Diktatur und Revolution: Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des 'Dritten Reiches' und der DDR [Reprint 2016 ed.] 9783110506709, 9783828202894

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Diktatur und Revolution: Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des 'Dritten Reiches' und der DDR [Reprint 2016 ed.]
 9783110506709, 9783828202894

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1. Einleitung
2. Referenzpunkte der Geschichtsschreibung zur Reformationszeit. 1517-1918
3. Suche nach historischer Orientierung. 1918-1933
4. Revolution für Volk und Reich. 1933-1945
5. Marxistische Rückeroberung. 1945-1949
6. Parteilichkeit für die Revolution. 1949-1989
7. Günther Franz und Max Steinmetz: Als politische Historiker im 20. Jahrhundert
8. Schlussfazit
Chronologie zu Reformation und Bauernkrieg
Abkürzungen
Literatur und gedruckte Quellen
Personenregister
Nachwort

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Laurenz Müller Diktatur und Revolution

Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte Herausgegeben von Peter Blickle, David Sabean und Clemens Zimmermann Band 50

Diktatur und Revolution Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des ,Dritten Reiches' und der D D R

Laurenz Müller

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Lucius & Lucius Stuttgart

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abruibar. ISBN 3-8282-0289-6 © Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH · 2004 Gerokstraße 51 · D-70184 Stuttgart Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung undVerarbeitung in elektronischen Systemen. Korrektorat: Regula Walser, Zürich Satz: Sibylle Egger, Stuttgart Druck und Bindung: Thomas Müntzer, Bad Langensalza

Vorwort Die vorliegende Dissertation ist nicht nur Resultat eigener Arbeit, sondern auch von Anregungen, Kritik, Ermunterung und Hilfestellungen einer Vielzahl von Personen und Institutionen. Ihnen allen möchte ich herzlich für die Unterstützung danken - zuallererst Prof. Dr. Peter Blickle, der die Studie nicht nur angeregt, sondern während den letzten Jahren auch betreut hat. Dank geht auch an Prof. Dr. Marina Cattaruzza, die sich bereit erklärt hat, das Korreferat zu übernehmen. Prof. Dr. Blickle veranstaltete im Sommersemester 1998 an der Universität Bern ein Kolloquium zum Thema ,Marxismus, Reformation und Staatsideologie. Uber den Umgang mit Geschichte in der Deutschen Demokratischen R e publik'. In Folge dieser ersten Auseinandersetzung mit dem Thema entstand im Jahr darauf meine Lizentiatsarbeit Parteilichkeit für die Revolution. Reformation und Bauernkrieg im Blickwinkel der DDR-Geschichtswissenschaft: Die Frühbürgerliche Revolution'. Die Resultate dieser Arbeit flössen auch in die vorliegende Studie ein. Ein ,Stipendium für angehende Forscher' des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ermöglichte mir, meine Untersuchung ein Jahr lang in Berlin und Potsdam zu vertiefen. Prof. Dr. Konrad Jarausch und Prof. Dr. Christoph Kleßmann luden mich ein, während dieser Zeit als Gastdoktorand am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) zu arbeiten. Insbesondere die Diskussionen in der von PD Dr. Martin Sabrow geleiteten Arbeitsgruppe (Christopher Görlich, Dr. Christoph Classen, Dr. Klaus Große Kracht, PD Dr. Mario Keßler, PD Dr. Árpád von Klimó, Dr. Pavel Kolar, Dr. Susanne Schattenberg, KrijnThijs und Albrecht Wiesener) eröffneten mir manche neue Perspektive auf meinen Forschungsgegenstand. Unterstützung erfuhr ich auch in den von mir besuchten Archiven, ganz besonders im Universitätsarchiv Hohenheim. Dr. Ulrich Fellmeth ließ mich dort viele Stunden außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten die umfangreichen Quellenbestände sichten. Prof. Dr. Wolfgang Behringer, Prof. Dr. Thomas A. Brady, Prof. Dr. Siegfried Bräuer, Prof. Dr. Stig Förster, Prof. Dr. Berndt Hamm, Prof. Dr. Walther Hofer, Dr. Joachim Lerchenmueller, Dr. Klaus-Dieter Rack, Prof. Dr. Klaus Schwabe und Dr. Friedrich Winterhager halfen mir mit wichtigen Hinweisen weiter oder stellten mir Arbeitsmaterialien zur Verfügung. Mit der kritischen Durchsicht einzelner Kapitel oder der ganzen Arbeit trugen Dr. Philipp Dubach, Stefan Frech, Nicole Gysin,Tobias Kaiser, KrijnThijs und Nicole Ziegler dazu bei, die Untersuchung in die jetzt vorliegende Form zu bringen.

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Möglich wurde diese Studie erst durch die Unterstützung von Prof. Dr. Adolf Laube, Prof. Dr. Günter Vogler und Otto Steinmetz. Sie stellten mir eigene Dokumente aus dem Untersuchungsraum zur Verfugung und gaben in mündlichen Gesprächen wichtige Hinweise. Bei Prof. Dr. Eckhart G. Franz und Maria Steinmetz möchte ich mich ganz besonders für ihre Bereitschaft, mir Einblick in die Nachlässe von Prof. Dr. Günther Franz und Prof. Dr. Max Steinmetz zu gewähren, bedanken.

Zürich, im Juli 2003

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Laurenz Müller

Inhalt 1 Einleitung 2 Referenzpunkte der Geschichtsschreibung zur Reformationszeit. 1517-1918 2.1 Im Widerstreit der Konfessionen 2.2 Im Ringen um eine Neuordnung des Reiches 2.2.1 Erste moderne Darstellungen des Bauernkrieges 2.2.2 Friedrich Engels und ,Der deutsche Bauernkrieg' 2.2.3 Leopold von Rankes ,Deutsche Geschichte' 2.3 Grundpositionen am Ende des 19. Jahrhunderts 2.3.1 Die Rezeption des römischen Rechts und Lamprechts .Deutsche Geschichte' 2.3.2 ,Von Luther zu Bismarck': Im Zeichen des Kaiserreichs 2.4 Zwischenfazit

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3 Suche nach historischer Orientierung. 1918—1933 3.1 Gemeinschaft und Gesellschaft in neuer Perspektive 3.2 Die Reformation als historische Orientierungshilfe 3.2.1 Gegenpol zum westlichen Staatsverständnis 3.2.2 Martin Luther als deutscher Heros 3.3 Wiedererwachtes Interesse am Bauernkrieg 3.3.1 Der Bauernkrieg als Religionskrieg 3.3.2 Neue Ansätze in der Bauernkriegsforschung 3.4 Zwischenfazit 4 Revolution für Volk und Reich. 1933-1945 4.1 Kontinuität und Umbruch in der Geschichtswissenschaft 4.2 Günther Franz und ,Der deutsche Bauernkrieg' 4.2.1 Die Revolution von 1525 als Volksbewegung 4.2.2 Reaktionen aus dem akademischen Umfeld 4.3 Der Bauernkrieg im Zeichen von ,Bhit und Boden' 4.3.1 Das Reichserbhofgesetz und der Bauernkrieg 4.3.2 Reaktionen aus der Geschichtswissenschaft 4.3.3 Institutionalisierung der historischen Bauernforschung . . . . 4.3.4 Bauerngeschichte beim Forschungsdienst 4.3.5 Vorzeitige Erosion der NS-Bauernkriegsforschung 4.4 Der Bauernkrieg in der akademisch-universitären Diskussion . . . 4.4.1 Günther Franz als akademischer Bauernforscher 4.4.2 Alternative Interpretationen 4.5 Versuche der Re-Politisierung: Die Reformation in neuem Licht 4.5.1 Das Lutheijahr 1933 4.5.2 Luther als germanischer Revolutionär 4.6 Die Reformation in der akademischen Diskussion 4.6.1 Die Reformation als Volksrevolution

42 46 49 51 51 54 54 56 60 61 64 71 73 73 79 79 87 93 94 97 103 108 113 117 118 123 131 132 137 140 141 VII

4.6.2 Der Historikerkongress 1938 in Zürich 4.6.3 Gerhard Ritter auf dem Weg zu einem neuen Lutherbild 4.7 Reformation und Bauernkrieg in den Kriegsjahren 4.8 Zwischenfazit 5 Marxistische Rückeroberung. 1945-1949 5.1 Geschichtsschreibung im Dienste der Besatzungsmacht 5.2 Moisej Smirin und ,Die Volksrevolution des Thomas Münzer'

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6 Parteilichkeit für die Revolution. 1949-1989 6.1 Der Anfang der ostdeutschen Forschung zur Reformationszeit . . 6.1.1 Rückkehr zum nationalen Geschichtsbild 6.1.2 Diktat zur Homogenisierung 6.1.3 Zunehmende Konkurrenz für Alfred Meusel 6.1.4 Neubeginn in Jena 6.2 Die sowjetische Diskussion 6.3 Die Frühbürgerliche Revolution als nationale Bewegung 6.3.1 Die Konferenz von Wernigerode und die Folgen 6.3.2 Die Institutionalisierung der Forschung zur Frühbürgerlichen Revolution 6.3.3 ,Weltwirkung der Reformation' das Reformationsjubiläum von 1967 6.4 Die Revolution wird europäisch 6.4.1 Neue Berliner Führungsrolle:Vorarbeiten für die ,Illustrierte Geschichte' 6.4.2 Das Jubiläum von 1975 6.4.3 Gespräche durch den Eisernen Vorhang 6.5 Die Frühbürgerliche Revolution im Zeichen von ,Erbe und Tradition' 6.5.1 Aufstieg eines neuen Paradigmas 6.5.2 Vorbereitungen für den 500. Geburtstag Martin Luthers . . . 6.5.3 Luther als Legitimations- und Integrationsfigur 6.5.4 Das neue Lutherbild im Spiegel wissenschaftlicher Publikationen 6.6 Die Erosion der Frühbürgerlichen Revolution 6.7 Zwischenfazit

145 151 157 161 167 169 174 182 182 182 188 192 195 204 208 210 217 224 235 236 244 250 256 257 260 265 269 276 282

7 Günther Franz und Max Steinmetz: Als politische Historiker i m 20. Jahrhundert

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8 Schlussfazit

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Chronologie zu Reformation und Bauernkrieg Abkürzungen Archivalien Literatur und gedruckte Quellen Personenregister Nachwort

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„Man fingiert Geschichte von einer politischen Realität aus, die sie wahr macht, man fingiert eine Politik, die noch nicht existiert, von einer historischen Wahrheit aus. " Michel Foucault

„Der Kommunist nährt seinen Glauben durch den Antifaschismus, der Faschist durch den Antikommunismus. Und beide bekämpfen sie andererseits denselben Feind: die bürgerliche Demokratie. Der Kommunist betrachtet diese als den Nährboden des Faschismus, der Faschist als das Vorzimmer des Bolschewismus; aber der eine wie der andere kämpft darum, sie zu zerstören. " François Furet

1 Einleitung „Heute, am Ende der ersten siegreichen Revolution, hat der Bauer im D r i t t e n R e i c h endlich die Stellung im Leben der N a t i o n gewonnen, die er schon 1525 erstrebte", schrieb G ü n t h e r Franz im Herbst 1933 über den deutschen B a u e r n k r i e g v o m 16. J a h r h u n d e r t . G u t 40 Jahre später hielt G ü n t e r Vogler fest, dass „die politischen, kulturellen u n d militärischen Leistungen der deutschen f r ü h bürgerlichen R e v o l u t i o n " in der Deutschen Demokratischen Republik ( D D R ) weiterleben w ü r d e n . Frühbürgerliche Revolution — das war die B e z e i c h n u n g der D D R - H i s t o r i o g r a p h i e f ü r die gesellschaftlichen U m w ä l z u n g e n des f r ü h e n 16. Jahrhunderts, die meist unter den beiden Ereignissen Reformation u n d Bauernkrieg subsumiert werden. G ü n t h e r Franz reklamierte für den nationalsozialistischen Staat dieselbe Traditionslinie wie G ü n t e r Vogler für den marxistisch-leninistischen. Dies erstaunt - der Nationalsozialismus definierte sich mindestens ebenso lautstark als antikommunistische Kraft wie sich die D D R später ihrer antifaschistischen Wurzeln rühmte. K ö n n t e n diese beiden Zitate als Einzelfälle bezeichnet werden, verdiente ihre Parallelität nicht weiter Beachtung. Das G e genteil ist aber der Fall. W i e kam es, dass in zwei ideologisch so verschiedenen Systemen wie d e m ,Dritten R e i c h ' u n d der D D R Historiker in so ähnlicher Weise auf das frühe 16. J a h r h u n d e r t blickten? Damit ist das T h e m a dieser U n tersuchung grob umrissen: Die R e z e p t i o n von R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg in den Geschichtswissenschaften der beiden deutschen Diktaturen. Die zitierten Aussagen von Günther Franz zum Bauernkrieg u n d von Günter Vogler zur Frühbürgerlichen Revolution lassen nicht nur den R e i z eines historiographischen Vergleichs zu diesem T h e m a erahnen, s o n d e r n auch die damit verbundenen Schwierigkeiten. So ähnlich sich die beiden Zitate auf den ersten 1

Einleitung Blick sind, so unvergleichbar erscheinen sie auf den zweiten: Beide Historiker parallelisieren ein Ereignis aus dem 16. Jahrhundert mit ihrer eigenen Gegenwart. Dabei handelt es sich aber nicht nur um zwei zeitlich verschobene, sondern auch in ihrer ideologischen Konzeption und ihrem zeithistorischen U m f e l d grundverschiedene Diktaturen. Was genau kann also verglichen werden, wenn solche Interpretationen einander gegenübergestellt werden? Die R e f o r m a t i o n , als deren Beginn traditionellerweise der Thesenanschlag Martin Luthers von 1517 gilt, und der Bauernkrieg, der 1524/1525 die südwestlichen und mittleren Gebiete des Deutschen Reiches erschütterte, sind zwei zentrale Ereignisse der deutschen Geschichte. 1 N i c h t selten wird insbesondere der Reformation sogar epochale Bedeutung zugemessen. Hier wird gemeinhin der Ubergang vom Mittelalter zur Neuzeit verortet. Dementsprechend breit ist die Forschungsliteratur und dementsprechend viele Interpretationsansätze sind in Deutschland entstanden, seit im 19. Jahrhundert im Vorfeld der nationalen Einigung eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der eigenen (nationalen) Vergangenheit eingesetzt hat. Auf die einzelnen Interpretationen wird an dieser Stelle ebenso wenig eingegangen wie auf die Ereignisgeschichte des frühen 16. Jahrhunderts an sich. 2 Vielmehr soll zunächst erläutert werden, w a r u m gerade das ungleiche Ereignispaar R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg als ideales Objekt für eine historiographische Untersuchung zum .Dritten R e i c h ' und zur D D R erscheint. Im frühen 16. Jahrhundert kulminierten religiöse, soziale, ökonomische, rechtliche und politische Konflikte in einer gesellschaftlichen Krise, deren fundamentales Ausmaß in der R e f o r m a t i o n u n d dem Bauernkrieg besonders prägnant zum Ausdruck kam. U b e r die Kohärenz der beiden Ereignisse wurde schon mancher wissenschaftliche Kampf ausgetragen. O h n e eine Antwort auf diese Frage geben zu wollen, sei hier festgehalten, dass sowohl in der Reformation als auch im Bauernkrieg Veränderungen angestrebt und teilweise erreicht wurden, auf die der moderne Begriff der Revolution angewendet werden kann. Die R e formation zielte zwar vorrangig auf eine Umgestaltung der Kirche und strebte auf der Grundlage der Theologie Martin Luthers nach einer neuen Glaubenspraxis, wegen der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Stellung der spätmittelalterlichen Kirche konnte dieses Bestreben aber unmöglich auf eine rein kirchliche Angelegenheit beschränkt bleiben. Die Aufständischen von 1524/25 nahmen zentrale Punkte der Reformation auf. Fast durchgängig standen die freie Wahl des Pfarrers und der einzig am Evangelium orientierte GotVgl. auch Wolfgang Reinhard: Probleme deutscher Geschichte 1495—1806. Reichsreform und Reformation 1495—1555, Stuttgart 2001; Chaix: Die Reformation und Kießling: Der Bauernkrieg. Diese Studie verzichtet darauf, einen ereignisgeschichtlichen Abriss zu Reformation und Bauernkrieg zu geben. Knappe Darstellungen zu den beiden Ereignissen finden sich in allen Handbüchern zur deutschen Geschichte und eine Vielzahl von spezifischen Publikationen widmet sich diesen Objekten umfassend. Im Anhang findet sich allerdings eine tabellarische Zusammenstellung der wichtigsten Eckdaten zu Reformation und Bauernkrieg.

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Einleitung tesdienst auf ihrem Forderungskatalog. Daneben war der Bauernkrieg aber auch eine direkt politische Bewegung, mit der die Aufständischen nicht nur k o m m u nale R e c h t e gegen die feudalen Gewalten zu verteidigen versuchten, sondern in verschiedenen P r o g r a m m e n auch alternative utopische Gesellschaftsentwürfe präsentierten. Bei der B e g r ü n d u n g dieser Forderungen spielte das reformatorische D e n k e n eine zentrale Rolle; die göttliche Gerechtigkeit erwies sich als kräftige Argumentationsformel. 3 Im Unterschied zur zumindest teilweise erfolgreichen R e f o r m a t i o n endete der B a u e r n k r i e g in einer militärischen Niederlage. D e r jeweilige Ausgang war für die weitere R e z e p t i o n des f r ü h e n 16. Jahrhunderts von entscheidender B e deutung. D e r Erfolg der von Luther a n g e f ü h r t e n B e w e g u n g f ü h r t e dazu, dass sich eine deutsche Ausprägung des Christentums im R e i c h verbreiten k o n n t e u n d die D o m i n a n z der römi5c/i-katholischen Kirche zurückgewiesen w u r d e . Dies bot Anschluss für eine national gefärbte Interpretation bis hin zur Darstellung der R e f o r m a t i o n als Ereignis, in dem die deutsche Nation erstmals zu eigenem Leben u n d Bewusstsein gefunden habe. Die Niederlage des Bauernkrieges gab dagegen vor allem R a u m f ü r die i m m e r w i e d e r k e h r e n d e Frage nach d e m ,Was wäre gewesen w e n n ...' der Bauernkrieg mit einem Sieg des gemeinen Mannes geendet hätte. D a m i t w u r d e der B a u e r n k r i e g z u m idealen R e f e r e n z p u n k t f ü r utopische Gesellschaftsentwürfe der n a c h f o l g e n d e n J a h r h u n derte: W ä r e die Revolution von 1525 erfolgreich verlaufen, so hätten die eigenen, gegenwärtigen Ziele bereits im 16. Jahrhundert verwirklicht werden k ö n nen - w o f ü r die Aufständischen im B a u e r n k r i e g kämpften, kämpfen auch wir heute. Die aktuellen Ideale k o n n t e n damit als ein historisches Anliegen weiter Bevölkerungsteile ausgegeben werden. Gerade wegen seiner Niederlage bot der B a u e r n k r i e g nachfolgenden Generationen legitimatorisches Potenzial für ihre eigenen Gesellschaftsentwürfe. Dass der Bauernkrieg kein zentral koordinierter u n d in seinen F o r d e r u n g e n nicht wirklich h o m o g e n e r Aufstand war, vergrößerte den interpretatorischen Spielraum zusätzlich. Zusammenfassend kann die Reformationszeit also als eine Phase der revolutionären U m b r ü c h e bezeichnet werden, in der entscheidende Weichen für die weitere gesamtgesellschaftliche Entwicklung im Deutschen R e i c h gestellt w o r den sind. Diese Scharnierstellung in der deutschen Geschichte erklärt, weshalb die R e f o r m a t i o n s z e i t zu e i n e m der wichtigsten Forschungsgegenstände der deutschen Geschichtswissenschaft überhaupt gehört. D e n n o c h ist dieses T h e m a wie auch alle anderen O b j e k t e historischer Forschung konjunkturellen Schwank u n g e n unterworfen; es findet einmal stärkere, einmal schwächere Beachtung. Dies gilt insbesondere für den gewaltsamen H ö h e p u n k t dieses revolutionären Zeitalters, den Bauernkrieg. Auffällig ist, dass die (wissenschaftliche) Auseinandersetzung immer dann groß ist, w e n n die gesellschaftliche O r d n u n g f u n d a m e n Zu den Zielen des Bauernkrieges vgl. Blickle: Die Revolution, Teil 2. Zur Anwendung des Revolutionsbegriffs auf den Bauernkrieg von 1525 vgl. Blickle: Die Revolution, S. 295-297; zur Reformation siehe Blickle: Die Reformation, S. 150-157.

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Einleitung

tale Kritik erfährt und politische Neuentwürfe das bestehende System in Frage stellen. Dies gilt flir die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die liberale auf der einen und die sozialistische Bewegung auf der anderen Seite eine revolutionäre U m g e staltung anstrebten, und auch flir die jeweiligen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, während denen politische Gegenentwürfe zum marktwirtschaftlichen demokratischen Staatsaufbau real umgesetzt wurden: Sowohl im .Dritten Reich' als auch in der D D R war die Auseinandersetzung mit dem Bauernkrieg intensiv. Das nationalsozialistische und das marxistisch-leninistische Deutschland zeichnen sich nicht nur durch ein gemeinsames Interesse an der Revolution von 1525 aus, sondern definierten sich auch beide als revolutionäre Staats- und Gesellschaftsformen. Diese revolutionäre Selbstzuschreibung bietet Grundlage fur einen Vergleich und soll daher kurz näher umrissen werden. Der französische Historiker François Furet sieht in der Idee der Revolution das „historisch N e u e " am Faschismus: 4 Sie habe, bemerkte er im Verlauf eines längeren Briefwechsels mit Ernst Nolte über das Wesen der europäischen Diktaturen im 20. Jahrhundert, „die europäische R e c h t e aus einer Sackgasse befreit [...], die untrennbar mit dem gegenrevolutionären Gedanken verknüpft war. D e n n diese hatte sich im 19. Jahrhundert doch unaufhörlich in den Widerspruch verwickelt, dass sie sich, u m zu siegen, revolutionärer Mittel bedienen musste, ohne indes ein anderes Ziel als die Restauration einer Vergangenheit, aus der das Übel ja entstanden war, ins Auge fassen zu können. Ganz anders der Faschismus: Er lässt sich nicht mehr als Reaktion (als Weg zurück) auf eine Revolution definieren. Er ist selbst die Revolution." 5 (,Revolution' war im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten alles andere als ein negativ besetzter Begriff.) Der Nationalsozialismus feierte sich selbst als revolutionäre Bewegung, die die bürgerliche Gesellschaft durch die völkische Gemeinschaft und den parlamentarischen Rechtsstaat durch das Führerprinzip ersetzt habe. Damit sei die angeblich fatale Entwicklung der deutschen Geschichte, die ins Chaos der jüdisch geprägten' Weimarer Republik geführt habe, ü b e r w u n d e n worden. 6 Hitler verstand die Machtübernahme nicht nur als das Uberwinden von Weimar und Versailles, sondern als das definitive Ende des bürgerlichen Zeitalters. Diese große Wende sah er im ,historischen Scheitern' des Bürgertums angelegt: Dieses habe seine Ideen nicht in die Tat umsetzen können und habe es versäumt, die Arbeiterschaft in die Volksgemeinschaft zu integrieren. Die Folge davon war laut Hitler, dass sich die Arbeiterschaft nicht mit dem Nationalgedanken habe versöhnen k ö n n e n und dem internationalen Marxismus verfallen sei. Mit dem Nationalsozialismus würde nun die Spaltung der Nation in Stände, Klassen, Konfessionen und Parteien überwunden. 7

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Francois Furet subsumiert unter dem Begriff Faschismus' insbesondere auch den Nationalsozialismus. Brief Furet an Nolte, 5. Januar 1997, in: Furet/Nolte: .Feindliche Nähe', S. 120. Vgl. Mosse: Die völkische Revolution, S. 8. Vgl. Kroll: Utopie als Ideologie, S. 13, 32-38 und 41.

Einleitung Es erscheint mir vermessen, das nationalsozialistische Geschichtsverständnis wie Frank-Lothar Kroll als „totalitäres Gegenbild" zum Geschichtsbild des M a r xismus zu bezeichnen. Unbestritten dürfte sein, dass die Revolution als historiographische Kategorie in der D D R zentraler u n d theoretisch stärker fundiert war als im Nationalsozialismus. 8 Grundlegend ist hierbei die Formationstheorie des Historischen Materialismus, nach der die Geschichte als gesetzmäßige Abfolge ökonomisch bestimmter Gesellschaftstypen erscheint. D e r Klassenkampf bildet demnach die Triebkraft der historischen Entwicklung u n d ist eine „notwendige Folge" des in den Produktionsverhältnissen b e g r ü n d e t e n Antagonismus der Klasseninteressen. 9 Im dialektischen R i n g e n von Fortschritt u n d R e a k t i o n erfolge die historische Entwicklung. D e r nur mit einer Revolution zu erreichende Sprung von einer Gesellschaftsformation zur nächsten wird damit positiv gewertet. Dies gilt also sowohl für den Sprung von der bürgerlichen zur sozialistischen respektive kommunistischen Gesellschaft als auch für denjenigen von der feudalen zur bürgerlichen. Die Revolution spielte im Geschichtsbild der D D R insofern eine wichtigere Rolle, doch im politischen Selbstverständnis ist der revolutionäre Anspruch der beiden Systeme vergleichbar. Weder im .Dritten R e i c h ' n o c h in der D D R war damit die Idee einer Befreiung im Sinne der bürgerlichen Freiheit verbunden. Die Revolution wird als eine autoritär gelenkte Aktion verstanden; der nationalsozialistischen Führeridee steht das marxistisch-leninistische Konzept der Parteielite gegenüber. 1 0 Diese Selbstzuschreibung betonte den B r u c h zur unmittelbar vorangegangenen bürgerlichen Vergangenheit u n d warf gleichzeitig die Frage nach dem Verhältnis zu früheren Revolutionen auf. 11 In einer eindeutigen - positiven oder negativen — Beziehung standen die beiden Diktaturen zu den Revolutionen von 1848 oder 1918. Die revolutionären U m b r ü c h e der Reformationszeit hatten sich j e d o c h in viel größerer zeitlicher Distanz ereignet. Direkte politische Wirkungslinien z u m nationalsozialistischen Deutschland respektive der D D R sind daher kaum zu benennen. U m s o freier waren die beiden Diktaturen in der Wahl der Farben, mit denen das Bild des frühen 16. Jahrhunderts gemalt wurde; die Reformationszeit war gerade wegen ihrer zeitlichen E n t f e r n u n g besonders vielfältig als Projektionsfläche verwendbar. Dies ist einerseits eine erste Erklärung dafür, weshalb es Historikern aus so unterschiedlichen politischen Systemen wie Günther Franz u n d Günter Vogler möglich war, eine Kontinuität zwischen dem Bauernkrieg und ihrer Gegenwart herzustellen. Andererseits rückt damit auch die zentrale Fragestellung dieser Studie näher: Die Untersuchung geht nicht von ei8 9 10

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Vgl. etwa den ,Geschichtsbeschluss' vom Politbüro der SED vom 5. Juli 1955, in: ZfG 3 (1955), S. 507-527. Wörterbuch der Geschichte, hrsg. vom Dietz Verlag Berlin, Berlin 1984, Stichwort .Klassenkampf. Vgl. auch Kroll: Utopie als Ideologie, S. 67-71 und Ernst: Legitimationswandel, insbesondere S. 279-281. Die D D R rechnete auch den Nationalsozialismus zur bürgerlichen Vergangenheit: Der Faschismus galt den Marxisten als Höhepunkt der kapitalistischen Ordnung.

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Einleitung ner axiomatischen Gegenüberstellung von freier Wissenschaft in demokratischen Staaten und totalitär unterdrückter im nationalsozialistischen u n d marxistisch-leninistischen Deutschland aus. D i e Wissenschaft agiert nie isoliert v o m gesellschaftlich-politischen U m f e l d . Gerade deshalb stellt sich aber die Frage, ob der diktatorische Kontext eine spezifische Interpretation von R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg forderte, förderte oder zumindest begünstigte. Entstanden im ,Dritten R e i c h ' u n d in der D D R originäre Interpretationen der Reformationszeit, die Ausdruck ihres diktatorischen Entstehungskontextes sind? Führte deren revolutionäres Selbstverständnis zu einer verwandten Darstellung der revolutionären B e w e g u n g e n des 16. Jahrhunderts oder ließ der unterschiedliche ideologische Hintergrund gänzlich verschiedene, unvergleichbare historiographische Resultate entstehen? Die Frage nach der Rezeption von R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg im ,Dritten R e i c h ' u n d in der D D R wird damit zur Frage nach dem Verhältnis von Diktatur und Revolution.

Geschichtswissenschaft im ,Dritten Reich' und in der D D R D i e Stellung der Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus unterscheidet sich in e i n e m wesentlichen P u n k t fundamental v o m Vergleichsfall D D R . Karl Marx' Diktum, die kommunistische Bewegung kenne „nur eine einzige Wissenschaft, die Wissenschaft von der Geschichte", hatte im Nationalsozialismus keine Entsprechung. 1 2 Hitler u n d nationalsozialistische ,Vordenker' wie Alfred R o s e n berg, Richard Walther Darré, Heinrich H i m m l e r oder Joseph Goebbels bedienten sich zwar gerne historischer Argumente. Ihre Interpretation der Vergangenheit fiel j e d o c h sehr unterschiedlich aus, u n d außer H i m m l e r erhob keiner der G e n a n n t e n A n s p r u c h auf wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der G e schichte. Gerade fur Hitler stellte die Geschichte einen wichtigen weltanschaulichen Bezugspunkt dar — Interesse an der universitären Forschung hatte er j e d o c h nicht. G r ü n d e hierfür gab es verschiedene. Seine generell feindliche H a l t u n g gegenüber d e m intellektuellen Milieu ist ebenso zu n e n n e n wie die grundsätzlich biologistische Ausrichtung der NS-Ideologie u n d die Fokussierung auf den technischen Bereich im Z u g e der Kriegsvorbereitung u n d - f ü h r u n g . 1 3 Im G e gensatz dazu baute der Marxismus-Leninismus geradezu auf einer wissenschaftlichen Analyse der Geschichte auf. D e r Beweis für die Richtigkeit der Ideologie wurde in der D D R wie in den anderen kommunistischen Staaten des ehemaligen Ostblocks wesentlich in der Geschichte gesucht (und gefunden). Diese Differenzen lassen sich auch auf struktureller Ebene nachzeichnen. Nach der M a c h t e r g r e i f u n g ' am 30. Januar 1933 ging das nationalsozialistische R e g i m e zwar zügig daran, den Lehrkörper der deutschen Universitäten zu säubern —jüdische Wissenschaftler wurden ebenso aus den Hörsälen u n d Seminaren 12 13

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Vgl. Faulenbach: Deformation, S. 261. Vgl. Kroll: Utopie als Ideologie, S. 15-24.

Einleitung gejagt wie politisch links stehende. Eine wissenschaftliche Gleichschaltung erfolgte dadurch aber nicht. Z w a r gab es Stellen im nationalsozialistischen Staat — allen voran das 1935 g e g r ü n d e t e Reichsinstitut f ü r die Geschichte des n e u e n Deutschland von Walter Frank - die eine Neuausrichtung der Geschichtswissenschaft nach politischen Kriterien forderten u n d forcierten. Mit dem neugeschaffenen Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung u n d Volksbildung war im selben Jahr eine zentrale Lenkungsstelle geschaffen worden u n d die Reichshabilitationsordnung stellte ein neues Instrument der Ü b e r w a c h u n g u n d politischen Selektion dar. D e n n o c h blieb es vor allem eine individuelle Entscheidung, ob sich ein Historiker in seiner Arbeit am weiten Feld des nationalsozialistischen Gedankenguts orientierte oder nicht. 1 4 In der D D R stand die Geschichtswissenschaft von A n f a n g an u n t e r starker Kontrolle. Bereits 1950 war der Historische Materialismus zur einzig legitimen M e t h o d e erklärt w o r d e n . In den f o l g e n d e n Jahren w u r d e der institutionelle R a h m e n stark zentralisiert u n d festgeschraubt u n d die A u s r i c h t u n g der G e schichtswissenschaft z u n e h m e n d parteiamtlich festgelegt: Mit d e m M u s e u m für D e u t s c h e Geschichte, d e m Zentralinstitut f ü r Geschichte an der D e u t s c h e n A k a d e m i e der Wissenschaften u n d der D e u t s c h e n Historiker-Gesellschaft ( D H G ) w u r d e n in den 1950er Jahren parteinahe Institutionen zur D u r c h s e t zung eines einheitlichen Geschichtsbildes gegründet. Das Beziehungsgeflecht zwischen Partei u n d Geschichtswissenschaft war damit sehr eng geworden, u n d wer an einem nicht-marxistischen Geschichtsbild festhielt, musste sich mit einer Randexistenz begnügen. 1 5 D e r polykratischen Organisation der Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus steht der Zentralismus der D D R gegenüber. D e n n o c h finden sich auch Ubereinstimmungen im Verhältnis der beiden D i k taturen zur Historie. Diese folgen aus d e m beiden Systemen i m m a n e n t e n A n spruch auf totale D u r c h d r i n g u n g der Gesellschaft. Damit trat zwangsläufig auch das Wissenschaftssystem in den Fokus der diktatorischen Politik. Die Ideologie des Nationalsozialismus respektive des Marxismus-Leninismus gab den jeweiligen politischen Orientierungsrahmen vor, der in seiner Gültigkeit nicht zu h i n terfragen war. Daraus leiteten sich auch die jeweiligen geschichtstheoretischen und geschichtsphilosophischen Parameter ab, die entsprechend der Ideologie als geschichtswissenschaftliche Paradigmen galten. A n den wissenschaftlichen Standards wurde zwar festgehalten, die Gültigkeit des an Leopold von R a n k e orientierten Objektivitätspostulats w u r d e j e d o c h sowohl im Nationalsozialismus als

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Vgl. Elvert: Geschichtswissenschaft und Schönwälder: Historiker und Politik, S. 66-89. N o t ker Hammerstein spricht gar davon, der Nationalsozialismus habe in der wissenschaftlichen Landschaft zu keiner wesentlichen Veränderung gefuhrt. Scharfen Widerspruch findet diese Einschätzung bei Lothar Mertens. Vgl. Hammerstein: Wissenschaftssystem und Mertens: Einige Anmerkungen. Vgl. Abendroth: Das Ende, S. 50-57; Jessen: Akademische Elite, insbesondere S. 430; Kowalczuk: Legitimation; Neuhäußer-Wespy: Die SED und die Historie, S. 31—55 und Sabrow: Das Diktat, S. 38-94.

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Einleitung auch in der D D R zurückgewiesen; die Historie sollte sich als politische Wissenschaft verstehen. Dies bedeutete einerseits, die wissenschaftliche Arbeit in den Dienst des politischen Kampfes zu stellen und andererseits, die Geschichte aus dem Blickwinkel der jeweiligen Ideologie und damit parteiisch zu betrachten. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern dieser Anspruch in Bezug auf die Reformationsgeschichte real eingelöst wurde. 16 Qualitativ unterschied sich die parteiliche Ausrichtung entsprechend den ideologischen Grundlagen fundamental. Dies betrifft nicht nur den Inhalt an sich, sondern auch die Konsistenz. Dem in sich geschlossenen Gebäude des Marxismus-Leninismus und dem daraus abgeleiteten Historischen Materialismus standen die Versatzstücke der nationalistischen, rassistischen, antidemokratischen und autoritären Ideologie des Nationalsozialismus gegenüber. Darüber, ob überhaupt von einem eigenständigen nationalsozialistischen Geschichtsbild gesprochen werden kann, sind in den vergangenen Jahren sehr unterschiedliche Meinungen geäußert worden. 17 Wenig sinnvoll erscheint es jedenfalls, ohne weitere Reflexion mit Begriffen wie NS-Historie, NS-Geschichtswissenschaft oder N S Geschichtsbild zu jonglieren. Hypothetisch bleibt die Frage, ob der Nationalsozialismus bei einem längeren Fortbestehen zu einer theoretisch konsistenteren Grundlage gefunden hätte. Wohl niemand würde behaupten, dass die Auswirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft und der D D R auf die Geschichtswissenschaft gleich waren. Genauso abwegig wäre aber die Annahme, dass der diktatorische Kontext für die Historie ohne Folgen war und die Geschichtswissenschaft damit gleichsam in einem von der gesellschaftlichen Entwicklung isolierten R a u m agierte. Die Schwierigkeit besteht nun darin, bei den jeweiligen Darstellungen zur Reformationszeit den spezifischen Einfluss der nationalsozialistischen respektive der marxistisch-leninistischen Diktatur herauszufiltern.Vor allem die Heterogenität des NS-Geschichtsbildes macht deutlich, dass die Arbeiten zu Reformation und Bauernkrieg nicht einfach mit einem ideologischen Raster des .Dritten R e i ches' und der D D R abgeglichen werden können. Erst wenn auch die Genese der wissenschaftlichen Arbeiten untersucht wird, kann das Zusammenspiel von historischer Interpretation und dem gesellschaftlich-politischen Umfeld analysiert werden.

Forschungsstand Ende der 1980er Jahre hätten die zur Geschichtswissenschaft im ,Dritten R e i c h ' und in der D D R publizierten Titel noch fast an den Fingern der eigenen Hände abgezählt werden können — heute reichte dafür auch die Mithilfe einer ganzen Seminarklasse nicht mehr aus. Der Beginn der intensiven wissenschaftli16 17

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Vgl. Kapitel 4.1 und 6.1. Vgl. Raphael: Radikales Ordnungsdenken, S. 29.

Einleitung chen Auseinandersetzung mit der D D R - H i s t o r i e kann relativ einfach erklärt werden und war wissenschaftsgeschichtlich ein erster Schritt zur Ende der 1990er Jahre mit geballter Kraft einsetzenden Diskussion um die Rolle der Geschichtswissenschaft und der Historiker im Nationalsozialismus. Aus diesem Grund soll hier vorab die Entwicklung der historiographischen Auseinandersetzung mit der D D R umrissen und erst danach auf das .Dritte R e i c h ' eingegangen werden. Der politischen Spaltung folgend entstand in den 1950er Jahren eine eigenständige DDR-Geschichtswissenschaft. Den beiden Lagern des Kalten Krieges entsprechend war auch der darauf gerichtete Blick: Während im Osten die Überlegenheit des eigenen Wissenschaftssystems betont wurde, wiesen westdeutsche Historiker fast ausnahmslos auf die Knebelung der Historie durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) hin. Die ostdeutsche Geschichtswissenschaft wurde als pseudowissenschaftlich angesehen und aus dem fachlichen Diskurs ausgeschlossen; deren Fachvertreter wurden weniger als Wissenschaftler denn als politische Funktionäre wahrgenommen. Mit der politischen Entspannung zwischen der B R D und der D D R wich diese rein negative Haltung einem differenzierteren Blick. In der B R D entwickelte sich bis in die 1980er Jahre zunehmend eine Sichtweise, die die Entwicklung der D D R - G e schichtswissenschaft als einen stetigen Emanzipationsprozess von den Vorgaben der Partei interpretierte. 1 8 Die Selbstwahrnehmung der DDR-Geschichtswissenschaft war dagegen in den 1980er Jahren nach wie vor von der angeblichen Überlegenheit des sozialistischen Geschichtsbildes geprägt. 19 Mit dem Fall der Berliner Mauer verschob sich auch der Blickwinkel auf die DDR-Geschichtswissenschaft. Aus dem kämpferischen Gegenkonzept war ein historischer Gegenstand geworden. Jüngere Historiker aus der D D R , die (noch) kaum in die Mechanik der staatssozialistischen Geschichtswissenschaft eingebunden gewesen waren, traten nun mit dem Aufruf zur Gründung eines Unabhängigen Historikerverbandes an die Öffentlichkeit, der als erster Brückenkopf außerhalb des „ungenießbare[n] Brei[s] aus Lügen und Halbwahrheiten" der ostdeutschen Geisteswissenschaften dienen sollte. 20 Das westliche Bild der totalitär unterdrückten Geschichtswissenschaft der 1960er Jahre hatte sich nun zu einer Anklage gegen die Anpassung an das S E D - R e g i m e gewandelt; aus Opfern waren Täter geworden. Dieses Urteil wurde von den Kollegen aus der B R D zwar nicht eins zu eins übernommen, prägte aber die Debatte der 1990er Jahre deutlich. Westdeutsche Historiker wie Wolfgang J . Mommsen, Hans-Ulrich

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Zur Interpretation der DDR-Geschichtswissenschaft durch die B R D vor 1989 vgl. Jarausch/ Middell/Sabrow: Störfall, S. 7 - 2 5 . Vgl. Sabrow: Das Diktat, S. 17/18. Die zweibändige Studie Fischer/Heydemann: Geschichtswissenschaft in der D D R , erschien 1988/90 und war die bis dahin umfassendste und zugleich die letzte noch im Geist des Kalten Krieges entstandene Untersuchung zur ostdeutschen Historie. Mitter/Wolle: Aufruf zur Bildung, S. 22.

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Einleitung Wehler u n d H e i n r i c h August Winkler hatten sich bald darauf geeinigt, dass die geschichtswissenschaftlichen P u b l i k a t i o n e n aus der D D R „wissenschaftlich nahezu bedeutungslos" seien. 2 1 Diese Sichtweise prägte auch die ,Abwicklung' der zweiten deutschen Geschichtswissenschaft. N i c h t der historische Kontext, sondern die Evaluierung der ostdeutschen Historiker nach westlichen Standards stand i m Vordergrund. In den Jahren nach der Wende von 1 9 8 9 / 9 0 war die Auseinandersetzung u m die DDR-Geschichtswissenschaft somit weniger eine wissenschaftliche als eine u m wissenschaftliche Ressourcen. Diesem Klima entsprechend verloren viele ostdeutsche Historiker 2 2 zu Beginn der 1990er Jahre ihre Stellung — ein B r u c h , der wenige Jahre später von vielen bereits als zu radikal angesehen wurde. 2 3 Allerdings war parallel hierzu auch der R u f nach einer differenzierten B e trachtung laut geworden. So forderte etwa der ostdeutsche Kurt Pätzold einen Blick auf die j ü n g s t e wissenschaftliche Vergangenheit, der U n t e r s c h i e d e z w i schen einzelnen Teilgebieten zulasse u n d sich u m eine Innenansicht der DDR-Geschichtswissenschaft b e m ü h e . Aber erst nachdem deren .Abwicklung' u n d die daraus resultierenden wissenschaftspolitischen Verteilkämpfe im wesentlichen abgeschlossen waren, konnte sich ein nüchternerer, theoretisch reflektierterer Blick durchsetzen. Eine „kritische" u n d „reflektierte Historisierung" versuchte sich n u n von „der unmittelbaren Betroffenheit der ersten Jahre nach dem Z u s a m m e n b r u c h " zu befreien. 2 4 Z w a r finden sich auch h e u t e n o c h vereinzelt Stimmen, die mit Beharrlichkeit die Resultate der DDR-Geschichtswissenschaft auf „Legenden, Verzerrungen u n d Fälschungen" reduzieren. 2 5 Sie befinden sich damit aber z u n e h m e n d in einer Randpositionen. Seit M i t t e der 1990er Jahre w u r d e die wissenschaftliche Diskussion u m die DDR-Geschichtswissenschaft mehrheitlich von rekonstruierenden Ansätzen ge21

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Interview mit Hans-Ulrich Wehler: Es rächt sich, dass wir nicht über Europa gestritten haben, in: Die Welt, 26.2. 1996, S. 7, zitiert nach: Jarausch/Middell/Sabrow: Störfall, S. 27. Der Einfachheit halber wird auf die Doppelform Historikerinnen und Historiker' verzichtet. Wird allgemein von .Historikern' gesprochen, sind Historikerinnen selbstverständlich mitgemeint. So etwa Jürgen Kocka in einem auf dem Internetdienst H-Soz-u-Kult veröffentlichten Interview vom 15. Juni 1999: Im Gegensatz zum Bruch nach 1945 habe er den Eindruck, „dass der sogenannte Elitenaustausch in den neuen Bundesländern, der ehemaligen D D R , radikaler ausgefallen ist, als notwendig gewesen wäre". Das Interview findet sich auch in Jarausch/ Hohls:Versäumte Fragen.Vgl. auch Berger:Was bleibt, S. 1021/1022 und 1033. Jarausch/Middell/Sabrow: Störfall, S. 5. So jüngst Hermann Weber: „Während im Westen die kritische Sicht überwog, war es den DDR-Historikern aufgetragen, die eigene Geschichte zu beschönigen und der jeweils gültigen Parteilinie anzupassen. Die dortigen Chronisten hatten die SED-Generallinie zu rechtfertigen und das Axiom der stalinistischen Ideologie, die ,Partei' habe .immer recht', wissenschaftlich' zu untermauern. Ihnen fehlte die notwendige Unabhängigkeit und es fehlte Pluralismus in der Forschung. Die Versuche, den Herrschaftsanspruch der SED rückwirkend ,historiographisch' zu begründen und zu legitimieren, beruhten auf Legenden, Verzerrungen und Fälschungen. Deshalb sind die meisten daraus resultierenden .Forschungsergebnisse' heute allenfalls noch Belege der .Parteilichkeit' und der Unterordnung der Geschichtswissenschaft unter die SEDDiktatur." Weber: Zehn Jahre Kommunismusforschung, S. 613/614.

Einleitung prägt. D a m i t bewegte sich die Forschung w e g von einer moralisch gefärbten O p f e r - T ä t e r - D i c h o t o m i e u n d verzichtete auf eine Bilanzierung. D e r eigene Standpunkt sollte nicht zur objektiven Perspektive erhoben werden, die ein U r teil darüber ermöglichte, w o die historische ,Wahrheit' a u f h ö r t e u n d die Fälschung nach parteiamtlichen Richtlinien anfing. Anstatt einer Evaluierung sollte das System der ostdeutschen Geschichtswissenschaft im Sinne der Ethnologie mit f r e m d e m Blick betrachtet u n d so zu verstehen versucht werden. Dabei haben sich in den letzten Jahren zwei R i c h t u n g e n herausgebildet, die weniger als Gegensätze, denn als sich j e ergänzende Sichtweisen anzusehen sind. D e r eine, vor allem von Martin Sabrow vertretene Ansatz, fokussiert auf die Strukturen u n d versucht das Entstehen der nach politischen Gesichtspunkten arbeitenden „zweiten deutschen Geschichtswissenschaft" zu erklären. Sabrow stellt seine Arbeit unter den Begriff des Herrschaftsdiskurses u n d geht von der Hypothese aus, „dass in der D D R nicht lediglich eine äußerlich instrumentalisierte, sondern eine innerlich verwandelte Geschichtswissenschaft entstand, die selbst politischfunktionalen Charakter trug u n d in der Professionalität u n d Parteilichkeit sich nicht wechselseitig ausschlossen, s o n d e r n spannungsreich miteinander verschränkten". 2 6 D e r zweite Ansatz interessiert sich m e h r f ü r den Inhalt des historiographischen Diskurses u n d tritt u n t e r der Flagge der historischen Meistererzählung auf. Er fragt nach den Großerzählungen einer Gesellschaft u n d deren kulturellen Integrationsleistung. Matthias Middell, einer der Vertreter dieser R i c h t u n g , b e tont, dass hierbei nicht nur die jeweils hegemoniale nationale Erzählung Beachtung fände, sondern auch nach Parallel- u n d Gegenerzählungen gefragt werde. 2 7 So wichtig der Blick auf die historiographischen Produkte ist, so läuft das K o n zept der Meistererzählung allerdings Gefahr, seinen diskursanalytischen A n spruch aus den A u g e n zu verlieren: Werden historische Erzählungen losgelöst von strukturellen Elementen nachgezeichnet, f u h r t dies nur selten über die traditionelle Geistesgeschichte hinaus. O d e r anders ausgedrückt: „Mit dem Begriff der Meistererzählung verbindet sich die Frage nach den Meistern der Erzählung, nach den Trägern gesellschaftlich akzeptierter Sinnstiftung: Welche Individuen, G r u p p e n oder Institutionen besitzen zu welchen Z e i t e n die H e g e m o n i e ü b e r die D e u t u n g der Vergangenheit, welche Produktions- u n d Rezeptionsbedingungen verschaffen ihnen Gehör — oder lassen sie m u n d t o t bleiben?" 2 8 Wenige Jahre bevor die Auseinandersetzung zur DDR-Geschichtswissenschaft an d e m hier skizzierten P u n k t angelangt war, entbrannte auf d e m Frankfurter Historikertag 1998 eine heftige Debatte über die R o l l e der Geschichtswissen-

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Sabrow: Das Diktat, S. 36/37. Vgl. Middell: Schwierigkeiten des Historiographievergleichs, S. 381-383. Jarausch/Sabrow: .Meistererzählungen', S. 18. Wie schwierig dieser Anspruch einzulösen ist, wird gerade auch an dem in diesem Sammelband enthaltenen Beitrag von Martin Sabrow deutlich. Sabrows Herkunft von der strukturellen Analyse der DDR-Geschichtswissenschaft bleibt offensichtlich. Vgl. Sabrow: Auf der Suche.

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schaft zur Zeit des Nationalsozialismus. Die meisten Kommentatoren sehen den Grund für das Ausbrechen und bis heutige Anhalten der Kontroverse vor allem in einem neuerlichen Interesse an handlungsgeschichtlichen Fragen und den generationellen U m b r ü c h e n : Die Historiker, die die Geschichtswissenschaft während des ,Dritten Reiches' geprägt haben, sind inzwischen verstorben. Der kritische U m g a n g mit ihnen gefährdet daher heute weder persönliche Beziehungen noch wissenschaftliche Karrieren. Als Auslöser der Debatte um persönliche Verantwortung und Schuld dürfte aber auch die kurz zuvor abgeschlossene Evaluierung der ehemaligen DDR-Historiker gewirkt haben. Diese Verbindung wird selten thematisiert und wenn, dann wird meist nur auf die kaum erfolgte Aufarbeitung nach 1945 hingewiesen. 2 9 Tatsächlich kam es mit dem Ende des ,Dritten Reiches' weder zu einem vergleichbaren Bruch in der Geschichtswissenschaft noch zu einer analogen Diskussion u m die Rolle der Historie im Herrschaftsgefüge dieser Diktatur wie nach dem Ende der D D R . D e n n o c h waren viele der 1998 aufgeworfenen Fragen nicht so neu, wie verschiedene Teilnehmer der Debatte suggerierten. 30 N a c h dem Zweiten Weltkrieg blieben einige Historiker — unter ihnen Günther Franz 3 1 — in den Maschen der Entnazifizierung hängen u n d wurden nach der Neueröffnung der Universitäten nicht wieder ins akademische Leben integriert. Damit verbunden war aber weder eine systematische U b e r p r ü f u n g noch eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Geschichtswissenschaft zum Nationalsozialismus. Dies gilt sowohl für die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und die D D R , wo man sich mit der Brandmarkung einiger westdeutscher Historiker begnügte, wie auch für die westlichen Besatzungszonen und die BRD. Hier wurde das Bild der Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus lange von Gerhard R i t t e r geprägt. Für ihn bestand kein Zweifel daran, dass die Historiker mit wenigen Ausnahmen Distanz zum diktatorischen R e g i m e gewahrt hatten und ihre wissenschaftliche Arbeit nicht nach ideologischen Gesichtspunkten, sondern nach den traditionellen Fachstandards ausgerichtet hatten. 3 2 Ritter, dessen Urteil aufgrund seiner N ä h e zum Widerstandskreis vom 20. Juli 1944 großes moralisches Gewicht besaß, bestimmte damit bis in die 1960er Jahre hinein das öffentliche Urteil. 3 3 N u n aber tauchten erste Arbeiten auf, die auf Ubereinstimmungen zwischen historischen Darstellungen und nationalsozialistischem Gedankengut hinweisen und Helmut Heiber veröffentlichte sein voluminöses, bis heute als unverzichtbare Informationsquelle dienendes Werk über ,Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands'. 3 4 Heiber fokussierte auf eine originär nationalsozialisti-

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Vgl.Jarausch/Hohls:Versäumte Fragen. Vgl. Berger: Was bleibt, insbesondere S. 1021 und 1033. Vgl. Kapitel 7. Vgl. Ritter: Deutsche Geschichtswissenschaft. Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 375-388. Beispielsweise Werner: Das NS-Geschichtsbild und Heiber: Walter Frank.

Einleitung

sehe Institution. Ansonsten zeichnete er ein ambivalentes Bild der Historie, beschrieb die Universitätsinstitute insgesamt aber als Körperschaften, die ihre Integrität gegenüber der Politik gewahrt hatten. 35 Erst Ende der 1980er Jahre begann eine R e i h e von Historikern unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Fragestellungen diesen Konsens aufzubrechen. 3 6 Karen Schönwälder zeigte in ihrer 1992 erschienenen Studie, wie viele Historiker sich zwischen 1933 und 1945 u m eine wohlwollende politische K o m m e n t i e r u n g des Zeitgeschehens aus historischer Perspektive b e m ü h t e n . Ursula Wolf legte 1996 einen Uberblick zur Geschichtswissenschaft in der NS-Zeit vor, in dem sie kursorisch auf jeden Fachbereich und je einen Repräsentanten einging. Bereits 1993 hatte Willi O b e r k r o m e auf den Ansatz der ,Volksgeschichte' aufmerksam gemacht — ein Begriff, der seither aus der Forschungsdiskussion nicht mehr wegzudenken ist. 37 Auf die methodischen Prämissen der Volksgeschichte soll hier kurz eingegangen werden. O b e r k r o m e wies in seiner Darstellung deutlich auf die Wurzeln dieser Schule in der Weimarer Republik und damit außerhalb der nationalsozialistischen Bewegung hin. Die Volksgeschichte ist als ein wissenschaftliches Gegenkonzept zum dominanten Ansatz des Historismus zu verstehen. N a c h dem politischen Z u s a m m e n b r u c h des 1871 geschaffenen Reiches und dem Diktat neuer Grenzen durch die Sieger des Ersten Weltkrieges wandten sich in der politischen Zerrissenheit der frühen Weimarer Jahre viele Historiker vom Erklärungsangebot des Historismus ab. Anstelle der sich an politischen Grenzen orientierenden Nationalgeschichte richteten sie ihren Blick auf den durch die Kultur definierten Volksraum. Die Volkskunde erlebte einen Aufschwung und die Geschichtswissenschaft begann sich nun für Fragen der Geographie, Demographie, für Brauchtum und Sprache zu interessieren. Unter ,Volk' wurde nicht eine in einem nach rationalen Kriterien gebildeten Staat zusammengefasste Gruppe von Individuen verstanden, sondern eine organische Einheit, eine schicksalhaft zusammengebundene Gemeinschaft. Damit war ,Volk' weniger ein analytischer Begriff, sondern brachte „Ideal und beschriebene Vergangenheit zur Deckung", wie Thomas Welskopp festhält. 38 Ihren ideellen H i n t e r g r u n d hatte die Volksgeschichte in der zeitgenössischen Kritik an der internationalen Ordnung, der parlamentarischen Demokratie und der durch unterschiedliche Interessen fragmentierten Gesellschaft. Insofern kann der Volksgeschichte, die ihren Wirkungskreis z u n e h m e n d in der Landesgeschichte fand, eine politische Ausrichtung

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Vgl. Elvert: Geschichtswissenschaft, S. 87/88 und Schulze/Helm/Ott: Deutsche Historiker: S. 13-15. Den Anfang markierten zwei Sammelbände, die bereits 1985 respektive 1989 erschienen. Lundgreen: Wissenschaft im Dritten Reich und Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft (11989). Vgl. Schönwälder: Historiker und Politik; Wolf: Litteris et patriae; Oberkrome: Volksgeschichte. Welskopp: Grenzüberschreitungen, S. 304.

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Einleitung

nicht abgesprochen werden. Eine Engfuhrung auf den Nationalsozialismus ist fur die Zeit vor 1933 nicht zulässig.39 Danach wurde die Volksgeschichte jedoch zum zentralen Paradigma degenigen Historiker, die sich am Nationalsozialismus orientierten. Nun wurde derVolksbegrifF auch mit der Kategorie der Rasse verbunden. 40 Umstritten ist nach wie vor das wissenschaftliche Innovationspotenzial der Volksgeschichte. Wird diese aufgrund ihrer Verstrickung in die nationalsozialistische Siedlungspolitik in Osteuropa beurteilt, kann die Volksgeschichte keineswegs als wissenschaftlich fortschrittlich bezeichnet werden. Oberkrome spricht der Volksgeschichte wegen ihrer Verbindung neuer Untersuchungsfelder zu einem strukturgeschichtlichen Ansatz aber durchaus innovativen Charakter zu und wird deswegen etwa von Peter Schüttler mit dem Verdacht belegt, „zum Apologeten ehemaliger Nazis zu werden". 41 Dieser Vorwurf geht nicht nur von der unzulässigen Gleichsetzung der Volksgeschichte mit der nationalsozialistischen Ideologie aus, sondern ist auch kaum an Oberkromes eigentlicher Argumentation interessiert. Oberkrome sieht in der Volksgeschichte nämlich eine Proto-Version der späteren Sozial- und Gesellschaftsgeschichte. Er weist diesbezüglich etwa auf die Namen von Werner Conze oder Otto Brunner hin, die sich in den 1930er Jahren mit volksgeschichtlichen Fragen auseinander setzten und in der Bundesrepublik lange als Väter der strukturgeschichtlichen Erneuerung galten. 42 Oberkrome versucht mit seiner Argumentation nicht die Dienste diverser Historiker für den Nationalsozialismus zu verharmlosen, sondern stellt vielmehr die unangenehme Frage nach den intellektuellen Ursprüngen der deutschen Sozialgeschichte. An dieser Thematik entbrannte schließlich auch die Diskussion auf dem Frankfurter Historikertag von 1998. 43 Die Aussicht darauf, dass die deutsche Gesellschaftsgeschichte — ein tragender Pfeiler des sozial-liberalen Grundverständnisses der gereiften Bonner Republik — ihre Anfänge nicht in den methodischen Anregungen remigrierter Wissenschaftler, sondern in der völkischen Vergangenheit haben könnte, wirkte wie ein Erdbeben. Diese direkte Verbindung wird teilweise heftig kritisiert und als unzulässig bezeichnet. 44 Das Interesse an den früheren Protagonisten der Volksgeschichte nahm dadurch aber kaum ab, im Gegenteil. 39 40 41 42 43 44

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Vgl. Oberkrome: Volksgeschichte, S. 22-24. Vgl. Kapitel 4.1. Schöttler: Die intellektuelle Rheingrenze, S. 272. Vgl. auch Oberkrome: Geschichte, Volk und Theorie, S. 104-106. Das Innovationspotenzial wird heute stark bestritten.Vgl. etwa Schöttler: Die intellektuelle Rheingrenze. Die entsprechende Sektion fand Niederschlag in Schulze/Oexle: Deutsche Historiker. So etwa Peter Schöttler. Da er der Volksgeschichte jegliches innovative Potenzial abspricht, sieht er in ihr auch keinen Vorläufer der deutschen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte. Vergleichbar argumentieren auch Jürgen Kocka oder Michael Fahlbusch. Zusammenfassend siehe: Fahlbusch: Wissenschaft im Dienst, S. 43/44. Außerhalb der Diskussion um die Wurzeln der Gesellschaftsgeschichte steht der Fall von Otto Brunner. Siehe hierzu Algazi: Otto Brunner.

Einleitung Vor allem anhand der so g e n a n n t e n O s t - , w e n i g später auch der Westforschung entzündete sich eine emotional geführte Diskussion. Im Zusammenhang mit der Ostforschung gerieten verschiedene Historiker unter Verdacht, mit ihren Studien ü b e r Bevölkerungs- u n d Siedlungsstrukturen zu Z u a r b e i t e r n der nationalsozialistischen Umsiedlungs- u n d Vernichtungspolitik geworden zu sein. Die von Götz Aly schon zu Beginn der 1990er Jahre geprägte Formel der „Vordenker der V e r n i c h t u n g " w u r d e in dieser zugespitzten F o r m zwar nicht b e stätigt, die Emotionalität der Debatte verringerte sich j e d o c h kaum. 4 5 Die stark institutionsgeschichtlichen u n d personenbezogenen Fragestellungen ließen aus der Auseinandersetzung weniger eine kritische Historisierung denn eine Skandalisierung w e r d e n . 4 6 H a t sich die D e b a t t e u m die D D R - G e s c h i c h t s w i s s e n schaften seit Mitte der 1990er Jahre v o m moralisch gefärbten Täterbild w e g b e wegt, so orientieren sich die meisten Studien zur Geschichtswissenschaft im .Dritten R e i c h ' bis heute an dieser Kategorie. 4 7 Die Diskussion u m Schuld u n d Verantwortung ist zweifellos wichtig u n d es ist besser, sie wird 50 Jahre nach d e m E n d e des ,Dritten R e i c h e s ' g e f ü h r t als gar nie. Es ist j e d o c h nicht zu übersehen, dass das Funktionieren der Geschichtswissenschaft, das Zusammenspiel von Wissenschaft, Ideologie u n d Politik zwischen 1933 und 1945 damit nur bedingt ergründet werden kann. Augenfällig wird dies insbesondere an d e m i m m e r wieder verwendeten Begriff der NS-Historie, den zu definieren sich bisher k a u m j e m a n d traute. 4 8 D i e Skandalisierung einzelner Historiker trägt nur wenig zum Verstehen des Funktionierens u n d der Orientierungspunkte der Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus bei. 4 9 Ein Beispiel h i e r f ü r ist etwa die Auseinandersetzung u m den Bauernkriegsforscher Günther Franz. Wolfgang Behringer widmete sich in Frankfurt zwar ausführlich dessen Verstrickungen mit d e m Parteiapparat, seinen Tätigkeiten in der SS u n d im U m f e l d von H e i n r i c h H i m m l e r s A h n e n e r b e u n d d e m Sicherheitsdienst im Reichssicherheitshauptamt, interessierte sich aber weder für die Kritik an Franz aus gewissen Parteikreisen noch für seine Kontakte über die Parteigrenzen hinweg. Franz war zweifellos ein überzeugter u n d aktiver Nationalsozialist. D e n 45

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Vgl. Aly/Heim: Vordenker der Vernichtung. Zentral in dieser Diskussion auch die Dissertation Haar: Historiker im Nationalsozialismus. Die Formel der ,kritischen Historisierung' geht zurück auf Martin Broszat und seine Forderung nach einer Untersuchung der NS-Zeit, die nicht vom moralischen Urteil ausgehen soll. Der Begriff wurde von der historiographischen Forschung zur DDR-Geschichtswissenschaft in den 1990er Jahren aufgenommen. Vgl. Jarausch/Middell/Sabrow: Störfall, S. 46—50. Vgl. Welskopp: Grenzüberschreitungen, S. 298/299. Ausdruck davon sind nicht nur ständig neu erscheinende Titel zum Thema, sondern etwa auch die Diskussionsforen, die auf der fachspezifischen Mailingliste ,H-Soz-u-Kult' in der jüngeren Vergangenheit zu Themen wie der Westforschung oder der Stellung von Hans Rothfels zum Nationalsozialismus betrieben wurden. Besonders auffällig wird dies in dem bereits erwähnten Sammelband von Schulze/Oexle: Deutsche Historiker. Die Frankfurter Debatte von 1998 wird hier umfassend dokumentiert, eine Definition von ,NS-Historie' fehlt jedoch. Siehe hierzu auch die kritischen Diskussionsbeiträge von Ash: Wissenschaft und Politik und Welskopp: Grenzüberschreitungen.

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Einleitung noch gab es in seinem Wirken im ,Dritten R e i c h ' Konflikte und Widersprüche, die aufzuzeigen Grundlage einer kritischen Historisierung wäre. Geschieht dies nicht, lassen sich Fragen nach dem Selbstverständnis als Historiker, die Ausrichtung der historischen Arbeit und die Rückwirkung der Forschung auf die Politik nur schematisch darstellen. 50 Genau umgekehrt verhält es sich mit dem Forschungsstand zur D D R : Biographische Forschung fehlt in diesem Bereich auch zu Protagonisten, die wie etwa Max Steinmetz oder Gerhard Zschäbitz längst verstorben sind. Dagegen erschienen in den vergangenen Jahren diverse Publikationen, die sich mit der Struktur und den Produkten der DDR-Geschichtswissenschaft auseinander setzten. Entsprechend präsentiert sich auch die Forschungslage zur Rezeption von Reformation und Bauernkrieg im ,Dritten R e i c h ' und der D D R . Während das Thema hinsichtlich des Nationalsozialismus noch weitgehend unerforschtes Territorium darstellt, wurde die marxistische Konzeption einer Frühbürgerlichen Revolution schon mehrfach Objekt historischer Forschung. Im Westen erwachte das Interesse an der Frühbürgerlichen Revolution relativ früh. Thomas Nipperdey erklärte der westdeutschen Öffentlichkeit 1967 in einem prägnanten Aufsatz das bisher ignorierte Interpretationskonzept, das in den Jahren zuvor auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs entstanden war: Danach sei die Reformation nicht eine religiöse, sondern eine soziale Bewegung, nicht eine kirchliche, sondern Teil einer bürgerlichen Revolution, die ihren Höhepunkt im Bauernkrieg von 1525 gefunden habe. Er wies daraufhin, dass die marxistische Forschung die sozio-ökonomischen Spannungen des ausgehenden Mittelalters als Ursache der Revolution ansehe, die sich schließlich in einem revolutionären Klassenkampf entladen hätten. Die Charakterisierung als Frühbürgerliche Revolution sei der marxistischen Formationstheorie geschuldet, nach der eine Revolution in einer

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Vgl. Behringer: Bauern-Franz; Behringer: Der Abwickler und Behringer:Von Krieg zu Krieg. Hier sei ein Beispiel fur den selektiven Umgang Behringers mit den Quellen angefugt. In seinem Aufsatz über die „politische Geschichte des Agrarhistorikers Günther Franz" illustriert Behringer die politische Position Franz' mit einem Zitat aus einem Gutachten, das der damalige Marburger Historiker Walther Peter Fuchs zuhanden des Reichserziehungsministeriums ausstellte: Franz habe sich bereits „vor der Machtergreifung stets zur Rechten und zum Antisemitismus bekannt". Dieses Zitat ist zwar korrekt, gibt jedoch nur einen Teil des knappen Gutachtens wieder. Erstens verzichtet Behringer darauf, den ganzen Satz zu zitieren, der nämlich eine wichtige Nuancierung enthält: „Ohne sich politisch festzulegen, hat sich Franz vor der Machtergreifung stets zur Rechten und zum Antisemitismus bekannnt." Ebenso verzichtet Behringer, auf einen Zusatz des Marburger Dozentenschaftsführers Düring zu dem Gutachten hinzuweisen: „Franz ist politisch ohne Aktivität, als Mensch schwer begeistert und schwer begeisternd, keine Führerpersönlichkeit, aber ein zuverlässiger Arbeiter, bereit die Stelle, an die er gestellt wird, nach besten Kräften auszufüllen." Vgl. Behringer: Bauern-Franz, S. 115 und BArch, R 4 9 0 1 , 1 3 2 9 8 . Die von Behringer ignorierten Passagen zeichnen nicht ein völlig anderes Bild von Franz, aber sie weisen auf Grautöne hin, für die Behringer sich nicht interessiert. Der Struktur der Debatte folgend war es offenbar sein Ziel, eindimensional die nationalsozialistischen Verstrickungen von Franz aufzuzeigen. Vergleichbare Selektionen wie die eben ausgeführte finden sich in dem Aufsatz mehrfach. A u f einige von ihnen wird in dieser Studie noch hingewiesen.Vgl. Kapitel 7, Fußnote 37.

Einleitung

feudalen Gesellschaft auf die Errichtung einer bürgerlichen Ordnung abziele. Damit, so die Hauptkritik Nipperdeys, werde aber das Problem einer bürgerlichen Revolution ohne Bourgeoisie geschaffen. 51 Nipperdey streifte die Punkte, die während den nächsten Jahren die Kritik der bürgerlich-westlichen Geschichtsschreibung am Konzept der Frühbürgerlichen Revolution dominierten. Der Aufsatz fand 1972 auch Eingang in einen von Rainer Wohlfeil herausgegebenen Sammelband, der erstmals Beiträge zu Reformation und Bauernkrieg aus Ost und West vereinigte. Damit war die Frühbürgerliche Revolution auch zum Orientierungspunkt der westdeutschen Geschichtsschreibung geworden. Daran konnte Josef Foschepoth anknüpfen, der 1976 die erste umfassende Darstellung von ,Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der D D R ' vorlegte, die er aufgrund einer Analyse der bis 1974 veröffentlichten Arbeiten konzipierte. 52 Foschepoth arbeitete in seiner historiographischen Pionierarbeit zwei Phasen der Interpretation heraus. Bis 1965 konstatiert er eine „nationalmaterialistische Betrachtungsweise", derzufolge die Ursachen im Widerspruch zwischen Feudalismus und Kapitalismus lagen und die so genannten objektiven Ziele im Nationalstaat. Diese Interpretation wurde überlagert und schließlich abgelöst durch eine „welthistorisch-dialektische Betrachtungsweise", die einerseits — unter Hervorhebung der Reformation — die Fernwirkungen der Frühbürgerlichen Revolution auf Calvin betonte und damit die Anschlussfähigkeit an spätere Revolutionen (Niederlande, England, Frankreich) herstellte. Andererseits wurden die Beziehungen zwischen Basis und Uberbau nicht mehr als abgeleitet, sondern als „dialektisch" verstanden, was mehr Raum für die Würdigung von Religion und Politik schuf. 53 Jan Herman Brinks präsentierte 1992 einen Uberblick über die ostdeutschen Interpretamente der deutschen Geschichte und widmete sich dabei auch ausführlich der Rezeption von Reformation und Bauernkrieg in der D D R . Er versäumt es jedoch, differenziert auf die verschiedenen Positionen innerhalb der marxistisch-leninistischen Schule einzugehen und interpretiert seinen Gegenstand aus einer Perspektive, die stark vom Ende der DDR-Historie her geprägt ist.54 Einen anderen Zugang wählte knapp zehn Jahre später Martin Roy. Er untersucht das ostdeutsche Lutherbild in einer monographischen Studie, in der erstmals auf den politischen Entstehungskontext der Interpretationen eingegangen wird. Roy thematisiert auch das Konzept der Frühbürgerüchen Revolution, beleuchtet dessen Entwicklung jedoch nur sehr punktuell. Er konzentriert sich stark auf die Jubiläumsveranstaltungen zum Reformationsjahr von 1967 und vor allem auf das 500. Geburtsjahr Luthers von 1983. Die Entwicklung des Konzepts der Frühbürgerlichen Revolution kann damit kaum nachgezeichnet werden. 51 52 53 54

Vgl. Nipperdey: Die Reformation als Problem. Foschepoth: Reformation und Bauernkrieg. Foschepoth: Reformation und Bauernkrieg, S. 52-98, zusammenfassend S. 145-151. Vgl. Brinks: Die DDR-Geschichtswissenschaft, insbesondere S. 297—308.

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Einleitung

Vergleichbarkeit von Historiographien Sowohl zum .Dritten Reich' als auch zur D D R entstand in den letzten Jahren eine Vielzahl historiographischer Forschungsarbeiten. Heute existiert zu beiden Feldern eine reiche Literatur, die jedoch kaum Berührungspunkte zwischen den zwei Zeit- und Herrschaftsräumen aufzeigt. Die Forschung zur Geschichtswissenschaft im nationalsozialistischen Deutschland und in der D D R wird nicht nur von gänzlich unterschiedlichen Historikern betrieben, auch in den Fragestellungen und der grundsätzlichen Herangehensweise unterscheiden sich die beiden Zweige erheblich. So gemahnt beispielsweise Martin Sabrow, dass die D D R Forschung nicht einfach nach westlichen Fachstandards und damit im Sinne einer vermeintlichen wissenschaftlichen Objektivität beurteilt werden dürfe. Vielmehr sei ein methodischer Ansatz zu wählen, der „die Historie im S E D Staat in ihren spezifischen Funktionsmechanismen und Kommunikationsregeln nach Geltungskraft und Geltungsgrenzen zu erforschen erlaubt". 5 5 Sabrow propagiert ein archäologisches Vorgehen, das nicht bilanziert, sondern fern von Wertungen zu rekonstruieren versucht. Dagegen bemüht sich Peter Schüttler zu betonen, dass mit dem Nationalsozialismus verbundene Historiker wie Hans Linde, Otto Brunner oder Günther Franz „nicht nur .Propaganda'[...], sondern auch ernstzunehmende ,Wissenschaft'" betrieben hätten. Warum Schüttler die Begriffe Propaganda und Wissenschaft in Anfuhrungszeichen setzt, erklärt sich aus seiner darauffolgenden Frage, ob „echte Wissenschaft" unter nicht-demokratischen Bedingungen überhaupt möglich sei. 5 6 Diese Positionen sind Folge der unterschiedlichen moralischen Bewertung der beiden deutschen Diktaturen. Die Kriegs- und Vernichtungspolitik des nationalsozialistischen Deutschland findet in der D D R kein Äquivalent; von ihren Schrecken und ihren moralischen Verfehlungen her sind die beiden Systeme unvergleichbar. Dennoch wirft der grundsätzlich verschiedene methodische Z u griff Fragen auf. Wer die Forderung, die DDR-Geschichtswissenschaft mit einem rekonstruierenden, die symbolische Sinnwelt aufdeckenden Ansatz zu untersuchen, anerkennt, müsste denselben methodischen Z u g r i f f auch fur die Erforschung der Geschichtswissenschaft in anderen politischen Systemen — ob diktatorisch oder demokratisch verfasst - anstreben. Wer anderseits die Wissenschaftlichkeit der Historiographie im ,Dritten Reich' unter Verweis auf die m o ralischen Verfehlungen verneint, müsste auch andere Geschichtswissenschaften nach deren Beziehungen zur Politik und deren Moral beurteilen. Ein solch normativer Ansatz bietet für eine vergleichende Arbeit keine Grundlage; die Unvergleichbarkeit des Nationalsozialismus mit anderen politischen Bewegungen und Systemen ist gewissermaßen seine paradigmatische Ausgangslage. Daher rücken für die vorliegende Studie methodische Ansätze in den Vordergrund, die nicht

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Sabrow: Das Diktat, S. 32-33.Vgl. auch Sabrow: Geschichtsdiskurs, insbesondere S. 13-21. Vgl. Schöttler: Die intellektuelle Rheingrenze, S. 283.

Einleitung

von emotionaler Betroffenheit ausgehen, sondern sich aufs Rekonstruieren konzentrieren. Nüchterne Analyse sollte nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede der beiden Vergleichsobjekte erkennbar machen. 57 Eine vergleichende Untersuchung zur Geschichtswissenschaft im .Dritten Reich' und in der D D R liegt bis heute nicht vor. Allgemein ist dem historiographischen Vergleich jedoch zunehmende Beachtung zuteil geworden. Einigkeit scheint darin zu herrschen, dass die Methode des Vergleichs spezifische Chancen bietet. Sie ermögliche „einen verfremdenden Blick, der die Lektüre eines Objekts durch die Linse eines Vergleichsfalles impliziert", argumentieren etwa Christoph Conrad und Sebastian Conrad, wodurch sich, so Chris Lorenz, internationale und generelle Entwicklungen besser vom spezifisch Nationalen einer historiographischen Tradition abheben lassen. 58 Auch Matthias Middell sieht in diesem Vorgehen große Chancen. Er warnt jedoch davor, dass der historiographische Vergleich nicht einfach zur Befestigung des eigenen gesellschaftlich-historischen Orientierungsrahmens dienen sollte. 59 Middell äußert diese Kritik vor dem Hintergrund der Evaluierung der DDR-Geschichtswissenschaft durch westdeutsche Historiker nach dem Fall der Berliner Mauer, deren implizite Grundlage ein normativ geprägter Ost-West-Vergleich war. Die Debatte um die Geschichtswissenschaft im .Dritten Reich' der letzten Jahre macht jedoch deutlich, dass diese Gefahr längst nicht nur bei der ,Abwicklung' der ostdeutschen Historiker virulent geworden ist. Eine Anleitung, wie ein historiographischer Vergleich gestaltet werden soll, einen ,Königsweg' des historiographischen Vergleichs also, gibt es nicht. Die Angebotspalette an möglichen Untersuchungsansätzen ist groß, letztlich muss jedoch für jeden Vergleichsfall ein eigenes Instrumentarium zusammengestellt werden. 60 So kommt etwa Middell zum Schluss, dass nicht das gewählte Analyseverfahren darüber entscheide, ob ein Historiographievergleich zu einem fruchtbaren Ergebnis komme, sondern ob vorgängig Klarheit darüber bestehe, was mit Hilfe des Vergleichs genau untersucht werden solle.61 Oder, in den Lenin nachempfundenen Worten Lorenz': „Trust in comparison is good, but control over the comparison is better". 62 U m den Vergleich „kontrollieren" zu können und die Gegenüberstellung zweier Historiographien fruchtbar zu machen, bedarf es nicht nur einer präzisen Fragestellung. Auch die Eigenheiten der jeweiligen Systeme müssen berücksichtigt werden. Die geschichtswissenschaftlichen Produkte entstehen nicht nur in 57 58 59 60 61 62

Vgl. Gloeckner: Der tabuisierte Vergleich und Schmiechen-Ackermann: N S - R e g i m e und SED-Herrschaft, S. 646/647. Vgl. Conrad/Conrad: Wie vergleicht man Historiographien und S. 14; Lorenz: Comparative historiography, S. 29. Vgl. Middell: Schwierigkeiten des Historiographievergleichs, S. 360. Vgl. insbesondere die Aufsätze von Conrad/Conrad: Wie vergleicht man Historiographien und Middell: Schwierigkeiten des Historiographievergleichs. Vgl. Middell: Schwierigkeiten des Historiographievergleichs, S. 395. Lorenz: Comparative historiography, S. 39.

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Einleitung einem gesellschaftlichen Umfeld, sie sind letztlich auch nur über dieses zu verstehen und nur in kontextualisierter Form vergleichbar.

Methodisches Vorgehen Geschichte ereignet sich nicht, sie wird geschrieben. Geschichtsschreibung berichtet nie nur von einer mehr oder weniger weit zurückliegenden Zeit, sondern immer auch von der Gegenwart, vom Historiker und seinem gesellschaftlichen und politischen Kontext. Sie beleuchtet angeblich Wichtiges, vernachlässigt das Nebensächliche und erzählt nicht nur vom Vergangenen, sondern auch von der Gegenwart: Geschichte stellt immer eine Beziehung zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit her; sie benennt Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Jede Zeit tritt der Vergangenheit mit eigenen Fragen gegenüber. Damit wird die Geschichtsschreibung zum Spiegel einer Gesellschaft und selber wieder zur Geschichte. Historische Interpretationen können weder einzig aus der Historik noch ausschließlich über den politischen Kontext der Interpretierenden erklärt werden. Dies gilt auch für die Geschichtsschreibung im ,Dritten R e i c h ' und in der D D R . Sie war — in beiden Fällen - weder Ausdruck wissenschaftlicher Autonomie noch einzig ein Ausfuhren von Vorgaben und Befehlen der herrschenden Partei. Sowohl das ,Dritte R e i c h ' als auch die D D R formulierten zwar einen totalen Anspruch auf die Gesellschaft und damit auch auf die Geschichtswissenschaft. Dieser Anspruch wurde aber nur bedingt umgesetzt; bei der nationalsozialistischen Herrschaft muss sogar das Bemühen um die Kontrolle der G e schichtsschreibung relativiert werden. Ein totalitarismus-theoretischer Ansatz kann daher fur eine Untersuchung zur Geschichtswissenschaft in den beiden deutschen Diktaturen kaum den größtmöglichen Erkenntnisgewinn bringen: Der Begriff des Totalitarismus erlaubt zwar eine analytische Verbindung von .linken' und ,rechten' diktatorischen Herrschaften. Er argumentiert aber vor allem mit der totalen Durchherrschung der Gesellschaft im Sinne der jeweiligen Ideologie (Faschismus, Nationalsozialismus, Marxismus-Leninismus). 63 Diese Untersuchung möchte jedoch nicht paradigmatisch von der Durchherrschung ausgehen, sondern die Frage nach der ideologischen Ausrichtung der Rezeption von Reformation und Bauernkrieg unvoreingenommen stellen. Eine eigenständige Variante des Totalitarismus-Konzepts wird unter dem Term der Politischen Religionen diskutiert. Den verschiedenen gegenwärtig verhandelten Ansätzen gemein ist das Postulat, dass Herrschaftsformen wie der Nationalsozialismus, der italienische Faschismus oder der Stalinismus in Zeiten großer Verunsicherung und Verzweiflung Orientierung und neue Wertmaßstäbe boten,

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Eine prägnante Zusammenfassung der Totalitarismus-Debatte der letzten 7 0 Jahre findet sich bei Schmiechen-Ackermann: Diktaturen, S. 30—48. Einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung bietet Jesse: Totalitarismus.

Einleitung damit ein Vakuum füllten und große Gefolgschaft mobilisieren konnten. Wenn Geschichtsschreibung nicht nur als Analyse des Vergangenen, sondern auch als Versuch der Selbstvergewisserung und der Einordnung des Gegenwärtigen verstanden wird (und erst daraus ergibt sich eigentlich der R e i z historiographischer Untersuchungen), wird der so erweiterte Religionsbegriff zu einem potenziellen Konzept fur die Analyse historischer Darstellungen. In der aktuellen Forschung taucht der Ansatz der Politischen Religionen vor allem in Untersuchungen zur Inszenierung der politischen Herrschaft und zur Mobilisierung der Maßen auf. Z u r vergleichenden Analyse von rituellen politischen Handlungen wie etwa Parteitagen oder der öffentlichen Darstellung von historischen Ereignissen in Form von Jubiläumsveranstaltungen oder dem Errichten von Denkmälern mag dieser Ansatz sehr hilfreich sein. 64 Die vorliegende Studie lässt das weite Feld der historischen Inszenierung aber weitgehend unbeachtet und konzentriert sich auf die geschichtswissenschaftliche Arbeit an den Universitäten und sonstigen wissenschaftlichen Institutionen. 65 Für eine Studie zur Geschichtswissenschaft scheint also weder das Konzept des Totalitarismus noch dasjenige der Politischen Religionen das ideale methodische Fundament zu liefern. Beide gehen von einer hermetischen Grenze zwischen demokratisch und diktatorisch verfassten Systemen aus. Die akademische Geschichtswissenschaft ist in ihrem Ursprung aber so stark von den Idealen der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts geprägt, dass eine historiographische Untersuchung zum .Dritten Reich* und der D D R auch R a u m dazu bieten muss, die Beziehung zum vorangegangenen oder parallel dazu existierenden Wissenschaftssystem aufzuzeigen. Konkret muss die Frage möglich sein, inwiefern die Jahre 1933 und 1945/49 als Zäsur und B r u c h wirkten, oder ob dem politischen Wandel kontinuierliche geschichtswissenschaftliche Forschung gegenübersteht. Daher erscheint es sinnvoll, auf einen relativ offenen Vergleichsansatz zurückzugreifen, der die Abgrenzung gegenüber liberalen Staatssystemen ebenso berücksichtigt wie auch die Grenzen der diktatorischen Herrschaft erkennen lässt. Ohne von einem festgelegten, deduktiv anwendbaren Strukturmodell totalitärer Herrschaft auszugehen, soll versucht werden, von der Empirie her einen Vergleichsrahmen aufzubauen. Das ,Dritte R e i c h ' und die D D R werden daher als Moderne Diktaturen verstanden, als eine durch ihren populistischen Rekurs auf die Massen und ihren absoluten, auf Dauer angelegten Herrschafts64 65

Vgl. Maier: .Totalitarismus', S. 1 2 3 - 1 2 5 . Einen Uberblick über die aktuelle Debatte zum Ansatz der Politischen Religion geben: Hans Maier: .Politische Religionen'. Ein Konzept des Diktaturvergleichs, in: Hermann Lübbe: Heilserwartung und Terror. Politische Religionen des 20. Jahrhunderts, Düsseldorf 1995, S. 9 4 - 1 1 2 ; Hans Maier (Hg.): Wege in der Gewalt. Die modernen politischen Religionen, Frankfurt am Main 2000; Hans Maier: Deutungen totalitärer Herrschaft 1 9 1 9 - 1 9 8 9 , in:Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 5 0 (2002), S. 3 4 9 - 3 6 6 und Schmiechen-Ackermann: Diktaturen, S. 49—55; Emilio Gentile: T h e Sacralization o f Politics in Fascist Italy, Cambridge (Mass.)/London 1996; Emilio Gentile:The Sacralization o f Politics. Definition, Interpretations and Reflections on the Question o f Secular Religion and Totalitarianism, in: Totalitarian Movements and Political Religions 1 (2000), S. 1 8 - 5 5 .

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anspruch bestimmte, autoritäre Staats- und Gesellschaftsform. 66 Die angestrebte Untersuchung geht von der prinzipiellen Vergleichbarkeit von .rechten' und .linken' Diktaturen des 20. Jahrhunderts aus, lässt aber Spielraum fur Differenzierung. Der Ansatz bietet die Möglichkeit, strukturelle, ideologische und interpretatorische Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erfassen.67 Die diachrone Gegenüberstellung der Rezeption von Reformation und Bauernkrieg im .Dritten Reich' und in der D D R erlaubt somit, auch beziehungsgeschichtliche Fragen zu berücksichtigen. Der spezifische Umgang der jeweiligen Diktatur mit Reformation und Bauernkrieg ist ebenso erfassbar wie auch allfällige personelle und inhaltliche Kontinuitäten, Parallelen und Diskontinuitäten in der Geschichtsschreibung zur Reformationszeit im Nationalsozialismus und der D D R . Die Publikationen der Reformationshistoriker sollen nicht aus einer quasiobjektiven Warte beurteilt, sondern über die historiographische Tradition, das politische Umfeld und die lebensweltliche Erfahrung der jeweiligen Historiker als Teil eines Diskurses verstanden werden. Der am Denken Michel Foucaults orientierte Diskursbegriff ist keineswegs auf den wissenschaftlichen Bereich beschränkt, sondern nimmt die soziale Ordnung insgesamt in den Blick und ist immer stark mit der Frage nach der Macht verknüpft. Diskurs sei nicht nur das, „was die Kämpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt: er ist dasjenige, warum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht". 68 Der Ausgangspunkt ist die Frage nach den Bedingungen, die darüber entscheiden, was zu einer Zeit und an bestimmter Stelle tatsächlich gesagt wird. 69 Foucault setzt voraus, „dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen". 70 Dabei soll mit Diskurs nicht nur die Einschränkung und das Verbot, sondern auch die Überschreitung und Übertretung benannt werden. Ein solcher Diskursbegriff liegt dem Habermas'schen Konzept des herrschaftsfreien Diskurses ebenso fern wie einem totalitarismus-theoretischen 66

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Das Konzept der Modernen Diktatur geht in Anlehnung an die Publikation .Permanent R e volution' von Sigmund Neumann aus dem Jahr 1942 von einem neuen Typus von Diktaturen aus, der nach dem Ersten Weltkrieg entstanden ist und sich deutlich von der antiken Idee einer konstitutionellen Diktatur abgrenzt. Die konstitutionelle Diktatur geht auf das römische Staatsverständnis zurück und meint ein Institut mit einem klaren, zeitlich begrenzten Auftrag zur Uberwindung einer akuten Notlage. Also eine Herrschaftsform, die heute wohl als N o t standsdiktatur umschrieben werden könnte. Vgl. Schmiechen-Ackermann: Diktaturen, S. 6/7 und 56.Vgl. auch Maier: .Totalitarismus', S. 119/120 und Kershaw: Nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft, S. 215/216. Vgl. auch Kocka: Nationalsozialismus und SED-Diktatur; Kocka: Nach dem Ende und Wehler: Diktaturenvergleich. Grundsätzlich auchThamer: Staatsmacht und Freiheit, insbesondere S. 30. Foucault: Die Ordnung, S. 11. Vgl. Konersmann: Der Philosoph, S. 77. Foucault: Die Ordnung, S. 10/11.

Einleitung

Blick, der in der Geschichtsschreibung einer Modernen Diktatur eine gänzlich staatlich gelenkte Legitimationswissenschaft sehen würde. Foucault meint mit ,Diskurs' ein feingliedriges System der Kommunikation im weitesten Sinne, das nicht als von oben verordnete Zwangsmaßnahme funktioniert, sondern die Disziplin aller daran Beteiligten einschließt. Staatliche Repression, Zensur oder sozialer Druck umfasst der Diskursbegriff ebenso wie Selbstdisziplinierung, Anpassung oder widersprechendes Verhalten. Philipp Sarasin weist daraufhin, dass die Foucault'sche Diskursanalyse auf einem empirischen Diskurskonzept beruhe. „Der Geist weht eben nicht, wo er will, sondern ist ein Effekt von diskursiven Strukturen, die historisch situierbar sind, eine soziale Kontur haben und an bestimmte Medien gebunden sind." 7 1 Damit umfasst der Diskursbegriff ein wesentliches Element einer Wissenschaftsgeschichte, die wissenschaftliche Einsicht und lebensweltliche Erfahrung argumentativ zu kombinieren versucht. Martin Sabrow spricht angesichts der staatssozialistischen Geschichtsschreibung von einem „Diskursgefängnis". 72 Das Bild des Gefängnisses mag hart erscheinen. Es thematisiert aber nicht nur die staatliche Unterdrückung der Wissenschaftsfreiheit, sondern beinhaltet auch die Frage nach präferierten respektive verdeckten Stoffen, Fragestellungen und Interpretamenten, nach den Bedingungen der Produktion historischer Darstellungen sowie oft unreflektiert angewendeten Argumentations- und Ausdrucksformeln. Insofern verbindet der Diskursbegriff die inhaltliche Analyse mit dem Blick auf die Strukturmerkmale der jeweiligen Historiographie. Die Frage nach einem allfälligen Diskursgefängnis ist für die Rezeption der Reformationszeit im ,Dritten Reich' daher ebenso passend wie für den Fall der D D R . Die Rezeption von Reformation und Bauernkrieg im .Dritten Reich' und in der D D R soll somit nach drei Richtungen hin untersucht werden: Erstens werden die Publikationen jener Jahre inhaltlich analysiert. Hier stellt sich die Frage nach der inneren Logik und der Erklärungskraft der Texte. Zweitens soll nach der Genese dieser Darstellungen und insbesondere nach dem Bezug der jeweiligen Interpretation zum politischen und gesellschaftlichen Umfeld gefragt werden. U n d drittens sind die Publikationen in die wissenschaftliche Tradition einzuordnen und Referenzpunkte, Brüche und Kontinuitäten zu benennen. Das historiographische Verhältnis von Diktatur und Revolution wird damit als dynamischer Prozess verstanden, der auf mehreren Ebenen analysiert werden muss. Inhaltliche Interpretation: U m den ideologisch-politischen Gehalt einer historischen Darstellung sichtbar zu machen, bedarf es vorab einer eingehenden Analyse, wie das Ereignis - in diesem Falle Reformation/Bauernkrieg - dargestellt und charakterisiert wird: Worin liegt die Ursache der Revolution? Von welchen Ständen, Gruppen oder Klassen wird die Bewegung getragen? Welche Ziele verfolgen sie? Welche Gegner haben sie? Weshalb scheitert die Revolution? Daran

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Sarasin: Diskurstheorie, S. 62. Sabrow: Geschichtskultur, S. 11.

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Einleitung lässt sich die Frage anschließen, ob die jeweilige Darstellung eine Fortschreibung früherer Interpretationen ist oder ob sie neue Aspekte beinhaltet. Eher selten kommt eine Fortentwicklung der historischen Interpretation (nur) aufgrund neu erschlossenen Quellenmaterials zustande. Meist zeigt sie jedoch eine Veränderung im diskursiven Rahmen an und steht damit in einer direkten Beziehung zur gesellschaftlichen Gegenwart. Interessant ist nun insbesondere die Frage, ob einer Interpretation eine legitimatorische Funktion für die jeweilige Diktatur zukommt. Grundsätzlich zwei Varianten sind dabei zu unterscheiden: Entweder findet eine Parallelisierung der Revolution im 16. Jahrhundert mit einer der (angeblich) revolutionären Diktaturen des 20. Jahrhunderts statt, oder aber die Geschehnisse werden zum Beweis für die jeweilige Geschichtsphilosophie erhoben. Eine Parallelisierung kann auf sehr vielfältige Weise geschehen und ist beispielsweise ebenso bezüglich der Ziele als auch der Gegner oder der Träger der Revolution möglich. Genese: Die historiographische Produktion stand sowohl im ,Dritten R e i c h ' als auch in der D D R im Kontext der Diktatur. Da beide Systeme ihren Anspruch auf eine politisch ausgerichtete Geschichtswissenschaft geltend machten, spielte die Zusammenarbeit von Staat, Partei und Wissenschaft bei der Genese wissenschaftlicher Publikationen eine zentrale Rolle. Dabei interessiert weniger die Frage nach den direkten Verstrickungen der Historiker in die jeweiligen Parteiapparate als die politische Bedingtheit ihrer wissenschaftlichen Arbeit an sich. Historiographische Tradition: Jede wissenschaftliche Arbeit steht in einer Traditionslinie. Entweder führt sie einen Interpretationsansatz weiter, oder sie grenzt sich von einem oder gar mehreren ab. Kaum j e aber steht sie losgelöst von der bisherigen Forschung im Raum. Dies gilt auch fur die Reformations- und Bauernkriegsforschung im .Dritten R e i c h ' und in der D D R , wobei für die D D R noch ein zusätzlicher Punkt angefügt werden muss: die Orientierung an der Geschichtswissenschaft der B R D . Daher soll auch untersucht werden, in welchen historiographischen Traditionen die jeweiligen Arbeiten stehen. Hierzu ist es notwendig, weit ins 19. Jahrhundert zurückzublicken und die Bauernkriegsschriften von Wilhelm Zimmermann und Friedrich Engels oder die Darstellung der Reformationszeit im Werk von Leopold von Ranke und Karl Lamprecht heranzuziehen. Von besonderer Bedeutung sind die Publikationen aus der Weimarer Zeit. Gerade für die Frage, ob es eine spezifisch nationalsozialistische Interpretation der Reformationszeit gab oder nicht, ist es unumgänglich, nach den Kontinuitäten und Brüchen über 1933 hinaus zu fragen. Die Geschichtswissenschaft war in beiden deutschen Diktaturen kein monolithischer Block, sondern ein heterogenes Gebilde, das insbesondere durch jedes darin involvierte Individuum geprägt wurde. Jeder Historiker hatte eine eigene Geschichte und eigene Prägungen, die für das Agieren innerhalb der jeweiligen Geschichtswissenschaft entscheidend war. Ausführliche biographische und lebensweltliche Untersuchungen würden den R a h m e n dieser Studie jedoch sprengen. Daher wird exemplarisch auf den Werdegang von j e einem Historiker im .Dritten R e i c h ' und in der D D R näher eingegangen. Als Beispiel dienen 24

Einleitung Günther Franz, der die Bauernkriegsforschung zwischen 1933 und 1945 klar dominierte, und Max Steinmetz, der lange Jahre der Doyen der Frühbürgerlichen Revolution war. Der Karriereverlauf von Franz und Steinmetz ist j e individuell und kann nicht als jeweiliger Idealtypus verstanden werden. Aufgrund ihrer dominanten Stellung kann anhand dieser beiden Wissenschaftler aber viel über das jeweilige Funktionieren der Geschichtswissenschaft ausgesagt werden - wohl weit mehr, als ein typologisierender Blick auf möglichst viele Biographien ermöglichen würde. 73 Dennoch kommt auch diese Studie nicht um typisierende Aussagen herum. Damit taucht die Problematik der Begrifflichkeit auf. Der Fragestellung der Untersuchung entsprechend sollen die Historiker nicht entlang ihrer Parteizugehörigkeit charakterisiert werden, sondern aufgrund ihres wissenschaftlichen Selbstverständnisses. Relativ deutlich kommt dies in der Bezeichnung marxistisch-leninistische Historiker zum Ausdruck. Etwas unklarer, aber ohne Alternative sind die Terme nationalsozialistische und bürgerliche Historiker. Als problematisch erweist sich auch die das 16. Jahrhundert betreffende B e grifflichkeit. Die Benennung historischer Ereignisse ist ein wichtiger Teil der Interpretation, und so stellt sich die Frage, mit welchem Ausdruck beispielsweise die Erhebung von 1524/25 benannt werden soll, ohne damit bereits ein Urteil über die zu untersuchenden Darstellungen zu fällen. Das Problem ist nicht wirklich aufzulösen: So wird in der vorliegenden Studie beispielsweise oft der traditionelle Begriff Bauernkrieg verwendet, obwohl damit das Ereignis nur unzureichend beschrieben ist. 74 Wenn abwechslungsweise auch von der Revolution von 1525 oder dem bäuerlichen Aufstand geschrieben wird, so ist dies rein stilistisch begründet. Dasselbe gilt auch für die - allerdings weniger umstrittene - B e zeichnung Reformation. Eine besondere Schwierigkeit bietet sich bei Termen mit einem eindeutigen politisch-ideologischen Hintergrund. Dies gilt beispielsweise für die Frühbürgerliche Revolution. Ohne auf diesen Begriff zurückzugreifen ist die Interpretationsarbeit der DDR-Geschichtswissenschaft kaum zu diskutieren. Solche Begriffe - etwa auch die im Nationalsozialismus verbreitete Bezeichnung Deutsche Revolution — werden aber nicht als historisches Faktum verstanden. Die Großschreibweise kennzeichnet sie als Name eines Interpretationskonzeptes.

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Solche Systematisierungsversuche hatten insbesondere in der evaluierenden Diskussion um die DDR-Geschichtswissenschaft zu Beginn der 1990er Jahre Konjunktur. Sie zeigte aber vor allem, wie schwierig und meist unbefriedigend die Zuordnung realer Figuren zu typologischen Verhaltenskategorien ist. Vgl. Possekel: Der Selbstwiderspruch, S. 137. Siehe auch Middell: Geschichtswissenschaft, S. 1 6 4 / 1 6 5 . „Vom Begriff Bauernkrieg Abschied zu nehmen, ihn wenigstens mit gehöriger Distanz zu gebrauchen, um sich den Zugang zum Phänomen 1525 nicht zu versperren, empfiehlt sich angesichts der Sozialstruktur der Revolution." Peter Blickle: Die Revolution von 1525, München 1 1975, S. 179. Für die zwischen 1524 und 1526 auftretenden Unruhen im Reich sind so verschiedene Bezeichnungen wie Revolution des gemeinen Mannes (Peter Blickle) oder sozialer Systemkonflikt (Rainer Wohlfeil) im Umlauf.Vgl. Blickle: Die Revolution, S. 2 9 8 / 2 9 9 .

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Quellenlage und Aufbau der Studie Zwei Quellengattungen sind bei der vorliegenden Untersuchung prinzipiell zu unterscheiden: die wissenschaftlichen Produkte, also die in Form von Monographien oder Aufsätzen publizierten Darstellungen zur Reformationszeit, und die Konzeptionen, Protokolle, Anweisungen, Korrekturvorgaben, Gesprächsnotizen und Briefe, die sich heute in Archiven finden und die Produktion und Rezeption dokumentieren. Der Korpus der ersten Quellengattung ist vollständig überliefert und in den deutschen Bibliotheken problemlos zu greifen. Gerade deswegen stößt die Analyse hier an eine Grenze. Allein 1983, dem Jahr des 500. Geburtstags von Martin Luther, erschienen in der D D R rund 300 Veröffentlichungen über den Wittenberger Theologen und die Reformation. Dieses Beispiel macht die Notwendigkeit einer Selektion deutlich und weist auf das Problem hin, wie die Kriterien für eine solche festgelegt werden können. Eine erste Einschränkung betrifft den Inhalt der analysierten Texte: Entsprechend der Fragestellung konzentriert sich diese Studie aufVeröffentlichungen, die nach der gesellschaftlichen Ursache, Bedeutung oder Wirkung von Reformation und Bauernkrieg fragen. R e i n theologische Abhandlungen interessieren ebenso wenig wie militärhistorische Analysen des Bauernkrieges. Innerhalb dieser Auswahl sollen nun diejenigen Publikationen untersucht werden, die entweder Resultat großer wissenschaftlicher Projekte sind oder von entscheidendem Einfluss auf den weiteren Interpretationsverlauf waren. Widersprüche sind zwar auch zu beachten; die unterdrückten Diskursströmungen einzufangen müsste sich aber — gerade weil sie unterdrückt waren — als utopisches Unterfangen herausstellen. Die genannten Kriterien können nicht verhindern, dass die Auswahl eine subjektive bleibt. Weiter sei darauf hingewiesen, dass der Untersuchungsraster hinsichtlich des Nationalsozialismus engmaschiger ist als bei der D D R . Dies begründet sich einerseits aus der erheblich längeren Existenzdauer der D D R . Anderseits war die Geschichtswissenschaft im ,Dritten R e i c h ' weit weniger zentralisiert und koordiniert und damit weniger homogen. U m die Rezeptionstopographie sichtbar zu machen, sind daher prozentual mehr Sondierungsbohrungen notwendig als im Falle der D D R . Die zweite Quellengattung ist dagegen viel fragmentarischer überliefert. Während die Dokumente zur DDR-Geschichtswissenschaft recht umfassend erhalten sind, gibt es für die Zeit von 1 9 3 3 - 1 9 4 5 erhebliche Lücken. Diese sind zum Teil auf direkte Kriegseinwirkungen, nicht selten aber auch auf willentliche Vernichtung zurückzuführen. Ein besonders krasses Beispiel geben die Akten der Reichsuniversität Straßburg, an der von 1941 bis 1944 auch Günther Franz wirkte. Die Unterlagen wurden im Herbst 1944, unmittelbar vor der Besetzung der Stadt durch die alliierten Truppen, größtenteils vernichtet. Ein kleiner Teil des Bestandes hatte zuvor j e d o c h den Weg aus der Stadt gefunden und war schließlich ins Bundesarchiv der B R D gelangt - darunter die Personalakten. Diese wurden zu einem späteren Zeitpunkt an das Bundesverwaltungsamt der

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Einleitung B R D ausgeliehen, gelangten aus ungeklärten U m s t ä n d e n aber nie m e h r ins Bundesarchiv zurück u n d gelten seit 1984 als vermisst. Lücken in den Personalakten sind längst nicht nur für die Reichsuniversität Straßburg zu beklagen. Die recht u m f a n g r e i c h überlieferten Bestände des Reichserziehungsministeriums k ö n n e n hier die g r ö ß t e n Leerstellen aber etwas ausfüllen. Als weitere zentrale NS-Bestände des Bundesarchivs erwiesen sich die Akten des Reichssicherheitshauptamtes, des Ahnenerbes, des Amtes R o s e n b e r g , des Propagandaministeriums, des Reichsnährstandes u n d des ehemaligen Berlin D o c u m e n t Center. N e b e n den Unterlagen aus dem Bundesarchiv waren auch die Akten aus ausgewählten Universitätsarchiven aufschlussreich. U m nicht nur den Blick der politischen Zentrale in Berlin w i e d e r z u g e b e n , sind sie unverzichtbar. Dasselbe gilt auch für die D D R , o b w o h l hier keine vergleichbaren Lücken existieren. E n t sprechend werden die A k t e n aus d e m M i n i s t e r i u m f ü r das H o c h - u n d Fachschulwesen oder die Protokolle des Politbüros mit Unterlagen aus Universitäten u n d Instituten ergänzt. Zentral sind zudem die heute in der Stiftung Archiv der Parteien u n d Massenorganisationen der D D R im Bundesarchiv zusammengefassten Bestände der SED. N e b e n diesen institutionellen Akten wurde mit Nachlässen gearbeitet — insbesondere mit denjenigen von G ü n t h e r Franz (Universitätsarchiv S t u t t g a r t - H o henheim) u n d M a x Steinmetz (Universitätsarchiv Leipzig). Bei diesen Beständen der beiden Universitätsarchive handelt es sich u m wissenschaftliche Nachlässe, die neben Manuskripten u n d Arbeitsmaterialien auch umfangreiche Briefwechsel enthalten. I m Falle von M a x Steinmetz stand der ganze in Leipzig überlieferte Nachlass zur Bearbeitung offen, im Falle von Günther Franz galten gewisse Einschränkungen. 7 5 Z u Franz konnte zusätzlich eine unveröffentlichte Autobiographie eingesehen werden, die er anlässlich seines 80. Geburtstages verfasst hat. Als F u n d a m e n t für die Argumentation wird diese j e d o c h nur dann verwendet, w e n n sich die von Franz rückblickend beschriebenen Sachverhalte aus anderen Quellen verifizieren lassen. D e r Suche nach historiographischen Traditionslinien schuldet diese U n t e r s u c h u n g ihren A u f b a u - die Kapitel folgen einer chronologischen O r d n u n g . Innerhalb der Kapitel wird die strenge C h r o n o l o g i e in inhaltlich b e g r ü n d e t e n Fällen j e d o c h teilweise verlassen. A m Anfang stehen zwei Kapitel, die nach den Interpretationen des 19. Jahrhunderts (2) u n d der Zwischenkriegszeit (3) fragen, also nach denjenigen D a r stellungen, die gewissermaßen den R e f e r e n z r a h m e n f ü r die Geschichtsschreib u n g im ,Dritten R e i c h ' u n d in der D D R bildeten. Danach folgen die beiden Hauptteile, von denen sich j e einer d e m .Dritten R e i c h ' (4) u n d der D D R (6) widmet. Die Struktur dieser beiden Teile weicht voneinander ab. W ä h r e n d das 4. Kapitel die relativ kurze Zeitspanne von 1933-1945 umfasst, widmet sich das 75

Die Quellen bis 1945 und somit die für die vorliegende Studie relevanten Akten konnten ohne Einschränkung benutzt werden. Die nach 1945 entstandenen Dokumente waren für die vorhegende Untersuchung mit wenigen Ausnahmen jedoch nicht einsehbar.

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Einleitung

6. Kapitel den 40 Jahren von der G r ü n d u n g der D D R 1949 bis zum Fall der Berliner Mauer 1989. Wegen des unterschiedlichen zeitlichen R a h m e n s u n d aufgrund des jeweiligen Interpretationsverlaufs weist der Teil zum Nationalsozialismus eine stärker thematische, der Teil zur D D R jedoch eine stärker chronologische Ordnung auf. Zwischen den beiden Hauptteilen steht ein kürzeres Kapitel, dem gewissermaßen die Funktion eines Scharniers zukommt. Es umfasst die Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der D D R und thematisiert die .Rückeroberung' der Reformationszeit durch die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft nach dem Ende des ,Dritten Reiches' (5). Der Text versucht fortlaufend auf Ubereinstimmungen und Differenzen zwischen einzelnen Interpretationen, aber auch in der Bedeutung und Funktion der Geschichtsschreibung in den beiden deutschen Diktaturen einzugehen und stellt damit eine beziehungsgeschichtliche Verbindung her. Der eigentliche Vergleich folgt aber erst in zwei Kapiteln am Ende der Studie. Das eine versucht anhand zweier biographischer Skizzen zu Günther Franz und Max Steinmetz dem Verhältnis zwischen dem einzelnen Historiker und dem wissenschaftlichen System im .Dritten R e i c h ' und in der D D R nachzuspüren. Im anderen und abschließenden Kapitel werden die Ergebnisse der gesamten Untersuchung zusammengefasst und miteinander verglichen. Durch die Vergleichsfolie der jeweils anderen Diktatur kann so der Blick auf die jeweilige Rezeptionsgeschichte nochmals geschärft analysiert werden. Dabei interessiert die stoffliche Seite ebenso wie die Produktionsmechanismen, die normativen Deutungsrahmen und deren Verhältnis zum Geschichtsbild.

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2 Referenzpunkte der Geschichtsschreibung zur Reformationszeit. 1517-1918

2.1 Im Widerstreit der Konfessionen Die Reformation gilt seit ihrem Ausbruch vor bald 500 Jahren als zentrales Ereignis der deutschen Geschichte. Schon unter den Zeitgenossen gab es jedoch große Meinungsverschiedenheiten darüber, wie jener Umbruch zu deuten und zu bewerten sei. Insbesondere das Urteil über Martin Luthers Theologie und sein Handeln war von enormen Differenzen geprägt. Die Bilder zu seiner Person reichen vom diabolischen Demagogen, der das Ende der mittelalterlichen Einheit herbeiführte, bis zum beinahe übermenschlichen Theologen, der den Weg zum wahren Glauben ebnete. Die jeweiligen Positionen lassen sich in der Regel auf den konfessionellen Hintergrund der Autoren zurückfuhren. Die von Luthers Weggefährten Philipp Melanchton (1497-1560) verfasste Biographie des Wittenberger Reformators war ein erster Markstein der protestantischen Sicht und lässt Luther als großen Kämpfer für den Frieden erscheinen. Prägend für das protestantische Reformationsbild der Frühen Neuzeit waren insbesondere die Kommentarien Johannes Sleidans (1506-1556). In dem 1555 erstmals erschienenen Werk wird der 1531 von protestantischen Fürsten und Städten geschlossene Schmalkaldische Bund als Versuch beschrieben, den deutschen Geist vom römischen Diktat zu befreien. Einen Gegenpol hierzu bildete etwa die vom katholischen Arzt Johann Pistorius (1546—1608) Ende des 16. Jahrhunderts geschriebene .Anatomia Lutheri'. Sie beschreibt die Reformation als Ereignis, das zum Niedergang der Sitten und der geistigen Kultur geführt habe.1 Nach konfessionellen Kriterien wurde auch der Bauernkrieg interpretiert. Unter Altgläubigen herrschte die Meinung vor, Luther und die von ihm ausgelöste reformatorische Bewegung seien die Urheber des Aufstandes gewesen. Die reformierte Seite antwortete darauf mit einer Unterscheidung verschiedener Strömungen der Reformation: Die Anführer der bäuerlichen Revolution hätten die reformatorische Lehre einzig als Deckmantel verwendet und damit ihre eigensüchtigen, irdischen Wünsche zu legitimieren versucht. Die evangelische Theologie sei dadurch fleischlich gemacht worden. 2 Der Ursprung dieser Sichtweise geht auf Luther selbst zurück. Der Wittenberger Theologe versuchte so vor

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Einen guten Überblick über die Quellen sowie die ältere Literatur gibt Schnabel: Geschichtliche Quellen, S. 238-365. Beachtenswert zudem Nipperdey/Melcher: Bauernkrieg; Wohlfeil: Reformation oder frühbürgerliche Revolution, S. 205—299 und Brady: Zwischen Gott und Mammon, S. 11-16. Vgl. Buszello: Deutungsmuster, S. 11 und 12.

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allem Thomas Müntzer, den Anführer des thüringischen Bauernkrieges, als teuflischen Verfuhrer zu brandmarken. Einen „Mordpropheten" und „Rottengeist" nannte Luther ihn und forderte die Fürsten auf, die von Müntzer angeführte R e volution mit aller notwendigen Gewalt niederzuwerfen. Die Schuld an der großen Resonanz Müntzers wies Luther der römischen Kirche zu. Denn diese hätte das wahre Wort Gottes unterdrückt und die wahren Prediger verfolgt.3 Somit waren im 16. Jahrhundert divergente Grundpositionen entstanden, deren Argumentationsstrukturen selbst noch in der Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts präsent waren. Einigkeit weisen die Zeugnisse aus dem 16. Jahrhundert einzig darin auf, dass der Aufstand von 1525 auf die Zerstörung der legitimen weltlichen Ordnung hinausgelaufen wäre. Schon die von zeitgenössischen Adligen, Klerikern und Magistraten geprägte Bezeichnung .Bauernkrieg' verweist auf die Ressentiments, mit denen der Erhebung weit herum begegnet wurde. „Ein Bauernkrieg disqualifizierte sich von selbst, ihm ging jeder positive Zug ab", bemerkt der Historiker Horst Buszello dazu.4

2.2 Im Ringen um eine Neuordnung des Reiches Im 17. und 18. Jahrhundert nahm die Beschäftigung mit dem Bauernkrieg stark ab. Sie fand höchstens noch in der Auseinandersetzung mit dem Werk und der Person von Martin Luther statt. Im Zuge der Aufklärung wurde der Reformator nicht mehr nur konfessionell, sondern auch hinsichtlich seiner Fortschrittlichkeit beurteilt. Sahen die einen in ihm vor allem einen mittelalterlichen Denker, rechneten ihm die anderen die Befreiung von den Ketten Roms an. 5 Nun erscheint die Reformation auch erstmals nicht nur als eine R e f o r m , sondern als revolutionärer Bruch mit dem Althergebrachten. Das Denken der Romantik addierte zusätzlich ein nationales Element hinzu. Johann Gottfried Herder (1744—1803) betonte Luthers Bedeutung für die deutsche Nation und ihre Hochsprache. Der Reformator wurde zum Prototypen des romantischen Genies. Im Zuge der Französischen Revolution und dem Ringen um die deutsche Nation im 19. Jahrhundert fand bald auch der Bauernkrieg neue Beachtung. Dabei wurde er sowohl zum Warn- als auch Vorbild für die eigene Zeit. Im 19. Jahrhundert gewann die Idee der deutschen Nation zunehmend an Kraft und parallel dazu etablierte sich die Geschichtsschreibung als Wissenschaft. Vor dem Hintergrund der zähen Reichseinigung und denVersuchen zur revolutionären gesellschaftlich-politischen Erneuerung entstanden nun grundlegende Studien zur Reformationszeit, die für die deutsche Historiographie des 20. Jahr3

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Eine ausfuhrliche Historiographie des Müntzerbildes von der Reformation bis zu Friedrich Engels' Bauernkriegsmonographie wurde von Max Steinmetz erarbeitet. Vgl. Steinmetz: Das Müntzerbild. Buszello: Deutungsmuster, S. 12. Die Diskussion um diese Frage wurde bis in die 1930er Jahre hinein weitergeführt.Vgl. Kapitel 3.2.

Im Ringen um eine Neuordnung des Reiches hunderts lange Zeit wichtige Referenzpunkte darstellten. Dies gilt auch für die Geschichtswissenschaft im nationalsozialistischen Deutschland und in der D D R . Den Marksteinen des 19. Jahrhunderts ist daher an dieser Stelle einige Aufmerksamkeit zu schenken. 6

2.2.1 Erste moderne Darstellungen des Bauernkrieges Den konfessionellen Graben konnte die Französische Revolution nicht zuschütten. Die politischen Umbrüche schärften aber den Blick für eine neue Sicht auf die Geschichte - auch im deutschen Kulturraum. Fragen nach den sozialen und politischen Kräften in der Geschichte tauchten auf und der Bauernkrieg trat aus der Rolle eines Anhängsels der Reformation. Geprägt von der revolutionären Stimmung des ausgehenden 18. Jahrhunderts verfasste Georg Friedrich Sartorius (1765-1828) „die erste ,moderne' Bauernkriegsmonographie" 7 . Er schilderte den Bauernkrieg nicht als Folge der Reformation, sondern erklärte ihn über vorreformatorische Bauernunruhen und städtische Aufstände. Die Wurzel der Bewegung sah er in den Gebrechen der politischen und kirchlichen Ordnung, die durch den Starrsinn der Herren und der altgläubigen Geistlichkeit hervorgerufen worden sei. Die Reformation hatte demnach einzig den bereits glimmenden Brand zum lodernden Feuer entfacht. Dennoch war sein Blick ein skeptischer und die Schrift vor allem eine Mahnschrift an die Obrigkeiten des ausgehenden 18. Jahrhunderts; es „war ein Aufruf, notwendige Reformen durchzuführen, um einem Volksaufstand zuvorzukommen." 8 Sartorius hatte bereits auf die soziale Breite der Revolution hingewiesen, Ferdinand Oechsle (1774-1852) ergänzte 1830 das Bild des Bauernkrieges um einen weiteren Aspekt. Er veröffentlichte nach eigenen, aber recht beschränkten Archivstudien einen Band mit Verfassungsplänen der aufständischen Bauern. Damit widerlegte er die bis dahin kaum hinterfragte Sichtweise, dass die Aufständischen nur destruktiv gewirkt hätten. Hierin spiegelt sich das politische Ringen um eine neue Reichsordnung. Der Bauernkrieg erschien nicht mehr nur als Mahnmal, sondern geriet vor allem unter Liberalen und Demokraten des Vormärz auch zum historischen Vorbild. Insbesondere dem „Verfassungsentwurf für das deutsche R e i c h " — dem Heilbronner Programm — begegneten sie mit großer Achtung. Der

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Vgl. Chaix: Die Reformation, S. 1 3 - 1 8 . Buszello: Deutungsmuster, S. 13.Vgl. Sartorius:Versuch einer Geschichte; zu Sartorius siehe auch Wolfgang von Hippel: Bauernkrieg, Französische Revolution und aufgeklärte Humanität. Zum Geschichtsbild des deutschen Bürgertums am Ende des 18. Jahrhunderts im Spiegel von Georg Friedrich Sartorius',Versuch einer Geschichte des Deutschen Bauernkrieges', in: Bauer, Reich und Reformation. Festschrift für Günther Franz, hrsg. von Peter Blickle, Stuttgart 1982, S. 3 0 9 - 3 2 9 . Buszello: Deutungsmuster, S. 13.Vgl. auch Vahle: Der deutsche Bauernkrieg, S. 2 5 7 / 2 5 8 .

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Bauernkrieg wurde ihnen zum frühen Kampf um eine Erneuerung des Reiches, auf dem Felde angeführt vom heroischen Florian Geyer. 9 Noch expliziter als Oechsle lehnte Wilhelm Zimmermann ( 1 8 0 7 - 1 8 7 8 ) die Verteufelung des Bauernkrieges ab. Der Bauernkrieg sei das „prophetische Vorbereitungswerk der neueren Weltgeschichte", schrieb Zimmermann wenige Jahre bevor die liberale Revolution von 1848 Europa aufwühlte. „Alle Erscheinungen der späteren sozialen Bewegungen in Europa liegen in der Bewegung von 1525 eingeschlossen: Sie ist nicht nur der Anfang der europäischen Revolutionen, sondern ihr Inbegriff im kleinen." 1 0 Die Ursache jener Revolution sah er „in den Verhältnissen des gemeinen Mannes und in der Zeit". 1 1 Ahnlich wie Sartorius bezeichnete Zimmermann die Reformation als den „elektrische[n] Schlag", der den lange angesammelten Brennstoff gezündet hatte. Das Evangelium habe dabei als Bindemittel gewirkt, das aus lokalen Bewegungen und Unzufriedenheiten eine Einheit machte. Somit eröffnete sich Zimmermann die Möglichkeit, dem Bauernkrieg auch eine nationale Stoßrichtung zuzuschreiben: Wenn sich Luther nicht gegen diese aus dem Evangelium gewonnenen politisch-gesellschaftlichen Forderungen gestellt hätte, wenn er der „Mann des Volkes" geblieben wäre, „so wären die Deutschen eine Nation geworden, eins in Glauben und freier bürgerlicher Verfassung, die religiöse und politische Zerrissenheit und Unmach, alle Not und Schmach des sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, aller Jammer des Tausendherrenländchenwesens wäre nicht gekommen". 1 2 Daraus entwickelte Zimmermann auch eine andere Sichtweise auf Müntzer. Gerade weil dieser - im Gegensatz zu Luther - die politisch-gesellschaftlichen Konsequenzen aus der evangelischen Grundlage gezogen hatte, brachte ihm Zimmermann große Verehrung entgegen. Zimmermann stellte den Bauernkrieg erstmals als entscheidende Weichenstellung in der deutschen Geschichte dar und wies Thomas Müntzer eine gänzlich neue R o l l e zu. Mit seiner Monographie gab er der künftigen Forschung zum Bauernkrieg nicht nur inhaltlich wesentliche Impulse, sondern stellte auch eine umfangreiche empirische Grundlage zur Verfugung. „Sein Buch, obwohl hie und da lückenhaft, ist immer noch die beste Zusammenstellung des Tatsächlichen." So urteilte Friedrich Engels (1820-1895) und verwendete Zimmermanns Darstellung als Basis für seine eigene Veröffentlichung zu diesem Gegenstand. 13

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Vgl. Oechsle: Beiträge zur Geschichte. Oechsle beschränkte sich auf die hohenlohischen Archive und die Akten des Stuttgarter Staatsarchivs. Aufgrund dieser Quellenauswahl gelangte er zu der Auffassung, die Aufständischen hätten keine revolutionären Umwälzungen, sondern nur die Reform von Staat und Gerichten angestrebt. Die viel radikaleren Forderungen etwa der Thüringer Bauernhaufen untersuchte er nicht. Vgl. Vahle: Der deutsche Bauernkrieg, S. 258. Zimmermann: Der grosse deutsche Bauernkrieg, S. 8. Zimmermann: Der grosse deutsche Bauernkrieg, S. 9. Zimmermann: Der grosse deutsche Bauernkrieg, S. 622 sowie 613—618. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 7.

Im Ringen um eine Neuordnung des Reiches

2.2.2 Friedrich Engels und ,Der deutsche Bauernkrieg' „Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition. Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolution anderer Länder an die Seite stellen können, wo das deutsche Volk eine Ausdauer und Energie entwickelte, die bei einer zentralisierten Nation die großartigsten Resultate erzeugt hätte, wo deutsche Bauern und Plebejer mit Ideen und Plänen schwanger gingen, vor denen ihre Nachkommen oft genug zurückschaudern." 14 Mit diesen programmatischen Sätzen eröffnete Marx'Weggefährte Friedrich Engels seine Schrift über den deutschen Bauernkrieg. Diese gab laut dem marxistischen Historiker Max Steinmetz der „bäuerlich plebejischen Revolution erstmals den richtigen Platz in der Geschichte". 15 Die Studie, noch unter dem Eindruck der missglückten Revolution von 1848 verfasst,16 vertritt die These, dass die Reformation und deren „Kulmination" im Bauernkrieg eine im marxistischen Sinne soziale Revolution gewesen sei. 17 Sowohl die Reformation als auch der Bauernkrieg hätten sich in ihrem Kern gegen das Feudalsystem gewandt. In der Reformation sei dies im Kampf gegen die römische Kirche — der größte Feudalherr des Reiches —, im Bauernkrieg durch die Revolte gegen die Fürsten zum Ausdruck gekommen. Engels verstand diese Konflikte des frühen 16. Jahrhunderts als Klassenkämpfe, die aufgrund materieller Gegebenheiten und gesellschaftlicher Antagonismen ausgebrochen waren. Nach marxistischer Formationstheorie folgt auf eine feudale eine bürgerliche Gesellschaft. Die Revolution gegen eine feudale Ordnung stellt somit objektiv immer eine bürgerliche Revolution dar. Erst aus dem Klassenantagonismus einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft kann sich eine sozialistische Revolution entwickeln, die schließlich zur klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus fuhrt. Die bürgerliche Revolution ist daher ein notwendiger geschichtlicher Entwicklungsschritt und wird vom Historischen Materialismus positiv bewertet. Mit Friedrich Engels'Arbeit zum Bauernkrieg erhielt die marxistische Geschichtsphilosophie erstmals ein Belegstück im 16. Jahrhundert. Die Ursache dieser bürgerlichen Revolution sah Engels in der damaligen ökonomischen Lage Deutschlands begründet. Er beschrieb das Reich als prosperierenden Raum, der dank der Entwicklung der Weberei und erster handwerklicher Manufakturproduktion die mittelalterliche Lokalwirtschaft hinter sich gelassen hatte. Vor allem dem mitteldeutschen Bergbau räumte Engels einen europäischen Spitzenplatz ein. Diese Überlegenheit habe nicht nur in der Menge des geförder-

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Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 29. Steinmetz: Das Müntzerbild, S. 417. Leben und Werk des Historikers Max Steinmetz werden in Kapitel 6 und 7 ausfuhrlich dargestellt. Die erste Fassung wurde von Engels im Sommer 1850 geschrieben und erschien im gleichen Jahr im 5. und 6. Heft der ,Neuen Rheinischen Zeitung'. Der hier verwendeten und zitierten Ausgabe liegt die dritte deutsche Ausgabe von 1875 zugrunde. Vgl. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 42.

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ten Erzes, sondern auch in der frühkapitalistischen Produktionsweise bestanden. 18 Im Gegensatz zu Frankreich oder England, wo laut Engels das Anwachsen des Handels eine Zentralisierung der Herrschaftsstrukturen zur Folge hatte, sei diese Entwicklung im R e i c h ausgeblieben. Daraus habe sich eine gesellschaftliche Situation ergeben, die durch den Machtzerfall des niederen Adels, insbesondere der Ritterschaft, geprägt gewesen sei. Die Fürsten hätten ihre dadurch neu gewonnene Stärke ausgenützt und eine für den aufkeimenden Handel ruinöse Steuerpolitik betrieben. Eine ebenfalls negative Rolle schrieb Engels dem städtischen Patriziat zu, da dieses den Gemeinden ihre Rechte aus den Händen genommen und das Geld der gewerbetreibenden Bürger veruntreut habe. Auf der anderen Seite der städtischen Sozialskala standen laut Engels die Gesellen und Tagelöhner - die Plebejer. Auf dem Land fand diese Klasse ihr Äquivalent in den Bauern. „Auf dem Bauer lastete der ganze Schichtaufbau der Gesellschaft: Fürsten, Beamte, Adel, Pfaffen, Patrizier und Bürger. O b er der Angehörige eines Fürsten, eines Reichsfreiherrn, eines Bischofs, eines Klosters, einer Stadt war, er wurde überall wie eine Sache, wie ein Lasttier behandelt, und schlimmer. War er Leibeigener, so war er seinem Herrn auf Gnade und Ungnade zur Verfügung gestellt. War er Höriger, so waren schon die gesetzlichen, vertragsmäßigen Leistungen hinreichend, ihn zu erdrücken." 19 Diese beiden untersten Klassen wiesen laut Engels ein großes revolutionäres Potenzial auf, waren jedoch im Mittelalter aufgrund ihrer geographischen Immobilität immer nur zu lokalen Revolten fähig gewesen. In dieser vielfach gespaltenen Gesellschaft hätten die Thesen Luthers entscheidende Wirkung entfaltet. Mit den Auseinandersetzungen um die Reformation seien jedoch nicht „theologische Zänkereien", sondern Klassenkämpfe ausgefochten worden. Es wäre „leichtgläubig [...], alle Illusionen für bare Münze zu nehmen, die sich eine Epoche über sich selbst macht". 2 0 Die „durcheinanderkreuzenden Bestrebungen der Ritter wie der Bürger, der Bauern wie der Plebejer, der souveränitätssüchtigen Fürsten wie der niederen Geistlichkeit" fanden in der Reformation gemeinsamen Ausdruck und es kam zu einer „über Nacht gebildeten Allianz aller Oppositionselemente". 21 Diese Front habe aber zu viele divergierende Klasseninteressen vertreten, weshalb sie sich in zwei Lager gespalten

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In der sowjetischen Geschichtswissenschaft entbrannte in den Jahren 1956/57 eine Kontroverse darüber, ob Engels die wirtschaftliche Lage wirklich als fortschrittlich eingeschätzt habe oder nicht. Tatsächlich beschrieb er in der Bauernkriegs-Ausgabe von 1850 die deutsche Wirtschaft weit weniger fortschrittlich als in den späteren Ausgaben. Diese Abweichung bot Grundlage für eine Diskussion über den Charakter des Bauernkrieges als Teil einer bürgerlichen Revolution.Vgl. hierzu Kapitel 6.2. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 42. Die „Illusionen", die sich die Epoche über sich selbst gemacht habe, sind laut Engels die Auffassung, dass es sich bei der Reformation um einen theologischen und innerkirchlichen, nicht aber einen gesellschaftlichen Konflikt gehandelt habe. Vgl. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 46. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 89.

Im Ringen um eine Neuordnung des Reiches habe: Bürgertum und Adel gruppierten sich u m Luther, und Bauern und Plebejer bildeten eine besondere, revolutionäre Oppositionspartei. Die Plebejer seien somit unter d e m Einfluss der Bauern erstmals zu einer Partei geworden. Damit sei die Möglichkeit fìir eine gemeinsame Erhebung der untersten Schicht gegeben gewesen, die R e v o l u t i o n möglich geworden. D e n n o c h b e t o n t e Engels i m m e r wieder, dass auch die revolutionäre Partei eine sehr heterogene B e w e g u n g mit vielen unterschiedlichen Lagern gewesen sei. D e n stärksten Ausdruck der reformerisch-bürgerlichen Strömung des Bauernkrieges sah er im Heilbronner P r o g r a m m . D i e Forderungen nach Einheit von Münze, M a ß u n d Gewicht oder nach A u f h e b u n g der inneren Zölle hätten weit mehr dem „Interesse der Städtebürger als der Bauern" entsprochen. 2 2 Als revolutionär charakterisierte Engels hingegen die P r o g r a m m e der Aufständischen in Thüringen unter der Führung Thomas Müntzers. Je stärker sich die revolutionäre Partei auch gegen die bürgerliche B e w e g u n g zu richten b e g o n n e n habe, desto mehr sei Luther zum Ideologen der Fürsten geworden. Beim Ausbruch der Kämpfe in Schwaben sei Müntzer sofort nach Mühlhausen geeilt, u m hier ein norddeutsches Z e n t r u m der B e w e g u n g aufzubauen. Da die Zeit nicht reif gewesen sei, habe Müntzer versucht, den Aufstand der Volksmassen hinauszuzögern. Dies sei aber nicht m e h r möglich gewesen, der alte patrizische R a t wurde gestürzt. „Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die R e g i e r u n g zu ü b e r n e h m e n , w o die B e w e g u n g n o c h nicht reif ist f ü r die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die D u r c h f ü h r u n g der Maßregeln, welche die H e r r schaft dieser Klasse erfordert. Was er tun kann, hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von der Höhe, auf die der Gegensatz der verschiedenen Klassen getrieben ist, u n d von d e m Entwicklungsgrad der materiellen Existenzbedingungen, der P r o d u k t i o n s - u n d Verkehrsverhältnisse, auf d e m der jedesmalige E n t w i c k lungsgrad der Klassengegensätze beruht. Was er tun soll, was seine eigene Partei von ihm verlangt, hängt wieder nicht von i h m ab, aber auch nicht von dem Entwicklungsgrad des Klassenkampfes und seiner Bedingungen. [...] Er findet sich so notwendigerweise in einem unlösbaren Dilemma: Was er tun kann, widerspricht seinem ganzen bisherigen Auftreten, seinen Prinzipien und den unmittelbaren Interessen seiner Partei; u n d was er t u n soll, ist nicht d u r c h z u f ü h r e n . [...] Wer in diese schiefe Stellung gerät, ist unrettbar verloren." 2 3 Laut Engels war aber nicht nur der frühe Zeitpunkt der Kämpfe in Thüringen für das Scheitern von Müntzers Bewegung entscheidend gewesen, sondern vor allem auch die historisch-gesellschaftliche Situation an sich. D e r Angriff auf das Privateigentum, die Forderung nach einer christlichen Gütergemeinschaft, die Umbildung der Gesellschaft nach kommunistischen „Phantasien" seien noch „so

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Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 123. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 135.

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Referenzpunkte der Geschichtsschreibung zur Reformations zeit. 1517—1918 wenig in den materiellen Verhältnissen begründet" gewesen, dass der Versuch habe scheitern müssen. 24 Die bürgerlichen Ziele, etwa das Heilbronner Programm, waren laut Engels j e doch aus anderen Gründen zum Scheitern verurteilt: Erstens erschwerte die Zersplitterung des Reiches die Bildung einer koordinierten, nationalen Opposition. 25 Müntzer habe dieses Problem gesehen und deshalb versucht,Thüringen als Aufstandszentrum Mitteldeutschlands aufzubauen. Zweitens verhinderte die „Lokalborniertheit" der Bauern und Plebejer eine allgemeine Erhebung. 2 6 U n d drittens führten die subjektiven Interessen der „Städtebürger" dazu, dass sie lieber ihre Privilegien verteidigten und sich mit den Fürsten verbündeten, als sich dem Kampf der Bauern und Plebejer anzuschließen. 27 Die wichtigste Folge der Niederlage der Bauernheere habe der wichtigsten Ursache entsprochen: die Territorialisierung des Reiches. Das Ziel der .ersten bürgerlichen Revolution', eine zentralisierte deutsche Nation zu bilden, war laut Engels zum Vorteil der Fürsten in weite Ferne gerückt. 28 Engels war nicht der Erste, der den Bauernkrieg als gesellschaftliche Bewegung ernst nahm. Dennoch lag seiner Interpretation eine fundamental neue Sichtweise zugrunde. Die Reformation erscheint bei ihm nicht mehr als geistig-theologisches Ereignis, sondern als eine in ein theologisches Kleid gehüllte Ideologie. Ebenso wie in der Reformation sah er auch im Bauernkrieg ein Phänomen der gesellschaftlichen Situation des frühen 16. Jahrhunderts. Der Bauernkrieg wurde so zum gewalttätigen Höhepunkt einer mit dem Thesenanschlag 1517 ausgebrochenen revolutionären Bewegung, „die zeitgemäß in religiöser Form erschien, in der Reformation" 2 9 . Damit folgt seine Interpretation dem klassischen Verlaufsmodell des Historischen Materialismus von Praxis-Theorie-Praxis. Die Reformation formulierte die Gedanken, u m eine überkommene gesellschaftliche Situation zu überwinden, und der Bauernkrieg stellte denVersuch dar, diese praktisch u m zusetzen. Die Revolution erscheint damit als progressiv und daher positiv. Die einleitenden Sätze haben deutlich gezeigt, dass Engels nicht nur eine historische Analyse anstrebte, sondern auch ein Lehrstück für seine eigene Zeit verfassen wollte. Aus seiner Interpretation ergibt sich jedoch eine Spannung, die Engels nicht aufzulösen vermochte: Er schob die Reformationstheologie als Hülle beiseite, obwohl ihr die Rolle zugekommen sei, aus dem vorhandenen Klassenantagonismus einen revolutionären Kampf entstehen zu lassen. Oder anders ausgedrückt: Engels bleibt eine Erklärung dafür schuldig, weshalb Luthers Theologie ihre enorme

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Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 136. Vgl. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 150. Am offensichtlichsten kommt dies laut Engels mit dem Vertrag von Weingarten zum Ausdruck. Vgl. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 120. Vgl. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 29 und 56. Vgl. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 150. Marx/Engels/Lenin/Stalin: Zur deutschen Geschichte, S. 563.

Im Ringen um eine Neuordnung des Reiches Wirkung entfalten konnte. Probleme ergeben sich auch durch die Charakterisierung von R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg als bürgerliche Revolution. Die Aufständischen des Bauernkrieges entstammten kaum dem Städtebürgertum, sondern waren Bauern oder zählten zu den städtischen Unterschichten. 3 0 Bürgerlich kennzeichnet also nicht die Trägerschicht des Bauernkrieges, sondern dessen angebliche gesellschaftliche Wirkung im Falle eines Sieges der Revolution. Wie bereits dargestellt, war für Engels das Heilbronner Programm klarer Ausdruck dieser Stoßrichtung. Der Höhepunkt des Bauernkrieges ereignete sich jedoch nicht im Südwesten des Reiches, sondern in Thüringen unter Müntzers Führung. Es ist aber kaum sinnvoll, Müntzers Programm als bürgerlich zu bezeichnen. Es ließe sich argumentieren, dass ein erfolgreicher Kampf gegen die Fürsten zu einer Zentralisierung des Reiches gefuhrt hätte und damit ein nationaler, den Bedürfnissen des frühkapitalistischen Marktes entsprechender Wirtschaftsraum entstanden wäre. Müntzers Revolutionstheologie enthielt aber etwa bezüglich der Eigentumsfrage kommunistische Elemente, die kaum bürgerlichen Interessen entsprechen. Engels glaubte jedoch, dass „die Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie [...] in der Wirklichkeit eine Antizipation der modernen bürgerlichen Gesellschaft" dargestellt habe. 31 Daraus entwickelt sich ein dritter Problemkreis: Es ist schwer zu erklären, weshalb es Müntzer möglich gewesen war, eine radikale Strömung zu formieren, obwohl er gegen seinen Willen den Zielen einer fremden Klasse dienen musste. Engels' Bauernkriegsmonographie hinterließ in akademischen Kreisen vorerst kaum Spuren. Sie wurde nur innerhalb der Arbeiterbewegung rezipiert und hatte vor allem propagandistische Wirkung. Das gilt auch für die Schriften von August Bebel (1840-1913) zum Bauernkrieg, von Karl Kautsky (1854-1938) zum .Kommunismus in der deutschen R e f o r m a t i o n ' oder Franz Mehrings (1846-1919) Aufsätze ,Zur deutschen Geschichte': In der universitären Diskussion wurden sie kaum wahrgenommen. Sie knüpften in ihren eher populärwissenschaftlichen Schriften stark an Engels an, ohne aber dessen Konzeption ganz zu ü b e r n e h men. 3 2 Insbesondere August Bebel und Franz Mehring lösten die Einheit von Reformation und Bauernkrieg auf und öffneten damit einer unterschiedlichen Wertung der beiden Ereignisse das Tor; Martin Luther und die Reformation w u r den von der Sozialdemokratie zusehends negativ konnotiert. 3 3 Der D D R - H i s t o 30 31

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Vgl. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 39-44 oder Blickle: Die Revolution, S. 171 und 186. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 51. Vgl. diesbezüglich die Argumentation von Adolf Laube Ende der 1970er Jahre, Kapitel 6.4.3. Vgl. August Bebel: Der deutsche Bauernkrieg, Braunschweig 1876; Karl Kautsky:Vorläufer des neueren Sozialismus, Bd. 2: Der Kommunismus in der deutschen Reformation, Bonn-Bad Godesberg 81969 (11895) und Franz Mehring: Zur deutschen Geschichte bis zur Französischen Revolution, hrsg. von Thomas Höhle u. a., Bd. 5, Berlin 1964 (11897/98). Ein guter Überblick über die Darstellung von Reformation und Bauernkrieg bei Bebel, Luxemburg und Mehring findet sich bei Brinks: Die DDR-Geschichtswissenschaft, S. 51/52, 61 und 66-69.

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riker Steinmetz erklärte diese Entwicklung mit der Situation, in der sich die Arbeiterbewegung nach der Reichsgründung von 1871 befunden habe. Der historische Blick der deutschen Sozialdemokratie sei „immer stärker auf die Auseinandersetzung mit dem reaktionären Preußentum und das damit aufs engste verbundene orthodoxe Luthertum" gerichtet gewesen.34 Eine gänzlich neue Stellung erhielt Engels' Interpretation jedoch im 20. Jahrhundert mit der Institutionalisierung der marxistischen Geschichtswissenschaft in den realsozialistischen Ländern östlich des Eisernen Vorhangs. Hier kam den Schriften von Marx und Engels kanonische Bedeutung zu - so auch Engels' Bauernkriegspublikation. Die in diesem Abschnitt benannten Problemfelder entwickelten sich daher insbesondere flir die Geschichtswissenschaft der D D R zu einem Vermächtnis, dass nicht nur als Wegweiser ernst genommen wurde, sondern auch viel theoretische Arbeit aufgab.

2.2.3 Leopold von Rankes ,Deutsche Geschichte' Das Streben nach einer Neugestaltung des deutschen Reiches führte nicht nur den Blick von sozial-liberalen (Zimmermann) oder sozialistischen (Engels) Intellektuellen auf die Reformationszeit. Auch national-konservative Denker, die nach einem nationalen Kaisertum strebten, glaubten im frühen 16. Jahrhundert einen verwandten Geist zu erkennen. Dies gilt insbesondere für Leopold von Ranke (1795-1886). Seine ,Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation' stellte nach ihrem Erscheinen 1839-47 fur Jahrzehnte die dominante Interpretation des Reiches im frühen 16. Jahrhundert dar. Rankes Arbeit war auch methodisch wegweisend und wurde zu einem der meist beachteten Werke der modernen deutschen Historiographie überhaupt. Dank seinem ausfuhrlichen Quellenstudium gelang es ihm, die religiöse Reform in engem Zusammenhang mit den Bestrebungen um die R e f o r m der Reichsverfassung darzustellen. Das Aufzeigen der Wechselwirkung zwischen religiöser und politischer Dimension war das grundlegend Neue an Rankes Interpretation. 35 Das deutsche Spätmittelalter war laut Ranke durch das Ringen zwischen Kaisertum und Papsttum geprägt. Die Verweltlichung der römischen Kirche und „der immer starrer und unverstandener sich fortbildende Partikularismus ihrer Dogmen und Dienste" habe die Nation zersetzt. Zusätzlich hätten die päpstlichen Eingriffe jede Bildung einer selbständigen deutschen Macht verhindert. 36 Im 15. Jahrhundert habe sich R o m als Sieger durchgesetzt. 37 Eine eigentliche Gegenkraft zur römischen Kirche hat es laut Ranke fortan nicht mehr gegeben. Aber „nicht von außen her pflegen den Mächten der Welt, den vorherrschenden Mei34 35 36 37

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Steinmetz: Reformation und Bauernkrieg, S. 15. Vgl. Schnabel: Geschichtliche Quellen, S. 295 und Chaix: Die Reformation, S. 19. Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 144/145. Vgl. Ranke: Deutsche Geschichte (I), S. 237.

Im Ringen um eine Neuordnung des Reiches

nungen ihre gefährlichsten Gegensätze zu kommen; in ihrem Inneren brechen in der Regel die Feindseligkeiten aus, durch welche sie zersprengt werden". 38 Auf diesen Gegensatz, diese oppositionelle Kraft, fokussiert Ranke seine Darstellung: auf die Lutherreformation. In Rankes Denken erschien sie als die zentrale „Idee" der deutschen Nation überhaupt: Weil dem Reich etwa im Gegensatz zu Frankreich (König) oder England (Parlament) eine institutionelle Repräsentation gefehlt habe, sei Luther zum eigentlichen Repräsentanten der deutschen Nation geworden. 39 Ranke verstand die Reformation als geistiges Ereignis, als eine Kraft, die aus Luthers eigenen Tiefen emporgekommen war. In ihm habe ein „kühner, großartiger und steter Geist" gearbeitet und die Gedanken seien aus ihm hervor gesprüht, „wie unter dem Hammerschlag die Funken". 40 In historischer Überhöhung sah Ranke daher in Luthers Wirken und den Anfängen der Reformation ein großes Potenzial zur nationalen Einigung Deutschlands. Unter dem Schutz der Herrschenden hätten die Protagonisten der Reformation nämlich darauf gehofft, zu einer „den Bedürfnissen der Nation und den Forderungen des Evangeliums zugleich entsprechenden Umbildung der geistigen Einrichtungen zu gelangen." 41 R o m habe es jedoch verstanden, diese Entwicklung für weitere drei Jahrhunderte einzudämmen. In den Augen Rankes hatten die Deutschen mit dem Frieden von Augsburg 1555 zwar nicht zur nationalen Einheit gefunden, sich aber zumindest die Voraussetzung für eine autonome Weiterentwicklung geschaffen. Kein Wunder also, dass Rankes Interpretation auch nach der preußisch-protestantisch geprägten Staatsgründung von 1871 äußerst populär blieb. In der nationalen Perspektive ist der Bückwinkel Rankes mit demjenigen Engels' durchaus vergleichbar. Rankes protestantisch-preußischer Hintergrund ist in dem Werk ständig präsent. Das revolutionäre gesellschaftliche Potenzial der neuen theologischen Positionen tritt kaum ins Blickfeld. Deutlich konturiert zeichnete Ranke jedoch Luthers Einsatz für die bestehenden politischen Strukturen und seine Unterstützung der Obrigkeit. Nach Luthers Rückkehr von der Wartburg nach Wittenberg habe sich die Reformation „in das ihr unmittelbar eigene Gebiet zurückgezogen]" und sich „in ihre reinsten Tendenzen" vertieft. „Dadurch wurde es möglich, die Lehre zu entwickeln und auszubreiten, ohne dass man geradezu in Kampf mit 38 39

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Ranke: Deutsche Geschichte (I), S. 280/281. Vgl. Bahners: National unification, S. 61. Patrick Bahners kondensiert Rankes Interpretation folgendermaßen: „While the imperial institutions were losing all their credit, the unanimity of the nation was growing. The unity of the nation, not represented in any institution, but on the contrary forged in opposition to all positive powers, might have erupted into violent action. But what followed was not a revolution but the Reformation. Suddenly, the nation found itself represented by Martin Luther." Ranke: Deutsche Geschichte (I), S. 310. Das Bild des Hammerschlages mag irrefuhren. Denn Ranke wollte damit Luthers Theologie und seine Rechtfertigungslehre nicht auf einen externen, gesellschaftlichen oder sonstigen Einfluss zurückführen. Vielmehr sah er die Geisteskraft Luthers als Urheber der neuen Theologie. Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 146.

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dem Bestehenden geraten wäre, ohne dass man durch raschen Umsturz die zerstörenden Kräfte erweckt hätte, deren erste Regung so gefährlich geworden war. Ja, die Entwicklung der Lehre selbst konnte nicht ohne Rücksicht auf diese Gegner von der anderen Seite geschehen. Luther ward schon damals inne, dass es gefährlich sei, nur immer von der Kraft des Glaubens zu predigen; schon drang er darauf, dass der Glaube in guten Sitten, brüderlicher Liebe, Zucht und Ordnung sich darstellen müsse." Für Ranke stand es daher außer Zweifel, dass Luther in dem Moment am heldenmütigsten gehandelt hatte, als er sich gegen die bäuerliche Revolution gestellt hatte. 42 Entsprechend fiel auch Rankes Urteil über den Bauernkrieg aus. Er sei das größte „Naturereignis des deutschen Staates" gewesen, lautete seine Einschätzung. Damit deklassierte er die Revolution von 1525 zum ahistorischen Ereignis und verstieß sie aus der Geschichte des deutschen Staates. Die unterschiedlichen Positionen von Ranke und Engels, dessen Bauernkriegsschrift wenige Jahre später erscheinen sollte, könnten unterschiedlicher kaum hervortreten: Auf der einen Seite stand der bäuerlich-plebejische Klassenkampf zur Uberwindung des Feudalismus, auf der anderen Seite das letztlich unerklärliche, dem deutschen Wesen fremde Naturereignis. Dennoch fragte Ranke nach den Ursachen dieser Revolution und glaubte sie in der „angewachsenen Bedrückung des Bauernstandes, der Auferlegung neuer Lasten und zugleich in der Verfolgung der evangelischen Lehre" zu erkennen. Er stellte die weltlichen Forderungen also in einen engen Zusammenhang mit den geistlichen Neuerungen; obwohl er den Bauernkrieg als „Naturereignis" bezeichnete, sah er in ihm auch einen Kampf für die Reformation. Den gemeinsamen Nenner dieser Krisenerscheinungen machte er in den zerfallenden Reichsstrukturen aus.43 Als Reaktion auf die politische Misere habe das Volk versucht, die Reformen und bald darauf das Schwert selber in die Hand zu nehmen. Seit dem späten 15. Jahrhundert habe es in der Bauernschaft gegärt und schon mancher Versuch der Erhebung habe gezeigt, „welch ein mächtiger Widerwille gegen alle gesetzlichen Gewalten sich in ihnen [den Bauern, Im] regte". 44 Für die anfänglichen bäuerlichen Beschwerden und Forderungen bekundete Leopold von Ranke Verständnis. 45 Bald aber seien immer mehr ähnliche Beschwerdeschriften aufgetaucht. Die so vereinigten Bauern seien „zu einer furchtbaren Macht gewachsen" und hätten ihre Anliegen zu den oberschwäbischen Zwölf Artikeln zusammengefugt. In ihnen trete das Lokale und Besondere hinter das Allgemeingültige zurück und dies habe es ermöglicht, „dass dieselben allgemeinen Beifall finden, als das Manifest der gesamten Bauernschaft betrachtet wer42 43 44 45

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Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 35.Vgl. auch Iggers: Historiographie, S. 331/332. Vgl. Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 180/181. Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 184. Nirgends seien sie so begründet gewesen wie im Stift Kempten, wo die Untertanen „unaufhörlich steuern" mussten und die freien Bauern zu Zinsern und die Zinser zu Leibeigenen „herabgedrückt" worden seien. Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 194.

Im Ringen um eine Neuordnung des Reiches den konnten." R a n k e erkannte darin eine Vermischung geistlicher und weltlicher Forderungen, wobei letztere aus ersteren hergeleitet worden seien. Dies w i d e r spreche allerdings „ d e m Sinne Luthers" u n d „ d e n reinen Tendenzen der R e f o r m " . D a m i t sprach R a n k e einerseits der R e f o r m a t i o n jegliche politische Bed e u t u n g ab. Andererseits löste er den Staat u n d das staatliche Handeln aus d e m Bereich der (religiösen) Moral. 4 6 Je stärker die bäuerlichen Forderungen auf die politische Struktur des Reiches abzielten, desto verständnisloser reagierte Ranke. Als „überaus merkwürdig" b e zeichnete er die Pläne der fränkischen Bauern zur R e f o r m a t i o n des Reiches. „Was die Fürsten auf so vielen Reichstagen vergebens versucht, was auch Sickingen drei Jahre früher mit den R i t t e r n auf seine Weise auszuführen beabsichtigt hatte, das glaubten jetzt die Bauern durchsetzen zu k ö n n e n " . „Merkwürdig" erschienen R a n k e also nicht die Forderungen an sich, sondern die Vorstellung einer Reichsreform von unten. 4 7 Seine ablehnende Haltung gegenüber dem Bauernkrieg u n d den bäuerlichen Versuchen, das R e i c h umzugestalten, b e g r ü n d e t e R a n k e vor allem mit den T h ü r i n g e r Ereignissen. Thomas M ü n t z e r habe in seiner Theologie alle Begriffe, auf denen der Staat beruhe, u m g e s t o ß e n u n d nur n o c h die O f f e n b a r u n g anerkannt. 4 8 Wäre Müntzer mit seinem Versuch, ein neues himmlisches R e i c h zu errichten, erfolgreich gewesen, „so w ü r d e alle ruhige Entwicklung nach den dem Geschlecht der Menschen n u n einmal vorgeschriebenen Gesetzen am Ende gewesen sein. Glücklicherweise konnte es nicht gelingen." 4 9 Leopold von Ranke galt lange Zeit als Inbegriff des objektiven Historikers, der nicht nur philosophische, sondern auch theoretische Erörterungen ausschloss, u m einzig zu erzählen „wie es eigentlich gewesen". Bei der Schilderung des Bauernkrieges wurde er seinem eigenen Anspruch kaum gerecht. Sein Glaube an den obrigkeitlichen Staat nach preußischem Vorbild schlug sich ebenso in seiner positiven Wertung Luthers als auch in der klaren Ablehnung des Bauernkrieges nieder. Implizit stellte er dem Typus der Französischen R e v o l u t i o n als Volksrevolution das etatistische D e n k e n des Historismus entgegen. O b w o h l R a n k e die bäuerlichen Klagen teilweise als berechtigt betrachtete, lehnte er die Bewegung klar ab. Damit drückte er auch seine prinzipielle Skepsis gegenüber einer sozialen Revolution von unten aus. Im Kontext des 19. Jahrhunderts verkörperte R a n k e aber vor allem eine Gegenposition zur sozial-liberalen Interpretation Z i m m e r m a n n s oder der Sichtweise Engels'. Deren Differenz wurzelt in einem grundsätzlich unterschiedlichen Verständnis von Politik: D e r Volksrevolution steht Rankes Idee einer obrigkeitlichen Revolution gegenüber. U m s o bemerkenswerter sind deswegen diejenigen Punkte, in denen Engels und R a n k e übereinstimmen: Beide sehen in R e f o r mation und Bauernkrieg Elemente einer breiten nationalen Bewegung. 46 47 48 49

Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 194/195. Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 205. Vgl. Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 210. Ranke: Deutsche Geschichte (II), S. 213/214.

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2.3 Grundpositionen am Ende des 19. Jahrhunderts Im Gegensatz zu Engels' Bauernkriegsstudie nahm Rankes ,Deutsche G e schichte' bald eine monumentale Stellung ein. Rankes Interpretation wurde fast nur von katholischer Seite explizit in Frage gestellt. So argumentierten etwa Ignaz Döllinger (1799-1890) oder Johannes Janssen (1829-1891) in klassisch katholischer Perspektive, mit der Reformation sei vor allem ein sittlicher und kultureller Zerfall eingetreten. Dass die „sociale Revolution" nicht erfolgreich und Deutschland vor dem Sieg „der Proletarier" verschont worden war, ist laut Janssen dem altgläubigen Schwäbischen Bund zu verdanken. 50 Durch die politische und kulturelle Vorherrschaft Preußens begünstigt, behielt das protestantisch geprägte Geschichtsbild Rankes jedoch Oberhand. Schon Johannes Sleidan hatte 1555 die Reformation als Versuch beschrieben, den deutschen vom römischen Geist zu befreien. Im Zuge der nationalen Einigung des Deutschen Reiches gewann diese Sichtweise eine dominante Stellung. Die Frage nach dem fremden römischen Einfluss im Mittelalter war jedoch weder auf das Ereignis Reformation noch auf die Arbeit der Historiker beschränkt. Neben der Debatte der Reformationshistoriker interessiert im Kontext dieser Studie auch die damals in der Rechtsgeschichte lebhaft geführte Diskussion über das Verhältnis von römischem und germanischem Recht im Spätmittelalter. D e n n in dieser Auseinandersetzung tauchten Argumentationsmuster auf, die in den 1920er und 1930er Jahren die Grundlage für die neu aufkeimende Bauernkriegsforschung wurden.

2.3.1 Die Rezeption des römischen Rechts und Lamprechts ,Deutsche Geschichte' In der deutschen Rechtsgeschichte hatte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine lebhafte Debatte über die spätmittelalterliche Rezeption des römischen Rechts eingesetzt. 51 In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verband sich diese Frage zunehmend mit einer historischen Argumentation. O t t o Stobbe (18311887) führte die spätmittelalterliche Bedeutung des römischen Rechts auf den aufkommenden Handel und das blühende Gewerbe zurück. Das Volk habe nach diesen R e f o r m e n verlangt; ein allgemeingültiges, geschriebenes R e c h t sei im Reich ab dem 15. Jahrhundert gebraucht worden.Widerspruch erntete er damit etwa von Carl Adolf Schmidt (1815-1903), der im Reich des ausgehenden Mittelalters kein inneres Bedürfnis für die Rezeption des römischen Rechts feststellen konnte. „Das Volk setzte dem Eindringen des Römischen Rechts in die Praxis

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Vgl. Döllinger: Die Reformation und Janssen: Geschichte des deutschen Volkes. Der Anfang dieser Auseinandersetzung wird gemeinhin Friedrich Carl von Savigny zugeschrieben. Vgl. Dieter Grimm: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1987, S. 356.

Grundpositionen

am Ende des 19.

Jahrhunderts

einen unüberwindlichen und in der Weltgeschichte vielleicht beispiellosen Widerstand entgegen", schrieb er 1868.52 Die Rezeption des römischen Rechts spielte auch in der anfänglich wenig beachteten Arbeit des Rechtshistorikers Otto von Gierke (1841-1921) eine wesentliche Rolle. Vor allem im ersten der vier Bände seines Werkes über ,Das deutsche Genossenschaftsrecht' (1868-1913) legte er die Eigenheiten des deutschen, mittelalterlichen Gemeinrechts dar. Er betrachtete dieses aber nicht nur in historischer Weise. Das germanische Volk habe allen anderen Völkern die Gabe der Genossenschaftsbildung voraus. Träger dieser Fähigkeit sei der Volksgeist. Gegen Ende des Mittelalters sei es auf der Basis der genossenschaftlichen Gemeinwesen, die sich auf föderativem Wege zu immer höheren Kreisen zusammengeschlossen hätten, beinahe gelungen, „von unten auf einen deutschen Gesamtstaat zu erbauen". Das Genossenschaftswesen habe sich aber als unfähig erwiesen, den „Bauernstand in die Bewegung hineinzuziehen". Dadurch sei es der „Landeshoheit" gelungen, „die Grundherrschaft zum Territorialstaat umzubilden". 53 Dabei habe die Rezeption des römischen Rechts eine entscheidende Rolle gespielt. Ein römisch geschulter Berufsstand, dessen „Vorstellungsweise dem Volk ebenso fremd blieb wie ihm selber die fortlebende Vorstellungsweise des Volkes, importierte die fremden Begriffe, eroberte langsam Gericht, Gesetzgebung und Verwaltung und zwang nach errungener Herrschaft das Leben, sich diesem buchgelehrten Begriffssystem zu fugen." 5 4 Endgültig durchgesetzt habe sich das römische Recht mit dem Ende des Reiches 1806. Damit sei der Staat „außer und über das Volk" getreten. Otto von Gierke verband seine rechtshistorische Analyse mit gegenwartspolitischen Forderungen nach einer gemeinschaftsverträglichen Rechtsordnung, 55 und etablierte damit eine Argumentation, auf die - meist implizit und

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Schmidt, zitiert nach Below: Die Ursachen der Rezeption, S. 8. Gierke: Das deutsche Genossenschaftsrecht (I), S. 10/11. Gierke: Das deutsche Genossenschaftsrecht (II), S. 21. Mit dem Ende des deutschen Reichs 1806 habe sich auch der Sieg der Landeshoheit „und des von ihr mit Hilfe des aufgenommenen römischen Rechts entwickelten Prinzips der Obrigkeit" vollzogen. „Der Staat tritt außer und über das Volk [...]. Der absolute Staat und die absolute Individualität werden die Devisen der Zeit." Diese Phase des Überganges sei jedoch notwendig gewesen, um die ständischen Fesseln abzulegen und die bürgerliche Freiheit zu verwirklichen. Jetzt - zitiert wird hier aus dem ersten Band von 1863 - sei es notwendig, dass auf der Grundlage der Genossenschaftsidee neue Gemeinschaftsformen emporwachsen würden. Gierke: Das deutsche Genossenschaftsrecht (I), S. 10/11. Umso empörter kämpfte Gierke wenig später gegen den ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von 1888/89 an, das in seinen Augen von einem römisch-rechtlichen, „absolutistische[n] Begriff des Eigentums" ausging. Gierke ereiferte sich insbesondere auch über das vorgesehene Bodenrecht: „Das Privateigentum ist schon seinem Begriff nach kein absolutes Recht. Alle ihm im öffentlichen Interesse gesetzten Schranken mit Einschluss der Möglichkeit der Enteignung sind in seinem Begriffe angelegt [...]. Dass ein Stück unseres Planeten einem einzelnen Menschen in derselben Weise eigen sein soll wie ein Regenschirm oder ein Guldenzettel ist ein kulturfeindlicher Widersinn." Gierke in einem in Wien gehaltenen Vortrag, zitiert nach: Kroeschell: Die nationalsozialistische Eigentumslehre, S. 46.

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Referenzpunkte

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in vulgärer Interpretation - auch Jahrzehnte später immer wieder zurückgegriffen wurde. Die Ausstrahlung dieser rechtshistorischen Diskussion auf andere Geisteswissenschaften wie die Soziologie und die Geschichtswissenschaft war ungemein groß. 56 Einen ersten Niederschlag in der Interpretation des Bauernkrieges fand sie im Hauptwerk von Karl Lamprecht ( 1 8 5 6 - 1 9 1 5 ) - seiner ,Deutschen G e schichte'. Laut Lamprecht hätten einerseits die seit dem Hochmittelalter aufkommende Geldwirtschaft und andererseits die Territorialstaatsbildung, die damit verbundene Schwäche der Zentralgewalt und die Verarmung der Ritterschaft zur rechtlichen und wirtschaftlichen Isolierung der Bauernschaft gefuhrt. Einen entscheidenden Faktor habe hierbei die Ende des Mittelalters neu aufkommende Rezeption des römischen Rechts gespielt: Weil eine einheidiche Reichsgesetzgebung und Gerichtsverfassung gefehlt habe, sei die Weiterbildung des Rechts nurmehr „durch Abertausende von Sprüchen einzelner Gerichtshöfe" erfolgt. Rechtsunsicherheit und „ein Zustand allgemeiner Verwirrung" seien die Folge davon gewesen. 57 Dieses Vakuum hätten die Territorialherren zunehmend durch die Rezeption von „fremdem", römischem Recht — der „Rechtsform des ausgeprägtesten kapitalistischen Individualismus" - gefüllt. Der Bauernstand sei damit seiner ,,selbstthätige[n] Rechtsbildung verlustig gegangen", die genossenschaftlichen Rechte der Gemeinde seien dem neuen Eigentumsverständnis zum Opfer gefallen und die Bauern in die Leibeigenschaft herabgedrückt worden. 58 Diese zunehmende ökonomische Verelendung sei somit die wichtigste Ursache für den Bauernkrieg gewesen. 59 In Umkehrung seiner Ursachenanalyse erkannte Lamprecht auch das eigentliche Ziel des Bauernkrieges: eine „einheitliche Regierung

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Hingewiesen sei hier etwa auf die kategoriale Unterscheidung von Gemeinschaft' und .Gesellschaft' des Soziologen Ferdinand Tönnies (1855-1936). Mit Gemeinschaft bezeichnete Tönnies in seinem 1887 erschienenen Hauptwerk eine Gruppe, deren soziale Bindungen durch gewachsene Strukturen und ein Zugehörigkeitsgefiihl bestimmt werden. Im Ursprung handle es sich dabei um die Verwandtschaft, im weiteren Sinne jedoch auch um ein Dorf, die Gemeinde oder das Volk. Dem steht laut Tönnies die Gesellschaft gegenüber, die er als Zweckverband charakterisiert; als Beispiele nennt er ökonomische und politische Vereine, letztlich auch den modernen Staat. Im Unterschied zur Gemeinschaft wird das R e c h t in der Gesellschaft nicht aus dem einheitlichen Willen aller, den Sitten oder dem Gewohnheitsrecht gewonnen, sondern es ist ein Produkt der Politik und demnach gesetztes Recht.Vgl. Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 207—220. Tönnies' Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft entstand also just in jenen Jahren, als sich die Rechtsgeschichte intensiv mit dem Ubergang vom germanischen zum römischen Recht beschäftigte. Dies erklärt den Stellenwert, den Tönnies selber dem Recht zusprach: sah er in der Rechtsfindung Ausdruck einer gemeinschaftlichen Vergesellschaftung, wies er den Vorgang der Rechtssetzung eindeutig der Gesellschaft zu. Tönnies übernahm also die Kategorien von Rechtshistorikern wie Stobbe oder Gierke: Das Prinzip der genossenschaftlichen Rechtsfindung versuchten diese in der germanischen Rechtstradition nachzuweisen, die Rechtssetzung dagegen im römischen Recht.

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Lamprecht: Deutsche Geschichte (V,l), S. 110. Lamprecht: Deutsche Geschichte (V,l), S. 114-116. Vgl. Lamprecht: Deutsche Geschichte (V, 1), S. 151-162 und 334-348.

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Grundpositionen

am Ende des 19.

Jahrhunderts

der fiirstenlosen Nation". 60 Dennoch hatte der Bauernkrieg fur Lamprecht nicht unbedingt den Charakter einer fortschrittlichen Bewegung. Er sah in der Revolution von 1525 nämlich insbesondere einen Kampf um die altdeutsche Freiheit auf der Grundlage der Dorfgenossenschaft.61 Lamprechts Arbeit war ein erster Schritt, um den Bauernkrieg nach Ranke wieder in den historischen Raum zurückzuführen. Wie die meisten Historiker des 19. Jahrhunderts interpretierte auch Lamprecht das frühe 16. Jahrhundert als Kampf um eine nationale Reform des Reiches. Die Ursachen der Revolution schilderte er jedoch viel breiter, als dies seine Vorgänger getan hatten. Er kombinierte soziale, kulturelle, politische und rechtliche Argumente und verband damit die verschiedenen Ansätze zu einer umfassenden Kulturgeschichte im Sinne einer Nationalgeschichte. 62 Darin fanden selbst an Engels erinnernde, materialistische Argumente Platz. Dennoch sollte Lamprechts .Deutsche Geschichte' nicht in die marxistische Tradition gerückt werden. 63 Vor allem bei historistisch geprägten Historikern stieß Lamprechts Ansatz einer umfassenden Kulturgeschichte auf erbitterte Ablehnung. 64 Die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte blieb von den deutschen Universitäten ausgeschlossen und Lamprechts Analyse der Bauernkriegsursache wurde in der Geschichtswissenschaft kaum aufgenommen. Immerhin lässt sich eine Reihe von regionalgeschichtlichen Studien auf den Impuls Lamprechts zurückführen. 65 Er selbst wandte sich gegen die Jahrhundertwende einer stärker psychologisierenden und von Kulturzeitaltern ausgehenden Betrachtungsweise zu. Nach der Jahrhundertwende bezeichnete Lamprecht die „Volksseele" als das eigentliche Objekt der Geschichtswissenschaft.Von hier aus gelangte er zu einer neuen universalgeschichtlichen Konzeption; eine neue Interpretation des Bauernkrieges erarbeitete er jedoch nicht. 66

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Lamprecht: Deutsche Geschichte (V,l), S. 357. Lamprecht umschrieb damit die Stoßrichtung der fränkischen Bewegung; die politische Integration des Bauernstandes in die Gesellschaft sah er jedoch als allgemeines Ziel der Revolution von 1525 an. Vgl. Lamprecht: Deutsche Geschichte (V, 1), S. 364. Vgl. Nipperdey: Die anthropologische Dimension, S. 41—45. Da Lamprechts .Deutscher Geschichte' ein wissenschaftlicher Apparat fehlt, können seine Referenzpunkte nur über inhaltliche Parallelen erschlossen werden. Konservativen Historikern der Ranke-Schule wie Max Lenz oder Georg von Below diente dabei vor allem die Historische Zeitschrift als Kampfarena. Siehe insbesondere Max Lenz: Lamprechts Deutsche Geschichte, 5. Band, in: H Z 77 (1896), S. 385-447. Dass Lamprechts Ansatz beim Marxisten Franz Mehring auf Anerkennung stieß, dürfte die ablehnende Haltung von Lamprechts Kollegen eher noch gestärkt haben. Vgl. Steinberg: Karl Lamprecht, S. 60. Etwa Theodor Knapp: Gesammelte Beiträge zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte vornehmlich des deutschen Bauernstandes, Tübingen 1902; Hermann Wopfiier: Die Lage Tirols zu Ausgang des Mittelalters, Berlin/Leipzig 1908. In Lamprechts Geist auch das Vorwort von: Hermann Barge (Hg.): Der deutsche Bauernkrieg in zeitgenössischen Quellenzeugnissen, Leipzig o.J. Vgl. beispielsweise Steinberg: Karl Lamprecht.

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2.3.2 ,Von Luther zu Bismarck': Im Zeichen des Kaiserreichs Das Geschichtsbild des Historismus dominierte am Ende des 19. Jahrhunderts das historische D e n k e n ; Leopold von Rankes Interpretation der Reformationszeit blieb nahezu unangefochten. Insbesondere nach der R e i c h s g r ü n d u n g von 1871 hatte der preußisch geprägte Fokus auf die R e f o r m a t i o n Konjunktur. Er verband sich mit der antikatholischen u n d antisozialistischen Politik u n d fand in der Losung ,Von Luther zu Bismarck' seinen deutlichsten Niederschlag. D e n H ö h e punkt bildete das Jahr 1883, in d e m sich Luthers Geburtstag zum 400. Mal jährte. In e i n e m in den ,Preußischen J a h r b ü c h e r n ' publizierten programmatischen Vortrag nannte H e i n r i c h von Treitschke (1834-1896) Luther den Führer der deutschen Nation. Keine andere neuere N a t i o n habe „je einen M a n n gesehen, der so in Art und Unart das innerste Wesen seines Volkes verkörpert" habe. „Das ist Blut von unserem Blute. Aus den tiefen Augen dieses urwüchsigen deutschen Bauernsohnes blitzte der alte Heldenmuth der Germanen". 6 7 Luthers Tat sei eine „Befreiung", eine „ R e v o l u t i o n " gewesen, die „ i m innersten K e r n desVolksgemüths" gewurzelt habe. 6 8 Leider würden aber nicht alle „Landsleute" begreifen, „dass der R e f o r m a t o r unserer Kirche der gesamten deutschen N a t i o n die Bahnen einer freieren Gesinnung gebrochen" habe. Daher müsse das Christent u m wiederbelebt werden, „dass es fähig wird unsere ganze N a t i o n zu b e h e r r schen". 6 9 Die nationalistische Ü b e r h ö h u n g der R e f o r m a t i o n hatte mit Treitschke einen neuen Gipfelpunkt erreicht. Gleichzeitig weist seine Arbeit bereits auf die Auseinandersetzung mit dem Volksbegriff hin, die nach d e m Ersten Weltkrieg an Bedeutung gewann und im ,Dritten R e i c h ' ihren H ö h e p u n k t erreichte. Für den Bauernkrieg blieb neben so viel Luther-zentrierter Reformationseuphorie kaum m e h r R a u m . Treitschke bezeichnete ihn in dem erwähnten Aufsatz beiläufig als „ w ü t h e n d e n socialen" Kampf. 7 0 Dieser Einschätzung mochten aber nicht alle konservativen Kräfte folgen. Bei M a x Lenz (1850—1932), dessen Sicht auf die R e f o r m a t i o n ebenfalls stark national geprägt war, erscheint der Bauernkrieg als ein Religionskrieg für die reformatorische Bewegung. 7 1 Die deutsche Geschichte sollte so v o m ,Schandfleck' einer sozialen Revolution bewahrt w e r den. Lenz betonte daher auch, dass der Bauernkrieg nicht von verarmten Bauern getragen worden sei. „Wo einmal nähere Beobachtungen angestellt sind, glauben wir, sehr im Gegensatz zu der herrschenden Vorstellung, statt wachsender Verarm u n g eher das Gegenteil zu bemerken. [...] Nichts ist gewisser, als daß j e n e E p o -

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Treitschke: Luther und die deutsche Nation, S. 484. Treitschke: Luther und die deutsche Nation, S. 474/475. Treitschke: Luther und die deutsche Nation, S. 470 und 486. Treitschke: Luther und die deutsche Nation, S. 469-486. Eine gute Ubersicht zu Max Lenz' Sicht der Reformationszeit vor dem ersten Weltkrieg gibt der Sammelband Lenz: Kleine historische Schriften. Darin siehe beispielsweise: Martin Luther (Erstveröffentlichung 1904); Luthers Lehre von der Obrigkeit (Erstveröffentlichung 1894); Der Bauernkrieg (Erstveröffentlichung 1904).

Grundpositionen

am Ende des 19.

Jahrhunderts

che für Süddeutschland, mehr vielleicht als für den Norden, eine Zeit des wirtschaftlichen Aufstrebens war". 7 2 Besonders prägnant vertrat diese Position auch Lenz' Schüler Wilhelm Stolze (1876—1936): „Also ist unsere Geschichte, die einen so unvergleichlichen Lauf nahm, durch keine soziale Revolution entstellt. Gott gebe, daß auch fernerhin davon die Historie nichts zu melden hat", schrieb er in seiner 1907 erschienen Studie zum Bauernkrieg. 7 3 Eine grundsätzliche Gegenposition nahm insbesondere Ernst Troeltsch (1865—1923) ein. Mit soziologischer Betrachtung und politischer Kritik ging er daran, die Legende des deutschen Freiheitshelden Martin Luther zu zerstören. Er sah in ihm nur einen mittelalterlichen Geist. Nicht Luther stand laut Troeltsch für den Beginn der deutschen Neuzeit, sondern die Aufklärung. 7 4 Somit versuchte er, Deutschland stärker in eine westeuropäische Geistestradition einzuordnen. In Zeiten zunehmender nationaler Rivalität wurde diese Position aber äußerst kritisch aufgenommen. Georg von Below (1858-1927) reagierte explizit auf Troeltsch. Er nahm dessen soziologisch-ökonomische Argumentation auf, versuchte jedoch, dessen These zu widerlegen. Vor allem in seinem Buch ,Die Ursachen der Reformation' erscheint Luther als deutscher Geist und Vorkämpfer einer neuen Zeit. 7 5 Dieses Werk erschien 1917 — im vierten Kriegsjahr, in dem auch der 400. Jahrestag von Luthers Thesenanschlag gefeiert wurde. Das Deutsche Reich stand zu diesem Zeitpunkt seit drei Jahren im Krieg. Dass die Mittelmächte n u n kaum mehr Chancen auf den Sieg hatten, wurde in Deutschland noch weitherum verdrängt. Die anfängliche Kriegsbegeisterung war gewichen, doch erhoben die bürgerlichen Intellektuellen ihre Stimme noch großmehrheitlich für die deutsche Kriegspolitik. 76 Diese Stimmung spiegelte sich 1917 auch in den Feiern zum Reformationsjubiläum. 7 7 Das nationale, Lutherzentrierte Geschichtsbild kannte kaum mehr Grenzen. 7 8 Die Festpublikationen

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Lenz: Der Bauernkrieg, S. 154. Stolze: Der deutsche Bauernkrieg,Vorwort. Vgl. Troeltsch: Die Soziallehren der christlichen Kirchen. Vgl. Below: Die Ursachen der Reformation. Vgl. Fiebig-von Hase: Der Anfang vom Ende, S. 131-132. Die Reformationsfeiern von 1917 hinterließen auch eine längerfristige Wirkung. So beschloss beispielsweise der Preußische Landtag unter dem Eindruck der Feierlichkeiten 1917, jährlich einen Betrag von 60.000 Reichsmark zur Verfügung zu stellen, mit dem die Forschung und Veröffentlichungen zur Reformation und Gegenreformation gefördert werden sollen. Laut einem späteren Bericht der Kommission zur Förderung geschichtlicher Forschungen über die Zeit der Reformation und Gegenreformation lag dem damaligen Beschluss die Uberzeugung zugrunde, dass bei der Reformation und Gegenreformation „im wissenschaftlichen und nationalen Interesse" große Aufgaben zu lösen seien, denen sich auch der Staat nicht länger verschließen dürfe.Vgl. Bericht der Kommission zur Förderung geschichtlicher Forschungen über die Zeit der Reformation und Gegenreformation, Juli 1930. BArch, R 73,288. Hingewiesen sei zusätzlich auf die ausufernde biographische Studie von Otto Scheel. Der damals noch als Theologe wirkende Scheel konzentrierte sich in den drei zwischen 1916 und 1921 erschienenen Bänden auf den jungen Luther. Dessen historische Wirkung wird daher kaum behandelt.Vgl. Scheel: Martin Luther.

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trugen Titel wie „Deutschlands Schwert durch Luther geweiht", die Säkularfeiern sanktionierten den deutschen Kriegsbeitrag mit Verweis auf „Luther und Bismarck" oder „Luther und das Deutschtum". 79 In der universitären Theologie erlebte die theozentrische Geschichtsdeutung große Konjunktur. Der Krieg erschien einer Vielzahl von Fachvertretern als eine Prüfung Gottes: Beispielsweise begründete Karl Holl (1866-1926) die Notwendigkeit des Krieges mit der natürlichen Gottesordnung in der Schöpfung. Damit hatte die maßgeblich von Holl geprägte ,Lutherrenaissance' ihren Höhepunkt erreicht. 80 Dieser Geist schlug sich auch in geschichtswissenschaftlichen Beiträgen nieder, die anlässlich des Reformationsjubiläums erschienen. Der damals an der Universität München lehrende Historiker Erich Mareks (1861-1938) wies in dem Vortrag ,Luther und Deutschland', den er 1917 aus Anlass des Jubiläums mehrmals hielt, darauf hin, dass der preußische Militarismus und die deutsche Kultur untrennbar zusammenhingen. Die stärkste Verkörperung des deutschen Geistes finde sich in der Person Martin Luthers. Eine noch explizitere Verbindung von Luther und dem Weltkrieg findet sich bei Mareks' Hamburger Kollegen Max Lenz. 81 „Haben wir ein Recht dazu, uns auf Luthers Gottesvorstellung zu berufen? Würde Luther unsern Krieg als den seinen anerkennen? Zugeben, dass die Güter, die wir verteidigen, die Gedanken, für die wir kämpfen, auf seiner Religion ruhen, dass unser Gott stärker ist als der unserer Feinde?", fragte Lenz im vorletzten Kriegsjahr.82Vor der Reformation sei das „nationale Schaffen" von fremden Kulturen abhängig gewesen. Dank Rankes .Deutscher Geschichte' wisse die Nation heute, dass der deutsche Geist erst durch Luther zu allgemeinem Ausdruck gekommen sei. Wenn in der Folge nicht alle Deutschen Protestanten geworden und Deutschland nicht zur Nation zusammengewachsen sei, so habe dies nicht an der Reformation, sondern an der Internationalist des Kaisertums gelegen. Von Hegel, Bismarck oder Treitschke bis zu Moltke seien „alle Vorkämpfer des neuen Deutschlands" Protestanten gewesen. Somit sah Lenz auch keinen Widerspruch darin, das Luthertum als den Geist der - konfessionell gespaltenen — Nation zu bezeichnen. Und jetzt, 1917, kämpfe die deutsche Nation darum, eben diesen Geist, dieses „deutsche Wesen", zu erhalten. 83 Lenz' Sicht auf die Reformation war schon vor dem Ersten Weltkrieg eine nationale gewesen. Ging er damals von unterschiedlichen, aber letztlich gleichberechtigten Kulturen aus, vertrat er nun eine weit aggressivere Haltung. HansHeinz Krill spricht diesbezüglich von einem „geistigen Kriegsbeitrag" und einer „nationalen Kriegspropaganda". 84 79 80 81

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Vgl. Baeumer: Lutherfeiern, S. 54/55. Vgl. Hamm: Hanns Rücken, S. 280-289. Max Lenz und Erich Mareks haben im Zusammenhang dieser Studie nicht nur wegen ihrer eigenen Arbeiten eine Bedeutung, sondern auch aufgrund ihres geistigen Einflusses auf Gerhard Ritter. Dieser übernahm 1925 den Lehrstuhl von Max Lenz in Hamburg.Vgl. Kapitel 3.2.2. Lenz: Luther und der deutsche Geist, S. 11. Lenz: Luther und der deutsche Geist, S. 14—19. Krill: Die Rankerenaissance, S. 32-41.

Zwischenfazit Lenz und Mareks stellten über den Topos des deutschen Geistes eine direkte Verbindung zwischen der reformatorischen Bewegung und dem Ersten Weltkrieg her. In beiden Ereignissen sahen sie eine Art Schicksalsstunde des deutschen Volkes. Sei es im frühen 16. Jahrhundert darum gegangen, den deutschen Geist vom Kaiser- und Papsttum zu befreien, müsse das eingeklemmte Deutschland diesen jetzt gegen die es umgebenden Mächte verteidigen. Der Erste Weltkrieg wurde so zum Kampf zwischen zwei geistigen Großkonzepten. Auf der einen Seite stand der schicksalhafte Weg der deutschen Nation, die sich im Kaiserreich institutionalisiert habe, auf der anderen Seite die rationale Moderne der Aufklärung und der Französischen Revolution, die vor allem durch die Kriegsgegner Frankreich und England symbolisiert wurde. Für die kritische Position eines Ernst Troeltsch blieb zwischen den Fronten des Ersten Weltkriegs kein Platz. Martin Luther erschien der deutschen (protestantischen) Historikerschaft als Gestalt, die den deutschen Geist aus der politischen und religiösen Misere des Spätmittelalters erlöst hatte. Die Frage nach Deutschlands Verhältnis zu Moderne, Aufklärung und Französischer Revolution war damit aber nicht beantwortete. Es war eine der grundsätzlichen Fragen, die bald die politischen und gesellschaftlichen Wirren der Weimarer Republik prägten.

2.4 Zwischenfazit Nach den anfänglich rein konfessionell bestimmten Interpretationen entstand mit Sartorius' Darstellung in der Zeit der Französischen Revolution erstmals eine Studie, welche die soziale Breite der Revolution von 1525 benannte. Zudem war Sartorius der erste Autor, der den Bauernkrieg nicht über die Reformation, sondern über frühere bäuerliche Unruhen zu erklären versuchte. Wenige Jahrzehnte später ergänzte Oechsle dieses Bild und wies darauf hin, dass die R e volution nicht nur destruktiv gewirkt, sondern mit den Verfassungsentwürfen auch sehr konstruktive Arbeit geleistet hatte. Noch einen Schritt weiter ging wenig später Wilhelm Zimmermann, der nun auch den Revolutionstheologen Thomas Müntzer erstmals positiv bewertete. Oechsle und Zimmermann hatten somit im Streben des gemeinen Mannes nach einem neukonstituierten Reich eine Alternative zum landesflirstlichen Absolutismus in den Territorien gesehen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es also Angehörige der liberalen Opposition, die mit historischen Argumenten für einen nationalen Reichsaufbau von unten argumentierten. Auch Ranke und Engels sahen das frühe 16. Jahrhundert in einem nationalen Kontext. Die nach geschichtsphilosophischen Kriterien erarbeitete Studie Engels' hat auf den ersten Blick mit der Arbeit Rankes kaum etwas gemein. Engels' Interpretation geht von einer materialistischen Geschichtsauffassung und dem Glauben an eine teleologische Abfolge von Gesellschaftsformationen aus. Sein Vorgehen war deduktiv. Dies zeigt sich schon daran, dass er sich nicht um empirische Arbeit bemühte, sondern lediglich auf das von Zimmermann erschlossene Mate49

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der Geschichtsschreibung zur Reformationszeit.

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rial zurückgriff. Dem steht die auf umfangreicher Quellenarbeit basierende Arbeit Rankes gegenüber, der - zumindest vordergründig - kein philosophisches Fundament zugrunde liegt. Trotzdem finden sich auf der inhaltlichen Ebene grundsätzliche Ubereinstimmungen zwischen den beiden Werken. Sowohl Ranke als auch Engels betonten die Zusammengehörigkeit von R e formation und Bauernkrieg, und beide hoben dem Zeitgeist entsprechend deren nationale Stoßrichtung hervor. Obwohl beide Werke stark von den 1848 kulminierenden politischen Bewegungen geprägt waren, blieben sie weit über diese Zeit hinaus von Bedeutung. Allerdings wird eine Parallelbewertung dem geistigen Klima und der geschichtswissenschaftlichen Orientierung des 19. Jahrhunderts nicht gerecht. Zeitgenössisch wurden die Arbeiten von Ranke und Engels keinesfalls als ernsthaft miteinander konkurrierende Interpretationen wahrgenommen. Die .historische Meistererzählung' war historistisch geprägt, die dominante Erzählweise der Reformationszeit folgte im 19. Jahrhundert der Darstellung Leopold von Rankes. 85 Der Bauernkrieg war „zu einem Randproblem im Gesamtkomplex der Reformationsgeschichte" geworden. 86 Die nationalkonservative (protestantische) Historikerschaft bestätigte die Fixierung auf Luther. Er erschien alsbald als heroische Verkörperung des deutschen Geistes schlechthin. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bauernkrieg war kaum gefragt. Wenn er thematisiert wurde, erschien er, wie etwa bei Stolze, als Religionskrieg für Luther. Die Werke von Zimmermann, Engels, aber auch Lamprecht lösten in der akademischen Landschaft des 19. Jahrhunderts kaum oder nur negatives Echo aus. Dass sie auf den vorangehenden Seiten ausführlich besprochen wurden, liegt nicht an ihrer zeitgenössischen, sondern an ihrer langfristigen Wirkung. Im 20. Jahrhundert entstanden im ,Dritten Reich' und in der D D R neue Interpretationen von Reformation und Bauernkrieg, die auf den ersten Blick als radikaler Bruch mit der bisherigen Geschichtsschreibung erscheinen. Beim genaueren Hinschauen wird jedoch deutlich, dass auch sie ihre historiographischen R e f e renzpunkte haben - nicht zuletzt in den Darstellungen des 19. Jahrhunderts.

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Z u m Begriff der historischen Meistererzählung vgl. Jarausch/Sabrow:,Meistererzählungen' Blickle: Die Revolution, S. 279.

3 Suche nach historischer Orientierung. 1918-1933 Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges zerbarst das Gefiige der politischen Institutionen, gesellschaftliche Strukturen lösten sich auf und Staatsgrenzen wurden verschoben. Die Differenzen zwischen dem von politischen Grenzen definierten Staatsverband und der in der Tradition Herders als Gemeinschaft der Abstammung, der Sprache und der Geschichte definierten Volksgemeinschaft traten nun unübersehbar hervor. 1 Somit hinterließ die ,Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts' (George E Kennan) auch im Denken der Menschen tiefe Gräben. Diese führten keineswegs gradlinig auf das .Dritte Reich' zu, sie strukturierten jedoch die öffentliche Auseinandersetzung in einer neuen Weise. Die Weimarer Jahre können nicht einfach als Vorspiel des Nationalsozialismus bezeichnet werden, aber es wurden in dieser Zeit wichtige Prädispositionen fur die kommende Entwicklung geschaffen. Dies gilt grundsätzlich auch für die Geschichtswissenschaft und die Forschung zum frühen 16. Jahrhundert. U m Kontinuitätslinien und Brüche zwischen der Weimarer Republik und dem .Dritten Reich' sichtbar zu machen, bedarf es einer Analyse der historiographischen Arbeiten der 1920er Jahre. Die Historiker agierten nach dem Ersten Weltkrieg in einem gänzlich veränderten Umfeld; der historische Diskurs hatte sich maßgeblich verschoben. Zu fragen ist daher, ob in der gesellschaftlichen Krise der Zwischenkriegszeit eine neue Interpretationsmatrix entstanden war. Inwiefern diese die Deutungen der NS-Zeit bereits vorweggenommen hat, kann jedoch erst nach eingehender Analyse der Forschungstätigkeit im ,Dritten Reich' beantwortet werden.

3.1 Gemeinschaft und Gesellschaft in neuer Perspektive Der Glaube der deutschen Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts an einen vernünftigen Sinn der Weltgeschichte war ins Wanken geraten. Das preußisch dominierte Kaiserreich, das der Historismus des 19. Jahrhunderts als Zielpunkt der deutschen Geschichte anerkannt hatte,2 war schmählich untergegangen. Die Historiker, die ihre wissenschaftliche Tätigkeit bis dahin mit großer Selbstverständlichkeit in eben dieser Tradition sahen, mussten plötzlich in einem neuen politischgesellschaftlichen Kontext agieren. Die viel beschworene preußisch-autoritäre Nationalstaatsbildung war durch die Kriegsniederlage und den Revolutionsversuch von 1918 als sinnvoller historischer Weg radikal in Frage gestellt worden. 3

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Vgl. Oberkrome:Volksgeschichte, S. 22—24. A m ausgeprägtesten findet sich diese Ausrichtung im Werk von Heinrich von Treitschke. Vgl. Kapitel 2.3.2. Vgl. Iggers: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 227—230. Georg Iggers zeichnet die Krise des Historismus hauptsächlich entlang dem Denken von Ernst Troeltsch und Friedrich Meinecke nach.

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Die politische und gesellschaftliche Zerrissenheit der jungen Weimarer Republik schürte das Verlangen nach gültiger Orientierung zusätzlich. Vor diesem Hintergrund erhielt das historische Argument große Bedeutung. Die Verfassungshistoriker nahmen in dieser Diskussion eine besondere Kompetenz für sich in Anspruch. „Sie sahen es als ihre Aufgabe an, aus der deutschen Verfassungsvergangenheit Lehren für die Gestaltung einer deutschen Verfassung der Zukunft zu gewinnen" und verlangten laut Anna Lübbe, „das pädagogische Potenzial der Geschichte nicht ungenutzt zu lassen".4 Das Ziel sei dabei insbesondere - so schrieb beispielsweise Heinrich Mitteis (1889-1952) 1921 - eine „das Wesen des deutschen Volkes widerspiegelnde Staatsform" zu finden. Eine neue Rechtsordnung sollte das deutsche Recht von fremden, römisch-rechtlichen Inhalten reinigen und die Kräfte des deutschen Volkes zu neuer Größe erwecken. 5 Die Tradition des deutschen Idealismus tritt in solchen Formulierungen deutlich hervor. 6 Vergleichbar argumentierte auch Otto von Gierke: Er glaubte, dass die Katastrophe des Ersten Weltkrieges nur durch eine „nationale Wiedergeburt" überwunden werden könne, die auf dem „germanischen Staatsgedanken" aufbaue. So könne das Gemeinwesen „organisch aufgebaut" und durch eine „von Tagesströmungen und Parteiinteressen unabhängige Obrigkeit" regiert werden. 7 Allerdings darf nicht von einer einheitlichen Stimme der Historiker ausgegangen werden. Auch aus konservativen Kreisen kamen nüchterne Voten, die vor einer Romantisierung des mittelalterlichen Rechtszustandes warnten. Fritz Kern (1884—1950) gab zu bedenken, dass die „moderne Ganzheit des gesetzten Rechts nicht minder eine Fiktion" sei als „die mittelalterliche Anschauung vom Recht", sie habe jedoch „entscheidende technische Vorzüge und ist bei der heutigen Größe der Rechtsgemeinschaften schlechterdings unentbehrlich; das Gewohnheitsrecht passt nur für Nachbarrecht." 8 Dem Ruf nach einem dem deutschen Wesen entsprechenden Recht taten solche Warnungen jedoch kaum Abbruch. Vielmehr erlebte die aus dem ^ . J a h r hundert stammende, klare Trennung zwischen dem fremden, individualistischen römischen Recht und dem genossenschaftlichen deutschen Recht eine Popularisierung. 9 Der Schock der militärischen Niederlage und die beschwerliche Suche nach einem Neuanfang hatten einen Nährboden für eine vulgäre Rezeption ge4 5

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Lübbe: Die deutscheVerfassungsgeschichtsschreibung, S. 65. Vgl. Heinrich Mitteis: Rechtspflege und Staatsentwicklung in Deutschland und Frankreich, 1921, zitiert nach: Lübbe: Die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung, S. 66. Vgl. auch Stolleis: Die Rechtsgeschichte, S. 6. Otto von Gierke: Der germanische Staatsgedanke, 1919, S. 6 und 26, zitiert nach: Willoweit: Deutsche Rechtsgeschichte, S. 39. Kern: Recht und Verfassung, S. 42. Bereits 1914 war eine Arbeit von Fritz Kern zu diesem Themenbereich erschienen. In der Monographie ,Gottesgnadentum und Widerstandsrecht' hatte er seinen Blick auf einen größeren Themenkomplex gerichtet; das mittelalterliche Rechtsverständnis stellte nur einen Teil seiner Studie über die „Entwicklungsgeschichte der Monarchie" dar.Vgl. Kern: Gottesgnadentum. Vgl. Kapitel 2.3.1.

Gemeinschaft und Gesellschaft in neuer Perspektive schaffen: Deutschland habe sich unter dem Einfluss des römischen Rechts in eine d e m deutschen Volk fremde R i c h t u n g entwickelt u n d damit auch seine genuine Stärke verloren. Von der Gemeinschaft sei es zur individualisierten Gesellschaft geworden. So k o n n t e gleichzeitig die Kritik an der n e u e n R e p u b l i k historisch u n t e r m a u e r t werden. Anstatt sich seiner völkisch-genossenschaftlichen Wurzeln zu erinnern, werde Deutschland in das Weimarer Staats-Korsett nach westlichem Vorbild gepresst. Die Idee der organischen Gemeinschaft war nicht nur für Gierke das favorisierte Gegenmodell zu der durch Parteiinteressen u n d Ideologien fragmentierten Gesellschaft der Weimarer Republik. 1 0 Einen populistischen Ausdruck fand diese Befindlichkeit in dem erst nachträglich zu Berühmtheit gelangten Parteiprogramm der NSDAP. Punkt 19 des am 22. Mai 1920 von der General-Mitgliederversammlung als unabänderlich erklärten Parteiprogramms lautete nämlich: „ W i r fordern Ersatz für das der materialistischen W e l t o r d n u n g dienende römische R e c h t durch ein deutsches G e m e i n recht". 1 1 D i e N S D A P war in dieser Zeit eine marginale, lokal eng begrenzte G r u p p i e r u n g politischer R a n d f i g u r e n . Gerade deshalb ist die Forderung dieser M ä n n e r nach einem grundsätzlichen U m b r u c h des Rechtssystems bemerkenswert. Der angebliche Antagonismus zwischen deutschem u n d römischem R e c h t bot in weiten Kreisen Grundlage für populistische Forderung nach einer R e v i sion der WeimarerVerfassung. Ausdruck derselben Suche nach dem eigentlich Deutschen war die gesteigerte Aufmerksamkeit für den Volksbegriff; die Volkskunde erlebte einen e n o r m e n Aufschwung u n d in der Geschichtswissenschaft interessierten sich vor allem jüngere, noch nicht etablierte Historiker für eine auf das ,Volk' gerichtete Perspektive. Sie orientierten sich nicht an den rationalen staatlichen Strukturen, sondern am Begriff der Volksgemeinschaft. 1 2 Dieser Ausdruck fand in den 1920er Jahren nicht nur in der Wissenschaft z u n e h m e n d Verbreitung, sondern war auch eines der schillerndsten politischen Schlagworte. Die damit v e r b u n d e n e n Implikationen waren höchst unterschiedlich u n d hingen ganz v o m jeweiligen Kontext ab: D e r Term konnte ebenso eine Forderung nach friedlichem Ausgleich der sozialen G e gensätze sein wie den Wunsch nach einem autoritär geführten, kulturell, eventuell auch rassisch homogenen Volksstaat ausdrücken. 1 3 Auf politischer Ebene waren die 1920er Jahre in keiner Weise von einer eindimensional oder h o m o g e n verlaufenden Entwicklung geprägt; ebenso wenig lässt 10

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Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die enorme Verbreitung, die Tönnies'Werk .Gemeinschaft und Gesellschaft' in den Nachkriegsjahren erlebte. Zur Illustration mögen die Erscheinungsjahre verschiedener Auflagen der Studie dienen: Das Buch war 1887 erstmals erschienen. Erst 1912 erlebte es eine Zweitauflage, 1922 erfolgte jedoch bereits die fünfte und 1935 die achte Auflage. Damit ging eine Umdeutung des Werkes einher: Es wurde nicht mehr als deskriptive Studie gelesen, sondern als Kampßchrift wider den rationalen Parteienstaat und für eine Rückkehr zur Gemeinschaft des Volkes verwendet. Zitiert nach Landau: Römisches Recht, S. 11. Vgl. Oberkrome:Volksgeschichte, S. 22-41. Vgl. Winkler: Der lange Weg (II), S. 6.

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sich in der Historiographie ein einheitlicher Trend beobachten. 1 4 Als dominant kann jedoch die Frage nach dem ursprünglich Deutschen und dessen Stellung in Geschichte und Gegenwart angesehen werden. Diese Selbstvergewisserung konnte auf den Kategorien der Nation, des Reichs oder des Volkes aufbauen. Im 19. Jahrhundert hatten die nationale und die soziale Frage zu neuartigen Interpretationen der Reformationszeit geführt. In den 1920er Jahren griffen einige Historiker auf diese Ansätze zurück und hofften, darin neue Orientierung zu finden. Andere, meist Jüngere, entwickelten dagegen einen neuen Zugang zur R e f o r m a tionszeit, durch den der Bauernkrieg zu bisher ungewohnter Beachtung kam.

3.2 Die Reformation als historische Orientierungshilfe 3.2.1 Gegenpol zum westlichen Staatsverständnis Nach der Kriegsniederlage von 1918 konnte nicht mehr in derselben Art auf die Reformation Bezug genommen werden wie noch im Jubiläumsjahr 1917. M a x Lenz schrieb 1920 in der Vorrede seiner Aufsatzsammlung ,Von Luther zu Bismarck', mit dem Zusammenbruch des von Luther angestrebten und von B i s marck realisierten ,,evangelische[n] Kaiserreich[s] deutscher N a t i o n " habe eine „einheitliche E p o c h e " ihren Abschluss gefunden. „Es sind die beiden Großen, die am Anfang und Ausgang einer Periode stehen, deren innere Einheit heute um so deutlicher heraustritt, als sie seit dem November 1918 durch den staatlichen und sittlichen Niederbruch unseres Volkes von der Gegenwart getrennt ist." 1 5 D e m nationalen Blick deutscher Historiker auf die Reformation war die Grundlage entzogen worden. Die an der Achse Ranke-Treitschke orientierte Geschichtswissenschaft war in eine tiefe Krise geraten und die Arbeiten zur Reformationsgeschichte gingen stark zurück. 16 Die Reformation wurde jedoch weiterhin als ein entscheidendes Ereignis der deutschen Geschichte wahr - und auch als Kompass für die Gegenwart in Anspruch genommen. Nicht mehr die Legitimation der

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In seiner 1980 erschienenen Monographie Ideologie des deutschen Weges' beschreibt Bernd Faulenbach die Entwicklung der deutschen Zwischenkriegshistoriographie als ein Festhalten an der preußisch-etatistischen Konzeption des Historismus. Die neu aufkommende Volksgeschichte wird nur in wenigen Sätzen erwähnt. Genau die gegenteilige Perspektive nimmt Oberkrome in seiner Dissertation zur , Volksgeschichte' ein. Sein Blick richtet sich ausschließlich auf die emporwachsende Volksgeschichte und spricht ihr methodisch innovatives Potenzial zu. N o c h weiter geht Ingo Haars Publikation .Historiker im Nationalsozialismus' aus dem Jahr 2 0 0 0 . Haar weist die Interpretation von Faulenbach explizit zurück: Er betont die methodische Öffnung in den 1920er Jahren und fragt nach der Verbindung zur Politik, die insbesondere im Rahmen der Ostforschung mehr als eine Randerscheinung gewesen ist.Vgl. Haar: Historiker im Nationalsozialismus, S. 1 5 - 2 4 .

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Lenz:Von Luther zu Bismarck, S.V. Vgl. Brady: German Imperial Cities, S. 4 0 / 4 1 .

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Kriegsereignisse, sondern die Frage nach dem deutschen Wesen an sich stand jetzt im Vordergrund. D e n n o c h weisen die meisten Veröffentlichungen zur Reformationszeit der 1920er Jahre einen politischen Charakter auf. So sah etwa Karl Brandi (18681946) in der Reformation nichts weniger als die Befreiung der deutschen Seele. Ihr sei es zu verdanken, dass sich in den deutschen Territorialstaaten eine „neue germanische Staatsidee" und damit ein Gegenpol zum „kontinentalen Imperialismus des fränkisch-römischen oder französischen R e i c h e s " habe ausbilden können. 1 7 Die Gegenüberstellung von germanischer und westlicher Staatsidee erinnert zwar an Ranke, im Kontext der deutschen Reparationszahlungen an Frankreich und den besetzten und demilitarisierten Gebieten im Westen erhielt diese Wertung aber eine neue Aktualität; sie wurde zum Fundament der Kritik an derVersailler Ordnung. Die deutsche Staatsidee wurde oft nicht nur konträr zum westlich-liberalen Staatsmodell, sondern zum rationalen Gesellschaftsdenken an sich verstanden. Der lutherische Staatsgedanke gehe davon aus, schrieb beispielsweise der Staats- und Kirchenrechtler Günther Holstein (1892-1931), dass die „natürliche Ordnung" die „gottgewollte Ordnung" sei. Es sei die Pflicht des Einzelnen, „seine sozialen Beziehungen mit christlichem Geist zu durchdringen und so die natürliche O r d nung zu höherer Sittlichkeit durchzuformen". Im lutherischen Verständnis sei der Staat daher nicht als Produkt eines rechtlichen Vertrages, sondern als organische Lebenseinheit zu verstehen. Daher habe auch jeder Staat „seine besondere, keinem anderen Staat gleiche Individualität". 18 Daraus entwickelte Holstein fundamentale Kritik an der Aufklärung und an der Verfassungsordnung der Weimarer Republik. Er betonte, dass „die rein formalistische Art, mit der Rousseau seinen Gemeinwillen als Willen der Mehrheit bildet", in den gegenwärtigen Zeiten der N o t verschwinden müsse. 19 Damit löste Holstein die Staatsordnung aus der Gestaltungsfreiheit des Menschen. „Das, was der Genius eines Volkes will, ist tiefer und weiter, ist rational überhaupt nicht faßbar, offenbart sich vielleicht am reinsten dem großen Einsamen, dem großen Mann in der Geschichte, von dem Hegel und Schleiermacher unvergeßliche Worte gesprochen haben." 2 0 Von hier aus ist es nur mehr ein kleiner Schritt zur Argumentation, wie sie der in Darmstadt lehrende Philologe und Historiker Arnold Berger (1862-1948) vertreten hatte. Im ersten Jahrbuch der Luther-Gesellschaft von 1919 erklärte Berger Luther zum Vorkämpfer des deutschen Volksstaates. Der deutsche Staat basiere nicht auf einem willentlichen Vertragsabschluss, sondern auf den „naturgegebenen Zusammenhängen des Blutes, der Geschlechterfolge, des Sippen- und Gauverbandes und der gemeinsam erlebten Schicksale, die das Bedürfnis nach bestimm-

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Brandi: Die deutsche Reformation (' 1927), S. 5. Holstein: Luther, S. 288-290. Holstein: Luther, S. 281 und 290. Holstein: Luther, S. 290.

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ten Abstufungen zwischen Führern und Geführten und dementsprechende Verfassungsformen ganz von selbst entstehen ließen". So sei Luther zum Führer einer Volksbewegung geworden, die über die Reformation einen ständischen Genossenschaftsstaat nach göttlicher Rechtsordnung habe bilden wollen. 21 Hier taucht eine Argumentationslinie auf, die in den 1930er Jahren vor allem von Theologen wieder aufgegriffen wurde. Gewürzt mit einer rassischen Definition der Volksgemeinschaft eignete sich die Idee des göttlichen Genossenschaftsstaates vorzüglich zur Legitimierung der ausgrenzenden nationalsozialistischen Volkstumspolitik. 22 Obwohl in den zitierten Passagen durchgehend auf das Volk und seine schicksalhafte Zusammengehörigkeit verwiesen wurde, können sie kaum als grundsätzlich neue Sichtweise im Sinne der Volksgeschichte bezeichnet werden: Die Reformation erschien als Lutherreformztion, und nicht als Volksreformation. Der Reformator wurde als Führer angesehen, in dessen Gestalt sich der Volksgeist gewissermaßen kondensiert hatte. Damit stellten sich die erwähnten Autoren in die Tradition von Ranke und vor allem von Treitschke.

3.2.2 Martin Luther als deutscher Heros Stark von der Ranke-Treitschke-Tradition geprägt ist insbesondere die LutherBiographie von Gerhard Ritter (1888-1967). Ritter erhielt 1924 als Nachfolger von Max Lenz an der Universität Hamburg seinen ersten Lehrstuhl und wechselte bereits 1925 nach Freiburg im Breisgau. In demselben Jahr veröffentlichte er die Biographie mit Untertitel .Gestalt und Symbol'. 23 Ritters Luther-Biographie steht deutlich in der Tradition der politischen Geschichtsschreibung. Die frühen Auflagen des Werkes sind deshalb von Begriffen und Formulierungen geprägt, die aus heutiger Perspektive irritieren; sie lassen die Studie auf den ersten Blick als Vorbote des nationalsozialistischen Deutschlands erscheinen. Tatsächlich fand R i t ter in seiner historiographischen Arbeit erst Ende der 1930er Jahre zu klarer Abgrenzung gegenüber dem ,Dritten Reich'. Daher ist die Publikation nicht nur wegen ihrer dominanten Wirkung in den 1920er und 1930er Jahre von großer Bedeutung: Sie ist auch eindrückliches Beispiel dafür, wie nahe national-konservatives und völkisch-revolutionäres Gedankengut beieinander lagen und wie differenziert nach dem Wesen und den Wurzeln nationalsozialistischer Geschichtsschreibung zu fragen ist.

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Berger: Luther und der deutsche Staatsgedanke, S. 41 und 49/50. Vgl. Kapitel 4.6.3. Vgl. Ritter: Luther (' 1925). Eine erste, kürzere Fassung der Luther-Biographie hatte Ritter als Auftragsarbeit verfasst. Diese „knappe Charakterskizze" [Ritter: Luther ( 3 1943), S. 283] war 1923 in einem Sammelband mit dem zeitgeistigen Titel ,Kämpfer' erschienen. Die ursprüngliche Fassung ist zwar knapper gehalten, ansonsten aber mit der späteren Monographie praktisch identisch. Vgl. Gerhard Ritter: Martin Luther, in: Hans von A r n i m (Hg.): Kämpfer. Großes Menschentum aller Zeiten, Berlin 1924, S. 1 1 - 1 0 8 .

Die Reformation als historische Orientierungshilfe „Wie dem Seemann, der auf stürmischer See die Richtung verloren hat, so ergeht es uns", klagte Ritter gleich zu Beginn des Buches. Und so, wie ein orientierungsloser Seemann den Glanz der ewigen Gestirne benötige, sei die deutsche Nation jetzt auf Orientierungshilfe angewiesen. Es gehe jedoch nicht darum, in Luther „den ,Führer'", sondern die Geschichte des deutschen Volkes zu finden.24 Ritter verstand sich explizit als politischer Historiker, als Aufklärer, der einen objektiven Blick aufs Wirkliche ermögliche. 2 5 Er schilderte Martin Luther als ein religiöses Genie; ohne ihn wäre „das Gelingen der größten Revolution, die das Abendland jemals erlebt hat [...], vollends unerklärlich". Luther habe das „erlösende Wort" gefunden, das die anderen nur „stammelnd" gesucht hätten, und damit eine jahrhundertlange Entwicklung zum Abschluss gebracht. 26 Erst um die Wirkung von Luthers Thesen zu erklären, öffnete Gerhard Ritter seinen Blick über die Gestalt des Reformators hinaus. Der Traum vom universalen Papsttum sei zu Beginn des 16. Jahrhunderts längst ausgeträumt gewesen und Deutschland habe sich in schlechter Ordnung befunden. Die Klagen über die Geistlichkeit und ihre weltlichen Aktivitäten hätten sich wie eine „trübe Schlammflut" von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weitergewälzt, ohne dass jemand Abhilfe wusste: Den Deutschen fehlte „die erste und wichtigste Voraussetzung zur Selbstverteidigung [...]: der nationale Staat." 2 7 Luther sei nun nicht mit einem politischen Ziel, sondern einzig mit der „Gewissensnot des Seelsorgers" an die Öffentlichkeit getreten. 28 Luther habe die Politik nicht gesucht, sondern sei in sie verwickelt worden, und die deutsche Reformation wäre verloren gewesen, „hätte sie nicht politischen Rückhalt gefunden an der politischen Macht des Landesfurstentums". 2 9 Ritter erklärte die Verbindung von Politik und Reformation somit zur Grundlage der deutschen Nation, der nationale Protestantismus wird implizit zur deutschen Orientierungsgröße. Das Bewusstsein der deutschen Nation erscheint in Ritters Darstellung als das Bewusstsein einer geistigen Gemeinschaft, im weiteren Sinne einer Kulturnation. 3 0 „Nur wir Deutschen vermögen seine [Luthers, Im] Bedeutung ganz zu erfassen, weil nur, wer seines Blutes und Geistes ist, ihn aus der Tiefe seines Wesens versteht", 3 1 schrieb Ritter und griff damit auf die Muster der Lutherinterpretation aus dem Weltkriegs- und Reformationsjahr 1917 zurück: Luther habe dem „Sehnen der deutschen Seele" zur Erfüllung verholfen, er sei ein „Ahnherr deutschen Wesens" gewesen und habe einen „geschichtlichen Helden" dargestellt, „wie sie in der deutschen Geschichte nur einmal noch ebenso deutlich erkennbar hervorgetreten ist: in Otto von Bismarcks ihm [Luther, Im] 24 25 26 27 28 29 30 31

Ritter: Luther ('1925), S. 7 - 9 . Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 649. Ritter: Luther (H925), S. 13. Ritter: Luther (' 1925), S. 39. Ritter: Luther (' 1925), S. 48. Ritter: Luther ( 1 1925), S. 51. Vgl. auch Schwabe/Reichardt: Ein politischer Historiker, S. 64. Ritter: Luther ('1925), S. 151.

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vielfach kongenialer Willensnatur". 32 Von katholischer Seite wurde Ritter für diese Heroisierung Luthers scharf kritisiert, protestantische Rezensenten äußerten jedoch großmehrheitlich Lob. 33 Die Reformation als Volksbewegung war weit außerhalb Gerhard Ritters Blickfeld.Vielmehr sah er im Staat eine ArtVerdinglichung des deutschen Wesens. Die deutsche Staatsidee grenzte Ritter gegenüber der französischen und der angelsächsischen Tradition ab. „Immer wieder sieht man den deutschen Geist [...] die Unbedingtheit unserer Kulturideale zu behaupten gegen den Ansturm mechanistischer Theorien der Welterklärung und eudämonistischen Morallehren." Wenn Luther also als Zerstörer der mittelalterlichen Geisteswelt bezeichnet werde, sei dies grundlegend falsch. Nicht er, sondern vielmehr der Humanismus des Erasmus' von Rotterdam habe den Glauben rationalisiert. O b Luther dem Mittelalter oder der Moderne angehöre sei jedoch die weniger wichtige Frage als „ob wir selber der .modernen Welt' angehören und angehören wollen — wenn man darunter vorzugsweise den Geist der angelsächsischen und romanischen Kultur versteht". 34 Für Ritter bestand also kein Zweifel daran, dass der historische Kompass den nach dem Ersten Weltkrieg eingeschlagenen Weg hin zur R e publik als die falsche Richtung ausweise. Diese Sicht spiegelt sich auch in dem Kapitel zu den Aufständen und Revolutionsversuchen rund um 1525. Dass Luthers Predigt ,Von der Freiheit eines Christenmenschen' in dem sozial aufgeheizten Klima zum „Kampfruf der sozialen Empörung" wurde, sei zwar nicht erstaunlich, aber dennoch ein Vergehen an der deutschen Reformation gewesen.35 Die Unruhen, die nach Luthers Weggang in Wittenberg ausgebrochen waren, hätten auf dem „naiv und nackt" verstandenen Bibelwort gegründet und seien in Wahrheit die „Karikaturen der lutherischen Reformation" gewesen.36 Für Ritter stand die „fleischliche" Auslegung des Evangeliums im Gegensatz zur inneren Gläubigkeit, die den Kern der Reformation ausgemacht habe. Diese Innerlichkeit stellte für Ritter das eigentlich Deutsche an der Reformation dar.37 Gerhard Ritter sah in der Reformation und dem Bauernkrieg also zwei voneinander unabhängige Ereignisse. Ranke hatte sie noch

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Ritter: Luther ('1925), S. 13/14/64. So bezeichnete etwa der katholische Historiker und Soziologe Alfred von Martin die LutherBiographie 1927 in einer Rezension in der Frankfurter Zeitung verächtlich als „Heldenepos". Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 196 und 208/209. Ritter: Luther (11925), S. 149-156.Vgl. auch Schwabe/Reichardt: Ein politischer Historiker, S. 25/26. Interessant ist insbesondere Ritters Aussage über die Zugehörigkeit Deutschlands zur modernen Welt. Hatte von Below 1917 argumentiert, dass die Anhänger der Aufklärung Luther zum Mittelalter rechnen würden, drehte Ritter dieses Argument nun gerade um: Luther als der Befreier des deutschen Geistes sei nicht der modernen Welt zuzurechnen, weil der deutsche Geist eben nicht von Rationalität und irdischem Glücksstreben geprägt sei, sondern in der Innerlichkeit liege. Er argumentierte somit weit radikaler als von Below.Vgl. Kapitel 2.3.2. Ritter: Luther (H925), S. 108. Ritter: Luther (11925), S. 96. Vgl. Ritter: Luther (11925), S. 36.

Die Reformation als historische Orientierungshilfe als parallele Erscheinungen dargestellt und den ursprünglichen Forderungen der Aufständischen eine gewisse Legitimität nicht abgesprochen. Ritter erkannte j e doch nur insofern einen Zusammenhang, als die Bauern „die christliche Idee von der Gleichheit aller Menschen vor Gott zur Aufstellung eines Programms der sozialen Gerechtigkeit" missbraucht hätten. 3 8 Die wirtschaftlichen u n d politischen Forderungen der Bauern nannte Ritter ein „wirres, schwer zu deutendes u n d bis h e u t e k a u m verstandenes Gelärm von b u n t durcheinander gellenden S o n d e r w ü n s c h e n " . D e n A n f ü h r e r des thüringischen Bauernkrieges, T h o m a s Müntzer, schilderte er gar als eine „unheimlich düstere Gestalt", die von einer „Wildnis, die noch keiner bisher ergründet hat", geprägt gewesen sei. 39 Als Orientierungspunkt konnte in Ritters Einschätzung also einzig die geistige Lutherreformation dienen. In der sozialen B e w e g u n g des f r ü h e n 16. Jahrhunderts erblickte er j e d o c h nur Chaos. D e r Politik der Strasse stellte er die Orientierung am Geist gegenüber. In der bereits drei Jahre später erschienenen Neuausgabe betonte R i t t e r die deutsch-nationale Bedeutung der R e f o r m a t i o n noch stärker u n d erklärte sie zur Alternativerscheinung zu der das Rationale b e t o n e n d e n Renaissance: Deutschlands Geist habe mit demjenigen der durch die Renaissance u n d die Aufklärung geprägten westeuropäischen Länder nichts gemeinsam. Der protestantische Historiker R i t t e r war d a r u m b e m ü h t , die R e f o r m a t i o n als Ereignis der nationalen Selbstfindung u n d nicht als Beginn der konfessionellen Spaltung darzustellen. 40 Ritters Ü b e r l e g u n g e n gingen meist von demselben P u n k t aus: I m Mittelalter habe eine gemeineuropäische Geisteskultur geherrscht, weshalb fur diese Zeit k a u m Z ü g e nationaler Eigenarten zu erfassen seien. Diese wären zwar existent gewesen, sie hätten j e d o c h unter der „Decke fremden Geistes", die insbesondere über d e m „deutschen Leben" gelegen habe, nicht zu klarem Ausdruck gelangen k ö n n e n . Als K e r n des Übels erschien R i t t e r die Abhängigkeit des Reiches von R o m u n d der angeblich damit v e r b u n d e n e U n t e r g a n g des deutschen Kaisertums. 4 1 M a r t i n Luther wies er e r n e u t das Verdienst zu, Deutschland aus dieser Misere herausgeführt zu haben. Auch in den letzten Jahren der Weimarer Republik war diese Thematik in R i t ters Aufsätzen präsent. 42 „Nationale Geschichtsschreibung ist nationale Selbstbestimmung", schrieb er 1931. Herausgerissen aus den alten Traditionen sei es b e sonders wichtig, den geistigen Gehalt des deutschen Wesens zu ergründen. Sonst drohe entweder überlautes Selbstbewusstsein oder man lasse sich „hilflos Treiben v o m Strom jener westeuropäischen Ideen-Invasion". 4 3 Seine Kritik am Weimarer System war auch i m m e r Ausdruck restaurativer H o f f n u n g e n . So feierte er 1930

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Ritter: Luther (M925), S. 114/115. Ritter: Luther ('1925), S. 116/117. Besonders prägnant Ritter: Die Reformation und das politische Schicksal. Vgl. Ritter: Romantische und revolutionäre Elemente, S. 345. Beispielsweise Ritter: Die geistigen Ursachen und Ritter: Deutscher und westeuropäischer Geist. Ritter: Deutscher und westeuropäischer Geist, S. 115.

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die R ä u m u n g des Rheinlandes als „Wille zum R e i c h , zum deutschen Staate". Damit verwendete Ritter ,Reich' explizit als Gegenbegriff zu ,Republik'. Ritter ging von einem dualistischen Verständnis der Nation als Kultur- und Staatszusammenhang aus. Diese Verbindung war in seiner Einschätzung in der Weimarer R e publik nicht gegeben und sollte daher wiederhergestellt werden. W i e dieses Ziel erreicht werden kann, hatte die protestantisch geprägte Reichseinigung unter Bismarck erwiesen. 44 D i e Luther-Biographie Ritters ist das herausragende Beispiel der restaurativ orientierten Reformationsgeschichtsschreibung der Zwischenkriegszeit. Dass der Historismus wenig für aufgeklärtes Denken und soziale Bewegungen übrig hat, war bereits im 19. Jahrhundert klar zum Ausdruck gekommen. D i e deutsche Kriegsniederlage und die VersaillerVerträge schufen einen gesellschaftlichen Diskurs, der diese Akzentuierung zusätzlich verschärfte.

3.3 Wiedererwachtes Interesse am Bauernkrieg Im Bauernkrieg sahen die Historiker der Nachkriegsjahre im Gegensatz zur Lutherreformation kaum eine Orientierungshilfe für die Gegenwart. Anders als während der gesellschaftlichen Umbrüche im Zuge der Französischen R e v o l u tion und der 1848er-Bewegung wurde während den Revolutionswirren von 1918 nur beschränkt auf die Revolution von 1525 rekurriert. Die deutsche Arbeiterbewegung hielt den Bauernkrieg und Thomas Müntzer zwar getreu dem Vermächtnis von Friedrich Engels in Ehren. Aber selbst hier wurde der Kompass kaum nach j e n e m fernen Ereignis ausgerichtet. Die russische Oktoberrevolution überstrahlte die Vorbildwirkung der Revolution von 1525 bei weitem. Eine gewisse Ausnahme stellte ein dünner Müntzer-Band des Philosophen Ernst Bloch (1885—1977) dar. Er schilderte den Thüringer Theologen nicht nur als aufwieglerischen Prediger von Mühlhausen, sondern als Revolutionär, der gezielt eine „Elitegarde kommunistischer Führer" gebildet habe. 4 5 E r sah Müntzer in einer R e i h e mit Marx und Engels, betonte jedoch, dass sich sein gesellschaftliches E n gagement aus dem theologischen Denken begründet habe. 46 44 45 46

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Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 1 8 4 - 1 8 6 . Bloch: Thomas Müntzer, S. 6 6 / 6 7 . Müntzers Theologie habe — im Unterschied zu der nur die Beziehung zwischen dem Individium und Gott betreffenden Theologie Luthers - die Sprengkraft besessen, die gesellschaftlichen Beziehungen radikal in Frage zu stellen und aus der Krisensituation des frühen 16. Jahrhunderts eine Revolution emporwachsen zu lassen. Müntzer habe einen grundsätzlich anderen Zugang zur Bibel propagiert als Luther. Das Außere, der Text an sich, sei für Müntzer im Gegensatz zu Luther relativ wertlos gewesen. Die Schrift sei für ihn letztlich nur ein Hilfsmittel gewesen, um die Stimme Christi vernehmen zu können; die Bibel müsse nicht einfach gelesen, sondern erfahren werden. Der - auch von Luther propagierte - falsche Umgang mit der Schrift habe in den Augen Müntzers das Hindernis zur baldigen Ankunft Christi, zum Dritten Reich bedeutet. Unter der tyrannischen Herrschaft der Fürsten habe der in unfreiwilliger Armut gehaltene arme Mann aber nicht einmal die Möglichkeit, die Schrift zu lesen. Die Fürsten

Wiedererwachtes

Interesse am

Bauernkrieg

Erst mit dem 400. Bauernkriegsjubiläum von 1925 nahm auch das Interesse an der Revolution von 1525 wieder zu. Die Zeitschrift,Die Tat' feierte den Bauernkrieg als „erste deutsche Volksbewegung" und verwies auf die symbolische Leuchtkraft, die jenes Ereignis für die Gegenwart habe. Dennoch habe das Gedenkjahr nur lokale Feiern und kaum „Jubiläumsliteratur" hervorgebracht. Die besten Darstellungen seien immer noch diejenigen von Zimmermann und Engels.47 Unerwähnt blieb in der Berichterstattung der ,Tat' jedoch, dass die akademische Forschung durchaus auf das Jubiläum reagierte. 48 Für einige Historiker stellte die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit eine willkommene Gelegenheit dar, ältere Interpretationen zu neuer Darstellung zu bringen. Parallel dazu entwickelten andere Fachvertreter jedoch einen ganz neuen Zugang zu dem lange Zeit marginalisierten Forschungsobjekt. Auf diese beiden Stränge und ihren allfälligen politischen Hintergrund soll nun eingegangen werden. 3.3.1 Der Bauernkrieg als Religionskrieg Max Lenz hatte den Bauernkrieg 1904 als Religionskrieg für die reformatorische Bewegung interpretiert und sein Schüler Wilhelm Stolze war ihm kurz darauf in dieser Einschätzung gefolgt: Die deutsche Geschichte sei auch im 16. Jahrhundert durch keine soziale Revolution entstellt worden. 49 Diese Bewertung wiederholte Stolze ab 1924 in diversen Aufsätzen. Im Jahrhundert vor der Reformation hätten die Territorialherren ihren Herrschaftsbereich auf Kosten des Bauernstandes ausgedehnt. Auf besonderen Widerstand seien die Leibeigenschaft und die Abgaben in den geistlichen Territorien gestoßen, „weil sie mit Geist und Lehre eben derselben Kirche, die sie gebrauchte, im Widerspruch zu stehen schienen". 50 So habe sich schon Jahrzehnte vor Martin Luthers Auftreten in breiten Kreisen eine kirchenfeindliche Stimmung breit gemacht. Damit legte Stolze den Grundstein für

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seien für Müntzer daher dem Kreis der Gottlosen zuzuordnen, die die Ankunft Christi verhinderten und daher eliminiert werden müssten. Bloch betonte also Müntzers Verknüpfung der Heilsgeschichte mit der weltlichen, politisch-gesellschaftlichen Geschichte. Seiner Theologie und Predigt attestierte Bloch die Kraft und die Wirkung, die Revolution des gemeinen Mannes ausgelöst zu haben. Bloch: Thomas Müntzer, S. 185-197. Vgl. Ehrentreich: Der Große Bauernkrieg, S. 930. Siehe auch Kießling: Der Bauernkrieg, S. 144. Als Gradmesser hierfür können etwa die jährlichen Forschungsberichte in den Jahresberichten für deutsche Geschichte' dienen. 1925 wurde darin auf insgesamt neun, 1926 gar auf zwölf Publikationen zum Bauernkrieg hingewiesen. 1927 waren es immerhin noch sechs und 1928 sieben, 1929 und 1930 jedoch nur noch je vier, 1931 eine und 1932 gar keine mehr. Es muss diesbezüglich jedoch betont werden, dass es sich dabei sowohl um Monographien und Aufsätze, um Neuerscheinungen und wiederaufgelegte Werke, um Studien zum Bauernkrieg allgemein als auch um lokalhistorische Untersuchungen handelte. Vgl. Kapitel 2.3.2. Stolze: Bauernkrieg und Reformation, S. 34.

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1918—1933

seine Hauptthese: den engen Zusammenhang zwischen Reformation und Bauernkrieg. 51 Im Unterschied zu den spätmittelalterlichen Bundschuhaufständen sei in den Bauernkrieg „etwas von dem protestantischen Geiste" hineingeströmt, den erst Luther in seinen Landsleuten geweckt habe. Ohne dass dies von Luther beabsichtigt worden sei, hätten deswegen die unterschiedlichen Oppositionsstränge ineinander zu fließen begonnen und seien schließlich in die Zwölf Artikel aus Oberschwaben konvergiert. 52 Soweit erscheint Stolzes Argumentation eng verwandt mit deqenigen von Friedrich Engels. Hatte Engels durch das Zusammenbinden von Reformation und Bauernkrieg aus der Reformation eine politische Ideologie werden lassen, so formte Stolze jedoch den Bauernkrieg zum konfessionellen Kampf um. Dabei maß er den Zwölf Artikeln derart große Bedeutung zu, dass kaum mehr ein anderes Element als relevant erscheint. Selbst den fundamentalen Revolutionsversuch der Thüringer Bauern führte er einzig auf jenes bäuerliche Programm zurück. Thomas Müntzer gestand er zwar die Rolle des „Theologen des armen Mannes" zu, ein Einfluss Müntzers auf die Thüringer Ereignisse lasse sich aber nicht nachweisen. 53 In ihren Grundsätzen sei die Erhebung daher „geradezu ein Bekenntnis zur Reformation gewesen, und zwar mehr zu der Luthers als zu der von irgendeinem sonst". 54 Dass sich Luther schließlich „den tiefsten Anliegen seiner Reformation willen" vehement gegen die Aufständischen gewandt hatte, empfand Stolze offenbar nicht als Widerspruch zu seiner Interpretation. 55 Stolze schilderte die lutherische Reformation als ein tief liegendes Anliegen des deutschen Volkes. U m dessen Einheit nicht zu zerstören, drängte er sowohl die sozialen als auch die konfessionellen Konflikte aus seiner Darstel-

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Obwohl Stolze auf die allgemeine kirchenfeindliche Stimmung vor der Reformation hinwies, legte er Wert darauf, dass Luthers Thesen nicht durch die gesellschaftliche Situation beeinflusst, sondern allein aufgrund seiner inneren Suche nach Rechtfertigung entstanden seien. „Einzig und allein geboren aus dem Heilsverlangen einer rein religiösen Seele, der nichts von dem, was die Kirche bot, den Frieden geben konnte, so hatte sie ursprünglich ihr ganzes Absehen darauf gerichtet, die frohe Botschaft von dem gnädigen Gott allen wahrhaft Gläubigen mitzuteilen und durch solche Reformation der Geister schließlich all dem Spuk ein Ende zu bereiten, mit dem auch die Kirche sie ängstigte." Stolze: Bauernkrieg und Reformation, S. 46. Wie wenig die Reformation anfänglich mit der gesellschaftlichen Situation zu tun gehabt habe, zeige sich auch daraus, dass dem Thesenanschlag keine allgemeine Erhebung des gemeinen Mannes gefolgt sei. Und dennoch gehörten Reformation und Bauernkrieg laut Stolze untrennbar zusammen - womit er sich nun weit von Ritters Position entfernte. Siehe auch Stolze: Die Lage des deutschen Bauernstandes. Vgl. Stolze: Bauernkrieg und Reformation, S. 56—58. Stolze: Bauernkrieg und Reformation, S. 103/104. Sogar bezüglich der Schlacht von Frankenhausen schätzte Stolze die Bedeutung Müntzers als gering ein: Diese wäre ohne ihn zwar nicht denkbar gewesen, dennoch lasse auch diese Bauernerhebung „nichts von seinem Geiste verspüren".Vgl. ebd., S. 112. Stolze: Bauernkrieg und Reformation, S. 118. Stolze: Bauernkrieg und Reformation, S. 121.

Wiedererwachtes Interesse am Bauernkrieg lung. 56 Der homogene Geist des Volkes, dessen angeblich einheitlichen Interessen und Ziele, sollte nicht in Frage gestellt werden. Stolze wollte die R e f o r mation als nationales Projekt aller Volksteile verstanden haben, zu dem auch der Bauernkrieg gehörte. 5 7 Anfang der 1930er Jahre verband Stolze seine Interpretation zunehmend mit kämpferischen Tönen: Dank dem Bauernkrieg seien nicht nur die evangelischen Landeskirchen entstanden, sondern „Volk und Stände und Fürst" zu einer neuen „Lebensgemeinschaft" zusammengefugt worden. Nach der Kundgebung der deutschen Geschichtswissenschaft für den völkischen Grenzkampf im Osten auf dem Göttinger Historikertag von 1932 5 8 spitzte auch der an der Königsberger Albertus-Universität lehrende Stolze seine Interpretation auf diese Frage zu: In Preußen habe die Säkularisierung des Deutschen Ordens zur Gründung des Deutschordenstaates respektive des Herzogtums Preußen geführt. In dieser Verbindung von Staat und Kirche sei es dem „Deutschtum" möglich gewesen, im Grenzgebiet gegenüber Polen zu bestehen; denn zum nationalen Gegensatz sei nun auch noch ein konfessioneller hinzugekommen. „Als der preußische Staatsgedanke, kann man sagen, erscheint schließlich der, den die Bauern des Jahres 1525 bereits vertraten." 59 Stolze parallelisierte seine politischen Ideale mit den angeblichen Folgen der Revolution und vermischte diese mit den Zielsetzungen der Aufständischen von 1525. So erhob er die verschiedensten und sich teilweise bekämpfenden Bewegungen der Reformationszeit zu einer gemeinsamen Vorläuferbewegung des „Deutschtums" und der revisionistischen Bemühungen in der Weimarer Republik. Die politische Stoßrichtung von Stolzes Argumentation ist eindeutig, der methodische Ansatz dagegen kaum. Mit seinen militanten, deutsche Territorialansprüche betonenden Positionen verband er in eigentümlicher Weise historistische Positionen mit völkischen Ideen der Königsberger Schule: Der deutsche Grenzkampf im Osten war zu Beginn der 1930er Jahre an der Albertus-Universität zunehmend zu einer historiographischen Leitidee geworden. 60

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In seiner Rezension in der Historischen Zeitschrift (HZ) kritisierte Hermann Wopfher insbesondere, dass Stolze die wirtschaftlichen Ursachen des Bauernkrieges zu wenig beachte. Es wäre notwendig, dass „die Frage nach den wirtschaftlichen und sozialen Unruhen des Bauernkrieges endlich einmal zum Gegenstand einer allgemeinen und eingehenden Untersuchung gemacht" werde. Wopfher: Rezension.

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Entsprechend kritisch beurteilte Stolze die Luther-Biographie von Gerhard Ritter, die im Jahr zuvor erschienen war: Dieser lasse in „seinem Luther den Bauernkrieg im vollen Zwiespalt zwischen dem Reformator und seinem Volk endigen". Stolze: Bauernkrieg und Reformation, S. 122. Siehe auch Stolze: Die Stühlinger Erhebung.

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Vgl. Haar: .Revisionistische' Historiker, S. 7 6 - 8 0 . Stolze: Uber die Bedeutung des Bauernkrieges, S. 195. Insbesondere Ingo Haar hat in den vergangenen Jahren immer wieder darauf verwiesen, dass der Königsberger Historiker Hans Rothfels in den frühen 1930er Jahren eine am Volksbegriff und dem östlichen Grenzkampf orientierte Schule aufgebaut hat. Vgl. Haar: .Revisionistische' Historiker, insbesondere S. 7 2 - 7 4 und Haar: Historiker im Nationalsozialismus, S. 1 2 0 - 1 3 0 . Haars Beurteilung von Rothfels stieß teilweise auf starke Ablehnung. Siehe Heinrich August Winkler: Hans Rothfels - ein Lobredner Hitlers? Quellenkritische Bemerkungen zu Ingo

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Aus den Reihen der Bauernkriegshistoriker erntete Stolze flir seine Position jedoch viel Kritik — weniger aus politischen, denn aus konzeptionellen Gründen. Willy Andreas (1884-1967) beanstandete, dass Stolze fast ausschließlich die Unterschiede zwischen der Bundschuhbewegung und dem Bauernkrieg betone und darüber das „Gemeinsame" vergesse.61 Bemerkenswert ist auch eine Replik von Hermann Barge (1870)62, der bereits 1920 mit einer kurzen Studie zu Florian Geyer an die Öffentlichkeit getreten war. 63 Stolze sehe das frühe 16. Jahrhundert nur von frommen Bauern bevölkert, die für die Lutherreformation kämpften und mit den anderen Ständen in friedlichem Einvernehmen gelebt hätten. Dagegen habe die Bauernkriegsforschung aber die Aufgabe, „an der Hand der Quellen sich zunächst mit dem schlichten Vorstellungskreis der bäuerlichen Bevölkerung und der übrigen in ihre Bestrebungen hineingezogenen Kreise vertraut zu machen und aus diesen heraus zu verstehen, wie man zur Auflehnung gegen die überlieferten Ordnungen kommt". 64 Diese Kritik enthält eine neue Dimension: Der „Vorstellungskreis" des gemeinen Mannes war in der historischen Forschung bisher kaum beachtet worden. Ende der 1920er Jahre war Barge aber längst nicht der einzige Historiker, der sich mehr für bäuerliche Quellen als konfessionelle Standpunkte interessierte.

3.3.2 Neue Ansätze in der Bauernkriegsforschung Erste Ansätze einer nicht-konfessionellen Bauernkriegsinterpretation tauchten bereits im 19. Jahrhundert auf. Es waren jedoch alles marginalisierte Stimmen, die den Bauernkrieg über die sozio-ökonomische und teilweise auch rechtliche Entwicklung zu erklären versucht hatten: Neben Zimmermann und Engels ist auch Lamprecht zu nennen. In der Zwischenkriegszeit verlor die akademische Phalanx gegen solche Interpretationen zunehmend an Kompaktheit. Nicht dass sich die universitäre Geschichtswissenschaft gegenüber materialistischen Ansätzen geöffnet hätte — vielmehr hinterließ die populäre Diskussion um das Zusammenspiel von Volk, Nation und Staat bald auch Spuren in der Interpretation des Bauernkrieges. Die Fragen nach dem deutschen Geist und der dem Wesen des deutschen Volkes adäquaten Staats- und Rechtsform öffneten den Blick für Fragestellungen, die dem auf die Politik der , großen Männer' fixierten Historismus des Kaiserreichs nicht zugänglich gewesen waren. Es waren denn auch nicht etablierte Professoren, die einen neuen Zugang zur Revolution von 1525 fanden. Der entscheidende Anstoß ging vielmehr von einem eben erst promovierten Historiker aus - von Günther Franz (1902-1992).

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Haars Buch .Historiker im Nationalsozialismus', in:Vierteljahreshefte flir Zeitgeschichte, Heft 4 (2001), S. 643-652. Andreas: Der Bundschuh, S. 508 (Fußnote). Todesjahr unbekannt. Vgl. Barge: Florian Geyer. Barge: Die Ursachen des Bauernkrieges, S. 515-520.

Wiedererwachtes

Interesse am

Bauernkrieg

Seinen ersten Auftritt auf dem Parkett der Bauernkriegsforschung hatte der später weit herum bekannte Franz im Jahr 1925. Von Wilhelm Mommsen (1892—1966), der damals Assistent am Historischen Seminar der Universität Göttingen war, erhielt Franz das Angebot, für die vor kurzem gegründete Deutsche Buchgemeinschaft ein Quellenbuch über den Bauernkrieg zusammenzustellen.65 Ein Jahr später erschien das Bändchen des damals 24-jährigen Günther Franz. Neben den Auszügen aus Chroniken, Gerichtsprotokollen, Ratsberichten,Volksliedern und bäuerlichen Beschwerdeschriften wie den Zwölf Artikeln finden sich auch von Franz verfasste, in die Thematik einfuhrende Texte. Franz' Interpretation baut auf zwei Grundpfeilern auf: Erstens betonte er, die Ursache des Bauernkrieges sei in der politischen Ungleichheit zwischen dem Bauernstand und dem Rest der spätmittelalterlichen Gesellschaft zu suchen. „Der Bauernkrieg stellt denVersuch des vierten Standes, der Bauern, dar, seine Lage zu erleichtern und Anteil zu gewinnen an dem politischen Leben der Nation", schrieb Franz.66 Die Marginalisierung der Bauern habe nicht in deren ökonomischer Situation gegründet, sondern in der unsicheren Rechtslage, in der sich die Bauern im Spätmittelalter befunden hätten. Infolge der zunehmenden Rezeption des römischen Rechts hätten viele Herren Grund und Boden als ihr Eigentum zu betrachten und daher die Nutzungsrechte der Dorfgemeinde zu beschneiden begonnen. Zudem hätten sie die Freizügigkeit ihrer Untertanen zunehmend eingeschränkt. Zweitens wies er daraufhin, dass diese revolutionäre Stimmung nicht erst durch die Reformation hervorgerufen worden sei, sondern bereits „die das ganze 15. Jahrhundert durchziehenden Aufstände" geprägt habe. Die Reformation habe hier nur wie der „Funke am Pulverfass" gewirkt. 67 Franz sah im reformatorischen Denken weniger die Ursache, als eine neue Argumentationsgrundlage für die seit langem vorhandenen bäuerlichen Forderungen. Besonders deutlich zeige sich dies bei den oberschwäbischen Zwölf Artikeln — nie habe ein „Revolutionsmanifest nachhaltiger und tiefer in der deutschen Geschichte gewirkt". Laut Franz fassten sie die allgemeinen Forderungen der Bauern in „äußerst geschickter Weise" und „unter Beiseitelassung aller bloß örtlichen Beschwerden" zusammen. Mit dieser Charakterisierung entsprach Franz durchaus dem Urteil Rankes. Die Artikel seien zwar weniger weit gegangen als etwa die „Wünsche des Bundschuh", stellten aber „trotzdem das Programm einer sehr tiefschneidenden R e f o r m " dar. „Sie bedeuten die völlige Abkehr von dem alten Glauben, die Verneinung der bisherigen Rechts- und Wirtschaftsordnung." Radikal sei zudem das Prinzip gewesen, sich anstelle des „geschichtlichen Rechtes" auf das „göttliche Recht" zu berufen. 68 Dieser neuartigen Bezugnahme auf das göttliche Recht maß er vor allem legitimatorische Bedeutung zu. Im Unterschied zu den Zwölf Artikeln glaubte Franz beim Thüringer Aufstand einen missbräuchlichen Rekurs auf die Reformation zu erkennen. 65 66 67 68

Vgl. Franz: Mein Leben, S. 46. Franz: Der deutsche Bauernkrieg, S. 8. Franz: Der deutsche Bauernkrieg, S. 9-11 Franz: Der deutsche Bauernkrieg, S. 53.

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Das Verhältnis Luthers zur Bauernschaft sei eines der „tragischsten Kapitel in der großen Tragödie, die die Geschichte des Bauernkrieges" darstelle. Luther habe den Idealen der Revolution ein unerbittliches Nein entgegengesetzt, „und wir müssen ihm dankbar sein, dass er es tat". Denn hätte er es nicht getan, so wäre sein Werk nach der Niederlage im Bauernkrieg in den „Fluten der R e a k t i o n " mitversunken. U n d selbst bei einem bäuerlichen Sieg wäre die Reformation verloren gewesen, denn dann wäre die „religiöse [...] Menschheitsfrage" zu einem „weltlichen Parteiprogramm" herabgewürdigt worden. Aber auch so habe L u thers Werk unter dem Bauernkrieg gelitten; der Bauernstand habe sich von ihm abgewendet und der Weg von dem „lebendigen Gemeindekirchentum der reformatorischen Frühzeit zu der Erstarrung der neuen landeskirchlichen Hierarchie" sei frei geworden. 69 Die Bauern aber hätten nach ihrer Niederlage nicht Freiheit und Gleichheit erlangt, sondern seien nur noch tiefer „herabgestoßen" worden. 7 0 Die Folgen davon: Der Bauernstand habe sich danach von „dem politischen Leben der Nation entfremdet" und auch mit der Bauernbefreiung des 19. Jahrhunderts sei es nicht gelungen, ihn zu „lebendiger Anteilnahme" zurückzugewinnen. „ U n d ganz, so dünkt mich, wie gesagt, haben wir auch heute die Folgen noch nicht überwunden." 7 1 Für Günther Franz stellte die Publikation des Quellenbandes 1926 den Einstieg in seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bauernkrieg dar. Seine Analyse war nicht in allen Punkten neu: Bereits Sartorius hatte auf die mittelalterliche Kontinuität hingewiesen, Oechsle hatte sich für die bäuerlichen Verfassungspläne interessiert und Historiker wie Lenz und Stolze hatten betont, dass nicht bäuerliche Armut Ursache des Bauernkrieges gewesen sei. 72 Franz stellte den Bauernkrieg aber in eine lange Tradition bäuerlicher Aufstände und war damit nach Zimmermann und Engels der erste akademisch arbeitende, bürgerliche Historiker, der im Bauernkrieg eine ernst zu nehmende Volksbewegung sah. Er fügte all diese Elemente zu einer neuartigen Interpretation zusammen, die am ehesten mit der Position von Karl Lamprecht zu vergleichen wäre: Auch dieser hatte bereits mit der mittelalterlichen Rezeption des römischen Rechts argumentiert. Im Gegensatz zu Lamprecht betonte Franz jedoch weniger die ökonomischen als die politischen Folgen dieses Vorgangs für die Bauern. 7 3 Damit hatte Günther Franz über seine Quellenarbeit ein historisches Argument gefunden, dass in der tagesaktuellen Dis-

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Franz: Der deutsche Bauernkrieg, S. 277-279. Franz: Der deutsche Bauernkrieg, S. 306. Franz: Der deutsche Bauernkrieg, S. 9. Max Lenz hatte bereits 1904 eine ähnliche Position vertreten.Vgl. Kapitel 2.3.2 und Lenz: Der Bauernkrieg, S. 154. Eine Verwandtschaft von Günther Franz' Interpretation von 1926 zu den Arbeiten von Karl Lamprecht konstatiert auch Winterhager: Bauernkriegsforschung, S. 87. Er argumentiert jedoch anders: In Ahnlehnung an Lamprecht habe Franz den Bauernkrieg 1926 als „denVersuch des Bauernstandes, sich aus wirtschaftlicher Abhängigkeit zu befreien", geschildert. Eine solche Aussage finde ich bei Franz jedoch nicht.

Wiedererwachtes

Interesse am

Bauernkrieg

kussion große politische Sprengkraft besaß. Einen solchen Bezug stellte Franz j e doch kaum her; seine Bewertung der Revolution von 1525 war eher disparat. Einerseits übernahm er das Urteil von Historikern wie Ranke oder Ritter, wonach die Niederlage der Aufständischen Bedingung für den Sieg der Reformation gewesen sei, andererseits betonte er die schwerwiegenden Folgen der Niederlage, die die deutsche Nation bis in die Gegenwart nicht überwunden habe. Franz erblickte im Bauernkrieg jedoch nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern interessierte sich für parallele Bewegungen in anderen Regionen Europas. Seine Interpretation ging also kaum von einem deutschen Sonderweg aus, sondern fragte nach vergleichbaren Ereignissen in der Geschichte der europäischen Völker. Damit lag Franz'Arbeit ein vergleichendes Konzept zugrunde, das bei der vom Historismus geprägten Generation seiner akademischen Lehrer unbekannt war. Uber eine erste Skizze war Franz in dem schmalen Bändchen von 1926 jedoch nicht hinausgekommen. Sie enthielt aber bereits wesentliche Elemente, die seine spätere Interpretation auszeichnen sollte. In einem kurzen Literaturüberblick bemerkte Franz in demselben Jahr, dass „die große grundlegende wissenschaftliche Geschichte des Bauernkrieges" immer noch nicht geschrieben sei. 74 Dass er ein solches Projekt selber anzugehen gedenke, ließ er in dem Bericht j e d o c h noch unerwähnt. Mit der finanziellen Unterstützung der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, der späteren Forschungsgemeinschaft, begab sich Franz bald auf Reisen zu diversen deutschen, österreichischen und schweizerischen Archiven. 7 5 Als ein erstes Resultat dieser Arbeit reichte Franz vier Jahre später an der Universität Marburg bei Wilhelm Mommsen seine Habilitationsschrift ein. Es sei „eine fast rein mittelalterliche Arbeit geworden: ,Die agrarischen U n r u h e n des ausgehenden Mittelalters und die Ursachen des Bauernkrieges'", schrieb er an seinen früheren Göttinger Lehrer Karl Brandl. Die „eigentliche Geschichte des Bauernkrieges" werde er erst später folgen lassen. 76 Das Habilitationsmanuskript ist nicht erhalten. 77 Einer Bestimmung der Marburger Fakultät zufolge hatte Franz jedoch zumindest einen Teil der Habilitation zu publizieren. Rückblickend bezeichnete Franz das veröffentlichte Kapitel als ei-

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Franz: Literaturbericht, S. 7. In der auf dieser Grundlage 1933 publizierten Monographie zum Bauernkrieg verzeichnete Franz den Besuch von nicht weniger als 51 Archiven. Vgl. Franz: Bauernkrieg, S. 486. Siehe auch Franz: Mein Leben, S. 51. Brief Franz an Brandl, 3. Januar 1930. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 2 / 1 . Vgl. Kapitel 4.2. Die Sitzung der für die Habilitation zuständigen Kommission fand am 5. März statt, die entscheidende Fakultätssitzung am 7. Mai 1930. Alle Gutachter empfahlen die Arbeit zur Annahme, wiesen jedoch auf stilistische Mängel hin. So schrieb etwa Wilhelm Mommsen in seinem Gutachten vom 13. Februar 1930: „Der Stil wird vielfach, vor allem im ersten Teil, noch der Durchfeilung bedürfen, zumal die Ausdrucksweise noch allzu sehr von der Wortführung der Quellen abhängig ist." Inhaltliche Kritik äußerte nur Edmund Stengel: Er vermisse in „den breiten zustandsgeschichtlichen, beschreibenden Darstellungen etwas den Einschlag präziser rechtsgeschichtlicher Betrachtung". Hessisches Staatsarchiv Marburg, 307d, Philosophische Fakultät, Nr. 108.

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1918—1933

nen ersten Versuch der vergleichenden Revolutionsforschung. 78 Tatsächlich wirft es Schlaglichter auf die Bauernerhebungen in Flandern zu Beginn des H . J a h r hunderts, auf die Jacquerie in Frankreich, den englischen Bauernkrieg gegen Ende des 14. Jahrhunderts sowie auf die Bauernrevolte in Ungarn zu Beginn des 16. Jahrhunderts.Vier zentrale Punkte arbeitete Franz heraus, die in allen vier B e wegungen von Bedeutung seien. Erstens hätten die Aufständischen nirgends materielle Not leiden müssen; die Unruhen seien daher nicht ökonomisch bedingt gewesen. Als zweite Gemeinsamkeit nannte Franz, dass die Erhebungen in politischen Krisenzeiten nicht gegen den Staat an sich, sondern gegen die Zwischeninstanzen wie den Adel gerichtet gewesen seien. Dabei hätten sich die Aufständischen auf das alte Recht berufen und - dies als vierte Gemeinsamkeit - ihre B e gehren mit dem Schlagwort der göttlichen Gerechtigkeit legitimiert. Franz löste die bäuerliche Argumentation mit dem göttlichen R e c h t also gänzlich von der Reformationstheologie und führte sie nun vor allem auf die Lehre John Wiclifs zurück. Damit hatte er die Grundlage geschaffen, um auch den deutschen Bauernkrieg noch stärker in eine mittelalterliche Kontinuität zu stellen, als er dies in seinem Quellenband von 1926 getan hatte. 79 Franz war nicht der Einzige, der sich in jenen Jahren mit der Vorgeschichte des Bauernkrieges befasste. Wichtige Orientierungspunkte seiner Forschung waren insbesondere die Arbeiten von Willy Andreas sowie eine Studie über die Bundschuhbewegung, die der Pfarrer Albert Rosenkranz (1876-1975) 1927 veröffentlichte. Dieser kam zum Schluss, dass der Bundschuh eine Reihe eng aufeinander bezogener Erhebungen des „armen Mannes" gewesen sei, die mit dem Bauernkrieg von 1 5 2 4 / 2 5 ihren „natürlichefn] Abschluss" gefunden habe. 8 0 Weil der Südwesten des Reiches politisch so stark zersplittert und die Zentralgewalt kaum mehr existent gewesen sei, habe der „Gedanke an bewaffnete Selbsthilfe" in der Luft gelegen. 81 Ahnlich wie bei Franz spielte auch in Rosenkranz' Interpretation der Grundsatz der göttlichen Gerechtigkeit eine zentrale Rolle. Er sah darin das entscheidende Legitimationsmuster der vorreformatorischen Bundschuhaufstände und verneinte damit auch eine kausale Beziehung zur Theologie Luthers. 82

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„Einer ärgerlichen Bestimmung der Fakultät nach mußte vor der Antrittsvorlesung und der Erteilung der Venia legendi die Habilitationsarbeit gedruckt vorliegen. So mußte ich zwei Druckbogen (das Mindestmaß) binnen weniger Tage drucken lassen. Ich wählte das erste Kapitel über die ausländischen Bauernunruhen und Heß es in der billigsten Druckerei am Ort drucken. Da es der erste Versuch einer vergleichenden Revolutionsgeschichte war und in mein Buch über den Bauernkrieg aus Raumgründen nicht aufgenommen wurde, wird dieser Druck bis heute immer wieder zitiert. Er ist jetzt in meinem Aufsatzband Persönlichkeit und Geschichte' neu gedruckt worden." Franz: Mein Leben, S. 55. Vgl. Franz: Die agrarischen Unruhen. Rosenkranz: Der Bundschuh, S. 4—7. Rosenkranz: Der Bundschuh, S. 15. Vgl. Rosenkranz: Der Bundschuh, S. 18-19 und 145/146.

Wiedererwachtes

Interesse am

Bauernkrieg

Mit der Bundschuhbewegung befasste sich Ende der Weimarer Jahre auch Willy Andreas. Diese Aufstände von 1493 bis 1517 waren laut Andreas durch „richtige deutsche Bauern mit allen Zeichen der Bodenständigkeit und volkhafter Echtheit" getragen worden. 83 Die Herrschaften hätten auf das Vorgehen der Bauern jedoch einzig mit Repression reagiert. Keine einzige habe „daraus gelernt und etwas getan, die Uebelstände abzustellen".84 Und da diese Missstände nie behoben worden seien, sei schließlich der Bauernkrieg losgebrochen. „Schwerlich hätte die Reformation bei allem Ungestüm und aller umbildenden Kraft, die ihr innewohnte, aus sich allein heraus vermocht, eine Revolution von der Art zu entfesseln, wie es der Bauernkrieg war". 85 Es erstaunt kaum, dass Franz diesen Ausführungen zustimmen konnte; „Gerade wenn man wie ich vom Bauernkrieg her an den Bundschuh herantritt, ihn nur als einen Teil in dessen Vorgeschichte nimmt, treten die engen Beziehungen deutlich hervor", hielt er 1929 in einem Brief an Andreas fest.86 Die eigentliche Ursache der „Uebelstände" glaubte Andreas in der spätmittelalterlichen Krise der politischen Strukturen zu erkennen. Die einsetzende Rezeption des römischen Rechts wertete er in diesem Zusammenhang als „nationales Missgeschick". „Bitter rächte sich hier am Rechtsleben der Nation die Schwäche der deutschen Zentralgewalt: sie hatte keine zusammenfassende gesetzgeberische Tätigkeit großen Stils entwickelt, kein einflussreicher höchster Gerichtshof hatte die Praxis niederer Gerichte gestaltend und vereinheitlichend beeinflusst!" Die Aufnahme des römischen Rechts bezeichnete Andreas als eine „verhältnismäßig lautlose Revolution", die beim Reichskammergericht begonnen habe und dann auf den tieferen Ebenen fortgesetzt wurde. Weder die Territorien noch die Stände hätten dagegen angekämpft und auch der gemeine Mann habe kaum dagegen gefochten - denn dieser Vorgang sei von ihm in seiner ganzen Tragweite „nicht gleich zu erfassen" gewesen.87 Erst mit dem Rekurs auf die göttliche Gerechtigkeit hätten die Bauern ein Mittel gefunden, um gegen diesen Prozess zu argumentieren. Wie Rosenkranz führte auch Andreas den bäuerlichen Rekurs auf die göttliche Gerechtigkeit nicht auf die Reformation zurück. Von entscheidendem Einfluss seien vielmehr die Lehren von John Wiclif und Jan Hus gewesen.88 Zwei Jahre später bestätigte Günther Franz in seinem Habilitationsaufsatz von 1930 Andreas'Argumentation mit Wiclif und Hus anhand der außerdeutschen Bauernaufstände. Zentral sollte diese Argumentation auch in der Bauernkriegsmonographie sein, die Franz im Herbst 1933 publizierte. Damit hatten Andreas und Franz eine Interpretation entwickelt, die deijenigen von Wilhelm Stolze diametral entgegenlief. Die Beziehung zwischen Franz und 83 84 85 86 87 88

Andreas: Der Bundschuh, S. 517. Andreas: Der Bundschuh, S. 522. Andreas: Der Bundschuh, S. 541. Brief Franz an Andreas, 15. Januar 1929. UA Hohenheim, N6, 1/1/1. Andreas: Deutschland vor der Reformation, S. 268—271. Vgl. Andreas: Deutschland vor der Reformation, S. 450-456.

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Suche nach historischer Orientierung.

1918—1933

Stolze, der den Bauernkrieg nach wie vor als Religionskrieg verstand, wurde dadurch zunehmend belastet. 89 „Gewiss haben auch die religiös-kirchlichen Verhältnisse mitgewirkt", wandte sich Franz 1928 an seinen Königsberger Kollegen, „aber dass sie einzig und allein den Aufstand [von 1525, Im] ausgelöst, möchte ich auch nach mehrfacher Lektüre Ihrer Studie (daher die Verzögerung der Antwort) nicht annehmen". 90 An Stolzes Interpretation befremde ihn insbesondere, schrieb Franz später an Andreas, dass dieser „auch jetzt noch nach dem Erscheinen von Rosenkranz' Buch sich all dem so hartnäckig verschliesst. [...] Der Einfluss der Reformation ist gewiss nicht zu unterschätzen, doch erklären kann man den Bauernkrieg damit allein nicht." 91 Das Verhältnis zwischen dem über 60-jährigen Stolze und dem noch nicht 30jährigen Franz war damit verdorben. 1932 publizierte Stolze einen weiteren Artikel zum Thema Bauernkrieg. Nicht unbescheiden versprach Stolze damit das „letzte Rätsel" des Bauernkrieges zu beantworten. 92 Kein Wunder, fand Franz ein Jahr bevor seine Bauernkriegsmonographie erscheinen sollte - kaum Gefallen an Stolzes Auftritt. „Sie werden verstehen, dass ich diese Ansicht nicht teile, denn dann wäre ja meine Arbeit zwecklos", ließ Franz Stolze wissen. 93 Aber auch Stolze hielt in dieser Zeit nicht mehr viel von Franz' Studien. Franz' Kritik an seiner Bauernkriegsinterpretation überrasche ihn überhaupt nicht, „denn einen

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Vgl. auch Brief Franz an Andreas, 15. Januar 1929. UA Hohenheim, N6, 1/1/1. Franz bezog sich auf das Manuskript von Stolzes Aufsatz ,Die Stühlinger Erhebung', der 1929 in der H Z erschien.Vgl. Brief Franz an Stolze, 13. Februar 1928. UA Hohenheim, N6, 1/2/5. „Die Forderungen der elsässischen Bauern 1525 lassen sich überhaupt nur durch die vorangegangenen Bundschuhaufstände erklären. Eben dadurch unterscheiden sie sich von den anderen Gebieten. Mit der Anerkennung dieses Zusammenhangs bricht freilich wiederum ein gut Stück von Stolzes Thesen zusammen. Nur so lässt es sich wohl erklären, dass er auch jetzt noch nach dem Erscheinen von Rosenkranz' Buch sich all dem so hartnäckig verschliesst. Man kann den Bauernkrieg nicht verstehen, wenn man ihn so isoliert betrachtet, sich auf eine noch so detaillierte Erforschung der Anfänge i.J. 1524 beschränkt. Der Einfluss der Reformation ist gewiss nicht zu unterschätzen, doch erklären kann man den Bauernkrieg damit allein nicht. Auch er ist meiner Meinung nach nicht zum wenigsten ein Teil jener Kulturkrise um 1500, die Sie ja im ganzen uns schildern wollen. So erwarte ich das Erscheinen Ihres Werkes mit begreiflicher Spannung, in der Hoffnung, dass es auf gar manche Vermutung, der ich im Rahmen meiner speziellen Arbeit nicht näher nachgehen kann, die Antwort geben wird." Brief Franz an Andreas, 15. Januar 1929. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 1 / 1 . Franz nannte bei dieser Kritik zwar Stolzes Aufsatz nicht explizit, aus dem Inhalt wird jedoch deutlich, dass er dessen HZ-Publikation von 1929 meinte. Zudem geht aus einem Brief von Franz an Stolze hervor, dass Franz das Manuskript zu dem fraglichen Aufsatz bereits zu Beginn des Jahres 1928 von Stolze erhalten hat. Vgl. Brief Franz an Stolze, 13. Februar 1928. UA Hohenheim, N6, 1/2/5. Stolze wollte mit dem Aufsatz die geistige Herkunft und den nicht-revolutionären Charakter der Zwölf Artikel beweisen. Als den geistigen Vater des oberschwäbischen Programms bezeichnete er nun Erasmus. Stolzes ursprüngliche Argumentation, dass Luther und die Bauern zusammen dem Deutschtum in Preußen zum Durchhalten verholfen hätten, wird mit der zusätzlichen Einfuhrung Erasmus' von Rotterdam noch inkonsistenter. Vgl. Stolze: Der geistige Hintergrund, S. 466. Brief Franz an Stolze, 26. Dezember 1932. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 2 / 5 .

Zwischenfazit

Bauernkrieg zu schreiben und dabei möglichst meine Anschauung desselben zu widerlegen, war die Aufgabe, die Ihnen gestellt war, oder die Sie sich selber gestellt hatten; von einem ganz anderen Standpunkte aus aber jemanden zu überzeugen, die Hoffnung daraufhabe ich in meinem Leben längst aufgegeben." 94 Wilhelm Stolze stand mit seiner Interpretation der Reformationszeit zwischen den Stühlen. Er verband Reformation und Bauernkrieg zu einer Einheit und blickte durch eine stark konfessionell gefärbte Brille auf das frühe 16. Jahrhundert. Obwohl er damit im Widerspruch zu den Ansätzen von Andreas und Franz stand, ist den Interpretationen der drei Historiker eins gemeinsam: Sie entstanden vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion der Weimarer Jahre um Nation und Volk und die kulturelle Grundlage des deutschen Gemeinwesens. Dieser Hintergrund prägte die Arbeiten - jedoch in ganz unterschiedlicherweise. Während Stolze gegenwärtige politische Forderungen direkt in seine Interpretation integrierte, fahrte der politische Diskurs bei Franz zu einem neuartigen Bück auf das frühe 16. Jahrhundert. Stolze drückte in seinen späten Bauernkriegsaufsätzen die Suche nach einer dem deutschen Volk gemeinsamen historischen Tradition aus. Sein ahistorisches Ideal einer homogenen Volksbewegung übertünchte das historische Ereignis. In diesem Bestreben entsprach Stolze einem in der Weimarer Zeit weit verbreiteten Denken, ohne das auch Günther Franz seinen Blick kaum auf die Volksbewegung Bauernkrieg gerichtet hätte. 95 Die Auseinandersetzung um den richtigen Staatsaufbau und das Verhältnis von römischem Individualrecht und germanischem Gemeinrecht der 1920er Jahre bescherte der Revolution von 1525 eine Aufmerksamkeit, die ihr seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr entgegengebracht worden war. Eine klare politische Implikation war damit aber kaum verbunden.

3.4 Zwischenfazit Große Unterschiede prägen die in diesem Kapitel referierten Studien. Dennoch weisen sie auf einen Trend hin: Mitte der 1920er Jahre war eine eigenständige Bauernkriegsforschung am Entstehen. Die Revolution von 1525 wurde nicht mehr als ein nicht zu erklärendes Kapitel der Reformationszeit angesehen. Damit wurden Reformation und Bauernkrieg zu zwei eigenständigen Forschungsgebieten. Eine Ausnahme stellen einzig die Arbeiten von Wilhelm Stolze dar. Die analytische Trennung von Reformation und Bauernkrieg hatte nicht nur eine thematische Aufteilung unter den Historikern zur Folge, sondern führte auch zu einer unterschiedlichen methodischen Orientierung. Während die Reformationshistoriker nach wie vor mit den etatistischen Kategorien des Historismus arbeiteten, kam die Auseinandersetzung mit dem Bauernkrieg einem Bruch gleich: Da

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Brief Stolze an Franz, 30. Dezember 1932. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 2 / 5 . Vgl. Kapitel 7.

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Suche nach historischer Orientierung.

1918—1933

sie den Bauernkrieg als historisch wirkungsmächtigen Volksaufstand anerkannten, brauchten Historiker wie Andreas oder Franz einen neuen methodischen Zugang. Sie erkannten den Wert bäuerlicher Quellen und fragten nach dem Denken des gemeinen Mannes. Damit geriet die junge Bauernkriegsforschung automatisch in die Nähe volksgeschichtlicher Ansätze. Oder umgekehrt argumentiert: Ohne das Aufkommen volksgeschichtlicher Ansätze nach dem Ersten Weltkrieg wären die bäuerlichen Aufstandsbewegungen Mitte der 1920er Jahre wohl kaum in den Blickwinkel der universitären Geschichtswissenschaft getreten. Die Volksgeschichte wird gemeinhin als politische Geschichtstheorie verstanden, die ab 1933 recht eigentlich zur NS-Historie wurde. Die Bauernkriegsarbeiten aus der Weimarer Zeit haben sich aber als weit weniger politisch erwiesen als die Darstellungen zur Lutherreformation. Reformationshistoriker wie Karl Brandl oder Gerhard Ritter interpretierten Luther als heroische Gestalt und betonten die nationale Stoßrichtung der Reformation. Der deutsche Weg der Nationalstaatsbildung wurde in scharfer Abgrenzung zur westeuropäischen Entwicklung, insbesondere der Nationalstaatsbildung in Frankreich, gesehen. Die Schilderung der Reformation als Befreiung vom römischen Geist und ihre Abgrenzung von der rationalistischen Renaissance wurde zum historischen Angriff auf die Ordnung der Weimarer Republik. Gerhard Ritter griff in seiner Luther-Biographie das liberale Gesellschaftsmodell deutlich an und focht damit gegen Versailles. Ein territorialer Aspekt trat in dieser Argumentation jedoch nicht auf. Dies ganz im Gegensatz zu den späten Bauernkriegsinterpretationen von Wilhelm Stolze, die einem geistigen Angriff auf Polen gleichkamen. Damit präsentierte sich Stolze aber weniger als volksgeschichtlich denn als konfessionell orientierter Historiker mit revanchistischer Ausrichtung. Willy Andreas' und Günther Franz' Darstellungen der bäuerlichen Aufstandsbewegungen wirken dagegen geradezu unpolitisch. Dies gilt insbesondere für Franz' Habilitationsaufsatz, in dem er den Bauernkrieg aus einer nationalgeschichtlichen Perspektive löste und auf vergleichbare Bewegungen in anderen Ländern verwies. Ihre politische Stoßrichtung erhielt die Volksgeschichte der Weimarer Jahre vor allem mit der aufkommenden Ostforschung: In diesem Kontext diente sie als historische Legitimation für den deutschen Anspruch auf große Landstriche östlich der nach dem Ersten Weltkrieg festgelegten Staatsgrenzen. D e m Bauernkrieg kam bezüglich des Grenzkampfes aber keine Bedeutung zu. Die Aufstandsgebiete hatten sich hauptsächlich auf einem breiten Korridor zwischen Oberschwaben und Thüringen befunden - in Regionen also, die auch nach dem Ersten Weltkrieg weit innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches lagen. Fern jeglicher politischer Position waren die erwähnten Bauernkriegsstudien dennoch nicht. Dass sowohl bei Günther Franz als auch bei Albert Rosenkranz und Willy Andreas die spätmittelalterliche Rezeption des römischen Rechts große Aufmerksamkeit erhält, korrespondiert eindrücklich mit dem gesellschaftlichen Diskurs um das deutsche Rechtsverständnis. Die Geschichtswissenschaft war dadurch für eine Fragestellung sensibilisiert worden, der sie vor dem Ersten Weltkrieg erst sehr bedingt Aufmerksamkeit geschenkt hatte. 72

4 Revolution fur Volk und Reich. 1933-1945 Das nationalsozialistische Deutschland existierte während zwölf Jahren. Beinahe die Hälfte davon führte es Krieg — einen Krieg von bis dahin unbekannter Intensität. Für eine tief greifende Umgestaltung der Geschichtswissenschaft nach nationalsozialistischen Vorstellungen war nicht nur die Zeit relativ kurz, sondern wurden zunehmend auch die Mittel knapp. Es würde dem Wesen der nationalsozialistischen Herrschaft aber kaum gerecht werden, nur nach Maßnahmen der Partei- und Staatsführung zu fragen. Der Nationalsozialismus verdankte seine große Dynamik nach der Machtergreifung' gerade auch der Zustimmung und dem Engagement aus der Bevölkerung. Kaum ein Gesellschaftsbereich blieb hiervon unerfasst.1 Zuerst möchte dieses Kapitel die Auswirkungen des politischen Wandels von 1933 auf die Geschichtswissenschaft thematisieren und damit in allgemeiner Perspektive die Frage nach dem Wesen einer allfälligen NS-Historie stellen. Der spezifische Blickwinkel auf die Reformation und den Bauernkrieg wird erst in den folgenden Teilkapiteln angesprochen. Hierbei folgt die Darstellung nicht einer strengen Chronologie, sondern stellt die historiographische Auseinandersetzung um das frühe 16. Jahrhundert in zwei parallelen Argumentationslinien dar. Dies begründet sich aus dem Untersuchungsgegenstand: Die deutsche Geschichtswissenschaft interpretierte Reformation und Bauernkrieg seit Mitte der 1920er Jahre zunehmend als zwei unabhängige Ereignisse, und diese Trennung wurde auch in den 1930er Jahren weitgehend beibehalten. Die Diskussionsstränge kreuzten sich nur selten.

4.1 Kontinuität und Umbruch in der Geschichtswissenschaft Völkisches Gedankengut prägte bereits in der Weimarer Republik Teile der Geschichtswissenschaft. 2 Mit der .Machtergreifung' der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 und ihrem erfolgreichen Bemühen, die pluralistische Republik durch eine Diktatur mit totalitärem Anspruch zu ersetzen, errang dieses Gedankenkonglomerat eine neue Stellung. Nun war es diejenige geisteswissenschaftliche Strömung, die der herrschenden Staatsideologie am nächsten war. Längst nicht alle Historiker wandelten sich zu Vertretern der Volksgeschichte und nicht alle Volkshistoriker stellten ihre Arbeit ab 1933 in den Dienst der neuen Macht-

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Hans M o m m s e n beschreibt diesen Umstand mit dem Begriff der Kumulativen Radikalisierung. Grundlegend hierzu Mommsen: Der Nationalsozialismus; zuletzt Mommsen: Cumulative Radicalisation. Siehe Kapitel 3.Vgl. Elvert: Geschichtswissenschaft, S. 92.

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Revolution für Volk und Reich.

1933-1945

haber. 3 Die ganze Disziplin mit dem Etikett der Selbstgleichschaltung zu kennzeichnen, greift ebenso zu kurz wie von einer geglückten Gleichschaltung auszugehen. 4 Das Denken des Nationalsozialismus war dem Intellekt und damit auch der — bürgerlichen — Wissenschaft in vielen Bereichen feindlich gesinnt. Dennoch löste der Machtwechsel keinen prinzipiellen Angriff auf die Wissenschaft aus. Sofort unter Druck gerieten die jüdischen und — soweit existent — die politisch links gerichteten Universitätsangehörigen. 5 Mit dem .Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums' stand bereits im April 1933 das Instrument zur Verfugung, das den Säuberungen an den Universitäten einen legalistischen Deckmantel umhängte. 6 Die große Mehrheit der Ordinarien und Dozenten an den historischen Instituten konnte ihre Tätigkeit jedoch im bisherigen Rahmen weiterfuhren. Bis das Führerprinzip an den Universitäten eingeführt war und deren Selbstverwaltung eingeschränkt wurde, vergingen rund zwei Jahre. 7 Richtet man den Blick auf die Stimmung an den Universitäten, erstaunt diese gemächliche Politik der Gleichschaltung kaum. „Man macht sich heute überhaupt kaum noch eine Vorstellung, in welchem Umfang damals die Hochschullehrerschaft [...] sich zum Nationalsozialismus bekannte", schrieb der damals in Marburg als Privatdozent lehrende Günther Franz rückblickend. Franz'Aussage ist eine subjektive und kann auch als nachträgliche Rechtfertigung seiner eigenen damaligen Position gelesen werden. Der Forschungsstand kommt jedoch zu einer vergleichbaren Einschätzung wie Franz.8 In den historischen Seminaren herrschte keine oppositionelle Stimmung. Zwar fanden sich vor der .Machtergreifung' unter den Ordinarien nur wenig Parteimitglieder 9 . Hoch war dagegen die Zahl der national-konservativ eingestellten Historiker, die in der Weimarer Republik keine Staatsform sahen, für die zu

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Vgl. Oberkrome:Volksgeschichte. Schöttler: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft, S. 7/8, spricht von reibungsloser Selbstgleichschaltung. Eine differenziertere Position findet sich bei Schönwälder: Historiker und Politik, S. 75-78. Laut Jürgen Elvert verloren zwischen 1933 und 1945 mindestens 12 Historiker aus rasseideologischen Gründen ihren Lehrstuhl und 13 aufgrund ihrer politischen Gegnerschaft zum NSSystem. Elvert: Geschichtswissenschaft, S. 110. Etwas tiefere Zahlen nennt Karen Schönwälder: Insgesamt zehn Wissenschaftler hätten aus rassischen, und neun respektive zehn aus politischen Gründen ihren Lehrstuhl verloren. Vgl. Schönwälder: Historiker und Politik, S. 68-74. Zur ideologischen Ausrichtung der Universitätsangehörigen vgl. auch Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 112/113. Vgl. Schönwälder.· Historiker und Politik, S. 66. Z u m 1. Mai 1935 hin wurden die Universitäten dem neu geschaffenen Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unterstellt. Grundlegend Seier: Der Rektor als Führer. Vgl. Schönwälder: Historiker und Politik, S. 66. Eine knappe Zusammenfassung des Forschungsstandes findet sich bei Zinn: Zwischen Republik und Diktatur, S. 105. Franz: Mein Leben, S. 68.Vgl. auch Schöttler: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft, S. 7. Zu nennen wären etwa Karl Alexander von Müller und Otto Westphal.

Kontinuität

und Umbruch in der

Geschichtswissenschaft

kämpfen sich lohnte. 1 0 Der Machtwechsel führte weniger zu einer politischen Auseinandersetzung als zu einem methodisch-theoretischen Konflikt. U n ü b e r hörbar wurden die Stimmen, die ein Ende der am Historismus und am R a n k e ' schen Objektivitätsbegriff orientierten Historie forderten. 11 Es war der R u f nach einer im Sinne des neuen Regimes politischen, kämpfenden Geschichtswissenschaft. Erst in den Jahren 1934/35 wurde die politische Dimension dieser Auseinandersetzungen jedoch richtig sichtbar. N u n war es offensichtlich geworden, dass das ,Dritte R e i c h ' nicht die von vielen ersehnte nationale Revolution im konservativen Sinne war. 12 Die nationalsozialistisch orientierten, oft noch jungen Historiker forderten Einfluss und kämpften gegen ihre meist älteren, konservativ orientierten Kollegen offen u m einflussreiche Posten und die Vergabe von Lehrstühlen. 13 Es waren nicht die Protagonisten und ideologischen Hauptfiguren des .Dritten Reiches', die sich nach der .Machtergreifung' zur Rolle der Geschichtswissenschaft äußerten; dafür spielte die Geschichtswissenschaft im Denken des Nationalsozialismus eine zu geringe Rolle. 1 4 Vielmehr waren es parteitreue Publizisten und junge Wissenschaftler, die nach einem neuen Umgang mit der Geschichte verlangten. Es hegt in der Logik dieses Konfliktes, dass solche Auseinandersetzungen vorerst nicht über die etablierten Organe der Geschichtswissenschaft ausgetragen wurden. In der ,Historischen Zeitschrift' (HZ) beispielsweise machte sich die neue Zeit anfänglich kaum bemerkbar. 1 5 Vielmehr fand die Diskussion u m das Wesen nationalsozialistischer Geschichtsschreibung in Publikationen statt, die außerhalb des traditionellen akademischen Diskurses standen. Z u erwähnen ist etwa die vom „führenden nationalsozialistischen Erziehungswissenschaftler" 10

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Zu dieser Gruppe können sowohl spätere Oppositionelle wie Gerhard Ritter als auch Heinrich Ritter von Srbik, einer der späteren Protagonisten der völkisch orientierten Ostforschung, oder die jungen .Märzgefallenen' wie Günther Franz gezählt werden. Vgl. Haar: Historiker im Nationalsozialismus, S. 90 und Faulenbach: Nach der Niederlage, S. 34. Bernd Faulenbach spricht gar davon, dass die Historiker 1933 nicht gleichgeschaltet werden mussten, weil sie bereits in den Weimarer Jahren mit dem späteren NS-System konforme Ansichten vertreten hätten. Vgl. Faulenbach: Nach der Niederlage, S. 45. Auch wenn die Mehrheit der Lehrenden und Studierenden der Weimarer Demokratie wohl äußerst skeptisch gegenübergestanden waren, ist Faulenbachs Urteil in seiner Einseitigkeit nicht zu teilen.Vgl. Schönwälder: Historiker und Politik, S. 20-53 und Langewiesche: Die Universität Tübingen, S. 618—620. Demokratieskepsis — dies zeigt etwa das Beispiel Gerhard Ritter eindrücklich — war nicht gleichbedeutend mit nationalsozialistischer Gesinnung.Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 180-191 und 227/228 und Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft (21993), S. 42/43. Vgl. Schönwälder: Historiker und Politik, S. 76—78 und Haar: Historiker im Nationalsozialismus, S. 230/231. Vgl. Winkler: Der lange Weg (II), S. 45. Günther Franz bekannte rückblickend: „Kaum der Partei beigetreten, beanspruchten wir jungen Dozenten das Recht, in der Fakultät mitzureden." Franz: Mein Leben, S. 78.Vgl. Kapitel 7. Zum generationellen Aspekt des personellen Wandels an den deutschen Hochschulen nach 1933 siehe Grüttner: Machtergreifung als Generationenkonflikt. Vgl. beispielsweise Faulenbach: Deformation, S. 265. Vgl. Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft, S. 57-65.

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Revolution für Volk und Reich.

1933-1945

Ernst Krieck (1882-1947) 16 gegründete Zeitschrift ,Volk im Werden' oder Periodika wie ,Odal. Monatsschrift für Blut und Boden' oder die Nationalsozialistischen Monatshefte' - Zeitschriften also, die in einer direkten Beziehung zu Parteiorganen standen. Auch wenn diese Zeitschriften teilweise wenig bekannten Autoren eine Plattform boten, sollen die dort in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft publizierten Artikel zum Wesen der Geschichte und der Geschichtsschreibung kurz inhaltlich untersucht werden. Daraus lassen sich entscheidende Merkmale eines Geschichtsbildes herauslesen, das nie wirklich zu theoretischer Konsistenz geführt wurde. Die in diesen Schriften propagierte Geschichtstheorie war ein grundsätzlicher Angriff auf das Objektivitätspostulat des Historismus.17 „Aus der Kraft ihres Denkens und ihres Willens heraus sucht eine jede Zeit erneut den Weg zu ihrer Vergangenheit, und sie findet neue Beziehungen und Linien, die zu ihrer Gegenwart heranfuhren", gab etwa der vor allem militärgeschichtlich interessierte Andreas Hohlfeld (1906) 18 zu bedenken. 19 Wer Objektives, absolute Wertmaßstäbe verlange, führte Hohlfeld seinen Gedanken weiter, verkenne das innere Wesen der Geschichtswissenschaft und mache aus Lebendigem ein Totes. Die Geschichtsschreibung soll, so könnte der Grundtenor zusammengefasst werden, das Heroische betonen, sich aber nicht mehr an dem rational begründeten Staatsverband, sondern an der schicksalhaften Volksgemeinschaft orientieren. 20 Nach den gegenwärtigen „revolutionären" Umwälzungen, der deutschen „Volkwerdung", 21 wie Krieck formulierte, müsse sich geschichtliches Denken mit neuen Fragestellungen befassen. Begriffe „wie Volk und Familie, Rasse und Landschaft, Blut und Boden, das Verhältnis von Volk und Staat" sollten ins Zentrum rücken. Krieck sah in der Geschichte weder einen teleologischen Prozess im Zeichen des Fortschritts noch in sich abgeschlossene Epochen im Sinne des Historismus. Die genannten Begriffe erscheinen vielmehr als ahistorische Größen, um die ein Volk ewig ringe. Im Idealzustand finde sich das Volk von allem Fremden befreit im „Volksstaat" wieder. Dieser Idealzustand würde jedoch nie ganz 16

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So etwa das Urteil von Walter Frank. Vgl. Frank: Die deutschen Geisteswissenschaften, S. 12. Ernst Krieck war Professor für Pädagogik und Philosophie in Frankfurt, Dortmund und Heidelberg und hatte bereits 1931 zur „nationalen Erhebung" aufgerufen. In den 1930er Jahren war er maßgeblich an der theoretischen Ausrichtung des Reichsinstituts fur deutsche Geschichte beteiligt. Er hing einem religiösen Antisemitismus an und geriet damit bald in Gegensatz zu der insbesondere vom Amt Rosenberg vertretenen, materialistisch-biologischen Rassenideologie. 1938 trat er daher von seinen politischen Amtern zurück und aus der SS aus.Vgl. Vollhardt: Ernst Krieck. Besonders scharf äußerte sich dieser Konflikt 1934/35 in Angriffen auf die Schule von Friedrich Meinecke und Hermann Oncken. An diesen Auseinandersetzungen war auch Günther Franz beteiligt. Siehe Kapitel 4.3 und 7. Allfälliges Todesjahr unbekannt. Hohlfeld: Das Geschichtsbild, S. 19. Vgl. Schwarz: Über Geschichte; Hohlfeld: Das Geschichtsbild und Pauls: Unsere Geschichtsauffassung. Krieck: Das rassisch-politische Geschichtsbild, S. 292.

Kontinuität und Umbruch in der

Geschichtswissenschaft

erreicht werden, gab etwa Alfred T h o ß (1908) 2 2 , Dozent der Bauernhochschule in Goslar, zu bedenken: „Der ganze Verlauf der Geschichte zeigt die Etappen, wieweit dieses Ziel erreicht oder nicht erreicht worden ist, und da das Ziel zu ideal ist, als dass es verwirklicht werden könnte, wird die Geschichte nie zu einem Ende kommen". 2 3 Für Hohlfeld hatte sich ein neues Geschichtsbild an dem „von Ernst Krieck geschaffenen Begriff des völkisch-heroischen Realismus" zu orientieren. 2 4 „Völkisch" bedeute, dass jede geschichtliche Betrachtung und jede politische Tat ihren Sinn durch ihre Beziehung zum Wesen des deutschen Volkes erhalte und dass der Einzelne immer als Glied seines Volkes betrachtet werde. Die ,großen Männer' treten somit nicht im Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft auf.Vielmehr sollen sich die beiden Kategorien in der Volksgemeinschaft vereinen. 2 5 „Heroisch" stand damit nicht im Gegensatz zu völkisch, sondern diente etwa bei Hohlfeld als Wertmassstab: Mit diesem Begriff könne ebenso tapferes wie mutloses Verhalten benannt und somit gezeigt werden, was gewesen ist. 26 Dies ermögliche, aus der Geschichte Vorbilder und Warnungen für das künftige Handeln zu erhalten. „Hier ist eine Aufgabe der Geschichte, die, aus der Gegenwart kommend, das Vergangene einfassend, hineingreift in die politische Gestaltung der Zukunft." 2 7 Diese Forderungen lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: Geschichtsschreibung sollte erstens völkisch orientiert sein und zweitens Heroen produzieren, woraus drittens ein direkter Gegenwartsbezug resultieren soll. Sind damit die methodischen Pfeiler benannt, über die das Wesen der NS-Historie definiert werden kann? 28 Nur bedingt der nationalsozialistischen Ideologie geschuldet sind die Forderungen nach historischen Helden und einem direkten Gegenwartsbezug. Beide Elemente prägten die deutsche Geschichtsschreibung seit dem 19. Jahrhundert. Da der Historismus den Lauf der Geschichte zu großen Teilen über das Denken und die Taten .großer Männer' zu erklären versuchte, neigten die deutschen Historiker schon lange vor 1933 dazu, vorbildliche Heroen zu benennen. Dies zeigte etwa die im letzten Kapitel vorgestellte Luther-Biographie von Gerhard Ritter.

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Allfälliges Todesjahr unbekannt. Thoß: Nationalsozialismus und Geschichtsschreibung, S. 149.Vergleichbar äußerte sich auch Leo Gruenberg. E r forderte 1 9 3 5 eine neue Periodisierung der deutschen Geschichte. Der hierbei zu verwendende organisatorische Grundgedanke heiße „Volkwerdung der Deutschen". Gruenberg: Neugliederung, S. 491. Hohlfeld: Das Geschichtsbild, S. 22. Explizit formuliert findet sich dieser Anspruch etwa in einem Übungsblatt des Sicherheitsdienstes der SS.Vgl. Lerchenmueller: Die Geschichtswissenschaft, S. 271. Hohlfeld übernahm in dieser Erklärung explizit die von Leopold von Ranke geprägte W e n dung. Er sah sein Geschichtskonzept nämlich in der Tradition von Ranke und versuchte sich damit gleichzeitig von der Geschichtskonzeption Hegels abzugrenzen. Vgl. Hohlfeld: Das Geschichtsbild, S. 24. Hohlfeld: Das Geschichtsbild, S. 25. Vgl. Elvert: Geschichtswissenschaft, S. 113.

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Revolution für Volk und Reich.

Í933-1945

Seine Lutherdarstellung ist jedoch nicht nur durch einen heroischen Blick, sondern auch durch einen deutlichen Gegenwartsbezug geprägt; Ritter hatte seine Publikation von 1925 explizit als politische Orientierungshilfe verstanden. Damit stand er ebenfalls in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Somit kann selbst Adolf Hitlers Forderung, die Geschichte „als Lehrmeisterin fiir die Zukunft" zu nutzen, keineswegs als originär nationalsozialistisch bezeichnet werden. 29 Inhaltlich verstanden nationalsozialistische Historiker unter politischer Geschichtsschreibung jedoch etwas anderes als ein Historiker wie Ritter. Sah dieser sich als ein Aufklärer, der objektive Orientierungspunkte anbot, begriffen nationalsozialistische Historiker unter politischer Geschichtsschreibung aggressive Parteilichkeit. Walter Frank, der spätere Präsident des Reichsinstituts fiir Geschichte des neuen Deutschland, prägte hierfür den Begriff der „kämpfenden Wissenschaft". Die Historie wurde damit in den Kampf zwischen den Völkern mit einbezogen. 30 Das Ranke'sche Objektivitätspostulat wurde explizit zurückgewiesen und durch die Forderung nach Orientierung an völkischen Werten ersetzt. Dennoch sollte ein volksgeschichtlicher Ansatz nicht per se mit NS-Historie gleichgesetzt werden: Der Blick auf Siedlungsräume, Volkskultur oder demographische Entwicklungen muss keine Schnittmenge mit der nationalsozialistischen Ideologie aufweisen. Wird Volk aber im nationalsozialistischen Sinne als eine kulturell und rassisch homogene Gemeinschaft definiert, die mit anderen Völkern in einem ewigen Kampf um die Lebensgrundlage — vor allem Siedlungsräume — steht, dann ist zweifellos von NS-Historie zu sprechen. 31 Am deutlichsten wird diese Orientierung dort, wo die Historiker zur Vorbereitung derVertreibungs- und Vernichtungspolitik in Osteuropa beitrugen. 32 Unter ,Volk' wird in der nationalsozialistisch orientierten Geschichtsschreibung nicht ein abstrakter Kollektivsingular, sondern ein beseeltes und organisches Subjekt verstanden. Es übernahm in der Geschichtsschreibung damit teilweise die Funktion, die im Historismus der Persönlichkeit zukommt. 33 Das Subjekt Volk strebe, und damit wird nochmals an die Schrift von Alfred Thoß erinnert, die Vergemeinschaftung im „Volksstaat" an, in dem es von allem Fremden befreit wäre. WeilVolk nicht als historische, sondern als letztlich biologische Kategorie verstanden wird, wird auch der „Volksstaat" oder die homogene „Volksgemeinschaft" zu einem ahistorischen Ideal, um das ein ewiger Kampf ausgetragen wird. Prägnant drückt sich diese Vorstellung insbesondere im Begriff .Drittes R e i c h ' aus.34

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Adolf Hitler zitiert nach einem Grundriss zur Schulung von SS-Führungsanwärtern im B e reich Geschichte. BArch, R 58, 844, Blatt 125.Vgl. auch Kroll: Utopie als Ideologie, S. 2 9 - 3 1 . Vgl. Frank: Kämpfende Wissenschaft. Laut Oberkrome war es der in Berlin lehrende Volksgeschichtler Adolf Helbok, der 1933 erstmals die völkische B/wtegemeinschaft als das Subjekt der Geschichte definiert hatte. Vgl. Oberkrome:Volksgeschichte, S. 131. Zur angeblichen Bedeutung der Rasse in der Geschichte vgl. Franz: Geschichte und Rasse, S. 76. Siehe auch Kapitel 4.3. Vgl. Faulenbach: Ideologie des deutschen Weges, S. 307. Vgl. auch Welskopp: Grenzüberschreitungen, S. 3 0 3 / 3 0 4 . Vgl. Fenske: Das .Dritte Reich' und Münkler: Das Reich als politische Macht.

Günther Franz und ,Der deutsche Bauernkrieg ' Damit wird eins deutlich: NS-Historie definiert sich weniger über eine spezifische Methode, sondern über die Inhalte. Rassische Kategorien können zwar als ein hinreichendes, aber keineswegs als ein notwendiges Merkmal für eine nationalsozialistische Geschichtsauffassung bezeichnet werden. Entscheidender dürfte die Annahme euHger völkischer Werte sein. Dieser Punkt des nationalsozialistischen Geschichtsverständnisses kann gewissermaßen als eine Radikalisierung der Vorstellung eines deutschen Geistes gelesen werden, die die Geschichtswissenschaft schon im 19. Jahrhundert wesentlich geprägt hatte. Eine geschlossene Geschichtsideologie entwickelte der Nationalsozialismus dennoch nie. 35 Eine einheitliche Bewertung historischer Figuren und Ereignisse wurde im Nationalsozialismus kaum angestrebt und nie erreicht. Deswegen bereitete auch die Integration historistischer Interpretationen kaum Probleme. 36 Inwiefern die Reformations- und Bauernkriegsforschung in den Jahren 1933 bis 1945 nationalsozialistisch war, muss daher von Fall zu Fall untersucht werden. O b es sich bei einer Schrift zur Reformation oder zum Bauernkrieg um N S Historie handelt, kann nicht anhand eines fixen Rasters beurteilt werden und hängt nicht vom Parteibuch des Verfassers ab. Anstelle einer simplen Gegenüberstellung von nationalsozialistischer und oppositioneller Geschichtswissenschaft müssen die den Text strukturierenden Denkmuster und Interpretamente differenziert herausgearbeitet und im Kontext ihrer Genese analysiert werden.

4.2 Günther Franz und ,Der deutsche Bauernkrieg' 4.2.1 Die Revolution von 1525 als Volksbewegung In den von Kontinuität und Umbruch geprägten Monaten nach der M a c h t e r greifung' erschien die wohl einflussreichste Bauernkriegsstudie des 20. Jahrhunderts. ,Der deutsche Bauernkrieg' von Günther Franz erreichte bis 1982 die für eine frühneuzeitliche Monographie erstaunliche Zahl von zwölf Auflagen. Bereits während der NS-Herrschaft erfolgten zwei Neuauflagen (1939 und 1943), 1954 erschien die erste Nachkriegspublikation. Die Studie baut auf Franz' Habilitationsschrift von 1930 auf. Sie ist also das Resultat langjähriger Forschungsarbeit, die Franz seit Mitte der Weimarer Jahre geleistet und die sich erstmals in dem 1926 publizierten Quellenbändchen niedergeschlagen hat. Das Vorwort der Monographie und die Schlussbemerkungen hatte er jedoch erst kurz vor der erstmaligen

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Kroll: Utopie als Ideologie, S. 25, warnt davor, „daß der Versuch, die verschiedenen nationalsozialistischen Geschichtsideologien in eine operationalisierbare Darstellungsform zu bringen, diesen Ideologien ein Maß an systematischer Geschlossenheit und logischer Stringenz zubilligt, das sie tatsächlich nie besessen haben". Vgl. Schönwälder: Historiker und Politik, S. 7 9 / 8 0 und Kroll: Utopie als Ideologie, S. 25.

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Revolution für Volk und Reich.

1933-1945

Veröffentlichung im Herbst 1933 verfasst. Aufgrund ihrer Publikationsgeschichte und dem Zuspruch des Autors zum Nationalsozialismus stellt diese Bauernkriegsmonographie ein einzigartiges Untersuchungsobjekt dar. Hat der langsame Zusammenbruch der Weimarer Republik und die auch von Franz' als „Revolution" erlebte Machtübernahme der Nationalsozialisten seinen Blick auf die Revolution von 1525 verändert? Im Herbst 1932 hatte Günther Franz die Partei Hitlers zum ersten Mal gewählt, im Frühjahr 1933 stellte er als „Märzgefallener" seinen Antrag auf Mitgliedschaft in der N S D A P 3 7 Gleichzeitig war er in den Nationalsozialistisch deutschen Lehrerbund (NSLB) und im November in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und die SA eingetreten. 38 In dem erst im Herbst 1933 verfassten Vorwort der Monographie gab Franz seiner politischen Stellung deutlichen Ausdruck. Jetzt, „am Ende der ersten siegreichen deutschen Revolution", schrieb Franz, habe „der Bauer im Dritten Reich endlich die Stellung im Leben der Nation gewonnen, die er schon 1525 erstrebte". Damit sei es erstmals möglich, „unbeirrt von Tagesmeinungen" die Frage nach dem Wesen dieses „größten Naturereignisses unserer Geschichte" zu stellen. 39 Von vielen Historikern werden diese Sätze als Beweis dafür angesehen, wie stark Günther Franz auch als Wissenschaftler dem Nationalsozialismus verfallen war. 40 Als Nachweis für die ideologische Durchdringung der historiographischen Arbeit von Günther Franz reichen solche Floskeln aus dem Vorwort jedoch nicht. Es ist notwendig, die gesamte Darstellung eingehend zu untersuchen und nach Methode, Argumentation und Geschichtsbild zu fragen. Nur so lässt sich untersuchen, inwiefern der überzeugte Nationalsozialist Günther Franz auch ein nationalsozialistischer Historiker gewesen ist.41 Die Monographie folgt mehrheitlich derjenigen Interpretationslinie, die Günther Franz bereits in seiner Quellenpublikation von 1926 angelegt hatte: Der Bauernkrieg sei als Höhe- und Endpunkt einer rund zweihundertjährigen Reihe bäuerlicher Aufstände zu sehen. Damit bestätigte Franz, dass der Bauernkrieg nicht als Teil der Reformation zu werten sei und bezeichnete ihn als eine Revolution. Weit pointierter als sieben Jahre zuvor lehnte er nun nicht nur eine geistigtheologische, sondern auch eine ökonomische Begründung für die Erhebung ab. Dies begründete Franz auf zweifache Weise: Erstens sei die ökonomische Lage der

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Brief Franz an Klingemann, 15. Januar 1934. U A Hohenheim, N6, 1 / 2 / 2 . Vgl. BArch, BDC-Personalakte Günther Franz. Miethke: Die Mediävistik in Heidelberg, S. 99, schreibt fälschlicherweise, Franz sei bereits im Oktober 1933 von der SA zur SS übergetreten. Tatsächlich erfolgte dieser Übertritt erst 1935.Vgl. Kapitel 4.3.3. Die Wendung ,größtes Naturereignis' erstaunt. W i e auf den folgenden Seiten deutlich wird, widerspricht sie nämlich Günther Franz' eigener Interpretation des Bauernkrieges. Mit diesem Ranke-Zitat wollte Franz daher wohl eher dem Klassiker Ehre erweisen, als dass er die Formulierung als adäquate Charakterisierung des Bauernkrieges verstand. Franz: Bauernkrieg Ol 933), S.V. Vgl. insbesondere Behringer: Bauern-Franz, S. 115. Das Kapitel 4 . 2 untersucht nur die erste Auflage von Franz' Bauernkriegsmonographie von 1933. Auf die zweite und dritte Auflage von 1939 und 1943 wird erst im Kapitel 4.4.1 näher eingegangen.

Günther Franz und ,Der deutsche

Bauernkrieg'

Bauern in den Aufstandsgebieten von 1525 nicht schlecht gewesen. Zweitens sei die objektive ökonomische Lage für den Ausbruch einer Revolution kein entscheidendes Kriterium. „Bedeutsamer als der tatsächliche Bestand ist jedoch der psychologische Befund. Wichtiger als die Frage, ob es dem Bauern gut oder schlecht ging, ist es zu wissen, ob der Bauer selbst seinen Zustand als erträglich empfand oder nicht." In ausführlicher Quellenarbeit untersuchte er die bäuerlichen Beschwerdeschriften und Flugblätter und nahm die Revolution von 1525 damit als eine Volksbewegung ernst. 42 Franz war einer der ersten Historiker, der sich dieser Quellengattung zuwandte. Hatte die historistische Geschichtswissenschaft auf staatliche Akten und Dokumente der ,großen Männer' fokussiert, untersuchte Franz nun die Beschwerden des gemeinen Mannes. Der empirische Wert der Darstellung ließ die Monographie bald zum Handbuch werden, das nicht nur im ,Dritten R e i c h ' und später in der B R D mehrere Auflagen erlebte, sondern auch von der marxistischen Geschichtswissenschaft öfter zur Hand genommen wurde, als dies in den Fußnoten vermerkt worden ist. 43 Die Ursache des Bauernkrieges lag laut Franz vor allem in einer Auseinandersetzung um die Rechtsordnung; die revolutionäre Erhebung sei der Höhepunkt des spätmittelalterlichen bäuerlichen Kampfes um das alte Recht und das traditionelle kommunale Gerichtssystem gewesen. Infolge der territorialen Staatsbildung habe die neuerliche Rezeption des römischen Rechts seit dem Spätmittelalter zusehends an Boden gewonnen. Das alte Herkommen und die Weistümer seien damit durch römische Rechtssätze und die aus der Gemeinde stammenden Richter durch gelernte Juristen verdrängt worden. Der Kampf um das alte R e c h t habe sich daher „notwendig auf die Gebiete einzelner, oft sehr kleiner Herrschaften" beschränkt. 44 Wohl hätten sich die materiellen Vor- und Nachteile dieser Neuerung fiir die Bauern in etwa aufgehoben. „Der Bauer" habe sich „nicht so sehr gegen die materiellen Bestimmungen des neuen Rechts", als „gegen das neue Recht an sich" gewehrt. „Er wandte sich gegen jedes Fremdrecht, das sein altes Dorfrecht zu verdrängen drohte, selbst wenn dessen Bestimmungen für ihn günstiger sein mochten." Laut Franz haben die Bauern einen grundsätzlichen Kampf geführt, um die bäuerliche Autonomie gegenüber der neu gegründeten Landeshoheit zu verteidigen. 45

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Franz: Bauernkrieg ('1933), S.VI. Franz versuchte, die Frage nach dem subjektiven Empfinden anhand von Beschwerdeschriften zu untersuchen. Es sollte rund 40 Jahre dauern, bis erste mikrohistorische Untersuchungen aufzeigen konnten, dass diese Methode zu wenig präzise war. Jedoch gelangte David Warren Sabean mit seiner Forschung zu einem ähnlichen Resultat wie Franz. Er konnte glaubhaft darstellen, dass am Vorabend des Bauernkrieges die subjektiv erträgliche Belastung der Bauern überschritten war. Vgl. David Warren Sabean: Landbesitz und Gesellschaft am Vorabend des Bauernkriegs. Eine Studie der sozialen Verhältnisse im südlichen Oberschwaben in den Jahren vor 1525, Stuttgart 1972. Vgl. Kapitel 6.1 und 6.3. Franz:Bauernkrieg ( ' 1 9 3 3 ) , S . 7 3 . Vgl. Franz: Bauernkrieg ( 1 1 9 3 3 ) , S. 43. Franz bezog sich hierbei stark auf die Arbeiten von Fritz Kern. Vgl. Kern: Gottesgnadentum, insbesondere S. 285—290 und Kern: R e c h t undVer-

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In seinem Quellenband von 1926 hatte Franz - noch relativ nahe an Karl Lamprecht argumentierend - den Bauernkrieg stärker aus dieser konservativen oder gar restaurativen Tradition heraus interpretiert. 46 1933 stellte für ihn der Kampf um das alte Herkommen jedoch nur noch eine« Traditionsstrang der Revolution von 1525 dar. Seit dem 15. Jahrhundert sei es immer wieder zu weit radikaleren, meist von kleinen Gruppen geplanten Erhebungen gekommen, die nicht nur einen „verletzten Rechtszustand wiederherstellen" wollten, sondern an einen „idealen Rechtszustand" gedacht hätten. Eine solche Zielsetzung habe einer anderen Legitimation bedurft, die im Bundschuh von Speyer von 1502 erstmals gefunden worden sei: dem göttlichen Recht. Die Bundschuhbewegung sei also nicht die Reaktion auf die Politik eines Herrn gewesen und habe ihr „Maß nicht durch das Herkommen, sondern durch die Göttliche Gerechtigkeit" erhalten. Damit sei der Bundschuh im Unterschied zu früheren Bauernaufständen nicht mehr an ein bestimmtes Territorium gebunden gewesen.47 Das „Schlagwort" der göttlichen Gerechtigkeit sei über die bäuerliche Frömmigkeit zu erklären und sein Ursprung liege nicht „bei den deutschen Bauern. Es ging zurück auf die Lehren John Wikliffs", die die „hussitische Propaganda" nach Deutschland übertragen habe. 48 In seiner Quellenpublikation von 1926 hatte Franz die Argumentation mit dem göttlichen Recht als eine Neuerung der oberschwäbischen Zwölf Artikel von 1525 angesehen. Nun erblickte er die Wurzeln dieser Legitimationsformel in einer vorreformatorischen, bäuerlichen Bewegung. 49 Der Reformation kam damit nur mehr die Rolle zu, als Brücke zwischen diesen beiden Strängen bäuerlicher Empörung gedient zu haben. Anstelle des göttlichen Rechts des Bundschuhs sei nun das Evangelium, anstelle einer abstrakten Rechtfertigung konkrete Bibelstellen getreten. „Die Göttliche Gerechtigkeit in ihrer evangelischen [sprich: reformatorischen, Im] Ausdeutung wurde die Brücke, über die auch die Bauern, die sich bisher nur zum alten Recht bekannt hatten, den Weg zur Revolution fanden." 50 Diese Argumentation erklärt Franz' Bewertung des Bauernkrieges als „einer wirklichen Revolution [...], deren Träger der deutsche Bauer war". 51

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fassung. Franz unterlässt es jedoch, die Forderungen der Bauern präzise in das feudale Herrschaftsverhältnis einzuordnen. Siehe diesbezüglich auch die Kritik von Otto Brunner, Kapitel 4.2.2. Vgl. Kapitel 3.3.1. Vgl. Franz: Bauernkrieg 1933), S. 136. Franz: Bauernkrieg (Ί933), S. 109. Andreas hatte in seiner Studie zum Bundschuh von 1928 bereits auf den Einfluss Wiclifs und Hus' auf die bäuerliche Argumentation mit dem göttlichen Recht verwiesen. Franz hatte in seinem Habilitationsaufsatz von 1930 hinsichtlich der außerdeutschen Bauernaufstände auf dieselbe Argumentationsgrundlage verwiesen. Franz: Bauernkrieg (M933), S. 144/145. Franz: Bauernkrieg ( ' ^ S S ) , S. 470. Zimmermann hatte im Evangelium das Bindemittel gesehen, das aus den lokalen bäuerlichen Bewegungen eine Einheit geformt habe. Vgl. Kapitel 2.2.1.

Günther Franz und ,Der deutsche

Bauernkrieg'

Franz verzichtete auf eine präzise Analyse über den Anteil der Reformation am Bauernkrieg. Da er die bäuerliche Argumentation mit dem göttlichen Recht nun auf eine bäuerliche Tradition (Bundschuh von Speyer) zurückführte, schwächte er die Bedeutung des reformatorischen Denkens auf die Revolution von 1525 weiter ab. Der Bauernkrieg erscheint damit als eine Revolution, die originär dem Bauerntum entsprungen war.52 Günther Franz empfand diese Interpretationsverschiebung selbst offenbar als gravierend: „[...] Ich bitte also", schrieb er seinem Kollegen R u d o l f Stadelmann (1892-1949), der 1934 um ein Exemplar des vergriffenen Bändchens von 1926 gebeten hatte, „nicht etwa meine jetzige gegen meine frühere Auffassung auszuspielen". 53 Gemäß seiner Ursachenanalyse sah Franz - anders als etwa Wilhelm Zimmermann, Friedrich Engels oder Karl Lamprecht - im Bauernkrieg keine soziale R e volution. Der rechtliche Wandel habe vor allem wohlhabende Bauern und die Dorfehrbarkeit um ihre politische und auch ökonomische Existenz furchten lassen. 54 Daher sei der Bauernkrieg auch vor allem von dieser sozialen Gruppe getragen worden. Je weiter die Bewegung jedoch nach Norden vordrang, desto mehr habe sie ihren rein bäuerlichen Charakter verloren. 55 Den Beitrag der Handwerker oder der erzgebirgischen Bergknappen zur Revolution von 1525 erachtete Franz aber offensichtlich als zu gering, als dass er die traditionelle Begrifflichkeit Bauernkrieg in Frage stellen wollte. Die Ursachen, die Trägerschicht und die Gegner der Revolution waren laut Günther Franz bei allen Aufstandsherden grundsätzlich dieselben. Dennoch beschrieb er die regionalen Unterschiede so ausfuhrlich, dass die einzelnen Aufstände kaum mehr als Teil einer übergreifenden Bewegung erscheinen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Ziele der Aufständischen. Kaum Revolutionäres konnte Franz im Ursprungsort der Erhebung erkennen. Die oberschwäbischen Zwölf Artikel stellten kein radikales Programm dar. Ihr Grundanliegen sei es gewesen, die bäuerliche Autonomie gegenüber der Landeshoheit zu verteidigen. So sei zwar das Ende der Leibeigenschaft gefordert, die Grund- und Gerichtsherrschaft jedoch akzeptiert worden. Zwei Gründe waren für Günther Franz für die große Verbreitung und Wirkung der Zwölf Artikel ausschlaggebend: Erstens verzichteten sie auf alle lokalen Sonderbeschwerden und thematisierten nur in allen Herrschaften virulente Probleme. Zweitens sei darin zum ersten Mal der evangelische Charakter des Bauernkrieges zum Ausdruck gekommen. 5 6 Im Gegensatz dazu sah Franz im Programm der Aufständischen im fränkischen R a u m „ein radikal-

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Franz' Studie hinterlässt einige Unklarheiten darüber, ob mit der Reformation eine qualitative Neuerung Eingang in die bäuerliche Argumentation gefunden hat. Dies dürfte auch daran liegen, dass Franz den Bauernkrieg aus der Tradition der mittelalterlichen Bauernaufstände zu erklären versuchte. Für eine präzise Untersuchung der reformatorischen Argumente hatte er weder das analytische Werkzeug zur Hand noch kam sie seiner Interpretation entgegen. BriefFranz an Stadelmann, 5. Juli 1934. BArch Koblenz, Ν 1183,16. Vgl. Franz: Bauernkrieg ^ m S ) , S. 470. Vgl. Franz: Bauernkrieg 1933), S. 371. Vgl. Franz: Bauernkrieg ^1933), S. 198-201.

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demokratisches Umsturzprogramm". Für Günther Franz stellte diese politische Vision zu Beginn der 1930er Jahre offensichtlich keinen positiven Bezugspunkt dar. Das Programm, so Franz weiter, „wollte rein negativ nur das Alte zerstören, hatte aber nicht die Kraft, das Bild eines neuen Staatsaufbaus zu umreißen". 5 7 Dennoch - vielleicht wäre auch .deshalb' zu schreiben — überschrieb Franz das Kapitel über die Aufstandsherde vom Main, Mittel- und Niederrhein sowie Westfalen mit „Die bürgerliche Bewegung". Mit noch weniger Wohlwollen schilderte Günther Franz den von Thomas Müntzer in Thüringen angeführten Revolutionsversuch. Ausgangspunkt der Thüringer Bewegung sei — lange vor Müntzers Eingreifen — das seit 1515 politisch äußerst instabile Fulda gewesen. „Es ist immer wieder zu beobachten", bemerkte Franz dazu in zeittypischer Terminologie, „dass sich die ersten Ansatzpunkte des Aufstandes in politisch kranken Gebieten befunden haben". 5 8 Die Unruhen hätten sich darauf nach Mühlhausen verlagert und seien später von Müntzer instrumentalisiert worden: U m Anhänger für seine von den Taboriten beeinflusste Kreuzesmystik zu gewinnen, habe sich Müntzer zum Anwalt der sozial-politischen Anliegen der Bauern gemacht. Seine politischen Forderungen seien jedoch einzig Mittel zum Zweck gewesen. 59 Günther Franz zeigte daher auch wenig Interesse für die Forderungen der thüringischen Bauern. „Der Thüringer Bauernkrieg läßt sich ebensowenig aus den Artikeln der Städte wie aus den Forderungen der Bauern erklären. Er ist letztlich das Werk eines einzigen Mannes:Thomas Müntzers". 60 Günther Franz ignorierte damit einen wesentlichen Punkt Müntzers Theologie, die sich grundlegend von Martin Luthers ZweiReiche-Lehre unterschied. Im Gegensatz zu Luther betonte dieser den diesseitigen Charakter der Erlösung; Müntzer forderte von den Gläubigen nicht passive Demut, sondern aktives Handeln gegen das Böse. Bei Franz wird Thomas Müntzer zum pseudo-politischen Revolutionär, der die Volksmassen für seine Ziele missbrauchte. Gerade diesen demagogischen Fähigkeiten zollte Franz aber auch Respekt. „Thomas Müntzer war der einzige wirkliche Führer im Lande". 61 Wo nicht Müntzer gewirkt habe, sei keine Revolution entstanden, sondern ein „Massenwahn, der nur solange anhielt, bis das Zerstörungswerk vollbracht war". 62 In der „Zersplitterung der Bewegung" komme zum Ausdruck, „dass den Bauern ein einheitliches Ziel" gefehlt habe. 63 Dennoch ging Franz von einer tiefer liegenden, gemeinsamen - in marxistischer Terminologie wäre von objektiv zu reden - Zielrichtung der Revolution aus. Bereits 1926 hatte Franz im Bauern57

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Franz: Bauernkrieg ('1933), S. 302. Franz bezieht sich hier explizit auf das Programm des Taubertaler Haufens. Zur gegenwärtigen Einschätzung dieses Programms siehe Blickle: Die R e volution, S. 204/205. Franz: Bauernkrieg (' 1933), S. 394. Vgl. Franz: Bauernkrieg (11933), S. 418/419. Franz: Bauernkrieg { H ^ S ) , S. 437. Franz: Bauernkrieg 1933), S. 437. Franz: Bauernkrieg (H933), S. 434. Franz: Bauernkrieg (' 1933), S. 468.

Günther

Franz und ,Der deutsche

Bauernkrieg'

krieg den „Versuch des vierten Standes" gesehen, „Anteil zu gewinnen am politischen Leben der Nation". Auf den letzten Seiten der Monographie von 1933 verdeutlichte er diese Einordnung. „Es wird immer wieder bezeugt, dass die wohlhabenden Bauern die ärmeren, die von den Vorberatungen ausgeschlossen waren, zum Anschluss gezwungen haben. Gerade die wohlhabenden Bauern wollten sich die Stellung im politischen Leben der Nation erringen, die ihnen ihrer wirtschaftlichen Lage nach zukam." Allerdings seien sie darin gescheitert, „die anderen Stände für die Verwirklichung dieses Bauernstaates zu gewinnen". 6 4 Dies macht erneut deutlich, dass Franz die beiden bisher dominanten Interpretationslinien verlassen hat: Er sah im Bauernkrieg weder einen konfessionellen noch einen sozialen Konflikt.Vielmehr schilderte er 1525 als politischen Revolutionsversuch, dem für die Staatsbildung Deutschlands schicksalhafte Bedeutung zukommt. Führt man Franz'Argumentation weiter, so lag in der bäuerlichen Revolution nicht nur die Möglichkeit, die deutsche Nationalstaatsbildung ohne den 300-jährigen ,Umweg' des Territorialstaates zu erreichen: Die politischen Ziele der aufständischen Bauern erscheinen außerdem als Alternative zur bürgerlichen Staatsidee des 19. Jahrhunderts und damit auch zur ungeliebten Weimarer Republik. Im Bauernkrieg hätte das Potenzial gelegen, einen genossenschaftlichen, aber zentralisierten Staat aufzubauen, der dem deutschen Charakter besser entsprochen hätte als der liberale, aus einer individualisierten Gesellschaft rational gebildete Staat nach westeuropäischem Vorbild. Mit „der Ablieferung der Waffen" sei „der Bauer aus den wehrhaften Ständen der Nation" ausgeschieden.65 Aber zumindest in einer Hinsicht hatte der Revolutionsversuch laut Franz auch unmittelbar positive Auswirkungen: „Die hunderttausend Toten gaben zudem, ähnlich wie in Zeiten der Pest oder im Jahrhundert der Kolonisation, den Zurückbleibenden größeren Lebensraum." 66 Den Hauptgrund für das Scheitern der gesamten Revolution sah Franz in der mangelnden Führung. Bei keiner Schlacht sei es von vornherein klar gewesen, dass die Herren das Feld als Sieger verlassen würden — den Bauern habe nur immer wieder ein militärischer Führer und noch stärker die überragende politische Führergestalt gefehlt. Dies habe auch die Koordination unter den verschiedenen Haufen verhindert. 67 Als Sieger wertete Franz das Landesfurstentum. Die von den Bauern angestrebte Beseitigung der „feudalen Gewalten" sei damit zwar erreicht worden dennoch sei es nicht zu einer stärkeren Beteiligung der Bauern am politischen Leben gekommen, „sondern zu einem gleichmachenden Absolutismus". 68 Zudem habe das Landesfurstentum den Sieg auch auf dem Felde der Reformation davongetragen. Das „lebendige Gemeindechristentum der lutherischen Frühzeit" 64 65 66 67 68

Franz: Bauernkrieg ('1933), S. 470. Franz: Bauernkrieg ^ m s j . s . 477. Franz: Bauernkrieg Ì11933), S. 475. Vgl. Franz: Bauernkrieg (' 1933), S. 464-468. Franz: Bauernkrieg (U933), S. 478.

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sei zum Erliegen gekommen und in der landeskirchlichen Hierarchie erstarrt. „Damit wurde der Reformation ihr bestes Leben genommen." 6 9 Insgesamt, so Franz' Fazit, sei „der Bauer" damit für fast drei Jahrhunderte „aus dem Leben unseres Volkes" ausgeschieden.70 Besonders eindrücklich zeige sich die „Schwächung des Bauernstandes" darin, dass er seine „endgültige Befreiung [...] nicht aus eigener Kraft, sondern nur durch das Wohlwollen der Regierungen erreichte". Aber auch im 19. Jahrhundert sei der Bauer noch abseits gestanden und nur „Objekt der Politik" gewesen. 71 „Kein einziger der politischen Führer des 19. Jahrhunderts ist aus dem Bauernstand hervorgegangen. In den Parlamenten spielte der Bauer keinerlei Rolle." 72 In den Schlusssätzen schlug Franz wie bereits in der Einleitung einen Bogen bis in seine nationalsozialistische Gegenwart. Als Beweis für die ideologische Ausrichtung der gesamten Monographie taugen diese Passagen kaum. Sie verdeutlichen jedoch die Wichtigkeit, die Franz dem Bauernkrieg und der Niederlage der Aufständischen für die deutsche Geschichte beimaß. Die deutsche Geschichte der Neuzeit wird zu einer Misere: Der Bauernkrieg erscheint als die historische Alternative, ein Moment der grundsätzlichen Entscheidung. Die Niederlage der Revolutionäre leitete die territoriale Staatsbildung absolutistischen Stils ein. Ein mächtiger Teil des Volkes - der Bauernstand - blieb ausgeschlossen; die Staatsbildung konnte also nicht zu einem Volksstaat führen. „Die Zeit ist reif für eine R e volution", hatte der 24-jährige Günther Franz bereits in dem Quellenbändchen von 1926 geschrieben. 73 Jetzt, 1933, sah er diese gekommen. „Allerorten ist der Bauer im Aufbruch und stellt sich einmütig hinter den Führer unseres Volkes, der die ewigen Werte von Blut und Boden erkannt und dem Leben unseres Volkes dienstbar gemacht hat. Die Niederlage von 1525, durch die das Leben der Nation aufJahrhunderte hinaus geschwächt und verarmt worden ist, ist ausgeglichen. Der Bauer hat sein Ziel erreicht. Er ist zum tragenden Pfeiler unseres Volkslebens geworden." 74

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Franz: Bauernkrieg ζ11933), S. 479. Franz: Bauernkrieg 1933), S. 479. Einen anderen Aspekt des Franz'schen Urteils beleuchtet Peter Blickle. Er sieht darin eine Befestigung Rankes Positionen, „nämlich die Unerheblichkeit der Menge für den Fortgang der deutschen Geschichte". Blickle: Der Bauernkrieg, S. 8. Franz: Bauernkrieg (H933), S. 480. „Denn als endlich zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, vor allem durch die Tat des Freiherrn vom Stein, auch für ihn [den Bauernstand, Im] die Stunde der Befreiung schlug, da war es im Grunde zu spät, da kostete es große Mühe, den seit Jahrhunderten dem politischen Leben der Nation entfremdeten Stand, der doch 1525 sich mit solch hochfliegenden Reichsreformplänen getragen hatte, zu lebendiger Anteilnahme an demselben zurückzugewinnen. U n d ganz, so dünkt mich, wie gesagt, haben wir auch heute die Folgen noch nicht überwunden." [S. 9] „Auch jetzt müssen wir wieder feststellen: die Zeit ist reif für eine Revolution." [ S. 17] Franz: Der deutsche Bauernkrieg. Franz: Bauernkrieg 1933), S. 481.

Günther

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Bauernkrieg'

4.2.2 Reaktionen aus dem akademischen Umfeld Günther Franz arbeitete seine Bauernkriegsmonographie stark aus den Quellen heraus. Die Studie weist ihn als guten Beobachter, aber als konzeptionell eher schwachen Historiker aus. Als erster formulierte der mit Franz befreundete Wiener Historiker Otto Brunner (1898-1982) solche Kritik. 75 Er bemängelte, Franz habe die Forderungen der Bauern zu wenig in den Kontext des ausgehenden Mittelalters eingeordnet. Er vernachlässige es, nach dem „prinzipiellen Verhältnis der Bauern zur Obrigkeit, zu Grundherrschaft und Staat zu fragen". Dies wäre aber notwendig, um die tiefere Ursache des Bauernkrieges darzustellen - die fundamentale Krise der mittelalterlichen feudalen Welt: Durch den heraufkommenden modernen Staat habe die Herrschaft ihren eigentlichen Sinn, „Schutz und Schirm" zu bieten, verloren. Daraus erkläre sich nicht nur „der Kampf aller bäuerlicher Programme gegen die aus der Banngewalt erwachsenen Dienste und Abgaben", sondern „auch der Übergang vom ,alten Recht' zum .göttlichen Recht'". 7 6 Eine zweite Schwachstelle sah Brunner in Franz' Umgang mit Begriffen wie „Gesellschaft", „Staat" und „Demokratie": Wer solche Begriffe verwende, müsse damit rechnen, „dass unbewußt aus der Erfahrung der Gegenwart Vorstellungen mit einfließen, die mit dem besonderen historischen Moment nichts zu tun haben". 77 Mit seiner teilweise modernen Begrifflichkeit unterstelle Franz den Aufständischen von 1525 Ziele, die erst im 19. Jahrhundert formuliert worden seien. Zusammenfassen ließe sich Brunners Kritik dahingehend, dass Franz zwar wertvolle empirische Arbeit leiste, diese jedoch zu wenig historisch verorte. Gänzlich andere Kritik formulierte der Historiker Hermann Wopfner (1876-1963), der in Innsbruck das Institut für alpenländische Siedlungs- und Landeskunde leitete und als einer der Protagonisten der völkischen Landesgeschichte gilt. 78 Franz habe es versäumt, die „seelische Beschaffenheit des Volkes" zu untersuchen. Die eigentlichen Ursachen des Bauernkrieges könnten jedoch So wohnte Günther Franz etwa während seinen Wiener Archivrecherchen zum Bauernkrieg bei Otto Brunner. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 51. Brunner: Rezension, S. 508/509. Schon im Gutachten zu Günther Franz' Habilitationsschrift hatte einer der Gutachter, Edmund Stengel, eine „präzisere rechtsgeschichtliche [...] Betrachtung" gefordert. Hessisches Staatsarchiv Marburg, 307d, Philosophische Fakultät, Nr. 108. Brunner: Rezension, S. 509. Unpassend erscheint jedoch die in diesem Zusammenhang stehende Kritik Brunners, Franz sehe es als das Ziel von 1525 an, eine „bäuerliche Demokratie" zu errichten. Franz akzeptierte große Teile der von Brunner geäußerten Kritik. In einem Brief an Stadelmann vom 19. März 1937 bemerkte er dazu: „Otto Brunner hat gewiß recht [...], dass wir in allen verfassungsgeschichtlichen Dingen Gefahr laufen, mit modernen Ausdrücken zu arbeiten und arbeiten zu müssen, die damals einen anderen Inhalt hatten als heute oder da [es, Im] sie damals ja vielfach noch gar nicht im Sprachgebrauch gab, für die Vergangenheit einen anderen Inhalt umschreiben müssen als heute. Ich weiß, dass ich dieser Gefahr auch in meinem Fach nicht entgangen bin und ich würde heute manches vielleicht vorsichtiger formulieren, genauer umschreiben". Vgl. Brief von Franz an Stadelmann, 19. März 1937. UA Hohenheim, N6, 1/2/4. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit im Werk von Otto Brunner findet sich bei Algazi: Otto Brunner. Wopfner war ein Schüler Oswald Redlichs und Karl Lamprechts.Vgl. Oberkrome: Volksgeschichte, S. 29 und 37.

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nur durch einen Blick auf die völkische und rassische Zusammensetzung analysiert werden. „Wirtschaftslage, gesellschaftliche Zustände, politische und religiöse Bewegungen, all das und anderes, was die Kraft in sich trägt, das Volk zu erregen, entfaltet diese seine Kraft doch je nach Zeit und Ort in ganz verschiedenem Ausmaß; die Erregungsmöglichkeit ist jeweils wechselnd und hängt von der seelischen Beschaffenheit des Volkes ab. [...] Die gleichen Ursachen wirken auf ein und dieselbe Gesellschaftsschicht verschieden, je nach ihrer völkischen und rassischen Zusammensetzung." Diese Bedingungen untersuche Franz jedoch nicht; eine „allseitige Untersuchung der Ursachen des Bauernkrieges" stehe daher auch nach dem „dankenswerten Buche Franz'" noch aus.79 Während Franz für Brunners Kritik Verständnis zeigte und diese in zukünftigen Arbeiten zu berücksichtigen versuchte, wies erWopfners Sichtweise zurück. 80 Franz störte sich nicht am politischen Hintergrund von Wopfners Kritik, sondern an den methodischen Implikationen. In Briefen an Kollegen betonte Franz regelmäßig, dass historische Arbeit nicht von einer Theorie, sondern von den Quellen auszugehen habe. Mit demselben Argument reagierte Franz auch auf Kritik von Rudolf Stadelmann. Dieser hatte Franz 1937 in einem Brief vorgeworfen, die Monographie genüge „den höchsten Massstäbefn] einer gegenwärtigen Geschichtsschreibung" nicht. Stadelmann, der sich nach der Machtergreifung' der NSDAP zugewandt hatte und 1936 der SA beitrat, 81 fuhr fort: „[...] Das Bild der vergangenen Epoche, das Sie entwerfen (und das, wie ich schon klar ausgesprochen habe, alles bisher gesagte turmhoch überragt), [ist] noch nicht das ,gültige' Bild [...] und zwar gerade deshalb, weil die [...] Forderung nicht erfüllt ist, ich meine im höchsten Sinne nicht erfüllt ist, die Sie selbst aufstellen und die totale Gemeinsamkeit unserer Standpunkte enthält: Dass das Einzelereignis in den Gesamtablauf unserer Geschichte eingeordnet ist." 82 Der „Gesamtablauf unserer Geschichte" verkörpert sich für Stadelmann im Kampf des deutschen Volkes um seine Nation. Dieses Streben habe sich im 16. Jahrhundert in der Reformation ausgedrückt, zu der er letztlich auch den Bauernkrieg rechnete. 83 Günther Franz reagierte empfindlich auf diese Kritik. Stadelmann handle als Philosoph, nicht als Historiker. „Der Historiker aber muss meiner Ueberzeugung nach nicht von einer Theorie, sondern von den Quellen ausgehen und von hier 79

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Wopfner: Die Forschung nach den Ursachen, S. 97. Was Wopfner hier forderte, kann als eine biologistische Variante der heutigen Kultur- und Mentalitätsgeschichte bezeichnet werden. Wopfner selbst spricht in diesem Zusammenhang immer wieder von der „geschichtlichen Volkskunde". Wopfner: Die Forschung nach den Ursachen, S. 106.Vgl. auch Kapitel 4.4.2. Franz hatte für Wopfners Besprechung kein Verständnis. Statt sich mit seinem Buch zu beschäftigen, spreche er „umso mehr von seinen eigenen Thesen". Brief Franz an Kinzel, 11. Januar 1936. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 2 / 2 . Vgl.BriefFranz an Kinzel, ll.Januar 1936. UA Hohenheim, N6, 1/2/2. Vgl. Lebenslauf Rudolf Stadelmann von 1941. BArch, ZA 5/87, Blatt 243; sowie BArch, Ν 1183, 19; BArch, NSDAP-Ortskartei 3200 und Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 172/173; Faulenbach: Deformation, S. 265. Brief Stadelmann an Franz, 16. März 1937. UA Hohenheim, Ν 6 , 1 / 2 / 4 . Vgl. Kapitel 4.6.1.

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aus ein Ereignis in den Gesamtablauf unserer Geschichte einordnen", erwiderte er Stadelmann. 84 Das bedeutete für Franz auch, den Bauernkrieg nicht von vornherein als Teil der Reformation zu werten. Besonders deutlich hatte Franz diesen Standpunkt zwei Jahre zuvor gegenüber Wilhelm Stolze formuliert, der im Bauernkrieg immer eine konfessionelle Auseinandersetzung gesehen hatte: Mit seiner Monographie habe er versucht, „den Bauernkrieg aus der Ganzheit völkischen Lebens heraus nicht als Episode der Reformationsgeschichte, sondern als Glied in dem ewigen Kampf der Deutschen um das Reich, als politische Revolution der deutschen Bauern zu fassen". 85 Diese Auseinandersetzungen zwischen Franz, Stadelmann und Stolze sind bemerkenswert. Insbesondere Stadelmann und Franz scheinen sich darin einig gewesen zu sein, dass ein einzelnes Ereignis immer in Hinblick auf den G e samtablauf der Geschichte des deutschen Volkes - den Kampf um die Nation respektive um das Reich - zu interpretieren sei. Damit rekurrierten im fünften Jahr des ,Dritten Reiches' beide auf einen typisch nationalsozialistischen Topos: den ewigen Kampf des deutschen Volkes um den Volksstaat. Was sie mit dieser Formel zu begründen versuchten, ist jedoch gegensätzlicher Natur. Stadelmann argumentierte für einen gebundenen Blickwinkel und damit letztlich für ein deduktives Vorgehen, währenddem Franz seine stark quellengeleitete Arbeitsweise zu rechtfertigen versuchte. Er erklärte sein induktives Vorgehen zur Voraussetzung, um den „Bauernkrieg aus der Ganzheit völkischen Lebens" heraus interpretieren zu können. Weist diese Aussage auf die völkische Orientierung von Franz' Bauernkriegsmonographie hin? Oder ist sie eher als nachträglicher Rechtfertigungsversuch des Nationalsozialisten Günther Franz zu lesen, weshalb seiner vor 1933 erarbeiteten Studie kein nationalsozialistisches Interpretationsschema zugrunde liegt? Eine pauschale Antwort auf diese Fragen ist kaum zu geben. Dies zeigt sich insbesondere in der konzeptlosen Begrifflichkeit. Otto Brunner verwies in der erwähnten Rezeption auf „liberale" Termini der Darstellung, die dem frühen 16. Jahrhundert kaum gerecht würden. Gleiches ließe sich auch über völkische B e griffe sagen, die Franz verwendete: Durch die militärische Niederlage hätten die Zurückgebliebenen zumindest einen größeren „Lebensraum" gewonnen. Uber den Württembergischen Herzog Ulrich schrieb er, dieser entstamme einem „entarteten" Geschlecht und die Thüringer Gebiete, in denen die Bauernaufstände ihren Anfang nahmen, waren für Franz „politisch kranke Gebiete". 8 6 Weiter ist auf vereinzelte antijüdische Wendungen hinzuweisen. Franz räumte den antisemitischen Pogromen, die sich im Vor- und Umfeld der bäuerlichen Unruhen ereig-

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Vgl. Briefe Franz an Stadelmann, 6. März 1937. U A Hohenheim, N 6 , 1 / 2 / 4 . Diese Aussage steht eigentlich in einem konfligierenden Verhältnis zu der Position, dass wirkliche Geschichtsschreibung nur von einem festen Standpunkt aus möglich sei. Diese Ansicht hatte Franz in seiner Heidelberger Antrittsvorlesung vertreten. Vgl. Kapitel 4.3.2. Brief Franz an Stolze, 21. Januar 1935. UA Hohenheim, N6, 1 / 2 / 5 . Franz: Bauernkrieg (' 1933), S. 4 7 5 , 2 3 6 , 3 3 4 und 394.

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neten, mehr Platz ein als die Autoren früherer Darstellungen. 87 Er bezeichnete die Juden als „Stammesbrüder" (236) und sprach vom „Wucher der Juden" (166). Nachdem die Elsässer Juden in den Burgunderkriegen aus den Städten vertrieben worden seien, hätten sie sich auf dem Land „umso ärger breit" gemacht (101). Die Pogrome entsprangen in Franz' Sichtweise jedoch einem wirtschaftlichen und nicht einem politischen Konflikt. 88 Da er den Bauernkrieg aber als eine politische und nicht als eine wirtschaftlich motivierte Bewegung sah, wies er den Pogromen keine grundsätzliche Bedeutung zu. „Die wirtschaftlichen Anliegen traten hinter den politischen Forderungen völlig zurück. Es ist kein Zufall, daß im Bauernkrieg zwar allerorten einzelne Juden ausgeplündert wurden, daß aber mit Ausnahme des Elsasses, in dem die Juden eine besonders starke Stellung hatten, die Judenfrage nirgends eine entscheidende Rolle spielte." 89 Die Juden erscheinen also nicht als die für die missliche Lage der Bauern Verantwortlichen und sie treten auch nicht als die eigentlichen Gegner der Volksbewegung in Erscheinung. Der politische Hintergrund der völkischen Wendungen ist eindeutig. Sie kontrastieren aber mit den liberalen Begriffen. Dies weist bereits darauf hin, dass ihnen keinerlei konzeptionelle Bedeutung zukommt. Der Analyse liegt kein rassischer Interpretationsversuch zugrunde. Ansonsten wäre es Günther Franz auch kaum möglich gewesen, das Buch nach 1945 in nur wenig veränderterWeise neu zu publizieren. Als widersprüchlich erweist sich Franz' grundsätzliche Benennung der Revolution von 1525 als Bauernkrieg. Der sozialen Breite des Aufstandes - auf die Franz selber hinwies - wird der Begriff nicht gerecht. Die Bewegung erscheint in Franz' Darstellung daher sozial homogenisiert. Eine politische Intention ist hierbei aber kaum nachweisbar. Seit 1525 wird der Revolutionsversuch als Bauernkrieg bezeichnet. 90 Der anfänglich polemisch und negativ konnotierte Begriff wurde von der deutschen Geschichtsschreibung und auch von Franz ohne eingehende Erörterung übernommen. Deutlich ist aber, dass Franz mehr an der bäuerlichen Lebenswelt interessiert war als beispielsweise an den städtischen Unterschichten. Franz' politisches Denken war deutlich antiliberal und von agrarro87

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Eine besonders deutliche Differenz zwischen der Franz'schen und früheren Bauernkriegsinterpretationen tritt anhand von Wilhelm Zimmermanns Darstellung zu Tage. Im Unterschied zu Franz betonte dieser nämlich, es sei bemerkenswert, dass es im ganzen Bauernkrieg nie zu Misshandlungen von Juden gekommen sei. Dies obwohl Deuschlind und Hubmaier durchaus gegen sie gepredigt hätten und das Mittelalter ja nicht arm an Judenpogromen gewesen sei. Vgl. Zimmermann: Der große deutsche Bauernkrieg, S. 611. Beispielsweise: „In dieser niedergehenden Stadt [Ingolstadt, Im] richtete sich der Haß der Bürgerschaft gegen die Juden. Ihnen gab man die Schuld an der Verarmung der Stadt. Hubmayer wurde der Wortführer dieser Stimmung. Er beobachtete den Wucher der Juden und sah, dass geistliches und weltliches Recht sie darin schützten. So rief er das Volk zur Gewalt auf. Die Juden wurden vertrieben, an Stelle der Synagoge errichtete Hubmayer eine Kapelle der schönen Maria und wurde ihr erster Kaplan." Franz: Bauernkrieg (' 1933), S. 166. Franz: Bauernkrieg C1933), S. 470. Vgl. Blickle: Die Revolution, S. 293.

Günther Franz und ,Der deutsche Bauernkrieg' mantischen Zügen geprägt. 91 O h n e diesen Hintergrund hätte er in seiner M o n o graphie wohl nicht nur den „Bauer selbst zu W o r t " k o m m e n lassen. 92 Trotz dieser Einschränkung ist Franz' Perspektive grundsätzlich als innovativ und erkenntnisfördernd zu werten. Der gemeine M a n n erscheint nicht nur als Objekt, sondern als ein historisch handelndes Subjekt. Hatte der Historismus nur im R i n g e n der staatlichen Mächte u n d im D e n k e n u n d Handeln herausragender Persönlichkeiten Relevantes erkannt, blickte Franz n u n auf eine Volksbewegung. Anstelle von Luther oder KarlV waren die Bauern getreten. Franz publizierte in den folgenden Jahren zwei Quellenbände, mit denen er seinen Blick auf den Bauernkrieg als einer politischen Revolution von unten unterstrich. 9 3 Ahnlich zu beurteilen ist Franz' Charakterisierung des Aufstandes als politische Revolution. Ausgehend von Fritz Kerns Untersuchungen z u m mittelalterlichen R e c h t fragte Franz nach der Bedeutung der Rezeption des römischen Rechts für den Bauernkrieg. Die Analyse des mittelalterlichen Rechtsdenkens des gemeinen Mannes erwies sich in seiner Darstellung als fruchtbar. Franz entdeckte den Kampf u m das alte respektive gegen das römische R e c h t als wichtigen Antrieb für die Revolution. Franz argumentierte in seiner Monographie ohne politische Bezüge, und dennoch k o m m t man nicht umhin, seine Darstellung in Verbindung zu der politischen Diskussion der späten Weimarer Jahre zu lesen. Franz beschrieb den „deutschen B a u e r n " als diejenige Kraft, die gegen das römische R e c h t u n d damit gegen ein ihm fremdes Gesellschaftsmodell ankämpfte, das ihn aus dem p o litischen Leben der Nation ausschloss. O d e r zugespitzt formuliert: Das fremde römische R e c h t hatte die politische Einheit der mittelalterlichen Agrargesellschaft aus den Angeln gehoben. Damit kann die M o n o g r a p h i e als historisches Fundament der Diskussion u m ein dem deutschen Wesen entsprechendes Rechtssystem gelesen werden. In der völkischen R e c h t e n war der R u f nach einer R ü c k k e h r z u m „germanischen G e m e i n r e c h t " u n d einem genossenschaftlichen deutschen Volksstaat populär. 9 4 Eine Verbindung zu germanischen Traditionen stellte Franz in der ersten Auflage seiner Bauernkriegsmonographie aber nicht her. D e n n o c h bietet das Werk Anschlussmöglichkeiten an die nationalsozialistische Ideologie. D e m entspricht auch die Selbsteinschätzung des Autors: Er habe dieses Buch nicht als Nationalsozialist geschrieben, sondern vielmehr erst durch seine Auseinandersetzung mit d e m Bauernkrieg zum Nationalsozialismus gefunden. 9 5

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Vgl. Kapitel 7. Brief Franz an Meyer, 9. Mai 1935. UA Hohenheim, N6, 5/11/1. Konrad Meyer war Obmann des Forschungsdienstes der Reichsarbeitsgemeinschaft der Landwirtschaftswissenschaften. Vgl. Kapitel 4.3. Franz: Akten zur Geschichte des Bauernkrieges (I). In seiner Entstehung steht der Aktenband von 1934 nur bedingt im Zusammenhang mit der Bauernkriegsmonographie von 1933. Der Aktenband geht aufVorarbeiten von August Kluckhohn und besonders von Otto Merx und damit bis ins 19. Jahrhundert zurück. Die Sächsische Kommission für Geschichte, die dieses Publikationsvorhaben betreute, übergab die Arbeit 1930 an Franz.Vgl. auch Kapitel 4.3. Vgl. Stolleis: Gemeinschaft und Volksgemeinschaft, S. 112—114 und Kapitel 3.1. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 76 und 78. Siehe auch Kapitel 7.

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Daran schließt ein letzter Punkt an, das ,Führerprinzip'. Dem Fehlen einer überragenden Führerpersönlichkeit wies Franz die Hauptverantwortung an der bäuerlichen Niederlage zu. 96 In der ersten Ausgabe der Zeitschrift ,Geistige Arbeit' kam ein Rezensent zum Schluss: „[...] Der Bauernkrieg musste misslingen, weil ihm der Führer fehlte, während die deutsche Revolution unserer Tage siegreich war, weil sie den Führer hatte". Dies dürfe jedoch nicht zur Annahme führen, der Bauernkrieg hätte gewonnen werden können, denn: „eine den ganzen Umständen nach von vornherein zum Scheitern verurteilte Sache findet eben keinen wirklich großen Führer". 97 Dies stellt jedoch eine unzulässige Zuspitzung von Franz' Position dar. Franz widmete dieser Frage relativ wenig Raum. Es wäre ihm problemlos möglich gewesen, das BeziehungsfeldVolk-Führung stärker zu betonen. Daher kann dem Urteil des sowjetischen Historikers Moisej Smirin kaum zugestimmt werden, dass Franz' Studie von 1933 „eine historische Begründung für das Hitlerregime" darstelle.98 Sie kann jedoch als Warnung dafür gelesen werden, dass nationale politische Einheit nur durch eine homogene, von einer starken Person angeführten Bewegung erreicht werden könne. Diese Perspektive korrespondiert mit der Entstehungszeit des Buches: den letzten Jahren der Weimarer Republik. Auf eine solche nationale Revolution hoffte Günther Franz lange bevor Hitler zur zentralen Figur der rechtsextremen Opposition wurde. 99 An dieser Stelle lohnt ein kurzer Rückblick in die Weimarer Jahre. Gerhard Ritter hatte in seiner Luther-Biographie von 1925 die Reformation als eine rein geistige, innerliche Revolution gewertet. Gerade aufgrund dieser Eigenschaften hatte Ritter in der Figur des Reformators eine (geistige) Führerfigur gesehen, wie sie Deutschland im Moment schmerzlich vermisse. Den Bauernkrieg bezeichnete Ritter jedoch als ein Vergehen an der Reformation, einen Missbrauch an der christlichen Idee der Gleichheit der Menschen vor Gott. Dieser vom Geist eines Einzelnen ausgelösten Revolution stellte Franz nun die politische Revolution des deutschen Volkes gegenüber und verneinte eine tiefere Verbindung zwischen den beiden Ereignissen. Gerhard Ritter unterstützte Günther Franz in dieser Sichtweise. 100 Noch in einem weiteren Punkt herrschte zwischen Franz und Ritter Ubereinstimmung. Beide sahen im frühen 16. Jahrhundert eine Zeit der revolutionären Auseinandersetzung um die deutsche Nation. Für Ritter war dies ein geistiger Prozess der Loslösung von der römischen Kirche, eine im Ursprung elitäre, aber erfolgreiche Revolution — die Reformation. Franz dagegen hatte in

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Franz: Bauernkrieg ^ m S ) , S. 464. Bühler: Missglückte und siegreiche Revolution, S. 9. Smirin: Die Volksreformation, S. 55.Vgl. auch Kapitel 5.1. Dies drückte Franz bereits in dem von ihm 1926 publizierten Quellenbändchen aus: „Keine der Forderungen der Bauern war erfüllt worden. Auch jetzt müssen wir wieder feststellen: die Zeit ist reif für eine Revolution." Franz: Der deutsche Bauernkrieg, S. 17. „Vor allem höre ich auch gern, dass gerade Sie meiner Abgrenzung zwischen Reformation und Revolution zustimmen", schrieb Günther Franz (wohl 1934) an Gerhard Ritter. Brief Franz an Ritter, unleserliches Datum. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 2 / 3 .

Der Bauernkrieg im Zeichen von ,Blut und Boden ' den bäuerlichen Q u e l l e n eine politische, d e m deutschen Volk entsprungene, schließlich jedoch gescheiterte Revolution gesehen - den Bauernkrieg. Betrachtet man diese grobe Charakterisierung des jeweiligen Ereignisses als Idealtypus gesellschaftlichen Wandels, ergibt sich in Bezug auf die späte Weimarer Republik eine interessante Parallele. D e r national-konservative Gerhard R i t t e r beschrieb eine angeblich geistig-nationale, elitäre Revolution u n d damit einen U m b r u c h , wie er ihn sich auch für die Weimarer R e p u b l i k erhofft hatte. D e r 1933 der NSDAP beigetretene Günther Franz zeichnete dagegen das Bild einer politischen Volksrevolution, was der von der N S D A P propagierten Revolution hin zu einem Volksstaat nicht unähnlich war. Die Bauernkriegsmonographie, die G ü n t h e r Franz zwischen 1926 u n d 1933 erarbeitete, weist also verschiedene Parallelen zum gesellschaftlichen Diskurs jener Jahre auf. Sie erklärt den Aufstand als Revolution des deutschen Bauern, als eine Auseinandersetzung u m die Rezeption des römischen Rechts, u n d sein Scheitern insbesondere über den angeblichen Führermangel u n d verwendet damit Argumentationen, die zur historischen Legitimation des Nationalsozialismus verwendet werden könnten. O b nach 1933 etwa von Seite der Partei eine solche Ausrichtung gefordert w u r d e u n d ob Historiker wie G ü n t h e r Franz ihre Arbeit in diese R i c h t u n g lenkten, müssen die folgenden Kapitel erweisen.

4.3 Der Bauernkrieg i m Zeichen von ,Bhit und Boden' Die Geschichte war nicht das dominante Legitimationsinstrument des Nationalsozialismus u n d die N S - B e w e g u n g hat es nie zu einem einheitlichen, h o m o g e nen Geschichtsbild gebracht. D e n n o c h mussten die Nationalsozialisten ihre R e volution u n d ihre Politik in eine Beziehung zur Geschichte setzen, Traditionslinien b e n e n n e n u n d damit auch Traditionen erfinden. 1 0 1 Für den zu Beginn des ,Dritten Reiches' noch starken agrarromantischen Flügel innerhalb der N S D A P spielte dabei die Bauerngeschichte u n d insbesondere der Bauernkrieg eine b e deutende Rolle. Die Revolution von 1525 erschien sowohl als Vor- als auch als Mahnbild für die nationalsozialistische Politik. Dieses Kapitel soll aber nicht nur die legitimatorische B e z u g n a h m e der Politik auf den B a u e r n k r i e g darstellen, sondern auch nach deren Folge für die Geschichtswissenschaft fragen.

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Das Erfinden von Traditionen soll weder als ein Spezifikum des Nationalsozialismus noch autoritärer Systeme im Allgemeinen verstanden werden. Vielmehr bezeichnet es ein Bedürfiiis, gesellschaftlichen Wandel als historische Muster, Gesetze, erklärbar zu machen und damit zu sanktionieren. Der Historiographie kommt also in jedem politischen System fast automatisch die Funktion zu, Traditionen zu erfinden. Vgl. Hobsbawm: Inventing Traditions, S. 1-14.

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4.3.1 Das Reichserbhofgesetz und der Bauernkrieg Gegen Ende der Weimarer Jahre avancierte der zuvor kaum bekannte Diplomlandwirt Richard Walther Darré in kurzer Zeit zu einem der völkischen Vordenker. In verschiedenen Schriften entwickelte er ein bald mit der Formel ,Bliit und Boden' bezeichnetes agrarromantisches Gedankenkonglomerat. Dieses zielte grundsätzlich darauf ab, die Kraft der nordischen Rasse zurückzugewinnen. Nur so entkomme das deutsche Volk der Untergangsprophezeiung Oswald Spenglers. Eine solche Bluterneuerung könne nur vom Bauerntum ausgehen. Die Bauernfamilie müsse daher wie in germanischer Urzeit wieder an den Boden, die Scholle gebunden werden. 102 So könne das Bauerntum seine Funktion als Eckstein des Staates und Bluterneuerungsquell der nordischen Rasse übernehmen. Im Mai 1930 lernte Darré Adolf Hitler kennen und wurde bald darauf zum landwirtschaftlichen Berater der NSDAP. Darré machte es sich zu seinem politischen Ziel, die Bauern aus ihrer politischen Marginalisierung herauszufuhren, gesellschaftlich aufzuwerten und in eine ökonomisch bessere Zukunft zu fuhren. 103 Nach der .Machtübernahme' wurde Darré bald Reichsbauernführer und im Juni 1933 löste er Alfred Hugenberg im Landwirtschaftsministerium ab. Nun ging er daran, seine agrarromantischen Ideen politisch umzusetzen. Bald hatte er eines seiner grundlegenden Ziele erreicht: Mit der im Reichserbhofgesetz vom 1. Oktober 1933 angestrebten Bodenreform wurde das Anerbenrecht offiziell wieder eingeführt: Bauerngüter ab einer gewissen Größe sollten nur noch ungeteilt vererbt werden. 104 Der mythisierende Begriff,Blut und Boden' hatte hier eine erste politische Anwendung gefunden. Wenige Jahre später wurde daraus ein Term zur Legitimation der Annexionspolitik in Osteuropa. 105

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Damit richtete sich Darré explizit gegen das „Schlagwort vom Nomadismus der Germanen" des Historikers Fritz Kern. Die Grundzüge seiner rassischen Agrarideologie hatte Darré in dem erstmals 1 9 2 9 veröffentlichten Buch ,Das Bauerntum als Lebensquelle der Nordischen Rasse' niedergeschrieben. Uber das bodenverbundene Bauerntum sei eine Regeneration des deutschen Volkes zu erreichen. Ähnlich wie Adolf Hitler oder Alfred Rosenberg galt ihm die nordische Rasse als die einzige kulturschöpfende Rasse.,Geschichte' war für ihn per se an die nordische Rasse gebunden, und da diese von Natur aus eine ,Bauernrasse' sei, war der Erhalt respektive die Wiederherstellung der ,Rassequalität' von entscheidender Bedeutung. Als die eigentliche Gegenkraft erschien ihm das Nomadentum; ob in Form der Jüdischen Händler' oder ,bettelnden Zigeuner' spielte keine wesentliche Rolle. Für die Blutsqualität und die kulturelle Leistung des deutschen Volkes war daher die Gebundenheit des Bauern an seine Scholle entscheidend. Vgl. Kater: Das ,Ahnenerbe', S. 2 5 und Mai: ,Rasse und Raum', S. 4 8 - 7 6 . Vgl. Corni/Gies: ,Blut und Boden', S. 1 7 - 2 4 und Mai:,Rasse und Raum', S. 4 0 - 4 6 . Das Reichserbhofgesetz wurde wenig später durch Gesetze vom 26. Juni 1 9 3 6 und 23. März 1937 teilweise wieder zurückgenommen. Nun wurden die Interessen der einzelnen Landwirte zugunsten rationeller Produktion den Bedürfnissen des Staates untergeordnet. Dieser Wandel fand zu einer Zeit statt, als Darré die Landwirtschaftspolitik durchaus noch kontrollierte. Vgl. Corni: Richard Walther Darré, S. 24. Vgl. Mai:,Rasse und Raum', S. 7 6 - 1 0 7 .

Der Bauernkrieg im Zeichen von ,Blut und Boden' Mit dem Reichserbhofgesetz wurde laut Darre ein germanischer Idealzustand wiederhergestellt, der durch das Eindringen des römischen Rechts z u n e h m e n d zerstört worden war. Insbesondere im Bauernkrieg von 1525, so Darre im O k t o ber 1933 auf einer Propaganda-Veranstaltung, sei es u m die Frage gegangen, „ob den deutschen Bauern, wie es Brauch war, ein deutsches R e c h t schützen sollte oder aber ein artfremdes u n d u n t e r d e m Mantel des so genannten römischen Rechtes sich tarnendes, jüdisches Händler- u n d Advokatenrecht ihm sein Dasein auf seiner Scholle bestreiten durfte. In diesen Bauernkriegen stehen wir vor einer der grundsätzlichen Auflehnungen des alten germanischen Freiheitsbewusstseins gegenüber der Ü b e r f r e m d u n g durch artfremde Rechtsbegriffe." Alle diejenigen aber, „die den Bauernkrieg als Ausfluss eines materiellen Lohnkampfes hinstellen oder sie mit den marxistischen Streikbewegungen identifizieren möchten", irrten sich „gröblich". 1 0 6 Ein enger Mitarbeiter Darrés bezeichnete den Bauernkrieg von 1525 daher als einen Kampf „gegen alles Artfremde, [...] als ununterbrochene Revolution deutscher Wesensart gegen die völkische Auflösung". 1 0 7 Damit wurde die spätmittelalterliche Auseinandersetzung u m die kommunalen R e c h t e in der Sichtweise des Reichsnährstandes zu einem rassischen Konflikt. Die nationalsozialistische Landwirtschaftspolitik wurde als Teil des jahrhundertealten germanischen Freiheitskampfes dargestellt, der gut 400 Jahre zuvor im Bauernkrieg bereits zu besonders prägnantem Ausdruck gekommen sei. Dieses historische Legitimationsmuster tauchte in der Propaganda des Reichsnährstandes immer wieder auf. Insbesondere auf den Reichsbauerntagen verwiesen die R e d n e r gerne auf die angebliche Wesensverwandtschaft zwischen d e m Bauernkrieg u n d der nationalsozialistischen Revolution. 1 0 8 Besonders glorreich erschien hierbei der fränkische Aufstandsherd des Bauernkrieges. So bezeichnete etwa Wilhelm Kinkelin,Vize-Präsident der SS-Studiengesellschaft Ahnenerbe, auf einer Z u s a m m e n k u n f t des Reichsbauernrates in Heilbronn diesen Reichsbauernrat als den „Rechts- und Wesensnachfolger" des Heilb r o n n e r Bauernrates von 1525. Jenes P r o g r a m m werde erst „ h e u t e durch den Führer Adolf Hitler im nationalsozialistischen Staate verwirklicht". 1 0 9 Als eigentlicher Held erschien weniger der geistige Vater dieses Programms, Wendel Hipler, denn einer der militärischen Führer des gut organisierten fränkischen B a u e r n haufens: Florian Geyer. Geyer stammte selber nicht aus d e m Bauernstand, sondern war im Fürstendienst zu einigem Wohlstand und eigenem Schlossbesitz ge-

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Richard Walther Darre: Vom Friedenswillen der deutschen Bauern, Rede vom 22. Oktober 1933. Das Manuskript trägt kein Datum. Im Text ist jedoch der Hinweis enthalten, dass Deutschland acht Tage zuvor aus dem Völkerbund ausgetreten sei. Der Austritt fand am 14. Oktober 1933 statt. BArch, R 16 1,2057. Das Zitat stammt von Karl Motz, Hauptabteilungsleiter im Stabsamt des Reichsbauernfiihrers. Vgl. Motz: Der Freiheitskampf, S. 213. Am 13. September 1933 wurden per Gesetz alle agrarischen Interessenverbände im Reichsnährstand zusammengeschlossen. An der Spitze dieser neuen Organisation stand der Reichsbauernfuhrer Richard Walther Darre. Vgl. Hildebrand: Das Dritte Reich, S. 9. Kinkelin: Bauernkrieg, S. 29.

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kommen, hatte sich 1525 aber das fränkische Bauernprogramm zu eigen gemacht. Otto Hellmuth, Gauleiter des Gaus Mainfranken, beschrieb Geyer auf dem zweiten Reichsbauerntag als von „Nationalstolz" und „Freiheitsgefiihl" getragener Held des Bauernkrieges. Geyers Ringen um eine Ordnung nach „deutschrechtlicher Uberlieferung" sei aber an der römischen „List" gescheitert — bis Adolf Hitler diesen Kampf wieder aufgenommen und 1933 zum Siege geführt habe. 110 Damit ging eine Disqualifizierung Thomas Müntzers einher. Nachdem Luther 1517 die „Römlinge" habe erzittern lassen, habe der „krankhaft religiöse Fanatiker" Müntzer Luthers Lehre zu „politischen Zwecken missbraucht", sich an die Spitze der tapferen Thüringer Bauern gestellt und so „zum Schaden der ganzen übrigen süddeutschen Bauernschaft eine vorzeitige Vernichtung des Thüringer Bauernheeres heraufbeschworen". 111 Auch der Reichsführer SS Heinrich Himmler, der am zweiten Reichsbauerntag als Gastredner auftrat, sah im Bauernkrieg ein an sich tragisches Ereignis. Ein „lautes Wollen" der besten Köpfe des Bauerntums sei damals auf große „Unordnung, Zersplitterung und Disziplinlosigkeit" getroffen. Am Ende sei nicht mehr übrig geblieben als die „blutigen Leichnamen unverbesserlicher törichter Germanen" und der Wunsch, „dass die Enkel es besser ausfechten mögen". 112 Damit verwies Himmler nicht nur auf die Niederlage der Aufständischen. Vielmehr zeichnete er ein historisches Mahnbild, vor dessen Hintergrund der Nationalsozialismus umso glänzender erscheinen sollte. Ahnlich hatte auch Darre auf dem ersten Reichsbauerntag argumentiert. Die Revolution von 1933 habe die eigentliche Wende gebracht. Nur dank der Disziplin und Treue zum Führer Adolf Hitler sei aus der „Empörung" und „unbändigen Wut" der Bauern nicht Chaos geworden, „bei dem nur die Freunde der Internationalen aller Schattierungen etwas gewonnen hätten. In der Zusammenfassung und Disziplinierung der deutschen Bauern" habe sie „die legale Durchführung der Revolution garantiert und damit unsägliches Leid von unserem Vaterlande ferngehalten." 113 In solchen Formulierungen wird nicht nur Darrés verklärende Sicht auf die Vergangenheit deutlich, sondern auch das gespaltene Verhältnis des Nationalsozialismus zur Revolution und insbesondere zur Revolution von 1525. Der Bauernkrieg leuchtete zwar als Volkskampf germanischer Bauern um germanisches Recht und gegen das ,wurzellose' Judentum, hatte aber auch den Weg zu einer grundsätzlichen Wende in der deutschen Geschichte geebnet, nach der erstmals das „internationale", „artfremde Recht jüdischer Nomaden" triumphierte. Hier zeigt sich die fundamentale Bedeutung des Führerprinzips für den Nationalsozialismus: Nur wenn eine revolutionäre Bewegung über einen Führer im Stile Adolf Hitlers verfügt und diesem mit eiserner Disziplin folgt, vermag daraus eine Revolution im Geiste des deutschen Volkes zu werden. 110 111 112 113

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Vgl. Hellmuth: Florian Geyer. Ähnlich auch Wilhelm Meinberg: Kongressrede. Hellmuth: Florian Geyer, S. 119. Darre: Leistungen und Ziele, S. 36; Himmler: Die Schutzstaffel, S. 51. Darre: Rede auf dem ersten Deutschen Reichsbauerntag, S. 4.

Der Bauernkrieg im Zeichen von ,Blut und Boden' Solch propagandistische Formeln haben nichts mit wissenschaftlicher G e schichtsschreibung zu tun. Sie zeigen aber, dass mit Richard Walther Darre und Heinrich Himmler zwei bedeutende Repräsentanten des NS-Staates ihre Politik in eine mehr oder weniger direkte Verbindung zum Bauernkrieg stellten. Bis dahin war der Bauernkrieg nur in der Arbeiterbewegung so positiv gewürdigt worden. Nun wurde die nationalsozialistische Revolution als die Verwirklichung der Ziele der Revolution von 1525 dargestellt. Die zitierten R e d e n präsentieren nicht eine einheitliche historische Interpretation. Vielmehr scheint der Bauernkrieg im Umfeld des Reichsnährstandes als willkommener Steinbruch gedient zu haben, aus dem einzelne Brocken zum Bau eines Legitimationsgebäudes fiir die NS-Agrarpolitik herausgebrochen werden konnten. Damit ist aber noch nichts über die Beziehung zwischen diesem Politikbereich und der historischen Forschung zum Bauernkrieg gesagt. Die schematisch-ideologischen Bauernkriegsbilder des Reichsnährstandes weisen zumindest drei Parallelen zur Interpretation von Günther Franz auf: 1525 erscheint als Höhepunkt eines Kampfes gegen ein fremdes Rechtsdenken und sie erklären das Scheitern der Revolution - weit zugespitzer als Franz - als eine Folge mangelnder Führung des Volkes. Zudem wird Thomas Müntzer ähnlich negativ wie bei Franz beschrieben und als „Fanatiker" bezeichnet. Im Unterschied zu Franz erschien der Bauernkrieg in den propagandistischen Darstellungen des Reichsnährstandes aber nicht als eine Auseinandersetzung um mittelalterliches Recht und altes Herkommen, sondern als ein Kampf um germanisches Recht. In Politik und Wissenschaft ist also nicht nur ein gemeinsames Interesse am Thema Bauernkrieg festzustellen, sondern auch eine Verwandtschaft in der Interpretation dieser Revolution. Historiker, die sich nach 1933 mit dem Bauernkrieg beschäftigten, arbeiteten somit auf einem politisch vorgeprägten Feld.

4.3.2 Reaktionen aus der Geschichtswissenschaft Kurz nachdem das Reichserbhofgesetz erlassen worden war, tauchte der Begriff des Anerbes auch in der Wissenschaft verstärkt auf. Als einer der ersten nahm der promovierte Jurist Johannes von Leers (1902-1965) Bezug darauf.114 Leers war in den 1930er Jahren als Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik und an der Universität Jena tätig, bevor er 1939 auf einen historischen Lehrstuhl an ebendieser Universität berufen wurde. 1934 publizierte er in der von Richard Walther Darre herausgegebenen Zeitschrift ,Odal' einen Aufsatz mit dem für die Beziehung des Nationalsozialismus zur Revolution von 1525 symptomatischen Titel ,Der große deutsche Bauernkrieg - Wer hatte recht?'. 115 Explizit von Darré 114

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Johannes von Leers hatte dasselbe Geburtsjahr wie Günther Franz (1902), lehrte seit 1927 an der Universität Jena und wurde dort 1940 Ordinarius und somit ein Kollege von Günther Franz. Er verstarb 1965.Vgl. Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. 6 3 7 / 6 3 8 . Richard Walther Darré war seit 1932 Herausgeber dieser Zeitschrift. Anfänglich war sie unter dem Titel .Deutsche Agrarpolitik. Monatsschrift fiir Deutsches Bauerntum' erschienen.

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ausgehend nannte er das Freibauerntum auf einem unteilbaren H o f die „eigentliche Lebensweise aller Völker nordischer Rasse". 1 1 6 Im Spätmittelalter sei diese Lebensweise durch die Kirche untergraben worden. Dies habe im gesamten europäischen Kulturkreis zu Widerstand des nordrassischen Bauerntums gefuhrt. Angeheizt durch die „steigende Wirtschaftsmacht der Juden", die zunehmende „Kritik an den kirchlichen Verhältnissen" und der „Einführung des römischen Rechtes" sei es schließlich von 1524 bis 1525 zum „letzten großen Aufstand des mittelalterlichen Bauerntums" gekommen. 1 1 7 Die „Herren und Fürsten" waren laut Leers nicht nur für die Rezeption des römischen Rechts verantwortlich, sondern hätten auch absichtlich Juden ins Land gezogen. Damit müssten sie zusammen mit der römischen Kirche als die eigentlich Schuldigen an dem Konflikt angesehen werden. Die Bauern seien daher grundsätzlich auf dem richtigen Weg gewesen und hätten versucht, ein deutsches R e i c h mit deutschem R e c h t zu schaffen. „Wir sehen heute in den Kämpfern des Bauernkrieges berechtigte erste Vorfahren des Nationalsozialismus." 118 Ausführlicher präsentierte er dieselbe These in dem ein Jahr später erschienenen Buch ,Der deutschen Bauern tausendjähriger Kampf um deutsche Art und deutsches Recht'. Dieses Werk erregte die besondere Aufmerksamkeit der Reichsleitung der NSDAP und wurde von ihr „als für die politische Schulung besonders geeignet" empfohlen. 119 Letztlich handelt es sich bei diesen Arbeiten um eine Radikalisierung der T h e sen von Günther Franz. Leers reicherte diese mit antisemitischen Elementen an. Im Gegensatz zu Franz sah Leers die grundsätzliche Konfliktlinie von 1525 nicht im politischen Bereich, sondern in der Verdrängung des Anerbenrechts. Abgesehen vom fehlenden empirischen Fundament wird an dieser Arbeit auch ein konzeptionelles Problem deutlich: Was hat die Herren und Fürsten, die ebenfalls zur nordischen Rasse gezählt werden müssen, veranlasst, eine für ihre Rasse so schädliche Politik zu betreiben? Damit zeigt sich eine grundsätzliche Schwierigkeit der biologistisch orientierten Volksgeschichte: Sie vermag nur Konflikte zwischen unterschiedlichen Rassen zu ,erklären'. Beschreibt sie jedoch einen Konflikt innerhalb einer Volksgemeinschaft, gerät die Argumentation zwangsläufig in eine Sackgasse. Johannes von Leers verwies zwar auf die angeblich negative Rolle der römischen Kirche und des Judentums. Es gelang ihm jedoch nicht, den Bauernkrieg als Konflikt zwischen dem deutschen Volk und der universalen Kirche respektive dem .internationalen Judentum' darzustellen. Im Wissenschaftsbetrieb des ,Dritten Reiches' war Johannes von Leers kein Unbekannter. In der Bauernkriegsforschung war er als Jurist jedoch vorerst eine Randfigur. Spätestens seit dem Erscheinen seiner Monographie zum Bauernkrieg war Günther Franz der dominierende Historiker auf diesem Gebiet. In seiner

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Leers: Der große deutsche Bauernkrieg, S. 162. Leers: Der große deutsche Bauernkrieg, S. 163, 165,166 und 162. Leers: Der große deutsche Bauernkrieg, S. 170. Reichsrechtsamt der Reichsleitung der NSDAP an den Verlag ,Blut und Boden', 21. November 1935. BArch, R 16 I, 2038.

Der Bauernkrieg

im Zeichen von ,Blut und

Boden'

Lehrtätigkeit an der Universität Marburg widmete er sich kaum dem Bauernkrieg, für seine wissenschaftliche Karriere war dieses Thema aber von entscheidender Bedeutung. 120 Im Einvernehmen mit dem Berliner Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung wurde ihm zum 1. Oktober 1934 für zwei Semester der Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Rostock übertragen. Damit erhielt Franz im Wintersemester 1934/35 seine erste „selbständige Tätigkeit". 121 In diese Zeit fällt ein Vortrag von Franz über den ,Reichsgedanken in der deutschen Bauernbewegung', den er 1934 vor der Bremer Wissenschaftlichen Gesellschaft und 1935 auf der Gauschulungstagung des NSLB in Schwerin hielt. 122 Er stellt eine deutliche Weiterentwicklung seiner Interpretation dar und ordnet den Bauernkrieg stärker in den Kontext der Reformationszeit ein als dies in der zwei Jahre älteren Monographie der Fall gewesen war. Die Reformation erscheint hier als „politische Revolution", mit der Luther den Bruch zum Mittelalter und damit zur universalistischen Idee vollzogen habe. In seiner Schrift ,An den christlichen Adel deutscher Nation' habe er einen „deutschen Volkskaiser" gefordert. KarlV. aber, „der schon blutsmäßig kein Deutscher war", sei noch ganz in der mittelalterlichen universal-katholischen Reichsidee verhaftet gewesen; daher habe für ihn „das Reich kein deutscher Begriff' dargestellt. In der Folge sei während der Reformationszeit dreimal, von drei verschiedenen Ständen, derVer120

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In den Personalakten des Universitätsarchives Rostock findet sich eine Liste der von Franz in Marburg gehaltenen Veranstaltungen. SS 1931: Vorlesung ,Geschichte der politischen Parteien in Deutschland' sowie eine Übung zur neueren Geschichte. WS 1931/32: Proseminar zur mittleren und neueren Geschichte. SS 1932:Vorlesung .Allgemeine Geschichte in der Zeit des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit' und eine Übung zur spätmittelalterlichen Geschichte. WS 1932/33:Vorlesung ,Deutsche Verfassungsgeschichte von 1815 bis zur Gegenwart' und eine Übung über Bismarck. SS 1933:Vorlesung .Geschichte der politischen Parteien in Deutschland' und eine Übung zu 1848.WS 1933/34:Vorlesung über .Allgemeine Geschichte im Zeitalter der Reformation' und ein Proseminar. SS 1934: Vorlesung .Zeitalter der Gegenreformation und des 30-jährigen Krieges' und eine Übung zur Reformationsgeschichte. Vgl. UA Rostock, Personalakte Günther Franz, Blatt 19. Franz: Mein Leben, S. 82-84. Nach Wolfgang Behringer hat Günther Franz diesen Aufsatz „ursprünglich als Vortrag im April 1935 auf dem Gauschulungstag des NS-Lehrerbundes in Schwerin gehalten". Vgl. Behringer: Bauern-Franz, S. 117. Ursprünglich hatte Franz den Vortrag aber 1934 vor der Bremer Wissenschaftlichen Gesellschaft und erst danach, 1935, in Schwerin gehalten. Es mag sich hierbei um ein Detail handeln, das jedoch auf eine grundsätzliche Frage hindeutet: In der Druckversion des Aufsatzes von Franz wird auf beide Vorträge hingewiesen, Behringer hat beim Verfassen seines Aufsatzes über Günther Franz also von beiden Vorträgen gewusst, jedoch nur den auf dem Gauschulungstag gehaltenen erwähnt. Den ersten Vortrag, der in einem eher unspektakulären, unpolitischen Rahmen stattgefunden hat, nennt er jedoch nicht. Behringer geht es offensichtlich darum, möglichst viele Beweise für die Verstrickungen Franz' mit dem N S - R e gime zu erbringen. Diese Verstrickungen können und sollen in keiner Weise geschmälert oder entschuldigt werden. Die beiden Referate können nicht miteinander aufgewogen, müssen aber dennoch beide erwähnt werden. U m das komplexe Verhalten eines Historikers wie Günther Franz gerecht zu werden, muss die Vielfalt seiner Handlungen mit einbezogen werden. Nur mit einer differenzierten und möglichst umfassenden Analyse kann das Funktionieren der Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus verständlich werden. Skandalisierung alleine erklärt kaum etwas.Vgl. auch Einleitung.

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such zu einer deutschen Reichsgründung unternommen worden:Von der Ritterschaftsbewegung, dem Bauernkrieg und dem Schmalkaldischen Bund. Der Bauernkrieg wird damit Teil der deutschen Geschichte, die „ein ewiger Kampf ums Reich" sei, und verliert definitiv das Odem des destruktiven Naturereignisses. Gleich wie in seiner Monographie von 1933 leitete Franz den Bauernkrieg über den 200-jährigen Kampf um das alte Recht und den mit dem Bundschuh eröffneten Kampf um das göttliche Recht her. 123 Weit pointierter als in seiner Monographie widmete er sich nun dem ,Führerproblem' des Bauernkrieges. Erneut bezeichnete er das Fehlen eines Führers als Ursache für die Niederlage. „Die Gestaltung der Zukunft ist immer Sache der Wenigen." Nun fand er aber auch eine mögliche Erklärung dafür, weshalb eine solche Lichtgestalt gefehlt habe. Der „Führermangel" sei insbesondere biologisch bedingt gewesen: In germanischer Zeit habe das deutsche Bauerntum über Anführer wie etwaWidukind verfugt, den ersten deutschen „Bauernführer" aus dem 8. Jahrhundert. Dann seien aber „Jahrhunderte hindurch" die „besten Söhne des Bauerntums in die Klöster oder die Reihen des Weltklerus" abgewandert und konnten folglich ihr ,Blut' nicht weitergeben. 124 Mit solchen Formulierungen wühlte Günther Franz - knapp zwei Jahre nach der Machtergreifung' - tief im historischen Fundus des Nationalsozialismus. Der Verweis aufWidukind kann als wenig relevante Verzierung bezeichnet werden, mit der Franz auf eines der beliebtesten Felder des nationalsozialistischen Geschichtsbildes verwies.125 In Kombination mit der biologistischen Begründung des angeblichen Führermangels ergibt sich jedoch eine bedeutende konzeptionelle Erweiterung seiner Bauernkriegsinterpretation um rassische Argumente. Noch deutlicher als in dem Schlusswort von 1933 zog er zudem die Parallele zwischen dem Nationalsozialismus und dem Bauernkrieg. 126 Die beiden Arbeiten unterscheiden sich in einem zweiten Punkt. 1934 erwähnte Franz die unterschiedlichen Strömungen des Bauernkrieges kaum mehr. Vielmehr sprach er nun von einer Bewegung für ein deutsches Reich, das von den genossenschaftlichen Verbänden her aufgebaut werden sollte.127 Der Bauernkrieg erscheint nun weit homogener und als Teil des angeblich einheitlichen Kampfes der Reformationszeit um das deutsche Reich. Der ,ewige Kampf ums Reich' wird damit zur ahistorischen Aufgabe des Volkes. Franz verband die biologistische Argumentation mit einer völkischen Reichsvorstellung, die mit der

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Franz: Der Reichsgedanke, S. 332/333. Franz: Der Reichsgedanke, S. 340/341. Dies gilt insbesondere für Heinrich Himmler und Richard Walther Darré, wogegen etwa Adolf Hitler die Germanenverehrung klar ablehnte.Vgl. Kroll: Utopie als Ideologie, S. 72/73. „Das Fehlen des Führers hinderte die Bauern auch, ihre Sache wirklich zu der der Nation zu machen. [...] Heute ist die Niederlage von 1525 überwunden. Im Dritten Reich der Deutschen ist der Bauer, so wie er es 1525 erstrebte, zum tragenden Pfeiler unseres Volkslebens geworden; denn das Deutschland der Zukunft wird nach einem Wort des Führers ein Bauernreich sein, oder es wird nicht mehr sein." Franz: Der Reichsgedanke, S. 341/342. Franz: Der Reichsgedanke, S. 340.

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Reichsidee der bäuerlichen Programme kaum etwas gemein hatte; 128 er projiziert eine ideologische Zielgröße des Nationalsozialismus auf das Spätmittelalter. Damit war Franz an dem Punkt angelangt, an dem von NS-Historie zu sprechen ist. Dennoch ist diese Interpretation nicht nur über die nationalsozialistische Ideologie zu erklären. Die Reichsidee, die Vorstellung von derVerdinglichung des deutschen Wesens im Reich, war gewissermaßen ein Scharnier zwischen dem Denken des Nationalsozialismus und dem deutschen Idealismus.129 Günther Franz'Argumentation muss somit auch über die Historiographie des 19. Jahrhunderts interpretiert werden. Bereits Leopold von Ranke hatte in der Reformation das Bedürfnis der Nation gesehen, sich in sich selber „zu einer gewissen Einheit abzugrenzen". Noch näher kam Franz mit seiner Interpretation von 1934 jedoch einem Aspekt aus Friedrich Engels' Bauernkriegsschrift: Dieser hatte Reformation und Bauernkrieg als den theoretischen und den praktischen Teil einer Bewegung gesehen, deren Ziel es gewesen sei, eine zentralisierte deutsche Nation zu bilden. Dieselbe Stoßrichtung hatte Engels auch der Ritterschaftsbewegung von Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen zugeschrieben. 130 Neben allen Unterschieden zwischen Engels und Franz (grundsätzlich: soziale versus politische Revolution) entspricht Franz' Referat von 1934 in konzeptioneller Hinsicht der Engel'schen Interpretation also ziemlich präzise: Er schilderte hier Luther als denjenigen, der den geistigen Bruch mit dem mittelalterlichen universalistischen Denken vollzogen hatte. Die Reformation wird damit erstens zur geistigen Grundlage der Ritterschaftsbewegung und ermöglichte zweitens der bäuerlichen Oppositionsbewegung, in eine nationale Richtung einzubiegen. Und noch in einem zweiten Punkt kam Franz Engels' Interpretation nun erstaunlich nahe: Das fränkische Programm, das er 1933 noch einzig als „ein radikal-demokratisches Umsturzprogramm" bezeichnet hatte, erschien als ein Konzept, das „in ungewöhnlicher Voraussicht die wirtschaftlichen Nachteile des deutschen Partikularismus" beseitigen und „das Reich zu einem einheitlichen Wirtschaftskörper" formen wollte.131 Natürlich bezog sich der Nationalsozialist Franz bei seiner Argumentation nicht auf Engels, und eine bewusste Rezeption seiner Thesen durch Franz lässt sich nicht belegen. Gestützt wird diese Annahme aber durch einen weiteren Aufsatz von Franz, der ungefähr zeitgleich mit seinem Bremer Referat erschien.Von den insgesamt neun Seiten verwendete er immerhin zwei für einen historiographischen Uberblick zum Bauernkrieg und kam dabei erstmals auch auf Engels' Schrift zu sprechen. Damit wird jedenfalls deutlich, dass sich Franz in der dynamischsten Zeit der nationalsozialistischen Revolution mit Engels' Bauernkriegsschrift auseinander gesetzt hat.132 128 129 130 131

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Vgl. Blickle, Die Revolution, S. 237. Vgl. Münkler: Das Reich als politische Macht und Kroll: Die Reichsidee. Vgl. Kapitel 2.2.2 und 2.2.3. Franz: Der Reichsgedanke, S. 339. Beide Autoren wiesen daraufhin, dass die Heilbronner die Einheit von „Münze, Maß und Gewicht" gefordert hätten. Engels: Der deutsche Bauernkrieg, S. 123 und Franz: Bauernkrieg, S. 339. So fand Engels etwa auch in dem Literaturüberblick von Günther Franz zum Bauernkrieg von 1926 keine Erwähnung.Vgl. Franz: Literaturbericht. In dem genannten Aufsatz von 1934

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1935 veröffentlichte Franz seinen Bremer Vortrag in der Zeitschrift ,Volk im Werden' des Pädagogen und Philosophen Ernst Krieck. Für den weiteren Verlauf von Günther Franz' Karriere sollte Krieck eine wesentliche Rolle spielen. Dieser war schon zu Weimarer Zeiten als überzeugter Nationalsozialist aufgetreten und amtete 1 9 3 3 / 3 4 als R e k t o r der Universität Frankfurt. 1 3 3 Sein Einfluss reichte aber weit über Frankfurt hinaus. Dass Franz im April 1935 vom Berliner Wissenschaftsministerium an die als liberal geltende Universität Heidelberg berufen wurde, ist nicht zuletzt auf eine Intervention Kriecks zurückzuführen. 134 Trotz seines wissenschaftlichen Ausweises war Franz' R u f nach Heidelberg zu einem wesentlichen Teil politisch motiviert. Franz sollte in Heidelberg insbesondere als Gegenspieler zu Willy Andreas wirken. Als Nachfolger Hermann Onckens wurde Andreas in Heidelberg als Repräsentant der objektivistischen' Geschichtswissenschaft angesehen und galt in Parteikreisen als liberal-demokratischer Historiker. 1 3 5 Franz nahm die ihm gestellte Aufgabe an und argumentierte bereits in seiner Antrittsvorlesung entschieden gegen wissenschaftliche Objektivitätsansprüche: Wirkliche Geschichtsschreibung sei nur von einem festen Standpunkt aus möglich. Nur wer sich seines Standpunktes bewusst sei, könne in einem „höheren Sinne" Geschichte schreiben. „Jede Generation muss aus ihrem Erleben heraus ihr Geschichtsbild neu gestalten". 136 Günther Franz betrachtete seinen Heidelberger Lehrstuhl selbst als eine politische „Kampfstellung". 1 3 7 Seine politischen Positionen prägten nun auch seine Lehrtätigkeit. Er richtete seine Vorlesungen verstärkt ideologisch aus und erhob Alfred Rosenbergs ,Mythos des 2O.Jahrhunderts' zum Prüfungsstoff. 138 Er pflegte seine Lehrveranstaltungen und Referate nicht als ausformulierten Text, sondern nur in Stichworten vorzubereiten. Eine inhaltliche Analyse anhand von Manuskripten ist daher nicht möglich, doch weisen bereits die Titel seiner Vorlesungen auf die Kombination herkömmlicher und zeitgeistiger Themen hin. Einen Uberblick über die Stauferzeit bot Franz in Heidelberg ebenso an wie eineVorle-

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behandelte er Engels nur kurz und verwies auf den materialistischen Charakter der Engels'sehen Interpretation.Vgl. Franz: Der deutsche Bauernkrieg (1934), S. 33. Krieck war seit Januar 1932 Mitglied der NSDAP und war 1934 als Unterscharführer der Schutzstaffeln im Stab des Reichsfúhrers SS tätig.Vgl. BArch, R . 4901,13269. Vgl. Brief Kurator der Universität Marburg an Franz, 10. April 1935. Hessisches Staatsarchiv Marburg, 307d, Philosophische Fakultät, Nr. 108. Zur Universität Heidelberg vgl. Wolf: Litteris et patriae, S. 341. Willy Andreas gehörte in der Weimarer Republik zu den , Vernunftrepublikanern' und stand der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) nahe. Nach 1933 wandte er sich jedoch ideologisch stark dem Nationalsozialismus zu und trat auch in die SA ein. In Parteikreisen aber begegnete man Andreas als früherem Demokraten mit großer Skepsis. So wurde ihm 1938 etwa auch die Teilnahme am Internationalen Historikerkongress von Zürich verwehrt. Vgl. Wolf: Litteris et patriae, S. 342/343; und Lerchenmueller: Die Geschichtswissenschaft, S. 42. Franz: Mein Leben, S. 87. Brief Franz an Fuchs, 19. Juni 1935. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 1 / 3 . Franz: Mein Leben, S. 97.

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sung über die Geschichte der deutschen Grenzen oder die Geschichte des Judentums in Deutschland.139 Seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Revolution von 1525 hatte ihn an das Gedankengut des Nationalsozialismus herangeführt und brachte ihn nun in eine Stellung, in der sich Politik und Wissenschaft unauflösbar vermischten. 4.3.3 Institutionalisierung der historischen Bauernforschung Die untrennbare Durchdringung von Politik und Wissenschaft führte die Historiker zunehmend auch aus den Universitäten hinaus. Neue Institutionen wie Walter Franks Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschland, Heinrich Himmlers Ahnenerbe und eine Reihe kleinerer, oft weniger direkt mit dem Parteiapparat verbundener Forschungsinstitutionen entstanden. Solche Tendenzen sind auch auf dem Gebiet der Bauernforschung zu beobachten. Die zentrale Rolle spielte dabei Günther Franz.Vor allem im Umfeld von Reichsbauernführer Richard Walther Darré versuchte er, zusätzliche Ressourcen für sein Forschungsfeld zu akquirieren. Bei näherer Betrachtung erweisen sich diese Bemühungen als verschlungener Prozess, der weniger von diktatorischer Durchherrschung als durch Rivalitäten und Intrigen und Initiativen aus der Historikerschaft gekennzeichnet war.140 Darré war seit 1931 SS-Mitglied und war dort bis 1938 als Leiter des Rasseund Siedlungshauptamtes (RuSHA) tätig und hatte anfänglich eine bedeutende Stellung im Ahnenerbe der SS inne. In dessen Gründungsjahr 1935 etablierte der Landwirtschaftsminister und Reichsbauernführer Darré jedoch auch eine eigene, quasi-wissenschaftliche Institution: den Forschungsdienst für Landbauwissenschaften. Dessen Exekutivorgan, der Forschungsrat, trat im November 1935 anlässlich des 3. Reichsbauerntages in Gosslar erstmals zusammen. 141 Ab 1936 verfügte der Forschungsdienst mit der gleichnamigen Zeitschrift zudem über ein eigenes Publikationsorgan. Im Mai 1935 nahm Franz Kontakt zu Darré auf und sandte ihm den zu seiner Bauernkriegsmonographie erschienenen Quellenband. 142 „In ihnen [den bäuer-

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Franz: Mein Leben, S. 76/77, 95,102. Siehe auch BArch, R 58, 7167 und 6639. Grundlegend hierzu H eiber: Walter Frank. Aufbau und Struktur des Forschungsdienstes wurden durch einen Erlass von Wissenschaftsminister Rust und Landwirtschaftsminister Darré bestimmt. Vgl. UA Hohenheim, N6, 5/11/1, insbesondere Brief Meyer an Franz, 30. Oktober 1935. Eine wissenschaftliche Arbeit über diese Institution steht bis heute noch aus und stellt ein wichtiges Forschungsdesiderat zur Institutionen- und Wissenschaftsgeschichte des .Dritten Reiches' dar. Franz: Aktenband. Der Band war als Ergänzung zur gleichnamigen Monographie von Günther Franz von 1933 konzipiert. Franz verzichtete jedoch auf die Wiedergabe bereits an anderer Stelle gedruckter Quellenstücke. Da Franz bereits im Jahr zuvor einen Aktenband zum Bauernkrieg in Mitteldeutschland veröffentlicht hatte, beinhaltet der Band von 1935 vor allem Quellen aus Oberdeutschland. Das Manuskript des 1934er Quellenbandes war bereits 1931,

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liehen Beschwerden, Im] kommt also der Bauer selbst zum Wort und sagt uns, wie er seine Lage sah und empfand und was er mit seiner Erhebung erstrebte", schrieb Franz dem Reichsbauernfiihrer begleitend. „Sie sind daher die Grundlage fur meine Darstellung und Deutung des Bauernkrieges als der politischen R e v o lution des deutschen B a u e r n . " 1 4 3 Der Reichsbauernfiihrer verdankte die Sendung herzlich: „Mit ihrem Werk ,Der deutsche Bauernkrieg' haben Sie mir eine ganz besondere Freude bereitet." 1 4 4 Damit war der Boden gelockert. Nun gelangte Franz mit seinem Anliegen an Konrad Meyer, den Obmann des Forschungsdienstes, den er kurz zuvor bei den Verhandlungen um seine Berufung nach Heidelberg kennen gelernt hatte. 145 „Durch die Zeitstimmung bedingt, beginnen heute die verschiedenen Kreise sich um die Geschichte des Bauerntums zu kümmern", schrieb Franz an Meyer. U m Doppelarbeit zu vermeiden, sollten „diese Arbeiten bei Wahrung ihrer Selbständigkeit von einer übergeordneten Stelle aus" betreut und gegeneinander abgestimmt werden. „Denn schließlich rechnen ja alle diese Arbeiten auf Förderung durch staatliche, zumeist Reichsnährstandsmittel. Bei einer Neuorganisation agrarischer Studien müsste es also meines Erachtens heute eine Abteilung Geschichte geben. Vielleicht ließe sich unter Ihrer Führung entweder im Stabsamt des Reichsbauernführers oder bei der neugeplanten Historischen Reichskommission eine solche Zentralstelle schaffen." 146 Sowohl beim Stabsamt des Reichsbauernführers als auch bei der „neugeplanten Historischen Reichskommission" hatte Franz in den Wochen und Monaten zuvor bereits Vorarbeit geleistet und Einfluss zu gewinnen versucht. Einerseits ist seine Korrespondenz mit Darré zu erwähnen, andererseits ist ein Blick auf Franz' Rolle bei der ,Abwicklung' der ,alten' Reichskommission zu werfen. Aus dieser ,alten' Kommission ging 1935 nämlich das von Walter Frank geleitete Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands hervor. Zum Ende der Historischen Reichskommission hatte neben Walter Frank auch Günther Franz selber beigetragen. In einem kurzen Aufsatz hatte er sich 1934 generell gegen die langatmige Arbeitsweise der meisten historischen Kommissionen ausgesprochen. Deren Quelleneditionen würden sich nach dem „Vollständigkeitsprinzip" richten, anstatt eine zeitgemäße „Verbindung zwischen Darstellung und Quellenveröffentlichung" anzustreben. 147 Es war also ein Votum für eine Editionspraxis, wie sie Franz bezüglich des Bauernkrieges gewählt hatte.

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also kurz nach Franz' Habilitation, fertig gestellt. Die Publikation konnte jedoch erst 1934, nach einem Druckzuschuss der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, erfolgen. Möglicherweise wurde die Veröffentlichung des Aktenbandes also durch den politischen U m schwung erleichtert, nachweisen lässt sich eine solche Vermutung jedoch nicht. Vgl. Franz: Akten zur Geschichte des Bauernkrieges, S.VI. Brief Franz an Darre, 10. Mai 1935. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 5 . Brief Darre an Franz, 23. Mai 1935. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 2 / 5 . Franz: Mein Leben, S. 93. Brief Franz an Meyer, 5. Juni 1935. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 . Franz: Über Historische Kommissionen.Vgl. auch Heiber: Walter Frank, S. 180/181.

Der Bauernkrieg im Zeichen von ,Blut und Boden' R u n d ein halbes Jahr später warf Franz in einem weiteren Aufsatz der Historischen Reichskommission vor,Verbindungen zu „linksstehenden, jüdisch versippten Historikern" zu unterhalten. 1 4 8 Deren wissenschaftspolitischen Initiator Walter Goetz griff er in einer Art u n d Weise an, die Franz rückblickend selber als „nicht zu entschuldigen" wertete. 1 4 9 Das Ende der Kommission war zu diesem Zeitpunkt bereits besiegelt. Franz' öffentliche Stellungnahme war daher vor allem ein Versuch, Einfluss auf das ,neue' Reichsinstitut zu gewinnen. 1 5 0 Sein Vorstoß erfolgte j e d o c h zu spät: Bereits im Frühjahr 1935 war Walter Frank z u m designierten Präsidenten des Reichsinstituts ernannt worden. Die Geschichte des Bauerntums lag weit außerhalb von Franks historischen Interessen u n d z u d e m war die Beziehung von Frank u n d Franz durch persönliche Spannungen geprägt. 1 5 1 Franz' Anstrengung blieb daher ohne direkte W i r k u n g u n d die Agrar- oder Bauerngeschichte fand keinen Eingang in das Reichsinstitut. 1 5 2 Erfolgreicher verliefen dagegen Franz' Bemühungen u m den Forschungsdienst für Landbauwissenschaften. Hier fand er bald einen außeruniversitären Schirm für seine wissenschaftlichen Vorhaben. Knapp fünf Monate nach Franz' Schreiben trat Konrad Meyer, selbst ein Verfechter einer „neuen völkischen", „wahrhaft deutschen" Wissenschaft, 1 5 3 mit der Bitte an Franz heran, d e m Forschungsdienst als

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Franz: Walter Goetz, S. 321. Franz: Mein Leben, S. 100. Eine persönliche Entschuldigung hat Franz 1949 Goetz brieflich zukommen lassen.Vgl. Behringer:Von Krieg zu Krieg, S. 546. Franz: Walter Goetz. Zur Bedeutung des Generationenkonflikts im Zuge der Umgestaltung der Geschichtswissenschaft siehe Grüttner: Machtergreifung als Generationenkonflikt. Im Mai 1935 hatte Alfred Rosenberg in einem Brief an Adolf Hitler Walter Frank wärmstens für das neu zu schaffende Amt empfohlen. „Dr. Frank ist nach der Überzeugung aller Kenner der einzige Historiker, der dem Geist der deutschen Revolution auf dem Felde der Geschichtsschreibung einen großzügigen Ausdruck geschaffen hat. Er allein kann also als programmatischer Vertreter nationalsozialistischer Wissenschaft an die Spitze des Reichsinstituts treten." Vgl. Brief Rosenberg an Hitler, 2. Mai 1935. BArch, R 4901/1, 2596. Die Beziehung zwischen Frank und Franz waren vor allem deshalb belastet, weil Franz' Schwager, der Rechtshistoriker Karl August Eckhardt, in einer Fehde mit Frank lag. Dieser Konflikt ging auf wissenschaftspolitische Rangeleien zwischen Eckhardt und Frank zurück. Eckhardt hatte sich im Februar 1935 gegen die Berufung Franks nach Berlin ausgesprochen und kurz darauf gegen die Ernennung Franks zum Präsidenten des Reichsinstituts opponiert.Vgl. Heiber: Walter Frank, S. 258/259 und 857-860. Blickt man auf die zwischen 1935 und 1944 vergebenen Forschungsaufträge, lassen sich grob zwei thematische Schwerpunkte herauslesen: Einerseits das 19. Jahrhundert mit Ausblicken in die weiter zurückliegende preußische Geschichte sowie hin zur Geschichte des Nationalsozialismus sowie andererseits die Judenfrage', die bis ins Mittelalter hinein verfolgt wurde.Vgl. Heiber: Walter Frank, Beiblatt zu S. 548. Für die mittelalterliche und alte Geschichte war grundsätzlich jedoch das 1936 gegründete Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde zuständig, das aus der Monumenta Germaniae Histórica hervorgegangen war. Als kommissarischer Direktor war zuerst Günther Franz' Schwager Karl August Eckhardt vorgesehen. Schließlich wurde jedoch Wilhelm Engel auf diesen Posten berufen, der Ende 1937 an Edmund Stengel überging. Auch in dieses Reichsinstitut fand der Bauernkrieg aber keinen Eingang. Vgl. Schönwälder: Historiker und Politik, S. 84 und Heiber, Walter Frank: S. 857-868 und 925-927. Meyer: Bauerntum, S. 152 und 164.

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„Vertrauensmann fiir Bauern- und Agrargeschichte [...] zur Seite zu stehen". 154 Franz regte daraufhin an, die bauerngeschichtlich interessierten Historiker beim Forschungsdienst in einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzufassen.155 Wenn er als Vertrauensmann „die Bauerngeschichte fordern und betreuen soll", müsse er einen „Uberblick über die vorhandenen Arbeitsansätze" haben. Er schlage deshalb vor, dass „das Reichswissenschaftsministerium alle Historischen Kommissionen, Akademien usw. [...] auffordert, dem Ministerium unmittelbar oder besser noch dem Forschungsrat und damit mir als Vertrauensmann über in Angriff genommene bauern- und agrargeschichtliche Arbeiten zu berichten [...]. Zugleich würde die Forschungsgemeinschaft, der Sie ja als Vizepräsident angehören, dem Forschungsrat über die bereits unterstützten, aber noch nicht abgeschlossenen Arbeiten und über künftighin neueingehende Anträge Mitteilung machen. Diese Berichterstattung soll keinerlei Eingriff in die Selbständigkeit der einzelnen Arbeitszentren bedeuten, sie soll nur ermöglichen, die einzelnen Arbeiten gegeneinander abzustimmen, Anregungen zur Ergänzung von Lücken zu geben und Doppelarbeit [zu] vermeiden." 156 Günther Franz, der inzwischen von der SA zur SS übergetreten war, betonte die rein organisatorische Bedeutung einer solchen Zentralstelle. 157 Dennoch sollte deren forschungspolitische Bedeutung nicht unterschätzt werden. Das von Günther Franz skizzierte Amt eines Vertrauensmanns' würde die Schlüsselposition für die Bauerngeschichtsforschung darstellen. Der Forschungsdienst und dessen Obmann Meyer standen Franz' Plänen durchaus wohlwollend gegenüber. Das Vorhaben wurde aber nur zögerlich umgesetzt. Schließlich fiel Franz' Aufgabenbereich weit bescheidener aus, als er dies ursprünglich vorgeschlagen hatte. Günther Franz ging seine Arbeit fur den Forschungsdienst dennoch mit großem Einsatz und Elan an. U m eine Bibliothek aufbauen zu können, stellte er eigene Bücher zur Verfugung; er bat eine Vielzahl von Kollegen, ein Sammelreferat zur Publikation im ,Forschungsdienst' zu verfassen und bot selber eine ganze Reihe von Themen zur Bearbeitung an. 158 Darunter fanden sich neben dem Bauernkrieg auch stärker rechtsgeschichtlich und volkskundlich orientierte The154 155

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Brief Meyer an Franz, 30. Oktober 1935. UA Hohenheim, N6, 5/11/1. Im Sinne einer provisorischen Liste nannte Franz folgende Namen: „Ich denke etwa an Prof. Steinbach (Direktor des Instituts fiir rheinische Landesgeschichte Bonn), der über westdeutsche Siedlungsgeschichte gearbeitet hat, Dozent Dr. Maybaum (Hamburg, Ostkolonisation, Mecklenburg), Prof. Zimmermann — Erlangen, Prof. Dr.Theodor Mayer — Freiburg (allgemeine Wirtschaftsgeschichte), Prof. Dr. Hermann Aubin - Breslau (Herausgeber Vierteljahrschrift fiir Wirtschafts- und Sozialgeschichte). Dieser Kreis dürfte sich aber m. E. nicht auf Universitätshistoriker beschränken, sondern müsste auch andere Bauernhistoriker heranziehen, obgleich die Auswahl hier nicht leicht zu treffen ist." Vgl. Brief Franz an Meyer, 20. N o vember 1935. UA Hohenheim, N6, 5/11/1. Brief Franz an Meyer, 20. November 1935. UA Hohenheim, N6, 5/11/1. Franz' Übertritt erfolgte auf den 1. Oktober 1935. Vgl. Kurzlebenslauf Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, 16. Dezember 1938. BArch, BDC-Akte Günther Franz.Vgl. auch Kapitel 7. Briefe Franz an Forschungsdienst vom 10. Oktober 1935 und 21. Februar 1936 sowie vom Forschungsdienst an Franz vom 3. Oktober 1935. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 2 sowie 5/11/10.

Der Bauernkrieg im Zeichen von ,Blut und Boden ' men. 1 5 9 Bis allerdings die von Günther Franz angeregte Arbeitsgemeinschaft gebildet werden konnte, sollte es noch gut zwei Jahre dauern. Mehrmals hatte Franz beim Forschungsdienst darauf gepocht, den „Arbeitskreis für Bauerngeschichte" zu gründen. 160 Schließlich kam es im März 1938 unter dem Vorsitz von Günther Franz in Burg Lauenstein in Oberfranken zur ersten „Reichstagung" der Arbeitsgemeinschaft. Diese trug nun jedoch den recht allgemeinen Namen „Agrarpolitik und Betriebslehre". Die Arbeitsgemeinschaft war also weit davon entfernt, eine ,Bauernkriegskommission' zu sein. Angestrebt wurde vielmehr, eine interdisziplinäre Gruppe agrargeschichtlich interessierter Forscher zu bilden. Neben Agrarhistorikern wie Wilhelm Abel (1904-1985) und Friedrich Lütge (1901—1968) 161 tagten in Burg Lauenstein auch Rechtshistoriker und Ökonomen. 1 6 2 Als Vorsitzender hielt Günther Franz auf dieser Tagung eine programmatische Rede über die .Aufgaben deutscher Bauernforschung'. Er verwies einerseits auf grundlegende Arbeiten wie etwa Otto von Gierkes ,Deutsches Genossenschaftsrecht'. Gierke habe als Erster „das Bauerntum als Träger deutschen Gemeinschaftsdenkens einer liberalisierten und in ihrem R e c h t romanisierten Zeit" entgegengestellt. Frühere Arbeiten hätten die Geschichte des Bauernstandes jedoch nur als Wirtschafts-, als Rechts- oder als Kulturgeschichte geschrieben, aber nie eine Gesamtgeschichte zu geben versucht. Eine gewisse Ausnahme bilde hierbei einzig Karl Lamprecht. 163 Alle Arbeiten des 19. Jahrhunderts wiesen aber den Mangel auf, dass sie das Mittelalter mit den Kategorien ihrer eigenen Zeit beurteilten und aus dem Bauernkrieg eine soziale Revolution machten. Man müsse erkennen, dass „dem Adel als Wehrstand und dem Bauern als Nährstand bestimmte Aufgaben in der Volksordnung zugeteilt waren, für deren Erfüllung beide aufeinander angewiesen waren, so dass es ein falsches Bild gibt, wenn man diese Stände gleich feindlichen Klassen sich gegenübertreten läßt". 1 6 4 Schon der Es waren dies „Weistumsforschung", „Bauernbefreiung", „Ostkolonisation", „Anerbenrecht und das Alter bäuerlicher Besitzer", „Bauernhausforschung", „Folgen des 30-jährigen Krieges auf den deutschen Bauernstand", „Der deutsche Bauer in den politischen und kulturellen Strömungen des 19. Jahrhunderts", „Freie Bauern im Mittelalter" und „Bauernkrieg".Vgl. Brief Franz an Forschungsdienst, 10. Oktober 1935. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 2 . 160 v g l U A Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 . 161 Mit Günther Franz, Wilhelm Abel und Friedrich Lütge trafen hier die drei Historiker erstmals zusammen, die die bundesdeutsche Agrargeschichte der Nachkriegszeit wesentlich prägten. Sie bildeten die Herausgeberschaft der .Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte', und Lütge und Abel steuerten wichtige Bände zu der von Günther Franz herausgegebenen .Deutschen Agrargeschichte' bei (Wilhelm Abel: Geschichte der deutschen Landwirtschaft. Deutsche Agrargeschichte Bd. 2, Stuttgart 1962 und Friedrich Lütge: Geschichte der deutschen Agrarverfassung. Deutsche Agrargeschichte Bd. 3, Stuttgart 1963). Vgl. Brief Franz an Meyer, 14. November 1937 und Teilnehmerliste zur 1. Reichstagung der Arbeitsgemeinschaft .Agrarpolitik und Betriebslehre' des Forschungsdienstes, 25. und 26. März 1938. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 . 162 V g l p a p i e r v o m 3 Februar 1939. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 6 . 163 Vgl. Franz: Aufgaben, S. 536. Eine positive Bewertung Lamprechts setzte sich in dieser Zeit auch im Reichssicherheitshauptamt durch. Vgl. Stellungnahme Levin vom 1. April 1939. BArch, R 58, 6553. 164 Franz: Aufgaben, S. 537. 159

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Aufsatz über den ,Reichsgedanken in der deutschen Bauernbewegung' von 1935 war von Franz' Bemühungen geprägt gewesen, in den Unruhen der Reformationszeit eine einheitliche Bewegung, den ,ewigen Kampf ums R e i c h ' zu sehen. Nun erhob Franz die nationalsozialistische Vorstellung einer homogenen, weder in konfessionelle noch soziale Gruppen gespaltene Volksgemeinschaft zum historiographischen Programm. Daraus leitete er die Forderung ab, die „Geschichte des deutschen Bauernstandes als des Grundstandes unserer gesamten Volksgeschichte zu schreiben". 165 Zusätzliches Gewicht verlieh Franz dieser Forderung, indem er dasselbe Referat nach seiner Berufung an die Universität Jena als (verspätete) Antrittsvorlesung hielt. 166 Damit hatte Franz seinen Höhepunkt als Bauernhistoriker erreicht. Er hatte Grundsätze für die historische Erforschung des deutschen Bauernstandes entwickelt und seinem Forschungsschwerpunkt eine institutionelle Heimat im politischen Getriebe des Nationalsozialismus verschaffen können. Es war Franz offensichtlich ein Anliegen gewesen, die in den 1920er Jahren neu entstandene Bauern(kriegs)forschung in einer nationalsozialistisch geprägten Körperschaft zu bündeln. Altere Institute, die bereits vor 1933 existiert hatten, spielten bei seinen Bestrebungen kaum eine Rolle. Dies lässt sich von zwei Seiten her erklären: Vereine, Kommissionen oder Institute aus der Weimarer Zeit orientierten sich noch stark an einer etatistischen und objektivistischen' Geschichtswissenschaft. Diese wurde einerseits vom Nationalsozialismus als „blutleer" bekämpft und sah andererseits im Bauerntum keinen historischen Akteur und daher im Bauernkrieg kein Ereignis von historischer Relevanz. Behandelten sie die Reformationszeit, so waren sie also eher an traditioneller Politikgeschichte oder dann an Reformationsgeschichte im engeren Sinne interessiert. 167 Franz' institutionelle Bestrebungen waren sowohl ein Kampf um finanzielle Mittel als auch um politischen Rückhalt. Als „Vertrauensmann" stand er in ständigem Kontakt zum Obmann des Forschungsdienstes, Konrad Meyer, war mit Richard Walther Darre bekannt und hatte selbst das Interesse von SS-Führer Heinrich Himmler an der Arbeitsgemeinschaft geweckt. 168

4.3.4 Bauerngeschichte beim Forschungsdienst Obwohl Franz die Bauernforschung also relativ gut verankern konnte, wurde seine Arbeitsgemeinschaft nie zu einer starken Institution. Die anfänglich geplante jährliche Wiederholung der ,Reichstagung' wurde vom Krieg verhindert. Die 165

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Franz: Aufgaben, S. 535-545, 544. F r a n z . M e i n Leben, S. 119; Jenaische Zeitung, 3. Mai 1938. UA Jena, BA 2019;Vgl. auch Behringer:Von Krieg zu Krieg, S. 585. Vgl. Kapitel 4.6. Franz ließ Himmler 1938 einen Bericht über den Arbeitskreis sowie ein Referat zum Thema ,Aufgaben deutscher Bauerngeschichtsforschung' zukommen. Vgl. Brief Franz an Six, 3. September 1938. UA Hohenheim, N6, 5/11/16.

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erste derartige Zusammenkunft von 1938 blieb die einzige. Die Arbeitsgemeinschaft konnte kaum ein eigenes Forschungsprofil entwickeln und wuchs nie über einen losen Zusammenschluss selbständig arbeitender Wissenschaftler hinaus. Von Bedeutung war die Arbeitsgemeinschaft jedoch in finanzieller Hinsicht. Unter der Aufsicht des .Vertrauensmanns' Günther Franz finanzierte der Forschungsdienst ab 1935 agrargeschichtliche Arbeiten. Nach Kriegsbeginn ging die Aufmerksamkeit des Forschungsdienstes gegenüber historischen Fragen zurück, direkt kriegswichtige Arbeiten genossen Priorität. Dennoch erhielten agrarhistorische Arbeiten noch bis 1943 finanzielle Zuwendung. 1 6 9 Bereits 1935 konnte Franz fur drei Publikationsprojekte Unterstützung durch den Forschungsdienst gewinnen, die sich mehr oder weniger direkt mit der Revolution von 1525 auseinander setzten: Für den zweiten Band der ,Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland', für eine ,Bücherkunde zur Geschichte des Bauerntums' und für eine zweibändige Quellensammlung d e u t sches Bauerntum'. 1 7 0 Der zweite Band der mitteldeutschen Bauernkriegsakten ging, wie schon der erste Band, auf lange Vorarbeiten von Otto Merx zurück. Das Editionsprojekt war von der Sächsischen Kommission für Geschichte in Auftrag gegeben worden, wurde schließlich von Günther Franz' Assistenten Walther Peter Fuchs bearbeitet und ist daher nur sehr bedingt im Kontext des Forschungsdienstes zu interpretieren. 171 Viel eher trifft dies dagegen auf die beiden anderen genannten Veröffentlichungen zu. Die Arbeit an der Bücherkunde nahm Franz aufgrund einer Anregung von Konrad Meyer in Angriff. Der Forschungsdienst finanzierte Franz einen eigenen Mitarbeiter fur dieses Projekt, und publizierte die Arbeit schließlich 1938 als Sonderheft der Zeitschrift ,Der Forschungsdienst'. Eine politisch-ideologische Konzeption des Bändchens ist kaum auszumachen. Dies ganz im Unterschied zu der Quellensammlung ,Deutsches Bauerntum', die 1940 in der Reihe ,Germanenrechte N e u e Folge' erschien. Die ,Germanenrechte' wurden von dem von Franz' Schwager Karl August Eckhardt geleiteten Deutschrechtlichen Institut in Verbindung mit dem SS-Ahnenerbe herausgegeben. Eingeleitet wurde die Veröffentlichung denn auch mit einem Geleitwort des Reichsführers SS, Heinrich

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Für das Antragsjahr 1939/40 bewilligte der Forschungsdienst die Unterstützung von zehn agrargeschichdich orientierten Forschungsvorhaben aus dem Arbeitskreis. Berücksichtigt wurden Arbeitsvorhaben von Abel, Busse, Franz, Kötzschke, Lütge, Martini, Raupach, Schürmann und Wolf; die Unterstützungsbeiträge schwankten zwischen 350 - und 3500.- R M . Vgl. Brief Meyer an Franz, 15. Februar 1939. UA Hohenheim, N6, 5/11/1 und UA Hohenheim, N6, 1/1/8. Franz: Bücherkunde; Günther Franz: Deutsches Bauerntum (I und II) und Fuchs/Franz: Akten. Ab 1939 erhielt Franz zudem größere Beträge (3200- R M fur das Antragsjahr 1939/40) zur „Sammlung und Herausgabe der thüringischen Dorfordnungen und Weistümer".Vgl. BriefMeyer an Franz, 15. Februar 1939. UA Hohenheim, N6, 5/11/1. Weiter wurde der zweite Aktenband von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und insbesondere von der Sächsischen Kommission für Geschichte finanziell unterstützt. Vgl. BArch, R 73, 11083; UA Hohenheim, N6, 5/11/1 und 5/11/4 und Fuchs/Franz: Akten, S.VI. Siehe auch Kapitel 4.4.2.

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Himmler. 172 Eine politische Ausrichtung erhielt diese Publikation aus „dem Arbeitskreis für Bauern- und Agrargeschichte im Forschungsdienst flir deutsche Landbauwissenschaft" jedoch nicht nur aufgrund dieser äußerlichen Verbindungen. 173 Laut einer Selbstanzeige von Günther Franz wolle die Sammlung weniger ein wissenschaftliches Werk, denn „ein Lesebuch sein, dass jedem, der sich über das deutsche Bauerntum unterrichten will, den Zugang zu den Quellen ermöglicht". 174 „Besondere Aufmerksamkeit" schenkte er bei der Zusammenstellung der Quellen „den Volksdeutschen Gebieten jenseits der heutigen Reichsgrenze", wie Günther Franz im Vorwort vom Herbst 1939 vermerkte. Indem Franz auch Quellen aus Ungarn, Jugoslawien, Ostpreußen, Schlesien und Pommern in die Publikation integrierte, lieferte er mit seinen agrargeschichtlichen Studien erstmals einen Beitrag zur volksgeschichtlichen Diskussion um den „Lebensraum" im Osten. 175 Nach dem ,Anschluss' Österreichs, der Zerschlagung der Tschechoslowakei und dem am 1. September 1939 lancierten Angriff auf Polen war der Gegenwartsbezug einer solchen Formulierung eindeutig. 176 Im Gegensatz zu dem weiten Themenfeld .Deutsches Bauerntum' eignete sich der deutsche Bauernkrieg kaum zur Legitimierung deutscher Gebietsansprüche im Osten. 177 Die Revolution von 1525 nimmt in der insgesamt zweibändigen Quellenausgabe zwar einen prominenten Platz ein, eine offensichtliche politische Zuschreibung ist damit aber nicht verbunden. 178 Bemerkenswerter ist dagegen der zeitliche Bogen, den die Sammlung spannt. Sie umfasst insgesamt rund 2000 Jahre, und zwar von der „ersten Nachricht vom Ackerbau der Germanen", der „Bitte der Kimbern um Ackerland um 109. v. Christus", bis zum Reichserbhofgesetz von 1933. Damit konstruiert die Quellensammlung von 1939/1940 implizit eine bäuerliche Tradition von den frühen Germanen bis zum ,Dritten Reich'. Für die vom Forschungsdienst (mit)finanzierten Publikationen von Franz ist dies symptoma172 173

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„Ein Volk lebt so lange glücklich in Gegenwart und Zukunft, als es sich seiner Vergangenheit und der Größe seiner Ahnen bewusst ist." Auch diese Veröffentlichung war zusätzlich durch Gelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert worden.Vgl. BArch, R 73, 11083; UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 und 5/11/4; Franz: Deutsches Bauerntum (I), S. XIV. Vgl. Brief Franz an Schönberg, 10. Juni 1941. UA Hohenheim, N6, 5/11/2. Franz: Deutsches Bauerntum (I), S. XIII. Aufgrund des eingesehenen Quellenmaterials lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob Günther Franz das Vorwort nach dem 1. September 1939 verfasste. Davon ist allerdings auszugehen: In der Publikation ist es mit ,Jena, Herbst 1939" datiert. Franz hatte auch in den Aktenband zu seiner Bauernkriegsmonographie Quellen aufgenommen, die außerhalb der gegenwärtigen Reichsgrenzen entstanden waren — insbesondere aus der Schweiz und dem Elsaß. Im Gegensatz zu dem Quellenband zum deutschen Bauerntum von 1939 begründete sich jene Auswahl jedoch durch den Forschungsgegenstand, den Bauernkrieg. Die Revolution von 1525 hatte auch Gebiete erfasst, die später zur Schweiz und zu Frankreich gehörten.Vgl. Franz: Aktenband. Der erste Band, der 1940 erschien, endet mit einer Beschwerdeschrift der württembergischen Landschaft im Armen Konrad von 1514, der zweite Band, der bereits im Jahr zuvor erschienen war, begann mit den Zwölf Artikeln der oberschwäbischen Bauern von 1525.

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tisch. Der insbesondere von Darre vertretene Germanenkult prägte zunehmend auch Franz' Bauernkriegsarbeiten. Zwar verließ er die Argumentation seiner Bauernkriegsmonographie nie ganz, verlängerte aber die Traditionslinien der Revolution von 1525 zunehmend in die vorchristliche, germanische Zeit hinein. Im ,Forschungsdienst' bezeichnete er den Bauernkrieg 1936 in einem Aufsatz nicht mehr als einen Kampf um altes Herkommen und göttliches Recht, sondern um „deutsches Volksrecht" und gegen römisches Fremdrecht. Als der eigentliche Widerpart des bodenverbundenen Bauerntums erschienen die Handelstreibenden: Das Ziel des Bauernkrieges sei die Befreiung des Bauernstandes und ein von den genossenschaftlichen Verbänden her aufgebautes Reich gewesen, in dem die „Zinsknechtschaft der Juden und der großen Handelsgenossenschaften" hätte gebrochen werden können. Damit sei im Bauernkrieg derselbe Gegensatz zum Ausdruck gekommen wie im Kampf zwischen Widukind und Karl dem Großen, zwischen der sächsisch-germanischen Volksgemeinschaft und dem fränkischen Herrschaftsstaat. Der Bauernkrieg sei somit „der Beitrag der Bauern zu dem Kampf um das Reich". 1 7 9 Wie in den Quellensammlungen konstruierte Franz also auch in diesem Aufsatz einen Bogen vom Germanen Widukind über den Bauernkrieg in die nationalsozialistische Gegenwart; als zentrale Verbindung dient die diffuse Vorstellung eines völkisch-germanischen Reiches. Reichsbauernfiihrer Darré hatte den Bauernkrieg schon 1933 in einer germanischen Tradition gesehen. Nun hatte sich auch Franz dieser Interpretation angeschlossen. Damit geriet er in Widerspruch zu demjenigen Ansatz, den er 1934 und 1935 — also bevor er zum Kreis um Darré gestoßen war — in Vorträgen vertreten hatte: Hatte Franz damals den Bauernkrieg kurzzeitig als Teil der reformatorischen Bewegung und die Reformation als „politische Revolution" interpretiert, so löste er nun jegliche Verbindung zwischen Reformation und Bauernkrieg wieder auf. Der Bauernkrieg erscheint immer noch als ein Kampf um Ziele, denen sich auch der Nationalsozialismus verpflichtet sah, den Keim der Bewegung verlegte Franz nun aber aus dem (christlichen) Mittelalter in die (vorchristliche) Germanenzeit. Am deutlichsten zeigt sich diese Verschiebung in dem Aufsatz ,Für Reich und Recht', der 1939 in der Zeitschrift ,Odal' erschien. Diese trug den sprechenden Untertitel ,Monatsschrift fiir Blut und Boden' und wurde von Reichsbauernfiihrer Richard Walther Darré herausgegeben. Franz bezeichnete den Bauernkrieg zwar in gewohnterWeise als eine „politische Revolution" wies ihm jedoch eher reaktionären Charakter zu. Seine Argumentation ging davon aus, dass in der germanischen Rechtsvorstellung das Recht nicht von Menschen geschaffen, sondern göttlich sei und daher nur gefunden werden könne. Diese Sichtweise finde sich auch in den bäuerlichen Weistiimerη. Im Spätmittelalter sei nun das „begreifliche Ziel der Fürsten", einen einheitlichen Staat mit einheitlichem Recht zu schaffen, auf das heterogene deutsche Recht geprallt. Die Fürsten hätten daher auf das kodifizierte römische Recht zurückgegriffen. Für die

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Bauern habe dieses aber nicht nur unverständliches Fremdrecht, sondern recht eigentlich „Nichtrecht, Unrecht" dargestellt. „Wenn sie sich gegen das römische Recht erhoben, um ihr altes Recht und Herkommen zu verteidigen, um fur ihre altüberkommene Selbstverwaltung zu kämpfen, dann fühlten sie sich nicht als Empörer, sondern als Kämpfer für das Recht. Revolutionär, Rechtsbrecher war der Staat, nicht sie." 180 Franz wies daraufhin, dass im bäuerlichen Kampfauch der Boden der politischen Neugestaltung betreten wurde und das Schlagwort des göttlichen Rechts aufgetaucht sei. Hatte Franz den Ursprung dieser Argumentation 1933 in seiner Monographie noch auf den Engländer Wiclif und die hussitische Bewegung zurückgeführt, bezeichnete er den Kampf um das göttliche Recht nun als Rekurs auf germanische Rechtsvorstellungen. Damit verneinte er gleichzeitig, dass die Vorstellung der göttlichen Gerechtigkeit vor einem christlichen Hintergrund zu deuten sei. Die Bibel habe den Bauern zwar als Maßstab gedient, ihr Bezug darauf sei jedoch willkürlich gewesen. Daraus folge, „daß wichtiger als dies Zurückgehen auf die Schrift die Besinnung auf die göttliche Ordnung selbst war". Somit sei der Bauernkrieg eine „Besinnung" auf ursprüngliches deutsches Rechtsdenken gewesen. 181 Dem Versuch, das Volkstum gegenüber fremden Gewalten zu verteidigen, habe einzig der Führer gefehlt, der die Bewegung hätte zusammenfassen und an ein Ziel führen können. 182 Wenig zuvor hatte Günther Franz' Jenaer Kollege Johannes von Leers im ,Odal' bereits in ähnlicherWeise eine Kontinuität zwischen der germanischen Zeit und dem mittelalterlichen Bauerntum hergestellt. 183 Günther Franz bezog sich in seinem zwei Jahre jüngeren Aufsatz nicht explizit auf Leers. Eine Parallele zwischen den beiden Arbeiten ist jedoch deutlich zu erkennen - und zwar nicht nur in Bezug auf die Tradition germanischen Rechts, sondern auch in Bezug auf die Stellung der Luther reformation. Franz hatte den Bauernkrieg schon immer aus der Tradition mittelalterlicher Bauernaufstände interpretiert. In seiner Monographie von 1933 hatte er der Reformation jedoch immerhin die Funktion zugewiesen, die beiden unabhängigen Stränge des bäuerlichen Kampfes - der Kampf um das alte und der Kampf um das göttliche Recht - zu einer revolutionären Bewegung zusammengeführt zu haben. In seinem ,Odal'-Aufsatz band Franz diese beiden Strömungen nicht mehr über die Reformation, sondern über das germanische Erbe zusammen. Franz und Leers präsentieren das mittelalterliche deutsche Bauerntum als Hüter völkischer Tradition. Im Unterschied zum Bauernkrieg leis180

Franz: Für Reich und Recht, S. 329. Franz: Für Reich und Recht, S. 334-337. 182 V g i F r a n z . F ü r R e k h u n d Recht, S. 337. 183 Aus dem germanischen Dorfthing habe sich die kommunale Selbstverwaltung entwickelt und damit habe in der mittelalterlichen Dorfordnung viel germanisches Recht weitergelebt. Die karolingische Zeit und später die Rezeption des römischen Rechts seien als „Überfremdungen" über die gemeindliche Verfassung hinweggegangen. Aber „vor allem auch die Reformation und Luthers krasse Obrigkeitslehre, die nur die von ,Gott eingesetzte Obrigkeit' sah, und der jedes Organ fur genossenschaftliche Rechtsordnung fehlte", habe wesentlich dazu beigetragen, die „aus germanischer Wurzel stammende mittelalterliche Gemeindeverfassung" zu beseitigen. Leers: Die bäuerliche Gemeindeverfassung, S. 190/191. 181

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Der Bauernkrieg im Zeichen von ,Blut und Boden' tete die Reformation hierzu keinen Beitrag. Luther stand damit weit außerhalb dieser Bewegung. 184 Auch von der europäischen Perspektive von Franz' Habilitationsaufsatz war nichts übrig geblieben. In seinen im Umfeld des Reichsnährstandes publizierten Schriften hatte Franz den Bauernkrieg nicht nur vom Einfluss von Wiclif und der hussitischen Bewegung befreit, sondern auch vom Odem einer reformatorischen Bewegung. Damit erschien der Bauernkrieg als „politische Revolution" für „Reich und R e c h t " einer rassisch definierten Volksgruppe. Beide Begriffe waren nun rein germanische Zielgrößen und machten aus dem Bauernkrieg eine Revolution, die sich von der nationalsozialistischen fast nur noch dadurch unterschied, dass sie infolge ihres Führermangels gescheitert war. Zugespitzt formuliert: Der Bauernkrieg wird zum ersten Versuch, Hitlers Fernziel eines „Germanischen Reiches deutscher Nation" zu verwirklichen. 185 In dieser Form hinterließen die Bauernkriegsdarstellungen von Günther Franz und Johannes von Leers auch Spuren im Geschichtsbild des Reichsnährstandes. Die Verbindung zwischen Reichsnährstand und den genannten Historikern führte so zu einem wechselseitigen geistigen Transfer.186

4.3.5 Vorzeitige Erosion der NS-Bauernkriegsforschung In dem 1939 im ,Odal' erschienenen Aufsatz ,Für R e i c h und R e c h t ' war es Günther Franz gelungen, den Bauernkrieg als einen Kampf um germanisches Rechtsverständnis und deutsche Volkskultur zu interpretieren. Trotzdem stellt diese Publikation weniger Höhe- denn Schlusspunkt der Rezeption des Bauernkrieges im Kontext der Blut-und-Boden-Ideologie dar. Die Arbeitsgemeinschaft .Agrarpolitik und Betriebslehre' des Forschungsdienstes hatte das wissenschaftliche Rückgrat dieser Verbindung dargestellt. Durch den Kriegsausbruch wurde deren Arbeit jedoch erheblich in Frage gestellt. Da die Arbeiten von Franz'Arbeitsgemeinschaft nicht als kriegswichtig galten, wurde einer-

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Andere Autoren der Zeitschrift ,Odal' gingen einen Schritt weiter und sprachen dem Reformator sogar explizit eine negative Wirkung zu. Neben dem bereits zitierten Aufsatz von Johannes von Leers triât dies etwa auch auf einen Aufsatz von Fritz Martini zu: Luthers Aufruf gegen die Bauern von 1525 habe die „Zerstörung der völkischen Erregung" bedeutet. Dem Bauer sei mit dem Evangelium das R e c h t auf Selbsthilfe genommen worden. Vgl. Martini: Bauernkrieg, S. 9 3 3 / 9 3 4 . Vgl. Kroll: Utopie als Ideologie, S. 73. Besonders deudich zeigt sich dies in dem Sammelband ,Deutsches Bauerntum', der im U m feld von Reichsbauernfuhrer Richard Walther Darre entstanden ist. Vgl. Hansen: Deutsches Bauerntum. In einem Beitrag zum Bauernkrieg von 1525 stellte Ernst Scharper, Mitarbeiter im Stabsamt des Reichsbauernfiihrers, den Bauernkrieg wie Günther Franz in eine 3 0 0 jährige Kontinuität von bäuerlichen Aufständen. Auch er sah im bäuerlichen Rekurs auf das göttliche R e c h t eine Kontinuität zum germanischen Rechtsverständnis. Als „Schlagwort" habe das göttliche R e c h t jedoch „nicht unwesentlich" zu dem „Zusammenbruch der Bauernkriegsbewegung beigetragen". Religiöse Schwarmgeister wie Thomas Müntzer hätten sich seiner bedient, damit die bäuerlichen Forderungen verwischt und der Bewegung die Stoßkraft genommen. Scharper: Die Entwicklung, S. 1 0 2 - 1 0 6 .

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seits der finanzielle Spielraum enger. Andererseits waren verschiedene Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft im Kriegseinsatz und damit fur die Forschungsarbeit unabkömmlich. So vereitelte der Krieg auch Günther Franz' Plan, eine eigene agrargeschichtliche Schriftenreihe herauszugeben. 187 Zeitschriften wie der ,Forschungsdienst' oder ,OdaF erschienen zwar weiterhin, die Revolution von 1525 hinterließ darin jedoch kaum mehr Spuren. Lässt sich die schwindende finanzielle Unterstützung der Agrargeschichte und der Bauernkriegsforschung im Speziellen durch die Kriegsereignisse erklären, so muss fur das langsame Verschwinden des Bauernkrieges aus den Zeitschriften eine andere Erklärung gefunden werden. Der Stern der agrarromantischen Strömung innerhalb des Nationalsozialismus begann Mitte der 1930er Jahre langsam zu sinken. Aufrüstung und Kriegsvorbereitung stärkten die technokratischen Kräfte - eine Entwicklung, die sich im zunehmenden Machtverlust Darrés symbolisierte. 1940 kam es schließlich zur „demonstrativen ,Abgabe' des ,Reichsamtes für Agrarpolitik'" durch Darre. 188 „Daß im Zuge der Aufrüstung eine forcierte Industrialisierung über Darrés Ideologie so völlig den Sieg davon tragen würde, dass auch die Partei schon vor 1933 sich dem Großgrundbesitz gegenüber verpflichtet hatte [...] war 1933 nicht voraussehbar und erkennbar", resümierte Günther Franz die Entwicklung in den 1930er Jahren rückblickend. 189 Dass sich die Kriegsvorbereitung und der Kriegsausbruch auch auf den Fokus der Geisteswissenschaften auswirkten, ist nicht nur nahe liegend, sondern auch schon mehrfach nachgewiesen worden. 190 Der Germanen-Kult war jedoch nicht auf das Umfeld von Darré beschränkt. Auch der Kreis um Reichsführer SS Heinrich Himmler, der lange Jahre mit Darre befreundet gewesen war, stand dieser Ausprägung nationalsozialistischer Ideologie nahe. Im Unterschied zum Reichsnährstand war die SS eine direkt ins Kriegs- und Vernichtungsgeschehen involvierte Körperschaft, die daher ab 1939 an Bedeutung gewann. Zudem handelte es sich etwa bei Johannes von Leers und Günther Franz auch um aktive SS-Mitglieder. Es stellt sich daher die Frage, ob der von Franz und Leers germanisierte' Bauernkrieg in den Kriegsjahren im weiten Gefuge der SS auf neues Interesse gestoßen ist. Ahnlich wie Darré erblickte auch Himmler in der germanischen Vorzeit einen Idealzustand. Das christlich dominierte Geschichtsbild sei durch den Blick auf „germanische Erbströme" und die durchgehende Linie germanischer Kämpfe 187

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Vgl. Brief Meyer an Franz, 7. November 1939. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 ; Brief Franz an Best, 26. Januar 1940. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 0 ; Brief Franz an Abel, 26. Oktober 1939. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 0 und Brief Franz an Meyer, 4.12. 1942. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 . 1943 erschien dann doch ein erster Band der Reihe .Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte', die Franz nun zusammen mit seinem Jenaer Kollegen Friedrich Lütge herausgab: Wilhelm Abel: Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters, Jena 1943. Vgl. Brief Franz an Meyer, 20. Dezember 1942. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 . Dieses Buch sollte nach 1945 zu einem Standardwerk werden und eine zweite und dritte Auflage erleben. Corni/Gies: ,Blut und Boden', S. 33. Franz: Mein Leben, S. 79. Siehe auch Hermand: Der alte Traum, S. 210 und 253-266. Vgl. Oberkrome:Volksgeschichte, S. 171-217.

Der Bauernkrieg im Zeichen von ,Blut und Boden' gegen R o m abzulösen. Der Nationalsozialismus galt Himmler damit als die Erfüllung eines geschichtlichen Auftrags. 191 Himmler hatte Darré 1930 wegen dessen Beschäftigung mit Rasse- und Siedlungsfragen damit beauftragt, für die SS ein ,Rasse- und Siedlungsamt' einzurichten. Nach der Gründung stand das R u S H A denn auch bis 1938 unter Darrés Leitung. 192 Im RuSHA-Komplex wurden nicht nur „völkische Aufzuchtspläne" entworfen und die Heiraten der SS-Angehörigen nach rassischen Kriterien beurteilt. 193 Auch die 1935 gegründete Studiengesellschaft ,Ahnenerbe' war anfanglich ein Teil des R u S H A gewesen. 194 War für die Ausrichtung dieser Studiengesellschaft zu Beginn vor allem Darrés Blut-und-Boden-Mythos maßgebend, entwickelte sich das Ahnenerbe später zum Gravitationspunkt von Himmlers pseudowissenschaftlichem Germanenkult: 1 9 5 Die zunehmenden ideologischen Spannungen zwischen Darre und Himmler, der sich von Darrés Vorstellung des germanischen sesshaften Bauern weg zum Ideal des die Räume Osteuropas besiedelnden Wehrbauers' bewegte, führten 1938 zum Bruch zwischen den beiden. Parallel dazu löste Himmler das Ahnenerbe aus dem Einflussbereich des Reichsnährstandes und gliederte denVerein dem Hauptamt Persönlicher Stab Reichsführer-SS an. 1 9 6 Im Jahr 1938 wurde im Ahnenerbe auch eine Forschungsstätte für mittlere und neuere Geschichte geschaffen. Als kommissarischer Leiter wurde Hermann Löffler eingesetzt, der später als Assistent von Günther Franz an der Reichsuniversität Straßburg beschäftigt sein sollte. Löffler erarbeitete in Kürze einen Arbeitsplan zum Aufbau der ihm übertragenen Ahnenerbe-Abteilung. Offenbar versuchte Löffler, diese Abteilung zu einer Art Gegen-Institut zu Walter Franks Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands aufzubauen. Er schlug vor, acht Referate zu bilden. Eines davon sollte sich der Bauerngeschichte widmen. Dieses Vorhaben stieß jedoch auf interne Kritik und wurde nicht umgesetzt. Obwohl das Bauerntum sowohl für den Reichsnährstand als auch für die SS ein Feld besonderen Interesses darstellte, fand die Bauerngeschichte und damit auch der Bauernkrieg keinen Eingang in das Ahnenerbe. 197 Eine Erklärung hierfür bietet vor allem Himmlers ideologische Konzeption des ,Wehrbauers'. Das Ahnenerbe bemühte sich zwar um die „Erforschung der germanischen Erbströme", interessierte sich unter Himmler jedoch kaum für das von Richard Walther Darré ver-

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Vgl. Kroll: Utopie als Ideologie, S. 2 3 0 - 2 4 1 . Kater: Das .Ahnenerbe', S. 26. Corni/Gies: ,Blut und Boden', S. 20. Am 1.Juli 1935 gründete Himmler denVerein „Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte .Deutsches Ahnenerbe'".Vereinszweck war laut Satzung die Erforschung von „Raum, Geist und Tat des nordischen Indogermanentums". Die (vermeintlichen) Werte der germanischen Ahnen sollten erforscht und das so gewonnene Erbe ideologisch und praktisch nutzbar gemacht werden.Vgl. Kater: Das .Ahnenerbe', S. 7. Bollmus: Das Amt Rosenberg, S. 1 7 9 / 1 8 0 . Vgl. Kater: Das .Ahnenerbe', S. 3 7 - 4 1 . Die SS wurde erst ab 1938 durch die NSDAP finanziert. Der Etat des .Ahnenerbes' wurde ab 1936 zu einem großen Teil von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) getragen. Lerchenmueller: Die Geschichtswissenschaft, S. 6 9 - 7 5 .

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herrlichte, erblich mit Grund und Boden verwurzelte Bauerntum. Somit wurde das Feld des germanischen Erbes' auch nicht auf das bäuerliche Mittelalter oder den Bauernkrieg ausgedehnt. Nach Kriegsausbruch war eine solche Ausrichtung erst recht obsolet geworden. 198 Dies änderte sich auch nicht, als Günther Franz im Mai 1939 auf Vorschlag von Hermann Löffler zum „Persönlichen Stab, Ahnenerbe" stieß.199 Aussagekräftig ist auch die thematische Ausrichtung der vom RuSHA publizierten ,SS-Leitheften', welche der internen Schulung dienten. Historische Themen waren zwar durchaus präsent, der Bauernkrieg jedoch kaum. Ein einziger, kurzer Aufsatz zur Revolution von 1525 findet sich in diesem Periodikum. Sein Autor war Franz. Veröffentlicht wurde der Artikel im Jahrgang 1 9 3 7 / 3 8 , also zu einer Zeit, als das RuSHA gerade noch unter der Leitung Darrés gestanden hatte. Der Text entspricht denn auch über weite Strecken dem gleichnamigen Aufsatz, den Franz im Jahr zuvor im ,Forschungsdienst' veröffentlicht hatte. 200 Franz'Aktivitäten im Ahnenerbe waren recht bescheiden geblieben - im Unterschied zu seiner nächsten SS-Dienststelle. Nach gut einem Jahr wechselte er zum Sicherheitsdienst (SD) im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). 2 0 1 Der Sicherheitsdienst (SD) war der eigentliche NS-Geheimdienst. Insofern mag Franz' Wechsel erstaunen. Seitdem das Ahnenerbe ganz unter den Einflussbereich Himmlers gelangt war, existierten jedoch enge Bindungen zwischen den beiden Institutionen und im RSHA zeigte man sich an historisch ausgebildeten Mitarbeitern sehr interessiert.202 Franz' nebenberufliche Tätigkeit im SD entsprach denn auch nicht klassischer Geheimdienstarbeit - vielmehr wurden ihm „weltanschauliche Arbeiten im wis-

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Aus einem Arbeitsplan Persönlicher Stab Reichsfiihrer SS, ohne Datum. BArch, SL 52, Blatt 245. Eigenen Angaben zufolge bemühte sich Franz anfänglich darum, im Ahnenerbe eine Forschungsstelle ,Agrargeschichte' zu errichten. Dieser Plan sei jedoch durch den Kriegsausbruch vereitelt worden.Vgl. Franz: Mein Leben, S. 146. BArch, BDC-Personalakte Günther Franz, Unterlagen Ahnenerbe sowie BArch, R 58, 7638 und BArch, R 58, 2485. Bereits seit dem 1. Dezember 1937 hatte Franz im Rasse- und Siedlungshauptamt gewirkt. BArch, BDC-Personalakte Günther Franz, Unterlagen Rasse- und Siedlungshauptamt der SS; Franz: Mein Leben, S. 123 und Lerchenmueller: Die Geschichtswissenschaft, S. 74.Vgl. auch Kapitel 7. Eine inhaltliche Erweiterung stellt einzig der erste Abschnitt des Textes dar. Franz beschreibt dort die erste Erhebung vom Sommer 1524 im südlichen Schwarzwald. Die Aufständischen hätten sich gegen den Landgrafen von Stühlingen erhoben, der sich bei Juden verschuldet hatte. U m die Zinsen aufbringen zu können, habe er seine „Untertanen wider Recht und Billigkeit" belastet. Franz: Der deutsche Bauernkrieg (1937/38), S. 85. Das Reichssicherheitshauptamt war erst im Herbst 1939 als Zusammenschluss der Zentralbehörden der Gestapo, der Kriminalpolizei und dem SD entstanden. Laut Ulrich Herbert verklammerten sich hier die Verfolgung von politischen und rassischen ,NS-Gegnern' und die Verbrechensbekämpfung. Die Führungskräfte des R S H A waren als Einsatzgruppenleiter von SD und Sicherheitspolizei in den von Deutschland besetzten Ländern maßgeblich an der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Genozidpolitik beteiligt. Vgl. Herbert: Best, S. 12/13. Zum Führungskorps des R S H A und dessen generationsspezifischen Prägung vgl.Wildt: Generation des Unbedingten. Lerchenmueller: Die Geschichtswissenschaft, S. 23 und Kater: Das .Ahnenerbe' ( 2 1997), S. 69.

Der Bauernkrieg in der akademisch-universitären

Diskussion

senschaftlichen Bereich" übertragen. 203 Anfänglich war Franz stark mit der auf Anweisung Reinhard Heydrichs eingerichteten Hexenkartothek beschäftigt. 204 Während des Krieges verschob sich Franz'Arbeitsfeld im RSHAjedoch vom historischen ,Erbe' zu den ,Gegnern' des Nationalsozialismus: Auf Betreiben von SS-Führer Franz Alfred Six wechselte er zu der von Six geleiteten „Gegnerforschung". 205 Dort bereitete Franz Konferenzen vor, koordinierte die Forschungsarbeiten und wachte darüber, dass diese auf „wissenschaftlich einwandfreier" Quellengrundlage standen. 206 Die ,Gegnerforschung' umfasste Arbeiten über die fünf Gruppen Juden, Freimaurer, Kirchen, Liberale und Kommunisten. Damit sind diejenigen „Feinde" genannt, die laut einem internen Schulungspapier für SS-Führeranwärter die „artgemäße Lebensordnung [...] des deutschen Volkes" immer wieder gestört haben. 207 Eine Parallelisierung etwa zu den Gegnern der aufständischen Bauern von 1525 ist nicht nachzuweisen. Die Revolution von 1525 hatte damit ihre institutionelle Verankerung im ,Dritten Reich' definitiv verloren. In den Kriegsjahren waren die NS-Institutionen nicht mehr an der Revolution des gemeinen Mannes interessiert. Der Bauernkrieg fand jetzt höchstens noch als propagandistisches Etikett Beachtung. Unter neu gebildeten Verbänden der Waffen-SS und der Wehrmacht finden sich solche, die die Namen von Götz von Berlichingen oder Florian Geyer tragen, und zum Liedgut der SS gehörte auch der Titel ,Wir sind des Geyers schwarze Haufen'. In der letzten Strophe dieses Liedes wird in bereits bekannterWeise eine Parallele zwischen dem Bauernkrieg und dem Nationalsozialismus gezogen: „Geschlagen ziehen wir nach Haus, heia hoho! Unsre Enkel fechten's besser aus, heia hoho! Spieß voran, drauf und dran, setzt aufs Klosterdach den roten Hahn!" Uber solch plakative Kontinuitäts- und Legitimitätskonstruktionen ging der Bezug auf den Bauernkrieg aber nicht mehr hinaus. 208

4.4 Der Bauernkrieg in der akademisch-universitären Diskussion Mit dem Niedergang der von Darre geprägten agrarromantischen Strömung und dem Ausbruch des Krieges verlor die Bauerngeschichtsforschung an institutionellem Rückhalt im nationalsozialistischen Staat. Allerdings sollte von diesem 203 204 205

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BArch, BDC-Personalakte Günther Franz, Unterlagen Ahnenerbe. Vgl. Behringer: Der Abwickler, S. 109-134. Franz stand mit Six seit Mitte der 1930er Jahre in kollegialem Kontakt.Vgl. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 6 . Siehe auch Behringer: Bauern-Franz, S. 119-128. Eine umfangreiche Studie zu Karriere und Tätigkeit von Franz Alfred Six bietet Hachmeister: Der Gegnerforscher. BArch Berlin, R 58, 7298; Hachmeister: Der Gegnerforscher, S. 226/227. Arbeitsgemeinschaft für SS-Führeranwärter, Grundriß Nr. 17, Geschichte. BArch R 58, 844, Blatt 128. BArch, N S 31, 427, Blatt 151 und 152; Winterhager: Bauernkriegsforschung, S. 115/116, 187 ff.Vgl. auch Kapitel 4.7.

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Befund nicht gleich auf das Ende der historischen Forschung zum Bauernkrieg insgesamt geschlossen werden - die meiste historiographische Arbeit wurde auch im .Dritten Reich' an den Universitäten geleistet. Somit stellt sich beispielsweise die Frage, ob Franz in seiner Funktion als Professor an den Universitäten von Heidelberg, Jena und Straßburg den Bauernkrieg in derselben Weise beleuchtete, wie er das im Umfeld des Reichsnährstandes tat. Der Blick ist aber nicht nur auf Franz zu richten, sondern auf die akademische Rezeption der Revolution von 1525 insgesamt. Zu untersuchen ist etwa, inwiefern sich die universitäre Geschichtswissenschaft der Konjunktur der Blut-und-Boden-Ideologie angepasst hatte. 4.4.1 Günther Franz als akademischer Bauernforscher In historischen Periodika wie der ,Historischen Zeitschrift' oder .Vergangenheit und Gegenwart', dem Verbandsorgan der im NSLB organisierten Geschichtslehrer,209 tritt der Bauernkrieg als Objekt der historischen Forschung kaum in Erscheinung. Ein ähnliches Bild zeigen die Listen des Reichssicherheitshauptamts, in denen die Lehrtätigkeit an den historischen Lehrstühlen der deutschen Universitäten thematisch zusammengestellt wurde. 210 Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang die Universität Jena. Am dortigen historischen Seminar fanden ab Mitte der 1930er Jahre mehrere agrargeschichtlich und insbesondere am Bauernkrieg interessierte Historiker zusammen. Im Herbst 1935 hatte die Fakultät Günther Franz zuoberst auf ihre Berufungsliste für das freie Ordinariat für Neuere Geschichte gesetzt.211 Damit kam Franz an eine von der NSDAP als vorbildlich eingeschätzte Universität, die sich bereits vor 1933 „als Bresche gegen die Systemzeit" bewährt hatte.212 Wenig später erhielt Johannes von Leers einen Lehrauftrag für deutsche Geschichte an derselben Universität. Leers, ursprünglich Jurist, hatte sich durch umfangreiche publizistische Tätigkeit über agrar- und bauerngeschichtliche Themen in Parteikreisen einen Namen gemacht. Mit Friedrich Lütge arbeitete zeitweilig noch ein

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Die Zeitschrift , Vergangenheit und Gegenwart' war 1913 als Organ des Verbandes deutscher Geschichtslehrer gegründet worden und nach 1933 zum Sprachrohr der Fachgruppe Geschichte im NSLB geworden.Vgl. Riekenberg: Die Zeitschrift, S. 1 und 110. Vgl. BArch,R 58, 6639 und 7167. Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung undVolksbildung ersuchte Franz Ende Oktober, den Lehrstuhl sofort zu übernehmen. Am 1. Januar 1936 trat Franz seine Stelle an, nach 18 Monaten erfolgte seine Ernennung zum ordentlichen Professor. Die Universität Jena hatte sich bereits im Mai 1935 für eine Berufung Franz' interessiert. Dieses Vorhaben konnte wegen dessen Berufung nach Heidelberg aber erst jetzt umgesetzt werden. Vgl. Hessisches Staatsarchiv Marburg, 307d, Philosophische Fakultät, 108. So wurde etwa der ,Rasseforscher' Hans F. K. Günther 1930 an die Universität Jena auf einen eigens geschaffenen Lehrstuhl für Sozialanthropologie berufen. Seiner Antrittsvorlesung wohnten u. a. Hitler, Göring, Darré und Frick bei. Vgl. UA Jena, Ba 2029, Blatt 76-77.Vgl. auch Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. 615-645.

Der Bauernkrieg in der akademisch-universitären

Diskussion

weiterer agrargeschichtlich ausgerichteter Historiker in Jena. Lütge, der 1940 in Leipzig seine erste Professur erhalten sollte, war vor allem an Fragen der Agrarverfassung interessiert. Es wäre daher denkbar, dass in Jena neue Impulse für die Bauernkriegsforschung entstanden wären. Dies war aber nur bedingt der Fall. Insbesondere das Verhältnis zwischen Franz und Leers war gerade wegen ihrer thematischen Nähe von Spannungen geprägt. 213 Franz' späte, aber programmatische Jenaer Antrittsvorlesung .Aufgaben deutscher Bauernforschung' diente nicht zuletzt der Abgrenzung gegenüber Leers. 214 In Jena wandte sich Franz verstärkt bevölkerungsgeschichtlichen Fragen und insbesondere dem Dreißigjährigen Krieg zu. 215 Er hatte sich schon an der Universität Heidelberg für die Landesgeschichte engagiert und begann nun in Jena ähnliche Aktivitäten zu entwickeln. 1937 beantragte Franz die Gründung einer , Anstalt für thüringische Landes- und Volksforschung' an der Universität Jena, deren Leitung er und Erich Maschke gemeinsam übernehmen sollten. 216 Ziel des Instituts müsse es einerseits sein, die „Studenten mit den geschichtlichen Grundlagen des Raumes, in denen sie später als Lehrer tätig sein sollen, vertraut" zu machen. Andererseits solle das Institut seinen Blick aber „über die Reichsgrenze hinweg nach Böhmen wenden, den sudetendeutschen R a u m erforschen helfen und der dortigen Forschung den nötigen Rückhalt gewähren. Auch diese volkspolitisch vordringliche Aufgabe" sei „nur durch Errichtung eines selbständigen Instituts" zu erfüllen. 217 Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung verweigerte jedoch vorerst „aus nationalpolitischen Gründen" die Zustimmung zu einer solchen Neugründung. Wichtiger wäre es, eine Anstalt für die Arbeitsgebiete „Volkskunde, Siedlungsgeschichte und Sprachforschung, d. h. im weitesten Maße [...] der Kulturgeographie" zu errichten. Franz sah in dieser Forderung keinen Widerspruch zu seiner Konzeption und schlug vor, die geplante Institution in .Anstalt für Landeskunde an der Universität Jena' umzubenennen. Hierauf erfolgte schließlich die Bewilligung zur Gründung und die B e reitstellung der finanziellen Mittel für fünf Mitarbeiterstellen. 218 Für die Bauernkriegsforschung spielte diese Institution kaum eine eigenständige Rolle. Die

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Vgl. Franz: Mein Leben, S. 112. Vgl. Kapitel 4.3.4.Vgl. auch Franz: Mein Leben, S. 119. Einen ersten Niederschlag fand diese Arbeit in dem Aufsatz Franz: Deutschlands Weg. Vgl. Brief Franz an den Thüringischen Minister fur Volksbildung, 2. Februar 1937. UA Jena, BA 914, Blatt 6 3 - 6 5 . Vgl. Brief Franz an den Thüringischen Minister für Volksbildung, 2. Februar 1937. UA Jena, BA 914, Blatt 6 3 - 6 5 . Vgl. Brief Franz an den Dekan der Phil.-hist. Fakultät der Universität Jena, 7. August 1937. UA Jena, Ba 914, Blatt 8 6 - 8 7 ; Brief Franz an Hellwig, 5. Dezember 1937. U A Hohenheim, N6, 1 / 3 / 6 . Im Januar 1938 erfolgte jedoch eine neuerliche Umbenennung in .Anstalt für geschichtliche Landeskunde an der Universität Jena'. Der neue Name sollte Verwechslungen mit einem erdkundlichen Institut ausschließen. Vgl. Brief des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an seinen thüringischen Kollegen, 24. Januar 1938. U A Jena, BA 914, Blatt 152.

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wichtigste Studie, die aus Günther Franz' Zusammenarbeit mit dieser Anstalt hervorging, war die Publikation ,Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk'. 219 Die Revolution von 1525 tauchte bei Franz nicht einmal mehr als Vorlesungsthema auf. Dies gilt nicht nur für seine Lehrtätigkeit in Jena. 2 2 0 Im Januar 1941 war Günther Franz als „Professor der Geschichte, insbesondere neuerer Geschichte und der Geschichte des deutschen Volkskörpers" an die Reichsuniversität Straßburg berufen worden; zu Beginn des Wintersemesters 1941/42 nahm er die Tätigkeit an seinem neuen Lehrstuhl auf. 221 In Straßburg widmete sich Franz wissenschafdich kaum mehr dem Bauernkrieg. 222 Bei den Berufungsverhandlungen hatte er sich ausbedungen, „in der später zu errichtenden landwirtschaftlichen Fakultät Sitz und Stimme mit dem Lehrgebiet ,Bauerngeschichte',, zu erhalten. 223 Diese Pläne wurden jedoch während der kurzen Existenz der Reichsuniversität Straßburg nie umgesetzt. Ganz beendet war Franz' Beschäftigung mit dem Bauernkrieg dennoch nicht. Obwohl das Thema Ende der 1930er Jahre seine politische Bedeutung weitgehend verloren hatte und auch an den Universitäten kaum ein stark beachtetes Ereignis war, ging von ihm immer noch eine populäre Ausstrahlung aus; das machen insbesondere die Neuauflagen von Günther Franz' Bauernkriegsmonographie der Jahre 1939 und 1943 deutlich. Anfang des Jahres 1939 hatte Franz mit der „Neubearbeitung und Kürzung" der Ausgabe von 1933 begonnen, die nun „als Volksausgabe erscheinen" sollte. 224 Die Neuauflage wurde ohne wissenschaftlichen Apparat veröffentlicht, entsprach inhaltlich aber über weite Strecken der ersten Auflage. Es finden sich vereinzelt neue Formulierungen, die einer stärkeren Politisierung des Textes gleichkommen. 2 2 5 Analytische Verschiebungen fallen anfänglich kaum auf. Auf den letzten 20 Seiten wird die Monographie jedoch durch neue Abschnitte geprägt, in denen 219

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Franz: Der Dreißigjährige Krieg. Eine - teilweise jedoch etwas suggestive — Analyse dieser Arbeit und ihres politischen Kontextes findet sich bei Behringer:Von Krieg zu Krieg.Vgl. auch Franz: Mein Leben, S. 120. Vgl. BArch, R 5 8 , 7 1 6 7 und 6639. Vgl. Brief Franz an Rektor der Uni Jena, 22. Januar 1941. U A Jena, BA 2158, Blatt 169 und BArch, R E M - Ρ Α Günther Franz. Vgl. BArch, R 5 8 , 7 1 6 7 und 6639. Vgl. Brief Franz an Meyer, 28. Januar 1941. UA Hohenheim, N6, 5 / 1 1 / 1 . Zwei Briefe von Franz an Jacobs, 3. Januar und 28. März 1939. U A Hohenheim, N 6 , 1 / 1 / 6 . A u f zwei Stellen sei hier stellvertretend aufmerksam gemacht. Die erste betrifft die Rolle der Juden bei den Außtänden im Eisass. In der ersten Auflage findet sich folgender Satz: „Mit dem Pfaffenhaß verband sich der Haß gegen die Juden." [S. 236] In der zweiten Auflage von 1939 findet sich eine erweiterte Formulierung: „Mit dem Pfaffenhaß verband sich der Haß gegen die Juden, die im Elsaß besonders zahlreich ansässig waren." [S. 154] Die zweite Stelle betrifft die Erhebungen in Thüringen. In der ersten Auflage findet sich die Bemerkung, es habe sich dabei „gleichsam um einen Massenwahn, der nur so lange anhielt, bis das Zerstörungswerk vollbracht war", gehandelt [S. 434]. In der zweiten Auflage fehlt dieser negative Bezug auf die Masse. Die Erhebung wird jetzt nur noch als eine „allgemeine Erregung" beschrieben [S. 271]. Bemerkenswert ist, dass die Nachkriegsauflagen der Monographie in beiden Beispielen den Formulierungen der zweiten Auflage folgen. Es betrifft dies bei der 10. Auflage von 1975 die Seiten 144 und 238.Von der ersten bis zur zehnten Auflage unverändert geblieben ist

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Diskussion

die seit der Erstauflage verflossenen sechs Jahre Spuren hinterlassen haben. Vier Punkte können genannt werden: Erstens ging Franz auf die von Otto Brunner geäußerte Kritik an seiner Begrifflichkeit ein. Franz betonte, dass hinter den Plänen der aufständischen Bauern nicht „der Gedanke an eine Demokratie, einen Volksstaat im Sinne des 19. Jahrhunderts" gestanden habe.Vielmehr sollten „Staat und Reich von der Grundlage der kleinen genossenschaftlichen Verbände aus neu aufgebaut werden." 226 Zweitens wies Franz expliziter als in der ersten Auflage darauf hin, dass im Bauernkrieg das Potenzial zu einer alternativen Staatsgründung gelegen habe. Der Bauernkrieg sei ein Volksaufstand gewesen, „der das Recht in sich trug, weil er das völkische Recht und damit das Volkstum selbst gegen fremde Gewalten verteidigen wollte." Daher sei der Bauernkrieg — und hier floss das in Franz'Aufsätzen der letzten Jahre omnipräsente Ideal des Reiches ein — „ein Glied im ewigen Kampf der Deutschen ums Reich." 2 2 7 Drittens thematisierte Franz nun den Zusammenhang von bäuerlichem Erbrecht und Bauernkrieg. Die Revolution von 1525 sei von Gebieten mit Realerbteilung ausgegangen, in denen die Güter so stark zersplittert gewesen seien, dass sie „den Besitzer kaum mehr zu ernähren" vermocht hätten. Gebiete mit Anerbenrecht seien dem Aufstand dagegen „eher abseits" geblieben. 2 2 8 Franz gewichtet dieses Argument zwar nicht stark, es ist aber dennoch beachtenswert. Es steht in so offensichtlichem Widerspruch zu seiner Grundthese, der Bauernkrieg sei von wohlhabenden Bauern getragen worden, dass es nur politisch zu erklären ist: Laut dem im Herbst 1933 beschlossenen Reichserbhofgesetz sollten deutsche Bauernhöfe im Sinne des Anerbenrechts vererbt werden. Reichsbauernfuhrer Darré hatte dieses Gesetz selber als die Umsetzung der Wünsche der Aufständischen von 1525 bezeichnet. 229 Aber auch diese politische Begründung ist letztlich wenig befriedigend. Als sich Franz 1939 an die Neubearbeitung seiner Bauernkriegsmonographie machte, war das Reichserbhofgesetz größtenteils bereits wieder Makulatur geworden. 230 Viertens finden sich in der zweiten Auflage biologistische Argumentationsmuster. So bezeichnete Franz den Führermangel bei den Bauernhaufen als „zweifellos auch biologisch bedingt" und betonte, der Bauernkrieg habe „auch in biologischer Hinsicht einen ungemein schweren Verlust für unser gesamtes Volk" dargestellt. 231 Franz hatte 1934 in seinem Aufsatz über den ,Reichsgedanken in der deutschen Bauernbewegung' erstmals ähnlich argumentiert. 1939 baute er dieses

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auch der Satz: „Es ist immer wieder zu beobachten, dass sich die ersten Ansatzpunkte des Aufstandes in politisch kranken Gebieten befunden haben." Er findet sich auf den Seiten 3 9 4 , 2 4 6 und 263. Vgl. Kapitel 4.2.2. Vgl. Franz: Bauernkrieg ( 2 1939), S. 2 9 4 - 2 9 6 . Franz: Bauernkrieg ( 2 1939), S. 2 9 8 - 2 9 9 . Vgl. Kapitel 4.3.1. Vgl. Mai:,Rasse und Raum', S. 7 6 - 7 8 . Franz: Bauernkrieg ( 2 1939), S. 289 und 306.

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Element in seine Monographie ein und vier Jahre später weitete er die Argumentation zu einer neuartigen Bewertung des Reformators Martin Luther aus: Durch seinen Bruch mit d e m Zölibat habe Luther die von der katholischen Kirche betriebene „negative Rassenauslese größten Ausmaßes" beendet. 2 3 2 D i e Neuauflage von 1939 ü b e r n i m m t also wesentliche P u n k t e der B a u e r n kriegsinterpretation, die Franz in den Jahren zuvor in diversen politisch orientierten Aufsätzen entwickelt hatte. D a er die G r u n d k o n z e p t i o n der M o n o g r a p h i e aber nicht veränderte, wirken die erbrechtlichen und biologistischen Argumentationsmuster aufgepfropft. Das eigentliche Legitimationspotenzial von G ü n t h e r Franz' Bauernkriegsarbeit für den Nationalsozialismus lag kaum in diesen p l u m pen Formeln, sondern in seiner W e r t u n g der R e v o l u t i o n von 1525 als historischer Alternative, als einer frühen Möglichkeit, ein alle Stände integrierendes, völkisches R e i c h aufzubauen. So konnten die Revolution von 1525 u n d die nationalsozialistische Revolution einprägsam parallelisiert werden. Franz formulierte diesen Mechanismus in der zweiten Auflage äußerst präzise: Im Bauernkrieg habe das Potenzial gelegen, „dass unserer Geschichte der U m w e g über den Territorialstaat hätte erspart bleiben k ö n n e n ; dass 1525 schon die R e i c h s g r ü n d u n g v o m Volke her hätte gelingen k ö n n e n , die 1848 in andererWeise n o c h einmal versucht, aber erst in unseren Tagen Wirklichkeit wurde". 2 3 3 Das ,Dritte R e i c h ' erscheint so als die Verwirklichung eines tief im deutschen Volk liegenden Bedürfnisses. In seinen im B l u t - u n d - B o d e n - U m f e l d veröffentlichten Aufsätzen hatte Franz diese Argumentation zunehmend .germanisiert'. Der Bauernkrieg als Kampf ums R e i c h war damit nicht m e h r in einer mittelalterlich-christlichen, sondern einer germanischen Tradition erschienen. In der zweiten Auflage der Bauernkriegsmonographie fehlte dieses Element aber gänzlich. Offensichtlich vermied Franz diese Perspektive in Publikationen, die unabhängig v o m Reichsnährstand entstanden. D e n n o c h war er d a r u m b e m ü h t , den B a u e r n k r i e g mit nationalsozialistischen Ideologiefragmenten zu w ü r z e n . Die G e s a m t w i r k u n g seiner Interpretation wurde dadurch recht disparat. Dies änderte sich auch bei der dritten Auflage nicht. Diese Veröffentlichung aus dem Jahr 1943 war nur ein N e u d r u c k der zweiten Auflage u n d sollte die letzte Publikation von G ü n t h e r Franz z u m T h e m a B a u e r n k r i e g im ,Dritten R e i c h ' bleiben. Bemerkenswert ist daher weniger der Inhalt, als die Publikation an sich: Sie erschien im vierten Kriegsjahr u n d damit zu einem Zeitpunkt, als D r u c k e r zeugnisse bereits massiven kriegswirtschaftlichen Einschränkungen unterworfen waren; diverse wissenschaftliche Zeitschriften hatten ihr Erscheinen bereits einstellen müssen. 2 3 4 232 Ygj p r a n z : Geschichte und Rasse, S. 79. 233 Franz: Bauernkrieg (21939), S. 294-296. 234 Einzig an einer Stelle am Ende des Buches ist eine inhaltliche Änderung festzustellen: Franz verwies dort auf den großen Bevölkerungsdruck, der in den späteren Aufstandsgebieten geherrscht hat. Auch wenn es sich nicht um die eigentliche Ursache des Aufstandes gehandelt habe, so sei doch daraufhinzuweisen, dass der bäuerliche Lebensraum dort, wo es 1525 zu

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4.4.2 Alternative Interpretationen Seit dem Erscheinen seiner Monographie zum Bauernkrieg war Günther Franz der Gravitationspunkt der Bauerkriegsforschung. Aber auch andere Historiker beschäftigten sich an verschiedenen Universitäten mit dem Thema. Große monographische Darstellungen gingen daraus jedoch nicht hervor. Ihre Interpretationen sind recht unterschiedlich; allen gemeinsam ist jedoch, dass sie sich immer in Beziehung zu der Arbeit von Günther Franz setzten. Thematisch standen zwei Themenbereiche im Vordergrund: Die einen Publikationen interessierten sich für den Zusammenhang zwischen der mittelalterlichen Rechtsentwicklung und dem Bauernkrieg, die anderen fragten stärker nach dem Verhältnis des Bauernkrieges zur Reformation. Der rechtshistorische Blick verband sich in der N S - Z e i t oft mit der Frage, ob die Revolution von 1525 ein Kampf um germanische Rechtsgrundsätze gewesen sei. Seit dem 19. Jahrhundert hatte die Rechtsgeschichte die römische und die germanische Rechtstradition zunehmend dichotom wahrgenommen. Auch der in den 1920er Jahren zu großer Popularität gelangte Spruch .Gemeinnutz geht vor Eigennutz' spielte auf dieses Verhältnis an. Nach der nationalsozialistischen .Machtergreifung' erlebte die germanistische Rechtsgeschichte einen beachtlichen Aufschwung. D i e Wiederherstellung des germanischen R e c h t s galt dem Berliner Juristen Carl Schmitt ebenso wie dem Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht, Hans Frank, als eine der vordringlichen Aufgaben auf dem Weg zum unverfälschten germanischen Volkstum. 235 Letztlich erhoben die Germanisten den Anspruch, aus dem historischen Material Ideen mit Ewigkeitscharakter zu ermitteln. Hier tritt dieselbe Traditionslinie vom deutschen Idealismus zur nationalsozialistischen Ideologie hervor, die bereits hinsichtlich des Ideals des R e i ches deutlich wurde. Die enge Verbindung germanistischer Arbeit mit dem Nationalsozialismus zeigt sich nicht zuletzt auch im Stellenwert der Germanistik in Heinrich Himmlers Ahnenerbe oder in der Publikationsreihe ,Germanenrechte' von Günther Franz' Schwager Karl August Eckhardt. 236 Karl Lamprecht hatte im 19. Jahrhundert als Erster auf die Bedeutung des Rechts in der Revolution von 1525 aufmerksam gemacht. Danach verfolgte vor

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Aufständen gekommen sei, knapp geworden sei. Zudem seien die Bauern hier durch die engere Verzahnung von Stadt und Land den Gefahren der Marktwirtschaft stärker ausgesetzt gewesen.Vgl. Franz: Bauernkrieg ( 3 1943), S. 3 0 0 / 3 0 1 . Zu Beginn der 1940er Jahre plante Franz die Herausgabe der Schriften Thomas Müntzers. Eine solche Edition veröffentlichte er aber erst gut 2 0 Jahre später. Es waren nicht politische Gründe, die eine Publikation zu dieser zentralen, vom Nationalsozialismus aber gänzlich verschmähten Bauernkriegspersönlichkeit verhinderten - die Papierbewilligung lag Ende 1942 vor. Dass Müntzers Schriften damals nicht erschienen, erklärte er mit seiner Arbeitsbelastung. Vgl. Brief Flach an Franz, 17. November 1942 und Brief Franz an Flach, 22. November 1942. U A Hohenheim, N 6 , 9 / 2 / 1 . Zur Position Carl Schmitts vgl. Landau: Römisches Recht, S. 13;Willoweit: Deutsche Rechtsgeschichte, S. 3 5 / 3 6 . Z u den Forderungen Hans Franks nach einer Regermanisierung des deutschen Rechts findet sich im Bundesarchiv Berlin eine aussagekräftige Sammlung von R e den Franks. Vgl. BArch, NS 5 VI, 17774. Vgl. Stolleis: Die Rechtsgeschichte, S. 6.

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allem G ü n t h e r Franz diese Frage weiter. Er war j e d o c h nicht über Lamprecht, sondern über die Arbeit Fritz Kerns auf die Bedeutung des Rechtsdenkens aufmerksam geworden. Mit der Bedeutung der Rechtstraditionen im Bauernkrieg beschäftigte sich auch eine bei Franz eingereichte Dissertation. 2 3 7 Irmgard Schmidt hatte ihre Promotion ursprünglich bei Wilhelm Stolze begonnen — also bei demjenigen Historiker, der Anfang der 1930er Jahre mit Franz in einem Zwist über die Interpretation des Bauernkrieges gelegen hatte. N a c h dessen Tod 1936 konnte Schmidt ihre Promotion an der Universität Jena bei Franz fortsetzen u n d abschließen. Von den Positionen Stolzes finden sich in der Arbeit k a u m m e h r Spuren. Schmidt sah eine enge Verbindung zwischen der B u n d s c h u h b e w e g u n g Joß Fritz' und d e m späteren Bauernkrieg. Joß Fritz'Verdienst sei es, den R u f nach altem R e c h t u n d göttlicher Gerechtigkeit z u s a m m e n g e f ü h r t zu haben. 2 3 8 D i e bäuerliche Argumentation mit dem göttlichen R e c h t führte sie also nicht auf die Lutherreformation zurück. Damit nahm sie klar Stellung gegen die Position Stolzes. D e n Ursprung des bäuerlichen Rufs nach göttlichem R e c h t sei j e d o c h nicht eindeutig auszumachen. Z w e i Traditionslinien erachtete sie als zentral: Erstens verwies sie auf Wiclifs Idee des absoluten Gottesgesetzes, das über die Prager U n i versität schließlich zu Johannes Hus und denTaboriten gelangt sei. 239 Eine zweite Traditionslinie sah sie in der germanischen Rechtsvorstellung, nach der das R e c h t etwas Heiliges sei, das unabhängig von den Menschen bestehe. Diese germanische Linie wertete sie deutlich stärker u n d bezeichnete sie als „den Ausgangspunkt für die bäuerliche B e z u g n a h m e z u m göttlichen R e c h t " . 2 4 0 Eine U n t e r s c h e i d u n g zwischen altem H e r k o m m e n u n d göttlichem R e c h t sei von den aufständischen Bauern daher auch gar nicht gemacht worden. „Alle Ausdrücke w u r d e n n e b e n u n d durcheinander gebraucht. Sie galten den B a u e r n alle als dasselbe, als das R e c h t an sich." 2 4 1 D i e in Franz' Bauernkriegsmonographie wenig präzise verwendeten Begriffe altes R e c h t u n d göttliches R e c h t waren damit nicht näher definiert, sondern als von ihrer zeitgenössischen Verwendung her nicht zu trennende Begriffe erklärt worden. Franz hatte altes R e c h t u n d göttliches R e c h t selber nie gleichgesetzt. D e n n o c h befand sich Schmidt mit dieser B e u r t e i l u n g nahe an der zentralen These, die Franz u n d Leers ab 1937/38 vertreten hatten: D e r Bauernkrieg stehe in Kontinuität zur germanischen Rechtstradition. D a m i t hatten die im K o n t e x t des Reichsnährstandes entwickelten Thesen Eingang in den traditionellen akademischen Betrieb gefunden. Auch der Frankfurter Bibliotheksrat Adolf Waas 242 (1890-1973) ging 1938 in einem Aufsatz davon aus, dass altes R e c h t u n d göttliches R e c h t für den mittelal-

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Vgl. Schmidt: Das göttliche Recht. Vgl. Schmidt: Das göttliche Recht, S. 22. Vgl. Schmidt: Das göttliche Recht, S. 11-14. Schmidt: Das göttliche Recht, S. 29. Vgl. Schmidt: Das göttliche Recht, S. 30. Vgl. BArch, BDC-Personalakten AdolfWaas.

Der Bauernkrieg

in der akademisch-universitären

Diskussion

terlichen Mensch deckungsgleiche Begriffe dargestellt hatten. Er argumentierte von hier aus jedoch in eine gänzlich andere Richtung als Schmidt. Er sah darin keinen Hinweis auf eine germanische Tradition, sondern eine Erklärung für die Nähe der Aufständischen zu Luther. Die Bauern hätten anfänglich den Abstand zu Luthers rein theologischem Denken nicht gesehen und sich deshalb auf ihn berufen. Waas sah in der Reformation - ähnlich wie Franz 1933 - zwar den Auslöser, nicht jedoch die eigentliche Ursache des Bauernkrieges. 243 Diese sei „in dem wirtschaftlichen und mehr noch in dem sozialen, politischen und geistigen Wachstum der Bauern- und Bürgerschaft [...] zu sehen. [...] Das Ziel ist eine starke, verhältnismäßig freie Lands- und Markgemeinde, und damit ein wohlhabender, sich im wesentlichen selbst regierender Bauernstand unter der Oberaufsicht des Landesherrn." 244 Daher wollte er auch nicht von einer radikalen „Umsturzbewegung" sprechen. Erst das Eingreifen des Schwäbischen Bundes habe die Bauern radikalisiert.245 Dadurch sei eine an sich tragische Situation entstanden: Die „politische Notwendigkeit" sei nämlich auf der Seite der Landesflirsten gestanden. „Denn die Macht, ein [...] neues Kaisertum zu schaffen und zu tragen, besaßen in Deutschland weder die Bauern noch die Bürger noch irgendeine andere Macht, wohl aber Spanien." 246 Damit präsentierte Waas letztlich eine Interpretation im Geiste Rankes. Im Unterschied zu Ranke war Waas jedoch darum bemüht, den Bauernkrieg nicht einfach als „Naturereignis" beiseite zu schieben. Er griff wesentlich auf die Monographie von Franz zurück, die er jedoch als zu wenig „urteilsstark" kritisierte.247 Ahnliche, aber schärfer formulierte Kritik äußerte 1936 auch Hermann Wopfner. Er vermisse bei Franz' Monographie die „systematische Darstellung der Ursachen des Bauernkrieges", die über die „seelische Lage der Bauern gegenüber der Zeitlage" untersucht werden müsste.248 Als Schüler von Oswald Redlich und Karl Lamprecht war Wopfner ein stark der Wirtschaftsgeschichte verpflichteter Historiker, der in den 1930er Jahren zu einem der Protagonisten der völkischen Landesgeschichte wurde. 249 Ahnlich wie Franz verwies er zwar auf den Widerstand der Bauern gegenüber rechtlichen Veränderungen. Er begründete diesen

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Vgl. Waas: Die große Wendung, S. 485-487. Waas: Die große Wendung, S. 472. 245 Waas: Die große Wendung, S. 42. 246 Waas: Die große Wendung, S. 51. 247 Waas: Die große Wendung, S. 458. 248 Vgl. Wopfner: Die Forschung nach den Ursachen, S. 92/98. Dieser Aufsatz erschien in der ersten Ausgabe der .Historischen Zeitschrift' nach dem forcierten und auch von Günther Franz vehement geforderten Wechsel in der Herausgeberschaft der HZ. Auf Druck des OldenbourgVerlags und diverser Fachkollegen, später auch des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie Walter Franks kam es 1935 zur Ablösung des liberalen Friedrich Meinecke als Herausgeber der HZ. Sein Nachfolger wurde Karl Alexander von Müller. Eine seiner ersten Maßnahmen war es, ein regelmäßiges Referat zur .Geschichte der Judenfrage' einzurichten.Vgl.Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft, S. 65-69.Vgl. Kapitel 7. 249 Vgl. Oberkrome:Volksgeschichte, S. 29 und 37. 244

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Widerstand jedoch nicht politisch, sondern mit der bäuerlichen „Anhänglichkeit an Brauch und Sitte". Uber die Forderung, erste solche Erklärungsansätze der Lamprecht-Schule weiterzuführen, kamWopfner 1936 jedoch nicht hinaus. 250 Sein volksgeschichtlicher Ansatz wurde nicht fruchtbar. Dies gilt auch für einen Aufsatz, den er gut vier Jahre später wiederum in der H Z publizierte. Seine Beschreibung des Bauernkrieges liest sich wie eine einseitige Zusammenfassung der Franz'schen Bauernkriegsmonographie: 1525 hätten wohlhabende Bauern für ihr „gutes altes Recht" gekämpft. Wirtschaftliche Not sei dabei nicht ausschlaggebend gewesen. Ihr Ziel sei ein starkes Kaisertum gewesen. Im Unterschied zu Franz bezeichnete Wopfner aber nicht das Handeln der Aufständischen als revolutionär, sondern die Fürsten, „die bei Durchführung des modernen Staatsgedankens über das alte Recht sich hinwegsetzten". 251 Der Einfluss von Franz'Arbeit ist also sowohl bei den Interpretationen von Schmidt und Waas als auch bei Wopfner deutlich. Alle drei nahmen seine Argumentation über die bäuerliche Rechtsvorstellung auf. Allerdings sah darin nur Schmidt eine germanische Tradition. Die Wirkung dieser Interpretationsrichtung auf die akademische Bauernkriegsrezeption muss also doch als eher beschränkt bezeichnet werden. 252 Alle drei Ansätze erklären die Revolution von 1525 somit nicht über den geistesgeschichtlichen Bruch der Lutherreformation, sondern mit dem bäuerlichen Denken des Mittelalters. Nicht alle Historiker folgten aber dieser grundsätzlichen Richtungsvorgabe von Franz. Vor allem zwei Namen sind zu nennen, die trotz der nationalsozialistischen Skepsis gegenüber Christentum und Theologie auch der Reformation große Bedeutung beimaßen — Willy Andreas und Walther Peter Fuchs. Willy Andreas war in den Jahren vor der Machtergreifung' mit Arbeiten zur Bundschuhbewegung an die Offendichkeit gelangt. Sein Fokus auf das frühe 16. Jahrhundert war in jenen Jahren eng verwandt mit demjenigen Günther Franz'. Während ihrer gemeinsamen Jahre an der Universität Heidelberg war es jedoch zu politisch motivierten Gehässigkeiten zwischen den beiden Historikern gekommen. 253 1937 publizierte Andreas einen Aufsatz zum Bauernkrieg, in dem er so250 251 252

253

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Wopfner verwies diesbezüglich auf zwei Arbeiten zur Weistumsforschung von H. Arens und B. Markgraf. Wopfner: Bauerntum, S. 481/485. Eine weitere Erklärung hierfür bietet die Entwicklung in der Rechtsgeschichte selbst: Die germanistische Schule hatte innerhalb der Rechtsgeschichte ihre Vormachtstellung im Laufe der 1930er Jahre verloren. In zeittypischerWeise hielt der Rechtshistoriker Georg Dahm 1943 in der H Z fest: „Die These, es habe die Aufnahme des fremden Rechts die deutsche Volksordnung zerstört oder auch nur dauernd geschädigt, stellt eine unzulässige Vereinfachung dar." Die Rezeption des römischen Rechts sei „weniger die Ursache denn die Folge" der Umbildung der mittelalterlichen Gerichtsverfassung gewesen. Dahm: Zur Rezeption des römischitalienischen Rechts, S. 256/257. Ähnlich wie die agrarromantische Strömung hatte auch die germanistische, antirömische Rechtsgeschichte Ende der 1930er Jahre ihren Zenit überschritten.Vgl. Stolleis: .Fortschritte der Rechtsgeschichte', S. 194. Noch als Franz bereits an der Universität Jena lehrte, meinte er, dass ihm „an Andreas' Meinung nicht das Geringste" liege. Brief Franz an Fuchs, 14. Dezember 1937. UA Hohenheim, N6,1/1/3.

Der Bauernkrieg

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Diskussion

wohl Thesen von Waas und als auch von Franz aufnahm. 254 Übereinstimmung mit diesen beiden Historikern demonstrierte Andreas hinsichtlich der Ursache und der Ziele des Bauernkrieges. Die Erhebung war laut Andreas durch die „Zersplitterung der Herrschaftsrechte und die Unsicherheit ihrer willkürlichen Auslegung" ausgelöst worden. D e m Zeitgeist entsprechend charakterisierte er die oberschwäbischen Zwölf Artikel als ein „Prachtstück für den gesunden, unverbildeten Sinn des gemeinen Mannes". 255 Das Ziel der Massen sei ein „glücklicheres Deutschland mit einem Kaiser an der Spitze" gewesen. 256 Gänzlich anders als Franz und Waas stellte Andreas aber das Verhältnis von Reformation und Bauernkrieg dar. Die R e volution von 1525 sei nicht durch die gegenteiligen Interessen der Aufständischen und der Landesfursten begründet gewesen, sondern durch das Zusammengehen von Reformation und bäuerlicher Revolution entstanden. Luthers Kampf sei den Bedrückten zum Ansporn geworden und in der Bibel hätten sie einen „guten Teil ihrer Forderungen" begründet gefunden. „Dem Bedrängten [...] ging ein höherer Leitstern auf - das Evangelische Recht". 2 5 7 Andreas brachte den bäuerlichen R e kurs auf das göttliche R e c h t also in direkte Verbindung zur Lutherreformation. Damit setzte er sich nicht nur von der Sichtweise von Franz, Leers, Waas oder Wopfner ab, sondern relativierte sogar seine eigene frühere Position. 258 Einen engen Zusammenhang von Reformation und Bauernkrieg glaubte auch der Franz-Schüler Walther Peter Fuchs (1905-1997) zu erkennen. 2 5 9 Besonders deutlich zeigt sich dies in einer Publikation, die ursprünglich in den Händen von Günther Franz gelegen hatte: dem zweiten Band der ,Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland'. 260 Franz hatte 1934 den ersten Band dieser Publikationsreihe herausgegeben. Den zweiten Band hatte er - respektive die für die Reihe verantwortliche Sächsische Kommission fur Geschichte - später seinem früheren Mitarbeiter Walther Peter Fuchs anvertraut. 261 Franz begleitete die Entstehung des Bandes zwar mit aufmerksamem Blick, schließlich trug der Band jedoch deutlich Fuchs' Handschrift. 262 254

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Andreas: Der deutsche Bauernkrieg. Bereits im Jahr zuvor hatte Andreas ein dünnes, für ein breites Publikum geschriebenes Bändchen über den Bundschuh publiziert. Andreas: Die Bauernverschwörung am Oberrhein. Diese Veröffentlichung ist sehr ereignisgeschichtlich gehalten und einzig als weiteres Zeichen für die Popularität der Bauernbewegung von Bedeutung: 1939 folgte bereits die zweite Auflage. Andreas: Der deutsche Bauernkrieg, S. 331. Andreas: Der deutsche Bauernkrieg, S. 327/328. Andreas: Der deutsche Bauernkrieg, S. 329. Noch 1932 hatte Andreas in .Deutschland vor der Reformation' eine andere Wertung vorgenommen: Dort erklärte er den bäuerlichen Rekurs auf das göttliche Recht mit den Lehren Wiclifs und der hussitischen Bewegung.Vgl. Kapitel 3.3.1. Walther Peter Fuchs hatte sich bei Günther Franz habilitiert. Seine Promotion hatte er jedoch wie Franz bei Wilhelm Mommsen geschrieben. Fuchs/Franz: Akten. Walther Peter Fuchs gab auch den dritten Band dieser Reihe heraus. Dieser erschien jedoch erst 1964. Vgl. Briefe Franz an Fuchs vom 29. April 1937 und vom 17. Januar 1938. UA Hohenheim, N6,1/1/3.

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Er sei geneigt, schrieb Fuchs 1938 an Franz, „der R e f o r m a t i o n doch einen größeren Einfluss auf den Bauernkrieg zuzuschreiben, als D u es bisher in Deiner Darstellung und in Deinen Aktenveröffentlichungen getan hast". 2 6 3 Fuchs, der sich später in der B R D insbesondere als Reformationshistoriker einen N a m e n machte, plante das Manuskript in j e n e m Jahr fertig zu stellen. 264 Aufgrund der Kriegsereignisse und der freiwilligen Kriegsteilnahme von Fuchs verzögerte sich die Publikation aber bis ins Jahr 1942. 265 An seinem Anliegen, Reformation und Bauernkrieg in einem engen Zusammenhang zu interpretieren, änderte diese Verzögerung jedoch nichts. Am deutlichsten kommt die Differenz zu Franz in der von Fuchs verfassten Einleitung des Aktenbandes zum Ausdruck. Ahnlich wie Franz hörte auch Fuchs in den bäuerlichen Beschwerden nicht ein Klagen über Lasten und Pflichten, sondern über die Unsicherheit von R e c h t und Maß. Die fehlende Stabilität hatte ihre Ursache laut Fuchs nicht im politisch-rechtlichen Feld, sondern in der ökonomischen Entwicklung. Das alte Herkommen sei nämlich nicht von den Landesherren, sondern von den adligen Zwischeninstanzen verletzt worden. Diese hätten sich vor dem Hintergrund der anwachsenden Städte genötigt gesehen, „zu neuen, kapitalistischen Wirtschaftsformen überzugehen. Sie ließen es nicht mehr dabei bewenden, in ihrer Wirtschaft allein den Bedarf des eigenen Haushalts zu decken, sie stellten sich auf die Erzeugung von Überschüssen und damit auf Gewinn ein". Dies sei jedoch nur über erhöhte Abgaben und Dienste und entsprechenden D r u c k auf die Bauern möglich gewesen. 266 Durch Luthers Konzept des allgemeinen Priestertums habe die bäuerliche Arbeit nun plötzlich eine dem Mittelalter unbekannte Wertschätzung erhalten. 267 Der Bauer sei zur Idealgestalt des schaffenden Menschen geworden und habe dadurch neues Selbstbewusstsein erhalten. Diese beiden Aspekte bildeten laut Fuchs die Grundlage der Revolution von 1525. „Der Bauernkrieg ist wie jede echte Revolution nicht allein aus wirtschaftlichen Voraussetzungen, sondern aus einem neuen Glauben zu verstehen." 268 In Günther Franz'Veröffentlichungen der 1930er Jahre war der Bauernkrieg zunehmend zu einer germanischen Revolution geworden, deren ideelle Kraft den ewigen Werten des deutschen Volkes entsprang. Fuchs betonte nun jedoch das schöpferische Potenzial und die gesellschaftliche Progressivität der reformatorischen Umbrüche. Auch Fuchs glaubte, dass die aufständischen Bauern Luther ,fleischlich' und damit falsch interpretiert hätten. Es wies jedoch auch daraufhin,

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Brief Fuchs an Franz, 22. Februar 1938. U A H o h e n h e i m , N 6 , 1 / 1 / 3 . Vgl. Brief Fuchs an Franz, 21. Juli 1938. UA H o h e n h e i m , N 6 , 1 / 1 / 3 . Vgl. Brief Franz an philosophisch-historische Fakultät der Universität Hamburg, 20. D e z e m ber 1941. UA H o h e n h e i m , N 6 , 1 / 1 / 3 ; BArch, R 4901, 13263, Personalblatt Walther Peter Fuchs. Fuchs: D e r Bauernkrieg, S. XVIII. Besonders prägnant wird dieser Z u s a m m e n h a n g in d e m von Luthers Bibelübersetzung geprägten Begriff des Berufs. „Arbeit wird damit nicht m e h r primär als Sünde und Fluch, sondern als Gottesdienst interpretiert." Vgl. Blickle: Die Reformation, S. 55-57. Fuchs: D e r Bauernkrieg, S. XXIII.

Der Bauernkrieg in der akademisch-universitären Diskussion dass Luther anfänglich durchaus auf „praktische R e f o r m e n " abgezielt habe. In ein e m Brief an G ü n t h e r Franz verdeutlichte er diese Sichtweise. „Die Schrift an den Adel zeigt, wie stark Reformgedanken in ihm [Luther, Im] gearbeitet haben. Die ganze Breitenwirkung wäre wohl nicht zu erklären, vor allem nicht das tragische Missverständnis der Bauern, w e n n er so eindeutig nur in sich gegangen wäre. Die Wittenberger U n r u h e n u n d der Bauernkrieg bedeuten fur ihn erst die große Wende". 2 6 9 D e n mitteldeutschen Teil des Bauernkrieges — also den eigentlichen G e g e n stand der Quellensammlung — wertete Fuchs nicht als eigenständige Bewegung, sondern als letzten Ausläufer der U n r u h e n im Südwesten. In Müntzer sah er ein e n fanatischen Schwärmer u n d letztlich unpolitischen Führer. Er äußerte die Vermutung, dass Luther seine radikale Haltung gegenüber den Bauern aus seiner B e g e g n u n g mit den von M ü n t z e r angeführten H a u f e n entwickelt habe. Seine Schrift ,Wider die mörderischen u n d räuberischen R o t t e n der Bauern' wertete er zwar als ein „furchtbares Manifest", aber: „Es ist die Tragik des Bauernkrieges, dass Luther damit dem deutschen Staat einen größeren Dienst leistete als die u m ihre Freiheit kämpfenden Bauern." 2 7 0 N i c h t dieses fast wörtlich an R a n k e angelehnte Fazit macht die B e d e u t u n g von Fuchs' Einleitung zu dem Quellenband aus. Es ist vielmehr seine neuartige Erklärung über die tieferen Ursachen des Aufstandes. Fuchs kombinierte die wirtschaftlich-soziale Entwicklung (Verstädterung, aufkommender Kapitalismus) mit theologisch-geistigen S t r ö m u n g e n der Zeit (Luthers Arbeitsbegriff, W e r t schätzung des Bauern). Damit zeichnete er ein Bild des Bauernkrieges, das er e m pirisch zwar nur bedingt belegte, das aber d e n n o c h Uberzeugungskraft in sich trug. D e r R e f o r m a t i o n wies er somit die Funktion zu, den Bauernstand aus der jahrhundertelangen gesellschaftlichen Marginalisierung befreit zu haben; sie war die notwendige geistige, theoretische Vorarbeit für die praktische, gesellschaftliche R e v o l u t i o n . Von e i n e m ewigen völkischen Ideal ging Fuchs nicht aus; schon näher kam er dagegen einem marxistischen Revolutionskonzept mit einer E n t wicklungsfolge von Praxis-Theorie-Praxis. Dass Fuchs eine materialistische Bauernkriegsinterpretation anstrebte, kann ausgeschlossen werden. Bemerkenswert ist die angesprochene Verwandtschaft dennoch u n d dürfte vor allem in Hinblick auf die spätere marxistische R ü c k e r o b e r u n g des Bauernkrieges in der Sowjetunion u n d der D D R von Bedeutung sein. Walther Peter Fuchs gelang mit seiner Interpretation auch ein neuer U m g a n g mit dem ,Führerproblem' des Bauernkrieges. Er bewertete das eigentliche Anliegen der Bauern, das Wollen der Massen, als legitim. Gescheitert sei die Bewegung nicht zuletzt deshalb, weil sie dem falschen M a n n gefolgt sei. Damit sprach Fuchs den Aufständischen die Fähigkeit z u m eigenständigen politischen Handeln ab. Implizit erscheint Luther als der eigentlich historisch richtige Führer der Bauern, Müntzer dagegen als der Verführer. 269 270

Brief Fuchs an Franz, l . J u m 1938. U A H o h e n h e i m , N 6 , 1 / 1 / 3 . Fuchs: D e r Bauernkrieg, S. X X X V I .

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Fuchs' Interpretation ermöglicht erstens eine positive Bezugnahme sowohl auf die Bauernbewegung als auch auf den deutschen Reformator Martin Luther. Zweitens nimmt sie dem Bauernkrieg das Odem eines Bürgerkrieges. Vergleichbar mit der Interpretation von Waas führte Fuchs die radikalen Forderungen im mitteldeutschen Raum nicht auf das bäuerliche Wollen, sondern auf die Agitation Müntzers zurück. Die Niederschlagung wird damit zur Pflicht, um der Verfuhrung der Massen Einhalt zu gebieten. Walther Peter Fuchs, der sich wie auch Franz im SD ehrenamtlich der »Gegnerforschung' widmete, 271 zog von hieraus keinerlei Parallelen zur Gegenwart. Seine Argumentation folgte jedoch einem im Nationalsozialismus wohlbekannten Muster. Die Struktur, die Fuchs der bäuerlichen Empörung zuschrieb, glaubte die NS-Propaganda gemeinhin in der sozialen Bewegung des 19. Jahrhunderts zu erkennen: Die proletarischen Massen strebten eigentlich nach gesellschaftlicher Anerkennung und Integration in die Nation. Der internationale Marxismus führte sie jedoch, ihren Unmut aufgreifend, in eine falsche Richtung und spaltete damit das (deutsche) Volk.272 Ob von Fuchs intendiert oder nicht — seine Interpretation des Bauernkrieges barg für den Nationalsozialismus jedenfalls ein beachtliches legitimatorisches Potenzial. Es läge nahe, im Verführer Müntzer eine frühe Luxemburg respektive einen frühen Liebknecht zu sehen und in Hitler den im Gegensatz zu Luther erfolgreichen Volksführer. Die Quellensammlung erschien 1942 — knapp drei Jahre vor dem Ende des ,Dritten Reiches' war es zu spät, als dass Fuchs' Interpretation noch eine solche Rezeption hätte entfalten können. 2 7 3 Allerdings wäre diese wohl auch zu einem früheren Zeitpunkt nur sehr bedingt erfolgt: Es erscheint unwahrscheinlich, dass eine wesentlich auf Luthers Theologie aufbauende Bauernkriegsinterpretation im anti-christlichen ,Dritten Reich' eine dominante Stellung erlangt hätte. Nicht nur Günther Franz' Bauernkriegsarbeiten der 1930er Jahre zeugen eindrücklich von dem Bemühen, die deutsche Geschichte von der christlichen Tradition zu ,reinigen'. Gerade auch die nationalsozialistische Lutherrezeption versuchte, den Reformator aus einer germanischen Tradition zu interpretieren und bezeichnete seine Theologie als einen letztlich unwesentlichen „Mantel". 274 Die Arbeiten von Andreas und von Fuchs betonen beide die Bedeutung der Reformation für den Bauernkrieg. Diese analytische Verbindung war lange Zeit üblich gewesen und noch Anfang der 1930er Jahre etwa von Wilhelm Stolze vehement vertreten worden. Im Unterschied zu Stolzes Arbeit liegt den Interpretationen von Andreas und Fuchs aber kein konfessioneller Blickwinkel zugrunde. 271 272 273

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Vgl. Lerchenmueller: Geschichtswissenschaft, S. 101. Dieses Denken findet sich insbesondere bei Hitler selbst.Vgl. Kroll: Utopie als Ideologie, S. 37. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Rezension von Hermann Wopfner. Er nannte Walther Peter Fuchs' Einleitung beachtenswert, kritisierte jedoch Fuchs' Einschätzung, dass die Bauern erst durch Luthers Theologie zu Wertschätzung gekommen seien. Somit spiegelt diese Kritik vor allem Wopfners heroisierenden Blick auf das Bauerntum. Vgl. Wopfner: Rezension (1943). Vgl. Kapitel 4.5.

Versuche der Re-Politisierung: Die Reformation in neuem Licht Ansonsten bilden sie j e d o c h kaum eine Einheit - obwohl beide Historiker der nationalsozialistischen Herrschaft loyal gegenüberstanden. Waither Peter Fuchs kann sogar als engagierter Nationalsozialist bezeichnet werden. Auch von parteiamtlicher Stelle w u r d e Fuchs i m m e r als „verantwortungsbewusster" Wissenschafder eingeschätzt. 275 Die auf den letzten Seiten vorgestellten Arbeiten zum Bauernkrieg zeigen, dass der Blick auf die Revolution von 1525 weder gleichgeschaltet noch selbstgleichgeschaltet war. Das gilt insbesondere fur Historiker, die d e m .Dritten R e i c h ' wohlgesinnt waren. Gerade das wissenschaftliche Verhältnis von Franz und Fuchs verband freundschaftliche N ä h e , politische U b e r e i n s t i m m u n g u n d inhaltliche Kritik. Publikationen zum Bauernkrieg stellten also keinen ideologisch normierten Bereich dar. N o c h deutlicher zeigt dies eine Veröffentlichung von ausgewählten Schriften Thomas Müntzers durch Michael Freund (1902-1972) von 1936. In der Einleitung bezeichnete Freund, der vor 1933 als marxistischer Studentenführer aktiv gewesen war u n d sich später bei Gerhard Ritter habilitierte, 276 Müntzer als einen großen Geschlagenen, der für Deutschland eine „historische Alternative" bedeutet habe. Hätte sich die bäuerliche Bewegung national zusammengeschlossen, so wäre „wahrscheinlich T h o m a s M ü n t z e r ein nationales F ü h r e r t u m zugefallen". 2 7 7 M ü n t z e r habe eine große R e v o l u t i o n des Abendlandes verkörpert, u n d zwar „die Revolution gegen die rationale Kultur". Außergewöhnlich an dieser Interpretation Freunds ist nicht, dass er den Bauernkrieg als ,historische Alternative' bezeichnete, sondern dass er Thomas Müntzer als positive Zentralfigur wertete. Somit verortete Freund auch die geistigen Traditionen der Revolution von 1525 anders. Er verwies auf den Einfluss von Spiritualisten wie Joachim von Fiore auf M ü n t z e r u n d nannte diesen einen Vorgänger von Bakunin u n d E n gels. 278 Von dem hier offenbar werdenden publizistischen Spielraum sollte jedoch nicht auf eine generell liberale Wissenschaftspolitik des Nationalsozialismus geschlossen werden. Dies zeigt gerade auch der ,Fall' Michael Freund: Aufgrund seiner politischen Einstellung wurde er 1938 v o m Ministerium in Berlin von sein e m Lehrstuhl entfernt. 2 7 9

4.5 Versuche der Re-Politisierung: Die Reformation in neuem Licht In den Weimarer Jahren hatten Historiker wie Gerhard Ritter und Günther Franz auf eine analytische Trennung von R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg gepocht. Von Seiten der Bauernkriegshistoriker w u r d e dieses Ergebnis in den 1930er Jahren 275 276 277 278 279

Vgl. B A r c h . N S 15,238. Vgl. Brief Ritter an Stadelmann, 30. Mai 1938. BArch, Ν 1183, 14. Freund: Thomas Müntzer, S. 12. Freund:Thomas Müntzer, S. 14—16. Vgl. Winterhager: Bauernkriegsforschung, S. 112.

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mehrheitlich bestätigt. Fraglich ist nun, ob auch die Reformationshistoriker diese Trennung beibehielten, oder ob sie - wie beispielsweise Willy Andreas - in den beiden Ereignissen eine gemeinsame Bewegung hin zu einem nationalen Kaiserreich sahen. Gerade in einer solchen Interpretation wäre auch ein gewisses Legitimationspotenzial für das ,Dritte R e i c h ' gelegen. I m nationalsozialistischen Deutschland erschien keine Monographie zur R e f o r m a t i o n , die von ihrer W i r k u n g her mit G ü n t h e r Franz' Bauernkriegsstudie vergleichbar wäre. U m eine Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand kam die deutsche Geschichtswissenschaft aber auch zwischen 1933 u n d 1945 nicht herum. D e r Blick der nationalsozialistischen Führungsriege auf die R e f o r m a t i o n war keineswegs einheitlich. Hitler verglich seine historische G r ö ß e gerne mit degenigen Bismarcks, Friedrichs II. oder auch Luthers. 2 8 0 Eine ganz andere Bew e r t u n g w i d e r f u h r d e m R e f o r m a t o r dagegen etwa durch Propagandaminister Joseph Goebbels: „Ein Halber" sei der Wittenberger R e f o r m a t o r gewesen, der „erste religiöse Liberalist", der „nichts hinterließ als ein religiös gespaltenes Volk". 2 8 1 Entscheidender als vereinzelte Aussagen von NS-Protagonisten dürfte jedoch der gesellschaftliche U m g a n g mit Luther und der R e f o r m a t i o n im Nationalsozialismus gewesen sein. Bevor auf die wissenschaftliche Rezeption eingegangen wird, widmet sich dieses Kapitel daher dem Lutheijahr 1933 u n d den Ideologisierungsversuchen in der Publizistik.

4.5.1 Das Lutheqahr 1933 Im Jahr der nationalsozialistischen . M a c h t e r g r e i f u n g ' j ä h r t e sich der Geburtstag des Reformators Martin Luther zum 450. Mal. Konservative Kirchenkreise waren dem Parlamentarismus u n d der Demokratie schon zu Weimarer Zeiten skeptisch gegenübergestanden und hatten Luther gerne als Garant gegen den Sowjet-Kommunismus gepriesen. Als im Frühjahr 1933 in den Lutherstädten Eisleben, Erfurt u n d W i t t e n b e r g die ersten Vorbereitungen zur Feier des Jubiläums einsetzten, standen diese aber nur bedingt in einem politischen Kontext.Vielmehr hofften diese Ortschaften, mit Veranstaltungen zu Ehren des Reformators den Fremdenverkehr ankurbeln zu können. Im Mai 1933 trat j e d o c h die nationalsozialistisch orientierte Glaubensbewegung der ,Deutschen C h r i s t e n ' in Aktion. U b e r die Presse w u r d e darüber informiert, dass der 450. Geburtstag Luthers in ganz Deutschland als „Luthertag" begangen werde. „Große Kundgebungen unter den Fahnen der Kirche u n d unter d e m Hakenkreuzbanner" wurden für die Feierlichkeiten am 10. N o v e m b e r versprochen. H i n d e n b u r g u n d der wenig später z u m Reichsbischof ernannte Ludwig Müller sollten die Schirmherrschaft ü b e r n e h men, ins Ehrenpräsidium w u r d e n die Reichsminister Blomberg, Frick, Göring, 280 281

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Vgl. Kroll: Utopie als Ideologie, S. 67 und Kershaw: Hitler (I), S. 237. Vgl. Goebbels:Tagebücher, S. 265 (Eintrag vom 16. September 1928).Vgl. auch Kroll: Utopie als Ideologie, S. 67; Kershaw: Hitler (I), S. 259 und 283.

Versuche der Re-Politisierung: Die Reformation in neuem Licht N e u r a t h u n d Seldte berufen. Trotz dieser prominenten Liste kollidierte die Planung des Luthertages bald mit der politischen Agenda der Nationalsozialisten: A m 14. O k t o b e r gab Hitler den Austritt aus dem Völkerbund u n d das Verlassen der Abrüstungskonferenz bekannt. Diese außenpolitischen Schritte sollten durch eine Volksabstimmung und .Neuwahlen' legitimiert werden, die auf den 12. N o v e m ber angesetzt wurden. 2 8 2 Die Tage davor, dies wurde bald klar, würden durch p o litische Propagandaveranstaltungen geprägt werden. Eine Verschiebung des Luthertages u m gut eine Woche auf den 19. November war die Konsequenz. 2 8 3 Das Interesse der neuen Machthaber am Luthertag war offensichtlich gering. Die Organisatoren reagierten darauf mit einer noch stärkeren Politisierung der geplanten Veranstaltungen. Ludwig Müller entwarf nun das Konzept einer K u n d gebung, die die „Errettung unseres Volkes durch unseren Führer Adolf Hitler als ein Geschenk aus Gottes H a n d " preisen sollte. 284 Nationale Ausstrahlung konnte der Luthertag trotzdem nicht mehr erlangen. Auf lokaler Ebene fanden schließlich eine Vielzahl politisch aufgeladener Jubiläumsveranstaltungen statt. Die U n i versität Halle-Wittenberg wurde im Herbst 1933 zur Martin-Luther-Universität u m b e n a n n t u n d die erwähnten Lutherstädte ließen es sich nicht nehmen, ihren Luther ausgiebig zu feiern. 2 8 5 In Eisleben etwa w u r d e bereits im August eine ganze Lutherfestwoche veranstaltet. Trotz der ursprünglich eher ökonomischen Motivation waren die Feiern nicht frei von politischen Bezugnahmen zur Gegenwart. Die angebliche Parallele zwischen Luther u n d Hitler respektive zwischen der Reformation und der „großen nationalen Wende" von 1933 war ein häufiges Motiv in den R e d e n der lokalen Politiker u n d kirchenpolitischen Aktivisten. In Eisleben wies etwa der Preußische Kultusminister R u s t auf die Verwandtschaft zwischen den Taten Luthers u n d Hitlers hin. 2 8 6 Siegfried Bräuer weist j e d o c h nach, dass die Feiern generell w e d e r durch Vorgaben der h o h e n Politik n o c h durch die U n i f o r m e n der SA und SS maßgeblich geprägt wurden. 2 8 7 Insbesondere die Deutschen Christen sahen den Luthertag als gute Gelegenheit an, ihre Loyalität mit dem neuen R e g i m e zu demonstrieren. Umgekehrt war die nationalsozialistische Staats- u n d Parteispitze aber nicht daran interessiert, daraus einen legitimatorischen Großanlass zu machen. Eine nationale B e d e u t u n g wurde dem Tag nicht zuerkannt u n d so kam er nicht über die bereits erwähnten lokalen Ereignisse hinaus. Durch die Völkerbundsabstimmung war der Luthertag 282

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95,1 % der bei der Volksabstimmung abgegebenen gültigen Stimmen sprachen sich für den Austritt aus dem Völkerbund aus, was einer Zustimmung von 89,9% der Stimmberechtigten entsprach. Bei der Reichstagswahl entfielen 92,1 % der Stimmen auf die Einheitslisten der NSDAP. Dies war ein Anteil von 87,8% der Stimmberechtigten. Vgl. Winkler: Der lange Weg (II), S. 31. Vgl. Brauer: Der .Deutsche Luthertag 1933', S. 424. Vgl. Bräuer: Der .Deutsche Luthertag 1933', S. 428. Vgl. Eberle: Die Martin-Luther-Universität, S. 49/50. Vgl. Gründler: Das Lutherjahr, S. 321. Gründler problematisierte jedoch diese Gegenüberstellung: Luthers Sendung sei ausschließlich kirchlich gewesen, wogegen sich Hitler gerade nicht als religiösen Reformator sehe. Vgl. Bräuer: Lutherfestwoche, S. 443-451.

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in eine negative Dynamik geraten, die sich nicht mehr aufhalten ließ. Denn auch an dem Ausweichdatum des 19. November konkurrenzierten verschiedene Parteiveranstaltungen die Jubiläumsfeierlichkeiten. Die NSDAP und selbst Hitler persönlich hatten versichert, die Feiern zu Ehren des Reformators könnten ungestört stattfinden. Schließlich wurden sie aber durch den gleichentags stattfindenden Werbetag der Hitler-Jugend für das Winterhilfswerk in den Schatten gestellt. In den meisten Städten beschränkte sich der Luthertag nun auf Abendveranstaltungen. 288 Die neuen Machthaber bemühten sich 1933 nicht um den ,deutschen Luther' und verzichteten auf seine politische Integrationskraft. Als Bündnispartner gegen den „gottlosen Kommunismus" waren die Kirchen der NSDAP jedoch genehm. ,Von Luther zu Hitler' wurde so zu einer weit verbreiteten Formel, die implizit auch ,Mit Luther gegen Lenin' meinte. Der in Erlangen lehrende Theologe Paul Althaus brachte dies anlässlich eines Festvortrages präzise zum Ausdruck. Er sah sich von Lutherfeiern „umrauscht" und bemerkte: „Lasst die Lutherfeiern nur auf die Straßen gehen - besser, dass Luthers Name dort erklingt als Lenins!". 2 8 9 Damit war eine asymmetrische Situation entstanden: Von der NSDAP eher schlecht als recht geduldet, bemühten sich protestantische Kirchenkreise teilweise sehr intensiv um eine Politisierung des Reformators und seiner Theologie. 2 9 0 Paul Althaus war einer der Theologen, der seine wissenschaftliche Arbeit nach 1933 am stärksten auf die neue politische Ordnung ausrichtete. 291 Unter den Kirchen- und Reformationshistorikern kam diese Rolle insbesondere Otto Scheel (1876-1954) zu. Auch er nutzte das Jubiläumsjahr, um einer breiten Öffentlichkeit eine Lutherinterpretation im Geiste der neuen politischen Ordnung zu präsentieren. Beachtenswert ist insbesondere ein Festvortrag, den der Kieler Historiker und Leiter der prosopographischen Abteilung der Preußischen Kommission zur Erforschung der Reformation und Gegenreformation 292 1 933 an der Kieler Universität hielt und der im Jahr darauf publiziert wurde. Hier entwickelte er eine Argumentation mit großer legitimatorischer Wirkung fur die sich etablierende NS-Herrschaft, auf die er auch Jahre später noch zurückgriff. Scheel argumentierte implizit von Karl Holl aus. Dieser hatte rund 20 Jahre zuvor betont, dass Luther seine Theologie auf seinem eigenen Gewissen aufgebaut

Vgl. Bräuer: Lutherfestwoche, S. 429. Althaus: Luther, S. 353. 290 Yg] pj e }j] : ]3 i e Kirchen, S. 161/162. Die stärkste Wirkung verbreitete die Formel ,Von Luther zu Hitler' in einer später in einem schmalen Bändchen zusammengefassten Artikelserie des Kirchenhistorikers Hans Preuß. Wie Althaus lehrte auch Preuß an der Universität Erlangen. Vgl. Hans Preuß: Luther und Hitler, Neuendettelsau 1933. Zuerst in: Allgemeine Evangelische Kirchenzeitung 66 (Nr. 42 und 43/1933), S. 9 7 0 - 9 7 3 und 994-999. Preuß: Luther und Hider. Vgl. auch Bräuer: Lutherfestwoche, S. 4 5 0 / 4 5 1 . Umfassende Angaben zur Jubiläumsliteratur finden sich etwa bei Steinmetz: Das Lutherbild, S. 98/99. 291 Vgl. auch Kapitel 4.6.3. 292 Die Arbeit an der Prosopographie begann 1921. Die Kommission kann als institutioneller Niederschlag der ,Lutherrenaissance' im frühen 20. Jahrhundert angesehen werden. 288

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habe. Scheel legte nun Wert darauf, Luther nicht als Individualisten zu verstehen. Für Luther sei der Glaube nicht im Individuum, sondern im „alle und alles lenkenden ewigen Willen" verhaftet gewesen. 293 Damit, so bemerkte Scheel in den Fußnoten, sei der germanische Schicksalsglaube auf höchste religiöse Höhe gehoben worden. Träger dieses ewigen Willens sei laut Luther das Volk; die Volksgemeinschaft erscheint als eine Schöpfung Gottes. Besonders prägnant drücke sich Luthers Volksverständnis in seiner Auseinandersetzung mit Sprache und Recht aus. Laut Scheel hat Luther den „Anspruch des Volksrechts" höher bewertet als das angeblich universale römische Recht und das „rationale Gebilde des Naturrechts", die beide nur der menschlichen Vernunft entsprängen. 294 Diese Etikettierung des römischen Rechts und des Naturrechts als rationale und damit dem Volk fremde Gebilde ist eng verwandt mit der gleichzeitig einsetzenden, rechtshistorischen Interpretation des Bauernkrieges. Johannes von Leers oder wenig später auch Günther Franz sahen in der Revolution von 1525 einen Abwehrkampf gegen das fremde römische Recht und für das (germanische) Volksrecht. Scheel versuchte also anlässlich des Lutheqahres 1933 im Denken des Reformators dieselbe Zielrichtung nachzuweisen. Anders als die Bauernkriegshistoriker interessierte er sich jedoch nicht für die Rechtssubstanz an sich, sondern für deren Zustandekommen und die Frage, welche Rechtsgenese Luther als legitim anerkannt habe. Für Luther sei das Recht des Volkes ebenso eine Schöpfung Gottes gewesen wie das Volk selber. Dieses Recht könne jedoch „wie jede Schöpfung krank" werden. 295 Dann würden Recht und Gerechtigkeit auseinander klaffen und es bedürfe der Gott gegebenen Fähigkeit eines Einzelnen, heroisch einzugreifen. Nur in diesem Handeln habe Luther „natürliches Recht" gesehen: Es sei die „schöpferische Weisheit begnadeter Personen, die den Umständen ihrer Zeit, ihres Amtes und ihres Landes gemäß Recht schaffen". 296 Otto Scheel sah in Luthers Denken also eine Legitimierung für das heroische Handeln eines Einzelnen, der sich über eine „krank" gewordene Rechtsordnung hinwegsetze. „Der Heros, .berufen' und .inspiriert' durch den Herrn, der allein die .Ausnahme' bestimmt und die Vollmacht zum Handeln erteilt, ist .Knecht' des unergründlichen ewigen Willens und darum Werkzeug des heiligen und gerechten Willens", fasste Scheel Luthers Schrift ,de servo arbitrio' zusammen. 297 Scheel schilderte Luther als eine Persönlichkeit enormer Größe, die ihr Gewissen über den moralischen Gehorsam gestellt und damit die „Führerlosigkeit und Auslieferung ganz Deutschlands an reichsfremde Gewalten und Zwecke" verhindert habe. 298 Also könne Luther kein Vorwurf für die konfessionelle Spaltung Deutschlands gemacht werden; vielmehr sei es sein Ziel gewesen, das deutsche 293 294 295 296 297 298

Scheel: Evangelium, S. 14. Die publizierte Version ist eine erweiterte Fassung des vorgetragenen Manuskriptes. Scheel: Evangelium, S. 51-55. Scheel: Evangelium, S. 57. Scheel: Evangelium, S. 55/56. Scheel: Evangelium, S. 72. Scheel: Evangelium, S. 73.

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Volk zur Gemeinschaft zusammenzufuhren. 299 „Auf dem Volk liegt die Verantwortung. Es kann nicht murren oder klagen, dass ihm ein Genius geboren wurde. Es wird nur vor die Entscheidung gestellt, ihn anzunehmen oder abzulehnen. Im Ja und Nein sind Segen und Leid beschlossen." 300 Scheel führte seine Gedanken nicht explizit in die Gegenwart, aber die Verwandtschaft seiner Interpretation zur nationalsozialistischen Staatsrechtslehre ist dennoch nicht zu übersehen. Eine besondere Nähe ergibt sich zum Denken Johannes Heckeis. Dieser rechtfertigte das Ermächtigungsgesetz 1933 mit der B e merkung, das „Führeramt" sei „überhaupt durch keine irdische Instanz an Adolf Hitler übertragen worden, sondern durch j e n e höhere Macht, welche die Geschicke der Völker lenkt". 3 0 1 Auch zum bekanntesten Staatsrechtslehrer der N S Zeit, Carl Schmitt, existieren klare Parallelen. „Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr Kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar R e c h t schafft", formulierte Carl Schmitt in Reaktion auf die von Hitler angeordneten Morde im Zusammenhang mit dem ,Röhm-Putsch' vom 30. Juni 1934. 3 0 2 Die politischen Bezüge seiner Interpretation brauchte Scheel inmitten der Parole ,Von Luther zu Hitler' nicht näher zu erläutern. Auch ohne die Führerideologie des Nationalsozialismus zu erwähnen, legitimierte er die politische Praxis der NSDAP jenseits von Parlamentarismus und liberalem Rechtsstaat. Die Parallelen zwischen Scheels Luther-Interpretation und Adolf Hitler, der nach der Machtergreifung' die „kranke" Weimarer Rechtsordnung Stück für Stück zu demontieren begann, waren offensichtlich. ,Von Luther zu Hitler' war die zentrale Botschaft des Lutherjubiläums 1933. Diese Bezugnahme mag geradezu banal wirken; dennoch ist sie bemerkenswert. Sie ermöglicht einerseits eine theologische Begründung für das politische Handeln Luthers. Andererseits wird die noch junge NS-Herrschaft damit auf zweifache Weise an eine geschichtliche Tradition angebunden: erstens an die Figur Martin Luther und zweitens an die Geistestradition des 19. Jahrhunderts. ,Von Luther zu Hitler' ist die aktualisierte Fassung der im Kaiserreich populären Losung ,Von Luther zu Bismarck'. 303 Sie nahm somit nicht nur den im politischen Durcheinander der Weimarer Republik oft geäußerten Wunsch nach einem „Führer" auf, sondern suggerierte auch die Rückkehr zu der 1918 verlorenen Geborgenheit historischer Normalität. Die Weimarer Republik wird so zum Intermezzo, gewissermaßen zu einem Störfall der deutschen Geschichte. 299 300 301

302 303

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Vgl. Scheel: Evangelium, S. 60-62. Scheel: Evangelium, S. 73. Zitiert nach Dreier: Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, 1. Bericht, in: Ders./Pauly, Walter: Die deutsche Staatsrechtslehre, S. 23. Zitiert nach: Rüthers: Entartetes Recht, S. 122. Max Lenz hatte 1920 eine Aufsatzsammlung mit ,Von Luther zu Bismarck' betitelt. Mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs sei eine einheitliche Epoche zum Abschluss gekommen, schrieb er im Vorwort. Was Luther gewollt und Bismarck verwirklicht habe, sei seit dem N o vember 1918 durch den „staatlichen und sittlichen Niederbruch" von der Gegenwart getrennt. Vgl. Kapitel 2.

Versuche der Re-Politisierung: Die Reformation in neuem Licht Damit schließt Scheels Lutherbild an Interpretationen der Weimarer Zeit an, die unter Verweis auf Luthers Denken gegen das liberale Staatsverständnis gerichtet waren: Der Staat dürfe nicht als Produkt eines rechtlichen Vertrages, sondern als gottgewollte und damit natürliche Ordnung angesehen werden. 304 Das von Otto Scheel 1933 vorgetragene Lutherbild kann daher nur bedingt über die sich etablierende NS-Herrschaft begründet werden. Oder anders formuliert: In den Weimarer Jahren waren Interpretationen entstanden, die als Prädisposition für eine Interpretation im Sinne des Nationalsozialismus dienen konnten. Im Lutherjahr 1933 standen sie nun in einem neuen politischen Kontext. Strahlten sie nach 1918 eine Glorifizierung des zusammengebrochenen Kaiserreichs aus, wurde daraus 1933 eine Legitimation für die neue Diktatur. 305 Das Lutheijahr 1933 hat also die Anschlussfáhigkeit der reformationsgeschichtlichen Arbeiten der Zwischenkriegszeit an die neue politische Ordnung gezeigt und die Zustimmung großer christlicher Kreise zum Nationalsozialismus deutlich gemacht. Die Reformation und ihr Protagonist Luther boten sich damit als ideale Legitimationsobjekte an. Das verhaltene Echo der Parteigremien auf den Luthertag zeugt jedoch von einem nur bedingten Interesse an diesem Potenzial: Als Theologe und Kirchenmann war Martin Luther für die nationalsozialistische Führungsriege kaum eine völkische Lichtgestalt.

4.5.2 Luther als germanischer Revolutionär Die kritische Distanz zu Theologie und Kirche prägte die NS-Herrschaft auch nach dem Lutheijahr 1933. Mit seinem klar negativen Luther-Bild war Goebbels dennoch eine Ausnahme. Grundsätzlich galt Luther dem Nationalsozialismus als unproblematische Figur. 306 Trotz der antikirchlichen Propaganda vieler N S - O r ganisationen wurde seine historische Wirkung meist positiv gezeichnet. 307 Dies gilt selbst für den Machtbereich von Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich — zwei NS-Protagonisten, die dem Kirchenkampf besonders verpflichtet

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Vgl. Kapitel 3 . 2 . 1 , insbesondere die dort erwähnten Arbeiten von Günther Holstein und Arnold Berger. Und auch in Max Lenz' und Gerhard Ritters Arbeiten aus den 1920er Jahren erschien Luther als deijenige, der aus der Kraft seines Genius zum Vorkämpfer der deutschen Nation und des deutschen Geistes geworden ist. Vergleichbares konstatiert Berndt Hamm für die universitäre Theologie. Laut Hamm ist beispielsweise die positive Bezugnahme des Theologen Hanns Rückert auf den Nationalsozialismus durch das Denken seines Lehrers Karl Holl gewissermaßen vorbereitet worden. Hatte Holl im gewalttätigen Ringen des Ersten Weltkrieges einen Kampf um Gottes Schöpfungsordnung gesehen, interpretierte Rückert den stürmischen Umbruch von 1933 mit Hilfe eines von gewaltsamer Härte geprägten Gottesbildes. Im Lutherbild der Reformationshistoriker Max Lenz und Otto Scheel fand diese Theologie offensichtlich ihre Entsprechung. Vgl. Hamm: Hanns Rückert.Vgl. auch Kapitel 4.6.3. So auch das Urteil von Wolf: der Nationalsozialismus habe die Reformation grundsätzlich positiv gewertet. Wolf: Litteris et patriae, S. 67. Vgl. Hehl: Die Kirchen, S. 163.

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waren. So wird Luther etwa in internem Schulungsmaterial des R S H A als eine der „großen geschichtlichen Persönlichkeiten" gewürdigt. 308 Diese Darstellungen interpretieren Luther nicht als Reformator und schon gar nicht als Christen, sondern als deutschen oder gar germanischen Revolutionär. 309 Diese Sichtweise entsprach in hohem Maße auch derjenigen Alfred Rosenbergs. Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP' bezeichnete sich selbst als Todfeind des Christentums, sah in Luthers Wirken aber den Inbegriff nordischen Abwehrwillens gegen die Dogmen der internationalistischen römischen Kirche. 310 Die R e formation war laut Rosenberg somit Teil des Ringens des germanischen Geistes gegen die christlich-römischen Weltmachtansprüche. Hier setzte Rosenberg mit seiner Forderung nach einer .zweiten Reformation' an. Diese sollte gegen die Amtskirchen beider Konfessionen gerichtet sein und zu einer Germanisierung des Christentums und zu einer Deutschen Nationalkirche führen. 311 Rosenbergs Stellung innerhalb der NSDAP-Führung war zwar eher marginal, mit seiner ambivalenten Haltung gegenüber dem Christentum war er aber alles andere als alleine. 312 Vor diesem Hintergrund erstaunt es kaum, dass in den Parteigremien das Interesse am Reformator auch nach dem Jubiläumsjahr 1933 kaum größer wurde. Der ,germanische' Luther hinterließ nun vor allem in populärwissenschaftlichen Schriften Spuren. Sehr prägnant tritt diese Auffassung etwa in einem Aufsatz des Philosophen und Pädagogen Ernst Krieck zu Tage. 313 Luther nur als Theologen

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313

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Vgl. BArch, R 58, 6553. Das Dokument findet sich in edierter Fassung bei Lerchenmueller: Die Geschichtswissenschaft, S. 270-273. Aufschlussreich ist auch eine kleine Sammlung von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, die bei der Deutschen Arbeitsfront - der Einheitsgewerkschaft des nationalsozialistischen Deutschlands - zum Thema Lutherreformation angelegt worden ist. Auch diese Ausschnitte dienten als Grundlage für den internen Unterricht über die deutsche Geschichte. Eine einheitliche Interpretationslinie ergibt sich aus dieser Sammlung kaum. Der Reformator erscheint wechselweise als nordischer Rebell, dessen rassische Zugehörigkeit weit wichtiger sei als „alles Christliche", das eher „etwas Zufälliges" darstelle [in:,Wille und Macht. Führerorgan der nationalsozialistischen Jugend', 2 1 , 1 . November 1937], oder als „deutscher Revolutionär", der die Germanisierung des Christentums eingeleitet habe [in: ,Reichswacht' Nr. 43, 29. Oktober 1942]. Luther wird zum Bauernsohn, der das deutsche Volk „gegenüber dem Welschen" mit nationalem Empfinden beseelte. ,Reichswacht' Nr. 43, 29. Oktober 1942. Der gemeinsame Nenner dieser Artikel ist klein, aber bemerkenswert. Luther erscheint durchgehend als politischer Held des deutschen Volkes, jedoch nicht als Theologe und Reformator. Vgl. Hehl: Die Kirchen, S. 168. Vgl. Kroll: Utopie als Ideologie, S. 145/146. Vgl. Bollmus: Das Amt Rosenberg, S. 9. Uber Rosenbergs Breitenwirkung ist damit jedoch noch kaum etwas gesagt und sie sollte auch nicht unterschätzt werden. Mit dem ,Völkischen Beobachter' stand ihm zeitweise ein auflagenstarkes Sprachrohr zur Verfugung und seine Schriften und Aufsatzsammlungen erzielten Auflagen, die nach Einschätzung von Kroll nur noch von den Verlautbarungen Hitlers übertreffen wurden. Vgl. Kroll: Utopie als Ideologie, S. 101. Krieck lehrte zwar seit 1934 an der Universität Frankfurt, war jedoch nicht Historiker und daher der Tradition der Reformationsgeschichtsschreibung auch kaum verpflichtet.

Versuche der Re-Politisierung:

Die Reformation

in neuem

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zu beschreiben sei „schlechthin oberflächlich" und komme einer Reduktion seiner Existenz auf seine „Kleider" gleich. Vielmehr müsse Luther als „germanisches Urgestein" gesehen werden, der eine Revolution und Zeitenwende eingeleitet habe. Da das Reich versagt habe, seien die politischen Früchte der Revolution j e doch „unverdienterweise" den Fürsten in den Schoß gefallen. „Andere Bewegungen aber, die sich an der sogenannten Reformation zur Revolution entzündeten wie der Bauernkrieg, sind gescheitert." So stehe allein die Gestalt Luthers „als maßgebende Kraft der Bewegung und der R i c h t u n g über der abendländischen Geschichte der nächsten Jahrhunderte". 3 1 4 Luther sei alleine auf sein Schicksal vertrauend gegen die Welt gestanden und habe somit den zentralen Punkt der germanischen Weltanschauung in sich getragen. „In der nationalsozialistischen Revolution, die eine ganz große Zeitenwende setzt, stehen wir von Angesicht zu Angesicht mit jenem Luther, der den radikalen Durchstoß des germanischen Grundcharakters gegen die gesamte überlagernde Fremdwelt zur Freiheit und zum Sieg des deutschen Glaubens und Gedankens gefuhrt hat." 315 Für die bis dahin von Theologen und Historikern geleistete Forschungsarbeit zur Reformation und Martin Luther hatte Krieck fast nur H o h n übrig. Er kritisierte selbst Autoren wie R u d o l f Thiel (1894-1967) oder T h e o d o r Pauls (1885) 316 , die nicht direkt der akademischen Zunft entstammten und einen deutlich nationalsozialistisch geprägten Blick auf das Thema hatten: Der Naturwissenschaftler R u d o l f Thiel veröffentlichte einem verlegerischen Auftrag folgend 1933/35 eine zweibändige Luther-Biographie und publizierte eine R e i h e von Artikeln zum Thema. 3 1 7 Auch Thiel verwies auf den in Luthers Denken wirksamen germanischen Schicksalsglauben. Z u m germanischen Luther sei Thiel j e doch nicht wirklich durchgebrochen, rügte Krieck, sondern letztlich doch wieder auf dem „schlüpfrigen Boden der Theologie" gelandet. 3 1 8 Dieselbe Kritik äußerte er auch an den drei Bänden „Luther und die J u d e n " des Pädagogen T h e o d o r Pauls. 319 Der Ansatz von Pauls ist denn auch tatsächlich ein theologischer — ist er doch darum bemüht, das antisemitische Denken Luthers in dessen Theologie nachzuweisen. Letztlich wuchs der von Rosenberg oder Krieck heroisierte Luther jenseits von Christentum und Theologie nie über schemenhafte Floskeln hinaus. In der Ahnengalerie des Nationalsozialismus stand der germanische Revolutionär Martin Luther ohne seinen theologischen Kern da. Mehr als ein propagandistischer Holzschnitt blieb dabei nicht übrig. Im Unterschied zur populärwissenschaftlichen Projektion des Führerkults auf Luther blieb die Theologie ein zentrales Element der wissenschaftlichen Lutherrezeption.Von Ranke bis zu Ritter war Lu-

314 315 3,6 317 318 319

Krieck: Luther, S. 265/266. Krieck: Luther, S. 271. Todesjahr unbekannt. Vgl. Thiel: Luther. Krieck: Luther, S. 271. Vgl. Pauls: Luther.

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ther, schon lange bevor es die nationalsozialistische B e w e g u n g u n d das ,Dritte R e i c h ' gegeben hatte, zum deutschen Revolutionär stilisiert worden, welcher der Nation im Kampf gegen die römische Kirche u n d das universale R e i c h den Weg zu sich selbst gewiesen hatte. Der zentrale Punkt in der Argumentation der Historiker war j e d o c h i m m e r das theologische D e n k e n Luthers gewesen. Dies zeigt sich selbst in O t t o Scheels Luther-Vortrag von 1933: Luther wurde dort zwar zur Legitimation autoritärer Herrschaft herangezogen, Scheels Argumentation stütze sich aber ausschließlich auf die lutherische Theologie.

4.6 Die Reformation in der akademischen Diskussion Die Reformationsforschung fand zu keiner Zeit eine vergleichbare Verankerung im NS-System, wie sie etwa das T h e m a Bauernkrieg im Reichsnährstand hatte. Gering waren auch die Spuren, welche die M a c h t ü b e r n a h m e ' in den seit längerem existierenden Institutionen zur Reformationsgeschichte hinterließ. So lassen sich beispielsweise i m ,Archiv f u r R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e ' ( A R G ) , der Z e i t schrift des Vereins für Reformationsgeschichte, weder in der thematischen Ausrichtung noch in der inhaltlichen Präsentation nach 1933 direkte Verschiebungen feststellen. 3 2 0 Beiträge, wie der im letzten Kapitel ausfuhrlich besprochene J u biläumsvortrag O t t o Scheels, waren die Ausnahme — obwohl das A R G bis 1938 unter der Herausgeberschaft Scheels gestanden hatte. Ahnliches gilt etwa für die .Kommission zur Förderung geschichtlicher Forschung über die Zeit der R e f o r mation u n d G e g e n r e f o r m a t i o n ' . Diese ö k u m e n i s c h ausgerichtete Institution, 1917 auf dem H ö h e p u n k t der Lutherheroisierung gegründet, führte ihre Arbeit in der bisherigen R i c h t u n g weiter. Allerdings bekam die Kommission das nationalsozialistische Desinteresse an der R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e auf finanzieller E b e n e zu spüren. 3 2 1 Das Land P r e u ß e n als wichtigster Geldgeber beschränkte seine Z u w e n d u n g e n 1933 nämlich in einer für die Kommission Existenz gefährdende Weise. 322 Infolge der angestrebten Zentralisierung der Geschichtsforschung verloren die Finanzmittel der Länder j e d o c h an Bedeutung u n d die Kommission w u r d e n u n stärker v o m Reichsministerium u n d der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt. 3 2 3 D i e Arbeit an den zentralen Forschungsprojekten konnte daher im bisherigen R a h m e n weitergeführt werden. Z u einer wirklichen Behinderung kam es erst in den Kriegsjahren. Der Kriegsdienst von Mitarbeitern

320

Die meisten Artikel behandelten in völlig unpolitischerWeise Details von Luthers Theologie. Gerhard Ritter kam noch 1941 zur Einschätzung, dass die reformationshistorische Forschung vor allem mit viel ,,minutiöse[n] Einzelfragen" beschäftigt sei.Vgl. Ritter:Weltwirkung, S. 5. 321 Vgl. BArch, R 4901,14 093. 322 Vgl. Forschungsbericht in:Jahresberichte für deutsche Geschichte 9/10 (1933/34), S. 285. 323 V g l Schönwälder: Historiker und Politik, S. 67.

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in der akademischen

Diskussion

sowie Bombenschäden führten ab 1940 zu Verzögerungen und in einer späteren Phase zur Einstellung der Forschung.324 Die relative inhaltliche Gleichgültigkeit des Nationalsozialismus gegenüber der Reformation zeigte sich auch an den Universitäten. Der Repression gegen einzelne Fachvertreter aus politischen und rassischen Gründen stand die vorerst kaum angetastete Lehrfreiheit gegenüber.325 Die geistigen, kirchlichen und politischen Umbrüche des frühen 16. Jahrhunderts blieben eines der zentralen Themen des Geschichtsstudiums.326 Auch Studien zur Reformationszeit und insbesondere zu Martin Luther erschienen nach wie vor in großer Zahl. Allerdings konzentrierten sie sich in starkem Maße auf „antiquarische Details" oder theologischgeistesgeschichtliche Aspekte.327 Diese Tendenz zeigt sich insbesondere im ARG. Die meisten Beiträge behandelten spezifische Aspekte reformatorischer Theologie oder fragten nach der Entstehung eines theologischen Textes. Gesellschaftliche oder politische Themen wurden dagegen nicht behandelt. Selbst Beiträge, die sich Thomas Müntzer widmeten, fokussierten auf dessen Theologie und nicht auf dessen politische Wirkung. 328 4.6.1 D i e Reformation als Volksrevolution Die so genannte ,Lutherrenaissance' hatte ihren Höhepunkt zur Zeit des Ersten Weltkrieges gehabt und damit eigentlich längst überschritten. Auch in den 1930er Jahren war die Reformationsforschung jedoch stark auf Luther fixiert. Diese Fokussierung auf den Wittenberger Theologen verdeckte gleichzeitig andere Aspekte der Reformation. So mag es rückblickend erstaunen, dass die neuen methodischen Ansätze der Volksgeschichte in der Reformationsforschung keine stärkeren Spuren hinterlassen haben. Ein radikaler Perspektivenwechsel, wie ihn Günther Franz Ende der 1920er Jahre hinsichtlich der Bauernkriegsforschung vollzogen hat, ist in der Auseinandersetzung mit der Reformation nicht zu beobachten. Rudolf Stadelmann jedoch entwickelte zumindest einen Ansatz in diese Richtung. Stadelmann war wie Franz im Jahr 1902 geboren worden und hatte sich 1929 an der Universität Freiburg habilitiert. Dort genoss er intensive Unterstützung und Förderung durch Gerhard Ritter, ohne jedoch sein eigentlicher Schüler zu sein.329 In der NSDAP wurde Stadelmann ab 1933 trotzdem als solcher angesehen und deswegen sehr skeptisch beurteilt. „Seine politische Stellung ist [...]

324 325 326 327 328

329

Vgl. BArch, R 4901,14093. Vgl. Kapitel 4.1 und Kapitel 4.6.2. Vgl. BArch, R 58,7167 und 6639. Ritter: Luther (31943), S. 288. Vgl. beispielsweise: O. Clemen: Das Präger Manifest des Thomas Müntzer, in: Archiv für Reformationsgeschichte 30 (1933), S. 73-81 oder: E.Jammers:Thomas Müntzers deutsche evangelische Messen, in: Archiv flir Reformationsgeschichte 31 (1934), S. 121—128. Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 156.

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durchaus Undefiniert u n d undurchsichtig", heißt es in e i n e m G u t a c h t e n der Deutschen Dozentenschaft v o m April 1934. Stadelmann stehe „stark unter d e m Einfluss, w e n n nicht u n t e r d e m D r u c k von Prof. R i t t e r " u n d habe „vielleicht deswegen bisher n o c h nicht den geringsten Anschluss an die Bewegung g e f u n den". 3 3 0 In seiner Zeit als Freiburger Privatdozent entwickelte Stadelmann unter d e m Eindruck Heideggers j e d o c h eine große N ä h e z u m Nationalsozialismus sehr zum Bedauern Gerhard Ritters. 3 3 1 U n d auch Stadelmanns Blick auf die R e formation begann sich damals von demjenigen Ritters abzusetzen. 1934 publizierte er den Aufsatz ,Vom geschichtlichen Wesen der deutschen R e volution'. Zwei Ereignisse fasste er unter diesem Begriff zusammen: einerseits die R e f o r m a t i o n u n d andererseits die Befreiung von N a p o l e o n zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Unterschied zur Französischen, Englischen oder Russischen R e volution gehe die Deutsche Revolution nicht von einer kleinen radikalen Gruppe aus, sondern werde vom ganzen Volk getragen. Daher k o m m e es nicht zu dramatischen Gewaltszenen, es „gibt keinen Bürgerkrieg". 3 3 2 So habe auch der Ursprung der Reformation in der militanten Volksgemeinschaft gelegen, die erst durch diese Revolution zum Bewusstsein einer Nation gelangt sei. D e n Bauernkrieg sah Stadelmann nicht als Teil dieser Deutschen Revolution an - zumindest ließ er ihn u n erwähnt. Diese Sicht schuldete er wohl seiner Definition der Deutschen Revolution als einer unblutigen, nicht in einen Bürgerkrieg mündenden Umwälzung. Die Bedeutung der R e f o r m a t i o n fur die Ausprägung eines deutschen Bewusstseins schätzte Stadelmann also sehr ähnlich ein wie sein Förderer Gerhard Ritter dies in seiner Luther-Biographie tat. Im Unterschied zu diesem glaubte Stadelm a n n jedoch, dass die Revolution des 16. Jahrhunderts am „Schicksal ein R e i c h zu sein", zerbrochen sei. Im Unterschied zu den meisten anderen Historikern seiner Tage definierte Stadelmann mit ,Reich' also keine ideale Größe, sondern orientierte sich am mittelalterlichen Reichsbegriff. Luther habe es versäumt, die r ö mische Kaiserkrone in eine deutsche Königskrone umzuwandeln. Daher kam die staatsbildende Kraft der Revolution laut Stadelmann nur d e m Territorialstaat zu Gute. 3 3 3 Trotz „dem Haß gegen die fremden römisch geschulten Juristen" sei es folglich nicht gelungen, das deutsche Volksrecht zu erneuern. Mit d e m Stakkato „keine deutsche Kirche, kein deutsches Reich, keine deutsche Kunst" formulierte Stadelmann die angeblichen Folgen des Scheiterns u n d bezeichnete das späte 16. J a h r h u n d e r t folglich als eine „der am schlimmsten ü b e r f r e m d e t e n Epoche[n] deutscher Geschichte". 3 3 4

330

331

332 333 334

142

Gutachten der Deutschen Dozentenschaft, Ortsgruppe Freiburg, 26. April 1934. BArch, R 4901,14256. Stadelmann trat 1933 der NSDAP bei, seine Annäherung an den Nationalsozialismus mündete 1936 in seinem Beitritt zur SA. Vgl. Lebenslauf Rudolf Stadelmann von 1941. BArch, ZA 5/87, S. 243; BArch, Ν 1183, 19; BArch, NSDAP-Ortskartei 3200 und Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 172/173 und Faulenbach: Deformation, S. 265. Stadelmann:Vom geschichdichen Wesen, S. 113/114. Vgl. S tadelmann: Vom geschichtlichen Wesen, S. 112/113 Stadelmann: Vom geschichtlichen Wesen, S. 110.

Die Reformation in der akademischen

Diskussion

Stadelmann ging also von einem Revolutionsmodell aus, in dem der Antrieb zur Revolution zwar aus dem Volk kommt, dieses zur Umsetzung seines Wollens jedoch auf einen Anführer angewiesen ist. Einen expliziten Bezug zur Gegenwart, zur nationalsozialistischen Revolution stellte er 1934 nicht her. Dies änderte sich jedoch bald. Zwei Jahre später erschien im Handbuch der deutschen G e schichte ein längerer Beitrag Stadelmanns über ,Das Zeitalter der Reformation'. Der Text folgt der bereits bekannten Interpretationslinie, argumentiert jedoch stärker mit der konkreten politischen Situation zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Das Scheitern der Deutschen Revolution .Reformation' begründete Stadelmann nun mit der politischen Schwäche des Reiches, die mit der Kaiserwahl Karls V. ihren Höhepunkt gefunden habe. Kaum jemand habe die Bedrohung gesehen, die dieser universal orientierte Kaiser für Deutschland bedeutet habe. Trotzdem habe sich das Gefühl verbreitet, dass alles neu werden müsse, und wie durch „ein geheimes Losungswort" sei Luther „fast gegen seinen Willen" als „Führer dieser totalen Revolution in den Vordergrund" geschoben worden. 335 Die römische Kirche bezeichnete Stadelmann als „Ausbeuterin der deutschen Nation". 3 3 6 Damit liegt es nahe, in der Reformation die „deutsche Revolution" zu sehen, eine nationale Bewegung um nationale Einheit. Hierzu habe die Reformation jedoch ein Bündnis mit einer politisch-sozialen Bewegung eingehen müssen. Die erste solche Verbindung sei mit der Ritterschaftsbewegung von Franz von Sickingen entstanden. Nachdem dieser Versuch gescheitert sei, habe die R e formation kurzzeitig mit der Bauernbewegung zusammengefunden. Im Bauernkrieg sei der Glauben an das Reich - nun meinte Stadelmann damit ein deutschnationales Reich — dann definitiv „verblutet". 337 Im Unterschied zu dem bereits besprochenen Aufsatz versuchte Stadelmann in dem Handbuchartikel nun also, den Bauernkrieg in die Deutsche Revolution des frühen 16. Jahrhunderts zu integrieren. Dies gilt jedoch nur für bestimmte Phasen des Bauernkrieges — denn an seiner Definition der „unblutigen" Deutschen Revolution versuchte Stadelmann festzuhalten. Stadelmann wies, nahe an Günther Franz argumentierend, darauf hin, dass der Bauernstand schon länger in Aufruhr gewesen sei und um „altes R e c h t " gekämpft habe. Der Bauernkrieg habe nun darauf gezielt, die lutherische Predigt zu sichern und ein „göttliches R e g i m e n t " zu errichten. „Die Bauern wollten, dass geschehe, was Luther will". 338 Einzig unter dem Einfluss Müntzers hätten die Bauern utopische Forderungen zu stellen begonnen. Und Müntzer sei auch dafür verantwortlich, dass sich Luther schließlich von den Bauern abgewandt habe. „Er [Luther, Im] hat damit, von seinem thüringischen Gesichtskreis aus, die Dinge zu eng, ja falsch gesehen."

335 336 337 338

Stadelmann: Stadelmann: Stadelmann: Stadelmann:

Deutsche Deutsche Deutsche Deutsche

Geschichte, Geschichte, Geschichte, Geschichte,

S. S. S. S.

53-56. 35. 79—82. 85/86.

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Zur deutschen Revolution des 16. Jahrhunderts zählte Stadelmann also nur diejenigen Strömungen im Bauernkrieg, die die Nähe zu Luther suchten. Mit seiner Fehleinschätzung der Bauernbewegung habe Luther jedoch die „bewaffnete Revolution des deutschen Volkes" im Entstehen geknickt. Er trage somit eine schwere Verantwortung vor der Geschichte der Nation. Die Reformation habe er zwar durch seine Parteinahme gegen die Bauern retten können, die R e volution an sich sei damit jedoch gescheitert. In dem Handbuchartikel integrierte Stadelmann den Bauernkrieg so stark in die Reformation wie kein anderer Reformationshistoriker in diesen Jahren. Er war darum bemüht, das Bild einer einheitlichen, aus dem Volk hervorbrechenden Revolution um die deutsche Nation zu entwerfen. Allerdings passt seine Definition der Deutschen Revolution kaum mehr auf seine empirische Beschreibung — und zwar nicht nur wegen der angeblichen Gewaltfreiheit einer solchen Revolution. Die „nationale Revolution der Deutschen", so betonte Stadelmann, denke „nicht egalitär, sondern im ständischen Rahmen". Welches aber waren denn nun die Gegner der aufständischen Bauern? Woran scheiterte der Bauernkrieg? Stadelmann beantwortete diese Fragen nicht. Er wiederholte einzig, dass es in der Deutschen Revolution keinen Bürgerkrieg gebe, weil die gesamte Nation „sich versammelt um eine Idee und die Person eines Führers". Eine solche Formulierung passt weit weniger gut zu den Umbrüchen des frühen 16. Jahrhunderts als zur Selbstzuschreibung der nationalsozialistischen Revolution. Seine Definition der Deutschen Revolution als einer Revolution ohne Bürgerkrieg kam der Zielsetzung der Nationalsozialisten recht nahe, aus der modernen fragmentierten Gesellschaft wieder eine nationale oder völkische Gemeinschaft zu bilden. Stadelmann bemerkte denn eingangs auch, dass gegenwärtig wohl die dritte nationale Revolution der Deutschen zu erleben sei. Stadelmann wählte zwar eine vorsichtige Formulierung - an der expliziten Parallelisierung von Reformation, Befreiungskriegen und nationalsozialistischer Politik änderte dies jedoch nichts. Sie erscheinen als die drei revolutionären Höhepunkte im ewigen Ringen um die nationale Einheit, Hider wurde zum geschichtlichen Nachfolger Luthers erklärt. Trotz der konzeptionellen Probleme wurde Stadelmanns Beitrag sehr wohlwollend aufgenommen. Dies lag zu einem Teil an der sprachlichen und darstellerischen Qualität der Darstellung. 339 Aber auch mit seiner Interpretation der R e formation als Volksrevolution, zu der auch der Bauernkrieg gehöre, blieb Stadelmann nicht alleine. Vor allem der Bauernkriegshistoriker Walther Peter Fuchs ist diesbezüglich zu nennen. Fuchs betonte wenig später gegenüber seinem Lehrer Günther Franz, der Reformation sei ein größerer Einfluss auf den Bauernkrieg zuzusprechen, als dies Franz in seiner Darstellung tue. Während Stadelmann von der Reformation her einen Schritt hin zur Verbindung von Reformation und Bauernkrieg tat, bewegte sich Fuchs genau von der anderen Seite her auf diesen Punkt zu. 3 4 0 Nicht vergessen werden sollte jedoch, dass sogar Franz 1934 in ei339 340

144

Vgl. Ritter: Deutsche Reformationsgeschichte, S. 61. Vgl. Kapitel 3.2.

Die Reformation in der akademischen

Diskussion

nem Vortrag eine ähnliche Verbindung von Reformation und Bauernkrieg skizziert hatte. Nachdem er seine Bauernkriegsinterpretation aber auf den agrarromantischen Kreis um Reichsbauernfuhrer Darré ausgerichtet hatte, analysierte Franz die Revolution von 1525 wieder losgelöst von der Reformation. Eine solche Verbindung von Reformation und Bauernkrieg tauchte im nationalsozialistischen Deutschland also nicht zum ersten Mal auf. Stadelmanns Beitrag war j e doch die wirkungsmächtigste Arbeit mit diesem Ansatz. Ihr Einfluss ist selbst bei Gerhard Ritter nachzuzeichnen. Ritter begann kurz nach Erscheinen dieses Handbuchs einen Abschnitt fur eine neue Ausgabe der Propyläen-Weltgeschichte zu schreiben, der deutlich an Stadelmanns Interpretation erinnert. 341 Darauf soll jedoch erst im übernächsten Kapitel (4.6.3) eingegangen werden. Denn vorerst war Ritters Blick auf die Reformationszeit noch ausschließlich an Martin Luther gebunden.

4.6.2 Der Historikerkongress 1938 in Zürich Die eigentlichen Protagonisten der Reformationsforschung waren in den 1930er Jahren Gerhard Ritter und Otto Scheel. Dieses Urteil stützt sich nicht auf die Quantität ihrer Publikationen - beide Historiker hatten ihre grundlegenden Werke zur Reformationszeit bereits in früheren Jahrezehnten publiziert 342 — sondern auf ihre einander folgende Herausgeberschaft beim A R G und ihre Tätigkeit an den Universitäten von Freiburg und Kiel. Ihre Lehrstühle waren diejenigen, an denen die Reformationszeit am konstantesten gelehrt wurde; fast in jedem Semester boten sie Vorlesungen, Seminare und Übungen zu dieser Thematik an. 3 4 3 Fragt man nach dem Reformationsbild während des ,Dritten Reiches', können ihre Arbeiten daher nicht beiseite gelassen werden. Gerhard Ritter veröffentlichte im Lutherjahr 1933 die nahezu unveränderte Neuauflage seiner Biographie des Reformators von 1925. Seine national gefärbte Interpretation drückte sich bei dieser neuen, als Volksausgabe geplanten Auflage nun auch im Titel aus - ,Luther, der Deutsche'. 3 4 4 Ritter blieb bei seiner Einschätzung, dass Luther nur erfassen könne, „wer seines Blutes und Geistes ist". 345 Dennoch formulierte der Freiburger Historiker im Vorwort „aus der tief veränderten Zeitlage heraus" erstmals leise Kritik an der in Mode gekommenen, aus-

341 342

343 344

345

Vgl. Brief Ritter an Unbekannt (wahrscheinlich Andreas), 6. Juni 1936. BArch, Ν 1 1 6 6 , 2 4 6 . Von Gerhard Ritter ist insbesondere seine Luther-Biographie von 1 9 2 3 / 2 5 zu nennen, von Otto Scheel seine drei Bände zu Martin Luther, die zwischen 1916 und 1921 erschienen sind. Vgl. BArch, R 58, 7167 und 6639. Gerhard Ritter publizierte 1933 nicht nur seine Luther-Monographie unter diesem Titel, sondern auch eine Reihe von Zeitungsartikeln, etwa in einer Sonderausgabe der Illustrierten Zeitung (Leipzig) , 4 5 0 Jahre Luther', Nr. 4 6 1 3 (1933) oder in ,Der Reichsbote', Berlin 19.11.1933. Ritter: Luther ( 2 1933),S. 179.

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grenzenden Interpretation des Reformators. 3 4 6 Allerdings finden sich diese Neuerungen nur in einem Teil der Neuauflage und eine Distanzierung von Interpretationen wie etwa deijenigen von Otto Scheel fehlt. Das Verhältnis zwischen Ritter und Scheel war in jenen Jahren denn auch sehr kollegial. Eng verbunden waren die beiden insbesondere über das A R G , deren Herausgeberschaft 1938 von Scheel zu Ritter überging. 347 In demselben Jahr entbrannte zwischen den beiden jedoch eine Kontroverse um die Deutung Martin Luthers, die in Kürze zu einer politischen Affáre auswuchs. Im Spätsommer des Jahres 1938 fand in Zürich der Internationale Historikertag statt. Der letzte solche Anlass war fünf Jahre zuvor in Warschau über die Bühne gegangen. Für die deutsche Geschichtswissenschaft war dieser Kongress daher eine willkommene Gelegenheit, ihre Forschungen einem internationalen Kollegenkreis vorzustellen und Kontakte zu knüpfen. Die Auftritte der deutschen Wissenschaftler wurden vom Allgemeinen Historiker-Ausschuss koordiniert, dem unter anderen auch Walter Frank angehörte. Weiter nahm auch das Berliner Wissenschaftsministerium Einfluss auf die Teilnehmerliste. Von den auf deutscher Seite geplanten 21 Referaten war nur eines zur Reformationszeit vorgesehen; Otto Scheel sollte über den ,Volksgedanken bei Luther' sprechen. 348 Gerhard Ritter hatte beim deutschen Ausschuss ebenfalls einen Vortrag angemeldet, der jedoch nicht angenommen wurde: Wer bereits auf dem Warschauer Kongress gesprochen habe, solle in Zürich nicht wieder vortragen. 3 4 9 Ganz so banal wie diese Begründung vorgibt, war der Vorgang jedoch nicht. Gerhard Ritter hatte zu diesem Zeitpunkt den Höhepunkt seiner Bekanntheit erreicht. 350 Sein politischer Rückhalt war aber bereits wackelig geworden. Während

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Dieses Selbsturteil formulierte Ritter rückblickend in der dritten Auflage von 1943. Vgl. Patter: Luther ( 3 1943), S. 286.Vgl. auch Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 197-199. Auf die weitere Entwicklung von Gerhard Ritters Lutherbild während der nationalsozialistischen Herrschaft soll erst im nächsten Kapitel eingegangen werden (4.6.3). Otto Scheel trug die Herausgeberschaft des A R G gemeinsam mit Walter Friedensburg. Otto Scheel veranlasste, Gerhard Ritter mit der Neugestaltung der Zeitschrift zu betrauen. Ritter übernahm darauf 1938 die Herausgeberschaft. Vgl. auch Brief Ritter an Ministerialrat Frey, 8. Mai 1939. BArch, R 4 9 0 1 / 1 , 2 8 4 2 , Blatt 444-448. Vgl. Liste vom 30. Juni 1937. BArch, R 4 9 0 1 / 1 , 2 8 4 2 . Vgl. Brief vom Rektorat der Universität Freiburg an das Reichsministerium fur Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 12. November 1937. BArch, R 4 9 0 1 / 1 , 2 8 4 2 , Blatt 82; sowie Vermerk einer Besprechung zwischen Schröder (Reichsinstitut fur die Geschichte des neuen Deutschlands) und PlatzhofFvom 30. November 1937. BArch, R 4901/1, 2842, Blatt 86-87. Cornelißens Einschätzung, Ritter habe in Zürich ursprünglich nicht mit einem „eigenen Beitrag hervorzutreten" gedacht, ist daher nur bedingt korrekt. Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 254.In Warschau hatte Ritter einen Vortrag zum Thema ,Die Ausprägung deutscher und westeuropäischer Geistesart im konfessionellen Zeitalter' gehalten.Vgl. Ritter: Die Ausprägung und Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 247—252. Einen großen Teil seiner Popularität verdankte Ritter seiner 1936 erschienenen Biographie Friedrichs des Großen, die in breiten Kreisen aufgenommen worden war. In demselben Jahr wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt.

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das Amt Rosenberg Ritter 1937 noch als politisch zuverlässig einstufte, 3 5 1 gehörte er in den Augen Walter Franks zu den früher von Hermann Oncken angeführten Vertretern der „blutleeren" Weimarer-Historie, deren Einfluss m ö g lichst einzuschränken sei. 352 Die vom Ausschuss gegenüber Ritter vertretene Begründung war denn auch nur eine vorgeschobene Erklärung für eine letztlich politisch motivierte Absage. 353 Im Ausschuss galt Ritter als „Typ eines verbitterten Deutschnationalen", der nur bedingt dafür geeignet sei, die deutsche G e schichtswissenschaft international zu vertreten. 3 5 4 Nach der Absage an Ritter setzte sich der Rektor seiner Universität Freiburg beim Wissenschaftsministerium dafür ein, dass Ritter zumindest als Teilnehmer in Zürich vertreten sein könne: „Ritter hat gerade auch im Auslande großes Ansehen, vor allem aber in der Schweiz", gab er zu bedenken. 3 5 5 Nachdem der Leiter der Dozentenschaft der Universität Freiburg die Unbedenklichkeit einer solchen Teilnahme bestätigt hatte, 356 lenkte schließlich auch der Ausschuss ein und hieß Ritters Reise nach Zürich trotz der Bedenken Walter Franks gut. 357 Zu einem herausragenden Ereignis wurde Ritters Präsenz am Kongress weniger wegen dieser Vorgeschichte, als wegen des Nachspiels, das sich für Ritter daraus ergab. Der Freiburger Ordinarius wohnte in Zürich Scheels Vortrag bei und äußerte anschließend vehemente Kritik an dessen Ansatz. Der Kieler Historiker wiederholte in Zürich über weite Strecken den Vortrag, den er bereits sechs Jahre zuvor anlässlich des Lutheijahres gehalten hatte. 358 Zwei Punkte hob Scheel nun aber stärker hervor: Erstens sei die R e f o r m a t i o n als eine Kraft aus dem „deutschen Volksboden" zu verstehen, die in Luther ihren größten Diener gefunden habe. Dieser habe zweitens die mittelalterlich-imperialistische Reichsidee zerstört und an deren Stelle das „Recht der Nachbarvölker, aber auch und nicht weniger

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Vgl. BArch, NS 15, 27, Blatt 34. Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 253. Vom Leiter des Ausschusses, Walter Platzhoff, sind von einer Besprechung zwischen ihm und Schröder (Reichsinstitut fur die Geschichte des neuen Deutschlands) vom 30. November 1937 folgende Aussagen zum Antrag Ritters festgehalten: „Prof. Ritter hat wie mehrere andere bei dem deutschen Komité einen Vortrag angemeldet, den das Komité nicht zugelassen hat. Es ist hierfür die Begründung gefünden worden, dass diejenigen, die auf dem letzten Kongress in Warschau aufgetreten seien, auf diesem Kongress nicht wieder sprechen sollten. Gegen Prof. Ritter erhob insbesondere der Präsident Frank Einwendungen politischer Art." BArch, R 4901/1,2842, Blatt 86-87. So der Leiter des Ausschusses,Walter Platzhoff. BArch, R 4901/1,2842, Blatt 139. Brief vom Rektorat der Universität Freiburg an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 12. November 1937. BArch, R 4901/1,2842, Blatt 82. Brief des Rektorats der Universität Freiburg an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 18. Februar 1938. BArch, R 4901/1,2842, Blatt 137. Vgl. BArch, R 4901/1,2842, Blatt 139. Ein authentisches Manuskript von Scheels Referat liegt nicht vor, aber auch die später in der Historischen Zeitschrift publizierte Version zeigt die Interpretationslinie Scheels deutlich. Scheel: Der Volksgedanke, S. 487—491. Cornelißen weist jedoch nach, dass die gedruckte gegenüber der in Zürich vorgetragenen Version an mehreren Stellen abgeschwächte Formulierungen enthält.Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 254/255.

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des eigenen Volkes auf Unabhängigkeit und Entfaltung seiner Art" gesetzt. 359 „Den Bruch der gesetzlichen Ordnung und das heißt die Revolution" habe Luther über das Gewissen des .gesunden Helden' gerechtfertigt. 360 Im „heroischen Menschen", der „die Regeln brechen" und „über Legitimität und Legalität" hinwegschreiten müsse, wirke nämlich der „inspirierende Gott und durch ihn die Gerechtigkeit, die ein Volk erhöht". 361 „Aus seiner religiösen Gesamtanschauung will Luthers Anschauung vom Volk begriffen sein. Aus ihr quillt die Erkenntnis vom Volk als einer ursprünglichen Wirklichkeit." 3 6 2 Was Otto Scheel 1938 in Zürich vortrug, war ein Legitimationsversuch für die „Revolution" hin zur N S Herrschaft. Scheel argumentierte mit dem Denken Martin Luthers und ließ die Politik Hitlers damit als originär deutsch erscheinen. „Es mochte insbesondere für den Ausländer naheliegen", meldete ein Mitglied der deutschen Delegation nach Scheels Referat an das Reichserziehungsministerium, „diese Ausführungen Luthers auf Adolf Hitler zu deuten. Scheel aber hat es durchaus mit Recht fertig gebracht, den Eindruck zu erwecken, dass hier nicht eine billige Parallelisierung vor sich gehe, sondern dass diese Äusserungen wirklich die Meinungen Luthers gewesen sind. [...] Wenn darum bei den Ausführungen über den .deutschen Wundermann' [an] Adolf Hitler gedacht wurde, dann gerade in dem Sinn, dass er als ein neuer Träger und eine neugeformte Gestalt aus der ewigen deutschen Substanz, von der Luther geredet hat, erschien." 363 Bei Gerhard Ritter stießen Scheels Ausführungen dagegen auf dezidierte Kritik. In der nachfolgenden Diskussion wandte er sich gegen die „suggestive Eindeutigkeit" und die „Aktualisierung" des historischen Gegenstandes. 364 Ritter betonte, im 16. Jahrhundert habe es kein Volksbewusstsein im gegenwärtigen Sinne, sondern einen mit dem Kaisertum verbundenen Nationalgedanken gegeben. U n d wenn Luther vom ,Held und Wundermann' gesprochen habe, müsse dies rein religiös und nicht im Sinne eines politischen Führers interpretiert werden. 365 Ritter und Scheel führten ihre Diskussion anschließend beim Abendessen weiter. Beide Kontrahenten empfanden die Auseinandersetzung zu diesem Zeitpunkt (noch) als eine wissenschaftliche Kontroverse. Bei Tisch diskutierten sie über die

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Im politischen Kontext des Jahres 1938 wurde aus Scheels Formulierung auch eine eindeutige Anspielung auf die höchst aktuelle ,Sudetenfrage'. Scheel: Der Volksgedanke, S. 493. Scheel: Der Volksgedanke, S. 4 9 4 / 4 9 5 . Scheel: Der Volksgedanke, S. 496. Scheel: Der Volksgedanke, S. 497. Bericht von Dr. Karl Richard Ganzer an das Reichserziehungsministerium, 12. September 1938. BArch, R 4 9 0 1 / 1 , 2842, Blatt 5 1 2 - 5 2 4 . Die Wortmeldung Ritters ist verzeichnet in: VIII. Internationaler Kongress fur Geschichtswissenschaft 28. August-4. September 1938 in Zürich, Protokoll, in: Bulletin of the International Committee of Historical Sciences 11 (1939), S. 3 6 0 / 3 6 1 . Vgl. auch Bericht von Dr.Wilhelm Deutsch an das Reichserziehungsministerium, 14. September 1938. BArch, R 4 9 0 1 / 1 , 2842, Blatt 5 0 1 / 5 0 2 . In diesem Punkt gab Ritter Scheel jedoch nachträglich recht.Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 2 5 4 / 2 5 5 .

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Drucklegung von Scheels Referat, das nach ursprünglicher Planung in der ersten Ausgabe des A R G unter der Herausgeberschaft Ritters hätte publiziert werden sollen.366 Dieser Plan wurde jedoch bald darauffallen gelassen. In Zürich ebenfalls anwesend war Walter Frank. Er sowie einige jüngere Historiker aus seinem Umfeld wollten Ritters Diskussionsbeitrag nicht so gelassen hinnehmen wie Otto Scheel. Sie sahen in der Äußerung eine inakzeptable politische Provokation und forderten den deutschen Historikerausschuss auf, Ritter vom Kongress nach Hause zu schicken. Diese Forderung lehnte jedoch nicht nur Otto Scheel, sondern auch der Delegationsleiter Karl Brandi ab: Anstatt den Streit eskalieren zu lassen, solle aus der Not eine Tugend gemacht und dem Ausland die Weiträumigkeit und Freiheit der deutschen Wissenschaft demonstriert werden. „Weit entfernt in Ritters Einwänden eine Beeinträchtigung der Ausführungen Scheels zu erblicken, erkannten sie [die „fremden Zuhörer", Im] vielmehr ganz richtig in Ritters Bemerkungen eine Unterstreichung der Bedeutung von Scheels Darlegungen und rühmten die geistige Freiheit der Deutschen, die sich über tiefere Probleme mit solcher Sachkunde in guten Formen auseinanderzusetzen vermögen", berichtete Brandi nach seiner Rückkehr dem Wissenschaftsministerium. 367 Mit solchen Argumenten gab sich Walter Frank jedoch nicht zufrieden und startete eine Kampagne gegen Ritter. Frank richtete Ende September ein sechsseitiges Schreiben an Wissenschaftsminister Bernhard Rust und nannte darin Ritters Auftritt in Zürich eine „dreiste Kundgebung jener ,objektiven' Wissenschaft, die in Wahrheit nur die wissenschaftliche Tarnung der liberalen Opposition gegen das neue Deutschland" darstelle. Darin sei ein „sehr ernstes Zeichen eines Erstarkens reaktionärer Tendenzen innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft" zu sehen. Es erscheine daher notwendig, „den um Professor Ritter gebildeten Freiburger Oppositionskreis nunmehr endgültig zu liquidieren und Professor Ritter jener Universität Basel zu überlassen, wo sein politischer und kirchlicher Gesinnungsgenosse Karl Barth bereits sinngemäß sein Domizil aufgeschlagen hat." 368 Im Reichsministerium gelangte man jedoch zur Uberzeugung, dass Ritter nicht aus dem Hochschuldienst entfernt werden könne. Das geltende Dienstrecht erlaube es nicht, einen deutschen Wissenschaftler zu einer bestimmten wissenschaftlichen oder weltanschaulichen Haltung zu zwingen. „In Frage kommt viel-

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Vgl. Brief Ritter an Ministerialrat Frey, 19. Mai 1939. BArch, R 4901/1, 2842, Blatt 445-448 und Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 255-257. Bericht Brandl zu Händen des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 1. Oktober 1938. BArch, R 4 9 0 1 / 1 , 2 8 4 2 , Blatt 530-540. Vgl. Brief Frank an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 28. September 1938. BArch, R 4901/1, 2842, Blatt 4 9 3 - 4 9 8 . Gerhard Ritter hatte im akademischen Jahr 1934/35 neben seiner Professur in Freiburg vertretungsweise den verwaisten Lehrstuhl von Hermann Bächtold an der Universität Basel betreut. Bei der Neubesetzung des Lehrstuhls 1935 wurde die Kandidatur Ritters dann jedoch nicht berücksichtigt. Karl Barth hatte mit seiner Theologie eine wichtige Grundlage für den kirchlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus gelegt.Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 157-159.

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mehr lediglich eine Pensionierung [...], wofür Voraussetzung ist, dass der Beamte nicht mehr die Gewähr dafür bietet, jederzeit für den nationalsozialistischen Staat einzutreten. Für eine solche Schlussfolgerung reicht der vorliegende Sachverhalt sicherlich nicht aus." 369 Ritter behielt zwar seinen Lehrstuhl, die Auseinandersetzung um das Lutherbild ging für ihn dennoch nicht ohne Sanktionen aus. Auf Betreiben des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda beschloss das Wissenschaftsministerium, Ritter künftig keine Auslands- und Kongressreisen mehr zu bewilligen. 370 Er selber erfuhr von dieser Maßnahme erst, als er einige Monate später eingeladen wurde, in R o m einen Vortrag zu halten. Statt der erbetenen Teilnahmebewilligung wurde ihm vom Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die sein Reiseverbot betreffende Verfügung bekannt gegeben. 371 Erst im Oktober 1943 konnte Ritter das Deutsche Reich erstmals wieder verlassen.372 Mit seinem Auftritt in Zürich war Gerhard Ritter nicht nur von Walter Frank, sondern auch im Ausland von vielen als Gegner des Nationalsozialismus wahrgenommen worden. Obwohl Ritter seine Kritik an Scheels Lutherbild anfänglich nicht als eine politische Aussage verstanden haben wollte, überschritt er mit seinem Vorgehen die Toleranzgrenze des nationalsozialistischen Regimes. Was Walter Frank auf den Plan rief, war jedoch weniger das deutsch-nationale Lutherbild Ritters, sondern dessen im Ausland öffentlich vorgetragene Kritik an Scheels zeitgeistiger Interpretation. Die interpretatorische Distanz zwischen Ritters ,Luther, der Deutsche' und dem völkischen Luther von Otto Scheel war jedenfalls weniger groß, als das politische Ausmaß des Konfliktes vermuten ließe. Ritter war bis dahin weit entfernt von einem liberalen Lutherbild. Er vertrat nach wie vor eine deutsch-nationale Sicht, in der er ebenfalls zu einer starken Heroisierung des Reformators neigte. Ritter beschrieb Luther als Erwecker der deutschen Nation und glaubte, dass nur wer seines Blutes sei, ihn ganz erfassen könne. Scheel, der Luther einen „heroischen Menschen" nannte, der das deutsche Volk aus der mittelalterlichen Ordnung befreit habe, interpretierte Luther also inhaltlich sehr ähnlich wie Ritter. Beide gingen implizit von einem metaphysischen Geist, einem deutschen Wesen, aus und standen damit in einer Traditionslinie des deutschen Idealismus. Ritter und Scheel unterschieden sich also weniger von ihrer methodischen als von ihrer politischen Ausrichtung her. Dies betraf primär ihre unterschiedliche Stellung zum Nationalsozialismus.Von hier aus entwickelten die beiden aber auch eine unterschiedliche Auffassung von politischer Geschichtsschreibung. Ritter hatte seine Arbeiten zur Reformationsgeschichte immer mit Blick auf seine ei-

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Notiz Kaspar an Harmjanz vom 11. November 1938. BArch, R 4901/1,2842, Blatt 521. Vgl. Brief Frank an den Reichsminister flir Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 28. September 1938. BArch, R 4901/1,2842, Blatt 398 undVerfügung des Wissenschaftsministeriums vom 25. Januar 1939. BArch, R 4901/1,2842, Blatt 545/546. Vgl. Brief Ritter an Ministerialrat Frey, 8. Mai 1939. BArch, R 4901/1,2842, Blatt 444-448. Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 261.

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gene Gegenwart geschrieben. Er betrachtete die Geschichte als Kompass fur die Gegenwart. Scheels Lutherdarstellung diente nun aber weniger der Orientierung denn der Legitimation des .Dritten Reiches'. Dies ist eine feine, für das Selbstverständnis eines Historikers aber wichtige Unterscheidung. 373 Gerhard Ritter nahm die Auseinandersetzung zum Anlass, sich verstärkt mit dem Verhältnis seines eigenen Geschichtsbildes zur politischen Lage in Deutschland auseinander zu setzen. 374 Noch im selben Jahr rief er in der Zeitschrift ,Die Tatwelt' dazu auf, die von Walter Frank so leidenschaftlich angefeindete historische ,Objektivität' nicht mit „eunuchischer Neutralität" zu verwechseln. 375 Sie stehe der Gegenwart nicht fremd gegenüber, sondern ermögliche erst „deren rechtes Verständnis". 376 Dies im Gegensatz zu einer gegenwärtig verbreiteten und auf Nietzsche beruhenden Geschichtsauffassung, die letztlich nur der historischen Mythenbildung diene. „Für die Beherrschung der blinden Massen mag es nötig sein, unter Umständen auch künstliche historische Sichten aufzurichten, [...] aber das ist dann Sache der politischen Publizistik, nicht der historischen Wissenschaft." 377 Dies sind nicht eigentlich Worte der Selbstkritik gegen seine eigene, teilweise stark mythisierende Lutherdarstellung aus früheren Jahren. Aber sie beweisen, dass sich Ritter nun explizit gegen die vom Nationalsozialismus geprägte politische Geschichtswissenschaft abzugrenzen begann, und können zusammen mit seinen Erfahrungen von Zürich an den Anfang einer neuerlichen Auseinandersetzung mit dem Wittenberger Reformator gestellt werden.

4.6.3 Gerhard Ritter auf dem Weg zu einem neuen Lutherbild Nach dem Zweiten Weltkrieg galt Ritter vielen als herausragendes Beispiel des politisch unabhängig gebliebenen Historikers. Dass Ritter das Ende des .Dritten Reiches' als Oppositioneller und damit als eine Befreiung erlebte, ist nicht zu bestreiten. Am 2. November 1944 war er nach Beschwerden des SD und des Freiburger Dozentenbundführers verhaftet worden. Der eigentliche Grund für seine Haft waren seine Kontakte zu dem nationalkonservativen Widerständler

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Etwas anders erklärt Cornelißen den Konflikt zwischen Ritter und Scheel. Ritters nationales Lutherbild sei in Zürich durch Scheels völkische Interpretation konkurrenziert worden. Als verhinderter Referent habe Ritter seine Abgrenzung von Scheel nur noch durch einen prägnanten Diskussionsbeitrag markieren können.Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 255. Ritters Auseinandersetzung mit der politischen Herrschaft des Nationalsozialismus schlug sich vor allem in seiner Monographie ,Machtstaat und Utopie' aus dem Jahre 1940 nieder. Er ging darin der Frage nach der „richtigen Verbindung von Autorität und Freiheit" bei der „Gestaltung einer modernen Staatsverfassung" nach. Vgl. Brief Ritter an Stadelmann, 2. Dezember 1941. BArch, Ν 1 1 8 3 , 1 4 . Ritter stellte sich damit deutlich in die Tradition von Leopold von Ranke und spielte auf die Kritik Johann Gustav Droysens an der ,eunuchenhaften Objektivität' einiger Historiker an. Ritter: Historische Wissenschaft, S. 195. Ritter: Historische Wissenschaft, S. 197.

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Carl Goerdeler. Schließlich wurde Ritter am 25. April 1945 aus seinem Berliner Gefängnis entlassen, ohne dass es zu einer Verhandlung gekommen war. 378 Dennoch wäre es verkürzt, in Ritter nur den Widerständigen zu sehen. Noch nach Kriegsbeginn äußerte er sich positiv zur deutschen Expansionspolitik379 und seine Luther-Biographie zeichnete sich in ihren Ausgaben von 1923, 1925, 1928 und 1933 nicht nur durch eine starke Heroisierung des Reformators aus, sondern war in ihrer nationalistischen Färbung stellenweise kaum von biologistischem Geschichtsdenken zu unterscheiden. Schon die Erscheinungsjahre der einzelnen Auflagen machen jedoch deutlich, dass Ritters Lutherbild nicht über die politischen Erfolge des Nationalsozialismus erklärt werden kann. Vielmehr kann Ritter als einer der wenigen Historiker bezeichnet werden, der sich während der 1930er Jahre nicht zunehmend mit dem Nationalsozialismus einließ, sondern sich langsam von ihm zu distanzieren begann. Ritter nahm bald Stellung gegen die Deutschen Christen, näherte sich der bekennenden Kirche und fand schließlich Ende der 1930er Jahre auch zu politischer Opposition. 380 Ritter hatte schon in den Anfängen der nationalsozialistischen Herrschaft kritische Töne gegen das neu aufkommende Geschichtsverständnis geäußert. Bereits 1934 warnte er davor, dass die nationale Geschichtsschreibung „im Eifer nationaler Selbstbespiegelung ihr eigentliches Ziel" — „die nationale Selbsterkenntnis" verfehle. 381 Erst nach der im vorherigen Kapitel geschilderten Kontroverse mit Otto Scheel bemühte sich Gerhard Ritter jedoch, sein eigenes Lutherbild dahingehend zu überprüfen. Gewissermaßen als Abschluss dieses Prozesses erschien 1943 die stark überarbeitete Neuauflage seiner Luther-Biographie. Sein Weg dorthin lässt sich anhand einer Reihe von Beiträgen zur Reformationszeit verfolgen, die Ende der 1930er, Anfang der 1940er Jahre erschienen sind. Diese Entwicklung soll hier kurz chronologisch nachgezeichnet werden. Kurze Zeit nach dem konfliktreichen Historikertag von Zürich erschien die erste Ausgabe des A R G unter der Herausgeberschaft von Gerhard Ritter. Otto Scheels Zürcher-Referat hätte eigentlich als „Leitaufsatz" in die erste Nummer der neu gestalteten Zeitschrift aufgenommen werden sollen.382 In Folge des Konflikts mit Scheel hatte sich Gerhard Ritter jedoch entschieden, diese Aufgabe selber zu übernehmen: Der Text ,Das 16. Jahrhundert als weltgeschichtliche Epoche' weist zwar klare Differenzen zu Scheels Interpretation auf, kann jedoch inhaltlich kaum als eine direkte Gegendarstellung angesehen werden. Ritter sprach in bekannter Manier von „Luthers heroischer Tat" und wies auf deren soziale, wirtschaftliche und politische „Folgewirkungen" auf ganz Europa hin. Einen Blick von unten war ihm nach wie vor fremd, und so sah er auch im Bauernkrieg nicht 378

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Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 362/363. Die Verhandlungen waren während Ritters gut fünfmonatiger Haftzeit deshalb nicht aufgenommen worden, weil seine Strafakten im Februar bei einem Luftangriff auf Berlin verbrannt waren. Vgl. ebd. Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 170 und Conrad: Auf der Suche, S. 80/81. Vgl. Cornelißen: Ritter, KapitelVII. Ritter: Die Ausprägung, S. 240. Vgl. Brief Ritter an Gutjahr, 19. Mai 1939. Barch, 4901/1,2842, Blatt 445-448.

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mehr als einen „wilden, aber plan- und führerlosen Aufruhr der niederen Stände, der in dumpfer Erfolglosigkeit" geendet habe. 383 Ritter verneinte nicht nur eine Verantwortung Luthers für den Bauernkrieg, sondern sprach dem Reformator insgesamt eine politische Rolle ab. „Es ist ebenso falsch, ihn [Luther, Im] als Befreier des modernen Staates zu preisen, wie als politischen Reaktionär zu verdammen. Er war kein politischer, sondern ein religiöser Prophet." 384 Er sprach aber nicht nur Luther eine politische Absicht ab, sondern der Reformation insgesamt. Daher könne die Reformation auch nicht als eine mit der Renaissance gleichgerichtete Bewegung beschrieben werden. Dieser Artikel gab schließlich auch einer 1941 veröffentlichten Sammlung von Aufsätzen Ritters den Titel. Die darin zusammengefugten historischen Essays sollten nicht zuletzt der gegenwärtigen „Selbstbestimmung" dienen. 385 Ritter sah sich also immer noch in der Rolle des politischen Historikers. Sein Urteil über Luther wurde aber zunehmend zurückhaltender. Deutlich zum Ausdruck kommt diese Tendenz etwa in einem Artikel über das „Deutsche" an Luther: „Im besonderen Sinn ,deutsch' erscheint uns zunächst die unbewusste Genialität und die reine Innerlichkeit der reformatorischen Tat". 386 Gewiss sei Luther auch ein „deutscher Patriot" gewesen, von „chauvinistischer Selbstüberhebung oder gar imperialem Machtdrang" sei bei ihm jedoch nichts zu finden.387 Gerhard Ritter sah in Luther immer noch eine der herausragenden Gestalten der deutschen Geschichte, von seiner assoziativen Heroisierung bewegte er sich jedoch weg. Auf dem Internationalen Historikerkongress von 1933 in Warschau hatte Ritter angekündigt, sich verstärkt einer universalgeschichtlichen Perspektive zuwenden zu wollen. Eine solche diene ebenso der nationalen Selbsterkenntnis als auch der internationalen Verständigung. Dieses Ansinnen musste mittelfristig auch Auswirkungen auf sein Lutherbild haben; zum Ausdruck kommt es etwa in Ritters Beitrag zur .Propyläen-Weltgeschichte' über ,Die kirchliche und staatliche Neugestaltung Europas im Jahrhundert der Reformation und der Glaubenskämpfe'. 388 Ritter hatte 1936 mit großen Zweifeln auf das Angebot des Heidelberger Historikers Willy Andreas reagiert, einen Beitrag zur ,Neuen Weltgeschichte' zu verfassen, es schließlich aber angenommen. 3 8 9 Bevor der Band 1941 erscheinen konnte, musste Ritter sein Manuskript noch entsprechend den Wünschen der Parteiamtlichen Prüfungskommission anpassen: Diese hatte beanstandet, die „Gestalt Luthers [sei] stärker in ihrer deutschen Aufgabe" darzustellen.390 Die schließ-

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Ritter: Das 16. Jahrhundert, S. 15. Ritter: Das 16. Jahrhundert, S. 31. Ritter: Weltwirkung.Vorwort, S. 5. Ritter: Luther und der deutsche Geist, S. 80. Ritter: Luther und der deutsche Geist, S. 85/86. Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 248-261. Der Auftrag würde seine Arbeitskraft fur lange festlegen und gerade in neuerer Zeit habe die Reformation doch „treffliche Bearbeiter" wie etwa Stadelmann gefunden. Vgl. Brief Propyläen-Verlag an Ritter, 7. Juli 1936. BArch, Ν 1166, 246. Brief Andreas an Franz, 21. Juli 1941. BArch, Ν 1166, 246.

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lieh publizierte Fassung bezeichnet Luther zwar als „Volksmann", insgesamt bleibt die Figur des Reformators aber eher im Hintergrund. Bemerkenswert ist Ritters Beitrag zur .Propyläen-Weltgeschichte' jedoch aus einem anderen Grund: Ritter bezeichnete die Reformation als eine „Volksbewegung", von der „alle Stände und Landschaften Deutschlands" erfasst worden seien. 391 Damit übernahm er die Begrifflichkeit, die Rudolf Stadelmann 1936 in seinem Handbuchartikel verwendet hatte. Hierin einen grundsätzlichen Wechsel in Ritters Interpretation zu sehen wäre übertrieben. Eine leichte Affinität zu Rudolf Stadelmanns Konzept der Reformation als Deutscher Revolution ist jedoch kaum zu übersehen. In neuem Licht erscheint auch der Bauernkrieg. Hatte Ritter in seiner LutherBiographie noch von einem Missbrauch der aufständischen Bauern an der Reformation gesprochen, so fiel sein Urteil nun weit milder aus. Der Bauernkrieg dürfe zwar nicht nur als ein Kampf um die evangelische Predigt gesehen werden, gehöre aber in „unmittelbaren Zusammenhang" zur reformatorischen Bewegung. Obwohl der Aufstand einer mittelalterlichen Tradition entstamme, habe er unter dem Einfluss der Reformation zu einem neuartigen Programm gefunden. Ahnlich wie Stadelmann differenzierte auch Ritter in Ranke'scher Weise zwischen den Anfängen des Bauernkrieges und dessen radikalen Ausläufern in Thüringen. „Zuletzt war dieser Bauernkrieg doch nichts anderes als der Versuch enttäuschter und erbitterter Volksmassen, die Reformation der Kirche zu einer Revolution der sozialen und politischen Zustände überhaupt auszugestalten".392 Im Unterschied zu Rudolf Stadelmann und Otto Scheel war Gerhard Ritter weit davon entfernt, von der Charakterisierung der Reformation als Volksrevolution eine politische Parallele zur Gegenwart zu ziehen — im Gegenteil. 393 Sein Beitrag zur ,Propyläen-Weltgeschichte' stellt eine seiner unpolitischsten Arbeiten dar.394 In anderen Veröffentlichungen dieser Jahre begann sich Ritter sogar gegen eine nationalsozialistische Vereinnahmung der Reformation und Luthers zu weh391 392 393

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Ritter: Die kirchliche und staatliche Neugestaltung, S. 226. Ritter: Die kirchliche und staatliche Neugestaltung, S. 251. Das Verhältnis von Ritter und Stadelmann wurde in dieser Zeit zunehmend angespannt. Die Auseinandersetzung drehte sich stark um die Frage nach dem Verhältnis von Autorität und individueller Freiheit im modernen Staat. Vgl. etwa Brief Ritter an Stadelmann, 2. Dezember 1941. BArch, Ν 1183,14. Die .Propyläen-Weltgeschichte' war insgesamt ein nur in geringem Ausmaß politisch geprägtes Werk. Eine Ausnahme bildete diesbezüglich jedoch die Einleitung des Herausgebers Willy Andreas, die auf eine rassische Geschichtskonzeption verwies. Kaum politisch geprägt war auch die ,Neue Deutsche Biographie' des Propyläen-Verlags. Zwei Auflagen erschienen davon während des .Dritten Reiches', beide wurden von Willy Andreas herausgegeben. Der Artikel zu Martin Luther ist in der einen Ausgabe von Friedrich Gogarten, in der anderen von Heinrich Bornkamm verfasst. Beide Artikel sind sehr ereignisgeschichtlich gehalten und lassen keine Anpassung an ein zeitgeistiges Geschichtsbild erkennen.Vgl. Friedrich Gogarten: Martin Luther. 1483—1546, in: Die Großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie, hrsg. von Willy Andreas/Wilhelm von Schulz, Bd. 1, Berlin 1935, S. 419-433 und Heinrich Bornkamm: Martin Luther. 1483—1546, in: Die Großen Deutschen. Neue Deutsche Biographie, hrsg. von Willy Andreas/Wilhelm von Schulz, Berlin 1942, S. 419-441.

Die Reformation in der akademischen Diskussion ren. A m deutlichsten zeigt sich dies in der dritten Auflage der Luther-Biographie, die 1943 erschien. Sie trug nicht nur einen neuen, weit zurückhaltenderen Titel — ,Luther. Gestalt und Tat' —, sondern enthielt auch Ausführungen, die dem Buch zu einer neuen Position verhalfen. Schon in der Einleitung wird Ritters Mahnfinger deutlich sichtbar. Nationalstolz müsse auf historischer Kenntnis beruhen und Einsicht in Stärken als auch in Schwächen der eigenen Geschichte ermöglichen. Luther erscheint immer noch als eine überragende Figur der deutschen Geschichte, aber kaum mehr als ein Führer, dem stumpf gefolgt werden kann. Dies liegt insbesondere am vierten Kapitel, das 1933 noch ,Der Held der deutschen Nation' hieß und nun den schlichten Titel ,Der Reformator' erhielt. Hier hatte Ritter einen ausführlichen Exkurs über Luthers Ethik eingefügt - einen Exkurs, der vor allem eine Ermahnung an das Gewissen jedes Einzelnen war: Luthers Ethik sei eine Gesinnungsethik und die Freiheit des Christenmenschen sei somit keine Freiheit zur Willkür, sondern sie bleibe an das Gesetz Gottes gebunden. 3 9 5 Durch den Rekurs auf das Gewissen stellte sich Ritter in die Tradition Karl Holls. Dieser war einer der Protagonisten der nationalistischen Lutherheroisierung im Ersten Weltkrieg gewesen und hatte von der Bedeutung des Gewissens in Luthers Theologie aus argumentiert. 396 Ritter wählte somit denselben Bezugspunkt wie Otto Scheel. Luthers Gesinnungsethik führte ihn aber zu ganz anderen politischen Implikationen. Auch das politische Handeln - so betonte Ritter gegen Ende des Buches - müsse laut Luther immer in Verantwortung vor Gott erfolgen. Dies gelte letztlich auch für das Recht an sich: Was im Einzelfall Recht sei, finde sich nirgends geschrieben, sondern einzig in dem „in allen Menschen lebendigen Gewissen". 3 9 7 So könne es laut Luther zur Situation kommen, dass das positive Recht von einem „gesunden Helden" durchbrochen werden müsse, um dem natürlichen Recht und damit der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Damit war Ritter bei der Frage angelangt, an der 1938 seine Kontroverse mit Otto Scheel entbrannt war. Im Unterschied zu Scheel betonte er, dass auch der „gesunde H e l d " nur in sittlich-religiöser Verantwortung handeln könne. 3 9 8 Zur Legitimation eines autoritären Führers im modernen Sinne eignete sich diese Argumentation nicht. Ritter war zwar nach wie vor weit von einem liberalen Staatsdenken entfernt. Aber es war ihm ein AnHegen, Luthers Denken nicht zum legitimatorischen Steinbruch für den Nationalsozialismus werden zu lassen. So wies er auch explizit daraufhin, dass Luthers Hass gegen die Juden keinen rassisti-

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Vgl. Ritter: Luther ( 3 1943), S. 106-108. Darauf wies Ritter selbst explizit hin. Vgl. Ritter: Luther ( 3 1943), S. 283/284. Holl hatte im Zuge des Ersten Weltkrieges den deutschen Kriegseinsatz über Luthers Theologie zu legitimieren versucht. Ritter lehnte eine solche Inanspruchnahme Luthers für den Zweiten Weltkrieg nun aber deutlich ab: Luther sei noch ganz ein Mann des Mittelalters gewesen und habe sich von zwischenstaatlichen Konflikten gar keine Vorstellung gemacht. Vgl. Ritter: Luther ( 3 1943),S. 268. Ritter: Luther ( 3 1943), S. 265. Vgl. Ritter: Luther ( 3 1943), S. 265-272.

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sehen, sondern rein sittlich-religiösen Hintergrund habe und dass sich seine Theologie nicht fiir die Legitimation eines Angriffskrieges eigne. 399 Die biographische Darstellung des Reformators Martin Luther spiegelt somit eindrücklich die politische Entwicklung des Historikers Gerhard Ritter. Obwohl Ritter in keiner Phase als nationalsozialistischer Historiker bezeichnet werden kann, verstrichen einige Jahre, bis er seine eigene historische Interpretation deutlich von regimefreundlichen Positionen zu trennen begann. Interessant ist dabei insbesondere die Rolle, die dem Denken Karl Holls zukam. Ritter baute seine Kritik über Holls Arbeit zur Gesinnungsethik Luthers auf. Im Unterschied zu Scheel diente ihm diese Grundlage nicht zur Legitimation, sondern zur Kritik der NS-Politik. Mit seiner Luther-Biographie grenzte sich Ritter also nicht nur von der Politik der braunen Machthaber ab, sondern versuchte auch die nationalkonservative Tradition der deutschen Geisteswissenschaften vor nationalsozialistischer Vereinnahmung zu schützen. Von hier aus wird eine bemerkenswerte Parallele zur theologischen Lutherrezeption im nationalsozialistischen Deutschland sichtbar: Nicht nur einem Historiker wie Scheel diente die Arbeit Holls als Ausgangspunkt zur Ideologisierung des lutherischen Denkens, sondern auch verschiedenen Theologen. Vor allem Berndt Hamm hat in den letzten Jahren mehrfach auf die völkische Ausrichtung von Theologen wie Paul Althaus und Werner Eiert oder des Kirchenhistorikers Hanns Rückert hingewiesen. 400 Einen interessanten Zusammenhang zur Geschichtswissenschaft ergibt sich dabei vor allem bei der Arbeit von Hanns Rückert. Als Schüler von Karl Holl übernahm Rückert nicht nur in jungen Jahren dessen Berliner Lehrstuhl, sondern orientierte sich auch stark am Lutherverständnis seines Lehrers. Aus Luthers ,Ethos der Pflicht und der Opfer' entwickelte Rückert im Zuge der .Machtergreifung' eine „innere Ausrichtung auf den totalen Eingliederungsanspruch des NS-Staates hin". 4 0 1 Rückert griff auf Holls Sittlichkeitsbegriffe zurück und instrumentalisierte sie im Sinne der nationalen und völkischen Kampfbewegung. Aus der neutestamentarischen Nächstenliebe wird bei ihm eine Bindung an die Volksgemeinschaft, an die Menschen, unter die mich Gott „durch Geburt und Geschichte, in meiner Familie, in meinem Beruf, in meinem Volk gestellt hat". 4 0 2 Ahnliche Argumentationsmuster finden sich auch in den Schriften von Werner Eiert, Paul Althaus oder Friedrich Gogarten. 403 Bei Rückert wird j e -

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„In seinen späten Schriften, besonders in dem bekannten Kampfruf, Von den Juden und ihren Lügen' (1543), der seither zu einem Arsenal des Antisemitismus geworden ist, lässt er ungescheut eine ganze Sintflut volkstümlichen Hasses und böser Nachrede wegen heimlicher Greueltaten gegen sie los. Sie sind ihm offenbar auch als Fremdvolk zuwider und unheimlich. Trotzdem sind nicht rassenpolitische Gesichtspunkte (von denen er noch nichts weiß) für seine praktische Haltung maßgebend, sondern sittlich-religiöse: als verstockte Lügner und Feinde Christi will er die Juden unter Ausnahmerecht stellen." Ritter: Luther ( 3 1943), S. 2 2 6 / 2 2 7 . Vgl. Hamm: Werner Eiert, S. 2 0 6 - 2 5 4 und Hamm: Hanns Rückert, S. 2 7 3 - 3 0 9 . Hamm: Hanns Rückert, S. 298. Hanns Rückert: Das Wiedererwachen reformatorischer Frömmigkeit in der Gegenwart, Stuttgart 1933, S. 11, zitiert nach: Hamm: Hanns Rückert, S. 298. Vgl. auch Hamm: Werner Eiert, S. 2 0 6 - 2 5 4 .

Reformation

und Bauernkrieg

in den

Kriegsjahren

doch die Transformation des Denkens Karl Holls besonders deutlich. Holl hatte während des Ersten Weltkriegs die deutschen Expansionsbestrebungen über die Ethik Luthers und Gottes Schöpfungsordnung zu begründen versucht. Die Gemeinschaft des eigenen Volkes war ihm der Hauptbezugspunkt des ethischen Gemeinschaftsdenkens. Von hier aus war es für Rückert 1933 nur noch ein kleiner Schritt, in der nationalsozialistischen Idee der Volksgemeinschaft Gottes Willen zu erkennen. 404

4.7 Reformation und Bauernkrieg in den Kriegsjahren Während des Ersten Weltkriegs hatte die legitimatorische Bedeutung der Geschichtswissenschaft ein bis dahin unbekanntes Maß angenommen. Bezüglich des Zweiten Weltkrieges haben die vorangegangenen Kapitel ein gegenteiliges Bild angedeutet; der Kriegsausbruch von 1939 scheint eher hemmend auf die Historie — insbesondere auf die Forschung zum Bauernkrieg — gewirkt zu haben. Wirklich geklärt ist das Zusammenspiel von Geschichtsschreibung zur Reformationszeit und Krieg respektive Kriegslegitimation im Nationalsozialismus damit aber nicht. Unüberhörbar erklangen nämlich auch aus der Geschichtswissenschaft die R u f e nach einem geistigen Kriegseinsatz. „Gewiß — die ersten Entscheidungen der Weltgeschichte fallen im elementaren Machtkampf der Männer und der Völker. [...] Aber hinter den ersten Entscheidungen kommen die zweiten Entscheidungen. Die elementaren Machtkämpfe finden ihre geistige Fortsetzung in dem, was wir Erziehung und Volksbildung nennen." Wenn aber, so fuhr Walter Frank in seiner Rede ,Die deutschen Geisteswissenschaften im Kriege' fort, „auf dem Sektor der Erziehung und Volksbildung eine Entscheidungsschlacht vorzubereiten war, so war sie nicht zu gewinnen ohne die Wissenschaft". 405 Der Präsident des Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschlands hob in dem Vortrag vor allem die Bedeutung der Geschichtswissenschaft hervor. Die Historie müsse ihre Planung auf den Punkt hin ausrichten, „wo unsere siegreichen Truppen zurückkehren und wo sich aus den ungeheuren elementaren Erlebnissen des Krieges der große Hunger, die große Sehnsucht nach der geistigen Deutung und Gestaltung dieses gigantischen Erlebens erheben wird." 406 Auf die Zeit nach dem Krieg fokussierte auch das ,Gemeinschaftswerk der Deutschen Geisteswissenschaften': R u n d 500 Wissenschaftler kamen 1940 auf einer Tagung in Kiel zusammen, u m über den „Kriegseinsatz" ihrer Disziplin zu beraten. Sie definierten ihre Aufgabe schließlich dahingehend, dass „die Idee einer neuen europäischen Ordnung [...] in einer wissenschaftlich unanfechtbaren Weise herauszuarbeiten und als die Wahrheit und Wirklichkeit des Lebens der eu-

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Vgl. Hamm: Hanns Rückert, S. 289/290 und 299-301. Frank: Die deutschen Geisteswissenschaften, S. 11/12. Frank: Die deutschen Geisteswissenschaften, S. 16.

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ropäischen Völker" darzustellen sei. 407 Dieses Ziel wurde auch dann noch aufrechterhalten, als sich die Kriegsniederlage längst abzeichnete. Im RSHA beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe um die Geschichtsprofessoren Günther Franz und Ernst Anrieh noch im März 1945 mit der Frage, wie der „europäische Lebensraum" nach dem militärischen Sieg politisch geordnet werden könne. 408 Gegenwartsbezogener war dagegen der „faustische Pakt der Ostforschung mit dem NSRegime": 4 0 9 Nicht wenige Vertreter der neuen Volksgeschichte stellten sich mit ihren demographischen, rassischen, geographischen und anthropologischen Studien direkt in den Dienst der nationalsozialistischen Ostpolitik und leisteten damit Vorarbeit zu Vertreibung, Vernichtung und Neuansiedlung in dem im Krieg eroberten ,Lebensraum'. 410 Der Reformationszeit kam diesbezüglich kaum eine Bedeutung zu. Als reichsinterner Konflikt bot der Bauernkrieg wenig Ansatzpunkte zur Neugestaltung des europäischen Raumes. Die Reformation kann zwar als europäische Bewegung gewertet werden, als Ordnungskriterium hatte sie in der nationalsozialistischen Ideologie jedoch keinen Platz. In Parteikreisen war sie nie als historischer Maßstab anerkannt worden. Dagegen konnte die Bauernkriegsforschung - vor allem über die Person von Günther Franz — zeitweise eine enge Verbindung zu parteiamtlichen respektive staatlichen Stellen eingehen. Diese Beziehung war bei Kriegsbeginn jedoch schon wieder stark aufgelockert. Günther Franz stellte sich zwar als Historiker weiterhin engagiert in den Dienst des Nationalsozialismus. Der Bauernkrieg spielte hierbei aber keine Rolle mehr. Neben der planerischen und institutionellen Verbindung stellt sich die Frage, ob Reformation und Bauernkrieg auf einer allgemeineren Ebene als Kriegslegitimation in Dienst genommen wurden. Florian Geyer tauchte in Liedern der SS als vorbildlicher, skrupelloser Kämpfer auf und Verbände der Wehrmacht wurden nach dem Anführer des Neckartal-Odenwälder Haufens, Götz von Berlichingen, benannt. Von solcher Ikonisierung kann jedoch nicht direkt auf die Historiographie geschlossen werden. Der umfassendste Versuch der historischen Legitimierung der deutschen Kriegspolitik war die Ausstellung ,Deutsche Größe'. Sie sollte die deutsche Geschichte im Sinne eines geistigen Kriegsbeitrages fruchtbar machen. In chronologischer Ordnung bot sie einen Uberblick über die deutsche Geschichte vom

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Vgl. Hausmann: .Deutsche Geisteswissenschaft', S. 62. Vgl.Vermerk vom 7. März 1945. BArch, NS 31, 416, Blatt 83 undVermerk vom 14. März 1945. BArch, NS 31,416, Blatt 81-82.Vgl. auch Franz: Mein Leben, S. 156-159 und Lerchenmueller: Die Geschichtswissenschaft, S. 136. Das Zitat entstammt dem Aufsatztitel von Hans Mommsen: Der faustische Pakt der Ostforschung mit dem NS-Regime. Anmerkungen zur Historikerdebatte, in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1999, S. 265-273. Die Liste der an solchen Projekten beteiligten Historiker ist lang, teilweise aber umstritten. Folgende Veröffentlichungen können für die Debatte als grundlegend bezeichnet werden: Oberkrome:Volksgeschichte; Schönwälder: Historiker; Schulze/Oexle: Deutsche Historiker und Haar: Historiker im Nationalsozialismus.

Reformation und Bauernkrieg in den Kriegsjahren Germanenreich bis z u m ,Großdeutschen R e i c h Adolf Hitlers'. Sie basierte also auf derselben Idee des nationalen völkischen Reiches, die auch diverse Publikationen der Bauernkriegs- u n d R e f o r m a t i o n s f o r s c h u n g prägte. Die Ausstellung wurde im N o v e m b e r 1940 in M ü n c h e n eröffnet u n d war als Wanderausstellung von Brüssel bis Prag unterwegs. Veranstalter war das Amt R o s e n b e r g , durchgef ü h r t wurde sie vom A m t für Schrifttumspflege u n d die Schirmherrschaft hatte der Stellvertreter des Führers, Reichsminister R u d o l f H e ß , inne. Falls man überhaupt von einem offiziellen nationalsozialistischen Geschichtsbild ausgehen will, so ist es in dieser Ausstellung zu suchen. Ihre Konzeption ist in Form eines ausführlichen Kataloges erhalten geblieben. 411 Die Ausstellung sollte laut Alfred R o s e n b e r g helfen „dem Kampf des Führers zu dienen" und ein „Ansporn zur Tat des Tages" sein. Heute werde u m die „ W i e derherstellung der G r ö ß e des Deutschen R e i c h e s " gekämpft u n d dieser Kampf der Gegenwart - der Zweite Weltkrieg - fordere das „Bewußtsein über Wesen u n d Mächtigkeit des Ringens der Vergangenheit". 4 1 2 Im Mittelpunkt stand denn auch nicht etwa die ,Geschichte der Rassen' oder Ähnliches, sondern das d e u t sche Streben nach dem Reich. Es gibt „keinen Stand in unserem Volk, der in diesem R i n g e n u m deutsche G r ö ß e fehlt", stellte der M ü n c h n e r Historiker Karl Alexander von Müller in der Einleitung des Bandes fest. 413 Die Ausstellung gliederte sich in 14 thematische R ä u m e , wovon einer der R e formationszeit gewidmet war. U n t e r der recht großen Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Ausstellung befand sich auch G ü n t h e r Franz. D e r Textteil zur Reformationszeit trägt unverkennbar seine Handschrift u n d stellt grob die Kurzversion eines Aufsatzes aus dem Jahr 1935 dar. 414 Luther erscheint nicht nur als der religiöse Befreier der Deutschen, sondern als, „wenn auch wider Willen, ein politischer Revolutionär". Luther habe die Einheit von Staat und Kirche zerstört u n d damit die Idee des universalen Reiches demontiert. D e m habe er das Modell eines Volkskaisers, der nur der deutschen N a t i o n „Ehre, Macht u n d Sicherheit" verpflichtet sei, entgegengestellt. Dieser R u f Luthers sei in der R e f o r mation dreimal von drei verschiedenen Ständen a u f g e n o m m e n worden: In der Reichsritterschaftsbewegung, im Bauernkrieg u n d schließlich nach der bäuerlichen Niederlage im K a m p f des Schmalkadischen Bundes gegen das spanische Servitut. Schließlich seien aber „alle Bestrebungen, die Reformation, die im letzten eine deutsche Revolution war, zum Siege zu führen, gescheitert". Als politische Bewegung habe die R e f o r m a t i o n daher mit einer Niederlage geendet, geistig jedoch die deutsche Selbstbefreiung eingeleitet. 415

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.Deutsche Größe'. Ausstellungskatalog, o. O. 1940/41. Vgl. auch Müller: Textband sowie Schönwälder: Historiker und Politik, S. 80 und 234-237. Alfred Rosenberg:Vorwort, in: Hans Georg O t t o / O t t o Schneider (Hg.): Deutsche Größe, München 1944. Otto/Schneider: Deutsche Größe, S. 28. Vgl. Franz: Der Reichsgedanke. .Deutsche Größe'. Ausstellungskatalog, o. 0 . 1 9 4 0 / 4 1 , S. 140-142.

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D e r Bauernkrieg erscheint also als Teil der R e f o r m a t i o n , als Teil einer „deutschen Revolution", deren Zielpunkt ein nationales deutsches R e i c h sei. Dies entspricht nicht nur in der Argumentation, sondern bis in einzelne Formulierungen hinein Franz' Aufsatz z u m ,Reichsgedanken in der deutschen B a u e r n b e w e gung'. 4 1 6 Dies mag aus zwei Gründen erstaunen: Erstens, weil Franz diesen Interpretationsansatz außer in dem genannten A u f satz nie verwendet hatte. Das R e i c h erschien in seinen Schriften zwar immer als eine Zielgröße der R e v o l u t i o n von 1525. Ab Mitte der 1930er Jahre hatte sich Franz j e d o c h viel m e h r für die nicht-christlichen Wurzeln dieser Revolution interessiert: den K a m p f u m das alte R e c h t u n d die germanische Vorstellung des göttlichen Rechts. Der Reformation maß er dabei keine Bedeutung zu. Im R a h m e n einer historischen Gesamtschau konnten aber weder die R e f o r m a t i o n noch Luther beiseite gelassen werden. In der ,Deutschen Größe' erschien das frühe 16. Jahrhundert also als Zeit, die für das Ideal eines deutschen Reiches kämpfte. Die Legitimationskraft dieses Bildes für die Kriegspolitik wäre deutlich verringert worden, w e n n die Vorstellung v o m R e i c h nur über eine germanisch-bäuerliche Tradition hergeleitet w o r d e n wäre. I n d e m die R e f o r m a t i o n ebenfalls als Ausdruck dieses ewigen Strebens interpretiert wurde, dürfte sich ein viel breiteres Publikum angesprochen gefühlt haben. Zweitens wird anhand dieses Textes nochmals deutlich, wie w e n i g sich die N S D A P selber u m ein eigenständiges Geschichtsbild bemühte. Trotz der B e d e u tung dieser Ausstellung basierte die Darstellung der Reformationszeit offensichtlich auf einem kurzen Aufsatz eines einzelnen, w e n n auch parteiloyalen, Historikers. Tatsächlich passt F r a n z ' A r g u m e n t a t i o n j e d o c h sehr gut in das Gesamtkonzept der Ausstellung. Dies mag auch erklären, weshalb die Schau auf eine einseitige Heroisierung Luthers verzichtete: Eine Gesamtdeutung der deutschen G e schichte von den Germanen bis zu Adolf Hitler ließe sich auf d e m theologischen D e n k e n eines Einzelnen nicht aufbauen. Mit der Ausstellung ,Deutsche Größe' lag zum ersten Mal eine Interpretation von R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg vor, die aufgrund der parteiamtlichen Organisation als offizielle Position bezeichnet w e r d e n k ö n n t e . Für die deutsche Kriegspropaganda wurde die Geschichte j e d o c h nie zu einem wesendichen Element. Auch nachdem Goebbels nach der Niederlage von Stalingrad den Totalen Krieg ausgerufen hatte, nahm die historische Legitimation keine dominante Stellung ein u n d damit blieben R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg ohne besondere Beachtung. Dementsprechend gering war die R ü c k w i r k u n g der ,Deutschen Größe' auf die Wissenschaft. G ü n t h e r Franz beschäftigte sich in den Kriegsjahren selbst nur noch zweitrangig mit der Reformationszeit. In der zweiten u n d dritten Auflage seiner Bauernkriegsmonographie (1939 u n d 1943) nannte er den B a u e r n krieg zwar auch einen Kampf ums R e i c h . Einen kausalen Z u s a m m e n h a n g zur R e f o r m a t i o n stellte er darin j e d o c h nicht her. Eine entgegengesetzte E n t w i c k -

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Vgl. Kapitel 4.3.2.

Zwischenfazit

lung ist dagegen bei Gerhard Ritter zu beobachten. Er arbeitete in den Kriegsjahren wieder verstärkt zur Reformationszeit. Allerdings diente diese Auseinandersetzung nicht einer Legitimierung des politischen Systems, sondern kam zunehmend einer Abgrenzung gleich. Selbstverständlich repräsentierten Franz und Ritter nicht die gesamte Historie jener Jahre. Typisch ist ihre Arbeit aber insofern, als eine zweite Lutherrenaissance oder die Beschwörung des Kampfmutes der Aufständischen von 1525 in der gesamten Geschichtswissenschaft ausblieb. 417 Fragt man nach einem allfälligen Kriegsbeitrag der deutschen Reformationsgeschichtsschreibung, so hat sich die Antwort wohl eher auf die Zeit vor 1939 zu konzentrieren. Fast allen in den vorherigen Kapiteln analysierten Arbeiten lag ein zunehmend völkisch national orientierter ReichsbegrifF zugrunde, der mit der mittelalterlichen Reichsvorstellung und den bäuerlichen Forderungen von 1525 nur bedingt etwas gemein hatte. Keine dieser Studien bemüht sich um eine Definition dieses Begriffs und er wird denn auch kaum einheitlich angewendet. Dennoch weisen sie eine entscheidende Gemeinsamkeit auf: Sie implizierten fast ausnahmslos ein schicksalhaft mit dem deutschen Volk verbundenes Streben nach einem Reichsideal, das mit der nationalsozialistischen Annexions- und Vernichtungspolitik im Osten seine konkrete Umsetzung fand — viele dieser Gebiete wurden „heim ins Reich" geholt. 418 Eine bewusste Legitimierung eines künftigen Krieges sei der Reformationsgeschichtsschreibung nicht unterstellt. Sie transportierte aber ein politisches Großkonzept, das den geistigen Nährboden für den kommenden Krieg vorzubereiten half.

4.8 Zwischenfazit Ein geschlossenes nationalsozialistisches Geschichtsbild hat es zu keiner Zeit gegeben. Oder anders formuliert: U m ein solches hat sich die NSDAP zu keiner Zeit bemüht. Das prägte auch die Interpretation des frühen 16. Jahrhunderts im .Dritten Reich'. Die vorangegangenen Kapitel haben die unterschiedlichen Blickwinkel der einzelnen Historiker auf die Reformation und den Bauernkrieg und die Differenzen zwischen den verschiedenen Darstellungen gezeigt. Es kann also nicht von der Reformations- oder Bauernkriegsinterpretation des Nationalsozialismus gesprochen werden. Vielmehr brachte die deutsche Historiographie zwischen 1933 und 1945 einen Strauß von Interpretationen hervor, die parallel zueinander existierten. Sie spiegelte nicht nur die ideologische Heterogenität des Nationalsozialismus wider, sondern bot sogar Raum für Deutungsansätze aus einer oppositionellen Perspektive. Das Beispiel Ritter hat dies veranschaulicht. Trotz 417

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Eine Ausnahme stellt ein Aufsatz von Oskar Thulin dar. Er schilderte die Reformation als mentalen Schutzwall gegen Osten und das lutherische Ostpreußen als „Bollwerk des Reiches gegen die von Moskau heraufkommende Großmacht Russland".Vgl. Oskar Thulin: Volkstum undVölker in Luthers Reformation, in:Archiv für Reformationsgeschichte 40 (1943), S. 1-30, hier S. 18. Kroll: Die Reichsidee, S. 187.

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dieser Vielfalt soll an dieser Stelle versucht werden, in knapper Form die wichtigsten Verläufe und Interaktionen zwischen den verschiedenen Positionen zu Reformation und Bauernkrieg nochmals nachzuzeichnen und in den zeitgenössischen politischen Kontext einzuordnen. Die Forderung nach einer neuen, politischen Geschichtswissenschaft war weniger von der hohen Politik, als aus den Reihen der Historiker und oft von den jungen Fachvertretern gekommen. 4 1 9 Die universitäre Geschichtswissenschaft war nach der Machtergreifung' durch eine eigenartige Mischung aus Kontinuität und Umbruch geprägt. Die Repression gegen .rassisch' oder politisch missliebige Fachvertreter kontrastierte mit der relativen Gleichgültigkeit gegenüber der Wissenschaft an sich. Ein kollektives Projekt zur grundsätzlichen Neuinterpretation der deutschen Geschichte im Geiste der neuen Machthaber ist nach 1933 nicht auszumachen; in der historischen Forschung und deren Publikationen spiegelte sich der politische Umbruch vorerst kaum. Dies gilt auch für die Geschichtsschreibung zu Reformation und Bauernkrieg. Sie behielt die grundsätzliche analytische Trennung der beiden Ereignisse bei, die ab Mitte der 1920er Jahre insbesondere von Gerhard Ritter und Günther Franz betont worden war. Abgesehen von Handbuchartikeln oder ähnlichen Uberblicksdarstellungen beschäftigten sich die Darstellungen zum frühen 16. Jahrhundert meist entweder mit der Reformation oder dem Bauernkrieg, jedoch nicht mit beiden Ereignissen zusammen. Die Kontinuität zu den Weimarer Jahren reichte jedoch weit tiefer. Günther Franz publizierte im Herbst 1933 die erste umfassende Monographie zum Bauernkrieg seit der Darstellung von Wilhelm Zimmermann. Er erkannte darin eine politische Revolution von unten, aus dem deutschen Bauerntum. Franz schilderte den Bauernkrieg als eine Bewegung, in der sich restaurative und visionäre Elemente überlagerten: einerseits hätten die Aufständischen um das alte Herkommen und die kommunale Gerichtsverfassung des Mittelalters und andererseits um einen idealen Zustand im Sinne der göttlichen Gerechtigkeit gekämpft. Den restaurativen Strang des Bauernkrieges führte Franz auf die mittelalterlichen Bauernunruhen zurück, den visionären dagegen auf das Denken Wiclifs und die hussitische Bewegung. Franz hatte seine Darstellung noch weitgehend vor der .Machtergreifung' verfasst. Dennoch reichte die Passfähigkeit zum neuen politischen System über die anbiedernden Formulierungen im Vorwort hinaus. Eine bewusste Parallelisierung entwickelte Franz jedoch erst in den folgenden Jahren. Als Richard Walther Darre im Oktober 1933 das,Reichserbhofgesetz' bekannt machte, nannte er das neue Gesetz die Verwirklichung der bäuerlichen Forderungen von 1525. In den nächsten Jahren wurde der Kreis um Darre und insbesondere der dem Reichsnährstand angegliederte Forschungsdienst zu einer wichtigen finanziellen und politischen Stütze für Franz' wissenschaftliche Arbeit. Mit dieser institutionellen Verflechtung verschob sich der Schwerpunkt seiner Bau-

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Vgl. auch Raphael: Radikales Ordnungsdenken, S. 13 und 30.

Zwischenfazit ernkriegsinterpretation: Ende der 1930er Jahre sah er die Wurzeln des Bauernkrieges nicht mehr im christlichen Mittelalter, sondern im germanischen Bauerntum. Es sei ein neuerlicher Versuch gewesen, die von Karl dem Großen zunichte gemachte Vision eines germanischen Reiches zu verwirklichen. Damit trennte er den Bauernkrieg nicht nur gänzlich von jedem reformatorischen Einfluss, sondern auch von allen mittelalterlich-europäischen Geistestraditionen (Wiclif/Hus) ab. Als germanische Revolution entsprach der Bauernkrieg nicht nur dem Geschichtsdenken Richard Walther Darrés oder Heinrich Himmlers, sondern auch Hitlers Vision eines germanischen Reiches deutscher Nation. Obwohl von Franz nie definiert, stellte die Vorstellung vom Reich in seiner Interpretation die eigentliche Verbindungsachse von den Germanen über die mittelalterlichen Bauern und den Bauernkrieg zum Nationalsozialismus dar. Franz interpretierte den anti-römischen (kirchlichen und rechtlichen) Kampf des „deutschen Bauern" als Teil des , ewigen Kampfes' ums Reich. Die Revolution von 1525 wird damit zur Vorläuferbewegung der NS-Revolution. Trotz diesen Affinitäten stieß diese Interpretation in den Kriegsjahren kaum mehr auf ein Echo und wurde auch von Günther Franz nicht weiterverfolgt. Eine Alternative dazu entwickelte Franz' früherer Assistent Walther Peter Fuchs. Er rückte den Bauernkrieg in einer Veröffentlichung von 1942 wieder nahe an die Reformation heran. Luthers Neubewertung der Arbeit als Gottesdienst habe den Bauern bisher unbekannte Selbstachtung gegeben und damit ihren Kampf um eine neue politische und ökonomische Ordnung erst ermöglicht. In seiner gemäßigten Phase sah Fuchs den bäuerlichen Aufstand in Einklang mit Luthers eigenen gesellschaftlichen Forderungen stehen. Damit interpretierte er Luther nicht als den nur auf das Innere bedachten Theologen, sondern als einen auch auf das Gesellschaftliche abzielenden Reformator. Luther erschien als Vordenker der politischen Revolution von 1525. Hierin unterschied sich Fuchs wesentlich von den Interpretationen seiner Kollegen. Vergleichbar zu Franz war jedoch Fuchs' Erklärung für die Niederlage der Revolution — beide führten diese auf das ,Führerproblem' der Bauernbewegung zurück. Eine ähnliche Verbindung von Reformation und Bauernkrieg wie Fuchs hatte bereits einige Jahre zuvor Rudolf Stadelmann präsentiert. Die Reformation war laut Stadelmann Teil einer Deutschen Revolution, zu der auch die erste Phase des Bauernkrieges (Aufstände im Südwesten) gezählt werden müsse. Der Bauernkrieg sei nicht nur ein Kampf um „altes R e c h t " , sondern auch um die lutherische Predigt und das „göttliche Regiment" gewesen. Reformation und Bauernkrieg werden bei Stadelmann Teil einer vom deutschen Volk getragenen Revolution um die Nation. Der Zielpunkt der Deutschen Revolution sah Stadelmann in einem nationalen Reich. Er schrieb der Volksbewegung des 16. Jahrhunderts grob dieselbe Bestimmung zu wie bereits Günther Franz. Damit wich Stadelmanns Interpretation in zwei wesentlichen Punkten von deqenigen seines Mentors Gerhard Ritter ab: Ritter hatte Reformation und Bauernkrieg immer als eigenständige Bewegungen angesehen. Zweitens war die Reformation für ihn eine geistige, vom religiösen Genie Luthers getragene und mehrheitlich erfolgreiche R e -

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volution. Ritters Reformationsbild fokussierte seit Mitte der 1920er Jahre stark auf Martin Luther. Der Wittenberger Reformator erschien ihm als von so großer Leuchtkraft, dass er ihn als idealen Orientierungsstern fur die Gegenwart ansah. Ritters Argumentation war stark national geprägt und anfanglich kaum von völkischen Vorstellungen zu unterscheiden. Diesbezüglich präzisierte Ritter sein Lutherbild in der zweiten Hälfte der nationalsozialistischen Herrschaft erheblich. Die dritte Auflage von Ritters Luther-Biographie von 1943 war nicht mehr ein Aufruf zur nationalen Entfaltung des deutschen Volkes, sondern ein Appell an das Gewissen jedes Einzelnen. Die Freiheit eines Christenmenschen sei nicht eine Freiheit zur Willkür, sondern bleibe an das Gesetz Gottes gebunden. Explizit wies Ritter sogar daraufhin, dass Luthers Denken weder den rassischen Antisemitismus kenne noch zur Legitimierung eines Angriffskrieges tauge. Damit grenzte sich Gerhard Ritter direkt von der Interpretation seines Kieler Kollegen Otto Scheel ab. Scheel deutete Luther zwar — wie auch Ritter — von dessen Gewissensethik her, fand von hier aus aber zu einer theologischen Begründung für autoritäres politisches Handeln fern des positiven Rechts. Bei Otto Scheel wurde Luther zu einem frühen Theoretiker der Führerideologie. Bemerkenswert ist, dass alle diese Interpretationsansätze in einer starken Kontinuität zur Weimarer Historiographie stehen und auch viele Interpretationselemente des 19. Jahrhunderts aufnehmen. Als originär nationalsozialistisch erweisen sich nur Elemente der jeweiligen Interpretationsrichtung. Parteiamtliche Vorgaben oder gar Zwang spielten dabei kaum eine Rolle. Insbesondere für die Arbeit von Günther Franz waren die Verbindungen zu Parteistellen zwar von Bedeutung. Die zunehmende Ausrichtung seiner Bauernkriegsarbeit auf die Ideologie des Reichsnährstandes kam jedoch nicht auf institutionellen Druck hin zustande, sondern entsprang Franz' eigener Initiative. Einzig Gerhard Ritter wurde nach den Auseinandersetzungen auf dem Zürcher Historikerkongress von 1938 in seiner Arbeit von politischer Seite her eingeschränkt. An seinen Publikationsmöglichkeiten änderte dies jedoch kaum etwas — die dritte Auflage seiner Luther-Biographie erschien 1943 trotz deutlicher Kritik an der nationalsozialistischen Herrschaft in großer Auflage. 420 Als zunehmend in Opposition zum nationalsozialistischen Regime stehender Historiker stellte Ritter eine Ausnahme dar. Das Gros der Reformations- und Bauernkriegshistoriker standen dem ,Dritten R e i c h ' loyal gegenüber und Heß dies in ihren Arbeiten auch deutlich werden. Diese Politisierung drückte sich oft in anbiedernden Floskeln im Vorwort oder durch vereinzelte rassische und antisemitische Wendungen aus. Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass auch unter den systemloyalen Historikern kaum ein einheitlicher Zugriff auf das frühe 16. Jahrhundert festzustellen ist. Fragt man dennoch nach tiefer liegenden Prägungen durch den Nationalsozialismus, so können drei Punkte genannte werden. Erstens ist das ,Führerproblem' zu erwähnen.Von Franz über Fuchs bis zu Stadelmann wird die Niederlage der Revolution von

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Vgl. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 626.

Zwischenfazit 1525 mit dem Fehlen einer überragenden Führerpersönlichkeit begründet. Von keinem der Genannten wird diese Argumentation extrem in den Vordergrund gerückt, aber sie ist deutlich präsent. Zweitens ist der Reichsbegriff zu thematisieren: Die Idee des Reiches prägte das deutsche politische Denken über Jahrhunderte. Schon im 19. Jahrhundert verband sich damit eine ahistorische Idealvorstellung; das nationale Reich erschien als angebliche Zielgröße der deutschen Geschichte. Nach dem Ersten Weltkrieg verband sich mit dem Reichstopos zunehmend eine völkische Perspektive. D e m Nationalsozialismus war zwar kein klar definierter Reichsbegriff eigen. 421 Gerade aber in den Bauernkriegsaufsätzen von Franz und Leers verbindet er sich deutlich mit nationalsozialistischem Denken. Der Bauernkrieg wird ein Teil des „ewigen Kampfes" ums R e i c h und erhält durch die angebliche germanische Kontinuität eine rassische Konnotation. Ein solcher Reichsbegriff projizierte eine Idealvorstellung der nationalsozialistischen Gegenwart auf den historischen Gegenstand Bauernkrieg. Drittens werden die Umbrüche des frühen 16. Jahrhunderts fast durchgehend als Volksbewegung oder Volksrevolution dargestellt. Dieser Blickwinkel korrespondierte vorzüglich mit der Selbstzuschreibung des Nationalsozialismus als einer Revolution des deutschen Volkes; originär nationalsozialistisch war er jedoch nicht. Günther Franz hatte die Bauern als Träger der Revolution von 1525 seit Mitte der 1920er Jahre ernst genommen. Die eigentlichen Vorreiter eines solchen Ansatzes waren aber Wilhelm Zimmermann und Friedrich Engels. Mit dem Aufkommen der Volksgeschichte war es jedoch gelungen, diesen ehemals politisch links geprägten Interpretationsansatz im Sinne des Nationalsozialismus fruchtbar zu machen. Volk und Gemeinschaft wurden zu Gegenbegriffen zu Internationalismus und Klasse. Hatte Friedrich Engels Reformation und Bauernkrieg als Klassenkampf gesehen, entdeckte Günther Franz nun den Bauernkrieg, wenig später Rudolf Stadelmann die Reformation, als Volksrevolution. Das frühe 16. Jahrhundert erschien nun als eine Zeit, in der das deutsche Volk aufgestanden war, u m gegen die (religiöse und rechtliche) römische Überfremdung vorzugehen, um die deutsche Nation zu einem germanischen Reich zu einen. Damit erscheinen die Ziele der Deutschen Revolution zu Beginn des 16. Jahrhunderts kongruent zu der ,Volkswerdung' in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft. Der Kampf gegen die internationale Ordnung des Völkerbundes und die Idee des liberal-demokratischen Verfassungsstaates spiegelte sich im 16. Jahrhundert im Kampf gegen die römische Kirche und das fremde römische Recht. Insgesamt blieben Reformation und Bauernkrieg für den Nationalsozialismus aber zwiespältige Ereignisse. Luther taugte zwar als vorbildliche, heroische Führerfigur, es haftete ihm aber zu viel Theologie und Christentum an. Versuche, Luther als germanischen Revolutionär darzustellen, waren zwar nicht unbekannt, in der wissenschaftlichen Diskussion gelangten sie jedoch nie zu Einfluss. Im U n terschied zur Reformation konnte der Bauernkrieg recht einfach von der christ-

421

Vgl. auch Kroll: Die Reichsidee.

165

Revolution für Volk und Reich.

1933-1945

liehen Tradition gereinigt werden. Als Volksaufstand gegen die damalige Herrschaft blieb jedoch ein oppositionelles Element an ihm haften, das mit dem Verweis auf das ,Führerproblem' nur bedingt entschärft werden konnte. Zu erklären bleibt damit, weshalb der Bauernkrieg im ,Dritten Reich' nur als historischer Beleg für die tiefe Verankerung der völkischen Bewegung herangezogen wurde, jedoch nicht auch als Vorbild fur den politischen Widerstand diente. Oder anders formuliert: Weshalb fand oppositionelles Denken Ausdruck in einer Luther-Biographie (der dritten Auflage von Ritters Studie), aber nicht in einer Darstellung des Widerstands des gemeinen Mannes gegen die Feudalherren? Angesichts der politischen Tradition der Bauernkriegsdarstellungen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird dies verständlich. Spätestens seit Engels' Studie war der Bauernkrieg im Geschichtsbild der (linken) Arbeiterbewegung fest verankert. Der historistisch geprägten deutschen Geschichtswissenschaft war der Blick auf eine Bewegung von unten jedoch völlig fremd. Erst Günther Franz entdeckte den Bauernkrieg als bedeutenden historischen Gegenstand. Politisch war die universitäre Historikerschaft traditionell konservativ eingestellt. Liberale Geister waren schon in der Weimarer Zeit eine Ausnahme und verloren ihren Einfluss nach 1933 fast gänzlich. Sozialdemokratische oder gar marxistische Historiker konnten höchstens noch in der Emigration arbeiten. Oppositionelle Geschichtsschreibung muss im nationalsozialistischen Deutschland daher nur auf konservativer Seite gesucht werden - und findet sich etwa bei Gerhard Ritter. Für einen Historiker wie Ritter war die Revolution von 1525 jedoch kein Orientierungspunkt: Für historistisch geprägte Geister stellte der revolutionäre Staatsaufbau von unten keine Alternative zur nationalsozialistischen Diktatur dar. Diese Sichtweise wurde in Deutschland erst nach dem Krieg wieder etabliert — gewissermaßen als Import aus der Sowjetunion.

166

5 Marxistische Rückeroberung. 1945-1949 Der Wiederaufbau nach der militärischen Kapitulation des .Dritten Reiches' führte in großen Schritten auf den Pfad der doppelten Staatsgründung. Im geteilten Deutschland prallten nicht nur zwei Ideologien aufeinander, sondern politische Systeme, die sich in Abgrenzung voneinander zu behaupten versuchten. Während in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Transformation in eine Volksdemokratie stalinistischer Prägung zügig voranging, stellte in den westlichen Besatzungszonen der Antikommunismus den größten gesellschaftlichen Nenner dar. Weder die westliche noch die östliche Staatsgründung kann auf eine simple Formel gebracht werden. Die sich herausbildende B R D baute zwar stärker auf den Strukturen des Vorgängerstaates auf als die D D R . Dennoch greift eine simple Apostrophierung der jeweiligen Staatsbildung als Restauration und Revolution zu kurz. 1 Für die Geschichtswissenschaft besitzen die beiden Begriffe dennoch einige Aussagekraft. Und zwar sowohl was den institutionellen und personellen Wiederaufbau anbelangt als auch hinsichtlich der Interpretationsmuster, auf die die Historie im jeweiligen System zurückgriff. In beiden Besatzungszonen nahmen die meisten Universitäten innerhalb eines Jahres ihren Betrieb in beschränktem Umfang wieder auf. Nicht zuletzt wegen den Entnazifizierungsmaßnahmen blieben jedoch viele Lehrstühle vorerst unbesetzt. 2 Günther Franz war einer derjenigen Ordinarien, die am längsten auf eine Neuberufung warten mussten: Als ehemaliger Angehöriger der Reichsuniversität Straßburg stand er nach Kriegsende automatisch ohne Lehrstuhl da. Aufgrund seiner vielfältigen Verstrickungen in den nationalsozialistischen Partei- und Herrschaftsapparat sollte es bis 1957 dauern, bis er an der damaligen Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim wieder einen Lehrstuhl erhielt.3 Nicht belastete Professoren wie Gerhard Ritter konnten ihre wissenschaftliche Karriere dagegen ohne größere Unterbrechung über das Jahr 1945 hinaus weiterfuhren. Dies galt aber auch für nicht wenige Historiker, die ihre Arbeit in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt hatten - und zwar sowohl im Westen wie im Osten. 4 1 2

3 4

Vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 53—56 und 196-303. Vgl. S c h u l z e / H e m / O t t : Deutsche Historiker, S. 13-15. Einen Überblick bieten Vollnhals: Entnazifizierung und Frei:Vergangenheitspolitik, S. 96—100. Vgl. Kapitel 7. Die Gegenüberstellung von Günther Franz und Gerhard Ritter darf nicht als repräsentativ angesehen werden. Zu recht ist in der Debatte um die Verstrickungen der deutschen Historiker im Nationalsozialismus auch immer wieder auf die großen personellen Kontinuitäten vom .Dritten Reich* in die B R D hingewiesen worden. Ein erstes Résumé der Debatte findet sich bei Jürgen Kocka: Zwischen Nationalsozialismus und Bundesrepublik. Ein Kommentar, in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1999, S. 340-357. Als prominentes Beispiel eines NS-belasteten Historikers, der in der D D R zu Amt und Würden kam, kann etwa Fritz R ö r i g genannt werden. Die Zahl der in der S B Z wieder eingestellten Dozenten und Professoren mit NSDAP-Vergangenheit wird in einer knappen Zusammenstellung der Zentralverwaltung fur Volksbildung der S M A D mit folgenden Zahlen angegeben: 1945: 7, 1946: 17, 1947: 39, 1948: 29.Vgl. BArch, D R 2, 911, Blatt 104.

167

Marxistische Rückeroberung.

1945—1949

Dennoch war der Bruch im Wissenschaftssystem und damit auch in der G e schichtswissenschaft in der S B Z / D D R weit größer als im Westen. Während in den westlichen Besatzungszonen viele Universitätsinstitute weitergeführt wurden und die traditionellen Zeitschriften wie die H Z oder das A R G bald wieder erschienen, entstanden im Osten weitgehend neue Strukturen. Die SED trat seit ihrer Gründung mit der Devise an, die Fehler der deutschen Arbeiterbewegung zu korrigieren und die Revolution von 1918 zu Ende zu fuhren. 5 Der Anspruch des revolutionären Neuanfangs spiegelte sich in der S B Z / D D R auch in der Geschichtswissenschaft und dem propagierten Geschichtsbild. Griffen in den Westzonen die meisten Historiker auf die altbekannten Erklärungsansätze des Historismus zurück, so rückte in der S B Z zunehmend ein materialistisches G e schichtsverständnis in den Vordergrund. Dadurch erhielt auch das Bild von R e formation und Bauernkrieg sehr bald neuartige Schattierungen. 6 Nicht erst der Kalte Krieg führte zu rivalisierenden Betrachtungen der Reformationszeit. Dennoch muss der Zweite Weltkrieg als Zäsur aufgefasst werden; die Qualität der Auseinandersetzung wurde eine andere. Waren methodische und interpretatorische Auseinandersetzungen bisher zu einem wesentlichen Teil innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft ausgetragen worden, so wurden diese Konflikte nun auch zu einer zwischenstaatlichen Auseinandersetzung. Der Geschichte und den dominanten Geschichtsbildern kam eine Bedeutung in der Legitimation der beiden deutschen Staaten zu, die bisher unbekannt gewesen war. Im nationalsozialistischen Deutschland hatten nicht wenige Historiker versucht, mit ihren Interpretationen der Reformationszeit dem nationalsozialistischen ,Kampf ums R e i c h ' historische Tiefe und Legitimation zu verleihen. Als ideologische Hauptgegner des faschistischen' Deutschland waren vor allem marxistische und insbesondere sowjetische Historiker darum bemüht, diese Darstellungen durch alternative Geschichtsbilder zu konkurrieren. Diese Arbeit begann lange vor Kriegsende und war danach Teil der sowjetischen Besatzungspolitik in der S B Z . Dieser marxistischen Rückeroberung bis zur Gründung der D D R 1949 widmet sich das vorliegende Kapitel. Der erste Abschnitt thematisiert die Neugestaltung der Historie in der SBZ. Der zweite geht ausfuhrlich auf die Arbeit eines sowjetischen Frühneuzeithistorikers ein: Moisej Smirin b e leuchtete mit seinen Studien zum Bauernkrieg das frühe 16. Jahrhundert aus einer neuen Perspektive, die fur die DDR-Geschichtswissenschaft bald zu einem dominanten Orientierungspunkt werden sollte.

5

6

Vgl. Entschließung der Ersten Parteikonferenz der SED', Punkt IV. 1, ediert beispielsweise in Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung, S. 498. Vgl. Jessen: Akademische Elite, S. 261-285.

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Geschichtsschreibung im Dienste der Besatzungsmacht

5.1 Geschichtsschreibung i m Dienste der Besatzungsmacht Fragt man nach dem Ursprung der geschichtswissenschaftlichen Nachkriegsordnung in den von der R o t e n Armee besetzten Gebieten Deutschlands, muss der Blick weit in den Osten gerichtet werden. N o c h bevor die Niederlage von Hitlers Armeen einsetzte, gründeten führende deutsche Kommunisten in der sowjetischen Emigration das Nationalkomitee. Uber diese Institution begannen sie mit „intensiver Aufklärungs- und Lehrtätigkeit" unter deutschen Kriegsgefangenen, unter anderem auf dem Gebiet der Geschichte. 7 Mit dem sich abzeichnenden Ende des .Dritten Reiches' wurden Gedanken zur Nachkriegsordnung immer aktueller. Das Zentralkomitee (ZK) der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bildete im Februar 1944 im Moskauer Exil eine Arbeitsgruppe, die unter anderem eine Konzeption für den Geschichtsunterricht in einem neuen Deutschland entwickeln sollte. 8 Dabei w u r d e auch eine Periodisierung der deutschen Geschichte erarbeitet. Die Reformation fand darin keine Erwähnung, u n d der Bauernkrieg erschien als Teil einer 1410 beginnenden „Periode der Volksrevolution". 9 Eine zweite Periodisierung wurde später von einer vom ZK eingesetzten Kommission entworfen. Das 16. Jahrhundert wurde in dem wenige Tage nach Kriegsende fertig gestellten Papier immer noch als zum Mittelalter zugehörig dargestellt, allerdings wurden nun sowohl der Bauernkrieg als auch die Reformation explizit erwähnt und in einen direkten Zusammenhang zueinander gestellt. 10 Beide Ereignisse erschienen in einem positiven Licht. In Luther wurde ein Streiter gegen die Fürstenmacht und den Gewissenszwang gesehen und eine direkte Linie von ihm zu Martin Niemöller gezogen. 11 Diese Interpretationsform sollte in der SBZ nicht mehr auftauchen. Mit der sich langsam abzeichnenden Teilung Deutschlands verblassten die Bilder Luthers und Niemöllers in der SBZ zunehmend und diese Figuren verloren ihre identifikationsstiftende Wirkung. An ihre Stelle trat zunehmend der alles überstrahlende Antifaschismus, der für die entstehende DDR-Gesellschaft bald eine zentrale Bindekraft war. 12 Die Periodisierungskonzepte von 1944 und 1945 blieben jedoch in einem wesentlichen Punkt aktuell. Sie sahen das Ende des Mittelalters nicht u m 1500 wie dies in der deutschen Geschichtsschreibung bis dahin üblich war - , sondern interpretierten die Französische Revolution als Ubergang zur Neuzeit. Damit war die in der Sowjetunion übliche Periodisierung übernommen worden. 1 3 7 8 9 10 11

12 13

Berthold: Marxistisches Geschichtsbild, S. 122. Vgl. Berthold: Marxistisches Geschichtsbild, S. 123. Berthold: Marxistisches Geschichtsbild, S. 129. Vgl. Berthold: Marxistisches Geschichtsbild, S. 132. Vgl. Berthold: Marxistisches Geschichtsbild, S. 148. Martin Niemöller ( 1 8 9 2 - 1 9 8 4 ) war protestantischer Pastor und führender Vertreter der gegen die Nationalsozialisten gerichteten Bekennenden Kirche. Vgl. Münkler: Antifaschismus. Vgl. Abendroth: Das Ende, S. 50.

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Marxistische Rückeroberung. 1945—1949 Die Sowj etisierung machte sich alsbald auch in den wissenschaftlichen Institutionen bemerkbar. Schon im Juni 1945 gründete die Sowjetische Militäradministration (SMAD) die Zentralverwaltung für Volksbildung zur thematischen Kontrolle der universitären und außeruniversitären Forschungsinstitute. Entnazifizierung und Sowjetisierung gingen dabei Hand in Hand. 1 4 Als Problem erwies sich bald die personelle Situation. Als die historischen Institute an den Universitäten zum Wintersemester 1946/47 ihren Lehrbetrieb wieder aufnahmen, 1 5 standen zunächst fast ausschließlich bürgerliche Historiker zur Verfügung - j e doch auch die nur noch in geringer Zahl. 1 6 U m dieses Manko aufzufangen, organisierte die SED Intensiv-Dozentenkurse und eröffnete so genannte Vorstudienanstalten (die späteren Arbeiter- und Bauernfakultäten), in denen sofort nach marxistisch-leninistischen Grundsätzen unterrichtet werden konnte. 1 7 Die Zentralverwaltung fur Volksbildung forcierte von Beginn an ein Traditionsverständnis, das gemeinhin als Misere-Theorie bezeichnet wird. 1 8 Diese G e schichtsauffassung besagt, dass die deutsche Geschichte seit dem 16. Jahrhundert in fatalerweise auf die Diktatur und die Verbrechen des Nationalsozialismus hingesteuert sei. Die dominanten Strömungen der deutschen Geschichte, die jeweils siegreichen Bewegungen, wurden damit grundsätzlich negativ beurteilt. Dabei wurden sogar die Fehler der deutschen Arbeiterbewegung hervorgehoben, die es vor dem Ersten Weltkrieg versäumt habe, eine Partei nach leninistischem Vorbild zu gründen. 1 9 Die Funktion eines derartigen (Selbst-)Verständnisses war dreifacher Natur: Erstens erfolgte eine klare Abgrenzung zur unmittelbaren nationalsozialistischen Vergangenheit. Zweitens wurde die Notwendigkeit der Existenz eines sozialistischen Deutschlands nach sowjetischem Vorbild manifestiert. Mit der Deutung der deutschen Geschichte als einem schicksalhaften, in der Katastrophe endenden Prozess wurde der in der SBZ propagierte totale antifaschistische Neuanfang zur einzigen Alternative erklärt. Damit war eine Ablehnung des im Alleinvertretungsanspruch der B R D m ü n d e n d e n Selbstverständnisses der westlichen Besatzungszonen verbunden. 2 0 Die Legitimität eines westdeutschen Staates wurde gerade wegen dessen Einordnung in die Kontinuität deutscher

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17 18 19 20

Die strukturelle Umbildung der Universitäten nach sowjetischem Muster setzte etwas später ein und wird von den meisten Autoren auf das akademische Jahr 1947/48 bezogen. Vgl. Matzing: Geschichte im Zeichen des historischen Materialismus, S. 75/76 und Fischer: Der Weg zur Gleichschaltung. Siehe auch Lemke: Sowjetisierung. Vgl. BArch, D R 2, 636. Als Beispiele seien hier Zahlen der Universitäten Halle und Leipzig angeführt. In Halle wurden im Zuge der Entnazifizierung 125 Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragte entlassen, wovon 21 der Philosophischen Fakultät angehört hatten. In Leipzig wurden von insgesamt 222 Lehrkräften 170 entlassen. Vgl. Mätzing: Geschichte im Zeichen des historischen Materialismus, S. 68. Vgl. auch Jessen: Akademische Elite, S. 43-49. Vgl. Jessen: Akademische Elite, S. 336-349. Vgl. Neuhäußer-Wespy: Die SED und die Historie, S. 16. Vgl. Florath:Von der historischen Mission, S. 207. Da die B R D völkerrechtlich als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches angesehen wurde, erhielt dieser Anspruch eine juristische Bestätigung.Vgl. Benz: Die Gründung, S. 137.

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Geschichtsschreibung

im Dienste

der

Besatzungsmacht

Geschichte angezweifelt. Drittens fiel dadurch ein positives Licht auf die sowjetische Besatzungsmacht. O h n e dies explizit auszusprechen, wurde der deutschen Gesellschaft die Fähigkeit zu einem Wandel aus eigener Kraft abgesprochen. Die Abkehr vom Nationalsozialismus und der Durchbruch der sozialistischen Revolution war nur dank sowjetischer Hilfe erreicht worden. Bereits ein Jahr nach Kriegsende schlug sich diese Sichtweise auch publizistisch nieder. Schon während des Kriegs hatte Alexander Abusch (1902—1982) seine Studie .Irrweg einer Nation' geschrieben, jetzt konnte er sie publizieren. Er spann darin einen Bogen von der Niederlage der Bauernheere 1525 über die missglückten Revolutionen von 1848 und 1918 bis zum .Dritten Reich'. Luther sei „der größte geistige Führer der Gegenrevolution" 2 1 gewesen und stehe damit in einer Linie mit Friedrich II., Bismarck und Hitler. 22 Mit dem Titel ,Von Luther bis Hitler' nahm Wolfram von Hanstein (1899—1965) diese Interpretation im Jahr darauf auf: Luther sei der erste Politiker gewesen, der den deutschen Imperialismus verkündet habe. 23 Erst das Kriegsende habe in der SBZ zu einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit gefuhrt, der es erlaube, den Pfad der vergangenen Jahrhunderte zu verlassen. Die Misere-Theorie entwickelte sich so zu einer frühen Spielart der (west)deutschen Sonderwegthese. 24 Weder den preußisch geprägten Nationalstaat des 19. Jahrhunderts als E n d punkt der R e f o r m a t i o n zu sehen noch eine Verbindung von Luther zu Hitler herzustellen waren originär sozialistische Konstrukte. Vielmehr entstammen sie historischen Wahrnehmungen des 19. Jahrhunderts respektive der Zeit des N a tionalsozialismus. In der SBZ kam also eine altbekannte nationalgeschichtliche Formel zu neuen Ehren, jedoch mit vertauschten Vorzeichen. 25 Besonders frappant ist dies bei Abuschs ,Irrweg'. Die gut zehn Seiten zur Reformationszeit wirken über weite Strecken wie eine Zusammenfassung von Stadelmanns Beitrag zum .Handbuch der deutschen Geschichte' aus dem Jahre 1936. 2 6 Nicht nur das Interpretationsschema ,Von Luther zu Hitler' ist sowohl bei Abusch als auch bei Stadelmann präsent. Beide Autoren beschrieben die politische Lage mit dem Begriff der Krise, die ihre Ursache in der schwachen Zentralgewalt gehabt habe. Parallel ist auch ihr Blick auf die römische Kirche, die sie als anti-nationale Einrichtung werten. Damit sehen sie in der Reformation eine nationale R e v o lution, die sich zur Durchsetzung ihrer Ziele mit einer sozialen Bewegung ver21 22 23 24

25 26

Abusch: Der Irrweg einer Nation, S. 22. Vgl. Abusch: Der Irrweg einer Nation. Das Buch erschien erstmals 1946. 1947 wurde eine separate Westberliner Auflage publiziert. Vgl. Hanstein:Von Luther bis Hitler, S. 7 und 22. Die .klassische' Sonderwegsthese beschreibt Deutschlands Entwicklung als eine Geschichte der im Vergleich zu Westeuropa verspäteten Nationalstaatsbildung. Die Misere-Theorie geht in Anlehnung an Karl Marx und Friedrich Engels ebenso von einem deutschen Sonderweg aus, der jedoch in der revolutionären Rückständigkeit zu sehen sei. Vgl. Schultz: Die D D R Geschichtswissenschaft, S. 229. Eine vergleichbare Studie publizierte Friedrich Meinecke in den westlichen Besatzungszonen.Vgl. Friedrich Meinecke: Die deutsche Katastrophe,Wiesbaden 1946. Vgl. Kapitel 4.6.1 und Abusch: Der Irrweg einer Nation, S. 10-24.

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Marxistische Rückeroberung.

Í945-Í949

b u n d e n habe u n d schließlich im Bauernkrieg „verblutet" (Stadelmann) respektive durch Luther „verraten" (Abusch) worden sei. 27 Von einer materialistischen B e g r ü n d u n g dieser nationalen R e v o l u t i o n war Abusch genauso weit e n t f e r n t wie dies auch Stadelmann gewesen war. 2 8 Trotz aller Entnazifizierungsbemühungen und antifaschistischer R h e t o r i k fielen solche Parallelen in den Nachkriegsjahren offenbar nicht negativ auf. So war denn dieses altbekannte, neu beleuchtete Geschichtsbild nicht nur in populärwissenschaftlichen Geschichtsbüchern präsent, sondern fand auch Eingang in die Symbolik der Politik. Allerdings konnten politische M a ß n a h m e n nicht nur über eine Abgrenzung von der Misere der deutschen Geschichte begründet werden. D e r A u f b a u einer n e u e n Gesellschaftsordnung b e d u r f t e auch positiver Bezugspunkte. Bisher unterdrückte Gesellschaftsentwürfe der Arbeiterbewegung sollten der politischen Neugestaltung nach 1945 historische Legitimität verleihen. Ein qualitativ vergleichbarer Bezug wurde auch zu den aufständischen Bauern von 1525 gemacht. Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist die im Herbst 1945 eingeleitete B o d e n r e f o r m . U n t e r der Losung J u n k e r l a n d in B a u e r n h a n d ' w u r d e n r u n d 7000 G r o ß g r u n d b e s i t z e r entschädigungslos enteignet, w o m i t die w i r t schaftliche Basis der politisch ehemals m ä c h t i g e n J u n k e r g e b r o c h e n w e r d e n sollte. 29 Das Projekt war am 2. September mit einer R e d e des KPD-Politikers Wilhelm Pieck eingeleitet worden, in der er auch an den Bauernkrieg von 1525 erinnerte. D e r T r a u m der B a u e r n u n d Landarbeiter, das „Junkerland" in ihre Hände zu nehmen, sei damals z u m ersten Mal z u m Ausdruck gekommen. 3 0 Kein halbes Jahr nach Kriegsende verwies Pieck auf ein m e h r als 400 Jahre zurückliegendes Ereignis der deutschen Geschichte. Er versuchte die B o d e n r e f o r m durch diese Kontinuitätskonstruktion zu legitimieren und reaktivierte eine lange Zeit von der deutschen Arbeiterbewegung reklamierte Traditionslinie. Allerdings v e r w e n d e t e er damit auch dasselbe historische A r g u m e n t , mit d e m R i c h a r d Walther D a r r é zwölf Jahre zuvor das R e i c h s e r b h o f g e s e t z b e g r ü n d e t 27

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Während Abusch Luthers Rolle im Bauernkrieg rein negativ wertete, kritisierte Stadelmann den Reformator zwar für dessen „Fehleinschätzung" des Bauernaufstandes, hielt im jedoch zugute, damit zwar die Revolution geopfert, aber zumindest die Reformation gerettet zu haben. Vgl. Stadelmann: Deutsche Geschichte, S. 90/91. Die nationale Ausrichtung von Abuschs Interpretation weist auch Parallelen zu Engels' Bauernkriegsschrift auf. Im Unterschied zu Engels erscheinen Reformation und Bauernkrieg bei Abusch jedoch nicht als soziale Konflikte und schon gar nicht als Klassenkampf. Insofern liegt seine Darstellung deutlich näher bei Stadelmann als bei Engels. Vgl. Bauerkämper: Ländliche Gesellschaft, S. 51—122, insbesondere 86/87. Allgemein zur Bodenreform siehe Arnd Bauerkämper (Hg.): Junkerland in Bauernhand'? Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreformation in der Sowjetischen Besatzungszone, Stuttgart 1996. Pieck: Junkerland, S. 18. Piecks Rede wurde von Kurt Hager anlässlich des Bauernkriegsgedenkjahres 1975 zitiert. Vgl. Hager: Das Vermächtnis von 1525, S. 43-49. Hager schrieb, Pieck habe in dieser R e d e auf die mehr als 400-jährige „Kampftradition" der deutschen Bauern verwiesen. Tatsächlich sprach Pieck aber nur vom Wunsch der Bauern nach demokratischer Herrschaft und eigenem Grund und Boden. Hagers Interpretation von Piecks R e d e stellt zwar nur eine kleine Abweichung dar, sie kann aber als charakteristisch für den Wandel im Geschichtsbild der D D R bis 1975 angesehen werden. Vgl. Kapitel 6.4.2.

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Geschichtsschreibung im Dienste der Besatzungsmacht hatte. 31 O b Pieck deshalb in seiner Rede fast ausschließlich gegen die nationalsozialistische Landwirtschafts- und Bodenpolitik argumentierte, bleibe dahingestellt. Piecks Ansprache ist jedenfalls ein weiteres Beispiel dafür, wie stark die im ,Dritten R e i c h ' entwickelten Interpretationen der Reformationszeit in der S B Z nachhallten. Bezüglich des Geschichtsbildes zu Reformation und Bauernkrieg beschränkte sich die Abgrenzung zum Nationalsozialismus also auf eine Neubewertung bestehender Deutungen. Eine grundsätzlich neue Perspektive auf die Reformationszeit kam in der S B Z nicht zustande - wer hätte sie auch schreiben sollen, fehlten doch in den unmittelbaren Nachkriegsjahren marxistische Historiker noch gänzlich. 32 Vor diesem Hintergrund ist auch eine Passage aus Günther Franz' unveröffentlichten Memoiren zu lesen, die sich aus den eingesehenen Archivalien jedoch nicht bestätigen lässt: Uber eine Mittelsperson sei der sowjetische Oberst Sergej Tulpanow, Verwaltungschef der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) und insbesondere beim Wiederaufbau der Universitäten engagiert, 33 an ihn gelangt. „Er wusste genau über mich Bescheid und ließ mir anbieten, in die Zone zu kommen, dann würde dort mein Bauernkrieg neu aufgelegt werden, und ich einen Lehrstuhl erhalten, ein Angebot, dem ich freilich nicht folgen konnte, so verlockend es auch in meiner unsicheren Lage war." 34 Der erste marxistisch-leninistische Wissenschaftler auf einem historischen Lehrstuhl war schließlich Alfred Meusel. Obwohl er von 1 9 3 0 - 1 9 3 4 in Aachen eine Professur für Volkswirtschaft und Soziologie innegehabt hatte, wurde ihm an der Berliner Universität zum Wintersemester 1947/48 der Lehrstuhl für Neuere Geschichte übertragen. 35 Ein marxistisches Wissenschaftsverständnis war der Zentralverwaltung bei der Neubesetzung des Ordinariats wichtiger als eine solide historische Ausbildung. Trotz seiner fachlichen Herkunft nahm Meusel die thematische Ausrichtung seines Lehrstuhls ernst. 36 Bereits im englischen Exil hatte er sich mit Thomas Müntzer beschäftigt und ein Manuskript zum Bauernkrieg erarbeitet, das vorerst aber noch unveröffentlicht blieb. Erst rund fünf Jahre nach seiner Berufung trat er mit seiner Arbeit über Thomas Müntzer an die Ö f fentlichkeit; damit sollte er den ersten Markstein der DDR-Forschung zu R e formation und Bauernkrieg setzen.

31 32 33 34 35

36

Vgl. Kapitel 4.3.1. Vgl. auch Huschner: Deutsche Historiker. Vgl. Foitzik: Sowjetische Militäradministration, S. 2 0 2 - 2 1 4 . Franz: Mein Leben, S. 174. Meusel wurde bereits im Oktober 1946 an die Berliner Universität berufen, erhielt jedoch erst ein Jahr später diesen historischen Lehrstuhl. Vgl. U A H U B , Philosophische Fakultät nach 1 9 4 5 , 1 , Blatt 1 0 7 , 1 1 5 , 1 8 1 / 1 8 2 . V g l . auch Sabrow: Das Diktat, S. 3 9 / 4 0 . Vgl. Personalakte Meusel, UA H U B , M 184, Band 3, Blatt 51 und 59.

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Marxistische

Rückeroberung.

Í945—Í949

5.2 Moisej Smirin und ,Die Volksrevolution des Thomas Münzer' Ohne von der Arbeit Alfred Meusels zu wissen, widmete sich ungefähr gleichzeitig auch der sowjetische Historiker Moisej Smirin (1895—1975) der lange Zeit verschmähten Figur Thomas Müntzer. Smirin hatte sich seit 1934 mit der deutschen Reformationszeit beschäftigt. Nachdem er mit einer Arbeit über die Agrarverhältnisse Südwestdeutschlands im 15. und 16. Jahrhundert promoviert hatte, begann er sich Ende der 1930er Jahre seiner Doktordissertation (Habilitation) zuzuwenden. Diese sollte zu einem der einflussreichsten Bücher für die DDR-Frühneuzeitforschung werden — 1947 erschien die russische Erstausgabe, 1952 folgte die deutsche Ubersetzung unter dem Titel,Die Volksreformation des Thomas Münzer und der große Bauernkrieg'. 37 Aufgrund der Kriegsereignisse musste der Moskauer Historiker zu Beginn der 1940er Jahre seinen Arbeitsplatz für längere Zeit nach Taschkent, der heutigen Hauptstadt Usbekistans, verlegen. Hier, fernab von deutschen Archiven, verfolgte Smirin sein erklärtes Ziel, Engels' marxistische Interpretation von Reformation und Bauernkrieg gegen einen nationalsozialistischen Ansatz zu verteidigen und „derVerfälschung der älteren deutschen Geschichte durch die faschistischen Historiker des .Dritten Reiches'" entgegenzutreten. 38 Er baute seine Darstellung auf Quelleneditionen und Monographien auf, wobei er es aber konsequent vermied, auf die umfassende empirische Arbeit von Günther Franz zurückzugreifen. 39 Franz galt ihm als Inbegriff des .faschistischen' Historikers. Seine Bauernkriegsmonographie von 1933 nannte Smirin eine „historische Begründung für das Hitlerregime". Trotz seiner fundamentalen Ablehnung empfand Smirin Franz' Darstellung offenbar als so bedeutend, dass er sich auf nicht weniger als sieben Seiten explizit mit ihr auseinander setzte. Seine Hauptkritik ging dahin, dass Franz im Bauernkrieg keinen Klassenkampf auf ökonomischer Grundlage, sondern einen Kampf wohlhabender Bauern um das alte Recht sehe. 40 Ebenso grundsätzlich, aber weniger engagiert schrieb Smirin gegen die Darstellungen bürgerlicher Historiker an. Sie wollten die deutsche Geschichte von einer sozialen Revolution freihalten und betrachteten die Revolution von 1525 daher gar nicht oder nur unter einem konfessionellen Blickwinkel. 41 Smirins eigene Untersuchung beginnt mit einer knappen Darstellung der sozio-ökonomischen Bedingungen für eine Revolution im Reich um 1525. Dabei 37 38 39

40 41

Die folgenden Verweise und Zitate beziehen sich nicht auf die deutsche Erstausgabe, sondern auf die zweite Auflage von 1956. Aus einem Nekrolog von Max Steinmetz, maschinenschriftliches Manuskript, ohne Datum. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3/105, Blatt 13-17. Es findet sich in Smirins Darstellung nicht eine einzige Fußnote, in der Smirin positiv auf die (empirische) Arbeit Franz' zurückgreift. Selbst seine Quellenpublikationen zog er nicht heran. Wenn Franz genannt wird, dann nur in scharfer Abgrenzung zu seiner Interpretation. Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 55-62. Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 27—53.

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Moisej Smirin und ,Die Volksrevolution des Thomas

Münzer'

ging er axiomatisch davon aus, dass auf einer bestimmten Stufe der wirtschaftlichen E n t w i c k l u n g n u r ein b e s t i m m t e r Typus von R e v o l u t i o n erfolgen kann: Laut der Formationstheorie des Historischen Materialismus folgt auf eine feudale eine bürgerliche Gesellschaft. Smirin schilderte das R e i c h des f r ü h e n 16. J a h r h u n d e r t s als feudale Gesellschaft mit frühkapitalistischen Produktionselementen. Eine revolutionäre Erhebung musste daher objektiv bürgerlichen C h a rakter aufweisen. Smirin beschrieb die Entwicklung der kapitalistischen Verhältnisse im R e i c h als im Vergleich zu anderen europäischen R e g i o n e n eher zurückgeblieben. Er b e g r ü n d e t e dies mit der politischen „ Z e r s p l i t t e r u n g " i m R e i c h . 4 2 D a m i t erklärte er auch, weshalb diese Revolution nicht in einem schon stärker v o m Kapitalismus geprägten Gebiet Europas ausgebrochen sei. Eine revolutionäre Situation entstehe „nicht einfach durch den Entwicklungsstand [...], den die n e u e n Produktivkräfte erreicht haben", sondern werde „vor allem von dem Verhältnis zwischen i h n e n u n d den h e r r s c h e n d e n Produktionsverhältnissen" bestimmt. „Die ersten bürgerlichen Elemente in Deutschland waren deshalb in einer b e sonderen Lage, weil sie in einem zersplitterten Lande entstanden, in dem die elementarsten Bedingungen für ihre weitere Entwicklung fehlten." 4 3 Soweit entspricht Smirin den Erwartungen, die man an einen marxistischen Historiker stellt. Er richtete seinen Blick auf die ökonomischen u n d politischen Verhältnisse u n d legte so das Fundament, u m den Bauernkrieg als Klassenkampf interpretieren zu können. 4 4 Damit n a h m er Engels' Grundthese auf. Die sozioökonomischen Voraussetzungen waren j e d o c h nicht der eigentliche Gegenstand von Smirins Untersuchung — er begnügte sich hierbei mit dem Verweis auf Forschungsergebnisse der sowjetischen Geschichtswissenschaft u n d einiger Aussagen der Uberväter Marx, Engels, Lenin u n d Stalin. Eine eingehende Analyse der m a teriellen Lage u n d des Verhältnisses Bauer-Feudalherr legte er erst einige Jahre später in seiner Monographie ,Deutschland vor der R e f o r m a t i o n ' vor: Diese Beziehung habe sich im 15. Jahrhundert zur einseitigen Ausbeutung entwickelt; die Feudalherren seien zunehmend darum bestrebt gewesen, „sich das M e h r p r o d u k t der Bauernwirtschaft maximal anzueignen". 4 5 In seiner Studie zur Volksreformation fokussierte er j e d o c h auf die zwei Phasen der Revolution an sich - R e f o r mation u n d Bauernkrieg. Diese Unterteilung des Ereignisses spiegelte sich direkt in der Gliederung seiner Studie. Bei der geistigen, der theoretischen Phase der R e v o l u t i o n , der R e f o r m a t i o n , schied Smirin streng zwischen den Protagonisten Martin Luther u n d T h o m a s Müntzer. In Luthers Theologie glaubte er eine Ideologie des konservativen, an seinen feudalen Privilegien festhaltenden B ü r g e r t u m s zu erkennen. M ü n t z e r s Lehre dagegen habe auf eine „ U m g e s t a l t u n g des materiellen Lebens" abge42 43 44 45

Smirin: Volksreformation, S. 11. Smirin:Volksreformation, S. 12. Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 20. Smirin: Deutschland vor der Reformation, S. 74.

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zielt. 46 Smirin begründete die unterschiedlichen Positionen von Luther und Müntzer nicht nur über deren Klasseninteressen. Vielmehr verfolgte er die geistesgeschichtlichen Wurzeln dieser .bürgerlichen' Revolution und fragte nach dem Charakter und den Quellen von Müntzers Revolutionstheologie. Der entscheidende Schritt zur Spaltung der reformatorischen Bewegung in die bürgerlich-lutherische Reformation und die von Müntzer angeführte Volksreformation habe mit Luthers Schrift ,An den christlichen Adel deutscher Nation' von 1520 stattgefunden. Smirin beschrieb die Differenzen zwischen den beiden Theologen nicht nur über ihre Stellung gegenüber den politischen Ereignissen der Jahre 1524/25, sondern primär von ihren theologischen Positionen her. Der grundlegende Unterschied zwischen Müntzer und Luther finde sich in deren Haltung gegenüber dem Evangelium und ihrer Vorstellung von der Erlösung. 47 Während Luther die Bibel als die letzte Autorität angesehen habe, sei für Müntzer das innere Wort entscheidend gewesen. Nicht der Buchstabe an sich sei die göttliche Offenbarung, sondern der darin enthaltene Geist. Diesen nehme der Gläubige in einer Art Erleuchtung wahr. Der gottesfurchtige Mensch erhalte durch die Offenbarung Gottes eigene Urteilskraft. Durch seine Aktivität komme er zu menschlichem Verstand,48 durch sein eigenes Handeln werde der Gläubige zum Erlösten. Im Gegensatz zu Luther habe Müntzer den diesseitigen Charakter der Erlösung betont. Müntzer habe nicht wie Luther passive Demut gefordert, sondern den aktiven Beitrag jedes Einzelnen zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit, die Ergebenheit für die allgemeine Sache und den Verzicht auf alle egoistischen Ziele. 49 Der christlichen Liebe Luthers sei von Müntzer die Gottesfurcht entgegengesetzt worden, worunter er die Pflicht verstanden habe, mit dem Schwert gegen alle Unterdrücker des Volkes vorzugehen, die die Herstellung von Gerechtigkeit auf Erden verhinderten. Die Teilnahme am Kampf gegen die Tyrannen habe Müntzer als Zeichen wahrer Vernunft angesehen. Die dergestalt Auserwählten, die das innere Wort empfangen haben und gottesfurchtig handeln, können laut Smirin in Müntzers Theologie nur Bauern und arme Städtebürger sein. Nur die Volksmassen könnten den göttlichen Geist empfangen, da der arme Mann durch seine materiellen Entbehrungen moralisch geläutert sei. 50 So wird Müntzers Theologie zur Revolutionslehre des gemeinen Mannes, oder um mit Smirin zu sprechen: „In der theologischen Hülle der Lehre Münzers fanden die Vorstellungen des Volkes vom Ideal der Gleichheit ihren Ausdruck". 51 Smirin beschrieb ausfuhrlich, aufgrund welcher Beeinflussungen Müntzer zu seinen theologischen Positionen gelangt sein könnte. Er suchte in der Geistesgeschichte des Mittelalters nach Grundlagen und Einflüssen auf Müntzers Denken 46 47 48 49 50 51

Smirin: Volksreformation, S. 5. Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 106. Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 121—126. Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 114. Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 190. Smirin: Volksreformation, S. 641.

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und sah zwei Hauptwurzeln. Einerseits die Lehre der Taboriten, die mit ihrem Konzept von Auserwählten, die in einem neuen Zeitalter alles Böse vernichten, eine Begründung für Müntzers revolutionären Bund der Auserwählten hätten gewesen sein können. 52 Andererseits machte Smirin die Methode der Bibelauslegung Joachims von Fiore geltend. Denn Joachims Glaube an die Vergänglichkeit des Evangeliums und das darauf folgende Zeitalter des rein geistigen Evangeliums erinnere stark an Müntzers Glaube an das innere Wort. 5 3 Was Smirin geistesgeschichtlich herzuleiten versuchte, war also das Sozialrevolutionäre Moment in Müntzers Theologie. Die 1524/25 von den Bauern erhobenen Forderungen entsprangen in seiner Sichtweise jedoch der materiellen Situation zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Der zweite Teil der Monographie beleuchtet die verschiedenen aufständischen Gruppierungen des Bauernkrieges. Den „Charakter" des Aufstandes leitete Smirin nicht einfach deduktiv aus der sozio-ökonomischen Lage her, sondern versuchte ihn über die 64 Beschwerdeartikel der Stühlinger Bauern aus dem Jahr 1524 zu ergründen. Unschwer ist hierin eine methodische Verwandtschaft zu der 1933 publizierten Bauernkriegsstudie von Günther Franz zu erkennen. Für seine Analyse verwandte Smirin jedoch nicht das empirische Material von Franz, sondern die wesentlich älteren Quellensammlungen von Franz Ludwig Baumann und Heinrich Schreiber.54 Verschieden zu Franz sind auch die Schlüsse, die Smirin aus den bäuerlichen Klagen zog: Drückte sich laut Franz darin vor allem der bäuerliche Kampf um politische Rechte (altes Herkommen, kommunale Gerichtsverfassung) aus, sah Smirin ein Manifest der materielle Not leidenden Landbevölkerung. 55 Dieser Kampf der Bauern gegen ihre Feudalherren hat sich laut Smirin je länger je mehr zu einem Kampf gegen die Fürsten und damit zu einer Bewegung für einen deutschen Nationalstaat entwickelt. Modern ausgedrückt hätte die nationale Zentralisierung das Entstehen eines einheitlichen Handels- und Wirtschaftsraumes bedeutet. Die Wirkung der bäuerlichen Revolution habe daher objektiv den Interessen des Bürgertums entsprochen. Im U n terschied zu früheren Darstellungen von deutschen Historikern sah Smirin in der nationalen Einigung Deutschlands also nicht schicksalhafte, sondern rein funktionale Bedeutung. Smirin ging nicht von einer homogenen Bewegung aus, sondern sprach von zwei Hauptströmungen — einer reformerischen und einer revolutionären. Erstere 52 53 54

55

Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 275. Vgl. Smirin: Volksreformation, S. 152. Vgl. insbesondere Franz Ludwig Baumann: Akten zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges aus Oberschwaben, Freiburg im Breisgau 1877 und Heinrich Schreiber: Der deutsche Bauernkrieg. Gleichzeitige Urkunden, 3 Bde., Freiburg 1 8 6 4 - 1 8 6 6 . Arbeitsmaterialien Smirins liegen nicht vor. Die Aussage beruht daher auf den Angaben im wissenschaftlichen Apparat von Smirins Monographie. Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 3 4 1 - 3 4 7 . In Franz'Argumentation spielen die StühlingerArtikel nur eine untergeordnete Rolle. Ihre Ursache sah er jedoch darin, dass der Herr „seine Herrschaftsbefugnisse in jeder Weise auf Kosten seiner Untertanen auszudehnen suchte". Franz: Bauernkrieg ('ÎÇSS), S. 164.

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habe ihren prägnantesten Ausdruck in den Zwölf Artikeln Oberschwabens und die andere im Artikelbrief der Schwarzwälder Bauern gefunden. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Dokumenten gründe in deren Konzeption des göttlichen Rechts. „Im einen Falle [bei den Artikelbriefen, Im] bedeuten die Prinzipien des göttlichen Rechts den Ubergang der Macht an das Volk, die Anerkennung des Gemeinnutzes als Grundprinzip der sozialen Verhältnisse und die Organisation des Volkes in der .Christlichen Vereinigung' zur gewaltsamen Durchführung des Gesellschaftsumsturzes; das ist wirklich im Sinne Münzers. Im andern Falle [den Zwölf Artikeln; Im] [...] wird das göttliche Recht als radikales neues Prinzip auf das Gebiet der weltlichen Verhältnisse übertragen, nur um der religiösen und kirchlichen Umwandlungen im Geiste dieser Reformation willen. Auf dem Gebiet der rein weltlichen Verhältnisse lässt eine solche Konzeption des göttlichen Rechts die Grundlage des feudalen Rechts und der ganzen Gesellschaftsordnung unberührt." 56 Der revolutionäre Charakter der Zwölf Artikel wurde von Smirin also verneint. Dennoch bezeichnete er sie als wichtigstes Dokument der bäuerlichen Bewegung. Gerade wegen ihrer gemäßigten Forderungen seien sie zu einem „Zentralisationspunkt der Kräfte" 5 7 geworden, so dass die Bewegung auch in den Städten und Dörfern Mitteldeutschlands zu großen politischen und sozialen Umwandlungen hätte fuhren können. In Thüringen, unter dem Einfluss Müntzers, seien die Artikel viel allgemeiner und damit radikaler ausgelegt worden; dadurch hätten sie revolutionäre Sprengkraft erhalten. Im Unterschied etwa zu Franz sah Smirin in der Argumentation mit dem göttlichen Recht keine vorreformatorische Tradition, sondern einen direkten Einfluss reformatorischen Denkens; entscheidend war für Smirin jedoch weniger Luthers als Müntzers Theologie. Zwei Elemente waren laut Smirin für deren großen Einfluss in Mitteldeutschland ausschlaggebend gewesen. Erstens die Lehre vom inneren Wort, die es ermöglichte, das göttliche Recht weit gefasst auszulegen. Damit sei die Grundlage geschaffen worden, um die Forderungen der Bauern und Bürger einheitlich zu formulieren. Zweitens die Lehre von der sozialen Umgestaltung der Welt, die die Vernichtung der Grundlagen des Feudalstaates, der Fürstenschlösser und der Klöster, einschloss. 58 Müntzer habe damit die Wünsche und Forderungen des Volkes aufgenommen und zu einer kohärenten Theorie zu verschmelzen gewusst. Müntzers volkstümliche Formulierung der Reformation sei der entscheidende Schritt dafür gewesen, dass aus den lokalen Revolten eine revolutionäre Bewegung entstehen konnte. Damit war es Smirin gelungen, den Zusammenhang zwischen Müntzers Theologie und dem Bauernkrieg herauszuarbeiten. Smirin beschrieb den gemeinen Mann zwar als einen Akteur, der „seine Ängste, Nöte, Bedürfnisse, Hoffnungen und Sehnsüchte nicht theoretisch verarbeiten 56 57 58

Smirin:Volksreformation, S. 401. Smirin:Volksreformation, S. 596. Vgl. Smirin:Volksreformation, S. 621/622.

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und ideologisch nutzbar" machen konnte, 5 9 eröffnete der historischen Forschung aber dennoch eine gänzlich neue Perspektive. Von Ranke über Gerhard Ritter bis zu Günther Franz hatte die deutsche Geschichtswissenschaft bisher immer auf die Lutherreformation sowie die oberschwäbischen und fränkischen Erhebungen des Bauernkrieges fokussiert.Thomas Müntzer war kaum ins Blickfeld geraten und wenn, dann nur als destruktiver Geist und Verführer des Volkes. Smirin widmete sich nun ausfuhrlich Müntzers Theologie und erklärte über sie den revolutionären Höhepunkt des Bauernkrieges in Mitteldeutschland. Damit gelang ihm eine neuartige Verbindung von reformatorischer Theologie und revolutionärer Erhebung. Smirin nannte Müntzers Theologie mehrmals eine „Hülle" und negierte damit jeglichen transzendentalen Charakter. 60 Theologie war für ihn nur so lange ein Gegenstand von wissenschaftlichem Interesse, wie sie ein logisches System darstellt und somit als Philosophie oder Ideologie interpretiert werden kann. Dies ist insofern beachtenswert, als Smirin damit die Auseinandersetzung mit der Bibel als Quelle für Müntzers Entwicklung nur marginal beachtete. Für diesen Aspekt hatte auch Engels kein Interesse gezeigt und sich daher auf eine ökonomisch-politische Darstellung von Reformation und Bauernkrieg beschränkt. Im Unterschied dazu widmete Smirin der Geistesgeschichte große Aufmerksamkeit. Über beinahe zweihundert Seiten hinweg erörterte er mögliche Einflüsse der mittelalterlichen Mystik auf Müntzers Lehre. Diese Deutungsperspektive unterscheidet sich aber deutlich von der eines bürgerlichen Geisteshistorikers. Den Antrieb für Müntzers theologisches Schaffen sah Smirin nicht in einer kognitiven Absicht, sondern in dessen alltäglicher Erfahrung gesellschaftlicher Missstände. Laut Smirins Konzeption hatte der anbrechende Frühkapitalismus zu einer von Müntzer wahrgenommenen, gesellschaftlichen Krise geführt. Müntzers theoretische Verarbeitung der diffusen Wünsche und Forderungen des Volkes habe sich im Konzept der Volksreformation niedergeschlagen und im Bauernkrieg vorübergehend materielle Wirksamkeit erreicht. Die enge Argumentation entlang der Person Müntzer birgt jedoch ein konzeptionelles Problem in sich: Engels hatte von einer breiten revolutionären Bewegung gesprochen, die sich 1517 gegen die römische Kirche gebildet habe. Die von Engels betonte Einheit von Reformation und Bauernkrieg gilt in Smirins Interpretation nur noch bedingt. Der revolutionäre Charakter der Lutherreformation wurde von ihm verneint - ab 1520 seien Luther und Müntzer zunehmend zu den Anfuhrern zweier gegnerischer Lager geworden. Smirin teilte die Reformation nach ihrer Frühphase in einen reaktionären und einen revolutionären Strang auf. Sein wissenschaftliches Interesse schenkte er lediglich Müntzer, währenddem er das Denken Luthers kaum beachtete. Für die von Müntzer angeführte reformatorische Bewegung prägte Smirin den Begriff

59 60

Blickle: Bauern und Reformation, S. 14. Smirin: Volksreformation, S. 641.

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,Volksreformation'. Damit sollte nicht nur eine scharfe Grenze gegenüber der späteren Fürstenreformation, sondern auch gegenüber der frühen Lutherreformation gezogen werden. Die Lockerung der Verbindung zwischen Luther und M ü n t z e r musste sich auch auf die Verknüpfung (reformatorischer) Theorie und (revolutionärer) Praxis auswirken. 6 1 Smirin sah in Müntzers ,Ideologie' das für die ,erste bürgerliche Revolution Europas' ausschlaggebende theoretische Konzentrat. Müntzers Theologie wurde jedoch nur in Mitteldeutschland rezipiert, ihre Wirkung blieb auf Thüringen und Sachsen beschränkt. Gerade die für den Ausbruch entscheidende süddeutsche Phase des Bauernkrieges kann aber nicht mit Müntzer erklärt werden. Smirin sah dieses Problem und schrieb, dass „unter den verschiedenen [aufständischen, Im] Gruppen [...] weder eine organisatorische noch eine volle ideologische Einheit [herrschte]. Nicht alle hatten sich unter dem Einfluss Münzers gebildet, einige existierten offenbar schon vor seiner Ankunft in O b e r deutschland. Allein, das großartige System der Volksreformation Münzers und der auf dieser Grundlage verfaßte Artikelbrief wurden zur allgemeinen Quelle der revolutionären Taktik und ihrer evangelischen Begründung". 6 2 Smirins H i n weis auf „verschiedene Gruppen" scheint eine Notlösung zu sein. Dadurch wird eine analytisch klare Unterscheidung der verschiedenen theologischen Strömungen und der unterschiedlichen Erhebungen des Bauernkrieges verhindert. Es bleibt letztlich unklar, welche Teile von R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg für Smirin noch zur Volksreformation gehörten und welche nicht mehr. Tendenziell wies er nur den mitteldeutschen Ereignissen revolutionären Charakter zu. In ihrer oberdeutschen Auslegung sah er in den Zwölf Artikeln nur ein reformerisches Programm. Der Lutherreformation wies er eine gewisse Bedeutung bei den oberschwäbischen Aufständen zu, aber erst Müntzers Theologie (Theorie) führte laut Smirin zur revolutionären Praxis in Mitteldeutschland. Diese zweigeteilte Zuordnung entspricht recht präzise der Interpretation, die wenige Jahre zuvor auch von Willy Andreas, Walther Peter Fuchs oder R u d o l f Stadelmann vertreten worden war. Gänzlich verschieden ist j e d o c h deren Bewertung der beiden Phasen: W ä h r e n d Smirin die radikale revolutionäre Ström u n g als den progressiven Teil und damit positiv wertete, sahen Andreas, Fuchs und Stadelmann in Müntzer bestenfalls einen Schwärmer und Volksverführer. D e n gemäßigten, an Luther orientierten E m p ö r u n g e n im Südwesten des R e i ches sprachen sie als Bewegung hin zu einem deutschen Reich eine gewisse Legitimität jedoch nicht ab. 63 Günther Franz hatte eine Verbindung von R e f o r m a tion und Bauernkrieg dagegen strikt abgelehnt und die Revolution von 1525

61 62 63

Vgl. Blickle: Die Reformation, S. 138. Smirin:Volksreformation, S. 448. Vor allem Stadelmann betonte die gemeinsame Zielrichtung von Lutherreformation und den gemäßigten Bauernerhebungen. Es habe sich hierbei um eine geistige und eine politisch-soziale Bewegung gehandelt, deren gemeinsames Ziel die „deutsche Revolution" hin zu nationaler Einheit gewesen sei.Vgl. Kapitel 4.6.1.

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aus mittelalterlichen Traditionen erklärt. D e n n o c h stellt Smirins M o n o g r a p h i e vor allem eine R e a k t i o n auf Franz' Arbeit dar. Franz war der erste akademische Historiker, der den Bauernkrieg als Volksbewegung, als eine Revolution von u n ten dargestellt hat. Gegen Ende der 1930er Jahre hatte Franz in der Revolution von 1525 z u n e h m e n d eine Vorgängerbewegung zur nationalsozialistischen R e volution zu sehen b e g o n n e n : Sie waren beide Ausdruck des ,ewigen Kampfes ums R e i c h ' . W i e genau Smirin die historiographische Entwicklung im nationalsozialistischen Deutschland verfolgen k o n n t e , ist ungewiss. Zweifelsohne war seine Monographie aber ein Gegenentwurf zu Günther Franz' Bauernkriegsmonographie. Bis Mitte der 1920er Jahre war der Bauernkrieg ein fast ausschließlich von der Arbeiterbewegung besetztes Traditionsfeld gewesen. Smirin war n u n offensichtlich d a r u m b e m ü h t , dieses nicht kampflos d e m ideologischen Hauptfeind, d e m „Faschismus", zu überlassen. Die scharfe Auseinandersetzung Smirins mit der Interpretation von Franz spiegelt somit auch eine ideologische Verwandtschaft der politischen Erzfeinde. N i c h t nur sehen sowohl der Marxismus als auch der N a tionalsozialismus die Revolution als den entscheidenden Schritt hin z u m gesellschaftlichen Idealzustand an, sondern beide rekurrieren dabei auf das Volk. 64 Im Unterschied z u m Nationalsozialismus hatte der Marxismus aber lange Zeit ein ambivalentes Verhältnis zur bäuerlichen Bevölkerung. 6 5 Die bürgerliche R e v o l u tion zur U b e r w i n d u n g des Feudalismus sollte v o m Bürgertum, die sozialistische R e v o l u t i o n zur U b e r w i n d u n g des Kapitalismus v o m Proletariat getragen werden. Die leninistische Ausprägung des Marxismus brachte hier j e d o c h eine entscheidende Ergänzung. Lenin kam durch seine Analyse der russischen R e v o l u tion von 1905 z u m Schluss, dass diese .bürgerliche' Revolution am revolutionsunfähigen Bürgertum gescheitert sei. In einer solchen Situation sei es daher n o t wendig, dass das B a u e r n t u m an der Seite der Unterschichten die revolutionäre Aufgabe übernehme. 6 6 Damit war eine zusätzliche theoretische Erklärung dafiir gegeben, weshalb die deutsche bürgerliche Revolution' des frühen 16. J a h r h u n derts k a u m v o m Bürgertum getragen worden war. Thomas M ü n t z e r wurde i m plizit zu einem Revolutionsführer leninistischen Typs. Aus der Analyse der gesellschaftlichen Missstände hatte er eine Ideologie des Klassenkampfs entwickelt u n d die plebejischen Massen im praktischen Kampf angeführt. U m s o bedeutender war es f ü r die sowjetische Historie, die Volksrevolution B a u e r n k r i e g nicht der deutschen Volksgeschichte zu überlassen, sondern für die marxistische Traditionsbildung zurückzuerobern. W i e erfolgreich Smirin mit seinem Unterfangen war, sollte sich j e d o c h erst nach d e m Z w e i t e n Weltkrieg zeigen. Erst im d e u t schen Arbeiter- u n d Bauernstaat, der D D R , k o n n t e seine Interpretation volle W i r k u n g entfalten. Seinen prägnantesten Ausdruck sollte dieses Geschichtsbild in der bis 1989 anhaltenden Heroisierung Thomas Müntzers finden. 64 65 66

Vgl. Furet: Das Ende der Illusion, S. 16/17 und 230/231; Kroll: Utopie als Ideologie, S. 13/14. Vgl. Bauerkämper: Ländliche Gesellschaft, S. 52-54. Lenin: Zwei Taktiken, insbesondere S. 54.

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6 Parteilichkeit für die Revolution. 1949-1989 Während gut 40 Jahren existierte die D D R . Sie war ein Produkt ideologischer und geostrategischer Kämpfe und dieser Konflikt prägte die Geschichtsschreibung wesentlich. Auch in der Historie hatte die D D R ihren Weg zwischen dem Einfluss der übermächtigen Sowjetunion und der erbitterten Konkurrenz aus der B R D zu finden. Damit dieser Pfad möglichst nicht verlassen wurde, nahm die Staatspartei SED wesentlichen Einfluss auf die Struktur und die Arbeit der Geschichtswissenschaft. Ein gegenüber dem ,Dritten Reich' viel zentraler organisierter Wissenschaftsapparat war die Voraussetzung hierfür. Dennoch fragt das vorliegende Kapitel nicht nur nach Vorgaben und Druckversuchen aus der Partei, sondern rekonstruiert Entstehung und Wandel der Interpretationen zur R e formationszeit möglichst vielschichtig. Insofern entspricht der Teil zur Rezeption von Reformation und Bauernkrieg in der D D R demjenigen zum nationalsozialistischen Deutschland. U m dem Gegenstand gerecht zu werden, liegt ihm jedoch eine andere Gliederung zugrunde. Er folgt viel stärker einer chronologischen Ordnung und ermöglicht so insbesondere, die im Verlauf der Jahrzehnte erfolgten Interpretationsverschiebungen nachzuzeichnen.

6.1 Der Anfang der ostdeutschen Forschung zur Reformationszeit 6.1.1 Rückkehr zum nationalen Geschichtsbild Nach dem Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen und der Staatsgründung von 1949 rief Walter Ulbricht 1950 in den Worten Stalins zur „Eroberung der Festung Wissenschaft" auf. In demselben Jahr wurde auf dem III. Parteitag der SED die Durchsetzung des Marxismus-Leninismus in der Geschichtswissenschaft zum Ziel erklärt und ein Jahr später verabschiedete das Z K der S E D auf seinem 7. Plenum eine ,Entschließung', die den Historischen Materialismus als einzig legitime Methode historischer Forschung festlegte. Die Historiker der Partei wurden aufgefordert, auf marxistisch-leninistischer Grundlage die Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung zu schreiben. 1 Ein Autorenkollektiv sollte die Grundlagen für ein Lehrbuch der Geschichte des deutschen Dieser Beschluss wurde erstmals auf dem 7. Plenum des Z K der SED 1951 gefasst und von der 2. Parteikonferenz der SED, die im Juli 1952 unter dem Motto ,Aufbau des Sozialismus' stattfand, offiziell bestätigt.Vgl. BArch, D R 3, 4100 und SAPMO BArch, DY 30/IV 2/9.04, 106. Vgl. auch Sabrow: Planprojekt Meistererzählung, S. 231;Worschech: Der Weg, S. 133-144 und Kowalczuk: Legitimation, S. 83-114. In dieselbe Zeit fiel in der D D R auch eine umfassende Reorganisation der historischen Institute und der Universitäten im Allgemeinen.

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Der Anfang

der ostdeutschen

Forschung zur

Reformationszeit

Volkes erarbeiten, das „die erste umfassende wissenschaftliche Gesamtdarstellung der deutschen Geschichte auf der Grundlage des historischen Materialismus" werden sollte. Es hatte „die Aufgabe, die nationale Grundkonzeption der deutschen Arbeiterklasse und der demokratischen Kräfte des deutschen Volkes, nach der es notwendig ist, die deutsche Frage auf demokratischem und friedlichem Weg durch die Bändigung und Uberwindung des Imperialismus und Militarismus in Westdeutschland zu lösen, zu erläutern und zu verbreiten". 2 Im Unterschied zur NSDAP nutzte die SED ihre Macht von Anfang an, um mit klaren Forderungen an die Geschichtswissenschaft heranzutreten. Im Gegensatz zur nationalsozialistischen Ideologie baut der Marxismus-Leninismus wesentlich auf einer wissenschaftlichen Analyse der Geschichte auf. Die SED erklärte den Historischen Materialismus daher zur geltenden Methode und forderte eine Darstellung der deutschen Geschichte, die dem nationalsozialistischen, noch stärker aber dem bürgerlichen' Geschichtsbild der BRD, entgegentrat. Fast gleichzeitig mit der Aufnahme der Arbeit am Lehrbuch fand die Neugründung des Museums für Deutsche Geschichte in Ost-Berlin statt. Hier sollten unter der Kontrolle des Politbüros die linientreuen Historiker zusammengefasst werden. Das Museum war somit Teil der ideologischen Offensive der SED auf dem Gebiet der Geschichte und war als Zentrum der neuen Geschichtswissenschaft gedacht. 3 Die Abteilungsleiter des Museums und ihre Stellvertreter wurden zum vorläufigen Autorenkollektiv für das Lehrbuch der deutschen Geschichte ernannt. 4 Das offiziell berufene Autorenkollektiv trat ein Jahr nach dem ZK-Beschluss unter dem Vorsitz von Alfred Meusel erstmals zusammen. In ihm war nun die „komplette Führungsriege der neuen marxistischen Geschichtswissenschaft in Deutschland versammelt". 5 Laut Meusel, der auch Direktor des Museums für Deutsche Geschichte war, sollte das Lehrbuch „eine marxistisch-leninistische Darstellung der deutschen Geschichte" werden. Er kündigte dem ZK der SED an, den bürgerlichen Gegner im Westen mit seiner eigenen Waffe anzugreifen und seiner verfälschenden Geschichtsschreibung ein Ende zu bereiten. Man werde wissenschaftlich nachweisen, dass nicht die ,großen Männer' die Geschichte machen, sondern „daß das Volk die entscheidende Kraft in der geschichtlichen Entwicklung ist".6 Meusel sah den geschichtstheoretischen Gegner also im Historismus und nicht in der Volksgeschichte. Dieses Konzept war — zu„Richtlinien für die Arbeit des Autorenkollektivs .Lehrbuch der deutschen Geschichte'", ohne Datum. ABBAW, ZIG 663. Vgl. Pfundt: Die Gründung des Museums, S. 95/96 und Ebenfeld: Geschichte nach Plan?, S. 43/44 und 144-148. Vgl. ,Die Aufgaben der Geschichtswissenschaft nach dem IV. Parteitag', Manuskript des Instituts für Marxismus-Leninismus. SAPMO BArch, DY 30/IV 2/9.07, 31 und DY 30/IV 2/9.04,106. Sabrow: Planprojekt Meistererzählung, S. 237. Alfred Meusel an das ZK der SED, 13. Mai 1952, zitiert nach: Sabrow: Planprojekt Meistererzählung, S. 234 und Alfred Meusel in ,Neues Deutschland', 27. 2.1954, zitiert nach: Sabrow: Planprojekt Meistererzählung, S. 229.

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Parteilichkeit für die Revolution.

1949-1989

mindest in seiner bisherigen Ausprägung - mit dem Ende des ,Dritten Reiches' nämlich weitgehend aus der deutschen Forschungslandschaft verschwunden. D e r Aufbau der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft und die Durchsetzung eines ebensolchen Geschichtsbildes fand ihren symbolischen Höhepunkt im Geschichtsbeschluss des Politbüros vom 5. Juli 1955. Das anschließend in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft' (ZfG) veröffentlichte Dokument enthält eine Vielzahl von „Empfehlungen" an die Historiker und die sich mit Geschichte beschäftigenden Institute. 7 Kurz zusammengefasst hatte die Parteiführung damit die Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin zur ideologischen Grundlage aller historischer Lehre und Forschung erklärt. 8 D e m wissenschaftlichen „Subjektivismus" wurde eine Absage erteilt. Verschiedene Autoren sehen im Geschichtsbeschluss den markantesten Ausdruck der Einflussnahme der S E D auf die Geschichtswissenschaft. 9 Der Anspruch des Staates auf Kontrolle der historischen Forschung und Lehre war explizit geworden. D i e folgenden Jahre standen denn auch ganz im Zeichen starker Eingriffe in die Historie. Im März 1 9 5 6 wurde das Zentralinstitut für Geschichte ( Z I G ) an der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW) gegründet. M i t dieser der Partei unterstellten Forschungseinrichtung war die Voraussetzung für die staatliche Koordination und Kontrolle der historischen Forschung weiter verbessert worden. 1 0 Ebenfalls auf Initiative des Z K der S E D hin erfolgte am 18./19. März 1958 in Leipzig die Gründung der Deutschen Historiker-Gesellschaft ( D H G ) . Wenig später war eine Mitgliedschaft im (westdeutschen) Verband der Historiker Deutschlands ( V H D ) für Historiker der D D R nicht mehr möglich. 1 1 Die A b grenzung von der westdeutschen Historie war damit formal vollendet und der Spielraum der ostdeutschen Geschichtswissenschaft einigermaßen abgesteckt. 12 Parallel zur institutionellen Ausbildung einer eigenen Geschichtswissenschaft entwickelte die D D R ein zunehmend nationales Geschichtsbild. In ihren Anfängen war die D D R nicht als zweiter deutscher Staat gedacht, sondern als deut7 8 9

10 11 12

Vgl. Die Verbesserung der Forschung. Vgl. Neuhäußer-Wespy: Die SED und die Historie, S. 2 6 - 3 2 . Vgl. Abendroth: Das Ende, S. 5 0 - 5 7 und Neuhäußer-Wespy: Die SED und die Historie, S. 3 1 - 5 5 . Diese beiden Autoren bezeichnen den Geschichtsbeschluss als „Auftakt" der Einflussnahme. Die bereits erwähnten Parteibeschlüsse aus den Jahren 1950—1952 zeigen aber, dass der Auftakt 1955 bereits erfolgt war. Vgl. Sabrow: Das Diktat, Kapitel II. Siehe auch: Mehls: Die Gründungsphase. Vgl. S Α Ρ Μ Ο BArch, D Y 3 0 / I V 2 / 9 . 0 4 , 1 1 9 . Vgl. Neuhäußer-Wespy: Die SED und Historie, S. 22. Die Spaltung wurde auch von westdeutscher Seite vorangetrieben. Das diesbezüglich auffälligste Ereignis fand auf dem Trierer Historikertag von 1958 statt. Der V H D hatte den Ostdeutschen Ernst Engelberg, Max Steinmetz und Leo Stern ein Redeverbot erteilt. Diese seien „Träger eines Kurses, mit dem wir [derVHD, Im] die wissenschaftliche Gemeinschaft nicht weiter aufrechterhalten können." Erklärung des VHD, zitiert nach Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft (H989), S. 198. Als Protest darauf reisten die drei sogleich wieder aus Trier ab. Vgl. Kapitel 7. Z u m Aufbau der zentralen Leitungsstrukturen in der DDR-Geschichtswissenschaft siehe auch den knappen Uberblick bei Schmidt: Geschichte zwischen Professionalität und Politik und NeuhäußerWespy: Die ,ZfG'.

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Der Anfang der ostdeutschen Forschung zur

Reformationszeit

scher Nationalstaat. Nach 1949 bedurfte es daher einer historischen Legitimation, die über die Abgrenzung vom Nationalsozialismus und dem kapitalistischen Westen hinausging. U m den ostdeutschen respektive sowjetischen Anspruch auf nationale Einheit zu untermauern, war die Misere-Theorie kaum tauglich. Positive Traditionsstränge rückten in den Vordergrund. Schon 1 9 5 0 griff Wilhelm Pieck auf dem III. Parteitag der S E D den einseitig negativen Blick auf die deutsche Geschichte an. „Das Studium der revolutionären Bewegungen, an denen die deutsche Geschichte reich ist, wird von uns unterschätzt. So große historische Ereignisse wie der große deutsche Bauernkrieg 1525, die Kämpfe um die Einheit Deutschlands in der Zeit der feudalen Kleinstaaterei, das Wirken der Arbeiter [...] und vieler anderer Kämpfer für die Sache der deutschen und der internationalen Arbeiterklasse, sind unserer Jugend noch wenig bekannt." 1 3 U b e r die revolutionären Bewegungen sollte ein neues Geschichtsbild entstehen, dass der D D R eine positive Bezugnahme auf die deutsche Geschichte ermöglichte. Dadurch sollte der ostdeutsche Staat, der offensichtlich nicht das Produkt einer Revolution des Proletariats war, als historisches Endprodukt einer revolutionären Traditionen erscheinen. 1 4 Oder wie es Walter Ulbricht auf der 2. Parteikonferenz von 1952 ausdrückte: „Jeder versteht, welch große Bedeutung das wissenschaftliche Studium der deutschen Geschichte für den Kampf um die nationale Einheit Deutschlands und für die Pflege aller großer Traditionen des deutschen Volkes hat, besonders gegenüber dem Bestreben der amerikanischen Okkupation, die großen Leistungen unseres Volkes vergessen zu machen." 1 5 Die von der S E D geforderte Neubewertung der deutschen Geschichte zeigte schon bald erste Wirkung. Insbesondere die simple Formel ,Von Luther zu Hitler' wurde nun durch differenziertere Bilder ersetzt. So veröffentlichte 1952 der Kirchenhistoriker Walter Elliger ( 1 9 0 3 - 1 9 8 5 ) ein Buch, in dem er sich explizit gegen die Misere-Theorie und das negative Lutherbild Hansteins wandte. 16 Elliger hatte das Manuskript des Buches schon drei Jahre zuvor fertig gestellt gehabt. Aber erst jetzt, kurz nach dem 7. Plenum des Z K , konnte es erscheinen. 1 7

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Pieck: Die gegenwärtige Lage, S. 92. Z u m Gründungsmythos der jungen D D R vgl. auch Christoph Classen:Vom Anfang im Ende: .Befreiung' im Rundfunk, in: Martin Sabrow (Hg.): Geschichte als Herrschaftsdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der D D R , K ö l n / W e i m a r / W i e n 2000, S. 8 7 - 1 1 8 . Walter Ulbricht auf der 2. Parteikonferenz der SED, zitiert nach: Neuhäußer-Wespy: Erbe und Tradition, S. 133. Vgl. Elliger: Luthers politisches Denken, S. 9 - 1 9 . Hierzu bemerkte der Historiker Max Steinmetz: „Das Vorwort Elligers stammt vom Juli 49. Mir gegenüber hatte er sich öfters über die Verzögerung der Druckgenehmigung beklagt. [...] Aber die Vorgeschichte dieses Anfangs hat noch andere Aspekte: der III. Parteitag von 1950 mit der R e d e von W. Pieck, das 7. Plenum von 1951, wo mit Nachdruck auf die Situation in der Geschichtswissenschaft hingewiesen wurde." Max Steinmetz: Das marxistische Lutherbild in der DDR.Vortragsmanuskript, Leipzig, 19. Juni 1980. U A Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 1 2 7 . Elliger wandte sich in seiner Darstellung aber auch gegen einen ideologischen, sprich dem Historischen Materialismus verpflichteten Blick auf die Vergangenheit. Dieser Aspekt seiner Publikation entspricht also kaum den Forderungen des Z K dieser Jahre.

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Die frühen 1950er Jahre zeichneten sich allgemein durch ein eher lutherfreundliches Klima aus. Das 450-jährige Bestehen der Universität Halle-Wittenberg, die ihren 1933 verliehenen Beinamen Martin-Luther-Universität auch nach dem Krieg beibehielt, wurde 1952 groß gefeiert. In der Festschrift zum Jubiläum verfasste der Historiker Leo Stern (1901-1982) eine derart positive Würdigung Martin Luthers, dass die Zeiten der Schmähung des Wittenberger Reformators der Vergangenheit anzugehören schienen. 18 Der Markstein zur Neubewertung der Reformationszeit wurde aber nicht in Halle gesetzt. Noch in der englischen Emigration während des Zweiten Weltkriegs hatte Alfred Meusel (1896—1960) ein Manuskript über ,Thomas Müntzer in seiner Zeit' erarbeitet. Ahnlich wie Elliger konnte auch Meusel seine Studie erst 1952, nach der nationalen Neuausrichtung des ostdeutschen Geschichtsbildes, publizieren. Er grenzte sich damit deutlich von der Misere-Theorie Abuschs und von Hansteins ab. Das 16. Jahrhundert erschien bei Meusel nicht mehr als Ausgangspunkt einer Entwicklung, die automatisch zum Kaiserreich und zum .Dritten R e i c h ' führte. Er fokussierte nicht mehr auf die dem 16. Jahrhundert entspringenden ,negativen', sondern auf die .positiven' Traditionen; nicht Luther, sondern dessen Gegenspieler Müntzer stand nun am Ausgangspunkt einer nationalen Entwicklungslinie. In Anlehnung an Engels beschrieb Meusel den revolutionären Kampf der Bauernmassen und Plebejer unter der Führung Thomas Müntzers und sah in dieser Gruppe die fortschrittlichste Kraft der Reformationszeit. Die Ursache der Revolution lag laut Meusel in der zunehmenden feudalen Ausbeutung. Allerdings beschrieb er die Auseinandersetzung weniger als einen Klassenkampf denn als einen Kampf gegen die anti-nationale römische Kirche und das universalistische Kaiserreich und damit als einen Kampf um den deutschen Nationalstaat. 19 Aus dieser Perspektive bewertete er auch Martin Luther. Sein Denken erscheint zwar grundsätzlich positiv und auf dem Reichstag zu Worms, so bescheinigte ihm Meusel, habe er als ,,nationale[r] Heros" gehandelt. Sein Klasseninstinkt habe ihn aber bald auf die Seite der Fürsten gezogen und ihn so zum Feind der Nation und damit zum Reaktionär werden lassen. Luthers Wirkung schilderte Meusel daher mehrheitlich negativ. Daher hätten es nun andere übernommen, die richtigen Schlüsse aus seiner Lehre zu ziehen: Thomas Müntzer habe die Volksreformation angestoßen und die Bauern schließlich in den Bauernkrieg geführt. 20 Der nationale Kampf war laut Meusel also von Luther auf die revolutionären Unterschichten übergegangen. Wäre der zentralisierte Nationalstaat erst einmal errichtet gewesen, so wäre daraus „von selbst" eine bürgerliche Ordnung hervorgegangen. Dies führte Meusel dazu, die Zeit von Luthers Thesenanschlag bis zum Bauernkrieg (1517-1525) als „frühbürgerliche Revolution" zu bezeichnen. 21

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Vgl. Stern: Die geschichtliche Gesamtlage. Vgl. Meusel:Thomas Müntzer, S. 4 3 - 5 5 . Vgl. Meusel:Thomas Müntzer, S. 67, 7 7 - 8 2 und 99/100. Meusel: Thomas Müntzer, S. 2 6 - 2 8 und 41.

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Mit der „frühbürgerlichen Revolution" hatte Meusel eine Chiffre geschaffen, die in der Reformations- und Bauernkriegsforschung der D D R ein paar Jahre später zum zentralen Begriff werden sollte. Meusel dürfte sich der Bedeutung seiner Schöpfung nicht bewusst gewesen sein. Er belegte die von ihm vorgenommene Charakterisierung mit Zitaten von Friedrich Engels, ohne aber darauf hinzuweisen, dass jener immer nur von der ,ersten bürgerlichen Revolution' gesprochen hatte. Meusel stützte sein Buch stark auf Engels'Bauernkriegsinterpretation ab. Die nationale Perspektive des 19. Jahrhunderts passte vorzüglich zum nationalen Diskurs der frühen D D R . Allerdings war Engels längst nicht der Einzige, der in der Reformation eine nationale Bewegung gesehen hatte. Wenn Luther als ,,nationale[r] Heros" bezeichnet wird, erinnert Meusels Darstellung sogar an Leopold von Ranke oder Gerhard Ritter.Von diesen Interpretationen der bürgerlichen Geschichtswissenschaft grenzte sich Meusel insbesondere dadurch ab, dass er die siegreichen Fürsten von 1525 als „nahe Verwandte" der Nazis beschrieb, die ihnen „über die Zeit hinweg die Hände reichen". 22 Wie Günther Franz schrieb auch Meusel der Revolution von 1525 eine nationale Zielrichtung zu, er argumentierte jedoch an keiner Stelle mit dem durch den Nationalsozialismus diskreditierten Begriff des Reiches. 2 3 Trotz dieser Abgrenzungsbemühungen war Meusel von einer marxistisch-leninistischen Darstellung und einer Analyse im Sinne des Historischen Materialismus weit entfernt. Neben der Darstellung der Frühbürgerlichen Revolution enthielt die Publikation einen umfangreichen Quellenteil. Dieser zweite Teil war von Meusels Berliner Kollege Heinz Kamnitzer (1917-2001) bearbeitet worden. Er enthält aber fast ausschließlich Dokumente, die bereits von Günther Franz publiziert worden sind — jedoch ohne dessen Namen zu erwähnen. Auf diesen Missstand wies alsbald nicht nur Günther Franz selber hin, sondern auch ein Historiker im Dienste des Staatssekretariats für das Hochschulwesen - Max Steinmetz. Franz' und Steinmetz' Rezensionen kratzten den wissenschaftlichen Glanz dieser Veröffentlichung bald erheblich an. Bis diese erschienen, wurde die Interpretation der Reformationszeit aber noch weitgehend von Alfred Meusel bestimmt. 24 Dem Museumsdirektor Meusel war nämlich nicht nur die Leitung des Autorenkollektivs des Lehrbuches, sondern auch die Autorenschaft für den Abschnitt 1400-1648 übertragen worden. Im Jahr 1952 war Alfred Meusel also zum fuhrenden DDR-Historiker befördert und insbesondere fur die Reformationszeit zuständig erklärt worden.

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Meusel: Thomas Müntzer, S. 25. Vgl. Kroll: Die Reichsidee, S. 196. Vgl. auch Kapitel 6.1.3.

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6.1.2 Diktat zur Homogenisierung Die nationale Ausrichtung der Geschichtsschreibung hat bezüglich der Bewertung Martin Luthers vorerst keine Klarheit gebracht. Stern und Elliger rückten den Reformator in ein positives Licht, bei Meusel überwogen die kritischen Töne. Für die Konzeption des Museums für Deutsche Geschichte und die weitere Arbeit am Lehrbuch war es jedoch entscheidend, ob Luther nun zu den „großen Traditionen des deutschen Volkes"25 hinzugerechnet werden sollte oder nicht. Wenige Tage bevor das Autorenkollektiv erstmals zusammentraf, kam es im Wissenschaftlichen Rat des Museums im Herbst 1952 zu einer Auseinandersetzung über genau diese Frage. Die Debatte vom 5. Oktober 1952 war durch einen Brief des Kunsthistorikers Hermann Weidhaas an Meusel ausgelöst worden. Weidhaas hatte die Darstellung Luthers im Museum kritisiert, da dieser dort nur als Sprachschöpfer gewürdigt, ansonsten aber als Bauernschlächter dargestellt werde. Inhaltlich drehte sich die Diskussion also um die Bedeutung Luthers fur die deutsche Nationalgeschichte. Für Meusel bot sich hiermit die Möglichkeit, seine eigene Sichtweise durchzusetzen und als gültig zu erklären. Die Diskussion wurde von Kamnitzer geleitet. Er eröffnete die Sitzung mit einem Dank an die Kontrahenten Weidhaas und Meusel, dass „sie ihre Disputation nicht unter sich selbst nur ausgetragen haben, sondern uns gebeten haben, hier an der Auseinandersetzung teilzunehmen". Das gemeinsame Anliegen, das die Historiker der D D R vertreten, schließe „ja nicht aus, daß unter uns Meinungsverschiedenheiten" bestünden. Eine „fruchtbare Diskussion" sei jedoch nur möglich, „wenn solche Meinungsverschiedenheiten, die zweifelsohne bestehen, freimütig und fair" ausgetragen werden. 26 Was folgte, war jedoch nicht eine Diskussion gleichberechtigter Teilnehmer, sondern eine Machtdemonstration Meusels. Bereits in seiner einleitenden Wortmeldung attackierte er Weidhaas so scharf, dass sich der Vertreter des Staatsministeriums, Max Steinmetz, rückblickend an das „Plädoyer eines Staatsanwaltes" erinnert fühlte. 27 Gleich zu Beginn stellte Meusel klar, dass die Reformation „die frühbürgerliche Revolution in Deutschland" gewesen sei. „Die Reformation begann oder entwickelte sich sehr schnell zu einer großen [...] Blockrevolution gegen die Herrschaft der römisch-katholischen Kirche, gegen die Ausbeutung Deutschlands und des deutschen Volkes durch die Kurie, durch den päpstlichen Stuhl. [...] Wir müssen klar herausstellen, daß Luther während seiner Wirksamkeit vom Thesenanschlag bis zum Reichstag zu Worms tatsächlich bis zu einem gewissen Grade der Fürspre-

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Walter Ulbricht auf der 2. Parteikonferenz der SED, zitiert nach: Neuhäußer-Wespy: Erbe und Tradition, S. 133. Diese und alle folgenden zitierten Wortmeldungen der Diskussion vom 5. Oktober 1952 sind zitiert nach: Stenographisches Diskussionsprotokoll der Tagung des Wissenschaftlichen Rats des Museums für Geschichte am 4. und 5. Oktober 1952. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3/50. Die Diskussion wird auch in Steinmetz: Reformation und Bauernkrieg, S. 17-19, besprochen. Steinmetz: Reformation und Bauernkrieg, S. 17.

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eher der deutschen Nation in ihrem Kampf gegen R o m gewesen ist." Unschwer lässt sich aus dieser Wortmeldung die Position aus Meusels Müntzer-Monographie wieder erkennen. Im Gegensatz zu Müntzer habe Luther es jedoch zu verhindern versucht, dass sich die Reformation auch gegen die weltliche Feudalität richtete. Luther sei nie auf der Seite der Bauern gestanden. Diese hätten ihn aber so lange unterstützt, als sein Kampf einen progressiven Charakter besessen hatte. „Diese Periode seiner religiös-politischen Wirksamkeit ging im wesentlichen mit dem Reichstag zu Worms zu Ende. [...] Als sich hinter der ersten Welle der Reformation die zweite, viel höhere erhob, als die Männer auftraten, die mit der Reformation letzten, äußersten Ernst machten, indem sie die Mahnung nicht nur gegen die geistlichen, sondern gegen die weltlichen Fürsten richten wollten, da leugnete der Reformator sein eigenes Werk, da durchbrach und änderte er seine Lehre so lange, bis sie zu einer Religion des beschränkten Untertanenverstandes wurde, bis sie den deutschen Zaunkönig, den deutschen Kleinfürsten angemessen paßte." Unwidersprochen blieb diese Darstellung jedoch nicht. Jürgen Kuczynski ( 1 9 0 4 - 1 9 9 7 ) und Kurt Hager ( 1 9 1 2 - 1 9 9 8 ) , beides ebenfalls Professoren der Humboldt-Universität zu Berlin, zeigten sich in der Diskussion als die schärfsten Gegner Meusels. Kuczynski meinte, dass es trotz der „verderblichen R o l l e " , die Luther im Bauernkrieg gespielt habe, notwendig sei, auch seine positiven Seiten zu würdigen. Hager schloss sich dieser Wortmeldung an und betonte insbesondere die nationalen Verdienste Luthers. „Das Thema der heutigen Disputation ,Luther und die Stellung zu den Bauern' birgt die Gefahr in sich, [...] daß Luthers Bedeutung fiir die Nation, Luthers Bedeutung für die nationale Erziehung unseres Volkes, für die Schaffung des Nationalbewußtseins vielleicht verloren gehen kann, vielleicht entstellt werden könnte. [...] Luthers Thesen sind es gewesen, die den Anstoß zur Entwicklung dieser gegen die - ich sage das jetzt ganz scharf — römische Fremdherrschaft gerichteten Bewegung ergeben haben. Und das ist das Hauptkennzeichen der Epoche. Eine große nationale Bewegung, die alle Schichten des Volkes umfaßt, gegen die Ausplünderung Deutschlands und des deutschen Volkes durch die römische Kirche, durch eine fremde Gewalt, das ist doch wohl der Hauptinhalt dieser Periode." Die Positionen waren also deutlich verteilt. Während Hager und Kuczynski dafür plädierten, Luther für seine nationalen Verdienste in das DDR-Geschichtsbild zu integrieren, betonte Meusel den janusköpfigen Charakter Luthers. Dem Diskussionsprotokoll zufolge teilte eine deutliche Mehrheit der Anwesenden die Auffassung von Kurt Hager. Für den Ausgang der Diskussion war dies aber offenbar nur zweitrangig. Meusel stand das Schlussvotum zu - und er nutzte dieses, um den Anwesenden darzulegen, welche Position nun die richtige sei. Er lancierte hierzu erneut einen Angriff auf Weidhaas. Aus seinem Diskussionsbeitrag sei nicht hervorgegangen, ob Weidhaas nun „eingesehen" habe, „daß die andere Argumentation richtig war und die im B r i e f angewandte Argumentation nicht richtig war". Das ändere aber „nichts an der Tatsache, daß Kollege Weid189

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haas den Anstoß zur Diskussion" gegeben habe und sich alle bemüht hätten, „die deutsche Geschichte richtig einzuschätzen, nicht objektivistisch abzuschätzen, aber objektiv einzuschätzen." Die Diskussion hatte offensichtlich nicht zum Ziel gehabt, die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Interpretationsansätze gegeneinander abzuwägen. Vielmehr war es Meusel darum gegangen, die Gültigkeit seiner Position bekannt zu machen. Das Z K der SED hatte von Anfang an beabsichtigt, mit dem M u seum fur Deutsche Geschichte eine Leitinstitution fur die historische Forschung zu schaffen. Die ideologische Kontrolle der Forschung durch das Politbüro und die Abteilung Propaganda sollte erleichtert werden, indem das Museum seinerseits die anderen Forschungsstellen - hauptsächlich die historischen Institute an den Universitäten — überwachen und steuern konnte. 28 Daher kam der Auseinandersetzung im Museum wegweisende Bedeutung zu. Sie hatte klar gemacht, dass in der Beurteilung der Reformation kein Pluralismus mehr erwünscht war. Nicht die Meinungsbildung war das Ziel der Zusammenkunft gewesen, sondern die Durchsetzung einer bestimmten Geschichtsinterpretation. Es kann daher nur als zynisch bezeichnet werden, dass Meusel am Ende der Diskussion Weidhaas' Anstoß zur Auseinandersetzung verdankte. Zu den ,Unterlegenen' gehörten durchaus namhafte Wissenschaftler wie Kurt Hager und Jürgen Kuczynski. Diese hatten Anfang der 1950er Jahre den Zenit ihrer Karriere zwar noch nicht erreicht, saßen aber bereits auf renommierten Lehrstühlen der Humboldt-Universität zu Berlin und galten als zwei der bedeutendsten Gesellschaftswissenschaftler der D D R . 2 9 Mit dieser Diskussion im Museum fur Deutsche Geschichte war die Interpretation der Reformationszeit für die nächsten Jahre festgeschrieben worden: Die Formel ,Von Luther zu Hitler' war zwar überwunden, das positive Lutherbild, das im selben Herbst die Jubiläumsfeierlichkeiten der Universität Halle-Wittenberg geprägt hatte, war aber ebenso deutlich zurückgewiesen worden. Unbestrittener Konsens herrschte einzig bezüglich der nationalen Ausrichtung des G e schichtsbildes. Unabhängig von ihrer Bewertung Luthers und Müntzers waren sich die Diskussionsteilnehmer einig gewesen, dass die römische Kirche eine „fremde" Gewalt dargestellt habe und die Umbrüche des frühen 16. Jahrhunderts daher eine „große nationale Bewegung" des „deutschen Volkes" gewesen seien. In diesen Punkten stellte das Reformationsbild der jungen D D R kaum einen Bruch zur Tradition der deutschen Historiographie dar.

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Vgl. Pfundt: Die Gründung des Museums, S. 95. Kurt Hager war zu diesem Zeitpunkt Professor fur Philosophie. 1954 wurde er Mitglied und 1955 Sekretär des Z K der SED, als solcher zuständig ilir Wissenschaft, Volksbildung und Kultur, ab 1963 war er Mitglied des Politbüros und Leiter der Ideologischen Kommission beim Politbüro. Jürgen Kuczynski war seit 1946 ordentlicher Professor für Geschichte und wurde 1956 Leiter der Abteilung Wirtschaftsgeschichte des Instituts für Geschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW). Vgl. Neuhäußer-Wespy: Die SED und die Historie, S. 1 4 3 - 1 4 5 . Z u Kuczynski vgl. auch Keßler: Exilerfahrung, S. 9 1 - 1 4 5 .

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Diese Interpretation sollte nun auch dem entsprechenden Abschnitt im Lehrbuch zugrunde liegen; die Arbeit an diesem Projekt setzte kurz nach der Eröffnung des Museums voll ein. 3 0 N o c h im O k t o b e r 1952 sah die Planung vor, bis zum Juni 1953 einen Entwurf zu erarbeiten - das fertige Manuskript sollte Ende O k t o b e r 1953 vorliegen. 3 1 D a m i t Meusel das Projekt zügig angehen konnte, wurde er v o m Staatssekretariat teilweise von den Verpflichtungen seines Berliner Lehrstuhles befreit 3 2 u n d die Arbeit an seinem Institut an der H u m b o l d t - U n i wurde ganz auf die Bedürfnisse des Lehrbuchprojekts ausgerichtet. 3 3 Trotz dieser Unterstützung musste sich der Zeitplan alsbald als unrealistisch herausstellen. Laut ZK-Entschließung vom O k t o b e r 1951 sollte das Lehrbuch erst nach einer „breiten vorhergehenden öffentlichen Diskussion" erscheinen. Meusel kam dieser Forderung insofern nach, als er im ersten Jahrgang der Z f G eine Skizze für den Abschnitt 1 4 0 0 - 1 6 4 8 präsentierte. Sein E n t w u r f blieb j e d o c h in einer A n sammlung von Stichworten stecken u n d kann nur als Skizze über die Periodisier u n g dieses Zeitabschnittes verstanden werden. 3 4 Meusels Vorschlag war aus zwei Gründen problematisch. Die erste Schwierigkeit entstand durch das Anfangsjahr 1400. Diese Begrenzung stellte eine Konzession an die Geschichtsbilder der sozialistischen Bruderländer dar. Im Unterschied zu der in der deutschen Historiographie üblichen E p o c h e n g r e n z e u m 1500 zog die sowjetische Geschichtsschreibung das Mittelalter bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Für die Geschichte der mitteleuropäischen Staaten - insbesondere f ü r Deutschland u n d die Tschechoslowakei — ist eine solche Periodisierung j e d o c h unüblich. Daraus ergab sich der Kompromiss, eine Übergangsepoche v o m Feudalismus zum Kapitalismus zu definieren. D e m versuchte die Lehrbuch-Konzeption durch die Begrenzung 1400—1648 zu entsprechen. N u r : Im Unterschied zu 1648 (Westfälischer Friede) k o m m t dem Jahr 1400 in der deutschen Geschichte k a u m eine B e d e u tung zu. Es weist j e d o c h auf den Beginn der hussitischen Bewegung hin u n d ist

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Z u m Konsens-Diktat bei der Entstehung des Lehrbuchs der deutschen Geschichte siehe Sabrow: Das Diktat, S. 183-203. Vgl. Entwurf der Richtlinien, 8. Oktober 1952. UA HUB, Philosophische Fakultät nach 1945,106 und SAPMO BArch, DY 30/IV 2/9.04,106. Vgl. BArch, D R 3,1599, Blatt 210 und SAPMO BArch, DY 30/IV 2/9.04,107. Vgl. Arbeitsbesprechung vom 20. Dezember 1952. UA HUB, Philosophische Fakultät nach 1945, 97 und UA HUB, Philosophische Fakultät nach 1945, 87. Vgl. Meusel: Disposition des Hochschullehrbuches. Wie schwer die Periodisierungsfrage auf dem Kollektiv lastete, zeigt auch ein Bericht der Autoren an das Institut für Marxismus-Leninismus von 1958. „In Ubereinstimmung mit den Historikern der Sowjetunion und der Volksdemokratien vertreten die Mitglieder des Autorenkollektivs die Auffassung, daß Versuche, die Geschichte nach streng einheitlichen und universell gültigen Marksteinen einteilen zu wollen, zu keinem positiven Resultat führen können." Man verfalle einem vulgären ökonomischen Materialismus, wenn man die Basis zum „alleinigen Kriterium der Periodisierung" erhebe. Es sei daher notwendig, von Fall zu Fall zu entscheiden, „welche Summe von historischen Fakten als Erscheinungsformen der objektiv wirkenden historischen Gesetzmäßigkeiten als Einschnitt (Zäsur) im geschichtlichen Entwicklungsprozeß zu werten sind". SAPMO BArch, N Y 4182/1362.

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daher als Anpassung an die tschechoslowakische Periodisierung zu verstehen. In einem Lehrbuch der deutschen Geschichte wirkte eine solche Zäsur aber eher verwirrend. D e r B e g i n n der Ubergangsepoche sollte in den nächsten Jahren denn auch zu einem intensiv diskutierten Problem werden. Zweitens blieb die Frage ungelöst, wie mit dem Jahr 1517 umzugehen sei. In seinem M ü n t z e r - B u c h hatte Meusel die Frühbürgerliche Revolution mit Luthers Thesenanschlag von 1517 beginnen lassen. Damit markierte er aber eine Zäsur, die auch in der bürgerlichen Geschichtswissenschaft große Bedeutung besaß und von nicht wenigen Historikern sogar als der symbolische Beginn der Neuzeit gewertet wurde. Für ein Lehrbuch, das explizit eine „Waffe" gegen „den bürgerlichen Gegner im Westen" sein wollte, war eine solche Kongruenz eher unpassend. Dennoch hielt Meusel an seiner 1952 im Museum fur Deutsche Geschichte durchgesetzten Konzeption fest und begrenzte den zweiten Hauptteil des Abschnittes mit den Jahren 1517 und 1525. 3 5 Im Autorenkollektiv wurde Meusels Disposition ebenso wie die Entwürfe der anderen Autoren ausführlich besprochen, eine öffentliche Diskussion regte die Publikation aber nicht an. 3 6

6.1.3 Zunehmende Konkurrenz für Alfred Meusel Die Utopie der Machbarkeit, die Utopie einer neuen sozialistischen Geschichtswissenschaft, die innerhalb von knapp zwei Jahren ein solches Lehrbuchprojekt umsetzen könnte, blieb bald in der Realität endloser Terminverschiebungen hängen. 3 7 O b w o h l das Institut für die Geschichte des deutschen Volkes der Humboldt-Universität mit ungebrochener Kraft Meusel zuarbeitete, blieb sein Kapitel auf dem Stand der Disposition stecken. Als Leiter des Kollektivs fand Meusel kaum Zeit an seinem eigenen Abschnitt zu arbeiten. Hinzu kamen bald Reibereien im Kollektiv, die sich zu einem erbitterten Streit zwischen Meusel und Ernst Engelberg (1909) ausweiteten: Engelberg kritisierte vor allem Meusels stark national geprägtes Geschichtsbild und seine positive Bewertung der Bismarck'schen Reichseinigung. 3 8 Der Streit blieb nicht auf das Autorenkollektiv beschränkt, sondern beschäftigte bald das Z K der SED. Schließlich setzte sich Engelberg bei sämtlichen Parteistellen gegen Meusel durch. 39 Hintergrund die35 36 37

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Vgl. Meusel: Disposition des Hochschullehrbuches. Vgl. Sabrow: Planprojekt Meistererzählung, S. 2 4 3 / 2 4 4 . Martin Sabrow sieht in der anfänglich ehrgeizigen Terminplanung ein Abbild des stalinistischen Technikkultes der frühen 1950er Jahre, des Glaubens „an die unumschränkte Beherrschung von Natur und Gesellschaft". Sabrow: Planprojekt Meistererzählung, S. 2 4 0 / 2 4 1 . Engelberg war für die Darstellung der deutschen Reichseinigung im 19. Jahrhundert verantwortlich. Er vertrat ein Bismarck-kritisches Geschichtsbild und lehnte Meusels nationales Geschichtsdenken vehement ab. Ende 1958 bekräftigte Kurt Hager, der inzwischen zum Sekretär des Z K der SED aufgestiegen und als solcher für Wissenschaft, Volksbildung und Kultur zuständig war, dass der preußische Weg zur Reichseinigung „zwar eine historische Tatsache, [...] aber [...] ein Unglück für

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ser Auseinandersetzung war ein langsamer Wandel im Geschichtsbild des sich etablierenden ostdeutschen Staates. Mit der Integration der B R D und der D D R in die feindlichen Machtblöcke Mitte der 1950er Jahre wurde die doppelte Staatsgründung von 1949 gefestigt.40 Statt einer einheitlich nationalen Perspektive war nun zunehmend eine klare Abgrenzung gegenüber der westdeutschen Historie gefragt. 41 Ziel der DDR-Geschichtswissenschaft sollte sein, eine nationale Perspektive zu entwickeln, die sich deutlich von der westdeutschen unterschied. Mit dieser Entwicklung korrespondierte die institutionelle Zweiteilung der deutschen Geschichtswissenschaft: Diese war 1958 durch die Gründung der D H G und der Abreise der ostdeutschen Delegation vom Trierer Historikertag zementiert worden. 42 Die Auseinandersetzung um die Bewertung der Reichseinigung des 19. Jahrhunderts mag vordergründig wenig mit der Frühbürgerlichen Revolution zu tun haben. Sie weitete sich aber schnell zu einer neuerlichen Debatte um die Periodisierung des Lehrbuchs aus. Meusel setzte sich dafür ein, seinen Beitrag nun erst mit dem Jahr 1517 beginnen zu lassen. Somit sprach er sich erneut für die traditionelle nationalgeschichtliche Perspektive aus. Obwohl eine solche Zäsur die angestrebte „Ubereinstimmung mit den Historikern der Sowjetunion" wohl verhindert hätte, folgte die Mehrheit des Kollektivs seinem Vorschlag.43 Dasselbe gilt für die Charakterisierung der Jahre 1517-1525 als „frühbürgerliche Revolution". 4 4 Zwei Gründe mögen hierfür ausschlaggebend gewesen sein. Erstens war der (politisch bedingte) Interpretationsspielraum beim gegenwartsfernen 16. Jahrhundert größer als bei der Periodisierung des 19. Jahrhunderts. Zweitens entsprach Meusels Konzeption der Frühbürgerlichen Revolution bereits in wesentlichen Punkten dem neuen, eigenständigen nationalen Selbstverständnis der D D R : Durch seinen Fokus auf Müntzer und seine Kritik an Luther beleuchtete er eine nationale Tradition, die im Geschichtsbild der jungen B R D keinen Platz hatte.

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Deutschland" gewesen sei. Kurt Hager an einer Beratung des ZK der SED mit „Genossen Historikern" im Dezember 1958, zitiert nach: Sabrow: Planprojekt Meistererzählung, S. 272. Vgl. S Α Ρ Μ Ο BArch, DY 30/IV 2/9.01,11. Zur Deutschlandpolitik der SED vgl. Lemke: Einheit oder Soziabsmus? Kowalczuk sieht die ergebnislos verlaufene Berlin-Konferenz von 1954 als den eigentlichen Wendepunkt in dieser Entwicklung an.Vgl. Kowalczuk: Legitimation, S. 199.Vgl. auch Mehls: Die Gründungsphase, S. 805. Vgl. SAPMO BArch, DY 30/IV 2/9.04,119 u. 120 und Worschech: Der Weg, S. 205-216. Vgl. Sabrow: Das Diktat, S. 242/243. So hielten die Autoren beispielsweise in einem Bericht zur Periodisierung des Lehrbuches zu Händen des Instituts iur Marxismus-Leninismus 1958 fest, dass der Zeitraum 1517-1525 als „frühbürgerliche Revolution" bezeichnet werden soll. Er habe „als erster Akt der bürgerlichen Revolution europäischer Bedeutung" den Niedergang des Feudalismus eingeleitet. SAPMO BArch, N Y 4182/1362. Es handelt sich hierbei bereits um eine überarbeitete Disposition. Zur Diskussion des ersten Entwurfes hatte das Politbüro am 22. Januar eine Arbeitsgruppe - bestehend aus sechs Politbüromitgliedern sowie „einigen namhaften Genossen Historikern" — eingesetzt. Protokoll der Sitzung des Politbüros vom 22. Januar 1957. SAPMO BArch, DY 30, J IV 2 / 2 523.

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Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Meusels Person infolge dieses Konflikts nur noch geringe Autorität ausstrahlte. Die Kritik an seiner generellen Konzeption hatte längst auch seine Führungstätigkeit im Autorenkollektiv in Frage gestellt.Vor einer totalen Demontage schützte ihn schließlich nur sein sich zunehmend verschlechternder Gesundheitszustand. Er wurde als Herausgeber des Lehrbuches abgelöst und sein Lehrbuchabschnitt der Verantwortung von Max Steinmetz übertragen. 45 Meusels Dominanz war auch außerhalb des Lehrbuchkollektivs längst bröcklig worden. Dies gilt insbesondere für seine Interpretation der Reformationszeit, die seit dem Erscheinen seines Müntzer-Buches scharf konkurrenziert wurde. Leo Stern (1901-1982) publizierte 1953 eine Studie über ,Martin Luther und Philipp Melanchthon', in der die Lutherreformation weitgehend als eine progressive Geistesbewegung erscheint. Stern war nach der Rückkehr aus der sowjetischen Emigration Direktor des Instituts für deutsche Geschichte an der Universität Halle geworden und als Mitglied des Autorenkollektivs fur den Lehrbuch-Abschnitt zum Mittelalter verantwortlich. 46 Die Hauptfunktion der römischen Kirche sei die Rechtfertigung der feudalen Ordnung gewesen, schrieb Stern. Deshalb seien Reformation und Humanismus als die geistigen Hauptströmungen gegen den Feudalismus anzusehen. 47 Stern bewertete die Lutherreformation also auch noch 1953 viel positiver als Meusel. Viel bedrohlicher als die bürgerliche' Position Sterns war für Meusel jedoch Smirins Monographie zur Volksreformation Thomas Müntzers; diese war 1952 erstmals in deutscher Ubersetzung erschienen. Smirins Studie kann insgesamt als die originellere und tiefer blickende Untersuchung bezeichnet werden, deren Schattenwurf auf Meusel dadurch verstärkt wurde, dass ihr das Gütesiegel der sowjetischen Geschichtswissenschaft anhaftete. Der Einfluss Smirins auf die ostdeutsche Geschichtswissenschaft war groß; in den Mittelalter-Instituten der Universitäten wurde seine Darstellung sofort zu einem viel diskutierten Gegenstand. 48 1955 folgte bereits Smirins zweite umfangreiche Publikation zur Reformationszeit in deutscher Ubersetzung. 49 Damit war Smirin im Ostblock zum führenden Historiker der Reformationszeit geworden. Er befand sich in einer für Meusel nicht mehr zu konkurrenzierenden Position.

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Vgl. Kapitel 6.3. Siehe auch Sabrow: Planprojekt Meistererzählung, S. 272/273. Stern war auch maßgeblich an der positiven Rezeption Luthers im Rahmen des Jubiläums der Universität Halle-Wittenberg beteiligt gewesen.Vgl. Stern: Die geschichtliche Gesamtlage, S. 58-64. Zu Leo Stern vgl. Keßler: Exilerfahrung, S. 260-290. Vgl. Stern: Martin Luther, S. 390. Als Beispiel können etwa die Kolloquien am Institut für allgemeine Geschichte der H u m boldt-Universität genannt werden: Dort widmeten sich 1953 und 1954 mehrere Sitzungen Smirins Publikationen. Vgl. UA HUB, Philosophische Fakultät nach 1945, 113 und Arbeitsplan vom 11. November 1953. UA HUB, Philosophische Fakultät nach 1945, 75. Smirin: Deutschland vor der Reformation.

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6.1.4 Neubeginn in Jena Meusel hatte Anfang der 1950er Jahre einen Lehrstuhl an der Berliner Universität inne, war Direktor des Museums fiir Deutsche Geschichte, leitete das Autorenkollektiv des Lehrbuches und war Vorsitzender der Sektion Geschichte bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften - und dennoch errang seine Müntzerdarstellung nur kurzzeitig Deutungshoheit. Dies lag nicht nur an der Konkurrenz durch Smirin, sondern auch an den Mängeln seiner eigenen Publikation. Unmittelbar nachdem Meusel in der ZfG seine Lehrbuchdisposition veröffentlicht hatte, erschien in derselben Zeitschrift eine Rezension seines MüntzerBandes. Verfasst hatte sie der wenig bekannte Max Steinmetz ( 1 9 1 2 - 1 9 9 0 ) . Als Mitarbeiter des Staatssekretariats für das Hochschulwesen hatte Steinmetz nicht die Autorität eines Ordinariats im Rücken. Jedoch hatte er an der HumboldtUniversität immerhin einen Lehrauftrag für mittelalterliche Geschichte inne und galt als ehemaliger Schüler Gerhard Ritters als Kenner der Reformationszeit. Die Parteistellen schätzten Steinmetz trotz früherer Verbindungen zum NS-System als zuverlässig ein und leiteten 1952 seine Aufnahme in die SED ein. 50 Steinmetz betonte Meusels „lebendige Darstellung", die in der deutschen Historiographie trotz der eben erschienenen Ubersetzung von Smirins .Volksreformation' eine Lücke schließe. Auch die Dokumentensammlung im zweiten Teil sei „sehr zu begrüßen" und deren Auswahl verdiene große Anerkennung. 51 Vor der nachfolgenden Auflistung von Fehlern und Versäumnissen der Publikation erhält dieses Gesamturteil jedoch einen eher zynischen Unterton. Steinmetz wies auf diverse faktische Fehler im Text hin und monierte, Meusel habe den Forschungsstand nicht genügend ausgewertet. 52 Bei den von Kamnitzer zusammengetragenen Dokumenten wies Steinmetz die nicht angegebene Herkunft nach:Von den 48 Quellen stammten zwei aus einer Sammlung von Brandt, zehn aus einer Edition von Barge, und die restlichen 36 aus dem schmalen Quellenbändchen von Franz aus dem Jahre 1926. 5 3 Kamnitzer habe aber nicht nur die Quellenstücke von den drei Historikern übernommen, sondern auch die von ihnen vorgenommene Modernisierung der Sprache und Bearbeitung. So seien teilweise Wiedergaben entstanden, die „jede, aber auch die geringste Sorgfalt und wissenschaftliche Genauigkeit" vermissen ließen. 54

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Steinmetz hatte zeitweise bei den studentischen SA-Einheiten Dienst geleistet. Unklar ist, ob er von 1933—1945 auch Mitglied der NSDAP und der SA gewesen ist. Davon berichtet ein Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aus dem Jahr 1958. Diese Angaben konnten jedoch nicht verifiziert werden.Vgl. Kapitel 7. Steinmetz: Besprechung: Alfred Meusel, S. 971 und 974. Steinmetz: Besprechung: Alfred Meusel, S. 971. Steinmetz: Besprechung: Alfred Meusel, S. 976. Als besonders eindrückliches Beispiel schilderte Steinmetz die Übernahme von Luthers .Ermahnung zum Frieden auf die 12 Artikel der Bauernschaft in Schwaben' aus Franz' Publikation von 1926: „Luther bezieht sich hierin auf die Memminger Artikel, ,da sie mich mit N a men ... nennen und sich auf mich berufen'. Franz fugt (auf S. 281) in Klammern hinzu: M e m -

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Zu einem solchen Angriff auf die Arbeit von Meusel - der für seine Verdienste um das Museum für Deutsche Geschichte eben mit dem Nationalpreis ausgezeichnet worden war — und Kamnitzer — der nicht nur auf einem Berliner Ordinariat saß, sondern zusammen mit Meusel und Stern auch Herausgeber der ZfG war — bedurfte es einer nicht geringen Portion Mut, vielleicht auch einer gewissen Naivität. Bald erhielt Steinmetz jedoch Schützenhilfe - nicht von Kollegen aus der D D R , sondern von Günther Franz, dem westdeutschen Historiker mit NS-Vergangenheit. In einer knappen Besprechung bestätigte dieser Steinmetz' Kritik in der H Z . „Dies Buch zweier Berliner ,Lehrstuhlinhaber' verstößt gegen die Grundsätze wissenschaftlicher Sauberkeit und Exaktheit, die über alle politischen Unterschiede hinweg Grundlage jeder wissenschaftlichen Arbeit sein sollten und auch von der bolschewistischen Forschung anerkannt werden." 55 Ahnlich scharfe Kritik wurde wenig später etwa auch von Hermann Heimpel erhoben. 56 Diese Rezensionen lösten in der D D R große Verunsicherung aus. Ein solcher Angriff auf führende marxistische Historiker stellte nicht weniger als die Wissenschaftlichkeit der erst im Entstehen begriffenen ostdeutschen Historie öffentlich in Frage. Heinz Kamnitzer und Alfred Meusel waren als unzureichend qualifizierte Historiker vorgeführt worden. An den Kamnitzer und Meusel übertragenen Aufgaben änderte sich durch diese Desavouierung zwar nichts, beide verzichteten in den folgenden Jahren aber darauf, nochmals ein Buch oder einen Aufsatz zur Reformationszeit zu veröffentlichen. In der ostdeutschen Frühneuzeitforschung war somit ein Vakuum entstanden, das wieder mit historischer Forschung gefüllt werden musste. Es war so groß, dass zeitweilig sogar die Berührungsängste gegenüber Günther Franz zweitrangig zu werden schienen: Franz bemühte sich seit Anfang der 1950er Jahre wieder um ein Editionsprojekt, das in den Kriegswirren ins Stocken geraten war - eine Gesamtausgabe der überlieferten Müntzer-Schriften. 5 7 Dieses Vorhaben musste in der D D R Aufmerksamkeit erregen. Als das Manuskript Mitte der 1950er Jahre vorlag, fasste der (Ost-)Berliner Akademie-Verlag eine gemeinsame Veröffentlichung mit dem Verein für Reformationsgeschichte ins Auge. Als die K o operation später aus politischen Gründen platzte, hatte das Manuskript bereits mehrere Monate beim Akademie-Verlag gelegen. 58 So erschien der Band — nach erneuter langer Verzögerung — schließlich nur in der B R D . 5 9

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minger Artikel, s.o. S. 98. Dort heißt es in der Instruktion der Bauern, die sich bei Keßler an die Memminger Artikel anschließt:,Kurfürst Friedrich von Sachsen, samt Dr. Martin Luther oder Philipp Melanchthon oder Bugenhagen.' Bei Kamnitzer, S. 309, ist die Klammer übernommen: Memminger Artikel, S. 218. Auf S. 218 stehen zwar die Artikel, aber die Stelle, auf die verwiesen wird, fehlt." Steinmetz: Besprechung: Alfred Meusel, S. 976. Franz: Rezension zu: Alired Meusel. Vgl. Heimpel: Literaturberichte, S. 625/626. Vgl. Kapitel 4.4.1. Vgl. Briefwechsel Franz-Ritter, Franz-Bornkamm und Franz-Hinrichs. UA Hohenheim, N6, 9 / 2 / 1 . Siehe auch Franz: Mein Leben, S. 184/185. Vgl. Franz: Thomas Müntzer.

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Schließlich wurde die Lücke in der Frühneuzeitforschung der D D R aber nicht von Günther Franz und auch nicht in Berlin, sondern durch Max Steinmetz'Arbeit an der Friedrich-Schiller-Universität im thüringischen Jena geschlossen. Wenige Jahre nachdem Meusels Müntzer-Buch erschienen war, war aus dem nahezu unbekannten Max Steinmetz der Doyen der DDR-Forschung zu Reformation und Bauernkrieg geworden. Für die Frage der Institutionalisierung der DDR-Forschung zu Reformation und Bauernkrieg ist die Entwicklung dahin von großer Bedeutung. Daher sollen hier die entscheidenden Weichenstellungen an der Universität Jena kurz nachgezeichnet werden. Der Jenaer Lehrstuhl für neuere Geschichte war 1947 neu mit Karl Griewank besetzt worden. Griewank war kein linientreuer Marxist, sondern ein bürgerlicher Historiker, der sich mehrfach explizit gegen eine simple Übernahme der Thesen von Marx und Engels in die Geschichtswissenschaft ausgesprochen hat. 60 Seine akademische Tätigkeit in der D D R war jedoch nur von kurzer Dauer. Im Oktober 1953 wählte Karl Griewank den Freitod. In der B R D wurde Griewanks Tod sogleich politisch ausgeschlachtet. Meldungen machten die Runde, er sei in seinem letzten Vortrag von der SED zu Lügen gezwungen worden; sein Tod sei eine Flucht vor politischer Repression gewesen. 61 Solche Darstellungen hatten wenig mit den realen Ereignissen zu tun, verfehlten aber ihre Wirkung nicht. Die ostdeutsche Geschichtswissenschaft wurde erfolgreich diskreditiert. 62 Vor diesem Hintergrund ist auch die Diskussion um die Neubesetzung des Lehrstuhls zu lesen. Gerade mal drei Wochen nach Griewanks Tod schlug das Staatssekretariat für das Hochschulwesen der Philosophisch-historischen Fakultät in einem Schreiben „die Berufung von Herrn Dr. Steinmetz zum Dozenten und der Wahrnehmung einer Professur mit Lehrauftrag" vor. Die Fakultät bewies jedoch Eigenständigkeit und setzte wenige Tage später eine Kommission zur Regelung der Nachfolge ein. 63 Diese lehnte die Berufung Steinmetz' ab; er sei nicht habilitiert und habe seit seiner Dissertation lediglich einen Beitrag zur Festschrift der Uni60

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So hatte Griewank etwa im März 1952 anlässlich einer Tagung im Museum fur Deutsche Geschichte darauf bestanden, dass Engels die Reformationszeit „sehr vereinfacht" darstelle. Der weit differenziertere Forschungsstand solle für die Darstellung der Reformationszeit im M u seum berücksichtigt werden.Vgl. BArch, D R 3,4039, Blatt 18-21. Griewank hielt am 19. Oktober 1953 einen Vortrag zum 140. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig. Dort habe er auf Druck der SED die deutsch-russische Waffenbrüderschaft beschworen und die russische Rolle bei den Befreiungskriegen betont. Vgl. beispielsweise den Nekrolog in: SBZ-Archiv 4 (1953), Heft 23 vom 5.12.1953. Griewanks Tod wird in der Literatur bis heute oft in den Kontext politischer Repression gestellt. Tobias Kaiser weist in seiner Dissertation über Karl Griewank jedoch nach, dass die U r sachen für seinen Tod vielschichtiger waren. Zeitgeschichtliche Umstände, berufliche Uberanspruchung und ein psychisches Leiden überlagerten sich. Eine Woche vor seinem Tod hatte sich Griewank in stationäre Behandlung der Psychiatrischen Universitätsklinik Jena begeben. Er litt unter Schlafstörungen und Depressionen. Vgl. Tobias Kaiser: Karl Griewank (1900-1953). Ein deutscher Historiker im ,Zeitalter der Extreme', Diss. phil.Jena 2004. Protokoll der Fakultätssitzung vom 25. November 1953. UA Jena, M, 773, Blatt 51.

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versität Halle-Wittenberg veröffentlicht. 64 Gerade bei der Nachfolge Griewank müsse darauf geachtet werden, „daß nur ein bewährter Gelehrter vorgeschlagen" werde. Die Kommission empfahl daher, den Hallenser Ordinarius Hans Hausherr primo et unico loco zu berufen. Die Fakultät schloss sich dem Kommissions-Vorschlag einstimmig an und richtete ein entsprechendes Schreiben an das Staatssekretariat.65 Im Juni 1954 kam aus Berlin jedoch der Bescheid, dass Hausherr seinen Lehrstuhl in Halle behalten werde. 66 Die Fakultät gab sich deswegen nicht geschlagen und begann in der B R D nach einem möglichen Griewank-Nachfolger zu suchen. Im Sommer 1954 reiste der Dekan, Friedrich Schneider, in dieser Angelegenheit nach Göttingen. Dort legten ihm seine Fachkollegen aber „das neuste Heft der H Z " vor — dasjenige Heft, im dem die erwähnte Rezension von Günther Franz enthalten ist. 67 In der nächsten Fakultätssitzung berichtete Schneider über das Zusammentreffen mit den Göttinger Kollegen. „Angesichts der Tatsache", so der entsprechende Protokoll-Eintrag, „daß zwei Lehrstuhlinhaber ein solches Buch herausgebracht haben, wird nach Ansicht der Göttinger Herren (wohl im Augenblick) kein Historiker aus der Bundesrepublik zur Annahme eines Rufes in die D D R bereit sein." Franz weise in seiner Besprechung auch auf Steinmetz hin, der in der ZfG bereits vor Franz nachgewiesen habe, aus welchen „bürgerlichen Quellensammlungen" die von Meusel/Kamnitzer abgedruckten Dokumente entnommen worden seien. Steinmetz habe also „in mutigerWeise sein wissenschaftliches Verantwortungsbewußtsein unter Beweis gestellt". Er schlage daher vor, „beim Staatssekretariat zu beantragen, daß Dr. Steinmetz - unter der Bedingung, daß seine Habilitation schon vollzogen ist oder demnächst vollzogen wird — mit der Wahrnehmung einer Professur bzw. Dozentur betraut wird". Die Fakultät folgte dem Antrag. Den entsprechenden B r i e f an Staatssekretär Harig hatte Friedrich Schneider allerdings schon eine Woche zuvor abgeschickt. 68 Mit Max Steinmetz kam ein Historiker mit geringem wissenschaftlichem Ausweis an die Universität Jena. Er war nicht, wie die Fakultät anfänglich gefordert hatte, ein „bewährter Gelehrter". Aufgrund seiner kritischen Rezension des Buches von Meusel/Kamnitzer anerkannte ihn die Fakultät nun aber doch als einen Historiker, der die wissenschaftlichen Standards hochhielt. Dass Steinmetz ein Schüler Gerhard Ritters war, unterstützte diese Einschätzung zusätzlich. Dieser Aspekt musste auch dem Staatssekretariat willkommen sein: Steinmetz'Berufung wurde zur idealen Antwort auf die nach Griewanks Tod einsetzende westdeutsche Propaganda. Zudem konnte das Staatssekretariat auf Steinmetz' politi-

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Vgl. Steinmetz: Die Universität Wittenberg. Protokoll der Fakultätssitzung vom 17. Februar 1954. UA Jena, M, 773, Blatt 59. Protokoll der Fakultätssitzung vom 22. Juni 1954. UA Jena, M, 773, Blatt 81. Ob die Berufungskommission einen bestimmten Historiker ins Auge gefasst hatte, ist unklar. Vgl. BArch, D R 3 , 1 5 9 8 , Blatt 376-385. Brief Schneider an Harig, 7. Juli 1954. UA Jena, M, 656/2. Ich danke Dr. Joachim Bauer für den Hinweis auf dieses Dokument.

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sehe Zuverlässigkeit setzen. 69 Von seiner akademischen Herkunft her war er zwar kein marxistisch-leninistischer Historiker. Nach seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft hatte sich Steinmetz aber bewusst gegen eine akademische Karriere in der B R D entschieden und sich in Ostberlin niedergelassen.70 Sein Auftrag war denn auch kein geringer: Ein Parteigutachten hielt später fest, dass Steinmetz „mit dem Parteiauftrag nach Jena" gekommen sei, „das Historische Institut zu einem marxistischen Institut umzugestalten bzw. es neu aufzubauen". 71 Steinmetz nahm seine Lehrtätigkeit in Jena bereits zum Wintersemester 1954/55 hin auf. Im September 1955 wurde der noch nicht Habilitierte zum Direktor der Abteilung Neuzeit des Historischen Instituts und ein Jahr später zum kommissarischen Fachrichtungsleiter Geschichte ernannt. 72 Die Arbeit an seiner Habilitation nahm er gleich nach seiner Berufung auf; es sollte eine U n tersuchung über die Geschichte des Müntzerbildes in der Historiographie von Luther bis zur Gegenwart werden. 73 Steinmetz näherte sich damit einem Themenbereich, der von der SED kurz zuvor erneut als besonders wichtig erklärt worden war: Die Geschichtswissenschaft solle der Erforschung der revolutionären Massen und ihres Kampfes fur die soziale und nationale Freiheit Beachtung schenken, heißt es im Geschichtsbeschluss des Politbüros vom 5. Juli 1955. „Besondere Aufmerksamkeit ist dabei solchen Höhepunkten der revolutionären Tradition unseres Volkes, wie dem Großen Bauernkrieg, dem Befreiungskrieg gegen die Napoleonische Fremdherrschaft, der Revolution von 1848, der N o vemberrevolution und dem Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen Imperialismus, Faschismus und Krieg zuzuwenden." 74 Im Dezember 1956 reichte Steinmetz seine Habilitationsschrift ein. Im März 1957 fand bereits das Habilitationskolloquium statt und zum 1. Juli wurde Max Steinmetz zum Professor mit Lehrauftrag für das Fachgebiet Mittlere und Neuere Geschichte ernannt. 75 Die Arbeit war unter Zeitdruck entstanden und umfasste eine kürzere Untersuchungszeit als ursprünglich geplant; sie verfolgte 69

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Als das Staatssekretariat der Fakultät im November 1953 die Berufung Steinmetz' empfahl, war dessen Rezension eben erst im Erscheinen. Die Wirkung in der B R D war zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht absehbar. Sein Lehrer Gerhard Ritter hatte ihm 1947 angeboten, ihm nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft die Fortsetzung an der Heidelberger Universitätsgeschichte zu übergeben, was Steinmetz nach einer bereits erfolgten informellen Zusage 1949 jedoch ablehnte.Vgl. Kapitel 7. .Beurteilung von Genösse Steinmetz durch die Parteigruppe Wissenschaftler (Historiker) der G O Phil. II der SED-Parteiorganisation der Friedrich-Schiller-Universität Jena', 7. Juli 1960. UA Leipzig, PA 3995.Vgl. auch Kapitel 7. Vgl. UA Jena, M 656/5. Die Entwicklung der Historiographie zum Mittelalter und insbesondere zur Reformationszeit war auch ein häufiges Thema der Vorlesungen von Max Steinmetz. Vgl. UA Leipzig, NL Steinmetz, insbesondere 2/002, 2/004, 2/007, 2/011. Die Verbesserung der Forschung, S. 514. Vgl. Wissenschaftlicher Lebenslauf, ohne Datum. UA Leipzig, NL Steinmetz, 1/5.

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die Müntzerrezeption nun nur bis zur Französischen Revolution. Eine eigenständige Interpretation der Reformationszeit entwickelte Steinmetz darin kaum. Obwohl die Studie in gerade mal zwei Jahren entstanden war, fand sie aber nicht nur das Lob der Gutachter, 7 6 sondern wurde auch von westdeutschen Historikern wohlwollend aufgenommen - insbesondere von Günther Franz und Gerhard Ritter. 7 7 Zu einer Publikation kam es jedoch erst gut 15 Jahre später, nachdem Steinmetz die Untersuchung zeitlich bis zur Bauernkriegsstudie von Friedrich Engels erweitert hatte. 78 M a x Steinmetz verfasste seine Habilitationsschrift nicht nur aus formalen Gründen in großer Eile - ihn drängte nämlich bereits das nächste große Projekt. 1958 beging die Jenaer Universität ihre 400-Jahrfeier und zu diesem Anlass sollte eine umfangreiche Universitätsgeschichte erarbeitet werden. Seit 1947 liefen die ersten Vorbereitungen für die Festschrift, seit 1952 unterstanden diese dem Staatssekretariat für das Hochschulwesen. 7 9 Bereits zu Beginn der 1950er Jahre hatte eine unter den Jenaer Historikern geführte Diskussion erste Grundzüge der Interpretation festgelegt. Irmgard H ö ß (1919) hatte angeregt, die Gründung der Universität sollte als Folge der Lutherreformation interpretiert werden. 8 0 Darauf stellte Wolfgang Schumann ( 1 9 2 5 - 1 9 9 1 ) , Lehrbeauftragter der Abteilung Dialektischer und Historischer Materialismus, jedoch klar, dass die Anfänge der Universität Jena in marxistischer Perspektive nur im Zusammenhang mit der Niederlage der Frühbürgerlichen Revolution beschrieben werden könne. 8 1 Ebenso wenig wie im Museum für Deutsche Geschichte sollte der Lutherreformation also in der Jenaer Universitätsgeschichte eine bedeutende R o l l e zugesprochen werden. 82

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Die Habilitationsgutachten verfassten Friedrich Schneider und Willy Flach. Vgl. UA Jena, M, 656/5. Vgl. Brief Franz an Steinmetz, 14. März 1957. UA Hohenheim, N6, 1/7/5 und Brief Ritter an Steinmetz, 23. Dezember 1957. BArch, Ν 1166, 347. Vgl. Steinmetz: Das Müntzerbild. Vgl. Bauer: Jubelschrift, S. 238 und Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. X X I I I . Vgl. Höß: Die Universität Jena. Wolfgang Schumann war 1953 in der Zeitschrift der Universität Jena zu folgendem Schluss gelangt: „ 1. Die Geschichte der Universität wird nur dann wissenschaftlich erarbeitet werden können, wenn davon ausgegangen wird, daß die Geschichte die Geschichte der Produzenten der materiellen Güter, die Geschichte der Volksmassen, die Geschichte des Kampfes zwischen den alten und neuen Kräften der Gesellschaft, die Geschichte der gesetzmäßigen Uberwindung der antagonistischen Ausbeuterordnungen ist. 2. Die Geschichte der Vorbereitung und Gründung der Universität muß im historischen Zusammenhang der Niederlage der frühbürgerlichen Revolution und des Bauernkrieges in Deutschland, der Wiedereinführung und Festigung der Leibeigenschaft, der Erhaltung der Macht der deutschen Fürsten und der Verstärkung der nationalen Zersplitterung Deutschlands dargestellt werden, unter Berücksichtigung der Besonderheiten Thüringens und Sachsen." Schumann: Fragen der Geschichte, S. 86/87.Vgl. auch Bauer: Jubelschrift, S. 246. Zum Projekt Jenaer Universitätsgeschichte' ist im Universitätsarchiv Jena ein umfangreicher Aktenbestand überliefert. Vgl. UA Jena, S,V, 6 7 - 7 6 und UA Jena, BC, 279-307.

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Trotz dieser frühen Weichenstellung war das Projekt nicht wunschgemäß gediehen — es unterstand nämlich der Leitung des bürgerlichen Historikers Friedrich Schneider. Damit wird ein dritter Grund deutlich, weshalb das Staatssekretariat an einer Berufung Max Steinmetz' nach Jena gelegen war: Steinmetz war nicht nur ein parteiloyaler Historiker, sondern hatte sich auch bereits in den 1930er Jahren als Mitarbeiter von Gerhard Ritter mit universitätsgeschichtlichen Fragen befasst und zudem während seiner Zeit im Staatssekretariat verschiedentlich zu diesem Thema gearbeitet. 83 Er war somit der ideale Historiker, um das Festschrift-Projekt aus den Händen Schneiders zu übernehmen, dessen „konservative" Konzeption zu überwinden und eine „Universitätsgeschichte [...] auf den Prinzipien des historischen Materialismus" zu erarbeiten. 84 Am 1. Dezember 1955 billigten Rektor und Senat den Vorschlag der SED an der Universität Jena, die Gesamtleitung des Unternehmens an Steinmetz zu übertragen. 85 Das Staatssekretariat und die SED hatten Max Steinmetz als ,Troubleshooter' nach Jena geschickt. Nach den von der Partei als unbefriedigend eingestuften Festschriften zu den Jubiläen der Universitäten Halle-Wittenberg (1952), Dresden (1953) und Greifswald (1956) sah man im Staatssekretariat mit dem Tod von Karl Griewank die Möglichkeit gekommen, das Jenaer Projekt in eine neue Richtung zu lenken. 8 6 Nicht wenige Fachkollegen hatten aber gezweifelt, ob Steinmetz das ambitiöse Projekt einer Universitätsgeschichte in so kurzer Zeit erfolgreich zu Ende führen könne. Schließlich erschien das Werk termingerecht. Die Publikation sei in Punkten verbesserungswürdig, schrieb die Parteiorganisation im August 1958 an Kurt Hager nach Berlin, insgesamt aber „erzieherisch wertvoll" und eine Hilfe zur „Vollendung des sozialistischen Aufbaus unserer Universitäten und der Umerziehung unserer bürgerlichen Intelligenz." 87 Max Steinmetz hatte die seitens der Partei in ihn gesteckten Erwartungen somit erfüllt, war dabei aber auch auf die „Unterstützung" aus Parteikreisen angewiesen gewesen. Nach Abschluss des Projekts hielt die SED-Parteiorganisation der Universität Jena in einem Bericht fest, dass Steinmetz infolge seiner mangelhaften Kenntnisse des Marxismus-Leninismus der politischen Grundkonzeption der Universitätsgeschichte nicht ganz gewachsen war. „Erst mit Hilfe der UPL [Universitätsparteileitung, Im] und der Parteigruppe wurde diese Schwäche über-

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Max Steinmetz promovierte 1939 bei Gerhard Ritter mit einer Arbeit über ,Die Politik der Kurpfalz unter Kurfürst Ludwig V. 1508—1518'. Die Studie war als Vorarbeit für den zweiten Band der Geschichte der Universität Heidelberg gedacht.Vgl. Wissenschaftlicher Lebenslauf, ohne Datum. U A Leipzig, N L Steinmetz, 1 / 5 . Zu Steinmetz' universitätsgeschichtlicher Tätigkeit beim Staatssekretariat vgl. UA Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 0 2 0 und 2 / 0 2 1 .

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Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. X X X — X X X I I . Vgl. U A Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 1 4 4 b und Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S.XXX. Vgl. Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. X X X I I . Brief Ludolff/Güntzer an Hager, 12. August 1958. U A Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 5 1 7 , Blatt 2 und 3.

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wunden." 8 8 Damit wird die politisch-ideologische Kontrolle deutlich, unter der Steinmetz' Arbeit an der Universitätsgeschichte stand. Die konzeptionelle U m setzung konnten die Parteigremien jedoch nicht leisten. Für Steinmetz war die Arbeit an der Festschrift eine erneute Auseinandersetzung mit dem Komplex von Reformation und Bauernkrieg. Er übernahm das Diktum von Wolfgang Schumann (und stellte sich damit gegen Höß, deren Habilitierung er einige Monate zuvor im Staatssekretariat zu verhindern versucht hatte) 89 und eröffnete die Universitätsgeschichte daher mit einem knappen Uberblick über die revolutionären Bewegungen zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Rückblickend können diese Passagen als eine erste, noch von Unklarheiten geprägte Skizze von Max Steinmetz' eigener Konzeption der Frühbürgerlichen Revolution gelesen werden - allerdings noch ohne den ursprünglich von Meusel geprägten Begriff zu verwenden. Ausgangspunkt für Steinmetz' Argumentation war die ökonomische Situation Deutschlands im ausgehenden 15. Jahrhundert. Er schilderte eine blühende, von Bergbau und Fernhandel geprägte Wirtschaft, die in ihrer weiteren Entwicklung durch die politische „Zerstückelung" des Reiches in Fürstentümer und Adelsherrschaften behindert wurde. 90 Parallel zu diesem kapitalistisch-bürgerlichen Bereich habe die feudal organisierte Landwirtschaft existiert. Die Bauern seien von zunehmender Ausbeutung bedroht gewesen. In der Bewegung des Pfeifers von Nikiashausen habe ihr Protest erstmals den lokalen Rahmen verlassen.91 Somit sei das Feudalsystem einerseits von den kapitalistischen Bestrebungen des Bürgertums und andererseits von den Klasseninteressen der Bauern in Frage gestellt worden. Der Kampf gegen den Feudalismus kam damit laut Steinmetz einem nationalen Anliegen gleich und richtete sich auch gegen dessen ideologisches Zentrum, die römische Kirche. In dieser gesellschaftlichen Situation habe Luthers Theologie wie ein „Stich ins Wespennest" gewirkt. 92 Wegen Luthers bürgerlichem Charakter sei daraus aber keine Revolution geworden und die Reformation als nationale Bewegung gescheitert. Aus Müntzers Theologie habe sich die Volksreformation entwickelt, die bald im Gegensatz zur gemäßigten Richtung Luthers gestanden habe. 93 Uber Müntzer versuchte Steinmetz nicht nur den Bogen zum Bauernkrieg zu schlagen, sondern auch der Festschrift den notwendigen Lokalkolorit zu verleihen: „Hier in Thüringen und Sachsen verband sich die nationale Frage des Kampfes gegen die römische Aussaugung, die alle Klassen traf und deren Auf-

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.Beurteilung von Genösse Steinmetz durch die Parteigruppe Wissenschaftler (Historiker) der G O Phil. II der SED-Parteiorganisation der Friedrich-Schiller-Universität Jena', 7. Juli 1960, Personalakte Steinmetz. UA Leipzig, PA 3995. Vgl. Jessen:Vom Ordinarius, S. 85 und Jessen: Akademische Elite, S. 66/67. Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. 1/2. Vgl. Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. 3. Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. 6. Vgl. Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. 7.

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greifen alle zusammenfaßte und vorübergehend einigte (1517—1521), mit der sozialen Frage des Kampfes gegen den Feudalismus, dessen ideologisches Zentrum ja die römische Kirche war, unter deren D r u c k Bürger und Bauern gleichermaßen litten." 9 4 In den antirömischen Formulierungen erinnert Steinmetz' Uberblick noch stark an die Darstellungen aus der Zwischenkriegs- und NS-Zeit (etwa Stadelmanns Interpretation von 193 6), 95 konzeptionell orientierte er sich j e d o c h hauptsächlich an Smirin. Der Interpretation von Meusel kam dagegen kaum Bedeutung zu. Steinmetz' Revolutionsmodell mangelte es teilweise an Stringenz und die Verbindung von Reformation und Bauernkrieg gelang ihm nur bedingt. Steinmetz vermied es auch, sich explizit zum Charakter dieser Revolution zu äußern: Er bezeichnete deren Stoßrichtung als national, nannte sie aber nirgends explizit eine bürgerliche Revolution. Gerade in den offenen Fragen liegt letztlich die Bedeutung, die diesen wenigen Seiten der Universitätsgeschichte Jena zukommen: Sie markieren eine Zwischenstation der DDR-Historiographie zu R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg. Nach dem Debakel der Müntzer-Publikation von Meusel und Kamnitzer versuchte sich hier ein neuer Historiker an den revolutionären Umbrüchen des frühen 16. Jahrhunderts.Viele Fragen hielt Steinmetz noch offen; wie bewusst dies geschah, und ob er sich wegen der zeitgleich in der sowjetischen Geschichtswissenschaft laufenden Diskussion nicht auf eine explizite Charakterisierung von Reformation und Bauernkrieg einlassen wollte, ist ungewiss. 96 Festzuhalten ist jedoch, dass die D D R - H i s t o r i e bis Ende der 1950er Jahre kaum Forschungsarbeit zur Reformationszeit geleistet hat. Die SED-Führung hatte ihren Anspruch an die Geschichtswissenschaft zwar klar formuliert: Entsprechend der ideologischen Grundlage des Staates sollte sie sich nach den Vorgaben des Historischen Materialismus richten und die revolutionären Bewegungen der deutschen Geschichte positiv bewerten. Dies hatte auch deutliche Implikationen für das frühe 16. Jahrhundert. Der Bauernkrieg wurde uneingeschränkt in ein positives Licht gestellt. Damit wurde die revolutionäre Tradition der deutschen Geschichte betont und dem sozialistischen Staat ein historisches Fundament verliehen; eine direkte Parallelisierung von ,Reformation und Bauernkrieg' mit der realsozialistischen Gegenwart ist j e d o c h in der Geschichtsschreibung nicht zu beobachten. Im Kontrast hierzu stehen die kaum vorhandenen Forschungsergebnisse. Die DDR-Geschichtswissenschaft hatte es nicht einmal ansatzweise versucht, der Arbeit von Smirin etwas entgegenzuhalten. In Jena hatte sich Ende der 1950er Jahre mit Steinmetz nun aber ein Historiker etabliert, der sich sehr zielstrebig der Frühbürgerlichen Revolution zuwandte. Die Jenaer Universitätsgeschichte 94 95

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Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. 18. Stadelmann sah in der Reformation ebenfalls den Versuch einer nationalen Revolution, die infolge des Bündnisses Luthers mit den Fürsten gescheitert sei. Vgl. Kapitel 4.6.1. Vgl. Kapitel 6.2.

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wurde für ihn zum Sprungbrett für seine weitere akademische Karriere. Er stieg in kurzer Zeit zum führenden D D R - H i s t o r i k e r der Reformationszeit auf. Der erste Schritt in diese Richtung erfolgte bereits im Jahr nach dem Universitätsjubiläum. 1959 wurde das Jenaer Institut vom Staatsekretariat für das H o c h - und Fachschulwesen zum Leitinstitut für die Geschichte der Reformation und des Bauernkrieges ernannt und „dementsprechend zur Koordinierung, Anleitung und Planung der Forschungs- und Publikationstätigkeit aller auf dem Gebiet der Geschichte des 16. J h . in der D D R arbeitenden Historiker verpflichtet". 9 7 M a x Steinmetz wurde damit zum führenden Wissenschaftler dieses Themenbereichs befördert.

6.2 Die sowjetische Diskussion Parallel zu M a x Steinmetz' Aufstieg an der Universität Jena beschäftigte sich fern von Thüringen auch die sowjetische Geschichtswissenschaft intensiv mit der deutschen Reformationszeit. In den Jahren 1956/57 entbrannte dort eine K o n troverse über die wirtschaftliche Lage am Vorabend der R e f o r m a t i o n . Es war eine Diskussion darüber, wie Engels' Bauernkriegsarbeit in die aktuelle Forschung eingebettet werden sollte und ob Reformation und Bauernkrieg wirklich als bürgerliche' Revolution zu bezeichnen seien. Die sowjetischen Historiker thematisierten die grundsätzliche Charakterisierung der gesellschaftlichen U m b r ü c h e im frühen 16. Jahrhundert. Damit war auch die Frage nach der Periodisierung der deutschen Geschichte verbunden. Bedenkt man die r i c h tungsweisende Bedeutung der sowjetischen Geschichtswissenschaft, so muss die Debatte auch als eine Auseinandersetzung um die weitere Darstellung von R e formation und Bauernkrieg in der ostdeutschen Geschichtsschreibung gelesen werden. 9 8 O b zufällig oder nicht — sie setzte zu dem Zeitpunkt ein, als die DDR-Geschichtswissenschaft von der S E D verstärkten Disziplinierungsdruck erfuhr und die Autorität von Alfred Meusel am Wanken war. 99 D i e Kontroverse wurde durch einen Artikel von Olga Tschaikowskaja ausgelöst. 1 0 0 Ihrer Meinung nach gibt es zwei Möglichkeiten, R e f o r m a t i o n und 97 98

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UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/255 und BArch D R 3, 4084, Blatt 161. Der Anspruch auf unbedingte Ubereinstimmung mit der sowjetischen Geschichtswissenschaft ist in der Literatur mehrfach nachgewiesen. Besonders deutlich arbeitet dies Lokatis am Beispiel der Geschichtsschreibung zum Zweiten Weltkrieg nach. Vgl. Lokatis: Die Zensur, S. 288/289. Es erschiene nahe liegend, wenn das Vakuum in der Forschung zur Frühbürgerlichen Revolution Ende der 1950er Jahre vom Institut für Geschichte an der DAW gefüllt worden wäre. Das frühe 16. Jahrhundert war in der Akademie zur dieser Zeit als Forschungsgegenstand aber noch nicht etabliert. Bis das Akademie-Institut diese Aufgabe übernahm, sollten noch gut zehn Jahre vergehen. Vgl. Kapitel 6.4. Siehe auch Sabrow: Das Diktat, S. 7 1 - 9 4 und Laube: Akademische Forschung, S. 88. Zur ,Disziplinierung' auch Neuhäußer-Wespy: Die ,ZfG'. Vgl.Tschaikowskaja: Uber den Charakter. Die russische Originalversion erschien in: Fragen der Geschichte, Heft 12 (1956), O.S.

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Diskussion

Bauernkrieg als bürgerliche Revolution darzustellen. Die eine vertrete Solomon Mosejewitsch Stam, 1 0 1 indem er mit „bürgerlich" eine Charakterisierung der Trägerschicht anstrebe. Laut Stam sei die Reformation vom Bürgertum getragen worden. Gleichzeitig betone er aber, dass sich das deutsche Bürgertum nicht für eine radikale Vernichtung der Feudalordnung habe entscheiden können. Damit gelange man zu einer Sichtweise, nach der es „eine bürgerliche Revolution [war], die von einem Bürgertum durchgeführt wurde, das die Feudalordnung nicht stürzen wollte!" 102 Die zweite Variante sei die von Smirin vertretene. A n ders als Stam habe Smirin den bürgerlichen Charakter nicht in der Trägerschicht, sondern in der ökonomischen Entwicklung und der historischen Aufgabe der Revolution begründet gesehen. Die Revolution sei aufgrund der gesellschaftlichen Spannungen ausgebrochen, die aus dem Antagonismus von feudaler Gesellschaftsordnung und aufkeimender bürgerlich-kapitalistischer Produktionsweise entstanden seien. Smirin habe das Problem, das sich hinter dieser Konzeption verberge, gesehen: Die ökonomische Entwicklung Deutschlands sei im europäischen Vergleich rückständig gewesen. Es lasse sich daher nicht erklären, weshalb die erste bürgerliche Revolution gerade da ausgebrochen sei. In seiner Müntzer-Monographie verweise Smirin deshalb auf die Zersplitterung Deutschlands. Tschaikowskaja zeigte sich jedoch überzeugt, dass er das Problem damit nicht gelöst, sondern nur auf eine politische Ebene verlagert habe. 103 Tschaikowskaja untermauerte ihre Kritik mit Zitaten aus Engels' Bauernkriegsschrift. Auch Engels habe gesehen, dass die ökonomische Entwicklung im Reich noch nicht so weit gediehen war, dass eine bürgerliche Revolution möglich gewesen sei. Deshalb habe er der religiösen Verkleidung der Reformation, die teilweise siegreich gewesen sei, den bürgerlichen Inhalt, der erst Jahrhunderte später erfolgreich sein konnte, gegenübergestellt. 1 0 4 Im Gegensatz zum Bauernkrieg sei die R e f o r m a t i o n nicht gegen den Feudalismus in seiner Gesamtheit gerichtet gewesen, sondern gegen eine seiner Institutionen — gegen die katholische Kirche. Somit blieb ihr nichts anderes übrig, als Engels' Ausspruch von der „Revolution Nr. 1 der Bourgeoisie" 1 0 5 nur mehr als historische Metapher aufzufassen. Tschaikowskaja kam zu einem erstaunlichen Schluss: „Erstrangige Bedeutung hat weiterhin die Tatsache, daß der Bauernkrieg mit der R e f o r mation, jener bürgerlich-bourgeoisen Bewegung, zusammenfiel. Durch den Ausdruck .zusammenfallen' wollen wir unterstreichen, daß wir beide Erscheinungen voneinander trennen. [...] Der Bauernkrieg ist kein Bestandteil der bürgerlichen Revolution, sondern ein Bauernaufstand im Zeitalter entstehender (nur entstehender) kapitalistischer Verhältnisse." 1 0 6 Tschaikowskaja argumentierte 101 102 103 104 105

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Vgl. Stam: Über einige Fragen. Tschaikowskaja: Uber den Charakter, S. 722. Tschaikowskaja: Über den Charakter, S. 726. Tschaikowskaja: Über den Charakter, S. 730/731. Friedrich Engels: Über die Reformation und den Bauernkrieg in Deutschland. Konzept aus dem Nachlass, in: Marx/Engels/Lenin/Stalin: Zur deutschen Geschichte, S. 279. Tschaikowskaja: Über den Charakter, S. 736/737.

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zwar mit den Schriften Engels', im Grunde vertrat sie aber genau die Gegenposition zu ihm. Dies betrifft nicht nur die von ihr geforderte getrennte Analyse von Reformation und Bauernkrieg, sondern auch deren Charakterisierung. Engels hatte immer von einer objektiv bürgerlichen Bewegung gesprochen. Tschaikowskaja vermied es aber, die fur den Historischen Materialismus fundamentale U n terscheidung zwischen der objektiven und der subjektiven Stoßrichtung einer Bewegung zu machen. Damit vertrat sie eine Argumentation, wie sie von der historistischen deutschen Geschichtsschreibung vertreten worden war: Die Reformation erscheint bei ihr als religiöse Bewegung gegen die römische Kirche. Tschaikowskajas Rückgriff auf Engels war daher wohl eher Ausdruck ihrer Furcht, sich explizit gegen Engels zu stellen, als eine ernst zu nehmende Neuinterpretation des sozialistischen Klassikers. Diese Ansicht vertraten auch die sowjetischen Historiker Smirin, 107 Epstein 108 und Grigorjan, 109 die in kurzer Folge Antworten aufTschaikowskajas Aufsatz publizierten. Smirin entgegnete ihr, dass Reformation und Bauernkrieg erstmals den lokalen Rahmen gesprengt hätten und daher als bürgerliche Bewegung zu bezeichnen seien. Deutschland könne zu Beginn des 16. Jahrhunderts nicht als rückständig bezeichnet werden. Gerade der sächsische und thüringische Bergbau sei so kapitalistisch organisiert gewesen wie kaum ein anderer Produktionszweig Europas. 110 Diese Herleitung macht zwar einerseits plausibel, weshalb es sich um eine objektiv bürgerliche Revolution gehandelt haben soll, andererseits ergibt sich aber das Problem, dass nur noch ein Teil des Bauernkrieges — die mitteldeutschen Aufstände — erklärt werden kann. Der Anfang des Bauernkrieges in Oberdeutschland hätte demnach eine andere Ursache. Damit akzentuierte sich ein Problem, das sich bereits in Smirins Monographie über die Volksreformation angedeutet hatte: Nur in Mitteldeutschland herrschten frühkapitalistische Verhältnisse, dort entwickelte Müntzer seine Theologie und mit dieser führte er die Bauern zu den revolutionären Thüringer Aufständen. Die Lutherreformation sowie die oberdeutschen Aufstände ließ er weitgehend in Bedeutungslosigkeit versinken. Sie können so objektiv kaum mehr als Teil einer bürgerlichen Revolu-

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Smirin: Wirtschaftlicher Aufschwung. Die russische Originalversion erschien in: Fragen der Geschichte, Heft 6 (1957), o. S. Epstein: Reformation. Die russische Originalversion erschien in: Fragen der Geschichte, Heft 8 (1958), o. S. Grigorjan: Stand der ökonomischen Entwicklung. Der Aufsatz wurde nicht ins Deutsche übersetzt. Grigorjans Grundthesen werden wiedergegeben bei Gerhard Brendler: Zur Auswertung der sowjetischen Diskussion über den Charakter von Reformation und Bauernkrieg in Deutschland und zum gegenwärtigen Stand der Aussprache über diese Probleme in der D D R , maschinenschriftliches Manuskript, Leipzig 1961. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3/50, Blatt 260-291. Vgl. Smirin: Wirtschaftlicher Aufschwung, S. 245—255. Smirins Argument erhält dadurch eine besondere Wirkung, dass die schärfsten Auseinandersetzungen des Bauernkrieges in denselben Gebieten stattgefunden haben, in denen die kapitalistische Wirtschaftsentwicklung — der Bergbau in Thüringen und Sachsen — am weitesten fortgeschritten war. Vgl. Kapitel 5.2.

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tion erklärt werden, was w i e d e r u m die analytische Einheit von R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg schwächt. 111 Epstein richtete seine Kritik sowohl gegen Tschaikowskaja als auch gegen Smirin.Tschaikowskaja sei insofern zuzustimmen, dass bei der Reformation und vor allem beim Bauernkrieg im Unterschied zu späteren bürgerlichen Revolutionen das Bürgertum kaum aktiv in Erscheinung getreten sei. Diese Tatsache wolle Smirin verwischen, indem er die wirtschaftliche Fortschrittlichkeit betone. Wichtiger als die Frage nach der ökonomischen Entwicklung ist laut Epstein aber die Frage nach den Klassenverhältnissen. Das entscheidende Merkmal bei der ersten bürgerlichen Revolution sei gerade die Tatsache, dass es eine bürgerliche Revolution ohne Bourgeoisie gewesen sei. D e n n o c h habe es sich objektiv u m eine bürgerliche Revolution gehandelt, da die Revolution im Falle eines Sieges der Bauern und Plebejer im Krieg 1524/25 den Weg zu einer bürgerlichkapitalistischen Gesellschaftsordnung geebnet hätte. 112 Z u R e c h t verwies er darauf, dass auch Engels so argumentiert habe. 113 Das scheinbare Paradox der bürgerlichen Revolution ohne Bürgertum löst sich so theoretisch auf. Allerdings baut eine solche Argumentation zwangsläufig auf der hypothetischen Annahme, dass der Sieg der Revolution zu einer bürgerlichen Gesellschaft gefuhrt hätte. Epstein sprach sich also vehement dafür aus, R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg als eine bürgerliche Revolution zu bewerten. Allerdings sah er zwischen der ersten bürgerlichen Revolution' (Reformation und Bauernkrieg) und den nachfolgenden .bürgerlichen' Revolutionen (Niederländische, Englische und Französische Revolution) auch viel Trennendes. Reformation und Bauernkrieg wurden von ihm als Revolution an der Wende zweier Zeitalter verstanden, womit Epstein auch deren innere Widersprüchlichkeit erklären wollte. Diese Position wurde in einem zweiten Aufsatz von Stam unterstützt. 114 Gerade diese Stellung erkläre, weshalb in der R e f o r m a t i o n nicht nur progressive, sondern auch reaktionäre Tendenzen zum Ausdruck gekommen seien. „Die R e f o r m a t i o n ist ein komplizierter und vielfältiger, von tiefen Widersprüchen durchzogener einheitli111

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In seiner Müntzer-Monographie sprach Smirin explizit davon, dass die Bauernkämpfe von ihrer objektiven Wirkung her bürgerlich gewesen seien.Vgl. Smirin: Die Volksreformation, S. 15. Die marxistische Geschichtsschreibung unterscheidet zwischen so genannten objektiven und subjektiven Faktoren. Wie ein historischer Vorgang objektiv zu charakterisieren ist, lässt sich nicht aus der Intention der Handelnden erschließen, sondern aus der möglichen und eigentlich notwendigen Wirkung hinsichtlich der jeder Situation immanenten Entwicklung im Sinne des weltgeschichtlichen Fortschritts. Ist geklärt, in welcher Epoche sich ein Ereignis abspielte, ist auch dessen objektiver Charakter bestimmt. Daher treten in der marxistischen Geschichtswissenschaft oft Periodisierungsfragen auf.Vgl. beispielsweise Nipperdey: Die Reformation als Problem, S. 217-219. Vgl. Epstein: Reformation, S. 374. Stam: Was war die Reformation. Der Aufsatz wurde nicht ins Deutsche übersetzt. Stams Grundthesen werden wiedergegeben bei Gerhard Brendler: Zur Auswertung der sowjetischen Diskussion über den Charakter von Reformation und Bauernkrieg in Deutschland und zum gegenwärtigen Stand der Aussprache über diese Probleme in der D D R , maschinenschriftliches Manuskript, Leipzig 1961. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3/50, Blatt 260-291.

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eher Prozess der frühen bürgerlichen Revolution in Deutschland." 1 1 5 Stam war es auch, der mit N a c h d r u c k jegliche Trennung von R e f o r m a t i o n u n d B a u e r n krieg zurückwies u n d dabei auch die erwähnte Problematik in der Konzeption von Smirin aufdeckte, der tendenziell nur den mitteldeutschen Bauernkrieg als revolutionäres Ereignis anerkannte. 1 1 6 M i t S o l o m o n Stams Beitrag von 1958 w u r d e die sowjetische Diskussion de facto abgeschlossen. In zwei P u n k t e n hatte die Debatte zu einem Ergebnis gefuhrt. Erstens seien R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg als zwei Phasen einer R e v o l u tion zu verstehen. Zweitens stelle diese Revolution die erste bürgerliche R e v o lution Europas dar, in der verschiedene Charakteristika einer bürgerlichen R e volution allerdings erst schwach ausgeprägt gewesen seien. D a m i t hatten die sowjetischen Historiker nicht n u r die von ihrer Kollegin Tschaikowskaja geforderte T r e n n u n g v o n R e f o r m a t i o n u n d B a u e r n k r i e g zurückgewiesen, sondern die beiden Ereignisse auch viel stärker zusammengeb u n d e n , als dies Smirin in seiner ,Volksreformation' getan hatte. D a m i t w u r d e eine h o m o g e n e B e w e r t u n g der revolutionären U m b r ü c h e des f r ü h e n 16. Jahrh u n d e r t s möglich. In der marxistischen Geschichtswissenschaft w u r d e n diese beiden Diskussionsergebnisse von da an nicht m e h r ernsthaft hinterfragt. A u c h die Historiker der D D R nahmen dieses Resultat offensichtlich zur Kenntnis. In ihrer künftigen Auseinandersetzung mit dem T h e m a standen diese Punkte nicht mehr zur Diskussion. Die sowjetische Diskussion der Jahre 1957/58 ersetzte somit Meusels Position, die 1952 i m M u s e u m f ü r die D e u t s c h e Geschichte f u r gültig erklärt w o r d e n war. M i t der B e w e r t u n g von R e f o r m a t i o n u n d B a u e r n krieg als einer noch schwach ausgeprägten bürgerlichen Revolution wurde aber gleichzeitig ein wesentlicher Punkt von Meusels Interpretation bestätigt.

6.3 Die Frühbürgerliche Revolution als nationale Bewegung Auf ihrem X X . Parteitag v o m Februar 1956 leitete die Kommunistische Partei der S o w j e t u n i o n (KPdSU) ihre Entstalinisierung ein. Das östliche Tauwetter strahlte aber nur bedingt bis in die D D R aus. Die intellektuellen Freiheiten nahm e n nicht zu — im Gegenteil. Walter Ulbricht u n d die SED fürchteten oppositionelles D e n k e n stärker d e n n je. Vertretern des , D r i t t e n Weges' - zu n e n n e n sind etwa Wolfgang Harich, R o b e r t Havemann, Alfred Kantorowicz oder Walter Janka - w u r d e mit bisher u n b e k a n n t e r Repression b e g e g n e t . 1 1 7 Dies b e k a m auch der Leipziger Philosoph Ernst Bloch zu spüren, der im Januar 1957 mit ei-

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Stam: Was war die Reformation, S. 113.Vgl. Fußnote 114. Stam:Was war die Reformation, S. 105.Vgl. Fußnote 114. Vgl. Jessen: Akademische Elite, S. 326/327.

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Die Frühbürgerliche Revolution als nationale Bewegung nem Lehr- und Publikationsverbot belegt wurde. 118 Damit war auch klar, dass seine Müntzerinterpretation aus den 1920er Jahren für die D D R - H i s t o r i k e r nach wie vor keinen Referenzpunkt bildete: Er hatte auf Müntzers Theologie fokussiert, und genau dieser Aspekt Müntzers wurde von der ostdeutschen Geschichtswissenschaft bis in die 1980er Jahre kaum beachtet. 119 Der stärker werdende staatliche Zugriff verengte den Interpretationsspielraum der Geschichtsschreibung. 120 Bei der Rezeption von Reformation und Bauernkrieg war der politische Wille allerdings auf unerwartete Probleme gestoßen. Nach dem missglückten Start unter der Führung von Alfred Meusel folgte eine wenig produktive Zeit. Bis zu Meusels Tod im September 1960 war seine Arbeit am Lehrbuch nicht über die Disposition von 1952 hinausgekommen. In dieser Zeit bildete sich eine originäre ostdeutsche Frühneuzeitforschung erst heran. Altere Wissenschaftler wie Meusel, der als ausgebildeter Soziologe das Handwerk eines Historikers nur bedingt beherrschte, wurden langsam durch jüngere Fachkräfte wie Max Steinmetz ersetzt. 121 An seinem Leitinstitut bildete sich 1959 eine (noch eher informelle) Arbeitsgruppe zur Frühbürgerlichen Revolution und wenig später wurde Steinmetz in die Arbeit am Lehrbuch eingebunden. Damit wurde ein Jahrzehnt der Suche nach einem Historiker und einer Institution, deren Verantwortung die Interpretation von Reformation und Bauernkrieg übertragen werden könnte, beendet. Unmittelbar vor diesem personellen Entscheid war ein neuer Orientierungsrahmen fur die Interpretation der Reformationszeit entstanden - die sowjetische Geschichtswissenschaft hatte 1958 in zwei grundlegenden Fragen zur Interpretation von Reformation und Bauernkrieg einen Konsens festgelegt.

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Ernst Bloch war von 1933—48 im Exil und hatte nach seiner Rückkehr nach Deutschland einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Leipzig inne. 1957 wurde er zwangsemeritiert und siedelte 1961 in die B R D über. Vgl. Neubert: Geschichte der Opposition, S. 1 0 9 - 1 1 1 . Vgl. Kapitel 3.3. Der Hallenser Geschichtsprofessor Günter Mühlpfordt wurde 1956 für sein „verbesserungswürdiges" Verhältnis zur SED scharf gerügt, im März 1957 wurde Fritz Klein von der Abteilung Wissenschaft des Z K der SED als Chefredaktor der ZfG abgesetzt. Irmgard H ö ß aus Jena wurden nach ihrer ,Republikflucht' alle akademischen Grade entzogen. Inwiefern der politische Druck dazu beigetragen hat, dass sich Karl Griewank und Martin Lintzl in den Freitod flüchteten, ist umstritten. Vgl. Jarausch/Middell/Sabrow: Störfall, S. 9. Besonders scharf und stark aus der Optik des Kalten Krieges geprägt, formuliert diese Kritik an Meusel Dieter Hertz-Eichenrode: Alfred Meusel, in: R e i m e r Hansen/Wolfgang Ribbe (Hg.): Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert: Persönlichkeiten und Institutionen, B e r l i n / N e w York 1992, S. 3 0 6 - 3 1 0 .

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6.3.1 Die Konferenz von Wernigerode und die Folgen Im April 1959 hielt die Jenaer Arbeitsgruppe um Max Steinmetz ihre erste Sitzung ab. Diskussionsgegenstand war die in den vergangenen zwei Jahren unter den sowjetischen Historikern geführte Diskussion über den „Charakter von R e formation und Bauernkrieg". Anhand von ,,kurzgefaßte[n] Thesen" wurden die einzelnen Beiträge kritisch besprochen und schließlich festgehalten, dass die sowjetischen „Diskussionsteilnehmer" darin übereinstimmen, dass „Reformation und Bauernkrieg als frühe bürgerliche Revolution einzuschätzen sind", dass jedoch bezüglich des Inhalts des Begriffs nur bedingt Einigkeit herrsche. Weiter bemerkten die Jenaer Historiker, 122 dass Reformation und Bauernkrieg „fast durchweg isoliert betrachtet und nicht in den Gesamtzusammenhang der deutschen Geschichte gestellt" werden. 123 Das Ziel dieser Auseinandersetzung mit der sowjetischen Diskussion war es, eigene Thesen vorzubereiten. Diese sollten im Januar 1960 auf der Gründungskonferenz der Sektion Mediävistik der D H G in Wernigerode vorgestellt werden. 124 Die Initiative dazu war nicht von Steinmetz, sondern von der unter starkem Einfluss der SED stehenden D H G gekommen. 1 2 5 Sie, respektive ihr Präsident Rolf Rudolf, hatte Steinmetz damit beauftragt, für die Konferenz von Wernigerode Thesen über die Frühbürgerliche Revolution auszuarbeiten. In einem späten Rückblick erinnerte sich Max Steinmetz nur noch vage daran, wie er zu diesem Auftrag gekommen war. Etwas kokett bemerkte er: „Warum man nicht ihn [Alfred Meusel, Im] fur das Thema ,Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland' vorgesehen hatte, entzieht sich meiner Kenntnis. Thesen für den entsprechenden Lehrbuchbeitrag hatte er schon in der ZfG veröffentlicht. Ich weiß nicht mehr, wie alles verlief. Es waren turbulente Jahre." 126 Im Dezember 1959 stellte Steinmetz die 34 Thesen erstmals den designierten Teilnehmern der Konferenz vor. 127 Sie integrierten eine Vielzahl von Interpreta122

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In dieser ersten Phase sind neben Steinmetz vor allem die Historiker Brendler, Küttler und Zschäbitz zu nennen. Kurzgefasste Thesen als Diskussionsgrundlage zur Auswertung der Diskussion über den Charakter von Reformation und Bauernkrieg in Deutschland, Manuskript. UA Leipzig, NL Steinmetz 2/255. Die Konferenz fand vom 21. bis 24. Januar 1960 in Wernigerode statt. Der 23. Januar war der Frühbürgerlichen Revolution gewidmet. Siehe Tagungsprogramm, in: Protokolle der Historikergesellschaft. S ΑΡΜΟ BArch, DY 30/IV 2/9.04,120. Die D H G war zwar formaljuristisch ein unabhängiger Verein, stand aber unter großem Einfluss der SED. Ihre Gründung war im Geschichtsbeschluss von 1955 vom ZK der SED festgelegt worden.Vgl. Kapitel 6.1.1. Ihr Präsidium wurde von demselben Parteigremium bestimmt. Vgl. Neuhäußer-Wespy: SED und Historie, S. 97-105. Max Steinmetz: Manuskript für ein Referat an der Konferenz der Fachkommission Geschichte der Neuzeit I, 11. Februar 1985. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/141. Die Konferenz wurde in zwei Protokollbänden festgehalten und veröffentlicht. Für die Diskussion zur Frühbürgerlichen Revolution ist der zweite Band relevant. Werner/Steinmetz: Die frühbürgerliche Revolution. Siehe auch Bericht über die erste Tagung der Sektion Me-

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Die Frühbürgerliche Revolution als nationale Bewegung tionsansätzen und verbanden diese zu einem neuartigen Konglomerat. Zu einer Diskussion über die Thesen sollte es zu diesem Zeitpunkt aber nicht kommen; vielmehr wollte Steinmetz den Geladenen ermöglichen, rund einen Monat später, in Wernigerode, eine kritische Haltung zu seinen Thesen einzunehmen. 128 In betontem Anschluss an Smirin und gleichzeitiger Ablehnung Tschaikowskajas vertraten die Thesen die Auffassung, dass Reformation und Bauernkrieg den objektiven Charakter einer bürgerlichen Revolution hatten. 1 2 9 Außerdem wies Steinmetz die Überlegungen des tschechoslowakischen Historikers Josef M a cek 1 3 0 zurück: Macek bewertete bereits die hussitische Bewegung als Frühbürgerliche Revolution und wollte deshalb eine auch für die deutsche Geschichte gültige Zäsur um 1400 etablieren. Steinmetz legte den Anfang des Untersuchungszeitraumes nun aber auf das Jahr 1476 (Aufstand des Pfeifers von Nikiashausen) fest (These 2). Dies hatte zur Folge, dass die Hussitenbewegung als peripherer Einflussfaktor der deutschen Bauernaufstände des späten 15. Jahrhunderts erschien (These 11). Der Tod Gaismaiers und das Ende des Täuferreiches zu Münster 1535 wurden als Ende der Revolution bestimmt. In Übereinstimmung mit Lenins Revolutionstheorie sah Steinmetz die Ursache der Revolution in einer gesamtnationalen Krise (These 16), die sich durch das parallele Auftreten dreier Krisenherde ergeben hatte. Seit Mitte des 15. Jahrhundert seien im Bergbau und der Textilindustrie erste Ansätze einer „kapitalistischen Produktionsweise" festzustellen. Das Verlagswesen habe zur neuen Schicht der „Plebejer" geführt (These 6). Infolge des Eindringens der WareGeld-Beziehung in den agrarischen Bereich sei es zur verstärkten Ausbeutung der Bauern gekommen. Durch die Umwandlung der Natural- in Geldabgaben und die einsetzende zweite Leibeigenschaft sei es den Feudalherren möglich geworden, sich höhere Erträge zu sichern und zu kapitalistischen Formen der B e wirtschaftung überzugehen (Thesen 7 und 8). Schließlich sei „das zersplitterte und im ganzen ohnmächtige Deutschland [...] zur leichten Beute der Papstkirc h e " geworden, was in „wachsendem Maße auch bei den Volksmassen" zu einem Nationalbewusstsein geführt habe (Thesen 10 und 12). Auf dem Boden dieser Krise, die Steinmetz auch als das Auseinanderklaffen „der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft und der überkommenen Produktionsverhältnisse" charakterisierte, sei es zur „zunehmenden Verschärfung der Klassenkämpfe" gekommen, die sich zur Frühbürgerlichen Revolution entwickelt hätten (These 11). Deren „Kernphase" unterteilte er in drei „Etappen". Die erste Etappe habe mit dem Thesenanschlag Luthers

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diävistik der Deutschen Historiker-Gesellschaft in Wernigerode und Bericht der D H G an die Abteilung Wissenschaft des Z K der SED. SAPMO BArch, D Y 3 0 / I V 2 / 9 . 0 4 , 1 2 0 . Vgl. Brief Steinmetz an Schildhauer, 7. Dezember 1959. U A Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 9 5 . Die Thesen wurden erstmals in dem zweiten Protokollband der Konferenz publiziert. Steinmetz: Die frühbürgerliche Revolution. Josef Macek lehrte in Prag und befasste sich hauptsächlich mit Jan Hus und dem Hussitismus. Grundlegend für die Frage hussitische Revolution — frühbürgerliche Revolution war: Josef Macek: Husitské revolucní hnuti, Prag 1952.

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begonnen und mit dem Reichstag zu Worms geendet. Steinmetz betonte auf der Konferenz, Luther habe bis 1521 eine „progressive" Rolle gespielt und sei zum „Held der deutschen Nation" geworden. 1 3 1 Die zweite Etappe sei die Spaltung der reformatorischen Bewegung in die Fürstenreformation und die Volksreformation gewesen, und die dritte Etappe beginne mit den ersten Kämpfen des Bauernkrieges, der mit der Schlacht von Frankenhausen seinen Höhepunkt und sein Ende fand. Der Bauernkrieg stelle den Gipfel der Frühbürgerlichen R e v o lution dar und müsse als „Versuch der Volksmassen" verstanden werden, „von unten her einen einheitlichen nationalen Staat zu schaffen" (These 31). Diese Zielsetzung war laut Steinmetz auch der Kern von Müntzers Programm, bei dem es sich um eine „für ihre Zeit letztlich utopische, im ganzen aber doch geniale Antizipation der wahrhaft nationalen Politik der deutschen Arbeiterklasse" gehandelt habe (These 34). Steinmetz war es mit den Thesen gelungen, verschiedene marxistische Interpretationsansätze zu einem Konzept der Frühbürgerlichen Revolution zu vereinen. Die Analyse der ökonomischen und politischen Lage in Deutschland entspricht der Smirin'sehen Position und nimmt entscheidende Resultate der sowjetischen Diskussion auf. 132 Mit der starken Betonung der nationalen Zielsetzung setzte Steinmetz aber einen anderen Schwerpunkt als Smirin. Die Frühbürgerliche Revolution war damit nicht nur zu einem Beleg leninistischer Revolutionstheorie geworden, sondern erfüllte auch die nationalen Erwartungen der SEDFührung: Ulbricht hatte 1958 die Historiker der D D R aufgerufen, verstärkt die „nationale Grundkonzeption der Arbeiterklasse" zu beachten. Dieser Forderung entsprachen die Thesen fast wörtlich. Sie waren damit Teil der Bestrebung, in der D D R ein neuartiges nationales Geschichtsbild zu entwickeln, das die Geschichte von einer grundsätzlich anderen Perspektive beleuchtete als die westdeutsche Geschichtsschreibung. Steinmetz argumentierte sehr ähnlich wie der in U n gnade gefallene Meusel und übernahm auch dessen Charakterisierung von R e formation und Bauernkrieg als Frühbürgerliche Revolution. Die nationale Perspektive entstammt in ihrem Ursprung jedoch dem 19. Jahrhundert. Bereits E n -

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Steinmetz: Probleme der frühbürgerlichen Revolution, S. 44. Die Bezeichnung ,Held der deutschen Nation' findet sich nicht direkt in den Thesen, sondern nur in dem von Steinmetz auf der Konferenz gehaltenen Referat. Luther verstand sich aber laut Steinmetz nicht als Fürsprecher der gesamten Nation. Dies sei insbesondere während des Bauernkriegs deudich zum Ausdruck gekommen. Steinmetz äußerte daher auf der Konferenz die Einschätzung, der T h e senanschlag habe eine von Luther „nicht beabsichtigte Wirkung" ausgelöst. Ebd., S. 43. Z u m ,Held der deutschen Nation' wurde er aber nur aufgrund ebendieser Wirkung. Insofern wurde Luther nicht wegen seiner persönlichen Leistung, sondern aufgrund der historischen Umstände zum Helden. Steinmetz sprach auf der Konferenz fälschlicherweise davon, dass der Begriff Frühbürgerliche Revolution aus der sowjetischen Geschichtswissenschaft stamme. Auch wenn diese Zuordnung falsch war - die Begriffsschöpfung stammte von Meusel (1952) - , sind gewisse Ubereinstimmungen mit Smirin offensichtlich. Allerdings integriert die Frühbürgerliche Revolution die Reformation weit stärker, als dies Smirins Volksreformation tut.

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gels hatte in einer verwandten Perspektive auf den Bauernkrieg geschaut. Dennoch erinnern Steinmetz'Thesen auch an die von Ranke vertretene Interpretation, dass Luthers Kampf gegen die römische Kirche eine „großartige Aussicht" fur die „Einheit der Nation, für die Fortentwicklung der Deutschen" gewesen sei. Damit stand die DDR-Reformationsforschung von 1960 auch in deutlicher Kontinuität zu der heroischen Luther-Biographie von Steinmetz' Lehrer Gerhard Ritter. 133 Max Steinmetz, ein „Enkelschüler Rankes in der vierten Generation", 134 war nach wie vor stark von der nicht-marxistischen Geschichtsschreibung beeinflusst. Dies lässt auch die zweite der Wernigeroder Thesen vermuten. Steinmetz' Integration der Bundschuhaufstände in die Frühbürgerliche Revolution erinnert an die Bauernkriegsmonographie von Günther Franz. Ebenfalls eine Verwandtschaft zu Franz' Interpretation findet sich in der 11. These: Steinmetz weist hier auf die Beeinflussung der aufständischen Bauern durch die Hussiten hin. Bisher hatte vor allem Günther Franz diese Geistestradition betont. Allerdings kann darin auch ein Entgegenkommen an die Überlegungen Josef Maceks gesehen werden. Unzweifelhaft ist jedoch, dass Steinmetz in Franz einen Bauernkriegsexperten sah, dessen Urteil ihm auch in den allgemein auf Abgrenzung bedachten 1950er Jahren wertvoll war. 135 Bezüglich der Periodisierung der Frühbürgerlichen Revolution führten Steinmetz' Integrationsbemühungen zu einer eher verwirrenden Lösung. Einerseits betonte er, dass eine Darstellung der Frühbürgerlichen Revolution mit dem Jahr 1476 zu beginnen und mit dem Jahr 1535 zu enden habe. Diese Eingrenzung entsprach der Vorgabe Engels' und bestätigte einen wesentlichen Punkt aus der Universitätsgeschichte von 1958. Andererseits wurden in den Thesen die Jahre 1517 bis 1525 als „Kernphase" der Frühbürgerlichen Revolution bezeichnet, womit der Periodisierung Meusels entsprochen wurde. Gerhard Brendler (1932), der als Assistent von Steinmetz an der Ausarbeitung der Thesen beteiligt gewesen war, sprach rückblickend von einem „Kompromissangebot" an die tschechoslowakischen Historiker. Der chronologische Einsatz bei der hussitischen Bewegung habe „Raum für ein prozessuales Anknüpfen an die böhmischen Belange" gelassen. 136 Brendler bezeichnet die Thesen aufgrund der gewählten Periodisierung, der doppelten Eingrenzung, ironisch als „diplomatische 133 134 135

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Vgl. Kapitel 2.2.3 und 3.2.2. Weber: Priester der Klio, S. 246. So bemühte sich Steinmetz 1957 etwa um ein Treffen mit Franz zur Erörterung wissenschaftlicher Fragen. „Es gibt eine Reihe von fachlichen Fragen, über die ich mich gerne einmal mit Ihnen in R u h e unterhalten hätte. Brieflich ist das doch etwas umständlich. Fahren Sie nach Koblenz zum Archivtag? Oder kommen Sie in nächster Zeit wieder einmal in die D D R ? " Brief Steinmetz an Franz, 29. August 1957. UA Hohenheim, N6, 1/7/5. Brendler: Luther, S. 40. Dieser Aufsatz von Brendler erschien 1996 und hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. So werden darin einzelne Fakten falsch wiedergegeben (vgl. Fußnote 139 und 176) und gewisse Formulierungen rücken den Text eher in die Nähe einer persönlichen Abrechnung als einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung.

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Meisterleistung". 137 Fragt man nach der inhaltlichen Funktion dieser Periodisierung, rückt die Bewertung von Martin Luther und Thomas Müntzer ins Zentrum der Antwort. Die Jahre 1476 bis 1517 wurden zur Früh- oder Vorphase der Frühbürgerlichen Revolution erklärt, in der das Volk denjenigen Prozess in Gang gesetzt hatte, dem Luther 1517 die theologische Weihe gab. Der Bauernkrieg erschien dadurch als Abschluss einer weiter zurückreichenden Volksbewegung. Dieser Höhepunkt war nur dank Müntzers Programm möglich geworden. Seine Wirkung wurde in den Thesen als so groß dargestellt, dass seine Anhänger noch bis 1535 bereit waren, für die Sache der Volksreformation zu sterben. 138 Ähnlich wie Meusel und Smirin schrieb auch Steinmetz Müntzer eine viel positivere Rolle zu als Luther. Dennoch muss auf wesentliche Unterschiede zwischen den drei Positionen hingewiesen werden. Meusel war darum bemüht gewesen, Luthers positives'Verhalten in der Anfangsphase der Reformation und seine anti-revolutionäre Position nach dem Reichstag zu Worms miteinander zu verrechnen. Wie die Diskussion im Museum für Deutsche Geschichte gezeigt hatte, fanden sich auf dieser Grundlage aber keine stichhaltigen Argumente dafür, dass Luthers negative Seiten überwogen hatten. Die Thesen lösten dieses Problem auf. Dank der konsequenten Einordnung der Ereignisse in ein marxistisches Revolutionsmodell der Abfolge von Praxis-Theorie-Praxis (Bundschuh-[Volks-]Reformation-Bauernkrieg) kam dem Thesenanschlag Luthers geringe Bedeutung zu. Er bildete gewissermaßen nur die erste Theoriestufe. Die zweite und damit entscheidende Stufe war Müntzers Programm der Volksreformation. Erst diese leitete wieder zur revolutionären Praxis, dem Bauernkrieg, über. Smirin dagegen hatte die Bedeutung Müntzers dadurch unterstrichen, dass er der Person Luthers auswich. Durch die Herleitung Müntzers Theologie aus unterschiedlichen mittelalterlichen Geistesströmungen erschien die Volksreformation stärker im Kontext europäischer Geistesgeschichte. Für die national orientierte DDR-Geschichtswissenschaft jener Jahre war dies aber keine brauchbare Perspektive. Etwas schwieriger ist es, die zeitliche Ausdehnung des Konzepts über 1525 hinaus zu erklären. Wohl versuchte Steinmetz, Thomas Müntzer noch mehr Bedeutung zukommen zu lassen, indem er die Täuferbewegung als einen Ausläufer der Müntzer sehen Volksreformation darstellte.139 Da er ansatzweise auch Zwingli 137 138

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Brendler: Luther, S. 40. Der Höhepunkt der Frühbürgerlichen Revolution wurde laut Steinmetz mit dem Wirken Müntzers und nicht Gaismaiers erreicht. Dessen Taten wurden in den Thesen nur als letzter Ausläufer gewürdigt. Steinmetz hatte bereits im Vorfeld der Konferenz klar gemacht, dass sich „Maceks Position, die im wesentlichen darin besteht, Gaismaier über Müntzer zu stellen, [auf der Konferenz von Wernigerode, Im] nicht durchsetzen wird." Brief Steinmetz an Smirin, 6. Oktober 1959. UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/424. Brendler meinte rückblickend, dass „die chronologische Ausdehnung des Begriffs der frühbürgerlichen Revolution auf die Jahre von 1476 bis 1535 [...] auch den genau berechneten Effekt [hatte], daß damit eine ganze Reihe von Kollegen, deren Interessengebiete thematisch vor 1517 oder nach 1525 lagen, angesprochen werden konnten". Brendler: Luther, S. 40. Brendler war zwar an der Vorbereitung der Konferenz und damit auch an der Ausarbeitung der Thesen beteiligt gewesen, dennoch erscheint diese Begründung etwas polemisch.

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Revolution

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und Calvin zur Frühbürgerlichen Revolution zählte, wurden aber Strömungen vermengt, die nur wenig Gemeinsamkeiten aufwiesen. Die theoretische Grundkonzeption überdeckte hier Differenzen, die bei stärkerer Beachtung theologischer Aspekte nicht zu übersehen gewesen wären. Der Begriff Frühbürgerliche Revolution verlor dadurch einiges an Präzision und wurde eher zum Bild einer historischen Epoche denn zum charakterisierenden Begriff für eine homogene Bewegung. 140 Der überwiegende Teil der insgesamt 106 Teilnehmer der Konferenz aus der D D R und anderen Ländern des Warschauer Paktes unterstützte Steinmetz' Konzeption. 1 4 1 Die stärkste Kritik an den Thesen wurde von Eckhard Müller-Mertens (1923) geäußert. Die Perspektive von Steinmetz, die den Nationalstaat als das Ziel der Revolution festlege, verhülle die sozio-ökonomischen Aspekte von Reformation und Bauernkrieg. Das Ziel einer bürgerlichen Revolution sei es, dem kapitalistischen Produktionssystem zum D u r c h b r u c h zu verhelfen. „Die Bestimmung der frühbürgerlichen Revolution dürfte von der Feststellung auszugehen haben, daß sich der Kapitalismus innerhalb der feudalen Gesellschaft ausbildete und er dafür bestimmter, notwendiger Wachstumsbedingungen bedurfte. Ihre Aufgabe wäre dahingehend zu beschreiben, daß sie alle Hemmnisse zu beseitigen hatte, die der Entwicklung des Kapitalismus im Schöße des Feudalismus im Wege standen." 142 Ebenfalls Kritik formulierte Ingrid Mittenzwei (1929). Steinmetz betone, dass die Volksreformation keine reelle Siegeschance gehabt habe. So werde gänzlich unverständlich, weshalb der Bauernkrieg als positives Ereignis angesehen werden müsse. Es sei aber ein „Entwicklungsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft", dass eine bürgerliche Revolution Forderungen stelle, die weit über das eigentliche Ziel hinausführten. Müntzer sei es zu verdanken, dass „Keime von Bewußtheit und Organisiertheit in die Bewegung der Volksmassen" getragen wurden. 1 4 3 Z u dem vertrat Mittenzwei, die von 1951—56 in Leningrad mittelalterliche G e schichte studiert hatte, 1 4 4 vehement die Auffassung, dass die Frühbürgerliche 140

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Obwohl Smirin in der Untersuchung ,Die Volksreformation des Thomas Münzer' den Blick auf den Bauernkrieg von 1524/25 beschränkte, kann Steinmetz' Begriffsausdehnung der Frühbürgerlichen Revolution auf Smirins Konzept zurückgeführt werden. Dadurch, dass Smirin den Begriff der Volksreformation nicht nur auf die Bewegung um Thomas Müntzer, sondern auf alle Strömungen des Bauernkrieges angewendet hatte, öffnete er einer weiteren Integration von Reformatoren,Täufer- und Bauernfuhrern das Tor. Über die Ausdehnung der Volksreformation konnte auch die Frühbürgerliche Revolution beinahe beliebig verlängert werden. Vgl. auch Blickle: Die Reformation, S. 170/171. Der Kreis der Teilnehmer an der Diskussion ist aus dem Protokollband ersichtlich. Prominente Abwesende waren M. M. Smirin aus der Sowjetunion, R . Latouche aus Frankreich und W. Grundmann aus der B R D (angeblich aus gesundheidichen Gründen resp. Zeitmangel). Müller-Mertens: Zu den Aufgaben, S. 86.Vgl. auch UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/38. Mittenzwei: Bemerkungen zum Charakter, S. 107. Vgl. .Personalien', in: ZfG 37 (1989), S. 346/347. Demgegenüber wird Ingrid Mittenzwei in einem Aufsatz von Karlheinz Blaschke als Schülerin des Moskauer Historikers Moisej Smirin bezeichnet: „Die Berliner Historikerin Ingrid Mittenzwei, die in Moskau bei M. M. Smirin

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Revolution mit der militärischen Niederlage der Bauern in Frankenhausen geendet habe. Steinmetz wollte vor allem den zweiten K r i t i k p u n k t nicht gelten lassen. Es handle sich hierbei u m eine „unstatthafte Übertragung von Kriterien auf das 16. Jahrhundert [...], die aus der U n t e r s u c h u n g voll entwickelter, ausgereifter bürgerlicher R e v o l u t i o n e n , speziell der Novemberrevolution von 1918, gewonnen wurden". 1 4 5 Die Wernigeroder Thesen nahmen R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg also durchaus als historischen Gegenstand ernst. Die nationalsozialistischen Historiker hatten dazu geneigt, die revolutionären U m b r ü c h e des f r ü h e n 16. Jahrhunderts mit der nationalsozialistischen Revolution zu parallelisieren. Gewissermaßen als B i n deglied hierfür hatte die Formel eines im deutschen Volk verankerten Strebens nach einem nationalen R e i c h gedient. Die Geschichtswissenschaft der D D R war dagegen vielmehr darum b e m ü h t , über eine Analyse der Frühbürgerlichen R e volution die Gültigkeit der marxistischen Geschichtsphilosophie nachzuweisen. In beiden Diktaturen wird die R e v o l u t i o n prinzipiell positiv k o n n o t i e r t . D i e historische Bedeutung ist j e d o c h gänzlich verschieden: Sahen nationalsozialistische Historiker in der Volksrevolution Ausdruck eines ewigen Strebens, so ist sie für marxistische Wissenschaftler Inbegriff des historischen Fortschritts. D e r genauen Periodisierung einer R e v o l u t i o n k o m m t in der marxistischen Analyse daher große Bedeutung zu. N a c h der Konferenz äußerte sich Steinmetz enttäuscht über die in Wernigerode geführte Auseinandersetzung. Nicht die vereinzelte Kritik ärgerte ihn, sondern dass sich die Konferenzteilnehmer k a u m z u m „Hauptproblem" der F r ü h bürgerlichen Revolution, deren Periodisierung, geäußert hatten. Die Mehrzahl der Diskussionsteilnehmer hätte n u r „Spezialprobleme" erörtert, schrieb er Moisej Smirin. I h m sei aufgefallen, fuhr Steinmetz fort, „daß bei der in der Sowj e t u n i o n über die frühbürgerliche Revolution geführten Diskussion das Problem der Periodisierung u n d des chronologischen R a h m e n s behandelt wurde. Wann beginnt eigentlich die frühbürgerliche Revolution u n d wann endet sie?" 146 D a mit wird nicht nur Steinmetz' D i l e m m a zwischen der deutsch-nationalen Per-

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studiert und dadurch die höheren Weihen der marxistischen Reformationsgeschichte erlangt hatte, referierte [an einer Sitzung der Arbeitsgruppe frühbürgerliche Revolution in den 1960er Jahren, Im] über ihre Archivforschungen zur Geschichte des Joachimsthaler Aufstandes." Blaschkes Aussage entspricht also eher einer polemischen Abrechnung mit Ingrid Mittenzwei als einer faktengetreuen Analyse der damaligen Situation. BlaschkeiAls bürgerlicher Historiker, S. 57. Ende der 1950er Jahre wurde in der D D R eine Debatte über die deutsche Novemberrevolution geführt.Walter Ulbricht setzte dem Streit 1958 ein Ende, indem er verkündete, diese R e volution sei bürgerlichen und nicht sozialistischen Charakters gewesen. Ihr Ende sei mit der Niederschlagung der Aufstände 1918 eingetreten. Vgl. Abendroth: Das Ende, S. 57. Steinmetz wehrte sich dagegen, dass auch im 16. Jahrhundert der Grundsatz gelten sollte, dass die militärische Niederlage mit dem Ende einer Revolution gleichzusetzen sei und also die Frühbürgerliche Revolution mit der Niederlage von Frankenhausen 1525 ende. Vgl. Brief Steinmetz an Smirin, 9. Juni 1960. UA Leipzig, NL Steinmetz 4/424. Brief Steinmetz an Smirin, 9. Juni 1960. UA Leipzig, NL Steinmetz 4/424.

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Die Frühbürgerliche Revolution als nationale Bewegung spektive und der Orientierung an der sowjetischen Geschichtswissenschaft deutlich, sondern auch, dass er selbst die Thesen kaum als eine bereits in allen Punkten gültige Interpretation der Reformationszeit ansah. Die Thesen von Wernigerode zeichneten kein fixes Bild der Frühbürgerlichen Revolution. Dennoch waren sie mehr als nur eine Diskussionsgrundlage: Sie hatten wesentliche Punkte der Debatte der vergangenen zehn Jahre zusammengefugt und damit das Feld abgesteckt, auf dem die Diskussion in den nächsten Jahren stattfinden sollte. Auch wenn nach wie vor diverse Fragen unbeantwortet waren, standen nun wichtige Eckpunkte wie die Charakterisierung von Reformation und Bauernkrieg als Frühbürgerliche Revolution fest.

6.3.2 Die Institutionalisierung der Forschung zur Frühbürgerlichen Revolution Die Ergebnisse der Konferenz von Wernigerode wurden bald auch für die weitere Arbeit am Lehrbuch der deutschen Geschichte bedeutend. Seit Meusels Disposition von 1952 war der dritte Band des Lehrbuches kaum mehr weiter gediehen. Im Sommer 1960 übertrug das Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen die Verantwortung für den Abschnitt zur Reformationszeit an Max Steinmetz; nach Meusels Tod im September 1960 wurde Steinmetz auch die Koordination des dritten Bandes übertragen. 147 Damit war ein Generationenwechsel vollzogen worden. Steinmetz war zu diesem Zeitpunkt zwar auch bereits 48 Jahre alt, gehörte aber zu denjenigen Wissenschaftlern, die zumindest einen Teil ihrer wissenschaftlichen Sporen erst nach dem Krieg, also in der D D R , verdient hatten. Meusel hatte dagegen noch der aus dem Exil remigrierten Gründergeneration angehört. 1 4 8 Mit seiner kritischen Rezension von Meusels MüntzerBuch, seiner Habilitation zur Müntzerrezeption, der Universitätsgeschichte Jena und den Thesen von Wernigerode hatte Steinmetz einen Pfad beschritten, der ihn zum prädestinierten Nachfolger Meusels machte. Wann genau daraus ein zielgerichteter respektive ein gelenkter Marsch geworden war, lässt sich schwerlich bestimmen. Mit dem Auftrag an Steinmetz, die Thesen von Wernigerode auszuarbeiten, war die parteiamtliche Nachfolgeplanung jedoch deutlich geworden. Abgerundet wurde Steinmetz' wissenschaftlicher Aufstieg im Juli 1960: Das Staatssekretariat berief ihn von der Friedrich-Schiller-Universität an die größere und für die Geschichtswissenschaft bedeutendere Karl-Marx-Universität nach Leipzig. Dort übernahm er in der Nachfolge von Ernst Engelberg das Institut für

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Auf eine Neubesetzung der Funktion des Leiters des Autorenkollektivs wurde verzichtet. Vgl. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2 / 1 6 4 und SAPMO BArch, DY 3 0 / I V 2 / 9 . 0 4 , 1 0 7 (resp. SAPMO BArch, FBS 207/10700). Eine ausfuhrliche Analyse zu diesem Generationenwechsel an den ostdeutschen Universitäten findet sich bei Jessen: Akademische Elite, Kapitel D. Zu den remigrierten Historikern in der frühen D D R siehe Keßler: Exilerfahrung.

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Geschichte des Deutschen Volkes, das damit auch zum neuen Leitinstitut flir das Forschungsfeld Frühbürgerliche Revolution wurde. 149 Bereits mit der Ernennung des Jenaer Instituts zum Leitinstitut 1959 waren Max Steinmetz implizit die Ressourcen zugesprochen worden, die er für das Lehrbuchprojekt benötigte. Aus demselben Jahr stammt der Entwurf des P e r spektivplans des Fachgebietes Geschichte'. Demnach bildeten die Leitinstitute „den Kern und das wissenschaftlich-organisatorische Zentrum einer Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Historikergesellschaft". In einer Arbeitsgemeinschaft „sollen alle Historiker vertreten sein, die auf dem entsprechenden Fachgebiet tätig sind". Grundlage ihrer Arbeit bildeten die vom „Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen gemeinsam mit der Deutschen Historiker-Gesellschaft festgelegten Arbeitsrichtlinien". 150 Als der Perspektivplan im Jahr darauf als , Siebenjahresplan der Geschichtswissenschaft' seine definitive Fassung erhielt, wurde darin die Bildung einer „Arbeitsgemeinschaft Geschichte der Reformation und des Bauernkrieges (frühbürgerliche Revolution) in Deutschland" bestätigt. Die Frühbürgerliche Revolution war damit offiziell in die sozialistische Planwirtschaft integriert worden. 151 Noch bevor der Siebenjahrplan veröffendicht wurde, kam die Arbeitsgemeinschaft unter dem Vorsitz von Steinmetz im Mai 1960 in Mühlhausen zur konstituierenden Sitzung zusammen. 152 Damit sollte laut Brendler nicht weniger als eine „Wende" in der DDR-Geschichtswissenschaft eingeläutet werden. 153 Die Arbeitsgemeinschaft kam entsprechend der Planung aus dem Staatssekretariat überein, „bis 1965 die Grundlagen für eine umfassende Gesamtdarstellung der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland zu schaffen, mit deren kollektiver Ausarbeitung sodann ab 1965 begonnen werden" solle. Damit trage die Arbeitsgemeinschaft bei, die „großen Aufgaben an der politisch-ideologischen Front zu lösen". 154 Als wenige Wochen später die Verantwortung für den Lehrbuchabschnitt von Meusel an Steinmetz überging, ersetzte dieses Vorhaben die anfänglich geplante Gesamtdarstellung. Aufgrund der geringen Vorarbeit von Meusel bot sich Steinmetz nun die Möglichkeit, die Konzeption des dritten Lehrbuchbandes nochmals neu festzulegen. 155 Seine wissenschaftliche Tätigkeit sollte in den 149 150

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Vgl. UA Leipzig, NL Steinmetz, 1/05. BArch, D R 3, 4084, Blatt 159-167. In der definitiven Fassung wurde diese Bestimmung zugunsten der D H G abgeändert: „Die vom Präsidium der Deutschen Historikergesellschaft festgelegten Arbeitsrichtlinien bilden die Grundlage fur die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft." Forschungsplan für die Geschichtswissenschaft 1960-1965. SAPMO BArch, DY 30/IV 2/9.01, 11. Zur Funktion einer „Arbeitsgemeinschaft" vgl. SAPMO BArch, DY 30/IV 2/9.04,120. Der Siebenjahrplan wurde vom Wissenschaftlichen Beirat für Geschichte beim Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen ausgearbeitet.Vgl. BArch, D R 3, 4101. Vgl. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/257. Brendler: Gründung, S. 203. SAPMO BArch, DY 30/IV 2/9.01,11. Als Steinmetz die Arbeit am Lehrbuchabschnitt übernahm, hatte er eigenen Angaben zufolge keine Vorarbeiten von Meusel vorgefünden.Vgl. SAPMO BArch, DY 30/IV A2/9.04/138.

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Die Frühbürgerliche Revolution als nationale Bewegung nächsten Jahren von diesem Projekt dominiert werden. 1 5 6 Mit der Arbeitsgemeinschaft stand Steinmetz ein Forum zur Verfügung, in dem die Manuskriptentwürfe des Lehrbuches zur Diskussion gestellt werden konnten, bevor er sie dem Autorenkollektiv vorlegte. Die Zusammenkünfte der nächsten beiden Jahre dienten fast ausschließlich dieser Aufgabe. 157 Die zweite Tagung der Arbeitsgemeinschaft fand im April 1961 in Halle statt. Hier wurde eine für die Diskussion der kommenden Jahre wichtige Verschiebung gegenüber den Thesen von Wernigerode markiert. Steinmetz wertete die ökonomische gegenüber der nationalen Entwicklung auf: Für die Beseitigung der gesellschaftlichen Widersprüche des ausgehenden Mittelalters sei die Überwindung der feudalen Produktionsverhältnisse wichtiger gewesen als die nationale Zielsetzung. 1 5 8 Diese Korrektur kann als direkte Reaktion auf die Kritik von Müller-Mertens an der Konferenz von Wernigerode verstanden werden. Erst auf der dritten Tagung von 1962 wurde das Problem der Periodisierung explizit diskutiert. 1 5 9 Nach einer längeren Debatte entschied Steinmetz, dem Lehrbuch die in den Thesen von Wernigerode entwickelte Periodisierung zugrunde zu legen. Der dritte Band sollte also weder mit dem tschechischen' Jahr 1400 noch mit dem von Meusel favorisierten Luther-Jahr 1517, sondern mit dem Jahr 1476 beginnen. Diese Änderung beschäftigte schließlich sogar das Politbüro. Für ZK-Mitglied Robert R o m p e 1 6 0 war unverständlich, weshalb nicht die tschechoslowakische Gliederung übernommen werde. Mit welchen Argumenten der Sekretär des Herausgeberkollektivs - der Berliner Professor Joachim Streisand, der das Autorenkollektiv vor dem Politbüro vertrat — die neue Konzeption verteidigte, ist nicht bekannt. Jedenfalls akzeptierte das Gremium die Disposition am 2. Juni 1962. 1 6 1 Das Beharren Steinmetz' auf der Zäsur im Jahre 1476 verdeutlicht, was bereits auf der Konferenz von Wernigerode zu Tage getre-

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Steinmetz verwandte rund drei Tage pro Woche auf die Arbeit am Lehrbuch, weitere drei Tage setzte er fur seinen Lehrstuhl und seine Dekanatstätigkeit ein. Vgl. Brief Streisand an Steinmetz, 23. März 1962. BArch, D R 3, 4110, Blatt 184/185. Vgl. .Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft ,Frühbürgerliche Revolution' herausgegeben von der Leitung der Arbeitsgemeinschaft', 1. April 1964 (vervielfältigtes Manuskript). S Α Ρ Μ Ο BArch, FBS 207,15782. Interessanterweise fixierte Steinmetz in Halle das Ende der Frühbürgerlichen Revolution nicht mehr im Jahr 1535, sondern 1525. Diese Änderung in der Periodisierung wurde nicht begründet. Sie erstaunt auch insofern, als Steinmetz im Nachwort des im Herbst 1961 erschienenen Protokollbandes das Ende der Frühbürgerlichen Revolution wieder auf 1535 festlegt: Vgl. Handschriftliche Notizen von Max Steinmetz, .Tagung der Arbeitsgemeinschaft frühbürgerliche Revolution, 8. April 1961'. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/48. An der Tagung vom 30. und 31. März 1962 in Leipzig war die Periodisierung das Haupttraktandum der Arbeitsgemeinschaft. Vgl. Brendler: Tagung, S. 1676. Robert Rompe (1905-1993). Der Physiker war seit 1958 im Z K der SED und vor allem in der Bildungspolitik tätig. Vgl. ABBAW, Z I G 663, auch SAPMO BArch, D Y 3 0 / I V 2 / 9 . 0 1 , 11. Die Einigung auf das Jahr 1476 kam im persönlichen Gespräch zwischen R o m p e und Streisand zustande. Vgl. SAPMO BArch, DY 3 0 / I V 2 / 9 . 0 1 , 1 1 .

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ten war. Ein Einschnitt um 1400 wäre Ausdruck davon gewesen, dass die hussitische Bewegung auch für Deutschland die Bedeutung eines Epochenneubeginns hätte und die erste bürgerliche Revolution nicht in (Ost-)Deutschland, sondern in Böhmen stattgefunden hätte. Auch das Politbüro dürfte realisiert haben, dass eine solche Zäsur die legitimatorische Kraft der deutschen Frühbürgerlichen Revolution enorm vemindert hätte. Aller sozialistischen Bruderliebe zum Trotz: U m die historische Bedeutung der D D R im Gefüge der sozialistischen Staaten herauszustreichen, durfte das Erbe der ,,erste[n] Stufe einer langen Reihe bürgerlicher Revolutionen" nicht verloren gehen. 162 Wenn der ostdeutsche Staat den Ursprung der bürgerlichen Bewegung zu seiner Erbmasse zählen konnte, war er dem Ziel, als vollwertiges Mitglied der sozialistischen Staatengemeinschaft anerkannt zu werden, ein Stück näher gerückt: Die D D R wurde zur Wiege der bürgerlichen Revolution. Das Stigma der verspäteten Nation konnte so überdeckt und die Eigenstaatlichkeit historisch untermauert werden. Der Entscheid für 1476 war auch ein Votum gegen eine Zäsur um 1517. Diese hatte Meusel noch 1958 im Autorenkollektiv durchgesetzt. Damit hatte die marxistische Geschichtswissenschaft aber nicht weniger als eine klassische Markierung der preußisch-protestantisch geprägten Nationalgeschichte des 19. Jahrhunderts übernommen. Nach den politischen Ereignissen der frühen 1960er Jahre war eine solche Akzentuierung kaum mehr akzeptabel. Mit dem Bau der Berliner Mauer war die deutsche Zweistaatlichkeit zementiert worden und die sozialistische Revolution galt nun als abgeschlossen. Der nationale Alleinvertretungsanspruch der SED verlangte nicht nur ein nationales Geschichtsbild, sondern gleichzeitig eine Erzählung, die sich von derjenigen der B R D abhob. Die Abgrenzung gegen Westen, die ihren schärfsten Niederschlag im .Nationalen Dokument' fand, 163 ließ auch die Rhetorik der deutschen Vereinigung unter sozialistischen Vorzeichen verstummen. Ein eigenständiger Traditionsstrang in die Vergangenheit war damit unabdingbar geworden. 164 Die Publikation des Lehrbuches erfolgte 1965, also zwölf Jahre später als ursprünglich geplant worden war. Die 180 Seiten umfassende Darstellung der Frühbürgerlichen Revolution (1476—1648) stellte weitgehend eine Ausformulierung der Thesen von 1960 dar. Eine Verschiebung in der Interpretation kann nur hinsichtlich der Wertung der ersten Jahre der Lutherreformation festgestellt werden. Die Bewegung gegen die römische Kirche erschien nun verstärkt als eine von Luther ausgelöste „historische Notwendigkeit". Im Gegensatz zu den Programmen der Bundschuhbewegung seien Luthers Thesen in der Lage gewesen, sowohl die armen Bevölkerungsschichten als auch das Bürgertum zum gemeinsamen antirömischen (sprich: antifeudalen) Kampf zu einen. 165 In der Wertung 162 163

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Steinmetz: Probleme der frühbürgerlichen Revolution, S. 46. Das .Nationale Dokument' wurde vom ZK der SED ausgearbeitet. Es wurde u. a. publiziert in: ZfG 10 (1962), S. 758-786. Vgl. auch Sabrow: Das Diktat, S. 246. Vgl. Steinmetz: Lehrbuch, S. 50.

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Martin Luthers glaubt man die ersten Vorboten des Reformationsjubiläums von 1967 erkennen zu können: 166 Luthers Denken, „subjektiv" in eine theologische Hülle gekleidet, habe „objektiv" den gesellschaftlichen Kampf gegen den Feudalismus zu einer wirkungsmächtigen Ideologie zusammengefügt. Daher habe der Reformator zwischen 1517-1521 eine progressive Rolle gespielt. 167 Das Lehrbuch vermied es, Luthers Position im Bauernkrieg darzustellen und begnügte sich mit der Bemerkung, seine Entscheidung für die „Fürstenpartei" sei „nicht nur aus seiner persönlichen Entwicklung, sondern vielmehr aus der Stellung jener gesellschaftlichen Kräfte, die sie bestimmten und die er in wachsendem Maße repräsentierte", zu erklären. 168 Obwohl das Lehrbuch die Bedeutung und Neuartigkeit der Reformationsbewegung betont, wurde der Anfang der Frühbürgerlichen Revolution immer noch mit dem Jahr 1476 angegeben. Im Gegensatz zu den Thesen wurde diese Datierung im Lehrbuch ausführlich begründet. Die Argumentation erfolgte hauptsächlich dahingehend, dass mit dem Aufstand des Pfeifers von Nikiashausen eine sich kontinuierlich verstärkende, nicht mehr abbrechende Linie von Klassenkämpfen begonnen habe, die im Bauernkrieg auf ihrem Höhepunkt angekommen sei. In diesem Punkt erinnert Steinmetz' Interpretation erneut an Günther Franz, der den Bauerkrieg ebenfalls als Höhepunkt spätmittelalterlicher Bauernunruhen gesehen hatte. Unklar bleibt, weshalb Steinmetz gerade die Unruhen von Nikiashausen zum Ausgangspunkt dieser Entwicklung bestimmte. Mit der Publikation des Lehrbuches wurde die erste Arbeitsphase des Leitinstituts Frühbürgerliche Revolution beendet. 169 Diese Jahre dürfen daher als die Zeit bezeichnet werden, in der das Konzept der Frühbürgerlichen Revolution in der D D R konsolidiert wurde. Der Anstoß zu dieser Phase war vom Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen und der D H G ausgegangen. Es wäre jedoch falsch, daraus die totale Abhängigkeit der Historiker von den Parteikadern herzuleiten. Sogar beim hoch politisierten Lehrbuchprojekt wurden entscheidende Eckpunkte seitens der Historiker gesetzt. Die Politik verteilte Aufträge, äußerte Wünsche oder erließ Richtlinien, die Ausgestaltung der Gefäße konnte sie aber nur bedingt bestimmen. Wie stark die Forschung einem einheitlichen Kurs zu folgen hatte, wie eng der diskursive Rahmen war, kann an einer parteigebundenen Arbeit wie dem Lehrbuch aber nur bedingt erörtert werden. Die frühen 1960er Jahre waren zwar von der Lehrbucharbeit und damit auch von Max Steinmetz dominiert. Andere Publikationen zur Frühbürgerlichen R e volution erschienen spärlich, sind aber gerade deshalb besonders beachtenswert. Auf zwei Autoren, Gerhard Zschäbitz (1920-1970) und Manfred Bensing (1927), soll an dieser Stelle eingegangen werden. Beide waren damals als Assis166

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Zur Entstehung der Lutherbewertung im Lehrbuch siehe auch Roy: Luther in der D D R , S. 139-141. Vgl. Steinmetz: Lehrbuch, S. 93-96 und 116. Steinmetz: Lehrbuch, S. 106. Vgl. Steinmetz: Lehrbuch, S. 5.

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tenten von Steinmetz an der Karl-Marx-Universität Leipzig beschäftigt u n d gehörten damit auch zur Arbeitsgemeinschaft R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg. 1 7 0 Gerhard Zschäbitz g r i f f i 964 in einem Aufsatz nochmals die Frage des C h a rakters von R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg auf. Stärker als alle bisherigen Diskussionsbeiträge legte er seinen Ü b e r l e g u n g e n eine europäische Perspektive z u grunde. D e r Ubergang vom Feudalismus z u m Kapitalismus müsse als r u n d dreihundertjähriger, gesamteuropäischer Prozess verstanden werden, der in mehreren revolutionären Wellen von jeweils h ö h e r e m Niveau abgelaufen sei. Die erste dieser Wellen sei die Frühbürgerliche Revolution in Deutschland u n d die letzte, die das Pendel endgültig R i c h t u n g Kapitalismus habe ausschlagen lassen, die Französische R e v o l u t i o n gewesen. D a m i t war die Frage, weshalb R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg als erstes Glied dieser Kette zu gelten haben, noch nicht beantwortet. Hierbei blieb Zschäbitz i m Zirkelschluss stecken, dass die Frühbürgerliche R e v o l u t i o n deshalb frühbürgerlich gewesen sei, weil ihr objektiv die Aufgabe zugekommen sei, „Hindernisse zu überwinden, die einer raschen u n d umfassenden Entwicklung des Kapitalismus entgegentraten". 1 7 1 M a n f r e d Bensing d e m o n s t r i e r t e eine andere Herangehensweise. In e i n e m ebenfalls in der Z f G erschienen Artikel zeigte er sich überzeugt, dass M ü n t z e r seit seiner Ankunft in Allstedt auf eine Revolution hingearbeitet habe, u n d sah in der Zeit von 1522-24 eine Phase der „Erziehung der Volksmassen". 1 7 2 Im U n terschied zu Luther habe M ü n t z e r seine Theologie direkt aus der Auseinandersetzung mit den armen Bevölkerungsschichten hergeleitet. Daher dürfe Müntzer eigentlich nicht als Theologe angesehen werden. Der Streit zwischen den beiden R e f o r m a t o r e n sei insofern nicht durch theologische Differenzen, sondern durch ihre gegensätzlichen gesellschaftlichen Interessen zu erklären. D i e lutherische R e f o r m a t i o n bildete laut Bensing zwar eine Voraussetzung für Müntzers revolutionäre Lehre, war aber weit davon entfernt, revolutionären Charakter aufzuweisen. Soweit folgte Bensing d e m Konzept der Abfolge von Praxis-Theorie-Praxis, das bereits bei Smirin u n d in den W e r n i g e r o d e r - T h e s e n zur A n w e n d u n g gek o m m e n war. Stärker als dies bei den Thesen oder im Lehrbuch der Fall ist, erscheint Müntzer hier nun als Revolutionsfuhrer. Erst dank seiner Agitation habe aus den Volksmassen ein revolutionäres Subjekt werden können. Auch Bensings wenig später publizierte Dissertation atmete den Geist marxistisch-leninistischer Revolutionstheorie. W o die objektiven Verhältnisse n o c h nicht voll entwickelt seien, k ö n n e eine revolutionäre Elite die R e v o l u t i o n durchsetzen. Diese R o l l e schrieb er M ü n t z e r u n d seinen G e t r e u e n zu. Ihr Ziel sei nicht die Verwirklichung utopisch-kommunistischer Ideen gewesen. A u c h wenn M ü n t z e r diese nie ganz aufgegeben habe, so sei doch nur sein bürgerliches „ M i n i m a l p r o g r a m m " Bestandteil der F r ü h b ü r g e r l i c h e n R e v o l u t i o n gewesen. Das „ M a x i m a l p r o 170 171 172

Zschäbitz hatte an dieser Universität ab 1966 eine eigene Professur inne. Zschäbitz: Über den Charakter, S. 278 und 286. Bensing: Thomas Müntzer, S. 1114.

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gramm" sei daher lediglich Ausdruck von Müntzers Auffassung gewesen, dass die bürgerliche Gesellschaft nicht das Endprodukt der historischen Entwicklung sein konnte. 1 7 3 Damit war es Bensing möglich geworden, den Widerspruch zwischen dem B e g r i f f Frühbürgerliche Revolution und den kommunistischen Idealen in Müntzers Theologie aufzulösen. Dank der quellenmäßig einseitigen, 174 aber logisch fassbaren Argumentation wurde verständlich, was die Thesen von Wernigerode noch nicht erklären konnten. Bensing war es als Erstem gelungen, Müntzer konsequent ins Konzept der Frühbürgerlichen Revolution zu integrieren. Müntzers Wirken im Bauernkrieg verlor den anachronistisch-utopischen Beigeschmack, der es marxistischen Historikern erschwert hatte, die Volksreformation als historisch richtige Tat zu würdigen. Die Kosten dafür, dass Müntzer zum bürgerlichen Revolutionär umgeformt wurde, waren aber ziemlich hoch. Die Trennung von Theologie und Agitation trug kaum zum eigentlichen Verständnis der Revolution bei. Bensing war von Smirins Konzeption ausgegangen, reduzierte den B e g r i f f Frühbürgerliche Revolution in der Phase des Bauernkrieges aber auf die Aktionen Müntzers und seiner Getreuen. Die dadurch gewonnene definitorische Schärfe verliert an Glanz, wenn man ihr die damit verlorene Aussagekraft über die Aufstände des gemeinen Mannes im R e i c h als Gesamterscheinung entgegenhält. Zudem müsste sich Bensing die Frage gefallen lassen, ob nach seinem theoretischen Ansatz nicht auch ein subjektiv kommunistisches Programm Teil einer objektiv bürgerlichen Revolution sein könnte. Die Publikationen von Bensing und Zschäbitz weisen andere und neue A k zente auf. Sie gehen vom Konzept der Frühbürgerlichen Revolution aus, das in den vergangenen Jahren zum Grundkonsens geworden war. D e r B e g r i f f Frühbürgerliche Revolution stand für eine Analyse im Sinne des Historischen Materialismus und verwies auf die nationale revolutionäre Tradition. Die D D R - G e schichtsschreibung zu Reformation und Bauernkrieg fand damit unter einem griffigen Etikett statt und war an einem zentralen Leitinstitut unter der Führung von Max Steinmetz organisiert. In diesem institutionellen R a h m e n entwickelten Leute wie Bensing und Zschäbitz das Konzept weiter. Nicht totalitärer Zwang, sondern ihr Selbstverständnis als marxistisch-leninistische Historiker war hierfür ausschlaggebend. Die Parteilichkeit für die Revolution und die methodische Fixierung auf den Historischen Materialismus standen für die marxistisch-leninistischen D D R - H i s t o r i e nicht im Widerspruch zur Wissenschaftlichkeit, sondern galten vielmehr als deren Voraussetzung. 175

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Bensing:Thüringer Aufstand, S. 138. Vgl. Goertz: Das Bild Thomas Müntzers, S. 37. Vgl. Kapitel 7 und Sabrow: Das Diktat, S. 36/37.

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6.3.3 ,Weltwirkung der Reformation' - das Reformationsjubiläum von 1967 Die Arbeit am Manuskript des Lehrbuches war kaum abgeschlossen, als das Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen mit einem neuen Auftrag an Max Steinmetz herantrat. „Wie Ihnen bekannt ist, jährt sich 1967 zum 450. Mal der Tag des Beginns der Reformation, womit der Auftakt flir die Klassenkämpfe der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland gegeben wurde. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik wird prüfen, auf welche Weise dieses Ereignis in der D D R gewürdigt werden soll", wurde Steinmetz aus dem Staatssekretariat berichtet. „Um diese Entscheidung vorzubereiten, bitte ich Sie, ein entsprechendes Material mit einem kleinen Kreis von Fachleuten zu erarbeiten und mir zuzuleiten. Das Material sollte Antwort auf unser Verhältnis zu dem Ereignis geben, Vorschläge für notwendige zentrale Maßnahmen und von den Universitäten getragene Vorbereitungen enthalten und auf den Weg ihrer Realisierung hinweisen." 176 Der „kleine Kreis von Fachleuten" war in Form des Leitinstituts natürlich längst an der Karl-Marx-Universität Leipzig versammelt. Ein Konzept für eine staatliche Reformationsfeier zu erarbeiten, stellte für Steinmetz aber eine neue Herausforderung dar. Dem Staatssekretariat war offensichtlich entgangen, dass auch die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg bereits erste Schritte unternommen hatte, um dem 450. Jahrestag der Reformation in „geeigneterWeise" zu gedenken. 177 Ohne einen staatlichen Auftrag erhalten zu haben, hatte sich dort eine .Arbeitsgruppe 450 Jahre Reformation' gebildet, die - „unter theologischer Beteiligung" - eine Festschrift ausarbeiten wollte. 178 Als Leiter der Gruppe fungierte der frühere Rektor der Universität Halle und jetzige Vizepräsident der DAW, Leo Stern. 179 Damit war für das Staatssekretariat eine unangenehme Situation entstanden: Die Autorität Sterns verunmöglichte es, die Hallenser Bestrebungen zu unterbinden, und Steinmetz lehnte es ab, dieser Arbeitsgruppe beizutreten. Zwischen Steinmetz und Stern war damit eine Rivalität entstanden, die in den nächsten drei Jahren immer wieder aufbrechen sollte und die Vorbereitungen des

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Brief vom 1. Stellvertreter des Staatssekretärs für das Hoch- und Fachschulwesen an Steinmetz, 11. März 1964. UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/101a. Brendler schreibt, die Vorbereitungen für das Reformationsjubiläum an Steinmetz' Institut in Leipzig hätten im Herbst 1966 begonnen. Ein Mitarbeiter des Staatssekretariates für Kirchenfragen sei mit der dringenden Bitte aufgetaucht, „bis zum Morgen des nächsten Tages, ein Papier zu erstellen, aus dem zu ersehen sei, wie sich die Historiker die 450-Jahrfeier der Reformation vorstellten, was wir zu Luther und zur Reformation zu sagen hätten und welchen Beitrag die Historiker von sich aus dafür leisten könnten." Brendler: Luther, S. 41. Diese Schilderung ist unglaubwürdig. Diverse Dokumente bestätigen, dass das Historische Institut der Karl-Marx-Universität seit 1964 mit Vorbereitungen zum Jahrestag beschäftigt gewesen ist. Brief Mäde an Steinmetz, 15. Mai 1964. UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/101a. SED-Kreisleitung Wittenberg an Hager, 14. Januar 1965. SAPMO BArch, FBS 207/15762. Vgl. Brief Mäde an Steinmetz, 15. Mai 1964. UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/101a.

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Die Frühbürgerliche Revolution als nationale Bewegung Jubiläums teilweise stark beeinträchtigte. 180 Dennoch wurde man sich zwischen Halle und Leipzig einig, dass Doppelspurigkeiten vermieden werden sollten, und verständigte sich auf eine konstruktive Zusammenarbeit. Bereits im Juli 1964 lagen die gemeinsam ausgearbeiteten .Empfehlungen zum 450. Jahrestag des Thesenanschlages 1967' vor. 181 Die Feiern sollten „keineswegs allein dem Thesenanschlag oder den theologischen Aspekten der frühen Reformation, isoliert von der gesellschaftlichen Entwicklung", gelten. Im Zentrum müsse der Beginn der Frühbürgerlichen Revolution stehen. Folglich könnten die Feierlichkeiten „unmöglich vor allem Sache kirchlicher Kreise sein". Die nationalen als auch die sozialen Aspekte der Reformation seien „zwei Seiten der gleichen Hauptaufgabe" gewesen und müssten daher gleichgewichtig beachtet werden. Die Beseitigung der Feudalverfassung hätte den Kapitalismus im nationalen Maßstab ermöglicht und mit der Konstituierung des Nationalstaates wäre die Voraussetzung zur Beschleunigung dieses Prozesses geschaffen worden. Luthers Verdienst sei es gewesen, die erste Etappe der Revolution eingeleitet zu haben. Diese sei „Bestandteil einer fortschrittlichen Bewegung" gewesen und gehöre daher „dem fortschrittlichen historischen E r b e " an. Im „europäischen Maßstab" sei sie von Calvin weitergeführt worden, „so daß der Calvinismus zeitweilig zur Kampfideologie einer reifen Bourgeoisie werden konnte". Die D D R als „Erbin der fortschrittlichen Traditionen" müsse die Verpflichtung einer geeigneten Würdigung übernehmen, am Besten unter dem Motto , Weltwirkung der Reformation'. 1 8 2 U m den Jahrestag in geeigneterWeise vorbereiten zu können, solle „ein zentrales Komitee bei der Regierung der D D R ins Leben gerufen werden, dessen Leitung in den Händen der Professoren Dr. Dr. h.c. Stern und Dr. Steinmetz liegen könnte". Dem Komitee sollten sowohl Vertreter der betroffenen Ministerien als auch Historiker und Theologen angehören. Das politisch-ideologische Ziel könne nicht „darin bestehen, eine kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Protestantismus zu führen. Aus diesem Grunde sollte der späte Luther und auch der Luther des Bauernkrieges in den Hintergrund treten. Die Spitze der politischen Auseinandersetzung kann sich nur gegen die zeitgenössische [westdeutsche, Im] Verfälschung der deutschen Geschichte des beginnenden 16. Jahrhunderts richten." 1 8 3 180

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Vgl. S Α Ρ Μ Ο BArch, FBS 2 0 7 / 1 5 7 6 2 . Ein wichtiger Ausgleich kam im Januar 1965 zustande, als Steinmetz in den Beirat der von der Uni Halle geplanten Festschrift aufgenommen wurde. Siehe Brief Brandt an Hager, 14. Januar 1965, ebd. Vgl. Empfehlungen zum 4 5 0 . Jahrestag des Thesenanschlages 1 9 6 7 , vervielfältigtes Manuskript, 8. Juli 1964. U A Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 1 0 1 a . Laut Brendler war das Motto .Weltwirkung der Reformation' erst 1967, nach einer Intervention Erich Honeckers, festgelegt worden.Vgl. Brendler: Luther, S. 4 1 - 4 4 . Diese Schilderung wirkt jedoch unglaubwürdig. Die zitierten Empfehlungen sind zwar nicht datiert, aufgrund der noch wenig konkreten Vorschläge für das Jubiläum kann aber davon ausgegangen werden, dass sie spätestens aus dem Jahr 1966 stammen. Das Motto .Weltwirkung der Reformation' ist ein Zitat Gerhard Ritters. Vorgeschlagen wurden diverse propagandistische Veranstaltungen „zur Sensibilisierung" der Bevölkerung (Umzüge, Ausstellungen, Theater, Ansprachen etc.), die Veröffentlichung von

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Damit lag der Ball wieder beim Staatssekretariat fur das Hoch- und Fachschulwesen. Im September 1964 kam es hier zu einer ersten „Aussprache" zwischen den politischen Entscheidungsträgern sowie Stern und Steinmetz. N u n wurde die Grundkonzeption für das Reformationsjubiläum festgelegt: Luthers Thesenanschlag sei mit einem staatlichen und einem akademischen Festakt zu begehen und eine Festschrift zu publizieren. 184 Eine Gruppe von sieben Universitätsdozenten erarbeitete unter der Leitung von Max Steinmetz eine politischideologische Konzeption zuhanden der Ideologischen Kommission des Politbüros. 185 Die organisatorische Vorbereitung des Jubiläums wurde dagegen internen Kräften des Ministeriums übertragen, 186 deren Plan im März 1966 vom Politbüro genehmigt wurde. Das Reformationsjubiläum war also von Anfang an ein Projekt, in dem sich Geschichtswissenschaft, Ideologie und Politik unentwirrbar verschränkten.Vorab soll daher die politische Konzeption des Reformationsjubiläums analysiert und dann auf die historische Arbeit innerhalb dieses Rahmens eingegangen werden. Mit dem Konzept vom März 1966 waren dem Reformationsjubiläum zwei weitere Jahrestage zur Seite gestellt worden: 900 Jahre Wartburg und 150 Jahre Wartburgfest der Burschenschaften. Eine zentrale Kommission sollte die drei Jubiläen koordinieren, wobei dem Reformationsjubiläum das größte Gewicht zugesprochen wurde. Die Konstituierung des .Komitees der Deutschen Demokratischen Republik fur die zentralen Veranstaltungen anlässlich des 450. Jahrestages der Reformation' am 8. Juni 1966 betonte die Jubiläums-Hierarchie zusätzlich. Die Wartburg, Zufluchtsort Martin Luthers nach der Verkündigung des Wormser Ediktes, war für marxistische Historiker bis anhin auch Symbol für den Beginn der Fürstenreformation. Dennoch war sie nun zum Zentrum des Gedenkjahres 1967 erklärt und damit in die nationale Tradition der D D R integriert worden. Ulbrichts nationalem Kurs entsprechend war die SED darum bemüht, dem (ost) deutschen Staat historische Tiefe zu verleihen und sich als Verwalterin des revolutionären Erbes der deutschen Nationalgeschichte zu präsentieren. Uber die Wartburg konnten die Jubiläumsveranstaltungen mit dem Gedenken an die nationale Bewegung des 19. Jahrhunderts verbunden werden: Denn, so Max wissenschaftlichen Monographien und einer populärwissenschaftlichen Festschrift, eine wissenschaftliche Tagung und eine repräsentative Staatsfeier.Vgl. Empfehlungen zum 450. Jahrestag des Thesenanschlages 1967, vervielfältigtes Manuskript, 8. Juli 1964. UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/101a. 184 Vgl. SAPMO BArch, FBS 207/15762. 185 p r o f Steinmetz (Historisches Institut, Uni Leipzig); Dr. Dreßler (Institut flir Marxismus-Leninismus, Humboldt-Universität Berlin); Prof. Klohr (Institut f. Philosophie, Uni Jena); Prof. Spiewok (Institut f. dt. Philologie, Uni Greifswald);Voigt (Institut f. dt. Geschichte, Uni Halle); Dr. Ulimann (Kunsthistorisches Institut, Uni Leipzig); Dr. Zschäbitz (Institut f. dt. Geschichte, Uni Leipzig).Vgl. SAPMO BArch, FBS 207/15762. 186 Die Vorlage für das Politbüro wurde von vier Personen ausgearbeitet: Dr. Vogler und Dr. Schneider (Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen), Gen. Rudolph (Ministerium flir Kultur) und Dr. Dohle (Staatssekretariat für Kirchenfragen). SAPMO BArch, FBS 207/15762.

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Die Frühbürgerliche Revolution als nationale Bewegung Steinmetz, „das Wartburgfest des Jahres 1817 wurde aus einem Reformationsgedächtnis zum ersten Höhepunkt der bürgerlichen Oppositionsbewegung flir Einheit und Freiheit in Deutschland". 1 8 7 Das Politbüro wies sogar auf die Chance hin, über die Wartburg auf die „humanistische Tradition" in der deutschen Geschichte zu verweisen. Die Beziehungen von Persönlichkeiten wie Goethe, Bach (in Eisenach geboren) oder Wagner [!] (Tannhäuser) zu diesem Ort sollten thematisiert werden. 188 Viel klarer hätte die nationale Zielsetzung der Feierlichkeiten nicht zum Ausdruck gebracht werden können. Das nationale Pathos dominierte das revolutionäre. Die Reformationsfeierlichkeiten wurden damit zu einer Propagandaoffensive, die auch der westdeutschen Bevölkerung galt. Ihr solle durch die „Herausarbeitung der nationalen Frage als zentraler Problemstellung der Reformation in ihrer engen Verknüpfung mit der sozialen Frage, [...] die nationale Politik von Partei und Regierung der D D R " näher gebracht werden. 189 Max Steinmetz definierte diese Bemühungen als Abwehr der „reaktionären westdeutschen Ideologen und Meinungsmacher". Die B R D , so schrieb er Moisej Smirin nach Moskau, sei nämlich darum bemüht, „ihre antikommunistischen und antidemokratischen Ideen vom .gemeinsamen Europa', von der Verteidigung des Abendlandes' und die Begründung ihres klerikal-militaristischen Systems in B o n n als gottgewollte Ordnung durch einen historischen Rückgriff auf das Reformationszeitalter zu fundieren." Gerade im Hinblick auf den 50. Jahrestag der Oktoberrevolution bestehe die Möglichkeit, dass westdeutsche Kirchenkreise „1517 gegen 1917 ausspielen" würden. 1 9 0 Die Jubiläen erfüllten daher die wichtige Aufgabe, die von Christen und Nichtchristen der D D R gemeinsam wahrgenommene Verantwortung bei der Lösung der nationalen Frage zu demonstrieren und den Alleinvertretungsanspruch der Kiesinger-Regierung zurückzuweisen. 191 Die SED-Deutschlandpolitik hatte den Reformationsfeierlichkeiten ihren Stempel aufgedrückt. Die Zusammenarbeit von Christen und Nichtchristen sollte zum Symbol des demokratischen und friedliebenden Wesens des ostdeutschen Staates werden. 192 Die Reformation gehörte nun zur nationalen Tradition 187 188

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Steinmetz: Die historische Bedeutung, S. 663. S Α Ρ Μ Ο BArch, D Y 6, vorl. 0388, l+2.Vgl. auch .Thesen zum Referat der Tagung des Nationalrates der Nationalen Front des demokratischen Deutschland vom 2 7 . 3 . 1 9 6 7 auf der Wartburg'. S A P M O BArch, FBS 207, 15762. Politisch ideologische Konzeption zur Vorbereitung und Durchführung des 4 5 0 . Jahrestages der Reformation. S A P M O BArch, D R 3, 3 2 9 4 . Brief Steinmetz an Smirin, 1. März 1966. UA Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 4 2 4 . Als Beweis fur die Einheit von Christen und Nichtchristen in der D D R wurde immer wieder auf das Gespräch zwischen Walter Ulbricht und dem evangelischen Landesbischof von Thüringen, Moritz Mitzenheim, hingewiesen. Das Treffen fand 1964 statt — auf der Wartburg. Die Einheit von Christen und Nichtchristen wurde in der Praxis des Reformationsjubiläums nur bedingt gelebt. Neben dem staatlichen Komitee existierte auch noch ein solches der Kirchen, das separate, stärker kirchlich-theologischen Inhalten verpflichtete Veranstaltungen organisierte.

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der D D R und wurde nicht mehr länger der - mehrheitlich von Katholiken bewohnten — B R D überlassen. 193 Seit dem Mauerbau hatte die SED der Konsolidierung des eigenen Machtbereichs oberste Priorität eingeräumt. Auch wenn offiziell immer noch an der Herstellung der deutschen Einheit festgehalten wurde, so war die D D R - F ü h r u n g in den 1960er Jahren eigentlich viel stärker darauf bedacht, internationale Anerkennung ihrer Eigenstaatlichkeit zu erhalten. 194 Diese Politik betraf zwangsläufig auch das Verhältnis zur Schutzmacht Sowjetunion. Die Abhängigkeit vom übermächtigen Bruder war in den 1960er Jahren keineswegs geschwunden, das Selbstbewusstsein der D D R als eigenständiger Staat aber dennoch gestiegen: Wenige Tage vor dem 50. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution verwies die ostdeutsche Staatsführung mit einem offiziellen Festakt auf eine 900-jährige Tradition. 1 9 5 Die D D R sprach von der Weltwirkung einer von ihrem B o d e n ausgegangenen Bewegung und ließ dadurch einen langen Schatten auf ihre sozialistischen Bruderländer fallen. Walter Ulbricht bezeichnete es als eine Notwendigkeit, „ R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg als größte revolutionäre Massenbewegung vor der Novemberrevolution" zu würdigen. 1 9 6 Das Reformationsjubiläum spiegelte damit auch die Selbständigkeitsbestrebungen gegenüber der Sowjetunion, die die letzten Jahre vor der Ablösung Ulbrichts ausgezeichnet hatten. 1967 hatte Ulbricht betont, dass der Sozialismus nicht eine kurze Ubergangsphase zum Kommunismus, sondern eine relativ selbständige sozialökonomische Formation sei. 197 Damit verneinte er implizit den Vorsprung der Sowjetunion auf dem Weg zum Kommunismus und stellte den Führungsanspruch der KPdSU gegenüber der SED in Frage. 198 Die D D R 193

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Die alte Bundesrepublik kann als das erste und bisher einzige deutsche Staatsgebilde bezeichnet werden, in dem der Anteil der katholischen Bevölkerung über demjenigen der protestantischen lag. Dies gab denVersuchen der D D R von 1967, die Reformation fur sich zu vereinnahmen, ein empirisches Fundament. Vgl. Kleßman: Zwei Staaten, S. 444-447. Die ideologische Funktion des Jubiläums wird auch aus einer Vorlage zu einer Sekretariatssitzung des Nationalrates deutlich: „Daraus ergibt sich für unsere ideologische Arbeit inhaltlich die Aufgabe, nachzuweisen, daß die D D R legitimiert ist, das Reformationsjubiläum als staatliche Feier zu begehen und daß die westdeutsche Bundesregierung keine historisch-moralische Rechtfertigung besitzt, die Reformation als Traditionselement ihrer antinationalen Politik zu mißbrauchen. Es muß deutlich werden, daß uns auch auf diesem Gebiet der Traditionspflege nichts mit dem westdeutschen Imperialismus vereint, daß auch hier unsere ganze Kraft der Stärkung der D D R und ihrer brüderlichen Verbundenheit mit den Völkern des Warschauer Vertrages, insbesondere mit der Sovietunion gilt." S Α Ρ Μ Ο BArch, DY 6, vorl. 0396/2. Die Wartburg erlangte schon im 12. Jahrhundert Bedeutung als Sitz der Thüringer Landgrafen. Aber erst durch den Wartburgaufenthalt Luthers wurde sie zu einer der berühmtesten Burgen des Reiches. Dass die D D R den Bau des landgräflichen Herrschaftssitzes feierte, mutet daher eher paradox an. SAPMO BArch, D R 3, 3294. Vgl. Florath:Von der historischen Mission, S. 220. Gemeinhin wird das selbstbewusste Auftreten der D D R - F ü h r u n g gegenüber der Sowjetunion in den späten 1960er Jahren mit der relativen wirtschaftlichen Stärke der D D R begründet.Vgl. etwa Kleßmann: Zwei Staaten, S. 341-347.

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versuchte, die Integration in den Warschauer Pakt soweit als möglich als selbständiger Staat zu vollziehen. 199 Eine weit zurückreichende revolutionäre Tradition konnte hierbei nur von Vorteil sein. Neben den beiden außenpolitischen Zielsetzungen ( B R D und UdSSR) verfolgte die Propaganda auch eine innenpolitische. Auf dem 11. Plenum der SED (1965) war ein Wandel in der Kultur- und Bildungspolitik markiert worden. Darauf begannen die Angriffe gegen Kulturschaffende wie den Liedermacher Wolf Biermann oder den Schriftsteller Stefan Heym, und das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem erklärte die Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit" zum obersten Bildungsziel. Dieser Geist prägte auch den aktuellen Fünfjahresplan für die Geschichtswissenschaft. Laut dessen Präambel sollten die Gesellschaftswissenschaften zum Instrument für den „umfassenden Aufbau der sozialistischen Gesellschaft" und den „politisch-ideologischen K a m p f werden. 2 0 0 Dementsprechend legte das Politbüro 1966 die ideologischen Ziele des Reformationsjubiläums fest: „Die Bürger sollen erkennen, daß die D D R die Heimstatt und Wahrerin aller revolutionären, progressiven und h u manistischen Traditionen des deutschen Volkes ist, in der das fortschrittliche Erbe der Vergangenheit in guten Händen liegt." 201 Wenn diese Botschaft übermittelt werden könne - dies hatte bereits die Konzeption des Jubiläums festgehalten festige dies die „moralisch-politische Einheit des Volkes" und stärke die „Zusammenarbeit mit den christlichen Bevölkerungskreisen beim Aufbau des Sozialismus". 2 0 2 Die ideologische Konzeption des Reformationsjubiläums wurde von der politischen Systemkonkurrenz geprägt. Parallel dazu sahen sich auch die Historiker dazu verpflichtet, die Überlegenheit der ostdeutschen Geschichtswissenschaft deutlich zu machen. 2 0 3 Mit dem Thesenanschlag und der Lutherreformation 199 200

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Vgl. Florath:Von der historischen Mission, S. 205 sowie 220-223. Forschungsplan der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik 1966-1970. ABBAW, ZIG VA 14114. SAPMO BArch, DY 6, vorl. 0396/2. Entwurf fur eine politisch-ideologische Konzeption zur Vorbereitung und Durchführung des 450. Jahrestages der Reformation. SAPMO BArch, FBS 207/15762. Die kirchlichen Amtsträger standen dem Konzept Friihbürgerliche Revolution und damit auch den staatlichen Jubiläumsveranstaltungen mehrheitlich skeptisch gegenüber. Vgl. Roy: Luther in der D D R , S. 163-167. Explizit wurde das vor allem bei den Vorbereitungen für eine Luther-Biographie. Das Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen sah in diesem publizistischen Vorhaben ein geeignetes Mittel, um parallelen Bemühungen in der Bundesrepublik entgegenzutreten. Vgl. SAPMO BArch, FBS 207/15762. Als Doyen der Frühbürgerlichen Revolution war auch Max Steinmetz sehr darum besorgt, die Überlegenheit der ostdeutschen Geschichtswissenschaft zu demonstrieren. So löste bei ihm die Ankündigung des (westdeutschen) Historikerverbandes große Nervosität aus, auf der Internationalen Historiker-Konferenz von 1965 werde das Thema ,Die radikalen deutschen Protestanten der Reformationszeit und die Independenten' behandelt. Steinmetz konnte sich unter diesem Thema offenbar wenig vorstellen und bat daher seine Kollegen Vogler, Müller-Streisand, Selbmann und Mühlpfordt, sich Gedanken zu einer marxistischen Konzeption dieses Gegenstands zu machen.Vgl. UA Leipzig, NL Steinmetz,

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rückte nun aber ein Gegenstand ins Zentrum, der bis dahin stiefmütterlich behandelt worden war. Max Steinmetz hatte zwar seinerzeit beim Reformationsspezialisten Gerhard R i t t e r promoviert und sich bei der Vorbereitung des J u biläums auf dessen Schlagwort ,Weltwirkung der R e f o r m a t i o n ' besonnen. Selbständige Forschung zur Lutherreformation hatte er jedoch nie betrieben. Als Leiter der Arbeitsgemeinschaft Frühbürgerliche Revolution war es fur ihn aber undenkbar, die wissenschaftliche Vorbereitung des Reformationsjahres 1967 aus den Händen zu geben. 2 0 4 Vielmehr setzte er sich wiederholt dafür ein, dass seiner Arbeitsgemeinschaft die Führungsrolle zukomme. 2 0 5 Dies bedingte eine A n passung der bisherigen Interpretation der Frühbürgerlichen Revolution; der R e formation musste eine größere Bedeutung eingeräumt werden und damit musste sich auch das Verhältnis von Luther und Müntzer verschieben. So räumten die Forschungspläne einer Biographie über den Wittenberger R e f o r m a t o r n u n höhere Priorität ein als einer solchen Veröffentlichung über Müntzer. Einem geschichtswissenschaftlichen Konsens entsprach dieser Wandel jedoch kaum. 2 0 6 Die Empfehlungen von 1966 hatten eine verbindliche ideologische G r u n d lage vorgelegt, eine historische Interpretation der Reformation war damit aber nicht gegeben. 2 0 7 Diese zu erarbeiten war die Aufgabe der Historiker. N i c h t Einzelarbeit stand dabei im Vordergrund, sondern die auf Konsens zielende Auseinandersetzung im jeweiligen Arbeitszusammenhang. Auch Max Steinmetz stellte seine Vorarbeiten für das Jubiläum in einem breiteren Kreis zur Diskussion. Er beschränkte sich hierbei nicht nur auf seine Arbeitsgemeinschaft, sondern reiste im Oktober 1966 an die zehnte Arbeitstagung der Kommission der

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3/052 und 4/099. Schließlich übernahm der bei der SED längst in Ungnade gefallene Günter Mühlpfordt diese Aufgabe. Daraus resultierte u. a. ein Beitrag von Mühlpfordt fur die Festschrift des Reformationsjubiläums. Bei den Herausgebern Stern und Steinmetz stieß dieser zwar auf Zustimmung, vom Kulturministerium wurde er aber scharf kritisiert und musste geändert werden. Vgl. Briefwechsel Steinmetz-Mühlpfordt aus dem Jahr 1966. UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/376. Sein schärfster Konkurrent dabei war Leo Stern. Der hatte sich bereits in den frühen 1950er Jahren mit Luthers Theologie beschäftigt und war als Vizepräsident der AdW in einflussreicher Position. Zu den Auseinandersetzungen zwischen Stern und Steinmetz vergleiche auch Roy: Luther in der D D R , S. 164/165. Vgl. SAPMO BArch, FBS 207/15782. Der Deutsche Verlag der Wissenschaften hatte ursprünglich geplant, im Jahr 1967 gleichzeitig eine Müntzer- und eine Luther-Biographie zu publizieren. Er war deswegen mit den beiden Autoren Manfred Bensing (Müntzer) und Gerhard Zschäbitz (Luther) in Kontakt getreten. Die Publikation der Müntzer-Biographie wurde dann aber verschoben, von der Luther-Biographie konnte 1967 wegen Zeitmangel nur der erste Teil erscheinen. Vgl. Stellungnahme des Dietz-Verlages zum Manuskript von Gerhard Zschäbitz, 27. Februar 1967. BArch, D R 1, 3680, Blatt 860 und Forschungsplan der Geschichtswissenschaft 1967-70. BArch, D R 3,3161. Das Institut für Geschichte der DAW bezeichnete es nun als „unvertretbar, daß erst acht Jahre nach der Luther-Biographie die Biographie Müntzers erscheinen soll". Vgl. Brief DAW an Steinmetz, 14. Juli 1966. UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/021. Vgl. Bericht über den Stand der Vorbereitungen des 450. Jahrestages der Reformation vom 15. Februar 1966, unterzeichnet von Dr. Schneider und Dr.Vogler. BArch, D R 3, 3294.

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Die Frühbürgerliche Revolution als nationale Bewegung Historiker der U d S S R und der D D R in Moskau. 2 0 8 Dort präsentierte er sein Jubiläumskonzept ,Weltwirkung der Reformation'. Das vorgetragene Manuskript zeigt eindrücklich, wie stark sich Steinmetz bei der Vorbereitung auf die Arbeit Gerhard Ritters gestützt hatte — wie sein Doktorvater Ende der 1930er Jahre sprach er von der universalgeschichtlichen Bedeutung der Reformationszeit und stellte die Frage nach dem Beginn der deutschen Neuzeit. Allgemein weist Steinmetz'Vortrag auf eine höhere Bewertung der historischen Leistung Luthers hin. Im Unterschied zur bürgerlichen Reformationsgeschichte betonte Steinmetz aber vor allem die zentrale Bedeutung Luthers für den Bauernkrieg. Er habe aus „den zerstreuten und zersplitterten Kämpfen der Vorbereitungsphase eine Bewegung nationalen Ausmaßes" gemacht - „ohne diese lutherische B e wegung keine Müntzerpartei und keine Volksreformation." 209 In der anschließenden Diskussion wurde Steinmetz' Position mehrheitlich gutgeheißen. 210 Die „offiziellen Stellungnahmen" hatten laut dem Bericht Manfred Bensings ergeben, dass „letztlich entscheidend" sei, „was Luthers Bewegung objektiv hervorbrachte, nämlich den breiten Kampf gegen das geheiligte Zentrum des Feudalsystems, ohne dessen Liquidierung die Uberwindung des weltlichen Feudalismus undenkbar" gewesen wäre. „Insofern ist Müntzer undenkbar ohne Luther. [...] Insofern nahm die frühbürgerliche Revolution als die erste Massenbewegung des deutschen Volkes bei Luther ihren Ausgang." 211 Das in Moskau bestätigte Reformationsbild prägte schließlich auch die 1967 erschienene offizielle Festschrift. 212 Die Herausgeber Steinmetz und Stern bezeichneten dort Luthers Thesen als Auslöser der Frühbürgerlichen Revolution. Sie seien nicht eine Kritik an der Theologie, sondern an der Praxis der Kirche gewesen. 213 Wegen der Verbindung von Kirche und Herrschaft, so ist in einem 208

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Neben Steinmetz reiste noch Manfred Bensing nach Moskau. Anfanglich war vorgesehen gewesen, dass auch Gerhard Brendler mitfliegt. Er musste aufgrund beschränkter Reisekapazitäten aber in Ostdeutschland bleiben. Vgl. Reisebericht Historikerkommission in Moskau, 1966. U A Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 2 3 6 , Blatt 3. Zu den Vorbereitungen der Tagung siehe UA Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 0 1 6 , Blatt 1 - 1 6 . Max Steinmetz: Die historische Bedeutung der Reformation und die Frage nach dem Beginn der Neuzeit in der deutschen Geschichte, Manuskript 1 9 6 6 . U A Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 2 3 6 , Blatt 1 4 - 3 3 . Scharfen Widerspruch hatte einzig Epstein geäußert: Luther komme lediglich kulturgeschichtliche, nicht aber politische Bedeutung zu. Die lutherische Reformation habe deshalb mit der Revolution des Volkes nichts zu tun. Vgl. Bemerkungen zum Bericht über Moskauer Tagung der Historiker der U d S S R u. D D R , III. Sektion. UA Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 2 3 6 , Blatt 6. Bemerkungen zum Bericht über Moskauer Tagung der Historiker der U d S S R u. D D R , III. Sektion. U A Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 2 3 6 , Blatt 7. Die Beiträge der Festschrift standen unter der Kontrolle des Staatssekretariats fur das H o c h und Fachschulwesen. Kritisch ging das Staatssekretariat vor allem mit den Beiträgen von Mühlpfordt über die radikale Reformation um. Vgl. Brief vom Staatssekretariat an das Z K der SED, 10. Dezember 1966. S A P M O BArch, FBS 2 0 7 / 1 5 7 6 2 und U A Leipzig, N L Steinmetz, 3 / 0 5 2 und 4 / 0 9 9 . Vgl. Steinmetz/Stern: 4 5 0 Jahre Reformation.

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anderen Beitrag zu lesen, habe eine gesellschaftliche Umwälzung eine kirchliche Erneuerung erfordert, die nur theologisch zu begründen gewesen sei. 2 1 4 Insgesamt war der Fokus der Festschrift eher auf das 20. denn auf das 16. Jahrhundert gerichtet: Die D D R sei der erste deutsche Staat, bei dem die Trennung von Kirche und Staat Wirklichkeit geworden sei. Erstmals in der deutschen Geschichte habe sich die protestantische Kirche von der herrschenden Klasse lösen und damit eine zentrale Forderung der frühen Reformation erfüllen können. 2 1 5 Wegen der Niederlage der Frühbürgerlichen Revolution und dem damit verbundenen Ubergang der Volksreformation in die Fürstenreformation sei dieses Ansinnen im frühen 16. Jahrhundert noch gescheitert. Somit, so der Festschrift-Beitrag von Steinmetz, seien die konfessionelle Spaltung und die im preußischen Protestantismus gipfelnden negativen Folgen der Reformation nicht den progressiven Kräften der Reformation anzulasten. 216 Die Geschichtsschreibung zu Reformation und Bauernkrieg war in der D D R von Anfang politisch ausgerichtet. Die Art der Politisierung war mit dem Reformationsjubiläum aber eine andere geworden. Hatte diese früher vor allem in der deduktiven Anwendung des Historischen Materialismus und der Parteilichkeit für die Revolution Ausdruck gefunden, so orientierte sich die Darstellung jetzt viel stärker an der tagespolitischen Situation; die Frühbürgerliche Revolution wurde explizit in Verbindung zur sozialistischen Gegenwart gestellt. Differenzierter argumentierte Max Steinmetz in Beiträgen, die nicht in offiziellen Jubiläumspublikationen erschienen und damit in einem weniger politischen Kontext standen. In zwei ZfG-Aufsätzen zeichnete er im Jubiläumsjahr ein eher gespaltenes Lutherbild. Trotz Luthers Versagen auf dem Höhepunkt der Frühbürgerlichen Revolution sei sein Werk eine notwendige Voraussetzung dafür gewesen, dass es überhaupt zu diesem Höhepunkt gekommen sei. 217 Steinmetz stellte die beiden Reformatoren Luther und Müntzer nun nahe zueinander. Damit ist eine leichte Verschiebung gegenüber der in den Thesen von Wernigerode ausgedrückten Position festzustellen. Umso stärker betonte Steinmetz, „daß Reformation und Bauernkrieg als untrennbare Einheit, als einheitlicher und gesetzmäßiger historischer Ablauf gesehen werden müssen. Die Reformation war schon Teil einer Revolution und war bereits vor Müntzer und vor dem Bauernkrieg eine Sache der Volksmassen, die sich gegen den Willen der Obrigkeit durchgesetzt und zum Erfolg gefuhrt haben." 2 1 8 Dennoch blieb die Reformation für Steinmetz auch im Jubiläumstrubel von 1967 ein Ereignis von begrenzter Größe. Dies zeigte sich sogar auf der wissenschaftlichen Hauptveranstaltung der 450-Jahr-Feier, dem internationalen Symposium, das im Oktober 1967 in Wittenberg unter Steinmetz' Leitung stattfand.

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Vgl. Gotting: 450 Jahre Reformation, S. 14. Vgl. Gotting: 450 Jahre Reformation, S. 16. Vgl. Steinmetz: Die nationale Bedeutung, S. 50. Vgl. Steinmetz: Die historische Bedeutung, S. 665. Steinmetz: Die Entstehung, S. 1191.

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Die Frühbürgerliche

Revolution

als nationale

Bewegung

Sein einleitendes Referat wirkt reichlich verkrampft und er fand zu keiner klaren Position gegenüber der Lutherreformation. Er bezeichnete die Wittenberger Thesen als Auslöser der Reformation, um gleich zu relativieren, dass sie eigentlich das „Resultat einer Volksbewegung" gewesen seien. Luther erscheint nur bedingt als historisch relevante Figur, sondern vielmehr als zeitweiliger „Repräsentant" der gesellschaftlichen Bewegung. „Die Volksbewegungen waren es, die Luther entscheidend bestimmten und von Schritt zu Schritt vorantrugen; die Volksmassen ergriffen die reformatorischen Ideen, verliehen ihnen soziale Relevanz". 219 Die größte Differenz zur offiziellen Reformationsinterpretation trat aber in zwei Radio-Beiträgen von Steinmetz zu Tage: Er warnte davor, dass die mit der Aufwertung Luthers implizit verbundene Abwertung Thomas Müntzers zu „einer Abwertung, wenn nicht gar Diffamierung revolutionärer Kräfte" insgesamt führe. 2 2 0 Weiter kam er zu dem überraschenden Schluss, dass Luther „zahlreiche Vorgänger und Vorläufer" gehabt habe und deshalb „keineswegs der Initiator des Kampfes gegen die katholische Kirche und ihre alles beherrschende Ideologie" gewesen sei.221 Für Steinmetz war die 450-Jahr-Feier der Reformation ein Jubiläum zur falschen Zeit. Das Deutungsmodell Frühbürgerliche Revolution, das sich Anfang der 1960er Jahre unter seiner Federführung erst richtig formiert hatte, war bereits wieder größerem Anpassungsdruck ausgesetzt worden. Die (frühe) Reformation und der Bauernkrieg erschienen jetzt als die beiden gleichwertigen Hauptetappen der Frühbürgerlichen Revolution und Luther und Müntzer als deren jeweilige Vertreter. Diese Interpretationsverschiebung hatte das Reformationsjubiläum verlangt. Nur einem Historiker war es aber wirklich gelungen, im Zuge des Reformationsjubiläums einen neuen Zugang zu Luther zu entwickeln: Steinmetz' Leipziger Kollegen Gerhard Zschäbitz. Er veröffentlichte die wichtigste monographische Lutherpublikation des Jubiläumsjahres, den ersten Teil der von langer Hand geplanten Luther-Biographie (1483-1526). 222 Sie trug den programmatischen Untertitel ,Größe und Grenze'. Die nationale Einheit als Zielsetzung der Frühbürgerlichen Revolution wurde kaum mehr erwähnt und Luther erschien nicht mehr als eine sich im Jahr 1521 abrupt wandelnde Person. Seine Begrenztheit wurde nicht auf charakterliche Schwäche zurückgeführt, sondern als zeitlich bedingte, und daher verzeihbare Beschränktheit dargestellt. „Historische Verdienste werden nicht danach beurteilt, was historische Persönlichkeiten, gemessen an 219

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Max Steinmetz: Weltwirkung der Reformation, Manuskript. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/090, Blatt 4-74, hier 6. Radiovortrag .Lebendige Geschichte', 22. Oktober 1967, Manuskript. UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/78. Radiovortrag ,Die Reformation in unserer Nationalgeschichte', ausgestrahlt am 22. November 1967, Manuskript. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/092. Nach ursprünglicher Planung hätte die gesamte Biographie 1967 erscheinen sollen. Der zweite Teil kam schließlich nie zum Abschluss; Zschäbitz verstarb 1970 im Alter von 50 Jahren. Vgl. Gutachten zum Manuskript von Zschäbitz. BArch, D R 1, 3680.

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den heutigen Erfordernissen, nicht geleistet haben, sondern danach, was sie im Vergleich zu ihren Vorgängern Neues geleistet haben." 2 2 3 Damit tritt Luthers individuelles Verhalten gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung in den Hintergrund. Diese Sichtweise spiegelt sich in der zeitlichen Einteilung der Biographie. 224 Der erste Teil endet nicht mit dem bisher als Wendepunkt betrachteten Jahr 1521, sondern mit dem Reichstag zu Speyer 1526. Zschäbitz legte den Einschnitt also nicht dort fest, wo ein Wandel in Luthers Handeln eintrat, sondern bei dem Ereignis, dass den Ubergang zur Fürstenreformation besiegelte. Das äußere, politische Ereignis erscheint damit als Determinante für Luthers Biographie. Dies demonstriert auch die im Anhang des Buches gedruckte Zeittafel: Sie beginnt nicht mit Luthers Geburtsjahr 1483, sondern mit dem Jahr 1476. O b gleich sich Zschäbitz so stark um Luthers Theologie bemühte wie noch kein D D R - H i s t o r i k e r vor ihm, reduzierte er ihn auf eine Projektionsfläche gesellschaftlicher und klassenbedingter Strukturen. „Luthers Denken bewegte sich in den Bahnen, die ihm durch ein bestimmtes soziales Milieu in spezifischer gesellschaftlicher Situation anerzogen worden war, auf deren Veränderungen er reagierte." Laut Zschäbitz wurde Luther so zum „theologischen Exponent des Städtebürgertums", 225 der der spannungsgeladenen Gesellschaft theologisch hergeleitete Veränderungsmöglichkeiten präsentierte. Dadurch habe Luther „eine progressive Entwicklung eingeleitet, Müntzer hingegen das Unmögliche gefordert". 2 2 6 Zschäbitz' Lutherbild stand offensichtlich in Kontrast zu der von Steinmetz vertretenen Interpretation. Dennoch sprach sich Steinmetz grundsätzlich lobend über das Werk aus und bemängelte einzig, dass die „große Möglichkeit der politisch-ideologischen Nutzung des Themas nicht ganz" ausgenutzt worden sei. 227 Das Buch war neben der offiziellen Festschrift die prominenteste Veröffentlichung des Reformationsjahres 1967 und löste bei Steinmetz trotz der wohlwollenden Einschätzung wohl nicht nur positive Gefühle aus. Zschäbitz war im Jahr zuvor an der Karl-Marx-Universität zum Ordinarius ernannt worden. Damit widmete sich an demselben Institut ein zweiter Lehrstuhlinhaber der Frühbürgerlichen Revolution. 2 2 8 Diese Konkurrenzsituation war für den bislang unbe223

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Zschäbitz: Martin Luther, S. 6. Es handelt sich hierbei um ein sinngemäßes Lenin-Zitat. Vgl. ebd. Dass die Biographie überhaupt in zwei Bänden hätte erscheinen sollen, war politisch motiviert. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften hatte in ihrem Plan fur die Publikation der Jahre 1966—1970 vorgesehen, dass die Biographie rechtzeitig zum Reformationsjubiläum 1967 erscheinen sollte. Als absehbar wurde, dass dieser Termin von Zschäbitz nicht eingehalten werden konnte, entschloss man sich zur Zweiteilung.Vgl. ABBAW, ZIGVA 14114. Zschäbitz: Martin Luther, S. 2 1 9 . Zschäbitz: Martin Luther, S. 218. Gutachten von Max Steinmetz, ohne Datum. BArch, D R 1, 3680, Blatt 8 6 8 - 8 7 3 . Der DietzVerlag hatte mit derVeröffendichung von Zschäbitz' Manuskript wegen „konzeptionellen B e denken" gezögert und sich erst nach einer Überarbeitung durch Zschäbitz zur Publikation entschlossen.Vgl. Stellungnahme vom 27. Februar 1967. BArch, D R 1, 3680, Blatt 860. Vgl. U A Leipzig, N L Steinmetz, 3 / 1 7 .

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Die Revolution wird europäisch strittenen Doyen Steinmetz neu und weckte in ihm die Befürchtung, vom zehn Jahre jüngeren Zschäbitz in den Hintergrund gedrängt zu werden. Diese persönliche wurde nun zunehmend auch von einer institutionellen Konkurrenz überlagert. Zschäbitz hatte die Grundlagen seiner Luther-Biographie nämlich in Z u sammenarbeit mit der Arbeitsgruppe ,Spätfeudalismus' der DAW entwickelt. 2 2 9 Bis 1967 stand diese Arbeitsgruppe, die später zur Arbeitsgruppe frühbürgerliche Revolution' wurde, unter der Leitung von Gerhard Zschäbitz. 2 3 0 Waren die ersten Vorbereitungen des Reformationsjubiläums durch Spannungen zwischen Halle und Leipzig geprägt gewesen, so trat nun die Berliner DAW als neuer Pol in Erscheinung. 2 3 1

6.4 Die Revolution wird europäisch Mit der Konferenz von Wernigerode war die Frühbürgerliche Revolution zu einem zentralen Forschungskonzept erhoben worden und M a x Steinmetz etablierte sich als einer der fuhrenden DDR-Historiker. Im Zuge der Reformationsfeierlichkeiten bestätigte die Staats- und Parteiführung die Bedeutung der Frühbürgerlichen Revolution im Traditionsverständnis der D D R . Für die Weiterentwicklung des Konzeptes war dies jedoch nur bedingt förderlich. Die politische Lage und der Gegenstand des Jubiläums forderten einen neuen Fokus auf das frühe 16. Jahrhundert. Die historische Interpretation gewann dadurch kaum an Stringenz. D i e weitere Entwicklung des Interpretationsansatzes erscheint nach dem Reformationsjahr daher sehr offen und sowohl vom politisch-gesellschaftlichen R a h m e n als auch von Wandlungen innerhalb der Geschichtswissenschaft abzuhängen.

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In der DAW-Arbeitsgruppe hatte insbesondere Dietrich Lösche eine positive Bewertung Luthers gefordert. So hatte er sich beispielsweise bei einer Besprechung der Arbeitsgruppe dahingehend geäußert, dass Luther als „Realpolitiker" den Bedürfnissen der Zeit am besten entsprochen habe. Es sei fragwürdig, Luther bis 1521/22 positiv, danach aber negativ bewerten zu wollen. Die Bindung Luthers und der Reformation an die Fürsten sei der einzig reale Weg gewesen, die Reformation zu retten. Vgl. Bericht über die Sitzung der Arbeitsgruppe Spätfeudalismus, Februar 1966, gezeichnet von Ingrid Mittenzwei und Siegfried Looß. S A P M O BArch, FBS 207/15953. Ab 1967 wurde die Arbeitsgruppe frühbürgerliche Revolution von Adolf Laube geleitet. Bei Adolf Laube möchte ich mich hiermit für einen entsprechenden Hinweis bedanken. Vgl. Laube: Akademische Forschung, S. 88.

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6.4.1 Neue Berliner Führungsrolle: Vorarbeiten für die ,Illustrierte Geschichte' Das Reformationsjubiläum hatte viele Kräfte absorbiert; Publikationen waren in großer Anzahl erschienen und brachten nicht nur die Autoren, sondern auch das Druckereigewerbe der D D R an den R a n d der Kapazitäten. 2 3 2 Im Jahr 1968 herrschte R u h e (und vielleicht auch etwas Verwirrung) nach dem Sturm. Aus den Federn der ostdeutschen Geschichtsschreibung erschien in diesem Jahr keine bedeutende Publikation zur Frühbürgerlichen Revolution. Umso größer war demnach die Aufmerksamkeit, die der von Günther Franz in der B R D herausgegebenen Müntzer-Gesamtausgabe zukam. Obwohl gut zehn Jahre vergangen waren, seit dieses Manuskript dem (Ost-)Berliner Akademie-Verlag vorgelegen hatte und schließlich aus politischen Gründen auf eine Publikation verzichtet worden war, hatte die DDR-Geschichtswissenschaft in der Zwischenzeit keine vergleichbare Publikation vorbereitet. Die empirische Arbeit war generell zu kurz gekommen und durch das Reformationsjubiläum waren der Bauernkrieg und Thomas Müntzer auf der Prioritätenliste nach hinten gerutscht. Max Steinmetz kam in einem Gutachten zu der Gesamtausgabe daher nicht umhin, diese Publikation als ein „bedeutsames wissenschaftliches Ereignis" zu bezeichnen; ein Lob, das bei ihm sicherlich zwiespältige Gefühle hinterließ. 233 Existentieller als die Konkurrenz aus dem Westen war fur Steinmetz aber die Konkurrenz, die ihm im eigenen Land erwuchs. Nun wurde zunehmend deutlich, dass er im Zuge des Reformationsjubiläums seine dominierende Rolle auf dem Gebiet der Frühbürgerlichen Revolution eingebüßt hatte. Das Z I G pochte darauf, auch im Forschungsbereich Feudalismus eine Führungsrolle zu übernehmen. 2 3 4 Bereits 1966 hatten in der DAW auf Initiative des Z K der SED konzeptionelle Vorarbeiten für eine mehrbändige , Geschichte des deutschen Volkes' begonnen. Ein Autorenkollektiv sollte diese erarbeiten und für die Publikation war der SED-nahe Dietz-Verlag vorgesehen. Eine erste Autorenliste umfasste knapp 30 Historiker - im Unterschied zu Gerhard Zschäbitz, der beim Z I G die Arbeitsgruppe Feudalismus leitete, tauchte der Name von Max Steinmetz auf der entsprechenden Zusammenstellung nicht auf. 2 3 5 Im Jahr 1969 wurde diese Planung parteiamtlich bestätigt. Das Z K erteilte der DAW den Auftrag, unter der Leitung von Horst Bartel (1928-1984) eine zwölfbändige ,Geschichte des deutschen Volkes' zu erarbeiten. 2 3 6 Darin sollte der aktuelle Forschungsstand der 232 233

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Vgl. Lokatis: Einwirkungen des Verlagssystems, S. 187. Gutachen von Max Steinmetz. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/193. Einen kleinen Beitrag zum Erscheinen der Franz'schen Müntzer-Edition hatte auch das Institut von Max Steinmetz beigetragen: 1966 sandte Franz die Druckfahnen zur Durchsicht und Korrektur an Manfred Bensing [!].Vgl. Briefwechsel Franz-Bensing 1966. UA Hohenheim, N6, 9 / 2 / 2 . Vgl. Laube: Akademische Forschung, S. 88. Vgl. Politisch-wissenschaftliche Zielstellung einer Geschichte des deutschen Volkes vom 21. März 1966. SAPMO BArch, FBS 207,15782. Vgl. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3 / 1 7 .

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Die Revolution

wird europäisch

marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft in Form von Handbüchern dargestellt werden. Nach ursprünglicher Planung hätten alle zwölf Bände im Jahre 1974 erscheinen sollen. Bis das Projekt 1989 eingestellt wurde, waren jedoch erst sechs Bände fertig geworden. Die Frühbürgerliche Revolution sollte im dritten Band behandelt werden. Die für diesen Abschnitt zuständige Arbeitsgruppe wurde aber nicht wie anfänglich geplant der Leitung von Gerhard Zschäbitz anvertraut, 237 sondern den jungen Historikern Adolf Laube (1934) und Günter Vogler (1933) übertragen. 238 Auch der Name Max Steinmetz tauchte nun wieder auf — allerdings nur als einfaches Mitglied der von Laube und Vogler geleiteten Arbeitsgruppe. Steinmetz empfand diese Hierarchie als „unbillig und eine Zumutung". Es sei eine Tatsache, dass er „10 Jahre lang diese Forschung bestimmt habe". Er könne sich in seinem 57. Lebensjahr nicht wieder in einen „jungen Assistenten" oder gar einen „Hilfsarbeiter" verwandeln. 239 Es war für Steinmetz offensichtlich eine große Kränkung, dass dieses Projekt nun von zwei gut 20 Jahre jüngeren Kollegen geleitet wurde. Zudem befürchtete Steinmetz, dass dieses Vorhaben die Müntzerforschung erneut in den Hintergrund drängen und schließlich gar die Vorarbeiten für das nächste große Jubiläum behindern würde: 1975 jährte sich der Bauernkrieg und damit auch der Todestag Thomas Müntzers zum 450. Mal. 240 Steinmetz konnte sich mit seiner Kritik aber nicht durchsetzen und so wurden die nächsten Jahre der DDR-Forschung zur Frühbürgerlichen Revolution von den Vorarbeiten zur , Geschichte des deutschen Volkes' geprägt. Damit hatte das Akademie-Institut auch auf dem Gebiet der Frühbürgerlichen Revolution diejenige Rolle übernommen, die ihm bei seiner Gründung allgemein zugewiesen worden war: die lenkende Koordinierung der historischen Forschung. 241 Max Steinmetz gelang es nicht, der ungeliebten Rolle als einfacher Autor zu entsteigen.

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Ursprünglich war Gerhard Zschäbitz als Leiter einer Arbeitsgruppe vorgesehen. Zschäbitz' Gesundheit war 1969 bereits angeschlagen und er verzichtete auf diese Aufgabe. Im Jahr darauf verstarb er. Einen entsprechenden Hinweis verdanke ich einem Schreiben von Günter Vogler vom 29. Mai 2000. Adolf Laube hatte 1963 an der Universität Leipzig mit einer Arbeit über den französischen Bergbau promoviert und 1971 ebenfalls in Leipzig mit einer Arbeit über den erzgebirgischen Silberbergbau habilitiert. Seit 1967 war er an der DAW in Berlin beschäftigt, 1971 übernahm er die Leitung des Arbeitsbereichs Feudalismus. Günter Vogler hatte bereits an der Konferenz von Wernigerode teilgenommen, fungierte seither als loses Mitglied der Arbeitsgruppe frühbürgerliche Revolution. Bevor er zum 1. September 1967 an die Humboldt-Universität wechselte, war er beim Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen tätig und in dieser Funktion auch an den Vorbereitungen fur das Reformationsjubiläum beteiligt gewesen. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3/17. Vgl. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3/17. Das ZIG der DAW hatte seit seiner Gründung 1956 an Bedeutung gewonnen und war zunehmend an der Koordinierung der Forschungs- und Publikationspläne beteiligt. Der Plan wurde zum wichtigsten Leitungsinstrument. Vgl. Sabrow: Das Diktat, S. 38-70 und 119/120. Siehe auch Abendroth: Das Ende, S. 115/116.

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Bevor die Arbeit an den eigentlichen Bänden - bald liefen diese unter dem prägnanteren Titel .Deutsche Geschichte' — in Angriff genommen wurde, versuchten die beteiligten Historiker einen „Grundriss" - ein einbändiges Handbuch zur deutschen Geschichte - auszuarbeiten. Als Direktor des Akademie-Instituts spielte dabei Ernst Engelberg die zentrale Rolle, Günter Vogler vertrat in dem Leitungsgremium die Frühbürgerliche Revolution. Im Verlauf der Arbeit kam es zwischen den beiden zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten über die Charakterisierung und insbesondere die Periodisierung der Reformationszeit. Für die weitere Interpretationsentwicklung war diese Auseinandersetzung von entscheidender Bedeutung. Sie lässt sich anhand von ZfG-Aufsätzen der beiden Kontrahenten recht gut nachzeichnen. Voglers Aufsatz ,Marx, Engels und die Konzeption einer frühbürgerlichen Revolution in Deutschland' markierte 1969 den Auftakt zur öffentlichen Auseinandersetzung. Er zog darin ein Fazit zur bisherigen Diskussion über die Frühbürgerliche Revolution und stellte den gefundenen Konsens, Reformation und Bauernkrieg „als Entwicklungsetappen eines einheitlichen revolutionären Prozess" zu interpretieren, den zahlreichen noch offenen Fragen gegenüber. 2 4 2 Zunächst widmete sich Vogler der Zielsetzung der Revolution und plädierte dafür, dass der nationale Aspekt nicht mehr als ihre Hauptaufgabe angesehen werden sollte. Denn eine Einigung auf feudaler Basis sei zu Beginn des 16. Jahrhunderts nicht mehr möglich gewesen. „Es mussten erst die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen entstehen, die die Aufgabenstellung real werden ließen, den Partikularismus durch die Konstituierung der bürgerlichen Nation zu überwinden." 2 4 3 Zweitens betonte er, dass nicht nur Thomas Müntzers Programm und der Bauernkrieg revolutionären Charakter aufgewiesen hatten, sondern auch Luthers Aktivitäten, die eine „Verschiebung des politischen Kräfteverhältnisses zugunsten der weltlichen Fürsten und städtischen Oberschichten" zur Folge gehabt hätten. 2 4 4 Drittens bejahte er, dass es sich bei Reformation und Bauernkrieg um eine Frühbürgerliche Revolution gehandelt habe. 2 4 5 Sie sei ein „Glied in der Kette bürgerlicher Revolutionen" gewesen. Mit der Sozialrevolutionären Interpretation des Evangeliums habe eine allgemeine Ideologie existiert, dank der eine Vereinheitlichung der Sonder- und Lokalinteressen - und damit eine nationale Stoßrichtung — möglich geworden sei. Die Antwort zum vierten Fragenkomplex war damit auch bereits gegeben: Die Frühbürgerliche Revolution in Deutschland müsse im Kontext einer europäischen Phase bürgerlicher Revolutionen gesehen werden. Im Unterschied zu den nachfolgenden Revolutionen in den Niederlanden, England und Frankreich sei in Deutschland die Initiative zum notwendigen Klassenbündnis zwischen Bauern und Städtebürgertum von den Bauern ausgegangen. Der Angriff habe sich nicht gegen ei-

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Vogler: Marx, Engels, S. 705. Vogler: Marx, Engels, S. 709. Vogler: Marx, Engels, S. 711. Vgl.Vogler: Marx, Engels, S. 713.

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Die Revolution wird europäisch nen zentralisierten Staat gerichtet, sondern vorerst gegen die feudale Kirche und in einer zweiten Phase gegen die Fürsten. Aufgrund dieser Unterschiede zu den nachfolgenden bürgerlichen Revolutionen werde die deutsche Revolution als /rw/zbürgerliche bezeichnet. Vogler sah auch die Frage der Periodisierung als ein noch immer ungelöstes Problem an, blieb aber vorerst eine Antwort schuldig. Ernst Engelberg 2 4 6 war es, der sich Anfang der 1970er Jahre dieser Problematik nochmals annahm. 2 4 7 Sein Vorschlag bewegte sich nicht im R a h m e n der bis dahin geäußerten Vorschläge. Er vertrat die Auffassung, dass die Frühbürgerliche Revolution von 1517 (Thesenanschlag) bis 1536 (Sieg Calvins in Genf) gedauert habe. Diese Sichtweise begründete er mit Hilfe einer Bemerkung von Engels aus dem Jahre 1874, wonach die lutherische und die calvinische Reformation zusammen die erste R e v o l u tion der Bourgeoisie gebildet haben. Laut Engelberg endete die Frühbürgerliche Revolution also nicht mit einer Niederlage (Bauernkrieg), sondern mit einem Sieg. Damit ließe sich auch der scheinbare Widerspruch klären, „daß einerseits die Niederlage des Bauernkrieges die ,kritische Episode' der Reformation zum tragischen .Wendepunkt' (Engels) der deutschen Geschichte wurde, zum anderen die Reformation, die in Deutschland eingeleitet und vorangebracht wurde und schließlich ihren Schwerpunkt nach der Schweiz verlagerte, eine gewaltige, direkte und indirekte N a h - und Fernwirkung für die Entwicklung des Kapitalismus in Europa und in der Welt hatte". 2 4 8 Weshalb diese Revolution trotz ihres Erfolgs dennoch als /rw/ibürgerlich bezeichnet werden soll, beantwortete Engelberg nicht. Der Artikel provozierte Günter Vogler zu einer Stellungnahme. Er bestätigte Engelberg darin, dass der Calvinismus ohne Luther nicht möglich gewesen wäre, wies aber auch auf entscheidende Unterschiede der beiden Bewegungen hin. Insbesondere bezüglich der Wirkung müsse betont werden, dass der Calvinismus eine viel „progressivere Ideologie" entwickelt habe als das Luthertum. 2 4 9 Vogler plädierte deshalb dafür, dass die Bauernkriegsniederlage als Ende der Frühbürgerlichen Revolution angesehen werde, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass diese Frage nur von sekundärem Interesse sei. Viel entscheidender sei es, wann die E p o c h e des Ubergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus begonnen habe. 2 5 0 Diese Frage beantwortete Vogler nochmals zwei Jahre später. Erst Ende des 15. Jahrhunderts sei die sozio-ökonomische Struktur derart entwickelt gewesen, dass revolutionäre Prozesse möglich geworden seien, die dem Typus einer bürgerlichen Revolution entsprochen hätten. Als notwendige Merkmale nannte er die

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Ernst Engelberg war ein Historiker, der sich bis dahin kaum mit der Frühbürgerlichen R e v o lution beschäftigt hatte, jedoch als Spezialist für Periodisierungsfragen galt. Vgl. Engelberg: Zu methodologischen Problemen. Engelberg: Zu methodologischen Problemen, S. 1239. Vogler: Friedrich Engels, S. 456. Vgl.Vogler: Friedrich Engels, S. 456.

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ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, die Entstehung des Manufakturkapitalismus, die F o r m i e r u n g des Weltmarktes, das Vorhandensein zentralisierter M o narchien sowie die Existenz bürgerlicher Ideologien u n d Kultur. 2 5 1 Es ist offensichtlich, dass Vogler diese strukturellen Voraussetzungen nicht als auf einen Herrschaftsbereich oder ein Land bezogene Kriterien verstand, sondern in einer europäischen D i m e n s i o n sah. D e m e n t s p r e c h e n d geriet seiner M e i n u n g nach Ende des 15. Jahrhunderts nicht nur Deutschland in die Epoche des Ubergangs v o m Feudalismus z u m Kapitalismus, sondern der gesamte europäische R a u m . Diese U b e r g a n g s e p o c h e endete in Voglers K o n z e p t i o n mit der Französischen R e v o l u t i o n . I m Gegensatz etwa zu Steinmetz sprach sich Vogler aber für eine engere zeitliche Eingrenzung der deutschen Frühbürgerlichen R e v o l u t i o n aus. Er ließ sie erst mit d e m Thesenanschlag beginnen u n d bereits mit der Niederlage der aufständischen Bauern 1525 enden. D a m i t erreichte Vogler eine klare T r e n n u n g von Struktur u n d Ereignis. D e r G r u n d , weshalb die erste bürgerliche R e v o l u t i o n gerade in Deutschland u n d nicht etwa in Frankreich oder England ausgebrochen sei, lag laut Vogler in der unterschiedlichen Entwicklung dieser Länder i m 15. Jahrhundert. In D e u t s c h land hätten die bäuerlichen Klassenkämpfe keine Entlastung gebracht, durch das E i n d r i n g e n kapitalistischer P r o d u k t i o n s f o r m e n in die Landwirtschaft sei die Ausbeutung der Bauern sogar n o c h verstärkt worden. Diese nationale Besonderheit Deutschlands sei 1517 durch die reformatorische T h e o l o g i e ergänzt w o r den. A u f g r u n d des herrschenden gesellschaftlichen Widerspruchs ist diese Ideologie laut Vogler auf fruchtbaren B o d e n gefallen. Die Kritik an der römischen Kirche löste daher eine integrierende B e w e g u n g aus, der revolutionäre Samen k o n n t e keimen u n d sich entfalten, bis der Spross im B a u e r n k r i e g seine größte Kraft erreicht hatte. Folgerichtig setzte Vogler den Beginn der Frühbürgerlichen Revolution (Ereignis) nicht mit d e m A n f a n g der E p o c h e (Struktur) gleich u n d b e e n d e t e das wenig fruchtbare Gezänk u m die Frage, welcher R a u m zu Beginn des 16. Jahrhunderts die fortschrittlichste ökonomische Struktur aufgewiesen habe. Damit hatte Vogler seine Forderung von 1969 eingelöst, die Frühbürgerliche R e v o l u t i o n weniger stark in einem nationalen Kontext zu sehen. Er war nicht der Erste gewesen, der den Blick über Deutschland hinaus richtete. Engelberg hatte versucht, die calvinische R e f o r m a t i o n in die Frühbürgerliche Revolution zu integrieren u n d Steinmetz hatte schon in den Thesen von Wernigerode darauf hingewiesen, dass R e f o r m a t i o n u n d B a u e r n k r i e g i m Z u s a m m e n h a n g der folgenden bürgerlichen Revolutionen in Europa gesehen werden müssten. Zschäbitz hatte diese Argumentation 1964 aufgenommen, aber erst Vogler dachte diesen auf Engels zurückgehenden Ansatz konsequent zu Ende. Steinmetz u n d später Engelberg hatten auf die europäische Wirkung geblickt u n d damit letztlich auf Gerhard R i t t e r s F o r m e l der , W e l t w i r k u n g der R e f o r m a t i o n ' r e k u r r i e r t .

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Vgl.Vogler: Revolutionäre Bewegungen, S. 404.

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Die Revolution wird europäisch W e n n das Auftreten bürgerlicher Revolutionen ein europäisches P h ä n o m e n war, so mussten diese R e v o l u t i o n e n auch eine gemeinsame Ursache haben. Vogler glaubte diese in d e m der Epoche des Ubergangs v o m Feudalismus zum Kapitalismus i m m a n e n t e n Antagonismus von frühkapitalistischer Wirtschaftsstruktur u n d spätfeudalistischer Gesellschaftsordnung zu erkennen. Auch G ü n t h e r Franz hatte den Bauernkrieg bereits 1930 in einem europäischen Kontext analysiert. Im Gegensatz zu Vogler stellte er die R e v o l u t i o n von 1525 aber nicht in einen Zusammenhang mit den nachfolgenden bürgerlichen, sondern mit mittelalterlichen, antifeudalen bäuerlichen Erhebungen. In diesem Kontext ist auch der zentrale Unterschied in der Ursachenanalyse zwischen der politischen Analyse von Franz u n d der materialistischen von Vogler zu sehen: W ä h r e n d Franz die bäuerlichen Revolutionen vor allem über Veränderung im R e c h t u n d der kommunalen Selbstverwaltung erklärte, argumentierte Vogler mit d e m Wandel der ö k o n o m i schen Strukturen. 2 5 2 Vogler konnte seine Argumentation allerdings kaum auf Quellen zurückbinden. Der empirische Beleg, dass die Ubergangsepoche Ende des 15. Jahrhunderts eingesetzt hatte (und nicht etwa bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts, wie dies tschechoslowakische Historiker i m m e r wieder betonten), w u r d e nicht erbracht. Die ökonomisch-gesellschaftliche Struktur war bisher im Z u s a m m e n h a n g mit der Frühbürgerlichen Revolution nur wenig aufgearbeitet worden. I m R a h m e n des Projekts ,Deutsche Geschichte' stand Vogler mit Adolf Laube aber ein Historiker zur Seite, der sich seit Jahren mit der spätmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte befasst hatte und deshalb die richtige Person war, u m diese Lücken zu schließen. D e n empirischen Problemen ungeachtet war es Vogler in den genannten Aufsätzen gelungen, die nationalistische durch eine marxistische Interpretation zu ersetzen. Die Frühbürgerliche Revolution erschien k a u m m e h r als Revolution mit nationaler Stoßrichtung, sondern als Klassenkampf; die soziale hatte sich vor die nationale Frage geschoben. Dieser Ansatz versprach nicht nur neue A n t w o r ten auf bisher erst unbefriedigend gelöste Fragen, sondern korrespondierte auch bestens mit den neuen politisch-ideologischen R a h m e n b e d i n g u n g e n der frühen 1970er Jahre. Das von Walter Ulbricht propagierte, selbstbewusste Auftreten der D D R war bei der sowjetischen Schutzmacht a u f z u n e h m e n d e A b l e h n u n g gestoßen. Auf dem VIII. Parteitag der SED (15. bis 19. Juni 1971) erfolgte der forcierte Machtwechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker. 2 5 3 Die damit verbundene Botschaft war eindeutig: Die D D R sollte verstärkt als Teil des sozialistischen Bündnisses auftreten u n d auch ihr Selbstbild entsprechend gestalten. 2 5 4 D a h e r richtete der Parteitag auch einen Appell an die Historiker, dieser n e u e n Perspektive gerecht zu werden. DerV. Historiker-Kongress der D D R 1972 for-

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Franz wandte sich während der NS-Herrschaft wieder von diesem europäischen Fokus ab. Er interpretierte den Bauernkrieg dann zunehmend als eine völkisch-nationale Bewegung. Vgl. Stelkens: Machtwechsel. Einen umfassenden Überblick über den politischen Wandel bietet Kaiser: Machtwechsel. Florath:Von der historischen Mission, S. 205.

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mulierte dementsprechende Grundsätze. Die Geschichtswissenschaft solle sich in Zukunft eine internationalistische Betrachtungsweise zu eigen machen und nationalgeschichtliche Vorgänge „welthistorisch" einordnen. 255 Voglers europäische Sichtweise kann nur bedingt auf die Wende von 1971 zurückgeführt werden. Er hatte bereits in seinem Aufsatz von 1969 der nationalen Betrachtungsweise der 1960er Jahre den Rücken zugewandt. Als nun nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker die ,Nation neuen Typs' verkündet wurde, sprachen nicht nur wissenschaftliche Argumente, sondern auch die politische Lage fur Voglers Erklärungsmuster. 256 Somit war die grobe Interpretationslinie für den ,Grundriss der deutschen Geschichte' gefunden. 257 Dem eigentlichen Hauptprojekt, der .Deutschen Geschichte', erwuchsen nun aber Probleme ganz anderer Art: Wegen konzeptioneller Unklarheiten im letzten Band - insbesondere die Darstellung der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte bereitete nach der politischen Neuausrichtung des Geschichtsbildes Anfang der 1970er Jahre Schwierigkeiten - wurde das Vorhaben kurzfristig eingefroren. 258 Das Manuskript für den dritten Band war jedoch schon weit gediehen, und so machten sich die Autoren auf die Suche nach alternativen Publikationsmöglichkeiten. Für den von Adolf Laube, Max Steinmetz und Günter Vogler erarbeiteten Abschnitt zur Frühbürgerlichen Revolution ergab sich bald eine willkommene Möglichkeit. Der Dietz-Verlag plante mit Blick auf das Bauernkriegsjubiläum von 1974/75, in seiner Reihe .Illustrierte Geschichte' einen Band zur Frühbürgerlichen Revolution zu publizieren, und griff daher gerne auf die bereits geleisteten Vorarbeiten zurück. 259 Die , Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution' erschien 1974. Laube, Steinmetz und Vogler traten nun als Autorenkollektiv auf, wobei Günter Vogler als Leiter fungierte und Max Steinmetz den nicht nur umfangmäßig gewichtigsten Teil (1517-1525) der Publikation geschrieben hatte. Trotz des kollektiven Auftritts der drei Historiker lassen sich die unterschiedlichen Konzepte der Frühbürgerlichen Revolution von Vogler und Steinmetz immer noch ausmachen. Der reich bebilderte Band umfasst den zeitlichen Rahmen 1476-1535, übertitelt aber nur das Kapitel 1517-1525 mit Frühbürgerliche R e -

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Vgl. Neuhäußer-Wespy: Aspekte und Probleme, S. 78-80. Die Abgrenzung von der B R D fand ihren stärksten Ausdruck in der Idee einer DDR-Nation, einer eigenständigen sozialistischen Nationalkultur. Nach demVIII. Parteitag der SED erklärte insbesondere Kurt Hager die Verbindlichkeit dieser Neuausrichtung für die Gesellschaftswissenschaften.Vgl. Hager: Die entwickelte sozialistische Gesellschaft, S. 54-57. Vgl. auch Brinks: Die DDR-Geschichtswissenschaft, S. 189-195. Vgl. Klassenkampf, Tradition, Sozialismus. Die Publikation des dritten Bandes erfolgte schließlich erst 1983.Vgl. Kapitel 6.5.4. Diesen Vorgang schilderte Adolf Laube in einem Brief an den Verfasser vom April 2000; er wurde von Günter Vogler im April 2003 mündlich bestätigt. Die .Illustrierte Geschichte' widmete sich in populärwissenschaftlichen und reich illustrierten Büchern der Geschichte verschiedener Revolutionen. Es lagen zu dieser Zeit bereits Darstellungen zur Revolution von 1848 und zur deutschen Novemberrevolution von 1918 vor.

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Die Revolution wird europäisch volution. Im ersten Teil des Buches, der die Zeit bis zum Thesenanschlag behandelt, präsentierte Laube sowohl einen wirtschaftsgeschichtlichen Uberblick als auch einen ereignisgeschichtlichen Abriss der Bauer nunruhen im R e i c h im Vorfeld der R e f o r m a t i o n . Hier lässt sich die Durchmischung von Steinmetz' und Voglers Periodisierungskonzept bereits erkennen: In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden verschiedene frühkapitalistische Produktionsmerkmale nachgewiesen und der Beginn der Frühbürgerlichen Revolution wurde im Sinne Voglers auf das Jahr 1517 festgelegt. Dennoch setzt die ereignisgeschichtliche Darstellung bereits mit dem Aufstand in Nikiashausen von 1476 ein, was wiederum Steinmetz' Position entspricht. Dieselbe Uberlagerung zweier K o n zepte findet sich auch bezüglich des Endes der Frühbürgerlichen Revolution. Einerseits wurde es mit der Niederlage von Frankenhausen und dem Tod T h o mas Müntzers verknüpft, andererseits wurde die Ereignisgeschichte bis zum R e ligionsfrieden von 1555 weitergeführt. D i e Kritik an der Vermengung älterer Konzepte soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ,Illustrierte Geschichte' neue Forschungsergebnisse verarbeitete und den Stand der Diskussion um die Frühbürgerliche Revolution in handbuchartiger Form präsentierte. Dies ist auch das Verdienst Adolf Laubes. Er lieferte empirische Argumente für Voglers These, dass die Phase des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus im ausgehenden 15. Jahrhundert eingesetzt habe. 2 6 0 D e r Schwerpunkt seiner Analyse liegt beim Bergbau und der Manufakturproduktion von Textilien und Eisenwaren. Ihm gelang der Nachweis, dass die Produktionsweise in diesen Bereichen tatsächlich bereits stark kapitalistisch geprägt war. Die ,Illustrierte Geschichte' ist ein reich bebilderter Band, welcher der Bevölkerung der D D R Hintergrundwissen zu den anstehenden Jubiläumsfeierlichkeiten liefern sollte. Damit kam der Publikation unmittelbar politische Funktion zu. Obwohl das Buch nicht im Parteiauftrag entstanden war, stand das Schlusskapitel ganz im Dienst der Tagespolitik. Die dort erzählte „Rezeptionsgeschichte als Traditionsgeschichte" 2 6 1 vermengte den stolzen Blick auf die revolutionäre Vergangenheit mit dem Lob der sozialistischen Gegenwart. Neben Bildern von Luther und Müntzer, Lenin und Thälmann wurde dem Lesepublikum die kaum neue Botschaft übermittelt, dass „die revolutionären und humanistischen Traditionen des deutschen Volkes", „eingeschlossen die politischen, kulturellen und militärischen Leistungen der deutschen frühbürgerlichen R e v o l u t i o n " , in der D D R weiterleben würden. 2 6 2 Damit wurde die ,Illustrierte Geschichte' auch zum gewichtigen Vorboten des anstehenden Bauernkriegsjubiläums. Dieser Band war das erste gemeinsame Arbeitsprojekt von Laube, Steinmetz undVogler gewesen. Hier hatten drei Historiker zusammengefunden, die in den nächsten Jahren oft zu dritt auf Kongressen und Tagungen im In- und Ausland auftraten und manchen Kampf für die Früh260 261 262

Vgl. Laube/Steinmetz/Vogler: Illustrierte Geschichte, S. 8 - 2 9 . Gespräch mit GünterVogler, 12.Juli 1999. Laube/Steinmetz/Vogler: Illustrierte Geschichte, S. 403.

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bürgerliche Revolution führten. Günter Vogler und Adolf Laube etablierten sich mit der illustrierten Geschichte' in der Forschung zur Frühbürgerlichen R e v o lution. Dagegen kämpfte der 64-jährige Max Steinmetz mit diesem Projekt eher dagegen an, nicht aus dem Forschungsfeld Frühbürgerliche Revolution verdrängt zu werden. Der große Abwesende war Gerhard Zschäbitz. Steinmetz' Leipziger Kollege war 1970 verstorben. Ohne seinen frühen Tod hätte er in den 1970er Jahren sicherlich auch zum kleinen Kreis der bedeutendsten Forscher zur Frühbürgerlichen Revolution gehört.

6.4.2 Das Jubiläum von 1975 Max Steinmetz hatte sich nach dem Reformationsjubiläum auch in seiner selbstständigen Arbeit wieder verstärkt dem Bauernkrieg zugewandt und die Druckversion seiner erweiterten Habilitationsschrift über die Rezeption Thomas Müntzers fertig gestellt. 263 Bereits 1969 hatte er gemahnt, das nahende Bauernkriegsjubiläum nicht zu vergessen, und er war auch zu Beginn der 1970er Jahre derjenige Historiker, der sich wohl am intensivsten mit dem kommenden Jahrestag auseinander setzte. Für ihn, der seine akademische Laufbahn als bürgerlicher Historiker begonnen hatte, schien die Konkurrenz aus der B R D ein zentraler Antrieb gewesen zu sein, die Vorbereitungen möglichst früh anzupacken. Noch war der wissenschaftliche Vergleichspunkt aber weniger die aktuelle westliche Forschung, sondern immer noch die bald 40-jährige Bauernkriegsmonographie von Günther Franz. Es bedürfe noch „großer Anstrengungen", stellte er im September 1972 auf einer Konferenz in Budapest klar, „um dem weitverbreiteten Werk von G. Franz eine gültige marxistische Darstellung entgegensetzen zu können". 2 6 4 Für Max Steinmetz war der in der DDR-Historiographie nach wie vor nur als faschistischer Bauernideologe wahrgenommene Franz die eigentliche Konkurrenz. 265 Aber nicht nur Steinmetz drängte darauf, der empirischen Arbeit von Franz endlich eigene Studien gegenüberzustellen. Den Anweisungen des Zentralen Forschungsplans folgend, begann Anfang der 1970er Jahre im Z I G eine Arbeitsgruppe mit der Koordination der wissenschaftlichen Beiträge zum Jubiläumsjahr. Diverse Publikationen wurden vorbereitet und auffällig viele davon widmeten sich der Veröffentlichung von Quellen aus der Bauernkriegszeit.

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Vgl. Max Steinmetz: Das Müntzerbild von Martin Luther bis Friedrich Engels, Berlin 1971. Vgl. Manuskript für eine Tagung vom 13. September 1 9 7 2 in Budapest. U A Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 0 9 9 . Steinmetz war längst nicht der Einzige, der seine Arbeit so stark in Abgrenzung von Franz definierte. Gerhard Heitz äußerte während den Vorbereitungen des Jubiläums gegenüber Steinmetz etwa die Sorge, er sei ihm noch unklar, „wie wir uns bei den überwiegend gedruckten Quellen des Bauernkrieges ( M e r x / F r a n z / F u c h s ) aus der Affäre ziehen". Vgl. Brief Heitz an Steinmetz, 24. September 1973. U A Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 0 5 8 . Siehe auch Gerhard Heitz: Rezension zu: Geschichte des deutschen Bauernstandes vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Deutsche Agrargeschichte Band 4, Stuttgart 1970, in: ZfG 19 (1971), S. 4 3 8 - 4 4 1 .

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Die Revolution wird europäisch Der DDR-Geschichtswissenschaft gelang es im Zuge des Bauernkriegsjubiläums, die dominierende Stellung der Quellenwerke von Günther Franz (und Walther Peter Fuchs) aufzubrechen. Nun standen auch eigene zitierfáhige Arbeiten zur Verfugung - zu nennen ist insbesondere der erste Band von Adolf Laubes Flugschriften-Edition. 266 Offenbar wollte sich Steinmetz bei der Vorbereitung des Jubiläums aber nicht allein auf die Historiker verlassen. Bereits 1971 war er mit der Bitte an den S E D Chefideologen Kurt Hager gelangt, sich um die „zentrale Anleitung, Planung und Lenkung der bisher meist individuellen Bemühungen" in Hinblick auf das Jubiläum zu kümmern. 267 Bis die „individuellen Bemühungen" kanalisiert wurden, sollten einige Monate vergehen. Nach bewährtem Muster beschloss das Z K der SED im Februar 1973 die Ernennung eines Komitees zur Vorbereitung des 450. Jahrestages des deutschen Bauernkrieges. 268 Hans Reichelt, Stellvertretender Vorsitzender des Minister rates und Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, übernahm dessen Vorsitz. Ansonsten setzte es sich aus rund vierzig Persönlichkeiten aus Geschichtswissenschaft und Politik zusammen. 269 Die konkreten Vorbereitungen wurden nicht in diesem Komitee, sondern am Z I G getroffen. Die zuständige Arbeitsgruppe koordinierte nicht nur die Publikationen und organisierte eine wissenschaftliche Konferenz, die im November 1974 in Erfurt stattfinden sollte, sondern entwarf auch die politisch-ideologische Konzeption zur Vorbereitung des Bauernkriegsjubiläums. Damit war die institutionelle Grenze zwischen Wissenschaft und Politik durchbrochen und ideologische Überlegungen prägten die konzeptionellen Vorarbeiten der Historiker. Günter Vogler, der als Externer in der Arbeitsgruppe tätig war, betonte in einem Konzeptionsentwurf, dass die sozialistische Gesellschaft die einzig rechtmäßige Erbin aller fortschrittlichen geschichtlichen Leistungen und Traditionen sei. Laube erklärte in einem ähnlichen Papier, dass der Bauernkrieg erstmals „die Machtfrage im Sinne des Volkes" gestellt habe, „die auf deutschem Boden erst in der D D R gelöst wurde". 2 7 0 Ein Unterschied zu den Parallelisierungsversuchen der NS-Zeit ist hier nur noch in der Wortwahl festzustellen. Nicht nur die Legitimationsformeln von

266 vgl. Laube/Seiffert: Flugschriften der Bauernkriegszeit. Laubes Editionsprojekt von Flugschriften aus der Reformationszeit lief auch nach 1989 weiter. 2 0 0 0 erschienen Band 7 und 8: Flugschriften gegen die Reformation ( 1 5 2 5 - 1 5 3 0 ) , hrsg. von Adolf Laube, Mitarbeit Ulman Weiß, Bd. I und II, Berlin 2 0 0 0 . Daneben wurden an der Akademie in Hinblick auf das Jubiläum auch eher populärwissenschaftliche Quelleneditionen vorbereitet, wie etwa Werner Lenk: Dokumente aus dem deutschen Bauernkrieg, Leipzig 1974. 267 268 269

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Brief Steinmetz an Hager, 19. Oktober 1971. UA Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 3 0 8 . Vgl. S A P M O BArch, D Y 2 7 / 8 1 . Zu nennen sind etwa: Alexander Abusch, Max Steinmetz, Leo Stern und Günter Vogler. Die beiden prominentesten nicht beteiligten Bauernkriegshistoriker waren Siegfried Hoyer und Adolf Laube. Entwurf von Vogler vom 10. April 1973 und ,Der deutsche Bauernkrieg - Höhepunkt der frühbürgerlichen Revolution' von Adolf Laube, ohne Datum. ABBAW, ZIG 2 1 0 .

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Historikern wie Günther Franz treten hier in Erinnerung. 271 Auch die Rhetorik von NS-Landwirtschaftsminister Darre scheint in den 1970er Jahren ihre Entsprechung zu finden. 1975 stand nicht nur das Bauernkriegsjubiläum an, sondern auch die Bodenreform der D D R jährte sich zum 30. Mal. Eine Verknüpfung von Forderungen der Bauern des 16. Jahrhunderts mit der Politik der D D R ließ sich so einfach herstellen und prägte schließlich auch die vom Ministerrat der D D R herausgegebene Konzeption. Der politische Hintergrund dieser Parallelisierung zwischen den Zielen der Revolution von 1525 und den Errungenschaften des sozialistischen Deutschlands war jedoch ein gänzlich anderer als bei der nationalsozialistischen Instrumentalisierung rund 40 Jahre zuvor. „Mit dem Aufbau des Sozialismus in der D D R wurde auch das Vermächtnis der revolutionären Kräfte des Bauernkrieges erfüllt", hielt die Konzeption fest. „Nach der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus durch die ruhmreichen Armeen der Sowjetunion im Jahre 1945 und im Gefolge des antifaschistischen Kampfes der Völker wurde es auf dem Boden der D D R möglich, die zukunftsweisenden revolutionären Forderungen von 1524/25 zu verwirklichen, die unter feudalen und kapitalistisch-imperialistischen Bedingungen nicht erfüllt wurden." 272 Als Reaktion auf die Entspannungspolitik der sozial-liberalen Koalition in Bonn war die DDR-Führung offensichtlich darum bemüht, dem militärischen Bündnis mit der Sowjetunion zwanzig Jahre nach dem Beitritt zum Warschauer Pakt (Januar 1956) ein historisches Fundament zu verleihen. Dank der Sowjetunion sei es möglich geworden, auf dem Boden der D D R die Forderungen von 1525 zu verwirklichen. Jetzt habe die Arbeiterklasse die Fähigkeit erlangt, den bäuerlichen Klassenkampf anzuführen und die historische Aufgabe zu übernehmen, vor der das Bürgertum 1525 noch zurückgeschreckt sei. Das Geschichtsbild der späten Ulbricht-Jahre war definitiv überwunden, die selbstbewusste Demonstration nationaler Vergangenheit war selbst zur Geschichte geworden. Die D D R präsentierte sich als sozialistische Nation und damit als Teil der sozialistischen Staatengemeinschaft. War während der Reformationsfeierlichkeiten noch die Errichtung eines zentralisierten Nationalstaates zur wichtigsten Forderung der Frühbürgerlichen Revolution erklärt worden, so traten 1975 Müntzers utopisch anmutende Zielsetzungen an diese Stelle - die Revolution wurde als Klassenkampf gefeiert. Kurt Hager zeigte sich auf einer Festveranstaltung überzeugt, dass auch diese Forderungen in der D D R erfüllt wurden. „Heute - 450 Jahre später - ist in der D D R die Forderung Thomas Müntzers, daß die Macht dem Volk gehören muß,Wirklichkeit." 273 Nun gelte es aber, dass die „bewaffneten Kräfte der D D R [...] die militärischen Lehren des Bauernkrieges" auch beherzigten und die Errungenschaften des Sozialismus 271

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„Heute, am Ende der ersten siegreichen deutschen Revolution, hat der Bauer im Dritten Reich endlich die Stellung im Leben der Nation gewonnen, die er schon 1525 erstrebte", schrieb Franz 1933. Franz: Bauernkrieg, (11933), S.V. Der deutsche Bauernkrieg, S. 11/12. Hager: Das Vermächtnis von 1525, S. 6.

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schützten. Die Bauernhaufen hätten den Kampf einzeln geführt und seien so zur leichten Beute für die Fürstenheere geworden. Die D D R habe aus diesem Fehler gelernt: „Die Nationale Volksarmee, deren Truppenteile und Kasernen auch N a men revolutionärer Kämpfer des Bauernkrieges tragen, stehen an der Seite der Sowjetarmee und der anderen Waffenbrüder aufWacht." 2 7 4 Solche Sätze können nur noch der Kategorie der politisch motivierten M y thenbildung zugerechnet werden. 2 7 5 Durch die ahistorische Herkunftserzählung wurde die dem östlichen Bündnis gegenüber geforderte Loyalität legitimiert. Das apodiktische Freund-Feind Schema des Kalten Krieges erfuhr seine Bestätigung im Bauernkrieg. So plump solche Parallelisierungen waren, hinterließen sie doch ihre Spuren in der wissenschaftlichen Arbeit des Jubiläumsjahres. Am eindrücklichsten zeigt sich dies im Sammelband ,Der Bauer im Klassenkampf, für den Gerhard Heitz, Adolf Laube, Max Steinmetz und Günter Vogler verantwortlich waren. In dem vorgängig am ZIG ausgearbeiteten Publikationsplan wird bereits daraufhingewiesen, dass „in den Band repräsentative Beiträge, vor allem sowjetischer marxistischer Wissenschaftler aufgenommen werden" sollen. Die „Hauptthese der imperialistischen und rechtssozialdemokratischen Geschichtsschreibung", die den revolutionären Charakter des Bauernkrieges zu eliminieren und ihn statt dessen „als demokratische Volksbewegung in die eigene Traditionslinie" einzubauen versuche, sei klar zurückzuweisen. 2 7 6 Der Band zeichnete sich schließlich nicht nur durch die auffallend große Zahl von Beiträgen sowjetischer Historiker aus, sondern auch durch einen neuartigen zeitlichen Fokus. „Die Studien dieses Bandes", so erfährt man bereits im ersten Satz des Vorwortes, „beschäftigen sich mit der Periode des Ubergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, und zwar ausgehend von der Vorgeschichte des Bauernkrieges bis zum Aufstand des Pugatschow in Rußland 1773/75". 2 7 7 Der Veranstaltungsreigen des Jubiläumsjahres setzte im November in Erfurt mit einer historischen Konferenz ein. Aus wissenschaftlicher Sicht war diese vom ZIG der Akademie der Wissenschaften (AdW) 2 7 8 vorbereitete Veranstaltung ,Der deutsche Bauernkrieg 1524/25. Geschichte - Traditionen - Lehren' einer der Höhepunkte. 2 7 9 Auch hier wird die untrennbare Verflechtung von Wissenschaft 274 275

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Hager: Das Vermächtnis von 1525, S. 53. Beispielsweise wünschte Admiral Verner, Stellvertretender Verteidigungsminister der D D R , dass die Konzeption zum Jubiläum verstärkt auf die sozialistische Wehrerziehung und die Nationale Volksarmee (NVA) als Armee der sozialistischen Militärkoalition verweise. Diesem Wunsch wurde nicht direkt entsprochen, wohl aber wurde er von Kurt Hager aufgenommen. BriefVerner an Reichelt, 4. Mai 1973, Unterlagen zum Bauernkriegsjubiläum 1975. ABBAW, ZIG 210. ABBAW, ZIG 344. Heitz/Laube/Steinmetz/Vogler: Der Bauer im Klassenkampf, S.VII. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften war 1972 in Akademie der Wissenschaften umbenannt worden.Vgl. auch 6.5. Auf die eigentlichen Festveranstaltungen soll hier nicht weiter eingegangen werden. Die meisten Aktivitäten wurden dezentral in Mühlhausen, Allstedt, Frankenhausen, Stolberg oder Heldrungen durchgeführt. Hier wurden Gedenkstätten restauriert und Umzüge und Feiern durchgeführt.

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und Politik erneut deutlich. Oberstes Ziel der Tagung war es nämlich, „der politisch-ideologischen Massenarbeit wichtige Impulse" zu geben. Grundlage fur die „politische Aussage der Konferenz" sollte die erwähnte Konzeption des K o mitees des Ministerrates der D D R bilden. 2 8 0 In Anbetracht dieser Zielsetzung wirken die meisten Beiträge erstaunlich unideologisch. Viele R e d n e r widmeten sich ausfuhrlich dem revolutionären Höhepunkt der Frühbürgerlichen R e v o l u tion, dem Bauernkrieg. Andere T h e m e n waren aber auch vertreten: D e r R e z e p tion des frühen 16. Jahrhunderts in der Arbeiterbewegung wurde ebenso viel R a u m eingeräumt wie dem internationalen Vergleich von „bäuerlichen Klassenkämpfen und antifeudalen Bewegungen im Ubergang vom Feudalismus zum Kapitalismus". 281 Große Anstrengung verwendeten die D D R - H i s t o r i k e r einmal mehr darauf, den frühbürgerlichen Charakter der Revolution nachzuweisen. M a x Steinmetz kam im eröffnenden Hauptreferat zuerst zwar auf das Verhältnis von R e f o r m a tion und Bauernkrieg zu sprechen und betonte, dass die Abwertung der R e f o r mation „politisch wie wissenschaftlich überholt" sei. In der Traditionspflege der D D R habe „das Reformationsjubiläum des Jahres 1967 ebenso einen festen Platz wie das Bauernkriegsjubiläum 1 9 7 4 / 7 5 " . 2 8 2 Hauptsächlich sprach er aber über die frühkapitalistische Wirtschaftsstruktur in den Aufstandsgebieten und über die aus bürgerlichem Milieu stammenden Trägerschichten. 2 8 3 Auch G e r hard Brendler widmete sich dem bürgerlichen Charakter des Bauernkrieges und wies diesen in der Wirkung von Müntzers Programm nach. Trotz der utopischkommunistischen Gedanken hätte Müntzers Volksreformation schließlich zu einer bürgerlichen Umgestaltung hingeführt. D e n Beweis dieser These sah Brendler im Ewigen R a t von Mühlhausen. Dieses Gremium, das dank Müntzers Aktivitäten im Frühjahr 1525 die Gewalt über die Stadt erlangt hatte, sei ein Organ der wohlhabenden Klein- und Mittelbürger gewesen. Der R a t habe primär bürgerliche Interessen vertreten und sich eine kritische Unabhängigkeit gegenüber Müntzer erhalten k ö n n e n . 2 8 4 Als dritter R e f e r e n t sollte Adolf Laube genannt werden. Auch er bekräftigte die Einschätzung, dass der Bauernkrieg Teil einer Frühbürgerlichen Revolution gewesen sei, und verwies auf die von ihm in der .Illustrierten Geschichte' präsentierten Ergebnisse. Sein Hauptanliegen war es 280 281

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ABBAW, ZIG 344. Die an der Tagung gehaltenen Referate wurden in einem Sammelband publiziert. Brendler/Laube: Der deutsche Bauernkrieg. Steinmetz: Der geschichtliche Platz, S. 2 6 3 . Das Referat wurde im Jahr 1 9 7 5 bereits in der ZfG publiziert und erschien in redigierter Form auch im Tagungsband von 1977. Die Aufstandsgebiete deckten sich erstens mit den Räumen, in denen eine frühkapitalistische Wirtschaftsstruktur nachzuweisen sei. Zu nennen wäre etwa das Erzgebirge, in dem kapitalintensiver Bergbau betrieben wurde. Zweitens könne festgestellt werden, dass die Anführer der Bauernhaufen oft nicht aus bäuerlichem, sondern aus bürgerlichem Milieu stammten. Das „Führungskader" der Aufständischen habe in Thüringen zirka 9 0 Mann umfasst, wovon bei 7 0 die soziale Herkunft nachgewiesen werden könne.Von diesen 7 0 stammten nicht weniger als 5 0 aus handwerklichen Berufen. Vgl. Steinmetz: Der geschichdiche Platz, S. 266. Vgl. Brendler: Idee und Wirklichkeit, S. 8 2 - 8 5 .

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Die Revolution wird europäisch aber, auf n o c h bestehende Forschungslücken hinzuweisen. Insbesondere sei die V e r k n ü p f u n g der ö k o n o m i s c h e n E n t w i c k l u n g hin z u m Frühkapitalismus mit den revolutionären Massenbewegungen zu B e g i n n des 16. Jahrhunderts n o c h äußerst mangelhaft. 2 8 5 Daraus ergaben sich laut Laube drei wichtige U n t e r s u chungsgebiete. Erstens müssten die Auswirkungen des Frühkapitalismus auf den Prozess der sozialen Differenzierung der Gesellschaft präziser untersucht w e r den. 2 8 6 Zweitens sei fraglich, wie die n o c h j u n g e „Handels- u n d M a n u f a k t u r bourgeoisie" gegenüber dem Bauernkrieg eingestellt gewesen sei. 287 Drittens sei n o c h weitgehend unklar, welche Auswirkungen die gesellschaftliche Situation auf die F o r m der Frühbürgerlichen Revolution gehabt habe. 2 8 8 Es war nicht Adolf Laubes Wissenschaftsstil, solche Fragen deduktiv zu klären. Daher blieb er auf der Konferenz eine Antwort schuldig. Bald darauf publizierte er j e d o c h U n t e r s u c h u n g e n , die sich genau diesem Problemfeld annahmen. Auf zwei Veröffentlichungen soll kurz eingegangen werden. Bereits im Jahr darauf erschien die bereits e r w ä h n t e Edition von .Flugschriften der Bauernkriegszeit'. D e r B a n d enthält sowohl Q u e l l e n der städtischen U n r u h e n im R e i c h von 1518—1523 als auch solche des Bauernkrieges von 1525. Diese Auswahl kann als Laubes A n t w o r t auf die von i h m gestellten Fragen verstanden werden. D i e in den Flugschriften manifesten Forderungen weisen auf einen engen Z u s a m m e n hang von lutherischer R e f o r m a t i o n u n d den sozialen u n d politischen Zielsetzungen der Aufständischen in den Städten u n d auf d e m Land hin. D a m i t wird die Publikation zum Indiz für das „Zusammentreffen von antifeudaler Massenb e w e g u n g u n d bürgerlicher R e f o r m a t i o n s b e w e g u n g " in der Frühbürgerlichen Revolution. 2 8 9 Im ersten Band des von i h m begründeten J a h r b u c h für Geschichte des Feudalismus' versuchte Laube dieselbe Frage über eine ökonomische A r g u m e n t a tion zu beantworten. Er widmete sich hierzu vor allem der Bedeutung der Antim o n o p o l b e w e g u n g , die sich insbesondere gegen die die G e l d - u n d H a n d e l s ströme im R e i c h b e h e r r s c h e n d e n Augsburger F i r m e n der Fugger u n d Welser gerichtet hatte. Anders als viele seiner Kollegen aus der marxistischen G e schichtswissenschaft sah Laube in diesen Handels- u n d Finanzgesellschaften keine Erscheinung des „progressiven Bürgertums". D e n n , so Laube, „erfolgreiche M o nopolisierungsbestrebungen setzten zumeist feudale Privilegien voraus". 2 9 0 Diese Verbindung von Feudalstruktur u n d ökonomischen M o n o p o l e n habe die weitere E n t f a l t u n g der bürgerlichen E n t w i c k l u n g massiv g e h e m m t . Ihren schärfsten A u s d r u c k fand die somit bürgerliche A n t i m o n o p o l b e w e g u n g laut 285 286 287 288 289 290

Vgl. Laube: Bemerkungen zum Zusammenhang, S. 60. Vgl. Laube: Bemerkungen zum Zusammenhang, S. 61. Laube: Bemerkungen zum Zusammenhang, S. 62/63. Vgl. Laube: Bemerkungen zum Zusammenhang, S. 64. Laube/Seiffert: Flugschriften der Bauernkriegszeit, S. 11. Laube: Die Herausbildung, S. 287. Es handelt sich um die ergänzte Version eines Vortrags, den Laube am 25. November 1975 gehalten hatte. Eine Kurzversion findet sich auch in: Max Steinmetz (Hg.): Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland, Berlin 1985, S. 250-266.

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Laube in den Schriften von Martin Luther und Ulrich Hutten. 291 Damit wurde die Reformation zu einer Bewegung mit bürgerlicher Stoßrichtung. Schwieriger fiel es Laube jedoch, die aufständischen Volksmassen unter das Dach einer Frühbürgerlichen Revolution zu bringen. Für Laube war es aber „klar, daß die Bourgeoisie zur Erfüllung ihrer historischen Mission die Volksmassen braucht. Sie muss diese zu einer Reservearmee für die Durchsetzung der eigenen Interessen pervertieren". 2 9 2 Der Bauernkrieg wird damit zu einer Bewegung degradiert, die nicht von den Aufständischen gelenkt wurde und letztlich deren eigenen Interessen widersprochen hat. Damit war Laube wieder darauf angewiesen, zwischen den subjektiven Zielen und der objektiven Wirkung der Revolution zu unterscheiden. Denn objektiv habe der Klassenkampf des frühen 16. Jahrhunderts „in Richtung auf eine weitere Zersetzung und Untergrabung des Feudalismus und die Förderung des kapitalistischen Fortschritts" hingewirkt. 2 9 3 Liest man Laubes wirtschaftsgeschichtlich orientierte Arbeiten aber vor dem Hintergrund seiner Editionsarbeit an den Flugschriften der Reformationszeit, so löst sich die strenge Gegenüberstellung von subjektiver und objektiver Zielsetzung in der Frühbürgerlichen Revolution in ein differenziertes Bild auf: Aufwändige Veröffentlichungen von Flugschriften lohnen den Arbeitsaufwand eigentlich nur dann, wenn man dem in dieser Quellengattung enthaltenen subjektiven Begehren auch historische Relevanz beimisst.

6.4.3 Gespräche durch den Eisernen Vorhang Die erneute Fixierung der ostdeutschen Diskussion auf die frühbürgerlichen Qualitäten der Revolution mag erstaunen. 294 Das Konzept der Frühbürgerlichen Revolution war seit 15 Jahren Konsens. Was sich in den letzten Jahren aber geändert hatte, war die Wahrnehmung der ostdeutschen Forschung in der B R D . In der Folge der oft mit der Chiffre ,1968' in Verbindung gebrachten sozialen und politischen Umbrüche und der Diskussionen um Staatsmacht und Widerstand der 1970er Jahre interessierte sich nach einer langen Pause nun auch die westdeutsche Geschichtsschreibung wieder für die revolutionären Ströme der deutschen Geschichte. 295 Die Arbeit an der Frühbürgerlichen Revolution wurde

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Vgl. Laube: Die Herausbildung, S. 295. Laube: Die Herausbildung, S. 289. Laube: Die Herausbildung, S. 3 0 3 . Vgl. auch Laube: Akademische Forschung, S. 91. Peter Blickle, der 1975 die erste Auflage seiner Bauernkriegsmonographie ,Die Revolution von 1525' veröffentlichte, schreibt aus der Distanz von rund 25 Jahren: „Stark geprägt, so erkennt man aus der Retrospektive, hat das historische Bewußtsein der Gegenwart die Auseinandersetzung mit dem Bauernkrieg als Revolution seit den 1970er Jahren. Unbeschadet des begünstigenden internationalen Klimas verlangte die politische Diskussion um zivilen Ungehorsam und Widerstand (Notgesetze, Atomkraft, Nachrüstung) nach Vergleichsstücken aus der Geschichte. Schon früh votierten Fakultäten, unpolitisch, wie sie sind, und allein am wissenschaftlichen Fort-

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nicht mehr nur ignoriert, sondern auch als neuer Orientierungspunkt wahrgenommen. Vorerst trat diese neue Auseinandersetzung jedoch erst in Form von deutlicher Kritik in Erscheinung. Vor allem der westdeutsche Reformationshistoriker Rainer Wohlfeil äußerte wiederholt sein Missbehagen gegenüber dem Term Frühbürgerliche Revolution. 296 Seine Auseinandersetzung mit der marxistischen Reformationsgeschichtsschreibung schlug sich 1972 im Sammelband .Reformation oder frühbürgerliche Revolution' 297 nieder, der erstmals Aufsätze aus Ost und West in einer Publikation vereinte. Die Teilnehmer der Erfurter Konferenz gingen mit keinem Wort auf diese Kritik ein. Das Jubiläum sollte nicht durch Zwischentöne gestört werden, eine Auseinandersetzung mit westlichen Konzepten hätte den Konsens des festlichen Rahmens gesprengt. Aber gerade das hartnäckige Schweigen lässt den Protokollband der Tagung wie eine trotzige Reaktion aufWohlfeils Aufsatzsammlung wirken. Außerhalb der zentral vom ZIG organisierten Veranstaltungen bot das Bauernkriegsjubiläum aber auch Raum für eine erste Kontaktaufnahme zwischen den Historikern der beiden verfeindeten politischen Blöcke. Einen offeneren Umgang mit der neuen Konkurrenz aus dem Westen wählte ausgerechnet Max Steinmetz. Kurz nach der Erfurter Konferenz fand eine ähnliche Veranstaltung in Leipzig (vom 2. bis 7. Februar 1975) statt. Diese von Steinmetz gewissermaßen als Konkurrenzveranstaltung geplante Tagung konnte auch Teilnehmer aus dem westlichen Ausland begrüßen und setzte sich dadurch stark von Erfurt ab. 298 Es war die erste Historikerkonferenz zur Frühbürgerlichen Revolution mit Teil-

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schritt interessiert, einstimmig für das Thema Bauernkrieg als Habilitationsvortrag." Vgl. Blickle: Der Bauernkrieg, S. 125/126. Wohlfeil wies vor allem daraufhin, dass zu Beginn des 16.Jahrhunderts nicht von Bürgertum gesprochen werden könne; zudem seien die städtischen Schichten kaum als Hauptträger des Bauernkrieges in Erscheinung getreten.Vgl.Wohlfeil: Einleitung, S. 13—15. Die eigentliche Pionierrolle in der westdeutschen Auseinandersetzung mit der Frühbürgerlichen Revolution kam aber Thomas Nipperdey zu. Er setzte sich bereits anlässlich des Reformationsjubiläums von 1967 eingehend mit der ostdeutschen Konzeption auseinander. „Die Annahme einer bürgerlichen Revolution ohne Bürgertum ist nicht zu verifizieren, und sie schafft, anstatt Probleme zu lösen, neue Probleme. Das liegt aber, meiner Meinung nach, an den scholastischen Konsequenzen und Axiomen der marxistischen Geschichtswissenschaft. Im Ansatz und in der Fragestellung und auch im Ansatz der Geschichtstheorie halte ich die marxistische Geschichtswissenschaft für fruchtbar, für fruchtbarer jedenfalls als man angesichts der scholastischen Konstruktion denken möchte. Und hier liegen wohl auch Chancen für eine Weiterentwicklung der marxistischen Wissenschaft und Forschung selbst", fasste Nipperdey in einem Vortrag 1967 seine Kritik zusammen. Offensichtlich interessierte sich auch Steinmetz für Nipperdeys Position - eine Kopie des Vortragsmanuskripts findet sich in Steinmetz' wissenschaftlichem Nachlass. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3/051. Das Referat bildete die Grundlage für einen Aufsatz, der in demselben Jahr erstmals publiziert und schließlich auch in den von Wohlfeil herausgegebenen Band aufgenommen worden ist. Nipperdey: Die Reformation als Problem. Es sei an dieser Stelle eine Bemerkung zu diesem Buchtitel erlaubt: Die Gegenüberstellung von ,frühbürgerlicher Revolution' und .Reformation' ist eigentlich nicht korrekt, da der Term Frühbürgerliche Revolution Reformation und Bauernkrieg beinhaltet. In Erfurt war das westliche Ausland nur durch einen Historiker aus den USA vertreten. Vgl. Laube: Akademische Forschung, S. 90.

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nehmenden aus der B R D . 2 9 9 Leipzig muss als mutiger Schritt Steinmetz' hin zu einem wissenschaftlichen Dialog angesehen werden, der ganz im Gegensatz zu der auf Abgrenzung angelegten Erfurter Veranstaltung stand. Die Leipziger Konferenz war nicht Teil des offiziellen Jubiläums und konnte so zum Spiegel der relativ liberalen Kulturpolitik der frühen Honecker-Jahre werden. 300 Obwohl die Konferenz inhaltlich wenig Neues zu Tage brachte, kann sie als erfolgreiche Veranstaltung gewertet werden. Einerseits weil sie das wenige Jahre zuvor noch undenkbare Kunststück vollbrachte, Historiker aus der D D R und der B R D an einen Tisch zu bringen. Andererseits stellte sie einen persönlichen Sieg für Max Steinmetz dar. Seit Ende der 1960er Jahre war in zunehmendem Maße ein Gerangel um die ersten Plätze in der Wissenschaftsgemeinschaft ausgebrochen. Neben persönlichen Rivalitäten kam es auch zu einer Konkurrenzsituation zwischen den einzelnen Institutionen, vor allem zwischen dem Institut für Deutsche Geschichte der Universität Leipzig und der Sektion Geschichte an der AdW. Dank der Konferenz von Leipzig war es Max Steinmetz gelungen, seinem Institut eine repräsentative Plattform zu bieten und sich kurz vor seiner Emeritierung als Kopf eines größeren wissenschaftlichen Projekts zu präsentieren. Im Unterschied zu der Erfurter AdW-Tagung blieb der europäische Fokus in Leipzig nicht auf den Ostblock begrenzt. Das aufkeimende Gespräch durch die Maschen des Eisernen Vorhanges hindurch fand bald darauf eine neue Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Im März des gleichen Jahres veranstaltete Peter Blickle in Memmingen aus Anlass der 450. Jahrestages des Bauernkrieges das internationale Symposium ,Revolte oder Revolution in Europa'. 3 0 1 Blickle veröffentlichte in demselben Jahr seine Monographie ,Die Revolution von 1525', in der die Interpretationstradition von Günther Franz ebenso auszumachen ist wie der intellektuelle Einfluss der Arbeiten von Adolf Laube, Max Steinmetz und Günter Vogler. 302 Konsequenterweise wurde das Dreigestirn Laube, Steinmetz und Vogler auch nach Memmin299

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Das westliche Ausland war neben den Westdeutschen Peter Blickle und Rainer Wohlfeil auch durch Historiker aus Frankreich, Belgien und den USA vertreten. Die an der Konferenz gehaltenen Referate wurden in einem Sammelband publiziert. Max Steinmetz (Hg.): Der deutsche Bauernkrieg und Thomas Müntzer. Wissenschaftliche Konferenz „Der deutsche Bauernkrieg - seine Stellung in der deutschen und europäischen Geschichte. Probleme - Wirkungen -Verpflichtungen", Leipzig 2. - 7.2.1975, Leipzig 1976. Die Jahre 1972-1976 waren für viele Kulturschaffende der D D R eine Zeit, in der ihre Arbeit weniger Restriktionen unterworfen war und sich die Freiräume der Bevölkerung vergrößerten. Die Störung westlicher Fernsehsender wurde ebenso eingestellt wie etwa der visafreie Verkehr nach Polen und in die Tschechoslowakei eingeführt wurde.Vgl. Jäger: Kultur und Politik, S. 147. Die Beiträge von Memmingen wurden als HZ-Beiheft veröffentlicht. Blickle: Revolte und Revolution. Bemerkenswert ist nicht nur das revolutionär-konstruktive Potenzial, das Blickle in der Revolution des gemeinen Mannes erkannte, sondern auch, dass er diesen in eine enge Verbindung zur Reformation brachte.Vgl. Blickle: Die Revolution. Von seiner Interpretation des Bauernkrieges aus entwickelte Blickle den Begriff der .Gemeindereformation', der Reformation und

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Die Revolution wird europäisch gen eingeladen. Ihre Teilnahme wurde in der D D R zwar gebilligt, löste auf offizieller Seite aber ein erhebliches Maß an Nervosität aus. Steinmetz arbeitete mit dem Direktor der Sektion Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, Werner Loch, eine schriftliche Aufgabenstellung für die drei Historiker aus. D i e Hauptaufgabe sei die „offensive Darlegung" der eigenen Forschungsergebnisse und die „Widerlegung gegnerischer Thesen". „Dabei geht es um Grundauffassungen des marxistischen Revolutionsverständnisses, um die weltgeschichtliche Einordnung der deutschen frühbürgerlichen Revolution, aber ebenso um Fragen der Agrarverfassung, des Territorialstaates, der Kirche usw. Da wir die Teilnehmer aus westlichen Ländern noch nicht kennen (das endgültige Programm liegt noch nicht vor), müssen wir uns möglichst umfassend auf die Diskussion, die in einem kleinen Kreis erfolgen wird, vorbereiten." 3 0 3 Trotz der langfristigen Planung war die Vorbereitung anscheinend nur zum Teil erfolgreich. Blickle stellte auf der Konferenz erstmals seine These der . R e v o lution des gemeinen Mannes' vor und löste damit bei den ostdeutschen Historikern einige Verwirrung aus. 304 Nun bezeichnete auch die imperialistische und rechtssozialdemokratische Geschichtsschreibung' den Bauernkrieg als eine R e volution und die DDR-Historiographie konnte sich nicht mehr damit begnügen, dem westlichen Konkurrenten vorzuwerfen, die soziale Dimension der Umbrüche des frühen 16. Jahrhunderts zu negieren. W i e ungewohnt und neu diese Situation fur die ostdeutsche Geschichtswissenschaft war, lässt sich auch anhand der Rezensionsgeschichte des Memminger Tagungsbandes erahnen. Siegfried Hoyer (1928), der seit 1977 Steinmetz' Lehrstuhl an der Universität Leipzig innehatte, übernahm die Aufgabe, diese Publikation in der Z f G zu besprechen. ZfG-Chefredaktor Becker drückte gegenüber Steinmetz großes Missbehagen bezüglich Hoyers unideologischer Herangehensweise aus: „Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache. Hoyer geht hier heran wie an einen x-beliebigen Sammelband, ohne davon auszugehen, daß es sich hier um ein Aufeinandertreffen grundsätzlich unterschiedlicher Konzeptionen handelt. [...] Da D u dabei warst, bitte ich D i c h um Deinen R a t , wie man Hoyer raten könnte." 3 0 5 So erhielt die Rezension eine kurze Einleitung, die auf die Besonderheiten der Tagung hinwies - die Diskussion über die Frühbürgerliche R e v o -

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Bauernkrieg vereinigt und damit dem eigentlichen Ziel des BegrifS Frühbürgerliche Revolution sehr nahe kommt. Vgl. Peter Blickle: Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil, München 1 9 8 5 / 2 1 9 8 7 . Aufgabenstellung für die Teilnahme am Symposium in Memmingen', datiert vom 15. Januar 1975. U A Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 2 4 1 . In einem Brief an Blickle äußerte sich Steinmetz folgendermaßen dazu: „Hätten wir Ihr Bauernkriegs-Buch vor Memmingen gehabt, wäre Ihre Tagungskonzeption sicher gut realisierbar gewesen. Aber so mussten Sie uns doch etwas überfordern. Jetzt, wo ich das B u c h einigermaßen kenne, wird mir klar, was Sie im einzelnen wollten. Mit einigermaßen will ich sagen, daß ich noch nicht alles begriffen habe." Brief Steinmetz an Blickle, 22. Juli 1975. U A Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 2 6 1 . Brief Becker an Steinmetz, 28. Juni 1976. UA Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 7 2 a+b.

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lution und die Konfrontation der marxistisch-leninistischen mit der bürgerlichen Auffassung sei ein „Grundzug des Memminger Symposiums" gewesen. 306 Die jungen westlichen Historiker seien nicht zuletzt darum bemüht, „eine methodologische Gegenposition gegen die komplexe marxistische Betrachtungsweise" aufzubauen. Eine Tatsache, die Hoyer durchaus positiv wertete. Denn schließlich habe „die Diskussion in Memmingen die Fruchtbarkeit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bei klarer Abgrenzung der unterschiedlichen weltanschaulichen Positionen" gezeigt. 307 Es sollte allerdings nochmals ein Jahr dauern, bis sich mit Adolf Laube erstmals ein Historiker der D D R inhaltlich zu Blickles Konzept der Revolution des gemeinen Mannes äußerte. 308 Mit den Konferenzen in Ost und West war 1975 eine Wende eingetreten. Die internationale Anerkennung der D D R und die sich normalisierenden Beziehungen zwischen der D D R und der BRD 3 0 9 hatten einen politischen Rahmen geschaffen, der den direkten Kontakt zwischen Historikern aus Ost und West möglich machte. Zudem war durch die seit Ende der 1960er Jahren entwickelte europäische Perspektive eine Interpretation entstanden, die eine weit bessere Diskussionsgrundlage bot als die frühere nationalistische Konzeption der Frühbürgerlichen Revolution. Die unterschiedlichen Ansätze der Reformations- und Bauernkriegsforschung wurden nicht mehr unbesehen beiseite gelassen; es setzte ein Prozess der Auseinandersetzung ein. Günter Vogler und Adolf Laube hatten mit ihren Arbeiten zur Frühbürgerlichen Revolution Ansätze vorgestellt, die auch fur westliche Historiker eine Herausforderung darstellten. Die bedeutenden Forschungsergebnisse konnten nicht mehr länger nur als sozialistische Propaganda bezeichnet und beiseite geschoben werden. Parallel dazu begann sich die DDR-Geschichtswissenschaft aber auch gegenüber bürgerlichen' Interpretationen zu öffnen. Dieser Austauschprozess setzte sich nach dem Bauernkriegsjubiläum fort. In den 1980er Jahren gehörten Konferenzen, an denen D D R -

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Hoyer: Rezension, S. 357. Hoyer: Rezension, S. 357. Die „Relevanz der These von der Revolution des gemeinen Mannes'" liegt laut Laube darin, dass damit „letztlich die Frage nach dem Verhältnis von Volksmassen und Revolution angesprochen" wird. Laube: Bemerkungen zur These, S. 608. Die Begriffs Verwendung sei insofern zu begrüßen, als damit nun auch von bürgerlicher Seite die soziale Breite der Trägerschicht anerkannt werde. Er sei aber nicht tragfähig für die Bestimmung des Charakters der Revolution. „Die Volksmassen - der .gemeine Mann' - spielten die entscheidende Rolle als Triebkraft der Revolution des frühen 16. Jh.; der Charakter der Revolution war aber nicht der einer ,Revolution des gemeinen Mannes', sondern der einer frühen, noch unausgereiften Form der bürgerlichen Revolution." Ebd., S. 614. Laube wertete es positiv, dass der Begriff auf die soziale Breite der Bewegung hinweist und den auf die Bauern konzentrierten Blick ersetzt. Dagegen sei der Term aber ungeeignet, um eine Revolution zu charakterisieren. Diese werde immer durch den Charakter der Epoche, die Gesamtheit der ökonomisch-gesellschaftlichen Bedingungen bestimmt.Vgl. ebd., S. 612/613. Als wichtigste Eckdaten sollten an dieser Stelle das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin von 1971 und der Grundlagenvertrag von 1972 genannt werden.

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Die Revolution

wird europäisch

und westliche (insbesondere auch britische und US-amerikanische) Historiker zusammenkamen, schon beinahe zum wissenschaftlichen Alltag.310 Rückblickend realisiert man erstaunt, wie nahe sich die Interpretationen des frühen 16. Jahrhunderts bereits im Bauernkriegsjahr 1975 gekommen waren. Wie Günther Franz 1976 konstatierte, war man sich in beiden deutschen Geschichtswissenschaften einig, dass der Bauernkrieg als Revolution zu werten sei.311 Peter Blickles These der Revolution des gemeinen Mannes weist jedoch mehr Parallelen zu Günter Voglers Interpretation auf, als in der politischen Polarisierung des Kalten Krieges wohl zu erkennen war. Nicht nur der Titel von Voglers 1975 publiziertem dünnen Bändchen ,Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk' macht eine partielle Verwandtschaft deutlich. So betonte hier Vogler nun erstmals, dass Luthers Idee des göttlichen Rechts erst die Möglichkeit geschaffen habe, lokale Forderungen der Bauern auf die Stufe eines allgemeinen Programms zu heben. 312 Vogler verknüpfte Reformation und Bauernkrieg also mit demselben Band, das auch in Blickles Interpretation eine wesentliche Rolle spielt. Vogler sah in Reformation und Bauernkrieg nach wie vor eine soziale Revolution, einen Klassenkampf mit bürgerlicher Zielrichtung. Dieses Interpretationsmodell schottete sich nun aber gegenüber bürgerlichen Ansätzen nicht mehr ab, sondern versuchte, deren Erkenntnisse zu integrieren. Wie fruchtbar dieser Prozess sein konnte, zeigt ein Aufsatz, den Gerhard Heitz und Günter Vogler nach dem Jubiläumsjahr erarbeiteten. In international vergleichender Perspektive widmeten sie sich der Frage nach dem allgemeinen Verhältnis der Bauern zu bürgerlichen Revolutionen. Die Autoren erblickten in der Agrarfrage das zentrale Bindeglied zwischen bäuerlichen Interessen und bürgerlichen Zielsetzungen in der Zeit des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Obwohl die Bauern subjektiv nie das Ende der Feudalordnung wollten, hätten ihre Forderungen nach höheren Anteilen am Mehrprodukt, einer Lockerung der feudalen Bindungen oder dem verbesserten Zugang zur Allmend objektiv zu einer „dem Fortschritt dienenden" antifeudalen Zielsetzung gefuhrt. 313 Daher sei es kaum erstaunlich, dass alle bürgerlichen Revolutionen der Ubergangsepoche - explizit genannt werden die Frühbürgerliche Revolution, die Niederländische Revolution, die Englische Revolution vom 17. Jahrhundert und die Französische Revolution — die Agrarfrage integriert hatten. 314 Konkret sprachen die Autoren von vier Aspekten, die den bäuerlichen Klassenkampf ausgelöst hätten: Erstens die sich vertiefende Ware-Geld-Beziehung beziehungsweise die Integration bäuerlicher Produzenten in den Markt. Zweitens der zur Sicherung der Feudalverhält-

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Vgl. etwa Laube: Akademische Forschung, S. 94-97. Vgl. Franz: 450 Jahre Bauernkrieg, S. 4. Eine zeitgenössische Perspektive auf diese Frage findet sich auch in Schulze: Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Vogler: Die Gewalt, S. 16-25. Heitz/Vogler: Agrarfrage, S. 1064. Vgl. Heitz/Vogler: Agrarfrage, S. 1076.

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nisse verstärkt ausgeübte außerökonomische Zwang des Feudalstaates. Drittens religiöse und konfessionelle Probleme und viertens die durch „Feudalkriege der großen Mächte" gesteigerte Belastung der Bauern. 315 Die bäuerlichen Massen erscheinen nicht mehr nur als Marionetten des materiellen Unterbaus und der ihnen von der Geschichte objektiv zugewiesenen Aufgabe, sondern als wichtige „Potenzen" der „gesellschaftlichen Entwicklung". 316 Die ökonomische Lage und die politischen Verhältnisse werden somit zur Analyse der revolutionären Umbrüche des frühen 16. Jahrhunderts kombiniert. Historiker wie Vogler und Laube hatten das Konzept der Frühbürgerlichen Revolution im Verlauf der 1970er Jahre nicht nur durch intellektuelle Operationen bearbeitet, sondern auch mit einem empirischen Fundament zu untermauern versucht. Die analytische Kraft der Interpretation von Reformation und Bauernkrieg als Frühbürgerliche Revolution hatte damit Ende der 1970er ihren Höhepunkt erreicht. Die Frühbürgerliche Revolution umfasste nun den engen Zeitraum von 1517-1525. Gegenüber früheren Periodisierungen brachten die 1970er Jahre drei wichtige Fortschritte: Erstens stellt Frühbürgerliche Revolution nun einen klar definierten Begriff dar und verkommt nicht zum Sammelbecken für jede Empörung des 16. Jahrhunderts. Zweitens ergibt sich eine willkommene Uberschneidung der wichtigsten Schauplätze der Frühbürgerlichen Revolution mit Räumen, die im frühen 16. Jahrhundert bereits frühkapitalistische Produktionsstrukturen aufgewiesen hatten. Und drittens liegen diese Schauplätze fast ausnahmslos - von Wittenberg über Mühlhausen bis nach Frankenhausen — auf dem Hoheitsgebiet der D D R . Einzig die oberdeutschen Bauernunruhen mussten der B R D überlassen werden.

6.5 Die Frühbürgerliche Revolution im Zeichen von ,Erbe und Tradition' Immer mehr Länder anerkannten die D D R im Laufe der 1970er Jahre als eigenständigen Staat und 1973 wurde sie in die U N O aufgenommen. Begleitet war dieser völkerrechtliche Prozess von einer zunehmenden Abgrenzung von der Idee der deutschen Nation und der BRD. In der revidierten Verfassung von 1974 wurde die D D R nur mehr als sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern' bezeichnet und der Begriff,Deutschland' verschwand aus immer mehr Bezeichnungen. Bereits 1972 war etwa die Deutsche Akademie der Wissenschaften zur Akademie der Wissenschaften (AdW) geworden. Ein solcher Wandel hin zu einer sozialistischen Nationalkultur hatte auch Auswirkung auf das Geschichtsbild. „Die sozialistische Kultur der D D R " , so steht es in dem auf dem IX. Parteitag

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Vgl. Heitz/Vogler: Agrarfrage, S. 1076/1077. Heitz/Vogler: Agrarfrage, S. 1078.

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Die Frühbürgerliche Revolution im Zeichen von ,Erbe und Tradition ' der SED (1976) erneuerten Parteiprogramm, „ist dem reichen Erbe verpflichtet, das in der gesamten Geschichte des deutschen Volkes geschaffen w u r d e . Alles Große u n d Edle, Humanistische u n d Revolutionäre wird in der D D R in Ehren bewahrt u n d weitergeführt, indem es zu den Aufgaben der Gegenwart in lebendige B e z i e h u n g gesetzt w i r d . " 3 1 7 Diese O r i e n t i e r u n g w u r d e infolge der 1977 einsetzenden Vorbereitungen z u m 30. Jahrestag der G r ü n d u n g der D D R durch Erich H o n e c k e r bestätigt. Er bezeichnete es als einen „unverrückbaren G r u n d satz sozialistischer Traditionspflege", dass „die progressiven u n d humanistischen Traditionen" weiterhin „ohne j e d e E n g e " gepflegt würden. 3 1 8 Aufmerksamkeit verdient die Formulierung „ o h n e j e d e E n g e " . H o n e c k e r meinte damit keineswegs eine Abkehr v o m eingeengten Nationsbegriff: Die N a t i o n war die D D R , ihr historisches E r b e aber die deutsche Geschichte. So lange sich der zweite deutsche Staat als die progressive Hälfte der deutschen Nation verstanden hatte, k o n n t e er sich ausschließlich auf den progressiven Strang der deutschen G e schichte, seine Tradition beziehen. Z u r Geschichte einer eigenständigen N a t i o n gehörte n u n aber auch ein Erbe nur bedingt fortschrittlicher Elemente. Dieser Wandel im Selbstverständnis der D D R beeinflusste bald auch die Rezeption von R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg in der Geschichtswissenschaft. 319

6.5.1 Aufstieg eines neuen Paradigmas Ab M i t t e der 1970er Jahre prägte die D e b a t t e u m die H a l t u n g der sozialistischen Gesellschaft' zu ihrem Erbe u n d ihrer Tradition zunehmend den historiographischen Diskurs. Die Auseinandersetzung schlug sich in einer unüberblickbaren Anzahl v o n Aufsätzen u n d Artikeln nieder u n d war auch b e i m Fall der Berliner Mauer noch nicht wirklich verebbt. 3 2 0 Die Formel ,Erbe u n d Tradition' als U b e r b e g r i f f für die Diskussion u m das eigene Geschichtsverständnis setzte sich erst 1980 durch. Im November dieses Jahres fand in Berlin eine Tagung über ,Probleme des historischen Erbes u n d der Tradition' statt. Hier w u r d e der A n spruch der D D R auf die ganze deutsche Geschichte erneut deutlich. A m E n d e der Konferenz standen zwei D e f i n i t i o n e n : U n t e r Erbe w u r d e von n u n an die Gesamtheit des historisch Gegebenen verstanden, inklusive aller „Widersprüchlichkeiten u n d Verfehlungen". Die Tradition umfasste dagegen nur die im B e wusstsein der sozialistischen Gesellschaft verwurzelte Erfahrung, also diejenigen Kräfte der Geschichte, die i m Z e i c h e n des Fortschritts w i r k t e n . Diese f o r t -

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Programm der SED, Berlin 1976, S. 52. Erich Honecker in einem Bericht an die 5. Tagung des ZK der SED, zitiert nach: Meier/ Schmidt: Erbe und Tradition, S. 14. Vgl. auch Schultz: Die DDR-Geschichtswissenschaft, S. 229. Die umfassendste Bibliographie zu diesem Thema findet sich im Sammelband Meier/ Schmidt: Erbe und Tradition.

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schriftliche Traditionslinie der deutschen Geschichte wurde daher als Kontinuum verstanden, an dessen Ende sich die D D R befinde. 321 Erste Auswirkungen des neu propagierten Geschichtsbildes machten sich bezüglich der Darstellung der preußischen Geschichte bemerkbar. Ingrid Mittenzwei publizierte 1978 den Aufsatz ,Die zwei Gesichter Preußens', in dem sie gegen den undifferenziert negativen Umgang mit der preußischen Vergangenheit anschrieb. Auch Preußen sei Teil des Erbes der D D R . „Ein Volk kann sich seine Traditionen nicht aussuchen; es muß sich ihnen stellen." Die „reaktionären Erscheinungen" einfach zu negieren „wäre sträflich, denn auch sie haben ihre Wirkungsgeschichte, die bis in unsere Tage hineinreicht". 322 Im folgenden Jahr erschien in der D D R erstmals eine Biographie Friedrichs des Großen. Mittenzwei sorgte mit diesem Versuch, sich von vulgärmarxistischen Klischeevorstellungen zu lösen, nicht nur in der D D R für Aufsehen. 323 Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung Mitte der 1980er Jahre mit der Publikation von Ernst Engelbergs Bismarck-Biographie. 324 Zwischen diese beiden Veröffentlichungen fiel ein Großereignis, das ebenfalls stark von der Diskussion um Erbe und Tradition geprägt wurde: der 500. Geburtstag Martin Luthers. Mit der Debatte um Erbe und Tradition vollführte die DDR-Historie einen Wandel hin zu einer personenzentrierten Geschichtsschreibung. 325 Die materiellen Strukturen, die Klassenkämpfe und gesellschaftlichen Antagonismen wurden durch die Taten der ,großen Männer' und einen neuerlichen Triumph des Etatismus in den Hintergrund gedrängt. Aber nicht nur die preußische Geschichte an sich, sondern auch die damit verbundene historiographische Tradition erlebte eine Renaissance. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung Mitte der 1980er Jahre forderte der Direktor des ZIG, Walter Schmidt, unter Berufung auf Ranke die Historisierung und historische Relativierung des in der D D R gewachsenen Geschichtsverständnisses.326 Die Historikerin Helga Schultz stellt daher die Frage, ob es in der DDR-Geschichtswissenschaft zu dieser Zeit eine „konservative Wende" gegeben habe. 327 Ob die Enttabuisierung von histori-

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Vgl. Abendroth: Das Ende, S. 71-73. Mittenzwei: Die zwei Gesichter Preußens, S. 73. Vgl. Ingrid Mittenzwei: Friedrich II. von Preußen. Eine Biographie, Berlin 1978. Vgl. Ernst Engelberg: Bismarck. Urpreuße und Reichsgründer, Berlin 1985. Vgl. Schultz: Die DDR-Geschichtswissenschaft, S. 231. Schmidt: Zur Entwicklung, insbesondere S. 196. Schultz: Die DDR-Geschichtswissenschaft, S. 228, 231/232. Schultz bejaht diese Frage nur bedingt. „Innovativ und subversiv war im Osten nicht dasselbe wie im Westen. Man kann die merkwürdigen Wendungen in der Geschichtsschreibung der späten DDR-Zeit auch anders lesen, sie jenseits eines Koordinatensystems von links und rechts, progressiv und konservativ begreifen. Die Enttabuisierung von Personen und Institutionen der deutschen Geschichte gewann in der geistigen Abgeschlossenheit der D D R fast emanzipatorische Bedeutung. Es war zweifellos nicht im engeren Sinn wissenschaftliches Interesse, sondern ein Verlangen nach historischer Orientierung und Selbstvergewisserung, das die Biographien des Reichskanzlers und des Preußenkönigs zu großen buchhändlerischen Erfolgen machte." Ebd., S. 234/235.

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Die Frühbürgerliche Revolution im Zeichen von ,Erbe und Tradition ' sehen G r ö ß e n n u n als konservative oder innovative W e n d e aufgefasst wird, ist letztlich zweitrangig. Festzuhalten gilt es, dass die Debatte u m Erbe u n d Tradition in den 1970er Jahren n e u e Gegenstände u n d Perspektiven definierte, die bald darauf in die Historie eindrangen. Wesentlicher Gegenstand dieser Diskussion war auch die Frühbürgerliche R e v o l u t i o n . D e r revolutionäre K a m p f der Volksmassen im B a u e r n k r i e g war schon in der deutschen Arbeiterbewegung u n d später in der D D R als Teil der eigenen Tradition verstanden worden. Etwas schwieriger tat sich die D D R - G e schichtswissenschaft bisher aber im U m g a n g mit der R e f o r m a t i o n u n d insbesondere mit Martin Luther. N u n entstand ein Geschichtsbild, das auch W i d e r sprüchlichkeiten Platz b o t u n d den Wittenberger R e f o r m a t o r zu bisher u n g e wohnter Größe emporwachsen ließ. Ein erstes Anzeichen dieser Entwicklung lässt sich im Jahr 1977 ausmachen. Auf einer Konferenz aus Anlass der E m e r i t i e r u n g von M a x Steinmetz betonte dessen Leipziger Kollege u n d Nachfolger Siegfried Hoyer, dass der Blick über den Bauernkrieg hinaus wieder verstärkt auf die R e f o r m a t i o n als Teil der Frühbürgerlichen R e v o l u t i o n gelenkt werden sollte. 3 2 8 W ä h r e n d des vergangenen Jubiläums habe festgestellt werden k ö n n e n , dass die R e f o r m a t i o n von der Forschung bislang vernachlässigt worden sei. Er vertrat die Auffassung, dass die R e formation „nach u n d neben der Renaissance, von dieser nicht zuletzt durch den A u f s c h w u n g der humanistischen Wissenschaften nachhaltig beeinflusst, die zweite Etappe auf d e m Weg zur Durchsetzung einer d e m B ü r g e r t u m gemäßen Ideologie" gewesen sei. 329 Die R e f o r m a t i o n sei daher auf ideologischem Gebiet ebenso als R e v o l u t i o n zu betrachten wie die Renaissance. Entsprechend d e m Charakter der R e f o r m a t i o n habe die Rebellion nicht mit einem Bastillesturm oder einem Fenstersturz b e g o n n e n , sondern mit d e m Thesenanschlag. O b w o h l sich Luther v o m „fleischlichen Mißverstehen des Wort Gottes" abgewandt habe, sei er dadurch z u m Revolutionär geworden. 3 3 0 Solche Aussagen k ö n n e n nicht als eigenständiges, neues Interpretationskonzept bezeichnet werden. Betrachtet man die zehn Jahre zuvor erschienene Luther-Biographie von Gerhard Zschäbitz, wird deutlich, dass der R e f o r m a t o r in den 1960er Jahren teilweise noch p o sitiver dargestellt w o r d e n ist. Im Gegensatz zu Zschäbitz' Arbeit kann Hoyers Aufsatz aber an den Anfang einer kontinuierlichen Entwicklung gestellt werden. Er war nämlich ein erster Vorbote des Lutherjahres 1983, 3 3 1 in dessen Z u s a m m e n h a n g die Diskussion u m E r b e u n d Tradition u n d die damit v e r b u n d e n e N e u b e w e r t u n g Luthers einen H ö h e p u n k t erreichte: Die Referate wurden nach

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Die Konferenz fand am 10. und 11. Oktober 1977 am Vorabend von Steinmetz' 65. Geburtstag statt. Am zweiten Konferenztag wurde dem Jubilar die Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig verliehen. Die Referate und Diskussionsbeiträge sind in einem Sammelband erschienen. Hoyer: Reform — Reformation - Revolution. Hoyer: Reform - Reformation - Revolution, S. 13. Hoyer: Reform - Reformation - Revolution, S. 16. 1983 jährte sich der Geburtstag von Martin Luther zum 500. Mal.Vgl. folgendes Kapitel.

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der Emeritierungskonferenz in einem Sammelband vereinigt, der laut Steinmetz und Hoyer „nicht als Nachtrag zum Gedenkjahr 1975 gedacht" war, sondern sich auf das „vor uns liegende Ereignis der 500-Jahrfeier des Geburtstages von Martin Luther" ausrichte. 332

6.5.2 Vorbereitungen für den 500. Geburtstag Martin Luthers Gut drei Jahre bevor sich der Geburtstag Martin Luthers zum 500. Mal jährte, kamen in Berlin rund 100 teils hochrangige Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Kultur zur konstituierenden Sitzung des Martin-Luther-Komitees der D D R zusammen. Kein geringerer als Erich Honecker eröffnete am 13. Juni 1980 diese Sitzung und übernahm offiziell den Vorsitz des Komitees. Damit war die Bedeutung, welche die SED und die Regierung der D D R dem kommenden Jubiläum beimaß, öffentlich geworden. Die Zeiten, in denen Luther in der D D R nur als Bauernschlächter Erwähnung fand, waren seit den frühen 1960er Jahren vorbei. Dennoch war der Wittenberger Reformator außer im Jubiläumsjahr 1967 meist im Hintergrund gehalten worden. Die Hauptperson, der eigentliche Revolutionär, wurde in Thomas Müntzer gesehen. Mit Honeckers Übernahme des Vorsitzes beim Luther-Komitee war diese Rangfolge umgedreht worden. Auch Honecker sah sich veranlasst, diese Verschiebung zu begründen. Einzig die Leistung einer Persönlichkeit im und zum gesellschaftlichen Fortschritt, „ganz gleich, in welcher sozialen oder klassenmäßigen Bindung sie sich befand", dürfe für die Erbpflege ausschlaggebend sein. 333 Und daher, so sprach er auf der konstituierenden Sitzung, sollte Luther aufgrund der historischen Leistung, „die er durch die Einleitung der Reformation, welche eine bürgerliche Revolution darstellte, für den gesellschaftlichen Fortschritt und die Weltkultur vollbracht hat", als „einer der größten Söhne des deutschen Volkes" gewürdigt werden. Luther wurde jetzt als „Wegbereiter" der Reformation, dessen Wirken zu den „progressiven Traditionen" der D D R zu zählen sei, ins Zentrum gerückt. „Wir dürfen sagen, daß unser Vaterland, die Deutsche Demokratische Republik, dieses kostbare Erbe in sich aufgenommen hat." 3 3 4 Damit hatte Honecker Luther voll in die Diskussion um Erbe und Tradition der D D R integriert. Nach Friedrich dem Großen begann nun der Wittenberger Reformator kraft dieser Debatte in neuem Licht zu erstrahlen. Es wäre aber verfehlt, den ersten Mann in Staat und Partei alleine an den Anfang dieser Entwicklung zu setzen. Eine zentrale Rolle spielte auch die AdW, deren Zuarbeiten auch Honeckers Eröffnungsrede prägten. 335

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Brief Hoyer/Steinmetz an die Redaktion der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Karl-MarxUniversität Leipzig, 28. Juni 1977. U A Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 0 5 4 . Honecker: Unsere Zeit verlangt Parteinahme, S. 12. Honecker: Unsere Zeit verlangt Parteinahme, S. 11. Vgl. Laube: Akademische Forschung, S. 93.

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Die Frühbürgerliche

Revolution

im Zeichen

von ,Erbe und Tradition '

Seit 1977 waren Historiker zweier Institutionen mit Vorbereitungen zum Luthequbiläum beschäftigt gewesen. Noch während seines Emeritierungsgesprächs wurde Max Steinmetz vom Rektor der Karl-Marx-Universität Leipzig auf die Möglichkeit einer zentralen Konferenz zum Lutherjahr angesprochen. 336 Bis zum April erarbeitete Steinmetz einen Entwurf flir eine solche Veranstaltung in Leipzig. Wohl unabhängig davon bildeten im November 1977 die evangelischen Kirchen der D D R in Hinblick auf das Lutherjubiläum eine Koordinierungsgruppe 3 3 7 und an der AdW kam ungefähr zeitgleich eine Arbeitsgruppe mit ähnlicher Zielsetzung zusammen. Unter der Leitung Adolf Laubes entstand eine erste ,Konzeption für die Lutherfeierlichkeiten' zuhanden des Ministeriums fur Kultur. 338 Während Steinmetz davon sprach, dass „kein ,Denn er war unser', keine Jubeltöne, sondern kritische Distanz und parteiliche Einschätzung" das Jubiläum prägen sollten, 339 sah Laube Luthers Wirken weit positiver. „Die Rolle Luthers, Wesen und Bedeutung der Reformation, gehören zu den fortschrittlichen Traditionen des deutschen Volkes, die, in der Geschichte fortwirkend, das Ringen der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten um die Gestaltung einer neuen, sozialistischen Gesellschaftsordnung zutiefst beeinflusst haben und in der D D R zur vollen Entfaltung gekommen sind." 340 Neben solch generellen Überlegungen beinhaltete diese Konzeption von 1978 aber auch bereits die Idee einer großen wissenschaftlichen Konferenz, eine größere Zahl von geplanten wissenschaftlichen Publikationsprojekten wurde erwähnt und die Bildung eines nationalen Luther-Komitees sowie die Renovation einzelner Luther-Gedenkstätten und Museen wurden vorgeschlagen.341 Ahnlich wie bereits im Bauernkriegsjahr 1975 war auch hinsichtlich des Lutheqahres ein Konkurrenzverhältnis zwischen Leipzig und Berlin entstanden, das dieses Mal von Anfang an zugunsten der AdW entschieden war. Der AdW wurde nicht nur die Koordination sämtlicher Veranstaltungen und Publikationen übertragen, sondern sie erhielt auch den Auftrag, „Thesen über Martin Luther" auszuarbeiten. Unter der Leitung von Horst Bartel fanden sich diverse Wissenschaftler der Akademie und von Universitäten zusammen, um dieses richtungsweisende Papier zu erstellen. Die Hauptarbeit wurde von den beiden Akademie-Historikern Adolf Laube und Gerhard Brendler geleistet. 342 Anschließend wurden die Thesen im Organisationskomitee des staatlichen Luther-Komitees besprochen und nach mehrfacher Überarbeitung dem ZK der SED zur Bestätigung vorgelegt

336 V g l U A Leipzig, NL Steinmetz, 2/247. 337 Vgl. Roy: Luther, S. 177/178. 338 Vgl. SAPMO BArch, vorl. SED 33276. 339 Konzeptionsentwurf Steinmetz vom 3. April 1977. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/247. 340 Erste Konzeption vom 14. November 1978. SAPMO BArch, vorl. SED 33276. 341 Vgl. SAPMO BArch, vorl. SED 33276. Der Entwurf findet sich auch abgedruckt in Roy: Luther, S. 323-328. 342 Vgl. ABBAW, Historikergesellschaft 27.Vgl. auch Roy: Luther, S. 190/191. Roy betont vor allem die Prägung der Thesen durch Gerhard Brendler.

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(Februar 1981). 343 Erst danach erfolgte die Veröffentlichung in der SED-Zeitschrift ,Einheit', in der ZfG und als gesonderte Broschüre. 344 Die 15 Thesen widmen sich hauptsächlich dem "Wirken Martin Luthers, behandeln in knapper Form aber auch die Gesamterscheinung der Frühbürgerlichen Revolution. 3 4 5 W i e schon beim Reformationsjubiläum 1967 wurde die Reformation wieder zur ersten Phase der Frühbürgerlichen Revolution erklärt (These I). Dabei wurde der Theologie Luthers allgemein ein höherer Stellenwert eingeräumt, als dies bei früheren Konzepten der Fall gewesen war. Martin Luther habe „die theologische Grundlage für die Herausbildung einer reformatorischen Ideologie, die unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen revolutionäre Wirkung erlangten", geschaffen (These II). Der eigentliche Auslöser der Frühbürgerlichen Revolution wurde damit in die Theologie verlagert, die gesellschaftliche Situation erscheint nur noch als eine Art Rahmenbedingung. Eher stiefmütterlich wurde die Frage nach dem Charakter der Bewegung behandelt. Luther habe auf dem Höhepunkt seiner „ideologischen" Arbeit die Interessen der bürgerlichen Oberschicht, frühkapitalistischer Kräfte und von vielen Städten zum Ausdruck gebracht. „Die Reformation setzte Potenzen frei, den beginnenden Ubergang vom Feudalismus zum Kapitalismus zu fordern. Dies verlieh ihr einen im Kern bürgerlich-progressiven Charakter." Luthers Schrift ,An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung' sei ein besonders deutlicher Ausdruck davon (These III). Was bereits die zweite These angedeutet hat, wird bei der dritten also erneut deutlich: Die strukturellen Verhältnisse der Epoche werden nicht mehr als Determinanten der historischen Entwicklung anerkannt; der Reformation wurde ein größerer Eigenwert zugestanden. Die Bürgerlichkeit der Bewegung wurde nicht mehr aus ihrer o b j e k t i ven historischen Aufgabe', sondern aus der Rezeption einzelner Programme abgeleitet. Die Thesen V bis VII beschäftigen sich mit Luthers Verhalten während des Bauernkriegs. Luther habe „viele der Forderungen [der Bauern, Im] für berechtigt" gehalten. Seine Orientierung an den Landesfursten wurde mit seiner klassenbedingt begrenzten Zielstellung begründet und seine Agitation gegen die Bauern beinahe dadurch entschuldigt, dass sie für den Ausgang des Kampfes nicht mehr entscheidend gewesen sei. Z u d e m sei Luther anfänglich ehrlich u m Frieden bemüht gewesen. Die Niederlage der aufständischen Bauern erscheint nicht mehr als epochaler Einschnitt; es wird sogar darauf verwiesen, dass Luther 343

344 345

Vgl. Brief Bartel an Hörning, 23. Februar 1981. SAPMO BArch, vorl. SED 33276.Vgl. auch Laube: Akademische Forschung, S. 93. Vgl. Thesen über Martin Luther. Ausführliche Besprechungen der Thesen finden sich auch bei Lehmann: Die 15 Thesen und bei Roy: Luther, S. 192-197. Beide Autoren gehen dabei von einer normativen Wertung aus. Lehmann sieht in den Thesen von oben verordnete Richtlinien, spricht von den „15 Thesen der SED" und interessiert sich vor allem für die faktische Uberprüfung der Thesen. Roy zieht den Entstehungskontext stärker mit ein, geht aber auch davon aus, dass die Arbeitsgruppe am ZIG der AdW den Auftrag hatte, eine „offiziöse Position" auszuarbeiten (ebd., S. 190).

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nach 1526 versucht habe, „mit Hilfe der Fürsten die bürgerlich-gemäßigte R e formation ,νοη oben' weiter voranzutreiben". Zudem habe Luther seine Aufmerksamkeit vermehrt der Versorgung von Bildungsinstitutionen und dem Armenwesen zugewandt (These VII). Seine verbalen Angriffe gegen die aufständischen Bauern wurden nicht verneint, sondern als zwar tragisches, aber entschuldbares Fehlverhalten dargestellt. Adolf Laube, der an der Ausarbeitung der Thesen wesentlichen Anteil hatte, bezeichnet diese aus 20-jähriger Distanz als „eine logische Weiterentwicklung des seit 1960 schrittweise erarbeiteten Bildes". 346 Tatsächlich bemühte sich Laube schon Mitte der 1970er Jahre darum, den progressiven Gehalt von Luthers Schriften herauszuarbeiten. Ging es ihm damals jedoch um deren ökonomische Programmatik, nahmen die Thesen eher den Argumentationsstil der späten 1960er Jahre wieder a u f - dies gilt vor allem für diejenigen Abschnitte, die sich der Wirkung der Reformation widmen. In undifferenzierter Weise wurden Zwingli und Calvin und deren Rezeption einseitig auf Luther zurückgeführt. 347 Der Wittenberger Reformator wurde damit zum Auslöser einer „europäischen Erscheinung, die den Ubergang vom Feudalismus zum Kapitalismus beschleunigte" (These VIII). Nicht mehr weit ist es von hier zu der von Gerhard Ritter geprägten und im Zuge des Reformationsjubiläums 1967 revitalisierten Formel von der ,Weltwirkung der Reformation'. Mit der europäischen Konzeption der 1970er Jahre hatte dies nur mehr wenig gemein: Waren die revolutionären U m brüche des frühen 16. Jahrhunderts von Günter Vogler zehn Jahre zuvor als Teil einer europäischen Bewegung interpretiert worden, erscheint die Reformation jetzt als nationales Ereignis mit europäischer Wirkung. Die D D R - das machte die XV. These deutlich - verstand sich nun als die verantwortungsvolle Hüterin von Luthers Erbe. Sie garantiere den lutherischen Kirchen wie auch allen anderen Glaubensgemeinschaften in der D D R verfassungsmäßig „breite Möglichkeiten zu ihrer Betätigung" (These XV). Seit Meusels Begriffsschöpfung war der Wittenberger Theologe Teil des Konzeptes der Frühbürgerlichen Revolution gewesen. Mit den Luther-Thesen erfolgte also weniger eine Integration Luthers in diese Interpretation hinein, als eine Neubewertung seiner Person und seines Handelns innerhalb der marxistisch-leninistischen Deutungstradition. Dennoch stellten die Thesen eine Neuausrichtung des Lutherbildes in der D D R dar.Vergleicht man sie mit früheren offiziellen Posititionspapieren - etwa den Konzeptionen für die Feierlichkeiten von 1967 und 1975 —, so scheint in zweifacherWeise ein Vorzeichenwechsel stattgefunden zu haben. Einerseits was die Gewichtung von Thomas Müntzer und Martin Luther betrifft und andererseits bezüglich der Bedeutung, die Luthers theologischem Schaffen zuerkannt wurde. Die Frühbürgerliche Revolution verlor viel vom Charakter einer sozio-ökonomisch determinierten gesell-

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Laube: Akademische Forschung, S. 94. Diese Sichtweise hatte auch die Thesen von Wernigerode geprägt.

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schaftlichen Umwälzung. Einen historisch-materialistischen Anstrich erhielten die Thesen fast nur noch dank der verwendeten Begrifflichkeit. Etwas unglücklich scheint insbesondere die Begründung von Luthers Stellung im Bauernkrieg. Der hierzu verwendete Begriff der Klassenposition erfahrt keine präzise Definition 348 und verliert beim Versuch, damit auch Müntzers Verhalten zu erklären, zusätzlich an Aussagekraft.349 Der Aufstieg Luthers zu einer der zentralen Figuren des nationalen Erbes stieß in der D D R auf einige Ablehnung. Noch vor der Veröffentlichung der Thesen kritisierte Max Steinmetz, dass Luther darin nur noch positiv erscheine und nicht mehr versucht werde, die Ereignisse des frühen 16. Jahrhunderts materialistisch zu erklären. 350 Ein Leser der .Einheit' bezeichnete die Thesen in einem Brief an die Redaktion gar als „wahrlich unmarxistisch". „Nicht Luther, sondern Thomas Müntzer kämpfte für revolutionär gesellschaftliche Veränderungen. Dieses Fundament hat nicht Luther zäh und unbeirrt verteidigt, sondern Thomas Müntzer an der Spitze der revolutionären Bewegung. Luthers persönliche Leistung bestand mit darin, daß er Verrat übte und durch seine bekannte Schrift die Niedermetzlung der Bauern betrieb." 351 348

Grundsätzlich scheinen in diesem Zusammenhang drei unterschiedliche Definitionen des Begriffs ,Klassenposition' möglich zu sein. Es geht hierbei vor allem um die Frage, welche Einflüsse und Erfahrungen die Klassenposition eines Individuums prägen. Die erste Variante müsste von einer Prägung durch die soziale Herkunft ausgehen. Ahnlich dem Bourdieu'sehen Habituskonzept wäre die Klassenposition eines Menschen durch seine Herkunft bestimmt. Versucht man mit Hilfe des so definierten Begriffs das Verhalten von Luther und Müntzer zu erklären, werden dessen Schwächen offensichtlich. Laut Gerhard Brendler stammte Luther aus einer mittelständischen, im Bergbau beschäftigten Familie und Müntzers Eltern seien sicher „nicht ganz mittellos" gewesen und im Bekanntenkreis der Familie hätten „Fernhändler und Goldschmiede eine Rolle" gespielt. Brendler: Martin Luther, S. 9—11 und Brendler: Thomas Müntzer, S. 11/12. Also hätten Luther und Müntzer ungefähr dieselben Klassenpositionen vertreten müssen. Als zweite Variante wäre eine Bestimmung durch die momentane sozioökonomische Position des Individuums denkbar. Ein solches Modell bietet bezüglich des Verhaltens von Luther und Müntzer sicherlich die größere Plausibilität. Müntzer war in den Jahren vor dem Bauernkrieg ein in bescheidenen Verhältnissen lebender Prediger, der öfters die Stellung wechseln musste. Er stand auf einer sozial tieferen Stufe als Luther. Allerdings kann keine Rede davon sein, dass Müntzer der Klasse der Aufständischen von 1525 angehört hatte. Ein solches Konzept erschwert es zudem, endogenen Faktoren eine Bedeutung zukommen zu lassen. Drittens könnten Luther und Müntzer auch nur als Repräsentanten derjenigen Klassen verstanden werden, die sie in der Revolution angeführt hatten (ähnlich wie auch Marx und Engels den Proletariern ein theoretisches Fundament geliefert und diese Klasse angeführt haben, ohne ihr anzugehören). Im vorliegenden Fall macht diese Interpretation jedoch wenig Sinn: In den Thesen wurde versucht, Luthers Verhalten mit dessen Klassenposition zu erklären und zu entschuldigen. Also muss mit ,Klassenposition' eine von seinem Geist und seiner Entscheidungskompetenz unabhängige, in gewissem Sinne ursprüngliche Eigenschaft seiner Person gemeint sein.

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Siehe auch Roy: Luther, S. 192-195. 350 Yg] Handschriftliche Bemerkungen von Steinmetz zu den Lutherthesen. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/247. 351 Brief Kleinpeter an die Redaktion der Einheit j a n u a r 1982. SAPMO BArch, vorl. SED 33276.

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Die Frühbürgerliche Revolution im Zeichen von ,Erbe und Tradition ' Solche Reaktionen stellten bei der weiteren Vorbereitung des Gedenkjahres die größte Herausforderung dar; die politisch-konzeptionelle Grundlage des J u biläums musste erklärt werden. Dementsprechend umfangreich war das Pressebulletin, mit dem die „notwendige Differenzierung" 3 5 2 in der Bewertung Luthers begründet wurde, und die von der Akademie koordinierten Vortragstourneen, welche die Historiker im ganzen Land absolvierten. So sollte erreicht werden, dass der Inhalt der Thesen bis zum Beginn der Jubiläumsveranstaltungen auf Akzeptanz stieß. Bei einer Bevölkerungsgruppe waren diese Anstrengungen kaum notwendig: Von kirchlichen Kreisen wurde der Wandel im Lutherbild von Beginn weg überwiegend positiv aufgenommen. Auf weniger Wohlwollen stieß jedoch die versuchte staatliche Vereinnahmung des kirchlichen Luther-Komitees. Dieses vom Bund der evangelischen Kirchen in der D D R (BEK) in Hinblick auf das Lutherjahr gegründete Gremium stand nicht nur in Konkurrenz, sondern zeitweise in deutlichem Konflikt zu den staatlichen Vorbereitungen. 353 Das Z K der SED war über diese Dissonanzen zunehmend besorgt. Ab 1981 fanden deshalb Gespräche zwischen Vertretern des kirchlichen und des staatlichen Komitees statt, 354 die zu einem Ausgleich der unterschiedlichen Blickwinkel führen sollten. Laut Adolf Laube spitzte sich die Diskussion „vor allem auf die Frage nach dem Verhältnis der theologischen und der unmittelbar gesellschaftlich determinierten Auffassungen, nach dem Verhältnis von Theologie und Ideologie bei Luther zu". 3 5 5 Die Gespräche, die zwei- bis dreimal jährlich stattfanden, wurden schließlich über das Lutherjahr hinaus bis zum Müntzerjubiläum 1989 und dem Ende der D D R weitergeführt. Sie dürften mit dazu beigetragen haben, dass sich die DDR-Historiker trotz ihres marxistisch-leninistischen Selbstverständnisses im Verlauf der 1980er Jahre zunehmend auch Fragen der Theologie zugewandt haben.

6.5.3 Luther als Legitimations- und Integrationsfigur Bis hierhin wurde der Wandel im Lutherbild mit der Diskussion um Erbe und Tradition in der DDR-Geschichtswissenschaft erklärt. Diese Debatte war zweifellos eine Voraussetzung für die beschriebene Entwicklung. Eine Erklärung, warum gerade Luther zu solcher Größe aufstieg und warum 1983 vielmehr ein

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Pressebulletin des Organisationsbüros der Martin-Luther-Ehrung 1983 vom Oktober 1981, Blatt 3. S A P M O BArch, vorl. SED 3 3 2 7 6 . Martin R o y vermutet sogar, dass erst die offensiven Vorbereitungen des B E K zum Lutherjubiläum die ersten Aktivitäten der SED-Führung Ende 1977 ausgelöst haben.Vgl. R o y : Luther, S. 1 7 7 - 1 8 1 . Auf der Seite der Historiker nahmen daran Bartel, Brendler, Laube und Vogler und Steinmetz teil, seitens der Theologen Bräuer, de Boor, Rogge, Junghans und Seils. Vgl. Bericht von Laube an Lange und Lenz, 7. Oktober 1981. SAPMO BArch, vorl. SED 3 3 2 7 6 . Bericht von Laube an Lange und Lenz von der Abteilung Wissenschaften des Z K der SED, 7. Oktober 1981. SAPMO BArch, vorl. SED 3 3 2 7 6 .

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Luther- denn ein Marxjahr wurde, 3 5 6 ist damit aber noch nicht gegeben. Zwei Ursachen scheinen fiir einen solchen Wandel prinzipiell in Frage zu kommen: Entweder führten .endogene' Faktoren wie methodische Neuerungen oder eine neue empirische Quellenbasis zu einer Fortentwicklung in der Geschichtswissenschaft oder dann verschoben sich die ,exogenen' Rahmenbedingungen der Geschichtswissenschaft. Diese zweite Ursache läge also im gesellschaftlich-politischen Kontext. 3 5 7 Die beim Lutherjubiläum involvierten DDR-Historiker tendierten deutlich zum erstgenannten Erklärungsmuster. Sie sprachen von einem evolutionären Prozess und der „Weiterentwicklung des Lutherbildes". 358 Dieser Einschätzung ist insofern zuzustimmen, als nicht ein abrupter historiographischer Bruch auszumachen ist, sondern das Lutherbild der 1980er Jahre tatsächlich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, langsam entstanden ist. Vor allem Günter Vogler und Gerhard Brendler hatten sich zunehmend mit der Reformationstheologie beschäftigt. Der Kontakt zu Theologen und westlichen Historikern dürfte sie in dieser Ausrichtung bestärkt haben. Diese Auseinandersetzung wiederum ist jedoch nur über eine Veränderung in der Fragestellung und den Arbeitsbedingungen der Geschichtswissenschaft zu erklären. Damit verbindet sich unweigerlich die Frage nach dem politischen Rahmen der Wissenschaft. Wie lässt sich der Wandel von der politischen Seite her erklären? Bereits die hierzu offiziell präsentierten Begründungen sind aussagekräftig. So beschrieb etwa ein Pressebulletin des Organisationsbüros der Martin-LutherEhrung vom Oktober 1981 Form und Inhalt des geplanten Jubiläums als Folge einer „breit angelegten Diskussion über das Verhältnis zum Kulturerbe", die zwischen d e m V I I I . (1971) und dem I X . (1976) Parteitag der S E D stattgefunden habe. Der Wandel im ideologischen Umgang mit der Vergangenheit wurde damit auf endogene Kräfte zurückgeführt und ein gesellschaftlich-politischer Kontext verneint. 3 5 9 In die andere Richtung weist ein nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Diskussionspapier. An einer Konferenz, an der Referenten aus den Bezirks- und Kreisorganisationen über die kommende Feier informiert werden sollten, betonte Adolf Laube, dass mit dem Lutherjubiläum die „vertrauensvolle Zusam-

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1 983 jährte sich der Todestag von Karl Marx zum 100. Mal. Die Unterscheidung von endogenen und exogenen Faktoren ist nicht unproblematisch. Martin Sabrow hat in der Diskussion um die Bewertung der DDR-Geschichtswissenschaft in den 1990er Jahren wiederholt daraufhingewiesen, dass der Vorwurf an die DDR-Historiker, sie hätten sich vom SED-Regime instrumentalisieren lassen, ins Leere geht: „Sie [die D D R - G e schichtswissenschaft, Im] war im Kern eine nicht-autonome Disziplin, sie verstand sich bewußt als politische Wissenschaft und diesen Grundzug auch als Vorzug gegenüber einer westlichen Disziplin, die aus bürgerlicher Befangenheit — und zu ihrem eigenen Schaden — ihre ,objektiven politischen Bindungen' weder zu erkennen noch zu nutzen vermöchte". Sabrow: Geschichtsdiskurs, hier S. 21. ABBAW, Z I G 709.Vgl. auch Bartel/Schmidt: Das historisch-materialistische Lutherbild. Vgl. ABBAW, ZIG 709.

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Die Frühbürgerliche Revolution im Zeichen von ,Erbe und Tradition ' menarbeit von Christen und Marxisten im Sinne des Gesprächs Erich Honeckers vom März 1 9 7 8 " weitergeführt werden sollte. 3 6 0 Seitens der Partei wurde mit der .vertrauensvollen Zusammenarbeit' das Ziel verknüpft, die Kirche verstärkt in die .Friedensarbeit der D D R ' einzubeziehen: Zu Beginn der 1980er Jahre war in beiden deutschen Staaten eine parallele (wenn auch nicht gemeinsame) Friedensbewegung entstanden, die bald in den Kampf gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen auf deutsch-deutschem Boden mündete. Nun prägten kirchliche Kreise den B e g r i f f der .deutschen Verantwortungsgemeinschaft'. Honecker zeigte in der Ablehnung der sowjetischen Pläne eine ungewohnte Eigenständigkeit gegenüber der Kremlspitze. 361 Eine loyale Haltung der Kirchenfiihrung gegenüber der Strategie der S E D stärkte der Staatsfuhrung nicht nur den R ü c k e n gegenüber der Sowjetunion, sondern präsentierte die D D R auch gegenüber dem Westen als Friedensgaranten. W i e wichtig diese Funktion des Lutheijubiläums war, zeigt eine interne Ansprache von Z K - M i t glied Paul Verner: Wenn nach den Feierlichkeiten Bilanz gezogen werde, sei die Frage, ob die kirchlichen Kreise vermehrt in die Friedenspolitik einbezogen werden konnten, das ausschlaggebende Kriterium. 3 6 2 Insofern wird auch verständlich, weshalb in den .Thesen über Martin Luther' dessen pazifistischer Anspruch dermaßen betont wurde. Das Kirchenleben war in der D D R nie zum Verschwinden gekommen und immer eine Keimzelle oppositionellen Denkens gewesen. Die sich seit 1980 ausbreitende Friedensbewegung in der D D R wurde von der S E D nicht nur begrüßt, sondern auch mit großem Misstrauen betrachtet, da sie sich außerhalb des staatlich institutionalisierten Rahmens bewegte. Z u dem hatte sich mit der Solidarnosc in Polen in einem sozialistischen Bruderland eine starke Opposition entwickelt, deren Ubergreifen auf die D D R befurchtet wurde. 3 6 3 Mit den Feiern zu Luthers 500. Geburtstag und der positiven Darstellung des Reformators in offiziellen Publikationen wie etwa den Thesen sollte die Kirchenbewegung nun gewissermaßen gekauft und in den staatlichen Apparat integriert werden. Das Konzept von Erbe und Tradition erlaubte, Figuren wie Martin Luther, mit denen sich viele D D R - B ü r g e r auch nach dreißig Jahren Sozialismus noch positiv identifizierten, wieder in die Geschichte des eigenen Landes zu integrieren. W i e bewusst die Parteiideologen damit neue Identifikationsfiguren oder gar ein stärker verankertes Heimatbewusstsein schaffen wollten, ist schwerlich zu benennen. Unangenehm wäre ihnen ein solcher Effekt sicherlich nicht gewesen: Die

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Die Konferenz war von der Urania organisiert worden und fand am 27. November 1981 in Berlin statt. Vgl. S A P M O BArch, D Y 1 1 / 2 2 6 . Die zitierte Aussage Laubes spielt auf ein Z u sammentreffen Honeckers mit dem gesamten Vorstand des Evangelischen Kirchenbundes der D D R an. In der Folge erhielten die Kirchen einen etwas größeren Spielraum für eigene Aktivitäten. Vgl. Winkler: Der lange Weg (II), S. 4 2 4 - 4 2 6 . Vgl. R e d e von PaulVerner vom 27. Oktober 1983. S A P M O BArch, N Y 4 2 8 1 , 1 1 7 . Vgl. Neubert: Geschichte der Opposition, S. 3 8 4 / 3 8 5 .

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u m sich greifende Stagnation im wirtschaftlichen u n d gesellschaftlichen Bereich weitete sich j e länger j e m e h r zu einer Krise aus u n d wurde zur realen B e d r o h u n g f ü r die D D R . 3 6 4 Z u d e m hatte der .Antifaschismus' inzwischen viel von seiner einstmals großen Bindekraft eingebüßt. 3 6 5 Die unmittelbare Abgrenzung z u m .Dritten R e i c h ' war ideologisch ebenso wirkungsschwach geworden wie die Etikettierung der B R D als faschistischer Gegenpol zur sozialistischen D D R . Die integrative Kraft des friedliebenden Luthers konnte daher umso dringender gebraucht werden. Dies galt letztlich nicht nur gegen innen, sondern auch gegen außen. D e r 500. Geburtstag Luthers ließ weltweite Beachtung erwarten. Insofern war die S E D - F ü h r u n g gut damit beraten, die D D R als verantwortungsvolle H ü t e r i n des lutherischen Erbes darzustellen. Da die meisten Wirkungsstätten Luthers auf ostdeutschem T e r r i t o r i u m lagen, entwickelte sich das L u t h e r j a h r zum internationalen Schaufenster sozialistischer Kultur- undVergangenheitspolitik. D a m i t k o n n t e nicht zuletzt g e g e n ü b e r der B R D Selbstbewusstsein u n d Stärke demonstriert werden. Dies war insbesondere deshalb von Bedeutung, weil die D D R n o c h i m m e r auf die rechtliche A n e r k e n n u n g durch die B R D w a r tete. 3 6 6 N i c h t zu unterschätzen sind aber auch rein pragmatische Gründe: A u f w ä n d i g inszenierte Lutherfeierlichkeiten zogen Touristen aus d e m westlichen Ausland an u n d f ü h r t e n so nicht zuletzt auch zu d r i n g e n d b e n ö t i g t e n D e v i seneinnahmen. D i e e r ö r t e r t e n Einflüsse u n d G r ü n d e f ü r die A u f w e r t u n g des Lutherbildes u n d die langfristigen Vorbereitungen für das Jubiläumsjahr k ö n n e n nur als E r klärung f ü r die Politik der Ministerien u n d Parteigremien verstanden werden. Bezüglich dieser politischen E b e n e kann viel eindeutiger von einem abrupten Wandel i m Lutherbild gesprochen werden, als dies bei der Geschichtswissenschaft möglich ist. D o r t herrschte bereits seit den 1960er Jahren in eingeschränkter F o r m ein Pluralismus, der im politischen Bereich nicht vorhanden war. D e n n o c h ist nicht von der H a n d zu weisen, dass die politische N e u b e w e r t u n g L u thers z u m zentralen Antrieb für die Wissenschaft wurde, sich verstärkt mit der Figur u n d Theologie Luthers auseinander zu setzen. Bei der Transmission von der Politik zur Geschichtswissenschaft (und zurück) spielte das Z I G der A d W eine zentrale Rolle. N a c h d e m die e n o r m e Bedeutung des Lutherjahres im Jubiläumskalender der D D R absehbar geworden war, wurde Luther aber beinahe automatisch zu einem wichtigen Forschungsfeld der Frühneuzeithistoriker. Die meisten Historiker der D D R setzten sich zum ersten Mal ausgiebig mit Luther u n d seiner Theologie auseinander. Dass in den 1980er Jahren der Theologie einen viel größeren Stellenwert eingeräumt wurde, liegt also auch im Forschungsschwerpunkt dieser Jahre begründet. N e b e n den üblichen Auswirkungen eines großen Jubiläums wirkte in der D D R auch ein Anreizsystem, das die Forschungstätigkeit der Wissenschaftler auf die von der Partei gewünschten T h e m e n lenkte: DieTeil364 365 366

Vgl. Schröder: Der SED-Staat, S. 269-278. Vgl. Danyel: Die unbescholtene Macht, S. 83-85.Vgl. auch Münkler: Antifaschismus, S. 29. Vgl. Schröder: Der SED-Staat, S. 266.

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nähme an den großen wissenschaftlichen Konferenzen versprach Prestige, und ein Manuskript über Martin Luther hatte in den frühen 1980er Jahren die größte Chance auf eine der in Zeiten von Produktionsengpässen raren Druckgenehmigungen. Die Neubewertung Luthers darf nicht als einseitig verordnete Propagandamaßnahme verstanden werden. Weder wies sie die Homogenität auf, die staatlicher Propaganda meist immanent ist, noch ist ihre Genese monokausal zu erklären. Die große Zahl von unterschiedlichen Lutherpublikationen rund um das Jahr 1983 kann nicht nur Produkt dumpfer Parteihörigkeit gewesen sein. Die politische Neuausrichtung im Zuge der Entspannung und die Diskussion um Erbe und Tradition hatten fur die Frühneuzeithistoriker neue Räume geöffnet, die von der Wissenschaft in Beschlag genommen wurden. Außerhalb des politischen Rahmens lagen diese jedoch nicht. 6.5.4 Das neue Lutherbild i m Spiegel wissenschaftlicher Publikationen Nach sechs Jahren der Vorbereitungen ergoss sich im Lutheijahr 1983 eine unüberblickbare Flut von Filmproduktionen, TheateraufRihrungen, Ausstellungen und Denkmaleinweihungen über die DDR. Allein die Buchveröffentlichungen zu Luther und der Reformationszeit erreichten in der D D R in jenem Jahr die erstaunliche Zahl von rund 300 Publikationen. Seinen Höhepunkt fand der Trubel am 10. November in einem großen Staatsakt in Berlin. Aus historiographischer Sicht verdient vor allem die zentrale wissenschaftliche Konferenz der AdW Erwähnung. Ursprünglich hatte auch die Karl-Marx-Universität Leipzig eine solche Veranstaltung geplant, doch wurde diese Doppelspurigkeit vom Ministerium fur das Hoch- und Fachschulwesen zugunsten der AdW unterbunden. Laut der unter der Leitung von Adolf Laube ausgearbeiteten Konzeption war das Ziel der Konferenz, „das marxistisch-leninistische Lutherbild der D D R im Rahmen [der] Lutherehrung der nationalen und internationalen wissenschaftlichen Fachwelt in seiner vollen Breite darzulegen und zur Diskussion zu stellen". 367 Die Tagung fand im Oktober 1983 in Halle unter dem Motto .Martin Luther - geschichtliche Stellung und historisches Erbe' statt. Im Unterschied zu der offiziellen Konferenz anlässlich des Bauernkriegsjubiläums acht Jahre zuvor versammelte sich nun tatsächlich die internationale Fachwelt. Und die Konferenz verband nicht nur Wissenschaftler aus Ost und West, sondern führte auch Historiker und Theologen zusammen. 368 367

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,Information über die internationale Luther-Konferenz der Akademie der Wissenschaften', ohne Datierung. ABBAW, ZIG 709. Der Tagungsband enthält über 60 Beiträge, darunter diejenigen von - um nur einige zu nennen - Horst Bartel, Peter Blickle, Friedrich de Boor, Siegfried Bräuer, Martin Brecht, Gerhard Brendler, Rudolf Endres, Hans-Jürgen Goertz, Siegfried H oyer, Adolf Laube, Bernd Moeller, Volker Press,Tom Scott, Martin Seils, Max Steinmetz, Günter Vogler und Rainer Wohlfeil. Vgl. Bartel/Brendler/Hübner/Laube: Martin Luther.

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N e b e n der zentralen Konferenz der A d W erscheinen vor allem auch zwei größere Publikationsvorhaben bemerkenswert: die von Gerhard Brendler verfasste Biographie Martin Luthers und der dritte B a n d der ,Deutschen G e schichte', den Adolf Laube und Günter Vogler nach längerer Unterbrechung nun zu Ende führten. Gerhard Brendlers Luther-Biographie war die wohl aufsehenerregendste P u blikation des Lutherjahres. Die Besonderheit dieser Arbeit verrät sich bereits in deren Untertitel: ,Theologie und Revolution'. Durchs B u c h hinweg erscheint Luthers Theologie als zentraler Faktor in der Geschichte der Frühbürgerlichen Revolution. Der Autor stellt die Theologie nicht als zeittypische Worthülle einer revolutionären Ideologie dar, sondern versteht sie als direkten Ausdruck von Luthers Glauben. Die Biographie widmet sich in chronologischerWeise „Luthers geistiger Entwicklung und seinem individuellen Verhalten". 3 6 9 Dabei interessierte Brendler vor allem die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Gesellschaft und Luthers widersprüchliche Position auf diesem Feld. „Zwei Denkansätze liegen bei ihm [Luther, Im] im Widerstreit (vielleicht sogar zwei Arten von Frömmigkeit): der eine richtet sich auf das individuelle Seelenheil, orientiert sich an Jesus und operiert mit Gnade allein und Glaube allein; der andere bedenkt die Gesellschaft, orientiert sich am Fürsten und warnt vor Aufruhr und E m p ö r u n g . " 3 7 0 Die Gründe, weshalb die eine Seite Luthers in seinen frühen und die andere in seinen späten Jahren dominant war, sieht Brendler im „Schicksal der von ihm inaugurierten Bewegung" begründet. Luther habe sich als Theologe gegen die seiner Meinung nach falsche Lehre der Kirche gewandt und nicht die gesellschaftlichen Zustände kritisiert. Das „Klassenwesen seiner Persönlichkeit" sei dafür verantwortlich gewesen, dass er sich von der radikalen Phase der Frühbürgerlichen Revolution distanziert habe. „So korrespondieren seine theologischen Auffassungen mit seiner Klassenposition." 371 Und: „Im entscheidenden Moment der deutschen Geschichte des 16. Jahrhunderts erwies sich seine objektive Klassenbindung stärker als jenes Evangelium, für dessen reine Verkündigung er [Martin Luther, Im] ursprünglich angetreten w a r . " 3 7 2 Martin Luthers .klassenbedingte' Beschränktheit wurde zum Verrat am Evangelium stilisiert. D i e Heilige Schrift als Proprium der Revolution - eine bis dahin im Kontext marxistischer Geschichtswissenschaft unvorstellbare Implikation. Brendler betonte, dass Luther die Frühbürgerliche Revolution weder gewollt noch bewirkt habe. Durch die „Revolution in der T h e o l o g i e " 3 7 3 habe Luther in einer gesellschaftlichen Krisensituation aber den entscheidenden Impuls gege-

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Brendler: Martin Luther, S. 7. Bezüglich des gesellschaftlichen Umfeldes Martin Luthers verwies der Autor auf die Luther-Biographie von Gerhard Zschäbitz aus dem Jahr 1967. Brendler: Martin Luther, S. 442. Brendler: Martin Luther, S. 444. Brendler: Martin Luther, S. 442. Brendler: Martin Luther, S. 100.

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ben. Die oppositionellen Kräfte konnten sich mit der neuen Theologie verbinden, wodurch die Theologie „zunehmend gesellschaftliche Relevanz" gewonnen habe. 374 Im Laufe der Zeit begann sie aber „neben ihrer mobilisierenden Funktion für den Gang der Reformation ihre zügelnde, zögernde und zum Abwarten gemahnende Seite hervorzukehren". 375 Darin kamen Luthers historische Grenzen zum Vorschein. Und genauso wie die Figur Martin Luthers differenziert betrachtet werden müsse, könne auch das Verhältnis von Luther zu Müntzer nicht in ein Schema von Verräter undVerratenem gezwängt werden. „Beides, die Reformation von oben wie die von unten, sind Elemente der frühbürgerlichen Revolution [...]. So handelt es sich bei dem Gegensatz Luther-Müntzer nicht um eine triviale Freund-Feind-Relation, sondern um echte geschichtliche Dialektik". 376 Soviel Respekt gegenüber der Theologie und Interesse an der individuellen Entwicklung Luthers erregte in West und Ost Aufsehen. Während der Tübinger Historiker Manfred Schulze bemerkte, dass Brendler einer „säkularisierten Gesellschaft Bibelunterricht" erteile und ohne zu moralisieren Luthers Platz in der Frühbürgerlichen Revolution auslote,377 sprach Günter Vogler davon, dass in der Biographie die Themenkomplexe angesprochen würden, die in der D D R weiter wissenschaftlich zu bearbeiten seien. 378 Das neue Lutherbild schien also weit herum auf Zustimmung zu stoßen. Sogar Max Steinmetz äußerte sich - von scharfer Kritik an Details abgesehen - äußerst positiv über die Biographie und bezeichnete sie gar als „die erste marxistische Lutherarbeit überhaupt". 379 Dies erstaunt insofern, als Steinmetz noch kurz zuvor an einer in den 1970er oder gar der frühen 1960er Jahren verwurzelten Sichtweise festgehalten und vor einer allzu positiven Lutherbeurteilung gewarnt hatte. Steinmetz' Zustimmung wird verständlicher, wenn man Brendlers Lutherdarstellung im Kontext des Lutherjahres betrachtet. Im Vergleich zu den Thesen präsentierte Brendler nämlich ein durchaus differenziertes Lutherbild. So sprach Brendler davon, dass Müntzer „kühn über die im Entstehen begriffene kapitalistische Welt" hinausgegriffen und „so auf seine Weise die Grenzen der historischen Leistung Luthers" verdeutlicht habe. 380 Solche Aussagen bildeten Brücken zu früheren Darstellungen der Frühbürgerlichen Revolution. Diese Differenzen zwischen Brendlers Luther-Biographie und den Luther-Thesen - an deren Ausarbeitung Brendler maßgeblich beteiligt gewesen war — sind noch aus einem zweiten Grund interessant: Sie zeigen einen Interpretationsspielraum und damit die Geltungsgrenzen der von der SED abgesegneten Luther-Thesen auf. Waren die Thesen durch Kompromisse und die Wünsche der Parteiideologen geprägt worden, so war es 374 375 376 377 378 379

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Brendler: Martin Luther, S. 197. Brendler: Martin Luther, S. 269. Brendler: Martin Luther, S. 322. Schulze: Rezension, S. 174. Vgl.Vogler: Rezension, S. 364. Gutachten zum Manuskript .Gerhard Brendler: Martin Luther' von Max Steinmetz zu Händen der Akademie der Wissenschaften, 16. März 1982. UA Leipzig, N L Steinmetz, 4 / 1 8 5 - 1 . Brendler: Martin Luther, S. X.

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Brendler in der Biographie möglich, eigene Interpretationsmuster darzustellen. Brendlers Luther-Biographie belegt somit auch deutlich, wie nahe die Diskussion um Erbe und Tradition die DDR-Geschichtswissenschaft an bis dahin nur von bürgerlichen Historikern vertretene Positionen heranführte. Der neue Diskurs trat im größten Buchprojekt dieses Jahres ebenfalls deutlich hervor. Nach beinahe 15-jähriger Vorarbeit konnte 1983 der dritte Band der P u blikationsreihe ,Deutsche Geschichte in zwölf Bänden' endlich erscheinen. Inhaltlich lehnte sich der Band für den Zeitraum der Frühbürgerlichen R e v o l u tion stark an der ,Illustrierten Geschichte der deutschen frühbürgerlichen R e v o lution' und Voglers ,Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk' an. Daher soll an dieser Stelle primär auf Abweichungen gegenüber diesen Darstellungen aus den 1970er Jahren verwiesen werden. Unterschiede finden sich weder in der Periodisierung noch in der grundsätzlichen Charakterisierung der Epoche, sondern in der Gewichtung von R e f o r mation und Bauernkrieg und der Beurteilung ihrer Protagonisten. Gemäß den Autoren 3 8 1 war die gesellschaftliche Situation am Vorabend der R e f o r m a t i o n von zwei sich überlagernden Konfliktlinien geprägt: Erstens dem Gegensatz zwischen Bauer und Feudalherr und zweitens den Widersprüchen zwischen den herangereiften frühkapitalistischen Produktionskräften und den feudalen Produktions- und Arbeitsverhältnissen. Obwohl Luthers Anliegen in einer R e f o r mation der Kirche gelegen habe, sei er an der „Verschmelzung seines eigenen Anliegens mit den gesellschaftlichen Problemen" maßgeblich beteiligt gewesen. Da er seine „theologischen Aussagen mit sozialen, politischen und ö k o n o m i schen Fragen verband und so immer neue Klassen und Schichten und Gruppen ansprach", sei er „unbeabsichtigt" in eine „zentrale Stellung des Geschehens gedrängt" worden. 3 8 2 Obwohl betont wurde, dass Luther die gesellschaftliche R e volution nicht wollte, ist die Bedeutung, die seiner Person gerade für diesen Teil der R e v o l u t i o n zuerkannt wurde, unverkennbar. Dementsprechend erscheint auch Thomas Müntzer in einem nüchternen Gewand. Diese Richtung der Lutherinterpretation kam bereits in den Thesen zum Ausdruck. Weit erstaunlicher ist dagegen, was über die Zielsetzung des Bauernkrieges und sein Scheitern zu lesen ist. Nicht die „Schaffung eines zentralisierten nationalen Staates" sei im Zentrum der Aufstandsbewegung gestanden. „Die politischen Vorstellungen der Aufständischen waren vielmehr auf die Stärkung der Dorfgemeinde gerichtet, regional auch auf das Mitwirken des gemeinen Mannes in den Landständen, geleitet von der Absicht, in einem landständischen oder landschaftlich eingerichteten Staat ein Gewicht gegen landesherrliche U b e r macht zu schaffen." 3 8 3 Eine Differenz zu den Positionen westlicher Historiker ist

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Insgesamt behandelte der dritte Band die Zeit von den 1470er Jahren bis 1789. Adolf Laube zeichnete für den Abschnitt bis 1517, Gerhard Brendler für denjenigen von 1517-1525 und Günter Vogler für die Jahre 1525-1555 verantwortlich. Laube/Vogler: Deutsche Geschichte, S. 99. Laube/Vogler: Deutsche Geschichte, S. 186.

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in dieser Aussage kaum mehr zu finden.384 So wie die Zielstellungen des Aufstandes beschrieben werden, erscheint er kaum mehr als eine Revolution im marxistischen Sinn. 385 Dennoch - vielleicht auch deswegen - betonten die Autoren die grundsätzliche Verschiedenheit beider Ansätze. Die westliche These der Revolution des gemeinen Mannes verkenne den inneren Zusammenhang von Reformation und Bauernkrieg und klammere aus, dass „die historische Entwicklung objektiv zur Ausbildung von Elementen der bürgerlich-kapitalistischen gesellschaftlichen Ordnung tendierte". Auch wenn „die bäuerliche Aufstandsbewegung selektiv auf die Verbesserung der sozialen Lage und politischen Stellung einfacher Warenproduzenten gerichtet war", habe dahinter objektiv „eine der möglichen Varianten fur die Vorbereitung des kapitalistischen Weges in die Landwirtschaft" gestanden. 386 Auch die Folgen der Bauernkriegsniederlage schilderten die Autoren nahe entlang Peter Blickles Interpretation. 387 Es wird zwar betont, dass mit der Niederlage die Ursachen der Aufstände nicht beseitigt waren, aber die bis dahin immer im Zentrum stehende Stärkung der Territorialgewalten wird kaum mehr erwähnt. Auch wenn „die weitreichenden programmatischen Ziele der revolutionären Aufstandsbewegung" nicht erreicht werden konnten, so hätten die Bauern doch „manche Zugeständnisse errungen" und „die feudale Offensive in manchen Gebieten abgebremst". 388 Diese Entwicklung der DDR-Geschichtsschreibung löste auch kritische R e aktionen aus. In einem Reisebericht über die Teilnahme an einer von Peter Blickle organisierten Tagung zu Zwingiis 500. Geburtstag in Bern bemerkte Max Steinmetz, dass die DDR-Historie „nicht mehr so in Führung" sei, „wie das 1975 der Fall war", auch nicht auf ihrem „eigensten Gebiet, der Frühbürgerlichen Revolution". 3 8 9 Ein Grund für den unbefriedigenden Auftritt der ostdeutschen Wissenschaftler sah Steinmetz in der mangelhaften Vorbereitung. „Eine stärkere Rolle der immerhin vier marxistischen Historiker wäre bei besserer Vorbereitung möglich gewesen, aber dazu hätte man [das] Referat oder wenigstens [die] Thesen Voglers vorher kennen müssen." 390

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In der .Deutschen Geschichte' wurde explizit auf die Publikationen von Peter Blickle, Horst Buszello und Ernst Walder verwiesen. Vgl. Laube/Vogler: Deutsche Geschichte, S. 537, Fußnote 266. Dabei wird davon ausgegangen, dass nach marxistischer Definition eine Revolution die Überwindung einer sozial-ökonomischen Ordnung und den ihr eigenen politischen Herrschaftsverhältnissen beinhaltet. Laube/Vogler: Deutsche Geschichte, S. 187. Vgl. Blickle: Die Revolution, S. 246-273. Laube/Vogler: Deutsche Geschichte, S. 188. UA Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 2 4 8 . Der Adressat dieses Berichtes wird nicht angegeben. Der Bericht endet mit der Bemerkung, dass es von Seite der neun Teilnehmer aus der D D R keine ,Republikflüchtlinge' gegeben habe. Es ist davon auszugehen, dass er an das Ministerium für das Hoch- und Fachschulwesen gerichtet war. UA Leipzig, N L Steinmetz, 2/248.

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Steinmetz, der aufgrund gesundheitlicher Probleme kaum mehr zum wissenschaftlichen Arbeiten kam, hatte der jüngsten Entwicklung in der Forschung der Frühbürgerlichen Revolution nicht mehr folgen können. Seine Kritik an der DDR-Delegation muss daher auch als Ausdruck seiner individuellen Situation gesehen werden. Vogler griff in der Schweiz nämlich ein aktuelles Problem der marxistischen Reformationsforschung auf und behandelte die Problematik des Revolutionsbegriffs im Zusammenhang mit dem Konzept der Frühbürgerlichen Revolution der 1980er Jahre. 391 Was er präsentierte, war eine Konzeption der .Reformation als frühbürgerlicher Revolution'. In Auseinandersetzung mit bürgerlichen Historikern (Treitschke, Ritter, Becker, van Dülmen u. a.) entwickelte Vogler eine knappe marxistische Definition: „Eine Revolution zielt [...] auf eine grundlegende Neugestaltung gesellschaftlicher Beziehungen entsprechend den herangereiften Möglichkeiten, für die objektive und subjektive Bedingungen ausschlaggebend sind." 392 Auf die Reformation angewendet hieße dies: „Erst wenn reformatorische Bemühungen und die ihnen zugrundeliegende Theologie für die Gesellschaft insgesamt Bedeutung erlangen und die gesellschaftlichen Grundlagen dadurch in Frage gestellt werden, können sie Revolutionsqualität annehmen." 393 Die gesellschaftliche Relevanz der Reformation zeigte sich laut Vogler in unzähligen, sich auf die Autorität der Schrift und das göttliche Recht berufende Flugschriften und, als Höhepunkt, im Bauernkrieg. Daher könne die Reformation bis zur Niederlage des Bauernkrieges als Revolution bezeichnet werden, danach löse sie sich aber aus der „Verklammerung des Revolutionsprozesses". 394 Der reformatorischen Theologie sei dabei die Funktion vom „vermittelnden Glied zwischen Gesellschaftskrise, Gesellschaftsbild und sozialer Bewegung" zugekommen. 395 Das Verhältnis von Theologie und Revolution erscheint bei Vogler nur als mittelbare Beziehung. Bei Luthers Theologie habe es sich um eine im Glauben gründende und von der Bibel und der religiösen Wirklichkeit bestimmte Reflexion gehandelt. Ihre Entstehung wird daher nur bedingt mit der gesamtgesellschaftlichen Krise in Verbindung gebracht. Die Verbindung von Theologie und Gesellschaft respektive Revolution sei erst in einem zweiten Schritt zu beobachten: Die Rechtfertigungslehre und das sola-scriptura-Prinzip hätten es in Verbindung mit der allgemeinen Krise ermöglicht, die anfänglich nur auf die Kirche bezogene Kritik auf die weltlichen Autoritäten auszudehnen. Die sich neben Luther entwickelnden radikaleren Strömungen hätten der Reformation die tiefe soziale Dimension der Volksreformation gegeben. 396 Damit sei die Reformation in Deutschland zum ersten Glied der Frühbürgerlichen Revolution geworden. Voglers Konzeption geht also davon aus, dass sich die Reformation und die R e -

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Vgl.Vogler: Reformation. Vogler: Reformation, S. 51. Vogler: Reformation, S. 52. Vogler: Reformation, S. 53-58. Vogler: Reformation, S. 60. Vgl.Vogler: Reformation, S. 67.

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volution von 1517 bis 1525 überlagert hätten und dadurch eine gemeinsame Schnittmenge entstanden sei. Auch wenn die Reformation danach ein „wesentlicher Faktor des gesellschaftlichen Prozesses" blieb, habe sie die revolutionäre Dimension abgestreift.397 Die .Thesen über Martin Luther', Brendlers Luther-Biographie, der dritte Band der ,Deutschen Geschichte' undVoglers Referat,Reformation als frühbürgerliche Revolution' stellen eine kleine Auswahl der Publikationen rund ums Jahr 1983 dar. Zeittypische Gemeinsamkeiten lassen sich ebenso erkennen wie auch Unterschiede. Luther war ins Zentrum der Frühbürgerlichen Revolution gerückt und seine Theologie wurde nicht mehr nur als politisch-gesellschaftliche Ideologie in zeitgemäßer Verkleidung verstanden. Während die Thesen den gesellschaftlich-materiellen Unterbau beinahe ganz vergaßen, betonte Vogler, dass die Wirkung von Luthers Theologie nur über die allgemeine Krise zu erklären sei. Einigkeit herrschte darin, dass die außerkirchliche Revolution von Luther nicht gewollt gewesen sei. Laut der ,Deutschen Geschichte' war Luther allerdings an der Verschmelzung der theologischen und gesellschaftlichen Probleme maßgeblich beteiligt gewesen. 398 Im Zusammenhang mit der Aufwertung Luthers steht auch die Tatsache, dass die Niederlage im Bauernkrieg implizit (bei Brendler und Vogler) oder explizit (bei den Thesen und der .Deutschen Geschichte') nicht mehr als epochaler Einschnitt, sondern nur noch als Wendepunkt dargestellt wurde. Im Rahmen der Diskussion um Erbe und Tradition von einer Lutherintegration zu sprechen, erscheint aber als wenig präzise. Luther war nicht neu in das Konzept der Frühbürgerlichen Revolution aufgenommen worden.Vielmehr diente seine Figur nicht mehr nur als Projektionsfläche gesellschaftlicher Verhältnisse und .objektiver' historischer Aufgaben. Luther wurde nun als Reformator mit historischer Wirkung beschrieben. War früher einzig Thomas Müntzer im Glanz historischer Taten dargestellt worden, so kam diese Ehre nun auch Luther zu. Damit gehörte der rhetorische Kampf gegenüber dem .bürgerlichen' Luther der Vergangenheit an. Dennoch sollte die neue historiographische Perspektive nicht in normativer Weise als Ausdruck neuer wissenschaftlicher Freiheiten aufgefasst werden. Vielmehr wird darin die Verschränkung von Politik und Wissenschaft abermals deutlich. Das Lutherjubiläum ist ein eindrückliches Beispiel dafür, dass die Wissenschaft der ideologischen Entwicklung folgte. Dass im Verlauf der 1980er Jahre der Interpretationsspielraum zunahm, steht hierzu nicht im Widerspruch. 397 398

Vogler: Reformation, S. 52. Der entsprechende Abschnitt wurde von Gerhard Brendler verfasst. Es scheint sich hierbei aber um eine These zu handeln, die eher der Position Adolf Laubes zuzuordnen ist. So widmete er sich beispielsweise in einem Aufsatz von 1982 ausfuhrlich der sozialen Kritik Luthers. Vgl. Laube: Martin Luther, S. 145-155. Aufgrund der Arbeitsweise des Autorenkollektivs beim Schreiben der .Deutschen Geschichte' (jeder Text wurde im Kollektiv ausführlich besprochen, bis alle Autoren ihre Zustimmung geben konnten) ist ein Einfluss Laubes auf diese Textpassage durchaus denkbar, zumal er zusammen mit Günter Vogler die Leitung des dritten Bandes innehatte.

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Es ließe sich argumentieren, dass durch die Integration des bürgerlichen' Luthers auch endlich der bürgerliche Charakter der Früh bürgerlichen Revolution konsequent in Erscheinung trat. Zur konzeptionellen Stringenz der Frühbürgerlichen Revolution trug diese Entwicklung jedoch nicht bei. ,Frühbürgerliche Revolution' war nun beinahe zu einem Synonym zu ,Reformationszeit' geworden. Die Parteilichkeit für die (gesellschaftliche) Revolution trat rhetorisch immer noch in Erscheinung. Sie fand aber keine Entsprechung mehr in der historischen Analyse des frühen 16. Jahrhunderts. Die analytische Verbindung von R e formation und Bauernkrieg wurde damit jedoch nicht geschwächt, im Gegenteil: Hatte Smirin die beiden Ereignisse einzig über die Figur Thomas Müntzers und dessen Volksreformation zusammengeführt, gelang es der DDR-Geschichtswissenschaft nun, eine kausale Verbindung zwischen lutherischer Reformation und Revolution von 1525 zu erklären. Damit waren die analytischen Differenzen zwischen Ost und West auf ein Minimum geschrumpft.

6.6 Die Erosion der Frühbürgerlichen Revolution Nach dem Jubiläumstaumel von 1983 dürfte sich für viele Historiker, Funktionäre und Bürger der D D R die Frage nach dem ,Wie-weiter' gestellt haben. Konnte der eingeschlagene Weg beibehalten werden oder wurde damit das Geschichtsbild - vielleicht sogar die historische Identität - der D D R dekonstruiert? Adolf Laube war einer derjenigen Historiker, die 1983 nur bedingt in den Luther-Jubel einstimmten. N o c h im Jahr davor hatte er betont, dass die D D R „auch künftig den revolutionär-demokratischen Traditionen vorrangige Aufmerksamkeit widmen" müsse, und das seien „für die Zeit der frühbürgerlichen Revolution vor allem die mit Thomas Müntzer und dem Bauernkrieg verbundenen Traditionen". 3 9 9 In seiner Auseinandersetzung mit Luther war Laube immer darauf bedacht, die sozialen Aspekte der Reformation herauszuarbeiten. Luther habe „biblisch begründete Lösungsmöglichkeiten" für zeitgenössische Probleme ausgearbeitet und ein „Programm von Sozialreformen" entwickelt. 4 0 0 W i e kaum ein anderer Historiker hatte Laube auch in der ersten Hälfte der 1980er Jahre den durchgehenden politisch-gesellschaftlichen Aspekt der Frühbürgerlichen Revolution betont und immer wieder darauf verwiesen, dass der Höhepunkt der Bewegung erst mit der thüringischen Ausprägung des Bauernkrieges gekommen sei.

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Laube: Martin Luther, S. 159. In diesem Aufsatz wird eine Position vertreten, die sehr nahe an der Darstellung des dritten Bandes der .Deutschen Geschichte' liegt. Luther wird zwar als Theologe gewürdigt, aber nicht von seiner theologischen Wirkung her untersucht. Laube suchte vielmehr nach der sozialgeschichtlichen Bedeutung und dem politischen Gehalt von Luthers Schriften. Als weiteres Beispiel dient auch der Aufsatz Laube: Die Reformation. Laube nennt etwa Luthers Auseinandersetzung mit Arbeit, Bettelei, Armenfiirsorge, Zinskauf, Wucher und Monopolen.Vgl. Laube: Die Reformation, S. 432.

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Somit hatte sich Laube dafür empfohlen, bei den 1989 anstehenden Feierlichkeiten zum 5 0 0 . Geburtstag von Thomas Müntzer eine wichtige Funktion zu übernehmen. 4 0 1 W i e im Vorfeld des Lutherjahres wurde auch 1984 beim Z I G eine Arbeitsgruppe gebildet, deren Aufgabe insbesondere die Ausarbeitung von Thesen zu Thomas Müntzer war. Adolf Laube übernahm deren Leitung. Bald änderte sich j e d o c h die Verantwortlichkeit - sie ging an die Abteilung Wissenschaften und die Abteilung Propaganda des Z K der S E D über. Die Historiker des Z I G waren an den Vorbereitungen aber nach wie vor zentral beteiligt. 4 0 2 Nach einem längeren, stark von politisch-ideologischen Fragen geprägten Prozess wurden die Müntzer-Thesen schließlich 1988 in der SED-Zeitschrift .Einheit' veröffentlicht. 403 D i e Thesen beschreiben Müntzer als „herausragende Persönlichkeit des äußersten linken Flügels der deutschen frühbürgerlichen R e v o l u t i o n " , der in „zunehmender" und „objektiver" Distanz zu Luther gestanden habe (Einleitung und These IV). Allgemein erstaunt die Nüchternheit, mit der Müntzers historische Leistung dargestellt wurde. N o c h bevor dieser Erwähnung findet, wird in der zweiten These dargelegt, dass der entscheidende Angriff gegen das Feudalsystem von Luther ausgegangen sei. Müntzers „Theologie der Revolution" erfährt anschließend zwar eine ausführliche Würdigung, doch lautet das Fazit, dass sie „außerhalb des Realisierungsvermögens bürgerlicher Revolutionen" gestanden habe (These V I I I ) . D i e Lutherrezeption der letzten Jahre hatte offensichtlich Spuren hinterlassen und selbst die Thesen verwiesen darauf, dass die Feierlichkeiten zum 500. Geburtstag Martin Luthers auch „Konsequenzen für das Müntzerbild" haben. Durch den Wandel im Lutherbild sei es möglich geworden, das „Verhältnis von Luther und Müntzer und ihrer Theologie als das von Repräsentanten und Ideologen verschiedener Klassenlinien ein und derselben Revolution weiter auszuarbeiten. [...] Beide, Luther und Müntzer, sind fest verankert in j e nen Traditionen, denen sich die D D R verpflichtet fühlt. M i t Thomas Müntzer ehrt die D D R 1989 diejenige Persönlichkeit der frühbürgerlichen Revolution und mit ihr j e n e Traditionen, die mit dem revolutionären K a m p f der unterdrückten und ausgebeuteten Volksmassen für ein besseres Leben in sozialer Gleichheit und Sicherheit verbunden sind" (These X ) . Nicht nur die Thesen weisen eine Verwandtschaft zum Lutherjubiläum anfangs des Jahrzehnts auf. Auch die weitere Organisation des Jubiläums verlief in

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Das Geburtsjahr Thomas Müntzers ist unbekannt. Aufgrund des Zeitpunktes seiner Immatrikulation an der Universität Frankfurt an der Oder wurde es auf 1 4 8 9 geschätzt.Vgl.Vogler: Thomas Müntzer, S. 1 0 / 1 1 und Thesen über Thomas Müntzer, S. 102. Die Quellenlage zum Müntzerjahr ist dürftig. Einzig im Bundesarchiv Berlin ( D R 105) sind zu den Vorbereitungen Akten in größerem Umfang erhalten. Diese konnten im Entstehungszeitraum dieser Studie aber nicht bearbeitet werden, da die Akten noch nicht verzeichnet sind (Stand Sommer 2003).Von Bedeutung ist deshalb insbesondere der Zeitzeugenbericht von Adolf Laube. Vgl. Laube: Akademische Forschung, S. 9 8 / 9 9 . Vgl. Thesen über Thomas Müntzer.

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vergleichbaren Bahnen. Am 11. März 1988 konstituierte sich das Thomas-Müntzer-Komitee der D D R , den Vorsitz übernahm erneut Erich Honecker. 404 „Mit der Thomas-Müntzer-Ehrung 1989", so führte er auf dieser Sitzung aus, „bekräftigen wir unser Verständnis von Erbe und Tradition, das wir bereits bei der Martin-Luther-Ehrung dargelegt haben. Wir betonen die dialektische Zusammengehörigkeit von Reformation und Bauernkrieg, von Luther und Müntzer. Beide verkörpern unterschiedliche Klassenlinien ein und derselben Revolution, beide gehören zu dem Erbe, das wir pflegen, und zu den Traditionen, die wir weitertragen." 405 Solche Äußerungen überdeckten nachträglich die Risse, die mit dem Lutherjubiläum in der Konzeption der Frühbürgerlichen Revolution entstanden waren. Oder positiv formuliert: Erst mit dem Müntzerjahr konnte der Wandel im Lutherbild abgeschlossen werden. Jetzt wurde auch Müntzer aus dem „Freund-Feind-Denken" herausgelöst und gezeigt, „daß beide, Luther und Müntzer, Ideologen und Vorkämpfer der frühbürgerlichen Revolution waren". 406 Der Festkalender fur die Müntzer-Ehrung wurde kaum weniger aufwändig gestaltet als derjenige im Lutherjahr sechs Jahre zuvor. Die AdW veranstaltete eine zentrale wissenschaftliche Konferenz (29. August bis 1. September in Halle), in Bad Frankenhausen erfolgte im September die ,,feierliche[...] Eröffnung des Bauernkriegspanoramas" von Werner Tübke 407 und am 20. Dezember hätte der Reigen mit einem Festakt in der Berliner Oper glanzvoll abgeschlossen werden sollen. Durch den zunehmenden Machtverlust der staatlichen Strukturen und dem Autoritätsschwund der SED im Herbst 1989 wurden die geplanten Ausstellungen, Massenkundgebungen und Volksfeste jedoch zur Abschiedsvorstellung des ,,Stammvater[s] der revolutionären Traditionslinie des deutschen Volkes" 408 und des Traditions- und Geschichtsbildes der D D R . 404

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Dem Komitee gehörten rund 110 Persönlichkeiten aus der Geschichtswissenschaft, der Theologie, Kultur und Politik an; unter ihnen auch die Historiker Gerhard Brendler, Siegfried Hoyer, Adolf Laube, Walter Schmidt, Günter Vogler. Vgl.Thomas-Müntzer-Ehrung, S. 67—75. Honecker: Die Gewalt dem Volke, S. 9. Laube: Probleme, S. 20. Das Bauernkriegspanorama Bad Frankenhausen war das teuerste Kunstprojekt, das in der D D R je realisiert wurde (40 Millionen Mark). Das Politbüro hatte 1973 beschlossen, auf dem Schlachtenberg bei Bad Frankenhausen, also an der Stelle, an der 1525 die Bauernhaufen unter Führung Thomas Müntzers ihre verheerende Niederlage erleben mussten, ein monumentales Panoramabild erstellen zu lassen. Zu Beginn der Planung war man davon ausgegangen, dass das Kunstwerk im Rahmen des Bauernkriegsjubiläums 1975 der Öffentlichkeit übergeben werden könnte. Bald wurde jedoch klar, dass ein derartiges Projekt einen längeren Entstehungszeitraum brauchte. Der 1976 mit der Ausführung des Projektes beauftragte Maler Werner Tübke, der die Beratung der Leipziger Professoren Manfred Bensing und Siegfried Hoyer in Anspruch nehmen konnte, stellte das Gemälde 1987 fertig. Damit blieb bis zur offiziellen Einweihung 1989 noch genügend Zeit, um die bereits aufgetretenen ersten Gebäudeschäden wieder zu beheben.Vgl. Protokoll des Politbüros der Sitzung vom 9. Oktober 1973. SAPMO BArch, DY 30, J IV 2/2 A 1471 sowie FAZ, Nr. 15., 18. Januar 1986; FAZ, Nr. 299, 24. Dezember 1990; Berliner Zeitung, Nr. 176, 31. Juli/1. August 1999. Laube: Probleme, S. 17.

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Parallel zur Vorbereitung der Festveranstaltung war auch in Hinblick auf das Müntzerjahr wieder eine Reihe von wissenschaftlichen Publikationen entstanden. Der Stand der Müntzerforschung am Vorabend des Zusammenbruchs der D D R soll hier anhand von zwei von Gerhard Brendler und Günter Vogler verfassten Biographien Müntzers dargestellt werden. Brendlers Studie darf nur bedingt als Biographie bezeichnet werden. Zwar werden die Lebensstationen Müntzers in chronologischer Reihenfolge beleuchtet, aber eigentlich steht Müntzers Weg durch die verschiedenen theologischen Strömungen seiner Zeit im Zentrum der Betrachtung. Mit dem Können undWissen, das Brendler bereits in seiner Luther-Biographie unter Beweis gestellt hatte, jonglierte er mit den zeitgenössischen reformatorischen Glaubensauffassungen. Dennoch rückte der gesellschaftliche Ursprung der theologischen Positionen nun wieder verstärkt in den Vordergrund. So betonte Brendler nicht nur, dass Müntzers Ausrichtung auf das gemeine Volk seinen Ursprung in dessen Umgang mit den Zwickauer Tuchknappen gehabt habe, sondern er führte auch die liturgischen Änderungen auf gesellschaftliche Neuerungen zurück. „Ihre Änderung [die Änderung von kirchlichen Ritualen und Liturgien, hier konkret des Abendmahls, Im] mag zwar bloß als leichtes Gekräusel an der Oberfläche der Kultur erscheinen, indiziert aber Verschiebungen und Umschichtungen im Wert- und Normgefuge der Gesellschaft und der kollektiven Deutung ihrer Situation. Änderungen dieser Art ergeben sich nicht mutwillig und im Spiel, sie brechen aus innerem Zwang hervor." 409 Folgerichtig führte Brendler auch die Differenzen zwischen Luther und Müntzer auf deren gesellschaftliche Position zurück. „Luther und Müntzer reden haarscharf aneinander vorbei, nicht nur scheinbar, sondern in der Tat. Doch hier steht nicht nur Missverständnis gegen Missverständnis und nicht nur Haarspalterei gegen Haarspalterei, auch nicht bloß die eine Auffassung von Offenbarung gegen eine andere. Hier steht die Räson der einen Klassenfront gegen die Räson einer anderen Klassenfront." 410 Die DDR-Geschichtswissenschaft zentrierte die Frühbürgerliche Revolution in den 1980er Jahren also nicht vollständig auf Luther. Dennoch war nicht nur das Bild Luthers, sondern auch dasjenige Müntzers einem Wandel unterworfen. Brendler bemühte sich, die beiden Reformatoren nicht nur als Anhänger zweier unterschiedlicher Flügel der Frühbürgerlichen Revolution darzustellen, sondern auch ihre theologischen Differenzen aufzuzeigen. Laut Brendler war hierbei ihr unterschiedliches Gottesbild zentral. „Damit können wir nunmehr auch den Unterschied des Müntzerschen Gottesbildes von dem Luthers auf den Begriff bringen: Müntzer ist voll auf den zornigen Gott fixiert und findet von da nicht zum barmherzigen Gott, deshalb peitscht ihn auch der .bittere Christus' voran, und er findet keinen Trost beim ,süßen Christus', den er als ,Honigmännlein' lästert. U m es in moderner Begrifflichkeit und ungeschminkt zu sagen: im Rah-

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Brendler: Thomas Müntzer, S. 89. Brendler:Thomas Müntzer, S. 148.

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men der Denkmöglichkeiten seiner Zeit durchschaut Müntzer die Herrschaftsfunktion der christlichen Religion. Im überlieferten Gottes- und Christusbild wittert er Betrug, und er verübelt es der Reformation, daß sie mit diesem Betrug nicht radikal gebrochen hat, sondern ihn mit etwas veränderter Terminologie nur noch raffinierter als bisher fortsetzt. Der Aufbau eines Gegenbildes hierzu ist schwierig. Auf die Bibel kann er dabei nicht verzichten und will auch nicht. Aber gewichtiger als die Bibel ist ihm die lebendige Stimme Gottes und der Glaube, der von dieser lebendigen Stimme geweckt wird und nicht nur ein paar tote Buchstaben für sich hat." 411 Ohne die Vorarbeit der frühen 1980er Jahre wäre eine solche, auf die Theologie ausgerichtete Interpretation kaum möglich gewesen. Für Brendler blieb Müntzer die herausragende Figur der Frühbürgerlichen Revolution, aber er unterließ es, ihn - parallel zu Luther - zum Helden der deutschen Nation emporzuheben. 412 Durch die gesellschaftliche Rückbindung der theologischen Strömungen griff Brendler auf Konzepte der 1970er Jahre zurück. Gleichzeitig war er aber auch darum bemüht, frühere Mystifizierungen zu durchbrechen. 413 Noch einen beachtlichen Schritt weiter ging Günter Vogler. Sein Urteil, „daß Müntzer Theologe war und dies bis in seine Todesstunde blieb", macht den Fokus der Darstellung deutlich. 414 Müntzers Lebensweg wird größtenteils entlang seiner Entwicklung als Theologe beschrieben. Die mittelalterliche Mystik, die spätmittelalterliche Tradition humanistischer Kirchenkritik und die lutherische Reformation werden hinsichtlich ihrer Wirkung auf Müntzers Denken und Glauben untersucht. 415 Dabei ließVogler nie einen Zweifel daran, dass Müntzers Ziel der Erneuerung der Christenheit im Geiste des Evangeliums kirchenhistorisch und biblisch motiviert gewesen sei. Müntzers Vorstellungen hätten nicht „aus kurzzeitigen Einblicken in den Zustand der Gesellschaft und deren Gebrechen" resultiert. „Was er sah und erlebte, war für ihn nur Ausdruck eines langanhaltenden Prozesses, der sich im Verfall der Christenheit widerspiegelte." 416 Laut Vogler habe Müntzer zwar „in einem bestimmten sozialen und politischen Erfahrungsraum" gehandelt, jedoch ohne sich „als Exponent einer bestimmten Klasse oder Schicht verstanden" zu haben. 417 Damit widersprach Vogler der in den Müntzer-Thesen vertretenen Interpretation, wonach Müntzer seine Revolutionstheologie aufgrund seiner Erfahrungen mit den städtischen Unterschichten entwickelt habe. 411 412

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Brendler:Thomas Müntzer, S. 127/128. Max Steinmetz hatte Luther auf der Konferenz von Wernigerode als ,Held der deutschen Nation' bezeichnet.Vgl. Kapitel 6.3.1. Das eindrücklichste Beispiel hierfür führt Brendler ganz am Schluss seiner Arbeit an, indem er ausdrücklich betont, dass Müntzers Kampf nie eine nationale Zielsetzung eigen gewesen sei. Vgl. Brendler:Thomas Müntzer, S. 193. VoglenThomas Müntzer, S. 7. Vgl.Vogler: Thomas Müntzer, S. 39, 54/55,146-155 (lutherisch-wittenbergische Reformation), S. 50 (Tradition spätmittelalterlicher Kirchenkritik), S. 69/70 (mittelalterliche Mystik). Vogler:Thomas Müntzer, S. 273. VoglenThomas Müntzer, S. 275.

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Die Erosion der Frühbürgerlichen

Revolution

Vom materialistischen Konzept der Frühbürgerlichen Revolution bleibt bei Vogler nur noch auf der Marxisten eigenen, objektiven Ebene etwas übrig: Beim .Verfall der Christenheit' habe es sich objektiv um die gesamtgesellschaftliche Krise des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts gehandelt und dementsprechend sei es auch bei Müntzers Zielsetzungen .objektiv' um die „Erneuerung der mit der feudalen Ordnung verquickten Kirche und die Schaffung der dafür erforderlichen sozialen und politischen Bedingungen" gegangen. 418 Dafür interessierte sich Vogler aber kaum noch. Seine Müntzer-Biographie ist der theologisch legitimierten Konzeption zur „Wiederherstellung der göttlichen Ordnung" gewidmet; 419 er untersuchte deren biblische Herleitung und politische Wirkung. Die marxistisch-leninistische Interpretation der 1960er Jahre hat in Müntzer den Revolutionär gesehen, der sich der Theologie bedient hatte. Bei Vogler erschien er nun als Theologe, der Kraft seines Glaubens zum Revolutionär geworden war. Damit hatten die ehemals in erbittertem Widerstreit liegenden Positionen aus Ost und West sehr nahe zueinander gefunden. 420 Die Biographien von Brendler und Vogler können als Schlusspunkt der DDR-Forschung zur Frühbürgerlichen Revolution bezeichnet werden. Dieses Konzept hatte lange Zeit politische und wissenschaftliche Ansprüche miteinander verbunden. Wissenschaftlich fugte es Reformation und Bauernkrieg zu einer analytischen Einheit und eröffnete so einen neuartigen Blick auf die sozialen Bewegungen des frühen 16. Jahrhunderts. Sie erschienen in Verbindung mit den geistigen Umbrüchen als revolutionärer gesellschaftlicher Prozess. Politisch war die Frühbürgerliche Revolution Ausdruck der scharfen Abgrenzung gegenüber der BRD, die in der Propaganda der D D R nichts anderes war als die Weiterfuhrung des .faschistischen' Deutschlands in anderer Form. Diese Kampfstellung spiegelte sich in der Benennung von positiven und negativen, progressiven und reaktionären Strömungen im 16. Jahrhundert. In der Darstellung von Luther und Müntzer fand dieses ideologische Bestreben seinen ikonographischen Ausdruck. Durch die zunehmend positive Bewertung Luthers ab den späten 1970er Jahren begann die bisherige politische Funktion der Frühbürgerlichen Revolution zu erodieren. An ihre Stelle trat das Streben nach einem möglichst breiten Traditionsverständnis und damit einer möglichst breiten historischen Legitimationsgrundlage. Mit den Müntzer-Feierlichkeiten von 1989 wurde dieser Prozess, der 1983 einen ersten Höhepunkt gefunden hatte, bestätigt. Dass zeitgleich die Berliner Mauer ihren Schrecken verlor, verleiht diesem Prozess zwar zusätzliche Dramatik, steht aber kaum in einem kausalen Zusammenhang dazu. Parallel zu den weltpolitischen Ereignissen jener Jahre und dem baldigen Verschwinden der D D R von der politischen Landkarte wurde auch die Geschichts418 419 420

VoglenThomas Müntzer, S. 273. Vogler:Thomas Müntzer, S. 276. Große Nähe besteht insbesondere zwischen der Müntzer-Biographie von Günter Vogler und der zeitgleich erschienenen Müntzer-Biographie von Hans-Jürgen Goertz.Vgl. Hans-Jürgen Goertz: Thomas Müntzer. Mystiker, Apokalyptiker, Revolutionär, München 1989.

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Parteilichkeit für die Revolution.

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Wissenschaft der D D R aufgelöst. M i t der U m w a n d l u n g u n d ,Abwicklung' der geschichtswissenschaftlichen Institutionen u n d d e m Versiegen verschiedener staatlicher Geldquellen wurde der Lebensnerv der Frühbürgerlichen Revolution durchtrennt. Gerade Historiker aus dem Osten Deutschlands vermieden den Begriff Frühbürgerliche Revolution nach 1989 tunlichst. 4 2 1 Seit Mitte der 1990er Jahre wird j e d o c h wieder zaghaft auf dieses Konzept verwiesen. Adolf Laube betonte 1997 ebenso, prinzipiell an dieser Interpretation festhalten zu wollen, wie dies in demselben Jahr auch H e l m u t Bräuer tat. 4 2 2 N e u e Beiträge zum Konzept der Frühbürgerlichen Revolution sind in den letzten Jahren aber keine mehr erschienen. Ein erneutes Aufflammen einer kontroversen Diskussion u m R e f o r mation u n d B a u e r n k r i e g ist daher zur Zeit nicht zu erwarten. Somit lässt sich der E n d p u n k t der Auseinandersetzung auf das Jahr 1989 festlegen. Die Diskussion zwischen Historikern der D D R u n d der B R D war zu diesem Z e i t p u n k t nicht zu e i n e m konsensfähigen Endergebnis gelangt. D i e E n t w i c k l u n g in Ost und West hat seit Mitte der 1970er Jahre aber in diese R i c h t u n g gewiesen. Wohl nicht hin zu e i n e m Konsens - ein solcher wird bekanntlich selten erreicht —, aber hin zu einer wissenschaftlichen Debatte, deren jeweilige Pole nicht einfach ideologisch bestimmt gewesen wären. D e r politische U m b r u c h schritt aber zu schnell voran, als dass es dazu noch hätte k o m m e n können.

6.7 Zwischenfazit M i t d e m Historischen Materialismus baute die DDR-Geschichtswissenschaft auf einer axiomatischen Grundlage auf, die ebenso unumstößlich war wie die B e z e i c h n u n g Frühbürgerliche Revolution für die revolutionären U m w ä l z u n g e n zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Anders als die zementierte M e t h o d i k u n d Begrifflichkeit auf den ersten Blick vermuten ließe, war das Konzept der Frühbürgerlichen Revolution in den 40 Jahren der DDR-Geschichtswissenschaft aber ständigen W a n d l u n g e n u n t e r w o r f e n u n d ließ innerhalb des g e n a n n t e n R a h m e n s auch eine relative Pluralität zu. Die wichtigsten Stationen der Entwicklung bis 1989 sollen hier kurz zusammengefasst werden.

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So schreibt beispielsweise Peter Blickle über einen von der Society for R e f o r m a t i o n Research u n d v o m Verein f ü r R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e 1990 organisierten Kongress in Washington: „Daß in Washington ein Kapitel der Reformationsgeschichte geschlossen wurde, mag ein subjektiver Eindruck sein, der dadurch mächtig verstärkt wurde, daß trotz der Anwesenheit prom i n e n t e r Kollegen aus Leipzig, Dresden u n d Berlin das W o r t frühbürgerliche Revolution tabu war. D i e R e f o r m a t i o n hatte mindestens zwei J a h r z e h n t e zu den p r o m i n e n t e n u n d e x t r e m kontrovers behandelten Forschungsgegenständen der westdeutschen u n d ostdeutschen Historiker u n d Theologen gehört. W i e politische Entwicklungen Forschungsgegenstände konstituieren oder dekonstruieren war in Washington geradezu körperlich spürbar." Blickle: N e u o r i entierung, S. 482. Vgl. Laube: Flugschriften gegen die R e f o r m a t i o n , S. 1 - 9 und Bräuer: Aufruhr, S. 2 1 0 - 2 1 4 .

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Zwischenfazit Zwei zentrale Ausgangspunkte der ostdeutschen Geschichtswissenschaft zur Reformationszeit wurden noch während der nationalsozialistischen Herrschaft und fern von deutschem Boden markiert. Alfred Meusel und Moisej Smirin arbeiteten ungefähr zeitgleich, aber ohne vom jeweils anderen Projekt zu wissen, an einer neuen Darstellung des Bauernkrieges. Beide gingen von der Interpretation Friedrich Engels' aus und beide orientierten sich an den insbesondere von Günther Franz erarbeiteten Publikationen aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Während Smirin explizit eine Gegendarstellung zur „faschistischen" Geschichtsschreibung von Franz anstrebte, nannte Meusel weder den N a m e n Franz' noch denjenigen verschiedener Historiker des 19. Jahrhunderts, deren Arbeiten er sich bediente. Trotz den äußerlichen Gemeinsamkeiten waren die Darstellungen inhaltlich recht unterschiedlich. Smirins Monographie von 1947/52 stellte eine bedeutende Weiterentwicklung der Engels'sehen Arbeit dar. Der sowjetische Historiker ü b e r n a h m die sozio-ökonomische Ursachendeutung des Konfliktes, verließ aber im Gegensatz zu Engels die materialistische Argumentationsebene auch bei der Schilderung der Zielsetzung der Revolution nicht. Er betonte die ökonomische Bedeutung eines zentralisierten Staates und distanzierte sich dadurch von Engels' emotional-nationalistischen Interpretationsmustern. Ebenfalls materialistisch begründete er die große Wirkung von Müntzers Theologie. Dieser habe es verstanden, aus mittelalterlichem Gedankengut eine Ideologie zu formen, die den Vorstellungen und Wünschen des in Armut lebenden, leidenden Volkes entsprochen habe. Diese Fokussierung auf Müntzer fand in der Begriffsschöpfung der Volksreformation ihren schärfsten Niederschlag und wurde in Gegensatz zur Fürstenreformation gesetzt. Smirins Bild von Luther war durch dessen späteres Bündnis mit den Fürsten geprägt. Daraus entwickelte er eine Sichtweise, in der die beiden Reformatoren zum dialektischen Gegensatzpaar wurden. Die Volksreformation interpretierte Smirin als Klassenkampf zur U b e r w i n d u n g der feudalen Ausbeutung hin zu einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Auch Meusel stellte das Handeln und die Wirkung Luthers sehr kritisch dar. Im Unterschied zu Smirin war seine Darstellung aber ganz in der nationalen Sichtweise des 19. Jahrhunderts verhaftet. Er sah im Bauernkrieg vor allem eine Bewegung hin zu einem die deutsche Nation einigenden Reich. Die sozialen Unterschichten erschienen nicht als ahistorische Naturgewalt, sondern als die treibende Kraft deijenigen historischen Entwicklung, die ihre Vollendung in der D D R gefunden hat. Dennoch war die materialistische Argumentation bei M e u sel eher zweitrangig. Somit war seine Monographie auch Abbild der Deutschen Frage der Nachkriegsjahre. Meusels Interpretation erlangte schnell große Wirkung. Er setzte sie 1952 in einer Diskussion im Museum für Deutsche Geschichte als verbindlich durch. Infolge der kritischen Rezensionen von Franz und Steinmetz zu seinem MüntzerBuch und der zunehmenden Kritik an seinem nationalgeschichtlichen Blickwinkel büßte Alfred Meusel im Verlauf der 1950er Jahre seine Deutungsmacht aber weitgehend ein.Von langfristigem Einfluss war seine Interpretation nur hin283

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sichtlich der Begrifflichkeit: Er war der Erste, der den Term Frühbürgerliche Revolution verwendet hatte. Beerbt wurde Meusel Ende der 1950er Jahre von M a x Steinmetz. Bevor dieser mit den Thesen von Wernigerode die Führerschaft über die Forschung zur Frühbürgerlichen R e v o l u t i o n ü b e r n a h m , hatte eine Diskussion u n t e r sowjetischen Historikern wichtige E c k p u n k t e für die künftige Darstellung festgelegt. Die Thesen von Wernigerode nahmen deren Ergebnis auf u n d verbanden sie mit früheren Ansätzen. Steinmetz orientierte sich an Meusels Begriffsschöpfung u n d an dessen nationaler Perspektive. Er sprach von einer gesamtnationalen Krise als Ursache u n d sah die Zielsetzung der Revolution in der nationalen Zentralisierung des Reiches. Die stark auf das Nationale ausgerichtete Konzeption darf flir die Ulbricht-Jahre als typisch angesehen werden. Daneben n a h m Steinmetz aber auch Aspekte von Smirins Interpretation auf. Er schrieb M ü n t z e r die viel positivere R o l l e zu als Luther. D u r c h ein Modell der Abfolge v o n P r a x i s - T h e o r i e Praxis (Bundschuh-[Volks~]Reformation-Bauernkrieg) w u r d e die B e d e u t u n g des Thesenanschlages gemindert. Allerdings erfolgte damit auch eine n o c h wenig befriedigende zeitliche Eingrenzung der Frühbürgerlichen R e v o l u t i o n auf die Jahre 1476 u n d 1535. Mit den Thesen von Wernigerode war der Interpretationsspielraum der nächsten zehn Jahre abgesteckt. Die Geringschätzung Luthers n a h m in den folgenden Jahren ab u n d hatte mit Zschäbitz' Luther-Biographie von 1967 - d e m Jahr des 450. Jahrestages des T h e senanschlages - einen ersten T i e f p u n k t erreicht. Die nationale Zielsetzung der Frühbürgerlichen Revolution wurde in dieser Publikation z u m ersten Mal w e niger hervorgehoben als die sozialen Forderungen der U n r u h e n . Mit Zschäbitz war ein Historiker der ersten Generation ins R a m p e n l i c h t getreten, deren gesamte akademische Sozialisation in der D D R stattgefunden hatte. Dasselbe gilt auch für Günter Vogler. Dieser b e m ü h t e sich seit dem Ende der 1960er Jahre u m ein Geschichtsbild fern der rein nationalen Sichtweise. Er fand die Lösung in der A u s d e h n u n g von Steinmetz' Perspektive auf E u r o p a u n d einer k o n s e q u e n t marxistischen Interpretation der Reformationszeit. Ergänzt durch die Forschung von Adolf Laube entstand so das Mitte der 1970er Jahre dominante Konzept der Frühbürgerlichen Revolution. Die Ursachen der Erhebung w u r d e n nicht m e h r in den Entwicklungsproblemen des frühneuzeitlichen Staates gesehen, sondern aus d e m Antagonismus frühkapitalistischer Produktionsweisen u n d spätfeudaler Gesellschaftsordnung erklärt. D a d u r c h verschob sich auch die Darstellung der Zielsetzung. Nicht m e h r die nationale Einigung, sondern die U b e r w i n d u n g der die E n t w i c k l u n g des Kapitalismus h e m m e n d e n feudalen Schranken stand jetzt i m Vordergrund. D a m i t war es einerseits gelungen, R e f o r m a t i o n u n d B a u e r n krieg konsequent in die T h e o r i e des Historischen Materialismus einzuordnen. Andererseits entsprach die Abkehr von der nationalstaatlichen Perspektive auch den Vorgaben der Politik, die Geschichtswissenschaft solle sich in Z u k u n f t eine internationalistische Betrachtungsweise zu eigen machen u n d nationalgeschichtliche Vorgänge „welthistorisch" einordnen.

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Zwischenfazit Die 15 Jahre zwischen der Konferenz von Wernigerode und dem B a u e r n kriegsjubiläum können damit als die eigentliche Hochphase des Konzepts der Frühbürgerlichen Revolution bezeichnet werden. Trotz der Stringenz dieser Interpretation begann mit der aufkeimenden Diskussion um Erbe und Tradition Ende der 1970er Jahre bereits ihre Erosion. Einzelne Personen rückten gegenüber sozio-ökonomischen Strukturen in den Vordergrund. Martin Luther wurde in den Jahren rund u m seinen 500. Geburtstag j e länger j e m e h r zum Mittelpunkt der Frühbürgerlichen Revolution. Die Historiker gestanden seiner T h e o logie zunehmend eine eigenständige historische Wirkung zu. Eine sehr ähnliche Entwicklung lässt sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahren bezüglich T h o mas M ü n t z e r beobachten. Auch er wurde n u n als Theologe wahrgenommen, sein Glaube vor seine gesellschaftsrevolutionären Absichten gestellt. Diese neuen Interpretationen, die sich am stärksten in den Publikationen von Gerhard Brendler und Günter Vogler niederschlugen, reduzierten die Differenzen zu den Positionen westlich-bürgerlicher Historiker auf ein M i n i m u m . Die U n t e r schiede waren nun weniger in der Konzeption denn in der Terminologie auszumachen. Das Konzept Frühbürgerliche Revolution hatte in den 1950er und 1960er Jahren verschiedentlich zu einer deduktiven Geschichtsschreibung und einer Homogenisierung der beiden Ereignisse Reformation und Bauernkrieg gefuhrt. Dank der marxistischen Unterscheidung von subjektiver Zielsetzung und objektiver W i r k u n g einer Revolution erschien es der DDR-Geschichtswissenschaft möglich, auch ohne empirischen Nachweis vom bürgerlichen Charakter der Revolution zu sprechen. Diese Formel bildete in den 1980er Jahren immer noch den unumstößlichen R a h m e n jeder Darstellung zur Reformationszeit. Inwieweit es sich bei einer Darstellung wie der Müntzer-Biographie von Vogler noch um eine marxistische Position handelt, ist umstritten. Vor allem westlich geprägte Historiker verneinen dies und werten die Entwicklung der DDR-Geschichtswissenschaft in den 1980er Jahren als eine Übernahme von bürgerlichen Positionen. Dagegen betonen Historiker aus der D D R respektive der ehemaligen D D R , dass marxistische Geschichtsschreibung nicht nur von einem Modell sozio-ökonomischer Determination auszugehen habe, und weisen auf die Beeinflussung der westlichen Modelle durch die marxistischen Konzepte der 1970er Jahre hin. Mit dem Wandel im Zuge der Diskussion u m Erbe und Tradition hatte die Frühbürgerliche Revolution ihre bisherige politische Funktion weitgehend eingebüßt: Zur ideologischen Abgrenzung gegenüber der B R D diente ein solches Geschichtsbild kaum mehr. Historiographische Arbeiten interpretierten die neue Perspektive daher lange Zeit als eine Befreiung von den starren politischen Vorgaben der früheren Jahrzehnte. 4 2 3 Sicherlich hatte die D D R - H i s t o r i e in den

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Vgl. Neuhäußer-Wespy: Erbe und Tradition; Abendroth: Das Ende, S. 74-77 und Schultz: Die DDR-Geschichtswissenschaft, S. 227-229.

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1980er Jahren das enge Korsett des leninistischen Geschichtsbildes verlassen. D e n n o c h sprechen zwei Argumente dagegen, diese Entwicklung mit einem Begriff wie .Befreiung' zu charakterisieren. Erstens wird damit ein normativer A n spruch des westlich-bürgerlichen Wissenschaftsverständnisses auf die D D R - G e schichtswissenschaft übertragen. Wer von einer Befreiung spricht, geht implizit von einer D i c h o t o m i e von politischer U n t e r d r ü c k u n g u n d nach U n a b h ä n g i g keit strebender Wissenschaft aus. Es lag aber gerade im Wesen der ostdeutschen Geschichtswissenschaft, dass die T r e n n u n g zwischen Politik u n d Wissenschaft aufgehoben war. So begründete G ü n t e r Vogler seine neuartige Müntzerdarstellung 1989 mit „den gewachsenen Ansprüchen an das Geschichtsbild der sozialistischen Gesellschaft". 4 2 4 Die politische Parteilichkeit stellte eine Selbstverständlichkeit dar - m e h r noch: wurde als eine Voraussetzung für wissenschaftliche Erkenntnis angesehen. 4 2 5 Zweitens übersieht eine solche Charakterisierung den politischen Hintergrund der Diskussion u m Erbe u n d Tradition u n d deren Auswirkungen auf die Geschichtswissenschaft. Das Lutherjubiläum ist das beste Beispiel dafür, dass die Historie in den 1980er Jahren der politisch-ideologischen Entwicklung in vergleichbarer N ä h e folgte wie in den Jahrzehnten zuvor. Das neue Lutherbild ist nicht Folge einer Emanzipation der Wissenschaft von der Politik, sondern gerade in enger Zusammenarbeit von Politik u n d Wissenschaft entstanden. Die D D R verstand sich seit ihrer G r ü n d u n g explizit als G e g e n e n t w u r f zur B R D . Dies galt infolge der beschriebenen Verschränkung von Politik u n d Wissenschaft auch für die Wissenschaft. Das Objektivitätspostulat der bürgerlichen Geschichtswissenschaft w u r d e nicht n u r abgelehnt, s o n d e r n als Hindernis für wissenschaftliche Erkenntnis angesehen. Es führe nicht zur U n a b hängigkeit der Wissenschaft, sondern einzig zur Verschleierung der politischen B i n d u n g e n , die so wissenschaftlich auch nicht m e h r nutzbar gemacht werden könnten. 4 2 6 Hiermit wird verständlich, weshalb die M e t h o d e des Historischen Materialismus u n d der Begriff der Frühbürgerlichen Revolution nach ihrer Etablierung in den 1950er Jahren nicht m e h r hinterfragt w u r d e n . Als eigentlicher M o t o r der historischen Entwicklung und damit des historischen Fortschritts wurde die Revolution i m m e r positiv gewertet. D e n n o c h wäre es verfehlt, alle Publikationen, Referate u n d Konzepte der DDR-Geschichtswissenschaft zur Reformationszeit in einen m o n o l i t h i s c h e n Block der p a r t e i g e b u n d e n e n Geschichtsschreibung gießen zu wollen. Innerhalb dieses axiomatischen Systems lässt sich durchaus ein unterschiedliches Verständnis v o n Parteilichkeit feststellen. A u f der einen Seite steht das B e m ü h e n , die Geschichte des frühen 16. Jahrhunderts mit marxistischer Analyse - der M e t h o d e des Historischen Materialismus - zu interpretieren, von der bürgerlichen Geschichtsschreibung bisher vernachlässigte Aspekte der sozialen Schichtung, der wirtschaftlichen E n t w i c k l u n g oder der gesellschaftlichen 424 425 426

Vogler: Die Entwicklung, S. 195. Vgl. Sabrow: Diktat, S. 29-32. Vgl. Sabrow: Geschichtsdiskurs, S. 21.

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Zwischenfazit Wirkung religiösen Denkens sichtbar zu machen und damit in der Frühbürgerlichen Revolution gleichsam einen Beweis fur die Gültigkeit der marxistischen Formationstheorie zu finden. Auf der anderen Seite steht die direkte Parallelisierung von Ereignissen und Personen der Reformationszeit mit der eigenen Gegenwart: So wurde der Bauernkrieg in den 1950er Jahren zum Kampf um die nationale Einheit Deutschlands stilisiert. Dank der Hervorhebung Thomas Müntzers gelang die Verknüpfung mit der D D R besonders eindrucksvoll: Er hatte hauptsächlich im Raum der heutigen Bundesländer Thüringen und Sachsen gewirkt. Die D D R konnte damit nicht nur als Erbin seines Vermächtnisses dargestellt werden, sondern erschien gar als die reale Umsetzung von Müntzers Utopien. Der Ursprung der deutschen revolutionären Tradition — als deren Endprodukt sich die D D R sah - wurde ins 16. Jahrhundert gelegt. Diese Herkunftserzählung war umso wichtiger, als das sozialistische Deutschland nicht Folge einer proletarischen Erhebung gewesen war. O h n e dies explizit zu machen, erschien Müntzer damit oft als ein Revolutionsfuhrer leninistischen Typs: Aus der Analyse der gesellschaftlichen Missstände hatte er eine Ideologie des Klassenkampfes entwickelt und die revolutionären Massen im praktischen Kampf angeführt. Sein Scheitern verschuldete nicht er, sondern die historische Situation. Dass damit eine der Formationstheorie widersprechende ahistorische Vermischung von Frühbürgerlicher Revolution und kommunistischer Ideologie entstand, wurde offensichtlich in Kauf genommen. Kaum eine der in Kapitel 6 vorgestellten Arbeiten lässt sich eindeutig der einen oder der anderen Kategorie zuordnen. So folgt beispielsweise in der ,Illustrierten Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution' auf eine ausführliche marxistische Analyse ein Schlusskapitel mit schablonenartigen Sätzen und Formulierungen, die einen starken Bezug zur Gegenwart konstruieren und die SED als Verwalterin des revolutionären Nachlasses aus dem Bauernkrieg präsentieren. Allgemein lässt sich feststellen, dass die Parallelisierung zur D D R vor allem dann besonders stark war, wenn die Frühbürgerliche Revolution fur eine breite Öffentlichkeit inszeniert wurde. Dies gilt insbesondere für die vier J u biläen der Jahre 1967 (Reformation), 1975 (Bauernkrieg), 1983 (Luther) und 1989 (Müntzer). Kaum präsent war sie aber dann, wenn sich eine Publikation tendenziell an ein Fachpublikum richtete — so etwa bei Artikeln, die in der ZfG publiziert wurden.

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7 Günther Franz und Max Steinmetz: Als politische Historiker im 20. Jahrhundert Günther Franz und Max Steinmetz haben die Bauernkriegsforschung des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt. Sie waren aber nicht nur Repräsentanten der deutschen Frühneuzeitforschung. Ihre Arbeit war - zumindest zeitweise - auch eng mit den politischen Systemen der beiden deutschen Diktaturen verknüpft. Ihre Bedeutung für die jeweilige Geschichtswissenschaft wurde in den vorangehenden Kapiteln deutlich. Nun soll die Blickrichtung gewendet werden: Die beiden folgenden biographischen Skizzen versuchen, gesellschaftliche Prägungen und persönliche Erfahrungen aufzudecken, die für die Beziehung von Franz und Steinmetz zum jeweiligen Wissenschaftssystem konstitutiv wirkten. Die bipolare Beziehung zwischen Politik und Wissenschaft wird damit um das Individuum zum Dreiecksverhältnis erweitert. Für jeden Historiker ergab (und: ergibt) sich immer wieder die Notwendigkeit, sich irgendwo auf diesem Feld einzuordnen. Solche Entscheidungen sind aus historischer Perspektive nur über einen Blick auf das lebensweltliche Umfeld rekonstruierbar. Der Anlage der gesamten Untersuchung entsprechend fokussiert auch dieses Kapitel auf die Lebens- und Arbeitsjahre der beiden Historiker im ,Dritten Reich' und in der D D R . Günther Franz und Max Steinmetz waren nicht die einzigen Historiker, die der Geschichtsschreibung zur Reformationszeit in den beiden deutschen Diktaturen wesentliche Impulse verliehen haben. Auch Walther Peter Fuchs und R u dolf Stadelmann oder Gerhard Zschäbitz und Gerhard Brendler - um nur einige weitere Namen zu nennen - könnten näher betrachtet werden. Eine umfassendere Gruppenbiographie würde den Rahmen dieses Kapitels aber sprengen und bliebe immer noch auf eine Auswahl von Biographien beschränkt. Die Konzentration auf Franz und Steinmetz hat aber nicht nur pragmatische Gründe. Beide standen der jeweiligen Diktatur sehr loyal gegenüber und waren am Aufbau der Bauernkriegsforschung im Nationalsozialismus und in der D D R j e zentral beteiligt. Insofern ist ihre wissenschaftliche Stellung zum jeweiligen politischen System vergleichbar. In ihrer Biographie kommt somit nicht nur der persönliche Lebensweg zum Ausdruck, sondern auch viel von der Charakteristik des jeweiligen politisch-wissenschaftlichen Komplexes. Nicht ein bilanzierender Vergleich moralischer Verfehlungen ist das Ziel dieses Kapitels, sondern die Gegenüberstellung des Selbstverständnisses zweier Historiker, die im ,Dritten R e i c h ' und der D D R wissenschaftlich tätig waren. Die akademische Laufbahn von Franz und Steinmetz hätte schon allein aufgrund des zehnjährigen Altersunterschiedes kaum unterschiedlicher verlaufen können. Auf ihren Wegen durch das deutsche 20. Jahrhundert standen sie nie vor derselben, aber doch immer wieder vor vergleichbaren Kreuzungen. Oder anders gesagt: Sie hatten ähnliche Entscheide über ihre Lebensführung in einem jeweils anderen historischen Kontext zu fällen. Franz' Entschluss zu einer akademischen Laufbahn fiel in der Weimarer Republik, Steinmetz' dagegen erst in der

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Günther Franz und Max

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D D R . Günther Franz begab sich im ,Dritten R e i c h ' zielstrebig in die Rolle des politischen Historikers und Max Steinmetz vollzog eine ähnliche Entwicklung in der D D R . So unterschiedlich der Inhalt des Politischen in diesen beiden Systemen auch war, ist dieser Schritt insofern vergleichbar, als damit beide Historiker von einem bürgerlichen Wissenschaftsverständnis Abschied nahmen. Sie identifizierten sich nicht nur mit dem politischen System, sondern sahen ihre tägliche Arbeit als Teil der politischen Auseinandersetzung an. Franz' kämpferisches Auftreten gegen die Historische Reichskommission oder Steinmetz' Bemühen um politische Führung der Vorbereitungen des Bauernkriegsjubiläums haben dies bereits deutlich gezeigt. Die nach bürgerlichem Ideal notwendige Unabhängigkeit der Wissenschaft von der Politik galt ihnen wenig. Insofern geht das folgende Kapitel auch der Frage nach, wie Franz und Steinmetz zu ihrem Selbstverständnis als politische Historiker im .Dritten R e i c h ' und in der D D R gekommen sind.

Kindheit und Jugend Günther Franz wurde im Mai 1902 in Hamburg geboren. Sein Vater Gottlob Franz, technischer Direktor einer Wollkämmerei, verstarb infolge eines Arbeitsunfalls noch vor Günther Franz' erstem Geburtstag. Seine Mutter Anna Franz, deren Mädchennamen (Günther) er zum Vornamen erhalten hatte, war mit 34 Jahren und sechs Kindern Witwe geworden. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Familie in die Heimatstadt beider Eltern, die Residenzstadt Greiz des kleinsten deutschen Fürstentums R e u ß (ältere Linie). In Greiz, das nach dem Ersten Weltkrieg zum Land Thüringen gehörte, betrieb die Familie der Mutter Anna Franz eine größere Papierfabrik; materielle Not litt die Familie nicht. Hier wuchs Günther Franz auf, besuchte die Volksschule und das Gymnasium und trat mit zwölf Jahren wie seine älteren Brüder dem Wandervogel bei. 1 Bei Kriegsausbruch meldete sich Günther Franz' ältester Bruder als Kriegsfreiwilliger, im Herbst 1915 fiel er als 19-jähriger in Frankreich. Somit weist Günther Franz' Biographie die wesentlichen Merkmale auf, über die verschiedene Historiker die so genannte „Kriegsjugendgeneration" definieren. In Anlehnung an Karl Mannheims Kategorie der Generation 2 werden die zwischen 1900 und 1910 Geborenen zu einer spezifischen Kohorte zusammengefasst. Diese Generation sei auch ohne aktive Teilnahme entscheidend durch die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges geprägt worden: Die Kriegsbegeisterung von 1914, Heeresberichte, Hunger, Entbehrung,Verlust von Angehörigen und schließlich der militärische und politische Zusammenbruch waren ihre gemeinsamen E i n -

Vgl. Franz: Mein Leben, S. 1 - 1 8 und Fragebogen des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung undVolksbildung. BArch, BDC-Personalakte Günther Franz. Grundlegend ist der Aufsatz Karl Mannheim: Das Problem der Generationen, in: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie 7 (1928), S. 1 5 7 - 1 8 6 und 3 0 9 - 3 3 0 .

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Günther Franz und Max

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drücke in früher Jugend. Das ,Defizit' der verpassten aktiven Kriegsteilnahme habe diese Generation „durch die Übernahme des Frontkämpferideals fur den Kampf im Innern, durch die Stilisierung des kalten, entschlossenen Kämpfers und durch das Trachten nach ,reinem', von Kompromissen freiem und radikalem, dabei aber organisiertem, unspontanem, langfristig angelegtem Handeln zu kompensieren" versucht. 3 Selbstverständlich entwuchsen dieser Generation nicht nur fanatische Kommunisten und Nationalsozialisten, sondern auch gemäßigte Charaktere, konservative, liberale, christlich-soziale oder sozialdemokratisch gesinnte Staatsbürger. Dass fundamentale gesellschaftliche Einschnitte wie der Erste Weltkrieg, die darauf folgenden Revolutionsversuche und der wirtschaftliche Zusammenbruch eine generationelle Prägung evozieren können, ist wohl unbestritten. 4 Eine deterministische Herleitung von Günther Franz' weiterem Werdegang über seine Zugehörigkeit zur Kriegsjugendgeneration griffe jedoch zu kurz. Zweifellos steigerte das Erlebnis des Ersten Weltkrieges aber seine Politisierung. 5 U m nicht einseitig informiert zu sein, habe er — gerade mal 16-jährig — seit dem Frühjahr 1918 auch den ,Vorwärts' zu lesen begonnen und sei deshalb vom militärischen und politischen Zusammenbruch „nicht unvorbereitet" getroffen worden. Noch stärker als der Krieg, schrieb Franz aus der Retrospektive, habe ihn jedoch die Novemberrevolution politisiert. Er habe an „jeder Wahlversammlung, gleich welcher Partei" teilgenommen und bei den Wahlen vom Januar 1919 schließlich der Deutschen Demokratischen Partei als „Wahlschlepper" gedient. 6 Als Günther Franz 1921 sein Abitur ablegte, nahm er am politischen Leben regen Anteil, war aber weltanschaulich keineswegs auf eine bestimmte Position festgelegt. Weit geringer war die Prägung durch Krieg, Niederlage und Revolution bei Max Steinmetz. Er wurde am 12. Oktober 1912 in Frankfurt am Main geboren und war bei der Novemberrevolution also gerade mal sieben Jahre alt.7 Seine beiden Eltern Georg Heinrich Steinmetz und Kathinka Emilie, geborene Suther, stammten aus bescheidenen Verhältnissen.8 Der Vater verdiente den Lebensunterhalt für die Familie mit vier Kindern als Versicherungsangestellter. Nach einem 3 4

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Herbert: Best, S. 44. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang auch die umfangreiche Studie von Michael Wildt über das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes im ,Dritten Reich'. E r weist nach, dass mehr als drei Viertel dieser „Kerngruppe des Genozids" der Kriegsjugendgeneration entstammten. Vgl. Wildt: Generation des Unbedingten, S. 2 3 - 2 8 . V g l . auch Reulecke: Generationalität. Eindrücklich schildert Franz' Altersgenosse Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen, München 2002, Kapitel 3 - 5 , seine eigene Prägung durch diese Zeit. Franz: Mein Leben, S. 22. Die Aufgabe eines ,Wahlschleppers' war es, potenzielle NichtWähler in die Wahllokale zu holen. Nach dem bereits erwähnten Generationenkonzept gehören die Jahrgänge 1910—1920 zur Nachkriegsgeneration. Ihre ersten gesellschaftlich-politischen Eindrücke seien nicht durch den Krieg, sondern durch den Umsturz und die Inflationsjahre geprägt gewesen. Vgl. Herbert: Best, S. 43. Vgl. Lebenslauf vom 4. Dezember 1956. U A Jena, M 6 5 6 / 5 .

Günther Franz und Max

Steinmetz

Umzug besuchte Max Steinmetz Grundschule und Gymnasium in Mannheim. In dieser seit 1928 sozialdemokratisch regierten Stadt legte er 1932 sein Abitur ab. In späteren Lebensläufen beschrieb Max Steinmetz seine Jugendzeit als gänzlich unpolitisch. Sein Vater sei zwar bis 1914 Mitglied der SPD gewesen, Politik habe in seinem Elternhaus jedoch keine wichtige Rolle gespielt. Sein Interesse habe der Kunst und Literatur gegolten. 9 Auch von seinem Bruder Otto wird Max Steinmetz als rein geistig interessierter Jugendlicher beschrieben; Max sei „auf allen geistigen Gebieten" zu seinem „Mentor" geworden. 10 So war Max Steinmetz, als er sich zum Wintersemester 1932/33 zum Studium nach Heidelberg begab, „ideologisch völlig unklar, politisch unreif und ohne Erfahrung". 11

Studium Schon während seiner Gymnasiumszeit hatte Günther Franz selbständig den Spuren seines früh verstorbenen Großvaters nachzuspüren begonnen. 1 2 Diese Beschäftigung bezeichnete er rückblickend als Auslöser für seine Hinwendung zur Geschichtsforschung: 1922 begann er in Marburg Geschichte und Germanistik zu studieren. Er hörte zwei Semester bei Albert Brackmann und Edmund E. Stengel und wechselte dann an die Universität Göttingen. Hier besuchte er nicht nur das Seminar von Arnold Oskar Meyer und die Vorlesungen von Karl Brandi, sondern auch rechts- und kirchenhistorische Veranstaltungen. Für ein Gastsemester begab er sich an eine dritte Universität und studierte im Winter 1923/24 in München. Hier besuchte er die Lehrveranstaltungen von Hermann Oncken und Karl Alexander von Müller, in dessen Übung er zusammen mit Walter Frank, dem späteren Leiter des Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschlands, saß. 13 Noch während seines Semesters in München begann Franz bei seinem Göttinger Lehrer Arnold Oskar Meyer eine Dissertation über Bismarcks Nationalgefühl zu schreiben. Gut ein Jahr später hatte der noch nicht 23-jährige Franz den Doktortitel in der Tasche. Durch seinen Aufenthalt in München war Günther Franz ins Epizentrum der völkischen Rechten gekommen. Hier waren die Vorboten des nationalsozialistischen Deutschlands deutlich präsent; die Paraden und Märsche der nationalen und völkischen Verbände des Spätherbstes 1923 erlebte Franz teilweise hautnah mit. Als Hitler im November putschte, beobachtete Franz als Zuschauer die Verhaftung der sozialdemokratischen Stadtregierung. 14 Franz war der völkischen 9

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Vgl. Wissenschaftlicher Lebenslauf vom 12. Juni 1953, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. Brief von Otto Steinmetz an den Verfasser, 28. April 2000. Wissenschaftlicher Lebenslauf vom 19. Juli 1949, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 2 7 / 2 8 . Vgl. Franz: Mein Leben, S. 3 0 - 3 9 . Vgl. Franz: Mein Leben, S. 3 9 / 4 0 .

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Bewegung nicht abgeneigt, war in Göttingen Mitglied der Deutsch-Akademischen Gilde 15 gewesen, erhoffte sich „die Einheit von Volk und Staat in einem großdeutschen Reich" und stand dem Parlamentarismus äußerst skeptisch gegenüber. Mit der NSDAP fühlte er sich aber nicht verbunden; er wählte deutschnational. 16 Eine aktive politische Rolle übernahm Franz jedoch nicht — er widmete seine Zeit der Wissenschaft. Einem Verlagsangebot folgend befasste er sich unmittelbar nach seiner Promotion erstmals mit dem Bauernkrieg. Daraus entstand nicht nur seine Quellensammlung von 1926 — er hatte damit auch das Thema für seine Habilitation gefunden. 17 Als Max Steinmetz im Sommersemester 1932 in Heidelberg sein Philosophieund Kunstgeschichtsstudium aufnahm, war das Ende der Weimarer Republik und damit der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft bereits nah. Er besuchte Kurse unter anderen bei Arnold von Salis (Kunstgeschichte), Hermann Glockner und Karl Jaspers (Philosophie). Bald schon aber entdeckte er seine Neigung zur Geschichte und wechselte sein Studienfach. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt an der Universität Frankfurt am Main setzte er sein Studium in Freiburg im Breisgau fort. Seine Neuorientierung bestätigte sich hier. Er begann sich intensiv mit dem 16. Jahrhundert zu beschäftigen. Gerhard Ritter, der in jenen Jahren etablierteste Reformationshistoriker Deutschlands, wurde zu seinem bevorzugten Professor; seit 1935 besuchte er regelmäßig dessen Hauptseminare. 18 Steinmetz' Interesse an der Reformation lässt sich also bis in seine Studienzeit zurückverfolgen. Die Machtergreifung' der NSDAP wirkte sich sehr schnell auf den universitären Alltag aus. Parteinahe Verbände und Vereine übernahmen die Organisation von Studentenschaft und Dozenten, und gerade unter Historikern kam es oft zu wohlwollenden Kommentaren zum politischen Geschehen, nicht zuletzt an den von Steinmetz besuchten Universitäten. 19 Selbst Historiker wie der damalige Rektor der Universität Heidelberg, Willy Andreas, der in den Weimarer Jahren zu den .Vernunftrepublikanern' gehört hatte, schwenkten nun auf das neue Regime ein. Im Mai 1933 sprach er zu neu immatrikulierten Studenten und nannte den Aufbau der NS-Diktatur eine „mächtige Staatsumwälzung", dank derer „Planmäßigkeit und Schlagkraft" Dinge vollbracht werden könnten,

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Die Göttinger Gilde politisch zu verorten, ist nicht ganz einfach. Anfanglich war diese Verbindung Teil der völkisch und antisemitisch orientierten Deutschen Gildenschaft gewesen, trat dann jedoch aus dem Dachverband aus. Günther Franz begründete diesen Schritt selbst damit, dass die Göttinger Gilde „das Farbentragen und ebenso Bestimmungsmensur und unbedingte Satisfaktion mit der Waffe, vor allem aber eine einseitige, d. h. völkische Festlegung" abgelehnt habe. Franz: Mein Leben, S. 36/37. Vgl. auch Kater: Studentenschaft, S. 20/21 und Bias-Engels: Jugendbewegung, S. 205—210 und Franz/Karl: Die Deutsch-Akademische Gildenschaft; zusammenfassend auch: Haar: Historiker im Nationalsozialismus, S. 71-76. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 44 und 60. Vgl. Kapitel 3.3.2. Vgl. Lebenslauf vom 12. Juni 1953, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. Vgl. Kapitel 4.1.

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„ u m die ganze Generationen deutscher Geschichte vergebens g e r u n g e n " hätten. 2 0 Mit seinem Wechsel nach Freiburg kam Steinmetz an diejenige U n i v e r sität, die in j e n e r Zeit unter dem R e k t o r a t Heideggers stand. 21 Die Gründe ftir Steinmetz' U m z u g ins Breisgau sind j e d o c h nicht in der politischen Stellung dieser Universität, sondern im privaten Bereich zu suchen: Die Familie Steinmetz war in j e n e r Zeit in einen finanziellen Engpass geraten. Ein Stiefbruder von Max Steinmetz betrieb in Freiburg eine g u t g e h e n d e B ä c k e r e i / K o n d i t o r e i u n d ermöglichte ihm dort das weitere Studium. 2 2 Im S o m m e r 1933, an der Universität Freiburg, sei er „allmählich unter nazist. Einfluss" geraten, wie er 1949 den ostdeutschen Behörden erklärte. „ W i r w u r den z u m W e h r s p o r t herangezogen u n d von S A - F ü h r e r n geleitet. Dies w u r d e dann die R e g e l an den Universitäten, an denen ich studierte. U n t e r dem D r u c k der öffentlichen Meinung, aus Furcht, am Weiterstudium behindert zu werden, zugleich aus dem Bestreben heraus, eine gewisse .Rückversicherung' zu gewinnen, machte ich diesen Dienst in den studentischen SA-Einheiten mit. Dies erschien mir der billigste Ausweg, da ich so u m einen Eintritt in die N S D A P heru m k a m , indem ich mich immer auf die Teilnahme an diesen Ü b u n g e n berufen konnte." 2 3 Diese Formulierungen entstammen einem Lebenslauf, den Steinmetz 1949 z u h a n d e n des ostdeutschen Ministeriums f u r Volksbildung verfasste. Im weiteren Verlauf des Textes erklärte er seine opportunistische Haltung gegenüber d e m Nationalsozialismus mit seiner damals starken „Bindung an die bürgerliche Welt". 2 4 U n k l a r ist, ob M a x Steinmetz in diesen Zeilen der Selbstanklage alle seine Verbindungen zu NS-Organisationen offen gelegt hat. M e h r als ein Jahrzehnt nach Kriegsende, nachdem Steinmetz bereits seit längerer Zeit Ordinarius der Universität Jena war, wurde er v o m Ministerium für Staatssicherheit (MfS) plötzlich mit d e m Vorwurf konfrontiert, Mitglied der N S D A P u n d der SA gewesen zu sein. 2 5 Aus den eingesehenen Archivalien ließ sich dieser Verdacht allerdings nicht verifizieren. 26 Im Februar 1939 promovierte Max Steinmetz an der Universität Freiburg bei Gerhard R i t t e r u n d beendete damit sein Studium. Seine Doktorarbeit b e h a n delte ,Die Politik der Kurpfalz unter LudwigV. 1508-1544' u n d sollte R i t t e r als Vorarbeit für den zweiten Band der Heidelberger Universitätsgeschichte dienen, an der R i t t e r seit bald 20 Jahren saß. 27 N a c h der P r o m o t i o n konnte Steinmetz 20

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Willy Andreas: Nationalsozialismus und Universitäten, in: Forschungen und Fortschritte 9 (1933), S. 290-292, zitiert nach: Schönwälder: Lehrmeisterin der Völker, S. 128. Vgl. etwa Otto Pöggeler: Heidegger in seiner Zeit, München 1999. Vgl. Brief von Otto Steinmetz an den Verfasser, 28. April 2000. Lebenslauf vom 19. Juli 1949, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. Lebenslauf vom 19. Juli 1949, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. Vgl. MfS, 8391/64. Vgl. BArch, NSDAP-Ortskartei 3200 und BArch, NSDAP-Zentralkartei 31XX. Auch die Unterlagen des ehemaligen Berlin Document Center enthalten keinen Hinweis auf eine allfällige Parteiverbindung. Vgl. auch Gutachten von Gerhard Ritter vom 14. Januar 1939. BArch, Ν 1166, 308.

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dank der Vermittlung seines Lehrers eine Assistentenstelle beim Projekt .Deutsche Biographie der Reformationszeit' an der Universität Marburg unter der Leitung von Wilhelm Maurer antreten. Lange sollte ihm der Alltag eines Jungakademikers jedoch nicht vergönnt sein. Im Juni 1940 erfolgte seine Einberufung in die Wehrmacht und die Ausbildung zum Funker. Wegen einer starken Sehschwäche war er nicht felddiensttauglich und diente deshalb als Schreiber in der Militärverwaltung in Frankreich. Im November 1944 erfolgte seine Versetzung ins (heute lettische) Kurland. Ein Wechsel, der für sein weiteres Leben entscheidend sein sollte: Am 8. Mai 1945 kam er mit seiner Truppe in sowjetische Kriegsgefangenschaft. 28

Annäherung an die Diktatur und akademischer Aufstieg Nach seiner Promotion trat Günther Franz 1927 in Göttingen bei Arnold Oskar Meyer eine der beiden einzigen geschichtswissenschaftlichen Assistentenstellen im Deutschen R e i c h an und begann mit seiner Habilitation. 29 Der 27-jährige Franz reichte seine Habilitationsschrift im Frühjahr 1930 ein — nicht in Göttingen, sondern in Marburg, beim frisch berufenen Wilhelm Mommsen. Drei Jahre später publizierte er eine erweiterte Fassung, eine ausführliche Monographie über den deutschen Bauernkrieg, die bald zum Standardwerk wurde und dies für Jahrzehnte blieb. 30 Franz'Auseinandersetzung mit den spätmittelalterlichen Volksbewegungen war nicht nur wissenschaftlich bedeutend, sondern prägte auch seine eigene politische Entwicklung. Bereits in seiner Dissertation über Bismarcks Nationalgefühl war Franz von einem „deutschen" Weg durch die Geschichte ausgegangen, der sich wesensartig von der aufklärerisch-liberalen Entwicklung Westeuropas unterscheide. „Von hier aus", so schrieb er später in seinen Memoiren, „mußte die Weimarer Republik als ,undeutsch', oder doch dem deutschen Wesen, richtiger der deutschen geschichtlichen Uberlieferung nicht gemäß erscheinen, später würde man gesagt haben, ,artgemäß' sein. Man sieht, wie hier die Brücke zum Nationalsozialismus geschlagen wird". Eine parallele Bewegung konstatierte er rückblickend bezüglich seiner Bauernkriegsmonographie. Damit habe er „ein Kapitel einer wirklichen Volksgeschichte" verfasst. „Ich habe das Buch nicht als Nationalsozialist geschrieben. Aber ich habe in dem Buch, in dem ich den Bauernkrieg als politische Revolution aufgefaßt habe, den Bauern [...] als tragende Kraft in die Geschichte unseres Volkes eingeordnet, ihm seine Stellung zurückgegeben, die ihm gebührt." Von seiner wissenschaftlichen Arbeit habe er „organisch" zum Nationalsozialismus gefunden - der ersten politischen Bewegung,

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Vgl. Lebenslauf vom 12. Juni 1953, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. Vgl. Fragebogen des Ministeriums fur Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. BArch, BDC-Personalakte Günther Franz. Vgl. Kapitel 3.3.2. und 4.2.

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die sich „unmittelbar an das Bauerntum oder die Landwirtschaft gewandt und ihm, so schien es, in einem Staat, der immer mehr der Staat der Stadt, der Industrie geworden war, seine eigene Ehre und Würde [...] zurückgegeben" habe. 31 Damit bestätigte Franz rückblickend die Position, die er im Vorwort von 1933 formuliert hatte. Günther Franz' agrarromantische Haltung war ein zentraler Faktor für sein späteres Engagement beim Reichsnährstand. Dieses setzte jedoch erst 1935 ein. Zu Beginn der 1930er Jahre bewegte er sich langsam auf den Nationalsozialismus zu. Er habe zwar auf einen Mann gehofft, der „den Mumm in den Knochen hätte, um zu einer Volksgemeinschaft hinzufuhren". 32 Bei der Reichspräsidentenwahl vom April 1932 unterzeichnete er jedoch noch einen Aufruf deutscher Historiker für die Wahl Hindenburgs und kritisierte in einem Brief an die ,Oberhessische Zeitung' deren einseitige Parteinahme für Hitler. 33 Dieser Brief sollte Günther Franz während seiner Zeit an der Universität von Jena noch einigen Arger einbringen. Kurz nach der Reichspräsidentenwahl wandte sich Franz aber der NSDAP zu. Im Juni 1932 schrieb er, die Politik sei ihm „im Augenblick unsympathischer als je. Dieser Zwischenzustand ist wenig schön. Dann sollte man den Nazis auch offen die Verantwortung geben. Immerhin ließe ich mich von ihnen lieber regieren, als von diesen Großgrundbesitzern und Industriellen." 34 Folglich wählte er bei den Reichstagswahlen vom Oktober 1932 erstmals die NSDAP.35 Ehrlicherweise schrieb Günther Franz später in seinen Memoiren denn auch, die Regierungsübernahme durch Hitler sei ihm „als notwendig" erschienen. Sie sei, so war Günther Franz offenbar auch 1982 noch überzeugt, die „einzige Alternative" zum Kommunismus gewesen.36 Die politische Entwicklung der ersten Monate des Jahres 1933 habe er damals als etwas Endgültiges aufgefasst. „[...] Daß die Demokratie, der Liberalismus ausgespielt hatten, daß man sich auf nähere und weitere Zukunft hin mit dem Nationalsozialismus arrangieren müsse, wenn man nicht auf die Dauer abseits stehen wolle, davon war man überzeugt." Folglich unterzeichnete er im November 1933 das ,Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat'. 37 31 32 33 34 35 36 37

Franz: Mein Leben, S. 70 und 79/80. Franz: Mein Leben, S. 60. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 63. Brief Franz an Klingemann vom 4. Juni 1932. UA Hohenheim, N6, 1/2/2. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 65. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 69. In der Literatur finden sich verschiedene falsche Angaben bezüglich dieser Unterschrift von Günther Franz. Vor diesem Aufruf vom November 1933 waren im , Völkischen Beobachter' bereits drei ähnliche Aufrufe erschienen. Der Erste in der Ausgabe vom 4. April 1932 (Nr. 94/95) trug den Titel ,1m Nationalsozialismus erblicken wir die größte deutsche Freiheitsbewegung seit 100 Jahren' und war von mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten unterzeichnet, die jedoch explizit nicht Mitglieder der NSDAP waren. Sie bekannten sich dazu, in der anstehenden Reichspräsidentenwahl nicht Hindenburg, sondern Hitler zu wählen. Der zweite Aufruf erschien am 29. Juli 1932 (Nr. 211) als .Erklärung deutscher Universitäts- und

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Günther Franz' Parteibeitritt war jedoch weit mehr als ein Sich-Arrangieren. Dies zeigen auch seine retrospektiven Reflexionen. „Vieles in meinem Denken kam dem Nationalsozialismus entgegen. Ich war gegen das Großkapital, gegen das Großagrariertum, gegen die Reaktion [...]. Ich vertrat den nationalen Sozialismus, war überzeugt, daß der Einzelne als Glied des Volkes und des Staates, in den er hineingeboren war, diesem zu dienen hatte, daß die Gemeinschaft, die Volksgemeinschaft, wie ich schon vor 1933 sagte, den Vorrang vor dem Leben des Einzelnen habe. Man war großdeutsch gesinnt, bejahte also den Anschluß Österreichs, bedauerte das Scheitern der Zollunion mit Osterreich, und lehnte den Versailler Vertrag als Prototyp eines Diktatfriedens ab, und vergaß darüber, daß wir, wenn wir gesiegt hätten (Brest-Litowsk hatte es bewiesen) zweifellos unseren Gegnern einen mindestens so strengen Frieden auferlegt hätten. Trotzdem war die Entscheidung [zum Parteieintritt, Im] nicht leicht. Die Propaganda mißfiel mir, auch Hitler hatte mich nicht überzeugt." 38 Günther Franz stellte sein Beitrittsgesuch zur NSDAP schließlich als Märzgefallener' — ein Entschluss, den er als eine Entscheidung „zwischen Privatich und Volk auf die letztere Seite" beschrieb. 39 Im Mai 1933 trat er zusätzlich in den Nationalsozialistisch deutschen Lehrerbund (NSLB) und im November in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und in die SA ein. 40 „Man bejahte, was zu bejahen war und schloß vor anderen (so muß man sagen) die Augen, Hochschullehrer' und formulierte die Hoffnung der 51 unterzeichnenden Professoren, mit einer nationalsozialistischen Führung „die Gesundung" des „ganzen öffentlichen Lebens und die Rettung deutschen Volkstums" zu erlangen. Der dritte Aufruf datiert vom 4. März 1933 (Nr. 63) und bezog sich wiederum direkt auf die anstehenden Wahlen: ,Die deutsche Geisteswelt fur Liste 1. Erklärung von 300 deutschen Universitäts- und Hochschullehrern', lautete sein Titel. Günther Franz hat keinen dieser drei Aufrufe unterzeichnet. Als Unterzeichner der ,Erklärung' vom Juli 1932 wird Franz bei Elvert: Geschichtswissenschaft, S. 118/119 genannt. Die falsche Angabe dürfte wohl durch eine Verwechslung zustande gekommen sein: Den genannten Aufruf im , Völkischen Beobachter' unterzeichneten zwei Jenaer Professoren, deren Namen durchaus zu Verwechslungen mit demjenigen von Günther Franz fuhren können. Zum einen handelt es sie hierbei um den Unterzeichner „Prof. Günther, Jena", zum anderen um „Prof.V. Franz, Jena". Es waren dies jedoch der ,Rassentheoretiker' Hans F. K. Günther und der Biologe Victor Julius Franz. Vgl. Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. 777. Günther Franz war aber 1932 weder Professor noch in Jena tätig. Nach Jena wurde er erst 1936 berufen. Als Unterzeichner des Wahlaufrufs vom März 1933 wird Günther Franz bei Behringer: Bauern-Franz, S. 114 genannt. Behringer verweist auf Schulze: Deutsche G e schichtswissenschaft ( 1 1989), S. 35. Schulze schreibt an der genannten Stelle jedoch korrekt, Franz habe — wie übrigens auch sein Lehrer Wilhelm Mommsen - das .Bekenntnis' vom November 1933 unterzeichnet. Als Unterzeichner des Aufrufs vom März 1933 können dagegen wiederum die beiden Jenaer Professoren H. F. K. Günther und V.J. Franz genannt werden. Wie Behringer bezeichnet auch Schönwälder: Historiker und Politik, S. 24 Günther Franz als Unterzeichner des Wahlaufrufs vom März 1933. 38 39 40

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Franz: Mein Leben, S. 70/71. Brief Franz an Klingemann vom 15. Januar 1934. UA Hohenheim, N6,1/2/2. Vgl. BArch, BDC-Personalakte Günther Franz. Miethke: Die Mediävistik in Heidelberg, S. 99 schreibt fälschlicherweise, Franz sei bereits im Oktober 1933 von der SA zur SS übergetreten. Tatsächlich erfolgte dieser Übertritt erst 1935.Vgl. Kapitel 4.3.3.

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nahm sie als notwendige Begleiterscheinung einer Revolution hin, die ja, im Gegensatz etwa zur Französischen Revolution, zunächst überaus unblutig verl i e f , kommentierte Günther Franz 50 Jahre später. „Kein Zweifel, ich war aus Überzeugung Nationalsozialist und ich wollte es sein". 41 Äußerer Druck kann als Motivation für Franz' Parteibeitritt also ausgeschlossen werden, dass durch diesen Schritt seine akademische Karriere beschleunigt wurde dagegen nicht. Im Wintersemester 1934/35 vertrat er Wilhelm Schüssler auf dessen Rostocker Lehrstuhl und wenig später wurde er zum Professor ernannt. 42 1935 waren an deutschen Universitäten nicht weniger als 13 Lehrstühle für mittlere oder neuere Geschichte neu zu besetzen. 43 Günther Franz bewarb sich auf eine Reihe von Professuren für neuere Geschichte. 44 Im Frühjahr 1935 erhielt er jedoch einen R u f als Nachfolger von Karl Hampe nach Heidelberg. 45 Die Berufung auf diesen Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte erfolgte für Günther Franz eher überraschend, jedoch kaum zufällig. Vor allem die mittelalterlichen Lehrstühle waren aus politischen Gründen frei geworden. So kam es, dass Franz' Berufung trotz seines wissenschaftlichen Ausweises zu einem wesentlichen Teil politisch motiviert war. Anfänglich hatte sich die Fakultät unico loco für die Berufung Hermann Aubins ausgesprochen. Nach Intervention des Rektors und des seit 1934 in Heidelberg wirkenden Ernst Krieck stand jedoch Franz zuoberst auf der Vorschlagsliste der Fakultät. 46 Wohl ziemlich treffend meinte 41 42

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Franz: Mein Leben, S. 76 und 78. Vgl. UA Rostock, Personalakte Günther Franz, Blatt 2 und Hessisches Staatsarchiv Marburg, 307d Phil. Fakultät, 108. Vgl. Elvert: Geschichtswissenschaft, S. 98-108. Nach eigenen Angaben bewarb sich Franz an den Universitäten Berlin, T H Danzig, Erlangen, Frankfurt, Gießen, Greifswald, Halle-Wittenberg, Heidelberg, Jena, Kiel, Königsberg und München. Neben Rostock und Heidelberg sei er auch an den Universitäten Jena, Erlangen, Gießen, Greifswald, Tübingen und Würzburg im Gespräch gewesen. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 84. Der Ernennungsvorschlag des Reichsministeriums datiert vom 1. April 1935, dieser wurde am 5. April von der Präsidialkanzlei bestätigt. Vgl. Ernennungsvorschlag vom 1. April 1935. BArch, ZA 5,100, Blatt 48. Der eher konservativ ausgerichtete Karl Hampe hatte aus politischer Resignation selber um seine Emeritierung nachgesucht.Vgl. Miethke: Die Mediävistik in Heidelberg, S. 96. An den Badener Universitäten war auf Anregung des Freiburger Rektors Martin Heidegger das ,Führerprinzip' bereits zum Wintersemester 1933/34 hin eingeführt worden. Die Fakultäten hatten zur Zeit von Franz' Berufung also nur mehr beratende Funktion. Für die Nachfolge von Hampe hatte sie ursprünglich unico loco den Breslauer Mediävisten Hermann Aubin vorgeschlagen. Der R e k t o r teilte dem Ministerium in Karlsruhe darauf jedoch noch nicht handfest beweisbare Bedenken gegen diesen Vorschlag mit. Nach einigem Hin und Her, in das sich auch Ernst Krieck einschaltete, verabschiedete die Fakultät am 18. Februar 1935 folgende Liste: 1. Günther Franz, 2. Gerd Tellenbach, 3.a Walther Kienast, 3.b Erich Maschke. Günther Franz wurde noch zum Sommersemester 1935 hin berufen.Vgl. Miethke: Die Mediävistik in Heidelberg, S. 94/95 und 98/99. Wenn Günther Franz also später „hörte", wie er in seinen Memoiren schreibt, er sei in Heidelberg „primo et unico loco" vorgeschlagen worden, stimmt dies nur insofern, als er der einzige dem Ministerium vom Rektor empfohlene Kandidat gewesen war. Franz: Mein Leben, S. 84. Vgl. auch Personalakte des Reichsministeriums fur Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. BArch, BDC-Personalakte Franz Günther und Wolgast: Die Universität Heidelberg, S. 152-156.

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dieser rückblickend: „Man wollte einen Wissenschaftler, aber zugleich einen jungen, aktiven Nationalsozialisten, wohl auch als Gegenspieler zu Willy Andreas, berufen." In einem Eignungsbericht des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung wird Günther Franz denn auch als „eine der besten Kräfte" unter den „jüngeren deutschen Historikern" beschrieben. „Sein Buch über den Bauernkrieg ist seit Jahrzehnten wieder die erste große Darstellung dieser Epoche; gewissenhafte Einzelforschung verbindet sich darin mit klarer Erkenntnis der großen Entwicklungslinien. Menschlich ist Dr. Franz ebenso eine erfreuliche Erscheinung, wie er eine politisch zuverlässige Persönlichkeit ist." 47 Nicht ohne Einfluss dürfte zudem gewesen sein, dass Franz' Schwager, der Rechtshistoriker, Alt-Parteimitglied und SS-Führer Karl August Eckhardt, als Personalreferent im Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung wirkte. 48 Schließlich wurde Franz im April vom Führer der Reichskanzlei rückwirkend auf den 1. April zum Professor an der Universität Heidelberg ernannt. 49 Am 4. Juni leistete er den vorgeschriebenen Diensteid auf den „Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler". 5 0 Politisches Engagement und akademische Karriere verschmolzen. Aus einer weniger privilegierter Lage näherte sich gut zehn Jahre später Max Steinmetz dem realexistierenden Sozialismus. Nach seiner Gefangennahme verbrachte er vier Jahre in sowjetischen Lagern, und hier kam er erstmals direkt mit dem Marxismus und der materialistischen Geschichtsauffassung in Kontakt. Die Gefangenschaft kann als entscheidender Bruch in Max Steinmetz' Leben bezeichnet werden. Er wurde nicht nur zu körperlicher Arbeit herangezogen, sondern erhielt auch eine ideologische Ausbildung zum Propagandisten. Gut sieben Monate nach seiner Gefangennahme konnte er erstmals einen Brief an seine Eltern schreiben. „Es geht mir wirklich gut, Sorgen um mich braucht Ihr Euch nicht zu machen. Ich arbeite in der Antifa-Lagergruppe als Propagandist in Wort und Schrift. Meine Tätigkeit macht viel Freude." 51 Im Mai 1946 übernahm er auf Befehl der sowjetischen Kommandantur die politische Arbeit im Lager Windau. Während seiner insgesamt gut vierjährigen Haftzeit unterrichtete er in dreizehn verschiedenen Lagern andere deutsche Gefangene. In unzähligen Referaten und Lektionen vermittelte er ihnen den MarxismusLeninismus und hielt Vorträge über historische Themen, unter anderen über den „großen deutschen Bauernkrieg". 5 2 Das auch für ihn gänzlich neue Gesell47 48

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Eignungsbericht vom 27. März 1935. BArch, BDC-Personalakte Günther Franz. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 84. Willy Andreas hatte damals als Nachfolger von Hermann Oncken den traditionsreichen Lehrstuhl für Neuere Geschichte inne. Vgl. UA Heidelberg, PA 3796. Der vorgeschriebene Diensteid lautete in voller Länge: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen. So wahr mir Gott helfe!" UA Heidelberg, PA 3796. Brief Steinmetz an Steinmetz, 23. Dezember 1945. Privatarchiv Otto Steinmetz. Wissenschaftlicher Lebenslauf vom 12. Juni 1953, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769.

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schafts Verständnis des Marxismus-Leninismus hat ihn tief beeindruckt und negative Erlebnisse der Gefangenschaft in den Hintergrund gedrängt. 53 „Vor einem habe ich geradezu Angst", gestand er nach drei Jahren in sowjetischen Lagern seinem Bruder Otto: „dort wieder anzufangen oder weiterzuwursteln, wo ich seinerzeit aufgehört. [...] Nie werde ich vergessen, wie diese gelehrte Welt ihre Bücher in der Studierstube schrieb, während draussen die Strasse erobert und der Krieg vorbereitet wurde. [...] Der im Kapitalismus befangene und gefangene Mensch: er ist der Boden, aus dem der Faschismus emporgewuchert ist — und weiter emporwuchern wird. [...] Ich habe aus dem Studium des Marxismus-Leninismus ein ganz neues Bild der politischen Vorgänge und der Geschichte überhaupt gewonnen. [...] Erst in der Gefangenschaft habe ich die Klarheit gewonnen, die mir die bürgerliche Wissenschaft bei aller Gelehrsamkeit nicht geben konnte — weil sie sie selbst nicht hat und nicht haben kann, weil sie nur die untergehende Welt von gestern und vorgestern verteidigt: mit Gott, Glaube, Mystik und Gefühl, wenn der Verstand sich weigert, mitzumachen." 5 4 Steinmetz schilderte seine Konversion im Stile eines Erweckungserlebnisses. Die gängige marxistische Deutung des Faschismus (inklusive Nationalsozialismus) als gesteigerte Form des Kapitalismus hatte er sich zu eigen gemacht und ihm war „die U n fähigkeit der bürgerlichen Wissenschaft, die entscheidenden Fragen der Gegenwart zu lösen", deutlich geworden. 55 Dies belastete zunehmend auch das Verhältnis zu seinem Doktorvater Gerhard Ritter. Während seiner Haftzeit in der Sowjetunion war Steinmetz darum bemüht gewesen, den Kontakt zu ihm aufrechtzuerhalten. Ritter war beinahe sein einziger Korrespondenzpartner außerhalb seiner Familie. Nach eher belanglosen Kartengrüßen wurde im Sommer 1947 die nach wie vor nicht abgeschlossene Heidelberger Universitätsgeschichte von Ritter zum Thema des Briefwechsels. „Ich wünschte sehr", schrieb Ritter an Steinmetz, „Ihnen die Fortsetzung meiner Heidelberger Universitätsgeschichte übergeben zu können, da ich selbst schwerlich noch an diese Arbeit kommen werde". 56 „Würde mit großer Freude Heidelberger Universitätsgeschichte bearbeiten, habe große Sehnsucht nach wirklicher Arbeit", antwortete Steinmetz wenig später.57 Noch im Januar 1949 Steinmetz erwartete nun seine baldige Freilassung - kündete er Ritter an, sich gleich nach seiner Rückkehr nach Deutschland bei ihm zu melden. Am 17. Juli,

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Zur allgemeinen Situation deutscher Kriegsgefangener in sowjetischen Lagern vgl. Andreas Hilgen Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion 1 9 4 1 - 1 9 5 6 . Kriegsgefangenenpolitik, Lageralltag und Erinnerung, Essen 2 0 0 0 . Der politischen Schulung in den Lagern widmet sich Hilger in Kapitel 6. Seine Einschätzung, dass es unter den Gefangenen „eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Thesen und Zielen der antifaschistischen Arbeit" kaum gegeben habe, trifft auf den Einzelfall Max Steinmetz offensichtlich nicht zu.Vgl. ebd., S. 254. Brief Steinmetz an Steinmetz, 6. April 1948. Privatarchiv Otto Steinmetz. Lebenslauf vom 19. Juli 1949, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. Brief Ritter an Steinmetz, 7. Juli 1947. BArch, Ν 1166, 329. Brief Steinmetz an Ritter, 26. Oktober 1947. BArch, Ν 1166, 329.

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dem Tag nach seiner Entlassung, schrieb er an seinen Bruder Otto und erzählte, dass er baldmöglichst Richtung Mannheim aufbrechen werde und dann „alle persönlichen und beruflichen Verbindungen raschestens aufnehmen" wolle — „zu Euch, [...] zu Ritter, zu Archiven, Universitäten usw." Zuvor möchte er aber noch einige Tage in Berlin bleiben, „wo ich wichtige Besprechungen führe über meine spätere Anstellung und Tätigkeit. Da hier große Nachfrage herrscht will ich mich einmal umsehen, die Möglichkeiten erkunden, die Bedingungen erfahren, mich bekanntmachen, mit den verantwortlichen Stellen sprechen usw."58 In diesen Tagen muss sich Max Steinmetz entschieden haben, nicht wieder in seine westdeutsche Heimat zurückzukehren, sondern sich „im Einverständnis mit den zuständigen Stellen" in der SBZ niederzulassen. Und dies, obwohl ihn seine Frau Maria in der schwäbischen Heimat erwartete. Sie konnte er überzeugen, zu ihm nach Ostberlin zu ziehen, 59 der Kontakt zu Gerhard Ritter brach nun aber für längere Zeit ab. Aus dem bis zum Krieg eher unpolitischen, bürgerlich geprägten Historiker war ein überzeugter Sozialist geworden. „Die Kriegsgefangenschaft in der SU", so schrieb Steinmetz zwei Tage nach seiner Entlassung in einem Lebenslauf, „brachte die Befreiung, zerbrach das bürgerliche Gefängnis, in das wir alle eingesperrt waren". Im Marxismus-Leninismus habe er „zum ersten Mal die Welt als Einheit" erlebt, „die Kluft zwischen Theorie und Praxis", „der Gegensatz [...] zwischen Persönlichkeit und Masse" sei aufgehoben worden. „Mein Ziel ist heute, meine Kenntnisse u. Fähigkeiten, die ich in der SU erworben [habe], mit meinem Fach zu verbinden, um hier meine Kräfte für den Aufbau einer wahrhaft wissenschaftlichen, marxistisch-leninistischen Geschichte" einzusetzen. 60 Woher kam diese Faszination für den Sozialismus? Max Steinmetz hatte das Scheitern der Weimarer Republik erlebt und die Schrecken des .Dritten Reiches' erfahren. Steinmetz war kaum ein überzeugter Nationalsozialist gewesen. Das Vertrauen in ein bürgerlich-demokratisches System dürfte ihm daher vor allem durch die Indoktrination in der Sowjetunion abhanden gekommen sein. Der Sozialismus musste dem Orientierungslosen nun als einzige noch übrig gebliebene Alternative erscheinen. Wenn Steinmetz euphorisch davon schrieb, dass dank dem Sozialismus der „Gegensatz zwischen Persönlichkeit und Masse" verschwinde, dann drückt er genau die Hoffnung aus, deren Erfüllung auch der Nationalsozialismus versprochen hatte. Nun hatte er eine andere autoritäre Ideologie kennen gelernt, jedoch eine, die auch Menschlichkeit und Gerechtigkeit versprach.

Brief Steinmetz an Steinmetz, 17. Juli 1949. Privatarchiv Otto Steinmetz. Vgl. Wissenschaftlicher Lebenslauf vom 12. Juni 1953, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. Maria Steinmetz bestätigte diesen Sachverhalt in einem Gespräch, geführt am 8. Juli 1999 in Leipzig. Handschriftlicher Lebenslauf vom 19. Juli 1949, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769.

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Seine neue Überzeugung führte Max Steinmetz zunächst in die Verwaltung der jungen D D R . Bereits am 23. Juli 1949 - eine Woche nach seiner Entlassung - trat er in die Deutsche Verwaltung für Volksbildung (später Ministerium flir Volksbildung) ein. 61 Hier stieg er rasch in verantwortungsvolle Position auf. Parallel dazu übernahm Steinmetz eine Lehrtätigkeit an der Arbeiter- und Bauernfakultät und an einer Bibliotheksschule in Berlin. Mit der Gründung des Staatssekretariates für das Hochschulwesen wurde er 1950 zum Leiter der Abteilung Wissenschaftliche Aspiratur und Dozentenweiterbildung befördert. Gleichzeitig nahm er am ersten Zweijahreslehrgang der Abenduniversität des Marxismus-Leninismus in Berlin teil. Bereits im Dezember 1949, seine Ehefrau war gerade mit seiner großen Bibliothek von Kirchheim/Neckar nach Ostberlin übersiedelt, hatte er einen Antrag um Aufnahme in die SED gestellt. Obwohl man ihm die Mitgliedschaft noch nicht gewährt hatte, war er in der Bildungsarbeit der Partei, der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und der Nationalen Front tätig geworden. Das Parteibuch durfte er erst 1952 in Empfang nehmen. 62 In seiner Arbeit beim Staatssekretariat setzte sich Steinmetz teilweise vehement für eine Politisierung der Wissenschaft ein. Bemerkenswert ist insbesondere sein Engagement für eine neuartige Habilitationsordnung: Er schlug vor, die Venia legendi - die akademische Lehrbefugnis - von der Habilitation zu trennen. Hierzu solle der in der NS-Zeit erfundene Grad des Dr. habil. wieder eingeführt werden. Dieser könnte durch die Fakultäten, die Venia legendi jedoch nach politischen Kriterien vom Staat erteilt werden. 63 Bemerkenswert ist dieses Ansinnen Steinmetz' gerade auch im Zusammenhang mit der Rezension, die Steinmetz 1953 in der ZfG zu dem Müntzer-Buch von Meusel und Kamnitzer veröffentlichte. 6 4 Dort kritisierte er in scharfem Ton den niederen wissenschaftlichen Standard der Monographie der beiden Berliner Professoren und profilierte sich als Historiker, der exakte Quellenarbeit hochhielt. Es wäre nahe liegend, Steinmetz'Verhalten also als opportunistisches Doppelspiel zu interpretieren.Vielmehr weisen die beiden beschriebenen Vorkommnisse aber auf zwei Grundpfeiler seines Verständnisses als politischer Historiker hin. Steinmetz sah es als ebenso wichtig an, Wissenschaft von einem festen politischen Standpunkt aus zu betreiben — nämlich in marxistisch-leninistischer Perspektive - , als er auch forderte, die wissenschaftlichen Standards einzuhalten. Schwierig zu beurteilen ist jedoch, wie bewusst sich Max Steinmetz mit dieser Rezension als verantwortungsbewusster Historiker profilieren wollte. Seit er 1940 eingezogen worden war, hatte er außer einem kleinen Beitrag zur Universitätsgeschichte von Halle keine wissenschaftliche Arbeit mehr verfasst und so wurde diese Rezension für ihn zum Schlüssel für seine Berufung nach Jena.

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Vgl. BArch, D R 3, Β 13769. Vgl. Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. Vgl. Jessen: Akademische Elite, S. 6 6 - 7 0 . Vgl. Kapitel 6.1.4.

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Der erste Schritt zurück auf die akademische Laufbahn war ein Lehrauftrag, den Steinmetz seit 1952 an der Humboldt-Universität zu Berlin innehatte. Als 1953 der Jenaer Ordinarius Karl Griewank aus dem Leben schied, wurde Steinmetz vom Staatssekretariat der dortigen Fakultät umgehend als Nachfolger vorgeschlagen. Dass mit Steinmetz ein politischer Funktionär aus Berlin auf einen Lehrstuhl berufen werden sollte, konnte nicht im Sinne der noch von bürgerlichen Wissenschaftlern dominierten Fakultät gewesen sein. Nachdem erste Bemühungen zur Berufung eines Historikers aus der B R D fehlschlugen und die Rezensionen von Steinmetz und Franz erschienen waren, akzeptierte die Fakultät jedoch den Vorschlag des Staatssekretariates.65 Obwohl die Wege zum ersten Lehrstuhl von Günther Franz und Max Steinmetz sehr unterschiedlich waren, kann eine wesentliche Ubereinstimmung festgestellt werden: Sowohl die Heidelberger Fakultät im Falle von Franz als auch die Jenaer Fakultät im Falle von Steinmetz sprachen sich anfänglich gegen deren Berufung aus. Diese erfolgte in beiden Fällen vor allem auf Betreiben der politischen Institutionen. Sowohl Franz wie Steinmetz hatten die Ideologie der j e weils neu etablierten Diktatur begrüßt.

Als politischer Historiker in der Diktatur In den Kapiteln 4 und 6 wurde der politisch-ideologische Hintergrund der wissenschaftlichen Publikationen von Günther Franz und Max Steinmetz ausführlich analysiert. Ihr Verständnis als politische Historiker drückte sich aber nicht nur in ihren Schriften,Vorträgen und Lehrveranstaltungen aus, sondern auch in ihrem Engagement um die wissenschaftlichen Institutionen und deren Reorganisation im Sinne der neuen politischen Wirklichkeit. Günther Franz bemühte sich von Anfang an, die mit seiner Berufung nach Heidelberg verknüpften Erwartungen zu erfüllen. 66 Er bewies sich von Beginn weg als kämpfender Wissenschaftler. Hier seien „Studentenschaft, Dozentenschaft und R e k t o r unter der geistigen Führung Kriecks sehr einheitlich ausgerichtet", schrieb er im Sommer 1935 an den drei Jahre jüngeren Walther Peter Fuchs. 67 Die beiden Korrespondenzpartner hatten sich während Franz' Marburger Zeit im SA-Dienst näher kennen gelernt. Nun war Fuchs auf der Suche nach einem geeigneten Habilitationsort. 68 Franz zeigte sich freundschaftlich bemüht, Fuchs nicht nur als Habilitanden, sondern auch als „Mitarbeiter" für die politischen Aufgaben der Zeit zu sich nach Heidelberg zu holen. Diese bestan-

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Vgl. Kapitel 6.1.4. Vgl. UA Heidelberg, PA 3796. Brief Franz an Fuchs, 19. Juni 1935. UA Hohenheim, N6, 1/1/3. Vgl. Brief Fuchs an Franz, 24. September 1935. UA Hohenheim, N6, 1/1/3. Walther Peter Fuchs' Habilitationsarbeit über Philipp den Großmütigen und Bayern blieb ungedruckt.Vgl. Franz: Mein Leben, S. 98.

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den an der Universität Heidelberg laut Franz vor allem darin, gegen Willy Andreas Stellung zu beziehen. Als Nachfolger Hermann Onckens wurde Andreas in Heidelberg als Repräsentant der „objektivistischen" Geschichtswissenschaft angesehen. In diese Auseinandersetzung sollte nun auch Fuchs eingebunden werden. Fuchs müsste daher in seinen „Vorlesungen Andreas nach Möglichkeit Konkurrenz und Abbruch tun. Wir müßten versuchen, aus dem Seminar wirklich eine Gemeinschaft zu bilden. [...] Du würdest also von vornherein in der Kampfstellung gegen A. [Andreas, Im] stehen und mit seinem Widerstand rechnen müssen, der aber hier nicht viel ausmacht." 69 Es seien in Heidelberg jedoch noch immer „sehr starke Kräfte des Alten" vorhanden. 70 „In unserer Fakultät sind wir gegen die Juden und Judenversippung noch immer in der Minderheit." 7 1 Walther Peter Fuchs antwortete seinem akademischen Lehrer, dass „die politische Zusammenarbeit [...] ein unbestrittener Vorzug" wäre. 72 Auch der Marburger NS-Dozentenbundsführer war der Meinung, dass Fuchs Franz nach Heidelberg folgen sollte. „Geh nach Heidelberg! Ich habe mit Krieck, dem R e k t o r und dem Dozentenbundsführer [von Heidelberg, Im] gesprochen. [...] Wirst allerdings auf einen Kampfposten berufen und hast rücksichtslos Deinen Mann zu stehen! Die Kampfparole heißt: Nationalsozialismus." 73 Walther Peter Fuchs entschied sich im September 1935 nach Heidelberg überzusiedeln, also kurz bevor Günther Franz nach Jena berufen werden sollte. 74 Günther Franz beschränkte sein Kampffeld nicht auf die Universität. Vielmehr sah er eine Notwendigkeit, das ganze System der deutschen Geschichtswissenschaft den Ansprüchen der neuen Zeit anzupassen. In den Jahren 1934 und 1935, also zu der Zeit, als die Wissenschaftslandschaft einschneidend verändert wurde, 75 trug auch Franz zur Umgestaltung zweier sehr traditioneller geschichtswissenschaftlicher Institutionen bei: Sowohl beim Herausgeberwechsel der H Z als auch bei der .Abwicklung' der Historischen Reichskommission war Franz aktiv beteiligt. Seit 1896 hatte die vom Oldenbourg-Verlag getragene H Z unter der Herausgeberschaft von Friedrich Meinecke gestanden. Der Oldenbourg-Verlag mag Meineckes Herausgeberschaft schon während der Weimarer Republik skeptisch beobachtet haben. 76 Als Meinecke aber 1934 aus Anlass des 150. Bandes der H Z 69 70 71 72 73

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B n e f Franz an Fuchs, 19. Juni 1935. U A Hohenheim, N 6 , 1 / 1 / 3 . Brief Franz an Fuchs, 19. Juni 1935. U A Hohenheim, N6, 1 / 1 / 3 . Brief Franz an Fuchs, 19. Juni 1935. UA Hohenheim, N6, 1 / 1 / 3 . Brief Fuchs an Franz, 19. September 1935. U A Hohenheim, N 6 , 1 / 1 / 3 . Der Marburger NS-Dozentenbunds- und Dozentenschaftsflihrer Düring an Fuchs, zitiert nach: Brief Franz an Grüninger, 11. Oktober 1935. UA Hohenheim, N6, 1 / 1 / 3 . Vgl. Brief Fuchs an Franz, 24. September 1935. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 1 / 3 . Vgl. Kapitel 4.1. Vom Verlag, aber auch aus der weiteren Historikerzunft wurde ihm vorgeworfen, dass er seiner eigenen, geistesgeschichtlich orientierten Schule zu viel Platz einräume und dabei die politische Geschichte zu kurz komme. U m die mittelalterliche Geschichte zu stärken, wurde 1 9 2 8 Albert Brackmann als Mitherausgeber in die Redaktion der H Z aufgenommen. Vgl. Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft, S. 58.

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Günther Franz und Max Steinmetz eine kritische Stellungnahme zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik plante, sah sich der Verlag zum Handeln veranlasst und bat verschiedene Historiker um eine Stellungnahme, darunter auch Günther Franz. 77 Man wolle Meinecke gegenüber nicht undankbar sein, „aber es ist meine Pflicht als Verleger, dass die Zeitschrift nicht nur wissenschaftlich auf der Höhe bleibt [...], sondern dass sie auch in ihrer Richtung mit dem Geist der Zeit geht und dass sie in inniger Verbindung mit den deutschen Hochschulen bleibt", schrieb der Verleger Wilhelm Oldenbourg an Franz und wollte wissen, wie „insbesondere die j ü n gere Generation der deutschen Historiker über sie und ihre Leitung" denke. 78 Günther Franz antwortete, die HZ erfülle tatsächlich „immer weniger ihre Aufgabe, das Sprachrohr der deutschen Geschichtswissenschaft, ein Spiegelbild der in ihr herrschenden Strömungen zu sein". Konkret bemängelte er, dass von den Aufsätzen der letzten drei Ausgaben der H Z „mehr als die Hälfte (7 von 13) von Nichtariern verfasst" worden seien. „Eine solche Massierung nichtarischer Aufsätze, die in keinem Verhältnis zu der ganz geringen Zahl nichtarischer Fachgenossen steht, ist untragbar und läßt sich auch durch keinerlei Wohlfahrtsgesichtspunkte entschuldigen." Zudem habe es die Schriftleitung bisher versäumt, „den Aufgaben der neuen Zeit auch in der HZ. Raum zu gewähren. [...] Ich nenne nur (fast wahllos herausgegriffen) Vorgeschichte, Geschichte der Rasse,Volkstums- und Siedlungsgeschichte und nicht zuletzt die Geschichte der neuesten Zeit." Günther Franz empfahl daher eine „radikale Lösung" - einen sofortigen Herausgeberwechsel. Er nannte mögliche Nachfolger und wies darauf hin, dass als Mitherausgeber auch jüngere Historiker berücksichtigt werden sollten. 79 Nachdem sich auch noch das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie Walter Frank in die Diskussion eingeschalten hatten, wurde Mitte 1935 schließlich Karl Alexander von Müller zum Nachfolger ernannt. 80

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Vgl. Meinecke:Vorwort, S. 9.Vgl.Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft, S. 55/56. Vgl. Brief von Oldenbourg an Franz, 2. März 1934. BWA, F5/244. An erster Stelle nannte er Karl Alexander von Müller, der bald tatsächlich Nachfolger von Meinecke bei der H Z wurde, und Heinrich Ritter von Srbik, der jedoch Österreicher sei und daher wohl kaum in Frage komme. Bedenkenswert wären zudem Rudolf Stadelmann und Walter Frank sowie unter den jüngeren Ordinarien Otto Westphal und Gustav Adolf Rein. Als geeignete Mitherausgeber der jüngeren Generation nannte er Hermann Aubin, Hermann Heimpel, Willy Hoppe, Kurt von Raumer, Walter Platzhoff sowie noch einmal Stadelmann, Srbik und von Müller. Vgl. B r i e f Franz an Oldenbourg, 5. März 1935. BWA, F5/244. Vgl. Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft, S. 65—69 und Brief Müller an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 10. Juni 1934. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 1 / 1 1 .

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Franz hatte sich in diesem Prozess als Historiker erwiesen, der die Gleichschaltung der Geschichtswissenschaft an das N S - R e g i m e nicht nur mitmachte, sondern selber vorantrieb. Sein Verhalten war nicht ein Kniefall vor dem politischen System, sondern entsprach seinem Selbstverständnis als politischer Historiker. Er hatte einen Beitrag dazu geleistet, um dem „Volke eine neue deutsche Geschichte aus dem Blickwinkel unserer Zeit heraus" zu schaffen. 81 Mit welch rücksichtslosen Verhalten dieses Bestreben oft verbunden war, demonstrierte Franz ungefähr zeitgleich mit seiner Kritik gegenüber der Arbeitsweise der historischen Kommissionen. Franz'Angriff auf die Historische Reichskommission und deren wissenschaftspolitischen Initiator, Walter Goetz, wurde bereits im Zusammenhang mit der Institutionalisierung der Bauernforschung durch Franz dargestellt.82 Für Franz bot sich damit die Möglichkeit, der historistischen Großwissenschaft das Modell einer innovativeren und mobileren, völkisch orientierten Historie gegenüberzustellen. 83 Weder bei der Neugestaltung der H Z noch bei der ,Abwicklung' der Historischen Reichskommission war Günther Franz der Initiator der Umgestaltung gewesen. Er verlieh dem bereits laufenden Prozess aber weitere Dynamik und versuchte die Entwicklungsrichtung zu beeinflussen. Obwohl Franz mit seinem Ansinnen nur bedingt erfolgreich gewesen war, zeigt sein Engagement gegen die Reichskommission, wie sich im Prozess der nationalsozialistischen Umgestaltung politische Motive und eigene Karriereplanung überlagern konnten. Günther Franz' Einsatz für eine neue, politisch-kämpfende Geschichtswissenschaft beschränkte sich nicht nur auf die Demontage bürgerlicher Kollegen. Am historischen Seminar der Universität Heidelberg baute er nach Vorbild des B o n ner Instituts für die geschichtliche Landeskunde der Rheinlande die landeskundliche Forschung auf. 84 Mit einer studentischen Arbeitsgemeinschaft begann er sich bevölkerungsgeschichtlichen Fragen zuzuwenden, woraus schließlich Franz' Studie zum Dreißigjährigen Krieg resultieren sollte. 85 Er schuf am historischen Seminar eine landeskundlich orientierte Bibliothek und begründete die Publikationsreihe ,Saarpfälzische Forschung'. 86 Nachdem Franz 1936 an die als politisch vorbildlich geltende Universität von Jena wechselte, engagierte er sich auch hier stark fur die landeskundliche Forschung. 87 Dieses neue Forschungsfeld war

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Franz: Fälschung, S. 433.Vgl. auch die diesbezügliche Korrespondenz mit Mommsen. U A Hohenheim, N 6 , 1 / 1 / 1 1 . Vgl. Kapitel 4.3.3. Vgl. auch Haar: Historiker im Nationalsozialismus, S. 2 2 7 - 2 3 5 . Das Bonner Institut war 1 9 2 0 gegründet worden, um „der heimatkundlichen Propaganda akademischen Rückhalt" zu geben.Vgl. Schöttler: Die historische .Westforschung', S. 2 0 6 . Vgl. Franz: Der Dreißigjährige Krieg. Vgl. Franz: Die bevölkerungsgeschichtlichen Folgen, S. 1 8 3 - 1 8 9 und Franz: Der Dreißigjährige Krieg. Siehe auch Franz: Mein Leben, S. 9 1 / 9 2 . Franz übernahm das Jenaer Ordinariat für Neuere Geschichte zum Wintersemester 1 9 3 6 / 3 7 hin. Z u m 1. Mai 1937 erfolgte dann seine Ernennung zum ordentlichen Professor. Vgl. UA Heidelberg, PA 3 7 9 6 und U A Jena, M 6 3 2 und BArch, Z A 5, 100.

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Günther Franz und Max Steinmetz ihm so wichtig, dass er sogar in seiner Verwandtschaft - vor allem in der Familie seiner Frau - nach finanzieller Unterstützung für das Projekt nachsuchte. 88 Am deutlichsten wird Günther Franz' Selbstverständnis als politischer Historiker aber bei seinem Engagement in den NS-Parteiorganisationen. Dies gilt sowohl für sein Bestreben, die Bauern(kriegs)forschung institutionell an den Reichsnährstand anzubinden 89 als auch für seine Tätigkeit bei der SS. Im Oktober 1935 war Günther Franz von der SA zur SS übergetreten. 1941 wurde er zum Untersturmführer, 1943 zum Ober- und noch im selben Jahr zum Hauptsturmführer befördert. 90 Seinen Dienst leistete er als Historiker nacheinander im Rasse- und Siedlungshauptamt, im Ahnenerbe und im SD des RSHA. Franz' anfängliches Bestreben, im Ahnenerbe eine Forschungsstelle ,Agrargeschichte' aufzubauen, scheiterte bereits in den Anfängen; der Kriegsausbruch dürfte hierbei eine zentrale Rolle gespielt haben. 91 Nun erfolgte sein Wechsel in den SD. 92 Ab 1939 widmete sich Franz hier unter der Führung von Franz Alfred Six zusammen mit einer Gruppe anderer Wissenschaftler der ,Gegnerforschung'. Nicht mehr spätmittelalterliche Bauern, sondern Juden, Freimaurer, Kirchen, Liberale und Kommunisten waren nun Gegenstand der Forschung. 93 Franz' zunehmendes Engagement im R S H A erfolgte also parallel zur abnehmenden Bedeutung der agrarromantischen Strömung im Nationalsozialismus. Die Grenzen zwischen Wissenschaft, Politik und Kriegsführung verschwammen vollends. Dennoch hatte dieses Tun mit der politischen und militärischen Realität oft wenig gemein. Noch im März 1945 kam Franz in der Berliner Zentrale des R S H A mit anderen SS-Führern zusammen, um sich über die künftige Ordnung Europas Gedanken zu machen. 9 4 „Uns schwebte", so Franz rückblickend, „ein von Deutschland als der Mitte Europas geführtes, ganz Europa umspannendes Reich mit weitgehender Selbständigkeit seiner Völker vor". 9 5 Dieselbe Verbindung von Wissenschaft und Politik prägte auch Franz'Jahre an der Reichsuniversität Straßburg. 96 Ende 1940 wurde ihm vom Straßburger 88

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Der größte Betrag verwandtschaftlicher Provenienz betrug nicht weniger als 10.000.- R M . Damit wurde eine Stiftung geäufnet, deren Zweck die „Anschaffung von Büchern, Karten und anderen Hilfsmitteln für das Historische Seminar und das Institut fur geschichtliche Landeskunde" war.Vgl. UA Jena, C 865. Vgl. Kapitel 4.3. Vgl. Personalblatt der SS sowie Befehlsblatt des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Nr. 5/43. Beide: BArch, BDC-Personalakten Günther Franz. Vgl. Kapitel 4.3.5. Siehe auch Franz: Mein Leben, S. 146. Vgl. auch Herbert: Best, S. 186-190. Vgl. BArch, R 58, 7 2 9 8 und 7441. Siehe auch Kapitel 4.3.5. Ausführlichere Angaben zu Franz' Tätigkeit im R S H A finden sich bei: Behringer: Bauern-Franz, insbesondere S. 119-128. Siehe auch Hachmeister: Der Gegnerforscher, S. 2 2 6 / 2 2 7 . An der Sitzung nahmen neben Franz auch Marschelke, Narr, Löffler und Anrieh teil. Vgl. BArch, NS 31, 416. Franz: Mein Leben, S. 156. Zur Reichsuniversität Straßburg vgl.Teresa Wroblewska: Die Reichsuniversitäten Posen, Prag und Straßburg als Modelle nationalsozialistischer Hochschulen in den von Deutschland besetzten Gebieten, Torun 2000.

Günther Franz und Max Steinmetz Gründungsrektor Ernst Anrieh ein Lehrstuhl flir Bevölkerungsgeschichte angeboten, schließlich wurde daraus das Ordinariat flir Neuere Geschichte und Geschichte des deutschen Volkskörpers. 97 Obwohl Straßburg nach seiner Tätigkeit an den Universitäten von Marburg, Rostock, Heidelberg und Jena den vierten Wechsel innerhalb von acht Jahren bedeutete, zögerte Franz nicht, der Berufung zu folgen. „Die Aufgaben", begründete er gegenüber dem Jenaer Rektorat, „die gerade dem Historiker an dieser Universität im neugewonnen Grenzland erwachsen, scheinen mir so vielfältig und wichtig zu sein, dass ich auf jeden Fall gewillt war, den R u f anzunehmen, obgleich mir der Abschied von Jena nicht leicht wird". 9 8 Zu Beginn des Wintersemesters 1941/42 nahm er die Tätigkeit an seinem neuen Lehrstuhl auf. Zur historischen Forschung kam Franz in den drei Jahren, bis die Reichsuniversität vor den heranrückenden alliierten Truppen evakuiert wurde, jedoch nicht. Günther Franz' eigene Erinnerungen — die Straßburger Archivalien kamen im Krieg weitgehend abhanden — machen aber deutlich, wie nahe er seine universitäre Arbeit nun an seine Tätigkeit im SD heranrückte. Bei der Neugestaltung der Bibliothek orientierte er sich offenbar weitgehend an den Arbeitsfeldern der ,Gegnerforschung' von Franz Alfred Six. „Aus beschlagnahmten Klosterbibliotheken übernahm ich größere Bestände. Von einem jüdischen Freiburger Gelehrten konnte ich mit Unterstützung des Universitätsbundes eine größere Privatbibliothek zur Geschichte des Judentums erwerben. Bei der SS in Berlin organisierte ich die Werke von Marx und Lenin, ebenso die vollständige ,Marxistische Bibliothek' und Freimaurerliteratur." 99 Nicht äußerer Druck, sondern ideologische Uberzeugung und politisches Engagement hatten aus Günther Franz einen gänzlich politisch orientierten Historiker werden lassen. Mit Max Steinmetz kam 1954 der Wunschkandidat des Staatssekretariats für das Hochschulwesen auf den vakanten Jenaer Lehrstuhl. 100 Der bürgerliche Karl Griewank war somit durch das loyale SED-Mitglied Max Steinmetz ersetzt worden. „Genösse Prof. Dr. Steinmetz", so hielt ein Parteigutachten einige Jahre später fest, „kam im Jahre 1954 mit dem Parteiauftrag nach Jena, das Historische Institut zu einem marxistischen Institut umzugestalten bzw. es neu aufzubauen." Als Mitarbeiter des Staatssekretariats war sich Steinmetz der politischen Dimension seiner Berufung bewusst. Mit seinem Entscheid, sich nun mit einer Arbeit über Thomas Müntzer zu habilitieren, begab er sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit auch sogleich auf ein politisch aufgeladenes Feld. In der geschichtswissenschaftlichen Umsetzung des Marxismus-Leninismus war der Berliner Verwaltungsbeamte Steinmetz aber wenig geübt. Das erwähnte Gutachten bezeichnete 97

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Vgl. Brief Franz an Rektor der Uni Jena, 22. Januar 1941. UA Jena, BA 2 1 5 8 , Blatt 169 und BArch, R E M - Ρ Α Günther Franz. Brief Franz ans Rektorat der Universität Jena, 22. Januar 1941. U A Jena, BA 2 1 5 8 . Franz: Mein Leben, S. 131. Die Berufung eines nicht habilitierten Wissenschaftlers muss als flir die Berufungspolitik in der D D R der 1950er Jahre sehr außergewöhnlich bezeichnet werden.Vgl.Jessen:Vom Ordinarius, S. 87.

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seine marxistisch-leninistische Bildung sogar als eher dürftig. Lob fand Steinmetz aber für die Kaderpolitik, die er als Fachrichtungsleiter ab 1956 betrieben hatte. „Es muß hervorgehoben werden, daß er stets eine saubere Kaderpolitik im Interesse der Partei am Institut durchgeführt hat." 1 0 1 Hinter dieser Anerkennung verbirgt sich nicht nur Max Steinmetz' Bemühen, die Angehörigen des Lehrkörpers zum Parteibeitritt zu motivieren. Wie konsequent er seine Arbeit als politischer Historiker verfolgte, zeigt beispielsweise der ,Fall Höß'. Bereits als Mitarbeiter im Staatssekretariat hatte Steinmetz festgehalten, dass bei der habilitierten Jenaer Historikerin Irmgard Höß kein Verständnis für den demokratischen Aufbau vorhanden sei und sie deshalb unmöglich zur Dozentenlaufbahn zugelassen werden könne. 1 0 2 Dennoch wurde H ö ß zum Wintersemester 1956 zur Professorin mit Lehrauftrag ernannt - also zu einem Zeitpunkt, als Steinmetz zwar bereits Fachrichtungsleiter, aber noch nicht habilitiert war. Im Jahr darauf setzte in Jena ein regelrechtes Kesseltreiben gegen Höß ein. Sie weigerte sich, eine öffentliche Erklärung gegen die Bonner Atomaufrüstung und die „geistige Diversion wider unseren Staat" zu unterzeichnen. Darauf wurde sie aufgefordert, nur noch auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus zu lehren, was sie jedoch entschieden ablehnte. Ihre öffentliche Brandmarkung als Befurworterin eines Atomkrieges war die Folge. Max Steinmetz übernahm es, anlässlich der Eröffnung des Frühjahrsemesters 1958 den Studierenden der Fachrichtung Geschichte das „Verachtung" hervorrufende Verhalten von Höß „offen darzulegen". 103 Höß zog es darauf vor, ihre Stelle zu kündigen und in die B R D überzusiedeln. Die Aberkennung aller ihrer akademischen Titel war der Preis, den sie für die .Republikflucht' bezahlen musste. 104 Sein Engagement gegen H ö ß war nur ein Teil des Kampfes gewesen, den Steinmetz im Frühjahr 1958 für die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft führte. In diesem Jahr wurden verschiedene Weichen für die weitere Entwicklung der DDR-Geschichtswissenschaft gestellt. Am 18./19. März 1958 erfolgte die vom Z K der SED vorbereitete Gründung der D H G . Noch bevor im April eine Doppelmitgliedschaft in beiden Verbänden als unmöglich erklärt wurde, war Steinmetz aus dem bis dahin gesamtdeutschen V H D ausgetreten. 105 Trotz dieser Teilung sollte im September desselben Jahres in Trier der gesamt101

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.Beurteilung von Genösse Steinmetz durch die Parteigruppe Wissenschaftler (Historiker) der G O Phil. II der SED-Parteiorganisation der Friedrich-Schiller-Universität Jena', 7. Juli 1960. Personalakte Steinmetz. UA Leipzig, PA 3995. Vgl. Jessen: Akademische Elite, S. 66 und Jessen: Vom Ordinarius, S. 85/86. Höß war bereits im Jahr zuvor von SED-zugehörigen Studenten wegen ihrer idealistischen Geschichtslehre angegriffen worden.Vgl. Kowalczuk: Legitimation, S. 206/207. Frau Höß blieb eine „Erklärung" für ihr „Verhalten" schuldig und reichte wenig später die Kündigung ein. UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/250, vgl. auch UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/004. Vgl. Jarausch/Middell/Sabrow: Störfall, S. 9;Worschech: Der Weg, S. 213 und Kowalczuk: Legitimation, S. 269. Vgl. Worschech: Der Weg, S. 201. Zum Weg in die institutionelle Spaltung vgl. Sabrow: Ökumene.

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deutsche, v o m V H D organisierte 24. Historikertag stattfinden, an dem auch 23 Mitglieder der D H G - unter ihnen Max Steinmetz - teilnahmen. D D R - H i s t o riker, die nicht zur offiziellen DHG-Delegation gehörten, hatten keine Ausreisevisa erhalten und waren damit an der Teilnahme gehindert worden. 106 Am Morgen des ersten Sitzungstages wurde von Hermann Aubin 107 eine Erklärung verlesen, in welcher Vorstand und Ausschuss desVHD die Zustände in der ostdeutschen Geschichtswissenschaft stark kritisierte: „Der politische Gewissenszwang ist bis zur Aberkennung des Doktorgrades verdienter Gelehrter aus rein politischen Gründen getrieben worden. Diejenigen Persönlichkeiten, die im wissenschaftlichen Bereich als Träger dieses Kurses zu betrachten sind, haben uns damit jede Form von Gemeinschaft mit ihnen unmöglich gemacht. Für sie kann daher auch unser bisheriger Brauch freier Aussprache nicht mehr gelten." 1 0 8 Konkret wollte die Leitung desVHD „Männer wie Prof. Steinmetz,Jena" von der Diskussion ausschließen. 109 Was von der einen Seite als Maßnahme zum Schutz des „rein wissenschaftlichen Gesprächs" angesehen wurde, stellte fur die ostdeutsche Delegation eine politisch motivierte Provokation dar. Ernst Engelberg, der Gründungspräsident der D H G , empörte sich über die Erklärung und interpretierte sie als ein implizites Verbot des Historischen Materialismus und damit als einen Einschnitt in die wissenschaftliche Freiheit. 110 Als am Nachmittag des zweiten Konferenztages Ernst Engelberg, Max Steinmetz und Leo Stern das Wort verweigert wurde, war die Konfrontation perfekt. 1 1 1 Auf Steinmetz' Initiative reiste die ostdeutsche Delegation noch am selben Tag unter Protest wieder aus Trier ab. 112 Nach ihrer Heimkehr stellten Ernst Engelberg, Leo Stern, Erich Paterna, Gerhard Schilfert und Max Steinmetz in einer gemeinsamen „Erklärung" fest, dass „die Vertreter des reaktionären Nato-Kurses in der westdeutschen Geschichtsschreibung Gegner jedes echten wissenschaftlichen Meinungsaustausches" seien. Den von westdeutscher Seite geäußerte Vorwurf, die D H G Historiker stellten ihre Wissenschaft in den Dienst politischer Ziele, wiesen die Unterzeichner aber keineswegs zurück. Vielmehr betonten sie, dass auch die Arbeit von Historikern wie Hermann Aubin, Gerhard Ritter, Theodor Schieder, Georg von Rauch und Hans Herzfeld „politischen Zielen" diene. „Diese Leute stehen in einer Reihe mit den reaktionären Ideologen, die den deutschen Imperialisten schon früher die historischen .Argumente' zur Rechtfertigung des

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Vgl. Sabrow: Ökumene, S. 192 und Worschech: Der Weg, S. 2 0 8 und 216. Hermann Aubin und Gerhard Ritter bildeten zu dieser Zeit den Vorstand desVHD. Gerhard Ritter konnte am Kongress von Trier aber nicht teilnehmen, da er an einer Sitzung des Vorstandes des Comité International des Sciences Historiques (CISH) in den U S A weilte.Vgl. Worschech: Der Weg, S. 206. Zitiert nach Worschech: Der Weg, S. 205. An dieser Stelle findet sich der Wordaut der gesamten Erklärung. Unveröffentlichtes Protokoll der Ausschusssitzung, zitiert nach Worschech: Der Weg, S. 212. Vgl. Engelberg: Die Ereignisse, S. 13. Vgl. Worschech: Der Weg, S. 219. Vgl. U A Leipzig, N L Steinmetz, 2 / 2 3 2 .

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Günther Franz und Max Steinmetz 1. Weltkrieges lieferten. Sie haben mitgeholfen, den 2. Weltkrieg ideologisch vorzubereiten. [...] Aber all das hindert sie nicht, heute die für das Schicksal des deutschen Volkes verhängnisvolle Konzeption des deutschen Imperialismus und Militarismus mit zeitgemäß veränderter Argumentation erneut zu propagieren. Ist es etwa keine Unterstützung der Bonner Nato-Politik, wenn namhafte Historiker Westdeutschlands, wie Gerhard Ritter, Georg von Rauch, Hermann Aubin u. a. Mitverfasser des Buches .Schicksalsfragen der Nation' sind — eines Buches, das mit einem Vorwort des Kriegsministers Strauss versehen ist und der politischen Schulung der Bundeswehr dienen soll?" 113 Für Steinmetz hatte diese Auseinandersetzung nicht nur eine wissenschaftliche und eine politische, sondern auch eine persönliche Dimension. Sein Doktorvater Gerhard Ritter hatte damals gemeinsam mit Hermann Aubin den Vorsitz desVHD inne. Obwohl in diesem Konflikt von Seite des Verbandes Aubin der Protagonist gewesen war, dürfte die Konferenz von Trier auch die Beziehung zwischen Ritter und Steinmetz weiter belastet haben. Martin Sabrow kommt zum Schluss, dass derVHD durch „sein ungeschicktes Verhalten" auf dem Trier Historikertag die „Verantwortung" für den institutionellen Bruch übernommen habe, „der im Grunde weit mehr den Interessen der SED-Führung entsprach". Der Bruch sei von der SED nämlich bereits nach dem aus ostdeutscher Sicht unbefriedigenden Ulmer Historikertag von 1956 beschlossen worden, um so „ein zentrales Hindernis, das sich der ungestörten Errichtung einer .parteilichen Geschichtswissenschaft' in der D D R in den Weg gestellt hatte", aus dem Weg zu räumen. 114 Gestützt wird Sabrows Argumentation insbesondere durch den Auftritt Steinmetz'. In einer vom MfS zusammengestellten Liste der Reisen, die Steinmetz zwischen 1955 und 1958 in die B R D unternommen hat, taucht auch der Trier Historikertag auf. Dieser Eintrag ist mit dem Vermerk „dienstl." versehen. 115 Im August 1958, also wenige Wochen vor dem Trier Historikertag, war es erstmals zu Kontakten zwischen dem MfS und Max Steinmetz gekommen. Der erste Eintrag in seiner MfS-Akte stammt aus dem April dieses Jahres: Steinmetz nehme an internationalen Historikertagungen teil und reise öfter nach Westdeutschland. Es werde daher beabsichtigt, mit ihm Verbindung aufzunehmen und abzuklären, ob er sich als inoffizieller Mitarbeiter eigne. Bemerkenswert ist ferner der Satz, dass die „Aufklärung" festgestellt habe, „dass der Kandidat [...] vor 1945 der Nazipartei und der fasch. SA angehört hat". 1 1 6 Steinmetz direkte R e aktion auf diese Enthüllung ist ebenso unklar wie deren Realitätsgehalt. Möglich erscheint insbesondere, dass es sich hierbei um eine schwer zu widerlegende B e hauptung des MfS handelte, mit der Steinmetz unter Druck gesetzt wurde. 117

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UA Leipzig, NL Steinmetz, 2/232. Sabrow: Ökumene, S. 192-194. Vgl. MfS, 8391/64, P. MfS, 8391/64, P. Vgl. Fußnote 26.

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Beim ersten Treffen mit einem MfS-Mitarbeiter (Leutnant Jagiela') hatte Steinmetz relativ allgemeine Fragen zur Situation an der Universität Jena zu beantworten: Wie erfolgreich die Durchsetzung des dialektischen Materialismus verlaufe, welche Erscheinungen des Revisionismus aufträten und ob er über Unzufriedenheiten oder DDR-Fluchten zu berichten habe. Steinmetz scheint sich auf die Unterhaltung eingelassen zu haben, nannte an konkreten Namen aber nur solche bereits geflüchteter Kollegen - wie etwa denjenigen von Irmgard Höß. Einige Monate später berichtete Steinmetz schon ausfuhrlicher über „eigenartige Ansichten über die Durchsetzung der marx.-lenin. Weltanschauung" von Universitätsangehörigen. In ein schlechtes Licht rückte er insbesondere den Hallenser Historiker Günter Mühlpfordt. Was Steinmetz der Staatssicherheit 1959 über seinen Kollegen berichtete, war jedoch längst bekannt: Mühlpfordt war im Jahr zuvor von allen Universitätsämtern suspendiert und aus der S E D ausgeschlossen worden. Anlass für diese Maßnahmen war unter anderem ein (nie veröffentlichter) Aufsatz zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution. In diesem Aufsatz habe Mühlpfordt nicht ein einziges Mal die Termini ,Marxismus-Leninismus' und ,Kommunismus' verwendet. 118 Auch Steinmetz wies nun auf diesen Aufsatz hin, sprach aber auch davon, dass Mühlpfordt den Dozenten „D." negativ beeinflusse. D. vertrete auch die These des FU-Professors Waither Hofer, wonach die Sowjetunion mit dem Nichtangriffspakt von 1939 Nazi-Deutschland zum Zweiten Weltkrieg ermuntert habe. 119 Bis hierhin hatten die Gespräche erst dazu gedient, die Tauglichkeit Steinmetz' als informellen Mitarbeiter (IM) zu testen. Im Juli 1959 erfolgte die Einschätzung des Kandidaten. Steinmetz habe sich bereit erklärt, mit dem MfS ständigen Kontakt zu haben. „Uber Personen, die offiziell negativ bekannt sind, spricht er offen. Personen, die in seiner Abteilung uns negativ bekannt geworden sind, versucht er nur allgemein einzuschätzen." Insgesamt sei der Kandidat noch „zurückhaltend und abwartend, j a sogar teils verhalten", was er sich aber nicht anmerken lassen wolle. Gerade wegen seiner bürgerlichen Vergangenheit schätzten ihn die Gutachter des MfS als geeignet ein, Hinweise über revisionistische Angriffe zu erstatten. Am 3. August 1959 stellte die Kreisdienststelle Jena daher das Gesuch, Steinmetz als Geheimen Informator (Gl) zu bestätigen. Im November gab Steinmetz offenbar ohne größeren Druck seine Zustimmung zur Z u sammenarbeit und zeigte sich einverstanden, hierfür auch Kontakt zu ehemaligen Freunden, Verwandten und Bekannten aus Westdeutschland aufzunehmen. Er wählte sich den Decknamen ,Bach'. Sehr ergiebig wurde die Zusammenarbeit jedoch nicht. Gleich nach seiner Anwerbung blieb Steinmetz vereinbarten Treffen mehrmals (entschuldigt) fern.

118

1,9

Vgl. Neuhäußer-Wespy: Die SED und die Historie, S. 4 2 und 146. Siehe auch: Margarete Wein im Gespräch mit Günter Mühlpfordt, 1958 - Ein dramatisches Jahr an der Martin-Luther-Universität. Z u Ulbrichts Säuberungsaktion: Der ,Fall Mühlpfordt', in: Hallische Beiträge zur Zeitgeschichte 5 (1998), S. 7 2 - 1 0 2 . MfS, 8 3 9 1 / 6 4 , P.

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1960 kam es jedoch wieder zu einigen Treffen. Steinmetz gebe „ohne Hemmung [...] gute Hinweise über Personen, die Gegner unserer Entwicklung sind". Allerdings berichte er überwiegend über solche „Feinde", die bereits bekannt seien. Immerhin finden sich in der entsprechenden MfS Akte Berichte von Steinmetz etwa über eine Zusammenkunft ostdeutscher Archivare und deren reaktionäre Tendenzen', über die Melanchthon-Feiern von 1960, über den XI. Internationalen Historikerkongress in Stockholm, über den Lehrkörper der Universität Leipzig sowie eine Liste von über 30 westdeutschen Historikern, zu denen er Kontakt aufnehmen könnte. Das MfS schätzte diese Hinweise jedoch als wenig ergiebig ein. Ab dem Januar 1961 kam es daher zu keinen weiteren Zusammenkünften mehr und Ende 1962 wurde die inoffizielle Verbindung zum Gl Bach aufgrund seiner „bedingten Zuverlässigkeit und des geringen Nutzeffekts der Zusammenarbeit" abgebrochen. „Festnahmen", so hält der Abschlussbericht fest, „resultierten aus den Berichten des Gl nicht". 120 Max Steinmetz hatte also 1958, als der Druck zur Gleichschaltung der Geschichtswissenschaft seinen Höhepunkt erreicht hatte, der Zusammenarbeit mit dem MfS bereitwillig zugestimmt. In der Folge zeigte er sich zwar kooperativ, gab aber wohl weit weniger Informationen preis, als ihm möglich gewesen wäre. Als völlig unbedeutend sollte die Zusammenarbeit trotzdem nicht angesehen werden. Auch wenn Steinmetz etwa über den bereits marginalisierten Günter Mühlpfordt nichts zusätzlich Belastendes berichtete, so haben seine Aussagen doch den .negativen' Einfluss Mühlpfordts auf die DDR-Geschichtswissenschaft bestätigt und damit im Nachhinein seinen Ausschluss von der Universität zusätzlich legitimiert. Ob Steinmetz'Verhalten auch als Versuch gewertet werden muss, einen wissenschaftlichen Konkurrenten auf dem Gebiet der Reformationsgeschichte auszuschalten, ist unklar. Im Vorfeld des Reformationsjubiläums von 1967 setzte sich Steinmetz jedoch für die Publikation eines Aufsatzes von Günter Mühlpfordt in der offiziellen Festschrift ein. 121 Steinmetz' Mitarbeit als Gl war sicherlich nicht von großem Engagement gezeichnet. Aber er ließ sich ohne Zögern auf diese Tätigkeit ein, als seine eigene Karriere an einem entscheidenden Punkt angelangt war: Es war genau die Zeit, als er mit der Ausarbeitung der Thesen von Wernigerode beauftragt wurde und sein Institut zum Leitinstitut für die Frühbürgerliche Revolution erklärt worden war. 122 Somit war seine Tätigkeit für das MfS wohl zu einem großen Teil von Opportunismus getragen. Seine Karriere hatte Ende der 1950er Jahre enormen Auftrieb erhalten. Wenige Monate nach der Konferenz von Wernigerode nahm Max Steinmetz im Herbst 1960 eine Berufung an die Karl-Marx-Universität Leipzig an. Damit wechselte auch das Leitinstitut fur das Forschungsfeld Frühbürgerliche Revolution von Jena nach Leipzig. Die Arbeit als Gl Bach brach bald darauf ab. Aber auch in Leipzig blieb Max Steinmetz der Partei treu verbun120 121 122

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MfS, 8391/64, P. Vgl. UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/376. Siehe auch Kapitel 6.3.3. Vgl. Kapitel 6.3.1.

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den. Sitzungen der Parteileitung und der Parteigruppe nahmen mehrere Abende pro Woche in Anspruch, und Parteibeschlüsse schien er sehr ernst zu nehmen. 123 Steinmetz investierte viel Arbeitszeit in prestigeträchtige Parteiaufträge wie das von der SED in Auftrag gegebene .Lehrbuch der deutschen Geschichte', und er engagierte sich sowohl flir das staatliche Reformationsjubiläum von 1967 wie für die Festlichkeiten im Bauernkriegsjahr 1975. Wie wichtig es für ihn war, das Erreichte zu verteidigen und nicht zu gefährden, lässt sich an seinem Umgang mit direkter Konkurrenz ablesen. So war für ihn beispielsweise der ZK-Beschluss von 1969, der die Verantwortung für den dritten Band der ,Geschichte des deutschen Volkes' seinem Leipziger Kollegen Gerhard Zschäbitz und nicht ihm übertragen hatte, völlig inakzeptabel. Er fühlte sich um die Früchte seiner Arbeit gebracht. Ahnlich schwierig war es für ihn, dass seinem Leipziger Institut ab Mitte der 1970er Jahre zunehmend Konkurrenz von der Berliner Akademie erwuchs. Es ist daher nahe liegend, dass Steinmetz seinen Status quo nicht durch politischen Ungehorsam gefährden wollte. 124 Das Selbstverständnis von Günther Franz und Max Steinmetz als politische Historiker weist sowohl auf Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen der Geschichtswissenschaft im nationalsozialistischen und im marxistisch-leninistischen Deutschland hin. In beiden Diktaturen lehnte der politische Wissenschaftler das bürgerliche Ideal der objektiven, wertfreien Wissenschaft ab. Systemloyale Historiker wie Franz und Steinmetz waren sich darin einig, dass wissenschaftliche Erkenntnis nur von einem festen Standpunkt aus möglich sei. Kaum vergleichbar ist jedoch die in beiden Beispielen recht starke Involvierung in den Staats- und Parteiapparat. Dies liegt nicht nur daran, dass das ,Dritte Reich' wegen seiner menschenverachtenden Kriegs- und Vernichtungspolitik moralisch auf einer mit der D D R nicht vergleichbaren Stufe stand. Vielmehr kommt hier auch die gänzlich verschiedene Organisiertheit der jeweiligen Geschichtswissenschaft zum Ausdruck. Günther Franz'Verstrickungen sind seinem eigenen Engagement zuzuschreiben. Eine Existenz als .bürgerlicher' Historiker war im ,Dritten Reich' relativ problemlos möglich. In der D D R wurde mit der Gleichschaltungspolitik der späten 1950er Jahre aber genau diese Parallelität beendet. Ohne einem DDR-Historiker wie Max Steinmetz jeglichen Handlungsspielraum abzusprechen, muss doch darauf hingewiesen werden, dass seine Entscheidungsmöglichkeit stärker darauf beschränkt war, im gleichgeschalteten Wissenschaftsbetrieb mitzumachen oder zu einer Randexistenz abgeschoben zu werden. Der ,Fall Mühlpfordt' dürfte ihm diesbezüglich eindrückliches Beispiel

123

124

Vgl. Tagebücher von Max Steinmetz, 1960-1989. Privatarchiv Maria Steinmetz. In der D D R war jedem geschichtswissenschaftlichen Institut eine Parteiorganisation angegliedert. Es handelte sich hierbei um Gremien, in denen die Wissenschaftler aktuelle ideologische Fragen ihrer Forschungsarbeit besprachen. Es bestand eine direkte Abhängigkeit und Kontrolle von der Abteilung Wissenschaft des ZK der SED. Insofern waren die Parteiorganisationen eines der effektivsten Kontrollmittel.Vgl. Neuhäußer-Wespy: Die SED und die Historie, S. 40/41. Vgl. UA Leipzig, NL Steinmetz, 3/17.Vgl. auch Kapitel 6.3.2 und 6.4.1.

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gewesen sein - seine politische Überzeugung trug den Rest dazu bei. Insofern kann hier auf eine Bilanz verwiesen werden, die Georg G. Iggers schon 1995 zog: „Partei und Staat übten in der D D R eine totalere Kontrolle als im Nationalsozialismus über die Geschichtswissenschaft aus". 1 2 5

Bürgerliche Vergangenheit Die Stellung von Günther Franz zum Nationalsozialismus und von Max Steinmetz zum Marxismus-Leninismus weist eine bedeutende Ubereinstimmung auf: Beide waren keine alten Anhänger der jeweiligen Ideologie. Günther Franz fand seinen Weg zur völkischen Rechten zu Beginn der 1930er Jahre, stellte sein B e i trittsgesuch zur NSDAP aber erst als ,Märzgefallener'. Max Steinmetz fand erst in sowjetischer Kriegsgefangenschaft zum Marxismus und stellte sein Beitrittsgesuch zur SED Ende 1949. Somit haftete beiden Historikern der Makel einer bürgerlichen Vergangenheit an. Günther Franz' Engagement für den Nationalsozialismus war nach der .Machtergreifung' groß und sein wissenschaftlicher Aufstieg steil. Dennoch war seine Stellung in den 1930er Jahren weniger unangefochten, als sich auf den ersten Blick vermuten ließe. Insbesondere während seiner Zeit an der Universität Jena führte sein Wandel vom parteilosen Assistenten zum nationalsozialistischen Professor und Wissenschaftsorganisator auch zu konspirativer Kritik, die sich bald zu einer für Franz unangenehmen Affäre entwickelte. Die Anfänge lagen in einer persönlichen Intrige, die sich schließlich zu einer mehrmonatigen politischen Auseinandersetzung auswuchs. Im Mai 1937 hatte Franz erfahren, dass ihn der Jenaer Dozent Lothar Stengel-von Rutkowski im Kreise von Studenten als früheren Demokraten und Organisator von Verfassungsfeiern verunglimpft habe. 1 2 6 Stengel-von Rutkowski war Arzt und hauptamtlich im R u S H A der SS Thüringen tätig. Er bestritt gegenüber Franz zwar solche Vorkommnisse, wies aber auch darauf hin, dass er um seine „ablehnende Haltung der NSDAP gegenüber vor der Machtergreifung" wisse und sich daher „immer wieder über die Geste wundre", mit der Franz auf seine Partei- und SS-Zugehörigkeit verweise. 1 2 7 Franz gab sich mit dieser Antwort zufrieden, betonte aber nochmals, dass er „nie der Demokratischen Partei oder einer anderen Linkspartei vor 1933 angehört, ihr nahe gestanden oder sie gewählt habe. Erst recht habe ich mich nicht irgendwie an der Vorbereitung oder Gestaltung irgendwelcher Verfassungsfeiern beteiligt." 1 2 8

125 126 127 128

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Igg e r s : Die Bedeutung des Marxismus, S. 485. Vgl. Brief Franz an Stengel-von Rutkowski, 10. Mai 1937. UA Jena, D 758. Brief Stengel-von Rutkowski an Franz, 18. Mai 1937. UA Jena, D 758. Brief Franz an Stengel-von Rutkowski, 20. Mai 1937. UA Jena, D 758.

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Die Franz'sehe Konversion zum überzeugten Nationalsozialisten war Lothar Stengel-von Rutkowski offensichtlich aufgestoßen. 129 Wäre diese Auseinandersetzung auf Franz und Stengel-von Rutkowski beschränkt geblieben, wäre sie kaum der Erwähnung wert. Stengel-von Rutkowski ließ es aber nicht bei dem Briefwechsel mit Franz bewenden.Vielmehr regte er nun den Gaudozentenbundfiihrer an, sich über die „weltanschaulich-politische Entwicklung" von Günther Franz zu informieren, worauf dieser SS-Sturmbannführer Schwalm um ein Gutachten bat. 130 „Ich halte ihn für einen absoluten Konjunkturnationalsozialisten", wusste dieser zu berichten, „der nach Entwicklung, Art und Haltung weder in der Öffentlichkeit noch in der Parteigenossenschaft in irgend einer Weise und Form als Nationalsozialist herausgestellt werden könnte". Infolge dieses Gutachtens sah sich der Gaudozentenbundführer nun veranlasst, die vom Jenaer Rektorat geplante Aufnahme Franz' in den Universitätssenat zu verhindern. 131 Stengel-von Rutkowski gab sich damit nicht zufrieden und wühlte weiter in der „demokratischen" Vergangenheit von Franz. Im Juli 1938 meldete er dem Gauleiter Fritz Sauckel, dass Franz vor der Machtergreifung zusammen mit dem „fanatische [n] Gegner des Nationalsozialismus" Wilhelm Mommsen eine Schriftenreihe .Deutsche Parteiprogramme' herausgegeben habe. Das NSDAP-Parteiprogramm tauche darin zu „Ungunsten des Nationalsozialismus verzerrt" auf. „Nationalsozialisten, die Günther Franz in dieser seiner typischen Haltung aus der Zeit vor der Machtergreifung kennen, erscheint es demzufolge mit vollem Recht unverständlich, wie er seine Aufnahme in die SS bewerkstelligt hat und wie er heute den Anspruch erheben kann, womöglich gar als führender nationalsozialistischer Agrargeschichtler herausgestellt zu werden." Stengel-von Rutkowski schloss seine Tirade mit der Empfehlung, im Sinne „des Aufbaus einer nationalsozialistischen Hochschule in Jena" Franz'Weggang anzustreben. In den nächsten Monaten gingen weitere, in ihrer Stoßrichtung ähnliche, wenn auch etwas weniger bissig formulierte Gutachten ein. Darunter war selbst eines vom damaligen Rektor Kurt Astel, der in Jena einen Lehrstuhl für menschliche Erbforschung und Rassenlehre innehatte. Das einzige Gutachten zugunsten von Franz stammte von Erich Maschke. Trotz dieser .schwerwiegenden' Angriffe wurde Franz' Karriere durch die Intrige nicht behindert. Einzig seine um zwei Jahre verzögerte Beförderung zum SS-Untersturmführer ist wohl darauf zurückzuführen. Ein angeblich fehlendes Sportabzeichen dürfte zumindest kaum der wahre Grund hierfür gewesen sein. 129

130 131

Der Hintergrund der Affäre war, dass Lothar Stengel-von Rutkowski der (Adoptiv-)Sohn des Marburger Historikers Edmund Stengel war und Franz noch aus gemeinsamen Marburger Zeiten kannte. Edmund Stengel war bei Franz' Habilitation Korreferent gewesen. Zwischen Franz und Stengel hatten durchaus freundschaftliche Verbindungen bestanden. Bei einer Einladung im Hause Stengel soll Franz' Ehefrau Annelise Franz 1932 angeblich erklärt haben, sie würden niemals die NSDAP wählen. Vgl. Franz: Mein Leben, S. 64. UA Jena, D 758. Vgl. Gesprächsprotokoll vom 10. Februar 1938. UA Jena, D 758.

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Machtkämpfe und Intrigen gehörten im polykratischen NS-Staat zum politischen Alltag und machten auch vor dem Wissenschaftsbetrieb nicht Halt. Ob das Vorgehen von Stengel-von Rutkowski nur durch persönliche Animositäten und Neid auf Franz' Karriere begründet war, ist unklar. Mit seiner Einschätzung von Franz' eifrigem Tun in der SS lag er aber vielleicht gar nicht so falsch: Dass Franz damit auch den ,Makel', nicht alter Parteigenosse zu sein, kompensieren wollte, ist nicht abwegig. Dieselbe Überlegung passte auch zu seiner fehlenden militärischen Auszeichnung. Für eine Teilnahme am Ersten Weltkrieg war er zu jung gewesen, und auch im Zweiten Weltkrieg kam Franz nie zum Einsatz. Er nahm 1937 zwar während mehrerer Wochen an einer Flakübung teil und wurde bei Kriegsausbruch für einige Tage eingezogen, jedoch „bald als überzählig wieder entlassen". 132 Erst beim alliierten Vormarsch auf Straßburg wurde Franz kurzzeitig zum Volksturm einberufen. 133 War Günther Franz' Hinwendung zum Nationalsozialismus eine - wie er selber formulierte - „organische" Entwicklung, so erfolgte Max Steinmetz'Weg zum Marxismus-Leninismus viel abrupter und ist ohne die ideologische Schulung in der Kriegsgefangenschaft nicht zu verstehen. In den bereits zitierten Lebensläufen und den Briefen an seinen Bruder Otto schilderte er diesen Prozess als eine Art Erweckungserlebnis. Dies macht bereits deutlich, wie stark er selber mit seiner Vergangenheit als bürgerlicher Historiker und seiner zeitweiligen Nähe zum Nationalsozialismus haderte. Bei seiner ersten Berufung an die Universität Jena war Steinmetz' bürgerliche Vergangenheit und der Umstand, dass er ein Schüler Gerhard Ritters war, wohl eher von Vorteil gewesen. Ohne diese Herkunft wäre der Widerstand der Fakultät, die anfänglich die Berufung eines westdeutschen Kollegen favorisiert hatte, wohl nicht so schnell abgebrochen. Bei staatlichen und parteiamtlichen Stellen weckte Steinmetz aber von Anfang an auch Skepsis. Schon die ungewöhnlich lange Kandidatenzeit, die zwischen seinem Antrag und seiner tatsächlichen Aufnahme in die SED verstrich, ist Indiz dafür. Betrug diese normalerweise nur ein Jahr, so musste sich Steinmetz mehr als zwei Jahre gedulden und wurde erst 1952 aufgenommen. 134 Der aus bürgerlichen Verhältnissen stammende Westdeutsche, dessen Bruder inzwischen in leitender Stellung bei der Mannheimer Versicherung arbeitete, wurde auch als Parteimitglied weiterhin argwöhnisch beobachtet. 135 Eine Beurteilung aus dem Ministerium für das Hoch- und Fachschulwesen von 1953 beschreibt Steinmetz als selbstkritisch und lernwillig. Jedoch würden ihn „kleinbürgerliche Tendenzen [...] an der restlosen Auswertung der von

132

Brief Franz an Hellwig, 10. Juli 1937 und Brief Franz an Löffler, 18. September 1939. UA Hohenheim, N 6 , 1 / 3 / 9 . 133 V g j F r a n z : M e i n Leben, S. 150-152. 134 Vgl. Schröder: Der SED-Staat, S. 406. 135 Otto Steinmetz war 1932 als Lehrling in die Mannheimer Versicherung eingetreten und war bis 1957 in den Vorstand des Konzerns aufgestiegen, dem er bis 1982 angehörte. Schriftliche Auskunft von Otto Steinmetz vom 28. April 2000.

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Günther Franz und Max Steinmetz ihm als richtig befundenen Kritik und Selbstkritik" hemmen. „Dr. Steinmetz ist erst seit kurzem Mitglied der Partei. Er zeigt zwar guten Willen, ist aber vorläufig mit der Partei der Arbeiterklasse noch nicht zutiefst verbunden. Im politischen Leben des Staatssekretariats tritt er wenig in Erscheinung. Der D D R ist er treu ergeben." 1 3 6 Z u einem ähnlich ambivalenten Urteil gelangte die SED-Parteigruppe der Universität Jena. In einem Arbeitszeugnis von 1960 wurde Steinmetz als äußerst fleißig beschrieben. Er habe großen Anteil daran gehabt, dass das Historische Institut zu einer marxistischen Bildungsstätte umgebaut worden sei. 137 Im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Institutsdirektor sei er „in wissenschaftlich-politischer Hinsicht und in Bezug auf seine ganze Persönlichkeit Schritt für Schritt gewachsen". Dass jedoch seine marxistisch-leninistische Bildung als mangelhaft eingeschätzt wurde, fand bereits Erwähnung. Am deutlichsten kommt diese argwöhnische Haltung gegenüber Steinmetz in den MfS-Akten zum Ausdruck. Im Gespräch über „politisch komplizierte Situationen", so berichtete der IM ,Philosoph', neige Steinmetz zu „Fehlentscheidungen". „ Z . B . bei den letzten Wahlen zum westdeutschen Bundestag äußerte er [Steinmetz, Im] sich gegenüber dem Gen. Dr. Urbanski in völliger Verkennung des reaktionären Parlamentarismus lobend über die .Freiheit der Diskussion'". 138 Steinmetz' ernsthaftes Bemühen, sich parteikonform zu verhalten und als Historiker am Historischen Materialismus zu orientieren, zweifelten die MfS-Mitarbeiter nie an. Aber gerade dieses B e m ü h e n stieß w i e d e r u m auf Kritik. „Er [Steinmetz, Im] bemüht sich ständig die Linie der Partei zu vertreten. Dies tut er in Sitzungen seines Instituts in einer oft aufdringlich erscheinenden Form und in so betonterWeise, als wolle er damit betonen, wie fest er selbst auf diesem Boden steht. Ein solches Verhalten ist vornehmlich bei Vertretern, die verhältnismäßig spät (ihrem Alter nach) den Weg zur Arbeiterklasse beschritten und sich dem Marxismus-Leninismus zuwandten, zu verzeichnen. Bei den Beteiligten entsteht durch derartiges Verhalten von St. der Eindruck, als habe er eine Scharte in seiner Entwicklung auszuwetzen (,er hat es wohl sehr nötig') und müsse sich besonders herausstreichen." 139 Erinnert diese Interpretation des politischen Engagements im Sinne einer Kompensation für die politische Herkunft stark an die Kritik, die gegen Franz laut geworden war, so kam bei Steinmetz noch ein zusätzliches M o m e n t hinzu: Insbesondere in den MfS-Akten wird immer wieder darauf verwiesen, dass seine Ehefrau Maria Steinmetz der Partei sehr verhalten gegenüberstehe. „So liegt er auch zum Teil unter einem negativen Einfluss von seiner Ehefrau, die sich des öf-

136

137

138 139

.Beurteilung des Kollegen Dr. Max Steinmetz', 12. Juni 1953, Berufungsakte Steinmetz. BArch, D R 3, Β 13769. .Beurteilung von Genösse Steinmetz durch die Parteigruppe Wissenschaftler (Historiker) der G O Phil. II der SED-Parteiorganisation der Friedrich-Schiller-Universität Jena', 7. Juli 1960, Personalakte Steinmetz. U A Leipzig, PA 3995. MfS, 8391/64, P. Gutachten von Gl .Knabe' vom 8. August 1959. MfS, 8391/64, P.

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teren beschwert über seine zu stark beanspruchte fachliche und gesellschaftliche Tätigkeit." 1 4 0 Die MfS-Berichte über Max Steinmetz lassen eine Dichotomie von Opfer und Täter in den Grautönen der ostdeutschen Diktatur versinken. W i e gravierend die erwähnten kritischen Blicke auf seine bürgerliche Vergangenheit letztlich waren und etwa seine Karriere behinderten, ist schwer zu sagen. Ein direkter Hinweis daraufliegt zumindest nicht vor.Vergleicht man die Kritik an der persönlichen Vergangenheit bei Franz und bei Steinmetz, so fällt neben den inhaltlichen Parallelen vor allem der strukturelle Unterschied auf. Bei beiden Historikern wurde ihr politisches Engagement (auch) als Kompensation für ihr spätes Dazustoßen interpretiert. War die Kritik an Franz aber durch das persönliche Vorgehen von Lothar Stengel-von Rutkowski geprägt, so wirkten bei Steinmetz die bürokratischen Mechanismen der Staatssicherheit.

Idealismus und Kritik Günther Franz hatte sich aus Uberzeugung auf die nationalsozialistische Bewegung eingelassen und nicht aus Opportunismus. Seine Zuspräche zu dieser Ideologie entstammte seinem agrarromantischen und nationalen Denken, rassistische und antisemitische Motive waren bei ihm nicht ausschlaggebend. Allerdings nahm er diese nach der Machtergreifung' recht schnell auf - erinnert sei in diesem Zusammenhang etwa an den Kampf, den er an der Universität Heidelberg gemeinsam mit Walther Peter Fuchs gegen die „Judenversippung" fuhren wollte. Allerdings zeigte er sich auch 1936 noch bereit, einen jüdischen Doktoranden zu betreuen. 141 Gerhard Ritter zögerte nicht, Günther Franz 1946 in einem Gutachten „als den einzigen mir bekannten parteihörigen Fachgenossen zu bezeichnen, der aus dem Streben der nationalsozialistischen Bewegung nach Volkstümlichkeit einen wirklichen wissenschaftlichen Gewinn zu ziehen verstand". 142 Uber die Bedeutung der nationalsozialistischen Ideologie in Franz' Schaffen ist damit erst bedingt etwas gesagt. Im Kapitel 4 wurde diese Frage anhand der Bauernkriegsforschung ausführlich erörtert. An dieser Stelle sei daher nur darauf hingewiesen, dass die zentrale Kategorie der Rasse zunehmend in seine Arbeit Eingang fand. Dies zeigt sich nicht nur in verschiedenen Aufsätzen zum Bauernkrieg, sondern etwa auch in Franz' Publikation zum Dreißigjährigen Krieg. Grundsätzliche Gedanken zu diesem Thema formulierte Franz insbesondere in seinem Beitrag zu einer Festschrift von Karl Alexander von Müller: Er wies zwar auf die for140 141

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Vorschlag zur Anwerbung vom 3. August 1959. MfS, 8 3 9 1 / 6 4 , P. Der jüdische Student Kurt Schleyer hatte seine Promotion bei Karl Hampe begonnen. Nach dessen Tod fragte er Franz an, ob er an Hampes Stelle das Referat über die Dissertation übernehmen würde. Franz sagte umgehend zu. Als er im Herbst 1936 nach Jena berufen wurde, übergab er das Referat allerdings an Gerd Teilenbach, der nun seinen Heidelberger Lehrstuhl vertrat.Vgl. Briefwechsel Schleyer-Franz. U A Hohenheim, N 6 , 1 / 3 / 1 1 . Gutachten Ritter, 9. August 1946. BArch, Ν 1166, 327.

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schungspraktischen und methodischen Schwierigkeiten im Umgang mit dieser Kategorie hin, zeigte sich aber davon überzeugt, dass geschichtliche Ereignisse einerseits eine rassische Bedingtheit und andererseits rassengeschichtliche Auswirkungen haben. 143 Ohne diese Ubereinstimmung mit dem nationalsozialistischen Rassengedanken wäre es Franz auch kaum möglich gewesen, an den historischen Projekten in Heinrich Himmlers Ahnenerbe und dem SD mitzuarbeiten. Deutlich zeigt sich Franz' wissenschaftliche Ausrichtung auch in der Lehre. So vergab er etwa bei Dissertationen zunehmend antisemitisch motivierte Themen. Als Beispiel sei hier Heinz Bender genannt, der bei Franz über den .Kampf um die Judenemanzipation in Deutschland im Spiegel der Flugschriften 1815—1820' promovierte. Eine erste Fassung der Dissertation kommentierte Franz 1938 folgendermaßen: „Im ganzen ist die Arbeit jetzt wirklich gut, vielleicht manchmal (gerade heute) fast zu sachlich oder richtiger zu neutral im Ton, obgleich die Flugschriften für sich selbst sprechen". 144 Ein dumpfer Parteisoldat war Franz nicht. Zu prinzipieller Kritik am Nationalsozialismus fand er jedoch auch in den letzten Tagen des Regimes kaum. Mit dem Ende der ,Reichsuniversität Straßburg' verlor Günther Franz 1944 sein Ordinariat. Bis 1957 sollte es dauern — so lange, wie bei keinem anderen belasteten Historiker —, bis er wieder auf einen Lehrstuhl berufen wurde. An der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim/Stuttgart übernahm er zwölf Jahre nach Kriegsende den neu geschaffenen Lehrstuhl für Agrargeschichte. Neue Forschungen zum Bauernkrieg betrieb Günther Franz nach 1945 kaum noch, der Agrargeschichte blieb er aber treu. Die Nachkriegsbiographie von Günther Franz und allfällige Kontinuitäten in seinem Denken über 1945 hinaus sind nicht Thema dieser Untersuchung. 1 4 5 Erwähnt sei hier jedoch, dass Günther Franz im Unterschied zu anderen Fachgenossen seine politische Einstellung zum Nationalsozialismus nach 1945 nicht verschwieg. 146 Es war eine Offenheit, die aber nur sehr bedingt eine Reflexion über sein eigenes Tun zwischen 1933 und 1945 einschloss und auch vieles verschwieg. In den Memoiren, die er hinsichtlich seines 80. Geburtstages verfasste, beschrieb Franz seine eigene Position als die des Verratenen. „Daß die Ideen, aus denen heraus man Nationalsozialist geworden war", so schrieb er über sein Empfinden beim Zusammenbruch von 1945, „außen- und innenpolitisch preisgegeben, verraten und geschändet worden waren, hatte man schmerzlich eingesehen". 147 Auch Max Steinmetz war kein dissidierender Historiker. Bereits mit der Jenaer Universitätsgeschichte hatte sich Steinmetz willig gezeigt, seine Arbeit nach den Vorgaben der Partei auszurichten. Seine Tätigkeit für das MfS zwischen 1958 und 1962 war wohl der Höhepunkt seiner Zusammenarbeit mit dem 143 144 145 146 147

Vgl. Franz: Geschichte und Rasse, S. 76. Brief Franz an Bender, 17. Dezember 1938. UA Hohenheim, N6, 1/3/1. Knappe Angaben hierzu finden sich bei Behringer: Bauern-Franz, S. 129-131. Vgl. Franz: Das Geschichtsbild des Nationalsozialismus. Franz: Mein Leben, S. 156.

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SED-Regime. Ab den 1960er Jahren lassen sich bei ihm nämlich auch Widersprüche und weniger parteikonformes Verhalten feststellen. Hingewiesen sei etwa auf sein Engagement fìiir die Leipziger Universitätskirche. Im Jahr 1968 wurde die 1240 erbaute Kirche St. Pauli am Leipziger Augustusplatz gesprengt, um an ihrer Stelle einen Neubau für die Universität zu erstellen. Obwohl dieses Vorhaben in der Bevölkerung sehr umstritten war, hatten sich nur wenige explizit dagegen ausgesprochen. Max Steinmetz war einer der Mutigen und hatte sich innerhalb der Universität fur den Erhalt der Kirche engagiert. 148 Aber auch als Wissenschaftler agierte Steinmetz nicht immer angepasst. Als ein Beispiel kann nochmals die von ihm organisierte Konferenz zum Bauernkriegsjubiläum 1975 erwähnt werden. 149 Die Teilnahme von westlichen Historikern an dieser Tagung war alles andere als selbstverständlich und musste von ihm gegenüber der Partei erkämpft werden. Dieser Wille zum Gespräch zwischen Ost und West erstaunt insofern, als Steinmetz sich noch wenige Jahre zuvor ganz unversöhnlich gezeigt hatte. „Es ist gänzlich unmöglich, daß die Reformationsauffassungen der marxistischen Geschichtswissenschaft und der imperialistischbourgeoisen Historiker jemals zur Deckung kommen könnten." 1 5 0 Solch scharfe Formulierungen, hier aus dem Jahr 1967, haben Steinmetz'Wurzeln in der bürgerlichen Geschichtswissenschaft verdecken können, abgestorben waren sie aber nie ganz. Ohne sein uneingeschränktes Bekenntnis zum Sozialismus wäre seine erfolgreiche Laufbahn nicht möglich gewesen. Jetzt stand seine Emeritierung bevor und er konnte nicht mehr damit rechnen, die Karriereleiter noch weiter emporzusteigen. Diese Perspektive könnte auf ihn befreiend gewirkt haben. Zudem war durch die politische Entspannung zwischen der B R D und der D D R seit Anfang der 1970er Jahre auch eine politische Lage entstanden, die eine wissenschaftliche Annäherung erleichterte. Unter diesen Voraussetzungen kam die bürgerliche Ader Steinmetz'wieder stärker zum Vorschein. Teilweise so stark, dass er 1982 sogar einen Beitrag für die Festschrift zu Günther Franz' 80. Geburtstag beisteuerte. 151 148

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„Nichts spricht ernstlich für einen Abbruch", schrieb Steinmetz im Januar 1966 an den Rat der Stadt Leipzig. „Eine städtebauliche Lösung, die das Alte mit dem Neuen verbindet, die der Universitätskirche den überlieferungsbedingten Standort am Karl-Marx-Platz beläßt, müsste zu finden sein [...]. Abgesehen von allen Gründen, die einen Abbruch der Paulinerkirche nicht ratsam erscheinen lassen, muß auch an die gegenwärtige Lage gedacht werden, in der ein solches Unterfangen nur gänzlich unnötige Mißstimmung,Verärgerung und Unwillen bei durchaus loyalen und aufbauwilligen Kreisen der Bevölkerung hervorrufen könnte. Hinweisen muß man auch auf die Tatsache, daß die Kirche und ihre Umgebung seit Gründung des Klosters ein Begräbnisplatz war. Die Wegräumung der Trümmer würde somit auch zur gewaltsamen Exhumierung zahlloser Gebeine führen. Ein Abbruch der Kirche und eine Beseitigung der Trümmer müßte somit die Gefühle vieler Mitbürger verletzen. Das könnte vermieden werden durch eine Lösung im Interesse der geschichtlichen Würde und der Bewahrung der Überreste der Vergangenheit." UA Leipzig, NL Steinmetz, 4/337. Vgl. Kapitel 6.4.3. Steinmetz: Die Entstehung, S. 1174. Max Steinmetz: Thomas Müntzer und die Mystik, in: Bauer, Reich und Reformation. Festschrift für Günther Franz, hrsg. von Peter Blickle, Stuttgart 1982, S. 148-159.

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8 Schlussfazit Die DDR-Geschichtswissenschaft konzipierte in wenigen Arbeitsjahren den prägnanten Begriff Frühbürgerliche Revolution. Während der nationalsozialistischen Herrschaft kam keine vergleichbare Entwicklung zustande. So banal diese Feststellung auf den ersten Blick erscheinen mag, als so bedeutend erweist sie sich beim genaueren Hinsehen. Wesentliche Punkte der Rezeption des frühen 16. Jahrhunderts und deren Genese im Kontext der beiden deutschen Diktaturen kommen darin zum Ausdruck. Das Konzept der Frühbürgerlichen Revolution geht auf Friedrich Engels' Arbeit aus dem 19. Jahrhundert zurück, aber erst Alfred Meusel entwickelte die entsprechende Formulierung. Mit den Thesen von Wernigerode erhielt der Begriff paradigmatische Bedeutung. Zwischen 1960 und 1989 erschien in der D D R keine Publikation zur Reformationszeit, die sich nicht auf diesen Term berief. Neue empirische Erkenntnisse, Verschiebungen in der Fragestellung,Veränderungen im politischen Kontext oder die Diskussion um Erbe und Tradition führten zwar zu Änderungen in der Interpretation des frühen 16. Jahrhunderts, die Charakterisierung der Umbrüche als Frühbürgerliche Revolution wurde dadurch jedoch nie grundsätzlich in Frage gestellt. Sie steckte das Gebiet ab, innerhalb dessen sich der Diskurs abspielte. Eine solche Homogenität wäre ohne zentrale Lenkung nicht möglich gewesen. Zwar nicht die Genese, aber die spätere Dominanz des Begriffs war Resultat des organisierten Zusammenspiels von Staats- und Parteigremien, Akademieinstitut und Lehrstühlen. Die Frühbürgerliche Revolution ist damit nicht nur Ausdruck einer marxistischen Interpretation von Reformation und Bauernkrieg, sondern auch der Verschränkung von Politik und Geschichtswissenschaft in der D D R . Die Politik hatte die unbeschränkte Gültigkeit des Historischen Materialismus erklärt und die Geschichtswissenschaft zur deduktiven Anwendung eines konsistenten Theoriegebäudes angehalten. Die Frühbürgerliche Revolution erweist sich als ein Diskursfeld, das von der Wissenschaft ebenso wie von der Politik geprägt wurde und eine klare Unterscheidung der beiden Bereiche kaum mehr zulässt. Besonders ausgeprägt war die Verzahnung von Wissenschaft und Politik beim ZIG der Berliner Akademie. Insofern kann die Frühbürgerliche Revolution als „Diskursgefängnis" beschrieben werden, über das die parteiamtlichen Institutionen wachten. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass die Lenkung der historischen Darstellung weniger die Aufgabe der Wärter des Diskursgefängnisses als der Insassen selbst war. Nicht Politiker und Parteiideologen entwickelten das Konzept der Frühbürgerlichen Revolution, sondern Historiker. Der eigentliche Zensurapparat war in der D D R nur von sekundärer Bedeutung. 1 Viel entscheidender war das in dieser Studie nur am R a n d e angesproBeim Ministerium für Kultur existierte eine fur die Zensur von Buch- und Zeitschriftenpublikationen zuständige Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel. [Diese Institution hieß erst

321

Schlussfazit

chene Gutachterwesen der Verlage. Die Kontrolle der Manuskripte wurde de facto bereits in den 1950er Jahren den Verlagen übertragen. Dort spielte sich ein System ein, nach dem jedes Manuskript von zwei externen Gutachtern beurteilt wurde. Dieses Fachgutachterwesen führte dazu, dass die Historiker sowohl als Autoren als auch als Gutachter auftraten. Somit bildete der Publikationsprozess ein Verfahren starker gegenseitiger Kontrolle und stellte ein Instrument der Selbstzensur der Geschichtswissenschaft dar. Dennoch muss betont werden, dass die Publikation eines wissenschaftlichen Manuskriptes je nach Textsorte auch unterschiedlich starker staatlicher Kontrolle unterlag. 2 Ein frühes Beispiel für eine verzögerte Veröffentlichung stellt Elligers Luther-Buch von 1952 dar.3 Das auf diese Weise inhaltlich und strukturell abgesteckte Diskursfeld ermöglichte, die bestehenden bürgerlich-idealistischen oder nationalsozialistisch eingefárbten Interpretationen des frühen 16. Jahrhunderts in der D D R durch das marxistisch-leninistische Konzept der Frühbürgerlichen Revolution zu ersetzen. Auch die nationalsozialistische Revolution setzte die bürgerliche Geschichtswissenschaft unter erheblichen Anpassungsdruck. Davon betroffen war vorerst weniger die inhaltliche Ausrichtung als die personelle Zusammensetzung der historischen Institute. Die , Säuberung' der Fakultäten von aus ,rassischen' und politischen Gründen unerwünschten Wissenschaftlern prägte die Monate nach der ,Machtergreifung'. Eine inhaltliche Homogenisierung kam auch in den nachfolgenden Jahren nur bedingt zustande. U m das bürgerliche durchgehend durch ein nationalsozialistisches Geschichtsbild abzulösen, fehlte dem ,Dritten Reich' nicht nur die effizient zentralisierte Wissenschaftsorganisation, sondern auch die einheitliche theoretische Grundlage. In der Bauernkriegsrezeption tauchten zwar zunehmend nationalsozialistische Ideologie-Fragmente und Parallelisierungsbestrebungen zum .Dritten Reich' auf, gleichzeitig war es einem Historiker wie Gerhard Ritter jedoch möglich, die Reformationszeit mit einem traditionell historistischen Blick zu interpretieren. Zudem verbanden sich seine idealistischen, auf Luther konzentrierten Darstellungen zunehmend mit einer regimekritischen Sichtweise. Ritter bezahlte dafür mit Anfeindungen und Schikanen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass solche historische Schriften selbst mitten im Totalen Krieg nicht nur geschrieben, sondern auch gedruckt,

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seit 1963 so. Frühere Bezeichnungen waren: Kultureller Beirat (bis 1951), Amt für Literatur und Verlagswesen (bis 1956), Hauptverwaltung Verlagswesen (bis 1958) und Abteilung Literatur und Buchwesen (bis 1963).] Diese Stelle war zusätzlich für den Bücherimport und -export, die Koordinierung der Verlagspläne, die Verteilung von Papier und die Zuweisung von Druckereikapazitäten zuständig. Mit den dort beschäftigten zehn bis zwanzig Mitarbeitern war eine effektive Kontrolle aller Manuskripte also gar nicht möglich. In den Unterlagen der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel finden sich denn auch keine Hinweise auf konkrete Zensurmaßnahmen gegenüber einem der im Themenbereich der Frühbürgelichen Revolution aktiv gewesenen Historiker. Vgl. BArch, D R 1, R 1 und Lokatis: Die Zensur, S. 281/282. Vgl. Lokatis: Geschichtswerkstatt Zensur, S. 224. Vgl. Kapitel 6.1.1.

322

Schlussfazit

vertrieben und verkauft werden konnten. Es kann zwar darüber spekuliert werden, ob es im Falle einer längeren Fortdauer des ,Dritten Reiches' zu einem verstärkten Homogenisierungsdruck auf die Geschichtswissenschaft gekommen wäre. Unzweifelhaft ist jedoch, dass auch in den ersten Jahren der D D R eine vergleichbare Heterogenität undenkbar gewesen wäre. Der individuelle Spielraum des einzelnen Historikers war während der nationalsozialistischen Herrschaft größer als in der D D R . Hinsichtlich der Rezeption von Reformation und Bauernkrieg im nationalsozialistischen Deutschland kann daher kaum von einem Diskursgefängnis gesprochen werden. Bürgerliche Positionen waren für die wissenschaftliche Karriere eines Historikers zwar nicht förderlich, marginalisierten diesen aber auch nicht zwangsläufig. Die Geschichtswissenschaft zeichnete sich im .Dritten Reich' nicht durch die Fixierung auf einen methodischen Ansatz aus. An den Universitäten wirkten nationalsozialistisch orientierte Historiker neben bürgerlichen Kollegen. Obwohl die Geschichtsschreibung zur Reformationszeit im .Dritten Reich' kein zensur- und repressionsfreier R a u m war, herrschte hier eine Pluralität, die in der zweiten deutschen Diktatur keine Entsprechung fand. So verschieden die wissenschaftliche Praxis war, so ging von den beiden Diktaturen doch ein vergleichbarer Anspruch aus, das bürgerliche Ideal der wertfreien, ,objektiven'Wissenschaft zu überwinden. Wissenschaft und insbesondere die Geschichtswissenschaft galt sowohl im ,Dritten Reich' als auch in den staatssozialistischen Ländern des ehemaligen Ostblocks als politische Wissenschaft. Politische Geschichtsschreibung war keine Erfindung des ,Dritten Reiches', sondern tief im 19. Jahrhundert verankert. 4 Auch Gerhard Ritter sah sich in dieser Tradition und verstand seine Luther-Biographie bewusst als Orientierungshilfe fur die schlingernde Weimarer Gesellschaft. Die Rolle des Historikers verstand er als diejenige des Aufklärers, der durch seine historische Vermittlung das „völlig illusionsfreie Verstehen des Wirklichen" fördere.5 Die politische Geschichtswissenschaft übernähme damit dieselbe Funktion für die Gesellschaft wie ein Kompass für den Seefahrer: Beide verweisen auf einen objektiven Orientierungspunkt. Somit wird verständlich, weshalb ein Historiker wie Gerhard Ritter keinen Widerspruch zwischen politischer Geschichtsschreibung und einem an Ranke orientierten Objektivitätspostulat erkannte. 6 Gänzlich anders wurde politische Geschichtsschreibung in den beiden deutschen Diktaturen verstanden. In beiden Systemen wurde der Objektivitätsanspruch abgelehnt. An dessen Stelle trat die Forderung nach bewusst wert- und richtungsgebundener Historie. Die Begründungen hierfür glichen sich im ^ r i t ten Reich' und in der D D R in erstaunlicher Weise. So verdammte etwa Alfred 4

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6

Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang etwa auf die bewusst auf das wilhelminische Kaiserreich fokussierende Geschichtsschreibung Heinrich von Treitschkes. Ritter: Vorlesungsmanuskript ,Das Wesen der Zeitgeschichte', zitiert nach: Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 649. Den Vergleich mit dem Seefahrer machte Ritter selbst. Vgl. Kapitel 3.2.2.

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Schlussfazit Rosenberg die .objektive' Geschichtswissenschaft als „charakterlos" und hielt fest: „Es gibt keine voraussetzungslose Wissenschaft, sondern nur Wissenschaft mit Vorraussetzungen."7 Auch in der D D R galt ,Objektivität' als ein unrealistischer Anspruch. Laut Jürgen Kuczynski, einem der einflussreichsten Geisteswissenschaftler der frühen D D R , ist bewusste Parteinahme - auch im Sinne einer politischen Beweisführung - der von der bürgerlichen Wissenschaft beanspruchten Objektivität vorzuziehen, da „objektive Geschichtsschreibung im Sinne von unparteilich unmöglich" sei.8 Diese Aussagen mögen an die seit den 1970er Jahren geführte Diskussion über die Grenzen der Darstellung historischer Wirklichkeit, um den im Zuge des l i n guistic turn' dekonstruierten Objektivitätsanspruch der (Geschichts-)Wissenschaft erinnern. Weder die nationalsozialistische noch die marxistische Kritik am bürgerlichen Objektivitätspostulat führte aber zum postmodernen „anything goes". Nicht Methodenpluralismus, sondern die Notwendigkeit politisch definierter Parteilichkeit wurde daraus abgeleitet. Die Geschichtswissenschaft wurde in beiden Diktaturen als ein Mittel der Politik und damit auch als ein Teil des politischen Kampfes aufgefasst. Im Nationalsozialismus wurde die Geschichtsschreibung auf diese Weise zur Waffe im Kampf gegen das bürgerliche Weimarer System, gegen die ,Verjudung' des deutschen Volkes und die zersetzende Wirkung des internationalen Marxismus. Das nationalsozialistische Verständnis, dass das Leben und damit auch die Geschichte ein immerwährender Kampf zwischen den Rassen undVölkern sei, spiegelte sich in der Vorstellung der ,kämpfenden Geschichtswissenschaft'. Auch wenn die ideologische Ausrichtung der D D R hier grundsätzlich divergent war, empfand auch sie die Geschichtswissenschaft als eine wichtige Waffe im Kampf — nicht demjenigen zwischen Rassen undVölkern, sondern demjenigen zwischen den Klassen. Daher verlangte der Marxismus-Leninismus Parteilichkeit nach einem Klassenstandpunkt. Die D D R - G e schichtswissenschaft hatte die (deutsche) Geschichte aus der Sicht der Plebejer und Proletarier darzustellen. Im Unterschied zur NSDAP setzte die SED diesen Anspruch auch recht weitgehend um. Der Begriff der Frühbürgerlichen Revolution zeugt ebenso davon wie beispielsweise die achtbändige ,Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung'. 9 Im unterschiedlichen Bemühen der beiden Diktaturen, den Anspruch nach einer parteilichen Geschichtswissenschaft auch umzusetzen, zeigt sich die verschiedene Stellung der Historie in der jeweiligen Ideologie und dem jeweiligen Herrschaftssystem. Im Nationalsozialismus wurde die Idee einer politischen, einer kämpfenden Geschichtswissenschaft sehr stark aus der Historie selbst getragen. Historiker wie Günther Franz oder Walther Peter Fuchs bemühten sich darum, ihre Institute in den Dienst der nationalsozialistischen Bewegung zu stel-

7 8 9

Rosenberg: Mythus, S. 2. Kuczynski: Parteilichkeit, S. 873/874. Vgl. Walter Ulbricht: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1966.

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Schlussfazit len. Allen voran ging dabei Walter Frank als Leiter des Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschlands. Er scheiterte mit seinen Plänen für das Reichsinstitut schließlich ebenso wie Alfred R o s e n b e r g mit seinem Ziel, dem Nationalsozialismus zu einem konsistenten Theoriegebäude und Geschichtsbild zu verhelfen. 10 Das historische Argument spielte in der Herleitung der nationalsozialistischen Ideologie nur bedingt eine Rolle. In Verbindung mit der grundsätzlich anti-intellektuellen Ausrichtung ergab sich ein Desinteresse gegenüber der Geschichtswissenschaft, das letztlich auch die Idee einer kämpfenden Geschichtswissenschaft untergrub. Der polykratische Charakter des ,Dritten Reiches' spiegelte sich in der Geschichtswissenschaft. Hierin unterschied sich die D D R grundsätzlich. Der Marxismus-Leninismus begründet sich nicht nur wesentlich über die Historie, sondern versteht sich selbst als eine Wissenschaft. Der historiographischen Verifikation des marxistischleninistischen Geschichtsbildes kam damit eine eminente Bedeutung zu. D i e Geschichtswissenschaft hatte den Beweis zu erbringen, dass der Staatssozialismus der D D R die historisch richtige Gesellschaftsformation sei. Insofern kam der Historie bei der Legitimation der D D R die ungleich bedeutendere Rolle zu als im .Dritten R e i c h ' . D i e Parteilichkeit der Geschichtswissenschaft war für die D D R von fundamentaler Wichtigkeit. Dennoch dauerte es einige Jahre, bis sich das neue Wissenschaftsverständnis in den nach dem Zweiten Weltkrieg wiedereröffneten Instituten durchgesetzt hatte. Anders als im Nationalsozialismus ging die Initiative in der D D R weniger von der Historikerschaft als von der Partei aus. Dennoch war die Entwicklung immer durch das Zusammenspiel von oben und unten geprägt. Deutlich kam dies bei der Berufung von Max Steinmetz an die Universität von Jena zum Ausdruck. Die Jenaer Fakultät akzeptierte den entsprechenden Berufungsvorschlag des Staatssekretariats erst nach längerem Z ö gern. Ausschlaggebend für den Meinungsumschwung war insbesondere Steinmetz' kritische Rezension des Müntzer-Bandes von Meusel/Kamnitzer gewesen — Steinmetz hatte sich damit als Verfechter traditioneller wissenschaftlicher Standards bewiesen. Aus der Perspektive des Staatssekretariats war Steinmetz ein parteiloyaler Wissenschaftler, der in der noch stark bürgerlich geprägten Jenaer Fakultät ein marxistisches historisches Institut aufbauen sollte. Die Fakultät war dagegen zur Ansicht gelangt, mit Steinmetz einen zwar marxistischen, aber .wissenschaftlich' arbeitenden Ordinarius zu erhalten. Auch in den späteren Jahrzehnten entsprach die DDR-Geschichtswissenschaft aber nicht der totalitären Vorstellung einer vollständig von oben kontrollierten, an kurzer Leine geführten Disziplin. Die Frühbürgerliche Revolution war nicht nur ein Korsett, sondern bot auch einen gewissen Spielraum in der Interpretation des frühen 16. Jahrhunderts. Z u d e m wird anhand der Diskussion um die Frühbürgerliche Revolution deutlich, dass nicht nur Staat und Partei mit Vorgaben an die Wissenschaft heran-

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Vgl. Kapitel 4.1. Siehe auch Kroll: Utopie als Ideologie, S. 101. Zu Frank siehe Heiber: Walter Frank, insbesondere Teil 3 und 4.

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Schlussfazit traten, sondern teilweise auch umgekehrt die Wissenschaft die Bitte nach Lenkung und Koordination äußerte. 11 Die nicht vorhandene Trennung zwischen Staat, Partei und Gesellschaft gehörte zu einem zentralen Element beider deutschen Diktaturen und betraf folglich auch die Geschichtsschreibung. Die Parteilichkeit der Wissenschaft wurde von den nationalsozialistischen respektive den marxistisch-leninistischen Historikern als Voraussetzung fur ihre wissenschaftliche Arbeit aufgefasst und als entscheidender Vorteil gegenüber der um Objektivität bemühten bürgerlichen Geschichtsschreibung angesehen. Deren Standards zur Quellenanalyse oder der Rekonstruierbarkeit der Argumentation wurden zwar nicht immer eingehalten, jedoch nicht prinzipiell in Frage gestellt. Insofern ist die Idee der politischen Geschichtswissenschaft im Sinne eines anderen Wissenschaftsverständnisses ernst zu nehmen. Dieser strukturelle Hintergrund macht eines deutlich: In der D D R und im ,Dritten R e i c h ' schrieben unterschiedliche Wissenschaftler mit verschiedener Motivation und zu anderen Zeiten Studien über das frühe 16. Jahrhundert und brachten daher trotz des diktatorischen Kontextes eine Vielzahl von Interpretationen hervor, denen in einem resümierenden Vergleich nicht mehr gerecht werden kann. Dennoch soll nochmals auf die politische Funktion ihrer grundsätzlichen Strukturen eingegangen und damit nach dem historiographischen Zusammenspiel von Diktatur und Revolution gefragt werden. Der grundsätzlichste Unterschied in der Rezeption von Reformation und Bauernkrieg in den beiden Diktaturen betrifft die Definition des Gegenstandes. Sowohl Gerhard Ritter als auch Günther Franz sprachen sich seit den 1920er Jahren deutlich für eine unabhängige Analyse von Reformation und Bauernkrieg aus. Diese Sichtweise prägte auch die 1930er Jahre. In der D D R wurde in Anlehnung an Engels dagegen immer die historische Zusammengehörigkeit der beiden Ereignisse betont - was in den einzelnen Darstellungen jedoch nicht immer gleich konsequent eingehalten wurde. Die getrennte Auseinandersetzung während der NS-Zeit war anfänglich weniger politisch-ideologisch motiviert, als in der historiographischen Tradition begründet. Die historistische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hatte im Bauernkrieg ein letztlich unverständliches Anhängsel der Lutherreformation gesehen. Als Franz nun von einer eigenständigen, bäuerlichen Revolution zu sprechen begann, entlastete er die Reformationshistoriographie von einem ungeliebten Supplement. Damit standen sich zwei beinahe idealtypische Revolutionsinterpretationen gegenüber: Die durch das Denken eines ,großen Mannes' ausgelöste Lutherreformation und der vom etwas diffusen bäuerlichen Wollen getragene Bauernkrieg. Dass auch die R e f o r mation auf das Engagement des gemeinen Mannes angewiesen gewesen war, lag noch nicht im historiographischen Blickfeld. R u d o l f Stadelmann entwarf in den 1930er Jahren zwar das Konzept einer deutschen Volksrevolution, die sowohl die Reformation als auch den Bauernkrieg umfasste; zu einer analytischen Einheit zusammengefugt wurden die bei11

Vgl. beispielsweise Kapitel 6.4.2.

326

Schlussfazit den Ereignisse jedoch erst in der Formel der Frühbürgerlichen Revolution. Die Verbindung zu zwei Phasen einer Revolution ist nicht nur als Reminiszenz an Engels zu verstehen. Einerseits versuchten marxistische Historiker wie Smirin und Meusel damit explizit eine Gegeninterpretation zu Franz zu etablieren. Anstatt im Bauernkrieg einen bäuerlichen Kampf ums Recht zu sehen, interpretierten sie die Auseinandersetzung als einen sozialen Konflikt — einen Klassenkampf. Die Zielgröße des Reiches ersetzte die junge D D R durch diejenige der Nation. Andererseits etablierte die DDR-Geschichtswissenschaft damit ein prägnantes Gegenkonzept zur westlichen Geschichtsschreibung und stellte insbesondere die Reformation in einen gänzlich anderen Deutungsrahmen. Sie erschien nun nicht mehr länger als ein primär theologisch-kirchengeschichtliches Ereignis, sondern als die theoretische Phase einer Revolution zur Uberwindung des Feudalismus. Die Zusammenführung von Reformation und Bauernkrieg zum revolutionären Klassenkampf erfüllte damit einerseits die Funktion, ein Belegstück für die Formationstheorie des Historischen Materialismus im 16. Jahrhundert zu liefern und half andererseits, eine eigenständige, von der B R D divergierende Traditionslinie aufzubauen. Die revolutionäre Fundierung war für das Selbstbild der sozialistischen Diktatur besonders wichtig, weil ihr offensichtlich das Manko anhaftete, nicht aus einer vom Proletariat getragenen Revolution hervorgegangen zu sein. Die revolutionäre Selbstzuschreibung der D D R prägte also die Konzeption der Frühbürgerlichen Revolution deutlich. Die marxistisch-leninistische Geschichtstheorie war die analytische Grundlage zur Charakterisierung des Ereignisses: Die sozio-ökonomische Lage galt als die Ursache der Revolution. Einmal trat die politische Zersplitterung, ein andermal die antagonistische Entwicklung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen stärker in den Vordergrund. Immer aber erschien die Frühbürgerliche Revolution als Versuch, das überkommene Feudalsystem durch eine bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung abzulösen. Dass die Revolution kaum vom Bürgertum, sondern hauptsächlich von Bauern und zu einem geringeren Teil von minderprivilegierten Städtern und Bergknappen getragen worden war, korrespondierte zwar mit der gewollten Parteilichkeit für die Plebejer, schuf aber ein Problem mit der Charakterisierung der Revolution als einer bürgerlichen. Dank der den marxistisch-leninistischen Historikern eigenen Unterscheidung von objektiver Zielsetzung und subjektivem Wollen konnte dieser Widerspruch jedoch theoretisch aufgelöst werden. Damit kommt ein grundsätzlicher Zug des historischen Selbstverständnisses der beiden Diktaturen zum Ausdruck. Während der Historische Materialismus von einer teleologischen Entwicklung ausgeht, sah der Nationalsozialismus die Geschichte als einen immerwährenden Kampf um eine von fremden Einflüssen freie, völkische Ordnung an. Nationalsozialistische Historiker interpretierten vor allem den Bauernkrieg, etwa Rudolf Stadelmann, aber auch die Reformation, als Volksrevolution. Damit war nicht nur eine Aussage über die Trägerschicht dieser Bewegung gemacht, sondern auch über die Stoß- und Zielrichtung der Revolu327

Schlussfazit

tion: Das römische Recht und die römische Kirche erschienen als Fremdkörper, die dem Erwachen des deutschen Volkes im Weg standen und gegen die sich daher im frühen 16. Jahrhundert kräftige Bewegungen formierten. Deren politisches Kernanliegen sei es gewesen, das universale Reich Karls V. durch ein deutsches Reich zu ersetzen. Günther Franz drückte dies mit der Formulierung vom „ewigen Kampf ums Reich" aus. 12 Franz hatte bereits vor 1933 einen neuen Zugang zum Bauernkrieg eröffnet und darin eine Volksrevolution erkannt. Er interpretierte die Revolution von 1525 nicht mehr als einen Deutschland entzweienden, konfessionellen oder sozialen Kampf, sondern als eine konvergente Volksrevolution. Diese Interpretation bot nun ideale Anschlussmöglichkeit an den Nationalsozialismus. Die dem Bauernkrieg von Franz zugeschriebene Stoßrichtung weist Affinitäten zur Selbstdarstellung der nationalsozialistischen Revolution auf: Dank der NS-Bewegung sei nach der .Machtergreifung' aus der in Klassen, Konfessionen und politische Interessen fragmentierten Weimarer Gesellschaft wieder eine Volksgemeinschaft geworden. Nach 1933 wurde Franz' Interpretation des Bauernkrieges als der Revolution des deutschen Bauern zunehmend mit nationalsozialistischen Ideologiefragmenten gewürzt und radikalisiert - von ihm selber, aber auch von anderen Wissenschaftlern wie etwa Johannes von Leers. Aus dem Kampf um altes Recht und göttliche Gerechtigkeit wurde zunehmend ein Kampf um germanisches Recht und die Kontinuität zu mittelalterlichen Aufständen wurde bald bis in germanische Zeiten verlängert. Die so von allem Christlichen gereinigte bäuerliche Revolution eignete sich besonders gut zur Mystifizierung im Sinne einer (gescheiterten) Revolution für ein germanisches Reich. Der Bauernkrieg wurde damit nur mehr bedingt im Deutungsrahmen des Spätmittelalters interpretiert, sondern mit dem gegenwärtigen Ideal des Volksstaates parallelisiert. Dennoch verlor die Volksrevolution ,Bauernkrieg' gegen Ende der 1930er Jahre zunehmend an Beachtung in den parteinahen Institutionen. In dieser Vorstellung des Reiches wird aber auch die Beständigkeit historischer Interpretationslinien deutlich. Als (modernes) politisches Ideal ist es keine originär nationalsozialistische Vorstellung, sondern wurzelt tief im W.Jahrhundert. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang des Kaiserreichs entwickelte sich das R e i c h zum schillernden Gegenbegriff zur Republik. Dieser Reichsbegriff hatte mit der mittelalterlichen Reichsvorstellung nur wenig gemein. Er erlaubte den Historikern aber einen eleganten Brückenschlag von der eigenen (nationalsozialistischen) Gegenwart ins 16. Jahrhundert. Auch die DDR-Geschichtswissenschaft sah in Reformation und Bauernkrieg eine Volksrevolution. Im Unterschied zum nationalsozialistischen Denken diente diese aber nur dem Erreichen einer Zwischenstufe — der bürgerlichen Gesellschaft - auf dem Weg zur sozialistischen Gesellschaft und schließlich zum Kommunismus. Im Unterschied zum Nationalsozialismus kam der Revolution im Geschichtsbild der D D R damit eine progressive Bedeutung zu. In der Konzeption 12

Vgl. insbesondere Franz: Der Reichsgedanke, S. 332.

328

Schlussfazit der Frühbürgerlichen Revolution drückt sich im Unterschied zur nationalsozialistischen Idee des ewigen Strebens nach völkischer O r d n u n g ein prägnanter Fortschrittsglaube aus. Ist die R e v o l u t i o n im nationalsozialistischen D e n k e n Mittel zur Annäherung an ein konstantes u n d damit ahistorisches Ideal, ist die R e v o l u tion - der Klassenkampf- im Historischen Materialismus gewissermaßen der A k zelerator der Geschichte: Mit der Revolution werden die materiellen Verhältnisse radikal neu geordnet u n d eine nächst h ö h e r e Gesellschaftsformation erreicht. Beide Diktaturen richten ihr Geschichtsbild an einer utopischen O r d n u n g aus: D e m Ideal der Volksgemeinschaft steht das am Ende der gesetzmäßigen historischen Entwicklung stehende Ziel der klassenlosen Gesellschaft gegenüber. Damit wird auch deutlich, dass sich die beiden Diktaturen auf einem ganz u n terschiedlichen historischen F u n d a m e n t v o m bürgerlichen Gesellschaftssystem abgrenzten. Für den Nationalsozialismus war die Entwicklung zur bürgerlichen Gesellschaft ein e fatale R e i s e in die falsche R i c h t u n g , die korrigiert w e r d e n musste. Für die marxistisch-leninistische D D R war sie dagegen eine notwendige Entwicklung, die es n u n zu ü b e r w i n d e n galt. Deshalb k o m m t der historischen Legitimation im Nationalsozialismus weniger B e d e u t u n g zu. I m U n t e r s c h i e d z u m Marxismus-Leninismus muss er sich nicht u m den Beweis historischer G e setzmäßigkeiten k ü m m e r n , sondern k o n n t e auf die wenig prägnanten ewigen völkischen Werte rekurrieren. Das ideologisch bedingte Bedürfnis nach historischer Legitimation der D D R w u r d e durch die d e u t s c h - d e u t s c h e Teilung weiter e r h ö h t . D e r s c h w a m m i g e Konsens des Antifaschismus bedurfte einer historischen Fundierung. 1 3 Dabei geriet allerdings das theoretische F u n d a m e n t der F r ü h b ü r g e r l i c h e n R e v o l u t i o n ziemlich durcheinander. Dies betrifft insbesondere die Figur Thomas Müntzers. Sein gesellschaftspolitisches D e n k e n war den Ideen einer bürgerlichen Gesellschaft so fern, dass die D D R - H i s t o r i k e r k a u m in Versuchung gerieten, ihn z u m kämpfenden Bourgeois zu machen. Vielmehr erstrahlte er als eine Art Prototyp des sozialistischen Revolutionärs, der besonders im Z u g e des Bauernkriegsjubiläums ausgiebig gefeiert wurde. „ H e u t e " , so verkündete C h e f i d e o l o g e Kurt Hager 1975, „ist in der D D R die Forderung Thomas Müntzers, daß die Macht d e m Volk g e h ö r e n m u ß , W i r k l i c h k e i t . " 1 4 Eine solche Z u s c h r e i b u n g ist mit einem marxistisch-leninistischen Geschichtsverständnis k a u m vereinbar, e r m ö g lichte aber, die Identität von Volk u n d F ü h r u n g historisch zu ,beweisen' u n d die Wurzeln des deutschen Sozialismus weit in die Vergangenheit zu legen: politische Legitimation durch historische Tiefe. Die Frühbürgerliche Revolution half, der D D R das O d e m des sowjetischen Satellitenstaates zu nehmen. Thomas Müntzer demonstrierte, dass die D D R ein originär deutsches Projekt war. 15 13

14 15

Vgl. Danyel: Die unbescholtene Macht, S. 83-85. Vgl. auch Münkler: Antifaschismus, hier S. 29. Hager: Das Vermächtnis, S. 6. Herfried Münkler bezeichnet die Frühbürgerliche Revolution daher als einen „Additionsmythos" der D D R . „In der Selbstdarstellung der D D R hatten diese Additionsmythen die Aufgabe, dem Projekt des Arbeiter- und Bauern-Staates eine bis ins späte Mittelalter zurückrei-

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Schlussfazit

Die Parallelisierung der revolutionären Selbstzuschreibung mit der Volksrevolution des 16. Jahrhunderts ist eine Form der historischen Legitimierung, die in beiden deutschen Diktaturen beobachtet werden kann. Die Volksrevolution wurde je positiv konnotiert. Dennoch blickte sowohl der Nationalsozialismus als auch die D D R mit Skepsis auf die revolutionäre Kraft des Volkes - und zwar nicht nur in gegenwärtiger, sondern auch in historischer Perspektive. Vor allem in den Darstellungen des Bauernkrieges aus den 1930er Jahren wird die Niederlage der Aufständischen immer wieder mit einem angeblichen Führerproblem erklärt. Mangelnde Koordination und fehlende militärische Führung wurden fast in allen Publikationen als die Ursache des Scheiterns bezeichnet. Dem gemeinen Mann wurde damit die Fähigkeit zur selbständigen politischen Gestaltung weitgehend abgesprochen. 16 Die DDR-Geschichtswissenschaft bemühte sich kaum um eine eingehende Erklärung fur das Scheitern der Frühbürgerlichen Revolution. In der Charakterisierung des Aufstandes als/ni/ibürgerlich ist dessen Niederlage eigentlich bereits eingeschlossen - der Klassenantagonismus war noch nicht ausgereift genug, um eine erfolgreiche Revolution durchzuführen. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass auch die marxistischen Interpretationen immer nach der Figur des (leninistischen) Revolutionsführers fragen. Durch das Konzept der Volksreformation gelangte vor allem Thomas Müntzer zu solch heroischer Darstellung. In den 1980er Jahren wurde aber auch Martin Luther zunehmend mit R u h m bedacht. Die Publikationen aus beiden deutschen Diktaturen interessieren sich also dem Führerkult des Nationalsozialismus und dem Elitedenken des MarxismusLeninismus entsprechend für die Anfuhrer der Volksrevolution des frühen 16. Jahrhunderts. Darin zeigt sich nicht nur eine symptomatische Parallele,17 sondern auch ein entscheidender Unterschied. Die meisten Darstellungen aus der NS-Zeit betonen die Bedeutung disziplinierter militärischer Bewegung und fragen daher nach einem aktionistischen Revolutionsführer. Die marxistisch-leninistischen Historiker sehen im Erarbeiten der revolutionären Ideologie jedoch eine mindestens so große Aufgabe für den Revolutionsführer wie in der anschließenden praktischen Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die revolutionären Bewegungen des frühen 16. Jahrhunderts werden damit zum Spiegel für den Selbstanspruch der beiden deutschen Diktaturen. Dem nationalsozialistischen Bemühen um eine kämpferische Bewegung steht der Anspruch der D D R nach einer konsistenten ideologischen Grundlage gegenüber. Gemeinsam war den beiden deutschen Diktaturen die tiefe Skepsis gegenüber der politischen Kraft des Volkes und der individuellen Freiheit.

16 17

chende Vorgeschichte zu verschaffen, so daß sich die D D R als endlich gelungene Verwirklichung schon lange angestrebter Ziele des deutschen Volkes begreifen und darstellen konnte. Solche Additionsmythen waren die Bauernkriege bzw. die sogenannte frühbürgerliche Revolution sowie die napoleonischen Befreiungskriege." Münkler: Antifaschismus, S. 17. Vgl. insbesondere Kapitel 4.3. Vgl. auch Kroll: Utopie als Ideologie, S. 68-71.

330

Anhang

Chronologie zu Reformation und Bauernkrieg 1476 1483 1488 1489 1493 1495 1502

Predigt Hans Böheims in Nikiashausen (Pfeifer von Nikiashausen) Geburt Martin Luthers Gründung des Schwäbischen Bundes Geburt Thomas Müntzers Bundschuhverschwörung in Schlettstadt Reichstag zu Worms beschließt Reichsreform Bundschuhverschwörung von Untergrombach

1511 1513 1514 1517

Berufung Luthers nach Wittenberg Bundschuh Verschwörung zu Lehen Aufstand , Armer Konrad' in Württemberg Bundschuh Verschwörung am Oberrhein Thesenanschlag Martin Luthers in Wittenberg Thomas Müntzer tritt auf Empfehlung Luthers Predigeramt in Zwickau an Luther veröffentlicht u. a. die Schriften ,An den christlichen Adel deutscher Nation' und ,Von der Freiheit des Christenmenschen' Reichstag zu Worms, Luthers Flucht auf die Wartburg und Beginn der Ubersetzung des Neuen Testaments

1520

1521

1525

Rückkehr Luthers nach Wittenberg Franz von Sickingen kämpft gegen Trier Reichstag fordert Einberufung eines nationalen Konzils Thomas Müntzer in Allstedt Aufstand der Bauern in der Grafschaft Stücklingen/Stühlingen Thomas Müntzer in Mühlhausen, Ewiger Bund Allgäuer Bauern gründen die .Christliche Vereinigung' (Februar)

1526 1532 1535 1536 1546

Die ,Zwölf Artikel' der Oberschwäbischen Bauern werden formuliert (Februar/März) Bildung eines .Ewigen Rates' in Mühlhausen (März) Vertrag von Weingarten (April) Luther veröffentlicht die Schriften .Ermahnung zum Frieden' und ,Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern' (April und Mai) Heilbronner Programm Schlacht bei Frankenhausen/Thüringen und im Südwesten des Reiches bei Böblingen und Zabern (Mai) Hinrichtung Thomas Müntzers Vetrag von Memmingen Tod Gaismaiers Ende des Täuferreiches zu Münster Sieg der calvinischen Reformation in Genf Tod Martin Luthers

1522 1523 1524

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Anhang

Abkürzungen ABBAW AdW ARG BArch Bd. BDC BEK BRD BWA DAW DDR Ders. Dies. DHG Ebd. FAZ FU Gl Hg. Hrsg. HUB HZ IM KPD KPdSU MfS NL NS NSDAP NSLB NSV O.J. o.o. O.S. PA RM RSHA RuSHA SA S Α Ρ Μ Ο BArch SB Ζ SED SD SMAD SS U.a. UA UdSSR Vgl. VHD ZfG ZIG ZK

332

Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Akademie der Wissenschaften ( D D R ) (von 1946-1972 DAW) Archiv fur Reformationsgeschichte Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland Band Berlin Document Center (Heute ins BArch integriert) Bund der Evangelischen Kirchen in der D D R Bundesrepublik Deutschland Bayerisches Wirtschaftsarchiv Deutsche Akademie der Wissenschaften ( D D R ) (ab 1972 AdW) Deutsche Demokratische Republik Derselbe Dieselben Deutsche Historiker-Gesellschaft (DDR) Ebenda Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Universität (West-Berlin) Geheimer Informator (des MfS) Herausgeber Herausgegeben Humboldt-Universität zu Berlin Historische Zeitschrift Inoffizieller Mitarbeiter (des MfS) Kommunistische Partei Deutschland Kommunistische Partei der Sowjetunion Ministerium für Staatssicherheit ( D D R ) Nachlass Nationalsozialismus/Nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Lehrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Ohne Jahresangabe Ohne Ortsangabe Ohne Seitenangabe Personalakte Reichsmark Reichssicherheitshauptamt Rasse- und Siedlungshauptamt-SS Sturmabteilung Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der D D R (im Bundesarchiv Berlin) Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sicherheitsdienst Sowjetische Militäradministration Schutzstaffel unter anderem/anderen Universitätsarchiv Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Sowjetunion) Vergleiche Verband der Historiker Deutschlands Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zentralinstitut für Geschichte (an der DAW/AdW) Zentralkomitee

Anhang

Archivalien Bundesarchiv (BArch) (Koblenz) - Kleinnachlass Günther Franz KLE 940. - Nachlass Hermann Aubin Ν 1179: 6; 18. - Nachlass Richard Walther Darre Ν 1094 I: 14; 15; 16; 17; 18. - Nachlass Hans Rothfels Ν 1213: 1; 71; 158; 186. - Nachlass Rudolf Stadelmann Ν 1183: 14; 16; 19; 20. - Nachlass Gerhard Ritter Ν 1166: 246; 308; 327; 328; 329; 330; 333; 334; 341, 344, 346; 347; 350; 355; 487; 488; 489; 490. - Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft/Deutsche Forschungsgemeinschaft R 73: 288; 11083;15420. Bundesarchiv (BArch) (Berlin-Lichterfelde und Berlin-Hoppegarten) - Ahnenerbe NS 21: 9; 58; 224; 241. - Amt Rosenberg NS 15: 27; 32; 36; 37; 104; 120; 125; 128; 146; 158b; 202; 216; 238; 242; 244; 253; 254; 289; 290. - Berlin Document Center Günther Franz; Rudolf Stadelmann; Max Steinmetz; AdolfWaas. - Deutsche Arbeitsfront NS 5 VI: 17064; 17379; 17380; 17381,17382; 17383; 17384; 17385; 17386; 17387; 17466; 17678; 17679; 17772; 17773; 17774; 17848; 17849. - Kanzlei Rosenberg NS 8: 185. - Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums NS 11: 32. - NSDAP-Ortskartei - NSDAP-Zentralkartei - Persönlicher Stab Reichsfuhrer SS NS 19: 1548; 2127; 3898. SL 52 - Propagandaministerium R 55: 601; 996; 20167; 20169; 20172; 20174; 20180; 20184; 20199; 20699. - Reichsministerium fur Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung R 4901: 12849; 12850; 12883; 13190; 13192; 13259; 13262; 13263; 13268; 13269; 13270; 13271; 13274; 13275,13277; 13278; 13279; 13281; 13284; 13289; 13298; 13299; 13311; 13314; 13316; 13318; 13331; 13338; 13341; 13342; 13343; 13347; 13351; 14002; 14003; 14093; 14200; 14201; 14202; 14205; 14208; 14210; 14256; 14841; 15172. R 4901/1: 1798; 1799; 2596; 2842 (1-5); 2843 (1-4); 3089. PA Günther Franz

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Reichsnährstand R 16 I / I : 2038; 2040; 2041; 2053; 2054; 2055; 2057, 2090; 2106. Reichssicherheitshauptamt Alt 17.01 St.3 Bd. 1. Alt 17.01 Pst. 3. R 58: 153; 587; 844; 920; 951. R 58 (Polen): 7167; 7168; 7169; 7231; 7244; 7252; 7255; 7258; 7263; 7264; 7270; 7273; 7282; 7285; 7291; 7292; 7294; 7295; 7296; 7298; 7316; 7351; 7375; 7387; 7638. R 58 (eh. ZB): 1043; 1566; 2485f; 5663, 6313b; 6484, 6503; 6553; 6608; 6619 a-e; 6620 a-h, 6621; 6622, 6623, 6624; 6625; 6626, 6639; 6640; 6647; 6648; 6649; 6650; 7167; 7298; 7307; 7314; 7380; 7441; 7656. Z B 1: 1223. Reichsuniversität Straßburg R 76 IV: 15, 42; 66. SS-Hauptamt NS 31: 408, 409; 410, 411,414; 415; 416; 417; 420; 421; 422, 423, 424, 425; 426; 427; 428. Ministerium flir Kultur/Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel DR 1: 3680; R 1, 687; R 1 688; R 1 689. Ministerium für das Hoch- und Fachschulwesen DR 3 (1. Schicht): 172; 178; 208; 227; 298; 382; 500; 1100; 1249; 1536; 1537; 1598; 1599; 1814; 1931; 2905; 2906; 3161; 3163; 3294; 3349; 4039; 4054; 4068; 4083; 4084; 4100; 4101; 4102; 4108; 4110; 4111; 4112; 4113; 5434. D R 3: Β 13769. Ministerium flir Volksbildung DR 2: 636; 639; 899; 901; 911; 1038; 1048; 1055; 1145; 1347; 1421; 1433; 1434; 1448; 1485; 1492. Personenbezogene Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen D D R Günther Franz: ZA 5/100; DAWI Bd. 1; ZWM 42. Rudolf Stadelmann: ZA 5/87; ZA 5/117. Max Steinmetz: ZA VI 4947.

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO BArch) - Ideologische Kommission beim Politbüro FBS 213: 11122; 11123; 11125. - Institut fiir Marxismus-Leninismus FBS 208: 11025; 11033. - Kulturbund DY 27: 81; 1873; 2579; 2580; 2719; 2873; 2978. - Nationalrat DY 6: vorl. 0388/1+2; vorl. 0396/1+2; vorl. 0556/1+2; 3795-406. - Politbüro DY 30 IV 2 / 2 : 13; 61; 167; 208; 224. DY 30 J IV 2 / 2 : 258; 400; 403; 523; 542; 548; 839; 925; 977; 1.048; 1.093; 1.131; 1160; 1165; 1293; 1374; 1394; 1402; 1471; 1550; 1560; 1569; 1676; 1829; 1853; 1855; 1862; 1990; 2016; 2019; 2020; 2028; 2346. - Urania DY 11: 106; 134; 135; 141; 226.

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Anhang -

ZK der SED, Abteilung Wissenschaften FBS 207: 10700; 10706; 10707; 10824; 10833; 10834; 15743; 15762; 15782; 15786; 15790; 15937; 15952; 15953; vorl. SED 33276. DY 30/IV A 2/9.04: 88; 138. - Büro Hager vorl. SED 42246 (1,2,3); vorl. SED 42247 (1,2,3); vorl. SED 42317. DY 30/IV A 2/2.024: 36; 46; 51; 53. - Büro Ulbricht N Y 4281: 1362. - BüroVerner N Y 4182: 117. Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (ABBAW) - Ehemaliges Archiv des Zentralinstituts für Geschichte der AdW ZIG: 210; 338; 344; 345; 411; 431; 634; 663; 709. ZIG VA: 14110; 14114. - Ehemaliges Archiv der Historiker-Gesellschaft 26; 27. Bayerisches Wirtschaftsarchiv (BWA) - Briefwechsel Wilhelm Oldenbourg - Günther Franz F 5/244. Die Bundesbeauftragte fur die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen D D R , Berlin - Unterlagen Max Steinmetz MfS 8391/64. MfS 8391/64, P. Hessisches Staatsarchiv Marburg - Habilitationsakte Günther Franz 307d, Phil. Fakultät, 108. Universitätsarchiv Heidelberg (UA Heidelberg) - Personalakte Günther Franz PA 3796. Universitätsarchiv Hohenheim (UA Hohenheim) - Wissenschaftlicher Nachlass Günther Franz N6: Akten bis 1945. Zusätzlich: 5/11/11; 5/11/12; 5/11/13; 5/11/14; 5/11/15; 5/11/16; 5/11/17;9/2/1;9/2/2; 9/2/3. Zusätzlich Teileinsicht in: 1/4/2; 1/4/8; 1/6/7; 1/6/15; 1/7/5; 1/7/10. Universitätsarchiv Humboldt-Universität zu Berlin (UA HUB) - Philosophische Fakultät nach 1945 1; 2; 3; 4; 5; 6; 7; 8; 10; 29; 45; 75; 82; 87; 89; 94; 97; 106; 113. - Rektorat nach 1945 1; 6; 15; 227; 292; 294; 358; 555. - Personalakte Alfred Meusel

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Anhang Universitätsarchiv Jena (UA Jena) - Einrichtungen/Stiftungen C: 865. - Personalakten D: 758 (Günther Franz) - Phil. hist. Fakultät M: 632; 656/2; 656/5; 704; 718/1; 751; 764; 773. - Rektorat BA: 914; 2029; 2055; 2158, 2017; 2018; 2019; 2020; 2021. Universitätsarchiv Leipzig (UA Leipzig) - Wissenschaftlicher Nachlass Max Steinmetz PA 3995 NL Steinmetz Universitätsarchiv Rostock PA Günther Franz Privatarchiv Eckhart G. Franz Günther Franz: Mein Leben. Unveröffentlichtes Manuskript, o. O. 1982. Privatarchiv Maria Steinmetz Tagebücher von Max Steinmetz 1960-1989 Privatarchiv Otto Steinmetz Privatkorrespondenz

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Anhang

Literatur und gedruckte Quellen1 Abendroth, Frank: Das Ende der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft in der D D R , Dissertation Berlin 1993. Abusch, Alexander: Der Irrweg einer Nation, Berlin 2 1950. Algazi, Gadi: Otto Brunner — .Konkrete Ordnung' und Sprache der Zeit, in: Peter Schöttler (Hg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 166—203. Althaus, Paul: Luther, in: Zeitwende 9 (1933), S. 353-360. Aly, Götz/Heim, Susanne: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991. Andreas, Willy: Der Bundschuh. Eine Studie zur Vorgeschichte des deutschen Bauernkrieges, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (1928), S. 508-541. Andreas, Willy: Deutschland vor der Reformation. Eine Zeitenwende, Stuttgart/Berlin 1932. Andreas, Willy: Der Bundschuh. Die Bauernverschwörung am Oberrhein, Köln 1936. Andreas, Willy: Der deutsche Bauernkrieg, in: Deutsches Volkstum. Eine Monatsschrift, Mai 1937, S. 325-337. Ash, Mitchell: Wissenschaft und Politik als Ressource fur einander, in: Rüdiger vom Bruch/Brigitte Kaderas (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 3 2 - 5 1 . Baeumer, Max: Luthetfeiern und ihre politische Manipulation, in: Reinhold Grimm/Jost Hermand (Hg.): Deutsche Feiern,Wiesbaden 1977, S. 46-61. Barge, Hermann: Florian Geyer. Eine Biographische Studie, Leipzig/Berlin 1920. Barge, Hermann: Die Ursachen des Bauernkrieges und Florian Geyers Stellungnahme zur bäuerlichen Bewegung im Jahre 1525, in:Vergangenheit und Gegenwart 19 (1929), S. 513-532. Bartel, Horst/Brendler, Gerhard (Leiter)/Hübner, Hans/Laube, Adolf (Hg.): Martin Luther. Leistung und Erbe, Berlin 1986. Bartel, Horst/Schmidt, Walter: Historisches Erbe und Traditionen - Bilanz, Probleme, Traditionen, in: ZfG 30 (1982), S. 816-829. Bartel, Horst/Schmidt, Walter: Das historisch-materialistische Lutherbild in Geschichte und Gegenwart, in: ZfG 32 (1984), S. 816-829. Bauer, Joachim: Jubelschrift und Selbstvergewisserung. Traditionssuche an der Friedrich-SchillerUniversität nach 1945, in: Werner Greiling/Hans-Werner Hahn (Hg.):Tradition und U m bruch. Geschichte zwischen Wissenschaft, Kultur und Politik. Festschrift fur Herbert Gottwald zum 65. Geburtstag, Rudolstadt/Jena 2002, S. 235-249. Bauerkämper, Arnd: Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945—1963, Köln 2002. Behringer, Wolfgang: Von Krieg zu Krieg. Neue Perspektiven auf das Buch von Günther Franz ,Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk' (1940), in: Hans Medick/Benigna von Krusenstjern (Hg.): Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1999, S. 543-591. Behringer, Wolfgang: Der Abwickler der Hexenforschung. Günther Franz, in: Sönke Lorenz/Dieter R . Bauer/Wolfgang Behringer/Michael Schmidt (Hg.): Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung, Bielefeld 1999, S. 109-134. Behringer, Wolfgang: Bauern-Franz und Rassen-Günther. Die politische Geschichte des Agrarhistorikers Günther Franz (1902-1992), in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1999, S. 114-141. Weiterfuhrende Literatur, auf die nur einmal verwiesen wird, erscheint direkt in den Fußnoten. Die in Text und Fußnoten verwendeten Kurztitel sind durch Kursive kenntlich gemacht.

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Anhang Below, G e o r g von: Die Ursachen der Rezeption des r ö m i s c h e n R e c h t s in Deutschland, M ü n c h e n / B e r l i n 1905. Below, Georg von: Die Ursachen der Reformation, M ü n c h e n / B e r l i n 1917. Bensing, Manfred: Thomas Müntzer und Nordhausen (Harz) 1522. Eine Studie über Müntzers Leben und Wirken zwischen Prag u n d Allstedt, in: Z f G 10 (1962), S. 1095-1123. Bensing, Manfred: Thomas M ü n t z e r und der Thüringer Aufstand 1525, Berlin 1966. Benz, Wolfgang: Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Bizone z u m souveränen Staat, M ü n chen 1986. Berger, Arnold: Luther und der deutsche Staatsgedanke, in: Luther-Jahrbuch. Jahrbuch der L u t h e r Gesellschaft 1 (1919), S. 3 4 - 5 6 . Berger, Stefan: Was bleibt von der Geschichtswissenschaft der D D R ? Blick auf eine alternative historische Kultur im Osten Deutschlands, in: Z f G 50 (2002), S. 1016-1034. Berthold, Werner: Marxistisches Geschichtsbild - Volksfront u n d antifaschistisch-demokratische R e volution. Z u r Vorgeschichte der Geschichtswissenschaft der D D R u n d zur K o n z e p t i o n der Geschichte des deutschen Volkes, Berlin 1970. Bias-Engels, Sigrid:Jugendbewegung an deutschen Universitäten. 1896-1920, Köln 1988. Blaschke, Karlheinz: Als bürgerlicher Historiker am R a n d e der D D R . Erlebnisse, B e o b a c h t u n g e n u n d Ü b e r l e g u n g e n eines N o n k o n f o r m i s t e n , in: Karl H e i n r i c h Pohl (Hg.): Historiker in der D D R , Göttingen 1997, S. 4 5 - 9 3 . Blickle, Peter (Hg.): Revolte und Revolution in Europa, M ü n c h e n 1975. Blickle, Peter: Bauern und Reformation. Positionsbestimmungen, in: Ders. (Hg.): Zugänge zur bäuerlichen R e f o r m a t i o n , Z ü r i c h 1987, S. 9 - 2 0 . Blickle, Peter: Die Revolution von 1525, M ü n c h e n 3 1993. Blickle, Peter: Neuorientierung der Reformationsforschung?, in: H Z 262 (1996), S. 481-491. Blickle, Peter: Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes, M ü n c h e n 1998. Blickle, Peter: Die Reformation im R e i c h , Stuttgart 3 2000. Bloch, Ernst: Thomas Müntzer als Theologe der Revolution, Frankfurt am Main 1980 (Erstveröffentlichung 1921). Bollmus, Reinhard: Das Amt Rosenberg u n d seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970. Brady,Thomas Α.: Zwischen Gott und Mammon. Protestantische Politik und deutsche R e f o r m a t i o n , Berlin 1996. Brady, Thomas Α.: German Imperial Cities, R e f o r m a t i o n , and Republicanism - T h e Legacy of Hans Baron, in: Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang R e i n h a r d zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, hrsg. von Peter B u r s c h e l / M a r k Häberlein/Volker R e i n h a r d t / W o l f g a n g E. J . W e b e r / R e i n h a r d Wendt, Berlin 2002, S. 4 0 - 5 4 . Brandi, Karl: Die deutsche Reformation, Leipzig 1 1 9 2 7 / K ö l n 2 1938. Bräuer, Helmut: Aufruhr in der Stadt. C h e m n i t z e r Miniaturen aus der R e f o r m a t i o n s - u n d B a u ernkriegszeit, Leipzig 1997. Bräuer, Siegfried: Der ,Deutsche Luthertag 1933' u n d sein Schicksal, in: H o r s t B a r t e l / G e r h a r d B r e n d l e r / H a n s H ü b n e r / A d o l f Laube (Hg.): Martin Luther. Leistung u n d Erbe, Berlin 1986, S. 423-434. Bräuer, Siegfried: Die Lutherfestwoche vom 19. bis 27. August 1933 in Eisleben. Ein Fallbeispiel en detail, in: Stefan L a u b e / K a r l - H e i n z Fix (Hg.): Lutherinszenierung u n d R e f o r m a t i o n s e r i n n e rung, Leipzig 2002, S. 391-451. Brendler, Gerhard: Gründung der Arbeitsgemeinschaft .Geschichte der R e f o r m a t i o n und des B a u ernkrieges (frühbürgerliche Revolution) in Deutschland', in: Z f G 9 (1961), S. 202-204. Brendler, Gerhard: Tagung der Arbeitsgemeinschaft ,Geschichte der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland', in: Z f G 10 (1962), S. 1676-1681.

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Anhang Brendler, Gerhard/Laube, Adolf (Hg.): Der deutsche Bauernkrieg 1524/25. Geschichte -Tradition Lehren. Wissenschaftliche Konferenz vom 6. 11. bis 8. 11. 1974 in Erfurt, Berlin 1977. Brendler, Gerhard: Idee und Wirklichkeit bei der Durchsetzung der Volksreformation Thomas Müntzers in Mühlhausen (Februar bis April 1525), in: Ders./Adolf Laube (Hg.): Der deutsche Bauernkrieg 1524/25. Geschichte - Tradition - Lehren, Berlin 1977, S. 81-88. Brendler, Gerhard: Martin Luther. Theologie und Revolution, Berlin 1983. Brendler, Gerhard: Thomas Müntzer. Geist und Faust, Berlin 1989. Brendler, Gerhard: Luther im Traditionskonflikt der D D R , in: Horst Dähn/Joachim Heise (Hg.): Luther und die D D R . Der Reformator und das DDR-Fernsehen 1983, Berlin 1996, S. 21-52. Brinks, Jan Herman: Die DDR-Geschichtswissenschaft auf dem Weg zur deutschen Einheit. Luther, Friedrich II und Bismarck als Paradigmen politischen Wandels, Frankfurt am Main/New York 1992. Brunner, Otto: Rezension zu: Günther Franz: Der deutsche Bauernkrieg, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 48 (1934), S. 507-510. Bühler, Johannes: Mißglückte und siegreiche Revolution. Bemerkungen zu dem Werke von Günther Franz ,Der deutsche Bauernkrieg', in: Geistige Arbeit 1 (1934), S. 9. Buszello, Horst: Deutungsmuster des Bauernkrieges in historischer Perspektive, in: Ders./Peter Blickle/Rudolf Endres (Hg.): Der deutsche Bauernkrieg, Paderborn/München/Wien/Zürich 2 1991, S. 11-22. Chaix, Gérald: Die Reformation, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, München 2001, S. 9 - 2 7 . Conrad, Christoph/Conrad, Sebastian: Wie vergleicht man Historiographien? In: Dies. (Hg.): Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich, Göttingen 2002, S. 11-45. Conrad, Sebastian: Auf der Suche nach der verlorenen Nation. Geschichtsschreibung in Westdeutschland und Japan 1945-1960, Göttingen 1999. Cornelißen, Christoph: Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2001. Corni, Gustavo: Richard Walther Darrt. Der ,Blut-und-Boden'-Ideologe, in: Roland Smelser/Rainer Zitelmann (Hg.): Die braune Elite. 22 biographische Skizzen, Darmstadt 2 1990, S. 15—27. Corni, Gustavo/Gies, Horst: ,Blut und Boden '. Rassenideologie und Agrarpolitik im Staat Hitlers, Idstein 1994. Dahm, Georg: Zur Rezeption des römisch-italienischen Rechts, in: H Z 167 (1943), S. 229—258. Danyel, Jürgen: Die unbescholtene Macht. Zum antifaschistischen Selbstverständnis der ostdeutschen Eilten, in: Peter Hübner (Hg.): Eliten im Sozialismus. Beiträge zur Sozialgeschichte der D D R , Köln 1999, S. 67-85. Darre, Richard Walther: Rede auf dem ersten Deutschen Reichsbauerntag, Weimar 1. Januar 1934, Berlin 1934. Darré, Richard Walther: Leistungen und Ziele der nationalsozialistischen Agrarpolitik. Rede auf dem 3. Reichsbauerntag 1935, in: Archiv des Reichsnährstandes 3 (1935), S. 31-43. Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik. Beschluss des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 5. Juli 1955, in: ZfG 3 (1955), S. 507-527. Der deutsche Bauernkrieg — zum 450. Jahrestag (Material zur Vorbereitung), hrsg. vom Komitee beim Ministerrat der D D R zur Vorbereitung des 450. Jahrestages des deutschen Bauernkrieges, Berlin 1973. , Deutsche Größe ', Ausstellungskatalog, o. O. 1940/1941. Döllinger, Ignaz: Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen, 3 Bde., Regensburg 1846-48.

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Anhang Kern, Fritz: Recht und Verfassung im Mittelalter, in: H Z 120 (1919), S. 1 - 7 9 . Kershaw, Ian: Hitler, Bd. 1:1889-1936, Bd. 2: 1936-1945, Stuttgart 1998/2000. Kershaw, Ian: Nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft. Möglichkeiten und Grenzen eines Vergleichs, in: Eckhard Jesse (Hg.):Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, B o n n 1999, S. 213-222. Keßler, M a r i o : Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. R e m i g r i e r t e Historiker in der f r ü h e n D D R , K ö l n / W e i m a r / W i e n 2001. Kießling, R o l f : Der Bauernkrieg, in: E t i e n n e F r a n ç o i s / H a g e n Schulze (Hg.): D e u t s c h e E r i n n e rungsorte, Bd. 2, M ü n c h e n 2001, S. 3 7 - 1 5 3 . Kinkelin, Wilhelm: Bauernkrieg, in: Odal. Monatsschrift für Blut und Boden 5 (1936), S. 2 4 - 3 0 . Klassenkampf, Tradition, Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der D e u t s c h e n D e m o k r a t i s c h e n Republik. Grundriß, hrsg. vom Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R (Herausgeberkollektiv: Ernst Diehl, Horst Bartel u. a.), Berlin 1974. Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945—1955, Ausgabe der Bundeszentrale fur politische Bildung, B o n n s 1991. Kleßmann, Christoph: Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970, Ausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, B o n n 2 1997. Kocka, Jürgen: Nationalsozialismus und SED-Diktatur in vergleichender Perspektive, in: Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien 2 (1994), S. 2 0 - 2 7 . Kocka, Jürgen: Nach dem Ende des Sonderwegs. Z u r Tragfähigkeit eines Konzepts, in: Arnd Bauerk ä m p e r / M a r t i n Sabrow/Bernd Stöver (Hg.): Doppelte Zeitgeschichte. Deutsch-deutsche B e ziehungen 1945-1990, B o n n 1998, S. 364-375. Konersmann, Ralf: Der Philosoph mit der Maske. Michel Foucaults ,L'ordre du discours', in: M i chel Foucault: Die O r d n u n g des Diskurses, Frankfurt am Main 1991, S. 5 1 - 9 4 . Kowalczuk, Ilko-Sascha: Legitimation eines neuen Staates. Parteiarbeiter an der historischen Front. Geschichtswissenschaft in der S B Z / D D R . 1945 bis 1961, Berlin 1997. Krieck, Ernst: Das rassisch-politische Geschichtsbild, in: Volk im Werden 2 (1934), S. 287-298. Krieck, Ernst: Luther der Deutsche, in: Volk im Werden 8 (1940), S. 265-273. Krill, Hans-Heinz: Die Rankerenaissance. M a x Lenz und Erich Mareks. Ein Beitrag zum historischpolitischen Denken in Deutschland 1880-1935, Berlin 1962. Kroeschell, Karl: Die nationalsozialistische Eigentumslehre.Voigeschichte u n d N a c h w i r k u n g , in: Michael Stolleis/Dieter Simon (Hg.): Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Disziplin, T ü b i n g e n 1989, S. 4 3 - 6 1 . Kroll, Frank-Lothar: Die Reichsidee im Nationalsozialismus. Werner Goez zum 70. Geburtstag, in: Franz B o s b a c h / H e r m a n n H i e r y (Hg.): I m p e r i u m / E m p i r e / R e i c h . Ein K o n z e p t politischer Herrschaft im deutsch-britischen Vergleich, M ü n c h e n 1999, S. 179-196. Kroll, Frank-Lothar: Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken u n d politisches H a n d e l n im D r i t t e n R e i c h , Z ü r i c h 1998. Kuczynski, Jürgen: Parteilichkeit u n d Objektivität in Geschichte u n d Geschichtswissenschaft, in: Z f G 4 (1956), S. 873-888. Lamprecht, Karl: Deutsche Geschichte, 14 Bde., Berlin s 1921 (Erstveröffentlichung 1891-1909). Landau, Peter: Römisches Recht und deutsches Gemeinrecht. Z u r rechtspolitischen Zielsetzung im nationalsozialistischen Parteiprogramm, in: Michael Stolleis/Dieter Simon (Hg.): R e c h t s g e schichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Disziplin, T ü b i n g e n 1989, S. 11-24. Langewiesche, Dieter: Die Universität Tübingen in der Zeit des Nationalsozialismus. F o r m e n der Selbstgleichschaltung u n d Selbstbehauptung, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 618-646.

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Anhang M i d d e l l / M a r t i n Sabrow (Hg.): D i e D D R - G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t als Forschungsproblem, M ü n c h e n 1998, S. 159-204. Middell, Matthias: Schwierigkeiten des Historiographievergleichs — Bemerkungen anhand der deutschdeutschen Nachkriegskonstellation, in: Christoph Conrad/Sebastian C o n r a d (Hg.): Die N a tion schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich, G ö t t i n g e n 2002, S. 360-395. Miethke, Jürgen: Die Mediävistik in Heidelberg seit 1933, in: J ü r g e n M i e t h k e (Hg.): Geschichte in Heidelberg. 100 Jahre Historisches Seminar, 50 Jahre Institut f ü r Fränkisch-Pfalzische G e schichte und Landeskunde, Berlin 1992, S. 93-126. Mittenzwei, Ingrid: Bemerkungen zum Charakter von R e f o r m a t i o n u n d Bauernkrieg in D e u t s c h land, in: Ernst W e r n e r / M a x Steinmetz (Hg.): Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland. Tagung der Sektion Mediävistik der Deutschen Historikergesellschaft vom 21. bis 23. 1. 1960, Bd. 2, Berlin 1961, S. 101-107. Mittenzwei Ingrid: Die zwei Gesichter Preußens, in: H e l m u t Meier/Walter Schmidt (Hg.): Erbe und Tradition in der D D R . Die Diskussion der Historiker, Berlin 1988 (Original 1978), S. 7 2 - 7 8 . Mitter, A r m i n / W o l l e , Stefan: Aufruf zur Bildung einer Arbeitsgruppe unabhängiger Historiker in der D D R , in: R a i n e r Eckert/Ilko-Sascha Kowalczuk/Isolde Stark (Hg.): H u r e o d e r Muse? Klio in der D D R . D o k u m e n t e und Materialien des Unabhängigen Historiker-Verbandes, Berlin 1994, S. 2 2 / 2 3 . M o m m s e n , Hans: Der Nationalsozialismus. Kumulative Radikalisierung u n d Selbstzerstörung des Regimes, in: Meyers Enzyklopädisches W ö r t e r b u c h , Stuttgart 1967, S. 785-790. M o m m s e n , Hans: Cumulative Radicalisation and Progressive Self-Destruction as structural determination of the Nazi Dictatorship, in: Ian K e r s h a w / M o s h e Lewin (Hg.): Stalinism and Nazism. Dictatorship in Comparison, Cambridge 1997, S. 75—87. Mosse, George Lachmann: Die völkische Revolution. U b e r die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1991 (Erstveröffentlichung 1964). M o t z , Karl: Der Freiheitskampf des deutschen B a u e r n , in: Nationalsozialistische M o n a t s h e f t e 5 (1934), S. 213-217. Müller, Alexander von: Textband zur Ausstellung .Deutsche Grösse', betreut von Alfred von R o senberg, hrsg. von H . Hagemeyer, 1944. Müller-Mertens, Eckhard: Zu den Aufgaben der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland u n d der Rolle des Königtums, in: Ernst W e r n e r / M a x Steinmetz (Hg.): Die frühbürgerliche R e v o lution in Deutschland. Tagung der Sektion Mediävistik der D e u t s c h e n Historikergesellschaft vom 21. bis 2 3 . 1 . 1 9 6 0 , Bd. 2, Berlin 1961, S. 8 1 - 9 0 . Münkler, Herfried: Das Reich als politische Macht und politischer Mythos, in: Ders.: R e i c h - N a tion - Europa. Modelle politischer Ordnung, Weinheim 1996, S. 11-59. Münkler, Herfried: Antifaschismus u n d antifaschistischer Widerstand als politischer Gründungsmythos der D D R , in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 45 (1998), S. 16-29. N e u b e r t , Ehrhart: Geschichte der Opposition in der D D R 1949-1989, Berlin 1997. Neuhäußer-Wespy, Ulrich: Aspekte und Probleme der U m o r i e n t i e r u n g in der Geschichtswissenschaft der D D R von 1971/72, in: Alexander Fischer/Günther H e y d e m a n n (Hg.): Geschichtswissenschaft in der D D R , Bd. 1: Historische Entwicklung, Theoriediskussion und Geschichtsdidaktik, Berlin 1988, S. 7 7 - 1 0 2 (Erstveröffentlichung 1976). Neuhäußer-Wespy, Ulrich: Erbe und Tradition in der D D R . Z u m gewandelten Geschichtsbild der SED, in: Alexander Fischer/Günther Heydemann (Hg.): Geschichtswissenschaft in der D D R , Bd. 1: Historische Entwicklung,Theoriediskussion und Geschichtsdidaktik, Berlin 1988, S. 129-153. N e u h ä u ß e r - W e s p y , U l r i c h : Die SED und die Historie. D i e Etablierung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der D D R in den fünfziger u n d sechziger Jahren, B o n n 1996.

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Anhang Welskopp, Thomas: Grenzüberschreitungen. Deutsche Sozialgeschichte zwischen den dreißiger und den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in: Christoph Conrad/Sebastian Conrad (Hg.): Die N a t i o n schreiben. Geschichtswissenschaft im internationalen Vergleich, G ö t t i n g e n 2002, S. 296-332. Werner, E r n s t / S t e i n m e t z , M a x (Hg.): Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland. Tagung der Sektion Mediävistik der Deutschen Historikergesellschaft vom 21. bis 2 3 . 1 . 1960, Bd. 2, Berlin 1961. Werner, Karl Ferdinand: Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft, Stuttgart 1967. Wiggershaus-Müller, Ursula: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft. D i e Geschichte der Historischen Zeitschrift und des Historischen Jahrbuchs von 1933—1945, Dissertation Universität Heidelberg 1989, H a m b u r g 1998. Wildt, Michael: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, H a m b u r g 2002. Willoweit, Dietmar: Deutsche Rechtsgeschichte und .nationalsozialistische Weltanschauung'. Das Beispiel Hans Frank, in: Michael Stolleis/Dieter Simon (Hg.): Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Disziplin, Tübingen 1989, S. 25—42. Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1 : Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik (zitiert nach der Sonderausgabe für die Bundeszentrale u n d die Landeszentralen f ü r politische Bildung), Bd. 2: D e u t s c h e G e schichte vom .Dritten R e i c h ' bis zur Wiedervereinigung, B o n n / M ü n c h e n 2000. Winterhager, Friedrich: Bauernkriegsforschung, Darmstadt 1981. Wohlfeil, R a i n e r (Hg.): Reformation oder frühbürgerliche Revolution?, M ü n c h e n 1972. Wohlfeil, Rainer: Einleitung. R e f o r m a t i o n oder frühbürgerliche Revolution, in: Ders. (Hg.): R e formation oder frühbürgerliche Revolution?, M ü n c h e n 1972, S. 7 - 4 1 . Wolf, Ursula: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie, Stuttgart 1996. W o l f r u m , Edgar: Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, G ö t t i n g e n 2001. Wolgast, Eike: Die Universität Heidelberg, Berlin 1986. Wopfner, H e r m a n n : Rezension zu: Wilhelm Stolze: B a u e r n k r i e g u n d R e f o r m a t i o n , in: H Z 138 (1928), S. 193/194. Wopfner, H e r m a n n : Die Forschung nach den Ursachen des Bauernkrieges und ihre Förderung durch die geschichtliche Volkskunde, in: H Z 153 (1936), S. 89-106. Wopfner, H e r m a n n : Bauerntum, Stadt und Staat, in: H Z 164 (1941), S. 2 2 9 - 2 6 0 und 472-495. Wopfner, H e r m a n n : Rezension zu: Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland. Band II, in: H Z 168 (1943), S. 163-165. Worschech, Franz: Der Weg der deutschen Geschichtswissenschaft in die institutionelle Spaltung (1945-1965), Dissertation Erlangen-Nürnberg 1990. Z i m m e r m a n n , Wilhelm: Der grosse deutsche Bauernkrieg, Volksausgabe von 1891, N e u d r u c k Berlin 1952 (Erstveröffentlichung 1841-1843). Zinn, Holgar: Zwischen Republik und Diktatur. Die Studentenschaft der Philipps-Universität M a r burg in den Jahren von 1925-1945, Köln 2002. Zschäbitz, Gerhard: Über den Charakter und die historischen Aufgaben von R e f o r m a t i o n und Bauernkrieg, in: Z f G 12 (1964), S. 277-288. Zschäbitz, Gerhard: Martin Luther. Grösse und Grenze, l.Teil: 1483—1526, Berlin 1967.

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Anhang

Personenregister Genannt werden Personen, die im Haupttext mehr als einmal erwähnt sind. Auf Angaben zu Martin Luther und Thomas Müntzer wurde verzichtet. Abusch, Alexander, 171f. Althaus, Paul, 134,156 Andreas,Willy, 64, 68-72,102,126f., 130,132, 153,180, 292,298,303 Anrieh, Ernst, 158,307 Aubin, Hermann, 297, 309f. Barge, Hermann, 64,195 Β artel, Horst, 236, 261 Bebel, August, 37 Bensing, Manfred, 221-223, 231 Berger, Arnold, 55 Berlichingen, Götz von, 117, 158 Bismarck, Otto von, 46, 48, 54, 57, 60,132, 136,171,192,258,291,294 Blickle, Peter, 252-255, 273 Bloch, Ernst, 60, 208 Brandi, Karl, 55, 67, 72,149, 291 Brendler, Gerhard, 213, 218, 248, 261, 266, 270-272, 275, 279-281, 285, 288 Brunner, Otto, 14,18, 87-89,121 Calvin j e a n , 17, 215, 225, 239, 263 Darré, Richard Walther, 6, 94-97,103f., 108, 111,114-117,121,145,162f„ 172, 246 Eckhardt, Karl August, 109,123, 298 Eiert, Werner, 156 Elliger, Walter, 185f„ 188, 322 Engelberg, Ernst, 192, 217, 238-240, 258, 309 Engels, Friedrich, 24, 32-42, 45, 49f., 60-62, 64, 66, 83,101,131,165f., 174f„ 179,184, 186f„ 197, 200, 204-207, 212f„ 238-240, 283, 321, 326f. Epstein, A. D., 206f. Erasmus von Rotterdam, 58 Fiore, Joachim von, 131, 177 Foucault, Michel, 1, 22f. Frank, Walter, 7,12, 78, 103-105,115,146f„ 149-151,157,291,304,325 Franz, Anna, 289 Franz, Günther, 1, 5, 12,15,18, 25-28, 64-72, 74,79-93, 97-132,135,141,143-145,

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158-167,173f„ 177-181,187,195-198, 200, 213, 221,236, 241, 244-246, 252, 255, 283, 288-292, 294-298, 302-307, 313-320, 324,326-328 Freund, Michael, 131 Friedrich II., der Große, 132,171, 258, 260 Fritz, Joß, 124 Fuchs,Walther Peter, 109,126-131,144,163f., 180, 245, 288, 302f., 318, 324 Furet, François, 1, 4 Geyer, Florian, 32, 64,95f., 117,158 Gierke, Otto von, 43, 52f„ 107 Goebbels j o s e p h , 6,132,137,160 Goetz, Walter, 105, 305 Griewank, Karl, 197f., 201, 302, 307 Hager, Kurt, 189f„ 201, 245f„ 329 Hanstein, Wolfram von, 171,185f. Hausherr, Hans, 198 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 48, 55 Heiber, Helmut, 12 Heidegger, Martin, 142, 293 Heitz, Gerhard, 247, 255 Herderj o h a n n Gottfried, 30, 51 Heydrich, Reinhard, 117, 137 Himmler, Heinrich, 6, 15, 96f., 103,108-110, 114-116,123,137,163,319 Hindenburg, Paul von, 132, 295 Hitler, Adolf, 4, 6, 78, 80, 92, 94-96,113,130, 132-134,136,144,148,159f„ 163,169, 171,180,190,291,295f., 298 Hohlfeld, Andreas, 76f. Holl, Karl, 48,134,155-157 Holstein, Günther, 55 Honecker, Erich, 241f„ 252, 257,260, 267, 278 Höß, Irmgard, 200, 202,308, 311 Hoyer, Siegfried, 253f., 259f. H u s j a n , 69,124,163 Hutten, Ulrich von, 101, 250 Janssen, Johannes, 42 Kamnitzer, Heinz, 187f„ 195f., 198, 203, 301, 325 Karl I., der Große, 111,163 KarlV., 91, 99,143,328 Kern, Fritz, 52,91, 124

Anhang Krieck, Ernst, 76f., 102,138f„ 297,302f. Kuczynski, Jürgen, 189f., 324 Lamprecht, Karl, 24, 44f„ 50, 64, 66, 83,107, 123-126 Laube, Adolf, 237, 241-245, 247-250,252, 254, 256, 261,263, 265f., 269f., 276f., 282, 284 Leers johannes von, 97f„ 112-114,118f„ 124, 127,135,165,328 Lenin,Wladimir I., 19, 134, 175,181, 184, 211,243, 307 Lenz, Max, 46-49, 54, 56, 61, 66 Loch, Werner, 253 Löffler, Hermann, 115f. Lorenz, Chris, 19 Lütge, Friedrich, 107,118f. Macek, Josef, 211,213 Mareks, Erich, 48f. Marx, Karl, 6, 33, 38, 60,175,184,197, 238, 307 Maschke, Erich, 119,315 Mehring, Franz, 37 Meinecke, Friedrich, 30f. Meusel, Alfred, 173f„ 183,186-198, 202-204, 208-210, 212-214, 217-220, 263, 283f., 301,321,325,327 Meyer, Arnold Oskar, 291, 294 Meyer, Konrad, 104-106, 108f. Middell, Matthias, 11,19 Mittenzwei, Ingrid, 215, 258 Mommsen, Wilhelm, 65, 67, 294, 315 Mühlpfordt, Günter, 311-313 Müller, Karl Alexander von, 159, 291, 304, 318 Müller, Ludwig, 132f. Müller-Mertens, Eckhard, 215, 219 Niemöller, Martin, 169 Nipperdey, Thomas, 16f. Oberkrome, Willi, 13f. Oechsle, Ferdinand, 31 f., 49, 66 Oncken, Hermann, 102,147,291, 303 Pauls, Theodor, 139 Pieck,Wilhelm, 172f„ 185 Ranke, Leopold von, 7, 24, 38-42, 45f., 48-50, 54-56, 58, 65, 67, 75, 78,101,125, 129,139,154,179, 187, 213, 258, 323 Rauch, Georg von, 309f. Ritter, Gerhard, 12, 56-60,67, 72, 77f„ 92f„ 131,139,141f., 145-156,161-164,166f., 179,187,195,198, 200f„ 213, 230f„ 240,

263, 274, 292f„ 299f„ 309f„ 316, 318, 322f., 326 Rosenberg, Alfred, 6,102,138f„ 159, 323-325 Rosenkranz, Albert, 68-70, 72 Roy, Martin, 17 Rückert, Hanns, 156f. Rust, Bernhard, 133,149 Sabrow, Martin, 11,18,23,310 Sartorius, Georg Friedrich, 31f., 49, 66 Scheel, Otto, 134-137,140,145-152, 154-156,164 Schmidt, Irmgard, 124-126 Schmitt, Carl, 123,136 Schneider, Friedrich, 198, 201 Schöttler, Peter, 14, 18 Schumann, Wolfgang, 200, 202 Sickingen, Franz von, 41,101, 143 Six, Franz Alfred, 117, 306f. Sleidan, Johannes, 29, 42 Smirin, Moisej, 92,168,174-181,194f., 203, 205-208, 21 lf., 214, 216, 222f„ 227, 276, 283f„ 327 Stadelmann, Rudolf, 83, 88f„ 141-145,154, 163-165,171 f., 180,203,288,326f. Stalinjosef W , 175,182,184 Stam, Solomon M., 205, 207f. Steinmetz, Max, 16, 25, 27f„ 33, 38,187f„ 194-204,209-219, 221-227, 230-237, 240, 242-245,247f„ 251-253,259-261,264, 271,273f„ 283f„ 288-293,298-302, 307-314,316-320, 325 Steinmetz, Otto, 291, 299f., 316 Stengel-von Rutkowski, Lothar, 314—316,318 Stern, Leo, 186,188,194,196,224-226,231, 309 Stolze, Wilhelm, 47, 50, 61-64, 66, 69-72, 89, 124, 130 Thiel, Rudolf, 139 Thoß, Alfred, 77f. Treitschke, Heinrich von, 46,48, 55f., 274 Troeltsch, Ernst, 47, 49 Tschaikowskaja, Olga, 204-208,211 Ulbricht, Walter, 182,185,208, 212, 226, 228, 241f., 246, 284 Vogler, Günter, 1,5, 237-245, 247, 252, 254-256, 263, 266, 270-275, 279-281, 284-286 Waas, Adolf, 124-127, 130 Weidhaas, Hermann, 188-190

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Anhang Wiclifjohn, 68f., 82,112f„ 124,162f. Widukind, 100,111 Wohlfeil, Rainer, 17, 251 Wopfner, Hermann, 87f„ 125-127 Zimmermann,Wilhelm, 24, 32, 38, 41, 49f., 61,64, 66, 83,162,165 Zschäbitz, Gerhard, 16, 221-223,233-237, 240,244,259,284,288,313 Zwingli, Huldrich, 214, 263, 273

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Nachwort Laurenz Müller promovierte im Herbst 2003 an der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern mit der vorliegenden Dissertation. Im Januar 2004 ist er bei einem Lawinenunglück in den Walliser Alpen ums Leben gekommen. Er konnte die Drucklegung nicht mehr in die Wege leiten, hatte sich jedoch kurz vor seinem Tod flir eine Publikation in den „Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte" entschieden. Wir sind allen von Herzen dankbar, die zum Erscheinen des Buches beigetragen haben. Insbesondere danken wir Herrn Prof. Dr. Peter Blickle, Bern, der die Dissertation betreute und sich auch für die Publikation maßgeblich eingesetzt hat. Wir danken auch Dr. phil. hist. Philipp Dubach und lie. phil. hist. Blaise Kröpf, die das Manuskript äußerst sorgfältig lektorierten und die Drucklegung begleiteten, sowie lie. phil. nat. Bernhard Sturm, der das Layout der Arbeit besorgte. D e m Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung danken wir für einen namhaften Beitrag zu den Druckkosten.

Im Dezember 2004

Die Angehörigen

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