginierung einer verkehrten Welt positioniert und dabei in eine als besonders seltsam und abstoßend erscheinende Gruppe von Frauen integriert. Auf dem Frontispiz der de Brys wird ihr – wie im niederländischen Original – das Kind mit dem Netzhemd an die Seite gestellt. (Abb. 87) Was es mit diesem Kleidungsstück auf sich hat, klärt die Subscriptio von Tafel XVII des sechsten Bandes, wo das Kind erneut, hier neben einem „ gewöhnliche[n], unzüchtige[n] Weib“ auftaucht. Das Kind trägt „ein Hemdlein […] gleich einem Netze, gemacht aus Bast oder Baumrinde“, „damit es nicht etwa vom Teufel weggeführet würde, denn sie denken, dass die Kinder durch ein solches Netz frei und sicher sind.“720 Das Netzhemd versinnbildlicht 717 718 719 720

Siehe zu diesem Netzhemd weiter unten S. 243 f. dieser Arbeit. Zur Zeichenhaftigkeit des Papageis s. Christadler, 2005, S. 30. Petits Voyages, Bd. VI, Tafel III, Subscriptio. Petits Voyages, Bd. VI, Tafel XVII, Subscriptio.

Die „Hottentotten“  

| 243

Abb. 89 Jodocus Hondius, Karte von Afrika (1619)

damit die immer existierende Bedrohung durch den Teufel, vor dem solche Frauen nicht zu schützen vermögen, die im Gegenteil vielmehr selbst eine Bedrohung darstellen. Ebenfalls 1603 erschien der Guinea-Bericht von Pieter de Marees auch bei Levinus Hulsius als siebter Teil der Schiffahrten. Auch Hulsius gestaltete einen Kupferstich mit Frauenfiguren und fasste dabei zwei Stiche aus dem sechsten Band der Petits Voyages zusammen. (Abb. 88) Bauersfrau und portugiesische Frau aus Tafel III der de Brys entfernte er, stattdessen stellte er die stillende Mutter und die Jungfrau mit den „kleine[n] feine[n] Brüstlein“ (weil sie „noch in ihrem besten Tun sind“) neben das „unzüchtige Weib“ mit dem Kind im Netzhemd.721 Damit verweisen alle drei von Hulsius ausgewählten und neu arrangierten Figuren auf die Reproduktionsfähigkeit der Frau und ihre Sexualität. In den folgenden Jahren zirkulierte das Motiv der stillenden Frau mit dem Kind auf dem Rücken vor allem in zahlreichen niederländischen Afrikakarten, wo es sich zu dem Stereotyp für die madagassische Frau entwickelte; mit der Entwicklung zum Typus steht die stillende Frau exemplarisch für die Wildheit und Verrohung der madagassischen und zunehmend auch der afrikanischen Gesellschaft und beginnt damit einen ganzen Kontinent zu symbolisieren. (Abb. 89)

721 Hulsius, Schiffahrten, Bd. VII, S. 39.

244 |  Zirkulationen und Transformationen

Dass sich die Frau zu einem der Sinnbilder Afrikas und seiner Bewohner entwickelt hat, zeigt auch das Titelblatt des Reiseberichts von Olfert Dapper,722 das zudem noch einmal deutlich macht, dass die über der Schulter stillende Frau in Europa auf Verwunderung stieß, ist sie hier doch zusammen mit vielen anderen Kuriositäten und Exotika, die den afrikanischen Kontinent nach zeitgenössischen europäischen Auffassungen ausmachten, abgebildet. (Abb. 90) Wie sehr der Frau im Verlauf ihrer Zirkulation alles Menschliche abgesprochen wurde, demonstriert ein englischer Stich, der 1638 in einem Reisebericht von Thomas Herbert veröffentlicht wurde. (Abb. 91) Der schon bekannte Mann mit dem Speer vom Kap der Guten Hoffnung hat eine Gefährtin (oder Gegnerin) bekommen, die mit wildem Blick und in aggressiver Pose auf ihn, den in seltsam statischer Haltung verharrenden Mann, zutritt. In ihrer linken Hand hält sie noch blutende Gedärme, auf dem Rücken sitzt ihr Kind wie ein Parasit, Abb. 90 Titelblatt der deutschsprachigen Ausgabe des den sie über die Schulter aus ihrer überlangen Reiseberichts von Olfert Dapper (1672) Brust stillt. Hier wird vor allem das Bedrohliche – verkörpert durch den an einen Tanz erinnernden Schritt – und das Animalisch-Triebhafte – symbolisiert durch das Sexuelle wie das Essen – der anderen Gesellschaft, vor allem aber des anderen Geschlechts und damit des ganz Anderen der europäischen männlichen Gesellschaft akzentuiert.723 Stand die Frau zu Beginn zunächst exemplarisch für ein bestimmtes Gebiet in Afrika und später für den gesamten afrikanischen Kontinent, versinnbildlichte sie im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert weibliches Barbarentum weltweit – wie die Illustrationen Marihuana rauchender Mütter in Südamerika zeigen. (Abb. 92, 93 und 94) 722 Olfert Dapper, Umbständliche und Eigentliche Beschreibung von Africa, Und denen darzu gehörigen Königreichen und Landschaften/ als Egypten/ Barbarien/ Libyen/ Biledulgerid/ dem Lande der Negros/ Guinea/ Ethiopien/ Abyßina/ und den Africanischen Insulen: zusamt deren Verscheidenen Nahmen/ Grentzen/ Städten/ Flüssen/ Gewächsen/ Theiren/ Sitten/ Trachten/ Sprachen/ Reichthum/ Gottesdienst/ und Regierung; Wobey die Land-Carten/ und Abrisse der Städte/ Trachten/ [et]c. in Kupfer/ Auß unterschiedlichen neuen Land- und Reise-Beschreibungen mit fleiß zusammen gebracht durch O. Dapper Dr., Amsterdam 1671. 723 S. dazu auch das Kapitel 3.

Die „Hottentotten“  

| 245

Abb. 91 Stich aus Thomas Herberts Reisebericht Some years travel (1634)

Abb. 92 John Ogilby, Karte von Granada (1671)

Die in Lethargie erstarrte Frau aus dem berühmten Bericht des deutschen Mathematikers und Astronomen Peter Kolb (1675–1726) über Einwohner, Flora und Fauna des Kaplandes aus dem Jahr 1719724 steht am Ende dieses Degenerationsprozesses. Die rauchende und stillende Frau wird inzwischen gänzlich allein, ohne Einbindung in eine Familie oder eine andere soziale Gruppe abgebildet; sie ist damit nicht Teil einer Gesellschaft und steht sowohl durch ihre Physiognomie als auch durch ihre Art, zu leben und ihre Kinder aufzuziehen, außerhalb jeglicher europäischer Wertvorstellung. Nun ist die über der Schulter stillende Mutter endgültig zum Zerrbild geworden – die fürsorgliche Mutterschaft wurde gebrochen und in ihr Gegenteil verkehrt. Die hier vorgestellten Beispiele der medialen Zirkulationen um 1600 vermögen zu zeigen, wie Bilder innerhalb kürzester Zeit mit Bedeutung aufgeladen wurden und zum Symbol zu werden vermochten, intensiv zirkulierten um anschließend von anderen Bildern mit neuen Bedeutungen abgelöst zu werden. So veranschaulichen der König von Tuban und seine medialen Zirkulationen die Flexibilität und Dynamik des frühen kolonialen Diskurses. 725 Der europäische frühkapitalistische Buchmarkt um 1600, mit Amsterdam als dem neuen 724 Peter Kolb, Caput Bonae Spei Hodiernum. Das ist: Vollständige Beschreibung des Africanischen Vorgebirges der Guten Hofnung, Nürnberg 1719. 725 Zur Geschmeidigkeit des Diskurses s. auch Burghartz, 2005 und Greenblatt, 1994.

246 |  Zirkulationen und Transformationen

Abb. 93 Godfried Maes, Die vier Erdteile (um 1670)

Abb. 94 Zeichnung aus Peter Kolbs Reisebericht State of the Cape of Good Hope (1731)

Zentrum des Wissens und der Information, produzierte eine Vielzahl solcher Bilder (und Texte) und trug damit wesentlich zur Formierung des Diskurses bei. Die Begrüßungsszenen, die „Hottentotten“ und auch die stillenden Frauen machen exemplarisch deutlich, wie Bilder des Fremden und damit das Fremde selbst kulturell angeeignet,726 in den europäischen Wissenskanon integriert und mit den eigenen Wertvorstellungen abgeglichen wurden; im Verlauf der Zirkulation und durch die Zirkulation führte der Abgleich mit dem Eigenen und Vertrauten mithilfe von Stereotypen zur Fixierung des Fremden als Defizitäres und Inferiores, vom Eigenen Ausgeschlossenes.727 Dabei verloren die Bilder ihre Ambivalenz. Im Zuge der Zirkulations- und Transformationsprozesse, der medialen Wanderungen, fanden so Prozesse der Exotisierung und Stigmatisierung statt;728 das Begehrenswerte, auch das Wunderbare und zu Bewundernde der Fremde wurde negiert,729 das Verbindende ging verloren.

726 Zum Prozess der Aneignung s. Burghartz, 20042, S. 113 ff. 727 Zur Ambivalenz zwischen Einschluss und Ausschluss s. auch das Kapitel 5; vgl. außerdem Burghartz, 2004.1 728 S. dazu den unveröffentlichten Vortrag von Benjamin Schmidt, Knowledge Products: Exotic Geography ca. 1700, gehalten am 03.12.2010 anlässlich des 18. Baseler Renaissancekolloquiums im Historischen Seminar der Universität Basel. 729 Zum „Wunderbaren“ im kolonialen Diskurs s. Greenblatt, 1994.

Die „Hottentotten“  

| 247

ZUSA MMENFA SSUNG UND FA ZIT Bereits eine erste Lektüre der Texte und eine damit einhergehende Betrachtung der Kupferstiche hat erkennen lassen, dass in den Petits Voyages ganz unterschiedliche Themenfelder von Bedeutung waren, dass die Reiseberichte und ihre Illustrationen – mal mehr, mal weniger explizit – diverse fremde Welten entwarfen und thematisierten und das Wissen darüber (re)produzierten, erweiterten und vermittelten. Die fünf text- und bildanalytischen Kapitel der vorliegenden Arbeit haben diesen Entwürfen der unterschiedlichen fremden Welten und ihren (Re)Präsentationen nachgespürt. Zunächst jedoch wurde im Kapitel Die Werkstatt de Bry als Ort der Wissensproduktion die Familie de Bry, ihr Verlagshaus, die Werkstatt und die Reisesammlung selbst vorgestellt. Als geradezu essentiell für den wirtschaftlichen Erfolg der überaus geschäftstüchtigen Familie entpuppte sich ihr breit gespanntes und gut funktionierendes Netzwerk. Die de Bryschen Reisesammlungen können als ein Resultat dieses Netzwerks betrachtet und als Gemeinschaftsprojekt bezeichnet werden; als ein Gemeinschaftsprojekt, in dem sich sowohl die unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen der an ihm direkt und indirekt Beteiligten als auch die (potentiellen) Erwartungen des anvisierten Publikums spiegeln. Im Kapitel Handel und die Rolle des Wissens. Zur Produktion und Konstruktion von Handelsräumen wurde der Frage nachgegangen, wie und auf welche Weise das Wissen über die ersten Handelsfahrten der Niederländer und vor allem über die Handelsbedingungen vor Ort instrumentalisiert wurde. Mit ihren Kupferstichen zu den ersten Berichten über diese frühen niederländischen Ostindienunternehmungen nahmen die de Brys Schwerpunktverlagerungen vor, stellten den Haupttexten anders gelagerte Wirklichkeiten entgegen und erzählten damit ganz eigene Geschichten. Sie inszenierten die frühe niederländische Expansion als Erfolgsgeschichte, in der die niederländischen Reisenden nach einer Zeit der Prüfungen und Entbehrungen zu den Reichtümern Indiens gelangen und in fruchtbaren Handel mit der dortigen weitgehend friedlichen, auf jeden Fall aber berechenbaren, Bevölkerung treten. Sie gestalteten mit den frühen Bänden ihrer Reisesammlung regelrechte „Werbeprospekte“ für die niederländische Expansion, in denen und mit denen die Überlegenheit der neuen Akteure auf den Weltmeeren erschrieben wurde. Diese Inszenierung von Superiorität funktioniert in den Illustrationen der Reiseberichte weniger über die Konstruktion von Alterität ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT   |

249

der indigenen Bevölkerung, als über das Meistern nahezu auswegloser Situationen, die demonstrative Beherrschung der als fremd und bedrohlich empfundenen Natur und über die Abgrenzung von den europäischen Konkurrenten. Zudem wurden durch die spezifischen Zusammenstellungen einzelner Textteile und durch die Gestaltung der zugehörigen Illustrationen Handels- und Handlungsräume medial inszeniert und diskursiv produziert, die zukünftig erst noch erschlossen werden mussten. Durch die nachfolgende Zirkulation der de Bryschen Bilder und einzelner Bildfragmente wurde die von ihnen entworfene Erfolgsgeschichte und die eigene Superiorität weiter festgeschrieben. Die Berichte erzeugten eine wirkmächtige Dynamik, die sich auch auf die reale Expansion auswirkte. Die reale und die mediale Expansion waren somit aufeinander bezogen und bedingten sich gegenseitig. Während der Untersuchung der Texte der Petits Voyages stellte sich schnell heraus, dass die Themen einer ausschweifenden Sexualität und der Geschlechterbeziehungen darin breiten Raum einnehmen. Wie die Analyse im Kapitel Körperwissen. Sexualität und Geschlechtordnungen ergeben hat, geht es dabei jedoch nicht allein um Projektionen und Spiegelungen von (Männer)Wünschen und -Ängsten, sondern darum, dass diese Ängste in den Texten immer wieder neu produziert und verfestigt werden. Die niederländischen Männer erschienen in den Reiseberichten als unbeteiligte Beobachter und Chronisten der Sünden und Laster der Anderen. Der Unzuchtsvorwurf fungiert damit sowohl als Mittel zur Diffamierung der Frauen, als auch der männlichen Fremden und der europäischen Konkurrenten, die den Frauen nicht zu widerstehen wissen und die eigene Ordnung nicht aufrecht zu erhalten vermögen. Im Gegensatz zu den kraftstrotzenden Amerikaberichten der spanischen Konquistadoren, in denen es von virilen und potenten Anekdoten wimmelt, galt es hier nicht ein Land und seine Frauen diskursiv und realiter zu erobern, sondern Konkurrenten im Gewürzhandel zu diskreditieren. Es konnte ferner herausgearbeitet werden, dass die Texte zwar von überbordender Sexualität erzählen und Frauen darin auffallend präsent sind, sich die Kupferstiche der Reisesammlung dem Thema der (weiblichen) Sexualität aber auf überraschend zurückhaltende Weise widmen. Überraschend auch im Vergleich mit der zeitgenössischen Druckgraphik, die deutlich macht, dass das Darstellen sexueller Handlungen im 15. und 16. Jahrhundert – (gerade) auch zur Diffamierung eines Antagonisten – durchaus möglich war. In den Petits Voyages, so die Schlussfolgerung, wird sexuelle Differenz und Ausgrenzung eher über das Unsichtbar-machen denn über Diffamierung konstruiert. Die fremden Frauen und ihre bedrohlichen Begierden kommen nicht ins Bild, sie existieren nicht. In der bewährten Methode der Text- und Bildanalyse hat sich in dem Kapitel Mehr als eine Grenze: Das Meer als Wissensraum offenbart, dass auch hier auf den verschiedenen Repräsentationsebenen unterschiedliche Geschichten erzählt, in diesem Fall unterschiedliche Bilder vom Meer entworfen werden. In den Textberichten der Petits Voyages wird das Meer in dramatischen Worten als gefährliches Element und schier unüberwindbares Hindernis geschildert; in allen Bänden der Petits Voyages finden sich zahlreiche Darstellungen über

250 |  Zusammenfassung und Fazit

lebensgefährliche Unwetter und tragische Schiffbrüche. Die Kupferstiche hingegen zeigen ausnahmslos eine ruhige See. Hier sind vor allem die Schiffe allgegenwärtig; doch präsentieren die Stiche dabei nicht mehr die hilflosen „Nussschalen“ aus den Texten, sondern starke, kampferprobte Schiffe, die sich Stürmen und feindlichen Angriffen entgegen zu stellen vermögen. Über die Demonstration von Präsenz, über ein Zeichen der Heimat in der Fremde hinaus, wird hier das Medium „gefeiert“, mit dessen Hilfe der unbezwingbar scheinende Ozean doch bezwungen werden kann. Schiffe zeugen damit nicht nur, wie Michel Foucault es formuliert hat, von der Möglichkeit alle anderen Räume in Frage zu stellen, sondern ebenso von der Option neue Räume zu schaffen. Schiffe machen die Ufer und das, was jenseits der Ufer liegt, vor allem aber auch das Meer selbst erst kartierbar. Davon zeugen auch die zahlreichen, in den Petits Voyages abgedruckten Karten, die ebenfalls von der Beherrschbarkeit des Meeres erzählen und die das scheinbar unüberwindbare Element Meer in einen Raum verwandeln, der befahren und damit überwunden werden kann. Die Gegenüberstellung von Text, Bild und Karte und die Analyse der Wechselwirkung zwischen diesen drei Medien weisen darauf hin, wie wichtig auch noch nach mehr als einem Jahrhundert Entdeckungsgeschichte mediale Prozesse der Einkerbung waren. Die Texte machen deutlich, wie groß die Angst vor dem offenen Meer um 1600 war, die Bilder und Karten stellen als Antwort auf die Texte Versuche dar, das Meer selbst und die Angst davor zu domestizieren. Texte und Stiche bedienen dabei unterschiedliche Bedürfnisse: Die Texte, die die Seefahrer als Odysseus gleiche Helden inszenieren, befriedigen die Abenteuerlust der Leser; die Bilder und Karten zeigen Möglichkeiten der Kontrolle auf, sie machen unmittelbar deutlich, dass das wütende und tobende Meer gebändigt werden, dass man mit seiner Hilfe, zu den Reichtümern der überseeischen Welten gelangen kann. Durch Vermessen, Einteilen und Kontrolle kann der Raum beherrscht werden – von dieser Hoffnung zeugen die Karten und Bilder der Petits Voyages. Im Kapitel Das Wissen von der anderen Welt: Glaube und Unglaube wurde die in zahlreichen Forschungen zur Wahrnehmung und Darstellung außereuropäischer Religionen verbreitete These von der Produktion eindeutiger Dichotomien zwischen Heiden und Christen in frühneuzeitlichen Reiseberichten hinterfragt. Wie die Analyse ergeben hat, werden in den de Bryschen Vorworten die um 1600 unterschwellig gärenden Konflikte und Kriege zwischen Protestanten und Katholiken tatsächlich ebenso ignoriert wie die innereuropäischen Auseinandersetzungen und Gefechte in Übersee; stattdessen wird die Einheit und Zusammengehörigkeit der gesamten Christenheit heraufbeschworen, werden die jüngst unternommenen Reisen der Niederländer zum hoffnungsvollen Auftakt in eine glanzvolle Zukunft für alle Christen umgedeutet. Ein Blick auf die Haupttexte und die Kupferstiche hat jedoch gezeigt, dass diese scheinbar eindeutigen Dichotomien zwischen den Christen und den Anderen aufgelöst, dass weder die christlichen Konfessionen noch die heidnischen Religionen als einheitlich dargestellt werden und dass auch die Bewertungen der einzelnen Glaubensformen höchst unterschiedlich ausfallen können. Anhand der Figur des Teufels konnte zudem nachgewiesen werden, dass die Götter der Anderen nicht einfach als „falsche“ und damit auch machtlose Götzen verunglimpft, sondern ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT   |

251

mit dem mächtigen Gegenspieler Gottes assoziiert werden; ihr „Götzendienst“ wird als Teufelsdienst interpretiert. Heidnische Rituale werden damit nicht als mit der eigenen religiösen Vorstellungswelt gänzlich unvereinbar begriffen und dargestellt, vielmehr werden sie durch die Figur des Teufels in die eigene Gedankenwelt integriert. Der Teufel repräsentiert somit nicht nur Unordnung in der materiellen Welt, wie Robert Scribner betont hat, sondern er fungiert darüber hinaus auch als Instrument um die Unordnung (fremder Welten) wieder in (die eigene) Ordnung zu überführen. Die Figur des Teufels als Widerpart schafft Möglichkeiten des Vergleichs und der Kategorisierung, der Aus- aber auch der Eingrenzung. Einige der de Bryschen Bildfindungen wurden über Jahrhunderte reproduziert, modifiziert und rearrangiert. Daher hat sich das sechste Kapitel Zirkulationen und Transformationen mit den Zirkulations- und Transformationsprozessen einzelner dieser Bilder und Versatzstücke der Petits Voyages beschäftigt. Es konnte gezeigt werden, wie schnell der Buch- und Druckmarkt um 1600 auf neue Ereignisse zu reagieren imstande war und dass sich die Bedeutungen und Wirkungen bestimmter Bilder durch ihre unterschiedlichen medialen Wanderungen sowohl wandeln als auch verfestigen konnten. Einzelne Bilder konnten innerhalb kürzester Zeit mit Bedeutung aufgeladen werden, intensiv zirkulieren und dann durch neue Bilder abgelöst werden, andere wurden über längere Zeit in unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen und immer wieder reproduziert. Dabei hat sich erwiesen, dass viele der de Bryschen Bildfindungen in der Zirkulation ihre anfangs noch zu konstatierenden Ambivalenzen und Mehrdeutigkeiten verloren und – teilweise – bis in die heutige Zeit ihre spezifischen Wirkungen zu entfalten vermochten. Die de Bryschen Illustrationen hatten so auch in den folgenden Jahrhunderten einen erheblichen Einfluss auf den Umgang mit dem Fremden und auf dessen Darstellungen und Beurteilungen; sie trugen zur Schaffung eindeutiger Dichotomien zwischen dem Eigenen und dem Fremden bei, obwohl in ihren Bildfindungen Uneindeutigkeiten und Unschärfen angelegt waren. Allen untersuchten Themenkomplexen der Petits Voyages ist der Versuch der diskursiven Produktion von Superiorität gemein; es galt, die Leistung und die Vorrangstellung des als des Eigenen begriffenen zu erschreiben und zu inszenieren – sei es im Kampf mit den Gewalten der Ozeane, sei es durch die erfolgreichen Handelsbeziehungen mit mächtigen Herrschern oder durch die widerständige Abwehr weiblicher und teuflischer Verführungskünste. Das Meistern nahezu auswegloser Situationen, die Überhöhung der eigenen Leistung durch Bedrängnis und Gefahr, die behauptete Fähigkeit, den Versuchungen und Verlockungen der Fremde widerstanden, sich nicht von ihnen ins Verderben geführt zu haben, führte – auf den ersten Blick – trotz temporärer Gefühle von Inferiorität zu einer Rhetorik, die immer wieder neu die eigene Unverletzlichkeit und Stärke zu behaupten versuchte. In den Texten und Bildern lassen sich jedoch auch Unsicherheiten und Unschärfen konstatieren; zudem zeigen sich in beiden Medien Verwischungen von Grenzen zwischen „Wir“ und „den Anderen“ – was das Eigene, was das Andere, was das Fremde war, musste bisweilen neu verhandelt werden und so war der frühe koloniale (Ostindien-)Diskurs auch geprägt von teils widerstreitenden und

252 |  Zusammenfassung und Fazit

sich widersprechenden Positionen. Die Untersuchungen der Petits Voyages weisen folglich darauf hin, dass die eindeutigen Dichotomien zwischen dem Eigenen und dem Fremden in diesem frühen Diskurs zwar nicht vollständig aufgehoben waren, es aber zu vervielfältigten Positionierungen kam und die Inszenierungen von Eindeutigkeiten, Erfolg und Überlegenheit vielfach gebrochen wurden. Doch erst durch die Analyse der verschiedenen Medien und ihres Wechselspiels wird diese Brüchigkeit der Inszenierungen wirklich sichtbar. Die de Bryschen Kupferstiche stellen einen entscheidenden Faktor für das Wirkungspotential ihrer Reisesammlung dar. Ihre Illustrationen vermögen eigene Geschichten zu erzählen und den Haupttexten anders gelagerte Wirklichkeiten entgegenzustellen, sie strukturieren, fokussieren oder nehmen Schwerpunktverlagerungen vor. Damit sind sie in der Lage sowohl Wahrnehmungen als auch Handlungen zu steuern.730 Die Tatsache, dass sie an das Ende der Haupttexte angehängt und damit von ihnen separiert wurden, verstärkt ihre Wirkung. Diese Aufmachung der Reisesammlung ist einzigartig für ihre Zeit. Sowohl Cornelis Claesz, als auch Levinus Hulsius und seine Erben (ebenso wie später William Fitzer) fügten die Bilder in die jeweiligen Texte ein. Neben dem Faktum, dass die Kupferstecher und Verleger damit ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen vermochten, verdeutlicht die Entscheidung der de Brys, die von ihnen entworfenen Kupferstiche den entsprechenden Texten anzuhängen, auch deren Bedeutung und Stellenwert. Diese so voneinander getrennten Medien boten dem zeitgenössischen Leser und Betrachter jedoch vor allem auch unterschiedliche Rezeptionsmöglichkeiten: Sie waren sowohl separat und unabhängig als auch in Kombination zu rezepieren. Dabei konnten für das jeweilige Rezeptionsverhalten jeweils unterschiedliche Effekte und Wirkungen erzielt werden. Diese unterschiedlichen Angebote, die die Reisesammlung macht und von denen einige in der vorliegenden Arbeit untersucht wurden, waren auch maßgeblich für den ökonomischen Erfolg des de Bryschen Prestigeprojekts, das für jeden Leser und Betrachter etwas zu bieten suchte; dieser konnte damit in seiner ihm eigenen Rezeption der Texte und Bilder seine jeweilige Weltsicht bestätigt finden. Diese Offenheit der Sammlung mit ihrem Anspruch möglichst viele (vor allem natürlich ausgesprochen solvente) Leser in ganz Europa – also z.B. auch über konfessionelle Grenzen hinweg – zu erreichen, entspricht damit auch den ökonomischen Interessen der Verleger, die sich in einem schnellen und auf Aktualität bedachten, europaweit ausgerichteten, jedoch von den Niederlanden dominierten (früh)kapitalistischen Buchmarkt behaupten mussten.

730 Vgl. dazu auch Wimböck, 2004, S. 13.

ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT   |

253

QUELLEN - UND LITER ATURVER ZEICHNIS Quellenverzeichnis Jean-Jacques Boissard, Icones quinquaginta virorum illustrium doctrina & eruditione praestantium ad vivum effictae, cum eorum vitis descriptis, Frankfurt/Main 1597. Johann Theodor und Johann Israel de Bry, Reisen in das Orientalische Indien [Petits Voyages], 13 Bde., Frankfurt/Main 1598–1628. Warhaffte und Eigentliche Beschreibung des Königreichs Congo in Africa (vnd deren angrenzenden Länder / darinnen der Inwohner Glaub / Leben / Sitten vnd Kleydung wohl vnd ausführlich vermeldet vnd angezeigt wirdt. Erstlich durch Stuart Lopez / welcher in dieser Navigation alles persönlich erfahren / in Portugiesischer Sprach gestellt / Jetzo aber in vnser Spraach transferieret und übersetzt durch Augustinum Cassio Dorum. Auch mit schönen und kunstreichen Figuren gezieret und an Tag geben / durch Hans Dietherich und Hans Israel von Bry / Gebrüder und Bürger zu Frankfurt, Frankfurt/Main 1597 [Petits Voyages, Bd. I]. Ander Theil der Orientalischen Indien / Von allen Völckern / Insuln / Meerporten / fliessenden Wassern vnd anderen Orten / so von Portugal aus / lengst dem Gestaden Aphrica / biß in Ost Indien vnd zu dem Land China / sampt anderen Insuln zu sehen seind. Beneben derenselben Aberglauben / Götzendienst und Tempeln / Item von ihren Sitten / Trachten / Kleidungen / Policeyvordnung / vnd wie sie haushalten / beid so viel die Portugesen / welche da im Land wohnen / vnd auch das inheimische Landvölcklein anlangt. Desgleichen von der Residenz des Spanischen Viceroys vnd anderer Spanier in Goa / Item von allen Orientalischen Indianischen Waaren vnd Rummerschafften: sampt deren Gewichten / Masen / Münzen ihrem Valor oder Wirdigung / Erstlich im Jahr 1596. Ausführlich in holländischer Sprach beschrieben / durch Joan Hugo van Linschotten auß Holland / welcher in 13. Jaren solches meinst alles persönlich zugegen gesehen vnd selbst erfahren hat / Jetzo aber von newen in hochdeutscher Sprach bracht / vnd mit künstlichen Schönen Figuren / in Kupffer gestochen / gezieret an tag geben / durch Hans Dietherich vnd Hans Israel von Bry Gebrüder, Frankfurt/Main 1598 [Petits Voyages, Bd. II]. Dritter Theil der Orientalischen Indien / Darinnen erstlich das ander Theil der Schiffahrten Joann Huygens von Linschotten auß Holland / so er in Orient gethan / begriffen / vnd fürnehmlich alle gelegenheit derselbigen Landen / Isulen / Meerpforten etc. /so vnter wegen aussstossen / vnd dann in India fürkommen / Wie auch alles / was der Author allda im Landt / vnd nachmals Quellenverzeichnis  |

255

auss seiner Widerreyse nach Hollandt gesehen vnd erfahren / eygentlich beschrieben wirdt. II. Der Holländer Schiffahrt in die Orientalische Insulen / Iauan vnd Sumatra, sampt Sitten / Leben vnd Superstition etc. / der Völcker. III. Drey Schiffahrten der Holländer nach obermeldten Indien / durch das Mittnächtigsche Eißmeer / darinnen viel unerhörte Abentewer. Alles auffs trewlichst von neuwem auß den Niederländischen Eremplarien in Hochteutsch bracht / vnd in guter Disposition zusammen gefügt. Sampt Vielen schönen künstlichen Figuren / vnd Landtafeln / in Kupffer gestochen / vnd an Tag geben / durch Io. Theodor und Io. Israel de Bry, Gebrüder, Frankfurt/Main 1599 [Petits Voyages, Bd. III]. Vierder Theil der Orientalischen Indien / in welchem erstlich gehandelt wirdt / von allerley Thieren / Früchten / Obs / vn Bäumen / Item von allerhand Würz / Spezereyen vnd Materialen / Auch von Perlen und allerly Edelgesteinen / so in gemeldten Indien gefunden werden / wo und wie sie wachsen / Auch wie sie daselbst geschätzet / getaufft / vnd genannt werden / beschrieben durch Johan Hugen van Linschoten / vnd andere. Auch mit schönen Annotationibus gezieret vnd erkläret durch Bernardum Paludanum Medicinae D. In Enckheusen. Zum andern / die letzte Reise der Holländer in die Ostindien / welche ausgefahren im Frühling des 1598. Jahrs vnd mit 4. Schiffen wiederumb glücklich anheim gelanget / im Monat Julio des 1599. Jahrs / aus Niederländischer Sprach in die hochteutsche versetzet durch M.G.A.V.D. Alles mit schönen Kupfferstücken geziert und an Tag geben, Frankfurt/Main 1600 [Petits Voyages, Bd. IV]. Fünffter Theil der Orientalischen Indien / Eygentlicher Bericht vnd wahrhafftige Beschreibung der ganzen vollkommenen Reyse oder Schiffahrt / so die Holländert mit acht Schiffen in die Orientalische Indien / sonderlich aber in die Javanische und Molukkische Inseln / als Bantam, Banda, vnd Ternate, &c. gethan haben / welche von Amsterdam abgefahren im Jahr 1598 vnd zu Theil Anno 1599 zum Theil aber in jungst abgelaufenen 1600. Jahr / mit großem Reichthumb von Pfeffer / Muskaten / Regelein / and anderer köstlichen Würz / wider anheym gelanget / darinn fleissig beschrieben vnd angezeigt / ws ihnen auf der ganzen Reyse Denkwürdiges begegnet vnd zuhanden gangen. Aus niederländischer Verzeichnuß / in hochteutscher Sprach beschrieben durch M. Gothart Artus von Danzigk. Sampt zierlicher Abbildung der fürnembsten Inseln / Stätte / Wasserströme / Völcker / Handel vnd Wandel vnd anderer Geschichten / alles in Kupffer gestochen / vnd an Tag geben durch Brüder De Bry, Frankfurt/ Main 1601 [Petits Voyages, Bd. V]. Sechster Theil der Orientalischen Indien / Wahrhafftige historische Beschreibung des gewaltigen goltreichen Königreichs Guinea, sonst das Goltgestatt von Mina genandt / so in Africa gelegen / sampt derselben hanzen Beschaffenheit / auch Religion vnnd Opinion / Sitten und Sprachen / Handel vnd Wandel der Eynwohner daselbst / beneben einer kurzen Erzehlung / was die Schiffe / so dahin fahren wollen / für einen Lauff durch die kanarische Inseln / bis an das Cabo de Trespunctas, da das Goltgestatt sich anfänget / halten müssen. Auß niederländischer Verezichnuß in hochteutscher Sprache beschrieben durch M. Gotthardt Arthus von Dantzig. Alles dem Liebhaber solcher frembden Historien zu besonderm gefallen mit schönen Kupfferstücken geziert / vnd an Tag geben Durch Gebrüder Bry, Frankfurt/Main 1603 [Petits Voyages, Bd. VI].

256 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Siebender Theil der Orientalischen Indien / darinnen zwo vnterschiedliche Schiffahrten begriffen. Erstlich Eine Dreyjährige Reyse Georgii von Spielbergen Admirals vber drey Schiffe / welche An. 1601 auß Seeland nach den Orientalischen Indien abgefahren / vnd nach vielen widerwertigkeiten An. 1604 wider in Seelandt ankomen / darinnen seine ganze Reyse / vnd was ihm für Abentheuer auff derselben begegnet / wie dann auch die nächtige Königreich Matecalo vnnd Candy, sampt ihren prächtigen Königen / Sitten / vnd Ceremonien / verzeichnet vnd beschrieben. Zum andern ein Neunjährige Reyse eines venetianischen Jubilirers / Casparus Balby genannt / sampt allem / was jme auff derselben von 1597. Biß in 1588 begegnet vnd widerfahren / neben Anweisung aller Zöllen / Gewichten / Massen vnd Müntzen deren man sich van Aleppo auß biß ins Königreich Pegu zu gebrauchen / wie dann auß des Handels vnd Wandels Lebens Sitten / Ceremonien vnd Gebräuchen der Völcker vnd Eynwohner des mächtigen Königreichs Pegu. Auß Niederländischer Sprach vnd Italienischer Spraach beschrieben Durch M. Gotthardt Arthus vnd andere der Historien Liebhaber, Frankfurt/Main 1605 [Petits Voyages, Bd. VII]. Achter theil der Orientalischen Indien / begreiffend erstlich Ein historische Beschreibung der Schiffart / so der Admiral Jacob van Neck auß Hollandt in die Orientalische Indien von Ann. 1600 biß an. 1603 gethan. Darnach Ein Historia / so von Johan Herman von Bree, Obersten Handelsman auff dem Schiff der holländische Zaun genannt / in gleichmessiger Reyse von An. 1602 biß in An. 1604 auffgezeichnet worden. Alles auß Niderländischer Verzeichnus in hochteutscher Sprache beschrieben / Durch M. Gotthardt Artus von Danzig. Mit schönen Kupfferstücken gezieret durch Gebrüder de Bry, Frankfurt/Main 1606 [Petits Voyages, Bd. VIII]. Appendix oder Ergänzung des achten Theils der Orientalischen Indien / Begreiffend dry Schiffahrten / Eine / von Cornelio Niclas / vnter der Admiralschafft Iacobi von Neck / in vier Jahren Die ander / von Cornelio von der Ben / in zweyen Jahren / Die dritte / vnter der Admiralschafft Stephani von der Hagen / in dreyen Jaren verrichtet. In welchen ettliche Victorien wieder die Portugesische Kracken oder Schiffe / sonderlich aber die jüngste Eroberung vnnd Einnemmung der Portugesischen Festungen Annabon vnd Tidor, kürzlich vermeldet werden. Alles aus Niederländischer Verzeichnus in hochdeutscher Sprach beschrieben Durch M. Gothart Arthus von Dantzick. Mit schönen Kupferstücken gezieret durch Gebrüder De Bry, Frankfurt/Main 1606 [Petits Voyages, Bd. VIII, Appendix]. Neundter Theil Orientalischer Indien / Darinnen begrieffen Ein kurtze Beschreibung einer Reyse / so von den Holländern und Seeländern / in die Orientalische Indien / mit neun grossen und vier kleinen Schiffen / unter der Admiralschafft Peter Wilhelm Verhuffen / in Jahren 1607. 1608. 1609. verricht worden / neben Vermeldung / was jhnen fürnemlich auff solcher Reyse begegnet unnd zu Handen gangen. Auß kurtzer Verzeichnus Johann Verckens zusammengebracht / und in Truck verfertigt Durch M. Gothart Arthus von Dantzick / in Verlegung Johannis Theodori de Bry, Frankfurt/Main 1612 [Petits Voyages, Bd. IX]. Continuatio Oder Ergäntzung des neundten Theils der Orientalischen Indien / Das ist / Kurtze Continuirung / Verfolg und Ergäntzung der vorigen Reyse / so von den Holl- und Seeländern mit neun grossen und vier kleinen Schiffen unter der Admiralschafft Peter Wilhelm Verhuffen / in die Orientalische Indien von 1607. biß in das 1612. Jahr verrichtet worden. / Darinn Quellenverzeichnis  |

257

kürtzlich vermeldet wird / was jnen ferner zu Lande und zu Wasser widerfahren und zu handen gangen. Auß kurtzer Verzeichnus Johann Verckens zusammengebracht / und in Truck verfertigt Durch M. Gothart Arthus von Dantzick. Mit schönen Kupferstücken gezieret durch Johann Theodor de Bry, Frankfurt/Main 1613 [Petits Voyages, Bd. IX, Continuatio]. Zehender Theil der Orientalischen Indien begreiffendt Eine kurze Beschreibung der neuwen Schiffart gegen Nordtosten / vber die Amerische Inseln in Chinam vnd Iapponiam, von einem Engelländer Henrich Hudson newlich erfunden / beneben kurzer Andeutung der Inseln vnd Oerter / so auff derselben Reyse von den Holländern hiebevor entdeckt worden / auß Johann Hegen von Linschotten Reise gezogen. Item Ein Diskurs an Ihr. Kön. Maj. In Spanien / wegen des fünfften Theils der Welt / Terra Australis incognita genannt / von einem Capitein Petro Ferdinandes de Quir, &c. vbergeben. Beneben Einer Delineation vnnd Beschreibung der Länder der Samojeden vnd Eingoesen / in der Tatarey gegen Morgen der Enge oder Vberfahrt bey Meygats gelegen / so newlich von den Moßcowitern entdecket vnd eingenommen. Alles dem gemeinten Vatterlandt zum besten in hochteutscher Sprach beschrieben Durch M. Gothardum Arthusen von Dantzick. Johann Theodor de Bry, Frankfurt/Main 1613 [Petits Voyages, Bd. X]. Eilffter Theil der Orientalischen Indien / Darinnen erstlich begriffen werden zwo Schiffahrten Herrn Americi Vesputii Welche er auß Befehl Königs Emanuelis von Portugall Anno 1501. in Ost Indien vorgenommen. Zum andern / ein wahrhafftiger vnd zuvor nie erhörter Bericht eines Englischen / welcher / nach dem er in einem Schiff / die Auffahrt genandt / in Cambaja dem eussersten Theil Ost Indiens Schiffbruch gelidten / zu Land durch viele vnbekandte Königreich vnd grosse Stätte gereiset / vnd was ihme vberall begegnet vnd zuhanden gestossen. Zum dritten / ein historische Beschreibung von Erfindung vnd Beschaffenheit der Landschafft Spitzberg / Item / ein kurze Erzehlung / was alle andere Fischer Anno 1613. Von den Englischen erlidten / neben angehängter Protestation, wider der Engelländer angemaßten Erbgerechtigkeit / vber gedachte Lanschafft Spitzberg. Alels auffs trewlichste von newem auß dem Latein / Englischen / vnd Französischem / in vnser hochteutsche Sprache gebracht. Sampt vielen schönen künstlichen Figuren in Kupffer gestochen durch J.T. De Bry, Bürger vnd Buchhändler zu Oppenheim, Oppenheim 1618 [Petits Voyages, Bd. XI]. Der zwölffte Theil der Orientalischen Indien. Darinnen etliche newe / gedenckwürdige Schiffahrthen vnd Reysen / so von vnderschiedlichen Völckern / sonderlich den Portugesen / Englischen / vnd Holländern / in OstIndien / vnd deren anstossende Königreich / vom Jahr 1610. bis auff 1627. verrichtet worden. Sonderlich aber In das Königreich Indostan / oder des grossen Mogols / das Königreich China / Persien / die Bandamischen Insuln / vnd andere vmbliegende Länder. Beneben Beschreibung der zwischen den Englischen / vnd Holländern enstandenen Strittigkeiten / vnd Scharmützeln / in Jacatra / vnd den Bandamischen Insuln. Desgleichen Die Eeys vnd Schiffahrt der Nassawischen Floth / so vnder dem Admiral Jacob l’Eremit / von den Holländern im Jahr 1623. 1624. 1625 vnd 1626. vmb den ganzen Erdkreys verrichtet worden. Sampt andern dergleichen denckwürdigen Reysen vnd Schiffahrten. In Verlegung Wilhelm Fitzers, Frankfurt/Main 1628 [Petits Voyages, Bd. XII]. Der dreyzehende Theil der Orientalischen Indien / Darinnen beneben etlichen newen / gedenckwürdigen Schiffarthen vnd Reysen / so von vnderschiedlichen Völckern / sonderlich den Portugesen /

258 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Englischen vnd Holländern in OstIndien / vnd dem anstossende Königreich / vom Jahr 1615 bis uff 1628 verrichtet worden. Auch insonderheit andere biß anhero vnbekandte Königreich vnnd Länder / sonderlich das Königreich Indostan / oder des grossen Mogols / Königreich China / Persien / wie auch Moskaw / Reussen / Groenlandt / Tartarey /vnd andere angränzenden Provinzen / von newem beschrieben / vnd mit erst erfundenen Landtaffeln vor Augen gestellten worden. In Verlegung Wilhelm Fitzers, Frankfurt/Main 1628 [Petits Voyages, Bd. XIII]. Wunderbarliche / doch Warhafftige Erklärung / von der Gelegenheit und Sitten der Wilden in Virginia / welche newlich von den Engellaendern / so im Jar 1585 vom Herrn Reichard Greinuile / einem von der Ritterschaft / in gemeldte Landtschafft die zu bewohnen gefuehrt waren / ist erfunden worden / In verlegung H. Walter Ralegh / Ritter und Obersten deß Zinbergwercks / auß verguenstigung der Durchleuchtigsten unnd Unuberwindlichsten / Elisabeth / Koenigin in Engelland – Erstlich in Engellaendischer Sprach beschrieben durch Thomas Hariot / und newlich durch Christ. P. in Teutsch gebracht. In Verlegung Dieterich de Bry, Frankfurt/Main 1590 [Grands Voyages, Bd. I]. Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion – Institutio Christianae Religionis, nach der letzten Ausgabe von 1559 übers. und bearb. von Otto Weber, bearb. und neu herausgegeben von Matthias Freudenberg, Neukirchen-Vluyn 2008. Olfert Dapper, Umbständliche und Eigentliche Beschreibung von Africa, Und denen darzu gehörigen Königreichen und Landschaften/ als Egypten/ Barbarien/ Libyen/ Biledulgerid/ dem Lande der Negros/ Guinea/ Ethiopien/ Abyßina/ und den Africanischen Insulen: zusamt deren Verscheidenen Nahmen/ Grentzen/ Städten/ Flüssen/ Gewächsen/ Theiren/ Sitten/ Trachten/ Sprachen/ Reichthum/ Gottesdienst/ und Regierung; Wobey die Land-Carten/ und Abrisse der Städte/ Trachten/ [et]c. in Kupfer/ Auß unterschiedlichen neuen Land- und Reise-Beschreibungen mit fleiß zusammen gebracht durch O. Dapper Dr., Amsterdam 1671. Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris Metaphysica, physica atque technica Historia, (Metaphysik und Natur- und Kunstgeschichte beider Welten, nämlich des Makro- und des Mikrokosmos), 2 Bde., Oppenheim & Frankfurt/Main 1617. Joannes Henricus Hessels (Hg.), Abrahami Ortelii (geographi Antverpiensis) et virorum eruditorum ad eundem et at Jacobum Colium Ortelianum (Abrahami Ortelii sororis filium) epistulae, Cambridge 1887, Neuauflage Osnabrück 1969. Levinus Hulsius, Schiffahrten der Holländer und Seeländer nach Ost- und West-Indien, wie auch nach Norden, 26 Bde., Nürnberg/Oppenheim/Hanau 1598–1660. Erste Schiffart Inn die Orientalische Indien, So die Hollaendischen Schiffe, welche im Martio 1595 aussgefahren, und im Augusto 1597 wider kommen seind, verricht / Durch Levinum Hulsium, Nürnberg 1598. Ander Schiffart In die Orientalische Indien, So die Hollaendischen Schiff (welche im Martio 1598. aussgefaren, davon die 2. letzte im Mayo 1600. Mit grossem Schatz von Wuertz wider kommen seind) verricht: Darin kuertzlich, doch warhafftiglich der gantze Succes der Reyse, erzehlet wirdt; Mit etlichen noetigen erklaerung, Carten vnd Figuren gezieret / Durch Levinum Hulsium. – Nuernberg, in verlegung Levini Hulsij, Nürnberg 1602.

Quellenverzeichnis  |

259

Dritte Schiffart: Warhafftige Relation Der dreyen newen vnerhoerten, seltzame Schiffart, so die Hollaendischen vnd Seelaendischen Schiff gegen Mitternacht, drey jar nacheinander, als Ano 1594, 1595 vnd 1596. verricht : Wie sie Nordvvegen, Lappiam, Biarmiam, vnd Russiam oder Moscoviam (vorhabens in koenigreich Cathay vnd China zu kommen) vmbgesegelt haben ; Auch wie sie das Fretu Nassoviae, Waygats, Novam Semblam, vnd dass Landt vnter dem 80. Gradu latitud, so man vermeint das Gronland sey, gefunden: Vnd was fuer gefahr der erschrecklichen Baeren, Meerwunder, vnd dem Eyss, sie aussgestanden / Auss der Niderlaendischen Sprach ins Hochteutsch gebracht, Durch Levinvm Hvlsivm, Nürnberg 1598. Siebende Schiffart Jn das Goldreiche Koenigreich Guineam, in Africa gelegen, so sonsten das Goldgestadt von Mina genannt wirdt, welches von den Portugalesern ungefaehr vor 200. Jahren erfunden, von den Hollaendern jnnerhalb 18. Jahren hero bekannt gemacht unnd frequentirt, jetzt aber von jhnen erst recht erkuendigt, und in Niderlaendischer Sprach beschrieben, da sie mit zweyen Schiffen auss demselben Lande Anno 1602. widerumb in Hollandt ankommen / An Tag geben durch Levinvm Hulsivm, Frankfurt/Main 1603. Achte Schiffart oder Kurtze Beschreibung etlicher Reysen so die Hollaender vnd Seelaender in die Ost Indien von Anno 1599. biss Anno 1604. gethan: vnd was ihnen auff denselben begegnet / Zusammen gebracht durch Weyland Leuinum Hulsium, Frankfurt/Main 1608. Neundte Schiffart, Das ist: Gruendliche Erklaerung, was sich mit den Holl- vnd Seelaendern in Ost-Indien Anno 1604. vnd 1605. vnter dem Admiral Steffan von der Hagen zugetragen, vnd wie sie endlich in juenst abgeloffenem Aprili mit zwey Schiffen in Hollandt ankommen. Getruckt zu Franckfurt am Mayn, bey Erasmo Kempffern. In Verlegung Levini Hvlsii seligen Wittiben, Frankfurt/Main 1612. Eylffte Schiffart, Oder Kurtze Beschreibung einer Reyse, so von den Hollaendern und Seelaendern, in die Ost Indien, mit neun grossen und vier kleinen Jagdschiffen, under der Admiralschafft Peter Wilhelm Verhuffen, etc.in Jahren 1607. 1608. und 1609. verrichtet worden, neben vermeldung, was ihnen sonderlich begegnet sey / Auss kurtzer Verzeichnuss Johann Verkens von Leipzig zusammen gebracht, und an Tag geben. In Verlegung der Hulsischen, Frankfurt/Main 1612. Eylffter Schiffart ander Theil, Oder Kurtzer Verfolg und Continuirung der Reyse, so von den Hollund Seelaendern in die OstIndien mit neun grossen und vier kleinen Schiffen vom 1607. biss in das 1612. Jahr, unter der Admiralschafft Peter Wilhelm Verhuffen verrichtet worden … / Auss kurtzer Verzeichnus Johann Verkens von Leipzig, zusamen gebracht und an Tag geben, durch M. G. A. D. – Getruckt zu Franckfurt am Mayn/ bey erasmo Kempffer/ In Verlegung Levini Hvlsii seligen Wittiben, Frankfurt/Main 1613. Peter Kolb, Caput Bonae Spei Hodiernum. Das ist: Vollständige Beschreibung des Africanischen Vorgebirges der Guten Hofnung, Nürnberg 1719. Willem Lodewycksz, D’eerste boeck. Historie van Indien, waer inne verhaelt is de avontueren die de Hollandtsche schepen bejeghent zijn: Oock een particulier verhael der Conditien, Religien, Manieren ende huijshoudinge der volckeren die zy beseijlt hebben: wat Gelt, Specereye, Drogues ende Coopmanschappen by haer ghevonden wordt, met den prijs van dien; Daer by ghevoecht de Opdoenighen ende streckinghen vande Eylanden, ende Zee-custen, als oock de

260 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

conterfeytsels der Inwoonderen, met veel Caertjens verciert; Voor alle Zee-varende ende curieuse lief-hebbers seer ghenuechlijck om lesen, Amsterdam 1598. André Schnyder (Hg.), Malleus Maleficarum von Heinrich Institoris (alias Kramer) unter Mithilfe Jakob Sprengers aufgrund der dämonologischen Tradition zusammengestellt. Wiedergabe des Erstdrucks von 1487 (Hain 9238), Göppingen 1991. Balthasar Springers Indienfahrt 1505/06: wissenschaftliche Würdigung der Reiseberichte Springers zur Einführung in den Neudruck seiner „Meerfahrt“ vom Jahre 1509, (in der Reihe Drucke und Holzschnitte des 15. und 16. Jahrhunderts in getreuer Nachbildung, 8) hrsg. von Franz Schulze, Straßburg 1902. Johann Jakob von Wallhausen, Kriegskunst zu Fuß, Frankfurt/Main 1615. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Kirchenbücher auf Mikrofiche, Traubuch 1533–1573, Fiche 8, 28. Februar 1570.

Bibliografien und Lexika Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Hg. von der Historischen Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, 56 Bde., Leipzig 1875–1912. A[dolf ]. Asher, Bibliographical Essay on the Collection of Voyages and Travels, edited and published by Levinus Hulsius and his successors at Nuremberg and Francfort from anno 1598 to 1660, London/Berlin 1839. Jacques Charles Brunet, Manuel du libraire et de l’amateur de livres, Paris, Nachdruck: Berlin 1922. Friedrich Jaeger (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1: Abendland–Beleuchtung, Stuttgart/ Weimar 2005. Neue Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 25 Bde., Berlin 1953–2013. Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Hg. vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte München, 10 Bde., München 1937–2012. Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, 64 Bde., Halle/Leipzig 1732–1754. (Onlinefassung: http://www.zedler-lexikon.de)

Ausstellungskataloge Saskia Durian-Ress (Hg.), Hans Baldung Grien in Freiburg. Katalog der Ausstellung im Augustinermuseum, Freiburg im Breisgau 2001. Christian Heitzmann, Europas Weltbild in alten Karten. Globalisierung im Zeitalter der Entdeckungen, Ausstellungskatalog, Wolfenbüttel 2006. Almut Junker (Hg.), Frankfurt um 1600. Alltagsleben in der Stadt, Ausstellungskatalog, Frankfurt/Main 1976. Bibliografien und Lexika   |

261

Matthaeus Merian der Aeltere. Catalog zu Ausstellungen im Museum für Kunsthandwerk Franckfurt am Mayn und im Kunstmuseum Basel, Frankfurt/Main 1993. Peter Wolf (Hg.), Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2003.

Forschungsliteratur Leila Ahmed, Western Ethnocentrism and Perceptions of the Harem, in: Feminist Studies 8 (1982), S. 521–534. John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte. Zweite Vorlesung, in: Uwe Wirth (Hg.), 2002, S. 63–71. Hannah Baader, Gischt. Zu einer Geschichte des Meeres, in: dies. & Gerhard Wolf (Hg.), 2010, S. 15–40. Hannah Baader & Gerhard Wolf (Hg.), Das Meer, der Tausch und die Grenzen der Repräsentation, Zürich & Berlin 2010. Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 2006. Hans-Jürgen Bachorski (Hg.), Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Trier 1991. Hans-Jürgen Bachorski, Ein Diskurs von Begehren und Versagen. Sexualität, Erotik und Obszönität in den Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts, in: Helga Sciurie & Hans-Jürgen Bachorski (Hg.), 1996, S. 305–341. Hans-Jürgen Bachorski, Das aggressive Geschlecht. Verlachte Männlichkeit in Mären aus dem 15. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Germanistik N.F. 8 (1998), S. 263–281. Pompa Banerjee, Burning Women. Widows, Witches, and Early Modern European Travelers in India, New York 2003. Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Stefan Richter (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1993. Trevor J. Barnes & James S. Duncan (Hg.), Writing Worlds. Discourse, text and metaphor in the representation of landscape, London/New York 1992. Moritz Baßler, Bettina Gruber, Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.), Gespenster. Erscheinungen – Medien – Theorien, Würzburg 2005. John Bastin, The Changing Balance of the Southeast Asian Pepper Trade, in: M. N. Pearson (Hg.), 1996, S. 289–291. Wilhelm Baum, Die Verwandlungen des Mythos vom Reich des Priesterkönigs Johannes. Rom, Byzanz und die Christen des Orients im Mittelalter, Klagenfurt 1999. Ingrid Baumgärtner & Martina Stercken (Hg.), Herrschaft verorten. Politische Kartographie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Zürich 2012. Wolfgang Behringer, Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München 1998. Hans Belting (Hg.), Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München 2007.

262 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Josef Benzing, Levinus Hulsius, Schriftsteller und Verleger, in: Mitteilungen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 7,2 (1958), S. 3–7. Josef Benzing, Johann Theodor de Bry, Levinus Hulsius Witwe und Hieronymus Galler als Verleger und Drucker zu Oppenheim (1610–1620), in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 9 (1969), Sp. 589–642. Josef Benzing, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18 (1977), Sp. 1077–1322. Frank Berger (Hg.), Glaube Macht Kunst. Antwerpen – Frankfurt um 1600, Frankfurt/Main 2005. Friedemann Berger (Hg.), De Bry. India Orientalis, 2 Bde., Leipzig und Weimar 1979–1981. Friedemann Berger, Reiseberichte als historische Quelle für die Geschichte des Kolonialismus: Eine Darstellung der wichtigsten Reiseliteratur des 16. Jahrhunderts und ihres Funktionswandels im Kampf der nordwesteuropäischen Nationalstaaten gegen das portugiesisch-spanische Kolonialreich unter besonderer Berücksichtigung der „Sammlung von Reisen in das östliche und westliche Indien (Collectiones peregrinationum in Indiam orientalem et Indiam occidentalem)“ der Kupferstecherfamilie de Bry (1590–1634), Magdeburg 1983. Peter L. Berger & Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt/Main 1969. Évelyne Berriot-Salvadore, Der medizinische und andere wissenschaftliche Diskurse, in: Georges Duby & Michelle Perrot (Hg.), 1994, S. 367–413. Wilhelm Bingsohn, Matthaeus Merian, sein soziales Umfeld und die Geschichte der Stadt Frankfurt a.M. 1590–1650, in: Matthaeus Merian der Aeltere. Catalog zu Ausstellungen im Museum für Kunsthandwerk Franckfurt am Mayn und im Kunstmuseum Basel, Frankfurt/ Main 1993, S. 19–27. Martin Bircher, Matthäus Merian d. Ä. und die Fruchtbringende Gesellschaft. Der Briefwechsel über Entstehung und Drucklegung des Gesellschaftsbuchs von 1646, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18 (1977), Sp. 677–730. Cordula Bischoff, Die Schwäche des starken Geschlechts: Herkules und Omphale und die Liebe in bildlichen Darstellungen des 16. bis 18. Jahrhunderts, in: Martin Dinges (Hg.), 1998, S. 153–186. Cordula Bischoff et al. (Hg.), FrauenKunstGeschichte. Zur Korrektur des herrschenden Blicks, Gießen 1984. Urs Bitterli, Die ‚Wilden‘ und die ‚Zivilisierten‘. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 1991. Yvonne Bleyerveld, Chaste, obedient and devout: biblical women as patterns of female virtue in Netherlandish and German graphic art, ca. 1500–1750, in: Simiolus 28 (2000), S. 219–250. Peter Blickle, André Holenstein, Heinrich Richard Schmidt, Franz-Josef Sladeczek (Hg.), Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, München 2002. Ute von Bloh, Die Sexualität, das Recht und der Körper. Kontrollierte Anarchie in vier mittelalterlichen Mären, in: Ulrike Gaebel & Erika Kartschoke (Hg.), 2001, S. 75–88. Forschungsliteratur  |

263

Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt/Main 1997. Gisela Bock, Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2000. Gisela Bock & Margarete Zimmermann (Hg.), Die europäische Querelle des Femmes. Geschlechterdebatten seit dem 15. Jahrhundert, Stuttgart & Weimar 1997. Max Böhme, Die grossen Reisesammlungen des 16. Jahrhunderts und ihre Bedeutung, Straßburg 1904. Ernst van den Boogaart, Jan Huygen van Linschoten and the Moral Map of Asia: The Plates and Text of the Itinerario and Icones, London 1999. Ernst van den Boogaart, Heathendom and civility in the Historia Indiae Orientalis. The adaptation by Johan Theodor and Johan Israel de Bry of the edifying series of plates from Linschoten’s Itinerario, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 53,1 (2002), S. 71–106. Ernst van den Boogaart, Civil and Corrupt Asia. Image and Text in the Itinerario and the Icones of Jan Huygen van Linschoten, London 2003. Ernst van den Boogaart, De Brys’ Africa, in: Susanna Burghartz (Hg.), 2004, S. 95–156. Klaus H. Börner, Auf der Suche nach dem irdischen Paradies. Zur Ikonographie der geographischen Utopie, Frankfurt/Main 1984. Gerhard Bott, Der Stillebenmaler Daniel Soreau und seine Schule, in: Kurt Wettengl (Hg.), 1993, S. 234–240. Helmut Brackert, Androgyne Idealität. Zum Amazonenbild in Rudolfs von Ems ‚Alexander‘, in: Ludger Grenzmann (Hg.), 1987, S. 164–178. Helmut Brackert, Zur Sexualisierung des Hexenmusters in der Frühen Neuzeit, in: Hans-Jürgen Bachorski (Hg.), 1991, S. 337–358. Joseph Brassinne, Les trois Thiry de Bry, in: Chronique archéologique du pays de Liège 1,1 (1906), S. 13–17. Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15.–18. Jahrhunderts, Bd. 3. Aufbruch zur Weltwirtschaft, München 1986. Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Berlin 2010. J. G. C. A. Briels, De Zuidnederlandse immigratie 1572–1630, Haarlem 1978. Wolfgang Brückner, Eine Messhändlerliste von 1579 und Beiträge zur Geschichte der Bücherkommission, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 3 (1961), Sp. 1629–1648. Bernadette Bucher, La sauvage aux seins pendants, Paris 1977. David Bulbeck, Anthony Reid, Lay Cheng Tan, Yiqi Wu (Hg.), Southeast Asian Exports since the 14th Century. Cloves, Pepper, Coffee, and Sugar, Singapur 1998. Neithard Bulst & Robert Jütte (Hg.), Zwischen Sein und Schein. Kleidung und Identität in der ständischen Gesellschaft, (= Saeculum 44,1), Freiburg im Breisgau 1993. C. P. Burger, De Amsterdamse uitgever Cornelis Claesz (1578–1609), in: Handelingen van het eerste Wetenschappelijk Vlaamsch Congres voor Boek- en Bibliotheekwezen, Antwerpen 1931, S. 54–64.

264 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Susanna Burghartz, Zeiten der Reinheit – Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der Frühen Neuzeit, Paderborn 1999. Susanna Burghartz, Mimetisches Kapital und die Aneignung Neuer Welten. Zur europäischen Repräsentationspraxis um 1600, in: WerkstattGeschichte 37 (2004), S. 24–48. Susanna Burghartz, Aneignungen des Fremden: Staunen, Stereotype und Zirkulation um 1600, in: Elke Huwiler & Nicole Wachter (Hg.), 2004, S. 109–137. Susanna Burghartz (Hg.), Inszenierte Welten. Die west- und ostindischen Reisen der Verleger de Bry, 1590–1630, Basel 2004. Susanna Burghartz, Erfolg durch Scheitern? Zur Konstruktion von Überlegenheit im kolonialen Diskurs um 1600, in: Renate Dürr, Gisela Engel, Johannes Süßmann (Hg.), 2005, S. 307–324. Susanna Burghartz, Mehrdeutigkeit und Superioritätsanspruch. Inszenierte Welten im kolonialen Diskurs um 1600, in: zeitenblicke 7, Nr. 2 (01.10.20081), URL: http://www.zeitenblicke. de/2008/2/burghartz/index_html (02.09.2015). Susanna Burghartz, Transformation und Polysemie. Zur Dynamik zwischen Bild, Text und Kontext in den Americae der de Bry, in: Ulrike Ilg (Hg.), 2008, S. 233–268. Susanna Burghartz, Maike Christadler, Dorothea Nolde (Hg.), Berichten, Erzählen, Beherrschen. Wahrnehmung und Repräsentation in der frühen Kolonialgeschichte Europas, (= Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 7, Nr. 2/3), Frankfurt/Main 2003. Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004. Hadumod Bußmann & Renate Hof (Hg.), Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 1995. Judith Butler, Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Frankfurt/Main 2006. Frank Büttner & Gabriele Wimböck (Hg.), Das Bild als Autorität. Die normierende Kraft des Bildes, Münster 2004. Nils Büttner, Die „Turckische Frawe“ und ihr Bad. Wahrheit und Fiktion eines topischen Elements europäischer Orientreiseberichte, in: Ulrike Ilg (Hg.), 2008, S. 95–133. W. Caland (Hg.), Ziegenbalg’s Malabarisches Heidenthum, Amsterdam 1926. W. Caland (Hg.), Nidi wunpa oder malabarische Sitten-Lehre, in: ders. (Hg.), B. Ziegenbalg’s Kleinere Schriften, Amsterdam 1930. Peter Carey, Civilization on Loan: The Making of an Upstart Polity: Mataram and its Successors, 1600–1830, in: Modern Asian Studies 31 (1997), S. 711–734. Angelo Cattaneo, Venedig, 1450. Ozean – Meer – Seefahrt – Welthandelsrouten – Schiffbrüche, in: Hannah Baader & Gerhard Wolf (Hg.), 2010, S. 263–292. Michel de Certeau, Praktiken im Raum, in: ders., Kunst des Handelns, Berlin 1988, S. 179–238. Michel de Certeau, Das Schreiben der Geschichte, Frankfurt/Main 1991. Michel de Certeau, Die See schreiben, in: Robert Stockhammer (Hg.), 2005, S. 127–144. Fernando Cervantes, The Devil in the New World. The Impact of Diabolism in New Spain, New Haven & London 1994. Joyce E. Chaplin, Roanoke ‚Counterfeited According to the Truth‘, in: Sloan (Hg.), 2007, S. 51–63. Forschungsliteratur  |

265

K. N. Chaudhuri, The Economic and Monetary Problem of European Trade with Asia during the Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: The Journal of European Economic History 4 (1975), S. 323–358. K. N. Chaudhuri, Trade and Civilisation in the Indian Ocean. An Economic History from the Rise of Islam to 1750, Cambridge/London 1985. K. N. Chaudhuri, Asia before Europe. Economy and Civilisation of the Indian Ocean from the Rise of Islam to 1750, Cambridge 1990. Sushil Chaudhury & Michel Morineau (Hg.), Merchants, Companies and Trade. Europe and Asia in the Early Modern Era, Cambridge 1999. Maike Christadler, Giovanni Stradanos America-Allegorie als Ikone der Postcolonial Studies, in: Kunst und Politik 3 (2001), S. 17–33. Maike Christadler, Die Sammlung zur Schau gestellt: die Titelblätter der America-Serie, in: Susanna Burghartz (Hg.), 2004, S. 47–93. Maike Christadler, Mutter und Kind. Eine Bildchiffre im (post)kolonialen Diskurs, in: Graduiertenkolleg Identität und Differenz (Hg.), 2005, S. 21–34. Stuart Clark, Thinking with Demons. The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe, Oxford 1997. Robert W. Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden 2006. Alain Corbin, Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste 1750–1840, Berlin 1990. Arun Das Gupta, The Maritime Trade of Indonesia, 1500–1800, in: Ashin Das Gupta & M. N. Pearson (Hg.), 1987, S. 240–275. Ashin Das Gupta, The World of the Indian Ocean Merchant 1500–1800. Collected Essays, Oxford 2001. Ashin Das Gupta & M. N. Pearson (Hg.), India and the Indian Ocean, 1500–1800, Kalkutta 1987. Gloria Deák, Discovering America’s Southeast: A Sixteenth-Century View Based on the Mannerist Engravings of Theodore de Bry, Birmingham/Ala. 1992. Gilles Deleuze & Félix Guattari, 1440 – Das Glatte und das Gekerbte, in: Jörg Dünne & Stephan Günzel (Hg.), 2006, S. 434–444. Jean Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1985. Gita Dharampal-Frick, Indien im Spiegel deutscher Quellen der Frühen Neuzeit (1500–1750). Studien zu einer interkulturellen Konstellation, Tübingen 1994. Alexander Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 2, Frankfurt/Main 1921. J. G. van Dillen, Van rijkdom en regenten. Handboek tot de economische en sociale geschiedenis van Nederland tijdens de Republiek, Den Haag 1970. Johannes Dillinger, Hexen und Magie. Eine historische Einführung, Frankfurt/Main & New York 2007. Ingrid G. Dillo, De nadagen van de Verenigde Oostindische Compagnie 1783–1795. Schepen en zeevarenden, Amsterdam 1992.

266 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Martin Dinges, Von der „Lesbarkeit der Welt“ zum universalierten Wandel durch individuelle Strategien. Die soziale Funktion der Kleidung in der höfischen Gesellschaft, in: Neithard Bulst & Robert Jütte (Hg.), 1993, S. 90–112. Martin Dinges (Hg.), Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 1998. Martin Dinges (Hg.), Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, Frankfurt/Main & New York 2005. Anthony Disney & Emily Booth (Hg.), Vasco da Gama and the Linking of Europe and Asia, Oxford 2000. Christoph Driessen, Die kritischen Beobachter der Ostindischen Compagnie. Das Unternehmen der „Pfeffersäcke“ im Spiegel der niederländischen Presse und Reiseliteratur des 17. Jahrhunderts, Bochum 1996. Georges Duby, Der Rosenroman. Sozialgeschichtliche Hintergründe eines höfischen Traums, in: ders., Wirklichkeit und höfischer Traum. Zur Kultur des Mittelalters, Berlin 1986, S. 65–102. Georges Duby & Michelle Perrot (Hg.), Geschichte der Frauen, Band 3: Frühe Neuzeit, herausgegeben von Arlette Farge & Natalie Zemon Davis, Frankfurt/Main & New York 1994. Michèle Duchet (Hg.), L’Amérique de Théodore de Bry. Une collection de voyages protestante du XVIe siècle, Paris 1987. Hans Peter Duerr, Nacktheit und Scham. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß, Bd. 1, Frankfurt/Main 1994. Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung. 16.–18. Jahrhundert, München 1994. Jörg Dünne, Hermann Doetsch, Roger Lüdeke (Hg.), Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive, Würzburg 2004. Jörg Dünne & Stephan Günzel (Hg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/Main 2006. Renate Dürr, Mägde in der Stadt. Das Beispiel Schwäbisch Hall in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/Main & New York 1995. Renate Dürr, Gisela Engel, Johannes Süßmann (Hg.), Expansionen in der Frühen Neuzeit, (= Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 34), Berlin 2005. Peter Earle, The Last Fight of the Revenge, London 2004. Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Frankfurt/Main 1976. Birgit Emich, Bildlichkeit und Intermedialität in der Frühen Neuzeit. Eine interdisziplinäre Spurensuche, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), S. 31–56. Gisela Engel, Friederike Hassauer, Brita Rang, Heide Wunder (Hg.), Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne. Die Querelles des Femmes, Königstein/Taunus 2004. Daniela Erlach, Markus Reisenleitner, Karl Vocelka (Hg.), Privatisierung der Triebe? Sexualität in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/Main 1994.

Forschungsliteratur  |

267

Jeanne Favret-Saada, Die Wörter, der Zauber, der Tod. Der Hexenglaube im Hainland von Westfrankreich, Frankfurt/Main 1979. Peter Feldbauer & Jean-Paul Lehners (Hg.), Die Welt im 16. Jahrhundert, Wien 2008. Thorsten Feldbusch, Zwischen Land und Meer. Schreiben auf den Grenzen, Würzburg 2003. Hinrich Fink-Eitel, Die Philosophie und die Wilden. Über die Bedeutung des Fremden für die europäische Geistesgeschichte, Hamburg 1994. Jörg Fisch, Jenseitsglaube, Ungleichheit und Tod. Zu einigen Aspekten der Totenfolge, in: Saeculum 44 (1993), S. 265–299. Jörg Fisch, Tödliche Rituale. Die indische Witwenverbrennung und andere Formen der Totenfolge, Frankfurt/Main & New York 1998. Antje Flüchter, Priesterkönig, Teufelsanbeter und Synkretismus in Indien? Verflechtung von Religion und Politik in der deutschsprachigen Indienwahrnehmung, in: Comparativ 18,3-4 (2008), S. 133–155. Antje Flüchter, „Religions, Sects, and Heresy“ – Religion on the Indian Subcontinent in Early Modern German Texts, in: Comparativ 20,4 (2010), S. 58–74. Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Frankfurt/ Main 1983. Michel Foucault, Andere Räume, in: Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Stefan Richter (Hg.), 1993, S. 34–46. Donald F. Freeman, The Straits of Malacca: Gateway or Gauntlet?, Montreal u.a. 2003. Birgit Franke, Artikel Weiberregiment, Weibermacht, Weiberlisten, in: Lexikon der Kunst, Bd. 7, Leipzig 1994, S. 739 f. Tilman Frasch, Muslime und Christen, Gewürze und Kanonen. Südostasien im 16. Jahrhundert, in: Peter Feldbauer & Jean-Paul Lehners (Hg.), 2008, S. 265–289. Johannes Fried (Hg.), Die Frankfurter Messe. Besucher und Bewunderer. Literarische Zeugnisse aus ihren ersten acht Jahrhunderten, Frankfurt/Main 1990. Hildegard Frübis, Die Wirklichkeit des Fremden. Die Darstellung der Neuen Welt im 16. Jahrhundert, Berlin 1995. Hildegard Frübis, Conflicting Images. Die Bilder aus der Neuen Welt im Prozess der Konfessionalisierung, in: Susanna Burghartz, Maike Christadler, Dorothea Nolde (Hg.), 2003, S. 334–360. Femme S. Gaastra, Die Vereinigte Ostindische Compagnie der Niederlande – ein Abriß ihrer Geschichte, in: Eberhard Schmitt, Thomas Schleich, Thomas Beck (Hg.), 1988, S. 1–89. Femme S. Gaastra, The Dutch East India Company: expansion and decline, Zutphen 2003. Ulrike Gaebel & Erika Kartschoke (Hg.), Böse Frauen – gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Trier 2001. Ulrike Gaebel & Erika Kartschoke, Einleitung, in: dies. (Hg.), 2001, S. 9–14. Iris Gareis, Wie Engel und Teufel in die Neue Welt kamen. Imaginationen von Gut und Böse im kolonialen Amerika, in: Paideuma 45 (1999), S. 257–273. Iris Gareis (Hg.), Entidades maléficas y conceptos del mal en las religiones latinoamericanas. Evil Entities and Concepts of Evil in Latin American Religions, Aachen 2008.

268 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Iris Gareis, Feind oder Freund? Der Teufel in Spanien und in der Neuen Welt im 16.–18. Jahrhundert, in: @KIH-eSkript. Interdisziplinäre Hexenforschung online 3,1 (2011), Sp. 77–84, URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/9107/ (02.11.2012). Michael Gaudio, Engraving the Savage. The New World and Techniques of Civilization, Minneapolis/London 2008. Roelof van Gelder, Paradijsvogels in Enkhuizen. De relatie tussen Van Linschoten en Bernardus Paludanus, in: ders., Jan Parmentier, Vibeke Roeper (Hg.), 1998, S. 30–50. Roelof van Gelder, Jan Parmentier, Vibeke Roeper (Hg.), Souffrir pour parvenir. De wereld van Jan Huygen van Linschoten, Haarlem 1998. Carlo Ginzburg, Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Frankfurt/Main 1979. Carlo Ginzburg, Tizian, Ovid und die erotischen Bilder im Cinquecento, in: ders., Spurensicherung. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis, München 1988, S. 234–258. M. S. Giuseppi, The Work of Theodore de Bry and his Sons, Engravers, in: Proceedings of the Huguenot Society of London XI,2 (1916), S. 204–226. Jürg Glauser & Christian Kiening (Hg.), Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne, Freiburg im Breisgau/Berlin/Wien 2007. Lawrence Otto Goedde, Tempest and Shipwreck in Dutch and Flemish Art. Convention, Rhetoric, and Interpretation, London 1989. Erving Goffman, Forms of Talk, Pennsylvania 1995. Pol Pierre Gossiaux, Hiérarchie du monde sauvage et eschatologie protestante selon l’iconographie des Grands Voyages des de Bry, in: Protestantisme aux frontières. La réforme dans le duché de Limbourg es dans la principauté de Liège (XVIe–XIXe siècles), Aubel 1985, S. 99–169. Graduiertenkolleg Identität und Differenz (Hg.): Ethnizität und Geschlecht. (Post)koloniale Verhandlungen in Geschichte, Kunst und Medien, Köln/Wien/Weimar 2005. Anthony Grafton & Moshe Idel (Hg.), Der Magus. Seine Ursprünge und seine Geschichte in verschiedenen Kulturen, Berlin 2001. Stephen Greenblatt, Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker, Berlin 1994. Ludger Grenzmann (Hg.), Philologie als Kulturwissenschaft. Studien zur Literatur und Geschichte des Mittelalters. Festschrift für Karl Stackmann zum 65. Geburtstag, Göttingen 1987. Ludger Grenzmann & Karl Stackmann (Hg.), Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981, Stuttgart 1984. Anna Greve, Die Konstruktion Amerikas: Bilderpolitik in den Grands Voyages aus der Werkstatt de Bry, Köln 2004. Anna Greve, Die Fremde mit der man(n) rechnen muß … Afrika und Asien in den Petits Voyages (1597–1618) aus der Werkstatt de Bry, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 33,1 (2006), S. 1–28. Kaspar von Greyerz, Grenzen zwischen Religion, Magie und Konfession aus der Sicht der frühneuzeitlichen Mentalitätsgeschichte, in: Guy P. Marchal (Hg.), 1996, S. 329–343. Forschungsliteratur  |

269

Kaspar von Greyerz, Religion und Kultur. Europa 1500–1800, Göttingen 2000. Kaspar von Greyerz, Manfred Jakubowski-Tiessen, Thomas Kaufmann, Hartmut Lehmann (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, Gütersloh 2003. Paul Grice, Studies in the Way of Words, Cambridge/Mass. 1989. Sara F. Matthews Grieco, Körper, äußere Erscheinung und Sexualität, in: Georges Duby & Michelle Perrot (Hg.), 1994, S. 61–101. Heinrich Grimm, Die deutschen Teufelsbücher des 16. Jahrhunderts, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 2 (1960), Sp. 513–570. Valentin Groebner, Die Kleider des Körpers des Kaufmanns. Zum „Trachtenbuch“ eines Augsburger Bürgers im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 25 (1998), S. 323–358. Michiel van Groesen, A First Popularisation of Travel Literature. On the Methods and Intentions of the De Bry Travel Collection (1590–1634), in: Dutch Crossing 25,1 (2001), S. 103–131. Michiel van Groesen, Boissard, Clusius, De Bry and the making of Antiquitates Romanae, 1597–1602, in: Lias 29 (2002), S. 195–213. Michiel van Groesen, De Bry and Antwerp, 1577–1585. A formative period, in: Susanna Burghartz (Hg.), 2004, S. 19–46. Michiel van Groesen, Interchanging representations: Dutch publishers and the De Bry collection of voyages (1596–1610), in: Dutch Crossing 30,2 (2006), S. 229–242. Michiel van Groesen, The Representations of the Overseas World in the De Bry Collection of Voyages (1590–1634), Leiden & Boston 2008. Franz Groiß, Maria lactans – die stillende Madonna, in: ders., Birgit Streiter, Christian Vielhaber, Hubert Philipp Weber (Hg.), 2010, S. 13–80. Franz Groiß, Birgit Streiter, Christian Vielhaber, Hubert Philipp Weber (Hg.), Maria lactans. Die Stillende in Kunst und Alltag, Wien 2010. Daniela Hammer-Tugendhat, Erotik und Geschlechterdifferenz. Aspekte zur Aktmalerei Tizians, in: Daniela Erlach, Markus Reisenleitner, Karl Vocelka (Hg.), 1994, S. 376–446. Daniela Hammer-Tugendhat, Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2009. Michael Harbsmeier, Wilde Völkerkunde. Andere Welten in deutschen Reiseberichten der Frühen Neuzeit, Frankfurt/Main & New York 1994. J. B. Harley, The New Nature of Maps. Essays in the History of Cartography, herausgegeben von Paul Laxton, Baltimore 2001. Wolfgang Harms, Zwischen Werk und Leser. Naturkundliche illustrierte Titelblätter des 16. Jahrhunderts als Ort der Vermittlung von Autor- und Lesererwartungen, in: Ludger Grenzmann & Karl Stackmann (Hg.), 1984, S. 427–461. Friederike Hassauer, Der Streit um die Frauen: Elf Fragen und Antworten, in: Heide Wunder & Gisela Engel (Hg.), 1998, S. 255–261. Bärbel Hedinger, Karten in Bildern. Zur Ikonographie der Wandkarte in holländischen Interieurgemälden des 17. Jahrhunderts, Hildesheim 1986.

270 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Chris L. Heesakkers, Das Stammbuch des Janus Gruterus, in: Bibliothek und Wissenschaft 21 (1987), S. 68–113. Margot Heinemann & Wolfgang Heinemann, Grundlagen der Textlinguistik. Interaktion – Text – Diskurs, Tübingen 2002. Almut Höfert, Den Feind beschreiben. „Türkengefahr“ und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450–1600, Frankfurt/Main & New York 2003. Johannes Hofmeister (Hg.), Stadt, Land, Fluss. Landes-, Orts- und Reisebeschreibungen aus historischer und geographischer Perspektive, Norderstedt 2010. Mila Horký, „Anna, die Anmutige, werde ich genannt“ – Eros und Virtus in den weiblichen Porträts von Lucas Cranach d. Ä., in: Simone Roggendorf & Sigrid Ruby (Hg.), 2004, S. 38–53. Richard A. Horsley, Who Were the Witches? The Social Roles of the Accused in the European Witch Trials, in: The Journal of Interdisciplinary History 9 (1979), S. 689–715. Silke Horstkotte (Hg.), Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text, Köln/Weimar/Wien 2006. J. A. van Houtte, Economische en sociale geschiedenis van de Lage Landen, Zeist/Antwerpen 1964. Jan A. Van Houtte, Economic Development of Belgium and the Netherlands from the Beginning of the Modern Era. An Essay on Compared History, in: The Journal of European Economic History 1 (1972), S. 100–120. Martha C. Howell, Women, Production, and Patriarchy in Late Medieval Cities, Chicago 1986. Lynn Hunt (Hg.), Die Erfindung der Pornographie. Obszönität und die Ursprünge der Moderne, Frankfurt/Main 1994. Elke Huwiler & Nicole Wachter (Hg.), Integrationen des Widerläufigen. Ein Streifzug durch geistes- und kulturwissenschaftliche Forschungsfelder, Münster 2004. Ulrike Ilg (Hg.), Text und Bild in Reiseberichten des 16. Jahrhunderts. Westliche Zeugnisse über Amerika und das Osmanische Reich, Venedig 2008. Jonathan I. Israel, Dutch Primacy in World Trade, 1585–1740, Oxford 1989. Marion Janzin & Joachim Güntner (Hg.), Das Buch vom Buch. 5000 Jahre Buchgeschichte, Hannover 2007. Carina L. Johnson, Idolatrous Cultures and the Practice of Religion, in: Journal of the History of Ideas 67 (2006), S. 597–622. Carl Jung, Kaross und Kimono. „Hottentotten“ und Japaner im Spiegel des Reiseberichts von Carl Peter Thunberg (1743–1828), Stuttgart 2002. Almut Junker (Hg.), Frankfurt um 1600. Alltagsleben in der Stadt, Ausstellungskatalog, Frankfurt/Main 1976. Robert Jütte, Der anstößige Körper. Anmerkungen zu einer Semiotik der Nacktheit, in: Klaus Schreiner & Norbert Schnitzler (Hg.), 1992, S. 109–129. Robert W. Karrow, Mapmakers of the Sixteenth Century and Their Maps. Bio-Bibliography of the Cartographers of Abraham Ortelius, 1570, Chicago 1993. Thomas Kaufmann, Die Bilderfrage im frühneuzeitlichen Luthertum, in: Peter Blickle et. al. (Hg.), 2002, S. 407-454.

Forschungsliteratur  |

271

Henry Keazor, „Charting the autobiographical, selfregarding subject?“ Theodor de Brys Selbstbildnis, in: Susanna Burghartz, Maike Christadler, Dorothea Nolde (Hg.), 2003, S. 395–428. Joan Kelly, Early Feminist Theory and the Querelle des Femmes, 1400–1789, in: Signs 8 (1982/83), S. 4–28. Karsten Kenklies, Wissenschaft als Ethisches Programm. Robert Fludd und die Reform der Bildung im 17. Jahrhundert, Jena 2005. Karsten Kenklies, Artikel Fludd, Robert (10.10.2008), in: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, herausgegeben von Gudrun Gersmann, Katrin Moeller, Jürgen-Michael Schmidt, URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/6103/ (02.11.2012). Johannes Keuning, Petrus Plancius, Theoloog en Geograaf, 1552–1622, Amsterdam 1946. Johannes Keuning, Willem Janszoon Blaeu: A Biography and History of his Work as a Cartographer and Publisher, herausgegeben von Marijke Donkersloot-de Vrij, Amsterdam 1973. Christian Kiening, Das wilde Subjekt. Kleine Poetik der Neuen Welt, Göttingen 2006. Ulrich Kinzel, Orientierung als Paradigma der maritimen Moderne, in: Bernhard Klein & Gesa Mackenthun (Hg.), 2003, S. 73–94. Heinz Dieter Kittsteiner (Hg.), Was sind Kulturwissenschaften? 13 Antworten, München 2004. Bernhard Klein & Gesa Mackenthun (Hg.), Das Meer als kulturelle Kontaktzone. Räume, Reisende, Repräsentationen, Konstanz 2003. Cornelia Kleinlogel, Exotik – Erotik. Zur Geschichte des Türkenbildes in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit (1453–1800), (= Bochumer Schriften zur deutschen Literatur, 8), Frankfurt/Main 1989. Thomas Kleinspehn, Der flüchtige Blick. Sehen und Identität in der Kultur der Neuzeit, Reinbek bei Hamburg 1989. Ruth Kohlndorfer-Fries, Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacques Bongars (1554–1612), Tübingen 2009. Burkhardt Krause (Hg.), Fremdkörper – fremde Körper – Körperfremde. Kultur- und literaturgeschichtliche Studien zum Körperthema, Stuttgart 1992. Ute Kuhlemann, Between Reproduction, Invention and Propaganda: Theodor de Bry’s Engravings after John White’s Watercolours, in: Kim Sloan (Hg.), 2007, S. 79–92. Eva Labouvie, Verbotene Künste. Volksmagie und ländlicher Aberglaube in den Dorfgemeinden des Saarraumes (16.–19. Jahrhundert), St. Ingbert 1992. Achim Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens, Augsburg 2002. Achim Landwehr, Das Sichtbare sichtbar machen. Annäherungen an ,Wissen‘ als Kategorie historischer Forschung, in: ders. (Hg.), 2002, S. 61–89. Achim Landwehr, Raumgestalter: Die Konstitution politischer Räume in Venedig um 1600, in: Jürgen Martschukat & Steffen Patzold (Hg.), 2003, S. 161–184. Frederic C. Lane, The Mediterranean Spice Trade: Further Evidence of its Revival in the Sixteenth Century, in: M. N. Pearson (Hg.), 1996, S. 111–120. Frans Laurentius, Clement de Jonghe (ca. 1624–1677), Kunstverkoper in de Gouden Eeuw, Houten 2010.

272 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Hartmut Lehmann & Anne-Charlott Trepp (Hg.), Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1999. Anton van der Lem, Opstand! Der Aufstand in den Niederlanden. Egmonts und Oraniens Opposition, die Gründung der Republik und der Weg zum Westfälischen Frieden, Berlin 1996. Heinrich Lempertz, Bilder-Hefte zur Geschichte des Bücherhandels und der mit demselben verwandten Künste und Gewerbe, Köln 1853–1865, Nr. 15. Silke Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen. Zur sozialen und wirtschaftlichen Stellung von Frauen im frühneuzeitlichen Hildesheim, (= Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim, 23), Hildesheim 1994. Clé Lesger, The Rise of the Amsterdam Market and Information Exchange. Merchants, Commercial Expansion and Change in the Spatial Economy of the Low Countries, c. 1550–1630, Aldershot 2006. Frank Lestringant, Cannibals. The discovery and representation of the cannibal from Columbus to Jules Verne, Los Angeles 1997. Maria-Theresia Leuker, „De last van’t huys, de wil des mans …“ Frauenbilder und Ehekonzepte im niederländischen Lustspiel des 17. Jahrhunderts, (= Niederlande-Studien, 2), Münster 1992. Victor Lieberman, Strange Parallels. Southeast Asia in Global Context, c. 800–1830, 2 Bde., Cambridge 2003–2009. Denys Lombard & Jean Aubin (Hg.), Asian Merchants and Businessmen in the Indian Ocean and the China Sea, Neu-Delhi 2000. Fried Lübbecke, Fünfhundert Jahre Buch und Druck in Frankfurt am Main, Frankfurt/Main 1948. Kirsten Mahlke, Offenbarung im Westen. Frühe Berichte aus der Neuen Welt, Frankfurt/Main 2005. Guy P. Marchal (Hg.), Grenzen und Raumvorstellungen (11.–20. Jh.), Zürich 1996. Gabriele Marcussen-Gwiazda, Gold und Diamanten, in: Frank Berger (Hg.), 2005, S. 89–106. Jürgen Martschukat & Steffen Patzold (Hg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2003. E. Doyle McCarthy, Knowledge as Culture. The new sociology of knowledge, London/New York 1996. Ernst Merkel, Der Buchhändler Levinus Hulsius, gest. 1606 zu Frankfurt am Main, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 57 (1980), S. 7–18. Sigrid Metken, Der Kampf um die Hose. Geschlechterstreit und die Macht im Haus. Die Geschichte eines Symbols, Frankfurt/Main & New York 1996. Ralf Mitsch, Körper als Zeichenträger kultureller Alterität. Zur Wahrnehmung und Darstellung fremder Kulturen in mittelalterlichen Quellen, in: Burkhardt Krause (Hg.), 1992, S. 73–109. Renate Möhrmann (Hg.), Verklärt, verkitscht, vergessen. Die Mutter als ästhetische Figur, Stuttgart & Weimar 1996. Monika Mommertz, „Ich, Lisa Thielen“. Text als Handlung und als sprachliche Struktur – ein methodischer Vorschlag, in: Historische Anthropologie 4 (1996), S. 303–329. Forschungsliteratur  |

273

E. W. Monter, Ritual, Myth and Magic in Early Modern Europe, Brighton 1983. Louis Montrose, The Work of Gender in the Discourse of Discovery, in: Representations 9,33 (1991), Special Issue: The New World, S. 1–41. Jennifer L. Morgan, Laboring Women: Reproduction and Gender in New World Slavery, Philadelphia 2004. Jürgen G. Nagel, Der Schlüssel zu den Molukken. Makassar und die Handelsstrukturen des Malaiischen Archipels im 17. und 18. Jahrhundert. Eine exemplarische Studie, Bd. 1, Hamburg 2003. Jürgen G. Nagel, Abenteuer Fernhandel. Die Ostindienkompanien, Darmstadt 2007. Andreas Nehring, Orientalismus und Mission. Die Repräsentation der tamilischen Gesellschaft und Religion durch Leipziger Missionare 1840–1940, Wiesbaden 2003. Wolfgang Neuber, Die Drucke der im Original deutschen Amerikareiseberichte bis 1715. Synopse, Bibliographie und marktgeschichtlicher Kommentar, in: Frühneuzeit-Info 2,2 (19911), S. 12–34. Wolfgang Neuber, Fremde Welt im europäischen Horizont: Zur Topik der deutschen Amerika-Reiseberichte der frühen Neuzeit, (= Philologische Studien und Quellen, 121), Berlin 19912. Wolfgang Neuber, Die Theologie der Geister in der Frühen Neuzeit, in: Moritz Baßler, Bettina Gruber, Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.), 2005, S. 25–38. Almut Neumann, Verträge und Pakte mit dem Teufel. Antike und mittelalterliche Vorstellungen im „Malleus maleficarum“, St. Ingbert 1997. Klaus Niehr, Verae imagines – Über eine Abbildqualität in der frühen Neuzeit, in: Frank Büttner & Gabriele Wimböck (Hg.), 2004, S. 261–302. Dorothea Nolde, Die Assimilation des Fremden. Nahrung und Kulturkontakt in De Brys „America“, in: Historische Anthropologie 12 (2004), S. 355–372. Michael North, Geschichte der Niederlande, München 1997. Alessandro Nova, Kirche, Nation, Individuum. Das stürmische Meer als Allegorie, Metapher und Seelenzustand, in: Hannah Baader & Gerhard Wolf (Hg.), 2010, S. 67–94. Stephan Oettermann, Die Schaulust am Elefanten. Eine Elephantographia curiosa, Frankfurt/ Main 1982. Bernhard Ohse, Die Teufelliteratur zwischen Brant und Luther. Ein Beitrag zur näheren Bestimmung der Abkunft und des geistigen Ortes der Teufelsbrüder, besonders im Hinblick auf ihre Ansichten über das Böse, Diss., Berlin 1961. Claudia Opitz (Hg.), Der Hexenstreit. Frauen in der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung, Freiburg im Breisgau 1995. Jürgen Osterhammel, Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998. Piya Pal-Lapinsky, The Exotic Woman in the Nineteenth-Century British Fiction and Culture. A Reconsideration, Durham 2005. Michael N. Pearson, India and the Indian Ocean in the Sixteenth Century, in: Ashin Das Gupta & M. N. Pearson (Hg.), 1987, S. 71–93. M. N. Pearson (Hg.), Spices in the Indian Ocean World, Aldershot 1996. Michael Pearson, The Indian Ocean, New York 2003.

274 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Milan Pelc, Illustrium Imagines. Das Porträtbuch der Renaissance, Leiden/Boston/Köln 2002. Götz Pochat, Bild–Zeit. Eine Kunstgeschichte der vierten Dimension, II, Wien 2004. Om Prakash, Restrictive Trading Regimes: VOC and the Asian Spice Trade in the Seventeenth Century, in: M. N. Pearson (Hg.), 1996, S. 323–327. Om Prakash, European Commercial Enterprise in Pre-Colonial India, Cambridge 1998. Helmut Puff, Sodomy in Reformation Germany and Switzerland, 1400–1600, Chicago/London 2003. D. B. Quinn (Hg.), The Hakluyt Handbook, 2 Bde., London 1974. Folker Reichert, Ludovico de Varthema: Reisen im Orient, (= Fremde Kulturen in alten Berichten, 2), Sigmaringen 1996. Klaus Reichert, Fortuna oder die Beständigkeit des Wechsels, Frankfurt/Main 1985. Anthony Reid, Southeast Asia in the Age of Commerce, 1450–1680. Volume One: The Lands below the Winds, New Haven 1988. Anthony Reid, Southeast Asia in the Age of Commerce, 1450–1680. Volume Two: Expansion and Crisis, New Haven 1993. Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner, Bettina Wahrig-Schmidt (Hg.), Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, Berlin 1997. Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner, Bettina Wahrig-Schmidt, Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, in: dies. (Hg.), 1997, S. 7–21. Miriam Rieger, Der Teufel im Pfarrhaus. Gespenster, Geisterglaube und Besessenheit im Luthertum der Frühen Neuzeit, (= Friedenstein-Forschungen, 9), Stuttgart 2011. Werner Röcke, Literarische Gegenwelten. Fastnachtsspiele und karnevaleske Festkultur, in: ders. & Marina Münkler (Hg.), 2004, S. 420–445. Werner Röcke & Marina Münkler (Hg.), Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Band 1: Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, München/Wien 2004. Bernd Roeck, Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität, 2 Bde., Göttingen 1989. Bernd Roeck, Die Verzauberung des Fremden. Metaphysik und Außenseitertum in der frühen Neuzeit, in: Hartmut Lehmann & Anne-Charlott Trepp (Hg.), 1999, S. 319–336. Vibeke Roeper & Diederick Wildeman (Hg.), Om de Zuid. De eerste schipvaart naar Oost-Indië onder Cornelis de Houtman, 1595–1597, opgetekend door Willem Lodewycksz, Nimwegen 1997. Simone Roggendorf & Sigrid Ruby (Hg.), (En)gendered. Frühneuzeitlicher Kunstdiskurs und weibliche Porträtkultur nördlich der Alpen, Marburg 2004. Keith L. Roos, The Devil in the 16th Century German Literature: The Teufelsbücher, Bern & Frankfurt/Main 1972. Johannes Rösche, Robert Fludd. Der Versuch einer hermetischen Alternative zur neuzeitlichen Naturwissenschaft, Göttingen 2008. Norman Roth, Conversos, Inquisition, and the Expulsion of the Jews from Spain, Madison 2002. Joan-Pau Rubiés, Travel and Ethnology in the Renaissance. South India through European Eyes, 1250–1625, Cambridge 2001. Forschungsliteratur  |

275

Joan-Pau Rubiés, Theology, Ethnography, and the Historicization of Idolatry, in: Journal of the History of Ideas 67 (2006), S. 571–596. Joan-Pau Rubiés, Travellers and Cosmographers. Studies in the History of Early Modern Travel and Ethnology, Aldershot 2007. Magnus Rüde, England und Kurpfalz im werdenden Mächteeuropa (1608–1632). Konfession – Dynastie – kulturelle Ausdrucksformen, Stuttgart 2007. Harvey Sacks, Lectures on Conversation, Oxford 1998. Thomas Scanlan, Colonial Writing and the New World, 1583–1671. Allegories of Desire, Cambridge 1999. Sigrid Schade, Schadenzauber und die Magie des Körpers. Hexenbilder der frühen Neuzeit, Worms 1983. Sigrid Schade, Zur Genese des voyeuristischen Blicks. Das Erotische in den Hexenbildern Hans Baldung Griens, in: Cordula Bischoff et. al. (Hg.), 1984, S. 98–110. Sigrid Schade, Monika Wagner, Sigrid Weigel (Hg.), Allegorien und Geschlechterdifferenz, Köln 1994. Sigrid Schade & Silke Wenk, Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdifferenz, in: Hadumod Bußmann & Renate Hof (Hg.), 1995, S. 340–407. Simon Schama, Überfluß und schöner Schein. Zur Kultur der Niederlande im Goldenen Zeitalter, München 1988. Ans Schapendonk, Die niederländische Sicht auf die Welt im Goldenen Zeitalter. Niederländische Reiseliteratur aus der Frühen Neuzeit, in: Johannes Hofmeister (Hg.), 2010, S. 53–93. Günter Schilder, De Noordhollandse cartografenschool, in: Lucas Jansz. Waghenaer van Enckhuysen: De maritieme cartografie in de Nederlanden in de zestiende en het begin van de zeventiende eeuw (Ausstellungskatalog Zuiderzeemuseum, Enkhuizen), Enkhuizen 1984, S. 47–72. Günter Schilder (Hg.), Monumenta Cartographica Neerlandica, 8 Bde., Alphen am Rhein 1986–2007. Günter Schilder (Hg.), Monumenta Cartographica Neerlandica, Vol. VI: Dutch folio-sized single sheet maps with decorated borders, 1604–60, Alphen am Rhein 2000. Günter Schilder (Hg.), Monumenta Cartographica Neerlandica, Vol. VII: Cornelis Claesz (c. 1551–1609): Stimulator and driving force of Dutch cartography, 2 Teilbde., Alphen am Rhein 2003. Günter Schilder & Hans Kok, Sailing for the East. History and Catalogue of Manuscript Charts on vellum of the Dutch East India Company (VOC) 1602–1799, Houten 2010. Anton Schindling, Kommerz und Konfession. Die Reichs- und Messestadt Frankfurt am Main zwischen Reformation und paritätischem Altem Reich, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 68 (2005), S. 573–587. Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München 2003. Karl Schlögel, Kartenlesen, Augenarbeit. Über die Fälligkeit des spatial turn in den Geschichtsund Kulturwissenschaften, in: Heinz Dieter Kittsteiner (Hg.), 2004, S. 261–283.

276 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Benjamin Schmidt, Innocence Abroad. The Dutch Imagination and the New World, 1570–1670, Cambridge 2001. Benjamin Schmidt, Inventing Exoticism. The Project of Dutch Geography and the Marketing of the World, circa 1700, in: Pamela H. Smith & Paula Findlen (Hg.), 2002, S. 347–369. Benjamin Schmidt, Knowledge Products: Exotic Geography ca. 1700, unveröffentlichter Vortrag, gehalten am 03.12.2010 anlässlich des 18. Baseler Renaissancekolloquiums im Historischen Seminar der Universität Basel. Viktoria Schmidt-Linsenhoff, Amerigo erfindet America, in: Heide Wunder & Gisela Engel (Hg.), 1998, S. 372–394. Eberhard Schmitt, Thomas Schleich, Thomas Beck (Hg.): Kaufleute als Kolonialherren. Die Handelswelt der Niederländer vom Kap der Guten Hoffnung bis Nagasaki 1600–1800, Bamberg 1988. Ute Schneider, Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2004. Norbert Schnitzler, Ikonoklasmus – Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln während des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1996. Flemming Schock, Die Text-Kunstkammer. Populäre Wissenssammlungen des Barock am Beispiel der „Relationes Curiosae“ von E. W. Happel, Köln, Weimar, Wien 2011. Klaus Schreiner & Norbert Schnitzler (Hg.), Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1992. Sabine Schülting, Wilde Frauen, fremde Welten. Kolonialisierungsgeschichten in Amerika, Reinbek bei Hamburg 1997. Beate Schuster, Die freien Frauen. Dirnen und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert, Frankfurt/Main & New York 1995. Helga Sciurie & Hans-Jürgen Bachorski (Hg.), Eros – Macht – Askese. Geschlechterspannungen als Dialogstruktur in Kunst und Literatur, Trier 1996. Robert W. Scribner (Hg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, (= Wolfenbütteler Forschungen, 46), Wiesbaden 1990. Robert W. Scribner, Religion und Kultur in Deutschland 1400–1800, Göttingen 2002. Robert Seidel & Regina Toepfer (Hg.), Frankfurt im Schnittpunkt der Diskurse. Strategien und Institutionen literarischer Kommunikation im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, (= Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 7, Nr. 2/3), Frankfurt/Main 2010. Bert van Selm, „Een menighte treffelijcke Boecken“. Nederlandse boekhandelscatalogi in het begin van de zeventiende eeuw, Utrecht 1987. Jonathan Sheehan, Introduction: Thinking about Idols in Early Modern Europe, in: Journal of the History of Ideas 67 (2006), S. 561–570. Jonathan Sheehan, The Altars of the Idols: Religion, Sacrifice, and the Early Modern Polity, in: Journal of the History of Ideas 67 (2006), S. 649–674. John W. Shirley (Hg.), Thomas Harriot: Renaissance Scientist, Oxford 1974. Manuel Simon, Heilige Hexe Mutter. Der Wandel des Frauenbildes durch die Medizin im 16. Jahrhundert, Berlin 1993. Forschungsliteratur  |

277

Martina Sitt, „In meinen Armen, in meinem Schoß“. Zur Darstellung der Mutterfigur in der Genremalerei des 17. und 19. Jahrhunderts, in: Renate Möhrmann (Hg.), 1996, S. 145–169. Kim Sloan (Hg.), A New World. England’s first view of America, London 2007. Antoine de Smet, Jodocus Hondius, continuateur de Mercator, in: Industrie [Brüssel] 17 (1963), S. 768–778. Pamela H. Smith & Paula Findlen (Hg.), Merchants and Marvels. Commerce, Science, and Art in Early Modern Europe, New York/London 2002. Moriz Sondheim, Die De Bryschen Grossen Reisen, in: Het Boek 24 (1936/37), S. 331–364. Niels Steensgaard, Carracks, Caravans and Companies: The structural crisis in the European-Asian trade in the early 17th century, Kopenhagen 1973. Jutta Steffen-Schrade, Ethnographische Illustrationen zwischen Propaganda und Unterhaltung. Ein Vergleich der Reisesammlungen von De Bry und Hulsius, in: Susanna Burghartz (Hg.), 2004, S. 157–195. Harm Stevens, Dutch Enterprise and the VOC, 1602–1799, Zutphen 1998. Jan van der Stock, Printing Images in Antwerp: The Introduction of Printmaking in a City: Fifteenth Century to 1585, Rotterdam 1998. Robert Stockhammer (Hg.), TopoGraphien der Moderne. Medien zur Repräsentation und Konstruktion von Räumen, München 2005. Sanjay Subrahmanyam (Hg.), Merchants, Markets and the State in Early Modern India, Oxford 1990. Sanjay Subrahmanyam, Explorations In Connected History. From the Tagus to the Ganges, Oxford 2005. Claudia Swan, Ad vivum, naer het leven, from the live: defining a mode of representation, in: Word & Image 11 (1995), S. 353–372. Johan Talens, Een feodale samenleving in koloniaal vaarwater. Staatsvorming, koloniale expansie en economische onderontwikkeling in Banten, West-Java (1600–1750), Hilversum 1999. Tina Terrahe, Frankfurts Aufstieg zur Druckmetropole des 16. Jahrhunderts. Christian Egenolff, Sigmund Feyerabend und die Frankfurter Buchmesse, in: Robert Seidel & Regina Toepfer (Hg.), 2010, S. 177–194. Luis Filipe F. R. Thomaz, Melaka and Its Merchant Communities at the Turn of the Sixteenth Century, in: Denys Lombard & Jean Aubin (Hg.), 2000, S. 25–48. John Thornton: The Origins and Early History of the Kingdom of Kongo, c. 1350–1550, in: The International Journal of African Historical Studies 34 (2001), S. 89–120. Norman J. W. Thrower, Maps and Civilisation. Cartography in Culture and Society. Third Edition, Chicago 2008. Sven Trakulhun, Siam und Europa. Das Königreich Ayutthaya in westlichen Berichten 1500–1670, Hannover-Laatzen 2006. Edith Trenczak, Lucas Jennis als Verleger alchimistischer Bildertraktate, in: Gutenberg-Jahrbuch 1965, S. 324–337. Anne-Charlott Trepp, Religion, Magie und Naturphilosophie: Alchemie im 16. und 17. Jahrhundert, in: Hartmut Lehmann & Anne-Charlott Trepp (Hg.), 1999, S. 473–493.

278 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

Ulrich Ufer, Welthandelszentrum Amsterdam. Globale Dynamik und modernes Leben im 17. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2008. Ilja M. Veldman, Lessons for ladies: a selection of sixteenth and seventeenth-century Dutch prints, in: Simiolus 16 (1986), S. 113–127. Thea Vignau-Wilberg (Hg.), Archetypa studiaque patris Georgii Hoefnagelii 1592. Nature, poetry and science in art around 1600, München 1994. Léon Voet, The Golden Compasses. A History and Evaluation of the Printing and Publishing Activities of the Officina Plantiniana at Antwerp, 2 Bde., Amsterdam 1972. Jan de Vries & Ad van der Woude, The First Modern Economy: Success, Failure, and Perseverance of the Dutch Economy, 1500–1815, Cambridge 1997. C. H. H. Wake, The Changing Pattern of Europe’s Pepper and Spice Imports, ca. 1400–1700, in: M. N. Pearson (Hg.), 1996, S. 141–183. Carsten-Peter Warncke, Die ornamentale Groteske in Deutschland 1500–1650, 2 Bde., Berlin 1979. Carsten-Peter Warncke, Symbol, Emblem, Allegorie. Die zweite Sprache der Bilder, Köln 2005. Marina Warner, Altes Weib und alte Vettel: Allegorien der Laster, in: Sigrid Schade, Monika Wagner, Sigrid Weigel (Hg.), 1994, S. 51–63. Sibylle Weber am Bach, Hans Baldung Grien (1484/85–1545). Marienbilder in der Reformation, Regensburg 2006. Robert Weimann (Hg.), Ränder der Moderne. Repräsentation und Alterität im (post)kolonialen Diskurs, Frankfurt/Main 1997. Kurt Wettengl (Hg.), Georg Flegel (1566–1638), Stilleben, Stuttgart 1993. Kurt Wettengl, Druck, in: Frank Berger (Hg.), 2005, S. 137–150. Hans Widmann (Hg.), Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. 1, Hamburg 1965. Merry E. Wiesner, Working Women in Renaissance Germany, New Brunswick 1986. Gabriele Wimböck, Die Autorität des Bildes – Perspektiven für eine Geschichte vom Bild in der Frühen Neuzeit, in: Frank Büttner & Gabriele Wimböck (Hg.), 2004, S. 9–42. Gabriele Wimböck (Hg.), Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Berlin/Münster 2007. Uwe Wirth (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt/Main 2002. Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick, München 1991. Klaus Wolf, Frankfurts literarisches Lebens im ausgehenden Mittelalter. Zwischen Frömmigkeitstheologie und patrizischer Repräsentation, in: Robert Seidel & Regina Toepfer (Hg.), 2010, S. 41–53. Heide Wunder & Gisela Engel (Hg.), Geschlechterperspektiven. Forschungen zur Frühen Neuzeit, Königstein/Taunus 1998. Lucas Heinrich Wüthrich, Matthäus Merian d. Ä. Eine Biographie, Hamburg 2007. Paola von Wyss-Giacosa, Religionsbilder der frühen Aufklärung. Bernhard Picarts Tafeln für die „Cérémonies et Coutumes religieuses de tous les Peuples du Monde“, Wabern 2006. Frances A. Yates, Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes, Stuttgart 1975. Forschungsliteratur  |

279

Kees Zandvliet, Mapping for Money. Maps, plans and topographic paintings and their role in Dutch overseas expansion during the 16th and 17th centuries, Amsterdam 2002. Walther Karl Zülch, Frankfurter Künstler 1223–1700, Frankfurt/Main 1935.

280 |   Quellen- und Literaturverzeichnis

ABBILDUNGSNACHWEIS Abb. 1 Abb. 2

Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25 Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29

Peter Schöffer, Flugblatt von der Frankfurter Messe, nach 1509 (Terrahe, 2010, S. 179) Ausschnitt aus Matthäus Merians Plan der „Kaiserlichen Wahl-, Krönungs- und Messestadt Frankfurt am Main, der weltberühmten Hochburg des Handels von Deutschland, ja von ganz Europa“, 1628 (Lübbecke, 1948, S. 40/41) Selbstporträt Theodor de Bry Selbstporträt Johann Theodor de Bry Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel II Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel XIV Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel XXX Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel XXVI Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel XXXII Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel XIX Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel XX Cornelis Claesz, Historie van Indien, Abb. 20 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel I Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel II Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. IV, Tafel II Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. IV, Tafel III Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. V, Tafel II Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. V, Tafel VII Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. V, Tafel III Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. V, Tafel IV Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. V, Tafel V Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. V, Tafel IX Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. V, Tafel XX Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VII, Tafel VI Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel IX Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VI, Tafel XVII Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel X Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VI, XIX Hans Baldung Grien, Drei Hexen (Scribner, 2002, S. 167) ABBILDUNGSNACHWEIS  |

281

Abb. 30 Hans Baldung Grien, Phyllis und Aristoteles (Hans Baldung Grien in Freiburg, Katalog der Ausstellung, 2001, S. 196) Abb. 31 Rembrandt, Josef und Potiphars Weib (Hammer-Tugendhat, 2009, S. 103) Abb. 32 Heinrich Aldegrever, Mönch und Nonne (Hammer-Tugendhat, 2009, S. 103) Abb. 33 Rembrandt, Der Mönch im Kornfeld (Hammer-Tugendhat, 2009, S. 152) Abb. 34 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel II Abb. 35 Werkstatt de Bry, Grands Voyages, Bd. X, Tafel I Abb. 36 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. XI, Tafel I Abb. 37 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VIII, Tafel IX Abb. 38 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. I, Tafel XIV Abb. 39 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel X Abb. 40 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel XII Abb. 41 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Titelkupfer Abb. 42 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Titelkupfer Abb. 43 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Titelkupfer Abb. 44 Pieter Bruegel, Antwerpen (Goedde, 1989, S. 70) Abb. 45 Jos de Momper, Seesturm (Goedde, 1989, S. 72) Abb. 46 Peter Kaerius, Schiffe im Sturm (Goedde, 1989, S. 85) Abb. 47 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VIII, Tafel II Abb. 48 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VIII, Tafel VIII Abb. 49 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel XI Abb. 50 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VIII, Tafel I Abb. 51 Willem J. Blaue, Licht der Zeevaert (Schapendonk, 2010, S. 55) Abb. 52 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Weltkarte (nach Petrus Plancius) Abb. 53 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Karte von Willem Barentsz Abb. 54 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Karte der Indonesischen Inselwelt Abb. 55 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Karte von der Reise Cornelis Houtmans Abb. 56 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. I, Tafel I Abb. 57 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. I, Tafel XI Abb. 58 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel XV Abb. 59 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel XXI Abb. 60 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel XXIV Abb. 61 Jörg Breu d. Ältere, Dienst am Götzen in Calicut (Reichert, 1996, S. 152) Abb. 62 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel XXXI Abb. 63 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VII, Tafel XIV Abb. 64 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel XI Abb. 65 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. V, Tafel XVII Abb. 66 Cornelis Claesz, Zweite Reise der Niederländer, Titelblatt (Schilder, 2003, S. 348) Abb. 67 Hulsius, Schiffahrten, Bd. II, Titelblatt Abb. 68 Hulsius, Schiffahrten, Bd. II, S. 33 Abb. 69 Benjamin Wright, Übersichtskarte (Schilder, 2003, S. 340)

282 |  Abbildungsnachweis

Abb. 70 Cornelis Claesz, Wandkarte von Asien 1602 (Schilder, 2003, S. 348) Abb. 71 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel I und II Abb. 72 Michiel Colijn, Wandkarte von Amerika und der Westküste Afrikas (Zandvliet, 2002, S. 47) Abb. 73 Begrüßungsszenen aus der Werkstatt de Bry, Bitterli 1991, S. 82 Abb. 74 Hans Burgkmair d. Ä., In Allago (Friedemann Berger, 1979, 13) Abb. 75 Anonym, Verhael van de Reyse, Middelburg (Friedemann Berger, 1979, S. 36) Abb. 76 Hulsius, Schiffahrten, Bd. I, S. 13 Abb. 77 Cornelis Claesz, Historie van Indien, Abb. 2 Abb. 78 Petrus Plancius, Wandkarte Abb. 79 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. III, Tafel VII Abb. 80 Detail aus: Willem Jansz. Blaeu, Africae nova descriptio (Schilder, 2000, S. 117) und Wandkarte selbst? Abb. 81 Johann Albrecht von Mandelslo, Morgenländische Reisebeschreibung (Digitalisat der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: http://diglib.hab.de/drucke/275-9hist-2f/start.htm?image=00201) Abb. 82 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. II, Tafel III Abb. 83 Jan van Eyck, Die Lucca-Madonna (Pochat, 2004, S. 152) Abb. 84 Hans Baldung Grien, Madonna mit den Papageien (Weber am Bach, 2006, S. 113) Abb. 85 Pieter de Marees, Beschryvinge ende Historische verhael, Titelblatt Abb. 86 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VI, Tafel III Abb. 87 Werkstatt de Bry, Petits Voyages, Bd. VI, Titelblatt Abb. 88 Hulsius, Schiffahrten, Bd. 7, S. 39 Abb. 89 Jodocus Hondius, Foliokarte von Africa (Schilder, 2003, Karte 12) Abb. 90 Olfert Dapper, Umbständliche und Eigentliche Beschreibung von Africa, Titelblatt Abb. 91 Thomas Herbert, Some years travels, S. 18 Abb. 92 John Ogilby, America (Morgan, S. 38) Abb. 93 Godfried Maes, Die vier Erdteile Abb. 94 Peter Kolb, The present State of the Cape of Good Hope, Bd. I, Tafel IV

ABBILDUNGSNACHWEIS  |

283

PERSONENREGISTER de Acosta, Jose 44 Alciato, Alciato 164f Aldegrever, Heinrich 133 Amerbach, Hans 33 Amman, Jost 42 Ammon, Johan 57f Apian, Peter 171 Arthus, Gotthard 48f, 51–53 Ashley, Anthony 32 Aubry, Marie 46 Aubry, Jean 46f, 49 Austin, John 97f Baader, Hannah 147 Babelus, Hugo 46 Bacon, Francis 211 Balthasar, Floris 174 Barentsz, Willem 177 Bauhin, Caspar 47, 210 Beham, Hans Sebald 132 Benzoni, Girolama 44 Berger, Friedemann 14 Berkheimer, Magdalena 42 Bitterli, Urs 226f Blaeu, Willem Janszoon 173 Boissard, Jean-Jaques 39, 46f van den Boogaart, Ernst 15 Braudel, Fernand 62 Breu d. Ä., Jörg 204f Briels, J.G.C.A. 61 Bruegel d. Ä., Jan 163 Bruegel d. Ä., Pieter 161, 163 Pieter Bruegel d. J., Pieter 29

de Bry, Johann Israel 9, 28–30, 32, 41, 46, 48f, 51, 55f, 211, 223 de Bry, Johann Theodor 9, 11, 28–30, 32, 41, 45–49, 51, 53–58, 172, 211, 223 de Bry, Theodor 9, 11, 13f, 16f, 27–32, 39–49, 53, 55, 165 Bucher, Bernadette 10, 238 von Beza, Theodor 194 Burghartz, Susanna 12–14, 43, 112 Burgkmair d.Ä., Hans 228 Butler, Judith 97 Calvin, Johannes 54, 194, 214 Camerarius d. J., Joachim 47 Cavendish, Thomas 173 Chaunu, Pierre 80 Christadler, Maike 11, 148, 228, 239f Claesz, Cornelis 52, 61, 67–69, 170, 172f, 177, 217–220, 222f, 225, 230, 234, 242, 253 Clusius, Carolus 46f, 51, 171 Michiel Colijn, Michiel 227 Connell, Robert W. 126 Cranach d. Ä., Lucas 132 Cryseus, Johann 200 Dapper, Olfert 245 Dee, John 171 Delaune, Étienne 29 Deleuze, Gilles 180 Delumeau, Jean 200 Dharampal-Frick, Gita 14 van Dillen, J.G. 62 Dietz, Alexander 41 Personenregister  |

285

van Doetecum, Baptista 177 Drake, Francis 44, 173 Duchet, Michele 10 Eckenthaler, Hans 49, 56 Esslinger, Katharina 28 Fabry, Wilhelm 48 Feyerabend , Sigmund 40, 42f, 48, 201, 238 Ficino, Marsilio 210 Fine, Oronce 171 Finoglio, Paolo 132 Fisch, Jörg 119 Fitzer, William 49, 57f, 181, 253 Fludd, Robert 57, 210–212 Foucault, Michel 116, 169, 251 Freher, Marquard 48 Franck, Sebastian 42, 204 Friderich, Matthäus 200 Frübis, Hildegard 19 Galle, Philipp 30f, 41 Gaudio, Michael 12 Goedde, Lawrence 160f Goldast, Melchior 48 Greenblatt, Stephen 12, 18f Greve, Anna 11, 16, 23f, 45 Grien, Hans Baldung 130f, 134, 240 Grimm, Heinrich 201 van Groesen, Michiel 11–14, 23f, 29, 31f, 41, 46, 53, 55, 147, 172, 185 de Groot (Grotius), Hugo 174 de Grootenhuis, Arent 65 Grossius, Johannes 181 Gruterus, Janus 46f Guarinonius, Hippolitus 21 Guattari, Felix 180 van der Haghen, Steven 176 Hakluyt, Richard 43f Hammer-Tugendhat, Daniel 132f Han, Weigand 42 Harriot, Thomas 43f Hasseler, Pieter 65

286 |  Personenregister

Sir Hatton, Christopher 32 Herlitz, David 237 von Hessen-Kassel, Landgraf Moritz 211 van der Heyden, Marsilius 30, 41 Hildebrand, Johann 237 Hoefnagel, Joris 30 von der Hoijken, Balthasar 41 Hooftman, Gillis 171 Hondius, Jodocus 32, 173 de Houtman, Cornelis 67–69, 72, 90f, 93, 96, 151, 177, 219, 227, de Houtman, Frederick 67 van Houtte, J.A. 61 Hudde, Hendrik 65 Hulsius, Bartholomäus 165 Hulsius, Levinus 16, 52f, 56, 67, 69, 165, 187, 217, 220, 229, 244, 253 I. Israel, Jonathan 62 Jennis, Lucas d. J. 56, 211 de Jode, Gerard 30 de Jonghe, Clement 227 Kaerius, Peter 163 Keazor, Henry 11, 39 Kempener, Jakob 42 Kempffer, Erasmus 49 van Kessel, Jan 29 Kessler, Franz 48 Koberger, Anton 33 de König, Maria 41 Kolb, Peter 246 Koseleck, Reinhart 213 Langenes, Barent 69, 229 de Laudonnière, René 44 Laurensz, Hendrick 57, 172 Lauterbach, Konrad 35 Lodewycksz, Willem 69, 82, 142, 177, 230f, 233 Léry, Jean 44 Lesger, Clé 62, 66f C. van Leur, Job 78

van Linschoten, Jan Huyghen 10f, 15, 48, 51, 68f, 87, 89, 91, 159, 170, 172f, 205, 223, 234, 236 Lonicer, Hans Adam 46, 48f Lopez, Eduardo 10, 15, 48, 183 Lübbecke, Fried 33, 37 Luther, Martin 194, 197f, 200, 214 Mahlke, Kirsten 185 von Mandelslo, Johann Albrecht 236 Mannheim, Karl 18 Mansion, Colard 31 Massys d. J., Quentin 30, 41 Meier, Michael 210f Mercator, Gerhard 171, 173 Merian, Matthäus 45, 56–58, 165 van der Meulen, Daniel 67 de Meung, Jean 125 Meyer, Daniel 48 della Mirandola, Giovanni Pico 210 de Momper, Joos 162 Moretus, Jan 56 de Moucheron, Balthasar 173 Le Moyne, Jaques 44, 48 Münster, Sebastian 205 Musculus, Andreas 201 Nagel, Jürgen 75 von Nassau, Moritz 174 van Neck, Jacob 91, 93, 96, 170 Neuber, Wolfgang 185 Niehr, Klaus 20 Ortelius, Abraham 30, 148, 170f van Os, Dierck 65, 173 Paludanus, Bernardus 50f, 126 Pauw, Reinier 65 Petersz. Pers, Dirck 57, 172 Perret, Jaques 48 Petri, Johan 33 von der Pfalz, Friedrich IV. 47, 48, 55, 57 Pigafetta, Filippo 10, 48 de Pizan, Christine 125 Plancius, Petrus 65, 67, 170, 172f, 175f, 231

Plantin, Christoph 30–32, 40, 173 della Porta, Giambattista 209 Rab, Georg 42 Raimondi, Marcantonio 132 Sir Raleigh, Walter 43 Raphelengius, Franciscus 30f, 44, 48 Rasch, Johann 42 Reid, Anthony 78 Rembrandt 132, 134, 227 Richter, Wolfgang 49 Roesslin, Eucharius 237f Rölinger, Katharina 28 Rölinger, Hans 28 Romano, Guilio 132 Rondelet, Guillaume 47 von Rotterdam, Erasmus 35 Rubens, Peter Paul 29 Rüff, Jakob 237f Rutlinger, Johannes 32 Ryther, Augustine 32 Sadeler, Jakob 40 Sartorius, David 40 Schama, Simon 159 Schenck von Grafenberg, Johann Georg 48 Schmidel, Ulrich 187 Schönwetter, Johann Theobald 49 Schülting, Sabine 115 Schütz, Johan 29 Scribner, Robert 202, 214, 252 Simon, Manuel 237f Solis, Virgil 42 Soreau, Simon 41 Soreau, Daniel 41 Spinola, Ambrosio 57 Springer, Balthasar 228 Staden, Hans 44 Steffen-Schrade, Jutta 16 Swynheim, Konrad 31 Teixeira, Luis 170 Tempesta, Antonio 132 Personenregister  |

287

Varthema, Ludovico 204f Verken, Johann 52, 173 Vermeer, Jan 173, 224 Vico, Enea 148 Vives, Juan Luis 122 de Vos, Maarten 30 de Vries, Jan 62 Vroom, Hendrick Cornelisz 163 Waghenaer, Lucas 32 von Wallhausen, Johann Jakob 47 Warncke, Carsten-Peter 20

288 |  Personenregister

Warwick, Wybrant 90, 93, 170 Wettengl, Kurt 38 White, John 43, 48 Willer, Georg 36 Wimböck, Gabriele 21 Wittich, Johann 237 van der Woude, Ad 62 Ziegenbalg, Bartholomäus 189 Zincgreff, Julius Wilhelm 164f Zöpfel, David 42 Zülch, Walther Karl 29, 43

MORITZ VON BRESCIUS, FRIEDERIKE KAISER, STEPHANIE KLEIDT (HG.)

ÜBER DEN HIMALAYA DIE EXPEDITION DER BRÜDER SCHLAGINTWEIT NACH INDIEN UND ZENTRALASIEN 1854 BIS 1858

Die Geografen Hermann und Robert Schlagintweit sowie der Geologe Adolph Schlagintweit zählen zu den ersten deutschen Wissenschaftlern, die den Himalaya und das Karakorum-Gebirge erforschten. Einige Gebiete dieser damals weithin noch unerschlossenen Gebirgsregionen betraten sie als erste Europäer überhaupt. Die Expedition war von Alexander v. Humboldt angeregt und durch die britische Ostindien-Kompanie sowie den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. finanziert worden. Diese Konstellation erwies sich als konfliktreich. Die Entdeckungsreisenden sahen sich der universalwissenschaftlichen Naturforschung Humboldts verpflichtet – aber auch den politischen und wirtschaftlichen Interessen ihrer britischen Auftraggeber. Dies und der unterschiedliche Wissensstand über Asien in Großbritannien und dem restlichen Europa sorgten für kontroverse Bewertungen der Expedition, die zwischen einer Glorifi zierung der Brüder als herausragender Entdecker und ihrer kompletten Ablehnung schwankten. 2015. 388 S. 248 FARB. U. S/W-ABB. GB. 210 X 275 MM. ISBN 978-3-412-22493-6

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

BOŽIDAR JEZERNIK

DAS WILDE EUROPA DER BALKAN IN DEN AUGEN WESTLICHER REISENDER (ZUR KUNDE SÜDOSTEUROPAS, BAND II/42)

Wie wurde der Balkan von westeuropäischen Reisenden und Experten von der Mitte des 16. bis zum späten 20. Jahrhundert wahrgenommen? Viele von ihnen verstanden die Region als Teil Asiens und trachteten dementsprechend danach, die Zeitgenossen über die dort herrschenden ,exotischen‘‚ ‚seltsamen‘ und ‚primitiven‘ Sitten zu informieren. Božidar Jezernik untersucht über tausend Originalberichte und vergleicht Schilderungen in einem Zeitraum von beinahe einem halben Jahrtausend. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die über die Jahrhunderte tradierten Eindrücke in vielerlei Hinsicht mehr über Westeuropa aussagen als über die bereisten Länder und Völker. 2016. 328 S. 43 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-79674-9

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

er ist außerplanmäßige Professorin und Leiterin des der Christian Albrechts Universität zu Kiel. Sie betreibt ng zu Emotionswissen und ­praktiken in China und onferenzen zu diesen Themen. Sie ist Mitherausgeberin Economic and Social History of the Orient« (JESHO).

B N 978 -3 - 412- 503 48 -2 | W W W.BO EH L AU -V ERL AG .CO M

Angelika C. Messner

n Werken des 17. Jahrhundert figurieren Gefühle als otwendiger Ausdruck menschlichen Seins. Die For­ vom »Kult der Emotionen« oder von einer »romanti­ die für die Emanzipation durch Gefühle und für Sub­ Auch wenn sich dieser Vergleich mit der europäischen , verrät er dennoch nichts über die Emotionspraktiken ts in China. Die vorliegende Studie erschließt bis dato uellenmaterial und macht die unterschiedlichen Wis­ sche, philosophische und medizinische – für eine Ge­ e in China lesbar.

Gestaltungen nur bis zur Mitte des Gelenks

ZIRKULIERENDE LEIDENSCHAFT

51 + 8 + 18 + 8 + 151 + 15 x 15 + 2,5 + 230 + 2,5 + 15 mm, Gelenk: 8 mm

Angelika C. Messner

ZIRKULIERENDE LEIDENSCHAFT Eine Geschichte der Gefühle im China des 17. Jahrhunderts

ANGELIKA C. MESSNER

ZIRKULIERENDE LEIDENSCHAFT EINE GESCHICHTE DER GEFÜHLE IM CHINA DES 17. JAHRHUNDERTS

In den literarischen Werken des 17. Jahrhunderts figurieren Gefühle als natürlicher und notwendiger Ausdruck menschlichen Seins. Die Forschung spricht hier vom „Kult der Emotionen“ oder von einer „romantischen“ Bewegung, die für die Emanzipation durch Gefühle und für Subjektivismus stehe. Auch wenn sich dieser Vergleich mit der europäischen Auf klärung anbietet, verrät er dennoch nichts über die Emotionspraktiken des 17. Jahrhunderts in China. Die vorliegende Studie erschließt bis dato unzugängliches Quellenmaterial und macht die unterschiedlichen Wissensräume – literarische, philosophische und medizinische – für eine Geschichte der Gefühle in China lesbar. 2016. 336 S. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-50348-2

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar