Rücknahme- und Rückgabepflichten im Umweltrecht [1 ed.] 9783428498031, 9783428098033

Indem Rücknahmepflichten bewirken, daß Produkte nach Gebrauch wieder an den Hersteller und Vertreiber zurückgelangen, di

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Rücknahme- und Rückgabepflichten im Umweltrecht [1 ed.]
 9783428498031, 9783428098033

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STEFAN BAUERNFEIND

Rücknahme- und Rückgabepflichten im Umweltrecht

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M ich a e I Klo e p fe r, Berlin

Band 95

Rücknahme- und Rückgabepflichten im Umweltrecht

Von Stefan Bauemfeind

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Bauernfeind, Slefan:

Rücknahme- und Rückgabepflichten im Umweltrecht I von Stefan Bauemfeind. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 95) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09803-X

Alle Rechte vorbehalten

© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-09803-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Kawn ein Bereich des Umweltrechts war in jüngster Zeit solchen Wandlungen unterworfen wie der des produktbezogenen Abfallrechts. Die vorliegende Arbeit beruht auf einem weitgehend unveränderten Entwurf vom Oktober 1996. Recht (Gesetze, Verordnungen, EU-Richtlinien und EU-Verordnungen) und Rechtsprechung sind auf dem Stand 01.01.1998; darüber hinaus konnten Änderungen und Ergänzungen nur noch vereinzelt vorgenommen werden. Die vorgenommene Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen von Rücknahme- und Rückgabepflichten ermöglicht jedoch auch künftig die Einordnung und Bewertung etwaiger neu geschaffener ordnungsrechtlicher Pflichten. Das Thema geht auf eine Anregung von Herrn Prof. Dr. Rüdiger Breuer zurück. Ihm gilt mein aufrichtiger Dank ftir seine stets wertvollen Hinweise und Ratschläge und filr seine jederzeit engagierte, geduldige und sehr freundliche Betreuung. Herrn Prof. Dr. Jost Pietzcker danke ich rur die Übernahme des Zweitgutachtens. Dank schulde ich auch allen Mitarbeitern von Behörden, Interessengruppen und Verbänden, die als kompetente Gesprächspartner zur Verfiigung standen. Nur dadurch konnte der Versuch unternommen werden, auch die maßgeblichen tatsächlichen Rahmenbedingungen in die Arbeit einfließen zu lassen. Besonders danken möchte ich auch Frau Sandra Voos und Herrn Dr. Thomas Pastor rur ihre wichtigen und kritischen Anmerkungen, die ftir das Entstehen der Arbeit von großer Bedeutung waren. Für die Aufuahme in die Schriftenreihe danke ich dem Herausgeber, Herrn Prof. Dr. Michael Kloepfer, recht herzlich. Dem Bundesumweltministerium bin ich ftir die Gewährung eines Druckkostenzuschusses dankbar. Die Arbeit ist meinen Eltern gewidmet.

Bonn, im Dezember 1998

SIefan Bauernfeind

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Erster Teil Rücknahmepflichten A. Allgemeine Aspekte - Terminologie, Systematik und Funktionen der Rücknahmepflichten ...................................................... 30 B. Grundlagen der Rücknahmepflichten in den umweltrechtlichen Leitprinzipien . . . 83 C. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht ................ 142 D. Bestehende bundesrechtliche Rücknahmepflichten ........................ 341 E. Fazit ............................................................ 473

Zweiter Teil Rückgabepflichten

A. Allgemeine Aspekte - Terminologie, Systematik und Funktionen der Rückgabepflichten ................................................ 477 B. Grundlagen der Rückgabepflichten in den umweltrechtlichen Leitprinzipien .... 490 c. Grenzen rur Rückgabepflichten aus übergeordnetem Recht ................. 493

Dritter Teil Reformansitze

A. Erfassung weiterer Produktbereiche durch Rücknahmeptlichten ............. 549 B. Alternative Reformansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602

Wertung und Ausblick ................................................ 609 Literaturverzeichnis .................................................. 611 Stichwortverzeichnis ................................................. 648

Inhaltsverzeichnis Einleitung ........................................................... 25 Erster Teil Rücknahmepflichten A. Allgemeine Aspekte - Tenninologie, Systematik und Funktionen der Rücknahmepflichten ......................................................... I. Begriff der Rücknahmepflicht .................................... 11. Mögliche Ziele von Rücknahmepflichten ............................ I. Entlastung der öffentlichen Abfallentsorgung ...................... 2. Keine Beschränkung auf den Bereich der Abfallverwertung ........... 3. Abfallvenneidung als Schwerpunkt .............................. 4. Mögliche Konsequenzen tUr die Ausgestaltung von Rücknahmepflichten . a) Mögliche Pflichtadressaten .................................. b) Möglichkeit der Internalisierung von Verwertungs- und Beseitigungskosten .................................................. 5. Ergebnis ................................................... III. Rücknahmepflichten als Mittel der direkten oder indirekten Verhaltenssteuerung .................................................... IV. Rechtsnatur: öffentlich-rechtliche Pflicht ............................ V. Frage der Existenz eines Rückgaberechts ................ . ...... . .... I. Überblick über den Meinungsstand ...... . ........... . ........... 2. Denkbare Begrundungsansätze ................................. a) Neues gesetzliches Schuldverhältnis ........................... b) (Quasi-)Negatorischer Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch ... aal Eigentumsbeeinträchtigung ............................... bb) Rücknahmepflichten als Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB .. c) Ergebnis ................................................. VI. Frage des Bestehens eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Rückgabewilligen auf staatliche Durchsetzung der Pflicht .......................... I. Begriff eines subjektiv-öffentlichen Rechts ........................ 2. Identifizierung einer Anspruchsgrundlage ......................... 3. Abgrenzung rechtlich geschützter Interessen von Rechtsreflexen ....... 4. Anwendung der Kriterien ................................. . ....

30 30 33 33 34 36 37 37 38 40 40 42 43 43 44 44 46 47 48 52 53 53 53 55 56

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Inhaltsverzeichnis VII. Frage eines Anspruchs auf Kostenersatz bei verweigerter Rücknahme .. . .. 1. AufWendungsersatzanspruch nach §§ 679, 683 BGB ................. 2. Gesamtschuldnerausgleich analog §§ 421, 426 BGB ................. VIII. Abdingbarkeit und private Dispositionsmöglichkeiten .................. IX. Bedeutung und Zulässigkeit der Erfüllung durch Dritte ................. 1. Sinn und Zweck einer Erfüllung durch Dritte ...................... 2. Zu lässigkeit der Beauftragung Dritter ............................. 3. Kreis möglicher Dritter ........................................ a) Produktinhaber ........................................... b) Selbst zur Rücknahme Verpflichteter .......................... c) Rücknahmesysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Folgen und Grenzen einer Einschaltung Dritter ..................... 5. Frage der Möglichkeit einer pflichtersetzenden Drittbeauftragung ...... 6. Grenzen der Beauftragung des Endverbrauchers als Dritten ........... a) Beauftragung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ............ b) Preisgutschrift beim Kauf ................................... 7. Fazit: Beauftragung Dritter als "bequemer Ausweg"? ................ X. Zusammenfassung .............................................

60 61 63 64 66 67 68 71 71 72 73 74 77 78 78 79 80 81

B. Grundlagen der Rücknahmeptlichten in den umweltrechtlichen Leitprinzipien ... 83 I. Verursacherprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Herleitung und Wurzeln ....................................... 84 a) Wirtschaftswissenschaften ................................... 85 b) Polizei- und Ordnungsrecht .................................. 85 2. Inhalt ...................................................... 86 3. Rücknahmepflichten als Ausprägung des Verursacherprinzips? ........ 89 4. Ergebnis ................................................... 92 11. Vorsorgeprinzip ............................................... 93 1. Begriff und Inhalt ............................................ 93 2. Rücknahmepflichten: Gefahrenvorsorge oder Ressourcenvorsorge? ..... 96 a) Zweck: Frage der Berücksichtigung indirekter Effekte ............. 96 b) Gefahrenvorsorge oder Ressourcenvorsorge? ................... 96 aa) Schonende Inanspruchnahme von Ressourcen und Offenhaltung von Belastungsreserven ................................. 96 bb) Gefahrenvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 cc) Vorliegen eines Gefahrenverdachts ........................ 98 dd) Kritik ............................................... 99 3. Ergebnis .................................................. 100 III. Produktverantwortung ......................................... 10 1 1. Beschreibung .............................................. 101 2. Verankerung im KreislaufWirtschafts- und Abfallgesetz ............. 103

Inhaltsverzeichnis

IV.

a) Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte des KrW-/AbfD ...... b) Entstehung des § 22 KrW-/AbfD ............................ 3. Inhalt der Produktverantwortung nach § 22 KrW-IAbfD ............. a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Rechtscharakter .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aal Entwicklung ......................................... bb) Möglichkeiten der Charakterisierung ...................... (I) Direkt wirkende und durchsetzbare Verpflichtung ......... (2) Programmsatz mit Apellcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (3) Grundpflicht ...................................... d) Umfang der Produktverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aal Allgemeines ......................................... bb) Arten der Produktverantwortung ......................... (1) Produzentenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Produktverantwortung im engeren Sinn ................. (3) Produktverantwortung im weiteren Sinn ................ cc) Produktverantwortung als Verantwortung rur den gesamten Lebenszyklus? ......................................... 4. Parallelen ................................................. a) Zivilrechtliche Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Verhältnis des Grundsatzes der "neuen" Produktverantwortung zum Verursacherprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) "Cradle-to-grave"-Prinzip .................................. d) Neuerung oder Ausdehnung? ............................... 5. Rücknahmeptlichten nach § 24 KrW-IAbfD als Mittel zur Umsetzung der Produktverantwortung .................................... a) Frage eines Vorrangs der indirekten Steuerung der Produktverantwortung über Rücknahmepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) § 24 KrW-/AbfD ......................................... aal Umschreibung der Anforderungen an die Rücknahme in § 24 Abs. 1 Nr. 1-3 KrW-IAbfD ........................ bb) Adressaten .......................................... cc) Altprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Grundsatz der Effektivität der Pflichten .................... ee) Konkretisierung der Kostentragung ....................... ft) Frage einer Rücknahmepflicht rur die nach Gebrauch der Erzeugnisse verbleibenden Abflllle ......................... 6. Ergebnis .............................................. . ... Zusammenfassung ............. . ..............................

11 \03 107 \08 108 \09 112 113 114 114 116 117 122 122 122 122 123 124 125 127 127 129 130 131 132 132 134 134 136 13 7 137 138 139 140 141

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Inhaltsverzeichnis

c. Grenzen filr Rücknahmeptlichten aus übergeordnetem Recht I.

. . . . . . . . . . . . . . .. Verfassungsrechtliche Grenzen .................................. 1. Grundrechte der Adressaten von Rücknahmepflichten ............... a) Art. 12 Abs. 1 GG ........................................ aa) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Adressaten von Rücknahmeptlichten ................... (2) Deutsche natürliche und juristische Personen ............. (3) Ausländische natürliche und juristische Personen ......... bb) Eingriff ............................................. (1) Umweltbelastende Tätigkeiten und Schutzbereich ......... (2) Betroffenheit des Schutzbereichs ...................... (a) Frage einer generellen Betroffenheit ................. (b) Berufsausübung ................................ (c) Berufswahlfreiheit ........... . ................... (3) Rücknahmeptlicht als Eingriff ........................ (4) Ergebnis ......................................... cc) Rechtmäßigkeit ....................................... (1) Rücknahmeptlichten als "Indienstnahme Privater" filr öffentliche Aufgaben ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verhältnismäßigkeit ................................ (a) Allgemeine Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ........................................ (b) Drei-Stufen-Theorie ............................. (c) Zweck der Regelung ............................. (aa) Vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls ....... (bb) Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter bzw. Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher schwerer Gefahren filr ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut .................. (d) Geeignetheit ................................... (e) Erforderlichkeit ................................ (aa) PrUfungsmaßstab und Kriterien filr die ErforderIichkeit von Rücknahmeptlichten . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Frage eines Vorranges filr freiwillige Maßnahmen .. (cc) Fehlende Erforderlichkeit bei Gewährung einer "Ablösemöglichkeit"? ........................ (f) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn ................ (aa) "Unternehmensfremde" Tätigkeiten ............. (bb) Gestaltung der Kostentragung ................. (cc) Möglichkeit einer Beauftragung Dritter .......... (dd) Fazit .....................................

142 142 142 143 143 143 145 145 147 147 148 148 150 150 151 152 153 153 156 157 158 160 160

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Inhaltsverzeichnis (g) Konkretisierung des VerhäItnismäßigkeitsgrundsatzes im KrW-/AbfD ................................... (aa) Frage der Bindung von Rücknahmepflichten an die technische Möglichkeit und wirtschaftliche Zumutbarkeit der Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Klarstellende Bedeutung des § 22 Abs. 3 KrW-/ AbfD ..................................... (cc) Bedeutung der Begriffe "technische Möglichkeit" und "wirtschaftliche Zumutbarkeit" . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis ......................................... b) Art. 12 Abs. 2 und 3 GG ................................... c) Art. 14 Abs. 1 GG ........................................ aa) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Schutzbereichsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Ergebnis ............................................ d) Art. 2 Abs. 1 GG ........................ . ................ e) Art. 3 Abs. 1 GG ......................................... aa) Personeller Schutzbereich ............................... bb) Schutzbereichsbeeinträchtigung .......................... cc) Grenzen rur die FestIegung von Rücknahmepflichten ......... (1) Willkürverbot ..................................... (2) Verhältnismäßigkeitsorientierte Prüfung ................ (a) Zulässigkeit des Differenzierungskriteriums ........... (b) Zulässigkeit des Differenzierungsziels ............... (c) Relation zwischen Differenzierungskriterium und Differenzierungsziel ................................. dd) Ergebnis ............................................ f) Ergebnis der Prüfung der Grundrechte der Adressaten von Rücknahmepflichten ............................................. 2. Sonstige verfassungsrechtliche Grenzen .......................... a) Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt .................... aa) Grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt ....................... (1) § 14 AbfD ........................................ (2) §§ 22, 24 KrW-/AbfD ............................... (3) § 17 ChemG ...................................... (4)Fazit ............................................ bb) Wesentlichkeitstheorie und Parlamentsvorbehalt ............. (1) Allgemeines ...................................... (2) Meinungsstand zur Frage der "Wesentlichkeit" von Rücknahmepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Charakter der Produktverantwortung als "Grundpflicht" und Wesentlichkeitstheorie ..............................

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Inhaltsverzeichnis

11.

(4) Mitwirkungsrecht des Bundestages nach § 59 KrW-/AbfG .. 218 (5) Frage der Wesentlichkeit von Rücknahmeptlichten ........ 224 (6) Fazit ............................................ 227 b) Rückwirkungsverbot ...................................... 227 aa) Begriff der Rückwirkung ............................... 228 bb) Frage einer Rückwirkung bei Rücknahmepflichten für Altprodukte .............................................. 230 cc) Folgerungen für die Rechtmäßigkeit von Rücknahmepflichten für Altprodukte ....................................... 232 (I) Frage eines schutzwürdigen Vertrauens ................. 232 (2) Güterabwägung .................................... 235 dd) Fazit und Folgerungen für die Ausgestaltung ................ 236 c) Grundrechte von Drittunternehmern .......................... 237 d) Kommunales Selbstverwaltungsrecht ......................... 240 e) Grundrechte der Produktinhaber .................. . .......... 243 Europarechtliche Grenzen ...................................... 244 I. Frage einer Beeinträchtigung des freien Waren verkehrs nach Art. 3 Off. EGV durch Rücknahmepflichten ............................... 244 a) System des Schutzes des freien Warenverkehrs nach dem EGV ..... 244 b) Abgrenzung des PrUfungsumfangs ........................... 245 c) Vorfragen .............................................. 247 aa) Adressaten von Rücknahmepflichten ...................... 247 (I) Frage von ausländischen Herstellern als Adressaten von Rücknahmepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (2) Räumliche Grenzen der Gesetzgebung .................. 249 (3) Ergebnis ......................................... 251 bb) Rücknahmepflichten als staatliche, auf Waren bezogene Maßnahmen und Fehlen einer Harmonisierungsregelung .......... 251 d) Überblick: Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV ........... 251 e) Beurteilung von Rücknahmeptlichten nach dem Keck-Urteil ....... 252 aa) Unterscheidung "produktbezogene"- "vertriebsbezogene" Regelungen ............................................. 252 bb) Möglichkeit zur Übertragung der Grundsätze auf weitere Bereiche .............................................. 254 cc) Frage einer allgemeinen, nicht diskriminierenden Wirkung von Rücknahmepflichten ................................... 255 ( 1) Allgemeine Geltung ................................ 256 (2) Tatsächlich gleiche Berührung in- und ausländischer Adressaten ....................................... 256 dd) Ergebnis ............................. . ...... . ....... 259 t) Dassonville-Formel ....................................... 259 g) Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung .................... . ....... 262

Inhaltsverzeichnis

III.

15

aa) Umweltschutz als zwingendes Erfordernis des Gemeinschaftsrechts .............................................. 263 bb) Notwendigkeit von Rücknahmepflichten zur Zielerreichung .... 266 cc) Beurteilungsspielraum hinsichtlich des verfolgten Ziels ........ 267 dd) Frage der Notwendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ... 268 ee) Verhältnismäßigkeit von Rücknahmepflichten ............... 270 (a) Geeignetheit ...................................... 270 (b) Erforderlichkeit .................................... 271 (c) Angemessenheit ................................... 273 h) Ergebnis ................................................ 274 2. Bedeutung des bestehenden abfallrechtlichen EG-Sekundärrechts für die Rechtmäßigkeit nationaler Rücknahmeptlichten ................ 274 a) Abfallrahmenrichtlinie ..................................... 276 b) Richtlinie über die Altölbeseitigung .......................... 278 c) Richtlinie über geflihrliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren .............................................. 280 d) Richtlinie über geflihrliche Abfälle ........................... 282 e) Verordnung über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht fUhren . . 282 f) Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle ........... 285 aa) Vorgeschichte und Entstehung ........................... 285 bb) Überblick ........................................... 288 cc) Folgerungen für nationale Rücknahmepflichten .............. 289 (\) Begriff der Rücknahmesysteme ....................... 289 (2) Zu lässigkeit individueller Rücknahmepflichten ........... 293 (a) Vereinbarkeit des Bestehens individueller Rücknahmepflichten mit der Existenz eines "Rücknahmesystemes" . 293 (b) Rücknahmepflichten als richtlinienentsprechende Maßnahmen ....................................... 294 (c) Verbleibender nationaler Handlungsspielraum ......... 296 (3) Folgen aus der Begrenzung der zulässigen Verwertungsmenge 298 (4) Weitere Aspekte ................................... 301 g) Ergebnis ................................................ 30 I 3. Frage einer Notifizierungspflicht als formelle Beschränkung .......... 30 I 4. Exkurs: Möglichkeiten zur EinfUhrung EG-weiter Rücknahmeptlichten . 306 5. Ergebnis .................................................. 310 Rechtliche Grenzen für kommunale Rücknahmepflichten .............. 311 I. Einführung genereller Rücknahmeptlichten durch kommunale Satzung . 312 a) Allgemeinen Satzungsautonomie ............................. 312 b) Landesrechtliche Abfallvermeidungs- und Abfallverwertungsförderungsptlicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 15 c) Ermächtigung zur Regelung der Benutzung der öffentlichen Einrichtung "Abfallentsorgung" ................................ 315

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Inhaltsverzeichnis d) Zwischenergebnis ........................................ 2. Rücknahmepflichten bei der Benutzung sonstiger öffentlicher Einrichtungen ................................................... a) Aufnahme von Rücknahmepflichten in Benutzungsregelungen ..... b) Möglichkeiten zum Ausschluß des Rücknahmegutes aus der kommunalen Abfallentsorgung ................................. 3. Rücknahmepflichten als Nebenbestimmungen zu Erlaubnissen und Genehmigungen .............................................. a) Auflage zu straßenverkehrsrechtlicher Erlaubnis oder straßenwegerechtlicher Sondernutzungserlaubnis ......................... b) Auflage nach § 5 Abs. 1 GaststättenG (GastG) ................. 4. Frage des Landesordnungsrechts als Grundlage für Rücknahmepflichten 5. Ergebnis ..................................................

318

D. Bestehende bundesrechtliche Rücknahmepflichten ........................ I. Rücknahmepflicht für Altöl nach § 64 KrW-/AbtU, § 5 b AbtU ......... 1. Altölentsorgung als umweltpolitisches Problem .................... a) Umweltgefährlichkeit ..................................... b) Mengenanfall und unkontrollierte Beseitigung .................. c) Schadstoftbelastung ....................................... 2. Ökonomische Gründe für eine Altölnutzung ...................... 3. Entwicklung des Rechts der Altölentsorgung ...................... a) Inhalt des AltölG von 1968 ................................ b) Das Scheitern des AltölG .................................. aa) Kritik an den Regelungen ............................... bb) PeB-Problematik als Hauptgrund für das Scheitern des AltölG . c) Wertung des AltölG ....................................... 4. Fortbestehende Regelungen zur Altölentsorgung unter dem AbtU ..... a) Entstehungsgeschichte von §§ 5a, 5b AbtU und der AltölV ........ b) Altölbegriffund ÖI-Mindestgehalt ........................... c) Verwertung und Beseitigung von Altöl ........................ d) Rücknahmepflicht für Altöl nach § 5 b AbtU ................... aa) Voraussetzungen ...................................... (I) Adressat der Rücknahmepflicht ....................... (2) Frage des Verkaufs vegetabiler Öle .................... (3) Adressaten der Rückgabemöglichkeit ................... (4) Keine Höchstmengenklausel .......................... (5) Frage der Abdingbarkeit ............................. (6) Frage einer Drittbeauftragung der Käufer ......... . ...... bb) Inhalt der Rücknahmepflicht ............................ (1) Pflicht zur Einrichtung oder zum Nachweis einer AnnahmesteIle ............................................

341 342 342 342 343 344 346 347 348 348 349 351 353 354 354 355 357 358 359 359 360 360 361 361 362 363

318 319 326 330 331 335 338 339

363

Inhaltsverzeichnis

11.

17

(2) Rücknahmeort ..................................... 364 (3) Begrenzung auf "gebrauchte" Öle ...................... 366 (4) Menge ........................................... 366 (5) Ölwechselabfiille, Gebinde ........................... 366 (a) Behältnisse .................................... 367 (b) Ölwechselabfiille ................................ 368 (6) Kostenlose Rücknahme .............................. 369 cc) Begleitende Elemente ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (I) Vermischungsverbot ................................ 371 (2) Hinweisptlicht ..................................... 373 (3) Keine Rückgabeptlicht .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 dd) Rechtmäßigkeit ....................................... 374 ee) Wertung ............................................ 375 5. Ausblick .................................................. 377 Verpackungsverordnung ........................................ 379 1. Einfilhrung ................................................ 379 2. Umweltpolitische Problemstellung .............................. 381 3. Vorgeschichte .............................................. 382 4. Entstehungsgeschichte ....................................... 385 5. Systematik der Verpackungsverordnung (Überblick) ................ 388 6. Rücknahmeptlichten nach der VerpackV: Allgemeine Fragen ......... 389 a) Frage der Abdingbarkeit ................................... 389 b) Einschaltung Dritter ...................................... 389 c) Bedeutung der Existenz Dualer Systeme ....................... 390 d) Adressaten der Rücknahmeptlichten .......................... 392 e) Adressaten der Rückgabemöglichkeit ......................... 394 7. Verpackungsarten ........................................... 395 a) Transportverpackungen .................................... 396 aa) Lieferung an den Endverbraucher ......................... 396 bb) Zustellungs- und Versendungskauf ....................... 398 cc) Übergabeverlangen .................................... 399 b) Verkaufsverpackungen .................................... 400 aa) Individuelle oder generalisierende Betrachtungsweise ......... 400 bb) Einteilung der Verkaufsverpackungsarten .................. 401 cc) Frage eines Schwellenwerts .................... . ... . .... 402 c) Umverpackung ........................................... 403 aa) Funktionen nach § 3 Abs. I Nr. 1 VerpackV ................ 403 bb) Einschätzung als Legaldefinition oder als RegeIfallbeschreibung . . 404 cc) Abgrenzung zur Transportverpackung ..................... 405 d) Getränkeverpackungen .................................... 405 8. Inhalt der Rücknahmeptlichten ................................. 406 a) Rücknahmeptlicht filr Transportverpackungen ............. . .... 406

2 Bauernfeind

18

Inhaltsverzeichnis

III.

IV.

aa) Ort der Rücknahme .................................... 406 bb) Kostenlosigkeit der Rücknahme .......................... 410 cc) Umfang der Rücknahmepflicht ........................... 412 b) Rücknahmepflicht für Umverpackungen ...................... 415 c) Rücknahmepflicht für Verkaufsverpackungen .................. 416 aa) Rücknahme in unmittelbarer Nähe der Verkaufsstelle ......... 417 bb) Frage der Beschränkung auf die Rücknahme der eigenen Verpackungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 cc) Frage der Begrenzung auf die verkaufte Verpackungsmenge .... 420 dd) §§ 6 Abs. I Satz 2 und 3, 6 Abs. 2 Satz 2 VerpackVals Grenze 421 d) Rücknahmepflicht für Getränkeverpackungen und Verpackungen für Wasch- und Reinigungsmittel und Dispersionsfarben ............ 422 9. Zusammenfassung der rechtlichen Beurteilung und Fazit ........... 425 10. Ausblick ................................................. 429 a) Bedeutung der EG-Verpackungsrichtlinie ..................... 429 b) Kritik der EU-Kommission an der VerpackV .................. 430 c) NovelIierung der Verpackungsverordnung ..................... 431 aa) Stand der Novellierungsbestrebungen ...................... 431 bb) Inhalt des überarbeiteten NovelIierungsentwurfs vom 23.05.1996 . 434 Verordnung über die Entsorgung gebrauchter halogenierter Lösemittel (HKWAbfV) ................................................ 439 I. Ausgangssituation und Entstehungsgeschichte ..................... 440 2. Ermächtigungsgrundlage und Regelungsziel ...................... 442 3. Voraussetzungen und Inhalt der Rücknahmepflicht ................. 443 a) Adressat der Rücknahmepflicht .............................. 443 b) Adressat der Rückgabemöglichkeit ........................... 444 c) Objekt der Rücknahme .................................... 444 d) Modalitäten der Rücknahme ................................ 446 4. Begleitende Elemente ........................................ 447 5. Einordnung und Rechtmäßigkeit ............................... 448 6. Vollzugserfahrungen und Wirkungen der Verordnung .............. 448 Verordnung zum Verbot von bestimmten, die Ozonschicht abbauenden Halogenkohlenwasserstoffen (FCK W-Halon-Verbots-Verordnung) ...... 451 l. Umweltpolitische Problemstellung .............................. 451 2. Entstehungsgeschichte ....................................... 453 3. Ermächtigungsgrundlage und Regelungsziel ...................... 455 4. Voraussetzungen und Inhalt der Rücknahmepflicht ................. 456 a) Adressat der Rücknahmepflicht .............................. 456 b) Adressat der Rückgabepflicht ............................... 457 c) Rücknahmeobjekt ........................................ 457 d) Modalitäten der Rücknahme ............ . ................... 462 5. Begleitende Elemente ........................................ 464

Inhaltsverzeichnis

19

6. Einordnung und Rechtmäßigkeit ............................... 464 7. Vollzugserfahrungen und Wertung der Regelung ................... 465 E. Fazit ............................................................ 473

Zweiter Teil

Rückgabepflichten A. Allgemeine Aspekte - Terminologie, Systematik und Funktionen der Rückgabepflichten ....................................................... I. Begriff der Rückgabepflicht ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematisierung ............................................ 2. Abgrenzung ............................................... a) Pflicht zur Abgabe an ein kollektives, pflichtersetzendes Sammelsystem ................................................. b) Satzungsrechtliche Drittbeauftragung eines Rücknahmepflichtigen . c) Überlassungspflicht der Entsorgungsträger bei Mitwirkung an der Rücknahme ............................................. 11. Frage der Abhängigkeit von der Existenz von RUcknahmepflichten ...... I. Frage der objektiven Unmöglichkeit der Pflichterfilllung ............ 2. Frage der Verhältnismäßigkeit der Pflicht ........................ III. Fehlen von Überlassungspflichten an die öffentliche Abfallentsorgung als Voraussetzung für Rückgabepflichten ............................. IV. Zweck von Rückgabepflichten ................................... V. RUckgabepflichten als Mittel der direkten oder indirekten Steuerung ..... VI. Öffentlich-rechtliche Pflicht ..................................... VII. Gestaltungsmöglichkeiten der beteiligten Personen ...................

477 477 477 480 480 480 482 482 482 484 485 486 487 488 488

B. Grundlagen der RUckgabepflichten in den umweltrechtIichen Leitprinzipien .... I. Verursacherprinzip ............................................ II. Vorsorgeprinzip .............................................. 111. Produktverantwortung ......................................... IV. Ergebnis ....................................................

490 490 490 491 492

C. Grenzen für Rückgabepflichten aus übergeordnetem Recht ................. I. Grundrechte der RUckgabepflichtigen ............................. I. Art. 14 Abs. 1 GG ........................................... a) Schutzgut ............................................... b) Inhalts- und Schrankenbestimmung .......................... aal Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ............ . .............. (I) Geeignetheit ......................................

493 493 493 494 496 497 498

20

Inhaltsverzeichnis

11.

111.

IV.

(2) Erforderlichkeit ................... . ................ 501 (3) Angemessenheit ................................... 504 bb) Grundsatz des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 cc) Institutsgarantie ....................................... 509 c) Ergebnis ................................................ 509 2. Art. 2 Abs. I GG ............................................ 510 3. Art. 3 Abs. I GG ............................................ 511 Grundrechte sonstiger Personen ................................. 513 I. Adressat der Rückgabe .... . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 2. Drittunternehmer ........................................... 514 Weitere verfassungsrechtliche Aspekte ............................ 514 I. Wesentlichkeitstheorie und Parlamentsvorbehalt ................... 514 2. Rückwirkungsverbot ......................................... 516 3. Grundrechtlicher Rechtsvorbehalt: Ermächtigungsgrundlagen ........ 517 a) § 24 Abs. 2 Nr. 2 KrW-/AbfG .............................. 518 aa) Neuerung oder Beibehaltung des status quo ................ 518 bb) Ermächtigungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 (I) Notwendigkeit einer Rücknahmepflicht ................. 519 (2) Kreis möglicher Rückgabeadressaten ................... 520 (3) Bringpflicht oder Holpflicht .......................... 521 (4) Zulässige Formen von Rückgabepflichten ............... 521 cc) Bestimmtheit von § 24 Abs. 2 Nr. 2 KrW-/AbfG ............. 522 dd) Ergebnis ............................................ 523 b) Sonstige Ermächtigungsgrundlagen .......................... 523 Europarechtliche Grenzen fUr Rückgabepflichten .................... 524 1. Rückgabepflicht als nach Art. 34 EGV verbotene Maßnahme gleicher Wirkung wie Ausfuhrbeschränkungen .......................... 524 a) Rückgabegut als "Ware" ................................... 524 b) Maßnahmen gleicher Wirkung wie Ausfuhrbeschränkungen ....... 525 c) Ergebnis ................................................ 530 2. Europäisches Sekundärrecht ................................... 530 a) Abfallverbringungsverordnung .............................. 530 b) Abfallrahmenrichtlinie .................................... 532 c) Richtlinie über die Altölbeseitigung .......................... 532 d) Richtlinie über geflihrliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren .............................................. 532 e) Richtlinie über geflihrliche Abfltlle ........................... 533 f) Verordnung über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht fUhren .. 533 g) Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfltlle ........... 534 h) Notifizierungsrichtlinie .................................... 535 i) Fazit ................................................... 536

Inhaltsverzeichnis V.

VI.

Grenzen kommunaler Rückgabepflichten ........................... I. Die Frage der Begründung direkter Rückgabepflichten .............. a) Satzungsrechtliche Rückgabepflicht .......................... b) Rückgabepflicht aufgrund von Einzelfallentscheidung . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis ................................................ 2. Indirekte Rückgabepflichten als Folge eines Ausschlusses aus der öffentlichen Abfallentsorgung .................................. a) Frühere Rechtslage: Ausschluß von Abfällen nach § 3 Abs. 3 AbfG . b) Ausschluß aus der Abfallentsorgung nach § 15 Abs. 3 KrW-/AbfG .. c) Fazit ................................................... Ergebnis und Ausblick .........................................

21 536 536 536 540 542 542 542 545 547 547

Dritter Teil

Reformansätze A. Erfassung weiterer Produktbereiche durch Rücknahmepflichten ............. I. Elektronikschrott ............................................. 1. Umweltpolitische Problemstellung .............................. 2. Bisherige Reaktionen von Politik und Wirtschaft ................... 3. Analyse des Entwurfs für eine IT-Gerlite-Verordnung (1996) ......... a) Regelungsziel ............................................ b) Voraussetzungen und Inhalt der Rücknahmepflicht .............. aa) Adressat der Rücknahmepflicht .......................... bb) Adressat der Rückgabemöglichkeit ....................... ce) Rücknahmeobjekt ..................................... dd) Rücknahmeort ....................................... ee) Kostentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ft) Keine Pflichtenablösung durch private Entsorgungssysteme ..... c) Begleitende Elemente ..................................... d) Rechtliche Wertung der IT-Gerlite-Verordnung ................. 4. Fazit ..................................................... 11. Batterien und Akkumulatoren .................................... 1. Umweltpolitische Problemstellung .............................. 2. Bisherige Reaktionen von Politik und Wirtschaft ................... 3. Analyse des Entwurfs der Batterieverordnung von 1996 ............. a) Regelungsziel ............................................ b) Voraussetzungen und Inhalt der Rücknahmepflicht .............. aa) Adressaten der Rücknahmepflicht ........................ bb) Adressat der Rückgabemöglichkeit .......................

549 551 551 553 556 556 557 557 558 559 560 561 563 564 564 567 568 568 569 572 572 572 572 573

22

Inhaltsverzeichnis

111.

IV. V.

cc) Rücknahmeobjekt ..................................... dd) Rücknahmemodalitäten ................................ c) Rolle und Stellung der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger .... d) Rolle und Stellung des Entsorgungspools sowie Beauftragung Dritter . e) Begleitende Elemente ..................................... t) Rückgabepflicht .......................................... g) Rechtliche Wertung der Batterieverordnung .................... 4. Fazit ..................................................... Altautos .................................................... l. Umweltpolitische Problemstellung .............................. 2. Bisherige Reaktionen von Politik und Wirtschaft ................... 3. Flankierung durch Verordnung ................................ 4. Bewertung und Ausblick ..................................... Altpapier.................................................... Sonstige Produkte .............................................

573 574 576 577 578 579 580 582 583 583 585 589 592 595 600

B. Alternative Reformansätze ........................................... 602 I. Produktbezogene Reformansätze ................................. 602 11. Entwicklung zu einem Kreislaufwirtschaftsrecht oder zu einem Recht der Stofffiußwirtschaft? ........................................ 605

Wertung und Ausblick ................................................ 609 Literaturverzeichnis .................................................. 611 Stichwortverzeichnis ................................................. 648

Abkürzungsverzeichnis Abg. Al BayVGH bdw BLf. dtsch. u.int.Pol. BR BT Bundesumweltministerium CMLRev Drs. DVP DWiR Eildienst LKT NRW GemH GewArch illR JBdUTR LZ MdB MdEP NuR PI. Prot. Recht und Politik

RIW Sp StT StuGem StuGR SRU

sv SZ

UPR VerwArch.

Abgeordnete(r), Mitglied des Bundestages Abfallwirtschaftsjournal Bayerischer Verwaltungsgerichtshof bild der wissenschaft Blätter rur deutsche und internationale Politik Bundesrat Bundestag Bundesministerium rur Umwelt-, Naturschutz und Reaktorsicherheit Common Market Law Review Drucksache Deutsche Verwaltungspraxis Deutsche Zeitschrift rur Wirtschaftsrecht Eildienst Landkreistag Nordrhein-Westfalen der gemeindehaushalt Gewerbearchiv Informationsdienst Umweltrecht Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts Landshuter Zeitung Mitglied des Bundestages Mitglied des Europäischen Parlaments Natur und Recht Plenarprotokoll Recht und Politik - Viertelsjahreshefte fur Rechtsund Verwaltungspolitik Recht der Internationalen Wirtschaft Spalte der städtetag Stadt und Gemeinde Städte- und Gemeinderat Rat von Sachverständigen für Umweltfragen Sachverständige(r) bei Anhörung Süddeutsche Zeitung Zeitschrift rur Umwelt- und Planungsrecht Verwaltungsarchiv

24 VR

WIB Wirtschaftsdienst WiVerw ZAU ZfU

ZN

ZIP ZLR ZUR

AbkOrzungsverzeichnis Verwaltungsrundschau Woche im Bundestag Zeitschrift für Wirtschaftspolitik HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung Hamburg Wirtschaft und Verwaltung, Vierteljahrsbeilage zum Gewerbearchiv Zeitschrift für angewandte Umweltforschung Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht Zeitschrift für Verwaltung (Wien) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - ZIP Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift fOr Umweltrecht

Ergänzend wird verwiesen auf: Kirchner, Hildebert, AbkOrzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin, New York 1993.

Einleitung Die immense MUllproduktion ist das stoffliche Spiegelbild der Entwertung von Rohstoffen zu Abfallen, die unsere Konsumgesellschaft prägtl; so belief sich Z.B. im Jahre 1993 das gesamte Abfallautkommen allein in Deutschland auf337 Mio. e. Seit 1990 ist diese Zahl zwar um 19% gesunken, und auch im Hausmüllbereich war ein deutlicher Rückgang von 50 Mio. t 1990 auf 43 Mio. t 1993 zu verzeichnen3 , die Krise bei der Abfallentsorgung ist damit aber noch nicht gemeistert. Zur Zeit erfolgt die Beseitigung von Siedlungsabfallen größtenteils noch Uber die Ablagerung auf Deponien. Mittlerweile werden aber mit der TA Siedlungsabfall4 verschärfte Anforderungen an die Ablagerung von Siedlungsabfallen gestellt, die die MUllverbrennung als Mittel zu einer "Inertisierung" der Abfalle forcieren. Damit haben die bislang üblichen Hausmülldeponien nur noch den Rang einer Übergangslösung5• Selbst wenn 40% aller Siedlungsabfalle vermieden oder verwertet würden, geht das Umweltbundesamt von einem Neubedarf von bis zu 161 Müllverbrennungsanlagen aus 6 • Insgesamt vollzieht sich der Rückgang der Abfallmengen auf einem solch hohen Niveau, daß eine grundsätzliche Entwarnung nicht gegeben werden kann. Der Abfallbereich bleibt eines der drängendsten umweltpolitischen Problemfelder.

1 Vgl. FülgrajJin: Leben ohne Müll, Wunsch und Wirklichkeit?, Tagungsband Kongreß Abfallvermeidungl-verminderung am 10./ 11.1 0.1988 Stuttgart, S. 30. 2 Statistisches Bundesamt, schriftl. Mitteilung 1995, zit. bei SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, Tz. 377. 3 Statistisches Bundesamt, schriftl. Mitteilung 1995, zit. bei SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, Tz. 377 und Abb. 2.17 (S. 161); erschwert wird die Beurteilung allerdings durch die unzureichende Datenlage. Angaben zur Entwicklung der Abfallmengen nach 1993 werden erst für 1998 erwartet. 4 Dritte allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz (TA Siedlungsabfall) Technische Anleitung zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von SiedlungsabfiUlen vom 14.05.1993, abgedr. bei Queitsch, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, S. 772 ff. 5 Vgl. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kap. 10, Rdnr. 49. 6 Vgl. dazu SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs.I3/4108, Tabelle 2.12 aufS. 163, bei einer jährlichen Kapazität von jeweils 100000 t; das Bezugsjahr bildet 1994.

26

Einleitung

Da Produktion und Abfallentstehung untrennbar miteinander verknüpft sind, stellt die Gewährleistung einer ausreichenden Abfallentsorgung im übrigen auch ein wichtiges Element zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland dar. Defizite bei den Entsorgungskapazitäten könnten filr den wirtschaftlichen Kreislauf durchaus infarktähnliche Folgen haben 7• Die bestehenden Probleme sind auch Ausdruck von Defiziten des Abfallrechts der letzten Jahrzehnte, das sich für eine effiziente Begrenzung der Abfallmenge als nicht adäquat erwiesen hat. Nur allmählich entwickelte sich das Abfallrecht von einem vornehmlich polizeirechtIich orientierten Gefahrenabwehrrecht zu einem Recht, das vermeidungs- und vorsorgebezogene Elemente mit einbezieht. Anfllnglich wurde der Bereich der Abfallentsorgung nur von den Kommunen im Rahmen von Satzungen geregelt; diese Regelungen beschränkten sich wiederum auf Fragen der Abfallsammlung und des Mülltransports8 • Auf Bundesebene erging das erste umfassende Abfallgesetz, das "Abfallbeseitigungsgesetz", im Jahre 1972; es richtete sich gegen die Bildung "wilder MülIkippen" und die damit verbundenen Umweltgefahren und zielte damit vor allem auf die Einrichtung einer geordneten AbfalIbeseitigung im engeren Sinn9 • Auch die nachfolgenden Änderungsgesetze lO waren hauptsächlich Reaktionen auf neuere Erkenntnisse über die von Abfllllen ausgehenden Umweltgefahrenli, brachten aber keine grundsätzlich andere Ausrichtung. Dagegen sollte mit dem Abfallgesetz von 1986 (AbfG) eine Weiterentwicklung der rudimentär auch schon im AbfalIbeseitigungsgesetz enthaltenen l2 abfallwirtschaftlichen Elemente erfolgen 13 • Eine grundlegende Umorientierung des Abfallrechts wird schließlich vom neuen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) erwartet l4, das am 07.10.1996 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz betont die Verantwortung von Herstellern und Vertreibern für ihre Produkte und ermächtigt den Gesetzgeber zur Anordnung von Rücknahme- und Rilckgabepflichten durch Rechtsverordnung. 7 Vg!. v. Lersner in BehrenslKoch (Hrsg.), Umweltschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 158. 8 Vg!. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kap. 10, Rdnr. 66. 9 Vg!. Klages, Vermeidungs- und Verwertungsgebote, S. 6fT.; Kloepjer/Franzius in JBdUTR 1994, S. 226f.; KreJt, UPR 1982, S. 105; Tetfinger, GewArch 1988, S. 41. 10 1. Änderungsgesetz vom 21.06.1976, BGB!. 1, S. 1601; 2. Änderungsgesetz vom 04.03.1982, BGB!. I, S. 281; 3. Änderungsgesetz vom 31.01.1985, BGB!. I, S. 204. 11 Vg!. Hoppe/Beckmann, Umweltrecht § 28, Rdnr. 2. 12 Vg!. Franßen in Salzwedel (Hrsg.), Umweltrecht, S. 403. 13 Vg!. BenderiSparwasser/Engel, Umweltrecht, Kap. 10, Rdnr. 66; Versteyl in KuniglSchwermer/Versteyl, Kommentar AbfG, Ein!., Rdnr. 19. 14 Vg!. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kap. 10, Rdnr. 66.

Einleitung

27

"Aus den Augen, aus dem Sinn." - Sowohl auf Abfall 15 als auch schon auf die Produktion und den Vertrieb von Produkten trifft dieses Sprichwort zu. Um ein Denken "vom Abfall her" als Prinzip der modemen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft zu etablieren 1\ sollen daher Hersteller und Vertreiber über Rücknahmepflichten mit den Entsorgungsproblemen ihrer Produkte konfrontiert werden. Durch Rückgabepflichten der Endverbraucher läßt sich die Zahl der zurückgegebenen Produkte erhöhen. Beide Pflichten sind Ausdruck eines integrierten Umweltschutzes und beruhen auf dem Gedanken, daß Umweltschutzerwägungen nicht erst dann angestellt werden sollten, wenn das Produkt bereits zu Abfall geworden ist; gleichzeitig sind sie Ausdruck einer Absage an den Gedanken eines omnipotenten Staates, der im Sinne einer ökologischen Gesamtplanung mit weitreichenden Produktnormungen und Produktverboten die Einzelheiten der umweltpolitisch zulässigen Produktherstellung bestimmt l7 • Abgesehen von ihrem hohen Symbolwert, dem damit verbundenen erzieherischen Effekt und dem vergleichsweise geringen Verwaltungsaufwand werden Rücknahmepflichten deswegen als attraktiv angesehen, weil sie sich angeblich "organisch in die marktwirtschaftlichen Gegebenheiten einpassen,n8. Insofern werden Rücknahmepflichten in Verbindung mit Ablösemöglichkeiten durch private Systeme teilweise als ein Mittel zur Deregulierung eingeschätzt l9 • Darilberhinaus sind Rücknahme- und Rückgabepflichten als Teil eines - letztlich wohl utopischen - Konzeptes denkbar, bei dem als Folge dieser Pflichten alle Produkte entsprechend der Vorstellung einer strikten Kreislautbildung wieder die Versorgungskette zurückwandern. "Rücknahme- und Rückgabepflichten" lautet die Überschrift des § 24 KrW-/ AbfG; auch § 14 AbfG erwähnte in der amtlichen Überschrift beide Pflichten. Zur Zeit bestehen allerdings nur Rücknahmepflichten 20 , nicht dagegen Rückgabepflichten. Bisher wurden Rücknahmepflichten rur gebrauchte Verbrennungsoder Getriebeöle (§ 5 b AbfG von 1986), Plastikflaschen (sogenannte "PET-Verordnung" von 1988)21, gebrauchte halogenierte Lösemittel (HKWAbfVerord-

So auch SchenkellFaustich in Schenkel (Hrsg.), Recht auf Abfall?, S. 32. Vgl. v. Geldern, Wege aus dem Wohlstandsmüll, S. 56. 17 Vgl. Ruchay in ARL (Hrsg.), Aspekte einer raum- und umwdtverträglichen Abfallentsorgung, Teil 1, S. 333. 18 Vgl. Birn, NVwZ 1992, S. 423. 19 Vgl. Koch, NVwZ 1996, S. 217f.; krit. Beckmann, UPR 1996, S. 49. 20 V gl. dazu unten ab S. 341. 15

16

21 Verordnung über die Rücknahme und Pfanderhebung von Getränkeverpackungen aus Kunststoffen vom 20.12.1988, BGBI. I, S. 2455.

28

Einleitung

nung von 1989)22, rur bestimmte die Ozonschicht abbauende Halogenkohlenwasserstoffe (FCKW-Halon-Verbots-Verordnung von 1991f3 sowie ftlr Transport-, Um- und Verkaufs verpackungen (Verpackungsverordnung von 1991 Y4 eingeruhrt; rur einige weitere Produkte wird die ordnungsrechtliche Festlegung von Rücknahmeptlichten von Seiten der Bundesregierung seit mehreren Jahren erwogen 25 • Zehn Jahre nach Begründung der ersten Rücknahmeptlicht ist eine systematische Darstellung aller bestehenden oder geplanten Rücknahme- und Rückgabepflichten sowie eine Analyse der rur ihre Rechtmäßigkeit ausschlaggebenden Determinanten mehr als überflillig. Dabei lauten die zentralen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit: Was sind Rücknahme- und Rückgabepflichten? Worauf beruhen sie und welcher rechtliche Spielraum besteht rur ihre Einführung? Inwieweit wurde dieser Spielraum bisher genutzt, und welche Reformansätze bestehen darüber hinaus? Obgleich Rücknahme- und Rückgabepflichten miteinander verbunden sind und meist in einem Atemzug genannt werden, liefe eine gemeinsame Diskussion Gefahr, die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede zu verwischen. Der erste Teil der Arbeit beginnt daher mit dem Instrument der Rücknahmepflichten, das praktisch von deutlich größerer Bedeutung ist. Dabei wird zuerst allgemein auf den Begriff, mögliche Ziele und auf sonstige allgemeine Fragestellungen ein-

22 Verordnung über die Entsorgung gebrauchter halogenierter Lösemittel vom 23.10.1989 (HKWAbfV), BGB\. I, S. 1918. 23 Verordnung zum Verbot von bestimmten die Ozonschicht abbauenden Halogenkohlenwasserstoffen (FCKW-Halon-Verbots-Verordnung) vom 06.05.1991, BGB\. I S. 1090, geändert durch Gesetz vom 24.06.1994, BGB\. I, S. 1416. 24 Verordnung über die Vermeidung von VerpackungsabtaUen (Verpackungsverordnung - VerpackV) vom 12.06.1991, BGB\. I, S. 1234, geändert durch Gesetz vom 26.10.1993, BGB\. I, S. 1782, 2049. 25 V gl. Entwurf einer Verordnung über die Vermeidung, Verringerung und Verwertung von AbtaUen aus der Altautoentsorgung (Altauto-Verordnung, Altauto V), BMU WA II 4 30 114-1/6, Stand 27.01.1994, sowie Entwurf BMU WA 11 3 - 30 114/2-6, Stand 17.08.1992; Entwurf einer Verordnung über die Entsorgung \'on Geräten der Informationstechnik (IT-Geräte-Verordnung), BMU WA II 3 - 30 114/8, Stand 10.02.1996, sowie Entwurf einer Verordnung über die Vermeidung, Verringerung und Verwertung von AbtaUen gebrauchter elektrischer und elektronischer Geräte (Elektronik-Schrott-Verordnung), BMU WA 11 3 - 30 114/7, Stand 15.10.1992; Entwurf einer Verordnung zur Verwertung und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren (Batterieverordnung - AbfBattV), BMU WA II 3 - 30 114-4/2, Stand Frühjahr 1996, sowie Entwurf BMU WAll 3 30 114/4, Stand 10.06.1992; Entwurf einer Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Abtallen aus Druckerzeugnissen sowie aus Büro- und Administrationspapieren (Altpapierverordnung-AltpapVO), BMU WA 114 - 30114-114, Stand 18.09.1992.

Einleitung

29

gegangen (Abschnitt A). Die umweltpolitischen und umweltrechtlichen Grundlagen von Rücknahmepflichten werden im Anschluß dargestellt (Abschnitt B), dem eine Analyse der allgemeingültigen Aspekte filr die Rechtmäßigkeit einer Einfilhrung von RUcknahmepflichten folgt (Abschnitt C). In einem letzten Abschnitt werden die bestehenden bundesrechtlichen RUcknahmepflichten auf der Basis der gefundenen Ergebnisse erörtert. Nicht eingegangen wird dabei auf Fragen, die mit dem - verbreitet mit der Verpackungsverordnung gleichgesetzten - "Dualen System" und dem "Grünen Punkt" verbunden sind, da das Duale System26 kein System zur Erfilllung, sondern zur Ablösung einer Rücknahmepflicht ist2 7• Zugrundegelegt werden jeweils die originären Rücknahmepflichten der Hersteller und Vertreiber; daher werden auch Fragen des Wettbewerbs- und des Kartellrechts, die sich aus einer Heranziehung Dritter bei der Pflichterfilllung in Hinblick auf die Ausgestaltung von freiwilligen Rücknahmesystemen ergeben können, nicht behandelt. Der zweite Teil der Arbeit dient der Analyse des Instruments der Rückgabepflichten als einem weitgehend neuen, im Verhältnis zu RUcknahmepflichten sowohl rechtlich als auch tatsächlich nachgeordneten Instrument. Hier wird insbesondere die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Einfilhrung von Rückgabepflichten im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Der dritte Teil schließlich behandelt mögliche Refornlansätze und diskutiert dabei unter anderem die auf Bundesebene bestehenden Verordnungsentwürfe, mit denen Rücknahme- oder Rückgabepflichten filr bestimmte Produktbereiche eingefilhrt werden könnten.

26 Dazu generell etwa BurchardilSacksoftky, JBdUTR 1994, S. 23ff.; Thome-Kozmiensky, Die Verpackungsverordnung, S. 55 ff. 27 § 6 Abs. 3 Satz I VerpackV: "Die Verpflichtungen nach Absatz I, I a und 2 entfallen fiir solche Hersteller und Vertreiber, die sich an einem System beteiligen, das flächendekkend im Einzugsgebiet des nach Absatz I verpflichteten Vertreibers eine regelmäßige Abholung gebrauchter Verkaufsverpackungen beim Endverbraucher oder in der Nähe des Endverbrauchers in ausreichender Weise gewährleistet und die im Anhang zu dieser Verordnung genannten Anforderungen erfüllt."

Erster Teil

Rücknahmepflichten A. Allgemeine Aspekte - Terminologie, Systematik und Funktionen der Rücknahmepflichten I. Begriff der Rücknahmepflicht Unter einer Rücknahmepflicht ist eine Pflicht von natürlichen oder juristischen Personen zu verstehen, ein Produkt oder das, was von ihm verblieben ist, nach Gebrauch zurückzunehmen. Eine Rücknahmepflicht kann sich daher nur auf nicht verbrauchbare Güter beziehenI, nicht aber beispielsweise auf Lebensmittel oder Kosmetika. Rücknahmepflichten der hier untersuchten Art stehen am Ende des Lebenswegs der Produkte. Die Rücknahme ist das Gegenstück zum Abgabevorgang. Erste Voraussetzung tUr eine Rücknahmepflicht ist daher, daß von den Adressaten der Pflicht, üblicherweise den Herstellern oder Vertreibern, etwas zu einem früheren Zeitpunkt abgegeben worden isf. Eine Rücknahme durch den Abgebenden selbst am Ort der Abgabe (konkrete oder selbsterfiillte Rücknahme) ist damit aber nicht begriffsnotwendig verbunden; ausreichend ist auch eine Rücknahme durch Dritte, ohne daß sich am Pflichtenbestand dadurch etwas ändert (fremdertUllte Rücknahme). Beides läßt sich mit dem Begriff der echten, individuellen Rücknahmepflicht beschreiben. Den Gegensatz dazu bildet eine unechte oder kollektive PflichtertUllung durch eine "Übertragung" der Rücknahmepflicht auf einen Dritten, wie dies etwa in § 17 Abs. 3 KrW -/AbtU tUr Verbände vorgesehen ist. Eine Beteiligung an kollektiven Modellen bei der Produkterfassung und Sammlung, bei denen die Rücknahmepflicht der einzelnen Adressaten entflillt, ist jedoch keine echte Rücknahme und nicht unter den Begriff der Erfiillung einer Rücknahmepflicht zu

So auch Kunig in FS Thieme 1993, S. 988. Vg\. dazu OVG Münster, Besch\. v. 15.08.1994, Az. 20 B 755/94, NVwZ 1995, S. 289 (Frage, wann eine Rücknahmepflicht rur Transportverpackungen "nach Gebrauch" vorliegt). I

2

A. Allgemeine Aspekte

31

fassen, da hier das sogannte "Rücknahme-"System weder Abgebender war noch eine fremde Rücknahmepflicht als Dritter erfUllt. Durch die "Übertragung" wandelt sich der Charakter der Pflicht: Von einer Rücknahmepflicht wird sie zur bloßen Produktsammlungs- oder Erfassungspflicht. Diese Variante wird daher im folgenden nicht behandelt; vielmehr wird in dieser Arbeit ausschließlich der Bereich der echten, individuellen Rücknahmepflichten untersucht. Aus dem Begriff der "Rücknahme" ergibt sich weiterhin, daß das Rücknahmegut dem abgegebenen Gut entsprechen muß3. Eine Entsprechung ist in der Form einer tatsächlichen Identität von abgegebenem Gut und Rücknahmegut möglich (Rücknahme im engeren Sinn); diese ist auch bei einer Vermischung mit anderen Stoffen so lange gegeben, wie das ursprüngliche Gut bei einer wertenden Betrachtung in Hinblick auf den einzuschlagenden Entsorgungsweg "dominant" bleibt, ohne daß es damit auch mengenmäßig überwiegen muß4 • Eine Entsprechung von abgegebenem Gut und Rücknahmegut wird aber auch durch eine Gattungsidentität gewährleistet, die sich auf eine bestimmte Warenart beziehen kann (Rücknahme im weiteren Sinn)5. Ein Beispiel dafUr wäre die Verpflichtung, nach einer Abgabe von Öl auch wieder Altöl in der gleichen Menge zurückzunehmen, ohne daß es sich dabei um das früher erworbene Öl handeln muß. Ebenfalls eine RUcknahmepflicht im weiteren Sinn wäre eine Pflicht, die sich nicht auf die konkret verkaufte oder hergestellte Warenmenge beschränkt, sondern sich auf potentiell alle hergestellten oder verkauften Produkte einer bestimmten Warengruppe oder im Fall des Verkaufs des Sortiments bezieht. Einbezogen werden kann unter den Begriff der Rücknahme im weiteren Sinn theoretisch auch Abfall, der eine Folge der Produktnutzung ist. Dies ist allerdings nur insoweit denkbar, wie der Abfall noch unter den Oberbegriff des Produkts gefaßt werden kann, da er Bestandteile des ursprünglichen Produktes enthält und daher mit diesem teilidentisch ist. Ein Beispiel dafUr könnten etwa Abflille sein, die bei einem Ölwechsel anfallen wie ölverschmutzte Lappen. Rücknahmepflichten zeichnen sich dadurch aus, daß sie sich nicht auf die Annahme des Produktes durch den Hersteller bzw. Vertreiber beschränken, sondern diesen weiterhin zur Wahrnehmung der Entsorgungsverantwortung rur seine Produkte zwingen sollen. Nach einer Rücknahme muß er die zurückgenommenen Produkte entweder einer Wiederverwendung zufUhren oder aber verwerten bzw. beseitigen, sofern er sich der Produkte im Einzelfall nicht durch eine weitere

3

Vgl. Meier, BB 1995, S. 2387.

Vgl. zutreffend Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22 Rdnr. 148 und § 24, Rdnr.81. 5 V gl. Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22, Rdnr. 149; a.A. Meier, BB 1995, S. 2387. 4

32

I. Teil: Rücknahmepflichten

11

"Rücknahme" 1

r------I I I I

I Wer I

I I

L______ _

I

r-------

Was

echte, individuelle Rücknahme konkrete, selbsterfüllte Rücknahme

1 Rücknahme im engeren Sinn

fremderfiillte Rücknahme

1 unechte, kollektive Rücknahme durch pflichtersetzende "Rücknahme"Systeme (hier nicht behandelt)

1

Rücknahme im weiteren Sinn

I Aspekt der Aspekt der fehlenden fehlenden tatsächliMengenchen Idengleichheit tität

I

I

Einbeziehung bestimmter, mit dem ursprünglichen Produkt teilidentischer Produktnutzungsabfälle

Abb.: Einteilung der Rücknahmepflichten

Rückgabe zu Lasten eines anderen Rücknahmepflichtigen" entledigen kann. Falls die Ptlicht zur Rücknahme dagegen nicht mit einer Übertragung der Entsorgungsverantwortung auf den Kreis der Hersteller oder Vertreiber einhergeht, das Rücknahmegut vielmehr nach seiner Rückgabe der öffentlichen Abfallentsorgung zugefllhrt werden kann, handelt es sich nur um eine Pflicht zu einer faktischen RUcknahme, nicht aber um eine Rücknahmeptlicht im hier behandelten Sinn. Der Begriff der Rücknahmepflichten ist weiterhin negativ abzugrenzen von

6 Denkbar ist auch eine gemeinsame Tragung der Entsorgungsverantwortung dadurch, daß eine Entsorgung durch weitere nachgeordnete Rücknahmepflichtige als Pflichterfüllung durch Dritte anzusehen wäre, vgl. etwa Rummler/Schutt, Kommentar VerpackV, § 6 Anm. 7c (S. 114); dazu auch unten S. 73. Für eine gemeinsame Verantwortlichkeit aller sich in der Veräußerungskette befindenden Hersteller und Vertreiber v. Geldern, Wege aus dem Wohlstandsmüll, S. 71.

A. Allgemeine Aspekte

33

Pflichten von Herstellern und Vertreibern, fehlerhafte Produkte vom Markt zurUckzunehmen7 oder der Verpflichtung, ins Ausland verbrachte Abfälle unter bestimmten Bedingungen wieder zurilckzutransportieren (Rilckholverpflichtunt). Nicht berUcksichtigt werden schließlich auch im bürgerlichen Recht bestehende Pflichten zur Produktrilcknahme9 •

11. Mögliche Ziele von Rücknahmepflichten Die Beantwortung der Frage, ob Rücknahmepflichten ein sinnvolles Ziel verfolgen, ist abhängig von der vorgenommenen Zieldefinition und der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall. Es handelt sich um eine komplexe Frage, die Prognosen einschließt; diese sind eng mit politischen Wertungen und Einschätzungen der tatsächlichen und politischen Entwicklung verbunden lO • Hier ist dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zuzubilligen, der lediglich einer Kontrolle in Hinblick auf Rationalität, Plausibilität und Schlüssigkeit unterliegt ll • Eine Kontrolle der konkret gewählten Ziele erfolgt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprilfung, wenn gefragt wird, ob die Einfiihrung der Rilcknahmepflicht zur Zielerreichung geeignet und erforderlich ist. Darauf wird später noch ausfiihrlich einzugehen sein 12 • Im Folgenden wird nicht die Frage untersucht, welchen Zielen Rücknahmepflichten dienen, sondern welchen sie dienen können.

1. Entlastung der öffentlichen Ab/al/entsorgung Indem Hersteller oder Vertreiber von Produkten zu deren Rücknahme und anschließenden Verwertung oder Beseitigung verpflichtet werden, wird die von der

7 Vgl. dazu etwa Produktsicherheitsrichtlinie (Richtlinie 92/59/EWG, ABI. 1992 Nr. L 228, S. 24) und Urteil EuGH, Bundesrepublik Deutschland/Rat, Rs.C-359/92, in EuZW 1994, S. 627. 8 Vgl. dazu Breuer in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5.Absehn. Rdnr. 258 (S. 574f); Pösel, ZUR 1993, S. 216f.; Wendenburg, NVwZ 1995, S. 838. 9 Vgl. dazu z.B. Thome-Kozmiensky, Verpackungsverordnung, S. 35. 10 Vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 17 (S.972); Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 47; SRU, Umweltgutachten 1994, BT-Drs. 12/6995, Tz. 74. 11 V gl. zu den Grenzen eines Beurteilungs- und Prognosespielraums Ossenbühl in FS BVertD I, S. 5J3f. 12 Vgl. dazu ausführlich unten ab S. 163.

3 Bauemfeind

1. Teil: Rücknahmeptlichten

34

öffentlichen Abfallentsorgung zu bewältigende Menge verringert und die öffentliche Hand von den Entsorgungskosten entlastet lJ • Rücknahme- und Verwertungspflichten werden daher auch zutreffend als "Lokomotiven auf dem Verschiebebahnhof der Kosten" bezeichnet l4 •

2. Keine Beschränkung auf den Bereich der Abfallverwertung Zum Teil wird angenommen, alleiniges Ziel von Rücknahmepflichten bilde die Förderung einer Verwertung der Produkte l5 • Daher seien Rücknahmepflichten nur dann ökologisch sinnvoll, wenn die zurückzunehmenden Produkte verwertbar sind I!>. Vereinzelt wird nicht nur die Existenz einer technischen Verwertungsmöglichkeit, sondern auch das Bestehen ausreichender Verwertungskapazitäten l7 verlangt. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß eine Beschränkung von Rücknahmepflichten auf verwertbare Produkte zu sinnwidrigen Konsequenzen filhren würde. Von der Einfilhrung von RUcknahmepflichten und der damit verbundenen Übertragung des "Entsorgungsdrucks"18 wird eine Aktivierung des wirtschaftlichen Eigeninteresses von Herstellern und Vertreibern erhofft l9 • Die Rücknahmepflicht zwingt die Pflichtadressaten, sich darauf einzustellen, "daß ihr Produkt eines Tages einschließlich aller daran hängenden Entsorgungsprobleme wie ein Bumerang wieder zu ihnen zurückkommen wird"20. Dies soll Änderungen in den Bereichen Produktdesign, -konzeption und Produkteinsatz bewirken 21 . Gerade bei besonders "verwertungsunrreundlichen" Produkten ist aber eine Weckung des Eigeninteresses des Herstellers an einer Änderung der Sachlage dadurch, daß Vgl. Ekkenga, BB 1993, S. 945. Fluck, OB 1992, S. 193; zustimmend etwa Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C.7.1., VerpackV, Anm.3.1.1. 15 Vgl. Frankfurter Institut für wirtschaftspolitische Forschung, Argumente zur Wirtschaftspolitik Nr. 39/1991, S. 3; zur Frage, inwiefern Rücknahmeptlichten dem Bereich der Abfallverwertung zugerechnet werden können, vgl. auch unten S. 165f. 16 Vgl. Beckmann, OVBI. 1995, S. 320; BongaertslHempen in Schenkel (Hrsg.), Recht auf Abfall, S. 141. 17 Vgl. Lueder in Rengeling (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, S. 198. 18 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Ors. 12/ 5672 vom 15.09.1993, S. 31. 19 Vgl. Franßen in FS Redeker, S. 469 f. 20 Birn, NVwZ 1992, S. 423. 21 Vgl. Hecht, Wirtschaftsdienst 1993/IX, S. 481; Kersting, OVBI. 1994, S. 278 sowie S. 277, Fn. 47 (VerpackV); StS beim BMU Stroetmann, BB 1993, Beilage 9, S. 3. 13

14

A. Allgemeine Aspekte

35

er durch Rücknahmepflichten auf der Abfallseite wieder mit seinen Produkten konfrontiert wird, besonders angebracht. Auch ein Fehlen von ausreichenden Verwertungskapazitäten beeinträchtigt nicht grundsätzlich den Sinn einer Einfllhrung von Rücknahmepflichten. Solche Kapazitäten werden oft erst dann geschaffen, wenn dafiir eine Nachfrage besteht; Rücknahmepflichten dienen gerade auch dazu, eine solche Nachfrage zu erzeugen. Daher werden Ursache und Wirkung verkannt, wenn schon das Vorhandensein der Kapazitäten als Voraussetzung fllr RUcknahmepflichten gefordert wird. Weiterhin wird manchmal die Sinnhaftigkeit von Rücknahmepflichten dann bezweifelt, wenn die Beseitigung der Stoffe im Einzelfall die ökologischere Alternative zur Verwertung bildef2. Hier entstünden "nur zusätzliche volkswirtschaftliche Kosten durch die getrennte Sammlung, den Transport sowie die evtl. nachträgliche Sortierung"23, so daß in einem solchen Fall Rücknahmepflichten zur Zielerreichung "ungeeignet" seien 24 . Auch diese Einschränkung krankt jedoch daran, daß als mögliches Ziel von Rücknahmepflichten unzutreffenderweise nur der Bereich der Abfallverwertung angesehen wird. Rücknahmepflichten fllr den beschriebenen Produktbereich scheinen nur dann sinnlos zu sein, wenn der Blickwinkel auf die Sachlage nach der Entstehung des Produktes verengt wird. In der Folge von Rücknahmepflichten fließen die Verwertungs- oder Beseitigungskosten in die Preiskalkulation der Industrie ein 25 . Dies kann auch zu Anstrengungen in Richtung Abfallvermeidung fllhren, indem überlegt wird, auf die Verpackung zu verzichten oder den Materialeinsatz zu verringern. Eine RUcknahmepflicht kann aber auch Verbesserungen im Bereich der Beseitigung bewirken, indem Produkte beispielsweise dadurch beseitigungsfreundlicher konstruiert werden, daß besonders schadstoftbelastete Produktteile zur getrennten Beseitigung demontiert werden können. Vereinzelt findet sich schließlich die Annahme, Rücknahmepflichten seien immer nur dann sinnvoll, wenn es einen Nachweis oder zumindest eine berechtigte Vermutung dafllr gebe, "daß Verwertungs- und Vermeidungspotentiale durch Hersteller und Händler nur deshalb nicht umfassender ausgenutzt werden, weil sie keine produktspezifischen Informationen über die mit der Beseitigung ihrer Produkte verbundenen Kosten erhalten"26. Diese Einschränkung ist unzutreffend, weil Rücknahmepflichten auch zur Verbesserung der Lage im Bereich

22 Vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 321; HechtlWerbeck, ZflJ 1995, S. 54. 23 Vgl. HechtlWerbeck, ZfU 1995, S. 54. 24 Vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 321. 25 Vgl. StS im Bundesumweltministerium Stroetmann in Wirtschaftsdienst 1993, S. 229; ebenso Ekkenga, BB 1993, S. 945. 26 Vgl. HechtlWerbeck, ZfU 1995, S. 54; Hecht, Wirtschaftsdienst 1993/1X, S. 482.

36

1. Teil: Rücknahmepflichten

der Abfallbeseitigung eingesetzt werden können; mit ihnen kann eine qualitativ wie auch quantitativ gute Erfassung des Rücknahmegutes erreicht werden. Es liegt beispielsweise nahe, daß die Rücklaufquote von Altbatterien bei einer Rücknahmepflicht von Herstel1ern oder Vertreibern bei der Vielzahl möglicher Rückgabestellen höher läge, als wenn Batterien ausschließlich im Rahmen einer kommunalen Schadstoffsammlung erfaßt würden. Die vorgeschlagene Eingrenzung ist weiterhin deshalb unzutreffend, weil dies auch fiir Produkte zuträfe, bei denen an sich bestehende Verwertungs- und Vermeidungsmöglichkeiten zur Zeit nicht wirtschaftlich sind, und sie nur aus diesem Grund nicht genutzt werden. Eine Rücknahmepflicht wird hier durch die mit ihr verbundene Kostenbelastung dazu fuhren, daß die Frage der Wirtschaftlichkeit möglicherweise anders zu beurteilen ist. Überdies kann eine Rücknahmepflicht selbst in dem eher hypothetischen Fall grundsätzlich sinnvoll sein, daß sich die Umweltbelastung bei der Verwertung oder Beseitigung des Produktes nicht mehr durch Änderungen in der Produktkonzeption vermindern läßt. In diesem Fall werden die Verwertungsoder Beseitigungskosten von Herstellern oder Vertreibern in der Regel auf den Produktpreis umgelegt werden, was eine Verringerung des Absatzes oder in letzter Konsequenz sogar einen Verzicht auf die Herstel1ung oder den Vertrieb der Produkte bewirken kann. Damit bleibt festzuhalten, daß in einer Wertung von Rücknahmepflichten als Maßnahmen zur Abfal1verwertung eine unzutreffende Einengung der möglichen Zielrichtungen von Rücknahmepflichten liegt.

3. Ab/allvermeidung als Schwerpunkt Rücknahmepflichten können auch Zielen aus den Bereichen Abfallvermeidung und -beseitigung dienen 27 . Dies zeigt schon § 22 KrW-/AbfG. Rücknahmepflichten dienen der Umsetzung der Produktverantwortung. Der Grundsatz der Produktverantwortung enthält aber sowohl vermeidungs-, verwertungs- als auch beseitigungsbezogene Aspekte. Ein Überblick über die mit der Einfiihrung von Rücknahmepflichten erhofften Wirkungen zeigt, daß der Schwerpunkt der Ziele von Rücknahmepflichten im Bereich der Abfallvermeidung liegt28. Zwar wird

27 Vgl. Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22, Rdnr. 139f.; Kreft in HoschUtzky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 14 AbtU, Anm. 2.1.3. (S. 29); Ruchay in ARL (Hrsg.), Aspekte einer raum- und umweltverträglichen Abfallentsorgung, Teil 1, S. 334 in Hinblick auf die Produktgestaltung als Folge von Rücknahmepflichten. 28 Ebenso Fluck, DB 1992, S. 196; Franßen in FS Redeker 1993, S. 469; vgl. weiterhin die Zuordnung zum Bereich der Abfallvermeidung durch Daubner, NVwZ 1995, S. 34, Möschel in FS Börner 1992, S. 293 und v. Lersner in BehrensIKoch (Hrsg.), Umweltschutz

A. Allgemeine Aspekte

37

mit der Rücknahme eines Produktes kein Abfall vermieden 29 ; Rücknahmepflichten können jedoch eine Veränderung in der Produktkonzeption hin zu einer Abfallminimierung bewirken und dienen dazu, die Entsorgungs- oder Verwertungskosten als bisher externe Kosten 30 zu internalisieren3 !. Aufgrund der Kostenbelastung, die einen Rücknahmepflichtigen zumindest vorläufig32 rur die Entsorgung der zurückgenommenen Produkte trifft, wird rur ihn ein Anreiz gesetzt, entweder besser verwertbare Produkte zu entwickeln oder etwa durch einen geringeren Materialeinsatz auch die von ihm zurückzunehmende und zu beseitigende Abfallmenge zu reduzieren. Hersteller und Vertreiber sind besonders geeignet, Produkte unter Abfallaspekten zu optimieren, da sie das größte Wissen um Nutzen, Herstellverfahren und Verwertungsmöglichkeiten eines Produktes33 , aber auch um seine Zusammensetzung und damit um die bei seiner Beseitigung möglicherweise auftretenden Probleme haben. Konsequenterweise werden Rücknahmepflichten daher in § 5 Abs. I in Verbindung mit § 24 KrW-/AbfG als Mittel der Abfallvermeidung ausgewiesen.

4. Mögliche Konsequenzenjür die Ausgestaltung von Rücknahmepflichten a) Aus dieser Betonung der erhofften Wirkungen von Rücknahmepflichten auf die Produktkonzeption wird vereinzelt gefolgert, Rücknahmepflichten dürften sich nur an eine Stufe als möglichen Pflichtadressat richten, die zu einer Umgestaltung des gesamten Produktions- und Distributionsbereichs in der Lage ise 4 •

in der Europäischen Gemeinschaft, S. 164; Pauger, zit. bei Wieser, ZN 1991, S. 586; siehe auch Barte/sperger, VerwArch 1995, S. 65, der VerpackV und PET-V generell dem Bereich der Vermeidung zuordnet, sowie Keimeier in Schimmelpfennig/Huber (Hrsg.), Elektrik-, Elektronikschrott Datenträgerentsorgung, S. 49 fiir Verordnungen zur Konkretisierung der Produktverantwortung des Herstellers sowie DonneriMeyerholt, ZfU 1995, S. 92 fiir die VerpackV; so für die Rücknahmepflichten nach der österreichischen VerpackV auch Funk, Gutachten vom März 1994 im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, S. 37. 29 Vgl. Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 82. 30 Vgl. Möller, VR 1989, S. 194. 3! Vgl. Eisner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C.7.1., VerpackV, Anm.3. I. I. 32 Dies gilt, sofern und so lange er seine Kosten nicht auf den Produktpreis überwälzen kann, vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 320. 33 Vgl. BartramiSchade, UPR 1995, S. 253. 34 Vgl. HechtlWerbeck, ZfU 1995, S. 56 in bezug auf Abfallvermeidung und -verwertung.

38

I. Teil: Rücknahmepflichten

Ausreichend ist jedoch, daß die Vertreiber als vorgelagerte Rücknahmepflichtige aus wirtschaftlichem Interesse entsprechend auf den HerstelIer als "Herrn der Produktion" einwirken werden. b) Wenn Rücknahmepflichten im RegelfalI vornehmlich das Eigeninteresse von HerstelIern und Vertreibern durch eine Internalisierung der Venvertungsund Beseitigungskosten aktivieren solIen, ließe sich die These vertreten, eine kostenlose Rücknahmepflicht sei im Grundsatz nur sinnvoll, wenn eine derartige Integrierung der voraussichtlichen Kosten bei der Herstellung oder beim Vertrieb möglich ist; ansonsten, so die Überlegung, würden nur die neuen Produkte mit den Kosten für die nicht mehr veränderbaren Produkte belastet. An dieser Möglichkeit würde es etwa bei Altprodukten fehlen 35 • Für die Erstreckung von Rücknahmepflichten auch auf Altprodukte spricht, daß sie ansonsten teilweise erst sehr spät greifen können. Aufgeschoben würde nicht nur die Entlastung der öffentlichen AbfalIentsorgung, sondern auch der Zeitpunkt, zu dem der HerstelIer mit dem Produkt konfrontiert wird. Dadurch, daß erst spät konkrete Erfahrungen mit der Verwertung oder Beseitigung der erzeugten Produkte gesammelt werden, kann sich eine Optimierung unter AbfalIgesichtspunkten merklich verzögern. Zutreffend ist zwar, daß diesem Gesichtspunkt theoretisch nicht nur durch eine Verpflichtung zur kostenlosen Rücknahme, sondern auch durch eine Rücknahmepflicht entsprochen werden kann, die eine Rücknahme nur gegen Gebühr vorsieht. In der Praxis wäre dann alIerdings die Rücklaufquote viel geringer, da in einem solchen FalI die Verbraucher das Produkt - soweit möglich - über die kommunale Abfallentsorgung entsorgen werden. Dieser Entwicklung mit einem Ausschluß aus der öffentlichen AbfalIentsorgung zu begegnen, ist nicht unproblematisch, da dies die Gefahr einer Zunahme der unkontrollierten Beseitigung auf "wilden" Müllkippen nach sich zieht. Besonders bei schadstotlhaltigen Rücknahmegütern wird dieser Weg daher kaum gangbar sein. Schon diese Überlegungen zeigen, daß bei Altgeräten die Einführung einer Pflicht zur kostenlosen Rücknahme nicht schon nach dem Sinn von Rücknahmepflichten augeschlossen ise6 • Schwierigkeiten bei einer Internalisierung der Verwertungs- und Beseitigungskosten in den Produktpreis werden weiterhin besonders bei langlebigen Produkten befürchtet. Es sei, so Stimmen aus dem Bereich der betroffenen Industrien,

35 Vgl. Welpotte (Umweltreferat Miele & eie), Stellungnahme öffentliche Anhörung des Umweltausschußes vom 27.09.1993 zum Kreislaufwirtschaftsgesetz, Protokoll S. 155f., 162f. 36 Auf die rechtlichen Grenzen einer Pflicht zur Rücknahme von Altgeräten unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung wird später noch ausführlicher eingegangen, siehe dazu unten ab S. 227ff. .

A. Allgemeine Aspekte

39

nicht möglich, jetzt schon abzuschätzen, wie teuer in 10 oder mehr Jahren die ordnungsgemäße Entsorgung sein werde. Hier könne die Industrie nur "Phantasie-Preise" zugrunde legen 37 • Diese Bedenken sind aber nicht überzeugend. Gravierende Änderungen in den Entsorgungs- und Verwertungskosten können sich selbst mittelfristig durch eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben. Weiterhin mag bei langlebigen Gütern die Kostenabschätzung schwieriger sein, sie ist aber zumindest nicht ausgeschlossen. Es besteht kein Grund dafUr, warum die einzelnen Verbraucher und nicht die Hersteller und Vertreiber das Prognoserisiko fUr die Kostenentwicklung tragen sollen. Die Hersteller verfUgen im Gegensatz zu den Verbrauchern über gen aue Kenntnisse der Art der verwendeten Materialien, der Konstruktionsweise sowie über den größeren technischen Sachverstand. In einer solchen Situation einer asymmetrischen Informationsverteilung ist es im Sinne einer höchstmöglichen Ungewißheitsreduktion effizient, die Marktseite mit dem Risiko zu belasten, die einen Informationsvorsprung besitzes. Eine Belastung der Hersteller mit den späteren Entsorgungskosten bietet weiterhin den Vorteil, daß diese bereits im vorhinein durch Konstruktionsänderungen umdisponieren müßten, während sich das Verbraucherverhalten erst langfristig ändern könnte. Der Einzelne würde zwar präzise Kenntnisse über die Höhe der Entsorgungskosten erlangen, dies aber zu einem so späten Zeitpunkt, daß er angesichts der Geschwindigkeit und Häufigkeit der Produktänderungen nicht mehr viel damit anfangen könnte 39 • Die konkrete Lebensdauer von Produkten unterliegt dem Geschäftsrisiko40 • Im übrigen können Hersteller und Vertreiber ihr Kostenrisiko minimieren, indem die Produkte möglichst "abfallgerecht" gestaltet werden. Die Langlebigkeit von Produkten steht Verbesserungen im Bereich der Abfallvermeidung, -verwertung oder -beseitigung als Folge von RUcknahmepflichten also nicht grundsätzlich entgegen. Vielmehr können Rücknahmepflichten bei langlebigen Produkten sogar besonders intensive Anreizwirkungen erzeugen.

37 Vgl. Welpotte (Umweltreferat Miele & eie), Stellungnahme öffentliche Anhörung des Umweltausschusses vom 27.09.1993 zum Kreislaufwirtschaftsgesetz, Protokoll S. 155 f., 162 f. 38 Vgl. Sacksofsky, ZfU 1996, S. \04f. 39 Vgl. Sacksofsky, ZfU 1996, S. 104. 40 Der Rücknahmeptlichtige kann sich sofort wieder mit seinem Produkt konfrontiert sehen (etwa bei einem unbehebbaren Fehler, einem Totalschaden eines KFZ bei der lieferung), nach dem statistischen Mittelwert der Lebensdauer, nach einem beliebig langen Zeitraum (etwa bei Sammlerstücken) oder auch nie (beispielsweise bei völliger Zerstörung).

40

l. Teil: Rücknahmepflichten

5. Ergebnis Damit bleibt festzuhalten, daß sich die möglichen Ziele von Rücknahmepflichten nicht auf den Bereich der Abfallverwertung beschränken. Rücknahmepflichten sind aufgrund der Bandbreite von Zielen aus den Bereichen der Abfallvermeidung, -verwertung und -beseitigung, denen sie dienen können, als "multifunktionale Instrumente" zu charakterisieren. Ihr Schwerpunkt liegt angesichts der erhofften Auswirkungen auf die Produktkonzeption im Bereich der Abfallvermeidung.

111. Rücknahmepflichten als Mittel der direkten oder indirekten VerhaItenssteuerung

Die Einordnung von Rücknahmepflichten als Mittel der direkten oder der indirekten Verhaltenssteuerung ist umstritten. Teilweise werden Rücknahmepflichten dem Sektor der direkten Steuerung zugeordner'l. Auch der Sachverständigenrat tUr Umweltfragen bezeichnete Rücknahmepflichten als ordnungsrechtliche Instrumente42 , fiihrte an anderer Stelle allerdings aus, aufgrund der relativ begrenzten Wirksamkeit ordnungsrechtlicher Instrumente komme unter anderem "den ökonomischen Anreizinstrumenten", etwa in der Gestalt von Rücknahmepflichten, "zukünftig eine erhöhte Bedeutung ZU"43.

Überwiegend wird der Charakter von Rücknahmepflichten als Mittel der indirekten Steuerung hervorgehoben44 • Rücknahmepflichten würden letztlich nicht

41 Vgl. z.B. Recker, Gestaltungsspielraum der EG-Mitgliedstaaten, S. 31; Ekkenga, BB 1993, S. 945; Kluth, Jura 1991, S. 296. 42 Vgl. SRU, Sondergutachten 1990 "Abfallwirtschaft", Tz. 154 und 903. 43 Vgl. SRU, Sondergutachten 1990 "Abfallwirtschaft", Tz. 1999. 44 V gl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, BT-Ors. 12/5672, S. 31 ff. und 35f.; Pressemitteilung Bundesumweltministerium vom 17.07.1992, Anlage Tz.3; Di Fabio, NVwZ 1995, S. 2; Epiney/Möllers, Freier Warenverkehr und nationaler Umweltschutz, S. 94; Fluck, OB 1992, S. 196; ders., Kreis1aufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22 Rdnr. 231; Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 40; Kunig in FS Thieme S. 988; ders. in JBdUTR 1994, S. 287; Ruchay in ARL (Hrsg.), Aspekte einer raum- und umweltvertriiglichen Abfallentsorgung, Teil 1, S. 333f.; Schink/Schwade, Stadt und Gemeinde 1993, S. 19; StS beim BMU Stroetmann, BB 1993, Beilage 9, S. 3; vgl. auch Umweltausschuß, Bericht zum Antrag der SPO "Novellierung der Verpackungsverordnung, BT-Ors.12/8241 vom 06.07.1994, S. 3: Man setze "auf die indirekten Wirkungen der Verpackungsverordnung

A. Allgemeine Aspekte

41

um ihrer selbst willen angewandt und durchgesetzt, sondern sollten "als Hebel der indirekten Verhaltenssteuerung dienen, also Sekundärzwänge auslösen"45. Eine solche indirekte Steuerung der Produktgestaltung und Produktentwicklung46 seieffektiver als eine Steuerung über direkte Eingriffe47 . Über ordnungsrechtliche Instrumente ließe sich der gewünschte Strukturwandel nur sehr bedingt erreichen 48 . Auch werden Rücknahmepflichten als wesentlich weniger restriktiv als direkt lenkende Eingriffe in Produktionsprozesse angesehen, weil sie einen dezentralen Anpassungsspielraum offenlassen 49 . Mit der Betonung der indirekten Steuerung durch Rücknahmepflichten gehe die Bundesregierung "von der Eigenverantwortung bzw. persönlichen Freiheit im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft" aus 50. Zu den Mitteln der direkten Steuerung werden herkömmlich etwa das Verbot des Herstellens oder Inverkehrbringens von Produkten, Genehmigungspflichten oder Anmelde- und Anzeigepflichten rur Produkte sowie sonstige Leistungs-, Unterlassungs- und Duldungspflichten gerechnet51 ; dem Bereich der indirekten Verhaltenssteuerung unterflillt dagegen unter anderem das zivile Haftungsrecht, ökonomische Instrumente der Umweltpolitik (z.B. Zertifikatslösungen, Kompensationslösungen, die Privatisierung von Umweltgütern, Schaffung individueller Verfiigungsrechte an öffentlichen Umweltgütern oder Stärkung umweltrelevanter Eigentumsrechte, Umweltabgaben, Subventionen und steuerliche Anreize) sowie administrative Weisungen und Empfehlungen 52 . ... Wenn die Produzenten die Kosten der Verwertung tragen müßten, bemühten sie sich, das Verpackungsdesign so zu ändern, daß die Verwertung erleichtert werde". 45 Allgemein rur die in der VerpackV verankerten verwaItungsrechtlichen Primärpflichten Breuer in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes VerwaItungsrecht, 5.Abschnitt Rdnr 114a (S. 497). 46 Vgl. Möschel in FS Börner 1992, S. 293; Ruchay in ARL (Hrsg.), Aspekte einer raum- und umweltverträglichen Abfallentsorgung, Teil I, S. 333; generell rur Regelungen nach § 14 AbfG Schenkel/Reiche in ZAU 1993, S. 187. 47 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW-IAbfG, BT-Drs. 121 5672 vom 15.09.1993, S. 31. 48 Vgl. Bundesregierung, Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurfdes KrW-IAbfG, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 115. 49 Vgl. Hecht, Wirtschaftsdienst 1993/IX, S. 485. 50 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW -I AbfG, BT-Drs. 121 5672 vom 15.09.1993, S. 31. 51 Vgl. Becker, Gestaltungsspielraum der EG-Mitgliedstaatcn, S. 31f.; Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Rdnr. 99; Epiney/Möllers, Freier Warenverkehr und nationaler Umweltschutz, S. 90; Kluth, Jura 1991, S. 296. 52 Vgl. Becker, Gestaltungsspielraum der EG-Mitgliedstaaten, S. 32; Bender/Sparwasser/Engel, Umwe1trecht, Rdnr. 133; Epiney/Möllers, Freier Warenverkehr und nationa-

42

I. Teil: Rücknahmeptlichten

Maßnahmen der indirekten Verhaltenssteuerung unterscheiden sich von Mitteln der direkten Verhaltenssteuerung dadurch, daß sie keine Zwangswirkung auf den Einzelnen ausüben, sondern ihm lediglich aufgrund bestimmter Anreize oder Belastungen ein Tun oder Unterlassen nahelegen 53 • Rücknahmepflichten enthalten zweifelsfrei ein ordnungsrechtIiches, "direktes" Gebot der Rücknahme. Als indirekte Folge dieser direkten Pflicht wird jedoch weiterhin eine Verhaltensänderung der Pflichtigen angestrebt, die über den Umfang der ordnungsrechtlichen Pflicht hinausgeht. Diese "Doppelwirkung" des Instruments der Rücknahmepflichten steht einer ausschließlichen Einordnung als Mittel der direkten oder der indirekten Steuerung entgegen. Allerdings liegt der Schwerpunkt der erhofften Wirkungen von Rücknahmepflichten im Bereich der indirekten Steuerung. Rücknahmepflichten sind daher vor allem - aber nicht ausschließlich - als Instrument der indirekten Steuerung zu charakterisieren.

IV. Rechtsnatur: öffentlich-rechtliche Pflicht RUcknahmepflichten begründen eine Verpflichtung, einen bestimmten Gegenstand von einer anderen Person zurückzunehmen. Sie verlangen vom Pflichtadressaten eine bestimmte Verhaltenweise als Pflicht, deren Einhaltung mit ordnungsrechtlichen Mitteln, etwa Bußgeldern, erzwungen werden kann 54 • Damit regeln sie das Verhältnis des einzelnen Pflichtadressaten zum Staat, weshalb sie als öffentlich-rechtliche Pflichten einzuschätzen sind 55 •

ler Umweltschutz, S. 94; Kloepfer, Umweltrecht Rdnr. 218tf.; Müller, Möglichkeiten und Grenzen der indirekten Verhaltenssteuerung durch Abgaben, S. I. 53 Vgl. Keltler, JuS 1994, S. 826 und 909; Müller, Möglichkeiten und Grenzen der indirekten Verhaltenssteuerung durch Abgaben, S. I. 54 Vgl. etwa § 12 VerpackV. 55 Vgl. AG Winsen (Luhe), Urteil vom 10.11.1993, NVwZ-RR 1994, S. 433; BayObLG, GewArch 1994, S. 123; Eisner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C 7.1. - VerpackV, Anm.3.1.2.; FlanderkaiWinter, BB 1992, S. 153; Ekkenga, BB 1993, S. 947 (Rücknahmeptlicht für Verpackungen); Krefi in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 5 b, Anm. 1.6. (Rücknahmeptlicht für Altöl) und § 14 Anm. 1.3. (allgemein); Versteyl, Abfall und Altlasten, S. 108 (Pflichten nach der VerpackV).

A. Allgemeine Aspekte

43

v. Frage der Existenz eines Rückgaberechts J. Überblick über den Meinungsstand Ganz überwiegend wird im Zusammenhang mit Rücknahmepflichten von einem "Rückgaberecht" oder "Rückgabeanspruch" des zur Rückgabe "Berechtigten" gesprochen. Nach Ansicht v. Kreft liegt in einer Pfandzahlung eine "Kaution zur Ausübung des Rückgabeanspruchs des Käufers"56, Hösel/v. Lersner nehmen ein "Rückgaberecht" des Besitzers eines Rücknahmegutes an 57 . Auch das VG Münster kam in seinem Urteil vom 12.10.1994 zu dem Ergebnis, § 4 der Verpackungsverordnung enthalte "eine an die Hersteller und Vertreiber gerichtete Rücknahmepflicht und damit korrespondierend einen Anspruch des Besitzers von Transportverpackungen auf Rücknahme dieser Verpackung"58. Dabei berief sich das Gericht auf Stellen in der Literatur, die die These von der Existenz eines korrespondierenden "Rücknahmeanspruchs" aber überwiegend nicht decken59 ; teilweise nehmen sie sogar explizit die gegenteilige Position ein: "Soweit nach der Verpackungsverordnung Rücknahmepflichten bestehen, entspricht dem weder ein öffentlich-rechtlicher noch ein zivilrechtlicher An-

56 Kreft in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 14, Anm.1.3. und 2.1.3. 57 Vgl. Hösellv. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Bd.l, Nr. 1240, § 14 Abs. I AbfG, Rdnr. 23. 58 VG Münster, Urteil vom 12.10.1994, Az. 8 K 371/93, NVwZ 1995, S. 410, 411; von einem Rückgaberecht oder Rückgabeanspruch ausgehend auch VG Ansbach, BB 1993, S. 1954; BreuerlFaßbender, WiVerw 1995, S. 11; BongaertslHempen in Schenkel (Hrsg.), Recht auf Abfall, S. 136f.; Bundesregierung in Begründung zu Entwurf der Verpackungsverordnung, BR-Drs. 817/90, S. 47-50; Drygala, NJW 1993, S. 363f.; v. Geldern, Wege aus dem Wohlstandsmüll, S. 84; Klages, Müllmagazin 1993, S. 45; Lindemeyer, BB 1994, S. 1956 ("Rücknahmerecht"); Marx in ARL (Hrsg.), Aspekte einer raum- und umweltverträglichen Abfallentsorgung, Teil 1, S. 169; Papier in DSD-Gutachten 1993, S. 24; Philipp (FfW Mainz), Gutachten im Auftrag des BMWi 1992, S. 153: Queitsch, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, S. 66; RummleriSchutt, Kommentar VerpackV S. 64ff., der unter der Überschrift "Rechte" von einem "Anspruch des Endverbrauchers auf Rücknahme" spricht; ScholzlAulehner, BB 1993, S. 2262; Thome-Kozmiensky, Verpackungsverordnung, S. 41; Vällink, das Krankenhaus 1991, S. 454; Wolf!, DWiR 1992, S. 83. 59 Vgl. Ekkenga, BB 1993, S. 946f., der sich ausdrücklich gegen die Annahme eines privatrechtlichen Rücknahmeanspruchs wendet; ohne Festlegung in der Sache, aber mit mißverständlicher Terminologie auch StreckerlBerndt, Kommentar VerpackV, § 4 Anm. 2.2. (S. 66); Eisner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, C. 7.1., VerpackV, S. 13f., der nur von der Schaffung zilvilrechtlicher "Beziehungen" zwischen Rücknahmepflichtigem und Rückgabewilligem spricht.

44

I. Teil: Rücknahmepflichten

spruch auf Rücknahme gelieferter Verpackungen auf seiten des BürgersIUnternehmers. "60

2. Denkbare Begründungsansätze Im Regelfall werden die Gründe rur die Annahme des Bestehens eines "Rückgaberechts" nicht konkretisiert, sondern aus dem wirtschaftlichen Interesse des rückgabewilligen Produktinhabers an einer Rückgabe das Bestehen eines Anspruchs auf Rücknahme gefolgert61 • Im folgenden soll gezeigt werden, worauf sich die These von der Existenz eines Rückgaberechts stützen könnte und ob eine solche Argumentation im einzelnen stichhaltig wäre. a) Zum Teil wird angenommen, durch Rücknahmepflichten werde ein neues gesetzliches Schuldverhältnis geschaffen 62 • Auf ein Verständnis des Verhältnisses zwischen Rücknahmepflichtigem und Rückgabewilligem als Schuldverhältnis deutet auch hin, wenn § 269 BGB unmittelbar63 oder zumindest entsprechend64 zur Konkretisierung der Rücknahmepflicht nach § 4 VerpackV verwandt wird. Der Begriff "Schuldverhältnis" bezeichnet eine Beziehung zwischen zumindest zwei Personen, bei der der schuldrechtlichen Forderung des Berechtigten eine Schuld des Verpflichteten gegenübersteht6s • Die Annahme einer solchen rechtlichen Beziehung scheitert noch nicht daran, daß bei einem Schuldverhältnis der Leistungsinhalt bestimmt oder bestimmbar sein muß, sich Rücknahmepflichten aber nicht notwendigerweise auf das abgegebene Gut beschränken und somit der Rückgabewillige über das konkret zurückzunehmende Gut entscheidet;

60 Fluck, OB 1992, S. 196. Vgl. ausdrücklich gegen die Annahme eines Rückgaberechts auch Versteyl, Abfall und Altlasten, S. 97; ders. in HdBUR, Verpackungsverordnung, Sp. 2652; gegen die Annahme eines Schuldverhältnisses auch BayObLG, Gew Arch 1994, S. 123 und AG Winsen (Luhe), NVwZ-RR 1994, S. 433; das Bestehen eines Rückgaberechts ausdrücklich ablehnend auch VG München, NVwZ 1998, S. 544. 61 Vgl. Drygala, NJW 1993, S. 364: "Angesichts knapper werdender Entsorgungsmöglichkeiten und steigender Müllgebühren" sei "diese Möglichkeit anderweitiger Abfallentsorgung für den Kunden auch nicht ohne wirtschaftlichen Wert". 62 So Umweltministerium Baden-Württemberg, Positionspapier zur Umsetzung von § 4 VerpackV, ohne Datum, S. 13 (unveröffentl.), zit. bei Ekkenga, BB 1993, S. 946; denkbar, im Ergebnis aber femliegend, wäre weiterhin die Annahme eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses, vgl. dazu ebd., S. 948. 63 So Flanderka/Winter, BB 1992, S. 149, 150f. 64

6S

Vgl. StreckeriBerndt, Kommentar VerpackV, § 4 Anm. 2.2 (S. 66). Vgl. Heinrichs in Palandt, BGB, Einf. vor § 305 Rdnr. 5.

A. Allgemeine Aspekte

45

wie § 315 BGB zeigt, ist eine Leistung schon dann bestimmbar, wenn die Bestimmung einer der Parteien vorbehalten bleibt66 • Allein deshalb, weil ein Individualinteresse an einer Pflichterfiillung besteht oder es einen faktisch Begünstigten gibt, muß die Pflichtnorm aber noch keinen individuellen Anspruch des "betroffenen" Bürgers auf die Pflichterfilllung begründen. Beispielsweise haben Mieter eines Hauses ein starkes Interesse daran, daß der Eigentümer seiner Straßenreinigungspflichr7 nachkommt, ohne daß dadurch aber ein Schuldverhältnis zwischen reinigungsptlichtigem Eigentümer und den faktisch begünstigten Mietern begründet würde, aus dem auf ErtUllUng der Pflicht geklagt werden könnte68 • Öffentlich-rechtliche Pflichten zeichnen sich dadurch aus, daß der Pflichtadressat die Erfilllung der Pflicht nur dem Staat gegenüber "schuldet". Da es sich bei der Rücknahmepflicht um eine öffentlich-rechtliche Pflicht handelt, folgt aus der Tatsache, daß der Hersteller oder Vertreiber zur Rücknahme vom Produktinhaber verpflichtet ist, noch kein individuelles Recht des Letzteren darauf, daß der Rücknahmepflichtige nicht gegen die Pflicht verstößt. Sollte ausnahmsweise durch die Auferlegung der öffentlich-rechtlichen Rücknahmeptlicht auch ein privatrechtliches Schuldverhältnis zwischen dem Ptlichtunterworfenen und einem privaten Dritten geschaffen werden, dann müßte sich dies aus dem Wortlaut der Vorschrift ergeben. Mögliche Formulierungen wären etwa gewesen, daß der Produktinhaber die Rücknahme "verlangen" könne, er das "Recht zur Rückgabe" oder einen "Anspruch auf Rücknahme" habe, oder daß der Rücknahmepflichtige "dem Produktinhaber gegenüber zur Rücknahme verpflichtet" sei. Entsprechende Anhaltspunkte tUr eine privatrechtsgestaltende Wirkung enthalten aber weder die bestehenden Rücknahmepflichten noch die Verordnungsermächtigungen. Verbreitet wird der Endverbraucher nur im Rahmen der Voraussetzungen tUr eine Rücknahmepflicht angesprochen 69 ; in den Ermächtigungsgrundlagen zum Erlaß von Rücknahmepflichten wird der Produktinhaber

Vgl. Heinrichs in Palandt, BGB, § 315 Rdnr. I. Grundlage hierfür sind kommunale Satzungen auf der Basis etwa von § 4 Abs. I Satz I StrReinG NW. 68 Die Wegereinigungsnormen gelten lediglich als Schutzgesetze, so daß sich bei einer Verletzung Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB ergeben können, vgl. BGHZ 27, 278, 283; BGH, VersR 1957, S. 446; NJW 1970,95; OLG Köln, NJW 1960, S. 2289; Martens in Münchner Kommentar, BGB, 2. Aufl. 1986, § 823 Rdnr. 170; Salzwedel in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, S. 792; Thomas in Palandt, BGB, § 823, Rdnr.152. 69 Vgl. § 5b AbfG (Altöl), § 4 Satz I VerpackV (Transportverpackungen), § 8 Abs. 2 Satz I FCKW-Halon-Verbots-V. 66 67

46

l. Teil: Rücknahmepflichten

nicht einmal erwähnfo, was schon gegen die Annahme der Begründung eines individuellen Rückgaberechts sprichf'. Aber selbst wenn sich ein Bezug auf den Produktinhaber findet, ist die Rede jeweils nur von einer Pflicht zur Rücknahme oder davon, daß Gelegenheit zur Rückgabe gegeben werden müsse, nie dagegen von einem "Recht" oder einem "Anspruch" auf Rückgabe 72 • Damit wird die Annahme, mit der Einfiihrung von Rücknahmeptlichten sei die Begründung eines neuen gesetzlichen Schuldverhältnisses verbunden, vom Wortlaut der Bestimmungen nicht gedeckt. Im übrigen wird zu Recht darauf hingewiesen, daß sich die Auferlegung von Rücknahmeptlichten im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage halten muß 73. Dies wäre bei der Annahme der Schaffung eines neuen gesetzlichen Schuldverhältnisses zweifelhaft, da weder § 14 AbfG noch §§ 22, 24 KrW-/AbfG zur Einräumung privatrechtlicher RückgabeansprUche errnächtigen 74 • Rücknahmeptlichten schaffen daher kein Schuldverhältnis zwischen Rücknahmepflichtigem und Produktinhaber, sondern wirken unmittelbar nur imVerhältnis zwischen dem Staat und dem Rücknahmeptlichtigem 75 • b) Eine andere Argumentationslinie zielt auf die mittelbare Begründung eines Rücknahmeanspruchs des Rückgabewilligen: Ein Anspruch auf Rücknahme eines Produktes wird aus einem negatorischen oder quasinegatorischen Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch gemäß § /004 BGB abgeleitet. Bejaht wird eine solche zivilrechtliche Durchsetzbarkeit der Rücknahme zum Teil hinsichtlich der Rücknahmepflichten rur Umverpackungen 7(" Transportverpackun-

70 So die Ermächtigungsgrundlagen für Rücknahmepflichten in § 14 Abs. I Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 3 AbfG sowie in § 24 Abs. I Nr. 1-3 KrW/AbfG. 7' Vgl. VG München, NVwZ 1998, S. 545.

72 Vgl. § 3 Abs. I HKWAbN: "ist verpflichtet, von diesem Vertreiber ... zurückzunehmen"; § 6 Abs. I Satz I VerpackV: "ist verpflichtet, vom Endverbraucher ... zurückzunehmen"; § 5 Abs. I VerpackV: "sind verpflichtet, ... dem Endverbraucher ... Gelegenheit ... zur kostenlosen Rückgabe zu geben". 73 Vgl. Ekkenga, BB 1993, S. 947. 74 Vgl. VG München, NVwZ 1998, S. 545; so auch Ekkenga. BB 1993, S. 947 in Hinblick auf § 14 Abs. 2 Satz 3 AbfG. 75 Vgl. AG Winsen (Luhe), Urteil vom 10.11.1993, NVwZ-RR 1994, S. 433; BayObLG, GewArch 1994, S. 123; Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, C.7.l., VerpackV, S. 14. 76 Vgl. Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, C.7.\., VerpackV, S. 15; ablehnend Ekkenga, BB 1993, S. 947.

A. Allgemeine Aspekte

47

gen 77 und Verkaufsverpackungen 78 . Schutzgut von § 1004 BGB ist direkt nur das Eigentum (negatorische Ansprüche); § 1004 BGB wird aber entsprechend auf aHe über § 823 Abs. 2 BGB geschützten Güter angewandt (quasinegatorische Ansprüche). aa) Notwendig rur einen negatorischen Anspruch ist eine Eigentumsbeeinträchtigung79 • Eine solche Beeinträchtigung wird zumindest rur Transportverpackungen in Hinblick auf das Grundstück des Rückgabewilligen bejaht: Die Verweigerung der Zurücknahme von Transportverpackungen durch die Rücknahmepflichtigen sei "so zu behandeln, als hätten sie unbefugt VerpackungsabfliHe auf dem Gelände des Empflingers abgeladen"80. Das Eigentum befugt auch dazu, negative Auswirkungen auf die Sache auszuschließen8I, worunter auch das Abladen von Abfall fäHt 82 • Fraglich ist allerdings, ob diese Gleichsetzung der Rücknahmeverweigerung mit dem Abladen von MüH zutriffi. Damit verbunden ist die Frage, ob die Rücknahmepflichtigen durch ihre Weigerung zivilrechtIich zu "Störern" im Sinn von § 1004 BGB werden. Beides ist zu verneinen. Handlungsstörer ist, wer durch eigenes Tun oder pflichtwidriges Unterlassen die Beeinträchtigung unmittelbar hervorbringt83. Die Beeinträchtigung des Grundstücks durch die nicht mehr gewollten Produkte entsteht aber nicht erst mit einer Rücknahmeverweigerung, sondern ist schon vorher gegeben. Der Grundstücksinhaber würde die Produkte nicht zurückgeben, wenn er sie nicht "loswerden" woHte; damit existiert die Beeinträchtigung zumindest schon eine logische Sekunde vor einer möglichen Rücknahmeverweigerung. Gegen die hier vorgenommene Gleichsetzung der Abnahmeverweigerung mit dem rechtswidrigen Abladen von MüH spricht auch, daß das Rücknahmegut nicht gegen den Willen des Grundstückseigentümers auf das Grundstück gebracht wird. Weiterhin handelt es sich dabei nicht um "fremde" Gegenstände, denn etwa die Transportverpackungen stehen mit Einigung und Übergabe im Eigentum des Warenadressaten; es ginge hier also um die Konzeption des Schutzes des Eigentümers vor sei77 Vgl. Ekkenga, BB 1993, S. 947; Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, C.7.\., VerpackV, S. 15. 78 Vgl. Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, C.7.\., VerpackV, S. 15; ablehnend Ekkenga, BB 1993, S. 947. 79 Vgl. Bassenge in Palandt, BGB, § 1004, Rdnr. 4. 80 So Ekkenga, BB 1993, S. 947. 81 Vgl. Bassenge in Palandt, BGB, § 903, Rdnr. 6. 82 Stichwort der unerlaubten "Zufuhr festkörperlicher Gegenstände", vgl. Bassenge in Palandt, BGB, § 903, Rdnr. 7; vgl. auch Fluck, DB 1992, S. 195. 83 V gl. BGHZ 90, 266; Jauernig in ders., BGB, § 1004, Anm. 6.

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I. Teil: Rücknahmepflichten

nem Eigentum. Dies zeigt, daß die Wertung einer Rücknahmeverweigerung als Eigentumsbeeinträchtigung unzutreffend ist. bb) Anders könnte die Lage zu beurteilen sein, wenn nach der Existenz eines quasinegatorischen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs gefragt wird und dazu Rücknahmepflichten als Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB aufgefaßt würden 84 ; hier wäre der die Rücknahme verweigernde Hersteller oder Vertreiber Handlungsstörer, da er die Beeinträchtigung (eventuelle Vermögensschäden nach einer fehlenden Rücknahme) durch ptlichtwidriges Unterlassen unmittelbar hervorrufen würde. Auf dieser Basis wäre es denkbar, gegen den die Rücknahme verweigernden Rücknahmeptlichtigen auf Unterlassung oder Beseitigung der Beeinträchtigung zu klagen. Auch Normen des öffentlichen Rechts kommen als Schutzgesetze in Frage85 • Sie müssen ein bestimmtes Verbot oder Gebot enthalten 86 , und der Kreis der geschützten Personen muß "hinreichend klargestellt und bestimmt" sein 87 • Beides läßt sich rur Rücknahmeptlichten bejahen. Problematisch ist dagegen die Abgrenzung von Schutzgesetzen gegenüber Regelungen, die Rechte des Einzelnen nur als Retlexwirkungen nach sich ziehen. Keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sind Vorschriften, die nur dem Schutz der Allgemeinheit dienen; sie werden auch nicht dadurch zu Schutzgesetzen, daß sie lediglich objektiv dem Einzelnen gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsinteresses nützen88 • Rücknahmeptlichten sollen dem öffentlichen Interesse an Verbesserungen in den Bereichen Abfallvermeidung, -verwertung und -beseitigung dienen. Allerdings schließen sich der Schutz der Allgemeinheit und ein Individualschutz als Gesetzeszweck nicht notwendigerweise aus. Ausreichend rur die Annahme eines Schutzgesetzes ist ein "mitgewollter" Individualschutz in der Form, daß eine Regelung auch anderen Zwecken dient, nebenher jedoch zum Schutz von Individualinteressen erlassen worden ist89 •

84 Bejahend Ekkenga, BB 1993, S. 947 flir § 4 VerpackV; Eisner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, C.7.\., VerpackV, S. 15 flir §§ 4, 5 und 6 Abs. 1-2 VerpackV. 85 Vgl. etwa OLG Dresden, Urteil vom 24.05.1995, NVwZ 1995, S. 934f.: Beseitigungsanspruch aus § 1004 gegen Abfallerzeuger; Ehlers in Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rdnr. 65 (S. 54); Schäfer in Staudinger, BGB-Kommentar § 823 Rdnr. 576. 86 Vgl. BGH NJW 1974, S. 1240. 87 Vgl. BGHZ 40,306,307. 88 Vgl. Schäfer in Staudinger, BGB-Kommentar § 823 Rdnr. 580. 89 Ständige Rechtsprechung, vgl. RGZ 100, 142, 146; BGHZ 12, 146, 148; 69, I, 16; vgl. Schäfer in Staudinger, BGB-Kommentar § 823 Rdnr. 585 mit weiteren Nachweisen.

A. Allgemeine Aspekte

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Teilweise wird vertreten, daß Rücknahmepflichten auch dem Schutz der Interessen des einzelnen rUckgabewilligen Produktinhabers an einer geeigneten Entsorgung dienten90 • Bezogen auf die Verpackungsverordnung wird dies damit begründet, der "bezweckte Individualschutz" werde "besonders augenfällig, wenn entsorgungspflichtige Körperschaften Verpackungen satzungsrechtlich von der Entsorgung ausschließen. In diesem Fall treten die Rücknahmepflichten der Verpackungsverordnung an die Stelle des bislang bestehenden Entsorgungsanspruchs gegenüber der Körperschaft, der seinerseits ein subjektivöffentliches Recht ist... Es ist nicht anzunehmen, daß der Verordnungsgeber die Rechtsstellung des Verpackungsbesitzers verschlechtern wollte, als er die Entsorgungsverantwortung für gebrauchte Verpackungen auf Private übertrug."91 Die Frage, unter welchen Bedingungen Verpackungen von der öffentlichen Abfallentsorgung ausgeschlossen werden können, soll hier zunächst dahingestellt bleiben92 • Der Verweis auf die nach einem Ausschluß von Verpackungen aus der öffentlichen Abfallentsorgung möglicherweise entstehende Situation geht schon deswegen fehl, weil es zur Bestimmung des Gesetzeszwecks auf die Intention des Gesetzgebers zum Zeitpunkt des Erlasses der Norm ankommt93 . Ein Ausschluß durch die einzelne entsorgungspflichtige Körperschaft erfolgt zeitlich aber erst nach dem Erlaß einer RUcknahmevorschrift; mit der Auferlegung einer RUcknahmepflicht selbst ist ein solcher Ausschluß nicht verbunden. Damit geht mit der RUcknahmepflicht auch keine Verschlechterung der Situation des Verpackungsbesitzers einher, die durch die Einräumung eines Individualschutzes auszugleichen wäre. Rücknahmepflichten erweitern das Handlungsspektrum des Produktinhabers, indem dieser entweder die RUckgabemöglichkeit wahrnehmen oder aber weiterhin die öffentliche Abfallentsorgung nutzen kann. Zum Zeitpunkt des Erlasses von RUcknahmevorschriften gibt es daher noch keinen Anlaß rur einen Schutz der Rückgabewilligen. Entscheidend rur die Frage nach der Existenz eines mitgewollten Individualschutzes ist neben dem Wortlaut der Regelung insbesondere, ob sich hierfUr ausreichende Anhaltspunkte aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergeben 94 • Weiterhin und ergänzend ist nach dem Zusammenhang der Rechtsordnung zu

90 Vgl. Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, C.7.\., VerpackV, S. 15 für Rücknahmepflichten für gebrauchte Verpackungen . • 91 Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, C.7.\., VerpackV, S.15. 92 Vgl. dazu unten S. 543fT. 93 Vgl. BGH, ZIP 91, S. 1597; Thomas in Palandt, BGB, § 823, Rdnr. 14\. 94 Vgl. Schäfer in Staudinger, BGB-Kommentar § 823 Rdnr. 588. 4 Bauemfeind

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I. Teil: Rücknahmepflichten

fragen 95 und zu prüfen, "ob die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs, auch soweit sie nicht schon erkennbar vom Gesetz erstrebt wird, in diesem sinnvoll ... erscheint"96. Schwache Anhaltspunkte darur, daß vom Gesetzgeber ein solcher Individualschutz "mitgewollt" worden sein könnte, existieren bei den bestehenden Rücknahmepflichten nur rur den Fall der Verpackungsverordnung. Die Bundesregierung sprach in ihrer Begründung zur Verpackungsverordnung beiläufig von einem "Rücknahmeanspruch"97. Auch der damalige Vorsitzende des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages v. Geldern (CDU/CSU) vertrat die Ansicht, entsprechend der Verpflichtung des Vertreibers zur Rücknahme gebrauchter Verkaufsverpackungen habe der Endverbraucher "ein Recht, die gebrauchte Verkaufsverpackung dort, wo er sie erworben hat, zurückzugeben"98. Beides reicht jedoch nicht aus, um daraus die Existenz eines Willens des Gesetzgebers, Rücknahmepflichten auch eine individual schützende Wirkung zuzumessen, ableiten zu können. Wenn dies wirklich gewollt gewesen wäre, so ist anzunehmen, daß sich dies eindeutiger in den Verordnungsmaterialien oder zumindest in der politischen Diskussion über den Verordnungsentwurf niedergeschlagen hätte; die Frage, ob der Bürger die Rücknahmepflicht im Einzelfall zivilrechtlich durchsetzen können soll, wurde aber - soweit ersichtlich - nie thematisiert. Hervorgehoben wurde dagegen, daß die Einruhrung einer Rücknahmeverpflichtung rur Hersteller und Vertreiber notwendig sei, um allgemein eine Abfallminimierung zu erreichen99 . Zivilrechtliehe Beziehungen sollten daher durch die VerpackV wohl nicht geregelt werden 100. Somit ist danach zu fragen, wie sich das Bestehen von individuell durchsetzbaren Ansprüchen des Rückgabewilligen gegen den Rücknahmepflichtigen in das bestehende Regelungssystem einrugen würde; dieser Aspekt spricht aber gegen die Annahme eines Schutzgesetzcharakters von Rücknahmepflichten. Die 95 Vgl. BGHZ 40,306,307; Schäfer in Staudinger, BGB-Kommentar § 823 Rdnr. 588. 96 BGHZ 66, 388, 390, wobei die Regelung auch im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar sein muß; vgl. auch Thomas in Palandt, BGB, § 823, Rdnr. 141. 97 Bundesregierung, BR-Drs. 817/90, S. 47 und 48 ("Soweit der Endverbraucher die Überlassung der Transportverpackung" oder "die Überlassung der Ware in der Umverpakkung" verlange, trete "an die Stelle des Rücknahmeanspruchs" nach § 4 bzw. § 5 "der allgemeine Rücknahmeanspruch nach § 6 Abs. I. ") sowie S. 50 (Der "Rücknahmeanspruch" nach § 6 Abs. 2 reiche bis zum Erzeuger). 98 Von Geldern, Wege aus dem Wohlstandsmüll, S. 81. 99 Vgl. etwa die Beratungen im Bundesrat, 628.Sitzung 19.04.1991, Plenarprotokoll S. 115ff., dabei insbesondere Minister Sieckmann (Thüringen), S. 115, Staatsminister Dr. Gauweiler (Bayern), S. 117 und Bundesumweltminister Prof. Dr. Töpfer, S. 121 und 123. 100 So zutreffend Versteyl, Abfall und Altlasten, S. 97.

A. Allgemeine Aspekte

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Betonung der Interessen des Produktinhabers wäre ein Fremdkörper im System der Rücknahmepflichten. Rücknahmepflichten werden nicht eingefilhrt, weil der Inhaber des Produktes Probleme mit der Entsorgung hat, sondern aus Gründen der generellen Abfallvermeidung, um generell Verbesserungen in den Bereichen Abfallverwertung und -beseitigung zu bewirken und um allgemein eine Entlastung der öffentlichen Abfallentsorgung zu erreichen lOl . Daher dienen Rücknahmepflichten "allein der Wirtschaftslenkung, nicht jedoch dem Schutz des Verbrauchers oder Einzelner"102. Durch die Einfilhrung von Rücknahmepflichten will der Staat ein bestimmtes Handeln der Hersteller oder Vertreiber als Pflichtunterworfene erreichen, insbesondere über die indirekte Steuerung der Produktgestaltung und -entwicklung lO3 abfall vermeidende Wirkungen erzielen lO4 ; der Bürger spielt dabei in seiner Funktion als Produktinhaber nur eine faktische Rolle. Das Interesse der Allgemeinheit an der Pflichterfilllung beschränkt sich nicht auf die Summe der Interessen der einzelnen Rückgabewilligen - was filr die Annahme eines mitgewollten Individualschutzes sprechen würdelos, - sondern geht darüber hinaus. Ein Verstoß gegen Rücknahmepflichten ist in der Regel als Ordnungswidrigkeit ausgekleidet lO6 . Bedenken gegen die Annahme individuell durchsetzbarer RUcknahmeansprüche der einzelnen Rückgabewilligen ergeben sich insbesondere in Hinblick darauf, daß bei der Erzwingung einer Einhaltung von Rücknahmepflichten über Bußgelder, ebenso wie beim Erlaß von Ordnungsverfilgungen lO7, das ordnungsrechtliche Opportunitätsprinzip gilt lO8 . Das bedeutet, daß die Ordnungsbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden haben, ob und wie sie die Einhaltung der Pflicht im Einzelfall durchsetzen (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 1 OWiG, § 16 OBG NW). Damit sollen sie unter anderem in die Lage versetzt werden, flexibel auf Verstöße zu reagieren und etwa Bagatellen ver-

101 Vgl. zu den einzelnen Rücknahmepflichten unten ab S. 341. 102 VO München, NVwZ 1998, S. 544 für die Rücknahmepflichten für Verkaufsverpackungen nach der VerpackV. 103 Vgl. Mäschel in FS Börner 1992, S. 293; Ruchay in ARL (Hrsg.), Aspekte einer raum- und umweltverträglichen Abfallentsorgung, Teil I, S. 333. 104 Vgl. oben, S. 36. V gl. BOHZ 40, 306, 310. I06Ygl. z.B. § 18 Abs. I Nr. 2aAbtD; § 12 VerpackV; § 6 Abs. I Nr. 2 HKWAbfV; § 9 Abs.4 FCKW-Halon-Verbots-VO; vgl. auch § 61 Abs. I Nr. 5 KrW-/AbtD in bezug auf künftige Rücknahmeverordnungen nach § 24 KrW-/AbtD. 107 Vgl. Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, C.7.1., VerpackV, S. 14. 108 Vgl. Ekkenga, BB 1993, S. 947; zum Opportunitätsprinzip etwa Ossenbühl, DÖY 1976, S. 463fT. 105

I. Teil: Rücknahmeptlichten

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nachlässigen zu können l09 • Eine solche nachsichtigere Handhabung kann gerade in einem Übergangszeitraum nach der Einruhrung neuer Rücknahmepflichten geboten sein. Dem würde es jedoch entgegenstehen, wenn jeder einzelne Produktinhaber die Einhaltung der Ptlicht in jedem Einzelfall einklagen könnte. Der Staat hätte es dann nicht mehr in der Hand, auf die zwangsweise Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Pflicht in begründeten Einzelfällen zu verzichten. Damit können das öffentliche und das private Interesse im Einzelfall auseinanderklaffen. Vom Verwaltungsgericht München wurde die Annahme eines Drittschutzes durch die Rücknahmepflicht in § 6 Abs. 1 VerpackV und das Bestehen eines einklagbaren Rückgaberechts daher zutreffenderweise verneint. Der öffentlichrechtlich normierten Pflicht stehe hier kein Recht des indirekt begünstigten gegenüber; vielmehr bilde die Rückgabemöglichkeit lediglich den Refelex der normierten Rücknahmepflicht 11O • Rücknahmepflichten dienen daher - sofern sich aus der Entstehungsgeschichte nicht klare anderweitige Anhaltspunkte ergeben - allein dem öffentlichen Interesse, bezwecken dagegen nicht den Schutz der potentiellen Nutznießer einer Rückgabemöglichkeit 'll und sind daher keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGBll2. Auch in Form eines quasinegatorischen Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB besteht somit kein mittelbarer Rücknahmeanspruch. Es steht zu vermuten, daß der Gebrauch der Bezeichnung "Recht" rur die Rückgabemöglichkeit oft auf die besondere Anziehungskraft zurückzuruhren sein wird, die der Begriff der "Rücknahmepflicht" auf die Annahme eines - mit der Pflicht korrespondierenden - "Rückgaberechtes" gegenüber demjenigen ausübt, der an ein Denken im Begriffspaar Recht - Pflicht gewöhnt ist. c) Als Ergebnis bleibt also festzuhalten, daß es kein Recht des rückgabewilligen Produktinhabers darauf gibt, daß der Rücknahmeptlichtige seiner Pflicht auch nachkommt ll3 •

Vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 351. VG München, NVwZ 1998, S. 544. 111 So für die VerpackV auch Fluck, OB 1992, S. 196; Versteyl in HdBUR, Verpackungsverordnung, Sp. 2652. 112 So auch Fluck, OB 1992, S. 196. ll3 Vgl. jeweils für die Verpackungsverordnung Fluck, OB 1992, S. 195; Versteyl, Abfall und Altlasten, S. 97. 109

110

A. Allgemeine Aspekte

53

VI. Frage des Bestehens eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Rückgabewilligen auf staatliche Durchsetzung der Pflicht

Von der Frage der Existenz eines Rechts oder eines Anspruchs des Rückgabewilligen auf Rücknahme zu trennen ist die Frage, welche Möglichkeiten der rUckgabewillige Produktinhaber hat, um die Rücknahme im Einzelfall gegenüber einem sich weigernden Rücknahmepflichtigem durchzusetzen. Denkbar wäre das Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Produktinhabers darauf, daß die Ordnungsbehörden gegen den Rücknahmeunwilligen vorgehen oder daß sie zumindest eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über das Ergreifen von Maßnahmen treffen" 4 •

J. Begriff eines subjektiv-öffentlichen Rechts

Unter einem subjektiv-öffentlichen Recht versteht man die "einem Rechtssubjekt in öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingeräumte Rechtsrnacht, mit Hilfe der Rechtsordnung eigene Interessen zu verfoIgen""5. Dieses ist abzugrenzen von einem bloßen Rechtsreflex" 6 bzw. einer Reflexwirkung des objektiven Rechts ll7 • Subjektive Rechte können sich auch aus Normen ergeben, die das Verhalten des Staates gegenüber einem Dritten regeln. Dies sind etwa die Fälle des Nachbarschutzes im Baurecht, wo die Bindung des Staates an die öffentlichrechtlichen Normen beispielsweise bei der Erteilung einer Baugenehmigung nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern auch im Interesse des Nachbarn bestehen kann 118. 2. Identifizierung einer Anspruchsgrundlage

Voraussetzung tur das Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechts ist ein materielles Gesetz, das einen bestimmten Tatbestand enthält und aufgrund des-

Letzteres wird bejaht von Ekkenga, BB 1993, S. 947. Erichsen in ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rdnr. 30, in Anlehnung an Jellinek, Bühler und Bachof, nachgew. ebd., Fn. 143-145; weitere Nachweise bei Bachof, GS Jellinek, S. 291 f. 116 V gl. z.B. EyermannlFröhler/Kormann, VwGO-Kommentar, § 42, Rdnr. 155. 117 Vgl. etwa WolfJ/BachopStober, Verwaltungsrecht I, Rdnr. 9. 118 Für einen kurzen Überblick dazu vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 9; ausfiihrIich Breuer, DVBI. 1983, S. 431. 114

115

54

1. Teil: Rücknahmepflichten

sen ein Verpflichteter und ein Berechtigter bestimmt werden können, welches den Berechtigten "nicht nur tatsächlich, beiläufig oder zufallig begünstigt" 119. Materielles Gesetz sind alle Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen), die Rücknahmepflichten begründen. Zu klären ist, weIche Vorschrift konkret als Tatbestandsnorm anzusehen ist. Nahe liegt ein Rückgriff auf die jeweilige Rücknahmevorschrift. Diese sind aber zur Begründung eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Rückgabewilligen allein nicht geeignet. Subjektiv-öffentliche Rechte sind Rechte des Bürgers gegen die Verwaltung als "Anspruchsgegner" dieser Rechte l20 • Die Rücknahmevorschriften selbst enthalten jedoch nur eine Pflicht des Rücknahmepflichtigen gegenüber dem Staat, nicht aber eine Bindung des Staates selbst an materielle Vorgaben, die dieser bei seinem Handeln zu wahren hätte. Üblicherweise wird ein Verstoß gegen Rücknahmepflichten als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet 121 , so daß die Ordnungswidrigkeitsvorschriften in Verbindung mit der bewehrten Pflicht als Tatbestandsnormen herangezogen werden könnten; ansonsten wären die ordnungsbehördlichen Generalklauseln wie etwa § 14 OBG NW denkbare Tatbestandsnormen. Gezeigt wurde allerdings schon, daß die Entscheidung über die Durchsetzung der Einhaltung der Pflicht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörden steht (ordnungsrechtliches Opportunitätsprinzip)l22. Zwar sind auch Ermessensnormen zur Begründung subjektiv-öffentlicher Rechte geeignet, allerdings grundsätzlich nur in der Form eines Rechts des Bürgers auf fehlerfreien Ermessensgebrauch 123 • Ein Anspruch auf ein konkretes Einschreiten der Behörde ergäbe sich nur dann, wenn alle anderen Entscheidungen ermessensfehlerhaft wären (Ermessensreduzierung auf Null). Tatbestand wäre hier der Verstoß des Rücknahmepflichtigen gegen seine öffentlich-rechtliche Pflicht mit der möglichen Folge, daß der Rückgabewillige (als Berechtigter) gegen die Ordnungsbehörde (als potentiell Verpflichtete) einen Anspruch darauf haben könnte, daß diese ihr Ermessen bei der Entscheidung über die Durchsetzung der Rücknahme fehlerfrei ausübt. Vgl. WoljflBachoJlStober, VerwaItungsrecht I, Rdnr. 27. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 1 121 Vgl. z.B. § 18 Abs. 1 Nr. 2aAbfG; § 12 VerpackV; § 6 Abs. 1 Nr. 2 HKWAbN; § 9 Abs. 4 FCKW-Halon-Verbots-VO; vgl. auch § 61 Abs. I Nr. 5 KrW-/AbfG in bezug auf künftige ROcknahmeverordnungen nach § 24 KrW-/AbfG. 122 Vgl. dazu oben S. 51. 119

120

123 Vgl. Bachofin OS Jellinek, S. 295; Erichsen in ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht § 11 Rdnr. 35, Fn. 165; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 15; Schmidt-Aßmann in MDHS, Art.19 Abs. 4, Rdnr. 135; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 218ff.; vgl. auch BVerwO, DÖV 1987, S. 296, 297.

A. Allgemeine Aspekte

55

3. Abgrenzung rechtlich geschützter Interessen von Rechtsreflexen Voraussetzung für ein subjektiv-öffentliches Recht auf Durchsetzung der Rücknahmeptlicht durch die Ordnungs behörden wäre, daß einer Pflicht der Behörde zum Einschreiten ein rechtlich geschütztes Interesse des Bürgers, hier also des Rückgabewilligen, entspricht. Darüber, wie dies bestimmt werden soll, besteht Uneinigkeit. Nach der vor allem von der Rechtsprechung vertretenen "Schutzzwecktheorie"124 ist danach zu fragen, ob der Rechtssatz das Hoheitsubjekt deshalb zu einem bestimmten Handeln verpflichtet, weil die Norm zumindest auch dem Schutz der Interessen einzelner Bürger dienen solll25. Die Abgrenzung von subjektiven Rechten und Rechtsretlexen über die Schutzzwecktheorie bereitet im konkreten Fall allerdings erhebliche Schwierigkeiten 126 , so daß "kaum noch vorhersehbar" ist, ob die Gerichte ein subjektives Recht bejahen oder verneinen werden 121. Zu Recht wird konstatiert, daß sich die Rechtsprechung mit der vorgenommenen Abgrenzung auf "schwankenden Boden begeben" habe 128 • Eine mögliche Abhilfe wird in der neueren Literatur in Begründungsansätzen gesehen, die für die Abgrenzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts von bloß tatsächlichen Begünstigungen nicht die jeweilige Norm selbst als entscheidend ansehen. Von Zuleeg wird die These vertreten, der subjektive Rechtsschutz sei unmittelbar und ausschließlich aus den Grundrechten herzuleiten, insbesondere aus Art. 14 Abs. 1 und Art.2 Abs. 1 GG 129 • Dagegen spricht jedoch, daß subjektive Rechte einfachgesetzlich auch über das verfassungsrechtliche Mindestmaß hinaus gewährt werden l30 • Auch wird davon nicht berücksichtigt, daß gerade Art. 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG auf eine Ausgestaltung der individuellen Rechts-

124 Vgl. etwa BVerwGE 1, 83; 66, 307, 308ff.; 75, 285, 286tf.; 80, 259f.;_80, 355, 366tf.; BVerfGE 83, 182, 194f.; so auch Bachofin GS Jellinck, S. 296tf.; Marburger, Gutachten zum 56.DJT, 1986, Bd.l, C 19f. m.w.N.; Schmidt-Aßmann in MDHS, Kommentar 00, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 128; WoljJlBachoJlStober, Verwaltungsrecht I, Rdnr. 12. 125 Vgl. BVerwGE 39, 235, 238; Busch in Knack (Hrsg.), VwVfG-Kommentar, § 40, Rdnr. 10.2.; Erichsen in ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht § 11 Rdnr. 35; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 8. 126 Vgl. Erichsen in ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rdnr. 16; König, Drittschutz, S. 36 mit weiteren Nachweisen in Fn. 75. 127 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 10. 128 Breuer, DVB1.1983, S. 432. 129 Vgl. Zuleeg, DVBI. 1976, S. 509 tf. 130 Vgl. WoljflBachoJlStober, VerwaItungsrecht I, Rdnr. 25.

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I. Teil: Rücknahmepflichten

sphäre durch den Gesetzgeber angelegt sind l3I • Dem Bereich der normunabhängigen Begründungsansätze zuzurechnen ist weiterhin der von Henke vorgeschlagene Weg, die Existenz eines subjektiv-öffentlichen Rechts dann zu bejahen, wenn der Bürger durch gesetzwidriges Verhalten des Staates in seinen "eigenen Angelegenheiten" betroffen werde ll2 • Auch dies überzeugt jedoch nicht, da sich die Antwort auf die Frage, was eine "eigene Angelegenheit" ist, wiederum erst aus der rechtlichen Normierung ergeben kann 133 • Notwendig bleibt damit eine Klärung dieser Rechtsfrage durch den konkreten Nachweis von gesetzlichen Anspruchsgrundlagen und -voraussetzungen 134 • Eine Konturierung muß daher richtigerweise im Rahmen des normbezogenen Begründungsansatzes gewonnen werden, der eine konkrete Anspruchsgrundlage als Ausgangspunkt der Prüfung nimmt. Vertreten wird hier eine ergänzende Berücksichtigung der Grundrechtsbindungen 135 , Untersuchung der von der Vorschrift benannten oder vorausgesetzten "Trägerschaft der Interessenwahrnehmung"136, sowie eine Abgrenzung danach, ob von der Norm der Interessenkonflikt geregelt und zum Ausgleich gebracht wird 137 •

4. Anwendung der Kriterien Die zur Konkretisierung der Schutznormtheorie vorgeschlagene und grundsätzlich zutreffende Einbeziehung der Grundrechte in die Prüfung hilft bei der Beurteilung der Frage, ob ein subjektives Recht des Rückgabewilligen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Ordnungsbehörden besteht, nicht weiter. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht im Bereich der baurechtlichen Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung grundsätzlich die Möglichkeit einer unmittelbaren Anspruchsherleitung aus Art. 14 Abs. I GG bejaht 138 , doch werden dabei 131 Vgl. Breuer, DVB1.l983, S. 437. 132 Vgl. Henke, Das subjektiv-öffentliche Recht, 1968, S. 57ff., 60.; ähnlich Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), S. 49 (tatSächliche Auswirkungen); ders., DVBI. 1971, S. 723, 725. 133 V gl. Schmidt-Aßmann in MDHS, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 120; Wolff/BachoJlStober, Verwaltungsrecht I, Rdnr. 25. 134 Vgl. Breuer, DVB1.l983, S. 436. 135 V gl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 10; Schmidt-Aßmann in MDHS, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 128. 136 Vgl. Erichsen in ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § II Rdnr.37. 137 So Breuer, DVBI. 1983, S. 437 rur den Fall subjektiver öffentlicher Nachbarrechte. 138 Vgl. BVerwGE 32,173, 178f.; vgl. auch BVerwGE 30,191,198 (Art.2 Abs. 1); 54, 211, 222f. (Art.2 Abs. 2); 60, 154, 155f. (Art.2 Abs. 1).

A. Allgemeine Aspekte

57

die Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte erfaßt. Der Rückgabewillige begehrt aber nicht nur Schutz gegen eine ennessensfehlerhafte Entscheidung des Staates, sondern auch, daß der Staat überhaupt tätig wird und eine Entscheidung trifft, so daß hier der status positivus angesprochen ist. Die Herleitung genereller grundrechtlicher Leistungsrechte wird jedoch überwiegend abgelehnt 139 und im Bereich der Leistungsrechte ein Vorrang des einfachen Rechts vor einer grundrechtsunmittelbaren Ableitung anerkannt l40 ; auch folgt aus den Grundrechten kein allgemeiner Gesetzesvollzugsanspruch l41 • Ein grundrechtlicher Anspruch auf ein Einschreiten der Ordnungsbehörde besteht nur im Rahmen der Absicherung des grundrechtlichen Minimalstandards, also zum Schutz des Lebens, der Gesundheit oder eines sonstigen fundamentalen Rechtsguts oder Rechts des Bürgers gegenüber einer unmittelbaren und schwerwiegenden Geflihrdung l42 • Diese Kriterien passen aber nicht auf die nach einer Rücknahmeverweigerung bestehende Situation. Eher gegen eine Annahme eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf fehlerfreie Ennessensentscheidung über ein Einschreiten spricht die Präzisierung der in den Tatbestandsnonnen vorausgesetzten Interessenwahrnehmung, da als Sachwalter der Interessen ausschließlich die Behörde vorgesehen wird l43 • Anhaltspunkte dafilr, daß private Interessen zum objektiven Regelungsgegenstand oder zum Regelungsziel gemacht wurden l44, sind nicht ersichtlich. Ebenfalls zumindest nichtfür die Annahme eines subjektiven Rechts spricht weiterhin die vorgeschlagene Abgrenzung danach, ob von der Nonn der bestehende Interessenkonflikt geregelt und zum Ausgleich gebracht worden ist l45 , da die Frage des Verhältnisses zwi139 Vgl. etwa BVerwGE 52, 339ff.; 67, 163, 169; Breuer, Jura 1979, S. 401ff. (nur Minimalstandard); Greilinger-Schmid, Der Drittschutz im Abfallrecht, S. 56ff. (mit ausdrücklicher Ablehnung eines Leistungsrechts auf Schutz des von einem Privaten beeinträchtigten Dritten - S. 59); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8, Rdnr. 12; Murswiek in HdBStR V, § 112 Rdnr. 96; Mül/er/PierothiFrohmann, Leistungsrechte im Normbereich einer Freiheitsgarantie, S. 316; v. Münch in v. Münch/Kunig (Hrsg), Vorb. Art. 119, Rdnr. 20. 140 Vgl. Badura, Der Staat (1975), S. 26fT.; Breuer, FS 25 Jahre BVerwG, S. 119; Henke, DÖV 1980, S. 630; Hesse, EuGRZ 1978, S. 434; Schmidt-Aßmann in MDHS, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 121; 141 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8, Rdnr. 12; Schmidt-Aßmann in MDHS, Art.19 Abs. 4, Rdnr. 122. 142 Vgl. Breuer, FS 25 Jahre BVerwG, S. 105. 143 Dazu generell Erichsen in ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht § 11 Rdnr.38. 144 Dazu generell Erichsen in ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht § 11 Rdnr.38. 145 So Breuer, DVBI. 1983, S. 437 für den Fall subjektiver öffentlicher Nachbarrechte.

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I. Teil: Rücknahmepflichten

sehen öffentlichem Interesse an der zwangsweisen Pflichtdurchsetzung und dem privaten Interesse des Rückgabewilligen in den Normen nicht angesprochen wird. Letztlich muß hier also maßgeblich auf die Schutznormtheorie selbst zurUckgegriffen werden. Zu klären ist damit die Frage, ob die objektiv-rechtlich bestehende Pflicht der Behörde, ermessensfehlerfrei über die Durchsetzung der Rücknahmepflichten zu entscheiden, allein dem öffentlichen Interesse oder zumindest auch dem Schutz der Interessen einzelner Bürger dienen so11'46. Auch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ordnungsbehördliches Einschreiten besteht nur bei der Verletzung oder Geflihrdung rechtlich geschützter Individualinteressen l47 . Die Einhaltung und Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Pflichten liegt grundsätzlich vor allem im öffentlichen Interesse. "Öffentliches" Interesse ist zwar kein Selbstzweck, sondern oft gerade Ausdruck einzelner Interessen Privater, die in ihrer Gesamtheit das öffentliche Interesse an einer Regelung bewirken. So ist das öffentliche Interesse am Umweltschutz der Ausdruck des Interesses der einzelnen Bürger am Erhalt der Umwelt. Davon zu trennen ist aber die Frage, ob eine Regelung gerade das konkrete individuelle Interesse rechtlich schützen soll. Insofern kommt es nicht auf die Wirkung, sondern final auf die Zielrichtung der Norm an; der Schutz privater Interessen muß "bezweckt" sein. Überzeugende Anhaltspunkte daftir, daß Rücknahmepflichten neben den Interessen der Allgemeinheit an einer Entlastung der öffentlichen Abfallentsorgung zumindest auch dem Schutz der Interessen des einzelnen Produktinhabers an einer geeigneten Entsorgung des Rückgabegutes und damit dem "Individualschutz" der Rückgabewilligen dienen sollen 148, sind nicht ersichtlich l49 . Ausschlaggebend ist allerdings nicht die subjektive Vorstellung des Gesetzgebers zum Zeitpunkt des NormerIasses, sondern eine objektive Bewertung der gegenwärtigen Interessenlagelso. Darin ähnelt diese PrUfung der Bewertung der Frage,

146 Vgl. BVerwGE 39, 235, 238; Busch in Knack (Hrsg.), VwVfG-Kommentar, § 40, Rdnr. 10.2.; Erichsen in ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rdnr. 35; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8, Rdnr. 8. 147 Vgl. EyermannlFröhleriKormann, VwGO-Kommentar, § 114, Rdnr. 8; SchmidtAßmann in MDHS, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 135f. 148 So ausdrücklich Eisner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C 7.1., VerpackV, Anm. 3.1.2. für die Rücknahmepflichten nach der VerpackV. 149 Vgl. dazu schon oben S. 50. ISO Vgl. BVerwGE 9,78,80; Bachofin GS Jellinek, S. 297; Schmidt-Aßmann in MDHS, Kommentar GG, Art.19 Abs. 4, Rdnr. 138; Wo/fflBachoJlStober, Verwaltungsrecht I, Rdnr. 16.

A. Allgemeine Aspekte

59

ob die Nonn ein Schutzgesetz im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB darstellt, so daß sich daraus Anhaltspunkte ergeben können l51 ; eine Identität der Ergebnisse ist damit aber nicht notwendigerweise verbunden i52 • Gegen eine Wertung der Rücknahmepflichten enthaltenden Nonnen als Schutzgesetze im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB spricht, daß sich die Annahme individuell durchsetzbarer Ansprüche des RUckgabewilligen gegen den Rücknahmepflichtigen nur schwer in das bestehende Regelungssystem einfilgen würde; in Hinblick auf einen Anspruch des Rückgabewilligen gegen die Ordnungsbehörden auf ennessensfehlerfreie Entscheidung über die Durchsetzung der Rücknahmepflicht trifft dies aber nicht zu, da der RUckgabewillige (Endverbraucher) dadurch gegenüber dem Rücknahmepflichtigen (HerstellerNertreiber) keine eigenständige rechtliche Position einnimmt und das Opportunitätsennessen der Behörde bei der Durchsetzung der Pflicht in diesem Fall im Grundsatz erhalten bleibt. Die objektive Beurteilung der Interessenlage ergibt keinen einheitlichen Befund. Einerseits ist der Produktinhaber so lange nicht schutzwürdig, wie er sich des Produkts auch im Rahmen der öffentlichen Abfallentsorgung entledigen kann. In diesem Fall liegt in der Rückgabemöglichkeit nur ein tatsächlicher, rechtlich nicht geschützter Vorteil. Andererseits entsteht ein schutzwürdiges Individualinteresse an der Möglichkeit zur Rückgabe dann, wenn der RUcknahmegegenstand von der kommunalen Abfallentsorgung ausgeschlossen wird. In diesem Fall müßte der Produktinhaber selbst filr die Verwertung und Beseitigung der Abfälle aufkommen (§§ 5 Abs. 2 Satz 1 und § 11 Abs. 1 KrW-/AbfD). Hier ist ein Anspruch des Einzelnen darauf, daß die Ordnungs behörde die bei einer RUcknahmeverweigerung drohende Belastung angemessen bei ihrer Entscheidung über ein Einschreiten berücksichtigt, sinnvoll. Somit ist ein subjektiv-öffentliches Recht des rückgabewilligen Produktinhabers auf ennessensfehlerfreie Entscheidung über die Durchsetzung von Rücknahmepflichten dann anzuerkennen, wenn der Rücknahmegegenstand nach § 15 Abs. 3 KrW-/AbfD durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger von der Entsorgung ausgeschlossen worden ist. Ob eine Ennessensreduzierung auf Null vorliegt und der Einzelne von der Ordnungsbehörde daher die Durchsetzung der Rücknahmepflicht verlangen kann, läßt sich abschließend nur im jeweiligen Einzelfall beurteilen. Maßstäbe, die bei der Ennessensentscheidung zu berücksichtigen sind, bilden die folgenden Punkte:

151 Vgl. EyermannlFröhleriKormann, VwGO-Kommentar, § 42 Rdnr. 158; zustimmend Rupp, AÖR 88 (1963), S. 489. 152 Vgl. EyermannlFröhleriKormann, VwGO-Kommentar, § 42 Rdnr. 158.

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1. Teil: Rücknahmepflichten

Gering zu bemessen ist das individuelle Interesse auf Rückgabe bei einem bestimmten Rücknahmepflichtigen dann, wenn die Möglichkeit zu einer zumutbaren Rückgabe auch bei anderen Rücknahmepflichtigen besteht. Dies ist der Fall, wenn sich eine Rücknahmepflicht nicht auf das konkret verkaufte Objekt in der verkauften Menge beschränkt, sondern eine auf das Sortiment oder die Warengattung bezogene Rücknahmepflicht (im weiteren Sinn) existiert. Hier kann der Rückgabewillige auf andere Adressaten der Rücknahmepflicht ausweichen. Dagegen hat die Ordnungs behörde der Position des Rückgabewilligen dann besonderes Gewicht zuzumessen, wenn von den ortsnahen und auch von Einzelpersonen auf zumutbare Weise nutzbaren privaten Verwertungs- und Entsorgungsunternehmen entweder keine entsprechenden Entsorgungsdienstleistungen angeboten werden, oder wenn dies im Ergebnis aufgrund der Produkteigenschaft oder Produktmenge zu einer hohen finanziellen Belastung des Rückgabewilligen fUhren würde. In diesen Fällen spricht fUr die Durchsetzung der Rücknahmepflicht auch das öffentliche Interesse an einer geordneten Abfallentsorgung, da hier ein großer Anreiz besteht, die Abflille im Wege der Selbsthilfe unsachgemäß zu "verwerten" oder sie unkontrolliert auf "wilden Müllkippen" zu beseitigen. Bei einer solchen Sachlage wäre eine Entscheidung der Ordnungsbehörde, nicht gegen den rücknahmeunwilligen Pflichtadressaten vorzugehen, oft ermessensfehlerhaft, so daß sich hier ihr Entschließungsermessen ("Ob" des Handelns)153 auf Null reduziert.

VII. Frage eines Anspruchs auf Kostenersatz bei verweigerter Rücknahme Wenn eine Rücknahme trotz bestehender Rücknahmeverpflichtung dauerhaft unterbleibt, so können dem rückgabewilligen Produktinhaber Kosten für die Lagerung, Wiederverwendung, Verwertung oder Beseitigung des Produktes entstehen. Hier stellt sich die Frage, ob der Produktinhaber erfolgreich Aufwendungs- oder Schadensersatzansprüche gegen den Rücknahmepflichtigen geltend machen kann. Ein möglicher Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB scheitert schon daran, daß Rücknahmepflichten - wie gezeigtl54 - keine Schutzgesetze darstellen. In Frage kommt dagegen ein Anspruch aus §§ 679, 683 BGB auf

153 Dazu generell GÖfz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 349. 154 Vgl. oben ab S. 48.

A. Allgemeine Aspekte

61

Aufwendungsersatz (vgl. unten 1.) sowie möglicherweise ein Gesamtschuldnerausgleich analog §§ 421, 426 BGB (dazu 2.).

J. AujWendungsersatzanspruch nach §§ 679, 683 BGB

Nach § 683 BGB kann der Geschäftsfilhrer bei einer Geschäftsfilhrung ohne Auftrag vom Geschäftsherrn den Ersatz seiner Aufwendungen verlangen. Aufwendungen sind alle freiwilligen Vennögensopfer, die der Geschäftsfilhrer zur Erreichung des Geschäftsbesorgungszwecks erbringt 155 , so daß darunter auch die oben angesprochenen Lager- und Entsorgungskosten fallen würden. Das Geschäft, das eventuell gefilhrt würde, wäre hier nicht die "Rücknahme" des Produktes, da der Produktinhaber das Produkt nicht von sich selbst zurücknehmen kann, sondern die Aufbewahrung des Produktes bzw. die Erfilllung von Entsorgungspflichten, denen der Rücknahmepflichtige nach einer Rücknahme unter Umständen nachkommen muß. Für die Frage des Bestehens eines Aufwendungsersatzanspruchs ist unbedenklich, wenn diese Pflichten auch den Rückgabewilligen selbst treffen i56 ; in diesem Fall würde es sich um ein zumindest "auch" fremdes Geschäft handeln, wenn der Produktinhaber die Verwertung oder Beseitigung filr den Rücknahmepflichtigen durchfilhren will 157 • Allerdings wird die Vornahme von Entsorgungsmaßnahmen durch den Rückgabewilligen "filr" den Rücknahmepflichtigen und auf dessen Kosten im Regelfall gegen dessen Willen erfolgen. Voraussetzung ist daher nach § 679 BGB weiterhin, daß ohne die Geschäftsfilhrung eine Pflicht des Geschäftsherrn, die im öffentlichen Interesse liegt, nicht rechtzeitig erfilllt werden würde. Ob dies der Fall ist, ist problematisch. Bejaht wird ein Ersatzanspruch des rückgabewilligen Produktinhabers von Ekkenga l58 , der den entgegenstehenden Willen des Rücknahmepflichtigen wegen des gemeinnützigen Charakters der Abfallentsorgung filr unbedenklich hält. Fluck dagegen argumentiert, es sei notwendig, daß ohne die Erfilllung der Verpflichtung durch den Geschäftsfilhrer dringende konkrete Belange der Allge-

Vgl. BGH, NJW 1989, S. 1285. Vgl. zu der Frage der Adressaten von Verwertungs- oder Entsorgungspflichten Ekkenga, BB 1993, S. 947 f. 157 Vgl. BGHZ 101,393,399; Thomas in Palandt, § 677 Rdnr. 6f.; ein entsprechender Wille wird bei einem objektiv auch fremdem Geschäft vermutet, vgl. BGH, NJW 1987, S. 187, 188. 158 Vgl. Ekkenga, BB 1993, S. 947. 155

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62

1. Teil: Rücknahmepflichten

meinheit gefiihrdet oder beeinträchtigt würden, was jedoch hier nicht der Fall sei l59 • Während von der älteren Rechtsprechung und einem Teil der Literatur etwa auch die Begleichung einer fremden Steuerschuld als im öffentlichen Interesse liegend angesehen wird l60 , beschränkt die mittlerweile wohl überwiegende Ansicht in der Literatur den Anwendungsbereich einer Geschäftsführung gegen den Willen des Geschäftsherrn auf die Fälle einer Gefiihrdung oder Beeinträchtigung dringender konkreter Belange der Allgemeinheit l61 • Als Anknüpfungspunkt ist nicht die Frage zu nehmen, ob die Erfüllung der Rücknahmepflicht im öffentlichen Interesse liegt, sondern ob die Vornahme der Handlungen durch den Geschäftsführer im öffentlichen Interesse war. Die Alternative zur Entsorgung durch den Geschäftsführer wäre die Entsorgung im Rahmen der allgemeinen Abfallentsorgung; sofern diese Produkte von der öffentlichen Abfallentsorgung ausgeschlossen sind, bleibt die unkontrollierte und umweltschädliche Abfallentsorgung oder die Lagerung der Produkte. Daraus ergibt sich folgende Differenzierung: Solange eine Produktentsorgung im Rahmen der öffentlichen Abfallentsorgung erfolgen kann, ist die Entsorgung durch den Produktinhaber nicht zum Schutz vor einer Gefiihrdung oder Beeinträchtigung dringender konkreter Belange der Allgemeinheit erforderlich; anders ist die Lage jedoch bei einem erfolgten Ausschluß aus der öffentlichen Abfallentsorgung zu beurteilen, da auch die Lagerung keine Dauerlösung darstellt. Die Lagerung der Produkte über einen vernünftigen Zeitraum hinweg l62 bis zum Zeitpunkt einer möglichen Entsorgung oder Verwertung entspricht ebenfalls dem öffentlichen Interesse. Damit kann ein rückgabewilliger Produktinhaber nach einer rechtswidrigen Rücknahmeverweigerung vom Ptlichtadressaten die Kosten für die Lagerung sowie bei einem erfolgten Ausschluß von der öffentlichen Abfallentsorgung die Kosten für Wiederverwendung, Verwertung oder Beseitigung des Produktes nach § 679, 683 BGB verlangen. Zu beachten ist allerdings, daß der Aufwendungsersatzanspruch nicht in voller Höhe bestehen muß, sofern die wahrgenom-

Vgl. Fluck, OB 1992, S. 196 unter Hinweis auf Thomas in Pa1andt, § 679 Rdnr. 3. Vgl. RGZ 82, 390, 395; BGHZ 7, 346, 355; Wittmann in Staudinger (1995), § 679 Rdnr. 6f.; offengelassen durch BGHZ 41, 30, 33. 161 Vgl. Ehmann in Erman, Handkommentar BGB, § 679, Rdnr. 2; Thomas in Palandt, § 679 Rdnr. 3; Seiler, MünchKomm Bd.3/2, 2. Aufl., § 679, Rdnr. 9. 162 Der die Rücknahme Verweigernde kann sich insbesondere nicht darauf berufen, die Lagerung habe zu lange gedauert, wenn diese Verzögerung auf seiner Rücknahmeweigerung beruht und der Produktinhaber noch darauf hoffen konnte, daß der Rückgabepflichtige freiwillig oder zwangsweise seiner Verpflichtung nachkommen werde. 159

160

A. Allgemeine Aspekte

63

menen Pflichten auch den Rückgabewilligen selbst treffen. Bei der Vornahme eines nicht nur fremden, sondern auch eigenen Geschäfts kommt nach der Rechtsprechung des BGH eine Aufteilung der Kosten nach dem Maß der Verantwortlichkeit und dem Gewicht der Interessen der beteiligten Personen in Betracht l63 • Sofern daher etwa ein Hersteller die Rücknahme von einem Vertreiber verweigert, den nach einer Rücknahme von einem nachgelagerten Vertreiber oder vom Endverbraucher schon selbst Entsorgungspflichten treffen, sind die finanziellen Lasten zwischen beiden angemessen zu verteilen.

2. Gesamtschu/dnerausgleich analog §§ 421,426 BGB

§ 426 BGB regelt den Ausgleich unter den Schuldnern fUr den Fall, daß eine Leistung jeweils von mehreren Personen als "Gesamtschuldner" gefordert werden kann und ein einzelner die Schuld erfUllt hat; diese Norm beinhaltet einen allgemeinen, analogiefiihigen Rechtsgedanken l64 • Die Annahme eines Gesamtschuldnerausgleichs analog § 426 BGB zwischen Rückgabewilligem und Rücknahmeptlichtigem scheitert jedoch schon grundsätzlich an der fehlenden Vergleichbarkeit der Sachlage. Dies verdeutlicht ein Blick auf die Frage, ob zwischen mehreren polizeilichen Störern ein Ausgleichsanspruch analog § 426 BGB besteht, was von der wohl noch überwiegenden Ansicht verneint wird l65 • Unter anderem könne die Behörde die einzelnen Störer nicht nach Belieben auf ErfUllung der Pflichten in Anspruch nehmen, wie dies Kennzeichen einer Gesamtschuld sejl66. Diese Erwägung trifft auch auf Entsorgungspflichten zu, da die ErfUllung dieser Pflichten konkret nur vom jeweiligen Inhaber gefordert werden kann. Zwar kann die Ablehnung eines Ausgleichs zwischen mehreren Störern über eine analoge Anwendung von § 426 BGB besonders im Bereich der Altlastensanierung zu problematischen Ergebnissen fUhren l67 und wird daher verbreitet mit dem Hinweis kritisiert, dabei werde Tatbestand

Vgl. BGHZ 16, 12, 16f.; BGH, NJW 1987, S. 187, 189. Vgl. Stürner in Jauernig, BGB-Kommentar § 426, Anm. I. 165 Vgl. BGH, NJW 1981, S. 2457,2548; OLG Düsseldorf, NVwZ 1989, S. 993, 997; Papier, NVwZ 1986, S. 263; Schwachheim, NVwZ 1988, S. 226; Stürner in Jauernig, BGB-Kommentar, § 421, Anm. 4 c); a.A. Kormann, UPR 1983, S. 287; Leinemann, VersR 1992, S. 28ff.; kritisch auch BenderiSparwasser, Umweltrecht, Rdnr. \070; Breuer, NVwZ 1986, S. 364; Friauf in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. JOOa. 166 Vgl. BGH, NJW 1981, S. 2457, 2548; kritisch auch schon Ossenbühl, DÖV 1976, S.471. 167 So zutreffend BenderiSparwasser, Umweltrecht, Rdnr. 1066. 163

164

1. Teil: RUcknahmeptlichten

64

und Rechtsfolge vertauscht l68 • Gestützt werden diese Bedenken jedoch auf die gleichermaßen und in vol1em Umfang bestehende Polizeipflicht der einzelnen Störer, die durch Ordnungsverrugungen lediglich konkretisiert werden l69 • Diese Überlegungen sind aber nicht auf die vorliegende Fragestel1ung übertragbar, da hier keine Wahlmöglichkeit des Staates dahingehend besteht, welchen der Beteiligten er zur Errul1ung der Wiederverwendungs-, Verwertungs- oder Beseitigungspflichten in Anspruch nehmen wi1\. Im übrigen kann gegen eine Wertung als Gesamtschuldverhältnis im konkreten Fal1 schon sprechen, daß nach zunehmender Ansicht eine "Gleichstufigkeit" oder "Gleichwertigkeit" der Verbindlichkeiten der beteiligten Parteien erforderlich ist l70 • Nach der Konzeption des KrW-/AbfG besteht rur zurückzunehmende Güter im Fal1 ihres Ausschlusses aus der kommunalen Abfal1entsorgung jedoch prioritär eine Wiederverwendungs-, Verwertungs- oder Beseitigungsverantwortung des Herstel1ers oder Vertreibers; eine Verwertungs- oder Beseitigungspflicht des Produktinhabers ist demgegenüber nur subsidiär. Damit steht dem Rückgabewilligen gegen den Rücknahmepflichtigen kein Ausgleichsanspruch analog §§ 421, 426 BGB zul7l.

VIII. Abdingbarkeit und private Dispositionsmöglichkeiten Eine praktisch relevante Frage ist, ob Rücknahmepflichten durch die beteiligten Personen abbedungen werden können. Dies ist in der Regel zu verneinen. Eine Abdingung der Pflichten durch Al1gemeine Geschäftsbedingungen (AGB) ist schon deswegen unzulässig, da damit von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abgewichen und der Produktinhaber durch den Verlust der faktischen Begünstigung der Rückgabemöglichkeit unangemessen benachteiligt würde. Auch Rücknahmeverordnungen können solche gesetzlichen Regelungen darstel1en 172 • Damit läge in der Aufnahme einer Abdingungsklausel

So Kloepjer/Thull, OVBI. 1989, S. 1126; Leinemann, VersR 1992, S. 30. Vgl. Leinemann, VersR 1992, S. 28. 170 Vgl. Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 631; Henrichs in Palandt, § 421, Rdnr. 7; Stürner in Jauernig, BGB-Kommentar § 421, Anm. 1. 171 Zumindest zweifelnd auch Fluck, OB 1992, S. 198. 172 Vgl. Drygala, NJW 1993, S. 362; Wolfin WolflHorn/Lindacher, AGB-Gesetz, § 9, Rdnr.66. 168 169

A. Allgemeine Aspekte

65

in AGB ein Verstoß gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG 173 ; weiterhin wäre eine solche Vereinbarung aber auch nichtig, weil die Rücknahmepflichten nicht dispositives, sondern zwingendes Recht sind. Eine Abdingung der Rücknahmepflicht durch Privatpersonen ist mit dem Charakter von RUcknahmepflichten als öffentlichrechtliche Pflichten nicht vereinbar 174 , da die Existenz der Pflicht sonst zur Disposition des Zivilrechts stehen wUrde. Rücknahmepflichten können ihre Ziele nur dann erreichen, wenn die Produkte wirklich zurückgegeben werden oder den RUcknahmepflichtigen über eine Beauftragung des Produkt inhabers mit der Entsorgung zumindest finanziell die Last der Entsorgungsverantwortung trifft; könnten sie zivilrechtlich abbedungen werden, wUrden sie weitgehend leerlaufen 175 • Deshalb sind sie nach ihrem Sinn und Zweck als halbzwingende Normen l76 anzusehen, von denen durch Rechtsgeschäft nicht zum Nachteil des Kunden abgewichen werden darf; ein Verstoß gegen solche Normen hat die Nichtigkeit der AGB-Bestimmung zur Folge 177 • In der Folge kann die Nichtigkeit einer Abdingung auch aus § 134 BGB abgeleitet werden, da dadurch gegen die mit Rücknahmenormen verbundenen Ordungswidrigkeitenvorschriften als gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB verstoßen wird 178. Aufgrund des Charakters von RUcknahmepflichten als halbzwingende öffentlich-rechtliche Pflichten kann sich der Inhaber der RUckgabemöglichkeit in der Regel auch nicht individualvertraglich dazu verpflichten, die - an sich bestehende - Rückgabemöglichkeit nicht wahrzunehmen. Zum Teil wird dies mit der Begründung bejaht, daß vom Normgeber die RUcknahmepflichten bewußt nicht mit einer RUckgabepflicht des Produktinhabers verknüpft worden seien, so daß dieser frei ent-

173 Vgl. FlanderkaiWinter, BB 1992, S. 153; Wolff, OWiR 1992, S. 83; differenzierend Drygala, NJW 1993, S. 362 ff. 174 Vgl. hinsichtlich der Rücknahmepflicht nach § 5b AbfG Kreft in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 5 b, Anm. 1.6. sowie die im wesentlichen deckungsgleichen Verwaltungsvorschriften der Länder, zurückgehend auf die vorn Bundesumweltministerium herausgegebene Musterverwaltungsvorschrift vorn 25.01.1988, Az.: WAll 3 530 102/3, geänd. arn 11.05.1988, vgl. etwa für NRW Verwaltungsvorschrift zum Vollzug der §§ 5a, 5b, 30 AbfG und der AltölV (Altölentsorgung), RdErl. d. Ministers für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft v. 14.12.1988, NRW MinBI. 20.01.1989, S. 43 ff., S. 47 Ziff. 6.7.; hinsichtlich der Rücknahmepflichten nach der Verpack V vgl. Flanderka/Winter, BB 1992, S. 153; Versteyl, Abfall und Altlasten, S. 108; anderer Ansicht jedoch ThomeKozmiensky, Verpackungsverordnung, S. 40. 175 So auch Drygala, NJW 1993, S. 363. 176 Zum Begriffvgl. Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, § 9, Rdnr. 41. 177 Vgl. Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, § 9, Rdnr. 41. 178 Vgl. für § 12 der VerpackV FlanderkaiWinter, BB 1992, S. 153; zweifelnd Fluck, OB 1992, S. 196.

5 Bauernfeind

66

l. Teil: Rücknahmepflichten

scheiden könne, ob er die Möglichkeit zur Rückgabe wahrnehme l79 . Aus dieser Möglichkeit des Produktinhabers, die Rückgabemöglichkeit tatsächlich nicht wahrzunehmen, läßt sich aber nicht die Möglichkeit ableiten, sich rechtlich auch zu einem solchen Verzicht zu verpflichten. Solange die Möglichkeit zum vertraglichen Verzicht vom Normgeber nicht ausdrücklich vorgesehen wurde, kann zur Disposition einer zivilrechtlichen Vereinbarung nur die Art und Weise der Wahrnehmung der Pflicht stehen, nicht aber das Bestehen der Pflicht als solcher. Könnte der Endverbraucher rechtlich auf die Wahrnehmung der Pflicht verzichten, so würde dies praktisch zum selben Ergebnis wie eine - unzulässige - Abdingung der Pflicht fUhren. Die Unterscheidung zwischen der Abdingung der Rücknahmepflicht und einem "bloßen" vertraglichen Verzicht auf die Ausübung der Rückgabemöglichkeit ist irrefilhrend, da sich dabei die Regelung der Art und Weise der Wahrnehmung der Pflicht in eine Regelung des Bestehens der Pflicht wandelt. Zuzustimmen ist daher Versteyl, der feststellt: "Die Grenzen einer zivilrechtlichen Ausgestaltungsbefugnis verlaufen dort, wo das Bestehen der Pflichten selbst betroffen ist."180 Auch ein individualvertraglicher Verzicht auf die Wahrnehmung der Rückgabemöglichkeit wäre daher nichtig l81 . Gleiches gilt filr eine Absprache, mit der Art und Umfang der Rücknahme einschließlich der Frage der Kostentragung abweichend zugunsten des Rücknahmepflichtigen geregelt werden soll, da damit ebenfalls ein Teil der Pflicht abbedungen wird. Dies ist daher nur dann möglich, wenn dies vom Verordnungsgeber ausdrUcklich vorgesehen wurde 182 .

IX. Bedeutung und Zu lässigkeit der Erfüllung durch Dritte Obwohl in der Regel also weder eine Abdingung der Rücknahmepflichten noch ein vertraglicher Verzicht auf die Pflichtenwahrnehmung möglich ist, kön179 Vgl. für die VerpackV Drygala, NJW 1993, S. 359; FlanderkdWinter, BB 1992, S. 153; Fluck, OB 1992, S. 196; soweit dabei für Umverpackungen und Transportverpakkungen das Verlangen nach einer Übergabe des Produktes als zivilrechtliche Verzichtserklärung auf die Rückgabemöglichkeit angesehen wird (Drygala, ebd.), bleibt unbeachtet, daß dann die Rücknahmepflicht für Verkaufsverpackungen anzuwenden ist, so daß damit das Bestehen einer Rücknahmepflicht an sich nicht beeinträchtigt, sondern nur eine Art von Rücknahmepflicht gegen eine andere ausgetauscht wird. Daß die Rücknahmepflichten für Verkaufsverpackungen mittlerweile durch die Beteiligung anl Dualen System abgelöst wurden, ist ein davon unabhängiger Gesichtspunkt. 180 Versteyl, Abfall und Altlasten, S. 108. 181 So auch Wolff, DWiR 1992, S. 83. 182 Vgl. etwa § 6 Abs. I S. 8 Novellierungsentwurf Verpackungsverordnung, Stand 23.05.1996, und § 7 Entwurf Batterieverordnung - AbtBattV, Stand Frühjahr 1996.

A. Allgemeine Aspekte

67

nen praktikable Ergebnisse, die die Rücknahmepflichtigen entlasten, oft über eine Beauftragung Dritter mit der Pflichterfilllung erzielt werden.

1. Sinn und Zweck einer Erfüllung durch Dritte Durch eine Einbeziehung Dritter bei der Rücknahme entsteht zwar kein Kreislauf der Produkte l83 , doch ist es in der Regel sowohl unter ökonomischen als auch unter ökologischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll, Produkte nach Gebrauch im Silm einer strikten Kreislauffilhrung die ganze Kette vom Endverbraucher bis an den Hersteller zurücklaufen zu lassen l84 • Insbesondere bei einem weiten Transportweg kann es vorteilhafter sein, wenn die Produkte direkt vom Endverbraucher oder in dessen Nähe verwertet werden l85 • Besonders in Hinblick auf die Verwertungs- oder Beseitigungspflichten wird oft ein Bedarf der Hersteller und Vertreiber filr eine Einbeziehung Dritter in die Pflichterfilllung bestehen; ihnen wird nicht seIten die filr die Verwertung der Produkte erforderliche technische, räumliche und personelle Ausstattung fehlen l86 • Zumindest die bei den letzten Aspekte können auch filr eine Beauftragung Dritter mit der Erfilllung der Rücknahmepflicht sprechen. Eine individuelle Pflichterfilllung kann zu erheblichen logistischen und finanziellen Belastungen von Industrie und Handel filhren. Insofern dient die Möglichkeit zur Einbeziehung Dritter in die Pflichterfilllung auch der Entlastung der Pflichtadressaten l87 , was insbesondere filr kleine und mittlere Betriebe hilfreich sein kann J88 • In der Möglichkeit zur Pflichterfilllung durch Dritte liegt der "rechtliche Schlüssel" zu einer flexiblen und umweltverträglichen Umsetzung von Rücknahmepflichten l89 • Im übrigen kann eine Einbeziehung Dritter in die Pflichterfilllung oft Voraussetzung filr die Einrichtung einer haushaItsnahen Erfassung der Produkte sein. In

Zutreffend Beckmann, DVBI. 1995, S. 319. Vgl. Eisner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C.7.\., VerpackV, Anm. 3.\.\.; Rummler/Schutt, Kommentar VerpackV, S. 27 und § 11 Anm. I (S. 139). 185 Vgl. Eisner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C.7.\., VerpackV, Anm. 3.\.\.; Henselder-Ludwig, VerpackV, S. 58. 186 Vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 320. 187 Vgl. v. Winter/eId in FS Deringer 1993, S. 200. 188 Vgl. entsprechend rur eine Beteiligung Dritter nach § 3 Abs. 4 Abtu Klowait, Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 30. 189 So zutreffend Eisner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C 7.\. - VerpackV, Anm.3.\.\. 183

184

68

I. Teil: Rücknahmeptlichten

der Regel wäre eine Abholung der Produkte beim Endverbraucher durch die jeweiligen Rücknahmepflichtigen wegen dem damit verbundenen Transportaufwand weder ökologisch sinnvoll noch filr den einzelnen Pflichtadressaten finanziell und organisatorisch tragbar.

2. Zulässigkeit der Beauftragung Dritter

Die Landesabfallgesetze sehen nur zum Teil die Möglichkeit zur Beteiligung Dritter an der Abfallentsorgung vor l90 • Einer Aufnahme solcher Bestimmungen wird aber aufgrund des Charakters der Landesabfallgesetze als bloße Ausfilhrungsgesetze lediglich deklaratorische Wirkung beigemessen 191. Ausschlaggebend bleibt die bundesrechtliche Ebene, die jedoch keine ausdrückliche Regelung der Frage enthält, ob sich Hersteller oder Vertreiber zur ErfillIung der Rücknahmepflicht Dritter bedienen können. Zwar war in § 3 Abs. 2 Satz 2 AbfG explizit zugunsten der Kommunen die Möglichkeit vorgesehen, sich zur Pflichterfilllung Dritter zu bedienen; gleiches galt nach § 3 Abs. 4 Satz 2 AbfG filr den zur Entsorgung verpflichteten Abfallbesitzer. Weiterhin enthält auch das neue Abfallrecht in § 16 KrW-/AbfG Bestimmungen über die Beauftragung Dritter, worunter auch eine ganze oder teilweise Übertragung der Pflicht auf den Dritten auf Antrag gefaßt wird l92 • Trotzdem ergibt sich daraus noch nicht die Zulässigkeit einer Einschaltung Dritter bei der Produktrücknahme. Grund dafilr ist, daß sich § 3 Abs. 4 AbfG nur auf die Entsorgungspflicht bezog, während sich § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG an die "zur Verwertung und Beseitigung Verpflichteten" wendet. Daher sind diese Bestimmungen nur auf die Frage der Beauftragung Dritter zur Erfilllung der nach einer Rücknahme bestehenden Verwertungs- oder Beseitigungspflichten anwendbar, nicht aber schon auf die Rücknahmepflicht. Trotzdem ist das Bestehen einer Befugnis von Herstellern und Vertreibern zur Beauftragung Dritter auch hinsichtlich der Erfilllung der Rücknahmepflicht unstreitig l93 • In den bestehenden l94 und gepIanten l95 Rücknahmeverordnungen wird

190 Enthalten sind solche Regelungen etwa in § 5 Abs. 7 Satz 5 LAbfG NW (vom 21.06.1988, GVBI., S. 250, zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des Landesabfallgesetzes vom 14.01.1992, GVBI. S. 32), nicht aber etwa im Abfallwirtschaftsgesetz Schleswig-Holstein (vom 06.12.1991, GVBI., S. 640). 191 Vgl. Klowait, Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 51. 192 Vgl. dazu ausfllhrlicher unten S. 77. 193 Vgl. etwa Beckmann, DVB1.1995, S. 319; Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfall-

A. Allgemeine Aspekte

69

auf die Möglichkeit zur Beauftragung Dritter zur Pflichterftlllung hingewiesen, wobei solchen ausdrücklichen Regelungen eine "lediglich klarstellende Bedeutung" beizumessen ist l96 • Teilweise wird die Möglichkeit, sich bei der Erfilllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht Dritter zu bedienen, aus "allgemeinen Grundsätzen"197 hergeleitet oder betont, schon nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen könne der Rücknahmepflichtige einen Dritten mit der Annahme der zurückzunehmenden Gegenstände beauftragen 198 • Auch wird in der Literatur der Dritte, dessen sich der kommunale Entsorgungspflichtige zur Erftlllung seiner Pflicht bedient, als Erftlllungsgehilfe l99 charakterisiert oder damit verglichen. recht, § 24, Rdnr. 69; Papier, DSD-Gutachten, S. 12; Rummler/Schutt, Kommentar VerpackV, § 4 Anm. 4c (S. 104) und § 6 Anm. 7c (S. 114). 194 Vgl. § 9 Abs. I Satz 2 AltölV; § 11 VerpackV; § 3 Abs. I HKWAbfV, BGBI. 1989, I, S. 1918; § 8 Abs. 2 Satz I FCKW-Halon-Verbots-Verordnung, BGBI. 1991,1 S. 1090, geändert durch Gesetz vom 24.06.1994, BGBI. I, S. 1416. 19S Vgl. § 8 Entwurf AltautoV, BMU WA II 4 - 30114-116. Stand 27.01.1994; § 10 Satz I Entwurf Elektronik-Schrott-Verordnung, BMU WA II 3 - 30 114/7, Stand 15.10.1992; § 7 Entwurf IT-Geräte-Verordnung, BMU WA II 3 - 30 114/8, Stand 10.02.1996; § 8 Entwurf GetränkemehrwegV, BMU WA 11 4 - 30 114-115, Stand 29.11.1991; § 6 Entwurf Altpapierverordnung, BMU WA 11 4 - 30 114-114, Stand 18.09.1992; § 14 EntwurfBatterieverordnung, BMU WA II 3 - 30114-4/2, Stand Frühjahr 1996. 196 Vgl. Bundesregierung, Begründung zur VerpackV, BR-Drs. 817/90, S. 59; Bundesumweltministerium, Entwurf IT-Geräte-Verordnung, BMU WA II 3 - 30 114/8 vom 10.02.1996, Begründung S. 11; dasselbe, Entwurf einer Verordnung zur Verwertung und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren (Batterieverordnung - AbtBattV), BMU WA II 3 - 30 114-4/2, Stand Frühjahr 1996, Begründung S. 24; Dippel, Die Kommunen im Recht des Umweltschutzes, S. 170; Elsner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C.7.1., VerpackV, Anm. 3.5. hinsichtlich § 11 VerpackV; Schach, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 143 zu § 3 Abs. 2 Satz 2 AbfG. 197 Schach, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 143 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Hösellv. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Nr. 1130, § 3 AbfG, Rdnr. 15 hinsichtlich der Beauftragung Dritter nach § 3 Abs. 2 AbfG; Lattermaser in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 3 AbfG, Anm.2.3. 198 Vgl. Bundesregierung, Begründung zur VerpackV, BR-Drs. 817/90, S. 59; Kreji in HaschützkylKreji (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. B I, § 14 AbfG, Anm.l.3. 199 Vgl. zum Teil noch zur Beauftragung nach § 3 Abs. 2 AbfG Barteis, Abfallrecht, S. 133; Beckmann, DVBI. 1993, S. 12 ("technischer Erfllllungsgehilfe"); Breuer in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5.Abschn. Rdnr. 113 (S. 496); Dippel, Die Kommunen im Recht des Umweltschutzes, S. 145; Klages, Vermeidungs- und Verwertungsgebote, S. 114; Klaepfer, Umweltrecht § 12 Rdnr. 77 (S. 702); ders., VerwArch 70 (1979), S. 196; Krahnefeld, NuR 1996, S. 268; Lattermaser in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 3 AbfG, Anm.2.3.; Peine in Blaurock (Hrsg.),

70

1. Teil: Rücknahmepflichten

Eine Einordnung des Beauftragten als Verrichtungsgehilfe nach § 831 BGB wUrde schon daran scheitern, daß dafiir eine Weisungsgebundenheit des Gehilfen erforderlich ist, die bei einem selbständigen Unternehmer im allgemeinen fehlt 2°O; einer Weisungsgebundenheit steht im Regelfall auch der Charakter der Beauftragung als Werkvertrag entgegen 20I • Gegen die Annahme einer Vertretung (§ 164 BGB) würde sprechen, daß dafiir die Abgabe einer Willenserklärung durch den Vertreter oder zumindest die Vornahme einer geschäftsähnlichen Handlung erforderlich wäre202 , gegen die Annahme eines Auftrags (§ 662 BGB) schon die dafiir notwendige Unentgeltlichkeit der Geschäftsbesorgung203 • Am ehesten ist der mit der Pflichterfiillung beauftragte Dritte mit einem Erfiillungsgehilfen nach § 278 BGB vergleichbar; allerdings unterfällt er auch diesem Begriff nicht direkt, da Voraussetzung dafiir die Erfiillung einer schuldrechtlichen Verpflichtung des RUcknahmepflichtigen durch den Dritten als "Erfiillungsgehilfen" wäre. Ein Recht des Produktinhabers auf Rücknahme gegenüber dem Rücknahmepflichtigen besteht - wie oben festgestellt - jedoch niche04 •

Richtigerweise ergibt sich die Befugnis zur Beauftragung Dritter mit der Pflichterfiillung aus einer Gesamtschau der angefiihrten zivilrechtlichen Regelungen und des um verfassungsrechtliche Komponenten angereicherten Systems öffentlich-rechtlicher Pflichten. Diese zeigt, daß Dritte zu einer Erfiillung einer Verpflichtung mit herangezogen werden dürfen, so lange dies nicht ausdrücklich untersagt ist (vgl. etwa § 613 Satz I BGB) oder die Verpflichtung nach ihrem Charakter nur selbst erfiillt werden kann. Beispiel fiir letzteres ist im öffentlichen Recht die Wehrpflicht nach Art.t2 a GG, nicht aber etwa die Steuerzahlungspflicht oder die kommunale Wegereinigungspfliche 05 • Die ansonsten im Grundsatz bestehende Möglichkeit des Primärpflichtigen zur Beauftragung Dritter mit der Pflichterfiillung ist Konsequenz der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. t GG.

Verantwortlichkeit filr Abfall in Deutschland und Frankreich, S. 83 f.; Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 143; zu Erfilllung von Rücknahmepflichten durch Dritte Michaelis, Ökonomische Aspekte der Abfallgesetzgebung, S. 33. 200 Vgl. Thomas in Palandt, § 831, Rdnr. 6. 201 Vgl. Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 811; zum Charakter des Beauftragungsvertrags als (in der Regel) Werkvertrag etwa Barteis, Abfallrecht, S. 132; weitere Nachweise dazu unten S. 78, Fn. 243. 202 V gl. Jauernig in ders., Kommentar BGB, § 164 Anm. 1. 203 So auch Mann, Abfallverwertung als Rechtspflicht, S. 166 204 Vgl. dazu ausfilhrlich oben ab S. 43. 205 Vgl. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 80.

A. Allgemeine Aspekte

71

Rücknahmepflichten sind aber weder nach ihrem Charakter nur höchstpersönlich zu erfiillen 206 , noch wurde die Erfiillung über Dritte ausdrücklich eingeschränkt. Der Rücknahmepflichtige kann sich daher zur Pflichterfilllung Dritter bedienen, sofern dies in einer Rücknahmenorm nicht explizit ausgeschlossen wird. Einem solchen Ausschluß sind aber enge Grenzen gesetzt. Die Beauftragung Dritter mit der Pflichterfilllung entlastet den originär Verpflichteten; sie hat damit auch Bedeutung fiir die Verhältnismäßigkeit eines mit einer Pflichtauferlegung verbundenen Grundrechtseingriffs207 • Daraus ergibt sich, daß die Möglichkeit des Pflichtigen, sich zur Pflichterfiillung Dritter zu bedienen, nur ausgeschlossen werden darf, wenn dies zur Zweckerreichung erforderlich ist. Dies wird in der Regel nicht der Fall sein, da auch durch eine lediglich kostenmäßige Belastung des Rücknahmepflichtigen der mit Rücknahmepflichten verbundene Zweck, Anreizwirkungen als eine Folge der Internalisierung der mit der Produktverwertung oder -beseitigung verbundenen Kosten auszulösen, im Grundsatz erfiillt wird.

3. Kreis möglicher Dritter KlärungsbedUrftig ist, welche Personen als Dritte mit der Pflichterfiillung beauftragt werden können. Als mögliche Dritte, deren sich ein Pflichtiger grundsätzlich zur Erfiillung seiner öffentlich-rechtlichen Pflicht bedienen kann, werden alle rechtsftihigen Personen des privaten und öffentlichen Rechts angesehen 208 • a) Kein Dritter in bezug auf die Erfiillung der Rücknahmepflicht ist der Produktinhaber, da er das Produkt nicht von sich selbst zurücknehmen kann. Denkbar ist aber, daß er vom Rücknahmepflichtigen als Dritter mit der Erfiillung von Verwertungs- oder Beseitigungspflichten beauftragt wird. Dem steht nur vordergründig entgegen, daß im Bereich des § 3 Abs. 2 AbfG nur von einem Teil der Literatur auch der Abfallbesitzer als möglicher Dritter angesehen wird 209, wäh-

Vgl. Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 24 Rdnr. 69 und 77. Vgl. zu dem Charakter von Rücknahmepflichten als Grundrechtseingriff unten S. 142 fT., zum Aspekt der Verhältnismäßigkeit S. 156 ff, 180. 208 Vgl. jeweils bezogen auf Dritte nach § 3 Abs. 2 bzw.4 AbfG Klowait, Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 28 und 67; Lottermoser in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 3 AbfG, Anm.2.3.; Peine in Blaurock (Hrsg.), Verantwortung für Abfall in Deutschland und Frankreich, S. 83; Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 143. 209 Vgl. die überzeugende Argumentation bei Klowait, Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 68. 206

207

72

I. Teil: Rücknahmeptlichten

rend die überwiegende Ansicht dies mit Hinweis auf den Wortlaut sowie auf Sinn und Zweck des Gesetzes ablehnt2 IO • Es wäre unlogisch, wenn der zur Verwertung oder Beseitigung Verpflichtete ausgerechnet denjenigen, der schon im Besitz des Produktes ist, nicht mit der Erfüllung der Pflichten beauftragen könnte. Eine Gefahr, daß dadurch die vorgesehene Pflichtenaufteilung zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Pflichterfilllung unterlaufen würde211 , besteht im vorliegenden Fall schon deswegen nicht, weil sowohl der Beauftragte als auch der Auftraggeber dem privaten Bereich zuzurechnen sind. Nicht zwingend ist weiterhin die bei § 3 Abs. 2 Abtu verwendete Argumentation, der Abfallinhaber könne nur "Erster" oder "Zweiter" sein, aber nicht "Dritter"212. Diese Formulierung umfaßt den Regelfall, ohne daß ihr im Umkehrschluß auch begrenzende Wirkung zukommen muß. Nach einer Rückgabe könnte der frühere Produktinhaber ebenso mit der Erfüllung von Verwertungs- oder Beseitigungspflichten beauftragt werden wie andere Dritte; daher ist nicht einsichtig, warum dies vor einer Rücknahme nicht möglich sein sollte. Folgerichtig wird daher bei der Verpackungsverordnung in der Literatur überwiegend die Möglichkeit, die Produktinhaber als Dritte bei der Pflichterfüllung heranzuziehen, bejaht2l3 • b) Dritter sowohl in Bezug auf die Erfilllung der Rücknahmepflicht als auch von Entsorgungpflichten kann auch ein selbst zur Rücknahme Verpflichteter sein, der sich in einer parallelen Rücknahmekette befindet. So kann sich etwa ein Vertreiber verpflichten, für andere Vertreiber die Produkte mit zurückzunehmen. Zu klären ist weiterhin, ob auch ein in derselben Rücknahmekette befindlicher Rücknahmepflichtiger als "Dritter" mit der Pflichterfüllung beauftragt werden kann, indem sich etwa ein Hersteller bereit erklären würde, für die Vertreiber das Produkt direkt vom Kunden zurückzunehmen. Was die nach einer Rücknahme zu erfilllenden weitergehenden Pflichten angeht, so können sich diese Pflichten mit seinen eigenen Pflichten decken 2l4 , so daß hier sein Charakter als "Dritter"

210 Vgl. Becker, NWVBL 1989, S. 271; Hösel/v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Nr. 1130, § 3 Abm, Rdnr. 15; Lottermoser in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 3 Abm, Anm.2.3.; vgl. auch Peine in Blaurock (Hrsg.), Verantwortung für Abfall in Deutschland und Frankreich, S. 83. 211 Vgl. etwa Lottermoser in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 3 Abm, Anm.2.3. hinsichtlich einer Beauftragung Dritter nach § 3 Abs. 2 Abm. 212 Vgl. Hösel/v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Nr. 1130, § 3 Abm, Rdnr. 15. 213 Vgl. Bundesumweltministerium, Hinweise zur VerpackV - Rücknahme gebrauchter Transportverpackungen, abgedruckt bei Henselder-Ludwig, VerpackV, S. 78; Flanderka, BB 1992, S. 1577; v. Geldern, Wege aus dem Wohlstandsmüll, S. 74; Lindemeyer, BB 1993, S. 2406 (Verweis auf § 11); Woljf, DWiR 1992, S. 83. 214 Vgl. etwa die sowohl den Hersteller als auch alle Vertreiber treffende Wiederverwen-

A. Allgemeine Aspekte

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problematisch wäre. Eine gleichgelagerte Frage ist die, ob sich ein Rücknahmepflichtiger bei einer Rückgabe an seinen Vordermann dessen als Drittem zur ErfUllung seiner Wiederverwendungs-, Verwertungs- oder Beseitigungspflichten bedient2l5 • Beides kann hier aber im Ergebnis offenbleiben, da jedenfalls filr die Erfilllung der hier allein zu untersuchenden Rücknahmepf/icht eine DrittensteIlung auch des originär zur Rücknahme verpflichteten, nachgelagerten Pflichtadressaten zu bejahen ist. Da dieser nur zu einer Rücknahme von den vorgelagerten Vertreibern, nicht aber vom Kunden verpflichtet ist, läge zumindest in der Rücknahme die Erfilllung einer Pflicht als Dritter. c) Zu untersuchen bleibt schließlich, ob auch Rücknahmesysteme "Dritte" sein können. Teilweise wird im Verpackungsbereich angenommen, eine Erftlllung durch Dritte sei in der Form von Einheitslösungen durch die "Bildung von kollektiven Erfassungs- und Verwertungssystemen (sog. Duale Systeme)" möglich 216 ; die Beteiligung an einem Dualen System sei "eine spezielle Form der Pflichterfilllung durch Dritte"217. Zwar spricht nichts dagegen, daß ein "Dritter" von mehreren Pflichtigen mit der Pflichterfilllung beauftragt werden kann. Generell können Systeme aber nur so lange "Dritte" sein, wie durch ihre Beauftragung weder der Bestand noch die Qualität der Ptlicht betroffen wird. Die Charakterisierung von Dualen Systemen als "Dritte" ist jedenfalls dann unzutreffend, wenn dieser Begriff mit dem System des von der DSD betriebenen "Grünen Punktes" gleichgesetzt wird, weil dieses gerade keine Rücknahmepflicht "filr" die Rücknahmeptlichtigen erfilllt2I8 • Damit tritt "die Rücknahme im Rahmen eines kollektiven Systems wie des Dualen Systems" auch nicht "an die Stelle" der Rücknahme durch Hersteller und Vertreiber2l9 • Denn nach der Systematik der VerpackV bildet das DSD kein System zur kollektiven Erfilllung einer Rücknahmepflicht, sondern lediglich eine Voraussetzung zur Befreiung von einer Rücknahmeptlicht. Bei der Beteiligung an

dungs- oder Verwertungspflichten für bestimmte Verpackungen nach § 4 Satz I und 5 Abs. 3 Satz 3 VerpackV. 215 Bejahend RummleriSchutt, Kommentar VerpackV, § 6 Anm. 7c (S. 114); Schmeken/Schwade, Kommentar VerpackV, § 11 Anm.c); krit. Fluck, OB 1992, S. 197. 216 So etwa v. Winterfeid in FS Deringer 1993, S. 200; in diese Richtung auch Beckmann,DVBI. 1995, S. 319. 217 Fluck, OB 1992, S. 194; ähnlich auch Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 64: Das Duale System nehme "die Pflichten wahr, die gern. § 6 Abs. I, I a, 2 VerpackV den Herstellern und Vertreibern von Verpackungen obliegen". 218 Vgl. § 6 Abs. 3 VerpackV, wonach bei Beteiligung an einem solchen System die Rücknahmepflicht entfällt; ablehnend etwa auch Rummler/Schutt, Kommentar VerpackV, S.59. 219 So jedoch ova Münster, UPR 1998, S. 234, 235.

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1. Teil: Rücknahmepflichten

einem System wie dem DSD entfallen nach dem insofern eindeutigen Verordnungstext (§ 6 Abs. 3 VerpackV) die individuellen Rücknahmepflichten filr Verkaufsverpackungen nach § 6 Abs. I, la und 2 VerpackV.

4. Folgen und Grenzen einer Einschaltung Dritter Zutreffenderweise wird ganz überwiegend betont, daß durch die Beauftragung eines Dritten mit der Pflichterfilllung der Bestand der Pflicht nicht berührt wird220 • Damit geht auch bei einer Beauftragung eines anderen mit der Rücknahme die Pflicht nicht auf diesen über22l • Die Rücknahmeverpflichtung obliegt vielmehr rechtlich dem Hersteller oder Vertreiber weiterhin selbst, der dafilr verantwortlich bleibt, daß die Pflichten vom Dritten auch wirklich erfilllt werden222 • Daraus folgt auch, daß die Einschaltung eines Dritten die Wahrnehmung der Rückgabemöglichkeit durch den Produktinhaber nicht erschweren dart'l23. Daher

220 Vgl. Bundesregierung, Entwurf einer Verordnung zur Verwertung und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren (Batterieverordnung - AbfBattV), BMU WA II 3 - 30114-4/2, Stand Frühjahr 1996, Begründung S. 24; Barteis, Abfallrecht, S. 167 f.; Breuer in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5.Abschn. Rdnr. 113 (S. 496); Dippel, Die Kommunen im Recht des Umweltschutzes, S. 170; Flanderka, BB 1992, S. 1577; Hösel/v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Nr. 1130, § 3 AbfG, Rdnr. 15; Kloepjer, Umweltrecht, § 12 Rdnr. 77 (S. 702); Klowait, Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 67 und 69f.; Lottermoser in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 3 AbfG, Anm. 2.3.; Papier, DSD-Gutachten, S. 2; Peine in Blaurock (Hrsg.), Verantwortung fllr Abfall in Deutschland und Frankreich, S. 83f.; Püttner in JBdUTR 1994, S. 420; Rummler/Schutt, Kommentar VerpackV, § 11 Rdnr. 4; Schink, DÖV 1995, S. 884; SchmekeniSchwade, Kommentar VerpackV, § 11 Anm. c); Schreier, Auswirkungen des EG-Rechts auf die deutsche Abfallwirtschaft, S. 270; Winkelmann, UPR 1991, S. 170; v. Winter/eid in FS Deringer 1993, S. 201; Woljf, DWiR 1992, S. 83; aA. Kreft in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 14 AbfG, Anm. 1.3. (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 sollte "auch die ... Delegation der Rücknahmepflicht auf Dritte umfassen"). 221 Vgl. Barteis, Abfallrecht, S. I 67f.; Queitsch, UPR 1995, S. 418; aA. möglicherweise Fluck, DB 1992, S. 197 ("Eine Pflicht zur Rücknahme besteht dann nicht, wenn ein Dritter mit der Rücknahme beauftragt wurde und diese durch den Dritten auch tatsächlich erfolgt. "); unklar auch Ministerium fllr Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NR W (Hrsg.), Broschüre "Die abfallarme Verwaltung" Mai 1993, S. 23f. zu Transportverpackungen:"Oft bieten Lieferanten einen Preisabschlag an, wenn die Verpackungen vor Ort entsorgt werden. Mit Annahme dieser Vereinbarungen gehen dann aber die Pflichten der Verpackungsverordnung auf die öffentliche Hand über." 222 Vgl. Flanderka, BB 1992, S. 1577; RummleriSchutt, Kommentar VerpackV, § 11 Rdnr. 4; v. Winter/eid in FS Deringer 1993, S. 201; Woljf, DWiR 1992, S. 83. 223 Vgl. Rummler/Schutt, Kommentar VerpackV, § 11 Anm. 3.

A. Allgemeine Aspekte

75

muß beispielsweise dann, wenn eine Rücknahme am Abgabeort vorgesehen ist, auch der Dritte die Rücknahme an diesem Ort vornehmen. In der Regel liegt in einem Verstoß gegen eine Rücknahmepflicht eine Ordnungswidrigkeit. Daher stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen in der Verweigerung einer Rücknahme durch einen beauftragten Dritten gleichzeitig eine Ordungswidrigkeit des Rücknahmepflichtigen selbst liegt. Nach § 9 Abs. 2 Satz I Nr. 2 OWiG sind Tatbestände, die eigentlich die Möglichkeit zur Ahndung an besondere persönliche Merkmale binden, auch auf solche Personen anwendbar, die vom Inhaber eines Betriebs oder einem sonst dazu Befugten beauftragt werden, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die an sich dem Inhaber des Betriebs obliegen. Persönliches Merkmal wäre hier die Eigenschaft als Hersteller oder Vertreiber eines Produktes 224, so daß auch der Dritte den Ordnungswidrigkeitsvorschriften unterliegt225. Aufgrund des Charakters des § 9 OWiG als Haftungserweiterung mit kumulativer Wirkung tritt diese Verantwortlichkeit neben die weiterhin bestehende Verantwortlichkeit des originär zur Rücknahme Verpflichteten226 • Wenn eine Rücknahme durch den beauftragten Dritten zu Unrecht nicht erfolgt, kann darin auch eine Ordnungswidrigkeit des originär Rücknahmepflichtigen liegen. Voraussetzung fiir eine Ordnungswidrigkeit ist allerdings zumindest fahrlässiges Handeln (vgl. § 10 OWiG). Fahrlässigkeit bedeutet ein AußerachtIassen der erforderlichen Sorgfalt227 • Fahrlässig ist die mit einer eigenen Rücknahmeverweigerung verbundende Verweisung von Rückgabewilligen an den Dritten damit unter anderem dann, wenn der Rücknahmepflichtige den Dritten nicht sorgfliltig ausgewählt oder die Pflichtdurchfiihrung nicht im erforderlichen Maße überwacht hat. Im Ergebnis wird daher zu Recht betont, bei der Beauftragung eines Dritten mit der Pflichterfiillung entstünden besondere Auswahl- und Überwachungs- bzw. Aufsichtspflichten 228 • Mißverständlich ist dagegen die Formulierung, bei einer Drittbeauftragung bestehe die ursprüngliche Pflicht "als Orga-

224 Vgl. Elsner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C.7.1., VerpackV, Anm. 3.5. 225 Vgl. Ministerium fllr Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW (Hrsg.), Broschüre "Die abfallarme Verwaltung" Mai 1993, S. 23f. 226 V gl. Elsner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C. 7 .1., VerpackV, Anm. 3.5. 227 Vgl. Dreher/Tröndle, StGB-Kommentar, § 15, Rdnr. 12 ff. 228 Vgl. Barteis, Abfallrecht, S. 168; Hösel/v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Nr. 1130, § 3 AbfG, Rdnr. 15; Lottermoser in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 3 AbfG, Anm.2.3. (S. 22); Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S.143.

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I. Teil: Rücknahmepflichten

nisations- und Überwachungspflicht fort"229 bzw. verwandele sich in eine Aufsichts- und Interventionspfliche30, da dies die Frage des Pflichtenbestandes mit der Frage der Wertung eines Verstoßes gegen die Pflicht als Ordnungswidrigkeit vermischt. Welche konkreten Konsequenzen aus der Pflicht zur sorgfältigen Auswahl und Überwachung zu ziehen sind, kann nur einzelfallbezogen entschieden werden. Verminderte Anforderungen werden bestehen, wenn ein seit Jahren als seriös arbeitend bekanntes Unternehmen beauftragt wird, höhere Anforderungen dagegen bei einer erstmaligen Beauftragung oder bei einem extrem kostengünstigen Anbieter 31 . Generell sind weniger strenge Anforderungen an die Pflicht zur Überwachung des Dritten auch dann zu stellen, wenn der Hersteller oder Vertreiber lediglich zu der "Eröffnung einer Rückgabemöglichkeit"232 oder zum Nachweis einer Annahmestelle verpflichtet wird. Hier bildet die Drittbeauftragung nicht eine Ausnahme, sondern das regelungstechnische Leitbild der Pflichterfiillung, so daß der Schwerpunkt der Sorgfaltspflichten des Herstellers oder Vertreibers bei der Auswahl des beauftragten Dritten, nicht jedoch in der nachfolgenden Gewährleistung der tatsächlichen Rücknahme durch den Dritten liegt. Ansonsten ist sowohl bei der Pflicht zur sorgfältigen Auswahl als auch zur Überwachung ein strenger Maßstab anzulegen 233 • Auch wenn daraus keine Notwendigkeit fiIr eine Überwachung der Arbeitsweise des Beauftragten "auf Schritt und Tritt" folgt, ist eine intensive Kontrolle zumindest bei Bestehen einer besonderen Gefahrenlage erforderlich234 , was bei der Rücknahme von umweltgefährdenden Rücknahmegütern wie etwa Computerschrott zu bejahen wäre. Gleiches gilt dann, wenn dem Rücknahmepflichtigen Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der ordnungsgemäßen Pflichterfiillung durch den Dritten begründen können23S • Den Rücknahmepflichtigen triffi: bei einer Beauftragung eines Dritten mit der

229 Vgl. Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C.7.\., VerpackV, Anm. 3.5. 230 Vgl. in Hinblick auf die Verwertungspflicht Klages, Vermeidungs- und Verwertungsgebote, S. 114. 231 Ähnlich rur die sich aus § 326 Abs. I Nr. 3 StGB ergebenden, objektiv gebotenen Sorgfaltsanforderungen bei einer Beauftragung Dritter mit der Abfallentsorgung Versteyl, NJW 1995, S. 107\. 232 Vgl. § 24 Abs. I Nr. I KrW-/Abtu; siehe dazu auch unten S. 135f. 233 Zutreffend Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C.7.\., VerpackV, Anm. 3.5. 234 Vgl. Beckmann, DVBI. 1993, S. 13; Hösel/v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Nr. 1130, § 3 Abtu, Rdnr. 15. 235 Zutreffend BarteIs, Abfallrecht, S. 168; Hösel/v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Nr. I 130, § 3 Abtu, Rdnr. 15 und 45.

A. Allgemeine Aspekte

77

Rücknahme zumindest dann ein FahrlässigkeitsvOlwurf, wenn ihn ein Rückgabewilliger über eine vorhergehende unberechtigte Rücknahmeverweigerung durch den Dritten informiert hat und er die Rücknahme des Produktes dauerhaft verweigert, ohne den Sachverhalt aufgeklärt zu haben 236 •

5. Frage der Möglichkeit einer pjlichtersetzenden Drittbeauftragung

Der originär Rücknahmepflichtige könnte jedoch von seiner Verantwortung frei werden, wenn eine pflichtersetzende Beauftragung von Dritten mit der Rücknahmepflicht möglich wäre.

§ 16 Abs. 2 KrW-/AbfG sieht vor, daß die zuständige Behörde unter bestimmten Voraussetzungen Pflichten teilweise oder sogar ganz auf einen Dritten übertragen kann. Eine Pflichtübertragung ist nach § 17 Abs. 3 KrW -/AbfG auch auf Verbände möglich 237 • Unter Berufung auf § 17 KrW -/AbfG haben der Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen e.V. (UNITI), der Verband Schmierfettindustrie e.V. (VSI) und der Mineralölwirtschaftsverband e.V. (MWV) ein Sammel- und Verwertungskonzept filr gebrauchte Ölgebinde entwikkelt, wobei sie durch das Bundesumweltministerium unterstützt wurden 238 • Ziel soll die Errichtung und der Betrieb eines flächendeckenden Systems zur gemeinschaftlichen Erfilllung der in diesem Bereich geplanten 239 individuellen Rücknahme- und Verwertungspflichten sein240 • Ob jedoch eine filr den einzelnen Adressaten pflichtbefreiende Übertragung von Rücknahmepflichten nach §§ 16 und 17 KrW-/AbfG möglich ist, muß bezweifelt werden. Beide Bestimmungen richten sich nach ihrem insofern eindeutigen Wortlaut ausschließlich an die "zur Verwertung und Beseitigung Verpflichteten" und ermächtigen nur zur Übertragung dieser Pflichten. Die Pflicht zur Rücknahme ist aber keine Verwertungsoder Beseitigungspflicht. Daher ist eine pflichtersetzende Übertragung der Rücknahmepflicht auf einen Dritten nach § 16 Abs. 2 und § 17 Abs. 3 KrW -/AbfG nicht möglich.

236 Zu eng hier Eisner in HoschützkylKreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C. 7.1., VerpackV, Anm. 3.5., der eine Ordungswidrigkeit nur im Fall einer vorsätzlichen Untätigkeit des Rücknahmepflichtigen trotz positiven Wissens um eine Verletzung der Rücknahmepflichten durch den Dritten annimmt. 237 V gl. zu beidem allgemein Klowait, Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 187 fT. 238 Vgl. Bundeskartellamt, Bericht vom 14.06.1995, BT-Drs.13/1660, S. 127. 239 Vgl. § 7 Abs. I NovellierungsentwurfVerpackV, Stand 23.05.1996; dazu unten S. 431 fT., 436fT. 240 Vgl. Bundeskartellamt, Bericht vom 14.06.1995, BT-Drs.I3/1660, S. 127.

78

1. Teil: Rücknahmepflichten

Vorgesehen werden kann eine solche pflichtersetzende "Übertragung" der Rücknahmepflicht allerdings in den einzelnen Rücknahmeverordnungen, wie dies im Rahmen der Novelle der Verpackungsverordnung geplant worden war41 • Der beauftragte Dritte rückt dann in die Pflichtenstellung der originär Rücknahmepflichtigen ein und hat die Pflicht so zu erfllllen, wie sie auch den ursprünglich Verpflichteten getroffen hätte.

6. Grenzen der Beauftragung des Endverbrauchers als Dritten Bei der Vereinbarung zwischen Rücknahmepflichtigem und Drittem handelt es sich um einen privatrechtlichen Vertrag242 , und zwar in der Regel in der Form eines Werkvertrags 243 • a) Nicht zulässig ist eine Beauftragung des Endverbrauchers als Dritten durch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Obwohl eine Einschaltung Dritter bei der Pflichterfllllung zulässig ist, bleibt Grundgedanke der Rücknahmevorschriften, daß die Rücknahme und Verwertung oder Beseitigung in der Regel durch den Hersteller oder Vertreiber selbst bzw. durch einen von ihnen beauftragten sonstigen Dritten, nicht aber durch den Produktinhaber erfolgen soll. Davon würde durch solche AGB-Bestimmungen abgewichen, so daß im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung des Geschäftspartners gemäß § 9 Abs. I Nr. 1 AGBG vorliegen würde244 • Das Ergebnis einer formularmäßigen Drittbeauftragung widerspricht dem Charakter der Rücknahmepflicht als nicht abdingbarer öffentIichrechtlicher Pflicht. Derartige Bestimmungen sind daher unwirksam. Hinzu kommt, daß der originär Rücknahmepflichtige mit einer solchen gleichsam automatischen Drittbeauftragung seinen - streng zu fassenden - Pflichten zur sorgfiiltigen Auswahl des Dritten245 nicht gerecht wird; dieser Pflicht wird nur dann Genüge getan, wenn im jeweiligen Einzelfall geprüft wird, ob der Dritte die Gewähr rur eine ordnungsgemäße Pflichterfllllung bietet. 241 § 11 Abs. 2 ReferentenentwurfNovellierung VerpackV. Stand 20.12.1995; nicht mehr enthalten im überarbeiteten Novellierungsentwurf, Stand 23.05.1996. 242 Vgl. Mann, Abfallverwertung als Rechtspflicht, S. 166. 243 Vgl. jeweils rur den Vertrag Körperschaft-Dritter nach § 3 Abs. 2 Abm BGH, ZfW 1978, S. 292f.; OLG Bamberg, BayVBI. 1980, S. 696; Barteis. Abfallrecht, S. 132; Hösei/v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Nr. 1130, § 3 Abm, Rdnr. 15 (S. 23); Klowait, Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. \09; etwas enger ("Vertrag, der regelmäßig durch werkvertragliche Elemente bestimmt wird") Beckmann, DVBI. 1993,

S.II. 244 245

Vgl. Flanderka, BB 1992, S. 1578. Vgl. dazu oben S. 75.

A. Allgemeine Aspekte

79

b) Problematisch ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Preisgutschrift beim Kauf als Gegenleistung filr die Drittbeauftragung erfolgen kann. Zu Schwierigkeiten filhrt eine derartige Beauftragung des Produktinhabers als "Dritten" besonders im Altölbereich246 • Bisher wird hier überwiegend angenommen, daß vom Käufer selbst erbrachte Leistungen (Entsorgung des Altöls) und die damit auf Seiten des Verkäufers auftretenden Ersparnisse vertraglich durch Preisgutschriften berücksichtigt werden dürfen, sich die Käufer also im Ergebnis ihre kostenlose Rückgabemöglichkeit abkaufen lassen können 247 • Zwar kann eine Beseitigung oder Verwertung vor Ort durch den Endverbraucher als "Dritten" sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch sinnvoll sein; in einem solchen Fall erscheint auch die Möglichkeit einer Erstattung der durch eine anderweitige Verwertung oder Beseitigung anfallenden Kosten durch einen Preisnachlaß beim Verkauf grundsätzlich gerechtfertigt. Trotzdem darf die vertragliche Berücksichtigung der ersparten Rücknahmekosten nicht zu einer Beeinträchtigung der Entsorgungssicherheit filhren. In der Praxis lassen sich viele gewerbliche Endabnehmer von Altöl gegen eine Preisgutschrift mit der Pflichterfilllung beauftragen248 • Während die Gefahr einer umweltschädlichen Beseitigung bei Großunternehmen, die selbst die Kapazitäten filr eine betriebseigene Altölverwertung oder -beseitigung besitzen, als gering einzustufen ist, läßt sich diese Gefahr bei landwirtschaftlichen Betrieben oder bei Kleinbetrieben, die in dieser Frage auf die Dienstleistungen eines Dritten angewiesen sind, nicht von der Hand weisen. In diesem Bereich ist die Rücklaufquote signifikant verringert. Für die Landwirtschaft wird von einer Rücklaufquote zur kostenpflichtigen Verwertung von weniger als 20 % gegenüber einer zu erwartenden Quote von etwa 50 % berichtet249 • Diese Zahlen verdeutlichen die Bedenklichkeit derartiger vorheriger Preisgutschriften. Aufgrund der Stellung des mit der Verwertung oder Beseitigung beauftragten Produktinhabers als "Dritten" hat der originär Rücknahmepflichtige seine Pflicht zur sorgfliltigen Auswahl und Überwachung des Dritten zu beachten. Daraus folgt, daß er bei der Beauftragung nur dann eine Situation schaffen darf, die psychologisch einen Anreiz zu unsachgemäßer oder umweltschädigender Verwertung oder Beseitigung setzt, wenn die Person des Dritten es erwarten läßt, daß dieser dem Anreiz widerstehen wird. In der vorherigen Preisgutschrift filr

246

Vgl. dazu auch unten ab S. 362.

So etwa Kreft in Hoschützky/Kreft, Recht der Abfallwirtschaft, § 5 b, Anm. 1.6.; Verwaltungsvorschrift zur Altölentsorgung, NRW MinBI. 20.01.1989, S. 47 ZifT. 6.7.; Versteyl, Abfall und Altlasten, S. 67. 248 Vgl. Versteyl, Abfall und Altlasten, S. 67. 247

249

Vgl. Versteyl in KunigiSchwerrnerNersteyl, Kommentar Abfti, § 5 b, Rdnr. 14.

80

1. Teil: Rücknahmeptlichten

bloß künftige Verwertungs- oder Beseitigungsleistungen kann ein solcher Anreiz liegen. Eine vorherige Berücksichtigung der späteren Kosten erscheint daher allgemein und über den Bereich der Altöl-Rücknahme hinaus etwa dann zulässig, wenn der Dritte glaubhaft eigene Verwertungs- oder Beseitigungskapazitäten darlegen kann; dies wird im allgemeinen Großunternehmen eher gelingen als landwirtschaftlichen Betrieben oder Kleinbetrieben, ist aber abhängig vom konkret betroffenen Produkt. Sofern die Verwertung oder Beseitigung dagegen wiederum durch Dritte erfolgen müßte, liegt in der vorherigen Preisgutschrift eine zu starke Versuchung; um dem entgegenzuwirken, ist in einem solchen Fall eine besonders weitgehende Überwachung durch den originär Rücknahmepflichtigen notwendig, die bis in den Bereich der Einzelnachweise gehen muß, will sich dieser nicht des Vorwurfs der Fahrlässigkeit aussetzen. Damit wird rur Unternehmen, die nicht eigene Verwertungs- oder Beseitigungskapazitäten besitzen, die Möglichkeit eines vorherigen "Abkaufs" der kostenlosen Rückgabemöglichkeit im Ergebnis weitgehend abzulehnen sein, nicht aber die Möglichkeit, sie als Dritte mit der Pflichterfiillung zu beauftragen. Auch hier kann weiterhin ein nachträglicher finanzieller Ausgleich im Fall einer nachgewiesenen ordnungsgemäßen Entsorgung durch einen externen Fachbetrieb erfolgen. Denkbar wäre dies etwa durch die Ausgabe eines Wertgutscheins beim Kauf, der dann im Entsorgungfall bei denjenigen Fachbetrieben eingelöst werden könnte, die eine Garantie rur die ordnungsgemäße Verwertung oder Beseitigung des Produkts abgeben.

7. Fazit: Beauftragung Dritter als "bequemer Ausweg"?

Das Ergebnis einer Beauftragung eines Dritten mit der Pflichterfilllung widerspricht der Vorstellung von einer Kreislauffiihrung der Produkte dadurch, daß detjenige, der Produkte hergestellt oder abgegeben hat, sie selbst wieder zurücknehmen muß. Eine Beauftragung Dritter könnte daher als "bequemer Ausweg" angesehen werden, der unterbunden werden sollte. Dies trifft jedoch nur begrenzt zu. Abgesehen davon, daß eine Drittbeauftragung nur unter engen Voraussetzungen untersagt werden kann, ist der Weg auch nicht so "bequem", wie dies auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Wie gezeigt, wird der originär Rücknahmepflichtige durch die Beauftragung nicht von seiner Rücknahmepflicht frei. Er bleibt weiterhin auch selbst Adressat der Ordnungswidrigkeitsbestimmungen; daher unterliegt er Auswahl- und Überwachungspflichten, deren Verletzung einen Fahrlässigkeitsvorwurfbegrunden kann.

A. Allgemeine Aspekte

81

Im übrigen wäre eine strikte Kreislauffilhrung auch ökologisch im Einzelfall nicht immer begründbar. Bestrebungen rur die Schaffung vernetzter Stoffströme können sich insofern nicht auf das Verhältnis zwischen Hersteller, Vertreiber und Endverbraucher beschränken; notwendig sind vielmehr weitergehende, auf das Wirtschaftssystem als solches bezogene Konzepte. Eine Einbindung Dritter kann hier durch die Aktivierung externer Ressourcen sowie durch eine Optimierung des Verwertungs- oder Beseitigungsvorgangs auch aus Umweltschutzgesichtspunkten von Vorteil sein.

X. Zusammenfassung Bei Rücknahmepflichten ist zwischen einer echten individuellen Rücknahme und einer unechten, kollektiven Rücknahme zu unterscheiden. Erstere läßt sich weiter in den Bereich der konkreten, selbsterfiillten Rücknahme und den der fremderfiillten Rücknahme unterteilen und kann nach dem Rücknahmeobjekt als Rücknahme im engeren wie im weiteren Sinn ausgestaltet sein. Rücknahmepflichten sind öffentlich-rechtliche Pflichten und dienen vor allem - aber nicht ausschließlich - der indirekten Steuerung. In einer Wertung von Rücknahmepflichten als Maßnahmen zur Abfallverwertung liegt eine unzutreffende Verengung der möglichen Zielrichtungen von Rücknahmepflichten. Rücknahmepflichten sind vielmehr aufgrund der Bandbreite von Zielen aus den Bereichen der Abfallvermeidung, -verwertung und -beseitigung, denen sie dienen können, als "multifunktionale Instrumente" zu charakterisieren. Ihr Schwerpunkt liegt bei den damit erhofften Auswirkungen auf die Produktkonzeption; eine Erstreckung auf Altgeräte oder langlebige Produkte wird dadurch aber nicht ausgeschlossen. Ein Recht des rUckgabewilligen Produktinhabers darauf, daß der Rücknahmepflichtige seiner Pflicht auch nachkommt, besteht nicht. Rücknahmepflichten wirken unmittelbar nur im Verhältnis zwischen dem Staat und dem Rücknahmepflichtigen. Allerdings ist ein subjektiv-öffentliches Recht des rUckgabewilligen Produktinhabers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Ordnungsbehörde über die Durchsetzung von Rücknahmepflichten dann anzuerkennen, wenn der Rücknahmegegenstand nach § 15 Abs. 3 KrW-/AbfG durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger von der Entsorgung ausgeschlossen worden ist. Weiterhin sind bei einer rechtswidrigen Verweigerung der Rücknahme KostenersatzansprUche des abgewiesenen Produkt inhabers nach § 679, 683 BGB denkbar. Der Inhaber der Rückgabemöglichkeit kann sich nur dann vertraglich dazu verpflichten, das Produkt nicht zurUckzugeben, wenn ein solcher Verzicht vom 6 Bauemfeind

82

1. Teil: Rücknahmepflichten

Nonngeber ausdrücklich zugelassen wurde. Möglich ist dagegen eine Beauftragung Dritter mit der Pflichterfilllung. Einen "bequemen Ausweg" aus der Rücknahmepflicht stellt dies aber nicht dar. Insbesondere wird der originär Rücknahmepflichtige nicht von seiner Rücknahmepflicht frei; er bleibt weiterhin selbst Adressat der Ordnungswidrigkeitsbestimmungen.

B. Grundlagen der Rücknahmepflichten in den umweltrechtlichen Leitprinzipien Als Grundlage von RUcknahmepflichten werden verschiedene Prinzipien genannt. Insbesondere aus dem Verursacherprinzip und aus dem Grundsatz der Produktverantwortung werden Rücknahmepflichten hergeleitet, aber auch das Vorsorgeprinzip wurde schon als Basis filr RUcknahmepflichten angesehen. Verursacherprinzip und Vorsorgeprinzip sind Teil der umweltpolitischen Prinzipientrias I. Sie sind politische Maximen, die einerseits in bestehenden Umweltgesetzen zum Ausdruck kommen, die aber auch als rechtspolitische2 Handlungsmaxime künftige Aktivitäten (vornehmlich des Gesetzgebers) leiten sollen3 • Dies dürfte auch auf den neugeschaffenen Grundsatz der Produktverantwortung zutreffen. Aufgrund ihrer allgemein konsensbildenden Wirkung4 kann eine Berufung auf diese Prinzipien daher zumindest politisch legitimierend wirken. Unklar ist dagegen jeweils, ob es sich bei den genannten Grundsätzen weitergehend auch um Prinzipien des Umweltrechts handele. Unter einem Rechtsprinzip versteht man konkretisierungsbedUrftige allgemeine Rechtsgedanken, die keine unmittelbar anwendbare Rechtsregeln enthalten, die aber systembildende und auslegungsleitende Kraft besitzen6 • Voraussetzung dafilr ist ein Mindestmaß an Rationalität der Normaussage sowie Klarheit und Sicherheit der getroffenen Anordnung? Ob diese Voraussetzungen jeweils erfilllt sind, soll bei den einzelnen Grundsätzen erörtert werden.

1

Weiterhin noch: Kooperationsprinzip, vgl. dazu v. Lersner, HdUR Bd. 11, Sp. 2703.

2

Vgl. Breuerin Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 6.

3 Vgl. HoppelBeckmann, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 48; Rehbinder in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 86. 4 Vgl. Rat von Sachverständigen rur Umweltfragen, Umweltgutachten 1978, BT-Drs. 8/ 1938, Tz.1936 zum Vorsorgeprinzip.

5 Vgl. etwaSchmidtlMüller, JuS 1985, S. 695; Sendler, JuS 1983, S. 256; bejahend wohl letztlich auch Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 2fT. 6 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 2 (S. 73) unter Berufung auf Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl. 1979, S. 458ff. ?

Vgl. Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 164.

84

1. Teil: Rücknahmepflichten

I. Verursacherprinzip

Die EinfUhrung von Rücknahmepflichten wird oft mit dem Verursacherprinzip8 begTÜndet 9• Es entspreche, so wird argumentiert, dem Verursacherprinzip, wenn durch die Verpflichtung zur Rücknahme "die Verantwortung für umweltbelastende Erzeugnisse an den Hersteller und Vertreiber ZUTÜckfiillt"10. Teils dient das Verursacherprinzip dabei als umweltpolitiches Legitimationsmittel, das benutzt wird, um insbesondere Widerständen von seiten der Wirtschaft zu begegnen. Dafür scheint das Verursacherprinzip besonders geeignet, nimmt es doch für sich in Anspruch, auf marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beruhen und damit eine BTÜcke zwischen den Wirtschaftswissenschaften und der Politik zu schlagen 11 •

J. Herleitung und Wurzeln

EingefUhrt in die deutsche Umweltpolitik wurde das Verursacherprinzip mit dem Umweltprogramm der Bundesregierung aus dem Jahre 1971 12 • Seine gedanklichen Wurzeln findet das Verursacherprinzip außer im Polizeirecht vor allem in den Wirtschaftswissenschaften:

8 Vgl. dazu allgemein die grundlegende Untersuchung von Rehbinder, Politische und rechtliche Probleme des Verursacherprinzips, Berlin 1973. 9 Vgl. Bundesregierung, BT-Drs. 111756, S. 12 (Nr. 2.5.2.) sowie BT-Drs. 12/2490, S. 4; StS im Bundesinnenministerium Kroppenstedt in UBA-Texte 25/84, S. 16; StS im Bundesumweltministerium Stroetmann, BB 1993, Beilage 9, S. 3; vgl. auch Hochreiter, Abfallwirtschaft: privat oder öffentlich?, Wien 1994, S. 7; Klages, Müllmagazin 1993, S. 43 zur VerpackV.

10 Krefl in HoschützkylKreft, Recht der Abfallwirtschaft, § 14 AbfG, Anm. 2.1.3. (S. 29); ebenso Michaelis, schriftliche Stellungnahme bei der öffentlichen Anhörung zur Novellierung des AbfaIlgesetzes, 53. Sitzung des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages, Bonn 10.05.1993, Protokoll S. 115; Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 170; vgl. ähnlich auch Kersting, DVBI. 1994, S. 273 und 277f. und v. Köller, in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 14.

11 Seine Funktion als eine Art "Brückenprinzip" ftlr den interdisziplinären Dialog wird betont von Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 31 (S. 85). 12 BT-Drs. 6/2710, S. IOf: "In einer marktwirtschaftlichen Ordnung sollen grundsätzlich alle Kosten den Produkten oder den Leistungen zugerechnet werden, die die einzelnen Kosten verursachen. Grundlage der Kostenzurechnung ist also das Verursacherprinzip. Nach diesem Prinzip muß deljenige die Kosten einer Umweltbelastung tragen, der ftlr ihre Entstehung verantwortlich ist."

B. Grundlagen

85

a) Von den Wirtschaftswissenschaften wurde das Verursacherprinzip als Mittel entwickelt, um die sogenannten "sozialen Zusatzkosten" bzw. "externen Sozialverluste"13 zu "internalisieren": Ziel ist, Kosten wie die bei der Herstellung eines Produktes entstehenden Schäden durch Umweltverschmutzungen in die einzelwirtschaftliche Kostenrechnung des Herstellers eingehen zu lassen l4 • Die Notwendigkeit einer solchen ausdrücklichen "Verursacher"-Zurechnung ist jedoch nicht unbestritten: Eine vornehmlich mit dem Namen Coase verknüpfte und auch im juristischen Schrifttum heute noch Anklang findendeis Argumentationslinie geht davon aus, daß sich das Problem der sozialen Kosten durch die Kräfte des Marktes aufgrund der Gegenkraft privater ökonomischer Interessen im Wege von Verhandlungslösungen lösen ließe l6 • Die Marktkräfte können allerdings auch nach der Theorie von Coase nur unter unrealistischen Voraussetzungen zu einer befriedigenden Lösung kommen, da dafiir etwa vollkommener Wettbewerb und das Fehlen sogenannter Transaktionskosten (z.B. Kosten für Verhandlungen) erforderlich wäre 17 • b) Als Grundlage des Verursacherprinzips wird auch das Polizei- und Ordnungsrecht genannt l8 • Das polizeirechtliche Verursacherprinzip umschreibt die Voraussetzungen einer Haftung des Verursachers als "Verhaltensstörer" . DatUr genügt jedoch nicht, daß sein Verhalten kausal im Sinn der Aquivalenztheorie l9 ist; vielmehr muß die gesetzte Bedingung den Erfolg "unmittelbar" herbeigeftlhrt haben (Theorie der unmittelbaren Verursachung)20. Ob aber die "Gefahrengrenze"21 überschritten wurde, kann trotz des äußerlich formal wirkenden

13 Vgl. Kloepfer, OÖV 1975, S. 593. 14 Vgl. Möller, VR 1989, S. 194; Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 21; grundlegend war A.C. Pigou, Wealth and Welfare, London 1912 und ders. The Economics ofWelfare, 4. Aufl. London 1932, zit. bei Kirchgässner, JZ 1990, S. 1043.

IS Vgl. zuletzt Adams, JZ 1989, S. 787 mit der Erwiderung von Kirchgässner, JZ 1990, S. 1042ff. 16

Vgl. Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 22ff. mit weiteren Nachweisen.

Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 32 (S. 86); Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 25. 17

18 Vgl. BenderiSparwasseriEngel, Umweltrecht, I. Kap. Rdnr. 73; Kloepfer, UmweItrecht, § 3 Rdnr. 31 (S. 85); Peters, VR 1990, S. 187; Rupp, JZ 1971, S. 401. 19

Conditio sine qua non, vgl. dazu Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 246.

Überwiegende Ansicht, vgl. Friaufin Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht, RdNr. 76; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordungsrecht. Rdnr. 195ff.; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 248; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S.313. 20

21 Vgl. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 248.

86

I. Teil: Rücknahmepflichten

Kriteriums der Unmittelbarkeit letztlich nur im Rahmen einer wertenden Konkretisierung ermittelt werden 22 • Schon sprachlich bietet sich die Ziehung einer Parallele zwischen der polizeirechtlichen Verhaltenshaftung des "Verursachers" und dem umweltrechtlichen Verursacherprinzip an. Dem im Polizei- und Ordnungsrecht verwendeten Verursacherbegriff kommt jedoch eine andere Funktion zu als dem umweltrechtlichen Verursacherbegriff. Ersterer ist integraler Bestandteil der Entscheidung darüber, ob polizeiliche Maßnahmen zur Beseitigung einer bestehenden Störung ergriffen werden sollen. Dagegen geht es beim umweltrechtlichen Verursacherprinzip weitergehend - um eine wirtschafts- und umweltpolitische Steuerung des umweltrelevanten Wirtschaftsverhaltens der Marktteilnehmer3 ; eine Konkretisierung der Zurechnung erfolgt hier erst durch weitere haftungsbegründende Normen 24 , so daß der verwendete Verursacherbegriffumfassender sein kann als der im Polizei- und Ordnungsreche5 • Aufgrund der Eigenständigkeit des Verursacherprinzips als umweltpolitischer und umweltrechtlicher Grundsatz können Schwierigkeiten bei seiner Konkretisierung daher nicht befriedigend durch einen Rückgriff auf die Denkmodelle des Polizeirechts gelöst werden 26 •

2. Inhalt Trotz seiner prominenten Rolle fehlt bisher eine allgemeine Definition des Verursacherprinzips27. Als Prinzip der Umweltpolitik und möglicherweise auch des Umweltrechts verfolgt das Verursacherprinzip einerseits das Ziel, den Verantwortlichen rur die Kosten der Umweltbelastungen aufkommen zu lassen (Kostenzurechnungsprinzip)28. Insoweit entspricht es dem aus dem angelsächsi-

22

Vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordungsrecht, Rdnr. 198.

23

Vgl. Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 32.

24

Vgl. Umweltgesetzbuch AT (Entwurf), UBA Berichte 7/90, S. 146.

Gegen eine Identität von umweltrechtlichem Verursacher- und polizei rechtlichem Störerbegriff auch Baumann, Der Störer im Umweltbereich, S. 131 f; vgl. zur Abgrenzung auch Kluth, Jura 1991, S. 295. 25

26

Vgl. Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 31 f.

27

Vgl. auch kritisch Ewringmann, HdUR Bd. 11, Sp. 2678.

Bundesregierung, Umweltbericht 1976, BT-Drs. 7/5684, S. 8; Fehn, VR 1987, S. 376; Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 14; vgl. dazu auch Breuer in Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 12; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 28 (S. 84), jeweils mit weiteren Nachweisen. 28

B. Grundlagen

87

schen Raum bekannten "polluter pays principle" 29 • Da aber die Kostenbelastung unter rechtlichen und rechtspolitischen Gesichtspunkten nicht isoliert gesehen werden kann, sondern der materiellen Verantwortlichkeit folgen sollte30 , wird das Verursacherprinzip heute überwiegend auch als übergreifendes Zurechnungsprinzip filr die materielle Verantwortlichkeit (materielles Zurechnungsprinzip) verstanden 3 !. Zu beachten ist aber, daß das Verursacherprinzip allein eine rechtliche Verantwortlichkeit nicht begründen kann, vielmehr bleibt weiterhin eine Konkretisierung dieser Zurechnung durch haftungsbegrUndende Normen 32 - wie möglicherweise durch Rücknahrnepflichten - notwendig. Herkömmlich werden drei Systemvarianten des Verursacherprinzips unterschieden33 • Dabei beschränken sich die dem Verursacherprinzip entsprechenden Instrumente nicht auf Maßnahmen zur Einforderung der Kostenbelastung durch den Verursacher, vielmehr umfaßt das Verursacherprinzip auch Mittel direkter Verhaltenslenkung wie etwa kostenverursachende Ge- und Verbote 34 • Gegenstück zum Verursacherprinzip bildet das Gemeinlastprinzip, wonach die Allgemeinheit filr die Kosten aufkommen WÜTde 35 ; ihm wird verbreitet eine nachrangige Rolle 36 oder aber sogar die Qualität als begründungsbedürftige Ausnahme 37 zugesprochen.

29 Vgl. Bullinger in BullingerlRincke/OberhauserlSchmidt, Verursacherprinzip, S. 72; Kloepfer, DÖV 1975, S. 594; v. Zitzewitz, Altöl als Rechtsproblem, S. 121. 30

Vgl. Breuer, NuR 1980, S. 91.

Vgl. Bender/SparwasseriEngel, Umweltrecht, 1. Kap. Rdnr. 74; Breuer in v. Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 12; ders., NuR 1980, S. 91; Hoppe/Beckmann. Umweltrecht, § 5 Rdnr. 24 (S. 83f.); Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 35 (S. 87); Kluth, Jura 1991, S. 295; Poppe, Verursacherprinzip und Umweltschutz, Diss. Marburg 1975, S. 7ff.; Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 34ff; Rupp, JZ 1971, S. 401; Schmidt/Müller, JuS 1985, S. 696; Soell in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 642. 32 Vgl. Umweltgesetzbuch AT (Entwurf) UBA Berichte 7/90, S. 146. 33 Vgl. Breuer, NuR 1980, S. 91; ders. in v. MünchlSchmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 13ff.; Bullinger in Bullinger/Rincke/OberhauserlSchmidt, Verursacherprinzip, S. 70; Erbguth, Raumbedeutsames Umweltrecht, S. 84. 3!

34 Vgl. Bundesregierung, Umweltbericht 1976, BT-Drs. 7/5684, S. 8; Breuer in v. MünchlSchmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 16; Kloepfer, DÖV 1975, S. 595; Erbguth, Raumbedeutsames Umweltrecht, S. 85; SchmidtlMüller, JuS 1985, S. 696; Umweltgesetzbuch AT (Entwurf), UBA Berichte 7/90, S. 146. 35 V gl. BenderiSparwasser/Engel, Umweltrecht, I. Kap. Rdnr. 76.

36 Vgl. Breuer in v. Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 17; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 37 (S. 88). 37 Vgl. Bundesregierung, Umweltprogramm 1971, BT-Drs. 6/2710, S. 11; dieselbe,

88

1. Teil: Rücknahmepflichten

Schwierig zu beantworten ist die Frage, wer "Verursacher" im Sinn des Verursacherprinzips ist. Im Sinne "natürlicher" Kausalität ist Voraussetzung einer Schädigung nicht nur das Vorhandensein eines Schädigers, sondern auch das Vorhandensein eines Geschädigten 38 : Sein Vorhandensein kann nicht hinweggedacht werden, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Form entfiele. Daraus wird vereinzelt gefolgert, daß sowohl das Umweltbelastungen erzeugende Unternehmen als auch die geschädigte Partei grundsätzlich "gleichermaßen" als Verursacher anzusehen seien39 . Der richtige Adressat könne daher nur auf der Grundlage einer wertenden Betrachtung ermittelt werden40 . Dies wurde teils als Veranlassung genommen, das Verursacherprinzip sogar als "Leerformel"41, als "Begriffsmüll" und als "nutzloses Etikett" zu titulieren42 . Die Notwendigkeit einer Ermittlung des verantwortlich zu machenden Verursachers im Wege einer wertenden Entscheidung wird auch von den Anhängern des Verursacherprinzips nicht grundsätzlich bestritten43 . Um den Spielraum rur umweltpolitische Entscheidungen nicht zu stark zu verengen, sind weder nur die Hersteller noch nur die Kunden, sondern alle diejenigen Personen als Verursacher anzusehen, die die Umweltbelastung "in einer konsekutiven Verursachungskette" mitverursacht haben 44 ; die konkrete Auswahl ist erst bei der Adressierung der gewünschten Einzeimaßnahmen vorzunehmen45 . Dabei handelt es sich letztlich um eine politische Entscheidung, so daß die Frage, wer nun als "Verursacher" der "richtige" Adressat" einer Maßnahme sein soll, sich nicht deduktiv aus dem Verursacherprinzip ableiten läßt46 . Dies wird verkannt, wenn geUmweltbericht 1976, BT-Drs. 7/5684, S. 8; Kluth, Jura 1991, S. 295; so wohl auch Hoppe/ Beckmann, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 51 (S. 18) und § 5 Rdnr. 28 (S. 84).

38 Vgl. Beispiel bei Gusy, Polizeirecht, Rdnr. 266. 39 Vgl. Adams, JZ 1989, S. 787. 40 Vgl. Adams, JZ 1989, S. 787. 41 So Schottelius in FS Weitnauer 1980, S. 398. 42 Adams, Das "Verursacherprinzip" als Leerformel, JZ 1989, S. 787, 789; vgl. auch die vom Rat von Sachverständigen rur Umweltfragen geäußerte Berurchtung, das Verursacherpinzip stehe in Gefahr, zu einem "allgemeinen Alibibegriff' zu werden, SRU, Umweltgutachten 1978, BT-Drs. 8/1938, Tz. 1703.

43 Vgl. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, 1. Kap. Rdnr. 74, Fn. 114; Kirchgässner, JZ 1990, S. 1044; Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 24. 44 Vgl. Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 33; so im Ergebnis auch Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 36ff. 45 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 38. 46 Vgl. Kloepfer/Wimmer, UPR 1993, S. 415; Soell in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 643; Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 99; Umweltgesetzbuch AT (Entwurf), UBA Berichte 7/90, S. 150.

B. Grundlagen

89

fordert wird, dem einzelnen Verursacher müsse jeweils nachgewiesen werden, daß gerade sein Handeln die Umweltbelastung verursacht habe47 • Die Auswahl eines bestimmten Adressaten und einer bestimmten Maßnahme richtet sich letztlich unter anderem danach, wie eine möglichst hohe Umweltqualität erreicht werden kann und welche Lösung als wirtschaftlich und verwaltungstechnisch günstig erscheint48 • Damit kommt dem Verursacherprinzip eine bloße Hilfsfunktion ZU49.

3. Rücknahmepjlichten als Ausprägung des Verursacherprinzips? Eine Vereinbarkeit des Instruments der Rücknahmepflichten mit dem Verursacherprinzip wäre nur dann in Frage gestellt, wenn sich die nach dem Verursacherprinzip möglichen Maßnahmen auf Mittel zur Einforderung der Kostenbelastung durch den Verursacher beschränken würden, was aber wie gezeigtso nicht der Fall ist. Das Zusammenspiel zwischen Verursachergrundsatz und Rücknahmepflichten soll im folgenden exemplarisch am Beispiel der zeitweise geplanten Rücknahmeverpflichtung für Aitpapiersl erörtert werden. Nach diesem Verordnungsentwurf sollten die Vertreiber und Hersteller von Druckerzeugnissen aus Papier diese nach Gebrauch zurücknehmen müssen. Von Friauf wird die Möglichkeit bezweifelt, die Belastung von Herstellern und Vertreibern mit einer solchen Rücknahmepflicht mit dem Verursacherprinzip zu rechtfertigen 52 • Das Verursacherprinzip sei nicht geeignet, "einen rechtlichen Verantwortungszusammenhang mit hinreichender Stringenz zu begrUnden"s3. Die Notwendigkeit, den jeweils verantwortlich zu Machenden im Wege einer wertenden Entscheidung zu bestimmen, wird als Ausdruck einer "Kriterien-Willkür, bei der jedes beliebige politisch gewollte Ergebnis: die Verantwortlichkeit wie auch die Nichtverantwortlichkeit eines

47

So aber Pappe, Verursachungsprinzip und Umweltschutz, Diss. Marburg 1975, S. 9.

Entscheidungserheblich ist weiterhin die Frage der Zumutbarkeit flir die Betroffenen, das Vorhandensein rechtlicher Schranken flir die einzelnen Maßnahmen sowie die politischen Durchsetzungschancen, vgl. Bundesregierung, Umweltbericht 1976, BT-Drs. 7/5684, S. 8; Kloepfer, DÖV 1975, S. 595; Rehbinder in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 97 und 105; ders., Probleme des Verursacherprinzips, S. 34; Schmidt/Müller, JuS 1985, S. 696. 48

49

Vgl. Klaepfer, DÖV 1975, S. 594.

so Vgl. oben bei S. 87. SI 52 53

Dazu ausflihrlicher unten ab S. 595.

Friaufin FS Börner 1992, S. 711. Friaufin FS Börner 1992, S. 709.

90

l. Teil: Rücknahmepflichten

bestimmten Beteiligten, als mit dem Verursacherprinzip gleichermaßen begrundbar erscheint"54, gesehen. Im Ansatz erscheint diese Kritik insoweit berechtigt, als vereinzelt bei der Diskussion über Rücknahmepflichten der Eindruck erweckt wird, aus dem Verursacherprinzip folge im Wege eines Quasi-Automatismus ihre Adressierung an einen bestimmten Adressaten. Allerdings ist damit nicht jedes Ergebnis unterschiedslos begründbar: So wäre es mit dem Verursacherprinzip nicht vereinbar, wenn alle Mitglieder der konsekutiven Verursacherkette "verschont" würden und die Kosten der Allgemeinheit zur Last gelegt würden. Damit erschöpft sich das Verursacherprinzip gerade eben nicht in "politischer Prosa"55 und ertUllt das filr die Annahme eines Rechtsprinzips erforderliche Kriterium eines Mindestmaßes an Rationalität und Klarheit der Aussage 56 . Insofern aber, als das Verursacherprinzip als Gegenstück zum Gemeinlastprinzip nur besagt, daß die Kosten von einem der "Verursacher" im Sinne der natürlichen Kausalität zu tragen sind, muß filr die konkrete Auswahl des heranzuziehenden Adressaten als politische Entscheidung auf weitere Kriterien zurückgegriffen werden. Die Frage, wie eine hohe Umweltqualität erreicht werden kann und welche Lösung wirtschaftlich und verwaltungstechnisch günstig ist, wird in der Regel hier eine Entscheidungshilfe bieten können. Daß auch bei Maßnahmen, die auf das Verursacherprinzip gestützt werden können, die sonstigen rechtlichen Schranken berücksichtigt werden müssen, ist dabei selbstverständlich. Typischerweise fallen Produkte, sofern sie nicht bei ihrer Nutzung "verbraucht" werden (Bsp.: Nahrungsmittel, Kosmetikprodukte) oder sich durch sonstige natürliche Prozesse verflüchtigen 57, nach Gebrauch als Abfall an. Damit liegt in der Produktion oder dem Vertrieb dieser Güter zwar noch keine Umweltbeeinträchtigung, doch drohen bei der Entsorgung von Abfällen typischerweise die Entstehung von Umweltbelastungen oder Umweltschäden 58 . Auf diese poten-

54

Friaufin FS Bömer 1992, S. 7\0.

Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 2 nennt dies als Abgrenzungskriterium zu einem Rechtsprinzip. 55

56 Dazu oben S. 83; vgl. auch KloepferiWimmer, UPR 1993, S. 415 unter Hinweis auf Art. 16 des Staatsvertrages über die Schaffung einer Währungs-. Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, Art. 34 Abs. I Einigungsvertrag, sowie Art. BOr Abs. 2 EWG-Vertrag; kritisch Sendler, JuS 1983, S. 257, der dem Verursacherprinzip nur im Rahmen der aus dem Polizeirecht bekannten Form Rechtsqualität zubilligen will. 57 Vgl. dazu Kunig in FS Thieme, S. 988. 58 V gl. dazu auch S. 97ff.

B. Grundlagen

91

tiellen 59 Umweltbelastungen zielen Maßnahmen der Abfallvermeidung. Hersteller und Vertreiber von Produkten, die nach Gebrauch voraussichtlich zu Abfall werden und dadurch die Umwelt belasten60 , sind Verursacher im Sinn des Verursacherprinzips, da sie in einer konsekutiven Handlungskette verbunden sind, an deren Ende die Umweltbelastung steht61 . Insofern sind beide Personengruppen - und zwar im Einklang mit dem Verursacherprinzip - auch geeignete Adressaten filr Rücknahmepflichten. Durch eine Ptlicht zur kostenlosen Rücknahme wird daher auch das Verursacherprinzip nicht "einseitig zu Lasten der Wirtschaft erweitert"62. Aus der "bloßen Hilfsfunktion" des Verursacherprinzips ergibt sich, daß aus ihm keine Rangfolge der Mittel staatlichen Umweltschutzes hergeleitet werden kann63 . Daraus folgt jedoch, daß auch die politisch legitimierende Wirkung eines Bezugs auf das Verursacherprinzip nicht besonders ausgeprägt ist. Dies mag man bedauern und diskutieren, ob (entgegen der hier vertreterien Ansicht) der Verursacherbegriff enger gefaßt und nur derjenige als Verursacher angesehen werden sollte, der die Umweltbelastung (mit-) verursacht hat und in der Lage ist, sie entsprechend den staatlichen Zielvorstellungen abzustellen. Aber auch wenn man stärker auf die Einwirkungsmacht der Adressaten abstellen wollte, wären sowohl Hersteller als auch Vertreiber von Druckerzeugnissen als Verursacher anzusehen, da beide "naturgesetzlieh" kausal filr das Entstehen von Papiermüll sind. Zielvorstellung der staatlichen Regelung ist, die öffentliche Abfallentsorgung dadurch zu entlasten, daß eine Steigerung des Altpapiereinsatzes bei der Produktion bewirkt wird. Wenngleich in unterschiedlichem Umfang sind sowohl Hersteller als auch Vertreiber in der Lage, zur Erfilllung dieses Zieles beizutragen. Die Hersteller können die Menge des eingesetzten Altpapiers erhöhen und Produktionsweisen entwicklen, die einen besseren Einsatz von Altpapier ermöglichen; die Vertreiber können verstärkt Erzeugnisse mit einem hohen Altpapieranteil ordern und tragen weiterhin indirekt zu Änderungen des Herstellerverhaltens bei, indem durch ihre Inpflichtnahme der Druck an die Hersteller weitergegeben wird. Selbst die Einfilhrung von Rücknahmeptlichten filr Altpapier ließe sich also auf das Verursacherprinzip stützen. Dieses Ergebnis gilt auch filr andere denkbare Rücknahmeptlichten. Auch soweit dabei wegen der Schwierigkeiten der

59 Vgl. Umweltgesetzbuch AT (Entwurf) UBA Berichte 7/90, S. 145: potentielle Umweltbeeinträchtigung ausschlaggebend. 60

Vgl. Kunig in FS Thieme, S. 988.

61 V gl. Michaelis, Ökonomische Aspekte der Abfallgesetzgebung, S. 31. 62 So jedoch Hadamitzky in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 82. 63 Vgl. Kloepfor, DÖV 1975, S. 594.

92

I. Teil: Rücknahmeptlichten

Produktzuordnung auf das Erfordernis einer Identität von hergestelltem bzw. vertriebenem Produkt verzichtet wird, ist eine Begründung über das Verursacherprinzip möglich. Denn hier wurde durch die Herstellung und den Vertrieb gleichartiger Waren ein Gefiihrdungspotential gesetzt, das die Schwierigkeit einer späteren Zuordnung in sich trägt64.

4. Ergebnis

Festzuhalten bleibt somit, daß sowohl das Instrument der Rücknahmepflichten als auch (konkret) die Inanspruchnahme von Herstellern und Vertreibern von Produkten durch solche Pflichten dem Verursacherprinzip entspricht. Das Verursacherprinzip ist ein Rechtsprinzip6S, wenn auch mit geringer konkreter Steuerungswirkung im Einzelfall. Einer Berufung auf das Verursacherprinzip ist daher weder eine starke politisch-legitimierende Wirkung beizumessen, noch besagt sie etwas über die Rechtmäßigkeit von Rücknahmepflichten im konkreten Fall, da hiertUr die allgemeinen rechtlichen Schranken ausschlaggebend bleiben. Weiterhin folgt aus diesem Befund nicht, daß sowohl Hersteller als auch Vertreiber von Produkten in jeder Konstellation die "richtigen" Adressaten von Rücknahmepflichten sein müssen. Auch wenn in jedem Fall eine Adressierung von Rücknahmepflichten an Hersteller und Vertreiber dem Verursacherprinzip an sich - entspräche, kann sich im konkreten Fall ergeben, daß nach den fiir die Adressatenauswahl heranzuziehenden Kriterien die Wahl eines anderen Mittels oder eines anderen Adressaten erfolgen sollte; damit muß nicht alles, was dem Verursacherprinzip entspricht, auch die umweltpolitisch sinnvollste Lösung sein. Schließlich kann aufgrund der Konzeption des Verursacherprinzips keine Antwort auf die Frage gegeben werden, ob Rücknahmepflichten "besser" dem Verursacherprinzip gerecht werden als etwa Abgabenlösungen (z.B. Verpackungssteuern) oder als andere Mittel der direkten Steuerung.

64 Vgl. Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 84; a.A. ScholzlAulehner, BB 1993, S. 2259. 6S Vgl. KloepjeriWimmer, UPR 1993, S. 415 unter Hinweis auf Art. 16 des Staatsvertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozial union zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, Art. 34 Abs. I Einigungsvertrag, sowie Art. 130r Abs. 2 EWG-Vertrag.

B. Grundlagen

93

11. Vorsorgeprinzip Zum Teil wird auch eine Verankerung von Rücknahmepflichten im Vorsorgeprinzip angenommen: Es entspreche diesem Grundsatz, wenn die beteiligten Industrien gebrauchte Produkte wieder zurücknehmen und verwerten müßten66 •

I. Begriffund Inhalt Nach dem Vorsorgeprinzip sollen Umweltgefahren und -schäden so weit als möglich vennieden werden 67 • Obwohl die Qualifizierung des Vorsorgeprinzips als (auch) umweltrechtlicher Grundsatz überwiegend anerkannt wird68 , herrscht über die genaue Abgrenzung und den Umfang dieses Prinzips Uneinigkeit, so daß nur von einem Minimalkonsens 69 und als Folge davon sogar von einer inhaltlichen und instrumentellen Unbestimmtheit des Grundsatzes selbst gesprochen wird70 •

66 Borkenstein, das rathaus 1991, S. 558 rur den Verpackungsbereich; vgl. auch Beckmann, UPR 1996, S. 42 (Produktverantwortung als Umsetzung des Vorsorgeprinzips); Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, Vor § 22, Rdnr. 3 (Produktverantwortung als "abfaIlrechtliche Ausprägung des Vorsorgeprinzips"); Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im AbfaIlrecht, S. 81 (Auferlegung von Verhaltenspflichten zu Lasten der Produzenten im Vorfeld der Abfallentsorgung als Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Vorsorgeprinzips); Kersting, DVBI. 1994, S. 277, der über das Erfordernis einer AbfaIlvermeidung an der Quelle einen Zusammenhang zwischen Vorsorgeprinzip, Produktverantwortung und Rücknahmepflichten herstellt; Kügel, NVwZ 1994, S. 539 (Betonung des Zusammenhangs der Notwendigkeit von Einschränkungen im Bereich von Produktion und Produkten über § 14 AbfG mit dem Vorsorgeprinzip ); Sacksofsky, ZfU 1996, S. 107. 67 Vgl. HoppelBeckmann, Umweltrecht, § 5 Rdnr. 11; Kloepfer, Umweltrecht § 3 Rdnr. 5; vgl. auch die im Umweltgesetzbuch AT (Entwurf), UBA Berichte 7/90 in § 4 vorgeschlagene Definition: "Durch geeignete Maßnahmen ... ist daraufhinzuwirken, daß vermeidbare oder hinsichtlich ihrer langfristigen Folgen nicht absehbare Umweltbeeinträchtigungen möglichst ausgeschlossen werden". 68 Wohl aufgrund seiner gesetzlichen Verankerung in § 5 Abs. I Nr. 2 BImSehG, § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG; vgl. zum Charakter als Rechtsprinzip BenderlSparwasser, Umweltrecht Rdnr. 48; Erbguth, Raumbedeutsames Umweltrecht, S. 81; HoppelBeckmann, Umweltrecht § 5 Rdnr. 12; Rehbinder, Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, S. 7; Schmidtl Müller, JuS 1985, S. 695; Umweltgesetzbuch AT (Entwurf), UBA Berichte 7/90, S. 139f.; so wohl auch Atzpodien, NVwZ 1989, S. 425f. 69

Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 6.

70

Etwa SRU, Umweltgutachten 1978, BT-Drs. 8/1938, Tz. 1936.

94

1. Teil: Rücknahmeptlichten

Meinungsverschiedenheiten bestehen schon bei Fragen der Systematisierung des Vorsorgegrundsatzes, die unter unterschiedlichen Aspekten vorgenommen wird: So unterscheidet Kloepfer eine sicherheitsrechtliche Interpretation (Risikound Gefahrenvorsorge ) und eine bewirtschaftungsrechtliche Interpretation (Ressourcenvorsorge)71. Im Gegensatz dazu stellt Breuer eher auf die normative und instrumentelle Ausprägung des Grundsatzes ab und differenziert zwischen einer planerischen und einer klassisch-gesetzlichen Systemvariante72 • Während Inhalt des ersteren eine konkrete Selektion und Differenzierung in "zweckrationaler dezisionistischer Folgerichtigkeit" sei, gebe die zweite System variante die generell-abstrakte Zielvorgabe, auch unterhalb der Gefahrenschwelle allgemein und gleichmäßig Umweltschutzmaßnahmen vorzunehmen 73 • Rehbinder schließlich wählt als entscheidendes Abgrenzungsmerkmal die Frage der Rechtsnatur bzw. Wirkungsweise und unterscheidet zwischen der Ausformung des Vorsorgeprinzips als rechtssatzllirmiges Prinzip, das seinen Niederschlag in verschiedenen Umweltgesetzen gefunden habe, und seiner Ausformung als Strukturprinzip. Hier habe das Vorsorgeprinzip die Funktion eines Leitgedankens allgemeiner Art, der nicht direkt anwendbar sei, jedoch bestimmte Regelungen legitimieren könne 74 • Auch darüber, ob sich das Vorsorgeprinzip auf die Gefahrenvorsorge im weiteren Sinne beschränkt oder ob zusätzlich auch bewirtschaftungsrechtliche Überlegungen im Sinne einer Ressourcenvorsorge einzubeziehen sind, gehen die Ansichten auseinander. Diese Unterscheidung könnte insoweit von Bedeutung rur die Herleitung von Rücknahmeptlichten aus dem Vorsorgeprinzip sein, als sich diese möglicherweise leichter auf das Vorsorgeprinzip in seiner ressourcenschützenden Ausformung stUtzen lassen. Gefahrenvorsorge unterscheidet sich von der Gefahrenabwehr dadurch, daß die Voraussetzungen für ihre Anwendung unterhalb der Gefahrenschwelle Iiegen 75 • Strittig ist dabei, welche "Nähe" zu einer Gefahrenlage zu fordern ist.

71

Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 8.

n Breuer in v. Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 8f.; ders., Verwaltungsrechtliche Prinzipien und Instrumente des Umweltschutz, S.23. 73 Breuer in v. Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr.8f.

74

Rehbinder, Vorsorgeprinzip im Umweltrecht S. 7f.

Vgl. Atzpodien, NVwZ 1989, S. 4 I 7f.; Breuer, DVBI. 1978. S. 836; ders. in Der Staat 20 (1981), S. 413f.; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht § 1 Rdnr. 50; Kloepfer, UmweItrecht, § 3 Rdnr. 11; Rehbinder in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 87; Sendler, JuS 1983, S. 256; Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 163; Papier, Anm. zu OVG Berlin, 75

B. Grundlagen

95

Teilweise wird das Bestehen eines Gefahrenverdachts filr erforderlich gehalten 76 • Dagegen wird etwa von Kloepfer die Gefahrenvorsorge zusätzlich auch erstreckt auf - (zeitlich und räumlich) entfernte Gefahren sowie - UmweItbelastungen, die ftlr sich genommen ungefiihrlich, aber insgesamt schädlich und technisch venneidbar sind77 • Letzteres soll zu einer Reduzierung von Umweltbelastungen unterhalb einer GefiihrlichkeitsschwelIe im Sinne einer Belastungs- und Risikominimierung ftlhren 78 • Von einer stark zunehmenden Ansicht in der Literatur wird das Vorsorgeprinzip zusätzlich auch im Sinne einer Ressourcenvorsorge verstanden, die auf dem Bewirtschaftungsgedanken basiert79 • Diese Interpretation findet ihre Grundlage in der zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG entwickelten sogenannten "Freiraum-Theorie", wonach Umweltressourcen im Interesse künftiger Nutzungen geschont werden solIen80 • Begründen läßt sich eine solche Auslegung auch mit dem Gedan-

Urt. v. 17.7.1978, DVBI. 1979, S. 162; Uppenbrink in ATV-Gtu-VDI-Kongreß UmwelttechnikiUmweltrecht, S. 90f; v. Lersner, HdUR Bd. II, Sp. 2705. 76 So Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 166; ausdrücklich zustimmend Uppenbrink in ATVGtu-VDI-Kongreß Umwelttechnik/Umweltrecht, S. 90f., der jedoch trotzdem das Vorsorgeprinzip "auch" aus der Notwendigkeit gerechtfertigt sieht, zur Freiraumerhaltung die Belastbarkeitskapazität der Natur nicht auszuschöpfen. 77

Vgl. Kloepfer, Umweltrecht § 3 Rdnr. 11.

Vgl. Kloepfer, Umweltrecht § 3 Rdnr. 17; für eine Interpretation als Belastungsminimierungsgrundsatz auch OVG Lüneburg, GewArch 1980, S. 204ff; OVG Berlin, DVBI. 1979, S. 159; Breuer, Der Staat 20 (1981), S. 413f; Erbguth, Raumbedeutsames Umweltrecht, S. 81f.; Feldhaus, DVBI. 1981, S. 170f.; Ipsen, AöR 107 (1982), S. 262; Schmölling/ Mäder, GewArch 1980, S. 80; v. Lersner, HdUR Bd. II, Sp. 2705; kritisch dagegen Darnstädt, Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge, S. 127ff.; Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 166, 168; Papier, Anm. zu OVG Berlin, Urt. v. 17.7.1978, DVBI. 1979, S. 162. 78

79 Vgl. Bender/SparwasseriEngel, Umwe1trecht, 1. Kap. Rdnr. 69f.; Breuer in Der Staat 20 (1981), S. 413f.; Erbguth, Raumbedeutsames Umweltrecht. S. 81; Feldhaus, DVBI. 1980, S. 135; ders., DVBI. 1981, S. 170; Kluth, Jura 1991, S. 295; Kutscheidt in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 251f.; Rehbinder in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 87f.; Schmölling/Mäder, GewArch 1980, S. 78; Soell, ZRP 1980, S. 106; Überla in UBA Texte 25/84, S. 83; v. Lersner, HdUR Bd. ll, Sp. 2704ff.; kritisch dagegen Atzpodien, NVwZ 1989, S. 418; Papier, Anm. zu OVG Berlin, Urt. v. 17.7.1978, DVBI. 1979, S. 162f.

80 V gl. Feldhaus, DVBI. 1981, S. 170; Jarass, BimSchG-Kommentar, § 5 Rdnr. 41; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 18; v. Lersner, HdUR Bd. II, Sp. 2704f; weiterhin

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I. Teil: Rücknahmepflichten

ken, daß sich die Wirkungen von Umweltbelastungen nie vollständig werden beurteilen lassen und daß daher Eingriffe in die Umwelt unabhängig von den bekannten Belastungsgrenzen auf ein zumutbares und nach dem Stand der Technik mögliches Maß reduziert werden sollten (sogenannte "Ignoranztheorie")81.

2. Rücknahmepflichten: Gefahrenvorsorge oder Ressourcenvorsorge? a) Zweck: Frage der Berücksichtigung indirekter Effekte Zunächst muß geklärt werden, wie der Inhalt des Instruments der Rücknahmepflichten bestimmt werden soll. Der Zweck von Rücknahmepflichten erschöpft sich nicht in den direkt angeordneten Rechtsfolgen, vielmehr streben sie Ziele an, deren Eintritt nur möglich oder wahrscheinlich, aber jedenfalls konkret nicht sicher abzuschätzen ist. Erhofft wird von der Einfilhrung von Rücknahmepflichten insbesondere eine Aktivierung des Eigeninteresses der Hersteller, die über Produktgestaltung und -konzeption maßgeblich über Art und Umfang der Entstehung von Abflillen bestimmen können. Wenn auch eine Berücksichtigung der angestrebten indirekten Wirkungen unter dem Risiko der Fehlbeurteilung der erreichbaren Effekte steht, so würde eine ausschließliche Berücksichtigung der direkten Wirkungen von Rücknahmepflichten doch dem Wesen der Rücknahmepflichten als Mittel der vornehmlich indirekten Steuerung82 nicht entsprechen. Daher sind hier grundsätzlich auch die nur erhofften Wirkungen rur die Beurteilung zugrunde zu legen.

b) Gefahrenvorsorge oder Ressourcenvorsorge? aa) Für die Umweltvorsorge ist gerade die Vorverlagerung von Maßnahmen in die Konstruktionsphase typisch 83 , wie es Ziel der Rücknahmepflichten ist. Für eine Bejahung einer Herleitung von Rücknahmepflichten aus dem Vorsorgeprin-

Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage der SPD/FDP-Fraktion vom 27.02.1980, BT-Drs. 8/3713, S. 19. 81 Vgl. Benda in UBA Texte 25/84, S. 23; v. Lersner, HdUR Bd. H, Sp. 2704 f.

82 Vgl. dazu oben ab S. 40; betont wird der Aspekt der indirekten Steuerung auch in Bundesregierung, Begründung zum Entwurf des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, BT-Drs. 12/5672, S. 33 und 35f.; Pressemitteilung Bundesumweltministerium vom 17.07.1992, Anlage Tz.3; Kunig in FS Thieme S. 988; Schink/Schwade, Stadt und Gemeinde 1993, S. 19. 83 Vgl. Feldhaus in HdUR Bd.I, Sp.1009; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 7.

B. Grundlagen

97

zip bieten sich bei Deutung des Prinzips als Grundsatz der schonenden Inanspruchnahme von Ressourcen und als Prinzip der Offenhaltung von Belastungsreserven grundsätzlich zwei Argumentationslinien an: Zum ersten können die erhoffte Abfallvenneidung oder die erhofften Verbesserungen bei der Entsorgungsfreundlichkeit der Produkte als Weg zur Venninderung von Umweltbelastung angesprochen werden, da dann weniger potentiell umweltschädigender Abfall anfiUlt84 • Zweitens wäre es aber auch möglich, Abfallvenneidung unter dem Stichpunkt "Schonung der knappen Ressource Abfallentsorgung"85 zu behandeln. Bei der angespannten Entsorgungslage der letzten Jahre kann die Ressource Deponieraum durchaus als die - ökonomisch gesehen - knappste Ressource im Abfallbereich angesehen werden 86 ; gleiches gilt tUr die vorhandenen Verbrennungskapazitäten sowie die bestehenden Verwertungsmöglichkeiten. Die Möglichkeit, auch in Zukunft Abfall produzieren und entsorgen zu können, ist eine notwendige Voraussetzung gerade auch wirtschaftlich-industrieller Nutzung. Damit dient die Abfallvenninderung der Schaffung von Belastungsreserven tUr die zukUnftige wirtschaftliche und industrielle Entwicklung. Wenn also auch Rücknahmepflichten grundsätzlich mit der ressourcenvorsorgenden Variante des Vorsorgeprinzips begründet werden können, so bleiben trotzdem zwei der Verhältnismäßigkeit verpflichtete Punkte87 zu beachten, deren ErtUllung jedoch nur im konkreten Fall beurteilt werden kann: Erstens muß die Vorsorge nach Umfang und Ausmaß dem Risikopotential proportional sein88 , und zweitens muß das Risiko durch die Vorsorgemaßnahme an einer geeigneten Stelle reduziert werden 89 .

84 Vgl. zum Charakter von Abfallvermeidung als Vorsorge Atzpodien, NVwZ 1989, S. 415ff; Breuer in v. Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 9; Kluth, Jura 1991, S. 295; StS im Bundesinnenministerium Kroppenstedt, UBA Texte 25/84, S. 15f.; Lottermoser, Fortentwicklung des Abfallbeseitigungsrechts, S. 110; v. Lersner, HdUR Bd.lI, Sp.2708.

85 Vgl. Kersting, DVBI. 1994, S. 273, der auf die Notwendigkeit einer "Bewirtschaftung" dieser Ressource hinweist; ähnlich Weidemann, NVwZ 1995, S. 632 und Weiland, ZfU 1993, S. 124. 86 So etwa Rat von Sachverständigen rur Umweltfragen, Sondergutachten Abfallwirtschaft, TzA08.

87 Vgl. dazu Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 168; die Bedeutung der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird auch betont von Erbguth, Raumbedeutsames Umweltrecht, S. 83 und Rehbinder, Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, S. 11. 88 Vgl. Lottermoser, Fortentwicklung des Abfallbeseitigungsrechts, S. 112f; v. Lersner, HdUR Bd. 11, Sp. 2706.

89 Vgl. v. Lersner, HdUR Bd. 11, Sp. 2706. 7 Bauernfeind

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1. Teil: Rücknahmepflichten

bb) Zumindest teilweise tragflihig erscheint obige Argumentation auch rur die Bejahung eines Falls der Gefahrenvorsorge, sofern diese auch auf das Gebot einer allgemeinen vorsorglichen Minimierung potentiell umweltschädlicher Stoffeinträge9O erstreckt wird: Abfallvermeidung ist Verringerung der von der Entsorgung ausgehenden potentiellen Umweltbelastungen wie etwa Sickerwässer und Deponiegase bei der Deponierung, Abgase und belastete Filterstäube bei der Müllverbrennung oder bei der Verwertung auftretende eventuelle Rückstände. Dadurch wird keine Vorsorge "ins Blaue hinein" 91 betrieben, so daß RUcknahmepflichten mit ihren erhofften abfallvermeidenden Wirkungen auch nach dem weiteren Gefahrenvorsorgebegriff als Vorsorgemaßnahmen angesehen werden können. Allerdings ist hierbei wiederum (vgl. oben bei aa) der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders zu beachten92 • cc) Am schwersten zu begründen wäre eine Herleitung von Rücknahmepflichten aus dem Vorsorgeprinzip, wenn man sowohl seinen Anwendungsbereich auf die Gefahrenvorsorge beschränken als auch das Vorliegen eines Gefahrenverdachts verlangen wUrde. Eine Gefahr ist eine Sachlage, die bei ungestörtem Ablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden fuhren wUrde 93 • Ein bloßer Gefahrenverdacht liegt dagegen bei einer zum Zeitpunkt der Entscheidung unklaren Sachlage vor, die ebensogut gefährlich wie ungefllhrlich sein kann 94 ; hier müssen also bei verständiger Würdigung und hinreichender Sachverhaltsautklärung sowohl Anhaltspunkte rur das Vorhandensein einer Gefahr als auch entsprechende Zweifel gegeben sein95 , so daß ein Schadenseintritt nicht mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann 96 • Somit müßte ohne die vorbeugende Wirkung der Rücknahmepflicht ein Eintritt eines Schadens in absehbarer Zeit drohen, wollte man wirklich das Vorliegen eines Gefahrenverdachts polizeirechtlicher Prägung als Voraussetzung rur das Vorliegen einer Vorsorgesituation verlangen; diese Voraussetzungen könn-

90

Vgl. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, 1. Kap. Rdnr. 70.

91

Vgl. zu diesem Kriterium v. Lersner, HdUR Bd. 11, Sp. 2705.

Vgl. Breuer in v. Münch/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rdnr. 184; Kloepfer, Umweltrecht § 3 Rdnr. 20. 92

93 Vgl. Benda in UBA Texte 25/84, S. 26; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht Rdnr. 140; Kutscheidt in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 246; Rehbinder, Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, S. 8. 94 Vgl. Fleury, Das Vorsorgeprinzip im Umweltrecht, S. 48f.; Götz, Allgemeines Polizeiund Ordnungsrecht, Rdnr. 154. 95

Vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 154.

96

Vgl. Papier, Anm. zu OVG Berlin, Urt. v. 17.7.1978, DVBI. 1979, S. 162.

B. Grundlagen

99

ten Rücknahmepflichten in Hinblick auf das Schutzgut "Umwelt" jedoch nur schwer erfilllen. Gerade im Fall einer Rücknahmeverptlichtung fiir langlebige Konsumgüter läßt sich eine solche Gefahrenlage zum Zeitpunkt ihrer Herstellung und ihres Verkaufes nur schwer begründen. Einfacher flUlt die Begründung dagegen, wenn zur weiteren Konkretisierung des Schutzguts auf die in den sektoralen Fachgesetzen genannten Schutzgüter zurückgegriffen wird. Vom früheren AbfG wurde die gesetzesspezifische Gefahrenschwelle in der Grundsatznorm des § 2 Abs. 1 AbfG definiert97 • Danach war diese Gefahrenschwelle überschritten, wenn infolge erschöpfter Verwertungs- und Beseitigungskapizitäten Entsorgungsengpässe auftreten und daher durch die Entsorgung von Abfällen das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigt wird. Die heute maßgebliche Bestimmung in § 1 KrW-/AbfG bringt hierbei keine grundlegende Änderung, sondern lediglich eine leichte Akzentverschiebung. Auch danach würde schon durch Entsorgungsengpässe der Zweck des Gesetzes gefährdet, ohne daß es vorerst auf die konkreten Umweltauswirkungen durch die Produktentsorgung ankäme. Rücknahmepflichten dienen unter anderem dazu, eine Erschöpfung der Entsorgungskapazitäten durch eine Verringerung der Abfallmenge zu vermeiden. Sofern aufgrund der Abfallmengenentwicklung ein späterer Entsorgungsnotstand möglich erscheint, wären die Voraussetzungen eines Gefahrenverdachts fiir das Schutzgut der Sicherheit der Abfallentsorgung gegeben. In diesem Fall würden damit abfallvermeidende Maßnahmen wie Rücknahmepflichten auch dann dem Vorsorgeprinzip entsprechen, wenn als Voraussetzung dafiir ein Gefahrenverdacht verlangt würde. dd) Obwohl damit zumindest bei bestimmten Ausgangskonstellationen auch bei Zugrundelegen der Notwendigkeit eines Gefahrenverdachts Rücknahmepflichten auf das Vorsorgeprinzip gestützt werden könnten, zielt die Kritik darauf, daß der Vorsorgebereich durch das Erfordernis einer solch engen zeitlichen Verknüpfung zu stark begrenzt wird. Vorsorge kann auch dann sinnvoll sein, wenn die Gefahren, gegen die sie sich richtet, zeitlich noch weit entfernt sind, wie etwa die befiirchteten Folgen einer jahrzehntelangen Schadstoffanreicherung98 • Es muß möglich sein, auf solche langwierigen Entwicklungen, die in eine Gefahr münden können, auch schon weit in ihrem zeitlichen Vorfeld zu reagieren. Zwar wird die Gefahr eines Schadenseintritts in absehbarer Zeit auch von den Befiirwortern eines Gefahrenverdachts nicht ausdrücklich als Voraussetzung

97

Vgl. Lottermoser, Fortentwicklung des Abfallbeseitigungsrechts, S. 113f.

98 V gl. zum Beispiel der schleichenden peB-Belastung und den daher notwendigen Vorsorgemaßnahmen den Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes Überla in UBA-Texte 25/84, S. 90f.

I. Teil: Rücknahmepflichten

100

der Vorsorgesituation verlangt99. Die Forderung nach dem Bestehen eines Gefahrenverdachts verstellt aber terminologisch den Blick auf diese notwendige zeitliche Erweiterung des Gefahrenvorsorgebereichs gegenüber der Gefahrenabwehr loo und sollte daher nicht weiter verfolgt werden lol . Überzeugend ist dagegen, wenn etwa Kloepfer die Gefahrenvorsorge ausdrücklich auch auf (zeitlich und räumlich) entfernte Gefahren sowie aufUmweItbelastungen erstreckt, die fiir sich genommen ungefiihrlich, aber insgesamt schädlich und technisch vermeidbar sind l02 . Eine solche Eingrenzung ermöglicht auch die notwendige l03 vorsorgliche Minimierung potentiell umweltschädlicher Stoffeinträge. Daß Rücknahmepflichten einem so verstandenen Vorsorgegrundsatz unterfallen können, wurde schon gezeigtl04.

3. Ergebnis

Damit können sich Rücknahrnepflichten zumindest grundsätzlich sowohl auf die ressourcen schützende als auch auf die gefahrenvorsorgende Interpretation des Vorsorgeprinzips stützen. Mit der Feststellung, daß der Vorsorgegrundsatz in seiner Form als selbst nicht direkt anwendbares Strukturprinzip lO5 Rücknahmepflichten zugrunde liegen kann, ist aber noch nicht viel gewonnen; denn erstens müssen die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit beachtet werden und zweitens ist damit nichts über die inhaltliche Ausformung der einzelnen Rücknahmepflichten gesagt, da das Vorsorgeprinzip vorwiegend auf das "Ob" einer Maßnahme zielt, nicht aber auf das "Wie"I06.

99 Vgl. Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 163: Vorsorge betrifft Maßnahmen, "die vor der Entstehung von Gefahren liegen" (Hervorhebg. im Original).

100 V gl. zur Notwendigkeit einer solchen Erweiterung auch Papier, Anmerkung zu Urteil OVG Berlin vom 17.7.1978, DVBI. 1979, S. 162. 101 Kritisch gegenüber dem Erfordernis eines "Gefahrenverdachts" auch Rehbinder, Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, S. 12, da damit "die Anwendung des Vorsorgeprinzips in seinem genuinen Anwendungsbereich, nämlich auf in ihrer Größenordnung oder ihrer Wahrscheinlichkeit unbekannten Risiken (bloßer Risikoverdacht) sowie auf die Schonung natürlicher Ressourcen, stark erschwert" werde, sowie SRU, Umweltgutachten 1994, BT-Drs. 12/6995, Tz.75ff.

102 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht § 3 Rdnr. 11. 103

Vgl. BenderlSparwasserlEngel, Umweltrecht, 1. Kap. Rdnr. 70.

104 Vgl. oben S. 98. 105

Vgl. Rehbinder, Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, S. 8.

106 Vgl. Feldhaus, DVBI. 1980, S. 133; Kloepfer, Umweltrecht § 3 Rdnr. 4; Schmidtl

Müller, JuS 1985, S. 696; v. Lersner, HdUR Bd. 11, Sp.2703.

B. Grundlagen

101

III. Produktverantwortung

"Produktverantwortung" heißt das neueste Zauberwort im Bereich der Abfallpolitik. Es wird oft in Zusammenhang mit den utopische Züge l07 aufweisenden Begriffen der "Kreislaufwirtschaft"108 oder "Stoffwirtschaft"I09 genannt, und wird insbesondere von der Bundesregierung als "Grundlage" filr die Einfilhrung von Rücknahmepflichten angefilhrt llO . Wenn, wie gezeigt, Rücknahmepflichten sowohl auf das Verursacherprinzip als auch auf das Vorsorgeprinzip gestützt werden können, was bleibt dann als Inhalt dieses neuen Prinzips, das meist in einem Atemzug mit dem Verursacherprinzip genannt wird? Worin liegt seine spezifische umweltpolitische und umweltrechtliche Zweckbestimmung? Ist die Postulierung dieser "neuen Produktverantwortung" I\I möglicherweise Ausdruck einer Unzufriedenheit mit der Begründung über das Verursacherprinzip gerade im Bereich der Umweltbelastungen durch den Konsum von Produkten? Zu Recht wurde dieser Bereich von Rehbinder als deljenige eingeschätzt, in dem die Frage der Anwendung des Verursacherprinzips am umstrittensten ist ll2 • 1. Beschreibung

Als Folge des Prinzips der sogenannten "neuen Produktverantwortung" sollen Hersteller und Vertreiber ll3 auch die Verantwortung filr die Verwertung und Be-

107 Vgl. Umweltbundesamt, Stellungnahme zur ersten öffentlichen Anhörung zum KrW-/ AbtG, 53. Sitzung des Umweltausschusses vom 10.05.1993, Ausschuß-Drs.12/383, Teil I, S. 303; kritisch auch Schenkel/Reiche, ZAU 1993, S. 195. 108 Vgl. etwa Bundesregierung, Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des KrW-/AbtG, BT-Drs. 12/5672, S. 114. 109 Vgl. z.B. Antrag BÜNDNIS 90IDIE GRÜNEN, BT-Drs.12/4835, S. 4; MdL DetertWeber, zit. bei Köster, UPR 1994, S. 179; v. Kötter in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 10. 110 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW-/AbtG, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 47; vgl. auch Vetter, BB 1993, Beilage 9, S. 11; StS beim BMU Stroetmann, BB 1993, S. 4: VerpackVals "Prototyp der neuen Produktverantwortung"; ebenso RummleriSchutt, Kommentar VerpackV, S. 24; v. Geldern, Wege aus dem Wohlstandsmüll, S. 66. 111 So etwa der StS beim BMU Stroetmann, BB 1993, Beilage 9, S. 4. 112 Vgl. Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 110. 113 Vgl. zum exakten Adressatenkreis unten S. 109.

102

I. Teil: Rücknahmeptlichten

seitigung der Produkte übernehmen ll4 • Nach Ansicht der Bundesregierung müssen künftig Produktion, Ge- und Verbrauch der Produkte und ihre Entsorgung ein geschlossenes 1l5 , "ganzheitliches" System bilden, in dem die Entsorgung der verbrauchten Produkte den gleichen Stellenwert erhält wie die Versorgung des Verbrauchers mit Waren 116. Grundgedanke dieser Verantwortung der Hersteller und Vertreiber rur ihr Produkt ist, daß Abfallvermeidung oder Abfallverwertung nicht erst am Ende des Wirtschaftskreislaufes ("end of the pipe"II?) einsetzen sollten, sondern daß entsprechende Überlegungen am besten schon im Vorfeld der Abfallentstehung 1l8 , bei der Produktkonzeption berücksichtigt werden können ll9 , denn dort werden die Weichen fiir Langlebigkeit und Verwertbarkeit der Produkte gestellt und wird über den Umfang und die Art des späteren Abfallanfalls entschieden. Indem Hersteller und Vertreiber etwa zur Rücknahme von bestimmten Produkten verpflichtet werden, sie damit finanziell und organisatorisch direkt rur die Entsorgung der von ihnen erzeugten oder vertriebenen Produkte aufkommen müssen, soll ihr Eigeninteresse an der Vermeidung von Abfallen aktiviert l20 und ihre unternehmerische Kreativität zur Entwicklung von besser verwertbaren oder zu beseitigenden Produkten genutzt werden. In der Folge werden schnellere und effektivere Innovationen und Problemlösungen erwartet, als dies bei direkten Eingriffen in die Produktgestaltung der Fall wäre l21 • Als Vorteil des Grundsatzes der Produktverantwortung wird angesehen, daß dadurch stärker marktwirtschaft114 Vgl. ElsneriRummler, NVwZ 1992, S. 244; Schink/Schwllde, Stadt- und Gemeinde 1993, S. 18; Stroetmann, BB 1993, Beilage 9, S. 4. 115 Vgl. Bundesregierung, Antwort auf große Anfrage der SPD "Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Sonderabflillen", BT-Drs. 12/2490, S. 2.

116 Vgl. Stroetmann, BB 1993, Beilage 9, S. 3; BMU, WA II 3/WA II 4 - 30 114, 27.04.1993, Schriftlicher Bericht für die 40. Umweltministerkonferenz am 5./6.05.1993 in Luxemburg, S. 12; vgl. auch Kersting, DVBI. 1994, S. 273. 117 Vgl. die MdB Dr. Liesel Hartenstein (SPD) in der Bundestagsdebatte vom 23.09.1993, Das Parlament 01.10.1993, S. 9; Birn, NVwZ 1992, S. 420; Vetter, BB 1993, Beilage 9, S. 6; Wuppermann, WSI-Mitteilungen 1991, S. 503. 118

Vgl. v. Köller in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 10.

119 Vgl. Bundesregierung, Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum KrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672, S. 114f; Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer, ZAU 1992, S. 441. 120 Vgl. Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer, Protokoll 50. Sitzung des Deutschen Bundestages 12.WP, 17.10.1991, S. 4123. 121 Vgl. Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer in der Bundestagsdebatte vom 23.09.1993, Das Parlament 01.10.1993, S. 9; Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 31.

B. Grundlagen

103

liehe Instrumente zur Abfallreduzierung fruchtbar gemacht werden könnten 122 • Erhofft wird insbesondere, daß die Kosten fiir die Abfallentsorgung in den Produktpreis einfließen und dadurch Wettbewerbsnachteile für Waren entstehen, deren spätere Entsorgung problematisch, aufwendig oder zu teuer wäre 123 • 2. Verankerung im Kreislaufwirtschafts- und Ab/al/gesetz

Der Grundsatz der Produktverantwortung findet seine positiv-rechtliche Stütze in §§ 22-26 KrW-/AbfG. Die Verankerung einer solchen Produktverantwortung wurde sowohl von der Regierung als auch von der Opposition als eines der zentralen Elemente der anstehenden Novellierung angesehen. a) Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte des KrW_/AbfG I24 Schon im Mai 1991 hatte der Bundesrat auflnitiative von Niedersachsen und Bayern hin einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Abfallrechts vorgelegtl25. Die Länder wollten auf die drängenden Probleme bei der Abfallentsorgung mit einer raschen Teilnovellierung des AbfG antworten 126. Die Bundesregierung lehnte das NoveIlierungsvorhaben jedoch als nicht weitgehend genug ab und vertröstete den Bundesrat mit Hinweis auf die geplante umfassende Neuordnung des Rechts der Abfallentsorgung auf die Vorlage eines Regierungsentwurfs 127.

122 Vgl. Kersting, DVBI. 1994, S. 278; SchinkiSchwade, Stadt und Gemeinde 1993, S.26.

123 Vgl. Grober/Große OphojJ, Al 1996, S. 35; v. Köller in KOJlßann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 10. 124 Vgl. allgemein zur Gesetzgebungsgeschichte die instruktive Darstellung bei Versteyl/ Wendenburg, NVwZ 1994, S. 833ff. 125 Bundesrat, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Abfallgesetzes und des BundesImmissionsschutzgesetzes, 29.05.1991, BR-Drs. 528/90 vom 19.07.1990 und BT-Drs. 12/631 vom 29.05.1991. 126 Vgl. MdB Klaus Lennartz und Dr. Liesel Hartenstein (SPD), Pressemitteilung vom 07.05.1992, S. 1; filrein solches Vorgehen sprachen sich auch die kommunalen Spitzenverbände aus, vgl. Landsberg/Schink, Eildienst LKT NW 6/94, S. 72. 127 Vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrates, BTDrs. 12/631, S. 11, 14; MdB Birgit Hamburger (FDP), erste Beratung des Gesetzentwurfs des Bundesrates in Bundestag, 50. Sitzung vom 17.10.1991, Stenographischer Bericht S. 4113; MdB Dr. Paul Laufs (CDUlCSU), ebd. S. 4117.

\04

1. Teil: Rücknahmepflichten

Im Juni 1992 veröffentlichte die Bundesregierung einen Entwurf eines KrW-/ AbfG 128 , der auch nach Einschätzung der Opposition beachtliche Fortschritte aufwies l29 • Nachdem BDI, DIHT und VCI im September 1992 in einem Schreiben an den Bundeskanzler Bedenken angemeldet hatten, der Gesetzentwurf sei wirtschaftsschädlich und ruiniere die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie l3O , wurde der Entwurf inhaltlich überarbeitet l3l • Im März 1993 wurde ein geänderter Entwurf vorgestellt, der dann - fast zwei Jahre nach dem Gesetzentwurf des Bundesrates - dem Bundesrat übersandt wurde 132 • Als Eckwerte des Entwurfs wurden von der Bundesregierung unter anderem die folgenden Punkte angesehen 133 : - Änderung der Terminolgie: Der Begriff des "Rückstandes" sollte zum Zentralbegriff des neuen Gesetzes werden. Damit verbunden sollte auf den subjektiven Abfallbegriffverzichtet werden. - Einfiihrung einer neuen Produktverantwortung "aller Marktbeteiligten" . - Übertragung der Entsorgungspflicht auf die Erzeuger und Besitzer von Sekundärrohstoffen/Abfällen bzw. Hersteller und Vertreiber nach Rücknahme gebrauchter Produkte als eine "Reprivatisierung der Abfallbeseitigung"134. Der Bundesrat nahm den Entwurf nicht mit Wohlwollen auf. So wurde dem Entwurf vorgehalten, er enthalte "eine Vielzahl so schwerer, grundlegender Mängel, daß es notwendig wäre, ihn völlig neu zu schreiben, was in der vorgesehenen 6-Wochen-Frist nicht möglich ist"l35. Besonders kritisiert wurde, daß der Entwurf aufgrund des gewählten Begriffssystems "vollzugsunfreundlich und

Vgl. den Überblick bei Kniep, GewAreh 1992, S. 411fT. Vgl. MdB Marion Caspers-Merk und Dr. Liesel Hartenstein (SPD), Pressemitteilung vom 12.01.1994, S. 1. 130 Vgl. etwa Dittmann (BOI-Ausschuß fiir Umweltpolitik), ZAU 1992, S. 447fT, 449. 131 Vgl. MdB Marion Caspers-Merk und Dr. Liesel Hartenstein (SPD), Pressemitteilung vom 12.01.1994, S. 2. 132 BR-Drs. 245/93 vom 16.04.1993; zur Kritik des Bundesrates an dieser Verzögerung vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum KrW-IAbfG, BT-Drs. 12/5672, S. 57; weiterhin Kersting, DVBI. 1994, S. 273; Versteyl/Wendenburg, NVwZ 1994, S. 833; 133 Vgl. Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer, Pressemitteilung vom 17.07.1992, S. 3f. 134 Vgl. Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer in Bundestag, 50. Sitzung vom 17.10.1991, Stenographischer Bericht S. 4123. 135 Stellungnahme des Bundesrates zum KrW-IAbfG, BT-Drs. 12/5672, S. 57. 128 129

B. Grundlagen

\05

vollzugshemmend" sei 136. Auch müsse der deutsche AbfallbegritT an das EGRecht angepaße 37 und der Vorrang der Vermeidung vor der Verwertung als Verpflichtung im Abfallrecht festgeschrieben werden 138. Heftig kritisiert wurde schließlich die vorgesehene Ausformung des Grundsatzes der Produktverantwortung, die den Ländern nicht weit genug ging 139 • Damit sei der Entwurf, so die MdB Dr. Liesel Hartenstein (SPD), "eine verwässerte Neuauflage" des ursprünglichen Entwurfs, dem "die Zähne ausgebrochen worden" seien l40 • Am 15.September 1993 übersandte die Bundesregierung den Entwurf des KrW-/AbfG an den Bundestag l41 • Die erste Lesung im Bundestag erfolgte am 23.09.1993 142• Schon im Mai 1993 hatte sich auch der Umweltausschuß des Bundestages bei einer ötTentlichen Anhörung mit dem Entwurfbeschäftigt; eine weitere Anhörung fand Ende September 1993 statt l43 • In diesen Anhörungen kritisierte die große Mehrzahl der Sachverständigen insbesondere die beabsichtigte BegritTswahl ("Rückstände"); auch wurden verbreitet Bedenken gegenüber der Vollzugstauglichkeit des Entwurfes geäußert 144. In der Folge wurde der Gesetzentwurf in einem Gemeinschaftswerk von den Berichterstattern der Regierungskoalition im Umweltausschuß und dem Bundesumweltministerium insgesamt neu formuliert l4 S, so daß teilweise von einem "Berichterstatterentwurl" ge-

136 Bundesrat, ebd., S. 58; die Bedenken wurden geteilt etwa vom Deutschen Städtetag, Deutschen Landkreistag und Deutschem Städte- und Gemeindebund, vgl. Doose, ZAU 1992, S. 450ffsowie Landkreistag NRW (Umwelt- und Bauauschuß), Eildienst LKT NW 20/92, S. 386.

Bundesrat, ebd., S. 59; vgl. kritisch auch Fluck, DVBI. 1993, S. 597ff. Bundesrat, ebd., S. 59. 139 Bundesrat, ebd., S. 60, 71 f. 137 138

141

MdB Dr. Liesel Hartenstein (SPD), Pressemitteilung vom 01.06.1993, S. I. BT-Drs.12/5672 vom 15.09.1993.

142

176. Sitzung des Bundestages.

140

Öffentliche Anhörung zur Novellierung des Abfallgesetzes, 53. Sitzung des Umweltausschusses vom 10.05.1993; Öffentliche Anhörung zum Kreislaufwirtschaftsgesetz, 59. Sitzung des Umweltausschusses vom 27.128.09.1993. 143

144 Vgl. Bericht des Umweltausschusses, BT-Drs. 12/7284, S. 3-5; zum Ergebnis der Anhörungen vgl. auch MdB Dr. Liesel Hartenstein und Marion Caspers-Merk (SPD), Pressemitteilung vom 27.09.1993, S. I; Versteyl, NVwZ 1993, S. 964; Versteyl/Wendenburg, NVwZ 1994, S. 834. 145 Vgl. MdB Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU) in Bundestag, 220. Sitzung vom 15.04.1994, Stenographischer Bericht S. 19046; Bericht des Umweltausschusses zum Entwurf des KrW -/Abtu vom 14.04.1994 (BT-Drs. 12/7284) und Beschlußempfehlung vom 13.04.1994 (BT-Drs. 12/7240).

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I. Teil: Rücknahmepflichten

sprochen wurde l46 . Aufgrund der darin berücksichtigten Änderungswünsche von seiten der Wirtschafts verbände sah sich die Bundesregierung allerdings mit dem Vorwurf konfrontiert, der Bundesumweltminister habe sich "zuschlechterletzt vom BDI einen Entwurf schreiben lassen"147. In der zweiten und dritten Lesung des KrW-/AbfG im Bundestag erneuerte die Opposition ihre Kritik am Gesetzesentwurf und forderte unter anderem eine Verstärkung der Produktverantwortung l48 ; das Kreislaufwirtschaftsgesetz sei ein "abfallpolitischer Rückschritt"149. Mit dem Entwurf werde der Müllverbrennung Tür und Tor geöffnet l50, was von seiten der Koalition allerdings entschieden bestritten wurde l51 . Mit den Stimmen der Koalition wurde der Entwurf des KrW-/ AbfG angenommen und die zurückgestellte Gesetzesvorlage des Bundesrates vom Mai 1991 abgelehnt. Erwartungsgemäß fand dann aber der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Bundesrat keine Mehrheit l52 . Eine Anrufung des Vermittlungsausschusses lehnte der Bundesrat ab, da es in einem solchen Verfahren "ausgeschlossen" sei, "die zahlreichen fachlichen Mängel des Gesetzes auch nur annähernd zu bereinigen"l53. Bei den Verhandlungen im von der Bundesregierung angerufenen Ver-

146 Vgl. MdB Marion Caspers-Merk (SPD) in Bundestag, 220. Sitzung vom 15.04.1994, Stenographischer Bericht S. 19063; MdB Birgit Homburger (FDP), ebd., S. 19050.

147 So MdB Marion Caspers-Merk (SPD), Pressemitteilung vom 02.02.1994; vgl. auch MdB Dr. Liesel Hartenstein (SPD), Pressemitteilung vom 11.04.1994, S. I: Der ursprüngliche Regierungsentwurf sei "in folge der Intervention von OIHT und BOI verwässert" worden. 148 Vgl. Entschließungsantrag der SPD vom 13.04.1994, BT-Drs. 12/7253; Entschließungsantrag BÜNDNIS 90IDIE GRÜNEN vom 14.04.1994, BT-Drs. 12/7258; MdB Dr. Liesel Hartenstein (SPD) in Bundestag, 220. Sitzung vom 15.04.1994, Stenographischer Bericht S. 19049. 149 So etwa MdB Dr. Liesel Hartenstein (SPD) in Bundestag, 220. Sitzung vom 15.04.1994, Stenographischer Bericht S. 19047 sowie in Pressemitteilung vom 11.04.1993, S. I. 150 Vgl. MdB Michael Müller (SPD), Pressemitteilung vom 02.02.1994; MdB Dr. Liesel Hartenstein (SPD) in Bundestag, 220. Sitzung vom 15.04.1994, Stenographischer Bericht S. 19048; MdB Marion Caspers-Merk (SPD), ebd. S. 19063(; MdB Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90IDIE GRÜNEN), ebd. S. 19055; MdB Dr. Dagmar Enkelmann (PDSlLinke Liste), ebd., S. 19053. 151 Vgl. Bundesumweltminister Prof Dr. Klaus Töpfer in Bundestag, 220. Sitzung vom 15.04.1994, Stenographischer Bericht S. 19062; MdB Birgit Hamburger (FDP), ebd., S. 19050 und S. 19055(; MdB Elke Wülfing (CDU /CSU), ebd., S. 19066. 152 669. Sitzung vom 20.05.1994. 153 Vgl. Bundesrat, 669. Sitzung vom 20.05.1994.

B. Grundlagen

107

mittlungsausschuß gelang es jedoch überraschenderweise l54 doch noch, eine Einigung über das KrW -/AbfG und das gleichzeitig beratene Ausfilhrungsgesetz zum Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung geflihrlicher Abflille und ihre EntsorgungiSS zu erzielen i56 . Diese unerwartete Kehrtwendung des SPD-dominierten Bundesrates wurde damit gerechtfertigt, daß das KrW-/AbfG in ein "völlig neues Gesetz"157 umgearbeitet worden sei, das der Vermeidung von Abfall eindeutig Vorrang einräume; positiv vermerkt wurde weiterhin, daß der Vermittlungsausschuß - wie vom Bundesrat gefordert - die Begrifflichkeit der EU zur Abfallpolitik übernommen hatte l58 und nun ausdrücklich klargestellt werde, daß das Verbrennen von Hausmüll keine energetische Verwertung, sondern Abfallbehandlung sei l59 . Eine wichtige Rolle spielte jedoch möglicherweise, daß die Bundesregierung ein Junktim zwischen der Verabschiedung des KrW -/AbfG und dem Ausfilhrungsgesetz zum Basler Übereinkommen hergestellt hatte l60, an dessen Inkrafttreten die Länder ein großes Interesse hatten l61 .

b) Entstehung des § 22 KrW -/AbfG Wie gezeigt, ist das KrW-/AbfG das Ergebnis eines mannigfaltigen Kompromiß- und Änderungsprozesses. Dies gilt insbesondere auch filr § 22 KrW-/AbfG. Dadurch wird das Verständnis der Bestimmungen des KrW -/AbfG nicht erleichtert. 154 Vgl. etwa die gegenteilige Prognose von Buch (Umweltministerium NRW), zit. bei

Kersting, DVB1.1994, S. 516.

155 Übereinkommen vom 22.03.1989, gezeichnet von der Bundesrepublik Deutschland am 23.10.1989; abgedruckt in BR-Drs. 303/93. 156 Vgl. Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 23.06.1994, BT-Drs. 12/8084, angenommen vom Bundestag in der Sitzung vom 24.06.1994 und vom Bundesrat in der Sitzung vom 08.07.1994. 157 So die Niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn, AFP-Meldung vom 16.06.1994. 158 Vgl. Niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn in Bundesrat, 672. Sitzung vom 08.07.1994, S. 419t:; Berichterstatter im Bundesrat Staatsminister Dr. Thomas Goppel (Bayern), ebd. S. 373; dazu Krings, WiVerw 1995, S. 103ff.; Seibert, UPR 1994, S. 415ff., 418t: 159 Vgl. Berichterstatter im Bundesrat Staatsminister Dr. Thomas Goppel (Bayern) in Bundesrat, 672. Sitzung vom 08.07.1994, S. 373. 160 Vgl. VersteyllWendeburg, NVwZ 1994, S. 834. 161 So Staatsministerin Klaudia Martini beim IO.Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht, Stellungnahme in Podiumsdiskusion am 16.09.1994

\08

I. Teil: Rücknahmepflichten

Während § 22 KrW-/AbfG in der endgültigen Fassung nur Hersteller, Be- und Verarbeiter oder Vertreiber von Produkten als Adressaten der Produktverantwortung anspricht, erwähnte der Entwurf der Bundesregierung ("Regierungsentwurf') auch die Kosumenten von Produkten l62 • Ebenfalls als Adressat angetUhrt wurde der Konsument von Produkten noch im Berichterstatterentwurf 63 • Der jetzige § 22 Abs. I wurde vom Berichterstatterentwurf eingefilgt. Die im Berichterstatterentwurf in Abs. I enthaltene Einschränkung der Produktverantwortung auf den in Rechtsverordnungen auf Grund der §§ 23 und 24 festgelegten Umfang wurde vom Vennittlungsausschuß gestrichen; an Stelle dessen wurde der Abs. 4 eingefilgt. Abs. 2 der endgültigen Fassung nimmt in Nr. I den Inhalt des § 20 des Regierungsentwurfs bzw. des § 20 Abs. I Satz 2 des Berichterstatterentwurfs auf und erweitert ihn um die Nr. 2-5. Diese lehnen sich inhaltlich eng an den Text der vom Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf vorgeschlagenen Änderung des § 20 an l64 • Auch Abs. 3 geht auf den Berichterstatterentwurf zurück l65 und wurde vom Vennittlungsausschuß so übernommen.

3. Inhalt der Produktverantwortung nach § 22 KrW-/AbjG

a) Überblick

§ 22 KrW-/AbfG enthält den Grundsatz der "neuen" Produktverantwortung. Abs. I trifft allgemeine Aussagen zu den Voraussetzungen (S. 1) und zu den Folgen (S. 2) der Produktverantwortung. Abs. 2 umreißt den Inhalt der Produktverantwortung durch eine beispielhafte l66 , nicht abschließende Aufzählung von sich aus der Produktverantwortung ergebenden Pflichten. Angesprochen werden

162 Danach umfaßte die Produktverantwortung unter anderem "bei der ... Verwendung von Erzeugnissen die Berücksichtigung der Ziele der abfallarmen Kreislaufwirtschaft, insbesondere '" Erzeugnisse wiederzuverwenden oder zu verwerten", § 20 Entwurf KrW-/ AbfG, BT-Drs. 12/5672, S. 14. 163 § 22 Abs. I Satz I: "Wer Erzeugnisse entwickelt, herstellt, be- und verarbeitet, vertreibt oder verwendet ... ", BT-Drs.12/7240. 164 Vgl. Bundesrat, Stellungnahme zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672, S. 71 (Nr. 53). 165

Damals § 22 Abs. 2.

Vgl. Beckmann, UPR 1996, S. 44; Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22, Rdnr. 51. 166

B. Grundlagen

109

die Bereiche Produktdesign (Nr. 1), die Auswahl bestimmter Materialien (Nr. 2), die Kennzeichnung der Produkte (Nr. 3 und 4) bzw. Pfandregelungen (Nr. 4), sowie die Rücknahme, Verwertung und Beseitigung von Erzeugnissen (Nr. 5). In Abs. 3 werden die Schranken der Produktverantwortung genannt, die vom Gesetzgeber als wesentlich angesehen wurden l67 . Abs. 4 verweist auf die weitergehende Konkretisierung des Grundsatzes durch Rechtsverordnungen nach §§ 23, 24 KrW-/AbfG.

b) Adressaten Als Adressaten der Produktverantwortung werden die unterschiedlichsten Personengruppen angesehen. Fast immer betont wird die Verantwortung des Herstellers 168 oder Produzenten 169 von Gütern für den gesamten Produkt-Lebensweg einschließlich der Entsorgung 170 sowie die Vermeidung und umweltverträgliche Verwertung der dabei entstehenden Rückstände 171. Daraus spricht der Gedanke einer Produktverantwortung, die als Produzentenverantwortlichkeit und dabei als eigene, individuelle Verantwortung verstanden wird. Als Adressaten werden vereinzelt aber auch "die Industrie"J72 bzw. "die Wirtschaft"173 bezeichnet, die künftig eine Verantwortung rur den gesamten Lebenszyklus von Produkten tra-

167 Vgl. Bericht des Umweltausschusses zum Entwurf des KrW -IAbfG, BT-Drs. 12/7284, S. 20, Begründung zu Abs. 2 der damaligen Fassung. 168 Bundesregierung, Begründung zum Entwurf des KrW-IAbfG, BT-Drs. 12/5672, S. 47; Hecht, Wirtschaftsdienst 1993, S. 479; Kersting, DVBI. 1994, S. 276; SchinkiSchwade, Stadt und Gemeinde 1993, S. 18; Schulz, DB 1996, S. 77; SPD-Fraktion, Antrag "Eckpunkte rur eine ökologische Stoffwirtschaft und ein neues Abfallrecht" vom 25.11.1993, BT-Drs. 12/6250, S. IOf; v. Kö/ler in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S.10 169 Borkenstein, das rathaus 1991, S. 558; Kremer, BB 1993, Beilage 9, S. 12; Presseerklärung Prof. Dr. Klaus Töpfer zum Beschluß des Krw-IAbfG durch das Bundeskabinett, abgedr. in der städtetag 1993, S. 374; StS beim BMU Dr. Paul Laufs, Stenographischer Bericht 50. Sitzung Deutscher Bundestag vom 17.10.1991, S. 4119; Kersting, DVBI. 1994, S.274. 170 SRU, Stellungnahme zum RAWG, S. 2. 171 Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer, Bundestagsdebatte vom 23.09.1993, Das Parlament 01.10.1993, S. 9. 172 Borkenstein, das rathaus 1991, S. 558; v. Köller in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 14. 173 MdB Birgit Homburger (FDP), Stenographischer Bericht 50. Sitzung Deutscher Bundestag vom 17.10.1991, S. 4113; Queitsch, UPR 1995, S. 412.

110

1. Teil: Rücknahmepflichten

gen müsse, womit ein Verständnis als Produzentenverantwortung in der Form einer generellen Branchenverantwortung nahegelegt wird. Ein weiterer sehr oft genannter Bereich ist der des Warenvertriebes, wobei auch hier die Adressaten überwiegend individuell definiert werden ("Händler" bzw. "Vertreiber"174), vereinzelt aber auch generell ("der Handel"175). Darüberhinaus wurde der Grundsatz der Produktverantwortung teilweise in einem sehr weiten Sinn verstanden und zusätzlich als Verantwortung des Konsumenten l76 rur den gesamten Lebenszyklus von Produkten beschrieben. Produktverantwortung bedeute, "daß schon bei der Entscheidung ... des Konsumenten rur oder gegen ein Produkt die Entsorgungsgesichtspunkte berücksichtigt werden" müßten 177 • Diese Einbeziehung des Konsumenten erklärt sich teilweise aus dem Zeitpunkt der jeweiligen Stellungnahmen. Eine solche Verantwortung des Konsumenten war Inhalt der Koalitionsvereinbarung rur die 12. Legislaturperiode 178 ; sowohl im ursprünglichen Regierungsentwurf als auch noch im Berichterstatterentwurf wurde der Konsument - wie gezeigt - als Adressat der Produktverantwortung angesprochen 179 • Erst in der Fassung des Vermittlungsausschusses fehlte ein entsprechender Hinweis. Damit entwickelte sich der Begriff der Produktverantwortung im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens von einem weiten Begriff mit einer Einbeziehung auch des Konsumenten zu einer Produktverantwortung nur im engeren Sinne. Dies zeigt sich in § 22 KrW-/AbfG. Die Bestimmung der jeweiligen Verpflichteten, die die Produktverantwortung nach § 22 Abs. 1 und 2 konkret zu erfillien haben, ist zwar nach Abs. 4 S. 1 einer 174 Bundesregierung, Begründung zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672, S. 47; Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer, der städtetag 1993, S. 374; Hecht, Wirtschaftsdienst 1993, S. 479; Kersting, DVBI. 1994, S. 276; Kremer, BB 1993, Beilage 9, S. 12; SchinkiSchwade, Stadt und Gemeinde 1993, S. 18; v. Költer in Kormann (Hrsg.); Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 10. 175 von Költer in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 14. 176 Vgl. Beckmann, DVB1.I995, S. 313; Borkenstein, das rathaus 1991, S. 558; Hans A. Kor/macher (Vorsitzender AG CYCLE im VDMA), Mitteilung zur Pressekonferenz Bonn 20.11.1995, S. I; Kersting, DVBI. 1994, S. 274; Kremer, BB 1993, Beilage 9, S. 12; Queitsch, KrW-/AbfR, § 22-24 KrW-/AbfG, Anmerkg. I a.E. (S. 217); wohl auch Ruchay (BMU), vgl. Kersting DVB1.I994, S. 512. 177 MdB Dr. Liesel Hartenstein (SPD), Stenographischer Bericht 50. Sitzung Deutscher Bundestag vom 17.10.1991, S. 4122. 178 Vgl. Presseerklärung Prof. Dr. Klaus Töpfer zum Beschluß des KrW-/AbfG durch das Bundeskabinett, abgedr. in der städtetag 1993, S. 374; MdB Birgit Homburger (FDP), Stenographischer Bericht 50. Sitzung Deutscher Bundestag vom 17.10.1991, S. 4113. 179 Vgl. dazu oben S. 108.

B. Grundlagen

III

Rechtsverordnung vorbehalten. Der Kreis der Adressaten der Produktverantwortung wird jedoch schon von § 22 Abs. 1 S. 1 umrissen. Danach richtet sich die Produktverantwortung an Personen, die Erzeugnisse entwickeln, herstellen, beund verarbeiten oder vertreiben. Diese auf den einzelnen Adressaten zielende Fonnulierung spricht fUr ein Verständnis der Produktverantwortung als individuelle Verantwortlichkeit und gegen die Annahme einer bloßen Branchenverantwortung. Die Abgrenzung der in § 22 Abs. 1 S. 1 genannten Gruppen ist im einzelnen unklar. So ist fraglich, ob dem Merkmal des "EntwickeIns" eines Produktes eine eigenständige Bedeutung neben dem Merkmal des "Herstellens" zukommen kann. Es ist nur schwer vorstellbar, daß damit eine eigene Verantwortlichkeit etwa des Inhabers eines dem Produkt zugrundeliegenden Patentes oder eines sonstigen gewerblichen Schutzrechtes angesprochen werden soll. Auch soll wohl nicht derjenige selbst von der Produktverantwortung erfaßt werden, auf dessen Entwürfen ein späteres Produkt möglicherweise beruht, indem er etwa Designstudien erstellte l80 . Wenn aber nur Adressaten erfaßt werden sollen, die das Produkt mit dem Ziel entwickeln, es selbst herzustellen oder herstellen zu lassen, so läßt sich diese "Entwicklung" nicht von der "Herstellung" des Produktes trennen. Selbst wenn ein Marktbeteiligter im Auftrag eines anderen und nach dessen Vorgaben ein Produkt herstellt, so ist nicht nur der Beauftragte Hersteller des Produktes, sondern auch der "Entwickler" und Auftraggeber. Eine verzichtbare Unterscheidung bildet weiterhin die gesonderte Auffiihrung des Bereichs der "Be- und Verarbeitung" von Produkten. Auch dieser Bereich ist (ebenso wie die Entwicklung) der Herstellung von Produkten zuzuordnen. Adressaten der Produktverantwortung sind also Hersteller und Vertreiber von Produkten, wobei der Begriff "Hersteller" alle umfaßt, die in nichtabhängiger Stellung mit eigenem wirtschaftlichen Gewinninteresse an der Herstellung des Produktes beteiligt sind; er bildet damit den Oberbegriff zu den Adressatengruppen Entwickler, Be- und Verarbeiter, der Hersteller im engeren Sinn, sowie der Produzent des Grundmaterials eines Produktes. Dieser wird zwar in § 22 nicht ausdrücklich genannt, unterfiillt aber trotzdem unter bestimmten Voraussetzungen dem Herstellerbegriff81.

180 Für eine Einbeziehung von Designern dagegen Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22, Rdnr. 78. 181 Klar ist seine Verantwortlichkeit als Hersteller, solange es um das Produkt "Grundmaterial" geht. Träger der Produktverantwortung rur das aus dem Material hergestellte Produkt ist er aber weiterhin zumindest dann, wenn das Material unmittelbar zur Produktherstellung verwandt wurde. In diesem Fall ist nur eine Frage des Blickwinkels, ob derjenige, der einen Gegenstand aus dem Grundmaterial herstellt, lediglich als Be- und Verarbeiter des Grundmaterials anzusehen ist oder aber als Hersteller im engeren Sinn.

112

1. Teil: Rücknahmepflichten

Verzichtet wurde demgegenüber auf die Aufnahme des Konsumenten als Adressat der Produktverantwortung, was letztlich sachgerecht war. Zwar spielt der Konsument eine wichtige Rolle bei der Abfallvermeidung, da er durch sein Konsumverhalten unmittelbaren Einfluß darauf hat, ob und gegebenfalls welche Abflille entstehen. Trotzdem wäre es zu weit gegangen, ihm im Sinne einer "Produktverantwortung" die Verantwortung fUr den gesamten Lebenszyklus des Produktes, sozusagen von der Wiege bis zur Bahre, zuzuweisen. Die "Käufermacht" und die Einflußmöglichkeit des Kunden auf die Produktgestaltung wird oft überschätzt. Rehbinder hat zutreffend herausgearbeitet 182 , daß der Verbraucher in der Regel tatsächlich nicht in der Lage ist, einen maßgeblichen Einfluß auf die Umweltfreundlichkeit der Produkte auszuüben. Teilweise existieren auf dem Markt schon keine Alternativangebote, auf die der Kunde ausweichen könnte. Oft aber bestehen Wissensdefizite der Konsumenten über die Belastungen durch den Produktionsprozeß, über die Inhaltsstoffe des Produktes und über mögliche Alternativen bei der Produktion. Weiterhin wird die Verantwortung des Konsumenten, sein Konsumverhalten umweltgerecht zu gestalten, durch die Bezeichnung "Produkt"-verantwortung nicht treffend gekennzeichnet, sondern ist eine Produkt"konsum" -Verantwortung; Ausgangspunkt dafUr ist nicht die Verantwortung rur ein Produkt, sondern fUr eigenes umweltbelastendes Verhalten. Bezeichnenderweise erfolgt die Betonung der "Konsumentensouveränität"183 meistens durch Hersteller und Vertreiber184 und dient dazu, ihre eigene Verantwortung zu relativieren, indem auch dem Kunden Verantwortung zugewiesen wird.

c) Rechtscharakter Die Bestimmung des Rechtscharakters des Grundsatzes der "neuen" Produktverantwortung ist von Bedeutung fUr die Frage, wie stark die Regelungen in § 22 182 Vgl. Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 32. 183 Vgl. kritisch Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 114. 184 Vgl. z.B. BOI, Stellungnahme zur ersten öffentlichen Anhörung zum KrW-/AbfD, 53.Sitzung des Umweltausschusses vom 10.05.1993, Ausschuß-Drs.12/383, Teil 11, S. 188: "Der veränderte Stellenwert von Umweltschutzaspekten prägt das Kaufverhalten der Konsumenten nachhaltig. Die Umweltfreundlichkeit von Produkten gewinnt als Verkaufsargument zunehmend an Gewicht. Gesetzliche Vorgaben [an die Wirtschaft, schon bei der Produktion Fragen der Entsorgung zu berücksichtigen, d. Verf.] sind daher entbehrlich. "; Mercedes-Benz, ebd., S. 190: "Das Schlagwort vom mündigen Bürger sollte auch im Umweltschutz seine Wirkung entfalten. Daher sollte der Kunde nicht durch Vorgaben an Hersteller mit der Folge eingeschränkter Produktvielfalt gegängelt werden."; VDP, ebd., S. 191: "Eine Regelung im Sinne der Frage wäre ein Eingriff in die Konsumentensouveränität. Der mündige Verbraucher ist durchaus in der Lage, ein hmglebiges Produkt einem vergleichbaren Produkt mit geringerer Lebensdauer vorzuziehen."

B. Grundlagen

113

bei der Auslegung verordneter Rücknahmepflichten zu berücksichtigen sind. Die Frage nach der Rechtsnatur des Grundsatzes der Produktverantwortung läßt sich auch dahingehend stellen, ob die Rechtsverordnungen nach §§ 23 und 24 KrW-/ AbfG konkretisierende oder konstitutive Wirkung aufweisen. aa) Entwicklung

§ 22 in der geltenden Fassung ist das Ergebnis der Verhandlungen im Vermittlungsausschuß. Indem die Vorschrift gegenläufige Tendenzen aufuimmt und miteinander zu vereinbaren sucht, bildet sie einen nur schwer greifbaren Formelkomprorniß und ist damit ein typisches Ergebnis der "Kompromiß-Rechtsetzung"185 unserer Zeit. Die im ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung vorgestellte Regelung l86 wurde vom Rat von Sachverständigen filr Umweltfragen als allgemein gehaltener Grundsatz l87 bzw. vom Bundesrat als bloß abstrakter Programmsatz charakterisiert l88 . Von letzerem wurde kritisiert, damit würden "die wesentlichen materiellen Inhalte einer Produktverantwortung in von der Bundesregierung zu erlassende Rechtsverordnungen" verschoben I 89. Bei der öffentlichen Sachverständigenanhörung des Umweltausschusses des Bundestages wurde ein Grundpflichtencharakter der im ursprünglichen Regierungsentwurf enthaltenen Bestimmungen insbesondere von Vertretern, die der Seite der Umweltbewegung zuzurechnen sind, ausdrücklich verneintl 9O • Auch gegenüber dem vom Umweltausschuß letztendlich vorgelegten "Berichterstatterentwurf,191 hielt die SPD ihre Kritik aufrecht l92: Ihrer Ansicht nach sollte die Pflicht zur Produktverantwortung unmittel-

Fluck, DVBI. 1995, S. 537. 186 § 20 EntwurfKrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672. 187 Vgl. SRU, Stellungnahme zum RA WG, S. 2. 188 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des KrW -IAbfG, BT-Drs. 12/5672, S.72. 189 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des KrW -IAbfG, BT-Drs. 12/5672, S.72. 190 Vgl. SV Ahrens (ÖKOPOL), Stellungnahme zur ersten öffentlichen Anhörung zum KrW-/AbfG, 53. Sitzung des Umweltausschusses vom 10.05.1993, Ausschuß-Drs.12/383, Teil 11, S. 80 und 90 und SV Gebers (Öko-Institut), Protokoll 53. Sitzung Umweltausschuß, S. 28 und 166. 191 BT-Drs.12/7240vom 13.04.1994. 192 Vgl. Antrag der SPD zu § 20 KrW-/AbfG in Umweltausschuß, Bericht zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Drs.12/7284, S. 45. 185

8 Bauemfcind

114

I. Teil: Rücknahmepflichten

bar gelten und nicht durch Rechtsverordnungen konkretisiert werden l93 • Ein entsprechender SPD-Antrag wurde von den Regierungsfraktionen allerdings abgelehnt, da die vorgeschlagene Bestimmung wegen ihrer "mangelnden Konkretisierung" verfassungswidrig sei l94 • Während also zu diesem Zeitpunkt nach übereinstimmender Ansicht der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Gruppen den Regelungen über die Produktverantwortung keine unmittelbare Rechtswirkung zukam, änderte sich durch die Verhandlungen im Vennittlungsausschuß dieses Bild. In einer zur Beratung des Ergebnisses im Bundesrat abgegebenen Erklärung ruhrte Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer aus: "Erzwingen läßt sich die Produktverantwortung auch in Zukunft allein durch Rechtsverordnungen. Die Vorschrift trägt durch ihren Grundpflichtencharakter der technischen und wissenschaftlichen Dynamik der Produktgestaltungen, durch den Verordnungsvorbehalt der gebotenen Rechtssicherheit gleichermaßen Rechnung.,,195

Allerdings betonte selbst die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn (SPD), die sich fiir eine Gestaltung der Produktverantwortung als Pflicht mit direkter Rechtswirksamkeit eingesetzt hatte, daß konkrete Rechtsfolgen rur den Produzenten "weiterhin erst dann" entstünden, wenn Pflichten in einer Verordnung konkretisiert seien 196.

bb) Möglichkeiten der Charakterisierung In Frage kommt eine rechtliche Charakterisierung der "neuen" Produktverantwortung als direkt wirkende und durchsetzbare Verpflichtung, als Programmsatz mit Apellcharakter sowie als Grundpflicht. (I) Für eine Wertung der Produktverantwortung als direkt wirkende und durchsetzbare Verpflichtung kann auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 bis 3 KrW-/ AbfG verwiesen werden. So wird die Produktverantwortung sowohl in Abs. 1 Satz 1 als auch in Satz 2 wie eine direkte Pflicht formuliert. Die Einschränkung

193 Vgl. Umweltausschuß, Beschlußempfehlung zum Entwurf des KrW-/AbfG, BTDrs.12/7240, S. 3. 194 Vgl. Umweltausschuß, Bericht zum Entwurfdes KrW-/AbfG, BT-Drs.I2/7284, S. 8. 195 Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer in Bundesrat, 672. Sitzung vom 08.07.1994, S. 421 (Hervorhbg. d. Verf.); vgl. ders., Abfallwirtschaftslournal 1994, S. 454. 196 Vgl. Niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) in Bundesrat, 672. Sitzung vom 08.07.1994, S. 420.

B. Grundlagen

115

durch den Vorbehalt "möglichst" ist als Verweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz deutbar. Auch § 22 Abs. 4 S. 1 ließe sich insoweit heranziehen, als in diesem davon die Rede ist, durch Rechtsverordnungen werde bestimmt, welche "Verpflichteten" die Produktverantwortung nach Abs. 1 und 2 zu erfilllen hätten; daraus könnte gefolgert werden, daß die in Abs. 1 genannten Gruppen generell "Verpflichtete" der Produktverantwortung sind, schon unabhängig vom Erlaß solcher Verordnungen l97 • Schließlich ließe sich argumentieren, die ausdrückliche Aufuahme der Schranken in § 22 Abs. 3 wäre nicht nötig gewesen, wenn dem Paragraphen keine unmittelbare Rechtswirkung zukommen würde. Eine solche Wertung der Norm als unmittelbar geltende Pflicht müßte nicht notwendigerweise an der Unbestimmtheit der Pflicht scheitern. Immerhin findet sich in Abs. 1 eine umfassende Auflistung der Adressaten der Produktverantwortung. Auch enthält § 22 in Abs. 2 Quasi-Regelbeispiele, die als unmittelbare Pflicht befolgt werden könnten. Zwar sind diese nicht sonderlich konkret gehalten, doch sind ihre Bestimmungen andererseits auch nicht weniger konkret als die an anderer Stelle als unbestimmte Rechtsbegriffe akzeptierten Begriffe l98 • Gegen eine Wertung von § 22 KrW-/AbfG als unmittelbar geltende Pflicht spricht jedoch letztlich maßgeblich § 22 Abs. 4. Danach soll die Konkretisierung dahingehend, welche Adressaten die Produktverantwortung zu erfilllen haben, rur welche Produkte dies gilt, und in welcher Art und Weise die Produktverantwortung wahrzunehmen ist, durch Rechtsverordnungen erfolgen. Eine derartige Konkretisierungsbedürftigkeit ist aber mit einem Charakter als unmittelbar geltende und durchsetzbare Pflicht nicht zu vereinbaren. Auch von der Entstehungsgeschichte der Norm würde eine solche Auslegung nicht gedeckt; eine unmittelbare Durchsetzbarkeit der Pflicht zur Produktverantwortung ohne eine Konkretisierung durch Rechtsverordnungen wurde von der Bundesregierung immer abgelehnt. Zwar entspricht eine solche Geltung der vom Bundesrat erhobenen Forderung, doch hatte er sich auch nach eigener Einschätzung im Vermittlungsausschuß in diesem Punkt nicht durchgesetzt l99 •

197

Vgl. Hoffmann, DVBI. 1996, S. 900.

Wie etwa "schädlich" (§ 2 Abs. I AbfG, § 2 Abs. 2 AtG), "Beeinträchtigung" (§ 2 Abs. I AbfG, §§ 2 Abs. I und 8 Abs. I Nr. I BNatSchG), "Gefithrdung" (§ 6 WHG) , "Belästigung" (§ I BImSchG), "Gemeinwohl", "berechtigte Interessen" oder "gute Sitten". 198

199 Vgl. Niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) in Bundesrat, 672. Sitzung vom 08.07.1994, S. 420.

116

I. Teil: Rücknahmepflichten

(2) Nicht überzeugen kann aber auch - als anderes Extrem - ein Verständnis, das § 22 KrW-/AbfG zu einem bloßen Programmsatz mit ApellcharakterOO reduziert. Zur Begründung dieser Sichtweise wird angeführt, daß bis zum Erlaß von Rechtsverordnungen niemand wissen könne, ob und welche Rechtspflichten ihn träfen 20I ; die Verordnungen hätten daher konstitutive Bedeutung202 .

Unter einem Programmsatz versteht man eine gesetzliche Bestimmung, die keine unmittelbare Verbindlichkeit beansprucht, sondern nur Absichten, Vorstellungen, Zielsetzungen oder Pläne des Gesetzgebers beinhaitee03 und dem staatlichen Verhalten Leitlinien vorgibe04 • Indizien gegen eine solche Auslegung bilden die schon oben angesprochenen Aspekte, die auf eine rechtliche Wirkung der Bestimmung hindeuten, wie die Aufnahme der Schranken in Abs. 3. Beachtenswert ist weiterhin, daß schon in der Begründung zum Berichterstatterentwurf vom April 1994 von einer gesetzlichen "Pflicht zur Produktverantwortung" gesprochen wurde und lediglich betont wurde, diese Pflicht stehe unter Verordnungsvorbehalt und entfalte damit keine unmittelbaren Rechtswirkungen gegenüber den Verpflichteten 205 . Dieser Befund läßt sich durch einen Vergleich der geltenden Fassung des § 22 mit dem ursprünglichen Änderungsentwurf des Bundesrates weiter erhärten. Vom Bundesrat war die im Entwurf der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung als lediglich abstrakter Programmsatz gewertet worden 206 ; er kritisierte insbesondere den fehlenden Personenbezug der Norm und das Fehlen einer klaren materiellen Ausage zur Verantwortlichkeit. Die von ihm vorgeschlagene Änderung des § 20 sollte dies beheben, indem "materielle Inhalte rur eine Produktverantwortung aufgestellt" und diese denjenigen zugeordnet werden sollten, "die Erzeugnisse entwickeln, herstellen, be- und verarbeiten oder vertreiben"207. Der Text der endgültigen Fassung des § 22 orientiert sich 200 Vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 315; ders., zit. bei Fröhlich, UPR 1996, S. 100 sowie bei StUer, DVBI. 1996, S. 245; ders. in UPR 1996, S. 45; Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22, Rdnr. 64; Fritsch, Das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, Rdnr. 412f.; Tettinger, DVBI. 1995, S. 215; Tettinger/Mann, JBdUTR 1995, S. 121; Weidemann, NVwZ 1995, S. 634; so wohl auch Bartlsperger, VerwArch 1995, S. 67.

201 Vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 315; ders., zit. bei Fröhlich, UPR 1996, S. 100; Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22, Rdnr. 64. 202 Vgl. TettingeriMann, JBdUTR 1995, S. 119. 203 Vgl. Creifelds, Rechtswörterbuch 12. Aufl., "Programmsatz", S. 923f. 204

Vgl. MUnchener Rechts-Lexikon, Bd.2, "Programmsatz", S. 1365.

205 Vgl. Umweltausschuß, Bericht (Entwurf des KrW-IAbfD), BT-Drs.12/7284, S. 19f. 206 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des KrW -IAbfD, BT-Drs. 12/5672, S.72. 207 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des KrW -IAbfD, BT-Drs. 12/5672, S.72.

B. Grundlagen

117

am Änderungsentwurf und übernahm beide vom Bundesrat geforderten Elemente, was einer Wertung als Programmsatz mit Apellcharakter oder reiner Leitsatz entgegensteht208 • Zu bertlcksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, daß § 22 Abs. I KrW-/ AbfG im Verlauf des Vermittlungsverfahrens insoweit umformuliert wurde, als die klare Begrenzung des Umfangs der Produktverantwortung auf den in Rechtsverordnungen festgelegten Umfang209 aufgegeben wurde; die Produktverantwortung wurde nun in § 22 Abs. I S. I generell umschrieben und inhaltlich nicht unter den Vorbehalt des Verordnungserlasses gestellt; als Ausgleich wurde lediglich der Verweis auf konkretisierende Rechtsverordnungen in Abs. 4 eingefllgt. Damit geht die Annahme fehl, durch die Änderungen im Vermittlungsausschuß habe sich nichts gegenüber der vorherigen Einschätzung der Bestimmung als Programmsatz oder Leitlinie geändert2 \O; notwendig ist vielmehr ein Verständnis, das die in § 22 Abs. 4 vorgesehene Konkretisierung durch Rechtsverordnung bertlcksichtigt, ohne dabei die Bestimmungen zur Produktverantwortung auf den Rang eines unverbindlichen und lediglich appellativen Programmsatzes zu reduzieren. (3) Verbreitet wird die Produktverantwortung als Grundpflicht verstanden 2ll • Diese Ansicht wurde auch im damals zuständigen Referat des Bundesumweltministeriums geteilt: Die Verordnungen begründeten die Pflicht zur Produktverantwortung nicht, sondern konkretisierten sie nur 12 • Als Folge dieser zumindest 208 Gegen die Annahme eines Programmsatzes auch Dr. Martin B1eckmann, Vortrag beim IO.Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht, 14.-16.09.1994. 209 Vgl. § 22 Abs. 1 S. 1 des Berichterstatterentwurfs: "Wer Erzeugnisse entwickelt, herstellt, be- und verarbeitet, vertreibt oder verwendet trägt zur Erfullung der Ziele der abfallarmen Kreislaufwirtschaft, soweit dies in Rechtsverordnungen auf Grund der §§ 23 und 24 festgelegt ist, die Produktverantwortung" . 2\0

So aber Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22, Rdnr. 64.

Vgl. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht Kap. 10, Rdnr. 157; BrunneriHeber, UPR 1996, S. 296; Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 91f.; Hoffmann, DVB1.I996, S. 348; ders., DVBI. 1996, S. 900; Kersting, DVBI. 1994, S. 278; v. Köller in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 14; ders., Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Anm. zu § 22 (S. 129), allerdings widersprüchlich (vgl. S. 133); Dr. Dieter Ruchay (BMU), zit. bei Fröhlich, UPR 1996, S. 99; Dr. Frank Petersen (BMU), zit. ebd .. , bei Enders, DVBI. 1995, S. 190f., Fritz, UPR 1994, S. 434 und Stüer, DVB1.1996, S. 244; PeterseniRid, NJW 1995, S. 10; so auch Kommunale Spitzen verbände, Stellungnahme zum KrW-/AbfG in Eildienst LKT NW 20/92, S. 383; MdB Horst Kubatschka (SPD), zit. in LZ 16.07.1996, S. 20; SRU, Umweltgutachten 1996, Tz.388, BTDrs.13/4108. 211

212 Dr. Frank Petersen (BMU), Vortrag beim IO.Trierer Kolloquium zum Umwe\t- und Technikrecht, 14.-16.09.1994, vgl. Enders, DVBI. 1995, S. 190f.

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I. Teil: Rücknahmepflichten

"latenten Grundpflichtenbelastung"213 seien die Produzenten bereits gesetzlich zur Orientierung an der Produktverantwortung verpflichtet. Lediglich die Umsetzung dieser im Einzelfall nicht erzwingbaren Pflicht erfolge durch die in § 22 Abs.4 vorgesehenen Rechtsverordnungen214 • Zum Vergleich können die immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten 215 herangezogen werden 216 • Dies sind unmittelbar geltende Pflichten 217, die nicht nur Maßstabsnormen rur die Genehmigungserteilung und nachträgliche Anordnungen bilden 218 , sondern die sofort und ohne behördliche Anweisung rur die gesamte Dauer des Betriebes zu beachten sind219 • Zur Konkretisierung dieser Grundpflichten dienen Rechtsverordnungen, die aber grundsätzlich gegenüber den Grundpflichten nicht abschließend sind, sondern im Einzelfall durch Rekurs auf die Grundpflichten ergänzt werden 220 • Die Verletzung der Grundpflichten bleibt allerdings sanktionslos, solange sie nicht durch eine Verordnung oder Einzelanordnung konkretisiert worden sind221 • Außerhalb einer konkretisierenden Umsetzung haben Grundpflichten des BlmSchG im wesentlichen die Funktion einer latenten Belastung, durch die der Bestandsschutz eingeschränkt wird und im Einzelfall die Voraussetzungen rur einen Eingriff erleichtert werden, da mit der Belastung "kraft Gesetzes gerechnet werden mußte"222. Eine Pflicht kann auch dann eine Grundpflicht darstellen, wenn sie nur teilweise unmittelbar anwendbar ist, wie etwa die Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr.2 BImSchG223 •

2I3 V gl. Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 91; Hoffmann, DVBI. 1996, S. 900; PeterseniRid, NJW 1995, S. 10. 214 Vgl. v. Kö/ler, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Anm. zu § 22 (S. 129); Dr. Frank Petersen, Vortrag beim IO.Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht, 14.16.09.1994, Thesenpapier, S. 3f.; PeterseniRid, NJW 1995, S. 10. 215 Grundlegend hierzu Petersen, Schutz und Vorsorge, S. 27. 216 Vgl. Petersen, zit. bei Enders, DVBI. 1995, S. 191; PeterseniRid, NJW 1995, S. 10; BrunneriHeber, UPR 1996, S. 296. 217 Vgl. Jarass, BlmSchG-Kommentar, § 5 Rdnr. I; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rdnr. 29; Kutscheidt in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 268, jeweils flir die Betreiberpflicht nach § 5 Abs. 1 BlmSchG.

219

Jarass, BlmSchG-Kommentar, § 5 Rdnr. 1. Vgl. Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rdnr. 29.

220

Vgl. Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rdnr. 45 mit weiteren Nachweisen.

218

Vgl. Kutscheidt in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umwe\trechts, S. 285 filr die Grundpflichten nach § 22 Abs. 1 BImSehG. 221

222

Vgl. Se/lner in FS 25 Jahre BVerwG, S. 612, 616 rur § 5 und § 22 BlmSchG.

223

Vgl. Jarass, BlmSchG-Kommentar, § 5 Rdnr. 1.

B. Grundlagen

119

Eine Qualifizierung als Grundpflicht würde nicht an einer mangelnden Bestimmtheit der "Pflicht zur Wahrnehmung der Produktverantwortung" scheitern. Diese Pflicht wäre nicht weniger konkret als etwa die Grundpflicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG 224 • In § 22 Abs. 1 KrW-/AbfG werden die Adressaten aufgezählt und der Inhalt der Produktverantwortung durch die ausft1hrlichen und relativ konkreten Quasi-Regelbeispiele des Abs. 2 verdeutlicht. Vereinbaren läßt sich die Deutung als Grundpflicht selbst mit den wiederholten Stellungnahmen von Regierungsseite, wonach eine unmittelbare Verpflichtung zur Produktverantwortung ohne konkretisierende Rechtsverordnungen abgelehnt wurde: Wie gezeigt, bedürfen auch Grundpflichten zur Durchsetzung der Konkretisierung. Einer Einordnung der Produktverantwortung als Grundpflicht wird vor allem § 22 Abs. 4 KrW-/AbfG 225 entgegengehalten226 • Diese Bestimmung läßt sich jedoch auch als Hinweis auf den Erlaß von Verordnungen verstehen, die als Konkretisierung allein der Durchsetzung der als Grundpflicht bereits bestehenden Verpflichtung dienenden sollen. In ihr ist nur davon die Rede, durch Verordnung werde bestimmt, "welche Verpflichteten die Produktverantwortung ... zu erfüllen haben" bzw. "ftir welche Erzeugnisse und in welcher Art und Weise die Produktverantwortung wahrzunehmen ist", nicht aber eine Aussage dergestalt, der Umfang der Produktverantwortung oder die Adressaten der Produktverantwortung würden durch Rechtsverordnung bestimmt. Im übrigen findet sich eine Konkretisierung des Adressatenkreises einer Grundpflicht und ihres Inhalts durch Rechtsverordnung auch im Bundesimmissionsschutzrecht. § 22 Abs. 4 wurde dem Verordnungsvorbehalt der Abwärmenutzungspflicht in § 5 Abs. 2 BImSchG nachgebildee 27 • Für ein Verständnis der Produktverantwortung als Grundpflicht spricht, daß nur dies die schon oben erwähnten228 zahlreichen Elemente zu erklären vermag, die auf eine zumindest teilweise unmittelbare Rechtswirkung der Bestimmung hindeuten und die es nicht möglich erscheinen lassen, § 22 als unverbindlichen 224 § 5 Abs. I Nr. I BlmSchG lautet: "Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, daß ... schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können." 225 "Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnungen auf Grund der §§ 23 und 24, welche Verpflichteten die Produktverantwortung nach Abs. I und 2 zu erfüllen haben. Sie legt zugleich fest, tUr welche Erzeugnisse und in welcher Art und Weise die Produktverantwortung wahrzunehmen ist."

226 Vgl. Beckmann, DVB1.I995, S. 315; ders., UPR 1996, S. 45; Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22, Rdnr. 64; Weidemann, NVwZ 1995, S. 634. 227

So PeterseniRid, NJW 1995, S. 10, Fn. 33.

228

Vgl. dazu oben S. 117.

120

I. Teil: Rücknahmepflichten

Programmsatz mit appellativer Wirkung aufzufassen. Wenn die Festlegung der Produktverantwortung ausschließlich über Verordnungen nach § 22 Abs. 4 erfolgen würde, ließe sich nur schwer eine Erklärung ftlr die Existenz der ausftlhrlichen rechtssatzfi)nnigen Bestimmungen in § 22 Abs. I und 2 sowie die explizite Aufnahme der rechtlichen Schrankenbestimmung in Abs. 3 finden. Nicht zu vereinbaren wäre eine derartige Auslegung auch mit der Stellungnahme des damaligen Bundesumweltministers Prof. Dr. Klaus Töpfer, der ausdrücklich von einem "Grundpflichtcharakter" der Nonn sprach229 • Die von ihm erwartete Einbindung der technischen und wissenschaftlichen Dynamik der Produktgestaltung sowie der bessere Rückhalt bei der Durchsetzung von produktbezogenen Rücknahmeverordnungen 230 läßt sich nur mit einer Auslegung begründen, die § 22 Abs. I und 2 eine eigenständige rechtliche Wirkung als Grundpflicht beläßt. Auch bei der Anerkennung als Grundpflicht trifft die Aussage Töpfers 23 \ zu, daß sich die Produktverantwortung in Zukunft allein durch Rechtsverordnungen erzwingen lassen wird. Berücksichtigt werden muß weiterhin, daß sich die Änderungen, die der Vennittlungsausschuß an § 22 anbrachte, inhaltlich sehr eng an die Bundesrats-Vorschläge anlehnten, der sich immer rur eine möglichst weitgehende direkte Geltung der Produktverantwortung ausgesprochen hatte 232 ; dies spricht ftlr eine Auslegung, die der Produktverantwortung nach § 22 eine eigenständige rechtliche Wirkung beimißt. Grund rur die Unsicherheiten bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Produktverantwortung nach § 22 ist letztendlich, daß im Rahmen des Vennittlungsverfahrens gegensätzliche Elemente in § 22 aufgenommen wurden233 : Einerseits wurde § 22 durch Übernahme der Bundesrats-Textvorschläge sehr weitgehend und detailliert ausgestaltet, andererseits erfolgte auf Wunsch der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen die Aufnahme einer Ennächtigung zum Erlaß konkretisierender Rechtsverordnungen. Eine Auflösung dieses in § 22 angelegten Widerspruchs wird noch am besten durch eine Auslegung der Produktverantwortung nach § 22 als Grundpflicht geWährleistet, die einen Komprorniß zwischen den von seiten der Bundesregierung und des Bundesrates vertretenen Pos i-

229 Vgl. Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer in Bundesrat, 672. Sitzung vom 08.07.1994, S. 421. 230

V gl. Bundesumweltminister Prof Dr. Klaus Töpfer, ebd.

23\

Vgl. Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer, ebd.

232

Dies verkennt Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22, Rdnr. 64.

233 So auch Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22. Rdnr. 4: "Mischung von Bundesrats-Stellungnahme und Bundestagsfassung" .

B. Grundlagen

121

tionen bildef34 • Danach dienen Rechtsverordnungen nach Abs. 4 der Umsetzung bzw. Durchsetzung235 der sich bereits aus Abs. I und 2 ergebenden, aber mangels einer solchen Konkretisierung allein nicht durchsetzbaren Pflichten. Die Grundpflicht zur Wahrnehmung der Produktverantwortung kann nur durch Rechtsverordnungen, nicht aber durch Verwaltungsakt konkretisiert werden, da es an einer entsprechenden Befugnisnorm einer Behörde als Voraussetzung filr den Erlaß einer durchsetzbaren Grundverftigung fehlt: Die bloße Statuierung einer Pflicht durch eine Rechtsvorschrift gibt der Behörde nicht das Recht, diese Pflicht durch einen Verwaltungsakt verbindlich festzustellen und durchzusetzen 236 . Es gibt keine filr die Überprüfung der Einhaltung der Pflicht aus § 22 KrW -/AbfG zuständige "Produktions- und Vertriebskontrollbehörde" . Da die Pflicht zur Wahrnehmung der Produktverantwortung ausschließlich in Verbindung mit Rechtsverordnungen nach § 22 i. V. m. §§ 23, 24 KrW-/AbfG durchsetzbar ist, erscheint es berechtigt, von einer "latenten" Grundpflicht zu sprechen 237 • Ihre Bedeutung liegt darin, daß die Verordnungen gegenüber den Grundpflichten nicht abschließend sind, sondern letztere im Rahmen der Verordnungen ergänzend hinzugezogen werden können. Indem die Verordnungen lediglich der Konkretisierung der rechtlich schon existenten Grundpflicht dienen, sind die einzelnen Verordnungsermächtigungen in den §§ 23 und 24 immer in Verbindung mit § 22 KrW-/AbfG zu sehen und bilden zusammen mit diesem eine einheitliche Ermächtigungsgrundlage; sowohl bei der Bestimmung des Umfangs der einzelnen Verordnungsermächtigungen als auch bei der Auslegung von Rechtsverordnungen selbst ist Inhalt und Umfang der Grundpflicht aus § 22 KrW-/AbfG verstärkt zu berücksichtigen. Damit besteht auch ohne den Erlaß von Verordnungen nach § 22 i.V.m. §§ 23 und 24 KrW-/AbfG eine gesetzliche Pflicht zur Wahrnehmung der Produktverantwortung; Verordnungen haben nicht konstitutive, sondern lediglich konkretisierende Wirkung.

234 Vgl. Petersen. 10. Tierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht 1994, S. 60; PeterseniRid, NJW 1995, S. 10. 235 Vgl. Kersting, DVBI. 1994, S. 278.

236 Vgl. BVerwGE 59, 195,201; Jarass, B1mSchG-Kommentar 1993, § 62, Rdnr. 28; Osterloh, JuS 1983, S. 283. 231 So auch Hoffmann, DVBI. 1996, S. 900.

122

1. Teil: RUcknahmeptlichten d) Umfang der Produktverantwortung

aa) Allgemeines

Die Produkt- und Produktions verantwortung erstreckt sich auf Vermeidung, Verwertung und umweltverträgliche Beseitigung2~8 von AbfiUlen. Produktverantwortung bedeutet, daß schon bei der Planung und Herstellung von Produkten vom Abfall her gedacht wird239• Als Folge der Produktverantwortung sollen Kriterien wie Wiederverwendbarkeit, Demontierbarkeit, Langlebigkeit, Reparaturfiihigkeit, sparsamer Materialeinsatz, Verwertbarkeit und minimierte Stofffreisetzung nach Gebrauch bei der Produktkonzeption berücksichtigt werden240 . bb) Arten der Produktverantwortung

Je nach ihrer Ausgestaltung ist Produktverantwortung als eine von drei unterschiedlichen Systemvarianten denkbar. Möglich ist ihre Verwirklichung als Produzentenverantwortung (I), als Produktverantwortung im engeren Sinn (2), sowie als Produktverantwortung im weiteren Sinn (3) (vgl. Abbildung S. 124). (I) Die engste Form der Produktverantwortung ist eine ausschließliche Verantwortung des Herstellers rur seine Produkte, die als Produzentenverantwortung bezeichnet wird24J . Diese kann als individuelle Verantwortung ausgestaltet sein, so daß der Hersteller nur rur die von ihm selbst hergestellten Produkte Verantwortung trägt; denkbar wäre aber auch die Auferlegung einer Produktverantwortung als Branchenverantwortung dergestalt, daß den Herstellern Verantwortung filr die von ihnen produzierte Warengattung auferlegt wird242 und ein eventuell notwendiger finanzieller Ausgleich zwischen den einzelnen

238 Vgl. Beschlußempfehlung des Umweltausschusses zum KrW -IAbfG, BT-Drs.121 7240, S. 2. 239 Vgl. Bundesregierung, Begründung zum Entwurf des KrW -IAbfG, BT-Drs.12/5672, S. 2; Schink/Schwade, Stadt und Gemeinde 1993, S. 18. 240 Vgl. Niedersächsische Umweltministerin Monika Grie/ahn (SPD) in Bundesrat, 672. Sitzung vom 08.07.1994, S. 420. 24 J Vgl. Entwurf IT-Geräte-Verordnung, BMU WA " 3 - 30 114/8 vom 10.02.1996, Begründung S. 1. 242 In diese Richtung ging der ursprüngliche Entwurf der Elektronikschrottverordnung vom 11.07.1991; danach sollte derjenige, der Geräte herstellt oder vertreibt, dadurch "in eine 'solidarische Haftung' aller Wettbewerber" eintreten, "jeweils gleichartige Geräte zurücknehmen, verwerten und entsorgen zu mUssen", vgl. BMU, Pressemitteilung Nr. 50/91 vom 11.07.1991, S. 5.

B. Grundlagen

123

Produzenten privaten Einzelabsprachen vorbehalten bleibt. Diese Systemvariante wurde im KrW -/AbfD nicht verwirklicht. (2) Vorgesehen wurde im KrW-/AbfD in §§ 22ff. demgegenUber eine Produktverantwortung im engeren Sinn. Dies ist eine Verantwortung der das Produkt herstel1enden und vermarktenden Wirtschaftskreise als materiel1es GegenstUck zum damit verbundenen wirtschaftlichen VorteiJ243. Adressaten dieser Verantwortung sind neben den Herstel1ern 244 auch die Vertreiber der Produkte, wobei diese Verantwortung wiederum grundsätzlich als individuel1e Verantwortung oder als Branchenverantwortung fiir die hergestel1te oder vertriebene Produktgattung ausgestaltet werden kann. Da nur durch eine individuel1e Verantwortung vol1ständig gewährleistet ist, daß Herstel1er und Vertreiber wirklich mit den Folgen "ihres" Produktes konfrontiert werden und nicht fiir Versäumnisse von anderer Seite einzustehen haben, entspricht die Ausgestaltung als individuel1e Verantwortung besser dem Grundgedanken der Produktverantwortung und ist als Regelungsansatz vorzuziehen. Auch § 22 liegt - wie gezeigt245 - das Verständnis der Produktverantwortung als individuel1e Verantwortung und nicht als Branchenverantwortung zugrunde. Ein RUckgriff auf Branchenkonzepte (also eine Aufgabe des Grundsatzes, daß jeder nur fiir seine "eigenen" Produkte Verantwortung trägt) bleibt aber trotzdem Uberal1 dort möglich, wo eine Sicherstel1ung der Identität der Produkte nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand zu bewerkstelligen ist. Grund daftlr kann die große Produktzahl, die Zahl der Vertriebsstel1en sowie eine stattfindende Vermengung der Produkte sein. In diesem Fal1 kann also die Beschränkung auf "eigene" Produkte zugunsten einer Gruppen- bzw. Branchenverantwortlichkeit aufgegeben werden 246 .

§ 22 KrW -/AbfD geht von der Basis der erzeugten Produkte aus und enthält keine generel1e Aufforderung, auf die Herstel1ung oder den Vertrieb umweltbelastender Produkte ganz zu verzichten. Dies wUrde al1e Produkte treffen, die später zu Abfal1 werden. Al1erdings sol1 dadurch, daß Herstel1er und Vertreiber Verantwortung für ihre Produkte Ubernehmen mUssen, indirekt bewirkt werden, daß im Einzelfal1 die Sinnhaftigkeit der Herstel1ung oder des Vertriebs des jeweiligen

243 Ähnlich in Hinblick auf die Herleitung der Entsorgungsverantwortung der Hersteller aus dem Verursacherprinzip Lueder in Rengeling (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, S. 189. 244 Dies umfaßt Grundmaterialienhersteller, Entwickler, Be- und Verarbeiter, vgl. ausführlich oben S. 111. 245 Siehe oben S. 111. 246 Vgl. ähnlich Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S.83.

124

1. Teil: Rücknahmepflichten Tabelle Arten der Produktverantwortung

Alternativen

Produzentenverantwortung

Produktverantwortung im engeren Sinn

Produktverantwortung im weiteren Sinn

Adressaten

Hersteller

... als individuelle Verantwortung für das Produkt ... als Branchenverantwortung für die Produktgattung ... als individuelle Verantwortung für das Produkt

Hersteller Vertreiber

Hersteller Vertreiber

... als Branchenverantwortung für die Produktgattung ... als individuelle Verantwortung für das Produkt ... als Branchenverantwortung für die Produktgattung

Konsumenten

Beschreibung

verwirklicht

ausschließliche Verantwortung des Produzenten

-

Verantwortung der das Produkt herstellenden und vermarktenden Wirtschaftskreise als materielles Gegenstück zum damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteil

§ 22 KrW-/ Abtu

umfassende Verantwortung aller Beteiligten in der konsekutiven Handlungskette von der Herstellung bis zur Entsorgung

-

Produktes hinterfragt und eine Verminderung bzw. Einstellung zumindest erwogen wird247 • (3) Möglich wäre schließlich noch die Einftlhrung einer Produktverantwortung im weiteren Sinn gewesen, die sich zusätzlich zu Herstellern und Vertreibern auch an den Konsumenten des Produktes gerichtet hätte. Diese Variante der 247 Erzwungen werden kann dies über Rücknahmepflichten allerdings aufgrund § 22 Abs. 3 LV. m. § 5 Abs. 4 KrW-/Abtu nicht, vgl. unten S. 188.

B. Grundlagen

125

Produktverantwortung hätte eine umfassende Verantwortung aller Beteiligten in der konsekutiven Handlungskette von der Herstellung bis zur Entsorgung vorgesehen. Wie gezeigt, wurde eine solche Ausrichtung auf den Kunden im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch - im Ergebnis zu Recht - aufgegeben 248 •

ce) Produktverantwortung als Verantwortungfür den gesamten Lebenszyklus? Die Produktverantwortung sollte als ganzheitlicher Ansatz eine umfassende 249 Verantwortung von Herstellern und Vertreibern rur den gesamten Lebenszyklus250 der Produkte ("Von der Wiege bis zur Bahre") begründen25 I, also von der Entwicklung bis zur Abfallbeseitigung252 ; dazu müßte sich die Verantwortung neben den Bereichen Herstellung, Vertrieb, Verwertung und Beseitigung auch auf den Gebrauch des Produktes beziehen253 • Eine zumindest grundsätzliche Erstreckung der Produktverantwortung auch auf den Bereich des Gebrauchs ist sinnvoll. Selbst bei Belastungen, die auf dem Verhalten des Kunden beruhen, ist es Herstellern und Vertreibern möglich, etwa durch Hinweise oder Kundeninformation auf eine abfallminimierende Nutzung der Produkte hinzuwirken. Zumindest die Hersteller sind wegen ihrer besonderen Produktkenntnis zur Abgabe solcher Hinweise fachlich besonders geeignet und verfUgen auch im Rahmen der den Produkten oft beiliegenden Produktbeschreibungen oder Bedienungsanleitungen über herausragende Möglichkeiten, die relevanten Informationen dem Kunden zuzuleiten. Eine Produktverantwortung, die den ganzen Lebenszyklus umfassen will, müßte eine Verpflichtung von Herstellern und Vertreibern beinhalten, die beim

248

Vgl. oben S. 112.

Vgl. Bundesumweltminister Prof Dr. Klaus Töpjer, Pressemitteilung 86/92 vom 21.09. 1992, S. 3. 249

250 V gl. Bundesumweltminister Prof Dr. Klaus Töpfer, zit. bei Sendler/Ochtendung, ZUR 1994, S. 327; MdB Dr. Paul Laufs (CDU), Protokoll 50. Sitzung des Deutschen Bundestages 12.WP, 17.10.1991, S. 4119; Kremer, BB 1993, Beilage 9, S. 17; v. Geldern, Wege aus dem Wohlstandsmüll, S. 66. 251 Vgl. Bundesumweltminister Prof Dr. Klaus Töpfer, der städtetag 1993, S. 374; MdB Steffon Kampeter (CDU/CSU), Stenographischer Bericht 98. Sitzung Deutscher Bundestag vom 18.04.1996, S. 8736. 252 V gl. StS beim BMU Clemens Stroetmann in Wirtschaftsdienst 1993, S. 229 zur VerpackV. 253

Vgl. bejahend etwa GruberlGroße OphojJ, Al 1996, S. 39.

126

1. Teil: Rücknahmepflichten

bestimmungsgemäßen Gebrauch der Produkte anfallende Abfallmenge und Abfallart schon bei der Produktkonzeption zu berücksichtigen. Sofern nämlich die Entstehung von Abfall während des Gebrauchs durch eine bestimmte Produktgestaltung verhindert werden kann254 , so sind Hersteller und Vertreiber die richtigen Adressaten einer Änderungspflicht. Ob aber §§ 22fT. KrW-/AbfG wirklich eine derartige umfassende Verantwortung von Herstellern und Vertreibern für den ganzen Lebenszyklus des Produktes - einschließlich seines Gebrauches begründen, könnte bezweifelt werden. Zwar wird von § 22 Abs. I S. 2 KrW-/ AbfG nicht nur die umweltverträgliche Verwertung und Beseitigung der gebrauchten Erzeugnisse angesprochen, sondern auch die Verminderung der Abfallentstehung bei deren Herstellung und Gebrauch sowie die umweltverträgliche Verwertung und Beseitigung der bei deren Gebrauch entstehenden Abflille. Denkbar wäre danach selbst ein Fortbestehen der Verantwortung "über die Bahre hinaus", da sie nicht mit der Beseitigung des gebrauchten Produktes endet, sondern etwa für die bei der Produktnutzung entstandene Abflille fortbestehen kann. Diese grundsätzliche Einbeziehung der bei Gebrauch entstehenden Abflille in den Blickwinkel der Produktverantwortung findet in den weiteren Bestimmungen der §§ 22fT. keine weitere Konkretisierung. Dies kann aber die Geltung der in § 22 Abs. I S. 2 ausgesprochenen Pflicht, das Entstehen von Abfall beim Gebrauch des Produktes bei der Produktgestaltung "möglichst" zu berücksichtigen, nicht beeinträchtigen, da es sich bei der Produktverantwortung nach § 22 um eine Grundpflicht handelt, die auch ohne eine weitere Konkretisierung als - wenngleich nicht durchsetzbare Verpflichtung - besteht255 • Von der Grundpflicht zur Wahrnehmung der Produktverantwortung nach § 22 Abs. I S. 2 wird damit zumindest die Pflicht umfaßt, bei der Produktkonzeption den Gedanken einer Minderung des beim Gebrauchs anfallenden Abfalls zu berücksichtigen. Unter "Gestaltung" des Produktes im Sinn des § 22 Abs. I S. 2 KrW-/AbfG flillt es auch, das Produkt mit Hinweisen zu versehen, so daß daraus auch eine - wenngleich nicht durchsetzbare - Pflicht folgt, Kunden auf bestehende Möglichkeiten zur Abfallminderung während des Gebrauchs aufmerksam zu machen. Dies könnte etwa beim Verkauf eines Druckers, der auch mit nachfüllbaren Patronen betrieben werden kann, durch den Hinweis auf die Existenz der254 Beispiele dafiir sind etwa Getränkeautomaten, die entweder die Getränke ausschließlich in Einwegbechern abgeben, oder die - je nach Wahl- die Abfllllung auch in benutzereigene Becher ermöglichen; Drucker, die nach ihrer Konzeption nur die Verwendung von Einmal-Tintenpatronen zulassen, oder die auch mit wiederauffiillbaren Patronen betrieben werden können; Faxgeräte, die spezielles Thermo-Papier beschriften, das dann fllr Archivzwecke oft erneut aufNormalpapier kopiert werden muß, im Vergleich zu Faxgeräten, bei denen bereits die Textausgabe aufNormalpapier erfolgt. 255

V gl. dazu oben S. 120.

B. Grundlagen

127

artiger NachfilIIsysteme geschehen. Eventuelle Befilrchtungen, die Annahme solcher Pflichten filhre zu einem zu starken Eingriff in das Wirtschaftsleben, wären unbegründet, da §§ 23 und 24 KrW-/AbfD keine Verordnungsermächtigungen enthalten, mittels derer diese Pflichten soweit konkretisiert werden könnten, daß sie dem einzelnen gegenüber durchsetzbar wären. Damit kann die Produktverantwortung nach § 22 letzIich als umfassende Verantwortung von Herstellern und Vertreibern filr den gesamten Lebenszyklus der Produkte bezeichnet werden. Mit der Einbeziehung der beim Gebrauch entstehenden oder nach dem Gebrauch entstandenen Abfiille geht sie zeitlich und inhaltlich sogar über die reine Verantwortung rur das Produkt selbst hinaus.

4. Parallelen Im Folgenden wird gezeigt, inwieweit Parallelen zwischen dem Grundsatz der Produktverantwortung und bestehenden Regelungen oder Grundsätzen bestehen, und danach gefragt, ob die Produktverantwortung daher als Neuerung oder als Ausdehnung anzusehen ist.

a) Zivilrechtliche Produkthaftung Die zivilrechtliche Produkthaftung läßt sich einteilen in die allgemeine Produzentenhaftung nach § 823 BGB und in die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHG)256 von 1989, die nebeneinander anwendbar sind (vgl. § 15 Abs.2 ProdHG)257. Eine Produzentenhaftung ergibt sich nach § 823 I BGB, sofern aufgrund einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Hersteller ein fehlerhaftes Produkt in Verkehr gebracht wird258 • Notwendig ist hier ein Verschulden des Herstellers, also ein zumindest fahrlässiger Verstoß gegen die Verkehrssicherungspfliche 59 . Der Beweis dafilr, daß eine auf einem Produktfehler beruhende Rechtsverletzung nicht aus einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht folgt, obliegt nach der von der Rechtsprechung vorgenommenen Beweislastverteilung

256 Gesetz über die Haftung rur fehlerhafte Produkte, BGB\. I 1989, S. 2198. 257 Vg\. auch Teichmann in Jauemig, BGB, § 823 Anm. E) 1. a.E.; Anhang § 823, § 15 ProdHG, Anm. I. 258

V g\. Thomas in Palandt, BGB, § 823, Rdnr. 202.

259

V gl. Thomas in Palandt, BGB, § 823, Rdnr. 205.

128

I. Teil: Rücknahmepflichten

dem Hersteller60 . Als Hersteller gilt derjenige, der das Produkt herstellt und in Verkehr bringt; Zulieferer sind filr ihren Bereich Hersteller61 , ebenso wie derjenige, der auf dem Markt als Hersteller aufgetreten ist, ohne jedoch das Produkt tatsächlich hergestellt zu haben ("Quasi-Hersteller")262. Der Produktbegriff erfaßt alle industriellen Erzeugnisse 263 einschließlich NahrungsmitteJ264. Das Produkthaftungsgesetz enthält Bestimmungen über eine verschuldensunabhängige Haftung des Hersteller filr Folgeschäden aus der Benutzung eines Produktes, die ein Verbraucher oder eine sonstige Person infolge eines Fehlers des Erzeugnisses erleidet265 . Hersteller ist nach § 4 Abs. I S. I ProdHG der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffes oder eines Teilproduktes. Auch derjenige, der sich lediglich als Hersteller ausgibt, indem er etwa seinen Namen am Produkt anbringt, ist Hersteller im Sinn des ProdHG (§ 4 Abs. I S. 2 ProdHG). Ebenfalls der Produkthaftung unterfällt derjenige, der Produkte aus einem Land außerhalb der EU importiert (§ 4 Abs. 2 ProdHG). Schließlich besteht eine Haftung des Lieferanten - allerdings nur als reine Auffanghaftung266 - filr den Fall, daß der Hersteller nicht festgestellt werden kann. Nicht erfaßt wird, wer selbständig Teile des Produktionsprozesses "ohne Produktionsfunktion" erfilllt, wie dies etwa filr ein Planungsbüro oder ein Kontrollinstitut angenommen wird267 . Vom Produktbegriff des ProdHG in § 2 wird mit Ausnahme noch nicht verarbeiteter Naturprodukte jede bewegliche Sache umfaßt, und zwar unabhängig davon, ob das Produkt individuell als Einzelstück angefertigt wurde oder industriell in größerer ZahJ268. Nicht unter den Produktbegriff fällt grundsätzlich Abfall als solcher, da dieser nicht als Produkt in Verkehr gebracht wird269 .

260 Vgl. BGHZ 51, 104; 116, 111; Teichmann in Jauemig, BGB, § 823 Anm. E) 3. b) ff). 261 Vgl. Mertens in MünchKomm Bd.3/2, 2. Aufl., § 823, Rdnr. 288; Teichmann in Jauemig, BGB, § 823 E) 3. a) aal. 262 Vgl. Thomas in Palandt, BGB, § 823, Rdnr. 216 mit Hinweis aufBGHZ 40, 108 und 51, 91; nicht ausreichend ist dafiir die bloße Anbringung einer anderen Handelsmarke, vgl. BGH NJW 1980, S. 1219; Teichmann in Jauemig, BGB, § 823 Anm. E) 3. a) aal. 263 Vgl. Mertens in MünchKomm Bd.3/2, 2. Aufl., § 823, Rdnr. 287. 264 Vgl. BGHZ 59, 303, 309 (Wasser); BGH VersR 1954, S. 100 (Milch). 265 Vgl. Thomas in Palandt, BGB, ProdHaftG, Einf. Rdnr. I. 266 Vgl. Taschner/Frietsch, ProdHG-Kommentar, § 4 ProdHG, Rdnr. 64. 267 Vgl. DiederichseniFoerste in HdUR Bd.2, Sp.1661; Teichmann in Jauemig, BGB, § 823, Anhang, §§ 1-4 ProdHG, Anm.3 a). 268 Vgl. TaschneriFrietsch, ProdHG-Kommentar, § 2 ProdHG, Rdnr. 11; Thomas in Palandt, BGB, ProdHaftG, § 2, Rdnr. I. 269 Vgl. Taschner/Frietsch, ProdHG-Kommentar, § 1 ProdHG, Rdnr. 61; Thomas in Palandt, BGB, ProdHaftG, § 2, Rdnr. I.

B. Grundlagen

129

Die zivilrechtliche Produkthaftung zielt nur auf den Ersatz eines durch ein fehlerhaftes Produkt bewirkten Schadens und kann daher nur bedingt mit der hier erörterten umfassenden "neuen" Produktverantwortung verglichen werden. Sie eignet sich somit nicht als partielle Stütze des Grundsatzes der "neuen" Produktverantwortung. Parallelen können aber in Bezug auf Adressaten und Haftungsgegenstand (Produktbegrift) gezogen werden. Die im Bereich des Zivilrechts vorgenommene Verteilung der Produkthaftung kann daher bei der Bestimmung des Umfangs der "neuen" Produktverantwortung als Material vergleichend herangezogen werden. Ob aufgrund der Produktverantwortung nach § 22 KrW-/ AbfG zukUnftig ein Fehler des Produktes im Sinn des ProdHaftG auch dann anzunehmen sein wird, wenn die Entsorgungssicherheit des Produktes nicht mit einbezogen worden ist2 70 , erscheint dagegen eher zweifelhaft.

b) Verhältnis des Grundsatzes der "neuen" Produktverantwortung zum Verursacherprinzip Der Grundsatz der "neuen" Produktverantwortung wird oft in Zusammenhang mit dem Verursacherprinzip gebracht2 71 • Die Produktverantwortung sei "geradezu ein Paradebeispiel ftlr die Umsetzung des Verursacherprinzips"272. Auch von der Bundesregierung wurde in der BegrUndung zum Gesetzesentwurf die Zuweisung der Entsorgungsverantwortung an Hersteller oder Vertreiber von Produkten nach der RUcknahme mit dem Verursacherprinzip begrUndet273 • Hersteller und Vertreiber von Produkten, die nach Gebrauch voraussichtlich zu Abfall werden und dadurch die Umwelt belasten, sind Verursacher im Sinn des Verursacherprinzips, da sie in einer konsekutiven Handlungskette verbunden

270 So Marburger, zit. bei Reiter, NVwZ 1995, S. 155; vgl. auch Hoffmann, DVBI. 1996, S. 900; rur eine Einbeziehung von Entsorgungseigenschaften in den Fehlerbegriff des § 3 Abs. I ProdHaftG schon Hager in Blaurock (Hrsg.), Verantwortlichkeit rur Abfall in Deutschland und Frankreich, S. 47ff. 271 Vgl. z.B. Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer in Abfallwirtschaftsjoumal 1994, S. 453; Hadamitzky in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 68; Hoffmann, DVB1.1996, S. 348.

272

Kersting, DVBI. 1994, S. 278.

273 Vgl. Bundesregierung, Begründung Entwurf KrW-IAbfG. BT-Drs. 12/5672, S. 37; ebenso Lüder (Generaldirektion Binnenmarkt und Finanzdienste der Europäischen Kommission), zit. bei Köster, UPR 1994, S. 179 sowie bei Kersting, DVB1.1994, S. 515; allgemein zu Rücknahmepflichten auch SV Dr. Michaelis in Umweitausschuß, Protokoll der 53.Sitzung vom 10.05.1993, S. 115. 9 Bauemfeind

l. Teil: RUcknahmepflichten

130

sind, an deren Ende die Umweltbelastung stehf74 • Insofern ist die Wertung des Grundsatzes der Produktverantwortung als Umsetzung des Verursacherprinzips zutreffend. Unzutreffend wäre aber eine Gleichsetzung des Grundsatzes der Produktverantwortung mit dem Verursacherprinzip, da bei konsumbedingten Umweltbelastungen auch der Konsument Verursacher im Sinne des Verursacherprinzips ist. Die Verengung des Adressatenkreises auf Hersteller und Vertreiber durch die Ausklammerung des Konsumenten zeigt, daß das Verursacherprinzip und der Grundsatz der Produktverantwortung höchstens teilidentisch sein können.

c) "Cradle-to-grave" -Prinzip Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde von verschiedenen Seiten ein Bezug zwischen der Verankerung des Grundsatzes der Produktverantwortung und dem "Cradle-to-grave"-Prinzip hergestellt275 • Auch in der Literatur wird die Produktverantwortung zum Teil als Ausdruck dieses Prinzips angesehen 276 • Beim sogenannten "Cradle-to-grave"-Prinzip, das aus dem amerikanischen Rechtskreis stammt, handelt es sich hauptsächlich um ein umweltpolitisches Prinzip; umweltrechtiiche Qualität ist ihm bisher nur in Einzelbereichen zugekommen277 • Unter diesem Prinzip wird die Kontrolle bestimmter Problemstoffe während ihrer gesamten Lebenszeit verstanden. Der Grundsatz der Produktverantwortung ähnelt zwar insoweit dem "Cradle-to-grave-Prinzip", als auch er die Verantwortung rur das Produkt auf den gesamten Zeitraum erstreckf78 , unterscheidet sich aber andererseits dadurch maßgeblich vom "Cradle-to-grave"-Prinzip, als er sich nicht auf bestimmte, besonders problematische Stoffe beschränkt.

274

Vgl. oben S. 88.

Vgl. MdB Birgi! Homburger (FDP), Stenographischer Bericht 50. Sitzung Deutscher Bundestag vom 17.10.1991, S. 4113 (die Wirtschaft mUsse "kUnftig eine Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus von Produkten tragen - von der Entwicklung über die Produktion bis zur Entsorgung" - Zuruf von der SPD auf diese Äußerung (ebd.): "Von der Wiege bis zur Bahre!"); MdB Harald B. Schäfer (SPD), ebd. S. 4127, forderte "eine ökologische Bewertung von Produkten und Produktionsverfahren 'von der Wiege bis zu Bahre' - von der Rohstoffgewinnung, von der Rohstoffverwertung, von der Produktion von Zwischenprodukten bis hin zur Entsorgung". 275

276

Vgl. Hoffmann, DVB1.1996, S. 348.

So etwa in § 12 AbfG, vgl. Hoppe/Beckmann, Umweltrecht. § 28, Rdnr. 86; Kloepfer, Umweltrecht § 3 Rdnr. 24 ("gebietsspezifische Modifikation und nicht ohne weiteres auf das gesamte Umweltrecht Ubertrai',are Steigerung des Vorsorgeprinzips"). 278 Vgl. dazu oben S. 125fT. 277

B. Grundlagen

131

Weiterhin ist sein Ziel nicht die Kontrolle dieser Stoffe, sondern die generelle Zurechnung der mit ihrer Beseitigung oder Verwertung verbundenen Umweltprobleme.

d) Neuerung oder Ausdehnung? Wie gezeigt, bestehen zwar Parallelen und Berührungspunkte des Grundsatzes der "neuen" Produktverantwortung mit bereits bestehenden Grundsätzen; zumindest eine vollständige Entsprechung ist jedoch nicht gegeben. Die Frage, ob es sich bei der Produktverantwortung um eine Neuschöpfung oder aber um die Erweiterung eines schon vorher bestehenden Grundsatzes handelt, wird uneinheitlich beantwortet. Einerseits wird ausgeruhrt, das Kreislaufwirtschaftsgesetz solle eine spezielle "neue" Produktverantwortung begründen 279 ; andererseits wiederum wird die Produktverantwortung nach dem KrW -/AbtU als Ausdehnung der Verantwortung von Produzenten und Vertreibern 280 auf den Bereich der Verwertung und der umweltfreundlichen Beseitigung angesehen. In diese Richtung weist insbesondere § 22 Abs. 3 KrW -/AbfG. Darin ist davon die Rede, "im Rahmen der Produktverantwortung nach Absatz I und 2" seien unter anderem "die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergebenden Regelungen zur Produktverantwortung ... zu berücksichtigen". Diese Position wurde auch von der Bundesregierung im Entwurf zum KrW -/AbtU vertreten. Ihrer Ansicht nach wird durch die vorgesehenen Regelungen die "bereits heute grundsätzlich gegebene Produktverantwortung der Hersteller und Vertreiber ... inhaltlich konkretisiert"281. Dabei ging sie von einem weiten Begriff der Produktverantwortung aus und sah den Begriff der "Produktverantwortung" als Oberbegriff zu allen Anforderungen an das Produkt, die der Hersteller zu erfilllen oder rur deren Nichterfilllung er einzustehen hae 82 . So verstanden ist eine Bezeichnung der Pro279 Vgl. Bundesumweltministerium, Pressemitteilung vom 17.07.1992, S. I; StS beim BMU Stroetmann, BB 1993, Beilage 9, S. 4; v. Köller in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 10 und S. 14; Ansicht, daß bisher noch keine Produktverantwortung existierte, geteilt von SRU, Sondergutachten Abfallwirtschaft, Tz. 151; Hadamitzky in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 68 ("neu normierte Umweltanforderung"); wohl auch Schenkel/Reiche, ZAU 1993, S. 193. 280 Vgl. Schink/Schwade, Stadt und Gemeinde 1993, S. 18; v. Köller in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 12. 281 Bundesregierung, Begründung Entwurf KrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672, S. 47. 282 Vgl. Bundesregierung, Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Drs. I 2/5672, S. 130: "Wesentliche Ziele der Produktverantwortung bestehen nicht ausschließlich darin, Erzeugnisse nach Gebrauch oder Verbrauch umweltverträglich zu entsorgen. So sollten z.B. Kraftfahrzeuge möglichst auch verkehrstaug-

132

I. Teil: RUcknahmepflichten

duktverantwortung als Ausdehnung sicher zutreffend; bezogen auf den abfallrechtlichen Aspekt wäre eine Charakterisierung als Ausdehnung oder Neuschöpfung aufgrund der Tatsache, daß nur zum Teil Berührungspunkte und Parallelen mit bestehenden Prinzipien existieren, dagegen eine reine Wertungsfrage.

5. Rücknahmepjlichten nach § 24 KrW-/AbjG als Mittel zur Umsetzung der Produktverantwortung

Die Produktverantwortung nach § 22 KrW -/AbfG wird durch Rechtsverordnungen nach §§ 23 und 24 KrW-/AbfG umgesetzt. Während § 23 die Festlegung von Anforderungen an Produkte in Form von Verboten, anderen Beschränkungen und von Kennzeichnungsptlichten vorsieht, wird in § 24 insbesondere der Bereich der Rücknahmeptlichten angesprochen. Die Festlegung konkreter, stoffund produktbezogener Durchftlhrungsbestimmungen durch Rechtsverordnungen bildet nicht nur eine notwendige Voraussetzung der Durchsetzung der Grundpflicht aus § 22; sie ist auch umweltpolitisch sinnvoll, da sie eine schnelle und flexible Anpassung der Anforderungen an die technische Entwicklung ermöglicht.

a) Frage eines Vorrangs der indirekten Steuerung der Produktverantwortung über Rücknahmeptlichten Als wichtiges Mittel zur Umsetzung der "neuen" Produktverantwortung werden Rücknahmeptlichten genannt283 • Von seiten der Politik wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ein Vorrang der indirekten Steuerung der Produktgestaltung, gerade auch in Form von Rücknahmeptlichten, vor direkten Verboten und Beschränkungen behauptef84 : Die Steuerung der Produktgestaltung solle "vorrangig" über verordnete Rücknahmeptlichten erfolgen 285 , da diese die Pro-

Iich sein. In diesem Zusammenhang kommt anderen sicherheitstechnischen Anforderungen oder Anforderungen des Umweltschutzes, z.B. an die Abgasreinigung, ebenso Bedeutung zu wie abfallwirtschaftlichen Belangen.". 283 Vgl. BegrUndung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW-/AbfD, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 47; ParI. StS beim BMU Waller Hirche, MdB, Antwort vom 06.11.1995 auf schriftliche Frage Nr. 241 vom 25.10.1995; Vetter, BB 1993, Beilage 9, S. 11. 284

Vgl. Pressemitteilung Bundesumweltministerium vom 17.07.1992, Anlage Tz.3.

285 V gl. Bundesumweltministerium, Eckwerte filr eine Neufassung des Abfallgesetzes vom 04.05.1992, S. 43; Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW-/AbfD, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 31f.

B. Grundlagen

133

duktverantwortung "am besten" verwirklichten286 und durch die Übertragung des "Entsorgungsdrucks" auf Hersteller und Vertreiber "schnellere und effektivere Innovationen und Problemlösungen" gewährleisteten, "als sie bei direkten Eingriffen in die Produktgestaltung möglich wären"281. Eine umfassende Steuerung von Stoffströmen nach streng ökologischen bzw. abfallrelevanten Gesichtspunkten würde nach Ansicht der Bundesregierung ein tiefgestaffeltes und letztlich nicht beherrschbares System ordnungsrechtlicher Vorgaben voraussetzen und sich zum Hemmnis rur Produktinnovationen entwickeln288 . Über ordnungsrechtliche Instrumente sei der gewünschte Strukturwandel nur sehr bedingt zu erreichen 289 ; mit der Betonung der indirekten Steuerung durch Rücknahmepflichten gehe die Bundesregierung dagegen "von der Eigenverantwortung bzw. persönlichen Freiheit im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft" aus 290 . Rücknahmepflichten werden als wesentlich weniger restriktiv als direkt lenkende Eingriffe in Produktionsprozesse empfunden, weil sie einen dezentralen Anpassungsspielraum offenlassen 291 . Auch in der Literatur wird teilweise ein "Vorrang" von Rücknahme- und Rückgabepflichten vor Verboten und Beschränkungen bejahf92 . Dieser zumindest politisch gewollte Vorrang der Regelung der Produktgestaltung über Rücknahmepflichten gegenüber direkten Eingriffen findet sich im Gesetzestext aber nicht wieder: Die Verordnungsermächtigungen zum Erlaß von Verboten, Beschränkungen und Kennzeichnungen in § 23 stehen gleichberechtigt neben den Ermächtigungen zum Erlaß von Rücknahmeverordnungen in § 24 KrW-/AbfG. Ein Vorrang rur den Erlaß von Rücknahmeverordnungen gegenüber der Vornahme direkter Eingriffe in die Produktgestaltung kann sich allerdings ergeben, wenn diese in der konkreten Konstellation als weniger belastend einzustufen sind. Auf die Frage des Einflusses des Verhältnismäßigkeitsgrund-

286 Vgl. Vetter, BB 1993, Beilage 9, S. 11. 281 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 31. 288 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 32. 289 Vgl. Bundesregierung, Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 115. 290 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW-/AbfG, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 31. 291 Vgl. Hecht, Wirtschaftsdienst 1993/IX, S. 485. 292 Vgl. Kersting, DVBI. 1994, S. 278; SchinkiSchwade, Stadt und Gemeinde 1993, S. 19; v. Köller in Kormann (Hrsg.), Abfallrecht und Abfallwirtschaft, S. 14.

134

1. Teil: Rücknahmepflichten

satzes auf den Umfang und die Gestaltung von Rücknahmeptlichten wird später noch genauer einzugehen sein 293 •

b) § 24 KrW-/AbfG

§ 24 Abs. 1 sieht unter anderem den Erlaß von Rechtsverordnungen vor, nach denen Hersteller und Vertreiber "bestimmte Erzeugnisse nur bei Eröfthung einer Rückgabemöglichkeit abgeben oder in Verkehr bringen dürfen" (Nr. 1), "bestimmte Erzeugnisse zurückzunehmen und die Rückgabe durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Rücknahmesysteme oder durch die Erhebung eines Pfandes sicherzustellen haben" (Nr. 2) sowie daß sie "bestimmte Erzeugnisse an der Abgabe- und Annahmestelle zurückzunehmen haben" (Nr. 3). Durch Rechtsverordnungen nach Absatz 2 kann unter anderem bestimmt werden, wer die Kosten rur die Rücknahme, Verwertung wld Beseitigung der zurückzunehmenden Erzeugnisse zu tragen hat (Nr. I) und auf welche Art und Weise diese zu überlassen sind (Nr. 3); auch kann eine Rückgabeptlicht des Besitzers von Abfallen vorgesehen werden (Nr. 2). Weiterhin können Regelungen über eine Einbindung der Entsorgungsträger in die Erfassung der Abfalle und eine nachfolgende Überlassungsptlicht an den Rücknahmeptlichtigen getroffen werden (Nr. 4) sowie die Art und Weise der Überlassung an die Rücknahmeptlichtigen näher bestimmt werden (Nr. 3). aa) Aus den unterschiedlichen Umschreibungen der Anforderungen an die Rücknahme in § 24 Abs. 1 Nr. 1-3 ist nicht zu folgern, dabei handele es sich um jeweils im Einzelfall voneinander abgrenzbare, unterschiedliche Formen von Rücknahmeptl ichten 294 • Gegenüber dem Regierungsentwurf wurden die in § 24 enthaltenen Verordnungsermächtigungen im Berichterstatterentwurf lediglich redaktionell überarbeitet295 und später unverändert vom Vermittlungsausschuß übernommen. Ausweislich der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf waren die in § 24 verwandten Formulierungen vornehmlich als KonsolidieTWlg des bestehenden Rechtszustandes gedacht2 96 • Während eine dem § 24 Abs. I Nr. 3 KrW-/ 293

Dazu ausfllhrlich unten ab S. 156.

294

Vgl. Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 24, RdNr. 69.

295

Vgl. Bericht des Umweltausschusses, BT-Drs. 12/7284, S. 20. Nr. 2 und 3.

Vgl. Bundesregierung, Begründung zum damaligen § 22 des Gesetzesentwurfs, BTDrs 12/5672, S. 47: "Hier werden die bewährten Regelungen der Rücknahmepflichten aufgegriffen und um die Möglichkeit der Verordnung einer Rückgabepflicht ergänzt. Aus den Erfahrungen in Verbindung mit der VerpackV werden darüberhinaus Regelungsmöglichkeiten fIlr den Ort der Übernahme und die Kostentragungspflicht geschaffen." 296

B. Grundlagen

135

AbfG entsprechende Bestimmung im Abfallgesetz von 1986 fehlte, ähnelt § 24 Abs. I Nr. I KrW-/AbfG dem bisherigen § 14 Abs. I Nr. 3 AbfG, § 24 Abs. I Nr.2 KrW-/AbfG dem § 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 AbfG. Dort wurde den unterschiedlichen Formulierungen Bedeutung filr die Frage beigemessen, ob der Rücknahmepflichtige das Produkt selbst zurückzunehmen hat oder ob er die Pflichterfilllung auch durch eine zumutbare Rücknahme durch einen Dritten sicherstellen könne 297 • Eine solche Unterscheidung ist jedoch verfehlt, da bei beiden Alternativen die Möglichkeit zur Beauftragung Dritter mit der Pflichterfilllung besteht298 • Die von § 24 Abs. I Nr. I KrW-/AbfG verlangte "Eröffnung einer Rückgabemöglichkeit" kann über einen Dritten geschehen, der sich etwa auf der Basis einer vertraglichen Vereinbarung zur Rücknahme bereit erklärt299 ; notwendig ist dann aber, daß die Rückgabemöglichkeit nicht nur zugesichert wird, sondern das Bestehen einer zumutbaren Rückgabemöglichkeit auch tatsächlich sichergestellt wird3OO • Damit orientiert sich diese Variante an der Erfilllung der Rücknahmepflicht durch die Beauftragung eines Dritten mit der Pflichterfilllung. Dagegen zielt § 24 Abs. I Nr. 2 KrW-/AbfG vordergründig auf eine Rücknahme des Erzeugnisses durch den Rücknahmepflichtigen selbst, steht aber ebenfalls einer Heranziehung Dritter filr die Pflichterfilllung nicht entgegen; es wurde sogar ausdrücklich vorgesehen, daß sich der Rücknahmepflichtige eines Rücknahmesystems als Dritten bedienen kann. § 24 Abs. I Nr. 3 KrW -/AbfG schließlich ermächtigt den Verordnungsgeber zur Festlegung der Abgabe- oder AnfallsteIle als Rücknahmeort, ohne eine Rücknahme durch Dritte damit auszuschließen. Gerade bei einer Rücknahme am Anfallort bietet sich sowohl aus wirtschaftlichen Gründen als auch unter Umweltschutzgesichtspunkten eine Einschaltung Dritter bei der Pflichterfilllung an. Von Bedeutung sind die unterschiedlichen Formulierungen nur insofern, als bei einer Verpflichtung zur "Eröffnung einer Rückgabemöglichkeit" oder zum Nachweis einer Annahmestelle verminderte Anforderungen an die nachfolgende Überwachung des Dritten durch den Rücknahmepflichtigen zu stellen sein werden. Die originäre Pflicht des Herstellers oder Vertreibers wird durch eine Dritt-

297 V gl. Hösellv. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Bd.l, Nr. 1240, RdNr. 23 zu § 14 Abs. 1 Nr. 3 AbtU; Versteyl in Kunig/SchwerrnerlVersteyl, Kommentar AbtU, § 14 RdNr. 17. 298 V gl. HoschützkylKreji, Recht der Abfallwirtschaft, Anm. 1.3 (S. 19); Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 24, Rdnr. 69. 299

Vgl. noch zu § 14 AbtU Versteyl in Kunig/SchwerrnerlVersteyl, Kommentar AbtU,

§ 14 Rdnr. 17.

300 Vgl. Hösellv. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Bd.l, Nr. 1240, Rdnr. 23 zu § 14 Abs. I Nr. 3 AbtU.

136

1. Teil: Rücknahmepflichten

beauftragung grundsätzlich nicht betroffen30I ; vielmehr bleibt der originär Rücknahmepflichtige dafiir verantwortlich, daß der Beauftragte die Pflicht tatsächlich erfiillt, so daß ihn besondere Auswahl- und Überwachungspflichten treffen. Da aber die Drittbeauftragung hier nicht Ausnahme, sondern regelungstechnisches Leitbild der Pflichterfiillung wäre, liegt der Schwerpunkt der Sorgfaltspflichten des Rücknahmepflichtigen bei der Auswahl des beauftragten Dritten, nicht aber in der nachfolgenden Gewährleistung der Rücknahme durch den Dritten. Die Pflicht zur Kontrolle der tatsächlichen Pflichterfilllung durch den Dritten besteht daher nur in einem verminderten Umfang302 • Sonstige unterschiedliche Anforderungen an die Rücknahmepflicht ergäben sich nur dann, wenn in den Begriff der Rücknahme eine Festlegung des Rücknahmeorts hineininterpretiert würde oder wenn eine Beauftragung Dritter von einer expliziten Zulassung abhängig wäre; beides ist jedoch nicht der Fall 303 • Auch begrifflich lassen sich die Nr. 1-3 im Einzelfall nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen. Durch die Schaffung eines Rücknahmesystems nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 wird gleichzeitig eine Rückgabemöglichkeit nach Nr. 1 eröffnet; eine Rücknahme nach Nr. 2 kann nach Nr. 3 an der Abgabe- oder AnfallsteIle zu erfolgen haben. Die Bedeutung der unterschiedlichen Formulierungen in den Nr. 1-3 liegt letztlich darin, daß sie durch eine eventuell kumulative Heranziehung als Ermächtigungsgrundlage die Begründung aller denkbaren Varianten von Rücknahmepflichten ermöglichen sollen. Dabei kommt den einzelnen Nummern vornehmlich die Bedeutung von Leitbildern als Umschreibung bestimmter typischer Ausformungen von Rücknahmepflichten zu, die aber immer in Zusammenhang mit dem Grundsatz der Produktverantwortung nach § 22 KrW -IAbfG zu sehen sind. bb) Adressaten von verordneten Rücknahmepflichten sollen nach § 24 Abs. 1 KrW-IAbfG die Hersteller oder Vertreiber von Produkten sein. Dies steht vordergrUndig in Widerspruch mit § 22 KrW-IAbfG, weil als Adressaten der Produktverantwortung in § 22 Abs. 1 S. 1 KrW-IAbfG zusätzlich zu Herstellern und Vertreibern auch die Entwickler sowie die Be- und Verarbeiter von Erzeugnissen angesprochen werden. Wie gezeigt, umfaßt der Begriff des Herstellers in § 22 Abs. I S. I aber alle, die in nichtabhängiger Stellung mit eigenem wirtschaftlichen Gewinninteresse an der Herstellung des Produktes beteiligt sind und bildet den Oberbegriff zu den Adressatengruppen Entwickler, Be- und Verarbeiter. Damit ruhrt die nicht gesonderte Erwähnung des Bereichs der Produktentwicklung, der Be- sowie der Verarbeitung in § 24 Abs. 1 letzIich zu keinen Unterschieden zu § 22. 301

Vgl. oben ab S. 74ff.

302

Vgl. dazu auch schon oben, S. 76f.

303

Vgl. Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 24, Rdnr. 69.

B. Grundlagen

137

cc) Durch §§ 23 und 24 KrW-/AbtG sollte nach dem Willen der Bundesregierung eine Verbesserung der Ermächtigung zur Schaffung von Rücknahmepflichten für Altprodukte bewirkt werden304• Die Verordnungsermächtigungen unterscheiden sich jedoch insoweit kaum von der früher bestehenden Gesetzeslage305 ; Änderungen ergeben sich damit lediglich als Auswirkung der in § 22 KrW-/AbtG verankerten gesetzlichen Grundpflicht der Produktverantwortung306, da daraus eine schon vor dem Erlaß konkretisierender Rechtsverordnung bestehende grundsätzliche - allerdings nicht durchsetzbare - Pflichtenbelastung folgt. Somit können sich Hersteller und Vertreiber jedenfalls für nach dem Inkrafttreten des KrW-/AbtG am 07.10.1996 vertriebene oder abgegebene Produkte nicht auf das verfassungsrechtliche Rilckwirkungsverbot berufen, wenn später durch eine Rechtsverordnung eine Rücknahmepflicht dafür konkretisiert wird. Auf die Grenzen, die das Rückwirkungsverbot dem Erlaß von Rilcknahmeverordnungen im einzelnen setzt, wird später noch ausführlicher eingegangen 307 • dd) Aus dem Grundsatz der Produktverantwortung als Grundlage von Rilcknahmepflichten ergibt sich als weitere Konsequenz für die Auslegung von Rücknahmeverordnungen, daß sich diese am Grundsatz der Effektivität der Pflichten zu orientieren hat: Im Zweifelsfall ist diejenige Auslegung vorzuziehen, die eine möglichst weitgehende Verwirklichung der Produktverantwortung gewährleistet. Dabei sind allerdings die allgemeinen sowie die in § 22 Abs. 3 KrW-/AbtG explizit angeführten rechtlichen Schranken zu beachten. Grund tUr das Bestehen eines solchen Auslegungsgrundsatzes der "Effektivität" ist die Doppelnatur des Grundsatzes der Produktverantwortung: In seiner - gesetzlich konkretisierten - umweltrechtlichen Variante bleibt der Grundsatz der Produktverantwortung gegenüber unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten neutral. Eine Festlegung, für welche Produkte, welche Adressaten und in welchem Umfang Rilcknahmepflichten durchgesetzt werden sollten, findet sich nicht im Gesetz, um eine konkrete Abwägung im einzelnen Produktbereich zu ermöglichen. Der Grundsatz der Produktverantwortung hat darüberhinaus aber auch eine umweltpolitische Ausformung, deren Aussagegehalt über den Umfang der gesetzlichen Konkretisierung hinausgeht. Als umweltpolitische Maxime liegt der Grundsatz der Produktverantwortung der Wahl des Verordnungsgebers zwischen verschiedenen, dem Gesetz entsprechenden Möglichkeiten der Adressierung und Ausgestaltung von Rücknahmepflichten zugrunde. Für den Bereich der Auslegung kommt diese Ausformung dann in Form einer Auslegungsmaxime ins Spiel, wenn die Entscheidung des Verordnungsgebers tUr die

304 Bundesregierung, Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5672, S. 123, damals noch §§ 21 und 22. 305

Vgl. SchinklSchwade, Stadt und Gemeinde 1993, S. 18 und 26.

306

Vgl. Petersen, zit. bei Stüer, DVBI. 1996, S. 244.

307

Vgl. dazu ausführlich unten ab S. 227.

l. Teil: Rücknahmepflichten

138

Schaffung einer durchsetzbaren Verpflichtung fiir einen bestimmten Produktbereich und fiIr bestimmte Adressaten gefallen ist. Die umweltpolitische Komponente wird dann - im Zweifel- in den Auslegungsprozeß durch die Berufung auf den Grundsatz der "Produktverantwortung" als Wille des Gesetzgebers in den Normsetzungsprozeß einbezogen. Sofern keine anderen Indizien vorliegen, ist daher dann diejenige Auslegung zu wählen, welche die Erreichung des Ziels der Produktverantwortung am besten gewährleistet. Rücknahmepflichten zielen als Mittel der Produktverantwortung - in Form einer vornehmlich indirekten Steuerung308 - insbesondere auf eine Änderung der Produktgestaltung309 • Dieses Ziel wird um so besser erreicht, je genauer durch die jeweilige Ausgestaltung eine Zurechnung der Entsorgungsund Verwertungskosten gerade an den jeweils "verantwortlichen" Produkthersteller und Vertreiber garantiert wird. Im Zweifelsfall ist also einer Auslegung der Vorzug zu geben, die die Verantwortung auf das eigene Produkt beschränkt. Ausnahmen können sich dabei aber unter anderem aus dem Aspekt der Durchftihrbarkeit ergeben. ee) Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 "kann" die Bundesregierung durch Rechtsverordnung Bestimmungen zur Konkretisierung der Kostentragung fiir Rücknahme, Verwertung und Beseitigung erlassen. Beim Fehlen einer expliziten Kostentragungsregelung wäre vom Grundgedanken der Produktverantwortung auszugehen und der Aspekt der Effektivität in die Überlegungen einzubeziehen. Durch eine kostenlose Rückgabemöglichkeit wird der Gedanken der Produktverantwortung mit Abstand am besten verwirklichtl lo . Folge der Verantwortung rur das Produkt ist insbesondere eine Verantwortung tUr die Kosten, die bei Verwertung und Beseitigung anfallen. Auch darf die Wahrnehmung einer Rückgabemöglichkeit nicht dadurch be- oder sogar verhindert werden, daß Gebühren fiIr die Rücknahme erhoben werden311 • Zwar kann durch Rechtsverordnung aufgrund von § 24 Abs. 2 Nr. 1 KrW-/AbfD vorgesehen werden, daß der Kunde fiir die Rücknahme einen Entsorgungsbeitrag zu leisten hat; dieser darf aber nicht so hoch sein, daß die Nutzung der Rückgabemöglichkeit unmöglich oder unwahrscheinlich gemacht würde. Regelfall der Kostentragung bleibt die finanzielle Verantwortung von Herstellern und Vertreibem; diese greift im Fall des Fehlens einer anderweitigen Konkretisierung der Kostentragung ein. Aus der Auferlegung von Pflichten folgt zu Lasten des Inanspruchgenommenen auch die Vermutung einer Verpflichtung der Tragung der Kosten 3l2 •

308

Vgl. dazu oben S. 42.

Vgl. etwa Bundesregierung, Begründung zum Entwurf des KrW-/AbfD, BTDrs.12/5672, S. 31; StS beim BMU Stroetmann, BB 1993, Beilage 9, S. 3. 309

310 Vgl. Gruber/Große Ophojf, AJ 1996, S. 36f., mit ausfilhrlicher Darstellung der verschiedenen denkbaren Kostentragungsregelungen.

Vgl. Birn, NVwZ 1992, S. 423. 312 Vgl. Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 62. 311

B. Grundlagen

139

Unklar ist dabei noch die Frage, wie die Kosten zwischen verschiedenen Rücknahmepflichtigen verteilt werden sollen. Hersteller und Vertreiber sind grundsätzlich "gleichberechtigte" Träger der Produktverantwortung. Dies ist bei der Kostenbelastung zu berUcksichtigen, so daß die finanzielle Verantwortung auch gemeinsam zu tragen ist. Eine starre Verteilungsregel ftlr alle Fälle kann aber nicht aufgestellt werden; vielmehr bleibt die Ausgestaltung der Kostentragung den Betroffenen im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen überlassen. ft) Zu der Frage, ob zusätzlich zu der Rücknahmepflicht tUr ein Produkt auch eine Rücknahmepjlicht für die nach Gebrauch der Erzeugnisse verbleibenden Abfälle durch Rechtsverordnung festgelegt werden kann, nehmen § 22 und § 24 KrW-/AbfG widersprUchlich Stellung. Während in § 22 Abs. 2 Nr. 5 KrW-/AbfG eine solche Rücknahme als von der Produktverantwortung umfaßt bezeichnet wird, sprechen die in § 24 enthaltenen Ermächtigungen zum Erlaß von Rücknahmeverordnungen immer nur davon, daß "bestimmte Erzeugnisse" zurückgenommen werden mUßten. Dieser Widerspruch erklärt sich daraus, daß § 22 Abs. 2 Nr. 5 auf Betreiben des Bundesrates vom Vermittlungsausschuß eingetUgt wurde, während § 24 weitgehend dem ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung entsprichfl3; offensichtlich wurden die bei den Bestimmungen nicht in ausreichendem Maße aufeinander abgestimmt. Hinweise dafilr, daß der Gesetzgeber diese Diskrepanz erkannt und beabsichtigt hätte, sind nicht ersichtlich. Die Produktverantwortung nach § 22 besteht - wie gezeigt - grundsätzlich unabhängig vom Vorliegen konkretisierender Rechtsverordnungen. Ein Rückschluß von § 24 auf § 22 Abs. 2 Nr. 5 dahingehend, daß der Umfang der Produktverantwortung nach § 22 auf die Rücknahme des Erzeugnisses selbst reduziert wird, ist daher nicht möglich. Denkbar wäre immerhin, auf der Basis des § 22 Abs. 2 Nr. 5 das Bestehen einer Grundpflicht zur Rücknahme auch der beim Gebrauch der Erzeugnisse verbleibenden Abflille zu bejahen und sich damit abzufmden, daß diese Grundpflicht mangels einer Rechtsverordnungsermächtigung nie konkretisiert und damit auch nie durchgesetzt werden könnte. Ein solches Ergebnis wäre aber höchst unbefriedigend; notwendig ist vielmehr eine Auflösung des Widerspruchs durch eine extensive Auslegung der in § 24 enthaltenen Verordnungsermächtigungen, durch die der in § 22 Abs. 2 Nr. 5 genannte Bereich der Produktnutzungsabflille mit einbezogen wird314 • Stützen läßt sie sich maßgeblich mit dem Argument, daß die Rechtsverordnungsermächtigungen in § 24 der "Festlegung von Anforderungen nach § 22" dienen sollen (§ 24 Abs. I, 1. HS; Abs. 2, 2. HS), also der Konkretisierung der danach bestehenden gesetzlichen Grundpflicht zur Produktverantwortung. § 24 ist daher im Lichte des Umfangs der danach bestehenden Grundptlicht auszulegen.

313 Vgl. Entwurf der Bundesregierung des KrW-/AbfG und SteIlungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5672; Bericht des Umweltausschusses, BT-Drs. 12/7284; Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drs. 12/8084. 314 Dafür auch Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 24 Rdnr. 37.

140

1. Teil: Rücknahmepflichten

Wenngleich § 24 somit auch ennöglicht, Rücknahmepflichten tUr die beim Gebrauch der Erzeugnisse verbleibenden Abfiille vorzusehen, ergeben sich dabei folgende Einschränkungen: Bei diesen Abfiillen muß es sich um Abfiille handeln, die typischerweise nach Art und Menge bei der Produktnutzung entstehen und Folge einer ordnungsgemäßen Nutzung sind (Produktnutzungsabfiille); bei mangelnder Vorhersehbarkeit von Abfallqualität und -menge wäre die Einbeziehung in die Produktverantwortung von Herstellern oder Vertreibern nicht gerechtfertigt. Weiterhin bildet die Rücknahmepflicht filr Produktnutzungsabfiille eine Ergänzung zu einer Pflicht zur Produktrücknahme und kann daher nur begleitend zu einer solchen Rücknahmepflicht ausgesprochen werden. Dies folgt aus der Nichterwähnung dieses Bereichs in § 24 und aus der Tatsache, daß auch in § 22 Abs. 2 Nr. 5 beide Pflichten nicht alternativ, sondern kumulativ ("und") genannt werden. Schließlich ist eine Pflicht zur Rücknahme solcher Produktnutzungsabfiille nur dann möglich, wenn die Abfiille beim "Gebrauch" des Erzeugnisses entstanden sind (§ 22 Abs. 2 Nr. 5). Bei der AItölrücknahme wäre dies beispielsweise zu bejahen rur öl verschmutzte Lappen, die gerade typischerweise bei der fachgerechten Selbstvornahme eines Ölwechsels anfallen. Nicht dazu rechnen könnte man dagegen Rückstände aus der Verbrennung VOn Öl, da diese nicht Folge eines "Gebrauchs", sondern eines "Verbrauchs" des Erzeugnisses wären JI5 •

6. Ergebnis Rücknahmeptlichten finden im Grundsatz der Produktverantwortung, der in § 22 KrW -/AbfG verankert ist, eine geeignete Grundlage. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Prinzip des Umweltrechts, das VOn Bedeutung bei der Konkretisierung bestehender Rücknahmepflichten sein kann; vielmehr ist die Produktverantwortung eine Grundptlicht und besteht als solche - wenn auch nicht durchsetzbare - Rechtspflicht auch ohne den Erlaß VOn Rechtsverordnungen. Rücknahmeverordnungen nach § 24 KrW-/AbfG dienen der Umsetzung der sich bereits aus § 22 Abs. 1 und 2 ergebenden, aber mangels einer solchen Konkretisierung allein nicht durchsetzbaren Pflicht zur Produktrücknahme. Der Grundsatz der Produktverantwortung vollzieht eine klare Zurechnung der Pflichten an bestimmte Adressaten. Während in Hinblick auf das Verursacherprinzip darüber gestritten werden konnte, wer als der wirkliche Verursacher einer mit Produktion, Konsum, Verwertung und Beseitigung eines Produktes verbundenen Umweltbelastung anzusehen sei, ordnet der Grundsatz der Produktverantwortung die Ptlichtenbelastung klar der Gruppe der Hersteller und Vertreiber zu. Dagegen wird

315 Vgl. zu dieser Einschränkung mit weiteren Beispielen SV Ahrens, 53. Sitzung des Umweltausschusses vom 10.05.1993, Protokoll S. 172.

B. Grundlagen

141

der Konsument nicht in den Adressatenkreis des Grundsatzes der Produktverantwortung einbezogen.

IV. Zusammenfassung Sowohl das Verursacherprinzip, das Vorsorgeprinzip als auch der Grundsatz der Produktverantwortung können - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - zur Begründung von RUcknahmepflichten herangezogen werden. Während bei Verursacher- und Vorsorgeprinzip teilweise nur eine grundsätzliche Vereinbarkeit der Einfilhrung einer RUcknahmepflicht mit diesen Prinzipien bejaht werden konnte, lassen sich aus dem Grundsatz der Produktverantwortung weitgehende Anhaltspunkte rur die Ausgestaltung und Auslegung der Rücknahmepflicht entnehmen. Auch sind Rücknahmepflichten als Mittel zur Umsetzung der Produktverantwortung nicht nur eines unter vielen anderen gleichfalls konformen Mitteln, sondern ein Instrument, das nach mancher Ansicht sogar vorrangig316 zur Verwirklichung der Produktverantwortung eingesetzt werden soll. Damit verbleibt dem Grundsatz der Produktverantwortung ein eigenständiger Inhalt. Seine spezifische umweltpolitische und umweltrechtliche Zweckbestimmung liegt in der Erfassung des besonders problematischen Bereichs der durch den Konsum von Produkten bedingten Umweltbelastungen. Die Postulierung dieses Grundsatzes kann durchaus als Ausdruck einer Unzufriedenheit mit der Begründung von Maßnahmen über das Verursacherprinzip in diesem Bereich angesehen werden. Letztlich bleibt allerdings anzumerken, daß ein Rückgriff auf die oben diskutierten Prinzipien nicht geeignet ist, bei der Einftlhrung von Rücknahmepflichten im konkreten Fall die notwendige gesellschaftliche - und vornehmlich: politische Überzeugungsarbeit zu ersetzen. Nur durch Argumentation im Einzelfall kann ein Konsens darüber gefunden werden, daß bestimmte Maßnahmen umweltpolitisch sinnvoll sind; ein plakativer Verweis auf das Verursacherprinzip, das Vorsorgeprinzip oder das Prinzip der Produktverantwortung wäre weder in der Lage, eine fehlende rechtliche Legitimation zu ersetzen, noch dazu, wesentlich zur umweltpolitischen Sinngebung beizutragen.

316 Vgl. Bundesumweltministerium, Eckwerte rur eine Neufassung des Abfallgesetzes vom 04.05.1992, S. 43; Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des KrW -IAbfD, BT-Drs. 12/5672 vom 15.09.1993, S. 31f

C. Grenzen rur Rücknahmeptlichten aus übergeordnetem Recht In diesem Kapitel werden die Grenzen filr die Einfiihrung von Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht erörtert. Dabei werden im ersten Abschnitt die verfassungsrechtlichen Grenzen behandelt. Der zweite Abschnitt erläutert die Vorgaben filr Rücknahmepflichten, die sich aus dem Europarecht ergeben. Während diese beiden Abschnitte vornehmlich auf die Analyse der Grenzen einer Einfilhrung von RUcknahmepflichten durch Bundesrecht zielen, steht im dritten Abschnitt schließlich die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer kommunalen Rücknahmepflicht im Mittelpunkt der Betrachtung.

I. Verfassungsrechtliche Grenzen

1. Grundrechte der Adressaten von Rücknahmepflichten In der Regel werden RUcknahmepflichten als vereinbar mit den Grundrechten der Adressaten der Pflichten angesehen I. Vereinzelt wird allerdings angemerkt, bei der Festschreibung von RUcknahmepflichten handele es sich um "ganz erhebliche Einschränkungen der durch Art. 12, 14,2 GG geschützten Unternehmerfreiheiten"2. Generell bezweifelt wurde die Verfassungsmäßigkeit von Rücknahmepflichten dagegen von seiten des Handels 3 •

I V gl. allgemein Kunig in FS Thieme, S. 990; zu den Rücknahmeptlichten nach der PETVO Kreft in HoschützkylKreft, Recht der Abfallwirtschaft, § 14 AbfG, Anm. 0.3. (S. 9f.); zu den Rücknahmeptlichten im Altölbereich ders. ebd., Anm. 0.3. (S. 9); v. Zitzewitz, Altöl als Rechtsproblem, S. 135-138; zur Verpackungsverordnung vgl. Versteyl, NVwZ 1991, S.852.

2

Fluck, DB 1992, S. 193; kritisch auch Friaufin FS Börner S. 701ff.

Vgl. Dr. Günther Schulte (Zentral verband gewerblicher Verbundgrupppen) rur den Rat des deutschen Handels, dpa-Meldung vom 28.02.1996. 3

C. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

143

a) Art. 12 Abs. 1 GG Art. 12 Abs. 1 GG ist eine besondere Ausprägung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG4; er schützt die Berufsfreiheit als einheitliches GrundrechtS. aa) Personeller Schutzbereich

(1) Bevor geklärt werden kann, ob die Adressaten von Rücknahmepflichten dem personellen Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG unterfallen, muß festgestellt werden, wer dies überhaupt ist - der Unternehmer, das Unternehmen selbst, oder beide kumulativ? Die Beantwortung dieser Frage wird dadurch erschwert, daß auch in der Rechtsprechung oft nicht eindeutig der Verpflichtete einer Regelung bestimmt wird. So spricht das Bundesverfassungsgericht etwa in seinem Urteil über die Pflicht zur Erdölbevorratung von den "vorratspflichtigen Unternehmern"6, bzw. davon, daß durch das Gesetz "privaten Unternehmern bestimmte Handlungspflichten" auferlegt würden', benützt an anderer Stelle aber auch den Ausdruck der "vorratspflichtigen Unternehmen"s und diskutiert die Frage der Kostenbelastung filr "Raffineriegesellschaften" durch die Pflichtauferlegung9 • Die Adressatenbeschreibungen in den bestehenden oder im Entwurfsstadium befindlichen Vorschriften über Rücknahmepflichten sind nur von begrenztem Aussagegehalt: § 5b AbfG, die VerpackV sowie die Entwürfe filr weitere Rücknahmeverordnungen 10 verbinden das Verhaltenskriterium der Herstellung oder des

4

Vgl. BVerfGE 13, 181, 185; Papier, VerwArch. 1993, S. 418.

Vgl. BVerfGE 7, 377, 402; 33, 303, 330; BGHSt 8, 327, 337f.; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 857; Gubelt in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 40; Hömig in SeifertlHömig, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 1; Schalz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 319. S

6

BVerfGE 30, 292, 299.

, BVerfGE 30, 292, 311. S

BVerfGE 30, 292, 302.

9

BVerfGE 30, 292, 309.

iO Vgl. § 2 Abs. 1 Elektronik-Schrott-Verordnung, Stand 15.10.1992; § 2 Abs. 1 AltautoVerordnung, AltautoV, Stand 27. 01.1994; § 3 Abs. 1 Batterieverordnung - AbtBattV, Stand 10.06.1992; § 3 Altpapierverordnung - Altpap V, Stand 1992; vgl. weiterhin § 2 Abs. 1 EntwurfKennzeichnungsV, Stand 16.11.1993; § 2 Verordnung zur Förderung von Getränkemehrwegsystemen (GetränkemehrwegV), Stand 29.11.1991.

I. Teil: Rücknahmepflichten

144

Vertriebs von Produkten mit dem Merkmal der "gewerbsmäßigen" Ausübung ll oder der Tätigkeit "im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmen oder öffentlicher Einrichtungen". Damit enthalten sie lediglich eine funktionsbezogene Verengung auf einen bestimmten Adressatenkreis und sprechen juristische wie natürliche Personen gleichermaßen als Adressaten an. Abzugrenzen ist daher letztlich danach, wer derjenige ist, der das pflichtenauslösende Merkmal des Herstellens oder Vertreibens von Erzeugnissen in sich birgt. Somit wird in einem Fall, in dem eine natürliche Person Vertreiber oder Hersteller einer rilcknahmepflichtigen Sache ist, diese als Adressat von der Rücknahmepflicht erfaßt. Anders ist dementsprechend zu entscheiden, wenn ein Unternehmen in der Form einer juristischen Person eingerichtet ist. In diesem Fall - der die Regel sein wird - ist das Unternehmen als "Hersteller", "Vertreiber" usw. anzusehen und damit alleiniger Adressat der Rücknahmepflicht. Auch bei Personengesellschaften des Handelsrechts wie OHG und KG wird man aufgrund ihrer den juristischen Personen angenäherten Rechtsstellung davon ausgehen können, daß die Rücknahmepflicht nicht die einzelnen Gesellschafter, sondern die Gesellschaft trifft l2 • Zu beachten bleibt schließlich, daß aufgrund der Tatsache, daß auch eine Tätigkeit im Rahmen öffentlicher Einrichtungen als auslösender Tatbestand aufgefiihrt wird, eine Rücknahmepflicht nicht auf Personen des Privatrechts beschränkt ist 13 • Als Beispiele rur Tätigkeiten, die eine solche Pflicht nach der Verpackungsverordnung nach sich ziehen, werden in der amtlichen Begründung und in der Literatur der Betrieb einer Verkaufsstelle in einer Behörde oder einer Kantine in einem öffentlichen Schwimmbad durch die Kommune angefiihrt l4 • Sofern der Betrieb nicht etwa im Rahmen einer Verpachtung durch einen Dritten erfolgt, kann die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst Adressat der Rücknahmepflicht sein. Mögliche Adressaten von Rücknahmepflichten sind somit juristische Personen des öffentlichen Rechts, juristische und natürliche Personen des Privatrechts sowie Personengesellschaften des Handelsrechts.

II

Dazu unten ab S. 341.

12 Vgl. Rummler/Schutt, Kommentar VerpackV, § 2 Anm. I, der sogar eine Erstreckung dieses Befundes auf "jede Form" der Gesellschaft bejaht.

13

Vgl. dazu oben S. 144, 155.

14 Vgl. Begründung der Bundesregierung zu § 2 Abs. 1 VerpackV, BR-Drs.817/90, S. 41; vgl. auch Rummler/Schutt, Kommentar VerpackV, Anm. 1 zu § 2 (S. 82); Wiebecke, Verpackungsabfall, S. 27.

C. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

145

(2) Den Schutz des Gnmdrechts genießen alle deutschen natürlichen Personen. Für inländische juristische Personen wird der Grundrechtsschutz - sofern das Grundrecht seinem Wesen nach auf die juristische Person anwendbar ist - über Art. 19 Abs. 3 GG vermitteltI 5 • Nach der Rechtsprechung des BVerfG können auch teilrechtsflihige Personenvereinigungen des Handelsrechts wie OHG und KG Grundrechtsträger sein l6 • Art. 12 Abs. 1 GG ist seinem Wesen nach auch auf juristische Personen anwendbar17, soweit die betriebene Erwerbstätigkeit ihrem Wesen nach in gleicher Art und Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann l8 • Dies ist bei Tätigkeiten wie dem Vertreiben oder Herstellen von Produkten gegeben. Damit fallen alle möglichen inländischen Adressaten einer Rücknahmepflicht unter den persönlichen Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG. Eine Ausnahme bilden lediglich juristische Personen des öffentlichen Rechts, da diesen nach überwiegender Ansicht ein entsprechender Grundrechtsschutz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nicht zukommtI 9 • (3) Art. 12 Abs. 1 GG gilt nicht ftlr ausländische natürliche Personen; hier kommt nur Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht in Betrachfo. Problematisch ist die Frage, ob sich ausländische juristische Personen als Adressaten einer Rücknahmepflicht auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen können. Ob es sich bei einer juristischen Person um eine inländische oder eine ausländische handelt, entscheidet sich nach ganz überwiegender Ansicht nach dem Sitz

Vgl. Hömig in SeifertlHömig, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 2. Vgl. BVerfUE 4,7, 12; 20, 257, 265f.; Krebs in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 19, Rdnr. 31 mit weiteren Nachweisen. 15

16

17 Vgl. BVerfUE 21, 261, 266; 30, 292, 312; 53, I, 13; 65, 196, 210; Bachof in BettermannlNipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte 1\1/ I, S. 179f.; Badura, Staatsrecht, S. 135; Hendrichs in v. Münch (Hrsg.), Kommentar GG, 3. Autl., Art. 19 Rdnr. 35; Krebs in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 19 Rdnr. 46; Mangoldt/Klein, Kommentar GG, Art. 19 Anm. VI 3 b; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 29. Autl. § 19 II 2b; Meessen, JuS 1982, S. 399; Papier, DVBI. 1984, S. 806; ders., VerwArch. 1993, S. 419; im einzelnen nicht ganz unstrittig, vgl. Schmidt-B1eibtreu in Schmidt-BleibtreuiKlein, Kommentar GG, Art. 19 Rdnr. 14. 18 Vgl. BVerfUE 21, 261, 266; 22, 380, 383. 19 Vgl. BVerfUE 21,362; 45, 63, 78 m.w.N; 61, 82, 101; 68, 193,206; BVerwG DÖV 1972, S. 35Of.; Badura, JZ 1984, S. 14ff; ders., Staatsrecht 1986, Anm.C 13; Dürig in MDHS Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 36ff.; Frotscher, JuS 1990, S. L82; Starck, JuS 1977,732, 736; im einzelnen sehr umstritten, vgl. die Darstellung bei Krebs in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 19 Rdnr. 38ff. mit weiteren Nachweisen; Broß, VerwAreh 1986, S. 65ff. 20 Vgl. Meessen, JuS 1982, S. 401.

10 Bauernfeind

146

1. Teil: Rücknahmepflichten

der juristischen Person 21 . Darunter ist derjenige Ort zu verstehen, der den effektiven VerwaltungsmittelpUßkt22 bzw. das tatsächliche, "selbstgewählte Aktionszentrum 11 23 der juristischen Person bildet. Eine Geltung der Grundrechte mit Ausnahme der Verfahrensgrundrechte rur ausländische juristische Personen wird von der herrschenden Ansicht zu Recht verneint24 • Eine ausländische juristische Person könnte sich daher bei der Auferlegung einer Rücknahmepflicht schon deshalb nicht auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen, weil sie nicht vom personellen Schutzbereich des Grundrechts erfaßt wird. Damit bleiben ausländische juristische Personen jedoch nicht schutzlos25 . Möglich ist teilweise, daß sich natürliche inländische und ausländische Personen, die Anteilseigner der ausländischen juristischen Person sind, auf die Grundrechte berufen 26 . Auch aus dem rechtsstaatlichen Willkürverbot sind Begrenzungen der Möglichkeiten staatlichen Handeins in diesem Bereich herzuleiten 27 . Relativiert wird dieser Befund weiterhin durch die Bindungen, die staatliches Handeln auf-

21 Vgl. BVerfDE 21, 207, 209; Antoni in SeifertlHömig, Kommentar GG, Art. 19 Rdnr. 11; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 143ff.; Krebs in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 19 Rdnr. 32; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 19 II 2 b; Niessen, NJW 1968, S. 1018f.; Rü!fner, AÖR 89 (1964), S. 261, 275; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1139; v. Mutius, Bonner Kommentar Art. 19 Rdnr. 54. 22 V gl. Dürig in MDHS, Kommentar GG Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 31; Stern, Staatsrecht III11, S. 1143. 23 Krebs in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 19 Rdnr. 32; vgl. weiterhin Meessen, JZ 1970, S. 602, 604; Pieroth/Schlink, Staatsrecht 11, 10. Autl., Rdnr. 161; v. Mutius, Bonner Kommentar Art. 19 Rdnr. 54. 24 Vgl. BVerfDE 21, 207fT; 23, 229, 236; BGHZ 76,375,383; Bryde in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 14, Rdnr. 7; Krebs, ebd., Art. 19 Rdnr. 33; Papier in MDHS, Kommentar GG, Art. 14 Rdnr. 215; Pieroth/Schlink, Staatsrecht H, 10. Autl., Rdnr. 161 f.; Rü!fner, AÖR 89 (1964), S. 261, 275fT. (noch für alle Grundrechte); v. Mutius, Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3, Rdnr. 50fT.; kritisch dagegen die vor allem neuere Literatur, vgl. Degenhart, EuGRZ 1981, S. 161 fT. (entsprechende Anwendung bei einer "inländergleichen Gewaltunterworfenheit"); Hendrichs in v. Münch (Hrsg.), Kommentar GG, 3. Autl., Art. 19 Rdnr. 33 (Geltung der Jedermann-Grundrechte); Stern, Staatsrecht III11, S. 1146f., (Erweiterung der Grundrechtsberechtigung "in vorsichtiger Weise"); Ritter, NJW 1964, S. 279fT. (Berufung auf die Jedermann-Grundrechte möglich).

25 Vgl. Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 29. Autl., § 19 11 b. 26 Vgl. Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 147; Bryde in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar

GG, Art. 14, Rdnr. 7; Jarass in Jarass/Pieroth, Kommentar GG, Art. 19 Rdnr. 15 und Art. 14, Rdnr. 20; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rdnr. 23; vgl. dazu auch unten S. 192.

27 V gl. dazu unten S. 201.

c. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

147

grund europarechtlicher und völkerrechtlicher Regeln erfllhrt28 • Diese fUhren zwar nicht zu einer Grundrechtsträgerschaft von ausländischen juristischen Personen 29 , können im Ergebnis aber doch über Gleichstellungsansprüche30 oft bewirken, daß sich die Auferlegung von Rücknahmepflichten - materiell - an den gleichen Vorgaben messen lassen muß wie bei der Auferlegung gegenüber inländischen Adressaten.

bb) Eingriff (1) Zuweilen wird vertreten, daß umweltbelastende Tätigkeiten generell nicht in den Schutzbereich des Art. 12 GG fallen 31 • Dies könnte dazu fUhren, daß sich Rücknahmepflichten nicht an Art. 12 Abs. 1 GG messen lassen müßten, dajede produzierende wirtschaftliche Tätigkeit Ressourcen verbraucht und über die Abfallentstehung die Umwelt belastet. Die Argumentation möchte die Beanspruchung der Umweltmedien Wasser, Boden und Luft als öffentliche Güter aus dem Schutzbereich des Art. 12 GG ausnehmen. Auf deren Nutzung zum Zwecke eines Gewerbebetriebs gebe es keinen grundrechtlichen Anspruch, da diese Umweltmedien nicht dem Einzelnen, sondern der Allgemeinheit zugeordnet seien. Somit falle ein Gewerbebetrieb, der Umweltressourcen beanspruche, auch nicht unter den Schutzbereich des Art. 12 GG 32 • Diese Ansicht versucht dem zunehmenden Unbehagen Rechnung zu tragen, das aus der Tatsache folgt, daß umweltschädigendes Verhalten sich oft auf den Schutz

28 Vgl. dazu Bryde in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 14 Rdnr. 7; Degenhardt, EuGRZ 1981, S. 16Iff.; Jarass in JarasslPieroth, Kommentar GG, Art. 19 Rdnr. 15; speziell zur Frage eines europäischen Grundrechtsbestandes vgl. Papier in MOHS, Kommentar GG, Art. 14 Rdnr. 284f.; Thiel, JuS 1991, S. 274ff.; Tomuschat in üssenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 47ft: 29 Vgl. Bryde in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 14, Rdnr. 7; Stern, Staatsrecht III/I, S. 1146. 30 Vgl. Bryde in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 14 Rdnr. 7; Jarass in JarasslPieroth, Kommentar GG, Art. 19 Rdnr. 15. 31 V gl. Murswiek, zit. bei Hennig, OVBI. 1993, S. I I 97f.; vgl. auch SRU, Umweltgutachten 1994, BT-Ors. 12/6995, Tz. 68 unter Verweis auf Sendler, UPR 1990, S. 41-49; de lege ferenda wird von Held, ZAU 1993, S. 313 die Aufnahme einer mit der Sozialbindung in Art. 14 GG vergleichbaren aJlgemeinen "Ökologiebindung ... zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" ins Grundgesetz gefordert. 32

V gl. Murswiek, zit. bei Hennig, OVBI. 1993, S. 1198.

148

I. Teil: Rücknahmepflichten

der Grundrechte berufen kann 33 • In welchen Fällen soll aber eine Handlung als "umweltbelastend" charakterisiert werden und damit nicht mehr unter den Schutz des Art. 12 GG fallen? Wäre als Konsequenz der ganze Bereich der Güterproduktion vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ausgenommen? Eine solche Argumentation würde zu einer Aushebelung der ausdifferenzierten Grundrechtsdogmatik, insbesondere des Gesetzesvorbehalts und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ruhren 34 und ist daher abzulehnen. Nicht eine radikale Ausnahme ganzer Bereiche aus dem grundrechtlichen Schutzbereich ist der richtige Weg, sondern die Gewährleistung einer Abwägung, bei der das Gewicht von Umweltschutzbelangen als Rechtfertigungsgrund rur Eingriffe - system immanent und verfassungskonform - erhöht wird. (2) Voraussetzung ist, daß durch die Rücknahmepflicht der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG betroffen wird. (a) Zum Teil wird eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit durch Rücknahmepflichten im Schrifttum pauschal bejahtl 5 und lediglich eine Rechtfertigung über Gemeinwohlbelange angenommen 36 • Dies basiert auf der Annahme, daß durch Rücknahmepflichten generell die Berufsfreiheit der Verpflichteten berührt wird. Ob dies so zutrifft, ist fraglich. Die Annahme einer Beeinträchtigung der Berufsfreiheit drängt sich zumindest bei Rücknahmepflichten, die an die "gewerbsmäßige" Ausübung einer bestimmten Tätigkeit anknüpfen, geradezu auf. Der Begriff Beruf wird weit ausgelegtl7 und umfaßt alle wirtschaftlich sinnvollen, erlaubten Tätigkeiten, die auf eine gewisse Dauer angelegt sind und der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dienen 38 • Zu beachten ist jedoch, daß sich das Kriterium der "Gewerbsmäßigkeit" nicht vollständig mit den Kriterien deckt, die filr die Annahme eines Berufes gege-

33 Vgl. eindringlich Bosselmann in JbdUTR 1994, S. 13; rur eine maßvolle Reduzierung des Grundrechtsschutzes daher schon Rupp, JZ 1971, S. 403. 34 Vgl. KloepferiVierhaus, Freiheit und Umweltschutz in GethmannIKloepfer, Freiheit und Umweltschutz im UmweItstaat, S. 15, zit. bei Kloepfer, DVBI. 1994, S. 15. 35 Vgl. etwa Friaufin FS Börner, S. 713; Thome-Kozmiensky, Verpackungsverordnung, S.26. 36

Vgl. Thome-Kozmiensky, Verpackungsverordnung, S. 26.

Vgl. Gubelt in v. Münch/Kunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 8; Pierothl Schlink, Staatsrecht 11, Rdnr. 905. 37

38 Vgl. BVerfDE 7, 377, 397ff.; BVerwGE 71, 183, 189; Bachof in Bettermannl Nipperdey/Scheuner(Hrsg.), Grundrechte IIVI, S. 183; Badura, Staatsrecht, S. 135; Frotscher, JuS 1990, S. L82; Gubelt in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 8; Hömig in SeifertlHömig (Hrsg.), Kommentar GO, Art. 12 Rdnr. 4; Papier, DVBI. 1984, S. 804; Scholz in MDHS, Art. 12 Rdnr. 19.

c. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

149

ben sind. Das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit wird nicht einheitlich ausgelegt. Teilweise wird als ausreichend angesehen, wenn die Tätigkeit - etwa die Abgabe eines Produktes - im Zusammenhang mit einem geschäftlichen Vorgang erfolgt, so daß im Ergebnis lediglich caritative Zwecke und Schenkungen ausgenommen wären 39 • Nach anderer Ansicht sollen dagegen nur diejenigen Tätigkeiten "gewerbsmäßig" sein, die aufGewinnerzielung gerichtet sind, nicht einmalig erfolgen oder von kurzer Dauer sind40 und mittels derer sich der Ausübende eine nicht nur untergeordnete Einnahmequelle verschaffi:41 • Durch das Kriterium der Gewerbsmäßigkeit soll verhindert werden, daß Adressaten durch die zuflillige, vereinzelte Vornahme dieser Tätigkeit den Pflichten unterliegen; bei ihnen werden in der Regel weder die erforderliche Sachkenntnis noch die notwendigen Ressourcen zur ordnungsgemäßen Erfilllung der Rücknahmepflicht und der damit regelmäßig verknüpften Entsorgungspflichten gegeben sein. Dies wird von der ersteren Ansicht, die nur einen Zusammenhang mit einem geschäftlichen Vorgang verlangt, nicht gewährleistet; dadurch würden alle Kompensationsgeschäfte zwischen Privatpersonen erfaßt. Andererseits wird von der zweiten Ansicht ein zu großer Bereich geschäftlichen Handeins von der Rücknahmepflicht ausgeschlossen. Erforderlich wäre danach letztendlich die Wahrnehmung der Tätigkeit "als" Beruf. Ein Bedürfuis dafiir, den Kreis der gewerbsmäßig ausgeübten Tätigkeiten so eng zu ziehen, besteht jedoch nicht. Notwendig und ausreichend ist somit eine - vermittelnde - Auslegung, die einen allgemeinen Bezug der Tätigkeit zum ausgeübten Beruf verlangt, ohne daß Anforderungen an Dauer, Häufigkeit und Umfang der Gewinnerzielung gestellt werden: Die Handlung, an die die Rücknahmepflicht anknüpft, muß noch in der Späre der Berufsausübung liegen, selbst aber nicht Beruf des Pflichtigen sein. Damit werden von der Rücknahmepflicht auch gelegentliche Nebentätigkeiten nur unbedeutenden Ausmaßes erfaßt, die nach herkömmlicher Ansicht nicht unter den Schutz des Berufes durch Art. 12 Abs. 1 GG fallen würden42 • Schließlich steht auch der Kreis möglicher Adressaten von Rücknahmepflichten einer generellen Wertung von Rücknahmepflichten als Eingriff in die Berufsaus-

39 So Versteyl in Versteyl/Koehn, Recht und Praxis der Altölentsorgung, § 5b AbfG, Rdnr. 4 für die Rücknahmepflicht von Altöl. 40 Vgl. Elsner in Hoschützky/Kreft (Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, Nr. C 7.1. VerpackV, Anm.1.2.; Rummler/Schutt, Kommentar VerpackV § 2 Anm.1. 41

Vgl. SchmekeniSchwade, Kommentar VerpackV, § 2 Anm. I. I. I. (S. 57).

42 Vgl. Papier, DVBI. 1984, S. 804; Scholz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 282 (insbes. Fn. 1 S. 151); kritisch dagegen Gubelt in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 10; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 859.

150

1. Teil: Rücknahmepflichten

übungsfreiheit entgegen; überwiegend wird verkannt, daß auch juristische Personen des öffentlichen Rechts einer Rücknahmepflicht unterliegen können43 . Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, daß die "gewerbsmäßig" ausgeübte Tätigkeit oft auch den Beruf des Pflichtigen darstellen wird, dies aber nicht notwendigerweise der Fall ist. Durch die Auferlegung von Rücknahmepflichten, die an eine solche Tätigkeit anknüpfen, kann der Beruf des Rücknahmepflichtigen als Schutzgut des Art. 12 Abs. 1 GG betroffen werden, muß es aber nicht. (b) Sofern die Tätigkeit, an die die Rücknahmepflicht anknüpft, der Beruf des Rücknahmepflichtigen ist, wird durch die Auferlegung von "gewerbsbezogenen" Rücknahmepflichten die Entscheidung über das "Wie" der beruflichen Tätigkeit betroffen. Indem die Herstellung oder der Vertrieb von Produkten mit der Pflicht zur Rücknahme verbunden wird, erfolgt eine Anordnung über die Art und Weise der Berujsausübunl4 • Die Voraussetzungen rur eine Charakterisierung der Rücknahmevorschriften als Berufsausübungsregelung sind daher erfiillt45 . (c) Durch die Auferlegung von Rücknahmepflichten könnte weiterhin auch die Berufswahlfreiheit der Hersteller und Vertreiber betroffen werden46 • Zwar handelt es sich bei der Statuierung von Rücknahmepflichten nicht um eine Berufswahlregelung, da Rücknahmepflichten nicht den Zugang zu einem Beruf7 beschränken; trotz des Charakters von Rücknahmepflichten als Berufsausübungsregelung wäre aber eine Betroffenheit der Berufswahlfreiheit dadurch, daß die Regelung faktisch die sinnvolle Ausübung des Berufes überhaupt unmöglich machen könnte48, zumindest denkbar49. Dies wäre nach den vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Kriterien der Fall, wenn die Rücknahmepflichtigen in aller Regel

43 Vgl. dazu oben S. 144. 44 Vgl. zum Begriff der Berufsausübungsregelung BVerfGE 22,380, 383f.; 30, 292, 313 45 Vgl. dazu BVerwGE 90, 359, 362; so im Ergebnis auch Beckmann, DVBI. 1995, s. 317; Di Fabio, NVwZ 1995, s. 5; Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 50 und 65; Friaufin FS Börner, S. 713; ScholzlAulehner, BB 1993, S.2262. 46 Vgl. bejahend Di Fabio, NVwZ 1995, S. 5; Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 65. 47 Vgl. BVerfGE 30, 292, 313. 48 Vgl. BVerfGE 30, 292, 313; 68,155,170. 49Vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 317; Di Fabio, NVwZ 1995, S. 5; Papier, VerwArch. 1993, S. 430, der eine Beeinträchtigung der Berufswahlfreiheit von ProdukthersteIlern durch kommunale Mehrwegkampagnen erwägt, dies aber im Ergebnis aufgrund der gegebenen Tatsachenlage verneint; a.A. Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22 Rdnr. 213; Hoffmann, DVBI. 1996, S. 353; Kreft in HoschützkylKreft, Recht der Abfallwirtschaft, § 14 Anm.0.3. (S. 10).

c. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

151

und nicht nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, den gewählten Beruf ganz oder teilweise zur Grundlage ihrer Lebensftlhrung zu machen 50 • Derartige Konsequenzen könnten ftlr Rücknahmeplichten dann erwogen werden, wenn die Verpflichtung zu einer so starken finanziellen und organisatorischen Belastung ftlhrt, daß die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit wirtschaftlich unmöglich wird. Nicht ausgeschlossen werden kann dies etwa bei RUcknahmepflichten ftlr Produkte mit geringem Verkaufswert und hohen Verwertungs- oder Beseitigungskosten, oder wenn die Rücknahme aufgrund der Besonderheiten des Berufes einen besonders hohen zusätzlichen organisatorischen Aufwand nach sich ziehen wUrde. Ein Beispiel ftlr letzteres könnte in einer Verpflichtung von Vertreibem, die auf die Warenabgabe mittels Automaten spezialisiert sind, zur Rücknahme der Produkte am Verkaufsort liegen, sofern eine gleichsam automatisierte RUcknahme 51 nicht möglich ist. Voraussetzung ftlr eine Wertung als Beeinträchtigung der Berufswahlfreiheit wäre allerdings, daß die von der belasteten Gruppe ausgeübte Tätigkeit als eigenständiger Beruf anzusehen ist. Wenngleich sich eine derartige, die Berufswahlfreiheit beeinträchtigende Wirkung von Rücknahmepflichten nicht schon grundsätzlich ausschließen läßt, wird sie auf ganz krasse Ausnahmefälle beschränkt sein und insgesamt eine eher theoretische Möglichkeit bilden. Die Berücksichtigung einer solchen Wirkung erfolgt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne der Drei-Stufen-Theorie. (3) Damit Rücknahmepflichten als Eingriffin die Berufsfreiheit anzusehen sind, mUßten sie entweder eine berufsregelnde Tendenz aufweisen oder aber den Schutzbereich durch ihre - auch nur mittelbaren - Auswirkungen beeinträchtigen. Eine berufsregelnde Tendenz von Rücknahmepflichten wäre gegeben, wenn diese ausschließlich oder im wesentlichen nur auf berufliche Tätigkeiten anwendbar sind52 • Sie fehlt dagegen bei Pflichten, die nur an bestimmte Tätigkeiten an-

50 Vgl. zu diesem Kriterium BVerfGE 13, 181, 187; 16, 147, 165; 30, 292, 314; Gubelt in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 50; Schatz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 416 (allerdings zu Abgaben).

51 Zu automatisierten Rücknahme-Systemen rur Verpackungen vgl. Märsdarf, Ökologie 1991, S. 55fT.

52 V gl. grundlegend Bachaf in BettermannlNipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/I, S. 196ff.; Jarass in JarassiPieroth, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 11; vgl. zu Recht kritisch Breuer in HdBStR VI, § 148, S. 983fund Papier, DVBI. 1984, S. 805.

152

1. Teil: Rücknahmeptlichten

knüpfen, unabhängig davon, ob sie beruflich ausgeübt werden 53. Bei Rücknahmepflichten, die an eine gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit anknüpfen, ist nach der hier vertretenen Definition von "Gewerbsmäßigkeit" ein Bezug der Tätigkeit zum ausgeübten Beruf erforderlich. Da somit derartige Vorschriften über Rücknahmepflichten berufsregelnde Tendenz haben, handelt es sich dabei um einen Eingriff. Ein Eingriff liegt auch vor, wenn eine Vorschrift auf Grund ihrer Auswirkungen den Schutzbereich beeinträchtigt54. Teilweise wird sogar ausschließlich auf die tatsächlichen - Auswirkungen der Vorschrift auf das Schutzgut der Berufsfreiheit abgestellt 55 • Die Auferlegung von Rücknahmepflichten zieht rur die Betroffenen Auswirkungen von einigem Gewicht nach sich; weiterhin wird durch "gewerbsbezogene" Rücknahmepflichten ein konkreter Kreis von Personen in ihrer Berufsfreiheit betroffen 56. Damit ergibt sich auch bei Zugrundelegung dieses Kriteriums eine Wertung von Rücknahmepflichten als Eingriff in die Berufsfreiheit.

(4) Als Ergebnis zeigt sich daher, daß in der Auferlegung von Rücknahmepflichten, die an der gewerbsmäßigen Ausübung einer Tätigkeit anknüpfen, ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG liegt; in AusnahmeflilIen ist aufgrund der Schwere der damit verbundenen faktischen Auswirkungen auch eine Beeinträchtigung der Berufswahlfreiheit denkbar, ohne daß aber deshalb die Vorschrift selbst als Berufswahlregelung zu charakterisieren wäre.

53 Vgl. Jarass in JarasslPieroth, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 12; vgl. dazu allgemein Schoch, Das kommunale Vertretungsverbot, S. 187ff. 54 Vgl. BVertUE 13, 181, 185f.; 22, 380, 384; 72, 200, 253f.; 81, 108, 121f.; BVerwG, Beschluß vom 03.05.1994, NVwZ 1994, S. 900f. (Frage der Beeinflußung der Kaufentscheidung der Bürger zugunsten abfallarmer Produkte als mittelbarer Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, im Ergebnis offengelassen); Breuer in HdBStR VI, § 148, S. 983; Jarass in JarasslPieroth, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 11; Papier, Der Staat 11 (1972), S. 494f.; ders., DVBI. 1984, S. 801, 805; ders., VerwArch 1993, S. 425; Prutsch, VR 1981, S. 5; Schoch, Das kommunale Vertretungsverbot, S. 198; Scholz/Aulehner, BB 1993, S.226O. 55 So etwa BVerfDE 61, 291, 308f.; a.A. Gubelt in v. Münch/Kunig, Kommentar GG Art. 12, Rdnr. 43. 56 Vgl. zu den Kriterien Jarass in Jarass/Pieroth, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 11

c. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

153

cc) Rechbnäßigkeit (1) Rücknahmepflichten als "Indienstnahme Privater" für öffentliche Aufgaben Möglicherweise lassen sich Rücknahmepflichten als "Indienstnahme Privater" beschreiben57 • Bei einer Indienstnahme Privater rur öffentliche Aufgaben handelt es sich im allgemeinen um eine Berufsausübungsregelung58 • Zusätzlich zu den hierfUr bestehenden Rechbnäßigkeitsanforderungen folgen aus der Qualifizierung der Auferlegung einer Pflicht als Indienstnahme Privater rur öffentliche Aufgaben besondere Anforderungen an die Prüfung der Rechbnäßigkeit. Dies beruht auf der besonderen Eingriffsschwere einer solchen Indienstnahme, die sich daraus erklärt, daß es sich hier um die Auferlegung von "Positivpflichten" handelt; der Adressat wird - zumindest wenn er seinen Berufweiter fortfUhren will- dadurch zu einem bestimmten Kapital- und Arbeitseinsatz verpflichtet59 • Eine Indienstnahme ist nicht schon als solche verfassungswidrig60, vielmehr wird die Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit wesentlich von der Art der übertragenen Aufgabe bedingt6\. Unzulässig wäre die Übertragung typisch staatlicher Funktionen, also von Funktionen, die ihrem Wesen nach nur von Staatsorganen wahrgenommen werden könnten62 . Ferner bestünden Anforderungen, die bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit zu beachten wären: Bei der übertragenen öffentlichen Aufgabe muß es sich um eine Aufgabe mit "herausgehobener

57 So etwa Frenz, GewArch 1994, S. 151; ders., Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 58; Meier, BB 1995, S. 2386. 58 V gl. BVertDE 30, 292, 315 (Erdölbevorratungspflicht); 57, 139, 158 (Beschäftigung einer bestimmten Quote von Schwerbehinderten); 68, 155, 170 (BefOrderung von Schwerbehinderten im privaten Nahverkehr); Breuer in HdBStR VI, § 148, Rdnr. 28 (S. 980f.); Gubelt in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 51; weiterhin Jarass in JarasslPieroth, Kommentar GG Art. 12 Rdnr. 40 zur Erdölbevorratungspflicht; Pierothl Schlink, Staatsrecht Il, Rdnr. 929a zu den Mitwirkungspflichten bei der Steuer- und Sozialversicherungsbeitragserhebung. 59 Vgl. Breuer, HdBStR VI, § 148, Rdnr. 28 (S. 981); zum im Rahmen der VerhältnismäßigkeitspTÜfung zu beachtenden Maßstab vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 28. 60 Vgl. BVertDE 30, 292, 311; Breuer, HdBStR VI, § 148, Rdnr. 28 (S. 980); Nüßgensl Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rdnr. 283. 6\

Vgl. BVertDE 30, 292, 311.

62 Vgl. BVertDE 30, 292, 311.

154

I. Teil: Rücknahmeptlichten

Gemeinwohlrelevanz" handeln 63 • Auch ist eine Verpflichtung zur unentgeltlichen Pflichtvornahme nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich64 • Eine solche "Indienstnahme" Privater rur öffentliche Aufgaben bedeutet die Verknüpfung zusätzlicher Pflichten mit der Ausübung des Berufs6s • Dadurch entlastet sich der Staat von der Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben, die er sonst selbst erftlllen mUßte66 • Durch die Indienstnahme entsteht zwischen Staat und Pflichtigem eine öffentlich-rechtliche Leistungsbeziehung, die auf die Erftlllung einer Obligation des Staates gerichtet ist67 ; einen öffentlich-rechtlichen Status nimmt der Private aufgrund dieser Indienstnahme jedoch nicht ein68 • Beispiele ftlr eine solche Indienstnahme sind die Bevorratungspflicht ftlr Erdölerzeugnisse69 , die Mitwirkungspflichten der Arbeitgeber bei der Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuem70, die Pflicht der Banken zur Einbehaltung und Abftlhrung der Kuponsteuer71 , die Pflicht von privaten Nahverkehrsunternehmen zur unentgeltlichen Befiirderung von Schwerbehinderten72 sowie die Pflicht zur Beschäftigung von mindestens einer bestimmten Quote von Schwerbehinderten 73. Überwiegend knüpfen die bestehenden und geplanten Rücknahmepflichten an eine gewerbsmäßige Tätigkeit oder eine Tätigkeit "im Rahmen wirtschaftlicher

63

Vgl. Breuer, HdBStR VI, § 148, Rdnr. 28 (S. 981).

64

Vgl. Breuer, HdBStR VI, § 148, Rdnr. 28 (S. 98If.).

Vgl. BVerfGE 22, 380, 384; 57, 139, 158; 68,155,1701:; Breuer in HdBStR VI, § 148, S. 980f.; Jarass in Jarass/Pieroth, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 10. Teilweise wird dies auch als "Inpflichtnahme" bezeichnet, vgl. dazu Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 196, Fn. 900. 66 Vgl. Gause, Öffentliche Indienststellung Privater, S. 60f.; Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 198f. 67 V gl. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 197f. 6S

68 Vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148, S. 981; Gause, Öffentliche Indienststellung Privater, S. 64.

69 Vgl. BVerfGE 30, 292, 310, 312ff; vgl. auch zu den anderen Beispielen Breuer in HdBStR VI, § 148, Rdnr. 28, S. 981; Jarass in JarasslPieroth, Kommentar GG, Art.12, Rdnr. 40; Gubelt in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art.12, Rdnr. 51; Nüßgensl Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rdnr. 283. 70 Vgl. Gubelt in v. MUnchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 76; Pierothl Schlink, Staatsrecht 11, Rdnr. 929a. 71 Vgl. BVerfGE 22, 380ff; NüßgenslBoujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rdnr.284. 72

Vgl. BVerfGE 68, 155, 170ff

73

Vgl. BVerfGE 57, 139, 158.

c. Grenzen filr Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

155

Unternehmen oder öffentlicher Einrichtungen" als pflichtauslösendes Kriterium an. Soweit sie damit einen Berufsbezug aufWeisen, liegt in ihnen die Verknüpfung zusätzlicher Pflichten mit der Ausübung des Berufs74 • Zu prüfen ist daher, ob dadurch den Rücknahmepflichtigen eine "öffentliche" Aufgabe75 auferlegt wird. Öffentlich sind alle Aufgaben, an deren Erfllllung ein öffentliches Interesse bestehe6 und die der Staat im Rahmen seiner "Kompetenz-Kompetenz" zulässigerweise rur sich in Anspruch nimme 7 • Denkbar wäre es, als übertragene öffentliche Aufgabe die Entsorgung der zurückgenommenen Produkte anzusehen78 • Eine geordnete Abfallentsorgung liegt im öffentlichen Interesse. Unter dem Abfallgesetz von 1986 war Abfallentsorgung eine grundsätzlich öffentliche Aufgabe 79 , die Schaffung einer Pflicht zur Eigenentsorgung war als Indienstnahme zu werten80 • Fraglich ist, ob das Inkrafttreten des KrW-/AbfG insoweit eine maßgebliche Änderung bringtBI. Zum Teil wird angenommen, auch nach dem KrW-/AbfG bilde die öffentliche Abfallentsorgung im Bereich der Hausmüllentsorgung den gesetzgeberischen Regelfall, nicht jedoch eine private Entsorgung82 • Ferner ließe sich argumentieren, die Abfallentsorgung bleibe eine öffentliche Aufgabe, da das öffentliche Interesse an einer geordneten Abfallentsorgung fortbesteht. Damit

74 Dies wird die Regel sein, ist aber nicht notwendigerweise der Fall, vgl. dazu ausfilhrlicher oben s. 148-150. 75 Vgl. Di Fabia, NVwZ 1995, auf Private spricht. 76

s. 4, der von einer Übertragung öffentlicher Aufgaben

Vgl. v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 14.

Vgl. v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 14; Klawait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 126f.; Schach, DVBI. 1994, S. 962. 77

78

Vgl. Frenz, GewArch 1994, S. 151.

§ 3 Abs. 2 Satz I AbfG; vgl. BVerwGE 62, 224, 229f.; Beckmann, DVBI. 1993, S. 1Of.; Kloepfor, Umweltrecht § 12, Rdnr. 95; Papier, DSD-Gutachten 1993, S. 2; Peine in Blaurock (Hrsg.), Verantwortlichkeit filr Abfall in Deutschland und Frankreich, S. 83; Schach, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 141 mit weiteren Nachweisen in Fußnote 519. 79

80

Vgl. Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 111f.

Vgl. gegen die Annahme einer Änderung der Verteilung dcr Entsorgungsverantwortung durch das KrW-/AbfG Püttner, JBdUTR 1994, S. 422, allerdings noch auf der Basis des Gesetzentwurfs. 81

82 Vgl. Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 186; Schink, DÖV 1995, S. 882. Daraufdeutet etwa § 15 Abs. 2 KrW-/AbfG, der davon spricht, die öffentlichrechtlichen Entsorgungsträger seien von ihrer Entsorgungspflicht "befreit", soweit Dritten oder privaten Entsorgungsträgem Pflichten zur Entsorgung nach §§ 16, 17 oder 18 übertragen worden sind.

156

1. Teil: Rücknahmepflichten

wäre mit einer Übertragung von Entsorgungspflichten nur eine Verlagerung der staatlichen Letztverantwortung "von der Ebene des Vollzugs in den Bereich der Überwachung" verbunden: Wenn sich der Staat aus Teilbereichen seiner bisherigen Entsorgungspflicht zurückzieht, würde dies "durch erhöhte Aufsichts- und Kontrollbefugnisse" kompensiert83 • Allerdings besteht kein striktes Ausschließlichkeitsverhältnis in der Aufgabenzuordnung, da Private auch zur Wahrnehmung eigener Aufgaben öffentlich-rechtlich verpflichtet werden können 84 • Aus dem Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der sachgerechten Erfiillung der Entsorgung kann dann nicht auf das Bestehen einer öffentlichen Aufgabe geschlossen werden, wenn der Staat die Erftlllung der Aufgaben "als öffentlich-rechtliche Bürgerpflichten unmittelbar den Privatpersonen als eigene Angelegenheiten auferlegt" hat8s • Denn diese Aufgaben nimmt der Staat dann gerade nicht filr sich in Anspruch. Im Rahmen des KrW-/ AbfG werden Hersteller und Vertreiber von Produkten aber schon durch § 22 rur die Entsorgung ihrer Produkte in Pflicht genommen. Nach dem Gedanken des Verursacherprinzips und der Produktverantwortung86 wird den Herstellern und Vertreibern die Entsorgungslast filr ihre Produkte schon "von Grund auf" zugerechnet: Diese sollen die Verantwortung filr die Verwertung und Beseitigung ihrer Produkte87 als Folge ihres eigenverantwortlichen Handeins übernehmen. Insofern handelt es sich bei Rücknahmepflichten nur um eine schlichte Inpflichtnahme, nicht aber um eine Indienstnahme Privater filr öffentliche Aufgaben. Weitergehende Beschränkungen ergeben sich damit daraus nicht.

(2) Verhältnismäßigkeit Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zu Recht als die wohl entscheidende rechtliche Grenze filr die Einfilhrung von Rücknahmepflichten angesehen 88 • Im

Klowait, Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 193 und 128. 84 V gl. Gause, Öffentliche Indienststellung Privater, S. 64. 83

8S Ossenbühl, VVDStRL 29, S. 149; zustimmend v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 17.

86 Zum Verursacherprinzip vgl. oben ab S. 84, zur Produktverantwortung als gesetzliche Grundptlicht oben ab S. 112. 87 Vgl. ElsneriRummler, NVwZ 1992, S. 244; Schink/Schwade, Stadt- und Gemeinde 1993, S. 18; Stroetmann, BB 1993, Beilage 9, S. 4. 88 Vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 319; Bruns/Jasper, VR 1987, S. 371; betont wird die besondere Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Maßnahmen nach § 14 AbtD auch von Kreft in HoschützkylKreft Hrsg.), Recht der Abfallwirtschaft, § 14 Anm. 2.1. (S. 27).

c. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

157

folgenden wird kurz auf die allgemeine Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingegangen (a), bevor die vom Bundesverfassungsgericht geprägte Drei-Stufen-Theorie dargestellt wird (b). Anschließend werden Rücknahmepflichten an den Anforderungen gemessen, die hinsichtlich des Zwecks der Regelung (c), Geeignetheit (d), Erforderlichkeit (e) und Angemessenheit (f) zu stellen sind (g). Schließlich wird analysiert, welche Folgerungen aus dem KrW-/ AbtD (h) rur die Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu ziehen sind.

(a) Allgemeine Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich nicht nur aus dem Rechtsstaatsprinzip89, sondern schon aus dem Wesen der Grundrechte, die staatliche Beschränkungen nur soweit zulassen, wie dies unerläßlich ist90 . Eine staatliche Maßnahme entspricht nur dann dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn die Kriterien der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) gewahrt bleiben91 . Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handeins nimmt gerade in der neueren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts eine immer maßgeblichere Rolle ein. Darin zeigt sich jedoch auch ihre essentielle Wertungsabhängigkeit. Die etwa im Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Strafverfolgung von DDR-Spionen 92 vorgenommene und auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gestützte Ziehung von Schranken rur die Strafverfolgung wurde zum Teil scharf kritisiert. In den drei abweichenden Ansichten wurde dem Senat vorgeworfen, die Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz diene ihm nur "als begriffliche Hülle rur Überlegungen, die mit den gefestigten rechtlichen Maßstäben rur die Anwendung dieses Prinzips nicht zu erfassen sind und seine Konturen verschwimmen lassen"93.

89 Vgl. etwa Di Fabio, NVwZ 1995, S. 7; Hesselberger, Kommentar GG, Art. 20 Rdnr.29. 90 Vgl. BVerfGE 19,348; 30,1,20; ausführlich dazu Schnapp, JuS 1982, S. 852f. mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Kunig in v. MünchlKunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 2 Rdnr. 24; PierothiSchlink, Staatsrecht H, Rdnr. 314; Starck in v. MangoldtJKleinlStarck, Kommentar GG, Bd.l, Art. 2 Rdnr. 19.

91 Vgl. PierothiSchlink, Staatsrecht H, Rdnr. 318ft". 92 BVerfG, Beschluß vom 15.05.1995 - 2 BvL 19/91,2 BvR 1206/91,2 BvR 1584/91, 2 BvR 2601193

=

BVerfGE 92, 277ft".

93 Abweichende Meinung der Richter Klein, Kirchhof und Winter, BVerfGE 92, 341.

I. Teil: Rücknahmepflichten

158

Richtigerweise stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kein "gerichtlich nachprüfbares verfassungsrechtliches Optimierungsgebot" , sondern eine Schranke dar, die bei der Konzipierung der betreffenden Maßnahmen und der Adressatenauswahl nur in "GrenzfliIlen" relevant ist94 . Eine Verengung des staatlichen Handlungsspielraums auf bestimmte, allein "verhältnismäßige" Ausformungen kann nur in wenigen Ausnahmefällen bestehen95 . Erwogen werden könnte, ob eine stärkere Berücksichtigung der begrenzten Aussagekraft des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als bloße "Negativkontrolle"96 möglicherweise dadurch erleichtert werden kann, daß die bestehenden Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht - wie jetzt positiv, sondern negativ formuliert werden. Danach wäre der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Verbot ungeeigneter, nicht erforderlicher, unangemessener Maßnahmen. Terminologie hat immer auch eine bewußtseinsbildende und bewußtseinsllirdernde Wirkung. Eine negativ gewendete Formulierung würde zumindest dem abwehrenden Charakter des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stärker gerecht werden als die jetzt verwendeten Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit.

(b) Drei-Stufen-Theorie Grundlage rur die sogenannte "Drei-Stufen-Theorie"97 zu Art. 12 Abs. 1 GG bildet das Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts98. Sie wird zu Recht als

94 Vgl. Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 47; neben der Unbestimmtheit des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit ist auch die Entwicklung hin zu einer immer weitergehenden Ausdift"erenzierung des Grundsatzes problematisch. Wie jedes Regelungssystem tendiert auch die juristische Dogmatik mit der Zeit zur Entwicklung immer feinerer Regelungsmechanismen. Von einer immer ausgefeilteren Verhältnismäßigkeitsprilfung bis zur Formulierung verfassungsrechtlicher Anforderungen an die Ausgestaltung im Einzelfall ist kein weiter Schritt; sie steht damit in potentiellem Konflikt zur Wahrung der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit. Diese Entwicklung könnte zu einer verfassungsrechtlichen Determinierung staatlicher Entscheidungsvorgänge in dem Sinn ruhren, daß im Einzelfall versucht wird, aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine ganz bestimmte Ausgestaltung als "die einzige wirklich verhältnismäßige" Maßnahme herzuleiten; vgl. allgemein krititisch auch Schnapp JuS 1983, S. 850f.; weiterhin Kluth, Jura 1991, S. 293, der auf die Gefahr hinweist, daß "zumal durch eine weite Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes" gesetzgeberische Wertungen "umfunktioniert" würden.

95 Vgl. Schnapp, JuS 1983, S. 853; zur Gefahr einer extensiven Argumentation mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vgl. ebd. S. 851. 96

Vgl. Schnapp, JuS 1983, S. 855.

97 Vgl. dazu auch HojJmann, Berufsfreiheit als Grundrecht der Arbeit, S. 70ft". 98 BVerfGE 7, 377ft".; vgl. auch BVerfGE 30, 292, 316f.

C. Grenzen tUr Rücknahmeptlichten aus übergeordnetem Recht

159

eine Präzisierung99 bzw. konkretisierte, modellhafte Anwendung lOO des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bezeichnet lOl und stieß in Rechtsprechung und Literatur auf weitestgehende Zustimmungl02 . Nach der Drei-Stufen-Theorie sind desto stärkere Anforderungen an die den Eingriff rechtfertigenden GrUnde zu stellen, je intensiver in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingegriffen wird. Die Freiheit der Berufsausübung kann beschränkt werden, "soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen"103; der Grundrechtsschutz reduziert sich hier "auf die Abwehr in sich verfassungswidriger, weil etwa übermäßig belastender und nicht zumutbarer Auflagen"I04 (1.Stufe). Die Berufswahlfreiheit darf dagegen "nur eingeschränkt werden, soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert"105 (2.Stufe). Sofern es sich schließlich um objektive Zulassungsschranken handelt, muß der Eingriff der "Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren rur ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut"l06 dienen (3.Stufe). Insgesamt hat der Gesetzgeber stets "diejenige Form des Eingriffs zu wählen, die das Grundrecht am wenigsten beschränkt"107. Für die in der Auferlegung von Rücknahmepflichten möglicherweise liegende Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit oder der Berufswahlfreiheit ergibt sich aus der Drei-Stufen-Theorie folgende PrUfungsreihenfolge lO8 :

99 Vgl. Lottermoser, Fortentwicklung des Abfallbeseitigungsrechts, S. 114; Papier, DVBI. 1984, S. 804. 100 Vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 6 (S. 961); so auch Arndt in Steiner (Hrsg.), Besonderes VerwaItungsrecht, Kapitel VII Rdnr. 79. 101 Vgl. dagegen kritisch Ipsen, JuS 1990, S. 634ft'. 102VgI.BVerwGE7, 172, 174ft'; 8, 14, 15;38, 105, 113;40, 17, 19;BGHZ38, 13, 16f.; vgl. auch Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 6 (S. 961), Fn. 22; Hoffmann, Berufsfreiheit als Grundrecht der Arbeit, S. 78; Gubelt in v. Münch/Kunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 46; Scholz in MDHS, Kommentar GO, Art. 12 Rdnr. 319, jeweils mit weiteren Nachweisen. 103 BVerfGE 7, 377, 405; vgl. auch BVerfGE 22, 380, 384; 30. 292, 316ft'; 57, 139, 159; 61,291,312; 65, 362, 363; 68,155, 171; Frotscher, JuS 1990, S. L83; Papier, DVBI. 1984, S. 804. 104 BVerfGE 7, 378; vgl. auch Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 7 (S. 962). 105 BVerfGE 7, 378. 106 BVerfGE 7, 377, 408; vgl. auch Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 7 (S. 963); Papier, DVBI. 1984, S. 805; Schotz in MDHS, Kommentar OG, Art. 12, Rdnr. 318. 107 BVerfGE 7, 378. 108 Vgl. dazu auch Friaufin FS Börner, S. 713; Frotscher, JuS 1990, S. L83; Meessen, JuS 1982, S. 402.

160

I. Teil: Rücknahmepflichten

I. Dienen Rücknahmepflichten einem Schutzgut, das die Anforderungen der Drei-Stufen-Theorie an den Regelungszweck erfüllt? 2. Sind Rücknahmepflichten zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinn, also nicht übermäßig belastend oder unzumutbar?

(c) Zweck der Regelung (aa) Eine Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit durch Rücknahmepflichten wäre nur gerechtfertigt, wenn ihre Auferlegung auf vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls beruht, so daß das verfolgte Ziel legitim und mit der Wertordnung des Grundgesetzes vereinbar ist 109 • Bei der Festlegung der mit der Regelung verfolgten Ziele wirtschaftlicher, sozialer oder gesellschaftspolitischer Art durch den Gesetzgeber llO ist dieser nicht völlig frei. Die vorgenommene Konkretisierung ist am Übermaßverbot zu messen; zu prüfen ist, ob die Regelung dazu beiträgt, als nicht unangemessener Faktor der gesetzgeberischen Ordnungskonzeption eine akzeptable Balance zwischen grundrechtlicher Freiheit und sozialen Bindungen sowie einen wirtschaftlichen und sozialen Interessenausgleich herzustellen 111. Einen geeigneten eingritTslegitimierenden "vernünftigen" Gemeinwohlbelang bildet das Ziel des Umweltschutzes 112. Angesichts der bestehenden Schwierigkeiten im Bereich der Abfallentsorgung können sich Maßnahmen wie Rücknahmepflichten, die Verbesserungen im Bereich der Abfallverwertung und -beseitigung bewirken, besonders aber der Abfallvermeidung dienen sollen, grundsätzlich problemlos auf vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls berufen ll3 •

109

Vgl. Friaufin FS Bömer, S. 7\3.

110 Vgl. Frotscher, JuS 1990, S. L84; Meessen, JuS 1982, S. 403; Papier, DVBI. 1984, S. 805; Scholz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 319.

111

Vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. \3 (S. 968f.).

112 Vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 21 (S. 974); Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 44. 113 Vgl. Deubert, Kommunale Kompetenzen im Bereich der Abfallwirtschaft, S. 81; Di Fabio, NVwZ 1995, S. 5f.; Klages, NVwZ 1988, S. 482; Lottermoser, Fortentwicklung des Abfallbeseitigungsrechts, S. 114f; ScholzlAulehner, BB 1993, S. 2262; vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 03.05.1994, NVwZ 1994, S. 901 (ein in der Beeinflußung der Kaufentscheidung der Bürger zugunsten abfallarmer Produkte möglicherweise liegender mittelbarer Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit wäre "durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls ohne weiteres gedeckt"); Papier, VerwArch. 1993, S. 431 (Mehrwegkampagnen der Kom-

c. Grenzen rur Rücknahmeptlichten aus übergeordnetem Recht

161

(bb) Eine in Rücknahmepflichten möglicherweise liegende Beeinträchtigung der Berufswahlfreiheit l14 wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Eingriff dem Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter, u.U. sogar zur Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dient. Eine Wertung des Ziels "Umweltschutz durch Abfallvermeidung, -verwertung und sichere Abfallbeseitigung" als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut läßt sich auf zwei Arten begründen: Einerseits läßt sich damit argumentieren, daß dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen spätestens nach Einftlgung der Staatszielbestimmung Umweltschutz in Art. 20a GG Verfassungsrang zukommt 115 und er schon daher ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut darstellt. Da eingriffslegitimierende "besonders wichtige" Gemeinwohlbelange auch Belange sein können, die erst vom Gesetzgeber in den Rang wichtiger Gemeinschaftsgüter erhoben werden 116, wäre zur Begründung der Festlegung von Rücknahmepflichten auch eine entsprechende gesetzliche Konkretisierung des Gemeinwohlbelangs möglich. Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich auf die Frage, ob die Auffassungen des Gesetzgebers "offensichtlich fehlsam oder mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar"l17 sind. Auch diese Gemeinwohlkonkretisierung ist zwar an der oben dargelegten Verhältnismäßigkeitsprüfung zu messen, was aber angesichts der existentiellen Bedeutung des Umweltschutzes im allgemeinen und einer Meisterung der Krise in der Abfallentsorgung im besonderen auch ftlr die Sicherung der Möglichkeiten künftigen Wirtschaftens im Ergebnis keine maßgebliche Hürde darstellen wird. Schließlich stellt sich die Frage, ob Umweltschutz als "überragend wichtiges" Gemeinschaftsgut anzusehen ist, das selbst Eingriffe auf der höchsten Stufe zu

munen zur Abfallvermeidung dienen einem "verfassungslegitimen", gemeinwohlorientierten Ziel). 114

Vgl. oben S. 150.

115 Vgl. Frenz, Die Verwirklichung des Verursacherprinzips im Abfallrecht, S. 65; Kuhlmann, NuR 1995, S. 9; generell auch Kloepfer, DVBI. 1996, S. 73ff., 78; Uhle, UPR 1996, S. 57. 116 Vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 40 (S. 989f.); Frotscher, JuS 1990, S. L84; Jarass, Wirtschaftsverwaltungs- und -verfassungsrecht, Rdnr. 27; Gubelt in v. Münch/Kunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 56; Meessen, JuS 1982, S. 403. 117 BVerfGE 13,97, 107; vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 40 (S. 990); rur einen eingeschränkteren Spielraum Gubelt in v. Münch/Kunig (Hrsg.). Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 56, der eine Überprüfung der Wertung des Gesetzgebers durch eine Ermittlung der in der Mehrheit der Bevölkerung bestehenden Ansicht rur erforderlich hält.

11 Bauemfeiod

162

I. Teil: Rücknahmepflichten

rechtfertigen vennag ll8 • Vom Bundesverwaltungsgericht wurde die Erhaltung einer menschenwürdigen Umwelt ausdrücklich als ein solches Gut anerkannt JJ9 • Selbst wenn man als überragend wichtige Gemeinschaftsgüter nur solche ansehen wollte, die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen entsprechen l2O , so ist dies spätestens seit Einfiigung des Art. 20a GG der Fall. Diesem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut müssen weiterhin "nachweisbare oder höchst wahrscheinliche schwere Gefahren" drohen. Damit wird der Umfang des Prognosespielraums bzw. der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers 121 angesprochen. Prognosen sind notwendige Voraussetzung zukunftsgerichteter Regelungen und daher eng mit politischen Wertungen und Einschätzungen der tatsächlichen und politischen Entwicklung verbunden 122. Mittlerweile werden die Prognosen des Gesetzgebers in diesem Bereich nur noch einer begrenzten Kontrolle unterzogen. Während das Bundesverfassungsgericht in seinen früheren Entscheidungen die Existenz eines Prognosespielraums des Gesetzgebers nicht anerkannt hatI 23 , prüft das Gericht jetzt nur noch, ob die Prognose ex ante "vertretbar" war l24 • Von seiten der Literatur wird teilweise die Zubilligung eines Beurteilungsspielraumes in bezug auf das Gewicht des zu schützenden Gemein-

118 Vgl. bejahend Di Fabia, NVwZ 1995, S. 6: Gefahrlose und geordnete Abfallentsorgung, Schutz des Trinkwassers vor Deponiebelastung und Schutz der Volksgesundheit vor Schadstoffen aus Müllverbrennungsanlagen als "überragend wichtige" Gemeinschaftsgüter; Frenz, GewArch 1994, S. 156 ("herausragende Bedeutung der zu schützenden Gemeinschaftsgüter menschenwürdige Umwelt und Volksgesundheit"); Klaepfer, Umweltrecht § 12, Rdnr. 95 ("Entsorgung"); Papier in DSD-Gutachten 1993, S. 16 und 17: "Schutz der Volksgesundheit" und "Erhaltung einer menschenwürdigen Umwelt" bzw. "Umweltschutz" als "zentrale" "überragende Gemenschaftsgüter"; weiterhin allgemein rur die "Erhaltung und Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen in der gegenwärtigen ökologischen Krise" Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 45; vgl. auch Winke/mann, UPR 1991, S. 170. 119 Vgl. BVerwGE 62, 224, 230; Gubelt in v. Münch/Kunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 68; Jarass in JarassiPieroth, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 31. 120

Vgl. Gube/t in v. Münch/Kunig (Hrsg.), Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 67.

Vgl. Papier, DVBI. 1984, S. 805; Schalz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr.321. 121

122 Vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 17 (S. 972); Rehbinder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 47; SRU, Umweltgutachten 1994, BT-Drs. 12/6995, Tz.74. 123

Vgl. BVerfDE 7, 377, 413ff.; 11,30, 43ff.; 12, 144, 147fT.; Breuer in HdBStR VI,

§ 148 Rdnr. 15 (S. 970); Schalz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 321. 124

Vgl. BVerfDE 50, 290, 333fT.; weiterhin auch BVerfDE 22, 292, 317.

C. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

163

schaftsgutes und seine tatsächliche Geflihrdung ausdrücklich abgelehntI 25 ; sie ist aber im Ergebnis notwendig, weil nur durch die Anerkennung eines beschränkten Prognosespielraums die dem Gesetzgeber obliegende Gestaltungsaufgabe und damit verbundene Prognoseverantwortung treffend berücksichtigt wird 126 • Eine Einschränkung des gesetzgeberischen Einschätzungs- und Prognosespielraums ergibt sich aus der Prüfung, ob der Gesetzgeber ex ante seine Prognose auf eine nachvollziehbare, vertretbare Ermittlung der maßgeblichen Gesichtspunkte gestützt hat 127 : Notwendig ist eine "Prognosestimmigkeit" in Hinblick auf "Rational ität, Plausibilität und Schlüssigkeit"128. Allgemeine Aussagen darüber, ob der Gesetzgeber im Fall einer Auferlegung von Rücknahmepflichten die Existenz einer "höchst wahrscheinlichen schweren Gefahr" filr das Gemeinschaftsgut Umweltschutz darlegen kann, sind nicht möglich. Zumindest bei Rücknahmepflichten filr besonders umweltproblematische Produkte wird dies jedoch oft der Fall sein. Damit dienen Rücknahmepflichten einem Schutzgut, das den Anforderungen der Drei-Stufen-Theorie an den Regelungszweck filr eine Rechtfertigung eines Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit genüge tut, zumindest im Grundsatz aber auch einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit rechtfertigen kann.

(d) Geeignetheit Ein Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der intendierte Gesetzeszweck gefördert werden kann l29 • An die gerichtliche ÜberprUfungsdichte könnten unterschiedliche Anforderungen zu stellen sein, je nachdem, ob durch die Rücknahmepflicht nur die Berufsausübungsfreiheit oder auch die Berufswahlfreiheit betroffen wird. Bei Regelungen, die nur in die Berufsausübungsfreiheit eingreifen, besteht anerkannterweise ein legislatorischer Beurteilungs- und Prognosespielraum hinsichtlich der Geeig-

125 Vgl. Fra/scher, JuS 1990, S. L84; Papier, DVBI. 1984, S. 805; Schalz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 323. 126 V gl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 17 (S. 971); Rehbillder, Probleme des Verursacherprinzips, S. 47. 127 Vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 18 (S. 972f.); Schneider in FG BVerfG 11, S.396. 128

Vgl. Ossenbühl in FG BVerfG I, S. 513f.

Vgl. BVerfGE 30, 292, 316; 33, 171, 187; 80, I, 24f.; Jarass in Jarass/Pieroth, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 25; Schnapp, JuS 1983, S. 854. 129

164

1. Teil: Rücknahmepflichten

netheit der Maßnahmen!3O. Überschritten wird der Beurteilungsspielraum nur dann, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so fehlsam sind, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage fUr gesetzgeberische Maßnahmen bilden können!3l. Dagegen wird ein Prognosespielraum teilweise zumindest filr eine Beeinträchtigung der Berufswahlfreiheit durch objektive Zulassungsbedingungen verneine 32 • Auch hier ist aber zur Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Maßnahme einen bestimmten Zweck erreichen kann, eine Prognose auf der Basis der ex ante vorhandenen verfUgbaren Informationen notwendig133 • Zu dieser Prognose ist der demokratisch legitimierte Gesetzgeber berufen; eine gerichtliche Prognosekontrolle aus der ex-post-Perspektive würde dieser dem Gesetzgeber obliegenden Gestaltungsaufgabe und der damit verbundenen Prognoseverantwortung nicht gerecht 134• Daher hat sich die gerichtliche Kontrolle darauf zu beschränken, ob die vorgenommene Prognose sachgerecht und vertretbar 135 oder ob das eingesetzte Mittel "schlechthin ungeeignet" oder "objektiv untauglich" war 136 ; erweist sich aufgrund neuerer Erkenntnisse eine Einschätzung als Fehlprognose, so fUhrt dies lediglich zu einer "Nachbesserungsptlicht"l37 des Gesetzgebers. Die Geeignetheit einer staatlichen Maßnahme ist an den in zulässiger Weise vom Gesetz- oder Verordnungsgeber verfolgten Zielen zu messen 138 • Sofern Rücknahmepflichten mit einem Vorsorgeaspekt begründet werden, folgt schon daraus

130 Vgl. BVerfDE 13,97, 113; 25, 1, 12f., 17f.; 30, 250, 263; Atzpodien, DB 1987, S. 728; Di Fabio, NVwZ 1995, S. 7; Jarass in JarasslPieroth, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 23; Papier, DVBI. 1984, S. 805; generell rur einen Prognosespielraum auch Hoffmann, DVBI. 1996, S. 351. 131

Vgl. BVerfDE 30, 292, 317.

132

Vgl. Meessen, JuS 1982, S. 404.

133

Vgl. dazu auch oben S. 163.

134

V gl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 17 (S. 971 f.).

Vgl. BVerfDE 30, 250, 263; BVerwG, Beschluß vom 03.05.1994, NVwZ 1994, S. 901; tUr einen generellen Prognose- und Beurteilungsspielraum bei der Beurteilung der Geeignetheit auch SRU, Umweltgutachten 1994, BT-Drs. 12/6995, TZ.73. 135

136 Vgl. BVerfDE 30, 250; BVerwG, Beschluß vom 03.05.1994, NVwZ 1994, S. 901; vgl. auch Di Fabio, NVwZ 1995, S. 7; Kiethe/Sproll, ZIP 1994, S. 280; Papier, VerwArch 1993, S. 431. 137 Vgl. BVerfDE 25, 1, 13; Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 19 (S. 973); vgl. auch Di Fabio, NVwZ 1995, S. 7 (Nachbesserungspflicht als Folge einer weiten Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, hier tUr "Experimentalnormen") und zustimmend Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22 Rdnr. 232. 138 Vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 319.

C.

Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

165

das Erfordernis, daß das Risiko durch die Vorsorgemaßnahme an einer geeigneten Stelle reduziert werden muß 139 • Oft wird die Frage, ob eine Maßnahme zur Erreichung des gesetzten Ziels geeignet ist, schon inzident vom Gesetzgeber durch die Art und Weise der Zieldefinierung beantwortet. Aufgrund der Tatsache, daß es sich bei RUcknahmepflichten um Mittel der vornehmlich indirekten Steuerung handelt, die hinsichtlich der Beurteilung ihrer Wirksamkeit größere Anspruche an die Prognosegenauigkeit steIlen, kommt hier dem gesetzgeberischen Prognose- und Beurteilungsspielraum besondere Bedeutung zu. Allgemein wird bei RUcknahmepflichten die Beurteilung der Geeignetheit dadurch erschwert, daß sie als "multifunktionale Instrumente"140 einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Zielen dienen können l41 . Je nachdem, welches Ziel als "das maßgebliche" herangezogen wird, kann es zu einer unterschiedlichen Beurteilung der Geeignetheit kommen. So werden etwa Rücknahmepflichten vereinzelt dann als "ungeeignet" angesehen, wenn die Beseitigung der Stoffe im Einzelfall die ökologischere Alternative zur Verwertung bildet, und dies damit begründet, primäres Ziel von RUcknahmeverordnungen sei es, den Weg der Beseitigung in HausmUll- oder Sonderabfallentsorgungsanlagen zu verschließen l42 . Bedenken werden auch filr den Fall geäußert, daß keine ausreichenden Verwertungskapazitäten zur Verfilgung stehen l43 . Anders wäre die Frage jedoch zu beurteilen, sofern Rücknahmepflichten maßgeblich auf den Gedanken der Produktverantwortung gestUtzt werden und gefragt wird, ob RUcknahmepflichten eine Veränderung in der Produktkonzeption hin zu einer Abfallminimierung oder besseren Entsorgbarkeit der Produkte bewirken können. Dies wäre zu bejahen: Aufgrund der Kostenbelastung, die einen RUcknahmepflichtigen zumindest vorläufig l44 filr die Entsorgung der zurückgenommenen Produkte trifft, wird filr ihn ein Anreiz gesetzt, auch die von ihm zurUckzunehmende und zu beseitigende Abfallmenge zu reduzieren.

139 Vgl. v. Lersner, HdUR Bd. 11, Sp. 2706; vgl. zur Begründung von Rücknahmepflichten mit dem Vorsorgeprinzip oben S. 93tf 140 Vgl. dazu oben ab S. 33. 141 Vgl. zu den mit einer "Gemengelage von Zielsetzungen" verbundenen Schwierigkeiten Schnapp, JuS 1983, S. 854. 142 Vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 321, der dies allerdings mittlerweile auf Rücknahmepflichten eingeschränkt hat, "die auf eine Verwertung zielen", siehe ders. in UPR 1996,

S.47.

143 Vgl. Lueder in Rengeling (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, S. 198. 144 Dies gilt, sofern und solange er seine Kosten nicht auf den Produktpreis überwälzen kann, vgl. Beckmann, DVBI. 1995, S. 320.

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I. Teil: Rücknahmeptlichten

Da Rücknahmepflichten nach §§ 22, 24 KrW-/AbfG ein Mittel zur Umsetzung der Produktverantwortung sind, bildet diese auch den letztlich zentralen Beurteilungsmaßstab filr die Geeignetheit von Rücknahmepflichten. Die Produktverantwortung umfaßt nach § 22 Abs. 2 Nr. 5 "insbesondere" ... "die Rücknahme der Erzeugnisse und der nach Gebrauch der Erzeugnisse verbleibenden Abflllle sowie deren nachfolgende Verwertung und Beseitigung". Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 sind Erzeugnisse zur Erfilllung der Produktverantwortung möglichst so zu gestalten, "daß bei deren Herstellung und Gebrauch das Entstehen von Abfllllen vermindert wird und die umweltverträgliche Verwertung und Beseitigung der nach Gebrauch entstandenen Abflllle sichergestellt ist". Der Grundsatz der Produktverantwortung enthält damit sowohl vermeidungs-, verwertungs-, als auch beseitigungsbezogene Aspekte. Dies ist bei der Untersuchung der Frage der Geeignetheit von Rücknahmepflichten zu berücksichtigen; eine Auslegung, die als Ziel von Rücknahmepflichten lediglich verwertungsbezogene Aspekte anerkennt, würde dem Umfang der Produktverantwortung nicht gerecht. Die Frage nach der "Geeignetheit" von Rücknahmepflichten läßt sich nicht generell beantworten, sondern ist abhängig von vorgenommener Zieldefinition und konkreter Ausgestaltung im Einzelfall. Um dem Ziel der Produktverantwortung gerecht zu werden, muß allerdings die Zuweisung zumindest einer finanziellen Verantwortung filr die Produktverwertung oder -beseitigung in der Form gewährleistet bleiben, daß daraus effektive Handlungsanreize zur Produktanpassung im Sinn eines "Rückkoppel"-Effektes I45 entstehen können. Sofern sich Händler und Vertreiber zur Erfilllung von individuellen Rücknahmepflichten zu einem einheitlichen RUcknahmesystem zusammenschließen, wird dies nur dann der Fall sein, wenn eine gestaffelte Kostenzurechnung entsprechend der entstehenden Verwertungs- oder Beseitigungskosten stattfindetl 46 • Ob dazu allerdings schon in der Rücknahmevorschrift Regelungen getroffen werden müssen, um dem Maßstab der Geeignetheit gerecht zu werden, ist zweifelhaft; sofern die Erfilllung der Rücknahme- und Entsorgungspflicht lediglich durch ein einheitliches Rücknahmesystem als "Dritter" stattfindet, ohne daß damit eine Verringerung oder Modifizierung der auferlegten Pflichten verbunden ist, besteht ein marktwirtschaftlicher Anreiz, nicht bestimmte "teurere" Abfallfraktionen auf Kosten eines Teils der Beteiligten sozusagen mitzuschleppen. Erschwert wird dies allerdings, wenn staatliche Vorgaben eine entsprechende marktwirtschaftliche Konkurrenz dadurch verhindern, daß die Entwicklung monopolartiger, flächendeckender Systeme gef6rdert wird. Zwar ist anzunehmen, daß sich auch dann eine entsprechende gesetzgeberische Prognose noch im Rahmen des oben erörterten Beurteilungs- und Prognose-

145

Birn, NVwZ 1992, S. 423.

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Vgl. zutreffend Beckmann, DVBI. 1995, S. 320.

C. Grenzen fIlr Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

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spielraums halten würde, so daß ein Verzicht auf entsprechende Regelungen noch keine Zweifel an der Geeignetheit der Rücknahmepflichtauferlegung begründen könnte. Sollte sich allerdings auch nach einer bestimmten Experimentalphase l47 noch keine die Produktverantwortung effektuierende Kostenverteilung eingestellt haben, so wird den Gesetzgeber eine Pflicht treffen, diesem Mißstand abzuhelfen l48 • Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit von Rücknahmepflichten zur Verwirklichung der Produktverantwortung ergeben sich weiterhin im Fall, daß die Rücknahmepflicht auf Fremdprodukte erstreckt wird l49 • Sofern nicht nur die eigenen Produkte zurückgenommen werden müssen, wird der Rücknahmepflichtige auch mit den "Fehlern" anderer Produkthersteller oder -vertreiber konfrontiert; damit sinkt der Anreiz, die eigenen Produkte (die möglicherweise gar nicht zu ihm zurückgelangen) unter abfallvermeidungs-, -verwertungs- und -beseitigungsbezogenen Gesichtspunkten zu optimieren. Nicht immer ist jedoch eine Begrenzung der Rücknahmepflicht auf "eigene" Produkte machbar; oft findet beim Verbraucher eine Vermischung von Produkten unterschiedlicher Herkunft statt, die eine "Rekonstruktion" des konkreten Bezugsweges etwa mangels Kennzeichnung unmöglich, zumindest aber sehr aufwendig machen würde. Rücknahmepflichten leben - sofern damit keine Rückgabepflichten verbunden werden - von einer freiwilligen Wahrnehmung der RUckgabemöglichkeit durch die Produktinhaber. Insofern sind RUcknahmepflichten so auszugestalten, daß die Rückgabe keinen zu hohen Aufwand erfordert. Daher kann es unter dem Aspekt der Geeignetheit geradezu geboten sein, eine Rücknahmepflicht auch auf Fremdprodukte zu erstrecken. In diesem Fall wäre jedoch zu prüfen, inwieweit sich die Rücknahmepflicht etwa auf die Rücknahme von Produkten der gleichen Art, Form und Größe, der verkauften Marken oder des angebotenen Sortiments beschränken läßt, um den Bezug zur Produktverantwortung des einzelnen so weit wie möglich aufrecht zu erhalten. Sofern es sich um überschaubare Vertragsverhältnisse handelt, kann auch eine Begrenzung auf die Menge der im Einzelfall abgegebenen Produkte notwendig sein, damit die RUcknahmeregelung dem Grundsatz der Geeignetheit gerecht wird l50 •

147 Vgl. fIlr eine Übergangsfrist, um den Maßnahmen Zeit und Gelegenheit zum Eignungsnachweis zu geben, auch Di Fabio, NVwZ 1995, S. 7. 148 Vgl. zu dieser "Nachbesserungspflicht" oben S. 164. 149

V gl. kritisch Fluck, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, § 22 Rdnr. 215.

Für eine Vereinbarkeit einer Rücknahmepflicht fIlr Fremdprodukte mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch KloepferiWimmer, UPR 1993, S. 414, Fn. 48. 150

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1. Teil: Rücknahmeptlichten

(e) Erforderlichkeit (aa) PrUfungsmaßstab und Kriterien rur die Erforderlichkeit von Rücknahmeptlichten Eine staatliche Maßnahme genügt dem Maßstab der Erforderlichkeit, wenn der verfolgte Zweck nicht durch ein anderes, weniger belastendes Mittel erreicht werden kann l51 • Die Wahl des verfolgten Zwecks liefert oft schon eine Vorabentscheidung über die Frage der Erforderlichkeit eines Mittels 152 • Ob Rücknahmeptlichten das mildeste Mittel darstellen, mit dem der verfolgte Zweck gleich wirksam verfolgt werden kann I53 , hängt entscheidend von der jeweiligen Ausgestaltung der RUcknahmeregelung ab, so daß sich diese Frage (ebenso wie die Frage der Geeignetheit) nicht abstrakt klären läßt l54 • Ihre Beantwortung ist von einer Einschätzung der Folgen der gewählten Maßnahme und der Konsequenzen von möglichen alternativen Maßnahmen abhängig. Dies erfordert oft die mit Prognosen verbundene Feststellung komplexer, gesellschaftlicher Situationen 155 • Daher stellt sich wiederum die Frage nach der Existenz eines legislativen Beurteilungs- und Prognosespielraums. Auch hier besteht Übereinstimmung darin, daß dem Gesetzgeber bei Maßnahmen, durch die lediglich die Berufsausübungsfreiheit betroffen wird, ein weiter Beurteilungs- und Prognosespielraum hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Maßnahme zusteht l56 • Anerkannt wird ein Beurteilungs- und Prognosespielraum ferner rur eine Beeinträchtigung der Berufswahlfreiheit durch subjektive Berufswahlregelungen i57 • Richtigerweise erstreckt sich der legislative Beurteilungs- und Prognosespielraum weiterhin auch auf den Fall einer Beeinträchtigung der Be-

151 Vgl. BVerfGE 30, 292, 316; 53,135,145; 69, 209, 218f.; Jarass in JarasslPieroth, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr. 26; Papier, VerwAreh 1993, S. 434. 152 Vgl. Schnapp, JuS 1983, S. 854; Schalz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 319 (S. 167). 153 Vgl. Meessen, JuS 1982, S. 402; Papier, VerwAreh 1993, S. 434. 154 Ebenso Beckmann, DVBI. 1995, S. 321. 155

Vgl. Meessen, JuS 1982, S. 403.

Vgl. BVerfGE 13,97,113; 25,1, 12f., 17f.; Beckmann, DVBI. 1995, S. 315f.; Papier, DVBI. 1984, S. 805; Schalz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12, Rdnr. 319. 157 Vgl. Papier, DVBI. 1984, S. 805; Schalz in MDHS, Kommentar GG, Art. 12 Rdnr.322. 156

C. Grenzen rur Rücknahmepflichten aus übergeordnetem Recht

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rufswahlfreiheit durch objektive Berufswahlregelungen l58 . Für die Anerkennung zumindest eines eingeschränkten Spielraums auch in diesem Bereich spricht - wie schon oben dargelegt159 -, daß nur dadurch die gesetzgeberische Gestaltungsaufgabe und die damit notwendigerweise verbundene Prognoseverantwortung treffend berücksichtigt wird l60 . Damit beschränkt sich die Prüfung richtigerweise auf die Frage, ob der Gesetzgeber ex ante seine Prognose auf eine nachvollziehbare, vertretbare Ermittlung der maßgeblichen Gesichtspunkte gestützt hat 161 . Bei der Prüfung einer Erforderlichkeit von RUcknahmeptlichten im Einzelfall ist zu klären, ob die angestrebten Ziele auch auf einer niedrigeren Stufe 162 der Beeinträchtigung der Berufsfreiheit erreicht werden können. Hier werden sich Ausgestaltungen, die eine die Berufswahlfreiheit beeinträchtigende Wirkung entfalten, meist als nicht erforderlich erweisen. Zu erwägen ist weiterhin, ob im konkreten Fall nicht ausnahmsweise Instrumente der direkten Steuerung wie Ge- und Verbote ein milderes Mittel gegenüber der Einfilhrung von Rücknahmepflichten darstellen l63 ; dies wird allerdings wohl nur selten der Fall sein. Schließlich muß insbesondere der Umfang der Rücknahmeptlicht kritisch hinterfragt werden. Eine Erstreckung der Pflicht auch auf Fremdprodukte oder über die Menge der abgegebenen Produkte hinaus ist zwar grundsätzlich zulässig l64 ; sie steht aber unter dem Vorbehalt, daß eine weniger belastende Ptlichtausgestaltung etwa aufgrund von Praktikabilitäts- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten bei der Wahrnehmung der RUcknahmeptlicht nicht genauso zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet wäre. Ausschlaggebend ftlr die Beurteilung der Erforderlichkeit können unter anderem die folgenden Aspekte sein:

158 Vgl. Breuer in HdBStR VI, § 148 Rdnr. 14ff. (S. 969ff.); generell rur ein weites Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich der Beurteilung der Erforderlichkeit von Verordnungen auch Beckmann, UPR 1996, S. 47 und Fluc!