Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR: Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses [1 ed.] 9783428436347, 9783428036349

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Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR: Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses [1 ed.]
 9783428436347, 9783428036349

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JOSEF FOSCHEPOTH Reformation und Bauernkrieg i m Geschichtsbild der DDR

Historische

Forschungen

Band 10

Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses

Von Dr. Josef Foschepoth

DUNCKER & HUMBLOT

/

BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Foschepoth, Josef Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR: zur Methodologie e. gewandelten Geschichtsverhältnisses. — 1. Aufl. — Berlin: Duncker und Humblot, 1976. (Historische Forschungen; Bd. 10) I S B N 3-428-03634-4

Dβ Alle Rechte vorbehalten © 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 03634 4

Für Anne

0. Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde am 24. Januar 1975 von der Philosophischen Fakultät der Universität Münster unter dem Titel »Reformation und Bauernkrieg i m Geschichtsbild der DDR. Ein Beitrag zur Methodologie der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft' als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde der Untertitel i n ,Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses' abgeändert. Dem lag die Absicht zugrunde, bereits i m Titel die zentrale These der Arbeit deutlicher zum Ausdruck zu bringen, wonach 1. das Geschichtsbild von Reformation und Bauernkrieg i n der DDR deutliche und bedeutsame Veränderungen erfahren hat, 2. diese Veränderungen als Indiz für einen generellen Wandel des marxistisch-leninistischen Geschichtsverständnisses gewertet werden können und 3. dieses gewandelte Geschichtsverständnis nur vor dem Hintergrund politisch-sozialer Veränderungen i n der DDR angemessen interpretiert werden kann. Die Analyse des Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg i n der DDR gehört zweifelsohne i n die Rubrik ,Geschichte der Geschichtsschreibung'. Insofern sie allerdings von dem Selbstverständnis der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft ihren Ausgang nimmt, die Theoriediskussion zur historischen Einschätzung und Bedeutung von Reformation und Bauernkrieg verfolgt, diese i n ihren politisch-gesellschaftlichen Bezügen reflektiert und die Resultate i m H i n blick auf Veränderungen i n der politisch-sozialen Funktion der DDRGeschichtswissenschaft interpretiert, zielt diese Untersuchung über eine rein ideengeschichtliche Analyse hinaus. Wenn die Marxisten-Leninisten 1 unter Methodologie „die Lehre von den Methoden zur Erkenntnis und Veränderung der Wirklichkeit" 2 verstehen, so schließt die 1 Als Marxisten-Leninisten werden in dieser Arbeit allgemein die Historiker wie die übrigen Wissenschaftler in der DDR bezeichnet, insofern sie sich der marxistisch-leninistischen Philosophie und Weltanschauung verpflichtet fühlen. Marxismus-Leninismus ist laut Klaus ! Buhr (1969) Philosophisches Wörterbuch: „das einheitliche, in sich geschlossene System der wissenschaftlichen Theorien von Marx, Engels und Lenin, die wissenschaftliche Theorie der Arbeiterklasse, des Sozialismus und Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus gliedert sich in den dialektischen und historischen Materialismus — die Philosophie des Marxismus-Leninismus —, die politische Ökonomie sowie den wissenschaftlichen Kommunismus". (S. 671/672). 2 Brendler (1972) Prinzip Parteilichkeit, S. 281.

8

0 Vorwort

Analyse des Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg als Problem der marxistisch-leninistischen Geschichtsmethodologie notwendigerweise ein Stück Gesellschaftsgeschichte der DDR m i t ein 3 . Überhaupt läßt sich die Entwicklung eines bestimmten Geschichtsbildes nicht adäquat erfassen, wenn man nicht die Motivation derjenigen ergründet, die ein solches Geschichtsbild produzieren. So verwundert es nicht, daß Vertreter der Arbeiterbewegung, marxistische Historiker und Philosophen von Engels über Lasalle, Bebel, Kautsky und Mehring bis hin zu Bloch und Lukâcs besonderes Interesse für den deutschen Bauernkrieg und dessen herausragende Gestalten Luther und Müntzer aufwendeten und i n den Bauern Vorkämpfer für eine ausbeutungsfreie und gerechte Gesellschaftsordnung erblickten 4 . Gleichzeitig kamen bürgerliche Historiker verständlicherweise zu einer anderen Sicht der Dinge. So urteilte 1928 etwa G. Ritter über Thomas Müntzer: dieser habe „ i n der Anarchie aller historischen Werte, die nach dem großen Zusammenbruch von 1918 viele Köpfe verwirrte, eine A r t Renaissance erlebt" und sei von den „religiös-sozialen Anarchisten und bolschewistisch gestimmten Anhänger(n) des zuchtlosen russischen Prophetismus" als wahrer Volksmann auf den Schild gehoben worden 5 . Selbstverständlich läßt sich auch die heutige Geschichtsschreibung nicht aus dem politischen Alltagsgeschäft herauslösen, zumal dann nicht, wenn es sich u m einen nach wie vor so brisanten Forschungsgegenstand wie die DDR handelt. So w i r d von einigen Wissenschaftlern zumindest immer wieder darauf hingewiesen, daß die Geschichtsschreibung der DDR wissenschaftlich i m Grunde wertlos sei, da sie nichts anderes als eine ideologische Hilfstruppe der SED-Politik sei, deren vorrangiges Ziel ja nur der „Sturz der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Ordnung i n der Bundesrepublik" 6 sei. Solchen Meinungen, die nicht selten noch mit dem Anspruch auf wissenschaft3 Dieses gilt um so mehr als die marxistisch-leninistischen Historiker durch ihre Arbeit die jeweilige Gegenwart nicht nur erkennen und verändern wollen, sondern diese auch als Maßstab für die Richtigkeit ihrer Aussagen annehmen. Vgl. Brendler (1972) Prinzip Parteilichkeit: „Die Wirklichkeit, mit der das Geschichtsbild als Ganzes zum Zwecke der Uberprüfung seiner Stichhaltigkeit konfrontiert werden kann, ist nicht die der Vergangenheit, sondern die der Gegenwart." (S. 288). 4 Zur Entwicklung des altmarxistischen Bauernkriegs- und Müntzerbildes vgl. Friesen (1965) Müntzer in Marxist Thought, sowie ders. (1974) Reformation and Utopia, Ebert (1973) Theologie und politisches Handeln, bes. S. 29 ff. sowie Lohse (1972) Müntzer in marxistischer Sicht. Vgl. auch Lohse (1970) Auf dem Wege zu einem neuen Müntzer-Bild. 5 Ritter, G., Rezension zu J. Zimmermann, Thomas Münzer. Ein deutsches Schicksal, Berlin 1925, in: Deutsche Literaturzeitung 1928, Sp. 869-871, hier S. 870. 6 Treue, W., Mason, Czichon und die historische Wahrheit, in: aus politik und Zeitgeschichte, beilage zur wochenzeitung das Parlament 20 (1972), S. 45.

0 Vorwort

liehe Objektivität vorgetragen werden, ist entgegenzuhalten, daß ohne Verzicht auf derartige spekulative Theorien der Weg zu einem realistischen und — wenn man so w i l l — objektiven B i l d der DDR sowie der tatsächlichen Leistungen und Schwächen der dortigen Geschichtswissenschaft gar nicht erst beschritten werden kann. Darüber hinaus dürfte gerade die Konfrontation mit solchen dem eigenen Wissenschaftsverständnis fremden Wissenssystemen die Tragfähigkeit eigener Positionen überprüfen und deren Präzisierung fördern helfen, m i t h i n dem allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt von erheblichem Nutzen sein. Es ist hier noch darauf hinzuweisen, daß das Manuskript bereits i m Oktober 1974 abgeschlossen, für die Veröffentlichung allerdings stilistisch und zur Präzisierung des Gedankenganges an manchen Stellen geringfügig überarbeitet wurde. Da i m Jahre 1975, i n dem sich das Ende des deutschen Bauernkrieges zum 450. Male jährte, zahlreiche Aufsätze und Schriften zu unserm Thema erschienen sind, diese jedoch zu einer Infragestellung des methodischen Verfahrens oder der Ergebnisse dieser Untersuchung keinen Anlaß gegeben haben, genügt es, auf einige wichtige Publikationen des letzten Jahres hinzuweisen, ohne auf sie näher eingehen zu müssen 7 . Zur Zitationsweise sei bemerkt, daß i n den Anmerkungen sämtliche Titel i n abgekürzter, zumeist die Hauptstichworte der jeweiligen Überschriften aufgreifender Form zitiert werden. A u f nähere Angaben über den Erscheinungsort w i r d verzichtet, da sie dem Literaturverzeichnis 7

Den neuesten Stand der Literatur verzeichnen Kopitsch, F. / Wohlfeil, R., Neue Forschungen zur Geschichte des Deutschen Bauernkrieges, in: Wehler, H.-U. (Hrsg.), Der Deutsche Bauernkrieg 1524 - 1526, ( = Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, Sonderheft 1), Göttingen 1975, S. 301 -354; vgl. ferner Wohlfeil, R. (Hrsg.), Der Bauernkrieg 1524- 1526. Bauernkrieg und Reformation, München 1975; Blickle, P. (Hrsg.), Revolte und Revolution in Europa, München 1975 ( = Historische Zeitschrift, Beiheft 4, N. F.). I n der DDR erschienen u.a.: Laube, A. / Steinmetz, M. / Vogler, G., Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974; Heitz, G. / Laube, A. / Steinmetz, M. / Vogler, G. (Hrsg.), Der Bauer im Klassenkampf. Studien zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges und der bäuerlichen Klassenkämpfe im Spätfeudalismus, Berlin 1975; Klassenkampf Tradition Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Grundriß, Berlin 1974; Bartel, H., Der deutsche Bauernkrieg in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung, in: ZfG 23 (1975), S. 133-151; Steinmetz, M., Der geschichtliche Platz des deutschen Bauernkrieges, in: ZfG 23 (1975), S. 253-270; Steinmetz, M., Thomas Müntzer in der Forschung der Gegenwart, in: ZfG 23 (1975), S. 666 - 685. Außerdem konnten nicht berücksichtigt werden: Koch, E., Wandlungen im marxistischen Bild von der Reformation, in: Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen 21 (1968), S. 92 - 102; Koch, E., Zwingli, Calvin und der Calvinismus im Geschichtsbild des Marxismus, in: Zwingliana X I V , Heft 2/3 (1974/75), S. 6 1 - 8 8 — Titel, auf die mich erst kürzlich M. Steinmetz freundlicherweise aufmerksam machte.

10

0 Vorwort

zu entnehmen sind. Lediglich bei mehrfach veröffentlichten Schriften w i r d zusätzlich darauf verwiesen, nach welcher Publikation zitiert wird, so z.B. Steinmetz (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972). W i r d aus Schriften der Klassiker des Marxismus-Leninismus zitiert, so w i r d jeweils der vollständige Titel der zitierten Schrift i n den Anmerkungen aufgeführt, da i m Literaturverzeichnis nicht die einzelnen Schriften, sondern lediglich die Gesamtausgaben angeführt werden. Den allgemein üblichen Kürzeln entsprechend, werden die Gesamtausgaben wie folgt zitiert: Marx-Engels Werke = MEW, Lenin Werke = LW, Stalin Werke = SW. Wortabkürzungen werden i n der Regel nicht vorgenommen, mit Ausnahme der i n Überschriften zahlreicher Beiträge vorkommenden Begriffe Reformation und Bauernkrieg, abgekürzt Ref. u. Bk. sowie frühbürgerliche Revolution, abgekürzt fb. bzw. Fb. Rev. Schließlich möchte ich noch die Namen der Professoren erwähnen, i n deren Seminare und Kolloquien ich i m Laufe meines Studiums wertvolle Impulse erhielt. I n der ersten „methodisch-handwerklichen" Phase meines Studiums studierte ich vor allem bei den Professoren Stoob und Morsey. Bei den Professoren Mannzmann, Theuerkauf und Lengsfeld befaßte ich mich in der zweiten Phase des Studiums besonders mit Wissenschafts- und geschichtstheoretischen Problemen. Den Professoren Theuerkauf und Greschat habe ich für die Betreuung meiner Dissertation besonders zu danken. Danken möchte ich auch der Universität Münster, die die Kosten für die Veröffentlichung dieser Arbeit mitgetragen hat. Den größten Dank schulde ich indes meiner Frau, deren verständnisvolle Unterstützung die Fertigstellung meiner Dissertation erheblich erleichtert und beschleunigt hat. Ihr möchte ich diese Arbeit widmen.

Inhaltsübersicht 0

Vorwort

1.0

Voraussetzungen: Zu den methodologischen Grundlagen von Forschungsansatz und Forschungsgegenstand

13

1.1

Erkenntnisinteressen

14

1.2

Parteilichkeit und Objektivität

24

1.3

Methode und methodische Schritte

30

2.0

Problemstellung: Revolution

33

2.1

Begriff und Periodisierung

33

2.2

Grundlagen der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie

39

2.3

Reformation und Bauernkrieg in der Sicht sowjetischer Historiker

46

3.0

Theoriegeschichte: Von der national-materialistischen zur welthistorisch-dialektischen Interpretation der frühbürgerlichen Revolution

52

Ökonomismus und nationalgeschichtliche Beginn der 1960er Jahre

52

3.1

7

Reformation und Bauernkrieg als frühbürgerliche

Betrachtungsweise

zu

3.1.1 Feudalismus/Kapitalismus-Konflikt als Ursache der Revolution

54

3.1.2 Herstellung der nationalen Einheit und Beseitigung des Feudalsystems als Aufgaben der Revolution

57

3.2

Revolutionshistorische Stufentheorie und universalgeschichtliche Betrachtungsweise seit Mitte der 1960er Jahre

62

3.2.1 Frühbürgerliche Revolution und die Theorie des stuf en weisen Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus

63

3.2.2 Beseitigung feudalen Bewußtseins bürgerlichen Revolution

67

als Hauptaufgabe

der

früh-

3.3

Die Rolle des Bürgertums und das Problem des revolutionären Subjekts in der frühbürgerlichen Revolution

70

3.4

Die Bedeutung Thomas Müntzers für den Reifegrad des subjektiven Faktors

80

3.4.1 Ideologe und Programmatiker

81

3.4.2 Propagandist und Agitator

86

3.4.3 Organisator und Führer

90

12

Inhaltsübersicht

4.0

Folgerungen: Vom politisch-sozialen zum ideologischen Charakter der frühbürgerlichen Revolution

4.1

Wandel des Funktionswertes von Reformation und Bauernkrieg innerhalb der frühbürgerlichen Revolution 100

4.2

Vom Scheitern der Revolution an der Theologie zum Erfolg der Revolution durch die Theologie 102

4.3

Vom Dualismus zur dialektischen Einheit oder der Wandel des Luther- und Müntzerbildes 105

4.4.

Wandel der marxistisch-leninistischen Geschichtsmethodologie

99

113

5.0

Ideologiegeschichte: Vom nationalen Geschichtsbild der deutschen Arbeiterklasse zum sozialistischen Geschichtsbewußtsein des D D R Volkes 116

5.1

Spaltung der Nation und die nationale Konzeption der SED

5.2

Die historische Legitimität der D D R und die Legitimationsfunktion der Geschichtswissenschaft 123

5.3

Aufbau des Sozialismus und wissenschaftlich-technische Revolution 128

5.4

Produktivkraft Mensch und die Motivationsfunktion der Geschichtswissenschaft 133

6

Zusammenfassung und Ergebnisse

145

Literaturverzeichnis

152

117

1.0 Voraussetzungen Zu den methodologischen Grundlagen von Forschungsansatz und Forschungsgegenstand Möchte man zwischen dem Wissenschaftsverständnis, von dem diese Untersuchung ausgeht, und dem der marxistisch-leninistischen Historiker eine A r t Minimalkonsens herstellen, so könnte dies m i t dem H i n weis auf die generelle Standortgebundenheit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis geschehen. Gemeinsam ist demnach die Vorstellung, daß bestimmte durch die jeweilige Gegenwart geprägte und durch die Sozialisation des Wissenschaftlers vermittelte außerwissenschaftliche Interessen für den Forschungsprozeß von konstitutiver Bedeutung sind, insofern sie Fragestellung und Thema und damit den Gegenstand der Forschung entscheidend mitbestimmen. Die methodologischen Konsequenzen, die sich aus dieser Einsicht ergeben, unterscheiden die beiden Wissenschaftskonzeptionen indes beträchtlich. Die Unterschiede bestehen i m wesentlichen darin, daß auf der einen Seite aus der faktischen Abhängigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis von außerwissenschaftlichen Faktoren die Forderung hergeleitet wird, diesen Zusammenhang von Erkenntnis und Interesse i n den wissenschaftlichen Reflexionsprozeß miteinzubeziehen und die eigenen Erkenntnisinteressen zu thematisieren, u m diese intersubjektiver Kontrolle und K r i t i k zu öffnen. A u f der anderen Seite meinen die Marxisten-Leninisten die aus der Abhängigkeit von Wissenschaft und Politik sich ergebenden wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Probleme nur dadurch lösen zu können, daß sie sich auf den Standpunkt einer bestimmten, nämlich — wie sie sagen — der allein richtigen, weil m i t den Gesetzmäßigkeiten des gesellschaftlichen Fortschritts übereinstimmenden politischen Praxis der Arbeiterklasse stellen. Methodologische Konsequenz ist das Prinzip der Parteilichkeit, welches als entscheidende Voraussetzung für objektive Wahrheitsfindung gilt. I n dem einleitenden Kapitel werde ich daher zunächst die Aufmerksamkeit auf die Frage des Zusammenhangs von Erkenntnis und Interesse bei der Untersuchung eines Gegenstandes, der sich i n den allgemeinen Bereich ,DDR-Forschung 4 einordnen läßt, sodann auf die Frage des Verhältnisses von Parteilichkeit und Objektivität i m MarxismusLeninismus richten. Erläuterungen zur Methode und zu den einzelnen

14

1.0 Voraussetzungen

methodischen Schritten der vorliegenden Untersuchung beschließen dann i n einem dritten Abschnitt die Überlegungen zu den methodologischen Voraussetzungen von Forschungsansatz und -gegenständ. 1.1 Erkenntnisinteressen Die Forderung nach Thematisierung der Erkenntnisinteressen, nach Klärung der Bezüge zwischen gegenwärtig motivierter Fragestellung und Erkenntnis, scheint ebenso plausibel wie notwendig zu sein, wenn man bedenkt, daß historische Erkenntnis stets „selektiv" ist und sich „unter variierenden, wenn auch nicht beliebigen Gesichtspunkten (vollzieht), die von den Wertungen und praktisch vermittelten Interessen der einzelnen Forscher und ihrer Bezugsgruppen bestimmt sind" 8 . Vergangenheit ist nur i m Horizont der Gegenwart 9 rekonstruierbar, eine unmittelbare Gegenüberstellung von erkennendem Subjekt und Erkenntnisobjekt zwecks experimenteller Überprüfung des Wahrheitsgehaltes von Aussagen über einen bestimmten Forschungsgegenstand nicht möglich, eine Differenz zwischen erkennendem Subjekt und Erkenntnisobjekt demnach offenkundig. Bleibt diese Differenz außeracht, so führt dies notwendig zu subjektivistisch bzw. objektivistisch verzerrten Perspektiven, sei es, daß man — wie i m Falle des Historismus — davon ausgeht, Geschichte lasse sich gleichsam nur durch die Flucht aus der Gegenwart, durch ein verstehendes Hineinversetzen und Einfühlen i n eine vergangene Gegenwart, aus sich selbst heraus also erfassen und objektiv darstellen 10 , sei es, daß man — wie i m Fall des Historischen Materialismus — die Gegenwart, und zwar die von der marxistisch-leninistischen Partei als Resultat objektiver historischer Gesetzmäßigkeiten interpretierte Gegenwart, zum entscheidenden Wahrheitskriterium historischer Erkenntnis erhebt 1 1 . 8 Kocka (1972) Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Sp. 29. Grundlegend hierzu und zum Folgenden Habermas (1968) Erkenntnis und Interesse. Als erste Auseinandersetzung seitens der Historiker mit Habermas vgl. F ab er (1971) Theorie der Geschichtswissenschaft, bes. S. 183 ff. „Kein Historiker beharrt auf der Illusion, er könne Geschichte interesselos, gleichsam wie eine photographische Platte registrieren . . . " (S. 199). 9 Unter Gegenwart ist hier zu verstehen, um eine Formulierung von Wehler (1972) Geschichte und Soziologie, aufzugreifen, „eine eigenartige M i schung von Kräften und Erfahrungen der Vergangenheit einerseits und Erwartungen andererseits, die auf der Verlängerung bestimmter historischer Trends in die Zukunft hinein beruhen". (S. 15). 10 Vgl. Mommsen (2/1972) Geschichtswissenschaft, sowie Iggers (1971) Deutsche Geschichtswissenschaft. 11 Vgl. Brendler (1972) Prinzip Parteilichkeit: „Mit dem Sieg der großen sozialistischen Oktoberrevolution in Rußland und dem Aufbau des Sozialismus ist der Marxismus-Leninismus und mit ihm der historische Materialismus in seinen Grundzügen vom Kriterium der Praxis bestätigt worden. . . . Er ist damit i m Prinzip unwiderlegbar geworden." (S. 290).

Erkenntnisinteressen

15

Gehen die Historisten also davon aus, sich mittels intuitiv-individualisierender Methoden gegenwärtigen Wertbezügen entziehen und dadurch dem angestrebten Erkenntnisideal nach objektiver Wahrheit entsprechen zu können, erklären die Marxisten-Leninisten kurzerhand ein vom Standpunkt einer bestimmten Klasse aus definiertes Interesse für objektiv wahrheitsfähig. Historisten und Historischen Materialisten ist demnach die Vorstellung gemeinsam, daß Vergangenheit objektiv rekonstruierbar und darstellbar ist, sofern man sich nur der entsprechenden historischen Methoden bzw. der vom Historischen und Dialektischen Materialismus bereitgestellten theoretischen und methodischen Möglichkeiten und Verfahren bediene 12 . Demgegenüber ist nun vom Standpunkt einer kritischen Geschichtswissenschaft zu fragen, welche Interessen wiederum jenem als Leitwert hingestellten Erkenntnisideal zugrundeliegen, das den Anspruch auf objektive Wahrheit stellt. Für den Historismus ist auf die Anfälligkeit hingewiesen worden, „zur Legitimation politischer Interessen, insbesondere zur Begründung nationaler Machtpolitik gebraucht" 1 3 worden zu sein. Und in der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft sichert die zum methodischen und politischen Prinzip erklärte Parteilichkeit den politisch-affirmativen Charakter historischer Forschung 14 . Nun ist hier keineswegs ein Vergleich zweier i m Grunde nicht vergleichbarer Wissenschaftskonzeptionen angestrebt. Vielmehr geht es i n erster Linie darum, sich von dem einen wie dem anderen Wissenschaftsverständnis abzusetzen und auf die Notwendigkeit hinzuweisen, sich der Voraussetzungen, Intentionen und Verwertungsmöglichkeiten historischer Forschung bewußt zu werden sowie die aus der Gegenwartsgebundenheit des erkennenden Subjekts i m Hinblick auf das 12

Dieser Auffassung neigt auch F ab er (1971) Theorie der Geschichtswissenschaft, nach wie vor zu: „Die Geschichtswissenschaft sucht sich der objektiven historischen Wahrheit durch die Verbindung von Verstehen und Methode zu nähern." (S. 129, Hervorhebungen durch mich, J. F.). Und im Hinblick auf die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft meinte Nipperdey (1967) Ref. als Problem, in: Wohlfeil (1972): „Weil die ontologische Struktur des Geschichtsprozesses rational ist, kann und muß die Geschichtswissenschaft zeigen, daß der Gang der Geschichte rational verstehbar ist, und das heißt in der marxistischen Auffassung der Rationalität, daß er aus Gründen und Ursachen verstehbar ist, daß er nachweisbaren Notwendigkeiten gehorcht." (S. 222). Objektive historische Wahrheit, — was immer man darunter verstehen mag — wird also als wünschenswert angesehen; ein Umstand, der möglicherweise die Beliebtheit des Begriffs »Historismus 4 auch unter sowjetischen Historikern erklärt, wogegen die im U r sprungsland des Historismus lebenden deutschen Marxisten-Leninisten bezeichnenderweise diese Vorliebe ihrer sowjetischen Kollegen nicht teilen. 13 Huber (1971) Friedensforschung und Geschichte, S. 300. 14 Von den sich aus dem Prinzip der Parteilichkeit ergebenden methodologischen Konsequenzen wird ausführlich weiter unten noch die Rede sein. Vgl. allgemein Negt (1969) Marxismus als Legitimationswissenschaft (Einleitung).

16

1.0 Voraussetzungen

jeweilige Erkenntnisobjekt sich ergebenden Bezüge zu artikulieren, u m sie wissenschaftlicher Reflexion, rationaler K r i t i k und intersubjektiv überprüfbarer Kontrolle auszusetzen 15 . Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus diesen Überlegungen für die vorliegende Untersuchung, die sich mit Forschungen der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR befaßt? Grundsätzlich w i r d man feststellen können, daß i n der Bundesrepublik die wissenschaftliche Beschäftigung bzw. Nichtbeschäftigung m i t der DDR i n den vergangenen 25 Jahren geradezu als ein Lehr- und Paradebeispiel für die Abhängigkeit der Forschung von außerwissenschaftlichen Interessen angesehen werden kann. So kann man sagen, daß die DDRForschung, soweit sie sich aus ihrer antimarxistischen und antikommunistischen Verkrampfung gelöst hat, genau wie der Krampf selbst, Reflex bestimmter politisch-gesellschaftlicher Bedingungen ist1®. Die Beschäftigung mit der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR hat demnach notwendigerweise die politisch-gesellschaftlichen Bezüge wissenschaftlicher Forschung zum konstitutiven Prinzip ihrer Fragestellung zu machen und dieses i n zweifacher H i n sicht: zum einen gilt es — wie bereits mehrfach betont —, die eigenen Voraussetzungen, das Verhältnis von erkennendem Subjekt und Erkenntnisobjekt i n seinen gesellschaftlichen Bedingtheiten zu reflektieren 1 7 und zum andern diesen Grundsatz auch auf die Geschichtswissenschaft der DDR selbst anzuwenden, u m den Zusammenhang von bestimmten Forschungsergebnissen, hier speziell zu Problemen der Reformation und des Bauernkriegs, und politisch-gesellschaftlichen Veränderungen i n der DDR erfassen zu können. Zur Bestimmung der eigenen Position scheint es nun angebracht zu sein, unter der Perspektive des Zusammenhangs von Erkenntnis und Interesse einige Theoriemodelle zu diskutieren, die den Anspruch er15 Damit ist die Grundposition einer sich als kritisch verstehenden Geschichtswissenschaft umschrieben. Denn — wie Oelbers / Riemer (1974) Begründung einer kritischen Geschichtswissenschaft, bemerkten — muß eine kritische Geschichtswissenschaft, um der Gefahr der Ideologisierung begegnen zu können, „jederzeit dazu bereit und in der Lage sein, die Methoden der Kritik auch gegenüber sich selbst und der gegenwärtigen Gesellschaft, aus der heraus sie ihr Geschäft betreibt, anzuwenden oder anwenden zu lassen". (S. 100). Erkenntnisse, Theoriebildungen etc. erhalten nicht dadurch einen höheren Grad an Wahrheitsfähigkeit, daß man für sie den Anspruch auf objektive Wahrheit stellt, sondern allein dadurch, daß man sie „argumentativer Begründung zugänglich" (S. 118) macht. Zum Entwurf einer kritischen Geschichtswissenschaft vgl. auch Gr oh (1973) Kritische Geschichtswissenschaft. 16 Vgl. die Diskussion „Aufgaben und Ziele der DDR-Forschung heute", die im Deutschland Archiv, Zeitschrift für Fragen der DDR und der Deutschlandpolitik, 6 (1973), in den Heften 5 - 1 0 geführt wurde. 17 Diese Notwendigkeit betont auch Burrichter (1969) Theorie der D D R Gesellschaft, S. 699f.

Erkenntnisinteressen

17

heben bzw. erhoben haben, zur Beschreibung und Analyse sozialistischer Gesellschaftssysteme geeignet zu sein. Freilich kann es dabei an dieser Stelle weder u m eine erschöpfende Darstellung noch um eine ausgewogene K r i t i k derartiger Theorien gehen. Vielmehr ist es die Absicht, anhand einer groben Skizzierung und kurzen ideologiekritischen Analyse der Totalitarismus-, Konvergenz- und Systemtheorie — Theorien, die lange Zeit breite Zustimmung und Anerkennung gefunden haben bzw. noch finden — eben jenen Zusammenhang von Erkenntnis und Interesse beispielhaft aufzuzeigen. Es geht also m i t anderen Worten einfach darum, die jeweiligen außerwissenschaftlichen Voraussetzungen jener Theorien und damit jener Wissenschaftler, die der einen oder anderen Theorie mehr oder weniger bewußt oder unbewußt anhängen, offenzulegen. Die K r i t i k an der Totalitarismusund Konvergenztheorie sowie die Verdeutlichung der Vorzüge einer vom Systemdenken geleiteten DDK-Forschung vermögen sodann die Umrisse jener Position erkennen lassen, von der hier ausgegangen wird. Dem ideologiekritischen Verfahren liegen folgende Kriterien grunde 1 8 :

zu-

1. Realitätsbezug: Was w i r d von der jeweiligen Theorie als Realität begriffen, analysiert bzw. außer acht gelassen? 2. Praxisbezug: Welche Handlungsziele, welche Interessen werden i n bezug auf die menschliche Tätigkeit (Praxis) deutlich? 3. Wertbezug: Werden die gesellschaftlich und subjektiv bedingten Erkenntnisinteressen, w i r d die Wertgebundenheit der Theorie reflektiert? 4. Ideologiehaftigkeit: Inwieweit setzt sich die jeweilige Theorie dadurch dem Ideologieverdacht aus, daß sie den Realitäts-PraxisWertbezug unterschlägt und nicht reflektiert? Wenden w i r uns zunächst der Totalitarismus-Theorie zu. Das Wort Totalitarismus hat eine vielfältige Entwicklung durchgemacht, die i m einzelnen hier nachzuzeichnen nicht möglich ist. I m Anschluß an Jänicke lassen sich drei wesentliche Varianten des Begriffs unterscheiden. Es sind dies: „1. der am Faschismus, orientierte, 2. der i d e n t i f i zierende' bzw. ,analogisierende' Totalitarismus-Begriff, der auf das sowjetische System übertragen und zum Instrument typologischer Gleichsetzung umgeformt wird, sowie 3. der am Kommunismus orientierte Totalitarismus-Begriff 1 9 . " 18

Vgl. Narr (2/1969) Theoriebegriffe, S. 32 ff. Jänicke (1971) Totalitäre Herrschaft, S. 126. Diese Studie ist zweifelsohne die z. Zt. beste Untersuchung zur geschichtlichen Entwicklung des Totalitarismus-Begriffs. Zur allgemeinen Orientierung sei ferner auf den 19

2 Foschepoth

18

1.0 Voraussetzungen

Bereits zu Beginn der 1930er Jahre wurde der auf Mussolini zurückgehende Begriff des Totalitären vereinzelt synonym zur Beschreibung faschistischer und bolschewistischer Herrschaft verwendet. Der HitlerStalin-Pakt wie die stalinistische Diktatur überhaupt begünstigten die „identifizierende" Bedeutungsvariante des Totalitarismus-Begriffs. Die weitgehende Vernichtung des Faschismus i n Europa sowie der Ausbruch des Kalten Krieges führten schließlich dazu, daß Totalitarismus und Stalinismus nicht nur gleichgesetzt wurden, sondern daß dieser nun am Stalinismus orientierte Totalitarismus-Begriff auch für die Erforschung des Faschismus allgemein als brauchbar und nützlich anerkannt wurde 2 0 . Damit hatte der zum Idealtypus stilisierte Begriff endgültig seine analytische Funktion verloren und wurde stattdessen zum willkommenen politischen Kampfmittel. Das Totalitarismus-Konzept ist als „Konfrontationsmodell" 2 1 bezeichnet worden. Als solches war es i n der Tat das politisch-ideologische Konzept des Kalten Krieges, das selbstverständlich auch den Bewußtseinshorizont der Wissenschaftler prägte. Dem reinen Typus des i n den Staaten Osteuropas vorfindbaren Totalitarismus wurde ein idealisierter Demokratiebegriff gegenübergestellt, an dem sich — wie man glaubte — die Realität der westlichen Welt durchaus messen lassen konnte. Gewaltenteilung, das freie Spiel der politischen Kräfte, garantierte Persönlichkeitssphäre, freie Entfaltung des Individuums, Rechtssicherheit u. a. mehr auf der einen Seite, chiliastische Ideologie, Einparteienherrschaft, Terror, totale Kontrolle, Geheimpolizei, zentralgelenkte Wirtschaft und Kommunikationsmonopol auf der anderen Seite wurden als Grundmuster demokratischer bzw. totalitärer Herrschaft angesehen 22 . Das Totalitäre war zum Inbegriff pervertierter Demokratie und damit zum Gegenbegriff spezifisch westlicher Wertpositionen wie „Christliches Abendland", „Freiheitliche Demokratie" und „Freie Marktwirtschaft" geworden 23 . Gegenläufige Entwicklungen i n kommunistischen Staaten wie i m eigenen Land kamen nicht i n den Blick bzw. konnten als atypisch beiseitegeschoben werden. Unter dem von Seidel / Jenkner (1968) Wege der Totalitarismus-Forschung, besorgten Sammelband sowie auf die jüngst erschienenen kritischen Darstellungen von Greiffenhagen / Kühnl / Müller (1972) Totalitarismus, und Schäfer (1972) Demokratie und Totalitarismus, hingewiesen. 2e Vgl. Jänicke (1971) Totalitäre Herrschaft, S. 87. 21 Schäfer (1972) Demokratie und Totalitarismus, S. 107. 22 Was die Kennzeichnung totalitärer Herrschaft betrifft, war dies der allgemeine Kriterienkatalog, den J. Friedrich — maßgebliche Autorität der traditionellen Totalitarismus-Theorie während der 1950er Jahre — entwickelt hatte. Vgl. etwa Friedrich / Brzezinski (1965) Merkmale totalitärer Diktatur, in: Seidel / Jenkner (1968), S. 610 f. 23 Vgl. Jänicke (1971) Totalitäre Herrschaft, S. 92 ff., ferner Hofmann (4/1970) Stalinismus und Antikommunismus, S. 149.

Erkenntnisinteressen

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Primat der Außenpolitik, der „Verlegung des Gesellschaftskonflikts i n den Außenraum" 2 4 , wurden i m Innern die restaurativen Kräfte gestärkt. I m Sinne der oben aufgestellten Untersuchungskriterien können w i r also feststellen: 1. Das am Idealtypus orientierte Totalitarismus-Konzept ist nicht geeignet, die Realität faschistischer und kommunistischer Systeme gleichermaßen zu erfassen 25 . Unterschiedliche historische, politische und soziale Bedingungszusammenhänge werden ebensowenig thematisiert wie der Wandel und die Eigendynamik eines Generationen und verschiedene Wechsel i n der politischen Führung überdauernden Systems. Ein an Herrschaftsaufbau und -technik orientierter statischer Begriff ist zudem nicht i n der Lage, die wachsende Komplexität hochindustrieller Gesellschaften zu erfassen. Begriff und Realität stimmen zwar nicht über ein, werden jedoch unter der Hand i n eins gesetzt. 2. Geschlossenheit nach innen, Abwehr nach außen — auf diese Formel ließen sich die politischen Handlungsziele des Totalitarismuskonzepts bringen. Dieses vom Antikommunismus geprägte und auf diesen vice versa bestärkend zurückwirkende Theoriemodell hatte demnach die Funktion, die Bedrohungs- und Angstgefühle vor dem Kommunismus gleichsam wissenschaftlich abzusichern und damit eine Politik zu legitimieren, die mehr an der Stabilisierung des status quo und damit an der Kaschierung binnengesellschaftlicher Probleme und Konflikte etwa i n Gestalt der Erhard'schen „Formierten Gesellschaft" denn an deren Lösung durch Reformen interessiert war. 3. „Lapidare Wertgeladenheit" (Ludz) ist demnach gelinde ausgedrückt das primäre Kennzeichen der Totalitarismus-Theorie. Nicht dadurch, daß diese Theorie bestimmten politischen Handlungszielen verpflichtet ist — das ist ja bei jeder Theorie der Fall, — sondern dadurch daß sie sich ihrer gesellschaftlichen Bedingtheiten nicht bewußt ist und sie vor allem ihre Indienstnahme für bestimmte tagespolitische Zwecke nicht reflektiert, hält die Totalitarismus24

Hof mann (4/1970) Stalinismus und Antikommunismus, S. 153. Versuche, eine modifizierte, gewisse Schwächen überwindende Totalitarismus-Theorie zur Erforschung der DDR-Gesellschaft einzuführen, wie sie etwa Ludz (1964) Parteielite im Wandel, S. 3 - 5 4 (ohne freilich gerade die von Ludz auf dem Gebiet der DDR-Forschung geleistete Pionierarbeit in Frage stellen zu wollen!) oder Burrichter (1969) Theorie der DDR-Gesellschaft, bes. S. 705 ff. unternahmen, werden inzwischen nicht mehr weiterverfolgt. Vgl. Ludz (1971) Analyse der DDR-Gesellschaft, wo es heißt, „daß bei Anwendung des Totalitarismuskonzepts auf die je historisch-unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen insbesondere des Ostblocks das Erkenntnisobjekt mehr und mehr verfehlt worden ist". (S. 12). 25

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1.0 Voraussetzungen

theorie einer ideologiekritischen Analyse nicht stand. Denn nur so konnte es geschehen, daß sie die Negationen eigener idealisierter und hypostasierter Wertvorstellungen zu leitenden Fragestellungen hinsichtlich der Erforschung sozialistischer Gesellschaftssysteme erhob. 4. Angesichts des offenkundigen Unterschlagens des Realitäts-PraxisWertbezuges liegt die Ideologiehaltigkeit der Totalitarismus-Theorie auf der Hand. Versteht man unter Ideologie hier schlicht ein Konglomerat unreflektierter Werturteile, die sich rationaler K r i t i k versperren, so erübrigt sich i m Grunde der Hinweis auf die wissenschaftliche Wertlosigkeit einer derartigen ideologisch aufgeladenen Theorie. Betrachten w i r als nächstes kurz die Konvergenztheorie 2e. Die Konvergenztheorie kann ähnlich wie das Totalitarismus-Modell als eine A r t ,Block-Theorie' bezeichnet werden, und zwar insofern, als das Hauptinteresse der Konvergenztheoretiker wiederum auf die beiden großen Industriestaaten USA und Sowjetunion gerichtet ist. Der These von der Konvergenz ordnungspolitisch völlig anders strukturierter Gesellschaftssysteme liegt nun die Annahme zugrunde, daß die hochindustrialisierten Gesellschaften i m Laufe ihrer weiteren Entwicklung aufgrund des technologischen Fortschritts und der Sachzwänge ökonomischer Rationalität sich immer mehr einander annähern und die zur Zeit noch bestehenden politischen und ideologischen Differenzen sich immer mehr verflüchtigen werden. Zwei Prämissen sind es, von denen das Konvergenzdenken geprägt w i r d : zum einen ist es „die deterministische Konzeption der alles beherrschenden Macht und des ständigen Fortschritts des Industriealismus" und zum andern die Vorstellung, „daß, durch den wachsenden Wohlstand bedingt, Entideologisierung und Entpolitisierung i n Ost und West weitergehen würden bzw. daß noch bestehenden Unterschieden i m ideologisch-politischen Bereich keine konstitutive Bedeutung mehr zuzusprechen sei" 2 7 . Können allein schon die i n letzter Zeit gemachten Erfahrungen, daß der technisch-ökonomische Fortschritt keineswegs unaufhaltsam ist und an keinerlei Grenzen stößt, die Grundprämisse der Konvergenztheorie nicht bestätigen, so w i r d es vollends problematisch, wenn unterstellt wird, wachsender Wohlstand führe quasi automatisch zu mehr Demokratie. Hier w i r d nun die hinter der spekulativen These von der Konvergenz stehende insgeheime Hoffnung deutlich, daß nämlich aufgrund 28 Einen grundlegenden Überblick verschafft der Artikel von Ludz (1967) Konvergenz, an dem sich auch die folgende Darstellung orientiert. Vgl. auch Kiss (1971) Marxismus, insbesondere das Kapitel „Uber die Konvergenztheorie", S. 202 ff. 27 Ludz (1967) Konvergenz, Sp. 890.

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objektiver industriegesellschaftlicher Zwänge und Prozesse die A n gleichung der sozialistisch-kommunistischen an die westlich-kapitalistischen Gesellschaftssysteme und damit faktisch die Auflösung des Sozialismus i m Kapitalismus zwangsläufig und nur noch eine Frage der Zeit sei 28 . Fragt man nun, was von der Konvergenztheorie als Realität begriffen und analysiert wird, so w i r d man feststellen müssen, daß analog dem Totalitarismus mit seinem betonten Interesse an Aufbau und Funktionieren des politischen Systems die Konvergenztheoretiker sich primär für ökonomische Abläufe — ihre Vergleichbarkeit i n Ost und West vorausgesetzt — interessieren. Besonderheiten des sozialistisch-kommunistischen Systems kommen dabei ebensowenig i n den Blick wie gesamtgesellschaftliche Entwicklungen i n ihren Widersprüchen und sozialen Veränderungen. Stattdessen werden „partielle Bestätigungen als Indiz für die Richtigkeit des Ganzen der Theorie" 2 9 gewertet. Schließlich läßt sich auch hier wieder feststellen, wie die Wertschätzung des westlich-kapitalistischen Systems zum alleinigen Wertmaßstab wird, welcher dann die sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnungen lediglich nach ihrem Abstand zu den westlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnungen beurteilt. Der Vorwurf, die Realität und den spezifischen Charakter sozialistisch-kommunistischer Gesellschaftssysteme nicht erfassen zu können, t r i f f t also Totalitarismus- und Konvergenztheorie i n gleicher Weise. Dagegen scheint m i r die Systemtheorie von ihrem funktional-strukturellen Ansatz her diese Schwächen überwinden helfen zu können 3 0 . Die zunehmende Differenzierung und steigende Komplexität hochindustrialisierter Gesellschaften sowie ihrer Teilsysteme, erfordert eine ebenso komplexe Theorie, die die zunehmende Verflechtung, die Totalität aller Systembeziehungen i n den Griff bekommt. Mittels einer konsequent funktionalen Betrachtungsweise scheint dies der Systemtheorie zu gelingen. Die Interdependenz der Systembezüge w i r d deutlich i n der Frage, welche Funktionen einzelne Systeme i n bezug auf andere erfüllen. Dabei ist zu beachten, daß nach dem Prinzip der funktionalen Äquivalenz „ein und dieselbe Funktion auf mehrere verschiedenartige, gegeneinander austauschbare Weisen erfüllt werden kann" 3 1 . So gesehen wäre beispielsweise die Herrschaftsstabilisierung der SED keineswegs nur durch Terror zu erreichen. Folglich w i r d durch die funktionale Methode sichergestellt, daß eine einseitige Orientierung 28

Vgl. Ludz (1967) Konvergenz, Sp. 896 f. Ludz (1967) Konvergenz, Sp. 901. 80 Vgl. hierzu und zum Folgenden etwa Luhmann (2/1971) Soziologische Aufklärung, und Habermas / Luhmann (1971) Theorie der Gesellschaft. 81 Luhmann (2/1971) Soziologische Aufklärung, S. 72. 29

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1.0 Voraussetzungen

etwa am politischen System (Totalitarismustheorie) oder am wirtschaftlichen System (Konvergenztheorie) ausgeschlossen bleibt, da jeweils auch andere Systembezüge i n den Blick kommen und überdies die Gesellschaft als der entscheidende Bezugspunkt gilt. Da ferner jedes System i n bezug auf andere Systeme einen problematischen Umweltcharakter besitzt — so ist etwa das wissenschaftlich Mögliche nicht auch zugleich das politisch Mögliche oder das wirtschaftlich Sinnvolle —, können nun auch i m Rahmen dieser Theorie Konflikte thematisiert werden, die Anpassung und Wandel sozialer Systeme sowohl nach innen wie nach außen bewirken 3 2 . Ohne auf die äußerst komplexe Systemtheorie i n diesem Zusammenhang noch näher eingehen zu müssen, dürfte der Vorteil, sich bei der Beschäftigung mit Problemen der DDR-Gesellschaft vom Systemdenken leiten zu lassen, deutlich geworden sein. Der wesentliche Vorzug besteht darin, daß hier nicht wie i m Falle des Totalitarismus die Wirklichkeit einer hochindustrialisierten und komplexen Gesellschaft allein auf invariante totalitäre Strukturen des politischen Systems reduziert oder wie i m Falle der Konvergenztheorie lediglich strukturelle Ähnlichkeiten erfaßt werden, sondern die Gesellschaft der DDR i n ihrer Totalität als Bezugspunkt gewählt wird. Die Folgen davon sind, daß nicht mehr nur Invarianzen, sondern Wandel und Veränderung der DDR-Gesellschaft in den Blick kommen und zugleich die Andersartigkeit und der spezifische Charakter einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Freilich liegt auch diesem Theorieansatz ein bestimmtes Interesse zugrunde. Es ist das Interesse an einem möglichst realistischen und abgewogenen B i l d der DDR 3 3 . Kann man sagen, daß die wissenschaftliche Beschäftigung mit der DDR zur Zeit des Kalten Krieges von einer 32 Zur Adaption des systemtheoretischen Ansatzes für die DDR-Forschung vgl. Burrichter (1971), Wissenschaft und Politik in der DDR, sowie Burrichter / Förtsch / Zuber (1970) Theoretische Aspekte. Allerdings ist auch hier Skepsis geboten. Denn wenn die Autoren im Hinblick auf die DDR betonen: „Hier kann sich gesellschaftliches Interesse im Hinblick auf die Wissenschaft nicht autonom verbalisieren und akzentuieren. Vielmehr wird vom Charakter des Systems das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft auf das Verhältnis von Wissenschaft und politischer Elite reduziert. Dabei handelt es sich jedoch dann nicht um ein echtes korrelatives Verhältnis, sondern um ein primär einseitig betriebenes." (S. 39) — so wird der entschiedene Erkenntnisgewinn der Systemtheorie, die wechselseitigen Bezüge zwischen dem gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen System zu analysieren und zu problematisieren, im Grund wiederum zugunsten der totalitaristischen These von dem ausschließlich instrumentellen Charakter der Wissenschaften in der DDR aufgegeben. 88 „Dieses Ziel enthält bereits die Auffassung", wie Ludz (1973) Zukunft der DDR-Forschung, es formulierte, „daß die DDR-Forschung weder anklagen, abwerten noch auch unkritisch bejubeln oder bekennerisch bekritteln sollte, was in der DDR vorgeht". (S. 489).

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sich zur Gewißheit gesteigerten Hoffnung auf ein baldiges Ende des totalitären Intermezzo' i n der DDR getragen war und sich dementsprechend das Interesse vielfach auf den Nachweis der Funktionsunfähigkeit des sozialistischen Gesellschaftssystems konzentrierte, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte, so ist DDR-Forschung unter diesen, von der Wirklichkeit inzwischen wiederlegten Prämissen nicht mehr möglich. Wenn i m Zuge der vertraglichen Regelung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR die Einsicht Platz gewonnen hat, daß m i t der DDR zu leben ist und nur die Beibehaltung des status quo in Europa langfristig Sicherheit und Entspannung garantieren kann, so kann dies für die DDR-Forschung nur bedeuten, endgültig darauf zu verzichten, „Ideologien, Hypothesen oder ,Theorien' zu produzieren und i n Umlauf zu setzen, die eben diesen status quo i n Frage stellen können" 3 4 . Was für die DDR i m allgemeinen, gilt i n gleicher Weise für die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft i m besonderen. Anerkennung der Realitäten — wenn man so w i l l — bedeutet hier zunächst einmal nichts anderes als die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft als Wissenschaft ernstzunehmen und den Historikern der DDR nicht von vornherein jeden Anspruch auf Wissenschaftlichkeit abzusprechen, nur weil sie eine andere als hierzulande übliche Wissenschaftskonzeption vertreten. Sollte nicht vielmehr die Tatsache, daß es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was Wissenschaft ist, jeden Wissenschaftler zu der Überlegung veranlassen, ob und wenn j a wie man sich überhaupt der Wissenschaftlichkeit, w i l l sagen der Objektivierbarkeit oder auch des Wahrheitsgehaltes der Erkenntnisse vergewissern könne. Jedenfalls hat es der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft bis weit i n die 1960er Jahre hinein an der notwendigen erkenntnistheoretischen Reflexion gefehlt. Für die Forschungspraxis blieb dies nicht ohne Konsequenzen. So ist völlig zu Recht darauf hingewiesen worden, daß die fehlende Auseinandersetzung seitens der westdeutschen Historiker m i t der DDR-Geschichtswissenschaft, „ m i t ihrem Selbstverständnis und ihrer sozialen Funktion, m i t ihrer Methodologie und ihrer geschichtlichen Entwicklung" keineswegs zufällig, sondern „die Auswirkung der erst spät einsetzenden Reflexion der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik über sich selbst" 3 5 sei. Nicht zuletzt i m Hinblick auf den Erkenntnisgewinn für die eigene Forschungspraxis sind also eine nüchterne Bestandsaufnahme, differenzierte Betrachtungsweise und sachliche Auseinandersetzung vonnöten. Die Einsicht i n die Theoriebedürftigkeit der Historie auf der einen Seite sowie die Einsicht i n die Notwendigkeit eines realistischen 84 85

Pfeiler (1973) Wert einer wissenschaftlichen DDR-Forschung, S. 497. Riesenberger (1973) Geschichte in der DDR, S. 6.

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1.0 Voraussetzungen

Bildes der DDR auf der anderen Seite bestimmen die allgemeinen Erkenntnisinteressen der vorliegenden Untersuchung. Der Beschäftigung m i t der marxistisch-leninistischen Interpretation von Reformation und Bauernkrieg liegt i m einzelnen schließlich die Absicht zugrunde, dieses Geschichtsbild einerseits von seinen methodologischen Voraussetzungen, Problemen und Wandlungen her, andererseits i n seinen politisch-sozialen Bedingtheiten plausibel zu machen.

1.2 Parteilichkeit und Objektivität Wenn man sich zum Ziel setzt, das marxistisch-leninistische Geschichtsverständnis von seinem eigenen Selbstverständnis her i n den Griff zu bekommen, so w i r d man bei der Frage nach dem Verhältnis von Parteilichkeit und Objektivität ansetzen müssen. Denn hier stellt sich die erkenntnistheoretisch entscheidende Frage „nach dem Verhältnis von Politik und Wissenschaft und i n engem Zusammenhang damit nach der Möglichkeit, objektive Wahrheit über Verlauf und Entwicklungstendenzen der Geschichte aufzudecken" 36 . Parteilichkeit und Objektivität stellen nun i m Marxismus-Leninismus keineswegs zwei einander ausschließende oder zumindest i n bezug aufeinander problematische, sondern zwei einander bedingende Prinzipien dar. Parteilichkeit macht sogesehen die Erkenntnis objektiver Wahrheit überhaupt erst möglich. Sie steht nicht i m Widerspruch zur Objektivität, sondern stellt — wie Lenin meinte — eine höhere Form der Objektivität dar. „Je parteiischer die Wissenschaft ist, desto wahrer und objektiver w i r d sie, je härter und entschlossener w i r uns an den subjektiven Standpunkt des Proletariats halten, desto wahrer und objektiver w i r d unsere Position sein 37 ." Gegenüber jenen aus ihren Reihen, die die Stimmigkeit dieser These nicht so recht einsehen wollten, hatten sich die Historiker der DDR anfangs vor allem gegen zwei Vorwürfe zu wehren, und zwar zum einen gegen die Auffassung, „daß sozialistische Parteilichkeit Subjektivismus bedeute", und zum anderen dagegen, „daß wissenschaftliche Objektivität der Parteilichkeit für die revolutionäre Arbeiterklasse gar nicht bedürfe" 3 8 . Derartigen Einwänden stellen die Marxisten-Leninisten nun die Behauptung gegenüber, daß die Parteinahme für die Interessen der Arbeiterklasse schon deshalb nichts m i t Subjektivismus zu t u n habe, weil die Interessen der Arbeiterklasse sich i m Einklang m i t den objek86 87 88

Brendler (1972) Prinzip Parteilichkeit, S. 277. Lenin, zit. n. Fetscher (17/1972) Von Marx zur Sowjetideologie, S. 84. Engelberg (1964) Aufgaben der Historiker, S. 391.

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tiven Gesetzmäßigkeiten der Geschichte befänden. Da diese Gesetzmäßigkeiten vom Marxismus-Leninismus wissenschaftlich exakt erfaßt werden und der Kampf der Arbeiterklasse sich auf eben dieser „wissenschaftlichen Grundlage vollzieht, fällt die Parteinahme für diesen Kampf m i t der wissenschaftlichen Objektivität i n eins" 8 9 . Folglich ist es auch denjenigen, die sich nicht auf den Standpunkt der Arbeiterklasse und damit gegen die Durchsetzung der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung stellen, nicht möglich, zu objektiven Erkenntnissen zu gelangen. Von daher konstatieren die Marxisten-Leninisten für die bürgerlichen Wissenschaften einen sich ständig verschärfenden „Gegensatz zur objektiven Wahrheit" und „zu den Prinzipien der Wissenschaftlichkeit" 40 . Sofern man also den Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität erheben w i l l , führt kein Weg an der sozialistischen Parteilichkeit, an der Parteinahme für die revolutionäre Arbeitreklasse vorbei. Fragt man sich nun, wie sich die Identität von proletarischer Parteilichkeit und Objektivität i m einzelnen näher begründen läßt, so stößt man zunächst einmal auf den ambivalenten Charakter des marxistischleninistischen Ideologiebegriffs. Dem zufolge muß man „die wissenschaftliche Ideologie, die die materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse adäquat widerspiegelt, von der Ideologie unterscheiden, i n der die gleichen Verhältnisse i n illusionärer, verzerrter oder sogar phantastischer Gestalt erscheinen" 41 . Die Zweiteilung i n eine falsche und eine richtige Ideologie bzw. i n eine wissenschaftliche und eine unwissenschaftliche Weltanschauung gründet sich zum einen auf das BasisÜberbau-Theorem von der sozialökonomischen Bedingtheit des gesellschaftlichen Bewußtseins und zum andern auf die Klassentheorie, wonach antagonistische Gesellschaften i n zwei Klassen gespalten sind, was aus deren unterschiedlicher Stellung i m Produktionsprozeß, insbesondere zu den Produktionsmitteln erklärt wird. K a r l Marx war zu der Erkenntnis gelangt, daß i n der Klassengesellschaft die herrschende Ideologie stets die Ideologie der Herrschenden sei — m i t h i n Klassencharakter trage 4 2 und folglich jenes durch die 89 Klaus/Buhr (1969) Parteilichkeit, in: Philosophisches Wörterbuch, Bd. 2, S. 821. 40 Heyden (1970) Parteilichkeit und Klassenkampf, S. 126. Wenn Wissenschaftlichkeit und bürgerliche Parteilichkeit einander auch notwendigerweise ausschließen, so gesteht man der bürgerlichen Wissenschaft immerhin zu, daß „auf Teilgebieten und in Einzelfragen richtige Erkenntnisse gewonnen werden" (S. 126) können. 41 Grundlagen (3/1973) S. 447. 42 Vgl. Marx (1846) Die deutsche Ideologie, in: M E W 3 (1969): „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht." (S. 46).

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1.0 Voraussetzungen

Herrschaft der Ausbeuterklassen erzeugte falsche Bewußtsein von der Wirklichkeit nur durch die Aufhebung ihrer materiellen Ursachen, durch die Beseitigung der Klassengesellschaft selbst überwunden werden könne. M i t dem Kapitalismus sah er jene Entwicklungsstufe i n der Geschichte der Menschheit erreicht, wo die Abschaffung der Ausbeutung und Klassenunterschiede ökonomisch notwendig und durch die Entstehung des Proletariats, der zu dieser revolutionären Befreiungstat allein fähigen Klasse, möglich wurden. Da die historische Mission der Arbeiterklasse „nicht nur zur Befreiung der eigenen Klasse führt, sondern zur Abschaffung der Spaltung der Gesellschaft i n Klassen überhaupt, leistet diese Klasse erstmalig das, was bisher alle aufsteigenden Klassen zu leisten nur vorgaben, nämlich: die Interessen der gesamten Gesellschaft zu betreiben" 4 3 . Diese Übereinstimmung der proletarischen Klasseninteressen mit denen der Gesamtgesellschaft oder wie es auch heißt, mit den objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung, sichert dem Proletariat jenes einzigartige Erkenntnisprivileg, das i h m allein die adäquate Erfassung der Wirklichkeit zugesteht. Insofern ist die proletarische Ideologie i m Gegensatz zur bürgerlichen Ideologie eine wissenschaftliche Ideologie und objektiv wahrheitsfähig. Damit ist nach dem ideologietheoretischen bzw. erkenntniskritischen Aspekt auch der zweite, der erkenntnistheoretische Aspekt des Verhältnisses von Parteilichkeit und Objektivität angesprochen. Einige Hinweise auf die Grundprämissen der materialistischen Dialektik, der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie, mögen dieses verdeutlichen. Die Grundfrage aller Philosophie bestand für Engels i n der Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein, Geist und Natur und hatte zwei Seiten. Zum einen stellte sich die Frage, was das Ursprüngliche sei, der Geist oder die Natur und zum andern, ob es möglich sei, „ i n unsern Vorstellungen und Begriffen von der wirklichen Welt ein richtiges Spiegelbild der Wirklichkeit zu erzeugen" 44 ? Während sich i n Beantwortung der ersten Frage die Idealisten für den Geist entscheiden, erachten die Materialisten die Natur als das Primäre. Anders als die Idealisten besitzen somit die Materialisten, wie Lenin meinte, i n dem Begriff der Materie „eine philosophische Kategorie zur Bezeichnung der objektiven Realität, die dem Menschen i n seinen Empfindungen gegeben ist, die von unseren Empfindungen kopiert, photographiert, abgebildet w i r d und unabhängig von ihnen existiert" 4 5 . 48

Wetter (1971) Sowjetideologie, S. 243. Engels (1886) Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: M E W 21 (1962), S. 275. 44

Parteilichkeit und Objektivität

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Wenn nun die objektive Realität unabhängig vom menschlichen Bewußtsein existiert, jedoch von diesem kopiert, wirklichkeitstreu oder auch objektiv erfaßt werden kann, so liegt dieser Vorstellung ein weiteres erkenntnistheoretisches A x i o m zugrunde. Es ist dies die A n nahme, daß Denken und Sein, Geist und Materie i n gleicher Weise den Gesetzen der Dialektik unterworfen sind, m i t h i n die subjektive Dialektik, also die Entwicklung des menschlichen Denkens und die objektive Dialektik als die Entwicklungen i n der materiellen Welt miteinander übereinstimmen. „Die Erkenntnis und die Gesetze ihrer Bewegung (die subjektive Dialektik) sind so die Widerspiegelung der Gesetzmäßigkeiten und Eigenschaften der objektiven Realität i m denkenden Kopf des Menschen 46 ." Objektive Erkenntnis und richtige Erfassung der wirklichen Welt — ließe sich somit i m Hinblick auf die zweite Engels'sche Frage antworten — sind für einen Materialisten selbstverständlich möglich, und zwar weil „das Subjekt Formen der Denktätigkeit hervorbringt, die letzten Endes durch die Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten des gegebenen Objekts bestimmt werden" 4 7 . Ebensowenig wie unter objektiver Realität etwas Statisches zu verstehen ist, darf man nun i m Sinne Lenins auch die Erkenntnis nicht für etwas Fertiges und Unveränderliches halten. Folglich haftet objektiver Erkenntnis bzw. objektiver Wahrheit stets etwas Relatives an, wobei Relativität hier „nicht i m Sinne der Verneinung der objektiven Wahrheit" zu verstehen ist, „sondern i n dem Sinne, daß die Grenzen der Annäherung unserer Kenntnisse an diese Wahrheit geschichtlich bedingt sind" 4 8 . Objektive Wahrheit ist für die Marxisten-Leninisten demnach ein sich ständig vervollkommender Prozeß der Erkenntnis. Solange jedoch das ideale Ziel der Entwicklung des MenschheitsWissens, die vollkommene und totale Widerspiegelung der objektiven Realität nicht erreicht ist, w i r d die objektive Wahrheit durch das dialektische Verhältnis von absoluter und relativer Wahrheit bestimmt sein. Dabei ist unter absoluter Wahrheit „der sich ständig anhäufende absolut wahre Inhalt i m relativ wahren Wissen" 4 9 zu verstehen. Schließlich stellt sich die Frage, was auf dem Weg zu immer mehr Wahrheit denn als Garant dafür angesehen werden kann, daß die Realität nicht verzerrt, sondern annähernd richtig widergespiegelt wird. Marx meinte, die Frage nach dem Wahrheitsgehalt menschlichen Denkens, nach der Überwindung der K l u f t zwischen Idee und W i r k 45

Lenin (1908) Materialismus und Empiriokritizismus, in: L W 14 (1962), S. 124. 46 Grundlagen (3/1973) S. 185. 47 Grundlagen (3/1973) S. 192. 48 Lenin (1908) Materialismus und Empiriokritizismus, in: L W 14 (1962), S. 132. 49 Zit. n. Wetter (1971) Sowjetideologie, S. 141.

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1.0 Voraussetzungen

lichkeit sei „keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. I n der Praxis muß der Mensch die Wahrheit i. e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen" 50 . Die gesellschaftliche Praxis, definiert als „die Gesamtheit der gegenständlichen Formen der menschlichen Tätigkeit", 5 1 nimmt i n der materialistischen Dialektik nach wie vor einen zentralen Platz ein, insofern Praxis gleichsam als das vermittelnde Glied zwischen objektiver Welt und objektiver Erkenntnis angesehen wird, und zwar i n dreifacher Hinsicht: 1. Praxis ist die Grundlage jeder Erkenntnis. Neben der generellen Abhängigkeit jeder Erkenntnis von einer bestimmten Praxis ist damit gesagt, daß die i n der Praxis erfolgende schöpferisch tätige Aneignung der Wirklichkeit (ζ. B. Experiment) überhaupt erst ein objektives B i l d von dieser Wirklichkeit ermöglicht. 2. Praxis ist Ziel der Erkenntnis. Damit ist gesagt, daß gesellschaftliche Wirklichkeit und objektive Realität noch längst nicht eins sind, daß vielmehr die i n der Erkenntnis sich vollziehende Widerspiegelung der objektiven Realität ihrerseits verändernd auf die gesellschaftliche Praxis w i r k t . 3. Praxis ist Wahrheitskriterium. Zur Beurteilung der Objektivität von Wissen, seiner Übereinstimmung m i t der objektiven Realität, bedarf es eines subjektunabhängigen sinnlich-materiellen K r i t e riums. I n der gesellschaftlichen Praxis w i r d das Wissen der gegenständlichen Welt zugeführt, „ w i r d die Objektivität des Wissens zur sinnlichen Gewißheit" 5 2 . Objektivität bzw. objektive Erkenntnis oder auch objektive Wahrheit ließen sich demnach definieren als praxisvermittelte, praxisorientierte bzw. -verändernde und praxisbestätigte richtige Widerspiegelung der objektiven Realität. Materialismus bedeutet Einblick i n die objektive Realität, bedeutet Anerkennung der objektiven Wahrheit. Da hierzu alle nichtmaterialistischen Ideologien, die sich unter dem Stichwort Idealismus subsummieren lassen, nicht i n der Lage sind, ja ein materielles Interesse an der Verheimlichung der objektiven Wahrheit haben, 60

Marx (1845) Thesen über Feuerbach, in: M E W 3 (1969), S. 5. Grundlagen (3/1973) S. 188. Hierzu zählen die Tätigkeiten in der materiellen Produktion (Arbeit) ebenso wie das Experiment (Wissenschaft) oder die gesellschaftlich-revolutionäre Tätigkeit (Klassenkampf). 51 Grundlagen (3/1973) S. 204. Als Beispiel dafür, daß die Praxis als Wahrheitskriterium anzusehen ist, wird etwa angeführt, daß die Konstruktion der Dampfmaschine den Satz aus der Physik von der Umwandlung der Wärmeenergie in mechanische beweise. Der Marxismus-Leninismus selbst hat seinen Wahrheitsgehalt ebenfalls in der Praxis, durch die russische Oktoberrevolution und den Aufbau des Sozialismus bewiesen. Vgl. dazu Brendler (1972) Prinzip Parteilichkeit, S. 290. 51

Parteilichkeit und Objektivität

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schließt der „Materialismus sozusagen die Parteilichkeit i n sich ein . . ." 5 3 . Denn nur auf dem Wege der marxistischen Theorie „werden w i r uns der objektiven Wahrheit immer mehr und mehr nähern (ohne sie jemals zu erschöpfen); auf jedem anderen Wege aber können w i r zu nichts anderem gelangen als zu Konfusion und Lüge" 5 4 . Während also für die sogenannte bürgerliche Wissenschaft Parteilichkeit und Objektivität zwei miteinander nicht zu vereinbarende Gegensätze darstellen, gilt dieses keineswegs auch für die marxistisch-leninistische Wissenschaft. I m Gegenteil: da die Klasseninteressen der Arbeiter m i t denen der objektiven gesellschaftlichen Entwicklung übereinstimmen, ist Objektivität nur vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus zu erreichen, sind Parteilichkeit und Objektivität zwei sich wechselseitig bedingende Prinzipien. „Je vollständiger also die Interessen der Arbeiterklasse durch den Marxismus-Leninismus theoretisch zum Ausdruck gebracht werden, u m so genauer, tiefer, vollständiger widerspiegelt er die objektiven Entwicklungsbedingungen der Gesellschaft . . . Und umgekehrt, je genauer, exakter und vollständiger die objektiven Entwicklungsbedingungen der Gesellschaft durch den MarxismusLeninismus aufgedeckt werden, u m so umfassender werden die Interessen der Arbeiterklasse zum Ausdruck gebracht 55 ." Die Interessen der Arbeiterklasse werden also vom MarxismusLeninismus zum Ausdruck gebracht. Fragt man, wer nun diese Prinzipien formuliert, so w i r d man auf die kommunistische Partei — jenes kollektive „Führungs- und Erkenntnisorgan" der Arbeiterklasse — verwiesen. „Die Orientierung auf die Arbeiterklasse und ihre Partei ist die inhaltliche Grundbestimmung des marxistisch-leninistischen Prinzips der Parteilichkeit. Die Integrierung i n den kollektiven Erkenntnisprozeß dieses höchstentwickelten Subjekts der Geschichte bedeutet einen durch nichts wettzumachenden Erkenntnisvorteil für den Historiker, eine Erkenntnischance für jeden Wissenschaftler 56 ." Das materialistische Objektivitätsideal verpflichtet somit die Historiker der DDR, sich auf den Standpunkt der avantgardistischen SED zu stellen. Praxis als Grundlage, Ziel und Wahrheitskriterium historischer 53 Lenin (1895) Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Stuve, in: L W 1 (1961), S. 414. 54 Lenin (1908) Materialismus und Empiriokritizismus, in: L W 14 (1962), S. 138. 65 Heyden (1970) Parteilichkeit und Klassenkampf, S. 125. δβ Brendler (1971) Prinzip Parteilichkeit, S. 301. Zur Bedeutung des Prinzips der Parteilichkeit für die Geschichtswissenschaft vgl. ferner Kuczynski (1956) Parteilichkeit und Objektivität, der sich seiner Zeit u. a. auch wegen einiger in diesem Aufsatz vertretenen Thesen heftigen Attacken ausgesetzt sah; sowie den mit deutlichem Bezug auf die Okkupation der CSSR im Jahre 1968 geschriebenen Aufsatz von Engelberg (1969) Parteilichkeit und Objektivität.

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1.0 Voraussetzungen

Erkenntnis bedeutet, die Beschlüsse, Gesellschaftsanalysen und » P r o gnosen der SED als unerläßliche „Anregungen für die Geschichtsforschung" zu betrachten und sich dessen bewußt zu werden, daß „nur solche historischen Untersuchungen vor dem K r i t e r i u m der gesellschaftlichen Praxis früher oder später bestehen, die Verallgemeinerungen m i t dem mehr oder weniger bewußten Zweck enthalten, Probleme und Widersprüche der Gegenwart i m Sinne des Fortschritts zu lösen" 5 7 .

1.3 Methode und methodische Schritte Die Unterschiede zwischen der eigenen und der marxistisch-leninistischen Wissenschaftskonzeption sowie deren Besonderheiten sind umrissen. Es bleibt noch die Erläuterung des methodischen Vorgehens. Untersucht w i r d das Reformations- und Bauernkriegsbild i n der DDR als Problem der marxistisch-leninistischen Geschichtsmethodologie. Unter dieser Themenstellung w i r d man nicht erwarten dürfen: 1. eine allgemeine Geschichte des marxistischen Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg gewissermaßen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Vielmehr w i r d beispielsweise auf Friedrich Engels nur insofern einzugehen sein, als bestimmte Äußerungen von i h m für die Entwicklung des Geschichtsbildes i n der DDR von Bedeutung sind. 2. eine allgemeine Geschichte der Reformation und des Bauernkrieges, die die Ergebnisse der nichtmarxistischen wie der marxistisch-leninistischen Forschung i n gleicher Weise würdigt und analysiert, u m die Erforschung jener Ereignisse i m 16. Jahrhundert weiterzuführen. Indes geht es gemäß dem oben formulierten problemgeschichtlichen und methodologischen Erkenntnisinteresse u m die Analyse des Geschichtsbildes der Reformation und des Bauernkrieges i n der DDR und zwar mittels der hermeneutisch-dialektischen Methode. Unter dialektischem Verfahren ist zweierlei zu verstehen: 1. geht es darum, den Forschungsgegenstand immanent kritisch aufzuarbeiten, d. h. Widersprüche sichtbar zu machen und den ihnen innewohnenden Problemgehalt herauszustellen; 2. geht es darum, die wechselseitige Abhängigkeit zwischen einem bestimmten Geschichtsbild und den jeweiligen politisch-sozialen Bedingungen i n der DDR zu analysieren. Somit werden zwei Problemebenen deutlich werden und i n ihrem Bedingungszusammenhang zu klären sein. Zum einen geht es darum, die theoretischen und methodischen Möglichkeiten und Probleme aufzuzeigen, die sich aus der Anwendung der marxistisch-leninistischen Geschichtstheorie auf Reformation und Bauernkrieg ergeben; zum anderen ist beabsichtigt, den Zusammenhang zwischen historischer Erkenntnis, 57

Engelberg (1968) Gegenstand der Geschichtswissenschaft, S. 1143/1144.

Methode

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also der jeweiligen Interpretation von Reformation und Bauernkrieg, und der gesellschaftlichen Praxis zu reflektieren. Als leitende Fragestellung gewendet kann man dieses methodische Verfahren auch so formulieren: 1. Inwieweit w i r d die marxistisch-leninistische Geschichtstheorie der Analyse und Beschreibung der Reformations- und Bauernkriegszeit zum Problem und umgekehrt, inwieweit w i r k t die empirisch faßbare Realität des 16. Jahrhunderts verändernd auf die Theorie zurück? 2. Inwieweit ist die historische Erkenntnis, das Geschichtsbild von Reformation und Bauernkrieg abhängig von einer bestimmten gesellschaftlichen Praxis und umgekehrt, welche Handlungsziele, welche Interessen werden i m Hinblick auf diese Praxis deutlich? Dieser Fragestellung entsprechend gliedert sich die Untersuchung i n zwei Hauptteile, die Theoriegeschichte und die Ideologiegeschichte. I m theoriegeschichtlichen Teil geht es u m die systematische Erfassung der unter den Historikern der DDR geführten Diskussion u m Reformation und Bauernkrieg. Dabei werden die aus der Analyse der Theoriediskussion sich ergebenden methodologischen Differenzierungen zum leitenden Gliederungsprinzip dieses Kapitels gewählt. So dient die vorgeschlagene Unterscheidung einer national-materialistischen und einer welthistorisch-dialektischen Betrachtungsweise oder Interpretation der frühbürgerlichen Revolution zur Charakterisierimg der Entwicklung der Reformations- und Bauernkriegsforschung i n der DDR. Dieses forschungsgeschichtlich bestimmte Gliederungsprinzip w i r d seinerseits durch ein an den grundlegenden Kategorien der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie orientiertes, systematisches Gliederungsprinzip strukturiert. Insbesondere die Frage nach den objektiven und subjektiven Voraussetzungen der ersten deutschen Revolution ist hier angesprochen. Der ideologiegeschichtliche Teil, i n dem es u m die ideologische Selbstinterpretation der gesellschaftlichen Wirklichkeit und Entwicklung der DDR geht, sucht die Ursachen nach dem aufzuzeigenden Wandel des Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg zu klären. Die Gesellschaft, das politische und (geschichts-)wissenschaftliche System der DDR kommen i n den Blick, und zwar unter der Fragestellung, inwieweit Entwicklungen und Veränderungen i n diesem oder jenem Bereich den Wandel der Theorie von der frühbürgerlichen Revolution erklären und bestätigen können. Insofern die A n t w o r t auf die Frage nach den Ursachen des methodologischen Wandels des Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg i m Zusammenhang m i t der allgemeinen Entwicklung der Geschichtswissenschaft der DDR gesucht wird,

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1.0 Voraussetzungen

bedeutet dies methodisch gleichsam den Sprung vom Speziellen zum Allgemeinen zu vollziehen. Rückschlüsse auf die politisch-soziale Funktion nicht nur des Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg, sondern der Geschichtswissenschaft i n der DDR insgesamt werden von hier aus möglich. Die Kapitel 2, 4 und 6 haben schließlich die Aufgabe: 1. i n die Grundlagen und Probleme der Theorie der frühbürgerlichen Revolution einzuführen, 2. die Zwischenergebnisse der theoriegeschichtlichen Analyse zu formulieren und 3. die Überlegungen und Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung insgesamt zusammenzufassen und auszuwerten.

2.0 Problemstellung Reformation und Bauernkrieg als frühbürgerliche Revolution Folgt man den Worten von Max Steinmetz, dessen Name m i t der marxistisch-leninistischen Reformations- und Bauernkriegsforschung aufs engste verbunden ist 1 , so ist der Terminus frühbürgerliche Revolution „nicht nur eine erläuternde Redeweise, keine bloße Andeutung oder Metapher, sondern eine wissenschaftlich exakte Bezeichnung für die unentwickelte frühe Form der bürgerlichen Revolution i n Europa" 2 . Nun dürfte »wissenschaftlich exakt 4 nichts anderes bedeuten, als daß die These von der frühbürgerlichen Revolution auf ihre logische Konsistenz hin intersubjektiv nachprüfbar ist. Dieses soll i m folgenden geschehen. Dazu ist es notwendig, sich zunächst einmal des Problems selbst bewußt zu werden. Was besagt der Begriff frühbürgerliche Revolution eigentlich? Welche Zeit umfaßt er? Das sind erste Fragen, die uns beschäftigen werden. Da Reformation und Bauernkrieg von den marxistisch-leninistischen Historikern als Revolution interpretiert werden, gilt es als nächstes die Frage nach der revolutionstheoretischen Grundlegung ihrer Theorie zu beantworten. I m Hinblick auf die Frage, ob es bereits ähnliche Versuche gibt, Reformation oder Bauernkrieg als eine bürgerliche Revolution zu interpretieren, werden w i r uns i n einem d r i t ten Abschnitt mit der gegen Ende der 1950er Jahre unter sowjetischen Historikern geführten Debatte u m Probleme von Reformation und Bauernkrieg beschäftigen. 2.1 Begriff und Periodisierung Nach Ansicht marxistisch-leninistischer Historiker bilden Reformation und Bauernkrieg verschiedene Entwicklungsstufen innerhalb eines als Einheit verstandenen revolutionären Prozesses, der als frühbürgerliche Revolution definiert wird. Als Begründer der hinter diesem Begriff stehenden Auffassung von Reformation und Bauernkrieg gilt Frie1 So hatte Steinmetz 1960 mit seinen Thesen zum Verständnis von Reformation und Bauernkrieg die Diskussion um die frühbürgerliche Revolution eröffnet; er wurde dann Leiter der A G „Frühbürgerliche Revolution" und schließlich Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte in Leipzig, das die Funktion eines Leitinstituts zur Erforschimg der Reformationszeit zugesprochen bekam. Vgl. hierzu Steinmetz (1965) Lehrbuch, Vorwort S. 5. 2 Steinmetz (1965) Charakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), S. 157.

3 Foschepoth

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2.0 Problemstellung

d r i c h Engels, „ a u c h w e n n er diesen B e g r i f f selbst noch n i c h t g e b r a u c h t h a t " 3 . E i g e n t l i c h e r W o r t s c h ö p f e r h i n g e g e n d ü r f t e der 1960 v e r s t o r b e n e O s t b e r l i n e r H i s t o r i k e r A l f r e d M e u s e l sein, d e r d e n A u s d r u c k f r ü h b ü r g e r l i c h e R e v o l u t i o n 1952 erstmals v e r w e n d e t e 4 . D i e „ a l l g e m e i n e A n w e n d u n g " dieses B e g r i f f s w u r d e b e f ü r w o r t e t , „ w e i l er s o w o h l d e n p r o gressiven sozialen I n h a l t w i e das noch n i c h t v o l l A u s g e r e i f t e d e r B e wegung ausdrückt"6. N e b e n d e r B e t o n u n g d e r E i n h e i t u n d des Z u s a m m e n h a n g s v o n R e f o r m a t i o n u n d B a u e r n k r i e g w a r d e m n a c h m i t d e r V e r w e n d i m g des Terminus frühbürgerliche Revolution w e i t e r h i n intendiert, die Ereignisse z u B e g i n n des 16. J a h r h u n d e r t s zunächst e i n m a l als soziale, d i e gesellschaftliche E n t w i c k l u n g beschleunigende R e v o l u t i o n z u i n t e r p r e t i e r e n , andererseits j e d o c h e i n s c h r ä n k e n d i h r e u n a u s g e r e i f t e u n d d e m klassischen T y p u s b ü r g e r l i c h e r R e v o l u t i o n noch keineswegs v o l l e n t sprechende F o r m z u betonen. N i c h t als k i r c h l i c h - r e l i g i ö s e A n g e l e g e n h e i t w o l l t e m a n d i e R e f o r m a t i o n , n i c h t d e n B a u e r n k r i e g als i n d e r F o l g e m i t t e l a l t e r l i c h e r B a u e r n e r h e b u n g e n stehenden A u f s t a n d v e r s t a n d e n 8 Steinmetz (1965) Charakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), S. 148. Allerdings hat Engels den Begriff frühbürgerliche Revolution nicht nur nicht gebraucht, sondern den von ihm verwendeten Terminus „bürgerliche Revolution" oder „Revolution Nr. 1 der Bourgeoisie" auch nicht in dem von Marxisten-Leninisten gebrauchten Sinne einer Einheit von Reformation und Bauernkrieg verwendet. Vielmehr war für ihn die „Reformation Luthers und Calvins = Revolution Nr. 1 der Bourgeoisie". Vgl. Marx / Engels (4/1961) über Deutschland, S. 279. Vgl. auch Engels (1892) Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (Einleitung zur englischen Ausgabe), in: Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, wo er die Reformation und nicht Reformation und Bauernkrieg zusammen als bürgerliche Revolution bezeichnet. „Der große Kampf des europäischen Bürgertums gegen den Feudalismus kulminierte in drei großen Entscheidungsschlachten. Die erste war das, was wir in Deutschland die Reformation nennen." (S. 180) Folgerichtig bezeichnet er Reformation und Bauernkrieg zusammen als „bürgerlich-plebejische Bewegung", so Engels an Kautsky (1895) in: Marx! Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 625. 4 Meusel (1952) Müntzer: „Tatsächlich besteht zwischen der Reformation und dem Bauernkrieg der denkbar engste Zusammenhang — nicht etwa in dem Sinne, daß die Reformation die ,Ursache' des Bauernkrieges ist, sondern in dem, daß die beiden Ereignisse zwei Etappen innerhalb ein und derselben Bewegung bilden. I n den Jahren 1517 bis 1525 erlebte das deutsche Volk seine frühbürgerliche Revolution." (S. 41) Der Begriff war also schon früher gebräuchlich als bislang angenommen wurde. So nahm beispielsweise Rammstedt (1968) Problem „fb" Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 239 an, der Ausdruck sei von Macek (1958) Hussiten-Bewegung, entlehnt, da er ihn auf die hussitische Bewegung angewendet habe. Der ungenaue Hinweis von Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 44, der Begriff stamme aus der sowjetischen Forschung, ließ sich nicht näher nachprüfen. 5 Mühlpfordt (1954) Aus Ref. u. Bk., S. 196, Verwendet wurde der Terminus frühbürgerliche Revolution in den frühen 1950er Jahren etwa in der Rezension des Smirinschen Müntzerbuches von Köditz (1953), wo sie von „der ersten frühbürgerlichen Revolution in Deutschland" (S. 506) spricht. Vgl. auch Schilfert (1953) Rezension von Marx / Engels / Lenin / Stalin (1953) Zur deutschen Geschichte, S. 370.

Begriff und Periodisierung

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wissen 6 . Reformation und Bauernkrieg bildeten vielmehr einen einheitlichen, zusammenhängenden Klassenkampfkomplex, den die MarxistenLeninisten unter Berufung auf Friedrich Engels als die erste große Schlacht des Bürgertums gegen den Feudalismus, als „Revolution Nr. 1 der Bourgeoisie" 7 bezeichnen zu können glauben. Eine intensive Debatte u m die frühbürgerliche Revolution setzte i n der DDR erst 1960 ein 8 . I n diesem Jahr legte Max Steinmetz Thesen zum Verständnis von Reformation und Bauernkrieg vor, die auf der Gründungstagung der Sektion Mediävistik der Deutschen HistorikerGesellschaft i n Wernigerode diskutiert wurden 9 . Wenige Wochen später i m Mai 1960 konstituierte sich auf einer Müntzer-Gedenktagung i n Mühlhausen der Arbeitskreis „Geschichte der Reformation und des Bauernkriegs (Frühbürgerliche Revolution) i n Deutschland" 10 . Von nun an standen i n zahlreichen Publikationen und auf etlichen wissenschaftlichen Tagungen 11 Probleme der Reformationszeit i m Blickpunkt des Interesses. Es ging darum, die Plausibilität der These von der frühbürgerlichen Revolution zu erhöhen. Dabei blieb die Grundannahme, daß es sich bei Reformation und Bauernkrieg um eine neue Qualität der gesellschaftlichen Entwicklung handle, keineswegs unangefochten. Töpfer plädierte beispielsweise dafür, den englischen Bauernaufstand von 1381, die hussitische Bewegung sowie Reformation und Bauernkrieg i n Deutschland „als Bewegungen sui generis zusammenzufassen und bei deren Benennung durchweg auf eine Einordnung i n den Entwicklungsgang der bürgerlichen 6 Vgl. etwa Steinmetz (1965) Charakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), S. 147. 7 Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 279. 8 A n Arbeiten, die sich vor diesem Zeitpunkt mit Problemen der Reformationszeit befaßten, verdient lediglich Stern (1951/53) Luther und Melanchthon, genannt zu werden. Meusel (1952) Müntzer und seine Zeit, fand kaum positive Resonanz. Vgl. dazu die Rezensionen von Steinmetz (1953) und Franz (1954). Uber die Rezitation von Klassikertexten des Marxismus-Leninismus kam Kuczynski (1954/55) Krise des Feudalismus, kaum hinaus. Eine besondere Stellung in der Literatur der 1950er Jahre nimmt allerdings die von Steinmetz begutachtete Dissertation von Zschäbitz (1958) Wiedertäuferbewegung, ein, da in ihr Thesen vertreten werden, die — etwa hinsichtlich der deutlichen Betonung des religiösen Aspekts der Reformation — der allgemeinen Forschungsmeinung in der D D R zu Beginn der 1960er Jahre nicht entsprachen. 9 Vgl. Steinmetz (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972), ferner Werner / Steinmetz (1961) Die fb. Rev. in Deutschland, sowie den Tagungsbericht von Laube (1961) Gründungskonferenz. 10 Vgl. Brendler (1961) Gründung der Arbeitsgemeinschaft, S. 202. 11 So führte die A G Frühbürgerliche Revolution besonders in der ersten Hälfte der 1960er Jahre mehrere Arbeitstagungen durch. Nach Wernigerode (1960) und Mühlhausen (1960) erfolgten die nächsten Treffen in Halle (1961) und Leipzig (1962), wo im Dezember 1964 auch ein Internationales Kolloquium über Probleme der frühbürgerlichen Revolution durchgeführt wurde. Vgl. dazu die Tagungsberichte von Brendler (1961), (1962), (1965).

3*

36

2.0 Problemstellung

Revolutionen . . . gänzlich zu verzichten" 12 . Hussitenbewegung und Reformation wollte Töpfer, wie er später noch einmal bekräftigte, eher i n die „Vorgeschichte" denn i n die „Frühgeschichte" bürgerlicher Revolutionen eingeordnet wissen, sie „dürften eher als Vorstufen (nicht als Frühstufen) der bürgerlichen Revolution zu werten sein" 1 3 . Stellt man nun die besondere Bedeutung i n Rechnung, die Periodisierungsfragen i n der marxistischen-leninistischen Geschichtswissenschaft spielen, um Gesetzmäßigkeit und Fortschritt historischer Prozesse zu verdeutlichen 14 , so w i r d klar, daß hinter der Frage, ob die frühbürgerliche Revolution nun „das Ende des Mittelalters, der Beginn der Neuzeit oder eine Erscheinung zwischen beiden" 1 5 sei, das grundsätzliche Problem der allgemeinen historischen Einordnung und damit der gichtigen' Interpretation jener Ereignisse steht. Neigte Töpfer dazu, die Reformation als eine mittelalterliche Bewegung, als „Entwicklungskrise" 1 6 innerhalb des Feudalismus aufzufassen, so hatte Steinmetz den Vorschlag gemacht, Reformation und Bauernkrieg i n eine als „Frühneuzeit" zu definierende Übergangsperiode — den Zeitraum von 1400 1642 umfassend — einzuordnen 17 . Fixpunkte einer solchen Periodisierung sollten der Ciompi-Aufstand i n Florenz, die Hussitenbewegung, die frühbürgerliche, die niederländische und die englische Revolution von 1642 sein. Innerhalb dieses Zeitraums stellten Reformation und Bauernkrieg „die Vor- und Frühform der bürgerlichen Revolution, das Zwischenglied zwischen den entwickeisten Formen der antifeudalen revolutionären Bewegung und der ausgereiften bürgerlichen Revolution" 1 8 dar. Durchgesetzt haben sich allerdings diese Periodisierungsvorschläge 12

Töpfer (1963) Hussitische Bewegung, S. 152. Töpfer (1968) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972), S. 76. 14 So heißt es beispielsweise bei Engeiber g (1971) Probleme der Periodisierung: Die Periodisierung bedeute dem Historiker eine wesentliche Hilfe, „tiefer zu dringen im Erkennen des objektiven Geschehens . . ( S . 1219). 15 Steinmetz (1967) Ref. und Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972), S. 61. 16 Töpfer (1963) Hussitische Bewegung, S. 148. Da der Feudalismus um 1500 sich noch keineswegs überlebt hatte, fand die Reformation nicht am Beginn der Neuzeit bzw. der kapitalistischen Ära, sondern auf „einer höheren Entwicklungsetappe der Feudalgesellschaft" (S. 150) statt. 17 Vgl. Steinmetz (1967) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972), S. 63. Die Begriffe Mittelalter, Neuzeit, Spätmittelalter und Frühneuzeit haben im Grunde nur in der Diskussion zwischen Steinmetz und Töpfer eine Rolle gespielt. Gemeinhin spricht man jedoch von Feudalismus und Kapitalismus sowie für die Zeit zwischen beiden Gesellschaftsformationen von der Übergangsperiode vom Feudalismus zum Kapitalismus. 18 Steinmetz (1967) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972), S. 63. Die frühbürgerliche Revolution erhält somit eine gewisse Brückenfunktion und kann — wie Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972) es tat — sowohl als „Beginn der letzten und bedeutsamsten Phase eines schon im hohen Mittelater einsetzenden Emanzipationskampfes des europäischen Bürgertums" als auch als „Beginn einer Epoche großer bürgerlicher Revolutionen" (S. 166/167) in Europa angesehen werden. 13

Begriff und Periodisierung

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von Töpfer 1 9 und Steinmetz nicht. Die Wichtigkeit revolutionärer Vorläufer der Reformation, der Hussitenbewegung etwa, w i r d zwar nicht bestritten, doch w i r d allgemein angenommen, daß mit der frühbürgerlichen Revolution „die objektive Stoßrichtung der Klassenkämpfe" 20 sich änderte und ein qualitativ neues, sprich höheres Niveau erreichte. Reformation und Bauernkrieg stehen also weder am Ende des Mittelalters, noch inmitten einer Zwischenperiode, sondern „am Anfang einer Reihe bürgerlicher Revolutionen in einer neuen Epoche" 21 , einer Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, die u m 1500 einsetzte und m i t der klassischen bürgerlichen Revolution von 1789 ihren Abschluß fand 2 2 . Neben der allgemeingeschichtlichen Einordnung ist noch die ,innere Periodisierung 4 der frühbürgerlichen Revolution von Interesse. I n seinen Thesen von 1960 hatte Steinmetz eine auf- und absteigende Linie sowie einen Höhepunkt der Klassenkämpfe unterschieden. I n drei Phasen vollzog sich demnach die Revolution i n Deutschland, und zwar von 1476 - 1517, 1517 - 1526 und von 1526 - 1535. M i t dem Auftreten des Pfeifers von Nikiashausen hatte die frühbürgerliche Revolution begonnen, mit dem Scheitern der Wiedertäuferbewegung von Münster 1535 endete sie 23 . Reformation und Bauernkrieg — als „Höhepunkt der Revolution" — wurden nun von Steinmetz i n weitere drei Abschnitte untergliedert. M i t Luthers Thesenanschlag begann 1517 die erste Phase, die der Einigung und Sammlung aller nationalen und antirömischen Kräfte. Nach dem Wormser Reichstag von 1521 jedoch setzte bereits der „Zerfall der 19 Zwar hat Töpfer (1968) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972), wie inzwischen allgemein üblich die frühe Neuzeit bzw. die Übergangsepoche zum Kapitalismus „vom ausgehenden 15. Jh. bis 1789" (S. 74) datiert, jedoch erneut die Bezeichnung frühbürgerliche Revolution für Reformation und Bauernkrieg abgelehnt mit der Begründung, daß Hussitenbewegung und Reformation „letztlich doch auf eine Stufe zu stellen sind". (S. 77) Wenn man nun — wie Töpfer es fordert — bei der Periodisierung „nicht sporadisch auftretende Frühformen des Neuen als Ausgangspunkt wählen" darf, sondern „den Einschnitt erst dort legen (sollte), wo Neues kompakt und gehäuft in Erscheinung tritt" (S. 72), dieses seiner Argumentation zufolge jedoch auf die reformatorische Bewegung in Deutschland nicht zutrifft, muß sein Datierungsvorschlag auf 1500 bis 1789 zumindest in der Begründung unlogisch erscheinen. 20 Vogler (1972) Dialektik von Klassenentwicklung, S. 1238. 21 Vogler (1972) Dialektik von Klassenentwicklung, S. 1239. 22 Schilfert (1963) Staat, Bürgertum, Nation, S. 515 hatte die Phase des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus erst mit dem Jahre 1648 beginnen lassen. Erst Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), S. 125 griff die offensichtlich von Smirin (1958) Wirtschaftlicher Aufschwung, S. 243 angeregte Datierung einer Übergangsperiode vom 16. bis 18. Jahrhundert auf. 23 Vgl. Steinmetz (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 43 f.

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2.0 Problemstellung

einheitlichen revolutionären F r o n t " 2 4 ein. Die Etappe zwischen 1521 und 1524 ist so gesehen von einem Prozeß der Differenzierung und Radikalisierung gekennzeichnet, dessen Ergebnis vier verschiedene „religiöspolitische Lager" waren. M i t dem Bauernkrieg von 1524-26 war schließlich die letzte und dritte Etappe erreicht 26 . Ebenfalls i n drei Phasen eingeteilt wurde schließlich noch der Bauernkrieg selbst, der „ i n seiner Gesamtheit eine aufsteigende Periode, einen Höhepunkt und eine abklingende Phase" 26 erkennen lasse. Jene weitgespannte Periodisierung der frühbürgerlichen Revolution von 1476 bis 1535 fand zunächst weitgehende Zustimmung 2 7 , wurde jedoch — etwa seit Mitte der 1960er Jahre — dahingehend abgewandelt, daß man den Terminus frühbürgerliche Revolution synonym für Reformation und Bauernkrieg verwendete, m i t h i n die Revolution auf die Zeit von 1517 bis 1526 datierte 2 8 . Jüngst überraschte Engelberg m i t einem neuen Periodisierungsvorschlag, der alle bislang gegebenen Datierungen erneut i n Frage stellte. Die frühbürgerliche Revolution möchte er von 1517 bis 1536 zeitlich umgrenzt wissen, und dies aufgrund der Absicht, „sie nicht m i t der Niederlage des deutschen Bauernkrieges 1526 oder der Täuferbewegung i n Münster 1535, sondern mit dem Sieg der Kalvinschen Reformation i n Genf beenden (zu)lassen" 29 . Die erste bürgerliche — statt frühbürgerliche — Revolution, wie Engelberg i n einer erneuten Verteidi24

Steinmetz (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 52. Vgl. Steinmetz (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 50 ff. oder auch Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 87. 26 Bensing / Hoyer (2/1970) Bauernkrieg, S. 19. 27 Vgl. etwa Zschäbitz (1961) Täuferbewegung, S. 152 ff. Unbestritten war demnach zunächst auch der Zusammenhang von Reformation, Bauernkrieg und Täuferbewegung. Vgl. dazu Köditz (1959) Volksbewegung in Mühlhausen sowie Köditz (1961) Ideologie der Täuferbewegung, ferner Brendler (1966) Täuferreich zu Münster: „Mit dem dramatischen Kampf in Münster hatte sich die frühbürgerliche Revolution zum letzten M a l gewaltsam aufgebäumt, bevor sie endgültig erlahmte." (S. 167). 28 Vgl. Bensing (1966) Thüringer Aufstand: „Von der ursprünglichen Auffassung, die frühbürgerliche Revolution beginne mit dem Jahre 1476 und ende 1535 wurde inzwischen abgerückt. Die aufsteigende Phase der Klassenkämpfe 1476 - 1517 führt zur Revolution, ist aber nicht ihr Bestandteil. Reformation und Bauernkrieg werden als frühbürgerliche Revolution betrachtet, nicht als deren ,Kernstück und Höhepunkt'" (S. 20 Anm. 12), so später auch Steinmetz (1970) Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), S. 108. 29 Enqelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1239. Insbesondere über den Vorschlag, die frühbürgerliche Revolution mit dem Jahre 1536 enden zu lassen, kam es zu einer Kontroverse mit Vogler (1972) Engels zur fb. Rev. Vgl. ferner Engelberg (1972) erste bürgerliche Rev. Auch Steinmetz (1973) Höhepunkte der Geschichte, S. 100, äußerte sich ablehnend zu Engelbergs Pen'odisierungsvorschlag und kündigte stattdessen für den in nächster Zeit erscheinenden „Grundriß der Geschichte des deutschen Volkes" wiederum eine andere Periodisierung mit den Eckdaten 1470 - 1517 -1525/26 an. Vgl. ebenda S. 99. 25

Eevolutionstheorie

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gung und Begründung seiner Thesen jetzt lutherische Reformation, Bauernkrieg und Kalvinsche Reformation nennt 3 0 , vollzog sich i n zwei Etappen, wovon die erste von 1517 -1525/26 und die zweite von 1526 1536 währte. Der Bauernkrieg erhält dabei die Funktion eines »Wendepunktes 4 oder ,Zwischenaktes 4 der Revolution 3 1 . Umrahmt w i r d das Ganze von einer „revolutionäre(n) Vorbereitungszeit 44 (1453 - 1517)32 und einer von 1536 - 1555 dauernden Phase des Verebbens der Revolution, i n der wiederum die Voraussetzungen für die endgültige Etablierung des Kalvinismus „auf dem ersten Platz i m europäischen Protestantismus 4 4 3 3 nach 1555 geschaffen wurde. Als Fazit bleibt vorerst zweierlei festzuhalten: 1. daß unter frühbürgerlicher Revolution ein einheitlicher, Reformation und Bauernkrieg umfassender revolutionärer Prozeß verstanden wird, über dessen Periodisierung allerdings und damit auch über dessen historische Beurteilung ein abschließendes, allgemein befriedigendes Wort noch nicht gesprochen ist 3 4 ; und 2. daß der eigentliche Wert oder auch Sinn der Bezeichnung ,frühbürgerliche Revolution 4 darin gesehen wird, daß sie den Beginn einer qualitativ neuen gesellschaftlichen Entwicklung anzeigt. 2.2 Grundlagen der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie Da Reformation und Bauernkrieg als soziale Revolution gedeutet werden, ist es zur weiteren Problematisierung des Problems unerläßlich, die grundlegenden Prämissen der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie zu klären. Soziale Revolutionen werden gern — ein Wort von K a r l Marx aufgreifend — als ,Lokomotiven der Geschichte4 bezeichnet 35 . Ihre Funktion, die gesellschaftliche Entwicklung zu beschleunigen, ist damit treffend umschrieben. „ A u f einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung 4 4 , schrieb Marx i m Vorwort zur K r i t i k der Politischen Ökonomie, „geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft i n Widerspruch 80 Vgl. Engelberg (1972) erste bürgerliche Rev., S. 1303. Nach Engelberg wird damit lediglich eine „wesentliche Terminologie von Engels wieder eingeführt" (S. 1303). Vgl. auch Anm. 3 in diesem Kapitel. 81 Vgl. Engelberg (1972) erste bürgerliche Rev., S. 1294 und S. 1304. 82 Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1244. 88 Engelberg (1972) erste bürgerliche Rev., S. 1301. 84 Vgl. auch Steinmetz (1973) Höhepunkte der Geschichte, wo es heißt, daß die bisherigen Publikationen in der DDR zum Thema Reformation und Bauernkrieg „im Grunde Thesenwerke" seien und man „in den letzten 15 Jahren nicht dazu gekommen" sei, „das umfassend nachzuweisen, was wir 85 Vgl. etwa Grundlagen (3/1973), S. 414. Vgl. hierzu und zum Folgenden die in der Bundesrepublik erschienenen Untersuchungen von: Tetsch (1973) Permanente Rev., Heiss (1949/50), Rev. bei Marx, Sonntag (1968) Marx und Lenin.

40

2.0 Problemstellung

m i t den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein j u ristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen innerhalb derer sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse i n Fesseln derselben um. Es t r i t t dann eine Epoche sozialer Revolution ein" 3 6 . Die Ursache sozialer Revolutionen ist folglich i n jenen Spannungen zu suchen, die sich aus dem dynamischen Charakter der Produktivkräfte und dem konservierenden Charakter der — durch die jeweilige Eigentumsordnung stabilisierten — Produktionsverhältnisse ergeben. Allerdings geht eine Gesellschaftsformation „nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben i m Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind" 8 7 . Soziale Revolutionen — so läßt sich daraus folgern — werden dann erst möglich, wenn 1. die Möglichkeiten, die die alte Gesellschaft für die Entwicklung des Neuen bot, voll ausgeschöpft sind, und 2. die Existenzmöglichkeit neuer Produktionsverhältnisse und damit gewisse Erfolgsaussichten der Revolution gegeben sind. Revolutionen ohne entsprechende materielle oder auch objektive Voraussetzungen sind nach Marx also nicht denkbar. Lenin führte diesen Gedanken später dahingehend fort, daß er von der Notwendigkeit einer revolutionären Situation sprach, die objektiv gegeben sein müssen und durch drei Dinge gekennzeichnet sei: 1. durch die Unmöglichkeit der herrschenden Klasse, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten; 2. durch eine Verschärfung des Elends der unterdrückten Klassen über das übliche Maß hinaus und 3. durch eine daraus resultierende Steigerung der A k t i v i t ä t der Massen 38 . Eine revolutionäre Situation ließe sich demnach als eine auf die Spitze getriebene Klassenkampfsituation begreifen. Denn zur Revolution genügt es nicht, wie Lenin meinte, „daß sich die ausgebeuteten und unterdrückten Massen der Unmöglichkeit, i n der alten Weise weiterzuleben, bewußt werden und eine Änderung fordern; zur Revolution ist es notwendig, daß die Ausbeuter nicht mehr i n der alten Weise leben und regieren können. Erst dann, wenn die ,Unterschichten' das A l t e nicht mehr wollen u n d d i e O b e r s c h i c h t e n ' in der alten Weise nicht mehr können,

erst

dann kann die Revolution siegen. M i t anderen Worten kann man diese Wahrheit so ausdrücken: Die Revolution ist unmöglich ohne eine gesamtnationale (Ausgebeutete wie Ausbeuter erfassende) Krise" 8 0 . 86

Marx (1859) Zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: M E W 13 (1969), S. 9. Marx (1859) Zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: M E W 13 (1969), S. 9. 88 Vgl. Lenin (1915) Der Zusammenbruch der I I . Internationale, in: L W 21 (1960), S. 206. 87

evolutionstheorie

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Eine Revolution ist also ohne eine entsprechende gesellschaftliche Krise nicht denkbar; denkbar ist sie jedoch auch nicht, ohne daß die Unterschichten das Alte nicht mehr wollen, sie sich mit anderen Worten ihrer Klassenlage bewußt und dadurch zu revolutionärem Handeln motiviert werden. Ein zur Tat drängendes, die Theorie verwirklichendes und zu „materieller Gewalt" 4 0 treibendes revolutionäres Bewußtsein ist somit der zweite wichtige, der subjektive Faktor der Revolution. Aus der Entwicklung der Revolutionstheorie seit Marx w i r d jedoch deutlich, daß objektive und subjektive Faktoren keineswegs immer gleichgewichtige Größen darstellten, ihr Stellenwert vielmehr recht unterschiedlich beurteilt worden ist. Die Ursachen dafür dürften u. a. i n enttäuschten Hoffnungen auf eine proletarische Weltrevolution zu Marx' und Engels* Zeiten als auch i n den fehlenden objektiven Voraussetzungen und Möglichkeiten einer proletarischen Revolution i m — i n feudalen Strukturen erstarrten — Rußland zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu suchen sein. So reagierten Marx und insbesondere Engels auf wachsende Legitimationsprobleme der marxistischen Theorie m i t verstärkter Betonung der Naturgesetzlichkeit gesellschaftlicher Entwicklung. A n die Stelle unmittelbarer Revolutionserwartung trat mehr und mehr die wissenschaftlich begründete Gewißheit des gesetzmäßigen Untergangs der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Für Marx stellten zunächst objektive und subjektive Faktoren einer Revolution eine unabdingbare dialektische Einheit dar. Das heißt: ohne das eine oder ohne das andere war eine Revolution nicht möglich. „Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die W i r k lichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen 4 1 ." Der revolutionäre Umschlag erfolgt m i t anderen Worten „ i n der Begegnung von Philosophie und Proletariat von i n A k t i o n umschlagendem Selbstbewußtsein und zum Selbstbewußtsein kommenden (sozialökonomischem) Prozeß" 42 . A n die Stelle der Philosophie, die sich nach M a r x erst i n der selbstbewußten revolutionären Befreiungstat des Proletariats verwirklichen konnte, t r i t t bei Engels die Dialektik als Wissenschaft von den Natur, Gesellschaft und Denken gleichermaßen durchdringenden allgemeinen Bewegungsgesetzen 48 . M i t dem dialektischen Materialismus sah En89 Lenin (1920) Der „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: L W 31 (1959), S. 71. 40 Vgl. Marx (1844) Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, in: M E W 1 (1969): „Ihr könnt die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen." (S. 384) Denn „auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift", (S. 385). 41 Marx (1844) Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, in: M E W 1 (1969), S. 386. 42 Fetscher (1967) Marx und Marxismus, S. 132. 48 Vgl. etwa Engels (1878) Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, in: M E W 20 (1962), wo es von dem dialektischen Gesetz der Negation

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2.0 Problemstellung

gels jenes Intrumentarium gegeben, das die allgemeinen Bewegungsgesetze der Natur auf die menschliche Geschichte zu übertragen und damit einen naturwissenschaftlich begründeten Beweis des Historischen Materialismus anzutreten erlaubte. Seine Absicht, nachzuweisen, „daß i n der Natur dieselben dialektischen Bewegungsgesetze i m Gewirr der zahllosen Veränderungen sich durchsetzen, die auch i n der Geschichte die scheinbare Zufälligkeit der Ereignisse beherrschen" 44 , macht die durch Engels i n der Weiterentwicklung der marxistischen Theorie erfolgte ,Naturierung' der Geschichte deutlich. Bei Marx bildeten Natur und Mensch noch eine durch die Praxis vermittelte dialektische Einheit, bei Engels hingegen vollzieht sich die dialektische Entwicklung innerhalb der Natur unabhängig von Mensch und Denken. Die Folge davon ist — und das ist für den Revolutionsbegriff von großer Bedeutung —, daß i n Engels* dialektisch-materialistischer Evolutionstheorie der subjektive Faktor eines „die Wirklichkeit und mit ihr sich selbst um-wälzenden Klassenbewußtseins" 45 weit zurücktritt hinter der starken Betonung eines von der Ökonomie determinierten naturgesetzlich ablaufenden Geschichtsprozesses 46. Waren Marx und Engels davon überzeugt, daß der Kapitalismus aufgrund der i h m eigenen Gesetzmäßigkeit untergehen werde 4 7 , keine der Negation ζ. B. heißt, daß es ein „äußerst allgemeines und eben deswegen äußerst weit wirkendes und wichtiges Entwicklungsgesetz der Natur, der Geschichte und des Denkens (sei) ; ein Gesetz, das . . . in der Tier- und Pflanzenwelt, in der Geologie, in der Mathematik, in der Geschichte, in der Philosophie zur Geltung kommt . . ( S . 131) Und haben erst — wie Engels (1883) Dialektik der Natur, in: M E W 20 (1962) bemerkt — „Natur- und Geschichtswissenschaft die Dialektik in sich aufgenommen, wird all der philosophische K r a m . . . überflüssig, verschwindet in der positiven Wissenschaft". (S. 480) Damit war nach Fetscher (1967) Marx und Marxismus, S. 123 ff., ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung der marxistischen Theorie von der „Philosophie des Proletariats zur proletarischen Weltanschauung" getan. 44 Engels (1878) Anti-Dühring. Vorwort zu der Auflage von 1885, in: M E W 20 (1962), S. 11. 45 Fetscher (1967) Marx und Marxismus, S. 137. 48 Wenn man von der Engels'schen Geschichtsauffassung spricht, wird man sich selbstverständlich den „ganzen" Engels zu vergegenwärtigen haben. So hat gerade der späte Engels davor gewarnt, die materialistische Methode „als fertige Schablone" zu benutzen, „wonach man sich die historischen Tatsachen zurechtschneidet". — so Engels (1890) an P. Ernst, in: M E W 37 (1967), S. 411. Der Vorwurf allerdings, den Weg für eine einseitige Verengung ihrer Theorie im Sinne eines objektivistischen ökonomischen Determinismus zumindest bereitet zu haben, trifft Marx und Engels keineswegs ganz zu Unrecht, wie dies Engels (1890) an J. Bloch, in: M E W 37 (1967), S. 462 ff. selbstkritisch durchaus schon gesehen hat. 47 Vgl. beispielsweise Marx / Engels (1848) Manifest der Kommunistischen Partei, in: M E W 4 (1959): „Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst weggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. I h r Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich." (S. 474).

evolutionstheorie

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Gesellschaft jedoch irgendeine Phase ihrer Entwicklung überspringen könnte 4 8 , so dachte Lenin anders. Angesichts der ökonomischen Rückständigkeit des zaristischen Rußlands und des geringen prozentualen Anteils des Proletariats an der Gesamtbevölkerung 49 , stellte sich die Frage, ob „die proletarische Revolution bis zur Reife der wirtschaftlichen Verhältnisse warten müsse, oder ob die revolutionäre A k t i o n vorher einsetzen und ein eigenständiger Faktor für die Entwicklung werden könne" 5 0 . Lenin entschied sich für die letzte Möglichkeit und räumte damit dem subjektiven Faktor i m Vergleich zu Marx und Engels eine wesentlich größere, ja die zentrale Bedeutung ein. Nicht die Hoffnung auf eine »automatische4 Lösung der gesellschaftlichen Widersprüche bestimmte sein Revolutionsdenken, sondern die Überzeugung, die Revolution aktiv betreiben zu müssen. Revolutionen sind nach Lenin machbar und müssen demzufolge „sorgfältig geplant und organisiert werden" 5 1 . Eine solche Aufgabe hat eine kleine, aber „straff geführte, zentralistisch organisierte und konspirative Partei von Berufsrevolutionären" 5 2 zu erfüllen, die damit zum eigentlichen Motor der Revolution avanciert. Nicht mehr das Klassenbewußtsein selbst — ein solches zu entwickeln ist nach Lenin das Proletariat aus eigener K r a f t gar nicht i n der Lage 5 3 — wie bei K a r l Marx etwa, sondern das m i t der ,Partei neuen Typs' institutionalisierte Klassenbewußtsein hat jetzt „die Vermittlung der dialektischen Spannung zwischen Theorie und Praxis" 5 4 zu leisten. A n die Stelle der revolutionierenden K r a f t des Bewußtseins t r i t t die der Organisation. Träger der Revolution ist nicht mehr wie bei Marx das die Mehrheit der Menschheit bildende Proletariat, sondern die als Kern, Elite oder auch Avantgarde des Proletariats bezeichnete Partei der Arbeiterklasse. 48 Vgl. Marx (1867) Das Kapital, Kritik der Politischen Ökonomie I, in: M E W 23 (1962): „Auch wenn die Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist . . . kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren." (S. 15/16). 49 Vgl. hierzu Tetsch (1973) Permanente Revolution: „Nach 1900 wuchs das Proletariat auf gerade 2,3 % der Gesamtbevölkerung an." (S. 207, Anm. 92). Vgl. auch Sonntag (1968) Marx und Lenin, S. 105 ff. 50

Tetsch (1973) Permanente Revolution, S. 27.

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Tetsch (1973) Permanente Revolution, S. 29.

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Tetsch (1973) Permanente Revolution, S. 28, vgl. auch Sonntag (1968) Marx und Lenin, S. 142 ff. 58 Vgl. Lenin (1902) Was tun? — Brennende Fragen unserer Bewegung, in: L W 5 (1966): „Das politische Klassenbewußtsein kann den Arbeitern nur von außen gebracht werden, das heißt aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern." (S. 436). 54

Sonntag (1968) Marx und Lenin, S. 139.

2.0 Problemstellung

Aus der Revolution der Mehrheit für die Mehrheit w i r d bei Lenin eine Revolution der Minderheit für die Mehrheit. Damit w i r d das Proletariat vom Subjekt der Geschichte zu dem es M a r x erst erklärt hatte, wiederum zum Objekt der Geschichte, denn die „elitäre Organisation der Berufsrevolutionäre ist die eigentlich geschichtsträchtig und produktiv handelnde K r a f t " 5 5 . Für den Revolutionsbegriff weiterhin von Bedeutung ist die Frage der politischen Macht, die Lenin als „die Grundfrage jeder Revolution" 5 6 bezeichnet hat. Denn die Übernahme der politischen Macht durch die neue Klasse ist für ihn die entscheidende Voraussetzung für die sozialökonomische Umgestaltung der Gesellschaft überhaupt 5 7 . Eine soziale Revolution ist m i t anderen Worten erst dann möglich, wenn ihr eine politische Revolution vorausgegangen ist. Lenin teilte somit keineswegs den Marx'schen Optimismus, wonach es auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der Produktivkräfte m i t Gewißheit zu einer Kollision m i t den Produktionsverhältnissen kommen werde. Lenins Revolutionstheorie ist zweifellos konkreter, flexibler und realistischer: konkreter insofern, als Lenin zwar auch von einer objektiv vorhandenen Krise ausgeht, diese jedoch nicht nur als eine auf den ökonomischen Bereich beschränkte, sondern auch den sozialen und politischen Sektor erfassende Revolutionäre Situation 4 definiert; flexibler insofern, als er von einem ökonomischen Determinismus, einem Warten auf die Revolution nichts hält und stattdessen das aktive Betreiben der Revolution, die bewußte revolutionäre Tätigkeit betont, womit durchaus gewisse Schwächen und Unausgegorenheiten des objektiven Faktors ausgeglichen werden können und müssen; realistischer schließlich insofern, als für ihn die politische Machtergreifung der neuen Klasse eine unbedingt notwendige Voraussetzung für eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaftsordnung darstellt. Wenn man nun von einer marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie spricht, so w i r d man sich der Ambivalenz, bisweilen sogar der Widersprüchlichkeit des Marx-Engels'schen und des Leninschen Revolutionsverständnisses bewußt bleiben müssen. Für den Marxismus-Leninismus selbst existieren diese Differenzen zwischen M a r x - und Lenin nicht; er versucht vielmehr, die Theorie von der ökonomischen Gesetzmäßigkeit m i t jener der bewußten revolutionären A k t i o n zu kombinieren und beide zu integrieren. „Eine soziale Revolution erfordert 55

Sonntag (1968) Marx und Lenin, S. 152. Lenin (1917) Über die Doppelherrschaft: in: L W 24 (1969), S. 20, ähnlich auch Engels (1875) Flüchtlingsliteratur. V. Soziales aus Rußland, in: M E W 18 (1962) : „Jede wirkliche Revolution ist eine soziale, indem sie eine neue Klasse zur Herrschaft bringt und dieser gestattet, die Gesellschaft nach ihrem Bilde umzugestalten." (S. 560). 57 Vgl. Sonntag (1968) Marx und Lenin, S. 126 ff. 56

evolutionstheorie

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demnach die Einheit von objektiven und subjektiven Bedingungen 58 ." Dieser Satz w i r d nun dahingehend interpretiert, daß einerseits ohne die entsprechenden objektiven Voraussetzungen eine Revolution nicht möglich ist, daß andererseits aber dann, wenn solche Bedingungen gegeben sind, der subjektive Faktor über das Schicksal der Revolution entscheidet 59 . Schließlich bleibt als letztes noch die Frage zu stellen, wie oder wodurch sich Revolutionen voneinander unterscheiden lassen; w o r i n beispielsweise der Unterschied zwischen einer sozialistischen und einer bürgerlichen Revolution zu suchen ist. „Revolutionen unterscheiden sich voneinander", so die A n t w o r t des Lehrbuches der marxistisch-leninistischen Philosophie auf diese Frage, „durch ihren Charakter und durch ihre Triebkräfte 60." Man könnte auch sagen, der Unterschied liegt i n einer qualitativen Andersartigkeit der objektiven und subjektiven Faktoren i m jeweiligen konkret-historischen Fall. Der objektive Verlauf der Menschheitsgeschichte vollzieht sich nach marxistisch-leninistischer Überzeugung i n fünf einander ablösenden Gesellschaftsformationen von der Urgesellschaft über die Sklavenhaltergesellschaft, den Feudalismus und Kapitalismus bis hin zum Sozialismus/Kommunismus 61 . Da der Übergang von einer niederen zu einer höheren Ordnung grundsätzlich auf revolutionärem Wege vonstatten geht, w i r d der Charakter der jeweiligen Revolution „dadurch bestimmt, welche sozialen Widersprüche sie löst, zur Errichtung welcher Ordnung sie f ü h r t " 6 2 . Eine die feudalen Widersprüche lösende Revolution ist demnach eine bürgerlichen Charakters, eine den Kapitalismus überwindende Revolution folglich eine sozialistische Revolution. Entscheidend für den Klassencharakter oder auch Klasseninhalt einer Revolution ist demnach die jeweils erreichte Entwicklungsstufe einer Gesellschaft und weniger die Klassenposition der die Revolution tragenden und anführenden Kräfte. So werden ζ. B. die russischen Revolutionen von 1905 und vom Februar 1917 je als bürgerliche Revolution bezeichnet, obwohl Bauern und Arbeiter als deren Triebkräfte angesehen werden 6 3 . Die Triebkräfte einer Revolution betreiben i n jedem Fall die Sache des Fortschritts. Sie haben die auf der jeweiligen Entwicklungsstufe des aszendenten Geschichtsprozesses anstehenden objektiven Aufgaben zu lösen, die keineswegs immer m i t ihren subjektiven Interessen und Handlungen identisch sein müssen — wie die I n 58 59 80 61 62 63

Grundlagen (3/1973), S. 427. Vgl. Grundlagen (3/1973), S. 428. Grundlagen (3/1973), S. 413. Vgl. Grundlagen (3/1973), S. 417 ff. Grundlagen (3/1973), S. 413. Vgl. Grundlagen (3/1973), S. 414.

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2.0 Problemstellung

terpretation von Reformation und Bauernkrieg als frühbürgerliche Revolution zeigen wird. 2.3 Reformation und Bauernkrieg in der Sicht sowjetischer Historiker Die Frage nach den ökonomischen Voraussetzungen und Grundlagen einer Revolution spielt i n der materialistischen Geschichtsauffassung — wie oben besprochen — nicht zuletzt deshalb eine entscheidene Rolle, weil von dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte auf den Klasseninhalt einer Revolution geschlossen werden kann. So kann beispielsweise von einer bürgerlichen Revolution wohl kaum die Rede sein, wenn bedeutende kapitalistische Produktivkräfte noch nicht vorhanden sind. Denken w i r nun daran, daß der Klassiker des Marxismus-Leninismus Friedrich Engels i m Hinblick auf die Ereignisse des 16. Jahrhunderts von der »Revolution Nr. 1 der Bourgeoisie 4 gesprochen hat, so w i r d das Problem deutlich, u m deren Lösung sowjetische Historiker — lange bevor sich ihre Kollegen i n der DDR m i t dieser Frage intensiver befaßten — kurz, aber heftig stritten. Bevor auf diese Diskussion, die für die Entwicklung des DDR-Geschichtsbildes i n dieser Frage nicht ohne Einfluß blieb, näher einzugehen sein wird, soll kurz die Meinimg Engels* wiedergegeben werden. Von ihm, der sich häufiger zum Thema Reformation und Bauernkrieg geäußert hat, liegen hinsichtlich der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse i m 16. Jahrhundert verschiedene Äußerungen vor 6 4 . I n seiner Bauernkriegsschrift von 1850 hatte er die wirtschaftliche Situation Deutschlands i m Vergleich zu den übrigen europäischen Ländern als schwach und rückständig eingeschätzt 65 . Jahre später, als Engels möglicherweise eine Überarbeitung seiner Bauernkriegsschrift erwog, befand er, daß das Deutschland des 16. Jahrhunderts i n der wirtschaftlichen Entwicklung keineswegs anderen nachgestanden, sondern sich „materiell vollständig auf der Höhe der damaligen Länder" 6 6 befunden 84 Vgl. Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, Die teilweise widersprüchlichen und teils nur bruchstückhaft überlieferten Meinungen Friedrich Engels' waren immer wieder Gegenstand marxistisch-leninistischer Exegese. Vgl. etwa Steinmetz (1967) Entstehung der marxistischen Auffassung, in: Wohlfeil (1972), besonders S. 89 ff. und Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 163 ff. Wie des Meisters Worte zu interpretieren seien, darum ging es auch in der jüngsten Kontroverse zwischen Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, und Vogler (1972) Engels zur fb. Rev., vgl. auch Engelberg (1972) Nochmals zur ersten bürgerlichen Rev. 65 Vgl. Engels (9/1970) Bauernkrieg, S. 31. Vgl. dazu Schilfert (1948) Engels Bk. sowie Bensing (1961) Engels Bk. ββ Engels (nach 1875?) Konzept zu Ref. u. Bk., in: Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 280.

Forschungen sowjetischer Historiker

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habe. Als schließlich Kautsky seine Artikelserie über Bergarbeiter und Bauernkrieg i n Thüringen publizierte, wurde es Engels klar, daß Deutschland von 1470 bis 1530 aufgrund seiner Gold- und Silberproduktion wirtschaftlich i n Europa eine Spitzenstellung eingenommen habe, die dieses Land „damit zum Mittelpunkt der ersten bürgerlichen Revolution machte" 67 . Die Ursache der ersten Revolution i n Deutschland war somit dem späten Engels zufolge i n der wirtschaftlichen Prosperität dieses Landes u m 1500 zu suchen. Damit hatte Engels jedoch noch nichts über den Entwicklungsstand der damaligen Produktivkräfte ausgesagt — ob sie bereits kapitalistische Züge trugen oder nicht. Eine derartige Verbindung zwischen günstiger Wirtschaftslage und kapitalistischen Produktionsformen wurde erst i n der von sowjetischen Historikern während der 1950er Jahre geführten Debatte u m die Einschätzung von Reformation und Bauernkrieg — anfangs erst zaghaft, dann aber immer deutlicher — hergestellt 6 8 . So ging ζ. B. Smirin von einer allgemein günstigen Wirtschaftslage Deutschlands aus, deren Ursache er i n dem die Warenproduktion beschleunigenden Handel sah. Die Folgen waren verstärkte feudale Unterdrückung, aber auch „gewisse Voraussetzungen für die kapitalistische Produktion" 6 9 i n Bergbau und Wollindustrie. Allerdings waren infolge der territorialen Zersplitterung Deutschlands keine günstigen politischen Voraussetzungen für eine kapitalistische Entwicklung gegeben. Aufgrund fehlender Wachstumsmöglichkeiten für kapitalistische Produktionsformen kam es deshalb i n Deutschland schon frühzeitig, „als die ersten Elemente der kapitalistischen Produktion soeben auftauchten" 70 , zwischen den alten Verhältnissen und den neuen Kräften der Produktion zu einem Konflikt. Deutlicher noch wurde Smirin einige Zeit später, als er die Ansicht vertrat, Deutschland habe nicht nur hinsichtlich des Entwicklungsstandes seiner Bergbauindustrie alle Länder Europas übertroffen, „sondern auch darin, daß zu jener Zeit i n Deutschland die Merkmale der kapitalistischen Produktionsweise i n 67 Engels (1889) an Kautsky, in: Marx ! Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 617. 68 Einen knappen Überblick über die in der Sowjetunion geführte Diskussion geben: Rauch (1958) Bauernkrieg in sowjetischer Sicht und Rammstedt (1968) Problem „fb." Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 236 ff. 69 Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 539. 70 Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 539. Günstige Bedingungen für die Herausbildung kapitalistischer Produktivkräfte innerhalb des Feudalismus sah Smirin vor allem in der staatlichen Zentralisation. I n zentralisierten Staaten entstand deshalb anders als in Deutschland — vgl. Smirin (2/1956) Volksreformation — „die Situation der bürgerlichen Revolution nicht auf der frühen Stufe, auf der sich die Elemente der kapitalistischen Entwicklung herausbildeten, sondern bedeutend später". (S. 12).

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2.0 Problemstellung

diesem Industriezweig klar zutage traten" 7 1 . Schließlich habe auch die Textilindustrie deutlich kapitalistische Züge getragen. Ein anderer sowjetischer Historiker, A. D. Epstein, entwarf das B i l d eines geradezu grandiosen wirtschaftlichen Aufschwungs und kapitalistischer Praktiken i m Deutschland des 16. Jahrhunderts. Von der Existenz „eines einheitlichen nationalen Marktes" 7 2 zu jener Zeit war da ebenso die Rede wie von einem „stürmisch verlaufende(n) Prozeß der ursprünglichen Akkumulation", der sich darin äußerte, daß man „aus allen Quellen Profite zog", sogar „die Ersparnisse" mobilisierte „ u n d so der mittelalterliche Schatz i n Kapital verwandelt" 7 3 wurde. A l t e und neue Wirtschaftspraktiken gerieten i n immer schärfere Konflikte miteinander. Bankfirmen traten i n Konkurrenz zu den Wucherern. Mittelalterliche Handwerker und Kaufleute wurden von neuen Handelskompanien oder Monopolen — wie Epstein sie auch nennt — verdrängt. Der Handel blühte und begünstigte die weitere Expansion von Bergbau-, Hütten- und Textilindustrie. Angesichts einer solchen Entwicklung tauchte natürlich sogleich die Frage auf, wer denn eigentlich als Träger jenes kapitalistischen Fortschritts i m 16. Jahrhundert anzusehen sei. Smirin löste diese Frage, i n dem er eine „radikale", die kapitalistischen Elemente des Bürgertums repräsentierende und eine aus Zunfthandwerkern und Kaufleuten bestehende „gemäßigte Opposition" unterschied. Da die zuletzt Genannten jedoch „die erdrückende Mehrheit des Bürgertums" bildeten und sie ihrer Privilegien wegen „auf Gedeih und Verderb mit der Feudalgesellschaft" 74 verbunden waren, setzte das radikale Bürgertum seine ganze Hoffnung auf die Volksmassen. Denn nur sie waren i n der Lage, 71 Smirin (1958) Wirtschaftlicher Aufschwung, S. 255. Der Bergbau galt überhaupt als der Produktionszweig, in dem man am deutlichsten kapitalistische Produktionsformen nachweisen zu können glaubte. Bei Grigor'jan (1959) Genesis kapitalistischer Verhältnisse, heißt es etwa über den Bergbau im 15./16. Jahrhundert, er trage „deutlich ausgeprägte Züge der kapitalistischen Manufaktur". (S. 1764). Mit der Realität des 15./16. Jahrhunderts dürfte wohl kaum noch etwas Gemeinsames die folgende Schilderung haben: „Große Produktionsmaßstäbe, charakterisiert durch bedeutende Kapitaleinlagen und die Verwendung Hunderter, ja sogar Tausender von Lohnarbeitern, umfangreicher Absatz, Verbindung des Handelskapitals mit dem industriellen Kapital, die der Manufaktur eigene Arbeitsteilung und dadurch bedingte Unterschiede im Arbeitslohn, alles das zeigt deutlich die Spaltung zwischen den Vertretern der Arbeit und des Kapitals." (S. 1764). Und schon wurden auch die negativen Seiten des Kapitalismus sichtbar. Denn jene lehrbuchhafte kapitalistische Entwicklung im Bergbau „wurde von einer schonungslosen Exploitation und Verelendung der Bergarbeiter begleitet". (S. 1767). 72 Epstein (1958) Ref. u. Bk., S. 382. 73 Epstein (1958) Ref. u. Bk., S. 383. 74 Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 552.

Forschungen sowjetischer Historiker

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die Feudalordnung ernsthaft zu bedrohen und damit die sozialen und politischen Aufgaben der Zeit zu erkennen und durchzuführen 75 . Epsteins Diskussionsbeitrag gipfelte i n der These, daß die eigentlichen Träger der kapitalistischen Entwicklung nicht etwa ein kapitalistisch gesonnenes oder auch radikales Bürgertum, sondern sogenannte Großunternehmen, Handelskompanien und Monopole 76 gewesen seien. Eine Bourgeoisie als Klasse habe es nicht gegeben. Und überhaupt habe das Bürgertum m i t seiner profeudalen Haltung eher einer kapitalistischen Entwicklung i m Weg gestanden, als daß es an einer siegreichen antifeudalen Revolution interessiert gewesen sei. Deshalb müsse man „die deutschen Ereignisse des 16. Jahrhunderts als bürgerliche Revolution ohne Bourgeoisie" 77 interpretieren. Ausgelöst worden war jene Diskussion unter den sowjetischen Historikern durch einen Aufsatz von Tschaikowskaja, i n dem sie die Erklärung von Reformation und Bauernkrieg als Folgeerscheinung kapitalistischer Entwicklungen und damit die These von der ersten bürgerlichen Revolution i n Deutschland grundsätzlich i n Zweifel zog 78 . Für sie gab es nur eine Alternative: Entweder waren zu Beginn des 16. Jahrhunderts i n Deutschland noch keine oder nur schwache Ansätze des Kapitalismus vorhanden, dann bliebe es unerfindlich, warum dadurch bereits eine bürgerliche Revolution ausgelöst werden konnte; oder aber die kapitalistische Entwicklung war bereits so weit fortgeschritten, daß ein Zusammenstoß m i t dem Feudalismus unvermeidlich wurde, dann müßten sich jedoch auch bedeutende kapitalistische Produktionsformen nachweisen lassen 79 . Da für Tschaikowskaja feststand, daß ein solcher Nachweis nicht erbracht werden könne, lehnte sie die These einer einheitlichen bürgerlichen Bewegung ab und trennte Reformation und Bauernkrieg wieder i n zwei selbständige Bewegungen. So gesehen stellte die Reformation „eine soziale und ideologische Bewegung des Bürgertums" und der Bauernkrieg einen „Bauernaufstand i m Zeitalter entstehender (nur 75

Vgl. Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 553. Vgl. Epstein (1958) Ref. u. Bk., S. 382/387. Interessant ist, daß Epstein die Handelskompanien und Monopole als Träger des Fortschritts einstufte, während Smirin (1958) Wirtschaftlicher Aufschwung, in den „monopolistischen Handelsgesellschaften" (S. 260) ein wesentliches Hindernis der kapitalistischen Entwicklung erblickte. 77 Epstein (1958) Ref. u. Bk., S. 374. 78 Tschaikoskaja (1957) Ref. u. Bk., hielt mehr von der in Engels (1850) Bauernkrieg, vertretenen These von der ökonomischen Rückständigkeit Deutschlands im 16. Jahrhundert, weshalb sie auch die Ursache von Reformation und Bauernkrieg nicht in günstigen, sondern in ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen sah. 79 Vgl. Tschaikowskaja (1957) Ref. u. Bk., S. 725. 7e

4 Foschepoth

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2.0 Problemstellung

entstehender!) kapitalistischer Verhältnisse" 8 0 dar. Denn sie hätten nur dann zu einer bürgerlichen Revolution werden können, wenn der Sturz des Feudalismus ihr gemeinsames Ziel gewesen wäre. Für eine wirkliche soziale Revolution reichte jedoch nach Tschaikowskaja der Entwicklungsstand der bürgerlichen Kräfte bei weitem nicht aus. Was erreicht werden konnte, war: der Reformation zum Durchbruch zu verhelfen. Nichts anderes habe Engels gemeint, als er der „bürgerlichplebejischen Bewegung" i m 16. Jahrhundert einen gewissen Erfolg zuerkannt hatte, nämlich „den ihrer religiösen Verkleidung, während der Erfolg des bürgerlichen Inhalts dem folgenden Jahrhundert und den Ländern der inzwischen entstandenen neuen Weltmarktrichtung vorbehalten blieb: Holland und England" 8 1 . Engels sei es somit i n erster Linie darauf angekommen, „das Entstehen und den Sieg der neuen, bürgerlichen Religion und gleichzeitig der neuen bürgerlichen Weltanschauung" 82 aufzuzeigen. Blieb diese Debatte u m die grundsätzliche Einschätzung von Reformation und Bauernkrieg i n der sowjetischen Geschichtswissenschaft auch ohne nennenswerte Folgen 83 , so machten es sich die Historiker der DDR nach 1960 zu ihrer Aufgabe, „die i n der Sowjetunion seit dem Jahre 1956 über Charaktere, Triebkräfte und Ergebnisse der frühbürgerlichen Revolution geführte Diskussion aufzugreifen und durch eigene Beiträge und planvolle Forschungsarbeit weiterzuführen" 8 4 . Das methodologische Problem — damit können w i r die bisherigen Überlegungen kurz zusammenfassen und zum Folgenden überleiten — einer Theorie der bürgerlichen Revolution i m 16. Jahrhundert stellt sich dem marxistisch-leninistischen Historiker wie folgt: 1. Wenn Reformation und Bauernkrieg als ein einheitlicher revolutionärer Prozeß beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus, also als eine soziale Revolution interpretiert werden sollen, so müssen nach marxistisch-leninistischem Revolutionsverständnis die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Revolution gegeben sein. Es müssen sich mit anderen Worten sowohl ein Basiskonflikt zwischen alten Produktionsverhältnissen und neuen Produktivkräften als auch ein den reaktionären und progressiven Klassen 80

Tschaikowskaja (1957) Ref. u. Bk., S. 737. Engels (1895) an Kautsky, in: Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 625. 82 Tschaikowskaja (1957) Ref. u. Bk., S. 728. 83 Vgl. etwa Smirin (1964) Ref. u. Bk., wo der Terminus „bürgerliche Revolution" schon gar nicht mehr gebraucht wird. „Der Große Bauernkrieg, das bedeutendste Ereignis im Klassenkampf der deutschen Bauernschaft, war zugleich Kulminationspunkt der gesamten gesellschaftlichen Bewegung jener Epoche." (S. 196). 84 Steinmetz (1963) Z u einigen Problemen, S. 223. 81

Forschungen sowjetischer Historiker

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bewußtgewordener Klassenkonflikt und ein daraus resultierender revolutionärer Elan nachweisen lassen. 2. M i t der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit, kapitalistische Produktivkräfte und eine dadurch bedingte Verschärfung der Klassengegensäze i m 16. Jahrhundert nachweisen zu können, steht und fällt demnach die Plausibilität der These von der bürgerlichen Revolution i n Deutschland. Gelingt ein solcher Nachweis nicht, so können Reformation und Bauernkrieg per definitionem nicht als eine soziale Revolution interpretiert, ihre objektiv zu lösenden Aufgaben nicht als soziale Aufgaben i m Sinne der Überwindung des Feudalismus hingestellt werden. I n diesem Falle deutet sich die Möglichkeit an, die Ereignisse zu Beginn des 16. Jahrhunderts — wie Tschaikowskaja es nicht ohne Absicherung ihrer Auffassung bei den Klassikern des Marxismus-Leninismus, aber noch ohne Zustimmung ihrer Kollegen, getan hat — als religiöse oder weltanschauliche Umwälzung zu interpretieren, ihre revolutionären Aufgaben und Wirkungen primär i n der Veränderung des Überbaus und nicht der Basis zu suchen. Unterschiedliche Wertungen sind also auch auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus durchaus denkbar und möglich. Welche Meinungen sich allerdings durchsetzen, welche Akzente wann und warum gesetzt, wie streng oder wie flexibel jeweils die Prinzipien der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie gehandhabt werden, sind Fragen, die uns i m folgenden bei der Erörterung des Verlaufs der Theoriediskussion i n der DDR beschäftigen werden.

3.0 Theoriegeschichte Von der national-materialistischen zur welthistorisch-dialektischen Interpretation der frühbürgerlichen Revolution I n der westlichen Literatur über die Geschichtsschreibung der DDR zu Reformation und Bauernkrieg w i r d die Meinung vertreten, daß zum einen i n den Arbeiten marxistischer Historiker „keine wesentlichen Unterschiede i n Analysen und Wertungen feststellbar" 1 seien, das marxistische Geschichtsbild i n dieser Frage also recht einheitlich und geschlossen sei, daß sich zum anderen i n der gegenwärtigen marxistischen Forschung „die Ablehnung des religiösen Ansatzes der Reformation . . . noch verstärkt" 2 habe. Derartige Urteile sind nicht mehr haltbar. Denn die marxistische Geschichtswissenschaft hat gerade i n ihrem Urteil über die Reformationszeit einen bedeutsamen Wandel vollzogen. Ja man kann sogar sagen, daß sie ihr anfängliches B i l d über Reformation und Bauernkrieg total revidiert hat. Diese Revision besteht nun gerade darin, daß sie den religiösen, weltanschaulichen, ideologischen — wie immer man ihn nennen mag — Gehalt der Reformation deutlich aufgewertet hat. A n die Stelle eines mechanistischen Ökonomismus der frühen 1960er Jahre ist inzwischen ein differenziertes B i l d getreten, i n dem sogenannte Überbauphänomene einen bedeutenden Platz einnehmen. 3.1 Ökonomismus und nationalgeschichtliche Betrachtungsweise zu Beginn der 1960er Jahre Als Steinmetz 1960 den Anstoß zu einer Intensivierung der marxistischen Forschung i n Sachen Reformation und Bauernkrieg gab, führte er die bis dahin zu beobachtende „Stagnation und das gewisse Zurückbleiben der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft" 3 auf diesem Gebiet i m wesentlichen auf drei Gründe zurück: 1. auf die Unterschätzung des Quellenstudiums, 2. auf die unkritische Übernahme von Forschungsergebnissen bürgerlicher Historiker und 3. auf die mangeln1

Rammstedt (1968) Problem „fb." Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 239. Dienst (1969) Ref. als „fb. Rev.", in: Wohlfeil (1972), S. 267. Vgl. auch Wohlfeil (1972) Einleitung, S. 17. 8 Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 24. 2

National-materialistische Interpretation

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de theoretische Durchdringung des Forschungsgegenstandes ,frühbürgerliche Revolution' 4 . A n dieser K r i t i k läßt sich unschwer ablesen, daß neben einer allgemeinen Verbesserung des methodisch-wissenschaftlichen Niveaus historischer Forschungen von den marxistischen Reformationshistorikern künftig erwartet wurde, daß sie sich einerseits intensiver und vor allem kritischer mit der bürgerlichen Geschichtswissenschaft auseinandersetzen und daß sie andererseits das „Studium der gesamten marxistisch-leninistischen Theorie der Revolutionen und der dialektisch-materialistischen Grundgesetze der historischen Entwicklung" 5 intensivieren und vertiefen würden. Es ging also mit anderen Worten u m die Etablierung und vor allem Profilierung einer eigenständigen, marxistisch-leninistischen Wissenschaftsdisziplin i m Gegenüber zur bürgerlichen Geschichtswissenschaft. Die Alternative war klar: A u f der einen Seite korrespondierten bürgerliche Wissenschaft, idealistische Geschichtsauffassung, eine die „Flucht i n den Irrationalismus" antretende „Theologisierung" und damit i m Grunde „Enthistorisierung" der Geschichte miteinander, während dem auf der anderen Seite die marxistische Wissenschaft mit ihrer materialistischen, die historischen Gesetzmäßigkeiten ebenso wie die bedeutende Rolle der Volksmassen erfassende Geschichtsauffassung gegenüberstand 6 . Stellt man zudem — wovon weiter unten noch ausführlich die Rede sein w i r d — die aus der Zweistaatlichkeit Deutschlands resultierende nationale Konfliktsituation zweier — Materialismus und Idealismus geradezu verkörpernder — Systeme i n Rechnung 7 , so mag das unter anderem erklären, warum gerade eine i n den Anfängen steckende marxistische Geschichtswissenschaft eher zu einer Überbewertung ökono4 Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 26. Vgl. ferner den Forschungsbericht über Geleistetes bzw. Nichtgeleistetes während der 1950er Jahre von Steinmetz (1960) Ref. u. Bk. in der Historiographie der DDR. 5 Brendler (1961) Gründung der A G „Fb. Rev.", Tagungsbericht, S. 203. • Vgl. Steinmetz (1970) Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), S. 117 und passim. Vgl. auch Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 32 ff. sowie Bensing (1961) Engels' Bk., S. 118 ff. Zu welch hanebüchenen Folgerungen derartige simple Kontrastierungen führen können, wird deutlich, wenn Steinmetz (1970) Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), schreibt: „Das neue Reformationsverständnis" auf katholischer Seite diene „einem offenkundig politischen Zweck: der Annäherung an die nichtkatholischen Kirchen und Gruppen mit dem Ziel ihrer Heimholung in die una sancta, der Zusammenführung der Konfessionen zur Herbeiführung einer „christlichen" Aktionseinheit gegen die fortschrittlichen Kräfte, besonders die revolutionäre Arbeiterklasse und ihr Geschichtsbild, in dem die frühbürgerliche Revolution als Einheit von Reformation und Bauernkrieg eine dominierende Stellung einnimmt". (S. 112). 7 Vgl. Steinmetz (1973) Höhepunkte der Geschichte: „Es gibt keine Möglichkeit eines friedlichen Ausgleichs beim Kampf zwischen Materialismus und Idealismus sowenig wie zwischen Sozialismus und Imperialismus." (S. 101).

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3.0 Theoriegeschichte

mischer Faktoren, also zu einem mechanischen Ökonomismus neigt, als daß sie sich auch nur i n die Nähe sogenannter idealistischer Geschichtsauffassungen gerückt sehen möchte. 3.1.1 Feudalismus/Kapitalismus-Konflikt Ursache der Revolution

als

Für das vorreformatorische Deutschland sprechen die Historiker der DDR von einer revolutionären Situation, von einer alle Klassen und Schichten erfassenden „gesamtnationalen Krise" 8 , die Folge von Widersprüchen i n der Produktionsweise sei und damit auf ein immer deutlicher werdendes Auseinanderklaffen „der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft und der überkommenen Produktionsverhältnisse, die längst aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte zu Fesseln geworden waren" 9 , zurückzuführen sei. Als Indiz für den Wandel der Produktivkräfte i m 15./16. Jahrhundert müßten sich nun — der marxistischen Theorie entsprechend 10 — i m wesentlichen folgende vier Momente nachweisen lassen. 1. die Entwicklung der Warenproduktion, die Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsweise ist, da die erzeugten Produkte nicht mehr i n erster Linie für den Eigenbedarf, sondern für den Verkauf bestimmt sind; 2. die Intensivierung der Ware-Geld-Beziehungen, worunter allgemein die Ablösung naturalwirtschaftlicher durch geldwirtschaftliche Beziehungen zu verstehen ist; 3. der Prozeß der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals, dessen Grundlage zum einen die Befreiung des Bauern von Leibeigenschaft, aber auch dessen Expropriation von Grund und Boden und zum anderen die Umwandlung von Handels- und Wucherkapital i n industrielles Kapital ist; 4. die Entstehung der Manufaktur, jenes arbeitsteiligen Produktionsprinzips, nach dem „jeder Arbeiter nur eine Teiloperation verrichtet, so daß das Produkt erst vollendet ist, nachdem es nacheinander durch die Hände aller gegangen ist" 1 1 . 8 Vgl. etwa Steinmetz (1967) Nationale Bedeutung, S. 47 oder Schilfert (1968) Revolution zwischen Mittelalter und Neuzeit, S. 1213. • Steinmetz (1961) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 46. 10 Aufgeführt werden jene Aspekte, die von den marxistisch-leninistischen Historikern im Anschluß an Marx (1862) Das Kapital, Kritik der Politischen Ökonomie, in: M E W 23 (1962), als Kriterien kapitalistischer Entwicklungen angesehen werden. Vgl. hierzu etwa Steinmetz (1961) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 45 f. oder auch Fabiunke (1964) Luther als Nationalökonom, S. 16 f. 11 Engels (1892) Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (Einleitung zur englischen Ausgabe), in: M E W 22 (1963), S. 292.

National-materialistische Interpretation

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Wenn nun als das eigentlich dynamische Element einer derartigen Entwicklung i m Deutschland des 16. Jahrhunderts das Handels- und Wucherkapital angesehen wird, so ist dies für die marxistisch-leninistische Theorie keineswegs unproblematisch. Denn auf der einen Seite soll jenes Kapital nicht nur die Warenproduktion und allgemeine Geldzirkulation beschleunigt, sondern auch die ursprüngliche Akkumulation durch Investitionen i n industrielle Produktionszweige wie den Bergbau etwa und damit letztlich auch die arbeitsteilige Produktion gefördert und somit eine progressive Rolle gespielt haben 12 . A u f der anderen Seite — und darin herrscht weitgehende Einigkeit — w i r d gleichzeitig betont, daß die deutschen Handels- und Wucherkapitalisten geradezu eine „ A r t Symbiose m i t dem Feudalismus eingegangen und so eher an dessen Erhaltung denn an seiner Zerstörung interessiert" 13 gewesen seien, m i t h i n alles andere als eine progressive Rolle gespielt haben könnten. Wenn insbesondere Steinmetz anfangs davon überzeugt war, daß bereits seit dem 15. Jahrhundert „alle progressiven Kräfte" auf „die Vernichtung des überlebten und alle weitere Entwicklung hemmenden Feudalismus" 14 drängten, so wurden jedoch sogleich Stimmen laut, die vor Übertreibungen hinsichtlich des Niveaus der kapitalistischen Entwicklung i m damaligen Deutschland und falschen Folgerungen daraus warnten. So wollte ζ. B. Töpfer die Entwicklung der Warenproduktion erst gar nicht als K r i t e r i u m einer neuen kapitalistischen Entwicklung gelten lassen, denn „ein Feudalismus mit unentwickelter Warenproduktion (sei) ein primitiver Feudalismus und erst ein m i t Elementen der Warenproduktion durchsetzter Feudalismus ein voll entwickelter" 1 5 . Zschäbitz wies auf den „überwiegend agrarischen und feudalen Charakter" der deutschen Gesamtproduktion hin, weshalb man „das Ausmaß des Verwandlungsprozesses von Geld und Ware i n Kapital trotz guter A n sätze nicht überschätzen" 16 dürfe. Auch die für die ursprüngliche A k k u mulation so wesentlichen Momente der Expropriierung, der Bildung einer neuen Klasse von Lohnarbeitern und industriellen Unternehmern haben sich nach Zschäbitz i m 16. Jahrhundert nur teilweise durchgesetzt 17 . Und Blaschke machte auf den zunehmenden Trend aufmerksam, 12

Vgl. etwa Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 7, 11, 19/20, 24. Stern (1952/53) Luther und Melanchthon, S. 183. 14 Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 42. 16 Töpfer (1963) hussitische Bewegung, S. 147. Töpfer, der ohnehin die These von der frühbürgerlichen Revolution nicht unterstützte, zog daraus den Schluß, „daß die im 14./15. Jh. zweifellos auftretenden Krisenerscheinungen gewissermaßen eine Entwicklungskrise innerhalb der Feudalordnung und nicht bereits den Anfang von deren Ende darstellen". (S. 148). 16 Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), S. 126. 17 Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), S. 127 ff. 18

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3.0 Theoriegeschichte

Kaufmannskapital i n Grundherrschaften anzulegen und damit das K a pital gewissermaßen zu feudalisieren. Denn wenn es „ein entscheidendes Merkmal des Frühkapitalismus war, das ökonomische Schwergewicht vom Grundbesitz weg auf den Kapitalbesitz zu verschieben, dann war die Festlegung von Kapital i n Grundbesitz und Grundherrschaft ökonomisch gesehen ein Rückschritt" 1 8 . Schließlich konnten auch Spezialuntersuchungen zu einzelnen Produktionszweigen, vornehmlich zum Bergbau, die Hypothese von der Existenz bedeutsamer kapitalistischer Produktionsverhältnisse i m 15./ 16. Jahrhundert nicht bestätigen 19 . Man bezeichnete zwar weiterhin den Anfang des 16. Jahrhunderts als „Beginn der kapitalistischen Ä r a " 2 0 , wollte jedoch „die Anfänge der kapitalistischen Produktion bei aller Bedeutung doch regional begrenzt" 2 1 wissen und räumte ein, daß die kapitalistische Produktionsweise „noch nicht zur einzig möglichen Existenzgrundlage geworden" 2 2 war. Mehr und mehr wurde der Kapitalismus des 15./16. Jahrhunderts auf „schwache Ansätze", „Keime", „embryonale Formen" u. ä. reduziert 2 3 . Entsprechend betonte man die enorme Zählebigkeit, ja die ausgesprochene Modernität der alten Ordnung 2 4 . Für eine völlige Beseitigung des Feudalsystems — das wurde allgemeine Überzeugung 25 — waren die Verhältnisse i m 16. Jahrhundert einfach noch nicht reif. 18 Blaschke (1965) Frühkapitalismus, S. 438. So wechselten denn auch mit dem Eintritt der Städtebürger „in die Reihe der Inhaber von Grundherrschaft nur die Besitzer, aber nicht die Besitz Verhältnisse . . . " (S. 439). 19 Vgl. etwa Schwarze (1965) Saalfelder Bergbau: „Kapitalistische Produktionsverhältnisse waren, wenn überhaupt, innerhalb des Saalfelder Bergbaus nur im Keime vorhanden." (S. 456) Oder Mittenzwei (1965) Joachimsthaler Silberbergbau: „Die Mehrzahl der am Joachimsthaler Bergbau beteiligten Gewerken wird man noch nicht als industrielle Kapitalisten ansehen können." (S. 450). 20 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 7. 21 Steinmetz (1965) Ref. u. Bk., S. 38. 22 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 21. 23 Vgl. etwa Müller-Mertens (1961) fb. Rev. u. Königtum: Die kapitalistische Produktion befand sich noch „in einem embryonalen Zustand" (S. 82), Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgabe, spricht von der „relativen Unreife des kapitalistischen Sektors". (S. 127). Auch Steinmetz (1965) Charakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), sah Deutschlands ökonomische Entwicklung „erst am Anfang im Sinne des Reifens der kapitalistischen Elemente". (S. 158). 24 So etwa Zschäbitz (1967) Lutherbild, wo es heißt, daß die bürgerlichen Kräfte „mit den relativ modernen, durch den Fürstenstand repräsentierten Feudalverhältnisse noch ganz gut zurechtkamen . . . " . (S. 756). 25 Auch Steinmetz (1965) Lehrbuch, ging schließlich davon aus, daß der Frühkapitalismus in Deutschland „die alte Gesellschaft zwar in mancher Hinsicht zersetzen . . . nicht aber die gesamte alte Produktionsweise revolutionieren" (S. 21) konnte.

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Daß es dennoch zu einer sozialen Revolution kam bzw. kommen mußte, wurde nun „auf die Enge und Unelastizität des feudalen G e fäßes' i n Deutschland" 26 zurückgeführt, wodurch eine weitere Entwicklung des Kapitalismus mehr gehemmt als gefördert wurde. Nicht u m den Sturz der alten Ordnung ging es, sondern u m die Beseitigung bestimmter Störfaktoren oder Hemmnisse der weiteren kapitalistischen Entwicklung. Das Neue verlangte m i t anderen Worten i n der feudalistischen Gesellschaft „einen angemessenen Platz, u m i n ihr wachsen zu können" 2 7 . Haupthindernis eines weiteren ökonomischen Aufwärtstrends war für die marxistisch-leninistischen Historiker besonders i n den ersten Jahren des letzten Jahrzehnts die territoriale Zersplitterung bzw. die fehlende nationale Einheit Deutschlands i m 16. Jahrhundert. Für den Ausbruch der Revolution war m i t h i n nicht nur der Entwicklungsstand der Produktion — der als alleinige Ursache ohnehin nicht ausreichte — entscheidend, sondern auch und gerade jener „Umstand, daß die Produktivkräfte infolge der territorialen Zersplitterung Deutschlands m i t den alten Feudalverhältnissen relativ früh, schon bei ihrer Herausbildung i n K o n f l i k t geraten mußten" 2 8 . 3.1.2 Herstellung der nationalen Einheit und Beseitigung des Feudalsystems als Aufgabe der Revolution Gleich i n ersten Arbeiten von DDR-Historikern fällt auf, daß für die Zeit des 15./16. Jahrhunderts ein enger Zusammenhang zwischen kapitalistischer Entwicklung und der Bildung von Nationalstaaten hergestellt wurde 2 9 . Berufen konnte man sich dabei auf Stalin als maßgeblichen Nationentheoretiker, der zwischen aufsteigendem Kapitalismus, Entstehung von Nationen und ihrer gleichzeitigen „Verwandlung i n selbständige Nationalstaaten" 8 0 einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang hergestellt hatte. I n der „Tendenz, nationale Staaten 26

Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), S. 130. Müller-Mertens (1961) Fb. Rev. u. Königtum, S. 83. 28 Bensing (1961) Engels' Bk., S. 192. 29 Vgl. Stern (1952/53) Luther und Melanchthon, S. 184. 80 Vgl. Stalin (1913) Marxismus und nationale Frage, in: SW 2 (1950): „Die Nation ist nicht einfach eine historische Kategorie, sondern eine historische Kategorie einer bestimmten Epoche, der Epoche des aufsteigenden Kapitalismus. Der Prozeß der Liquidierung des Feudalismus ist gleichzeitig der Prozeß des Zusammenschlusses der Menschen zu Nationen. So geschah es z.B. in Westeuropa. Die Engländer, Franzosen, Deutschen, Italiener und andere formierten sich zu Nationen bei dem siegreichen Vormarsch des über die feudale Zersplitterung triumphierenden Kapitalismus. Die Bildung von N a tionen bedeutete dort aber gleichzeitig ihre Verwandlung in selbständige Nationalstaaten." (S. 277). 27

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3.0 Theoriegeschichte

herzustellen", hatte schon Engels einen „der wesentlichsten Fortschrittshebel des Mittelalters" 3 1 gesehen. Doch hatte es seiner Meinung nach i m Europa des ausgehenden 15. Jahrhunderts zwei Länder gegeben, „ i n denen das Königtum und die ohne es damals unmögliche nationale Einheit gar nicht oder nur auf dem Papier bestanden: Deutschland und Italien" 3 2 . Anders als i n den meisten europäischen Staaten also, wo die nationale Einigung quasi von oben durch das Königtum i n Gang gesetzt wurde, war i n Deutschland „das Königtum nicht i n Funktion, als die Geschichte die Schaffung des Nationalstaates gebieterisch auf die Tagesordnung setzte" 33 . Denn die neuen Produktivkräfte drängten geradezu auf die Konstituierung eines einheitlichen, zentralisierten Nationalstaates, um das weitere Wachstum des Neuen zu ermöglichen 34 . Die territoriale Zersplitterung stand jedoch einer solchen Entwicklung i m Wege, ihre Überwindung wurde somit ein „nationales Problem ersten Ranges" 35 . Ansätze für die Herausbildung einer Wirtschaftseinheit und eines inneren, die Zersplitterung überwindenden „gesamtdeutschen Marktes" 3 6 wurden als gegeben angesehen. Überhaupt glaubten die DDR-Historiker, ein allgemeines Streben nach nationaler Einheit bereits i m 15./16. Jahrhundert feststellen zu können. So wurden beispielsweise nicht nur dem Oberrheinischen Revolutionär „ein frühes Nationalempfinden" 3 7 nachgesagt, sondern auch die Reformationes Sigismundi und Friderici sowie das Heilbronner Programm als Dokumente nationalen Einheitsstrebens interpretiert 3 8 . Den Humanisten wurde bescheinigt, sie hätten sich stets „von ihrem patriotischen Empfinden und dem Bewußtsein der nationalen Gemeinschaft aller Deutschen" 39 leiten lassen. 31 Engels (o. J.) (Über den Verfall des Feudalismus und das Aufkommen der Bourgeoisie), in: Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 162. 32 Engels (o. J.) (Über den Verfall des Feudalismus und das Aufkommen der Bourgeoisie), in: Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 167. ^ Müller-Mertens (1961) Fb. Rev. u. Königtum, S. 89. 34 Vgl. Brendler (1967) Ref. u. Fortschritt: „Die historische Bewegung drängte zu einer neuen Großform der Vergesellschaftung ethnisch einheitlicher oder verwandter und staatlich organisierter Bevölkerungen, zur Nation." (S. 59). 35 Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 536. 36 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 157; Blaschke (1961) Wirtschaftseinheit, hatte nicht nur von Ansätzen, sondern von einer bereits existierenden Wirtschaftseinheit gesprochen, so daß seiner Meinung nach „die politische Zersplitterung Deutschlands um 1500 keine Parallele in einem Wirtschaftspartikularismus gehabt hat". (S. 57). 37 Brendler (1967) Ref. u. Fortschritt, S. 63. 38 Vgl. etwa Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, der in den Reformationes den Appell entdeckte, „mit der staatlichen Zersplitterung Schluß zu machen". (S. 541).

National-materialistische Interpretation

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Und schließlich habe die schon i m 14. und 15. Jahrhundert „sehr w i r k same sprachliche Einheitsbewegung", ohne die übrigens die Wirkung der lutherischen Bibelübersetzung keineswegs „so mächtig" gewesen wäre, einen wesentlichen Beitrag zur „Nationwerdung" des deutschen Volkes geliefert 40 . Einiges sprach also nach marxistisch-leninistischer Auffassung dafür, daß die nationale Einheit Deutschlands bereits i m 16. Jahrhundert objektiv möglich und notwendig war. Zu ihrer Verwirklichung bedurfte es jedoch der Ausschaltung oder zumindest der entschiedenen Zurückdrängung jener Kräfte, die an der weiteren Aufrechterhaltung des status quo interessiert waren. Es waren dies die römisch-katholische Kirche und das habsburgische Kaisertum, jene sogenannten universalen Kräfte auf der einen Seite und die weltlichen und geistlichen deutschen Fürsten als die territorialen Feudalgewalten auf der anderen Seite 41 . Ohne die Überwindung dieser ,antinationalen 4 Fronde, der Papstkirche und der Territorialgewalten gleichermaßen, war gesellschaftlicher Fortschritt nicht mehr möglich. Demnach stand die frühbürgerliche Revolution vor einer doppelten, nämlich nationalen und sozialen Aufgabe, wobei sich beide wechselseitig bedingten. Steinmetz hat lange Zeit diese These entschieden vertreten 4 2 und sie auf folgende Formulierung gebracht: „Die Schaffung eines nach innen einheitlichen, nach außen selbständigen und unabhängigen zentralisierten deutschen Nationalstaates, der Kampf gegen die Papstkirche, gegen das habsburgische Kaisertum und gegen die weltlichen und geistlichen deutschen Fürsten — das war die nationale Aufgabe; die Zerschlagung der überlebten und die weitere Entwicklung des Kapitalismus hemmenden Feudalverfassung i n Stadt und Land — das war die soziale Aufgabe der Revolution. Beide aber bildeten die zwei Seiten derselben revolutionären Mission: M i t der Beseitigung der Feudalverfassung konnte das entscheidende Hindernis für die Durchsetzung des Kapitalismus i m nationalen Maßstab beseitigt, mit der Errichtung eines einheitlichen Nationalstaates das Instrument für die Beschleunigung des Prozesses geschaffen werden 4 3 ." Während nun i n der ersten Etappe der Revolution die nationale Frage i m Kampf gegen das Papsttum i m Vordergrund stand, die Reformation geradezu die D i 89 Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 540, ähnlich Steinmetz (1961) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 47. 40 Vgl. Steinmetz (1967) 450. Jahrestag, S. 1086 oder auch Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 541. 41 Vgl. Vogler (1962) Nationalentwicklung, S. 348. 42 Vgl. Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 42 f.; Steinmetz (1963) Einige Probleme, passim; Steinmetz (1965) Ref. u. Bk., S. 48 sowie Steinmetz (1967) Entstehung der marxistischen Auffassung, in: Wohlfeil (1972), S. 97/98. 48 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 159.

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3.0 Theoriegeschichte

mension eines nationalen Befreiungskampfes vom päpstlichen Joch annahm 4 4 , gleichzeitig aber auch die geistlichen Fürsten als Repräsentanten der Kirche wie auch des feudalen Partikularismus angegriffen wurden, so war i m Bauernkrieg die Spitze des Angriffs „gegen die feudale Ausbeutung und ihre hauptsächlichen Repräsentanten, die weltlichen und geistlichen Feudalherren gerichtet" 4 5 . M i t der frühbürgerlichen Revolution war somit zum ersten Male die politische „Frage der demokratischen Einheit einer wahrhaft souveränen deutschen Nation" 4 6 als auch die soziale Frage der Überwindung feudaler Ausbeutung gestellt. Die Revolution war deshalb notwendig geworden, weil die vom frühen Kapitalismus geförderte Nationwerdung wie der Kapitalismus selbst schon bald an die Grenzen ihrer Wachstumsmöglichkeiten innerhalb der Feudalordnung stießen. Deshalb war die nationalstaatliche Zentralisation zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine ökonomische, die Förderung des Kapitalismus eine nationale Notwendigkeit geworden. Das Fehlen beider Momente wurde zur U r sache, deren Verwirklichung zur objektiven Aufgabe der frühbürgerlichen Revolution; Reformation und Bauernkrieg waren ökonomisch notwendig. Gegen diese Sicht, die ich als national-materialistische Interpretation jener Ereignisse i m 16. Jahrhundert bezeichnen möchte, wurden i m Laufe der 1960er Jahre immer häufiger Einwände erhoben. Zunächst wies man darauf hin, daß der Prozeß der Nationwerdung i m 15./16. Jahrhundert ähnlich dem Entwicklungsniveau des Kapitalismus auch über Keim- und Frühformen noch nicht hinausgekommen sei, man also tunlichst von einer „präformierten Nation" sprechen solle, deren Entfaltung bis hin zu ihrer absolutistischen Form innerhalb des Feudalismus noch möglich gewesen sei 47 . Ebenso wie der Kapitalismus noch nicht die einzige Existenzgrundlage war, konnte es also auch i m 16. Jahrhundert noch nicht u m die Etablierung des bürgerlichen Nationalstaates gehen. Es galt auch hier nur störende Faktoren zu beseitigen. 44 Vgl. Müller-Mertens (1961) Fb. Rev. u. Königtum, S. 86 oder Steinmetz (1967) Entstehung der marxistischen Auffassung, in: Wohlfeil (1972), wo Deutschland als „bevorzugtes Objekt" kurialer Ausbeutung bezeichnet wird und dies um so mehr, „je stärker sich die zentralisierten Nationalstaaten ihrem Angriff entzogen . . . " . (S. 97). 45 Steinmetz (1965) Ref. u. Bk., S. 48. 4e Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 50. 47 So etwa Müller-Mertens (1961) Fb. Rev. u. Königtum: „Die feudale Gesellschaft hatte noch den Absolutismus hervorzubringen, die Epoche, in der der Feudalismus mit dem Kapitalismus schwanger geht und die Bedingungen für seinen Fall zu Ende reifen." (S. 84). Vgl. auch Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), S. 130 sowie Schilfert (1963) Staat, Bürgertum, Nation, S. 517.

National-materialistische Interpretation

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Überhaupt liefe eine zu enge und ausschließlich „nationalgeschichtliche Betrachtungsweise" Gefahr — so Zschäbitz —, die deutsche Revolution hinsichtlich ihrer objektiven und subjektiven Voraussetzungen zu „modernisieren" und die erst durch den „Vergleich m i t der A u f einanderfolge bürgerlicher Revolutionen unterschiedlichen Reifegrades" erkennbaren Gesetzmäßigkeiten nicht i n den Blick zu bekommen 4 8 . Töpfer hatte zuvor schon gemeint, es gehe einfach nicht an, als entscheidendes Merkmal der frühbürgerlichen Revolution — eines i m merhin „weltgeschichtlich" gefaßten Begriffs — das spezifisch deutsche Problem der Beseitigung des Partikularismus anzuführen 49 . Diese K r i t i k machte sich auch Lösche zu eigen und wies darauf hin, daß eine solche Überschätzung antipartikularer Tendenzen zu einer Vernachlässigung anderer wichtiger Inhalte der frühbürgerlichen Revolution geführt habe. So sei es gekommen, daß „die Kirchenreformation nur noch als Teil des Kampfes u m einen nach außen unabhängigen und selbständigen Nationalstaat" erschien, „sie damit aber weitgehend ihrer Eigenständigkeit und eines wesentlichen Teils ihres progressiven Inhalts beraubt" wurde. Die Durchführung der eigentlichen Kirchenreformation habe man jedoch „als einen selbständigen Aufgabenkomplex zu betrachten" 50 . Was das erwachte Nationalgefühl der Deutschen i m 16. Jahrhundert anbetrifft, so kam Czok i n einer Abhandlung über revolutionäre Bewegungen i n mitteldeutschen Städten zu dem eindeutigen Ergebnis, „daß i n keinem der zahlreichen A r t i k e l auch nur eine Forderung enthalten war, die nationales Interesse oder Nationalbewußtsein ausdrückte" 5 1 . Als schließlich noch Steinmetz befand, daß eine „beschränktnationalistische" 52 Betrachtungsweise dem europäischen Charakter der Reformation nicht gerecht werden könne, war dies nur die nachträgliche verbale Bekräftigung eines bereits vollzogenen methodologischen Wandels i n der Reformationsgeschichtsschreibung der DDR.

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Zschäbitz (1969) Standort und Möglichkeiten, S. 36. Töpfer (1963) hussitische Bewegung, S. 151. 60 Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 181/182. 51 Czok (1967) Revolutionäre Volksbewegungen, S. 145. Auch die in der Bundesrepublik erschienene Dissertation von Buszello (1969) Bk. als politische Bewegung, stellte klar, daß der Bauernkrieg „an keinem Ort und zu keiner Zeit ein Kampf um das Reich, um staatliche, nationale Einheit und Zentralisation" (S. 144) gewesen sei. 62 Steinmetz (1969) Weltwirkung der Ref., S. 37. 49

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3.0 Theoriegeschichte

3.2 Revolutionshistorische Stufentheorie und universalgeschichtliche Betrachtungsweise seit Mitte der 1960er Jahre Die K r i t i k an der national-materialistischen Interpretation von Reformation und Bauernkrieg läßt bereits i n Umrissen die Akzente eines neuen marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes erkennen. Kritisiert wurden die Überschätzung des kapitalistischen Entwicklungsniveaus, die Überbewertung nationalstaatlicher Einigungsbestrebungen und die Vernachlässigung des religiös-kirchlichen Aspektes der frühbürgerlichen Revolution. Gefordert wurden eine realistische Einschätzung des ökonomischen Entwicklungsstandes Deutschlands i m 15./16. Jahrhundert, die Berücksichtigung des religiösen Anliegens der Reformation und eine vergleichende revolutionsgeschichtliche Betrachtungsweise. Man kann sagen, i n der zweiten Hälfte der 1960er Jahre schickten sich die Reformationshistoriker der DDR an, sich von einer nationalgeschichtlichen Perspektivik zu lösen und universalgeschichtlich zu denken 1 . Die Einsicht, daß die revolutionäre Situation u m 1500 nicht allein auf Widersprüche zwischen Feudalismus und Kapitalismus zurückzuführen sei, brachte die Marxisten-Leninisten zu der These von der Überlagerung, Durchdringung und wechselseitigen Verschärfung zweier Konfliktbereiche, welche die frühbürgerliche Revolution verursacht hätten 2 . Immerhin sei der grundlegende Konflikt der „für die Gesamtperiode des Feudalismus charakteristische Klassengegensatz zwischen feudalabhängigen Bauern und Adel" gewesen, der allerdings „durch das Hinzutreten eines neuen Gegensatzpaares Frühkapitalismus-Spätfeudalismus überlagert und zum akuten gesellschaftlichen K o n f l i k t zugespitzt" 3 worden sei. 1 Vogler (1972) Engels und die fb. Rev., glaubt einen solchen methodischen Wandel schon bei Engels feststellen zu können, wenn es heißt, daß der Klassiker bereits „von der nationalgeschichtlichen Betrachtung zur universellen Einordnung der frühbürgerlichen Revolution" (S. 453) gelangt sei. Wie dem auch sei: 100 Jahre später hat die DDR-Geschichtswissenschaft diesen Wandel jedenfalls vollzogen und sich damit von jener Interpretation des Bauernkrieges als eines Kampfes um nationalstaatliche Einigung endgültig gelöst, die im Grunde ein Relikt des 19. Jahrhunderts war und sich über Zimmermann und Engels in die marxistisch-leninistischen Forschungen unserer Tage hinübergerettet hatten. Vgl. hierzu auch Buszello (1969) Bk. als politische Bewegung, S. 11 ff. 2 Diese Formel, auf die man sich offensichtlich in den Diskussionen um die Konzeption des 3. Bandes des Lehrbuches zur Deutschen Geschichte geeinigt hatte, fand fortan allgemein Verwendung. Vgl. etwa Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 82, Brendler (1965) Internationales Kolloquium, Tagungsbericht, S. 691 oder auch Zschäbitz (1969) Standort und Möglichkeiten, S. 36. 3 Brendler (1968) Ref. u. Bk., S. 207.

Welthistorisch-dialektische Interpretation

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Wenn auch der Frühkapitalismus den feudalen Antagonismus lediglich überlagerte, so leitete man dennoch aus seiner Existenz weiterhin die Berechtigung ab, Reformation und Bauernkrieg als eine — über mittelalterliche Aufstände hinausgehende — bürgerliche Bewegung anzusehen. Denn nach wie vor galt für die Beurteilung eines historischen Ereignisses, daß das jeweils Neue das „Ausschlaggebende und letztlich allein Entscheidende" 4 sei — auch dann, wenn es erst i n rudimentärer Form vorhanden war. U m mit solcherart rudimentären Formen und entsprechenden Schwächen der frühbürgerlichen Revolution auch revolutionstheoretisch fertig werden zu können, reichte die materialistische Analyse allein nicht mehr aus. Stattdessen wurde mehr und mehr die Möglichkeit anvisiert, die frühbürgerliche Revolution i n die Dialektik des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses i n der Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus einzubinden 5 . Weg von einer zu engen, ausschließlich an den materiellen Bedingungen Deutschlands orientierten, hin zu einer die nationalgeschichtliche Perspektive sprengenden, welthistorische Gesetzmäßigkeiten erfassenden dialektischen Einschätzung der frühbürgerlichen Revolution — war die Devise. 3.2.1 Frühbürgerliche Revolution und die Theorie des stufenweisen Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus

Friedrich Engels hatte 1892 i n der Einleitung zur englischen Ausgabe seiner Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" von „drei großen Entscheidungsschlachten" des europäischen Bürgertums gegen den Feudalismus gesprochen und damit die Reformation in Deutschland (16. Jh.), die englische Revolution (17. Jh.) und die französische Revolution (18. Jh.) gemeint 6 . Grund genug für Smirin, die Revolutionen vom 16. bis 18. Jahrhundert „als drei Etappen eines einheitlichen Prozesses" aufzufassen, „die sich indessen untereinander sowohl i n bezug auf das Niveau und den Charakter ihrer 4

Steinmetz (1965) Charakter der Ref., in: Wohlfeil (1972), S. 152. Diese Möglichkeit war verschiedentlich schon angesprochen worden, jedoch ohne nennenswerte Resonanz geblieben. Vgl. etwa Smirin (1958) wirtschaftlicher Aufschwung, S. 243 f. oder auch Brendler (1961) Gründung der Arbeitsgemeinschaft, Tagungsbericht, S. 203. Bleibt noch anzumerken, daß die Epoche des Ubergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus keineswegs immer auf die Zeit von 1500 - 1800 datiert wurde. Vgl. dazu Schilfert (1963) Staat, Bürgertum, Nation, S. 515, der sie von 1648 bis 1789 oder Steinmetz (1967) Ref. und Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972), S. 62, der sie von 1400 bis 1642 datierte. 6 Vgl. Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 180. 5

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Entwicklung als auch hinsichtlich der erzielten Resultate unterscheiden" 7 . I n der DDR griff zunächst Zschäbitz 1964 derartige Überlegungen auf. Das Neue, so meinte er, habe sich erst schrittweise Bahn brechen müssen, sei „durch mehrere revolutionäre Wellen forciert und durch jede i n ein jeweils höheres Stadium gedrängt" worden, „ u m schließlich als Summe verschiedener qualitativer Sprünge historisch relevant zu werden". Eine einzige Revolution war also gar nicht i n der Lage, dem zählebigen Feudalismus den Todesstoß zu versetzen. Dazu bedurfte es schon mehrerer „revolutionärer Schläge" 8 . Der Übergang zum Kapitalismus erfolgt also i n einem etwa 300 Jahre dauernden „gesamteuropäischen Prozeß" 9 und ist „revolutionär und evolutionär zugleich" 10 . Denn die Revolutionen i n den jeweiligen Ländern Europas bilden gewissermaßen die revolutionären „Knotenpunkte, an denen jeweils der Umschlag zur neuen historischen Qualität erfolgt" 1 1 , bis endlich der Kapitalismus als Ergebnis eines jahrhundertelangen evolutionären Prozesses m i t der Französischen Revolution „das faktische Ü b e r g e w i c h t . . . über den Feudalismus" 1 2 erlangt. Wenn nun aber erst die Revolution i n Frankreich i n der Lage war, dem Kapitalismus zum endgültigen Durchbruch zu verhelfen, so konnten dies ihre Vorgängerinnen i m 16. und 17. Jahrhundert logischerweise eben nicht, weshalb Zschäbitz sie auch „als soziale Revolutionen i m ,engeren Sinne' bezeichnet" 13 wissen möchte. Wenn also die eigentliche soziale Umgestaltung der Gesellschaft dem 18. Jahrhundert vorbehalten blieb, so mußten die Revolutionen des 17. und des 16. Jahrhunderts ihre Notwendigkeit schon von einer anderen Aufgabenstellung her legitimieren können. I n der Tat ging es nach marxistisch-leninistischer Ansicht ζ. B. i n der englischen Revolution u m die Mitte des 17. Jahrhunderts weniger um ein soziales, als vielmehr u m ein politisches Anliegen, nämlich u m die Machtbeteiligung des B ü r gertums. I m Deutschland des 16. Jahrhunderts standen hingegen weder eine soziale noch eine politische Frage, die erfolgreich hätte gelöst werden können oder müssen, i m Vordergrund, sondern das Anliegen, am Beginn des Weges zum Kapitalismus die Macht der feudalen Ideologie zu brechen, eine ideologische Aufgabe also 14 . 7

Smirin (1958) wirtschaftlicher Aufschwung, S. 244. Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), S. 125. 9 Vgl. Brendler (1965) Internationales Kolloquium, Tagungsbericht, S. 691. 10 Steinmetz (1965) Charakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), S. 153. 11 Schilfert (1968) Revolutionen zwischen Mittelalter und Neuzeit, S. 1217. 12 Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), S. 125. 13 Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), S. 125. 14 Vgl. etwa Steinmetz (1967) nationale Bedeutung, S. 48 oder auch Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1242. Der Stellenwert der ein8

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Schrittweise und nicht abrupt wurde der Feudalismus i n Europa beseitigt und der Kapitalismus eingeführt. So gesehen sind die Schwächen der deutschen frühbürgerlichen Bewegung etwa i n sozialer und politischer Hinsicht nicht nur verständlich, sondern gar Ausdruck bestimmter Gesetzmäßigkeiten 15 . Denn i n der Epoche des Übergangs zum Kapitalismus hatte jede bürgerliche Revolution ihren Möglichkeiten entsprechend die Aufgabe, den Feudalismus zu schwächen und den Kapitalismus zu stärken. Jede Revolution hatte, wie Schilfert es ausdrückte, i m „Sinne der Dialektik des Ganzen und des Teils" jeweils „bestimmte Teilaufgaben i n Richtung der Beschleunigung dieser bahnbrechenden Prozesse zu lösen, die einen Beitrag von steigender Bedeutung zur Erfüllung der Gesamtaufgabenstellung der Revolutionen entsprechend dem jeweils höheren Reifegrad darstellten" 1 6 . Es gibt also Zeiten des Übergangs, „ i n denen wesentliche Elemente zweier Gesellschaftsformationen u m die Vorherrschaft ringen" 1 7 und die sich wie i m Falle des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus über Jahrhunderte hinziehen. Da Reformation und Bauernkrieg eben erst am Beginn dieser Übergangsepoche standen, konnte und wollte man nicht mehr i n erster Linie aus dem Niveau der kapitalistischen Verhältnisse — dieses mußte i n Deutschland um 1500 notwendigerweise weitaus niedriger sein als 300 Jahre später — den Sinn der Bezeichnung frühbürgerliche Revolution herleiten, wohl aber daraus, daß die Ereignisse zwischen 1517 und 1526 den Gesetzmäßigkeiten des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus entsprachen 18 .

zelnen Revolutionen und deren objektive Aufgaben in der Übergangsperiode wurden besonders seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrzehnts in der DDR lebhaft diskutiert, u. a. auch 1968 auf dem IV. Historikerkongreß. Zum Abschluß dieser Tagung kündigte Steinmetz die Änderung des bisherigen Namens der Arbeitsgemeinschaft von „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" in „Probleme des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus" an — deutliches Zeichen eines methodologischen Wandels! Vgl. auch Vetter (1969) Revolutionen beim Übergang, Tagungsbericht, S. 235. 15 Nach Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972) ist die Ausarbeitung einer revolutionshistorischen Stufentheorie „die entscheidende methodologische Voraussetzung für die Anerkennung der Reformation als eine frühe bürgerliche Revolution, denn erst durch ihre Einordnung in eine derartige Stufenfolge bürgerlicher Revolutionen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen, Hauptaufgaben, Zielsetzungen und Ergebnissen konnte sie selbst trotz der ihr anhaftenden Mängel als eine frühe, unausgereifte aber dennoch echte bürgerliche Revolution und damit auch als Beginn einer neuen Phase des allgemeinen Emanzipationskampfes des europäischen Bürgertums betrachtet werden". (S. 172). 16 Schilfert (1969) Revolutionen zwischen Feudalismus und Kapitalismus, S. 190. 17 Steinmetz (1967) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972), S. 62. Vgl. auch Brendler / Küttler (1973) Sozialismus / Kommunismus, S. 24. 18 Brendler (1969) Fb. Rev. u. Tradition, S. 178. 5 Foschepoth

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Neben dem grundlegenden Charakteristikum dieser Epoche, des stetigen Wachstums des Kapitalismus, mußten sich weitere Gesetzmäßigkeiten oder auch strukturelle Gemeinsamkeiten i n den bürgerlichen Revolutionen zwischen 1500 und 1800 nachweisen lassen. Aufgabe einer solchen vergleichenden Revolutionsgeschichte wäre es, typische Merkmale bürgerlicher Revolutionen herauszuarbeiten. M i t einem i m Ergebnis vorliegenden strukturellen Raster bürgerlicher Revolutionen wollte man nicht nur Gemeinsamkeiten und nationale Besonderheiten der einzelnen Revolutionen unterscheiden, sondern auch und vor allem den Nachweis führen, daß Reformation und Bauernkrieg strukturell und objektiv gesehen eine bürgerliche Revolution seien. Ausgangspunkt wie Ziel der Erkenntnis war also die These, daß es sich bei der frühbürgerlichen Revolution „ u m eine gesetzmäßige Abfolge historischer Prozesse handelt, die weithin dem Ablauf klassischer bürgerlicher Revolutionen entspringt" 1 9 . Niederländische, englische und vor allem die als die klassische bürgerliche Revolution empfundene Französische Revolution dienten als Maßstäbe des Vergleichs 20 . Vogler faßte die „für alle bürgerlichen Revolutionen vor der industriellen Revolution typische(n) Wesenszüge und Erscheinungsformen" 21 i n fünf Punkten zusammen: 1. Entwicklung kapitalistischer Produktionsverhältnisse und einer entsprechenden Klassenstruktur, 2. nationale Dimensionen der Klassenkämpfe, 3. eine alle Lokal- und Sonderinteressen vereinheitlichende Ideologie, 4. eine Massencharakter annehmende, gleichzeitig jedoch sich differenzierende und radikalisierende Bewegung, 5. Handhabung revolutionärer Gewalt. Des weiteren wurde darauf hingewiesen, daß i n allen drei Revolutionen i n Deutschland, England und Frankreich jeweils die »Bauern die Armee zum Schlagen' (Engels) waren 2 2 . Auch sah man i n dem Auftau19 Steinmetz (1967) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972), S. 58, so auch schon Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972): Die Bewegung verlief „ansatzhaft in der für frühe bürgerliche Revolutionen und für bürgerliche Revolutionen typischen Phasenfolge". (S. 136). 20 Vgl. etwa Schilfert (1968) Revolutionen zwischen Mittelalter und Neuzeit, S. 1212 ff. Andere, etwa Engelberg (1972) Nochmals zur bürgerlichen Rev., warnten davor, die Französische Revolution als „Waage der weltgeschichtlichen Gerechtigkeit für die ihr vorausgegangenen Revolutionen" (S. 1301) zu überschätzen und damit den Wert früherer Revolutionen zu unterschätzen. Vgl. auch Vetter (1969) Revolutionen beim Übergang, Tagungsbericht, S. 234. 21 Vogler (1969) Marx, Engels und die fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 197 und zum folgenden S. 197 ff. Vgl. ferner Vogler (1967) Sinn des Bauernkriegs, S. 378/379. 22 Vgl. Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 170.

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chen besonders radikaler oder auch sogenannter linker Kräfte, die über das i n den bürgerlichen Revolutionen jeweils Erreichbare weit hinausgingen, dadurch den Erfolg der führenden bürgerlichen Schichten aber erst ermöglichten, ebenfalls eine gewisse Gesetzmäßigkeit der Revolutionen i n der Übergangsepoche 23 . A n Besonderheiten der frühbürgerlichen Revolution i n Deutschland wurden i m wesentlichen drei Aspekte genannt 2 4 : 1. die territoriale Zersplitterung Deutschlands, 2. die klassenmäßige Unreife und Führungsunfähigkeit des deutschen Bürgertums und 3. die religiöse Form der Revolution. Die Revolutionen vom 16. bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert müssen nach marxistisch-leninistischer Ansicht also als eine zusammengehörige Einheit betrachtet werden, sie „ w i r k t e n aufeinander und »lernten 4 voneinander" 2 5 . Strukturelle Ähnlichkeiten machen es möglich, auch für das 16. Jahrhundert schon von einer bürgerlichen Revolution zu sprechen. Die nationalen Besonderheiten der deutschen Entwicklung machen zwar den graduellen, jedoch keinen prinzipiellen Unterschied zwischen frühen und klassischen bürgerlichen Revolutionen deutlich. Zum Ausdruck gebracht w i r d damit wiederum nichts anderes als die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung vom Niederen zum Höheren. Der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus verläuft dabei ganz i m Sinne eines arbeitsteiligen Prozesses, i n dem die frühbürgerliche Revolution besonders eine objektiv notwendige Aufgabe übernimmt, nämlich ideologische Hemmnisse auf dem Wege zum Kapitalismus zu beseitigen. 3.2.2 Beseitigung feudalen Bewußtseins als Hauptaufgabe der frühbürgerlichen Revolution

Es ist bereits mehrfach angeklungen, daß m i t dem Wandel von der national-materialistischen zur welthistorisch-dialektischen Erklärungsweise der frühbürgerlichen Revolution auch die von dieser Revolution zu lösenden objektiven Aufgaben anders definiert wurden. M i t der Einsicht, daß es i m 16. Jahrhundert weder um die Errichtung eines Nationalstaates noch u m die völlige Beseitigung des Feudalismus gehen 23 Vgl. Brendler (1969) Die Linken 1525 - 1794, ferner Schilfert (1968) Revolutionen zwischen Mittelalter und Neuzeit, S. 1213. 24 Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 173, nicht wesentlich anders Vogler (1969) Marx und Engels und die fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 200 f. 25 Schilfert (1968) Revolutionen zwischen Mittelalter und Neuzeit, S. 1212.



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konnte, m i t h i n die Formel von der nationalen und sozialen Aufgabe der frühbürgerlichen Revolution „den tatsächlich gegebenen Möglichkeiten" kaum entsprach und „zu schweren Fehleinschätzungen der Gesamtbewegung und ihrer einzelnen Teile" geführt hatte, wurde die Forderung laut, „den rein ideologischen Fragen ein viel größeres Gewicht" beizumessen, als es bis dahin der Fall gewesen war. Denn „die entscheidende Leistung der Reformation" bestand doch darin, „eine echte Bewußtseinsrevolution von weltweiter Wirkung vollzogen zu haben". Die allererste Aufgabe der frühbürgerlichen Revolution, ohne deren Erfüllung eine weitere Emanzipation des Bürgertums überhaupt nicht möglich gewesen wäre, war demnach die „Schaffung einer neuen, den Bedürfnissen des Bürgertums besser entsprechenden religiösen Weltanschauung und Kirchenverfassung" 26 . Ähnliche Überlegungen, wie Lösche sie 1967 mit seiner revolutionshistorischen Stufentheorie anstellte, i n der erstmals die religiös-reformatorische Dimension zu einem zentralen Wesenszug der frühbürgerlichen Revolution aufgewertet wurde, stellten auch andere marxistische Reformationshistoriker gerade i m Jahre der 450. Wiederkehr des Beginns der Reformation i n Deutschland an. So sprach etwa Steinmetz von der Notwendigkeit „einer völlig neuen Theologie" als einer wesentlichen Voraussetzung dafür, daß „die bestehenden Verhältnisse angetastet werden konnten" 2 7 . Denn das Feudalsystem habe zuerst „ i n seiner theologischen Fundamentierung erschüttert werden (müssen), bevor es als Sozialstruktur und politische Macht angegriffen werden konnte" 2 8 . Entsprechend hielt er die erfolgreiche Lösung der sozialen und politischen Aufgabe erst i n den bürgerlichen Revolutionen der Niederlande und Englands für möglich, während i n Deutschland die frühbürgerliche Revolution immerhin „einen religiösen Teilerfolg" 2 9 habe erringen können. Die Leistung der Reformation bestand also i n der ideologischen Auseinandersetzung m i t dem Feudalismus. Somit brauchten die Akteure nachfolgender Revolutionen i n anderen Ländern „sozusagen nicht jedesmal mit dem ideologischen Kampf von vorne anfangen, sondern konnten auf den Errungenschaften von Reformation und Bauernkrieg aufbauen" 30 . Schließlich bemerkte Zschäbitz, daß die marxistischen Historiker überhaupt nicht daran dächten, „die religiösen Bewußtseinsinhalte aus den Klassenkämpfen der Zeit zu eliminieren, weil sie sonst die historischen Erscheinungen modernisieren und damit verzeichnen würden" 3 1 . 26 27 28 29 30 31

Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil Steinmetz (1967) Renaissance, S. 47. Steinmetz (1967) Renaissance, S. 46. Steinmetz (1967) nationale Bedeutung, S. 48. Brendler (1967) Warum feiert die DDR, S. 25. Zschäbitz (1967) Lutherbild, S. 753.

(1972), S. 182.

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Selbst wenn hier u n d da gegen die religiös-ideologische Erneuerung i m 16. Jahrhundert als der ersten u n d zentralen Aufgabe der Revolution schlechthin sowie gegen deren Charakterisierung als einer ,Bewußtseinsrevolution' Bedenken laut wurden, so stimmten die m a r x i stisch-leninistischen Historiker doch grundsätzlich darin überein, daß „die entscheidende Leistung der Reformation, die nach- u n d weiterw i r k t e " 8 2 , i n der Revolutionierung des feudalen Bewußtseins u n d der ideologischen Neuorientierung zu suchen sei. Die bereits aufgewiesene Revision des marxistisch-leninistischen Reformationsbildes w i r d erneut durch Ausführungen Engelbergs bestätigt, der i n den ideologischen Veränderungen des 16. Jahrhunderts überhaupt erst die Voraussetzung für die Entfaltung des eigentlichen Manufakturkapitalismus sieht. Denn jene bewußtseinsmäßigen Veränderungen hätten sich „dem dialektischen Gesetz des Umschlagens ins Gegenteil" entsprechend, etwa i n puncto Arbeitsamkeit, Pflichtgefühl, Sparsamkeit u. ä., auf die „Weiterentwicklung der P r o d u k t i v k r a f t Mensch" positiv ausgewirkt. Somit könne es keinen Zweifel geben: „Die eigentliche Manufakturperiode m i t ihrer auf Teilung der A r b e i t beruhenden Kooperation, der ,charakteristischen F o r m des kapitalistischen Produktionsprozesses' setzte erst nach der frühbürgerlichen Revolution ein 3 3 ." Überbau-Veränderungen waren also nicht Folge, sondern Ursache kapitalistischer Entwicklungen. Die Reformation hat ihren K o p f wieder. A n die Stelle eines i n ersten Analysen vertretenen Ökonomismus ist inzwischen eine dialektische Betrachtungsweise getreten, die die revolutionäre K r a f t der Ideen wieder i n den Blick bekommt. M a n ist i n der DDR — was die Einschätzung der Reformation anbetrifft — wieder auf dem Wege zu Marx, dem M a r x der K r i t i k der Hegeischen Rechtsphilosophie, wo es geheißen hatte: „Deutschlands revolutionäre Vergangenheit ist nämlich theoretisch, es ist die Reformation. Wie damals der Mönch, so ist es jetzt der Philosoph, i n dessen H i r n die Revolution beginnt34." 82 Vogler (1969) Marx, Engels und die fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 202. Vgl. auch Schilfert (1969) Revolutionen zwischen Feudalismus und Kapitalismus, für den die frühbürgerliche Revolution vor einer sozialen, politischen, nationalen und erst viertens vor einer ideologischen Aufgabe gestanden hat. Während sie von den ersten drei Aufgaben keine erfüllte, ist ihr jedoch ein „Teilsieg in dem religiös-ideologischen Bereich" (S. 174) gelungen. 88 Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1240. Vgl. auch Schilfert (1972) Stellung der bürgerlichen Revolutionen, S. 1231 f. sowie den Bericht über den V. Historikerkongreß (Dez. 1972) in Dresden von Laube / Heitz (1973) Arbeitskreise, S. 443-446. Bereits Töpfer (1968) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972) hatte eine ähnliche Position vertreten, als er zwischen Reformation und Manufakturkapitalismus keinen direkten Zusammenhang sah, wenn auch eine gewisse wechselseitige Beeinflussung nicht auszuschließen sei (vgl. S. 76).

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Zu einer radikalen Revolution — das haben Marx und inzwischen auch die Historiker der DDR erkannt — reichte die materielle Basis i m 16. Jahrhundert nicht aus. N i m m t man nämlich hinsichtlich der objektiven Bedingungen einer Revolution die Kategorien der marxistischleninistischen Revolutionstheorie ernst, wonach erstens der ökonomische Antagonismus zwischen alten Produktionsverhältnissen und neuen Produktivkräften alleinige Ursache sozialer Revolutionen ist, wonach zweitens die Wachstumsmöglichkeiten des Neuen innerhalb der alten Ordnung erschöpft und die Existenz neuer Produktionsverhältnisse möglich sein müssen und wonach drittens der Charakter einer Revolution dadurch bestimmt wird, welche sozialen Widersprüche sie löst, so lassen sich Reformation und Bauernkrieg bei bestem Willen nicht als eine bürgerlich-soziale Revolution i m marxistisch-leninistischen Sinne interpretieren. Reichten also die objektiven Voraussetzungen für eine bürgerliche Revolution nicht aus, so bleibt zu fragen, wie es denn dann mit der Reife des subjektiven Faktors bestellt war. Welche Rolle spielte das Bürgertum u m 1500 eigentlich? War es Triebkraft und Träger der Revolution? Hat es die Grundfrage jeder Revolution, die der politischen Macht gestellt? 3.3 Die Rolle des Bürgertums und das Problem des revolutionären Subjekts in der frühbürgerlichen Revolution Über das Bürgertum des 16. Jahrhunderts hatte schon Engels wenig lobende Worte gefunden. Eingedenk der soeben i n der 1848er Revolution erfahrenen revolutionären Zurückhaltung bestimmter bürgerlicher Kräfte entdeckte er zwischen den Bürgern seiner Zeit und denen des 16. Jahrhunderts „vor allen Dingen i n der negativen Seite ihres Verhaltens" 1 entsprechende Gemeinsamkeiten und machte ihre verräterische und feige Haltung für das Scheitern beider Revolutionen verantwortlich. Nicht anders dachten später Engels' Erben und bescheinigten dem deutschen Bürgertum „von Anfang an Züge der Verkrüppelung, der Feigheit und des offenen und versteckten Verrats, des kriecherischen Sympathisierens mit der herrschenden feudalen Macht" 2 . Fürsten und Adel hätten auf die „volle Solidarität der herrschenden Kreise der deutschen Städte" und die „aktive Mithilfe der Städte bei der Unter34 Marx (1844) Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, in: M E W 1 (1957), S. 385. 1 Schilfert (1948) Engels' Bauernkrieg, S. 24. 2 Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 19.

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drückung des Bauernaufstandes" 3 rechnen können. Denn die von besitzenden und gebildeten Bürgern beherrschten Städte seien nichts anderes als „kollektive Feudalherren" gewesen, die „vor den Anzeichen künftiger Klassenkämpfe" 4 zurückgeschreckt wären und sich um die Erschütterung ihrer „Ausbeuterposition" 5 durch die Bauern geängstigt hätten. Patrizier und Zünfte, die „einflußreichsten Elemente des B ü r gertums", hätten ohnehin „ihre Geschäfte mit Kaiser und König, m i t Fürsten und Herren" 6 gemacht und seien von daher schon an der Stabilisierung der alten Ordnung und keineswegs an ihrer Vernichtung interessiert gewesen. Diejenigen also, i n deren Interesse die revolutionäre Beschleunigung der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung hätte eigentlich liegen müssen, waren eher konservativ und gegen die Revolution eingestellt, als daß sie als treibende Kräfte des Fortschritts, gar als revolutionäres Subjekt hätten angesehen werden können. I m übrigen reichte dazu auch der Grad des klassenmäßigen Bewußtseins und der Organisiertheit des Bürgertums i m 16. Jahrhundert noch nicht aus. Das Bürgertum war noch „weit davon entfernt, die Einheitlichkeit der späteren Bourgeoisie als Klasse aufzuweisen. Es war überhaupt erst auf dem Wege, sich zur kapitalistischen Klasse zu entwickeln" 7 . Das Dilemma ist offenkundig: I m 16. Jahrhundert soll i n Deutschland eine bürgerliche Revolution bzw. eine Revolution des Bürgertums stattgefunden haben, i n der das Bürgertum faktisch jedoch eher eine konterrevolutionäre als revolutionäre Rolle gespielt hat. Inzwischen ist viel intellektuelle Energie verwendet worden, um m i t solcherlei Widersprüchen zwischen Theorie und historischer Faktizität fertig zu werden. Dabei lassen sich die vor allem während der 1960er Jahre vorgetragenen diversen Lösungsvorschläge i m wesentlichen auf zwei Möglichkeiten reduzieren. Es sind dies genau jene Möglichkeiten, die bereits i n den 1950er Jahren von sowjetischen Historikern aufgezeigt worden waren, nämlich: 1. das Bürgertum des 16. Jahrhunderts i n zwei verschiedene Lager, ein mehrheitlich konservatives und ein minderheitlich revolutionäres zu spalten, u m so neben den Volksmassen auch ein bürgerliches, wenn auch zahlenmäßig geringes Element als revolutionäres Subjekt ansprechen zu können; und 2. i m Sinne der These einer bürgerlichen Revolution ohne Bürgertum zu argumentieren 8

Epstein (1958) Ref. u. Bk., S. 373. Zschäbitz (1967) Lutherbild, S. 756. 5 Stern (1952/53) Luther und Lelanchthon, S. 183. 6 Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 44. 7 Steinmetz (1969) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 49/50. Vgl. auch MüllerMertens (1961) Fb. Rev. u. Königtum, S. 83 sowie Mittenzwei (1961) Charakter von Ref. u. Bk., S. 104. 4

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und die Volksmassen als das eigentlich revolutionäre, objektiv i n bürgerlichem Interesse agierende Subjekt der Bewegung i m 16. Jahrhundert anzusehen. Tschaikowskaja hatte als erste auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Träger der feudalen handwerklichen Produktion von denen der kapitalistischen industriellen Produktion, mittelalterliches Bürgertum und moderne Bourgeoisie, deutlich zu unterscheiden. Für das Bürgert u m des 16. Jahrhunderts war es ihrer Ansicht nach „sehr schwierig, den sozialen Charakter dieser Schicht zu bestimmen, die sich i m Prozeß der Auflösung und des Übergangs befand" 8 . Jedenfalls konnte sie „kein Zeichen für die Verwandlung' des Bürgertums i n eine Bourgeoisie" 9 entdecken. Smirin hatte dagegen zuvor schon eine radikale und eine gemäßigte bürgerliche Opposition unterschieden. Während die Gemäßigten, Kaufleute und Zunfthandwerker repräsentierend, hoffnungslos m i t der alten Ordnung verfilzt waren, erklärte er die Radikalität einer verschwindend kleinen bürgerlichen Minderheit aus ihrer Verbundenheit „ m i t den i m Entstehen begriffenen kapitalistischen Verhältnissen" 1 0 . I n der DDR führte später Lösche derartige Überlegungen weiter und zwar insofern, als er das progressive Bürgertum des 16. Jahrhunderts selbst nochmals halbierte. Grundsätzlich gab es für ihn keinen Zweifel, daß „ i n den entscheidenden Zweigen der Produktion" wie „ i m Bereich der Zirkulation" bereits „relativ starke Elemente einer Bourgeoisie" vorhanden waren. Auch erste Ansätze eines bürgerlichen Klassenbewußtseins zeigten, „daß sich die bourgeoisen Elemente tatsächlich bereits i m Prozeß der Formierung als Klasse befanden". Daß dieser „Formierungsprozeß" u m 1500 dennoch „nur langsam voranschritt", führte Lösche nun auf „die tiefgreifende Spaltung der progressiven Elemente" i n „Monopolisten und Antimonopolisten" zurück, wobei die ersten — wie gehabt — wiederum die konservativen Kräfte derstellten. Ein geschlossenes Handeln, wie man es von „einer echten Bourgeoisie" hätte 8

Tschaikowskaja (1957) Ref. u. Bk., S. 722. Tschaikowskaja (1957) Ref. u. Bk., S. 735. Auch in der DDR fanden sich Kollegen, die ihre Skepsis teilten. Vgl. etwa Müller-Mertens (1961) Fb. Rev. u. Königtum, S. 83 oder Töpfer (1963) hussitische Bewegung, S. 155. 10 Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 552. Auch Steinmetz (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972) griff diese Differenzierung des Bürgertums in Radikale und Gemäßigte auf, ging jedoch insofern einen Schritt weiter, als er die sozialen Gruppierungen jeweils bestimmten „religiös-politischen Lagern" zuordnete, die Gemäßigten den Lutheranern und die Radikalen den Zwinglianern. Das „bürgerlich-gemäßigte lutherische Lager" bestand nun keineswegs nur aus Besitzbürgern, sondern auch aus Adligen und Fürsten mit dem Kurfürsten von Sachsen und dem Landgrafen von Hessen an der Spitze. Von dieser im Grunde feudalen Front unterschieden sich die Radikalen jedenfalls in ihrem „Willen zur praktisch-vernünftigen Umgestaltung des gesamten öffentlichen Lebens . . . " . (S. 51). 9

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erwarten können, war jedoch bei „einer noch unentwickelten, relativ schwachen und überdies i n sich gespaltenen Bourgeoisie" einfach nicht möglich 11 . Schwache Ansätze einer kapitalistischen Entwicklung konnten ja ohnehin noch keine starke Borgeoisie hervorbringen. Wie dem auch sei, ohne Auswirkungen auf die Klassenentwicklung i m reformatorischen Deutschland konnten die ökonomischen Veränderungen jedenfalls nicht bleiben, weshalb die marxistisch-leninistischen Historiker der Unterscheidung eines progressiven und reaktionären Bürgertums auch grundsätzliche Bedeutung beimessen. Denn die klassenmäßige Unreife und Spaltung des Bürgertums ermöglichte es nicht nur, darin eine wesentliche Ursache für das Scheitern der Revolution zu erkennen 12 , sondern auch den Charakter der Revolution als bürgerlich zu definieren, weil eben jene Kräfte, denen die Zukunft gehörte, wenn auch zahlenmäßig noch gering, so doch immerhin schon vorhanden waren 1 3 . Denn neben jenem mit der alten Ordnung koalierenden Besitz-, Städte- oder Feudalbürgertum gab es bereits bourgeoise Elemente bzw. ein — wie man seit einiger Zeit lieber sagt — frühkapitalistisches Bürgertum, das immerhin „den sozialen Ausgangspunkt für die spätere Entstehung der Klasse der Bourgeoisie bildete" 1 4 . Faktisch ist es jedoch nun keineswegs so gewesen, daß — wie die Theorie der Marxisten-Leninisten es nahelegt — radikale und antifeu11 Vgl. Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 174-176. Die Einteilung in monopolitische und antimonopolistische Kräfte hat Lösche von Epstein übernommen, die Prädikate „fortschrittlich" und „reaktionär" jedoch genau umgekehrt verteilt. So spielten für Lösche die Antimonopolisten und nicht die deutschen Monopole die progressive Rolle. Vgl. hierzu auch Anm. 76 im Abschnitt: 2.3 Reformation und Bauernkrieg in der Sicht sowjetischer Historiker. 12 So etwa Köditz (1959) Volksbewegung, S. 73. 13 Folglich bildete sich nach Laube (1971) Silberbergbau, auch in Zentren frühkapitalistischer Produktion bereits so etwas wie „eine Schicht freier Lohnarbeiter" (S. 8) heraus, wobei allerdings zu bedenken bleibt — wie Steinmetz (1965) Chrakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), bemerkte —, daß „der bestimmende Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat" noch weitgehend fehlte, „da die Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen noch nicht möglich war". (S. 158). 14 Laube (1971) Silberbergbau, S. 7. Inzwischen scheint sich allgemein für das 16. Jahrhundert statt Bourgeoisie die Bezeichnung „frühkapitalistisches Bürgertum" durchzusetzen. I m Zuge der vor, auf und nach dem V. Historikerkongreß in Dresden 1973 geführten grundsätzlichen Diskussion über Rolle und Charakter des Bürgertums im Feudalismus haben Berthold ! Engel ! Laube (1973) Stellung des Bürgertums, vorgeschlagen: 1. ein mittelalterliches Städtebürgertum, 2. ein frühkapitalistisches Bürgertum und 3. eine Handels- und Manufakturbourgeoisie zu unterscheiden. (Vgl. S. 214.) Zur Diskussion auf dem Historikertag vgl. die Tagungsberichte von Becker / Vetter (1973) V. Historikerkongreß und Laube / Heitz (1973) Arbeitskreise, sowie den Bericht über das im April 1973 im Anschluß an die auf dem Historikerkongreß begonnene Diskussion veranstaltete Kolloquium von Engel (1973) Gesellschaftliche Rolle des Bürgertums.

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dale Bürger mit frühkapitalistischen Unternehmen i m 16. Jahrhundert identisch waren. Denn gegen Ratsoligarchie, Kirche und Klöster opponierten nicht die jungen kapitalistischen Unternehmer, sondern — das haben auch gerade Untersuchungen i n der DDR ergeben — sogenannte Kleinbürger, verarmte Handwerker und besitzlose Städter, die über entsprechende, für kapitalistische Unternehmungen notwendige materielle Voraussetzungen wohl kaum verfügten 1 5 . Wenn sich nun aber gerade die als konservativ gescholtenen Bürger jener Zeit, die Handels-, Bank- und Kaufleute frühkapitalistischer Methoden bedienten, so kann man vom marxistisch-leninistischen Standpunkt aus nicht anders, als das reiche Bürgertum einer gewissen Schizophrenie zu bezichtigen, was Steinmetz denn auch getan hat. Denn während sie ökonomisch eine progressive Rolle spielten, stellten sie durch ihr Bündnis „ m i t den reaktionärsten Kräften der Gesellschaft" 16 ihre politisch unmündige und reaktionäre Haltung unter Beweis. Politische Reaktionäre, so ließe sich diese Mißachtung des BasisÜberbau-Prinzips folgenschwer verallgemeinern, können die ökonomisch fortschrittlichsten Kräfte und damit für den gesellschaftlichen Fortschritt von ungeheurem Nutzen sein. Wenngleich nun weder das Bürgertum als Ganzes noch irgendein radikaler und prokapitalistisch gesonnener Teil desselben als eigentlich revolutionäres Subjekt i n Frage kamen, so werden Reformation und Bauernkrieg dennoch als eine Revolution bürgerlichen Charakters angesehen. Denn bürgerlich war einfach die Gesamttendenz der u m 1500 einsetzenden Entwicklung. Folglich mußte marxistisch-leninistischer Logik zufolge jede revolutionäre Bewegung „notwendig in dieser Phase zur bürgerlichen Revolution werden, da die bürgerliche Revolution der einzig mögliche revolutionäre Lösungsversuch unter den Bedingungen des aufsteigenden Kapitalismus darstellt" 1 7 . Auch ohne ein entsprechend starkes Bürgertum war also eine bürgerliche Revolution möglich 18 . Denn das Bürgertum war zwar noch nicht Träger der Revolution, „ w o h l aber die ökonomische Triebkraft, i n deren Interesse die Revolution erfolgt" 1 9 — ungeachtet dessen, ob es sich 15 Vgl. hierzu etwa die Arbeiten von Lösche zur Sozialstruktur von Mühlhausen, besonders Lösche (1960) Achtmänner, vgl. auch Nipperdey (1967) Ref. als Problem, in: Wohlfeil (1972), S. 216. 16 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 31. 17 Steinmetz (1965) Charakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), S. 153. 18 Die These von der bürgerlichen Revolution ohne Bürgertum wurde in der DDR explizit etwa von Mittenzwei (1961) Charakter der Ref. (vgl. etwa S. 104) und von Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972) (vgl. etwa S. 137) aufgegriffen. Argumentiert wurde jedoch zunächst nahezu von allen marxistisch-leninistischen Historikern im Sinne dieser These. 10 Steinmetz (1965) Charakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), S. 157.

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darüber i m klaren war oder nicht. So gesehen waren alle gesellschaftlichen Schichten, die von der Feudalordnung „benachteiligt wurden oder zumindest nicht von ihr profitierten . . . potentielle Verbündete i n einem Kampf, dessen objektiver Charakter antifeudal w a r " 2 0 . Deshalb stritten auch Bauern und Plebejer, obwohl sie „vielfach subjektiv antikapitalistischen Zielen und Stimmungen" folgten, „objektiv für bürgerliche und frühkapitalistische Interessen" 21 . Folglich ist es für die Beurteilung des Kampfes der Bauern auch „nicht entscheidend, was er sein wollte, sondern was er historisch allein sein konnte: ein Versuch, die bürgerliche Revolution mit den Mitteln des bewaffneten Kampfes weiterzuführen" 2 2 . Damit rücken als eigentliche Träger der Revolution die Bauern und Plebejer, auch Volksmassen genannt, i n den Blickpunkt. Der Bauer, auf dem nach Engels „der ganze Schichtenbau der Gesellschaft: Fürsten, Beamte, Adel, Pfaffen, Patrizier und Bürger" 2 3 lastete, wurde zur „Hauptkraft der Revolution" 2 4 . Generell wurde die Notwendigkeit des Eingreifens der Bauern i n die frühbürgerliche Revolution m i t dem Versagen des Bürgertums begründet, sich als revolutionäres Subjekt an die Spitze der Bewegung zu stellen 25 . Zudem wurde auf die entscheidende Rolle der Volksmassen auch i n bürgerlichen Revolutionen, auf die A b hängigkeit des Verlaufs der Revolution von der Kraft und Ausdauer der Volksmassen hingewiesen, so daß sich schließlich auch i m 16. Jahrhundert „die Volksmassen als die eigentlich geschichtswirksame K r a f t " 2 6 erwiesen hätten. Denn erst das „Vorhandensein einer revolutionären Bauernbewegung eröffnete die Möglichkeit einer revolutionären Lösung der grundlegenden Gegensätze" 27 . So waren es also die Volksmassen, die zumindest objektiv den i n die Zukunft weisenden bürgerlichen Inhalt der Revolution hervorkehrten, auch wenn sie dies subjektiv gar nicht wollten. Denn ihre politischen Wünsche richteten sich „vornehmlich auf eine Wiederherstellung ver20

Köditz (1959) Volksbewegung, S. 91. Steinmetz (1965) Ref. u. Bk., S. 39. 22 Steinmetz (1965) Ref. u. Bk., S. 47. 23 Engels (9/1970) Bk., S. 42. 24 Steinmetz (1965) Charakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), S. 157. 25 Vgl. etwa Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 47 oder auch Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 161. 26 Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 183, ähnlich Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972): „Haupttriebkräfte waren nach 1500 wie zu allen Zeiten die Volksmassen." (S. 133). 27 Brendler (1965) Internationales Kolloquium, Tagungsbericht, S. 691, gibt hier eine Äußerung von Steinmetz wieder. A n anderer Stelle sprach Steinmetz (1965) Ref. u. Bk., unter Berufung auf Lenin davon, „daß die Tatsache eines großen Bauernaufstandes das Fehlen anderer Merkmale einer gesamtnationalen Krise aufwiege". (S. 46). 21

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gangener Zustände, sie blickten zurück i n die Zeit ihrer Vorfahren, i n eine frühere Stufe der Entwicklung des Feudalismus, i n dem ihre Lage eine günstigere gewesen w a r " 2 8 . Nicht als Träger, sondern eher als Opfer des Fortschritts mußten sich daher die Bauern fühlen. Bürgerfreundlich oder prokapitalistisch verhalten haben sie sich jedenfalls subjektiv ebenso wenig, wie die Bürger ihren revolutionären Aktionen mit Sympathie und Wohlwollen gegenüberstanden. Gewollt haben demnach die Akteure des 16. Jahrhunderts genau das Gegenteil von dem, was sie objektiv bewirkt haben sollen. Daß sich aber jene bürgerliche Revolution unabhängig von subjektivem Wollen, ja genau entgegen der eigentlichen Intention der Beteiligten abspielte, macht nur allzu deutlich, wie wenig Bürger, Volksmassen oder schlicht die Menschen Gestalter der Geschichte und wie machtlos sie i m Grunde doch nach marxistisch-leninistischer Ansicht einem sogenannten objektiven Gang der historischen Entwicklung ausgeliefert sind. Schließlich stellt sich noch die Frage, wie die Marxisten-Leninisten es mit dem von ihrer Revolutionstheorie geforderten Prinzip der politischen Machtergreifung der jeweils neuen Klasse halten. Generell läßt sich schon sagen, daß die Antworten auf diese Frage wiederum dem beobachteten Wandel von der national-materialistischen zur welthistorisch-dialektischen Betrachtungsweise entsprechend grundsätzlich differieren. Während man zunächst der These vom Verrat und Versagen des Bürgertums folgend i m Grunde nur die Volksmassen für fähig hielt, die Machtfrage zu stellen, versuchte man später mit der Aufwertung des reformatorischen Gehalts der frühbürgerlichen Revolution auch das Bürgertum zu rehabilitieren und i h m zu bescheinigen, daß es in gewisser Weise m i t der Reformation auch so etwas wie die Machtfrage gestellt hätte. Zunächst hatte man also dem Bürgertum jeden Sinn für den sozialen und politischen Gehalt der revolutionären Bewegung abgesprochen 20 , zumal die Volksmassen eben nicht wie die Bürger auf halben Wege stehen blieben und sich lediglich m i t einer Attacke auf Papst und K i r che begnügten, sondern neben den geistlichen auch die weltlichen Stützen des Feudalsystems zu Fall zu bringen wollten 3 0 . So waren es die Bauern und Plebejer, die — wie es i m Müntzer'schen Programm klar zum Ausdruck kam — „die Vernichtung der fürstlichen Staatsordnung und den Übergang der Macht an das V o l k " 3 1 forderten. Das Bürgertum hatte jedenfalls die Gelegenheit verpaßt bzw. diese als eine solche noch gar nicht erkennen können, sich mit seinen „natür28 29 30 31

Schilfert Vgl. etwa Vgl. etwa Steinmetz

(1948) Engels Bk., S. 13. Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 552. Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 105/106 oder S. 128 f. (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 52/53.

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lichsten Bundesgenossen" 32 , den Bauern, zu verbünden. Da aber der revolutionäre Kampf der Bauern — „ohne klassenbewußte und organisierte revolutionäre Bourgeoisie — allein nicht aus(reichte), genausowenig wie die bürgerliche Revolution ohne die Bauern als der ,Armee zum Schlagen4 und die vorwärtstreibenden bäuerlich-plebejischen Kräfte auskommen kann" 3 3 , scheiterte die Revolution, auch wenn i m Bauernkrieg schließlich die Machtfrage „für einige Wochen" 34 zugunsten der antifeudalen Kräfte entschieden wurde. Unter der Führung des B ü r gertums wäre — so glaubte man sagen zu können — ein Sieg der frühbürgerlichen Revolution jedenfalls möglich gewesen. Je mehr sich nun der Blick der Historiker auf die Reformation i n der frühbürgerlichen Revolution richtete, desto deutlicher wurde auch die Änderung ihres Urteils über Rolle und Haltung des deutschen B ü r gertums i m 16. Jahrhundert. Zeitnahe Analogieschlüsse, wonach die „momentanen Schwächen und Verrätereien" der Bürger zur Bauernkriegszeit nur „die prinzipiellen Schwächen und Verrätereien der bourgeoisen Klasse" 3 5 offenlegten, hatten i n einer revolutionshistorischen Stufentheorie, deren konstitutives Element ja gerade die Relativierung der Reife des objektiven und subjektiven Faktors i n bezug auf eine bestimmte historische Situation war, keinen Platz mehr. Folglich sprach man auch nicht mehr von dem verräterischen Versagen, sondern von gewissen Schwächen des Bürgertums i m 16. Jahrhundert, die — i n Relation zu seiner späteren Entwicklung gesetzt — nicht nur verständlich, sondern vielmehr Ausdruck historischer Gesetzmäßigkeiten waren. M i t der gewissermaßen gleichzeitig erfolgten Aufwertung und Relativierung, man könnte auch sagen Historisierung des Bürgertums, stellte sich erneut die Frage, ob nicht doch neben den Volksmassen auch das Bürgertum zumindest den Versuch gemacht habe, die politischen Machtverhältnisse i n Deutschland umzugestalten. Die A n t w o r t auf diese Frage erhält man, wenn man i n der Reformation „nicht nur eine rein kirchenpolitische, sondern zugleich auch eine ausgesprochen staats- und machtpolitische A k t i o n " erkennt, i n der es „ u m günstigere politische Machtpositionen für das Bürgertum auf allen 32 Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 48. Ähnlich meinte Zschäbitz (1967) Luther: „Es war das besitzende und gebildete Bürgertum in seinem unausgereiften Zustand, das sich der Schlagkraft der Volksmassen für die Durchsetzung eigener Ziele noch nicht zu bedienen wußte und sich aus der daraus resultierenden Unsicherheit gegen die eigenen potentiellen Verbündeten wandte." (S. 208). 33

Müller-Mertens (1961) Fb. Rev. und Königtum, S. 84. Brendler (1969) Fb. Rev. und Tradition, S. 181, ähnlich auch Zschäbitz (1964) Charakter und Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), S. 134. 35 Steinmetz (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 54. 34

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Ebenen des bestehenden Staatsgefüges" ging. Denn die römisch-katholische Kirche war „nicht nur eine ideologische Stütze, sondern ein w i r k licher Teil der Macht und daher auch der Kampf gegen sie nicht nur eine notwendige Voraussetzung, sondern selbst schon ein wesentlicher Teil des Kampfes u m die Macht" 3 6 . Kirche und Gesellschaft waren jedenfalls so eng miteinander verbunden, daß den marxistisch-leninistischen Historikern „ein innerer Zusammenhang zwischen dem Kirchenproblem und der Machtfrage" 3 7 keinesfalls konstruiert erschien. Die „Verbürgerlichung" der Kirche, die Zerschlagung ihrer universalistischen Bindungen und die Brechung der Macht des Adels i n der Kirche waren für Kirche und Gesellschaft gleichermaßen ein Problem, ging es doch darum, „dem Feudalismus das massenwirksamste Herrschaftsinstrument zu entwinden" 3 8 . Faktisch hat das Bürgertum i n der reformatorischen Bewegung jedoch keineswegs die politische Macht an sich gerissen, u m die Produktionsverhältnisse i m bürgerlich-kapitalistischen Sinn umzugestalten, die eigentliche Machtfrage somit nicht gestellt. Das sehen auch die marxistisch-leninistischen Historiker so und versuchen nun die erneut auftretenden Spannungen zwischen historischer Faktizität und einem grundlegenden Prinzip ihrer Revolutionstheorie dadurch zu lösen, daß sie die Machtfrage i n bezug auf die frühbürgerliche Revolution relativieren. Denn tatsächlich sei „ j a nicht die Machtergreifung oder Machtbeteiligung der Bourgeoisie, sondern schon ein mit diesem Ziele begonnener ernsthafter Kampf u m die Macht als das entscheidende K r i t e r i u m einer bürgerlichen Revolution anzusehen" 39 . Die Frage nach der politischen Macht wäre demnach „eine methodologische Leitlinie und kein starres K r i t e r i u m " 4 0 mehr, weshalb Engelberg auch dazu aufforderte, „gerade die frühbürgerliche Revolution i n bezug auf die Machtfrage nicht präzeptorhaft zu überfordern" 4 1 . Wenn auch die politische Frage vom Bürgertum „nicht klar genug gestellt" 4 2 , möglicherweise nur „anvisiert" 4 3 wurde, so bestand die „politische Tat der frühbürgerlichen Revolution" immerhin darin, „den politischen Spielraum des sich international zur Bourgeoisie entwickelnden Bürgertums erweitert, Umwandlungen i m Staatensystem i n Europa herbeigeführt und die 36 37 38 39 40 41 42 43

Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 177. Brendler (1969) Fb. Rev. und Tradition, S. 179. Brendler (1969) Fb. Rev. und Tradition, S. 179/180. Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 179. Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1234. Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1241. Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 166. Brendler (1969) Fb. Rev. und Tradition, S. 181.

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bürgerlich-religiöse Ideologie i n die Außenpolitik eingeführt zu haben" 4 4 . Als Fazit bleibt festzuhalten, daß entsprechend der mangelnden Reife des objektiven Faktors auch die subjektiven Voraussetzungen einer Revolution nicht gegeben waren. Die Spaltung i n zwei antagonistische Klassen, Ausbeuter und Ausgebeutete, läßt sich ebensowenig nachweisen wie das einer solchen Klassenstruktur entsprechende Klassenbewußtsein oder ein die Revolution anführendes organisiertes Bürgertum, das nach Erlangung der politischen Macht auch danach strebte, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse i n Deutschland i n bürgerlich-kapitalistischem Sinne umzugestalten 45 . Die Vorschläge zur Lösung dieses Problems differierten — wie w i r sahen — wiederum je nach national-materialistischer oder welthistorisch-dialektischer Perspektive und lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Zunächst folgte man weitgehend der These von der bürgerlichen Revolution ohne Bourgeoisie. Das Bürgertum hatte — und das keineswegs nur i m 16. Jahrhundert — als revolutionäre K r a f t versagt, ja die Revolution verraten. Das Eingreifen der Volksmassen wurde erforderlich. Bauern, Plebejer, Kleinbürger wurden zum eigentlichen Agens der Bewegung. Ein Erfolg mußte den antifeudalen Kämpfern jedoch versagt bleiben, weil der Klassenhegemon einer bürgerlichen Revolution fehlte, w e i l das Bürgertum sich nicht an die Spitze der gegen den Feudalismus gerichteten Bewegung stellen wollte. 2. Die revolutionshistorische Stufentheorie machte auch die Änderung der Perspektive i n der Beurteilung des Bürgertums möglich. Man bekam Verständnis für die Schwächen des Bürgertums der damaligen Zeit. Denn am Beginn des Übergangs zum Kapitalismus konnte es eben noch nicht um die völlige Liquidierung des Feudalsystems gehen, sondern darum, die ideologischen Verhärtungen und Verknöcherungen des Feudalismus zu zerschlagen, u m so den Spielraum für weitere Entwicklungsmöglichkeiten des Bürgertums i n Richtung Bourgeoisie zu vergrößern. Vor dieser Aufgabe hatten die Bürger des 16. Jahrhunderts keineswegs versagt, sondern Leistungen von weltweiter Wirkung vollbracht, auf die die folgenden bürgerlichen Revolutionen aufbauen konnten. Das Bürgertum war also i m 16. Jahrhundert das revolutionäre Subjekt, und die Bauern 44

Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1241. Schon Müller-Mertens (1961) Fb. Rev. und Königtum, hatte festgestellt, „daß neben dem objektiven Faktor auch der unlöslich mit ihm verbundene subjektive Faktor für den Sturz des Feudalismus nicht gegeben war". (S. 84). Diese Meinung hat sich inzwischen allgemein durchgesetzt. Vgl. dazu etwa Brendler (1967) Ref. und Fortschritt, S. 69 oder Zschäbitz (1969) Standort und Möglichkeiten, S. 36. 45

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stellten lediglich die ,Armee zum Schlagen', u m den von der Reformation „intendierten Fortschritt zu realisieren" 46 . 3.4 Die Bedeutung Thomas Müntzers für den Reifegrad des subjektiven Faktors Richtete sich bislang das Interesse darauf, zu zeigen, inwieweit die marxistisch-leninistische Revolutionstheorie, insbesondere die Frage nach dem Reifegrad des objektiven und subjektiven Faktors, zum Problem der Analyse und Beschreibung von Reformation und Bauernkrieg wurden, so soll i m Folgenden das Problem der subjektiven Voraussetzungen der frühbürgerlichen Revolution am Beispiel Thomas Müntzers konkretisiert werden. Dabei geht es nicht darum, Unterschiede i n der Müntzer-Interpretation deutlich zu machen — das ist Punkt 4.3 dieser Untersuchung vorbehalten —, sondern u m die Frage, inwieweit Müntzers Denken und Handeln die Verbesserung der subjektiven Bedingungen der frühbürgerlichen Revolution zum Ziel hatte bzw. bewirkte. Es geht also u m die Frage, ob Müntzer i m marxistisch-leninistischen Sinne als Revolutionär angesehen werden kann. Was die o b j e k t i v e n sozialökonomischen Bedingungen i n Thüringen

zu Beginn des 16. Jahrhunderts anbetrifft, so haben entsprechende Untersuchungen seitens der DDR-Geschichtswissenschaft ergeben, daß es der städtischen wie der ländlichen Bevölkerung zu dieser Zeit keineswegs besonders schlecht ergangen ist 1 . M i t anderen Worten hatten sich i n Thüringen weder die feudalen Widersprüche noch diese möglicherweise überlagernden Gegensätze zwischen Feudalismus und Kapitalismus i n einer derart eklatanten Weise verschärft, daß eine Revolution objektiv notwendig gewesen wäre. 46

Brendler (1967) Ref. und Fortschritt, S. 69. Vgl. hierzu Michael (1959) Grundbesitz und Erbzins, sowie die darauf aufbauenden Untersuchungen von Lösche (1960) Achtmänner, S. 136 ff. Lösche (1961) Bauern in Mühlhausen, in: Werner / Steinmetz (1961) Die fb. Rev. in Deutschland: „Die Bauern waren persönlich frei, besaßen volle Freizügigkeit und unterstanden nur der Gerichtsbarkeit des Rates der Stadt als Landesherrn. Ihre Güter waren bis auf wenige Ausnahmen schlichte Zinsgüter, an denen sie ein volles, wenn auch abgabepflichtiges Eigentumsrecht hatten. Alles in allem waren die Produktionsverhältnisse für die Bauern relativ günstig, beschränkten sich auf die Entrichtung der seit altersher fixierten Zinse, ließen ihnen aber sonst freie Hand." (S. 66). Über den Stand der kapitalistischen Entwicklung in Mühlhausen heißt es in der Dissertation von Lösche (1961) Mühlhäuser Bauern im 15. und 16. Jahrhundert, daß „die Kapitalakkumulation beim einheimischen Handelskapital relativ gering und die Entwicklung kapitalistischer Produktionsverhältnisse im Gewerbe kaum möglich" (S. 6/7) waren. Vgl. ferner Lösche (1964) Vermögensverhältnisse, wo er für Mühlhausen wie für Thüringen überhaupt „günstige wirtschaftliche Verhältnisse" (S. 131) feststeüte. 1

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Hier h i l f t also nur die Leninsche Erkenntnis von der Machbarkeit der Revolution weiter, insofern nämlich, als „die besondere A k t i v i t ä t der Massen i m Mühlhauser und Allstedter Gebiet keineswegs auf ihre besonders schlechte wirtschaftliche Lage, sondern eher auf das Wirken Müntzers und seiner Anhänger zurückzuführen ist" 2 . Denn er war es, der die Notwendigkeit des revolutionären Kampfes nicht nur gedacht, sondern auch i n ein revolutionäres Programm umgesetzt, massenwirksame Agitations- und Propagandaarbeit geleistet, den Kampf der Volksmassen organisatorisch vorbereitet und schließlich selbst angeführt hat. Müntzers Verdienst war es, trotz der allgemein unzulänglichen objektiven Bedingungen zumindest i n Thüringen die Reife des subjektiven Faktors beschleunigt zu haben. Als Ideologe und Programmatiker, als Propagandist und Agitator, als Organisator und Führer der Revolution — so stellt sich folgerichtig Thomas Müntzer dem marxistisch-leninistischen Historiker dar. 3.4.1 Ideologe und

Programmatiker

I n revolutionären Zeiten kommt neuen revolutionären Ideen besonders große Bedeutung zu. Denn sie helfen, die Massen zu mobilisieren und ihnen die Notwendigkeit des revolutionären Umsturzes begreiflich zu machen 3 . Für seine Zeit hatte Thomas Müntzer solche revolutionären Gedanken entwickelt. Das umwälzend Neue an seiner Geschichtstheorie w i r d „ i n der Synthese zwischen der Auffassung von der unausbleiblichen Umwälzung der gesellschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse auf Erden und von der Bestimmung des Volkes zu der diese Umwälzung vollziehenden K r a f t " 4 gesehen. Das, was Marx Jahrhunderte später erst beweisen wollte, nahm Müntzer gewissermaßen schon vorweg 5 . Denn — so w i r d Müntzer nachgesagt — er war bereits von der Notwendigkeit einer umfassenden, revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft überzeugt. A l l e i n das 2 Lösche (1964) Vermögensverhältnisse, S. 139. Auch für Bensing (1966) Thüringer Aufstand, „hing der Bewußtseinsstand der Menschen nicht allein von der sozialökonomischen Situation ab, in der sie sich befanden, sondern auch — und vielfach vor allem — vom Charakter der jeweiligen Propaganda". (S. 29). 3 Vgl. Grundlagen (3/1973), S. 415. 4 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 47. 5 So sprach etwa schon Kleinschmidt (1952) Thomas Müntzer, von einer „theologische(n) Vorwegnahme" der Marx'schen Theorie. Und Werner (1962) Messianische Bewegungen, meinte: „Die Marx'sche Lehre aber von der weltgeschichtlichen Rolle des Proletariats als Schöpfer der sozialistischen Gesellschaft unterstreicht die Genialität der Müntzerschen Prophetie von der Erlösungsfunktion der ,Armen' als Kollektiv und der Errichtung eines Reiches der Gleichheit und Freiheit." (S. 616/617).

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Volk schien i h m fähig zu sein, diese „messianische T a t " 6 zu vollbringen. Die Bauern und Plebejer, die Volksmassen waren demnach auch für Müntzer schon das eigentliche „Subjekt der geschichtlichen Entwicklung" 7 . Sinn und Ziel aller gesellschaftlichen Veränderung war für i h n ein Reich der Gleichheit und Gerechtigkeit. Revolutionäre Umgestaltung der Welt konnte nur bedeuten, geschichtlich gewordene und bedingte Unterschiede zwischen Menschen zu beseitigen und die „Wiederherstellung der urchristlichen Lebensordnung auf neuer Stufe" 8 anzustreben. Das Ende jener zwischen ursprünglicher und endgültiger Freiheit und Gleichheit liegenden Geschichtsepoche sah Müntzer bereits gekommen — höchste Zeit also, „das Volk auf die große Mission vorzubereiten" 9 . Nicht u m die Menschen eines Landes, einer Sprache, „sondern u m die ,Auserwählten' aller Sprachen" 10 ging es ihm. Denn „jene, die der unmittelbaren Offenbarung Gottes zugänglich waren, weil es für sie keine durch Reichtum, Wollust und Titelsucht gesetzte unüberwindliche Hindernisse für die Aufnahme der göttlichen Wahrheit gab, standen für Müntzer einander näher als Herrschende und Unterdrückte einer Nation" 1 1 . Wenn Müntzer nunmehr meinte, der Hauptfeind stehe keineswegs außerhalb der Grenzen — wie die Türken etwa —, sondern sei „ i m eigenen Lande zu suchen", so konnte das nur „eine Vorahnung der tatsächlichen Klassenspaltung i n der Feudalordn u n g " 1 2 sein. Sozialrevolutionäre Perspektiven lassen sich nach Ansicht der Marxisten-Leninisten bei aller religiösen Denk- und Ausdrucksweise i m Müntzer'schen Ideengebäude also recht deutlich sichtbar machen. Dieses fällt ihnen um so leichter, als sie bei Müntzer anders als bei seinem Gegenspieler Luther keinen prinzipiellen Unterschied zwischen einem irdischen und einem göttlichen Reich entdecken können. Letzteres war für Müntzer vielmehr „das zu idealer Vollkommenheit geführte i r dische Leben" 1 3 . Diesem Ziele näher konnte die Menschen nicht pas• Werner (1962) Messianische Bewegungen, S. 615, ähnlich sprach auch Bensing (1965) Idee und Praxis, „von der kollektiven Messiasfunktion des niederen Volkes". (S. 469). 7 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 47. 8 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 48. Vgl. auch Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 120. Auch in diesem Punkt erweist sich wieder eine völlige Identität von Müntzer'scher und kommunistischer Geschichtsauffassung. Vgl. z.B. Engelberg (1962) Probleme des nationalen Geschichtsbildes: „Der Prozeß der Menschwerdung umfaßt die Geschichte vom primitivsten Urkommunismus über die langen Epochen der Klassengesellschaft bis zur kommunistischen Gesellschaft." (S. 17). 9 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 49. 10 Bensing / Rüdiger (1970) Politische Schriften, S. 13. 11 Bensing / Rüdiger (1970) Politische Schriften, S. 14. 12 Bensing / Rüdiger (1970) Politische Schriften, S. 14.

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sive Kontemplation, sondern nur aktives Handeln bringen. Glaube war für Müntzer folglich ein sozial-ethisches Prinzip, das sich erst i m „praktischen Verhalten des Menschen" verwirklicht, indem er den universellen Willen Gottes, das heißt „die unumschränkte Herrschaft des Prinzips des Allgemeinen anerkennt und sich von den allgemeinen Interessen leiten läßt" 1 4 . Glaube ist nun aber nicht nur Motivation sozial verpflichteten Handelns, sondern zugleich auch Voraussetzung der Erkenntnis göttlicher Wahrheit, eben der Interessen des Allgemeinen. Glaube w i r d so gesehen zu einem A k t der Vernunft; und Wahrheit w i r d — bei entsprechender Praxis, versteht sich — vernünftig, einsehbar, erfahrbar. Die Menschen zu Vernunft und Einsicht zu bewegen, „ u m sie zu befähigen, die Wahrheit unmittelbar zu erkennen", konnte nur Aufgabe der Auserwählten sein, die den engen Horizont egoistischer Interessen und persönlicher Neigungen bereits überwunden hatten und von daher nicht mehr wie die Verdammten, die Pfaffen, die großen Hansen u. a. „an der Verheimlichung der Wahrheit interssiert sind" 1 5 . Denn allen Auserwählten gemeinsam war der Geistglaube, jene von Tradition und esoterischem Schriftgelehrtentum freie, weltliche und geistliche institutionelle Bindungen gleichermaßen negierende „potentielle Möglichkeit des Geistempfangs" 16 . Erkenntnis der Wahrheit war demnach für Müntzer „ein durch die Unmittelbarkeit des Geistes bestimmter, an der Schrift überprüfter und i n der Praxis bewährter Prozeß" 17 . Müntzers Geistlehre ist nach marxistisch-leninistischer Ansicht das zentrale revolutionäre Element seines Denkens überhaupt. War m i t i h r doch nicht nur eine den „Atheismus" streifende, als „pantheistisch" oder auch „theistisch" umschriebene allgemeine Religionskritik verbunden 18 , sondern auch der konkrete Auftrag, alle Hemmnisse, die einem 13 Fuchs (1953/54) Karlstadts radikalreformatorisches Wirken, S. 546. Vgl. auch Wachsmuth (1950) Luther und Müntzer: „Das göttliche Reich, das bei Luther praktisch nur in den Köpfen der Menschen existierte, das Müntzer aber verwirklichen wollte, stellte sich in der Auffassung der Volksreformation als eine Gesellschaft ohne Klassen dar." (S. 124). 14 Smirin (2/1956) Volksreformation, S. 114. Vgl. auch Smirin (1964) Ref. u. Bk.: „Den pantheistischen Anschauungen Müntzers zufolge gibt es keinen Gott, der außerhalb des Menschen, außerhalb der irdischen Welt existiert. Das Ideal der Vollkommenheit, das Müntzer mit dem Begriff der Göttlichkeit verband, ist im Grunde genommen ein soziales Ideal. Müntzer vertrat nicht die Vorstellungen von einem personifizierten „Gott", sondern betrachtete die aktive, selbstlose Tätigkeit des Menschen für das allgemeine Wohl als Dienst an Gott." (S. 193). 16 Smirin (2/1956) Volksreformation, S. 123/124. 16 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 52. Vgl. auch Bensing (1967/68) Müntzer in Nordhausen, S. 61. 17 Bensing (1966) Müntzer und der Thüringer Aufstand, S. 52. 18 Vgl. hierzu Engels (9/1970) Bauernkrieg, S. 59, der die Version vom Müntzer'schen Atheismus prägte. Von Pantheismus spricht Smirin in seinen



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u n m i t t e l b a r e n G e i s t e m p f a n g entgegenstünden, z u beseitigen. D a m i t w a r e n i n n e r e u n d äußere H e m m n i s s e g l e i c h e r m a ß e n angesprochen. D i e F r a g e w a r n u r , w i e sich d i e V e r c h r i s t l i c h u n g oder V e r m e n s c h l i c h u n g d e r W e l t a m ehesten erreichen ließe, ob d u r c h d i e i n n e r e L ä u t e r u n g u n d S c h a f f u n g eines , N e u e n Menschen' i n d e r H o f f n u n g , daß d u r c h d i e steigende Z a h l g e l ä u t e r t e r C h r i s t e n m e n s c h e n d i e sozialen U n g e r e c h t i g k e i t e n u n d U n g l e i c h h e i t e n q u a s i v o n selbst v e r s c h w i n d e n w ü r d e n , oder dadurch, daß m a n „ z u e r s t d i e ä u ß e r e n H i n d e r n i s s e f ü r diese i n n e r e , s i t t l i c h e W a n d l u n g , n ä m l i c h die F ü r s t e n h e r r s c h a f t , d e n m a t e r i e l l e n u n d g e i s t i g e n D r u c k a u f das V o l k z u b e s e i t i g e n " 1 9 habe. Das Z i e l w a r j e d e n f a l l s k l a r . Es g i n g u m d i e V e r w i r k l i c h u n g des Reiches Gottes a u f E r d e n . A l l e s i n a l l e m w a r M ü n t z e r s T h e o l o g i e eine, w e n n auch i n z e i t b e d i n g t e r r e l i g i ö s e r F o r m v o r g e t r a g e n e 2 0 r e v o l u t i o n ä r e T h e o r i e . D e n n „ M ü n t z e r s G o t t e s v o r s t e l l u n g ist so w e n i g v o n d e r R e v o l u t i o n des V o l k e s z u t r e n n e n w i e sein K i r c h e n b e g r i f f v o n d e r e r a h n t e n Gesellschaft o h n e Klassen. Gottesrecht i s t f ü r M ü n t z e r das Recht des V o l k e s a u f R e v o l u t i o n , a u f B e f r e i u n g ; u n d d i e ,neue K i r c h e ' e r Arbeiten. Bei Steinmetz (1969) Müntzers Erbe, heißt es dagegen: „Humanistisch beeinflußt ist auch Müntzers universaler Theismus, mit dem er die Schranken der christlichen Religion kühn überstieg." (S. 1125). 19 Bensing (1962) Müntzer und Nordhausen, S. 1114. Vgl. auch Bensing (1966) Thüringer Aufstand: „Die Frage, auf welchem Wege und wodurch der Zusammenhang zwischen dem Bösen im Menschen und der existierenden obrigkeitlichen Ordnung zerrissen werden könne, ob durch Abtötung des Kreatürlichen im Individuum oder durch Vernichtung der kreatürlichen Ordnung, hat Müntzer unentwegt beschäftigt." (S. 49). 20 Gegen die These von der religiösen Hülle oder gar Tarnung der im Grunde revolutionären Theorie Müntzers opponierte Zschäbitz (1958) Wiedertäuferbewegung, aufs heftigste. Man könne nicht einfach, so meinte er, religiöse Formen im 16. Jahrhundert lediglich „als zweckgebundene Folie für politische oder Sozialrevolutionäre Agitation" (S. 37) ansehen und behaupten — wie Smirin (2/1956) Volksreformation, es getan habe —, „daß Müntzer irdische Zielsetzungen mit einem theologischen System getarnt habe" (S. 44), oder daß er „aus dem Evangelium ein Aktionsprogramm ableiten und zum Banner der revolutionären Aktion der Massen machen wollte . . . " (S. 44). Müntzer sei vielmehr ein religiöser und religiös motivierter Mensch gewesen, dessen Augenmerk „in erster Linie der Läuterung des Menschen" (S. 39) galt. Eine solche geradezu antimarxistische Meinung wurde in der DDR jedoch selbst von Zschäbitz nicht ein zweites M a l in dieser dezidierten Form wiederholt. Vgl. etwa Zschäbitz (1964) Charakter und historische Aufgaben, in: Wohlfeil (1972), wo er in Übereinstimmung mit der allgemeinen Forschungsmeinung die These vertritt, nur Müntzer und seine Leute hätten über die entsprechende Einsicht in die objektive „Notwendigkeit des Kampfes gegen die Fürsten" und ein „den nationalen Belangen am besten entsprechendeis) Programm der frühbürgerlichen Revolution" (S. 134) verfügt. Zschäbitz, der fast in jedem seiner Beiträge vor einer „Modernisierung" der Ereignisse im 16. Jahrhundert warnte, blieb offensichtlich die Vernachlässigung des religiösen Faktors weiterhin ein Problem, worauf seine kategorische Feststellung in Zschäbitz (1967) Lutherbild, hindeutet, wo es heißt, daß die marxistisch-leninistischen Historiker nicht daran dächten, „die religiösen Bewußtseinsinhalte aus den Klassenkämpfen der Zeit zu eliminieren" (S. 753), obgleich dieses bis dahin doch deutlich der Fall gewesen war.

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scheint als jene Form des Zusammenlebens der Menschen, das durch prinzipielle soziale Gleichheit und durch Unterordnung des Individuellen und Einzelnen unter das Ganze gekennzeichnet ist" 2 1 . Müntzers Lehre bot genau das, was die Volksmassen an revolutionärer Ideologie benötigten, zu einem Zeitpunkt, als die besitzbürgerliche, reformatorische Bewegung nicht mehr imstande war, die Interessen des gesamten Volkes zu vertreten 2 2 . Die Müntzer'sche Ideologie wirkte mobilisierend und wurde schließlich zum Programm der die Revolution weiterführenden Kräfte. Müntzers i m Grunde auf einen fernen Gesellschaftszustand abzielenden Auffassungen mußten allerdings „erst ihre Modifizierung durch die gesellschaftliche Realität erfahren" 2 3 , um den fortschrittlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen seiner Zeit auch Ausdruck verleihen und den tatsächlichen historischen Möglichkeiten entsprechen zu können. Denn der Kampf u m die Gleichheit der Menschen hat sich stets an den jeweiligen gesellschaftlichen Realitäten zu orientieren. Je mehr nun die revolutionäre Ideologie m i t der beginnenden revolutionären Volksbewegung „zu einem Strom" 2 4 zusammenfloß, desto deutlicher rückte Müntzer von seiner i m Grunde phantastischen Überzeugung ab, „daß von der Feudalordnung sofort zur menschlichen Ordnung übergegangen werden könne" 2 5 . Stattdessen gewann er die Überzeugung, daß es i n dem bevorstehenden Kampf noch keineswegs u m die Verwirklichung des Endzieles ginge, sondern darum, die entsprechenden Voraussetzungen für die weitere Entwicklung i n Richtung dieses Zieles zu schaffen. Und so ist es denn auch kaum verwunderlich, daß tatsächlich „alle Programme der Müntzerpartei radikal-bürgerlich-demokratische Züge" besaßen und „nichts von Müntzers phantastischer kommunistischer Zielsetzung" verrieten 2 6 . Folglich läßt sich das Müntzer'sche Gesamtprogramm i n ein — praktisch allerdings irrelevantes — „Maximalprogramm", das i n der programmatischen Formel ,omnia sunt communia 4 gipfelte und eine A r t „Minimalprogramm" aufteilen, „das für Müntzer ein zu erreichendes Durchgangsstadium absteckte und i n der Forderung nach Übergang der politischen Gewalt i n die Hand des ,gemeinen Mannes', des Volkes die 21

Bensing / Rüdiger (1970) Politische Schriften, S. 31. Vgl. Bensing (1966) Thüringer Aufstand: „Der Verrat der Besitzbürger an der eigenen Revolution war nicht Reaktion auf das radikale Programm, sondern umgekehrt dieses Programm Produkt der Unmöglichkeit, die Bedürfnisse des ganzen Volkes durch die bürgerlich-gemäßigte Reformation zu befriedigen." (S. 140). 23 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 123. 24 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 123. 25 Bensing (1965) Müntzer (Bildbiographie), S. 48. 26 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 61. 22

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grundlegende These besaß" 27 . War die Frage der politischen Macht erst einmal i m Sinne der Volksmassen entschieden, schien der „Schlüssel zur Lösung aller anderen Probleme" 2 8 wie der Beseitigung materieller und geistiger Unterdrückung etwa gegeben zu sein. N i m m t man schließlich noch hinzu, daß Müntzer und seine Leute „über einen durchdachten Aufstandsplan" 2 9 , ein taktisches Programm verfügten, so w i r d deutlich, daß bei jenem Revolutionär des 16. Jahrhunderts utopische Zukunftsvision und „eine den unmittelbaren gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechende politische und militärische Programmatik" 3 0 eine sinnvolle Synthese gefunden hatten. 1525 war Müntzer jedenfalls „der politische Kopf, der die Lage annähernd richtig übersah", der m i t seinen Forderungen nach einer „möglichst breiten Front unter Einbeziehung selbst Adeliger und Besitzbürger", nach einem entschiedenen Kampf ohne falsche Kompromisse, nach Überwindung egoistischer und lokalbornierter Interessen sowie nach Zentralisation des gesamten Aufstandes m i t Thüringen als möglichem „Zent r u m des Bauernkrieges i n Deutschland" 3 1 ein erfolgversprechendes antifeudales Programm entwickelt hatte. 3.4.2 Propagandist

und Agitator

Thomas Müntzer hatte mit seiner revolutionären Theorie an alte Formen oppositionellen Denkens angeknüpft, hatte die „zukunftsweisenden Elemente" 3 2 der alttestamentlichen Prophetie und der deutschen Mystik ebenso aufgegriffen wie Gedanken der Hussiten und Taboriten, hatte sie „kritisch verarbeitet" und „zu einem geschlossenen Ideengebäude verdichtet" 3 3 . Müntzer ließ es jedoch damit nicht bewenden, sondern brachte seine Lehre auch unters Volk, propagierte sie und agitierte i n ihrem Sinne. Wenn es — bei aller Schwierigkeit einer exakten 27 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 138. Vgl. auch Bensing I Hoyer (2/1970) Bauernkrieg, S. 147. I m Spätsommer 1524 war dieses revolutionäre Programm mit der ,Hochverursachten Schutzrede' und der »Ausgedrückten Entblößung* — wie es bei Bensing / Rüdiger (1970) Politische Schriften, heißt — „voll entwickelt, das Ziel fixiert und der zu bekämpfende Gegner genannt: Die Herrschaft Gottes realisiert sich in dem zur Macht gelangten Volk, sie ist rein weltlich verstanden. Die tyrannischen Fürsten, der Adel und die alte Geistlichkeit müssen vom Stuhl gestoßen werden. I h r Schwert und damit die Schwertgewalt fällt an das Volk zurück. Dieses Programm brachte die ganze offiziöse Gesellschaft von der katholischen Reaktion bis zu den Lutheranern gegen Müntzer auf . . ( S . 30). 28 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 139. 29 Bensing / Hoyer (2/1970) Bauernkrieg, S. 147. 80 Bensing / Hoyer (2/1970) Bauernkrieg, S. 148. 81 Bensing (1965) Müntzer (Bildbiographie), S. 79. 32 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 17. Vgl. auch Smirin (2/1956) Volksreformation, S. 132. 88 Bensing l Rüdiger (1970) Politische Schriften, S. 12.

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Unterscheidung — Aufgabe eines Propagandisten ist, einen bestimmten ,Entwurf von Welt' zu liefern und ihn entsprechend zu vermitteln, und die Aufgabe eines Agitators darin besteht, weniger für globale, möglicherweise erst in ferner Zukunft zu erreichende Ziele als vielmehr für die Bewältigung naheliegender Aufgaben und Ziele zu werben, so war Müntzer beides: Propagandist und Agitator 8 4 . Begonnen hatte Müntzer als ,Martianer', nicht als ,Schüler 4 Luthers, wohl aber als dessen Bundesgenosse, wobei die Gemeinsamkeiten zwischen beiden „weniger i n der Bejahung derselben Prinzipien, als in der Verneinung überholter kirchlicher und religiöser Zustände" 3 5 bestanden. Müntzer bezog denn auch frühzeitig eine eigenständige Position, „tangierte lediglich den Weg des Wittenberger Reformators und ging schon bald (1519) über ihn hinaus, enttäuscht von dessen Halbheiten und I n konsequenzen, davon überzeugt, daß auch hier ,David 4 vollführen müsse, was ,Saul' an Gutem begonnen, aber nicht zu Ende geführt habe" 3 6 . So scheint es, als habe sich Müntzer 1519/20 bewußt i n die klösterliche Abgeschiedenheit nach Beuditz zurückgezogen, u m „die mannigfaltigen Eindrücke der vorausgehenden Monate gedanklich zu verarbeiten und einen eigenen Standpunkt zu entwickeln" 3 7 . I m Jahre 1522 jedenfalls, als die anfangs einheitliche antirömische Bewegung sich aufzuspalten und zu differenzieren begann, hatte Thomas Müntzer sich bereits „außerhalb der möglichen bürgerlich-reformatorischen Gruppierungen gestellt und die Position der Volksreformation bezogen" 38 . Die Entscheidung gegen Luther und die Luthe84 Einer Unterscheidung Plechanov's zufolge vermittelt der Propagandist „viele Ideen an eine oder mehrere Personen, der Agitator aber vermittelt nur eine oder nur wenige Ideen, dafür aber vermittelt er sie einer ganzen Menge von Personen". (Zitiert nach Artikel „Propaganda", in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft, Band V, Freiburg / Basel / Wien 1972, Sp. 372.) Nimmt man noch Lenins Bemerkung hinzu, wonach der Propagandist „hauptsächlich durch das gedruckte, der Agitator durch das gesprochene Wort" (zitiert ebenda, Sp. 372) wirkt, so wird auch der Unterschied deutlich zwischen einer auf langfristige Veränderung abzielenden propagandistischen und einer auf kurzfristigen Erfolg bedachten agitatorischen Tätigkeit. Vgl. auch Löckenhoff / Belach (1964) Zur Bestimmung der Begriffe Agitation und Propaganda. 85 Bensing (1967/68) Müntzer in Nordhausen, S. 57, vgl. auch Bensing (1965) Müntzer (Bildbiographie), S. 28, Steinmetz (1969) Müntzers Erbe, spricht von der „negative(n) Theologie" als der „gemeinsamen ideologischen Grundlage der frühen Reformation". (S. 1122). 86 Bensing / Rüdiger (1970) Politische Schriften, S. 15. 87 Bensing (1965) Müntzer (Bildbiographie), S. 30. 88 Bensing (1967/68) Müntzer in Nordhausen, S. 62. I n Müntzers Brief an Melanchthon vom 17. März 1522 sah Bensing (1962) Müntzer und Nordhausen, den „Abschiedsgesang an das lutherische Lager". (S. 1116). So auch schon Kirchner (1961) Egranus, S. 60. Müntzers Trennung von Nordhausen interpretierte Bensing (1967/68) Müntzer in Nordhausen, schließlich als „erste durch Wittenberg betriebene Vertreibung Thomas Müntzers". (S. 48).

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raner war endgültig gefallen. Müntzer hatte nicht nur die Unvereinbarkeit seiner und Luthers Theologie i n zentralen Punkten erkannt, sondern war sich auch über den politischen Gehalt der Lehre des Wittenberger Reformators endgültig klargeworden. Hatte er doch soeben i n Nordhausen gewissermaßen am eigenen Leibe erfahren müssen, wie sich lutherische Auffassungen hervorragend „für beschränkte Klasseninteressen" 39 nutzbar machen ließen. Der Fortgang der ersten bürgerlichen Revolution konnte ohnehin nur durch „die Umwandlung der bürgerlich-gemäßigten i n die Volksreformation" gesichert werden, zumal die Volksmassen immer deutlicher „als aktiv handelnder, vorwärtstreibender F a k t o r " 4 0 i n Erscheinung traten. Dem Bedürfnis nach einer einheitlichen Ideologie des Volkes entsprechend stand die Müntzer'sche Propaganda und Agitation i n dieser Situation i m wesentlichen vor zwei Aufgaben: Generell ging es darum, die Auseinandersetzung m i t der reaktionär-katholischen wie mit der lutherischen Ideologie zu forcieren und i m besonderen, den „volksfeindlichen Charakter" 4 1 der bürgerlich-gemäßigten Reformation aufzudecken und damit den Volksmassen ihre „illusionäre Befangenheit" zu nehmen und ihnen „die Aussichtslosigkeit ihrer Hoffnungen auf Luther nachzuweisen" 42 . Der „praktische Kampf" trat also i n der Phase „des allmählichen und friedlichen Übergangs" 43 zur Volksreformation hinter den anstehenden wichtigen ideologischen Aufgaben zurück. Da für Müntzer „der Mensch nicht böse von Anbeginn und unfähig zum Guten, sondern läuterungsund entwicklungsfähig, erziehbar" war, w i r k t e und bewährte sich Müntzer besonders i n der Zeit zwischen 1522 und 1524 als „großer Erzieher des Volkes", wobei er erziehen wollte „ m i t Methoden der M y stik, m i t der Praxis der Liturgie, m i t Gottesdienstordnungen, m i t der deutschen Sprache, die er als erster systematisch i n der Kirche einführte, m i t der Bibellektüre" 4 4 . 89

Bensing (1967/68) Müntzer in Nordhausen, S. 62. Bensing (1962) Müntzer und Nordhausen, S. 1115. 41 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 40. 42 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 116. 48 Bensing (1962) Müntzer und Nordhausen, S. 1113. 44 Steinmetz (1969) Müntzers Erbe, S. 1124/1125. Vgl. hierzu auch Smirin (2/1956) Volksreformation, S. 332, sowie Honemeyer (1965) Allstedter Gottesdienst. Schon Zschäbitz (1958) Wiedertäuferbewegung, hatte eingeräumt, „daß Müntzer mit der Neuordnung des Gottesdienstes in erster Linie didaktische Absichten verband. Kult und Sakramente galten ihm nur als Symbole und mußten als ,Erziehungs- und Aktivierungsmittel· allen Gläubigen verständlich sein". (S. 41). Allerdings hielt er es — mit Blick auf die Smirin*sehe Müntzerinterpretation — für eine unzulässige Vereinfachung, den theologisch-liturgischen Schriften Müntzers keinen Eigenwert beizumessen. (Vgl. ebenda, S. 41.) 40

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Das Endziel, die Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden, stets vor Augen, war Müntzer jedoch keineswegs von Anfang an von der Notwendigkeit der gewaltsamen Herbeiführung jenes Gesellschaftszustandes überzeugt gewesen. Viel lieber hätte er — wie sein beharrliches Werben um Schutz und Gunst der Ernestiner zeigt — noch über 1524 hinaus „den friedlichen Weg über die allmähliche Ausbreitung göttlicher Gerechtigkeit durch die Erziehung der Menschen gewählt" 4 5 . Denn ohne den wirklich ,Neuen Menschen4 geschaffen, „ohne die Emanzipation des Menschen vom Kreatürlichen zu einem gewissen Abschluß gebracht" 48 und damit sein „Erziehungswerk" 4 7 vollendet zu haben, schien i h m das Volk einfach noch nicht reif und fähig zu sein, den alles entscheidenden antifeudalen Kampf zur Überwindung der kreatürlichen und zur Errichtung der ,Neuen Ordnung 4 erfolgreich bestehen zu können. Nachdem jedoch die lutherische Bewegung ihren progressiv-revolutionären Charakter verloren hatte, und die Fürsten es ablehnten, der volksreformatorischen Bewegung den notwendigen Schutz zu gewähren, „gab es nur noch einen Weg zum Sieg der Reformationsbewegung: die Selbsthilfe der Volksmassen 4448 . Müntzer mußte jetzt zu der Überzeugung gelangen, daß die Beseitigung der kreatürlichen Ordnung, die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt erst die Voraussetzung für die Schaffung neuer menschlicher Qualitäten sein könne 4 9 . Nicht Resignation, sondern verstärkte Agitation und Propaganda war deshalb die Müntzer'sche A n t w o r t auf die veränderte politische Lage i m Spätsommer des Jahres 1524, ging es doch jetzt darum, die ideologische Vorbereitung des Kampfes zu intensivieren und dem Volk die Notwendigkeit und den Nutzen des Aufstandes klarzumachen 50 . Müntzers Lehre war ausgereift, die Bewegung, die ihrer bedurfte, herangewachsen, die Verschmelzung von revolutionärer Theorie und revolutionärer Bewegung schließlich „das denkwürdigste Ereignis am Vorabend des deutschen Bauernkrieges" 51 . 45 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 62. Müntzers Bemühen um ein Bündnis mit den Fürsten darf jedoch nach Bensing nicht als Kumpanei mit der herrschenden Klasse interpretiert, sondern muß als taktische Maßnahme verstanden werden. Denn im Sommer 1524 gab es „nur die Alternative, ein Bündnis mit den evangelischen Fürsten wider die Tyrannen zu schließen und so die Erziehung des Volkes ungestört fortzusetzen und Aufruhr zu verhüten oder den Aufstand gegen Fürsten und Herren mit Menschen zu führen, die in der Mehrheit beschränkte Tagesinteressen zu verwirklichen strebten und deren Aufbegehren Gott erzürnen müßte". (S. 56). 46 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 53. 47 Bensing (1965) Müntzer (Bildbiographie), S. 48. 48 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 115. 49 Vgl. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 57. 60 Vgl. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 62. 81 Bensing (1965) Müntzer (Bildbiographie), S. 60.

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Müntzers allgemeine Propaganda wurde nun konkreter und begann sich auf die unmittelbaren Interessen und Bedürfnisse des Volkes einzustellen. Gewisse utopische, eine Massenbewegung hemmende Gedanken traten angesichts der zu bewältigenden Gegenwartsaufgaben deutlich zurück 52 . Seine berechtigte Furcht jedoch, das Volk könne allein egoistischer Interessen wegen den Kampf führen, veranlaßte ihn i m mer wieder dazu, vor engstirnigen Entschlüssen und lokalborniertem Verhalten zu warnen. So hat Bensing es geradezu als eine während des Aufstandes durchgängig zu beobachtende Taktik Müntzers bezeichnet, einerseits stets an die konkreten und lokalen Nöte der Bevölkerung anzuknüpfen und andererseits sogleich wiederum den Blick auf das gesamte Anliegen der Christenheit zu lenken 5 3 . Müntzer war eben beides: Propagandist und Agitator, „messianischer Prophet" und „radikaler Demokrat" 5 4 . 3.4.3 Organisator

und Führer

Bei Beginn des Bauernkrieges i n Thüringen sollte sich die ausgezeichnete propagandistische Vorarbeit, die Müntzer und seine Leute besonders i n der Übergangsphase der frühbürgerlichen Revolution von 1522 - 1524 geleistet hatten, auszahlen. Denn nun war es ein Leichtes, jene Orte, die seinerzeit sorgsam ausgesucht und zu Hauptzentren Müntzer'scher Propaganda ausgebaut worden waren, i n Zentren der Revolution umzuwandeln. Die revolutionären Aktivitäten waren somit nach marxistisch-leninistischer Ansicht weit mehr das Resultat planmäßigen und gezielten Vorgehens, als daß sie sich etwa spontan und zufällig entwickelt hätten. Zweifel an einer „direkten organisierenden Rolle" 5 5 Müntzers werden daher auch entschieden zurückgewiesen. 62

Vgl. etwa Zschäbitz (1967) Luther, S. 183. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, z. B. S. 70. 54 Auf Werner (1962) Messianische Bewegungen, geht offensichtlich die Wortschöpfung „messianischer Prophet" (vgl. etwa S. 611) zurück, während Bensing (1965) Müntzer (Bildbiographie), von Müntzers Entwicklung zum „radikalen Demokraten" (S. 59) sprach. Auch wird die Bezeichnung „wahrer Demokrat" (vgl. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 249) oder „demokratischer Revolutionär" (vgl. Steinmetz (1969) Weltwirkung, S. 27) u. ä. gebraucht. Müntzer war also nicht nur ein Schwärmer, Utopist oder revolutionärer Theoretiker, sondern auch ein nüchterner Realist, der die jeweilige Lage richtig einschätzte und „für reale Ziele kämpfte". (Steinmetz (1969) Weltwirkung, S. 27.) Müntzer war also auch ein Praktiker der Revolution. Daß Müntzer dabei den demokratischen Weg ging, heißt soviel, daß er die Revolution mit den Volksmassen durchzuführen gedachte. 55 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 108. Smirin (2/1956) Volksreformation, war noch anderer Meinung gewesen: „In Wirklichkeit kann jedoch von einer direkten organisierenden Rolle Müntzers nicht die Rede sein, sondern davon, daß die Propaganda seiner Lehre auf dem Boden der entstehenden und sich entfaltenden Massenbewegung eine besondere Bedeutung gewann." (S. 306). 58

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So gab es i n Mitteldeutschland bei Ausbruch des Bauernkrieges bereits „eine weitverzweigte revolutionäre Organisation" 5 6 , die zwischen den einzelnen revolutionären Zentren, zwischen Mühlhausen als dem eigentlichen Mittelpunkt und dem Nordosten Thüringens, besonders Allstedt und Umgebung, sowie dem thüringischen Südwesten mit dem Gebiet u m Eisenach die Verbindung herstellte 57 . Erste Schritte zur Schaffung einer revolutionären Vereinigung w u r den i m März 1524 i n Allstedt unternommen. Dem als Geheimbund konstituierten Allstedter Bund gehörten anfangs nur 30 Mitglieder an. Ihre Aufgabe galt „zunächst ausschließlich dem Schutz der Predigt und der Heranbildung von Emissären" 58 . Die Tatsache, daß Müntzer dem Bund nicht angehörte, hat man als weitsichtige Taktik Müntzers interpretiert, zwar lokale und regionale Vereinigungen „organisieren und festigen" zu helfen, ihnen jedoch nicht beizutreten, u m sich nicht lokal zu binden und damit Gefahr zu laufen, „die Gesamtbewegung, die Verbindung zwischen den verschiedenen Verbündnissen und lokalen Insurrektionen" 5 9 aus den Augen zu verlieren. I m Sommer 1524 nahm Müntzer trotz fortgesetzten Bemühens u m die Gewinnung der Fürsten für den Bund „eindeutig Kurs auf die Organisation des Volkes" 6 0 . Sichtbares Zeichen dieser Entwicklung war die Erweiterung und Öffnung des Allstedter Bundes. Nicht mehr nur einige wenige Auserwählte sollten dem Allstedter Bund angehören, sondern alle — gleichgültig welchem sozialen Stand sie zugehörten, ob sie Adeliger oder Geistlicher, Bauer oder Bürger waren — sollten A u f nahme finden, sofern sie nur zur Abwehr der tyrannischen Obrigkeit, des katholischen Adels und der Klöster nämlich, bereit waren. Ebensowenig wie also von einer ausschließlichen Organisation der Bauern und Plebejer die Hede sein konnte, ebensowenig ging die Gewinnung „des gesamten ausgebeuteten Volkes i n Stadt und Land" immer zwanglos vonstatten, so daß sich verständlicherweise gerade jetzt für Müntzer das Problem stellte, „Menschen i n den Kampf zu führen, die nicht aus eigener Einsicht das Streben nach Befriedigung der materiellen Bedürfnisse m i t der Erkenntnis, was dem gesamten Volk not tat, verbanden" 6 1 . Somit war das Problem der Läuterung und Erziehung der Menschen nach wie vor ungelöst. Da für eine solche Umerziehungsaufgabe nach Müntzers Meinung nur gleichgesinnte Prediger i n Frage kamen, bildete sich innerhalb der 56 57 58 59 eo β1

Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 139. Vgl. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 82 ff. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 58. Bensing (1965) Idee und Praxis, S. 461/462. Bensing (1965) Idee und Praxis, S. 464. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 60.

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Verbündnisse eine „revolutionäre Elite" heraus, die als der eigentliche „Kern" des revolutionären Lagers oder auch als „Partei Thomas Müntzers" bezeichnet wird. A l l e i n ihre Mitglieder vermochten es, „dem kühnen Gedankenflug Müntzers zu folgen" und konnten daher auch „die tatsächlichen Interessen aller unterdrückten Schichten ihrer Zeit am besten verfechten" 62 . Als revolutionärer Kader war die Müntzerpartei weder lokal noch regional beschränkt. Auch war sie nicht wie die Verbündnisse, i n denen die unterschiedlichsten politischen und sozialen Interessen zum Tragen kamen, an bestimmte soziale Schichten gebunden. Sie hatte stets das Anliegen des gesamten ausgebeuteten Volkes vor Augen und war auf „den revolutionären Erfolg i n ganz Deutschland, ja i m Bereich der gesamten Christenheit" 6 3 bedacht. Das historisch völlig Neue an der Müntzer'schen Richtung war, daß sie neben einer i n sich geschlossenen Ideologie und Programmatik über eine revolutionäre Organisation und eine „anerkannte Führerpersönlichkeit" 6 4 verfügte, was ihr, wenn sie auch „nur eine Minorität der Aufständischen" darstellte, die Kraft und die Möglichkeit gab, „dem Kampf gegen die Feudalität Konsequenz, Schärfe und einheitliche Zielsetzung zu verleihen" 6 5 . Nach seiner Vertreibung aus Allstedt und A n k u n f t i n Mühlhausen i m August 1524 sah sich Müntzer einer völlig anderen politischen Situation gegenübergestellt. Hatte er sich i n Allstedt zunächst gemeinsam mit Rat und Gemeinde der Stadt gegen Behinderungen von außen, insbesondere seitens des Grafen Ernst von Mansfeld bei der Verkündigung und Ausbreitung des Evangeliums zur Wehr gesetzt, so wurde er i n Mühlhausen sogleich mit innerstädtischen Auseinandersetzungen konfrontiert 6 6 . Müntzers radikale Forderungen nach „Vertreibung der Geistlichen", „Aufhebung der Abgaben" und „Liquidierung jeglichen privilegierten Stadtregiments" 6 7 w i r k t e n auf die bereits vorhandene, jedoch lediglich von reformerischen Interessen geleitete bürgerliche bzw. „kleinbürgerliche" Oppositionsbewegung notwendigerweise radikalisierend und polarisierend. Man konnte sich nur für oder gegen das Programm entscheiden. So war es Müntzers Verdienst, daß sich unter seinem Einfluß „verhältnismäßig rasch aus der Stadtarmut und den wirtschaftlich schwachen Teilen des Kleinbürgertums eine selbständige plebejische 62

Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 141. Bensing / Hoyer (2/1970) Bauernkrieg, S. 146. 84 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 133. 65 Bensing / Hoyer (2/1970) Bauernkrieg, S. 146. ββ Vgl. hierzu Köditz (1959) Volksbewegung, sowie neben den Arbeiten von Lösche vgl. auch Günther (1961) Mühlhäuser Rezeß, Günther (1968) Müntzer und der Bk., Günther (1971) Mühlhausen, Pfeiffer, Müntzer. 67 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 66. 63

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Opposition (bildete), die auf eine Fortsetzung der revolutionären Bewegung und grundlegende Umgestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse drängte" 6 8 . M i t dem ,Ewigen Bund Gottes' schufen sich die Plebejer nun eine „revolutionäre Kampf organisation" militärischen Charakters und m i t den von Müntzer und Pfeiffer möglicherweise verfaßten ,11 Mühlhäuser Artikel' ein eigenes „politisches Aktionsprogramm" 6 9 , wobei es sich i m Grunde „ u m ein bürgerlich-demokratisches Programm (handelte), das m i t seinen Forderungen nach Gleichheit vor dem Gesetz, nach dem Recht aller Bewohner der Kommune, die Regierung zu wählen und abzuberufen, eine Antizipation späterer bürgerlicher Verfassungen darstellte" 7 0 . Während der Septemberunruhen des Jahres 1524 gelang es der neuen revolutionären Bewegung i n Mühlhausen jedoch nicht, ihr Programm endgültig und erfolgreich durchzusetzen. Der Aufstand wurde vom Rat der Stadt, jetzt m i t Unterstützung der Bauern, noch einmal niedergedrückt. Pfeiffer und Müntzer mußten die Stadt verlassen. Müntzer reiste nun durch weite Teile Deutschlands und sorgte dafür, „daß nahezu überall Bündnisse entstanden, die den Kampf der Massen leiten und danach eine neue Ordnung errichten konnten" 7 1 . Vor allem aber wurde er sich jetzt durch eigenes Erleben i m Südwesten Deutschlands endgültig über die große Bedeutung der „bäuerlichen Insurrektion" klar, weshalb er sie nach seiner Rückkehr auch i n Thüringen „fieberhaft organisierte" 72 . Als Müntzer Ende Februar 1525 wieder i n Mühlhausen eintraf, strebte hier die revolutionäre Entwicklung ihrem Höhepunkt entgegen. I m März wurde der alte Rat gestürzt. Der neue ,ewige Rat' trat an seine Stelle. Die eigentlichen Träger dieser innerstädtischen Revolution aber, die Müntzer'schen Revolutionäre, gingen leer aus; sie konnten den revolutionären Erfolg jedenfalls nicht für sich selbst verbuchen oder — 68

Lösche (1960) Achtmänner, S. 145. So Günther (1968) Müntzer und der Bk., S. 182. Vgl. auch Lösche (1960) Achtmänner, der betont, daß es sich bei dem Ewigen Bund „nicht nur um eine fester organisierte Glaubensgeinschaft, sondern um eine illegale Kampforganisation handelt, die nötigenfalls die bewaffnete Auseinandersetzung mit dem militärischen Aufgebot der herrschenden Klassen führen sollte". (S. 152). 70 Bensing (1965) Idee und Praxis, S. 467. M i t den 11 Artikeln legte Müntzer wie Bensing (1966) Thüringer Aufstand, meinte, „die Verfassung der christlichen, von der Herrschaft der gottlosen Obrigkeit befreiten Gemeinde vor" (S. 71) und beabsichtigte offensichtlich mit diesem Entwurf — so Bensing (1965) Müntzer (Bildbiographie) — „den Modellfall für die Neugestaltung des gesamten gesellschaftlichen Lebens zu schaffen". (S. 66). 71 Smirin (1964) Ref. u. Bk., S. 195. 72 Bensing (1965) Idee und Praxis, S. 468. 69

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wie Engels gesagt hätte — die Früchte des Sieges einheimsen. Denn nicht ein einziges Mitglied des Ewigen Bundes war i n dem neuen Rat vertreten, der zwar ein „Produkt der revolutionären Bewegung" 7 3 , „ i m wesentlichen aber das Instrument der ökonomisch stärksten Kreise des Kleinbürgertums und des mittleren Bürgertums w a r " 7 4 . Immerhin stellte der Ewige Bund i n Mühlhausen inzwischen eine bedeutende politische K r a f t dar, so daß sich der Rat veranlaßt gesehen haben dürfte, die plebejische Bewegung nicht nur zu dulden, sondern sie auch „materiell und moralisch" 7 5 zu unterstützen. Mühlhausen war damit „auf dem Wege der von der Volksreformation angestrebten grundlegenden Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse am weitesten vorangekommen und stellte daher auch einen geeigneten Ausgangspunkt für die weitere Ausbreitung ihres Gedankengutes d a r " 7 6 Mühlhausen wurde zum revolutionären Zentrum, von wo Müntzer und seine Partei den Aufstand planmäßig vorbereiteten und organisierten. Hier wurden die für die Gesamtbewegung wichtigen Entscheidungen getroffen. Hierher wurden die engsten Gesinnungsgenossen und revolutionärsten Kräfte aus dem Allstedter Raum und möglicherweise auch aus dem Werragebiet beordert 7 7 . Nicht spontan, sondern gut vorbereitet begann der Aufstand. Die revolutionäre Vorhut, die Partei Thomas Müntzers, übernahm sogleich „die Führung der Massen" 78 , und binnen kurzem war ganz Thüringen vom Aufstand erfaßt. Daß es Müntzer nun gelang, die verschiedenen sozialen Kräfte von den Bauern und Plebejern über kleinbürgerliche Elemente bis h i n zu Angehörigen des mittleren und niederen Adels zu vereinigen, war eine „großartige organisatorische Leistung" 7 9 . Weit über 10 000 Menschen traten während des Aufstandes hinter die Regenbogenfahne, das Zeichen des Ewigen Bundes Gottes. Der Müntzer'sche 73

Bensing (1965) Idee und Praxis, S. 468. Lösche (1960) Achtmänner, S. 159. Meusel (1952) Müntzer und seine Zeit, hatte sich die Unfähigkeit der Plebejer, revolutionäre Erfolge in politische Macht umzusetzen, so erklärt: „Die Schichten, deren hervorragendster Vertreter Müntzer war, waren zu arm, zu sehr an Unterdrückung gewöhnt und zu wenig aufgeklärt, um das Stadtregiment selbst in die Hand zu nehmen." (S. 165). Das widerspricht freilich direkt der These, daß gerade die Unterdrückten und Ausgebeuteten das historische Subjekt revolutionärer Veränderung seien. 75 So Bensing (1965) Idee und Praxis, S. 468 und Günther (1971) Mühlhausen, Pfeiffer, Müntzer, S. 20. 76 Lösche (1960) Achtmänner, S. 146. 77 Vgl. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 106 f. Müntzers Aufstandsplan lag die Absicht zugrunde, „von Mühlhausen aus und mit der Kraft der Mühlhäuser ganz Thüringen den Fürsten und dem Adel zu entreißen und so ein Zentrum zu schaffen, von dem aus der Aufstand auch in andere Teile Deutschlands getragen werden konnte". (S. 107). 78 Bensing / Hoyer (2/1970) Bauernkrieg, S. 145. 79 Bensing / Hoyer (2/1970) Bauernkrieg, S. 147. 74

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Bund hatte damit „seine höchste Entfaltung gefunden: er erfaßte und repräsentierte die Mehrheit des Volkes" 8 0 . Die soziale Heterogenität des revolutionären Lagers brachte jedoch auch große Gefahren m i t sich. Denn den weitsichtigen und konsequenten Revolutionären Müntzer'scher Prägung standen die zahlenmäßig recht starken, ausschließlich an lokalen Erfolgen interessierten kleinbürgerlich-gemäßigten Kräfte u m Heinrich Pfeiffer entgegen 81 . Dieser latente Gegensatz zwischen Gemäßigten und Radikalen führte Anfang Mai 1525 zu schweren inneren Kämpfen innerhalb des revolutionären Lagers, als es darum ging, lokale und provinzielle Sonderinteressen hintanzustellen und sich stattdessen u m die Konzentration aller revolutionären Kräfte und damit u m die Zentralisation der Bewegung zu bemühen 82 . Die Gemäßigten, nach wie vor lokalborniertem Denken verhaftet, waren nicht i n der Lage, über ihren eigenen Schatten zu springen, und durchkreuzten erneut Müntzers „überlegene strategische A b sicht" 8 3 . So kam es, daß Müntzer m i t wenigen Getreuen, m i t einem Haufen 8 4 von nur 300 Mann Mühlhausen am 10./11. M a i 1525 verließ, u m i n Frankenhausen die Entscheidung gegen die Fürsten zu suchen. Damit können w i r die Schilderung der Ereignisse u m Thomas M ü n t zer aus der Sicht der DDR-Historiker beenden. Zusammenfassend w o l len w i r uns noch einmal die Fragen vorlegen, warum Müntzer eigentlich ,historisch notwendig' war, wie er die i h m angetragene ,historische Aufgabe' löste, die Reife des subjektiven Faktors zu beschleunigen, und schließlich was i h n und damit den thüringischen Bauernkrieg insgesamt scheitern ließ. Ein starkes Bürgertum, fähig, die führende Rolle i n der Revolution zu übernehmen, hat es i m 16. Jahrhundert nicht gegeben. Die Volksmassen waren deshalb vor die Aufgabe gestellt, den offensiven Kampf 80

Bensing (1965) Idee und Praxis, S. 469. Zum Verhältnis Pfeiffer - Müntzer wird in der marxistisch-leninistischen Literatur allgemein die Auffassung vertreten, daß zwischen beiden zunächst keine Gegensätze bestanden hätten, Pfeiffers Haltung während des Aufstandes jedoch einem Verrat an der Müntzer'schen Sache gleichzusetzen sei. Vgl. dazu etwa Köditz (1959) Volksbewegung, S. 116 oder Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 75 sowie S. 182 -189. Dagegen glaubt Günther (1971) Mühlhausen, Pfeiffer, Müntzer, „eine bis in den Tod währende Kampfgemeinschaft Müntzers und Pfeiffers" (S. 26) feststellen zu können. 82 Vgl. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 182/183. 83 Köditz (1959) Volksbewegung, S. 124. 84 Zur Organisationsstruktur der Haufen allgemein vgl. Bensing (1968) Charakter, Organisation und Rolle der „Haufen". Beobachtete Elemente eines „frühen Demokratismus" in den Haufen, aufgrund dessen etwa allen Mitgliedern das gleiche Stimmrecht zustand, veranlaßte Bensing (1966) Thüringer Aufstand, zu der These, daß damit „die Verfassung der künftigen Gesellschaft, wie sie sich Thomas Müntzer erträumte, während des Bauernkrieges in den Haufen vorweggenommen" (S. 153) worden sei. 81

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gegen die Feudalordnung allein zu führen. M i t Thomas Müntzer brachte die Geschichte die Führerpersönlichkeit hervor, die das Volk i n einer solchen Situation brauchte 85 . Vor die Aufgabe gestellt, die subjektiven Voraussetzungen der Revolution zu schaffen, hat Müntzer sie m i t erstaunlicher Konsequenz verfolgt und so zumindest versucht, die Forderungen der marxistisch-leninistischen Theorie hinsichtlich der aktiven Vorbereitung und Durchführung einer Revolution zu erfüllen. Als Elemente jenes subjektiven Faktors zählen i m wesentlichen: (a) „das revolutionäre Bewußtsein der Massen, ihre Bereitschaft und Entschlossenheit, den Kampf bis zum Ende zu führen"; (b) „die Organisiertheit der Massen und ihrer Avantgarde, die es ermöglicht, alle Kräfte zu konzentrieren"; (c) „die Führung der Massen durch eine Partei, die erfahren genug, kampfgestählt und fähig ist, die richtige Strategie und Taktik des Kampfes auszuarbeiten und sie i n die Tat umzusetzen 86 ." Für die Beurteilung der Müntzer'schen Tätigkeit ergibt sich daraus: 1. Revolutionäres Handeln ist ohne revolutionäres Bewußtsein nicht möglich. Revolutionäres Bewußtsein ist ohne revolutionäre Theorie oder Ideologie nicht denkbar. Müntzer hatte eine revolutionäre Theorie entwickelt; er war von der Notwendigkeit der revolutionären Veränderung der Welt ausgegangen, hatte i n den Volksmassen den eigentlichen Träger einer solchen gesellschaftlichen Umwälzung erkannt und als Ziel revolutionärer Veränderung ein Reich der Gleichheit und Gerechtigkeit anvisiert. War er zunächst davon ausgegangen, die für i h n letzte Ausbeuterordnung auf friedlichem Wege über die Erziehung der Menschen, über die Änderung ihrer Bewußtseinshaltung überwinden zu können, so mußte er später die Erfahrung machen, daß zur V e r w i r k lichung seines Erziehungsideals erst die entsprechenden gesellschaftlichen Voraussetzungen geschaffen werden mußten. Die große Schwierigkeit allerdings, den Kampf m i t innerlich noch keineswegs hinreichend geläuterten Menschen führen zu müssen, hatte Müntzer von Anfang an erkannt. Das revolutionäre Bewußtsein der Massen blieb weitgehend lokal beschränkt, weshalb die Bereitschaft, die Revolution über lokale Erfolge hinaus bis zum siegreichen Ende zu führen, auch vielfach fehlte. 2. U m eine Revolution zu dem gewünschten Erfolg führen zu können, ist die Konzentration und Zentralisation aller revolutionärer Kräfte vonnöten — ein Postulat, für dessen Erfüllung gerade Müntzer wäh85

Vgl. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 136. Grundlagen (3/1973), S. 427. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Krassin (1970) Historische Notwendigkeit und revolutionäre Initiative. 86

Thomas Müntzer

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rend des Bauernkrieges immer wieder eintrat und kämpfte. E i n einheitliches Vorgehen ist jedoch nur dann möglich, wenn die Massen organisiert sind. I n der Schaffung christlicher Verbündnisse w i r d Müntzers Bemühen deutlich, dieser Notwendigkeit gerecht zu werden. Bei Beginn des offenen Kampfes war die Mehrheit des Volkes organisiert, und zwar i m Ewigen Bund Gottes. Die Möglichkeit eines einheitlichen und geschlossenen Handelns war jedoch nicht mehr gegeben, als A n fang Mai die Spaltung des revolutionären Lagers offensichtlich wurde. Gemäßigte und Radikale hatten keine gemeinsame Aktionsbasis mehr. 3. A n der Spitze des revolutionären Lagers stand die Partei Thomas Müntzers. Sie stellte die Elitetruppe oder auch die Avantgarde der antifeudalen Kräfte dar, war aber aufs engste m i t den Massen verbunden. Sie mobilisierte das Volk, sie wies i h m den Nutzen und die Notwendigkeit des Aufstandes nach, sie verfügte über das beste und konsequenteste revolutionäre Programm und einen entsprechenden Aufstandsplan und sie führte schließlich die Massen i n den Kampf. So war der Thüringer Aufstand keineswegs eine spontane Aktion, sondern bewußt und planmäßig von den Müntzer'schen Revolutionären i n Szene gesetzt worden. Die Führung lag von Anfang an fest i n ihren Händen. I n Thüringen war daher die Müntzerpartei die eigentlich mobilisierende, organisierende und führende K r a f t der Revolution und „machte damit momentan und zum Teil das Fehlen eines Klassenhegemons, einer revolutionären m i t der modernen Produktion verbundenen Klasse, w e t t " 8 7 . Stellt man nun die Frage, warum Müntzer trotz seines großen ideologischen, agitatorischen und organisatorischen Einsatzes gescheitert ist, so erhält man die A n t w o r t i n dem Hinweis auf die schwachen objektiven Voraussetzungen einer bürgerlichen Revolution. Denn wenn das Sein das Bewußtsein bestimmt, wen wundert es da, daß die subjektiven Bedingungen einer bürgerlichen Revolution ähnlich schwach entwickelt waren wie ihre materiellen Grundlagen. So konnte es Müntzer und seinen Leuten wohl kaum gelingen, jenes lokalbornierte Verhalten und engstirnige Bewußtsein der Massen, das lediglich eine Widerspiegelung der unausgereiften Verhältnisse war, zu überwinden. Der tragische Ausgang des Thüringer Aufstands resultierte demnach „aus der schreienden Diskrepanz zwischen den unausgereiften Verhältnissen und den Ideen Müntzers, zwischen dem historisch Möglichen und dem geschichtlich Notwendigen" 8 8 . 87 88

Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 135. Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 109.

7 Foschepoth

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Historisch notwendig waren die Beschleunigung der kapitalistischen Entwicklung und die Förderung der „ersten Anfänge einer bürgerlichrepublikanischen Gesellschafts- und Staatsordnung" 89 . Dem Gebot der Stunde wurde Müntzer insofern gerecht, als er sich an den konkreten, antifeudalen Interessen des Volkes orientierte und ein Programm entwickelte, das auch „ m i t radikal-bürgerlichen Auffassungen vereinbar w a r " 9 0 . Indem Müntzer aber mit dem aktuellen Kampf mehr erreichen wollte, als historisch möglich und notwendig war, überforderte er das Volk — was i h m neuerdings von marxistisch-leninistischer Seite den Vorwurf der persönlichen Mitschuld am Scheitern des Bauernkrieges einbringt. Denn nicht „die Überwindung, sondern die Freisetzung des Egoismus" 91 , nicht die Verwirklichung des Kommunismus, sondern die Etablierung einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung standen auf der Tagesordnung der Geschichte. Da nun aber i m 16. Jahrhundert weder die objektiven noch die subjektiven Voraussetzungen für eine solche Entwicklung gegeben waren, ist es logisch nicht mehr nachzuvollziehen, warum dennoch zu diesem Zeitpunkt eine bürgerlich-kapitalistische Revolution historisch notwendig gewesen sein soll.

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Steinmetz (1969) Müntzers Erbe, S. 1128. Günther (1968) Müntzer und der Bk., S. 180. 91 Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 54, vgl. auch Bensing / Rüdiger (1970) Politische Schriften, S. 6. 90

4.0 Folgerungen Vom politisch-sozialen zum ideologischen Charakter der frühbürgerlichen Revolution Die bisherige Darstellung der Diskussion u m die Theorie der frühbürgerlichen Revolution dürfte deutlich gemacht haben, inwieweit die marxistisch-leninistische Revolutionstheorie zum Problem der Beschreibung und Analyse von Reformation und Bauernkrieg wird, inwieweit aber auch die Faktizität der Ereignisse als Herausforderung an eben diese Theorie von den Historikern der DDR empfunden wird. Zweifellos stößt die Interpretation von Reformation und Bauernkrieg als eine bürgerliche Revolution auf erhebliche Schwierigkeiten. Denn i m 16. Jahrhundert bestanden weder der objektive Zwang, noch die subjektive Möglichkeit, eine bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung zu etablieren. Jene — als national-materialistisch bezeichnete — methodologische Konzeption, die dies anfangs hatte glauben machen wollen, ist inzwischen überholt und durch die welthistorisch-dialektische Betrachtungsweise abgelöst worden. Die Formel von der frühbürgerlichen bzw. ersten bürgerlichen Revolution w i r d nach wie vor gebraucht, doch w i r d man bedenken müssen, daß sich ihr Inhalt entscheidend verändert hat. M i t anderen Worten hat sich beim Übergang von der einen zu der anderen methodologischen Konzeption nicht nur die revolutionstheoretische Begründung geändert, sondern auch die inhaltliche Wertung und Gewichtung von Personen und Ereignissen zur Reformations- und Bauernkriegszeit. So läßt sich ζ. B. beobachten, daß die frühbürgerliche Revolution inzwischen nicht mehr so sehr vom Bauernkrieg als vielmehr von der Reformation ihr entscheidendes Gepräge erhält. Auch gilt die Revolution des 16. Jahrhunderts nicht mehr als gescheitert, sondern als äußerst erfolgreich, nicht zuletzt dank der theologischen und religiösen Erneuerung. Und schließlich werden auch die i n den verschiedenen Phasen der Revolution führenden politischen Köpfe, insbesondere Luther und Müntzer mit anderen Augen gesehen — wie die folgenden Überlegungen zeigen werden.



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4.0 Folgerungen

4.1 Wandel des Funktionswertes von Reformation und Bauernkrieg innerhalb der frühbürgerlichen Revolution Solange Reformation und Bauernkrieg primär als eine soziale, gegen den Feudalismus gerichtete Revolution interpretiert wurden, war der lutherischen Reformationsbewegung innerhalb der frühbürgerlichen Revolution die Funktion der nationalen Sammlung und Einigung aller oppositionellen Kräfte zugesprochen worden. Darüber hinaus hatte die Reformation die Aufgabe, den Einfluß der Papstkirche auf Deutschland und die Macht des geistlichen Feudalismus zu brechen. Denn m i t Engels war man der Meinung, daß der weltliche Feudalismus nicht eher angegriffen werden konnte, bevor nicht „seine zentrale, geheiligte Organisation" 1 , die römisch-katholische Kirche, zerstört war. Luthers Thesenanschlag war demnach das auslösende Moment jener Entwicklung, die sich zunächst gegen die Kirche richtete, jedoch schon bald über ihre „theologischen Anfänge hinaus, alle Klassen und Schichten des deutschen Volkes i n ihren Bann schlug und zu nationalen und sozialen Lösungen drängte" 2 . So gesehen war die bürgerliche Reformation sehr wohl Schrittmacher der Revolution, die eigentliche Auseinandersetzung m i t dem Feudalismus konnte sie jedoch nicht führen. Denn die anfangs reformatorisch gesinnten Bürger wagten es nicht, den entscheidenden Schritt zur Revolution zu tun. I m Gegenteil, sie verbündeten sich mit der herrschenden Klasse der Fürsten. Die Reformation degenerierte zur Fürstenreformation 3. A l l e i n die Volksmassen, die Bauern und Plebejer, begriffen den politischen Sinn der Bewegung. Ihnen ging es nicht um den „theologisch-scholastischen Inhalt der 95 Thesen" 4 , sondern um die sozialen und politischen Konsequenzen, die daraus zu ziehen waren, sie trieben die Reformation auf dem Wege der Volksreformation voran. Sie allein waren es, die die objektiven A u f gaben der Zeit, die nationale und soziale Frage zu lösen versuchten. So stellte ihr i m Bauernkrieg gipfelnder Kampf nicht nur eine Bedrohung „des kirchlichen, sondern auch des weltlichen Feudalismus sowie des ganzen politischen Systems des damaligen Deutschlands" 5 dar. 1

Engels (1892) Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (Einleitung zur englischen Ausgabe), in: M E W 22 (1963), S. 299. 2 Steinmetz (1967) Entstehung der marxistischen Auffassung, in: Wohlfeil (1972), S. 81. 8 Die Begriffe Fürstenreformation und Volksreformation gehen offensichtlich auf Smirin (2/1956) Volksreformation, zurück und waren während der 1950er und beginnenden 60er Jahre allgemein gebräuchlich. Vgl. Steinmetz (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 44 u. 49. Zuletzt sprach Steinmetz (1965) Charakter von Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972), noch „vom Sieg der Fürstenreformation über die Volksreformation". (S. 156). 4 Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 553. 5 Smirin (1954) Rolle der Volksmassen, S. 553.

Funktionswandel von Reformation und Bauernkrieg

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Dieser von dem sowjetischen Historiker Smirin i m wesentlichen geprägte und über Steinmetz i n die Geschichtswissenschaft der DDR eingeführten Sicht der revolutionären Ereignisse zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist vorgehalten worden, sie verenge den Terminus frühbürgerliche Revolution allein auf den Bauernkrieg 6 . I n der Tat wurde dieser Auffassimg zufolge der eigentliche Sinn der frühbürgerlichen Revolution i m Bauernkrieg realisiert. Hier erfolgte der „Sturm gegen die Bastionen des Feudalismus" 7 . Und wäre der Kampf der Volksmassen erfolgreich verlaufen, so wäre i m 16. Jahrhundert der Feudalismus beseitigt und die Voraussetzungen für die Konstituierung eines einheitlichen bürgerlichen Nationalstaates geschaffen worden. Kurz: I n der national-materialistischen Betrachtungsweise nahm der Bauernkrieg die dominierende Stellung innerhalb der frühbürgerlichen Revolution ein und hatte den sozialen, antifeudalen Charakter dieser Revolution zu begründen. M i t der Hinwendung zu einer vergleichenden, welthistorisch-dialektischen Betrachtungsweise änderte sich auch die Perspektive hinsichtlich der Stellung von Reformation und Bauernkrieg. Die frühbürgerliche Revolution wurde jetzt nicht mehr eng nationalgeschichtlich, sondern i m Kontext europäischer Entwicklungen i n der Übergangsphase vom Feudalismus zum Kapitalismus gesehen. Da der für eine soziale Revolution notwendige Reifegrad des objektiven und subjektiven Faktors erst ca. 300 Jahre nach Luthers Thesenanschlag erreicht war, konnte die frühbürgerliche Revolution unmöglich bereits die Überwindung des Feudalismus zur Aufgabe gehabt haben. Die Beseitigigung der Feudalordnung erfolgte also nicht mit einem revolutionären Schlag, sondern ging i n Etappen vor sich. I n dem jahrhundertelangen sozialen Umwälzungsprozeß hatte die bürgerliche Revolution ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau entsprechend die Aufgabe, den Feudalismus zu schwächen und die Bedingungen für die bürgerlich-kapitalistische Entwicklung weiter zu verbessern. Der spezifische Beitrag der frühbürgerlichen Revolution zum welthistorischen Fortschritt bestand darin, die den Feudalismus konservierende Ideologie gebrochen und verbürgerlicht zu haben. Nicht eine soziale oder politische, sondern eine ideologische Aufgabe hatte demnach die erste bürgerliche Revolution zu lösen. Reformation und Bauernkrieg hatten „ein völlig gleiches Ziel, nämlich die Durchführung der Reformation" 8 . Innerhalb der frühbürgerlichen Revolution erhält damit der Bauernkrieg eine gänzlich neue Funktion. I h m w i r d nicht mehr die Aufgabe zugeschrieben, die Reformation zu nationalen und sozialen Lösungen 6

Vgl. Brendler (1966) Täuferreich zu Münster, S. 63. "" 7 Vogler (1958) Die Zeit war reif, S. 749. 8 Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 178.

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4.0 Folgerungen

zu drängen, u m von daher die frühbürgerliche Revolution als eine soziale Revolution zu legitimieren, sondern seine Aufgabe besteht nun darin, die Reformation quasi mit anderen Mitteln fortzusetzen, u m die „reformatorischen Anläufe" 9 zu vertiefen und die ideologischen Erfolge sicherzustellen. I n der welthistorisch-dialektischen Konzeption bestimmt also die Reformation den eigentlichen Inhalt und Charakter der ersten bürgerlichen Revolution. Die Gewichte von Reformation und Bauernkrieg haben sich innerhalb der frühbürgerlichen Revolution eindeutig zugunsten der Reformation verschoben. Das negative Urteil über die Reformation ist revidiert, der Begriff ,Fürstenreformation 4 ist durch die Bezeichnung ,Kirchenreformation' abgelöst 10 . Schließlich w i r d immer häufiger von einer ,Bewußtseinsrevolution' und nicht mehr von einer sozialen Revolution gesprochen, die i m 16. Jahrhundert das gesamte Feudalsystem erschütterte 11 . 4.2 Vom Scheitern der Revolution an der Theologie zum Erfolg der Revolution durch die Theologie „Damals scheiterte der Bauernkrieg, die radikalste Tatsache der deutschen Geschichte an der Theologie 12 ." Dieses Wort von K a r l Marx bestimmte zusammen m i t dem von Engels besonders i n seiner Bauernkriegsschrift geprägten negativen B i l d des deutschen Bürgertums über ein Jahrhundert das Urteil der i n der Tradition des Marxismus stehenden Historiker. Die Reformation wurde — wie es beispielsweise Alexander Abusch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ausdrückte — als „Totengräber der deutschen Freiheit" 1 3 angesehen. I h r wurde die Hauptschuld an der Niederlage der Bauern und die Verantwortung dafür angelastet, daß das Scheitern der Revolution „drei Jahrhunderte der deutschen Geschichte in die Finsternis der Reaktion" 1 4 hüllte. 9

Zschäbitz (1969) Standort und Möglichkeiten, S. 43. Steinmetz (1967) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972) hielt seinerseits den Terminus »obrigkeitliche Reformation' für besser als die Bezeichnung Fürstenreformation. (Vgl. S. 60.) Vgl. auch Zschäbitz (1967) Lutherbild, S. 757. Später sprach allerdings auch Steinmetz (1970) Ref. u. Bk., in: Wohlfeil (1972) ähnlich wie Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), passim, u. a. von der „Kirchenreformation" (S. 108). 11 Vgl. etwa Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 182, Schilfert (1969) Revolution zwischen Feudalismus und Kapitalismus, S. 174 oder auch Vogler (1972) Engels zur fb. Rev., S. 456. 12 Marx (1844) Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, in: Marx! Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 281. 13 Abusch (8/1960) Irrweg der Nation, S. 20. Die erste Auflage erschien 1946. 14 Abusch (8/1960) Irrweg der Nation, S. 29. Seit der Reformation verlief die Entwicklung nur noch abwärts, was Hanstein (1946) Von Luther bis Hitler, 10

Vom Scheitern zum Erfolg

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Eine solche Sicht bestimmte auch die national-materialistische Betrachtungsweise der frühbürgerlichen Revolution. Die Reformation hatte gesiegt, doch gegen die Bauern und Plebejer, nämlich als Fürstenreformation. Das Bürgertum hatte sich i n dem Bestreben, die religiöstheologischen Reformen zu sichern, m i t der herrschenden Klasse verbündet und dadurch die Revolution verraten. Da jetzt der soziale und politische Inhalt der frühbürgerlichen Revolution nur noch durch den Kampf der Volksmassen realisiert werden konnte, bedeutete sein Scheitern das Scheitern der gesamten ersten bürgerlichen Revolution. Theologie, Reformation, Bürgertum waren drei verschiedene Begriffe, die in bezug auf das 16. Jahrhundert inhaltlich jedoch das gleiche bedeuteten: Ursache des Scheiterns der ersten deutschen Revolution 1 5 . Das einzige, was positiv von bleibender Wirkung war, erkannte die national-materialistische Konzeption i n der durch den „Parteienkampf i n dieser Revolution" gewissermaßen nebenbei ausgelösten „große(n) Kulturrevolution". „Bücher, Flugblätter, Reden drangen i n weite Kreise, höhere Schulen wurden zum Werkzeug des religiösen Kampfes und schließlich leistete die Revolution einen großen Beitrag für die Ausbildung der deutschen Einheitssprache i n Gestalt der lutherischen Bibelübersetzung. Die frühbürgerliche Revolution stärkte i n hohem Maße das Nationalbewußtsein i m Bürgertum und anderen Schichten des Volkes 1 6 ." Dennoch das „politische Unglück" 1 7 der Niederlage mit all ihren negativen Folgen für die weitere gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands wollte und konnte man nicht leugnen. Die Geschichte der Klassenkämpfe, so mußte die bittere Erkenntnis lauten, ist eben „ v o l l von objektiv zum Scheitern verurteilten Erhebungen, ist eine endlose Kette von nur scheinbar nutzlosem Widerstand der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker" 1 8 . Solcherart Geschichtspessimismus ist indes für die welthistorischdialektische Geschichtsperspektive längst nicht mehr charakteristisch. Schon Engels hatte die Revolution Nr. 1 siegen lassen und ihr den Erfolg ihrer religiösen Verkleidung bescheinigt 19 . A u f diese Hinweise des Klaszu folgender Feststellung veranlaßte: „Historisch betrachtet führt eine gerade Linie von Luther über den großen Kurfürsten, über Friedrich I I und seine Nachfolger, über Bismarck und die Ära wilhelminischer Zeit bis zu Hitler." (S. 7). Es war dies „jene Epoche, an deren Anfang ein Luther predigte, an deren Ende ein Hitler Deutschland mordete". (S. 124). 15 So heißt es etwa bei Smirin (2/1956) Volksreformation: „Die in Deutschland früh herangereiften, entscheidenden Kräfte der antifeudalen Revolution wurden paralysiert von dem spezifischen Charakter des deutschen Bürgertums und der lutherischen Reformation." (S. 640). 16 Engelberg (1962) Probleme des nationalen Geschichtsbildes, S. 27. 17 Engeiber g (1962) Probleme des nationalen Geschichtsbildes, S. 27. 18 Köditz (1959) Volksbewegung, S. 243. 19 Vgl. Engels (1892) Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, in: Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 180 und S. 279.

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4.0 Folgerungen

sikers besann man sich und forderte dazu auf, m i t der „wissenschaftlich wie auch moralisch-politisch" i n die Irre führenden „einseitigen Niederlagen· und Misere-Sicht" 2 0 endgültig Schluß zu machen. Der Blick der Historiker richtete sich auf den Sieg und Erfolg, auf den Fortschritt, den die frühbürgerliche Revolution i m welthistorischen Maßstab bewirkte. Freilich galt der Bauernkrieg nach wie vor als gescheitert 21 , doch da man inzwischen die Reformation wesentlich wohlwollender beurteilte, sie nicht mehr als Fürstenreformation abqualifizierte und i n ihr den wesentlichen Inhalt der frühbürgerlichen Revolution erkannte, stellten die Erfolge der Reformation die Niederlage der Bauern i n den Schatten und begründeten so das B i l d einer siegreichen bürgerlichen Revolution 2 2 . Engelberg unterstrich diese neue Sicht m i t der Forderung, die erste bürgerliche Revolution von 1517 bis 1536 zu datieren, u m sie nicht m i t der Niederlage

der Volksmassen 1526, sondern m i t dem Sieg der

Calvin'schen Reformation i n Genf 1536 enden zu lassen 23 . Der Bauernkrieg bildet so nur noch eine Zwischenetappe zwischen der Reformation Luthers und der Calvins. Sein Scheitern fällt angesichts der „verschiedenen Entwicklungswege, die sich nach 1526 national und international eröffneten" 2 4 wirkungsgeschichtlich kaum ins Gewicht. Aufs Ganze gesehen war die frühbürgerliche Revolution jedenfalls erfolgreich. Es war Wenn Engels vom Sieg der Reformation sprach, meinte er damit allerdings den Calvinismus und nicht das Luthertum. Vgl. hierzu Engels (1888) Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland: „Während die lutherische Reformation in Deutschland versumpfte und Deutschland zugrunde richtete . . . bewährte sich der Calvinismus (besonders in England, J. F.), als die echte religiöse Verkleidung der Interessen des damaligen Bürgertums . . . " (S. 184). 20 Engelberg (1972) Nochmals zur bürgerlichen Rev., S. 1293. 21 Vgl. Vogler (1972) Engels zur fb. Rev., S. 454 f. 22 Vgl. hierzu Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1239 sowie Engelberg (1972) Nochmals zur bürgerlichen Rev., S. 1290 f. Wenn auch alle marxistisch-leninistischen Historiker diese betont geschichtsoptimistische Sicht von Engelberg nicht teilen, so gibt es seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in der D D R jedoch niemanden mehr, der die These vom vollständigen Scheitern der frühbürgerlichen Revolution vertreten würde. Durchgängig spricht man vom Sieg oder zumindest von einem Teilsieg der Revolution. 23 Vgl. Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1239. Anders Vogler (1972) Engels zur fb. Rev., der „mit der Niederlage des deutschen Bauernkrieges auch den Endpunkt der frühbürgerlichen Revolution" (S. 455) ansetzen will. 24 Engelberg (1972) Nochmals zur bürgerlichen Rev., S. 1291. Auch den w i r kungsgeschichtlichen Aspekt der frühbürgerlichen Revolution beurteilt Vogler (1972) Engels zur fb. Rev., anders. So besteht für ihn ein echter Widerspruch darin, daß die frühbürgerliche Revolution militärisch und politisch eine Niederlage erlitt, „die von weittragender Konsequenz für den Verlauf der Geschichte des deutschen Volkes in der folgenden Zeit war", zugleich aber die lutherisch-reformatorische Phase der Revolution „tiefgreifende internationale Wirkungen" (S. 454) hervorrief.

Wandel des Luther- und Müntzerbildes

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ein Sieg der Theologie, der Reformation und des Bürgertums. I h r Sieg ermöglichte überhaupt erst den weiteren Fortschritt, die Verbürgerlichung der Gesellschaft, die Entwicklung des Kapitalismus. Denn m i t der Schaffung einer „modernen bürgerlichen Weltanschauung" 25 w u r den neue Normen und Werte gesetzt, die die „Produktivkraft Mensch" veränderten und dadurch „die kapitalistische Produktionsweise mächtig förderten" 2 6 . Fazit: Der Überbau wurde revolutioniert und w i r k t e seinerseits verändernd auf die Basis zurück. Die Revolution ist nicht an der Theologie gescheitert, sondern i m Gegenteil durch sie überhaupt erst zum Erfolg geführt worden.

4.3 Vom Dualismus zur dialektischen Einheit oder der Wandel des Luther- und Müntzerbildes Die allgemeine Revision des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg hat selbstverständlich auch vor den Hauptrepräsentanten jener Zeit, vor Luther und Müntzer nicht haltgemacht. Vielmehr läßt sich hier wiederum zeigen, daß m i t der nationalmaterialistischen wie mit der welthistorisch-dialektischen Konzeption jeweils ein bestimmtes Luther- bzw. Müntzerbild verbunden ist. Als sich Friedrich Engels unter dem Eindruck der Niederlage der 1848/49 Revolution mit dem deutschen Bauernkrieg beschäftigte, stellte er für das Scheitern beider Revolutionen i m 16. wie i m 19. Jahrhundert die gleiche Diagnose: fehlende Geschlossenheit des revolutionären Lagers infolge Feigheit und Verrats des deutschen Bürgertums. So nimmt es nicht wunder, wenn der seiner Meinung nach große Gegensatz zwischen den beiden oppositionellen Gruppierungen, den bürgerlich-gemäßigten und den plebejisch-revolutionären Kräften seine Abhandlung über den Bauernkrieg wie ein roter Faden durchzieht. A n der Spitze der bürgerlichen Reformer stand Luther, an der der konsequenten Revolutionäre Müntzer 2 7 . Ganz i m Sinne dieses Gegensatzes von Luther und Müntzer und den jeweils hinter ihnen stehenden Klassenkräften deuteten marxistischleninistische Historiker während der 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre die Ereignisse des 16. Jahrhunderts, was beispielsweise i n der Smirin'schen Gegenüberstellung von Luthers Fürstenreformation und Müntzers Volksreformation seinen besonders deutlichen Ausdruck fand. 25 26 27

Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., S. 175. Engelberg (1971) Probleme der Periodisierung, S. 1240. Vgl. Engels (9/1970) Bk., bes. S. 45 ff.

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4.0 Folgerungen

Hatten einige Schriftsteller und Historiker anfangs noch ein besonders negatives Lutherbild entworfen 2 8 , so einigte man sich 1952 anläßlich einer Lutherdiskussion i m Deutschen Museum Berlin darauf, den W i t tenberger Reformator nicht nur zu verurteilen, sondern auch Positives an ihm zu sehen, m i t h i n zwei Seiten Luthers zu unterscheiden und dementsprechend i n Zukunft „sowohl seine fortschrittlich nationale Rolle i n der ersten Periode seiner Wirksamkeit 1517-1521, als auch seine nachfolgende reaktionäre Rolle richtig darzustellen" 29 . Seine zeitweilige Progressivität verdankte Luther also seiner nationalen Rolle i n der ersten Phase der frühbürgerlichen Revolution. Denn als 1517 der Kampf gegen Rom, gegen Fremdherrschaft und nationale Unterdrückung i n Deutschland begann, verkündete Luther m i t seinen Thesen „das erste nationale Manifest des deutschen Volkes" 3 0 , führte durch seinen Kampf gegen die Papstkirche sämtliche Klassen und Schichten vorübergehend zu einer einheitlichen nationalen Bewegung zusammen und trat als „Sprecher der deutschen N a t i o n " 3 1 hervor. Der nach 1517 zum „Helden des deutschen Volkes" 3 2 avancierte L u ther erwies sich gegen Ende seiner progressiven Phase noch einmal als „nationalbewußter Deutscher" 33 , als er m i t der Bibelübersetzung die deutsche Sprache vereinheitlichte und damit die „Grundlagen der deutschen Nationalkultur und Volksbildung" 3 4 schuf. Nicht sein Kampf gegen auswärtige Mächtige allein, sondern auch seine sprachschöpferischen Leistungen, sein Eintreten „für deutsche Sitten und Gebräuche" haben — wie K u r t Hager i n der Lutherdiskussion meinte — „ein festes einigendes Band der Deutschen geschaffen, das i n der Periode des Verfalls der Feudalität erforderlich war für die Herausbildung der deutschen Nation und zum Entstehen des deutschen Nationalbewußtseins" 35 . Sein ,Damaskus' erlebte Luther während seines Aufenthaltes auf der Wartburg. Hernach repräsentierte die lutherische Reformation nicht 28 So vor allem Meusel (1952) Müntzer und seine Zeit, der Luther etwa als einen geschickten Demagogen schilderte, dessen „demagogische Talente . . . nur von ganz wenigen Deutschen erreicht, geschweige denn übertroffen worden" (S. 84) seien. 29 Kr(ausz) (1952) Lutherdiskussion, Bericht, S. 3. 30 Fabiunke (1963) Luther als Nationalökonom, S. 46. 31 So Meusel in der Diskussion im Deutschen Museum. Vgl. Kr(ausz) (1952) Lutherdiskussion, Bericht, S. 3. Jetzt half Meusel auch kräftig mit, Luther auf den nationalen Sockel zu heben. Vgl. dazu auch Meusel (1954) Müntzer (Vortrag) — und übte so, wie Mühlpfordt (1954) Ref. u. Bk., es sah, „vorbildliche wissenschaftliche Selbstkritik". (S. 204). Zur nationalen Lutherinterpretation vgl. auch den Artikel von Kr(ausz) (1952) Luthers nationale Sendung. 32 Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 92. 33 Fabiunke (1963) Luther als Nationalökonom, S. 49. 34 Fabiunke (1963) Luther als Nationalökonom, S. 62. 35 Kr(ausz) (1952) Lutherdiskussion, Bericht, S. 3.

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mehr das ganze Volk, sondern lediglich noch die Mehrheit des Bürgertums. Die deutschen Bürger aber paktierten m i t den Fürsten und zogen i n ihrer Beschränktheit und Feigheit die Verständigung m i t ihnen einem Bündnis mit den Bauern und Plebejern vor. Zu einer Ausweitung des Kampfes i n Richtung antifeudaler Revolution waren sie weder willens noch fähig 8 6 . Luther hatte sich — so lautet das Fazit nationalbewußter deutscher Marxisten-Leninisten — „vom umjubelten und beherzten Wortführer der Nation zum verhaßten und feigen Verräter an den revolutionärsten Kräften der deutschen Nation" 3 7 entwickelt. Daß er zu solch folgenschwerem Verrat an der Revolution fähig war und sich zum Knecht und Diener der antinationalen Fürsten machte, ließ sich nur aus Luthers bürgerlicher Klassenposition erklären. Bei allem Bemühen, Luther etwas Positives abzugewinnen und seine — wenn auch kurzlebige — nationale Sendung und kulturelle Bedeutung hervorzukehren, hielt man es zuguterletzt doch nach wie vor m i t Friedrich Engels, daß nämlich die lutherische Reformation i n Deutschland versumpfte und dieses Land zugrunderichtete 38 . So leitete L u thers Verrat und Versagen eine Entwicklung ein, „die Deutschland auf Jahrhunderte hinaus und, genau genommen, bis i n die westdeutsche Gegenwart hinein belasten sollte" 3 9 . Einer solchen negativen bürgerlichen Traditionslinie stellte man nun die positive Tradition des revolutionären Kampfes des deutschen Volkes gegenüber. War Luther der Repräsentant des Bürgertums, der sich vom Volk abgewandt hatte, so galt Müntzer als einer der „konsequentesten Verfechter der Interessen des Volkes" 4 0 . Nicht Reform, sondern revolutionäre Veränderung der Gesellschaft bestimmten den Charakter seiner Lehre, weshalb die Volksmassen auch i n ihr „die vollständigste Verkörperung ihrer Ideale sahen" 41 . 86 Vgl. hierzu etwa Wachsmuth (1959) Luther und Müntzer, S. 122 f. oder Steinmetz (1965) Lehrbuch, S. 109. 87 Faibunke (1963) Luther als Nationalökonom, S. 61. 88 Vgl. Engels (1886) Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: Marx / Engels (4/1961) Über Deutschland, S. 184. Bezeichnenderweise endet der Bericht von Kr(ausz) (1952) Lutherdiskussion, mit diesem Zitat von Engels. 89 Fabiunke (1963) Luther als Nationalökonom, S. 59. Die These von der verräterischen und feigen Haltung als eines Grundzuges des deutschen Bürgertums überhaupt wurde während der 1950er und beginnenden 60er Jahre immer wieder geäußert. Vgl. etwa Fridmann (1950) Charakteristik historischer Gestalten (II), S. 27 oder auch Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev. Auf den politisch-ideologischen Zweck dieser These werde ich im 5. Kapitel noch ausführlich zu sprechen kommen. 40 Vogler (1958) Die Zeit war reif, S. 750. 41 Fridmann (1950) Charakteristik historischer Gestalten (II), S. 29.

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4.0 Folgerungen

Müntzer war also ein Mann des Volkes, ein „großer Volkstribun" 4 2 und „wahrhafter Volksführer" 4 3 , ein Mann, „der mit revolutionärer Leidenschaft das Volk liebte, aus tiefster Überzeugung an die K r a f t des Volkes glaubte und deshalb die großen Fürsten, die Verderber Deutschlands, haßte" 4 4 . Hatte Luther seine nationale Rolle verspielt, als er sich diesen Verderbern Deutschlands anschloß, so erwies sich Müntzer als großer deutscher Patriot, als er das Volk i n den Kampf gegen die Fürsten führte, u m die nationale und soziale Aufgabe i n Deutschland zu erfüllen. Denn es waren die von Müntzer repräsentierten untersten Volksschichten, die die Sache der sozialen Revolution m i t dem Kampf u m die nationalstaatliche Einigung verbanden, „die an der damaligen Wegkreuzung der Geschichte das Banner der deutschen Einheit aufpflanzten" 4 5 . Müntzer gehört daher i n die große nationale Tradition des Volkes und dient als Vorbild. So verpflichtet sein Kampf und Leben dazu, daraus für den „heutigen nationalen und sozialen Befreiungskampf die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen" 4 6 . Denn nicht nur für die nationale Einheit kämpfte Müntzer, sondern er ahnte auch kühn die Beseitigung aller Ausbeutung voraus — „ein Ziel, das heute durch die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus i m Osten Deutschlands unmittelbar vor uns steht" 4 7 . Müntzers eigentliche Größe und Bedeutung — das ist für das national-materialistische Müntzerbild von Wichtigkeit — liegt demnach darin, daß er seiner Zeit weit vorauseilte und nicht nur die feudale, sondern auch bereits die kapitalistische Ausbeutung abschaffen wollte. Da er aber dieses erst i m 20. Jahrhundert realisierbare Ziel bereits i m 16. Jahrhundert erreichen wollte, mußte er scheitern. Müntzer war also ein Utopist. Seine Utopie bewirkte zwar zum einen seine Niederlage, begründete zum anderen aber seine Größe und aktuelle Bedeutung. 42 So Köditz (1952) Müntzer. Der mir in Fotokopie zugänglich gemachte Artikel von Köditz enthielt keine Seitenangaben. 48 Fridmann (1950) Charakteristik historischer Gestalten (II), S. 30. 44 Köditz (1952) Müntzer. Welch zentrale Bedeutung dem Wort »Volk1 in der national-materialistischen Müntzerinterpretation zukommt, wird besonders bei der Lektüre des Müntzerbuches von Smirin (2/1956) Volksreformation, deutlich. Da ist von Volksmassen (S. 642), Volksströmungen (640), Volkskräften (329), Volksfeinden (329), Volksbewegung (66), Volksunruhen (94), Volksinteressen (75), Volksbildung (322), Volkspartei (90), Volksorganisation (328), Volksrevolution (649), von der Volkstümlichkeit (75) Müntzers die Rede und davon, daß er aus dem Volk (75) hervorgegangen, an der Spitze der Volksmacht (76) gestanden habe und ein wahrhaftiger Volksheld (68) gewesen sei — um nur einige wenige Wortbeispiele und Belegstellen anzuführen. Vgl. audi Holzträger (1957) „Volksdemokratie" und „Volksreformation". 45 Norden (1952) U m die Nation, S. 17. 46 Kremtz (1955) Müntzer, S. 736. 47 Köditz (1952) Müntzer.

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Denn beim Müntzer'schen Programm handelte es sich i m Grunde u m eine „geniale Antizipation der wahrhaft nationalen Politik der deutschen Arbeiterklasse" 4 8 . Zwei Traditionsstränge gibt es also: der eine reicht von Müntzer bis zur Nationalen Politik der Arbeiterklasse, es ist dies die Tradition des revolutionären Fortschritts; die andere reicht vom antinationalen Bündnis Luthers mit den Fürsten bis h i n zur antinationalen Politik der westdeutschen Bourgeoisie, es ist dies die Tradition der Reaktion und des Verrats. Dieser die national-materialistische Geschichtsbetrachtung kennzeichnende Dualismus zwischen Luther und Müntzer, Fürstenreformation und Volksreformation, negativer bürgerlicher Tradition und positiver Tradition des Volkes ist inzwischen überwunden. Das Jubiläumsjahr der 450. Wiederkehr der Reformation bot den äußeren Anlaß, die Hinwendung zur welthistorisch-dialektischen Geschichtsbetrachtung die methodologische Voraussetzung, das traditionell negative Lutherbild der deutschen Arbeiterbewegung endgültig zu überwinden und den bürgerlichen Reformator i n eine fortschrittliche Traditionslinie zu integrieren 4 9 . Das verstärkte Interesse, vermittels dialektischer Gesetzmäßigkeiten den progressiven Inhalt der historischen Entwicklung aufzuzeigen, brachte die Marxisten-Leninisten dazu, die vormals so gesehenen großen Widersprüche und Gegensätze zwischen Luther und Müntzer, zwischen lutherischer Reformation und Volksreformation gewissermaßen auf der theoretischen Ebene zu nivellieren und zu einer den historischen Gesetzmäßigkeiten entsprechenden dialektischen Einheit zu erklären. Wie Reformation und Bauernkrieg nämlich zwei notwendige Phasen eines einheitlichen revolutionären Prozesses darstellen, so bilden auch deren Repräsentanten notwendigerweise eine dialektische Einheit. „Mögen sich Luthter und Müntzer theologisch und politisch erbittert bekämpft haben — historisch gehören sie zusammen. Hier waltet keine triviale Freund-Feind-Relation, sondern echte geschichtliche Dialektik. Wer den einen bejaht, braucht den anderen nicht zu verdammen." Denn die Gesetzmäßigkeit des Geschehens besteht ja gerade darin, daß ein Luther dagewesen sein mußte, „damit ein Müntzer möglich wurde. 48

Steinmetz (1960) Thesen, in: Wohlfeil (1972), S. 55. Von dieser Warte aus ist es dann nur konsequent, wenn man beispielsweise der sozialdemokratischen und kommunistischen Presse der Jahre 1917 und 1925 den Vorwurf macht, Luther aus der progressiven Tradition gestrichen und den Gegnern als „Tradition" überlassen zu haben. Vgl. dazu Hub (1968) fb. Rev. u. KPD, S. 41 sowie Hub (1969) Arbeiterklasse und Bourgeoisie, S. 94. 49

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4.0 Folgerungen

Und wie Müntzer selbst, so mußten auch die Massen Luther gehört haben, u m reif zu werden für Müntzers Predigt. Nachdem aber Luther gesprochen hatte, konnte Müntzer nicht schweigen. Nachdem die Reformation ihren Lauf genommen, konnte und durfte der Bauernkrieg nicht ausbleiben, wenn auch nur ihre zaghaftesten Resultate Bestand haben sollten" 5 0 . Kein Zweifel also, Luther spielte für den gesellschaftlichen Fortschritt seiner Zeit eine entscheidende, ja die zentrale Rolle. Denn ohne den Wittenberger Reformator wäre ein Thomas Müntzer erst gar nicht möglich gewesen. Die Reform hatte der Revolution den Weg zu bereiten 5 1 . Ganz und gar falsch, ja „weder wissenschaftlich noch politisch" 5 2 vertretbar wäre es demnach, Luther i n eine konservative Traditionslinie einzuordnen und i h n damit vollkommen der bürgerlich-imperialistischen Geschichtsschreibung zu überlassen. Ein „Bauernverräter", so erklärt man jetzt, ist Luther nie gewesen, wohl aber ein bürgerlicher Gelehrter, der i m Interesse des Fortschritts gehandelt hat 5 3 . Nicht mehr i n die verhängnisvolle Vorgeschichte der Bundesrepublik w i r d der W i t tenberger Professor eingereiht, sondern er zählt — spätestens seit 1967 — „zu den guten Traditionen", die nach Ansicht der Marxisten-Leninisten i n ihrer „Republik ihre wahre Heimstatt gefunden haben" 5 4 . Selbstverständlich hat nach wie vor auch Thomas Müntzer seine Heimstatt i n der DDR. Doch läßt sich nicht übersehen, daß auch sein B i l d einige Änderungen erfahren hat. Hatte man sich während der 1950er Jahre vielfach an Müntzers utopischer, i n der DDR Wirklichkeit werdender kommunistischer Zukunftsvision begeistert, hatte man i n Müntzer den seiner Zeit weit vorauseilenden Vorkämpfer proletarischer Klasseninteressen gesehen, i h n als Vorbild und Helden des werktätigen Volkes verehrt 5 5 , so stellt sich Müntzer inzwischen i m U r 50

Brendler (1967) Ref. u. Fortschritt, S. 67. Vgl. Bensing / Rüdiger (1970) Politische Schriften, S. 16/17 oder auch Steinmetz (1967) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil (1972), S. 59. 52 Brendler (1969) Fb. Rev. u. Tradition, S. 184. Hub (1969) Arbeiterklasse und Bourgeoisie, meinte, die Arbeiterklasse habe 1925 den großen Fehler begangen, Luther den Imperialisten überlassen und damit „unnötig die Gewinnung protestantischer Arbeiterkreise" (S. 94) erschwert zu haben. Nicht zuletzt angesichts des hohen prozentualen Anteils der Protestanten an der Gesamtbevölkerung der D D R dürfte man ein negatives Lutherbild auch heute politisch nicht mehr für vertretbar halten. δ3 Vgl. Zschäbitz (1967) Luther (Biographie), S. 208. 54 Brendler (1969) Fb. Rev. u. Tradition, S. 184. 55 So hieß es beispielsweise in einer namentlich nicht gekennzeichneten Rezension des Müntzerbuches von Smirin (1/1952) Volksreformation, in der Zeitschrift Geschichte in der Schule 6 (1953), S. 436-440: „Dadurch daß er ( = Müntzer, J. F.) aber auch die beginnende kapitalistische Ausbeutung abschaffen wollte . . . eilte er seiner Zeit weit voraus und nahm den Befreiungskampf des Proletariats vorweg . . . " (S. 438). Und wie recht Müntzer 51

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teil der Historiker der DDR weniger als ein seiner Zeit weit vorausgeeilter, ihr damit aber auch entrückter Phantast und Illusionär dar als vielmehr als ein politisch kluger Kopf, als ein die revolutionäre Situation nüchtern und realistisch einschätzender Theoretiker und Praktiker der Revolution 5 6 . Müntzer stand also mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Realität seiner Zeit. Er entwarf — wie w i r oben gesehen haben — ein konsequentes und praktikables revolutionäres Programm. Er erkannte die Notwendigkeit, das Bewußtseinsniveau der Massen zu heben, er schuf eine revolutionäre Kaderpartei, organisierte das Volk und bereitete schließlich planmäßig den Aufstand vor. Freilich bildet Müntzers Kommunismus nach wie vor die „Quintessenz seiner ganzen religiös-philosophischen Weltanschauung" 57 . Doch stellt die Idee von der klassenlosen und gerechten Gesellschaft eine A r t Maximalprogramm dar, das i m 16. Jahrhundert zwar noch nicht realisiert werden konnte, das aber immerhin den revolutionären Elan der Massen gewaltig steigerte und ihnen zugleich den Sinn und die historische Perspektive ihres Kampfes eröffnete, nämlich durch ihren revolutionären Einsatz einen Schritt „dem antizipierten Endzustand näherzukommen" 5 8 . Folglich war Müntzer keineswegs der Meinung, daß die letzte, jegliche Ausbeutung beseitigende Revolution unmittelbar bevorstünde. Er teilte vielmehr bereits die Ansicht der heutigen Marxisten-Leninisten, daß man sich auf der Stufenleiter des welthistorischen Fortschritts durch revolutionären Einsatz, ohne freilich eine oder gar mehrere Stufen überspringen zu können, vorarbeiten müssen. M i t h i n besteht M ü n t zers eigentliche Größe und Bedeutung zum einen darin, ein für seine Zeit adäquates, an den damaligen Bedürfnissen der Volksmassen orientiertes Programm entwickelt und für deren reale Interessen gekämpft zu haben und zum anderen darin, daß „seine Gedanken, so phantastisch behalten sollte — meinte Meusel (1954) Müntzer (Vortrag) —, daß der Sieg der gerechten Sache nur durch ein Bündnis der Bauern und Plebejer erreicht werden könne, zeige allein schon die Tatsache, daß mit der DDR „ein Staat entstand, in dem die Arbeiter mit den werktätigen Bauern verbündet sind und in dem die verbündeten Arbeiter und Bauern die Staatsmacht in Händen halten". (S. 54). 66 Hatte Werner (1962) Messianische Bewegungen, noch gemeint: „Die Lehre Müntzers war eine geniale Antizipation zukünftiger Geschichte, Vorausahnung einer zukünftigen Klasse gewesen, die von keiner der im 16. Jahrhundert vorhandenen Schichten ausging, weder von den Bauern noch von den Plebejern." (S. 615) — so liest sich das bei Steinmetz (1969) Weltwirkung, schon ganz anders: Müntzer war ein Realist, „er hörte auf die K l a gen und Beschwerden der Bauern und Plebejer, verallgemeinerte sie und machte sie zur Grundlage seines Kampfes". (S. 27). Vgl. auch Steinmetz (1969) Müntzers Erbe, S. 1128. 57 Bensing (1965) Idee und Praxis, S. 470. 58 Bensing (1965) Idee und Praxis, S. 471.

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4.0 Folgerungen

und unbestimmt sie i n seiner Zeit auch sein mußten, sich i n der Richtung immerwährenden gesellschaftlichen Fortschritts bewegten" 5 9 . Die Einheit von Gegenwart transzendierender revolutionärer Theorie und von Praxis veränderndem revolutionären Handeln erlaubte es Müntzer, sowohl die realen Möglichkeiten des revolutionären Kampfes i n seiner Zeit voll zu nutzen, als auch den Blick für das historisch Notwendige nicht zu verlieren. Müntzer nahm also nicht einfach irgendwelche künftigen Kämpfe des Proletariats oder die nationale Politik der deutschen Arbeiterklasse vorweg, leitete wohl aber jene Entwicklung ein, die schließlich nach jahrhundertelangen Kämpfen i n der DDR ihren bisherigen Höhepunkt finden sollte 6 0 . Müntzer gilt nicht mehr als Symbol eines antizipierten Endzustandes, sondern als ein Kämpfer auf dem Wege dahin, als Symbol des immerwährenden Fortschritts! Den historischen Notwendigkeiten entsprechend schuf sein am Beginn der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft „ m i t großer Intensität" geführter Kampf „besonders günstige Grundlagen für bürgerliche Kräfte, sich zu aktivieren" 6 1 . Denn der Kampf der Bauern und Plebejer ordnete sich dem objektiven Ziel der Zeit unter, den bürgerlich-kapitalistischen Fortschritt zu beschleunigen. Daß Müntzer und seine Partei m i t ihren radikalen Forderungen dabei die allgemeinsten Interessen des Volkes am besten vertraten, ist „kein Widerspruch, sondern eine Gesetzmäßigkeit der bürgerlichen Revolution" 6 2 . Ihre historische Bedeutung erhalten demnach Müntzer und Luther gleichermaßen aus der Gesetzmäßigkeit des Verlaufs der ersten bürgerlichen Revolution. Beide waren für den Erfolg der Revolution i n gleicher Weise wichtig und notwendig. Müntzers Anteil am revolutionären Geschehen überzubewerten, führt deshalb ebenso i n die Irre wie L u thers Bedeutung für den gesellschaftlichen Fortschritt zu unterschätzen 63 . Vielmehr gehörten Luther und Müntzer, Reformation und Bauernkrieg „als notwendige, einander bedingende Glieder eines einheitlichen dialektisch strukturierten revolutionären Prozesses objektiv zusammen" 64 . Diese gesetzmäßig ablaufende erste bürgerliche Revolution war i h rerseits wiederum Teil eines gesetzmäßigen, dialektisch strukturierten Übergangsprozesses vom Feudalismus zum Kapitalismus. U m den Feu69 60 61 62 63 64

Bensing (1966) Thüringer Aufstand, S. 247. Vgl. etwa Steinmetz (1969) Müntzers Erbe, S. 1129. Zschäbitz (1967) Luther (Biographie), S. 220/221. Steinmetz (1965) Ref. u. Bk., S. 46. So Steinmetz (1967) Beginn der Neuzeit, in: Wohlfeil Brendler (1967) Ref. u. Fortschritt, S. 67.

(1972), S. 59/60.

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dalismus zurückzudrängen und dem Kapitalismus mehr Geltung zu verschaffen, war es i m 16. Jahrhundert objektiv notwendig, die feudale Ideologie zu verbürgerlichen. Luther und Müntzer leisteten einen bedeutenden Beitrag dazu, sei es nun auf dem Weg der Reform oder auf dem die Reform vertiefenden Wege der Revolution. Reformation und Bauernkrieg hatten jedenfalls das gleiche Ziel, die Verwirklichung der Reformation 65 . M i t der Erfüllung dieser Aufgabe waren die Weichen für den weiteren gesellschaftlichen Fortschritt gestellt. 4.4 Wandel der marxistisch-leninistischen Geschichtsmethodologie Das Geschichtsbild von Reformation und Bauernkrieg i n der DDR hat — darüber kann es keinen Zweifel mehr geben — einen deutlichen und bedeutsamen Wandel durchgemacht. Es wurde versucht, diesen Wandel durch die Herausarbeitung zweier unterschiedlicher methodologischer Konzeptionen, der national-materialistischen und der welthistorisch-dialektischen Betrachtungsweise deutlich zu machen. Bestimmte auf der einen Seite ausschließlich die materialistische Analyse das methodische Vorgehen der Historiker, so trat i m anderen Fall die vergleichende Methode an ihre Stelle. Der ökonomische Materialismus wurde von der materialistischen Dialektik abgelöst. War die nationalgeschichtlich orientierte Interpretation von dem Interesse geleitet, die grundsätzlich reaktionäre und den Interessen der Nation zuwiderlaufende Haltung der deutschen Bourgeoisie sowie die generell progressive und nationale Rolle der Volksmassen herauszustellen, so ging es der universalgeschichtlich orientierten Geschichtskonzeption darum, die Gesetzmäßigkeit und Dynamik des gesellschaftlichen Fortschritts i m welthistorischen Maßstab darzulegen. So hieß es ζ. B. zunächst von Luther, er habe durch sein fortschrittfeindliches und antinationales Verhalten lediglich die prinzipiellen Schwächen der deutschen Bourgeoisie offengelegt, während man i n Müntzer einen frühen proletarischen Revolutionär erkannte, der — für seine Zeit genial — bereits den ursehnlichsten Wunsch der Volksmassen nach nationaler Einheit und Beseitigung aller sozialen Unterschiede zum Ausdruck brachte und damit die nationale Politik der deutschen Arbeiterklasse antizipierte. Wurden Luther und Müntzer ungeachtet ihrer zeitlichen Distanz zum 20. Jahrhundert i n der nationalmaterialistischen Interpretation zu Prototypen nationaler oder antinationaler, progressiver oder reaktionärer Politik der deutschen Arbei65

Vgl. Lösche (1967) Probleme der fb. Rev., in: Wohlfeil (1972), S. 179 oder auch Zschäbitz (1969) Standort und Möglichkeiten, S. 40. 8 Foschepoth

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4.0 Folgerungen

terklasse bzw. der deutschen Bourgeoisie i m geteilten Deutschland hochstilisiert, so beläßt man inzwischen die beiden reformatorischen Gegenspieler i n ihrer Zeit und bemißt ihre Bedeutimg nach dem von ihnen geleisteten Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt des 16. Jahrhunderts. Ging es also zunächst darum, das Geschehen der Reformationszeit politisch zu aktualisieren, so bemüht man sich inzwischen darum, Reformation und Bauernkrieg ihren Platz auf der Stufenleiter des welthistorischen Fortschritts zuzuweisen und sie i n diesem Sinne zu rehistorisieren. Das bedeutet nun keineswegs, daß i n der derzeitigen Geschichtswissenschaft der DDR ein aktuelles Gegenwartsinteresse ausgespart bliebe. Doch ist man inzwischen davon abgekommen, sich die Vergangenheit vermittels des Klassen-Spektrums des 20. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen und die Gechichte nach dem Motto ,Es war immer schon so: hier das reaktionäre Bürgertum, da die progressiven Volksmassen' gleichsam zu versäulen. Stattdessen bemüht man sich nun, die Geschichte zu dynamisieren, sie als einen nach objektiven Fortschrittsgesetzen ablaufenden, Niederlagen und gegenläufige Entwicklungen dialektisch überspringenden, unaufhaltsam vom Niederen zum Höheren strebenden Prozeß der gesellchaftlichen Entwicklung darzustellen. Dieser Prozeß — dies sei i m Vorgriff auf nachfolgende Überlegungen schon gesagt — hat nicht nur i n der DDR seinen bisherigen Höhepunkt gefunden, sondern er treibt auch die sich i n Übereinstimmung m i t den objektiven Gesetzmäßigkeiten befindende sozialistische Gesellschaft ständig zu neuen Höhen des wohl nie endenden Fortschritts. Das i n der Deutung von Reformation und Bauernkrieg zum Ausdruck gekommene marxistisch-leninistische Geschichtsverständnis hat sich von seiner Methodologie wie von seinen Inhalten her deutlich geändert. A l l e i n die Bezeichnung frühbürgerliche Revolution bzw. erste bürgerliche Revolution ist geblieben. Da es i n über löjähriger Forschungsarbeit nicht gelungen ist, jene Widersprüche zu lösen, die sich aus der Interpretation von Reformation und Bauernkrieg m i t den Mitteln der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie ergeben, gerinnt die Theorie der frühbürgerlichen Revolution zu einer Leerformel, die sich methodologisch und inhaltlich zwar variieren, aber nicht verifizieren läßt. Wenn dennoch an dieser Formel hartnäckig festgehalten wird, so erhellt das meines Erachtens sehr eindringlich die Gefahr, daß Theorien — so unentbehrlich sie für die moderne Geschichtswissenschaft geworden sind — ihren heuristischen Wert verlieren, ja einem weiteren Fortschreiten der Erkenntnis eher hinderlich als förderlich sind, wenn ihre Prämissen und die Frage ihrer generellen Anwendbarkeit nicht mehr zur Diskussion gestellt sind.

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Damit sind w i r wieder bei dem prinzipiell anderen Wissenschaftsverständnis der DDR-Historiker und folglich an jenem Punkt angelangt, an dem man bei der Frage nach den eigentlichen Ursachen jenes veränderten Geschichtsverständnisses mit einer forschungsgeschichtlichen Analyse allein nicht mehr weiterkommt. Denn entsprechend den eingangs angestellten Überlegungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft w i r d man davon ausgehen müssen, daß über die faktische Abhängigkeit eines jeden Geschichtsbildes von einem bestimmten Gegenwartsbewußtsein hinaus i n der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft das Parteilichkeitprinzip die Wissenschaftler auf einen bestimmten politischen Standpunkt, nämlich den von der SED formulierten Standpunkt der Arbeiterklasse verpflichtet. Stellt man weiter i n Rechnung, daß Politik — auch die der SED — niemals losgelöst von den allgemeinen gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen eines Staates betrieben werden kann, so kommen die eingangs erwähnten Interdependenzen des gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Systems der DDR i n den Blick. Folglich w i r d man eine befriedigende A n t w o r t auf die Frage nach den Ursachen des gewandelten Geschichtsverständnisses nur geben können, wenn man die gesellschaftliche Entwicklung der DDR mit ihren jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Prioritäten mitberücksichtigt, um so wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Entwicklungen und Veränderungen miteinander i n Beziehung setzen zu können. Für unsere weiteren Überlegungen gehen w i r also von der Hypothese aus, daß sich i m außerwissenschaftlichen Bereich Veränderungen vollzogen haben, die nicht ohne Auswirkungen auf das geschichtswissenschaftliche System der DDR geblieben sind und von daher einen generellen Funktionswandel der Geschichtswissenschaft, des Geschichtsverständnisses sowie des konkreten Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg bewirkt haben.

5.0 Ideologiegeschichte Vom nationalen Geschichtsbild der deutschen Arbeiterklasse zum sozialistischen Geschichtsbewußtsein des DDR-Volkes U m nun die politische Dimension des jeweiligen marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes zu eruieren, w i r d i m Folgenden das Verhältnis von Gesellschaft, Politik und Geschichtswissenschaft i n der DDR i n seiner geschichtlichen Entwicklung durch eine ideologiegeschichtliche Analyse untersucht. Ideologiegeschichte ist Gesellschaftsgeschichte. Denn die ideologische Interpretation sowie die intentionale Konstruktion von Wirklichkeit durch die SED reagieren auf Wirklichkeit, deuten W i r k lichkeit und schaffen Wirklichkeit, sind somit selbst „ein konstitutives Element der sozialen Wirklichkiet" 1 . Insofern läßt sich auf dem Wege der ideologiegeschichtlichen Analyse die politisch-soziale Funktion eines bestimmten Geschichtsbildes erklären, m i t h i n der Wandel eines Geschichtsbildes aus veränderten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten plausibel machen. Nach marxistisch-leninistischer Ansicht hat die DDR i n ihrer bisherigen Entwicklung i m wesentlichen drei Etappen durchlaufen. So unterscheidet man neben der relativ kurzen Phase der „antifaschistischdemokratischen Umwälzung" (1945 -1949) die m i t der Staatsgründung der DDR einsetzende „Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus" (1949 - 1961) und die 1962/63 eingeleitete Phase des umfassenden Aufbaus des Sozialismus 2 . Zweifelsohne w i r d man der offiziellen Periodisierung zustimmen können, daß der 13. August 1961 einen bedeutsamen Wendepunkt i n der Entwicklung der DDR markiert. Die u. a. durch die Abwanderungsbewegung hervorgerufene permanente Infragestellung des politischen Systems war beendet, das Herrschaftssystem der SED vollendet 3 und die Aufgabe, die DDR-Gesellschaft zu stabilisieren und zu konsolidieren, konnte fortan m i t größerer Aussicht auf Erfolg angegangen werden. 1

Ludz (1971) Analyse der DDR-Gesellschaft, S. 22. Vgl. die entsprechenden Kapital in dem offiziellen Lehrbuch Politische Ökonomie (1969), S. 59 ff., S. 84 ff., S. 176 ff. Vgl. hierzu auch Thomas (1971) Ideologiegeschichte der DDR, S. 29 ff. 3 So Rexin (1971) Wissenschaftspolitik in der DDR, S. 81. 2

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Die politische und gesellschaftliche Entwicklung der DDR macht bei der Bestimmung der politisch-sozialen Funktion der Geschichtswissenschaft die Unterscheidung zweier Problemebenen erforderlich. A u f der staatlich-politischen Ebene w i r d die nationale Teilstaatlichkeit der DDR, auf der sozioökonomischen Ebene die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung i n der DDR, insbesondere unter den Bedingungen der ,wissenschaftlich-technischen Revolution', zu berücksichtigen sein 4 . 5.1 Spaltung der Nation und die nationale Konzeption der SED Anders als i n den osteuropäischen Staaten war nach dem Zweiten Weltkrieg i n ganz Deutschland die Etablierung eines kommunistischen Herrschaftssystems nicht möglich. M i t Gründung der BRD und DDR waren 1949 zwei deutsche Staaten entstanden. Die fehlende nationale Identität beider Staaten ließ einerseits die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Nationalstaates hier wie dort zur programmatischen Maxime werden, andererseits führte sie dazu, daß man dem jeweils anderen Staat die Rechtmäßigkeit seiner Existenz bestritt. Die fehlende nationale Identität wurde zum Problem staatlicher Legitimität. Zum Verständnis der Entwicklung der DDR ist es nun wichtig, zwei Tendenzen zu unterscheiden, die die Politik der SED von Anfang an bestimmten. So wurde bereits auf dem Vereinigungsparteitag der SPD und K P D i m A p r i l 1946 die Losung ausgegeben, die nationalen und sozialen Lebensfragen des deutschen Volkes zu lösen. Konkret bedeutete dies als kurzfristig zu verwirklichendes Ziel erstens die „Herstellung der Einheit Deutschlands als antifaschistische, parlamentarisch-demokratische Republik" und zweitens als längerfristige Aufgabe die „Befreiung von jeder Ausbeutung und Unterdrückung" 5 durch die Verwirklichung des Sozialismus. Die SED verstand sich als die „für die wahren nationalen Interessen ihres Volkes" kämpfende Partei, als „die fortschrittlichste und beste nationale Kraft, die m i t aller Kraft, die m i t aller Energie gegen alle partikularistischen Tendenzen für die w i r t schaftliche, kulturelle und politische Einheit Deutschlands eintritt" 6 . 4 Die Unterscheidung der politischen und gesellschaftlichen Ebene scheint auch aufgrund der leninistischen Revolutionstheorie sinnvoll zu sein, derzufolge die Arbeiterklasse zunächst die politische Macht erobern und festigen muß, ehe die soziale Umwälzung der Gesellschaft erfolgen kann. Vgl. im übrigen zur Unterscheidung einzelner Problemebenen bei der Analyse des Verhältnisses von Politik und Wissenschaft in der D D R : Reuter (1973) Geschichtsbewußtsein in der DDR, S. 12 f. sowie Zuber (1973) Wissenschaftswissenschaft, S. 9. 5 Vgl. Protokoll des Vereinigungsparteitages der SPD und KPD, in: Weber (1971) Sozialistische Einheitspartei, S. 61. 6 Weber (1971) Sozialistische Einheitspartei, S. 62.

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5.0 Ideologiegeschichte

Bis zur Mitte der 1950er Jahre war die SED von der kurz- oder zumindest mittelfristig realisierbaren Möglichkeit ausgegangen, die Einheit Deutschlands als einer „demokratischen Republik" herzustellen, u m so die Voraussetzung für eine spätere „sozialistische Umwälzung" in ganz Deutschland zu schaffen. Entsprechend scharf verurteilte die SED alle Maßnahmen, die die Eigenstaatlichkeit Westdeutschlands förderten, zugleich aber die Spaltung Deutschlands ihrer Ansicht nach einseitig vertieften und eine Wiedervereinigung i n absehbarer Zeit unmöglich machten. Die Gründung der Bundesrepublik bezeichnete man als einen A k t auswärtiger Mächte, insbesondere reaktionärer Kreise der USA, die m i t ihrer imperialistischen Politik auf eine systematische Zerstückelung und Spaltung Deutschlands abzielten. So erklärte Wilhelm Pieck am 8. September 1949 i m Leipziger Rundfunk: „Weder der Bundestag noch die von i h m zu bildende Regierung sind deutsche Organe 7 ." Die Gründung des „westdeutschen Separatstaates" sah man als einen A k t an, der den Interessen des deutschen Volkes und der Nation zuwiderlief. Die Gründung der DDR wurde deshalb notwendig, u m „den Willen des deutschen Volkes zur Wiederherstellung der Einheit und zur Abwehr der vom Westen drohenden Gefahr der Spaltung zu vollstrecken" 8 . Haftete also der westdeutschen Staatsgründung das Odium amerikanisch-imperialistischer Fremdherrschaft an, so deutete man die DDRGründung keineswegs i n gleicher Weise nur unter sowjetischem Vorzeichen, sondern erklärte, diese Staatsgründung habe den Forderungen der Volksmassen entsprochen. Und so fühlte sich denn auch die SED als konsequente Verfechterin der Interessen des deutschen Volkes dazu verpflichtet — wie es i n einem Brief des Z K der SED vom 3. 4.1952 an Stalin hieß —, „alle patriotischen Kräfte Deutschlands i m Kampf gegen die amerikanischen Kriegsbrandstifter und ihre Helfershelfer zu mobilisieren" 9 . Und so war es nur konsequent, wenn die 2. Parteikonferenz i m J u l i 1952 forderte, den „nationalen Befreiungskampf" gegen die „Vasallenregierung i n B o n n " 1 0 zu proklamieren. Während sich nun i m Laufe der ersten Hälfte der 1950er Jahre die Spaltung Deutschlands Zug um Zug vertiefte, war 1955 m i t der Einbeziehung der Bundesrepublik i n das westliche Bündnissystem und der Aufnahme der DDR i n den Warschauer-Pakt sowie durch die Anerkennung der Souveränität der Bundesrepublik durch die Westmächte und die »Bekräftigung der vollen Souveränität der DDR 4 durch die 7

Zit. n. Weber / Oldenburg (2/1971) 25 Jahre SED, S. 74. Mitteilungen über die Gründung der D D R vom 7. Oktober 1949, zit. n. Deuerlein (3/1971) DDR, S. 99. 9 Zit. n. Weber / Oldenburg (2/1971) 25 Jahre SED, S. 87. 10 Zit. n. Weber / Oldenburg (2/1971) 25 Jahre SED, S. 88. 8

Spaltung der Nation

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Sowjetunion am 20. September dieses Jahres die deutsche Zweistaatlichkeit faktisch besiegelt. I n der DDR beurteilte man diese Entwicklung so: „Während die westdeutschen Machthaber den Bonner Separatstaat dem NATO-Kriegspakt auslieferten und das Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation m i t Füßen traten, legte der Staatsvertrag (sc. m i t der UdSSR, J. F.) die Entscheidungsfreiheit der DDR über alle Fragen ihrer Innen- und Außenpolitik, einschließlich der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, fest und entsprach damit dem Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes 1 1 ." Als schließlich die Bundesregierung 1955 mit der ,Hallstein-Doktrin* die These aufstellte, daß die Bundesrepublik der einzig legitime deutsche Staat und deshalb auch allein zur Vertretung der Interessen des ganzen deutschen Volkes berechtigt sei, blieb die A n t w o r t aus Ostberlin nicht aus. Durch Beschluß des V. Parteitages der SED i m J u l i 1958 wurde erklärt: „Die DDR ist der rechtmäßig souveräne deutsche Staat 1 2 ." Zwei Staaten existierten also i n einer Nation. A n eine schnelle Wiedervereinigung oder an eine — wie Chruschtschow es am 26. J u l i 1955 auf einer Kundgebung i n Ostberlin genannt hatte — „mechanische Vereinigung beider Teile Deutschlands" war nicht mehr zu denken. Denn die Werktätigen, so die Begründung, könnten auf die „Beseitigung aller politischen und sozialen Errungenschaften, auf die Beseitigung aller ihrer demokratischen Umgestaltungen nicht eingehen" 18 . M i t der DDR war eben zum ersten Mal i n der deutschen Geschichte ein der Zukunft zugewandter, auf Frieden und Sozialismus orientierter Staat entstanden. Anders i m Westen Deutschlands: hier trieben Militarismus, Imperialismus, Chauvinismus u. ä. erneut ihre Blüten. Die Teilung Deutschlands und ihre Überwindung wurden immer weniger als das eigentliche Problem empfunden als vielmehr das bedrohliche Wiedererstarken eines aggressiven Militarismus und Revanchismus i m Westen Deutschlands. Sicherung und Festigung der Arbeiter- und Bauernmacht war somit die Devise, u m dem i m nationalen Interesse des deutschen Volkes liegenden Kampf gegen Imperialismus und Militarismus eine feste staatliche Basis zu geben. So rüstete die SED nach dem V. Parteitag (1958) zu einer „ideologischen Offensive", deren Tenor bis 1963 der gleiche blieb und u. a. i m „Nationalen Dokument" von 1962 sowie i m ersten Parteiprogramm der SED von 1963 zum Tragen kam. Es ging u m die Propagierung der „na11 Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 3/1963, zit. n. Deuerlein (3/1971), DDR, S. 154. 12 Zit. n. Weber / Oldenburg (2/1971) 25 Jahre SED, S. 121. 18 Zit. n. Weber / Oldenburg (2/1971) 25 Jahre SED, S. 104.

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tionalen Grundkonzeption der deutschen Arbeiterklasse". I h r Inhalt wurde wie folgt beschrieben: „Sie ( = die nationale Grundkonzeption, J. F.) besteht i n der historischen und politischen Aufgabe der von der marxistisch-leninistischen Partei geführten Arbeiterklasse, alle friedliebenden Kräfte i n einer breiten Volksbewegung, deren staatliche Grundlage die Deutsche Demokratische Republik bildet, zu sammeln und zu einigen für die Bändigung und Vernichtung des Militarismus und Imperialismus i n Westdeutschland, für die nationale Wiedergeburt eines Deutschlands, das m i t anderen Völkern, vor allem m i t der Sowjetunion, i n Frieden und Freundschaft lebt und i n Übereinstimmung mit den Gesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung den Weg des sozialen Fortschritts verfolgt 1 4 ." Die Wiederherstellung der nationalen Einheit setzte — wie es später auch i m Nationalen Dokument hieß — zum einen den „Sieg des Sozialismus i n der DDR" und zum anderen „die Überwindung der Herrschaft des Imperialismus und Militarismus i n Westdeutschland" 15 voraus. Die Absicht, durch eine i m Dienste der nationalen Wiedergeburt stehende Politik die eigene Staatlichkeit zu sichern und zu festigen, ist offensichtlich. Die ideologische Offensive zeigte jedenfalls, nachdem ihr durch den Mauerbau i n Berlin 1961 der notwendige Nachdruck verliehen worden war, den gewünschten Erfolg. „ W i r können uns heute", meinte Ulbricht, als der Bestand des politischen Systems durch die Schließung der Grenze gesichert schien, „ungestörter auf unsere inneren Aufgaben, auf die Entfaltung der sozialistischen Wirtschaft, die Entfaltung der sozialistischen Demokratie konzentrieren" 1 6 . So zeigt die Entwicklung nach 1963, daß man i n der DDR i n erster Linie mit dem „umfassenden Aufbau des Sozialismus" beschäftigt war und Probleme der „wissenschaftlich-technischen Revolution" zu bewältigen hatte. Bedeutende nation-theoretische Überlegungen oder große programmatische Erklärungen zur Deutschlandpolitik fehlen fortan. Nach den jahrelangen Bemühungen, eine innere Stabilität durch Abgrenzung und Sicherung der Grenzen nach außen zu erreichen, folgte die Phase der Stabilisierung der inneren Verhältnisse durch ökonomischen Fortschritt und Reformen. I m übrigen betrachtete man die DDR — wie es i n der neuen Verfassung von 1968 zum Ausdruck kam — als einen „sozialistischen Staat deutscher Nation". Die Wiederherstellung der nationalen Einheit hielt man nach wie vor für wünschenswert, jedoch nur „auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus" 1 7 für möglich. 14

Engelberg / Rudolph (1960) Geschichtswissenschaft der DDR, S. 20. Nationales Dokument (1962), in: Heisenberg / Sühlo / Bröll (3/1971), S. 237 u. S. 245. 10 Zit. n. Thomas (1971) Ideologiegeschichte der DDR, S. 40. 15

Spaltung der Nation

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Gegen Ende der 1960er Jahre kündigte sich i n der ideologischen I n terpretation der nationalen Frage seitens der SED eine neue Entwicklung an. Wurde zunächst nur rein theoretisch über verschiedene T y pen von Nationen nachgedacht 18 , so sprach Ulbricht auf einer Pressekonferenz vom 19. Januar 1970 nicht mehr nur vom „sozialistischen Staat deutscher Nation", sondern bezeichnete die DDR auch als einen „sozialistischen deutschen Nationalstaat" 1 9 . M i t dem Übergang vom K a pitalismus zum Sozialismus, so wurde jetzt argumentiert, habe sich auch der soziale Inhalt der Nation geändert. Wie sich seiner Zeit unter den Bedingungen des Kapitalismus die bürgerliche Nation entwickelt habe, so werde sich i n der entwickelten sozialistischen Gesellschaft die sozialistische Nation herausbilden. Für die Situation i n Deutschland bedeutet dies, daß m i t der BRD und der DDR nicht nur zwei voneinander unabhängige Staaten entstanden sind, sondern daß sich aufgrund der unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen auch zwei deutsche Nationen herausgebildet haben. Folglich hieß es i n einer Entschließung des V I I I . Parteitages der SED i m Juni 1971: „ I m Gegensatz zur BRD, wo die bürgerliche Nation fortbesteht und wo die nationale Frage durch den unversöhnlichen Klassenwiderspruch zwischen der Bourgeoisie und den werktätigen Massen bestimmt wird, entwickelt sich bei uns i n der DDR, i m sozialistischen deutschen Staat, die sozialistische Nation 2 0 ." Die nationale Frage w i r d somit der sozialen Frage eindeutig untergeordnet, bzw. die soziale Frage ist mit der nationalen Frage nahezu identisch. So gesehen ist nun nicht mehr ganz Deutschland von der Spaltung betroffen, sondern nur noch die bürgerliche Nation. Denn während Klassenkämpfe und soziale Konflikte die Bundesrepublik nach wie vor erschüttern, m i t h i n die antagonistischen Klassen die alte bürgerliche Nation i n zwei Lager spalten, ist es i n der DDR unter der Führung der SED „endlich gelungen, eine zugleich soziale und nationale Wende in Deutschland herbeizuführen" 2 1 . Da man i n der DDR die der bürgerlichen Nation eigenen sozialen Antagonismen weitgehend überwunden glaubt, kann sich dort ein qualitativ neuer Typ der Nation, einer nicht i n sich gespaltenen sozialistischen Nation konstituieren.

17 Verfassung der DDR vom 6. April 1968, in: Heisenberg / Sühlo / Broli (3/1971), S. 186 (Art. 1) und S. 188 (Art. 8, 2). 18 Vgl. etwa Bensing (1969) Typenwandel der Nation. I m übrigen sei hier auf die westlicherseits vorgelegten Darstellungen zum Nationbegriff der DDR verwiesen: Kroker (1966) Nationsbegriff in der SBZ, Kreusel (1971) Nation und Vaterland, sowie Ludz (1972) Zum Begriff der „Nation". 19 Zit. n. Ludz (1972) Zum Begriff der „Nation", S. 19. 20 Zit. n. Cramer (1972) Einheitspartei und Nation, S. 464. 21 Steinmetz (1967) nationale Bedeutung der Ref., S. 48.

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Überblickt man abschließend noch einmal die von der SED i n den vergangenen 25 Jahren eingenommene Haltung i n der deutschen Frage, so läßt sich ein i m wesentlichen i n drei Etappen vollzogener Wandel feststellen: 1. I n der ersten Hälfte der 1950er Jahre stand die Lösung der nationalen Frage eindeutig i m Vordergrund. Es ging darum, Deutschland von der anglo-amerikanischen Fremdherrschaft zu befreien. „Deutsche an einen Tisch" 2 2 hieß das Motto, m i t dem die SED ihre Forderung, die deutsche Frage durch Deutsche, durch Repräsentanten beider Regierungen auf dem Verhandlungswege zu lösen, zum Ausdruck brachte. Erklärtes Ziel war es, auf diese Weise das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen zu verwirklichen und die Einheit der deutschen Nation wiederherzustellen. 2. A u f die bis Ende 1955 geschaffenen Realitäten, vor allem auf die sich festigende Eigenstaatlichkeit beider deutscher Staaten reagierte Ulbricht mit dem Vorschlag, zwischen beiden deutschen Staaten eine „Konföderation" zu bilden 2 3 . Ein derartiger Staatenbund war als Vorstufe einer späteren Wiedervereinigung Deutschlands gedacht. Kurzfristig war die nationale Frage nicht mehr zu lösen und so gewann die soziale Frage vorrangige Bedeutung. Zur Verwirklichung des Sozialismus nicht i n ganz Deutschland, sondern nur i n einem Teil dieses Landes mußte jedoch der Bestand des politischen Systems hinreichend gesichert sein. So war denn auch der umfassende Aufbau des Sozialismus i n der DDR erst seit 1963 möglich. Die gesamtnationale Legitimation des sozialistischen Aufbaus fehlte indes nicht. Denn schließlich wollte man die DDR „als Modell für das ganze Deutschland auf (bauen); so wie das wiedervereinigte Deutschland später i n seiner Gesamtheit einmal aussehen soll" 2 4 . 3. Inzwischen hat die nationale Frage i n der Sprachregelung der SED einen Bedeutungswandel erfahren. Hatte man früher darunter die politische und staatliche Spaltung Deutschlands und das Problem ihrer Überwindung verstanden, so versteht man heute darunter die 22

S. 76.

Vgl. Heisenberg / Sühlo / Bröll

(3/1971) Der andere Teil Deutschlands,

23 Erstmals äußerte sich Ulbricht am 30. Dez. 1956 in einem Leitartikel des „Neuen Deutschland" in diesem Sinne. /Vgl. Weber / Oldenburg (2/1971) 25 Jahre SED, S. 112. Daß der Konföderation keine großartigen Befugnisse zugedacht waren, geht aus dem Programm der SED (1963), in: Weber (1971) hervor, wo es heißt: „Die Konföderation beruht auf der Souveränität beider deutscher Staaten und der Freien Stadt Westberlin. Sie schafft keine über ihnen stehende zentrale Staatsgewalt und erfordert keine Veränderung ihrer Gesellschaftsordnung. Die Organe der Konföderation beraten und beschließen Empfehlungen an die Parlamente und Regierungen der Teilnehmer der Konförderation." (S. 99). 24 Weber / Oldenburg (2/1971) 25 Jahre SED, S. 113.

Legitimationsfunktion der Geschichtswissenschaft

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soziale Spaltung und das Problem ihrer Überwindung innerhalb der Nation 2 5 . Da i n der DDR der Klassenantagonismus überwunden ist, dieser aber i n der BRD nach wie vor existiert, gibt es keine gesamtdeutsche Nation mehr, sondern nur noch eine i m Grunde von der historischen Entwicklung schon längst überholte bürgerliche Nation und eine auf einer qualitativ höheren Entwicklungsstufe stehende sozialistische Nation. Nicht nur die Eigenstaatlichkeit der DDR — diese konnte ja bereits i m ersten Drittel der 1960er Jahre als gesichert gelten — hält man inzwischen für gefestigt, sondern die sozialistische Gesellschaftsordnung überhaupt 2 6 . Die Folge davon ist, daß „der Prozeß der A b grenzung zwischen beiden Staaten i n allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens immer tiefgehender w i r d " 2 7 . Das Leitmotiv der Deutschlandpolitik der SED ist somit längst nicht mehr ,Deutsche an einen Tisch4 oder konföderativer Zusammenschluß beider Staaten, sondern völkerrechtliche Beziehungen zwischen zwei voneinander unabhängigen, souveränen deutschen Staaten auf der politischen Ebene und auf der gesellschaftlichen Ebene Intensivierung der Klassenauseinandersetzung zwischen sozialistischer und kapitalistischer Gesellschaftsordnung.

5.2 Die historische Legitimität der DDR und die Legitimationsfunktion der Geschichtswissenschaft I m Folgenden w i r d nun die Rolle und Aufgabe der Geschichtswissenschaft i n der bis etwa 1963 andauernden Phase der Konsolidierung und Festigung des politischen Systems der DDR zu beschreiben sein 28 . 25 Erinnert man sich in diesem Zusammenhang an die seiner Zeit von Engelberg (1951/52) Arbeiterklasse und Nation, gemachte Äußerung, wonach die „Vorstellung, daß der Klassenkampf die Gesellschaft, die Nation zerfallen läßt", geradezu „nationaler Nihilismus" (S. 42) sei, so wird der Unterschied, ja der Gegensatz zum heute üblichen Nationbegriff der SED, dessen konstutitiver Bestandteil ja gerade jene „nihilistische Auffassung" ist, deutlich. 28 Denn per definitionem beruht die sozialistische Nation „auf der sozialistischen Produktionsweise, sie kennt keine Klassenantagonismen, sondern ist durch die wachsende politisch-moralische Einheit des ganzen Volkes gekennzeichnet, weshalb sie wesentlich stabiler als die bürgerliche Nation ist". Zit. n. Ludz (1972) Zum Begriff der „Nation", S. 24. 27 Bericht des Z K an den V I I I . Parteitag der SED, zit. n. Cramer (1972) Einheitspartei und Nation, S. 463. 28 Einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der DDR geben: Förtsch (1970) Geschichtswissenschaft, Maibaum (1971) Geschichte und Geschichtsbewußtsein, Reuter (1973) Geschichtsbewußtsein in der DDR, sowie Riesenberger (1973) Geschichte und Geschichtsunterricht. A n älterer Literatur sei genannt: Kopp (2/1962) Wendung zur

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5.0 Ideologiegeschichte

Dabei w i r d man davon auszugehen haben, daß der DDR zur Begründung ihrer nationalen Teilstaatlichkeit an dem Nachweis gelegen war, daß sie die Schuld für die deutsche Teilung nicht trage, sondern der eigentliche ,Hort der Nation' und damit der einzig rechtmäßige deutsche Staat sei. Zur Propagierung und Absicherung dieses Anspruchs war die I n dienstnahme der Geschichtswissenschaft unerläßlich. Und so wurde i n einem Beschluß des Z K der SED vom 20.10.1951, der sich erstmals ausführlicher m i t Fragen der deutschen Geschichte beschäftigte, die große Bedeutung der Geschichtswissenschaft „ f ü r den Kampf u m die Einheit Deutschlands und für die Entwicklung eines echten deutschen Patriotismus" 2 9 unterstrichen. Denn ein vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus erarbeitetes Geschichtsbild würde „den Versuchen der anglo-amerikanischen Imperialisten, die nationale Würde des deutschen Volkes zu zerstören, und es mit antinationalen kosmopolitischen Lehren zu vergiften, einen entscheidenden Schlag versetzen" 30 . Die Historiker der DDR waren aufgerufen, der reaktionären, antinationalen, kosmopolitisch oder auch europäisch gestimmten westdeutschen Geschichtsschreibung ein national orientiertes und vor allem progressives Geschichtsbild entgegenzustellen. Denn die deutsche Geschichte enthalte keineswegs „nur die schmachvollen Taten der herrschenden Klassen", sondern sei auch „reich an freiheitlichen, revolutionären Taten, an bedeutenden Leistungen der großen Söhne und Töchter des deutschen Volkes für die Entwicklung der deutschen K u l t u r und der W e l t k u l t u r " 3 1 . Nun waren allerdings zu Beginn der 1950er Jahre die personellen wie sachlichen Voraussetzungen i n der DDR noch keineswegs gegeben, die eine marxistisch-leninistische Umwälzung der Wissenschaft auf einem akzeptablen Niveau hätten garantieren können 3 2 . Kleine Schriften und populärwissenschaftliche Darstellungen zu historischen Gestalten, die irgendwie i n eine progressive, nationale Tradition des Volkes hineinpaßten, waren die Regel. Selbständige und weiterführende Forschungen fehlten jedoch zunächst völlig. Grund genug für die SED, 1955 einen Beschluß über die „Verbesserung von Lehre und Forschung i n der Geschichtswissenschaft der DDR" „nationalen" Geschichtsbetrachtung, Timm (4/1965) Geschichte in Forschung und Lehre sowie Riese (1965) Geschichtsbild und Geschichtsbewußtsein. 29 Entschließung des ZK (1951), S. 581. 30 Entschließung des ZK (1951), S. 583. 81 Entschließung des ZK (1951), S. 581. 32 Vgl. hierzu den Forschungsbericht von Engelb erg / Rudolph (1960) Geschichtswissenschaft der D D R sowie Riesenberger (1973) Geschichte und Geschichtsunterricht, S. 12 f.

Legitimationsfunktion der Geschichtswissenschaft

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zu fassen. Neben Vorschlägen zu einer besseren Organisierung der Forschungsarbeit, wie etwa der Gründung einer Historiker-Gesellschaft, wurden auch den Historikern einige methodologische Leitlinien an die Hand gegeben. So betonte man wiederum die „hohe Verantwortung" der Geschichtler, „ i m Kampf gegen die reaktionäre, imperialistische Geschichtsfälschung ein neues wissenschaftliches Geschichtsbild zu schaffen und damit den Werktätigen i n ganz Deutschland zu helfen, die Lehren der Vergangenheit zu begreifen, die Gegenwart richtig zu verstehen und die Zukunft aktiv und bewußt zu erbauen" 33 . Die Vergangenheit begreifen, hieß nun nach Ansicht der SED-Funktionäre erkennen, daß der „Hauptinhalt der Geschichte unseres Volkes . . . der Kampf der werktätigen Massen gegen die herrschenden Ausbeuterklassen (ist), die das deutsche Volk wiederholt i n tiefe nationale Katastrophen stürzten und es jahrhundertelang der Rückständigkeit aussetzten". Aus diesen jahrhundertelangen Kämpfen seien die fortschrittlichen Kräfte jedoch gestärkt hervorgegangen, so daß heute „die Arbeiterklasse zur führenden K r a f t i m Befreiungskampf der deutschen Nation" 8 4 geworden sei. U m daher die gegenwärtig dem deutschen Volk durch das Wiedererstarken des Imperialismus und Militarismus i m Westen Deutschlands erneut drohende Gefahr auch richtig einschätzen zu können, sei „die Entlarvung der antinationalen volksfeindlichen Politik der herrschenden Klassen, besonders der deutschen Imperialisten i n der Geschichte Deutschlands von großer Wichtigkeit" 3 5 . Also sollte es Ziel und Aufgabe allen historischen Bemühens sein, einen Beitrag „zur Erziehung der Werktätigen zum Haß gegen die gesellschaftlichen Kräfte" zu leisten, „die heute i n Westdeutschland erneut versuchen, das deutsche Volk i n die schwerste Katastrophe seiner Geschichte zu stürzen" 3 6 . Haß gegen alles, was man imperialistisch nannte und Liebe zu dem, was man sozialistisch nannte, zu erzeugen, war das globale Ziel der SED, dem sich auch die Geschichtswissenschaft unterzuordnen hatte. „Die Vergangenheit für die Gegenwart nutzbar zu machen, für den Kampf gegen den deutschen Militarismus — das ist Aufgabe der Historiker 3 7 ." Konkret mußte dieser Auftrag gerade seit 1958, als die DDR erstmals den Anspruch erhob, der einzig legitime deutsche Staat zu sein, bedeuten, den Nachweis dafür zu erbringen, daß die i m Westen herrschende Bourgeoisie kein Recht mehr habe, i m Namen der deutschen Nation zu sprechen, daß dieses Recht vielmehr auf die deutsche Arbeiterklasse, 33 34 35 36 37

Beschluß des ZK Beschluß des ZK Beschluß des ZK Beschluß des ZK Die ideologische

(1955), S. 510. (1955), S. 514. (1955), S. 517. (1955), S. 517. Offensive der Partei (1958), S. 6.

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5.0 Ideologiegeschichte

die i n der DDR ihr festes staatliches Fundament gefunden habe, übergegangen sei 38 . So machten sich die marxistisch-leninistischen Historiker daran, alles das, was es an Negativem und Reaktionärem i n der deutschen Geschichte gab, angefangen beim Verrat Luthers an den Bauern bis h i n zur Terrorherrschaft des NS-Faschismus der deutschen Bourgeoisie anzulasten. Dieser Theorie von der bürgerlichen Entwicklung als einer einzigen Misere wurde das sich über Jahrhunderte erstreckende machtvolle Ringen der deutschen Volksmassen u m gesellschaftlichen Fortschritt entgegengestellt. Der Entwurf eines nationalen Geschichtsbildes der deutschen Arbeiterklasse diente somit dem Zweck, klarzumachen, wie die Volksmassen i n einem „trotz vieler Rückschläge und qualvoller Umwege i m ganzen aufsteigenden Kampfe zwischen Fortschritt und Reaktion die objektiven Entwicklungsbedürfnisse der Gesellschaft i n unserer Nation durchgesetzt haben; es ( = das nationale Geschichtsbild, J. F.) zeigt, wie dieser Kampf der Volksmassen i n der Bewegimg der Arbeiterklasse und i n der Erringung und Entwicklung der Macht der Arbeiter und Bauern gipfelt. So macht das nationale Geschichtsbild die Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Perspektive und die humanistischen, demokratischen und sozialistischen Traditionen unseres Arbeiter- und Bauernstaates sichtbar" 3 9 . Die nationale Grundkonzeption verpflichtete die Historiker darauf, den Antagonismus von Reaktion und Fortschritt, von nationalem und antinationalem Verhalten i n der deutschen Geschichte herauszuarbeiten. Man war davon überzeugt, daß die geschichtliche Entwicklung vom 16. Jahrhundert bis i n die unmittelbare Gegenwart hinein zeigen würde, daß die deutsche Bourgeoisie, die Imperialisten und Militaristen, stets bereit waren, u m ihrer eigenen Klasseninteressen willen die nationalen Interessen des deutschen Volkes zu verraten, daß die Interessen der Volksmassen dagegen stets m i t denen des ganzen deutschen Volkes identisch waren. So war gleichsam Ausgangspunkt wie Ziel der Erkenntnis die These, „daß nur die Politik der Arbeiterklasse i n der Lage ist, die nationale und soziale Frage zu lösen" 4 0 . 38 Vgl. hierzu Stern (1961) Zur nationalen Grundkonzeption. Von den zahlreichen Artikeln und Aufsätzen, die sich 1962 mit dem Nationalen Dokument und der ihm zugrunde liegenden Geschichtsinterpretation befaßten, seien genannt: Engelberg (1962) Probleme des nationalen Geschichtsbildes, Engelberg (1962) Werden des nationalen Geschichtsbildes, Badstübner (1962) SED und nationale Frage, Berthold (1962/1963) Geschichte der nationalen Konzeption, Rudolph (1962) Die nationale Verantwortung der Historiker, Wehling (1962) Probleme der nationalen Frage. 39 Engeiber g (1962) Werden des nationalen Geschichtsbildes, S. 110. 40 Steinmetz (1961) Probleme der fb. Rev., S. 19.

Legitimationsfunktion der Geschichtswissenschaft

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Da die Arbeiterklasse von ganz Deutschland i n der DDR ihre feste staatliche Basis gefunden und m i t der SED ihre revolutionäre Avantgarde erhalten hatte, ging es bei der Ausarbeitung eines nationalen Geschichtsbildes des deutschen Volkes auch gerade darum, „die patriotischen Kräfte i n ganz Deutschland, insbesondere aber jene Kreise Westdeutschlands an die großen nationalen Traditionen des deutschen Volkes heranzuführen, deren Nationalgefühl durch eine seit Jahrzehnten wirkende antinationale Politik und Ideologie teilweise oder gänzlich verschüttet wurden" 4 1 . Durch die Gründung der DDR war dem Imperialismus eine erste entscheidende Niederlage beigebracht worden. Die fortgesetzte Festigung und Stärkung dieses Staates konnte somit nur i m Interesse aller nationalen Kräfte liegen, weil dadurch das Kräfteverhältnis i n ganz Deutschland zugunsten der Arbeiterklasse und damit des sozialen und nationalen Fortschritts verändert wurde. M i t dem Aufbau des Sozialismus i n der DDR wurde nämlich der Weg zur endgültigen Beseitigung aller gesellschaftlichen Widersprüche eingeschlagen, wurde i n Deutschland „der Weg zur moralisch-politischen Einheit des Volkes i n der sozialistischen Nation beschritten" 42 . So gesehen steht es außer Zweifel, daß die DDR der „einzige rechtmäßige deutsche Staat" ist, zumal i n i h m eben „jene Kräfte an der Macht sind, die von der Geschichte zur Führung des deutschen Volkes berufen wurden und deren Politik m i t den Interessen der Nation übereinstimmt" 4 3 . Wer demnach die Herrschaft der SED nicht anerkennen oder gar i n Frage stellen w i l l , handelt nicht nur wider die Interessen der Nation, sondern auch gegen die objektive Macht und Notwendigkeit der Geschichte. Denn i n dem „Prozeß des immer bewußteren Handelns der Massen ist die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse das gesetzmäßige Ergebnis der Arbeiterbewegung, ja aller vorausgegangenen Kämpfe der Volksmassen für den Frieden und das Glück der Nation und der Menschheit" 44 . Den Kampf der SED für Frieden und Glück der Nation historisch zu legitimieren und plausibel zu machen, damit jener Kampf auch als ein Kampf für Frieden und Glück von den Volksmassen der DDR empfunden wurde, war Aufgabe der Historiker. M i t h i n verstand sich die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft i n der bislang beobachteten Periode der politischen Stabilisierung der DDR als eine Wissenschaft, „die die historische Rechtmäßigkeit unseres Staates nach41 42 43 44

Bensing (1962) Müntzer und Nordhausen, S. 1095. Rudolph (1962) Die nationale Verantwortung der Historiker, S. 267. Nationales Dokument (1962), in: Heisenberg / Sühlo / Bröll (3/1971), S. 231. Engelberg (1962) Werden des nationalen Geschichtsbildes, S. 121.

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5.0 Ideologiegeschichte

weist, die die Liebe zu unserem sozialistischen Vaterland vertieft, die den Weg zum sozialistischen Deutschland der Zukunft zeigt und die so einer wahrhaft nationalen Politik dient" 4 5 .

5.3 Aufbau des Sozialismus und wissenschaftlich-technische Revolution Standen i n den ersten 15 Jahren seit Gründung der DDR Probleme der Stabilisierung und Konsolidierung des politischen Systems i m Vordergrund, so wurden auf dem VI. Parteitag der SED, dem ersten Parteitag nach Errichtung der Berliner Mauer, neue Zeichen gesetzt. Der Ausbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung und die Bewältigung der wissenschaftlich-technischen Revolution wurden jetzt zur Aufgabe Nummer eins erklärt. Die wirtschaftliche Entwicklung galt es zu beschleunigen und gleichzeitig die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Folgeprobleme zu lösen. Die Voraussetzungen zu dieser neuen Entwicklung waren zweifelsohne durch die „Schocktherapie" (Doernberg) vom 13. August 1961, durch den „zuverlässigen Schutz" der Staatsgrenze West und den dadurch bedingten endgültigen Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse i n der DDR geschaffen worden 1 . Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse bedeutete, daß die Grundlagen des Sozialismus nun vorhanden waren. I m einzelnen versteht man darunter: „die Errichtung und Festigung der politischen Macht der Arbeiterklasse als der führenden K r a f t der Gesellschaft, den schrittweisen Übergang der Produktionsmittel i n die Hände des Volkes, die Organisierung der Planwirtschaft, die allmähliche Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, der Produktionsgenossenschaften des Handwerks, der Betriebe m i t staatlicher Beteiligung und der sozialistischen Formen des Handels sowie wichtige Bildungsreformen 2 ." Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus konnte i m ersten D r i t t e l der 1960er Jahre als abgeschlossen gelten, zumal i m Jahre 1962 der Anteil der „sozialistischen Betriebe" am volkswirtschaftlichen Gesamtprodukt bereits 85 °/o betrug, halbstaatliche Betriebe über einen Anteil von 6,8 % und Privatbetriebe nur noch über einen Anteil von 8,2 °/o verfügten 3 . Der Sozialismus konnte sich nun i n der 45

Streisand (1962) Deutsche Geschichtsschreibung, S. 113. Vgl. Politische Ökonomie (1969), S. 176 ff., ferner Doernberg Geschichte der DDR, S. 459 ff. 2 Politisches Grundwissen (1970), S. 509. 8 Vgl. Doernberg (3/1968) Geschichte der DDR, S. 494. 1

(3/1968)

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DDR „auf der eigenen sozialökonomischen Grundlage" 4 , auf der Basis der sozialistischen Produktionsverhältnisse v o l l entfalten. »Umfassender Aufbau des Sozialismus' war die Parole, die auf dem VI. Parteitag 1963 ausgegeben wurde. Das auf diesem Parteitag verabschiedete erste Parteiprogramm der SED signalisierte i n wirtschaftspolitischer Hinsicht eine bedeutende Wende. Angestrebt wurde eine Synthese von staatlicher Planung und Lenkung auf der einen und verstärkte Eigeninitiative und Eigenverantwortung auf der anderen Seite. Es ging darum, „eine gewisse Selbstregelung i m wirtschaftlichen System auf der Grundlage der Planung zu erreichen" 5 . Dieses w i r t schaftspolitische Reformvorhaben wurde i m Sommer 1963 m i t der Einführung des „Neuen ökonomischen Systems der Planung und Lenkung der Volkswirtschaft" angegangen. Die langfristigen Sieben-Jahrespläne wurden jetzt von sogenannten „Perspektivplänen" abgelöst, i n denen nicht mehr wie früher exakte Angaben gemacht wurden, „ u m wieviel Prozent die derzeitige Bruttoproduktion mengenmäßig gesteigert werden könne", die sich vielmehr „auf die Bestimmung der Haupttendenzen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts" 6 richteten. Kurzfristige Jahrespläne sollten die langfristigen und allgemeinen Planungen ergänzen und korrigieren. Wie es hieß, wollte man m i t dieser am Primat der Ökonomie orientierten Politik zum einen den wachsenden Bedürfnissen der Werktätigen Rechnung tragen, u m ihr Leben „angenehm und schön zu gestalten" 7 , zum anderen die Effizienz der DDR-Wirtschaft erhöhen. Nach der Devise: „Jeder nach seinen Fähigkeiten — jedem nach seiner Leistung" suchte man einen materiellen Anreiz zu schaffen, damit jeder Betrieb und jeder einzelne Werktätige „ökonomisch daran interessiert wurde(n), die Aufgaben des Plans zu erfüllen, die wissenschaftlich-technische Umwälzung voranzutreiben und einen hohen Nutzeffekt zu erreichen" 8 . A n Appellen zu ständiger Leistungssteigerung seitens der SED fehlte es fortan nicht. ,Höchst- und Pionierleistungen' wurden von den Werktätigen erwartet. „Sozialismus, das ist: der Kampf u m hohe Arbeitsproduktivität, die Erreichung und Mitbestimmung des Weltniveaus i n der Produktion. Dies erfordert die Anwendung der fortgeschrittenen Wissenschaft und Technik, die Meisterung der modernsten Produktions4

Politisches Grundwissen (1970), S. 507. So Ulbricht auf der 7. Tagung des Z K der SED im Dezember 1964, zit. n. Thomas (1971) Ideologiegeschichte, S. 43. 6 Doernberg (3/1968) Geschichte der DDR, S. 508. 7 SED-Programm (1963), in: Weber (1971), S. 101. 8 Doernberg (3/1968) Geschichte der DDR, S. 511/512. 6

9 Foschepoth

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verfahren und die qualifizierte Leitung und Organisation der Volkswirtschaft 9 ." Zur Steigerung des ökonomischen Wachstums und der Effizienz der DDR-Wirtschaft waren Spitzenleistungen i n Wissenschaft und Technik unerläßlich. Wissenschaft wurde immer mehr zur unmittelbaren oder gar Hauptproduktivkraft. Dies bedeutet, daß die „Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit unmittelbar und systematisch gesellschaftlich organisiert zur Produktion des materiellen Reichstums angewandt und eingesetzt werden" 1 0 . Angesichts des steigenden Bedarfs an produktiv verwertbarem Wissen stellte die SED den Technik- und Naturwissenschaften die Aufgabe, „die Grundlagenforschung der DDR so zu entwickeln, daß ein Vorlauf für die Technik und Produktion von morgen gewonnen w i r d " 1 1 . Besondere Hoffnung wurde dabei auf die Kybernet i k gesetzt, die es deshalb „besonders zu fördern" 1 2 galt. Die Abhängigkeit der Planung, Prognose, Leitung und Kontrolle gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen von wissenschaftlichen Daten und Verfahren liegt auf der Hand. Die Verwissenschaftlichung der Gesellschaft ist aber nur eine Seite, die Vergesellschaftung der Wissenschaft gewissermaßen die andere Seite der Medaille. „Unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution haben sich die Systemzusammenhänge zwischen der Ökonomik und der Politik, zwischen der materiellen und der politisch-ideologischen und kulturellen Entwicklung, das heißt zwischen allen Teilsystemen des gesellschaftlichen Organismus, äußerst intensiviert 1 3 ." Von daher w i r d das Interesse der SED verständlich, die Wissenschaft ihrerseits i n das System der Planung, Prognose, Leitung und Kontrolle einzubeziehen. Der Versuch, eine Wissenschaftswissenschaft' zu etablieren, ist Ausdruck dieses I n teresses. Man kann also sagen: „ I n der modernen sozialistischen Indutriegesellschaft DDR sind Wissenschaft und Technik sowohl eine der Ursachen gesellschaftlicher Problemsituationen als auch Mittel, u m die entstehenden Probleme zu bewältigen 1 4 ." Freilich ist wachsende gesellschaftliche Komplexität, zunehmende Differenzierung der gesellschaftlichen Teilsysteme und die sich daraus ergebende gesellschaftliche Aufwertung und Verwertung der Wissenschaft nicht ein spezifisches Merkmal der sozialistischen Gesellschaften. Doch ist die SED der Meinung, daß die durch die wissenschaftlichtechnische Revolution freigesetzten, alle Bereiche des gesellschaftlichen 9 10 11 12 13 14

SED-Programm (1963), in: Weber (1971), S. 95. Politische Ökonomie (1969), S. 302 (im Original kursiv). SED-Programm (1963), in: Weber (1971), S. 104. SED-Programm (1963), in: Weber (1971), S. 104. Politische Ökonomie (1969), S. 192/193. Zuber (1973) Wissenschaftswissenschaft, S. 11.

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Lebens erfassenden qualitativen Veränderungen der Produktivkräfte nur auf der Grundlage des Sozialismus optimal genutzt werden können. So kommt es, daß die i m Kapitalismus wie i m Sozialismus i n gleicher Weise wirkenden ökonomischen Gesetze i m Sozialismus ein qualitativ höheres Niveau erreichen, weil hier die Menschen nicht „von ihrem Willen unabhängige Produktionsverhältnisse eingehen, sondern bewußte, von ihrem Willen abhängige Produktionsverhältnisse" 15 . Daher ist auch nur die sozialistische Gesellschaft imstande, „die wissenschaftlich-technische Revolution mit allen ihren Konsequenzen zum Wohle der Menschen zu verwirklichen; umgekehrt kann keine entwickelte sozialistische Gesellschaft ohne ein wissenschaftliches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft und Gesellschaft und ohne die Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution errichtet werden" 1 6 . Dieses Junktim führte nun dazu, daß die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft mit der Bewältigimg der wissenschaftlich-technischen Revolution gleichgesetzt, oder anders ausgedrückt: daß die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus m i t denen der wissenschaftlich-technischen Revolution i n eins gesetzt wurden. So wurde beispielsweise die Steigerung der Arbeitsproduktivität als grundlegendes Gesetz des Sozialismus ausgegeben. Die sozialistische Produktionsweise erfordert demnach „die Arbeit immer ergiebiger zu machen, mehr, besser und billiger zu produzieren und dabei i n der Qualität und i n den Kosten der Erzeugnisse Pionier- und Weltspitzenleistungen zu vollbringen" 1 7 . Erst der entsprechende ökonomische Steigerungsraten aufweisende Betrieb, Werktätige, Wissenschaftler etc. wurde somit den sozialistischen Gesetzmäßigkeiten gerecht. Steigerung der Produktivität, der Effizienz und Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft blieb primäres Kennzeichen auch des auf dem V I I . Parteitag 1967 verkündeten „Ökonomischen Systems des Sozialismus", welches das bis dahin geltende „Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft" ablöste. Der zentrale Gedanke dieses neuen Konzeptes, das den 1963 eingeschlagenen Weg i m wesentlichen fortsetzte — aber auf eine beschleunigte Gangart drängte, war neben dem generellen, sich auf alle Bereiche der Gesellschaft erstrekkenden ökonomischen Nutzeffekt-Denken die Absicht, die Gesellschaft als Ganzes vermittels kybernetischen Systemdenkens zu erfassen, darzustellen und zu steuern. Die Bedeutung der Wissenschaften als Grundlage und Instrument der Planung und Prognose wurde noch deutlicher als zuvor hervorgehoben. Außerdem suchte Ulbricht den aus der zu15 16 17

9*

Politische Ökonomie (1969), S. 190. Politische Ökonomie (1969), S. 288. Politisches Grundwissen (1970), S. 526.

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nehmenden gesellschaftlichen Differenzierung sich ergebenden Folgeproblemen durch die harmonisierende Formel von der „sozialistischen Menschengemeinschaft" zu begegnen 18 . Das „ökonomische System des Sozialismus" bildete das Kernstück des „Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus" und stellte als solches nach SED-Meinung eine qualitativ neue Entwicklungsetappe dar. Ulbricht bezeichnete den DDR-Sozialismus sogar als „relativ selbständige Gesellschaftsformation" 19 . Dieses System des Sozialismus war jedenfalls charakterisiert „durch ein hohes Niveau und ein rasches Wachstumstempo der gesellschaftlichen Produktivkräfte, durch stabile, sich entwickelnde sozialistische Produktionsverhältnisse, durch eine starke sozialistische Staatsmacht, durch die allseitige Entwicklung der sozialistischen Demokratie, durch einen hohen Bildungsstand der Werktätigen und durch die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen. Es ist dadurch gekennzeichnet, daß die sozialistische Ideologie und K u l t u r alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringen" 2 0 . M i t der Nachfolge Honeckers i m A m t des Ersten Sekretärs des Z K der SED i m Mai 1971 wurden einige neue gesellschaftspolitische Akzente gesetzt. Ulbrichts funktionalistischem Systemdenken zuneigender „technokratischer Sozialismus" (Thomas) wurde zusehends skeptischer beurteilt. „Ökonomie und Politik voneinander zu trennen, ist ebenso falsch, wie das ökonomische System des Sozialismus i m Sinne eines bloßen Steuerungs- und Regelmechanismus zu handhaben und auszulegen 21 ." Folglich sprach man auch nicht mehr vom ,entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus 4 , sondern schlicht von der entwickelten sozialistischen Gesellschaft 4. Zwar wurde die gesellschaftliche Bedeutung der Wissenschaften nicht geringer eingeschätzt, aber die „Produktivkraft der Arbeiterklasse" wurde wieder stärker als zu Zeiten Ulbrichts betont 2 2 . Nach wie vor bestand für die DDR — wie es auf dem V I I . Parteitag der SED 1971 erneut zum Ausdruck kam — die Hauptaufgabe „ i n der weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effekti18 Vgl. Burrichter / Förtsch / Zuber (1970) Theoretische Aspekte, S. 39 ff. Burrichter (1970) Das entwickelte gesellschaftliche System, sowie Lades (1971) Zur Funktion des „entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus". 19 Vgl. Thomas (1971) Ideologiegeschichte, S. 44. 20 Ulbricht (1967), zit. n. Burrichter / Förtsch / Zuber (1970) Theoretische Aspekte, S. 45. 21 Neues Deutschland vom 16. Juni 1971, zit. n. Thomas (1971) Ideologiegeschichte, S. 46. 22 Vgl. Thomas (1971) Ideologiegeschichte, S. 44.

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vität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität" 2 3 . Alles i n allem läßt sich die Entwicklung, welche die DDR-Gesellschaft seit Beendigung der latenten Krisensituation durch die permanente Infragestellung des politischen Systems genommen hat, als Weg zur sozialistischen Leistungsgesellschaft beschreiben, i n der die Steigerung des ökonomischen Wachstums, die Steigerung der Effektivität, die Steigerung jedweder Leistung, sei es i m ökonomischen, i m wissenschaftlichen oder i n sonst irgendeinem Bereich den absoluten Vorrang genießen. 5.4 Produktivkraft Mensch und die Motivationsfunktion der Geschichtswissenschaft Wie die häufig und gern gebrauchte Formulierung von der Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution unter den Bedingungen des umfassenden Aufbaus des Sozialismus 4 bereits andeutet, bringt diese Revolution für die DDR-Gesellschaft auch Probleme m i t sich, die — sollen sie den Bestand der Gesellschaft nicht gefährden — eben gemeistert werden müssen. Zu diesen grundlegenden Problemen zählt nun i n erster Linie der Mensch. A u f der einen Seite sind ohne den Menschen, ohne die Steigerung seiner Leistungsfähigkeit, ohne die Steigerung seines Leistungswillens ökonomische Steigerungsraten nicht zu erzielen. Denn schließlich ist der Mensch „ m i t seinen schöpferischen Fähigkeiten und seiner als Wissenschaft organisierten Geisteskraft die Hauptproduktivkraft der Gesellschaft. M i t dem Menschen und durch den Menschen werden alle übrigen das System der Produktivkräfte der Gesellschaft bestimmenden Elemente i n Bewegung gesetzt, miteinander kombiniert und ökonomisch, das heißt gesellschaftlich wirksam 4 4 2 4 . A u f der anderen Seite wirken die durch Automatisierung, Rationalisierung und Mechanisierung bedingten sozioökonomischen Veränderungen ihrerseits Verhaltens- und bewußtseinsändernd auf den Menschen zurück. Wie die wissenschaftlich-technische Revolution und die Verwirklichung des Sozialismus als zwei Seiten eines einheitlichen Prozesses aufgefaßt werden, so gilt entsprechend die Steigerung des Produktivkraftwertes des Menschen und die Schaffung eines sozialistischen Bewußtseins ebenfalls als eine gleichzeitig zu bewältigende Aufgabe. Ohne das eine ist das andere nicht möglich — sagt man. Denn der Mensch nutzt „ i n der Produktion nicht nur seine Fertigkeiten und Erfahrungen, sondern er w i r k t 23 Direktive des V I I I . Parteitages der SED, zit. n. Seickert (1973) Produktivkraft Wissenschaft, S. 14. 24 Politische Ökonomie (1969), S. 294.

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5.0 Ideologiegeschichte

als universelles Wesen, als geistig, körperlich und moralisch entwickelte Persönlichkeit" 2 5 . Die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten, stets zu neuen und höheren Leistungen fähiger und williger Menschen, gilt nun keineswegs als leicht zu lösende Aufgabe. So gehört es zu den wichtigsten und vorrangig zu erfüllenden Pflichten der SED, „das sozialistische Bewußtsein der Werktätigen zu fördern, ihre schöpferische Initiative breit zu entfalten, u m mit dem Reichtum der Ideen und der Tatkraft aller Bürger der DDR die Aufgaben der Vollendung des Sozialismus erfolgreich zu lösen" 26 . Tatkräftige Unterstützung bei der Bewältigung dieser Aufgabe erhofft sich bzw. erwartet die Partei vor allem von den Gesellschaftswissenschaften, zu deren Forschungsgegenstand ja die Untersuchung jener Probleme zählt, die sich aus der rapiden Veränderung der objektiven Entwicklung, der Technisierung und Verwissenschaftlichung der Gesellschaft und der dadurch bedingten veränderten Tätigkeit und Rolle des Menschen ergeben. Für die Geschichtswissenschaft als einem Teilsystem der Gesellschaftswissenschaften bedeuten Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution und Verwirklichung des Sozialismus demnach: einerseits Zwang zu erhöhter und verbesserter Leistung — denn auch das „Ansehen der Historiker wie das jeder anderen Gruppe von Werktätigen, die am Aufbau des Sozialismus teilnehmen, erwächst einzig aus der vollbrachten Leistung" 2 7 — andererseits die Aufgabe, einen gesellschaftlich wirksamen Beitrag zur sozialistischen Bewußtseinsbildung und zur Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten zu erbringen. Denn die Geschichte lehrt, „daß insbesondere die historische Rückerinnerung sowohl i n erkenntnismäßiger als auch i n emotionaler Hinsicht ein wesentliches M i t t e l zur Lösung gesellschaftlich-politischer Aufgaben ist" 2 8 . Auch i n der Geschichtswissenschaft verstummte jetzt der Ruf nach besseren Leistungen, nach einem „höherem gesellschaftlichen Nutzeffekt der Forschungsarbeit" 29 nicht mehr. Die Verbesserung, d.h. Straffung der Organisationsstruktur der Geschichtswissenschaft und „Zwang zu methodischer Konsequenz" 30 waren die Folgen. M i t der Vorlage eines zentralen Forschungsplanes bis zum Jahre 1970 wurde i n der DDR 1964 erstmals der Weg zu einer langfristigen Planung der Forschungsarbeit beschritten. Die gleichzeitig erfolgte 25 26 27 28 29 30

Politische Ökonomie (1969), S. 295. Politische Ökonomie (1969), S. 195. Engelberg (1964) Aufgaben der Historiker, S. 388. Schilfert (1965) Geschichtswissenschaft, S. 585. Engelberg (1964) Aufgaben der Historiker, S. 396. Maibaum (1971) Geschichte und Geschichtsbewußtsein, S. 199.

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Gründung der Sektion Geschichte bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften diente i n erster Linie dem Zweck, die Historiker bei der Durchführung und Erfüllung dieses Forschungsplanes anzuleiten und zu kontrollieren. I n marxistisch-leninistischer Sicht leitete die Sektionsgründung i n der Entwicklung der Geschichtswissenschaft der DDR eine neue Etappe ein, „deren wesentliches Kennzeichen i m Übergang zur planmäßig geleiteten und zielstrebig betriebenen Forschung und i n der allseitigen Förderung der Gemeinschaftsarbeit besteht" 3 1 . Angestrebt wurde auch hier — ähnlich dem ,Neuen ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft' — eine Synthese von Planung und Eigenverantwortlichkeit, weshalb mit Nachdruck darauf hingewiesen wurde, daß die Sektion Geschichte „keine Regierung über die Historiker" sei. Vielmehr solle sie „eine entscheidungsfähige Versammlung von Sachverständigen sein, die ihre ureigenen Belange beraten und regeln. I n der Sektion Geschichte soll sich der Grundsatz verwirklichen, daß die Wissenschaft von den Wissenschaftlern selbst verantwortlich geplant, geleitet und kontrolliert werden muß" 3 2 . Die Mitarbeit der Historiker an dem neuen Forschungsprogramm und den ,Meinungsstreit' unter ihnen anzuregen, war die eine Aufgabe der Sektion; die andere Aufgabe war es, dafür zu sorgen, daß die Forschungsarbeiten plangerecht erfüllt würden. Denn schließlich hoffte man, über eine verstärkte Planung und straffere Organisation den Nutzwert geschichtswissenschaftlicher Forschungen zu erhöhen. „Überlegte Planung, straffe Leitung, regelmäßige Kontrolle und öffentliche Rechenschaftsablegung — das sind gewissermaßen die Marksteine, die den Weg zu einer höheren Produktivität der Geschichtswissenschaft kennzeichnen 38 ." Ein neuer Weg wurde der historischen Forschung i n der DDR 1964 zweifelsohne gewiesen; zu allseitiger Zufriedenheit beschritten, planmäßig erfüllt oder gar zuendegegangen wurde er indes nicht. So sah sich das Politbüro schon 1968 veranlaßt, einen grundlegenden Beschluß über „Die weitere Entwicklung der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften i n der D D R " 3 4 zu fassen. Ohne i m einzelnen hier näher auf die beanstandeten Mängel eingehen zu wollen, richtete sich die K r i t i k des Politbüros vor allem auf die ungenügende Leitungsund Koordinierungsarbeit der für die gesellschaftswissenschaftlichen 31 Engelberg (1964) Aufgaben der Historiker, S. 389. Vgl. auch den T a gungsbericht von Pätzold (1964) Gründungstagung der Sektion Geschichte sowie Förtsch (1970) Geschichtswissenschaft, S. 110 ff. 32 Engelberg (1964) Aufgaben der Historiker, S. 390. 33 Engelberg (1964) Aufgaben der Historiker, S. 402. 34 Die Bedeutung dieses Beschlusses für die Geschichtswissenschaft erläutert der BzG-Leitartikel (1969) Auf dem Wege zu einer neuen Qualität der geschichtswissenschaftlichen Arbeit.

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5.0 Ideologiegeschichte

Forschungen zuständigen Ministerien und der Deutschen Akademie der Wissenschaften als der eigentlichen Ursache für bestimmte Mängel und fehlerhafte Entwicklungen i n den Gesellschaftswissenschaften 35 . So nahm das Politbüro i m Leitungs- und Kontroll- bzw. Koordinierungssystem der Geschichtswissenschaft organisatorische Veränderungen und Kompetenzverschiebungen vor. Das Institut für MarxismusLeninismus beim Z K der SED bekam nun die zentrale Funktion einer „Leiteinrichtung auf dem Gebiet der Erforschung der deutschen A r beiterbewegung, der deutschen und allgemeinen Geschichte" 36 zugesprochen. Neben diesem gleichsam vertikalen System der Leitung und Planung wurde i m Sommer 1969 m i t dem ,Rat für Geschichtswissenschaft' ein Gremium geschaffen, i n dem „offensichtlich eine i n die Breite gehende Koordinationsarbeit geleistet werden (soll)" 3 7 . Diesem Gremium gehören 32 Mitglieder — Vertreter wichtiger Institutionen der historischen Forschung und Lehre, angefangen beim Institut für Marxismus-Leninismus über die Sektionen Geschichte der einzelnen Universitäten bis zur Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, u m nur einige zu nennen — an. Neben diesen auf eine effizientere Organisationsstruktur abzielenden Maßnahmen, forderte der Beschluß des Politbüros auch eine inhaltliche Konzentration der Forschungsarbeit auf bestimmte Schwerpunktthemen. Konzentration der Forschungskapazität „heißt aber, anderes beiseite lassen. Das hat zwei Konsequenzen: Es ist unvermeidlich, daß liebgewordene Themen aufgegeben werden, und es muß verzichtet werden auf die abwegige, aber noch immer anzutreffende Vorstellung, den Gesamtbereich eines jeden Teilgebiets mit vergebenen Themen und eingesetzten Kadern abzudecken". Das hat u. a. die Folgen, „daß an die Detailuntersuchungen, an die zeitlich und lokal begrenzten Forschungen strengere Maßstäbe angelegt werden. Solche i n die Tiefe gehenden, den Einzelheiten nachspürenden Untersuchungen sind nur dann berechtigt, wenn sie von einer grundsätzlichen Fragestellung ausgehen, wenn sie dazu dienen, generell interessierende Fragen zu beantworten, wenn sie Verallgemeinerungen zulassen" 38 . 35 Vgl. Politbürobeschluß (1968) Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften, S. 1457. 38 Vgl. Politbürobeschluß (1968) Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften, S. 1463. 37 Reuter (1973) Geschichtsbewußtsein in der DDR, S. 21. Zu den Veränderungen der Wissenschaftsorganisation vgl. neben Reuter (1973) S. 17 ff. auch Förtsch (1970) Geschichtswissenschaft, S. 103 ff. 38 BzG-Leitartikel (1969) Auf dem Wege zu einer neuen Qualität der geschichtswissenschaftlichen Arbeit, S. 378/381. Die Folgen des Politbürobeschlusses für die Reformations- und Bauernkriegsforschung blieben nicht aus. Steinmetz (1973) Höhepunkte der Geschichte, konstatiert: „Seit dem Höhepunkt der Vorbereitung und Durchführung der 450-Jahr-Feier 1967

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Zweifelsohne stellt die wachsende interne Differenzierung der Gesellschaftswissenschaften ein Problem dar und zwar sowohl i n wissenschaftlicher wie politisch-ideologischer Hinsicht. Die Forschungen auf bestimmte gesellschaftlich relevante Fragestellungen einzuengen, ist eine Möglichkeit, der steigenden Komplexität Herr zu werden. Eine weitere Möglichkeit besteht i n der Forcierung und Intensivierung der theoretischen und methodologischen Forschungen. Nicht nur u m die Einheit des jeweiligen Faches zu reflektieren und zu problematisieren, ist dieses von Belang, sondern auch und vor allem, u m die Bedeutung und den Einfluß des Marxismus-Leninismus als grundlegende Theorie und Methode aller Wissenschaften nicht zu verringern, sondern i m Gegenteil noch zu erhöhen. „Die zunehmende Spezialisierung und Integration der Wissenschaften sowie die Entwicklung der Wissenschaft zu einer Hauptproduktivkraft erfordern die allseitige schöpferische A n wendung der marxistisch-leninistischen Theorie i n ihrer Einheit und Geschlossenheit. . . . Dabei gewinnt der dialektische und historische Materialismus als einheitliche wissenschaftliche Weltanschauung und allgemeine Methodologie der Wissenschaft eine zunehmende Bedeutung 3 9 ." Die Ursachen für eine Intensivierung auch der geschichtstheoretischen und -methodologischen Forschungen i n der DDR seit Mitte der 1960er Jahre sind demnach i n der ,wissenschaftlich-technischen Revolution 4 zu suchen 40 . Die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Folgeprobleme ist unsere spezielle Forschungsarbeit doch etwas zurückgegangen. Der alte Arbeitskreis Frühbürgerliche Revolution ist zusammengeschmolzen, das Forschungspotential seit mindestens drei Jahren ganz durch die Arbeit für andere Aufgaben eingesetzt gewesen. Wir haben zur Zeit keine Doktoranden mehr." (S. 99). Dann tritt Steinmetz — seinem Unmut über die neue Wissenschaftspolitik Luft machend — für eine Intensivierung der lokalen, regionalen, eben speziellen Forschung ein und bittet die Heimatforscher, Lehrer, Archivare, Museologen um tatkräftige Unterstützung, da die dafür notwendigen Mittel und Kräfte an den geschichtswissenschaftlichen Instituten nicht mehr vorhanden seien (vgl. S. 101). Gleichwohl sei die Mehrzahl der noch ungelösten Fragen „ohne Einzelforschungen nicht von der Stelle zu bringen, oder wir drehen uns einfach im Kreise und kommen nach einigen Jahren wieder auf den Ausgangspunkt zurück". (S. 99). 99 Politbürobeschluß (1968) Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften, S. 1456/1457. 40 Zwar war schon 1961 innerhalb der Deutschen Historiker-Gesellschaft eine Sektion Methodologie gegründet worden, doch trat diese — wie Berthold (1966) Geschichte der Geschichtsschreibung, bemerkt — „nach ihrer ersten Tagung nicht mehr in Erscheinung" (S. 98), was sicherlich nicht auf ein übermäßig starkes Interesse der Historiker an methodologischen Fragen während dieser Zeit schließen läßt. Aufgeschreckt wurden allerdings die Historiker, als man seitens der Philosophie den produktiven Wert ihrer Wissenschaft infrage stellte und eine „Zweiteilung zwischen führenden und anderen Gesellschaftswissenschaften" vornahm, wobei die Geschichtswissenschaft letzteren zugerechnet wurde. Als erste Reaktion auf derartige Vorschläge vgl. Schilfert (1965) Geschichtswissenschaft im System der Gesellschaftswissenschaften.

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stellten an die marxistisch-leninistische Ideologie neue und wachsende Forderungen, denen nach Meinung Engelbergs die Historiker nur dann gerecht werden können, „wenn sie die Theorie des historischen Materialismus und der materialistischen Dialektik und die auf ihr beruhende Methode" 41 schöpferisch weiterentwickeln. Die Wiederentdeckung der lange Zeit vergessenen Dialektik i n der marxistisch-leninistischen Geschichtsauffassung ist das auffallendste Merkmal der methodologischen Neubesinnung i n der Geschichtswissenschaft der DDR. Ausgehend von der Tatsache, daß i n der derzeitigen sozialistischen Gesellschaft die Rolle und Bedeutung des Überbaus und der sozialistischen Ideologie ständig zunimmt, gewinnt auch für die geschichtswissenschaftliche Forschung die subjektive Seite der Dialektik zunehmend an Bedeutung 42 . Die „Gewissensfrage" an die Historiker — wie Diehl, Stellvertretender Direktor des Instituts für Marxismus-Leninismus und Vorsitzender des Rates für Geschichtswissenschaft, es formulierte — lautet demnach: „Wie schildern w i r die Dialektik der gesellschaftlichen Entwicklung als Einheit von objektiven und subjektiven Faktoren, und wie arbeiten w i r dabei die ideologische Seite des Klassenkampfes i n ihrem untrennbaren Zusammenhang m i t den anderen Aspekten der Klassenauseinandersetzung i n ihrer ganzen Kompliziertheit heraus?" Oder aber „gibt es noch immer, trotz entsprechender K r i t i k , Tendenzen, den gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten eine automatisch, losgelöst und unabhängig vom Handeln der Massen w i r kende Kraft zuzuschreiben" 43 ? Nicht zuletzt die Einsicht, daß ohne aktive und bewußte Mitarbeit des Menschen eine sozialistische Leistungsgesellschaft nicht funktionieren, geschweige denn Steigerungsraten aufweisen kann, sich also die objektiven Gesetze des Sozialismus nur durch die Tätigkeit des Menschen verwirklichen lassen, schärfte den Blick für die Rolle des Menschen i n der Geschichte. Der mechanistische Materialismus der ausgehenden 50er und beginnenden 60er Jahre wurde, wo er noch nicht ganz überwunden zu sein schien, heftig attackiert. „Wenn w i r nicht stets den Menschen i n seiner gesellschaftsbezogenen Praxis als Schöpfer und Gestalter der Gesellschaft, i m Auge haben, dann machen w i r die ge41

Engelberg (1968) Gegenstand und Ziel, S. 1118. Bereits auf der Gründungstagung der Sektion Geschichte im Jahre 1964 — vgl. den Tagungsbericht von Pätzold — forderte Streisand , „daß alle Historiker in ihren Arbeiten der Geschichte der politischen Ideen mehr Aufmerksamkeit zuwenden. Er sehe eine der noch nicht überwundenen Nachwirkungen des Dogmatismus in der Geschichtswissenschaft darin, daß die politischen Ideen und Vorstellungen, von denen sich die geschichtlich handelnden Klassen und ihre Exponenten leiten ließen, bislang zu wenig beachtet worden seien". (S. 476). 43 Diehl (1969) Probleme und Aufgaben, S. 1396. 42

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seilschaftlichen Gesetze und Mächte zum fetischisierten Fatum, das über den Menschen stets und immerfort mit eherner Gewalt herrscht 44 ." So wählte Engeiber g den „sozialen Menschen" als Ausgangspunkt für eine Neubestimmung des Gegenstandes der Geschichtswissenschaft. Diese soll untersuchen und darstellen, „wie die Menschen das von ihnen i n der materiellen Produktion ihres Lebens geschaffene grundlegende Bewegungsgesetz der Gesellschaft, nämlich die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen i m Struktur- und Entwicklungszusammenhang mit der gesellschaftlichen Totalität von Ökonomie, K u l t u r und (soweit schon ausgebildet) Politik i n den klassenlosen Urgemeinschaften, i n den antagonistischen und ausbeutungsfreien Klassengesellschaften durchsetzen; zugleich erhellen, wie die Menschen i m widerspruchsvollen Fortschreiten die Herrschaft über sich selbst, ihre Verhältnisse und die Natur gewinnen, mit dem Übergang zum Kommunismus die Vorgeschichte i n der Selbsterzeugung des Menschen abschließen und somit den humanistischen Sinn der Geschichte v o l l verwirklichen" 4 5 . Selbstverständlich bleiben — wie diese Definition deutlich macht — die vorzügliche Bedeutung der Ökonomie, das Basis-Überbau-Schema, das Fünf-Stadien-Gesetz der gesellschaftlichen Entwicklung von der Urgesellschaft bis hin zum Kommunismus 4 6 , kurz die Grundannahmen des marxistisch-leninistischen Geschichtsverständnisses unangefochten. Doch hat eine differenzierte und flexible, vom Systemdenken geprägte Betrachtungsweise unverkennbar Platz gewonnen. Mechanistisches Denken w i r d durch eine dialektische Betrachtungsweise abgelöst. Nicht die Ökonomie allein, sondern die Totalität der Systembezüge von Ökonomie, Politik, Ideologie u. a. m. sowie vor allem der bewußt handelnde und verändernde Mensch kommen i n den Blick. Entsprechend darf bei aller Bedeutung, die der Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse zukommt — wie ein sowjetischer Historiker mahnte — nicht vergessen werden, „daß es Gesetze und Tendenzen gibt, die einander entgegenwirken, daß die konkreten Bedingungen das Wirken der Gesetze beträchtlich modifizieren können, daß die objektiven Gesetze und Bestimmungen bestimmte Möglichkeiten für die Tätigkeit der Menschen schaffen, das aber die Realisierung dieser Möglichkeiten von einer ganzen Reihe von Umständen und von den Menschen selbst abhängt" 4 7 . 44

Engelberg (1968) Gegenstand und Ziel, S. 1124. Engelberg (1968) Gegenstand und Ziel, S. 1142/1143. 46 Zur marxistisch-leninistischen weltgeschichtlichen Periodisierung neuerdings Geiss (1974) Zwischen Marx und Stalin. 47 Trapesnikow, in: SW/GB (1968), S. 232. 45

vgl.

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Daß sich das theoretisch-methodologische Niveau der DDR-Geschichtswissenschaft besonders seit dem letzten Drittel der 1960er Jahre erheblich verbessert hat, steht außer Zweifel. Die gleichzeitig erfolgte weitere thematische Begrenzung und Hintanstellung spezieller Forschungen kann man nur bedauern. Verständlich w i r d dieses allerdings aufgrund der Absicht, den gesellschaftlichen Nutzeffekt der Geschichtswissenschaft, die politisch-ideologische Verwertbarkeit historischer Forschungen zu erhöhen. Denn durch die Erforschung geschichtlicher Grundprobleme von den Anfängen bis zur Gegenwart — wie es i m Zentralen Forschungsplan vom 11. Januar 1972 erneut gefordert w i r d 4 8 — soll den Werktätigen jenes historisch-methodologischen Grundwissen bereitgestellt werden, das sie befähigt, trotz des hohen Komplexitätsgrades des allgemeinen historischen Wissens, „den Geschichtsprozeß i m Ganzen zu erfassen" 49 . Die Orientierung auf das Wesentliche soll also helfen, den Sinn der Geschichte zu erkennen und ein entsprechendes Geschichtsbewußtsein zu entwickeln. Stellt man zudem i n Rechnung, daß das Geschichtsbewußtsein als ein wesentliches Element des sozialistischen Bewußtseins begriffen wird, daß i n der entwickelten sozialistischen Industriegesellschaft die Rolle und Bedeutung der sozialistischen Ideologie deutlich zugenommen hat und weiterhin zunimmt, und daß man i n der DDR — wie einer ihrer führenden Historiker meinte — „vorläufig ökonomische Prozesse besser zu leiten" imstande ist „als geistig-kulturelle" 5 0 , so unterstreicht dieses die wachsende bewußtseins- bzw. ideologiebildende Aufgabe der Geschichtswissenschaft. Worin besteht nun der spezifische Beitrag der Geschichtswissenschaft zur Bewußtseinsbildung des sozialistischen Menschen? U m eben diese Frage drehten sich jene Diskussionen, die i n den Jahren 1967/68 zunächst i n der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, dann auf dem IV. Historikerkongreß 1968 und schließlich auf einer von der Deutschen Historikergesellschaft eigens zu diesem Thema einberufenen Konferenz i m Herbst des Jahres 1969 geführt worden sind 5 1 . Geschichtsbewußtsein — so hieß es — sei ein wesentliches Element, sei die historische Komponente und als solche ein immanenter Bestandteil des 48

Vgl. Zentraler Forschungsplan (1972), S. 177. So Streisand auf dem IV. Deutschen Historiker-Kongreß in Leipzig, zit. n. dem Tagungsbericht, in: BzG 11 (1969), S. 317. 50 Streisand (1967) Geschichtsbild, S. 822. 51 Vgl. hierzu wie zum Thema ,Geschichtsbewußtsein in der DDR* überhaupt Reuter (1973) Geschichtsbewußtsein in der DDR, hier S. 49 sowie Riese (1968) Theorie der Emotionen. I m übrigen vgl. die Diskussionsbeiträge zum Thema ,Geschichtswissenschaft und Geschichtsbewußtsein4, in: ZfG 15/16 (1967/68) und den Sammelband von Meier / Schmidt (1970) Geschichtsbewußtsein und sozialistische Gesellschaft. 49

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sozialistischen Bewußtseins, das alle übrigen Bewußtseinsformen, als da sind das Nationalbewußtsein, Staatsbewußtsein, Gegenwartsbewußtsein, Perspektivbewußtsein u. a. m. durchdringt. Damit stellt das Geschichtsbewußtsein „nicht nur eine bestimmte Form der Wiederspiegelung eines bereits vollzogenen, der Vergangenheit angehörenden materiellen Lebensprozesses der Gesellschaft dar, sondern w i r k t seinerseits selbst als aktiver Faktor auf die Gestaltung gegenwärtiger und zukünftiger gesellschaftlicher Verhältnisse ein" 5 2 . Geschichtsbewußtsein ließe sich demnach definieren als die Fähigkeit und Bereitschaft, aus der Kenntnis der Vergangenheit Lehren für die Gegenwart zu ziehen und i n zukunftsorientiertes Handeln umzusetzen. So erzeugen ζ. B. die Einsicht i n die Gesetzmäßigkeit der historischen Entwicklung und die Übereinstimmung des ersten Arbeiterund Bauernstaates m i t dieser Entwicklung „Stolz auf die DDR und lösen Handlungsbereitschaft und A k t i v i t ä t für die Festigung der sozialistischen Staatsmacht aus" 5 3 . Folglich gehören zum sozialistischen Geschichtsbewußtsein „nicht nur historische Kenntnisse, die Fähigkeit, diese Kenntnisse theoretisch zu verarbeiten, sie klassenmäßig zu beurteilen, sondern auch die persönliche Einsatzbereitschaft, das Handeln i m Sinne der Lehren der Geschichte" 54 . Andere sprechen i n diesem Zusammenhang auch von der Erkenntnis-, Bewertungs-, Handlungs- und Prognosefunktion des sozialistischen Geschichtsbewußtseins 55 . Bei der Forderung, sich auf grundlegende Probleme der Geschichte zu konzentrieren und die Erforschung methodologischer Probleme zu favorisieren, geht es also darum, historisches Wissen effektiver zu nutzen und zwar i n der Weise, daß durch ein entsprechend geformtes Bewußtsein die Einsatzbereitschaft der Bürger „für ihre DDR" sowohl i m Produktionsprozeß wie i n allen übrigen gesellschaftlichen Bereichen erhöht wird. Darüber hinaus hat das sozialistische Geschichtsbewußtsein als Teil der sozialistischen Ideologie die Aufgabe, eine generelle Orientierungshilfe i n einer von Technik und Automation, Rationalität und Wissenschaft geprägten Umwelt zu geben. Schließlich ist es Sinn und Ziel jedweder Bewußtseinssteuerung, die sozialistische Gesellschaftsordnung allseitig zu stärken und zu festigen, was auf „die systemstabilisierende und systemorganisierende Funktion der sozialistischen Ideologie" 5 6 hinweist. Alles i n allem kommt dem sozialistischen 52

Schmidt (1967) Geschichtswissenschaft und Geschichtsbewußtsein, S. 212. Döhring / Kunze / Sieb elt (1968) Geschichtswissenschaft und Geschichtsbewußtsein, S. 1051. 54 Friederici (1968) Geschichtswissenschaft und Geschichtsbewußtsein, S. 199. 55 Mehlhorn / Mehlhorn / Wermes (1968) Geschichtswissenschaft und Geschichtsbewußtsein, S. 365. 56 Schliwa (1969) Begriff der Ideologie, S. 142. 63

142

5.0 Ideologiegeschichte

Geschichtsbewußtsein die Aufgabe zu, „die geschichtsbildende Kraft der Volksmassen zu verdeutlichen und appellierend, willens- und motivbildend, mobilisierend, entscheidungs- und verhaltensregulierend sowie sozialintegrierend auf jeden einzelnen und die ganze Gesellschaft zu w i r k e n " 5 7 . Ideologisch wirksam werden nach marxistisch-leninistischer Überzeugung alle diese Aspekte und Funktionen des sozialistischen Geschichtsbewußtseins erst vermittels eines bestimmten Geschichtsbildes, eines sogenannten ,Leitbildes'. Ausgehend von der Annahme, daß alle bisherige Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen sei und der dadurch bedingte gesellschaftliche Fortschritt sich über die verschiedenen Gesellschaftsformationen hinweg mit gesetzmäßiger Sicherheit vollziehe, erachten die Marxisten-Leninisten als wesentliche Elemente eines derartigen Leitbildes, daß 1. die DDR aufgrund der Übereinstimmung m i t den objektiven Gesetzmäßigkeiten die Krönung allen bisherigen gesellschaftlichen Fortschritts i n der deutschen Geschichte ist, 2. die Sowjetunion i n der Epoche des weltweiten Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus gleichsam den Schrittmacher des gesellschaftlichen Fortschritts darstellt und daß deshalb das Bündnis mit ihr und allen anderen sozialistischen Ländern historisch notwendig ist, 3. der weltweite Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus unausbleiblich ist und zur Beschleunigung des Untergangs der kapitalistischen Gesellschaftsordnung der Kampf gegen diese energisch geführt werden muß 5 8 . Mag dieses auch gar nicht so neu klingen, so sind doch die ,Lernziele' global genug formuliert, u m unterschiedliche Akzentuierungen zuzulassen. So fällt beispielsweise seit dem letzten Drittel der 1960er Jahre das Herausstreichen des internationalistischen Grundzuges des geschichtlichen Leitbildes auf. I n engem Zusammenhang damit ist auch die jetzt immer deutlicher gestellte Forderung nach einer universalgeschichtlichen Perspektive der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft zu sehen. Denn i n der „objektiven historischen Realität existieren weder die Nationalstaaten isoliert voneinander, noch endet an ihren Grenzen die Weltgeschichte. Deshalb zwingt die marxistischleninistische Erkenntnis von der gesetzmäßigen Folge der sozialökonomischen Formation und deren Systemcharakter dazu, stärker als bisher 67 Döhring / Kunze / Siebelt (1968) Geschichtswissenschaft und Geschichtsbewußtsein, S. 1054. 58 Vgl. hierzu etwa Streisand (1969) Geschichtsbild und Geschichtsbewußtsein, S. 46/47, Diehl (1969) Probleme und Aufgaben, S. 1397 ff. oder auch Reuter (1973) Geschichtsbewußtsein in der DDR, S. 56.

tiationsfunktion der Geschichtswissenschaft

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die Vernachlässigung des weltgeschichtlichen Aspekts i n Forschung und Lehre zu überwinden" 5 9 . Begründet w i r d diese als notwendig erachtete Weitung des Blickes der Historiker mit dem zunehmenden globalen Charakter der Auseinandersetzungen zwischen Sozialismus und Imperialismus. Konsequenz: „Die Treue zum proletarischen Internationalismus und die welthistorische Betrachtungsweise bilden somit die Voraussetzung für jedes historische Handeln, das i m Einklang m i t den Gesetzmäßigkeiten unserer Epoche steht 6 0 ." Die vielbeschworene und befürchtete „ideologische Diversion", sei es als Folge von Reformansätzen innerhalb des Kommunismus, etwa i n der CSSR 1968, sei es als Folge neuer vertraglich geregelter Beziehungen zwischen Ost und West, sei es als Folge der wissenschaftlich-technischen Revolution ließ die Stärkung des Zusammenhalts der sozialistischen Staaten untereinander als dringend geboten erscheinen. Einheit von sozialistischem Patriotismus und proletarischem Internationalismus — das war die Formel, die erneut einen hohen Aktualitätsgrad erreichte. Schon Lenin, so erinnert man sich, „bekämpfte schonungslos alle Bestrebungen, Gegensätze zwischen den nationalen Interessen und den Interessen der weltweiten internationalen Befreiungsbewegung des Proletariats zu konstruieren. Von der Position des proletarischen Internationalismus aus, der die grundlegenden, übergreifenden und übergeordneten Interessen alle nationalen Abteilungen des internationalen Proletariats zum Ausdruck bringt, sah er i n jeder Berufung auf die nationale Exklusivität einen Verstoß gegen die Interessen der Arbeiterklasse des eigenen Landes" 6 1 . So wie das Allgemeine das Besondere durchdringt und umgekehrt das Besondere stets auch ein Teil des Allgemeinen ist, begreift sich die DDR denn auch zusehends weniger als Teilstaat einer einheitlichen deutschen Nation, denn als Teil des sozialistischen Weltsystems, als sozialistische Nation. Entsprechend gilt für die Auseinandersetzungen zwischen der BRD und der DDR, daß sie nicht mehr als nationaler Klassenkampf, sondern als immanenter Bestandteil der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu verstehen sind. Die „deutsche Frage" ist — wie weiter oben bereits ausgeführt wurde — ein ausgesprochen soziales und nicht mehr nationales Problem. Folglich geht die Geschichtswissenschaft i n ihrer gesamten Arbeit davon aus, „daß das u m die Sowjetunion zusammengeschlossene sozialistische Weltsystem sich als gesetzmäßiges Ergebnis des gesamten 59 60 01

Doernberg (1969) Proletarischer Internationalismus, S. 89. Doernberg (1969) Proletarischer Internationalismus, S. 91. Weissei (1970) Lenin und die Geschichtswissenschaft, S. 17.

144

5.0 Ideologiegeschichte

Verlaufs der Weltgeschichte herausgebildet hat und die DDR der rechtmäßige Erbe aller revolutionären, fortschrittlichen und humanistischen Traditionen der deutschen Geschichte und vor allem der deutschen A r beiterbewegung ist" 6 2 . Hätte es früher geheißen, die Geschichtswissenschaft weist die historische Rechtmäßigkeit der DDR nach, so geht sie inzwischen davon aus. Legitimationsprobleme des politischen Systems bestimmen m i t anderen Worten nicht mehr i n erster Linie die politischsoziale Funktion der Geschichtswissenschaft i n der DDR, sondern die Folgeprobleme der wissenschaftlich-technischen Revolution und des weiteren Ausbaus der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Reuter hat diesen Funktionswandel der Geschichtswissenschaft i n der DDR treffend umschrieben: „ I n der Zeit, als die SED ihre Herrschaft etablierte und die Gesellschaft primär unter den Aspekten der Machtsicherung gestaltete, dominierte die Legitimationsfunktion: Sicherung und Begründung der Dogmen, historische Ableitung und Rechtfertigung der Herrschaft. . . . Jetzt w i r d die bewußtseinsbildende bzw. — i n der Sprache mitteldeutscher Historiker — ideologiebildende Funktion besonders angesprochen; sie gilt als produktive Funktion, da über das Denken und Handeln der Menschen wirtschaftliche Leistungen stimuliert werden sollen 63 ." Denn — so läßt sich i n den Worten eines DDR-Historikers noch anfügen — der „ W i l l e zur Leistungssteigerung, zum Einsatz aller physischen, geistigen und moralischen Kräfte ist nicht zu erreichen ohne ein höheres politisches Verantwortungsbewußtsein der sozialistischen Persönlichkeit" 6 4 . Damit sind w i r am Ende unserer Überlegungen angelangt. A b schließend sollen nun noch einmal die wichtigsten Gedankengänge und Ergebnisse der theoriegeschichtlichen Untersuchung des Problemkomplexes ,frühbürgerliche Revolution' gleichsam i m Spektrum der Erkenntnisse aufgrund der ideologiegeschichtlichen Analyse der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung i n der DDR zusammenfassend dargestellt werden.

62 63 64

Zentraler Forschungsplan (1972), S. 180. Reuter (1973) Geschichtsbewußtsein in der DDR, S. 12. Schmidt (1969) Aufgaben der Geschichtswissenschaft, S. 55.

6 Zusammenfassung und Ergebnisse Absicht der vorliegenden Untersuchung war es, Reformation und Bauernkrieg bzw. die frühbürgerliche Revolution i n Deutschland als Problem der marxistisch-leninistischen Geschichtsmethodologie darzustellen. Unter Methodologie wurde die Theorie von den Methoden zur Erkenntnis und Veränderung der Wirklichkeit verstanden. Marxistischleninistische Methodologie läßt sich demnach nicht auf methodische, möglicherweise fachspezifische Verfahren reduzieren, sondern gilt als ein System von Methoden, das grundsätzlich auf alle Wissenschaften anzuwenden ist und das als Theorie der Methoden nicht nur deren Anwendung i n den Wissenschaften reflektiert, sondern auch den Nutzwert beispielsweise historischer Forschungen i m Hinblick auf praxisverändernden gesellschaftlichen Fortschritt kontrolliert. Als grundlegende Kategorie der marxistisch-leninistischen Methodologie gilt daher das Prinzip der Parteilichkeit, der Parteinahme für den objektiven gesellschaftlichen Fortschritt, wie er sich i n der Sicht der kommunistischen Parteien, der SED etwa, darstellt. Parteilichkeit gehört somit „zu den zielorientierenden Prinzipien der Wissenschaft und des gesellschaftlichen Handelns" 1 . Dementsprechend w i r d jede Analyse eines marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes sowohl dessen wissenschaftliche wie gesellschaftliche Dimension zu berücksichtigen haben. Für die Analyse des Reformationsbildes ergab sich daraus die methodische Konsequenz, i n einem ersten Teil (Theoriegeschichte) die Diskussion u m die frühbürgerliche Revolution unter der Perspektive darzustellen, welche Möglichkeiten und Probleme sich aufgrund der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie i m Hinblick auf die Interpretation von Reformation und Bauernkrieg als einer frühbürgerlichen Revolution ergeben und welche forschungsgeschichtlichen Entwicklungen sich beobachten lassen; i n einem zweiten Teil (Ideologiegeschichte) ging es dann darum, die politisch-gesellschaftliche Entwicklung der DDR und die entsprechende Entwicklung und Veränderung der politisch-sozialen Funktion der Geschichtswissenschaft vor dem Hintergrund des beobachteten Wandels des Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg sowie zum Zwecke seiner Erläuterung zu analysieren. 1

Brendler (1972) Prinzip Parteilichkeit, S. 281.

10 Foschepoth

146

6.0 Zusammenfassung und Ergebnisse

Die i n der marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie angegebenen objektiven und subjektiven Bedingungen für eine Revolution bereiten der Interpretation von Reformation und Bauernkrieg als Teilerscheinungen eines einheitlichen revolutionären Prozesses erhebliche Schwierigkeiten. Denn weder die objektiven Voraussetzungen, wie eine auf Ablösung des Feudalismus drängende kapitalistische Entwicklung, noch die subjektiven Bedingungen für eine Revolution, wie ein die Massen anführendes und organisierendes, von dem Willen zur Umgestaltung der politischen Verhältnisse getragenes revolutionäres Subjekt, als welches nur das Bürgertum i n Frage kommen konnte, waren i m Deutschland des 16. Jahrhunderts gegeben. Der Verlauf der Theoriediskussion unter den Historikern der DDR hat nun gezeigt, daß zwei recht unterschiedliche Konzeptionen zur Lösung dieses Problems entwickelt und vertreten worden sind, die auf eine generelle Wandlung der marxistisch-leninistischen Geschichtsmethodologie schließen lassen. Die erste, insbesondere von Steinmetz vertretene und bis u m die Mitte der 1960er Jahre weithin akzeptierte Konzeption habe ich die national-materialistische Betrachtungsweise genannt und die sich von dieser i n der nachfolgenden Zeit deutlich abhebende Konzeption die welthistorisch-dialektische Betrachtungsweise. Als i m Jahre 1960 die Debatte u m die historische Einschätzung von Reformation und Bauernkrieg i n der DDR intensiviert wurde, lief die „ideologische Offensive" der SED i n Sachen Propagierung der nationalen Grundkonzeption der deutschen Arbeiterklasse auf vollen Touren. Der „Alleinvertretungsanmaßung der Bonner Ultras" wurde seitens der SED der Anspruch entgegengesetzt, die DDR sei der einzig legitime deutsche Staat. Begründet wurde dies damit, daß mit dem Wiedererstarken von Imperialismus und Militarismus die deutsche Bourgeoisie jeden Anspruch auf Führung der deutschen Nation endgültig verspielt habe. Dagegen hätten die klassenbewußten deutschen Arbeiter, die inzwischen i n der SED ihre organisatorische Vorhut und i n der DDR ihre staatliche Basis gefunden hätten, „ i n allen großen geschichtlichen Prüfungen, i n denen die deutsche Bourgeoisie ihre Untauglichkeit zur Führung der Nation erwies, eine Politik vertreten, die nicht nur den Interessen der Arbeiter, sondern denen des ganzen Volkes diente" 2 . Aufgabe der Geschichtswissenschaft war es, die Rechtmäßigkeit des deutschen Teilstaates DDR historisch nachzuweisen. So zeichnete man die Vergangenheit der deutschen Bourgeoisie i n schwärzesten Farben, lastete ihr die Schuld am NS-Faschismus ebenso an wie das Scheitern der 1848/49er Revolution. Wo immer die Bourgeoisie sich hätte bewäh2

Nationales Dokument (1962), in: Heisenberg / Sühlo / Bröll (3/1971), S. 227.

6.0 Zusammenfassung und Ergebnisse

ren müssen, hatte sie versagt und die nationalen und sozialen Interessen des deutschen Volkes verraten. Nicht anders war es i m 16. Jahrhundert, als die Bürger, anstatt sich m i t den Volksmassen zu verbünden, u m egoistischer Klasseninteressen willen gemeinsame Sache m i t den Fürsten machten. So sind es auch damals schon die Volksmassen gewesen, die — wie es hieß — das Banner der deutschen Einheit aufgepflanzt hatten und gegen die Bastionen des Feudalismus angerannt waren. Obgleich ihnen angesichts der Schwäche und der Feigheit des eigentlichen revolutionären Subjekts, des Bürgertums, ein Erfolg versagt bleiben mußte, hatten die Bauern und Plebejer jedenfalls die Zeichen der Zeit erkannt und die Lösung der objektiven Aufgaben der frühbürgerlichen Revolution, die Lösung der nationalen und sozialen Frage i n Angriff genommen. Lösimg der nationalen und sozialen Aufgabe war also die Formel, die nicht nur für das 20., sondern auch für das 16. Jahrhundert Gültigkeit besaß. Wenn auch i n beiden Fällen inhaltlich etwas anderes ausgesagt werden sollte, eignete sich der leerformelhafte Gleichklang jedoch vorzüglich für flache Analogien. So — wenn man beispielsweise Müntzer nachsagt, er habe i n geradezu genialer Weise die nationale Grundkonzeption der deutschen Arbeiterklasse antizipiert. Herstellung der nationalen Einheit und Abschaffung der Ausbeutung war also schon immer, zumindest i n den letzten 450 Jahren das Ziel der deutschen Volksmassen. Dagegen hat das deutsche Bürgertum m i t seiner antinationalen, reaktionären, feigen und verräterischen Haltung die Herstellung der deutschen Einheit auf der Grundlage einer gerechten, ausbeutungsfreien Ordnung immer wieder verhindert. M i t der Erringung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse hat sich i n Deutschland eine entscheidende Wende vollzogen. Wovon die Volksmassen jahrhundertelang nur träumen konnten, das ist mit der Gründung der DDR Wirklichkeit geworden. Hier herrscht das Volk endlich über sich selbst, während i n Westdeutschland die Volksmassen nach wie vor von einer Minderheit von Ausbeutern, Militaristen und Imperialisten beherrscht und geknechtet werden. Angesichts derartiger Alternativen konnte es nach SED-Logik nur i m nationalen und sozialen Interesse des ganzen deutschen Volkes liegen, die DDR umfassend zu festigen und zu stärken. Der Beitrag der Historiker zur Stabilisierung des bis i n die 1960er Jahre hinein labilen politischen Systems bestand also darin, die SED-Herrschaft historisch zu legitimieren. Kennzeichnend für die während dieser Zeit überall anzutreffenden Anti-Haltungen ist offensichtlich auch die methodische Dominanz des Materialismus, die Überbetonung der ökonomischen Determiniertheit gesellschaftlicher Entwicklungen i n der marxistisch-leninistischen Gelo*

148

6.0 Zusammenfassung und Ergebnisse

schichtswissenschaft. Ging es doch darum, durch die deutliche Betonung der Materialität der Geschichtsprozesse sich gegenüber bürgerlichidealistischen Geschichtsauffassungen — auch innerhalb der eigenen Reihen — als eigenständige marxistisch-leninistische Richtung der Geschichtswissenschaft zu profilieren. Die Folge davon war, daß die Kategorien der marxistisch-leninistischen Geschichtstheorie — u m die Formulierung eines DDR-Historikers aufzugreifen — vielfach am jeweiligen Untersuchungsgegenstand „aufgeklebt oder angehängt" 3 w u r den. So — wenn es beispielsweise über die Ursache der frühbürgerlichen Revolution lapidar hieß, daß die überkommenen Produktionsverhältnisse längst aus Entwicklungsformen zu Fesseln der Produktivkräfte geworden seien. Kritisiert wurden später an der national-materialistischen Betrachtungsweise der frühbürgerlichen Revolution die Überschätzung des kapitalistischen Entwicklungsniveaus, die Überbewertung nationalstaatlicher Einigungsbestrebungen und die Vernachlässigung des religiös-kirchlichen Aspektes. Die Negation der charakteristischen Merkmale der national-materialistischen Geschichtskonzeption macht deutlich, daß die welthistorisch-dialektische Betrachtungsweise, wie sie sich seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre herausgebildet hat, eine monistische und ausschließlich national-geschichtlich orientierte Denkweise überwinden w i l l . Geschehen ist dies durch eine stärkere Betonung der materialistischen Dialektik, die den ökonomischen Determinismus der früheren Jahre ablöste, stattdessen die dialektische Wechselbeziehung zwischen Basis und Überbau hervorhob und damit politischen oder religiösen Ideen bzw. Ideologien eine größere „geschichtswirksame" Bedeutung beimaß. Außerdem wurde jetzt darauf hingewiesen, daß sich die Gesetzmäßigkeiten der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung nicht i m nationalgeschichtlichen, sondern ausschließlich i m welthistorischen Maßstab erkennen lassen. Denn entsprechend der Dialektik des Ganzen und des Teils übernehmen beispielsweise bestimmte Revolutionen, zu bestimmten Zeiten und i n bestimmten Ländern die Aufgabe, den welthistorischen Fortschritt voranzubringen, auf dem dann andere Revolutionen, i n anderen Ländern und zu anderen Zeiten aufbauen können. M i t der Verbürgerlichung der feudalen Ideologie leistete i m 16. Jahrhundert die frühbürgerliche bzw. erste bürgerliche Revolution einen derartigen Beitrag zum welthistorischen Fortschritt, während es der englischen und französischen Revolution der nachfolgenden Jahrhunderte überlassen blieb, den Feudalismus auch i n politischer und sozialer Hinsicht zu beseitigen. 8

Diehl (1969) Probleme und Aufgaben, S. 1396.

6.0 Zusammenfassung und Ergebnisse

Die Frage nach den Ursachen des gewandelten Geschichtsbildes habe ich durch die Darstellung der allgemeinen Entwicklung, welche die Geschichtswissenschaft in der DDR unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution genommen hat, zu beantworten versucht. Kennzeichen dieser Entwicklung war der sich seit dem V I . Parteitag von 1963 auch auf die Historiker verstärkende Druck zu qualitat i v besseren Leistungen i n ihrer Wissenschaft. Die Geschichtswissenschaft hatte ihren gesellschaftlichen Nutzeffekt — zumal von der Philosophie hier und da in Frage gestellt — unter Beweis zu stellen. War es zu Zeiten nicht gesicherter politischer Stabilität des DDRStaates erste Pflicht der marxistisch-leninistischen Historiker gewesen, die politische Herrschaft der SED zu legitimieren, so erwuchs ihnen i m Laufe der 1960er Jahre m i t der zunehmenden Einsicht, daß sich ohne die Steigerung des Leistungswillens und der Leistungsfähigkeit der sozialistischen Persönlichkeit der umfassende Aufbau des Sozialismus nicht verwirklichen lasse, eine neue, die Produktivkraft Mensch motivierende, bewußtseins- oder ideologiebildende Aufgabe zu. Wollte die Geschichtswissenschaft einen effektiven Beitrag zur sozialistischen Bewußtseinsbildung leisten, so hatte sie sich grundlegenden Fragen und Problemen der marxistisch-leninistischen Geschichtstheorie und -methodologie zuzuwenden. Denn nicht irgendwelche i n die Tiefe gehenden Spezialuntersuchungen, sondern die Konzentration auf das Wesentliche waren geeignet, den Werktätigen einen geschlossenen, überschaubaren und damit gesellschaftlich wirksamen »Entwurf von Welt' zu liefern. Gleichsam zu den Säulen eines solchen Geschichtsbildes zählt die Überzeugung, daß die DDR die Krönung alles dessen ist, was es bislang an Progressivem, Humanistischem und Schönem i n der deutschen Geschichte gegeben hat, daß das enge Bündnis m i t der UdSSR und allen übrigen sozialistischen Staaten historisch notwendig ist und daß der weltweite Sieg des Sozialismus mit gesetzmäßiger Sicherheit eintreten wird. Die Gesetzmäßigkeit des weltweiten Fortschritts, die Annahme, daß es permanent aufwärts geht und daß die DDR m i t ihren sozialistischen Bruderländern weit vorne auf der Woge des Fortschritts schwimmt, plausibel zu machen, ist die neue Aufgabe der Historiker. Die Treue zum proletarischen Internationalismus und die welthistorische Betrachtungsweise sind die methodologische Konsequenz. Als sich entwickelnde sozialistische Nation ist die DDR Teil des sozialistischen Weltsystems und nicht mehr Teilstaat innerhalb der deutschen Nation. Überhaupt sind die nationalen, bisweilen nationalistischen Töne der 1950er und frühen 60er Jahre verstummt, seitdem die DDR zu ihrer politischen Legitimation die gesamtdeutsche Option nicht mehr benötigt. Jetzt

150

6.0 Zusammenfassung und Ergebnisse

gilt es, i n Übereinstimmung mit den Gesetzmäßigkeiten der gegenwärtigen Epoche die sozialistische Gesellschaftsordnung durch weiteren ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritt zu stärken. Und so ist Müntzer auch nicht mehr der ,glühende deutsche Patriot' oder ,nationale Heros' von einst, sondern schlicht Symbol des „immerwährenden gesellschaftlichen Fortschritts" (Bensing). Faßt man nun die Folgen, die sich aus dem beobachteten methodologischen Wandel inhaltlich für das marxistisch-leninistische Geschichtsbild von Reformation und Bauernkrieg ergeben, stichwortartig noch einmal zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: 1. national-materialistische Betrachtungsweise: Ursache der frühbürgerlichen Revolution i n Deutschland waren Widersprüche zwischen Feudalismus und Kapitalismus, die sich i m 16. Jahrhundert zur revolutionären Krise verdichtet hatten. Haupthindernis für die weitere kapitalistische Entwicklung war die territoriale Zersplitterung Deutschlands. Die Schaffung eines zentralisierten Nationalstaates und die Beseitigung der Feudalverfassung waren die nationale und soziale Aufgabe der bürgerlich-antifeudalen Revolution. Träger der Revolution waren indes nicht die Bürger, sondern wie zu allen Zeiten die Volksmassen, die Bauern und Plebejer. Folglich wurde erst i m Bauernkrieg der eigentlich antifeudale Sinn der frühbürgerlichen Revolution realisiert. Die herausragende revolutionäre Gestalt war Thomas Müntzer, der i m Grunde die nationale und soziale Politik der SED antizipierte, was ihn allerdings i m 16. Jahrhundert scheitern lassen mußte. Luther war dagegen erfolgreich. Trotz seiner Bedeutung für die k u l t u relle Entwicklung der deutschen Nation wurden indes Feigheit und Verrat seine Merkmale — eine Haltung, welche auch die Bourgeoisie des 20. Jahrhunderts noch auszeichnet. Die frühbürgerliche Revolution ist gescheitert — am Bürgertum, an der Reformation bzw. an der Theologie. 2. welthistorisch-dialektische

Betrachtungsweise:

Reformation

und

Bauernkrieg stehen am Beginn einer 300 Jahre dauernden Übergangsepoche vom Feudalismus zum Kapitalismus. Als Ursache kommen i n erster Linie die Widersprüche der feudalen Produktionsweise i n Frage, die indes von Widersprüchen eines allerdings noch rudimentären Kapitalismus überlagert wurden. Da der Feudalismus i m welthistorischen Maßstab erst mit der Französischen Revolution endgültig beseitigt wurde, konnte es unmöglich schon Aufgabe der frühbürgerlichen Revolution sein, diese Tat zu vollbringen. Vielmehr ging es i m 16. Jahrhundert darum, das feudalistische Bewußtsein zu revolutionieren und zu verbürgerlichen. Erfolgreich durchgeführt wurde diese Aufgabe vom Bürgertum, das damit als das revolutionäre Subjekt der frühbürger-

6.0 Zusammenfassung und Ergebnisse

liehen Revolution anzusehen ist. Die Volksmassen schließlich vertieften mit ihrem Kampf den von der Reformation eingeleiteten Fortschritt. So gehören Luther und Müntzer — mögen sie sich auch noch so befehdet haben — historisch zusammen. Stellt man neben dem methodologischen Wandel des Geschichtsbildes von Reformation und Bauernkrieg sowie des marxistisch-leninistischen Geschichtsverständnisses überhaupt i n Rechnung, daß sich auch i n der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik während der vergangenen zehn Jahre bedeutsame geschichtsmethodologische Veränderungen und Differenzierungen ergeben haben, so läßt sich der Unterschied zwischen marxistisch-leninistischer und nichtmarxistischer Geschichtswissenschaft wohl kaum noch m i t einer idealistischen Geschichtsauffassung hier und einer materialistischen Geschichtsauffassung dort adäquat erfassen. Die alternierende Frage etwa, ob ausschließlich die Basis oder nur der Überbau die Geschichte bewege, w i r d mehr und mehr zugunsten einer dialektischen und sozialhistorischen Betrachtungsweise entschieden. Wichtiger für die Auseinandersetzung zwischen der Geschichtswissenschaft der DDR und der Bundesrepublik scheint m i r indes die Frage zu sein, ob Geschichte als ein mit innerer Gesetzmäßigkeit auf permanenten gesellschaftlichen Fortschritt drängender Prozeß anzusehen ist oder nicht. Die marxistisch-leninistischen Historiker bejahen diese Frage. Das hat zur Folge, daß der jeweilige Stand der gesellschaftlichen Entwicklung i n der DDR stets als Krönung aller bisherigen Geschichte angesehen wird. Von der Warte des Höhepunktes aller bisherigen Geschichte w i r d Vergangenheit allerdings nicht mehr zum kritischen Potential und Korrektiv für die Gegenwart, sondern lediglich zur Vorgeschichte dieser Gegenwart. Historische Erinnerung verliert so den Charakter einer kritisch-befreienden Erinnerung und w i r d stattdessen zum stabilisierenden politisch-ideologischen Faktor. „ W i r verwirklichen die Ideen von Thomas Müntzer" — war denn auch 450 Jahre nach dem Ende des deutschen Bauernkrieges eine häufig zu lesende Parole i n der DDR. Nicht gefragt wurde dagegen: Wo, wann, warum v e r w i r k lichen w i r welche Ideen von Thomas Müntzer nicht?

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Beiträge zur Geschichte der (bis 1968: deutschen) Arbeiterbewegung

DZfPh

Deutsche Zeitschrift für Philosophie

GuS

Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde

SW/GB

Sowjet Wissenschaft, träge

WZ

Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität (es folgt die Angabe des jeweiligen Ortes), Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe

ZfG

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

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