Realität und Gesetzlichkeit im Geschlechtsleben [2 ed.] 9783428560127, 9783428160129

Enckendorffs Werk »Realität und Gesetzlichkeit im Geschlechtsleben«, dessen zweite Auflage hier vorliegt, entstand zu ei

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Realität und Gesetzlichkeit im Geschlechtsleben [2 ed.]
 9783428560127, 9783428160129

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Realität und Gesetzlichkeit im Geschlechtsleben Von Marie Luise Enckendorff

Zweite Auflage

Duncker & Humblot reprints

Realität und Gesetzlichkeit im Geschlechtsleben Von

Marie Luise Enckendorff

Zweite Auflage

München und Leipzig V e r l a g v o n D u n c k e r 6u8 vivenäi, sieht zu, was für sie jetzt noch herausschauen mag. S i e erliegt der Skepsis noch in einem anderen S i n n e : sie wird gemein. D a s Leben ist ein niedriges, tückisches Ringen mit dem Manne, wie jene Skepsis ihn sieht,- es greift Platz die listige Aufgeklärtheit darüber, wie die Männer zu handhaben seien, wie man Einfluß auf sie gewinnt, wie man sie beherrscht. Die Frau des Gehorsams, die in diesem Gehorsam ein objektives Gesetz erfüllen wollte, ist die Lächerliche, der es lediglich an Verstand fehlt, um die Wege zu erkennen zu jenem Ziel, das hier als das einzig zu suchende und gesuchte vorausgesetzt wird. E s handelt sich nicht um B e freiung, um Durchsehen von Selbst und Persönlichkeit: der Klang dieser Worte tönt weg über die Welt, von der hier die Rede ist. E s ist das Durchsetzen von kleinem Haben-Wollen in einer Situation der Unterordnung, das man heimlich Herrschast nennt. Ein Herrschen — nichtig, hoffnungslos, unfruchtbar. Denn wenn es auch zu seinem völligen Ende käme, an jedem Punkte des Lebens durchgesetzt und durchgelistet ist, d i e s e r Mann unterworfen — es kann nicht um eine Haarbreite die hier akzeptierte metaphysische Inseriorität der Frau auch nur vor diesem Manne verwandeln — es bringt die Frau nicht um eines Haares Breite näher an das Reich der Idee. E s greift Platz jene furchtbare Eingestelltheit der Frau auf die sexuelle Seite des Daseins, in welcher sie sich dem Manne gegenüber, wie sie ihn nun jetzt auffaßt, bewegt, bald halbbewußt, bald mit böser Superklugheit. S i e erkennt sich lediglich als Gegenstand des geschlechtlichen Wunsches - sie formt sich mit sicherer Gewandtheit zum Gegenstande dieses Wunsches in einer Welt, die ihr nun

126 einmal diese Rolle zugewiesen hat. S i e wird das, wofür die Kokotten — nach ihrer Lebensauffassung — gern die Ehefrauen ausgeben: das „Privatweibchen". Die Dirne sagt: wir sind die Weiber für alle — es ist die Kaprice der Ehefrau, dies gerade nur für einen sein zu wollen, das ist der ganze Unterschied. E s ist das Gegebene, daß die Frau ihresteils in das Sinnlich-Begehrliche tritt und nach dieser Richtung das Beste für sich aus der Situation macht. Der egoistisch-utilitarische, sexuell-lüsterne Zynismus ist da, die Ehe der Ort heimlicher Vergnügungen, an denen sie Geschmack gewinnen lernt, auf die sie nun ihrerseits den Nachdruck legt. Die Frau, die das Ideal der Erotik über sich stellt, wird verhöhnt als die, welche nach dem Nimbus der Unnahbarkeit als einer Hülle für die Freuden der Sinnlichkeit, oder nach diesen und dem Nimbus zugleich trachtet. (Der unsolide Unterbau des erotischen Frauenideals von der Seite der Frau her gibt es solchen Angriffen preis.) Die Frau betritt den Weg der geschlechtlichen Sinnlichkeit. Und wie sie in der Erotik verblasener ist als irgendein Mann sein kann, dann wieder autoritätsgläubiger, sich mehr beugend als jemals er, in der Skepsis zerfressener, so ist sie in der geschlechtlichen Sinnlichkeit hemmungsloser und zügelloser als er, eigentlich un-menschlicher: widerwärtiger als er. Und dies nicht nur, weil, was eine Frau tut, was auch diese Frau noch tut, immer irgendwie in irgendeinem Maße zur Vergleichung steht mit dem erotischen Ideal. Nicht nur, weil sie in sich das einheitlichere Wesen ist als er. Sondern auch, weil man die Frau fühlt als das Wesen, das den kosmischen Instinkten nach seiner Art näher stehen müßte als den sinnlichen. Die Frau taucht, so scheint es, aus den natürlichen Zusammenhängen auf — der Mann ist auf dem Umweg zu einer Wiedereinheit begriffen, in seiner Arbeit, in seiner Tat. Fällt er ab in das S i n n -

127 lose, so gehört das mit in sein Schicksal, in seine Nöte, in feine Schwierigkeiten. Bei der F r a u , die in das Einzelne und Sinnlose fällt, fühlt man, daß sie die Männersünde begeht, nach Art des Mannes sündigt in seiner Welt, in der sie nicht lebt,- und geschieht dies, so wird sie direktionsloser, würdeloser als irgendein Mann. S i e ist dann wirklich nichts mehr als der Schaum, der hin- und hergeschleudert wird. Ich sage, diese Frau sieht sich im Gegensah zu der fügsamen Ehefrau als die freiere, klügere an, als die, welche weiß, wie sie das Leben und ihren Vorteil zu nehmen hat. S i e meint recht zu haben, weil jene unrecht hat. Und wiederum: das Gefühl, das sich empört über diese dirnenhafte Frau und ihre Anschauung, wendet sich zu jener, dem diametralen Gegensatz, um sie zu loben, die recht zu haben scheint, weil die andere unrecht hat. D a s alte Spiel der Gegensätze beginnt wieder, die alten Rechenexempel sind wieder da. Und weil hier zwei sich gegenüberstehen, so setzt man sie als die Extreme, als die Radikalen, zwischen denen das Richtige liegen muß: die kluge, maßvolle, verständige F r a u , die mit einem gemäßigten Norm-Suchen eine gemäßigte Skepsis verbindet, die das Leben nimmt, wie es ist (o Formel aller Gemeinheit! — aus der zudem nie hervorgeht, w i e es eigentlich ist!), die von allen denkbaren Extremen dieses wurzellosen Frauenlebens die gemäßigte Mitte hält und beschließt, daß damit alle Fragen gelöst seien. Frauenschicksal! — Ein wohlverdientes Schicksal! M a n hört viel von ihrer durch die Jahrtausende gehenden Unterdrücktheit. M a n hört wenig von ihrer durch die Jahrtausende gehenden Schuld. Die Frauen haben die Situation gewollt, unter der sie leiden, unter der sie in der Ära des erotischen Ideals noch viel pointierter leiden. Und unter

128 der Leidenschaft, mit der die Frauen dieses Ideal aufnehmen, liegt ihre alte, ewig wiederholte Sünde. Die Frauen wollten nicht mitbauen vor Gottes Augen an dem großen Wege aus der Einheit in die Einheit, an dem großen Wege von Natur zu Kultur. Die Frauen haben nicht zugereicht, die Frauen wollten Menschen für Menschen sein. Darin liegt der ganze Unterbau für das so oft mit Sentimentalität betrachtete Frauenschicksal. Alle Widersprüche, alle Leiden im Leben der Frauen haben diese eine Wurzel. D e r M a n n ist aus dem Paradiese gegangen. Er ist es, der dem Reiche der Natur ein Gegenkönigtum aufstellt in seiner menschlichen Welt. Er ist den gefährlichen Weg gegangen, sich herauszulösen aus einer natürlichen Einheit, und sieht die unendliche Aufgabe vor sich, seiner Welt die Einheit mit einer ewigen wieder zu schaffen. I n diese seine Welt hat der M a n n sein Leben verwurzelt und sich in die Gefahr ihrer Schicksale gestellt. Die Männer machen das Leben, das innere und das äußere, sie machen die Gotter, sie machen die Welt. S i e machen den S t a a t , das Recht, die Sitte, die Kunst, die Religion, die Wissenschaft,- das persönliche Ideal, auf das der Mensch zugehen soll. S i e tragen das Leben auf den Schultern und die Verantwortung für das Leben. Der M a n n fragt Gott und sich selbst um S i n n und Wesen der Welt, er fragt nicht die Frau. Die Frau ist sitzengeblieben auf der Paradiesesschwelle. S i e träumt in dieses zurück und sie träumt ins Metaphysische,- aber sie ist nicht stark vorwärts gewendet wie der Mann. I h r bleibt etwas von jener Einheit in ihrem Gemüt, sie wurzelt im Kosmischen,- um den preis, das Vorwärtsgehen von sich zu schieben, auf das männliches Wesen nicht mehr verzichten k a n n s o hat sie oft Sicher-

129 heilen, die sie den Mann suchen sieht, verträumt in ihre einheitliche Welt, soviel das angehen mag. Soweit das aber nicht angehen mag, tritt sie nicht heraus auf den großen Weg des Lebens, nicht einen eigenen, oder den, den die Männer gehen: sondern sie hängt sich dieser Männerwelt auf. S i e geht im Schlepptau dieser Männerwelt, der um das Leben Ringenden. S i e will das Leben erfüllen als das dienende Geschlecht. S i e will das Leben erfüllen, indem sie denen dient, die darum ringen, das Leben zu erfüllen. S i e will eine gewisse Verantwortungslosigkeit. S i e will dienen,- aber sie will nicht dafür einstehen, daß sie damit zugleich der Idee dient. Einstehen soll der Mann. S i e will Mensch für Menschen sein bald als Symbol und Ideal, bald als Magd und Gehilfin,- und sie empfängt das Leben, seinen S i n n , seine Ordnungen unschöpferisch und abwartend aus dieser Männerwelt. — Dies ihr Verhalten ist drastisch repräsentiert durch ihr Verhalten im Geschlechtlichen. S o hat sie zum Beispiel durch mehr als anderthalb christliche Jahrtausende hindurch die Norm über sich gestellt, daß in diesem als gefährlich, als heikel, als sündig Geltenden für sie das Rechte sein soll: was der Mann entscheidet. Die Frau ist zurückgewichen vor der Not des Lebens. S i e ist zurückgewichen vor der Not, in welche die große Natur das Einzelne stellt. S i e will beschützt sein. S i e ist zurückgewichen vor der anderen N o t , der Not des Denkens, der Angst vor dem Irrtum,- der Not der Seele in der dunklen, feindlichen Welt um ein Glauben, um ein Begreifen, um ein Verehren,- in welcher Not der Mann seine Götter geschaffen hat und Bilder der Welt gebaut in seinen Gedanken,- welche sein Dasein, sein Verhältnis zu dem Befeindenden und Befreundenden, das die Welt um ihn stellt, klären und fixieren sollten. Die Frau stellte sich unter ihn in den letzten AngelegenE n c k e n d o r f f , Leben.

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1Z0 heilen der eigenen Seele. S i e sieht zu ihm um das, was sie denken, was sie glauben, was sie empfinden, was sie s e i n soll. S i e fragt nicht Gott um Erkenntnis, sie fragt den Mann. S i e hat sich damit von ihrer eigenen Seele abgetrennt. Die Frauen sind das mutlose, das gottlose Geschlecht. S t a t t der Not des Lebens hat die Frau lieber die Not durch den Mann auf sich genommen, hart wie sie sei, die Not des Duldens, die nicht den Mut, den Entschluß forderte, die nur getragen wurde, die den Rücken beugte. Welchen Druck, welche Leiden sie nun hier erfuhr: sie hatte das ruhigere, das problemlose Leben ergriffen. Die Frau fürchtet nicht die Mühsal. W a s die Frau fürchtet, ist das innere und das äußere Problem. All jenes Fragen von Last und Mühsal aber, welche die Frauen so bereitwillig auf sich nehmen, ist nicht um den tausendsten Teil so schwer, wie sich zu mühen um die Welt, die zu erschaffen uns aufgegeben ist, und um eines Sandkornes Gewicht zu ihrem Aufbau beizutragen. Die Frau kann sich opfern, aber sie wagt sich nicht, nicht das Leben und nicht die Seele. S i e ist die, die sicher geht. Alles Menschliche strebt danach, vor dem Leben irgendwie, irgendwann unterzukriechen. E s pflegt die Menschen nur zu unterscheiden, wie früher oder später sie das tun. S i e kriechen unter mit ihrer Lebensangst bei irgend etwas, das das Leben deckt: einem Posten, einer Institution, einem Gottvertrauen, in welchem sie sich zur Ruhe setzen. Aber in dem Augenblicke, in dem dies geschieht, hört das pulsierende, innere Leben auf. Bei der Frau ist dies sich zur Ruhe sehen das, womit sie anfängt. E s ist das Prinzip des Lebens, nicht nur eine leidige Tatsächlichkeit. Wenn es je — nach Analogie des contrat social — einmal die erste und einzelne Frau gegeben hätte, die freiwillig zu dem Manne sagte: schütze mich vor dem Feind und vor dem Hunger und lasse mich deinen Gott glauben,-

so will ich dir dienen, dir Kinder tragen, und du sollst mein Herr sein,- - wenn es je diese Frau gegeben hätte, die aus Furcht vor dem inneren und äußeren Leben froh war, sich mit Leib und Seele an einen Menschen zu geben und ihrem Geschlechte diese Lage vererbte: sie wäre in Wahrheit die Mutter der Sünde. V o n ihr ginge eine gerade Linie konsequent fort, hart mitnehmend die gute christliche Ehefrau, bis hinunter in die dunkelste Hölle der Prostitution,- zu Frauenunterdrückung und Nichtachtung in jeder Form,- zur Selbst-Nichtachtung der Frauen in jeder Form. Die Frau steht schuldig in der Welt: schuldig vor der großen Natur, in der alles schuldig ist und gestraft wird, das sich nicht kraftvoll bewährt,- in welcher dem, der hat, gegeben wird, daß er mehr habe, und dem, der nicht hat, genommen wird, das er hat. Schuldig vor der menschlichen Aufgabe. Die Stellung, welche die Frau bisher im Leben einnahm, ist naturgemäß, so sagt man. Und nun läßt man uns hören von der Unabänderlichkeit der Lage Mann—Frau wie sie bisher besteht, von Kraft und Unkrast, vom Säugen und Gebären. Und widersprechend hört man dann wieder, daß vielleicht in Urzuständen die Frauen von der gleichen körperlichen Kraft gewesen seien wie die Männer (daß sie nur durch Unterdrückung heruntergekommen seien) und von der gleichen geistigen Begabung,- um damit auf ein Naturgemäßes zu kommen und Rechte der Frauen darauf zu gründen. - Nun ist der Begriff des Naturgemäßen, Natürlichen hier so mißlich wie überall. Sieht man auf die Tierwelt in bezug auf das Verhältnis des männlichen zum weiblichen Prinzip, um daraus ein Entsprechendes für uns abzuleiten: in der Tierwelt gibt es die mannigfachsten Verhaltungsweisen. Oft ziehen die Weiblichen 9*

1Z2 die Jungen groß ohne Beistand der Männlichen,- die Trächtigen gehen auf Nahrung aus, und wenn sie geworfen haben, sorgen sie nicht nur für die Jungen, sondern sie verteidigen sie oft genug gegen die Freßbegier der Männlichen. E s gibt den Bienenstaat mit der Königin und den Drohnen, den Hahn, den Stier mit seiner weiblichen Herde. W a s soll uns das alles. - Die männlichen Tiere scheinen stark zu sein, um die männlichen Gegner zu bezwingen, nicht eigentlich, um die Weiblichen zu bezwingen. Oft sind diese die Größeren und Stärkeren. — Und wie die männlichen und weiblichen Urmenschen an Kraft zueinander gestanden haben, und ob die Auswahl der Männer nach der Kraft und menschlichen Schönheit, die der Frauen nach der Fügsamkeit gegangen ist bleibt eine unbeantwortbare Frage. Aber eines wissen die Menschen sicher und klar: daß wir uns nicht nur durch die körperliche Kraft die Wage halten, sondern durch das geistige Wollen und den Mut,durch die Furchtlosigkeit vor den Leiden, die unabtrennbar sind von aller Selbständigkeit. Und nun gibt es ein „Natürlich", das sich allerdings auf das Verhalten und die Lage der Frauen anwenden läßt. Natürlich ist, daß man nur kann, was man muß. W a s man glaubt können zu m ü s s e n , bestimmt in ungeheurem Maße das Können. Uns erzieht nur die Not. Und die Frauen haben nicht gemußt. Uns erzieht nur die Not. Die Not um das nackte Dasein und die Not um unsere menschliche Würde. Man hat den Mut, wenn man ihn haben muß. Harte Zeiten machen die Menschen hart und stark,- die gelinden machen sie weich. D a s Leben baut sich auf auf dem Müssen. Die Frauen haben nicht gemußt. S i e haben die enge Angst vor dem, der ihr Herr sein sollte, dem Kampf um das Leben vorgezogen, weil sie konnten, weil die Ver-

1ZZ suchung da war,- weil sie dursten. E s gab immer den, der sie haben wollte, der sie schützte, um sie zu behalten. S i e durften feige sein — sie waren es. S i e waren Menschen für Menschen — um das Linsengericht dieses Schutzes. Den M u t zur Weltanschauung gaben sie mit drein — und schließlich empfingen sie die menschliche Würde in den erotischen Idealen als ein Geschenk. (Man möchte übrigens daraus, daß die Frauen überall Besitz waren, auf ihre geringere geschlechtliche Bedürftigkeit schließen der männlichen gegenüber, an welcher man jetzt so viel zweifeln hört. Ihre ganze Situation ist ohne diese Annahme eigentlich nicht zu begreifen.) S o mag denn natürlich fein, daß dies geschehen ist. M a n kann ein anderes „naturgemäß" hier heranbringen. E s ist naturgemäß, daß die Menschen in Gemeinschaften leben,- in Gemeinschaften, in denen sie aufeinander angewiesen sind, alle auf alle. Die Frauen bilden keine Gemeinschaften mit den Männern. Die Frauen gehören nicht zur Gemeinschaft,- sie gehören denen, die die Gemeinschaft bilden. S i e können ihre Seele nicht ablösen von der Seele der Männer. Nenne man dies in jenem Sinne natürlich I Jedenfalls entspricht es nicht der Kultur, jedenfalls entspricht es nicht der Sittlichkeit. Die Frauen wollten nicht mitbauen an den Wegen der Welt. Wie ist es dem Menschen gemäß nach der großen Befreiertat Christi, der den Menschen vom Menschen und seinem Willen erlöste, daß die Frau alsbald wieder feige unterkroch und den Willen ihres Gottes übersetzte in den Willen ihres Mannes. Wie ist es den Menschen gemäß, die gehört haben: „Handle so, daß die Maxime deines Willens das Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte" von der Autonomie des Gesetzes - daß sie prinzipiell und als Maxime ihres Willens zwischen sich und der Ewigkeit das Gesetz einer

134 inneren und äußeren Welt anerkennen, die sie nicht gebaut haben, die ihnen als ganzem Geschlechte fremd ist. D a ß sie ihr innerstes Leben, das auf das dringlichste verbunden ist mit ihrer Geschlechtlichkeit, dieser fremden Welt aufhängen,- vielleicht dieser Welt repräsentiert nur durch den Mann, den sie lieben. D a s Menschlichste, das der Mensch besitzt, das Edelste, ist die Verantwortung. Wie ist es ihm gemäß — naturgemäß — daß das ganze Geschlecht diese von sich abschiebt. Die Frauen freveln an allen höchsten moralischen Errungenschaften der Menschheit, und zwar prinzipiell, als das was sie sollen, gehorsam — nicht nur, wie wohl überhaupt die meisten Menschen - tatsächlich. Die eine Hälfte der Menschheit hat sich an die andere verkaust,- hat die Unterdrückung angenommen bis zur Verwandlung der Religion und der sittlichen Errungenschasten jener anderen Hälfte in Feinde ihrer Menschlichkeit,- diese sprechen ihr nur von Gehorsam. E s hat nicht in der geringeren körperlichen Kraft das Verhängnis der Frau gelegen, nicht in Stunden der Wehrlosigkeit, wenn sie gebar. D a s Verhängnis der Frau war, daß sie meinte, es tue gut, sich das Leben abnehmen zu lassen. An dem moralischen Wesen der Frau hat es gefehlt — und das ist der Kern der Frage. V o r Gott sind alle Menschen gleich. M a n hört es die Frauen sagen, um Rechte darauf zu gründen. V o r Gott sind alle Menschen gleich! D a s ist kein Geschenk, das ist eine Forderung. W o waren die Frauen, als die Welt geteilt wurde! Wo waren die Frauen, als diese Forderung erfüllt werden sollte! Bisher haben die Frauen davon gelebt, daß sie das R e c h t sür sich in Anspruch nahmen, metaphysisch Wesen zweiter Ordnung zu sein. — E s ist hier nicht die Frage von geistiger Begabung oder Minderbegabung der Frauen, die man so viel diskutiert,- nicht die Frage von empirischer Arbeitsteilung,

1Z5 von Lebenstechnik usw. Ich lasse alle diese Fragen als zweite Fragen beiseite,- sie sind hier zunächst einmal völlig irrelevant. E s ist hier die Frage von letzten Werten, zu denen alles was Mensch heißt, d. h. alles, was unter sittlichen Forderungen steht, sich bekennen muß. Die Natur dieses Menschen, der unter der sittlichen Forderung steht, ist nicht Untertänigkeit unter den Menschen. Ich spreche nicht von empirischen Verhältnissen, ich spreche von einem metaphysischen Bekenntnis. E s handelt sich darum, daß nicht naturgemäß und prinzipiell ein menschliches Wesen eine andere Stellung zu dem Ewigen haben kann, als ein anderes (vielleicht hat es eine andere empirische Aufgabe, das läßt sich diskutieren und ist eine völlig andere Frage). E s handelt sich um die metaphysische Stellung eines ganzen Geschlechtes zu dem anderen, des weiblichen Menschen zu den anderen Menschen,- um die Position zu einer metaphysischen Frage, zu welcher die Frau sich nicht bekannt hat. E s handelt sich darum, daß das menschliche Leben einen S i n n und eine Pflicht hat, die metaphysisch nicht verwandelt werden können durch das, was Menschen einander antun oder voneinander haben wollen. D a ß trotz Mutterschaft und den damit verbundenen Schwierigkeiten es der Frau nicht v e r s t a t t e t s e i n k a n n , sich vor ihrem Verantwortungsgefühl für den Menschen zweiter Ordnung zu halten. D a s Gesetz des Menschen kommt aus einer metaphysischen Welt. E s scheint, die Frau hat gemeint, das ihrige könne aus der empirischen stammen. Und wenn sie daran zweifelt, so überhängt sie sich mit dem erotischen Ideal und meint, nun sei das Leben vollbracht. Hier kommen wir zurück auf das, wovon ich ausging,es gibt für die Frauen keinen W e g , keine Richtlinie für einen Weg. Für diese Frauen, auf die als ganzes Geschlecht die eigentlich menschliche, einfach menschliche Förde-

1Z6 rung nicht anwendbar scheint: die Forderung, daß der Mensch sich auf seine Füße stelle und um sich schaue,- für diese Menschen, die so recht eigentlich Menschen wohl nicht sind: denn was Menschen sollen, sollen sie nicht, wollen sie nicht. D e s Mannes Gehilfin sein, wie es die alten Juden vor einer Reihe von Jahrtausenden festgelegt haben, das ist die Norm, mit welcher die Frau sich deckt. S i e könnte sich ebensogut mit den vier Frauen Abrahams oder mit den dreihundert Kebsweibern des Königs Salomo decken. D a s gelobte Land ist uns allen noch verschlossen: wir haben alle einmal nicht geglaubt,- nicht geglaubt an uns selbst als Menschen, als Gotteskinder. — M a n spricht heut viel von dem, was auch Frauen tun könnten, tun sollten. E s ist einzig wichtig, daß sie das, was sie tun, als andere Menschen tun — ob es das ist, was sie immer taten, oder etwas Neues. Und von allem, was sie heut sür sich erstreben, es heiße geistige Arbeit, es heiße wirtschaftliche Selbständigkeit, hat man nur erst zu fragen, wie weit es sie zu solchen macht. M a n spricht viel davon, daß auch Frauen können, was ein Doktor und ein Referendar kann. Niemand wird das mehr bezweifeln. Aber die Frauen als ganzes Geschlecht haben prinzipiell und als Lebensanschauende versagt vor einer Leistung, welche die Manner als ganzes Geschlecht prinzipiell in die Hand genommen haben — wie nun auch immer in der Tatsächlichkeit der empirisch Einzelne zu ihr stehen mag. Der Beweis dafür ist die Lage der Frau. Und das ist der Punkt, um den es sich handeln muß*). E s hat vielleicht eine einzige Periode gegeben, in der glaube an die unendliche Menschheit, die da war, ehe sie die Hülle der Männlichkeit und Weiblichkeit annahm. — Ich glaube, daß ich nicht lebe um zu gehorchen. . sondern um zu sein und zu werden, und ich glaube an die Macht des Willens und der Bildung, um mich dem Unendlichen wieder zu nähern, mich aus den Fesseln der Mißbildung zu erlösen und mich von den Schranken des Geschlechts unabhängig zu machen." ( S c h l e i e r m a c h e r , Katechismus der Vernunft für edle Frauen.)

1)7 die Frauen in diesem tiefen Sinne emanzipiert waren, frei und stark: die frühchristliche,- in der die Märtyrerin sich mit ihrem Gott besprach, daß sie für Gott sterben müsse, und nicht mit ihrem Manne. Diese Frauen, die nur halb und halbe Menschen sein wollten, konnten auch nur ein halb und halbes Schicksal haben. Ihnen hat die Chance der Hörigkeit gefehlt — die Chance, daß eine Maßlosigkeit des Druckes zur Empörung treibt. Diese Chance hat um so mehr gefehlt, je kultivierter die Frauen waren, je höher sie standen, je mehr sie eine gewisse Geistigkett erwarben: je mehr sie also geeignet gewesen wären, eine Initiative zu haben und eine Erkenntnis ihrer Lage. Denn um so mehr hat das erotische Beschenkt-Werden hineingespielt. M a n könnte einen listigen Herrscher denken, der, um einen Haufen von Sklaven von der Empörung abzuhalten, jedem Gelegenheit schafft, den Druck weiter zu geben, der auf ihm liegt,- jedem ein Sonderinteresse gibt, das ihn zum Rivalen aller anderen macht,- jedem einflüstert, wenn du dich beugst, so kannst du einmal König werden. Ein Haufe von solchen wird sich nicht empören. Ein Haufe von solchen sind die Frauen von selbst. S i e können ihre Bedrückung weitergeben an Kinder, oder sie in kleinen listigen Siegen auf den Mann zurückwenden. Die Liebe ist das Isolierende, ist Rivalität, ist der Glaube einer jeden, daß sie die Königin werden kann. Die Frauen haben unter den Hörigen eine ganz einzige Situation. S i e sind zugleich versklavt worden und geliebt. Infolge dieser wunderlichen Verquickung brachten die Frauen es nicht zu der klaren Erkenntnis ihrer Hörigkeit, nicht zu der klaren Erkenntnis, daß diese menschlich unziemlich ist, daß die Frauen schuldig sind, wenn sie hörig sind, daß sie umkehren, daß sie von vorn anfangen müssen.

Und die heutigen Emanzipationsbestrebungen sind nicht eine Explosion metaphysischen Menschentums gegen einen maßlos gewordenen Druck. Die Frauen machen ihre Revolution, seit sie eine gewisse Geistigkeit erworben haben,eine Geistigkeit, in welcher sich das schöne Bild der Frau um gewisse Schwingungen erweitert und verfeinert — die aber durchaus noch nicht ungeprüst und feststehenderweise bedeutet, daß die metaphysische Position dieser Geistigeren sich im Geringsten verwandelt hat,- auf welche hin ihnen aber eine gewisse Humanität, eine gewisse Durchlöcherung ihrer Hörigkeit begegnet. Und auf dies hin spricht die Frau nun von ihren Rechten,- von Rechten die wir nie gewahrt haben! — nicht von unserer Pflicht. Symbol und Symptom der inneren Stellung der Frau zum Leben ist ihre Stellung zu S t a a t , sozialen Ordnungen, Sitte, Gesetz. Die Frau betrachtet diese bewußte empirische Welt der Männer, die Gesamtheit, zu der sie nicht gehört, die Welt, an der sie keinen Teil hat, von einem Gefühlsmäßigen aus, einem embryonal, nebelhaft Reminiszenzhaften, das ihr etwas Einheitliches und Fertiges repräsentiert. V o n da aus zeigt sie gern auf das Unfertige der Welt, das Stückwerkhafte gegenüber ihrem ewig Fertigen. S i e sieht den Mann irren. S i e hat sich in ihrem Eigenen nicht bis zu der Stufe erhoben, auf der man irrt. S i e fühlt diese Welt als das Feindselige, als den Angriff auf ihre Art zu sein, als etwas enthaltend, das ihren Frieden stört. Aber die Regulative des Lebens kommt aus ihr! Gottes Wille! E s ist der Gott, der von außen stößt. S i e empfängt das SeinSollende als das Oktroyierte, als das herzugebrachte Gesetz über sie,- nach dessen Herkunft und Legitimität sie nicht fragt, und das sie dann im letzten Winkel ihres Herzens doch eigentlich nicht anerkennt. S i e ist kein Teil

1Z9 der schöpferischen Gesamtheit, die diese Welt macht, die das Leben auf die Etappe gebracht hat, auf der es steht. Daher ihre so oft besprochene Frivolität vor diesen Ordnungen, der Mangel an sozialem Verantwortlichkeitsgefühl, den man ihr nachsagt. E s ist das Werk, das sie nicht verstehen, das Werk der anderen, das sie nicht respektieren. — Vielleicht stammt daher, daß die Frau nicht zu dieser gesetzesschöpferischen Gesamtheit gehört, ihre Unfähigkeit in so vielen Fällen, in dem, was aus der Männerwelt an sie kommt, zwischen dem Gesetzlichen, Notwendigen, und dem singulär Willkürlichen zu unterscheiden. Für alles, was aus jenem gefühlsmäßig Einheitlichen abgelöst ist, auf welchem die Frau fußt, hat sie kein M a ß in sich. — D a die Frau nicht stark bewußt lebt, so ist im gewöhnlichen Leben jenes Verhältnis nicht stark fühlbar. Erhebt sie sich in die Bewußtheit, so ist alles, was sie hier soll, ihr einzeln und fremd. Daher die größere Zügellosigkeit der Frauen in Umsturzzeiten. — D a r u m hat auch ihre Verfehlung für sie selbst so oft etwas Unwesentliches. S i e schlagen hinein in das Gesetz der Welt, reuelos, oft wie die Kinder, ohne daß das, was sie anrichten, störend eindringt in ihr eigenes Innere. S i e greifen in die fremde Welt, zerbrechen dort etwas und ziehen die Hand zurück aus jener Welt, die draußen bleibt, wie ihre Verfehlung. Die Männer sprechen gern von der Unerziehbarkeit der Frau, ihrer Verständnislosigkeit vor dem öffentlichen Wesen. Aber allerdings, gerade von den Männern her, die die Frauen in der erotischen Tradition erziehen, sollte dieser Vorwurf nicht gemacht werden. Die Frau erotischer Tradition ist unerziehbar für die Gesamtheit,- die Frau, die für den Mann erzogen wird, ist notwendig unerziehbar für die Gesamtheit,- damit ist die Vereinzelung, die Abgelöstheit, notwendig gegeben, gefordert und betont. S i e

140 kann nicht zugleich das Gegenteil von dem sein, was sie hier sein soll. — D a s soziale Verantwortlichkeitsgefühl fehlt, es fehlt auch das ideale. Die Abwägung der Schuld an einer Weltanschauung ist nicht weiblich. Der Mann sündigt bereuend am objektiven Wert. Die Frau sündigt bereuend an einzelnen Menschen, an jener gefühlsmäßigen Einheitlichkeit, oder an ihrem eigenen schönen Bilde, das ihr die männliche Erotik geschenkt hat. Ihre Reue ist oft eine rein ästhetische,- es gibt eine Art für sehr ethisch geltender Frauen, die nur dies starke ästhetische Bedürfnis ihres eigenen schönen Bildes haben. Darum ist auch Frauen, die sich verfehlen, so schwer betzukommen, weil das Knochengerüst objektiver Werte und Überzeugungen in ihrer Reue fehlt. S i e sagen immer: „ist denn das nun so schlimm" und stehen eigentlich immer vor Instanzen, die persönlich vergeben können. Die Norm, das Gültige, vor das der Mann sich stellt, kann nicht herankommen und vergeben — es muß bleiben, was es ist. — Die Männerwelt hat dieser Frau, die den Kampf nicht will, das Leben im Hause zugewiesen, den engen Kreisgang von Pflichten, die sie nicht über sich hinausführen, mit denen die Stagnation gegeben ist,- und sie so immer tiefer befestigen in ihrer Art sich zum Leben zu stellen,die Pflicht im H a u s , die sich immer unmittelbar lohnt und dankt, nicht auf weite Zeiten und auf die Welt hinaussieht. Jeder Tag bringt die Mühe und jeder Tag bringt Ziel und Antwort auf die Mühe. Vielleicht halten sich Frauen dieses Charakters ihrer Pflichten wegen auch viel leichter für „gut" als die Männer. — Und ferner: die Männerwelt umstellt diese F r a u , welche die Weltanschauung, die eigene Position zum Leben nicht erstrebt, mit den Schranken von Institution und Sitte,- die ihr nun in der ihr fremden Welt, in der die Frau nun einmal

141 steht, viele Möglichkeiten abschneiden, sich gegen die immer werdenden und sich bildenden Sicherheiten dieser Welt zu verfehlen. M a n sagt oft, Ehe und Sitte sei ein Schutz der Frauen vor den Männern. Aber Ehe und Sitte schützt die Frau da, wo sie es am nötigsten brauchte, vor ihrem Manne, nicht. Die Ehe ist die Institution im Staate, welche nicht dazu dient, den Menschen vor dem Menschen zu behüten, sondern welche gerade als Institution dem einen Menschen die Gewalt über den anderen gibt. Die Institution schützt bekanntlich die Ehefrau nicht vor Notzucht durch ihren Mann. - Sitte und Institution, die sich auf die Frauen beziehen, sind der Schutz der immer im B a u begriffenen Männerwelt vor der Naturhaftigkeit der Frau,- die Mauer, welche die Frauen abschließt von der Männerwelt, der sie als die, welche sie waren, nicht assimilierbar sein konnten. Die Frauen wollten Menschen sür Menschen sein, die Frauen wollten von Menschen leben. Damit ist eine sündhafte Gesamtlage da, die sündhafte Situation des ganzen Geschlechts, in der es keine Auswege für die Einzelnen gibt. I n der die Frauen herumgezogen werden durch das Suchen, Finden, Irren des anderen Geschlechts. Die Situation, in der man ihnen nicht gerecht werden kann, weil sie selbst sich nicht gerecht werden, weil sie Gott nicht gerecht w e r d e n w e i l ihre Substanz darin besteht, anderen gerecht werden zu wollen. Eine Situation, die sich ihnen christlich altruistisch übertüncht. Nirgends so wie im Fall der Frauen tritt es gleich drastisch zutage, das; unsere Welt vernarrt ist — theoretisch, als Forderung — in einen prinziplosen Altruismus: in einen Altruismus, der des Gebens nur eine Grenze kennt: sie liegt da, wo der Mensch „nun auch einmal muß etwas für sich beanspruchen dürfen" — der aber keinen innersten S i n n seiner selbst kennt/ Egoismus—Altruismus, zwei balanzierende Prinzipien wie

142 Askese—Sinnlichkeit. Die Frau hat — um in dem christlichen Ausdruck zu bleiben — die Hingebung geübt und Gott vergessen. S i e hat nicht begriffen, daß der Mensch dem Menschen dienen soll bis unter seinen Fuß, wenn er damit zugleich Gott dient und der Idee. Und daß der Mensch sich nicht untertreten darf, dem Menschen zu dienen, wenn er damit nicht zugleich die menschliche Forderung an sich selbst erfüllt: wenn er nicht zugleich der Idee dient. E s ist nichts Wundervolleres als die Hingebung, es ist nichts Herrlicheres als die Liebe, welche diejenige Liebe nachahmt, mit der die Menschen von einem Gott geliebt sein wollen. Aber es ist ein anderes, wenn der Mensch sich hingibt, weil er nicht stehen kann und will — und sich nun diese Hingabe „zur Gerechtigkeit rechnet". — Innerhalb einer unmoralischen Gesamtsituation kann niemand das Richtige tun, weil es ein einzelnes Richtiges nicht gibt. Hier läßt sich keine Frage nach Necht und Gerechtigkeit beantworten, weil ein Fehler im Ansatz liegt, in den Voraussetzungen,- im einzelnen und als Einzelne haben Mann und Frau im Widerstreit immer beide recht und beide unrecht. Die sündhafte Situation ist da, die sich vererbt von Geschlecht zu Geschlecht und vor der man die ganze Tiefe des Gedankens ermißt von der Sünde, mit der wir geboren werden, die auf uns liegt, schuldlos wie wir noch sind,des Gedankens, von dem die alten Juden sprachen in ihrem Gott, „der die Sünden der Vater heimsucht an den Kindern" in der Strafe ohne eine persönliche Schuld. Uns will das Gefühl von der metaphysischen Schuld, von der Schuld an der Idee, an einer ewigen Ordnung der Dinge, von der Sündhaftigkeit, die nicht eigentlich Schuld des Einzelnen ist, verloren gehen. Wir mikroskopieren die Schuld des Einzelnen. Jenes Gefühl, das die Griechen hatten und das sie in ihren Tragödien ausdrücken: von der Verfehlung gegen ewige Ordnungen ohne eine persönliche

i4Z Schuld des sich Verfehlenden, die ihre Sühne finden muß, damit die in ihrem Gesetz beleidigte Welt ihre Empörung zur Ruhe bringen und den gewohnten Gang rollen kann (Odipus). Uns fehlt das Gefühl für die metaphysische Schuld derer, die nicht stark waren. I n allen Verhältnissen, in denen Menschen einander unterdrücken, liegt eine metaphysische Schuld auch auf der Seite des Schwachen. Die Schande des Besiegtseins, der Sklaverei, der Unterdrücktheit — diese alten, barbarischen Gefühle sprechen davon. Wir wenden uns ab von dieser Barbarei der Gefühle und von den großen Aufrechnungen der Weltgeschichte. Wir sehen nur den Einzelnen: den, der von diesen Eltern, Großeltern, Urgroßeltern stammt, der in diesem Milieu aufgewachsen ist und der „nichts dafür kann". Eine schauderhaste, verweichlichte, unfrohe, unglaubende Art die Menschen zu betrachten. W a s fruchtbar ist, ist wahr,- diese B e trachtungsart aber enthält jedesmal einen Totschlag an etwas Göttlichem. Bei uns ist ein Rest jenes Barbarismus in dem Widerwillen gegen einen Mann, der geschlagen worden ist und dem es zur Schmach gereicht, auch wenn er schuldlos ist/ in der Verachtung eines Mädchens, die jemandes Ding war, wie unschuldig sie auch dazu kam. Diese Ungerechtigkeiten gegen den Einzelnen suchen wir uns abzudisputieren. M a n ist versucht zu sagen: Gott erhalte sie uns! Denn bisher haben wir es nur zu einer intellektualistischen Korrektur dieser Gefühle gebracht, die das elementare Gefühl der Befleckung zerstört, das Gefühl der Beflecktheit, die gesühnt werden muß: der Beflecktheit vor der Idee, verschuldet, gleichviel durch wen — durch welche unheimlichen und zerstörenden Mächten Tür und Tor geöffnet wird,- die nun herfallen dürfen über den, welcher — sei es auch nur als der Erbe — teil hat an einer Treulosigkeit menschlichen Wesens gegen sich selbst. Die metaphysische Schuld ist da bei den Frauen — sie

144 vererbt sich von Geschlecht zu Geschlecht und sie rächt sich. E s sind die Sünden des ganzen Geschlechtes, das nicht vor Gott stehen will, die sich niedersenken auf die Einzelne, ein angehäuftes Chaos von Sünde. Und eine jede sündigt innerhalb des Rahmens jener vererbten und gefestigten Schuld als Gattungswesen,- als Person — möchte man sagen — ist sie schuldlos. Und darum vielleicht rührend, bemitleidenswert, aber darum nicht vollkommener. Aber als Person schuldlos muß eine jede büßen als diese einzelne sür die Schuld des Geschlechts, der Vergangenen. Die Rache kommt auf jede, sie kommt unfehlbar,- das Schicksal schwingt seine Geißel über all die sanften Nacken und zarten Arme und sie fliegt herunter auf alle, unfehlbar: um die vom Leben Abgefallenen aufzurufen zu ihrer metaphysischen Wicht. Die aber ziehen die Sünden der Mütter um sich wie einen großen Deckmantel, unter dem sie sich bergen vor Gott und vor der Verantwortung. S i e bergen sich unter den alten Sünden, um nicht hineinsehen zu müssen in die neue Zeit, die kommen soll. Die Frauen nun, die als die Schwachen zu begütigen gewohnt sind, für sich zu stimmen, versuchen ihre Künste auch vor der furchtbaren Gottheit, vor der sie nicht bestehen. S i e suchen sie zu begütigen, deren Zorn sie nicht mehr verstehen, durch Selbstaufopferung um Selbstaufopferung, die sie darbringen, und die verworfen wird vom Schicksal. E s scheint, sie meinen, daß sie dem Weltgesetz, der ewigen Unerbittlichkeit, etwas abdingen könnten, die Verschuldung balanzieren könnten durch Opferbringen. S i e bringen sich den Kindern zum Opfer,- sie bringen sich dem Manne zum Opfer. E s entstehen Verhältnisse, die überhaupt als B e ziehung eines Menschen, der vor der Ewigkeit steht, zu einem anderen Menschen, der vor der Ewigkeit steht, völlig unziemlich sind, schief, und lauter Schiefheiten ergeben. Und das Sich-Opfern steht zu der Verfehlung ebenso fremd

145 wie für unsere Vorstellung das Schlachten von Tieren in alten Zeiten, um den Gott zu versöhnen! Welches Heidentum in der christlichen Hingabe, die ihre Tränen und Schmerzen anbietet, um sich zu lösen von der Forderung, die nicht nachgelassen wird. Dies Sich-Opsern ist sozusagen ein metaphysisches Opfer für eine metaphysische S ü n d e : die Sünde des Menschen, der von Menschen leben will, die seine Welt machen, aufbringen. I n n e r h a l b dieser Sünde ist es nun gewissermaßen moralisch, jenen Menschen wenigstens zu dienen. Aber dieses Dienen geht vor sich, das Opfer wird dargebracht vor den empirischen Einzelnen,- und die Frau sieht sich nun nach der einzelnen empirischen Sünde um, die sie abdienen müsse. S i e findet sie nicht — so will sie Dank. Und nun kommt der Kummer über den Undank des Mannes für dieses völlige Sich-Darbringen. E s kommt bei dem Manne das schlechte Gewissen,- er fühlt sich undankbar, er fühlt, daß er hier mehr angenommen hat, als er zurückgeben kann,- als er wohl je gesonnen war zurückzugeben,- mehr als er — und das ist der Schluß zum Richtigen aus falschen Prämissen — zurückgeben d a r f , wenn er den Forderungen seines Lebens gerecht werden will. Und er muß das schlechte Gewissen, das ihn plagt, abschütteln, die Frau für gering halten, damit es ihn nicht plage,- das Gefühl preisgebend, das dankbar sein möchte. Denn er fühlt, daß die Bedingungen, auf die sie ihr Leben stellt, ihn zerstören würden. E s ist die Lage, in welcher der Mann unwirsch und ungeduldig und doch mit inneren Schmerzen dem weiblichen Geschlechte gegenübersteht als denen, die ihn behindern in seinen äußersten Bestrebungen. — An jedem Tag, in jeder Stunde kämpfen die beiden Geschlechter einen hoffnungslosen, symptomatischen Kampf in den Schwierigkeiten, welche sich aus einer Gesamtlage ergeben, die nicht sein soll. E n c k e n d o r f f , Leben.

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146 Die Situation ist da, in welcher die Frau als Element der Welt ihre Stellung nicht ausgefüllt hat. D a s ist zugleich die Situation, in der sie den Anderen das Ihrige nicht geleistet hat — sie denen nicht gerecht geworden ist, denen sie gerecht werden wollte. Die Welt ist ein beständig im labilen Gleichgewicht befindliches System von Kräften, die miteinander ringen, sich zu Leistungen anspornen und nötigen. Ein jedes Ding, das mit seinen Kräften herauskommen soll, ist auf feine natürlichen Gegenkräfte angewiesen. Daher sucht der Starke den starken Gegner. E s verfehlt sich gegen sich selbst und andere, was den Widerstand, den es leisten soll, nicht leistet. Hat das Weltgeschehen den Frauen eine Rolle zugedacht in der Ökonomie seiner Kräfte, so haben sie dieselbe nicht gespielt, sie haben sich unterworfen, sie haben versagt. — M a n könnte setzen: die Natur hat Männliches und Weibliches in zwei gesonderten Exemplaren erschaffen, damit sie sich als zwei Wesen verhalten und nicht als eines und sein Echo. Vielleicht wäre es die Aufgabe der Frau gewesen, der Sexualität der Männer ein Gegengewicht zu geben, - sie im Gleichgewicht zu halten. Und vielleicht hätte sich diese Aufgabe von selbst erfüllt, wenn die Frauen, ohne sich besonders auf sie hin zu richten, nur danach gestrebt hätten, Menschen zu sein, anstatt Menschen für Menschen. Vielleicht hätte sich die Sexualität der Männer gar nicht bis zu dem kulturellen Übermaß, von welchem man heute spricht, entwickelt, wenn die Frauen nicht als die wehr- und willenlosen immer gegenwärtig gewesen wären. I n der Welt, wie sie sich nun einmal gestaltet hat, sagt man mit Recht: die Frau stehe der Natur näher als der Mann. D a s hieße, sie muß in geschlechtlicher Beziehung weniger kulturell überreizt sein als der Mann, ihre Geschlechtlichkeit muß mehr an die Natur anklingen als die seine, muß mehr das natürliche M a ß haben. —

147 Die Ehe ist eine Erziehung, sagt man. Sexuell ist sie das nicht. Sexuell ist sie — nehmen wir die Ehegestaltung, wie sie christlicherweise seither bestanden hat — die Verführung für den Mann. Haben die Männer uns nicht erzogen, so beklagen wir uns mit vollem Recht. Aber wahrhaftig, wir haben ihnen zur ihrer Selbsterziehung im Geschlechtlichen wenig beigetragen. Die Weltanschauung ist die des Gehorsams. Die Frau gibt sich auf an die männlichen Bedürftigkeiten, sie stellt ihnen ihr naturhafteres Wesen nicht als ein ringendes Element entgegen. E s gibt nichts von einer derartigen Frauentradition. — Auch die Frau der Erotik bleibt im Naturhafteren nur zurück, um in die Welt des Mannes nicht zu passen, an ihr zu leiden, vielleicht an ihr zu zerbrechen. Und wenn nun der M a n n in der Erotik die Wiederherstellung des Reinen, Natürlichen vollzieht und vollbringt? Wenn er nach der sexuellen Seite des Lebens hin seine eigene innere Welt vollendet und vollbringt? D a s Äußerste der Erotik ist, daß der Mensch sich in seinem Geschlechtsleben einfügt in eine Welt, der er sich darbringt. D a ß das persönliche in diese hineinsinkt und er in seinem Gesühle ahnt und erlebt, daß er dem Gotte gehört in seiner Begattung. Höbe aber der M a n n in dieser Stunde erschüttert und erfüllt die Hände zu einer Gottheit, die er in seinem Gesühl begriff und deren Dienste er sich neu verband: eben die Frau seiner Erotik würde neben ihm stehen und fordern, daß er sich nicht dorthin, sondern zu ihr wende. S i e weiß nichts von Gott. S i e weiß nur von einem Pathos persönlichen Gefühles. S i e kann sich nicht einfügen in eine metaphysische Welt — sie hat keine Welt. Vom Manne soll ihr das Wesen kommen. Die Frau, die dem Manne als die Ewig-Heimatliche gilt, sie eben geht heimatlos und substanzlos durch das Leben, 10»

148 bis sie geliebt wird, das heißt bis sie ausgerufen wird zu der Repräsentantin einer metaphysischen Welt des Mannes. S i e lebt davon, daß sie verehrt wird als dies Symbol aber sie bleibt dabei stehen,- sie geht auch jetzt nicht in diese Welt und zu Gott. S i e lebt davon, daß sie dies Symbol ist,- das muß ihr bleiben, dies muß sie gewinnen in ihren Liebesstunden,- und fühlt der Mann über das Symbol hinaus in eine Welt, die ihn nun hält und trägt, so fällt sie in sich zusammen: D u liebst mich nicht! S i e muß das Einzelne sein, an dem die Liebe endet. Für sie fällt auch in der vollkommensten Erotik ihr Einzelwesen und die Welt auseinander,- nach allem was sie ist muß sie fordern, daß das vereinzelt persönliche in der Begattung das Höchste ist. Um dieser Bedürftigkeit willen, geschaffen zu werden durch des Mannes Erotik, sind die Frauen die Wesen, welche an der Begierde des Mannes zerbrechen, welche seine Sünde, seine Willkür zerstört,- und die Wesen, welche seiner Vollkommenheit nicht gewachsen sind,- wenn er über seine Willkür hinaus ins Ewige geht, so vermögen sie ihm nicht zu folgen. Er geht zu Gott, die Frau muß wieder auf den Menschen sehen. Die Frau ist die Göttin, weil sie zur Erotik Gelegenheit gibt. Die Frau ist verachtet, weil sie als Gegenstand des geschlechtlichen Lebens zum Abfall Gelegenheit gibt, wenn eben dieses von der Welt abfällt. S o ist bei den Völkern die Rede verbreitet: die Frau ist das Gefäß der Sünde. Die Frauen aber sagen nicht: der Mann ist das Gefäß der Sünde. Die Frauen wissen nichts von Abfall und Vollkommenheit. S i e wissen nur von dem Manne, der ihnen das S e i n gibt und nimmt, von seinen Widersprüchen, an denen sie zerschellen. Liebt er sie nur sinnlich, so gibt er nicht genug, daß sie innerlich davon leben könnten. „Edle Frauen" wollen die „höhere Liebe",- sie wollen das Geschenk eines höheren Lebens,- sie wollen

149 „nur geliebt sein" — so nennen sie manchmal dies Herumgehen um das Leben, und es klingt bescheiden! — (Und das Gelten-Wollen durch die Liebe setzt sich fort und karikiert sich in dunkelsten Regionen. Ich zweifle, ob nicht manchmal, wenn die Frauen die Begattungsstunden erstreben und man von sinnlicher Nötigung bei ihnen spricht, nicht ein elendestes Gelten-Wollen darunter steckt — eine viel furchtbarere Nötigung.) — E s wird Raum sein für die große Liebe, wenn die Frauen einmal keinen T r i b u t mehr brauchen (die Liebe brauchen wir alle!). E s giebt keine Schönheit in der Liebe und keine Menschlichkeit in der Begattung, solange die Frauen nicht zu Wesen werden, die zu den eigenen Göttern beten. Die Frauen fangen an, sich frei zu machen. I n bezug auf das Geschlechtliche: die Frauen machen zunächst eine Opposition gegen das erotische Ideal,- gegen das Ideal, das sie unsinnlich, körperlich unbedürftig wissen wollte. „Berechtigte natürliche Sinnlichkeit" — die Frauen fordern sie auch für sich/ ein Recht, das billig denkende Männer, die an „das Natürliche" denken, sich gedrungen fühlen ihnen zuzugestehen. — I n der „berechtigten natürlichen Sinnlichkeit" steckt nach heutiger Terminologie und Auffassung ein Chaos. S i e spricht der Frau ein Recht auf Begierden zu, von denen die Erotik sie frei wissen wollte. Von denen der Mann, der erfahrener im Leben steht — auch in seinem eigenen —, doch weiß trotz aller Unklarheiten, daß sie zu den Dunkelheiten seines Lebens gehören. Er spricht nicht gern von ihnen. Die Frauen horchen auf „sinnliche Regungen" -- die nun auch wieder ein Chaos enthalten — hin in sich, im Eifer des Neuen, der Opposition, des Fortschritts. S i e proklamieren vor

150 allem, daß sie sie haben,- und sie fangen oft das Wert ihrer Befreiung — ohne sich irgend darüber klar zu sein — an der demütigsten Stelle des Männerlebens an, dem sie sich gleichsetzen wollen. Tragikomödie! Aber es steckt hierin wenigstens der wichtige Punkt, daß die Frau dazu ansetzt, sich von dem Aufgehen in männliches Wesen und männliche Forderung zu befreien. Wenn auch diese Emanzipation keinen Gedanken enthält,- wenn sie auch nur erst lediglich vor die männliche Forderung das Negationszeichen setzt. Die Frauen müssen wohl da ansetzen, wo sie stehen. Wenn sie auch nur erst d i e Freiheit enthält, daß der eine Mensch soll tun können, was er den anderen tun sieht. Die letzte und tiefste menschliche Freiheit ist aber die, daß das Sein des Menschen eine bestimmte metaphysische Gewendetheit hat und ihr nachzuleben versteht. M a n erschrickt nun viel über Unregelmäßigkeiten, die sich mit der Emanzipationsbewegung eingestellt haben. Wichtig ist nur, daß die Frau, wenn sie sich verfehlt, nicht lediglich einer neuen Dogmatik von solchen Männern unterliegt — wie es hier und da geschehen sein mag — denen Durchreißung mancher alten innerlichen Bindung der Frau gut scheint, weil sie ihre Rechnung dabei finden. Wichtig allein ist, daß die Frau das Sexuelle nicht mehr verantwortungslos tue. Wichtig, daß die Frau nicht nur oppositionell bleibt,- denn auch das nimmt ein Feines, Weniges von Selbstverantwortung, wenn sie unfrei bestimmt ist durch den Widerspruch. Selbst, von sich her stürze sie sich in die Anarchie -- so wird sie sich selbst herausfinden müssen zur Form, wenn sie zur freien Persönlichkeit kommen will. — Und sie muß dazu kommen! Neben der Verzweiflung über die Vergangenheit der Frau steht die Hoffnung für ihre Zukunft - eine Hoffnung

15i die vielleicht nur aus dieser Verzweiflung geboren werden kann: eben aus dieser Verzweiflung, die in dem äußersten Anspruch an das Wesen Frau begründet steht. Die Welt macht Ansätze, der Frau zur metaphysischen Selbständigkeit zu helfen: wir stehen an einer Wende, an der der Nimbus der Frau brüchig geworden ist und die alten erotischen Ideale, die sie trugen. — Je älter die Menschheit wird, um so rätselhafter wird das Leben, um so geheimnisvoller ist die Welt geworden. J e mehr der Mensch seine Erde kennt und übersieht, ihre Kräfte findet und unter sich bringt, sie nutzen lernt, sie beherrschen lernt/ je weiter er hineinsehen lernt in den Weltraum um ihn, und seine Ereignisse und die Gänge der Welten auf seine Zahlen und Formeln zu bringen versteht, sie kennt, sie berechnet, sie vorher weiß und mit ihnen vertraut ist,- je mehr er das Menschengeschlecht in seiner ganzen Ausdehnung über diese Welt kennen lernt in seinem Gebahren, in seinem Wollen und Leiden,- je mehr die Vergangenheit dieser Menschenwelt und dieses Kosmos sich vor ihm aufrollt und das leere Blatt ihrer Chronik sich mit den Merkzeichen feines Wissens und Vorfchauens bedeckt — um ebensoviel unheimlicher, um ebensoviel rätselhafter ist Welt und Leben geworden. Um so ferner rückt ihm diese Welt, die er einst ganz nah hatte, um so einsamer, um so fremder, um so verlassener ist er in ihr. Mit um so riesenhafteren Raum- und Zeltstrecken muß er rechnen, die zu dem Raum- und Zeitmaß seiner leiblichen Existenz ein immer phantastischeres, ein immer drohenderes Verhältnis annehmen. — Über den primitiven hinaus (dem die UnHeimlichkeit, das Geheimnisvolle des Lebens stündlich bis unter sein Dach rückt, bis an die Haut, dem die Dämonen und Gespenster manchmal so bedrängend die Luft erfüllen, daß er sie mit Feuer und Lärm vertreiben muß, um nur einmal wieder frei

152 atmen zu können) hat die Menschheit immer versucht, den Strom des Geheimnisses, der unter dem Leben hinzieht, der das Leben ist, auszuschöpfen in Deutlichkeiten, die der Welt das M a ß des Menschen geben: Lohn und Strafe auf Erden,- die nahen Götter, ihr Befehl im Vogelflug,Götter, welche die Beute des Krieges mit den Menschen teilten,- die Sterne Seelen, Seelen die man sehen kann,das Himmelsgewölbe die durchlöcherte Kugel, durch die man das Weltfeuer sieht — das letzte 'Prinzip, das Urelement der Welt,- Lohn und Strafe im Himmel, der seine räumliche Stelle hat,- Gott, der jeden Wochenschluß die Zeche macht. Uns Heutige ruft das Geheimnis an aus ferneren und unerhörten Tiefen der Welt und spricht uns sogleich von viel ferneren Tiefen unseres eigenen Inneren. Wir warten nicht mehr auf das tausendjährige Reich,- wir erfahren mit Schaudern, daß unsere erkannte Welt rätselhafter bleibt als die unerkannte der alten Zeit und die Welt hinausgewachsen ist über menschliches Maß. Wir sehen uns mit Glück und mit Entsetzen verflochten in einen unendlichen Strom, der lebt. — Zu jenen alten Deutlichkeiten gehört es, daß der Mensch den Menschen vergöttlichte, von den Gott-Königen und König-Göttern der alten und der naiven Zeiten, den Gott-Inkarnationen reiferer Religionen abklingend bis herab zu dem erotischen Ideal von der Frau. Der Mensch will das Göttliche sehen, er will es anrühren. Die Gläubigkeit an solche göttlichen Sichtbarkeiten geht der Welt verloren und zieht mit sich ihre Ausläufer: den Nimbus der Frau. Der empirische Mensch ist heut zu sehr von allen Seiten betastet und bedacht, der König und der Priester zu sichtbar und zu nahe — wir vergöttern einander nicht mehr. Der König und der Priester tritt in die Reihen der Menschen, die sich ernster als je zusammenschließen, und neben den Mann tritt die Frau. Wie wir einst vor der entgötterten

153 Natur standen, in der das Göttliche nicht mehr lebt wie die Dryas im B a u m , so stehen wir jetzt vor der entgötterten Menschheit, in der das Göttliche vielleicht ähnlich hatte leben sollen wie die D r y a s im Baum. Aber wie die entgötterte Natur gewaltiger, göttlicher, unendlicher geworden ist von einer unsentimentalischen und unmythologischen Göttlichkeit, so ist die entgötterte Menschheit göttlicher geworden: aufgenommen in sie und sie durchdringend, was der Mensch sich als fremd und andersartig gegenüberstellen wollte. Liebend, sehnsuchtsvoll und verehrend drängen wir uns herzu zu den Begnadeten, zu den Gesegneten, in denen wir das Herz der Welt lauter klopfen fühlen als in uns anderen,- aber aller Trost, der uns Heutigen von solchen ausgeht, ist, daß sie unseres Wesens sind — unseres Wesens, von denen jeder Gott suchen muß und keiner ihn hält, daß seine Hand ihn austeilen könnte. Götterglauben und Autoritätsglauben wankt in unserer Zeit. W a s sie dafür aufbringen soll ist, daß das Verantwortungsgefühl auf alle rückt, daß ein jeder sich fühlt als ein Soldat in der vordersten Reihe. Die menschliche Forderung ist höher, steht dringlicher vor dem Einzelnen als je. Und tiefer als je suchen wir die Spuren des Göttlichen einer km anderen: in Not und Sorge, wie vielleicht keine Zeit sie kannte, ob wir nicht Lebendiges zerstören, wenn wir unsere knappen Ideale einander aufpassen, und wegschneiden wollen, was ihnen nicht kongruiert — als solche, die Gottes lebendige Gedanken ausschöpfen wollen. Und in Not und Sorge, wie vielleicht noch keine Zeit sie kannte, um Festes, um Ewiges, um Gültiges. Mit dieser Wandlung der Welt, die der Frau den Nimbus nimmt, ergeht die Forderung etwas zu sein an sie mit einem Ernst, mit einer Dringlichkeit, wie nie zuvor. Und sie wird diese Forderung erfüllen/ denn sie muß.

154 D a s Rad des Weltgeschehens dreht sich nicht zurück, das Göttinsein wird ihr nicht mehr geschenkt. Oder sie bleibt übrig in dieser verwandelten Welt ohne Platz, im Leeren. Der einzig sittliche Weg für sie ist, die Nötigung der Zeit aufzunehmen,- welche Lebensschwierigkeiten sich auch ergeben und ob die Frau verdammt ist, erst einmal in das Stadium der Karikatur oder in das Stadium der Anarchie zu tauchen: der einzig sittliche Weg für die Frau — und für das Geschlechtswesen Frau — ist der Kampf um ein selbständiges Menschentum.

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